Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert: Maria Theresia und Katharina die Große 9783839443552

In Maria Theresa and Catherine the Great, the volume compares two of the most important rulers of the 18th century and s

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Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert: Maria Theresia und Katharina die Große
 9783839443552

Table of contents :
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Inhalt
Einleitung
Rahmenbedingungen
Weibliche Herrschaft als Ausnahme?
Die patrimoniale Staatsauffassung der europäischen Königsfamilie als Voraussetzung weiblicher Herrschaft in der Frühen Neuzeit
Die Herrscherinnen und der Hof
»Codesta nuova corte«
»…aus besonderer Distinction für den russisch[en] kaÿ[serlichen] Hof«
Der russische Hof unter Elisabeth Petrovna
Katharina II. und ihre Favoriten in den Eliten des Russischen Reiches
Regierungshandeln
Maria Theresia
Die Wege der Integration
Alte und neue Erkenntnisse zu den Staatszielen Katharinas II.
Gerüchte, Mythos und Politik im »Griechischen Projekt« Katharinas II.
Repräsentationen und Wahrnehmungen
Vom Nutzen der Schönheit
»Unter deinen Schutz und Schirm«
Die machtgierige Kaiserin
»Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen.«
Kleidung in der Körperpolitik des katharinäischen Russland: Von Regimentskleidern zu regionalen Uniformen
Die »doppelte« Memoria Maria Theresias
Siglenverzeichnis
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Personenregister

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Bettina Braun, Jan Kusber, Matthias Schnettger (Hg.) Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert

Mainzer Historische Kulturwissenschaften  |  Band 40

Editorial In der Reihe Mainzer Historische Kulturwissenschaften werden Forschungserträge veröffentlicht, welche Methoden und Theorien der Kulturwissenschaften in Verbindung mit empirischer Forschung entwickeln. Zentraler Ansatz ist eine historische Perspektive der Kulturwissenschaften, wobei sowohl Epochen als auch Regionen weit differieren und mitunter übergreifend behandelt werden können. Die Reihe führt unter anderem altertumskundliche, kunst- und bildwissenschaftliche, philosophische, literaturwissenschaftliche und historische Forschungsansätze zusammen und ist für Beiträge zur Geschichte des Wissens, der politischen Kultur, der Geschichte von Wahrnehmungen, Erfahrungen und Lebenswelten sowie anderen historisch-kulturwissenschaftlich orientierten Forschungsfeldern offen. Ziel der Reihe Mainzer Historische Kulturwissenschaften ist es, sich zu einer Plattform für wegweisende Arbeiten und aktuelle Diskussionen auf dem Gebiet der Historischen Kulturwissenschaften zu entwickeln. Die Reihe wird herausgegeben vom Koordinationsausschuss des Forschungsschwerpunktes Historische Kulturwissenschaften (HKW) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Bettina Braun (Prof. Dr.), geb. 1963, lehrt Geschichte der Frühen Neuzeit an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie forscht zur Verfassungsgeschichte des Alten Reichs, zur Germania Sacra in der Frühen Neuzeit sowie zur Herrschaft von Frauen. Jan Kusber (Prof. Dr.), geb. 1966, lehrt Osteuropäische Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er forscht unter anderem zum Russischen Imperium des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Matthias Schnettger (Prof. Dr.), geb. 1965, lehrt Geschichte der Frühen Neuzeit an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt die Geschichte des Alten Reichs und Italiens.

Bettina Braun, Jan Kusber, Matthias Schnettger (Hg.)

Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert Maria Theresia und Katharina die Große

Die Drucklegung des Bandes wurde mit Mitteln des Forschungsschwerpunkts Historische Kulturwissenschaften (HKW) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Francisco BraganÇa, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4355-8 PDF-ISBN 978-3-8394-4355-2 https://doi.org/10.14361/9783839443552 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Einleitung...............................................................................................9 Bettina Braun, Jan Kusber, Matthias Schnettger

Rahmenbedingungen Weibliche Herrschaft als Ausnahme? Maria Theresia und die Geschlechterordnung des 18. Jahrhunderts..........................................................................19 Barbara Stollberg-Rilinger

Die patrimoniale Staatsauffassung der europäischen Königsfamilie als Voraussetzung weiblicher Herrschaft in der Frühen Neuzeit..........................................................................51 Lorenz Erren

Die Herrscherinnen und der Hof »Codesta nuova corte«. Außensichten auf den Wiener Hof im Spätjahr 1740.......................73 Matthias Schnettger

»…aus besonderer Distinction für den russisch[en] kaÿ[serlichen] Hof«. Das Botschafterzeremoniell am Wiener Hof zur Zeit Maria Theresias (1740-1765)............................................................. 111 Marina Beck

Der russische Hof unter Elisabeth Petrovna. Besonderheiten und Spezifika.........................................................131 Francine-Dominique Liechtenhan

Katharina II. und ihre Favoriten in den Eliten des Russischen Reiches..................................................................147 Jan Kusber

Regierungshandeln Maria Theresia – Friedensfürstin oder Oberbefehlshaberin?....................................169 Bettina Braun

Die Wege der Integration. Eine Skizze zu den Karrieremöglichkeiten und der Repräsentation von ungarischen Aristokraten am Hof Maria Theresias....................................................................189 Zsolt Kökényesi

Alte und neue Erkenntnisse zu den Staatszielen Katharinas II....................................................................................... 211 Claus Scharf

Gerüchte, Mythos und Politik im »Griechischen Projekt« Katharinas II.......................................................................................243 Natalia Tuschinski

Repräsentationen und Wahrnehmungen Vom Nutzen der Schönheit. Maria Theresia in Text und Bild........................................................273 Sandra Hertel

»Unter deinen Schutz und Schirm«. Religiöse Herrschaftslegitimation Maria Theresias in Bildmedien.....................................................................................293 Stefanie Linsboth

Die machtgierige Kaiserin. Katharina II. von Russland in englischen Karikaturen des ausgehenden 18. Jahrhunderts................................................ 311 Irma Straßheim

»Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen.« Oranienbaum – Katharinas II. Ästhetisierung weiblicher Herrschaft........................................................................343 Alexander Bauer

Kleidung in der Körperpolitik des katharinäischen Russland: Von Regimentskleidern zu regionalen Uniformen..........................375 Victoria Ivleva

Die »doppelte« Memoria Maria Theresias. Zu den Strategien der Repräsentation und zum frühen Nachleben der habsburgischen Herrscherin.....................407 Werner Telesko

Siglenverzeichnis..............................................................................425 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren........................................427 Personenregister...............................................................................429

Einleitung Bettina Braun, Jan Kusber, Matthias Schnettger Ganz allmählich scheint sich, jedenfalls in den Kreisen der historischen Forschung, die Erkenntnis durchzusetzen, dass Herrschaft durch Frauen in der Vormoderne nicht die exotische Ausnahme war, als die sie lange galt. Es waren vielmehr die modernen, demokratischen Wahlverfahren, die Frauen im 19. und 20. Jahrhundert lange von der Herrschaft ausschließen sollten. In dynastisch regierten Gemeinwesen hingegen qualifizierte in erster Linie der Stand und erst in zweiter Linie das Geschlecht zur Herrschaft. Wer zum Herrschaftsstand gehörte, galt also prinzipiell als zur Herrschaft fähig und berechtigt. Genauso unstrittig war freilich, dass innerhalb des Herrschaftsstandes zuerst die Männer und dann erst die Frauen zum Zug kamen. Aber es gab eben doch häufig genug Situationen, in denen keine Männer zur Verfügung standen, sodass Frauen regieren durften und mussten. Hier wären vor allem die Regentinnen zu nennen, die an Stelle ihrer minderjährigen Söhne für kürzere oder längere Zeit die Regentschaft ausübten.1 Und selbst wenn ein Mann regierte, war es selbstverständlich, dass seine Ehefrau an der Herrschaft partizipierte, dass ihr im Rahmen eines Amtspaares Herrschaftsaufgaben und -rechte zukamen.2 Inzwischen liegen einige Studien zu fürstlichen Ehefrauen vor, die aufzeigen, dass sie wesentlich mehr waren als nur die »Frau an seiner Seite«.3 Deutlich seltener waren hingegen Frauen, die aus eigenem Recht regierten, die also nicht anstatt und in Vertretung eines Mannes regierten oder nur an der durch einen Mann ausgeübten Herrschaft partizipierten, sondern denen selbst die 1 2 3

Für Frankreich: Cosandey, 2000. Für das Reich z. B. Buckreus, 2008; Puppel, 2004. Zum Modell des Arbeits- und Amtspaares: Wunder, 1992, S. 97-109. So der Titel eines Bandes zu den Kaiserinnen der Frühen Neuzeit; Braun, 2016. Vgl. z. B. auch Keller, 2010; dies., 2012. 9

Bettina Braun, Jan Kusber, Matthias Schnettger

Herrschaft zukam. Sie konnten einen Mann an ihrer Seite haben, mussten dies aber nicht. Diesen Herrscherinnen kam de jure die ganze Fülle der Herrschaft zu. Eine Teilung oder eine Einschränkung der von Gottes Gnaden verliehenen Souveränität aufgrund des Geschlechts konnte es nicht geben. Genauso unstrittig wie die prinzipielle Legitimität weiblicher Herrschaft war freilich, dass jede Herrscherin aus eigenem Recht eine Ausnahme von der grundsätzlich akzeptierten Geschlechterordnung darstellte, die selbstverständlich von der Überlegenheit des Mannes ausging. In diesem Spannungsfeld musste sich jede Herrscherin verorten. Insofern war weibliche Herrschaft durch Spezifika gekennzeichnet, die sie von der männlichen Herrschaft unterschieden. Damit ist selbstverständlich nicht gemeint, dass Frauen aufgrund eines als überzeitlich angenommenen weiblichen Geschlechtscharakters von vornherein anders reagierten als Männer, sondern dass die Herrschaft von Frauen einigen spezifischen Bedingungen unterlag wie eben z.  B. der Spannung zwischen dynastischer Legitimität und Geschlechterordnung. Dies gilt auch für die beiden Herrscherinnen, die im vorliegenden Band untersucht werden: Kaiserin Maria Theresia und Kaiserin Katharina II. von Russland. Zweifelsohne gehörten beide zu den bedeutendsten europäischen Herrscherinnen des 18. Jahrhunderts, ja: der Frühen Neuzeit insgesamt. Fast zwei Jahrzehnte lang regierten die beiden Frauen parallel zwei der europäischen Großmächte; in der ersten Hälfte ihrer Regierungszeit sah sich Maria Theresia mit Kaiserin Elisabeth als russischem Gegenpart konfrontiert – auf sie wird hier mit einem eigenen kurzen Aufsatz sowie gelegentlichen Vergleichen und Verweisen in den anderen Beiträgen eingegangen. Die Ausgangsbedingungen für die beiden Herrscherinnen waren denkbar unterschiedlich. Während die Legitimität des dynastischen Herrschaftsanspruchs Maria Theresias über jeden Zweifel erhaben war – was bekanntermaßen nicht gleichbedeutend mit dessen Anerkennung durch konkurrierende Mächte war –, stand die Legitimität der Herrschaft Katharinas auf durchaus wackligen Beinen: Eigentlich eine klassische »regierende Fürstin« im Sinne der Ehefrau eines Fürsten, nämlich ihres Ehemanns Peters III., war sie durch einen Staatsstreich an die Macht gelangt, in dessen Verlauf ihr Ehemann zu Tode kam. Ihre wichtigste dynastische Aufgabe hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits erledigt: Im Jahre 1754 hatte sie den Thronfolger Paul zur Welt gebracht. Zudem war das russische Thronfolgerecht seit seiner Änderung durch Peter den Großen vergleichsweise flexibel, auch deshalb bestimmte die Nachfolgefrage das Denken Katharinas nicht in demselben Maße, wie das bei Maria Theresia der Fall war. Denn Maria Theresia hatte, als sie ihrem Vater im Oktober 1740 nachfolgte, zwar bereits drei Kinder geboren, aber eben »nur« Mädchen, von denen Anfang 1741 nur 10

Einleitung

noch die 1738 geborene Maria Anna lebte. Die Geburt des Thronfolgers Joseph im März 1741 war deshalb eines der wichtigsten Ereignisse ihrer frühen Regierungszeit, als gesichert konnte die Thronfolge damit aber noch keineswegs gelten. Zunächst die Sorge um die Kontinuität der Dynastie, später dann die Sicherung und die Inszenierung der Prosperität des Hauses standen demzufolge stets im Zentrum des Denkens und Handelns Maria Theresias. Aufgrund ihrer anders gelagerten dynastischen Situation konnte Katharina darauf verzichten, erneut offiziell zu heiraten. Sie regierte also ohne einen Ehemann an ihrer Seite – zumindest offiziell.4 Damit ist bereits ein weiterer wesentlicher Unterschied zu Maria Theresia markiert: Maria Theresia war verheiratet und selbst nach dem Tod ihres Mannes Franz Stephan regierte sie mit einem Mann an ihrer Seite, nämlich ihrem Sohn Joseph, den sie, wie einst seinen Vater, zu ihrem Mitregenten ernannte und mit dem sie ebenso ein Arbeitspaar bildete wie zuvor mit ihrem Mann – wenn auch mit gewissen Unterschieden.5 Katharina hingegen dachte nicht nur nicht daran, ihren Sohn an der Herrschaft zu beteiligen, sondern hielt ihn ganz bewusst von der Regierung fern. Von einem Arbeitspaar Mutter – Sohn konnte also überhaupt nicht die Rede sein. Die beiden Herrscherinnen regierten also aufgrund sehr unterschiedlicher Ausgangsbedingungen und in sehr unterschiedlichen personellen Konstellationen. Schon deshalb wurden von vornherein keine spiegelbildlichen Beiträge zu beiden Herrscherinnen angestrebt, da sie in der Sache vielfach unangemessen gewesen wären und zwanghaft Parallelen herzustellen versucht hätten, wo nicht wirklich welche vorhanden waren. Zum anderen aber gibt die Forschung selbst in den Bereichen, in denen parallele Untersuchungen durchaus wünschenswert wären und interessante Ergebnisse erwarten ließen, einen solchen Ansatz häufig nicht her. Stattdessen wurden einige zentrale Themenfelder identifiziert, die uns für weibliche Herrschaft im Allgemeinen und die beiden Protagonistinnen im Besonderen zentral zu sein schienen und die Erkenntnisse über die Spezifika weiblicher Herrschaft versprachen. Dazu gehören, neben dem Regierungshandeln an sich, das selbstverständlich nur in kleinen Ausschnitten beleuchtet werden kann, der Hof sowie Fragen der herrscherlichen Repräsentation und ihrer Wahrnehmung. Die Hofforschung, die mit dem Versailles Ludwigs  XIV. von Frankreich nicht nur ihren Ausgang von einem frühneuzeitlichen Hof genommen hat, sondern auch lange Zeit eine Domäne der Frühneuzeitforschung geblieben ist, ist kaum mehr zu überblicken, selbst wenn zum russischen Hof weit weniger ge4 5

Siehe den Beitrag von Kusber in diesem Band sowie Montefiore 2009. Dazu Braun, 2018. 11

Bettina Braun, Jan Kusber, Matthias Schnettger

arbeitet worden ist.6 Dennoch ist ein Aspekt bisher merkwürdigerweise kaum thematisiert worden, nämlich die Tatsache, dass Höfe zu einem erheblichen Teil aus Frauen bestanden, und zwar nicht nur in den untergeordneten Positionen. Dies ändert sich erst ganz allmählich.7 Noch einmal anders gestaltete sich freilich ein Hof, wenn eine Frau an seiner Spitze stand. Denn an einem solchen Hof war das Frauenzimmer nicht, wie an Höfen eines männlichen Souveräns, ein zwar wichtiger, aber gegenüber der unmittelbaren Umgebung des Fürsten doch nachgeordneter Bereich, sondern das Frauenzimmer war direkt der Herrschaft zugeordnet. Das hatte weitreichende Folgen für die Struktur und Organisation von Hof und Regierung. Denn an den frühneuzeitlichen Höfen herrschte ja bis weit ins 18. Jahrhundert hinein eine erhebliche personelle Überschneidung zwischen den obersten Hofämtern und den obersten Regierungsämtern. Eine solche personelle Identität war aber von vornherein nicht möglich, wenn das Frauenzimmer der zentrale Hof war. Für die Struktur des Gesamthofes war es in einem solchen Fall von erheblicher Bedeutung, ob es in dem Geflecht von Höfen auch einen männlichen Hof gab, nämlich den Hof des Ehemanns der Herrscherin oder den Hof des Thronfolgers, und welche Funktion diesem Hof und seinen männlichen Mitgliedern zukam. Ganz konkret stellte sich auch die Frage, wer welche Räume wann benutzte, ob die Herrscherin die »männlichen« Repräsentationsräume übernahm oder auf der Damenseite verblieb. Noch einmal anders war die Situation, wenn es statt eines Ehemanns einen Favoriten gab, der in seiner Stellung vielleicht mit der maîtresse en titre zu vergleichen wäre. Dieser Fall war nach 1725 in Russland die Regel. Maria Theresia und Katharina dachten bekanntermaßen in unterschiedlicher Weise über die Grundsätze guter Regierung und ihr Regierungshandeln im Einzelnen nach. Dies betraf ihr intellektuelles Rüstzeug, aber auch das Ausmaß, in dem sie hierfür die (europäische) Öffentlichkeit suchten und nutzten. Diese Überlegungen sollen hier freilich nur am Rande behandelt werden. Vielmehr soll es in erster Linie um das Regierungshandeln gehen, das allerdings – wie gesagt – nur in ganz kleinen Ausschnitten beleuchtet werden kann. Eine umfassende Analyse auch nur der Regierungstätigkeit einer Herrscherin wäre schon im Rahmen einer Monographie lediglich ansatzweise zu leisten. Das aber ist für die Frage nach den Spezifika weiblicher Herrschaft auch gar nicht notwendig

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Materialreiche Ausnahme: Otto 2005. Dazu Kägler, 2011; zum Wiener Hof Keller, 2005. Eine hervorragende Basis für weitere Forschungen bieten die beiden Bände zum Wiener Hof des 18. Jahrhunderts: Kubiska-Scharl/Pölzl, 2013; dies., 2018.

Einleitung

und zielführend. Für diese Fragen verspricht vielmehr die Konzentration auf bestimmte Regierungsfelder einen erhöhten Erkenntnisgewinn. In besonderem Maß gilt das für das Militär, das als die männliche Domäne schlechthin galt und damit für Herrscherinnen grundsätzliche Probleme aufwarf. Nicht nur, dass Herrscherinnen nicht selbst ins Feld ziehen konnten, es ist auch davon auszugehen, dass dieser Aspekt in ihrer Erziehung keine Rolle gespielt hat. Das konnte nicht nur deswegen problematisch sein, weil die Herrscherinnen somit für diesen Bereich in besonderer Weise von fremder, männlicher Expertise abhängig waren, sondern auch, weil der – notfalls auch bewaffnete – Schutz der Untertanen eine der vornehmsten herrscherlichen Aufgaben war, welche Fürstinnen aber nur durch Delegation an Männer wahrnehmen konnten. Dennoch war die Herrscherin selbstverständlich die Oberbefehlshaberin, womit freilich noch nichts darüber ausgesagt ist, wie sie diese Aufgabe konkret wahrnahm. Persönlich ins Feld gezogen ist jedenfalls weder Maria Theresia noch Katharina, auch eine direkte Ansprache an die Truppen wie die berühmte Tilbury-Rede Elisabeths I. von England ist von keiner der beiden Herrscherinnen überliefert. Dabei haben beide Frauen vielfach Krieg geführt und ließen sich die militärischen Entscheidungen dabei nicht aus der Hand nehmen, auch wenn sie darauf angewiesen waren, ihre Armeen vom Schreibtisch aus zu führen. Mit Ausnahme des Bayerischen Erbfolgekriegs ganz zu Ende ihrer Regierung liefen die militärischen Informations- und Entscheidungskanäle nach gewissen Anlaufschwierigkeiten stets und ausschließlich auf Maria Theresia zu. Katharina saß in den Kriegen gegen das Osmanische Reich und gegen Schweden selbst der Kriegskonferenz vor und beanspruchte fallweise die Letztentscheidung.8 Zu fragen ist auch, ob diese militärische Rolle in der herrscherlichen Repräsentation zum Ausdruck kam – und dies in einer Zeit, in der männliche Herrscher – allen voran natürlich König Friedrich II. von Preußen,9 seinem Vorbild folgend dann aber auch Kaiser Joseph II. – sich zunehmend oder gar ausschließlich in Uniform porträtieren ließen. Dass Maria Theresia diese Frage anders entschied als ihre russischen Kolleginnen, ist offensichtlich. Sie überließ das Uniform-Tragen den männlichen Mitgliedern ihrer Familie. Ein ausgesprochen fruchtbarer Forschungsschwerpunkt der vergangenen Jahre ist das weite Feld der Herrschaftsrepräsentationen. Dieses Thema besitzt erhebliche Relevanz nicht zuletzt auch für die Untersuchung weiblicher Herrschaft in Zeiten, in denen weibliche Herrschaft zwar keineswegs eo ipso 8 9

Davison 1976. Mit ihnen verglich sich Katharina sehr viel mehr als mit Maria Theresia: Kusber 2013. 13

Bettina Braun, Jan Kusber, Matthias Schnettger

als illegitim galt, wohl aber unter einem gewissen Generalverdacht stand oder von interessierten Kreisen unter einen solchen gestellt werden konnte, da das »schwache« Geschlecht tendenziell als weniger befähigt zur Regierung galt. Daher war es für Herrscherinnen womöglich noch wichtiger als für ihre männlichen Kollegen, den anderen Höfen, den eigenen Untertanen und einer im 18. Jahrhundert zunehmend herrschaftskritischen räsonierenden Öffentlichkeit die Legitimität und die Qualitäten der eigenen Regierung zu vermitteln. Auch die Mittel der Repräsentation wiesen einige geschlechtsspezifische Besonderheiten auf. Mehr als für männliche Herrscher spielte Schönheit eine Rolle, insbesondere bei einer jungen Königin wie Maria Theresia, die bei ihrem Regierungsantritt erst 23 Jahre alt war. Auch für Katharina kam der Zuschreibung von Schönheit, auch in fortschreitendem Alter, erhebliche Bedeutung zu, gerade in Kombination mit ihrem Intellekt. Dass für Maria Theresia die Darstellung der dynastischen Kontinuität eine zentrale Rolle spielte, wurde bereits erwähnt. Allerdings wurde dabei nie die fürsorgliche Mutter des 19. Jahrhunderts inszeniert. Das ist freilich nicht weiter erstaunlich, wenn man die Stoßrichtung und Zielsetzung dieser Repräsentationsanstrengungen bedenkt. Die dynastische Kontinuität über Paul spielte für Katharina nach ihrem Putsch in der darstellenden Kunst zunächst keine Rolle mehr, die Verbindung zu ihren Enkeln Alexander und Konstantin sollte sie freilich demonstrativ in der Spätphase ihrer Herrschaft herausstellen. Neben den Repräsentationen sind auch die Wahrnehmungen der Kaiserinnen zu behandeln: durch die Zeitgenossen am eigenen Hof, an fremden Höfen und durch außerhöfische Öffentlichkeiten. Für Karikaturisten beispielsweise stellte Katharina offenbar ein wesentlich dankbareres Motiv dar als Maria Theresia, und auch die Darstellungsweise beider Frauen in den Karikaturen unterscheidet sich signifikant. Zwar sind bei beiden die sexuellen Konnotationen unübersehbar. Aber während Maria Theresia im Zusammenhang des Österreichischen Erbfolgekriegs als von Männern bedrängtes Opfer dargestellt wird, kommt Katharina stets ein aktiver Part zu. Sie entsprach als Herrschaftstyp nicht den Erwartungen des männlichen Lesepublikums und wurde umso drastischer dargestellt. Aber auch die Nachlebenden pflegten ihre ganz spezielle Wahrnehmung der Herrscherinnen. Als Katharina 1796 starb, schrieb ein Zeitgenosse vielsagend, dass Katharina »der Große« gestorben sei. Er zollte damit einer Regierung Tribut, die in den Mitteln der Herrschaft und in den Strategien all jene Elemente und Strategien aufwies, die Erfolg versprachen – und die waren männlich konnotiert. Auch Maria Theresia wurde nach ihrem Tod Größe attestiert, aber doch nie in der männlichen Form, stattdessen wurde ihr »göttliches Wesen« zugeschrieben. Bei Maria Theresia und Katharina handelt es sich also um zwei Herrscherinnen, die lange parallel regierten, aber unterschiedlichen Generationen ange14

Einleitung

hörten und unterschiedliche Herrschaftskonzepte verfolgten. Die Unterschiede liegen auf der Hand, aber auch die Gemeinsamkeiten: Beide erreichten in ihren jeweiligen Kontexten mit einem pragmatischen Zugriff nicht nur eine Akzeptanz ihrer Herrschaft, sondern europäische Reputation. Die Beiträge dieses Bandes laden dazu ein, den hier begonnenen Vergleich fortzusetzen, zu systematisieren und auch andere Fallbeispiele zu Herrscherinnen aus eigenem Recht in der Frühen Neuzeit zu berücksichtigen – mit Blick auf ihr Agieren in höfischen Kontexten, ihre Politikziele und ihre Rezeption in den europäischen Öffentlichkeiten.10 * Dieser Band geht zurück auf eine gleichnamige Tagung, die vom 11. bis 13. Mai 2017 in Mainz stattfand. Tagung und Sammelband wurden gefördert vom Mainzer Forschungsschwerpunkt Historische Kulturwissenschaften. Marco Leib hat die Manuskripte für den Druck vorbereitet. Clara-Louise Noffke und Semjon Kaul nahmen die erforderlichen Übersetzungen vor. Gero Wierichs vom transcript Verlag hat die Drucklegung des Bandes kompetent und zuverlässig betreut. Ihnen allen sei recht herzlich gedankt. Dank gebührt vor allem aber auch unseren Autorinnen und Autoren, die uns nicht nur ihre Manuskripte zeitnah zur Verfügung gestellt haben, sondern auch auf unsere inhaltlichen Anregungen und unsere Wünsche bezüglich der Textgestaltung bereitwillig eingegangen sind.

Literatur Braun, Bettina u.  a. (Hg.), Nur die Frau des Kaisers? Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 64), Wien u. a. 2016. Dies., Eine Kaiserin und zwei Kaiser. Maria Theresia und ihre Mitregenten Franz Stephan und Joseph II. (Mainzer Historische Kulturwissenschaften 42), Bielefeld 2018. Buckreus, Simone, Die Körper einer Regentin. Amelia Elisabeth von Hessen-Kassel (1602-1651) (Paderborner Historische Forschungen 16), Köln 2008. Cosandey, Fanny, La Reine de France. Symbole et Pouvoir, Paris 2000. Davison, Roderic H., »Russian Skill and Turkish Imbecility«: The Treaty of Kuchuk Kainardji Reconsidered, in: Slavic Review 35 (1976) 3, S. 463-483.

10 Allein Russland bietet hier mehrere Beispiele: Seibel, 2018. 15

Bettina Braun, Jan Kusber, Matthias Schnettger

Kägler, Britta, Frauen am Münchener Hof (1651-756) (Münchner historische Studien, Abt. Bayerische Geschichte 18), Kallmünz 2011. Keller, Katrin, Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts, Wien u. a. 2005. Dies., Kurfürstin Anna von Sachsen (1532-1585), Regensburg 2010. Dies., Erzherzogin Maria von Innerösterreich (1551-1608) zwischen Habsburg und Wittelsbach, Wien u. a. 2012. Kubiska-Scharl, Irene/Pölzl, Michael, Die Karrieren des Wiener Hofpersonals 1711-1765. Eine Darstellung anhand der Hofkalender und Hofparteienprotokolle (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 58), Innsbruck 2013. Kubiska-Scharl, Irene/Pölzl, Michael, Das Ringen um Reformen. Der Wiener Hof und sein Personal im Wandel (1766-1792) (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 60), Wien 2018. Kusber, Jan, In der Konkurrenz um Ruhm: Katharina II. und Friedrich II., in: Friedrich der Große und Osteuropa, hg. von Olga Kurilo, Berlin 2013, S. 165-185. Montefiore, Simon Sebag, Katharina die Große und Fürst Potemkin. Eine kaiserliche Affäre. Frankfurt a. M. 2009. Otto, Alexander, Die russische Hofgesellschaft in der Zeit Katharinas II., Tübingen 2005. Puppel, Pauline, Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500-1700 (Geschichte und Geschlechter 43), Frankfurt a. M. 2004. Seibel, Eva, Das große Muster seltener Frauen. Die russischen Kaiserinnen Katharina I., Anna, Elisabeth und Katharina die Große, Stuttgart 2018. Wunder, Heide, »Er ist die Sonnʼ, sie ist der Mond«. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992.

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Rahmenbedingungen

Weibliche Herrschaft als Ausnahme? Maria Theresia und die Geschlechterordnung des 18. Jahrhunderts Barbara Stollberg-Rilinger Maria Theresia und der »weibliche Geschlechtscharakter« »Weibliche Herrschaft« kann zweierlei bedeuten: entweder, ganz nüchtern: Herrschaft, die von Frauen ausgeübt wird. Oder, mit emphatisch-pathetischem Unterton: Herrschaft, die sich von männlicher Herrschaft auf irgendeine Weise signifikant unterscheidet, weil sie von Frauen ausgeübt wird. Ich möchte entschieden für die nüchterne Variante plädieren. Frauen als Herrscherinnen allein aufgrund ihres Geschlechts eine besondere, überzeitliche, gemeinsame Qualität zuzuschreiben, ist ein Relikt aus Zeiten, als man von der unverrückbaren, naturgegebenen Gegensätzlichkeit der »Geschlechtscharaktere« überzeugt war. Wenn man sich diese Auffassung einer besonderen Qualität der Herrschaft von Frauen zu eigen macht, übernimmt man implizit die Vorstellung eines weiblichen Geschlechtscharakters, wie er um 1800 als komplementär zum männlichen erfunden wurde, demzufolge »die Frau« passiv, empfangend, anschmiegsam, willensschwach, wankelmütig, emotionsgeleitet, das heißt: zum Herrschen nicht geschaffen sei.1 Dass Maria Theresia im Laufe des 19. Jahrhunderts – parallel zum Schrumpfungsprozess des Habsburgerreiches – zu der Ikone des österreichischen Nationalmythos schlechthin wurde, hat unverkennbar damit zu tun, dass sie eine

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Nach wie vor maßgeblich dazu: Hausen, 1976. 19

Barbara Stollberg-Rilinger

Frau war.2 Man verklärte sie zur großen Ausnahmegestalt, die in sich eigentlich unvereinbare Qualitäten vereinte. Weil sie kraft Erbrechts selbst die souveräne Herrschaft innehatte (also nicht bloß Fürstengattin oder Vormundschaftsregentin war) und sich in mehreren Kriegen gegen ihre Feinde behauptete, wurden ihr einerseits männlich konnotierte Herrschertugenden wie Standhaftigkeit, Kriegsbereitschaft, Mut oder Durchsetzungskraft zugeschrieben. Weil sie aber auch treue Ehefrau und Mutter von sechzehn Kindern war, galt sie zugleich andererseits als Inbegriff idealer Weiblichkeit. In ihr schienen sich männliche und weibliche Tugenden zu höchster Vollkommenheit zu verbinden. Sie vereinte damit in sich zwei Seiten, die – jedenfalls nach dem Verständnis des 19. und 20.  Jahrhunderts – diametral entgegengesetzt waren und sich eigentlich gegenseitig ausschlossen. Das machte sie zur Ausnahme selbst unter den Ausnahmen, denn andere große Herrscherinnen eigenen Rechts wie Elisabeth I. von England oder Katharina II. von Russland waren entweder nicht fruchtbar oder nicht keusch oder beides nicht.3 Das gigantische Denkmal Maria Theresias am Wiener Burgring, gestaltet nach dem Programm ihres Biographen Alfred von Arneth und enthüllt von Kaiser Franz Joseph im Jahr 1888, zeigt anschaulich, wie sie ins Übermenschlich-Allegorische entrückt wurde, eine zweite Magna Mater Austriae. Dort thront sie über all ihren männlichen Feldherren, Ministern und Gelehrten wie die Allegorie der guten Herrschaft schlechthin, die Verkörperung des Staates Österreich. Bezeichnenderweise war für ihren Gatten, immerhin Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, in diesem Monument kein Platz.4 Dass die männlichen Historiker Maria Theresia im 19. und 20. Jahrhundert derart ins Mythische entrückten und als Ausnahme aller Ausnahmen über jedes menschliche Maß hinaushoben, hatte seinen guten Grund. Denn dadurch ließ 2 3

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Ich stütze mich im Folgenden auf meine Ausführungen in: Stollberg-Rilinger, 2018. So Hofmannsthal, 1917/1979, S.  11f. Zum Kontext weiblicher Herrschaft in Europa vgl. Meehan-Waters, 1975; Fradenburg, 1992; Wunder, 1997; Cosandey, 2000; Jansen, 2002; Schulte, 2002; Campbell Orr, 2004; Herrup, 2006; Keller, 2009; Strunck, 2017; Watanabe-O’Kelly, 2017; zur Figur der Ausnahme Puppel, 2004a. Zum Mythos Maria Theresias maßgeblich Telesko, 2012. – Zu Maria Theresia in geschlechtergeschichtlicher Perspektive vgl. die grundlegende und lange Zeit einzige Arbeit von Barta, 1984; vgl. ferner Mauser, 1996; Heindl, 2009; dies., 2010; Hertel, 2017; Strunck, 2017; Telesko, 2018; vgl. auch die aktuelle Biographie Lau, 2016 nach Drucklegung dieses Aufsatzes erschienen Braun, 2018.

Weibliche Herrschaft als Ausnahme?

sich der eklatante Verstoß gegen die Geschlechterordnung leichter ertragen, den diese weibliche Herrschaft ja eigentlich darstellte – ein ungeheures Skandalon, mit dem man irgendwie umgehen musste. Indem Maria Theresia als absolute Ausnahme erschien, setzte sie ja die Regel – Herrschaft ist männlich – nicht etwa außer Kraft, sondern bestätigte sie vielmehr. Denn erst die Verletzung einer Regel sorgt ja dafür, dass diese Regel als solche Kontur erhält – vorausgesetzt, dass die Ausnahme eben eine Ausnahme bleibt. Das steckt ja stets hinter Formulierungen wie »Einmal haben die Habsburger einen Mann, und dann ist es eine Frau«5 – für Frauen ein vergiftetes Lob, das die Ausnahmefrau heraushebt in der Absicht, die schwächlichen Männer zu verspotten, die ihrem naturgegebenen Auftrag zu männlicher Dominanz nicht gerecht werden.6 Sieht man sich die historische Überhöhung Maria Theresias über ein Jahrhundert hinweg an, von Alfred von Arneth über Hugo von Hofmannsthal, Thomas Mann oder Joseph Roth bis in die jüngere Zeit,7 dann wird deutlich, wie diese Gestalt als Projektionsfläche für jeweils andere politische Bedürfnisse, aber auch für jeweils andere zeitspezifische Weiblichkeitsideale diente. Es klingt heutzutage bizarr, ja unfreiwillig komisch, wie männliche Historiker Maria Theresia zum Gegenstand ihrer blühenden Phantasien gemacht und im Lobpreis ihrer weiblichen Schönheit und Anmut geradezu geschwelgt haben. »Alles an ihr ist naturtriebhaft, einem klugen, gar nicht reflektierenden und abstrahierenden Kopf und einem reichen Gemüt entsprungen und voll des Reizes für den Betrachter auch im Unlogischen und Unsystematischen«, schwärmte zum Beispiel Heinrich von Srbik.8 Andere nannten sie »die Reichshausfrau« mit dem »praktischen, ganz auf das Konkrete ausgerichteten«, »natürlichen Hausverstand« (so wie man ja auch Angela Merkel gern als »schwäbische Hausfrau« oder gar als »Mutti« apostrophiert). Dabei changierte das Bild, das die Herren von Maria Theresia entwarfen, je nach persönlichem Frauenideal: Während etwa ihr Biograph Adam Wandruszka »ein gewisses Anlehnungsbedürfnis« bei 5

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Friedrich  II., zitiert nach Barta, 1984, S.  341. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen; vgl. Stollberg-Rilinger, 2018, S.  XIV-XXIV, mit weiteren Nachweisen. Auch heute sind solche Formulierungen in Bezug auf weibliche Spitzenpolitikerinnen noch beliebt, etwa: »Einmal hat die EU einen Mann, und dann ist es eine Frau«, so Stuiber, 2017. Die Hamburger FDP warb im Landtagswahlkampf 2014/2015 für ihre Spitzenkandidatin mit dem Slogan »Unser Mann für Hamburg«. Telesko, 2012; Stieg, 2016. Srbik, 1942, S. 37f. 21

Barbara Stollberg-Rilinger

ihr entdeckte,9 verehrte Leopold von Sacher-Masoch sie umgekehrt als Domina, in der schon früh »die Herrschsucht mit wahrhaft dämonischer Energie« erwacht sei und die effeminierte Männer wie ihren Gatten, aber auch den Staatskanzler Kaunitz dazu veranlasst habe, ihr »zu gehorchen wie ihre Sklaven«.10 Paradoxerweise erlaubte es die Konstruktionsfigur der großen Ausnahme, dass Maria Theresia je nach Bedarf abwechselnd als besonders weiblich und als besonders männlich beschrieben werden konnte. Die politische Konstellation Maria Theresia versus Friedrich  II. regte die Phantasie naheliegender Weise besonders an.11 Denn sie ermöglichte es, die gesamte historische Konstellation in Stereotypen des Geschlechtergegensatzes zu fassen: männliches Preußen gegen weibliches Österreich, das bedeutete Angriff gegen Verteidigung, aber auch Verstand gegen Gefühl, Geist gegen Herz, Fortschritt gegen Beharrung, Sterilität gegen Fruchtbarkeit, Atheismus gegen Gottvertrauen, rationalistische Kälte gegen mütterliche Wärme und so weiter und so weiter. Kurzum: Alles fügte sich harmonisch zum ewigen, naturgegebenen Antagonismus von Mann und Frau. Das Schema ließ sich flexibel an unterschiedliche politische Bedürfnisse anpassen. Die beiden Geschlechter konnten entweder als unvereinbare Gegensätze erscheinen – das war sowohl die borussisch-kleindeutsche als auch die K.u.K.-Lesart. Oder sie konnten als zwei einander korrespondierende Pole erscheinen, die erst gemeinsam das Ganze des wahren Deutschtums ausmachen – das war die großdeutsche Lesart. In ihrer »monumentalen Größe« je andersartig, aber einander ebenbürtig, konnten Maria Theresia und Friedrich II. geradezu als Traumpaar der großdeutschen Geschichte erscheinen. Zugleich verwandelte man die Herrscherin den neuen bürgerlichen Werten des 19. Jahrhunderts an und fand in ihr nicht nur den Inbegriff des Weiblichen und Familiär-Mütterlichen, sondern auch des Natürlichen, Empfindsamen, Bürgerlichen und Anti-Höfischen. Wie geradezu grotesk diese Sicht die Wahrnehmung der historischen Gestalt verzerrt hat, zeigt kein Beispiel besser als das Gemälde des ungarischen Historienmalers Liezen-Mayer von 1868. Es stellt Maria Theresia als schöne junge Frau dar, die mit liebevoll-sanftem Blick einem Säugling die Brust gibt.12 Das Bild illustriert eine populäre Legen9 10 11 12

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Wandruszka, 1980, S. 64; Crankshaw, 1975, S. 18; u. v. ä. Sacher-Masoch, 1879. Vgl. Kaduk, 2009/2011. Stich von Albrecht Schultheiß nach Alexander (von) Liezen-Mayer, publiziert als Holzschnitt in ›Daheim‹ 1868, S. 237, und mehrfach photographisch vervielfältigt, vgl. Holland, 1906; Telesko, 2012, S. 164f.

Weibliche Herrschaft als Ausnahme?

Abb. 1: Maria Theresia stillt das Kind einer Bettlerin, Kupferstich von Albrecht Schultheiß nach einem Gemälde von Alexander von Liezen-Mayer, publiziert in ‚Daheim‘ 1868. ÖNB. de des 19. Jahrhunderts, wonach Maria Theresia beim Spaziergang durch den Park von Schönbrunn eine von Elend und Erschöpfung überwältigte Bettlerin mit ihrem Kind erblickt und sich des weinenden Säuglings angenommen habe, um ihm die allerhöchste Mutterbrust zu geben. Die Darstellung in der Tradition der Maria lactans, der milchspendenden Gottesmutter, hat selbstverständlich mit der höfischen Lebenswelt des 18. Jahrhunderts nicht das Mindeste zu tun. Maria Theresia hat niemals ein Kind selbst gestillt und riet auch ihren Töchtern ausdrücklich davon ab, als es in Mode kam. Sie hat sich selbst auch niemals im Madonnen-Typus mit einem ihrer Kinder auf dem Arm porträtieren lassen, 23

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obwohl das doch nahezuliegen scheint. Und schon gar nicht kam sie mit den einfachen Untertanen derart hautnah in Berührung. In dem Bild verschmelzen vielmehr das lieblich-mütterliche Weiblichkeitsideal des 19. Jahrhunderts und das politische Ideal der bürgernahen, fürsorglichen Landesmutter, die die Not ihrer Untertanen lindert. Bild und Legende waren die romantisierende Umdeutung von Maria Theresias berühmtem Satz aus der Denkschrift von 1750/1751, sie sei ihrer »Länder allgemeine und erste Mutter«.13 Um 1900 missverstand man diesen Satz wortwörtlich – ganz anders, als er damals gemeint gewesen war. So am prägnantesten Hugo von Hofmannsthal in einem geradezu kanonischen Essay von 1917, der zum 200. Todestag 1980 erneut publiziert wurde, indem er Maria Theresia eine Art politischer Gebärfähigkeit zuschrieb: »Das dämonisch Mütterliche in ihr war das Entscheidende. Sie übertrug auf ein Stück Welt, das ihr anvertraut war, ohne Reflexion ihre Fähigkeit, einen Körper zu beseelen, ein Wesen in die Welt zu setzen, durch dessen Adern die Empfindung des Lebens und der Einheit fließt.«14 Staatsbildung wird hier metaphorisch zum natürlichen Geburtsvorgang, der habsburgische Territorienkomplex zu einem beseelten Wesen, dem die mütterliche Herrscherin ebenso das Leben schenkt wie ihren sechzehn Kindern. Dass die Geschlechtergeschichte um Maria Theresia lange Zeit einen Bogen gemacht hat, erscheint nach alldem einleuchtend. Für die Zentralfigur eines männlich-national-konservativen Weltbildes hatten Historikerinnen des späten 20. Jahrhunderts lange Zeit wenig übrig. Deshalb ist es erstaunlich, wenn eine dezidiert feministische Stimme wie die von Elisabeth Badinter die Kaiserin-Königin nun zum 300. Jubiläum ihres Geburtstags als »kostbaren Meilenstein in der Geschichte der Frauen« feiert.15 Der deutsche Untertitel ihrer aktuellen Biographie – »Die Macht der Frau«, französisch »Le pouvoir au féminin« – erinnert an Buchtitel des vorvergangenen Jahrhunderts, in denen auch gern von der Geschichte der Frau schlechthin die Rede war. Auch hier wird einmal mehr Maria Theresias ewig-weibliche Emotionalität herausgestellt: »In ihrem Regierungsstil spielt das Affektive eine vorherrschende Rolle.«16 In einem Zeitschrifteninterview Badinters heißt es denn auch, sie verkörpere »das Schicksal der

13 Maria Theresia, Denkschrift von 1750/1751, in: Walter, 1968, S. 66, ähnlich ebd., S. 81. 14 Hofmannsthal, 1917/1979, S. 12. 15 Badinter, 2017, S. 14. 16 Ebd., S. 91, vgl. S. 148 u. ö. 24

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Frauen bis heute«17 – ganz wie zu Zeiten, als man von dem ewig weiblichen Geschlechtscharakter überzeugt war. Wenn Historikerinnen Maria Theresia heutigen berufstätigen Müttern als Identifikationsfigur für die Bewältigung ihrer Rollenkonflikte anbieten, so ist das nur auf Kosten des historischen Verständnisses zu haben: Souveräne Herrschaft war keine Profession, und die Logik einer Dynastie war nicht die Logik der bürgerlichen Arbeitswelt. Eheliche Fruchtbarkeit und Herrschaft waren vielmehr gar nicht voneinander zu trennen. Kurzum: Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht ist es abwegig, den Mythos Maria Theresias in neuer, wenn auch noch so gut gemeinter feministischer Variante wieder aufleben zu lassen, anstatt ihn zu dekonstruieren. Die Frage, der ich dagegen im Folgenden nachgehe, ist eine andere. Mir geht es um das Verständnis der Kaiserin-Königin in ihrer eigenen Zeit, das heißt um die spezifische Logik der Geschlechterordnung des Ancien Régime, die eben eine andere war als die des 19., 20. und auch des 21. Jahrhunderts. Ich möchte fragen, welche Folgen es für ihre Herrschaft damals hatte, dass Maria Theresia als souveräne Herrscherin zugleich eine Frau war, wie sich das zur Geschlechterordnung ihrer eigenen Zeit verhielt, was es für Vor- und Nachteile hatte und nicht zuletzt, wie sie selbst damit umging.

Physisches versus politisches Geschlecht Zweifellos stellte Maria Theresia auch in der Geschlechterordnung ihrer Zeit eine – allerdings keineswegs singuläre – Ausnahme dar.18 In Russland, Schweden oder England gab es bekanntlich ebenfalls Souveräninnen, die die Regentschaft nicht nur stellvertretend für ihren Mann oder Sohn innehatten. Doch es galt als selbstverständlich, dass Frauen den Männern an Körper und Geist unterlegen seien; so wurde es von den Wissenssystemen der Medizin und Philosophie, Theologie und Jurisprudenz mit ihren jeweiligen Methoden seit Jahrhunderten untermauert. Auch Maria Theresia teilte diese Vorstellungen und vermittelte sie ihren Töchtern: Die Frau sei dem Manne untertan, und wenn sie es de facto nicht war, sollte sie es sich keinesfalls anmerken lassen, schärfte sie ihren eigenen

17 Elisabeth Badinter in einem Interview der Zeitschrift »Wienerin«, April 2017, S. 32-37, hier S. 35. Vgl. die Kritik von Keller, 2017; Bahners, 2017; Schlaffer, 2017. 18 Vgl. die Literatur zu weiblicher Herrschaft in Europa oben Anm. 3. 25

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Töchtern ein.19 Allein für sich selbst nahm sie eben etwas anderes in Anspruch. Denn, und das ist der springende Punkt: Sie galt kraft juristischer Fiktion im Hinblick auf die Herrschaft des Erzhauses als Mann. Das wiederum war nicht völlig ungewöhnlich. Denn man war damals durchaus in der Lage, physisches Geschlecht und herrscherliche Rolle voneinander zu unterscheiden, jedenfalls dann, wenn es die dynastische Räson verlangte. »Regentinnen […] hören auf, Frauen zu seyn, sobald sie den Thron besteigen«, bemerkte ein zeitgenössischer Autor.20 Damit war nicht gemeint, dass die Herrscherin bei der Thronbesteigung eine Geschlechtsumwandlung durchmachte, sondern vielmehr, dass man im Hinblick auf ihre Herrscherrolle von ihrem weiblichen Körper abstrahierte. In politischer Hinsicht herrschte Maria Theresia qua Erbrecht als Souverän und spielte eine Rolle, die gemeinhin Männern zukam und bis dahin im Hause Habsburg immer Männern zugekommen war. Sie trug »männliche Kronen« und demonstrierte das, indem sie in den Krönungsritualen alles genau so vollzog, wie es bis dahin den männlichen Inhabern vorbehalten gewesen war: Sie ritt auf den Krönungshügel, führte das Schwert als Verteidiger des katholischen Glaubens, ließ sich an Brust und Schulter salben und nahm die Titel Rex Hungariae und Rex Bohemiae an.21 Allein dass sie bei dem Krönungsritual im Damensitz ritt, unterschied sie von einem männlichen Kandidaten. Das Reiten im Herrensitz war am Wiener Hof offenbar verpönt22 – übrigens sehr im Unterschied zum russischen Hof, wie die offiziellen Porträts der Zarin Katharina II. zeigen.23 In den Beratungen der Hofkonferenz zum Zeremoniell der ungarischen Krönung wurde großer Wert darauf gelegt, dass Maria Theresia »nicht als eine kgl. Gemahlin komme, sondern als ein König gekrönet, und sonsten auch alles dasjenige was bey einer Crönung eines Königs zu observiren, dabey beobach-

19 Z. B. an Marie Christine, 1766, in: Walter, 1968, S. 208-212; an Maria Amalia, ebd., S. 242-248; vgl. Stollberg-Rilinger, 2018, S. 260-268. 20 Anonym, o. J.; vgl. allgemein Wunder, 1997; Keller, 2016; Puppel, 2004a, und dies., 2004b. 21 Zur ungarischen Krönung vgl. Stollberg-Rilinger, 2018, S. 88-90 (mit Quellennachweisen); Barcsay, 2002, S. 205-212; Iby, 2017, S. 107-111; zur Krönung in Böhmen: Berning, 2008; allgemein zuletzt Hertel, 2019. 22 Falsch: Badinter, 2017, S. 144. Tatsächlich ritt Maria Theresia bei anderen, weniger feierlichen Gelegenheiten aber auch gern »auf Männer-Art«, was laut Obersthofmarschall Khevenhüller bei Hof für missbilligende »Remarquen« sorgte; Khevenhüller-Metsch, Bd. 1, 1908, S. 117f. (2.1.1743). 23 Vgl. Strunck, 2017; und den Beitrag von Jan Kusber im vorliegenden Band. 26

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tet werden solle«.24 Dabei konnte man an ein historisches Vorbild anknüpfen: Schon Maria I., Tochter König Ludwigs I. aus dem Haus Anjou, war 1382 in Stuhlweißenburg zum »König« von Ungarn gekrönt worden.25 Von den natürlichen Defiziten des weiblichen Geschlechts konnte man absehen, wenn es um die Herrschaftsansprüche des Allerhöchsten Erzhauses ging. Für Kenner des zeremoniellen Symbolsystems war eine solche fiktiv-symbolische Rollentrennung kein Problem. Khevenhüller formulierte es so, dass Maria Theresia »per fictionem juris virtute pragmaticae sanctionis die qualitatem masculinam gleichsamm anererbet« habe.26 Bei anderer Gelegenheit wurde er noch grundsätzlicher: In weltlichen Zeremonien lasse »sich zwischen dem männ- oder weiblichen Geschlecht nicht wohl ein Unterschied machen, da die Majestät und Ober-Herrschafft bei beiden in gleicher Gestalt und Wesenheit hafften«.27 Mit anderen Worten: Physisches Geschlecht und juristisches Geschlecht waren hier zweierlei. Was ihre ererbte Herrschaft anging, so galt Maria Theresia kraft ritueller Fiktion als Mann und wurde rituell so inszeniert. Auf diese Weise ließ sich das Legitimitätsdefizit aus der Welt schaffen, das die »Weiberherrschaft« in den Augen der Zeitgenossen mit sich brachte. Denn weibliche Thronfolge war eben doch ein Einfallstor für konkurrierende Herrschaftsansprüche, sie galt als »Staats-Gebrechen«. Nach dem Tod Karls VI. kam es in Wien zu Unruhen. Das empörte Volk auf der Straße sei der Meinung, es habe gar keinen rechtmäßigen Herrn mehr und befinde sich gleichsam in statu naturali, berichteten auswärtige Gesandte.28 Bekanntlich hatte Maria Theresia ihre rechtmäßige Thronfolge in einem acht Jahre dauernden Krieg zu verteidigen. Dass die Konkurrenten ab 1740 einer nach dem anderen über ihre Länder herfielen und sie fast gänzlich unter sich aufzuteilen planten, hatte zwar ganz andere Ursachen als die Tatsache, dass Maria Theresia eine Frau war. Vielmehr war es die eklatante Schwäche der Monarchie, die ihre Gegner auf den Plan rief. Doch dass die Thronfolgerin eine Frau war, stellte eine willkommene Zugabe dar, die sich propagandistisch ausschlachten ließ. 24 25 26 27

Konferenz vom 17. Juni 1741; vgl. Barcsay, 2002, S. 206. Darauf hat kürzlich William O’Reilly, 2018 (unpubl.) hingewiesen. Khevenhüller-Metsch, Bd. 6, 1917, S. 31 (5.5.1764). Ders., Bd. 1, 1908, S. 192 (1.12.1743). Es ging darum, dass der päpstliche Nuntius sich geweigert hatte, sein Kardinalsbirett von einer Frau entgegenzunehmen. Seine Bedenken redete ihm der Obersthofmarschall mit dieser Begründung aus. 28 So der venezianische Gesandte Apostolo Zeno, 20. Oktober 1740, zitiert nach Arneth, Bd. 1, 1863, S. 370, und der preußische Gesandte Borcke (GStA, I HA Rep. 81 GW, Nr. 14, fol. 44v, zitiert nach Badinter, 2017, S. 67). 27

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Ein rechtlich stichhaltiges Argument war das aber nicht; die Pragmatische Sanktion war ja trotz weiblicher Erbfolge weithin anerkannt worden. Die Position des Kurfürsten von Bayern war in dieser Hinsicht zwiespältig, denn wenn er seinen Anspruch auf das Erbrecht seiner Gattin als Tochter Josephs I. stützte, dann widersetzte er sich zwar der Pragmatischen Sanktion, ging aber ebenfalls von einer Erbfolge in weiblicher Linie aus.29 Erst recht spielte Maria Theresias Geschlecht in der Argumentation Friedrichs II. keine Rolle, der ihre Thronfolge ja gar nicht anfocht, sondern sich ihr umgekehrt sogar als Bundesgenosse gegen Bayern und Frankreich andiente, nur eben die präsumptive Belohnung dafür bereits eigenmächtig vorab kassierte.30 Dennoch ist evident, dass die weibliche Erbfolge als Problem empfunden wurde und die Regierung Maria Theresias wenn nicht rechtlich, so doch politisch anfechtbar erscheinen ließ. Das spiegelt sich indirekt in der Flugschriftenpublizistik des Jahres 1741 wider. Auf dem englischen und niederländischen Druckmarkt erschien eine Reihe von Spottblättern, die die Kriegskonstellation mehr oder weniger drastisch als sexuelle Unterwerfung ins Bild setzten. Die sexuelle Konnotation des Kriegs als Kleiderraub – sprich: Vergewaltigung einer schwachen Frau durch mehrere starke Männer – ließen sich die Pamphletisten nicht entgehen. Das änderte sich allerdings schon wenig später mit der Rückeroberung Böhmens. Jetzt zog die Königin »die bayerischen Hosen an«.31 Danach verstummte solche Art der Bildpropaganda völlig.

29 Aus zwei knapp zweihundert Jahre alten Urkunden, dem Ehevertrag der Erzherzogin Anna und des späteren Herzogs Albrecht  V. von Bayern sowie dem Testament Kaiser Ferdinands  I. aus den Jahren 1543 und 1546, ließ Karl Albrecht seinen Hofarchivar den Anspruch auf das gesamte Erbe juristisch herleiten. In diesen Urkunden war allerdings davon die Rede, dass das Haus Wittelsbach das Haus Habsburg beerben solle, wenn dieses vollständig (und nicht nur in männlicher Linie) aussterben sollte. Vgl. Arneth, Bd. 1, 1863, S. 171-193; Gotthardt, 1986; Aretin, 2005, S. 413-470; Hartmann, 1985, S. 163-167. 30 Zur Perspektive Friedrichs II. von Preußen vgl. Kunisch, 2004, S. 159-176; Blanning, 2015, S. 78-97. 31 »The Queen of H------y putting on Bavarian Breeches«, in: Iby, 2017, Nr.  HM 25.2, S. 292. 28

Weibliche Herrschaft als Ausnahme?

Abb. 2: De Koninginne van Hongaryen Ontkleedt. Anonym, Illustrierter Einblattdruck, 1742.

Abb. 3: En vrouw van eedel bloet, wird hier berooft van lant, en goet. Anonym, illustrierter Einblattdruck, um 1742.

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Geschlechterhierarchie versus Standeshierarchie Was ihren Fall zu einem besonderen machte, war die Kollision zweier Hierarchien: der Geschlechterhierarchie und der ständischen Ranghierarchie. Nach der zeitgenössischen Geschlechterordnung war die Frau dem Mann untergeordnet, in der europäischen Ranghierarchie aber war das Haus Habsburg dem Haus Lothringen unendlich weit überlegen. Maria Theresia, die Erbin eines Riesenreiches mit zwei europäischen Kronen, an der Seite eines bloßen Großherzogs, das war schwer erträglich in den Augen einer Gesellschaft, die für wenig anderes eine so ausgeprägte Aufmerksamkeit hatte wie für Fragen von Herkunft, Rang und Status.32 Diese Statusdissonanz machte die Dinge komplizierter als üblich, jedenfalls solange Franz Stephan noch nicht Kaiser war. Das zeigte sich vor aller Augen im diplomatischen Zeremoniell: Der Großherzog hatte hinter seiner Gattin symbolisch demonstrativ zurückzustehen. Da die Gesandten souveräner Potentaten und vor allem der Nuntius dem Haus Lothringen die souveräne Gleichrangigkeit bestritten, musste jedes Zusammentreffen mit ihnen vermieden werden, was konkret bedeutete, dass Franz Stephan wichtigen Solennitäten entweder fernzubleiben hatte oder sich nur incognito dabei aufhalten durfte, d.h. im Zeremoniell wie Luft behandeln lassen musste – so ausgerechnet bei der böhmischen Krönung seiner Gattin.33 Dass in der Ehe Habsburg-Lothringen die Geschlechterhierarchie auf den Kopf gestellt war, irritierte die Zeitgenossen. Obwohl Franz Stephan von Lothringen kein ordentlicher Landesherr und kein gekröntes Haupt war und auch sonst wenig Talent zum Herrscher zu erkennen gab, erwarteten nach dem Tod seines Schwiegervaters offenbar viele von ihm, dass er stellvertretend für seine Gattin die Regentschaft ausüben werde, weil das eben der als natürlich angesehenen Geschlechterhierarchie entsprach. So hatte es offenbar auch Karl VI. geplant, der Franz Stephan und nicht seine Tochter seit 1732 in die Hofkonferenz einbezogen hatte.34 Auch der französische Gesandte nahm zunächst an, Maria

32 Zum Verhältnis Maria Theresias zu Franz Stephan allgemein vgl. Zedinger, 2008; Braun, 2016; Braun, 2018; Stollberg-Rilinger, 2018, S. 150-157. 33 Zu den Rangproblemen der Lothringer mit auswärtigen Gesandten, vor allem mit dem Nuntius, vgl. Khevenhüller-Metsch, Bd. 1, 1908, S. 156 (9.6.1743); 184 (1.11.1743); 191f. (1.12.1743); 200 (4.1.1744); 205 (20.1.1744); 234 (26.7.1744); 256 (1.11.1744). Vgl. Garms-Cornides, 2006, S. 141-145; Stollberg-Rilinger, 2018, S. 41f., 150f. 34 Braun, 2016, S. 219f. 30

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Theresia werde das Regierungshandwerk ihrem Gatten überlassen, obwohl dieser dafür überhaupt keine Eignung besitze.35 Bekanntlich war das ein Irrtum. Maria Theresia hatte zu ihrem Gatten ein höchst ambivalentes Verhältnis. Einerseits war er ihre wohl wichtigste Vertrauensperson; sie bestand auf dem gemeinsamen Ehebett, was die Zeitgenossen naserümpfend kommentierten, das Paar mache es wie die Bauern.36 Sie litt unter der allgemeinen Geringschätzung, die ihrem Gatten bei Hof entgegengebracht wurde, und erklärte ihn deshalb sofort nach ihrer Thronbesteigung zum Mitregenten.37 Andererseits ließ sie keinen Zweifel daran, dass sie ihm damit nichts von ihren Herrschaftsrechten abtrat. Graf Sylva-Tarouca, einer ihrer engsten Vertrauten, bemerkte dazu, die Verleihung der Mitregentschaft an Franz Stephan »hing nur allein von der Willkür der Königin ab, die die Herrin ist und sich helfen lassen kann, von wem es ihr gefällt; diese Mitregentschaft ist nichts anderes als eine Unterstützung, fast so wie bei einem Ersten Minister«.38 Wie wenig Maria Theresia diese Mitregentschaft selbst ernst nahm, zeigt sich darin, dass sie ihren Gatten gegenüber Dritten immer wieder desavouierte. Der französische Gesandte wusste beispielsweise zu berichten, dass die Königin ihrem Feldherrn befohlen habe, ihre schriftlichen Befehle erst dann zu befolgen, wenn er zur Bestätigung eine chiffrierte zweite Ausfertigung von ihr erhalten hatte, um, so der Gesandte, die »Misslichkeiten zu vermeiden, die durch irgendeinen Befehl entstehen könnten, den Seine Königliche Hoheit ihr oder dem Kriegsrat abpressen könnte«.39 Das heißt, es gab eine doppelte Kommunikation zwischen Wien und dem jeweiligen Feldherrn: eine offizielle, bei der Franz Stephan mitreden durfte, und eine geheime, informelle, die in Wirklichkeit die maßgebliche war, bei der er nicht mitzureden hatte. Dass Maria Theresia mit solchen und ähnlichen doppelzüngigen Anweisungen der allgemeinen Geringschätzung ihres Gatten bei Hof selbst massiv Vorschub leistete, liegt auf der Hand.40 Kurzum: In der Familie Habsburg-Lothringen herrschte aufgrund der 35 Gesandtenbericht Mirepoixʼ aus Wien, 26.10.1740, zitiert nach Badinter, 2017, S. 65. 36 Vgl. Stollberg-Rilinger, 2018, S. 261f. 37 Zur Mitregentschaft vgl. Beales, 1997; Braun, 2016. 38 Sylva-Tarouca an Harrach, 17.12.1740, in: Karajan, 1859, S. 16f. 39 Gesandtenbericht aus Wien, 11.4.1742, AAE CP, Autriche, Bd. 232, fol. 175r, zitiert nach Badinter, 2016, S. 133f. 40 Ein weiteres Beispiel dafür, wie sie ihren Gatten desavouierte, bei Stollberg-Rilinger, 2018, S. 153f. – Nach Khevenhüller hatten die Minister kein Vertrauen zu Franz Stephan; auch wenn er (insbesondere wenn seine Frau kurz vor der Nieder31

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Statusdissonanz eine gynaecocratia domestica, und das fanden die Zeitgenossen anstößig und machten es dem armen Franz Stephan zum Vorwurf.41 Selbst Khevenhüller, der ihn durchaus schätzte, bemerkte einmal missbilligend, in den ersten Regierungsjahren habe es »lediglich von ihm dependiret, das Steuerruder vollkommen in Handen zu haben. Allein nebst deme, daß er von Natur nicht sehr arbeitsam, dann langsam und unentschlossen ware, so fählete es ihm auch an der nöthigen Fermeté, um denen immer zu sehr hitzig ausbrechenden Vivacités seiner Gemahlin den behörigen Wiederstand zu leisten«.42

Das sonderbare Doppelporträt aus dem Jahr der Heirat 1736, das den Bräutigam mit Liebespfeil als Cupido und Maria Theresia als kriegerische Göttin Athene darstellt, brachte möglicherweise mythologisch verschleiert zum Ausdruck, dass Franz seiner männlichen Rolle nicht gerecht wurde. Einer mythologischen Erzählung zufolge hatte der Liebesgott Cupido vergeblich gewettet, die jungfräulich stolze, männlich kriegerische Athene zu besiegen und sie mit den Waffen der Liebe zur braven Hausfrau machen zu können, so dass sie ihre Kriegswaffen niederlegte und sich an den Webstuhl zurückzog.43 Das ungewöhnliche Doppelporträt machte die Verkehrung der Geschlechterrollen zum Thema. Es lässt sich möglicherweise als Ausdruck der Erwartung an Franz Stephan verstehen, die Verhältnisse wieder zurechtzurücken und sich die mächtige, stolze und unabhängige Erbtochter, wie es sich gehörte, gefügig zu machen. Doch der Fall zeigt eben auch, dass im Ancien Régime im Zweifelsfall die Geschlechterhierarchie geringer wog als die ständische Ranghierarchie. Wenn beides, wie in diesem Fall, kollidierte, gab man der Hierarchie von Stand und kunft stand oder sich im Wochenbett befand) das Präsidium in der Hofkonferenz übernahm, hielten sie sich ihm gegenüber mit Berichten zurück und warteten, bis Maria Theresia wieder teilnahm: Khevenhüller-Metsch, Bd. 2, 1908, S. 25f. (3.2.1745). 41 Zum Begriff vgl. Puppel, 2004b. 42 So anlässlich von Franz Stephans Tod 1765: Khevenhüller-Metsch, Bd.  6, 1917, S. 136 (31.8.1765). 43 Das Doppelporträt, allerdings nicht mit dem Verweis auf Horling als Maler, sondern mit dem Hinweis »österreichische Schule«, auch bei Iby, 2017, S. 94. Vgl. ein ähnliches Motiv bei Telesko, 2016, S. 43: Maria Theresia als Athene und Franz Stephan als Apoll, anonyme Aquarellminiatur, um 1750 (ÖNB, Bildarchiv und Porträtsammlung, Inv. Nr. E 20451-B). 32

Weibliche Herrschaft als Ausnahme?

Rang eindeutig den Vorzug. Die Unterordnung der Frauen unter die Männer galt eben keineswegs absolut, sondern nur im Rahmen der Standesordnung. So wie eine adelige Frau selbstverständlich vor einem bürgerlichen Mann rangierte, so rangierte auch eine souveräne Frau vor einem Mann ohne Souveränitätsstatus, auch wenn er ihr eigener Gatte war.44 Andererseits bedeuteten solche Statuskollisionen einen Missklang; sie vertrugen sich schlecht mit dem Bild einer harmonisch-wohlgeordneten Welt, wie man sie sich im Ancien Régime vorstellte. Dass man sich in solchen Kollisionsfällen zu helfen wusste, indem man physisches Geschlecht und juristisch-politische Rolle voneinander trennte, heißt nicht, dass Maria Theresias Geschlecht ihr nicht doch die Herrschaft in verschiedener Hinsicht erschwert hätte. Zumindest bescherte ihre Weiblichkeit ihr einige Probleme, die sie auszugleichen oder, wenn das nicht möglich war, zu verschleiern suchte, zum Teil im offenen Konflikt und zum Nachteil ihres Ehemanns. Das war vor allem in drei Bereichen der Fall: bei der Kriegführung, bei der Kaiserwahl und bei den Ritterorden.

Grenzen weiblicher Herrschaft: die Kriegführung Die Fähigkeit zu physischer Gewalt (violentia) war und ist die Grundlage aller Herrschaftsgewalt (potestas); schiere körperliche Überlegenheit ist zweifellos die elementarste Grundlage der männlichen Dominanz. Als Frau, zumal als Schwangere und Mutter, Waffengewalt auszuüben, hätte die damalige Geschlechterordnung gesprengt. Hier lag offenbar eine Grenze, die nicht zu überschreiten war, es sei denn, Frauen verkleideten sich unbemerkt als Männer – wie es ja damals gar nicht so selten vorkam.45 Maria Theresia störte es sehr, dass sie nicht persönlich die Kampagnen anführen, sondern allenfalls die Truppen inspizieren konnte. Sie klagte über die Beeinträchtigungen, die ihr Geschlecht ihr auferlegte, empfand ihre ständigen Schwangerschaften als lästige Behinderung und suchte sie so weit wie möglich zu ignorieren. »Soferne nicht alle Zeit gesegneten Leibes gewesen«, schrieb sie einmal, »mich gewiß niemand aufgehalten hätte, selbsten diesem so meineidigen Feinde [Friedrich II.] entgegenzusetzen.«46 Der preußische Gesandte Podewils notierte das Gerücht, »daß sie 44 So auch im Falle der Ehe zwischen Marie Christine und Albert von Sachsen-Teschen; vgl. Stollberg-Rilinger, 2018, S. 761-768. 45 Zum weiblichen Cross-dressing in der Frühen Neuzeit grundlegend Dekker, 1989. 46 So in der Rechtfertigungsschrift von 1750/1751, in: Walter, 1968, S. 81. 33

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eine Zeitlang ernsthaft beabsichtigt hat, das Kommando über ihre Armeen selbst zu führen. Sie gibt sich Mühe, die Schwächen ihres Geschlechts zu verleugnen, und strebt Tugenden an, die […] Frauen selten besitzen. Es scheint, als sei sie ärgerlich, als Frau geboren zu sein.«47 Andererseits war es auch bei männlichen Herrschern keineswegs die Regel, dass sie ihre eigenen Feldherren waren,48 und ihr Geschlecht hinderte Maria Theresia nicht daran, selbstbewusst als oberste Kriegsherrin aufzutreten und sich immer wieder aus der Ferne aktiv in die Heerführung einzuschalten. Nur zähneknirschend räumte sie ein, dass sie sich in Wien kein ausreichend klares Bild vom Kriegsgeschehen machen und daher ihren Feldherren die Verantwortung überlassen musste. Sie kompensierte diese erzwungene Untätigkeit damit, dass sie sich zumindest symbolisch in Gestalt ihres Porträts auf dem Kriegsschauplatz repräsentieren ließ, um den Kampfeseifer der Truppen anzustacheln. Die zeitgenössische Verherrlichungsindustrie griff in Bildersprache und Lobgedichten auf alle erdenklichen mythologischen und biblischen Figuren zurück, um das weibliche mit dem kriegerischen Element zu verbinden. Auf Münzen und Medaillen, Gemälden und Kupferstichen, in Oden und auf Ehrenpforten wurde Maria Theresia als Kriegsgöttin Athene oder als Mutter der Feldlager dargestellt, als Einheit von Mars und Hera, als alttestamentliche Königin von Saba, als Judith und als weiblicher Siegfried.49 Ein Höhepunkt ihrer kriegerischen Selbstinszenierung war es, als im Januar 1743 »ein bishero nie gesehenes noch in denen älteren und jüngeren Welt-Geschichten gelesenes ungemein prächtiges Frauen-Carrousel« gegeben wurde.50 Die »Ritterinnen« waren »als amazoninen prächtigst ausgekleydet«, die Königin selbst auf einem Schimmel voran. Die Damen ritten oder fuhren in prunkvollen Streitwagen und wetteiferten darum, Mohrenfiguren mit Pistolen oder Wurfpfeilen zu treffen oder ihnen mit Lanze oder Degen die Köpfe abzuschlagen.51 Die ganze Hofgesellschaft schaute zu, auch das städtische Bürgertum war auf der Galerie zugelassen. Selbst die Gazette de France musste widerwillig zugestehen, dass ein solches allein von Frauen aufgeführtes Turnier ein unerhör47 Hinrichs, 1937, S. 48. 48 Vgl. dazu allgemein Wrede, 2014. 49 Zur männlich-militärischen Selbstinszenierung grundlegend Telesko, 2012, S. 14-16, 65f., 71f., 123f. u. ö. Zur kriegerischen Selbstinszenierung früherer Regentinnen: Schnettger, 2014. 50 Beschreibung des […] Frauen-Carrousels, Wien 1743, zitiert nach Küster, 2004, S. 111; vgl. dazu ausführlich Seitschek, 2007. 51 So die Beschreibung in den Zeremonialprotokollen, bei Seitschek, 2007. 34

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tes, noch nie dagewesenes Spektakel war.52 Es traf sich gut, dass die Aufführung kurz nach der Wiedereroberung Prags stattfand und dadurch zugleich als Siegesfeier erschien (als die sie gar nicht geplant gewesen war). Ihre erneute Schwangerschaft verheimlichte Maria Theresia absichtlich bis nach der Aufführung, um nicht auf die Teilnahme verzichten zu müssen. Spätere Historiker wie Alfred von Arneth missbilligten das Ganze als »übertriebene Vergnügungslust«, die dem Ernst der Lage nicht entsprochen habe.53 Doch das ist ein anachronistisches Urteil. Es ging um weit mehr als reine Lustbarkeit. Welche politische Relevanz das Carrousel für Maria Theresia hatte, zeigt sich daran, dass sie das Motiv später in den großformatigen Gemäldezyklus aufnehmen ließ, der die rituellen Höhepunkte ihrer Herrschaft darstellte.54 Mitten im Krieg, den Maria Theresia gegen die Übermacht ihrer männlichen Gegner führte, demonstrierte sie damit dem in- und ausländischen Publikum ihr unerhörtes Selbstbewusstsein als weibliche Kriegerin.

Grenzen weiblicher Herrschaft: die Kur- und die Kaiserwürde Dass weibliche Herrschaft grundsätzlich leicht anfechtbar war, zeigte sich bei der Kaiserwahl 1741. Auf bayerischer Seite erschienen juristische Traktate, die argumentierten, dass die böhmische Kurstimme ruhen müsse, weil »die Churen nur von Männern versehen werden können«.55 Maria Theresia hatte das vorausgesehen und Franz Stephan vorsorglich die Führung der böhmischen Kurstimme übertragen. Der Kurfürst von Mainz, Johann Friedrich Karl von Ostein, ein treuer Klient des Hauses Habsburg, hatte ihn schon vorauseilend zur Wahl nach Frankfurt eingeladen, konnte sich aber damit im Kurkolleg nicht durchsetzen. Die böhmische Kur wurde nicht zur Wahl zugelassen – was Maria Theresia anschließend Gelegenheit gab, die Gültigkeit der Wahl des wittelsbachischen »Af52 Gazette de France, 9.2.1743, zitiert nach Küster, 2004, S.  113. Das stimmte nicht ganz; in Dresden hatte es etwas Ähnliches schon gegeben; vgl. Watanabe-O’Kelly, 1990. Ich danke Katrin Keller für den Hinweis. 53 Arneth, Bd. 2, 1864, S. 193f. 54 Zu van Meytensʼ Krönungszyklus vgl. Macek, 2012; Telesko, 2012, S.  83-85. Bildliche Darstellungen des Caroussels von 1743 finden sich auch außerhalb der Erbländer, z. B. im Dresdner Kupferstichkabinett; vgl. Seitschek, 2007, S. 367. 55 Ausführlich zu der juristischen Kontroverse Moser, Bd. 1, 1744, S. 185-205; vgl. Gotthardt, 1986; Hartmann, 1985, S. 172; Aretin, 2005, S. 413-439. 35

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terkaisers« grundsätzlich zu bestreiten. Schon der Reichspublizist Johann Jakob Moser allerdings fand, dass dieser ganze Streit »mehr nach der raison d’Etat als nach dem puncto Juris« geführt worden sei.56 Das heißt: Das Argument, eine Frau sei zur Führung einer Kur grundsätzlich unfähig, bot sich zwar an, stand aber reichsrechtlich auf schwachen Füßen und wurde bei der nächsten Wahl 1745, als man sich auf Franz Stephan geeinigt hatte, dann auch stillschweigend fallengelassen. Noch schwieriger als mit dem Recht zu wählen verhielt es sich im Reich mit dem Recht, zum Reichsoberhaupt gewählt zu werden. Es stand zwar nirgendwo geschrieben, dass das förmlich ausgeschlossen sei, aber den Zeitgenossen erschien es schlicht nicht vorstellbar. Johann Jakob Moser, der beste Kenner der Materie, schrieb zu dieser Frage nur lapidar: »Das Frauenzimmer endlich ist zwar weder durch ein Reichs-Gesetz, noch durch Reichs-Herkommen, von der Kayser-Würde ausgeschlossen, wird sich aber doch schwerlich jemals eine Hoffnung darzu machen dörffen.«57 Argumente dafür waren offenbar gar nicht nötig, weil niemals jemand auf die Idee gekommen war, eine Frau zu wählen. Maria Theresia war sich des Wertes der Kaiserwürde für ihr Haus bzw. für ihren Gatten durchaus im Klaren, sie betrieb dessen Wahl und nutzte die vielen politischen Vorteile, die sich aus der Würde des Kaisers ergaben, in souveräner Weise. Ja, sie nahm auch keinen Anstoß daran, selbst mit der Reichskrone dargestellt zu werden, etwa auf Kupferstichen und Medaillen.58 Der Kaiserinnenwürde dagegen stand sie mit großer Distanz gegenüber, denn diese Würde ergab sich ja allein aus der Ehe mit dem Kaiser. Trotz Franz Stephans geradezu flehentlichen Bitten weigerte sie sich beharrlich, sich selbst zur Kaiserin krönen zu lassen. Der Grund liegt auf der Hand: Im Gegensatz zu ihren eigenen, männlichen Kronen war die Kaiserinnenkrone eben nur eine zeremonielle Zu56 Moser, Bd. 1, 1744, S. 188. 57 Daran ändere auch die Tatsache nichts, schreibt Moser, dass in früheren Zeiten »die Reichs-Regierung […] theils bey Minderjährigkeit, theils bey Abwesenheit derer Kayser« gelegentlich von Frauen verwaltet worden sei. Moser, Bd. 2, 17371754, S. 327f.; vgl. Ludewig, Bd. 2/1, 1719, S. 639-646; Zedler, Bd. 15, 17311754, S. 342-348, s. v. Kayserin; ebd., Bd. 54, S. 106f., s. v. Weiber-Regiment. 58 So das Porträt Maria Theresias mit der Reichskrone von Philipp Andreas Kilian nach Martin van Meytens d. J., nach 1745. Kupferstich/Papier. Wien, Albertina; vgl. Iby, 2017, S. 288, Nr. HM 21.2. Zu den Medaillen vgl. Braun, 2016, S. 218. Auf dieser Linie liegt auch die Inschrift auf dem Sarkophag in der Kapuzinergruft: Imperium domui suae restituit; »Sie hat die Kaiserwürde für ihr Haus wiederhergestellt«; vgl. Telesko, 2010. 36

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tat für die kaiserliche Ehefrau ohne rechtliche und politische Relevanz.59 Sich im Krönungsritual demonstrativ ihrem Ehemann unterzuordnen kam für Maria Theresia nicht in Frage, und sie fand auch nichts dabei, ihrem Mann diesen Herzenswunsch abzuschlagen (was einmal mehr zeigt, dass man diese Ehe nicht allzu sehr verklären sollte).

Grenzen weiblicher Herrschaft: die Ritterorden Der dritte Bereich, in dem Maria Theresias Geschlecht ein schwer überwindliches Hindernis darstellte, war die Hochmeisterwürde in den Ritterorden, allen voran dem legendären Orden vom Goldenen Vlies. Frauen konnten keine Ordensritter werden; auch hier war es offenbar die militärische Qualität dieser exklusiven Gemeinschaft geistlicher Ritter, als die sie Philipp der Gute einst zur Verteidigung des Glaubens und zur Wahrung ritterlicher Tugenden gegründet hatte, die einer Frau den Zugang versperrte.60 Ihr Vater Karl  VI. hatte die Hoheit über den Vliesorden als letztes Relikt seines verlorenen spanischen Erbes erfolgreich nach Wien überführt und die Mitgliedschaft in der erlesenen Ritterrunde zu dem Objekt adeliger Begierde schlechthin gemacht. Um die Kontinuität zu sichern, hatte er seinen Sohn Leopold schon bei der Taufe zum Ordensritter erhoben, doch der war ja schon ein Jahr später gestorben. Eine Tochter dagegen konnte unmöglich die Rolle eines christlichen Kriegers spielen und Ordensritter werden – auch hier erwies sich das weibliche Geschlecht, wie gesagt, als unüberwindlicher Mangel. Es handelte sich ja der Idee zufolge um einen Kreis von Gleichen; da konnte eine Frau schlecht primus inter pares sein. Stattdessen hatte Karl VI. vorausschauend Franz Stephan schon als jungen Kavalier in den Orden aufgenommen. Nach ihrer Thronbesteigung hatte Maria Theresia ihm umgehend zusammen mit der Mitregentschaft auch die Großmeisterwürde des Ordens übertragen. Auch den neugeborenen Thronfolger Joseph ließ sie schon bei der Taufe zum Ordensritter und Großmeister in spe weihen.

59 Keller, 2020; Hertel, 2020. Zu Maria Theresias Verhältnis zu Reich und Kaiserwürde vgl. Stollberg-Rilinger, 2018, S. 146-176. Die Einschätzung von Badinter, 2017, S. 73, 137, die Kaiserwürde habe nur in einem »glanzvollen Titel« bestanden, ist nicht mehr haltbar. 60 Das Folgende nach Stollberg-Rilinger, 2018, S.  389-399; vgl. Kökényesi, 2019a und 2019b. 37

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Franz Stephan war auch der »Protecteur und Großmeister« des neugegründeten, deutlich weniger exklusiven Militär-Verdienstordens, der nach Maria Theresia benannt wurde – auch als Oberhaupt einer Gemeinschaft von Kriegshelden konnten sich die Zeitgenossen offenbar nur einen Mann vorstellen. Immerhin musste sie sich nicht darauf beschränken, wie beim Goldenen Vlies dem Geschehen der Ordensverleihungen verborgen vom Oratorium der Hofkapelle aus zuzusehen, sondern konnte zur Rechten ihres Gatten, des Großmeisters, sitzen, wenn auch einige Stufen niedriger inmitten der Hofgesellschaft – so zeigt es das Zeremonialgemälde von der ersten Verleihung des Maria-Theresien-Ordens. Sie selbst musste sich mit der Hoheit über den Sternkreuz-Damenorden begnügen, dem weiblichen Äquivalent zum Vlies-Orden. Doch Maria Theresia überließ es nur außerordentlich ungern ihrem Gatten, über die Aufnahme neuer Ordensritter zu entscheiden, war das doch eine der wichtigsten Prestigeressourcen des Wiener Hofes und ein Grundstein des ganzen höfischen Gunstsystems. Franz Stephan scheint diese Kompetenz sehr am Herzen gelegen zu haben; schließlich war es ja – jenseits der Kaiserwürde – die einzige formale Kompetenz, über die er am Wiener Hof ganz selbstständig verfügen konnte. Jedenfalls hütete er das Recht der Ordenspromotion sorgfältig und ließ sich offenbar von seiner Gattin nicht dreinreden. Darüber kam es 1759 zum Konflikt, als der Kaiser zwei Männer zu Vlies-Rittern erhob, an deren tadelloser altadeliger Abstammung begründete Zweifel bestanden. Aristokraten, die um ihre Exklusivität bangten oder in ihren eigenen Hoffnungen enttäuscht waren, nahmen daran heftigen Anstoß, doch auch Maria Theresias Intervention konnte ihren Gatten nicht umstimmen.61 Die Kaiserin, so Oberstkämmerer Khevenhüller, habe es bitter bereut, ihm die Hoheit über die beiden Orden überlassen zu haben, jetzt, da er davon so »ohne jede Rücksprache mit ihr« Gebrauch machte. Diese Erfahrung sei es, die sie dazu bewogen habe, noch einen weiteren neuen Orden zu gründen, den Sankt-Stephans-Orden nämlich. Franz Stephan, so berichtet Khevenhüller weiter, war strikt dagegen und versuchte sie davon abzubringen; »mit Thränen in den Augen« habe er sich über das Vorhaben seiner Gattin bei ihm beklagt.62 Auch andere Ratgeber bei Hof rieten ihr massiv von diesem Plan ab und warnten vor der Inflation der symbolischen Würden. Doch Maria Theresia ließ sich nicht beirren und setzte die Ordensgründung anlässlich der Königswahl Josephs 1764 in die Tat um. Der springende Punkt war: Im Stephansorden nahm sie nun die Rolle des Ordensoberhaupts ausdrücklich für sich selbst in Anspruch, mit der Begründung, 61 Khevenhüller-Metsch, Bd. 5, 1911, S. 138f. (29.11.1759). 62 Ders., Bd. 6, 1917, S. 31 (5.5.1764); vgl. Steeb, 2000. 38

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dass sie ja aufgrund rechtlicher Fiktion als Mann, König von Ungarn, anzusehen sei.63 Sicher ging es ihr auch darum, »besondere Achtung für die [ungarische] Nation« zu bekunden64 und die ungarischen Stände angesichts des bevorstehenden Landtages den Finanzforderungen der Krone gewogen zu stimmen. Doch der entscheidende Vorzug des neuen Ordens war eben, dass Maria Theresia nun nicht mehr auf ihren Gatten angewiesen war, um durch Ordensaufnahmen symbolisches Kapital zu spenden. Wie wichtig sie das nahm, sieht man auch daran, dass sie demonstrativ in männlicher Funktion als Großmeister des Ordens auftrat und sich auch die feierliche Inauguration sämtlicher Ordensritter ausdrücklich selbst vorbehielt. Mit eigener Hand hatte sie an den Rand des Entwurfs der Ordensstatuten geschrieben, »das ich allen [Kandidaten] selbst sub throno selben [Orden] gebe«.65 So wurde es 1764 dann auch mit großer Solennität praktiziert. Als einziges Zugeständnis an das weibliche Geschlecht des Großmeisters wurde davon abgesehen, dass er – also sie – die neuen Ordensritter persönlich umarmte. Aus Gründen der Schicklichkeit wurde das in ihrem Fall »durch die Auflegung deren Händen auf die Schultern« bzw. durch einen Handschlag ersetzt.66 Auf einem großen Zeremonialgemälde für die ungarische Hofkanzlei ließ Maria Theresia sich später im feierlichen Vollzug dieses Aktes darstellen: in ungarischer Tracht unter dem Baldachin in majestate thronend, den ersten Ordensritter, Graf Hatzfeld, vor ihr auf Knien und die Hofgesellschaft ringsherum versammelt. Erst nach dem Tod Franz Stephans, als sie sich vom Hofleben fast gänzlich zurückzog, übertrug Maria Theresia diese Großmeisterwürde ebenso wie die der beiden anderen Orden an ihren Sohn, den neuen Mitregenten, und sah fortan nur noch incognito zu.67 Für ihr Verhältnis zur Geschlechterhierarchie im Allgemeinen und zu Franz Stephan ist all das bezeichnend: Maria Theresia machte für sich selbst stets gel63 Statuta des löblichen Ritter-Ordens des ersten apostolischen Königs Stephani (30. Januar 1764), abgedruckt bei Khevenhüller-Metsch, Bd. 6, 1917, S. 307316; hier S. 310, Punkt 12: »Wir als König von Ungarn«. 64 Handschreiben Maria Theresias an Fürst Esterházy, 20.2.1764; ebd., S. 322. 65 Eigenhändige Randbemerkung zu den Statuta: ebd., S. 312. 66 Vgl. Beilage zum Entwurf des Grafen Chotek vom 12.  Mai 1760: ebd., S.  305; Entwurf der Statuten vom 30.  Januar 1764: ebd., S.  313. Zum Zeremoniell der Ordensgründung und der ersten Verleihung im Einzelnen s. Kökényesi, 2019b, der die Vermutung in Stollberg-Rilinger, 2018, S. 396, dass Maria Theresia die Ordensritter möglicherweise umarmt habe, richtigstellt [nach den Wiener Zeremonialprotokollen (HHStA, OMeA, ZP 29 [1763-1764])]. 67 Khevenhüller-Metsch, Bd. 6, 1917, S. 140 (8.9.1765); 185 (29.5.1766). 39

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tend, dass in ihrem Fall die gottgewollte erbliche Herrschaft des Erzhauses ausnahmsweise die Geschlechterordnung außer Kraft setze und die – als solche nicht in Frage gestellten – naturgegebenen Mängel des weiblichen Geschlechts kompensiere.

Inszenierung von Weiblichkeit? Das Bild wäre allerdings unvollständig, wenn man nicht erwähnte, dass Maria Theresia andererseits erheblichen symbolischen Mehrwert aus ihrem weiblichen Geschlecht, ihrer Jugend, Schönheit und erstaunlichen Fruchtbarkeit ziehen konnte, wenn es nötig war.68 Das Paradebeispiel dafür ist ihr Auftritt auf dem ungarischen Landtag 1741, wo sie sich als Inbegriff der verfolgten Tugend und des rechtmäßigen Königtums darzustellen wusste. Bedrohte weibliche Unschuld, mütterlicher Schmerz und Mut der Verzweiflung auf der einen, männliche Tapferkeit und edle ritterliche Opferbereitschaft auf der anderen Seite, weibliche Schönheit und männliche Stärke: Die Szene bot alles, was eine gute Heldengeschichte braucht, sie wurde tausendfach nacherzählt, gemalt und gedruckt und verfehlte ihren Eindruck auf das europäische Publikum nicht.69 Die Anwesenheit des kleinen Thronfolgers, die signifikanter Weise auf keiner einzigen der unzähligen Darstellungen fehlt, war allerdings wenig später dazuerfunden worden.70 Maria Theresia selbst inszenierte sich nämlich keineswegs als Mutter mit dem Kind; sie ließ sich vielmehr stets mit ihrem Gatten als Paar im Kreis der Kinderschar abbilden. Man könnte zahlreiche Beispiele dafür anführen, wie Maria Theresia die ungemeine Fruchtbarkeit ihrer Ehe in Szene setzte, wie sie sich und Franz Stephan als Stammeltern des Hauses Habsburg-Lothringen darstellen ließ, als Begründer eines neuen florierenden Hauses und nicht etwa als jüngste Abkömmlinge einer langen Ahnenreihe.71 Das galt nicht nur für die bildende Kunst, vom Staats68 Das betonen durchgängig Badinter, 2017, und Lau, 2016. 69 Vgl. Stollberg-Rilinger, 2018, S. 90-94. 70 Schon zur Geburt von Joseph findet sich das Bild der Jungfrau mit dem Kind z. B. bei Ghelen, 1745. Wenig später findet sich die Legende in dem lateinischen Epos von Cesare, 1752, S.  41f., wo das Kind mit seinem Blick und seinem Lächeln das Anliegen der Mutter wirkungsvoll unterstützt. Am einflussreichsten war aber vermutlich die entsprechende Darstellung bei Voltaire, 1755. Ich danke Annika Hildebrandt, Berlin, für diese Hinweise. 71 Dazu grundlegend Barta, 2001; Yonan, 2011. 40

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porträt bis zum erschwinglichen Einblattdruck für das gemeine Volk, sondern auch für das höfische Zeremoniell: Eine der spektakulärsten und umstrittensten Neuerungen, die Maria Theresia einführte, bestand darin, dass sie die Gesandten auswärtiger Fürsten am Wiener Hof nötigte, bei ihren formellen Audienzen auch sämtlichen Kindern ihre Aufwartung zu machen und ihnen die Hand zu küssen – und zwar unabhängig vom Alter auch schon den Kleinsten, jedenfalls sofern sie nicht mehr in der Wiege lagen.72 Die adeligen Gesandten betrachteten das als unerhörte Zumutung, während bürgerliche Besucher es bezeichnenderweise als Auszeichnung ansahen, weil sie es als Einbeziehung in die intim-familiäre Sphäre des Kaiserhauses missverstanden. So wie man generell im bürgerlichen Zeitalter Maria Theresias Stilisierung als »Mutter ihrer Länder« im Sinne eines neuen, emotionalisierten Weiblichkeitsideals umdeutete (wofür die eingangs angeführte Legende vom Kind der Bettlerin, dem sie die allerhöchste Mutterbrust reicht, die schönste Veranschaulichung bietet). Wenn Maria Theresia sich selbst als ihrer »Länder allgemeine und erste Mutter« bezeichnete, so in dem gleichen Sinne, wie auch männliche Fürsten sich als Landesväter darstellten. Nicht ihre Weiblichkeit wurde damit betont, sondern ihr paternalistisches Verständnis von Herrschaft als elterlicher Fürsorge, die von den Untertanen kindlichen Gehorsam fordert.

Zusammenfassung Wie fügte sich der Fall Maria Theresia in die Geschlechterordnung ihrer Zeit? Die Antwort lässt sich in einigen Thesen zusammenfassen. 1. Zweifellos stellte Maria Theresias Herrschaft nicht erst aus der Sicht des 19.  Jahrhunderts, sondern auch in der Geschlechterordnung ihrer eigenen Zeit eine Ausnahme dar. Weiberherrschaft galt nach allgemeinem Verständnis als defizitär, und ihre Gegner konnten daraus bei ihrer Thronbesteigung propagandistisches Kapital schlagen. 2. Aber weibliche Herrschaft war keinesfalls eine absolute Singularität. Man war in der Frühen Neuzeit vielmehr durchaus in der Lage, physisches Geschlecht und politische Rolle voneinander zu unterscheiden, wenn die Dynastieräson es erforderte: Maria Theresia galt in erbrechtlicher Hinsicht per fictionem juris als Mann. 3. Was ihre eigene Herrscherrolle anging, war sie nicht bereit, sich irgendje72 Vgl. dazu ausführlich Stollberg-Rilinger, 2018, S. 324f., 466-469. 41

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mandem unterzuordnen. Das galt allerdings ausschließlich für sie selbst. In jeder anderen Hinsicht, auch bei ihren eigenen Töchtern, stellte sie die Geschlechterordnung der Zeit nicht in Frage. 4. In ihrem Fall hatte die Ordnung von Stand, Rang und Herrschaft eindeutig Vorrang vor der Geschlechterordnung. Trotzdem stellte ihre Ehe mit Franz Stephan von Lothringen eine Statusdissonanz dar, die in den Augen der Zeitgenossen etwas Anstößiges hatte. 5. Die Tatsache, dass Maria Theresia eine Frau war, erwies sich für ihre Herrschaft als durchaus ambivalent. In einigen Bereichen stand ihr das physische Geschlecht im Weg: bei der Kriegführung, bei der Kaiserwahl, bei den Ritterorden, allesamt Sphären, die mit Waffengewalt assoziiert wurden. Diese Hindernisse suchte sie entweder symbolisch zu kompensieren oder – wie beim Stephansorden – kreativ zu beseitigen und scheute dabei nicht den Konflikt mit ihrem Ehemann. 6. In anderen Fällen war ihr Geschlecht dagegen von Vorteil, und daraus wusste sie politisches Kapital zu schlagen, so indem sie sich auf dem ungarischen Landtag von 1741 als schutzbedürftiges Weib inszenierte oder indem sie die Fruchtbarkeit ihrer Ehe in Szene setzte. Was in der Frühen Neuzeit zwar weithin unwillkommen, aber keineswegs besonders ungewöhnlich gewesen war – weibliche Herrschaft –, das wurde in der Epoche um 1800 zu dem Indiz für die Verkommenheit des Ancien Régime umgedeutet. Für die Revolutionäre von 1789 war weibliche Herrschaft das Symptom einer durch und durch dekadenten Ordnung, die die Regierung an Geburt und Patronage statt an Wahl und Leistung knüpfte. Ganz in diesem Sinne hatte schon Joseph II. die männliche professionelle Beamtenschaft polemisch der weiblichen Günstlingswirtschaft seiner Mutter gegenübergestellt. Der Staat bedürfe »vertrauter und geschikter männer, welche aus pflicht und gedenkensart von allen weiblichen vorwitz und partheylichkeiten weit entfernet wären, bey welchen keine geschwätz, keine protections-ertheilung, kein misverstand zu besorgen, den[en] das schweigen nicht zur last, sondern eine gewohnte schuldigkeit wäre«, schrieb er seiner Mutter, »wenn es euer Mt. nur einmal versucheten, geschäfte, so die natur zu männlichen geschäften gemacht hat, durch männer versehen zu lassen, so würden euer Mt. den nemlichen unterschied spüren […].«73 Was jahrhundertelang selbstverständliche soziale Praxis gewesen war, wurde nun als spezifisch weibliche Eigenheit ausgegeben. Es erschien nun 73 Denkschrift Josephs vom 27.4.1773, in: Kretschmayr, 1934, Nr. 77, S. 52; zum Kontext vgl. Stollberg-Rilinger, 2018, S. 555-564. 42

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als Weiberart, sich an Familie, Verwandtschaft und Freundschaft zu orientieren, während nur Männer in der Lage schienen, die Staatsgeschäfte ohne Ansehen der Person zu betreiben. Im 19. Jahrhundert sollte es zum Gemeinplatz werden, dass die Natur allein die Männer zu Professionalität und Sachlichkeit befähige. Die Sphäre der Familie wurde dagegen nun zum privat-intimen Reich der Frauen umgedeutet. Während den Männern das Reich der Freiheit offenstand, wurde den Frauen das Reich der kreatürlichen Notwendigkeit, des ewiggleichen Kreislaufs der Reproduktion zugewiesen. Die Geschichtswissenschaft, deren Gegenstand das freie menschliche Handeln war, bot für Frauen daher eigentlich keinen Platz: »Weltgeschichte ist Menschheitsgeschichte, das heißt Geschichte des Mannes und seiner Entwicklung«, schrieb der Mediävist Heinrich Finke 1913 in schöner Deutlichkeit, »aufgezeichnet sind deshalb auch nur, oder vorzugsweise, die Taten des Mannes.«74 Unter diesen Vorzeichen war ein nüchterner Blick auf Maria Theresia und ihre Herrschaft nur noch schwer möglich. Es blieb kaum etwas anderes übrig, als sie ins Übernatürlich-Dämonische zu entrücken.

Gedruckte Quellen und Literatur Gedruckte Quellen Anonym, Betrachtung über die Etiquette mit Anwendung auf die Präcedenz der Gesandten und Monarchen durch Beyspiele aus der Geschichte erläutert, o.O. o. J. Cesare, Francesco Maria (Hg.), Theresia sive ostenta Dei O. M. edita pro augusta Maria Theresia Romanorum imperatrice, regina Germaniae, Hungariae, Bohemiae etc. etc. libri XIV, Wien 1752. Ghelen, Johann Peter von (Hg.), Wiennerische Beleuchtungen Oder Beschreibung Aller deren Triumph und Ehren-Gerüsten […] zu Ehren der […] Geburt […] Josephi […], Wien 1745. Hinrichs, Carl (Hg.), Friedrich der Große und Maria Theresia. Diplomatische Berichte von Otto Christoph Graf von Podewils, Königlich preußischer Gesandter am österreichischen Hofe in Wien, Berlin 1937. Karajan, Theodor G. von (Hg.), Maria Theresia und Graf Sylva-Tarouca. Mit einem Anhang ungedruckter Briefe der Kaiserin und des Grafen (Vortrag

74 Finke, 1913, S. IX. 43

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gehalten in der feierlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften am 30. Mai 1859), Anhang Nr. 30, Wien 1859. Khevenhüller-Metsch, Johann Josef, Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch, Kaiserlichen Obersthofmeisters, 1742-1776, hg. von Rudolf Khevenhüller-Metsch/Hanns Schlitter, Bd. 1, 2, 5, 6, Wien/Berlin 1907/1908/1911/1917. Kretschmayr, Heinrich u.  a. (Hg.), Die österreichische Zentralverwaltung 1491-1918, 2.  Abteilung: Von der Vereinigung der österreichischen und böhmischen Hofkanzlei bis zur Einrichtung der Ministerialverfassung (1749-1848), Bd. 3: Vom Sturz des Directoriums in publicis et cameralibus (1760/61) bis zum Ausgang der Regierung Maria Theresias (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 29), Wien 1934. Ludewig, Johann Peter von, Vollständige Erläuterung der Güldenen Bulle, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1719. Moser, Johann Jakob, Teutsches Staats-Recht, 50 Bde. und Registerbd., Nürnberg 1737-1754. Ders., Zusätze zu seinem Teutschen Staats-Recht, Leipzig 1744. Voltaire, François Marie Arouet de, Histoire de la guerre de 1741, Paris 1755. Walter, Friedrich (Hg.), Maria Theresia. Briefe und Aktenstücke in Auswahl (Freiherr-vom-Stein-Gedächtnis-Ausgabe. Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte der Neuzeit 12), Darmstadt 1968. Zedler, Johann Heinrich (Hg.), Großes Vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Halle u. a. 1731-1754.

Literatur Aretin, Karl Otmar von, Das Alte Reich 1648-1806, Bd. 2: Kaisertradition und österreichische Großmachtpolitik (1684-1745), 2. Aufl. Stuttgart 2005. Arneth, Alfred Ritter von, Geschichte Maria Theresiaʼs, Bd. 1: Maria Theresia’s erste Regierungsjahre, 1740-1741, Wien 1863; Bd. 2: Maria Theresia’s erste Regierungsjahre, 1742-1744, Wien 1864. Badinter, Élisabeth, Maria Theresia. Die Macht der Frau, Wien 2017 (frz. Original: Marie-Thérèse. Le pouvoir au féminin, Paris 2016). Bahners, Patrick, Ein Reiter wollte sie werden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. März 2017, Nr. 66, S. L15.

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Die patrimoniale Staatsauffassung der europäischen Königsfamilie als Voraussetzung weiblicher Herrschaft in der Frühen Neuzeit Lorenz Erren Warum gelangten im patriarchalen Alteuropa hin und wieder Frauen an die Macht? Paradoxerweise scheint eben die patrimoniale Staatsauffassung hierfür die Voraussetzungen geschaffen zu haben. Die These dieses Artikels lässt sich so zusammenfassen: Männliche Herrscher haben das Institut der weiblichen Erbfolge erfunden, um den patrimonialen Charakter der Monarchie zu befestigen. Frauen mussten, um ererbte Herrschaftsrechte auch faktisch selbst ausüben zu können, sich mit den politischen Nationen verbünden. Etwa dieser Vorgang soll, abweichend von der Chronologie, an drei Beispielen gezeigt werden: Elisabeth von England, Katharina II. von Russland und Maria Theresia. In Anlehnung an Klaus Zernack wird dabei unterstellt, dass »Nationen« als politische Kollektivsubjekte schon während der Neuzeit existierten.1 Das Römische Reich war niemals Familienbesitz gewesen, ebenso wenig die germanischen Reiche des Frühmittelalters, die sich als Treuegemeinschaften, als Personalverbände beim Tod eines Herrschers auflösten und vom Nachfolger erst wieder neu begründet werden mussten.2 Die Auffassung vom Staat als einem Patrimonium, über das der Herrscher ebenso frei verfügen konnte wie ein Privatmann über seine sachlichen Güter, ließ sich bekanntermaßen nie vollständig durchsetzen. Nur der Wunsch nach Privatisierung von Herrschaftsrechten kann die mittelalterlichen Kriegerkönige 1 2

Vgl. Kerski, 2010/2011, S. 132-143. Dazu die beste Einführung: Kern, 1954. 51

Lorenz Erren

fallweise dazu gebracht haben, die weibliche Erbfolge überhaupt in Betracht zu ziehen.3 Sie war jedenfalls ein naheliegendes Mittel, um die nach älteren Rechtsauffassungen eigentlich bei jedem Herrscherwechsel fällige Wahl selbst dann zu vermeiden, wenn es an Söhnen fehlte. Dass an ihrer Stelle Töchter herrschen könnten, war vorerst nicht zu erwarten. Die Funktion von Erbtöchtern bestand nur darin, die Nachfolge von Schwiegersöhnen beziehungsweise von kognatischen Enkeln und Urenkeln auch ohne Wahlakt zu legitimieren. Weibliche Erbfolge war ein seit dem hohen Mittelalter häufiger zu beobachtender juristischer Trick, mit dem der enge Machtzirkel der Verwandten und Getreuen seine Mitregierung über den Wechsel des Herrscherhauses hinweg zu retten versuchte. Zugleich bewirkte sie eine Machtverschiebung vom korporierten Kriegeradel zur Dynastie: Durch die Anerkennung von Erbtöchtern besiegelten die Großen den endgültigen Verlust der eigenen Wahlrechte. Die Herrscherhäuser Europas hingegen durften sich nunmehr selbst als eine einzige große Erbengemeinschaft betrachten, der die gesamte Christenheit kollektiv »gehörte« und die darum als »Königsfamilie« bezeichnet werden kann.4 Wenn der englische König Georg I. die Zarin Katharina I. als »seine Schwester« und diese den Römischen Kaiser Karl VI. als »ihren Bruder« anredete, dann war dies nicht im Sinne einer Blutsverwandtschaft gemeint – sondern als wechselseitige Anerkennung herrscherlicher Legitimität und matrimonialer Ebenbürtigkeit. Die Familienmetaphorik taugte zur Bekräftigung der Exklusivität des eigenen völkerrechtlichen Status sowie der Bereitschaft, die eigenen Kinder mit denen der anderen Häuser zu verheiraten. Indem sich Europas Herrscher zu Brüdern und Schwestern erklärten, eröffneten sie allen ihren Nachkommen Chancen auf die Teilhabe an der Herrschaft über ganz Europa – weit über die Territorien der eigenen Eltern hinaus. Die Existenz weiblicher Erbrechte setzte alle Königshäuser einem ewigen Interessenkonflikt aus: Welchem Ziel sollten sie Priorität einräumen? Der Sicherheit und dem Wohlstand ihrer gegenwärtigen Untertanen oder der künftigen Machtfülle ihrer leiblichen Nachfahren? Häufig genug entschieden sie sich für die letztere Option. Wie schon Immanuel Kant5 sah auch Eduard Meyer 1928 eine europäische Besonderheit darin, dass sich das Erbrecht als »dominierender Faktor selbstherrlich über den Staat« zu stellen vermochte:

3 4 5 52

Als erste Herrscherin aus eigenem Recht gilt Urraca von Léon († 1126). Vgl. Martin, 2005. Einwände gegen den Begriff erhebt: Duchhardt, 2010, S. 1f. Kant, 1796, S. 7.

Die patrimoniale Staatsauffassung der europäischen Königsfamilie »Die gesamte Geschichte der europäischen Staaten ist durchsetzt [… ] durch die ununterbrochenen Streitigkeiten, […] die aus den Erbansprüchen erwachsen, und die geradezu unabsehbare Fülle der Kombinationen und Spekulationen der Heiratspolitik, mögen sie nun den politischen Bedürfnissen entsprechen und sich erfolgreich durchsetzen oder phantastische Projekte bleiben, die aus einer ephemeren Situation auftauchen und ebenso rasch wieder verpuffen, wie z. B. in der Politik Heinrichs VIII. von England und seinen ständig wechselnden Beziehungen zu Karl V. und Franz I.«6

Gemeint waren hier immer weibliche Erbrechte. Sie waren es, die Europas gekrönte Schwiegersöhne und Schwiegerenkel Jahrhunderte lang mit Kriegsgründen versorgten, Europa im ewigen Krieg vereinten und der abendländischen Monarchie ihren überstaatlichen Charakter verliehen. Die Praxis familiärer Länderfusionen lässt sich anthropologisch erfassen.7 In der Familie, der Europa nun gehörte, galten die Prinzipien der Patrilokalität und der Patrilinealität. Die Identität des jeweiligen Familienzweiges gründete im Mannesstamm. Söhne traten an die Stelle ihrer Väter, Töchter begaben sich an den Hof ihres Gatten. Männer sorgten für Kontinuität, Frauen waren Wesen des Übergangs, im Wortsinn: Überläuferinnen. Patriarchale Selbstverständlichkeiten wie diese begründeten eine Hierarchie der politischen Loyalitäten: Männer identifizierten sich mit der Vergangenheit der Väter, Frauen nur mit der Zukunft der Söhne. Von Geburt an bewegten sich beide Geschlechter in unterschiedlichen Handlungsräumen vor unterschiedlichen Erwartungshorizonten: Männer hatten die Aussicht, eines Tages den Thron zu besteigen, Frauen eine Chance, durch Heirat in der Fürstenhierarchie sozial aufzusteigen. Männer standen für Kontinuität und Identität, Frauen für Kontingenz und Veränderung. Wie eindeutig politische Identität im Mannesstamm gründete, lässt sich am Beispiel der französischen Könige ablesen: Ludwig XIV. hatte eine Habsburgerin als Mutter und eine Habsburgerin zur Frau. Alle seine legitimen Nachkommen hatten also mehr habsburgische als bourbonische Vorfahren. Doch nicht einmal seinem Enkel Philipp, der das Königreich Spanien von den Habsburgern erbte, wäre es je in den Sinn gekommen, sich selbst als »Habsburger« zu fühlen oder zu bezeichnen. Noch im 18. Jahrhundert maßen die Könige ihrem Vatererbe höheren Wert und Rang bei als der angeheirateten Mitgift. Im Erbfall konnte es darum passieren, dass die rangliche Hierarchie von »Haupt«- und »Nebenländern« in der neu entstehenden Personalunion (bzw. der zusammengesetzten 6 7

Meyer, 1928, S. 151. Erfrischend: Wolff-Windegg, 1958; Theweleit, 2013. 53

Lorenz Erren

Herrschaft) nicht den tatsächlichen Größenverhältnissen entsprach. Die Habsburger beispielsweise benannten ihr Haus selbst nach Erwerb des souveränen Königreichs Ungarn weiterhin nach dem Erzherzogtum Österreich; die Stuarts fühlten sich nach dem Erwerb Englands weiterhin als Schotten; und die Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf blieben ihrer Heimat lange Zeit stärker verbunden als dem Russischen Reich. Das erste große Land Europas, in dem Königinnen ihre Herrschaft tatsächlich selbst ausübten, war England. Die Aufeinanderfolge von patrimonialem Kalkül und weiblichem Bündnis mit der Nation lässt sich hier besonders gut beobachten. 1525 hat König Heinrich VIII. Kaiser Karl V. die Hand seiner Tochter Mary und das halbe, noch zu erobernde, Königreich Frankreich angeboten. Er wies den Habsburger, dem bereits die Kaiserkrone, Spanien sowie ein großer Teil Deutschlands und Italiens gehörten, auf die Chance hin, eines Tages auch noch England zu erben und danach die ganze Welt zu regieren.8 Diese Idee steht am Beginn des Familiendramas, das 1588 mit der Entsendung der Großen spanischen Armada seinen Höhepunkt erreichte. Dreißig Jahre zuvor, 1554, hatte Heinrichs Tochter Mary tatsächlich einen Habsburger, Philipp II. von Spanien, geheiratet und dadurch die Nation gegen sich aufgebracht.9 Auch wenn sie sowohl gegenüber ihrem Ehemann wie auch ihren Untertanen deutlich zum Ausdruck brachte, dass sie tatsächlich selbst regieren und die englische Freiheit respektieren wolle, so konnte sie gegenteilige Befürchtungen doch nie ausräumen. Zu Recht hegten die Engländer Ängste, zum habsburgischen Nebenland degradiert zu werden, wenn nicht sofort von Mary selbst, dann eben eine Generation später von ihren Söhnen. Spaniens Machtressourcen hätten diese womöglich in die Lage versetzt, auch auf der britischen Insel die unumschränkte Monarchie einzuführen und Englands Ressourcen für Zwecke abzuziehen, die sie anderswo – etwa in Frankreich oder Italien – verfolgten. Gegen diese Perspektive richtete sich das Pamphlet des schottischen Reformators John Knox: First Blast of the Trumpet against the monstrous Regiment of Women. Knox verfasste es in den 1550er Jahren, als in England und Schottland Königinnen regierten, die beide mit katholischen Königen liiert waren. Neben drastischen frauenfeindlichen Ausfällen enthält es eine deutliche Ablehnung weiblicher Erbrechte und der Länderfusionen, die sie zur Folge hatten. Denn Gott, so Knox, »hat die Erde nicht erschaffen, um den Ehrgeiz von zwei oder drei Tyrannen zu befriedigen, die alles für Recht erklären, was durch Gewalt und Mord besessen werden kann, sondern für den gesamten Samen Adams; 8 9 54

Vgl. Levine, 1973, S. 145f. Zur Problematik dieser Ehe vgl. Beem, 2006, S. 63-100.

Die patrimoniale Staatsauffassung der europäischen Königsfamilie

und er hat den verschiedenen Nationen ihre jeweiligen Siedlungsgebiete zugewiesen« – und er kommt zu dem Schluss, dass der Erwerb von Provinzen und Königreichen durch Heirat, so wörtlich, nichts anderes sei als »widerrechtliche Eroberung«.10 Dazu ist es nach dem Tod der kinderlosen Mary nicht gekommen. Ihre Nachfolgerin, Elisabeth, hat sich mit keinem Mann, sondern stattdessen symbolisch mit der englischen Nation verheiratet.11 Dass England nach ihrem Tod dennoch zum Nebenland einer ausländischen Familie, nämlich der schottischen Stuarts herabsank, hat sie nicht verhindert. Das erschien auch nicht zwingend nötig, da Schottland, wie schon Heinrich  VII. seinerzeit bemerkt hatte, viel zu schwach war, um England zur Provinz zu degradieren.12 Die beiden englischen Revolutionen und die fortgesetzten Aufstandsversuche der Jakobiten im 17. und 18. Jahrhundert zeigen aber deutlich genug, dass selbst bei dieser – doch so natürlich erscheinenden – Länderfusion die Umkehrung der Geschlechterhierarchie Probleme hervorrufen konnte. Eine noch schwierigere Situation ergab sich im 18. Jahrhundert in Russland. Zwar waren Großfürsten und Zaren im Mittelalter wiederholt dynastische Ehen mit europäischen Häusern eingegangen. Doch nach dem Aussterben der Daniloviči (der Moskauer Linie der Rjurikiden) betrieben die 1613 neu gewählten Romanovs eine Politik der matrimonialen Isolation. Sie hielten Brautschau im eigenen Land und ließen ihre Töchter unverheiratet.13 Darum waren sie vor 1710 nicht wirklich Teil der europäischen Königsfamilie und die Monarchie in Russland entwickelte keinen überstaatlichen Charakter. Reformzar Peter  I. stand vor einem Dilemma: Er wollte die Zarenkinder mit europäischen Häusern verheiraten, ohne Russland der Gefahr von Erbfolgekriegen auszusetzen. Seine Heiratspolitik und sein Thronfolgegesetz, nach dem jeder Herrscher seinen Nachfolger frei bestimmen durfte, müssen im Zusammenhang gesehen werden.14 Trotz dieses Gesetzes ergab sich bald eine Spannung zwischen der patrimonialen Staatsauffassung seiner deutschen Schwiegersöhne und dem Selbstbehauptungswillen der russischen Nation – und eben diese Spannung erklärt, warum in Russland bald nur noch Frauen regierten. Dass Katharina II. – eine angeheiratete Deutsche – so lange und erfolgreich regieren konnte, hat das im 10 Knox, 1878, S. 46f. 11 Die »Ehe der Königin mit der Nation« ist ein etablierter Gemeinplatz der englischen Historiographie. Vgl. z. B. Hackett, 1995; Beem, 2006, S. 12-23. 12 Levine, 1973, S. 143. 13 Dazu ausführlich: Martin, 2012. 14 Vgl. dazu: Erren, 2016. 55

Lorenz Erren

naiven Erb-Monarchismus befangene Westeuropa für ein Wunder gehalten.15 Das war es keineswegs: Schon dreißig Jahre zuvor, 1730, hatte die russische Nation eine Frau, Anna Ivanovna zur Selbstherrscherin gewählt, und schon damals zum selben Zweck: Um die Herzöge von Schleswig-Holstein vom Thron fernzuhalten, die Russland nur als Ressource im Kampf um die Schaffung eines Gottorfischen Ostsee-Gesamtreiches betrachteten.16 Der holsteinische Minister Görtz hatte 1713 den Zaren auf die Möglichkeit hingewiesen, Karl XII. zu stürzen und durch dessen Neffen Karl Friedrich zu ersetzen, der mit Russland sofort Frieden schließen werde, sofern er zugleich die Hand einer Zarentochter und die baltischen Provinzen erhalten könne. Verbündet wären Russland und Schweden stark genug, um Dänemark zu zerstückeln. Norwegen, Schonen, Schleswig und die zollfreie Sundpassage winkten als Beute.17 Das war im Groben das Programm, dem die Gottorfer jahrzehntelang folgten. Vor wie nach dem Frieden von Nystad machte Herzog Karl Friedrich (der postume Schwiegervater Katharinas II.) sich zunächst zum Instrument russischer Vorfeldpolitik in Schweden. Indem er sich in Petersburg als schwedischer Ersatzkönig bereithielt, erschwerte er Friedrich I. von Hessen-Kassel die Restauration der absoluten Monarchie und die Vorbereitung eines schwedischen Revanchekrieges gegen Russland. Doch war diese Strategie zweischneidig, janusköpfig und doppelzüngig. In Petersburg sprach er von der Macht der holsteinischen Partei in Schweden, die es angeblich kaum erwarten konnte, mit ihm als König an der Seite des starken Russland gegen Dänemark zu kämpfen. In Stockholm aber warben seine Parteigänger mit der Prognose um Unterstützung, dass die Russen nach dem Tod Peters in ihre frühere Trägheit zurückfallen und den Neffen Karls  XII. nicht daran hindern würden, sich auf diesem oder jenem Weg in den Besitz der baltischen Provinzen zu bringen – sei es durch Belehnung, sei es als Mitgift für seine Ehefrau, Anna Petrovna. Es war die holsteinische Partei, die bei Machtantritt Katharinas  I. in Europa das Gerücht verbreitete, diese Frau werde bald schwedische 15 Zur westeuropäischen Wahrnehmung vgl.: Meehan-Waters, 1975. 16 Die im Testament der 1727 verstorbenen Zarin Katharina I. eigentlich zur Nachfolge bestimmte Linie war mit Herzog Karl Friedrich von Schleswig-Holstein-Gottorf liiert, der sich durch seine Ambitionen in Russland allgemein verhasst gemacht hatte. Vgl. Bacmeister, 1863; Wittram, 1964; Nekrasov, 1964; Chance, 1923, Bagger, 1974; Rauch, 1957; Leitsch, 1958; Hübner, 1984; Neuschäffer, 1999; Ivanov, 2007. 17 Zur holsteinischen Politik vgl. Bacmeister 1863; Wittram, 1964; Chance, 1923; Bagger, 1974; Rauch, 1957; Leitsch, 1958; Hübner, 1984; Neuschäffer, 1999; Ivanov, 2007. 56

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Truppen in ihr Land rufen müssen, um sich gegen die kommenden Aufstände zu wappnen. Diese Truppen würden Petersburg und die baltischen Festungen besetzen, die sie dann zur Entschädigung auch gleich behalten dürften.18 Als die Zarin im Sterben lag, wollte der Herzog aus Peters Thronfolgegesetz die Zulässigkeit einer Erbteilung herauslesen: Peters Töchter Anna und Elisabeth würden dem jungen Großfürsten, Peter II., die russische Sukzession überlassen und sich selber mit Estland und Livland zufrieden geben.19 Wie man sieht, war die holsteinische Ehe keineswegs nur ein Symbol der Aussöhnung Schwedens und Russlands. In gewisser Weise war sie die Fortsetzung des Großen Nordischen Krieges mit anderen Mitteln. Die Herzöge von Holstein identifizierten sich im Zweifelsfall doch eher mit Schweden als mit Russland und sahen nicht im Großen Peter, sondern in Karl XII. ihren Abgott.20 Sie waren Feinde in Lauerstellung und wurden in Petersburg von vielen auch für solche gehalten. Und hat man je gefragt, warum eigentlich Peter (III.) ausgerechnet den Preußenkönig zu seinem Idol erhob? Und wann? Als er 1739 Vollwaise wurde, hatte er kaum Aussichten auf den russischen, aber umso bessere auf den schwedischen Thron. Zur selben Zeit hatte im dortigen Reichstag gerade die Partei der »Hüte« das Übergewicht erlangt, die aus der holsteinischen Partei hervorgegangen war, die den Rückgewinn der 1721 an Russland abgetretenen baltischen Provinzen anstrebte und Peter als natürlichen Nachfolger des kinderlosen Königs Friedrich I. ansah. Der Einfall Friedrichs II. in Schlesien schwächte das mit Russland verbündete Österreich und brachte die schwedische Kriegspartei in eine ideale Angriffsposition. Als der lang erwartete schwedisch-russische Krieg 1741 endlich ausbrach, stand der holsteinische Hof fest auf der Seite Schwedens, das mit Preußen faktisch verbündet war. Wäre der Prinz in diesem Moment auf den schwedischen Thron gelangt, dann hätte er als König Karl XIII. Seite an Seite mit Friedrich dem Großen gegen Österreich und Russland gekämpft. Nach 18 Zu solchen Vorstellungen vgl. Rauch, 1957; Hammarlund, 1985, S.  42f.; Leitsch, 1958. 19 Vgl. die Relation des kaiserlichen Gesandten aus Petersburg vom 7./18.3.1727 an Sinzendorf, in: Erren/Schedewie, 2016, https://quellen.perspectivia.net/de/ russische_relationen/0385 (10.10.2018.) 20 Nach dem Tod von Herzog Karl Friedrich (1739) wurde Gustav von Adlerfeld zum Erzieher des Waisenkindes ernannt, der Karl XII. nicht nur als Soldat gedient, sondern auch eine offizielle Biographie dieses Königs verfasst hatte, die von 1740 an in drei Sprachen (Deutsch, Französisch und Englisch) erschien. Viele weitere Hinweise auf die proschwedische Haltung des holsteinischen Herzogs bei: Stählin, 1866; Ivanov, 2007. 57

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dem Willen einer schwedisch-holsteinischen Hofpartei hätte er dies sogar als holsteinischer Herzog tun sollen. Man beabsichtigte, ihn von Schweden aus an die russische Grenze heranzuführen, ihn dort zum russischen (Gegen-)Kaiser Peter III. auszurufen, in dessen Eigenschaft er dann die gegnerischen russischen Truppen zum Überlaufen bzw. zum Sturz der Regentin Anna Leopol’dovna bewegen würde.21 Aus diesem Stoff war der Knabentraum, aus dem er auch als russischer Großfürst, und selbst als Zar nicht mehr erwachen wollte: Gemeinsam mit Friedrich gegen die Feinde Schwedens und Holsteins zu Felde zu ziehen. Warum ist dieser Zusammenhang so selten bemerkt worden? Eine Ursache sehe ich in der literarischen Begabung seiner Witwe. Ihre psychologisch fesselnd geschriebenen Memoiren haben es dem modernen Leser allzu leicht gemacht, das Schicksal Peters III. auf dessen Charaktermängel zurückzuführen und dabei den politischen Sinn seiner Haltung zu übersehen. Wenig spricht dafür, dass sie ihre Leser bewusst in die Irre führen wollte. Schließlich war zu ihren Lebzeiten jedermann bekannt, dass sie der später verfemten holsteinischen Partei anfangs selbst angehört hatte und eben darum zu seiner Braut bestellt worden war,22 und dass alles bisher erzählte bereits zu ihrer eigenen Familiengeschichte gehörte. Im Auftrag ihres Großvaters, der damals schon für ihren noch minderjährigen Schwiegervater die Regentschaft ausübte, hat Görtz 1713 die russische Heirat angebahnt. Katharinas Mutter, Johanna Elisabeth, war 1726 als Braut für Peter  II. vorgesehen gewesen, bevor sie sich mit Prinz Christian August von Anhalt-Zerbst abfand. Als General im preußischen Dienst kommandierte dieser Fürst die Festung Stettin, die nur durch holsteinische Intrigen in preußischen Besitz übergegangen war und in der 1729 dann seine berühmte Tochter, die spätere Zarin, zur Welt kam. Dass Friedrich II. diese Prinzessin später der Zarin Elisabeth I. als Braut für den Thronfolger vorschlug, muss der Lobbyarbeit ihrer holsteinischen Mutter zugeschrieben werden, die sich zugleich andiente, in Russland als preußische Einflussagentin zu wirken.23 Man darf vermuten, dass auch Katharina sich einige Zeit für die holsteinische Sache durchaus zu engagieren bemüht war,24 bevor sie einsah, dass all ihre soziale Intelligenz nicht ausreichen würde, den Autismus ihres Gatten zu heilen oder zu kompensieren – und

21 Vgl. dazu Ivanov, 2007, S. 150-162. 22 Zur Anbahnung der Ehe: Hübner, 1984, S. 54f. und v. a. Siebigk, 1873. Katharinas leiblicher Onkel Adolph Friedrich (I.), der ältere Bruder ihrer ehrgeizigen Mutter, war zugleich Vormund ihres (noch minderjährigen) Bräutigams. 23 Vgl. dazu Stählin, 1866; Siebigk, 1873; Liechtenhan, 1997. 24 Hübner, 1984, S. 96-98. 58

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dass sie folglich ihr eigenes Schicksal von seinem trennen musste,25 um nicht eines Tages mitsamt Kindern am Polarkreis hinter einem Bretterzaun lebendig begraben zu werden, wie dies ihrer Vorgängerin Anna Leopol’dovna nach dem Umsturz von 1741 passiert war.26 Den Identitätswechsel, der Frauen traditionell zugemutet wurde, vollzog sie nicht im Moment ihrer Heirat, sondern erst danach: Sie kehrte der holsteinischen Partei den Rücken27 und vermählte sich mit der russischen Nation. Der Staatsstreich von 1762 war so gesehen ein nachgeholter Erbfolgekrieg en miniature: Russland, die russische Nation, wehrte sich erfolgreich dagegen, vom Haus Schleswig-Holstein-Gottorf »geerbt« und zum Nebenland eines Gottorfischen Ostseeimperiumus degradiert zu werden. England und Russland waren zwei Nationen (im Zernackschen Sinne), denen die Geographie half, sich dem Zugriff der habsburgischen bzw. holsteinischen Erben zu entziehen. Ihre Insel- beziehungsweise Randlage erschwerte es potentiellen Thronprätendenten, ihre Ansprüche mit Hilfe fremder Mächte militärisch durchzusetzen. Die habsburgische Ländermasse genoss keinen solchen Schutz. Sie befand sich mitten auf dem Kontinent, in dessen westlichem und mittlerem Teil der patrimoniale Charakter der Monarchie besonders stark ausgeprägt war. Hier hatte der männliche Teil der Königsfamilie größte Routine darin, Länder zu heiraten und Erbinnen beiseite zu schubsen – eben dies war es, was der bayerische Kurfürst Karl  (VII.) Albrecht mit Maria Theresia vorhatte. Warum ihm das trotz französischer und preußischer Militärhilfe nicht gelang, bedarf einer eigenen Erklärung. Zunächst kam seiner Gegnerin der Umstand zugute, dass zur Erbmasse auch Ungarn gehörte, wo eine selbstbewusste Nation immer noch existierte, die ihrerseits gerade in einer weiblichen Herrschaft die Chance witterte, ständische Privilegien zu erneuern und zu befestigen. Der Pressburger Reichs25 Vgl. Katharina II, 1859, S. 301. 26 Die 1718 in Rostock als Prinzessin Elisabeth Katharina Christine von Mecklenburg geborene Anna Leopol’dovna hatte als Mutter des Zaren Ivan VI. ein Jahr lang die Regentschaft über Russland ausgeübt, bevor sie durch Elisabeth I. gestürzt und in ewige Verbannung geschickt wurde. Vgl. Boetticher, 1998. 27 Die erst 1690 in den Reichsfürstenstand erhobene Familie ihres erst 1742 zum Mitregenten des winzigen Anhalt-Zerbst erhobenen Vaters (Christian August, 1690-1747) spielte im Leben Katharinas so gut wie keine Rolle. Bei den Verhandlungen über die Heirat der Tochter wurde der Vater schlicht übergangen (Siebigk, 1873, S. 129-134). Ihr Bruder Friedrich August (1734-1793) brachte ihre Familie später u. a. dadurch in Verruf, dass er Landeskinder als Soldaten an die Engländer verkaufte. 59

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tag und die Krönung von 1741 symbolisierten die Heirat der Königin mit der ungarischen Nation.28 Diese Ehe soll unter manchen Wiener Perücken großes Unbehagen ausgelöst haben.29 Warum? Die Angst der Zentralbürokratie vor der Widerborstigkeit ungarischer Stände erklärt es vielleicht nicht vollständig. Die düstere Ahnung, dass die junge Herrscherin sich dort eine Machtressource erschloss, die ihr gegenüber dem Wiener Hof und dem österreichischen Adel größere Unabhängigkeit verschaffte, mag ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Womöglich war man auch in Österreich darüber geschockt, dass die von Geburt an zur Thronerbin bestimmte Maria Theresia tatsächlich selbst regieren wollte. Nach Vorstellung vieler Höflinge hätte ihre Funktion doch wohl darin liegen sollen, die Legitimation auf einen Mann oder mehrere Männer zu übertragen, die dann in ihrem oder im Namen ihres Sohnes alle Entscheidungen fällen wurden. Nicht in Maria Theresia, sondern in ihrem Ehemann Franz Stephan glaubten Zeitgenossen wie der bayerische Kurfürst Karl Albrecht und der preußische König Friedrich anfangs ihren Gegenspieler zu haben.30 Karl Albrecht stützte seine rivalisierenden Ansprüche auf das Argument, dass im weiblichen Erbfall nicht die Regeln der Primogenitur gelten müssten, sondern des Regredienten-Erbrechts, was so viel bedeutete, dass nicht die älteste Tochter des zuletzt regierenden Fürsten, also nicht Maria Theresia, sondern nach Bestimmung eines Vertrags von 1546 der älteste Nachfahre der ältesten Tochter des Kaisers Ferdinand  I., hätte erben sollen, und das war er selbst.31 Zweifellos wurde dieser Anspruch von vielen ernst genommen.32 In zahlreichen Darstellungen wird eine »pro-bayerische Stimmung«, erwähnt, die am Hof wie in der Stadt um 1740 von »Einfluss-Agenten« des bayerischen Kurfürsten erfolgreich geschürt worden sei.33 Vieles deutet darauf hin, dass man selbst bis in die höchsten Kreise des Wiener Hofes hinein bis zuletzt eine »bayerische Lösung« für möglich oder gar wünschenswert hielt. Das politische Argument lautete, dass eine Verbindung zwischen Bayern und Österreich sinnvoller sei als die zwischen Lothringen und Österreich. Die Gefahr einer Aufteilung des 28 Zu Maria Theresias Beziehung zu Ungarn: Guglia, 1917, S.  97-112; Barcsay, 2002; Stollberg-Rilinger, 2017, S. 80-96. 29 Guglia, 1917, S. 100, 111. 30 Zur anfänglichen Unsichtbarkeit Maria Theresias vgl.: Guglia, 1917, S.  52-96; Braun, 2018, S. 117-131. Siehe auch den Beitrag von Schnettger in diesem Band. 31 Zur bayerisch-österreichischen Krise 1740 ausführlich: Arneth, 1864; Heigel, 1877, S. 12-43. 32 Vgl. Hartmann, 1985, S. 102-108, 163-166. 33 Heigel, 1877, S. 39-42; Stollberg-Rilinger, 2017, S. 71f. 60

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habsburgischen Gesamtbesitzes erschien nicht jedermann als ein tödliches Unglück oder als Tabu, sondern als eine Chance zur territorialen Neuordnung im Interesse auch der Untertanen, des übrigen Römischen Reiches bzw. des Friedens in Europa.34 Die bayerische Propaganda appellierte auch an den deutschen Patriotismus: Zusammenwachsen sollte, was zusammengehörte und der Bayer sei als »guter Deutscher« ein würdigerer Erbe der habsburgischen Macht als der »welsche« Lothringer. Nach Meinung aller Biographen war Karl Albrecht von seinen Ansprüchen überzeugt. Er war von seinem Vater, Max Emanuel, in diesem Sinne erzogen worden. Seine Politik umfasste sowohl eine juristische Argumentation, gute Beziehungen zu Frankreich und nicht zuletzt eine politische Propaganda, deren Adressat der Wiener Hofstaat und die österreichische Öffentlichkeit war, einschließlich der niederen Stände. Man könnte von einer »Umarmungsstrategie« sprechen. Die Übernahme Österreichs durch Bayern wollte als eine »freundliche« aufgefasst werden. Karl Albrechts Bestrebungen waren ein Faktor der europäischen Politik, den alle Höfe in Rechnung stellten. Der Kurfürst verfolgte eine Doppelstrategie: Er drohte mit Gewalt und präsentierte sich zugleich als geeigneten Kandidaten. Er pochte auf unveräußerliche Erbrechte und wäre doch bereit gewesen, den habsburgischen Gesamtbesitz mit anderen Fürsten zu teilen.35 Auch Prinz Eugen befürwortete um 1735 eine bayerische Lösung, und zwar im Rahmen eines Ausgleichs mit Frankreich. Es gibt sogar Anzeichen dafür, dass selbst Karl  VI. sich diese Option zumindest als Ersatzvariante offenhalten wollte.36 Halten wir fest: Mindestens bis zu dem Moment, in dem Maria Theresia tatsächlich die Macht antrat, hielt man eine Nachfolge des bayerischen Kurfürsten in Österreich keineswegs für unmöglich. In diesem Fall wäre die Hauptstadt womöglich nach München verlegt worden; zumindest wäre der Münchner Hofstaat nach Prag, Innsbruck oder Wien umgezogen und hätte dort den Ton angegeben. Keine habsburgische Erzherzogin, sondern ein Wittelsbacher Kaiser hätte in dieser Monarchie »die Hosen angehabt« und die Richtlinien der Politik bestimmt. Was sprach für den anderen Mann: Franz Stephan von Lothringen? Seiner Ehe mit der Thronerbin waren fast 40 Jahre Heiratsdiplomatie vorausgegan34 Typisch in diesem Sinn war die anonyme Flugschrift: Reflexions d’un cosmopolite, 1740. 35 Heigel, 1877. 36 Zur Position Eugens: Arneth, 1871, S. 165f.; Arneth 1863, S. 23. Zu bayerischen Drohungen und österreichischen Reflexionen über bayerische Alternativvarianten: Arneth, 1863, S. 28-56; Ingrao, 1983, S. 11f.; Kraus, 1988, Bd. 2, S. 513-532. 61

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gen.37 Selbst der Prinz Eugen hatte seinerzeit die Herzöge beraten, wie sie sich am Wiener Hof richtig verhalten sollten, um ihre Chancen zu optimieren. Doch scheint diese Verbindung für Eugen ihren Sinn verloren zu haben, sobald feststand, dass die Koalition mit den Seemächten nicht mehr herzustellen war. Wenn er sich 1735 für den Wittelsbacher aussprach, dann mit dem Wunsch, die Heiratspolitik an eine Außenpolitik anzupassen, die den Ausgleich mit Frankreich anstrebte. Die stattdessen getroffene Entscheidung, diesen Ausgleich herbeizuführen und die Thronerbin trotzdem mit dem Lothringer zu verheiraten, musste ja paradox wirken. Selbst der Verzicht des Herzogs auf Lothringen konnte das Problem nicht aus der Welt schaffen. Der Kurfürst von Bayern jedenfalls warnte Fleury davor, dass Franz Stephan, sobald seine Frau die Nachfolge angetreten habe, um den Rückgewinn seiner Stammlande kämpfen werde. Gegenüber Wien erneuerte er sein Angebot und fragte unverblümt, warum man sich dort nicht traue, einen Fürsten, der so unbedeutend war, dass er »weder nutzen noch schaden konnte«, einfach beiseite zu schieben?38 Aus ähnlichen Gründen waren auch in Wien viele Höflinge um 1738 der Meinung, dass Maria Theresia mit »dem falschen Ehemann«, verheiratet war – ein Problem, das die Thronerbin laut Stollberg-Rilinger »nicht in der Hand hatte«.39 Aber wer weiß? Vielleicht bestand aus Sicht Maria Theresias gerade hierin sein eigentlicher Vorzug: Dass er keine eigene Hausmacht mehr besaß, dass er zu einer »feindlichen Übernahme« folglich nicht fähig war und nicht mehr sein konnte als ein Prinzgemahl. Betrachten wir ihn in dem Moment, in dem er auf seine Stammländer verzichtete: Der Überlieferung nach soll er dreimal die Feder in die Hand genommen und wieder fallen gelassen haben, bevor er unterschrieb. Seine Mutter, die verwitwete Herzogin von Lothringen und stolze Schwester des einstigen Regenten von Frankreich, Philippe de Bourbon, machte keinen Hehl daraus, wie sehr sie ihn für diesen Schritt verachtete. Sie empfand es als eine Schande, dass ihr Sohn kein souveräner Fürst mehr war. Sie warf ihm vor, weder sie, noch sein Haus, noch sein Land je geliebt zu haben und kündigte an, sich an den Hof von Versailles zu begeben, wo man sie ihrem Stand entsprechend behandeln werde.40 War das nicht paradox? Selbstbehauptung gegenüber Frankreich einzufordern und zugleich mit der Abreise eben dorthin zu drohen? Nach den Normen der Königsfamilie handelte es sich um eine logische Reaktion. Die Mutter Franz Stephans dachte in dieser Frage womöglich ähnlich wie 37 38 39 40 62

Arneth, 1864; Zedinger, 1994. Heigel 1877, S. 20, 299. Stollberg-Rilinger, 2017, S. 61. Arneth, 1864, S. 28-33.

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Peter III.: Die vom Vater ererbte Souveränität eines kleinen Fürstentums zählte mehr als eine angeheiratete Ländermasse, so groß diese auch sein mochte. Und wenn der Sohn seinen eigenen fürstlichen Rang preisgegeben hatte, so lag es für die Mutter nahe, in ihr königliches Vaterhaus zurückzukehren, um keinen sozialen Abstieg hinnehmen zu müssen. Der Tauschhandel: Verzicht auf das Vatererbe, um eine reiche Tochter zu heiraten, war anstößig, da er die Umkehrung der Geschlechterrollen implizierte: Franz Stephan vollzog den Übergang, der normalerweise Frauen zugemutet wurde: Er brach mit der politischen Identität seiner Väter, wechselte an den Hof seiner Partnerin und ließ sich letztlich auf seine biologische Funktion reduzieren.41 Betrachten wir den Vorgang aus der Sicht einer anderen Frau, Maria Theresias selbst. Sie balancierte auf des Messers Schneide: Als Herrscherin aus eigenem Recht brauchte sie einen Mann zur Erzeugung legitimer Erben, aber ohne diesem dann untertan zu sein. Franz Stephan war in gewisser Weise das Gegenteil Zar Peters III. Er verzichtete auf sein Erbe und fügte sich in die Rolle des Prinzgemahls. Doch barg diese Politik auch für die Gemahlin ein beträchtliches Risiko. Die Entmachtung des Mannes, der Tausch der politischen Geschlechterrollen, war womöglich einer der Faktoren, welche 1741 zur Eskalation führten. Eine europäische Öffentlichkeit, die noch keine Gelegenheit gehabt hatte, sich vom Ehrgeiz und den Fähigkeiten Maria Theresias zu überzeugen, musste eine Frau, die keinen starken Mann, sondern einen harmlosen Prinzgemahl an ihrer Seite hatte, für eine »nackte Königin«, für ein leichtes Opfer halten.42

Soweit die drei Beispiele – welche Schlussfolgerung lässt sich aus ihnen ziehen? Die Historiographie insbesondere der letzten 40 Jahre hat sich recht schwergetan, derartige Sujets überhaupt zu erkennen, geschweige denn angemessen zu beschreiben.43 Dabei gab sie bereitwillig zu, dass frühneuzeitliche Herrscher oft sogenannte »dynastische Interessen« verfolgten, die mit denen des Staates kei41 Von Franz Stephans lebenslangem Außenseiterdasein zeigten sich Zeitgenossen wie Johann Joseph Khevenhüller peinlich berührt. Vgl. Stollberg-Rilinger, 2017, S. 150-157. 42 Drastische Belege bei: Stollberg-Rilinger, 2017, S. 96-114. 43 Dies gilt v. a. für das von Heinz Duchhardt herausgegebene Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen wie auch für nahezu sämtliche Publikationen, in deren Titel die Begriffe »Dynastie« oder »Personalunion« 63

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neswegs zur Deckung kommen mussten. Johannes Kunisch hat diese Erkenntnis vor knapp vier Jahrzehnten in einigen prägnanten Sätzen zusammengefasst, die seitdem von vielen Handbüchern im Wortlaut zitiert werden.44 Gleichwohl bleibt es erstaunlich, wie viel kognitive Dissonanz manche Historiker auszuhalten bereit sind, um den neuzeitlichen Fürstenstaat für latent rational, allgemeinwohlfördernd und friedensfähig halten zu können, anstatt in ihm den menschenverschlingenden Parasiten zu erkennen, der er tatsächlich war.45 Immer noch wird den Dynastien weithin die Rolle von »Landeseltern« zugebilligt, die den Nationalstaat schufen, sich zunehmend die Interessen der Untertanen zu eigen machten oder gar »für ein friedliches Europa heirateten«46. Johannes Burkhardt etwa bestreitet keineswegs, dass »die Familienbeziehungen der staatlichen Repräsentanten« noch im 18. Jahrhundert »die zwischenstaatlichen Beziehungen überlagert und mit Kriegsgründen versorgt haben«; er besteht aber zugleich darauf, diesen – offenkundig durch das toxische System Erbmonarchie bedingten – Umstand als »systemwidrig« zu bezeichnen.47 Somit leugnet ein großer Teil der heutigen Geschichtswissenschaft den systembedingten Antagonismus zwischen Fürsten und Untertanen, der den Zeitzeugen Rousseau und Kant als Gemeinplatz gegolten hatte:48 Dass der König von Frankreich nebenbei seine ureigenen Familieninteressen schützte, wenn er einem deutschen Kleinfürsten zur Durchsetzung von dessen Erbansprüchen verhalf, und dass die hohe Bereitschaft der Könige zur Einmischung in Erbfolgekriege sich unmittelbar aus ihrer Familiensolidarität erklärt. Gemeinsam regierten sie Europa, und gemeinsam verteidigten sie in ganz Europa die Prärogative von ihresgleichen gegen die Emanzipationsversuche der Untertanen.49

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auftauchen (vgl. Weber, 1981; Weber, 1998; Wunder, 2001; Duchhardt, 1997; ders., 2010; Peters, 2008). Vgl. v. a. Kunisch, 1979, S. 75-80. Stellenweise nähert sich Wolfgang Reinhard einer solchen Bewertung an, wobei er die Rolle der Dynastie im übrigen übersieht bzw. missdeutet. Reinhard, 2007, S. 7-14. So explizit: Peters, 2008, S. 12. Einwände gegen die Dynastiefreundlichkeit der jüngeren Historiographie bei: Pečar, 2011. Burkhardt, 1997, S. 541. Vgl. Kant, 1796: Rousseau, 1952; Belege für die Popularität dieser Sicht am Ende des 18. Jahrhunderts bei: Campe 1790; Ranke, 1875; Israel 2017, S. 7-11. Zur prekären Stellung nichtmonarchischer Gemeinwesen im diplomatischen Zeremoniell vgl.: Krischer 2009.

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Hier wäre auf die Frage zurückzukommen, ob es Staaten während der Neuzeit eigentlich gegeben hat. Tatsächlich mehren sich in jüngeren Lehrbüchern salvatorische Einleitungsklauseln der Art, dass sich in damaligen Konflikten »keine Staaten in modernem Sinn gegenüberstanden«, sondern »dynastische Gebilde« und »heterogene Länderkomplexe«, Fürstenfamilien und ständische Vertretungen.50 Inzwischen wird sogar behauptet, dass Europa nach dem Westfälischen Frieden noch kein System souveräner Staaten gebildet habe und Souveränität eher ein sozialer Status der Herrscher gewesen sei als ein Attribut der beherrschten Länder.51 Wollte man das ernst nehmen – und es spricht ja sehr vieles dafür –, müsste man anstelle des konventionellen Staats-Paradigmas nicht ein anderes entwickeln, um europäische Mächtepolitik verstehen und erklären zu können? Ein Paradigma, das es den Autoren von Schul- und Handbüchern erlauben würde, die Spannung abzubilden, die in diesem Beitrag nur an Einzelbeispielen illustriert wurde: die Spannung zwischen der patrimonialen Herrschaftsauffassung der gekrönten Erbengemeinschaft einerseits und den – nach Emanzipation strebenden – politischen Nationen anderseits.

Gedruckte Quellen und Literatur Gedruckte Quellen Adlerfeld, Gustav von, Leben Carls des Zwölften, Königs von Schweden, auf desselben Befehl beschrieben von Herrn Gustav von Adlerfeld, Königlichen Kammerherrn, mit Anmerkungen erläutert und fortgesetzt, wie auch mit nötigen Abrissen versehen, Frankfurt 1740. [Anonym], Reflexions d’un cosmopolite, 1740. Bacmeister, Christian, Beyträge zur Geschichte Peters des Großen, 3 Bde., Riga 1774-1784. Campe, Heinrich, Briefe aus Paris zur Zeit der Revolution geschrieben, Braunschweig 1790. Erren, Lorenz/Schedewie, Franziska (Hg.), Relationen vom russischen Hof. Berichte europäischer Diplomaten, 1690-1730. Moskau 2016. https://quell​ en.perspectivia.net/de/russische_relationen/start, 12.7.2019.

50 Vgl. z. B. Freist, 2008, S. 78. 51 Krischer, 2009; Stollberg-Rilinger, 2017, S. 13. Zum Kontrast: Malettke, 2013, S. 9-113. 65

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Katharina II., Mémoires de l’Impératrice Catherine II., écrits par elle-même, et précédés d’une préface de A. Herzen. 2. Aufl. Londres 1859. Kant, Immanuel, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Frankfurt 1796. Knox, John, First blast of the trumpet against the monstrous regiment of women (1558), London 1878. Rousseau, Jean-Jacques, Urteil über den Ewigen Frieden, in: Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, hg. von Kurt von Raumer, Freiburg 1952, S. 369-378.

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Die patrimoniale Staatsauffassung der europäischen Königsfamilie

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Die Herrscherinnen und der Hof

»Codesta nuova corte« Außensichten auf den Wiener Hof im Spätjahr 1740 Matthias Schnettger Der Regierungsantritt Maria Theresias am 20. Oktober 1740 war – jedenfalls zu diesem Zeitpunkt – eine Überraschung und eine Herausforderung, nicht nur für viele Verantwortungsträger am Wiener Hof, sondern auch für die anderen europäischen Höfe und Regierungen. Zwar hatte Karl VI. alle ihm möglichen rechtlichen und diplomatischen Vorkehrungen getroffen, um einen reibungslosen Herrschaftsübergang an seine älteste Tochter zu gewährleisten. Was diese Versicherungen aber wert waren, musste sich im Ernstfall erweisen. Und dieser Ernstfall trat nun völlig überraschend ein. Karl VI. war erst 55 Jahre alt und starb ganz unerwartet, nach nur kurzer Krankheit, sodass die Zeit für die konkreten Vorbereitungen auf den Regierungswechsel äußerst knapp war. Dies galt nicht nur für den Wiener Hof selbst, sondern noch mehr für die anderen europäischen Höfe und Regierungen.1 Dieser Aufsatz untersucht, wie der Regierungsantritt Maria Theresias von anderen Höfen und Regierungen und deren Vertretern am Wiener Hof wahrgenommen wurde. Was wurde berichtet und wie wurde das Berichtete bewertet? Einem derartigen Blick von außen dürften zwar manche Interna des Wiener Hofes entgangen sein, bisweilen vermag ein solcher Blick aber auch Dinge kla1

Noch in seiner Finalrelation von 1744 berichtete der venezianische Gesandte Pietro Andrea Capello, Karl  VI. habe angesichts der schlechten Gesundheit seiner Gemahlin die Möglichkeit einer zweiten Heirat und einer männlichen Nachkommenschaft nicht ausgeschlossen und daher auch die Wahl seines Schwiegersohns Franz Stephan von Lothringen zum Römischen König zurückgestellt. Finalrelation des Pietro Andrea Capello. 1744, in: Arneth, 1863, S. 221-289, hier S. 221. 73

Matthias Schnettger

rer zu sehen, als dies aus einer Innenperspektive heraus möglich wäre – zumal dann, wenn ein an seinem Dienstort gut vernetzter Diplomat keine reine Außenperspektive einnahm. Manche Dinge, die für einen Untertan unsagbar waren, konnte ein ausländischer Diplomat oder dessen Auftraggeber ohne Hemmungen ansprechen. Nicht zuletzt aber fanden etwa vertrauliche Gespräche häufiger ihren Niederschlag in diplomatischen Korrespondenzen als in internen Hofakten. Eine solche Außenwahrnehmung ist auch deswegen relevant, weil in der Société des Princes (Lucien Bély) für Herrscher und Herrscherinnen die Wahrnehmung und die Bewertung durch die anderen Mitglieder dieser exklusiven Gesellschaft ihren eigenen Status wesentlich mitbestimmten. Der Beitrag stützt sich vor allem auf die Nuntiaturberichte und die genuesische Gesandtenkorrespondenz und damit auf die Überlieferungen zweier Akteure, die bislang kaum oder gar nicht für die Geschichte Maria Theresias herangezogen wurden und die als vergleichsweise neutrale Beobachter gelten können. Jedenfalls erhoben weder die römische Kurie noch die Republik Genua Ansprüche auf das Erbe Karls VI.;2 sie gehörten aber auch nicht zu den Verbündeten und Unterstützern Maria Theresias. Vielmehr beanspruchte der Papst für sich den Status eines Padre comune aller (katholischen) Fürsten und verfolgte die genuesische Regierung eine strikte Neutralitätspolitik.3 Das bedeutet natürlich nicht, dass der Heilige Stuhl und die Repubblica di San Giorgio in ihren Beziehungen zum Wiener Hof keine eigenen Interessen verfolgt hätten. Diese Interessen prägten auch die Gesandtschaftskorrespondenz. Als übergeordnete Ziele der päpstlichen Politik lassen sich der Schutz des katholischen Glaubens und die Wahrung der Rechte und Interessen des Heiligen Stuhls benennen. Daher war es aus römischer Perspektive höchst wünschenswert, dass das Konglomerat der habsburgischen Länder als starke katholische Macht erhalten blieb und ein Konflikt unter den katholischen Mächten vermieden wurde.4 Die Vertreter der Republik Genua am Wiener Hof hatten demgegenüber weniger weitreichende 2 3

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Abgesehen davon, dass der Heilige Stuhl das Doppelherzogtum Parma-Piacenza als 1731 heimgefallenes kirchliches Lehen für sich beanspruchte. Veranlasst durch die Zugeständnisse an den König von Sardinien im Vertrag von Worms (1743), schloss sich Genua allerdings 1745 im Vertrag von Aranjuez den Gegnern Maria Theresias an. Vgl. Schnettger, 2006, S. 549-563; ders., 2016, S. 100. Vor diesem Hintergrund war es mehr als eine Floskel, wenn Staatssekretär Valenti in seiner Antwort auf die Todesnachricht aus Wien schrieb, dies sei das größte Unglück, das Benedikt XIV. in seinem Pontifikat passieren konnte (»il maggiore infortuno, che gli potesse accadere nel suo Pontificato«). Valenti an Paolucci, Rom, 29.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 537, fol. 370r.

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Ziele zu verfolgen, sondern vertraten die genuesischen Interessen in zahlreichen konkreten Fragen, die die Beziehungen zu einem benachbarten Fürsten (als Herzog von Mailand, Parma und Piacenza) bzw. zum kaiserlichen Lehnsherrn Reichsitaliens tangierten.5 Der Status der päpstlichen und genuesischen Vertreter am Wiener Hof und auch die für diesen Beitrag herangezogenen Überlieferungen unterscheiden sich in einigen wesentlichen Punkten. Der Titularerzbischof von Iconium Camillo Paolucci (1692-1763), Doktor beider Rechte und Neffe des früheren Kardinalstaatssekretärs Fabrizio Paolucci (1651-1726), konnte 1740 bereits auf eine lange diplomatische Karriere zurückblicken. Von 1728 bis 1738 war er außerordentlicher Nuntius am Hof des Königs von Polen gewesen, bevor er 1738 zum ordentlichen Nuntius bei Kaiser Karl VI. aufgestiegen war. Als päpstlicher Nuntius in der Rangstufe eines ambasciatore war er der ranghöchste Gesandte am Wiener Hof und besaß zugleich als Vertreter des Pontifex maximus besondere geistliche Fakultäten.6 Für Paolucci kann wie für die meisten Nuntien gelten, dass er am Wiener Hof sehr gut vernetzt war und dementsprechend auch Zugang zu internen Informationen besaß. Seine Berichte waren an Silvio Valenti Gonzaga (1690-1756) adressiert, einen durch seine Tätigkeit als Internuntius in Brüssel (1732-1736), dann als Nuntius in Spanien (1736-1738) erfahrenen Diplomaten, der aber erst am 20. August 1740 von dem neuen Papst Benedikt XIV. (1740-1758) in das Amt des Kardinalstaatssekretärs berufen worden war.7 Ne5

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Themen, die die genuesischen Gesandten Ende der 1730er Jahre beschäftigten, waren neben dem Aufstand Korsikas u. a. ein Reichshofratsprozess um die Markgrafschaft Finale, die Frage der Cinque terre, genuesische Besitzungen, über die Karl VI. im Wiener Frieden 1735/1738 die Landeshoheit an den König von Sardinien abgetreten hatte, und die genuesische Türkenhilfe im Türkenkrieg 17361739. Vgl. Schnettger, 2006, S. 319-334, 531-549, 600-603. 1743 wurde Paolucci zum Kardinal erhoben und 1745 von Wien abberufen. Vgl. Squicciarini, 1998, S. 165-167; The Cardinals of the Holy Roman Church. Biographical Dictionary. Pope Benedict  XIV (1740-1758). Consistory of September  9, 1743 (I). Celebrated in Rome, http://www2.fiu.edu/~mirandas/bios1743. htm#Paolucci, (30.3.2017. Zur Stellung des Nuntius am Kaiserhof (bezogen v. a. auf das 16. und 17.  Jahrhundert, aber auch erhellend für die spätere Zeit) vgl. Braun, 2014, bes. S.  95-180 (mit weiteren Literaturhinweisen); ferner Koller, 1998; ders., 2009; Bösel u. a., 2006. Vgl. zu Valenti The Cardinals of the Holy Roman Church. Biographical Dictionary. Pope Clement  XII (1730-1740). Consistory of December 19, 1738 (XII). Celebrated in Rome, http://www2.fiu.edu/~mirandas/bios1738-ii.htm#Valenti, 75

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ben den Nuntiaturberichten, von denen viele und oftmals diejenigen, die für diesen Beitrag besonders wichtige Informationen enthalten, chiffriert sind, sind auch die Weisungen des Staatssekretärs an Paolucci erhalten. Ein Teil der Korrespondenz besitzt explizit vertraulichen Charakter. Die Republik Genua war seit Juni 1740 in Wien durch den inviato straordinario Rodolfo Maria Brignole Sale (1708-1774) vertreten. Er entstammte einer der bedeutendsten genuesischen Adelsfamilien, stand aber zu seiner Wiener Zeit noch ganz am Anfang seiner politischen Karriere, die er 1762-1764 mit dem Dogenamt krönen sollte.8 Die erhaltenen Berichte Brignoles sind, wie bei den genuesischen Diplomaten üblich, an die Serenissmi Collegi, das höchste Regierungsamt der Republik, gerichtet. Von den Collegi wurden sie mehrfach an die für die Außenbeziehungen zuständige Giunta dei Confini überstellt; viele wurden aber auch im Kleinen Rat verlesen, für dessen Sitzungen ein Quorum von mindestens 80 Mitgliedern vorgesehen war.9 Dass unter solchen Bedingungen und angesichts der engen Verbindungen vieler Nobili zu Frankreich, Spanien oder Österreich trotz der Chiffrierung einzelner Passagen eine Geheimhaltung kaum zu gewährleisten war, ist einleuchtend. Nicht erhalten sind die Weisungen an Brignole, die sich allerdings teilweise aus den Dorsalvermerken rekonstruieren lassen. Außerdem gibt es einzelne Gutachten zu seiner Gesandtschaft. Eine parallele Korrespondenz mit der genuesischen Regierung unterhielt der Gesandtschaftssekretär Domenico Bologna, der mit Unterbrechungen bereits seit 1725 in Wien tätig war und vor der Ankunft Brignoles zeitweise die Funktion eines genuesischen Geschäftsträgers wahrgenommen hatte.10 Für seine Berichte gilt mutatis mutandis dasselbe, was zu denen Brignoles gesagt wurde; allerdings sind in seinem Fall auch die, meist ausgesprochen knappen, Weisun-

30.3.2017; zu den Anfängen des Pontifikats Benedikts XIV. und zu dessen Politik im Österreichischen Erbfolgekrieg vgl. Pastor, Bd.  16/1, 1931, S.  3-100; Rosa, 1966; allgemein zum Profil des Pontifikats jetzt auch Messbarger u. a., 2016. 8 Vgl. Ciappina, 1972; Ponte, 1994. Die Angabe bei Vitale, 1934, S. 125 (der auch Ponte, 1994 folgt), der Anlass der Gesandtschaft Brignoles sei der Regierungsantritt Maria Theresias gewesen, ist falsch. Das ergibt sich schon aus seiner Ankunft in Wien am 3. Juni 1740; ebd. 9 Vgl. Schnettger, 2006, S. 48-50. 10 Vgl. Vitale, 1934, S. 124f. Bologna war in Wien immerhin so prominent, dass er in der von Max Braubach ausgewerteten Satire auf den Wiener Hof in der Spätzeit Karls VI. unter dem Namen »le Joueur«/der Spieler auftauchte. Vgl. Braubach, 1939, S. 73. 76

»Codesta nuova corte«

gen der Collegi erhalten.11 Im Sommer 1741 kam es zu einem Eklat, als Bologna unter undurchsichtigen Umständen aus dem Dienst der Republik ausschied.12 Brignole und erst recht Bologna hatten zwar einen deutlich niedrigeren diplomatischen Status als Nuntius Paolucci und besaßen auch keinen so unmittelbaren Zugang zu den maßgeblichen Entscheidungsträgern. Das bedeutet hingegen nicht, dass sie über keine Verbindungen am Wiener Hof verfügt hätten. Immerhin stand der frühere genuesische Gesandte in Wien Gian Luca Pallavicino (1697-1773), unter dem schon Bologna gedient hatte, seit 1731 in habsburgischen Militärdiensten.13 Bologna hatte außerdem Kontakte zu niedrigeren, aber durchaus nicht uninformierten Chargen wie Ärzten oder Sekretären.14 Anhand der Korrespondenzen des Nuntius und der beiden Genuesen wird im Folgenden untersucht, welche Bilder des Wiener Hofs auswärtige Diplomaten in den ersten Monaten nach dem Regierungsantritt Maria Theresias zeichneten. Dabei soll nicht außer Acht gelassen werden, dass derartige Fremdwahrnehmungen oftmals am meisten über den Wahrnehmenden selbst aussagen. Der Fokus soll hier jedoch auf dem Wahrgenommenen liegen. Konkret werden vier, im Einzelnen nicht immer scharf voneinander zu trennende Themenbereiche beleuchtet: Zunächst wird skizziert, wie die spezifische Situation nach dem plötzlichen Tod Karls VI. und dem Regierungsantritt Maria Theresias geschildert und bewertet wurde. Ein zweites Kapitel wendet sich den aus dem Regierungswechsel resultierenden Zeremonialfragen zu. Ein dritter Abschnitt ist der Wahrnehmung und Bewertung von Akteurinnen und Akteuren am Wiener Hof gewidmet. Abschließend gilt es zu betrachten, inwieweit Geschlecht und Genderfragen Gegenstand der Gesandtschaftskorrespondenz waren.

11 In ASt Ge, AS 2583, 2584 und 2585. 12 Das geht aus mehreren Schreiben Brignoles hervor, die in ASt Ge, AS 2585 erhalten sind. 13 Vgl. Costa, 1926. 14 So berief sich Bologna für seinen Bericht über die Erkrankung Karls VI. auf den Leibarzt Longobardi (»che è de primi, che assistono Sua Maestà«). Relation Bolognas: Wien, 19.10.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. Wenig später bezeichnete er den französischen Legationssekretär als »mio grande amico«. Relation dess. Wien, 23.11.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. 77

Matthias Schnettger

Ein Hof unter Druck Die diplomatischen Berichte aus Wien vom Spätjahr 1740 zeichnen das Bild eines um Kontinuität bemühten, jedoch in mehrfacher Hinsicht unter Druck stehenden Hofs; ein Bericht des genuesischen Gesandten Brignole spricht von einer »turbazione universale«.15 Das überrascht nicht, denn grundsätzlich waren Herrscherwechsel im frühneuzeitlichen Europa eine Phase der Ungewissheit. Denn der Wechsel an der Spitze des Hofes konnte erhebliche Auswirkungen auf den Einfluss von Einzelpersonen und Hofparteien haben und zu Kursänderungen oder gar Brüchen in der Außen- sowie auf verschiedenen Feldern der Innenpolitik führen.16 Beim Regierungsantritt Maria Theresias waren die Unsicherheitsfaktoren besonders zahlreich. So wurden der Wiener Hof, aber auch die anderen europäischen Regierungen vom plötzlichen Tod des erst 55jährigen Karl VI. am 20. Oktober 1740 völlig überrascht. Das lässt sich anhand der diplomatischen Korrespondenz besonders gut verdeutlichen: Zu dem Zeitpunkt, als in Genua und Rom die ersten Berichte von der Erkrankung des Kaisers eintrafen, war er bereits verstorben.17 Erschwert wurde die Berichterstattung durch die Verhängung einer Nachrichtensperre bzw. die Unterbrechung der Postverbindungen.18 15 Relation Brignoles, Wien, 26.10.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. 16 Deutliche Zäsuren gab es z. B. 1713 und 1740 in Preußen. Ein anderer Hof, an dem im 18.  Jahrhundert Regierungswechsel mehrfach einen besonders ausgeprägten Zäsurcharakter hatten, war der russische – insbesondere dann, wenn der Regierungswechsel durch einen Staatsstreich erfolgte, wie 1741 und 1762. Auch im Kirchenstaat hatten – deutlich mehr als in den geistlichen Fürstentümern des Reiches – Regierungswechsel häufig mikro- wie makropolitische Umwälzungen zur Folge. 17 Nuntius Paolucci berichtete am 18. Oktober über die Erkrankung und am 20. Oktober über den Tod Karls  VI. Beide Schreiben wurden per Express verschickt. Paolucci an Valenti, Wien, 18. und 20.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol.  408r-412v. Am 29.  Oktober erfolgte die Reaktion des Staatssekretärs. Valenti an Paolucci. Rom, 29.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 537, fol.  370r. Am 19.  Oktober berichtete der genuesische Sekretär Bologna ausführlich über die Erkrankung des Kaisers. Relation Bolognas, Wien, 19.10.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. Am 3. November verfügten die Collegi wegen der Vakanz des Kaiserthrons »la sospensione de trattati delle pubbliche pratiche«. Weisung an Bologna, 3.11.1740; ASt Ge, AS 2584, unfol. Zum Sterben Karls VI. vgl. Lau, 2016, S. 37-44. 18  Durch diese Maßnahme wollte der Wiener Hof die Berichterstattung über den Todesfall und Regierungswechsel kontrollieren bzw. seinen eigenen Informations78

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Die möglichen schwerwiegenden Konsequenzen, die aus dem Tod Karls VI. resultierten, werden auch in der Gesandtenkorrespondenz hervorgehoben.19 Dabei bestand eine doppelte Unsicherheit, zum einen, ob die Pragmatische Sanktion nun, da der Ernstfall eingetreten war, die Erbfolge Maria Theresias würde sichern können, zum anderen, wer der Nachfolger Karls auf dem Kaiserthron sein würde.20 In dieser Situation musste sich die Nachfolgeregelung Karls VI. wiederum in doppelter Hinsicht bewähren: nach innen, gegenüber den habsburgischen Untertanen, und hier v. a. gegenüber den Landständen, und nach außen, also gegenüber den anderen Höfen und Regierungen. Schon am Sterbetag des Kaisers hielt Nuntius Paolucci für sicher, dass Maria Theresia den Titel einer Königin von Ungarn und Böhmen annehmen würde. Zweifel hatte er aber hinsichtlich der Stellung ihres Mannes, denn seiner Auffassung nach schloss die Pragmatische Sanktion dessen Partizipation an der Regierung der habsburgischen Erbreiche aus.21 Die Regierungsübernahme Maria Theresias in der conferenza di stato wenige Stunden nach dem Tod des Kaisers jedenfalls verlief nach seiner Schilderung – aus zweiter Hand – reibungslos.22 Mehrfach thematisierte der Nuntius das Bestreben der neuen Regierung, strikt

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schreiben einen Vorsprung sichern. Relation Brignoles, Wien, 19. und 22.10.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. Schon am Todestag Karls VI. hob der Nuntius die »tante, e sì rilevanti conseguenze alla Cristianità tutta, ed alla Duchessa di Lorena« hervor, die dieser Sterbefall nach sich ziehen könne. Paolucci an Valenti, Wien, 20.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol. 408v-412v, hier fol. 409v. Siehe z. B. Relation Brignoles, Wien, 26.10.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol.: »tutta l’applicazione del ministero solo s’aggira intorno al pensiero delli interessi suoi proprii, di conservare i stati all’Arciduchessa primogenita, e di misurare ogni idea, e ogni passo, che più cooperar possa alla futura elezione in Imperatore dell’odierno Signor Gran Duca di Toscana.« Paolucci an Valenti, Wien, 20.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol. 408v-412v, hier fol. 410v. Paolucci an Valenti, Wien, 20.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol.  412v-413r, hier fol.  413r. Neun Tage später berichtete er davon, dass Maria Theresia die bis dahin kaiserlichen Gemächer der Hofburg bezogen habe. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 29.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol.  199r-202v, hier fol.  202r.  Auch genuesischerseits wurde die Regierungsübernahme Maria Theresias nur knapp vermerkt. Relation Brignoles, Wien, 22.10.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol.; Relation Bolognas, Wien, 22.10.1740; Ast Ge, AS 2583, unfol. 79

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nach den Normen der Pragmatischen Sanktion zu agieren, um keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Thronfolge aufkommen zu lassen.23 Die Berufung des Großherzogs Franz Stephan zum Mitregenten bewertete er in diesem Zusammenhang kritisch, denn sie könne als Verletzung des Erbfolgegesetzes durch Maria Theresia selbst bewertet werden.24 In seinen Berichten zeichnete der Nuntius zwar insgesamt das Bild einer reibungslosen Regierungsübernahme durch Maria Theresia. Allerdings deutete er mehrfach einen Autoritätsverlust des Wiener Hofs an. Noch Ende Oktober berichtete er von Unruhen in der Landbevölkerung in der Umgebung Wiens, die Hirsche und Wildschweine massakriere und Waldfrevel begehe, indem sie sich in den landesherrlichen Forsten unerlaubt mit Holz versorge. Der Nuntius lobte zwar die Bestrebungen der neuen Königin, ihre Untertanen von einigen Abgaben zu entlasten, das Brotgewicht zu erhöhen und den Fleischpreis zu senken, und ihr Edikt zur Verminderung des Wildbestands. Andererseits äußerte er im Hinblick auf die andauernde »Unordnung« die Vermutung, dass die Regierung nicht dagegen vorgehe, um größere Unruhen zu verhindern.25 Mitte November 23 Z. B. im Zusammenhang mit den Überlegungen, Franz Stephan in Ungarn zum Mitkönig zu erheben, und angesichts seiner Erhebung zum Mitregenten in Österreich. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 5.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 212r-213r, hier fol. 212v-213r; ders. an dens., Wien, 26.11.1740; ebd., fol. 222r-223v, hier fol. 223r-223v. Ende Dezember 1740 berichtete Paolucci von ungarischer Opposition gegen diese Pläne. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 31.12.1740; ebd., fol. 248r-249r, hier fol. 248v. 24 Mit dieser Anschauung befand er sich nach eigener Aussage in Übereinstimmung mit den »più savi ministri«. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 26.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 224r-225v, hier fol. 225v. Auch der Genuese Bologna erwähnte in seinem Bericht über die Mitregentschaft Franz Stephans den heiklen Punkt der Pragmatischen Sanktion. Relation Bolognas, Wien, 23.11.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. Mit der Regentschaft und der nach ihren Quellen massiven Kritik daran setzt sich intensiv Badinter, 2016, S. 78-86 auseinander. Nach ihrer Darstellung machte sich Franz Stephan auch durch seine hochmütige Art unbeliebt. Vgl. zur Mitregentschaft Franz Stephans und zur Kritik daran ferner Arneth, Bd.  1, 1863, S.  171-174; Stollberg-Rilinger, 2017, S.  75f.; Braun, 2018, S. 39-47. 25 »[…] però argomentassi, che il governo dissimula, e si astenga dal rimedio al disordine per timore che non ne nasca uno maggiore«. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 29.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol.  199r-202v, hier fol.  199v-201r. Knapper auch Relation Bolognas; Wien, 2.11.1740; ASt Ge, AS 80

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berichtete er dann, dass sich die Königin, allerdings widerwillig, zu einem harten Vorgehen genötigt gesehen habe und dass mehr als 30 Personen inhaftiert worden seien.26 Auch die vom Nuntius wie den Genuesen erwähnte Entsendung des als Paladin vorgesehenen Feldmarschalls Johann Pálffy nach Ungarn ist als Maßnahme zur Festigung einer noch ungesicherten Herrschaft durch Entgegenkommen an die Untertanen zu begreifen, denn Karl VI. hatte dieses Amt seit 1732 unbesetzt gelassen.27 Überhaupt finden sich immer wieder Berichte über militärische Sicherungsmaßnahmen.28 Im November 1740 berichtete Camillo Paolucci dann von Unruhen in Wien, die im Anschluss an die feierliche Huldigung der niederösterreichischen Stände stattfanden: Auf dem Krautmarkt, wo Essen ausgeteilt und ein Weinbrunnen aufgestellt wurde, sei es zu Pöbeleien Betrunkener gegenüber einigen Zuschauern an den Fenstern der Behausungen des genuesischen Residenten und des Referendars Weber gekommen, nachdem diese sich über die Feiernden lustig gemacht und Äpfel auf sie geworfen hätten. Auf Befehl des Stadtkommandanten hätten Dragoner die Ruhe wiederhergestellt. Einige Nächte später hätten sich auf dem Krautmarkt einige Metzger- und Schustergesellen zusammengerottet und den Genannten mit Steinen die Fenster eingeworfen, sich aber beim Eintreffen der Dragoner sogleich zurückgezogen. Auf die Nachricht von geplanten Übergriffen gegen das Haus des verhassten Vizestadtkommandanten hätten des Nachts einige Dragoner in der Straße Wache gehalten. Die Hassbekundungen gegen ihn dauerten aber an. Gegen ihn seien nicht nur Pasquillen publiziert worden, sondern man habe ihn sogar in effigie vor der Stadt aufgehängt. Um das

2583, unfol. Auch der preußische Gesandte Borcke berichtete über Unruhen und Spott über den verstorbenen Kaiser und dass sich die Bauern als »in statu naturali« befindlich, also herrscherlos, betrachteten. Vgl. Badinter, 2016, S.  77 mit Anm. 3; auch Stollberg-Rilinger, 2017, S. 71f. 26 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 19.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 216r-219v, hier fol. 26v-217r. 27 »Il maresciallo Palfi […] è arrivato da Presbourgh, e dicesi che sarà eletto Palatino d’Ungheria, affine di tenere quei popoli nella dovuta sogezione.« Relation Bolognas, Wien, 22.10.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. Siehe auch Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 29.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 199r-202v, hier fol. 202r-202v. Vgl. Arneth, Bd. 1, 1863, S. 90. 28 Z.  B. Relation Brignoles, Wien, 22.10.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol.; Relationen Bolognas, 22.10.1740, 2.11.1740 und 28.12.1740 (zu Italien); ASt Ge, AS 2583, unfol. 81

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Volk zu beruhigen, beabsichtige die Königin, den Kommandanten nach Kärnten zu versetzen.29 Von Illoyalität im erbländischen Adel ist dagegen in keinem der von mir eingesehenen Schreiben die Rede, nur davon, dass der bayerische Gesandte gegen die bevorstehende Huldigung der niederösterreichischen Stände protestierte, doch Landmarschall Graf Harrach habe diesen entschieden zurückgewiesen.30 Und im Februar 1741 berichtete Brignole von der aufsehenerregenden Verhaftung Pedro Vicente Pachecos, der sich Herzog von Uceda nenne, vermutlich weil er sich verräterischer Umtriebe zugunsten Spaniens schuldig gemacht habe.31 Immer wieder wird in den Schreiben des Nuntius und der Genuesen die Finanznot des Wiener Hofs thematisiert. Ende Oktober informierte der Legationssekretär Bologna die genuesische Regierung, der Wiener Stadtbanko sei stabil. Die Regierung plane ein neues Finanzsystem, um die Bezahlung des Militärs auf eine sichere Grundlage zu stellen.32 Wenig später berichtete er über die Halbierung der Pensionen, eine Reduktion der Kosten für das Hofpersonal und den Verkauf von 100 Pferden aus dem kaiserlichen Marstall.33 Im Zusammenhang 29 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 26.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol.  222r-223v; ders. an dens. (chiffriert), Wien, 10.12.1740; ebd., fol.  230r-231r, hier fol. 231. Von Unruhen berichtete auch der preußische Gesandte Borcke. Vgl. Badinter, 2016, S. 82f. Vgl. Arneth, Bd. 1, 1863, S. 89f.; Stollberg-Rilinger, 2017, S. 74. Bemerkenswerterweise wird in den von mir eingesehenen genuesischen Korrespondenzen zwar über die Huldigung (Relation Brignoles, Wien, 23.11.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol.; Relation Bolognas, Wien, 23.11.1740; ebd., unfol.), nicht aber über die Unruhen berichtet, obwohl doch nach Aussage des Nuntius Brignole oder Bologna selbst betroffen waren. Das mag damit zusammenhängen, dass so heikle Themen in der allgemeinen, nicht besonders geheimen Gesandtschaftskorrespondenz vermieden wurden. 30 Relation Brignoles, Wien, 23.11.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. 31 Relation Brignoles, Wien, 15.2.1741; ASt Ge, AS 2585, unfol., mit chiffrierter Passage. Pacheco wurde wegen Verrats zum Tode verurteilt, aber von Maria Theresia zu lebenslanger Festungshaft begnadigt. Vgl. Arneth, Bd. 1, 1863, S. 183. 32 Relation Bolognas, Wien, 26.10.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. 33 Bologna nannte neben den zu reduzierenden Kosten für den Marstall auch diejenigen für Musik und Jagd. Relation Bolognas, Wien, 2.11.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. Wenige Wochen später berichtete er aber über eine geplante Wiederherstellung der Pensionen. Relation dess., Wien, 7.12.1740; ebd., unfol. Vgl. Arneth, Bd. 1, 1863, S. 94. 82

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mit dem preußischen Einmarsch in Schlesien referierte Paolucci im Dezember 1740, der Fürst Liechtenstein und andere hätten der Königin zwei Millionen Gulden für die notwendigen Rüstungen geliehen, man benötige aber weitere drei Millionen für Generäle, Offiziere und Truppen, denen seit anderthalb Jahren kein Sold gezahlt worden sei:34 Aus der Geldnot resultierte also auch eine militärische Schwäche. Einen unmittelbareren Eindruck von den finanziellen Engpässen bekam der genuesische Gesandte Brignole. Er berichtete im Dezember 1740 nicht nur von Soldrückständen und den Kontributionsforderungen an die österreichischen Stände, sondern auch vom Drängen Hofkanzler Sinzendorfs auf Zahlung der rückständigen genuesischen Hilfsgelder zum vergangenen Türkenkrieg. Um schnellstmöglich an das Geld zu kommen, war der Hofkanzler nun sogar bereit, ohne weitere Verhandlungen die geforderte Summe zu reduzieren und sich mit 5.000 Doppien zu begnügen.35 Wesentlich größeren Bedrohungen als von innen war die Herrschaft Maria Theresias bekanntlich von außen ausgesetzt. Und so sind die Gesandtschaftsberichte jener Jahre voll von gesicherten Informationen, Vermutungen und Gerüchten zur Haltung anderer Fürsten und Republiken. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei Frankreich,36 genauer gesagt: dem Ersten Minister Kardinal Fleury. Den Äußerungen eines nicht namentlich genannten Wiener Ministers entnahm der Nuntius, dass Frankreich zwar die Pragmatische Sanktion respektieren werde, dass Fleury sich aber in keiner Weise für die Kaiserwahl Franz Stephans einsetzen wolle.37 Mit Sorge wurde an der Kurie die Abberufung des französischen Botschafters Mirepoix aufgenommen, auch wenn dieser den Ge-

34 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 17.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 236r-238r, hier fol. 238r. 35 Bis dahin waren alle diesbezüglichen Bitten zurückgewiesen worden. Relationen Brignoles, Wien, 7. und 21.12.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. Vgl. Schnettger, 2006, S. 602f. 36 Das galt nicht zuletzt für die Kaiserwahl, denn »la Francia […] darà molto peso alla bilancia«. Valenti an Paolucci (chiffriert); Rom, 19.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 547, fol. 281r-283r, hier fol. 282v. Siehe auch Relation Bolognas, Wien, 26.10.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. 37 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 26.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 224r-225v; ders. an dens. (chiffriert), Wien, 3.12.1740; ebd., fol. 226r-227v, hier fol. 226v-227r. Siehe auch Relation Bolognas, Wien, 7.12.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. 83

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sandtschaftssekretär Vincent in Wien ließ.38 Der genuesische Gesandte Brignole kam um die Jahreswende 1740/1741 zu der Einschätzung, dass sich das Vertrauen auf Frankreich für den Wiener Hof nicht ausgezahlt habe.39 Zu den Gesandten der »häretischen« Mächte hatte der Nuntius keinen Kontakt. Er registrierte aber Anfang November sehr wohl, dass neben anderen die Gesandten Großbritanniens, der Vereinigten Niederlande und Sachsens das Vorzimmer Maria Theresias besuchten und anwesend waren, wenn sie in der Öffentlichkeit speiste, und wertete dies als Beleg dafür, dass sie fest mit der Anerkennung der Königin durch ihre jeweiligen Auftraggeber rechneten.40 Und wenig später berichtete Paolucci von Audienzen der Gesandten Preußens, der Niederlande und Großbritanniens, die dabei versichert hätten, dass ihre Auftraggeber fest zur Pragmatischen Sanktion stünden.41 Ähnliche Beobachtungen finden sich ebenfalls in der Korrespondenz des genuesischen Gesandten, der auch von der Audienz des Gesandten des Königs von Sardinien berichtete, dessen

38 »Non dovendo credersi nelle presenti circostanze particolarmente, che quella Corona [di Francia, M.S.] operi anche nelle piccole cose ò inconsideratamente, ò leggieramente, e senza il suo perché«. Valenti an Paolucci (chiffriert), Rom, 3.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 547, fol. 295r-296r, als Antwort auf dessen Bericht vom 21. November: Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 21.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 220r-221r. Siehe auch ders. an dens. (chiffriert), Wien, 3.12.1740; ebd., fol. 228r-229v, hier fol. 229v. Hier auch der Bericht über die Abschiedsaudienzen Mirepoix’ und seiner Gemahlin (»l’ambasciatrice«) bei Maria Theresia. Etwas zuversichtlicher über die Respektierung der Pragmatischen Sanktion durch Frankreich äußerte sich der Nuntius zum Jahresende. Ders. an dens. (chiffriert), Wien, 24.12.1740; ebd., fol. 244r-245v, hier fol. 244r. Siehe auch Relation Brignoles, Wien, 16.11.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol.; Relation Bolognas, Wien, 23.11.1740; ebd., unfol. 39 »[…] non si veda qual beneficio sperar possa questa corte dalla confidenza mostrata in quella di Parigi«. Relation Brignoles, Wien, 28.12.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. 40 Paolucci an Valenti, Wien, 12.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol. 432r-443v, hier fol. 441v. 41 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 19.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 216r-219v, hier fol. 216r-217v (zu Preußen und den Vereinigten Niederlanden); ders. an dens. (chiffriert), Wien, 17.12.1740; ebd., fol. 236r-238r, hier fol. 236r. Vgl. Arneth, Bd. 1, 1863, S. 100f. 84

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Verhältnis zur neuen Königin für die Republik vor dem Hintergrund der eigenen Spannungen mit diesem gefährlichen Nachbarn von besonderem Interesse war.42 Kein Zweifel konnte an der feindseligen Haltung Kurbayerns bestehen. Über die Maßnahmen des Kurfürsten und die Schritte seiner Vertreter in Wien berichteten der Nuntius und die Genuesen häufig. Wie die anderen Diplomaten wurden sie vom bayerischen Gesandten über dessen Schritte informiert. Ebenso erhielten sie durch Hofkanzler Sinzendorf Gelegenheit, das Testament Kaiser Ferdinands I., auf das Bayern seine Ansprüche auf das habsburgische Erbe vornehmlich stützte, im Original in Augenschein zu nehmen. Paolucci und Brignole beurteilten die Rechtslage als eindeutig und hielten es für aussichtlos, dass Kurfürst Karl Albrecht aus diesem Dokument irgendwelche Erbansprüche ableiten könnte. Sie berichteten aber auch über die bayerischen Rüstungen und machten deutlich, dass neben den rechtlichen auch machtpolitische Gesichtspunkte – und hier insbesondere die Haltung Frankreichs – eine wichtige Rolle spielen dürften.43 Von genuesischer Seite, Ende des Jahres 1740 auch durch den Nuntius, wurde verstärkt auch die spanische Bedrohung für Österreich wahrgenommen.44 Die Haltung des Madrider Hofs war für den Heiligen Stuhl wie für die Republik mit Blick auf einen zu befürchtenden Krieg in Italien von großer Bedeutung. Eine deutliche Wandlung lässt sich in der Bewertung Sachsen-Polens feststellen. Zunächst referierte der Nuntius mehrfach, dass der polnische Gesandte in Wien und der Dresdener Hof sich eindeutig zur Anerkennung der Pragmatischen Sanktion bekannt hätten.45 Gegen Jahresende, nach dem preußischen Ein-

42 Relation Brignoles, Wien, 16.11.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. Vgl. Arneth, Bd. 1, 1863, S. 101, der darauf hinweist, dass Karl Emanuel III. von Sardinien die neue Königin als erster anerkannt habe. 43 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 5.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol.  208r-210v, hier fol.  209r-210r; ders. an dens., Wien, 12.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol.  432r-443v, hier fol.  442r; ders. an dens. (chiffriert), Wien, 19.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 216r-219v, hier fol. 218r; Relationen Brignoles, Wien, 2., 9. und 16.11.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol.; Relation Bolognas, Wien, 9.11.1740; ebd., unfol. Vgl. Arneth, Bd. 1, 1863, S. 95-98. 44 Relation Brignoles, Wien, 22.10.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol.; Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 24.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 240r-242v, hier fol. 242r. 45 Paolucci an Valenti, Wien, 12.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol.  432r-443v, hier fol.  442r-442v; ders. an dens. (chiffriert), Wien, 26.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 222r-223v, hier fol. 223v. 85

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marsch in Schlesien, verdichteten sich jedoch die Hinweise auf eine feindliche Haltung Augusts III.46 Gut lässt sich an den Berichten des Nuntius und der Genuesen die Unsicherheit nachvollziehen, die in Wien lange über die Absichten Friedrichs  II. herrschte. Zunächst wurde der preußische König als einer der rückhaltlosen Unterstützer Maria Theresias dargestellt. Ende November berichtete Paolucci im Ton ungläubiger Empörung erstmals über preußische Truppenbewegungen. Wenn die Preußen tatsächlich nach Schlesien einmarschierten, um, wie es heiße, eine Herrschaft des Fürsten Auersperg zu besetzen, wäre das ein feindseliger Akt, der allen bisherigen Versicherungen zuwiderliefe.47 Die Unsicherheit über die Absichten Friedrichs II. dauerte wie bei den österreichischen Ministern auch beim Nuntius und den genuesischen Gesandten an.48 Die Kaiserwahl ist in den untersuchten Korrespondenzen von Anfang an ein wichtiges Thema. Regelmäßig berichteten der Nuntius und die Genuesen über die Bemühungen des Wiener Hofs, die Wahl Franz Stephans durchzusetzen, und versuchten dessen Erfolgsaussichten einzuschätzen. Aber sie hatten auch die möglichen Gegenkandidaten im Blick.49 Ein Nebenaspekt dieses Problemfeldes

46 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 24.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 244r-245v. Zur Haltung Sachsens vgl. Aretin, 1997, S. 420f. 47 »Se ciò fosse sarebbe un atto di ostilità, che non corrisponderebbe a tutte le espressioni fatte«. Paolucci an Valenti (a parte); Wien, 26.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 337, unfol. Mit der fraglichen Herrschaft dürfte das Herzogtum Münsterberg gemeint sein. 48 Siehe z.  B. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 3.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 228r-229v; ders. an dens. (chiffriert), Wien, 17.12.1740; ebd., fol.  236r-238r, hier fol.  236v-238r; ders. an dens. (chiffriert), Wien, 24.12.1740; ebd., fol. 240r-242v; Relation Brignoles, Wien, 17.12.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. Vgl. ausführlich zur Entwicklung der Schlesienkrise aus Wiener Perspektive Arneth, Bd. 1, 1863, S. 103-170. 49 Z. B. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 5.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 208r-210v, hier fol. 208r; ders. an dens. (chiffriert), Wien, 26.11.1740; ebd., fol. 224r-225v, hier fol. 225r-225v; ders. an dens. (chiffriert), Wien, 3.12.1740; ebd., fol. 226r-227v; ders. an dens. (chiffriert), Wien, 24.12.1740; ebd., fol. 244r-245v; Relation Brignoles, Wien, 26.10.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol.; Relation Bolognas, Wien, 9.11.1740; ebd., unfol. 86

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war die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Maria Theresia die böhmische Kurstimme würde führen können.50 Und wie positionierte sich die Kurie selbst? Auch wenn Staatssekretär Valenti immer wieder betonte, Benedikt  XIV. gehe es nur um den katholischen Glauben und die Rechte der Römischen Kirche, und er beabsichtige nicht, sich in machtpolitische Fragen einzumischen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Heilige Stuhl die Aufrechterhaltung des guten Einvernehmens zwischen den Höfen von Wien und Versailles und den friedlichen Interessenausgleich mit dem bayerischen Kurfürsten anstrebte.51 Wie sensibel dieses Thema war, erhellt daraus, dass Paolucci, wie er betonte, nur aufgrund einiger Gespräche mit dem bayerischen Gesandten und seiner guten Beziehungen zur Kaiserin Wilhelmine Amalie, der Witwe Josephs I. und Schwiegermutter des bayerischen Kurfürsten, in den Verdacht geriet, er begünstige die bayerischen Interessen.52 Jedenfalls war es der Kurie wichtig, dem Wiener Hof keinen Anlass zu geben, am päpstlichen Wohlwollen für Maria Theresia zu zweifeln.53 Bezüglich der Kaiserwahl war die Haltung Roms weniger eindeutig. Zwar wurde als außerordentlicher Nuntius zum Wahltag mit Giorgio Doria eine Per50 So schon Paolucci an Valenti, Wien, 20.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol. 408v-412v, hier fol. 412v. 51 Gewisse Sympathien scheint beim Nuntius die Idee eines Interessenausgleichs durch die Ehe der Erzherzogin Maria Anna, der Schwester Maria Theresias, mit dem bayerischen Kurprinzen gefunden zu haben. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 29.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 206r-207r, hier fol. 207r; ders. an dens. (chiffriert), Wien, 10.12.1740; ebd., fol.  230r-231r, hier fol.  230v. Auch der genuesische Sekretär Bologna berichtet noch vor dem Tod Karls  VI. über derartige Gerüchte. Relation Bolognas; Wien, 19.10.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. Wenig später aber berichtet er über eine geplante Heirat der Erzherzogin mit Karl von Lothringen, dem Bruder Franz Stephans, um die habsburgischen Lande beisammen zu halten. Relation Bolognas, Wien, 26.10. und 28.12.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. 52 Valenti an Paolucci (chiffriert), Rom, 28.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 547, fol. 293r; Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 17.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 234r-235r. Zu Wilhelmine Amalie siehe auch unten S. 100. 53 Valenti an Paolucci (chiffriert), Rom, 3.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 547, fol. 301r-301v. Dass die Kurie zu einer vorsichtigen und verdeckten Unterstützung Österreichs willens war, zeigt ihr Entgegenkommen in der Frage eines Truppendurchzugs durch den Kirchenstaat. Ders. an dens. (chiffriert), Rom, 14.1.1741; ebd., fol. 303r-304r, hier 303r. 87

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sönlichkeit ausgewählt, die dem Haus Österreich immer eine besondere »divozione« erwiesen habe.54 Vor allem gehe es dem Heiligen Vater, wie Staatssekretär Valenti mehrfach betonte, um die Wahl eines katholischen Kaisers, der als ein wahrer Advocatus Ecclesiae willens und in der Lage sei, die Interessen von Kirche und Papst zu wahren.55 Immer wieder wurde Paolucci eingeschärft, dass der Heilige Vater sich keineswegs in die Angelegenheiten der Fürsten einmischen wolle, sondern lediglich die friedliche Wahl eines katholischen Kaisers zum Wohl des Glaubens und des Heiligen Stuhls anstrebe.56 Gegen die Person Franz Stephans bestanden in dieser Hinsicht einige Vorbehalte, sodass Paolucci Anfang November 1740 gegenüber einem nicht namentlich genannten Minister durchblicken ließ, das beste Mittel, um sich das päpstliche Wohlwollen zu sichern, wäre die Abstellung der diversen Beschwerden gegen die toskanische Regierung und die Rückgabe des vom Papst beanspruchten Herzogtums Parma-Piacenza an den Heiligen Stuhl.57 Mit geringen Sympathien betrachtete der Nuntius die Aussicht, dass Franz Stephan mit Hilfe der Seemächte (also der Unkatholischen) die Kaiserkrone gewinnen und Österreich sich auf deren Seite in einen Krieg gegen die Bourbonenkronen hineinziehen lassen könnte.58 Und als Ende 1740 Gerüchte auftauchten, August III. von Polen habe Absichten auf die Kaiserkrone, bekräftigte Staatssekretär Valenti die päpstliche Neutralität hinsichtlich der Person des neuen Reichsoberhauptes, wenn es sich nur um einen katholischen Fürsten handle, der in der Lage sei, Religion und Kirche zu schützen.59 54 Valenti an Paolucci, Rom, 12.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 537, fol. 391r-391v. 55 Valenti an Paolucci, Rom, 26.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 537, fol. 424r-424v. 56 »[…] non desiderandosi dalla medesima [Santità Sua], che una pacifica elezione di un Principe cattolico«. Valenti an Paolucci (chiffriert), Rom, 12.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 547, fol. 277r. 57 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 5.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 208r-210v, hier fol. 209r. Vgl. Raybaud, 1963, S. 95-102. 58 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 3.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 226r-227v, hier fol. 227r. 59 Valenti an Paolucci (chiffriert), Rom, 24.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 547, fol. 299r-300r; ders. an dens. (chiffriert), Rom, 7.1.1741; ebd., fol. 301r-301v; ders. an dens. (chiffriert), Rom, 28.1.1741; ebd., fol. 307r-307v, hier fol. 307r. Auch Paolucci berichtete über diese Gerüchte, die darauf hinausliefen, dass August III. nach seiner Kaiserwahl die polnische Königskrone an Stanislaw Leszczýnski ab88

»Codesta nuova corte«

Die Republik Genua suchte sich in der Frage der Anerkennung Maria Theresias nicht zu exponieren, sondern verfolgte eine betont neutrale, lediglich beobachtende Politik. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Nachricht vom Tod Karls VI. beriet die Giunta dei Confini über eine Abberufung des inviato Brignole aus Wien, um Kosten zu sparen, aber auch um die Neutralität der Republik in einem etwaigen Erbfolgekonflikt zu sichern.60 Der Gesandte Brignole betonte zwar gegenüber Hofkanzler Sinzendorf regelmäßig den »ossequio« der Republik gegenüber Maria Theresia und wies auf den langsameren Geschäftsgang in einer Republik hin.61 Wegen des im Anschluss zu skizzierenden Zeremonialkonflikts unterblieb die förmliche Anerkennung Maria Theresias jedoch.62 Bezüglich der Kaiserwahl hatte die Superba kein eigenes Gewicht in die Waagschale zu werfen, auch wenn man schon mit Blick auf die genuesischen Reichslehen durchaus Interesse an der Person des neuen Reichsoberhauptes hatte.

Zeremonialfragen Verglichen mit den militärischen Auseinandersetzungen des Österreichischen Erbfolgekriegs haben die Zeremonialkonflikte, die mit dem Regierungsantritt Maria Theresias einhergingen, bislang nur geringe Aufmerksamkeit gefunden.63 Dennoch hat dieses Themenfeld Beachtung verdient, denn, wie die jüngere Forschung herausgearbeitet hat, definierte das Zeremoniell, das der neuen Herrscherin von den anderen Höfen zugestanden wurde oder auch nicht, ihre Position in der Société des Princes.64

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treten wolle. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 24.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 244r-245v. Siehe auch Relation Bolognas, Wien, 28.12.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. Relation der Giunta dei Confini, 7.11.1740, am 9.11. im Kleinen Rat vorgetragen; ASt Ge. AS 2585, unfol. Relation Brignoles, Wien, 21.12.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. Bemerkenswerterweise wird Maria Theresia in der genuesischen Korrespondenz noch im November 1740 noch nicht konsequent als Königin, sondern gelegentlich als »Arciduchessa primogenita« bezeichnet. Relation Brignoles, Wien, 9.11.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. Vgl. aber jetzt Mader-Kratky, 2013; sowie die einschlägigen Passagen bei Beck, 2017. Vgl. die grundlegenden Arbeiten von Stollberg-Rilinger, 1997; dies., 2002. 89

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Auch hier strebten Maria Theresia und ihre Minister eine größtmögliche Kontinuitätswahrung an, indem sie Zeremoniell und Titulaturen übernahmen, wie sie in der Zeit Kaiser Karls VI. in Übung gewesen waren, auch wenn die neue Herrscherin vorläufig nur Königin von Ungarn und Böhmen war. Damit jedoch stießen sie mehr als einmal auf Widerspruch. Manche, wie die Kurfürsten von Bayern und der Pfalz, verweigerten ihr grundsätzlich die Anerkennung als Königin.65 Von Anfang an witterten die in Wien anwesenden Gesandten bezüglich des Zeremoniells Gefahr. Nuntius Paolucci erinnerte schon am Todestag Karls  VI.  daran, dass man sich bislang mit Großherzog Franz Stephan nicht auf ein Zeremoniell habe einigen können, und vermutete, dass das unter den geänderten Umständen noch schwieriger geworden sein dürfte. Ferner verwies er darauf, dass aufgrund von Zeremonialstreitigkeiten weder er noch die übrigen ambasciatori bisher eine Audienz bei den Erzherzoginnen gehabt hätten.66 Wenig später stellte er gegenüber Hofkanzler Sinzendorf klar, dass sich mit der Änderung der Regierung von einer kaiserlichen zu einer königlichen auch das Zeremoniell ändern müsse.67 Franz Stephan erwies sich in der Tat als ein zeremonieller Störfaktor, gerade wegen der Bemühungen Maria Theresias um seine Aufwertung. Besonders gut lässt sich dies anhand der öffentlichen Tafel nachvollziehen, die die neue Königin von Ungarn erstmals am 30. Oktober hielt, und zwar mit ihrem Mann an ihrer Seite. Genau das aber war der Grund, aus dem der Nuntius und die am Wiener Hof anwesenden ambasciatori Frankreichs und der Republik Venedig nicht mehr an der Tafel und der königlichen Capella teilnahmen, denn als Re65 So berichtete der Nuntius im November, dass der Pfälzer Kurfürst in seiner Antwort auf die Notifikation vom Tod des Kaisers und vom Regierungsantritt Maria Theresias Letzterer den Königinnentitel vorenthalten habe. Selbstverständlich wurde die Annahme des Schreibens verweigert. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 19.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 214r. 66 Konkret ging es darum, dass das Haus Österreich den ambasciatori einen Lehnstuhl oder auch einen anderen, einfachen Stuhl verweigere. Paolucci an Valenti, Wien, 20.1.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol. 408v-412v, hier fol. 411r. 67 »Ch’il governo essendo cangiato, doveva altresì cangiare il trattamento«. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 29.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol.  204r-205v, hier fol.  204v-205r.  Zum Zeremoniell am Wiener Hof Lünig, Bd.  1, 1719, S.  446-459, zur Capella und öffentlichen Tafel insbes. S.  454; vgl. zum Zeremoniell unter Karl VI. und Maria Theresia jetzt Kalousek, 2016 bzw. Mader-Kratky, 2016; zu den Audienzen auch Graf, 1997, S. 576-579. 90

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präsentanten ihrer Auftraggeber sahen sie sich nicht imstande, dem rangniederen Großherzog die zeremonielle Gleichberechtigung oder gar den Vorrang zuzugestehen.68 Wie der Nuntius berichtete, bemerkte der französische Botschafter gegenüber Sinzendorf süffisant, scheinbar lege die Königin keinen Wert auf die Anwesenheit von ambasciatiori an ihrem Hof69 – was sie natürlich sehr wohl tat. War doch nichts geeigneter, um ihre Zugehörigkeit zum Kreis der anerkannten gekrönten Häupter zu bezeugen. Paolucci teilte diese Auffassung vollauf: Solange der Großherzog bei der Capella und der öffentlichen Tafel erscheine, könnten die ambasciatori nicht daran teilnehmen. Es blieben allein die Audienzen, um in der Öffentlichkeit vor der Königin zu erscheinen.70 Die Kurie war keineswegs bereit, der Königin von Ungarn dieselben zeremoniellen Vorrechte wie dem Kaiser zuzugestehen.71 Als Muster für das gegenüber einem König oder einer Königin von Ungarn ohne gleichzeitigen Kaisertitel zu beobachtende Zeremoniell gedachte man sich seitens der Kurie am Beginn der Regierungszeit Leopolds I. zu orientieren, ein Präzedenzfall, auf den sich auch der Wiener Hof berief.72 Allerdings wurde man diesbezüglich weder in Rom noch im Wiener Nuntiaturarchiv fündig.73 Von Anfang an machte sich

68 Für die niederrangigen inviati galt dieses Problem nicht. Sie waren daher auch weiterhin bei der Tafel anwesend. Zum besonderen Stellenwert der ambasciatori im diplomatischen Zeremoniell vgl. Stollberg-Rilinger, 2002, S.  6-14; zum Tafelzeremoniell am Hof Maria Theresias Beck, 2017, S. 82; zu den Botschafteraudienzen in der Regierungszeit Maria Theresias ebd., S. 90-101. 69 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 5.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 212r-213r, hier fol. 212r. 70 Ebd. In demselben Schreiben berichtet Paolucci auch von der Unzufriedenheit des Wiener Kardinals Kollonich mit dem ihm zugestandenen Zeremoniell. Siehe auch Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 3.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 226r-227v, hier fol. 227v, wo der Nuntius auf die enge Abstimmung mit seinen venezianischen und französischen Kollegen verweist. 71 Valenti an Paolucci (chiffriert), Rom, 19.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 547, fol. 281r-283r, hier fol. 283r. 72 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 29.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol.  204r-205v, hier fol.  205r; ders. an dens. (chiffriert), Rom, 12.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 547, fol. 279r-279v. 73 Und das, obwohl Paolucci, wie er beteuerte, »ho fatto metter sottosopra [questo archivio]«; Paolucci an Valenti (a parte), Wien, 3.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 337, unfol. Leopold I. war mit dem Tod Ferdinands  III. am 2.  April 91

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der Nuntius wenig Hoffnung darauf, für die Antritts- und Abschiedsaudienz den beanspruchten Lehnstuhl zugestanden zu bekommen.74 Zudem nahm die Kurie Anstoß daran, dass Maria Theresia zwar in einem Handschreiben Benedikt XIV. über den Tod ihres Vaters informierte, ihren eigenen Regierungsantritt darin aber nur implizit erwähnte, ein Problem, das die Anerkennung der neuen Königin durch den Papst erheblich verzögerte.75 Doch schon bevor ihr Botschafter in Rom die von der Kurie verlangte förmliche Notifikation der Thronbesteigung übergeben hatte,76 richtete Benedikt XIV. schließlich seinerseits ein Handschreiben an die Königin,77 das ihr am 15. Dezember von Nuntius Paolucci in seiner ersten Audienz übergeben wurde.78 Auch bezüglich des bei dieser Privataudienz zu verwendenden Zeremoniells zeigte sich Staatssekretär Valenti vergleichsweise großzügig, wenn er Paolucci keine konkreten Vorschriften machte, sondern ihn lediglich anwies, gemeinsame Sache mit den anderen ambasciatori bzw. mit den Gesandten der italienischen Fürsten

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1657 König von Ungarn und Böhmen geworden; seine Kaiserwahl und -krönung erfolgte erst am 18. Juli/1. August 1658. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 29.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 204r-205v, hier fol. 205v.  Valenti an Paolucci, Rom, 12.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 537, fol. 386r; ders. an dens. (chiffriert), Rom, 12.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 547, fol. 281r-283r, hier fol. 281r-282r. Der Nuntius sollte gegenüber den Wiener Ministern betonen, dass die verzögerte Anerkennung »non è per malʼ animo«; ebd., fol. 281v. Eine Kopie des Handschreibens Maria Theresias vom 24. Oktober 1740; ebd., fol. 288r. Ende November wurde das Notifikationsschreiben von der Hofkanzlei erstellt; Paolucci an Valenti (a parte), Wien, 23. und 26.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 337, unfol. Benedikt XIV. an Maria Theresia, Rom, 26.11.1740 (Handschreiben); ASV, Segr. Stato, Germania 537, fol.  450r-451v. Nach dieser italienischen Antwort auf das Handschreiben Maria Theresias erging unter dem 20. Dezember ein lateinischer Brief auf die formale Notifikation des Regierungsantritts; ders. an dies.; Rom, 20.12.1740; ebd., fol.  512r-513r. Vgl. auch Valenti an Paolucci (chiffriert), Rom, 28.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 547, fol. 285r-287r; ders. an dens., Rom, 24.12.1740; ebd., fol. 496r. Vgl. Pastor, Bd. 16/1, 1931, S. 55f. Rosa, 1966, kritisiert die seiner Meinung nach übereilte Anerkennung Maria Theresias als »un primo errore, per lo meno di tempestività«. Paolucci an Valenti, Wien, 17.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol. 468v-476r, hier fol. 468v-469r.

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zu machen.79 Offensichtlich wollte der Papst die Anerkennung Maria Theresias und damit die Stabilisierung ihrer Herrschaft nicht an Zeremonialstreitigkeiten scheitern lassen und nicht den Eindruck erwecken, er sei ihr nicht gewogen.80 Die Audienz vom 15. Dezember wurde nicht als förmliche Antrittsaudienz des Nuntius gestaltet, doch es kam das Zeremoniell einer ersten Audienz bei einem Kaiser oder einer Kaiserin zur Anwendung, das heißt, dass Paolucci vom Obristhofmeister empfangen und ohne Aufenthalt im Vorzimmer direkt zu Maria Theresia geführt wurde und dass er während der Audienz stehenblieb. In seinem Bericht an den Kardinalstaatssekretär betonte der Nuntius, dass allgemein große Freude über die nun öffentlich vollzogene Anerkennung der Königin durch den Papst geherrscht habe.81 Franz Stephan erhielt zwar ebenfalls ein – kürzeres – päpstliches Schreiben.82 Um eine Audienz bei ihm suchte der Nuntius allerdings nicht nach, der überdies höchst unzufrieden damit war, dass er, nachdem er zweieinhalb Jahre Nuntius am Kaiserhof gewesen war, nun seinen Dienst am Hof einer rangniederen Souveränin absolvieren solle.83 79 Valenti an Paolucci (chiffriert), Rom, 28.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 547, fol. 285r-287r; ders. an dens. (chiffriert), Rom, 3.12.1740; ebd., fol. 295r-296r, hier fol. 295v, mit der Formulierung »ministri dei nostri Principi d’Italia«. Zu den Spezifika der Privataudienz, die »unter Maria Theresia […] das Normale« wurde, Graf, 1997, S. 579. 80 Dieser Verdacht wurde nämlich von den Wiener Ministern geäußert. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 3.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 226r-227v, hier fol. 226r. 81 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 17.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 232r-233v. Das Zeremoniell war vorher mit den beiden einzigen am Wiener Hof verbliebenen ambasciatori, nämlich den beiden Venezianern, besprochen worden. Über seine Teilnahme an den Capelle und öffentlichen Tafeln sprach der Nuntius aber nicht, da er hierfür keine Möglichkeit sehe, solange der Großherzog daran partizipiere. Es wurde aber in Abstimmung mit den Venezianern über eine Lösung verhandelt. Ders. an dens. (chiffriert), Wien, 24.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 244r-245v, hier fol. 245v. Mader-Kratky, 2013, S. 97 nennt die Audienz des Nuntius irrtümlich als erste Botschafteraudienz Maria Theresias. 82 Benedikt XIV. an Franz Stephan, Rom, 20.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 537, fol. 516r-517r. 83 Er wies ausdrücklich hin auf »la mia situazione di aver figurato per due anni e mezo incirca presso di un Imperadore, ed ora sembrami duro di dover fare la stessa figura sotto un inferiore governo«. Paolucci an Valenti (a parte), Wien, 93

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Auch im Fall des Allerchristlichsten Königs und der Republik Venedig gab es Zeremonialkonflikte, da das Kanzleizeremoniell in den Notifikationsschreiben Maria Theresias in beiden Fällen beanstandet wurde. Während ein neues Schreiben an Ludwig  XV. aufgesetzt werden musste,84 gab sich Venedig mit der Zusicherung zufrieden, dass in Zukunft ein anderes Zeremoniell verwendet werden würde. Der bereits in Wien anwesende ordentliche Botschafter Zeno hatte am 18.  November eine Privataudienz bei Maria Theresia, und während des Untersuchungszeitraums war der außerordentliche venezianische Botschafter Pietro Andrea Capello der erste – und vorläufig einzige – ambasciatore, der seinen feierlichen Einzug mit anschließender solenner Antrittsaudienz hielt.85 Diese Beispiele verdeutlichen, dass das Zeichensystem des Zeremoniells den Souveränen durchaus Spielräume ließ, um, ohne die eigenen Rangansprüche aufzugeben, Entgegenkommen zu signalisieren. Insofern konnte das Zeremoniell durchaus als eine Art Seismograph für die Positionierungen der europäischen Mächte gegenüber der neuen Königin von Ungarn dienen. Im genuesischen Fall lagen die Dinge anders. Zwar beanspruchte die Republik seit den 1630er Jahren den königlichen Rang und damit die uneingeschränkte Souveränität. Diese wurde allerdings nicht allgemein anerkannt. Die Vorfahren Maria Theresias waren der Superba gegen erhebliche Zahlungen zwar entgegengekommen, der letzte Schritt zur Anerkennung ihrer Königsgleichheit war jedoch unterblieben.86 Umso sensibler war diese Dimension der Beziehungen zwischen der neuen Königin von Ungarn und der Republik, die beide auf der Wahrung ihrer zeremoniellen Vorrechte bestanden. Erst Ende Dezember 1740 präsentierte der österreichische Gesandte in Genua Francesco Guicciardi das Schreiben, in dem Maria Theresia der Republik ihren Regierungsantritt anzeigte, nur um es wieder zurückzuerhalten, da es der »Serenissima Repubblica« die 26.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 337, unfol. Ähnlich begründete auch der französische Botschafter Mirepoix seine Abberufung: Er sei »rivestito di troppo riguardevoli titoli per non poter più figurare sotto altro governo inferiore al precedente«; Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 21.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 220r-221r, hier fol. 200r-220v. 84 Relation Brignoles, Wien, 30.11.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. 85 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 19.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 216r-219v, hier fol. 219v. Beck, 2017, S. 213 verortet die erste öffentliche Audienz des venezianischen Botschafterpaars zeitlich auf den 24. April 1741. – Auch von genuesischer Seite wurde die Positionierung Venedigs beobachtet. Relation Brignoles, Wien, 19.11.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. 86 Vgl. Schnettger, 2006, S. 213-234. 94

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angemessene Titulatur vorenthalte. Die Hofkanzlei hatte auch hier an der Adresse festgehalten, wie sie bei Kaiser Karl VI. gebräuchlich gewesen war. Demgegenüber bestand die genuesische Regierung darauf, von Maria Theresia – die zu diesem Zeitpunkt ja noch keine Kaiserin war – wie von den Königen von Großbritannien, Sardinien und Neapel behandelt zu werden. Bemerkenswerterweise ließ sich der Hofkanzler in verschiedenen Gesprächen mit dem Gesandten Brignole nicht auf dieses Argument ein, sondern beanspruchte, dass für seine Königin dieselben Maßstäbe gelten müssten wie für den Allerchristlichsten und den Katholischen König, die der Republik den »Serenissimus«-Titel ebenfalls vorenthielten. Den Einwand des Genuesen, dabei handle es sich um alte Traditionen, die auf den Fall der Königin von Ungarn nicht anwendbar seien, ließ er nicht gelten.87 Gerade an diesem Beispiel wird die potentielle Bedeutung von Rangfragen besonders nachvollziehbar: Während es der Republik darum ging, durch den angemessenen Titel ihre prekäre Souveränität abzusichern, unterstrichen Maria Theresia und ihre Minister durch die geforderte Parität mit den ranghöchsten Königreichen ihren Anspruch auf einen Platz unter den Führungsmächten Europas. Als im Herbst 1741 der bisherige österreichische Gesandte aus Genua abberufen und die Bedrohung Wiens durch feindliche Truppen einen geeigneten Vorwand lieferte, verließ der genuesische inviato Wien, ohne eine einzige Audienz bei der neuen Königin gehabt zu haben.88 Im Gegensatz zu den Zeremonialstreitigkeiten mit dem Papst, Frankreich und Venedig konnte der Dissens mit Genua nicht beigelegt werden, sondern erledigte sich erst durch die Kaiserwahl Franz Stephans 1745 und die Wiederherstellung des Zustands von vor dem 20. Oktober 1740 quasi von selbst.89

87 Relationen Brignoles, Wien, 25.1.1741, 26.4.1741; ASt Ge, AS 2583, unfol. Auch in diesem Fall gelang es nicht, einen einschlägigen Präzedenzfall aus der vorkaiserlichen Zeit Leopolds I. zu ermitteln. 88 Protokoll des Kleinen Rates, 3.10.1741; Relationen Brignoles, Wien, 4.10.1740, 4.11.1740; ASt Ge. AS 2583, unfol. Siehe auch die Instruktion für Atanasio Gaetano Porro, 11.10.1742; ASt Ge. AS 2716, unfol. 89 In den Instruktionen für die folgenden genuesischen Gesandten nach Wien wurde der Punkt des Zeremoniells dann auch knapp abgehandelt und lediglich auf der Parität der Genuesen mit den inviati anderer gekrönter Häupter bestanden. Instruktion für (den dann wegen des Österreichischen Erbfolgekrieges doch nicht abgeschickten) Giambattista de Mari nach Wien, Genua, 1.9.1746; ASt Ge, AS 2769, unfol.; Instruktion für Giacomo Durazzo, Genua, 27.6.1749; ASt Ge, AS 2716, unfol. 95

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Akteurinnen und Akteure Für die anderen Höfe war es nach dem Regierungsantritt Maria Theresias von höchstem Interesse zu wissen, wer künftig am Wiener Hof welchen Einfluss hatte. Kardinalstaatssekretär Valenti forderte vom Nuntius Ende November hierzu einen förmlichen Bericht über das »sistema di codesta nuova corte« an,90 den dieser am 31. Dezember 1740 vorlegte.91 Doch auch in den anderen Berichten des Nuntius und denen der Genuesen finden sich zahlreiche Aussagen zu den Akteurinnen und Akteuren am Wiener Hof. Als eigenständige Akteurin spielt Maria Theresia in den Gesandtschaftsberichten über ihre ersten Regierungsmonate keine besonders prominente Rolle, sie taucht aber auf. Signifikant ist ihr Rollenwechsel. Während sie in einem der letzten Nuntiaturberichte vor dem Tod Karls VI. als Sängerin genannt wird, die ebenso wie Erzherzogin Maria Anna ihre Sache besonders gut gemacht und entsprechenden Applaus geerntet habe,92 berichtet Paolucci am 20.  Oktober von ihrem ersten Auftritt in der Geheimen Konferenz und ihre Rede vor den versammelten Ministern und Funktionsträgern. Diese hätten sich sehr darüber ge90 »Si è qui all’oscuro del sistema di codesta nuova corte, che deve aver variato totalmente di faccia dopo la morte dell’Imperadore, et è di somma importanza l’averne tutte le più distinte notizie, come Vostra Signoria Illustrissima potrà riflettere. Si considera dunque da Nostro Signore, ch’ella ce ne faccia una piena, ed esatta relazione, tanto rispetto al carattere, e genio di codesti Principi, quanto intorno alle massime, relazioni, e more particolari dei ministri, individuandoci sopra tutto, se passi perfetta reciproca armonia tra l’Arciduchessa, ed il Gran Duca, e chi dei due abbia sopra l’altro l’ascendente, quali siano le loro inclinazioni, qual indifferenza abbia la figlia per l’Imperadrice Madre, ed il genero per la suocera, e se questa influisca nelle risoluzioni, e quale autorità conservi dopo la morte del marito.« Valenti an Paolucci (chiffriert), Rom, 28.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 547, fol. 291r-292v. 91 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 31.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 246r-247v, hier fol. 240r. Für wie heikel er diesen Bericht hielt, zeigt, dass er ihn in der vorangehenden Post ankündigte, verbunden mit der dringenden Bitte, nur den »primo cifrista« mit seiner Dechiffrierung zu betrauen, damit er ja nicht in falsche Hände gerate; ders. an dens. (chiffriert), Wien, 17.12.1740; ebd., fol. 234r-235r, hier fol. 235r. 92 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 16.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 197r-198v, hier fol. 198r. Vgl. zur »singende[n] Erzherzogin« auch Lau, 2016, S. 26-28. 96

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wundert, dass die Königin trotz ihres Kummers so lange habe reden können. Als Handelnde mit eigenen Zielen wird Maria Theresia insbesondere dann fassbar, wenn sie sich um eine Aufwertung ihres Mannes bemüht, wie bei seiner Erhebung zum ungarischen Mitregenten.93 Im Dezember finden sich dann Berichte über Verhandlungen, die sie und der Großherzog mit den Gesandten Sachsens und Preußens führten.94 Überhaupt treten Königin und Großherzog häufig gemeinsam, als Herrschaftspaar, in Erscheinung.95 Persönlich begegnete Paolucci der neuen Königin erstmals in der Audienz am 15.  Dezember. In seinem Bericht äußerte er sich befriedigt darüber, dass Maria Theresia sich nicht nur als gehorsame und liebevolle Tochter Seiner Heiligkeit bezeichnete, sondern beteuerte, sie trachte nicht nach eigener Größe, sondern nur danach, zum Wohl der Religion die Staaten zu bewahren, die die göttliche Vorsehung ihr zum Erbe gegeben habe.96 Später berichtete der Nuntius, ohne persönlich anwesend gewesen zu sein, dass die Königin und der Großherzog nicht nur persönlich mit dem preußischen Sondergesandten Gotter verhandelt hätten, sondern auch, dass Maria Theresia auf die preußischen Zumutungen »con tutta la dignità« geantwortet habe.97 Das ist zwar keine besonders spezifische Aussage; sie bringt aber schon zum Ausdruck, dass die Königin in dieser Krisensituation ihre Rolle angemessen ausfüllte. Ebenso fanden in den genuesischen Berichten die zahlreichen Konferenzen und Audienzen Erwähnung, an denen die Königin ständig teilnahm.98

93 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 5.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 212r-213r. Vgl. Arneth, Bd. 1, 1863, S. 92. 94 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 10.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 230r-231r, hier fol. 230r. 95 Vgl.  zu Maria Theresia und Franz Stephan als Herrschafts- bzw. Arbeitspaar Braun, 2016; dies., 2018, S. 39-67, 117-203. 96 »[…] non solo era ossequiosa, ed affettuosa figlia di Sua Santità, ma che intendeva di apparire sempre tale, dicendomi che questa sarebbe stata la principal sua gloria; […] replicandomi ben due volte, che le sue intenzioni erano buone, e che non cercava la sua propria grandezza, ma unicamente di conservare a beneficio della religione i stati, che la Divina Providenza gli aveva sati in retaggio.« Paolucci an Valenti, Wien, 17.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol. 468v-476r, hier fol. 468v-469r. 97 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 24.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 240r-242v, hier fol. 240r. 98 Relation Bolognas, Wien, 30.11.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. 97

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Auch in seinem zusammenfassenden Bericht über den Wiener Hof vom 31. Dezember 1740 beurteilte der Nuntius Maria Theresia positiv und attestierte ihr guten Willen, tiefe Frömmigkeit, Scharfsinn und Ehrlichkeit. Ihr größter Fehler war nach seiner Einschätzung, dass sie nichts ohne das Wissen ihres Mannes unternehme und sich allzu sehr von seinen Wünschen beeinflussen lasse.99 Immerhin beabsichtige sie aus eigenem Willen eine Erweiterung der Geheimen Konferenz um den böhmischen Hofkanzler Kinsky, weil sie mit Sinzendorfs Amtsführung unzufrieden sei.100 Paolucci zeichnete Franz Stephan als den neuen starken Mann am Wiener Hof, der in gewisser Weise an die Stelle der Kaiserinmutter getreten sei, bei allen Konferenzen den Vorsitz führe und eine »grande autorità« bei den Ministern besitze.101 Überhaupt spielt Franz Stephan von Lothringen in den Nuntiaturberichten eine prominente, zugleich aber auch kritisch beäugte Rolle. Paolucci erwähnte ausdrücklich und offenbar mit einigem Misstrauen seinen Briefwechsel mit dem »häretischen« Preußenkönig.102 In diesen Kontext gehört auch ein Breve Benedikts XIV., durch das er Franz Stephan aufforderte, die angeblichen 99 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 31.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 246r-247v, hier fol. 246r, wo der Nuntius von den »ottime intenzioni, il fondo di religione e di pietà e la sua penetrazione e sincerità« spricht. Noch höher schätzte auch der französische Botschafter Mirepoix in einem Bericht vom 12. November 1740 den Einfluss des Großherzogs ein, wenn er meinte: Maria Theresia »est absolument soumise à toutes [les] volontés du grand-duc et lui renouvelle à chaque instant combien elle est peinée de ne pouvoir lui céder directement ses droits et son autorité.« Zitiert nach Badinter, 2016, S. 78. Ich stimme der Autorin zu, dass Mirepoix sich mit dieser Einschätzung getäuscht haben dürfte. 100 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 31.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 246r-247v, hier fol. 247v. 101 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 31.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 246r-247v, hier fol. 246r-246v. Der Nuntius bedauert dies ausdrücklich, denn »i suoi principi […] non sono coerenti ai nostri«. 102 Paolucci an Valenti, Wien, 12.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol. 432r-443v, hier fol. 442r. Die Antwort des Preußenkönigs auf das Schreiben Franz Stephans fiel deutlich ausführlicher aus als sein gleichzeitiger Brief an Maria Theresia, was dafür spricht, dass er sich vom Großherzog eine größere Offenheit gegenüber seinen Ansprüchen auf Schlesien erhoffte als von der Königin bzw. dass er dessen Einfluss überschätzte; Friedrich II. von Preußen an Maria Theresia, Berlin, 6.12.1740; Friedrich der Grosse, 1879, S. 123f.; ders. an Franz Stephan, Berlin, 6.12.1740; ebd., S.  124. Bemerkenswerterweise war auch der Sonderge98

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Absichten Friedrichs II. auf Jülich und Berg zu durchkreuzen, die die Rechte des legitimen Nachfolgers und den katholischen Glauben gefährdeten.103 Auch in den genuesischen Berichten spielt Franz Stephan eine prominente Rolle, und zwar schon vor dem Tod Karls VI., wenn ausdrücklich erwähnt wird, dass er den Vorsitz in der Geheimen Konferenz führe.104 Im Dezember 1740 deutete der genuesische Sekretär Bologna einen beachtlichen Einfluss des Großherzogs auf das Militärwesen an, wenn er berichtete, dass der frisch aus der Haft entlassene General Graf Neipperg von ihm sehr geschätzt werde.105 Wenig später erwähnte Bologna Franz Stephans vertrautes Verhältnis zu den Gesandten Großbritanniens und der Generalstaaten.106 Alles in allem wird der Einfluss Franz Stephans in den Gesandtenberichten des Spätjahrs 1740 höher eingestuft als in späteren Jahren oder auch durch die aktuelle Forschungsliteratur.107 Es mag sein, dass hier Erwartungshaltungen eine Rolle spielten, dass sich die Gesandten also schlicht nicht vorstellen konnten, dass Maria Theresia die Zügel der Regierung selbst ergreifen würde. Zugleich ist aber davon auszugehen, dass in der Tat die Gewichte am Wiener Hof nach dem Regierungswechsel zunächst noch austariert werden mussten. Von den übrigen Mitgliedern der Herrscherfamilie nannte der Nuntius in seinem Bericht vom 31. Dezember nur die Kaiserinmutter, die gern an der Regierung teilhaben würde, jedoch durch Franz Stephan, der niemals ihr Freund

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sandte nach Berlin Antoniotto Botta Adorno ein Mann des Großherzogs. Zu den Sympathien Franz Stephans für Friedrich II. vgl. Braun, 2018, S. 118-122. Benedikt  XIV. an Franz Stephan, Rom, 20.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 537, fol.  516r-517r. In diesem Schreiben erbat der Papst die Unterstützung des Großherzogs gegen die preußischen Absichten auf Jülich und Berg, die dem katholischen Glauben nachteilig seien. Anfang November hatte Paolucci die Befürchtung geäußert, der Wiener Hof werde Friedrich in der Jülicher Erbfrage entgegenkommen, um sich seine Kurstimme zu sichern. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 5.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 208r-210v, hier fol. 208r-v. Relation Bolognas, Wien, 19.10.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. Relation Bolognas, Wien, 7.12.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. Zur Haftentlassung Neippergs, der immerhin der ehemalige Erzieher Franz Stephans war, und der anderen beiden Generäle vgl. Arneth, Bd. 1, 1863, S. 93. Relation Bolognas, Wien, 21.12.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. Andererseits teilt die jüngere Forschung nicht den Hang zur weitgehenden Marginalisierung Franz Stephans wie in einigen älteren Arbeiten. Vgl. Zedinger, 2008; Braun, 2016; dies., 2018. 99

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gewesen sei, von den Geschäften ferngehalten werde.108 Diese Einschätzung passt zu dem Befund, dass Kaiserin Elisabeth Christine ebenso wie ihre jüngere Tochter Maria Anna und ihre Schwägerin Maria Magdalena in den eingesehenen Korrespondenzen kaum als Akteurinnen in Erscheinung treten, sieht man davon ab, dass die beiden jüngeren Frauen im Gegensatz zu Maria Theresia und den beiden Kaiserinwitwen an der Beisetzung Karls VI. teilnahmen und dass die Gesandten über eine Verheiratung Maria Annas spekulierten.109 Auch die Kaiserinwitwe Wilhelmine Amalie ist keine prominente Akteurin in den Berichten vom Wiener Hof. Zwischen den Zeilen wird jedoch deutlich, dass sie als Mutter der bayerischen Kurfürstin Maria Amalia als das potentielle Haupt einer probayerischen Hofpartei erschien und dementsprechend mit einigem Misstrauen betrachtet wurde.110 Gelegentlich wird auch Karl von Lothringen als Mitglied der Herrscherfamilie erwähnt, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Tod Karls VI.111 Sowohl in den Nuntiatur- wie in den genuesischen Berichten tritt Hofkanzler Sinzendorf von den Ministern am häufigsten auf. Das hängt sicher damit zusammen, dass die Außenbeziehungen zu dieser Zeit in erster Linie Sache der Österreichischen Hofkanzlei waren, weist aber zugleich auf die hervorragende Stellung Sinzendorfs hin, den Paolucci in seinem zusammenfassenden Bericht vom 31. Dezember 1740 als die »prima figura« unter den Konferenzministern 108 »[…] il Duca, che non è mai stato suo amico la tiene lontana dai negozi […]. In apparenza però passa tutta la buona armonia, ma in sostanza la Regina e il Duca si mantengono in una totale indipendenza dalla madre.« Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 31.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 246r-247v, hier fol. 247v. Diese Beobachtung steht in einem gewissen Widerspruch zu der Einschätzung bei Arneth, Bd. 1, 1863, S. 91f., Franz Stephan habe in keiner Weise versucht, sich für frühere Zurücksetzungen zu rächen. Dass der Einfluss Elisabeth Christines nach dem Tod Karls VI. gering war, auch weil Maria Theresia sie systematisch von der Politik fernhielt, darf aber als common sense der Forschung gelten. Vgl. Pölzl, 2016, S. 187. 109 Siehe oben S. 87. 110 In der Instruktion für den französischen Botschafter Mirepoix war sie noch als potentiell wichtige Unterstützerin charakterisiert worden; Instruktion für GastonPierre-Charles de Lévis-Lomagne, Marquis de Mirepoix, Versailles, 11.12.1737, in: Livet, 1884, S. 245-279, hier S. 270f. Zu den Verbindungen Wilhelmine Amalies, die sich noch 1739 mit der kurfürstlichen Familie im Stift Melk getroffen hatte, zum bayerischen Hof vgl. Pölzl, 2016, S. 185. 111 Relation Brignoles, Wien, 22.10.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol. 100

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bezeichnete. Er führte die von ihm bedauerte Vorrangstellung des Hofkanzlers auf den Einfluss Franz Stephans zurück.112 Prinzipiell günstiger beurteilte er Gundaker von Starhemberg, der beim Herrscherpaar angesehen sei, sich aber wegen seines Alters und seines Naturells in der Konferenz kaum zu Wort melde, wenn es nicht um Finanzangelegenheiten gehe. Graf Königsegg war derjenige Minister, dessen Grundsätze der Nuntius am positivsten beurteilte; er werde jedoch vom Großherzog geringgeschätzt, melde sich in der Konferenz kaum zu Wort und konzentriere sich auf sein Amt als Obersthofmeister der Kaiserin Elisabeth Christine. Der beim verstorbenen Kaiser so einflussreiche Bartenstein sei von der Königin auf die Rolle des bloßen Konferenzsekretärs beschränkt worden.113 Auch in den genuesischen Berichten spielt Sinzendorf die wichtigste Rolle unter den Ministern, doch auch andere Persönlichkeiten werden genannt, wie Bartenstein, der das Notifikationsschreiben Maria Theresias an Ludwig  XV. konzipiert habe.114 Mehrfach ist in den genuesischen Berichten von einem Kollektivakteur »questo ministero« die Rede, der die Politik des Wiener Hofs mehr zu bestimmen scheint als die Direktiven der Königin.115 Das mag aber auch damit zusammenhängen, dass die beiden Genuesen die internen Kräftefelder des Wiener Hofs nur unscharf erkennen konnten. Eine Veränderung am Wiener Hof, die der Sekretär Bologna erwähnt, ist der bevorstehende Wegzug der meisten

112 Sinzendorf sei kein Freund des Heiligen Stuhls, wohl aber der Jansenisten; Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 31.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol.  246r-247v, hier fol.  246v. Vgl. zu Sinzendorf Győry von Nádudvar 1892; Stollberg-Rilinger, 2017, S. 60f.; allgemein zu den Konferenzministern in der Spätzeit Karls VI. auch Braubach, 1939, S. 43-46, 49-53. 113 »Il Barone di Bartenstein ch’è il segretario della conferenza, e che contava tutto presso dell’Imperadore è molto decaduto, e la Regina lo ha ristretto a fare la figura semplice di segretario della medesima conferenza e nulla più.« Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 31.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 246r-247v, hier fol.  247r-v, Zitat fol.  247. Zu Bartenstein vgl. Arneth, 1871; Braubach, 1953; Stollberg-Rilinger, 2017, S. 222-229. 114 Relation Bolognas, Wien, 26.10.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. Jemand, der das Konzept gelesen habe, habe es als »un capo d’opra« gelobt. Bologna erwähnt später auch den Tod des Reichsvizekanzlers Metsch, der ein Vermögen von 3 Millionen Gulden hinterlassen habe; Relation dess., Wien, 30.11.1740; ebd., unfol. 115 Z.  B. Relation Brignoles, Wien, 22.10.1740; ASt Ge, AS 2585, unfol.; Relation Bolognas, Wien, 9.11.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. 101

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Neapolitaner nach dem Tod ihres kaiserlichen Patrons, der seine Klienten aus den verlorenen Teilen des spanischen Erbes bis zum Ende gefördert hatte.116

Geschlechter(um)ordnungen Äußerungen wie diejenige des venezianischen Gesandten Zeno, die Arneth wiedergegeben hat, es gebe »Stimmen, welche erklärten, es sei unvereinbar mit der Würde des Reiches, von einer Frau regiert zu werden«,117 finden sich in den für diesen Betrag eingesehenen Korrespondenzen nicht. Vielmehr wird hier an keiner Stelle weibliche Herrschaft als ein Problem erörtert – abgesehen davon, dass Maria Theresia als Frau das Recht bestritten wurde, die böhmische Kurstimme zu führen.118 Offenbar wurde die Regierungsfähigkeit Maria Theresias weder vom Nuntius noch von den genuesischen Gesandten in Zweifel gezogen.119 Auch Papst Benedikt XIV. zeigte sich in seinem Schreiben vom 26. November zwar betroffen über das Aussterben des Hauses Habsburg im Mannesstamm, äußerte jedoch die Zuversicht, dass Maria Theresia mit den Ländern auch die Tugenden ihres Vaters geerbt habe120 – bewertete hier also die Abstammung höher als das Geschlecht der Herrscherin.

116 Relation Bolognas, Wien, 28.12.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. Bologna erwähnt besonders den Grafen di Sangro, »particolarmente favorito dal defonto Imperatore«, dem die erbetene Pension, um »con decoro« in Wien leben zu können, verweigert worden sei. 117 Arneth, Bd. 1, 1863, S. 89 mit Anm. 4. 118 Paolucci an Valenti, Wien, 20.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol. 408v-412v, hier fol. 412v; ders. an dens. (chiffriert). Wien, 24.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 244r-245v, hier fol. 244r; ders. an dens. (chiffriert), Wien, 31.12.1740; ebd., fol. 248r-249r. 119 Das steht im Einklang mit der jüngeren Forschung, die die Vorstellung, die Herrschaft von Frauen sei in der Frühen Neuzeit etwas Irreguläres gewesen, stark relativiert hat. Vgl. Keller, 2016 (mit umfassendem Forschungsüberblick). 120 »Riflettendo, che nella persona di Carlo VI. Imperadore è finita la linea maschile della gran Casa di Austria, potiamo dire con ogni ingenuità à Vostra Maestà, che saressimo inconsolabili se non riflettessimo, che vive per Dio grazia la Maestà Vostra, primogenita erede deʼ stati patrimoniali, e coi stati delle virtù del suo gran padre«; Benedikt  XIV. an Maria Theresia, Rom, 26.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 537, fol. 450r-451v, hier fol. 450r. 102

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Geschlecht im Sinne von sex kommt im Zusammenhang mit Maria Theresias Schwangerschaften zur Sprache, z. B. als Begründung für ihr Fernbleiben von der Beisetzung ihres Vaters oder für die Verschiebung der ungarischen Königskrönung.121 Negative Wertungen weiblicher Herrschaft sind damit nicht verbunden, sondern die durch die Schwangerschaft verursachten Einschränkungen werden sehr sachlich dargestellt. Nur selten werden, nun im Sinne von gender, vermeintlich geschlechtsuntypische Eigenschaften Maria Theresias thematisiert, wie ihre Stärke und Beherrschtheit bei ihrem ersten Auftritt in der Geheimen Konferenz.122 Schon der Venezianer Marco Foscarini hatte ihr 1736 in seiner Finalrelation »eine gewisse Männlichkeit des Geistes« attestiert.123 Während solche Aussagen als positiv aufzufassen sind, insofern sie das Vorhandensein wichtiger herrscherlicher Qualitäten bei der neuen Königin bezeugen, lässt eine Bemerkung Brignoles vom Juni 1741 ein gewisses Befremden erkennen: Die Königin habe sich mehrfach beim Reiten erholt – und zwar gekleidet wie ein Mann, also offensichtlich im Herrensattel.124 Es finden sich auch keine Überlegungen, als Frau bedürfe Maria Theresia eines männlichen Mitregenten. Vielmehr beurteilte der Nuntius, wie gezeigt, die 121 »[…] avendo temuto i medici, che l’intervento ad un sì doloroso spettacolo della detta Regina le averebbe potuto cagionare qualche grave male, onde temerne l’aborto«. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 29.10.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol.  199r-202v, hier fol.  202r. Siehe auch ders. an dens., 12.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 334, fol. 432r-443v, hier fol. 441v.; Relation Bolognas, Wien, 26.10.1740; ASt Ge, AS 2583, unfol. 122 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 5.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 212r-213r. 123 »Ma forse il pregio migliore di questa Principessa si è l’elevatezza del suo spirito congiunto ad una certa virilità dell’animo atto oggimai a trattare facende grandi. E già mostra di sentire la sua fortuna, e quando ne avvenga di esserne in possesso, è da tenersi per costante, che non avranno dispotico arbitrio quelli, che le staranno al fianco per consiglieri.« Relation des Marco Foscarini. 1736, in Arneth, 1863, S. 80-133, hier S. 131. Von einer »starken Seele« Maria Theresias spricht um dieselbe Zeit auch der englische Gesandte Robinson. Vgl. Arneth, Bd. 1, 1863, S. 25. Und der französische Botschafter schrieb am 2. November 1740, dass »de tout temps cette princesse a passé ici pour être fort décidée et entière dans ses resolutions«. Zitiert nach Badinter, 2016, S. 78. 124 Relation Brignoles, Wien, 14.6.1741; ASt Ge, AS 2585, unfol. Siehe auch die Abbildung bei Stollberg-Rilinger, 2017, Abb. 23. 103

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Aufwertung Franz Stephans äußerst kritisch.125 In den Nuntiaturberichten wird seine Position bemerkenswerterweise mehrfach mit der der Kaiserin Elisabeth Christine zu Lebzeiten ihres Mannes verglichen. So hielt Paolucci fest, dass Franz Stephan an der öffentlichen königlichen Tafel den Sitz zur Linken der Königin und damit diejenige Position eingenommen habe, die ehedem die Gemahlin des Kaisers besetzt hatte.126 Auch im Zusammenhang mit der geplanten Erhebung Franz Stephans zum ungarischen Mitkönig setzte Paolucci die für ihn in Aussicht genommene Stellung mit der einer ungarischen Königin qua Heirat gleich.127 Ebenso verglich der Nuntius in seinem Bericht vom 31.  Dezember 1740 den Einfluss des Großherzogs mit dem der früheren regierenden Kaiserin.128

Fazit Alles in allem zeichnen die Gesandtenkorrespondenzen vom Spätjahr 1740 den »neuen« Wiener Hof als von vielfältigen Gefährdungen, Unsicherheiten und Unwägbarkeiten geprägt. Die Berichte lassen einerseits das Streben Maria Theresias und ihres Hofs nach größtmöglicher Kontinuität erkennen, zugleich aber auch, dass diese Kontinuität, und zwar schon vor dem preußischen Einmarsch in Schlesien, mit einigen Fragezeichen belastet war. Weder der Nuntius noch die genuesischen Gesandten sind besonders verdächtig, dass sie eine Thronfolgekrise hätten herbeischreiben wollen. Alle berichten jedoch über kleinere Unruhen sowie hofinterne Unstimmigkeiten, über erhebliche finanzielle Proble125 Neben den erwähnten Rangstreitigkeiten und seinen Sympathien für den »häretischen« Preußenkönig spielten für diese äußerst kritische Einschätzung auch diverse Konflikte des Großherzogs mit dem Kirchenstaat bzw. der Römischen Kurie eine Rolle, die regelmäßig in der Nuntiaturkorrespondenz thematisiert werden. 126 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 5.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 212r-213r, hier fol. 212r. 127 »[…] il governo e autorità resti unicamente alla Regina, e debba ella essere a tenore della pramattica sanzione il vero Re, ed il Gran Duca possa goder soltanto del titolo e prerogative regie nella guisa l’anno goduto le Regine d’Ungheria maritate«. Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 5.11.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 212r-213r, hier fol. 213r. 128 Paolucci an Valenti (chiffriert), Wien, 31.12.1740; ASV, Segr. Stato, Germania 341, fol. 246r-247v, hier fol. 246r. Dass der Einfluss Elisabeth Christines in den 1730er Jahren beachtlich war, nimmt auch Braubach, 1939, S. 37f., an. 104

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me und eine dadurch bedingte militärische Schwäche. Dass mit Maria Theresia eine neue, bessere Zeit angebrochen sein könnte, wird zwar gelegentlich angedeutet; die diesbezüglichen Äußerungen treten jedoch gegenüber den ausführlich beschriebenen Krisenphänomenen in den Hintergrund. Gravierender als die inneren waren jedoch die äußeren Herausforderungen. Hier spiegeln die Gesandtenberichte die Unsicherheit des zwischen Hoffnungen und Befürchtungen schwankenden Wiener Hofes wider. Deutlich zeigten die diversen Zeremonialstreitigkeiten, dass auch befreundete oder neutrale Höfe keineswegs bereit waren, Maria Theresia oder gar ihrem Ehemann einen quasi-kaiserlichen Status zuzugestehen. Sie war nur eine Königin unter vielen, deren beanspruchte Gleichrangigkeit mit dem Allerchristlichsten oder dem Katholischen König durchaus zweifelhaft war. Als noch zweifelhafter wurde freilich der Ausgang der Kaiserwahl eingestuft. Erhebliche Unsicherheiten bestanden bei den Gesandten über die künftige Kräfteverteilung am Wiener Hof. Maria Theresia wird als Akteurin genannt; ein besonderes Profil gewinnt sie allerdings v. a. in ihren Bemühungen, ihren Mann zeremoniell aufzuwerten und ihm die Mitregentschaft zu verschaffen. Franz Stephans Einfluss wird als groß, vom Nuntius als zu groß wahrgenommen. Dass mit Maria Theresia eine Frau die Herrschaft angetreten hat, wird nicht als grundsätzliches Problem angesprochen. Die unsichere Lage des Wiener Hofs im Spätjahr 1740 ist nicht dadurch begründet, dass die Erbtochter Karls VI. zur Regierung nicht in der Lage wäre, sondern durch konkurrierende Erbansprüche und die fragile Lage des Habsburgerreichs nach zwei verlorenen Kriegen. Angedeutet wird hingegen eine Umkehrung der Geschlechterordnung am Wiener Hof, indem Franz Stephan – durchaus im Wortsinn, aber auch bezüglich der ihm zugebilligten Handlungsfelder – auf den Platz verwiesen wurde, den vordem die Kaiserin innegehabt hatte. Andererseits wird in den Quellen das Herrscherpaar Maria Theresia – Franz Stephan fassbar, bei dem die Zeitgenossen des Spätjahrs 1740 dem männlichen Part einen größeren Einfluss zusprachen als die heutige Forschung. Das mag durch die Erwartungshaltungen der Gesandten bedingt gewesen sein, aber auch schlicht dadurch, dass Maria Theresia tatsächlich einige Monate brauchte, bis sie die Herrschaft nicht nur de jure voll übernommen hatte.

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»…aus besonderer Distinction für den russisch[en] kaÿ[serlichen] Hof« 1 Das Botschafterzeremoniell am Wiener Hof zur Zeit Maria Theresias (1740-1765) Marina Beck Das Botschafterzeremoniell und die Audienzen am Wiener Hof Das europäische Mächteverhältnis drückte sich im Hofzeremoniell in einem differenzierten Zeichensystem aus, das den Stand und Status eines Herrschers demonstrierte. Der Austausch zwischen dem Wiener und dem russischen Hof wurde durch das Botschafterzeremoniell geprägt, das sich in der Frühen Neuzeit etabliert hatte. Das praktizierte Zeremoniell folgte hierbei einem bestimmten Verhaltenskodex, der nicht durchbrochen werden konnte, aber in seiner Vielschichtigkeit der Anwendung unterschiedliche Möglichkeiten bot, um Rangunterschiede und Bevorzugungen auszudrücken.2 Im 17. Jahrhundert nahmen der Nuntius, der venezianische, spanische und savoyische Botschafter den höchsten Rang am Wiener Hof ein.3 Unter Maria Theresia änderte sich die Reihenfolge, und der neapolitanische, russische und französische Botschafter gewannen zunehmend an Bedeutung. 1 2 3

HHStA ZP 28, fol. 77v (13.3.1761). Vgl. Stollberg-Rilinger, 2004, S. 489-527, bes. S. 500f., 503-511. Zur liturgischen Funktion des Nuntius am Wiener Hof vgl. Garms-Cornides, 2006; dies., 2009, S. 100-110. Zur besonderen Stellung des venezianischen Botschafters vgl. Niederkorn, 2009, S. 81, 84-86; Duchhardt, 1975, S. 355; Pečar, 2003, S. 214f. Zur Stellung des spanischen Botschafters siehe ebd., S. 211f. 111

Marina Beck

Der russische Botschafter nahm aufgrund des Status seines Herrschers und der Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche eine Sonderstellung im Botschafterzeremoniell ein. Neben dem osmanischen Sultan wurde auch dem russischen Zaren ein kaiserähnlicher Status im europäischen Ranggefüge zugesprochen.4 Dass beide nicht der römisch-katholischen Kirche angehörten, stellte während des alltäglichen zeremoniellen Ablaufs am Wiener Hof ein Hindernis dar. So war die Teilnahme an den öffentlichen Gottesdiensten ein obligatorischer Bestandteil zahlreicher zeremonieller Ereignisse, bei denen die mit einer öffentlichen Audienz bei Hof offiziell eingeführten (in publico stehenden) Botschafter anwesend zu sein hatten.5 Der russische Botschafter verzichtete daher bald darauf, sich in publico zu setzen. Bereits 1749 wurde anlässlich der Privataudienz des Grafen Bestužev-Rjumin eine Sonderregelung festgelegt, laut der der neue russische Botschafter mit einer Privataudienz anstatt einer öffentlichen Audienz am Wiener Hof empfangen werden sollte.6 Der Ablauf dieser Privataudienz glich allerdings in vielen Aspekten der öffentlichen Audienz und umfasste beispielsweise die Übergabe der offiziellen Schreiben (Credentialien) des Botschafters an den Herrscher.7 In den 1750er Jahren wurde diese Mischform zwischen öffentlicher 4

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Peter der Große machte 1721 den Anspruch auf den Imperatorentitel geltend und berief sich auf eine Urkunde von 1514, in der dem Zaren der Kaisertitel vom kaiserlichen Gesandten zugestanden worden war. 1726 zeigte sich Karl  VI. bereit, die Verwendung des Titels durch Katharina  I. zu tolerieren. 1742 erkannte der wittelsbachische Römische Kaiser Karl VII. den Titel an. Maria Theresia gab Elisabeth 1746 den Titel. Zur Titulatur des russischen Zaren als Kaiser bzw. Majestät und der Verwendung des Majestätstitels vgl. Meyer, 1963, S. 1-10; Leitsch, 2003, S. 68f.; Krischer, 2011, S. 215f. Katharina II. ging einen Schritt weiter und kreierte für ihre Krönung 1762 eine eigene Krone in Anlehnung an die habsburgische Hauskrone, vgl. Strunck, 2017, S. 70. Hierzu zählte u. a., an den höfischen Galatagen bei der öffentlichen Tafel der herrschaftlichen Familie anwesend zu sein oder den Mitgliedern des Herrscherhauses zu deren Geburts- und Namenstagen gratulieren zu dürfen, vgl. Pečar, 2003, S. 211; Beck, 2017, S. 38-43, 48-63, 81-83. Vgl. HHStA ZP 22, fol. 157v (28.5.1749). Bereits 1747 war an den russischen Hof ein Schriftstück übermittelt worden, in dem die Bestimmungen, wie die privaten Audienzen abzuhalten seien, festgehalten worden waren. Es basierte auf einem Extrakt, der angefertigt worden war, um das Zeremoniell der Privataudienzen mit dem Nuntius und den Botschaftern festzulegen. Das Dokument befindet sich in den Zeremonialakten, vgl. HHStA ÄZA

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und privater Audienz zum bevorzugten Medium des Zusammentreffens zwischen dem Kaiser und der Kaiserin und den Botschaftern, die hierbei incognito verblieben.8 Ab 1763 entsandten der Wiener und der russische Hof anstatt der Botschafter nur noch Minister, die generell nicht in publico gesetzt wurden.9 Die exponierte Stellung eines Botschafters drückte sich am Wiener Hof in der Verleihung bestimmter Privilegien aus, die von der Hofgesellschaft als Ausdruck der besonderen Bevorzugung verstanden wurden. Dies betraf zum einen symbolische Ehrbekundungen, wie das Präsentieren des Gewehrs durch die Garde bei der Einfahrt in den Burghof, umfasste aber auch die Verwendung von Kleidungs- und Ausstattungsstücken bei der Audienz. So war nur manchen Botschaftern das Schmücken ihrer Gespanne mit Quasten an den Pferdedecken oder das Tragen bestimmter Kleidungsstücke, die vom traditionellen spanischen Mantelkleid abwichen, erlaubt. Der Nuntius trug während der ersten öffentlichen Audienz sein liturgisches Gewand, um seine geistliche Funktion zu unterstreichen10, der venezianische Botschafter die senatorische toga oder sogenannte veste,11 der türkische Botschafter den türkischen Zeremonienmantel. Als besonderes Privileg wurde letzterem zudem das Recht zugestanden, in der Hofburg in der Ritterstube seinen Zeremonienhut aufzusetzen, wozu ihm eigens ein Stuhl bereitgestellt wurde.12 Das Aufstellen bestimmter Möbel- und Ausstattungsgegenstände in den Audienzzimmern sowie deren Farbgebung stellten ebenfalls einen Ausdruck der besonderen Ehrerbietung dar, wobei die Präsentation von goldenen Stoffen auf den Sitz- und Tischmöbeln die höchste Ehrung darstellte. So wurde ausschließ-

46 (1747-1748), fol. 10r-35v. Im Zeremonialprotokoll wird seine Verschickung an den russischen Hof dokumentiert, vgl. HHStA ZP 21, fol. 186r (21.11.1747). Zur Übergabe und Funktion der Schreiben/Kreditive siehe Krischer, 2011, S. 210f. 8 Vgl. Beck, 2017, S. 98f. 9 Vgl. HHStA ZP 29, fol. 91v-92v (23.10.1763). Siehe hierzu auch Khavanova, die aus den Instruktionen für Fürst Lobkowitz zitiert, der 1762 als bevollmächtigter Minister nach Russland geschickt worden war. In selbigen wird angemerkt, dass diese Entscheidung getroffen worden sei, um Kosten zu sparen, aber auch, weil das frühere gute Einverständnis zwischen dem Wiener und dem russischen Hof sich mittlerweile geändert habe. Khavanova zitiert aus der Originalquelle, vgl. Khavanova, 2013, S. 197, Anm. 27. 10 Vgl. Garms-Cornides, 2009, S. 123. 11 Vgl. ebd., S. 124. 12 Vgl. Beck, 2017, S. 93f. 113

Marina Beck

lich beim Empfang des türkischen Botschafters ein zweiter Teppich unterhalb des Baldachins ausgebreitet.13

Abb. 1: Die Repräsentationsappartements in der Wiener Hofburg 17541772. Albertina, Wien, AZ 6173. Legende: Appartement des Kaisers: Appartement der Kaiserin: X = Gardestube X = Gardestube K = Kapelle R = Ritterstube 1 = Erste Antikammer 1 = Erste Antikammer 2 = Zweite Antikammer 2 = Zweite Antikammer A = Audienzzimmer A = Ratsstube B = Spiegelzimmer B = Retirade C = Schlafzimmer C = Schlafzimmer D = Kabinett Einen hohen Stellenwert nahm zudem der Raum ein, in dem der Botschafter von den verschiedenen Mitgliedern des Hofstaats jeweils begrüßt und schlussendlich vom Herrscher zur Audienz empfangen wurde.14 Die Botschafter fuhren zur ersten öffentlichen Audienz in der Hofburg in den inneren Burghof ein und begaben sich über die Botschafterstiege in den ersten Stock durch die Gardestube, Ritterstube, erste und zweite Antikammer in die Ratsstube. Privataudienzen fanden in der Retirade statt. Zur Kaiseringemahlin gelangten die Botschafter über das Mezzaningeschoss durch den Controlorgang und über die Adlertorstiege wieder hinauf in den ersten Stock. Die hier zu durchschreitende Raumfolge bestand aus der Gardestube, ersten und zweiten Antikammer, Audienzzimmer und Spiegelzimmer.15 Maria Theresia empfing die Botschafter zweimal, nämlich in ihrer Funktion als Kaiseringe13 Vgl. ebd., Abb. 6-8. Zur Verwendung der Sitzmöbel im diplomatischen Zeremoniell vgl. Krischer, 2011, S. 221. 14 Vgl. Beck, 2017, S. 94-96. 15 Vgl. Mader-Kratky, 2013, S. 92-94, 97, 102f.; dies., 2014, S. 81-87; dies., 2016, S. 328-331; Beck, 2017, S. 90-101, 209-221. 114

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mahlin und in ihrer Funktion als Herrscherin. Die Audienz als Souveränin fand im vormaligen Appartement ihres Vaters, des verstorbenen Kaisers, statt. Nach der Kaiserkrönung Franz Stephans 1745 wurde für die Nutzung dieses Appartements ein komplexer Zeitplan entwickelt, damit beide Herrscher die Räume nutzen konnten.

Abb. 2: Die Repräsentationsappartements im Ostflügel in Schloss Schönbrunn 1747-1765. Albertina, Wien, AZ 9581. Legende: Appartement des Kaisers:

Appartement der Kaiserin:

X = Gardesaal GG/R = Große Galerie / Ritterstube 1 = Erste Antikammer 2 = Zweite Antikammer A = Ratsstube B = Retirade C = Schlafzimmer D = Kabinett

Y = Vorhaus X = Gardesaal 1 = Erste Antikammer 2 = Zweite Antikammer A = Audienzzimmer B = Spiegelzimmer C = Schlafzimmer D = Kabinett

In der Sommerresidenz Schönbrunn ist eine identische Raumfolge nachweisbar. Hier waren allerdings Gardestube, Ritterstube und die beiden Antikammern den Appartements des Herrscherpaares vorgeschaltet. Hinter der zweiten Antikam-

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Marina Beck

mer teilte sich die Raumfolge. Das Appartement Franz Stephans lag im Südflügel, das Appartement Maria Theresias im Ostflügel.16

Der russische Botschafter am Wiener Hof Die besondere Stellung der Vertreter des russischen Hofs am Wiener Hof wird durch entsprechende Hinweise im Ablauf der zeremoniellen Ereignisse deutlich.17 Hierzu zählten unter anderem die Einfahrt in den inneren Burghof, meist bei Paradierung der Wachen, der Empfang und die Begleitung durch den Oberstkämmerer, die Räumung der Antikammern von der Hofgesellschaft sowie die Erteilung der Audienz in den Retiraden und Spiegelzimmern, wo die Gesandten als Zeichen der Distinktion entweder ihren Hut nach Aufforderung durch den Kaiser aufbehalten oder auf das Tragen eines solchen ganz verzichten durften.18 Die Einfahrt in den inneren Burghof, während die Wachen ihre Waffen präsentierten, stand nur den hochrangigen Botschaftern zu und wurde besonders hervorgehoben, wenn es sich um Gesandte handelte, die diesen Status nicht innehatten.19 Der Empfang des Botschafters durch den Oberstkämmerer wurde bereits 1745 im Zeremonialprotokoll anlässlich der Überbringung der Glückwünsche zur Kaiserkrönung als besonderer Umstand betont. Der Oberstkämmerer kündigte den russischen Kammerherrn Čoglokov »zu einer Distinction wegen sonderlich auf diesen Russischen Hof tragenden Egard ingleichen daß aus einer gleichmässigen besondern Demonstration ihme die Audienz zu Schönbrunn, und nicht in der Stadt, wie mit Ministris von andern Höfen beschehen, 16 Vgl. Beck, 2017, S. 317-337, 363-372. 17 Zur Beziehung zwischen dem russischen und dem Wiener Hof im 17. Jahrhundert siehe Schwarcz, 2003, S. 34f., 39f. 18 Vgl. Pečar, 2003, S. 167f., 210f.; Auer, 2009, S. 46; Beck, 2017, S. 92-97. 19 1683 erfolgte ausschließlich die Einfahrt der beiden Gesandtenwagen in den inneren Burghof. Ebenfalls einreiten durfte der pod´jaćij Konrad Nikitin, der das Akkreditiv des Zaren trug. Die Bediensteten mussten am Burgplatz aussteigen, vgl. Augustynowicz, 2003, S. 57. Die russischen Gesandten wurden im 17. Jahrhundert in die drei Klassen der Boten, der Abgesandten oder Kleingesandten und der Großgesandten oder Legaten, die manchmal auch große Legaten genannt wurden, unterteilt. Bereits im 17.  Jahrhundert verlangten die russischen Boten auf Weisung ihrer Regierung stets die gleiche Behandlung wie die Abgesandten und besaßen oft auch die Instruktionen und den Auftrag, Verhandlungen zu führen, vgl. Schwarcz, 2003, S. 34. Zu den Gesandtenrängen siehe Vec, 2000, S. 559587; Krischer, 2011, S. 218-225. 116

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ertheilet worden«,20 bei Maria Theresia an, die ihn lediglich im Beisein ihrer Obersthofmeisterin in ihrem Spiegelzimmer empfing. Die Betonung der besonderen, engen Beziehung zum russischen Hof, »an dessen Freundschafft uns so vill gelegen«,21 erfolgt ausführlich in der Beschreibung der Audienz des russischen Kammerherrn zur Gratulation anlässlich der Geburt des Erzherzogs Leopold am 9. Mai 1748 durch Khevenhüller-Metsch. Zur Ablegung der Gratulation war der Sohn des russischen Großkanzlers, Graf Andreas Bestužev-Rjumin, nach Wien geschickt worden, »dessen Credit dermahlen sehr hoch gestigen, [weswegen man ihn] – auf alle mit unserer Etiquette nur immer compatiblen Art distinguiren wollen.«22 Der Sohn des russischen Großkanzlers wurde von General-Major Baron Kettler während seines Aufenthalts begleitet. Dieser war 1744 nach St. Petersburg geschickt worden, um die Übernahme der Patenschaft mit dem Zarenhof zu besprechen.23 Nun sollte er in Wien Graf Bestužev-Rjumin »an der Hand […] sein und dahin zu sorgen, damit er behöriger Orthen aufgeführet und bekant gemacht werde, anbei auch alles merckwürdige besehen möge, wie dann Kettler ihn nach Hoff und überall begleitet.«24 Des Weiteren wurde dem Hofmarschall und Schwager des Oberstkämmerers Khevenhüller-Metsch aufgetragen, im neuen Opernhaus eine der besten Logen für den russischen Kammerherrn und seine Frau zu reservieren, die selbige nach Belieben gratis nutzen durften.25 Während seiner Glückwunschaudienz wurden dem russischen Kammerherrn zahlreiche zeremonielle Auszeichnungen zuteil. So wurde Graf Bestužev-Rjumin erlaubt, mit seinem mit sechs Pferden bespannten Wagen und seinen zahlreichen Bediensteten in den inneren Burghof der Wiener Hofburg einzufahren, was generell nur den Botschaftern zugestanden wurde. Bei der Ein- und Ausfahrt hatten die Wachen beim Tor das Gewehr zu präsentieren. Dies galt auch für die Hartschierengarde, die zwischen den Antikammern paradierte.26 Als weitere Auszeichnung hätte die Audienz eigentlich in der Retirade des Kaisers stattfinden sollen, »gleichwie es mit unsern und deren befreunten Höffen Cammerherrn geschiht. […] Allein der Kaiser, weillen er darüber nicht praeveniret worden

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HHStA ZP 20, fol. 469r-v (29.5.1746). Khevenhüller-Metsch, Bd. 2, 1908, S. 219 (9.5.1748). Ebd. Vgl. Khavanova, 2013, S. 207. Khevenhüller-Metsch, Bd. 2, 1908, S. 219 (9.5.1748). Vgl. ebd., S. 221 (10.5.1748). Vgl. ebd., S. 219f. (9.5.1748). 117

Marina Beck

oder doch hierumen vorläuffig befragt worden zu sein, sich nicht erinnerte, wolte […] absolument nicht willigen.«27 Um dem russischen Kammerherrn trotz der Weigerung des Kaisers, ihn in seiner Retirade zu empfangen, eine besondere Bevorzugung während der Audienz zu erweisen, ließ Khevenhüller-Metsch bereits vor dem Empfang die Ratsstube von den Anwesenden räumen. Damit konnte der Kaiser direkt von der Retirade in die Ratsstube treten, um dort Graf Bestužev-Rjumin zu empfangen, womit dieser wiederum nicht erst längere Zeit in der Antikammer warten musste, bis die Ratsstube geleert worden war.28 Während der Audienz begab sich der russische Gesandte trotz vorher vereinbartem Zeremoniell jedoch nicht zum Handkuss beim Kaiser. Er entschuldigte sich anschließend für sein Versäumnis und absolvierte nachmittags den Handkuss ordnungsgemäß bei Maria Theresia. Im Gegensatz zu ihrem Mann erteilte die Herrscherin die Audienz in ihrem Spiegelzimmer. Abends empfing sie dort auch die Ehefrau des russischen Gesandten. Am 28. Mai 1749 wurde der ältere Bruder des russischen Großkanzlers als neuer russischer Botschafter zu seiner ersten Audienz beim Herrscherpaar in Schönbrunn in den Retiraden empfangen, während derer er seine Schreiben übergab.29 Seine zweite Ehefrau wurde jedoch nicht zur Audienz bei Maria Theresia zugelassen. Graf Bestužev-Rjumin hatte nämlich seine erste Frau nach Sibirien verbannt und obwohl er mit ihr noch verheiratet war, sich in Dresden ohne Wissen seines Hofes mit der verwitweten Frau von Haugwitz vermählt.30 Maria Theresia war es nicht möglich, die zweite Frau des russischen Botschafters als dessen Gemahlin bei Hof zu empfangen, solange nicht bekannt war, wie der 27 Ebd., S. 219 (9.5.1748). 28 Vgl. ebd., S. 220 (9.5.1748). 29 Die Audienz bei Maria Theresia fand in ihrem Spiegelzimmer statt, wobei dem russischen Botschafter ausdrücklich versichert wurde, dass dieses in ihrer Raumfolge als äquivalent zur Retirade anzusehen war, vgl. ebd., S.  327 (28.5.1749). Zur Umsetzung des Botschafterzeremoniells in Schönbrunn siehe Beck, 2017, S. 363-372. Zur Gleichsetzung von Spiegelzimmer und Retirade im Zeremoniell in Schönbrunn vgl. ebd., S. 320. 30 Seine erste Frau wurde von Khevenhüller erwähnt als die »in der bekanten großen Inquisition [worein unser Botta mitgezogen worden] um ihre Zungen gekommene und nacher Siberien relegirte«, Khevenhüller-Metsch, Bd. 2, 1908, S. 327 (28.5.1748). Eine Zusammenfassung der Ereignisse findet sich bei Khevenhüller-Metsch anlässlich der offiziellen Einführung der zweiten Ehefrau bei Hof, vgl. ders., Bd. 3, 1910, S. 36 (23.5.1752). 118

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russische Hof sich zur zweiten Ehe seines Botschafters verhielt. Da sowohl die Zarin als auch der russische Großkanzler und Bruder des Botschafters dessen zweite Ehe nicht anerkannten, konnte seine zweite Ehefrau erst nach dem Tod der ersten Gemahlin am 23.  Mai 1752 ihre erste Audienz bei Maria Theresia erhalten.31 Am 5. Januar 1755 empfing das Herrscherpaar den russischen Kammerherrn Karl Baron Sievers, der die Nachricht von der Geburt Großfürst Pauls, des Sohnes von Katharina und Peter (III.), überbrachte, bei dem Kaiser und Kaiserin die Patenschaft übernommen hatten.32 Das Zeremoniell folgte hierbei dem einer öffentlichen Audienz und fand bei Franz Stephan in der Ratsstube statt. Allerdings wurde Baron Sievers vom Oberstkämmerer empfangen und durch die Räume geleitet. Während der Audienz wurde zudem zur Demonstration der besonderen Distinktion auf das Tragen einer Kopfbedeckung verzichtet und der Kreuzschirm, der den Eingang zur Ratsstube vor Blicken schützte, nicht entfernt. Maria Theresia empfing den russischen Kammerherrn als Zeichen der Ehrung in ihrem Spiegelzimmer, wo der zeremonielle Ablauf identisch zum Audienzzimmer erfolgte.33 Bei seiner wenige Tage später stattfindenden Abschiedsaudienz erhielt Baron Sievers als weitere besondere Auszeichnung ein »kaÿ[serliches] Portrait reich mit Brillanten besetzt, welches Ihro Maÿ[estät] der Kaÿser demselben zum Andencken, und zugleich zu einer besonderen Bezeugung der= für den Russisch kaÿ[serlichen] Hof tragenden Achtung überreichen liessen, massen die kaÿser[lichen] Portraits sonsten nur denen Botschaftern gegeben worden.«34

31 Vgl. ders., Bd. 2, 1908, S. 327f. (28.5.1748); ders., Bd. 3, 1910, S. 36f. (23.5.1752). 32 Vgl. Khavanova, 2013, S. 207. Die Diskussion darüber, ob es sich bei Paul tatsächlich um den Sohn Peters handelte, kann hier außer Betracht bleiben. 33 Vgl. HHStA ZP 25, fol.  4v-7r (5.1.1755). »Nach der Kirchen hatte der russische Cammerherr Baron von Sievers seine Empfangs-Audienzien auf den nemmlichen Fuß wie solche die vorhin dahier gewesene Cammerherren Tschoglokof und Bestuchef gehabt hatten, bei den Kaiser in der Raths-Stuben und bei der Kaiserin im Spieglzimmer, worzu er beide Mahl von mir selbsten gemeldet wurde.« Khevenhüller-Metsch, Bd. 3, 1910, S. 221 (5.1.1755). 34 HHStA ZP 25, fol. 13r (26.1.1755). Das Porträt heftete er sich für die anschließende Audienz bei Maria Theresia an die Brust. Von ihr bekam er als Abschiedsgeschenk eine mit Brillanten besetzte Tabatiere und einen kostbaren Ring, vgl. ebd., fol. 13v. 119

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Franz Stephan empfing den russischen Botschafter nur zu gesonderten Anlässen in der Retirade. Dies war beispielsweise 1761 der Fall, als sich der in Wien ansässige russische Botschafter Johann Graf von Keiserling nach Augsburg zu den Friedensverhandlungen begab.35 Der auf der Durchreise in Wien Station machende zweite russische Botschafter Graf von Černyšev wurde von Franz Stephan in der Retirade empfangen, »in Anbetracht dieser Ministre auch an das Reich accreditirte gewesene.«36 Maria Theresia und ihre Kinder empfingen den Botschafter wie üblich in den Spiegelzimmern und Retiraden, was mit der »Egard für den Russischen=kaÿ[serlichen] Hof«37 begründet wurde.

Der Herrschaftswechsel am russischen Hof 1762 Eine merkliche Abkühlung der Beziehungen zwischen dem Wiener und dem russischen Hof erfolgte nach dem Tod der Zarin Elisabeth am 5. Januar 1762.38 Am 21. Januar wurde in der Hofkonferenz diskutiert, welche Hoftrauer für die verstorbene Herrscherin der Russen angemessen sei.39 Laut der Hofklagordnung von 1746 wurde für einen König, mit dem die habsburg-lothringische Familie nicht verwandt war, eine Trauerzeit von drei Wochen, für eine Königin von 14 Tagen angesagt.40 Da die »Russische Kaÿserin als selbst Beherrscherin aller Russen einem Könige«41 gleichzusetzen sei, schlug die Hofkonferenz eine dreiwöchige Hoftrauer vor, die am 26. Januar begann.42 Am 24. Januar wurde der russische Botschafter Fürst von Golicyn zur Privataudienz beim Herrscherpaar empfangen, um die Kredentialien des neuen Herrschers Peter  III. zu überreichen. Da er sich nicht in publico befand, fuhr er mit einem zweispännigen, in Trauerfarben bespannten Wagen in den inneren Burghof ein und wurde vom Oberstkämmerer in der Ratsstube empfangen, der ihn bis zur Retirade des Kaisers begleitete, wo die Audienz stattfand. Anschließend begab sich der russische Botschafter über den Controlorgang im Mezza35 36 37 38 39

Vgl. HHStA ZP 28, fol. 147v-148r (10.7.1761). Ebd., fol. 155v (16.7.1761). Ebd. Vgl. Khavanova, 2013, S. 193f. Die Nachricht vom Tod Elisabeths war an diesem Tag angekommen, vgl. HHStA ZP 28, fol. 203v (21.1.1762). 40 Vgl. Kneidinger/Dittinger, 2007, S. 559f. 41 HHStA ÄZA 59 (1761-62), fol. 1v-2r (24.1.1762). 42 Vgl. HHStA ZP 28, fol. 208v-209v (26.1.1762). 120

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ningeschoss in das Appartement Maria Theresias, wo sie ihn in ihrer Funktion als König von Ungarn und Böhmen im Spiegelzimmer empfing und die Schreiben des neuen russischen Zaren entgegennahm. In diesem Zusammenhang werden keine besonderen Ehrbekundungen gegenüber dem russischen Hof erwähnt. Noch knapper fällt die Beschreibung der Audienz des russischen Botschafters anlässlich der Thronbesteigung Katharinas II. am 29. Juli 1762 aus. Im Zeremonialprotokoll wird lediglich vermerkt, dass der russische Botschafter seine von der »auf den russisch kaÿ[serlichen] Thron erhobenen Kaÿserin Catharina der 2ten erhaltenen neue Credentialien an beede kaÿ[serlichen] und könig[lichen] aposto[lischen] Maÿ[estäten] überreichet«43 hatte. Die Absetzung Peters III. als Zar wird nicht erwähnt und sein Tod erst am 8. August im Wienerischen Diarium dokumentiert.44 In der Ausgabe vom 28. Juli wurde kurz bemerkt, dass »der Rußische Kaiser den 9. dieses Monats des Reiches entsetzet, und der Kaiserin Majestät mit allgemeiner Freude zur Selbstherrscherin aller Reussen ausgeruffen worden« sei.45 Ergänzend wurden zwei unkommentierte Dokumente abgedruckt, in denen Katharina II. ihren Herrschaftsantritt erklärte.46 Ein eigener Bericht über die »am 9. Juli erfolgte Staatsveränderung in Russland« erschien erst in der Ausgabe vom 25. August.47 Nach ihrer Krönung schickte Katharina  II. den russischen Kammerjunker Dmitrij Matuškin nach Wien, um das Herrscherpaar in einer Audienz über dieses Ereignis zu informieren.48 Obwohl die am 19. September stattfindende Au43 44 45 46 47 48

Ebd., fol. 378r-v (29.7.1762); vgl. Wienerisches Diarium, 31.7.1762, S. 5. Vgl. Wienerisches Diarium, 4.8.1762, S. 4. Wienerisches Diarium, 28.7.1762, S. 5. Vgl. ebd., S. 11-18. Vgl. Wienerisches Diarium, 25.8.1762, S. 7f. Nach der Ankunft des russischen Kammerjunkers am 13. September erfolgte die Audienz am 19.  September, vgl. HHStA ZP 28, fol.  388v (13.9.1762). Sie wird im Wienerischen Diarium nur erwähnt, ohne dass der Grund (Krönung) genannt wird, vgl. Wienerisches Diarium, 22.9.1762, S. 5. Das Herrscherpaar schickte den zweiten Sohn von Graf Kaunitz nach Russland, um in seinem Namen zu gratulieren, vgl. HHStA ZP 28, fol. 388v (13.9.1762). Die Abreise erfolgte am 12. Oktober, vgl. ebd., fol. 397r (12.10.1762). Siehe auch Khavanova, 2013, S. 207. Das veränderte Verhältnis zwischen dem Wiener und dem russischen Hof drückt sich auch in der Bildpolitik und den verwendeten Insignien in den Staatsporträts aus. So präsentierte sich Katharina II. als rechtmäßig gekrönte Herrscherin mit ihrer Hauskrone, womit sie sich über die ungekrönte Kaiserin Maria Theresia zu stellen versuchte, vgl. Strunck, 2017, S. 72-75. 121

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dienz im Zeremonialprotokoll als Privataudienz bezeichnet wird, erfolgte sie »nicht mehr in den Spieglzimer […] welches nur mit denen anhero geschickten Camerherrn unter vorigen Regierungs Zeiten […] der russischen Kaÿserin Elisabeth Maÿ[estät] zu einer Distinction beobachtet worden«,49 sondern fand nun bei Franz Stephan in der Ratsstube und bei Maria Theresia im Audienzzimmer statt.50 Eine Erklärung für den Wechsel der Räumlichkeiten und den Entzug der besonderen Distinktion, die früher dem russischen Hof entgegengebracht worden war, erfolgt nicht. Auffällig ist zudem, dass für den verstorbenen Zar Peter III. weder im Zeremonialprotokoll noch im Wienerischen Diarium die Hoftrauer angesagt worden war. Die zunehmende Distanziertheit zum russischen Hof wird auch in einer Beschreibung der Audienz des russischen Generals Bruce am 5. August 1764 deutlich, die Khevenhüller-Metsch liefert: »Da sich aber die politische Umstände unser beiden Hoffen so mercklich geänderet und die mit der verstorbenen Frauen obgewaltete so genaue Freundschafft und Einverständnus sich in eine gänzliche Indifferenz verwandlet, so fande mann nicht convenable, selbem die in dergleichen Fählen vorhin übliche ganz besondere Distinctionen zu erweisen, sondern er wurde in allen lediglich auf den Fuß empfangen und tractiret, wie alle übrige fremmde Ministres, die nicht de famille gehalten werden; mithin wurde er weder von mir als den Obrist-Cammerern zu denen Audienzien gemeldet, noch zu der herrschaftlichen Taffel jemahls geladen.«51

Die nun vorherrschende mangelnde Wertschätzung drückte sich auch in dem Abschiedsgeschenk aus, das dem russischen General nach seiner Abschiedsaudienz am 13. August übergeben wurde. Er wurde von Khevenhüller-Metsch »mit einer zimmlich schlechten goldenen in etwas doch mit Brillanten garnirten Tabatière und des gleichen Ring«52 beschenkt. Bei vorhergehenden Audienzen hatte der russische Botschafter, wie zur Zeit Maria Theresias üblich, regelmäßig kostbar verzierte Porträts des Herrscherpaares erhalten.53 49 50 51 52 53

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HHStA ZP 28, fol. 391v-392r (19.9.1762). Vgl. ebd., fol. 391v (19.9.1762). Khevenhüller-Metsch, Bd. 6, 1917, S. 48 (5.8.1764). Ebd., S. 50 (13.8.1764). Zu diplomatischen Abschiedsgeschenken allgemein siehe Duchhardt, 1975, S. 345-362. Zum diplomatischen Abschiedsgeschenk zur Zeit Maria Theresias siehe Yonan, 2009, S. 177-188. Weitere kostbare Geschenke waren goldene Ketten

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Nach der ersten Teilung Polens 1772 verbesserte sich das Verhältnis zum russischen Hof allmählich wieder.54 1774 wurden den Russen erneut besondere Auszeichnungen entgegengebracht, nun allerdings in anderer Form. So gewährte Maria Theresia am 9. April »[a]us besonderer Distinction […] nach den Kirchendienst denen Russen Audienz, da sie sonsten in der Charwochen nicht mehr sichtbahr zu sein pfleget«.55

Die Patenschaft und Namensgebung für Erzherzog Leopold Ein weiterer Indikator für die mit dem Herrschaftswechsel 1762 einsetzende und im Zeremoniell sich widerspiegelnde Entfremdung zwischen dem Wiener und dem russischen Hof stellten die Namenstagsfeierlichkeiten für Erzherzog Leopold dar. Im Jahr 1747 hatte Zarin Elisabeth die Patenschaft für das am 5. Mai geborene Kind Maria Theresias übernommen. Es handelte sich hierbei um einen Jungen, der auf Wunsch der Zarin mit erstem Namen Peter genannt wurde. »Dem Ertzherzog wurden die Nahmen Petrus (zumahlen die russische Kaiserin aus Lieb und Veneration für ihren Herrn Vattern sich ein solches pro speciali favore ausgebetten) Leopoldus Iosephus Ioannes Antonius Joachim Pius Gotthardus zugeleget«.56 Erst der zweite Name, Leopold, folgte dem habsburgischen Namenskanon. Als Großherzog der Toskana wurde er Pietro Leopoldo, nach der Kaiserkrönung 1790 Leopold II. genannt.

oder andere Gegenstände aus Edelmetall. Leopold I. verschenkte oft Edelsteine. Im 18. Jahrhundert wurden Porträts der Herrscher in edelsteinbesetzten Rahmen üblich, deren Wert nach Lünig 3.000 bis 4.000 Gulden betrug, vgl. Niederkorn, 2009, S. 85f. Zur Bewertung der Geschenke des russischen Hofs, die aus Pelzen bestanden, und den Geschenken, die der Wiener Hof an Geschirr und Besteck dem russischen Hof machte, siehe Augustynowicz, 2003, S. 59. 54 Wann genau der Wiener und der russische Hof über die Wiederbelebung der Defensivallianz übereinkamen, lässt sich allerdings schwer feststellen, vgl. Khavanova, 2013, S. 207f. Der sich langsam entwickelnde Prozess spiegelte sich auch im Zeremoniell wider. 55 Khevenhüller-Metsch, Bd. 8, 1972, S. 70 (9.4.1775). 56 Khevenhüller-Metsch, Bd. 2, 1908, S. 153 (5.5.1747). 123

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In den ersten Jahren nach seiner Geburt wurde der Namenstag Peter Leopolds am 29. Juni, dem Peter-und-Paul-Fest, gefeiert.57 1752 war die Feier des Namenstags zwar für den 29. Juni angesagt worden, da der Erzherzog jedoch erkrankt war, fielen die Feierlichkeiten aus. Stattdessen erschienen am 15. November, dem Tag des Heiligen Leopold, der russische, neapolitanische und venezianische Botschafter gemeinsam mit dem Nuntius, um dem Erzherzog zum Namenstag zu gratulieren, wozu eine Gala angesagt wurde.58 Die Gratulation des russischen Botschafters am Leopoldstag blieb allerdings die Ausnahme. 1753 beschloss Maria Theresia, den Namenstag ihres Sohnes künftig am 15. November zu feiern. Am 29. Juni wollte die Herrscherin »aber nicht, daß mann wegen des dritten Ertzherzogs Gala ansagen solle, indeme er nur den Nahmen Leopold celebriret; deme ungehindert kamme der russische Bottschaffter, welchem die dißfahls angesuchte Audienz nicht abgeschlagen werden kunte, seinen Glückwunsch ablegen«.59 Am 15.  November gratulierte der russische Botschafter hingegen nicht.60 Auch in den Folgejahren erschienen die Botschafter mit Ausnahme des russischen Botschafters am 15. November, um Leopold die Glückwünsche zu überbringen, während der russische Botschafter weiter am 29. Juni zum Namenstag gratulierte.61 Diese Gratulation wurde indes zum genannten Termin nicht protokolliert und gehörte somit nicht zum öffentlich dokumentierten höfischen Zeremoniell. Sie ist bis 1761 nachweisbar.62 57 Vgl. HHStA ZP 22, fol. 166v (29.6.1749), fol. 325v-326v (28. und 29.6.1750); Hofkalender 1750, Eintrag zum 29.  Juni; Hofkalender 1751, Eintrag zum 29.  Juni; Hofkalender 1752, Eintrag zum 29.  Juni. Die Geburts- und Namenstage aller Kinder des Herrscherpaares werden in den Zeremonialprotokollen erst ab 1753 vollständig aufgeführt. Vorher erfolgen nur vereinzelte Nennungen. Lediglich die Feiern für Joseph werden immer erwähnt. Zur Feier der Geburts- und Namenstage siehe Beck, 2017, S. 54-59. 58 Vgl. HHStA ZP 23, fol. 584r-v (29.6.1752), fol. 731v-732r (15.11.1752). 59 Khevenhüller-Metsch, Bd.  3, 1910, S.  123 (29.6.1753); vgl. HHStA ZP 24, fol. 129r-v (29.6.1753). 60 Vgl. ebd., fol. 218r (15.11.1753). 61 Vgl. Khevenhüller-Metsch, Bd. 3, 1910, S. 209 (15.11.1754), 268 (15.11.1755); ders., Bd. 4, 1914, S. 128 (15.11.1757); ders., Bd. 6, 1917, S. 68 (15.11.1764), 209 (15.11.1766). 62 In den Hofkalendern wurde bis 1754 noch der 29. Juni als Namenstag des Erzherzogs genannt. In den Zeremonialprotokollen hingegen wird bereits ab 1753 nur noch der 15. November als Namenstag angeführt. 1754 fand keine Feier des Namenstags Leopolds am 29. Juni statt, da an diesem Tag der öffentliche Hervorgang 124

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Erst nachdem Katharina II. 1762 den Thron bestiegen hatte, gratulierte der russische Botschafter ebenfalls am 15.  November zum Namenstag Leopolds. Dies behielt er in den folgenden Jahren bis zum Umzug Leopolds in die Toskana nach seiner Hochzeit 1765 bei.63 Dem russischen Botschafter stand es nun anscheinend nicht mehr zu, an seinem über Jahre etablierten Sonderstatus festzuhalten und das festgelegte Zeremoniell zu umgehen. Als mögliche Gründe können zum einen das veränderte Verhältnis zwischen dem Wiener und dem russischen Hof, und zum anderen der Umstand, dass Katharina II., die im Unterschied zu Elisabeth nicht die Patin war, keinen Grund hatte, auf der Betonung des Namens Peter durch die Gratulation des Botschafters an diesem Tag zu bestehen, genannt werden. Damit spiegelt sich das Ende der Sonderstellung des russischen Botschafters am Wiener Hof mit dem Herrschaftsantritt Katharinas II. auch in den Namenstagsfeierlichkeiten für den Erzherzog wider. Das Botschafterzeremoniell fungierte als fein justierter Indikator, der die Entwicklung der Beziehungen zwischen den Herrscherinnen reflektierte. Hierbei ist von besonderer Bedeutung, dass die Zusammentreffen Maria Theresias und des russischen Botschafters in der höfischen Öffentlichkeit stattfanden, die selbige aufmerksam beobachtete und kommentierte. Bereits marginale Veränderungen im höfischen Zeremoniell wurden erkannt und auf die politische Situation rückprojiziert.64 Zur Zeit Maria Theresias variierte die Zelebrierung der höfischen Praktiken entsprechend dem wechselnden Verhältnis zur Herrscherin von Russland. Während sich in den ersten Jahren der Regierung Maria ThereMaria Theresias gefeiert wurde, vgl. Khevenhüller-Metsch, Bd. 3, 1910, S. 180 (29.6.1754). Am 15. November 1754 findet sich der Eintrag, dass der russische Botschafter nicht zur Gratulation erschienen sei, weil er bereits am 29. Juni gratuliert habe. Im November gratulierten der venezianische Botschafter und der Nuntius, vgl. HHStA ZP 24, fol. 562r-v (15.11.1754). 1756, 1759, 1760 und 1761 finden sich keine Hinweise auf eine Gratulation des russischen Botschafters am 15. November, vgl. ZP 25, fol. 440v (15.11.1756); ZP 27, fol. 170r-v (15.11.1759), fol. 360r-v (15.11.1760); ZP 28, fol. 177v (15.11.1761). 1757 und 1758 wird am 15. November dokumentiert, dass der russische Botschafter seine Gratulation am 25. Juni abgelegt hatte, vgl. ZP 26, fol. 130v (15.11.1757), fol. 396r-v (15.11.1758). 63 Vgl. HHStA ZP 28, fol.  413v-414r (15.11.1762); ZP 29, fol.  134r-v (15.11.1763), fol. 584r-v (15.11.1764, russischer Botschafter abwesend). Mit Ausnahme des ersten Datums (1762) wird der russische Botschafter nicht explizit erwähnt, sondern 1763 vermutlich unter den summarisch genannten Botschaftern und Gesandten mitgezählt. 64 Vgl. Stollberg-Rilinger, 2000, S. 489-527; Pečar, 2003, S. 228. 125

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sias ein betont inniges Verhältnis zu Elisabeth aus den zeremoniellen Abläufen ablesen lässt, änderte sich dies mit der Thronbesteigung Peters III. und wenige Wochen später seiner Ehefrau Katharina II. Dieser Bruch war auf mehreren zeremoniellen Ebenen nachweisbar. Das Botschafterzeremoniell diente in diesem Zusammenhang als Gradmesser der politischen Beziehungen und wurde zum Ausdruck derselben, was sich anhand der Audienzen und der Gratulationen während der Geburts- und Namenstagsfeiern nachvollziehen ließ.

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Der russische Hof unter Elisabeth Petrovna Besonderheiten und Spezifika Francine-Dominique Liechtenhan

Die Herrschaft Elisabeths, Zeitgenossin Maria Theresias, Ludwigs  XV., Georgs II. und Augusts III., stellt aus verschiedenen Gründen eine Besonderheit in Europa dar. Die zweitälteste Tochter Peters des Großen wurde als seine Erbin und als diejenige, die das Werk dieses ersten aufgeklärten Herrschers fortsetzte, angesehen. Von majestätischer Erscheinung und Figur, erschien sie wie eine Göttin, um die sich das öffentliche Leben ihres riesigen Reichs drehte. Jedwedes Interesse der Diplomaten ging von diesem Punkt aus und richtete sich dann auf die Funktionsweise des russischen Hofes, seine Intrigen und Faktionen. Die Diplomaten versuchten, die Rolle eines jeden Protagonisten genau zu bestimmen, um die Informationen ihren jeweiligen Herrschern zu übermitteln.1

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Wir orientieren uns hier an dem Werk von Le Roy Ladurie, 1997, insbesondere an dem Kapitel »Cabales, lignage, pouvoir« (S. 181-236). Im 18. Jahrhundert leidet der zaristische Hof, wenn man seine Struktur mit den von Le Roy Ladurie eingeführten Parametern vergleicht, unter einer ersten Anomalie: Er kann nicht schematisch durch zwei klare Achsen, die eine horizontal, die andere vertikal, dargestellt werden. Die Genealogie der Erbprinzen Ludwigs XIV. lässt sich nicht mit der ihrer russischen Zeitgenossen vergleichen. Der erste Unterschied leitet sich aus der Abwesenheit des salischen Gesetzes ab. Siebzig Jahre fast ununterbrochener weiblicher Herrschaft sind das Ergebnis dieser russischen Anomalie. Als zweites lässt sich feststellen, dass diese Kaiserinnen entweder verwitwet oder unverheiratet waren, was eine sehr schwache monarchische Reproduktionsrate im gesamten 18. Jahrhundert zur Folge hatte. Das dritte Element: Das Geschlecht der Romanovs basierte tatsächlich auf der von Saint-Simon so vehement kritisierten Bastard-Erbfolge und natürlich auch auf der Usurpation des Thrones. Vier Staatsstreiche prägten die russische Geschichte des 18. Jahrhunderts, ganz zu schwei131

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Die Hierarchie am Hof Elisabeth war die letzte direkte Erbin Peters I. Sie lehnte es ab, eine offizielle Ehe zu schließen und somit legitime Nachfahren zur Welt zu bringen. Eine Allianz mit einem ausländischen Fürsten oder einem russischen Adligen hätte ihren Handlungsspielraum zu Gunsten der russischen Oligarchie verringert, die stets danach strebte, ihre Macht zu steigern und eine Art konstitutionelle Monarchie zu etablieren. Die Anwesenheit einer jungen, schönen und unabhängigen Frau an der Spitze des Staates veränderte auf spezielle Weise die Rollen und die seit Jahrhunderten eingefahrenen Spielregeln. Das Spiel der Mätressen mit ihren einflussreichen Netzwerken wurde an den westlichen Höfen mehr oder weniger toleriert. Das einstudierte Gebaren der Liebhaber um eine launische Herrin herum erschütterte hingegen die Geister und grenzte sich beispielsweise stark von der offensichtlich tugendhaften Lebensführung der mater familias et patriae Maria Theresia ab. In Russland entstanden Ligen und Fraktionen, die sich herausforderten und sich mit oder ohne Beteiligung ausländischer Minister veränderten. Wegen der fehlenden vertikalen Ordnung oder ununterbrochenen Genealogie verkomplizierte sich das höfische System unter der Herrschaft Elisabeths I. und entwickelte sich aufgrund der multiplen Verwandtschaft in horizontaler Richtung. Die erste Gruppe bestand aus den Vertrauten: ihre Favoriten oder Liebhaber Razumovskij,2 Šuvalov,3 Voroncov,4 Lestocq,5 zu denen die Familienmitglieder

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gen von den drei Ermordungen der legitimen Thronerben Peter III., Ivan VI. und Paul I. Aleksej G. Razumovskij (1709-1771) begann seine Karriere 1731 als Sänger in der ukrainischen Kapelle des Hofes, wo er bald der Geliebte der Prinzessin Elisabeth wurde. Nach dem Staatsstreich wurde er zum Kammerherrn ernannt, erhielt ohne jegliches Verdienst 1744 den Grafentitel sowie den des Generalleutnants und 1756 den des Feldmarschalls Petr I. Šuvalov (1711-1767) verwaltete die inneren Angelegenheiten und die Finanzen. Da er einige Monopole wie beispielsweise den Walfang innehatte, war er der wohlhabendste Mann des Regimes. Michail L. Voroncov (1714-1767) wurde 1744 zum Vizekanzler und 1758 dann zum Großkanzler ernannt. Er konnte seine Stellung unter Peter III. beibehalten und war treuer Diener Katharinas II. bis zu jenem Tag, an dem er sich mit Katharinas Favoriten Grigorij Orlov zerstritt. Siehe den Beitrag von Jan Kusber in diesem Band. Jean-Hermann Lestocq oder L’Estock (1692-1767) stammte von französischen Hugenotten ab und trat 1713 in die Dienste Peters I. Seine Beteiligung am Staats-

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mütterlicherseits hinzukamen, die Cousins livländischer Herkunft, die nicht dem Adel entstammten. Die Skavronkijs, Gendrikovs und Čoglokovs waren unter Peter I., seiner Ehefrau Katharina I. oder unter der neuen Herrscherin in den Adelsstand erhoben worden. Während der ersten Regierungsjahre bezeugten diese Emporkömmlinge ihre Komplizenschaft mit den französischen und preußischen Diplomaten.6 An dieser Stelle muss auf das Problem der weiblichen Hypergamie eingegangen werden.7 Am Hofe Elisabeths entsprach die männliche Hypergamie der Norm. Man stieg in der höfischen Hierarchie auf, indem man eine Verwandte oder eine Freundin der Zarin heiratete. »Der nächtliche Kaiser«, Aleksej Razumovskij, stellte hierbei den spektakulärsten Fall dar. Als einfacher, kaum gebildeter, ukrainischer Bauer gelangte er an die Spitze der höfischen Hierarchie dank seiner morganatischen Ehe mit Elisabeth. Die Frau des Vizekanzlers Voroncov, Anna Karlovna,8 war das Haupt der weiblichen Faktion, die aus der Familie Katharinas I. hervorgegangen war. Dazu zählten die Nachfahrinnen des Bruders sowie der Nichten Katharinas  I.9 Die Ehrendamen besaßen einen größeren Einfluss auf die Kaiserin als ihre Minister, ihre verflossenen Liebhaber oder Personen, die zu wenig attraktiv für diese Rolle waren und daher wie Laufburschen behandelt wurden. Diese Frauen waren meist von bescheidener Herkunft und unter Peter I. oder zu Beginn der 1740er Jahre in die obersten Ränge des Hofs vorgerückt. Sie waren die Kindheitsgefährtinnen Elisabeths, die Vertrauten ihrer frühen Liebschaften, die Organisatorinnen ihrer ersten Rendezvous in einem bedrückenden Palast unter der Kontrolle der Geheimpolizei Anna Ivanovnas gewesen. Die Herrscherin brachte ihnen eine unendliche und ehrliche Dankbarkeit entgegen. Als Zeichen ihres größten

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streich Elisabeths brachte ihm die Titel des Geheimen Rats, des Präsidenten des medizinischen Kollegs und des Leibarztes ihrer Majestät ein. Seine besonders guten Beziehungen zum Großherzog sowie seine häufigen Kontakte nach Preußen trugen dazu bei, dass er 1749 in Ungnade fiel und erst nach Ouglitch, dann nach Ostioug exiliert wurde, bis zur Thronbesteigung Peters III. 1762. GStA, Rep. 92, Nachlass Heinrich von Preußen, B 9, 15, fol. 10-22. Le Roy Ladurie, 1997, S. 23. Anna K. Voroncova, geborene Skavronskaia (1723-1775), war die Tochter eines der Brüder der Kaiserin Katharina  I. Sie heiratete den Vizekanzler und wurde 1742 zur Staatsdama befördert. Hierzu die Beschreibungen der Preußen Axel von Mardefeld und Carl Wilhelm Finck von Finckenstein: Mémoire de Mardefeld sur les Personnalités les plus importantes à la Cour de Russie; bei Liechtenhan 1998a, S.  253-282; sowie die Relation générale de la Cour de Russie, 1748; in Liechtenhan 1998b, S. 300-346. 133

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Vertrauens durften sie ihr während des Schlafes die Fußsohlen »kraulen«. Die Voroncova dominierte diesen kleinen familiären Hof und betrat zu jeder Zeit die kaiserlichen Gemächer, um von Elisabeth in deren Geheimnisse eingeweiht zu werden. Sie vermied es, sich zu sehr in die Staatsgeschäfte einzumischen und begnügte sich damit, eine passive Rolle zu spielen. Gleichzeitig überbrachte sie mal hier, mal dort einige »weise Ansichten« ihres Mannes oder bereitete Elisabeth darauf vor, diese anzuhören. Zu ihren Komplizinnen zählte eine weitere Cousine der Kaiserin, Evdokija, die mit dem russischen Gesandten in Berlin verheiratet war.10 Überheblich und zum Prunk neigend, hatte sie kein Verständnis für die Schlichtheit des Zeremoniells in Potsdam. Sie verstand dies als persönlichen Affront und entwickelte bald einen tiefen Hass gegen den preußischen König. In ihren Beschwerden stimmte sie mit Anna Karlovna überein, denn man hatte in Versailles der Cousine der Kaiserin das Privileg abgesprochen, auf dem Ehren-Hocker Platz zu nehmen.11 Direkt nach ihrer Rückkehr säten die zwei Frauen, die eine Friedrich II. hassend, die andere Ludwig XV. ablehnend, Zwietracht in den internationalen Beziehungen. Diese Damen ließen es sich nicht nehmen, beleidigende Aussagen über die westlichen Fürsten verlauten zu lassen: Diese seien Flegel, die die russische Kaiserwürde nicht respektierten. Dies war ihr Urteil, das Elisabeth, die sehr auf höfische Etikette bedacht war, nicht unberührt ließ. Ihre Intrigen waren ein ausschlaggebender Grund für das Umschwenken der Zarin auf die Seite Österreichs im Mai 1746. Eine weitere Verwandte hatte den Kammerherrn Čoglokov12 geheiratet und wurde in die Dienste der Großfürstin Katharina berufen. Maria Čoglokova13 erwies ihr die gleichen Dienste wie vormals der jungen Prinzessin Elisabeth. Sie beschützte ihre heimlichen Liebschaften, ohne dabei strengste Verschwiegenheit zu wahren. Sie war 10 Petr G. Černyšev (1712-1773), Geheimer Rat, Kammerherr und Senator, begann seine diplomatische Karriere als Gesandter 1741 in Kopenhagen und wurde anschließend nach Berlin und London entsandt. In der Zeit Katharinas  II. war er Präsident des Kriegskollegiums. 11 Die einzigen Ausländerinnen, die auf dem Hocker Platz nehmen durften, waren die spanischen Prinzessinnen. Dies war eine inakzeptable Begründung für die Russen. 12 Nikolaj N. Čoglokov (1718-1754), Gardeleutnant und Kammerherr, war 1747 der Oberhofmeister des Großfürsten. 13 Maria S. Čoglokova, geborene Hendrikova (1723-1756), war die Cousine Elisabeths und ihre erste Hofdame (= maître de garde-robe). Als Anstandsdame von Katharina wurde sie damit beauftragt, das Intimleben der Großfürstin zu überwachen, konnte aber deren Liaison mit Sergej V. Saltykov nicht verhindern. 134

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die Mätresse Voroncovs, bis dieser in den Westen ging, und gehörte lange Zeit zu der französisch-preußischen Faktion. Ihr Verlangen nach Macht, die freilich stets von dem Zufall der Liaisons abhängig war, zog sie ab 1746 an die Seite des Kanzlers Bestužev14 und seiner Anhänger. Eine weitere Cousine, Christina Gendrikova,15 wurde kurzzeitig mit einem Abenteurer verheiratet, der in Aussicht auf die Hochzeit in den Rang eines Brigadiers und Kammerjunkers (= gentilhomme de la Chambre) erhoben wurde. Der Name des glücklichen Auserwählten war Somoilov. Dieser wurde sich der geringen Tugendhaftigkeit der Dame bewusst und beschloss, ihr eine Tracht Prügel zu verpassen. Dabei vergaß er die hochrangige Herkunft seiner Gemahlin. Elisabeth, Feministin avant la lettre, leitete die sofortige Trennung ein und jagte den Rüpel aus dem Palast. Die Gendrikova, leichtfertig und wenig intelligent, erwies kleine Gefälligkeiten, indem sie Informationen über die Wahl der Tischgenossen an der kaiserlichen Tafel weitergab oder, gegen Geschenke von geringem Wert, dem einen oder anderen Diplomaten Briefe überbrachte.

14 Aleksej Bestužev-Rjumin (1693-1766) begann seine diplomatische Karriere im Jahre 1717 im Dienste des Hofes von Hannover und des englischen Königs. Nachdem er an die Seite Peters I. zurückgekehrt war, wurde er bald auf eine Mission nach Dänemark geschickt und war einer der Hauptverantwortlichen für den Frieden mit Schweden (1721). Anna Ivanovna ernannte ihn 1740 zum Geheimen Rat und zum Staatsminister, aber er fiel unter der Regentschaft Anna Leopoldovnas in Ungnade. Elisabeth holte ihn zurück und ernannte ihn zum Senator und anschließend zum Reichskanzler. Er arbeitete in den Jahren 1740 bis 1750 darauf hin, Elisabeth mit Frankreich und Preußen zu entzweien und ermunterte sie dazu, russische Truppen auf die Seite Österreichs zu schicken. Während des Siebenjährigen Krieges tat er dies erneut zu Gunsten Friedrichs. Ungeachtet der russischen Siege befahl Bestužev Feldmarschall S. F. Apraksin, seine Truppen in Richtung Kurland zurückzuziehen. Der Gesundheitszustand Elisabeths ließ ihn die Thronbesteigung Peters fürchten, der ein großer Preußenliebhaber und sein deklarierter Feind war. Aber die Herrscherin erholte sich wieder. Als diese von den Manövern ihres Kanzlers hörte, ließ sie ihn verhaften und schickte ihn in die Provinz ins Exil. Er wurde unter Katharina II. (im Jahre 1762) wieder mit seinen Aufgaben als Senator betraut. Sie war ihm für seine unermüdliche Unterstützung gegen ihren verstorbenen Ehemann dankbar. 15 Sie war die Tochter eines Bruders Katharinas I. Christina Skavronskaia heiratete in erster Ehe einen Handwerker, Simon Henri Leontievič, bekannt unter dem russifizierten Namen Gendrikov. 135

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Einige Frauen wurden dank ihrer »familiären« Verbindungen zu Ehrendamen oder zu zweiten Hofdamen (= dames d’atours) befördert. Elisabeth mochte es, die weiblichen Verwandten ihrer Liebhaber in höhere Ränge zu erheben. Eine Tante ihres Favoriten Ivan Šuvalov,16 Marfa Egorovna Šuvalova,17 erfreute sich eines großen Einflusses auf die Herrscherin. Sie diskutierte politische Angelegenheiten und fällte Urteile, von denen sich Elisabeth oftmals inspirieren ließ. Die Partei der Šuvalovs, Rumjancevs und Trubeckojs inklusive ihrer Ehefrauen bildete zwischen 1742 und 1745 die wichtigste Unterstützung der französisch-preußischen Faktion, auch wenn dies erhebliche Mengen an Spitzen, Gallonen, Tabakdosen, Wein sowie Taler und Pfund kostete. Die dritte Gruppierung vereinigte all diejenigen, die die Herrschaft Peters des Großen und das alte Regime, das zeitlich der Herrschaft Anna Ivanovnas und der kurzen Regentschaft Anna Leopoldovnas entsprach, überlebt hatten. Es handelte sich hauptsächlich um den Generalstaatsanwalt Trubeckoj, den Oberstallmeister (= grand écuyer) Kurakin,18 den General Saltykov19 und den Admiral

16 Ivan I. Šuvalov (1727-1797) war der Cousin von Petr und Aleksandr Šuvalov und ab 1749 Favorit Elisabeths. Er trat am Ende ihrer Regierung als das Sprachrohr der Herrscherin auf. Er initiierte die erste russische Universitätsgründung in Moskau (1755) sowie die Etablierung der Akademie der Schönen Künste (1757) und des ersten russischen Theaters (1756). 17 Marfa E. Šuvalova, geborene Čepeleva (1708-1759), war die Ehefrau des Ministers Petr Šuvalov und die Vertraute der Kaiserin sowie ihre bevorzugte Spielpartnerin. Sie versorgte sie mit Liebhabern, darunter ihr eigener Neffe Ivan Ivanovič Šuvalov (1727-1797). 18 Aleksandr B. Kurakin (1697-1749) war der Sohn des berühmten Diplomaten Boris Kurakin und einer der ersten jungen russischen Adligen, die eine Ausbildung im Ausland genossen. Er sprach Deutsch, Englisch und Französisch. Von 1722 bis 1724 war er mit seinem Vater an der russischen Botschaft in Paris tätig und nahm von 1722 bis 1723 an den Friedensverhandlungen mit der Türkei teil. 1729 kehrte er nach Petersburg in den Hofdienst zurück und wurde 1741 Senator. 19 Petr S. Saltykov (1698-1773) begann seine Karriere während des Polnischen Thronfolgekriegs. Er wurde zum Generaladjutanten ernannt und beteiligte sich am Krieg mit Schweden. Während des Siebenjährigen Krieges war er Oberkommandeur und siegte in der Schlacht von Kunersdorf. Er gab seinen Posten nach Auseinandersetzungen mit dem hohen Kriegsrat auf. Von 1764 bis 1771 war er Gouverneur von Moskau. 136

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Golicyn.20 Sie vermieden in erster Linie die Gesellschaft ausländischer Minister und Botschafter. Ein kleiner Clan »Deutscher« hatte den Regierungswechsel überlebt und bildete eine vierte Gruppe: der Prinz von Hessen-Homburg,21 der Kabinettsekretär Brevern,22 ein Bruder des gescheiterten Premierministers und Großen Kammerherrn (= Grand chambellan) Münnich23 und schließlich die Diplomaten Keiserling, Korff und Gross.24 Einige von ihnen wurden von den Engländern oder Österreichern mit Geld bestochen, was große Besorgnis bei den Franzosen erregte, die diese gegnerische Gruppe von Woche zu Woche wachsen sahen.25 Eine fünfte Faktion bestand aus einigen Vertretern des Dienstadels, die um ihren sozialen Aufstieg oder die Sicherung ihrer Stellung innerhalb der Hierarchie bemüht waren: die Offiziere der Preobraženskij, Ismailovskij und Semonovskij Garderegimenter, die den Staatsstreich mit angestiftet hatten. Sie wurden von Elisabeth geadelt und mit Ländereien bedacht, die den ehemaligen Würdenträgern unter Anna Ivanova und Anna Leopoldovna gehört hatten. Diese Meritokraten hatten großes Interesse daran, ihre Beziehungen zu den Franzosen zu pflegen, die ihrerseits, bis zum Umschwenken Elisabeths auf 20 Michail M. Golicyn (1681-1764) wurde von Peter I. nach Holland geschickt, um Grundlagenkenntnisse über die Marine zu erwerben. Als Präsident des Justizkollegs und Mitglied des Marinekollegs wurde er 1740 Gouverneur von Astrachan und schließlich von 1745 bis 1748 Botschafter in Persien, von wo aus er die protoindustrielle Fischerei nach Russland brachte. Ab 1748 übernahm er das Generalkommando über die Marine. 21 Ludwig Johann Wilhelm von Hessen-Homburg (1705-1745) kam 1722 nach Russland. Als Generalleutnant von St. Petersburg und Mitglied des Kriegskollegs war er siegreich gegen die Krimtartaren und die Osmanen und so wurde er unter Anna Ivanovna Gouverneur der Provinz Astrachan. Elisabeth ernannte ihn zum Hauptmarschall (= maréchal en chef ). 22 Karl von Brevern (1704-1744) war Konferenzminister livländischer Herkunft, Geheimer Rat und Präsident der Akademie der Schönen Künste. 23 Christian Wilhelm Münnich (1688-1768) war vertrauter Berater der Herrscherin und Obersthofmeister. Er war der Bruder von Burkhard, der Minister von Anna Ivanovna war und 1741 nach Sibirien ins Exil geschickt wurde. 24 Heinrich Gross (1713-1765) war von 1736 bis 1738 der Sekretär des berühmten Poeten Kantemir in London und folgte diesem nach Paris. Er übernahm in dessen Gefolge den Posten des russischen Plenipotentiarius in Frankreich und schließlich in Berlin. 25 Le Chambrier an Friedrich II., 29.12.1741; GStA, Rep. 11, Frankreich 89, fasc. 123, fol. 252. 137

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die Seite der Österreicher, großzügig Bestechungsgelder verteilten. Die Nachfahren der Bojaren, die dem alten Moskau wehmütig nachtrauerten, stellten eine eigene, aber zurückhaltende Gruppierung dar. Elisabeth wusste geschickt mit ihren Empfindlichkeiten umzugehen. Sie gewann ihre Herzen, indem sie die Familien, die für ihren Republikanismus von Anna Ivanovna verdammt worden waren, rehabilitierte.26 Die Prinzessin zeigte sich als fromme Orthodoxe. Ihre regelmäßigen Reisen nach Kiew, Moskau und zum Troice-Kloster, das die Wiedervereinigung der alten Kiewer Rusʼ und des orthodoxen Moskaus mit dem Petersburger Russland symbolisierte, weckten ihre Sympathien, ohne ihre Vorbehalte gänzlich auszulöschen. Die Regierung der neuen Zarin stützte sich hauptsächlich auf die Favoriten aller Art und die Offiziere der Armee. Allerdings ging Elisabeth einen Schritt weiter als ihre Vorgänger. Sie sicherte sich das Schweigen der bojarischen Oligarchie und die Unterstützung des Dienstadels. Ihre zwanzig Regierungsjahre können als die ruhigsten im 18. Jahrhundert angesehen werden.

Zeremoniell und Rangordnung In Russland gab es keine Rangplatzordnung. Abgesehen von der hierarchischen Rangordnung der Botschafter, die der internationalen Norm entsprach, waren die Ränge nach dem Wunsch der Monarchin besetzt. Die divergierenden Konzeptionen vom höfischen System gaben Anlass zu Missverständnissen und stellten sich als unvereinbar heraus. Sie versetzten damit die großen Mächte des Kontinents in Unruhe. Russlands Hierarchie folgte seit Peter I. einer militärischen Rangtabelle. Ein bevollmächtigter Minister (ministre plénipotentiare) wurde »wie ein Generalleutnant oder Geheimer Rat behandelt.«27 Dies hinderte ihn nicht daran, »sich seiner Majestät zu nähern und mit ihr zu sprechen«, zu den Festen eingeladen zu werden, die Ehre zu haben, an der Tafel der kaiserlichen Familie Platz zu nehmen oder an ihren Freizeitaktivitäten teilzunehmen. Das diplomatische Corps wurde benachrichtigt, wenn Bälle, Komödien oder Opern stattfanden, »eine Aufmerksamkeit, die an anderen europäischen Höfen nicht gebräuchlich war«. Der Vertreter Elisabeths in Versailles, Heinrich Gross, ein Anhänger der deutschen Faktion, forderte eben diese Rechte und Ehren. Er nahm Anstoß daran, dass den bevollmächtigten Ministern ein Platz hinter den Sekretären der Botschafter zugewiesen wurde. Er hielt es für unwürdig, dass 26 Le Chambrier an Friedrich II., 29.12.1741; ebd. 27 Dallion an d’Argenson, 7.4.1745; AAE CP, Russland, Bd. 47, fol. 210. 138

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er nicht durch eine königliche Kutsche abgeholt und nach der Audienz nicht von Offizieren zurückbegleitet wurde. Noch beleidigender für einen Untertan Elisabeths I. war der Brauch in Versailles, dass das diplomatische Personal dem König nicht vorgestellt wurde, wenn dieser »die Kapelle passierte«.28 Diese Schwierigkeiten mit dem Zeremoniell, den Codes und der Sprache, an denen die Minister Anstoß nahmen, hatten ihren Ursprung in einem historischen Missverständnis. In der Zeit Elisabeths verfestigte sich der Gegensatz zwischen Frankreich, »der ältesten Tochter der Kirche«, und dem orthodoxen Kaiserreich. Denn Frankreich hatte dazu beigetragen, dass Russland nach dem Erbe Peters I. restauriert wurde, indem eine Reihenfolge wiederhergestellt wurde, die es der Herrscherin ermöglichte, erneut ihren Anspruch auf ihren kaiserlichen Titel und ihre Position im Konzert der europäischen Mächte geltend zu machen. Der große Zar hatte sich selbst zum »Imperator« ernannt, ein Titel, der ihm von den europäischen Nationen abgesprochen wurde, in erster Linie von Wien und Versailles, wo die Reaktionen am heftigsten waren. Zum Zeitpunkt des Staatsstreichs seiner Tochter 1741 war ein Prozess in Gang gesetzt worden, der von der Forderung nach Veränderung der Rangordnung und Titel herrührte. Dieser Prozess führte unweigerlich zum diplomatischen Bruch von 1748, denn die Bourbonen weigerten sich, von einem neuen und »häretischen« Imperium in der Hierarchie der europäischen Mächte zurückgesetzt zu werden. Elisabeth, so offen und tolerant sie gegenüber Personen aller sozialen Schichten war, erlaubte manche Karriere, die sich außerhalb der strikten Rangordnung vollzog – was sowohl positive als auch negative Folgen haben konnte. Das Gefolge von Karrieristen und Emporkömmlingen beider Geschlechter verwirrte die erlauchte Person, die durch die ständigen Feste, die schlaflosen Nächte ganz abgestumpft, aber gerade deshalb auch von ihrer Popularität überzeugt war.29 Der Herrscherin fehlte es ihrerseits nicht an Perfidie. Sie säte gerne Zwietracht zwischen ihren Nächsten, um jedweden gefährlichen Protest zu verhindern. Sie spielte den Großkanzler Bestužev gegen Voroncov, den zweiten Mann im Staat, aus, indem sie kleinere und größere Eifersüchteleien schürte. Sie nahm unvorhergesehen Änderungen in der Tischordnung vor, machte ohne ersichtlichen Grund dem einen oder anderen übertriebene Geschenke, zwinkerte dem einen zu oder lächelte den anderen auffordernd an. Sie schätzte diese spaltende Politik

28 »Sur ce qui s’est passé lorsque M. Dallion ministre plénipotentiaire du roi en Russie fut autorisé à donner le titre d’impératrice à la tsarine de Russie«; AAE M et D, Russland, 1735-1759, Bd. 30, fol. 125-130. 29 La Chétardie, 22.3./2.4.1744, SIRIO, Bd. 105, S. 234f. 139

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als »vorteilhaft für die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft«30 ein. Die Kaiserin aller Russländer verstand es, ihren entschiedenen Gegnern zu schmeicheln. Die alteingesessenen Adligen, die der Tochter Peters I. eher feindlich gesinnt waren, wurden mit Aufmerksamkeiten und ehrenvollen Positionen überhäuft. Die Meritokraten des Regimes Peters I. erhielten ungeachtet ihres überwiegend hohen Alters ihre alten Funktionen zurück. Die hierarchischen Strukturen und Abläufe unter der Herrschaft der Erbinnen des großen Zaren, insbesondere während der Herrschaft seiner jüngeren Tochter, entstanden ohne Rücksicht auf militärische oder administrative Verdienste. Die auf diese Weise aufgezwängte Irrationalität rief Rivalitäten und Eifersüchteleien hervor und lähmte a fortiori die Funktionsweise des Hofes, der entmystifiziert und auf seine niedersten Beweggründe reduziert wurde. Glaubt man dem französischen Gesandten Dallion, zeigte sich die Zarin »alles in Allem den Aufgaben und Pflichten eines Herrschers nicht gewachsen«.31 Ein grundlegendes Verlangen beherrschte ihr Leben: Sie wollte nicht mit Staatsangelegenheiten behelligt werden, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass ihre Ehre unangetastet blieb. Gegenüber dem Ausland zeigte sie sich als gewissenhafte Wächterin der Etikette und forderte den Respekt ein, der ihrer kaiserlichen Person gebührte. Elisabeth war sicherlich etwas bequem, aber sie blieb die Tochter Peters des Großen und war sich der Rolle ihres Landes für das internationale Gleichgewicht bewusst. Die Kaiserin wollte also die würdige Erbin ihres Vaters sein und strebte danach, ihrem Land eine entscheidende Rolle in den Angelegenheiten Europas zu verschaffen. Sie hatte zugegebenermaßen ein müßiggängerisches Gemüt, aber sie war nicht töricht und wusste die Vorhaben ihres Kanzlers zu vereiteln. Sie vertraute dem Chef ihrer Regierung nicht voll und ganz. Sie hörte ihn unbewegt an, trotz ihrer offensichtlichen Abscheu ihm gegenüber,32 aber sie entschied niemals aus einer Laune heraus. Die Franzosen und Preußen spekulierten lange Zeit auf die politische Naivität der jungen Frau, und der Botschafter La Chétardie33 bemühte sich eifrig darum, diese falsche Annahme zu bestätigen. Sein Nachfolger Dallion ging von dem 30 31 32 33

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Brief Dallions vom 22.2./3.31745; AAE CP, Russland, Bd. 6, fol. 120. Spekulationen Dallions, 19./30.51747; AAE CP, Russland, Bd. 50, fol. 170. Dallion an d’Argenson, 15./26.2.1746; AAE CP, Russland, Bd. 48, fol. 103. Joachim Trotti de La Chétardie (1705-1759) bekam seinen ersten Posten in der französischen Botschaft in London im Jahre 1721. Nach einem kurzen Aufenthalt in Holland residierte er neun Jahre lang in Preußen, wo er Friedrich II. regelmäßig aufsuchte. Schließlich wurde er der erste französische Botschafter in Russland. Als ehemaliger Liebhaber Elisabeths enthüllte er in mehreren Briefen bloßstellende Details über ihr Privatleben und wurde des Landes verwiesen.

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Grundsatz aus, dass sie unfähig sei und es sinnvoller sei, sie zu unterwandern. Diese Einstellung wurde von Versailles erfolglos verurteilt, denn die Botschafter vor Ort behielten das letzte Wort. Die Hierarchie des russischen Staates, die weder matrilinear noch patrilinear war, blieb zerteilt, gespalten und änderte sich infolge der internationalen Politik. Dies war die Folge eines von Peter I. willkürlich erlassenen Gesetzes, das dem Herrscher die Freiheit gab, seinen Nachfolger auszuwählen, ungeachtet des Salischen Gesetzes oder der Primogenitur, die beide in Russland nicht galten. Die familiären Faktionen teilten sich nach den Sympathien und Interessen hinsichtlich der ausländischen Minister auf, die allesamt von ihren Hauptstädten beauftragt wurden, die eine oder andere Intrige zu schüren. Dallion, der Repräsentant Frankreichs in Petersburg, erklärte Amelot: »Wir stecken hier bis zum Hals im Chaos und in ziemlich gewaltsamen Vorgängen.«34 In den Sommer- und Wintermonaten des Jahres 1743 erlebten die französischen und preußischen Diplomaten sowie einige russische Würdenträger ihre Stunde des Triumphs am Hofe Elisabeths. Die Schmiergeldzahlungen und sonstigen Geschenke (darunter ein prächtiges Porträt Friedrichs II.) waren noch nie in solchen Mengen aus Berlin oder Paris geflossen. Die Befehle, die aus Potsdam kamen, offenbarten die Ungeduld des Königs, den russischen Hof zu »erobern«: »Vous soufflerez feu contre mes ennemis ou faux amis, vous battrez le fer pendant qu’il est chaud.«35 Er wollte die Kaiserin und ihr Kabinett an den Punkt bringen, an dem er »les [avait] désirés d’avoir depuis longtemps«, nämlich mit ihm in einer Defensivallianz verbunden zu sein. Die europäischen Höfe waren sich bezüglich ihrer politischen Ziele uneins und fanden sich gemäß ihrer spezifischen Staatsräson zusammen. Die Diplomaten hingegen setzten auf ihre freundschaftlichen Verbindungen, gaben sich einem gewissen Pragmatismus hin und richteten sich manchmal gegen die offiziellen Positionen ihrer jeweiligen Vorgesetzten. In Petersburg nahm die Diplomatie der Könige und ihrer Höfe eine unerwartete Gestalt an, löste Verhaltensweisen aus, die gleichzeitig flexibler, menschlicher und intuitiver waren. In Folge diverser Katastrophen, die sich unerwarteter Weise innerhalb der französisch-preußischen Gruppe ereignet hatten, änderte sich die Situation zu Gunsten des »schändlichen Ministers«, Aleksej Bestužev-Rjumin, und seiner Anhänger, der österreichisch-britischen Liga. Der Kanzler zeigte sein wahres Gesicht, das eines berechnenden, brutalen, beängstigend intelligenten und trotz seiner fehlenden Anpassungsfähigkeit schwer greifbaren Mannes. Er bediente 34 Brief vom 10.8.1743, SIRIO, Bd. 105, S. 58. 35 Friedrich II. an Mardefeld, 20.8.1743; Friedrich II., Bd. 2, 1879, S. 406f. 141

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sich einer Reihe von Täuschungsmanövern, um sich einer Entscheidung oder einem Versprechen zu entziehen. Wenn nötig griff er zur Flasche und gab vor, sich nicht mehr an die Unterhaltungen vom Vortag zu erinnern. Manchmal tat er so, als würde er stottern und es nicht schaffen, jene bedeutungsschweren Worte auszusprechen.36 Die Parteiwechsel und die Überläufe der Karrieristen zwischen beiden Lagern waren zahlreich. Die Situation verkomplizierte sich zwischen 1743 und 1745. Friedrich beschwerte sich bei seinem Artilleriemeister Schmettau: »Quant au système actuel de la Russie, il est bien difficile d’en donner une juste idée, n’ayant presque point de système fermé, et changeant souvent de noir en blanc.«37 Der Franzose Dallion und der Preuße Mardefeld mussten sich mit Personen zweiten Rangs begnügen, um ihr Beziehungssystem wieder auszubauen und abzusichern. Der preußische König ließ sich von der Politik Londons verleiten und vergaß im Jahr 1744, in dem er immer noch hoffte, eine Allianz mit Russland schließen zu können, »seine entschiedene Sparsamkeit« und wagte es, Ausgaben zu tätigen. Man begünstigte die Liebhaber Elisabeths durch Geschenke und empfing in Potsdam oder Versailles junge Russen, die nach Bildung gierten. Kyrill Razumovskij, der Bruder des Favoriten, wurde mit Gaben und Gefälligkeiten aller Art überhäuft. Man sah sogar über die schockierenden Sitten, die Trinkgelage, die Duelle und die Frauengeschichten hinweg, die mit den Reisen der russischen Adligen im Westen einhergingen.

Maskerade und Zwang Das Zeremoniell der Audienzen, das von Elisabeth selbst entworfen worden war, stellte sich als extrem streng heraus und hob sich von der scheinbaren Unordnung am Hofe ab. Die Zahl der Verneigungen wurde nach dem Rang des Diplomaten berechnet, der angehalten war, die Hand der Herrscherin zu küssen und sich ja niemals von ihrer erlauchten Person abzuwenden.38 Der russische Hof zählte zu den luxuriösesten und kostspieligsten Höfen Europas. Die Diplomaten beschwerten sich darüber, und die Adligen litten darunter. Die Kaiserin schrieb ihnen ihre Kleidung bis ins kleinste Detail vor. 1752 waren die Hofdamen gezwungen, sich folgende Stücke zuzulegen: eine Bluse aus weißem 36 »Lebenslauf des vormaligen Großkanzlers Grafen Alexei Bestuschef-Riumin«, in: Büsching, 1769, S. 415-432. 37 Friedrich II. an den Grafen von Schmettau, 31.8.1744; Friedrich II., Bd. 3, 1879, S. 261. 38 Vgl. Liechtenhan, 2007, S. 174. 142

Der russische Hof unter Elisabeth Petrovna

Taft mit Revers und Saum sowie grüne Kleider, die mit einem feinen, silbernen Zopfmuster bestickt sein sollten. Der Kopf sollte von einer grün eingesäumten Haube bedeckt sein, die Haare sollten nach oben toupiert werden. Die Ehrendamen wurden angehalten, wenn sie bei Hofe erschienen, Schmuck im Wert von 12.000 Rubeln anzulegen. Für die Männer war ein weißes Wams mit gezacktem Saum und einem grün-silbernen Kragen vorgeschrieben. Die Kleider sollten mit Knöpfen aus Silber zugeknöpft werden. Und diese Vorschriften wurden ohne Unterlass abgeändert. Die Kaiserin war in Maskenbälle vernarrt und brach somit mit dem »guten französischen Geschmack«. Sie hatte von ihrem Vater die Freude am Verkleiden geerbt. Sie liebte es, Männerkleidung zu tragen, da es ihr so möglich war, ihre wohlgeformten Beine zu zeigen.39 Die vielen Feste, die von der Kaiserin veranstaltet wurden, insbesondere die Maskeraden, bei denen die Männer Krinolinen und Röcke und die Frauen Kniehose und Wams trugen, verdeutlichen das Doppelspiel der Macht. Diese Abende der Travestie (eine Qual für die Protagonisten) waren von den parodistischen Prozessionen inspiriert, den svjatki Peters des Großen. Elisabeth ließ diese Feste auf ihre eigene Art und Weise wiederaufleben. Sie verband damit weder Christentum noch Heidentum, sondern vertauschte bewusst die Geschlechter, wodurch sie die Rollenverteilung aufgab. Sie setzte sich über die italienische Tradition, die das Tragen einer Wolfsmaske oder eines Domino vorschrieb und so Rätselspiele und Spiele der Verführung ermöglichte, hinweg. Sie erwartete, dass ihre Gäste sich mit enthülltem Gesicht zeigten und in ihrem Kostüm gut zu erkennen waren. Die Umkehrung von Kleidern, Gesten und Tanzschritten hatte verschiedene Bedeutungen. Sie reichte von einer ersten weiblichen Emanzipation bis zu einer gewollten Vertauschung der Rollen, wovon die Monarchin am meisten profitierte. Sie hebt sowohl die Widersprüchlichkeit der Moral der Herrscherin als auch die ihrer Aufgaben hervor. Sie war eine Frau, die eine Stellung einnahm, die traditionellerweise den Männern vorbehalten war. Elisabeth wollte verführerisch sein, was sie selbst in Uniform blieb, aber sie bemühte sich auch darum, eine männliche Erscheinung zu zeigen, indem sie sich über ihr Geschlecht erhob – eine Doppelung in einer Person, die nicht willkürlich erscheint und die zur Untätigkeit der Beobachter beitrug. Sobald ihr Land in einen Konflikt geriet, suchte Elisabeth Zuflucht in der Meditation: »Der Lärm der Waffen« störte Ihre Majestät »in ihrem Vergnügen und in ihrer Frömmigkeit«.40 Sie stand jeglichem bewaffneten Eingreifen aus 39 Mardefeld an Friedrich II., 7.12.1744; GStA, Rep. XI, Russland 91, 46B, fol. 295. 40 Dallion an d’Argenson, 26.7./6.8.1746; AAE CP, Russland, Bd.  49, fol.  42 und Friedrich II. an Finckenstein, 25. Juli 1747; Friedrich II., Bd. 5, 1880, S. 443. 143

Francine-Dominique Liechtenhan

innerer Überzeugung feindlich gegenüber und haderte mit den »Kreaturen und Klienten« des Grafen Bestužev, ohne dass sie sich des Ausmaßes der Vernachlässigung ihrer Pflicht bewusst war. Sie war während der Fastenzeit oder anderer religiöser Feste unnahbar, vervielfachte ihre Pilgerfahrten und überließ aus Leichtfertigkeit, vielleicht auch aus Schwäche, die Macht dem Großkanzler. Indem sie den zweiten Mann im Staat das Leben ihrer Untertanen aufs Spiel setzen ließ, machte sie sich selber, ihrer Logik zu Folge, die Hände nicht durch das vergossene Blut schmutzig. Bestužev kanalisierte die Informationen und interpretierte den Verlauf der internationalen Politik nach seinem Belieben. Ludwig XV. und Friedrich II. fanden sich damit ab, gaben den russischen Hof in feindliche Hände und warteten nunmehr auf die Zeit, das Schicksal oder den rechten Sinn des Volkes, mit anderen Worten, auf einen denkbaren Aufstand oder eine Palastrevolution. Mardefeld hegte noch weniger Hoffnungen. Er glaubte nicht mehr an diese Eventualität, »da der Hass der Nation nicht zu fürchten sei, solange sie keinen bevollmächtigten Chef habe«. Erdrückt von den Launen Elisabeths und der Tyrannei Bestuževs, abgestumpft von der Ehren- und Macht-Maschinerie, konnte sich die Elite des Landes, vom Volke gar nicht erst zu reden, keine »Kraftakte« mehr vorstellen, die sie von der Diktatur des schrecklichen Ministers befreien könnten.41 Die Köpfe rollten, die Ausländer flohen, aber das Leben bei Hofe ging weiter, als ob nichts geschehen wäre. Während einer Feier für ein Ehrenfräulein der Kaiserin spielten die Minister, Favoriten und Höflinge ihre Rolle perfekt, »legten« Gesichter »auf«, die Sorglosigkeit und Freude bekundeten. Voller Groll zeichnete Finckenstein im Anschluss an diesen Abend das psychologische Porträt des Höflings: »Ich hatte wenigstens die Befriedigung, dort das Spektakel der Heuchelei zu sehen, das nur Russland so liefern kann. Jedermann schien guter Laune zu sein, der Ball war belebter als gewöhnlich, und die Personen, die dem unglücklichen Grafen von Lestocq, der wegen Verrats verdammt worden war, am nächsten standen, bemühten sich, Heiterkeit zu heucheln.«42

Kaum ein Blick verriet Mitleid mit dem inhaftierten Leibarzt, dessen Schicksal auch mehrere Favoriten und Höflinge ereilte. Im Laufe der Jahre wurde die Arbeit mit Bestužev unerträglich oder besser gesagt unmöglich, und Elisabeth tat alles, um die Situation zu erschweren. Ihr Nomadentum verstärkte sich in 41 Vgl. Liechtenhan, 2007 S. 192f. 42 Finckenstein an Friedrich, 26.11.1748; GStA, Rep. XI, Russland 91, fol 11. 144

Der russische Hof unter Elisabeth Petrovna

den Krisenzeiten. Es kam vor, dass sie den Hof für zwei Jahre nach Moskau verlegte, eine Reise, die der Tradition nach mit dem gesamten diplomatischen Corps vonstattengehen sollte. In der alten Hauptstadt setzten sich die Intrigen in gleicher Weise fort, wie sie in der neuen Hauptstadt üblich gewesen waren. Die Diplomaten, die dadurch ihrem heimischen Hof noch ferner waren, litten unter der gewachsenen Angst vor Spionen aus der Kanzlei. Die Postwege wurden unsicher, die Situation unkontrollierbar. Das System des russischen Hofes gewann die Oberhand über die Diplomatie, die riskanten Konjunkturen ausgesetzt war. Dieser Sachverhalt war in dem instabilen, ausschließlich horizontalen höfischen System angelegt, das nicht durch eine stabilisierende Hierarchie verknüpft war. Übersetzung: Clara-Louise Noffke

Gedruckte Quellen und Literatur Gedruckte Quellen Büsching, Anton Friedrich (Hg.), Lebenslauf des vormaligen Großkanzlers Grafen Alexei Bestuschef-Riumin, in: Magazin für eine neue Historie und Geographie 2 (1769), S. 415-432. Friedrich II., Die politische Correspondenz Friedrichs des Großen, Bd. 2, 3, 5, hg. von Johann Gustav Droysen, Berlin 1879-1880. SIRIO, Bd. 105, Sankt Petersburg 1899.

Literatur Le Roy Ladurie, Emmanuel, Saint-Simon ou le système de la Cour, Paris 1997. Liechtenhan, Francine-Dominique, La Russie d’Élisabeth vue par des diplomates prussiens (I), in: Cahiers du monde russe et slave 39 (3) (1998a), S. 253-282. Dies., La Russie d’Élisabeth vue par des diplomates prussiens (II), in: Cahiers du monde russe et slave 39 (4) (1998b), S. 300-346. Dies., Élisabeth Ire de Russie. L’autre impératrice, Paris 2007.

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Katharina II. und ihre Favoriten in den Eliten des Russischen Reiches Jan Kusber Als Katharina 1762 den Thron bestieg, hatte sie etwa achtzehn Jahre als Großfürstin am russischen Hof hinter sich. Während dieser Zeit hatte sie die Möglichkeit gehabt, das Funktionieren der Hofgesellschaft in Petersburg und – wenn der Hof auf Reisen war – in Moskau zu beobachten. Sie war seit bald zwei Jahrzehnten Teil dieser Hofgesellschaft, kannte deren Parteiungen, verfügte über eine teils dezidierte Meinung über deren herausragende Vertreter und ihre Familien. Sie wusste um die Konkurrenzen zwischen manchen Familien um Posten, um Herrschernähe. Sie kannte die Versuche ausländischer Botschafter und Gesandter, Einfluss auf die Politik zu nehmen. In diesem Wissen hatte sie 1762 ihren Staatsstreich vorbereitet, und in diesem Sinne trieb sie in den folgenden Jahren eine Politik, die auf einen Konsens mit den Eliten aus war, weil nur dieser Konsens ihr und ihrer Familie, dem Thronfolger Paul und seinen Nachkommen, die Herrschaft dauerhaft sicherte.1 Sie verstand ihr Geschäft: Ihren Putsch hatte sie mit ehrgeizigen Offizieren der Garderegimenter organisiert, denen sie teilweise zum Aufstieg in die Eliten des Zarenreiches verhalf. Sie hatte aber auch die militärische und politische Elite miteinbezogen, darunter auch Personen, die sich in ihren politischen Ambitionen eigentlich diametral gegenüberstanden, wie Aleksej Bestužev-Rjumin und Michail Voroncov.2 Mit den Apraksin, den Šeremetev und anderen Familien unterstützte sie Netzwerke, die schon vor der Herrschaft Peters des Großen eine bedeutende Rolle im Reich und bei Hofe gespielt hatten. Auch der höhere Klerus stand an ihrer Seite. Diese Unterstützung erhielt sie durch Reformen, die am Konsens orientiert blieben, 1 2

Zum Staatstreich gegen Peter im Detail: Veseleja, 1997. Dessen Familie sollte freilich an Einfluss verlieren: Kenney, 1977. 147

Jan Kusber

und durch eine Außenpolitik, die dem Zarenreich im Süden und Westen neue Gebiete hinzufügte, die reiche Ländereien erbrachten, mit denen sie Klientelpolitik betreiben konnte. Die Auflösung des Hetmanats in der Ukraine nach 1767, die Vergabe der Ländereien an russische Adlige und das Vorrücken der Leibeigenschaft mögen hier als ein frühes Beispiel stehen. Durch Territorialisierung und neue Funktionen in der Lokal- wie in der Zentralverwaltung sowie durch eine Differenzierung des Hofes schuf sie zahlreiche Positionen, die einerseits das Reich modernisierten, andererseits die Eliten versorgten und alimentierten. Trotz aller Kritik aus verschiedenen Richtungen3 stellte sich in den Eliten in den 1770ern und 1780ern der Eindruck ein,4 im katharinäischen Russland lasse es sich gut leben. Im Folgenden soll nach den Positionen der Favoriten Katharinas innerhalb der Eliten des Zarenreiches und bei Hofe gefragt werden. Liebhaberinnen und Liebhaber hatten Herrscher und Herrscherinnen zu allen Zeiten, in der Vormoderne spielten Favoriten als politische Vertraute eine bedeutende Rolle. Favoriten, so die Auffassung der jüngeren Forschung, kam bei einer Differenzierung des Staates im wachsenden Institutionengeflecht die Aufgabe zu, den Herrscher bzw. die Herrscherin zu entlasten. Diese wiederum vertrauten den Favoriten in ihrem politischen Handeln. Wie sah es nun im Falle Katharinas der Großen aus, die eine Reihe von Liebhabern hatte, die große Bedeutung innerhalb der Elite des Reiches erlangten und sie in ihrer von ungeheurem Fleiß und Engagement geprägten Regierungstätigkeit unterstützten? Für die Frühneuzeitforschung ist es sowohl im Allgemeinen als auch bei diesem Thema durchaus kennzeichnend, in vergleichender Perspektive zwar mittel- und westeuropäische, seltener auch osmanische Beispiele zusammenzuführen, das Beispiel »Russland« jedoch zu ignorieren.5 Hier soll im Folgenden ein fehlendes Mosaiksteinchen skizzenhaft ergänzt werden. Mit Blick auf den Machterhalt der Usurpatorin auf dem Zarenthron, die Katharina war, war es sicher nicht ihre geringste Leistung, ihre Favoriten in das System ihrer Herrschaft derartig einzubauen, dass sie nie ihre Herrschaft herausforderten, sondern dauerhaft in die Elite des Zarenreiches integriert wurden. Institutionalisierte Favoriten am russischen Hof waren in gewisser Weise auch 3 4 5

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Siehe die beißende Kritik des aus altem Moskauer Adel stammenden Michail M. Ščerbatov: Stählin, 1925. Kohut, 1975, S. 93-97. Siehe die ansonsten luziden Ausführungen in: Drews u. a., 2015, S. 89-95; Reinhard sieht eine sowohl persönlich-emotionale als auch sachlich-rationale Beziehung zwischen Herrscherin/Herrscher und Favorit. Reinhard, 2002, S. 180.

Katharina II. und ihre Favoriten

das Ergebnis der Veränderungen, die die Hofkultur in den russischen Hauptstädten in der Zeit Peters des Großen erfahren hatte, genauer: Zunächst wäre hier Carevna Sofija zu nennen, die zwischen 1682 und 1689 das Reich als Regentin lenkte, unterstützt von ihrem Favoriten Vasilij Golicyn, dessen Feldzüge gegen das Osmanische Reich allerdings in die Katastrophe führten und zum Sturz Sofijas beitrugen.6 Auch Peter selbst hatte mit Aleksandr Menšikov einen Favoriten, dem er auch persönlich sehr zugetan war.7 Im Russland des 18. Jahrhunderts, dem Zeitalter der Palastrevolutionen und weiblicher Herrschaft, war die Institution des Favoriten konstitutiv für den Staat.8 Meistens verband eine Liebschaft Herrscherin und Favorit, zwingend war das nicht. Katharina I. stützte sich auf Aleksandr Menšikov, der schon der Favorit ihres Mannes Peter gewesen war; Anna auf Ernst Johann von Bühren (Biron);9 Elisabeth auf Aleksej Razumovskij und in ihrer späten Zeit auf Petr Šuvalov. Diese Beispiele stehen für Konstellationen, in denen Favoriten durchaus eine politische Rolle spielten, jedoch nie den Versuch machten, mit ihrem politischen Gewicht ihre Gönnerin zu überragen. Insbesondere Razumovskij, der »Kaiser der Nacht«, hatte am stark fraktionierten Hof der ebenso vergnügungssüchtigen wie machtbewussten Tochter Peters des Großen eine ausgleichende Rolle, die es ihm ermöglichte, die Position seiner Familie auch über die Regierungszeit Elisabeths hinaus zu festigen.10 Die Razumovskijs stiegen dauerhaft in die Elite des russischen Reiches auf und wurden eine der »ruling families«, von denen John LeDonne sprach.11 Katharina unterschied sich in mehrfacher Hinsicht von ihren Vorgängerinnen. Erstens war ihr Anrecht auf den Thron das wohl prekärste: Katharina I. war durch Peter I. gekrönt, Anna wurde 1730 tumultuarisch gewählt und Elisabeth war die Tochter Peters des Großen. Katharina blieb nur der Anspruch auf seine

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Hughes, 1990. Es wäre eine noch zu führende Diskussion, ähnlich wie bei Mazarin oder Richelieu, ob im Falle von Boris I. Morozov und Afanasij Ordin-Naščokin in der Regierungszeit Zar Aleksejs (reg. 1645-1676) von politischen Favoriten gesprochen werden kann. Žarkov, 2013. 7 Unter Aussparung der mutmaßlich homoerotischen Dimension der Beziehung: Pavlenko, 2005. 8 Flott formulierter Überblick zu allen Kaiserinnen: Anisimov, 2004. 9 Andrej (Heinrich) Ostermann und Burkhard Christoph von Münnich wird man als rein politische Favoriten bezeichnen können: Petruchincev, 2014. 10 Kusber, 2007. 11 LeDonne, 1987. 149

Jan Kusber

ideelle Nachfolge und der Verweis auf den Staatsnotstand.12 Zweitens war ihre Regierungszeit mit 34 Jahren am längsten, und drittens ließ sie durch politisches Geschick, das sie in ihrer langen Zeit als Gattin des Thronfolgers erproben konnte, und durch die Besetzung aller wichtigen Handlungsfelder weniger Platz für ein Eigengewicht der »ruling families«. In der Zeit ihrer Vorgängerin hatten diese die Hof- und Verwaltungsämter genutzt, um ihre Handlungsspielräume zu vergrößern. Diese Möglichkeiten schränkte Katharina durch eigenes aktives Regierungshandeln ein, welches sie deutlich von den Kaiserinnen Anna und Elisabeth unterschied. Wenn sie auf allen Politikfeldern den Ton angab und den Kriegskonferenzen in den Kriegen gegen das Osmanische Reich vorsaß, hatten ihre Berater weniger Gewicht. Nikita Panin, der für die Außenpolitik der 1760er und 1770er Jahre stand, sollte dies um die Mitte der 1770er Jahre deutlich zu spüren bekommen.13 Über Katharinas Favoriten, die in der Wahrnehmung der europäischen Öffentlichkeit wesentlich zahlreicher als die ihrer Vorgängerinnen schienen,14 wurde an allen Höfen Europas diskutiert. Friedrich der Große trug in seinen Korrespondenzen hierzu ebenso bei wie die britische Yellow-Press oder Giacomo Casanova, der zu den vielen gehörte, die sich an Katharinas Hof sehen ließen und auf Protektion hofften.15 Welche Funktion billigte ihnen die Kaiserin selbst zu? Unabhängig davon, ob sie aus den »ruling families« kamen oder ob sie homines novi waren, mussten sie neben einer emotionalen Funktion auch politischen Nutzen bieten, um Katharinas Herrschaft zu stabilisieren und zum Erfolg zu führen.16 Die Favoriten Katharinas  II. unterschieden sich in ihrem politischen Einfluss, in der Art der Einbindung in die Hofgesellschaft und in ihrer Beziehung 12 13 14 15 16

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Hierzu zusammenfassend: Maurer, 1997, S. 577-596. Exemplarisch: Ransel, 1975. Dass dies eine Fehlwahrnehmung war, zeigt Liechtenhan in diesem Band. Kusber, 2010; ders., 2013. Siehe auch: Wolf, 2001, S. 307-318. Als Favoriten gesichert scheinen: Sergej V. Saltykov (1752-1755), Stanisław Poniatowski (1755-1758), Grigorij G. Orlov (1760/61-1772), Aleksandr S. Vasil’čikov (1772-1774), Grigorij A. Potemkin (1774?-1776?), Petr V. Zavadovskij (Juli? 1776-Juni 1777), Semёn G. Zorič (Juni 1777-Mai 1778), Ivan N. Rimskij-Korsakov (1778-1779), Aleksandr D. Lanskoj (1778-†Juni 1784), Aleksandr P. Ermolov (1785-Juli 1786), Aleksandr M. Dmitriev-Mamonov (Juni 1786-ca. Juni 1789), Platon A. Zubov (Juni 1789-November 1796). Aufstellung nach: Alexander, 1989, S.  206-223. Ein weitgehend identisches Verzeichnis findet sich im Kommentar zu den Memoiren Ekaterina Daškovas: Gheith, 1995, S. 303f.

Katharina II. und ihre Favoriten

zur Herrscherin wesentlich voneinander. Die beiden wichtigsten unter ihnen erwiesen sich in ihrer Zeit als unentbehrlich für die Zarin: Grigorij Orlov (17341783), der mit seinem Bruder Aleksej eine Schlüsselrolle beim Sturz Peters III. spielte und darüber hinaus zu Beginn ihrer Regierung die ersten Reformen unterstützte; und Grigorij Potemkin (1739-1791), nachdem die Verhältnisse konsolidiert waren. Nicht nur wegen seines Nachruhms ist Potemkin größere Bedeutung beizumessen. In ihm fand Katharina die Verbindung von Gefährte und Staatsmann.17 Dabei weiß man weder, wann genau Potemkins Favoritentum im Sinne einer sexuellen Beziehung begann, noch wie lange es andauerte; die Zeit zwischen 1774 und 1776 ist allerdings umfassend dokumentiert. Er war junger Offizier in den Garden gewesen, die den Putsch Katharinas unterstützt hatten. Seine militärischen Sporen verdiente er sich während des Russisch-Türkischen Krieges 17681774. Eine Zeitlang diente er unter Graf Petr Rumjancev, der ihn im Herbst 1770 von der Front beurlaubte und bei Hof empfahl, wo Potemkin schnell in die kaiserliche Tischgesellschaft eingeführt wurde und die Aufmerksamkeit Katharinas gewann. Denn am Anfang ihres langjährigen Briefwechsels hatte die Bitte des Leutnants der Berittenen Garde und Kammerherrn Potemkin gestanden, ihn zur Kavallerie zu versetzen und ihm die Chance zu geben, sich zu bewähren, solange der Krieg noch andauerte – Katharina war offenbar beindruckt.18 Als er zurück an den Hof kam, hatte Katharina ihn bereits zum Generalmajor befördert, als einen der ersten zum Kavalier des neu gegründeten Kriegsordens des Heiligen Georg gemacht und ihm Orden und Urkunde ins Feldlager gesandt. Als Potemkin im Februar 1774 ein weiteres Mal nach Petersburg zurückkehrte, tat er dies nicht nur als gefeierter Kriegsheld, sondern in dem Bewusstsein, dass er mit offenen Armen empfangen würde. Seine nunmehr gefestigte Stellung ließ sich für aufmerksame Höflinge wie Denis Fonvizin unschwer daran erkennen, dass der bisherige Favorit, der Kammerherr Vasil’čikov, »aus dem Palast fortgeschickt wurde«.19 Über eine Ehe Katharinas II. mit dem um zehn Jahre jüngeren Grigorij Potemkin stellten Historiker lange Zeit Vermutungen an. Mittlerweile ist sie als durchaus wahrscheinlich anzusehen. Auf der Grundlage der Korrespondenz und überlieferter, mehr oder weniger zuverlässiger Berichte sowie der Hinweise in den Hofjournalen ist davon auszugehen, dass die Trauung am späten Abend des 17 Und zum Folgenden: Montefiore, 2009. 18 Siehe den ältesten erhaltenen Brief vom 24.5.1769: Lopatin, 1997, S. 5 und das Dankesschreiben von Potemkin vom 21.8.1770: ebd., S. 6. 19 Fonvizin, 1959, S. 409. 151

Jan Kusber

Dreifaltigkeitssonntags (8. Juni) 1774 stattgefunden hat, und zwar in einer entlegenen Kirche auf der Wiborger Seite im Norden der Hauptstadt – im kleinen Kreis, ohne auch nur irgendeinen Vertreter der Elite. Die kleine Hochzeitsgesellschaft, die im schwachen Schutz der weißen Petersburger Nacht über die Neva setzte, war, vom Brautpaar abgesehen, ohne bedeutenden Rang und Namen. Potemkin brachte seinen Neffen und Adjutanten Aleksandr Nikolaevič Samojlov mit, dem eine glänzende Karriere bevorstand, die mit dem Amt des Generalprokurors gekrönt werden sollte. Die Trauung vollzog Katharinas Beichtvater Ivan Panfilov.20 Der Bund, der hier in aller Heimlichkeit geschlossen wurde, war keine morganatische Ehe, wie sie aus dem westeuropäischen Hochadel bekannt ist. Rechtlich gesehen, hätte Katharina sich einen Ehemann suchen können, wo und wann sie es für richtig hielt. Politisch gesehen, gab es viele Hindernisse, und es bestand kein Anlass zu einem solchen Schritt. Innenpolitisch war es aus Sicht Katharinas abwegig, durch eine offizielle, gar europäische Heirat ihre Herrschaft festigen zu wollen, sich damit aber zugleich weitere politische Rücksichtnahmen aufzuerlegen und abermals die fraktionelle Gemengelage am Hof zu sortieren.21 Mit Potemkin hingegen fesselte die inzwischen fünfundvierzigjährige Kaiserin auf Dauer einen Verbündeten und Vertrauten an sich, von dessen Zuverlässigkeit sie überzeugt war, ohne dass darüber die bestehenden Machtverhältnisse 20 Umstände der Hochzeit nach der Indizienkette: Lopatin, 1996, S. 144-146. Siehe auch ders., 1997, S. 31-34 sowie S. 578f. Von Rechts wegen hätte eine kirchlich sanktionierte, wenn auch heimliche Heirat Potemkin zu einem Mitglied des Herrscherhauses gemacht, und insofern ist es wohl kein Zufall, dass die Existenz einer gemeinsamen Tochter lange Zeit nicht bekannt war: Elizaveta Grigor’evna Temkina (verheiratete Kalageorgi) wurde im Juli 1775 während der Feierlichkeiten zum Frieden von Küçük Kaynarca in Moskau geboren. Von der Vaterschaft Potemkins wusste man, die Mutterschaft Katharinas kursierte als Gerücht. Im Übrigen hat Katharina mehrere Fehlgeburten durchgestanden und mindestens zwei weitere uneheliche Kinder zur Welt gebracht, deren Herkunft nicht offiziell anerkannt, aus denen aber im Gegensatz zur Temkina kein Geheimnis gemacht wurde: Der Vater von Anna Petrovna, die 1759 im Kleinkindalter starb, war Stanisław August Poniatowski, seit 1764 König von Polen. Der Vater von Aleksej Grigor’evič, später Graf Bobrinskij (1762-1813), war Grigorij Orlov; Alexander, 1989, S. 53, 56, 60; Bolotina, 1996. Es sollen weitere gemeinsame Kinder mit Orlov existiert haben; Madariaga, 1981, S. 258. 21 Es gibt auch andere Daten für eine Eheschließung, die zur Debatte stehen, etwa 1783 nach dem Tod des Favoriten Lanskoj: Kobeko, 1887, S. 360f. 152

Katharina II. und ihre Favoriten

in Unordnung gerieten. Aus Sicht des Privatmenschen Katharina wurde eine enge emotionale Bindung sanktioniert. Der fast ausschließlich russischsprachige Briefwechsel mit Potemkin belegt, dass diese zumindest von ihrer Seite aus zeitlebens Bestand haben sollte, auch wenn sich keiner von beiden dadurch abhalten ließ, weitere, auch tiefergehende Liebesverhältnisse einzugehen – ihre Beziehung war immer auch eine Arbeitsbeziehung.22 Ihre Briefe waren thematisch ebenso vielseitig wie tiefgehend. »Wir streiten um die Macht – nicht um die Liebe« war denn auch das gut gewählte Zitat für den Titel einer Auswahl von ins Deutsche übersetzten Briefen.23 Das, was Potemkin in den Augen vieler Zeitgenossen und zumal seiner Feinde am Hof zu einer zwiespältigen Figur machte, lässt sich auch als Ausdruck seiner Vielseitigkeit und intellektuellen Gewandtheit und als Voraussetzung zu einer einmaligen Karriere interpretieren – er verstand es, über symbolische Kommunikation seinen Handlungsspielraum auszuweiten, und war hierin seinem Vorgänger Orlov und seinen Nachfolgern überlegen.24 Bereits zu Beginn seines Favoritentums ließ sich Potemkin die Ämter und Aufgaben übertragen, die neben seiner Gouverneurs- und Kolonisatorentätigkeit im südlichen Russland sein politisch-administratives Wirkungsfeld25 und die Arbeitsbeziehung zu Katharina prägen würden, beispielsweise bei den diversen Projekten zur Reformierung der Armee.26 Eine machtpolitische Entscheidung aus der aktuellen Situation heraus bildeten die Ernennungen zu einem von zwei Oberstleutnants des Preobraženskij-Regiments – der andere war Aleksej Orlov – und zum Generaladjutanten im März 1774. Im Mai wurde Potemkin überdies Mitglied des Kaiserlichen Rates, Général en Chef und übernahm von Zachar Grigor’evič Černyšev als Vizepräsident die Leitung des Kriegskollegiums (erst 1784 durfte er sich Präsident nennen). Letztere Funktion bildete die Basis in der Zentralverwaltung, von der aus Potemkin seine eigenen militärischen Kommandogewalten und die seiner Klientel ausbaute.27

22 In Auswahl: Smith, 2005. Weitestgehend vollständig ist die 1162 Briefe und Notizen umfassende Edition von Lopatin, 1997. 23 Erschienen als Hörbuch: Schierle u. a., 2009. 24 Adamczyk, 1936, S. 17. 25 Seine Ernennung zum Generalgouverneur von Ekaterinoslav und Tauriens erfolgte 1784: PSZ 22; Nr. 15.920, S. 17f. 26 Siehe etwa seine Vorstellungen zur Entwicklung der südlichen Gebiete des Reiches: Stavrovskij, 1865. 27 LeDonne, 1984, S. 57-61. 153

Jan Kusber

Es war üblich am Hof, dass der Favorit seine eigenen Appartements bezog, und auch Potemkin wurde im Palast untergebracht: in einem gesonderten Gebäudetrakt, von dem eine Galerie durch die Kirche in die kaiserlichen Gemächer führte.28 Umgekehrt zeigte es das Ende des Favoritentums an, wenn der Betreffende das höfische Quartier wieder verließ. Auch in Potemkins Fall wurden die Zeichen so gelesen. Anfang Juli 1776 meldete der englische Diplomat Richard Oakes nach London, es sei durchaus denkbar, dass Potemkins Karriere in absehbarer Zeit zu Ende gehe. Er sei sich sicher, dass dieser bereits einen Teil seines Mobiliars aus seinen »apartments« im »winter palace« habe abtransportieren lassen. Es käme nicht überraschend, wenn Potemkin sich aus seiner misslichen Lage am Hof zu befreien suchte, in die er aufgrund ständiger Anfeindungen, vor allem vonseiten der Orlov-Klientel, und horrender Schulden geraten sei. Er würde sich in die Abgeschiedenheit des Klosterlebens zurückziehen; schließlich wäre dies für ihn »a way of life for which he has always shown as a strong predilection and which perhaps may be the best refuge from the despair of an impotent ambition.«29 Tatsächlich hatte Potemkin, der in Jugendzeiten eine geistliche Laufbahn in Erwägung gezogen hatte und sich seine tiefe Religiosität immer bewahrte, bereits im Jahr zuvor einen solchen Schritt angekündigt. Den Beweis, dass dies keine leere Drohung sein musste, hatte er 1773 erbracht, als er sich für einige Zeit in das Aleksandr-Nevskij-Kloster begeben hatte, in der offensichtlichen Absicht, die Kaiserin unter Druck zu setzen: In einer der Klosterzellen, nun sein »political campaign headquarters«,30 wartete er damals ab, bis man nach ihm schickte und ihn an den Hof zurückholen ließ. Oakes wird um diese Episode gewusst haben. Möglicherweise sah er sich bestärkt durch Gerüchte über die bevorstehende Entfernung Potemkins vom Hof, die aufgekommen waren, nachdem dieser kurz zuvor bei der jährlichen Jubiläumsfeier zur Thronbesteigung in Peterhof gefehlt hatte, während Grigorij Orlov, der, wie sein Bruder Aleksej, zu Beginn des Jahres unerwartet aus dem Ausland zurückgekehrt war, und nicht zuletzt der neue Favorit Petr Zavadovskij bei diesem wichtigen Ereignis präsent gewesen waren. Freilich revidierte Oakes etwas später seine Einschätzung der politischen Lage und berichtete, Potemkin sei in den Palast zurückgekehrt.31 Der Möbeltransport beruhte jedoch auf keiner Falschmeldung. Falsch interpretiert wurde hingegen die nur bedingt zutreffende Neuigkeit, Potemkin sei wieder in 28 Engel’gardt, 1997, S. 40; Lopatin, 1997, S. 206. 29 Brief von Oakes an William Eden im Londoner Ministerium vom 1.7./12.7.1776: Polovcov, 1876, S. 519f. 30 Ebd., S. 20. 31 Brief von Oakes an Eden vom 26.7./6.8.1776; Polovcov, 1876, S. 521. 154

Katharina II. und ihre Favoriten

das Winterpalais zurückgekehrt. Appartements standen ihm dort stets zur Verfügung, doch nachdem Zavadovskij zum Nachfolger Potemkins erkoren worden war, bezog dieser im Juli 1776 sein eigenes standesgemäßes Domizil am Nevskij-Prospekt. Schriftlich bedankte er sich bei seiner »allergnädigsten Herrscherin« für das Aničkov-Palais.32 Zarin Elisabeth hatte es einst ihrem Favoriten Aleksej Razumovskij geschenkt, der 1771 starb. Potemkin lebte eine Zeitlang in dem Anwesen und trieb damit außerdem einen einträglichen Handel: Zunächst verkaufte er es an eine Privatperson aus dem Pachtgewerbe, und nachdem es Katharina zurückerworben und ihm abermals übereignet hatte, stieß er es 1785 von neuem ab, dieses Mal an den Fiskus.33 Das Fehlurteil des englischen Diplomaten Oakes gründete in der Eigenart der Beziehung. Offensichtlich sah Oakes keinen Sinn in dem Vorgefallenen und vermochte sich das Verhalten Potemkins nicht zu erklären, denn in seinen Briefen nach London verwies er gleichzeitig auf die hohe Gunst, in der dieser eigentlich stehe. Die Annahme eines kausalen Zusammenhangs von räumlicher Nähe und persönlicher Vertrautheit ließ diesen Widerspruch in den Hintergrund treten. Sie war naheliegend und traf generell zu, nicht nur in der Sichtweise jener Augenzeugen, die von westlichen Höfen kamen und ihrem Urteil die dortigen Verhältnisse zugrunde legten, denn auch spätere Favoriten nahmen Quartier im Winterpalais. Doch Potemkins Fall lag anders. Seine außergewöhnliche Position in der Hofgesellschaft wird gerade daran erkennbar, dass sie bis an sein Lebensende, trotz aller nachfolgenden Favoriten und trotz aller Krisen in seinem Verhältnis zu Katharina, nicht ernsthaft bedroht war. Erst mit Platon Zubov und dessen Förderern entstand 1789 eine politische Konstellation, die er kurz vor seinem Tod als Gefahr wahrnahm. Als der Fürst von Taurien 1791 in der Nähe von Iassi starb, war Katharina zutiefst traurig und deprimiert. Ungeachtet der fest verankerten und herausragenden Position Potemkins im höfischen Machtgefüge waren er und Katharina bemüht, ihr Verhältnis im Alltag nicht allzu offensichtlich werden zu lassen. Darüber, ob das Geheimnis der kaiserlichen Heirat bewahrt werden konnte, lässt sich nur mutmaßen. Zwar blieb die Gerüchteküche nicht kalt, und vor allem die professionellen Beobachter am Hof aus dem Ausland, die Diplomaten, sahen sich zu Spekulationen veranlasst. Die Verbindung genoss keinen offiziellen Status, weshalb sie sich privat nicht ungehindert ausleben ließ. Verabredungen sollten vor den Augen der Hofgesellschaft verborgen bleiben und wurden häufig getroffen, indem man eine vertraute Person sandte. Der Schriftverkehr stellte den einzig zuverlässigen Weg dar, um 32 Lopatin, 1997, S. 107. 33 Frederiks, 1911, S. 475. 155

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ohne Aufsehen zu kommunizieren, und musste oft als Ersatz für ausgebliebene Treffen dienen. »Mon cher Ami et Ep[oux], als ich hörte, dass du krank bist, machte ich mich auf den Weg zu dir, aber ich fand so viele Leute und Offiziere auf den Gängen vor, dass ich umkehrte. […] Liebster, schicke [jemanden, mir zu] sagen, ob ich dich heute sehe und wann.«34 – schrieb Katharina im Dezember 1774 und hinterließ damit einen Eindruck von den Vorsichtsmaßnahmen, zu denen sie sich gezwungen glaubte. Häufig wurden nur zapisočki verschickt, kleine Notizzettel von ein oder zwei Zeilen, mit denen man einander Nachricht gab oder die Lage sondierte, um gegebenenfalls ein Treffen zu arrangieren.35 Auch hier zeigten sich häufig Arbeit und Privates vermischt: »Wenn es keine Fehler in der Orthographie gibt, dann schicke es zurück, und ich versiegele es [den Brief, Ukas?]. Aber wenn es welche gibt, bitte ich zu berichtigen und [jemanden] zu schicken [, mir] ganz einfach zu sagen, ob ich zu Ihnen kommen kann oder ob es nicht geht […] Adieu, mon bijou.«36

Sofern es sich hierbei um Staatsgeschäfte handelte, so war dies nicht ungewöhnlich, denn Potemkin korrigierte und prüfte nicht nur im Namen der Zarin kundgegebene imennye ukazy, unter anderem das bedeutende Gouvernementsstatut,37 sondern verfasste sie in ihrem Auftrag auch. Interessanterweise hielt Katharina den Hinweis für nötig, er solle so formulieren, dass eine andere Autorschaft als ihre eigene nicht erkennbar werde. Und natürlich gelangten auch solche Ukasse nicht zur Abschrift und Veröffentlichung, ohne dass Katharina sie durchgesehen und eventuell zur Überarbeitung noch einmal zurückgeschickt hatte. Da Potemkins Favoritentum in der Hofgesellschaft kein Geheimnis darstellte, stellt sich die Frage nach dem Zweck des geradezu konspirativen Vorgehens. Es ging einerseits darum, den Schein zu wahren, vielleicht auch die blagopristojnostʼ, und zwar auch vor den Dienstleuten, wobei das Paar natürlich auf die Hilfe einiger von ihnen angewiesen war: »Mein Lieber [Batin’ka]«, so der Vorwurf der Kaiserin, »dreimal habe ich mich bemüht, zu dir zu kommen, aber jedesmal fand ich Diener und Heizer vor. Und so schicke ich die Popova, um zu erfahren, wie es dir geht.«38

34 35 36 37 38 156

Brief Katharinas vom 8.12.1774; Lopatin, 1997, S. 48. Otto, 2005, S. 167. Brief Katharinas vom 8.12.1774; Lopatin, 1997, S. 48. Briefe Katharinas vor dem 7.11.1775; ebd., S. 80. PSZ 22, Nr. 14.393, S. 358-384. Brief Katharinas nach dem 13.12.1775; Lopatin, 1997, S. 81.

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Zum anderen schienen hofpolitische Rücksichten angebracht. Aus denselben Gründen, aus denen die mutmaßliche Heirat geheim gehalten wurde, war Katharina nicht darauf aus, ihre Beziehung der Öffentlichkeit vorzuleben und die Zusammentreffen bekannt werden zu lassen. Nicht wenige Briefe haben die beiden vernichtet oder verschwinden lassen, zumal jene aus kritischen Zeiten: Potemkin hielt offenbar die Phase für besonders risikoreich, als er sich endgültig in der Hofpolitik etablierte. Katharina hingegen ließ einen Gutteil der Korrespondenz, vor allem den Anteil Potemkins, vom Februar und März 1776 verschwinden, also aus der Zeit ihrer Beziehungskrise. Die Vorsichtsmaßnahmen wurden auch danach nicht überflüssig, obwohl die Verhältnisse neu geordnet worden waren und beide in Liebessachen – zum größeren Leidwesen Katharinas – eigene Wege gingen. Was waren die Gründe für die Krise in der Beziehung der beiden? Natürlich war der starke Mann am Hof wenig begeistert vom allmählichen, für alle erkennbaren Hineinwachsen Petr Zavadovskijs in die Rolle des neuen Favoriten. Aber sein Rückzug und Zavadovskijs Aufstieg, den er selbst in die kaiserliche Gesellschaft eingeführt hatte, stellten keine Ereigniskette, sondern zwei parallel verlaufende Vorgänge dar. Auch die Ankunft Grigorij Orlovs am heimischen Hof zu Jahresbeginn bedeutete nicht, dass man von der Vergangenheit eingeholt worden wäre, wenngleich Orlov von der Herrscherin durchaus freundlich empfangen wurde. Die Schwierigkeiten entstanden dort, wo die Beziehung ihren Ursprung genommen hatte – in dem Spannungsfeld zwischen Privatleben und Politik. Eine Grenze zu ziehen, war kaum möglich und im Grunde von keinem der beiden beabsichtigt. Mit der bloßen Favoritenrolle gab Potemkin sich nicht zufrieden, und so empörte ihn der angebliche Vergleich seiner Person mit Petr Šuvalov, dem Favoriten Elisabeths.39 Der Schuldenberg, den er innerhalb weniger Jahre des Hoflebens angehäuft hatte, war auch für damalige Verhältnisse gewaltig, aber sicherlich kein Anlass für ernsthafte Zwietracht. Offenbar überstiegen seine Ambitionen jedoch das Maß des Hinnehmbaren, sofern die Herrscherin ihre Souveränität unbeschadet halten wollte. Schon im Verlauf des Jahres 1775 kühlten sich die Leidenschaften ein wenig ab. Katharina sah sich gar genötigt, ihn an ihren ersten Hochzeitstag – »naš prazdnik« – zu erinnern.40 Zur selben Zeit rückte Potemkin in die Würde eines Grafen und schließlich eines Fürsten auf. Prägnant charakterisierte die Kaiserin selbst die Lage: »Wir streiten über die Macht – nicht über die Liebe.« Es folgte eine Trennung, die nur teil39 Katharina bestritt in einem Brief vom März 1775 heftig, diesen Vergleich angestellt zu haben; Lopatin, 1997, S. 68. 40 Katharinas Brief vom 8.6.1775; ebd., S. 74. 157

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weise eine Trennung war, in politischer Hinsicht ohnehin nicht, und auch sonst bestand nach wie vor gegenseitiges Vertrauen und Zuneigung. Der Ausweg, der sich für Potemkins Streben nach politischer Emanzipation fand, war singulär in der Geschichte des russischen Favoritentums.41 Der Favorit und Herzensfreund erhielt sein eigenes, nicht ganz kleines Reich, wo er schließlich als Fürst von Taurien residierte. Seitdem Russland mit dem Sieg im ersten Türkenkrieg, der im Juli 1774 in Küçük Kaynarca besiegelt wurde, weit nach Süden ausgegriffen hatte, hatte sich Potemkin der imperialen Integration der neuen Territorien verschrieben. Immer häufiger und über immer längere Zeiträume hinweg hielt er sich in den Gouvernements Astrachan, Saratov, Azov und in der Novorossijskaja gubernija auf, die ihm seit 1775 zusammen mit der Befehlsgewalt über die dort stationierten Militärkräfte überantwortet worden waren. Nach der Annexion der Krim, seit 1784, durfte er sich Generalgouverneur der nun vereinigten Gebiete des Gouvernements Ekaterinoslav und des »Tavričeskaja oblastʼ« nennen. Sein Handlungsspielraum beruhte nicht zuletzt darauf, dass er regelmäßig schriftlich und bei seinen Besuchen in der Hauptstadt über den Stand der Kolonialisierung berichtete. Der Postweg dauerte 7-14 Tage, sodass es im Briefwechsel stets zu Überschneidungen kam. In diese Zeit, als Potemkin auf einen neuen Höhepunkt seiner Macht gelangte, fallen der Baubeginn seiner neuen, größeren und prächtigeren Residenz, des Taurischen Palais (1783), und die Ernennung zum Generalfeldmarschall (1784). Er hatte schließlich so viele Würden auf sich vereint, dass die Liste sich kaum kürzer las als die »Forma polnago titula« der Kaiserin,42 die Aufzählung sämtlicher Herrschaftsgebiete und -titel. Das Tätigkeitsfeld im Süden Russlands entsprach seinem Ehrgeiz und seinen Qualitäten. Auf der berühmten »Taurischen Reise« führte er seiner Kaiserin – und der europäischen Öffentlichkeit – sein Werk im Süden des Imperiums und auf der 1783 annektierten Krim vor.43 Dennoch, auch wenn seine Bedeutung als Staatsmann im katharinäischen Imperium kaum zu überschätzen ist, gelang es ihm nicht, die imperiale Politik zu dominieren. Seine Ambitionen auf ein eigenes Königreich (unter der Bezeichnung »Dacien« im Süden unter perspektivischem Einschluss der Donaufürstentümer oder aus der Konkursmasse Polens) wies Katharina ein ums andere Mal in die Schranken.44 In den folgenden Jahren wandelte sich das Favoritentum. Die herausragende Stellung Orlovs und Potemkins in der Hofgesellschaft beruhte nicht zuletzt 41 42 43 44 158

So zu Recht: Otto, 2005, S. 169. PSZ 22, Nr. 15.919, S. 17. Pančenko, 1996, S. 686-700; Griffiths, 2008, S. 339-348. Raeff, 1968.

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auf ihrer Fähigkeit zur Politikgestaltung. Zavadovskij gelangte als Schützling Potemkins und der Militärs Petr Rumjancev und Kirill Razumovskij an die Seite Katharinas, aber mit seiner Tätigkeit im Kabinett seit 1775 entwickelte er sich obendrein zum Mitarbeiter und Berater, dem nach Beendigung ihres Liebesverhältnisses noch wichtige Funktionen zufallen sollten – auch über Katharinas Tod hinaus.45 Ebenso wie in der Beziehung zu Potemkin kam es über die Unvereinbarkeit von Politik und Privatleben zum Konflikt. Der Unterschied bestand darin, dass Zavadovskij sich eingestehen musste, für diese schwierige Rolle nicht geeignet zu sein. Den Unbilden des Favoritenlebens, vor allem der ständigen Beobachtung durch die Hofgesellschaft und dem Druck der immer noch präsenten Orlov und Potemkin ausgesetzt zu sein, verlangte ein robusteres Wesen, als es Zavadovskij eigen war. Seine und Katharinas Kapitulation vor den Verhältnissen bildete den Übergang zur »youth on parade«, die nun in den Palast Einzug hielt.46 Alle Favoriten seit den späten 1770er Jahren gehörten der Generation der 1750er Jahre an, die ihre Offizierslaufbahn nicht im Krieg, sondern in Petersburg durchlief, als die Herrschaft Katharinas bereits auf festen Fundamenten ruhte. Den Hof lernten sie auf den Bällen und Maskeraden im Winterpalais kennen, nicht im Behauptungskampf einer jungen Monarchin. Und auch in der Favoritenrolle ging es nicht um das politische Überleben. Grigorij Orlov war nach seiner Zeit als kaiserlicher Gefährte immer noch zu bedeutend, als dass Katharina ihn aus der Hofgesellschaft hätte verbannen können oder wollen.47 Die neue Generation hingegen war vor allem in den Personen bedeutend, die ihren Aufstieg oder Fall betrieben. Schon den Gardeoberleutnant Aleksandr Vasil’čikov (1744-1803) hatte Katharina lediglich zum Kammerherrn gemacht, während er dabei behilflich war, Orlov zu verdrängen. Möglicherweise vorhandene Ambitionen, es seinem Vorgänger gleichzutun und sich am Hof eine politische Basis zu schaffen, vermochte Vasil’čikov nicht zu entfalten. Sein Ehrenamt blieb ihm noch einige Jahre, nachdem er bereits von Potemkin abgelöst worden war und, mit einer stattlichen Abfindung versehen, sein eigenes Leben führte.48 Ähnlich verhielt es sich mit den nachfolgenden Günstlingen. Politische Schlüsselämter 45 Er sollte unter Katharinas Enkel Alexander erster Minister für Volksaufklärung werden: Kusber, 2004. 46 Alexander, 1989, S. 207-211. 47 Als Problem sollte sich später seine geistige Verwirrung erweisen, die man heute vielleicht als Demenz diagnostizieren dürfte. Zu den Orlovs: Razumovskaja, 2011. 48 Alexander, 1989, S. 135-139. 159

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wurden ihnen nicht überantwortet, und ihr Ausscheiden aus der Favoritenrolle zog in der Regel auch keinen Abbruch der beruflichen Laufbahn nach sich. Nur zwei Favoriten mussten den Hof verlassen: Aleksandr Ermolov (1754-1834) und Aleksandr Dmitriev-Mamonov (1758-1803).49 In ihren Ambitionen recht unterschiedlich – Dmitriev-Mamonov hatte durchaus politische Ziele, die zu Streit während der berühmten Taurischen Reise 1787 führten –, spielten sie mit Ausnahme Platon Zubovs keine große politische Rolle. Ihre Familien blieben freilich Bestandteil der Elite, und ihre männlichen Mitglieder machten auch im 19. Jahrhundert Karrieren im Militär, in der Verwaltung und bei Hofe. Der letzte Favorit, Platon Zubov (seit 178950), war, so die Auffassung von Alexander Otto, auch das Produkt der persönlichen Enttäuschungen der alternden Kaiserin.51 Ungewöhnlich fiel auch Zubovs Einfluss aus, besonders, wenn man im Verhältnis zu seinem Machtgebaren sein Format als Politiker, der nur über begrenzte intellektuelle und administrative Fähigkeiten verfügte, betrachtet. Sein weiterer Aufstieg verlief parallel zum physischen und, zumal nach dem Tod Potemkins, wohl auch seelischen Niedergang Katharinas. Dennoch gelangte er nicht so ungehindert und hoch hinaus wie mitunter dargestellt. Den politischen Aktionsradius Potemkins sollte der noch junge und unerfahrene Zubov nicht annähernd erreichen. Neben dem obligatorischen Status eines Flügeladjutanten erhielt er auch den Rang eines Obersten zuerkannt. Außerdem wurden Platon und sein Bruder Valerian Mitglieder der Kavaliergarde, seinen anderen Bruder Dmitrij platzierte er als Kammerjunker am Hof, und den Vater der drei ernannte die Zarin 1792 im Rahmen des Krönungsjubiläums zum Senator. Seinem einstigen Widersacher Potemkin folgte Zubov in der Statthalterschaft Neurussland im Süden des Reiches nach, doch verlor sie viel von ihrer Bedeutung, vor allem die militärische Kommandogewalt. Potemkin hatte sie in seinem und in Katharinas Interesse mit Eifer geplant, entwickelt und peupliert. Nun wurde sie eine reine Einkommensquelle, deren Inhaber von der Hauptstadt aus »regierte«. Diese und andere Beförderungen oder Auszeichnungen wurden Zubov nicht direkt nach dem Tod Potemkins im Jahre 1791 zuteil, sondern erst seit 1793/94 (Generalfeldzeugmeister, Grafentitel; den Fürstentitel erhielt er 1796). Bezeichnend ist, dass er erst 1794 gewissermaßen offiziell an die Seite Katharinas rückte, als er Potemkins Palastgemächer bezog. Es dauerte also mehrere Jahre, bevor Zubov einen Teil dessen erreichte, worüber Potemkin fast von Beginn an verfügt 49 Letzterer litt darunter, auch wenn er selbst Katharina betrogen hatte; Dmitriev-Mamonov, 1866. 50 Gennadi, 1862, S. 195-197. 51 Otto, 2005, S. 178. 160

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hatte. Zubov war einflussreich in dem Sinn, dass er sich der Kaiserin als intimer Beistand unentbehrlich machte und daraus Einfluss auf ihre Umgebung gewann. Sein Fall zeigt aber, dass im Favoritentum weder von einem Automatismus in der Mehrung persönlicher Macht auszugehen ist, noch diese Macht allein im Verhältnis von Herrscherin und Favorit begründet lag. Schlüsselpositionen im zentralen Behördenapparat hat Platon Zubov nicht ausgeübt, auch in den Reichsrat zog er erst unter Katharinas Enkel Alexander I. ein.52 »Große Politik« machten er und seine Brüder, als sie zu Rädelsführern gegen Paul I. wurden und seinen Sturz betrieben, der in seiner Ermordung endete.53 Katharina die Große war als Herrscherin der Frühen Neuzeit sicher in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Der Umgang mit ihren Favoriten, ihr Blick jenseits von Liebe, Verliebtheit und sexueller Attraktion für deren Fähigkeit und Nützlichkeit waren besonders. Es ging ihr nie nur um das sexuelle Abenteuer, das Elisabeth des Öfteren gesucht hatte, die Berichte über ihre Libertinage waren mehr Projektionen derjenigen, die sie kolportierten, als Realität.54 Dass sie in der europäischen Öffentlichkeit derart thematisiert wurden und zwar desto offensiver, je dominanter Katharina und Russland auf internationalem Parkett zu werden schienen, hat sicher auch damit zu tun, dass Katharina als weibliche Herrscherin Verhaltensweisen praktizierte, die männliche Herrscher sich ohnehin herausnahmen.55 Allerdings suchte sie stets auch Gefährten im Geiste, mit denen sie sich über Projekte, Reformen, Politik, Philosophie und Kunst austauschen konnte. Lediglich in ihren letzten Jahren schien ihr dies nicht mehr so wichtig zu sein. Allerdings hatte die Kaiserin nach 1789 auch vermehrt das Gefühl, mit ihrem Tun an ihre Grenzen gelangt zu sein und mit dem neuen Zeitalter nicht mehr Schritt halten zu wollen. Vielleicht wird man sagen können, dass Katharina auch in dieser Zeit versuchte, die Eliten in ihre Politik einzubauen; doch stand sie ihnen zunehmend gleichgültig gegenüber. Zubov war weder Orlov noch Potemkin, doch er machte ihr die letzten Jahre leichter. Ein politischer Favorit wurde er nie. Das Favoritenwesen überhaupt sollte mit ihm und dem 18. Jahrhundert zu Ende gehen.

52 53 54 55

PSZ 26, Nr. 19.806. D’Encausse, 1992, S. 176-191. Dawson, 2002, S. 67-88. Als sie 1796 starb, schrieb ein Zeitgenosse vielsagend, dass Katharina »der Große« gestorben sei. Scharf, 1997, S. 177; Schippan, 2009. 161

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Regierungshandeln

Maria Theresia Friedensfürstin oder Oberbefehlshaberin? Bettina Braun

Nach dem Tod Maria Theresias am 29. November 1780 wurden an vielen Orten der Habsburgermonarchie Leichenpredigten und Trauerreden auf die verstorbene Monarchin gehalten.1 Solche Trauerreden waren einerseits einem Herrscherideal vom gerechten, friedliebenden, weisen Herrscher bzw. der Herrscherin verpflichtet, mussten andererseits aber auch eine gewisse Glaubwürdigkeit besitzen, d.h. der oder die Verstorbene musste wiedererkennbar sein, man konnte die Realität also nicht beliebig zurechtbiegen.2 Wie kaum anders zu erwarten, wurde Maria Theresia in den Trauerreden als eine besonders gottesfürchtige Regentin und als Mutter nicht nur ihrer eigenen Kinder, sondern auch ihrer Völker gepriesen. In diesen Punkten waren Ideal und Realität ohne Schwierigkeiten zur Deckung zu bringen. Wesentlich heikler war in dieser Hinsicht der Bereich des Militärischen, zumal für eine weibliche Herrscherin. In ihrer vier Jahrzehnte währenden Regierung hatte Maria Theresia immerhin zwei siebenjährige Kriege geführt und fast am Ende noch einmal einen kurzen Krieg, auch wenn sie die Leitung der mili1

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Einige der Leichenpredigten sind aufgeführt in dem Katalog bei Boge/Bogner, 1999a, dort Nr. 448-453. Zusammen mit anderen Reden sowie literarischen Nachrufen und Gedichten wurden diese in einer umfangreichen Sammlung wenige Jahre später erneut gedruckt; Denkmäler, 1785. Auch außerhalb der Habsburgermonarchie wurden Nachrufe auf Maria Theresia publiziert, so z. B. in Frankreich, wo Maria Theresias Tochter Marie Antoinette Königin war. Siehe dazu Michaud, 1985. Zur Gattung der Leichenpredigten grundlegend: Boge/Bogner, 1999b; Casarotto, 2004; McManamon, 1976; Tersch, 2004. 169

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tärischen Operationen in diesem Fall vollständig ihrem Sohn Joseph überließ. Dennoch war es nicht vorstellbar, in den Trauerreden auf die Kaiserin »Muthe und Feuer des Kriegers« oder den »tapferen Krieger« bzw. eben die Kriegerin zu preisen, wie dies dann sechs Jahre später die Trauerredner nach dem Tod Friedrichs des Großen tun sollten.3 Freilich konnte der Aspekt der Kriegführung auch nicht ausgespart werden – dazu war die Bedeutung der Kriege für die Herrschaft Maria Theresias zu groß. Zudem gehörte es zu den zentralen Aufgaben jedes Herrschers und jeder Herrscherin, Land und Leute zu schützen. Die Aufgabe für die Trauerredner war also einigermaßen delikat, und sie wurde von ihnen durchaus unterschiedlich gelöst. Bei allen Unterschieden im Detail begegnen einige Motive in den Reden immer wieder. So heißt es in der in Graz gehaltenen Rede, »daß sie [= Maria Theresia, B. B.] nie das Schwert zückte, es sey denn, daß es die Vertheidigung Ihrer Staaten erforderte.«4 Ein anderer Redner betonte, dass es ihr allein darum gegangen sei, »ihr gerechtes Erbe zu sichern.«5 Sich gegen einen feindlichen Angriff zu verteidigen, galt von jeher als gerechter Krieg, da ein Herrscher damit seiner Pflicht nachkam, seine Untertanen zu schützen. Deshalb wird in den Trauerreden vor allem auf den Österreichischen Erbfolgekrieg Bezug genommen. Nach dem Tod ihres Vaters seien die Feinde ungeachtet aller vorher gegebenen Versprechungen in die Länder der jungen Königin eingefallen und hätten ihr Erbe bestritten. Dagegen habe sich Maria Theresia zur Wehr gesetzt. Ein gerechterer Kriegsgrund ließ sich kaum denken. Eine weitaus geringere Rolle spielte in den Reden der Siebenjährige Krieg – vollends die Frage nach der Verantwortung für den Ausbruch des Krieges wurde nicht thematisiert. Besonders problematisch war selbstverständlich der Bayerische Erbfolgekrieg. Der Brucker Kanoniker Ambrosius Janckus erwähnte immerhin, dass »die Billigkeit selbst […] Ihr vor zwei Jahren das Schwert in die Hand« gegeben habe,6 betonte dann aber, dass Maria Theresia diesen Krieg auf einen einzigen Feldzug beschränkt habe, weil ihr das Leben ihrer Untertanen teurer gewesen sei als die Eroberung neuer Staaten. Und er schloss mit der rhetorischen Frage: »Wenn hat jemals ein Monarch bey der höchsten Macht, und bey allen einladenden Umständen näher an die friedfertige Gottheit gegränzet?«7 Schwerer tat sich der Freiburger Theologe Joseph Wilhelm Sturm mit diesem letzten Krieg in der Regierungszeit Maria Theresias. Er 3 4 5 6 7 170

Sack, 1786, S. XI; Hohenzollern-Hechingen, 1786, S. 3. Gmeiner, 1785, S. 20. Landau, 1785, S. 56f. Janckus, 1785, S. 24. Ebd., S. 24.

Maria Theresia ‒ Friedensfürstin oder Oberbefehlshaberin?

entrang sich den Stoßseufzer: »Sie wissen überdas die Lage, in der wir uns erst vor zweyen Jahren, und in welcher sich unsre Feinde befanden; vergönnen Sie mir dann hievon zu schweigen.«8 Mehrfach wird auch betont, dass Maria Theresia eroberte Gebiete zurückgegeben habe, was erneut unterstreichen sollte, dass sie Kriege nur zur Verteidigung geführt habe.9 Aufschlussreich ist auch, wie die Kriegführung dargestellt und wem der Erfolg der österreichischen Waffen zugeschrieben wurde. Zwar wird Maria Theresia als Heldin apostrophiert, werden ihre Standhaftigkeit und ihr Mut gepriesen. Aber dieses Heldentum konnte selbstverständlich nicht durch das persönliche Anführen einer Armee konkretisiert werden, sodass ihr Anteil an den Siegen auf anderen Feldern als dem Schlachtfeld gesucht werden musste. Entscheidend für den militärischen Erfolg seien vielmehr das Gebet Maria Theresias und ihr unerschütterlicher Glaube an ihre gerechte Sache gewesen.10 Deshalb habe Gott zu ihren Gunsten eingegriffen. »So zerstäubte Gott die Feinde Theresiens über die Fläche des Erdbodens dahin.«11 Wie Mose wusste Maria Theresia Gott an ihrer Seite.12 Ein Redner fragte, »ob wir nicht alle Siege unserer Waffen, die Ruhe des Staates […] der inbrünstigen Andacht Theresiens vorzüglich zu danken haben?«13 Zwar wurden auch konkrete Ursachen für die militärischen Erfolge benannt, wie die Unterstützung der Ungarn, tüchtige Heerführer, die Liebe der Untertanen, die sie hätten zu den Waffen greifen lassen, aber all dies wurde eher als Ausfluss der göttlichen Hilfe angesehen. Maria Theresia tritt in dem Kriegsgeschehen seltsam zurück, ein aktiver Part wird ihr nicht zugeschrieben. Maria Theresia sei eine Fürstin gewesen, so der Tenor der Reden, die den Krieg nur als ultima ratio eingesetzt habe, um ihre gerechten Ansprüche zu verteidigen. Nie aber habe sie den Krieg gesucht, denn sie wusste um dessen Schrecken.14 Dass Maria Theresia auf diese Weise als Gegenpart zum preußischen König inszeniert wurde, ist offensichtlich. Das Bild, das in diesen Reden von Maria Theresia entworfen wurde, erscheint geschlossen und stimmig. Es ist das Bild einer Friedensfürstin, die sich dem Krieg nur widerwillig und ausschließlich zur Verteidigung zuwandte und die kaum direkt in die militärischen Aktionen involviert scheint. Ausgehend von diesem Befund möchte ich mich im Folgenden 8 9 10 11 12 13 14

Sturm, 1785, S. 120. Z. B. Sturm, 1785, S. 119. Vgl. 2. Mose 17, 8-16. Janckus, 1785, S. 23. Landau, 1785, S. 56. Ebd., S. 64. Zu Krieg als Mittel der Politik im Denken Maria Theresias siehe Braun, 2018a. 171

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der Frage zuwenden, wie das zu Lebzeiten der Kaiserin aussah, welches Bild in Bezug auf Krieg und Militär von Maria Theresia vermittelt wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Maria Theresia keine stringente, jeweils eindeutig auf sie selbst zurückzuführende Medienpolitik betrieben hat. Auch wenn sie also nicht eindeutig als Urheberin entsprechender Darstellungen festzumachen ist, wird man doch davon ausgehen müssen, dass die großen Linien der zentralen Darstellungen ihrer Intention entsprachen.15 In einem zweiten Schritt möchte ich untersuchen, inwiefern sich diese Darstellungen auf die Regierungspraxis unter Maria Theresia stützen konnten oder inwiefern sie die Praxis modellieren mussten, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. Zu den weit verbreiteten Darstellungen aus der Anfangszeit Maria Theresias gehört die Szene auf dem Krönungshügel in Pressburg anlässlich ihrer Krönung in Ungarn im Juni 1741.16 Die Königin sitzt im Damensitz auf einem Pferd und hält in ihrer erhobenen Rechten das ungarische Krönungsschwert, um es in alle vier Himmelsrichtungen zu schwenken und so ihre Bereitschaft zu bekunden, Ungarn zu verteidigen. Die Szene stellt keine Kriegsszene dar, und Maria Theresia trägt auch keine Uniform, sondern den ungarischen Krönungsornat. Dennoch vermitteln die Darstellungen den Eindruck militärischer Entschlossenheit, und nicht zufällig erscheint die Szenerie wie ein gemaltes Reiterstandbild und evoziert damit den Prototyp des Herrscherporträts. Allerdings bleibt diese Darstellung Maria Theresias einmalig. Vergleichbare Bilder aus späterer Zeit, aus einem der Kriege, gar in Uniform, existieren nicht.17 Maria Theresia hat also darauf verzichtet, sich auf diese direkte Weise als die Anführerin ihrer Truppen in Szene setzen zu lassen.18 Sie hat sich auch nicht – mit der Ausnahme des unten erwähnten Besuchs im Hauptquartier in Heidelberg

15 Zur Medienpolitik Maria Theresias siehe Telesko u. a., 2017. Zu diesem Themenkomplex insgesamt Dies., 2019. 16 Siehe z. B. die Abbildungen in Iby, 2017, S. 107f. oder die Medaillen mit diesem Motiv in: Fabiankowitsch, 2017, S. 78, Abb. 2. 17 Hingegen haben sich die Zarinnen Elisabeth  I. und Katharina  II. von Russland in Uniform zu Pferde porträtieren lassen. Zu Elisabeth siehe die Abbildung in Iby, 2017, S. 321 und den Beitrag von Francine-Dominique Liechtenhan in diesem Band. Zum Reiterporträt Katharinas Strunck, 2017, S. 68f. 18 Selbst der Stich »Maria Theresia zu Pferd vor einem Feldlager« von Johann David Nessenthaler zeigt Maria Theresia nicht in Uniform; Iby, 2017, S. 292 (HM 24.7). Ich danke Werner Telesko für den Hinweis auf diesen Stich. 172

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1745 – zu ihren Truppen ins Feld oder wenigstens in die Nähe begeben, um ihre Armee wie einst Elisabeth I. von England bei Tilbury zu motivieren.19 Das Maximum an direkter Präsenz im Feld stellte vielmehr der Brief an Feldmarschall Ludwig Andreas Graf Khevenhüller aus dem Januar 1742 dar, in dem sie dem General ihre verzweifelte Lage schilderte: »Hier hast Du eine von der ganzen Welt verlassene Königin vor Augen mit ihrem männlichen Erben, was vermeinst Du will aus diesem Kind werden?«20 Dem Brief beigelegt war ein Porträt der Königin mit ihrem zehn Monate alten Sohn. In Berichten ist überliefert, dass Khevenhüller seinen Offizieren die Zeilen der Königin vorlas und das Bild hochhielt – eine Szene, die dann auch in einem Kupferstich auf einem Flugblatt Verbreitung fand.21 In seiner Emotionalität dürfte der Brief der Königin und Mutter kaum weniger wirkungsvoll gewesen sein als die Ansprache Friedrichs des Großen an seine Generäle vor der Schlacht bei Leuthen. Der Brief führte den Soldaten unmissverständlich vor Augen, für wen sie in den Kampf zogen, für Maria Theresia als ihre Königin und Oberbefehlshaberin. Freilich ließ sich ein solcher Appell nicht beliebig oft wiederholen. Weitere Versuche, die Armee in ähnlicher Weise direkt anzusprechen, sind nicht überliefert. Auch wenn also fortan darauf verzichtet wurde, Maria Theresia direkt als Oberbefehlshaberin zu inszenieren, wurde dennoch auf vielfältige Weise ihre enge Verbundenheit mit ihrer Armee betont. Der preußische Gesandte Podewils berichtete bereits 1747, dass Maria Theresia sich bemühe, das Militär auszuzeichnen, das jetzt in viel höherem Ansehen stehe als unter Karl VI. Die Königin ziehe die Offiziere ihrer Garde an ihre Tafel und zwar – sehr zum Missfallen des hohen Adels – ohne Rücksicht auf ihre Herkunft.22 Im Jahre 1751 wurden die Offiziere dann offiziell für hoffähig erklärt. Das bedeutete eine erhebliche Aufwertung des Militärs und zog eine stärkere Präsenz von Uniformen am Hof nach sich. Maria Theresia trug zwar selbst nie Uniform, aber die männlichen Mitglieder ihrer Familie erschienen immer häufiger uniformiert, und zwar lange bevor Joseph 1766 das spanische Mantelkleid abschaffte und damit die Uniform zur Standardbekleidung für Männer bei Hof avancierte. Die Erzherzöge erhielten 19 Dazu Levin, 1994. 20 Arneth, 1864, S. 9f.; Walter, 1968, Nr. 12, S. 29. 21 Das Flugblatt in der Bilddatenbank des Deutschen Historischen Museums Berlin, Inventarnummer Gr 80/98; der Kupferstich ist auch abgebildet in Stollberg-Rilinger, 2017, S. 117. 22 Zudem verwies Podewils auf Maria Theresias finanzielle Freigiebigkeit den Soldaten gegenüber. Podewils an Friedrich II. von Preußen, Wien, 18.1.1747, gedr. in: Wolf, 1850, S. 486-496, hier S. 491. 173

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bereits als Kinder ihre eigenen Regimenter, in deren Uniform sie dann auch abgebildet wurden.23 Und im Jahre 1757 ordnete Maria Theresia an, dass bei einem Te Deum nach einem Schlachtensieg oder bei einer Andacht für gefallene Soldaten alle Offiziere künftig stets in Uniform zu erscheinen hätten. Das galt auch für ihren Mann und ihre Söhne, die dementsprechend erstmals dem Te Deum für den Sieg bei Schweidnitz am 20. November 1757 in Uniform beiwohnten.24 Maria Theresia stellte sich dadurch zwar nicht persönlich als Teil der militärischen Gesellschaft dar, betonte aber gleichzeitig die Bedeutung der Armee. Ein noch deutlicheres Signal der Wertschätzung der Armee gab Maria Theresia mit der Gründung des Militär-Maria-Theresia-Ordens nach dem Sieg von Kolin 1757. Mit dem Orden sollten verdiente Militärs unabhängig von ihrer Herkunft dekoriert werden. Großmeister des Ordens war Franz Stephan. Ihm oblag es demzufolge auch, die Orden zu übergeben. Benannt aber war der Orden nach Maria Theresia, also nicht wie in anderen Monarchien nach einem Wappentier oder nach einem der Dynastie eng verbundenen Heiligen, sondern nach der Herrscherin selbst. Das war höchst ungewöhnlich, und wurde noch ungewöhnlicher dadurch, dass es sich um eine Herrscherin handelte. Jede einzelne Ordensverleihung reproduzierte so Maria Theresias Position an der Spitze ihrer Armee, betonte, dass die Soldaten für sie fochten.25 Dass der Orden Maria Theresias Orden war, zeigt auch ein Bild von der ersten Ordensverleihung an Feldmarschall Daun durch Franz Stephan. Zwar ist diese Handlung deutlich in den Vordergrund gerückt, zentral im Bild und vom Licht beschienen ist jedoch Maria Theresia, die die Ordensverleihung beobachtet.26 Wesentlich klassischer war hingegen die Darstellung Maria Theresias als mater castrorum, wie sie sich auf einer Medaille aus dem Jahre 1743 findet. Die Bezeichnung geht zurück auf die römischen Kaiserinnen, die seit Faustina, der Gemahlin Marc Aurels, als mater castrorum bezeichnet wurden. Damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Soldaten der Kaiserin besondere Verehrung entgegenbrachten und sich davon göttlichen Schutz für ihre Lager sowie die Fürsorge der Herrscherin für ihre Belange erhofften.27 Auch wenn die religiöse 23 Siehe die Abbildung in Iby, 2017, S. 115. Das um 1753 entstandene Gemälde zeigt die zu diesem Zeitpunkt zwölf-, acht- und sechsjährigen Söhne Maria Theresias in Uniform. 24 Khevenhüller-Metsch, Bd. 4, 1914, S. 129 (20.11.1757). 25 Zum Militär-Maria-Theresia-Orden siehe Ludwigstorff, 2000. 26 Iby, 2017, S. 116. 27 Speidel, 2012, S. 150, zu Maria Theresia S. 130. Die Medaille ist auch abgebildet in Fabiankowitsch, 2017, S. 79, Abb. 5. 174

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Konnotation als Schutzheilige bei Maria Theresia selbstverständlich nicht zum Tragen kam, war der Titel geeignet, die Fürsorge der Kaiserin für ihre Soldaten herauszustellen. Das funktionierte auch deshalb besonders gut, weil dieses Bild auf eine vielfach geübte und medial verbreitete Praxis rekurrieren konnte. So besuchte Maria Theresia tatsächlich immer wieder die Lager ihrer Soldaten. Als sie 1745 zur Kaiserkrönung ihres Mannes nach Frankfurt reiste, stattete das Herrscherpaar auch dem österreichischen Hauptquartier bei Heidelberg einen Besuch ab. Gemeinsam inspizierten sie die Truppen und fuhren durch das Lager: Franz Stephan als Oberkommandierender und Maria Theresia als nominelle Oberbefehlshaberin, in deren Namen die Truppen fochten. Zum Abschluss der Truppeninspektion ließ Maria Theresia jedem Soldaten ein Geldgeschenk von 1-2 Gulden übergeben und erwies sich damit als fürsorgliche Mutter. Das Wiener Diarium berichtete detailliert von dem Truppenbesuch und verbreitete damit das Bild der mater castrorum über das konkrete Lager hinaus.28 Auch in den Folgejahren absolvierte Maria Theresia immer wieder solche Truppenbesuche. So stand bei einer zehntägigen Reise des Kaiserpaares nach Mähren im Juni 1748 auch eine mehrtägige Truppenrevue auf dem Programm.29 Und im Jahr darauf besuchte Maria Theresia eines der Manöver, die angesetzt worden waren, um »das neue nach den preußischen Beispill introducirte Exercice im Gang zu bringen«.30 Einen direkten militärischen Nutzen besaßen diese Truppenbesuche selbstverständlich nicht. Aber darum ging es auch gar nicht. Ziel dieser Besuche war es, die Verbundenheit des Kaiserpaares mit dem Militär zu demonstrieren. Maria Theresia ließ deshalb auch keine Gelegenheit aus, durch Wien ziehende Regimenter zu begrüßen oder zu verabschieden. Anders als die Truppeninspektionen, die Maria Theresia stets in Begleitung Franz Stephans absolvierte, nahm sie solche Termine in Wien gelegentlich auch alleine wahr.31 Auch nach dem Tod ihres Mannes setzte Maria Theresia diese Besuche von Lagern und Manövern fort, nun freilich allein und incognito.32 Diese Besuche beschränkten sich jetzt allerdings auf die nähere Umgebung von Wien, während Joseph bekanntermaßen auch weiter entfernte Manöver besuchte. Die unterschiedliche Funktion dieser Besuche ist offensichtlich: Joseph wollte tat28 29 30 31

Wiener Diarium, 13.10.1745, S. 4f. Khevenhüller-Metsch, Bd. 2, 1908, S. 230-242 (11.-19.6.1748). Ebd., S. 344 (18.8.1749). Ebd., S. 251f. (5.8.1748). Gemeinsam mit Franz Stephan: ebd., S. 217 (17.4.1748) und 224 (15.5.1748). 32 Khevenhüller-Metsch, Bd. 6, 1917, S. 191 (12.7.1766); ders., Bd. 7, 1925, S. 25 (21.5.1770); S. 79 (14.6.1771); S. 80 (19.6.1771); S. 92 (29.8.1771). 175

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sächlich seine Truppen inspizieren, um sich von ihrem Zustand und ihren Fähigkeiten ein Bild machen und gegebenenfalls korrigierend eingreifen zu können. Maria Theresia hingegen erfüllte die Funktion einer mater castrorum, die, wie Khevenhüller 1771 anlässlich eines solchen Besuchs notierte, der Verlegung ihrer Truppen zusah, »welche von Officier an biß zum gemainen Mann nach S. M. bekannten Freigebigkeit für die Soldaten sehr reichlich beschencket wurden.«33 Maria Theresia zeigte sich aber nicht nur in öffentlichkeitswirksamen Aktionen um ihre Soldaten besorgt, sondern kümmerte sich durchaus auch im Regierungsalltag um deren Wohl, so wenn sie Feldmarschall Neipperg im September 1756 wissen ließ, dass sie wegen des nahenden Winters Stiefletten für die Soldaten habe anfertigen lassen, und ihn fragte, ob Mäntel abgegeben werden sollten.34 Solche Maßnahmen entsprangen selbstverständlich nicht reiner Menschenfreundlichkeit oder landesmütterlicher Sorge, sondern folgten einem rationalen politischen Kalkül. Denn nur eine einigermaßen gut ausgestattete und versorgte Truppe aus zufriedenen Soldaten würde engagiert für ihre Landesherrin kämpfen und nicht bei der erstbesten Gelegenheit desertieren. Trotzdem entstand das Bild der fürsorglichen Mutter ihrer Soldaten, von der es in einer der Trauerreden hieß: »Niemand von euch [= der Soldaten, B.B.], meine Brüder, konnte sie ohne Geschenke verlassen.«35 Allerdings wäre es ein völlig schiefes Bild anzunehmen, dass Maria Theresia als mater castrorum die soziale Seite des Militärischen abgedeckt hätte, während ihre Mitregenten, also zunächst ihr Mann, dann ihr Sohn, den genuin militärischen Part übernommen hätten. Schon in der Außendarstellung wurde unmissverständlich deutlich gemacht, dass es ihre Truppen waren, die sie gemeinsam mit ihrem Mann bzw. mit ihrem Sohn führte. So wurden die Truppen auf Maria Theresia sowie ihren Mann und ihre Nachkommen vereidigt. Dem entsprach die Gestaltung der Fahnen und Standarten, die neben den Initialen Maria Theresias diejenigen Franz Stephans bzw. Josephs trugen.36 Diese gemeinsame Armeeführung wurde auch auf den anlässlich von Schlachtensiegen geprägten Medaillen visualisiert. Diese zeigten nämlich fast immer das Doppel-

33 Khevenhüller-Metsch, Bd. 7, 1925, S. 94 (3.9.1771). Die Äußerung bezieht sich zweifellos auf Maria Theresia trotz der Abkürzung »S.M.«. 34 Maria Theresia an Wilhelm Reinhard Graf Neipperg [September 1756], gedr. in Arneth, 1881, Bd. 4, S. 144f., und in Walter, 1968, Nr. 92, S. 132. 35 Gostka de Sachsenthall, 1785, S. 70. 36 Hausmann, 1967; Braun, 2018b, S. 260-262. 176

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porträt Maria Theresias und Franz Stephans.37 Es handelte sich also um gemeinsam errungene Siege, die es jeweils zu feiern galt. Nur sehr vereinzelt finden sich Medaillen auf militärische Erfolge, die allein Maria Theresias Bild tragen.38 So ist auf einer Medaille von 1745 auf der Vorderseite Maria Theresia abgebildet, auf der Rückseite sitzt Pallas Athene auf Wolken, den linken Arm auf einen Schild mit dem Medusenhaupt gestützt, in der rechten Hand eine Lanze haltend. Die Medaille feiert nicht einen konkreten Sieg der österreichischen Armeen, sondern preist ganz allgemein Weisheit und Waffen der Königin (»et mente et armis«), berücksichtigt also den doppelten Charakter der Pallas Athene als Göttin der Weisheit und des Krieges.39 Das entspricht durchaus dem in den Trauerreden gezeichneten Bild, das die militärischen Erfolge nicht nur den Waffen bzw. der Armee zuschrieb. Maria Theresia wurde also zwar nicht als Kriegerin inszeniert, aber an ihrer Funktion als Oberbefehlshaberin der Truppen lassen die Darstellungen keinen Zweifel, auch wenn die männlichen Mitglieder der Familie in der militärischen Außendarstellung stets eine gewisse Rolle spielten. Glaubt man Maria Theresias eigenen Aussagen, stand das nach außen vermittelte Bild allerdings in einem deutlichen Widerspruch zur Realität. So hatte sie bereits zu Beginn der 1750er Jahre an ihren Vertrauten Graf Sylva-Tarouca 37 Vgl. z. B. die Medaillen auf den Sieg von Kolin: Winter, 2017a, S. 19, Abb. 14 und ders., 2017b, S. 91, Abb. 14. Aus dem Bayerischen Erbfolgekrieg gibt es mangels bedeutender Schlachten keine entsprechenden Medaillen. Vgl. aber die Medaille auf den Frieden von Teschen, die ein Doppelporträt Josephs und Maria Theresias zeigt; Fabiankowitsch, 2017, S. 81, Abb. 10. Eine entsprechende Medaille mit dem Doppelporträt Franz Stephans und Maria Theresias war bereits auf den Frieden von Hubertusburg geprägt worden; Winter, 2017a, S. 19, Abb. 15. 38 So auf die Befreiung von Prag am 2.1.1743 mit einer Personifikation Prags auf der Rückseite. Diese Medaille stammt von dem Breslauer Medailleur Kittel, ist also nicht im offiziellen Auftrag des Hofs entstanden: Schau- und Denkmünzen Maria Theresias, 1970, Nr.  XXVII. Siehe auch die von Kardinal Alexander Albani in Auftrag gegebene Medaille, die – wohl aus Anlass des Sieges von Kolin – die Siege gegen Preußen feierte und die auf der Vorderseite Maria Theresia als Pallas Athene und auf der Rückseite einen Triumphbogen zeigte; ebd., Nr. CXXXI. 39 Telesko, 2017, S. 42. Es gibt übrigens eine parallele Medaille auf Katharina, mit der Umschrift »Sapientia et armis«, diese dann allerdings bezogen auf den Sieg gegen die Türken 1780; Europäische Geschichte im Spiegel der Medaillenkunst, 2016, S. 231, Nr. 4571. Zur Bedeutung von Minerva/Pallas Athene für die Repräsentation Marias deʼ Medici s. Schnettger, 2014, S. 223f. 177

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geschrieben, dass sie die Militaria ganz an den Kaiser abgetreten habe.40 Eine ganz ähnliche Aussage – erneut gegenüber Sylva-Tarouca – ist dann für das Jahr 1766 überliefert, nämlich die Behauptung, dass sie die Militaria Joseph überlassen habe. Immerhin schrieb sie in diesem Zusammenhang auch, dass ihr dieser Verzicht schwer gefallen sei, da das Militär der einzige Bereich der Staatsgeschäfte gewesen sei, für den sie Interesse gehabt habe.41 Schon diese Bemerkung macht es eher unwahrscheinlich, dass sie sich bis dahin nicht darum gekümmert hatte, wie ihre Aussage aus den 1750er Jahren suggeriert. Und bereits ein relativ flüchtiger Blick in die politischen Akten, vor allem die der Staatskanzlei, und in das Tagebuch Khevenhüllers zeigt, dass dieser Selbstaussage eher nicht zu trauen ist.42 Es ist vielmehr offensichtlich, dass sich Maria Theresia stets um alle militärischen Belange gekümmert hat, und zwar von Anfang an bis kurz vor ihrem Tod. Für die Militärs muss das anfangs durchaus gewöhnungsbedürftig gewesen sein. Denn für die Anfangsjahre des Österreichischen Erbfolgekriegs ist zu beobachten, dass die Generäle sich mit ihren Anfragen an Franz Stephan wandten, der zudem offiziell das Oberkommando innehatte. Immerhin verfügte er über eine gewisse militärische Erfahrung, hatte mit manchen der Generäle gemeinsam im Türkenkrieg gekämpft. Die Generäle rechneten offenbar kaum damit, dass sich die junge Herrscherin auch mit militärischen Fragen befassen wollte. In diesen allerersten Jahren fungierte Franz Stephan als eine Art Mittelsmann zwischen der Königin und ihrem Militär.43 Das hätte eine geradezu ideale Lösung sein können. Denn eine herausgehobene militärische Funktion und entsprechende Erfolge hätten dem Großherzog das Prestige verschaffen können, das ihm gerade in den ersten Ehejahren so sehr fehlte. Und für Maria Theresia hätte es eine Entlastung in einem Bereich sein können, von dem sie zunächst in der Tat nichts verstand. Doch die notorische Erfolgslosigkeit Franz Stephans auf dem Schlachtfeld ließ diese Form der Auf40 Zedinger, 2008, S. 314, Anm. 111. 41 Randbemerkung Maria Theresias zu einem Brief Graf Emanuel Sylva-Taroucas, gedr. in: Karajan, 1859, Anhang Nr. 30, S. 69, in deutscher Übersetzung in: Walter, 1968, Nr. 183, S. 213. 42 Dies gilt offensichtlich auch für die im Kriegsarchiv liegenden, von mir nicht eingesehenen, militärischen Akten im engeren Sinne. Die Autoren der kriegsgeschichtlichen Abteilung des Kriegsarchivs, die Ende des 19. Jahrhunderts die quasi amtliche Darstellung des Österreichischen Erbfolgekriegs vorlegten, wunderten sich jedenfalls über die zahllosen Marginalien Maria Theresias, auf die sie in den Akten stießen; Österreichischer Erbfolgekrieg, 1896, Bd. 1/1, S. 302. 43 Siehe dazu Braun, 2018b, S. 138-140. 178

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gabenteilung rasch Makulatur werden, wenn sie von Maria Theresia denn überhaupt so strikt angedacht gewesen war. Daran sind freilich gewisse Zweifel angebracht. Denn bereits im Sommer 1742, zu einem Zeitpunkt also, als Franz Stephan noch als Oberkommandierender im Feld stand, hatte Maria Theresia ihm zwar die Entscheidung überlassen, ob Prag unter allen Umständen von den Franzosen zurückerobert werden oder ob man sich lieber auf die Besetzung Bayerns konzentrieren sollte. Das jedenfalls behauptete sie in einem Brief an ihren Mann, machte ihm aber gleichzeitig klar, welche Lösung sie favorisierte,44 und versammelte drei Tage später einige Minister und Generäle um sich, um über genau diese Frage zu beraten, deren Beantwortung sie doch angeblich ganz ihrem Mann überlassen hatte. Plastisch tritt aus diesem Hin und Her der Willen der jungen Königin hervor, diese militärischen Fragen, die über die Existenz ihres Reichs entscheiden konnten, nicht anderen zu überlassen, auch nicht ihrem Mann, und zwar unabhängig davon, ob er als Oberkommandierender an der Front weilte oder sich in Wien befand. Selbstverständlich wusste Maria Theresia, dass sie von Wien aus nicht die Details der Kriegsführung entscheiden konnte – das unterschied sie dann eben doch vom roi connetable. Dass sie selbst in den Krieg gezogen wäre, stand nicht zur Debatte, auch wenn sie später in ihrem sogenannten Politischen Testament schrieb, dass »soferne nicht alle Zeit gesegneten Leibes gewesen, mich gewiß niemand aufgehalten hätte, selbsten diesem so meineidigen Feinde entgegenzusetzen«,45 eine Ansicht, die auch der preußische Gesandte Podewils kolportierte.46 Aber daran war nicht im Ernst zu denken. Darauf deutet schon hin, dass in der Herrschaftsrepräsentation auf entsprechende Darstellungen verzichtet wurde. In der Praxis war die Vorstellung, Maria Theresia ziehe an der Spitze ihrer Truppen ins Feld, vollends unrealistisch. Man wird diese Äußerung Maria Theresias eher als Formulierung einer zuweilen als bitter empfundenen Einschränkung aufgrund ihres Geschlechts verstehen müssen denn als ernsthaft in Erwägung gezogene Option. Dennoch war Maria Theresia zweifelsohne Oberbefehlshaberin, und zwar in dem Sinn, dass sie die Richtung der militärischen Entscheidungen vorgab. 44 Nämlich die Rückeroberung Prags. Maria Theresia an Franz Stephan, Wien, 24.8.1742; HHStA, Familienkorrespondenz A 37-1-30, fol.  7r-8v; gedr. in Arneth, 1864, S. 490. 45 Maria Theresias Denkschrift von 1750/51, gedr. in: Walter, 1968, Nr. 72, S. 6397, hier S. 81. 46 Podewils an Friedrich  II. von Preußen, Wien, 18.1.1747, gedr. in: Wolf, 1850, S. 486-496, hier S. 491. 179

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Das wird auch daran deutlich, dass die junge Königin bald nicht mehr auf die Kontakte Franz Stephans zu seinen alten Kameraden, wie z. B. Feldmarschall Wilhelm Reinhard Graf Neipperg, angewiesen war, sondern sich ein eigenes Netzwerk aus jüngeren Offizieren aufbaute, die ihr ihren Aufstieg verdankten. Voll ausgebildet war die komplette Ausrichtung der militärischen Informationsund Entscheidungswege auf Maria Theresia dann bald nach dem Beginn des Siebenjährigen Krieges. So berichtete Leopold Joseph Graf Daun als der wichtigste dieser jungen Generäle47 täglich direkt an Maria Theresia und versorgte sie so mit Informationen aus erster Hand. Das heißt nicht, dass Franz Stephan in den militärischen Entscheidungen keine Rolle mehr gespielt hätte. Vielmehr wurde er weiter ganz selbstverständlich zu den militärischen Beratungen hinzugezogen und zeichnete auch für manche Entscheidung verantwortlich. Insofern vermittelten die Medaillen auf Schlachtensiege, die das Doppelporträt des Kaiserpaares zeigen, durchaus ein zutreffendes Bild, ohne freilich die interne Hierarchie, die inzwischen sehr ausgeprägt war, korrekt wiederzugeben. Während auf den Medaillen Franz Stephan aufgrund seiner kaiserlichen Würde im Vordergrund und damit voll sichtbar abgebildet wurde, hielt sich Maria Theresia in der Realität keineswegs so im Hintergrund, wie sie auf den Medaillen erscheint, sondern hatte das letzte Wort. An dieser Grundkonstellation änderte sich durch den Tod Franz Stephans und die Übernahme der Mitregentschaft durch Joseph zunächst einmal erstaunlich wenig. Für die künftige Verteilung der Gewichte fast wichtiger scheint der Tod Dauns Anfang Februar 1766 gewesen zu sein. Für einen kurzen Moment war die Situation tatsächlich recht offen. Denn ob ein Vertrauter Maria Theresias oder Josephs den Posten des Hofkriegsratspräsidenten bekleidete, war von erheblichem Belang. Es stand sogar die Option im Raum, dass Joseph selbst den Vorsitz im Hofkriegsrat übernehmen sollte,48 was ihm eine außerordentlich starke Position verschafft hätte. Maria Theresia überließ Joseph die Entscheidung, freilich nicht, ohne ihm deutlich zu signalisieren, für wen sie sich entscheiden würde.49 Ihr Sohn folgte der von seiner Mutter favorisierten Option und entschied sich für Moritz Graf Lacy.50 Damit entstand wie für den politi47 Daun lieferte bereits vor der Übernahme des Oberkommandos nach dem Rücktritt Karl Alexanders von Lothringen regelmäßig Berichte an Maria Theresia. Daun, geb. 1705, war gut 20 Jahre jünger als der 1684 geborene Neipperg. 48 Arneth, 1876, S. 212. 49 Randbemerkung Maria Theresias zu einem Brief Graf Emanuel Sylva-Taroucas, Februar 1766; gedr. in: Karajan, 1859, Anhang Nr. 30, S. 69. 50 Zu Lacy siehe Kotasek, 1956. 180

Maria Theresia ‒ Friedensfürstin oder Oberbefehlshaberin?

schen Bereich mit Kaunitz auch für den militärischen Bereich ein Triumvirat, da Lacy ein enges persönliches Verhältnis sowohl zu Maria Theresia als auch zu Joseph pflegte. Lacy war also weniger eindeutig allein der Vertraute Maria Theresias, als Daun dies gewesen war. Allerdings wurde auch jetzt bald klar, dass weiterhin alle Kommunikationskanäle auf Maria Theresia ausgerichtet waren. Sie entschied, welche Informationen Joseph erhielt und welche nicht, und Lacy verhielt sich entsprechend. Die Kaiserin und ihr Hofkriegsratspräsident unterhielten einen geheimen Briefwechsel, den sie mit einigem Aufwand vor Joseph verborgen hielten.51 Aber nicht nur von dieser Korrespondenz blieb Joseph ausgeschlossen, auch die Akten des Hofkriegsrats scheinen ihm lange Zeit nicht in vollem Umfang zugänglich gewesen zu sein. Anfang 1772 bat er deshalb, die Korrespondenz des Hofkriegsrats komplett einsehen zu dürfen.52 Nach außen hin aber sollte dieses Gefälle nicht sichtbar werden, denn es war ja immerhin der Kaiser, um dessen Zurücksetzung es hier ging. Das konnte im Extremfall zur Folge haben, dass Joseph öffentlich für Entscheidungen verantwortlich gemacht wurde, die er gar nicht zu verantworten hatte. Darüber beklagen aber konnte und durfte er sich nicht, jedenfalls nicht öffentlich. Nur seinem Bruder Leopold gegenüber konnte er seine tiefe Unzufriedenheit offenbaren. So beschwerte er sich Anfang 1771, dass er als nomineller Oberbefehlshaber – auf Anweisung Maria Theresias hin – Personalentscheidungen habe unterzeichnen müssen, obwohl er mit ihnen nicht einverstanden gewesen sei.53 Da er aber öffentlich durch seine Unterschrift als der Urheber der Entscheidungen in Erscheinung getreten war, traf ihn auch die Unzufriedenheit der Betroffenen. Obwohl er deren Unmut in der Sache nachvollziehen konnte, war er zum Stillschweigen verurteilt, da sonst der Dissens öffentlich gemacht worden wäre. Joseph zeigte sich in Uniform wie der preußische König, und er begab sich wie dieser zur Armee, exerzierte seine Truppen und führte Manöver durch. Das erweckte den Eindruck, als ob er auch eine vergleichbare Position innegehabt hätte. Dem aber war mitnichten so: Das letzte Wort hatte auch in militärischen Angelegenheiten stets seine Mutter. Anders als die Zeit der gemeinsamen Regierung von Maria Theresia und Franz Stephan waren die Jahre der Mitregentschaft Josephs ganz überwiegend 51 Braun, 2018b, S. 264-267. 52 Joseph an Lacy, 26.1.1772; HHStA, Nachlass Lacy 2; lt. Beales, 1990, S. 185. Eine Überprüfung am Original war nicht möglich, da die Stücke dieses Kartons aus dem Zeitraum November 1771 – November 1774 im Archiv vermisst werden. 53 Joseph an Leopold, 10.1.1771; Arneth, 1867, Bd.  1, Nr.  132, S.  321-323, hier S. 322. 181

Bettina Braun

eine Periode des Friedens. Erst ganz am Schluss kam es noch einmal zum Krieg um das bayerische Erbe. Und in diesem Krieg waren die Gewichte nun tatsächlich anders verteilt. Nun überließ Maria Theresia die militärischen Entscheidungen wirklich ihrem Sohn. Das lag freilich vor allem daran, dass dieser Krieg Josephs Krieg war, den sie nicht gewollt hatte, weil sie von den österreichischen Ansprüchen nicht überzeugt war und den Krieg auch für allzu riskant hielt.54 Also griff sie zwar nicht direkt in die Kriegsführung ein, desavouierte Joseph aber mit ihrem Friedensangebot an Preußen. In der Herrschaftsrepräsentation wurde darauf verzichtet, Maria Theresia direkt als Kriegerin darzustellen: Sie erschien nach außen hin zwar als diejenige, in deren Namen und unter deren Banner gekämpft wurde und die vielfach ihre Sorge um und ihre Wertschätzung für die Armee bekundete, ihr Anteil am Kriegsgeschehen aber blieb im Ungefähren. Es war von daher durchaus folgerichtig, wenn in den Trauerreden vor allem auf ihren Glauben und ihre Überzeugung von der gerechten Sache verwiesen wurde, die den Waffen zum Erfolg verholfen hätten. In der Repräsentation erscheint Maria Theresia deshalb wesentlich friedlicher nicht nur als ihre männlichen »Kollegen« Friedrich der Große oder Ludwig XIV., sondern auch als manche Herrscherin oder Regentin wie z.  B. Maria deʼ Medici.55 Doch so gering war ihr Anteil an den militärischen Angelegenheiten keineswegs. Sie war mitnichten die Landesmutter, die sich aufs Beten verlegte, sondern sie war die Kriegsherrin, bei der die Fäden zusammenliefen, der die Militärs einschließlich ihrer Mitregenten Rechenschaft ablegen mussten und die ihnen die Befehle erteilte, soweit das eben von Wien aus möglich war. Darin unterschied sie sich zwar von Friedrich II., nicht aber von den meisten anderen Monarchen ihrer Zeit, die den Krieg ebenfalls vom Schreibtisch aus führten.

Gedruckte Quellen und Literatur Gedruckte Quellen Arneth, Alfred von (Hg.), Maria Theresia und Joseph II. Ihre Correspondenz sammt Briefen Joseph’s an seinen Bruder Leopold, 3 Bde., Wien 1867. Ders. (Hg.), Briefe der Kaiserin Maria Theresia an ihre Kinder und Freunde, 4 Bde., Wien 1881. 54 Dazu Braun, 2018a, S. 188f. 55 Schnettger, 2014, S. 222-225, zu Christine de France S. 231. 182

Maria Theresia ‒ Friedensfürstin oder Oberbefehlshaberin?

Denkmäler dem unsterblichen Andenken Marien Theresiens gewidmet. Prosaischer Theil, Wien 1785. Gmeiner, Franz Xaver, Rede von Francisco Xaverio Gmeiner, Weltpriester und Lehrer des Kirchenrechtes, Gehalten zu Gratz in Steyermarkt in der Kirche Marien Verkündigung bey den Barmherzigen Brüderen den 24. Jänner 1741, gedr. in: Denkmäler dem unsterblichen Andenken Marien Theresiens gewidmet. Prosaischer Theil, Wien 1785, S. 16-21. Gostka de Sachsenthall, Ignaz, Rede von Ignatio Gostka de Sachsenthall, Weltpriester, der Weltweisheit Doktor, des löblichen Herzog Albertischen ersten Carabiniers-Regiments Kapellan, Gehalten zu Pardubitz in Böhmen, als dieses Regiment die Trauerceremonie für die Kaiserinn Königinn begieng, gedr. in: Denkmäler dem unsterblichen Andenken Marien Theresiens gewidmet. Prosaischer Theil, Wien 1785, S. 65-71. [Hohenzollern-Hechingen, Johann Karl von], Trauer-Rede nach dem Absterben des Allerdurchlauchtigsten, Großmächtigsten Herrn Herrn Friderich des Zweyten König von Preußen etc. gehalten den 10. September 1786 zu Berlin in der Römisch-Catholischen Kirche von dem Bischofe von Culm, Gefürsteten Reichs-Grafen zu Hohenzollern, Berlin [1786]. Janckus, Ambrosius, Rede von Ambrosio Jancko, regulirten Kanonikus der Kirche zu Bruck, bischöflichen Rath, Stadtpfarrer, und Landdechant. Gehalten in der Pfarrkirche der königl. Stadt Znaim, den 21. Christmonats 1780, gedr. in: Denkmäler dem unsterblichen Andenken Marien Theresiens gewidmet. Prosaischer Theil, Wien 1785, S. 21-28. Khevenhüller-Metsch, Johann Josef, Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch, Kaiserlichen Obersthofmeisters, Bd. 2, 4, 6, 7, hg. von Rudolf Khevenhüller-Metsch/Hanns Schlitter, Wien/Leipzig 1908/1914/1917/1925. Landau, Ezechiel, Rede von Ezechiel Landau aus dem Geschlechte Levi, Oberrabiner in Prag. Gehalten in jüdischer Mundart in der sogenannten Meiselschule zu Prag, in Gegenwart des Judenprimators, der Ältesten und Rabinen wie auch anderer Ansehnlicheren des jüdischen Volkes, den 12ten des Monats Kislov im Jahre 5541, das ist den 10ten December 1780, gedr. in: Denkmäler dem unsterblichen Andenken Marien Theresiens gewidmet. Prosaischer Theil, Wien 1785, S. 50-58. Martonfus, Josef, Rede von Iosefo Martonfi, kaiserl. königl. geistlichen Rath und Oberaufseher der Rationalschulen in Siebenbürgen. Gehalten bey dem feyerlichen Leichenbegängniße welches die hohen Stände des Großfürstenthums Siebenbürgen Ihrer in Gott ruhenden Monarchinn in der Hermannstädter Pfarrkirche veranstalteten den 16. Jäner 1781, gedr. in: Denkmäler 183

Bettina Braun

dem unsterblichen Andenken Marien Theresiens gewidmet. Prosaischer Theil, Wien 1785, S. 59-65. Sack, Friedrich Samuel Gottfried, Gedächtnißpredigt auf den allerdurchlauchtigsten, großmächtigsten König und Herrn Herrn Friderich den Zweyten König von Preussen, In Gegenwart Sr. Majestät des Königs und des Königl. Hauses den 10.  September 1786 gehalten in der Oberpfarr- und Domkirche Berlin, Berlin 1786. Schau- und Denkmünzen, welche unter der glorwürdigen Regierung der Kaiserinn Königinn Maria Theresia gepräget worden sind […], Wien 1782, ND mit einer Einleitung von Günther Probszt-Ohstorff, Graz 1970. Sturm, Joseph Wilhelm, Rede von Iosepho Guilielmo Sturm, der Gottesgelehrtheit Doktor; Fürstlich-Bischöflichen-Konstanzischen geistlichen Rath, Commissarius Chor- und Pfarrrektor zu Freyburg, gedruckt in: Denkmäler dem unsterblichen Andenken Marien Theresiens gewidmet. Prosaischer Theil, Wien 1785, S. 116-130. Walter, Friedrich (Hg.), Maria Theresia. Briefe und Aktenstücke in Auswahl (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit 12), Darmstadt 1968. Wolf, Adam (Hg.): Relationen des Grafen von Podewils, Gesandten K. Friedrich’s II., über den Wiener Hof in den Jahren 1746, 1747, 1748, in: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Classe 5 (1850), S. 466-543.

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Maria Theresia ‒ Friedensfürstin oder Oberbefehlshaberin?

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Maria Theresia ‒ Friedensfürstin oder Oberbefehlshaberin?

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Die Wege der Integration Eine Skizze zu den Karrieremöglichkeiten und der Repräsentation von ungarischen Aristokraten am Hof Maria Theresias Zsolt Kökényesi Der 29. August 1526 kann als ein wichtiger Wendepunkt der ungarischen Geschichte betrachtet werden. An diesem Tag verloren die Truppen des Königreichs Ungarn gegen die Osmanen die Schlacht bei Mohács. Im Gefecht fiel der Jagiellonenkönig Ludwig  II. In der Folgezeit kamen die ungarischen und böhmischen Kronen in den Besitz der Habsburger Dynastie, womit das Staatenkonglomerat der Habsburgermonarchie entstand. Die Integration des Königreichs Ungarn und der ungarischen Stände in die gemeinsame Monarchie war ein ziemlich langwieriger und konfliktbelasteter Prozess. Die ungarischen Aristokraten unterstützten je nach ihren familiären und personellen Ambitionen, ihren politischen Traditionen und ihrer Weltanschauung entweder Ferdinand I. oder den Fürsten von Siebenbürgen.1 Die Spannungen zwischen den Ständen und den Herrschern, Fürsten und Königen führten im 17. Jahrhundert mehrmals zu ernstzunehmenden Aufständen und inneren Kriegen.2 Die letzte und größte antihabsburgische Bewegung der frühen Neuzeit war die mit dem Spanischen Erbfolgekrieg parallellaufende Rakóczi-Bewegung (1703-1711), die 1711 mit dem Frieden von Sathmar beendet wurde. 1

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Unter »ungarisch« werden die zur natio Hungarica gehörenden, aus den Ländern der Stephanskrone stammenden Personen verstanden, einschließlich der Aristokratie aus Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen. Das heißt, ich benutze das Attribut »ungarisch« nicht als eine moderne Nationalitätsbezeichnung. Zu den Aufständen: Pálffy, 2013; Szijártó, 2008. 189

Zsolt Kökényesi

Der durch eine gewisse Kompromissbereitschaft sich auszeichnende Friede und der Herrschaftsantritt von Karl VI. im selben Jahr eröffneten ein neues Kapitel in der gemeinsamen Geschichte der Habsburger und des Königreichs Ungarn. Karl VI., der schon in Spanien Regierungserfahrung gesammelt hatte, verfolgte gegenüber den Ungarn eine Regierungsweise, die erheblich von der seiner Vorfahren abwich. Er versuchte das Land mit friedlichen Methoden und auf eine weniger zentralistische Art und Weise zu regieren und legte großen Wert darauf, die Zufriedenheit der ungarischen Stände zu erhalten.3 Ein besonders wichtiges Element dieser Regierungsweise war es, die Loyalität des ungarischen Hochadels zu gewinnen – wobei das wichtigste Mittel die Titel- und Amtsverleihungen waren – bzw. das Bestreben des Herrschers, die höfische Integration der ungarischen Aristokratie voranzutreiben. Fortan vergrößerte sich der Anteil des ungarischen Hochadels in den habsburgischen Hofstaaten: Mehrere ungarische Hofdamen und Edelknaben sind in der Umgebung der Herrscherfamilie zu identifizieren. Aber nicht nur die am Hof bestallten Magnaten waren immer häufiger und in immer größerer Zahl in der Kaiserstadt anwesend, viele Aristokraten kamen auch für kürzere oder längere Zeit nach Wien, um Beziehungen aufzubauen, Unterhaltungsmöglichkeiten zu nutzen und um ihre Geschäfte zu erledigen. Die ungarischen Magnaten waren schon im 16. und 17.  Jahrhundert am habsburgischen Hof aktiv anwesend, aber ihr Anteil nahm erst nach 1711 bedeutend zu. Während Géza Pálffy den Kontext des Themas bezüglich des 16. Jahrhunderts prominent erforschte, hat die ungarische Geschichtsforschung über die Verhältnisse im 17. Jahrhundert nur Fallstudien hervorgebracht.4 Diese stehen teilweise vor dem Hintergrund des Drucks der leitenden politischen Ideologien im Ungarn des 20. Jahrhunderts. In der Zwischenkriegszeit, als viele Historiker ihre Werke im Geist des Nationalismus verfassten, wurde die ungarische Unabhängigkeitsbewegung idealisiert. In den sich in den habsburgischen Hof integrierenden Magnaten sah man »Verräter der Nation«. Beispielsweise schrieb der anerkannte Historiker Imre Wellmann 1941 die folgenden Zeilen zu diesem Thema: »Nur Außenstehende konnten glauben, dass die Königin der Kaiserstadt ihren Rücken kehrt und ihre Residenz in ein fremdes Volk, zu einem rückständigen Land umsiedeln wird; ganz im Gegenteil: eine lange Reihe der 3 4

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Kalmár, 1996. Ich möchte hier nur auf zwei Werke des Autors verweisen: Pálffy, 2003 sowie ders., 2009.

Die Wege der Integration ungarischen Herren wandert jetzt nach Wien, dem einladenden, anreizenden Wort von Maria Theresia folgend. Die leutselige Einladung deckt auch diesmal nichts Anderes als feine Kalkulation: der ungarische Magnat, wenn er einmal in den Anziehungskreis von Wien geriet, kann sich nie mehr von dem faszinierenden Zauber des höfischen Lebens befreien, er geht in der internationalen Kultur der Hauptstadt auf.«5

Teilweise lebte diese Anschauung nach dem Zweiten Weltkrieg in der Epoche des Staatssozialismus fort und wurde unter dem Gesichtspunkt des Klassenkampfs derart ergänzt, dass man sich Aristokraten aufgrund ihrer gesellschaftlichen Klasse nur feindlich näherte. Viele andere Historiker (unter anderem Éva H. Balázs oder Domokos Kosáry) interpretierten die habsburgisch-ungarischen Beziehungen und die Integration der ungarischen Aristokratie in die Residenzstadt Wien jedoch nicht diesen Anschauungen folgend.6 Die ersten modernen hof- und repräsentationsgeschichtlichen Forschungen begannen in Ungarn in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre.7 In dieser Zeit standen die ungarische und siebenbürgische Hofkultur während der Spätrenaissance im Fokus der Untersuchungen. Erst zur Jahrtausendwende hin begann die Erforschung des Habsburger Hofes. Die Politik Karls  VI. gegenüber den ungarischen Ständen erwies sich als so erfolgreich, dass das Königreich Ungarn im Österreichischen Erbfolgekrieg nicht nur nicht dem Lager der Gegner Maria Theresias beitrat, sondern eine der zuverlässigsten Stützen der Herrscherin blieb. Der Dank Maria Theresias gegenüber der Nation, welche für sie ihr »Leben und Blut« gegeben hatte, blieb nicht aus.8 Während der Regierung der Herrscherin integrierte sich das Königreich Ungarn viel stärker in die Habsburgermonarchie, was die verstärkte Ein5 6 7 8

Wellmann, 1941, S. 54 (Übersetzung des Zitats durch Zsolt Kökényesi). Balázs, 1997, S. 100-107, die ungarische Ausgabe des Buches erschien 1987. Zur ungarischen Historiographie über Maria Theresia Benda, 1981. Várkonyi/Székely, 1987. Maria Theresia schrieb in ihrem sogenannten Politischen Testament über die Ungarnpolitik der Habsburger: »Besonders haben die Hungarn solches empfunden, die man in einer allständigen Unterdruckung zu halten gesuchet auch sothane Nation von allen Diensten ausgeschlossen. Der scheinbare Vorwand ware darzu die daselbst fürgewaltete Unruhe und Rebellion usque ad tempus Caroli VI. Alleine die Billigkeit und reine Politique erheischet, die räudige Schafe von der Herde abzusondern, mithin jene, so eine Belohnung verdienen, nicht mit denen unwürdigen in gleicher Verdammnüss zu halten, wodurch notwendig diese in eine 191

Zsolt Kökényesi

bindung der ungarischen Magnaten in Wien gut widerspiegelt. Im Lichte des Forschungsschwerpunktes »Kulturgeschichte der Politik« denke ich, dass die Bedeutung dieses Themas sich nicht in der genaueren Kenntnis hochadeliger Karrieren oder Lebensläufe erschöpft, sondern höchst relevant ist, wenn man die Natur der habsburgisch-ungarischen Beziehungen insgesamt verstehen möchte. In diesem Aufsatz möchte ich die Integration der ungarischen Aristokraten in den Wiener Hof zwischen 1740 und 1780 im Überblick vorstellen und dabei die institutionellen Voraussetzungen sowie die Repräsentationsmöglichkeiten in den Blick nehmen.

Die Institutionen der Integration Die Verstärkung der höfischen Integration war das gemeinsame Interesse des Hochadels aller habsburgischen Gebiete und in gleicher Weise der Regierung. Die Anwesenheit der Aristokraten am Hof erhöhte das Niveau der Machtrepräsentation der Herrscher und verstärkte die Legitimität der Regierung, während die Präsenz am Hof den Magnaten eine Möglichkeit für Karriereaufbau und Einflusserwerb sicherte. Aber welcher institutionelle Rahmen stand für die Integration der ungarischen Aristokraten zur Verfügung? Die Unterrichtsanstalten der Kaiserstadt bedeuteten eine wichtige und die erste formelle Möglichkeit der höfischen Integration für die jungen Magnaten. Die Schulen von Wien hatten die ungarischen Schüler bereits vor der Entstehung der Habsburgermonarchie angezogen, jedoch vervielfachte sich mit der Entstehung der gemeinsamen Monarchie die Peregrinatio academica nach Wien, und sukzessive begannen die Adeligen diese Form der Integration zu präferieren. Mit Hilfe der Schulen konnten die adeligen Schüler nicht nur Bildung erwerben, sondern sie konnten auch die Gewohnheiten der Kaiserstadt und die höfische Kultur kennenlernen, was eine wichtige Erfahrung für ihren späteren Karriereweg bedeutete. Von den verschiedenen Wiener Unterrichtsmöglichkeiten war quantitativ die Universität am bedeutendsten. Diese Möglichkeit wurde durch die Existenz der ungarischen akademischen Nation der Universität und die verschiedenen ungarischen Stipendien (zum Beispiel die Stiftung des Erzbischofs Nikolaus von Oláh) gesichert.9 Das jährliche Fest der ungarischen akademischen Nation, der Festtag des Heiligen Ladislaus (27. Juni), war ein wichtiges repräsentatives

9 192

Kleinmütigkeit und Desparation versetzet werden müssen.« Kallbrunner, 1952, S. 46. Barta, 1937; Steindl, 1993.

Die Wege der Integration

Ereignis, das im Stephansdom in Anwesenheit der Herrscherfamilie und anderer hoher geistlicher und weltlicher Würdenträger gefeiert wurde. Zwischen 1740 und 1780 wurden ungefähr 1.600 aus Ungarn und Kroatien stammende Studenten an der Universität immatrikuliert, mehr als 25 % davon stammten aus adeligen Familien.10 Unter Maria Theresia verlor die Universität jedoch ihre frühere Bedeutung für die ungarischen Aristokraten an die neu gegründeten adeligen Akademien (besonders an die Theresianische Akademie) – in dieser Zeit ist nur gelegentlich ungarischer Hochadel unter den Studenten der Universität zu finden. Ein Beispiel für einen hochadeligen Studenten war der aus Ostungarn stammende Anton Graf Károlyi (1732-1791). Während dessen Großvater Alexander (1669-1743) in den Wiener Hofkreisen wegen seiner mangelhaften Sprachkenntnisse und seiner altmodischen, ungarischen Kleidung noch belächelt worden war, durchlief sein gut gebildeter Enkel Anton später eine hohe Militärlaufbahn und wurde Kapitän der ungarischen adeligen Leibgarde in Wien.11 Das neben der Universität existierende ungarische Priesterseminar, das Collegium Pazmaneum, verlor seine hochadeligen Studenten ebenfalls unter Maria Theresia. Früher allerdings hatte die Anstalt in der Ausbildung der kirchlichen Elite des Königreichs Ungarn eine sehr wichtige Rolle gespielt.12 Denn unter den damaligen Seminaristen des Pazmaneums sind so bedeutende Persönlichkeiten wie Emmerich Graf Esterházy (1689-1763, Bischof von Neutra), Nikolaus Graf Csáky (1698-1757, Erzbischof von Gran) oder Franz Graf Zichy (1701-1783, Bischof von Raab) zu finden, die wichtige Akteure des ungarischen politischen Lebens unter der Regierung Maria Theresias waren.13 Das Seminar besaß weiterhin große Bedeutung für die ungarische Präsenz in Wien und für den österreich-ungarischen Kulturtransfer. Der Paulinermönch Mathias Fuhrmann (1697-1773) schrieb nicht zufällig in seiner monumentalen Stadtbeschreibung Wiens die folgenden Zeilen über das Pazmaneum: »Es ist nicht auszusprechen, was dieses berühmte Haus [Pazmaneum] dem Königreich Ungarn, als der Alumnen Vaterland, durch der studirenden allda geschöpfte Tugend, edle Lebensart und Gelehrsamkeit für Ruhm und Ehre verschaffet habe. […] Zum Ruhm des Ungarischen Adels sind sehr viele,

10 Kissné Bognár, 2004, S. 51-309 und S. 365-398. 11 Kovács, 1988, S. 211. 12 Das Seminar wurde von Kardinal Peter von Pázmány (1570-1637) 1623 gegründet. Zur Geschichte des Seminars: Fazekas, 2002. 13 Fazekas, 2003, S. 177-203. 193

Zsolt Kökényesi die unter der Disciplin dieses Hauses gelebet, zu den höchsten geistlichen Würden gelanget.«14

Das von Probst Benedikt Vinkovits (Vinković) (1581-1642) gegründete Collegium Croaticum in Wien spielte für die Ausbildung der kroatischen Seminaristen eine ähnliche Rolle.15 Während der Regierung Maria Theresias ist von den Studenten des Seminars Franz von Thauszy (1698-1769) Bischof von Agram und Adam von Patachich (1716-1784) Erzbischof von Kalocsa geworden. Für den Wiener Unterricht der ungarischen Aristokraten spielten die in den 1740er Jahren gegründeten adeligen Akademien (Löwenburgisches Konvikt, Savoyische Akademie, Theresianum) die wichtigste Rolle. Im Löwenburgischen Konvikt und in der Theresianischen Akademie gab es gezielte Stipendien für die ungarischen Schüler. Das Stipendium des Theresianums hat Maria Theresia selbst begründet.16 Diese Unterrichtsanstalten boten in mehrerlei Hinsicht ausgezeichnete Bildungsmöglichkeiten für die adeligen Schüler. Einerseits galt die Unterrichtsqualität dieser Schulen in der Habsburgermonarchie als sehr hoch, namhafte Professoren wie der Naturrechtsprofessor Karl Anton von Martini (1716-1800), der Staatswissenschaftler Joseph von Sonnenfels (17321817) oder der Dichter Michael Denis (1729-1800) lehrten dort. Andererseits funktionierten sie als Ritterakademien, weshalb sich nur Adelige immatrikulieren konnten. Anders als nach dem Lehrplan der Jesuitengymnasien lernten die Schüler dort nicht nur moderne Sprachen (Italienisch, Französisch) und Wissenschaften (Physik, Landwirtschaftslehre oder Statistik), sondern auch »adelige Exercitien« (Fechten, Tanzen, Reiten). Maria Theresia wies diesen Anstalten im Rahmen der staatswissenschaftlichen Bildung und Erziehung der Adeligen, besonders der ungarischen und kroatischen Adeligen, eine wichtige Rolle zu.17 Diese Akademien standen mit dem Hof in enger Beziehung, was sich auch in ihren Repräsentationsprivilegien zeigte: Die Mitglieder der Herrscherfamilie besuchten oft die Akademien, die Schüler durften dagegen auf Namens- und Geburtstagsfesten des Herrscherpaares den Gefeierten im Rahmen einer Audienz selbst begrüßen. Das Theresianum wurde im 18. Jahrhundert zum wichtigsten Schauplatz des Unterrichts für junge ungarische Adelige in Wien. Zwischen der Gründung 1746 und dem Tode Maria Theresias wurden dort 157 ungarische

14 15 16 17 194

Fuhrmann, 1770, S. 336f. Lukanović, 1986. Khavanova, 2006. Kökényesi, 2015; Horbec, 2017, S. 89f.

Die Wege der Integration

Schüler (ca. ein Fünftel der gesamten Schülerschaft) immatrikuliert.18 Unter den ungarischen Zöglingen des Theresianums finden sich Mitglieder der altehrwürdigen westungarischen und kroatischen Magnatenfamilien (acht Esterházy, sieben Erdődy, sechs Zichy, fünf Batthyány und Draskovich), der ostungarischen und siebenbürgischen Geschlechter (acht Perényi, vier Haller, zwei Bánffy und Teleki), beziehungsweise die Söhne der neuen Aristokratenfamilien (fünf Festetics, drei Hadik, zwei Brunszvik und jeweils ein Apponyi und Orczy). Viele dieser jungen Adeligen wurden später führende Mitglieder der Regierung. Als ehemaliger Schüler des Theresianums erreichte Karl Graf Zichy (17531826) eine der glänzendsten Karrieren. Während die höchste Würde seines Vaters Stephan (1715-1769) der Kämmerertitel gewesen war, stieg Karl ins Amt des ungarischen Landrichters (1788) und zum Staats- und Konferenzminister (1808) auf und wurde von den ungarischen Ständen zum ersten Präsidenten der Wiener Hofkammer (1802) ernannt.19 Dass er Anna Maria Gräfin Khevenhüller-Metsch (1759-1809), die Enkelin des bekannten Tagebuchschreibers und Obersthofmeisters Khevenhüller, Tochter zweier einflussreicher fürstlicher Familien (Khevenhüller und Liechtenstein), heiratete, spiegelt seine Integration gut wider. Bezeichnend ist auch, dass er als erster seiner Familie in den niederösterreichischen Herrenstand (1814) und in den elitären Kreis des Ordens vom Goldenen Vlies (1808) aufgenommen wurde.20 Daneben blieb er in seiner politischen Tätigkeit ein Vermittler zwischen dem Hof und den ungarischen Ständen. Diese Vermittlerrolle wurde besonders auf dem Pressburger Landtag von 1790/1791 deutlich, als er die Interessen des Hofes und der Stände gleichzeitig zu vertreten versuchte. Eine der wichtigsten Institutionen der höfischen Integration der ungarischen Stände war die schon 1527 gegründete ungarische Hofkanzlei in Wien, 18 Kissné Bognár, 2004, S. 335-343. Die Matrikeln der beiden anderen Akademien sind leider verloren. 19 Unter den Amtsträgern der österreichischen und kaiserlichen Behörden sind in dieser Zeit nur gelegentlich ungarische Aristokraten zu finden. Die Wiener Hofkammer bedeutete eine Ausnahme, diese Behörde spielte eine wesentliche Rolle beim Karriereaufbau der jungen Hochadeligen. Unter den Kammerräten sind die Namen der Familien Batthyány, Esterházy, Festetics, Majláth oder Pálffy zu lesen. Manche höheren Stellen konnten aber schon unter Maria Theresia von ungarischen Hochadeligen besetzt werden. Beispielsweise wurde Andreas Graf Hadik (1710-1790) 1774 zum Präsidenten des Hofkriegsrates ernannt. Zur Beziehung zwischen Maria Theresia und den ungarischen Ständen Evans, 1990. 20 Kökényesi, 2016b, S. 528-530; Knoll, 1966, S. 235f. 195

Zsolt Kökényesi

die die Verbindung zwischen dem Wiener Hof und den ungarischen Behörden sicherte.21 Es ist wichtig zu betonen, dass die ungarische Hofkanzlei die einzige ungarische Behörde war, die sich in der Kaiserstadt befand. In der Regierungszeit Maria Theresias machte die ungarische Hofkanzlei eine wesentliche Entwicklung durch, welche den Geschäftsgang und die fachlichen Kriterien bei der Beamtenauswahl in gleicher Weise betraf. Während die Kanzlei am Ende des 17.  Jahrhunderts 15 Mitarbeiter hatte, verdoppelte sich deren Zahl unter der Regierung der Herrscherin (auf rund 30).22 Zwischen 1740 und 1780 arbeiteten insgesamt 174 Personen in der Kanzlei, davon sind Aristokraten in den Positionen des Kanzlers, des Vizekanzlers und in den vier (drei ungarischen und eine kroatische) Ratsstellen zu finden. Auf diesen Positionen sind in der untersuchten Epoche 17 Hochadelige zu identifizieren.23 Aber diese Zahl wäre viel größer, wenn man die neu aufgestiegenen Magnaten einbeziehen würde, da die Position des Kanzleirates ein hervorragendes Karrieresprungbrett bedeutete. Zum Beispiel entstammten Georg Fekete (1711-1788), Christoph Niczky (1725-1787) und Joseph Ürményi (1741-1825) dem niederen Adel, waren Musterbeamte des aufgeklärten Absolutismus, und konnten alle die Spitzenposition des ungarischen Landrichters erreichen. Fekete und Niczky (zwei frühere Studenten der Wiener Universität) wurden sogar in den Grafenstand erhoben.24 Die Anerkennung der gestiegenen Bedeutung der ungarischen Hofkanzlei lässt sich gut an der Erhöhung der Gehälter nachvollziehen: Unter Maria Theresia erhielten die Räte durchschnittlich 4.000 Gulden und die Hofkanzler 20.000 Gulden pro Jahr. Außerdem konnten sich die (höheren) Angestellten der Hofkanzlei mit Erfolg für das Hofquartier bewerben.25 Zur Verdeutlichung ist zu erwähnen, dass Johann Karl Graf Chotek (1704-1787) als böhmisch-österreichischer Hofkanzler 16.000 Gulden, Johann Christoph Freiherr Bartenstein (1689-1767) als Vizekanzler 8.800 Gulden und Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz (1702-1765) als Präsident des Directorium in publicis et cameralibus und oberster Kanzler 24.000 Gulden verdienten.26

21 Fazekas, 2014, S. 1131-1133. 22 Ebd., S. 1135. 23 Staatskalender, 1740-1780 [es fehlen die Jahrgänge 1741-1745; 1749; 1753; 1755; 1759; 1761; 1766; 1771; 1777]. Hier möchte ich mich bei István Fazekas dafür bedanken, dass er mir seine Notizen zur Verfügung gestellt hat. 24 Zu den ungarischen Neuaristokraten des 18. Jahrhunderts Szemethy, 2013. 25 Fazekas, 2014, S. 1150. 26 Ehalt, 1980, S. 61f. 196

Die Wege der Integration

Für die Position des Kanzlers sind unter Maria Theresia eine Professionalisierung und ein Prestigegewinn zu verzeichnen. Während die Stelle im 16. und 17. Jahrhundert von Geistlichen ausgefüllt worden war, wurden seit 1733 nur Weltliche auf diese Position berufen. Die Herrscherin hat also keine Prälaten mehr zum Kanzler ernannt. Die Position des Kanzlers war eine der wichtigsten Vertrauensstellen. So stammten in der untersuchten Epoche die ungarischen Hofkanzler aus den angesehensten westungarischen Magnatenfamilien, die bereits seit mehreren Generationen zur höfischen Elite gehörten, mit den Habsburgern und den vornehmsten österreichischen und böhmischen Familien enge Beziehungen pflegten und meistens auch Mitglieder des niederösterreichischen Herrenstandes waren. Von den vier ungarischen Hofkanzlern der Epoche bekamen drei den Orden vom Goldenen Vlies, und alle heirateten österreichisch-böhmische Aristokratinnen (Töchter der Familien Althann, Kinsky und Trauttmansdorff).27 Ludwig Graf Batthyány (1696-1765) war der Sohn von Eleonora Gräfin Strattmann (1672-1741), der engen Freundin Prinz Eugens von Savoyen (1663-1736). Batthyány war einer der größten Gutsbesitzer in Ungarn, der nach der Kanzlerstelle das Amt des ungarischen Palatins erhielt, die höchste politische Würde des Königreichs Ungarn. Nikolaus Graf Pálffy (1710-1773) war ein gebildeter Aristokrat, der schon seit seinen jungen Jahren am Kaiserhof anwesend war und in enger Beziehung zu Franz Stephan von Lothringen stand.28 Schon während seiner Kavalierstour knüpfte Franz Graf Esterházy (1715-1785) mit Franz Stephan eine freundliche Beziehung und erhielt den Spitznamen Quinquin. Später wurde er Mitglied des Vertrautenkreises von Maria Theresia und Freimaurer der elitären Wiener Loge »Zur wahren Eintracht«.29 Die zunehmende Bedeutung der ungarischen Hofkanzlei und der Repräsentation des Königreichs Ungarn in Wien spiegelte sich erkennbar in dem unter der Regierung Maria Theresias neu und prachtvoll ausgestatteten Kanzleigebäude (nach dem Entwurf von Nikolaus Pacassi), das ungefähr 400.000 Gulden kostete.30 Das unmittelbarste Mittel der höfischen Integration war der Dienst in den Hofstaaten der Herrscherfamilie. Die Größe der fürstlichen Hofstaaten spiegelte in der frühneuzeitlichen Gesellschaft die Macht und das Ansehen der Souve27 Nur Leopold Graf Nádasdy (?-1758) wurde nicht zum Ordensritter ernannt, er pflegte jedoch gute Beziehungen zur Herrscherfamilie. 28 Kökényesi, 2016a, S. 239. 29 Fazekas, 2014, S. 1146; Kökényesi, 2016a, S. 237. Außergewöhnlicherweise heiratete Esterházy keine Aristokratin, sondern eine Schauspielerin des Burgtheaters, nämlich Antonia Franziska Richard de la Potréau. 30 Kelényi, 2012; Kulcsár, 2014. 197

Zsolt Kökényesi

räne wider. So war es nicht zufällig, dass der Hofstaat Maria Theresias etwa 1.300 Personen umfasste.31 Diese Möglichkeit der höfischen Integration nutzten die ungarischen Magnaten seit der Regierung Karls VI. immer häufiger. In der Regierungszeit Karls VI. waren insgesamt ca. 22 Ungarn Mitglieder der habsburgischen Hofstaaten. Unter Maria Theresia sind hingegen ca. 26 Personen mit ungarischen Namen in den Hofstaaten zu identifizieren, wobei außerdem das Personal der 1760 gegründeten ungarischen adeligen Leibgarde zu nennen ist, welche aus 120 Gardisten bestand und in der höfischen Amtsstruktur einen Teil des Obersthofmeisteramtes bildete.32 In dieser Zeit erhöhte sich nicht nur die Zahl der ungarischen Hofstaatenmitglieder, es ist auch eine wesentliche Veränderung ihrer Positionen zu beobachten. Während der Regierung Karls  VI. dienten die ungarischen Adeligen meistens als Hofdamen (wie Eleonore Gräfin Esterházy, die Schwester des späteren Kanzlers Esterházy) und Edelknaben (wie Franz Graf Csáky, der Neffe des Erzbischofs Csáky). Diese Positionen halfen ihren Inhabern, Beziehungen aufzubauen und ihre Bildung zu vervollkommnen.33 Unter Maria Theresia ging der Anteil der Ungarn in diesen Ämtern zurück. Nur ein ungarischer Aristokrat (Thomas Graf Berényi) übernahm den Edelknabendienst, was teilweise mit der Prestigeminderung dieses Dienstes zu erklären ist. Dagegen eröffneten sich den ungarischen Adeligen viel höhere Positionen. Zum Beispiel wurde Adam Kollar (1718-1783) Kustos, später Direktor der Hofbibliothek, Antonia Gräfin Batthyány (1720-1797) Obersthofmeisterin von Erzherzogin Maria Elisabeth (später von Isabella von Parma) und Karl Josef Graf Batthyány (1697-1772) Ayo von Erzherzog Joseph.34 Die Position des Obersthofmeisters (Ayo) des Thronfolgers besaß erhebliche repräsentative Bedeutung und ermöglichte es ihrem Träger außerdem, beträchtlichen politischen Einfluss zu nehmen. Es ist nicht zufällig, dass Batthyány ebenso zum Konferenzminister (1750) ernannt wurde.35 Der bekannte Rechtswissenschaftler Friedrich Karl von Moser (1723-1798) schrieb über die Bedeutung der Ayo-Position: 31 Zum Hofpersonal: Kubiska-Scharl/Pölzl, 2013. 32 Die Identifizierung des ungarischen Hofpersonals ist eine komplizierte Aufgabe, da die Quellen (Hof- und Staatskalender, Hofparteienprotokolle) keine Nationalitätsbezeichnung enthalten, sodass die Nennung einer genauen Zahl sehr problematisch ist. Kubiska-Scharl/Pölzl, 2013, S. 529-740; Kökényesi, 2016a, S. 342-344; Staatskalender, 1765-1780 [es fehlen die Jahrgänge 1766; 1771; 1777]. 33 Kökényesi, 2016a, S. 63. Zu Batthyány: Binder, 1976, S. 95-124. 34 Kökényesi, 2016a, S. 73. 35 Wiener Diarium, 7.7.1750. 198

Die Wege der Integration »Zu denen Vorzügen dises Amts gehört insbesondere auch der Respect, welchen der Hofmeister so wohl bey der eigenen Hof-Staat des Prinzen, als dem gesamten übrigen Hof haben und um so unverletzlicher behaupten muß, je gefährlicher die Folgen einer in die Augen fallenden und ungeahndeten Geringschäzug [sic!] gegen eine Person seynd, welche Vater-Stelle in der Familie des Regenten vertritt.«36

Da die hohen Hofämter nach der kaiserlichen Wahlkapitulation nur an »geborene Teutsche« vergeben werden durften,37 ist die Ernennung des ungarischstämmigen Batthyány zum Ayo nur vor dem Hintergrund seines Einflusses, seines familiären Beziehungskapitals sowie seiner militärisch-diplomatischen Karriere zu verstehen. Batthyány erhielt am Ende seines Dienstes 1764, gemeinsam mit Reichsvizekanzler Colloredo, Staatskanzler Kaunitz, Obersthofmeister Khevenhüller und Johann Friedrich von Hohenlohe-Neuenstein (1683-1765), den Fürstentitel.38 Übrigens waren die Ungarn im Hofstaat von Erzherzog Joseph stark repräsentiert (es gab ungarische Kammerherren, ungarische Sprach- und Geschichtslehrer). Dies konnte nur mit Zustimmung der Herrscherin geschehen, aber auch der Ayo selbst tat sehr viel dafür. Nicht zufällig dienten zwei seiner Neffen, Adam und Theodor von Batthyány, im Hofstaat von Erzherzog Joseph als Kammerherren.39 Die Präsenz früherer Generationen der Familien am Hof und bei den Amtsverleihungen in den Hofstaaten spielte eine ziemlich wichtige Rolle. In den habsburgischen Hofstaaten unter Maria Theresia hatten je vier Batthyány, Erdődy und Pálffy sowie drei Mitglieder der Familie Esterházy eine Position inne. Diese Familien bildeten die oberste Elite der ungarischen Aristokratie und waren seit dem 17. Jahrhundert am Wiener Hof aktiv anwesend. Nur sie besaßen während der Regierung Maria Theresias eigene Stadtpalais in der Kaiserstadt. Diese Schlösser waren ein wichtiges Mittel der Repräsentation und der höfischen Kontaktpflege dieser Familien. Für die höfische und hofstaatliche Anwesenheit der ungarischen Stände war die ungarische, adelige Leibgarde, die mit der Resolution Maria Theresias 1760 ins Leben gerufen wurde und im repräsentativen Palais Trautson ihren Platz bekam, eine Schlüsselinstitution.40 Die Garde bestand aus 120 (später 90, dann 36 37 38 39 40

Moser, 1761, S. 21. Burgdorf, 2015, S. 303, 354, 475, 535, 628, 721. HHStA ZP 29, S. 253f.; Kökényesi, 2016a, S. 104f. Ebd., S. 73-75. Urrisk-Obertyński, 2004, S.  57-94; Kökényesi, 2016a, S.  161-165. Der Freiheitsbrief der Leibgarde: Hadtörténelmi Levéltár [Kriegsarchiv] A királyi magyar nemesi testőrség iratai [Die Schriften der königlichen ungarischen Leibgarde] 1/3. 199

Zsolt Kökényesi

60) Jungen aus dem niederen Adel (ohne die Offiziere und das Bedienungspersonal), die ausschließlich von den ungarischen, kroatischen und siebenbürgischen Komitaten delegiert wurden. Die ungarische Garde war anfangs eine der größten Leibgarden am Kaiserhof während der Regierungszeit Maria Theresias. Die Schweizer Garde bestand beispielsweise aus ca. 170, die Trabanten- und Hartschierenleibgarde zusammen aus ca. 90 und die Arciéren-Leibgarde aus ca. 80 Personen.41 Durch die Garde war das ganze Königreich am Wiener Hof und bei den verschiedenen höfischen Festen symbolisch anwesend. Das Prestige der Leibgarde wurde dadurch gesteigert, dass diese Garde die erste war, welche nach dem Territorialitätsprinzip organisiert wurde, sie stellte außerdem die erste adelige Garde in Wien dar. Die Gründung der Leibgarde diente einem dreifachen Ziel: Erstens hob die Garde das Ansehen des Hofes von Maria Theresia, zweitens verstärkte sie die Repräsentation des Königreichs Ungarn in der Kaiserstadt und drittens (und das ist vom Gesichtspunkt der Integration am wichtigsten) wurde sie so etwas wie eine Ritterakademie für den jungen Provinzadel, der später entweder in Wien blieb oder zu Hause zu einer Art von Kulturtransfer beitrug. Die ungarische Leibgarde war eine besonders wichtige Nähranstalt der ungarischen Aufklärung. Mehrere Gardisten (wie Georg Bessenyei oder Abraham Barcsay) sind Dichter und Übersetzer geworden.42 Für die jungen ostungarischen und siebenbürgischen Aristokraten (Familien Haller, Rhédey oder Vass) bot der Gardedienst eine gute Möglichkeit für den Karriere- und Beziehungsaufbau in Wien. Für die Söhne der einflussreicheren westungarischen Magnatenfamilien (wie der Erdődy, Kollonich oder Pálffy) waren die Offiziersstellen der Garde sehr attraktiv, v. a. die Würde des Kapitäns stach hervor, da sie zu den höchsten Ämtern (barones regni) des Königreichs Ungarn zählte und einen vornehmen Platz in der höfischen Ranghierarchie garantierte. Die Auswahl der Kapitäne drückte das hohe Ansehen des Amtes aus, welches in dieser Epoche nur von den Söhnen der Familien Esterházy und Pálffy besetzt wurde. Die Ernennung Leopolds Graf Pálffy (1716-1773), des Bruders des ungarischen Hofkanzlers, zum ersten Gardekapitän zeigt besonders gut die Integration und die höfischen Beziehungen der Familie: Seine Frau (Josepha Gräfin Waldstein), seine Mutter (Maria Antonia Gräfin Ratuit de Souches), seine Großmutter (Katharina Freiherrin von Weichs), seine Schwägerin (Maria Anna Gräfin Althann) sowie die Frau seines erstgeborenen Sohnes (Maria Theresia Gräfin Daun) stammten gleicherweise aus einflussreichen und in Wien aktiv anwesenden Aristokratenfamilien und dienten alle in den habsburgischen Hofstaaten als Hofdamen. 41 Urrisk-Obertyński, 2004, S. 43-177. 42 Eine Fallstudie zur Karriere von Bessenyei bei Szilágyi, 2014. 200

Die Wege der Integration

Titel- und Ordensverleihungen In Bezug auf die höfische Repräsentation der ungarischen Aristokraten ist es nötig, den Problemkreis der Titel- und Ordensverleihungen kurz zu erörtern, da daran, meiner Meinung nach, der Prozess der Rollenveränderung der ungarischen Magnaten quantitativ am besten zu beobachten ist. Seit dem Beginn des 18.  Jahrhunderts waren die Kämmerer- und Geheimen Ratstitel trotz der prinzipiell einige Wochen im Jahr dauernden Dienstpflicht der Kämmerer keine konkreten Dienststellen mehr. Vielmehr legten diese Titel den höfischen Rang fest.43 Der Titel erlaubte seinen Trägern freien Zutritt zu den inneren Räumen des Hofes, und er designierte den Platz seines Trägers während der verschiedenen höfischen Zeremonien.44 Die Titelträger gehörten also symbolisch zum Hof, auch wenn sie nur zeitweilig in Wien anwesend waren. Mit den Worten von Moser: »Am Kayserlichen Hof ist nur eine Regel des Rangs am Hof, nemlich nach dem Alter der Geheimen Raths- so dann der Cammer-Herrn Würde. Keine andere Charge gibt einen Rang; wie dann so gar der grosse Held, Prinz Eugenius, bey Hof keinen andern, als Geheimen Raths-Rang hatte, biß er endlich von Kayser Carl  VI. zum ersten Geheimen Rath erklärt und ihm dadurch der erste Rang zu Theil worden.«45

Die Kämmerer- und Geheimratstitel bildeten – der Terminologie Pierre Bourdieus folgend – eine Art von symbolischem Kapital.46 Sie brachten also keinen finanziellen Ertrag und auch keine Regierungsposition. Jedoch sicherten sie gesellschaftliches Prestige und Ansehen sowie eine Präsenz am Hof. Unter der Regierung Maria Theresias bekamen ca. 288 ungarische Aristokraten den Kämmerertitel verliehen, was als eine sehr hohe Zahl betrachtet werden kann.47 43 Cerman, 2010, S. 126-133; Duindam, 2003, S. 74f., 124. 44 Zur Raumnutzung der habsburgischen Residenzen unter Maria Theresia: Beck, 2017, S. 209-361. 45 Moser, 1761, S. 234. 46 Bourdieu, 1991, S. 72-76. 47 Es ist keine einfache Aufgabe, die genaue Zahl der Kämmerer zu bestimmen, weil die Daten, die in der Überlieferung der höfischen Behörden zu finden sind, sich nur teilweise überschneiden. Zur Bestimmung der Zahl der Kämmerer habe ich meine frühere Sammlung (Kökényesi 2016a, S. 346-358), welche die Namen der ungarischen Kämmerer zwischen 1711 und 1765 enthält, mit den Daten der 201

Zsolt Kökényesi

Karl VI. hatte den Titel an 50 ungarische Magnaten verliehen. Die Zunahme ist also sehr deutlich. Da sich die Kämmererernennungen insgesamt nicht versechsfachten, kann man die Steigerung nicht nur mit der Vermehrung der allgemeinen Titelverleihungen erklären. Maria Theresia verlieh zwischen 1740 und 1780 ca. 2.000 Aristokraten den Kämmerertitel. Der Anteil der ungarischen Hochadeligen betrug 14-15 %, während ihr Anteil unter Joseph I. und Karl VI. (nach den Daten von Andreas Pečar und Eric Hassler) bei 5-5,9 % bzw. 4-5,4 % gelegen hatte.48 Ein ähnlicher Zuwachs ist bei den Geheimen Räten zu beobachten. Maria Theresia ernannte etwa 122 ungarische Geheime Räte, während Karl VI. kaum mehr als 30 berufen hatte. Jedoch hatte er sich bereits um eine für die Ungarn vorteilhafte Titelverleihungsstrategie bemüht.49 Maria Theresia ernannte insgesamt etwa 750-800 Geheime Räte, von denen 15-16  % ungarische Magnaten waren. Obwohl bei den wichtigen staatlichen und dynastischen Feierlichkeiten die Titelverleihung eine Gewohnheit war, ist es bemerkenswert und kann als charakteristisch für diese symbolische Politik verstanden werden, dass Maria Theresia 29 ungarische Kämmerer und 13 Geheime Räte schon 1741 im Rahmen des ungarischen Landtags (und ein paar Monate nach ihrer Königskrönung) ernannte.50 Unter ihrer Regierung wurde der größte Anteil dieser Titel den Mitgliedern der in Wien regelmäßig anwesenden angesehenen Aristokratenfamilien verliehen. Die Zahlen der Titelverleihungen für die Batthyány (14 Kämmerer und neun Geheime Räte) oder die Esterházy (18 Kämmerer und elf Geheime Räte) erreichten das Niveau der höfischen Elitenfamilien. Beispielsweise erhielten 23 Mitglieder der Familie Auersperg den Kämmerer- und sechs den Geheimen Ratstitel sowie 13 Mitglieder der Familie Althann den Kämmerer- und drei den Geheimen Ratstitel. Jedoch vergrößerte sich in dieser Zeit die Zahl der folgenden Werke ergänzt: Szluha/Vásárhleyi 2005/2012/2013 und Pickl, 1903, S. 199-401. 48 Hassler, 2013, S. 36; Pečar, 2003, S. 34f. 49 Die genaue Bestimmung der Zahl der Geheimen Räte ist ähnlich wie die Bestimmung der Zahl der Kämmerer eine schwierige Aufgabe, weil teilweise widersprüchliche Daten in den Akten der Hofämter zu finden sind. In diesem Fall habe ich ebenfalls meine frühere Sammlung (Kökényesi 2016a, S.  359-374), welche die Namen der ungarischen Geheimen Räte zwischen 1711 und 1765 enthält, mit den Daten der Reichskanzlei (HHStA RK Geheime Räte Kt. 1-7) und den Schriften der Rangerhöhungen des Ungarischen Hofkanzleiarchivs (MNL OL A 5 2.) ergänzt. 50 Wiener Diarium, 4.10.1741. 202

Die Wege der Integration

ostungarischen und siebenbürgischen (Kornis, Szirmay) sowie die der neuen Adligen (Grassalkovich, Niczky) unter den Ernannten. Der beachtliche Ansehensgewinn und die verstärkte Integration der ungarischen Aristokraten wurden auch durch die Verleihungen des Ordens vom Goldenen Vlies bestätigt. Der Orden vom Goldenen Vlies zählte zu den altehrwürdigsten und ranghöchsten Orden der europäischen Höfe, sodass die Mitgliedschaft in dieser Ordensgemeinschaft ein bedeutendes Privileg für die Elite der Aristokratie bedeutete.51 Während Karl VI. zwei ungarischen Hochadeligen die Ordenskette verliehen hatte, erhielten neun sie in der Regierungszeit Maria Theresias.52 Die Gesamtzahl der Inhaber der höchsten höfischen Auszeichnung veränderte sich nicht wesentlich zwischen den beiden Herrschern: unter Karl VI. bekamen 95, unter der Regierung seiner Tochter 98 Aristokraten den Orden. Es ist wichtig anzumerken, dass unter Maria Theresia die Mitglieder der Familie Esterházy die meisten dieser Orden erhielten. Vier Esterházy sind Ordensritter geworden, während die Familien Colloredo, Kaunitz oder Liechtenstein nur drei Ordensritter stellten. Ähnlich relevante Änderungen sind bei der Verleihungspraxis des Sternkreuzordens zu beobachten. Der Sternkreuzorden war ein Orden für hochadelige Frauen, die mit dem Hof in näherer Beziehung standen.53 Die Zahl der ungarischen Aristokratinnen, die mit dem Orden bedacht wurden, vergrößerte sich in dieser Epoche. Während unter Karl VI. 77 ungarische (oder durch ihren Mann ungarische) Frauen den Orden bekamen, waren es unter Maria Theresia ungefähr 167.54 Der Anstieg um mehr als 100 % ist einerseits mit der verstärkten höfischen Integration der ungarischen Aristokraten und andererseits mit der Erhöhung der Mitgliederzahl des Ordens bzw. mit der Zunahme der ungarisch-böhmischen und ungarisch-österreichischen Ehebeziehungen zu erklären. Der 1764 gegründete Stephansorden spielte die wichtigste Rolle bei der höfischen Repräsentation des Königreichs Ungarn.55 Maria Theresia vollzog die Ordensgründung mit den folgenden Worten:

51 52 53 54

Pečar, 2003, S. 40; Stollberg-Rilinger, 2017, S. 390-392; Weber, 1971. Kökényesi, 2016a, S. 132; Liste nominale, 2007. Duindam, 2003, S. 77, 181. Zu den ungarischen Ordensdamen der Epoche zwischen 1711 und 1765 siehe Kökényesi 2016a, S. 375-382. Zu den Ordensdamen des zweiten Abschnitts der Regierung Maria Theresias: Wiener Diarium, 7.5.1766; 6.5.1767; 7.5.1768; 17.9.1768; 6.5.1769; 16.9.1769; 5.5.1770; 15.9.1770; 4.5.1771; 18.9.1771; 6.5.1772; 5.5.1773; 7.5.1774; 17.9.1774; 6.5.1775; 16.9.1775; 18.9.1776; 18.9.1779. 55 Pandula, 1996; Kökényesi, 2016a, S. 141-155. 203

Zsolt Kökényesi »Ich ware von Zeiten meiner Regierung dahin besonders bedacht, daß nicht nur was zum Nutzen, sondern auch zur Ehre und Ansehen des Königreichs Ungarn und der Nation etwas beytragen kann, nicht verabsaumet werde. Zu dieser Absicht habe anbefohlen einen Entwurf von einem Ungarischen Ritter Orden zu verfertigen […].«56

Die Gründung des ersten offiziellen Verdienstordens der Habsburgermonarchie zwischen dem Ende des Siebenjährigen Krieges und dem Pressburger Landtag von 1764/1765 war eine wichtige Geste der Regierung gegenüber den ungarischen Ständen. Sie bedeutete eine symbolische Anerkennung für die natio Hungarica, ähnlich wie die Errichtung der ungarischen Leibgarde. Dennoch erfüllte sich die Erwartung der Regierung (und besonders von Kaunitz) nicht, dass die Ordensgründung die politische Weltanschauung der ungarischen Magnaten positiv beeinflussen würde, weil nämlich der Primas Franz Graf Barkóczy und der Palatin Ludwig Graf Batthyány als die mächtigsten Mitglieder der Opposition des Landtags die ersten Großkreuzler waren. Die Herrscherin gründete den Orden auf königlich-ungarischem Rechtsgrund. Die vornehmsten Amtsträger des Ordens waren der ungarische Hofkanzler und der Erzbischof von Gran. Der Orden bestand aus drei Klassen (Groß-, Kommandeur- und Kleinkreuzler), wobei der Anteil der ungarischen Aristokraten ziemlich hoch war (ca. 31 %).57 Den Titel des Großmeisters des Ordens trug Maria Theresia selbst (bis zum Tode von Franz Stephan), außerdem übergab sie die Auszeichnungen im Rahmen des jährlichen Ordensfestes am Hof höchstpersönlich. Das Tragen des Ordens sicherte mehrere Privilegien (z. B. Zutrittsrecht zu den innersten Räumen des Hofes). Es war kein Zufall, dass Franz Stephan von Lothringen sowie Obersthofmeister Khevenhüller vor der Ordensgründung einen Ansehensverlust des Ordens vom Goldenen Vlies befürchteten.58 Aber der mit dem Motto Publicum meritorum praemium gegründete Orden stand nicht nur für Ungarn offen. Das Ziel des Verdienstordens war die Gratifikation der amtlichen, geistlichen und diplomatischen Meriten der Staatsmänner der Habsburgermonarchie. So sind unter den Ordensrittern neben den ungarischen Hochadeligen (wie Nikolaus und Leopold von Pálffy) auch Mitglieder der österreichischen (Auersperg, Khevenhüller), böhmischen (Blümegen, Kolowrat), belgischen (Neny), italienischen (Odescalchi) und deutschen (Zinzendorf) Aristokratie zu finden. 56 MNL OL P 1058/Allgemeine Schriften, Karton 1. 1764. Nr. 04. 57 Gödölle/Pallos, 2014, S.  309-312. Zum Kreis der Großkreuzler Kökényesi, 2018. 58 Stollberg-Rilinger, 2017, S. 394. 204

Die Wege der Integration

Fazit Das Ziel dieses Aufsatzes war es, einen allgemeinen Überblick über die wichtigsten Wege der höfischen Integration des ungarischen Hochadels zu geben. Natürlich blieben viele Aspekte unberücksichtigt, mit denen man die Verstärkung der Integration hätte veranschaulichen können. Es wäre noch zu spezifizieren, wie genau der Anteil der ungarischen Teilnehmer an den höfischen Zeremonien und Belustigungen gesteigert wurde, welche Wohnmöglichkeiten die ungarischen Hochadeligen in der Kaiserstadt hatten, oder in welchem Ausmaß sich die ungarischen Magnaten um Heiratsverbindungen mit österreichischen und böhmischen Aristokratenfamilien bemühten. Aber ich hoffe, dass es gelungen ist, die Hauptaspekte der Steigerung der höfischen Präsenz des Königreichs Ungarn und die Stärkung der symbolischen und tatsächlichen Anwesenheit der ungarischen Magnaten in Wien während der Regierung Maria Theresias zu skizzieren. Unter Maria Theresia zeigte sich eine zunehmende Anerkennung der höfischen Position der ungarischen Aristokratie, nicht nur auf dem Gebiet der symbolischen Politik, sondern auch bei der Verleihung wichtiger Vertrauenspositionen. Zu dieser Zeit sind (im Gegensatz zu früheren Epochen) ungarische Magnaten in hohen Positionen der Diplomatie, der Politik, der Heeresleitung sowie der Hofstaaten zu identifizieren. Eine wichtige Änderung unter Maria Theresia war, dass sich nicht nur die Mitglieder der alten westungarischen Aristokratenfamilien in den Hof integrieren konnten, sondern auch immer mehr Aristokraten aus Siebenbürgen und aus den östlichen Teilen des Landes in die Kaiserstadt kamen. Mehrere von ihnen bekamen sogar den Adelsrang oder den Grafentitel von Maria Theresia selbst verliehen. Die Gründung des Stephansordens und der adeligen Leibgarde waren wichtige symbolische Gesten der Regierung für die natio Hungarica. Die Leibgarde spielte nicht nur eine repräsentative Rolle, sondern bot dem niederen Adel eine wichtige Bildungs- und Karrieremöglichkeit. Mit der für Ungarn vorteilhaften Titel- und Ordensverleihungsstrategie konnte Maria Theresia das Vertrauen zahlreicher Magnaten erlangen. Die Weiterentwicklung der habsburgisch-ungarischen Beziehungen, deren Teil die Verstärkung der höfischen Integration der ungarischen Magnaten war, wäre nicht ohne die gemeinsame Motivation und Kooperation der Regierung mit den ungarischen Ständen möglich gewesen. Zuletzt ist es daher wichtig anzumerken, dass die höfische Integration des ungarischen Hochadels kein einseitiger Domestizierungsprozess (nach dem Konzept von Norbert Elias) war,59 sondern ein sehr komplexer politischer und 59 Elias, 2003. 205

Zsolt Kökényesi

kultureller Prozess. Die Integration der Aristokraten bedeutete nämlich nicht, dass sie sich vom Königreich Ungarn entfernt hätten. Die Mehrheit von ihnen war ja nur periodisch oder in einer Phase ihrer Karriere in Wien anwesend. Ansonsten hielten sie sich in den Zentren des ungarischen politischen Lebens, in Pressburg und später in Buda, oder auf ihren Gütern auf. Für die Mehrheit der Aristokraten bedeutete die Integration eine symbolische und kulturelle Beziehung mit dem Hof und der Kaiserstadt.

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Zsolt Kökényesi

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210

Alte und neue Erkenntnisse zu den Staatszielen Katharinas II. Claus Scharf I. Unter welchen Voraussetzungen, mit welchem Verständnis von den Zwecken und Aufgaben eines Staates und mit welchen politischen Zielen eine Herrschaft angetreten, ausgeübt oder auch nur verbrämt wurde, bleibt als historisches Forschungsproblem für alle Zeiten und Herrschaftsformen relevant, nicht zuletzt für »die wichtige Phase auf dem Weg der modernen Staatsbildung«1 und für »eine zeitgemäße Politikgeschichte der Frühen Neuzeit im europäischen Vergleich«.2 Auch der »moderne Staatszieldiskurs« mancher deutscher Verfassungsjuristen sieht den Ausgangspunkt für »Staatshandeln als Verwirklichung eines Zukunftsentwurfs« »in vorkonstitutioneller Zeit«,3 während andere die epochalen Unterschiede zwischen ancien régime und Verfassungsstaat betonen, auch wenn sie in unserer Zeit »die Frage nach einer möglichen Relevanz einer Wiederbelebung der Staatszwecklehre stellen«.4 Allerdings kann dieser auf die Intentionen der Herrschenden zielende Ansatz, etwa gegenüber strukturgeschichtlichen Fragestellungen, keine Ausschließlichkeit beanspruchen. Insofern gilt weiterhin die Warnung: »Auch die fürstliche Politik der Frühen Neuzeit ist nur sehr begrenzt aus den zeitgenössischen politischen Theorien abzuleiten oder zu verstehen […].«5

1 2 3 4 5

Stollberg-Rilinger, 2000, S. 194. Hinrichs, 1996, S. 369-371. Sommermann, 1997, S. 1-3. Link/Ress, 1990, S. 9. Dreitzel, 1992, S. 140. 211

Claus Scharf

Doch immerhin schließt diese Skepsis Ausnahmen unter den Trägern personaler Herrschaft nicht völlig aus: »Geist war stets nur die Mentalität weniger […].«6 Da Kaiserin Katharina II. von Russland schon zu ihren Lebzeiten und aus Anlass ihres Todes 1796 als eine welthistorische Ausnahmeerscheinung – im protestantischen Deutschland oft neben Friedrich dem Großen – gewürdigt worden war,7 kommt sie bei der Suche nach theoretischen Fundierungen einer monarchischen Herrschaft im 18. Jahrhundert von vornherein in die engere Wahl. Doch zieht auch die jüngere Historiographie überhaupt nicht in Zweifel, dass sie als eine Herrscherin im Zeichen des aufgeklärten Absolutismus zu gelten habe,8 und höchstens divergieren die Nuancierungen dieses Begriffs. Insofern kann im Hinblick auf Katharinas politisches Selbstverständnis, ihre Wahrnehmung der Interessen Russlands und die Impulse der Aufklärung für ihr Regierungshandeln also durchaus gewagt werden, Forschungen aufzugreifen und fortzusetzen, wie sie zum Beispiel 1996 aus Anlass ihres 200. Todestages auf einer internationalen Konferenz in Eutin präsentiert worden waren.9 Obwohl die internationale Geschichtswissenschaft damals scheinbar eherne Epochenbegriffe wie »Absolutismus« und »Aufklärung« kurz zuvor in Frage gestellt hatte,10 summierte ein Rückblick auf jene Konferenz mit Teilnehmern aus unterschiedlichen wissenschaftspolitischen Traditionen »ein hohes Maß an Übereinstimmung« über die historische Beurteilung einer ohne gesetzliche Einschränkungen, also »absolut« regierenden Monarchin,11 die ihre politische Bildung der Aufklärung verdankt 6 7 8

Ebd. Scharf, 1997a; Schippan, 2010. Seit der Mitte des 20.  Jahrhunderts bezogen den Begriff des aufgeklärten Absolutismus explizit auf die Herrschaft Katharinas  II. zum Beispiel: Alexeiev, 1958, S. 16-41; Družinin, 1964; Fedosov, 1970; Hoffmann, 1970; Raeff, 1971, S. 22-27; Griffiths, 1973; Donnert, 1974; ders., 1976; ders., 1998, S. 92-123; Madariaga, 1981, S. 582f.; dies., 1990/1998; Geyer, 1982; Scharf, 1989-1991, S. 709-751; ders., 1995, S. 44-51; ders., 1997b; ders., 2004a; Kamenskij, 1992, S. 101-230; ders., 1997, S. 122-134; Omelʼčenko, 1993; Wortman, 1995, S. 110146; viele Beiträge in: Artem’eva/Mikešin, 1996; Pavlenko, 1996, No. 3, 6, 9, 12; Schierle, 1997; Aretin, 1998; ders., 2001; Dixon, 2001, S. 113-140; ders., 2009, S. 156-183; Schippan, 2010; Karp, 2004. 9 Die Beiträge dieser Konferenz, die die Universität Kiel und die Eutiner Landesbibliothek im November 1996 veranstalteten, liegen im Druck vor: Hübner, 1998. 10 Zu den damals aktuellen methodologischen Debatten ebenda: Mörke, 1998, und Scharf, 1998a. 11 So ebenda: Schramm, 1998, Zitat S. 411. 212

Alte und neue Erkenntnisse zu den Staatszielen Katharinas II.

hatte, öffentlich für die Sache der philosophes eingetreten war und, inspiriert durch die Ideen der europäischen Aufklärung, die Reformen Peters des Großen im Russischen Reich zeitgemäß und experimentierfreudig fortzuführen gesucht hatte.12 Die eigentliche Zäsur in der neueren Historiographie über die Persönlichkeit Katharinas II., ihre Regierung und ihre Zeit, wird jedoch nicht etwa durch jenes Gedenkjahr markiert, sondern ein Jahrzehnt zuvor – wie für viele andere Themen aus Russlands Geschichte – durch die Perestrojka als das Ende des kommunistischen Meinungsmonopols in der Sowjetunion.13 Denn waren seit den 1960er Jahren die innovativen Forschungen zu Russlands Politik und Kultur im 18. Jahrhundert und zur Biographie der Kaiserin überwiegend nordamerikanischen und britischen Historikern zu verdanken gewesen,14 so hat sich mit den Pionierarbeiten von Aleksandr Kamenskij und Oleg Omelʼčenko15 vom Beginn der 1990er Jahre das Zentrum einer interdisziplinären Forschung erstmals seit 1917 eindeutig wieder dorthin verlagert, wo es erwartet werden sollte: in die Russische Föderation. Seither spüren russische Historikerinnen und Historiker »weiße Flecken« auf, die in der Sowjetzeit vor allem in der Geschichte der Persönlichkeiten, der Eliten und der Politik, der Kultur und der Ideen entstanden waren, und zunehmend schließen sie solche Lücken durch quellennahe Untersuchungen. Auch drei Jahrzehnte nach der Perestrojka regen in Russland immer noch die verzögerte Rezeption westlicher Arbeiten und Forschungsansätze in den Originalsprachen und in Übersetzungen sowie ein intensiver grenzüberschreitender Austausch Angehörige der jüngeren Generationen von Geschichts-, Literatur- und Kunstwissenschaftlern zu eigenständigen Stellungnahmen und zu Anschlussarbeiten an. Denn ohne die einstigen administrativen Restriktionen hat längst auch der wissenschaftliche Nachwuchs Zugang zu den Archiven im In- und Ausland und Chancen zur Teilnahme an internationalen Konferenzen, 12 Außer der genannten Konferenz wurden auch weitere internationale Tagungen jenes Gedenkjahres mit vergleichbaren Beiträgen in Sammelbänden dokumentiert: Artem’eva/Mikešin, 1996; Davidenkoff, 1997; Scharf, 2001. Im Anschluss an das Gedenkjahr als eher skeptische Bilanz der Reformpolitik Katharinas II.: Kusber, 1998. 13 Zum Wandel des Katharinabildes in Russland seit der Perestrojka: Scharf, 1998b. 14 Vgl. die maßgebliche Gesamtdarstellung: Madariaga, 1981, die einschlägige Bibliographie: Clendenning/Bartlett, 1981; und den Forschungsbericht: Scharf, 1988. 15 Kamenskij, 1992; Omelʼčenko, 1993. 213

Claus Scharf

sofern ihm finanzielle Förderungen erlauben, diese Freiheiten wahrzunehmen. Zudem hat das Internet wie für alle anderen Bereiche der historischen Forschung die wechselseitigen Informationen über neue Arbeiten beschleunigt und sogar die Erreichbarkeit auch älterer wissenschaftlicher Erträge erheblich verbessert. Nicht erfüllt haben sich zwar die in jenem Jubiläumsjahr 1996 aufgeblühten Hoffnungen, durch internationale Kooperation und Förderung die gesamte schriftliche Hinterlassenschaft Katharinas II. aus Russland und dem Ausland in einer modernen wissenschaftlichen Edition präsentieren zu können.16 Dennoch haben sich durch Quellenpublikationen zur Geschichte der Kaiserin und ihrer Zeit die Voraussetzungen auch für biographische Forschungen verbessert wie seit der Oktoberrevolution nicht mehr. Neben personengeschichtlichen Textausgaben und Dokumentensammlungen zur Gesetzgebung und zur Ereignisgeschichte, die in Russland sowohl für die akademische Ausbildung als auch für eine an vaterländischer Geschichte interessierte Öffentlichkeit gedacht sind, erschien erstmals in einer vollständigen und kompetent kommentierten Edition Katharinas Briefwechsel mit Grigorij Aleksandrovič Potemkin, den sie 1774 heimlich geheiratet hatte und der bis zu seinem Tode 1791 in hohen Funktionen ihr Vertrauter in Fragen der Politik und der Personalplanung geblieben war.17 Ebenso wurde in Stockholm aus schwedischen und russischen Archiven die gesamte Korrespondenz der Kaiserin mit König Gustav III. von Schweden, ihrem jüngeren holsteinischen Vetter, kommentiert herausgegeben.18 Zudem veröffentlichte kürzlich ein internationales Herausgebergremium unter der Federführung von Sergej Karp mit den Briefen aus den Jahren 1764 bis 1778 den ersten Band einer textkritischen und kommentierten Neuausgabe des für Katharinas Denken aufschlussreichen dichten Briefwechsels mit Friedrich Melchior Grimm, dem deutschen Publizisten und Freund der Pariser Philosophen.19 Das lebhafte Interesse an der Biographie der Kaiserin zeigt sich nicht zuletzt darin, dass in den letzten fünfzehn Jahren zu Katharinas populärstem Werk, ihren in viele Sprachen übersetzten und oft als »Memoiren« missdeuteten auto-

16 Scharf, 1998a, S. 43; ders., 2001, S. 20; Kamenskij, 2000; ders., 2001a; ders., 2006, S. 7f. 17 Ekaterina II/Potemkin, 1997; auf der Basis dieser Edition entstand ein Hörbuch auf zwei CDs: Schierle u. a., 2009. Eine kommentierte Auswahl der Briefe erschien in englischer Sprache: Catherine II/Potemkin, 2004. 18 Catherine II/Gustave III, 1998. 19 Catherine II/Grimm, t. 1, 2016. 214

Alte und neue Erkenntnisse zu den Staatszielen Katharinas II.

biographischen Aufzeichnungen,20 überhaupt erstmals gleich drei monographische Untersuchungen von insgesamt mehr als 1.300 Seiten erschienen. Da die Autorinnen Alisa Fateeva, Marija Krjučkova und Angelina Vačeva21 unterschiedlichen Fragestellungen folgen, überschneiden sich ihre Forschungen nicht einmal.

II. Wer sich für das politische Denken und speziell die Staatsziele Katharinas II. interessiert, findet eine Forschungstradition vor, die sich mit Recht auf die wichtigste politische Schrift der Kaiserin konzentriert, die 1767 veröffentlichte Instruction pour la Commission chargée de dresser le Projet d’un nouveau Code des Loix.22 Hatte sie das Werk 1765/66 hauptsächlich auf der Grundlage von Montesquieus De lʼEsprit des lois verfasst, so macht doch schon der Titel deutlich, dass keine akademische Abhandlung intendiert war, sondern die offenkundig entlehnte politische Theorie in der »Tradition der antiken Mischverfassungslehre«23 auf die Praxis der Gesetzgebung im Russischen Reich angewendet werden sollte. So ist als ein Leitmotiv dieser Instruction der Grundsatz Montesquieus zu erkennen, die Gesetzgebung müsse dem Volk und der natürlichen Beschaffenheit seiner Verfassung entsprechen.24 In zwei zentralen Thesen verkündete die Kaiserin als Fundamentalgesetze ihres Reiches seit Peter dem Großen und als politisches Programm ihrer eigenen Herrschaft zum einen: »Rossija estʼ Evro20 Vollständigste textkritische Edition der Handschriften: Ekaterina II, 1907a. Zur literaturwissenschaftlichen Unterscheidung von Memoiren und Autobiographie Scharf, 1995, S. 59f. 21 Die bislang ungedruckte Dissertation von Fateeva, 2003, hat der Autor nicht einsehen können; Krjučkova, 2009; der Band der bulgarischen Literaturwissenschaftlerin Vačeva, 2015, enthält zwei voneinander relativ unabhängige Untersuchungen über die Beziehung der Autobiographie Katharinas zur zeitgenössischen Romanliteratur und über das darin entfaltete Ideal des aufgeklärten Monarchen. 22 [Ekaterina  II] 1907c; zeitgenössische deutsche Übersetzung: [Katharina  II.] 1768, Nachdruck 1970. Zu Entstehung und Inhalt: Andreae, 1912; Madariaga, 1981, S. 151-163; Scharf, 1989-1991, S. 716-722; Omelʼčenko, 1993, S. 76-102; Schierle, 1997. 23 So die Kennzeichnung der Staatslehre Montesquieus durch Stollberg-Rilinger, 2000, S. 198. 24 [Ekaterina II], 1907c/[Katharina II.], 1768, Präambel, Nr. 5. 215

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pejskaja deržava«/»Rußland ist eine Europäische Macht«, ein Bekenntnis, das die demonstrative Abwendung von der »asiatischen« Herrschaftsform der Despotie und jeglicher Willkürherrschaft bedeutete und die herrscherliche Selbstbeschränkung durch die Gesetze einschloss,25 und zum anderen: »Gosudarʼ estʼ samoderžavnyj«/»Der Beherrscher desselben ist unumschrenkt (ʼΑυτοκράτωρ)«, ein Satz, der nicht etwa eine despotische Machtausübung propagierte, sondern seinen staats- und völkerrechtlichen Sinn im französischen Original enthüllt: »Le Monarque de Russie est Souverain.«26 Allerdings blieb der Monarch alleinige Quelle der Staatsgewalt.27 Ebenso waren die aufgefächerten Staatsziele keineswegs neu, die die Kaiserin in der Präambel aus dem christlichen Liebesgebot und naturrechtlich aus dem einmütigen Willen der ideellen Mitglieder der Gesellschaft ableitete: »[…] es müsse eines jeden ehrliebenden Menschen in der Gesellschaft Wunsch seyn, oder werden, sein Vaterland auf der höchsten Stufe der Wolfart (prospérité/blagopolučie), des Ruhms (gloire/slava), der Glückseligkeit (félicité/blaženstvo) und der Ruhe (tranquillité/spokojstvie) zu sehen«.28 Tatsächlich entwickelte Katharina II. aus den in der Instruction formulierten Ansätzen in der Folgezeit ihre Reformpolitik eines aufgeklärten Absolutismus mit den weiteren, in der Regierungspraxis einander überschneidenden Staatszielen: • der Umwandlung des Russischen Reiches in eine seinen natürlichen Voraussetzungen entsprechende Gesetzesmonarchie durch eine umfassende neue Kodifikation; • der Selbstbindung der Inhaberin des Throns an die Fundamentalgesetze und somit der Anfänge einer Konstitutionalisierung »von oben«; • der Religionsfreiheit trotz einer privilegierten Stellung der orthodoxen Staatskirche; • der Legitimierung von Behörden und Gerichtshöfen in den Provinzen als »intermediärer Gewalten«, die bei Montesquieu ständische Qualität gehabt hatten; • des Staatsausbaus in den Provinzen des Reiches mit einer Dezentralisierung staatlicher Kompetenzen und einer Trennung der Gerichtsbarkeit von der Exekutive; 25 [Ekaterina II], 1907c/[Katharina II.], 1768, Kap. I, Nr. 6. Vgl. Scharf, 1998a, vor allem S. 91-97; Maurer, 1997. 26 [Ekaterina II], 1907c/[Katharina II.], 1768, Kap. II, Nr. 9. Vgl. die überzeugende Interpretation von Madariaga, 1982, Neudruck 1998, hier vor allem S. 50f. 27 [Ekaterina II], 1907c/[Katharina II.], 1768, Kap. II, Nr. 9-11, Kap. III, Nr. 19. 28 [Ekaterina II], 1907c/[Katharina II.], 1768, Präambel, Nr. 2. 216

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• einer umfassenden Gesellschaftsreform durch die Konsolidierung von »Ständen«; • der – nach Aufhebung der Dienstpflicht des Adels durch Peter  III. – freiwilligen Mitwirkung gewählter Vertreter der Stände an der regionalen und lokalen Verwaltung und Gerichtsbarkeit; • der Gewinnung der Untertanen für das von der Herrscherin definierte gemeine Wohl durch »soziale Disziplinierung« und Bildung; • der Humanisierung des Strafrechts; • der Gewährung von Individualrechten oder ansatzweise von Bürgerrechten.29 Wie alle Archivforschungen erwiesen haben, trägt das Werk der Reform im Wortsinn allein die Handschrift der Kaiserin,30 auch wenn sie jeweils Glück hatte, begabte, hochgebildete und vielseitig verwendbare persönliche Sekretäre zu finden, die nicht selbst in den Vordergrund drängten.

III. Ist die Textgeschichte der Instruction weitgehend geklärt, so gibt es doch bislang keine befriedigende Synthese, die differenzieren und periodisieren würde, wie sich das politische Wissen und die politischen Ansichten Katharinas entwickelten. Über ihre Regierungstätigkeit liegt von ihr selbst als einziger Text sogar nur eine knappe und nüchterne Bilanz bis zur Gesetzbuchkommission und zum Jahr 1768 vor. Diese Bilanz wurde in russischer Sprache ohne literarischen oder gar philosophischen Anspruch verfasst und in einem Manuskript von 1794 überliefert. Gattungsgeschichtlich ist sie, obwohl in der ersten Person geschrieben, eigentlich nicht einmal zu den autobiographischen Aufzeichnungen zu rechnen, mit denen sie ediert wurde.31 Vielmehr gehört der Text mit seiner kritischen Aufzählung vorgefundener finanzpolitischer und administrativer Probleme, zu deren Lösung die Kaiserin notwendige Gesetze erlassen und geeignete politische Maßnahmen eingeleitet habe, zu den Rechenschaftsberichten, mit deren Zusammenstellung die Kaiserin 1778 bis 1782 auch ihren Sekretär Aleksandr Bezborodko beauftragt hatte.32 Solche Erfolgskontrollen oder Statistiken waren ja durchaus charakteristisch für das Zeitalter der Vernunft und das Leistungs29 30 31 32

Scharf, 2011 (ungedruckt). Kamenskij, 2001b, S. 330-332; Omelʼčenko, 2002/2004, S. 352-354. Ekaterina II, 1907a, S. 517-525; zur Datierung der Handschrift ebd., S. 770. Scharf, 1995, S. 90f. 217

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prinzip in einem rationalisierten Staatswesen,33 und Katharina machte in ihren Briefen gegenüber westlichen Korrespondenten gern Gebrauch von empirisch erhobenen Daten, die ihren Fleiß beim Regieren dokumentierten. Im Grunde fehlt also trotz einer reichen Forschungsliteratur eine umfassende, die Etappen, Faktoren und Interessen der persönlichen Bildung Katharinas gewichtende intellectual biography. Zu einem erheblichen Teil hat die Kaiserin selbst den Weg zu einem solchen Werk durch eigene Interpretationen ihres Lebens und ihrer Regierung erschwert. Zwar hatte sie schon als Großfürstin Katharina Alekseevna Texte über ihr Leben verfasst, die nur zum Teil überliefert wurden, so vor allem leider nicht ihr jugendliches Selbstporträt Ébauche d’un brouillon du caractère du Philosophe de quinze ans, zu dem sie der schwedische Diplomat Henning Adolf Graf von Gyllenborg, einer ihrer wichtigsten Mentoren, angeregt hatte. Innerhalb eines Tages hatte sie für ihn im Winter 1744/45 »une peinture de mon esprit et de mon caractère« geschrieben, das Manuskript in einer für sie bedrohlichen Situation am Hofe Elisabeths 1758 mit anderen Papieren jedoch selbst verbrannt.34 Nach einer längeren Pause verfasste sie dann als Kaiserin in unterschiedlichen Lebensphasen in den 1770er und 1790er Jahren für jeweils andere Vertraute aus ihrer Umgebung neue Redaktionen ihrer eigenen, sie auch selbst faszinierenden Geschichte jeweils »von Geburt an«.35 Aber sie bot der Nachwelt nicht nur zielgerichtet Rückblicke auf ihr Leben, sondern gegenüber einigen ausgewählten Korrespondenten wie Voltaire, Grimm und dem schweizerischen Arzt und Schriftsteller Johann Georg Zimmermann auch laufende Einblicke in ihr politisches Denken, ihre kulturellen Interessen, ihre Gemütslage sowie Stichworte für den Diskurs der Aufklärer über »historische Größe« und »Unsterblichkeit«.36

33 Kunisch, 1986, S. 72-84. 34 Den Titel des Manuskripts erwähnte Katharina in späteren Redaktionen ihrer autobiographischen Texte: Ekaterina  II, 1907a, S.  61, 215f. Dazu Fleischhacker, 1978, S. 13f.; Vačeva, 2015, S. 136-146. Mit gewagten Mutmaßungen über den Inhalt der von der Autorin bewusst vernichteten Texte Krjučkova, 2009, S. 334-336. 35 Vollständigste Edition der Handschriften: Ekaterina II, 1907a. Dazu Krjučkova, 2009, S. 289-322; Vačeva, 2015, S. 33-48. 36 Voltaire, 1968ff.; deutsche Übers.: Katharina  II./Voltaire, 1991; Catherine II de Russie/Grimm, 2016; Katharina II./Zimmermann, 1906. Allgemein zur Kommunikation zwischen den Monarchen und den Aufklärern im Europa des 18. Jahrhunderts Schlobach, 1990; bezogen auf Katharina II. Scharf, 1995, 218

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Die autobiographischen Aufzeichnungen in ihrer Schriftstellerinnensprache Französisch waren nicht zu ihren Lebzeiten zur Veröffentlichung gedacht, blieben schließlich unvollendet und mündeten nicht in eine autorisierte Schlussredaktion, folgen jedoch einem eindeutigen Muster: Sie unterscheiden sich, auch wenn sie von Politik handeln, in Form und Stil grundsätzlich von Katharinas »Staatspapieren« und überliefern keine Informationen über ihre Regierungstätigkeit, weil sie vor oder mit der Usurpation des Thrones im Jahr 1762 abbrechen.37 Zum Leitmotiv wurde vielmehr nach dem zeitgenössischen literarischen Typus einer im Ursprung pietistischen selbstanalytischen und dann säkularisierten Berufungsgeschichte der hindernisreiche Weg, auf dem die in Stettin geborene Tochter des Fürsten von Anhalt-Zerbst, der im preußischen Militär gedient hatte, durch eigene Anstrengungen auf den Thron des Russischen Reiches gelangt war.38 Noch in den Textfassungen aus ihren letzten Lebensjahren verstärkte die Autorin ihre einstige Zielstrebigkeit auf diesem Weg an die Spitze des Staates und fügte Vorzeichen und Prophezeiungen ihres einzigartigen Aufstiegs sogar in die Erinnerungen an Kindheit und Jugend in Deutschland ein. Zugleich verschärfte sie ihre Kritik an den Zuständen in Russland, die sie 1744 vorgefunden hatte, und auch am Regierungsstil der Kaiserin Elisabeth. Variantenreich begründete sie jedoch vor allem die Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit ihres Staatsstreichs gegen Kaiser Peter III., ihren Gemahl, im Jahr 1762.39 Obwohl Elisabeth sie nur wegen der Eheschließung mit diesem holsteinischen Sohn ihrer Schwester Anna Petrovna und Enkel Peters des Großen überhaupt nach Russland berufen hatte, beschrieb Katharina in der spätesten Schicht ihrer autobiographischen Aufzeichnungen um 1794 ausgerechnet im Rahmen der Erzählung von ihrer Heirat im Jahr 1744/45, welche Gefühle und Reflexionen sie seinerzeit angeblich bewegt hätten: »A mesure que ce jour approchoit, je devenois plus profondement mélancolique, le coeur ne me prédisoit pas grand bonheur, l’ambition seule me soutenoit; j’avois au fond de mon âme un je ne sais quoi qui ne m’a jamais laissé douter un seul moment, que tôt ou tard je parviendrai à devenir Impératrice souveraine de la Russie de mon chef.«40

37 38 39 40

S.  39-51; zu den Motiven, historische Größe und Unsterblichkeit zu erringen Griffiths, 1988. Kornilovič, 1912, S. 71f.; Krjučkova, 2009, S. 18-20; Vačeva, 2015, S. 35f. Scharf, 1995, S. 58-62, 98f.; Vačeva, 2015, S. 36-38. Scharf, 1995, S. 115-118; ders., 1998a, S. 52, 61-68. Ekaterina II, 1907a, S. 227. 219

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Schon die melancholische Selbstdeutung erweist sich als ein Indiz für jene spätere Zeit der Niederschrift, wurde doch der durch französische und deutsche Vermittlung von England nach Russland gelangende Begriff der Melancholie erst im Übergang vom literarischen Klassizismus zum Sentimentalismus im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts – und dann von Katharina überwiegend in pejorativer Bedeutung – adaptiert,41 ähnlich dem theologiekritischen Artikel mélancolie religieuse von Louis de Jaucourt in der Encyclopédie von 1765.42 Wichtiger erscheint hier jedoch der Befund, dass im Gegensatz zu der stilisierten Darstellung im Rückblick von einem halben Jahrhundert, die der sechzehnjährigen Großfürstin ihren eigenen Anspruch auf den Thron zuschrieb, solche Erwartungen und Ziele in der einzigen überlieferten Fassung eines autobiographischen Manuskripts aus den 1750er Jahren keine Bestätigung finden,43 was selbstverständlich auch mit der Vorsicht erklärt werden kann, die am Hofe der Kaiserin Elisabeth geboten war. Ebenso wenig lässt sich aus irgendwelchen anderen Quellen ermitteln, welche Staatsziele die jugendliche Braut aus Zerbst unmittelbar nach ihrer Ankunft in Russland tatsächlich im Blick hätte haben können. Während der erwähnte Text aus den 1750er Jahren auch kaum über Katharinas Selbstbildung Auskunft gibt, enthalten die autobiographischen Aufzeichnungen der 1770er und 1790er Jahre – neben einigen Exzerpten – immerhin manche Informationen über die Lektüre der Großfürstin. Schon am Ausgang des 19. Jahrhunderts arbeitete ihr Biograph Vasilij Bil’basov in der damals gründlichsten Interpretation der insgesamt wenigen einschlägigen Quellen aber überzeugend heraus, dass Katharina erst etwa zehn Jahre nach ihrer Hochzeit überhaupt begonnen habe, sich durch die Lektüre politisch-historischer Literatur konsequent weiterzubilden.44 Und obwohl der amerikanische Historiker Peter Petschauer meinte, die Hinwendung zu einer solchen konsequenten Selbstbildung als einen eher stetigen Übergang um einige Jahre vordatieren zu können,45 korrespondiert Bil’basovs Befund doch mit dem soliden modernen Forschungsstand, dass sich auch ein eigener Wille Katharinas zur Macht erst seit der Geburt 41 Langer, 2006, S. 243-247, zu Katharinas Sprachgebrauch S. 246. 42 Jaucourt, 1765, S. 307-311; deutsche Übersetzung von Theodor Lücke: Trübsal, 2001a, S. 266f. und 2001b, S. 398. 43 Ekaterina II, 1907a, S. 441-468. 44 Bilʼbasov, 1893, S. 310-328, 368-378; Lappo-Danilevskij, 1898, hier Neudruck 2011b, S. 148f.; Scharf, 1995, S. 111-114. Diese zeitliche Differenzierung der Lektüre Katharinas unter dem Aspekt ihrer politischen Selbstbildung übergeht die jüngste Untersuchung ihrer Bibliotheken: Korolev, 2016, S. 42-50. 45 Petschauer, 1969, S. 309-341. 220

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ihres Sohnes Paul Petrovič im Jahr 1754 eindeutig nachweisen lässt, nachdem die Großfürstin mit der Sicherung der dynastischen Thronfolge ihre Hauptaufgabe am Hofe Elisabeths erfüllt hatte.46 Dass sich seither in Anbetracht der fortschreitenden Erkrankung der Kaiserin und in der kritischen Situation des Siebenjährigen Krieges auch manche Angehörige der Petersburger Machtelite und einzelne ausländische Diplomaten eher Katharina als deren Gemahl auf dem Thron vorstellen konnten, darf allerdings noch nicht mit der Konspiration gleichgesetzt werden, die sich erst im Februar 1762 formierte, dann Ende Juni in dem am perfektesten organisierten Staatsstreich der russischen Geschichte vor 1917 Kaiser Peter III. entmachtete und sogar seinen Tod verschuldete.47 Was die Verschwörer zum Handeln trieb, wurde zwar in Katharinas Erlassen und ihren späteren Erinnerungen mit einem Notstand gerechtfertigt, findet jedoch keine Ausschlag gebende Erklärung in Peters Innenpolitik.48 Auch jüngere Forschungen haben in Bezug auf sein Regierungshandeln nur Unmut in der Armee und in der Petersburger Gesellschaft über den als unpatriotisch wahrgenommenen milden Frieden mit dem Preußenkönig nachweisen können. Unpopulär war erst recht ein wegen Peters holsteinischer Interessen geplanter Feldzug gegen Dänemark, und die Garden murrten gegen angekündigte Neugliederungen.49 Jedenfalls entschied letztlich allein Katharinas Wille, die Macht zu übernehmen.50 Auch die früher stark betonten politischen Differenzen zwischen der Großfürstin und Nikita Ivanovič Panin, der wichtigsten politischen Autorität unter den Verschwörern,51 wurden inzwischen weitgehend durch die Erkenntnis abgelöst, Panin habe mit seinen Reformprojekten nicht eigene oder ständische Interessen, sondern loyal allein das Ziel verfolgt, die Autokratie in ihrer uneingeschränkten Machtfülle zu sta-

46 So auch Čečulin, 1924; Madariaga, 1981, S. 11-17; Alexander, 1989, S. 46-51; Kamenskij, 1992, S. 44-48; ders., 1997, S. 42-46; Scharf, 1998a, S. 60f.; Kurukin, 2003, S. 372f.; Dixon, 2009, S. 91-107. 47 Kurukin, 2003, S. 392-408. 48 So mit Recht schon Raeff, 1975. 49 Madariaga, 1981, S. 24f.; Leonard, 1993, S. 138-149; Kurukin, 2003, S. 398401; Bugrov, 2015, S. 55. 50 Leonard, 1993, S. 142-145. 51 Gukovskij, 1936; ähnlich mit einem marxistischen Ansatz im nationalsozialistischen Deutschland Sacke, 1940; in jüngster Zeit unter Berufung auf Gukovskij Marasinova, 1999, S. 16-22; dies., 2008, S. 60-63, 68f., 74f. 221

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bilisieren.52 Überhaupt brachten die Verschwörer vor dem Staatsstreich auch weder ihre Kritik am politischen Kurs Peters III. zu Papier, noch arbeiteten sie ein Programm für eine politische Wende unter Katharinas Herrschaft aus, noch äußerten sie sich explizit über Russlands Staatsziele. Wohl aber wurde der Umsturz, noch ehe er vollendet war, und dann allerdings nachhaltig, vor Gott, dem Volk, dem Vaterland bis zum Ende der langen Regierungszeit Katharinas II. öffentlich legitimiert.53 Zugleich wurden die Umstände, unter denen der Kaiser zu Tode gekommen war, verschleiert.54 Einmal an der Macht, kommunizierte die Monarchin ihre politischen Auffassungen sofort öffentlich durch symbolische Handlungen und kennzeichnete ihre Regierungspraxis und deren rationale Begründungen als »aufgeklärt«.55 Diese Identifizierung bestätigte sie selbst alsbald durch ihre Korrespondenz mit Voltaire und den Pariser philosophes und wenige Jahre später eindrucksvoll durch die Rezeption Montesquieus, der Enzyklopädisten und Blackstones in ihrer Gesetzgebung.

IV. Es war keineswegs nur eine rhetorische Frage, dass sich Isabel de Madariaga 1985 zu vergewissern suchte: »What do we know of Catherine’s opinions on government before she seized the throne?«56 Denn im Kontrast zu der Fülle der Zeugnisse aus der Regierungszeit der Kaiserin blieb der überlieferte Bestand aussagekräftiger Quellen zu ihren politischen Vorstellungen vor der Eroberung der Macht in den letzten hundert Jahren unverändert fragmentarisch. Jene wenigen und im Umfang knappen Texte, veröffentlicht 1907 mit ihren autobiogra52 So die überzeugende Quellenanalyse von Bugrov, 2015; dazu meine Rezension Scharf, 2018. 53 Leonard, 1993, S.  10-16; Scharf, 1998a, S.  61-68; Bugrov, 2015, S.  179-186, 194f., 203. 54 Leonard, 1993, S. 10-16; Mylnikow, 1994, S. 84-130; Scharf, 1998a, S. 61-68; Bugrov, 2015, S. 179-186, 194f., 203. 55 Scharf, 1989-1991, S.  710-712; Wortman, 1995, S.  110-122. Überzeugend argumentierte Rudolf Vierhaus am Beispiel König Friedrichs II., dass dessen politische Schriften nicht nur zur Theorie, sondern auch zu seiner Herrschaftspraxis gehörten und dass im politischen Handeln des Königs ebenso sein Staatsverständnis erkennbar wird: Vierhaus, 1987, S. 76; auf Katharina bezogen: Scharf, 1998a, S. 46f. 56 Madariaga, 1985/1998, S. 238. Hervorhebung durch die Autorin. 222

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phischen Manuskripten, deuten auf ihre politische Lektüre in den Jahren 1758 bis 1761 hin und wurden von der Forschung seither in unterschiedlicher Intensität interpretiert. Eine besonders aussagekräftige Quelle im Hinblick auf die Vertrautheit der Großfürstin Katharina mit Montesquieus Hauptwerk liegt in der in Marginalien versteckten Polemik der Großfürstin Katharina gegen die Schrift Lettres russiennes vor, mit der Friedrich Heinrich Strube de Piermont, ein deutscher Jurist, seit 1738 auf vielen Positionen im Staatsdienst Russlands, sich 1760 auf die Seite der Kritiker Montesquieus geschlagen hatte.57 Empört zeigte sich Strube als Patriot seines neuen Vaterlandes vor allem aus dem Grunde, dass Montesquieu nach der Milieutheorie das Russische Reich den Despotien zugeordnet hatte. Katharina hingegen hielt bei ihrer kritischen Lektüre zwischen 1760 und 1762 den Vorwurf für Wortklauberei, gehe es doch sachlich darum, dass diese Staatsform wegen der Ausdehnung des Russischen Reiches alternativlos sei, aber unter aufgeklärten Monarchen nicht zwingend zu einer Willkürherrschaft ausarten müsse.58 Diese These wurde in der Folgezeit in verschiedenen Texten der Kaiserin Katharina wiederholt und zwar, wie erwähnt, öffentlich und besonders prominent in ihrer Instruction. Ebenso aus den Jahren 1759-62 stammen aus einem Heft vierzig politisch-moralische Sentenzen in französischer Sprache in Katharinas Handschrift, die keiner einheitlichen Konzeption folgen und deren Herkunft und Bezug bisher nicht nachgewiesen wurden. Dass sie durchnummeriert sind, scheint immerhin zu Katharinas Denk- und Arbeitsweise zu passen. So wird angenommen, dass sich die Autorin mit ihnen wie mit Merksätzen identifizierte.59 Unter ihnen sind ebenfalls Staatsziele zu finden, die Katharina als Kaiserin Jahre später im Kontext der Instruction wieder aufgriff. Zu nennen sind insbesondere das Wohl und der Ruhm des Landes.60 Am Wohl der Nation, das nicht von der Gerechtig-

57 Strube de Piermont, 1760; kommentierte Faksimileausgabe 1978. 58 Katharinas Randnotizen: Ebd. sowie Ekaterina II, 1907a, S. 663-674. Dazu Pypin, 1903; Taranovskij, 1922; Ransel, 1975, S. 47-51; Rosso, 1978, S. 11-35; Biondi, 1978, S. 189-209; Madariaga, 1985/1998, S. 238-240; Omelʼčenko, 1993, S. 72f.; Scharf, 1995, S. 119-123. 59 [Ekaterina II], 1871, S. 82-101; zitiert nach dem Neudruck: Ekaterina II, 1907a, S.  613-627; deutsche Übersetzung der hier so genannten aperçus in Auszügen mit Interpretation: Fleischhacker, 1978, S. 23-31. Dazu Ransel, 1975, S. 51-54; Scharf, 1998a, S. 55-61. 60 Ekaterina II, 1907a, Nr. 3, S. 614. 223

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keit zu trennen sei, müsse sich das herrscherliche Handeln orientieren.61 Der Frieden müsse statt durch Kriege durch das Gleichgewicht der Mächte bewahrt werden und sei im Inneren des Reiches im Interesse des Wachstums der Bevölkerung von Bedeutung.62 Die Freiheit wurde als unabdingbar für ein Gemeinwesen gelobt, doch zugleich sei Gehorsam gegenüber dem Gesetz gefordert.63 An mehreren Stellen warb die Autorin für eine öffentliche Ausübung der Herrschaft und für Publizität in der Gesellschaft. Um Widerstände bei der Einführung neuer Gesetze zu vermeiden, seien auch von Beginn an öffentliche Beratungen im Gesetzgebungsverfahren ratsam.64 Für die Staatsfinanzen hielt sie ein kluges Wirtschaften ohne Verschwendung und ohne Schulden für sinnvoll.65 Russlands alten Adelsfamilien sei Respekt wegen ihrer vornehmen Herkunft und ihrer Verdienste für das Vaterland zu zollen.66 Auch deswegen sei sie gegen eine zu lange Dienstpflicht des Adels und gegen Konfiskationen adligen Grundbesitzes.67 Die Leibeigenschaft fand die Großfürstin zwar unvereinbar mit der christlichen Religion und der Gerechtigkeit, doch zog sie einem allgemeinen Akt der Befreiung vor, bei Besitzerwechseln die betreffenden Gutsbauern für frei zu erklären. Als ein akutes Problem für die Bauernfamilien und als Verlust für den Staat sah sie die hohe Kindersterblichkeit auf dem Lande an. Aus der Einsicht heraus, dass dieser Not nicht unmittelbar durch Regierungshandeln abzuhelfen sei, erwog sie, aufgeklärte Mediziner zu konsultieren und die Gutsherren und die Eltern der Kinder für eine bessere Fürsorge in die Verantwortung zu nehmen.68

61 62 63 64 65

Ebd., Nr. 10, S. 615. Ebd., Nr. 9. Ebd., Nr. 7. Ebd., Nr. 8, 16, 17, 22, S. 615, 617f. Ebd., Nr. 4, S. 614. Dieser Einsicht folgte ihre Regierung allerdings nicht: Heller, 2001. 66 Ekaterina II, 1907a, Nr. 5, 18, 20, S. 614 und 617. 67 Ebd., Nr. 12 und 25, S. 616 und 619. 68 Ebd., Nr. 6 und 14, S. 614 und 616. Zum Wandel der Einstellung Katharinas zur Leibeigenschaft in ihrer Regierungszeit Bartlett, 2001. 224

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V. Auch schon vor Katharina II. wurden in Russland Staatsziele von den als unveränderbar angesehenen Fundamentalgesetzen wie der Konfession, der Staatsform oder der dynastischen Erbfolge unterschieden.69 Doch beanspruchten Staatsziele oder Staatszwecke ebenfalls Geltung durchaus über die Person des Souveräns hinaus, auch wenn sie im Alltag zunächst einmal dazu dienten, die Herrschaftspraxis dessen zu legitimieren, der aktuell über das Gewaltmonopol verfügte. Erst recht lieferte im 18. Jahrhundert die europäische Aufklärung Impulse für die von reformorientierten Souveränen proklamierten Staatsziele,70 die in der zeitgenössischen politischen Literatur kaum von Anleitungen zu einer guten Regierung zu unterscheiden sind. Ein solcher Text über lʼart de régner (die Kunst zu regieren), überliefert in Katharinas Handschrift, erscheint wegen seiner inhaltlichen Geschlossenheit und klaren Gliederung besonders geeignet, ihr Verständnis von Staatszielen und damit von den Aufgaben einer Souveränin im Russischen Reich unmittelbar vor der Machtübernahme von 1762 kennenzulernen. Der knappe Text wird im Russischen Staatsarchiv der alten Akten in Moskau aufbewahrt.71 Auch dieses bei der Niederschrift nicht zur Veröffentlichung bestimmte Manuskript wurde 1907 im französischen Original in die bis heute beste Edition der autobiographischen Schriften Katharinas aufgenommen.72 »Si l’homme d’état se trompe, s’il raisonne mal, s’il prend de fausses mesures, tout un peuple en ressent les funestes effets. Il faut souvent se demander à soi même: la démarche est elle juste, est elle utile? Cinq objets. 1. Il faut polir la nation, que l’on doit gouverner.

69 Omelʼčenko, 1993, S.  337-341; zum europäischen Hintergrund ders., 2001/02/2004, S. 41-51; jetzt Bugrov, 2015, S. 138f. 70 Aspektreiche Erörterung der Widersprüche zwischen Absolutismus und Aufklärung durch Aretin, 1974; Kunisch, 1986, S. 31-36; Stollberg-Rilinger, 2000, S. 194-199. 71 Nach der annotierten Bibliographie der Publikationen Katharinas  II. lautet die Archivsignatur der Quelle: RGADA,F. 1, op. 1. Е. ch. 24, ll. 47-50. E. ch. 26. So Babič, 2004, S. 294, 773. 72 Ekaterina II, 1907a, S. 636. 225

Claus Scharf 2. Il faut introduire un bon ordre dans l’état, y entretenir la société, et y fai- re observer les loix. 3. Il faut établir dans l’état une bonne et exacte police. 4. Il faut faire fleurir l’état et le rendre opulent. 5. Il faut rendre l’état formidable en lui-même, et respectable à ses voisins. Tout citoyen doit être instruit dans les devoirs envers l’Être suprême, envers lui-même, envers la société, et on doit lui apprendre certains arts, dont il ne sauroit presque se passer dans la vie commune.«73

Nicht von der Autorin, sondern von den seinerzeitigen Herausgebern erhielt der Text die Überschrift Maximes d’administration, die allerdings höchstens zutrifft, wenn im Deutschen Grundsätze der Staatslenkung statt Verwaltungsrichtlinien assoziiert werden. Im gleichen Jahr 1907 wurde der Text auch in russischer Übersetzung unter dem entsprechend unpassenden Titel Pravila upravlenija in der maßgeblichen russischsprachigen Ausgabe der autobiographischen Aufzeichnungen Katharinas veröffentlicht.74 Einige Historiker haben die Quelle in den letzten 25 Jahren erwähnt und in Auszügen wörtlich zitiert, doch nicht näher interpretiert.75 Dem knappen Dokument fehlt jeglicher Kontext; es gibt auch keinen Adressaten und nicht einmal ein Datum. Die Herausgeber ordneten den Text zwar in die Zeit kurz vor Katharinas Übernahme der Herrschaft ein, doch kam die Kaiserin später nicht explizit auf ihn zurück. Nach der historiographischen Konvention gehört er also zu den wenigen überlieferten authentischen Zeugnissen für Katharinas politisches Denken aus dem Zeitraum 1758-1761 neben den erwähnten 40 Sentenzen und den Marginalien, mit denen sie in einem Exemplar von Strubes Lettres russiennes Montesquieu verteidigte. Wer bei der Interpretation des Dokuments seine Aufmerksamkeit auf Elemente der Aufklärung zu richten sucht, nimmt eingangs wahr, dass der Text nüchtern die Verantwortung einer regierenden Person für das Wohlbefinden ihres Volkes hervorhebt, wie dies der Tradition des Naturrechts etwa in der Auslegung durch Christian Wolff entsprach.76 Auch wenn die Pflicht des Herrschers 73 Ebd. Dazu der damalige Archivnachweis in den Anmerkungen, S.  788: Gos. Аrch. I a, Nо. 20, pač. 5, otd. I, 8-12. 74 Ekaterina II, 1907b, Repr. 1989, S. 647. 75 Kamenskij, 1992, S.  173, 252; ders., 1997, S.  129; ders., 2001b, S.  347, 352f., 367; Rachmatullin, 1996, Nr. 6, S. 24; Marasinova, 2008, S. 172; Dixon, 2009, S. 199. 76 Link, 1986; Stollberg-Rilinger, 1986, S. 159-171; dies., 2000, S. 202f. 226

Alte und neue Erkenntnisse zu den Staatszielen Katharinas II.

in diesem Text nicht explizit aus einem Herrschaftsvertrag abgeleitet wird, ist diese Konstruktion gewiss mitzudenken. Jedenfalls wird die Herrschaft – anders als in Katharinas Manifesten nach der Thronbesteigung77 – hier nicht theologisch legitimiert und nicht einmal explizit auf einen Monarchen bezogen. Vielmehr wird bei der einzigen Erwähnung Gottes im letzten Satz eine Erziehung eines jeden Staatsbürgers zur Verantwortung gegenüber dem »höchsten Wesen« und gegenüber der Gesellschaft gefordert. Die obendrein erwähnte Selbstverantwortung für die eigene Erziehung wird sogar konkret mit einer beruflichen Ausbildung als Basis der Selbsterhaltung eines jeden innerhalb der menschlichen Gemeinschaft verknüpft.78 Im Rahmen der Verantwortung des Souveräns ohne Rang und Geschlecht folgen dann unpersönlich oder transpersonal formulierte Postulate, so zunächst, dass Gesetzgeber und politische Akteure ihr Handeln nach der Rechtmäßigkeit oder Gerechtigkeit und dem Nutzen abwägen müssten. Und dann folgen fünf Handlungsfelder, die als Staatsziele zu betrachten sind. Erstens müsse die zu regierende »nation«, damit sie regiert werden könne, »poliert« werden, was bedeutet, dass sie »gesittet zu machen« oder »zu verfeinern« sei, im weiteren Sinn also »gebildet«, »erzogen« und letztlich »aufgeklärt« und »politisiert« werden solle.79 Damit wird offensichtlich ein Erziehungsmonopol des Staates als notwendig angesehen. Und wie bereits im letzten Satz erwähnt, soll ohne Standesschranken »tout citoyen«, also »jedem Staatsbürger«, seine Pflicht gegenüber Gott, der Gesellschaft und sich selbst bewusst gemacht werden. Zweitens müsse für eine gute Ordnung im Staat gesorgt werden, zudem sei in der bereits erwähnten Verantwortung für die »nation« diesmal die »société«, also die »Gesellschaft«, zu bewahren. Zugleich sei aber durchzusetzen, dass diese »société« die Gesetze achte. Drittens sei eine gute und strenge Policey einzurichten. Zum Verständnis des Begriffs sei an die weite frühneuzeitliche Bedeutung der Policey nach den Quellen des Grimmschen Wörterbuchs erinnert: »die regierung, verwaltung und ordnung, besonders eine art sittenaufsicht in staat und gemeinde, auch den staat selbst sowie die staatskunst, politik«.80 Ein viertes Staatsziel, den Staat »blühend und reich« zu machen, gilt allgemein als eine zeittypische 77 Zur göttlichen Legitimation ihrer usurpierten Herrschaft Scharf, 1998a, S. 78-84. 78 Vgl. zu diesem Erziehungsziel in Deutschland das Unterkapitel Erziehung zum Gewerbefleiß, in: Dipper, 1991, S. 188-199. 79 Zur Wiedergabe der Begriffe »polir« und »policer« im Russischen seit Peter dem Großen Schierle, 2007, S. 232f. 80 So zitiert durch Maier, 1980, S. 93f.; dazu auch Knemeyer, 1978; Preu, 1983; Simon, 2004. 227

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Erweiterung des wichtigsten traditionellen Ziels, der Wahrung der inneren Sicherheit und des äußeren Friedens,81 das hier als die fünfte Zweckbestimmung eines Staates folgt. Zweifellos wären in diesen wenigen Sätzen gleichsam in einer Nussschale wichtige Elemente aufklärerischer Grundsätze der Großfürstin Katharina kurz vor ihrer Übernahme der Macht im Russischen Reich zu greifen, wenn sie wirklich die Verfasserin dieses Textes in ihrer Handschrift gewesen wäre. Stattdessen entnahm Katharina diesen der Forschung lange bekannten Text mit den fünf Zielen unverändert dem dritten Kapitel aus dem ersten Band des Werkes In­ structions politiques des deutschen Policey-Schriftstellers Jakob Friedrich von Bielfeld, das kurz zuvor 1760 im Haag erschienen war.82 Auch die Eingangssätze und der Schlusssatz stammen eindeutig aus dem Kontext Bielfelds. So wurde kurz vor den fünf Zielen die Prüfung für notwendig erklärt, ob ein politisches Verfahren gerecht und nützlich sei,83 und im vierten Kapitel formulierte Bielfeld die Erziehung eines jeden Bürgers sogar als dessen Recht: »Mais tout Citoyen a droit de prétendre qu’on l’instruise de ses devoirs envers l’Être Suprème, envers lui même, envers la Société, & qu’on lui aprenne, qu’oi qu’imparfaitement, de certains Arts dont il ne sçauroit presque se passer dans la vie commune.«84

Dass der kurze Text über die Ziele eines Staates im Zuge der Edition von 1907 und seither nicht richtig zugeordnet wurde, verwundert aus zwei Gründen. Zum einen entspricht jedem der fünf Ziele in Bielfelds erstem Band dann mindestens ein ganzes Kapitel, in dem das jeweilige Ziel ausführlich dargestellt und begründet wird, also in der deutschen Übersetzung unter den Überschriften: »Von dem Verfahren, ein Volk gesittet zu machen Von Erhaltung der Gesellschaft und der guten Ordnung Von der Polizey 81 Scheuner, 1979, S. 480-484. Diesen Aspekt betonte in seiner Auswertung deutscher Policey-Ordnungen Raeff, 1983. 82 Bielfeld, 1760, chapitre III: De la Politique en général, S. 19-34, hier § 36: Le cinq objets de la Politique, S.  34. Deutsche Übers.: Bielfeld, 1777, Das dritte Hauptstück: Von der Staatskunst überhaupt, § 36: Die fünf Gegenstände der Staatskunst, S. 60. Russ. Bielfeld, 1768. 83 Bielfeld, 1760, chap. III, § 34, S. 33. 84 Ebd., chap. IV, § 3, S. 36. 228

Alte und neue Erkenntnisse zu den Staatszielen Katharinas II. Vom Reichthume des Staates überhaupt Von der Macht eines Staats.«85

Zum anderen war bereits 1874 das persönliche Dankschreiben der Kaiserin an Bielfeld vom 6. April 1765 veröffentlicht worden, nachdem er ihr jenen ersten Band zugesandt hatte, der ihr nachweislich seit 1760/61 vertraut war. Darin würdigte sie den Autor immerhin der gleichen Hochachtung wie ihre französischen aufklärerischen Korrespondenten: »Lʼamour du bien public qui caractérise vos ouvrages mʼa depuis longtemps prévenue en leur faveur […] Lʼestime des souverains est faite pour accompagner un philosophe au milieu de sa retraite et des sciences dont il sʼoccupe […].«86

Zu Beginn des 20.  Jahrhunderts wiesen gründliche Textanalysen obendrein nach, dass Katharina die Instructions politiques Bielfelds sogar intensiv ausgewertet hatte, als sie bis zum Frühjahr 1766, überwiegend auf der Grundlage von Montesquieus De lʼEsprit des lois, ihre Instruction verfasste.87 In diesem Werk folgte die Kaiserin Bielfeld vor allem in ihrem programmatischen Katalog der Aufgaben einer städtischen und der ländlichen Policey.88 Über diesen offensichtlichen Befund hinaus kam der russische Rechtshistoriker Fedor Taranovskij, ein exzellenter Kenner der deutschen wie der französischen Rechtsgeschichte, 1904 zu dem Ergebnis, dass Katharina sogar bei zentralen Staatszielen eher Bielfeld als Montesquieu gefolgt sei und letztlich die zu einem aufgeklärten Absolutismus tendierende deutsche Policey-Literatur den ständisch-korporativen, »freiheitlichen« Maximen Montesquieus vorgezogen habe.89 Dafür führte Taranovskij seinerzeit drei Beispiele an: Erstens: Nahm die Geistlichkeit bei Montesquieu als ständische Korporation aus eigenem Recht eine unabhängige Stellung gegenüber der herrscherlichen Souveränität ein, so gefiel es der Kaiserin als dem Oberhaupt der russisch-or85 86 87 88

Bielfeld, 1777, Verzeichnis der Hauptstücke des ersten Bandes. Katharina an Bielfeld, 6.41765, in: SIRIO, Bd. 13, S. 3f. Čečulin, 1902; ders., 1907c; Taranovskij, 1904; Andreae, 1912, S. 77-79. Zu den Ergänzungen der Instruction durch die Rezeption Bielfelds jetzt auch Omelʼčenko, 1993, S. 83. Zusammenfassend zu Katharinas Rezeption deutscher politischer Schriftsteller auf dem seinerzeitigen Kenntnisstand Scharf, 1995, S. 119-130, speziell zu Bielfeld S. 124-126. 89 Taranovskij, 1904, S. 61-73. 229

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thodoxen Kirche, dass Bielfeld entsprechend der lutherischen Tradition für ihre Unterordnung unter die fürstliche Gewalt eintrat.90 Zweitens: Maß Montesquieu den einzelnen historischen Staaten und Regierungsformen relative, begrenzte Ziele bei, so folgte Katharina Bielfeld, der wie andere deutsche Staatswissenschaftler im Anschluss an Christian Wolff das größtmögliche allgemeine Wohl als umfassenden Staatszweck deklarierte,91 was sie in ihrem Dankschreiben ja ausdrücklich gelobt hatte. Drittens übernahm Katharina in ihrer Instruction durchaus Montesquieus These, die Regeln der Erziehung seien die ersten Grundsätze, die die Menschen vorbereiten, gute Bürger zu werden.92 Doch dann differenzierte Taranovskij seinerzeit: Für Bielfeld habe das allgemeine Wohl auch als höchstes Erziehungsideal gegolten, während für Montesquieu die Erziehung den jeweiligen Regierungsformen entsprechen sollte. Und habe sich Montesquieu auf die These beschränkt, der Verstand müsse auf die Annahme der besten Gesetze vorbereitet werden, so habe Bielfeld die Aufklärung zur politischen Aufgabe erhoben. In diesem Kontext zitierte Taranovskij genau jenen Satz, den Katharina noch als Großfürstin ohne Quellenangabe Bielfeld entnommen hatte: Die Nation müsse, damit sie regiert werden könne, »poliert, gesittet gemacht werden«.93 Mit Recht bestätigte Taranovskij für die Instruction zunächst einmal die originale Verfasserschaft Katharinas, die ihre eigene Konzeption aus ihren bedeutenden Vorlagen erarbeitet habe. Gewiss aber unterschätzte Taranovskij vor mehr als hundert Jahren, dass Bielfeld im deutschen Sprachraum zu den wichtigsten Wegbereitern Montesquieus gehörte und dass auch Bielfelds Verständnis monarchischer Politik tiefgreifende Reformen von Staat und Gesellschaft zum Ziel hatte.94 Der Rechtshistoriker Oleg Omel’čenko nennt Bielfeld sogar zutreffend »einen der größten ›Transformatoren‹ der Ideen der Aufklärung in die spezifischen Prinzipien des rechtlichen Policeywesens«.95 Omel’čenko ist allerdings noch eine weitere Erkenntnis zu verdanken. Hatte Taranovskij einst Bielfeld in der Rezeption durch Katharina gleichsam an der Spitze der deutschen Policey-Schriftsteller zum Gegenpol Montesquieus als dem Prototyp eines fran90 Ebd., S. 70f., Anm. 3. 91 Hierzu und zum Folgenden ebd., S. 77f., Anm. 7. 92 [Ekaterina  II], 1907c, §348, S.  103, und die Entsprechung: Montesquieu, De lʼEsprit des lois, livre IV, chap. 1. Zum bildungspolitischen Kontext im Russland der 1760er Jahre Kusber, 2004, S. 137-163, hier vor allem S. 141. 93 Taranovskij, 1904, S. 78f., Anm. 1 und 2. 94 Scharf, 2004b, S. 108, 118, 135. 95 Omelʼčenko, 1993, S. 97. 230

Alte und neue Erkenntnisse zu den Staatszielen Katharinas II.

zösischen Liberalen stilisiert, so hat Omel’čenko diese Rolle vor zwei Jahrzehnten einem anderen Rechtsgelehrten zuweisen können. Nachdem Katharina sich seit 1754 wiederholt mit Montesquieus De lʼEsprit des lois beschäftigt hatte, habe sie als Kaiserin für die Niederschrift ihrer Instruction 1765/66 mehrere niederländische Ausgaben benutzt, in denen seit 1759 der Text jedoch stets vom Kommentar eines Anonymus begleitet worden sei.96 Und diesen Kommentar eines ihr unbekannten Autors habe Katharina, so Omel’čenkos Pointe, unterschiedslos und gleichberechtigt mit Montesquieus Text für ihre Instruction ausgewertet. Inzwischen wurde als dieser Kommentator Elie Luzac, ein niederländischer Jurist, Herausgeber und Publizist hugenottischer Herkunft, identifiziert, der zu der naturrechtlichen Schule Christian Wolffs tendierte und sich damit offenkundig in jene Interpretation Montesquieus fügte, auf die sich Katharina schon als Großfürstin festgelegt hatte.97 Doch auch wenn nun Bielfeld als ideeller Widerpart Montesquieus weitgehend abgelöst wurde, setzte Taranovskij mit seinem inhaltlichen Vergleich zwischen der Instruction Katharinas und Montesquieus Hauptwerk immerhin ein Problem auf die Tagesordnung, das bis heute nicht erledigt ist. Ingrid Schierle, die sich so intensiv wie niemand sonst mit den Übersetzungen und Rezeptionsprozessen im Russland Katharinas befasst hat, betont mit Recht zum einen die zunehmende Gleichzeitigkeit des politischen und staatsrechtlichen Diskurses in Russland und im übrigen Europa durch einen beschleunigten Transfer der entsprechenden Semantiken, zum anderen die in Russland bei weitem stärkere etatistische Bedeutung analoger politisch-sozialer Begriffe und Wortfelder.98 Zudem wurde in Übersetzungen politischer Literatur aus dem Ausland auch unter Katharina II. darauf geachtet, dass Russlands Ansehen als einer »europäischen Macht«, wie es die Kaiserin proklamiert hatte, gewahrt blieb.99

96 Als Beispiel einer solchen Ausgabe, die nur den Esprit enthält: Montesquieu, 1764-1765. 97 Omel’čenko, 1993, S.  79f.; ders., 1998/2004; dazu auch: [Plavinskaja], 1998, S. 75-85. 98 Schierle, 2007, S. 246f. 99 Dies., 2001, vor allem S. 631f. 231

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Gerüchte, Mythos und Politik im »Griechischen Projekt« Katharinas II. Natalia Tuschinski

Die russländische Außenpolitik während der Herrschaft Katharinas  II. war, neben den vielen, nicht minder bedeutenden, aber weniger spektakulären diplomatischen und militärischen Auseinandersetzungen, durch eine permanente Kriegssituation mit dem Osmanischen Reich gekennzeichnet.1 In der Zeit zwischen 1768 und 1791 wurden zwei für das Russländische Reich äußerst erfolgreiche Kriege ausgetragen. Schon die ersten Unternehmungen der Russen in diesem Zusammenhang erregten großes Aufsehen und schienen auf ambitionierte Ziele hinzuweisen. Seit 1769 wurden insgesamt fünf russländische Geschwader nacheinander aus der Ostsee in das Mittelmeer geschickt. Dort beteiligten sie sich in den osmanischen Gewässern an den Kriegshandlungen der frühen 1770er Jahre. Die türkische Flotte wurde in der Kampagne entscheidend geschlagen, Konstantinopel kam mehrmals in die Sichtweite der russländischen Kriegsschiffe und ein russländisches Archipelfürstentum wurde auf 31 griechischen Inseln gegründet, existierte allerdings nur zwischen 1771 und 1774.2 Strategisch bedeutender waren die territorialen Erweiterungen auf dem Festland, wo die russländischen Armeen die Donaufürstentümer Moldau und Walachei regelrecht überrannten. Mit dem Friedensschluss 1774 erwarb das Russländische Reich die weiträumigen, langersehnten Territorien zwischen den Flüssen Terek und Dnjepr. 1783 gliederte es die Territorien des Krimschen Khanats durch eine

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Zur russländischen Diplomatie im gesamteuropäischen Kontext zuletzt ausführlich Petrova, 2011. Ausführlich dazu Smiljanskaja, I./Veližev, 2011a sowie Smiljanskaja, E., 2015. 243

Natalia Tuschinski

friedliche Annexion an das Reich an und sicherte damit seine Position im Kaukasus und am Schwarzen Meer.3 Diese neuen Gebiete wurden dem Reichsverband als ein Teil der Statthalterschaft Ekaterinoslavlʼ (diese umfasste die Gouvernements von Novorossija und Azov) und als Taurisches Gebiet (mit der Krim, Taman und Kuban) unverzüglich einverleibt.4 Gleich nach dem Erwerb dieser Gebiete begann deren Statthalter, Fürst Grigorij Aleksandrovič Potemkin, mit ihrer territorialen Erschließung. Das entsprechende, geradezu grandiose Programm sah dabei unter anderem die Umgestaltung der Landschaft und die Gründung neuer Städte vor.5 Die Zukunft dieser Gebiete sowie der benachbarten Moldau, Walachei und Bessarabiens war ein populäres Gesprächsthema inner- und außerhalb Russlands. Rechtlich schien die Angliederung der Krim an das Russländische Reich gesichert worden zu sein: 1784 erkannte die Hohe Pforte die Zugehörigkeit der Krim und der Kubanʼ zum Russländischen Reich an.6 Die Friedensverhandlungen Katharinas II., wie sie seit 1770 immer wieder aufgenommen wurden, die militärischen Erfolge der Russen am Schwarzen Meer, die Schwäche des Osmanischen Reiches und die allgemeine Stimmung in Europa bereiteten jedoch den fruchtbaren Boden für weitreichende Spekulationen.7 Den Grundstein für diese Gerüchte scheinen die Gebrüder Orlov einerseits und Voltaire andererseits gelegt zu haben. Der Oberbefehlshaber der russländischen Flotte und der Urheber der sogenannten Archipelexpedition, Aleksej Grigorjevič Orlov und sein Bruder Fjodor Grigorjevič, die sich mit ihrem Geschwader in Italien aufhielten, machten keinen Hehl aus ihren Träumen, Konstantinopel zu erobern.8 Aus Russland berichteten daraufhin etwa schwedische Agenten, man raune in St. Petersburg von einer geheimen Aufgabe der Flotte

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Als grundlegende, quellenbasierte, sehr ausführliche Untersuchung zum 1. Russisch-Türkischen Krieg und dem Frieden von Küçük Kaynarca: Družinina, 1955. Die genaueren Grenzen der administrativen Einheiten sowie die Besonderheiten der Organisation der örtlichen Verwaltung wurden ausführlich beschrieben bei Zagorovskij, 1913. Zusammenfassend zur Tätigkeit Potemkins Markevič, 1891; Kabuzan, 1976. Petrova, 2011, S. 237-239. Zu den Überlegungen der russländischen Regierung in den Jahren 1769-1770, in Friedensverhandlungen die Unabhängigkeit für die Moldau und die Walachei zu verlangen, und zu den Befürchtungen in Österreich, Russland würde die Donaufürstentümer für sich beanspruchen wollen, Družinina, 1955, S. 122-126. Smiljanskaja, E., 2011, S. 144f.

Gerüchte, Mythos und Politik im »Griechischen Projekt« Katharinas II.

Orlovs, bis nach Konstantinopel vorzudringen; die Agenten selbst schenkten diesen Gerüchten allerdings keinen Glauben.9 Zur gleichen Zeit beschwor Voltaire in seinen Briefen die Zarin, die barbarische Herrschaft der muslimischen Fanatiker auf dem antiken Boden, ja in der Wiege der europäischen Zivilisation zu brechen. Bereits in seinem Brief von 1768 schrieb er an Katharina, dass es schon Teil der Pläne Peters I. gewesen sein soll, Konstantinopel zur Hauptstadt des Russländischen Reiches zu machen.10 Da der Briefwechsel des Philosophen mit seinen Korrespondenten nur bedingt privater Natur war und sehr schnell in den gesellschaftlichen Umlauf gebracht wurde, verwundert die intensive Gerüchtebildung um die territorial-politischen Ambitionen der russischen Zarin kaum. Die englischen, deutschen, italienischen und französischen Zeitungen dieser Zeit berichteten von den Absichten der Zarin, die Osmanen zu stürzen und am Schwarzen Meer entweder ein Königreich mit der Hauptstadt in Konstantinopel zu gründen oder ganz und gar das Russländische Reich bis nach Kleinasien auszuweiten, wie von einer Tatsache. Die Wiederherstellung eines christlichen Griechischen Reiches schwebte den Russen, so meinten manche, ohnehin seit alters her vor. Eine etwas andere Lesart lautete, Potemkin, der allmächtige Favorit der Zarin, trachtend nach allerhöchster Würde, wolle die russländischen Truppen einsetzen, um sich selbst zum König eines griechischen Staates ernennen zu lassen.11 Die Mächteverhältnisse im Europa des 18. Jahrhunderts verleiteten allerdings nicht nur die russländische Regierung dazu, Überlegungen über die künftige Kräfteverteilung am Schwarzen Meer anzustellen. Wie Maria Petrova anhand der diplomatischen Quellen darstellte, beschäftigte dieser Gedanke insbesondere den österreichischen Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg. Wie Notizen mit unterschiedlichen Varianten zur Aufteilung der Türkei aus den Jahren 1772-1774 darlegen, zeigte er reges Interesse an dem sogenannten Ma9 Bode, 1979, S. 159, Anmerkung 355. 10 Proskurina, 2006, S. 152 sowie Smiljanskaja, I., 2011b, S. 29-31. 11 Das Konvolut der zeitgenössischen Quellen, in denen die eine oder andere Interpretation der angeblichen Inhalte des »Griechischen Projekts« vorkommt, ist sehr umfangreich. Beispielsweise seien hier die Briefe des englischen Gesandten am russländischen Hof Lord Malmesbury und die Memoiren des französischen Gesandten Comte de Ségur genannt. Dazu wie die russisch-orthodoxe Vorstellung des 16.-17. Jahrhunderts vom Byzantinischen Reich, das im Russländischen (Moskauschen) Reich weiterlebte, vor allem durch die Griechen selbst als Absicht (und Vorbestimmung) der Russen, Konstantinopel zu erobern, missinterpretiert wurde, zusammenfassend: Smiljanskaja, I./Veližev, 2011b. 245

Natalia Tuschinski

sino-Plan.12 Giorgio Giuseppe Maria Valperga, Graf (de) Masino war Ritter des Malteserordens. 1771 gesellte er sich in Livorno mit einem eigenen Schiff zum russländischen Geschwader der Gebrüder Orlov.13 Nach einiger Zeit traf Masino sich in Florenz mit Erzherzog Leopold, dem Bruder Josephs II. und künftigen Römischen Kaiser. Diesem legte Masino Ideen zu möglichen Aufteilungen des Osmanischen Reiches vor. Ob diese Ideen seine eigenen, die des Malteserordens oder der Gebrüder Orlov gewesen sind, ist noch nicht erforscht. Sowohl Erzherzog Leopold als auch Joseph II. und Kaunitz ließen sich von diesen Ideen mitreißen und erarbeiteten in den nächsten Jahren genauere Pläne, die auch die aktuellen diplomatischen Nuancen berücksichtigten. Russland wurde dabei als gleichwertiger Mitgestalter der Aufteilung des Osmanischen Reiches behandelt. Auch Malta sollte sich als ein vollwertiger Partner beteiligen dürfen. Venedig, Preußen und Frankreich, deren Zustimmung erst über die Realisierbarkeit des ganzen Unternehmens entschied, sollten geringfügig entschädigt werden. Möglich ist, dass Kaunitz Katharina  II. über diese Pläne zumindest indirekt informieren ließ.14 Dabei war sich der österreichische Staatskanzler sicher, dass »keinerlei reale Hoffnung« bestehe, die Pforte vor dem Zerfall zu retten.15 Wie aus seiner Instruktion von 1777 an Joseph von Kaunitz-Rietberg jedoch ersichtlich ist, wurde die zur Einnahme Konstantinopels notwendige militärische Stärke nur dem Russländischen Reich zugetraut. Die europäischen Machtverhältnisse und Bündniskonstellationen erlaubten Russland jedoch nicht, alleine zu agieren.16 Bis ins 19.  Jahrhundert hinein stellten sich mal abwechselnd, mal geschlossen Frankreich, Preußen, Großbritannien, Schweden und ihre Verbündeten der Aufteilung des Osmanischen Reiches entschieden entgegen. 12 Petrova, 2011, S. 94. 13 Smiljanskaja, I./Smiljanskaja, E., 2011a, S. 108f. 14 Möglicherweise wurden die Inhalte durch den Freiherrn von Thugut an die russländische Regierung übermittelt, mit dem Kaunitz bereits 1772 die Masino-Pläne besprach und der Österreich in den Verhandlungen zum russisch-türkischen Frieden repräsentierte. Vgl. Petrova, 2011, S. 95 sowie Wurzbach, 1882, S. 2. 15 So Kaunitz in seinen Betrachtungen über dem von Russland angetragenen article separé et secret die Pforte betreffend aus dem Jahre 1781, zitiert in Petrova, 2011, S.  221. Zur weitverbreiteten Erwartung des Zerfalls des Osmanischen Reiches im Europa des 18. Jahrhunderts und ihren Hintergründen zuletzt Davies, 2016, S. 17-21. 16 Der ältere Sohn des Staatskanzlers, Joseph von Kaunitz-Rietberg, wurde 1777 zum Gesandten in St. Petersburg ernannt; Petrova, 2011, S. 111-116 sowie S. 125. 246

Gerüchte, Mythos und Politik im »Griechischen Projekt« Katharinas II.

In diplomatischen Verhandlungen der russländischen Regierung der 1770er Jahre dagegen sind diese oder ähnliche Pläne zunächst nicht greifbar.17 Die Historiker stimmen darin überein, dass vor den Jahren 1778/79 die russländische Regierung, trotz aller Wunschvorstellungen Voltaires, noch keinen Plan mit konkreten Überlegungen zur Aufteilung des Osmanischen Reiches erarbeitet hatte.18 Dafür gab es sicherlich mehrere Gründe, die nicht zuletzt personeller Natur waren. Denn bis 1780 wurde die russländische Außenpolitik durch den Vizekanzler Nikita Ivanovič Panin gelenkt: Er widersetzte sich einem Bündnis mit Österreich, der Einnahme der Krim und einer entscheidenden Schwächung des Osmanischen Reiches.19 Die ersten der heutigen Forschung bekannten Zeugnisse über ein ernsthaftes russisches Interesse an einer großflächigen Aufteilung der Türkei entstanden erst mit dem Aufstieg des neuen Privatsekretärs Katharinas II., des künftigen Reichsgrafen Aleksandr Andreevič Bezborodko.20 Diese schriftlichen Dokumente entstanden in der Vorbereitung eines Bündnisvertrages mit Österreich. Inhaltlich ähnelten die darin enthaltenen Überlegungen zumindest in einigen Punkten den Masino-Plänen, wie sie von Kaunitz weiterentwickelt wurden.21 Die Annäherung von Katharina  II. und Kaiser Joseph  II. begann im Jahre 1780, als dieser den Wunsch äußerte, das Russländische Reich besuchen zu wollen. Als Graf Falkenstein wurde er von der Zarin, dem Fürsten Potemkin und dem Privatsekretär Bezborodko in Mogilev empfangen und nach St. Petersburg begleitet.22 Dieses Treffen markierte den Beginn eines intensiven Briefwechsels 17 Zu beachten wäre dabei, dass Katharina  II. zwischen mehreren Stufen der Geheimhaltung wichtiger Informationen zu unterscheiden pflegte und neben den »offiziell-geheimen« Anordnungen weitere Anweisungen in aller Heimlichkeit erteilen konnte. Smiljanskaja, I., 2011c, S. 74. 18 Zusammenfassend Petrova, 2011, S. 96. 19 Ebd., S.  99. Auch sprach sich Maria Theresia dagegen aus, Konstantinopel erobern oder das Osmanische Reich in irgendeiner Form aufteilen zu lassen; ebd., S. 96. 20 Zur steigenden Bedeutung Bezborodkos für die russländische Außenpolitik seit 1780 ebd., S.  18. Charakteristisch für seine Haltung war bereits seine Schlussbemerkung in der Schrift Kartina, ili kratkoe izvestije o rossijskich s tatarami vojnach i delach, načevšichsja v polovine desjatogo veka i počti bespreryvno čres vosem’sot let prodolžajuščichsja von 1776, wo er zum ersten Mal die Notwendigkeit begründete, die Krim einzunehmen; publiziert in: Grigorovič, 1779. 21 Petrova, 2011, S. 95. 22 Ausführlich zum Besuch Josephs II. im Russländischen Reich ebd., S. 126-178. 247

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zwischen den beiden Monarchen.23 Als sich die Lage im Krimkhanat 1782 zuspitzte, ertastete Katharina die Haltung des Kaisers bezüglich der möglichen Einverleibung der Halbinsel und des eventuell daraus resultierenden Krieges mit der Türkei. Es folgte die euphorische Antwort Josephs II., er würde Russland bei jedem Verlauf der Dinge unterstützen. Daraufhin formulierte Katharina II. ihre Vorstellungen von der Zukunft des Osmanischen Reiches. In diesem Zusammenhang entstand das erste russische schriftlich gesicherte Zeugnis des »Griechischen Projekts«: Bezborodko entwarf das sogenannte Memorial zu politischen Angelegenheiten, das von Potemkin kommentiert und korrigiert und von Katharina  II. schließlich in den berühmten Brief vom 10./23. September 1782 an den Kaiser eingearbeitet wurde.24 Die Inhalte des Memorials Bezborodkos und der Geheimbriefe implizierten, dass das antike griechische Reich wiederhergestellt werden sollte, wenn die Umstände dies erlauben würden. Die Grenze zwischen dem neuen Griechischen und dem Russländischen Reich würde durch das Schwarze Meer verlaufen; die Grenze zu Österreich würde davon abhängen, welche Eroberungen Joseph II. im Laufe des offensichtlich bevorstehenden Krieges machen würde. An das Griechische Reich würden auch die bis vor kurzem noch russländischen Archipelinseln fallen; schließlich würde die Donau die Grenze zwischen dem Griechischen Reich und Dacien bilden. Dacien wäre ein unabhängiger Staat, gelegen zwischen den drei Reichen von Österreich, Russland und Griechenland bzw. der Osmanen, gebildet aus Moldau, einem Teil Bessarabiens und der Walachei. Die Grenze zu Russland und Polen sollte an der Tyra (Dnestr) verlaufen; zu Österreich am Fluss Alt bis zu seiner Mündung in die Donau. Die Gründung Daciens wurde also von Seiten Katharinas II. als eine Art Vorbedingung für die spätere, eventuelle Wiederherstellung Griechenlands und der Eroberung Konstantinopels behandelt.25 In Bezborodkos Memorial sollte Dacien sogar dann gebildet werden, wenn die beiden Monarchen keine Zerstörung des Osmanischen Reiches beabsichtigten oder für

23 Arneth, 1869, S. 36; eine ausführliche Analyse des Briefwechsels in Petrova, 2011, S. 184-196. 24 Das Memorial brigadira Aleksandra Andreeviča Bezborodko po delam političeskim, in: Grigorovič, 1779, S. 385. Eine ausführliche Analyse der Kommentare Potemkins bei Eliseeva, 2005, S. 269-272. Der Brief Katharinas II. an Joseph II. vom 10./23. September 1782 in: Arneth, 1869, S. 143-157. 25 Rossijskij Gosudarstvennyj Voenno-istoričeskij Archiv, F 52, Op. 2, Dok. 2. Fol. 86-89 revers. 248

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möglich halten würden und den bevorstehenden Krieg möglichst schnell beenden wollten.26 Die Geheimbriefe wurden nicht allzu geheim behandelt: Joseph  II. zeigte sie Staatskanzler Kaunitz und schickte Kopien an seine Botschafter in St. Petersburg und Paris sowie an seinen Bruder Leopold in die Toskana. So ist es nicht verwunderlich, dass das »Grand Project«, wie der Kaiser es bezeichnete, schon bald in ganz Europa bekannt wurde. Selbst Friedrich II. wurde über die Einzelheiten der Verträge so weit informiert, dass er zu dem Eindruck gelangte, das »Projekt« sei zum Scheitern verurteilt, weil Russland und Österreich durch gegensätzliche territoriale Ansprüche einander nur hindern würden.27 Der Maßstab des »Projekts«, das zur kompletten Umgestaltung der Kräfteverhältnisse in Europa hätte führen können, war dennoch grandios.28 Es betraf alle europäischen Nationen und gehörte zu der Kategorie von Ereignissen, die eine Krisensituation auslösen könnten. Wie Dmitrij Gorbatov zuletzt darstellte, begünstigte das Fehlen einer offiziellen Stellungnahme unter diesen Umständen die Intensivierung der Gerüchtebildung.29 Freie Interpretationen der Projektinhalte verbreiteten sich rasch und erweckten ein großes öffentliches Interesse.30 Katharina  II. wusste dieses Interesse für ihre eigenen Zwecke aufrechtzuerhalten; ja sie sorgte im Grunde für eine Mythologisierung des »Griechischen Projekts«.31 Sie wirkte offensichtlich gezielt darauf hin, dass dem »griechi26 Grigorovič, 1779, S. 385. 27 Petrova, 2011, S. 221-229. 28 Allerdings fügte sich das »Griechische Projekt« in eine Reihe umfangreicher Projekte des 18.  Jahrhunderts zur territorialen Umgestaltung Europas ein, wie beispielsweise das bayrische Projekt Karls  VI. und die späteren »europäischen Projekte« Josephs  II., die Aufteilung Polens oder die Idee, Rom an das Heilige Römische Reich anzuschließen; ebd., v. a. S. 256-306. 29 Gerüchte verstanden als unbestätigte Mitteilungen, die auf inoffiziellen Informationskanälen in Krisensituationen als Nachrichten über bedeutende Veränderungen der sozialen Umgebung oder der Umwelt verbreitet werden; Gorbatov, 2001, S. 36. 30 Das populäre Thema wurde nicht nur immer wieder in Zeitungen und privaten Schriften aufgegriffen, sondern auch, etwa in Karikaturen, verarbeitet, vgl. Uspenskij u. a., 2014. S. 13. 31 Als Mythos soll hier laut einem Definitionsvorschlag von Wolfgang Weber »eine um eine historische Figur, ein historisches Ereignis, einen historischen Sachverhalt oder eine historische Entwicklung kreisende, lediglich in einem Kernbereich inhaltlich fixierte, im übrigen variabel rezipierte und reproduzierte, unkomplexe 249

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schen« Vektor der russisch-österreichischen Außenpolitik ein entsprechender ästhetischer Rahmen verliehen wurde. Ihr wichtigstes propagandistisches Medium in der gebildeten Öffentlichkeit Europas war ihr semiprivater Briefwechsel mit internationalen Korrespondenten – wie Voltaire, Friedrich Melchior von Grimm, Johann Georg Zimmermann oder Johanna Dorothea Bielke. Bereits Kasimir Vališevskij bezeichnete die Schreiben der Kaiserin als »publizistische Artikel«: Sie wurden geschrieben, um bekannt gemacht zu werden.32 In diesen Briefen, etwa an Voltaire und Madame Bielke, spielte Katharina II. bereits seit den 1760er Jahren gerne mit dem Gedanken einer Eroberung Konstantinopels. Dabei betonte sie jedoch ständig ihre diplomatische Undurchführbarkeit.33 Sie beschrieb Baron von Grimm in aller Ausführlichkeit, wie der 1779 geborene Großfürst Konstantin mit adligen Griechen umgeben werde, damit die griechische Kultur zu seiner eigenen werde.34 Sie schrieb Grimm jedoch nichts von ihrem Vorschlag an Joseph  II., Konstantin zum künftigen König des geplanten griechischen Staates zu erklären. Dies war auch nicht nötig: Die Kontexte solcher Handlungen waren seit dem Abschluss der überall bekannten Geheimverträge offensichtlich. So besprachen etwa der schwedische Botschafter und der französische Gesandte fernab ihrer Heimat in Istanbul die »griechische« Zukunft des zweitältesten Enkelsohns der Zarin.35 Nicht nur im Schriftverkehr oder in Unterhaltungen der Zarin, sondern auch in ihren Kunstaufträgen kamen diese Themen seit den 1780er Jahren immer wieder vor.36 Vor allem in Verbindung mit dem künftigen Thronfolger Alexander

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Narration verstanden [werden], die im Hinblick auf einen Kontext ursprünglicher Anfänglichkeit, eschatologischer Endlichkeit oder historischen Verlaufs entscheidende Relevanz suggeriert bzw. beansprucht«; Weber 1998, S. 71. Weber schlug auch eine gesonderte Betrachtung der sogenannten Neumythen vor, die nachweisbar erzeugt und verbreitet worden seien, zu denen das »Griechische Projekt« gezählt werden kann; ebd., S. 71f. Vališevskij, 1908, S. 297. Bekannt sind die scherzhaften Kommentare der Zarin über die Pläne zur Eroberung Konstantinopels an Mme Bielke (es sei »nur ein wenig einfacher, als den Mond mit den Zähnen zu greifen«) und Voltaire, siehe die Zusammenstellung der Briefe Katharinas II. an Mme Bielke und Voltaire in Pekarskij, 1872 und Grot, 1874. Cross, 1992, S. 72. Bode, 1979, S. 180. Auf eine Möglichkeit, die Mythosnarration ikonisch umzusetzen und zu verstärken verwies Weber, 1998, S. 71.

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und dessen Bruder Konstantin wurde die Bezugnahme auf die griechisch-byzantinischen Namenspatrone in allen Kunstgattungen propagiert. Dank der persönlichen Erläuterung der Zarin in einem Brief an Baron von Grimm wurde beispielsweise das Gemälde von Richard Brompton berühmt, das die beiden Brüder in Anspielung auf Alexander den Großen und Kaiser Konstantin inszeniert. Die Aufnahme eines Porträts Konstantins in die russische Herrscherreihe auf einem Sekretär mit Elfenbeinschnitzereien verwies außerdem explizit darauf, welch eine wichtige Rolle innerhalb der Familie ihm zugedacht wurde.37 Die dynastiepolitischen Optionen des »Griechischen Projekts« waren damit im Hofalltag ständig präsent. Wie diese und ähnliche Allegorien in Dichtung und Theaterstücken immer wieder erläutert wurden, wurde von Vera Proskurina untersucht. Die Literaturhistorikerin zeigte, wie richtungsweisend das Thema des »Griechischen Projekts« für die gesamte literarische Mythologie des Russländischen Reiches im späten 18. Jahrhundert war. Sie zeigte auch, wie sich am Schnittpunkt des »literarischen Feldes« und des »Feldes der Macht« die Rolle Russlands in den türkischen Kriegen wandelte: Das nach Territorialgewinn strebende Reich wurde zu einem sich an den Feinden Christi rächenden Befreier stilisiert.38 Die Ausnutzung des »griechischen« Themas im katharinäischen impression management beschränkte sich allerdings nicht darauf. Mit der Strategie der evokativen Namensgebung, die nicht nur auf die beiden Großfürsten zutraf, wurde dabei wohl zum ersten Mal im Russländischen Reich die Besonderheit des damaligen griechischen Diskurses berücksichtigt. Denn der Topos Griechenland stand spätestens seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einerseits für das Byzantinische Reich mit seinem »griechischen« Glauben, andererseits für die (republikanische) Antike mit ihrer heidnischen Hochkultur.39 Daraus ergab sich für die Selbstidentifizierung der gräkophonen 37 Heute in der ständigen Ausstellung des Moskauer Staatlichen Vereinigten Museums-Reservat Kolomenskoe zu sehen; Online-Katalog Predmety iz tkani, kosti, koži. Teil 2., T 556: ein Schrank-Sekretär mit Porträts der russischen Fürsten und Zaren, Werkstatt von O.H. Dudin, Cholmogory, Ende des 18. Jahrhunderts. Dazu ein Dokumentarfilm des Museums-Reservats mit Nahaufnahmen der einzelnen Porträts. Quelle: www.mgomz.ru/posetitelyam/virtualnyiy-muzey/ozhivshiy-eksponat-shkaf-​​ sekreter-s-izobrazheniem-russkih-velikih-knyazey-i-tsarey, 27.12.2018. 38 Proskurina, 2006, S. 156. 39 Hierbei sei auf die unterschiedlichen Auffassungen der Bezeichnungen »die Griechen« und »Griechenland« im späten 18.  Jahrhundert hingewiesen: Einerseits identifizierte man sie anhand der Sprache und der (»hohen«) hellenischen Kultur, 251

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Bevölkerung eine gewisse Zweispaltung, wie Ioannis Zelepos auch noch für die Anfangsphase der griechischen Unabhängigkeit der 1820er Jahre festhielt: »Die Definition griechischer Identität auf der Grundlage der antiken Vergangenheit lieferte zwar eine hervorragende Argumentationsbasis für die politische Unabhängigkeit des griechischen Volkes und seine Einordnung in den europäischen bzw. abendländischen Kulturraum. […] Die byzantinische Vergangenheit bot [aber] weit lebendigere und volksnähere Bezugspunkte als die griechische Hochkultur der Antike, deren klassizistisches Abbild ohnehin nur die kleine Gruppe der Gebildeten ansprechen konnte.«40

Die religiösen Aspekte des byzantinischen Chronotopos wurden von der Regierung Russlands zu Beginn des ersten Russisch-Türkischen Krieges oft aufgegriffen. In den Ansprachen und Noten an die europäischen Höfe wurde das Russländische Reich zum Vorkämpfer aller Christen erklärt. Man appellierte an alle Gläubigen, den Russen in ihrem Kampf gegen die Osmanen Beistand zu leisten.41 Um konfessionelle Spaltungen dieser Gläubigen zu überwinden, machten sich die Autoren sogar die Thematik der mittelalterlichen Kreuzzüge zu eigen. In der geschichtswissenschaftlichen Forschung wurde daher das »Griechische Projekt« mit dem seit dem 16. Jahrhundert immer wiederkehrenden Anspruch der russischen Herrscher gleichgesetzt, im griechisch-orthodoxen

die als höher im Vergleich zu den verwandten Balkanvölkern angesehen wurde; andererseits definierte das Osmanische Reich diese Begriffe juristisch »in Kategorien der religiösen bzw. konfessionellen Zugehörigkeit« und schloss somit »außer Griechen ebenso Serben, Bulgaren, Rumänen, Vlachen, Albaner und Araber« ein. In diesem Sinne gehörten auch die orthodoxen Bewohner des Russländischen Reiches zu den »Griechen«, übten sie doch (in der Definition der europäischen Sprachen des 18. Jahrhunderts) den griechischen Glauben aus. Diese juristische Definition war auch für die Verwirrung um die Inhalte des »Griechischen Projekts« grundlegend, wenn in seinem Kontext die gräkophonen Gebiete, die Krim und der Balkan durcheinandergeworfen wurden. Zitiert nach: Zelepos, 2002, S. 43f. Die Veränderung der mit Griechenland verbundenen Stereotypen wurde beschrieben u.  a. bei Chatzipanagioti-Sangmeister, 2002, S.  404-406. Zum Chronotopos-Begriff: Bachtin, 2008, S. 7f. 40 Zelepos, 2002, S. 51. Zum griechischen intellectual revival am Ende des 18. Jahrhunderts zusammenfassend Clogg, 2013, S. 23-27. 41 Ausführlicher darüber Smiljanskaja, I./Smiljanskaja, E., 2011c, v. a. S. 423f. 252

Gerüchte, Mythos und Politik im »Griechischen Projekt« Katharinas II.

Kulturraum des Osmanischen Reiches unter dem Vorwand der religiösen Zusammengehörigkeit und der translatio imperii militärisch vorzugehen.42 Tatsächlich wurde die Ausübung der Schirmherrschaft der russischen Zarin über alle orthodoxen Christen im Osmanischen Reich und etwa auch in Polen zu einem wichtigen politischen Instrument. Dennoch war der Paradigmenwechsel vom Russland des 16. Jahrhunderts mit seinem Anspruch auf das byzantinische Erbe zu der Zeit Katharinas  II. zu deutlich, als dass diese Gleichsetzung als ein ausreichendes analytisches Kriterium des »Griechischen Projekts« fungieren könnte.43 Die Einflüsse der Religionsphilosophie der Enzyklopädisten waren aus den Legitimationsdiskursen des 18. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken. Die Kritik von Voltaire oder auch Kant stellte jegliche kirchengeschichtlich begründete Ordnung in Frage, ja sie entzog ihr jede moralische Rechtmäßigkeit.44 Wenn auch die polemischen Gegenstimmen von aufklärerischen Theologen laut waren und die russische Zarin nicht auf die politischen Möglichkeiten verzichten wollte, welche durch das traditionelle Konstrukt einer Glaubensgemeinschaft gegeben wurden, so konnte die europäische Bildungsöffentlichkeit von einer translatio imperii in christlichen Kontexten nicht mehr beeindruckt werden. Die umfangreiche Kooperation Katharinas II. mit muslimischen Herrschern zeigte außerdem, wie pragmatisch die Glaubensfrage in der Realpolitik gehandhabt wurde.45 Daher trat seit den frühen 1770er Jahren ein neuer Diskurs in den Vordergrund; er gewann bis zu den 1780er Jahren, also zur Zeit der Formulierung des »Griechischen Projekts«, die Oberhand, wenn auch das byzantinische Thema nie vollkommen aus der russländischen propagandistischen Rhetorik verschwand.46 42 So beispielsweise die ausführliche Zusammenstellung bei Tiktopulo, 1991; auch Ragsdale, 1988, v. a. S. 92f.; Kiričenko, 2000. 43 Wie Dan Edelstein mit Verweis auf Keith Baker formulierte, lieferte die Aufklärung eine Matrix, in der Ideen, Handlungen und Ereignisse neuen Sinn erhielten; Edelstein, 2010, S. 13. Der Zusammenhang zwischen der Formel »Moskau-drittes Rom« und dem »Griechischen Projekt« wurde in der Forschung bereits von Hugh Ragsdale angezweifelt: Ragsdale, 1988, S. 114. 44 Zusammenfassend dazu Stollberg-Rilinger, 2018, S. 98-103. 45 Smiljanskaja, I., 2011a; allgemein zur Religionspolitik Katharinas II. bezüglich ihrer muslimischen Untertanen zuletzt Kollmann, 2017, S. 399-401, S. 407. 46 Als propagandistisch werden hier und im Weiteren allgemeine kommunikative Strategien zur Beeinflussung politischer Haltungen und öffentlicher Sichtweisen bezeichnet; dabei wird keine absichtliche Verzerrung der Tatsachen unterstellt. Weitergehende Definitionen zusammenfassend bei Bussemer, 2008. 253

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Dies verdeutlichen unter anderem die äußerst geschickt gewählte Bezeichnung für die Krim und der neue Titel der Zarin, der nach der Annektierung des Khanats im Februar 1784 der vollständigen Titulatur hinzugefügt wurde: die Zarin des Taurischen Chersonesos (Carica Hersonesa Tavričeskogo).47 In der Neuzeit hat sich die geographische Bezeichnung der antiken Krim als »Chersonesos Tauricia« dank den Publikationen von Christoph Cellarius durchgesetzt; sie wurde vor allem gewählt, um die Verwechslung mit der thrakischen Halbinsel Chersonesos auszuschließen.48 Diese Bezeichnung, die im Russländischen Reich noch vor der Zeit Katharinas in Atlanten kursierte, war hervorragend geeignet, um auf die Bedeutung des byzantinischen Chersonesos zu verweisen: dort hatte sich 988, folgte man der Nestorchronik, der erste russisch-christliche Herrscher, der Großfürst Vladimir, taufen lassen. Auf dieses Ereignis, das für Russlands kulturelle und politische Entwicklung von enormer Bedeutung war, wurde mit dem offiziellen Wappen des Taurischen Chersonesos noch deutlicher Bezug genommen. Es stellte das goldene sogenannte russische Kreuz an der Brust des doppelköpfigen Adlers dar. Sowohl das Kreuz, also den christlichen Glauben, als auch das Reichswappen und damit die eigentliche Herrschaftslegitimation habe Russland von den byzantinischen Kaisern zeitgleich in Chersonesos erhalten – so die Erläuterung des Wappens in dem entsprechenden Erlass.49 Diese Hervorhebung der christlichen und weltlichen Machtübertragung von Byzanz nach Russland wurde auf diese Weise gerade in Verbindung zur Krim deutlich gemacht und innerhalb des Russländischen Reiches in Dichtung, Theater und in Predigten noch lange popularisiert.50 Gleichzeitig aber wurde in der kaiserlichen Titulatur der Bezug zum antiken Griechenland durch das Adjektiv »tavričeskij/taurisch« hergestellt. Die Konnotationen dieser »sagenumwo47 PSZ 22, Nr. 15.919 und Nr. 15.920. 48 Cellarius, 1706, Karte nach Lib III, pag. 356, kurze Erwähnung des Chersonesus Tauricia im Text: Ders., 1692, S. 58f.; in russischsprachigen Ausgaben Stefangagen, 1753, Taf. 12: Sarmacija. Wohlbemerkt ist die gesamte Halbinsel weder von den altgriechischen noch von den römischen Geographen bzw. Historikern als Chersonesus bezeichnet worden. Vera Proskurina schloss fälschlicherweise daraus, dass diese Bezeichnung einen katharinäischen Neologismus darstellte; doch die Inhalte, die von der Forscherin in diese Bezeichnung hineininterpretiert wurden, sind trotzdem plausibel. Vgl. Proskurina, 2017, S. 171-194. Zur begrifflichen und kartographischen Konstruktion der Räume: Osterhammel, 2010, v. a. S. 86-92. 49 PSZ 22, Nr. 15953. 50 Proskurina, 2017, S. 171-194. 254

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bene[n] Tauris« von Iphigenie und Orest, von Taurern und Amazonen, waren völlig anderer Natur und zielten auf ein ganz anderes Publikum hin.51 Denn die internationale (die russländische nicht ausgeschlossen), oft kirchenkritische, meist oppositionelle und dennoch politisch ziemlich einflussreiche Bildungselite konnte mit dem Datum von 988 entweder gar nichts oder, wie etwa Voltaire, nichts Positives verbinden.52 Die griechische Antike dagegen war ein gesamteuropäischer Begriff, ein Bezugspunkt für die kosmopolitischen Intellektuellen des 18. Jahrhunderts, bei dem man sich zwar über die Details streiten konnte, dessen einzig wahre moralische Instanz aber weitgehend unbestritten war. Das Auftauchen der Tauris aus der mythischen Vergangenheit in der Bezeichnung eines Herrschaftsbereichs der russischen Zarin war ein Zeichen genau an diese Intellektuellen. Der neue Titel der Zarin verwies auf die Zugehörigkeit des Russländischen Reiches zu dieser für ganz Europa gemeinsamen Kultur. Er erhob auch einen erneuerten Anspruch auf die translatio imperii – dieses Mal eines säkularen, für die Geschichte Gesamteuropas überaus prägenden antikgriechischen Reiches, dessen philosophische, politische und künstlerische Hochleistungen unter dem russischen Himmel neu aufblühen sollten. Architekturaufträge der Zarin lassen nachvollziehen, wie diese Konzepte in der Zeit seit dem ersten Russisch-Türkischen Krieg bis zum Vertragsabschluss mit dem Römischen Kaiser erarbeitet wurden. Bei weitem nicht nur in Carskoe Selo ließ die passionierte Bauherrin Kriegsdenkmäler und Miniaturen errichten, deren symbolischer Gehalt ihre räumlichen Maßstäbe um einiges übertraf.53 Der vielseitige Geschmack der Zarin, die alles andere als eine treue Anhängerin eines einheitlichen Klassizismus gewesen war, ermöglichte ihren Architekten, die gewünschten inhaltlichen Zusammenhänge unmittelbar herzustellen. Die Anleitungen für diese Zusammenhänge wurden oft von Katharina II. persönlich vorgegeben. So auch bei der Zusammenarbeit der Architekten Matvej Kazakov und Vasilij Baženov anlässlich der Siegesfeierlichkeiten von Küçük Kaynarca, die in Moskau auf dem Chodynka Feld abgehalten wurden. Die Zarin, traditioneller Festlichkeitsallegorien überdrüssig, wie sie in einem Brief an Baron von Grimm schrieb, kam auf die Idee, eine räumliche Fantasie zu den Kriegshandlungen

51 Tolstikov, 2002. S. 39. 52 Zur Einstellung Voltaires vgl. Proskurina, 2017, S. 166f.; über die adlige Intellektuellenelite im Russländischen Reich siehe zusammenfassend Kollmann, 2017, S. 435-447. 53 Ausführlich zuletzt Ananieva, 2017. 255

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des ersten Russisch-Türkischen Krieges als Festkulisse aufbauen zu lassen.54 1775 wurden von den beiden Architekten hölzerne Pavillons entworfen, die auf eine verspielte Art und Weise Taganrog, Jenikale und andere gefallene osmanische Festungen und Städte sowie eine Flottenschlacht darstellten.55 Diese Pavillons wurden zum Ausgangspunkt für die Errichtung gleich mehrerer privater Wohnanlagen, die im Sinne der gesamteuropäischen Strömungen wenig treffend als neugotisch bezeichnet wurden. Die Pavillons von Chodynka stießen eine recht kurzlebige Mode an, in der durch eine Gegenüberstellung der traditionell russisch bzw. osmanisch anmutenden Architekturformen die Eroberungen am Schwarzen Meer emblematisch dargestellt wurden.56 Katharina  II. war unter den ersten Auftraggebern, welche die räumliche Kriegsinterpretation der temporären Chodynka-Szenerie in Stein verewigen ließen. Anstatt Baženov in Moskau den bereits angelegten klassizistischen Großen Kremlpalast weiterbauen zu lassen (und dabei die Abtragung der alten Bauten voranzutreiben), entschied sich die Zarin, ihn und seinen jüngeren Kollegen mit der Errichtung der Moskauer Land- bzw. Reisehäuser zu beauftragen, welche die russische Architekturtradition evozieren würden.57 Dabei entwarf Matvej Kazakov das Petrovskij Reiseschloss – ein eklektisches, aber aussagekräftiges Denkmal für die russländischen Siege über den traditionellen Feind. Das zentrale Schloss, durchweg neopalladianisch in seinen Grundelementen, erhielt eine 54 Beschreibungen der Festlichkeiten auf dem Chodynka Feld in den Briefen Katharinas an Mme Bielke, Potemkin und Grimm: Grot, 1880, S. 30, 45, 48f. 55 Vier Federzeichnungen der Anlagen mit ausführlichen Legenden von Matvej Kazakov, heute in der Sammlung des Staatlichen Ščusev-Museums für Architektur; zu den Lustbauten anlässlich des Friedens von Küçük Kaynarca Lochova, 2004, S. 157. 56 Vgl. Kiričenko, 2001. 57 Die Gründe für den Baustopp im Kreml und die ziemlich spontane Hinwendung der Zarin und eines Teils des Hofes zur pseudorussischen Architektur sind bis jetzt nicht ausreichend erforscht worden; es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Katharina II. gerade im Herzen des traditionsbewussten Russlands sich genötigt sah, die nationale Formensprache ausdrücklich zu würdigen und auf die Projekte zu verzichten, welche die traditionellen Bausubstanzen gefährdeten. Die Ursachen wären dabei in dem patriotischen Aufschwung der 1770er Jahre zu suchen, welcher durch die Erfolge des ersten Russisch-Türkischen Krieges bedingt wurde und einer fortschreitenden Nationalisierung des Vaterlandskonzeptes einschließlich seiner kulturellen Bedeutungsebenen entsprach; vgl. Smiljanskaja, I./Smiljanskaja, E., 2011c, S. 440-444; Schierle, 2007, v. a. S. 291-295. 256

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flache Kuppel in Anlehnung an die Hagia Sophia. Bei der Wand- und Fenstergestaltung, in der üppigen Verzierung und in dem Einsatz des Backsteins griff der Architekt den Moskauer Barock auf und setzte weitere ältere Gestaltungs- und Verzierungselemente etwa des Teremnoj Palastes, der sogenannten Basilius-Kathedrale, der Moskauer Klöster u. a. ein.58 Die umrahmenden Nutzbauten mit stark ausgeprägtem Wehrburgcharakter zitierten dagegen überwiegend fremdartige Bauten und wurden deutlich orientalisiert.59 Als direkte Vorbilder dienten hier die eingenommenen Festungen an der Donau, am Schwarzen und Asowschen Meer. So wurden etwa die einzelnen Elemente der Einfahrtstürme wie die schmalen Schlitzfenster, Maschikulis und die Rundkuppeln den 1771 eroberten Donauburgen von Giurgiu und Isaccea entnommen.60 Dabei wurden manche Details wohl absichtlich doppeldeutig verwendet. So etwa der prominente Schwalbenschwanzabschluss der Mauer und der Türme, der in der unmittelbaren Nähe des Kremls sich in die altrussische Tradition einfügte. Gleichzeitig aber wurde der Schwalbenschwanz etwa in der 1770 eingenommenen Festung von Jenikale verwendet. Ähnlich konnten die Doppelfenster, die Schlitzfenster, die Spitzbögen und einige weitere Elemente verstanden werden, welche sowohl in der mittelrussischen als auch in der islamischen Architektur verbreitet waren. Auf diese Weise schuf Kazakov eine Symbiose der (scheinbar traditionellen) russischen und der fremdartigen Architekturelemente in der festungsartigen Schlossumrahmung. Angesichts der kompositionellen Vorrangstellung des zentralen Baus mit seinem Verweis auf die Hagia Sophia wurden damit die militärischen Eroberungen als historisch und religiös vorgegebene Rückführung unter die orthodox-russländische Herrschaft dargestellt. 58 Zur Besonderheit des sogenannten Moskauer Barock, seinen verschiedenen Bezeichnungen und seiner inhaltlichen Abgrenzung siehe Grabarʼ, 2009, S. 45-49. 59 Der florentinische Maler Pietro Giarrè betonte in seiner Darstellung des Palastes ganz bewusst dessen orientalisierenden Charakter: Palazzo di Petrowskij, in: Ferrario, 1831, Tav. 22, N. 2. Zur Wahrnehmung des Balkans im späten 18. Jahrhundert als orientalisch: Polaschegg, 2005, S. 70f. 60 Zu den russländischen Militäroffensiven 1771: Družinina, 1955, S. 141. Da die meisten Donaufestungen nicht mehr existieren, ist ein direkter Vergleich erschwert. Dennoch liefern selbst die stark vereinfachten Darstellungen der zeitgenössischen Zeichnungen und Drucke Hinweise auf Motivübernahmen, so etwa eine anonyme Lithografie mit der Darstellung der Einnahme von Isaccea 1828, publiziert in Andrianov, 2003, S. 389. Das hier dargestellte Stadttor dürfte als Inspirationsquelle auch für die Risalitentürme des Hauptgebäudes in Caricino gedient haben. 257

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Diese Deutung der Ereignisse des Türkenkrieges fügte sich in die byzantinisch basierte Mythologisierung, wie sie innerhalb des Russländischen Reiches propagiert wurde. Die Formensprache des Petrovskij Palastes entsprach aber weder der Grundgesinnung Katharinas  II. noch dem sich entwickelnden propagandistischen Konzept, das auf internationalem Niveau auf die Auseinandersetzungen mit der Türkei angewandt wurde. Die vorpetrinischen Reminiszenzen der Anlage, die den Alleingang Russlands im Glaubenskampf suggerierten, gingen auf die Zeiten zurück, als Russland vom westeuropäischen Kulturkreis noch weit entfernt war. Eine Erinnerung daran wäre für das an das Ausland gerichtete impression management äußerst unvorteilhaft gewesen, wenn auch der Bezug auf das eigene nationalkulturelle Erbe am Ende des 18.  Jahrhunderts stets an Bedeutung zunahm. Also wurden andere Bauwerke gewählt, um ausländischen Besuchern von Rang russländische Erfolge vor Augen zu führen. Der schwedische König Gustav III., der als Graf von Gotland 1777 nach St. Petersburg kam, wurde zur Grundsteinlegung der Kirche zu Ehren Johannes des Täufers eingeladen. Am Namenstag dieses Heiligen hatte sich 1770 die Schlacht von Česme ereignet, die nicht nur als das entscheidende Ereignis des vergangenen Krieges zelebriert wurde, sondern als eine Versinnbildlichung der Stärke der russländischen Marine fungierte. Daran wurde Gustav  III. durch die Grundsteinlegung indirekt erinnert, was im Kontext der Spannungen zwischen Russland und Schweden durchaus als Warnung gedacht war. Untergebracht wurde der schwedische König dabei im Kikerikeksinsker Palast, der in den Jahren zwischen 1774 und 1777 von Jurij Velten als ein Reiseschloss auf dem Weg zwischen St. Petersburg und Carskoe Selo gebaut wurde. Erst 1780 sollten das Schloss und die neue Kirche die Bezeichnung Česmensker erhalten und damit offenkundig zum Erinnerungsort der bedeutendsten Seeschlacht des ersten Russisch-Türkischen Krieges werden. Das ursprüngliche Konzept des Schlosses stand dennoch bereits 1774 im Zeichen des beinahe abgeschlossenen Krieges. In der neueren Forschungsliteratur wird seine Errichtung der anglomanischen Schwärmerei der Zarin zugesprochen. Der Hauptgrund dafür liegt im Grundriss des Schlosses: das formende Dreieck soll auf das Vorbild von Langford Castle in Wiltshire zurückgehen. Die Burg genoss insofern eine gewisse Berühmtheit, als sie den Sitz von Amphialus in Sir Philip Sidneys Roman The Countess of Pembroke’s Arcadia darstellte.61 Unter Berücksichtigung der Fassadengestaltung sollte allerdings das eventuelle Vorbild von Longford Castle höchstens auf

61 Jaques, 2016, S. 152f. 258

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die formalistische Ebene zurückgestuft werden.62 Vielmehr griff Velten im Kikerikeksinsker Palast die Gestalt der osmanischen Festungen am Bosporus und an den Dardanellen auf. Als Inspiration für die dreieckige Grundform könnte dabei die Burg von Kalitbahir gedient haben, deren dreiseitiger Donjon von den zum Dreipass vereinigten Rundellen umgeben ist. Eine Darstellung in der von Louis Deshayes, Baron de Courmenin, verfassten Voyage de Levant zeigte Kalitbahir Kalesi von einem dreieckigen Wall mit Ecktürmen umrahmt.63 Dieses Vorbild scheint umso wahrscheinlicher zu sein, als die Blockade der Dardanellen in den Jahren 1770-1774 für die russländische Marine äußerst erfolgreich verlief und zu einem entscheidenden Druckmittel auf die osmanische Regierung bei den Friedensverhandlungen wurde.64 Die kompakte Anlage von »Kikerikek« mit seinem überhöhten Wohnturm, der von mächtigen Wehrmauern mit Ecktürmen umgeben war, war in ihrer Wirkung mit Anadolu Hisari am Bosporus eng verwandt.65 Die Galerien der beiden Geschosse könnten auf die Kasematten von Rumeli Fisari und anderer bosporanischer Festungen zurückgehen. Der Schwalbenschwanzabschluss des zentralen Turmes wäre schließlich bereits hier als eine Fusion der italo-moskovitischen Wehrbautradition mit dem mediterranen, durch den genuesischen und maltesischen Einfluss verbreiteten Gestaltungselement zu verstehen. Damit wurden die russländischen Erfolge auf See in die Tradition der kreuzritterlichen Unternehmungen gestellt. Die Idee Katharinas II., die Säle des Schlosses den europäischen Herrscherdynastien zu widmen, betonte die historische Zusammengehörigkeit Russlands mit dem übri62 Abgesehen von anderen möglichen Vorbildern, wäre die Symbolik eines Dreiecks auf vielfache Weise zu deuten, ob im orthodox-religiösen oder freimaurerischen Sinne, nach Plato, Plutarch u.  a.; möglich ist unter anderem, dass das Dreieck den dreifachen Sieg der russländischen Marine über die osmanische Flotte in der Bucht von Česma in den Jahren 1770 (Orlov), 1772 (S. K. Greig) und 1774 (A.B. Elmanov) symbolisieren sollte, vgl. Smiljanskaja,  I./Smiljanskaja,  E., 2011b, S. 130f. 63 Deshayes, 1624; zu den Publikationen des Voyage siehe Van den Boogert, 2017. 64 Smiljanskaja, I./Smiljanskaja, E., 2011b, S. 136-140; Družinina, 1995, S. 128 und 305f. 65 Formalästhetisch bedeutender sind die traditionsreichen Vorlagen der römischen Architektur: den barocken Schwung weitestgehend eingebüßt, gehen der zentrale Wohnturm und die Arkadengliederung der »Kikerikek«-Anlage über die dreieckigen italienischen Villen und Fischer von Erlachs Fantasien (1725, viertes Buch, Ta. XX) auf das erste Projekt von Gian Lorenzo Bernini für die Ostfassade des Louvre von 1664 zurück; vgl. Hoppe, 2010, S. 38f., 81f. 259

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gen Europa. Die vorläufige Benennung des Schlosses und seiner Sammlung der Herrscherporträts nach dem lokalen Froschsumpf war allerdings beim feinen Humor der Zarin wohl nicht ganz ohne Ironie gemeint.66 Während des Besuchs Gustavs  III. wurde die Architektur damit als eine Konkretisierungsform der russländischen politischen und militärischen Machtposition eingesetzt. Wie darüber hinaus die Gestalt der Česmensker Kirche belegt, wurden dem schwedischen König keinerlei »griechische« Projekte der russländischen Regierung demonstriert. Zum einen, weil sich solche Projekte zu diesem Zeitpunkt weder in der Politik noch in Bauprojekten nachvollziehen lassen, zum anderen, weil es in der schwedisch-russländischen Politik um völlig andere Inhalte ging. Anders war die Situation in Bezug auf die österreichische Monarchie: Als Joseph II. 1780 das Russländische Reich besuchte, wurde die ihm vorgeführte Architektur mit gänzlich anderen Bezügen aufgeladen. In Präsenz des Kaisers erfolgte zuerst die Grundsteinlegung der Josephskathedrale in Mogilev. Mit diesem Akt wollte man dem Kaiser persönlich schmeicheln, wurde doch diese Kirche im Zentrum der weißrussischen katholischen Diözese, wie Mogilev es war, seinem Namenspatron gewidmet.67 Ihre architektonische Gestaltung hatte aber weder mit dem heiligen Joseph noch mit Österreich oder Russland direkt etwas zu tun, sondern ging etwa mit dem zentralen Portikus auf die antikgriechischen Säulen von Paestum zurück.68 In Pavlovsk erfolgte dann die feierliche Eröffnung des sogenannten »Tempels der Freundschaft«.69 Hier wurden zum ersten Mal im Russländischen Reich die graeko-dorischen kannelierten Säulen eingesetzt, wie sie für ganz Europa in den nächsten Jahrzehnten noch selten waren. Die symbolische Bedeutung dieses Pavillons war offensichtlich und ehrgeizig: Die antikgriechische Kultur in ihrer vollendeten Ausprägung sollte durch die Freundschaft zwischen dem Russländischen und dem Österreichischen Reich wiedererblühen. Allerdings, wie auch im Fall von »Kikerikek« und des Petrovskij Palasts, blieb Katharina II. dieser Formensprache nicht treu. Als im gleichen Jahr das Städtchen Sophia bei Carskoe Selo angelegt wurde, wurde zwar eine Kirche in Anlehnung an die Hagia Sophia errichtet, doch verzichteten ihre Erbauer auf 66 Vgl. Jaques, 2016, S. 152-155. 67 Mogilev war die bedeutendste Stadt der ehemaligen polnischen Territorien, die nach der ersten Teilung an das Russländische Reich fielen; sie wurde zur Gouvernementshauptstadt ernannt und blieb das Zentrum der weißrussischen katholischen Diözese; Petrova, 2011, S. 126, S. 161-178. 68 Ausführlich dazu Putjatin, 2009, S. 121-127. 69 Arneth, 1868, S. 271f. 260

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eine archäologisch grundierte Bezugnahme zum antiken Griechenland. Die Zarin legte mit ihren von Grund auf verschiedenen Bauaufträgen innerhalb von nur sechs Jahren zwischen 1774 und 1780 eine stilistische Flexibilität an den Tag, welche den politischen Kerninhalten untergeordnet und je nach diplomatischen Absichten oder innenpolitischer Situation eingesetzt wurde. Der Einfluss ihres Beraterkreises soll dabei eine gewichtige Rolle gespielt haben: Wurden in den Jahren um 1774/75 noch die Gestaltungsmittel gewählt, die auch im freimaurerischen Umkreis der Gebrüder Panin verbreitet waren, so wurde die griechische Antike erst mit der Verlagerung des politischen Einflusses auf Bezborodko zu einem prominenten Architekturthema. Der künftige Kanzler beschäftigte gerne die Architekten L’vov und Quarenghi mit seinen Privataufträgen – die beiden Architekten Russlands, welche in ihren Entwürfen die archäologischen Publikationen von James Stuart und dessen verwirklichte Bauentwürfe am deutlichsten rezipierten. Die langjährige Mitarbeit von Bezborodko und L’vov lässt somit vermuten, dass die Genehmigung von L’vovs Projekt für die Josephskathedrale in Mogilev nicht ohne Fürsprache des damaligen Privatsekretärs erfolgte. Offensichtlich sah die Zarin selbst keinen weiteren Nutzen in direkten antikgriechischen Architekturzitaten abgesehen von den Besuchen Josephs  II. Anders sah es mit dem (wieder einmal) höchst aktuellen Antikendiskurs im Allgemeinen aus. Lange Zeit war er das Hauptthema in der Querelle des Anciens et des Modernes, die sowohl auf die Künste als auch auf die gesamte Aufklärung ausstrahlte, wie dies von Dan Edelstein dargestellt wurde.70 Die englischen Kunsttheoretiker und Dichter der 1740er Jahre haben das geläufige Antikenkonzept von der römisch-augusteischen Tradition endgültig losgelöst: Sie attestierten den Römern das Verderben der griechischen Einfachheit und Natürlichkeit. Zur gleichen Zeit wurden auch die griechischen Künste durch die Publikationen über Herculaneum und Paestum wieder greifbar: Was folgte, war eine regelrechte Flut von Lobschriften über die Größe der Griechen, die gleichzeitig Kritiken an der Machtgier der Römer waren.71 Auf den Vorarbeiten von Schaftesbury, Winckelmann, Rousseau und vielen anderen Philosophen und Kunsttheoretikern konnte Katharina  II. ihre Legitimationsstrategien und Propagandamittel aufbauen, um ihre Territorialerweiterungen und -bestrebungen am Schwarzen Meer im Sinne der aufklärerischen Gräkomanie aufzuwerten. In diesem Sinne schrieb die Zarin 1782 an Joseph II., als sie die Gründe für einen (gemeinsamen) Krieg gegen das Osmanische Reich

70 Edelstein, 2010, S. 37-43. 71 Buxton, 1978, S. 7-9 und 47-50. 261

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darlegte.72 Nur schematisch hat sie die Türken als »die Feinde aller Christen« bezeichnet und bemitleidete die christlichen Untertanen des Sultans, die noch stärker von seinen Plünderungen getroffen worden seien als die regionalen Paschas. Damit waren ihre religiös hergeleiteten Argumente für einen Krieg gegen die Osmanen erschöpft, nicht aber die Vorwürfe aller Art an deren Herrschaftsausübung, die den Schriften Montesquieus zu entstammen schienen: Korruption, Intrigen und Kriegstreiberei im Divan, Disziplinlosigkeit in der Armee, Teuerung, Räuberei und Chaos im Handel. Alles in allem, so die Zarin, »l’ancienne monarchie grecque« sollte auf den Trümmern eines »gouvernement barbare« errichtet werden.73 Diese Montesquieu`schen Argumente wurden von Katharina  II. bereits in den 1760/70er Jahren im Briefwechsel mit Voltaire ausgiebig diskutiert. Damit war es die Meinung der beiden (wenn auch einander sehr widersprechenden) Autoritäten der französischen Aufklärung, und nicht etwa die persönliche Sichtweise der Zarin, dass die »barbarischen« Zustände in Konstantinopel längst hätten abgeschafft werden sollen; an ihrer Stelle gehörte das Reich der antiken Tugenden errichtet. Im »gesamteuropäischen Referenzraum der Aufklärung«, wie Jürgen Osterhammel ihn zusammenfasste, waren (mit wenigen Ausnahmen) die Antonyme zur »Barbarei« die »Zivilisierung«, »Kultivierung« und »Europäisierung«.74 Voltaire schlug der russischen Zarin mit seinen Auslegungen die führende Rolle in der Re-Kultivierung des antiken Reiches vor, die durch seine Befreiung von der Herrschaft der türkischen Barbaren eingeleitet werden sollte. Er bot ihr damit die moralisch unanfechtbare Position gegenüber allen europäischen Regierungen, allen voran der französischen, die durch ihre Unterstützung der osmanischen Herrscher die Russen auf diesem ehrbaren Weg hinderten. Diese ethische Kriegslegitimation ließ die simple Notwendigkeit der Regierung Katharinas II. vergessen, eigene Grenzen dauerhaft abzusichern und durch den gesicherten Zugang zum Schwarzen Meer viele ökonomische und außenpolitische Probleme zu lösen. Sie war viel universeller als der für das Zeitalter der Kirchenkritik zweifelhafte Anspruch, den Krieg zum Schutz der Gläubigen führen zu müssen. Wie tolerant die Religionspolitik der Osmanen außerdem gestaltet wurde, ist immerhin auch von Voltaire dargestellt worden. Die Auslegungen des französischen Philosophen ermöglichten Katharina II., ihre Eroberungsbe72 Der Brief vom 10. September 1782 in: Arneth, 1869, S. 143-157, hier S. 152f. 73 Ebd., S. 153; zu den Kontroversen des osmanischen Despotie-/Barbarei-Diskurses, der von Montesquieu in seinen Lettres persanes von 1721 angestoßen wurde, siehe Osterhammel, 1998, S. 48-51. 74 Ebd., S. 29. 262

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strebungen am Schwarzen Meer als eine Zivilisierungsmission des Russländischen Reiches gegenüber allen Völkern der ehemaligen antiken Hochkultur darzustellen. Selbstverständlich wurde diese Rolle von Katharina II. gerne, wenn auch niemals offiziell angenommen. Die Mythologisierung des »Griechischen Projekts«, die Anstöße zur Gerüchtebildung um seine Inhalte, die im Schriftverkehr der Zarin, in ihren Aufträgen an Künstler und Literaten, in den offiziellen Bezügen zum griechischen Chronotopos und der gräkophonen Tradition gegeben wurden, trugen schließlich zur Popularisierung dieses zivilisatorischen Vorsatzes des Russländischen Reiches am Schwarzen Meer bei. Eine Zivilisierung der neuerworbenen Gegenden war in den Augen der europäischen Zeitgenossen offensichtlich dringend notwendig. Johann Gottfried Herder hat beispielsweise in den 1780er Jahren beschrieben, dass die Osmanen die höhere Kultur der von ihnen unterdrückten Völker nicht wahrnähmen, in Griechenland und in Kleinasien die Stätten des klassischen Altertums zerstören und verfallen ließen und fruchtbare Landschaften aus vortürkischer Zeit der Verödung preisgegeben hätten.75 Die Beschreibungen der europäischen Reisenden von den Ländereien des ehemaligen Krimkhanats bekräftigten diesen Eindruck ausnahmslos. Die »barbarische« Unbekümmertheit der tatarischen Siedlungen auf der Krim wurde zwar bereits in dieser Zeit etwa vom Fürsten de Ligne schon ansatzweise romantisiert; doch sowohl der österreichische Gesandte als auch alle anderen Reisenden in der Gegend (Louis-Philippe Comte de Ségur, Peter Simon Pallas, Johann Philipp Balthasar Weber) haben die muslimischen Städte immer mit einer gewissen Abscheu beschrieben: diese »engen und krum durch einander laufenden ungepflasterten und höchst unsauberen Strassen« mit ihren »Gehöfte[n] mit höhen Mauern«, hinter denen die Häuser »niedrig in der Erde gebaut sind« – so beschrieb der Akademiker Pallas die Altstadt von Akmečet.76 Im Absolutismus erfreute man sich an der humanistischen Vorstellung von der Stadt als einem sozialen und ästhetischen Gesamtkunstwerk, das man gesetzgeberisch, administrativ und architektonisch gestalten und regulieren könne. Katharina II. machte aus einem Stadtplan ein Gesetz: Seit den 1760er Jahren wurden nach und nach alle Städte des Reiches mit einem solchen, individuell gestalteten Gesetz verpflichtet. Diese Pläne berücksichtigten (falls vorhanden) die bereits bestehenden Strukturen und legten den Rahmen für die weitere Entwicklung fest. Sie regel75 Nach Ddms., 1998, S.  29 sowie S.  48f.; diese Vorwürfe wurden unter anderem auch von Louis Philippe Comte de Ségur in seinen Memoires wiederholt; Ségur, 1824, Bd. 2, S. 59. 76 Pallas, 1801, S. 17f. 263

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ten die Administration der Städte, indem sie die Bebauung mit bestimmten Verwaltungsanlagen vorschrieben, die wirtschaftliche Tätigkeit der Städte, indem sie den Verkehr durch Verbreiterung und Begradigung der Straßen vereinfachten und die Stadtteile für Fabriken oder den Handel festlegten, sie verpflichteten zur Einhaltung hygienischer Vorschriften und zur Errichtung von Hospitälern, Quarantänen oder zumindest Apotheken, Kranken- und Armenhäusern, und schließlich legten sie Maßnahmen zur Verbesserung der (Allgemein-)Bildung und Freizeitgestaltung fest durch den Bau von Grundschulen, Gymnasien, Universitäten, Musikakademien, Theatern und die Anlage öffentlicher Gärten und Boulevards. Dies waren genau die Maßnahmen, nach denen die Verfasser der sogenannten embellissement-Schriften verlangten – einer aufklärerischen Bewegung, deren Vertreter an eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse durch eine »umfassende Veränderung urbaner Strukturen« glaubten und an welcher sich unter anderen der allgegenwärtige Voltaire beteiligte.77 Ging es in den alten Reichsgebieten um embellissement, so waren die neuen Territorien von einer vergleichbaren »Zivilisierungsstufe« noch weit entfernt. Erst mussten hier Städte entstehen, weil die vorhandenen Dörfer und die wenigen, sich von ihnen kaum unterscheidenden Städtchen keine ausreichende Basis für eine »Verschönerung« lieferten.78 Massenweise wurden zuerst im Gouvernement Ekaterinoslavlʼ, dann auch im Taurischen Gebiet, Städte gebaut und schon zu Lebzeiten Potemkins waren solche Neugründungen wie Cherson oder Nikolaev, Mariupol oder Nachičevan (Rostov am Don), Sevastopol oder Konstantinograd zumindest wirtschaftlich weit entwickelte Ortschaften. Das architekturtheoretisch »Zivilisierende« am russländischen Städtebau könnte am Beispiel des erwähnten Akmečet am deutlichsten verbildlicht werden.79 Dort wurde die alte tatarische Siedlung unberührt gelassen, an ihrem Rande aber wurden neue Bezirke angelegt. Der Gegensatz zwischen den »engen, krummen und verpesteten« Gassen und den neuen breiten, regelmäßigen Prospekten und den schlichten, doch architekturtheoretisch korrekten Bauten stach regelrecht hervor. Die gesamte Stadt trug seit ihrer Neuanlage den Namen Simferopol und wurde zur Gouvernementshauptstadt des Taurischen Gebiets erhoben. Mit solchen städtischen Anlagen schuf man somit einen »zivilisierten« Raum, in dem die ansässigen Völker und die vielen hinzugezogenen Migranten von völlig unter77 Ausführlich darüber Papayanis, 2004, S. 13-168. 78 Zur Betrachtung der Krimtataren im Kontext der russländischen Zivilisierungsmission Jobst, 2009, S. 39. 79 Rekonstruktionen und Abbildungen der Pläne bei Timofeenko, 1986, S. 95 und 253. 264

Gerüchte, Mythos und Politik im »Griechischen Projekt« Katharinas II.

schiedlichen kulturellen und religiösen Prägungen einem nach aufklärerischer Auffassung gesitteten Leben nachgehen konnten. Das »Griechische Projekt« Katharinas  II. war somit ein Schmelztiegel aus außendiplomatischen und wirtschaftsregulierenden Zielsetzungen sowie ethisch-ästhetischen Zivilisationsvorstellungen und Selbstpräsentationsstrategien der russländischen Regierung. Als eine territorialpolitische Richtlinie für das Bündnis zwischen dem Russländischen und dem Österreichischen Reich wurde es in den Jahren zwischen 1780 und 1782 entwickelt. Zur gleichen Zeit wurden Architekturformen erarbeitet, welche das historische Potenzial dieses Bündnisses mit Hinblick auf die Wiederherstellung des Griechischen Reiches symbolträchtig überhöhten. Unabhängig von diesem russisch-österreichischen außenpolitischen Zusammenwirken wurden die Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich und die Einverleibung der Territorien am Schwarzen Meer je nach Zielpublikum und dem politischen Bedarf mythologisiert. Das griechische Thema ließ sich dabei aufgrund der Vielfältigkeit des entsprechenden Chronotopos und der Aktualität des aufklärerischen Antikendiskurses in beliebige religiöse, moralphilosophische oder ästhetische Kontexte einschreiben. Diese Vielfältigkeit und Aktualität erlaubten zugleich allerlei Deutungen, Zuschreibungen und Zuordnungen, die sich von der offiziellen Mythologisierung verselbständigten und dieser sogar voreilten. Damit wurde das »Griechische Projekt« am Ende zu einem viel bedeutenderen Gerücht, als es je ein politisches Vorhaben gewesen war.

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Repräsentationen und Wahrnehmungen

Vom Nutzen der Schönheit Maria Theresia in Text und Bild 1 Sandra Hertel »Seynd alle Heldinnen ein Kron, so ist allein, Theresia davon der allerschönste Stein.«2

Große Fürstinnen der Frühen Neuzeit zeichneten sich in der panegyrischen Verklärung vor allem durch drei Eigenschaften aus: Tugendhaftigkeit, Charakterstärke und Schönheit. Glaubt man den zeitgenössischen Lobrednern und Huldigungsautoren, dann verfügte Maria Theresia über alle drei Attribute. Auch die diplomatischen Korrespondenzen, persönlichen Erlebnisberichte und Erinnerungen scheinen dies zu bezeugen. Während die Charakterstärke jene der drei Eigenschaften Maria Theresias war, die in den neuen Publikationen anlässlich ihres 300. Geburtstags im Jubiläumsjahr 2017 am häufigsten thematisiert wurde3 – gilt diese doch auch nach modernen Kategorien als lobenswert –, so möchten sich die folgenden Ausführungen ganz der kolportierten wie der realen Schönheit Maria Theresias widmen.

1

2 3

Dieser Artikel entstand im Rahmen des FWF-Projekts P 27512 »Herrscherrepräsentation und Geschichtskultur unter Maria Theresia (1740-1780)« an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen, Abteilung Kunstgeschichte. Helden-Portrait, 1743, S. 14. Vgl. Badinter, 2017; Lau, 2016, S. 88-91 und Kapitel »Die Kriegerin«; zeitgenössisch: Wasserberg, 1742. 273

Sandra Hertel

Die Repräsentation eines Herrschers wird in erster Linie über sein Porträt wahrgenommen und erforscht.4 Bedeutend für die Herrscherrepräsentation in der Frühen Neuzeit war zudem die persönliche Präsenz und Sichtbarkeit des Fürsten vor und umgeben von der Bevölkerung. Darüber hinaus war Maria Theresia auch durch Druckschriften, Zeitungsberichte und Predigten in der Bevölkerung präsent. Denn diese schriftlichen Zeugnisse schufen ebenso wie künstlerisch-visuelle Werke ein »Bild« Maria Theresias, das von Erwartungen, Anforderungen und Traditionen geprägt war und der realen Person nur bedingt nahekommen konnte. Sie trugen jedoch gleichermaßen wie bildliche Medien zur Wahrnehmung der Herrscherin durch unterschiedliche Öffentlichkeiten und zur Konstruktion ihrer Memoria bei. Die Verbindungen und Zusammenhänge zwischen den bildlichen und textlichen Porträts Maria Theresias stehen daher im Zentrum dieses Beitrags. Anhand der Zusammenführung unterschiedlicher Quellengattungen soll zunächst die Bedeutung der Schönheit für die Verherrlichung einer Monarchin untersucht werden. Der zweite Abschnitt wird sich der Kategorie der Authentizität für die Propagierung von Maria Theresias Schönheit widmen.

Schönheit als Herrschaftslegitimation im 18. Jahrhundert Maria Theresias äußeres Erscheinungsbild war für die Legitimation und Repräsentation ihrer Herrschaft keinesfalls von nachrangiger Bedeutung. Die Feststellung, dass sie als schöne Herrscherin galt, implizierte weit mehr als nur eine oberflächliche Schmeichelei. Schönheit ist in der europäischen Geistesgeschichte nicht nur ein subjektiver, ästhetischer Begriff, sondern auch eine moralische Wertung, wird Schönheit doch seit der Antike mit Wahrheit, Ebenmaß, Reinheit, Harmonie und Liebe assoziiert.5 Somit beschränkte sich diese Schönheitsdefinition nicht auf den Körper, sondern umfasste auch Charaktereigenschaften und Handlungsparadigmen einer Person. Die Ansicht, vom äußeren Erscheinungsbild einer Person deren Wesenszüge ableiten zu können, war weit verbreitet.6

4 5 6 274

Marin, 2005. Zu Maria Theresia siehe Yonan, 2011; Telesko, 2012; ders., 2016; Banakas, 2016. Liessmann, 2009, S. 15-17. Vgl. u. a. Heinrich, 2017, S. 61-67; Mankartz, 2012, S. 210.

Vom Nutzen der Schönheit

Daher kam dem Körper ein ökonomischer Wert zu, insbesondere im frühneuzeitlichen Adel war er ein gesellschaftliches Kapital.7 Dies galt für Herrscher in besonderem Maße, waren sie doch in ihren Ländern in erster Linie durch ihr Porträt bekannt. Schönheit implizierte neben den bereits genannten positiven Eigenschaften wichtige Herrschaftsattribute wie Gesundheit, Stärke und göttliche Segnung.8 Für Maria Theresia, die bei ihrem Regierungsantritt mit 23 Jahren als schön galt, hatte ihr Aussehen gleich mehrere symbolische Bedeutungen. Ihre Jugend und Schönheit versprachen einen Neuanfang sowie Fruchtbarkeit,9 was angesichts des Aussterbens des habsburgischen Mannesstamms eine zentrale dynastisch-politische Botschaft war. So sollen vor allem Schönheit und Anmut der neuen Königin der Grund gewesen sein, warum die Ungarn nach dem Landtag in Pressburg 1741 Geld und Soldaten für den Erbfolgekrieg bereitstellten und Maria Theresia so loyal unterstützten.10 Mit zunehmendem Alter verlor sie diese Schönheit, was sich nicht nur auf ihr Körperempfinden, sondern auch auf ihren Geist auswirkte: Sie empfand sich als dick, niedergeschlagen, faul und bewegungsunfähig.11 Schönheit weckte Bewunderung, Zuneigung und generelle Sympathie, während ostentative Hässlichkeit meist Mitleid erregte.12 Entsprechende Bedeutung kam der Schönheit als Kategorie in Huldigungsschriften zu. Sie diente dabei als Urteil über folgende drei Merkmale: Aussehen, Charakter und Auftreten. Neben dem bereits erläuterten Zusammenhang von Aussehen und Eigenschaften spielte nämlich auch der Habitus eine Rolle für die Schönheit eines Monarchen oder einer Monarchin. Aus Beweglichkeit und Körperhaltung einer Person wurden ebenfalls Rückschlüsse auf die Tatkraft, Entscheidungsfähigkeit und Charakterstärke gezogen. Eine wertvolle Quelle für Maria Theresias Erscheinungsbild gegen Ende des Österreichischen Erbfolgekriegs sind die Berichte des preußischen Botschafters Otto Christoph Graf Podewils (1719-1781). Er urteilte über Maria Theresias Aussehen: »Man kann nicht leugnen, daß sie eine schöne Person ist.«13 In seinen Ausführungen greifen visuelle Eindrücke und Interpretationen ihres Charakters

7 8 9 10 11 12 13

Löw, 2001, S. 212. Stollberg-Rilinger, 2017, S. 249. Laut Badinter strahlte die schwangere Maria Theresia eine natürliche Lebenskraft aus, wie es einem Mann niemals möglich sei; Badinter, 2017, S. 138. Stollberg-Rilinger, 2017, S. 249. Badinter, 2017, S. 275. Hertel, 2017b, S. 38. Hinrichs, 1937, S. 39. 275

Sandra Hertel

ineinander: »Die Augen sind groß, lebhaft und zugleich voll Sanftmut.«14 In panegyrischen Texten dienten Maria Theresias Augen häufig zur Wesensbeschreibung. In einem anonymen Text heißt es: »Ihre Augen seynd voll Feuer und Muthes. Das Angesicht klar und lebhafft.«15 Über ihre Gestalt schreibt Podewils, dass sie trotz ihrer Körperfülle aufgrund der vielen Schwangerschaften »einen ziemlich freien Gang und eine majestätische Haltung«16 habe. Etwa zehn Jahre später kommt sein Nachfolger, der Diplomat Carl Joseph Maximilian von Fürst und Kupferberg (1717-1790), zu einem ähnlichen Urteil. Er schreibt in seinen Berichten aus Wien: »Die Kaiserin ist eine der schönsten Prinzessinnen von Europa […], sie hat einen majestätischen und doch zugleich freundlichen Blick.«17 Vergleichbare Argumentationsmuster und Themen finden sich auch in Berichten und huldigenden Texten über Zarin Katharina  II. von Russland. William Richardson (1743-1814) beispielsweise schreibt über Katharinas Erscheinungsbild, dass es ebenmäßig und gefällig sei. Ihren Augen konzediert er einen ausdrucksvollen Blick.18 Viel häufiger als bei Maria Theresia wird Katharinas Erscheinung mit Würde und Majestät assoziiert, ausführliche Beschreibungen ihres tatsächlichen Auftretens fehlen jedoch. Die Majestät wird vor allem an ihrer Körperhaltung19 und an ihrem Blick abgelesen, jedoch auch – wie bei Maria Theresia – am Gang.20 Die Beschreibungen der beiden Herrscherinnen konzentrieren sich demnach auf jene zwei Bereiche, die auch in der Porträtmalerei im Mittelpunkt stehen: Angesicht und Körperhaltung. Dabei wurden physiognomische Merkmale besonders betont, von denen Idealtugenden abgeleitet werden konnten. Beispielsweise argumentiert Joseph von Petrasch (1714-1772) in einer Rede auf Maria Theresia, ein kurzes Gesicht zeige die Engstirnigkeit und Entscheidungsschwäche einer Person, während eine hohe Stirn, wie jene von Maria Theresia, auf Weisheit verweise.21 Auch der Aufklärer Joseph von Sonnenfels (1733-1817) bemerkt in seiner Rede zu Maria Theresias Geburtstag 1762 die Heiterkeit ihrer 14 15 16 17 18

Ebd. Helden-Portrait, 1743, S. 4; vgl. ähnlich Richter, 1743, Vorrede, o. S. Hinrichs, 1937, S. 39. Ranke, 1833-1836, S. 672. Richardson, 1968, S. 19. Ich danke Susanne Schweisgut und Michael Schippan für diesen und folgende Hinweise zur Panegyrik auf Katharina die Große. 19 Z. B. Coxe, 1787, S. 304. 20 Ebd.; Kotzebue, 1793, S. 17. Für Maria Theresia vgl. Stollberg-Rilinger, 2017, S. 476. 21 Petrasch, 1747, S. 12. 276

Vom Nutzen der Schönheit

Stirn, hinter der man ihren »wirksamen Geist« entdecken könne.22 Diese Interpretationen kreierten einen Zusammenhang zwischen dem Aussehen und den Charaktereigenschaften Maria Theresias und verflochten die Beschreibung ihrer Schönheit mit der Lobpreisung ihrer Tugenden. Nun stellt sich anlässlich dieser Beobachtungen die Frage, ob Schönheit im Herrscherdiskurs ein spezifisch weibliches Thema war. Während über Maria Theresia, Katharina II. und Christina von Schweden in unterschiedlichen Ausprägungen entsprechende Bemerkungen zu finden sind,23 gibt es keinen vergleichbaren Diskurs über König Friedrich II. von Preußen.24 In der anonymen Schrift Warum die Königin in Ungarn so ausserordentlich geliebet werde? erläutert der Autor die Bedeutung der Schönheit für Herrscherinnen indirekt: »Ein Frauenzimmer hat überhaupts mehr vor den Mannes-Personen heraus, daß ihre schönen Thaten einen grösseren Eindruck in die Gemüther finden. Es reget sich gegen das schöne Geschlecht ein zärtlichere Neigung. […] Geräth sodann eine That von ihnen: so ist sie desto ausnehmender, wenn sie wider Vermuthen, auch nach Beschaffenheit der Umstände aus mehreren Hindernussen hervorgebracht wird. Die Natur macht durch die Schönheit, und das Gefällige, so sie ihm gegeben, nicht weniger dergleichen Thaten angenehm.«25

Die Bezeichnung von Frauen als das »schöne Geschlecht« impliziert eine Erwartungs- und Anspruchshaltung und definiert Schönheit als eine spezifisch weibliche Tugend. Männer waren im zeitgenössischen Verständnis vom Schönheits-Diskurs zwar nicht grundsätzlich ausgenommen; Frauen jedoch mussten nicht nur versuchen, dieser Tugend zu entsprechen, es schmeichelte generell ihrer Person, wenn diese »Eigenschaft« an ihnen bemerkt und gelobt wurde. Die oben zitierten Sätze dienen der Erklärung und gleichzeitigen Beförderung von Maria Theresias großer Wertschätzung durch die Bevölkerung und implizieren, dass ihr monarchisches Handeln aufgrund ihrer Schönheit besonders positiv aufgenommen wurde. Während dieser panegyrische Text die Absicht verfolgt, Maria Theresias Handlungen in den ersten fünf Regierungsjahren zu loben und ihr generell zu 22 Sonnenfels, 1762, o. S. [16]. 23 Vgl. allgemein Laufhütte, 2011, S. 218; zu Christina von Schweden vgl. Biermann, 2012. 24 Vgl. Mankartz, 2012. 25 Untersuchung, 1745, o. S. [5]. 277

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schmeicheln, kommt der ihr wesentlich kritischer gesinnte preußische Botschafter Podewils zu einem ähnlichen, wenngleich nüchterner formulierten Urteil: »Bei ihrer Thronbesteigung fand sie das Geheimnis, sich die Liebe und Bewunderung aller Welt zu erringen. Ihr Geschlecht, ihre Schönheit, ihr Unglück trugen nicht wenig dazu bei […].«26 Die Schönheit eines Herrschers und insbesondere einer Herrscherin war also ein Garant für Bewunderung, Zuneigung und letztlich Loyalität. Dies scheint aber hauptsächlich in der öffentlichen Wahrnehmung der Fall gewesen zu sein, da sich am Hof auch anderslautende Meinungen hören ließen. So soll Obersthofmeister Sigmund Graf Sinzendorf (1670-1747) in der Geheimen Konferenz geäußert haben, dass Maria Theresia zu schön sei, um an den Sitzungen teilnehmen zu können.27 Dieses Beispiel zeigt, dass sich Jugend und Schönheit zwar zur »Vermarktung« eigneten, jedoch auch Risiken bei der Durchsetzung von Autorität mit sich brachten. Da Schönheit eine explizit weiblich konnotierte Eigenschaft war, musste sie von Frauen auch entsprechend befördert und erhalten werden. Übertriebene Sorge um das eigene Aussehen galt jedoch als Eitelkeit und war somit ein Laster.28 Maria Theresia bemühte sich daher stets, ihre Schönheit zu kultivieren, jedoch den Aufwand ihrer Schönheitspflege nicht publik werden zu lassen. Sowohl Podewils29 als auch sein Nachfolger Fürst halten in ihren Aufzeichnungen fest, dass Maria Theresia nicht eitel gewesen sei. Letzterer berichtete: »Die Kaiserin wendet nicht die Sorgfalt anderer Frauen auf ihren Putz; ihre Kammerfrauen entscheiden über ihren Anzug.«30 Doch legen höfische Quellen nahe, dass Maria Theresia durchaus großes Interesse an ihrer Außenwahrnehmung hatte. Wie ihr Obersthofmeister Johann Joseph Graf Khevenhüller-Metsch in seinem Tagebuch berichtete, sagte Maria Theresia einmal kurzfristig die Teilnahme an einem öffentlichen Kirchgang ab, »weillen die Toilette nicht wohl gerathen und mann mit einem üblen Aufbutz in publico nicht erscheinen wollen.«31 Auch die Kammerfrau Charlotte Hieronymus berichtete, dass Maria Theresia, insbesondere in Bezug auf ihre Frisur, sehr eitel und das Frisieren für die Dienerinnen eine fürchterliche Qual gewesen sei: »Ihre Gestalt, die aber wirklich von großer Schönheit war, und die Ausschmü26 Hinrichs, 1937, S. 39f. 27 Badinter, 2017, S. 77. Badinter stützt sich hier auf die Aussagen des preußischen Botschafters Borcke. 28 Schulte, 2002, S. 169f.; Böth, 2015, S. 237; Hertel, 2017b, S. 40. 29 Hinrichs, 1937, S. 48. 30 Ranke, 1833-1836, S. 672. 31 Khevenhüller-Metsch, Bd. 3, 1910, S. 22 (9.4.1752). 278

Vom Nutzen der Schönheit

ckung derselben durch vortheilhaften Putz, beschäftigte sie etwas mehr, als man gemeinhin von einer Frau, die mit so vielem Geist, mit so viel männlichem Starkmuth so weite Länderstrecken zu beherrschen verstand, hätte vermuthen sollen.«32 Die Maria Theresia hier zugesprochene männliche Stärke33 wird als Gegensatz zu weiblicher Eitelkeit definiert und die Tatsache, dass eine Person beide Eigenschaften besitze, als ungewöhnlich bezeichnet. Dabei greift die Autorin den auch in Huldigungsschriften verbreiteten Topos auf, Maria Theresias männliche Tugenden befreiten sie von typisch weiblichen Schwächen. Oder wie Christian Gottlob Richter es ausdrückt: »Eine Prinzessin, welche von ihrem Geschlecht sonst nichts hat, als diejenige reizende Anmuth und dieselbe majestätische Schönheit.«34 Diese Vorstellungen gehen sehr wahrscheinlich auf die berühmte Rede Königin Elisabeths I. bei Tilbury (1588) zurück, in der sie erklärte, sie habe zwar den schwachen Körper einer Frau, aber Herz und Magen eines Königs.35 Auch in der Panegyrik auf Maria Theresia wird ihre schöne, weibliche Hülle zum männlichen Inneren in Kontrast gesetzt: »Es ist eine jede Eigenschaft, die man an ihr bemercket, umso glänzender, als Sie dieselbe in einer männlichen Brust träget, und männlich entdecket.«36

Authentizität und Überformungen Wie gezeigt wurde, spielte die Schönheit Maria Theresias in der Inszenierung ihrer Herrschaft eine wichtige symbolische Rolle. Von Interesse ist daher auch die Form der Vermittlung dieser Schönheit durch die textlichen und visuellen Medien. Selbige bilden das Aussehen Maria Theresias nicht einfach ab, sondern erschaffen durch Kontextualisierung, Deutung und Ausdifferenzierung ein eigenständiges Bild der Kaiserin in der öffentlichen Wahrnehmung. Die an der Produktion dieses images beteiligten Akteure agierten dabei nicht allein aus Bewunderung für die Herrscherin, sondern verfolgten persönliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen. Sie richteten die Form und den Inhalt ihrer Produkte nach den Bedürfnissen des Marktes aus. Angebot und Nachfrage, Kauf32 Diese Aussage ist überliefert durch die Memoiren ihrer Tochter Caroline Pichler, siehe Pichler, 1844, S. 10. 33 Vgl. zum »männlichen Gemüth« auch Richter, 1743, Vorrede, o. S. 34 Ebd. 35 Strunck, 2017, S. 64. 36 Untersuchung, 1745, o. S. [1]. 279

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anreize und Konsuminteressen bestimmten somit die visuelle Repräsentation Maria Theresias, etwa im Bereich der Grafik, entscheidend mit. Dass bildliche Porträts der Herrscherin vor allem zu Beginn ihrer Herrschaft sehr beliebt waren und aus diesem Grund auch die meisten erhaltenen Kupferstiche in diesem Zeitraum entstanden, lässt sich auch durch Podewils՚ Berichte belegen: »Man vergötterte sie. Alle Welt wollte ihr Bild haben.«37 Besonders gut ließen sich Grafiken verkaufen, die ein authentisches Bild Maria Theresias garantierten, was etwa durch die Angabe, der Stich verwende die Vorlage eines Hofmalers, belegt werden sollte.38 Neben dem Bedürfnis von Kupferstichsammlern und Bürgern, ein realitätsnahes Porträt der Königin zu besitzen,39 war die Bekanntmachung ihres wirklichen Aussehens in der Bevölkerung auch für Maria Theresia und ihre Regierung von Interesse.40 Besonders wichtig war die Wiedererkennbarkeit Maria Theresias auf Münzen, da ihr Münzbild vor Fälschungen schützte und die Garantie der Landesherrin für den Geldwert des Zahlungsmittels darstellte.41 Auch die Bildnisse Maria Theresias in Amtsgebäuden und Rathäusern hatten den Zweck, Legitimation von Staatsgewalt und Rechtsprechung herzustellen und die meist weit entfernt lebende Landesherrin zu repräsentieren und zu vertreten, weshalb sie als solche identifizierbar sein musste. Der Wunsch nach einem authentischen, möglichst ähnlichen Abbild eines Fürsten lässt sich auch in der Entwicklung der Porträtmalerei konstatieren. Diese verfolgte zunehmend den Anspruch, auch den Charakter und das Temperament einer Person darzustellen.42 Dabei wurde auch in Bezug auf das Herrscherbildnis, zumindest bei einzelnen Werken, eine Reduktion königlicher Insignien in Kauf genommen. Johann Christian Lünig schrieb in seinem Theatrum Ceremoniale von 1719 noch, dass ein König ohne Herrschaftszeichen nicht als solcher erkannt werde und weder Autorität noch Würde vermitteln könne.43 Doch bereits zwanzig Jahre später ließ sich Maria Theresia von Jean-Étienne Liotard lediglich in einem Mantel mit Pelzkragen ohne erkennbare Herrschaftszeichen wie Hermelinmantel, Kronen oder Zepter porträtieren. Das Bild feierte in Wien derartige Erfolge, dass Liotard andere Maler hinzuziehen musste, um die Masse

37 38 39 40 41 42 43 280

Hinrichs, 1937, S. 42. Völkel, 2020. Vgl. zu Friedrich II. von Preußen Mankartz, 2012, S. 209. Vgl. Müller, 2016, S. 123f. Zur Porträtähnlichkeit auf Münzen und Medaillen vgl. Hertel, 2017a. Sonnenfels, 1768, S. 60. Lünig, 1719, S. 5.

Vom Nutzen der Schönheit

an Kopieraufträgen bewältigen zu können.44 Sein Anspruch war es, porträtierte Personen so darzustellen, wie er sie während der Porträtsitzungen erlebte und dabei auf kompositorische Elemente, wie die Schaffung eines gedanklichen Raums, zu verzichten.45 Durch die minutiöse Wiedergabe seiner unmittelbaren Beobachtungen evozierten seine Porträts eine wahrheitliche Wirkung und erschufen die Illusion von Intimität.46 Liotards Porträts wurden aus diesem Grund besonders häufig als Vorlage für grafische Reproduktionen verwendet. Er nahm bereits vorweg, was Joseph von Sonnenfels in den 1760er Jahren zu den neuen Idealen der Porträtmalerei erklärte.47

Abb. 1: Jean-Étienne Liotard, Maria Theresia im pelzbesetzten Kleid, Emaille auf Kupfer. Rijksmuseum Amsterdam, Inv.-Nr. SK A 239, 1747 (Public domain: http:// hdl.handle.net/10934/RM0001.COLLECT.6728).48 44 45 46 47 48

Koschatzky, 1979, S. 310. Koos, 2010, S. 62; Hollecek, 2002, S. 39f. Koos, 2010, S. 59. Sonnenfels, 1768. Bei dieser Version handelt es sich wohlmöglich um eine spätere Kopie des zwischen 1743 und 1744 entstandenen Porträts. Weitere Varianten vgl. Koschatzky, 1980, S. 5, Abb. 1 und S. 311. 281

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Aufgrund des neuen Anspruchs der Authentizität für die Wahrnehmung eines Fürsten kam Maria Theresias öffentlichen Auftritten große Bedeutung zu. Die Königin mit eigenen Augen zu sehen hatte einen großen Reiz, da so ein vermeintlich unverfälschtes Bild der Monarchin gewonnen werden konnte. Diese Auftritte wurden wiederum durch Zeitungen rezipiert, um die Eindrücke des persönlichen Erlebens an einen größeren Personenkreis zu vermitteln. Anlässlich der städtischen Feiern zur Geburt von Erzherzog Joseph 1741 und dem Hervorgang seiner Mutter aus dem Wochenbett fuhr Maria Theresia persönlich durch die Straßen und sah sich die von Adeligen, Körperschaften und einfachen Bürgern geschmückten und beleuchteten Hausfassaden an. Dazu schrieb das Wienerische Diarium: »Was aber diese allgemein unvergleichliche Beleuchtung noch herrlicher machte, ware die allerhöchste Gegenwart Ihrer königlichen Majestät unserer allergnädigsten Landes-Fürstin und Frauen, welche um diese Beleuchtung Selbst anzusehen, bis 2. Stunde in einer offener Schesse […] zur unaussprechlichen Freude des Volkes, eines immerwehrenden Vivat herum gefahren.«49

Die in einer offenen und daher einsehbaren Kutsche vorgenommene Fahrt, die Maria Theresia zur Reduktion des Zeremoniells incognito durchführte, beförderte die Illusion einer volksnahen Herrscherin, die sich von ihren Untertanen aus nächster Nähe betrachten ließ, auch wenn sie von Wachen begleitet und abgeschirmt wurde. Was die Unmittelbarkeit dieses persönlichen Zusammentreffens von Maria Theresia und ihren Untertanen so besonders machte, war die vorübergehende, scheinbare Aufhebung der Distanz zwischen der von Gott erwählten Herrscherin und dem einfachen Volk. Aus diesen vielfach wiederaufgeführten Inszenierungen erwuchs letztlich auch die Legende der »volksnahen« und für alle »zugänglichen« Herrscherin.50 Diese Wahrnehmung rezipierte zudem bereits neue Herrscherideale, die im Zusammenhang mit der Aufklärung zu sehen sind: Nicht die ihn umgebene Pracht und Inszenierung, sondern die Person des Fürsten selbst sollte Würde und Majestät ausstrahlen; der Mensch musste der Krone würdig sein. Parallel zu den Entwicklungen in der Porträtmalerei wandelte sich somit auch in der Panegyrik die Darstellungsweise hin zu einem authentischeren, ehrlicheren Charakterbild eines Fürsten. Zum einen änderten sich allmählich 49 Wienerisches Diarium, 26.4.1741. 50 Stollberg-Rilinger, 2017, S. 334. 282

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die Vorstellungen davon, wie ein idealer und lobenswerter Herrscher zu sein habe, und zum anderen stand die Gattung selbst in der Kritik. Denn die überschwängliche Lobpreisung eines jeden Herrschers – mit europaweit verwendeten und daher gänzlich aussagelosen Allegorien, Vergleichen und Topoi – wurde mit dem Beginn der Aufklärung zu einem unpassenden Relikt oberflächlicher, höfischer Prachtentfaltung.51 Viele Autoren reagierten indirekt auf diese Kritik und bemühten sich, ihre Ausführungen mit rationalen und logischen Belegen auszustatten. Ein Beispiel für diese Vorgehensweise ist der Schriftsteller und Aufklärer Johann Christoph Gottsched (1700-1766), der 1749 gemeinsam mit seiner Frau den Wiener Hof besuchte und persönlich zu einer Audienz bei Maria Theresia eingeladen wurde.52 Gottsched war von dieser Begegnung derart beeindruckt, dass er der Kaiserin zu Ehren eine Huldigung verfasste, in der er seiner Begeisterung über ihre Schönheit Ausdruck verlieh: »So oft die Kunst geschworen, Ihr möglichstes zu thun, war doch die Müh verlohren. Denn wie kein Pinselstrich der Sonne Bild erreicht, So hat die Welt kein Stück, das dieser Fürstinn gleicht. So bleibt der Ausspruch fest, der tausendmal geschehen, Kein Abriß thut ihr gnug! Man muß sie selber sehen!«53 Hier konstatiert Gottsched, dass die Gemälde und Porträts der Herrscherin dem persönlichen Erleben nicht gerecht würden und Maria Theresia in Wirklichkeit von einer weit größeren Schönheit beseelt sei, die man im modernen Sinne als charismatische Schönheit bezeichnen würde. Die Hofmaler würden Maria Theresia nicht etwa geschönt darstellen, sondern sie scheiterten an ihrer Glorie und Herrlichkeit, kommentiert er die bekannten Bildnisse der Herrscherinnen. Derselbe Topos findet sich übrigens auch in Druckschriften, in denen die Verfasser sich als unfähig bezeichnen, die wahre Vollkommenheit ihrer Heldin wiedergeben zu können.54 Gottscheds Intention ist es jedoch nicht, das Werk des Künstlers abzuwerten, sondern diese Darstellungen durch seine Erfahrung aus der persönlichen Begegnung zu ergänzen. Zu einem ähnlichen Schluss kommt 1754 auch Johann Schwarz, wenn er schreibt: »Denn noch trifft man kein Bild nicht an, dass ihrem Urbild völlig gleichet.«55 Die persönliche Begegnung mit der Herrscherin, sowohl im Rahmen einer Audienz als auch flüchtig bei einer städtischen Prozession, war also für den Einzelnen von großem Wert. Sie wurde 51 52 53 54

Garstka, 2005, S. 43. Vgl. zu dieser Begegnung auch Stollberg-Rilinger, 2017, S. 322-326. Gottsched, 1749, o. S. [5]. Vgl. beispielsweise: Petrasch, 1747, S. 4; Helden-Portrait, 1743, S. 2 und 12. Vgl. Marin, 2005, S. 342. 55 Schwarz, 1754, o. S. [10]. 283

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durch Schriftzeugnisse weiterkommuniziert und als kostbare Erinnerung bewahrt. Auch wenn die Lobredner die Bewunderung und Liebe der Untertanen sowie die herrliche Erscheinung Maria Theresias lediglich behaupteten, evozierten sie dadurch eben jene Gefühle beim Leser. Ähnlich wie in der symbolischen Kommunikation, in der das Dargestellte zugleich hergestellt wird,56 wirkte auch die appellative Rhetorik der Huldigungsschriften, die aus der narrativen Sichtweise einer persönlichen Bewunderung für Maria Theresia entsprechende Meinungen des Lesers beförderten. Durch die Behauptung, es bestehe nachweislich eine große Liebe des Volkes zu seiner Königin, wurde diese emotionale Bindung nicht nur hervorgerufen, sondern weiter verfestigt.57

Abb. 2: Johann Christian Reinsperger nach Jean-Étienne Liotard, Maria Theresia, Kupferstich. ÖNB Bildarchiv, Inv.-Nr. PORT_00047622_01, 1744. 56 Stollberg-Rilinger, 2005, S. 77. 57 Frevert, 2012, S. 107. 284

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Eine in dieser Ausführung einzigartige Kombination verschiedener Gattungen zeigt der Stich von Johann Christian Reinsperger nach Liotard, der mit einem Huldigungsgedicht auf die Schönheit Maria Theresia beschriftet ist. Bild und Text arbeiten hier gemeinsam an der Verherrlichung von Maria Theresias Schönheit und Charakterstärke, da das Gedicht die optische Wahrnehmung des Porträts mit einer vertiefenden Erläuterung ihres Charakters zu vervollständigen sucht: Maria Theresia sei eine Frau, die über ihrem Geschlecht stehe und die Sanftheit der Frauen mit dem Stolz der Herrscher vereine. Sie sei ohne Hochmut oder Verstellung und erfahre stets die Liebe ihres Volkes. Der 1744 in Nürnberg veröffentlichte Stich richtete sich mit diesem französischen Gedicht offenbar an die gebildete Oberschicht in ganz Europa und nicht an die einfachen Untertanen in den Erblanden. Das gemalte Bild der Herrscherin entstand dabei vor der textlichen Interpretation, es diente als Grundlage für die Verherrlichung von Maria Theresias Persönlichkeit. Ähnlich lässt sich die Vorgehensweise anderer Lobreden und Huldigungswerke nachvollziehen, in denen bekannte Bilder der Herrscherin als Inspirationsquelle gedient hatten. Besonders deutlich wird, dass selbst jene Autoren, die Maria Theresia persönlich trafen, vorab ihre Porträts kannten und automatisch einen Vergleich zwischen dem mittelbaren und dem unmittelbaren Eindruck zogen, was die elementare Bedeutung der visuellen Repräsentation zu ihrer Regierungszeit belegt. Die Thematisierung der wahrhaftigen Erscheinung einer Fürstin findet sich auch in der Panegyrik auf Katharina die Große. In Felizens Bild wünscht sich der Erzähler ein Gemälde, welches tatsächlich der Zarin gleiche. Dabei fordert er einen Maler auf, die Herrscherin göttlich darzustellen, und befiehlt: »Laß Majestät auf ihrem Bild haften.«58 Wie bei Maria Theresia wird in diesem Gedicht behauptet, das Bild der Zarin werde ihrer realen Größe nicht gerecht. Interessanterweise kam Katharina einmal selbst zu dieser Einschätzung in Bezug auf ein Porträt von Alexandre Roslin. Sie empfand sich auf dem Gemälde als zu realistisch dargestellt und ließ es wegen mangelnder Majestät überarbeiten.59 Diese Anekdote zeigt sehr aufschlussreich, dass Authentizität ein Begriff war, der sich vor allem an Ansprüchen und Idealen orientierte. Denn neben einer wirklichkeitsnahen Darstellung von Physiognomie und Aussehen musste ein Monarch durch sein Porträt – das ja die Funktion hatte, seine Präsenz zu ersetzen – vor allem seine Größe zeigen.60 Wahrhaftigkeit ist hier nicht mit Realismus gleichzusetzen. 58 Kotzebue, 1793, S. 35. 59 Strunck, 2017, S. 76. 60 Warnke, 1996, S. 271. 285

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Friedrich II. von Preußen, um hier einen männlichen Zeitgenossen vergleichend heranzuziehen, hatte ebenfalls genaue Vorstellungen von seinem Abbild. Beispielsweise überwachte er die Herstellung seines Profilbilds als Vorlage für preußische Münzen und Medaillen.61 Porträts mit zu offensichtlicher Verherrlichung durch Allegorien und Kostümierungen lehnte er ab, doch eine Verschönerung seines Abbilds durch die Malerin Anna Dorothea Therbusch (1721-1782) ließ er gerne zu.62 Zu Maria Theresias eigenen Porträts sind von ihr leider keine vergleichbaren Äußerungen erhalten, jedoch kommentierte sie ausführlich die Porträts ihrer erwachsenen Kinder. Von ihrer jüngsten Tochter Marie Antoinette verlangte sie ein Porträt, das diese als Königin von Frankreich zeige. Die Ähnlichkeit des Gesichts erschien ihr dabei unerheblich, wichtig waren Gestalt und Haltung der nun erwachsenen Frau.63 Wie bereits die oben genannten Zitate zeigten, spielten diese Aspekte bei Charakterbeschreibungen eine dominierende Rolle. Die Haltung des Körpers entsprach der Haltung einer Person im Leben. Und so erhoffte sich Maria Theresia, durch ein authentisches Porträt ihrer Tochter Erkenntnisse über deren charakterliche Entwicklung zu erhalten. Begeistert war Maria Theresia von dem berühmten Doppelbildnis ihrer Söhne Joseph und Leopold von Pompeo Batoni (1708-1787).64 Die Haltung der beiden Brüder auf dem Bild entspreche ihrer natürlichen Erscheinung, wodurch ihre wahrhaften Charaktere zum Ausdruck kämen.65 Auch hier liegt der Schwerpunkt der Bewertung auf Haltung und Körper der dargestellten Personen und nicht auf dem Gesicht, das zumindest für Maria Theresia bei Porträts eine nachrangige Bedeutung gehabt zu haben scheint. Diesen Beobachtungen zufolge verfolgten Lobredner und Fürsten dieselben Ideale und versuchten den allgemein verbreiteten Ansprüchen gerecht zu werden – sowohl in der Selbstdarstellung als auch in deren Interpretation. Hilfreich erschienen dabei Vergleiche mit mythologischen Figuren wie Minerva66 oder der Amazone Penthesilea, der Maria Theresia in Schönheit und Heldenhaftigkeit 61 62 63 64

Klare, 2012, S. 331. Mankartz, 2012, S. 208f. Schulte, 2002, S. 163. Pompeo Batoni, Kaiser Joseph II. und Großherzog Pietro Leopoldo von Toskana, Öl auf Leinwand, Kunsthistorisches Museum Wien, Inv.-Nr. GG 1628, 1769; vgl. Vorster, 2001, Abb. 105. 65 Hertel, 2017a, S. 35. 66 Duellius, 1747; Schwarz, 1754; Wasserberg, 1742. Zu Katharina II. vgl. Tipton, 1997; allgemein Schnettger, 2014. 286

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gleiche.67 Katharina II. wurde nicht nur mit mythologischen Figuren verglichen, sondern auch direkt als »göttlich« oder »die Göttliche« angesprochen.68 Dies wäre für die religiöse Maria Theresia, die auch Identifikationsporträts als Heilige ablehnte,69 wahrscheinlich blasphemisch und damit inakzeptabel gewesen. Während die Maler das Porträt der Königin kreierten, lieferten Autoren die Deutungen und Überformungen, die das Bild erst vervollständigten. Die politische Macht des königlichen Körpers wurde durch die »narrative Macht« der Sprache vollendet.70 Durch die Kombination unterschiedlicher Kunst- und Textgattungen konnten Botschaften flexibel und umfassend vermittelt werden.71 Text und Bild ergänzten sich durch ihre gegenseitige Bezugnahme und Querverbindungen bei der Verherrlichung und Inszenierung der Herrscherin und bildeten erst in ihrer Gesamtheit die Themen der maria-theresianischen Repräsentation adäquat ab. Die Schönheit war dabei eine relevante Kategorie, die sich für die spezifische Inszenierung einer jungen, weiblichen Fürstin besonders eignete.

Gedruckte Quellen und Literatur Gedruckte Quellen Beschreibung des Haupt- und Freuden Schiessens, welches von Ihro zu Hungarn und Böheim königlichen Majestät Maria Theresia, wegen erfreulicher Geburt Josephi […] der Wienerischen Burgerschaft gegeben worden, Wien 1743. Coxe, William, Travels into Poland, Russia, Sweden and Denmark. Interspersed with historical relations and political inquiries, Bd. 2, London 1787. Duellius, Raimund, Rede, bey Gelegenheit des hohen Nahmens-Tages Sr. Kays. Königl. Majestät, Maria Theresia, in: Reden und Gedichte, welche den 15. Wein-Monat im Jahr 1747. In der gelehrten Gesellschaft der Unbekannten abgelesen worden, Wien 1747, S. 13-18. Gottsched, Johann Christoph, Die Kaiserin am Theresian=Feste, Regensburg 1749. 67 Diesen Vergleich zog der Wiener Bürgermeister Peter Joseph Kofler, vgl. Beschreibung, 1743, S. 21. 68 Kotzebue, 1793, S. 16, 32, 34, 39 etc. 69 Telesko, 2012, S. 68. 70 Marin, 2005, S. 74. 71 Telesko, 2016, S. 37. 287

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Vom Nutzen der Schönheit

Wasserberg, Leopold Adam, Die beglückte Starckmüthigkeit der […] Mariae Theresiae […], In der Allhiesigen königlichen freyen Hof-Academie der Mahlerey, Bildhauerey du Bau-Kunst bey Austheilung Deren aus allerhöchsten Königlichen Gnaden jährlich ausgesetzten Preisen […] vorgestellet, Wien 1742. Wienerisches Diarium (Permalink der Österreichischen Nationalbibliothek: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?zoom=33).

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»Unter deinen Schutz und Schirm« Religiöse Herrschaftslegitimation Maria Theresias in Bildmedien 1 Stefanie Linsboth Die Mitglieder des Hauses Habsburg sahen sich aufgrund ihrer außergewöhnlichen Frömmigkeit von Gott zur Herrschaft berufen.2 Bei diesem Gottesgnadentum handelt es sich um ein seit der Antike von verschiedenen Herrschern und Dynastien propagiertes, religiös motiviertes und göttlich legitimiertes Herrschaftsverständnis. Die in der Frömmigkeit des Hauses Habsburg grundgelegte göttliche Legitimierung und der Stellenwert von öffentlicher Religion und privatem Glauben für die Herrschaft Maria Theresias können durch eine Analyse ihrer Denkschriften, Briefe und Instruktionen unterstrichen werden.3 Denn in der Tradition der Pietas Austriaca stehend, war auch Maria Theresia von der Auserwähltheit ihres Geschlechts und dem Schutz Gottes über Dynastie und Herrschaft überzeugt. In ihrem Politischen Testament etwa beschrieb sie die Pietas als eine Grundsäule von Herrschaft, durch welche sie den göttlichen Segen

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Der Aufsatz entstand im Rahmen des vom FWF – Der Wissenschaftsfonds geförderten Forschungsprojektes »Herrscherrepräsentation und Geschichtskultur unter Maria Theresia (1740-1780)«, das unter der Leitung von Univ.-Doz. Dr. Werner Telesko am Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt wird. Zur Pietas Austriaca vgl. grundlegend Coreth, 1982. Vgl. Schmal, 2001. Zur Frömmigkeit Maria Theresias vgl. zuletzt Stollberg-Rilinger, 2017, S. 576-599; Rumpf-Dorner, 2017; Linsboth, 2017b. Maria Theresia wurde formelhaft als Königin »von Gottes Gnaden« bezeichnet. Vgl. für diese Bezeichnung etwa auf Medaillen dies., 2017a, S. 45. 293

Stefanie Linsboth

erhoffe.4 Sie selbst habe dem göttlichen Beistand ihre »Erhaltung« zu verdanken und berufe sich in ihrer außerordentlichen Frömmigkeit auf ihre Vorfahren.5 Die Propagierung dieses göttlich legitimierten Herrschaftsanspruches in visuellen Zeugnissen stellt allerdings einen noch unzureichend untersuchten Aspekt der Herrscherrepräsentation Maria Theresias dar.6 Konkret soll daher im Folgenden aufgezeigt werden, wie Maria Theresias Herrschaft von unterschiedlichen Akteuren mit religiöser Bildsprache als göttlich legitimiert dargestellt wurde. Der erste Abschnitt widmet sich dem Kreuz als habsburgischem Siegeszeichen und der Auffindung eines göttlichen »Naturzeichens«. Darauf aufbauend wird es im zweiten Abschnitt um eine Reihe von Druckgrafiken des Augsburger Kupferstechers und Verlegers Johann Adam Stockmann gehen, die Maria Theresias religiöse Legitimation u. a. im Kontext von Kriegen darstellen. Neben den ikonografischen Besonderheiten werden vor allem jene Akteure untersucht, die derartige Strategien forcierten.

Das Kreuz als Kriegs- und Siegeszeichen Während der Belagerung Prags im Österreichischen Erbfolgekrieg wurde am 25.  Juli 1742 im österreichischen Truppenlager in einem gespaltenen Erlenstamm ein ungarisches Patriarchenkreuz mit der Figur des Gekreuzigten gefunden. Das Holzstück wurde nach Wien gebracht, in der Schatzkammer aufbewahrt und noch Jahre später »ganz gelegentlich« Interessierten gezeigt.7 An jener Stelle, an der das Kreuz gefunden worden war, wurde während des Aufenthaltes Maria Theresias zur Krönung in Prag am 25. Mai 1743 der Grundstein zu einer Kapelle gelegt.8 Während der nächsten Reise der Kaiserin nach Prag 1754 wurde die von Kilian Ignaz Dientzenhofer (1689-1751) errichtete Kapelle ein-

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Kallbrunner, 1952, S. 37. Ebd. Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich die Autorin auch in ihrem Dissertationsprojekt zur Religiosität in der visuellen Herrscherrepräsentation Maria Theresias (Universität Wien, Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Sebastian Schütze). Khevenhüller, Bd. 3, 1910, S. 193 (25.8.1754). Horyna/Lancinger, 1990, S. 162. Zur Kapelle und zu weiterführender Literatur vgl. auch Mádl, 2013, S. 266f., Abb. 1-2.

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geweiht.9 Die malerische Ausstattung des von Franz Anton Müller (1693-1753) stammenden Programms der Kapelle ist gänzlich auf die Verherrlichung des Kreuzes ausgerichtet. Das Altarbild thematisiert die Auffindung und Prüfung des Kreuzes Christi durch die Hl. Helena, die synonym für die Auffindung des Kreuzes während der Prager Belagerung steht. Im Apsisfresko folgt die allegorische Anbetung des Kreuzes durch die vier Erdteile: Mit einem Zitat aus einem berühmten lateinischen Hymnus des 6. Jahrhunderts auf das Kreuz Christi (Vexilla regis prodeunt) erkennen die vier Erdteile das Kreuz und damit Christus als einzige Hoffnung der gesamten Erde an: »O CRVX AVE SPES VNICA« (Sei gegrüßt, o Kreuz, du einzige Hoffnung). Zu Füßen Europas liegen eine Figur mit verbundenen Augen, der diese Erkenntnis verborgen bleibt, sowie eine gestürzte Statue, die gemeinsam für das Heidentum stehen.10 Im darüber liegenden Kuppelfresko erfolgt im zentralen Feld die Visualisierung der Verherrlichung des Kreuzes. Die Inschrift – »FVLGET CRVCIS MISTERIVM« (Die Glorie des Kreuzes bricht hervor) – ist dem gleichen lateinischen Hymnus entnommen. Diese Glorie des Kreuzes strahlt durch gelb erleuchtete Wolken auf die vier umliegenden Gewölbefelder und damit auf die vier von Engeln getragenen und auf Pölstern liegenden Kronen Maria Theresias: die Reichskrone, die Wenzelskrone, die Stephanskrone und den österreichischen Erzherzogshut. Die Kapelle wird – ohne die Auffindung des Kreuzes 1742 zu thematisieren – zu einem Denkmal habsburgischer Kreuzesfrömmigkeit. Obwohl Maria Theresia selbst im Raum durch kein Porträt präsent ist, stehen ihre das Kreuz umgebenden Kronen für die Herrschaft Maria Theresias und deren göttliche Legitimierung.

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Khevenhüller, Bd. 3, 1910, S. 193 (25.8.1754); Wienerisches Diarium, 4.9.1754. Vgl. auch Schmal, 2001, S. 207f.; Mádl, 2013, S. 266. HHStA ZP 24, fol. 485v; Archiv Pražského hradu, Dvorní stavební úřad, Inv. 206, Karton 105, fol. 31r-v. 10 Horyna/Lancinger, 1990, S. 166. 295

Stefanie Linsboth

Abb. 1: Franz Anton Müller, Deckenfresko der Kapelle zur Auffindung des Kreuzes bei Prag, vor 1754. Wikimedia Commons CC B4-SA 3.0 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kaple_Nalezen%C3%AD_ sv._K%​C5%99%C3%AD%C5%BEe_6169.jpg). Die Kreuzauffindung war 1742 als Zeichen für den positiven Ausgang der Belagerung gewertet und kurz nach dem Ereignis im Wienerischen Diarium, das der höfischen Kontrolle und Zensur unterworfen war, als göttliches Zeichen beschrieben worden.11 Die Zeitung druckte eine Darstellung des gespaltenen Holzstammes mit dem darin befindlichen Kreuz ab. Darüber hinaus wurde in Wien ein weiterer Stich des Kreuzes inklusive einer Beschreibung vertrieben.12 11 Wienerisches Diarium, 15.8.1742. 12 Stift Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, BK III-19-32, S.  15 (neu paginiert). Das Heeresgeschichtliche Museum in Wien verwahrt ein Flugblatt, das die Bataillone der Prager Belagerung aufzählt und darstellt und außerdem den gespaltenen Holzstamm mit dem Kreuz sowie am unteren Bildrand klein die Kreuzauffindung zeigt: Anonym, Die Auffindung eines Kreuzes, Holzschnitt, Bologna 1743; Heeresgeschichtliches Museum Wien, Inv.-Nr. 3019. Vgl. Mraz/Mraz, 1980, S. 76 (Abbildung). 296

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Gleichzeitig griffen mehrere Predigten, die anlässlich der Wiedereroberung Prags und der böhmischen Krönung gedruckt wurden, diese Episode auf. Sie stellten die transzendenten Implikationen der Kreuzauffindung in die Tradition der habsburgischen Kreuzesverehrung und untermauerten das gefundene Kreuz als »Siegeszeichen«. Der Jesuit Joseph Hentschitt (1698-1760) zog bei einer Dankrede in Ödenburg (Sopron), die anlässlich der böhmischen Krönung Maria Theresias gehalten wurde, einen Vergleich: Wie Konstantin am Himmel das Kreuz als Siegeszeichen erschienen sei, so sei das in einem Baumstamm gefundene Kreuz bei der Prager Belagerung »ein Unter=Pfand des erfolgten göttlichen Seegens gewesen«.13 Maria Theresia habe den Gekreuzigten als ihren Heerführer erkannt, und zwar mit den Worten »DVX MeVs CrVCIFiXVs SIt. Mein Feld=Fürst! Mein anführer mein Schützer sey der gecreuzigte!«14 Eine weitere Predigt, die 1743 nach der Krönung in Prag anlässlich eines verordneten Te Deum Laudamus gehalten wurde, greift das Kreuz ebenfalls als Siegeszeichen auf15 und betont wiederum, dass Maria Theresia ihre Zuflucht bei dem Gekreuzigten gesucht und ihn als ihren Heerführer anerkannt habe.16 Maria Theresia habe – hier wird auf Rudolf I. angespielt – das Kreuz »statt Ihres Scepters« ergriffen.17 Diese und weitere Autoren nehmen die Begebenheit nicht nur zum Anlass, Maria Theresias Sieg in Prag durch göttliches Eingreifen zu begründen, sondern stellen das Ereignis gleichzeitig in die Tradition habsburgischer Kreuzesverehrung.18 Diese gründete sich auf Kaiser Konstantin, wurde in besonderer, 13 14 15 16

Hentschitt, 1743, S. 20. Ebd. Wolff, 1743. Ebd., fol. Br. Vgl. auch Wiennerische Beleuchtungen, 1745, S. 367; Zürcher von Guldenpöck, 1743, fol.  A3r; Krammer, 1775, S.  417. Vgl. zur Bedeutung des Kreuzes für die böhmische Krönung auch Telesko, 2017, S. 56. 17 Wolff, 1743, fol. B4v. Noch bei einer 1775 gedruckt erschienenen und 1772 anlässlich des Namenstags Maria Theresias gehaltenen Predigt Michael Krammers bezeichnet der Autor den Ausspruch als Wahlspruch Maria Theresias. Vgl. Krammer, 1775, S. 417. 18 Die Schüler des kaiserlichen akademischen Kollegiums der Jesuiten führten 1743 anlässlich einer Preisverleihung durch Maria Theresia ein Singspiel auf, bei dem die Bedeutung des Kreuzzeichens und der Glaube Konstantins während der Schlacht an der Milvischen Brücke im Vordergrund standen. In dem »Musicalischen Nach=Spiel« wird das Kreuz als Siegeszeichen unter Konstantin beschrieben und dies auch auf die Herrschaft Rudolfs I., Ferdinands II. und Karls VI. übertragen. Geschlossen wird mit der Hoffnung, dass in diesem Sinne das Kreuz auch 297

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militärischer Weise Rudolf I. zugeschrieben und gipfelte im gegenreformatorischen Kampf Ferdinands II., der während der sogenannten »Sturmpetition« der protestantischen Stände in der Wiener Hofburg Zuflucht bei dem Gekreuzigten gesucht hatte.19 Maria Theresia selbst war sich dieser Tradition bewusst und nahm zu dem für ihren Herrschaftsantritt entscheidenden Pressburger Landtag 1741 das Kreuz Ferdinands mit und ließ es daraufhin in Wien in der Kammerkapelle öffentlich verehren.20 Der große Zustrom veranlasste sie, das Kreuz fortan jeden Freitag öffentlich in der Hofkapelle ausstellen zu lassen.21 Ein wohl 1742 entstandener Stich des Ferdinand-Kreuzes weist auf die öffentliche Verehrung des Kreuzes hin und zeigt auf dem Sockel die Inschrift »CrVCIfIXVs DVX MeVs« (Chronogramm 1742),22 die im 18. Jahrhundert womöglich tatsächlich am Sockel des Kreuzes angebracht war. In diesem Zusammenhang ist ein von Gottfried Bernhard Götz (1708-1774) angefertigter Stich interessant:23 Über dem Porträt Maria Theresias thront das ungarische Patriarchenkreuz mit dem Gekreuzigten, das mit den Worten »CrVCIfIXVs DVX MeVs« (Chronogramm 1742) umschrieben wird. Als Kriegssymbole liegen neben dem Kreuz Helm und Kommandostab, neben dem Porträt befinden sich Speere, und das Porträt wird von zwei bewaffneten Husaren getragen. Auf Maria Theresias Herrschaftsbereich verweisen die auf dem Polster liegende Stephanskrone mit Zepter und Reichsapfel sowie der auf der Fahne abgebildete böhmische Löwe und der österreichische Bindenschild. Die Inschrift feiert Maria Theresia als Herrscherin, »die unter dem Schutz des Heiligen Kreuzes tausend Triumphe gefeiert habe«, wobei das Kreuz zu einer Siegespalme werde.24 (Sieges)Palme und Ölzweig

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20 21 22 23 24 298

für Maria Theresia ein »gesichertes Pfand einer geseegnetesten Regierung« sein werde, und Österreich »in diesem Zeichen überwinden« werde. Vgl. Constantinus, 1743, fol. Cv. Zur habsburgischen Kreuzesverehrung vgl. u. a. Coreth, 1982, S. 38-44; Telesko, 2013, S. 195-197. Zur Kreuzesverehrung Maria Theresias vgl. auch Schmal, 2001, S. 207f. Zu Maria Theresia und dem Kreuz Ferdinands vgl. auch Wolfsgruber, 1903, S. 15f. Coreth, 1982, S. 41. Wolfsgruber, 1903, S. 15; Coreth, 1982, S. 41; Schmal, 2001, S. 207; Telesko, 2013, S. 212; HHStA ZP 18, fol. 422r-v. ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung, Inv.-Nr. LW 74.078-C; vgl. Telesko, 2013, Abb. 10. ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung, Inv.-Nr. Pg 185 177/2:I(59); vgl. Telesko, 2012, Abb. 10. Ebd., S. 47.

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umschließen in der Darstellung das Ovalporträt. Das Kreuz als habsburgisches Feldzeichen könnte von Götz hier direkt zu dem Ereignis der Kreuzauffindung bzw. mit der öffentlichen Verehrung des Ferdinand-Kreuzes in der Burgkapelle in Bezug gesetzt worden sein. Der Kupferstich wurde von dem Augsburger Kupferstecher Götz, der seit 1741/1742 über ein kaiserliches Druckprivileg verfügte25, vermutlich ohne Auftrag Maria Theresias nach 1742 geschaffen.

Johann Adam Stockmann als Produzent religiöser Grafiken Alle beschriebenen Predigten, Zeitungsberichte und Kupferstiche thematisierten göttlichen Beistand als zentralen Faktor des Kriegserfolges. Dies wurde auch von dem Augsburger Zeichner, Kupferstecher und Verleger Johann Adam Stockmann (um 1720-1783) in Druckgrafiken mehrfach aufgegriffen. In einem Porträtkupferstich Maria Theresias, der zwar Stockmann als Verleger, jedoch keinen Zeichner oder Stecher nennt, werden die kriegerischen Tugenden der Herrscherin mit ihrer Frömmigkeit verbunden [Abb.  2].26 Dort ist allerdings nicht der Gekreuzigte, sondern Maria Theresias Gebet und die Nachfolge der alttestamentarischen und kriegerisch erfolgreichen Judith zentraler Inhalt. Maria Theresias Ovalbildnis wird von Rüstungen, Lanzen, Säbeln und Fahnen eingeschlossen, die Hände hat sie zum Gebet gefaltet – eine äußerst seltene Darstellungsweise der Herrscherin. Über ihrem Haupt und unter dem strahlenden Auge Gottes reichen sich »Oratio/Gebett« und »Iustitia/Gerechtigkeit«, womöglich eine Anspielung auf Maria Theresias Devise »Iustitia et Clementia«, die Hand. Unter dem Porträt Maria Theresias ist in einer Rahmung aus Lorbeer und Palmzweigen Judith dargestellt. Verwiesen wird auf das Gebet Judiths (Jdt 9), in dem sie sich vor Gott niederwirft und ihn im Gebet anfleht, Israel zu retten. Die betende Judith wird durch Siegeskränze, Öl- und Palmzweig zum siegreichen Vorbild Maria Theresias, wobei die beiden Porträtbilder durch die Worte »Cor unum/Ein Herz« verbunden sind. Die Pietas ist in diesem Stich die zentrale Tugend Maria Theresias, da ihre Frömmigkeit und Gottesfurcht sie in Kriegen schützen. Laut Inschrift verlasse sie sich nicht auf andere Fürsten, sondern auf Gott, denn »der Herr thut den Willen deren, die ihn förchten, und erhöret ihr bitten, und hilfft ihnen.« Durch die Kombination von Bild und Text wird Maria Theresia über die Funktion einer Herrscherin hinaus als Gläubige dargestellt, 25 Isphording, Bd. 1, 1982, S. 31, 47. 26 Wien Museum, Inv.-Nr. 212.707. 299

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die auf Gott vertraut. Da auf einer Fahne neben Maria Theresia der kaiserliche Doppeladler dargestellt ist, ist der Stich sicherlich erst nach der Rückgewinnung der Kaiserwürde nach dem Tod Karls VII. entstanden.

Abb. 2: Johann Adam Stockmann (Verleger), Maria Theresia, um 1745. Wien Museum Inv.-Nr. 212.707. Das Werk Johann Adam Stockmanns und seine Tätigkeit als Zeichner, Kupferstecher und Verleger sind bislang noch nicht umfassend untersucht worden.27 Neben seiner Tätigkeit als Verleger schuf er mehrere Vorzeichnungen für Stiche in religiösen Druckschriften, wie die 1760 in Augsburg erschienene Pina27 Vgl. Stoll, 2007, S. 3f. 300

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cotheca Mariana.28 Diese Schrift versammelt für jeden Tag des Jahres Heilige, die sich angeblich durch eine besondere Marienfrömmigkeit auszeichneten.29

Abb. 3: Gebrüder Klauber (Stecher) nach Johann Adam Stockmann (Zeichner), Frontispiz der Pinacotheca Mariana, 1760. Stiftsbibliothek Klosterneuburg, Be I 677.

28 Bonschab, 1760. 29 Farbaky, 2004, S. 384, Kat.-Nr. III-16 (Szabolcs Serfőző); Huber/Telesko, 2013, Kat.-Nr. I.26, S. 84 (Werner Telesko); Huber, 2017, Kat.-Nr. S 45, S. 134f. (Werner Telesko). 301

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Das Frontispiz zum ersten Band zeigt Franz Stephan, Maria Theresia und die jungen Erzherzoge und Erzherzoginnen unter dem Gnadenbild von Mariazell. Am oberen Bildrand wird die Darstellung mit den ersten Zeilen des ältesten bekannten, aus dem 3. oder 4. Jahrhundert stammenden Mariengebets »Unter deinen Schutz und Schirm:/Sub tuum Praesidium« überschrieben.30 Fortgesetzt wird das Mariengebet mit den Worten »fliehen wir/Confugimus« auf zwei Spruchbändern, die sich neben dem österreichischen Bindenschild direkt zwischen Maria Theresia und Franz Stephan befinden. Die Darstellung auf dem Stich illustriert die Gebetszeilen: Denn sie suggeriert, dass Franz Stephan und Maria Theresia ihre Herrschaft und Länder unter den Schutz und Schirm Marias im Bild der Magna Mater Austriae stellen. Symbolisiert wird dies durch die auf einem Polster liegenden Herrschaftsinsignien sowie den in der Mitte des Bildes befindlichen und von einem Adler als Herzschild getragenen Bindenschild. Bereits Ferdinand II. hatte festgehalten, dass er »das gantze Land unter den schutz, schirm und patrocinium glorwürdigster Jungfrauen Mariae« stelle.31 Und Leopold I. hatte sein Kaisertum als Lehen Marias betrachtet und »sich und seine [ihm] untergebne Land und Leuth unter den Schutz Mariae« gestellt.32 Im Stich wird ein Gebet aufgegriffen, das verschiedentlich verwendet wurde, um die Schutzherrschaft Marias über Städte, Länder oder Reiche zu veranschaulichen. Als Kurfürst Maximilian von Bayern Maria zur Patrona Bavariae erhob, ließ er eine Medaille prägen, auf der die in den Wolken schwebende Gottesmutter über München von der Inschrift »Sub tuum praesidium« umgeben war.33 Die das Gnadenbild umgebenden Inschriftenbänder »Arca Fortitudinis!« – »Archen der Stärcke!« spielen auf die gängige Ineinssetzung Marias mit der Bundeslade an. Interessant am Stich ist jedoch gerade die am unteren Bildrand eingefügte Legende »Vidi Solem et Lunam et Stellas adorare eam« – »ich habe gesehen Sonn und Mond und die Stern sie anbetten«. Die Legende formt eine Stelle der Genesis um, in der Joseph träumt, dass sich Sonne, Mond und Sterne vor ihm verneigen (Gen 37, 9). Durch das Ersetzen von »mir« – »me« im Traum Josephs in »sie« – »eam« im Kupferstich, wird diese Verneigung nicht mehr auf Joseph, sondern auf Maria bezogen. Der Entwerfer des Stiches sitzt durch die Umformung des Josephszitates allerdings einem Missverständnis auf, wodurch Sonne, Mond und Sterne als marianische Attribute sich gleichsam selbst anbeten. 30 31 32 33 302

Maas-Ewerd, 1994, S. 327; vgl. auch Schreiner, 2007, S. 263. Ebd., S. 273. Ebd., S. 274. Ebd., S. 271.

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Bildlich erfolgt eine Verquickung dieses Verses mit einer in der Offenbarung des Johannes beschriebenen Erscheinung der Apokalyptischen Frau, die mit der Sonne bekleidet war, zu deren Füßen sich der Mond befand und deren Haupt von einem Kranz aus zwölf Sternen umgeben war (Apk 12, 1). Diese drei Elemente sind im Stich gegenwärtig: Das Mariazeller Gnadenbild ist in eine von Strahlen umgebene Sonne eingeschrieben. Zwischen den Strahlen befinden sich dreizehn Sterne – demnach ein Kranz um das Haupt des Gnadenbildes. Und »zu Füßen« des Gnadenbildes – also am unteren Rand der Sonnenscheibe – liegt eine Mondsichel. Die gerade in der Darstellung der Apokalyptischen Frau gebräuchlichen Symbole – Sonne, Mond und Sterne – werden hier in zweideutiger Weise verwendet und so verbal und visuell Josephstraum und Johannesoffenbarung miteinander verbunden. Obwohl im Traum Josephs von elf und in der Offenbarung des Johannes von zwölf Sternen die Rede ist, sind hier dreizehn Sterne dargestellt. Diese Anzahl entspricht der Anzahl der im unteren Bereich dargestellten, 1760 – dem Erscheinungsjahr des Werkes – tatsächlich lebenden Kinder Maria Theresias und Franz Stephans. Deren Darstellung – die männlichen Nachkommen auf der Seite des Vaters, die weiblichen auf der Seite der Mutter – zeigt in der sich nach hinten verkleinernden Aufreihung eine beinahe unzählbare Schar an Nachkommen und belegt dadurch den Schutz der Muttergottes über die Dynastie. Die Gegenüberstellung des Herrscherpaares und die Aufreihung der Kinder trifft man in ähnlicher Weise bei Altarbildern und Kupferstichen Ferdinands III. und Leopolds I. an.34 Im Stich der Pinacotheca Mariana hat sich die Darstellung jedoch gewandelt: Franz Stephan, Maria Theresia und der Thronerbe Joseph knien nicht wie ihre Vorgänger in Anbetungshaltung auf dem Boden, sondern stehen. Sie beten nicht zu Maria – diese Funktion übernehmen im Bild die Erzherzoginnen und die jüngeren Erzherzoge –, sondern sie dedizieren ihre Zepter dem Gnadenbild. Dass für den Stich das Mariazeller Gnadenbild gewählt wurde, hängt mit dessen Bedeutung für die habsburgische Dynastie zusammen. Maria Theresia unternahm mehrmals Wallfahrten nach Mariazell, dankte Maria dort für die vielen glücklichen Geburten und stiftete liturgische Gegenstände.35 In dieser Grafik wird das Gnadenbild zusätzlich für das Haus Habsburg verein-

34 Vgl. etwa zwei Kupferstiche mit Ferdinand III. und seiner Familie vor der Mariazeller Madonna. Vgl. Farbaky, 2004, S. 375f., Kat.-Nr. III-3 (Abbildung; Szabolcs Serfőző). 35 Coreth, 1982, S. 68; Kinsey, 2000, S. 239-246; Schmal, 2001, S. 170f.; Stadelmann, 2004, S. 178-181. 303

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nahmt, indem es von der Collane des Ordens vom Goldenen Vlies umschlossen wird.36 Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Andachtsbild aus der Mitte des 18.  Jahrhunderts:37 Über der stilisierten Darstellung der Wallfahrtskirche von Mariazell ist der kaiserliche Doppeladler mit Krone, Schwert, Zepter und Reichsapfel dargestellt. Anstelle des üblicherweise dem Adler eingeschriebenen Wappens sind sowohl das Gnadenbild als auch das Schatzkammerbild von Mariazell als Herzschilde zu sehen, umschlossen von der Collane des Ordens vom Goldenen Vlies. Im Frontispiz der Pinacotheca Mariana ist durch eine Verbindung sprachlicher und visueller Elemente die göttliche – oder eigentlich marianische – Legitimation des Hauses Habsburg-Lothringen visualisiert, wie sie auch durch Stiftungen und schriftlich dokumentierte Äußerungen Maria Theresias überliefert ist. Ein weiterer von Stockmann verlegter Stich, der einen Feldgottesdienst nach einem Sieg Leopold Joseph Graf Dauns (1705-1766) über preußische Truppen im Siebenjährigen Krieg zeigt, lässt das Gnadenbild von Mariazell als »Marianischen Morgenstern« für den Kriegserfolg verantwortlich sein.38 Gerade im Siebenjährigen Krieg entstand eine Reihe thematisch ähnlicher Druckgrafiken.39 Es ist auf einen von Johann Adam Stockmann verlegten Stich hinzuweisen, der Franz Stephan, Maria Theresia und ihre Kinder in Anbetung der Eucharistie zeigt [Abb.  4]. Die Kinder auf der rechten Seite sind um Maria Theresia geschart, während auf der linken Seite Franz Stephan und Joseph stehen. Die Insignien sind auf einem Polster auf dem Altar vor einer Monstranz ausgebreitet. Über dem Zelt, in dem sich die anbetende Familie und der Altar befinden, hält die aus einer Wolke reichende Hand Gottes ein lorbeerumranktes Schwert und krönt gleichzeitig den österreichischen Bindenschild mit einem Lorbeerkranz. Im Hintergrund sind Truppen sowie Ansichten von Wien und Prag zu erkennen. Die Chronogramme (zweimal 1757) und die Darstellung Prags lassen vermuten, dass der Stich auf die Belagerung Prags durch 36 Telesko, 2020. 37 Stiftsarchiv St. Lambrecht; vgl. Farbaky, 2004, S.  388, Kat.-Nr. III-20 (Abbildung; Szabolcs Serfȍzȍ). 38 Johann Adam Stockmann (Verleger), Feldgottesdienst nach einem Sieg Leopold Joseph Graf Dauns über preußische Truppen im Siebenjährigen Krieg, 1757, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. HB18423. 39 Zur Bildpublizistik des Siebenjährigen Krieges vgl. Komander, 1995, S.  194249; Schort, 2006, S. 285-298; Füssel, 2020. Zu Schlachten als Medienereignissen während des Siebenjährigen Krieges am Beispiel von Kolín 1757 vgl. Telesko u. a., 2017, S. 455-465. 304

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preußische Truppen sowie die Schlacht um diese Stadt im Siebenjährigen Krieg Bezug nimmt. In der dem Bild unten beigefügten Legende wird eine Analogie zwischen Maria Theresia und der siegreichen alttestamentarischen Deborah hergestellt (Ri 5, 7). Wie das Frontispiz der Pinacotheca Mariana bildet auch dieser Stich einen zentralen Aspekt der Pietas Austriaca ab: Maria Theresia, Franz Stephan und ihre Kinder stehen in ihrer Frömmigkeit in der Tradition ihrer Vorfahren (verbildlicht durch die im Zelt angebrachten Porträts Rudolfs I. und Leopolds I.). Aus diesem Grund werden das Haus Habsburg (verbildlicht durch den österreichischen Bindenschild und die Familie) und dessen Länder von Gott beschützt und mit Kriegserfolgen belohnt. Verdeutlicht wird dies durch den auf einem Schriftband eingefügten Text »In ManV Ista CLaDes & Corona/ in Gottes Hand steht Cron u. Land«.

Abb. 4: Johann Adam Stockmann (Verleger), Franz Stephan, Maria Theresia und ihre Kinder in Anbetung der Eucharistie, 1757. Národní Galerie v Praze, Inv.-Nr. R80121.

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Fazit Ein grundlegender Unterschied zwischen den in den beiden Abschnitten beschriebenen Beispielen ist festzuhalten: Die künstlerische Ausstattung der Kreuzkapelle zeigt ein sehr allgemeines Bild von Kreuzesverehrung, Herrschaftsvisualisierung und -legitimierung. Die Druckgrafiken von Johann Adam Stockmann sind hingegen durch die Einbindung der gesamten Familie genau auf Maria Theresia und die Propagierung der Dynastie Habsburg-Lothringen zugeschnitten. Maria Theresias Herrschaft wurde auf differenzierte Weise von verschiedenen Künstlern »unter göttlichen Schutz und Schirm« gestellt und sie wurde auch bildlich zu einer Herrscherin »von Gottes Gnaden« gemacht. Doch wer war für diese Bilder verantwortlich, wem sind die inhaltlichen Ausgestaltungen zuzuschreiben und inwieweit lässt sich eine Beteiligung des Wiener Hofes nachweisen? Gerade am Beispiel der Pinacotheca Mariana zeigt sich ein interessantes und nur zum Teil rekonstruierbares Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure: Die Vorzeichnungen für die Stiche wurden von Johann Adam Stockmann angefertigt.40 Gestochen wurden die Blätter von den Gebrüdern Joseph Sebastian (1710-1768) und Johann Baptist Klauber (1712-1787), die in ihrem eigenen Verlag v.  a. religiöse Drucke in großem Umfang produzierten. Verfasst wurde das Werk von dem Jesuiten Ignatius Bonschab (1708-1780), der auf dem Titelblatt allerdings nicht namentlich genannt wird. Herausgegeben wurde es von dem aus einer Augsburger Verlegerfamilie stammenden Joseph Anton Labhart. Auf dem Titel und den Kupferstichen war jeweils das kaiserliche Druckprivileg vermerkt, das vor Nachdrucken durch die Konkurrenz schützen sollte. Insgesamt zeichnet sich ein Geflecht verschiedener in Augsburg ansässiger und am Herstellungsprozess beteiligter Akteure ab: ein Verleger, der für die Finanzierung, den Druck, den Vertrieb und die Bewerbung zuständig war, ein Autor, der die Inhalte lieferte, ein Zeichner, der die Darstellungen gestaltete, und Kupferstecher, die diese ausführten. Allerdings kann nicht im Detail geklärt werden, inwieweit der Verleger in die inhaltliche Ausgestaltung des Druckwerkes eingriff, bzw. inwieweit Autor und Verleger die Gestaltung der Kupferstiche beeinflussten. Es zeigt sich ein für die Zeit typisches Problem: Die genauen Entstehungs- und vor allem Entscheidungsprozesse können nur schwer rekonstruiert werden. Festgehalten werden kann jedoch, dass – wie in vielen Fällen – Maria Theresia und Franz Stephan nicht diesem beschriebenen 40 Johann Adam Stockmann arbeitete mehrfach mit den Gebrüdern Klauber zusammen. Er schuf auch die Vorzeichnungen für die sog. »Bilderbibel« der Gebrüder Klauber. Vgl. Stoll, 2007, S. 3f. 306

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Geflecht der Akteure zugerechnet werden können. Dieser interessante Umstand muss in weiteren Studien auch im Gesamtkontext der Herrscherrepräsentation vertiefend behandelt werden. Denn er wirft die – nicht nur im Falle Maria Theresias – noch unzureichend beantwortete Frage nach der Autorschaft von Repräsentationsstrategien und dem Verhältnis von Eigen- und Fremdinszenierung auf.

Gedruckte Quellen und Literatur Gedruckte Quellen Bonschab, Ignatius SJ, Pinacotheca Mariana, Exhibens Per Singulos Anni Dies Antiquitatem, Sanctitatem, Et Utilitatem, Cultus Mariani […], Augsburg 1760. Constantinus. Durch Kraft des Creutzes Besieger Mexentii. Der Allerdurchleuchtigsten, Und Großmächtigsten Mariae Theresiae […] Und Mit-Regenten Francisco […] Mit demütigster Ehr-Bezeugung vorgestellet Da aus Königlicher Freygibigkeit der geflissenen Schul-Jugend die Sieges-Preis ausgetheilet wurden. Von dem Kayserlichen und Academischen Collegio der Gesellschafte Jesu zu Wien in Oesterreich, Wien 1743. Hentschitt, Joseph, Danck- und Ehren-Rede Gott dem Allerhöchsten Vor die Gecrönte Sieg in Hertzogthum Bayrn, und Siegreiche Crönung in Königreich Böheim Ihro Königl. Ungarischen Majestät Der Allerdurchleuchtigsten Frauen, Frauen Mariä Theresiä Unser Gnädigsten Lands-Mutter &c. &c. Abgestattet, Als das Feyerliche Te Deum von der Königlichen Frey-Stadt Oedenburg In daselbiger Pfarr-Kirch bey S. Michaėl an 5ten Sontag nach Pfingsten den 7. Julii 1743. gehalten wurde, Ödenburg 1743. Kallbrunner, Josef (Hg.), Kaiserin Maria Theresias politisches Testament. Zwei Denkschriften, Wien 1952. Khevenhüller-Metsch, Johann Joseph, Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch, kaiserlichen Obersthofmeisters 1742-1776, Bd.  3, hg. von Rudolf Khevenhüller-Metsch/ Hanns Schlitter, Wien/Leipzig 1910. Krammer, Michael, Sammlung Heiliger Reden über wichtige Wahrheiten der sonntäglichen Evangelien auf das ganze Jahr, Bd. 1, Teil 2, Prag 1775. Wienerisches Diarium (Permalink der Österreichischen Nationalbibliothek: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?zoom=33). Wiennerische Beleuchtungen, oder Beschreibung aller deren Triumph- und Ehren-Gerüsten, Sinn-Bildern, Gemählden, und andern sowol überaus schön307

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als prächtig-besonders aber an Kostbarkeit unvergleichlichen Auszierungen, welche bey denen wegen der höchst-erfreulichen Geburt des zweyten Erz-Herzogs von Oesterreich Caroli am Sonntag Reminiscere, nemlich den 14den Martii 1745. als am Tag Ihrer […] Frauen gesegneten Hervorgang […] zu sehen gewesen, Wien 1745. Wolff, Hippolytus, Eine Mit der 2ten Königl. Cron Durch 3er Allerhöchsten Potentaten Hohe Verbündnuß Gantz Glorreich und Sieghafft Gecrönte Königin. Das ist: Maria Theresia Die Allerdurchleuchtigst=Großmächtigiste Vorhin schon Gecrönte Königin zu Hungarn […] Deren drey Göttlichen Personen Auch zu einer Königin in Böheim Gecrönet worden. Also zu einem solennen Te Deum Laudamus Vorgetragen […] in der Pfarr=Kirchen der Landesfürstlichen Stadt Rötz, Rötz 1743. Zürcher von Guldenpöck, Gabriel, Verschobene, Doch nicht betrogene Hofnung. Das ist: Trost- und Lehr-Predig Wegen Wieder-Eroberung Prag In einem zu Ybbs feyerlich den 6. Jenner angestellten Danck-Fest, Wien 1743.

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»Unter deinen Schutz und Schirm«

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Die machtgierige Kaiserin Katharina II. von Russland in englischen Karikaturen des ausgehenden 18. Jahrhunderts Irma Strassheim Katharina II. ist die einzige Frau in der Geschichte, der das Epitheton »die Große« zugesprochen wird.1 Katharina  II. hatte 1767 den Beinamen »Große und weiseste Mutter des Vaterlandes«, der ihr im Zuge der Tagungen der Gesetzgebenden Kommission offiziell vom Senat angetragen worden war, abgelehnt und dafür plädiert, dass die Nachwelt über ihre Größe urteilen solle.2 Der Beiname war jedoch in der Welt: Während Katharina II. in der anglophonen Historiografie zumeist als »Catherine the Great« erscheint, werden ihre Person und ihre Herrschaft von polnischen Historikern und in älteren russischen Arbeiten sehr kritisch bewertet.3 Solche gegensätzlichen Beurteilungen finden sich nicht nur in der wissenschaftlichen Literatur, sondern auch in historischen Romanen, Dokumentationen und Spielfilmen, die die Kaiserin entweder als großzügige, aufgeklärte und dem Volk dienende Persönlichkeit darstellen oder sie zur machtgierigen und sexsüchtigen Despotin deklarieren. Die ambivalente Beurteilung Katharinas II. war schon zeitgenössisch. Sie soll im Folgenden anhand von vier zeitgenössischen Karikaturen, die die russische Kaiserin zum Gegenstand ihrer Darstellung erheben, analysiert werden. Die Auswahl von ausschließlich britischen Karikaturen als Quellen aus der Endzeit ihrer Regierung erfolgte wegen der massiven Nutzung dieses Mediums in der vergleichsweise stark entwickelten yellow-press auf den britischen Inseln.4 Erst in den späten 1780er Jahren 1 2 3 4

Schippan, 2009. Scharf, 1997, S. 15. Raeff, 2012, S. 260f. Dawson, 2002, S. 74f. 311

Irma Straßheim

nimmt die Anzahl der Karikaturen, die die russische Herrscherin porträtieren, zu.5

The Christian Amazon (1787) Die erste Karikatur, die in dieser Arbeit thematisiert wird, trägt den Titel The Christian Amazon, with her Invincible Target, Alias, the Focus of Genial Rays, or Dian of the Rushes, to much for 300,000 Infidels und wurde am 24. Oktober 1787 von dem Verleger J. Crawford in London publiziert.

Abb. 1: Unbekannt, The Christian Amazon, with her Invincible Target, Alias, the Focus of Genial Rays, or Dian of the Rushes, to much for 300,000 Infidels, Radierung, London 1787. Es handelt sich hierbei um eine nicht kolorierte Radierung eines unbekannten britischen Künstlers. Im Hintergrund der Karikatur ziehen dunkle Wolken von links nach rechts bzw. von Westen nach Osten. Zudem erkennt man auf der linken Seite eine Stadt auf einem Hügel am Ufer eines großen Gewässers, auf welchem sich zwei Kriegsschiffe befinden. Rechts erscheint der Himmel heller, wobei auch dort bereits die ersten dunklen Wolken erkennbar sind. Am Horizont wird eine bewaffnete Menschenmasse dargestellt, die von einer Staubwolke um5 312

Tipton, 1997a, S. 82; Schnakenberg, 2012, S. 25-27.

Die machtgierige Kaiserin

geben wird und in deren Zentrum eine Flagge, auf der drei Halbmondsicheln dargestellt sind, erscheint. Von den beiden Fronten und der Stadt am Horizont abgesehen, erscheint der Hintergrund der Karikatur steppenhaft, unbewohnt und hügelig. Im Vordergrund der Karikatur wird die Austragung des Konflikts, der im Hintergrund angedeutet wird, eröffnet. Links holt eine muskulöse, maskulin wirkende Person, die einen Säbel in der rechten Hand trägt, zum Schlag aus. Gleichzeitig wehrt die Person mit dem Schild, den sie in der linken Hand trägt und auf dem ein doppelköpfiger Adler abgebildet ist, drei Kugeln und zwei kleine Bomben, die von den Personen rechts abgeschossen werden, ab. Im Kontrast zum maskulinen Körperbau dieser Person steht ihre Kleidung: Es handelt sich hierbei um ein verziertes, herrschaftliches Kleid, das infolge der Kampfhandlung weit nach oben rutscht und so kräftige, muskulöse, bestiefelte und maskuline Beine zum Vorschein bringt. Neben der Kleidung der Person stellen auch der Kopf und vor allem das Gesicht einen Bruch zum männlichen Körperbau der Person dar: Es weist eher feminine Züge, ein leichtes Doppelkinn und einen nahezu sanften Gesichtsausdruck auf und wird von langen, offenen Haaren umsäumt. Zudem trägt die Person Ketten mit Juwelen um den Hals und eine Krone auf dem Kopf. Hinter dem Rücken dieser Person sucht ein schmächtiger Mann, der sich auf seinem Säbel abstützt und einen Hut trägt, in dessen Zentrum ein doppelköpfiger Adler mit einer Krone eingestickt ist, Schutz. Dies wird zusätzlich durch seinen verängstigten Gesichtsausdruck und den Zeigefinger seiner rechten Hand, der auf die Gefahr, die von rechts, bzw. aus dem Osten droht, verdeutlicht. Die Bildunterschrift auf der linken Seite lautet: »Your Sublime Highness, is to blame I Fear,/Thus forcibly to Enter My Fron . . . tier,/In Rearing Rampant, on each Slight pretence,/You Risk the Blush, which Shame gives Impotence;/My Shield is tested, and Approved as Staunch.«

Auf der rechten Seite im Vordergrund der Karikatur sind zwei Personen und ein bekleideter Affe abgebildet. Die dynamischste und größte Figur dieser Gruppe ist der Mann, der im orientalischen Stil gekleidet ist und mit der Messerspitze seines Bajonetts, aus dem zuvor drei Kugeln abgeschossen wurden, auf den Schild der maskulinen Frau trifft. Auffallend ist der Turban auf seinem Kopf, der mit einer langen Feder verziert ist. Zudem trägt er einen Bart und sein Gesichtsausdruck lässt darauf schließen, dass er sehr verärgert ist. Außerdem ist seine Nase abgehackt. Zusätzlich ist auch er mit einem Säbel bewaffnet, welcher je313

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doch noch in der Scheide, die er an seinem herrschaftlichen, mit Fell gesäumten Mantel trägt, steckt. Vor ihm steht ein kleiner, majestätisch gekleideter Affe, der eine Krone auf dem Kopf trägt. Er weist mit seinen geöffneten Händen auf die maskuline Frau. Auch sein Schwanz ist in die Richtung der sich schützenden Gegnerin gerichtet, was vermuten lässt, dass er damit die zwei kleinen Bomben in ihre Richtung geschleudert hat. Eher im Hintergrund am rechten Rand ist ein britisch gekleideter Mann zu sehen, der durch sein Lorgnon teilnahmslos die Szenerie beobachtet. Die Bildunterschrift der rechten Seite lautet: »By Every Artist, famous in the . . . Branch,/Should then each Member, in your Salique Land,/Rise up Against My Tower, and make … a Stand,/They Shall yield Victory, to this potent Hand./Creed.«

Das Zentrum des Bildes bildet der Schild der Frau, der Kugeln, Bomben und einem Bajonett Stand zu halten versucht. Dieses wird auch mit der Bildunterschrift, die zugleich den Titel der Karikatur darstellt, betont: The Christian Amazon, with her Invincible Target, Alias, the Focus of Genial Rays, or Dian of the Rushes, to much for 300,000 Infidels. Die Karikatur spielt auf den Beginn des zweiten Krieges zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, der am 24. August/4. September 1787 durch die Pforte erklärt wurde, an.6 Als zu Beginn der 1780er Jahre die Unzufriedenheit mit dem von Russland gestützten Regime zunahm und die Lage auf der Krim dadurch zunehmend instabil wurde, ließ Katharina II. 1783 auf Grigorij Potemkins Rat hin die Krim annektieren.7 Dass die Annexion keine unmittelbare Kriegserklärung zur Folge hatte, war dem Bekanntwerden des russisch-österreichischen Bündnisses zu verdanken und der kriegsablehnenden Haltung Englands, das sich unter der Regierung von Charles James Fox und der Whig-Partei um die Stabilisierung der ehemals guten Beziehungen zu Russland bemühte. Die Hohe Pforte akzeptierte die Annexion vorerst. Aus der Perspektive der Osmanen galt es, den Zeitpunkt des Kriegsausbruchs selbst bestimmen zu können. Katharinas sogenannte Taurische Reise nach Neurussland und auf die Krim, die sie zu Beginn des Jahres 1787 antrat und zu der sie Potemkin eingeladen hatte, um ihr und ihren Begleitern zu demonstrieren, welches Kolonisationswerk er geleistet hatte, stellten das ausschlaggebende Ereignis dar, das die Pforte zur Kriegserklä-

6 7 314

Donnert, 1998, S. 246. Müller, 2001, S. 610.

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rung im darauffolgenden Spätsommer animierte:8 Das Osmanische Reich sah in der Reise, die mit einer Demonstration der russischen Flotte bei Sevastopolʼ endete, einen Affront.9 Zu diesem Zeitpunkt war Katharina II. bereits wieder in Sankt Petersburg eingetroffen – die Türken hatten mit der Kriegserklärung gewartet, bis sich die Kaiserin fernab des Kriegsschauplatzes befand.10 Trotz der Bereitschaft Katharinas II., Krieg gegen die Osmanen zu führen und eingedenk der Entscheidungen der letzten Jahre, die des Öfteren fast einen Krieg provoziert hatten, war das Russische Reich zum Zeitpunkt der Kriegserklärung nicht ausreichend vorbereitet, was im Verlauf des militärischen Konflikts eine massive wirtschaftliche und soziale Belastung des Reiches zur Folge hatte. Zugleich erwies es sich aber als glücklicher Umstand, dass die Kriegserklärung von osmanischer Seite ausgegangen war, da nun das Bündnis mit Joseph II. wirksam wurde und österreichische Unterstützung im Kampf gegen die Türken zusicherte. Das erste Ziel der russischen Kampfhandlungen stellte die Eroberung Očakovs, einer wichtigen osmanischen Hafenstadt am Schwarzen Meer, dar, die unter dem Oberbefehl Potemkins erfolgen sollte.11 Jedoch zeigte sich schon zu Beginn der Kampfhandlungen, dass die osmanische Seemacht der russischen Flotte überlegen war, so dass es zunächst galt, die russische Ausgangsposition zu sichern und die Krim nicht an die Osmanen zu verlieren.12 Die Karikatur wurde am 24. Oktober 1787, nur wenige Wochen nach Kriegsbeginn, in London veröffentlicht. Die maskuline Frau, die gerade zum Schlag ausholt, stellt die russische Kaiserin Katharina II. dar.13 Verdeutlicht wird dies nicht nur durch den Schild, den sie trägt und auf dem der russische Doppeladler abgebildet ist, sondern auch durch den Titel, der sie als »Diana der Russen« und als »christliche Amazone« bezeichnet. Wichtig ist die allegorische Komponente: Der Bezug zur römischen Göttin Diana stellt die russische Kaiserin als Göttin der Jagd, des Mondes, der Geburt und als Beschützerin der Frauen dar.14 Der ihr gewidmete Tempel in Ephesus, der der Legende nach von Amazonen gegründet worden war, bezieht sich wiederum auf die Christian Amazon.

8 9 10 11 12 13 14

Alexander, 1989, S. 256. Müller, 2001, S. 613. Madariaga, 2006, S. 115. Müller, 2001, S. 613f. Ebd., S. 614. Tipton, 1997d, S. 202. Vollmer, 1874b. 315

Irma Straßheim

Die Amazonen verkörpern in der Mythologie ein kriegerisches, weibliches Volk, das den Männern traditionell weibliche Aufgaben, wie Wolle spinnen, zugewiesen habe, selbst in den Kampf gezogen sei15 und vor allem am Schwarzen Meer erfolgreich Gebiete erobert habe. Die angegriffenen Völker hätten sie oftmals für Männer gehalten, da sie sich zum Zwecke des Kampfes mit Pfeil und Bogen die Brüste abnehmen ließen, woher sich auch der Name Amazone, die Brustlose, ableite. Insofern ist die Darstellung Katharinas als sehr maskuline, kämpfende Frau mit männlicher, flacher Brust als Verkörperung der Amazonen zu begreifen.16 Die christliche Komponente kommt dabei durch die Bildunterschrift zur Geltung, die vermuten lässt, dass die »Diana der Russen zu viel für 300.000 Ungläubige« sei. Die Argumentation, Krieg gegen das Osmanische Reich zu führen, um die Christen vom Islam zu befreien, war nicht neu, und die Vorgehensweise Katharinas II. war bereits im ersten Russisch-Türkischen Krieg auf Unterstützung durch die öffentliche Meinung Europas gestoßen, etwa durch Voltaires Lobeshymnen auf die russische Kaiserin.17 Dass diese Allegorie jedoch in Widerspruch zum zweiten Teil des Titels steht, der ihr Ziel als unbesiegbar bezeichnet, deutet an, dass sich die öffentliche Meinung seit 1774 geändert hatte: Katharina wird nicht etwa als eine sich um ihre Bevölkerung sorgende Herrscherin, die sich darum bemüht, die Christen ihres Reiches zu schützen, dargestellt, sondern als gewappnete Kriegsherrin mit eindeutig maskulinen Attributen.18 Hinter ihr sucht Kaiser Joseph II. Schutz. Erkennbar ist er an dem Hut, auf dem der Doppeladler mit einer Krone abgebildet ist. Susan Tipton meinte, es handele sich um eine Narrenkappe.19 Joseph  II. wird hier weniger als ebenbürtiger Verbündeter, sondern als unterwürfiger Gefolgsmann Katharinas  II. dargestellt. Tatsächlich wurde das Bündnis der beiden Reiche, das seit 1781 bestand, durchaus kritisch beurteilt.20 Das zurückhaltende Agieren Katharinas II., etwa im Bayerischen Erbfolgekrieg, hatte nicht zuletzt Kaunitz, den Staatskanzler Österreichs, gegen das Bündnis aufgebracht, so dass er Joseph  II. vor der Krimreise geraten hatte, eine weitere russische Expansion keinesfalls zu unter-

15 Vollmer, 1874a. 16 Tipton, 1997d, S. 202. 17 Neumann-Hoditz, 2000, S. 101. Siehe auch den Beitrag von Natalia Tuschinski in diesem Band. 18 Tipton, 1997a, S. 82. 19 Tipton, 1997d, S. 202. 20 Donnert, 1998, S. 239. 316

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stützen.21 Zwar wurden die Beziehungen der beiden Reiche durch die Taurische Reise erneut bekräftigt, eine Intervention des Kaisers im russisch-türkischen Krieg zu Gunsten des Russischen Reichs war zum Zeitpunkt der Publikation dieser Karikatur jedoch noch nicht abzusehen. Österreich erklärte der Pforte erst im Februar 1788 den Krieg. Die Darstellung Josephs II., der verängstigt Schutz hinter der Kaiserin sucht und dabei mit dem Finger auf den gemeinsamen Feind zeigt, spiegelt somit das Zögern des Kaisers wider. Gegenüber der Amazone steht der osmanische Sultan Abdülhamid  I.22 Zu erkennen ist er an seiner Kleidung und seiner Kopfbedeckung im orientalischen Stil, die ihn von den anderen Akteuren unterscheidet. Er versucht vergebens Katharina II., deren Schild den Angriffen seines Bajonetts standhält, Schaden zuzufügen. Seine abgehackte Nase, ein Symbol für Impotenz, zieht seine Erscheinung ins Lächerliche: Sie impliziert, dass der osmanische Herrscher sich nicht gegen eine Frau durchsetzen könne.23 Um die groteske Darstellung des Osmanischen Reichs in dieser Karikatur auf die Spitze zu treiben, erscheint als Verbündeter an seiner Seite ein kleiner Affe, der vermutlich den französischen König Ludwig XVI. verkörpert.24 Aufgrund des traditionellen Bündnisses Frankreichs mit dem Osmanischen Reich25 wird hier angenommen, dass es sich um den französischen König handelt, zumal Frankreich maßgeblich für die Reform und Aufrüstung der Streitmacht des Osmanischen Reichs verantwortlich war. Diese Verbindung wird durch das französische Bajonett, mit dem der Sultan die Amazone angreift, verdeutlicht. Im Allgemeinen verkörpert der Affe die einem vernunftbegabten Menschen entgegengesetzten Charaktereigenschaften und steht somit für Dummheit und Unüberlegtheit.26 Ludwig XVI. erscheint hier als Marionette des Osmanischen Reichs, der an einer traditionellen Verbindung festhält, anstatt sich gegen seinen Bündnispartner zu stellen und für die Christen zu kämpfen. Im Hintergrund steht ein britischer Reisender, der die Kampfszene durch sein Lorgnon beobachtet.27 Er wirkt sehr leidenschaftslos, zurückhaltend und suggeriert eine abwartende Haltung. Zwar hatten sich die Briten in den 1770er 21 22 23 24

Madariaga, 1981, S. 394f. Tipton, 1997d, S. 202. Franckesche Stiftungen zu Halle, 2003, S. 154. Tipton, 1997d, S. 202. Er wurde aber auch für den König von Neapel gehalten: Frankesche Stiftungen zu Halle, 2003, S. 154. 25 Malia, 1999, S. 77. 26 Melot, 1975, S. 82, 84. 27 Frankesche Stiftungen zu Halle, 2003, S. 154. 317

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Jahren um ein Bündnis mit dem Russischen Reich bemüht, in der Hoffnung, Katharina II. würde sie im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg tatkräftig unterstützen, die Beziehungen waren jedoch im Streit über die britisch-russischen Handlungsbeziehungen abgekühlt.28 Zudem verfolgten die Briten traditionell eine Balance of Power-Politik, deren Ziel darin bestand, die Vorherrschaft eines Reiches in Kontinentaleuropa zu verhindern. Dem diente 1786 das Bündnis mit Preußen.29 Daher kann man die Darstellung des Briten so deuten, dass er sich einer direkten Involvierung nach Möglichkeit entziehen will und lediglich seine eigenen (Handels-)Interessen verfolgt.30 Im Hintergrund der Karikatur wird auf russischer Seite eine Stadt auf einem Berg mit direktem Zugang zum Gewässer, auf dem sich zwei russische Kriegsschiffe befinden, dargestellt.31 Von rechts, aus dem Osten, naht die osmanische Armee, die durch den Halbmond auf den Fahnen kenntlich gemacht wird. Ansonsten ist nichts weiter als Steppe zu sehen. Es handelt sich um die vermeintlich noch unbesiedelten russischen Gebiete am Schwarzen Meer, die Grigorij Potemkin erschließen sollte.32 Die Darstellung wird ergänzt durch den Text am unteren Rand. Auf Katharinas Seite steht geschrieben: »Your Sublime Highness, is to blame I Fear,/Thus forcibly to Enter My Fron . . . tier,/In Rearing Rampant, on each Slight pretence,/You Risk the Blush, which Shame gives Impotence;/My Shield is tested, and Approved as Staunch.«

Katharina II. erklärt dem osmanischen Sultan, den sie zwar respektvoll anspricht, aber dem sie zugleich vorwirft, ihre Grenze überschritten zu haben, den Kampf. Sie sagt ihm voraus, dass er keine Chance habe, gegen ihre Stärke und ihren Schild, der seinen Angriffen sicher standhalte, anzukommen. Sie prophezeit ihm eine beschämende Niederlage und Impotenz. Der Sultan erwidert darauf: »By Every Artist, famous in the . . . Branch,/Should then each Member, in your Salique Land,/Rise up Against My Tower, and make … a Stand,/They Shall yield Victory, to this potent Hand./Creed.«

28 29 30 31 32 318

Hierzu noch immer klassisch: Madariaga, 1962. Müller, 2001, S. 613. Frankesche Stiftungen zu Halle, 2003, S. 154. Tipton, 1997d, S. 202. Madariaga, 2006, S. 110.

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Er bezeichnet sie nicht als Herrscherin, sondern als Künstlerin – als Schauspielerin, die unrechtmäßig über das Russische Reich herrscht. Dies passt insofern, als die Textpassage Bezüge zu Shakespeares Stück Henry V. beinhaltet.33 Mit dem Verweis auf den Bischof von Canterbury, der in Shakespeares Stück ausführt, dass die Lex Salica, einer der frühesten schriftlichen Gesetzestexte des Frankenreiches, festschreibe, dass es unrechtmäßig sei, dass eine Frau die Herrschaft ausübe, versucht der osmanische Sultan die Position der Kaiserin zu schwächen und seine eigene zu stärken.34 Insgesamt spiegelt die Karikatur The Christian Amazon, with her Invincible Target, Alias, the Focus of Genial Rays, or Dian of the Rushes, to much for 300,000 Infidels allerhand unterschiedliche Aspekte der öffentlichen Meinung zum Russisch-Türkischen Krieg im Jahr 1791 wider.35 Einerseits wird suggeriert, dass Katharina  II. ihrem Gegner, der durch seine Darstellung diffamiert wird, überlegen sei. Gleichzeitig wird das Machtstreben der russischen Kaiserin kritisiert, indem zum einen angedeutet wird, dass die Briten eher die Position der Türken stärken würden und sie zum anderen einer unrechtmäßigen Herrschaftsausübung bezichtigt wird.

An Imperial Stride (1791) Die wohl bekannteste Karikatur Katharinas  II. stellt The Imperial Stride dar, die vermutlich von Thomas Rowlandson stammt36 und am 12. April 1791 von William Holland in London publiziert wurde. Es handelt sich dabei um eine kolorierte Radierung. Diese Karikatur ist nicht zuletzt durch die aufreizende französische Variante, die die britische Version seitenverkehrt wiedergibt und Katharina II. barbusig darstellt, bekannt geworden.37 Das französische Blatt, das wenige Zeit später anonym publiziert wurde, bediente sich somit eines alten Hurenmotivs und diffamierte die Person und Entscheidungen der Kaiserin.38 Im Ausstellungskatalog Die Zarin und der Teufel heißt es dagegen, dass die französische Variante bereits 1787 publiziert worden sei und es sich somit bei der britischen Version 33 34 35 36 37 38

Frankesche Stiftungen zu Halle, 2003, S. 154. Ploetz, 2008, S. 401. Alexander, 1989, S. 265. Lüken, 1997, S. 202. Ebd. Tipton, 1997a, S. 88. 319

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um eine Kopie handle.39 In Anbetracht der Ausführungen Ronald Paulsons, der Rowlandson durchaus zuspricht, einige seiner Werke nach den Ideen und Zeichnungen anderer Künstler und Karikaturisten angefertigt zu haben, ist auch diese Reihenfolge der Darstellungen denkbar.40

Abb. 2: Thomas Rowlandson (?), An Imperial Stride, Radierung, London 1791. Die Karikatur stellt eine gigantische, majestätische Frau dar, die versucht mit einem großen Schritt von Russland nach Konstantinopel zu schreiten. Sie ist so groß darstellt, dass der Titel An Imperial Stride!, der auf Höhe ihrer Krone steht, durch diese in zwei Hälften geteilt wird. Unter ihrer Krone ragen ihre weißen, schulterlangen Haare hervor, die ihr offen über die Schulter fallen. Ihr Gesichtsausdruck ist streng, was durch die leicht verengten Augen und die herabgezogenen Mundwinkel verdeutlicht wird. Auffallend ist die markante Nase. Zudem verfügt sie über ein leichtes Doppelkinn, und es scheint, als würden an ihrer Oberlippe und am Kinn Bartstoppeln angedeutet werden. Ihr rechter Arm weist in die Richtung von Russland, das als ein unzivilisierter, unbesiedelter und unbebauter Steinklumpen dargestellt ist. In ihrer rechten Hand hält sie einen Reichsapfel. Mit ihrem linken Arm, der durch das Zepter in ihrer Hand verlän39 Frankesche Stiftungen, 2003, S. 152. 40 Paulson, 1972, S. 15. 320

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gert wird, zeigt sie über Konstantinopel, das im Vergleich zu Russland durch die vergoldeten, teilweise halbmondförmigen Turmspitzen als äußerst wohlhabendes Ziel erscheint, hinaus. Ihr rechter Fuß steht mit dem Fußballen noch sicher auf dem steinigen Boden Russlands, mit ihrem linken Zeh berührt sie bereits die äußerste Spitze einer goldenen Halbmondsichel, die den äußersten Turm Konstantinopels ziert. Durch den großen Schritt, den die gigantische Frau machen muss, um ihr Ziel zu erreichen, ermöglicht sie sieben gekrönten männlichen Häuptern, die unter ihr stehen und zu ihr hinaufblicken, einen Blick unter ihren Rock. Dieser Anblick löst Reaktionen aus, die verbal in Form von Sprechblasen und bildlich durch die Mimik der Männer dargestellt werden. Der erste Mann von links, der besorgt dreinblickt und ein blaues Gewand mit einer goldenen Schärpe und eine goldene Krone, die an einen Turban erinnert, trägt, sagt: »To what a length Power may be carried.« Die Bildunterschrift, die Aufschluss darüber gibt, um wen es sich handelt, ist an dieser Stelle schwer zu lesen. Der nächste Mann trägt eine große ovale, spitz zulaufende Krone und ein rotweiß gestreiftes Gewand. Er sieht etwas verärgert aus und meint: »I shall never forget it.« Er stellt Papst Pius VI. dar. Der Dritte, der eine geschlossene Krone trägt und dessen Miene besorgt wirkt, ruft aus: »By Saint Jago, I’ll strip her of her Fur!« Laut Bildunterschrift handelt es sich hier um Karl IV., König von Spanien. Der mittlere Mann, der ebenfalls eine geschlossene Krone trägt, wirkt unbeeindruckt. Im Kontrast zu seiner Mimik steht jedoch die Aussage, die ihm zugeschrieben wird: »Never saw anything like it.« Er repräsentiert den französischen König Ludwig XVI. Der fünfte Mann von links, der ebenso eine geschlossene Krone trägt, aber durch sein rotes Gewand mit blauer Schärpe und goldenem Orden besonders hervorsticht, erscheint euphorisch, er ruft: »What! What! What! What a prodigious expansion!« Hierbei handelt es sich um den englischen König Georg III. Auch der vorletzte Mann in der Reihe, dessen Krone an eine goldene Narrenkappe erinnert, wirkt erfreut. Er sagt: »Wonderful elevation.« Die Bildunterschrift bezeichnet ihn als Leopold II. von Deutschland. Der letzte Mann, der eine doppelstöckige Zackenkrone trägt, wirkt besonders erbost, sein Kommentar lautet: »The whole Turkish Army wouldn’t satisfy her.« Es handelt sich hierbei um den osmanischen Sultan Selim  III. Auffallend ist, dass dieser Mann wesentlich kleiner dargestellt ist als die anderen. Während alle anderen gekrönten Häupter bis zur Brust im Profil dargestellt sind und sich auf derselben Augenhöhe befinden, sieht man von dem letzten lediglich das Profil bis zur Schulter. Unter den gekrönten Häuptern steht »European Powers« geschrieben. 321

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Die Darstellung spielt auf die sogenannte Očakov-Krise im Jahr 1791 an: Zu Beginn des russisch-osmanischen Kriegs 1787 konnte die russische Armee nur wenige Erfolge verbuchen.41 Auch nach der Kriegserklärung Österreichs, des Verbündeten des Russischen Reichs, an die Pforte im Februar 1788 blieb die Lage angespannt, zumal Gustav  III. von Schweden Katharina  II. im Juni 1788 ebenfalls den Krieg erklärte und das Reich nunmehr an zwei Fronten zu kämpfen hatte. Zusätzlich entzog sich Polen zunehmend dem russischen Protektorat, das seit der Königswahl Stanisławs  II. Poniatowski (1764), des ehemaligen Favoriten der Kaiserin, mehrmals bekräftigt worden war, und wandte sich zunehmend Preußen zu, da Katharina II. nicht bereit war, die polnischen Reformpläne zu unterstützen. Diese Annäherung bedeutete ein mögliches Bündnis gegen Russland. Trotz des massiven Drucks von mehreren Seiten gelang es dem Russischen Reich, Ende 1788 Očakov, eine wichtige Hafenfestung des Osmanischen Reichs am Dnestr, einzunehmen.42 Weitere Erfolge stellten sich unter der Führung des Generals Aleksandr Vasil’evič Suvorov und mit Unterstützung der österreichischen Armee ein, so dass 1789 das Gebiet rund um den Dnestr von Russland erobert werden konnte und die Stadt Belgrad von Österreich besetzt wurde.43 In Anbetracht des immer noch anhaltenden Zweifrontenkriegs war Katharina II. nun bereit, Friedensverhandlungen mit dem Osmanischen Reich zu führen, doch mit dem Tod Abdülhamids I. im Jahr 1789 und dem Regierungsantritt Selims III., der auch dem Krieg im Norden durch finanzielle Unterstützung Schwedens neuen Auftrieb gab, konnte dieses Unterfangen nicht realisiert werden. Einen weiteren Rückschlag stellte der Tod Kaiser Josephs II. zu Beginn des Jahres 1790 und der Regierungsantritt Leopolds II. dar.44 Leopold II. hatte kein Interesse daran, Katharinas Griechisches Projekt zu unterstützen und mit der Unterzeichnung der Reichenbacher Konvention (27. Juli 1789), die von Großbritannien vermittelt wurde und auch das Ziel verfolgte, den drohenden militärischen Konflikt zwischen Preußen und Österreich zu verhindern, erklärte sich Österreich dazu bereit, Frieden mit dem Osmanischen Reich zu schließen und den Status quo anzuerkennen. Im folgenden Jahr spitzte sich auch die Lage des Russischen Reichs zu, da der Zweifrontenkrieg zum einen die Staatskasse und die Bevölkerung massiv beanspruchte und es zum anderen eine empfindliche Niederlage gegen Schwe41 42 43 44 322

Müller, 2001, S. 614. Madariaga, 1981, S. 404. Madariaga, 2006, S. 202. Hoffmann, 1988, S. 281.

Die machtgierige Kaiserin

den verzeichnen musste.45 Da jedoch auch den Schweden erheblicher Schaden zugefügt wurde, einigte man sich im August 1790 mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Värälä auf den Status quo. Nachdem der Krieg im Norden des Russischen Reichs beendet war, errang die russische Armee mit der Einnahme der osmanischen Festung Izmail im Dezember 1790 einen weiteren bedeutsamen Sieg im Süden. Dies führte jedoch dazu, dass Großbritannien, das sich unter der Führung des Premierministers William Pitts des Jüngeren einer strikten Eindämmung des russischen Expansionsbestrebens verschrieben hatte, zunehmend Druck auf die russische Regierung ausübte und einen sofortigen Friedensschluss mit dem Osmanischen Reich unter Verzicht auf alle eroberten Gebiete und insbesondere Očakov verlangte.46 Katharina II. beharrte jedoch darauf, Očakov und alle weiteren im Krieg getätigten Erwerbungen dem Russischen Reich einzuverleiben, so dass sich Pitt im Frühjahr 1791 dazu gezwungen sah, ihr mit einer militärischen Intervention zu drohen. Obwohl das britische Parlament Pitts Plänen zunächst zugestimmt hatte, zeichnete sich schon wenig später ab, dass der Premierminister die öffentliche Meinung, der ein militärisches Vorgehen zu heikel erschien, da dies auch bestehende Handelsbeziehungen gefährdete, falsch eingeschätzt hatte.47 Pitts Plan, Russlands Expansionsbestrebungen einzudämmen und Katharina II. zur Akzeptanz eines strikten Status quo zu drängen, scheiterte somit im April 1791.48 Die Karikatur wurde am 12. April 1791 publiziert.49 In ihr erscheint die russische Kaiserin als Gigantin, die mit einem einzigen Schritt von dem steinigen Russland über den Bosporus nach Konstantinopel schreitet.50 Ihre Erscheinung drückt immense Stärke aus, zugleich absolviert sie einen Balanceakt, da sie lediglich mit der Spitze ihres linken Fußes in Konstantinopel Halt findet, während ihr rechter Fuß fest auf russischem Boden steht.51 Mit dem Reichszepter, das die gigantische Katharina II. in der linken Hand hält und das über Konstantinopel hinaus zeigt, erfolgt eine Anspielung auf die Verwirklichung ihres ambitionierten Griechischen Projekts.52

45 46 47 48 49 50 51 52

Madariaga, 2006, S. 204. Dixon, 2010, S. 298. Hoffmann, 1988, S. 282. Madariaga, 1981, S. 419. Alexander, 1989, S. 289. Tipton, 1997a, S. 83. Lüken, 1997, S. 202. Alexander, 1989, S. 289. 323

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Die enorme Größe Katharinas II. kann auch als Darstellung der Kaiserin als Koloss von Rhodos, eines der Sieben Weltwunder, oder als Verkörperung des biblischen Leviathan interpretiert werden,53 der ein mächtiges, unbezwingbares, von Gott geschaffenes Seeungeheuer darstellt.54 Damit erfolgt eine Anspielung auf Katharinas erfolgreiche Schlachten gegen das Osmanische Reich, die auch auf dem Meer ausgetragen wurden. Ebenso lässt sich Thomas Hobbesʼ Bild des Leviathan auf die Darstellung Katharinas II. anwenden: »Der große Leviathan (so nennen wir den Staat) ist ein Kunstwerk oder künstlicher Mensch – obgleich an Umfang und Kraft weit größer als der natürliche Mensch, welcher dadurch geschützt und glücklich gemacht werden soll.«55

In diesem Sinne stellt die Figur Katharinas  II. eine Verkörperung des Russischen Reichs dar, das danach trachtet, das Volk, mit dem hier vor allem die griechisch-orthodoxen Christen auf dem Terrain des Osmanischen Reichs gemeint sein dürften, zu schützen und durch die Verwirklichung des Griechischen Projekts der Kaiserin von der Herrschaft des Sultans zu befreien.56 Diese durchaus positive Darstellung der Kaiserin als mächtige Erretterin der Christenheit im oberen Abschnitt der Karikatur erhält durch den unteren Abschnitt jedoch eine negative Wende: Der große Schritt, den Katharina machen muss, um von Russland nach Konstantinopel zu schreiten, ermöglicht sieben männlichen, gekrönten Häuptern einen Blick unter ihren Rock.57 Somit spielt die Darstellung auf die zahlreichen, vermeintlich exzessiven Liebschaften Katharinas  II. an.58 Man könnte interpretativ sogar so weit gehen zu sagen, dass ihr eine Favoritenherrschaft vorgeworfen wird, die eine starke Lenkung der Souveränin durch die politischen Ziele und die Meinung ihrer Günstlinge impliziert.59 Gerade in Hinblick auf das Griechische Projekt, an dessen Ausarbeitung und Verwirklichung Potemkin maßgeblich beteiligt war, erscheint diese Interpretation durchaus plausibel. Auch wenn die Liebesbeziehung der beiden nicht mehr bestand,

53 54 55 56 57 58 59 324

Lüken, 1997, S. 202. Hiob 41,1-26; Ps 104,26. Hobbes, 2013, S. 413. Madariaga, 2006, S. 108. Franckesche Stiftungen, 2003, S. 152. Alexander, 1989, S. 289. Madariaga, 2006, S. 178.

Die machtgierige Kaiserin

blieb Potemkin bis zu seinem Tod im Herbst 1791 doch einer der wichtigsten Berater der russischen Kaiserin. Die sieben Herrscher Europas – so viel geht klar aus der Bildunterschrift hervor – erhoffen sich in diesem Sinne, Einblicke in das politische Handeln Katharinas II., indem sie einen Blick unter ihren Rock wagen.60 Der Einblick löst gemischte Reaktionen aus und animiert die Herrscher zu durchaus obszönen Kommentaren.61 Um wen es sich bei dem Mann ganz links handelt, geht nicht eindeutig aus der Karikatur und der Literatur hervor:62 In Anbetracht der Krone, die an den Corno Ducale erinnert, scheint die Interpretation als Doge von Venedig wahrscheinlich zu sein.63 Beim nächsten gekrönten Haupt handelt es sich um Papst Pius  VI. Er ist deutlich an der Tiara und durch die Bildunterschrift zu identifizieren. Als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche sagt er, er würde »es« nie vergessen. Sein Gesichtsausdruck wirkt durch die leicht herabgezogenen Mundwinkel verärgert und streng. Möglicherweise ist »es« eine Anspielung auf das Schisma 1054, also den Bruch zwischen der römischen und der orthodoxen Kirche und Glaubensgemeinschaft. Rechts neben ihm ist Karl IV. von Spanien abgebildet, der etwas besorgt wirkt. Im Kontrast zu seinem Gesichtsausdruck steht die Aussage: »Bei Santiago, ich werde ihr das Fell ausziehen!« Dieser Ausruf macht durch den mutmaßlichen Verweis auf das gesunkene Erkundungsschiff Santiago, eines der Schiffe, mit denen Fernão de Magalhães (ca. 1480-1521) die erste Weltumseglung unternahm, deutlich, dass der spanische König abgebildet ist. Zugleich enthält seine Aussage einen gewissen Widerspruch: Mit dem Verweis auf ein gesunkenes Schiff erscheint seine Absicht, der russischen Kaiserin das Fell(-jäckchen), das sie trägt, auszuziehen, als unrealisierbare Drohung. Deutlich ist auch die obszöne, sexuelle Komponente, die durch die signalisierte Entkleidung der Kaiserin zur Geltung kommt. In der Mitte steht der französische König Ludwig XVI., dessen Miene unbeeindruckt wirkt. Er sagt, er habe so etwas noch nie gesehen. Diese Aussage Ludwigs XVI. kann angesichts eigener Machtlosigkeit als Kapitulation vor der Macht und Größe Katharinas  II. interpretiert werden. Denkbar ist auch, dass sich seine Aussage auf den entblößten Schritt der Kaiserin bezieht.

60 61 62 63

Tipton, 1997a, S. 83. Alexander, 1989, S. 289. Ebd.; Franckesche Stiftungen, 2003, S. 152. Vocelka, 2013. S. 36. 325

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Der vierte Mann von links stellt den englischen König Georg  III. dar. Er wirkt euphorisch, was durch seinen Ausruf »Was! Was! Was! Was für eine erstaunliche Expansion!« bekräftigt wird. Die vierfache Wiederholung des »Was« kann als Sprachlosigkeit des Königs vor der gigantischen Erscheinung Katharinas II. interpretiert werden. Deutlich wird seine Bewunderung für die weitreichende Expansion der Kaiserin oder aber auch für den Blick, der sich ihm, der durch seine Position in der Reihe die beste Aussicht hat, bietet. Insofern kann sein Ausruf durchaus als Zote gewertet werden. Zugleich kann man darin auch einen Kommentar zur Očakov-Krise sehen, die durch das Scheitern von William Pitts Plänen, den russischen Expansionsbestrebungen Grenzen zu setzen, Gebietsgewinne der Kaiserin auf Kosten der Pforte ermöglichte und einen weiteren Schritt zur Realisierung ihres Griechischen Projekts zu bedeuten schien.64 Beim vorletzten Herrscher von links aus betrachtet handelt es sich um Kaiser Leopold II. Er trägt eine Krone in Form einer Narrenkappe, die mutmaßlich einen Kommentar zu dem für Österreich eher unvorteilhaften Bündnis zwischen dem Russischen Reich und Österreich von 1781 darstellt.65 Mit der Unterzeichnung der Reichenbacher Konvention gab Österreich dem Druck der Tripleallianz nach, schloss Frieden mit dem Osmanischen Reich und akzeptierte den Status quo.66 Möglich wäre an dieser Stelle daher auch die Interpretation, dass Österreich nicht nur von Russland, sondern auch von allen anderen europäischen Mächten zum Narren gehalten wurde. Zugleich wirkt der Kaiser erfreut über Katharinas »wundervolle Erhebung«, obwohl er sich selbst von ihr und ihrem Griechischen Projekt distanzierte. Der letzte europäische Herrscher in der Reihe ist der osmanische Sultan Selim III. Im Vergleich zu den anderen Herrschern sticht er durch seine besonders erboste Miene und seinen obszönen Kommentar, der Katharina II. unterstellt, dass die gesamte türkische Armee sie nicht befriedigen könne, hervor. Zudem wirkt er trotz seiner hohen Krone kleiner als die anderen, was darauf hindeutet, dass er über weniger Macht verfügt. Seine Wut über Katharinas Erscheinung lässt sich auf ihre siegreichen Schlachten gegen ihn und die Eroberung seiner Gebiete zurückführen. Interessant ist, dass in der Reihe der Herrscher weder der preußische König Friedrich Wilhelm II. noch der polnische König Stanisław II. August Poniatowski abgebildet sind. Auch ein Kommentar des schwedischen Königs Gustavs III., mit dem die Kaiserin erst wenige Monate zuvor Frieden geschlossen hatte, wäre an dieser Stelle denkbar gewesen. 64 Alexander, 1989, S. 289. 65 Müller, 2001, S. 608. 66 Donnert, 1998, S. 249. 326

Die machtgierige Kaiserin

Die Darstellung der männlichen, europäischen Herrscher, die dieser Karikatur zufolge keine Chance haben, den Expansionsbestrebungen der russischen Kaiserin entgegenzutreten, zeugt davon, dass sich die Männer nur noch durch die Denunziation Katharinas II. zu helfen wissen.67 Durch die Doppeldeutigkeit ihrer Bemerkungen wird die Moral der Kaiserin angezweifelt.68 Durch die Darstellung und die Kommentare werden ihr sexuelle Freizügigkeit, militärische Grausamkeit, Stolz, Habgier und das Verfolgen grenzenloser Pläne, was durch das über Konstantinopel hinauszeigende Zepter betont wird, vorgeworfen. Interpretiert man die Zurückhaltung der europäischen Mächte als Feigheit und ihre Zoten als Ausdruck des Neids, so ergibt sich eine Darstellung der sieben Todsünden. Diese Interpretation erscheint auch insofern plausibel, als es sich um sieben Herrscher handelt und ein biblischer Bezug bereits durch Katharina II. als Verkörperung des Leviathan hergestellt wurde. Auch die Darstellung des Russischen Reiches als unbebauter Stein und die prunkvolle Erscheinung Konstantinopels sind erwähnenswert. Mit der Erweiterung der russischen Grenzen im Süden hoffte man auch auf eine Vermehrung der Ressourcen, die langfristig die Strukturprobleme Russlands lösen sollten,69 vor allem wollte man durch die Steigerung der Agrarproduktion und deren Export eine ertragreiche Einnahmequelle gewinnen. Zugleich stellte der Krieg gegen das Osmanische Reich eine massive Belastung der Finanzen und der Bevölkerung des Russischen Reichs dar.70 Insofern erscheinen Konstantinopel und die Verwirklichung des Griechischen Projekts als Mittel zum Zweck, dem russischen Steinklumpen zu Wohlstand zu verhelfen. Insgesamt handelt es sich bei der Karikatur An Imperial Stride um eine Abbildung, die bei näherer Betrachtung viel Spielraum für Interpretationen zulässt. Rowlandson, sofern er der Urheber des Motivs ist, gelang eine Komposition, die die Größe und Macht der Kaiserin und die ihr gewissermaßen unterwürfig gegenüberstehenden europäischen Mächte für jedermann nachvollziehbar abbildet. Zugleich stellen ihr weiter Schritt und der Blick unter ihren Rock, den sie den Männern gewährt, eine verständliche Symbolik dar, die der Kaiserin sexuelle Freizügigkeit und Favoritenherrschaft unterstellt. Abschließend gilt noch festzuhalten, dass An Imperial Stride lediglich eine der zahlreichen karikativen Darstellungen der sogenannten Očakov-Krise des

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Lüken, 1997, S. 202 Alexander, 1989, S. 289. Müller, 2001, S. 601f. Madariaga, 2006, S. 199. 327

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Jahres 1791 darstellt.71 Ebenso hätten beispielsweise Rowlandsons Karikatur A Grand Battle between the famous English Cock and the Russian Hen oder James Gillrays Taming of the Shrew, die ebenfalls im April 1791 publiziert wurden, analysiert werden können. Das Scheitern von Pitts Politik, das Expansionsbestreben Katharinas II. einzudämmen, markiert somit auch den Höhepunkt der karikativen Darstellungen der russischen Kaiserin in britischen Karikaturen des ausgehenden 18. Jahrhunderts.

Royal Recreation (1795) Die dritte Karikatur Royal Recreation wurde am 7. Januar 1795 von Samuel W. Fores in London publiziert. Sie stammt von Isaac Cruikshank. Es handelt sich hierbei um eine kolorierte Radierung.

Abb. 3: Isaac Cruikshank, Royal Recreation, Radierung, London 1795. Isaac Cruikshank (1764-1811) etablierte sich in den 1790er Jahren als angesehener Karikaturist. Auf der linken Seite der Abbildung ist eine auf einem Thron sitzende Frau abgebildet, die ein rosafarbenes, mit Rüschen und Goldketten verziertes Kleid trägt. Ihre Haare, die mit einer goldenen Brosche und einem Schleier geschmückt sind, trägt sie offen. Zudem trägt sie goldene Ohrringe und eine goldene Kette um den Hals. Rechts zu ihren Füßen wacht ein großes Tier, 71 Tipton, 1997a, S. 82f. 328

Die machtgierige Kaiserin

das sein Maul aufreißt und wie ein Bär aussieht. Zu ihrer linken Seite liegt eine Decke oder ein Fell, dessen Zipfel auf ihren Knien ruht. Sie lächelt und hat vor Freude und Aufregung gerötete Wangen. In ihrer rechten Hand hält sie ein Zepter, ihren linken Arm streckt sie erwartungsvoll und mit geöffneter Hand aus, um nach einem der abgetrennten Köpfe, die ihr von einem General präsentiert werden, zu greifen. Zu diesem sagt sie: »My Dear General you have well Executed your Commission; but could not you prevail on any of the Polish Women to POISON their Husbands?« Die andere Sprechblase, die zu ihrem Mund führt, richtet sich an den kleinen, schwarzen, zur rechten Seite der Karikatur fliegenden Dämon. Sie ruft ihm zu: »Go my little Ariel & prepare our Altars for these pretty Sacrifices, we must have te Deum on the Occasion.« Dieser erwidert: »Bravo this outdoes the Poison Scene.« Die zentrale Szene der Karikatur spielt sich rund um den General ab, der von der Frau angesprochen wird. Er trägt seine reichlich mit Gold verzierte blaue Uniform und eine hohe Fellmütze, an der ein goldener Orden angebracht ist. Die Ärmel seiner Jacke hat er hochgekrempelt. Seinen rechten Arm streckt er in Richtung der Frau aus, um ihr zwei menschliche, abgetrennte Köpfe, die er am Haarschopf gepackt hat, zu überreichen. Unter seinen linken Arm hat er sein blutiges Schwert und ein großes Stück eingerolltes Papier, auf dem »Articles of Capitulation Warsaw« geschrieben steht, geklemmt. In seiner linken Hand hält er zahlreiche weitere abgetrennte Häupter, deren Gesichter Qualen, Leid und Entsetzen widerspiegeln. An seinen Füßen trägt er schwarze Stiefel mit rotem Schaft und enorm großen und langen goldenen Sporen. Das Gesicht des Generals ist im Profil abgebildet und weist eine sehr markante, lange, leicht gebogene Nase auf. Sein linkes Auge hat er weit geöffnet, sein Mund ist grausam verzerrt und seine Wangen sind gerötet. Insgesamt wirkt er dadurch getrieben und blutrünstig. In der Sprechblase, die zu seinem Mund führt und an die Frau gerichtet ist, steht: »Thus my Royal Mistress have I fulfilled in the fullest extent your Tender Affectionate & Maternal Commission to those Deluded People of Poland, & have here brought you the Pickings of Ten Thousand Heads tenderly detached from their deluded bodies the Day after Capitulation.«

Dem General folgen drei Männer in Uniform, die mit abgetrennten Köpfen beladene, überquellende Körbe tragen, um sie alle der Frau darzubieten. Der vorderste dieser Gruppe kniet bereits in gebührendem Abstand vor dem Thron und stellt seinen Korb ab. 329

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Am rechten Rand der Karikatur ist außerdem noch eine Büste, die auf einem steinernen Podest steht, abgebildet. Sie ist so platziert, dass sie der blutigen Szene den Rücken zuwendet. Der Kopf der Büste blickt jedoch über die Schulter in Richtung der Frau. Der Titel der Karikatur am unteren Bildrand lautet: Royal Recreation. Die Karikatur spielt auf die Niederschlagung des sogenannten KościuszkoAufstandes durch die russische Armee unter der Führung des Generals Aleksandr Vasil’evič Suvorov im Herbst 1794 an.72 Dieser Aufstand war eine Reaktion auf die zweite Teilung Polens. Unter der Führung Tadeusz Kościuszkos formierte sich eine Oppositionspartei, die im Frühjahr 1794 in Krakau den polnischen Unabhängigkeitskrieg proklamierte.73 Die militärischen Auseinandersetzungen erreichten ihren Höhepunkt, als die Aufständischen Warschau belagerten.74 In der Folge mobilisierten sowohl Preußen als auch Russland Truppen, um die revolutionären Vorgänge in Polen zu unterbinden. Unter der Führung Aleksandr Suvorovs stürmten die russischen Truppen im Herbst 1794 Warschau und metzelten in der Vorstadt Praga etwa 20.000 Menschen nieder. Dieses erbarmungslose Vorgehen schadete dem Ruf der russischen Armee beträchtlich. Nach der Niederschlagung des Kościuszko-Aufstandes wurde im Januar 1795 die dritte Teilung Polens vollzogen, womit die unabhängige Adelsrepublik endgültig von der Landkarte verschwand.75 Die Karikatur verbildlicht die Grausamkeit der Niederschlagung des Kościuszko-Aufstandes im Herbst 1794.76 Katharina II. sitzt auf einem Thron am linken Bildrand der Karikatur. Erkennbar ist sie durch das Zepter, das sie in der rechten Hand hält und durch den Bären, der an ihrer Seite wacht. Der Bär repräsentiert Russland: Er verkörpert die kulturelle und wirtschaftliche Unterentwicklung des Landes sowie die Barbarei und Grausamkeit der Menschen und insbesondere des Militärs.77 Im Kontrast dazu stehen der Schleier und die halbmondförmige Brosche in ihrem Haar, die einen Bezug zum Osmanischen Reich herstellen. Susan Tipton konstatiert, dass Katharina II. so als orientalische Despotin erscheine.78

72 73 74 75 76 77 78 330

Tipton, 1997a, S. 89. Müller, 2001, S. 621; Kusber, 2004. Madariaga, 2006, S. 209. Malia, 1999, S. 81. Franckesche Stiftungen, 2003, S. 162. Jöhnk, 1998, S. 220. Tipton, 1997a, S. 89.

Die machtgierige Kaiserin

Die russische Kaiserin wirkt entzückt über den Anblick Suvorovs, der ihr seine Kriegsbeute, die aus zahlreichen abgetrennten Häuptern besteht, präsentiert. Verdeutlicht wird dies durch das Lächeln in ihrem Gesicht und ihre geröteten Wangen. Zudem schreckt sie nicht vor den abgetrennten Schädeln zurück, sondern streckt ihre linke Hand aus, um einen der Köpfe entgegenzunehmen. Die Darstellung impliziert zweierlei: Zum einen erscheint Katharina als Reinkarnation Salomes, zum anderen als Siegerin im Kampf gegen die jakobinische Hydra. Salome (ca. 10-ca. 64 n. Chr.), die Tochter der Herodias, hat der antiken Überlieferung zufolge als Gegenleistung für die Aufführung eines Tanzes die Enthauptung Johannes des Täufers gefordert. Die Enthauptung des Täufers sei anschließend mit der Begründung, man fürchte einen Aufstand, vollzogen worden. In der Kunst wird Salomes Forderung oft als Vergeltung dafür dargestellt, dass Johannes ihre Liebe nicht erwidert habe. In diesem Sinne erfolgt in dieser Karikatur Katharinas  II. wieder einmal eine Anspielung auf die wechselnden Favoriten der Kaiserin, die sie mutmaßlich nach einer Weile verschmähten und ihre Gefühle nicht erwiderten. Katharina II. erscheint somit als Initiatorin eines Massakers.79 Die jakobinische Hydra steht dagegen für die Gefahr, die von den polnischen Aufständischen und ihren revolutionären Ideen und Zielen für Osteuropa ausging, die – wie in Frankreich – zum Sturz der Monarchie führen könnten.80 Katharina II. hat diesen Begriff selbst in ihren Korrespondenzen verwendet, um ihre Abneigung gegen die Vorgänge in Frankreich zum Ausdruck zu bringen.81 In der Mythologie wird die Hydra als eine Schlange mit vielen Köpfen beschrieben, die Herakles im Auftrag des Eurystheus bezwingen musste.82 Zentrale Figur dieser Darstellung ist jedoch nicht die Kaiserin, sondern Suvorov, der aus Praga zurückgekehrt ist und von drei Soldaten, die große und offenbar schwere Körbe mit abgetrennten Häuptern tragen, begleitet wird. Seine Gesichtszüge wirken grausam grotesk. Seine Wangen sind stark gerötet und auch sein Mund wirkt verzerrt. Cruikshank erzeugt den Eindruck, Suvorov sei brutal, blutrünstig und grausam. Dies wird nicht zuletzt durch all die Köpfe, von denen einige kindliche und feminine Züge aufweisen, und sein immer noch blutgetränktes Schwert signalisiert. Auch die überdimensionalen Sporen an seinen Stiefeln fügen sich in dieses groteske Bild. Zudem bringt er Katharina II. eine Urkunde mit der Aufschrift »Artikel der Kapitulation Warschaus«, die er ebenfalls unter seinen Arm 79 80 81 82

Luther, 2010. Tipton, 1997c, S. 200. Marcum, 1974. Seelert, 2000-2014. 331

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geklemmt hat und die von seiner erfolgreichen Mission im Auftrag der Kaiserin zeugt. Suvorov spricht Katharina II. respektvoll an: »Thus my Royal Mistress have I fulfilled in the fullest extent your Tender Affectionate & Maternal Commission to those Deluded People of Poland, & have brought you the Pickings of Ten Thousand Heads tenderly detached from their deluded bodies the Day after Capitulation.«

Seine Betonung ihrer Zärtlichkeit und Mütterlichkeit steht in deutlichen Kon­ trast zur Grausamkeit der Szene. Zudem zieht es die Titel »Katharina die Große« und »Mutter des Vaterlandes«, die ihr der russische Senat 1767 als Reaktion auf ihre Instruktion zur Gesetzgebenden Kommission antrug,83 geradezu ins Lächerliche. Cruikshank impliziert damit, dass Katharina II. schlicht Despotismus verkörpere. Die Kaiserin erwidert ihrem General: »My Dear General you have well Executed your Commission; but could not you prevail on any of the Polish Women to Poison their Husbands?« Diese Bemerkung, die Cruikshank Katharina zuschreibt, zielt deutlich auf die Gerüchte, sie habe ihren Gemahl Peter  III. vergiften lassen, bzw. sei der Mittäterschaft an seinem Tod schuldig, ab. Zusätzlich wird dies durch den Kommentar des kleinen, schwarzen Dämons, der am oberen, rechten Bildrand der Karikatur abgebildet ist, bekräftigt. Jener sagt nämlich, dass die Szene, die sich ihm bietet, den Giftmord übertreffe. Interessant ist auch, dass Katharina den kleinen Dämon zärtlich als Engelchen bezeichnet und ihm aufträgt, Vorbereitungen zu treffen, um die sakralen Opfer gebührend mit Lobgesängen zu feiern.84 Cruikshank bezichtigt die russische Kaiserin somit des Satanismus und eines Pakts mit dem Teufel.85 Erwähnenswert ist zudem die steinerne Büste am rechten Rand der Karikatur. Sie stellt den britischen Politiker Charles James Fox dar, den einstigen Unterstützer der russischen Kaiserin, der sich nunmehr für die Ziele der Französischen Revolution begeisterte.86 Einst hatte Katharina II. eine Marmorstatue zu seinen Ehren in Auftrag gegeben, die bis zu seiner Hinwendung zur Revolution in der Eremitage stand.87 Daraufhin erschien Fox in Karikaturen häufig als Favorit und Liebhaber der Kaiserin. Dass Foxʼ Büste der Szene den Rücken kehrt und durch 83 84 85 86 87 332

Donnert, 1998, S. 118. Ebd. Franckesche Stiftungen, 2003, S. 162. Tipton, 1997c, S. 200. Tipton, 1997a, S. 86.

Die machtgierige Kaiserin

dunkle Schatten im Bereich der Augen betrübt wirkt, verbildlicht den Bruch der beiden.88 Schließlich stellt der Titel der Karikatur Royal Recreation – Royale Erholung in Anbetracht der karikativen Darstellung eine ablehnende Haltung bezüglich der gewaltsamen Vorgehensweise Katharinas zum Schutz der Monarchie dar. Insgesamt zeichnet Cruikshank ein grausames Bild der russischen Kaiserin: Sie erscheint als blutrünstige, sadistische Despotin, die unter Vorwänden agiert und zum Satanismus übergetreten ist.

The Moment of Reflection (1796) Das letzte Karikaturenbeispiel The Moment of Reflection or a Tale for Future Times stammt ebenfalls von Isaac Cruikshank und wurde am 26. Dezember 1796 von Samuel W. Fores in London publiziert. Es handelt sich auch hier um eine kolorierte Radierung.

Abb. 4: Isaac Cruikshank, The Moment of Reflection or a Tale for Future Times, Radierung, London 1796. 88 Franckesche Stiftungen, 2003, S. 162. 333

Irma Straßheim

Von der linken Seite der Karikatur aus zieht eine große Wolke auf, die allerhand unheilvolle und grausame Szenen beinhaltet: Unten links sieht man einen geköpften Mann, dem das Blut aus dem Hals spritzt und der seinen Kopf in den Händen trägt und in die Höhe streckt. Neben ihm ist ein gehängter Mann mit einem sehr langen Hals abgebildet, der das todbringende Seil mit einer Hand umfasst und dessen Gesicht vor Schreck und Leid verzerrt dargestellt ist. Über ihm erscheint eine nackte Frau, die etwas auf dem Kopf balanciert. Rechts neben ihr ist ein Mann zu sehen, der traurig nach links blickt. An seiner rechten Seite erscheint ein geschorener Kopf, der vorwurfsvoll zur rechten Seite der Karikatur blickt. Etwas oberhalb davon ist ein spitz zulaufendes Kreuz zu sehen. Darüber links außen hängt ein Mann am Galgen; rechts neben ihm sieht man einen edel gekleideten Mann, der mit dem Rücken zu dem Gehängten steht und eine Perücke trägt. Er blickt empor zu einem körperlosen weiblichen Arm, der einen Stock in der Hand hält und auf einen gekrönten Mann zeigt, der scheinbar ein Nachthemd trägt. Er sieht flehend und zugleich wütend aus, was durch seine gefalteten Hände und seinen Gesichtsausdruck verdeutlicht wird. Diese Figur dominiert die Wolke, die zur rechten Seite der Karikatur zieht. Links hinter ihm steht noch ein Mann, der eine Krone und Ketten an den Händen trägt und seinen linken Arm hebt. Über ihm steht »Poland« geschrieben. An seiner Seite sitzt ein Mann mit geöffneter Jacke, der etwas Längliches in der rechten Hand hält. Die Schrift über ihm ist schwer leserlich, dort könnte »Koscisko« stehen. In der linken oberen Ecke der Wolke sind schließlich Kampfhandlungen zu sehen. Einige bewaffnete Männer greifen eine andere Gruppe Soldaten an, die sich hinter erhöhten Burgmauern befindet. Unter diesem Bildausschnitt steht »Warsaw«. Die meisten der Personen, die sich in der Wolke befinden, blicken zur rechten Seite der Karikatur. Dort ist eine Person abgebildet, die ein goldgelbes Kleid, reichlich Schmuck um den Hals und einen blauen Mantel mit Fellbesatz trägt. Auf ihrem Kopf trägt sie zudem einen Turban und ein goldenes Diadem. In strengem Kontrast zu dem weiblichen Körperbau und der femininen Kleidung dieser Person stehen die maskulinen Gesichtszüge und der Schnurrbart. Der Gesichtsausdruck der Person lässt vermuten, dass die unheilvolle Wolke unerwartet aufgezogen ist. Dies verdeutlichen vor allem ihre weit aufgerissenen Augen. Auch die Körperhaltung passt zu dieser Annahme: Es wirkt, als habe die Wolke die Person in die Ecke gedrängt und weil sie keinen Platz mehr hat, um zu flüchten, sinkt sie an einer Kommode, auf der sie sich noch mit ihrem linken Arm abstützt, zusammen. Mit ihrer rechten Hand klammert sie sich an ihr Kleid, das sie dadurch aufrafft und somit animalische Hufe statt menschlicher Füße entblößt. Hinter der zusammensinkenden Person steht ein Skelett, das einen Pfeil in der linken Hand hält und mit diesem auf ihren Kopf zielt. Rechts neben dem 334

Die machtgierige Kaiserin

Skelett hängt ein Porträt eines Mannes in einem Goldrahmen. Die Augen des Porträtierten blicken in Richtung der schrecklichen Wolke. In der rechten Ecke der Karikatur sind außerdem noch zwei kleine, dämonische Wesen zu sehen, die eine kleine, geöffnete Kiste tragen, auf der »For Kates Spirit« geschrieben steht. Zentrale Figuren dieser Karikatur sind der gekrönte Mann mit gefalteten Händen und die Person im Kleid. Sie begegnen sich nahezu auf Augenhöhe, wobei der Mann mit der Krone auf dem Kopf etwas höhergestellt ist. Am unteren Bildrand steht der Titel der Karikatur geschrieben: The Moment of Reflection or a Tale for Future Times. Diese Karikatur verbildlicht den Tod Katharinas, die am 6./17. November 1796 vermutlich an den Folgen eines Schlaganfalls dahinschied.89 Ihre Nachfolge trat trotz der Gerüchte, er würde zugunsten seines Sohnes und Katharinas Enkel Alexanders I. übergangen, ihr Sohn Paul I. an.90 Pauls Regierungszeit zeichnete sich nicht zuletzt dadurch aus, dass er die Herrschaftszeit und die Entscheidungen seiner Mutter, zu der er ein schwieriges Verhältnis gehabt hatte, ablehnte und sie posthum gewissermaßen zur despotischen Usurpatorin deklarierte.91 So ließ er beispielsweise nur wenige Tage nach dem Tod Katharinas II. seinen Vater Peter III. exhumieren, um ihn Ende November 1796 kaiserlich bestatten zu lassen. Seiner Mutter dagegen richtete er Anfang Dezember 1796 lediglich eine Bestattung als kaiserliche Gemahlin aus.92 Isaac Cruikshank stellt Katharina II. in seiner Karikatur The Moment of Reflection or a Tale for Future Times, die am 26. Dezember 1796 publiziert wurde, im Moment ihres Todes dar.93 Der Künstler postuliert, dass der Tod Katharinas II. durch die Heimsuchung der Geister ihrer Vergangenheit, die sich allesamt in einer großen Wolke, die vom linken Bildrand bis in die Mitte des Bildes reicht, befinden, verursacht wurde. Dass der Kaiserin der Tod bevorsteht, wird dabei durch das Skelett, das hinter ihr steht und mit einem Pfeil auf ihren Kopf abzielt, verdeutlicht.94 Die Kampfhandlungen oben links in der Wolke spielen auf die Kriege gegen das Osmanische Reich bzw. auf das Vorgehen gegen die polnischen Aufständischen an.95 Darunter erscheinen zwei Personen, die gefesselt sind und über de89 90 91 92 93 94 95

Dixon, 2010, S. 315. Ebd., S. 316f. Ebd., S. 317. Ebd., S. 317, 319. Tipton, 1997a, S. 89. Franckesche Stiftungen, 2003, S. 173. Tipton, 1997b, S. 210. 335

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nen »Poland« und möglicherweise »Koscisko« steht.96 Somit stellen die beiden Personen Tadeusz Kościuszko und Stanisław II. August Poniatowski dar. Cruik­ shank verbildlicht damit das erbarmungslose Vorgehen Katharinas  II. gegen Polen. Darunter erscheinen weitere grausame Szenen: Ein Mann am Galgen, ein Mann mit einer Perücke auf dem Kopf, eine Hand, die einen Stab umfasst, eine nackte Frau, die ein Gefäß auf dem Kopf balanciert und ein Mann, der Katharina vorwurfsvoll den Rücken zukehrt. Diese sind nicht eindeutig bestimmten Ereignissen während Katharinas Herrschaft zuzuordnen, betonen jedoch die Grausamkeit und Willkür ihrer Herrschaft. Etwa in der Mitte der Wolke erscheint ein spitz zulaufendes Kreuz, links daneben ein Mann, der möglicherweise einen Geistlichen darstellt. Dieser Teil der Szene spielt mutmaßlich auf die Säkularisation der Kirchengüter an, die Katharina II. 1763 veranlasst hatte97. Die beiden Männer, die unten links in der Wolke dargestellt sind, könnten eine Anspielung auf die Hinrichtungen Emel’jan Ivanovič Pugačëvs und seiner Anhänger im Jahr 1775 sein, der sich als Peter III. ausgegeben hatte.98 Die herausragendste Figur in der Wolke stellt der Mann auf Augenhöhe der Kaiserin dar. Er trägt eine Krone und streckt ihr die gefalteten Hände entgegen. Hierbei handelt es sich allem Anschein nach um Katharinas Gemahl Peter III., der sie im Moment ihres Todes heimsucht. Katharina II. selbst erscheint als orientalischer Mann, der ein Kleid trägt.99 Veranschaulicht wird dies durch ihren Schnurrbart, die großen Hände und die Kopfbedeckung, die sie trägt. Ihr Gesichtsausdruck suggeriert Erstaunen und zugleich spiegelt sich darin Angst wider, was durch ihr Zusammensinken und den Versuch, an einer Kommode Halt zu finden, bekräftigt wird.100 Bei dieser Handlung rafft Katharina  II. ihr Kleid zusammen und offenbart Ziegenbeine. Cruikshank stellt sie somit als Baphomet, einen satanischen Dämonen, der allerhand Gegensätze vereint und auch Sex, Lust und Gier verkörpert,101 dar. Somit wird Katharinas diabolischer Charakter betont. Bekräftigt wird dies zusätzlich durch die beiden Dämonen unten rechts im Bild, die eine geöffnete, kleine Kiste tragen, die für die Seele der Kaiserin bestimmt ist. Katharinas Erscheinung wirkt jedoch auch im Angesicht des Todes durch ihre prunkvolle Kleidung und ihren Schmuck noch mächtig. Außerdem muss noch das Porträt im Hintergrund 96 97 98 99 100 101 336

Franckesche Stiftungen, 2003, S. 173. Donnert, 1998, S. 104. Ebd., S. 172. Franckesche Stiftungen, 2003, S. 173. Tipton, 1997b, S. 210. Koukidis, 2006/07.

Die machtgierige Kaiserin

erwähnt werden, das mutmaßlich Grigorij Aleksandrovič Potemkin darstellt.102 Susan Tipton behauptet zwar, dass es sich dabei um den britischen Politiker Charles James Fox handle,103 doch in Anbetracht des Einflusses Potemkins erscheint dieser für ihre Lebensbilanz wichtiger.104 Schließlich gilt es auch noch den Titel The Moment of Reflection or a Tale for Future Times zu betrachten: Cruikshank bringt damit die Heimsuchung Katharinas  II. durch die Geister ihrer Vergangenheit zum Ausdruck, zum anderen erschafft er mit seiner Karikatur ein Bild, das die Charakteristika der Herrschaftszeit Katharinas II. zukünftigen Generationen vermitteln soll.105 Insgesamt erscheint die russische Kaiserin in dieser Karikatur als das Böse in Person: Grausamkeit, Despotismus, Favoritenherrschaft, Hab- und Machtgier sind nur einige der Charaktereigenschaften, die Isaac Cruikshank suggeriert. Dass sie selbst als Baphomet dargestellt wird, betont all dies zusätzlich. Schon die begrenzte Auswahl von Karikaturen zeigt, dass sich das Bild der russischen Kaiserin von Beginn des zweiten russisch-türkischen Krieges im Jahr 1787 bis zu ihrem Tod im Jahr 1796 zunehmend zum Negativen entwickelte: Während sie in der Karikatur The Christian Amazon, with her Invincible Target, Alias, the Focus of Genial Rays, or Dian of the Rushes, to much for 300,000 Infidels noch als starke, unerschrockene, christliche Amazone gegen das Osmanische Reich in den Kampf zieht, erscheint sie posthum in The Moment of Reflection or a Tale for Future Times als despotische, grausame, machtgierige Verkörperung des Teufels. Zwar enthielt auch das erste Beispiel bereits Elemente, die von Kritik an ihrer Herrschaft zeugen, im Verlauf der nächsten Jahre nehmen diese in der britischen Karikatur jedoch überhand. Es verfestigte sich das Bild Katharinas II. als einer machtgierigen, despotischen Herrscherin. Zugleich veränderte sich in dieser Zeit die britische Karikatur selbst: Am Ende der 1780er Jahre und zu Beginn der 1790er Jahre setzten die Künstler noch stark allegorische Mittel ein, um ihre teils doppeldeutigen Botschaften zu vermitteln; dagegen weisen die britischen Karikaturen Mitte der 1790er Jahre einen wesentlich verständlicheren Symbolcharakter auf, der nur noch wenig Interpretationsspielraum zulässt und eindeutige Botschaften vermittelt.

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Franckesche Stiftungen, 2003, S. 173. Tipton, 1997b, S. 210. Madariaga, 2006, S. 178. Franckesche Stiftungen, 2003, S. 173. 337

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Der Anspruch der Kaiserin, sich selbst und anderen zu gefallen und ihre Herrschaft und das Land, über das sie regierte, in positivem Licht erscheinen zu lassen, scheiterte somit in Hinblick auf die Wirkung, die ihre Entscheidungen und Maßnahmen am Ende ihrer Regierungszeit auf die öffentliche Meinung in Großbritannien hatten. Die Darstellungen ihrer Person zeigen nichts mehr von der einst als aufgeklärt wahrgenommenen und im Interesse der russischen Bevölkerung handelnden Kaiserin, sondern verkehren diese Eigenschaften vollkommen in ihr Gegenteil, indem sie ihr einen diabolischen Charakter und Maßlosigkeit in jeder Hinsicht vorwerfen. Die öffentliche Meinung Großbritanniens suchte einen Weg, das Prestige des Russischen Reichs, das unter Katharina II. einen enormen Gebietsgewinn verzeichnen konnte und sich zugleich als europäische Großmacht etablierte, zu untergraben – in deftigen Karikaturen der russischen Kaiserin.

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Große. Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung der Staatlichen Museen Kassel, der Wintershall AG, Kassel, und der RAO Gazprom, Moskau, im Museum Fridericianum Kassel 13. Dezember 1997 – 8. März 1998, hg. von Hans Ottomeyer/Susan Tipton, Eurasburg 1997c, S. 200, 202. Dies., Katharina II. als Amazone im Kampf gegen den türkischen Sultan. The Christian Amazon, with her invincible target (Kat. Nr. 270), in: Katharina die Große. Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung der Staatlichen Museen Kassel, der Wintershall AG, Kassel, und der RAO Gazprom, Moskau, im Museum Fridericianum Kassel 13. Dezember 1997 – 8. März 1998, hg. von Hans Ottomeyer/Susan Tipton, Eurasburg 1997d, S. 202. Vocelka, Karl, Frühe Neuzeit 1500-1800 (UTB-Basics 2833), Konstanz 2013. Vollmer, Wilhelm, Art. Amazonen, in: Vollmer’s Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874a; www.vollmer-mythologie.de/amazonen/?mark=Amazone, 1.4. 2018. Ders., Art. Diana. Artemis, in: Vollmer’s Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874b; www.vollmer-mythologie.de/diana_artemis/, 1.4.2018.

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»Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen.« Oranienbaum – Katharinas II. Ästhetisierung weiblicher Herrschaft Alexander Bauer »[…] Ich bat, mir die Ruinen der kleinen Festung zu zeigen, aus der man Peter III. nach Ropša brachte, wo er ermordet wurde. Man brachte mich in ein abseits gelegenes Dörfchen; ich sah einen ausgetrockneten Graben, Spuren von Fortifikationen und Steinhaufen – moderne Ruinen, die viel mehr infolge der Politik denn der Zeit entstanden. […] Jeder Besucher, nach seiner Ankunft in Oranienbaum, sucht ruhelos nach den Spuren jener Gefangenschaft, in der man Peter III. zwang, seine freiwillige Thron­entsagung zu unterzeichnen, die zugleich zu seinem Todesurteil wurde.« Astolphe de Custine1

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Custine, 1996, S. 275f. (Übersetzung aus dem Russischen von Alexander Bauer). 343

Alexander Bauer

1. Einführung So beschrieb der französische Publizist Marquis Astolphe de Custine im Jahre 1839 seine Eindrücke von Oranienbaum, einer an der südlichen Küste des Finnischen Meerbusens, westlich von Peterhof, gelegenen großfürstlichen Sommerresidenz.2 Die Ruinen am Rande Oranienbaums verwiesen den Franzosen auf die Ereignisse des Sommers 1762. Doch sie zeugten nicht von der Palastrevolte und dem Tod Kaiser Peters III. selbst, sondern von dem Eifer, mit dem die Dynastie versuchte, diese Ereignisse vergessen zu machen. Custine sah mehr als das. Der Graben, die Reste von Fortifikationen und Steinhaufen waren Spuren des Lebens und des Wirkens des ehemaligen Besitzers von Oranienbaum, des Großfürsten und späteren Kaisers Peter III. Es waren architektonische Spuren des sogenannten Jungen Hofes – des Hofes des Großfürstenpaares Petr Fedorovič und Ekaterina Alekseevna, der späteren Katharina der Großen. Die Ruinen zeugten vom persönlichen und politischen Konflikt zwischen Peter und Katharina, der über den Tod Peters III. hinaus andauerte. Gewiss war der Sturz des Kaisers eine politische Angelegenheit, doch wohnte ihm auch eine ästhetische Dimension inne. In seinen Aufzeichnungen deutete Custine unwillkürlich eine Topographie der Palastrevolte an. Der Sturz Peters III. lässt sich an bestimmten Räumen festmachen: Peterhof – Oranienbaum – Ropša. In Peterhof nahmen die Gardeoffiziere den Zaren in Gewahrsam. Von Peterhof brachte man ihn nach Oranienbaum, seiner Lieblingsresidenz. Hier, im Großen Saal des Großen Palastes von Oranienbaum, unterzeichnete Peter seine Abdankung. Dann brachte man ihn nach Ropša: Hier fand er den Tod.3 Es ist bezeichnend, wie diese Topographie der Palastrevolte sich im Verhalten Katharinas II. widerzuspiegeln scheint, und zwar in ihrem Verhältnis zu diesen Orten. Ropša, eine kleine Sommer- und Jagdresidenz Peters III. ganz in der Nähe von Oranienbaum, wurde zu einem vergessenen Ort, ja einem Nicht-Erinnerungsort. Peterhof war für Katharina ein schrecklicher Ort: In zahlreichen 2

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Der Name der Residenz wurde vermutlich der gleichnamigen Schlosspark-Anlage entlehnt, die im letzten Viertel des 17.  Jahrhunderts (zwischen 1683 und 1698) vom niederländischen Architekten Cornelius Ryckwaert erbaut wurde und der Fürstin Henriette Catharina von Anhalt-Dessau, geborener Prinzessin von Oranien-Nassau, gehörte (heute Oranienbaum-Wörlitz in Sachsen-Anhalt); Uspenskij, 1913, S. 24. Rulhière, 1911, S. 59; Myl’nikov, 2009, S. 216-230; Eliseeva, 2013, S. 201-222, 250-301.

»Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen.«

Briefen, darunter an Johanna Dorothee Bielke, an Voltaire und an Friedrich Melchior von Grimm, schreibt sie, wie sehr sie Peterhof hasse, der Weg dorthin sei für sie eine Fahrt in die Hölle.4 Freilich konnte sich die Zarin Peterhof nicht gänzlich entziehen. Schließlich war diese Residenz seit langem zu einem wichtigen Ort der Memoria Peters des Großen geworden. Viele Zeremonien und Feierlichkeiten fanden traditionell in Peterhof statt. Katharina verbrachte so wenig Zeit in Peterhof wie möglich. Im Sommer lebte sie hauptsächlich in Carskoe Selo, im Katharinenpalast.5 Mit Oranienbaum verhielt es sich anders. Man kann nicht sagen, dass Katharina die Residenz besonders bevorzugte, doch entfaltete sie hier eine intensive Bautätigkeit. Zahlreiche Bauprojekte wurden in Oranienbaum verwirklicht, die meisten von ihnen bereits im ersten Jahrzehnt ihrer Herrschaft. Auch in den Zapiski – Katharinas Erinnerungen – nimmt Oranienbaum eine prominente Stelle ein. Eigentlich ist es der zentrale Handlungsraum in den Zapiski. Eine derartige Exponierung Oranienbaums mag verwundern, lag doch auf ihm der Schatten Peters III., jenes bösen Geistes ihrer Herrschaft, der immer wieder aufschien, durch Gerüchte, die in Europa kursierten, meistens aber in Gestalt von samozvancy, den Pseudo-Kaisern, deren prominentester Emel’jan Pugačev war. Warum ließ Katharina Oranienbaum nicht im Vergessen versinken wie Ropša? Was bezweckte sie mit ihren Bauprojekten in Oranienbaum? Und welche narrativen und ästhetischen Strategien verfolgte sie in ihren Aufzeichnungen in Bezug auf Oranienbaum und in seinen Raumausstattungen? Versuchte sie tatsächlich die Bauten Peters III. »verschwinden« zu lassen? Oder bot Oranienbaum vielleicht gerade durch seine Verflechtung mit der Person Peters III. und

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»Jʼai quitté aujourdʼhui mon cher, mon charmant Tsarsko-Sélo pour mʼen aller au détestable, au haïssable Péterhof, que je ne puis souffrir, pour y fêter mon avènement au trône et la fête de Saint-Paul. Après vous avoir dit cela, vous voudrez savoir peut-être dʼoù je vous écris; cʼest, madame, que jʼai pris le chemin de lʼécole pour passer du ciel en enfer: jʼai passé par cette maison de chasse où je coucherai cette nuit, et demain je serai à Péterhof«, Katharina II. an Johanna Dorothea Bielke, 25.6.1772, in: Grot, 1874, S. 259; 9.8.1772, S. 261; Katharina II. an Grimm, 14.7.1774 in: SIRIO, Bd. 23, 1787, S. 4. Katharina II. an Voltaire, [1772], in: Schumann, 1991, S. 291; Katharina II. an Johanna Dorothea Bielke, 12.5.1772, in: Grot, 1874, S. 241; 9.8.1772, S. 261; Katharina II. an Voltaire, 25.6.1772, S. 256. Zu Peterhof unter Peter I. und im Zeichen seiner Memoria: Böhme, 1972, S. 145f.; Wortman, 1995, S. 42-45; Nikiforova, 2011, S. 300-345. 345

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den Großfürstinjahren Katharinas selbst einen passenden Raum für ihr Legitimationsprogramm? Im vorliegenden Beitrag soll es weniger um die Funktion der Fürstinnenräume in der Repräsentation des Großfürstenpaares und des Jungen Hofes gehen – wobei diese Frage ein erhebliches Desiderat zur russischen Hofforschung darstellt. Wie Katharinas Appartements hinsichtlich ihrer Funktion als repräsentativ-gesellschaftlicher Kommunikationsraum innerhalb des Großen und des Jungen Hofes organisiert waren, ob sie diesbezüglich als eine spiegelbildliche Entsprechung der Räume des Großfürsten begriffen werden können6 und ob der russische Hof hinsichtlich solcher Funktionszuweisungen den zentral- und westeuropäischen Vorbildern entsprach, ob es russische Spezifika gab – diese Fragen bedürfen tiefgehender Studien. In diesem Aufsatz geht es um eine Analyse einschlägiger Textstellen aus Katharinas Zapiski und der aus ihnen erkennbaren ästhetischen Strategien in den Außen- und Innenräumen Oranienbaums. Als methodischer Ausgangspunkt dieser Analyse dient die Vorstellung von einem Zusammenspiel von persönlichen Erfahrungen, literarischem Text und der Raumausstattung, ob in Architektur oder im Bild. Dabei gehe ich von einer Relevanz für geschichtswissenschaftliche Fragestellungen aus. So kann der Problemkreis von Selbstdarstellung und politischer Propaganda, hier in seinen geschlechtsspezifischen Bezügen, umrissen werden.7 Für Katharina II. gilt es außerdem, einige Aspekte ihrer Kunstpolitik bzw. der Nutzbarmachung von Kunst für ihre Selbstdarstellung zu verdeutlichen. Die Behandlung dieses Themas geht bislang entweder kaum über Allgemeinplätze wie die Kunsteinkäufe und die Gründung der Sammlung der Eremitage hinaus oder konzentriert sich auf ihr literarisches Schaffen.8

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Bischoff, 2002, S. 173, 175. »Was für andere Formen von Quellen zutrifft, gilt auch für Bilder: Sie wurden […] geschaffen, ohne dass die Arbeit eines zukünftigen Historikers dabei eine Rolle spielte. Ihre Produzenten hatten ihre eigenen Interessen, ihre eigenen Botschaften.« Burke, 2010, S. 9-21, 39-74 (Zitat S. 39); Bischoff, 2002, S. 164. Buteschön, 2008, S. 17-34; Proskurina, 2017.

»Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen.«

2. Deutscher Herzog – russischer Großfürst: das Oranienbaum Peter Fedorovičs Im Jahre 1743 schenkte die Zarin Elisabeth Oranienbaum ihrem Neffen und Thronfolger, dem Großfürsten Peter.9 Nach seiner Vermählung mit Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst ein Jahr darauf wurde Oranienbaum zum Hauptsommersitz des Jungen Hofes. Zum ersten Mal wird ein Aufenthalt des Großfürstenpaares in Oranienbaum im Kammerfourier-Journal mit dem Datum 6. Juni 1746 erwähnt.10 18 Jahre lang war Peter der Bauherr von Oranienbaum. Seine Vorlieben prägten das architektonische Antlitz der Residenz. Die führenden Architekten des Jungen Hofes waren Antonio Rinaldi und Francesco Bar­ tolomeo Rastrelli. Der letztere leitete die Wiederherstellung der Residenz und ihrer Innenräume. Vordergründig dürfte es sich hierbei um die Auswechslung der Fußböden und der Deckenbalken gehandelt haben, die bei einem Brand 1748 noch zusätzlich beschädigt wurden.11 Zu den wichtigsten Arbeiten von Rinaldi und Rastrelli gehörte die Rekonstruktion der Innenausstattung des Großen Palastes, diesmal allerdings im Zeichen des neuen Bauherrn.12 In seinem 9

Myl’nikov, 2009, S. 75. Der erste Besitzer Oranienbaums war Fürst Aleksandr Menšikov. Peter der Große schenkte seinem Günstling das Grundstück. Die Baugeschichte Oranienbaums begann zwischen 1710 und 1714, als dort für den Fürsten ein Palast (der Große Palast, projektiert von Giovanni Fontana und Georg Schädel) errichtet und ein Garten mit Orangerie angelegt wurde. Eine detaillierte Beschreibung des frühen Oranienbaum, seiner baulichen Situation in den 17101720er Jahren hinterließ der Kammerjunker Herzog Karl Friedrichs von HolsteinGottorf (des Vaters des späteren russischen Kaisers Peter III.) Friedrich Wilhelm von Bergholz. Nach dem Sturz Menšikovs im Jahre 1728 fiel die Residenz an das Zarenhaus. In den 1730ern wurde der Palast von Michail Zemcov und Petr Eropkin umgebaut. Die Innenräume des Palastes richtete der Hofbaumeister Rastrelli neu ein, und zwar für das Großfürstenpaar Peter und Katharina. In der Zeit Katharinas II. arbeitete vor allem Antonio Rinaldi bis 1780 in Oranienbaum; Uspenskij, 1913, S. 24-36; Chwidkowskij, 1996, S. 253-266; Bergholz, Bd. 19, 1787, S. 98f. 10 Uspenskij, 1913, S. 28. 11 Skodock, 2006, CD-ROM, Punkt 54. 12 Chwidkowskij, 1996, S. 259. In seiner Relation général berichtet Rastrelli: »Ditto. Mgr. Le Grand Duc, mʼaїant donné Commission de reparer dans le gout moderne Son château de Plaisance que sa Maj. Imple lui avoit donné, apartant cydevant au pce de Menczikoff, appellée Oranienbaum; sa face donne sur la mer, vis-à-vis de Cronstadt, sa longueur est de plus de 100 toises, partagée en trois corps de bâti347

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Sinne erneuerte Rastrelli die Paradestiege: Als Baumaterial wählte man dafür Buchenholz, das man aus Holstein herbeischaffen ließ. In den Räumen des corps de logis, in den die Stiege mündete, zierten die Monogramme in lateinischen Buchstaben »P.F.« die Wände.13 Somit verwies die Stiege auf das Stammland des Großfürsten und replizierte symbolisch seinen Weg von Holstein nach Russland. Im östlichen Eremitage-Pavillon in der Hälfte der Großfürstin wurden japanische Porzellane ausgestellt; so entstand der Japanische Pavillon – der erste Anklang der späteren Chinoiserien von Oranienbaum.14 Die Innenräume des Palastes wurden also nach den kanonischen Regeln der Raumfolge aufgeteilt und gestaltet.15 Die Teilung der Innenräume des Großen Palastes in zwei Hälften – die östliche Seite für das Damenappartement und die westliche Seite für das Herrenappartement – gab es bereits in der Zeit des ersten ment dont il y a, entre le milieu, deux grandes Galleries à découvert. Ce bâtiment a été achevé dans lʼespace de deux ans«; Skodock, 2006, S. 277. 13 Myl’nikov, 2009, S. 77. Auf Rastrellis Vorschlag wurden alle Öfen, einige Türen, die Parkettböden in Audienz- und Speisezimmer erneuert sowie die zum Unteren Garten führende Treppenanlage restauriert. In die vorhandene Bausubstanz griff Rastrelli allerdings nicht ein; Skodock, 2006, CD-ROM, Punkt 54. 14 Spiegel-, Porzellan- und Lackkabinette finden seit dem Ende des 16. Jahrhunderts Erwähnung und gelten vorwiegend als ein Bestandteil eines Damenappartements. Die frühesten bekannten Beispiele solcher Art von Innenräumen sind die Spiegelkabinette von Katharina deʼ Medici sowie von Louise de La Vallière, der Mätresse des Sonnenkönigs. In Deutschland sind dies Charlottenburg in Berlin und Favorite in Baden-Baden. Das ausgeprägte Interesse an Chinoiserie als einem umfassenden, ganzheitlichen Gestaltungsmotiv, zu dessen bevorzugtem Dekorstück Porzellan wurde, setzt Ende des 17. Jahrhunderts ein und erreicht seinen Höhepunkt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, insbesondere als europäische Künstler und Auftraggeber aus China importierte Originalstücke aus der Ming-Zeit für sich entdeckten. Zu den prominentesten Anhängern des chinesischen Stils gehörten damals solche bedeutenden Künstler wie Antoine Watteau, Claude Audran und François Boucher. Der Letztere verlieh dem Style Chinois im Zeitalter des Rokoko und Klassizismus einen neuen Aufschwung und besondere Raffinesse. Zu den prominentesten Vertretern des Stils in England zählen Thomas Chippendale und William Chambers, in Italien Giovanni Battista Tiepolo – ein venezianischer Zeitgenosse Bouchers. Für Deutschland wären die Namen des Porzellanmalers Johann Gregorius Höroldt (Meissner Höroldt-Chinoiserie) sowie Joseph Effners zu nennen; Bischoff, 2002, S. 169f.; Gruber, 1984, S. 7-13. 15 Bischoff, 2002, S. 166. 348

»Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen.«

Besitzers, des Fürsten Aleksandr Menšikov. Seit 1748 wurde eine Erweiterung und Umgestaltung der beiden Appartements vorgenommen und zwar um die Räume repräsentativ aufzuwerten. Die oben genannte japanische Sammlung befand sich im 1754/55 errichteten östlichen Pavillon, also in der Hälfte der Großfürstin. Diesen Pavillon gliederte man in zwei Etagen und stattete ihn mit einer Eremitage aus, wodurch das Appartement Katharinas eine Aufwertung als ein gesellschaftlicher und kommunikativer Mittelpunkt des Palastes erfuhr.16 So entsprach es der Mode der Zeit und der Funktionszuweisung der weiblichen Räume der Residenz, in diesem Pavillon eine Sammlung japanischer Porzellane auszustellen. Im westlichen Pavillon in der Hälfte des Großfürsten befand sich ein Sakralraum – die Hofkirche des hl. Pantelejmon.17 Die weibliche (östliche) Hälfte des Großen Palastes bildete zusammen mit dem westlichen Flügel einen Innenhof mit einem Ententeich auf der südlichen Seite.18 Ende der 1740er und Anfang der 1750er Jahre wurden im Unteren Garten die neue Orangerie und das Opernhaus bzw. Gemäldehaus erbaut – all das im Stil des Barock.19 Der Große Saal im Großen Palast stellte mit dem Bildprogramm der Deckenmalerei Apollo und die Musen, ausgeführt von Giuseppe Valeriani und Georg Christoph Grooth, den repräsentativen Mittelpunkt der Residenz dar. Am Ende des westlichen Flügels befand sich ein Appartement, bestehend aus dem Diana-Kabinett und dem Goldenen Kabinett. Dieses Appartement gehörte der Favoritin des Großfürsten, Elizaveta Voroncova. Diana wurde mit Pfeilen und mit einer Schar von Amoren dargestellt. Hier ist das Motiv Dianas auch als Artemis – ein Symbol des Mondes – deutbar, denn es korrespondierte mit dem Apollo im Großen Saal, dem Bruder der Artemis und dem Symbol der Sonne.20 Die Hälfte des Fürsten konnte also durchaus über ein Damenappartement verfügen – die Wohnung der Mätresse –, wobei eine solche mehr oder weniger unkonventionelle Raumzuteilung in der Gestaltung der Räume die offiziellen Regeln widerspiegelte. So waren Prunkkabinette ein traditioneller Bestandteil des Fürstinnenappartements und fungierten weniger als Arbeitsstätte, sondern als gesellschaftlicher und repräsentativer Raum.21

16 Böhme, 1972, S. 135, 147. 17 Myl’nikov, 2009, S. 78. 18 Zur Funktion und Rolle der Innenhöfe bei den Residenzbauten: Decker, 1711; Hoppe, 2010, S. 76f. 19 Myl’nikov, 2009, S. 78f. 20 Ebd., S. 80f.; Markina, 1999. 21 Bischoff, 2002, S. 169-172. 349

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Peter ließ zwei Spielfestungen errichten: die Ekaterinburg südlich und die St.-Peter-Festung westlich vom Großen Palast. Der Autor der Pläne für beide Festungen war mit großer Wahrscheinlichkeit der Großfürst. Bezeichnend ist, dass Peter zuerst die südliche Festung errichten ließ und diese seiner Gemahlin widmete. Die St.-Peter-Festung entstand erst zehn Jahre später, 1757. Diese Festung ließ Peter sodann zu einem zwölfzackigen Stern erweitern und nannte sie Peterstadt. Sie wurde zum Zentrum der Schlosspark-Anlage von Oranienbaum.22 Ihre Ruinen waren es, die Custine später sah. Peter ernannte sich selbst zum Kommandanten der Festung. In den 1750er Jahren ließ der Großfürst in Spielschlachten die Erstürmung der Ekaterinburg inszenieren.23 Ob diese Manöver eine Reminiszenz auf die sich zunehmend verschlechternde Ehe oder gar eine Andeutung auf einen schwelenden politischen Konflikt des Thronfolgerpaares oder lediglich eine höfisch-feierliche Darbietung waren, wird man wohl kaum klären können, doch eine gewisse symbolische Signifikanz lässt sich einem solchen höfischen Spektakel nicht absprechen. Auf dem Gelände der Peterstadt befanden sich die Häuser und eine lutherische Kirche für die Offiziere des Holsteinischen Regiments. Die Festung umgaben die Kasernen der Dragoner und der Husaren. Am südwestlichen Ende der Peterstadt ließ der Großfürst ein kleines Palais nach Plänen von Antonio Rinaldi erbauen. Das Dekor der Innenräume dominierten militärische Symbole: Posaunen, Fahnen, Kanonen, Pfeile.24 Doch sollte man sich vom utilitaristischen Stil und der militärischen Semantik der Innenausstattung nicht täuschen lassen, denn im Park westlich vom Palais befand sich eine Rokoko-Insel mit zahlreicher Kleinarchitektur: eine hölzerne Eremitage auf einem steinernen Fundament und mit einem pagodenförmigen Dach, ein Chinesisches Häuschen, der Pavillon der Nachtigallen. Alle diese Bauten wurden im Style Chinois ausgeführt.25 22 23 24 25

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Myl’nikov, 2009, S. 81f. Ebd., S. 82. Ebd., S. 84-88. Ebd., S.  87. Laut Cornelia Skodock finden sich im RGADA – Bestand (Fonds 1239) Unterlagen zu zwei Pavillons und einer Laube. Ob diese Projekte mit den beschriebenen Bauten der Peterstadt identisch sein könnten, kann kaum geklärt werden, doch verdeutlichen sie die Projektierungsarbeiten zur Gartenarchitektur in Oranienbaum in der Zeit des Großfürsten Peter. Der Auftraggeber der Pavillons kann nicht näher bestimmt werden, es könnte die Kaiserin oder der Großfürst gewesen sein. Rastrelli erwähnt die Bauten in seinem Œuvreverzeichnis Relation générale nicht. Doch die Quellen verraten, dass am 10. Dezember 1748 die Entwürfe Rastrellis für zwei Pavillons genehmigt wurden. Außerdem findet sich

»Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen.«

Im Gemäldehaus präsentierte Peter seine Sammlung von Werken der holländischen und französischen Maler. Einen Teil dieser Sammlung hatte er aus Holstein mitgebracht. Ebenso befand sich im Gemäldehaus eine Kunstkammer – bis heute übrigens überhaupt nicht erforscht –, die eine Sammlung von Naturalien und Kuriositäten enthielt, darunter eine große Zahl chinesischer archäologischer Artefakte, Porzellanpuppen, Geschirr und sogar chinesische Musikinstrumente.26 Das Oranienbaum Peters  III. stellte eine typische Sommerresidenz eines Prinzen oder eines regierenden Fürsten dar, vielleicht mit einigen Eigenarten, bedingt durch die Zeitläufe und Personen der russischen Geschichte, wie Peter I. und seine Reformen, ebenso wie durch die Umbrüche in der Biographie des Großfürsten selbst. Sein Oranienbaum war ein mannigfaltiger Raum: eine militärische, rational geplante Utopie, eine holsteinische Soldatenwelt und eine Rokoko- und Gartenwelt zugleich. Als großfürstliche Residenz war Oranienbaum ein zeremonielles Zentrum des Jungen Hofes. Hier veranstaltete Peter Kriegsspiele, zahlreiche Exerzierübungen und militärische Paraden, hier befand sich das Holsteinische Dragonerregiment. Hier fanden aber auch fast permanent Bälle, zeremonielle Feste und theatralische Darbietungen statt, viele davon von der Großfürstin zu Ehren des Thronfolgers veranstaltet, wie die Urania vaticinante aus der Feder des Hofkomponisten Francesco Araja, in der die Hellseherin Urania dem zukünftigen Zaren eine lange und glückliche Herrschaft prophezeit.27

3. Prophezeiungen im Garten: Oranienbaum in Katharinas Zapiski In ihrer beeindruckenden Studie zur Kulturgeschichte des russischen Gartens hat Anna Ananieva das den Gärten innewohnende Potential offengelegt, durch »die Verschränkung zwischen konkret räumlicher, lebensweltlicher und topischer Dimension« erdachte Konzepte im Raum sinnlich wahrnehmbar zu machen.28 Damit weist sie nicht nur auf die zeiträumliche Komplexität des Gartens, in den Unterlagen des für Oranienbaum zuständigen Baukontors ein Bericht des Leiters der Baukanzlei des Grafen Wilhelm Fermor, dass der Bau der Pavillons und eines Tiergeheges nach Plänen und unter der Leitung Rastrellis zu erfolgen habe; Skodock, 2006, CD-ROM, Punkt 55, zu Fermor S. 51 im Buch. 26 Myl’nikov, 2009, S. 100-102. 27 Ebd., S. 94-99; Mooser, 1948, S. 343f. 28 Ananieva, 2010, S. 10. 351

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sondern auch auf seine mediale Offenheit hin. Ein fürstlicher Garten war ästhetischen Wünschen und inhaltlichen Intentionen der Auftraggeber unterworfen. Die semantische Besetzung des Gartenraums konnte nicht nur in seiner konkret physischen Dimension, sondern auch in anderen Medien stattfinden. Wie stellt sich Oranienbaum aus der Sicht Katharinas II. dar? In ihren Zapiski, wie oben angemerkt, ist es der wichtigste Handlungsraum. Etwa zwanzig Stellen im Text sind der Residenz und dem Leben in ihr gewidmet. Es ist auffällig, dass Oranienbaum in den Zapiski fast durchgehend in eine rhetorische Figur eingebettet ist: eine Gegenüberstellung zum Peterhof – der Sommerresidenz des Großen Hofes, dem Raum Elisabeths. Peterhof ist in den Zapiski eine Welt voller Laster, Gerüchte, Intrigen, sinnloser Aktivitäten. Eine tanzende Welt, in der Elisabeth herrscht und mit Argwohn die Großfürstin beobachtet.29 Die Räume Katharinas in diesem Gegensatz sind Natur und Garten: »Wir blieben etwa zehn Tage in Oranienbaum. Der Großfürst beschäftigte sich dort viel mit seinen Hunden, und ich lief mit der Flinte über der Schulter durch Wald und Tal.«30 Sie bedient sich dabei der Metaphern von Abgeschiedenheit und Einsamkeit: »[…] ich führte damals in Oranienbaum folgendes Leben. Um drei Uhr morgens stand ich auf und kleidete mich selbst an, und zwar von Fuß bis Kopf in Männerkleider. Mein alter Jäger erwartete mich schon mit den Flinten und hatte ein Fischerboot am Meeresstrande bereitliegen. Wir durchschritten den Garten zu Fuß, die Flinte über der Schulter, und bestiegen – er, ein Vorstehhund und der Fischer, der uns fuhr – das Boot; ich schoß dann Enten in dem Schilf, welches das Meer zu beiden Seiten des Kanals von Oranienbaum einfaßt, der sich zwei Werst weit in die See zieht. Oft fuhren wir um den Kanal herum und waren daher manchmal bei ziemlich bewegter See in unserem Boot auf offenem Meere. […] Es war eigentlich recht sonderbar, dass ich, obwohl in der Stadt so sehr scharf beobachtet, auf dem Lande die denkbar größte Freiheit genoß. Wenn ich aus dem Hause ging, so zum Beispiel bei diesen Morgenausflügen, zu denen ich mich bei Tagesgrauen erhob, hatte ich nur einen einzigen Jäger bei mir, und manchmal, aber nicht immer, einen Bedienten. Das hatte seinen Grund einzig und allein in der Faulheit meiner Wächter. […] Spaziergänge namentlich fielen ihnen sehr schwer, und sie hockten lieber an einer Stelle, besonders Čoglokov, der trotz seiner jungen Jahre dick war und schwerfällig an Körper und Geist.«31 29 Siehe auch den Beitrag von Francine-Dominique Liechtenhan in diesem Band. 30 Böhme, 1972, S. 146. 31 Ebd., S. 168. 352

»Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen.«

Die wilde Natur, das unruhige Meer, das Boot, die Männerkleidung sind die Attribute Katharinas in diesem Sujet, einem überzeugenden literarischen Griff, der die Amazonen-Motive32 aufgreift und den die Autorin noch weiterführt: »[…] ich entsinne mich, daß ich damals die ›Memoiren‹ von Brantôme las, die mir viel Vergnügen machten. Vorher hatte ich das ›Leben Heinrichs IV.‹ von Péréfixe gelesen.«33 Hier und in anderen Textstellen tritt Katharina in Gestalt einer weisen Jungfrau auf: »Einer meiner Pagen war jetzt Iwan Iwanowitsch Schuwalow. Ich sah ihn im Vorzimmer immer mit einem Buch in der Hand, und weil ich auch gern las, fiel er mir auf. Auf der Jagd sprach ich ihn mehrere Male an, der junge Mann schien mir Geist und auch Lerneifer zu besitzen. Deshalb ermunterte ich ihn in seinen Neigungen, die auch die meinen waren, und prophezeite ihm mehr als einmal, er würde schon seinen Weg machen, wenn er sich nun weiter bemühe, seine Kenntnisse zu vermehren.«34

Diese Metapher hat jedoch einen politischen Sinngehalt. Katharina greift hier die belehrende Geschichte der Erziehung eines zukünftigen Herrschers auf, die sie aus den orientalischen Fabeln von Saint-Lambert mit Sicherheit kannte. Katharina übernimmt in ihren Zapiski das Handlungsmuster solcher Geschichten: Ein Königssohn wird fern vom Hof auf dem Land erzogen.35 Die Biographie Heinrichs IV., der ja bekanntlich für Katharina ein Vorbild als Herrscher war,36 nicht unbedingt eine typische Damenlektüre dieser Zeit, korrespondiert mit der Männerkleidung Katharinas. Ihre eigene Figur verbindet sie mit Lektüren von Biographien bedeutender Staatsmänner. Mit diesem Motiv setzte sich Katharina von ihrer Schwiegertante ab, die angeblich beinahe ihre gesamte Zeit damit verbrachte, sich neu einzukleiden und zu feiern. Die allegorische Gegenüberstellung der weisen Jungfrauen und der dummen, tanzenden Frauen geht auf

32 Zum Amazonen-Motiv und seinem Genderaspekt in der Katharina-Repräsentation: Proskurina, 2006, S. 11-56. 33 Böhme, 1972, S. 169. 34 Ebd., S. 146. 35 Verfasst 1769, erschienen Jean-François de Saint-Lamberts Fabeln 1772 und 1779 im Zarenreich auf Russisch; Saint-Lambert, 1779; ders., 1775, S. 383-467. 36 Katharina II. an Voltaire [1772], in: Schumann, 1991, S. 111, 347; Madariaga, 1981, S. 9. 353

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das Neue Testament zurück37 und gehörte zum ästhetischen Wissenskanon der Frühen Neuzeit, insbesondere in der pietistischen Weltanschauung protestantischer Länder, und findet sich auf zahlreichen Kupferstichen bereits im 16. Jahrhundert, so zum Beispiel das Thema von Tugend und Laster in den Grafiken von Pieter Bruegel. Die Laster, wie beispielsweise Superbia (Überheblichkeit), werden in Gestalt einer putzsüchtigen Frau dargestellt, oder auch im Sujet von vernünftigen und unvernünftigen Frauen verarbeitet, in dem die unvernünftigen Frauen tanzend und die vernünftigen Frauen bei der Handarbeit gezeigt werden.38 Oranienbaum diente Katharina als eine Projektionsfläche der Eigenschaften Peters und ihrer eigenen. Hierbei fungiert Oranienbaum in ihren Zapiski als Allegorie einer Welt, die sich zu ihr antagonistisch verhält. Katharina greift zur rhetorischen Figur einer Gegenüberstellung zweier Arten von Räumen: Festung und Garten. Explizit stellt sie einen Gegensatz zwischen der Festung Peterstadt und ihrem eigenen Garten her, der sogenannten Eigenen Datscha. Als rhetorisches Mittel diente der Autorin hier das Bild vom kindlichen Spiel, das ebenso als ein Gegensatz zum Bild einer sinnvollen und vernünftigen Beschäftigung einer weisen Frau herangezogen werden konnte.39 Den Anlass für diese literarische Figur lieferte freilich der Großfürst Peter. Katharina berichtet: »Als wir auf dem Lande in Oranienbaum angelangt waren, sahen wir etwas Sonderbares. Seine Kaiserliche Hoheit […] hatte sich plötzlich entschlossen, ein ganzes Detachement von ihnen [den holsteinischen Soldaten, AB] kommen zu lassen. […] Die Kaiserin haßte Holstein und alles, was von dort kam, und sie hatte gesehen, wie sehr solche Soldatenspielereien dem Vater des Großfürsten, dem Herzog Karl Friedrich, in den Augen Peters  I. und ganz Rußlands geschadet hatten. […] Wirklich war alle Welt über ihre Ankunft entrüstet. […] Aber Seine Kaiserliche Hoheit war begeistert von seinen Truppen, bezog mit ihnen ein für sie aufgeschlagenes Lager und beschäftigte sich ausschließlich damit, sie einzuexerzieren. […] Als ich sah und hörte, was vorging, faßte ich den festen Entschluß, mich diesem gefährlichen Kinderspiele so fern wie möglich zu halten.«40

37 Mt, 25,1-13 (Von den klugen und törichten Jungfrauen). 38 Nikiforova, 2011, S.  382-386; Mielke, 1996, S.  50-158; Vöhringer, 1999, S. 36-43. 39 Nikiforova, 2011, S. 385. 40 Böhme, 1972, S. 290f. 354

»Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen.«

Die Zahl der holsteinischen Truppen nahm, laut Katharina, beständig zu. Oranienbaum soll sich in eine riesige Kaserne verwandelt haben. In ihrer Kritik ist die Autorin tendenziös, denn dies war eben die Zeit, als der Großfürst die Festung Peterstadt errichten ließ, wozu auch die oben beschriebenen Chinoiserien gehörten. Außerdem ist es naheliegend, dass das Geld für solch ein »Kinderspiel« aus Elisabeths Schatulle kam, also auch nur mit allerhöchster Erlaubnis ausgegeben werden konnte. Just in diesem Moment hatte Katharina, folgt man den Zapiski weiter, den Einfall, einen Garten anzulegen. Sie betont, dass sie dafür ein völlig unkultiviertes, brachliegendes Stück Land gekauft habe: »Ich fing also an, Pläne für Bauten und Pflanzungen zu machen. […] Beim Anlegen meines Gartens bediente ich mich zuerst des Gärtners von Oranienbaum, namens Lambertus. […] Er beschäftigte sich mit Wahrsagen, und unter anderem hatte sich eine seiner Prophezeiungen über die Kaiserin erfüllt. Er hatte ihr nämlich vorhergesagt, sie werde den Thron besteigen. Dieser selbe Mann prophezeite mir, sooft ich es hören wollte, dass ich einst souveräne Kaiserin von Rußland sein werde. […] Er tat noch mehr: er nannte sogar das Jahr meiner Thronbesteigung, sechs Jahre bevor es dazu kam.«41

Während Peter mit seinen holsteinischen Offizieren und Soldaten feierte, vollzog Katharina die Anlage eines Gartens – einen schöpferischen Akt – und agierte im Raum der Natur: »Ich beschäftigte mich damals in Oranienbaum mit der Anlage und Anpflanzung meines sogenannten Gartens. Während der übrigen Zeit machte ich Ausflüge zu Fuß, zu Pferd oder zu Wagen, und wenn ich in meinem Zimmer war, las ich.«42

41 Ebd., S. 291f. 42 Ebd., S. 319. 355

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Abb. 1: Der Generalplan der Eigenen Datscha. Wikimedia Commons, public domain. File: Генеральный_план_Собственной_дачи.jpg. Der Plan erschien in einem Album mit Graphiken der Ansichten der Gärten von Oranienbaum. Als Vorlage für die Stiche dienten die Zeichnungen Rinaldis. Der Generalplan der Eigenen Datscha zeigt das wohl bedeutendste Rokoko-Ensemble Russlands: eine barock mannigfaltige, jedoch von einem geometrischen System und geraden Achsen dominierte Gartenanlage. Hier verbinden sich die Formen des englischen »Naturgartens«, so jedenfalls bezeichnete Charles Joseph de Ligne die Gartenanlage der Eigenen Datscha, mit dem Stil eines chinoisen Rokoko-Gartens. Doch was aus Rinaldis Feder entstanden ist, war vielmehr ein spätbarocker Ziergarten deutscher Provenienz, der in sich Rokokomuster mit manierlich-dekorativer »Natürlichkeit« eines englisch-chinesischen Gartens vereinte. Dessen Ursprünge sind jedoch nicht in England, sondern in Frankreich 356

»Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen.«

zu suchen. Rinaldi löste den Widerspruch, indem er die beiden Gartenkonzepte in einer Anlage vereinte, doch diese zugleich voneinander trennte, und zwar mit einem Pavillon-Rutschberg, hier in der Mitte der Komposition. Der Bau mit einer 532 Meter langen Rutschbahn teilt den Garten in zwei Hälften. Im östlichen Garten (rechts von der Rutschbahn) entfaltet sich der parterreartige, von geraden und runden Linien dominierte Rokoko-Garten, gleich einem mit geometrischen Mustern verzierten Teppich. Gerade diese Verzierungen und Parzellierung verraten, dass hier viel mehr der deutsche Rokoko denn französischer Einfluss Pate stand. Selbst im westlichen Gartenteil, links von der Rutschbahn, auf den wohl de Ligne die Bezeichnung »Naturgarten« bezog, herrschen pittoreske, manierliche Muster.43 In ihrem Garten übte sich Katharina, wieder von Kopf bis Fuß in Männerkleidung und auf einem Herrensattel, in der Reitkunst. Katharina greift hier ein Motiv des Schöpfungsmythos auf: Die Erschaffung eines Paradieses ist ein dem Garten inhärentes Thema.44 Sie eignet sich die demiurgische Kraft an. Der Garten verwandelt sich zu einem mythischen Raum. Die Figur des Gärtners ist in diesem Motiv eine mythische und symbolische Gestalt: ein Orakel, das eben in diesem von Katharina erschaffenen Gartenraum seine Prophezeiung verkündet. In den Zapiski stellt Katharina der militärischen Utopie ihres Gemahls, seiner Peterstadt, ihre eigene, die schöpferische Gartenutopie gegenüber. Eben hier sollte nach ihrer Thronbesteigung das Chinesische Palais entstehen. Diese Geschichte vom eigenen Garten und dem Gärtner ist ein narrativer Griff, mit dem Katharina einen erzählerischen Subraum schafft. In ihm platziert sie das Medium der politischen Botschaft der Zapiski – den Gärtner Lambertus. Dieser Garten ist mit bestimmten Handlungen wie Entwerfen und Zeichnen oder Reitübungen verbunden. So wird er zu einem programmatischen Sinnbild der Verbesserung, der Vervollkommnung des Menschen, hier Katharinas. Mehr noch: Sie greift mit dieser Metapher die legitimatorische Rhetorik der Kaiserin Elisabeth auf, nämlich eine gegen die deutsche Fremdherrschaft gerichtete Argumentation.45 Bezeichnend ist hier, dass Katharina die ästhetische Gestaltung dieses Gartens mit keinem Wort beschreibt. Dennoch spielt er hier eine einem Gartenraum immanente Rolle. Von emblematischer Bedeutung ist hier nicht seine ästhetische Ausführung, sondern die Handlung, die sich in ihm vollzieht: das Faktum des Erschaffens und des Vorhersagens. Dieser Garten hat eine machtpolitische Funktion, die in einer rhetorischen Abgrenzung gegenüber 43 Ligne, 1795, S. 167f.; Ananieva, 2010, S. 200-205. 44 Frühe, 2002; Ananieva, 2008. 45 PSZ 11, Nr. 8473, 8476. 357

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der Soldatenwelt der Peterstadt besteht. Hier deutet Katharina die Maximen an, die ihr politisches Selbstverständnis ausmachten. Mit der Erzählung über ihren ersten angeblich von ihr selbst entworfenen Garten erweitert sie die überkommene Symbolik der Macht der elisabethanischen Barockgärten um das Motiv der schöpferischen Beschäftigung des Herrschers mit dem Gartenbau als ein moralisches und pädagogisches Tugendprogramm,46 als eine Antithese zur destruktiven Tätigkeit Peters III. Mit diesem rhetorischen Kunstgriff wirft Katharina einen retrospektiven Blick in die Zukunft mit den Augen des hellsehenden Gärtners und impliziert somit eine teleologische Historizität ihrer Herrschaft. In der Geschichte ihres eigenen Gartens aus dem Jahre 1757 repliziert Katharina retrospektiv den Gartendiskurs späterer Zeit und gibt so in ihren Zapiski die Lesart der Garten- und Innenräume ihrer Eigenen Datscha vor. Freilich stammten die Entwürfe für die Eigene Datscha nicht von Katharina, sondern von Antonio Rinaldi und das Geld kam aus der Privatschatulle Elisabeths.47 Erbaut wurde die Eigene Datscha im Stil anglo-chinois: einer Mischung aus Landschaftsgarten und Kleinarchitektur der Chinoiserien, gehalten in einer dezidiert weiblichen Stilform der Capricci. Diese Form fand nicht nur in Oranienbaum, sondern später auch in Carskoe Selo Anwendung.48 Dieser Stil gab die Strategie im Umgang mit den von Peter III. gebliebenen Anlagen vor, die es Katharina ermöglichte, in diesen Räumen ihr eigenes ästhetisches Erinnerungsprogramm zu postulieren. Katharina profitierte hier von der Palimpseststruktur solcher Gartenräume, der ihnen inhärenten Wandlungsfähigkeit, der Polyvalenz an Bedeutungen, Perspektiven und ästhetischen Formen, in denen Kleinarchitektur im chinesischen und türkischen Stil ebenso vorkommen konnte wie Ruinen und Denkmäler. In der verspielten Manier von Capricci ließ Katharina die Bauten Peters III. malerisch zu Ruinen verkommen und gab ihnen somit einen neuen stilistischen und Sinngehalt: Sie verlagerte diese Bauten in eine andere Zeitebene, in die der Vergangenheit, und ebenso in einen anderen Raum, an die Peripherie der gesamten Anlage; so erlangten sie den Charakter einer Improvisation, des Zufälligen und des Grotesken. 46 Ausführlich zu erzieherischen Tugendprogrammen und politischen und memorativen Implikationen Katharinas II. am Beispiel von Gärten in Carskoe Selo siehe Ananieva, 2010, Teile 3 und 4. 47 Katharina kaufte dem Fürsten Golicyn das Grundstück ab, das an Oranienbaum grenzte. Hier wurde zwischen 1750 und 1760 die Eigene Datscha erbaut. Die Gesamtanlage mit dem Chinesischen Palais entstand zwischen 1762 und 1774; Chwidkowskij, 1996, S. 264. 48 Ananieva, 2010, S. 200-205; Chwidkowskij, 1996, S. 264. 358

»Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen.«

Katharina  II. als eine eingeheiratete Fürstin war eine Fremde, doch sie schaffte es, dieses Verhältnis umzukehren und den legitimen Agnaten als einen Fremden erscheinen zu lassen. In einzigartiger Manier verbinden sich hier der literarische Text der Zapiski und die Gartenräume von Oranienbaum, was zu einer Umdeutung der politischen Figur Peters III. führt. Die Strategie, die Katharina in ihren Aufzeichnungen verfolgt, das Groteske im Verhalten Peters aufzuzeigen, visualisiert sie in architektonischer Form. Peter erscheint als eine groteske, zufällige Figur, wie seine Peterstadt, die Katharina zu einer Ruine verkommen lässt. Das steinerne Petertor – die Einfahrt in die Peterstadt – »verkommt« im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Capriccio, einem Steingeröll, das sich in Carskoe Selo in Gestalt des Großen und des Kleinen Capriccio wiederfindet.49 Aus der Peripherie heraus wird so, charakteristisch für Capricci,50 auf das Zentrum der Komposition verwiesen – das Chinesische Palais mit seiner Ästhetik des Exotischen und den fernöstlichen Lackmalereien der Innenräume.

Abb. 2: Das Chinesische Palais. Wikimedia Commons, public domain. File: Китайский_дворец_и_пруд.jpg.

49 Ananieva, 2010, S. 200f. 50 Ebd., S. 201. 359

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In den Jahren 1762 bis 1768 errichtete Rinaldi für Katharina  II. im hinteren Teil der Parkanlage das Chinesische Palais. Das Palais besteht aus zwei Flügeln und steht am Ufer eines regelmäßig projektierten Teichs. Am gegenüberliegenden Ufer erblickt man einen Galeriebau. Das Ensemble befindet sich im östlichen Gartenteil. Die Teilung in zwei Flügel, die im Zentrum durch einen Pavillon verbunden sind, ist mit dem Palais von Sanssouci vergleichbar. Die Flucht der Paraderäume verortet sich entlang der nördlichen Fassade. Die zwei weiteren Zimmerfluchten verlaufen in den Südflügeln des Palais und sind kürzer als die nördliche Enfilade. Zu beiden Seiten des Zentralpavillons, entlang der Hauptachse, befinden sich drei kleinere Salons, rechtwinklig zu ihnen stehen die erwähnten südlichen Zimmerfluchten. Zwischen den Südflügeln öffnet sich in Form von hohen Türfenstern der Ausgang zur Terrasse und zum Teich hin.51 Der Stil der Chinoiserie galt in der Ästhetik der Aufklärung als ein Zeichen der Natürlichkeit, die wiederum als weibliche Eigenschaft gedeutet wurde.52 Zugleich stand die Chinoiserie in keinem Widerspruch zum Thema der weisen, vernünftigen Jungfrau, konnte dieses Motiv sogar erzählerisch aufgreifen. Das Chinesische Palais spielte in der repräsentativen Raumpraxis Katharinas eine besondere Rolle. Die Zarin besuchte Oranienbaum meistens in Begleitung von ausländischen Gästen: Sie präsentierte ihnen das Chinesische Palais, wie zum Beispiel Charles Joseph de Ligne berichtet.53

4. Die Insel der Liebe. Das Stekljarusnyj kabinet im Chinesischen Palais Die architekturtheoretischen Traktate des 18. Jahrhunderts formulierten ein umfassendes Regelwerk für die Gestaltung von Außen- und Innenarchitektur. Die Forderungen der Architekturgelehrten beschränkten sich nicht auf Vorgaben bezüglich der formalen Ausführung der Inneneinrichtung. Zu den Leitprinzipien bei der Wahl von Motiven und Dekor der Raumausstattung gehörten Absicht und Bedeutung: Die Elemente in der Ausstattung eines Appartements und ihre Anordnung sollten nicht zufällig arrangiert werden, sondern mussten eine Bedeu-

51 Chwidkowskij, 1996, S. 265f. 52 Bischoff, 2002, S. 172. 53 Ligne, 1795, S. 167f. 360

»Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen.«

tung haben, und diese hatte sich an den Bewohnern auszurichten.54 Eine solch rhetorische Auffassung der Inneneinrichtung in der Barockzeit trug dem Gestalter, dem Auftraggeber, und dem Betrachter eine über das sinnliche Vergnügen hinausgehende Auseinandersetzung mit Innenräumen und ihren gestalterischen Arrangements auf.55 Im Falle eines fürstlichen Appartements bedeutete dies, dass seiner ästhetischen Ausführung eine biographische und politische Valenz inhärent sein konnte. Das Adressieren des Betrachters durch das Bildmedium in Erwartung seiner literarischen und philosophischen Gelehrsamkeit56 konnte das fürstliche Zimmer zu einem mannigfaltigen, argumentativ strukturierten Kommunikationsraum erheben, und dieser bot dem Zuschauer eine Auswahl an Interpretationen. Die Maxime der ästhetischen und inhaltlichen Ausrichtung der Innenaustattung auf ihre Auftraggeber bzw. ihre Bewohner implizierte neben den ständischen Aspekten auch die Relevanz von Geschlecht für die ästhetischen und rhetorischen Lösungen in der Einrichtung. In der Tat forderte die Architekturlehre der Zeit, dass die Ausstattung von Innenräumen geschlechtsspezifischen Darstellungsmodi unterliegen sollte,57 was wiederum mit politischen Implikationen angereichert werden konnte. Das galt auch für die Damenräume, denn einer Fürstin bzw. einer Monarchin stand kraft ihrer Herkunft und der politischen Bedeutung der fürstlichen Ehe eine Selbstdarstellung zu.58

54 »Die Verzierungen dürfen nicht ohne Bedeutung seyn, und nicht ohne eine Absicht angebracht werden«. Stieglitz, 1792, S.  356, hier nach Bischoff, 2002, S. 161; Zedler, 1749, S. 663-670. 55 Hoppe, 2010, S. 183. 56 Das Verhältnis zwischen der Einrichtung, den Bewohnern und den Betrachtern wurde damals im Begriff der Wohlanständigkeit gefasst, ein Zusammenspiel von Ausstattung, Kleidung und Rede, das sich an die Standesgenossen richtete; Bischoff, 2002, S. 160f. Im Falle des fürstlichen Appartements konnte das bedeuten, dass der Betrachter die Ausstattung der Räume in der vom Auftraggeber intendierten Weise zu rezipieren wusste. 57 Dies fiel ebenso unter den Wohlanständigkeitsbegriff, der auch hinsichtlich des Geschlechts der Auftraggeber ein angemessenes bzw. anständiges »Decorum« forderte. Bischoff, 2002, S. 162; Zedler, 1749, S. 83, 85. 58 Stange, 2002. 361

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Abb. 3: Panneau im Stekljarusnyj kabinet. Chezenatiko. Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz by-sa-​3.0-de, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode. Mit dem Stekljarusnyj kabinet59 in der Enfilade der Paraderäume des Chinesischen Palais entstand ein Fürstinnenzimmer, in dessen ästhetischer und inhaltlicher Ausführung diese Maximen sich niederzuschlagen scheinen. Die Muster für die Bildausstattung des Kabinetts lieferten Jean Pilman und Stefano Barocci.60 Die Wände in diesem Zimmer sind mit einzigartigen Panneaus bespannt. Die Szenerie der Bilder ist durch zoologische und florale Motive geprägt: Verschiedene Vögel sitzen auf blumigen, mit allerlei Früchten beschwerten Zwei59 Die Bezeichnung des Kabinetts geht auf das Material zurück, mit dem das Panneau bestickt ist: russ. Stekljarus. Es handelt sich um eine Art Glasperlen, mit denen man in der Frühen Neuzeit die Wandbespannungen aus Seide bestickte. Diese Art der Innenausstattung bezeichnete man auch als französische Tapeten. Die Panneaus des Stekljarusnyj kabinets (die annähernd korrekte Übersetzung in das Deutsche wäre wohl »Glasperlenkabinett«) sind mit Glasperlen in länglicher Form gearbeitet. 60 Nikiforova, 2011, S. 683, Anm. 447. 362

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gen oder flattern um Blumensträuße, die auf kleinen Dekortischen aufgestellt sind. Doch in diesem beeindruckenden, manierlich-zierlichen Rokokointerieur eines Lustschlosses entfaltet sich ein semantisch mannigfaltiges Bildprogramm.

Abb. 4: Fragment des Panneaus im Stekljarusnyj kabinet. Chezenatiko. Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz by-sa-3.0-de, http:// creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode. Das Interieur des Stekljarusnyj kabinet zielt nicht nur auf eine ästhetisch-performative Wirkung, sondern appelliert an den literarischen Wissenskanon des Betrachters. Die bildlichen Motive des Panneaus verweisen auf Figurenpersonal und Sujets von Fabeln. Die Figuren versinnbildlichen bestimmte menschliche Eigenschaften. Der Pfau symbolisiert die trügerische Schönheit, die sich nur auf das Äußere beschränkt, mit seinem prächtigen Schwanzgefieder kann dieser Vogel weder fliegen noch singen: Hinter der äußeren Tugend verbirgt 363

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sich das Laster61 – wie dies der Publizist Zolotnickij im Jahre 1766 in seinem ethisch-philosophischen Werk über Handeln und Sitten der Menschheit zum Ausdruck brachte.62 Der Pfau, der sein Rad aufschlägt, wird als Sinnbild der Eitelkeit bereits in den Stichen von Bruegel im 17. Jahrhundert thematisiert. Ebenso wie die Fasane und die Puten von Eden war er eine Versinnbildlichung eitler, nach höfischer Mode aufgeputzter Kavaliere, wie sie in zahlreichen Karikaturen auf höfische Mode satirisch übersteigert dargestellt wurden. Zwei Pfauenhähne travestieren die Geschichte der Trojanischen Kriege: Sie beginnen einen Krieg wegen einer Pfauenhenne – eine Anspielung auf Helena. Ein Sujet, das sich in der Fabel Zwei Hähne und ein Huhn von Knjažnin wiederfindet.63 Die Vielfalt der dargestellten Vögel und Blumen schafft im Stekljarusnyj kabinet ein pastorales Ambiente, in dem die Kräfte der Natur sich zu einem friedlichen Ganzen des Paradieses vereinen. Das Thema der Liebe war in der weiblichen Repräsentation weit verbreitet, die Fülle an Metaphern und literarischen Topoi, die bis in die antiken Mythen zurückreichten, bot eine breite Palette an ästhetischen Mustern und inhaltlichen Aussagen, die auch für politische Botschaften eingesetzt werden konnten.64 Das Bildprogramm des Stekljarusnyj kabinet ist ein signifikantes Beispiel für die semantische Flexibilität der Liebessymbolik in der Innenausstattung. Die Liebesthematik wird hier umgedeutet, da es für Katharina nicht in Frage kam, sich auf ihre Ehe und ihren Status als Kaiser-Gemahlin zu berufen. So wird der Betrachter auf literarische Werke verwiesen, in denen die Liebesthematik in ihrer Vielfalt, als (Frauen-)Laster und (Frauen-)Tugend, behandelt wird. Wenn der Besucher das Stekljarusnyj kabinet betrat, fand er sich auf der Insel der Liebe wieder, in einem Wissens- und Kommunikationsraum, in dem ihm in manierlicher Formensprache der Chinoiserie ein ausgefeiltes moralisches Tugendprogramm vorgeführt wurde. Doch eine solche Semantik der Liebe in der Innenausstattung von Chinoiserien bot dem Betrachter nicht immer eine vollendete Geschichte, denn die Entwicklung der Liaison war nicht vorgegeben, sodass auch in dieser Hinsicht eine gewisse Mehrdeutigkeit solchen Interieurs inhärent war. Der Betrachter verstand sehr wohl, dass das Stekljarusnyj kabinet eine Liebesinsel war, auf der es jedoch keine Gewissheiten gab. Sein ursprünglicher Fußboden war eine Allegorie der Wasserfläche – eine Anspielung auf die preziös-allegorische Voyage de l’Isle d’Amour ou La Clef des Cœurs von Paul Tallemant (1663) in der Übersetzung von Vasilij Tredjakovskij (1730) mit zahlreichen erotisch-amourösen Divertissements, die Tredjakovskij in 61 62 63 64 364

Ebd., S. 390-392. Ebd.; Zolotnickij, 1766. Nikiforova, 2011, S. 392. Wortman, 1995, S. 42-109; Bischoff, 2002, S. 176.

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der Atmosphäre des Pariser Salons von Madame Rambouillet auffing, und imaginierten Barocklandschaften. Der Bezug zu dieser Enzyklopädie der Liebe, wie Jurij Lotman diesen Allegorieroman bezeichnete,65 dürfte dem Betrachter katharinäischer Zeit kaum entgangen sein. So sind die Angelutensilien – Angeln und Fischernetze – als Symbole der Versuchung durch die Liebe deutbar, aber auch als Symbole der tückischen Verlockung, die einen Liebenden ins Verderben stürzen kann, wie das Netz einem Fisch den Tod bringt, wovon in der Voyage ebenfalls die Rede ist.

Abb. 5: Fragment des Panneaus im Steklja­rusnyj kabinet. Anastasia Galyamicheva. Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz by-sa-4.0-de, https://creative​commons.org/licenses/by-sa/4.0/de/legalcode. Ebenso gehören die Pagoden und Brücken zur Liebessemantik des Rokokointerieurs. Sie schufen ein Ambiente der sinnlichen Liebe, und manche Attribute in diesem Raum – etwa ein Korb mit Blumen oder Früchten – verkündeten den Triumph der Flora, eine klare Anspielung auf die Besitzerin des Palastes, die 65 Tallemant, 1787; Tredjakovskij, 1730; Stender-Petersen, 1993, S. 338f.; Lotman, 1992, S. 22-28; Nikiforova, 2011, S. 394. 365

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über die utilitaristisch-militärische Ästhetik des Palais von Peterstadt zu triumphieren strebte. Girlanden, Kränze und gestickte Zweige im Stekljarusnyj kabinet – Attribute der Liebe und Zärtlichkeit – stellen eine Antithese zu den militärischen Motiven der Interieurs im Palais Peters III. dar.

5. Schluss Die Verzahnung der Analyse der Architektur bzw. der Innenräume und der schriftlichen Ego-Dokumente kann, wie gezeigt wurde, durchaus gewinnbringend sein. Dies gilt insbesondere für die Frühe Neuzeit, in der die Ratio der Erkenntnis nicht allein der Sprache vorbehalten war, sondern dem Bild ebenso eine erzählerische wie belehrende Funktion zugetraut, ja zugewiesen wurde.66 Diese Vorstellung machte aus dem Bild ein wirksames erzählerisches Medium, das mit dem literarischen Text kommunizieren konnte. Katharina  II. lebte in dieser Zeit; sie bediente sich der diskursiven Mittel, die die Epoche ihr an die Hand gab. Doch die propagandistische Strategie Katharinas konnte nur vor dem Hintergrund der gegebenen dynastischen und politischen Situation, die sie erst in die Lage versetzte, einen Herrschaftsanspruch zu erheben, ihre Wirkung entfalten. Als Kaiserin Elisabeth ihren Neffen Peter nach Russland beorderte, versetzte sie ihn in ein Spannungsfeld, aus dem er sich wohl nur durch Verzicht auf sein holsteinisches Erbe hätte lösen können. Der Enkel Peters des Großen und Elisabeths Nachfolger war regierender Fürst von Holstein-Gottorf, so stand es ihm zu, auf seine Herkunftsfamilie und seinen Rang hinzuweisen. Diesem Verhaltenskanon eines (deutschen) Fürsten folgte er in Oranienbaum. In Russland war er »nur« ein Prinz, wenn auch Thronfolger. Um so größeren Wert legte er auf seinen Status als regierender Fürst, auch wenn er in Russland eine Kaiserliche Hoheit war. Diese Konstellation brachte den Großfürsten in eine zeremonielle und repräsentative Zwickmühle. Mit seinen Repräsentationsstrategien lief er offenbar Gefahr, elisabethanische Höflinge und die Garde zu verprellen. Das agnatische Spannungsfeld, in das der Großfürst geraten war, bot für Katharina einen großen repräsentationspolitischen Spielraum zum Nachteil ihres Gatten, zumal sie als eine sowohl im holsteinischen als auch im russischen Kontext eingeheiratete Prinzessin nicht in eine solche Zwickmühle geraten konnte bzw. sich nicht genötigt sah, sich dagegen zu wehren.

66 Hoppe, 2010, S. 183. 366

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In ihrem Legitimationsprogramm bediente sich Katharina der Attribute sowohl männlicher als auch weiblicher Repräsentation. Männerkleidung, »männliche« Lektüre symbolisierten die Fähigkeit Katharinas zu herrschen, die ja vorwiegend als männliche Eigenschaft gedeutet wurde. Mit männlichen Attributen konnte sie der politischen Figur Peters III., von dem sie ja ihren Status als Großfürstin und als Kaiserin erlangte, die Legitimität entziehen. Doch für die Absetzung von Peter  III., für eine ästhetische und repräsentative Überschreibung seiner Figur bediente sich Katharina weiblicher Attribute. Oder anders formuliert: Als Großfürstin und Kaiser-Gemahlin war sie eine weibliche Figur, weil ihre Legitimität sich auf die Figur ihres Gemahls bezog. Als eine weibliche Herrscherin war sie eine geschlechtlich ambivalente Figur, und von dieser Ambivalenz machte sie Gebrauch. In ihren Zapiski schrieb sie sich mehr als einmal männliche Attribute zu. Nach ihrer Thronbesteigung trug sie nicht nur Uniform-Kleider und ließ sich nicht nur hoch zu Ross in Oberst-Uniform darstellen; sie inszenierte sich als weibliche Herrscherin, was ihr wiederum half, sich von der Figur Peters III. zu distanzieren. Man sieht das sehr deutlich sowohl in ihrer Ikonografie als auch in ihrer Korrespondenz. So kommt das Buch als Symbol der Bildung und Aufklärung im Mätressenbild einer Madame de Pompadour ebenso wie in repräsentativen Bildnissen Katharinas  II. als ein Attribut einer aufgeklärten Herrschaft vor.67 In vielen Briefen verwendet sie die Beschäftigung mit Handarbeit, wie Sticken, als Metapher für die schöpferische Tätigkeit einer Herrscherin. Sogar in ihrem vielzitierten Brief an Voltaire aus Kazan im Jahre 1767, in dem sie ausruft: »Ich bin nun also in Asien«, gelingt ihr ein sehr bildhafter literarischer Griff: Ihre Absicht, das Imperium im Inneren zu reformieren, beschreibt sie mit einer effektvollen Metapher, die wohl nur eine weibliche Herrscherin sich zu eigen machen konnte und die prägnant schöpferische politische Tätigkeit beschreibt: Sie vergleicht ihre Aufgabe, dem Zarenreich eine neue territorial-administrative Struktur zu geben, mit dem Nähen eines Kleides. Die Eigene Datscha kann als das erste architektonisch-politische Manifest gelten, mit dem Katharina ihren Anspruch auf den Zarenthron äußerte. Cordula Bischoff fragt in ihrem Aufsatz über die Ausstattungen in den Damenappartements nach Einflussmöglichkeiten der Fürstinnen auf die ästhetische und inhaltliche Ausgestaltung von Palasträumen, um daraus Schlüsse bezüglich der politischen Rolle und Bedeutung der Fürstin zu ziehen.68 Die Geschichte Oranienbaums in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts ist signifikant für die Erweiterung der gestalterischen Spielräume Katharinas, die mit ihrem politi67 Stickel, 2010, S. 11-15, 20-25. 68 Bischoff, 2002, S. 165. 367

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schen Aufstieg von der Großfürstin über die Kaiser-Gemahlin bis zur Selbstherrscherin einherging. Der Unterschied zwischen den westeuropäischen (hier den deutschen) Fürstinnen, die allenfalls kraft des Testaments ihres Gemahls zu einer Regentin für den minderjährigen Monarchen aufsteigen konnten, und Katharina bestand darin, dass es ihr Anliegen war, den Grad der »Agnatisierung«69 ihres Gemahls im Zarenhaus herabzustufen. Dabei spielten ihr freilich die dynastischen Unwägbarkeiten der nachpetrinischen Romanovs in die Hände. Als Enkel Peters des Großen wurde Peter III. als deutscher protestantischer Fürst geboren und ein solcher sollte er im von Katharina nachgezeichneten Bild auch bleiben. In den Aufzeichnungen über ihre Großfürstinnenjahre konnte Katharina II. also den gestalterischen Spielraum in Oranienbaum retrospektiv in legitimatorischem Impetus sich zu eigen machen, indem sie die Lesart dieser Räume vorgab, diesen Einfluss als solchen überhaupt für sich in Anspruch nahm und ihn mit bestimmten politischen Aussagen anreicherte. Es wäre übrigens zu fragen, inwiefern die Großfürstin Katharina Einfluss auf die Innenausstattung der Räume ihres Gatten nahm. Auszuschließen ist das nicht, zumal das Verhältnis zwischen den Eheleuten in den ersten Jahren der Ehe keineswegs zerrüttet war – ganz im Gegenteil, sie waren Verbündete in der für beide fremden, ungewohnten Umgebung des Hofes Elisabeths. Außerdem galt die Gestaltung der Innenräume des Palastes als eine typische Aufgabe einer Fürstin. In ihren Aufzeichnungen hebt Katharina hervor, auf eigene Kosten und nach eigenem Geschmack ihre Wohnung in Oranienbaum eingerichtet zu haben.70 In ihren Zapiski sublimierte Katharina ihre persönlichen Erfahrungen und politischen Ambitionen durch literarische Topoi der Zeit. Die Ebene der persönlichen Erfahrung integrierte die Autorin in die Lebenswelt von Oranienbaum, in die sie politisch motivierte Zuschreibungen mittels literarischer Inhalte und rhetorischer Figuren platzierte. Das Grundmotiv dieser Szenerie ist das Thema des Heranreifens einer Herrscher(innen)persönlichkeit. Die Zapiski sind also weniger als Erinnerungen denn als ein Entwicklungsroman zu lesen. Katharina musste ikonographische und literarische Topoi nutzen, um vom Leser verstanden zu werden.71 69 Wunder, 2002, S. 24. 70 Böhme, 1972, S. 77-132, 147; Bischoff, 2002, S. 170. 71 »Voraussetzung ist die Erkenntnis, dass in einem funktionierenden Kommunikationssystem (hier die höfische Sphäre) private, soziale oder politische Ambitionen unterschiedlicher Personen(gruppen) auch durch ähnliche ikonographische Bildmuster ausgedrückt werden mussten, um von den Adressaten verstanden zu werden. Umgekehrt gilt, dass ähnliche Varianten eines ikonographischen Topos 368

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In diesem Sinne erweisen sich Katharinas Zapiski als eine reichhaltige Quelle für die weitere Erforschung weiblicher Herrschaft im frühneuzeitlichen Zarenreich, die einige Anknüpfungsmöglichkeiten an literatur- und kulturwissenschaftliche Fragestellungen zur russischen Hofgeschichte bietet. So werfen die vorangestellten Beobachtungen die Frage auf, inwiefern und in welcher Form Katharina in ihren Aufzeichnungen, jenseits der Reflexionen und literarischen Verarbeitung und (Um-)Deutung ihrer persönlichen Erfahrungen, die Spezifika des Lebens und der Stellung einer Großfürstin am Zarenhof beschreibt und ihre privaten und politischen Spielräume auslotet. Es ist kaum zu übersehen, dass Katharina das Thema der eigenen Fremdheit am russischen Hof in ihren Aufzeichnungen ausführlich behandelt. Daraus lassen sich, anhand des Vergleichs mit anderen Beispielen, allgemeine Beobachtungen hinsichtlich der Herausforderungen ableiten, vor denen eine Koagnatin sowohl im Hinblick auf ihre dynastische Aufgabe als auch vor dem Hintergrund der Gunst- und Loyalitätsnetzwerke in ihrer höfischen Umgebung stand.72 Als eingeheiratete Fürstin war Katharina darauf angewiesen, sich gegenüber ihrer Schwiegertante und ihrem Bräutigam und Gemahl um deren besondere Gunst zu bemühen: » […] ich kam zu dem Entschluß, den ich nie auch nur einen Augenblick aus dem Gesicht verloren habe: 1.dem Großfürsten zu gefallen, 2. der Kaiserin zu gefallen, 3. der Nation zu gefallen. […] in Wahrheit habe ich nichts unterlassen, um es zu erreichen: Gefälligkeit, Demut, Respekt, das Bestreben zu gefallen, […] alles ist von meiner Seite vom Jahre 1744 bis 1761 angewendet worden.«73

auf vergleichbare Ansichten und Absichten der Auftraggeberinnen und Auftraggeber schließen lassen. Solchermaßen lassen sich individuelle Ausformungen von strukturellen Phänomenen unterscheiden. Letztere erst erlauben – in mentalitätsgeschichtlichem Sinne – Rückschlüsse auf kollektive gesellschaftliche Erfahrungen und Denkstile einer Zeit«; Bischoff, 2002, S. 166. 72 Wunder, 2002, S. 23f. 73 Böhme, 1972, S. 80-83, 94f. 369

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Es kostete die Großfürstin viel Mühe und Zeit, am Adressatenhof Fuß zu fassen.74 In ihrer Selbstinszenierung im Ambiente von Oranienbaum spricht Katharina dieses Problem vielfach an, sie versinnbildlicht es in den Szenen von Einsiedelei, Jagd in der freien Natur und vom Garten. Um einer solchen Fragestellung nachzugehen, bedarf es sicherlich einer akribischen Textanalyse der Zapiski und anderer Ego-Dokumente. Doch dies könnte die historische Figur der russischen (Groß-)Fürstin an westeuropäische Modelle näher heran- oder aber auch davon wegführen, auf jeden Fall aber die Spezifika der russischen Spielart dieser europäischen weiblichen Figur herausarbeiten, wie dies im Kontext der deutschen Höfe bereits geschieht.75

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74 Die Schwiegertochter Peters des Großen, Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel, sowie die von der Kaiserin Anna designierte Großfürstin Anna Leopol’dovna (Elisabeth von Mecklenburg-Schwerin) standen vor ähnlichen Herausforderungen. Beiden Fürstinnen war am Zarenhof ein trauriges, ja tragisches Schicksal beschieden. Es gelang ihnen nicht, am russischen Hof heimisch zu werden, was für die Regentin Anna Leopol’dovna politisch wie persönlich katastrophale Konsequenzen hatte. Charlottes Los wurde durch den Konflikt zwischen Peter I. und seinem Sohn Aleksej zusätzlich erschwert; Montefiore, 2016, S. 171, 174f., 230, 232-255. 75 Wunder, 2002. 370

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Kleidung in der Körperpolitik des katharinäischen Russland: Von Regimentskleidern zu regionalen Uniformen 1 Victoria Ivleva

Bald nach dem Staatsstreich von 1762, der Großfürstin Katharina an die Macht brachte, malte der dänische Künstler Vigilius Eriksen das berühmte Reiterpor1

Ich bin den Organisatoren der Konferenz »Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert: Maria Theresia und Katharina II.« – Bettina Braun, Jan Kusber und Matthias Schnettger – sehr dankbar, denn ohne ihre Einladung und Ermutigung wäre dieser Artikel nicht entstanden. Auf dem Work-in-Progress-Seminar an der Durham University und bei einer Sitzung der Arbeitsgruppe Russland des 18.  Jahrhunderts in Hoddesdon habe ich frühere Versionen dieses Artikels vorgestellt und möchte mich bei den Kollegen – insbesondere bei Andrej Zorin und Rodolphe Baudin – für ihr konstruktives Feedback bedanken. Ich möchte außerdem Aleksej Rogatnev, Natalja Veršinina, Nina Suetova, Svetlana Bedrak und Žhanna Etsyna meinen Dank für ihre bereitwillige Unterstützung bei meinem Studium der Regimentskleider Katharinas II. und der regionalen Uniformen aussprechen. Andy Byford, Anna Hurina and Boris Maslov haben frühere Versionen des Artikels gelesen und mir dabei geholfen, meine Argumentation zu klären. Ihre Unterstützung, Ermutigung und Liebe zum Detail sind ausgesprochen hilfreich und kulant gewesen. Ferner danke ich dem Schwedischen Nationalmuseum in Stockholm, dem Staatlichen Museum Ermitage und dem Staatsmuseum »Pawlowsk« in St. Petersburg, dem Staatlichen Historischen Museum und der Russischen öffentlichen historischen Staatsbibliothek in Moskau dafür, dass sie es mir genehmigten, Bilder aus ihren Sammlungen in diesem Artikel zu verwenden. Die erweiterte Version dieses Artikels wurde in Costume: The Journal of the Costume Society 53/2 (2019) veröffentlicht. 375

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trät der Kaiserin. Das Porträt gedachte der Ereignisse von 1762, als Katharina Memoire-Berichten zufolge die Uniform des Kommandanten Aleksandr Talyzin anlegte, bevor sie die Regimenter nach Peterhof führte, um ihren Ehemann Peter III. zu verhaften. Fürstin Ekaterina Daškova, eine Unterstützerin und Vertraute Katharinas, beschrieb dieses Ereignis in ihren Memoiren wie folgt: »Nach einer leichten Mahlzeit schlug die Kaiserin vor, zum Peterhof an der Spitze der Truppen aufzubrechen, und sie bat mich darum, sie auf diesem Ausflug zu begleiten. Sie kam auf den Gedanken, die Uniform der Wachen anzuziehen. Sie lieh sich eine Uniform von Kommandant Talyzin aus und ich nahm jene des Leutnant Puškin ihrem Beispiel folgend, da diese beiden jungen Offiziere in etwa unsere Größe hatten. Diese Kleidung, dies mag erwähnenswert sein, war die alte nationale Uniform des Preobraschensker Leib-Garderegiments, die seit der Zeit von Peter I. bis zur Regierungszeit Peters  III. getragen wurde, als der Letztere sie durch preußische Uniformen ersetzte. Und – es ist ein bemerkenswerter Umstand – kaum hatte die Kaiserin heute früh St. Petersburg betreten, schon hatten die Wächter ihre fremden Kleider abgelegt, als hätten sie einen Befehl erhalten, und waren allesamt in der alten Uniform ihres Landes angetreten.«2

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»Après un léger repas, l’Impératrice proposa de marcher sur Péterhoff à la tête des troupes, et elle me désigna pour l’accompagner dans cette expédition. Ayant eu l’idée de se revêtir à cet effet d’un uniforme des gardes, elle en emprunta un au capitaine Talitzen; et moi, suivant son exemple, je fis le même emprunt au lieutenant Pouschkin, ces deux jeunes officiers étant à peu près de notre taille. Ces costumes, soit dit en passant, étaient l’ancien uniforme national des Préobraginsky de la garde, tel qu’il avait été porté depuis le temps de Pierre Ier, jusqu’au jour où  il fut remplacé par l’uniforme prussien que Pierre III avait introduit. Et, c’est une circonstance digne de remarque, à peine ce matin l’Impératrice était-elle entrée à Pétersbourg, que les gardes, comme s’ils en avaient reçu l'ordre, ayant dépouillé leur costume étranger, reparurent du premier au dernier avec l’ancien uniforme de leur pays.« Daškova, 1859, S. 110f. Siehe auch Deržavin, 1871, Bd. 6, S. 431f.

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Abb. 1: Vigilius Eriksen, Reiterportrait von Katharina II. Öl auf Leinwand, 195x178,3cm. Dänemark, nach 1762. Ermitage (St. Petersburg), Inv. no. GE-1312. Photograph © The State Hermitage Museum, St. Petersburg. Photo by Alexej Pakhomov. Im Bericht der Fürstin Daškova über diese Ereignisse erzeugten die Beschreibungen der Uniformen rhetorische Bedeutungen, indem die verkleideten Körper zu einem Teil des politischen Spektakels wurden und sie mit Narrativen von Ablehnung und Legitimation belegten. Wie die Fürstin behauptete, verstanden ihre Anhänger die Implikationen dieser Kleidersprache und zogen sich nahezu augenblicklich die petrinischen Uniformen an, die als sein Vermächtnis erhalten worden waren. Dadurch wurde ein Moment des historischen Bruches ausgebessert, der durch die unpopuläre Politik Peters III. entstanden war und der den Unmut der Regimenter vor allem im Kontext des Siebenjährigen Krieges (17561763) auf sich zog. Die Kaiserin entwickelte dieses Narrativ in ihren Memoiren weiter, indem sie Peter III. als einen unfähigen Herrscher darstellte und seine 377

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Respektlosigkeit gegenüber russischen Traditionen sowie den Bruch zur Politik der Kaiserin Elisabeth betonte.3 Vera Proskurina vertritt die These, dass beide Frauen durch das Tragen der Uniformen die Strategie der politischen Maskerade verfolgten, die von den russischen Kaiserinnen während ihrer Regierungszeit angewandt wurde. Die Wissenschaftlerin behauptet, dass die von Ernst Kantorowicz entworfene mittelalterliche Formel der »zwei Körper des Königs« sich in Russland auf eine sonderbare Weise entwickelte. Die russische Kirche und Gesellschaft verweigerten Frauen das Recht, zur Herrscherin gesalbt zu werden, und betrachteten sie als profan und den Männern untergeordnet. Stattdessen wiesen sie ihnen die Rolle des »gesegneten Schoßes« sowie die Aufgabe zu, einen Erben zur Welt zu bringen. Als Folge dessen war Cross-Dressing während der Palastrevolutionen ein Hilfsmittel der Kaiserinnen, ihre Legitimität zu bestätigen.4 Darüber hinaus stellt Igor’ Zimin fest, dass Katharinas Cross-Dressing im Gegensatz zu dem Kaiserin Elisabeths ernstere politische Bedeutung hatte, da ihr Thronanspruch problematisch war.5 Im Folgenden untersuche ich die politische Bedeutung der Kleider Katharinas, die sich auf das Konzept der beiden Körper des Königs stützt – des physischen Körpers des Souveräns und des politischen Körpers seines Königreichs. Das zweite Konzept begann sich allmählich auf die Menschen zu beziehen, die politisch durch die Autorität bzw. den Kopf des Königs sowie durch die Erweiterung des Hoheitsgebiets des Staates organisiert wurden.6 Ich werde zeigen, wie Katharina II. die symbolischen und rhetorischen Funktionen der Kleidung auf die adeligen und bürgerlichen Untertanen ausgedehnt und den 3

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Beispielsweise erwähnt Katharina  II. an mehreren Stellen in ihren Memoiren, dass ihr Ehemann zum großen Missvergnügen der Kaiserin Elisabeth, die ihm das Kommando über das Preobraschensker Leib-Garderegiment übertrug, die Uniform von Holstein zu tragen pflegte. Siehe dazu bspw. Katharina II., 1907b, S. 353-355, 400. Zum Antrittsmanifest Katharinas als Beispiel für das Narrativ der Ablehnung siehe Wortman, 2006, S. 53. Proskurina, 2011, S.  13-23. Zur Anwendung der männlichen Merkmale als wichtigem Teil des Legitimationsnarrativs Katharinas siehe bspw. ebd., S.  1623; dies., 2006, S. 14-16, 25-27, 30, 32f., 52f.; Greenleaf, 2004, S. 407-426. Zu Cross-Dressing-Praktiken an Elisabeths Hof und zu Katharinas Hervorhebung ihrer eigenen männlichen Züge, siehe Katharina II., 1907b, S. 291, 296f., 316f., 360f., 366. Zimin, 2011, S. 84. Zur Konzeptualisierung der Macht des Monarchen als heiliger Bund zwischen König und Königreich siehe Burke, 1992, S. 128; Proskurina, 2011, S. 23.

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Schwerpunkt von den geschlechtsspezifischen und nationalen Implikationen auf die des symbolischen Erbes und der Zugehörigkeit verlagert hat. Ich werde mich auf den Zugehörigkeitsdiskurs fokussieren, den sie durch ihr elegant eingesetztes coup-Narrativ, durch hoheitliche Zeremonien und Regionalpolitik entwickelt hat, um zu zeigen, wie die komplexe Uniformkultur dieser Epoche zu einer Idee regionaler Aufgliederungen entwickelt worden ist – als Teil einer den Körper regulierenden Politik.

1. Der von Katharina II. inszenierte Kleidungsdiskurs: Coup-Uniformen und Regimentskleider Am Tag des Staatsstreichs wurde Katharinas Cross-Dressing mit dem Narrativ des kulturellen Erbes und der Loyalität zum petrinischen Vermächtnis aufgeladen und machte die kaiserliche Rolle Katharinas in der russischen Kultur rechtskräftig.7 Die Rhetorik dieser alt-neuen Tracht ermöglichte es ihr, die Geschichte mit einer auf Kleidung basierten Strategie neu zu schreiben, ähnlich wie Peter I. zu Beginn des Jahrhunderts. Darüber hinaus leitete dieses spontane Anziehen der Uniformen der beiden Offiziere durch die Großfürstin Katharina und Fürstin Daškova einen informellen Zugehörigkeitsdiskurs ein, auf den sich die Kaiserin während ihrer Regierungszeit regelmäßig stützte, wobei eine enge Beziehung zur Bevölkerung häufig betont wurde. Durch diesen Initiationsprozess wurde die zukünftige Kaiserin symbolisch mit dem Kommandanten (einem Adligen mit einem gewichtigen Namen) sowie den Wachen verbunden und begann, Staat und Nation zu verkörpern. Überdies stärkte die Tatsache, dass diese Uniformen echten Mitgliedern der Wache gehörten, ihre funktionale Authentizität und untergrub die Maskerade-Implikationen des Cross-Dressing.8 Die beunruhigende Maskerade-Semantik, die wirksam in historischen Umbruchsituationen eingesetzt wurde, war bei diesem Cross-Dressing noch unterschwellig präsent. Solche Kostüm-Bilder waren für eine Rhetorik der Ablehnung und Legitimation hervorragend geeignet und konnten dazu beitragen, dass der Status Quo gestört wurde. Sie konnten ebenfalls einen destabilisierenden Effekt in den Zeiten des Friedens und der Beständigkeit erzielen. Während Katharina II. in ihrer Regierungszeit weiterhin die politische Bedeutung der Klei-

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Zur Patronage der Regimenter siehe bspw. Rogatnev, 2017. Mein Dank gilt Boris Maslov dafür, dass er mich auf die Bedeutung der Authentizität dieser Uniformen aufmerksam machte. 379

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dung für sich nutzte, wurde ihr rhetorisches Potential allmählich allgemein gebräuchlich. Während der Regierungszeit Peters I. stießen seine Travestien hoheitlicher und kirchlicher Rituale sowie seine Verwestlichungspolitik und -praktiken, einschließlich der Einführung westlicher Gewänder, beim Klerus und der Bevölkerung im Allgemeinen auf Ablehnung.9 Während der Regierungszeit Elisabeths riefen ihre unkonventionellen Cross-Dressing-Maskeraden Kritik bei ihren Höflingen hervor.10 Im Gegensatz zu ihren beiden Vorgängern, die durch Abstammung ein Anrecht auf den Thron hatten, versuchte Katharina II. sich von dem Kontext und der Semantik der Maskerade zu distanzieren, als sie an die Macht kam. In ihren Memoiren lassen sich Anekdoten darüber finden, wie sie sich am Hofe Elisabeths in Cross-Dressing übte. Sie schrieb, dass sie jeden Tag – außer sonntags in Oranienbaum – Anzüge für Männer trug oder männliche Verkleidungen benutzte, um mit ihren Freunden bei einem nächtlichen Streifzug dem Hof zu entkommen.11 In den ersten Jahren ihrer Herrschaft trugen männliche Höflinge gelegentlich Damenkleider bei Festlichkeiten am Hofe, so z. B. am 10. und 25. Dezember 1765.12 Ihr Kleidungsdiskurs, der durch ihre eigenen Kleidungspraktiken sowie die Richtlinien für Adelige und Beamte geführt wurde, wurde nach und nach als konventionell empfunden und beruhte auf der Rhetorik der gegenseitigen kulturellen Verständigung und Zugehörigkeit, während sie weiterhin in ihren Schriften Maskerade- und Cross-Dressing-Rhetorik einsetzte und gelegentlich Männerkleidung im Rahmen einer Maskerade trug. Diese diskursive Verschiebung zeigte sich an ihrem Einsatz von Kostümbildern in der Ausgabe Nr. 77 der Zeitschrift Vsjakaja Vsjačina von 1769. Unter dem Namen eines fiktionalen männlichen Schriftstellers verwendete die Kaiserin, wie Viktor Živov herausfand, eine Kleidungsmetapher, um ihre Politik mit derjenigen von Peter I. und, meiner Meinung nach, mit der der Kaiserin Elisabeth zu vergleichen: »[...] als ich jung war, bevorzugte ich russische Kleidung, weil sie mit der Klugheit mehr übereinzustimmen schien als die französische. 9

Zur Diskussion über Maskerade und hoheitliche Hochstapelei als unzulässiges Verhalten siehe Uspenskij, 2012, S. 113-152. 10 Zur Missbilligung von Cross-Dressing durch den Adel siehe bspw. Katharina II., 1907b, S. 296. 11 »Dès que madame Wladislowa m’eut couché et qu’elle fut retirée, je me relevai et m’habilloi de pied en cape en homme; j’accommodoi mes cheveux le mieux que je pus; il y avoit longtems que j’avois cette habitude et je n’y etois pas gauche.« Katharina II., 1907b, S. 316f., 360f. 12 Siehe Kamer-fur’erskie žurnaly, 1765, S. 242, 251. 380

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Sie sagten mir, dass ich einen barbarischen Geschmack hätte. Jetzt bewundere ich diese Kleidung, weil sie unserem Klima mehr entspricht als jede andere […].« Am Ende dieses Artikels ging der Autor einen Kompromiss zwischen russischer und französischer Kleidung ein, diese Entscheidung wurde durch die Anforderungen des Klimas und des gesunden Menschenverstandes begründet.13 Dieser elegant zum Ausdruck gebrachte Modernisierungsansatz, der auf kulturellem Gleichgewicht, Zweckmäßigkeit und Komfort basierte, fand seine Reflexion in den Regimentskleidern, die Katharina II. für sich in Auftrag gab. Als Oberst und Mäzenin der Militärregimenter nahm die Kaiserin an verschiedenen formellen und informellen Zeremonien teil: Geburtstage der Regimenter, Militärparaden und -inspektionen, religiöse Feiertage in höfischen und Regimentskirchen, Festmahle mit Offizieren, Hochzeitszeremonien und Taufrituale für die Kinder der Offiziere.14 Diese Rituale stärkten ihre Verbindung zu den Regimentern und erkannten gleichzeitig deren Dienste für den Staat an. Bei einigen dieser Anlässe, einschließlich Gottesdiensten, trug die Kaiserin Kleider, die den Uniformen bestimmter Garderegimenter nachempfunden waren. In den Kammerfourier-Journalen wird berichtet, dass sie Regimentsuniformen während ihrer Reise in die baltischen Städte trug, die sie zwischen dem 20. Juni und dem 25. Juli 1764 unternahm. Sie trug die Uniformen zu vielerlei Anlässen, wenn sie an militärischen Übungen teilnahm, Befestigungsanlagen inspizierte, mit der Flotte reiste oder ihre Gäste begrüßte, die kamen, um ihr Respekt zu erweisen.15 Am 21. November desselben Jahres feierte die Kaiserin den Gedenktag Unserer Lieben Frau in Jerusalem mit dem Semjonowskij-Wachregiment. Sie trug die Kleidung dieses Regiments zur Messe und zum Festmahl mit den Offizieren.16 13 Vsjakaja Vsjačina, 1769, S. 201-203. Siehe Živov, 2008, S. 257. 14 Siehe bspw. Kamer-fur’erskie žurnaly, 1763, S. 12, 30, 110, 141, 165, 170, 186, 200, 203, 229; Kamer-fur’erskie žurnaly, 1764, S. 17, 55, 90f., 100, 104, 139, 162, 172f., 182, 221, 233, 279, 287, 322, usw. Zur Rolle Katharinas als Oberst der Wachen und der Funktion ihrer Regimentskleider siehe die Memoiren von Ivan Dolgorukov, einem Offizier des Semjonowskij-Regiments: Dolgorukov, 2004, S. 67. 15 Siehe Kamer-fur’jerskie žurnaly, 1764, S. 279, 287, 322. Während die frühen Aufzeichnungen die Regimentsuniformen der Kaiserin nicht explizit erwähnen, deuten einige Stellen an, dass sie zu gewissen Anlässen (z.  B. Gottesdienste) eher Kleider statt Uniformen trug. 16 Siehe Kamer-fur’erskie žurnaly, 1764, S.  221f. Die Meldungen aus den Jahren 1764 und 1765 belegen, dass sie diese Uniformen zu verschiedenen regimentsbezogenen Anlässen und Gottesdiensten getragen hat, an denen sie gemeinsam mit den Gardemitgliedern teilnahm. Siehe auch Kamer-fur’erskie žurnaly, 1765, 381

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Wie eine Vielzahl von Kleidungshistorikern bemerkte, kombinierten die Regimentskleider Katharinas Elemente der modischen Kleidung mit traditionellen vorpetrinischen Merkmalen sowie Elementen der Herrenbekleidung und militärischer Insignien.17 Die Kleider bestanden aus mehreren Kleidungsstücken. Die offene äußere Robe mit bzw. ohne ein angesetztes Mieder lag normalerweise eng am Rücken an, war an der Taille lose plissiert und hatte oft eine Schleppe von unterschiedlicher Länge. Einige der ersten Roben hatten an den Ellbogen dekorative Schlagmanschetten. Die Unterbekleidung bestand gewöhnlich aus einem tief ausgeschnittenen Mieder mit Ärmeln oder einer zweireihigen Weste und Taschen sowie einem Unterrrock oder einem Kleid mit Ärmeln. Die Roben wurden nach französischer Mode über den Reifen getragen, während die enganliegenden Rücken, die dem Schnitt von Männerkleidung ähnelten, auf englischer Mode basierten. Lange Ärmel mit Manschetten, kleine und schmale oder große und weit ausgeschlagene Einzel- oder Doppelkragen sowie einfarbige, vergoldete Knöpfe in verschiedenen Größen waren Elemente der Herrenkleidung. Die Kleider waren aus Seide und ihre Farben entsprachen denen der Regimentsuniformen. In ihrem Schnitt und ihrer Verzierung demonstrierten sie Schlichtheit und Minimalismus, während ihre Designs sie zum Gehen und Reiten geeignet machten.18

S. 43, 97, 105, 108f., 119, 278, 283, 298; Kamer-fur’erskie žurnaly, 1766, S. 94, 166. Am Ende von Katharinas Herrschaft wurden die Regimentskleider mit feierlichen Anlässen in Verbindung gebracht. Der Wissenschaftler und Ethnograph Johann Gottlieb Georgi beschrieb den kaiserlichen Hof im Jahre 1794 und stellte fest, dass die Kaiserin zu Feierlichkeiten der Garderegimenter und Kavaliersorden ihre Uniformen trug; Georgi, 1794, S. 184. 17 Diese Diskussion über Katharinas Regimentskleider geht aus mehreren Quellen hervor, zum einen bspw. Koršunova, 1983, S. 11, 293; Samonin, 2000, S. 182185; Veršinina, 2014, S.  36f.; zum anderen auch aus meinen eigenen Studien dieser Kleider und ihrer fotographischen Abbildungen. Zu den Museumssammlungen der Regimentskleider siehe Veršinina, 2016, S. 48-57. 18 Im kaiserlichen Erlass vom 23. Oktober 1782 riet die Kaiserin ihren Hofdamen ebenfalls dazu, der Einfachheit und Mäßigung in ihrer Kleidung zu folgen, und sie forderte sie gleichsam auf, bei Neuheiten vorsichtig zu sein. Siehe Erlass PSZ 21, Nr. 15.556. 382

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Abb. 2 und 3: Uniformkleid der Kaiserin Katharina II., geschneidert nach dem Vorbild der Uniform des Berittenen Leib-Garderegiments. Russland, Redingote 1789 und Unterrock 1786. Ermitage (St. Petersburg), Inv. nos. ERT-11006, ERT-11007. Photograph © The State Hermitage Museum, St. Petersburg. Photo by Alexej Pakhomov.

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Sowohl die Unter- als auch die Oberbekleidung waren in der Regel mit Tressen besetzt, die, wenn sie an einen Unterrock oder ein Unterkleid genäht wurden, einem dekorativen Element der russischen Trägerkleider ähnelten. Die Kleider, die Katharina II. in den 1770er Jahren zu tragen begann, enthielten eine größere Vielfalt russischer Züge. Diese Kleider hatten offene Armlöcher und dekorative Hängeärmel. Diese beiden Merkmale waren Elemente vorpetrinischer Kleider. Wie Svetlana Amelëchina feststellt, gehörten dekorative Hängeärmel zu Kleidungsstücken wie odnorjadka, ochaben’ und ferezeja, die vor den petrinischen Reformen von Adligen getragen wurden, sowie zu Volkstrachten – verschiedene Arten von Trägerkleidern, wie etwa klinnik, sušun und ferjaz’. In vielen europäischen Ländern war es in dieser Zeit üblich, einheimische Elemente in Zeremoniengewänder zu integrieren.19

Abb. 4: Festkleid einer jungen Frau: Sarafan, Bluse. Russland, nördliche Region, frühes 19. Jahrhundert. Ermitage (St. Petersburg), Inv. nos. ERT-16877, ERT15148. Photograph © The State Hermitage Museum, St. Petersburg. Photo by Alexej Pakhomov.

19 Siehe Amel�china, 2016, S. 193f.; dies./Green, 2016, S. 194. Für detaillierte Beschreibungen der meisten dieser vorpetrinischen Kleider siehe Sosnina/Šangina, 1998, S. 115, 195f., 200, 332f., 379f. 384

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Abb. 5: Letnik (altes Obergewand für Frauen mit dekorativen Hängeärmeln), Kostüm der Großfürstin Xenja Alexandrowna (Frau eines Bojaren im 17. Jahrhundert).Ermitage (St. Petersburg), Inv. nos. ERT 13433, ERT-15193. Photograph © The State Hermitage Museum, St. Petersburg. Photo by Alexej Pakhomov. Obwohl einige der späteren Kleider Katharinas eine taillierte Form bewahrten, waren viele von ihnen auch weniger eng geschnitten. Der Astronom Johann III. Bernoulli berichtete über die zeremoniellen »russischen Kleider« der Kaiserin, die sie in den siebziger Jahren am Hof einführte und die den Regimentskleidern ähnelten.20 Ihre Bevorzugung der »russischen Kleider« erwuchs sowohl aus praktischen als auch aus politischen Gründen. Bernoulli stellte fest, dass die Kaiserin während der Geburtstagsfeier des Preobraschensker Leib-Garderegiments am 17. August 1777 in ihrem Regimentskleid, das für sie wohl zu eng und zu warm war, müde wirkte. Höchstwahrscheinlich trug sie zu diesem Anlass ein sehr eng geschnittenes Kleid.21

20 Für eine detaillierte Erörterung der zeremoniellen »russischen Kleider«, die von Katharina II. am Hof eingeführt wurden, siehe Amel�china, 2016, S. 189-195; dies./Green, 2016. 21 Siehe Bernoulli, 1902, S. 16, 24f. 385

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Abb. 6 und 7: Uniformkleid der Kaiserin Katharina II., geschneidert nach dem Vorbild der Uniform des Semjonowskij-Regiments. Russland, 1770-1780er (Oberkleid); 1779 (Unterkleid). Ermitage (St. Petersburg), Inv. nos. ERT-15581, ERT-15582. Photograph © The State Hermitage Museum, St. Petersburg. Photo by Alexej Pakhomov.

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Die locker sitzenden Kleider verschafften der alternden Kaiserin den nötigen Komfort, während die vertikalen Linien, die durch die Tressen und die kontrastierenden Farben einiger Ober- und Untergewänder betont wurden, ihrer Figur schmeichelten. Zu den gängigen Kombinationen dieser Kleidungsstücke gehörten also sowohl eng als auch locker sitzende Roben. Laut Sergej Samonin umfasste das Ensemble aus dem Jahr 1792 aus der Sammlung des Historischen Staatsmuseums fünf Kleidungsstücke – ein offenes Gewand mit dekorativen Ärmeln, ein hüftbetontes Gewand, das den in dieser Zeit getragenen Redingoten ähnelt, ein tief ausgeschnittenes Mieder, eine Weste und einen Unterrock, welche die Kaiserin unterschiedlich kombinieren konnte.22 Es ist möglich, dass sie zum Reiten eine taillierte Redingote und zum Gehen lockere Gewänder mit Schleppen trug. Mindestens acht Museen in Russland besitzen solche Gewänder der Kaiserin. Im 19. Jahrhundert wurde die Tradition, zu zeremoniellen Anlässen Regimentskleider zu tragen, für die weiblichen Mitglieder der kaiserlichen Familie zur regelmäßigen Praxis.23 Die Kaiserin trug diese Kleider manchmal sogar im Rahmen von Maskeraden. Andrej Poletika beschrieb die Maskerade, die 1787 während ihrer Krimreise im Haus des Grafen Petr Rumjancev in Kiew stattfand, und wies darauf hin, dass sie bei dieser Gelegenheit statt einer Verkleidung ein Regimentskleid getragen habe, das der Uniform des régiment de cuirassiers nachempfunden war.24 Ihre Wahl in diesem Zusammenhang kann durch ihre Korrespondenz mit Grigorij Potemkin besser nachvollzogen werden. Im Brief vom 29. Juni 1783 erwähnte Katharina II., dass sie eine Uniform als die ehrenhafteste Art von Kleidung schätzte, und sprach sich negativ gegen den modebewussten Gustav III. aus, der ihrer Meinung nach beträchtliche Zeit vor dem Spiegel verbrachte und es seinen Offizieren verwehrte, am Hofe in ihren Uniformen zu erscheinen.25 Das »schwarze und purpurrote Kleid« der schwedischen Offiziere, das der Kaiserin während ihres Treffens mit Gustav III. positiv auffiel, wurde vom schwedischen König als Teil der nationalen Tracht für Adel und Mittelklasse, sowohl für 22 Siehe Samonin, 2000, S. 182. 23 Zum Tragen von Regimentskleidern durch weibliche Mitglieder der Kaiserfamilie, vor allem nach Alexander I., siehe Rogatnev, 2017. 24 Siehe Poletika, 1843, S. 8. 25 »J'ai seulement trouvé qu'il étoit excessivement occupé de sa parure se tenant fort volontiers devant le miroir, et ne permettant à aucun officier de se présenter autrement à la Cour qu'en habit noir et ponceau et point en uniforme; ceci m'a choqué parce que selon moi il n'y a point d'habillement plus honorable et plus cher qu'un uniforme.« Siehe Katharina II./Potemkin, 1997, S. 174. 387

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Männer als auch für Frauen, 1778 eingeführt.26 Auf der Miniatur von Cornelius Höyer, die das Treffen der beiden Herrscher im Jahre 1783 in Fredrikshamn festhielt, trug der König eine reich verzierte nationale Alltagstracht in den Farben Schwarz und Purpur und Schuhe mit modischen roten Absätzen, Katharina II. trug die Preobraschensker-Uniform.27 Die Outfits der beiden Monarchen zeigten sowohl ihre Einstellung zur Kleidung als auch ihre Haltung im Allgemeinen. Gustavs Kleid spiegelt einheimische Züge wider und ist stark von französischer Mode beeinflusst. Katharinas Regimentsgewand weist auf ihre Vorbilder hin – Peter I., aber auch Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Vor dem Hintergrund der Spannungen zwischen Katharina II. und Gustav III., dessen Truppen zum Zeitpunkt des Treffens nahe der russischen Grenze in Tavastehus stationiert waren, konnten die Kleidung betreffende Entscheidungen der beiden Herrscher als politische Äußerungen gelesen werden, wobei die Preobraschensker-Uniform eventuell als Erinnerung an den Ausgang des Großen Nordischen Krieges diente.28 Im inländischen Kontext zeigten Katharinas Kleider ihren Respekt für die einheimischen Traditionen, während ihre europäischen Elemente die aktuellen transnationalen Einflüsse widerspiegelten. Eine solche Komplementarität von einheimischen und europäischen Merkmalen in zerenomiellen Kleidern war im späten 18. Jahrhundert in ganz Europa üblich. Die Prinzipien der persönlichen Amtsführung der Kaiserin, die ihre politischen Ansätze visuell darstellten, wurden nach dem Pugačёv-Aufstand (1773-1775) durch Katharinas Politik und die Einführung regionaler Uniformen in großem Umfang verwirklicht. Als Teil ihrer Aufwandgesetze zielte dies auf Modernisierung politischer und öffentlicher Institutionen ab, einschließlich Reformen der Kommunalverwaltung und Vergabe von Chartas an Adlige und Städte. Ähnlich wie bei den petrinischen Kleider-Erlassen, die nach der Niederschlagung der Strelizenaufstände eingeführt worden waren, wurde der Großteil der Aufwandgesetze Katharinas nach dem Pugačёv-Aufstand eingeführt und unter anderem durch die wirtschaftlichen

26 Zu den schwedischen nationalen Trachten sowie Gustavs Kleiderwahl, insbesondere während seiner Treffen mit Katharina II., siehe Mansel, 2005, S. 51-54. 27 Siehe Hö���, 1784 und Abb. 8. 28 Siehe bspw. den Brief von Potemkin an Katharina II. vom Februar-März 1783 sowie Katharinas Brief vom 26. Mai 1783 an Potemkin. Ich danke Rodolphe Baudin für den Verweis auf den Kontext des Großen Nordischen Krieges. 388

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Abb. 8: Cornelius Höyer, König Gustav III. und Katherina II. in Fredrikshamn 1783. Aquarell auf Pergament, Durchmesser: 26,5cm, Rahmen: 44x38x5cm. 1784. Schwedisches Nationalmuseum (Stockholm). Photograph © Nationalmuseum, Stockholm. Photo by Erik Cornelius. Schäden, die durch den Aufstand verursacht wurden, begründet.29 Die Hauptziele dieser Bestimmungen waren die Senkung der Ausgaben für Luxusgüter, die Schaffung eines auf Kleidung basierenden Mechanismus sozialer Kontrolle und die Eingliederung von Adligen und Beamten in neue institutionelle Strukturen.30

2. Aufwandgesetze Katharinas und die Einführung der regionalen Uniformen Katharina II. unternahm die ersten Versuche, die politischen und öffentlichen Institutionen durch die Gesetzgebende Kommission von 1767-1768 zu reformie29 Siehe Erlass PSZ 20, Nr. 14.290. 30 Siehe bspw. Erlass PSZ 20, Nr. 14.816. 389

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ren. Laut Oleg Omelčenko umfassten die Grundsätze dieser Gesetzesreform die Wahrung der absoluten Monarchie, eine gewisse Dezentralisierung der Exekutive und der Justiz und vor allem die Anpassung der Gesetzgebung, als Reaktion auf verschiedene politische Faktoren von 1763-1764 in Russland.31 Durch die Gesetzgebende Kommission, ihre Arbeitsgruppen und die Diskussionen der Abgeordneten sowie ihre eigene Große Instruktion führte die Kaiserin eine Praxis der politischen Anpassung ein, die die rechtlichen Grundsätze der Regierung formulierte.32 Die von den Arbeitsgruppen zusammengestellten Dokumente bildeten die Grundlage für Katharinas Verwaltungsreformen, die sie zwischen 1775 und 1785 nach dem Pugačёv-Aufstand durchführte.33 Die Reformen zielten darauf ab, ein effizientes System territorialer Aufgliederung zu schaffen, regionale und lokale Verwaltung sowie die wirtschaftliche und soziale Wohlfahrt zu verbessern, neue Wege zu finden, Adlige und andere Gesellschaftsschichten in den öffentlichen Dienst einzubeziehen und ihre Wertschätzung zu steigern. Die letz31 Siehe Omelčenko, 1993, S. 93. 32 Bemerkenswerterweise stellte Katharinas Große Instruktion Analogien zwischen Gesetzgebung, Land sowie physischen und politischen Körperschaften her, die auf der erweiterten Metapher des politischen Körpers beruhten. In diesem Dokument wurden beispielsweise die Gesetze zur Gründung des Staates erörtert, wobei die Regierungen mit kleineren Strömungen (»malye protoki«) verglichen wurden, durch die »die Macht des Monarchen ausgegossen und zerstreut wird«. Siehe bspw. Katharina II., [1767], 1907a, S. 5, 18; Katharina II., 1931, S. 217, 224. Zur Diskussion der Analogien zwischen der Beschaffenheit des Landes und der Gesetzgebung in den Texten Katharinas II. siehe Schönle, 2007, S. 65-111. 33 Die Staatsdokumente, die sich auf den Pugačёv-Aufstand bezogen, stützten sich auf die Analogien zwischen Staat und Körper und legten den Schwerpunkt auf die Bilder von Zersplitterung und Gewalt in der Beschreibung des vom Aufstand betroffenen Landes. Die Dokumente prangerten die Rebellion als gewalttätiges soziales Leiden an, das zum Zerfall des Landes führte und es verwundbar machte. Der Senatsbeschluss vom 13. Dezember 1773 verglich den Aufstand mit der Pest und berichtete, dass Adlige vereinbarten, die betroffenen Gebiete zu beaufsichtigen, um Frieden und Ordnung zu wahren. In den Manifesten vom 23. Dezember 1773 wurde das Land ferner als gespalten durch innere Fehden beschrieben, die seiner Gesamtheit schadeten, und es wurde an die Wiederherstellung seiner Gesundheit und Ordnung appelliert. Darüber hinaus benutzten die Dokumente die Maskerade-Rhetorik, um Emel’jan Pugačёv und seine Anhänger zu verleugnen. Siehe dazu Senatsbeschluss vom 13. Dezember 1773 und Manifeste vom 23. Dezember 1773, in: Puškin, 1938, S. 165-173. 390

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teren Ziele waren besonders im Zusammenhang mit dem Manifest Peters  III. von 1762 wichtig, welches Adlige von der Dienstpflicht befreite. Wie Simon Dixon und andere Wissenschaftler feststellten, suchte Katharina II. nach neuen Wegen, um den esprit de corps der Adligen für die Verwirklichung ihrer Sozialpolitik zu gewinnen.34 Zu diesem Zweck wurden ab 1776 neue territoriale Einheiten (namestničestvo) sowie neue regionale Verwaltungs-, Sozialund Bildungseinrichtungen eingeführt. Ivan Dolgorukov, dessen Vater an den Gouvernementsreformen beteiligt war, stellte fest, dass die Kaiserin »eine neue Regierung in Russland einführen wollte, und eine neue politische Körperschaft schuf«, während sie die alten Institutionen auflöste – »Kollegien, Woiwodschaften, Gouvernements- und Provinzkanzleien mit all ihren Angestellten.«35 Parallel zu diesen Reformen führte die Kaiserin für jede Region36 individuelle Uniformen ein. Sie setzte Kleidung als kognitive, symbolische Struktur ein, um soziale Veränderungen zu fördern und umzusetzen. Indem sie das Soziale und das Visuelle regulierte, versuchte sie, das politische und kulturelle Gefüge nach dem Beispiel der petrinischen Bekleidungspolitik zu gestalten. Bemerkenswerterweise teilte Katharina in ihrem Brief an Voltaire vom 29. Mai 1767, den sie in Kazan während der Wolgareise zu Beginn ihrer Regierungszeit verfasste, ihre Reformpläne durch einen Verweis auf die Kleidung mit, die für die Bevölkerung geeignet wäre: »[…] Nun bin ich hier in Asien, ich wollte es mit meinen eigenen Augen sehen. Es gibt in dieser Stadt zwanzig verschiedene Menschen, die absolut keine Ähnlichkeit zueinander haben. Jedenfalls muss ich ein Kleid für sie herstellen, welches ihnen allen passt. Es ist nicht schwer, allgemeine Prinzipien herauszufinden, doch was ist mit den Details? Und welche Details? Ich könnte sagen, es gibt fast eine ganze Welt, die geschaffen, vereint und be-

34 Siehe Dixon, 2010, S. 271. 35 »Ekaterina, uničtožaja kollegii, voevodstva, gubernskie i provincial’nye kanceljarii so vsem ich pričtom, chotela vvesti novoe pravitel’stvo v Rossii i sozdala novoe telo političeskoe.« Dolgorukow, 2004, S. 55. 36 Anm. des Übers.: Hier und im Folgenden wird unter »Region« eine im englischen Originaltext nicht weiter bestimmte Form der administrativ-territorialen Einheit im katharinäischen Russland verstanden. Damit kann ein Gouvernement, ein namestničestvo bzw. eine oblast’ gemeint sein. 391

Victoria Ivleva wahrt werden muss. Ich werde es vielleicht nie fertigstellen können; es gibt hier viel zu viele verschiedene Sitten […].«37

1775 begann sie mit der Umsetzung ihrer Regionalpolitik und nutzte Uniformen als kulturelle Ressource, um soziale und politische Institutionen zu regulieren und regenerieren. Katharinas erste Verordnungen der Aufwandgesetze, die nach dem PugačёvAufstand am 3., 18. und 30. April und 7. November 1775 eingeführt wurden, legten die visuellen Indikatoren der adligen Ränge fest – die Anzahl der Bediensteten und deren Livrees, die Wagentypen und die Anzahl der Zugpferde. Die Kaiserin begründete die Einführung dieser Bestimmungen mit Verweisen auf die innenpolitischen Ereignisse, die den Adelsstand schwächten, sowie auf die ungeheuren Schulden der Adligen. Im Vergleich zu Elisabeths Dekreten, die vielfach verschiedene höfische Zeremonien reguliert hatten, strebte die Politik Katharinas an, das öffentliche Leben in den breiteren Bevölkerungsschichten der Stadt zu regulieren – Beamte aller Ränge, Adlige, die keinen Oberoffiziersrang bekleideten, ihre Ehefrauen, Witwen und Kinder, Kaufleute, Unteroffiziere und Bürger.38 Ihre Dekrete vom 18. und 30. April 1775 gewährten den Adligen ohne Oberoffiziersrang, die jedoch über fünfzig Jahre alt waren, sowie den Offizieren der Garderegimenter zusätzliche Privilegien.39 Von denjenigen, die sich nicht an die Vorschriften hielten, wurde erwartet, dass sie Beiträge zur Finanzierung der Krankenhäuser in Höhe der Kopfsteuer einer Person leisteten, deren Rang sie missbrauchten.40 Von der Regulierung der Dienstgrade ging die Kaiserin zur Integration von Adligen und Beamten in regionalen Strukturen sowie zur Einführung regionaler 37 » […] Me voilà en Asie, j’ai voulu voir cela par mes yeux. Il y a dans cette Ville vingt peuple divers qui ne ce ressemblent point du tout, il faut pourtant leurs faire un habit qui leurs soit propre à tous. Ils peuvent ce bien trouver des principes généraux, mais les détails? et quels détails? J’allois dire, s’est presque un monde à créer, à unir, à conserver etc. Je ne finirai pas et en voilà cependant beaucoup trop de touttes façon […].« Voltaire, 1974, S. 146. 38 Siehe Erlasse PSZ 20, Nr. 14.290, 14.301, 14.311, 14.391. 39 Diese Offiziere durften in Kutschen fahren, die von zwei Pferden gezogen wurden. Majore der Garderegimenter durften Wagen und Livreen des fünften Ranges, Oberoffiziere die des siebten und achten Ranges verwenden. Diese Unterschiede waren bis zu vier Ränge höher als die ihnen nach der Rangtabelle zustehenden. Siehe Erlass PSZ 20, Nr. 14.301, 14.311. 40 Siehe Erlass PSZ 20, Nr. 14.290. 392

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Uniformen über.41 Leonid Šepelev zufolge war der Antrieb für die Einführung der Uniformen der zwanzigste Jahrestag ihrer Thronbesteigung. Ein Jahr vor diesen Festlichkeiten ordnete Katharina  II. an, dass Beamte und Landadlige jeder Region Uniformen in den Farben nähen ließen, die den Farben der regionalen Wappen entsprachen, und befahl ihren Frauen, dazu farblich passende Kleider zu tragen.42 In Analogie zu ihrem eigenen Herrschaftsantritt, als sie die Uniform des Kommandanten Talyzin während des coup und zu verschiedenen Anlässen gleichsam den Wachen die Regimentskleider anlegte, wurden Beamte und Landadlige in ihre regionalen Rollen eingewiesen, indem sie ebenfalls Uniformen anlegten. In diesem Fall setzte die Kaiserin das rhetorische Potenzial der Kleidung ein, um den hohen Wert des öffentlichen Dienstes wiederherzustellen, der lange vor der Einführung des Manifests von 1762 an Bedeutung zu verlieren begonnen hatte. Ihre zweite Zielsetzung verfolgte eine stärkere Bindung des Adels an seine jeweilige Region. Da viele Adlige nach 1762 weiterhin im Dienst standen, waren sie infolge dessen oft von ihren Gütern abwesend bzw. besaßen Ländereien in unterschiedlichen Regionen, wodurch ihre Verbindung zu den Regionen recht schwach ausgeprägt war.43 Die Uniformen trugen dazu bei, diese Verbindungen durch die Farbähnlichkeiten mit den Wappen zu verstärken, die meisten von ihnen wurden von der Regierung zwischen 1775 und 1785 offiziell genehmigt.44 41 Siehe Erlasse PSZ 21, Nr.  15.557, verabschiedet am 24.  Oktober 1782, S.  713f.; PSZ 22, Nr. 15.975 und 15.994, verabschiedet am 9. April und am 6. Mai 1784, S. 90-93, 148. 42 Siehe Šepelev, 1999, S. 199. Zur sozialen Zusammensetzung der lokalen Regierungen in den 1760er und 70er Jahren siehe Glagoleva/Fomin, 2012, S. 160-220. Während 89 % der Beamten in den Kanzleien des Gouvernements Tula Adlige waren und alle Woiwoden erbliche Adlige waren, gehörten nur 54 % der Woiwoden und anderer Verwalter in Sibirien in den Jahren 1727-1764 zum Erbadel; ebd., S. 161. 43 Zur Diskussion über die Abwertung der offiziellen Ideologie und die sich verändernde Haltung der Adligen gegenüber dem Dienst in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts siehe Marasinova, 1999, S. 95-133. Die allmähliche Abnahme der Dauer der Pflichtdienstzeit und ihre Abschaffung im Jahre 1762 zeugen von den früheren Ursachen solcher Unzufriedenheiten. 44 Zur Erörterung der Geschichte und Symbolik der Wappen, die den Städten im 18. Jahrhundert verliehen wurden, siehe Winkler, 1899, S. viii-xx; Sobolewa, 1981, S. 22-111, 178-219. Zu den Regeln, die die heraldische Kanzlei bei der Herstellung von Wappen der Städte beachtet hat, siehe bspw. Erlass PSZ 19, Nr. 13.780 vom 2. April 1772. 393

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Das Wappen von Penza, das vom Senat am 28. Mai 1781 bestätigt wurde, rühmte die Landwirtschaft dieser Region durch die Darstellung von Weizen, Gerste und Hirse auf einer grünen Wiese.45 Entsprechend dieser Farbsymbolik waren die Mäntel und Futter der ersten Penza-Uniformen grün, die Kragen, Manschetten und Hosen schwarz und die Kamisolen blassgelb.46 Der Generalgouverneur von Penza teilte dem Senat im November 1782 mit, dass die Uniformen seiner Region über den Sommer hergestellt worden seien. Katharinas Entscheidung, regionale Uniformen einzuführen, ist möglicherweise auf ähnliche Reformen in Polen zurückzuführen, wo der Sejm 1776 Woiwodschaftsuniformen für Landbesitzer, Sejm-Abgeordnete und Regierungsbeamte in den vom Adel jeder Region gewählten Farben einführte. Diese Adelsuniformen wurden als Reaktion auf die erste Teilung Polens eingeführt. Tadeusz Jeziorowski und Andrzej Jeziorkowski zufolge hatten diese Uniformen militärische Schulterklappen, welche ab 1780 allerdings nicht weiterverwendet wurden.47 Bemerkenswerterweise durchliefen die in Russland eingeführten regionalen Uniformen zwischen 1782 und 1784 dieselbe Veränderung. Das Dekret vom 9. April 1784 reduzierte die Anzahl der einheitlichen Farben auf drei – hellblau für den Norden, rot für mittlere und bordeauxrot für südliche Regionen. Grün wurde nicht mehr für regionale Uniformen verwendet, wahrscheinlich um sie von den militärischen zu unterscheiden. Jede der 42 Regionen hatte ihre eigene Kombination aus farbigen Mänteln, Futtern, Kragen, Revers, Manschetten, Westen und Kniehosen (die beiden letzteren hatten immer die gleiche Farbe). Die Uniformen wiesen geringfügige Abweichungen in Form der Manschetten, Anzahl, Position und Farbe der Knöpfe auf, und einige Uniformen hatten kontrastierende Aufschläge. In den Beschreibungen der Uniformen der Regionen Moskau, Jekaterinoslaw und Taurien wurden gestickte Knopflöcher erwähnt, die Stabsoffizieren und hochrangigen Beamten vorbehalten waren.48 Die dekorativen Unterschiede der 1784 eingeführten Uniformen, die Farben der Halsbänder, Manschetten und Revers oder die Farben der Westen und Kniehosen entsprachen gewöhnlich den Farben der regionalen Wappen. Hellblaue Mäntel der Region Kostroma hatten zum Beispiel hellblaue Samt-Revers, Kragen, runde Manschetten und gelbe Knöpfe. Die Westen, Kniehosen und das Futter waren ebenfalls hellblau. Hellblau war die Farbe des Schildes 45 Siehe Erlass PSZ 21, Nr. 15.165. 46 Siehe Auszüge aus den Berichten der Generalgouverneure in Šepelev, 1999, S. 200f. Siehe auch Erlass PSZ 21, Nr. 15.165, S. 128f. 47 Siehe Jeziorowski/Jeziorkowski, 1992, S. 37-40. 48 Siehe Erlass PSZ 22, Nr. 15.975. 394

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des Kostroma-Wappens, des ersten Wappens, das Katharina II. einer russischen Stadt verlieh. Laut Senatsbeschluss vom 24. Oktober 1767 gedachte Kostromas Wappen des Besuchs der Kaiserin in dieser Stadt im Jahr 1767 in der eigens für ihre Wolga-Reise gebauten Galeere sowie ihrer Entscheidung, dieser Stadt ein Wappen zu gewähren. Das Wappen von Kostroma zeigte eine goldene Galeere, die unter der kaiserlichen Standarte segelte.49 Beamte der Region Simbirsk hatten rote Mäntel mit hellblauen Kragen und schrägen Manschetten und Taschen und weißen Knöpfen auf beiden Seiten der Mäntel. Die Westen und das Futter waren weiß. Das alte Wappen von Simbirsk, das am 22. Dezember 1780 offiziell genehmigt wurde, war in ähnlichen Farben koloriert – auf einer weißen Säule im blauen Feld zeigte es eine goldene Krone.50 Beamte der südlichen Regionen (Jekaterinoslaw, Taurien, Kiew und Kaukasus) hatten bordeauxrote Mäntel mit grünen oder hellblauen Samt-Revers, Kragen und Manschetten sowie Futter in entsprechenden Farben. Ihre Mäntel hatten vier Knöpfe an den Ärmelschlitzen. Für den Kaukasus wurden hellblaue statt weißer Westen und Kniehosen vereinbart.51 Wie Šepelev anmerkte, spiegelten verschiedene dekorative Elemente der ersten regionalen Uniformen (Schulterklappen, Knöpfe und das (Nicht-)Vorhandensein von Revers) Rangunterschiede wider. Im neuen Erlass von 1784 wurden außer den gestickten Knopflöchern für die drei Regionen keine Rangunterschiede festgelegt. Lediglich die Qualität der Stoffe und Schneider sowie die staatlichen Auszeichnungen, die an den Mänteln erkennbar waren, vermittelten Informationen über den Dienstgrad oder das Einkommen.52 Die Uniformen machten jedoch diejenigen kenntlich, die dienten oder von denen erwartet wurde, dass sie ihren Dienst leisteten, und trugen dazu bei, ihren Dienst und ihre regionale Identitäten leicht erkennbar zu machen.

49 50 51 52

Siehe Erlass PSZ 18, Nr. 12.992. Siehe Erlass PSZ 20, Nr. 15.101. Siehe Erlass PSZ 22, Nr. 15.975. Siehe Šepelev, 1999, S. 202. 395

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Abb. 9: Mantel. Zweireihiger Mantel aus rotem Wollstoff mit samtigem Umlegekragen, langen, schmalen Ärmeln und Samtmanschetten. Staatliches Historisches Museum (Moskau), Inv. no. 19843 B – 133. 1780-1790er. Photograph © The State Historical Museum, Moscow. Der Mantel gehörte dem Edelmann Gorochow. Die ursprüngliche Farbe des Kragens und der Manschetten war hellblau. Ich bin Swetlana Bedrak dankbar, dass sie mir detaillierte Informationen über den Mantel zugänglich gemacht hat. Raisa Kirsanova zufolge versuchte Katharina II. durch diese Bekleidungspolitik, Männer und Frauen in das staatliche System zu integrieren.53 Der Erlass vom 24. Oktober 1782 ermutigte sowohl Männer als auch Frauen, regionale Kleider an öffentlichen Orten und bei Besuchen am Hof zu tragen.54 Die Einführung von Regionalkleidern für Frauen könnte durch die Kleiderreform in Schweden veranlasst worden sein, nach der sowohl Männer als auch Frauen der Ober- und Mittelschicht Nationalkleidung tragen mussten. Elizaveta Jan’kova, eine Moskauer Adelige, erinnerte sich daran, dass ihre Mutter – da ihr Vater Landgüter in Kaluga und Tula hatte – zwei regionale Kleider besaß: Das eine azurblau mit roten dekorativen Elementen und das andere in Silber. Das zweite Kleid bestand aus einem Satinrock und einer recht langen Jacke, die einem casaquin oder surtout ähnelte; es wurde aus dem Wollstoff stammet in silberner Farbe gefertigt 53 Siehe Kirsanova, 1999, S. 80. 54 Siehe auch den Erlass PSZ 21, Nr. 15.557. 396

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und hatte rote Seidenbesätze und ein rotes Futter. Laut Jan’kova bestand der Grund für die Einführung dieser Kleider darin, den Luxus zu drosseln, während die Verordnung dazu führte, dass die Preise für Stoffe schlechter Qualität anstiegen, da die Frauen begannen, diese Kleider zu nähen. Infolgedessen konnten Frauen sie lediglich zwei Winter lang tragen.55 Während Ekaterina Daškova in ihrem Brief vom 26. Dezember 1782 an ihren Vater die Uniformen der von ihm verwalteten Regionen, insbesondere die Uniformen der Region Wladimir, in der sie ein Dorf kaufen wollte, bewunderte, bemerkte Aleksandr Chrapovickij am 27.  Oktober desselben Jahres, dass regionale Uniformen nur Väter und Ehemänner glücklich machten.56 Der Erlass vom 6.  Mai 1784 verfestigte jedoch die Bevorzugung regionaler Uniformen für Männer und Frauen gegenüber luxuriöser Kleidung erneut. Das Dekret förderte außerdem die Entwicklung der einheimischen Textilindustrie durch Gründung von Kleinunternehmen, durch Handarbeiten und die Entwicklung des überregionalen Textilhandels. Der Staat hoffte, dass die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit der inländischen Produkte den Import verringern würden.57 Sowohl regionale Uniformen als auch Wappen drückten strukturelle und funktionale Beziehungen innerhalb des Staates aus und versuchten, Beamte, Adlige und ihre Familien sowie Vertreter kleinerer ethnischer Gruppen in diese Strukturen einzubinden. Im Jahr 1784 wurden Zeichnungen der Männeruniformen mit begleitenden Beschreibungen an den Senat geschickt. Regional- und Distriktinstitutionen, Adelsmarschälle und Stadtvorsteher erhielten ebenfalls diese Beschreibungen. Diese Zeichnungen und Beschreibungen hatten einen erzieherischen und symbolischen Wert, der zu den Prozessen der Identitätsbildung beitrug. Jede Illustration zeigte einen Mann mit einem Schwert in Uniform über einer nicht weiter bestimmbaren Landschaft und einem Wappen.58 Obwohl schematisch, verbanden sie Land und Individuum und zeigten Wertschätzung gegenüber der lokalen Kultur. Die soziale Identität wurde hier im Bereich der kulturellen Vorstellung geformt, wodurch längere Verbindungen – Narrative der Zugehörigkeit (kulturelle Erinnerung, Loyalität und Zuneigungen) – gegenüber kurzlebigeren sozialen Unterschieden bevorzugt wurden. Sowohl Wappen als auch Uniformen spiegelten symbolisch das kulturelle Erbe der jeweiligen Re55 56 57 58

Siehe Ornatskaja, 1989, S. 164. Siehe Daškova, 1880, S. 141; Chrapovickij, 1862, S. 4. Siehe Erlass PSZ 22, Nr. 15.994. Ich untersuchte Zeichnungen aus dem 1794 veröffentlichten Album, aber nach der Beschreibung der früheren Zeichnungen von Šepelev waren sie ähnlich, wenn auch nicht identisch mit denen, die 1794 veröffentlicht wurden. 397

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gionen wider und gaben jeder Region ein Gefühl der eigenen Identität; gleichzeitig trugen sie zur Gestaltung der regionalen und dienstlichen Identität von Beamten und Adligen bei und integrierten sie in eine größere Einheit.

Abb. 10: Die Uniform, die von Adligen und Beamten in der Region Kostroma getragen wurde. Aus: Izobraženie gubernskich, namestničeskich, kolležskich i vsech štatskich mundirov 1794 goda (St. Petersburg, 1794).Von der Russischen öffentlichen historischen Staatsbibliothek veröffentlicht: http://elib.shpl.ru/ru/nodes/524-izobraz​ henie-gubernskih-namestnicheskih-kollezhskih-i-vseh-shtatskih-mund​ irov-spb-1794#page/23/mode/inspect/zoom/4 Photograph © The State Public Historical Library, Russia. In den siebziger und achtziger Jahren bemühte sich die Regierung darum, die Aufzeichnungen des Adels in örtlichen Familienbüchern zu systematisieren und topographische Beschreibungen der Städte und Regionen zu erstellen. Das zweite Projekt, das 1760 begonnen wurde, war ursprünglich auf die Notwendigkeit eines neuen geographischen Atlas Russlands zurückzuführen.59 Während der Regierungszeit von Elisabeth wurden die von der Akademie der Wissenschaften und dem Kadettenkorps erhobenen Umfragen in die Regionen geschickt, 59 Siehe die Erlasse des Senats PSZ 15, Nr. 11.029 vom 31. Januar 1760, Nr. 11.165 vom 13. Dezember 1760; PSZ 20, Nr. 14.671 vom 1. November 1777. 398

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wobei die vom Kadettenkorps zusammengestellte Untersuchung Fragen zur Geschichte der Städte und ihrer Wappen enthielt.60 Das Sammeln von Informationen über Städte und Regionen während der Regierungszeiten von Elisabeth und Katharina sowie die Einrichtung neuer regionaler Institutionen verlief schrittund teilweise und wurde von verschiedenen Herausforderungen begleitet (Verzögerungen, verschiedene Fälschungen, Diebstahl staatlicher Gelder durch Wohlfahrtsinstitutionen sowie andere Machtmissbräuche). Gavriil Deržavin zum Beispiel äußerte ernsthafte Bedenken gegen die von seinem Gouverneur Timofej Tutolmin vorbereitete Beschreibung des Gebiets Olonec – letzterer listete Krankenhäuser und Schulen auf, die nicht existierten. Deržavin entdeckte außerdem weitere Fälle von Machtmissbrauch in seiner Region.61 Dennoch wurden viele topografische Beschreibungen veröffentlicht, von denen einige in Nikolaj Novikovs Drevnjaja Rossijskaja vivliofika (1773-1775, zweite Auflage: 1788-1791) und Uedinёnnyj pošechoneс, der ersten regionalen Zeitschrift, die in Jaroslawl 1786 mit der Unterstützung des Gouverneurs Aleksej Mel’gunov erschien.62 Die Beschreibungen enthielten Informationen über Einrichtungen der sozialen Wohlfahrt, während Uedinёnnyj pošechoneс auch detaillierte Informationen über Eröffnungen städtischer Schulen veröffentlichte und Akte der Menschenliebe erwähnte, beispielsweise großzügige Spenden von Kaufleuten für Lehrergehälter in Wologda.63 Wie die Forschung gezeigt hat, hatten Gouvernementsreformen einen erheblichen Einfluss auf das soziale Wohlergehen, den Städtebau und das intellektuelle und kulturelle Leben in den Regionen. Die politischen Maßnahmen und Prozesse führten auch zu einem neu entfachten Interesse an Geographie und Ethnographie, Familien- und Ortsgeschichte, einschließlich Familienwappen und regionalen Wappen.64 In Übereinstimmung mit 60 Siehe Bacmeister, 2006, S. 10. 61 Siehe bspw. Deržavin, Bd.  5, 1869, S. 412-417; Bd.  6, 1871, S.  561-576; Bd.  8, 1880, S. 370-398. 62 Siehe bspw. Novikov, Bd. 18, S. 201-395; Bd. 19, S. 10-284; Sankovskij, 1786, S. 122-133, 161-190, 238-264, 432-459, 585-588, 697-717. 63 Ebd., S. 655-670. 64 Zur Diskussion über die Auswirkungen der Regionalpolitik Katharinas auf das soziale Wohl, das kulturelle und intellektuelle Leben und die Stadtplanung siehe bspw. Čečulin, 1889; Wortman, 2006, S. 63f.; Žerebjat’ev, 2012, S. 550-577. Zur Diskussion über regionale Kultur und Industrie mancher Regionen, siehe bspw. Ozereckovskij, 1996. Paul I. ordnete 1797 an, staatliche genealogische Aufzeichnungen mit Beschreibungen der Familienwappen zu erstellen. Siehe Erlass PSZ 24, Nr. 17.749 vom 20. Januar 1797. 399

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den Regeln der Heraldik dokumentierten Wappen Legenden über Herkunft und Erfolge. Zusammen mit regionalen Uniformen vermittelten sie ein Zusammengehörigkeitsgefühl durch Anerkennung der lokalen Geschichte und Kultur und drückten eine Wertschätzung der regionalen Entitäten und Grenzen aus. Die Rhetorik der Zeichnungen, auf denen Männer in regionalen Uniformen dargestellt wurden, verstärkte Ähnlichkeiten und Unterschiede sowie die Merkmale von Individuen innerhalb geographischer Einheiten. Die Bilder förderten die Vorstellung von wechselseitiger Abhängigkeit des staatlichen Körpers, dessen neue Grenzen kürzlich gezogen wurden, um Bilder einer idealen Gesellschaftsordnung zu projizieren, in der Subjekte durch ihre Beteiligung an der lokalen Arbeit zu Bürgern werden könnten. Diese Rhetorik regte die kulturelle Vorstellungskraft an. Porträts von Beamten in regionalen und beruflichen Uniformen (letztere ab den 90er Jahren) begannen am Ende der Regierungszeit Katharinas zu erscheinen.65 Die Herstellung solcher Porträts wurde von Katharina II. und regionalen Gouverneuren gefördert, die Gedenkstätten eröffneten, in denen die Arbeit und Errungenschaften ihrer Beamten gewürdigt wurden. Dmitrij Levickij hat zum Beispiel Aleksej Mel’gunov, den Gouverneur der Region Jaroslawl, in der Regionaluniform mit St. Wladimir-Auszeichnung für Katharinas Galerie des Ruhmes der Kavaliere dargestellt.66 Ähnliche Porträts der Einwohner von Jaroslavl, die die Eröffnung des Findelhauses in der Stadt finanziell unterstützten, gekleidet in regionalen Uniformen, wurden für seine Galerie angefertigt.67 Solche Porträts gedachten des öffentlichen Dienstes und der philanthropischen Arbeit der Beamten.

65 Šepelev zufolge war einer der Gründe für die Einführung von Berufsuniformen die Tatsache, dass regionale Uniformen allmählich ihren Sonderstatus eingebüßt hatten, da sowohl Beamte als auch Adlige, die keinen Dienst leisteten, diese getragen haben; Šepelev, 1999, S. 205. 66 Siehe Abb. 11. Zur Diskussion über die Arbeit von Melʼgunov als Gouverneur der Region Jaroslawl siehe bspw. Trefolev, 1865, S. 944-978. 67 Kastorskaja, 2007, S. 206, 209. Siehe auch das Porträt des russischen Dichters und Staatsmanns Gavriil Deržavin in der Uniform der Region St. Petersburg von Vladimir Borovikovskij; Borovikovskij, 1795. 400

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Abb. 11: Dmitrij Levickij, Portrait von Alexej Petrovič Mel‘gunow (1722-1788). Öl auf Leinwand, 80,5x63cm. Russland, Ende des 18. Jahrhunderts bis Anfang des 19. Jahrhunderts. Staatsmuseum-Reserve Pawlowsk (St. Petersburg), Inv. no. CCh-2224-III, PM KP-42251. © St. Petersburg State Funded Institution of Culture »State Museum Reserve Pawlowsk« St. Petersburg, 2018. Wie dieser Artikel gezeigt hat, war die Uniformpolitik ein wesentlicher Bestandteil der sozialen und politischen Reformen Katharinas. Die strategische Notwendigkeit, ihre legitime Autorität und Kontinuität zu etablieren, ihr Wunsch, das Regierungssystem zu modernisieren, das Prestige des öffentlichen Dienstes und insbesondere das des Regionaldienstes wieder zu steigern und starke regionale Identitäten bei Adligen und Beamten zu etablieren – diese Prozesse waren alle in der Uniform und ihren Veränderungen verankert. Während sich der politische Körper in Katharinas Kleidungsdiskurs als uniformiert darstellte, zog er keinesfalls eine Uniformierung nach sich (im Sinn einer Bekleidung aller in identische Gewänder); vielmehr entstand eine komplexe Kultur der Uniformen der Zeit sowie eine Vielfalt semiotischer Unterscheidungen, die einen ganzen Bereich von Kodizes und Regimentsidentitäten vereinten. Dadurch gewann die politische Elite aus sich selbst heraus eine Vorstellung von regionalen Aufgliederungen als Teil einer den Körper regulierenden Politik. Übersetzung: Semjon Kaul

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Gedruckte Quellen und Literatur Bildquellen Borovikovskij, Vladimir, Porträt des Dichters und Staatsmannes Gavriil Romanovič Deržavin (1743-1816). Öl auf Leinwand, 28,7x23,5cm. Russland, 1795. Staatliche Tretjakow-Galerie (Moskau), http://www.nearyou.ru/ borovik/1derzgavin-bor.html, 17.3.2018. Eriksen, Vigilius, Reiterporträt von Katharina  II. Öl auf Leinwand, 195x178,3cm. Dänemark, nach 1762. Ermitage (St. Petersburg), Inv. no. GE1312. Hö���, Cornelius, König Gustav III. und Katharina II. in Fredrikshamn 1783. Aquarell auf Pergament, Durchmesser: 26,5cm, Rahmen: 44x38x5cm. Schwedisches Nationalmuseum (Stockholm). 1784. http://collection.na​tionalmuseum.se/eMP/eMuseumPlus?service=ExternalInterface&lang=en, 30.12.2017. Levickij, Dmitrij, Porträt von Aleksej Petrovič Mel’gunov (1722-1788). Öl auf Leinwand, 80,5x63cm. Russland, Ende des 18. Jahrhunderts bis Anfang des 19. Jahrhunderts. Staatsmuseum Pawlowsk (St. Petersburg), Inv. no. TsKh2224-III, PM KP-42251. Izobraženie gubernskich, namestničeskich, kolležskich i vsech štatskich mundirov 1794 goda, St. Petersburg, 1794. Aus der Sammlung der historischen Staatsbibliothek (Moskau), http://elib.shpl.ru/ru/nodes/524-izobr​azhenie-​ gubernskih-namestnicheskih-kollezhskih-i-vseh-shtatskih-mund​irov-spb1794#page/23/mode/inspect/zoom/4, 21.2.2018.

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Victoria Ivleva

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Die »doppelte« Memoria Maria Theresias Zu den Strategien der Repräsentation und zum frühen Nachleben der habsburgischen Herrscherin Werner Telesko Der Beitrag soll die von Maria Theresia selbst ausgehende Memoria sowie die an die Regentin gerichteten Strategien der Gedächtniskultur beleuchten. Zum einen werden jene Initiativen behandelt, mit deren Hilfe Maria Theresia selbst bereits sehr früh versuchte, sich im Gedächtnis der Nachwelt zu verewigen: Zu diesem Feld gehören vor allem jene (vor allem panegyrischen und künstlerischen) Aufträge, die von der Intention der Regentin Zeugnis ablegen, sich entweder in bewährter oder aber neuer Weise in die Tradition habsburgischer Repräsentation einzuschreiben. Am deutlichsten wird diese Art habsburgischer »Bildpolitik« wohl in Balthasar Molls Prunksarkophag für Maria Theresia und Franz Stephan in der Wiener Kapuzinergruft (1754). Hier sind die skulptural präsenten Herrscherfunktionen und Krönungen in ein grandioses theologisches Programm eingebunden, das auf der Basis von Josef Ignaz Mildorfers Deckenmalereien in der neu errichteten Krypta den Glauben der beiden Regenten an die Auferstehung am Jüngsten Tag visualisiert.1 Teil dieser explizit als intentional zu bezeichnenden Strategien ist neben der Ausstattung des Zeughauses in der Wiener Renngasse als »Mahnmal des Siebenjährigen Krieges«2 auch die malerische Ausmalung der Großen Galerie in Schloss Schönbrunn durch den italienischen Wandermaler Gregorio Guglielmi (1760). In letzterem Fall steht in selbstbewusster Weise die ökonomische Potenz der wichtigsten Kronländer des habsburgischen Imperiums im Zentrum. Ebenso wie in der Ausstattung der Kapuzinergruft regiert dabei nicht der Rückblick in die Vergangenheit, sondern 1 2

Telesko, 2014. Thomas, 1963, S. 185. 407

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die selbstbewusste Präsentation aktueller Herrschertitel und Machtpositionen – ganz im Sinne der auftrumpfenden Demonstration politischer Macht angesichts der vitalen Bedrohung der Dynastie im Siebenjährigen Krieg.3 Zugleich sind hier auch der ab 1736 vehement verbreitete Kult der (neuen) Dynastie Habsburg-Lothringen4 sowie die (allerdings in den visuellen Medien kaum wirksame) Propaganda der vielfältigen Reformaktivitäten der Regentin zu erwähnen.

Abb. 1: Paul Loebhart und Matthäus Waniek, Seitenansicht der ArsenalKam­mer des k. k. Zeughauses in Wien, Feder, aquarelliert, um 1817/1818. Heeresgeschichtliches Museum, Inv.-Nr. 1896/16/BI811-830. Aus den Instruktionen Maria Theresias zu den Verhandlungen beim Aachener Frieden (1747/1748) wird deutlich, dass sie ihre Position auf europäischer Ebene in zwischenstaatlichen Verträgen bewusst »mit der Aufnahme des Kaiserinnen-Titel«5 zu festigen versuchte, somit die Karte des kaiserlichen Vorrangs in einem Vertragswerk ins Spiel brachte, das sie eigentlich in ihrer Eigenschaft als Königin von Ungarn und Böhmen abschloss. Es wäre somit grundsätzlich zu untersuchen, in welcher Weise sich dieses im diplomatischen Verkehr entwickelte »Maximalprogramm zur Durchsetzung kaiserlicher Prärogative«6 auch in imperialen Repräsentationsstrategien der Regentin niederschlug. Die letztlich entgegen französischen Vorbehalten erfolgte Durchsetzung der kaiserlichen Titulatur Maria Theresias ist zugleich unter dem Aspekt zu sehen, dass das Kaiser-

3 4 5 6 408

Telesko, 2016. Grundlegend: Barta, 2001. Dauser, 2008, S. 2; dies., 2010, S. 308; dies., 2017, S. 260-292 (zusammenfassend zu Maria Theresia). Dies., 2010, S. 315.

Die »doppelte« Memoria Maria Theresias

tum Franz Stephans an das Erzhaus »rückgebunden«7 und damit gleichsam nach rückwärts verlängert wurde. In anderen zeitgenössischen Zeugnissen ist zudem davon zu lesen, dass die Vorsehung Gottes die beiden getrennten Dynastien wieder zusammengeführt habe.8 Die entsprechenden Quellen vermögen zu unterstreichen, dass in Maria Theresias Absichten zur Verewigung ihres Angedenkens zwei Strategien wurzeln, die sich argumentativ ergänzen – die Betonung der Vielfalt und Stärke des gegenwärtigen Reiches einerseits und die Integration der 1736 gleichsam neu geschaffenen Dynastie Habsburg-Lothringen in das reiche Erbe österreichischer Geschichte andererseits. Zum anderen wird aus den Zeugnissen verschiedener Schriftsteller und Prediger das deutliche Bestreben erkennbar, gleichsam »von unten« dem Herrschermythos in positiver Weise »entgegenzuarbeiten«. Mit einem ganz anderen Kreis von Akteuren ist somit das zweite Feld der Memoria Maria Theresias zu verbinden, das bereits früh – auf dem Höhepunkt der ersten politischen Krisen – einsetzte und einer biografischen Verklärung Maria Theresias Vorschub leistete. Hier ist eine kontinuierliche Produktion von Christian Gottlob Richters früher Lebensbeschreibung Maria Theresias Geschichte und Thaten der allerdurchlauchtigsten und großmächtigsten Fürstin und Frau Maria Theresia (o. O. 1743) über Franz Christoph von Scheybs Theresiade. Ein Ehren-Gedicht (Wien 1746)9 bis zu Johann Rautenstrauchs berühmter Biographie Marien Theresiens (Wien 1779)10 zu konstatieren. Dieser verklärende Effekt wurde angesichts der Fülle (geistlicher) Trauerreden anlässlich des Ablebens der Herrscherin 1780 sowie im Rahmen der unmittelbar danach erschienenen Biografien, etwa bei Gottfried Uhlichs Das Leben Marien Theresiens in einem Auszuge (Prag 1781), nochmals verstärkt,11 gipfelnd in Rautenstrauchs (?) Bilder von ihr [scil. Maria Theresia]. Stof [sic!] für Künstler, sich zu verewigen (Wien 1781).12 Diese beiden grundlegenden Felder maria-theresianischer Memoria sollen im Folgenden in ihrem wechselseitigen Verhältnis genauer analysiert werden. Der gleichsam intentional verfassten Memoria Maria Theresias, die angesichts der recht dürftigen Auskünfte der Hofarchive zudem das Problem einer schwierigen Quellenlage mit sich bringt, steht eine Fülle von häufig emotional unterlegten Texten unterschiedlicher Autoren und Personengruppen gegenüber, die 7 8 9 10 11 12

Ebd., S. 324. Griemert, 2010, S. 4, Anm. 28. Tuma-Holzer, 1975. Loebenstein, 1971. Telesko, 2012, S. 117, 120f. Huber, 2017, S. 148, Nr. K 17. 409

Werner Telesko

aus differierenden Motiven die entscheidenden Grundlagen für die vielfältigen Konstruktionen des Mythos »Maria Theresia« schufen. Es geht somit im weitesten Sinn um das grundsätzliche Verhältnis zwischen intentionaler Steuerung durch die Regentin einerseits und dem »Entgegenarbeiten« durch verschiedene soziale Gruppen andererseits sowie um die Konstruktionen von Memoria in der Anfangszeit und am Ende der Regierung Maria Theresias. Die Verewigung des Andenkens an die Regentin ist wesentlich vielschichtiger, als es primär den Anschein hat. Dies wird noch deutlicher, betrachtet man Zeugnisse an der Peripherie, welche die Repräsentation Maria Theresias in einen größeren Kontext einbauen: Im Jahr 1765 wurde in Freiburg i. Br. eine Schrift mit dem Titel Hundert Berge in hundert Sinnbildern […] aus der Feder des bayerisch-österreichischen Jesuiten Ignaz von Weitenauer (1709-1783) gedruckt.13 Beginnend mit König Rudolf I. von Habsburg werden die Habsburger hier in Schemata montaner Typologie eingepasst, die aber trotzdem Platz für die Spezifika jeder einzelnen Herrscherpersönlichkeit lassen: Im 84. Sinnbild geht es um den »seraphische[n] Namen Theresia«, der sich auf die Namenspatronin der Regentin, die Heilige Theresia von Ávila, bezieht. Der »inbrünstige Eifer des göttlichen Liebefeuers«, der hier auf Maria Theresia wie auch auf ihre Namenspatronin projiziert erscheint, ist mit dem Bild des mythischen, feuerspeienden Berges Balalvan auf der Insel Sumatra in Ostindien verknüpft. In traditionsmächtiger Weise wird in dieser Publikation eine dynastische Ahnengalerie mit einem (natur-)typologischen Kompendium verbunden. Namensund inhaltliche Relationen stehen im Dienst der Errichtung eines komplexen argumentativen Netzes, das seine traditionsmächtigen Anleihen aus Theologie und Allegorie nicht verleugnen kann. Es nimmt somit angesichts dieser engen Beziehung zur Heiligen Theresia von Ávila auch nicht wunder, wenn gerade der 15. Oktober als Namenstag der Heiligen als Anlass für zahlreiche Predigten zu Ehren Maria Theresias diente, somit Hagiografie und Namensfeier eine enge Verbindung eingingen. Zahlreiche Lob- und Dankesreden sind diesen typologisch unterlegten Strukturmustern, wie sie in der Schrift Hundert Berge in hundert Sinnbildern auftreten, verpflichtet: So bezog der Wiener Jesuit Jacobus Morlin in seiner Lob- und Danck-Red vor die wieder eroberte Haupt-Stadt Lintz in [sic!] Land ob der Enns […] (Linz 1742) den Tag der Wiedereroberung der oberösterreichischen Hauptstadt auf die biblisch grundgelegte Aufforderung (»habebitis«), den Passahtag als »Gedenktag« zu begehen (Ex 12, 14). Im Mittelpunkt der Ausführungen steht bei Morlin die »Lands-Mutter« Maria Theresia, »unsere rechtmässige Erb13 Telesko, 2017, S. 51f. 410

Die »doppelte« Memoria Maria Theresias

Frau unser Großmächtigste Königin«, an die, so Morlin weiter, »Liebes-Flammen« und »tausend Seufzer«14 abgeschickt worden seien. Ein Datum profaner Zeithistorie wird solcherart aufwändig sakralisiert. Betrachtet man demgegenüber die vor allem in Wien erschienenen Kleinschriften anlässlich des Ablebens der Kaiserin, die 1780 und 1781 in großer Stückzahl erschienen, dann haben sich Sprache und Inhalt vollkommen geändert. In Texten wie Eine Hand voll Blumen auf das Grab der erhabenen Theresia von einem Ausländer (Wien 1781), Grabinschrift auf Maria Theresia von Wenzel Siegmund Heinze (o.  O., o.  J.), Empfindsame Betrachtungen bey der Leiche der Kaiserin (Wien 1781) oder Eine Erzählung, und ein Kinderlied, gesungen bey Theresiens Grabe von einem 14jährigen Knaben (Wien 1781) wird bereits mittels der Wahl des Titels ein reiches Gefühlspanorama ausgebreitet. Im Mittelpunkt steht nach wie vor die Regentin, nun aber als verehrtes Ziel hochemotioneller Strategien, die primär der Notwendigkeit geschuldet sind, sprachlich formulierte Bilder Maria Theresias gefühlsmäßig zu vertiefen. Zwischen den angebeteten Gegenstand der Verehrung und den Autor schieben sich gleichsam fiktive soziale Gruppen, die das Leben Maria Theresias rückblickend im Zeitraffer emotional verdichten, angebliche Stimmungen in der Bevölkerung verstärken und diese zum Ausgangspunkt der propagierten Liebe zur Herrscherin werden lassen. Viele dieser Passagen, die sich inhaltlich auf die Mutterrolle Maria Theresias beziehen, beförderten die Konstruktion des im Wortsinn bilderreichen »Mythos« Maria Theresia, wie er vor allem aus Zeugnissen des 19. Jahrhunderts bekannt ist.15 Offensichtlich ist dabei eine ganz andere Diktion vorherrschend als in den geistlichen Trauerreden, die – wie Wolfgang Holzmayrs16 Predigt auf die verstorbene Regentin (Steyr 1780)17 – das verwendete Vokabular vorwiegend auf Begriffe des Alten Testaments abstimmen. Der Jesuit Carl Mastalier (17311795) projizierte den Mutterbegriff auf die traditionelle Rolle der Pallas Athene als Schutzherrin der Kultur, indem er seine Trauerrede Das Bild Marien Theresiens, der Mutter der schönen Künste und Wissenschaften18 nannte. 14 15 16 17

Morlin, 1742, S. 14; vgl. Telesko, 2017, S. 52. Ausführlich: Telesko, 2012, S. 129-173. Letzter Benediktinerabt (1762-1784) im oberösterreichischen Gleink. HHStA HA, Familienakten, K.  68, Fasz. 68-11, fol.  181-199; allgemein neuerdings: Dickhaut, 2014; zusammenfassend zu den habsburgischen Totenpredigten: Casarotto, 2010; konkret in Bezug auf Maria Theresia: Zimmermann, 1999; Telesko, 2012, S. 116-126. 18 Mastalier, 1782, S. 56-63. 411

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Ein wichtiger gemeinsamer Nenner in der Terminologie zahlreicher Schriften, besonders der Jahre 1780/1781, besteht in einer übergreifenden Verwendung des Wortes »Mutter«, dessen vielfältige, deutlich paternalistisch19 unterlegte Bedeutungshorizonte sowohl aus dem Gebrauch durch die Regentin selbst, so in ihrem Politischen Testament (»Erste Denkschrift« [1749/1750]),20 als auch durch zahlreiche panegyrische Schriften resultieren. Hier ist etwa auf ein Schreiben Maria Theresias an die Landstände ob der Enns vom 9. Oktober 1748 betreffend die Bereitstellung von Militär zu verweisen, in dem »von unserer Lands Mütterlichen Lieb und Sorgfalt, Huld und Gnade«21 die Rede ist. In ihrem Handschreiben an den ungarischen, zwischen 1762 und 1785 amtierenden Kanzler Franz Graf Esterházy vom August 1764 spricht sie am Schluss von ihrer »recht mütterlich[en] Wohlgewogenheit«.22 Maria Theresia selbst setzte den emotional schillernden Begriff des »Mütterlichen« bereits sehr früh gezielt ein, um Bindungen zwischen Herrschaft und Volk festigen zu können. In strategischer Weise bringt sie sich damit mit zwei von ihr geschickt kombinierten grundlegenden Rollen – als Mutter einer realen Familie sowie als (Landes-)Mutter eines Territoriums – ein, die in der Folge von anderen Autoren und Gruppen aufgenommen und an sie rückadressiert werden konnten, in diesen Fällen allerdings, um gefühlsmäßige Bindungen »von unten« an die Regentin zu demonstrieren und zugleich zu stützen. So wurde Maria Theresia bereits anlässlich ihrer und Franz Stephans Heimkehr nach der Frankfurter Kaiserkrönung am 27. Oktober 1745 auf einem von den kaiserlichen Niederlegern (in Wien ansässigen fremden Großhändlern) errichteten Triumphbogen in der Wiener Wollzeile mit dem Passus »OPTIMAE MATRI PATRIAE« gehuldigt.23 19 Ein gedrucktes Circular-Rescript Maria Theresias vom 29. August 1742 spricht sogar an mehreren Stellen von ihrer »Reichsvätterliche[n] gantze[n] Sorgfalt« (HHStA, Große Korrespondenz 247, fol. 233-234, hier fol. 233v). 20 Vgl. Kallbrunner, 1952, S. 29: »[…] indeme [ich] sothaner Länder allgemeine und erste Mutter bin.« 21 HHStA, Österreichische Akten, Länderabteilung, Oberösterreich, K.  3, Fasz. 1547-1770, fol.  112v, vgl. auch fol.  117r; ähnlich bei der Übertragung der Mitregentschaft an Joseph II. in den Erbkönigreichen und Ländern am 19. September 1765, wo Maria Theresia den Ausdruck »Unsere Landesmütterliche Sorgfalt« verwendet (HHStA ÄZA 70 [1765], Fasz. 19/IX/1765, fol. 2-5, 8-11). 22 HHStA, Kabinettsarchiv, Kabinettskanzlei, Handbillete, K. 1 (1763-1813), Fasz. 1763-1792, fol. 1v (»Zweytes Project Schreiben an den Hungarischen Kanzler«). 23 HHStA HA, Lothringisches Hausarchiv, K. 191, Fasz. 1-2 (gedruckte Beschreibung dieses Triumphbogens, Wiener Hofbuchdruckerei); ähnlich in einer Medail412

Die »doppelte« Memoria Maria Theresias

Nur aus dieser komplexen Vorgeschichte heraus ist die facettenreiche Ausdifferenzierung des Begriffs »Mutter«, etwa in der bereits genannten Predigt des Benediktinerabtes Wolfgang Holzmayr auf die verstorbene Maria Theresia mit dem Titel Trauerrede auf Marie Theresie […] (Steyr 1780) zu interpretieren, in der unter anderem von »zärtlichste[r] Mutter«, »liebreicheste[r] Mutter« und »sorgfältigste[r] Mutter«24 die Rede ist. Gerade der fast inflationär verwendete Terminus »Mutter« besitzt somit – zusätzlich gesteigert durch emotional aufgeladene Adjektive – eine langdauernde und recht vielschichtige Konjunktur innerhalb der langen Herrschaft Maria Theresias. Zugleich wird aber auch seine eminent variantenreiche Instrumentalisierung durch unterschiedliche Gruppen deutlich – ausgehend von der ursprünglichen Verwendung durch die Regentin selbst, die damit ihre eigene Mythisierung erst wirklich beförderte, um nicht zu sagen zur multiplen Verwendung des Mutterbegriffs geradezu aufforderte. Es wäre somit allzu simplifizierend, wollte man einen Kontrast aufbauen, der in einem Gegensatz zwischen hoheitsvoll-traditionellen Formen der Memoria Maria Theresias zu ihren Lebzeiten und einer zunehmend verdichteten Emotionalisierung anlässlich ihres Ablebens und der Zeit danach zu sehen wäre. Vielmehr setzten gefühlsmäßig unterlegte Modellierungen Maria Theresias bereits sehr früh ein und dürften mit ihrer außergewöhnlichen historischen Rolle sowie der Verteidigung ihrer von Beginn an umstrittenen Position und brüchigen Herrschaft zu tun haben. So ist bereits in einer unpaginierten anonymen Ode an die Königin aus dem Jahr 1745 (o. O.) von der »Anbetenswerthe[n] Königin« die Rede. Zu keinem anderen Habsburger ist zu Lebzeiten ein ähnliches Modell einer biografischen Kategorisierung bekannt, wie es in der Schrift Bardenfeyer am Tage Theresiens auftritt, die 1770 bei Trattner in Wien erschien. Hier wird in der Weise ein chronologischer Ablauf durchbrochen, da das Leben der Regentin nun strukturell nach Funktionen und Eigenschaften gegliedert wird, welche die angeblich schillernde Vielfalt des Profils der Habsburgerin anzeigen sollen: »Theresia die Fürstinn«, »Theresia die Gattinn«, »Theresia die Mutter«, »The-

le auf die böhmische Krönung Maria Theresias, 1743: Schau- und Denkmünzen, 1782, Nr. XXXIII (»PATRIAE MATER CORONATA«). 24 Holzmayr, 1780, S. 23, 27f. Bereits in der nicht paginierten Druckschrift Die patriotische Freude über die Vermählung Sr. Königl. Hoheit des Durchlauchtigsten Erzherzogs Josephs [sic!] mit der Durchlauchtigsten Princeßinn Louise Antoinette von Parma, Wien 1760, 2. Strophe (an Maria Theresia gerichtet): »Du zärtlichste Mutter! Du Seegen der Länder, Gepriesene Kaysrin! Du Krone der Zeit.« (HHStA HA, Familienakten, K. 45, Fasz. 45-3, fol. 11-12). 413

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resia die Kriegerinn« etc. lauten die entsprechenden Kapitelüberschriften, die auf den weiten Aktionsradius der Herrscherin abzielen.

Abb. 2: Bardenfeyer am Tage Theresiens, Haupttitel, Druck, Wien: Trattner, 1770. Salzburg, Erzabtei St. Peter, Bibliothek. Die Autorschaft solcher – häufig anonym verfasster – Schriften liegt jedoch zumeist nicht im unmittelbaren Wirkungsfeld des Hofes, sondern offenbart vielmehr Bestrebungen unterschiedlichster Gruppen und Unternehmungen, etwa von Verlagen, der Regentin und ihrer Imagebildung positiv »entgegenzuarbeiten«. Archivalisch lassen sich nämlich kaum Dokumente nachweisen, die – von Maria Theresia oder ihrem Umfeld verfasst – die Durchsetzung persönlicher Strategien in Bezug auf Repräsentation und Memoria offenlegen könnten. Eine Ausnahme bilden hier die durchwegs von dem praktisch eine Monopolstellung innehabenden Buchdrucker Johann Peter von Ghelen (1673-1754) zusammengetragenen und in der Hofbuchdruckerei verlegten Wiennerischen Beleuchtungen als vollständige Sammlungen der in Wien zu wichtigen Anlässen (ab dem 414

Die »doppelte« Memoria Maria Theresias

Jahr 1741) an den Häusern der Stadt angebrachten Illuminationen, Transparente und Embleme. Wesentlich häufiger sind jedoch Quellen überliefert, die mit der Erteilung von Privilegien, vor allem an Augsburger Stecher, dokumentieren, dass die Verantwortlichkeit für Inventionen den Künstlern selbst übertragen wurde. Konkret war es – neben anderen – Johann Andreas Pfeffel d. J. ab 1748 erlaubt, für einen Zeitraum von zehn Jahren, »alle von [ihm] selbst erfundene[n] Bilder«25 auf den Markt zu bringen. In diesen Fällen wurde durch Privilegien ein Abhängigkeitsverhältnis geschaffen, das es dem Wiener Hof bzw. dem Reichshofrat gestattete, über wirtschaftliche Vergünstigungen ein positives Klima an der »Peripherie« aufzubauen. Wozu dies ikonografisch führen konnte, demonstriert ein Schabkunstblatt des Augsburgers Gottfried Bernhard Götz (nach 1745), Maria Theresia darstellend,26 zu dem ein Pendant mit Franz Stephan existiert27 und in dem die Herrscherfunktionen Maria Theresias heraldisch vergegenwärtigt werden – gipfelnd in dem hinter ihrem Kopf mächtig aufragenden kaiserlichen Doppeladler, der inhaltlich auf den Abschnitt der Beischrift »ROM. IMP. AUG.ssima« zu verweisen scheint. Maria Theresia tritt hier gleichsam als persona in effigie in Gestalt eines dem Doppeladler vorgeblendeten Brustporträts auf. Betrachtet man die Text- und Bildgattungen, in deren Zusammenhang Formen der Memoria in Bezug auf Maria Theresia sowie von ihr selbst betrieben wurden, dann wird rasch deutlich, dass das Hauptgewicht keineswegs auf Werken der bildenden Kunst liegt, sondern auf Druckschriften unterschiedlichen Zuschnitts. Eine Ausnahme stellt hier eine deutsch-französische Stichserie eines gewissen Joseph Fernande dar, der im späten 18.  Jahrhundert unter dem Titel Les vertus héroïques de Maria Therese Imperatrice Reine Apostolique28 die Heldentaten bzw. -tugenden der Regentin explizit in den Mittelpunkt rückt. Am transparentesten wird dies im Rahmen dieser Serie im Blatt eines nicht ausgeführten Denkmalentwurfs mit einer Statue Maria Theresias, die am Sockel vier Reliefs mit zum Teil unkonventioneller Ikonografie aus dem Leben der Herrscherin zeigt.29 Dieses letztlich nicht realisierte Projekt vermag nur zum Teil das 25 HHStA, Reichshofrat, Fabriks-, Gewerbe- und Handlungsprivilegien, K.  8, fol. 232-240: »Extensio privilegii ad 10 annos« über die Kupferstiche Johann Andreas Pfeffels, Kupferstecher in Augsburg, 16. Oktober 1748 (exp.). 26 Wien Museum, Inv.-Nr. 179.433, vgl. Iby, 2017, S. 288, HM 21.8. 27 Wien Museum, Inv.-Nr. 214.125, vgl. Iby, 2017, S. 288, HM 21.7. 28 Brüssel, Bibliothèque Royale de Belgique, Cabinet des estampes, S.  III, Nr. 103.462-103.464. 29 Ebd., Inv.-Nr. 103.461. 415

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offensichtliche Defizit an repräsentativen Ausstattungen im öffentlichen Raum zu kompensieren, von denen Balthasar Molls im 19. Jahrhundert abgekommene Statue (1765) in Klagenfurt, überliefert in einem Stich der Gebrüder Klauber, nur noch eine schwache Ahnung geben kann.30 Im Gegensatz dazu ist in Biografien und Predigten seit den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts eine wahre Inflation des Maria Theresia zugeschriebenen Heldenbegriffs nachweisbar: So wird die Regentin etwa in der 1743 in der Pfarrkirche in Retz (Weinviertel) gehaltenen und ebenda gedruckten Predigt Eine mit der 2ten königl. Cron […] gecrönte Königin aus der Feder des Regularkanonikers Hippolytus Wolf aus St. Pölten in ihrem Heldentum über alle Männer (!) gestellt und als »irdische Göttin Pallas« verherrlicht, zugleich aber in intensiver Weise in die biblische Heilsgeschichte (und hier besonders Esther und Judith) eingebunden, erhielt doch in der Lesart dieses Retzer Predigers Maria Theresia ihre zweite Königskrone direkt durch die Dreifaltigkeit. Auch Johann Georg Eccards Helden-Portrait Der Allerdurchleuchtigst-Großmächtigsten Fürstin […] Mariae Theresiae […] (Wien 1743) ist dieser Zielsetzung einer facettenreichen Heroisierung der Regentin verpflichtet. Häufig bildet das angebliche Heldentum im Rahmen von Predigten auch nur den Ausgangspunkt eines breiten inhaltlichen Panoramas in der Charakterisierung der Herrscherin, das gleichermaßen Schönheit, Wehrhaftigkeit, Bildung, ihre Eigenschaft als Mutter sowie Gottvertrauen einschließt – gipfelnd in der Beschwörung der angeblichen Göttlichkeit Maria Theresias.31 Es lag somit durchaus nahe, den Terminus der biblisch oder nicht-biblisch unterlegten »starken Frau« auch in anderen Gattungen zu rezipieren, etwa in der Dichtung La Donna forte. Prodiggiosamente ritrovata nella gloriosa fenice dellʼAugustissima Casa dʼAustria ed e la sacra, e real maestà di Maria Teresa Valpurga […] opera Istorico […] Essendo la Poesia del fedelissimo Accademico Tirolese (o. O. 1743) – in diesem Fall in der Gestalt von Sonetten. Markant in Bezug auf die Zeit nach dem Ableben Maria Theresias 1780 ist vor allem das Fehlen von Gedenkveranstaltungen – so im Jahr 1817 anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des Geburtstages der Herrscherin. Im Rahmen der jährlichen Dankfeste des Hofes – beispielsweise in den Jahren 1779 und 1780 in der Wiener Augustinerkirche – erinnerte man sich auch nicht vornehmlich der Regentin selbst, sondern vielmehr der bei Planian (Kolín) 1757 siegreich geschlagenen Schlacht, somit eines zentralen österreichischen 30 Pötzl-Malikova, 2015, S. 40 (mit Abbildung des Stiches der Gebrüder Klauber); Iby, 2017, S. 308, HM 31.15 (mit Fotografie des Denkmals). 31 So z. B. in einer anonymen Lobrede mit dem Titel Die Helden-mütige Standhaftigkeit […] Mariae Theresiae […]. In einer Ode entworfen, o. O., o. J. 416

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Gedächtnisortes.32 Die Erinnerung an Maria Theresia durch den Hof nach ihrem Ableben lässt sich – ähnlich wie bei der Gedenkkultur an ihren 1765 verstorbenen Gemahl Franz Stephan33 – vornehmlich auf ihren Todesgedenktag als wiederkehrenden Gedächtnisort reduzieren. Dies betrifft im Fall von Maria Theresia zuerst den mit Vigil und Exequien gefeierten 28. November 1781,34 ebenso wie den 28. und 30. November 1782,35 als eine Stunde lang die Glocken Wiens läuteten. Dieses Ritual mit Vigil, Exequien sowie Glockengeläut setzte sich auch in den Folgejahren fort.36 Angesichts der Dokumente in Bezug auf Krankheit, Tod, Begräbnis und Hoftrauer für Maria Theresia37 kann man sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass man es von Seiten des Hofes eher mit einem standardmäßigen Gedenkritual zu tun hat, nicht aber mit einer emphatischen und glaubwürdigen Würdigung einer der bedeutendsten Gestalten der jüngeren habsburgischen Geschichte. Ganz im Gegensatz dazu stehen allerdings ambitionierte Initiativen von Privatpersonen, die sich, wie ein gewisser Faber, ein Syndicus aus Hamburg, unmittelbar nach dem Ableben Maria Theresias mit den »Hauptzüge[n] des Characters der verewigten großen Maria Theresia« beschäftigten. Der hohen Verstorbenen wird hier sogar »göttliches Wesen« attribuiert.38 Während also die höfische Gedenkkultur nach 1780 nur die unbedingt notwendigen Aktivitäten aufzuweisen scheint, existieren bei bestimmten krisenhaften Ereignissen zu Lebzeiten der Regentin durchaus Vorformen einer Memoria, die das Gedenken mit einer bestimmten Öffentlichkeitspolitik verknüpften. Dazu gehört etwa der höfische Usus einer Einteilung bestimmter Betstunden für Hof, Staat und Landesregierungen angesichts der Erkrankung Maria Theresias an den Blattern im Jahr 1767.39 Damit wird zugleich die Bitte um ihre Genesung an unterschiedliche Eliten der Monarchie gebunden.40 In ähnlicher 32 HHStA OMeA, Settelescher alphabetischer Generalindex für die Akten des Ersten Obersthofamts 2 (1770-1830), S. 96. 33 Vgl. HHStA ÄZA 73, Fasz. 5.-6. August 1766, fol. 1r-v. 34 HHStA ZP 36, fol. 45r-46r. 35 HHStA ZP 36, fol. 175v-176r. 36 HHStA ZP 36, fol. 269r-v, 311v-312r, 371r-v. 37 HHStA ÄZA 90, Fasz. 1780, 26/XI-13/XII, fol. 265-310. 38 HHStA HA, Familienakten, K. 68, Fasz. 68-11, fol. 148-149. 39 HHStA ÄZA 75, Fasz. 1767, 27/V-18/VII, fol. 2-3. 40 Von diesem konkreten Anlass unabhängig sind jene standardisierten Gebete für das Kaiserpaar zu sehen, die von allen Priestern der Österreichischen Erblande im Rahmen des Ordo Missae zu beten waren, vgl. HHStA ÄZA 41, Fasz. 1742 XII 417

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Weise verstand es Joseph  II. in seinem Schreiben an Obersthofmeister Anton Corfiz Graf Ulfeldt vom 7. Juli 1767 in geschickter Weise, die öffentliche Ausfahrt Maria Theresias zum Festgottesdienst nach St. Stephan in Wien am 22. Juli dieses Jahres anlässlich ihrer Genesung mit einer genauen Festlegung der entsprechenden Route und einer an die Bürgerschaft gerichteten Verpflichtung zu verknüpfen, wie seinerzeit bei seiner zweiten Vermählung (1765) und bei seiner Rückkehr von der Krönung in Frankfurt (1764) Spalier zu stehen.41 Aus einem konkreten Anlass heraus, nämlich der Bitte um Genesung von den Blattern, findet hier eine in zahlreichen Predigten zu beobachtende religiös unterlegte Gedächtnissetzung für Maria Theresia statt, die zudem der langen Tradition der Pietas Austriaca entspricht. Mit der verpflichtenden Anwesenheit der Bürgerschaft, der Universität und des Magistrats beim Festgottesdienst wird darüber hinaus die Präsenz wichtiger sozialer Gruppen angezeigt und die Memoria sichtbar über öffentliche, vom Hof selbst initiierte Performanz gestiftet. Aus den zahlreichen bildlichen und textlichen Inszenierungen rund um den Tod Maria Theresias ragt ohne Zweifel das vom Wiener Stadtmagistrat im Jänner 1781 in St. Stephan in Wien errichtete Trauergerüst heraus, das als Druckgrafik, gestochen von Johann Mössmer (nach einer Invention von Theodor Vallery), mit den entsprechenden Beischriften publiziert wurde.42 Naturgemäß steht der bereits sichtbar reduzierte Prunk dieses Trauergerüsts im Gegensatz zu den 1778 gemachten, eigentlich spartanischen Anordnungen Maria Theresias in Bezug auf die Exposition ihres Leichnams, ihr Begräbnis und die

12 (gedruckte Weisung an den Abt von Arnoldstein [Kärnten] vom 11. Dezember 1742), vgl. hier auch Fasz. A 1742, Nr.  3 (eine bei Johannes Ignatius Heyinger, Wien 1742, gedruckte Oratio pro regina ejusque conjuge conregente [im Rahmen von Secreta und Postcommunio der Hl. Messe]). 41 HHStA ÄZA 75, Fasz. 1767, 27/V-18/VII, fol.  30-31; fol.  34-35 (Intimat des Obersthofmeisters an die vereinigte Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei vom 9. Juli 1767). 42 HHStA HA, Familienakten, K. 68, Fasz. 68-11, fol.  227-231; Wien, Albertina, Historische Blätter 12, o. Nr.; Wien Museum, Inv.-Nr.  199.521, vgl. Iby, 2017, S. 306, HM 30.6. Die Darstellung des Castrum Doloris stimmt allerdings nicht in allen Details mit der dazugehörigen Beschreibung überein. 418

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Abb. 3: Johann Mössmer (Stecher), nach einer Invention von Theo­ dor Vallery, Trauergerüst des Wiener Stadtmagistrats zum Ableben Maria Theresias in St. Stephan in Wien, Kupferstich, 1781. Wien, Albertina, Historische Blätter 12, o. Nr. Exequien.43 In diesem Castrum Doloris44 wird angesichts der umfangreichen lateinischen und deutschen Charakterisierungen der Regentin besonders deutlich, in welcher Weise früher gebräuchliche, komplexe emblemartige Beischriften 43 HHStA HA, Familienakten, K. 82, Fasz. 82-6 (Anordnungen Maria Theresias für ihr Begräbnis und die Exequien vom 1. August 1778 [fol. 1-6]), vgl. Iby, 2017, S. 306, HM 30.3. 44 Wiederaufgenommen im Titelkupfer der Publikation Denkmäler dem unsterblichen Andenken Marien Theresiens gewidmet, Wien 1785, vgl. Iby, 2017, S. 306, HM 30.9. 419

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nun von einem eingängigen Tugendkanon abgelöst werden, der Gerechtigkeit, Milde, die vernünftige Gesetzgebung, die Belohnung wohlverdienter Bürger und die Hilfe der Herrscherin für Notleidende in den Vordergrund stellt. Auffällig ist dabei eine neuartige, werkethisch unterlegte Betonung der Wirksamkeit der Tätigkeiten der Regentin für ihr Volk. Dieser Umstand kommt besonders – in Form einer emotionalen Steigerung – auch in jenen Textpassagen zum Ausdruck, die in diesem Trauergerüst angeblich unter dem Sarg Maria Theresias an allen vier Seiten angebracht gewesen sind: Dabei ist von ihr als »geliebteste Mutter«, »Wonne der Erde«, »Mutter der Fürsten« und »Wunder deines Geschlechtes« die Rede. »Mutter«, »Wonne« und »Wunder« sind hier die wohl signifikantesten emphatisch verwendeten Kernbegriffe einer variantenreich vorgetragenen Emotionalisierungsstrategie, die an die Stelle dynastischer Emblematik tritt und fast nahtlos in die frühe Verklärung der karitativen Präsenz der Regentin, beispielsweise bei Salomon Gessner (1730-1788),45 übergeht. Mit dieser auffälligen Fokussierung auf Gefühlsebenen, die nicht Teil der ikonografischen Inszenierung dieses ephemeren Monuments sind, wird in diesem Trauergerüst des Wiener Stadtmagistrats vom Jänner 1781 eine bereits längere Entwicklung zu einem vorläufigen Abschluss gebracht, welche die von unterschiedlichen Seiten vehement forcierte Politik der Emotionen als zentrales Leitmotiv in den Konstruktionen der Memoria Maria Theresias ausweist. Dies ist auch jener Punkt, wo eine private Gedenkkultur unmittelbar an die offizielle anknüpfen konnte, wenn etwa in einer bisher unbekannten Elegia ad Austriam post Obitum Mariae Theresiae, die in Wien im Jahr 1781 bei Joseph von Kurzböck erschien,46 ein nur mittels eines Monogramms genannter Bewunderer dem Grab der verstorbenen Herrscherin gleichsam fiktiv eine Inschrift hinzufügt (»ADDITA SEPULCRI INSCRIPTIONE«). Abgesehen davon, dass der unbekannte Autor in seiner Einleitung wörtlich das Andenken der teuren Mutter Österreichs beschwört (»carae memor Austria Matris«), erhebt die private Grabinschrift (»INSCRIPTIO SEPULCRI«) in Formulierung und Versalauszeichnung unübersehbar einen hoheitsvollen und quasi-dynastischen Anspruch. Im brennenden Wunsch dieses Autors, am Grab der Verstorbenen wenigstens mittels eines literarischen Denkmals anwesend sein zu können, kulminiert eine bislang wenig erforschte Gedenkkultur, die deutlich offenbart, wie sehr die private Memoria Ansprüche an das Offizielle stellen konnte. Die hier skizzenhaft referierten Zeugnisse der »doppelten« Memoria veranschaulichen, dass von einer rigiden inhaltlichen und formalen Trennung 45 Gessner, 1798, S. 36f. 46 Klosterneuburg, Augustiner Chorherrenstift, Bibliothek, Sign. F 5 III 230. 420

Die »doppelte« Memoria Maria Theresias

zwischen intentionaler dynastischer Repräsentation einerseits und privat gesteuerten Ambitionen andererseits nicht die Rede sein kann. Ab einem sehr frühen Zeitpunkt scheint Maria Theresia gleichsam als allgemeiner Besitz in Anspruch genommen worden zu sein, was es schwierig macht, entsprechende Anteile in der Urheberschaft bestimmter Charakterisierungen präzise zu trennen. Formen einer »doppelten« Memoria sind in der Frühen Neuzeit anhand vieler Beispiele nachweisbar. Trotzdem sind im konkreten Fall einige markante Verschiebungen zu konstatieren: Die Strategien des Hofs beziehen sich vor allem auf Inhalte, welche die Propagierung der 1736 neugeschaffenen Dynastie Habsburg-Lothringen forcieren. Die in Bezug auf Maria Theresia besonders kennzeichnende Emotionalität wurzelt letztlich in der Selbstcharakterisierung der Regentin als »Landesmutter«, deren vielschichtige Thematisierung wiederum hauptsächlich Gegenstand des »Entgegenarbeitens« unterschiedlicher Textproduzenten war. Diese – vor allem literarisch belegte – Praxis der »Gefühlspolitik«47 kann zugleich als eine entscheidende Triebfeder für die Mythisierung der Herrscherin im Zeitalter der Empfindsamkeit sowie im 19. Jahrhundert bezeichnet werden.

Gedruckte Quellen und Literatur Gedruckte Quellen Denkmäler dem unsterblichen Andenken Marien Theresiens gewidmet, Wien 1785. Gessner, Salomon, Recueil d’Histoires instructives et amusantes, suivi d’un choix d’idylles […], Paris/Straßburg 1798. Holzmayr, Wolfgang, Trauerrede auf Marie Theresie verwittweten römischen Kaiserinn, apostolischen Königinn zu Hungarn, Böheim, Dalmatien, Croatien, Slavonien, Galzien, Lodomerien [et]c […], Steyr 1780. Kallbrunner, Josef (Hg.), Kaiserin Maria Theresias politisches Testament, München 1952. Mastalier, Carl, Carl Mastaliers Gedichte, nebst Oden aus dem Horaz, 2. Aufl. Wien 1782. Morlin, Jacobus, Lob- und Danck-Red vor die wieder eroberte Haupt-Stadt Lintz in [sic!] Land ob der Enns […], Linz 1742.

47 Grundlegend: Frevert, 2012. 421

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Schau- und Denkmünzen, welche unter Kaiserin Maria Theresia geprägt wurden […], Wien 1782 (Reprint mit einer Einführung von Günther Probszt-Ohstorff), Graz 1970.

Literatur Barta, Ilsebill, Familienporträts der Habsburger. Dynastische Repräsentation im Zeitalter der Aufklärung (Publikationsreihe der Museen des Mobiliendepots 11), Wien u. a. 2001. Casarotto, Philippine, La culture de la mémoire à travers les cérémonies funèbres en l’honneur des empereurs Habsbourg dans les États patrimoniaux de la Maison d’Autriche du XVIe au XVIIIe siècle, in: Mémoire et histore en Europe centrale et orientale (Collection »Histoire«), hg. von Daniel Baric u. a., Rennes 2010, S. 43-55. Dauser, Regina, Der Friede und der Kampf um die Begriffe. Friedensverträge als Authentisierungsstrategien im europäischen Mächtesystem, www. ieg-friedensvertraege.de/uploads/_ieg_publications_pdf_51dacb2285dcb/ dauser12200801.pdf, 28.11.2008. Dies., »Dann ob Uns gleich die Kayserliche Würde anklebet« – Der kaiserliche Vorrang bei Friedensverhandlungen und in Friedensverträgen des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Pax perpetua. Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit (Bibliothek Altes Reich 8), hg. von Inken Schmidt-Voges u. a., München 2010, S. 305-327. Dies., Ehren-Namen: Herrschertitulaturen im völkerrechtlichen Vertrag 16481748 (Norm und Struktur 46), Köln u. a. 2017. Dickhaut, Eva-Maria (Hg.), Leichenpredigten als Medien der Erinnerungskultur im europäischen Kontext (Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften 5), Stuttgart 2014. Frevert, Ute, Gefühlspolitik. Friedrich II. als Herr über die Herzen?, Göttingen 2012. Griemert, André, Franz I. Stephan (1708-1765). Da er bestimmt war ein Vater eines […] Joseph zu seyn – Franz Stephans Leichenpredigten als Medien theresianischer Erinnerungspolitik, in: Leben in Leichenpredigten 03/2010, hg. von der Forschungsstelle für Personalschriften, Marburg: www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/deta​ il​s/franz-i-stephan-1708-1765.html, 1.3.2010. Huber, Wolfgang Christian (Hg.), Kirche, Kloster, Kaiserin. Maria Theresia und das sakrale Österreich. Ausstellungskatalog, Klosterneuburg 2017. 422

Die »doppelte« Memoria Maria Theresias

Iby, Elfriede u. a. (Hg.), Maria Theresia 1717-1780. Strategin – Mutter – Reformerin. Ausstellungskatalog, Wien 2017. Loebenstein, Eva-Marie, Johann Rautenstrauch und seine Biographie Maria Theresias, in: Österreich in Geschichte und Literatur 15 (1971), S. 25-31. Pötzl-Malikova, Maria, Franz Xaver Messerschmidt: Monografie und Werkverzeichnis 1736-1783 (Belvedere, Werkverzeichnisse 4), Weitra 2015. Telesko, Werner, Maria Theresia. Ein europäischer Mythos, Wien u. a. 2012. Ders., Die Maria-Theresien-Krypta (1754) in der Wiener Kapuzinergruft. Dynastische Repräsentation als multimediale Inszenierung, in: Österreichische Akademie der Wissenschaften, Geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Anzeiger 149 (2014), S. 25-60. Ders., »Die Erbinn so vieler Länder und Reiche«. Zu Ausstattung und Programmatik der beiden Galerien in Schloss Schönbrunn unter Maria Theresia, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 124 (2016), S. 82-103. Ders., Eine neue hl. Theresia? Zur sakralen Verherrlichung Maria Theresias in Lobreden ihrer Zeit, in: Kirche, Kloster, Kaiserin. Maria Theresia und das sakrale Österreich. Ausstellungskatalog, hg. von Wolfgang Christian Huber, Klosterneuburg 2017, S. 47-57. Thomas, Bruno, Das Wiener Kaiserliche Zeughaus in der Renngasse, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 71 (1963), S. 175-193. Tuma (verh. Holzer), Irene, Franz Christoph von Scheyb (1704-1774). Leben und Werk; ein Beitrag zur süddeutsch-österreichischen Aufklärung, Diss. phil. Wien 1976. Zimmermann, Christian von, Mit allen seinen Saiten schlaff geweint? Zur poetischen Form und politischen Funktion der dichterischen Denkmäler auf den Tod Maria Theresias, in: Oratio Funebris. Die katholische Leichenpredigt der frühen Neuzeit (Chloe 30), hg. von Birgit Boge/Ralf Georg Bogner, Amsterdam/Atlanta 1999, S. 275-315.

423

Siglenverzeichnis

AAE AAE CP AAE M et D ASt Ge ASt Ge, AS ASV GStA HHStA HHStA ÄZA HHStA HA HHStA OMeA HHStA RK HHStA StK HHStA ZP MGU MNL OL N. F. N. S. ÖNB ÖStA PSZ RGADA SIRIO ŽMNP

Archives des Affaires étrangères Archives des Affaires étrangères, Correspondance politique Archives des Affaires étrangères, Mémoires et Documents Archivio di Stato di Genova Archivio di Stato di Genova, Archivio segreto Archivio Segreto Vaticano Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Ältere Zeremonialakten Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Hausarchiv Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Obersthofmeisteramt Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Reichskanzlei Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Staatskanzlei Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Zeremonialprotokolle Moskovskij Gosudarstvennyj Universitet Magyar Nemzeti Levéltár Országos Levéltára [Ungarisches Nationalarchiv, Ungarisches Staatsarchiv] Neue Folge Novaja serija Österreichische Nationalbibliothek Österreichisches Staatsarchiv Polnoe Sobranie Zakonov Rossijskij gosudarstvennyj archiv drevnich aktov Sbornik Imperatorskogo Russkogo Istoričeskogo Obščestva Žurnal Ministerstva Narodnogo Prosveščenija

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Alexander Bauer, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Islamwissenschaft und Nahostsprachen des Instituts für Orient- und Asienwissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Marina Beck, Dr., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen. Bettina Braun, Prof. Dr., ist Professorin am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Lorenz Erren, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich für Osteuropäische Geschichte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sandra Hertel, Dr., ist Leiterin der städtischen Museen in Iserlohn. Victoria Ivleva, Dr., ist Lecturer für Russisch an der School of Modern Languages and Cultures an der Durham University. Zsolt Kökényesi, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Philosophischen Fakultät der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest. Jan Kusber, Prof. Dr., ist Professor für Osteuropäische Geschichte am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Francine-Dominique Liechtenhan, Prof. Dr., ist Forschungsdirektorin am Centre national de la recherche scientifique Paris.

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Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert

Stefanie Linsboth, MMag., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Claus Scharf, Dr., war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Geschichte Mainz. Matthias Schnettger, Prof. Dr., ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Barbara Stollberg-Rilinger, Prof. Dr., ist Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit am Historischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Irma Straßheim, M.Ed., ist Lehramtsanwärterin am Studienseminar für Lehrämter an Schulen in Hagen. Werner Telesko, Univ.-Doz. Dr., ist Leiter der Abteilung Kunstgeschichte des Instituts für kunst- und musikhistorische Forschungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Natalia Tuschinski, M.A., ist Doktorandin am Kunsthistorischen Institut der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.

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Personenregister

Das Register enthält alle im Text und in den Anmerkungen genannten Namen. Nennungen ausschließlich in den Anmerkungen sind durch einen Asteriskus (*) gekennzeichnet.

Abdülhamid I., osmanischer

Sultan  317, 322 Adam  54 Adlerfeld, Gustav von  57* Adolph Friedrich, König von Schweden  58* Albani, Alexander  177* Albert, Herzog von SachsenTeschen  33* Albrecht V., Herzog von Bayern  28* Aleksej, Zar von Russland  149 Alexander III., d. Gr., König von Makedonien  251 Alexander I., Zar von Russland  14, 159*, 161, 250f., 335 Alion, Louis dʼUsson de Bonnac, Comte dʼ  138*, 139*, 140-142, 143* Althann, Familie  197, 202 Amelëchina, Svetlana  384 Amelot de Chaillou, Jean-Jacques  141 Amphialus  258 Ananieva, Anna  351 Anjou, Dynastie  27

Anna von Österreich, Herzogin von Bayern  28*, 60 Anna von Österreich, Königin von Frankreich  53 Anna Ivanovna, Zarin von Russland  56, 133, 135*, 136-138, 149f. Anna Leopoldovna, Großfürstin von Russland  58f., 135*, 136f. Anna Petrovna, Herzogin von SchleswigHolstein-Gottorf  56f., 219 Anna Petrovna, Tochter Katharinas II.  152* Apollo  32*, 349 Apponyi, Familie  195 Apraksin, Familie  147 Apraksin, Stepan F.  135 Araja, Francesco  351 Argenson, René-Louis de Voyer de Paulmy, Marquis dʼ  138*, 140* 143* Arneth, Alfred von  20f., 35, 102 Artemis  349 Athene  32, 34, 177, 411, 416 Audran, Claude  348* 429

Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert

Auersperg, Familie  202, 204 Auersperg, Heinrich Josef Fürst von  86 August III., König von Polen  86, 88, 131

Badinter, Elisabeth 

24, 25*, 98*, 275*, 278* Baker, Keith  253* Balázs, Éva H.  191 Bánffy, Familie  195 Barcsay, Abraham  200 Barkóczy, Franz  204 Barocci, Stefano  362 Bartenstein, Johann Christoph von  101, 196 Batoni, Pompeo  286 Batthyány, Familie  195, 199, 202 Batthyány, Adam Graf  199 Batthyány, Antonia Gräfin  198 Batthyány, Eleonora Gräfin (geb. Strattmann)  197 Batthyány, Karl Josef Graf, dann Fürst  198f. Batthyány, Ludwig Graf  197, 204 Batthyány, Theodor Graf  199 Baženov, Vasilij  255f. Bély, Lucien  74 Benedikt XIV., Papst  74f., 87f., 92f., 97f., 99* Berényi, Thomas  198 Bergholz, Friedrich Wilhelm von  347* Bernini, Gian Lorenzo  259* Bernoulli, Johann III.  385 Bessenyei, Georg  200 Bestužev-Rjumin, Aleksej  117-119, 135, 139-142, 144, 147 Bestužev-Rjumin, Andreas  112, 117f., 119* 430

Bestužev-Rjumin, Michail  118f. Bestužev-Rjumina, Anna  118f. Bestužev-Rjumina, Johanna Henriette Louise (verwitwete von Haugwitz)  118f. Bezborodko, Aleksandr A.  247f., 261 Bielfeld, Jakob Friedrich von  228-231 Bielke, Johanna Dorothea  250, 256*, 345 Bilʼbasov, Vasilij  220 Biron, s. Bühren Bischoff, Cordula  367 Blackstone, William  221 Blümegen, Familie  204 Bobrinskij, Aleksej Grigorʼevič, Graf 152* Bologna, Domenico  76f., 78*, 79*, 80*, 81*, 82, 83*, 84*, 85*, 86, 87*, 89*, 96, 97*, 99, 101f., 103* Bonschab, Ignatius  306 Borcke, Kaspar Wilhelm von  27, 81*, 82*, 84, 97, 278* Borovikovskij, Vladimir  400* Botta Adorno, Antoniotto  99*, 118* Boucher, François  348* Bourbon, Dynastie  53, 139 Bourdieu, Pierre  201 Brantôme, Pierre de Bourdeille, Seigneur de  353 Braubach, Max  76* Brevern, Karl von  137 Brignole Sale, Rodolfo Maria  76-78, 79*, 81*, 82-86, 89, 94*, 95f., 101*, 102f. Brompton, Richard  251 Bruce, Jacob  122 Bruegel, Pieter  354, 364 Brunszvik, Familie  195 Bühren, Ernst Johann von  149

Personenregister

Bünau, Heinrich von  84f., 97 Burkhardt, Johannes  64 Burmania, Barthold Douwe, Baron von 84

Canale, Gerolamo Luigi Malabaila,

Conte di  84 Capello, Pietro Andrea  73*, 91*, 93*, 94 Casanova, Giacomo  150 Cellarius, Christoph  254 Černyšev, Petr G.  120, 134 Černyšev, Zachar G.  153 Černyševa, Evdokija  134 Chambers, William  348* Chippendale, Thomas 348* Choiseul-Gouffier, Marie-GabrielFlorent-Auguste de  250 Chotek, Johann Karl Graf  39*, 196 Chrapovickij, Aleksandr  396 Christian August, Fürst von AnhaltZerbst  58, 219 Christian August von SchleswigHolstein-Gottorf, Fürstbischof von Lübeck  58 Christina, Königin von Schweden  277 Christine de France, Herzogin von Savoyen  182* Cobenzl, Johann Ludwig Graf  249, 263 Čoglokov, Familie  133 Čoglokov, Nikolaj N.  116, 119*, 134, 352 Čoglokova, Maria S.  134f. Colloredo, Familie  203 Colloredo-Waldsee, Rudolph Joseph Fürst von  199 Crawford, J.  312

Cruikshank, Isaac  328, 331-333, 335337 Csáky, Franz  198 Csáky, Nikolaus  193, 198 Cupido  32 Custine, Astolphe de  343f., 350

Dallion, s. Alion

Daniloviči, Dynastie  55 Daškova, Ekaterina  150*, 376f., 379, 396 Daun, Leopold Joseph Graf  174, 180f., 304 Deborah  303 De Mari, Giambattista  95* Denis, Michael  194 Deržavin, Gavriil  399, 400* Deshayes, Louis, Baron de Courmenin 259 Diana  315f., 349 Dientzenhofer, Kilian Ignaz  294 Dietrichstein, Karl Maximilian Fürst von 117 Dixon, Simon  391 Dmitriev-Mamonov, Aleksandr M.  150*, 160 Dolgorukov, Ivan  381*, 391 Dolgorukov, Michail  391 Doria, Giorgio  87 Draskovich, Familie  195 Duchhardt, Heinz  63* Dudin, D. H.  251* Durazzo, Giacomo  95*

Eccard, Johann Georg 

416 Edelstein, Dan  253*, 261 Effner, Joseph  348* Elias, Norbert  205

431

Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert

Elisabeth I., Königin von England  13, 20, 51, 55, 173, 279 Elisabeth Petrovna, Zarin von Russland 10, 57f., 112*, 119f., 122f., 125f., 131-145, 149f., 155, 157, 161, 172*, 218-221, 347, 352-355, 357f., 366, 368f., 378, 380, 392, 398f. Elisabeth Charlotte von Orléans, Herzogin von Lothringen  62 Elisabeth Christine von BraunschweigWolfenbüttel, römisch-deutsche Kaiserin  73*, 96*, 98-101, 104f. Erdődy, Familie  195, 199f. Eriksen, Vigilius  375 Ermolov, Aleksandr. P.  150*, 160 Eropkin, Petr  347* Esterházy, Familie  195, 199f., 202f. Esterházy, Antonia Franziska Gräfin (geb. Richard de la Potréau)  197* Esterházy, Eleonore Gräfin  198 Esterházy, Emmerich Graf  193 Esterházy, Franz Graf 197f.,  412 Esterházy, Nikolaus Fürst von  39* Esther  416 Eugen, Prinz von Savoyen  61f., 197, 201 Eurystheus  331

Faber, Johannes Jacob 

417 Fateeva, Alisa  215 Faustina d. J., römische Kaiserin  174 Fekete, Georg  196 Ferdinand I., römisch-deutscher Kaiser 28*, 60, 85, 189 Ferdinand II., römisch-deutscher Kaiser 297*, 298f., 302 Ferdinand III., römisch-deutscher Kaiser 91*, 303 Fermor, Wilhelm* 432

Fernande, Joseph  415 Festetics, Familie  195 Finck von Finckenstein, Carl Wilhelm 133*, 143*, 144 Finke, Heinrich  43 Fischer von Erlach, Johann Bernhard 259* Fleury, André-Hercule de  62, 83 Flora  366 Fontana, Giovanni  347* Fonvizin, Denis  151 Fores, Samuel W.  328, 333 Foscarini, Marco  103 Fox, Charles James  314, 332, 337 Franz I., römisch-deutscher Kaiser  11, 20, 30-33, 35-40, 42, 60-63, 73*, 79f., 83, 86, 88, 90f., 93, 95, 96*, 97-99, 101, 104f., 113, 115-122, 174-180, 197, 204, 302-306, 407, 409, 412, 415, 417 Franz I., König von Frankreich  53 Franz Joseph, Kaiser von Österreich  20 Franz Stephan von Lothringen, Großherzog der Toskana, s. Franz I. Friedrich II., d. Gr., König von Preußen 13, 21*, 22, 28, 33, 57f., 60, 86, 98f., 104*, 134, 135*, 137*, 138*, 141f., 143*, 144, 150, 170f., 173, 179, 181f., 212, 221, 222*, 249, 277, 286 Friedrich I. von Hessen-Kassel, König von Schweden  56f. Friedrich August II., Kurfürst von Sachsen, s. August III. Friedrich Wilhelm I., König in Preußen 388 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen  326 Fuchs, Maria Karolina Gräfin  117

Personenregister

Fürst und Kupferberg, Carl Joseph Maximilian von  276, 278 Fuhrmann, Mathias  193

Galyamicheva, Anastasia 

365 Gendrikov, Familie  133 Gendrikov (Leontievič), Simon Henri 135* Gendrikova, Christina  135 Georg, Heiliger  151 Georg I., König von Großbritannien  52, 135* Georg II., König von Großbritannien  131 Georg III., König von Großbritannien 321, 326 Georgi, Johann Gottlieb  382* Gessner, Salomon  420 Ghelen, Johann Peter von  414 Giarrè, Pietro  257* Gillray, James  328 Görtz, Georg Heinrich von  56, 58 Götz, Gottfried Bernhard  298f., 415 Golicyn, Dmitrij  120f. Golicyn, Michail M.  137, 358* Golicyn, Vasilij  149 Gorbatov, Dmitrij  249 Gorochow, Edelmann  396 Gotter, Gustav Adolf, Graf  84, 97 Gottsched, Johann Christoph  283 Gottsched, Luise Adelgunde Victorie  283 Grassalkovich, Familie  203 Grimm, Friedrich Melchior von  214, 218, 250f., 255, 256*, 345 Grimm, Jacob  227 Grimm, Wilhelm  227 Grooth, Georg Christoph  349 Gross, Heinrich  137f. Guglielmi, Gregorio  407

Guicciardi, Francesco  94f. Gukovskij, Grigorij A.  221* Gustav III., König von Schweden  214, 258, 260, 322, 326, 387-389 Gyllenborg, Henning Adolf von  218

Habsburg(-Lothringen), Dynastie 

11, 24, 26f., 28*, 30f., 35f., 40, 53f., 61, 74, 77, 79, 85, 88, 102, 112*, 120, 189-192, 194, 197f., 200, 205, 275, 293-295, 297, 298*, 299, 303f., 305f., 407-410, 413, 416f., 421 Hadik, Familie  195 Hadik, Andreas  195* Haller, Familie  195, 200 Harrach, Alois Thomas Raimund Graf  82 Harrach, Friedrich August Graf  31* Hassler, Eric  202 Hatzfeld, Karl Friedrich Anton Graf  39 Haugwitz, Friedrich Wilhelm Graf  196 Heidenstam, Gerhard Johan Baltzar von 250 Heinrich VII., König von England  55 Heinrich VIII., König von England  53f. Heinrich IV., König von Frankreich  353 Heinze, Wenzel Siegmund  411 Helena, römische Kaiserin  295 Helena, Königin von Sparta  364 Henriette Catharina, Fürstin von AnhaltDessau 344* Hentschitt, Joseph  297 Hera  34 Herakles  331 Herder, Johann Gottfried  263 Herodias, Fürstin von Galiläa  331 Heyinger, Johannes Ignatius  418* Hieronymus, Charlotte  278 Hobbes, Thomas  324 433

Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert

Höroldt, Johann Gregorius  348* Höyer, Cornelius  388f. Hofmannsthal, Hugo von  21, 24 Holland, William  319 Holzmayr, Wolfgang  411, 413

Iphigenie 

255 Isabella von Parma, Erzherzogin von Österreich  198 Ivan VI., Zar von Russland  132*

Jagiellonen, Dynastie 

189 Jakobus d. Ä.  321, 325 Janckus, Ambrosius  170 Jankova, Elizaveta  396 Jaucourt, Louis de  220 Jesus Christus  294f., 298 Jeziorkowski, Andrzej  394 Jeziorkowski, Tadeusz  394 Johann I. Zápolya, Fürst von Siebenbürgen und ungarischer Thronprätendent  189 Johann Friedrich, Fürst von HohenloheNeuenstein  199 Johann Friedrich Karl von Ostein, Kurfürst von Mainz  35 Johanna Elisabeth von SchleswigHolstein-Gottorf, Fürstin von Anhalt-Zerbst  58 Johannes der Täufer  258, 331 Johannes von Patmos  303 Joseph, Heiliger  260 Joseph, Sohn Jakobs  302f. Joseph I., römisch-deutscher Kaiser  28, 87, 202 Joseph II., römisch-deutscher Kaiser  11, 13, 37-40, 42, 124*, 170, 173-176, 177*, 178, 180-182,

434

198f., 246-250, 255, 260f., 282, 286, 303f., 315f., 321f., 412*, 418 Judith  34, 299, 416

Kamenskij, Aleksandr 

213 Kant, Immanuel  52, 64, 253 Kantemir, Antioch D. 137* Kantorowicz, Ernst  378 Karl V., römisch-deutscher Kaiser  53f. Karl VI., römisch-deutscher Kaiser  10, 27, 30, 37, 52, 61, 73-75, 77-79, 81, 89f., 92, 95, 99-105, 112*, 115, 123, 170, 173, 190f., 198, 201-203, 249*, 297* Karl VII., römisch-deutscher Kaiser  28, 35f., 59-62, 85, 87, 90, 96, 112*, 300 Karl XII., König von Schweden  56f. Karl IV., König von Spanien  321, 325 Karl Albrecht, Kurfürst von Bayern, s. Karl VII. Karl Alexander, Herzog von Lothringen  87, 100, 180* Karl Emanuel III., König von Sardinien  74*, 75*, 84 Karl Friedrich, Herzog von SchleswigHolstein-Gottorf  56-58, 347*, 354 Karl Joseph, Erzherzog von Österreich  174 Karl Philipp, Kurfürst von der Pfalz  90 Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz  99 Károlyi, Alexander Graf  193 Károlyi, Anton Graf  193 Karp, Sergej  214 Katharina deʼ Medici, Königin von Frankreich  348* Katharina I., Zarin von Russland  52, 56, 112*, 133, 135*, 149

Personenregister

Katharina II., d. Gr., Zarin von Russland  10-15, 20, 26, 51, 55f., 58, 112*, 119, 121, 125f., 132*, 134*, 135*, 147-161, 172*, 177*, 211-231, 243-265, 276f., 285, 287, 311-338, 343-370, 375-401 Kaunitz, Familie  203 Kaunitz-Rietberg, Dominik Andreas Graf  121* Kaunitz-Rietberg, Joseph Graf  246 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton Fürst von  22, 121*, 181, 199, 204, 245247, 249, 316 Kazakov, Matvej  255-257 Keiserling, Johann von  120, 124, 137 Kettler, Friedrich Wilhelm  117 Khevenhüller, Familie  195, 204 Khevenhüller, Ludwig Andreas Graf  173 Khevenhüller-Metsch, Johann Josef Fürst von  26*, 27, 31*, 32, 38, 63*, 116-120, 122, 176, 178, 195, 199, 204, 278 Kilian, Philipp Andreas  36* Kinsky, Familie  197 Kinsky, Wenzel Norbert Octavian Graf  98 Kirsanova, Raisa  396 Kittel, Georg Wilhelm  177* Klauber, Johann Baptist  301, 306, 416 Klauber, Joseph Sebastian  301, 306, 416 Knjažnin, Jakov B.  364 Knox, John  54f. Königsegg, Joseph Lothar Dominik Graf  101 Kollar, Adam  198 Kollonich, Familie  200 Kollonich, Sigismund Graf  91*

Kolowrat, Familie  204 Konstantin I., d. Gr., römischer Kaiser  251, 297 Konstantin, Großfürst von Russland  14, 250 Korff, Johann Albrecht von  137 Kornis, Familie  203 Kosáry, Domokos  191 Kościuszko, Tadeusz  330, 334, 336 Krammer, Michael  297* Krjučkova, Marija  215 Kunisch, Johannes  64 Kurakin, Aleksandr. B.  136 Kurakin, Boris  136* Kurzböck, Joseph von  420

Labhart, Joseph Anton 

306 La Chétardie, Joachim Trott de  139*, 140 Lacy, Moritz Graf  180f. Ladislaus, Heiliger  192 Lambertus, Gärtner  355, 357f. Lanskoj, Aleksandr D.  150*, 152* La Vallière, Louise de  348* Le Chambrier, Jean  137*, 138* LeDonne, John  149 Leopold, Heiliger  124 Leopold I., römisch-deutscher Kaiser  91, 95*, 123*, 302f., 305 Leopold II., römisch-deutscher Kaiser  117, 123-125, 174, 180f., 246, 286, 321f., 326 Leopold, Erzherzog von Österreich  37 Lestocq, Johann Hermann von  132f., 144 Levickij, Dmitrij  400f. Liechtenstein, Familie  195, 203 Liechtenstein, Johann Nepomuk Karl Fürst von  83 435

Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert

Liezen-Mayer, Alexander von  22 Ligne, Charles Joseph de  263, 356f., 360 Liotard, Jean-Étienne  280f., 284f. Loebhart, Paul  408 Longobardi, Leibarzt  77* Lothringen, Dynastie  30, 62 Lotman, Jurij  365 Ludwig XIV., König von Frankreich  11, 53, 131*, 182, 348* Ludwig XV., König von Frankreich  94, 101, 131, 134, 144 Ludwig XVI., König von Frankreich  317, 321, 325 Ludwig I., König von Ungarn  27 Ludwig II., König von Ungarn  189 Ludwig Johann Wilhelm, Prinz von Hessen-Homburg  137 Lücke, Theodor  220* Lünig, Johann Christian  123*, 280 Luzac, Elie  231 Lʼvov, Nikolaj  261

Madariaga, Isabel de 

222 Magalhães, Fernão de  325 Mailáth, Familie  195* Malmesbury, James Harris, Earl of  245* Manin, Ludovico  325 Mann, Thomas  21 Marc Aurel, römischer Kaiser  174 Mardefeld, Axel von  133*, 141*, 142, 143*, 144 Maria, Gottesmutter  23, 302-304 Maria deʼ Medici, Königin von Frankreich  177*, 182 Maria I., Königin von Ungarn  27 Maria Amalia von Österreich, römischdeutsche Kaiserin  28, 100 436

Maria Amalia von Österreich, Herzogin von Parma-Piacenza  26* Maria Anna von Österreich, Herzogin von Lothringen  87*, 90, 96, 100 Maria Anna, Erzherzogin von Österreich, Äbtissin  11 Maria Elisabeth, Erzherzogin von Österreich  198 Maria Magdalena, Erzherzogin von Österreich  100 Maria Theresia von Österreich, römischdeutsche Kaiserin  10-15, 19-43, 51, 59-63, 73f., 78-87, 89-105, 111126, 131f., 169-182, 189-206, 247*, 273-287, 293-307, 407-421 Maria Theresia von Österreich, Königin von Frankreich  53 Marie Antoinette von Österreich, Königin von Frankreich  169*, 286 Marie Christine von Österreich, Herzogin von Sachsen-Teschen  26*, 33* Mars  34 Martini, Karl Anton von  194 Mary I., Königin von England  54f. Masino, Giorgio Giuseppe Valperga, Graf von  245-247 Mastalier, Carl  411 Matuškin, Dmitrij  121 Maximilian I., Kurfürst von Bayern  302 Maximilian II. Emanuel, Kurfürst von Bayern  61 Maximilian III. Joseph, Kurfürst von Bayern  87* Mazarin, Jules  149* Melʼgunov, Aleksej  399-401 Menšikov, Aleksandr  149, 347*, 349 Mercy-Argenteau, Florimont-Claude Graf  249

Personenregister

Merkel, Angela  21 Metsch, Johann Adolf Graf  101* Meyer, Eduard  52 Meytens, Martin van  35*, 36* Mildorfer, Josef Ignaz  407 Minerva  177*, 286 Ming, Dynastie  348* Mirepoix, Gaston-Pierre Levis, Duc de 30f., 83, 91, 94*, 98*, 100* Mössmer, Johann  418f. Moll, Balthasar  407, 416 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de  215, 222f., 226, 229-231, 262 Morlin, Jacobus  410f. Morozov, Boris I.  149* Mose  171 Moser, Friedrich Karl von  198, 201 Moser, Johann Jakob  36 Müller, Franz Anton  295f. Münnich, Burkhard Christoph Graf von 137, 149* Münnich, Christian Wilhelm von  137

Nádasdy, Leopold Graf 

197* Neipperg, Wilhelm Reinhard Graf  99, 176, 180 Neny, Familie  204 Nessenthaler, Johann David  172* Niczky, Familie  203 Niczky, Christoph Graf  196 Nikitin, Konrad  116* Novikov, Nikolaj  399

Oakes, Richard 

154f. Odescalchi, Familie  204 Oláh, Nikolaus von  192 Omelʼčenko, Oleg  213, 230f., 390 Orczy, Familie  195

Ordin-Naščok, Afanasij  149* Orest  255 Orlov, Familie  154 Orlov, Aleksej G.  151, 153f., 244-246 Orlov, Fjodor G.  244-246 Orlov, Grigorij G.  132*, 150*, 151, 152*, 153f., 157-159, 161 Osterhammel, Jürgen  262 Ostermann, Andrej (Heinrich)  149* Otto, Alexander  160

Pacassi, Nikolaus 

197 Pacheco, Pedro Vicente  82 Pálffy, Familie  195*, 199f. Pálffy, Géza Graf  190 Pálffy, Johann Graf 81 Pálffy, Josepha Gräfin (geb. Waldstein) 200 Pálffy, Karl Graf  200 Pálffy, Katharina Gräfin (geb. Weichs) 200 Pálffy, Leopold Graf  200, 204 Pálffy, Maria Anna Gräfin (geb. Althann) 200 Pálffy, Maria Antonia Gräfin (geb. Ratuit de Souches)  200 Pálffy, Maria Theresia Gräfin (geb. Daun)  200 Pálffy, Nikolaus Graf  197, 204 Pallas Athene, s. Athene Pallas, Peter Simon  263 Pallavicino, Gian Luca  77 Panfilov, Ivan  152 Panin, Nikita I.  150, 221, 247, 261 Panin, Petr I. 261 Paolucci, Camillo  75-77, 78*, 79-88, 90-93, 94*, 96-105 Paolucci, Fabrizio  75 Patachich, Adam von  194 437

Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert

Paul I., Zar von Russland  10f., 14, 119, 132*, 147, 161, 221, 335, 399* Paulson, Ronald  320 Pázmány, Peter von  193* Pečar, Andreas  202 Penthesilea  286 Péréfixe de Beaumont, Hardouin de  353 Perényi, Familie  195 Perusa und Kriechingen, Maximilian Kajetan Graf von  82, 85, 87 Peter I., d. Gr., Zar von Russland  10, 55-57, 112*, 131-133, 135*, 136, 137*, 138-141, 143, 147f., 215, 219, 227*, 245, 258, 345, 347*, 351, 366, 368, 376f., 379f., 382, 384, 388, 391 Peter II., Zar von Russland  57f. Peter III., Zar von Russland  10, 57f., 63, 119-122, 126, 132*, 133* 134*, 135*, 150, 217, 219, 221f., 332, 335f., 343-352, 354f., 357-359, 366369, 375-378, 391 Peter Leopold, Erzherzog von Österreich, Großherzog der Toskana, s. Leopold II. Petrasch, Joseph von  276 Petrova, Maria  245 Pfeffel, Johann Andreas d. J.  415 Philipp der Gute, Herzog von Burgund 37 Philipp II., König von Spanien  54 Philipp V., König von Spanien  53 Philippe II. de Bourbon, Regent von Frankreich  62 Pichler, Caroline  279* Pilman, Jean  362 Pitt, William d. J.  323, 326, 328 Pius VI., Papst  321, 325 Plato  259* 438

Plutarch  259* Podewils, Otto Christoph Graf  33*, 173, 179, 275f., 278, 280 Poletika, Andrej  387 Pompadour, Jeanne-Antoinette Poisson, Marquise de  367 Poniatowski, s. Stanisław II. Popova, Elizaveta M.  156 Porro, Atanasio Gaetano  95* Potemkin, Grigorij A.  150*, 151-161, 214, 244f., 248, 256*, 264, 314f., 318, 324f., 337, 387, 388* Proskurina, Vera  251, 378 Pugačëv, Emelʼjan I.  336, 345, 388, 390, 392 Puškin, Michail  376, 379

Quarenghi, Giacomo  Ragsdale, Hugh 

261

253* Rakóczi, Franz II.  189 Rambouillet, Catherine de Vivonne, Marquise de  365 Rastrelli, Francesco Bartolomeo  347f., 350*, 351* Rautenstrauch, Johann  409 Razumovskij, Familie  149 Razumovskij, Aleksej G.  132f., 142, 149, 155 Razumovskij, Kyrill  142 Rhédey, Familie  200 Reinhard, Wolfgang  64* Reinsperger, Johann Christian  284f. Richardson, William  276 Richelieu, Armand-Jean du Plessis, Herzog von  149* Richter, Christian Gottlob  279, 409 Rimskij-Korsakov, Ivan N.  150*

Personenregister

Rinaldi, Antonio  347, 350, 356-358, 360 Rjurikiden, Dynastie  55 Robinson, Thomas, Baron Grantham  84, 103* Romanov, Dynastie  55, 131*, 147, 251, 344, 347*, 368, 387 Roslin, Alexandre  285 Roth, Joseph  21 Rousseau, Jean-Jacques  64, 261 Rowlandson, Thomas  319f., 327f. Rudolf I., römisch-deutscher König 297f., 305, 410 Rumjancev, Familie  136 Rumjancev, Petr  151, 387 Ryckwaert, Cornelius  344*

Sacher-Masoch, Leopold von 

22f. Saint-Lambert, Jean-François de  353 Saint-Simon, Louis de Rouvroy, Herzog von  131* Salome, Tochter der Herodias  331 Saltykov, Petr S.  136 Saltykov, Sergej V.  134*, 150* Samojlov, Aleksandr N.  152 Samonin, Sergej  387 Sangro, Lucio di, Conte di Sansevero 102* Ščerbatov, Michail M.  148* Schädel, Georg  347* Scheyb, Franz Christoph von  409 Schierle, Ingrid  231 Schleswig-Holstein-Gottorf, Dynastie 54, 56, 59 Schmettau, Samuel von  142 Schultheiß, Albrecht  22*, 23 Schwarz, Johann  283 Ségur, Louis-Philippe de  245*, 263

Selim III., osmanischer Sultan  321f., 326 Šepelev, Leonid  393, 395, 400* Šeremetev, Familie  147 Shaftesbury, Anthony Ashley-Cooper, Earl of  261 Shakespeare, William  319 Sidney, Philip  258 Siegfried  34 Sievers, Karl  119 Sinzendorf, Philipp Ludwig Wenzel Graf 57*, 83, 85, 89-91, 95, 98, 100f. Sinzendorf, Sigmund Graf  278 Skavronskij, Familie  133 Skodock, Cornelia  350* Sofija, Carevna  149 Somoilov, Aleksandr N.  135 Sonnenfels, Joseph von  194, 276, 281 Sophie Auguste Friederike von AnhaltZerbst, s. Katharina II. Srbik, Heinrich von  21 Stanisław I. Leszczyński, König von Polen, dann Herzog von Lothringen  88* Stanisław II. August Poniatowski, König von Polen  150*, 152*, 322, 326, 336 Starhemberg, Gundaker Thomas Graf 101 Stockmann, Johann Adam  294, 299301, 304-306 Stollberg-Rilinger, Barbara  62 Strube de Piermont, Friedrich Heinrich 223, 226 Stuart, Dynastie  54f. Stuart, James  261 Sturm, Joseph Wilhelm  170 Šuvalov, Familie  136 Šuvalov, Aleksandr I.  136* 439

Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert

Šuvalov, Ivan I.  136, 353 Šuvalov, Petr I.  132, 136*, 149, 157 Šuvalova, Marfa E.  136 Suvorov, Aleksandr V.  322, 330-332 Sylva-Tarouca, Emanuel Graf  31, 177, 178*, 180*

Tallemant, Paul 

364 Talyzin, Aleksandr  376, 379, 393 Taranovskij, Fedor  229-231 Teleki, Familie  195 Temkina, Elizaveta Grigorʼevna  152* Thauszy, Franz von  194 Therbusch, Anna Dorothea  286 Theresia von Ávila  410 Thugut, Johann Amadeus Franz de Paula von  246* Thun und Hohenstein, Joseph Maria Graf von  92 Tiepolo, Giovanni Battista  348* Tipton, Susan  316, 330, 337 Trattner, Johann Thomas  413f. Trauttmansdorff, Familie  197 Tredjakovskij, Vasilij  364 Trubeckoj, Familie  136 Trubeckoj, Nikita  136 Tutolmin, Timofej  399

Ürményi, Joseph 

196 Uhlich, Gottfried  409 Ulfeldt, Anton Corfiz Graf  418 Urania  351 Urraca, Königin von Léon  52*

Vačeva, Angelina 

215 Valenti Gonzaga, Silvio  74*, 75f., 78*, 79*, 81*, 82*, 83*, 84*, 85*, 86*, 87f., 90*, 91*, 92f., 96, 97*, 98*, 99*, 100*, 101*, 102*, 103*, 104* 440

Valeriani, Giuseppe  349 Vališevskij, Kasimir  250 Vallery, Theodor  418f. Vasilʼčikov, Aleksandr S.  150*, 151, 159 Vass, Familie  200 Velten, Jurij  258f. Vierhaus, Rudolf  222* Vincent, Gesandtschaftssekretär  77*, 84 Vinkovits, Benedikt  194 Vladimir I., Großfürst von Kiew  254 Vladislava  380* Voltaire (François-Marie Arouet)  218, 222, 244f., 247, 250, 253, 255, 262, 264, 316, 345, 353*, 367, 391 Voroncov, Michail L. 132f., 135, 139, 147 Voroncov, Roman  396 Voroncova, Anna K.  133f. Voroncova, Elizaveta  349

Wandruszka, Adam 

21 Waniek, Matthäus  408 Watteau, Antoine  348* Weber, Johann Philipp Balthasar  263 Weber, Wolfgang  249*, 250* Weitenauer, Ignaz  410 Wellmann, Imre  190 Wilhelmine Amalie von BraunschweigLüneburg, römisch-deutsche Kaiserin  87, 100 Winckelmann, Johann Joachim  261 Wittelsbach, Dynastie  28*, 35, 62, 112* Wolf, Hippolytus  416 Wolff, Christian  226, 230f.

Personenregister

Zavadovskij, Petr V. 

150*, 154f., 157 Zelepos, Ioannis  252 Zemcov, Michail  347* Zeno, Apostolo  27*, 91*, 93*, 94, 102 Zernack, Klaus  51, 59 Zichy, Familie  195 Zichy, Anna Maria Gräfin (geb. Khevenhüller-Metsch)  195 Zichy, Franz Graf  193 Zichy, Karl Graf  195 Zichy, Stephan Graf  195 Zimin, Igorʼ  378 Zimmermann, Johann Georg  218, 250 Zinzendorf, Familie  204 Živov, Viktor  380 Zolotnickij, Vladimir  364 Zorič, Semen G.  150* Zubov, Aleksandr  160 Zubov, Dmitrij A.  160f. Zubov, Platon A.  150*, 155, 160f. Zubov, Valerian A.  160f.

441

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