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German Pages 63 [68] Year 1910
Table of contents :
Inhalt
Einleitung
I. Der Pfarrer als Priester
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt
III. Der Pfarrer als Seelsorger
Vorträge der theologischen Nonserenz zu Gießen —— ■ ■ - ■ ■ 29. Holge -- --
Was soll der evangelische Semeindepsarrer sein: Priester, Evangelist oder Seelsorger? Willy Veit Pfarrer in Frankfurt a. HL
Verlag von Alfred Töpelinann (vormals 3« Ricker) * Gießen *1910
Inhalt. Einleitung.....................................................
I. Der Pfarrer als Priester . . . H. Evangelisation und Gemeindepfarramt III. Der Pfarrer als Seelsorger . .
. . . .
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Einleitung. Die Ausführungen dieser kleinen Schrift bemühen sich, einen
Beitrag für die richtige Auffassung und Ausübung des evange lischen Pfarramts zu liefern. Sie gründen sich auf Beobach tungen aus dem praktischen Leben des Pfarrerberufs, Beobach
tungen, die dahin gehen, daß wir Träger dieses Berufs uns nicht immer klar darüber sind, was wir eigentlich zum Inhalt
unserer Berufsarbeit machen wollen.
Die Folge dieser Unklar
heit ist, daß dem Wirken des heutigen evangelischen Gemeinde
pfarrers oft die Einheitlichkeit fehlt.
Fehlt aber einer Berufs
tätigkeit die innere Einheitlichkeit, dann fehlt ihr auch die innere
Freudigkeit und die Stoßkraft nach außen.
Ist dieser Mangel
an einem fest umrissenen Ideal schon bei jedem anderen Beruf
eine Schädigung, so ist er es doppelt bei diesem Beruf, der wie kein anderer auf die persönliche Anteilnahme seines Trägers
angewiesen ist.
Zudem ist die Tätigkeit des Pfarrers zusammen
gesetzt aus einer Unsumme unzusammenhängender und von ganz
verschiedenen Seiten zusammengeflossener Pflichten.
Will der
Pfarrer sich nicht verzetteln, so braucht er ein ordnendes Prinzip,
mit dem er die Fülle des Stoffes bewältigt und jedem Ding, das seine Zeit und seine Kraft in Anspruch nehmen möchte, die gebüh rende Stelle gibt.
Dieses ordnende Prinzip ist ihm seine Berufs
auffassung. Sie muß darum klar, durchsichtig und einheitlich sein.
Von Natur, im Rohzustand ist sie es nicht.
Denn der
evangelische Pfarrstand ist ein geschichtliches Gebilde, beladen mit
alledem, was die früheren Zeiten an Ansprüchen und Aufgaben von ihm verlangt haben.
Er ist außerdem eine Institution, die
Nicht frei entsprungen ist, sondern die sich von einem anderen
Gebilde losgelöst hat, vom. katholischen Priestertum. Und wenn in der Reformationszeit diese Loslösung auch als Bruch mit jenem Priestertum empfunden wurde, so sehen wir heute von höherer geschichtlicher Warte doch, wie stark die Fäden noch von 1*
Einleitung.
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dort hinüberlaufen und wie die Wasser katholischer Auffassung
auch in das neue Bett hinübergeflossen sind.
Macht so die
Vergangenheit eine einheitliche, klare Berufsauffassung für den
evangelischen Pfarrer schon schwer, so bringt die Gegenwart die
Fäden noch mehr in Verwirrung.
Nicht nur, daß neue Auf
gaben in großer Anzahl sich aufgetan haben — diese konnte man verhältnismäßig leicht an das Überkommene angliedern oder
durch eine Umschmelzung des Ererbten einheitlich verbinden —
sondern wir sehen uns einer völlig neuen Struktur des geistigen Lebens gegenüber.
gebiet so
Und dessen Neuheit wird auf keinem Lebens
stark empfunden als auf dem, das die Vorfahren
unserer heutigen Pfarrer zu beackern pflegten.
Erscheint doch
darum Manchem kein anderer Stand so veraltet und des Daseins rechts in der heutigen Zeit so bar als der Pfarrstand, so daß wir ja vor einigen Jahren die für unseren Beruf so schmeichel
hafte Umfrage erleben durften: Bedürfen wir des Pfarrers noch?
Aus den mannigfachsten,
ost gerade sich widersprechenden Ge
fühlen und Erlebnissen scheint der Inhalt dieses Berufs der
heutigen Zeit nicht mehr zu entsprechen, und man schlägt deshalb
alle möglichen Ergänzungen vor.
Ich habe alle diese Ergänzun
gen und Umformungen im folgenden außer acht gelassen, ausge nommen die eine, die nicht von außen her im Interesse einer
anderen Lebensmacht (Staat, Kultur, soziale Versöhnung) an den
Pfarrerberuf herangebracht wird, sondern auf dem Boden der Reli gion selbst erwachsen ist
und von da aus an den Pfarrer die
neue, stüher nicht gekannte Forderung stellt, seine Gemeinde als sein Missionsfeld zu betrachten und selbst ein Evangelist zu sein.
Die Lage, in der der evangelische Pfarrstand sich heute befindet, ist darum die, daß auf der einen Seite das Ideal einer
vergangenen Zeit mit anheimelnden Farben lockt und winkt: sei
der Priester deiner Gemeinde, und daß auf der anderen Seite
ein modern klingender Weckruf an sein Ohr schallt: sei ihr Missionar. Entwicklung
Die Auffassung aber, die die Linie der geschichtlichen am
ruhigsten fortzuführen bestrebt
ist
und den
Einleitung.
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Gemeindepfarrer zum Seelsorger macht, scheint im Vergleich mit den beiden anderen matt, reiz- und wirkungslos.
Der bequemste Ausweg scheint der zu sein, daß man das
eine tut und das andere nicht läßt.
Man behält im allgemeinen
die Linie bei, auf der das evangelische Pfarramt in seiner seit herigen Entwicklung geführt wurde.
Aber man bereichert es
durch Anleihen von jenen beiden anderen Idealen her. Man hält sich an den Satz: wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen,
und lehrt den Pfarrer, immer gerade das zu sein, was der Augen
blick erfordert: bald Priester, bald Evangelist, bald Seelsorger.
Hier ist der Punkt, wo der Widerspruch der folgenden Blätter einsetzt, einsetzt um jenes ersten Prinzips jeder würdigen
und wirkungskräftigen Berufsarbeit willen: sie muß eine Einheit sein.
Sie kann noch so verschiedene Arbeiten und Aufgaben
umfassen, aber ein Geist muß diese alle durchglühen.
In jenen
drei Worten aber: Priester, Evangelist, Seelsorger glühet nicht
der Geist einer Berufsarbeit.
Ich kann nicht ein und derselben
Größe — meinen Gemeindegliedern — gegenüber als dieses Drei fache vor Augen stehen.
Ich kann nicht zugleich ihr Priester, ihr
Evangelist und ihr Seelsorger sein.
Und was die Unmöglichkeit
noch besser zur Darstellung bringt: ich kann sie nicht zugleich
behandeln als die religiös unselbständige Masse, die in mir als
dem Priester eines Vermittlers mit Gott bedarf, und außerdem als die noch unbekehrte Schar, an der ich Missionsarbeit zu
leisten habe, und dazu drittens als die auf gleicher Stufe mit mir stehenden Brüder und Schwestern, von denen ich als ihr Pfarrer mich nur unterscheide durch meine theologische Fachaus
bildung und eine durch die Praxis mir zugeflossene reichere Er
fahrung in Seelenkenntnis und Seelenbehandlung. Ich kann nicht
dieses alles drei sein und die Gemeinde kann auch nicht dieses alles drei sein, und darum ist die These, der die folgenden Aus
führungen dienen wollen, die: wir müssen wählen zwischen
dem Priester, dem Evangelisten und dem Seelsorger.
I.
Der Pfarrer als Priester. Mit vollem Bewußtsein zeichne ich dieses Pfarrerideal als
ein auf dem evangelischen Boden mögliches, zum mindesten dis kutierbares.
Es ruht auf einer Anschauung vom Wesen der
Religion, die auf dem Boden der evangelischen Kirche lange
Zeiten hindurch bestanden, ja geherrscht hat. wird
Denn überall da
der Pfarrberuf als eine priesterliche Tätigkeit angesehen
werden, wo man das Wesen der Religion in einer objektiven Größe sieht, die zunächst an und für sich in heiligen Gegenstän
den, Lehren und Handlungen sich darstellt, und dadurch irgend wie den Menschen nahegebracht werden soll.
Zu dieser Tätigkeit
des Nahebringens braucht man dann besonderer Personen, und diese erhalten damit die Tätigkeit und Fähigkeit, die wir mit dem
Wort „priesterlich'") bezeichnen.
Die Art, wie die objektive Reli
gion den Menschen zu Gemüte gebracht wird, mag dabei recht verschieden sein.
Das eine Mal geschieht es in sinnlicher Form
’) Die Worte „Priester" und „priesterlich" sind ernst und vollwertig zu verstehen, nicht abgeblaßt und inhaltsleer.
Ich sage das, um dem Ein
wand zu begegnen, der meint, der evangelische Pfarrer muß „auch etwaS Priesterliches" an sich haben.
versteht.
Man mache sich klar, was man darunter
Wenn man dabei nur an die Würde seines Wesens, an Ge-
sammeltheit und Emst denkt oder auch daran, daß er Wohl und Wehe der
ihm anvertrauten Seelen auf dem Gewissen tragen soll, so ist das nichts
spezifisch Priesterliches.
Von „Priester" und von „priesterlich" kann in
Wahrheit nur da die Rede sein, wo der Berufsauffassung des Pfarrers die
Anschauung zugrunde liegt, die ich im folgenden skizziert habe als die, welche die Religion zu einer objektiven geheimnisvollen Größe und den Pfarrer zu ihrem um seines Amtes willen verehrungswürdigcn Vermittler an die Menschen macht.
I. Der Pfarrer als Priester.
durch die Veranstaltung des Kultus.
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Man kann sich aber keinen
Kultus denken ohne eine Persönlichkeit, die durch ihr Tun, ihr
Reden, ihr Leiten, ihr Dasein das objektiv Religiöse hinableitet und hineinprojiziert in die Masse der „Laien". Ein anderes Mal wird das objektiv Göttliche den Menschen nahe gebracht auf be grifflichem Wege durch ein System von Lehren, Sätzen und Aus sagen, und abermals wird diese Form nach Menschen verlangen,
die sich zu Trägern dieses Göttlichen machen, an deren gesprochenem Wort das Göttliche für die große Masse Erscheinungsform ge winnt. Und endlich: wenn das Göttliche erfaßt wird als ein System von Lebensregeln, so wird dieses System von Geboten
und Verboten abermals seine Diener gebrauchen, die sowohl das göttliche Gesetz verkündigen, als über seine Innehaltung wachen und die die Autorität für beides eben dadurch erhalten, daß sie nicht in ihrem eigenen Namen, sondern eben in dem des Göttlichen reden und handeln, auserwählte Träger des Göttlichen sind. Me drei Formen finden sich auf dem Boden der evangelischen
Kirche.
Wenn auch im evangelischen Gottesdienst durch das
Hervortreten der Predigt das kultische Moment von vorneherein stark in den Hintergrund gedrängt worden ist, überall wo man noch stark an der Liturgie hängt, wirkt die Anschauung nach
und stets von neuem fort, daß im Gottesdienst die Welt des
Heiligen durch die Worte des Pfarrers vom Himmel herabgeholt und in das profane Leben hineingestellt wird. Und wo wirk licher Sakramentsglaube noch herrscht — und er herrscht noch
viel — findet sich diese Anschauung.
Die begriffliche Darstellung
des objettiv Heiligen hat überall da ihre Stätte, wo das Dogma noch im alten Sinn in Geltung ist und wo das Vertrauen auf „das Wort" noch herrscht, das nicht leer zurückkommen kann.
Im Dogma und im „Wort" ist das Göttliche objettiviert, und im Pfarramt, das damit notwendig den Charakter eines Priester tums annimmt, ist die Jnstttution geschaffen, die dieses objekti-
vierte Heilige den menschlichen Subjekten weitergibt. — Und
überall, wo man wie in den Kirchen des Calvinismus, nach einem
I. Der Pfarrer als Priester.
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Gottesstaat suchte und nach diesem aus altem oder neuem Testa
ment genommenen Vorbild das Leben der eigenen Stadt und des eigenen Volkes aufzubauen suchte, brauchte man Menschen, die
die Träger dieser göttlichen Rechtsordnungen waren und in ihren
Geboten
und Verboten eine
priesterliche
Tätigkeit
ausübten,
mochte man auch dort gerade das Wort „Priester" im alten kultischen Sinn noch so sehr verabscheuen.
Im folgenden möchte ich aus praktischen Gründen den calvinistisch-reformiertcn Typus dieser priesterlichen Auffassung mehr in den Hintergrund treten lassen und mich an die Formen halten,
die er im Luthertum angenommen hat.
Die lutherische Frömmigkeit in priesterlichem Gewand hat
die ihrem Wesen entsprechende Stätte in einer romanischen oder gotischen Hallenkirche.
Der Grundgedanke eines jeden der beiden
Baustile stimmt zu ihrer Eigenart, und darum sind die beiden Stile, die als Erbe vom Katholizismus übernommen wurden, vom Luthertum nicht als unerträglich empfunden worden.
Zn
der Gotik erhebt sich das menschliche Gemüt aus dem Erden
staub, immer höher strebend zu feineren Daseins-sphären, um hoch oben in den Höhen der Empfindung und der Spekulation ins Ewige einzumünden.
Und in dem romanischen Stil hat sich
aus Himmelshöhen mitten hinein in die lärmende Welt ein nach außen
streng
abgeschlossenes Heiligtum herabgesenkt
als eine
Stätte, wo der Lärm schweigt und wo eine geheimnisvolle andere
Welt geschaut, gehört und geahnt wird.
Der Gottesdienst in
diesen Gebäuden ist, wenn er sich stilvoll solchem Raum ein ordnet, Anbetung Gottes in heiligen Objekten und in Symbolen.
Diese Frömmigkeit ist darum froh, daß in dem Chor unserer evangelischen Kirchen, von einem Nimbus der Heiligkeit um geben, noch der Altar steht, von wo der Pfarrer in der breit
ungelegten
Liturgie
diese
Anbetung
darbringt.
Von
diesem
heiligen Raum geht im ersten Teil des Gottesdienstes der Hauch der Frömmigkeit aus, der, wie die beiden Baustile dieser Fröm
migkeit, beides enthält: ein Heraufsteigen des armen, sündigen
I. Der Pfarrer als Priester.
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Menschenkindes aus den Tiefen seines natürlichen Wesens zu
den
Höhen
der
Gnade
und
ein Sichherabsenken
lichen in die versammelte Gemeinde.
des Gött
Wenn dann der Pfarrer,
der in der Würde des Liturgs am Altar seines Amtes ge
waltet hat, im zweiten Teil des Gottesdienstes die Kanzel be steigt, bleibt die gleiche Stimmung über dem Raum und der
Versammlung.
Die Kanzel liegt bescheidener als der Altarranm,
um auch äußerlich anzudeuten, daß der Ton der Feier nicht von der Kanzel, sondern vom Altar her bestimmt wird.
Was nun
von der Kanzel aus geschieht, ist, wie Baumgarten es einmal ge schildert hat, das Vorzeigen eines Staats- und Prachtgewands. Die Religion tritt uns entgegen als die große, allen bekannte aber doch stets geheimnisvolle Offenbarung, die niedergelegt ist in der heiligen Schrift, geordnet ist in den Bekenntnissen der
Kirche, erklärt und verdeutlicht wird durch die Predigt.
Diese
priesterliche Predigt hat kein Interesse daran, an die besonderen
Bedürfnisse des Hörers anzuknüpfen, einen verborgenen Pfad und Eingang in die Seelen zu finden.
gischen Fcinarbeit nicht.
Sie bedarf dieser psycholo
Das, was sie zu bringen hat, ist ja den
Zuhörern bekannt, und sie sind nur gekommen, um an dem alten, bekannten, reichen Schatz (man denke an die stets wiederkehrenden
Perikopen, über die gepredigt werden mußte) sich auch heute wieder zu erquicken.
Manchmal klingt dabei fast die Vorstellung
an, daß, wenn auch die Predigt über die Köpfe hinweggcht,
sie dann doch gesegnet ist: es war ja Gottes Wort, was ins Ohr schlug, und die Wirksamkeit dieses „Wortes" ist eine andere als die anderen Sprechens.
Das „Wort" ist in seinem Wesen
und Wirken umkleidet mit einem geheimnisvollen, mirakelhaftcn
Nimbus.
Jedenfalls das Wort, d. h. das objektive Gotteswort
muß es tun. Jhin, gerade wenn es „objektiv", ohne alle Menschen-
fündlein verkündigt wird, ist die Verheißung geworden, daß es nicht leer zurückkommen wird.
Das sind darum die Höhepunkte
im Leben des priesterlich gestimmten Pfarrers, wenn er das Wort kann wirken lassen unter größter Zurückdrängung seiner Jndivi-
I. Der Pfarrer als Priester.
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dualität, wenn er nur das Instrument ist, durch das es hindurch tönt.
Solche Höhepunkte sind das feierliche Walten als Liturg
im Altarraum, die Konsekration
von Brot und Wein
beim
Abendmahl, die göttliche Absolution, die durch seine Vermittlung
bei der Beichte ausgesprochen wird, die Handauflegung, durch die er bei der Konfirmation die Gabe des heiligen Geistes auf die
Kinder herabzieht,
der sakramentale Akt bei der Taufe,
der
Segensspruch, mittels dessen er ein Paar in den heiligen christ lichen Ehestand versetzt — alles „kraft seines Amtes". Welches sind nun die Leute, die sich durch diese Art Fröm
migkeit angezogen und von ihr befriedigt fühlen?
Man erhält
auf diese Frage leicht die Antwort: die Ungebildeten und die un
selbständigen Geister.
Aber damit ist aus der Zuhörerschaft nur
ein kleiner Ausschnitt genannt.
Es genügt auch noch nicht, wenn
man hinzufügt: die Romantiker, die Sentimentalen, die Mystiker. Ich möchte einen ganz anderen Menschen zu Worte kommen
lassen, einen aus der Zahl derer, die im flutenden Leben der
Zeit drinnen stehen, und dabei bemerken, daß das folgende Zwie gespräch nicht erfunden, sondern der Niederschlag mancher ernsten Unterredung mit einem Vertreter dieser priesterlich gestimmten Frömmigkeit ist. Unser Gewährsmann gibt zunächst zu, daß bei der Kom pliziertheit menschlichen Seelenlebens bei manchen, die an dieser
priesterlich-orientierten Frömmigkeit festhalten, auch solche niedere Motive mitschwingen mögen, wie Gedankenlosigkeit, Gewohnheit, Beispiel für Andere ohne eigene innere Beteiligung und bergt Aber er verlangt für sich und viele seiner Gesinnungsgenossen
ausdrücklich unsere Anerkennung, daß auch andere Beweggründe einen Menschen an diese Art Frömmigkeit fesseln können.
Auf
unsere Frage, ob er sich nicht in einer ganz fremden Welt dort
fühle, ist seine Antwort: „Gerade dieses zieht mich hin.
Wir,
die wir in dem praktischen Leben drinnen stehen, brauchen noch
eine andersartige Welt, brauchen ein Gegengewicht gegen den
I. Der Pfarrer als Priester.
Alltag.
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Wir sind in einer fortwährenden äußeren und inneren
Unruhe, da sehnt man sich nach etwas Abgeschlossenem, Festem,
Ruhigem.
Das suche ich und meinesgleichen in der Religion.
Wenn ich darum in die Kirche komme, will ich nicht abermals
Da sehne ich mich nach
fragen, zweifeln, grübeln und suchen. innerer Ruhe.
Alles ist heutzutage im Fluß; Gott sei Dank, daß
wir wenigstens in der Religion noch ein festes Gebiet haben. Ich bin darum, so fährt er fort, auch nicht einverstanden mit dem
modernen Geist, der hier einzieht, mit religiösen Diskussionen, Verhandlungen religiöser Dinge im Niveau der Volksversamm
lungen, auch nicht mit diesen modernen religiösen Schriften, religionsgeschichtlichen Volksbüchern und wie sie alle heißen." — Wir wenden schüchtern ein, daß es auch auf religiösem Gebiet
nicht ohne Fragen, Forschen usw. abgeht. — „Dazu haben wir,
wenn es wirklich nötig ist, unsere theologischen Fakultäten und
zahlen unsere Professoren, erwidert er.
Allenfalls mögen das
die Pfarrer unter sich abmachen, obwohl es sie von ihren eigent
lichen Pflichten viel zu sehr abzieht.
Aber jedenfalls gehört es
nicht vor die Gemeinde und vor das Publikum.
Es rückt die
Religion in ein falsches Licht, macht sie, die eine Friedensquelle
sein soll, zum Streitobjekt." — Aber, so wenden wir ein, als ge bildeter Mensch müssen Sie doch empfinden, daß in allen jenen
Gesängen, Gebeten, Bekenntnissen eine Welt spricht, die schon Hunderte von Jahren vergangen und für uns tot ist. — „Für
uns tot ist?
Nein, gerade weil ich ein geschichtlich denkender
Mensch bin, weiß ich, daß Dinge, die vor Jahrhunderten ent
standen sind, nicht aussehen können, als seien sie von gestern und heute.
Natürlich klebt der ehrwürdige Staub des Alters
an all diesen Sprüchen, Dogmen, Formeln und Formen.
Wenn
Sie die würdigen Blätter unserer Bekenntnisse zerreißen, was
wollen Sie an die Stelle setzen?
Welche jammervollen Gebilde
würde unsere heutige innerlich so arme Zeit uns dafür anbieten!
Gewiß, ich weiß, daß diese feine relative geschichtliche Auffassung, die uns diese Dinge begreiflich und lieb macht, von der großen
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I. Der Pfarrer als Priester.
Masse nicht verstanden werden kann. Gesichtspunkte hervorkehren.
Da muß man andere
Aber jedenfalls: anstatt die, die
durch ihren Mangel an Bildung kein geschichtliches Verständnis haben können, in ihrem ungebildeten Spott über das Erbe unserer
Vergangenheit zu bestärken, haben wir in unserer Zeit allen
Grund, die Fäden, die uns mit der Vergangenheit verbinden,
zu stärken, anstatt daß man jetzt auch noch auf dem Gebiete der Religion alles neu und modern machen will.
Ich denke,
wir haben an dieser unserer deutschen Unart, uns zum Versuchs kaninchen für alle modernen Ideen zu machen, statt ruhig am
Alten weiter zu weben, schon genug gelitten.
England den Vorsprung vor uns gegeben?
Was hat denn
Jene Bedächtigkeit,
jener konservative Sinn, der alles Sprunghafte haßt.
Soll
denn bei uns in Deutschland der Faden unserer geschichtlichen
Entwicklung zur Schadenfreude unserer Nachbarn immer wieder
abreißen?
Schlimm genug, daß er auf religiösem Gebiet schon
einmal in der Reformation völlig abreißen mußte. damals notwendig gewesen sein.
Es mag ja
Die Folgen sind aber bis heute
nur allzu fühlbar und jedenfalls: mit dem einen Mal ist's ge nug.'")
Als wir schweigen, fährt unser Freund fort: „Unter
schätzen Sie auch den Wert des Symbolischen nicht, mit dem unsere im Kultus und Sakrament lebende Frömmigkeit eng ver knüpft ist.
Gerade das ist ein moderner Zug — und er läßt sich
hier länger über die Wirkungen Kants aus — daß wir wieder mehr Raum für das Symbol bekommen haben, weil wir sehen,
daß die Vernunft nicht bis ans Ende führt und wir über die
*) Sinnt.: Der Leser fühlt, daß mit diesen Ausführungen der Streit
punkt etwas verschoben wird und daß man die hohe Einschätzung der Ver
gangenheit auch teilen kann, ohne die lutherisch-hochkirchliche Auffassung der Religion zu haben.
Aber der Kundige weiß auch, daß in ganz bestimmten
ausschlaggebenden Schichten diese enge Brrbindnng von Konservativ und Hochkirchlich durchgängig vorhanden ist. Die ganze Stellung der konserva tiven Partei zum Zentrum und zur katholischen Kirche, wie sie sich im Lauf
des Sommers 1909 wieder offenbart hat, hat hierin ihre letzte Wurzel.
I. Der Pfarrer als Priester.
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letzten und höchsten Dinge nur in Symbolen sprechen können.
Die Kirche täte sehr wohl daran, wenn sie diesen Zug der Zeit
benützte.
Wie hängt unser Volk noch an jenen heiligen Hand
lungen wie Taufe, Konfirmation, Trauung.
Sie wissen, daß
auch dort, wo die Predigtgottesdienste leer sind, man diese Hand lungen doch immer weiter sucht." — Ja, so entgegnen wir voll
Eifer und Zorn, weil man bei bestimmten Gelegenheiten eine Dekoration braucht, und da man keinen anderen Dekorateur hat,
drum kommt man zum Pfarrer. — „Und doch beurteilen Sie uns Laien darin falsch, entgegnet er ruhig.
Es steckt doch mehr
dahinter als bloße Aufmachung und Selbstverherrlichung.
Bei
diesen Gelegenheiten will der Mensch des Alltags eine höhere Weihe seines Lebens haben, will mit jener anderen Welt in
Berührung kommen, die er mehr ahnt, als kennt, und an die er
mehr glaubt, als er selbst weiß und Wort haben will.
Ihm
liegt recht wenig an den guten Ratschlägen, die der Pfarrer ihm
in der Traurede und in der Taufrede gibt; er würde dem
Pfarrer seine ganze mühevolle Rede schenken.
Er empfindet
diese Seelsorge von feiten des Pfarrers, wenn dieser nichts anderes zu bringen hat als seine eigene Überzeugung und Mei nung, als recht undelikat und aufdringlich, besonders wenn er den Mann sonst vielleicht kaum kennt.
Er will ja in dieser
Stunde etwas ganz anderes, er will nicht sein Seelenleben an
anderem Seelenleben entzünden oder vertiefen.
Er will eine
Weihe seines Lebens haben, er will mit jener anderen unsicht
baren aber objektiven Welt in Berührung kommen, die im kirch
lichen Leben, seinen Einrichtungen und Gebräuchen in die Er
scheinung tritt.
Als Mensch hat der Pfarrer ihm nichts zu
sagen, sondern nur als Vermittler jener geheimnisvollen Kräfte
der Religion.
Nur die Frömmigkeitsform — so schließt unser
Freund — hat Aussicht, die tiefsten Bedürfnisse des Einzelnen
und der Volksseele zu befriedigen, die priesterlichen Charakter
an sich trägt und solchen auch ihren Dienern verleiht."
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I. Der Pfarrer als Priester. Statt weiter zu diskutieren, wollen wir die hier vorge
tragene Auffassung noch einmal kritisch für uns durchdenken. Was das überzeugte Eintreten dieses gebildeten Laien für
den priesterlichen Charakter der Religion und ihrer Diener so eindrucksvoll macht, ist, daß der ganze Gedankengang nicht von einer vorgefaßten Ansicht über das Wesen der Religion ausgeht,
sondern
von
den Bedürfnissen des menschlichen Seelenlebens
aus entworfen ist.
Denn dieser rote Faden zog sich durch alles
hindurch: unser menschliches Herz, wie es nun einmal ist, und gerade das Herz der Menschen von heute verlangt in der Reli
gion gebieterisch nach einer objektiven Größe, die sich ihm nicht
in einer Person, sondern in einem Amte verkörpert.
Damit ist
man aber endgültig von der billigen Tagesweisheit kuriert, als ob die, die für diese Art Frömmigkeit und diese Auffassung des
Pfarrerberufs eintreten, dies nur aus hierarchischen Gelüsten tun.
Diese Art Frömmigkeit, die den Katholizismus völlig und
den Protestantismus in weiten Gebieten beherrscht, könnte heut zutage gar nicht mehr so stark sein, wenn sie nicht stark ver ankert wäre in der Menschennatur selbst und Bedürfnisse be
friedigte, die gerade auch der moderne Mensch hat. aber
den Menschen
empfiehlt
Was sie
und ihr den starken Rückhalt
bietet, ist ein Dreifaches: 1. Sie ist zeit- und kraftsparend.
Gewiß, sie macht
auch Ansprüche an die Kraft und Zeit ihrer Anhänger.
Sie
verlangt für ihren äußeren Dienst sogar recht viel Zeit und be
ansprucht manche Opfer.
Aber sie erspart dem Menschen, daß
er sich für sein Seelenleben eine eigene Welt aufbauen oder gar
erobern muß.
Sie ist da, und der Mensch kommt in ein stets
fertiges Haus.
Darum ist sie die Religionsform aller der Leute,
die heute nicht viel Zeit haben, derer, die nicht warten können, bis man mühsam in ihrem Inneren etwas aufbaut.
Der Mensch
von heute ist gewohnt, daß man ihm alles fertig hinstellt und
daß er an dem Prozeß des Werdens nicht teilznnehmen braucht. Besonders die ideale Welt, die sich ihm offenbart in Wissenschaft,
I. Der Pfarrer als Priester.
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Kunst, Religion, ist ihm nicht ein Gegenstand des Schaffens,
sondern des Genießens. Die Wissenschaft mag in der Verborgen heit arbeiten, soviel sie will und muß: Wert für die Allgemein
heit bekommt nur das, was als fertiges Resultat geboten werden
Auch in der Kunst sind die Zeiten vorbei, wo man sich
kann.
liebevoll in das Werden des Kunstwerkes vertiefte: die fertige Sinfonie, das fertige Drama, das fertige Gemälde will man
genießen.
Zu mehr hat man keine Zeit.
So will man auch
eine fertige Religion, keine, die noch mit den Problemen ringt,
sondern eine, die Feiertagsstimmung ausgießt über den abgehetzten Menschen des Alltags.
Es ist z. B. bezeichnend, daß der eng
lische Kaufmann, der seinen Kopf voll hat mit allen möglichen Dingen des Alltags, am Sonntag viel lieber die Church auf
sucht, wo ihn die Luft dieser priesterlichen Frömmigkeit umfängt als die Chapel, wo seine Seele viel stärker mitarbeiten muß.
2. Was diese Frömmigkeitsform weiter empfiehlt, ist die
Weitherzigkeit, ist die Freiheit, die sie dem Menschen läßt. Sie rückt ihm nicht so unangenehm nahe.
Gewiß, sie gibt die
fertigen Objekte, und an ihnen läßt sie nicht rütteln und nicht
mäkeln.
Aber was nun der einzelne für sich mit diesen Ob
jekten anfängt, das bleibt ihm selbst überlassen.
Er kann sich
mit ihnen abfinden, wie er will: er kann sie unbesehens annehmen, er kann sie sich zurechtlegen, er kann für sich alles mögliche
Hineingeheimnissen, er kann, wenn er's denn durchaus will, sie auch innerlich verarbeiten: Möglichkeiten die Fülle!
Diese Form
Frömmigkeit ist darum so universal, ja so tolerant.
Der Katho
lizismus hat diesen Zug bis zur höchsten Virtuosität ausgebildet.
Der Priester bringt das heilige Meßopfer dar, und vor ihm auf
der Bank knien das alte, stumpfsinnige Mütterchen und der feine, durchgebildete Aristokrat.
Wie verschieden sind die Gefühle,
Gedanken, Beweggründe, während sie sich vor diesem einen Objek
tiven beugen!
Aber das wird gerade von dieser Frömmigkeit als
ihr Vorteil empfunden: Sie hat Raum für alle, und jedes kommt
auf seine Rechnung.
In wundervoller Harmonie ist in dieser
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I. Der Pfarrer als Priester.
die Religion in Objekten darstellenden Frömmigkeit die Starrheit
des Objektiven mit der Beweglichkeit im Subjekt verbunden. 3. Über dieser priesterlichen Frömmigkeit liegt endlich ein aristokratischer Zug, und dieser aristokratische Zug kommt
einem tiefen Bedürfnis des Menschen entgegen, gerade auch des
modernen Menschen.
Es ist notwendig in einer Zeit, die sich
so sehr mit ihrem demokratischen Zug brüstet, dies hervorzu
heben, daß eine Hinneigung zu aristokratischer Stimmung dem Menschen als solchem von Natur eingepflanzt ist.
Es ist not
wendig, damit wir nicht durch bloßes Gerede von Selbständig
keit und Selbstbestimmung uns Sand in die Augen streuen lassen. Ich darf daran erinnern, wie gerade die, die auf ihre freiheitliche Gesinnung sich etwas zugute tun, sich blenden
lassen von dem Glanz von oben; ich darf erinnern, wie das Zeitalter moderner Selbständigkeit zugleich das Zeitalter der
selbstgemachten Päpste auf allen Gebieten, der Modekönige in Literatur, Kunst und Wissenschaft ist, darf weiter darauf Hin
weisen, wie selbst das Volk, von dem die Gedanken der Frei heit des Individuums ausgegangen sind, wie England in seinem gesellschaftlichen Lebensideal des gentleman und der lady ein
durchaus aristokratisches Prinzip hat.
Dieses Bedürfnis des
Menschen nach einem Etwas, zu dem er emporblicken kann, hat
das Weitere im Gefolge, daß er dieses Etwas, das er verehrt, auf die Dauer nicht nur bekleidet sehen will mit den Kennzeichen
innerer Würde und Hoheit, sondern daß er diese Würde auch nach außen sich projiziert und dem innerlich Wertvollen auch ein schimmerndes Gewand anzieht.
So ist es verständlich, daß
die Verehrer des einfachen Jesus, nachdem die Menschen in größerer Anzahl erst einmal seinen innern Wert kennen gelernt hatten, ihn auch äußerlich mit allen möglichen Attributen
schmückten, ihm den Goldreif des Heiligenscheins ums Haupt,
den blauschimmernden Himmelsmantel um die Schultern und
die Erde als Schemel zu seinen Füßen legten. Darum will man in der Religion nicht die sich uns gleichstellende Freundin und
I. Der Pfarrer als Priester.
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Helferin, sondern die Himmelskönigin sehen, vor der man an
betet und die von ihrem Goldglanz auch etwas auf den herab wirst, der vor ihr seine Kniee beugt.
Wenn dem aber so ist, wie wir es eben zu schildern ver suchten, wenn diese priesterliche Frömmigkeit auf der einen Seite
so erhaben und „göttlich" und auf der andern Seite so leicht zugänglich, weitherzig und natürlich ist, was haben wir für einen
Grund, sie nicht zu der unsrigen zu machen?
Zwei Dinge halten
uns davon ab, und zwar zwei Dinge, die uns heilig sind: Jesus
und die Seele.
1. Mag die Frömmigkeit, die das Heilige und den Heiligen in Symbolen, Bekenntnissen, Riten, Rechtsordnungen, Verfas sungen, Kirchen, Sakramenten, Hierarchieen, Priestern, Ämtern und wie die Dinge alle heißen mögen, verkörpert sehen, noch so er
haben und heilig sein: christlich ist sie nicht.
Oder vorsichtiger
gesagt: sie ist wieder von der Höhe herabgestiegen, auf die Jesus
die Religion gestellt hatte. Denn jene Höhenlage hatte sie bereits vor Jesus, und Jesu Werk unter den Menschen bestand nicht darin, daß er die alten Priester, Riten, Bekenntnisse, Kirchen
durch neue Priester, Riten usw. ersetzt hätte, sondern darin, daß er die Religion von diesen natürlichen Vehikeln losgelöst und ihr ein ganz neues Gefäß als Stätte ihres Weilens und Wirkens gegeben hat: das menschliche Seelenleben.
Der Kampf gegen die
Priester und die Schriftgelehrten, der ihn schließlich sein Leben gekostet hat, war ein Kampf gegen die Anschauung, die der priesterlichen Auffassung des Pfarramts zugrunde liegt, daß die Religion gefaßt werden kann in heilige Räume, heilige Worte, religiöse Gebote, kultische Handlungen. Gewiß hat Jesus die Reli gion und das Wort zusammengeschlossen.
Nur, daß das Wort
in Jesu Mund etwas ganz anderes und etwas viel Schlichte res bedeutet als in dem Mund der lutherischen Theologen des
17. Jahrhunderts und des am Altar funktionierenden priester lich gestimmten
Pfarrers.
Diese haben das Wort mit einem
geheimnisvollen Nimbus umkleidet, haben es zu einer selbständigen Beit, Semeindepfarrer.
2
I. Der Pfarrer als Priester.
18
und für sich wirkenden, zu einer objektiven Größe gemacht, es ist
„das Wort" in Anführungszeichen geworden.
ein „Wort" in Anführungszeichen nicht.
Jesus kennt solch
Er kennt nur das
schlichte, einfache Menschenwort als das beste Mittel, um eigenes
Seelenleben zur Darstellung bringen und auf anderes Seelen leben einwirken zu können.
Dieses Mittel war ihm deswegen
sympathisch, weil es von der ihm vorangegangenen Religion noch nicht mißbraucht und mit heiligem Nimbus umkleidet war; es war noch keusch und rein und naiv wie eine Kindesseele.
Er
hat nicht ahnen können, daß seine eigenen Nachfolger auch dies sein schlichtes Mittel eintauchen würden in den Weihwasserkessel
jener objekttvistischen Frömmigkeit Wort „das Wort" machen würden.
und
aus
seinem
schlichten
Sobald man versucht, das,
was Jesus uns gebracht hat, zu objektivieren, sobald man ver
gißt, daß Religion im christlichen Sinn nur da vorhanden ist,
wo deutlich eine Menschenseele schwingt, bringt man das Evan gelium um sein Bestes, ja mehr, da macht man wieder das
Evangelium zum Gesetz, drückt es auf eine niedere Stufe von Frömmigkeit herab.
Der Gipfel der Frömmigkeit, auf den Jesus
uns gestellt hat, ist licht und klar, die mittleren Regionen sind
umzogen von den Weihrauchnebeln, die der Priester aus seinen heiligen Gefäßen auffteigen läßt.
Wir aber wollen auf der Höhe
stehen und wollen unsere Gemeinden zur selben Höhe führen, drum können wir um Jesu willen nicht die Priester
unserer Gemeinden sein.
2. Nicht um Jesu willen und — das ist der zweite Punkt — nicht um der Seelen willen, denen zu dienen wir als Lebens pflicht übernommen haben. Man spricht gern von der Über natürlichkeit,
Glaubens.
von
dem
Offenbarungscharakter
des
Nun wohl: hic Rhodas, hic salta.
christlichen
Wenn man
die menschliche Seele allein läßt und ihr die Freiheit gibt, sich
eine Frömmigkeit zu brauen, die ihrem natürlichen Wesen ent spricht, dann kommt sie allemal zu der priesterlichen Art, gerade
um deren Bequemlichkeit und Natürlichkeit wegen.
Dem Kenner
I. Der Pfarrer als Priester.
19
der Geschichte menschlicher Frömmigkeit wird es nicht unbekannt sein, daß die dürren Zeiten der Religionen dies mit sich brachten,
daß die priesterliche Frömmigkeit sich auf dem dürr und hart gewordenen Ackerboden breit machte.
Welches waren die Zeiten,
als in der israelitischen Religionsgeschichte die priesterliche Fröm
migkeit aufblühte?
Als die prophetische Bewegung verrauscht
war, als der Stachel nicht mehr gespürt wurde, den sie in das Fleisch
des natürlichen
Menschen getrieben hatte,
da machte
die priesterliche, in heiligen Objekten sich verkörpernde Religion
es sich und andern bequem.
Als an das Evangelium Jesu sich
die schweren Bleigewichte orientalischer Kulte, griechischer Weis heit und römischen Rechtes hingen, da sank es von der ursprüng
lichen Höhe herab zu einer Religion der Priester für die Laien. Als man Luthers Gewänder sorgsam behütete, aber seines Geistes
keinen Hauch mehr spürte, da brachte es die „natürliche" Ent wicklung mit sich, daß das Luthertum den Charakter des Priester
tums annahm.
Die natürliche Entwicklung macht die Religion
immer zur Anbetung, zur Verehrung Gottes in Objekten.
Da
mit darf die christliche Frömmigkeit kraft ihres übernatürlichen
Charakters nicht zufrieden
sein; denn so ist der Dienst noch
nicht erfüllt, den Frömmigkeit nach Jesu Meinung der mensch
lichen Seele zu leisten hat.
Ich will gleich den entscheidenden
Punkt anführen: man kann bei jener Art fromm sein, ohne daß
das sittliche Leben eine Umgestaltung erfährt, ja ohne daß es auch nur irgendwie tiefer berührt wird.
Der Volkswitz — und
er ist sehr ost das Volksgewissen — hakt immer wieder an diesem
Punkte fest und macht sich lustig über eine Frömmigkeit, die über allem heiligen Getue die einfachen sittlichen Pflichten über sieht oder vernachlässigt.
Gewiß, die Gleichgültigkeit gegen das
Sittliche muß nicht immer mit der priesterlichen Frömmigkeit verbunden sein, aber — das hat uns schon Jesus gesagt — diese
unterbindet jene natürliche Tendenz nicht, ja sie fördert sie da
durch, daß sie das Heilige in die Objekte verlegt und nicht in die Menschenseelen und daß sie den Diener der Religion als
2*
I. Der Pfarrer als Priester.
20
Amtsträger und nicht nach dem Wert seiner religiös-sittlichen Persönlichkeit einschätzt. Sie kann die Kaiphas und Hannas, die
Innozenz und Alexander verehren, weil es ja bei dieser Verehrung
nur auf das Amt und nicht auf die Person ankommt.
Die
Frömmigkeit, die den Namen „christlich" führen will, muß mit elementarer Gewalt sich ins sittliche Leben umsetzen und alles
Verstecken eines unheiligen Lebens hinter heiligen Objekten un möglich machen. Diese Kraft hat die priesterliche Frömmigkeit nicht.
Auf Jesu Wage gewogen, ist sie trotz aller ihrer Schön
heit und Natürlichkeit zu leicht befunden, weil sie sittlich zu indifferent ist.
Wenn wir aber zu dieser Überzeugung gelangt sind, daß
wir der priesterlichen Frömmigkeit in der evangelischen Kirche
den Abschied geben müssen, dann tut sich zum Schluß die Frage auf, in welcher Art dies am besten zu geschehen hat.
Ich darf
dazu dreierlei bemerken: 1. Ich möchte warnen vor der Bilderstürmerei d. h. da
vor, äußerlich niederzureißen, wo es doch auf einen innerlichen Umbildungsprozeß ankvmmt. Wir sprachen vorhin von unseren gotischen und romanischen Kirchen und daß sie jener priester lichen Frömmigkeit angehören.
Meine Meinung ist nun nicht
die, daß wir unsere gotischen und romanischen Kirchen als un brauchbar verwerfen müssen. Wir wollen suchen, ob wir nicht
für die Neubauten unserer Kirchen allmählich zu einem Baustil gelangen können, der der Eigenart der evangelischen Gemeinde frömmigkeit mehr entspricht.
Aber auch da wollen wir wissen,
daß solche Dinge nicht gemacht werden, sondern wachsen müssen, und der ist heute einer der besten Mitarbeiter an diesem Bau
stil des evangelischen Kirchengebäudes, der die Eigenart evange lischer Frömmigkeit immer klarer herauszuarbeiten und von den ihr anhaftenden Ranken fremdartiger Religionsauffassung zu be
freien sucht.
Wenn dies erst einmal gelungen ist, kommt der
evangelische Kirchenbaustil von selbst, oder besser, er wird uns
I. Der Pfarrer als Priester.
dann
reife Frucht geschenkt.
als
Der Geist
baut
sich
den
Bis dahin aber sollen wir ruhig unsere, den Geist
Körper.
andersartigen
einer
21
Frömmigkeit
atmenden
Kirchen
benutzen,
wenn wir auch das Gefühl dabei haben, daß ein evangelischer
Gottesdienst in einer romanisch gedachten Kirche spältiges ist.
etwas Zwie
Wir müssen diese Stilwidrigkeit recht unterstreichen,
damit der Stil nicht doch wieder Herr wird über die Frömmig keit, die wir verkünden, und über unsere Berufsauffassung, die
Jeder,
wir im Kirchengebäude bei den Gottesdiensten ausleben.
der in einer solchen Kirche zu amtieren hat, wird wissen, wie der Raum sowohl auf Pfarrer als auf Gemeinde stark einwirkt
und daß man besonders in Zeiten geistiger Abspannung und innerlicher Dürre alle sittliche Kraft zusammennehmen muß, um
Einfluß nicht zu erliegen oder bedenkliche Konnivenzen
jenem
zu machen.
Wir
müssen uns wappnen,
daß
besonders
bei
unserem Amtieren am Altar — die Kanzel ist ihrer ganzen Art nach
viel weniger
gefährlich — nicht doch jener süße,
ein
schmeichelnde Hauch des Priester-sein-wollens über unser Auf
treten, unsere Redeform, unsere Bewegungen, unser ganzes Wesen kommt. — Das führt bereits zu einer zweiten Regel.
2. Wir Pfarrer müssen auf der Hut sein, daß die priester
liche Frömmigkeit nicht uns selbst einfängt.
Wir müßten nicht
Menschen von Fleisch und Blut sein, wenn der mit ihr ver
bundene Amtsbegriff nicht unserer Eigenliebe schmeichelte.
Wer
wäre nicht gern ein solcher Vermittler zwischen Gott und den
Menschen, wer fühlte sich nicht als Träger einer solchen Amts gewalt.
Man achte einmal auf sich selbst bei den sakramentalen
Handlungen, bei Taufen, Konfirmationen, Trauungen, wenn jene alten Formeln, die der priesterlichen Frömmigkeit entstammen,
von uns gesprochen werden, ob wir in schwachen Stunden uns
nicht doch im Glanz einer unevangelischen Amtsauffassung sonnen
und
es
uns
zumute
ist,
als
könnten
wir
Amtes" etwas wie magische Wirkungen erzielen.
„kraft
unseres
Und es sind
nicht nur die unter uns, die es ein wenig leicht nehmen, son-
I. Der Pfarrer als Priester.
22
dern gerade die ernsten Geister, die die Ohnmacht ihrer Persön lichkeit fühlen, flüchten sich dann gern in jenen andern Amts
Dieser Sauerteig kann nur durch starke sittliche
begriff hinein.
Anspannung der Kräfte überwunden werden, und besonders, wenn wir sakramentale Amtshandlungen vollziehen, wollen wir wissen, daß der Feind für unsere
evangelische
Amtsauffassung
beim Abendmahlstisch und beim Taufbecken lauert.
dicht
Wenn solche
Zeiten der Schwäche und der Dürre kommen, wollen wir sie
nicht zu überwinden suchen durch den Gedanken an das objektiv wirkende Wort, sondern uns an die Pauluserfahrung halten:
laß dir an meiner Gnade genügen, Schwachen mächtig.
meine Kraft ist in den
Gerade das zeigt diese Pauluserfahrung,
auch in solchen Zeiten soll und kann allein unser Seelenleben
wirken, und dem ist die Verheißung geworden, daß seine Wir kungen gerade dann erst die tiefgehendsten und wuchtigsten sind,
wo nach gemeinmenschlichem Maßstab nichts zu erwarten und nichts zu holen ist: wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.
3. Es gilt einen Kampf gegen die natürliche Frömmigkeit unseres Volkes.
Frömmigkeit, endigt.
Ich habe vorhin nachzuweisen gesucht, daß die
sich selbst überlassen, allemal beim Priestertum
Dem im praktischen Pfarramt Stehenden wird sich die
Bestätigung zu dutzenden und aberdutzenden Malen aufdrängen. Weil wir, indem wir die priesterliche Auffassung der Religion
und ihrer Diener ablehnen, damit etwas Natürliches bekämpfen, wird dieser Kampf stets von neuem zu führen sein.
auch hier, wie immer, zugleich mit Takt.
Selbstredend
Ich werde, wenn ich
zur Nottaufe eines Kindes gerufen werde und deutlich sehe, wie die Erwartung magischer Kräfte fürs Seelenheil und auch für
die leibliche Gesundung des Kindes den Pfarrer ins Haus ge rufen hat, keine aufllärende Auseinandersetzung über den unter
evangelischen Charakter dieser Meinung beginnen. Aber ich werde doppelt acht haben, daß ich durch meine ganze Amtshandlung jenen Glauben nicht bestärke, sondern zu der höheren Stufe
emporziehe.
Später mag sich auch Gelegenheit bieten, unmittel-
23
I. Der Pfarrer als Priester.
bar aufklärend und erziehend zu
kürzlich bei uns in Frankfurt
wirken.
Wir haben gerade
in einem Kreis von gebildeten
Männern und Frauen feststellen können, wie bei der Konfirma
tion und beim ersten Abendmahlsgang jene Vorstellungen ver breitet sind, daß durch die Handauflegung des Pfarrers und
durch den Genuß der Abendmahlselemente „etwas Besonderes in dem Menschen vorgehen" müsse.
Und wieviel Enttäuschung, ja
Abkehr vom kirchlichen und religiösen Leben ist bei den nüchternen und ehrlichen Seelen die Folge gewesen, als „nichts Besonderes", d. h. Priesterlich-Magisches, durch die „heilige Handlung" eintrat! Da fragt man sich: hat der vorangegangene Unterricht seine
Pflicht getan, oder hat er nicht vielmehr versäumt, den Sauer teig der natürlichen Religion auszufegen und ihn durch das
schlichte, aber kernige Brot christlicher Frömmigkeit zu ersetzen. Und wie geht jener Geist um bei der kirchlichen Trauung.
Ich
glaube, man tut unrecht, wenn man die Nachfrage nach „dem
Segen der Kirche" bei der Eheschließung nur auf konventionelle und dekorative Beweggründe zurückführt.
Aber das ist ebenso
sicher, wenn religiöse Motive mitschwingen, dann ist es auch hier die magisch-verschwommene Auffassung der Religion als einer
solchen von dem eigenen sittlichen Streben losgelösten Kraft wirkung.
Unsere Traureden mit ihrer Verschleierung des wirk
lichen Lebens und ihrem Schwelgen in Jdealzuständen tragen zur
Beseitigung
jener
Meinung
wenig
bei.
Noch einmal:
die priesterliche Frömmigkeit ist die Frömmigkeit des natürlichen Menschen, darum muß sie immer wieder be kämpft werden, und darum ist der Kampf so hart, und ist
es so schwer, den Leuten klarzumachen: wir evangelischen Pfarrer
sind nicht eure Priester; was ihr in der Beziehung von nns er wartet, können und wollen wir nicht leisten.
II.
Evangelisation und Gemeindepfarramt. Die priesterliche Frömmigkeit fand
einen ihrem inneren
Wesen entsprechenden Raum zu ihrer Betätigung in der gotischen oder romanischen Hallenkirche mit ihren Erinnerungen an eine
lange, ununterbrochene Geschichte, mit ihrer abgetönten Weihe und Würde, mit ihrer feinen ästhetischen Symbolik, die je mehr man sich liebend in sie vertieft, um so mehr ihren Reichtum an
Schönheit und Innigkeit offenbart.
Wenn wir dagegen einen
Evangelisten auf die Stätte seiner Wirffamkeit begleiten, führt er uns in einen ganz anderen Raum.
Wohin führt er uns?
Ja
es ist schließlich ganz einerlei, wo wir landen. Denn der Raum selbst hat gar nichts zu sagen und soll gar nichts reden. Der
Evangelist meidet sogar den stimmungsvollen Kirchenraum, ein mal, weil er ihn stört, und dann, weil er dort viele, die er sucht,
nicht finden würde. Er wählt lieber einen profanen Ort, irgend
einen Saal, der sonst zu recht weltlichen Vergnügungen und Be schäftigungen herhalten muß. Er legt auch keinen Wert darauf, diesem Raume die Spuren seines weltlichen Charakters zu nehmen. Vielleicht allerdings hat er die kahlen Wände vorher doch auch ausgeschmückt und anstößige Abbildungen überdeckt.
ein „Schmuck" ist das!
Aber welch
Von den Wänden grüßen uns auf
fallende Plakate mit grellen Farben, deren Inschriften, grell wie die Farben selbst, dem Leser ein erschütterndes, vernichtendes,
einbohrendes oder auch begeisterndes Wort voll glühender Re
ligiosität entgegenschreien.
Man hat sofort das instinktive Ge
fühl, hier wären Altar, Chorraum, Kanzel, Chorrock deplaziert, hierher paßt wirklich nur das, was auch vorhanden ist: der
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
25
schwarze Rock des Redners, die der politischen Versammlung
entliehene Plattform und Rednerbühne und — die Bußbank. Auch
wo
eigenes
diese Frömmigkeit
Haus
ersetzt
Gemeinden Englands,
hat,
den gemieteten Saal durch ein
wie
in
vielen
finden wir einen
nonkonformistischen
oft mit der ganzen
modernen Technik ausgestatteten Versammlungsraum, bei dem aber aller kirchliche Charakter
ängstlich vermieden ist.
Diese
Frömmigkeitsform hat keinen Stil und will keinen Stil haben. Dem
allem
kirchlichen Wesen abholden Raum entspricht
auch das, was wir in ihm zu hören bekommen.
Die breit an
gelegte, feierliche Liturgie ist verschwunden. Die getragenen Weisen
altlutherischer Choräle haben modernen Liedern Platz gemacht, die in Ton, Melodie, Inhalt und künstlerischem Wert trefflich zu den grellen Plakaten passen, die unseren Blick auf sich ziehen
wollen. Die feingegliederte Predigt, der man ebensosehr die Luft
des Studierzimmers wie die lange Geschichte der Rhetorik an merkte und die, in Form und Gedankenbildung beschwert von
der Last einer langen Geschichte, pathetisch oder einschläfernd von oben herab strömte oder tröpfelte, ist einer packenden An
sprache gewichen, die oft unbeholfen, wie ein Naturkind, aber auch
mit
elementarer Gewalt
ohne Kunst
und
ohne
große
Vorbereitung immer die gleichen, an Zahl geringen, an Bedeu tung einschneidenden Gedanken bringt.
Die etwas langweilige
Stimmung des Predigtgottesdienstes hat einer nervösen Span nung Platz gemacht, die sich manchmal in einem hellen Lachen
der Zuhörerschaft — wie fern liegt hier das Wort Gemeinde —
auslöst, um mit doppelter Gewalt von neuem erzeugt zu werden. In diesem Raume wird das heilige Abendmahl nicht als eine
geheimnisvolle liturgische Handlung gefeiert und kein in feine Spitzenkleider gehüllter kleiner Täufling aus goldenem Becken
zart mit ein paar Tropfen Wassers besprengt.
Wenn man hier
Taufe und Abendmahl feiert, hat man das Gefühl, daß nur
noch die gleichen Namen geblieben sind, aber die Sache selbst völlig verändert ist. Wo dort Feierlichkeit war, ist hier realistische
26
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
Nüchternheit, wo dort die Vergangenheit leise sprach, schreit hier
die Gegenwart, wo dort das Gemüt angeregt und erbaut wurde, wird hier der Wille durchrüttelt und durchschüttelt. Und der Mann, der dort vorne am Rednerpulte steht? Er ist kein „Theologe", er ist ein Mann aus der Praxis, vielleicht
hervorgegangen aus der Schar derer, die ihm nun zu Füßen sitzen. Die Stunden, wo das in seiner Seele entstand, was er jetzt auf die Zuhörer ausströmen läßt, führen nicht in die Hallen
einer Universitätsstadt und zu den Füßen eines gründlich-ge
lehrten Professors, sondern er denkt daran, wie er selbst an der Bußbank kniete und wie ihn das Evangelium plötzlich umleuchtete, wie ein Licht auf dem Wege nach Damaskus.
Vielleicht aller
dings hat auch er Theologie studiert, aber entweder ist sie ihm
nur eine Nebenbeschäftigung neben seinem Beruf, sowie der eine dies der andere das treibt oder — und das ist der häufigere
Fall — er hat sie still zur Seite gelegt, auch vielleicht entrüstet Sie hilft ihm nicht, sie hindert ihn nur. Denn sie will ihn ja wieder hineinziehen in die lange geschichtliche
weggeworfen.
Entwicklung, und er hat nur in der Gegenwart zu stehen. Sie wirft ihm lauter Schwierigkeiten und Probleme in den Weg, und
er muß fertig sein, wenn er auf seiner Plattform steht. Sie hat den Zug in sich, alles relativ zu machen und abzuschattieren, er aber kann nur die zwei Farben, schwarz und weiß, und nur das
Entweder-Oder, gerettet oder verloren brauchen. Er ist eben nicht Theologe, er ist der Missionar derer, die heute Abend sein Gott
ihm zu Füßen geführt hat, heute und viele von ihnen vielleicht nie mehr wieder.
Das bestimmt sein Wesen und sein Wirken.
Die Farben, mit denen ich diese Skizze evangelistischer Fröm migkeit gemalt habe, scheinen an der Wirklichkeit gemessen, vielleicht zu grell und der Unterschied von der priesterlichen Frömmigkeit scheint übertrieben.
schwächter Form.
Wir kennen sie allerdings nur in mehr abge
Aber in ihrem innersten Wesen glaube ich sie
richtig gezeichnet zu haben, und man braucht bloß einmal in das
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
27
Geburtsland dieser Art Frömmigkeit zu gehen, das uns immer von Zeit zu Zeit eine derartige Welle herüberspült in unser deutsches Geistesleben, nach England, um zu erkennen, daß die inneren
Beweggründe, daß die ganze religiöse und psychologische Orien tierung dieser Frömmigkeit himmelweit von dem verschieden ist,
was man in Deutschland landläufig unter „fromm" versteht. Gewiß, diese Frömmigkeit kann auch viel mildere Formen an
nehmen, kann die grellen Farben dämpfen, kann die schreienden Lieder in Form und Inhalt einem feiner besaiteten Ohr und
Empfinden genehm machen, kann den brausenden Most Wesleys mit dem milden Wein Spencers durchsetzen, kann die rauhe Diele
der Halle mit dem feinen Parkett des Salons vertauschen, kann sich mit der Bildung vermählen, kann bei der modernen Theologie
Anleihen machen, sie kann den Chorrock anziehen und auf der Kanzel
einer gotischen Kirche stehen.
Das sind mannigfache
Variationen; aber man wird immer merken, der Geist, von dem die Bewegung lebt, ist, wenn auch in starker Verdünnung, der
Wesleys
und
seiner
geistigen
Nachfolger,
aber
wohlgemerkt,
immer wieder neugeboren und immer wieder auftretend mit allen Kennzeichen der Jugend.
Haben wir in der priesterlichen Auf
fassung des evangelischen Pfarramts
eine schon lange Jahr
hunderte bestehende Anschauung, so steht in der evangelisatorischen ein junger Bursch vor uns.
Der hervorstechende Zug
der Jugend gegenüber dem Altüberkommenen ist aber zu allen Zeiten die starke Kritik gewesen.
Mit dieser Kritik an der überkommenen Eigenart des Ge meindepfarrers setzt die evangelistische Anschauung mit Macht ein.
Evangelische Frömmigkeit und herkömmlicher evangelischer Pfar rersberuf klaffen für ihr Empfinden weit auseinander. Der Grund
dafür ist der, daß ihr in der landläufigen pastoralen Praxis die
katholische Anschauung noch nachzuwirken scheint. Sie sagt: Was war die christliche Frömmigkeit, ehe sie unter die Hände der
Kirche kam.
Da war sie ein lohender Brand, gekommen im
Sturm und Feuer des Pfingstfestes.
Sie hat gewaltsam Besitz
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
28
genommen von dem ganzen Menschen, überfallen hat sie einen
Paulus auf dem Wege nach Damaskus, wie ein Stachel hat sie sich festgebohrt in seiner Seele.
Sie hat die Menschen in
die heilige Unruhe versetzt, hat sie vor das Entweder — Oder
gestellt, hat sie getrieben von Haus und Hof hinein in die Auf
gabe der Seelenrettung.
Die wahre christliche Frömmigkeit be
steht in ein paar kurzen, faßbaren Wahrheiten; was heißt da Wahrheiten: in ein paar markigen Schlägen, unter denen der
alte Mensch zusammenbricht, in einer machtvollen Handreichung von oben.
Und siehe, dann wird alles neu. — Und was hat
die Kirche daraus gemacht? Das Feuerwasser, das so stark war, daß der natürliche Mensch, wenn er davon trank, daran zu
grunde ging, hat sie so verdünnt, daß es nun ein angenehmes,
kaum mehr anregendes, sondern nur einschläferndes Mittel ge worden ist.
Die Spitze, die dem Menschen bis in Herz und Ge
wissen dringen sollte, haben die Theologen solange mit ihrer Ge lehrsamkeit bearbeitet, bis ein breites, dünnes Eisenblech daraus geworden ist, das dann kraftlos genug war, sich in ihren Händen
willenlos
zu ihren Systemen
biegen zu lassen.
Es ist ein
Jammer, wenn man die Schrift verarbeitet sieht in den langen Reihen kirchlicher Kommentare und Dogmatiken. Das Lebens
brot, das soviel Kraft hatte, daß ein Biß genügt für Zeit und Ewigkeit, das habt ihr in den Mühlen eurer Abhandlungen und
Predigten zermahlen und mit mehr als drei Scheffeln Mehl der Ästhetik, der Geistreichigkeit und der Langeweile vermengt, bis daß es ganz verschimmelt war usw.
Diese Anllagen sind
in Form und Ton verschieden, sie klingen in der rauhen Sprache der Sektenprediger und in den feingeschliffenen Ausführungen eines Johannes Müller und Heinrich Lhotzky mit ihrem Spott über die „ismen" und die „tümer", die man aus dem Reich
Gottes gemacht habe.
Die Kritik der evangelistischen Frömmigkeit springt dann über
auf die Menschenbeurteilung, die dem kirchlichen Betrieb der Religion zugrunde liegt.
Der Evangelist empfindet es als eine
n. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
29
Lüge, wenn er hört, wie der Pfarrer die Scharen, die dort unter seiner Kanzel sitzen, als eine Christengemeinde behandelt. Er fühlt sich demgegenüber als den wahrhaftigen Realisten, der
einem weichen, feigen Selbstbetrug die Binde von den Augen
zu reißen hat.
Denn nach seiner ganzen Auffassung von dem,
was Christ-sein bedeutet, kann er der Menge der Zuhörer diesen Ehrennamen nicht geben.
Denn Christsein ist kein unbewußter
Seelenzustand, sondern ein bewußter Entschluß. Der Hauptfeind,
wogegen er darum anzukämpfen hat, ist diese Selbstzufriedenheit
des Kirchenbesuchers, der sich dünkt, als habe er etwas, und hat Wenn der Evangelist über seine Scharen sieht, so schaut
nichts.
er die zwei Lager, die er mit den technischen Schlagworten „be
kehrt und unbekehrt" bezeichnet.
Seine Aufgabe ist es, in dieser
köstlichen Stunde, die er hat, aus dem feindlichen Lager wenigstens
eine Anzahl zu gewinnen, um sie in das andere überzuführen.
Dieser Aufgabe ist seine ganze Redeweise und sein Redeinhalt angepaßt.
Hier klingen die Worte vom Kampf und Sieg in
ihren vollen Tönen, hier wird um Seelen gerungen, hier wer
den Triumphe gefeiert, wie sie die gotische Hallenkirche, in der das Heilige den Menschen gezeigt wird, nicht kennt.
Zwei Dinge geben das Zutrauen zu dieser Art als der richtigen.
Zunächst das zuletzt erwähnte: hier sind sichtbare
Früchte der Verkündigung zu greifen.
Und wer von uns wüßte
nicht, was das bedeutet und welche Sehnsucht dadurch gestillt
wird!
Mit welchem Gefühl kann der Erweckungsprediger am
Abend seinem Gott danken, wenn er weiß, daß er so und so viel Seelen aus der Macht des Feindes befreit hat, und wie spornt
dies, auch wenn der Körper noch so mitgenommen und aufge rieben ist, den Mut zu immer neuer Arbeit.
Wenn dann im
Geist die einzelnen Menschen vor den Prediger treten, die er
durch sein Wort
aus
einem Leben
im Sumpf und in der
Schande, in Trunksucht und Leichtsinn herausgerissen hat, und wenn deren Mund sich dann auftut, um Zeugnis davon abzu
legen, welch ein Heil für Zeit und Ewigkeit ihnen geworden ist,
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
30
sind das nicht Stunden, die weit hinter sich lassen, was der Priester und der Seelsorger erfahren und erleben kann!
Und dann: der Erweckungsprediger hat das Gefühl, daß in seiner
Wirksamkeit
der
Geist
des
Neuen Testaments
wieder
lebendig geworden ist, von dem jene andere Verkündigung nur
redet.
Ist das, was er tut und was er erlebt, nicht das Ab
bild und die Fortsetzung von dem, was ein Paulus tat und er Wird nicht die Apostelgeschichte erst bei ihm verständlich
lebte.
und steigt mit Jugendkraft aus dem dürftigen Schutt, den die historische Forschung und das nur geschichtliche Interesse darüber
hingebreitet hat.
Bei ihm werden die Worte, die in der andern
Verkündigung nach seiner Meinung nur Begriffe sein können,
wieder zu Realitäten: Bekehrung, Wiedergeburt, Geistesausgießung.
Sollen wir uns solcher Wirffamkeit nicht in die Arme wer Zuckt es nicht in den Händen gerade des begeisterten Pfar
fen?
rers, alles das von sich zu werfen, was noch kirchlichen Charak ter trägt?
Treibt es ihn nicht hinaus aus seinem Kirchenraum
dorthin, wo das Leben flutet, oder treibt es ihn nicht wenigstens, die alten Formen des Gottesdienstes mit diesem neuen Geist zu
erfüllen und die Kanzel, von der es seither so still und ach wie oft so dürftig auf die „andächtige Gemeinde" herabrieselte, zum Quellplatz eines mächtigen Stromes zu machen,
der hinreißt
zur Verdammnis oder zum Heil, der aber jedenfalls keine Gleich gültigkeit mehr zuläßt.
Wer
die
Stimmung
unter
den
heutigen
evangelischen
Pfarrern kennt, weiß, wie stark diese Gedankengänge und Ge fühlsmomente auf viele einwirken.
Und gerade die Beweglichen,
die, denen die Not des Volkes und der Zeit am meisten auf die Seele brennt, sehen mit Bewunderung und stillem Neid auf
diese evangelisatorische Methode und auf ihre Erfolge. ist
es
Zunächst
dabei weniger eine unbedingte Zusttmmung zu dieser
ganzen Art von Frömmigkeit, die sie bewegt, als vielmehr die Übereinstimmung in der Kritik gegen die seitherige Methode,
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
31
gegen die seitherige Psychologie, die seitherige Auffassung von dem, was Religion ist und wirken will.
Mit einem Wort, es
ist das Gefühl: wir haben mit der seitherigen Art, Religion
zu verbreiten, abgewirtschaftet.
Der Haß gegen die Kirche, der
Abfall der Massen von der Religion ist dafür das beste Zeichen. Aber eine solche auf die Seele brennende Kritik gibt uns
noch nicht das Recht, uns blindlings einer anderen Form von Frömmigkeit in die Arme zu werfen, die deshalb so lockt, weil sie gerade da, wo die alte Form versagte, Erfolge aufzuweisen
hat.
Hat sie nicht vielleicht auch Schwächen an anderen Stellen,
auf die unser Auge aber nicht fällt, weil wir es für gewöhnlich
nur auf jene Punkte eingestellt haben, wo die kirchliche Position
schwach ist?
Und ist es nicht höchst gefährlich, in Sachen der
Religion den Erfolg zu einem so ausschlaggebenden und faszi nierenden Faktor zu machen?
Der Trieb, Seelen zu retten, ist
bei uns doch gebunden und eingeschränkt durch die ernstliche Er
wägung, ob die verwendeten Mittel und das erreichte Ziel auch, die Billigung Jesu erhalten würden.
Wir müssen uns fragen,
ob diese evangelisatorische Ausprägung der christlichen Frömmig keit wirklich das ganze Evangelium zu seinem Rechte kommen läßt und ebenso ob sie das Menschenherz in seinen tiefsten Bedürf
nissen erfaßt und zu seinen höchsten Aufgaben, die Gott ihm
gestellt hat, hinführt. Denkt man dem aber weiter nach, so kommt man Schritt für Schritt zu dem immer sich wiederholenden Resultat, daß
diese ganze Art eine Reihe von mehr offenbaren und darum in die Augen fallenden Wahrheitsmomenten enthält, daß sie aber ebenso eine Reihe nicht weniger wichtiger, aber mehr verborgener
Wahrheiten sowohl des Evangeliums, wie des Menschenwesens verkennt, daß sie also eine wohl starke, aber einseitige Wider
spiegelung christlicher Frömmigkeit ist.
Ich darf das an ein paar
Punkten deutlich machen.
1. Die evangelistische Frömmigkeit fühlt sich aufs engste
verwandt mit der neutestamentlichen, und sie kann sicher eine
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
32
ganze Reihe von Beweisen dafür anführen, wie wir es schon vorhin in ihrem Namen taten.
Aber sie umfaßt nicht das ganze
Sie wird vor allem dem Wirken Jesu nicht
neue Testament.
Jesu Frömmigkeit und Jesu Wirksamkeit ist nicht die
gerecht.
eines Evangelisten gewesen, der nur mit den beiden Kategorien schwarz und weiß, bekehrt und unbekehrt hantierte, der zu reli
giöser Entscheidung antrieb, der ein paar wuchtige Gedanken reihen
immer
aufs
neue wiederholte.
Gerade
die gediegene
Forschung der neueren Zeit über Jesus hat uns hier Klarheit
Diese neuere Forschung war jener evangelistischen
verschafft.
Auffassung Jesu von Haus aus sehr geneigt: die Apokalyptik hatte uns gerade ihr Wesen zum erstenmal geoffenbart.
Es war
uns allen ein Labsal, Jesum aus der zarten und etwas lang
weiligen Frömmigkeitssphäre herauszunehmen, in die bis dahin die landläufige Theologie ihn gestellt hatte.
Wir freuten uns,
an Stelle der wohlabgetönten Farbenharmonien seines Seelen lebens, die wie ein fein ausgeglichenes Raphaelisches Bild wirkten,
die starken Kontraste der Prophetie und der Apokalyptik setzen
zu können und ihn selbst auf dem schmalen Pfad wandeln zu sehen, neben dem der Abgrund des nahen Gerichts und vor dem das farbenglühende Bild eines neuen Äons sich auftut. Es ist
bekannt, wie unter dem Eindruck dieses apokalyptischen Jesus, der für manchen zugleich an Stelle des versunkenen Naumann-
schen Sozialreformers der 80er Jahre trat, viele jüngere Pfar rer und Gelehrte, die der modernen Theologie angehören, sich
innerlich
zu
der
evangelisatorischen
Frömmigkeit
hingezogen
fühlten und ein weitgehendes inneres Verständnis bis in ihre
extremsten empfanden.
Ausbildungen
wie
Heilsarmee
und
Zungenreden
Aber die ruhige und gewissenhafte Durchforschung
der Jesusart hat uns mehr und mehr gezeigt, daß wir in jenem apokalyptischen Jesus nur ein Stück seines Wesens haben.
Ja
mehr noch, daß das nur der Mantel der Zeit ist, den er trug,
den er tragen mußte, daß aber unter diesem apokalyptisch-prophetischen Mantel ein ganz anderes Herz schlägt.
Wir sahen,
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
33
Wie jener apokalyptische Gedanke des Reiches Gottes, den Jo
hannes der Täufer zu neuem Leben erweckt hatte, unter Jesu Händen mehr und mehr umgeschmolzen wurde zu einer stillen Seelengemeinschast und wie aus dem Buß- und Gerichtsprediger
mehr und mehr der freundliche Seelsorger wurde, der die gewal tigen Bilder und faszinierenden Mittel, mit denen die evangelisatorische Frömmigkeit zu allen Zeiten arbeitet, zur Seite schob und geduldig, vertrauend und wartend die Seelen pflegte, die
seinen Weg kreuzten.
Wenn man Jesus in ein Schema ein
spannen will, so paßt er jedenfalls zehnmal besser in das des ruhig wirkenden Volkserziehers als in das des aufregenden Buß predigers.
Gerade die innersten und wertvollsten Saiten der
Jesusseele klingen nicht wider in den Straßenpredigten und in den Erwcckungsversammlungen.
2. Gern mag zugegeben werden, daß in den altchristlichen Gemeinden des ersten und zweiten Jahrhunderts die Stimmung
sich geändert hat, daß eine Beurteilung des Menschen und der Welt sich schon in den neutestamentlichen Briefen Geltung ver
schafft, die im Vergleich mit Jesus der evangelistischen Fröm migkeit näher kommt.
Wir werden die altchristlichen Gemein
den deswegen nicht eines Abfalls von der Jesusart zeihen. Aber wir müssen uns fragen,
ob diese Art auch ohne weiteres für
unsere Zeit die richtige ist.
Das wäre nur der Fall, wenn
die Zeiten und Menschen sich damals und heute gleich wären.
Das junge Evangelium trat damals hinein in eine heidnische Welt, sah sich einer seinem
eigenen Wesen
feindlichen Reli
giosität gegenüber, die neu gestärkt war durch den Mysterien
glauben des Ostens. und den staatlich Roms.
dekretierten
Kaiserkult
Daß es unter diesen Umständen sich selbst als einen
starken Gegensatz gegen das Seitherige empfand, daß die Stim
mung
von Kampf, Rettung aus der argen Welt, Loslösung
von dem seitherigen
ist begreiflich.
Lebensinhalt und
Lebensideal
Fraglich aber ist es nur,
überwog,
ob wir dies ohne
weiteres auf unsere heutige Zeit übertragen können, ob wir nicht Beit, Gemeindepfarrer.
3
34
II. Evangelisation und Gemetndepfarramt.
wenn wir's tun, damit ungerecht werden.
Ich weiß wohl, daß
man uns entgegnet, die moderne Welt sei dasselbe Babel wie die der römischen Kaiserzeit, und das Menschenherz sei zu allen
Zeiten das gleiche gottwidrige Ding, das erst zerbrochen werden Aber ich kann
müsse, damit Gott am Menschen wirken könne.
beidem nur mit gewissen Einschränkungen recht geben,
und ich
bitte folgende Gesichtspunkte zu bedenken, die uns in der ganzen Beurteilung der evangelistischen Frömmigkeit vielleicht auf einen sicheren und gerechten Weg führen können.
Jene ersten Zeiten des Christentums hatten einen Kampf gegen eine starke, feindliche Religion zu führen, die aus dem
Menschenherzen herausgerissen werden mußte.
Denn die eine
zeitlang übliche Meinung, daß das junge Christentum sich einem
Nihilismus auf religiösem Gebiet gegenüber gesehen hätte, hat
den Resultaten einer eingehenderen Forschung weichen müssen. Die
Mächte,
die
als stark religiöse dem Evangelium gegen
überstanden, konnten von den Christen sehr wohl als dämonische
Wir spüren heute bei uns — in Gegenden,
empfunden werden.
wo das Evangelium gegen starke andere Religionen zu kämpfen hat,
und in der
ganzen Missionstätigkeit
liegt
es
natürlich
anders — nichts mehr von solchem starken religiösen Gegen satz gegen das Evangelium.
Denn was man unserem Volk in
den letzten Jahrzehnten als religiösen Ersatz für das Christen tum und die Jesusart geboten hat, war entweder so oberfläch lich, daß es rasch wie ein Pilz aufschoß und wieder zusammen
brach oder so dürftig, daß es aus Mangel an eigener Kraft nur von der Kritik des vorhandenen Christentums lebte, oder endlich,
es hat das, was es für die Menschen einigermaßen wertvoll
machte, dem Evangelium entliehen.
Von den Versuchen, fremde
Religionen, wie den Buddhismus, unter uns anzupflanzen, kann
man ganz schweigen.
Wir haben also heute nicht, wie das alte
Christentum, mit einer starken Gegenreligion zu kämpfen, und darum können wir die damals geübte Methode nicht einfach auf
unsere Zeit übertragen. — Unsere Feinde stehen wo anders. Wir
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
35
haben zunächst zu kämpfen gegen das Vorurteil gegen das Evan
gelium, daß es eine rückständige und den Menschen knechtende
Sache ist.
Dieser mehr oder weniger intellektuelle Feind trägt
spezisisch deutschen Charakter.
Jedenfalls ist er am geringsten
vertreten in dem Land (England), das uns die evangelisatorische Frömmigkeit geschenkt hat.
Abgesehen von einigen Versuchen
der neuesten Zeit, über deren Umfang oder Rückwirkung auf die
evangelisatorische
Methode man
heute noch
nichts sagen
kann, ist die evangelisatorische Frömmigkeit an diesem Feind völlig unberücksichtigend vorübergegangen.
Sie kann es nicht
verstehen, daß Religion sich auswirken kann in Weltanschauungs fragen und daß diese Zweifel weder dem bösen Willen noch dem
Unglauben
entspringen.
Dieser
ganzen
weiten
Gruppe
von
Menschen, die gern glauben möchten, wenn sie nur glauben könnten, ist mit der evangelistischen Frömmigkeitsform nicht ge
holfen, ja mehr noch, sie stößt sie gerade durch ihre Grellheit
und den Mangel an Differenzierung in der psychologischen Be
urteilung der Menschennatur ab.
Wie solche Naturen positiv
zu behandeln sind, werden wir später zu erwägen haben.
Hier
kommt es zunächst darauf an, daß diese Menschen aus ihrem
Vorurteil gegen die Religion, das ost mit ihren besten Schätzen
und Erlebnissen eng verknüpft ist, nicht durch jene mit den ab
soluten Maßstäben arbeitende Methode erlöst werden können. Da hilft keine Erschütterung und Durchrüttelung, sondern nur
ein feines Verstehen und sanftes Führen. — Wir haben weiter heute zu kämpfen mit der Gleichgültigkeit gegen alle Regungen der Frömmigkeit.
Hier scheint diese begeisterte, glühende, ein
seitige Frömmigkeit am Platze zu sein.
trast muß doch wirken.
jene andere Welt des Glaubens
wunderbares Ding erscheint, Weg findet.
Denn gerade der Kon
Er wirkt auch, aber oft nur so, daß zu
als
ein
dem
man
wunderliches oder jedoch
nicht den
Und wenn in Stunden der Ekstase, die über den
seitherigen Gleichgültigen kommen, er in Sturmeseile mit über den Graben hinweggetragen wird, wie ost findet er sich und 3*
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
36
finden ihn die, die ihn schon gewonnen glaubten, nach einiger
Zeit auf der alten Stelle!
Die Enttäuschungen, die diese evan
gelistische Frömmigkeit auch hat und unter der die Ernstesten unter ihnen bitter leiden, liegen gerade auf diesem Arbeitsgebiet. — Endlich noch ein britter großer Feind: der praktische Un
glaube, der Leichtsinn, die Genußsucht, das Laster.
Da gebe ich
ohne weiteres zu, daß der Erweckungspredigt hier ihre starken Kontraste, ihre glühende Stimmung, ihr Pochen auf das Ent
weder-oder sehr zustatten kommen und daß sie hier Verdienste
und wahre Erfolge hat, die niemand ihr wird abstreiten können. Aber nur möge man sie nicht als die einzig wirksame Form
gegen diesen Feind anführen.
Da ihre Stimme laut und ihre
Mittel stark sind, fällt sie mit ihren Erfolgen vor der anderen
Art ins Auge.
Aber auch die stille Art der langsamen Beein
flussung, Entwöhnung und Gewöhnung hat hier Früchte.
Sie
kann sie nicht so leicht zahlenmäßig zu Papier bringen, weil ihre
„Bekehrungen" sich nicht im Lauf eines Abends vollziehen. Aber ich glaube, sie braucht sich einmal nicht zu schämen, wenn das ans
Tageslicht kommt, was sie in dieser Rettungsarbeit geleistet hat.
3. Ich habe eben darauf hingewiesen, daß diese evangelisatorische Frömmigkeit sich in der Form von stets neuen Wellen
über das geistige Leben der Völker gießt.
Bei diesem Spiel der
Wellen im geistigen Leben geht's wie beim Spiel der Wellen
am Ufer.
Unser neugieriger Blick begleitet die Welle nur in
ihrem Kommen, bis zu ihrem höchsten Stand; was weiter aus ihr wird, interessiert uns nicht mehr, denn schon fesselt eine neue
Welle unsere Aufmerksamkeit.
Wir haben aber wohl Pflicht zu
fragen: was wird denn später aus diesen Wellen, die so kühn sich heranwälzen?
Die Antwort lautet: sie verkirchlichen.
Sie
bekommen auch ihre Geschichte, ihre Tradition, ihre Gemeinde, ihren Alltag stiller Berufsarbeit.
und im großen sehen.
Man kann das im kleinen
Man studiere z. B. die Geschichte des
Methodismus, diesen Kampf des alten Geistes gegen die Ver-
kirchlichung, dieses Streben, Missionsgemeinde zu bleiben und
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
37
ja nicht der bestehenden Kirche mit ihrer behaglichen Einrich tung auf Erden ähnlich zu werden.
Wie kämpfte man dagegen,
und wie konnte man doch diese Entwicklung nicht aufhalten. Der Geist Wesleys lebt heute nicht mehr so sehr in den metho
distischen „Kirchen" als in der Heils„armee". Das war wieder eine neue Welle des alten Geistes.
das gleiche Schauspiel?
Und erleben wir hier nicht bereits
Wieviel hat sich schon in der Heils
armee geändert seit dem Tode von Katharine Booth und wieviel mehr wird sich ändern, wenn der alte General nicht mehr da ist! Und wie im großen, so im kleinen.
Die Bestrebungen, die in
unseren deutschen Städten unter dem Einfluß der englischen und amerikanischen Erweckungspredigt begonnen wurden und Erfolg
hatten, sehen sich heute schon vor die Alternative gestellt, entweder die Entwicklung, die sie von selbst genommen haben, wieder ab
zubrechen und sozusagen von vorne anzufangen oder im logischen Verlauf
dieser
werden,
die
Entwicklung
selbst
wieder
zu
Gemeinden
zu
sich in der ganzen Art und dem Tenor ihres
Lebens und ihrer Verkündigung wohl noch im gewissen Grad, aber
nicht
mehr
unterscheiden.
in
ihrer
prinzipiellen Art von der Kirche
Wir haben bei uns in Frankfurt in der letzten
Zeit gerade ein sehr interessantes Beispiel dieser Art gehabt. Welche ist,
von
diesen
beiden
Möglichkeiten
wünschenswert nicht nur vom
die
Standpunkt
wünschenswerte der
„Kirche",
sondern vom Standpunkte des Evangeliums und der in jenen Gemeinschaften gesammelten Seelen, ist klar: die zweite.
Sehr
bezeichnend war mir da einmal ein kleiner Einblick in die tiefsten
Bedürfnisse einer solchen gewonnenen Seele und in ihre Nicht befriedigung durch die evangelistische Frömmigkeit.
in England,
Ein Deutscher
der durch die Heilsarmee für das Evangelium
gewonnen worden war und dann in Dankbarkeit lange Zeit dort in der Rettungsarbeit mitgewirkt hatte, kam zum Pfarrer einer dorttgen deutschen Gemeinde mit der Bitte, sich wieder
hier anschließen zu dürfen, unter der kennzeichnenden Motivierung: ich möchte innerlich weiterkommen und das kann ich dort nicht.
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
38
Das Wort klingt zunächst merkwürdig, aber dann wird es einem
verständlich.
Die evangelistische Art muß mit Notwendigkeit bei
den Anfängen stehen bleiben, sie muß, da sie immer den Un bekehrten im Auge hat, Lebens treiben.
fort
und fort das ABC religiösen
Sie gibt dabei denen, die gewonnen sind, den
gewiß schönen Inhalt für ihr eigenes religiöses Leben: rettet, nachdem ihr gerettet seid.
will weiter".
Aber der Christ braucht mehr, „er
Dieses Weiterkommen gleicht seinem Wesen nach
aber nicht dem ersten kühnen Ansturm der Bekehrung, sondern
ist ein langsames Suchen, Tasten, Erziehen, Stillehalten, ein innerliches Durcharbeiten des eigenen Seelenlebens und der Lebens
gebiete, in denen der einzelne drinnen steht.
Der Leser fühlt,
hier sind wir auf einmal in einer ganz anderen Luft, als die ist, die uns in der Halle des Erweckungspredigers umfing.
Hier
hat das Evangelium die Streitwehr zur Seite gelegt, hier wird es stille Lehrerin, freundliche Beraterin, ermunternde Freundin,
kurzum hier ist aus dem Evangelisten der Seelsorger geworden. Ich möchte diese Darstellung der evangelistischen Frömmig
keit schließen, indem ich die praktischen Folgerungen aus dem
Gesagten für das Verhältnis von evangelisatorischer Tätigkeit
und der Arbeit des Gemeindepfarrers ziehe. 1. Das Amt des Gemcindepfarrers ist durch das Auf
kommen der von außen (England) importierten Evangelisation
keineswegs überflüssig geworden.
Es stellt vielmehr die um
fassendere Form religiöser Wirksamkeit dar, in der der tiefste Inhalt des Evangeliums wie die innersten Bedürfnisse der Men
schenseele erst zur vollen Entfaltung und Befriedigung kommen.
2. Die evangelistische Frömmigkeitsform hebt aus dem Evange lium mit Bewußtsein ein paar der in die Augen stechendsten und
äußerlich eindrucksvollsten Wahrheiten hervor.
Die Betonung
gerade dieser Wahrheiten ist für bestimmte Schichten und für
Menschen mit bestimmter Vergangenheit die beste Eingangspforte
für persönliches religiöses Leben.
II. Evangelisation und Gemeindepfarramt.
39
3. Die evangelistische Frömmigkeitsform wird aber aus einem
Segen zu einer Gefahr, wenn sie beansprucht, mehr zu sein als solche Vorpostenarbeit gegen gewisse Feinde der Frömmigkeit. Sie muß darum die Selbstlosigkeit besitzen, die von ihr ge
wonnenen Seelen in die geordnete Gemeindepflege einzuweisen, damit die von ihr geleistete Arbeit vertieft und weitergeführt werde. 4. Diese weiterbildende Tätigkeit setzt sich ein anderes Ziel
als die seelengewinnende der Evangelisation.
Sie darf darum
nicht mit dieser Art durchsetzt sein, sondern muß bewußt die von der Evangelisation vernachlässigten Wahrheiten des Evangeliums und Bedürfnisse der Menschenseele pflegen.
5. Der evangelische Gemeindepfarrer darf darum nicht nei
disch nach den äußeren Erfolgen der Evangelisation schielen, sondem er muß treu sein „in seinem Hause".
Er darf nicht
Evangelist sein wollen, es ist nicht seines Amtes und nicht seines
Amtes Art.
III.
Der Pfarrer als Seelsorger. Es erscheint vielleicht anmaßend, eine bestimmte Auffassung
des Pfarramts als bie] der
Seelsorge zu
bezeichnen.
Seelsorge treiben wollen die beiden andern auch.
Denn
Wird doch
schon der Inhalt des katholischen Priesteramts als cura ani-
marum bezeichnet, und was liegt dem Evangelisten anderes am Herzen
das ewige Heil der Seelen.
als
Dennoch darf die
pfarramtliche Anschauung, die ich an dritter Stelle noch skizzieren
möchte, mit einem gewissen Recht für sich den Namen „Seel
sorge" in Anspruch nehmen.
Gegenüber der priesterlichen An
schauung, die das Evangelium in heiligen Objekten irgendwelcher Art verkörpert findet und verehrt wissen will, darf sie darauf
Hinweisen, daß das einzige Gefäß, in dem sie das Heilige er schaut, die menschliche Seele ist, und dem Evangelisten gegenüber
darf sie den Nachdruck legen auf das Wort Sorge, das, im Unterschied von der Seelcngewinnung durch einen entscheidenden
Akt und Entschluß, von einer stillen langsamen Beeinflussung
der Menschenseele redet.
Anders geartet ist ein zweites Bedenken gegen das Wort Seelsorge.
Es hat Vielen noch zu sehr den Beigeschmack des
Pietismus, der das Wort zum erstenmal mit einem gewichtigen Inhalt füllte.
Auch ich gestehe, daß ich für die Charakterisierung
dieser dritten Form lieber einen anderen Ausdruck gewählt hätte. Aber ich kenne keinen.
Ich bitte darum, daß man für die folgen
den Ausführungen dem Wort alles Aufdringliche und Unkeusche nehme.
Dann kann man sich wohl mit dem Wort befreunden.
Es kommt ja nicht auf das Wort, sondern auf die Sache an. Das Wesen dieser seelsorgerlichen Frömmigkeit ist bei der
Darstellung der beiden anderen Arten schon hier und da durch-
III. Der Pfarrer als Seelsorger.
geklungen.
41
Ich darf es aber gerade im Unterschied von den
zwei anderen Arten noch einmal skizzieren, und betonen, daß es sowohl in der Auffassung vom Wesen der Frömmigkeit, wie vom Wesen der menschlichen Seele sich von beiden unterscheidet.
Die
neue Art Frömmigkeit möchte ich dabei auf dem Untergrund der priesterlichen, die neue Seelenbeurteilung in einem Ver gleich mit der evangelistischen Form darstellen. 1. Die neue Auffassung vom Wesen des Evangeliums. Sie
kann nicht zugeben, daß das Heilige seine nächstliegendste und
eigentlichste Verkörperung in Objekten irgendwelcher Art findet, also weder in einem gottesdienstlichen Kultus, noch in einem System von Dogmen, noch in einer Sammlung von Gesetzen, noch endlich in einer kirchlichen Heilsanstalt.
An und für sich
haben alle diese Dinge gar keinen Wert, sie gewinnen nur Wert, wenn sie den Anspruch aufgeben, Darstellungen des Heiligen
zu sein und sich zu mehr oder weniger passenden Formen „er niedrigen"
lassen, in denen die einzig wirkliche Verkörperung
des Heiligen auf Erden, das menschliche Seelenleben, sich äußert. Also im einzelnen: der Kultus als Kultus hat gar keinen Wert, er bekommt erst einen, wenn es einem Menschen gelingt, in diesen Apparat
seine Seele hineinzulegen
und mittels dieses
Apparats die religiösen Schwingungen seiner Seele auch Andern
hörbar und spürbar zu machen.
diese Dinge fromm und heilig.
Der Mensch macht erst alle
Diese Frömmigkeit kennt darum
keinen heiligen Raum und keine heiligen Gefäße.
Wenn
der
Pfarrer dieser Frömmigkeitsart die vorgeschriebenen Gebete ver
liest, so weiß er, daß er sie erst zu Gebeten machen muß, und ein vorgeschriebenes Gebet wird ihm darum immer etwas Pein liches
sein.
Jedenfalls ist es für ihn viel schwerer als ein
selbstgesprochenes, denn in diesem kann sich die Seele viel leichter entfalten.
Er weiß, wenn er mit einer Schar Christen das
Abendmahl feiert, daß er und diese Schar es in der Hand
haben, die Feier zu einer bloßen Farce oder zu dem Heiligsten zu machen, was es gibt, zu einer Wiederholung des Herrenmahls.
III. Der Pfarrer als Seelsorger.
42
Das wird es nicht schon dadurch, daß die Einsetzungsworte ge
sprochen und Brot und Wein konsekriert werden.
Und wie beim
Abendmahl, so ist es bei allen andern derartigen seither mehr oder minder sakramentalen Handlungen: Taufe, Beichte, Ehe
schließung. — Weiter: ich habe schon oben (S. 17) darauf hin
gewiesen, daß für diese Frömmigkeit das „Wort" in Anführungs
strichen wegfällt.
Ich möchte das noch einmal durch ein Beispiel
in die Erinnerung zurückrufen.
Jener priesterlichen Frömmig
keit des Luthertums ist die Rechtfertigungslehre des Paulus die Wahrheit, das Evangelium schlechthin.
Sie muß deshalb auch
eigentlich überall zu finden sein, wo „Gottes Wort" ist, also in
der ganzen Bibel, besonders im ganzen Neuen Testament.
Und
wenn sie nicht in extenso da ist, so muß sie mindestens impli
cite da
sein, und wenn's nicht
anders geht,
muß, wie im
Gleichnis vom verlorenen Sohn, die Versöhnungsmittlerschaft des
Sohnes Gottes in den Kuß hineingeheimnist werden, den der Vater dem Sohn gibt. So stark ist diese Überzeugung von der Übereinstimmung aller Schristlehre, daß diese lutherische Fröm
migkeit lieber den alten Kanon sprengt und den Jakobusbrief desavouiert, als daß sie zugeben könnte,
„widerspricht".
daß die Schrift sich
Der seelsorgerlichen Frömmigkeit ist die Recht
fertigungslehre des Paulus als eine Lehre nichts, aber sie ist ihr viel, ja wenn man will, alles, wenn sie sieht, wie sie dem Paulus ein Mittel war, seine Seele (man kann auch sagen seine
Frömmigkeit, denn Seele und Frömmigkeit fallen hier, soweit es sich um einen religiösen Menschen handelt, zusammen) aus zuleben, Andern verständlich zu machen und andere Seelen da
durch auch zum Gefäß des Heiligen zu gestalten.
Diese Andern
mögen dann diese Lehre zerbrechen, wenn es innerlich nötig ist,
wenn sie eine neue Form finden, in der die Jesusart besser zur Erscheinung tritt als in dieser Rechtfertigung.
Ebenso geht es
mit dem Dogma: wenn es die in Begriffen wohl sortierte und
auf Flaschen gezogene christliche Frömmigkeit sein will, dann
muß diese Frömmigkeit das Dogma als irreligiös und antijesus-
III. Der Pfarrer als Seelsorger.
hast bekämpfen.
43
Denn dann hat es uns wieder um das ge
bracht, was Jesus uns vorgelebt und wofür er gestorben ist. Aber will das Dogma der Niederschlag der christlichen Frömmig
keit jener fernen Zeiten und Völker sein, die es bildeten, dann ist und bleibt es uns verehrungswürdig und um so verehrungs
würdiger, je mehr wir in jenen schweren Worten doch noch innerlich die Seelenkämpfe und Seelenerfahrungen seiner Schöpfer nachzittern fühlen.
Nicht anders ist es auch mit der Lehre Jesu.
Auf seine Lehre lassen wir uns nicht festnageln, seine Himmel reichsverkündigung lassen wir uns nicht zu einem Dogma und seine Bergpredigt lassen wir uns nicht zu einem neuen Gesetz
machen.
Aber
unsere Seele
soll er haben
und seine Seele
wollen wir haben, und wenn diese Jesusseele mittels noch so fremden Vorstellungsreihen und noch so fernliegenden religiösen Stilen an unsere Seele dringt, dann sind uns diese Vorstellungen
und Stile verehrungswert, aber nicht an und für sich, nicht
objektiv, sondern nur deshalb, weil sie ein Mittel haben sein dürfen und können für diese Jesusseele. — Ich möchte abbrechen
und hoffe, das eine ist klar geworden: in dieser dritten Frömmig keitsform hat das Evangelium eine neue Behausung gefunden:
es lebt nicht in den Objekten und Symbolen, es lebt in den Persönlichkeiten. Es gibt auf Erden nur ein Heiligtum, und das
ist die Seele. — Diese Seele empfängt nun auch eine neue
Beurteilung. 2. Die neue Auffassung vom Seelenleben.
Sie soll dar
gestellt werden in ihrem Unterschied von der Erweckungspredigt.
Für den Erweckungsprediger befindet sich die Seele in einem
Zustand, der zunächst einmal beseitigt werden muß, und zwar
durch eine Radikalkur.
Die Seele muß durch einen Sterbe
prozeß hindurchgehen, dann erst kann ein Lebensprozeß beginnen. Die
Erweckungspredigt ist die in
Wirklichkeit und Bewegung
umgesetzte kirchliche Erbsündenlehre, die bisher ihre harmlose Stelle bei den dogmatischen Sätzen über das Wesen des Menschen hatte.
Nun ist sie zum Mittelpunkt der Praxis geworden und entfaltet
44
III. Der Pfarrer als Seelsorger.
hier erst ihre ganzen Schauer, ihre aufstachelnde Macht, ihre reli giöse Kraft.
Sie macht den Gedanken einer Entwicklung des
Höheren aus dem Niederen, der uns heute auf anderen Gebieten so in Fleisch und Blut übergegangen ist, unmöglich.
Denn das,
was von Natur vorhanden ist, ist nur wert, daß es zugrunde geht. Hier setzt der tiefe Unterschied der seelsorgerlichen Verkündigung
ein: sie kann die Menschenseele, auch in ihrem Naturzustand, nicht
so wegwerfend beurteilen.
Es schwebt über ihr etwas von dem
Wort des Tertullian: anima naturaliter christiana.
Gewiß,
wenn sie die Menschenseelen in ihrem Naturzustand betrachtet, findet sie an ihnen viel Staub, viel Dreck, sie sieht, daß der Gold
gehalt durchsetzt ist mit der Schlacke des Gemeinen.
Aber aus
allem Staub und Dreck sieht sie einen vorhandenen Edelstein
durchschimmern, und alle Schlacke kann sie nicht darüber hinweg täuschen, daß doch auch Gold da ist; oft gerade im größten Dreck
schimmert's dem Betrachter einer solchen Menschenseele entgegen wie blitzender Edelstein.
Sie kann auch nicht zugeben, daß bis
zu der Stunde, wo die Erweckungspredigt kam, an diesem ver
borgenen Edelstein nicht schon gewaschen und geschliffen worden wäre. Diese seelsorgerliche Frömmigkeit schätzt die bestehende Sitte
und die christliche Erziehung viel höher ein.
Sie glaubt, daß,
wenn man so manchmal gar keine Spuren sieht, es nur an dem Auge des Beschauers liegt
und daß er manchmal überrascht
wird von einem plötzlichen hellen Glanz, der aus dem rohen Seelenzustand aufleuchtet.
Wer diese beiden Seelenbeobachtungen
gemacht hat, einmal daß die Seele von Natur doch ein göttlich
Ding ist, das seinen Charakter nie ganz verlieren kann, und die andere, daß christliche Sitte und Erziehung, auch ohne daß cs
dem Menschen bewußt wird, ein gut Stück Arbeit an seiner
Seele geleistet haben, der kann die Menschenseele, die vor ihn tritt, nicht mehr als völlig verderbt betrachten und demgemäß
behandeln. Man verstehe mich nicht falsch: diese Lebensbeurteilung ist weit entfernt sowohl von der Rousseauschen Naturschwärme
rei, die in dem Wilden, der Europas übertünchte Höflichkeit noch
III. Der Pfarrer als Seelsorger.
45
nicht kennt, das Abbild wahrer Menschlichkeit erblickt wie von der Modephilosophie des modernen Philisters, der sich in seinem eignen „edlen Menschentum" sonnt und diese dürftigen Strahlen
durch gute Freunde noch in sein Grab hinunterleiten läßt. Seelenbeurteilung
weiß,
daß
Diese
in jeder Seele ein Reinigungs
prozeß stattzufinden hat, bei dem auch das Scheidewasser nicht gespart werden darf.
Aber jedesmal, wenn ihr eine Seele unter
die Hand kommt, und wäre sie noch so verwahrlost, ist es ihr zumute, als legte man ein zart, zerbrechlich Ding ihr zwischen die Finger.
Sie hat nicht den Mut, es rauh anzufassen mit
den Kategorien schwarz und weiß, bekehrt und unbekehrt, und
so das Vorhandene zu zerschlagen, sondern mit schonender, ruhiger Hand geht sie an die Arbeit, um in langsamer, energischer,
zäher und zugleich geduldiger und wartender Tätigkeit die vor handenen Flecken zu beseitigen, die Schlacke vom Gold zu trennen,
Zerbrochenes vorsichtig aufzurichten, glimmendes Feuer langsam zur Glut zu bringen, mit andern Worten, der Seele den Freundes
dienst der Seelsorge zu leisten.
Nach diesen grundsätzlichen Darlegungen werden wir uns ein Bild davon machen können, wie ein Vertreter dieser Frömmig keitsform seine Predigttätigkeit anfaßt.
Drei Grundsätze werden
seine Arbeit beherrschen.
1. Seelenbeobachtung.
Er
will die Menschenseele ihrer
wahren Bestimmung entgegenführen, eine Behausung des in Je
sus uns geoffenbarten Gottes zu werden. dieser Aufgabe nicht so schnell beginnen.
Er kann aber mit
Sie verlangt eine Vor
arbeit; nicht so, daß er mit seiner Verkündigung an die Seelen warten müßte, bis diese Vorarbeit geleistet ist, dann käme er
nie zum Predigen; sondern in dem Sinn, daß die Arbeit an
den Seelen sich aufbauen muß auf eine genaue Kenntnis der Seelen. Er wird darum nicht müde werden, seine Seelenkenntnis
immer mehr zu bereichern und sich eine immer größere Er fahrung in dieser merkwürdigen „Wissen"schaft (Kenntnis der
46
III.
Seele) zu sammeln.
Der Pfarrer als Seelsorger.
Daß das, was dabei die wissenschaftliche
Psychologie leistet, ihm wertvolles Material ist, ist ebenso sicher als das andere, daß es nur einen kleinen Kreis dessen umfaßt, auf
was seine Tätigkeit gerichtet ist.
Viel mehr schon als die Wissen
schaft wird ihm die Literatur nützen, soweit in ihr tiefschauende Beobachter und feine Künstler einen Blick tun lassen in das Ge
webe menschlichen Seelenlebens, indem sie uns zeigen, wie die Fäden im Innersten der menschlichen Seelen laufen, wie sie Ver bindungen knüpfen, wie Gefühle entstehen, wie sie zu Taten aus
reifen, wie das Gesetz der Vererbung, der Einfluß des Milieus, die Kraft des Willens wirken u. bergt, mehr.
Allmählich wird
ihm auch das Leben selbst die Erfahrungen in den Schoß und in die Seele werfen, Erlebnisse an sich und Andern, die sich natürlich noch viel tiefer einbohren als das, was man schwarz auf weiß
gelesen hat.
Ich kann auf diesen Punkt nicht weiter eingehen,
weise nur kurz darauf hin, daß hier Erkenntnisse hingehören, wie die, daß wohl die Menschen sich beständig ändern, aber der Mensch zu allen Zeiten der gleiche bleibt, weiter wie aus diesem Streben
die religiöse Volkskunde erwachsen ist, wie hier die Untersuchungen
wertvoll werden über die Psychologie einzelner Schichten und
Berufsstände, da ja die einzelnen Seelen nicht Monaden sind, sondern Zellen in einem größeren Organismus.
Um das ganze
Neue dieser Art Wirksamkeit zu verstehen, braucht man sich bloß
wieder die priesterliche Frömmigkeit vor Augen zu stellen, die sich begnügt, „das Wort" hinunter in die Gemeinde zu predigen. Hier dagegen geht der Prediger, ehe er auf die Kanzel steigt,
durch die Bänke seiner Zuhörer hindurch: erst muß ich dich kennen, ehe ich zu dir reden kann.
Laß mich in dein Herz, in
deine Vergangenheit, in deine Erfahrungen blicken, ich möchte
Pflöcke suchen, um die ich die Seile meiner Verkündigung schlingen kann, damit ich nicht vergeblich arbeite und du nicht enttäuscht und
leer nach Hause gehst.
Die im grauen Dämmerschein der Hallen
kirche dasitzende Gemeinde, die von der Kanzel herab wie eine große einheitliche Masse erscheint, löst sich einem solchen Pfarrer
III. Der Pfarrer als Seelsorger.
in
47
einzelne lebendige Individuen auf, und diese schließen sich
wieder zu Einheiten und Gruppen zusammen.
und
meinde eine deutlich sichtbare
So ist die Ge
unterscheidbare Schar ge
worden und sitzt vor dem Prediger im Hellen Sonnenlicht lieben
der Vertiefung in ihr Seelenleben. — Was will nun der Pre diger ihr bieten?
Das führt zum nächsten Punkt.
2. Persönlichkeitsreligion. bieten.
Er will dieser Schar das Wort
Aber nicht „das Wort".
Denn solches kennt er nicht,
findet es auch nicht in seiner Bibel, die vor ihm auf dem Pult In ihr findet er Menschenseelen, die geirrt und gefehlt,
liegt.
gesucht und gerungen, aber auch gefunden haben und in solchem
Frieden glückselig geworden sind.
So schauen ihn die Gestalten
und neutestamentlicher Frömmigkeit an.
alt-
Auch Jesus ist
dieser Betrachtung nur wertvoll als Träger einer großen, reinen Seele, und seine Göttlichkeit, die sie weder zu missen braucht noch missen will, offenbart sich ihr in der Form seines Seelenlebens. In ihm schaut sie deshalb eine absolute Gottesoffenbarung, weil
die vollkommene Menschenseele das Heiligtum Gottes auf Erden
ist.
Man versteht, wie solchem seelsorgerlich arbeitenden Pfarrer
die Theologie wertvoll wird.
Er kann sie nicht wie der Evange
list beiseite schieben, auch sie ist ihm nicht die trockene Wissen schaft, die die göttliche Offenbarung nach einzelnen Loci ordnet.
Sie wird ihm die Interpretin, um die Fülle der Gestalten, die
das Evangelium erzeugt hat, zu verstehen und für sich und An
dere fruchtbar zu machen.
Welch einen großen Fortschritt be
deutete es einstmals, als die eine gleichförmige Sammlung von Belegstellen, als welche die Bibel gewertet wurde, sich auflöste
in die farbige Welt der einzelnen „Lehrbegriffe"! Wieviel reicher fühlt sich nun gar der, dem diese immerhin noch steifen Lehr
begriffe sich umgestalten zu dem Seelenleben der Persönlichkeiten selbst.
Und wenn dann gar noch die schwere Tür geöffnet wird,
mittels deren der alte Kanonsbegriff uns den Reichtum auch der späteren nachapostolischen Entwicklung bis auf unsere Tage ver
schloß, dann ist es dem Beschauer, als könne er die Fülle der
LU.
48
Der Pfarrer als Seelsorger.
Gesichte kaum bannen.
Er sieht den reichen Strom christlichen
Personenlebens von 1900 Jahren vor sich, und aus diesem Strom darf er schöpfen für seine Gemeinde, für die Seelen, in deren
Wesen er sich liebevoll versenkte. — Und noch ist das nicht das Höchste: allmählich darf er sich selbst predigen. Ausdruck
ist leicht Mißverständnissen
Ich weiß, dieser
ausgesetzt, und dennoch
möchte ich ihn durch keinen andern ersetzen.
Denn er drückt das
aus, daß er schöpfen darf aus seinem eigenen Erlebnis, daß er seine Seele öffnen darf, um von dem zu zeugen, was ihm in
Jesus geschenkt wurde.
Dieses Zeugnis des Seelsorgers unter
scheidet sich von dem des Evangelisten.
Und zwar nicht nur,
daß dieses Zeugnis nicht so schreiend ist und sich immer um tne eigene Bekehrung bewegt, sondern tiefer einschneidend ist der Seelenprozeß, den die eigene religiöse Erfahrung machen muß,
ehe er sie weitergeben kann.
Er gibt nicht das glühende Gold,
sondern er prägt es erst in Formen und läßt es erkalten.
Ohne
Bild gesprochen: das eigene Erlebnis wird erst objektiviert, das
Typische wird herausgehoben, und dieses wird in die Verkündi
gung verarbeitet. Hier ist die wirklich goldene Mittelstraße gewählt zwischen der priesterlichen Frömmigkeit, bei der alles Persönliche
als Fremdkörper empfunden wird, und der evangelistischen, die
in Gefahr steht, unkeusch das eigene Seelenerlebnis preiszugeben. 3. Aber noch ist die Tätigkeit eines solchen Verkünders des -Evangeliums nicht abgeschlossen.
Er hat nun auf der einen
Seite die Menschenseelen, auf die er wirken will, und auf der -andern das in Menschenseelen sich
verkörpernde Evangeliuni.
Nun erst beginnt die wahre Kunst der Verkündigung.
Sie
macht freilich weder Anleihen bei der klassischen Rhetorik noch
bei dem modernen Sensualismus, sondern sie ist ein stilles Lau schen, wo Töne aus den Menschenseelen sich losringen, die ein -Echo finden können in dem Evangelium und wo im Evangelium
Töne erschallen, die, gemäß einer wunderbaren Harmonie, religiös
seither stumme Seelen zum Klingen bringen können. Diese Töne schlägt er dann an, hier und dort; diese Fäden, die auf beiden
III.
Der Pfarrer als Seelsorger.
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Seiten flattern und sich suchen, ob sie sich wohl fühlen und
finden möchten, sucht er durch seine Predigt zu verknüpfen.
Man
versteht, daß dieser Verkündigung aller Perikopenzwang nicht
nur lästig, sondern ein Eingriff in die wahre Aufgabe der Amts führung sein muß; man fühlt weiter, wie wenig der überkommene
Predigtstil zu dieser Arbeitsmethode paßt. Man könnte eine ganze Fülle von Veränderungen anführen,
die mit Notwendigkeit gegenüber der alten Art sich ergeben. was gibt es, was schließlich nicht neu würde!
Ja,
Ich möchte nur
kurz die Wandlungen in der Sakramentsverwaltung und im
Unterricht skizzieren:
Diese seelsorgerliche Auffassung des Pfarrerberufs bricht end gültig mit dem alten Sakramentswesen.
Nicht in dem Sinn,
daß wir aufhören müssen zu taufen und das Abendmahl zu reichen, zu trauen und zu konfirmieren. etwas ganz anderes, als es war.
Aber alles das wird
Wie der Pfarrer auf der
Kanzel nichts ist als der Freund, der auf Grund seiner Kenntnis
vom menschlichen Seelenleben und vom Seelenwirken des Evange
liums in Vergangenheit und Gegenwart den Andern einen Dienst leistet, so und nicht anders vollzieht er auch die Amtshandlungen. Bei der Taufhandlung steht ihm der Segen, die Verantwortung
und die göttliche Beihilfe in der Kinderzucht vor Augen und
gibt ihm die Worte ein.
Dem jungen Paar möchte er zu der
Weihe verhelfen, die sein Bund erst dadurch erhält, wenn er dem tiefsten Bedürfnis der Menschenseelen, dem nach Gott, auch in ihrem gemeinsamen Leben Befriedigung gibt.
Im Abendmahl
wird ihm nicht die Darreichung von Leib und Blut die Haupt sache, sondern daß er des Herrn Tod verkünden kann, d. h. daß
das Seelenleben Jesu in seiner höchsten Stunde von neuem
wieder in anderen Seelen lebendig wird; die Form des Genießens ist nur ein Vehikel für die Erreichung dieses Ziels.
Eine völlige Umwandlung wird auch der religiöse Unter
richt in Schule, Kindergottesdienst und Konfirmandenstunde er halten.
Man denke aber nicht, daß diese Art nun alles ver-
Beit, Gemeindepfarrer.
4
Der Pfarrer als Seelsorger.
III.
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weichlicht, alles verflüchtigt, alles in die Stimmung und ins Gefühl verlegt.
Nein, im Unterricht muß gelernt werden.
Aber
es ist ein großer Unterschied, ob ich den Kinder»: die heilige
„Wort Gottes" oder als das klassische
Schrift vorführe als
Buch für die Kenntnis des Menschenherzens und die seelenum
gestaltende Kraft des Evangeliums. schied,
Es ist ein großer Unter
ob ich die Lehren der Kirche vortrage als die objektive
Darstellung der Wahrheit oder als die Zeugnisse persönlicher Frömmigkeit früherer Zeiten.
Es ist ein großer Unterschied, ob
ich Gottesdienst und Pfarrer mit dem mystischen Schleier einer
Versinnlichung des Göttlichen umgebe, oder sie als Mittel und Mithelfer für das Entstehen jesu-artigen Seelenlebens einschätze.
So könnte man den ganzen Beruf weiter durchgehen: über all eine weitgehende Umgestaltung. Aber nun kommt eine neue Frage.
überall nur Gewinn? Verzicht.
Ist diese Umgestaltung
Es scheint zunächst so.
Sie ist aber auch
Sie gibt unserem Stand und Beruf viel, aber sie ver
langt auch ihre Opfer.
Ich nenne viererlei und schreite vom
Leichteren zum Schwereren fort. 1. Es fällt die Würde des Priesters und das erhebende Gefühl des Evangelisten. Über das letztere habe ich schon oben (Seite 29) kurz gesprochen, über das erstere möchte ich noch ein
paar Worte sagen.
Vom Katholizismus her und getragen von
der priesterlichen Auffassung auch des evangelischen Pfarramts lebt im Volksbewußtsein und im Pfarrstand selbst der starke Rest
eines Amtsbegriffs, der seine Strahlen auch dem Träger des Amts zuteil werden läßt. -Der Pfarrer gilt, wenn auch nicht für das bewußte Nachdenken, so doch für das instinktmäßige Ge
fühl, „kraft seines Amtes"
als der Träger eines besonderen
Charakter indelebilis, der ihm auch verbleibt, wenn seine persön
lichen Qualitäten damit im Gegensatz stehen.
Es hat sich da
ein wenig der Grundsatz des nrittelalterlichen Steigbügelhaltens konserviert: non tibi, sed Petro.
Der Pfarrer hebt sich kraft
seines Amtes aus der Menge der übrigen Berufe heraus.
Er
III. Der Pfarrer als Seelsorger.
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hat um dieses Berufes willen Verzichte zu leisten auf Dinge, die
den Trägern „profaner" Berufe ohne weiteres gestattet sind; er unterscheidet sich auch in äußeren Dingen (man denke an Rock
und Bart) von den übrigen Berufen; dafür wird ihm aber auch eine besondere Ehrung als Berufsträger, abgesehen von seinen persönlichen Qualitäten,
zuteil.
Dieser Amtscharakter kommt
in äußerlicher und oft lächerlicher Form in den Titulaturen:
Ehrwürden, Hochehrwürden, und wie sie alle heißen, zur Er Aber man fasse diese Pfarrwürde auch einmal von
scheinung.
ihrer innersten Seite, von dem Bewußtsein, das menschliche Sub
jekt zu sein, durch dessen amtliches Wirken die objektive Religion
den Menschen nahegebracht wird, und man wird zugeben müssen, daß aus diesem Bewußtsein, ein Priester zu sein, für den ganzen Stand viel Stärkung, viel Kraft des Duldens und Verzichtens
geflossen ist.
Gerade weil der Pfarrstand wenig von den äußeren
Würden, Ehren und Reichtümern zu erwarten hat, die andere Berufe ihren Trägern
priesterlichen
bieten,
haben viele Pfarrer in dieser
Amtswürde einen Ersatz für das Versagte
leicht nicht ausdrücklich gesucht, aber doch gefunden.
viel
Dieses Be
wußtsein hatte auch eine Unterlage, solange der alte Amtsbegriff
herrschte.
Diesen vernichtet die seelsorgerliche Auffassung, und
so bleibt nichts anderes übrig, wenn die Würde nicht zur hohlen
Form werden soll, als daß wir auf die alte Amtswürde ver
zichten.
Auch dieses Stück alter Ehrung preiszugeben in einer
Zeit, wo dem Pfarrstand so vieles genommen worden ist, was er. einst besaß, ist nicht leicht und wird manchem Pfarrer einen
schweren inneren Kampf kosten. 2. Weiter schwindet das Pfarridyll. Hier gehe man einmal ruhig vom Äußeren aus, diesem stillen, harmonischen und meinet
wegen auch behaglichen Leben, das als Typus des Pfarrerdaseins in unserer Literatur und im Volksbewußtsein gilt und das auch in der Wirklichkeit oft vorhanden war.
In diesem Pfarridyll lag
ein hoher, volkspädagogischer Wert, mochten auch weite Kreise darin nur ein Faullenzerleben sehen.
Ich erinnere an das. was
4*
HL
52
Der Pfarrer als Seelsorger.
der Laienvertreter priesterlicher Frömmigkeit, den wir oben zum
Wort kommen ließen (S. 9 ff), uns gesagt hat von der Religion als dem stillen, von Kämpfen unberührten Eiland mitten in einer
von politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Kämpfen durch
furchten Zeit und Nation.
War nicht das Pfarrhaus der alten
Zeit mit seinem stillen Frieden
die Versinnbildlichung dieses
schönen Gedankens, die Verkörperung der Idee, daß das Menschen glück nicht im Laufen und Rennen liegt, sondern im Stillesein
und Harren.
Was ist das stille Landpfarrhaus unserer deutschen
Literatur und unseren Dichtern gewesen!
War's zuzeiten nicht
der einzige stille Ort, wohin die zarten und feinen Triebe der
Volksseele vor dem Lärm des Tages sich retten konnten?
Und
dieses Idyll zerstören wir in einer Zeit, die noch mehr als alle
ihre Vorgängerinnen solche Oasen der Stille bedarf! zerstören
jenes
wirklich.
Denn wer stellte dies Pfarrhaus-
Idyll
durch
die
seelsorgerliche
Und wir
Frömmigkeit
und Pfarrleben
idyll in die deutsche Landschaft und ins deutsche Geistesleben? Der Überfluß an Zeit, die lange Pfarrerspfeife und der wohl gepflegte Pfarrgarten taten's noch nicht. Sie waren nicht die Ur sachen, sondern die Folgen und Erscheinungsformen der Idylle von
Sesenheim und Grünau. Geschaffen hat das Idyll jene priesterliche
Frömmigkeit, die es in den Dingen der Religion mit Fertigem zu tun hatte, mit dem feststehenden Kultus, mit dem stets gleich sich wiederholenden Sakrament, mit der abgeschlossenen Lehre.
Dies Bewußtsein, daß es nicht etwas Neues zu schaffen, sondern
das Alte zu eigener und fremder Betrachtung und Erbauung, stets wieder hervorzuholen galt, bildete solche idyllischlebenden
Menschen.
Aber sie müssen verschwinden, wenn Pfarrer-Sein be
deutet, die eigene Seele an fremdem Seelenleben nähren und dann immer wieder diese eigene Seele den Andern darbieten.
Wo es heißt: serviendo consumor, von dort flieht das Idyll.
So hat Rittelmeyer ganz recht, wenn er uns in seinem Buch über den Pfarrer sagt: „Der deutsche Pfarrer als Idyll des
deuffchen Dichters wird zu Grabe getragen.
Wer soll die Stelle
III.
Der Pfarrer als Seelsorger.
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erhalten? Der deutsche Pfarrer als Ideal des deutschen Mannes."
Noch steht dies neue Pfarrerideal im einzelnen nicht deutlich vor unseren Augen, es muß erst werden.
Zunächst empfinden viele
nur, wie schade es ist, wenn das idyllische Pfarrerleben schwindet. Wir wollen aber daran glauben, daß auch im Pfarrstand ein
Leben voll innerer Mühe und voll verzehrender Arbeit köstlich sein kann.
Solch ein Leben ist das des seelsorgerlichen Pfarrers.
3. Eine neue noch schwerere Befürchtung taucht vor unserem
Auge auf: ist dieser Pfarrer noch ein Gemeindepfarrer, löst
diese Berufsauffassung nicht den uns in der evangelischen Kirche so teuren Begriff „Gemeinde" auf.
Steht nicht zu befürchten,
daß unter der Herrschaft dieses persönlichen Prinzips die Ge meinde in eine persönliche Klientel des betreffenden Pfarrers auf
geht, daß wohl ein kleiner Kreis zu seinem Recht kommt, daß aber die große Menge heimatlos wird?
Erhalten wir da nicht
ein noch engeres Konventikelwesen als bei der Frömmigkeit, die mit den Kategorien „bekehrt" und „unbekehrt" hantiert?
Wo
bleibt das „für alle"? — Ich möchte auf diesen Einwand hin
zunächst sagen: wir wollen mit der Anwendung dieses biblischen
„für alle" auf die Tätigkeit des einzelnen Pfarrers recht vor sichtig sein.
Denn in der Bibel bezieht sich dies „für alle" nicht
auf die Tätigkeit des einzelnen Verkünders des Evangeliums, sondern es öffnet den Blick ins Herz Gottes hinein, der da will, daß allen Menschen geholfen werde. Doch sicher nicht.
Aber durch mich?
Auch nicht so, daß ich allen denen etwas
sein müßte und sein könnte, die man mir kraft ihrer derzeitigen Wohnung mittels einer roten Umränderung im Stadtplan zuge wiesen hat. Man verlangt von den Haushaltern nicht mehr, denn
daß sie treu erfunden werden.
Das, womit ich treu wuchern
soll, ist mein Seelenleben, sind die Erfahrungen und die Erleb nisse, die ich am Evangelium gemacht habe.
Diese habe ich in
aller Treue zu verkündigen, und was darüber ist, das ist vom Übel, besonders der Versuch, das Selbsterlebte durch eine objekttve
Religion, die für mich tot ist, zu ergänzen.
Nein: ich glaube,
III. Der Pfarrer als Seelsorger.
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und darum rede ich.
Wir dürfen den entsetzlichen Druck von
unserer Pfarrersseele wegwälzen, der meint, wir müßten jedem etwas geben, jedem etwas sein können, den Druck, der zugleich
gar so leicht zu einem Schielen nach dem äußeren Erfolg ist.
Es steckt leicht in dem Eifer, allen durch die pfarramtliche Tätig keit etwas zu sein, ein Stück Hochmut.
Haben wir aber jene
drückende Verpflichtung uns von der Seele weggeschafft, dann zeigt es sich, welch eine Kraft menschliches Seelenleben ist und daß seine Wirkung sich durchaus nicht nur auf die sogenannten
gleichgestimmten Seelen beschränkt. Die Tatsache, daß ein Mensch dasjenige und nur dasjenige predigt, was er selbst erlebt hat, wirkt weithin und schafft jedenfalls die Grundbedingung alles wahren Wirkens: Vertrauen.
Es zeigt sich weiter, wie redliche Arbeit
die Aufnahmefähigkeit der eigenen Seele vergrößern und das
Verständnis für anderes, uns von Natur fernerliegendes Seelen leben steigern kann.
Und nun kommt ja hinzu: Unser Studium
hat uns die Anleitung geben wollen, diese Grenzen unseres natürlichen Wesens zu erweitern, die Schätze der Geschichte zu
heben, das reiche Seelenleben der Vergangenheit uns lebendig zu machen.
Wie vieles, was nur spröder Stoff schien, gewinnt
bei solcher Vertiefung Kraft; da können selbst die harten luthe rischen Dogmatiker des 16. und 17. Jahrhunderts wieder lebendig
werden.
Wenn dann zugleich ein solcher Pfarrer bei allem
Verständnis für die besondere Lage des einzelnen Menschen das
Ewige in der Menschenseele zu erfassen sucht, den Menschen in all den verschiedenen Menschenindividuen, dann weitet sich der Umkreis seines Sceleneinwirkens mehr und mehr?)
Ohne daß
1) Ich kann mich darum nicht mit dem Vorschlag befreunden, für besondere Gruppen und Schichten im Volke Standespfarrer zu schaffen.
Gerade wer die Wirksamkeit deS Pfarrers auf die Einwirkung von Seele auf Seele konzentriert, wird sich dagegen wehren, daß dieser höchste und
eigentliche Gesichtspunkt, unter dem Pfarrer und Gemeindeglied sich zu
sammenfinden, durchkreuzt wird von einem, der dem äußeren Gebiet an gehört, mag dieses auch auf das Seelenleben, wie wir hervorgehoben haben.
III.
Der Pfarrer als Seelsorger.
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er dem für recht erkannten Prinzip untreu zu werden braucht, liegt seine Tätigkeit fern ab von allem Konventikelwesen, und
was er baut, ist ein wirkliches Gemeinschafts-, ein Gemeindeleben.
Allerdings erhält dieser Bau, den er ausführt, eine andere Struktur, als wenn man die Gemeinschaft auf irgendein objek tives, nicht dem Seelenleben und seinen Wirkungen entnommenes Prinzip gründet.
Der umfassendste Versuch mit einem solchen
objektiven Prinzip knüpft sich in unserer Zeit an den Namen
von Emil Sülze.
In dem Sulzeschen Gedanken von der Ge
meinde als dem Kristallisationspunkt für das religiöse Leben hat
man das Heilmittel gesucht, um in der Großstadt die kirchliche
Verwilderung und Heimatlosigkeit zu überwinden.
Man hat ein
Netz von Bezirken über die ganze Stadt gelegt; man hat damit jedem Einzelnen wieder seinen festen Platz gegeben; man hat ihn einem der vorhandenen Pfarrer zugewiesen und gesagt: siehst
du, zu dem Mann gehörst du, zu dem gehst du in die Kirche,
von dem läßt du deine Kinder taufen, an den wendest du dich, wenn dir Fragen und Zweifel kommen.
Wohlgemerkt, dieser
Bezirkspfarrer kam nicht in Betracht als Träger einer bestimmten Seele, sondern eben als Bezirks Pfarrer, einerlei, wie er hieß
und wer er war.
Sein Amt, nicht seine Persönlichkeit
stimmte die Zugehörigkeit zu ihm.
be
Man hat weiter die Ge
meindehäuser gebaut, um die Gemeinde an ihren bestimmten
Bezirk und ihren bestimmten Pfarrer zu gewöhnen, man hat alle möglichen Veranstaltungen getroffen, um die atomisierten Menschen der Großstädte zu einer Einheit zusammenzuschließen,
zu einer Einheit verkörpert im Bezirk, in der Bezirkskirche, im Bezirkspfarrer. Man wird fühlen, daß in diesem Sulzeschen
Gemeindeideal und in dem vorhin von uns geschilderten Pfarrer
ideal zwei verschiedene Prinzipien verkörpert sind. noch so starken Etnfluß haben.
Hier bildet die
Wir brauchen nicht Pfarrer für die äußere
Schichtung unseres wirtschaftlichen Daseins, sondern, wenn man so will, recht verschiedene Pfarrerindividualitälen für die Schichtung im Seelenleben
unseres Volkes.
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III.
Der Pfarrer als Seelsorger.
zusammenfassendc Einheit der Bezirk, also wieder etwas Unper sönliches, Objektives, dort dagegen die Person, die Seele des Pfarrers. Die Sulzesche Auffassung kann, wenn sie konsequent ist, gar nicht anders als die ganze Religion wieder objektivieren.
Das subjektive Moment stört die gezogenen Kreise, stört die Bc-
zirkseinteilung. Mein Wohnsitz bestimmt für mich meinen Pfarrer, und treibt mich mein persönliches Bedürfnis zu einem anderen hin, so muß ich dies unterdrücken um der Gemeinde willen. Denn was mir recht ist, ist meinem Nachbar billig. Folgten wir unserm persönlichen Zug, dann fiele ja unsere mit soviel Mühe
und äußerer Arbeit aufgebaute Gemeinde wieder auseinander. Die Gemeinde verlangt also dieses persönliche Opfer. Aber,
so müssen wir doch auf evangelischem Boden, wo unter religiösem Gesichtspunkt die Seele alles und die Organisation nichts ist, fragen: hat denn, die Organisation ein Recht, von der einzelnen
Seele dieses Opfer zu verlangen?
Man nehme nur den einen
Fall des Verziehens in einen anderen Bezirk, der in der Groß stadt fortwährend vorkommt.
Soll jemand, der auf die andere
Seite der Straße und damit in einen anderen Pfarrbezirk zieht,
alle Verbindung mit seinem seitherigen Pfarrer abbrechen, dem
er — vielleicht unter großen inneren Schwierigkeiten — einen
Einblick in sein inneres Leben gegeben hat, und soll man ihm
zumuten, dem neuen Bezirkspfarrer abermals seine Seele zu offenbaren, oder soll gar fein säuberlich auf Papier der betreffende
„Fall" dem andern Pfarrer „überwiesen" werden? wohin das führt.
Man sieht,
Niemand wechselt den Schneider und den
Arzt, weil er in eine andere Straße zieht, und ich soll ge zwungen sein, den Seelsorger, mit dem mich das feinste gegen
seitige Vertrauensverhältnis verbindet, zu wechseln?
Dieses Ge
meindeprinzip war nur richtig auf dem Boden der objektiven Frömmigkeit.
Denn, wenn
„das Wort" überall dasselbe ist,
gleichviel wer es verkündet, wenn er nur „ein verordneter Diener der Kirche" ist, wenn, wie Steinmeyer es einmal gesagt hat, eigentlich über jede Bibelstelle nur eine Predigt gehalten werden
III.
Der Pfarrer als Seelsorger.
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kann, wenn das Sakrament eine objektiv wirkende Handlung
und wenn der Gottesdienst im letzten Grund nur Kultus ist,
dann wird durch solche Gemeindeeinteilung nichts gestört und nichts verletzt, dann ist's ja schließlich (daß das bloße Ge schmacksurteil sich der allgemeinen Ordnung fügen muß, wird
man verlangen können) einerlei, in welche Kirche und zu welchem
Pfarrer ich gehe. — Begreiflich ist die starke Hervorkehrung des Gemeindegedankens
Frömmigkeit.
auch
auf dem Boden der evangelistischen
Denn auf dem Boden der durch Bekehrungen
entstandenen und durch stets neue Bekehrungen sich nährenden
Freikirchen ist Gemeinde etwas ganz anderes, als auf dem Boden der Volkskirche.
Jene Frömmigkeit kann eben ganz genau fest
stellen, wer ein Christ ist oder nicht.
In den Kreisen der eng
lischen Nonconformity kann man immer wieder in Gesprächen
über eine dritte Person die Frage hören: is he a Christian? Ja,
unter dieser Voraussetzung ist die Gemeinde eine ganz konkrete
Größe und man kann genau sagen, wer zu ihr gehört und wer nicht.
Aber was ist auf dem Boden der Volkskirche diese
„Gemeinde"?
Mit ihr wird immer operiert als dem festesten,
anschaulichsten, gewissesten Ding,
das es gibt: die Gemeinde
verlangt, die Gemeinde glaubt das oder das, die Gemeinde nimmt Anstoß an dieser Äußerung und dergleichen mehr. Aber wer oder was ist denn diese Gemeinde?
Ist es die Gesamt
zahl aller derer, in deren Papieren unter der Rubrik Konfession das Wort „evangelisch" steht?
mit oder ohne Familien?
Ausgestatteten?
Sind es die Kirchensteuerzahler
Sind es die mit kirchlichem Wahlrecht
Sind es die Kirchenbesucher oder die Abend
mahlsgäste? und wie oft im Laufe eines Jahres muß man zur
Kirche und zum Abendmahl kommen, um zu einem Stück Ge
meinde zu werden?
Sind es die „wahren Christen"? und welche
Instanz gibt es in der Volkskirche, um das untrüglich und äußerlich bemerkbar festzustellen?
Man sieht, dieses Ding „Ge
meinde" ist auf dem Boden der Volkskirche nicht zu fassen, es ist eine unsichtbare Größe, ist die durch Nehmen und Geben von
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Der Pfarrer als Seelsorger.
III.
Seelenleben geschaffene Gemeinschaft').
Damit aber sind wir
im Gegensatz zu jenem objektiven Prinzip wieder bei dem von uns geforderten subjektiven, auf gegenseitigem Seelenaustausch
und Seelenverständnis ruhenden Ausbau des evangelischen Ge meinschaftsleben angekommen, in welchem dem Pfarrer als dem
„Sachverständigen"
in
Seclenangelegenheiten
dement
seine
sprechende Stellung und Aufgabe zuzuweisen ist.
Das bringt nun für die Stellung des Pfarrers zu seiner Gemeinde eine ganze Fülle von Veränderungen mit sich.
Ich
darf wenigstens eine anführen. Der Pfarrer muß die Eifersucht ablegen, mit der er über die Schäflein seiner Herde, d. h. seines
Bezirks, wacht, daß sie nirgends anders hingehen.
Ich muß
die, denen ich durch das Ausleben meiner Seelenerfahrungen nichts sein kann, ruhig von mir ziehen lassen zu andern Pfarrern hin oder zu solchen Büchern und Schriften, in denen ein Seelen leben widerklingt, das Akkorde in der Brust des bei mir un
befriedigt Gebliebenen weckt.
Mehr noch, ich habe die Pflicht,
alles zu tun, diesen Seelen solche Wege zu ebnen und sie für sie zu suchen.
Denn das Ziel, das ich habe, ist nicht, daß mög
lichst viele zu mir kommen und zu „meiner" Gemeinde gehören, sondern
daß möglichst viel Seelensehnen gestillt wird.
wem, ist dabei ganz einerlei.
Von
Mag die Schar derer groß oder
klein sein, denen ich durch mein inneres Leben etwas sein kann, Wenn ich nur treu bin mit den mir
was geht es mich an?
anvertrauten Seelengaben.
Jedenfalls wirke ich einen größeren
*) Wir haben daneben natürlich noch einen kirchlichen Organismus, d. h. einen Verwaltungsapparat und ein Finanzsystem, verkörpert in dbn
Konsistorien, Synoden, Kirchenvorständen und wie die Instanzen alle heißen mögen.
meinde".
Aber dieser offizielle Kirchenapparat ist nicht die „christliche Ge
Die
evangelische Gemeinde
tritt nicht
waltungs- und Finanzmaschine in Erscheinung.
Luther dazu sagen würde!
in Form einer VerMan denke sich,
was
Diese komplizierte Maschine in allen Ehren, sie
hat viele große und auch manche schöne Pflichten, und sie soll nur recht
treu diese erfüllen. zu sein.
Aber nie darf sie beanspruchen, die christliche Gemeinde
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III. Der Pfarrer als Seelsorger.
Segen aus, wenn ich Menschen den Weg zu einer Persönlichkeit
bahne, wo ihre Frömmigkeit geweckt wird, als wenn ich mit
äußeren und persönlichen Mitteln Seelen bei mir festzuhalten
suche, die in Wahrheit mir nicht gehören, wenn auch mein Kirch turm sie beschattet oder sie innerhalb der roten Linien meines Be
zirks wohnen.
Man sieht, hier schlagen die organisatorischen
Schwierigkeiten auf einmal um in sittliche Forderungen, die sich an die Selbstlosigkeit des Pfarrerstandes und an mich, als eines
seiner Glieder, wenden.') 2) In diesen Erörterungen über die Stellung des Pfarrers Auge
seelsorgerlichen
zu seiner Gemeinde sind vor allem städtische Verhältnisse ins
gefaßt worden.
Denn erst in der Stadt ist der Begriff
„Ge
meinde" ein Problem geworden und Sulzes Reformvorschläge ruhen auf den Nöten der Evangeliumsverkündigung in der Stadt.
kommt die Schwierigkeit in einer anderen Form.
Auf dem Lande
Die Gemeinschaft, auf
deren Bau der Stadtpfarrer soviel Mühe verwenden muß, ist dort etwas Gegebenes.
Es gilt nicht, atomisierte Menschen zu einer Gemeinschaft zu
verschweißen, sondern dem vorhandenen Gemeinschaftsverband, der durch die
verschiedenartigsten Klammern fest zusammengehalten ist, wirkliches Seelen leben einzuflößen. Es gilt die Frömmigkeit der Sitte in ein persönliches Leben des Einzelnen umzusetzen. Hier tritt die Tätigkeit dieses dritten Pfarrertypus der natürlich gewordenen Entwicklung entgegen.
Sie stemmt
sich gegen die Tendenz, die Frömmigkeit zu einem consuetudo, einem Ge wohnheitsding ohne innere Beteiligung zu machen.
Das ist nur dadurch
möglich, daß der Pfarrer recht stark durch seine ganze Amtsführung durch klingen läßt, daß die Seele das einzige Gesäß des Heiligen ist. — Das Pro blem, daß im Gegensatz zum Städter der Bauer nur auf den einen Pfarrer
angewiesen ist, einerlei ob sein Seelenleben dem Betreffenden innerlich ver
wandt ist oder nicht, drückt heute noch nicht. Denn es erscheint erst da, wo die Religion als persönliches Seelenleben empfunden wird, und das ist erst das Ziel, dem wir heute auf dem Lande zustreben. schon sagen:
Aber das darf man jetzt
Der Landpfarrer der Zukunft wird es nicht leichter haben als
sein Kollege in der Stadt.
Er muß, wenn die Entwicklung in dem von
uns gewünschten Sinne verläuft, ein noch reicheres und umfassenderes Innenleben haben als jener, der in den Kollegen eine Ergänzung seines
Wesens erhoffen darf.
Allerdings werden die Differenzierungen des Seelen
lebens in einer geschlossenen Landgemeinde nie so stark sein wie in der
Großstadt, und so ist ein gewisser Ausgleich geschaffen.
60
III.
Der Pfarrer als Seelsorger.
4. Über diese persönlichen, sittlichen Schwierigkeiten, die sich
an diese dritte Auffassung vom Pfarrer-sein anknüpfen, noch ein Wort.
Ich beginne mit der Frage: Muten wir mit dem, was
wir in diesem Abschnitt dem evangelischen Pfarrer als Berufs inhalt zugeschoben haben, den Trägern dieses Berufs nicht zu viel zu?
Wir besinnen uns noch einmal, was der Kern war.
Der Pfarrer soll in alles, was er tut, ein Stück seines persön
lichen Lebens hineinlegen, bei allem soll seine Seele beteiligt
sein, denn nur wo und weil sie mitschwingt, hat sein Tun Wert. Und die Stunden der Stille und der Sammlung, die er hat,
muß er benutzen, um dieser Seele, an die soviel Anforderungen
gestellt werden, neue Nahrung, neue Spannfähigkeit, neue Wir kungskraft zu geben. Kann ein Mensch das aushalten? Muß er
nicht unter der Wucht der Verantwortung zusammenbrechen und
von dieser Innerlichkeit des Berufswirkens, immer Seele und wieder Seele zu geben, frühzeitig aufgezehrt werden? Wie glücklich ist der Nachbar mit seiner priesterlichen Auffassung, bei dem nicht die Seele, sondern „das Wort" alles tun muß, und der, wenn
er schlecht und recht sein Amt ausgeführt hat, mit dem Chorrock den Pfarrer an den Nagel hängt! — Und weiter: wie furchtbar lastend ist das Gefühl, daß wir mit unserem bißchen dürftigem Seelenleben und dem, was wir aus Studium und Erfahrung
innerlich verarbeiten konnten, andere Seelen nähren sollen, be sonders, wenn nun im Seelenleben Zeiten der Dürre kommen,
die doch nicht ausbleiben, wo wir froh sind, wenn wir ein wenig Speise für die eigene matte Seele finden, und wir sollen Anderen
Kraft und Halt sein. Ist es dann nicht ein Unrecht an der Seele
des Pfarrers und an der ganzen Gemeinschaft, die man ihm an
vertraute, daß man alles so auf das bißchen dürftiges menschliches Seelenleben stellte, anstatt auf die von allem Fluten und Ebben in der Seele unabhängigen, stets gleichbleibenden, starren Ob jekte? — Und im Gegensatz dazu: wenn der Pfarrer eine inner
lich reiche Persönlichkeit ist oder auch nur solche Zeiten der Hochflut hat, wo er andere mit Leichtigkeit speisen kann aus
Der Pfarrer als Seelsorger.
III.
61
den Schätzen seines Seelenlebens, ist da nicht die Gefahr der Selbstüberhebung und des Stolzwerdens furchtbar groß?
Ist
diese Eitelkeit und dieser Dünkel nicht noch viel einschneidender als der Stolz des Priesters?
Denn dieser gründete sich doch
auf das Amt und die Würde, jene aber auf ganz persönliche Qualitäten des Menschen selbst! — Und endlich: wie steht es
mit den unfähigen Pfarrern, wie mit den Mietlingen?
Denn
wir wollen uns nicht verhehlen, daß in einem Stand, der Tau
sende umfaßt, wir doch auch mit solchen zu rechnen haben.
Sind
sie nicht viel ungefährlicher unter der Herrschaft der objektiven Frömmigkeitsformen, als bei dieser, wo auf die Seelenqualität
so alles ankommt?
Dort deckte das Amt den Mann, und auch
wo man ihm persönlich die Hochachtung versagen mußte, konnte man sich an diese Amtswürde klammern. ist hier verbaut.
Aber dieser Ausweg
Denn wir können jetzt nur noch wirken durch
das, was wir wirklich sind. Schwierigkeiten die Hülle und Fülle! —
nicht, daß ich sie im Handumdrehen beseitige.
Man erwarte Sie sollen auch
gar nicht gedanklich oder organisatorisch beseitigt werden.
Denn
man sehe sie sich näher an und frage, woher sie kommen.
Dann
wird man die Entdeckung machen, daß diese Schwierigkeiten aus einer ganz anderen Quelle stammen, als die Bedenken, die wir
bei
der
priesterlichen
und
evangelisatorischen Auffassung des
evangelischen Pfarrerberufs geltend machen mußten.
Denn jene
Bedenken gingen darauf zurück, daß in den angeführten Frömmig
keitsformen das Evangelium nur verkümmert oder bruchstückartig
zu seinem Recht kam.
Diese Schwierigkeiten aber rühren daher,
daß wir mit unserer menschlichen Schwäche, Unvollkommenheit und Sünde stark hinter dem Ideal zurückbleiben, welche das in seinem Kern
erfaßte
Evangelium
unserer Berufsarbeit
stellt.
Wir empfinden, daß wir solchen Schatz in irdenen Gefäßen
haben, nämlich in den schwachen Gefäßen unseres eigenen Seelen
lebens.
Dieser Stachel soll jedem Pfarrer bleiben; wehe dem
Pfarrer, der ihn nicht mehr fühlt!
Nötig ist nur, daß die ge-
III.
62
Der Pfarrer als Seelsorger.
nannten Schwierigkeiten nicht so stark auf uns lasten, daß wir auf Grund unseres Unwerts daran verzweifeln, daß unsere Per son und unser Stand solch ein Gefäß des Heiligen sein kann.
Und da darf ich zum Schluß folgendes sagen:
1. Hinsichtlich der Furcht vor den Mietlingen.
Der Pfarr
stand wird um so mehr vor solchen Mietlingen geschützt sein, je mehr wir das skizzierte Ideal verwirklichen, daß der Pfarrer nur
durch den Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit seinen Beruf er
füllen kann.
Es muß gebrochen werden mit der immer noch
weitverbreiteten Meinung, daß unter den gelehrten Berufen das
Pfarrerleben das leichteste ist, und die Anreizung, aus solchen niederen Beweggründen diesen Beruf zu wählen, muß fallen.
Sie wird auch fallen, wenn jeder weiß, daß er nichts geringeres als seine ganze Seele diesem Beruf darbringen muß.
Dieser hohe
Einsatz wird zugleich die andern Geister reizen, die heute dem Be ruf fernbleiben, weil sie meinen, es handele sich in ihm nur um
die handwerksmäßige Tätigkeit des Taufens, Trauens und Be
grabens und um die von aller eigenen Beteiligung losgelöste Re produktion alter, morscher und zweifelhaft gewordener Wahrheiten.
2. Für jenes Fluten und Abebben im eigenen Seelenleben wollen wir uns an die Offenbarung halten, die Paulus in seiner
Seele erlebt hat: meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Wir wollen wissen, daß das nicht die großen Stunden sind, wo wir im Gefühl des eigenen Habens vor unsere Gemeinden treten,
um aus unserem Reichtum sie zu nähren, sondern oft die, wo
sie eine arme, ringende, sich sehnende Seele vor sich sehen, und wo die Wirkungen, die von dieser armseligen Seele ausgehen, gerade wegen dieser Armseligkeit als göttlich, als Gnade empfunden werden. Über dem Leben des Seelsorgers steht als eine War
nung in der Ekstase und als eine Tröstung in der Nieder
geschlagenheit noch immer das Wort: wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.
3. Wenn die Innerlichkeit und Seelenarbeit unseres Berufs auf uns lastet, so daß wir manchmal das Gebet auf den Lippen
UI.
63
Der Pfarrer als Seelsorger.
haben: „Herr, nimm's von mir, es ist zu schwer", dann wollen
wir wissen, daß es noch ein höheres Ziel gibt als die Form der Gemeinschaft, wo der eine aus seiner Seele immer gibt und der
andere von jenem Seelenleben zehrt.
Nämlich das Ziel, das in
dem Wort eingeschlossen ist: „es wird keiner den anderen lehren
und sagen, erkenne den Herrn". Wir werden uns erinnern, daß auch wir schon Ähnliches erlebt haben. Wir denken an Stunden
gegenseitigen Austausches, denken, wie wir manchmal kamen als Geben-sollende, und wir nahmen viel mehr mit, als wir zurückließen. Das schwebt uns als wahre Gemeinschaft vor, daß „Ihn alle kennen, beide klein und groß". Dies Ideal der Gemeinschaft bedeutet nicht die Aufhebung, Abschaffung oder Überflüssigkeit
eines besonderen Pfarrstandes.
Gerade je mehr wir in unserem
Gemeinschaftsleben diesem Ziel uns nähern, um so mehr enthüllt
unser Beruf uns und anderen seine Schönheiten.
Denn was
kann es Schöneres geben, als der Kristallisationspunkt zu sein für einen Kreis selbständiger Menschen, die im gegenseitigen
Nehmen und Geben den Inhalt ihrer Gemeinschaft erleben. Hier
wird dann — freilich in ganz anderem Sinne — das erreicht, was die priesterliche Frömmigkeit darstellen wollte. Diese Gemein
schaft sammelt sich um ein gemeinsames Heiligtum, aber dieses Heilige wird nicht mehr angeschaut in Objekten und Symbolen.
Es wird von den Gliedern der Gemeinschaft erschaut in dem
Evangelium, das in Form von Seelenleben sich keusch und
-schlicht enthüllt, und über diesem Kreise schwebt das Wort: Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.
Verlag von Mfred Töpelmann (vormals I. Ricker) in Gießen
Dorfpfarrer und Dorfpredigt Fragestellungen und Antwortversuche von 1909
Pastor
Lic. Dr. Julius Voehmer
Zürstenselde
m. 5.20
[Studien z. prahl. Theologie, Hrsg, von L. dienten, K. Eger». ITC. Schian, 3. Bö. fj.4] „(Es kam mir darauf an, in den Geisteskampf, der zurzeit um den Dorf pfarrer und die Dorfpredigt tobt, einige große Richtlinien einzuschieben und vor allem die historische Grundlegung zum Entscheid vieler heißumstrittenen Fragen zu bieten, vielleicht darf ich hoffen, daß meine Ausführungen, die zum Teil entlegenes Material zusammentragen und ein bisher wenig oder gar nicht bearbeitetes Gebiet behandeln, auch unabhängig von der brennenden Streitfrage, von der sie ausgehen, ihren wert haben. Sie möchten den weiten Kreisen derer, die hier in Betracht kommen, an ihrem Teil Anleitung geben, der Eigenart und selbständigen Bedeutung von Oorfpfarrer und Dorfpredigt in höherem Maße als bisher gerecht zu werden."
Die predigt im 19. Jahrhundert Kritische Bemerkungen und praktische Winke von 59 S.
Professor
0. Pau! Drews
in Halle
1 Mark
Was Drews betont, scheint mir fast der springende Punkt für die Hebung der predlgtnot zu sein. Oldenburg. Rirchenblatt.
Wie predigen wir der Gemeinde der Gegenwart? Lin Konserenzvortrag von 54 S.
Pfarrer
Walther Wolff
in Aachen
1 Mark
Der eine Zweck dieser Schrift- Illusionen über die Beschaffenheit der Ge meinden zu zerstören, ist vom Verfasser erreicht; möchte ebenso der andre erreicht werden, die moderne predigt ihrem Ziele näher zu bringen, daß sie „Menschen mitten in uns. Gegenwart hilft, Christen zu werden, nicht Kopien von Christen, die es irgend einmal gegeben hat, sondern eigenartige und selbständige", ttirchl. Gegenwart.
Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker) in Gießen
Sell, K., Die geschichtliche Entwicklung der Kirche im 19. Jahrh, und die ihr dadurch gestellte Aufgabe. Erschien zusammen mit:
Heinrici, G., Die Forschungen üb. die paulin. Briefe. (V. 2) M. 1.60 Herrmann, W., Der Begriff der Offenbarung. Erschien zusammen mit: Müller, K., Bericht über den gegenwärtigen Stand der Forschung auf d. Gebiet der vorreformatorischen Zeit. (V. 3, vergl. 28) M. 1.—
Sachße,E», Über d. Möglichkeit, Gott zu erkennen. (Vortr. 4) M. 1.— Eibach, R., Über die wissenschaftliche Behandlung und praktische Benutzung der Heiligen Schrift.
Erschien zusammen mit:
Schürer, E., Über den gegenwärtigen Stand der johanneischen Frage. (Vortr. 5)
M. 1.—
Ehlers, R., Das Neue Testament und die Taufe. (Vortr. 6) M. 1.— Kattenbusch, F., Von Schleiermacher zu Ritschi. Zur Orien tierung über die Dogmatik des 19. Jahrh. 3., veränd. Ausl, mit e. Nachtrag über die neueste Entwicklung. (Vortr. 7) M. 1.75 Reischle, M., Sohms Kirchenrecht und der Streit über das Ver hältnis von Recht und Kirche. (Vortr. 8) M. 1.— Flöring, Fr., Das Alte Testament im ev. Relig.-Unterr. (V.9) M. 1.— Walz, K., Veräußerlichung, eine Hauptgefahr für die Ausübung des geistlichen Berufes in der Gegenwart. (Vortr. 10) M.—.80 Mirbt, C., Der deutsche Protestantismus und die Heidenmission im 19. Jahrhundert. (Vortr. 11) M. 1.20 Deißmann, G. A., Die sprachliche Erforschung der griech. Bibel, ihr gegenwärtiger Stand u. ihre Aufgaben. (Vortr. 12) M. —.80 Rade, M., Religion u. Moral. Streitsätze f. Theologen. (V. 13) M. —.60 Krüger, G., Die neuen Funde auf dem Gebiete der ältesten Kirchengeschichte (1889—1898). (Vortr. 14) M.—.60 Foerster, E., Die Rechtslage des deutschen Protestantismus 1800 und 1900. (Vortr. 15) M.—.80 Weiß, J., Die Idee d. Reiches Gottes in d. Theologie. (V. 16) M. 1.50 Holtzmann, O., Die jüdische Schriftgelehrsamkeit zur Zeit Jesu. (Vortr. 17) M. —.70 Budde, K., Das Alte Testament und die Ausgrabungen. Ein Beitrag zum Streit um Babel und Bibel. 2. Ausl, mit vielen Anmerkungen. (Vortr. 18) M.—.90
Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Rieker) in Gießen
Drews, P., Die Predigt im 19. Jahrhundert.
Kritische Be merkungen und praktische Winke. (Vortr. 19) M. 1.— Eibach, R., Unser Volk und die Bibel. Ein Nachwort zum Bibelund Babelstreit. (Vortr. 20) M. —.60 Wiegand, F., Das apostolische Symbol im Mittelalter. Eine Skizze. (Vortr. 21) M. 1.— Dechent, H., Herder und die ästhetische Betrachtung der Heiligen Schrift. (Vortr. 22) M. —.75 Köhler, W., Katholizismus und Reformation. Kritisches Referat über die wissensch. Leistungen der neueren kathol. Theologie auf dem Gebiete der Reformationsgeschichte. (Vortr. 23) M. 1.80 Eger, K., Das Wesen der deutsch-evangelischen Volkskirche der Gegenwart. (Vortr. 24) M. 1.25 Knopf, R., Der Text des Neuen Testaments. Neue Fragen, Funde und Forschungen der Neutest. Textkritik. (Vortr. 25) M. 1.— Bornemann, W., Der Konfirmanden- und der Religionsunterricht in der Schule in ihrem gegenseitigen Verhältnis. (V.26) M. 1.80 Preuschen, E., Die philologische Arbeit an den älteren Kirchen lehrern und ihre Bedeutung für die Theologie. (Vortr. 27) M. 1 20 Herrmann, W., Offenbarung und Wunder. Zwei Vorträge [wo von der erste ein vielfach veränderter Abdruck von Vortrag 3, s. dort]. (Vortr. 28) M. 1.40 Veit, W., Was soll der evangelische Gemeindepfarrer sein: Priester, Evangelist oder Seelsorger? (Vortr. 29) M. 1.50
Vorträge des Hessischen und Nassauischen Ferienkurses Achelis, E. Chr., Der Dekalog als katechetisches Lehrstück. (Vortr. 1)
M. 1.40 Holtzmann, 0., Der christliche Gottesglaube. Seine Vorgeschichte und Urgeschichte. (Vortr. 2) M. 1.60 Jülicher, A., Neue Linien in der Kritik der evangelischen .Überlieferung. (Vortr. 3) M. 1.60
Verlag von Alfred Töpelmann (vormalsI.Ricker) in Gießen
Martin Zchian orb. Professor her Theologie zu Gießen
Zur Beurteilung der modernen 125 Seiten positiven Theologie Die evangelische Kirchgemeinde [StuMen zur praktischen Theologie, herausgegeden von