»Was soll und kann der Staat noch leisten?«: Eine politische Geschichte der Privatisierung in der Bundesrepublik 1949–1989 [1 ed.] 9783666355936, 9783525355930

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»Was soll und kann der Staat noch leisten?«: Eine politische Geschichte der Privatisierung in der Bundesrepublik 1949–1989 [1 ed.]
 9783666355936, 9783525355930

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Thomas Handschuhmacher

»Was soll und kann der Staat noch leisten?« Eine politische Geschichte der Privatisierung in der Bundesrepublik 1949–1989

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Hans-Peter Ullmann

Frühere Herausgeber Helmut Berding, Hans-Ulrich Wehler (1972–2011) und Jürgen Kocka (1972–2013)

Band 231

Thomas Handschuhmacher

»Was soll und kann der Staat noch leisten?« Eine politische Geschichte der Privatisierung in der Bundesrepublik 1949–1989

Vandenhoeck & Ruprecht

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © Volkswagen Aktiengesellschaft Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0130 ISBN 978-3-666-35593-6

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Erster Teil: »Soziale Privatisierung« – »Soziale Marktwirtschaft«, 1949–1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Privatisierung als (ordnungs-)politisches Projekt . . . . . . . . . . . . 29 1.1 Ordoliberalismus und »Soziale Marktwirtschaft« . . . . . . . . . . 29 1.2 Privatisierungsforderungen – Privatisierungsabsichten . . . . . . 41 2. Die (Teil-)Privatisierung des Volkswagenwerkes . . . . . . . . . . . . . 56 2.1 Wirtschaftliche Bedeutung und ungeklärte Rechtsfragen . . . . . 56 2.2 Der öffentliche Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.3 Zwischen Ermöglichung von »Wettbewerb« und Eindämmung »wirtschaftlicher Macht« . . . . . . . . . . . . . 63 2.4 Die Aktiengesellschaft als künftige Rechtsform . . . . . . . . . . . 75 2.5 »Soziale Privatisierung« durch Ausgabe von »Volksaktien« . . . . 80 3. »Soziale Privatisierung« – »Soziale Marktwirtschaft« . . . . . . . . . . 99 Zweiter Teil: Zwischen Verstaatlichung und neuer Privatisierungsdiskussion, 1965–1980 . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Von der Privatisierung zur Verstaatlichung . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Das Projekt eines »nationalen Mineralölkonzerns« . . . . . . . . . . . 114 2.1 Die Mineralölversorgung der Bundesrepublik als politisches (Sicherheits-)Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2.2 Frühe Überlegungen zur Zusammenführung deutscher Mineralölunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2.3 Das Zusammenschlussvorhaben VEBA-Gelsenberg . . . . . . . . 147 2.4 Zwischen Wettbewerbstheorie und wirtschaftspolitischer Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2.5 Enttäuschte Erwartungen und das Ende des »nationalen Mineralölkonzerns« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3. Eine neue Privatisierungsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Dritter Teil: Die Verheißung der »Entstaatlichung«, 1980–1989 . . . . . . 213 1. »Entstaatlichung« als verheißungsvolles politisches Projekt . . . . . . 213 1.1 Zwischen Revitalisierung und Revision . . . . . . . . . . . . . . . 213 1.2 Zwischen Entschlossenheit und Prüfungsbedürftigkeit . . . . . . 238 5

2. Die »Postreform I« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2.1 Kontinuitäten der Reformdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2.2 Vorentscheidungen und Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . 262 2.3 Aufgaben der »Daseinsvorsorge« als Grenze des unvermeidbaren Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2.4 Die Trennung des »Schiedsrichters« vom öffentlichen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2.5 Der »erste Schritt« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 3. Die Verheißung der »Entstaatlichung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

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Einleitung Nicht erst seit der jüngsten Finanz- und Staatsschuldenkrise gilt die »Transformation« des kapitalistischen Wirtschaftsmodells als eine der prägendsten Problemlagen unserer Gegenwart.1 Die Entwicklungstendenzen, die diesen Wandlungsprozess kennzeichnen und zugleich vorantreiben, haben Sozial- und Politikwissenschaftler im Laufe der vergangenen Jahre wortreich beschrieben und in eingängigen Formeln auf den Begriff gebracht. In ihren Zeitdiagnosen beschwören sie beispielsweise einen erneuerten »Geist des Kapitalismus«,2 beobachten einen wieder aufbrechenden »kapitalistische[n] Klassenwiderspruch« im Zeichen einer »Restrukturierung des kapitalistischen Systems«,3 skizzieren eine dauerhafte »Krise des demokratischen Kapitalismus«4 oder verorten die (kapitalistischen) Gesellschaften der Gegenwart in einem »postdemokra­tischen«5 Zeitalter. Wenn sich diese besonders wirkmächtigen Deutungsangebote in ihrer disziplinären und theoretischen Fundierung sowie ihrer begrifflichen Etikettierung und Thesenbildung auch voneinander unterscheiden, stimmen sie doch mit Blick auf den Wandel des kapitalistischen Wirtschaftsmodells in ihrer grundlegenden Problemdiagnose überein. Denn im Kern handeln die Studien von Veränderungen im Verhältnis einer auf Kapitalakkumulation ausgerichteten Wirtschaft6 zu anderen gesellschaftlichen Funktionsbereichen. Den Beginn dieser Wandlungsprozesse verlegen die Autoren in die siebziger Jahre, in deren Verlauf der »Kompromiß zwischen den Interessen der kapitalistischen Wirtschaft und denen der arbeitenden Bevölkerung« erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sichtbare Risse bekommen habe.7 Betrachtet man die Transformationen im Verhältnis unter­schiedlicher gesellschaftlicher Funktionsbereiche mit den Autoren etwas genauer, lassen sich zwei grundlegende Entwicklungstendenzen beobachten, die insbesondere das Verhältnis Wirtschaft – Politik betreffen: Erstens verweist der oben zitierte Topos vom aufbrechenden Kompromiss verschiedener Interessenlagen auf ein zunehmendes Auseinanderdriften von Wirtschaft 1 »Transformation« bezeichnet hierbei eine Form von Wandel, der sich anhand eines referentiellen Bezugspunktes beobachten und in seinem zeitlichen Verlauf analysieren lässt. Grundlegend zum Begriff der »Transformation«: Hepp u. Lehmann-Wermser. 2 Boltanski u. Chiapello. 3 Hirsch, Vorwort, S. 7. 4 Streeck, Zeit. 5 Crouch. 6 Dieses Streben »nach unbegrenzter Kapitalakkumulation« lässt sich mit Luc Boltanski und Ève Chiapello als die »Minimalformel« begreifen, auf die sich unser gegenwärtiges Verständnis von »Kapitalismus« bringen lässt; Boltanski u. Chiapello, S. 39–42, Zit. S. 39. 7 Crouch, S. 15. Ähnlich: Streeck, Zeit, S. 10–11; Hirsch, Vorwort, S. 7–8.

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und Politik, das sich insbesondere am Verlust politischer Steuerungsfähigkeit ablesen lasse.8 Begleitet und zugleich angetrieben werde diese spannungsreiche Entfremdung zweitens von einem Prozess der zunehmenden Durchdringung politischer Institutionen mit öko­nomischen Denk- und Verhaltensweisen, der die Grenzen beider Funktionsbereiche zunehmend verwische und mit dem Verlust staatlich-politischer Legitimität einhergehe.9 Die Befunde politischer Steuerungs- und Legitimationsprobleme deuten be­reits an, dass die beiden Prozesse einer zunehmenden Entpolitisierung des Ökonomischen bei gleichzeitiger Ökonomisierung des Politischen den Rahmen bilden für eine sich simultan vollziehende Wandlung der Staatstätigkeit, die Sozial-, Politikwissenschaftler und auch Historiker ebenso wortgewaltig charakterisieren. Im Kern beobachten sie einen grundlegenden Wandel staatlicher Zuständigkeitsbereiche, Funktionsweisen und Legitimations­strategien, den sie als wesentliche Erscheinungsform der oben skizzierten Verschiebungen im Verhältnis gesellschaftlicher Funktionsbereiche deuten. Die Transformation von Staatlichkeit, so die weiteren zentralen Befunde, betreffe in besonderem Maße die wirtschaftlichen Aufgabenbereiche des Staates und vollziehe sich keineswegs als gleichsam unaufhaltsame Entwicklung, sondern werde von den Regierungen begünstigt, wenn nicht gar maßgeblich vorangetrieben. Freilich ist dieser Prozess nicht nur ebenso variantenreich wie seine Etikettierungen, die von »Entstaatlichung« und »Ver­markt­lichung« über »Privatisierung« und »Deregulierung«, »Ökonomisierung« und »Kommerzialisierung«10 sowie »Finanziali­ sierung«11 bis hin zu »Liberalisierung« reichen. Auch die Ergebnisse der Studien differieren und bewegen sich von der eher deskriptiven Diagnose einer »Transformation« des Staates »[v]om Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbs­ staat«12 bzw. »vom Erfüllungs- zum Gewährleistungsstaat«13 über den Befund 8 Diese Tendenz macht Wolfgang Streeck besonders stark, wenn er von einer »Immunisierung der Wirtschaft gegenüber der Demokratie« schreibt und der Krisentheorie des Spätkapitalismus vorhält, die grundsätzliche Steuerbarkeit der kapitalistischen Wirtschaft nicht infrage zu stellen; Streeck, Zeit, S. 24–27, Zit. S. 27. Den Begriff »Spätkapitalismus« prägten nachdrücklich: Habermas; Offe, Strukturprobleme. Boltanski und Chiapello fangen das skizzierte Spannungsverhältnis ein, indem sie im Anschluss an Fernand Braudel den Kapitalismus von seiner regelbasierten Einhegung in Form einer Marktwirtschaft abgrenzen; Boltanski u. Chiapello, S. 40; Braudel, S. 237–268, v. a. S. 244. 9 Zuletzt ausführlich, allerdings mit ausschließlichem Blick auf die Vereinigten Staaten der Gegenwart: Brown. Auf diese Entwicklung verweist auch Colin Crouch, wenn er die »Grenze zwischen Wirtschaft und Politik« als »semipermeabel« bezeichnet; Crouch, S. 125. Mit dem Verweis auf Legitimitätsprobleme staatlichen Handelns knüpft diese Problembeschreibung ebenso an die Krisendiagnostik des Spätkapitalismus an, die insbesondere das Legitimitätsproblem als prägend für die Krise des Kapitalismus identifiziert, vgl. ­Habermas; Offe, Strukturprobleme. 10 Schaal; Kettner. 11 Aus historischer Perspektive: Berghoff; ders. u. Rischbieter; Kocka, S. 92–99. 12 Hirsch, Transformation. 13 Ambrosius, Reformen, S. 218. Ähnlich: Power; Genschel u. Zangl.

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mangelnder politischer Handlungsfähigkeit sowie »staatliche[r] Autorität«14 bis hin zum normativ stark aufgeladenen Vorwurf der »Entmündigung«15 oder »Selbst­entmachtung« des Staates, der mit dem Plädoyer verbunden wird, eine öffentliche Debatte über das Verhältnis Staat – Markt zu führen.16 Die vorliegende Studie wird diese zunehmend aufgeheizte Debatte nicht weiter befeuern und in den Chor derer einstimmen, die im Angesicht von Transformationen des Kapitalismus und deren Auswirkungen auf staatliche Funktionsweisen einen Abgesang auf den Staat anstimmen. Vielmehr bildet die zeitgenössische Problemdiagnose schrumpfender staatlicher Zuständigkeiten und Handlungsmöglichkeiten den Ausgangspunkt der Unter­suchung, die diese Entwicklungen in ihrem historischen »Gewordensein«17 zu fassen sucht. Ziel der Studie ist demnach, die Vorgeschichte der gegenwärtig häufig unterstellten »Staatsvergessenheit«18 zu erforschen und den historischen Bedingungen von Entstaat­lichungs­prozessen nachzuspüren.19 Diese Spurensuche richtet sich im Folgenden nicht auf sämtliche Bereiche öffentlicher Tätigkeit und Leistungserbringung, sondern auf die ökonomischen Handlungs­felder des Staates, die in den beiden Kernaufgaben der Bereitstellung und Regulierung aufgehen.20 Die Bereitstellungsfunktion, welche die verschiedenen Rollen des Staates als Anteilseigner von Unternehmen sowie als Produzent und Anbieter von Gütern und Dienstleistungen bündelt, ist, so die einhellige Forschungsmeinung, durch anhaltende Privatisierungsmaßnahmen in besonderem Maße von den eingangs skizzierten Transformationsprozessen betroffen. »Privatisierung« lässt sich im Anschluss an die Theorie ökonomischer Verfügungsrechte21 verstehen als Gesamtheit »alle[r] Prozesse, die den Einfluß14 Crouch, S. 8, 123–129, Zit. S. 123. Ähnlich: W. Reinhard, S. 123. 15 Doering-Manteuffel, Entmündigung. 16 Engartner u. Laschet; Engartner, Liberalisierung. Für weitere Beispiele der skizzierten Krisendiagnostik vgl. Scholl, S. 356–358. 17 Dieser Begriff geht zurück auf Max Weber, der Sozialwissenschaft als »Wirklichkeitswissenschaft« verstanden wissen wollte mit dem Ziel, die eigene Gegenwart – bei Weber: »Wirklichkeit« – »in ihrer heutigen Gestaltung« sowie »die Gründe ihres geschichtlichen So-undnicht-anders-Gewordenseins« zu begreifen; Weber, Objektivität, S. 44. 18 Engartner u. Laschet, S. 103. Vor der prädisponierenden Annahme eines Erosionsprozesses von Staatlichkeit warnt: Schuppert, Wandel. Eine differenziertere Position in diesem Sinne nehmen beispielsweise ein: Bellini und Rödder, S. 214–267, sowie die Beiträge in: Heinze und Pierre. 19 Damit knüpft die Studie an das Plädoyer von Hans Günter Hockerts an, Zeitgeschichte als »Vorgeschichte gegenwärtiger Problemkonstellationen« zu betreiben; Hockerts, S. 124. 20 Diese Ausgangsüberlegung knüpft an die Typologie »unternehmerischer« Staatstätigkeit an, die dem Teilprojekt C7 des Bremer SFB 597 »Staatlichkeit im Wandel« zugrunde liegt; vgl. Obinger. Die »Finanzierung« als dritte Form »unternehmerischer« Staatstätigkeit, die diese Typologie vorsieht, findet hier keine Berücksichtigung. Zur Rezeption des vom SFB 597 vertretenen Forschungskonzepts vgl. Schuppert, Wandel. Grundlegend zur ökonomischen Staatstätigkeit und deren Wandel: Leibfried, S. ­357–464; Stiglitz. 21 Grundlegend: Demsetz.

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bereich politischer Verfügungsrechte über ökonomische Güter zugunsten des Dispositions­spielraums privater Verfügungsrechte vermindern«.22 Diese Prozesse folgen keinem einheitlichen Muster, sondern lassen sich nach drei Typen unterscheiden.23 So sind materielle Privatisierungsformen primär auf die Rolle des Staates als Anteilseigner gerichtet, heben sie doch auf die (teilweise) Veräußerung staatlichen Unternehmensbesitzes an Private ab. Formale Privatisierungen bedeuten die Umwandlung der Rechtsform öffentlichen Wirtschaftens, richten sich also auf die formale Ausgestaltung der staatlichen Bereitstellungsaufgaben.24 Funktionale Privatisierungen hingegen betreffen die beiden Rollen des Staates als Produzent und Anbieter, die sie jedoch voneinander entkoppeln. So trägt der Staat weiterhin die Verantwortung für öffentliche Dienstleistungen, deren Bereitstellung bzw. Finanzierung allerdings private Unternehmen übernehmen.25 Die Regulierungsaufgabe des Staates wiederum lässt sich  – im ökonomischen Sinne – begreifen als das öffentliche Ansinnen, unternehmerisches Handeln auf Märkten durch verbindliche Regeln einzuhegen und zu kontrol­lieren. Unter diesem weit gefassten Verständnis von Regulierung lassen sich somit sowohl marktschaffende Maßnahmen, die zumeist unter dem Begriff »Deregulierung« versammelt werden, als auch politisch-administrative Eingriffe und Marktzutrittsbeschränkungen  – beispielsweise in Form von staatlichen Monopolen – subsumieren.26 Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit wird auf der staatlichen Bereitstellungsfunktion liegen, deren Geschichte eng mit den Veränderungen der Regulierungsaufgaben verflochten ist. Um den Wandel beider Aufgabenfelder einzufangen, fungieren die Begriffe »Entstaatlichung« und »Ver­staatlichung«, die auch in zeitgenössischen Debatten gebräuchlich waren, als heuristische Termini, in denen beide Aufgabentypen aufgehen.27 So umfasst »Entstaat­lichung« die skizzierten Varianten von Privatisierung wie auch Maßnahmen zum Abbau von Markt22 Windisch, S. 8. Ebenso: Spelthahn, S. 9–10. Damit liegt der Studie ein dezidiert ökonomisches Verständnis von »Privatisierung« zugrunde, während soziale oder religiöse Wandlungsprozesse und Formen der Subjektivierung keine Berücksichtigung finden. 23 Vgl. zur Typologie von Privatisierungsprozessen: Budäus, S. 14–17; Obinger, S. 211–219; Abromeit, S. 70; Mayer, S. 18–21. 24 Hier lassen sich zwei Subtypen unterscheiden, nämlich die Umwandlung einer Verwaltungseinheit in ein öffentlich-rechtliches Unternehmen von der Transformation eines solchen öffentlich-rechtlichen Unternehmens in ein Unternehmen des Privatrechts, bspw. eine Kapitalgesellschaft; vgl. Obinger, S. 212. 25 Zum Zusammenhang von Privatisierung und staatlicher »Verwaltungsverantwortung«: Schuppert, Staat. Zur Trennung von Bereitstellung und Finanzierung / Produktion im Zuge funktionaler Privatisierungen: Kämmerer, Typologie, S. 23, 38–40. 26 Gehlen u. Schulz, S. 2–3. »(De-)Regulierung« lässt sich auf diese Weise zudem vom weiter gefassten Terminus »(Ent-)Bürokratisierung« abheben, der in einem umfassenderen Sinne auf die Ausgestaltung von Verwaltungsvorschriften abhebt. 27 Beide Prozesse werden in der (politikwissenschaftlichen) Forschung zuweilen als Verlaufsformen der »Reorganisation« öffentlichen Wirtschaftens beschrieben, so etwa in: Bieling.

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zutrittsbeschränkungen. Die Zunahme staatlichen Einflusses durch Erwerb von Unternehmensanteilen, die Definition neuer öffentlicher – von Verwaltungseinheiten oder öffentlich-rechtlichen Organisationen zu erfüllender  – Aufgaben, vermehrte öffentliche Leistungserbringung wie auch regulierende Markteingriffe werden hingegen mit dem heuristischen Etikett »Verstaat­lichung« versehen. Diese Terminologie wird hier gegenüber dem Begriff »Vermarktlichung«28 bevorzugt, um die wirtschaftlichen Aufgabenbereiche des Staates zu fokussieren, statt den analytischen Blick auf Märkte als Sozialräume zu lenken. Aus dem Anspruch, den Wandel wirtschaftlicher Staatstätigkeiten auf Grundlage einer differenzierten Begrifflichkeit möglichst umfassend zu untersuchen und die Perspektive nicht auf einzelne Aspekte zu verengen, ergibt sich unmittelbar das Ziel, der Studie auch eine zeitliche Tiefe zu geben. So wird sich die nachfolgende Analyse nicht auf die Zeit seit den späten siebziger Jahren beschränken, in der nach einhelliger Forschungs­meinung der oben skizzierte Transformationsprozess von Staatlichkeit seinen Anfang nahm. Die Untersuchung setzt vielmehr mit den fünfziger Jahren ein, die – blickt man auf die Bundes­republik als »Mutterland großer Privatisierungen«  – bereits größere Entstaat­lichungsvorhaben kennzeichneten.29 So begann der Bund schon in den Jahren 1959 bis 1965, seine Anteile an der Preußischen Elektrizitäts- und Hütten-Aktien­gesellschaft – seit 1971 kurz »Preussag« genannt –, dem Volkswagenwerk sowie der Vereinigten Elektrizitäts- und Bergwerks-Aktiengesellschaft – kurz: VEBA – durch den Verkauf sogenannter »Volksaktien« zu verringern. Ferner umfasst der ausgedehnte Untersuchungs­zeitraum auch die späten sechziger und siebziger Jahre, die auf Bundesebene nicht Prozesse der Ent­staatlichung prägten, sondern die stattdessen im Zeichen wachsender staatlicher Unter­nehmens­beteiligungen und der Definition neuer öffentlicher Aufgaben- und Zuständig­keitsbereiche standen. Die achtziger Jahre wiederum, in denen nach der Amtsübernahme der schwarzgelben Bundesregierung ein Schub von Privatisierungs- und Deregulierungs­ maßnahmen einsetzte, sind schließlich Gegenstand des letzten Untersuchungsabschnitts. Die Erweiterung der zeitlichen Perspektive ermöglicht mithin, verschiedene Phasen zu unterscheiden und den Wandel wirtschaftlicher Tätigkeitsfelder des Staates nicht als gleichsam teleo­logischen Prozess zu begreifen – was die Semantik von »Ent-Staatlichung« nahe­legen mag –, sondern im Gegenteil dessen längerfristige Kontinuitätslinien wie auch bruchhafte Verlaufsformen zu erkunden. Der regionale Schwerpunkt wird auf der alten Bundesrepublik liegen. Abgesehen von einordnenden Bemerkungen zu inter­nationalen Trends, werden Seitenblicke auf andere Länder im Zuge der Analyse daher lediglich unternommen, wenn die dortigen Entwick­lungen als Referenzrahmen für die bundesrepublikaDa dieses Etikett jedoch nicht präzise genug erscheint, findet es im Folgenden keine Verwendung. 28 Zu »Vermarktlichung« als Terminus historischer Analyse: Ahrens, Perspektiven, S. 396, 399. 29 Knauss, Privatisierung, S. 142.

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nischen Debatten fungierten. Der Anspruch der Studie ist also nicht, den Wandel ökonomischer Staatstätigkeit für einen vergleichsweise kurzen Zeitabschnitt in international vergleichender Perspektive zu beleuchten. Vielmehr geht es darum, diesen Prozess an einem nationalen Beispiel über einen längeren Zeitraum von mehreren Jahrzehnten nachzu­verfolgen. Darüber hinaus liegt der Studie die Annahme zugrunde, dass der Wandel von Staatlichkeit vornehmlich als »Wandel des Staatsaufgaben-Verständnisses«30 zu untersuchen, die Analyse also auf die Definitionen, Begründungs- und Legitimationsweisen wirtschaftlicher Staatstätigkeiten auszurichten ist. Damit geraten insbesondere leitende Semantiken und Bezeichnungsmuster in den Blick, welche die skizzierten Prozesse der Erweiterung und Verminderung staatlichen Einflusses rahmten und plausibilisierten. Privatisierung und Dere­gulierung – wie auch die komplementären Prozesse der Verstaatlichung – werden demnach nicht aus ökonomischer oder fiskalischer Perspektive betrachtet, sondern als politische Projekte untersucht, mit denen der Anspruch verbunden war, die wirtschaftlichen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche des Staates im jeweiligen historischen Zeitabschnitt verbindlich zu definieren. Die Studie lässt sich mithin leiten von der schon zeitgenössisch vielfach diskutierten Frage: »Was soll und kann der Staat noch leisten?«31 Evidenz verleihen dieser Ausgangsüberlegung auch die Befunde bisheriger Forschungen, wonach der bundesrepublikanische Staatsbesitz im Vergleich zu den westeuropäischen Nachbarn von nachrangiger fiskalischer und ökonomischer Bedeutung war. Da die Bundeskabinette schon in den fünfziger Jahren erste Privatisierungsvorhaben initiierten, während andere europäische Regierungen in großem Umfang Verstaatlichungen – im Englischen: »Nationalisierungen« – einleiteten, fiel das privatisierungsfähige Vermögen im Bundesbesitz beispielsweise in den achtziger Jahren mit einem Wert von rund sechseinhalb Milliarden DM32 vergleichsweise gering aus. Darüber hinaus waren – mit Ausnahme der Telekommunikation – in dieser Zeit eher unbedeutende Wirtschaftszweige Gegenstand der »Entstaatlichungs«-Bestrebungen. Schließlich spricht auch die praktische Durchführung der Vorhaben, die gekennzeichnet war durch ein Auseinanderdriften von verheißungs­vollen Zielankündigungen und deren schleppender, verzögernder Umsetzung, gegen einen ökonomisch-fiskalischen Determinismus.33

30 Schuppert, Wandel, S. 342. 31 So der Titel einer vom CDU-Wirtschaftsexperten Elmar Pieroth im Mai 1975 veranstalteten Tagung: Pieroth, Staat. 32 Der Gesamtwert betrug etwa 370 Milliarden DM, von denen 351,2 Milliarden DM auf die Kommunen und 12,3 Milliarden DM auf die Länder entfielen; so die Berechnungen in: ­Esser, Germany, S. 107. An anderer Stelle beziffert derselbe Autor das Vermögen des Bundes auf achteinhalb Milliarden DM; ders., Privatisation, S. 64. 33 Josef Esser bezeichnet die Privatisierungen in der Bundesrepublik der achtziger und frühen neunziger Jahre aus diesen Gründen gar als »largely symbolic«; Esser, Germany, S. 112.

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Im Zentrum der Studie steht daher die politische Dimension des Wandels wirtschaftlicher Staatstätigkeit. Die vielfach beklagte »Entmündigung« des Staates erweist sich aus dieser Perspektive als Folge eines langfristigen Prozesses der Reformulierung und Umdeutung seiner Aufgaben- und Zuständigkeits­bereiche. Für die Bundesrepublik begann dieser Prozess weder in der jüngeren Vergangenheit noch in den siebziger Jahren, sondern muss bis in deren Gründungsphase zurückverfolgt werden. Die »Epoche der Staatsver­gessenheit«34 hatte eine lange Vorgeschichte. Das Ziel, die Neubestimmung wirtschaftlicher Staatsaufgaben als politisches Projekt zu historisieren, legt nahe, sich an konzeptionellen Überlegungen jüngerer politikhistorischer Forschungen zu orientieren. So sehr sich diese neueren Zugänge zur Politikgeschichte35 auch voneinander unterscheiden, einen sie doch wesentliche Grundüberzeugungen, die vornehmlich auf ihre gemeinsame kulturhistorische Fundierung zurückzuführen sind. Alle Ansätze beruhen auf einem konstruktivistischen Wirklichkeitsverständnis, das Wirklichkeit(en) nicht als gegeben, sondern als sozial und kommunikativ hergestellt begreift.36 Den Rahmen derartiger kommunikativer Prozesse bilden nach dem Ver­ständnis der Neuen Kulturgeschichte symbolisch verfasste  – also mehrdeutige  – »Bedeutungsgewebe« und Sinnsysteme.37 Der Mensch ist demnach gleichermaßen »als ein symbolerzeugendes und symboldeutendes Wesen«38 zu denken, das in diese Gewebe verstrickt ist und durch sie vermittelt seine Umwelt wahrnimmt, zugleich jedoch in der Lage ist, diese Bedeutungsstrukturen durch kommunikatives – und damit (be)deutendes – Handeln zu verändern. Wenn alles soziale Handeln mithin auf Kommunikation – auf Deutung und Bedeutungsproduktion  – beruht, ist, so die fundamentale Annahme kulturhistorischer Politikforschung, auch und im Besonderen »Politik« als ein solcher kommunikativer Modus der Sinnproduktion zu konzeptualisieren. Dass dessen kommunikative Formen auf die Herstellung kollektiver Verbindlichkeit gerichtet sind, hinter den Sinnbildungsprozessen also der Anspruch steht, legitime Bedeutungen und Ordnungen zu produzieren, macht das genuin politische Moment dieses kommunikativen Modus aus.39 34 Engartner u. Laschet, S. 103. 35 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Mergel, Überlegungen; ders., Kulturgeschichte; ders., Kulturwissenschaft; Landwehr, Diskurs; Stollberg-Rilinger; Frevert. Forschungsberichte finden sich bei: Weidner; Bösch u. Domeier. 36 Grundlegend für diese sozialkonstruktivistische Grundüberzeugung: Berger u. Luckmann. 37 Dieses Verständnis von »Kultur« als »Bedeutungsgewebe« geht zurück auf: Geertz, Zit. S. 9. Vgl. zu den Grundannahmen der Neuen Kulturgeschichte, ebenfalls ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Hunt; Daniel; Dinges. 38 Mergel, Kulturgeschichte, S. 4. 39 Damit orientiert sich die »Kulturgeschichte der Politik« unmittelbar am Politikverständnis Niklas Luhmanns, der »Politik« als »das Bereithalten der Kapazität zu kollektiv bindendem Entscheiden« definiert; Luhmann, Politik, S. 84. Vgl. Mergel, Überlegungen, S. 587; ebenso:

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Mit dem Ziel, die kommunikative Produktion verbindlicher Ordnungen und Bedeutungen zu untersuchen, verbindet sich zugleich das unbedingte Postulat, die wirklichkeitskonstituierende Funktion von Sprache als einem wesentlichen Träger symbolischer Bedeutungsstrukturen zu berücksichtigen und politische Kommunikation in ihrer Bedingtheit durch vornehmlich sprachlich verfasste40 Bedeutungszusammenhänge und »Ausdrucksysteme«41 zu untersuchen. Ein wesentlicher Schwerpunkt der nachfolgenden Analyse von Prozessen der Definition, Begründung und Legitimation wirtschaftlicher Staatstätigkeit wird demzufolge auf Diskursen und leitenden Begriffen liegen, die diese Prozesse der Sinnproduktion semantisch rahmten und strukturierten.42 Für die Analyse politischer Kommunikation ist die Berücksichtigung derartiger sprachlicher Strukturen und symbolischer Verweiszusammenhänge von besonderer Relevanz, folgt doch aus dem Anspruch, legitime und verbindliche Deutungen zu produzieren, der Bedarf nach sprachlichen Formen, die eine Balance erlauben zwischen Trennschärfe und Verbindlichkeit auf der einen sowie Mehrdeutigkeit und Anschlussfähigkeit auf der anderen Seite. Diese elementare Fähigkeit von (politischer) Sprache, Komplexität zu reduzieren und »Integration durch Uneindeutigkeit«43 zu gewährleisten, fordert förmlich dazu auf, politische Kommunikationsprozesse auf ihre semantische Strukturiertheit hin zu befragen. Eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung dieses semantischen Rahmens, die insbesondere darauf abzielt, dessen Veränderungen im zeitlichen VerStollberg-Rilinger, S. 14. Ein weiter gespannter, über die Herstellung kollektiver Verbindlichkeit hinausweisender Begriff von »Politik« bzw. »des Politischen« liegt dem Bielefelder SFB 584 »Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte« zugrunde; vgl. SFB 584, S. 19–57; ähnlich: Landwehr, Diskurs, S. 104. Zu der damit verbundenen Geschichte von Politi­sierungsprozessen, im Sinne einer Etikettierung von Sachverhalten als »politisch«: Meier; Steinmetz, Wege. Zu den internen Differenzierungen kulturhistorischer Politikforschung: Mergel, Kulturgeschichte, S. 8; ders., Medien, S. 31. 40 Diese Eingrenzung darf als vorläufig gelten, öffnet sich doch auch die geschichtswissenschaftliche Forschung zunehmend Prozessen nonverbaler Kommunikation; vgl. Mergel, Überlegungen, S. 593. Der Schwerpunkt der Forschung – und auch der Fokus dieser Arbeit – liegt jedoch auf dem Bedeutungsträger Sprache  – und damit auf schriftlichem Quellen­ material. 41 Mergel, Kulturgeschichte, S. 5. 42 »Diskurse« seien hier mit Achim Landwehr – und im Anschluss an Michel Foucault – definiert als »regelmäßige, strukturierte und sich in einem bestimmten historischen Zu­ sammenhang bewegende Praktiken und Redeweisen, die einen gewissen Grad an Institutionalisierung erreicht haben und benennbaren Formationsregeln unterliegen«; Landwehr, Diskursgeschichte, S. 113. Vgl. ders., Diskursanalyse, S. 65–78; Foucault, Archäologie, S. ­31–60; ders., Ordnung. 43 Mergel, Überlegungen, S. 594. Für dieses Phänomen von Bezeichnungsformen ohne fest­ stehenden Bedeutungsgehalt, das insbesondere in politischen Kommunikationszusammenhängen auftritt, ist der Begriff des »leeren Signifikanten« geläufig, grundlegend hierzu:­ Laclau; vgl. auch ders. u. Mouffe. Hiervon zu unterscheiden sind beispielsweise juristische Kommunikationsformen, die demgegenüber auf präzise und trennscharfe Benennungen von Sachverhalten ausgerichtet sind; vgl. Steinmetz, Begriffsgeschichte, S. 190.

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lauf zu erfassen, kann an die von Willibald Steinmetz entwickelte Typologie unterschiedlicher Formen semantischen Wandels anknüpfen.44 Unmittelbar einsichtig ist, dass Veränderungen des (politischen) Sprachhaushalts auf Importe von Wörtern und Redeweisen aus Fremd- oder Fachsprachen zurückgehen. Daneben und vor allem aber lässt sich semantischer Wandel begreifen als Wandel der Plausibilisierbarkeit von Bezeichnungsformen. Treten Signifikant und Signifikat, sprachliche Bezeichnung und bezeichnete Außenwelt, zu weit auseinander, bedarf es einer Transformation der Bezeichnungsweisen, um weiterhin anschlussfähige Bedeutungsproduktion(en) zu gewährleisten. Diese zweite Form semantischen Wandels durch »Plausibilitätsverlust bisheriger Redeweisen«45 hebt mithin auf die rückläufige Verwendung von Signifikationsformen ab, die sich für die Deutung der jeweiligen Gegenwart als nicht (mehr) geeignet erwiesen haben.46 Denkbar ist allerdings ebenso – um die Erscheinungen dieser Verlaufsform weiter zu differenzieren –, dass die hergebrachten Bezeichnungsformen bestehen bleiben, während lediglich ihr Bedeutungshaushalt an Veränderungen der zu bezeichnenden Außenwelt angepasst wird. So ist anzunehmen, dass einzelne Bedeutungsgehalte von Wörtern und Redeweisen entfallen, sobald sie keine plausible Sinnzuschreibung mehr gewährleisten, die jeweiligen Wörter und Redeweisen als Bedeutungsträger jedoch weiterhin gebräuchlich sind. Hier ist erneut auf den Umstand zu verweisen, dass insbesondere der politische Sprachhaushalt eine große Zahl bedeutungsoffener und damit anschlussfähiger Bezeichnungsweisen enthält, die über ein hohes Bindungs- und Integrationspotenzial verfügen. Demnach liegt die Überlegung nahe, dass einzelne dieser Bedeutungen – und nur diese – infolge abnehmender Plausibilität (auch) getilgt werden (können).47 Ferner liefert die Annahme abnehmender Plausibilität von Bezeichnungsweisen noch keine hinreichende Erklärung für den damit einhergehenden Plausibilitätsgewinn bestimmter anderer Wörter und Redeweisen. Vielmehr ist diese Erklärung  – abgesehen vom semantischen Gehalt der Bezeichnungsformen – mit Steinmetz in der »Zunahme des strategischen Gebrauchswerts in der Kommunikationssituation« zu suchen. Über Signifikationsformen und ihre Be44 Ebd., S. 188–192. 45 Ebd., S. 188. 46 Als typisch für diese Verlaufsform gelten Ereignisse, die – so die Annahme – eine »Falsifizierung der semantischen Systeme und Begriffe« herbeiführen und auf diese Weise semantische Veränderungen bedingen; Suter, S. 34. 47 Diese Facette semantischen Wandels durch Plausibilitätsverlust macht Steinmetz zwar nicht explizit, doch verhandelt er sie implizit, indem er auf das Streben politischer Kommunikation nach Anschlussfähigkeit verweist, das die Verwendung deutungsoffener Bezeichnungsweisen erfordert; Steinmetz, Begriffsgeschichte, S. 189. Hier setzt auch die Unterscheidung von Bezeichnungs- und Bedeutungsinnovationen an, vgl. Leendertz u. Meteling, S. 22–23; im Anschluss an Gumbrecht. Da das Wort »Innovation« jedoch neue Bezeichnungen und Semantiken stärker betont als den Wegfall einzelner bestehender Bedeutungsbestände, folgt die Studie dieser Terminologie nicht.

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deutung hinaus weitet die Annahme dieser dritten Verlaufsform semantischen Wandels den Blick auf »Akteure und ihr Streben nach gelingenden Sprachhandlungen«.48 Akteure in ihrem Streben nach anschlussfähiger Kommunikation ernst zu nehmen, ist jedoch nicht zu verwechseln mit dem Anspruch, auf deren Intentionen »hinter« den sprachlichen Äußerungen zu schließen.49 Die Überlegung speist sich vielmehr aus der bereits skizzierten Annahme, Akteure seien nicht ausschließlich in sprachlich-symbolische Bedeutungsgewebe verstrickt, sondern auch in der Lage, sich darin zu bewegen, bestimmte Bedeutungsstränge weiter zu weben und (neue) Knotenpunkte zu knüpfen. Demnach lässt sich das Streben nach gelingender Sprachhandlung für Akteure des politischen Kommunikationsraums50 präzisieren als das Streben, Bedeutungen in »aktuell stattfindende[n] semantische[n] Kämpfe[n]« verbindlich festzulegen und legitime Ordnungen zu produzieren.51 Die Frage, welche Akteure sich in diesem politischen Kommunikationsraum bewegten, führt zu einer zweiten grundlegenden Überlegung, welche die verschiedenen Ansätze der kulturhistorischen Politikgeschichtsschreibung teilen. Wenn sich auch an diesem Punkt Differenzierungen feststellen lassen, ergibt sich doch aus der kulturwissenschaftlich inspirierten Herangehensweise an den Gegenstandsbereich »Politik« das gemeinsame Ziel, die Perspektive nicht auf den engeren Kreis politischer Entscheider zu beschränken.52 So betrachten Kulturhistoriker auch politische Themen und Problemkonstellationen nicht als vorgegebene Phänomene, sondern richten ihren Blick auf den Wandel kommunikativ hergestellter Problemwahrnehmungen. Sie fragen nach sprachlichen Strategien, mit denen ein Sachverhalt politisiert – also als »politisch« markiert – und in diskursive Verweiszusammenhänge eingebettet wurde, und nach solchen sprachlichen Strategien, mit denen einzelne Bedeutungsgehalte und Varianten der Problembeschreibung im zeitlichen Verlauf ausgeschlossen oder Gegen-

48 Steinmetz, Begriffsgeschichte, S. 189, 191. 49 Den Überlegungen liegt vielmehr die Annahme zugrunde, dass Kommunikation auf Fortsetzung durch Anschlusskommunikation zielt, Sprachhandlungen also dann als gelungen gelten, wenn sie weitere Bezeichnungs- und Deutungsvorgänge evozieren. Gleichwohl schließt Steinmetz die Suche nach »explizite[n] Hinweise[n] in Parallelquellen«, mit denen sich auf Intentionalitäten schließen lasse, nicht aus; ebd., S. 190. 50 Der »politische Kommunikationsraum« ist hierbei im weiteren, metaphorischen Sinne zu verstehen als konstituiert durch Akteure, die nach verbindlicher Bedeutungsfixierung streben. Zu verschiedenen Dimensionen des Begriffs »politischer Kommunikationsraum« vgl. SFB 584, S. 30. 51 Mergel, Kulturgeschichte, S. 5. Vgl. auch Laclau u. Mouffe, S. 150. 52 Vertreter einer »Kulturgeschichte der Politik« zeigen sich hierbei tendenziell dem Ziel verpflichtet, vergleichsweise konventionelle Fragen politischer Entscheidungsfindung mit kulturhistorischen Instrumenten zu untersuchen, während Arbeiten unter dem Label »Neue Politikgeschichte« den historischen Wandel »des Politischen« – unter anderem hinsichtlich seiner Prägung durch verschiedene Akteursgruppen – nachzeichnen sollen; Mergel, Überlegungen, S. 574; ders., Kulturgeschichte, S. 8.

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stände gar entpolitisiert wurden.53 Eine derartige Betrachtung politischer Kommunikationsprozesse, die dezidiert von den Möglichkeiten (politischer) Akteure ausgeht, sich in gegebenen Deutungszusammenhängen zu bewegen und diese aus einer wirkmächtigen Sprecherposition heraus strategisch zu beeinflussen, darf nicht auf den »Politikbetrieb« im engeren Sinne – auf Regierungsvertreter, Parlamentsfraktionen und Parteien  – beschränkt bleiben, sondern muss notwendigerweise eine größere Zahl von Akteuren mit einschließen.54 Zuallererst fängt ein solcher umfassender Blick auf Akteure des politischen Kommunikationsraums das Verhältnis von Politik und Massenmedien ein.55 Hier interessieren allerdings weniger Studien zur wechselseitigen Durchdringung beider gesellschaftlicher Funktionsbereiche, die »Politisierung« und »Medialisierung« als unilineare Prozesse begreifen – mit dem Ergebnis, dass beide Funktionsbereiche sich ineinander auflösen.56 Vielmehr vermag die Be­rücksichtigung von Interdependenzen und wechselseitigen Abhängigkeiten den Blick zu schärfen für die konstitutive Rolle der Massenmedien in und für politische Kommunikationsprozesse. So ist politische Kommunikation in ihrem Streben, kollektiv verbindliche Bedeutungen und Ordnungen zu produzieren, auf Massenmedien als »Transmitter«57 verwiesen, deren kommunikativer Modus wiederum darauf gerichtet ist, Informationen zu transportieren und Aufmerksamkeit zu generieren. Da sowohl politische als auch massenmediale Kommunikationsformen notwendigerweise auf Komplexitätsreduktion angewiesen sind, fungieren Journalisten jedoch keineswegs als bloße politische Sprachrohre. Vielmehr sind sie als eigensinnige Akteure zu denken, die sich als gatekeeper dem Anschluss an Kommunikationsprozesse verweigern, deren Gegenstände umdeuten und in andere symbolisch-diskursive Verweiszusammenhänge einbetten oder als agenda setter 53 Vgl. Mergel, Überlegungen, S. 593–594. Zu den sprachlichen Strategien der Politisierung, Depolitisierung und Entpolitisierung vgl. das Forschungsprogramm des SFB 584. Auch hinter dem Begriff »Strategie« verbirgt sich hier nicht etwa der handlungstheoretisch fundierte Anspruch, (Sprach-)Handeln hinsichtlich der individuellen Absichten von Akteuren zu befragen. Diese Terminologie ist vielmehr inspiriert von der Soziologie Pierre Bourdieus, dessen »Theorie der Praxis« auf die Vermittlung zwischen strukturdeterministischen und handlungstheoretischen Erkenntnisformen abzielt. Demzufolge sind »Strategien« weder allein durch Regeln noch durch rationales Kalkül bestimmt; vgl. Bourdieu, S. 164–166. 54 Damit erweist sich die kulturhistorische Politikforschung auch als inspiriert von der Governance-Forschung, die insbesondere dem Anspruch verpflichtet ist, nicht-staatliche Akteure in ihre Überlegungen einzuschließen. Grundlegend: Schuppert, Governance-Forschung. 55 Zum Folgenden: Mergel, Medien. Vgl. auch Frevert u. Braungart; Weisbrod; Bösch u. Frei. Grundlegend zur Mediengeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts: Knoch u. Morat; Schildt, Jahrhundert. 56 Einer gängigen Annahme zufolge waren die fünfziger bis siebziger Jahre vor allem geprägt durch das Streben der Politik, Medien instrumentell einzusetzen. Diese Entwicklung habe sich seit den achtziger Jahren ins Gegenteil verkehrt, seither orientiere sich Politik zunehmend an medialen Darstellungsweisen und Aufmerksamkeitslogiken. Grundlegend hierzu: Meyer. 57 Mergel, Medien, S. 33.

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Sachverhalte selbst problematisieren – und damit politisieren – können.58 Insbesondere der Anspruch von Journalisten, in ihrer Rolle als gatekeeper und / oder agenda setter Prozesse der politischen Kommunikation, der Fixierung verbindlicher Bedeutungen, zu beeinflussen, macht sie für eine »Kulturgeschichte der Politik« – und damit auch für die vorliegende Studie – interessant. Außer Politikern und Journalisten reklamierten ferner weitere Akteursgruppen für sich den Anspruch, an Prozessen verbindlicher Sinnstiftung zu partizipieren. So lassen sich Wissenschaftler im Anschluss an wissenshistorische Forschungen nicht nur als Produzenten wissenschaftlichen Wissens, sondern in ihrer Rolle als Experten auch als Mittler begreifen, die dieses Wissen für Politik und Verwaltung verfügbar machten. Insbesondere Wirtschaftswissenschaftler, die für diese Studie von besonderer Relevanz sind, haben im Verlauf der bundesrepublikanischen Geschichte aus ihrer Expertenrolle in zunehmendem Maße den Anspruch abgeleitet, wirtschaftspolitische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen und öffentliche Breitenwirkung zu erzielen.59 Schließlich nahmen eine derartige Mittlerfunktion auch Interessenverbände wahr, die als intermediäre Instanzen gegenüber Politik und sozialen Gruppen auftraten.60 Demzufolge ist auch dieser Akteursgruppe, für die hier insbesondere der Bund der Steuerzahler, Industrieverbände und Gewerkschaften einstehen, der Anspruch zuzuschreiben, in politischen Kommunikationszusammenhängen eine wirkmächtige Sprecherrolle einzunehmen und Prozesse verbindlicher Bedeutungsproduktion mitzubestimmen. Die skizzierten methodisch-theoretischen Überlegungen bilden für die nachfolgende Analyse einen geeigneten Rahmen, lassen sie sich doch unmittelbar mit dem Ziel dieser Studie vereinbaren, den Wandel von Staatlichkeit als den Wandel von Definitionen, Begründungs- und Legitimationsweisen wirtschaftlicher Staatstätigkeit zu untersuchen. Dabei ist diese Arbeit nicht nur inspiriert von neueren politikgeschichtlichen Studien, sondern knüpft zugleich an einen der wichtigsten Knotenpunkte der jüngeren Forschungsdiskussion in diesem Feld an, nämlich an die Debatte um den Stellenwert von Staatlichkeit für jegliche Form politikhistorischer Forschung.61 Dieser Studie liegt die grundlegende 58 Zu den unterschiedlichen medialen Akteursrollen vgl. die Beiträge in: Pfetsch u. Adam. 59 Vgl. Nützenadel, Stunde, S. 123–174; Metzler, Konzeptionen; Schanetzky, Ernüchterung. Grundlegend zur wissenshistorischen Forschung und zur Rolle wissenschaftlicher Experten: Speich u. Gugerli; Sarasin; Szöllösi-Janze; Raphael; Fisch u. Rudloff. 60 Ullmann, Interessenverbände, S. 9–11, 279. Für eine Typologie von Interessenorganisationen vgl. von Beyme, S. 71. Zur Geschichte deutscher Gewerkschaften als spezifischer Organisationsform der Interessenvertretung: Schönhoven. Zur Geschichte der Gewerkschaften in der Bundesrepublik: Schroeder; ders. u. Greef. 61 Im Sinne einer vereinfachenden Zuspitzung lassen sich Vertreter kulturhistorischer Politikforschung, die »den Staat« als Produkt kommunikativer Prozesse begreifen, unterscheiden von Vertretern einer Politikgeschichte hergebrachten Zuschnitts, die für ein eher essentialistisches Staatsverständnis eintreten. Gleichwohl bewegen sich beide Lager in jüngster Zeit zunehmend aufeinander zu. Für einen Überblick vgl. Weidner; Bösch u. Domeier, S. ­579–580.

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Annahme kulturhistorischer Politikforschung zugrunde, wonach Staatlichkeit (auch) als Produkt kommunikativer Sinnbildungsprozesse zu untersuchen ist, die hier mit Blick auf den Wandel von Definitionen wirtschaftlicher Staatsaufgaben empirisch erprobt wird. Für diese Analyse der kommunikativen Herstellung wirtschaftlicher Staatsaufgaben ergeben sich aus den beiden wesentlichen Prämissen der kulturhistorischen Politikforschung zwei zentrale Fragekomplexe. Erstens wird es um sprachliche Strategien gehen, mit denen die genannten Akteursgruppen die wirtschaftlichen Aufgaben des Staates (punktuell) verbindlich definierten. Welche Akteure konturierten die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates als politisches Thema? In welche diskursiven Verweiszusammenhänge passten sie das Problem ein, mit welchen »symbolischen Implikaten«62 versahen sie es? Welche dieser Bedeutungsgehalte schlossen sie als Begründungsweisen für die wirtschaftliche Staatstätigkeit im Laufe der Zeit aus? Insbesondere die letzten beiden Fragen nach strukturierenden Bedeutungszusammenhängen verweisen zweitens auf den semantischen Rahmen, in dem sich diese kommunikativen Sinnstiftungsprozesse bewegten. Welche Ordnungsvorstellungen, leitenden Semantiken und Redeweisen erwiesen sich als brauchbar zur Definition, Begründung und (Um-) Deutung wirtschaftlicher Staatsaufgaben? Mit welchen Bezeichnungsweisen ließen sich Entstaatlichungs-, womit Verstaatlichungsbestrebungen plausibilisieren? Wie veränderten sich Verwendung und Bedeutungsgehalt der sprachlichen Formen? Wie lassen sich diese Veränderungen erklären? Das Ziel der Studie, kommunikative Prozesse der Definition, Begründung und Legitimation wirtschaftlicher Staatstätigkeiten zu untersuchen, legt nahe, die nachfolgende Analyse größtenteils auf veröffentlichtes Material zu stützen. Dies ist zugleich notwendig, da der Untersuchungszeitraum bis an das Ende der achtziger Jahre reicht, das aufgrund der gesetzlichen Sperrfristen über staatliche Archive zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vollständig erschlossen werden kann. Derartige Bestände lediglich für die vorherigen Dekaden hinzuzuziehen, würde wiederum eine erhebliche empirische Schieflage herbeiführen. Daher wird sich die Analyse einmal auf Protokolle des Deutschen Bundestages, Parteiprogramme und Parteitagsunterlagen sowie Publikationen zuständiger Fachministerien stützen, die dem engeren Kreis der politischen Entscheider zuzuordnen sind. Da politische Kommunikation hier umfassend in den Blick gerät, werden außerdem die wirtschaftspolitisch bedeutendsten Zeitungen und Zeitschriften der alten Bundesrepublik, wirtschaftswissenschaftliche Fach- und populärwissenschaftliche Publikationen, Gutachten von Beratungsinstitutionen sowie Veröffentlichungen wissenschaftlicher Vereinigungen und Interessenorganisationen hinzugezogen, die um das wirtschaftliche Aufgabenfeld des Staates kreisen. Diese Materialauswahl ergänzen schließlich Archivüberlieferungen aus dem Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, den Parteiarchiven so62 Mergel, Überlegungen, S. 593.

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wie dem Archiv des Instituts für Zeitgeschichte in München, die punktuell hinzugezogen werden. Forschungen zum Wandel wirtschaftlicher Staatsaufgaben sind bislang weitgehend eine Domäne der Rechts- und Verwaltungs- sowie der Wirtschafts- und Politikwissenschaften geblieben. Auffällig ist hierbei die Tendenz zu thematischer Engführung, betrachten diese Arbeiten doch Bereitstellungs- und Regulierungsaufgaben weitgehend isoliert, statt den Wandel der wirtschaftlichen Staatstätigkeit umfassend zu untersuchen.63 Die rechtswissenschaftliche Forschung zur staatlichen Bereitstellungsfunk­ tion zielt im Kern auf eine anwendungsorientierte Erörterung der rechtlichen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten von Privatisierung,64 während Verwaltungswissenschaftler vorwiegend die Auswirkungen insbesondere funktionaler Privatisierungstendenzen auf staatliche Verwaltungsabläufe untersuchen.65 Wirtschaftswissenschaftler66 hingegen interessieren sich für die fiskalischen und ökonomischen Gründe,67 Methoden, Verlaufsformen, Indikatoren und mikro-68 sowie makroökonomischen Effekte69 von Privatisierungsmaßnahmen. Politikwissenschaftler stellen darüber hinaus Fragen nach politischen Einfluss- und Bedingungsfaktoren70 sowie länderspezifischen Ausprägungen71 oder nehmen Privatisierungspolitiken im internationalen Vergleich72 in den Blick. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise auch die Rolle einzelner supranationaler Organisationen bereits eingehender untersucht worden.73 Die Regulierungsaufgabe haben Rechtswissenschaftler bislang vor allem auf ihre rechtlichen Rahmenbedingungen hin befragt.74 Daneben liegen einige  – auch interdisziplinär ausgerichtete – Publikationen vor, die sich mit historisch gewachsenen Bedingungsfaktoren und Auswirkungen staatlicher Regulierungstätigkeit beschäftigen.75 Die Schwerpunkte betreffen einerseits messbare Regu­ 63 Zu diesem Forschungsdesiderat: Obinger, S. 228. Eine Berücksichtigung sämtlicher wirtschaftlicher Handlungsfelder des Staates findet sich gleichwohl bei: Höpner. 64 Gusy; Kämmerer, Typologie. 65 Harms u. Reichard; Schuppert, Staat. 66 Orientierung im Feld der ökonomischen Privatisierungsforschung verschafft das Privatization Barometer. 67 Scheele. 68 Windisch; Spelthahn; Stähler u. Traub. 69 Bortolotti u. Siniscalco; Megginson u. Netter; F. Schneider u. Hofreither. 70 Boix; Feigenbaum; ders. u. Henig; Mayer; Prasad; V. Schneider; Zohlnhöfer u. Obinger, Zohlnhöfer, Politics; Engartner, Liberalisierung. 71 Bieling; Wright; Vickers u. Wright; Zohlnhöfer Wirtschaftspolitik; Wellenstein. 72 Mayer; Prasad; Zohlnhöfer u. Obinger, Zohlnhöfer, Politics; C. Schmitt, Politics; dies., Privatization. 73 Die Rolle des Internationalen Währungsfonds’ untersuchen Brune. Die Europäische Union – insbesondere die Europäische Kommission – nehmen in den Blick: Clifton; Schmidt. 74 Züll; Michalczyk. 75 Schorkopf; Schulz; Dyson; Boss.

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lierungseffekte, die vorwiegend anhand ausgewählter Wirtschaftsbereiche in den Blick geraten,76 und andererseits den Wandel staatlicher Regulierungsaktivitäten,77 der mit dem Ausbau (transnationaler) Regulierungsbehörden einhergehe.78 Außer der verengten Perspektive auf einzelne staatliche Aufgabenfelder lassen sich in der Gesamtschau mehrere dominierende Forschungstendenzen beobachten. Aus dem gegenwartsorientierten Forschungsinteresse der genannten Disziplinen resultiert erstens eine zeitliche Engführung der Studien, die sich auf Entstaatlichungsprozesse seit den siebziger Jahren beschränken. Ebenso prägend sind zweitens die leitenden Erkenntnisziele, untersuchen bisherige Forschungen die Wandlungsprozesse wirtschaftlicher Staatstätigkeit doch überwiegend auf ihre (materiellen) Bedingungsfaktoren und messbaren Effekte. Die Betrachtung struktureller Rahmenbedingungen mündet dabei häufig in die Deutung, Privatisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen seien als Folge von (international wirksamen) Strukturveränderungen  – und damit als Ergebnis gleichsam unvermeidlicher Sachzwänge – zu verstehen. Forschungsprojekte, die auf eine Untersuchung messbarer Auswirkungen von Entstaatlichung zielen, behandeln überdies nicht selten normative Fragen nach Erfolg oder Effizienz von Priva­ tisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen.79 Aufgabe einer geschichtswissenschaftlichen Untersuchung80 kann nicht sein, sich auf diese normativ aufgeladenen Fragestellungen einzulassen und den Wandel wirtschaftlicher Staatstätigkeit auf Erfolg und Effizienz – wie immer diese beiden Größen definiert sein mögen – zu überprüfen. Die zentralen Annahmen und Erkenntnisinteressen rechts- und verwaltungs-, wirtschafts- und politik­ wissenschaftlicher Forschungen bilden für diese Arbeit vielmehr den Anlass, den Blick in zeitlicher wie inhaltlicher Hinsicht zu weiten und Begründungsweisen wirtschaftlicher Staatsaufgaben in ihrer historischen Genese seit den fünfziger Jahren zu betrachten. Dies ermöglicht, sprachliche Strukturen und Verweiszusammenhänge ebenfalls als Bedingungsfaktoren staatlichen Aufgabenwandels zu berücksichtigen. Auch und gerade polit-ökonomische Sachzwänge fungieren aus einer solchen Perspektive nicht als heuristische Vor­annahmen, die das Forschungsdesign diktieren, sondern geraten als Redefigur in den Blick, deren Verwendung und argumentativer Gebrauchswert ihrerseits erklärungsbedürftig sind.81 Das Sprechen vom Sachzwang verweist auf selbstgesteuerte Prozesse, die

76 Ritter; Grande, Monopol; Pfeiffer u. Wieland. 77 Jordana u. Levi-Faur; Grande, Staat; Power. 78 Levi-Faur u. Jordana; Hartenberger. 79 Engartner, Bahn; ders., Liberalisierung. 80 Zu den nachfolgenden Überlegungen vgl. vom Lehn; Bellini. 81 Hierzu: Steinmetz, Anbetung. Auch in der politikwissenschaftlichen Forschung wurde das Sprechen von der Unvermeidbarkeit marktschaffender Maßnahmen bereits thematisiert, und zwar von Beveridge. Dessen Studie setzt die Argumentationsfigur allerdings eher voraus, statt deren Genese und Wirkungsmacht auf breiter empirischer Basis zu untersuchen; für eine ausführlichere Besprechung vgl. vom Lehn, S. 65–68.

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keine Entscheidungsalternativen zulassen. Zu fragen ist nun nicht, wie diese Prozesse ihre (vermeintlich) zwingende Wirkung entfalteten, sondern worin Plausibilität und Wirkungsmacht der Sachzwang-Argumentation begründet lagen, welche Akteure mit welchen sprachlichen Strategien Verstaatlichungs- und Entstaatlichungsmaßnahmen als sachgemäß etikettierten und damit alternative Problemlösungsoptionen delegitimierten. Derartige Fragen werden im Zentrum dieser Studie stehen, die den Wandel legitimer Definitionen und Begründungsweisen wirtschaftlicher Staatstätigkeiten in der Bundesrepublik der fünfziger bis achtziger Jahre thematisiert. Anschließen kann dieses Vorhaben an vergleichsweise wenige geschichtswissenschaftliche Vorarbeiten. Denn umfangreiche Studien, welche die wirtschaftliche Tätigkeit des deutschen Staates in langen Linien nachzeichnen, liegen bislang nicht vor.82 Gleichwohl finden sich Anknüpfungspunkte in Arbeiten, die auf kürzere Zeitabschnitte beschränkt bleiben. So liegen für die erste Entstaatlichungsphase der fünfziger und frühen sechziger Jahre Studien zu einzelnen Firmen in öffentlichem Besitz83 sowie deren Unternehmern,84 zur Vermögensbildungspolitik,85 zu bundesdeutschen Regulierungsbehörden86 und den politökonomischen Rahmenbedingungen87 vor. Für die anschließende Phase der Verstaatlichung auf Bundesebene fehlen historische Arbeiten zur wirtschaftlichen Staatstätigkeit zwar. Doch kann die Analyse an Forschungen zur bundesdeutschen Mineralölwirtschaft88 und zu den (wirtschafts-)politischen Leitvorstellungen sowie gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen der sechziger und siebziger Jahre89 anknüpfen. Auch die Entstaatlichungsphase seit den achtziger Jahren blieb von der historischen Forschung lange Zeit unberücksichtigt,90 sieht man von knapperen Überblicken in neueren Gesamtdarstellungen ab, die 82 Einen Überblick bieten: Ambrosius, Staat; ders., Privatisierung; Fuder; Wengenroth. Vgl. auch die Beiträge einer Podiumsdiskussion des »Vereins für Socialpolitik« zum Thema »Die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland: von der Regulierung zur Deregulierung« in: VSWG, Bd. 96, 2009, S. 449–481. Für einen Überblick im internationalen Maßstab vgl. die Beiträge in Toninelli sowie Millward, Europe. 83 Stier u. Laufer; Nicolaysen; Radzio. Zur Vorgeschichte: Winkler; Mommsen u. Grieger; Hopmann. 84 Edelmann, Nordhoff. 85 Dietrich; Edelmann, Privatisierung. 86 Kurzlechner; Murach-Brand. 87 Abelshauser, Jahre; Schildt u. Sywottek; Schwarz, Ära; Leaman, West Germany. 88 Graf, Öl; Karlsch u. Stokes; Hohensee u. Salewski; Radzio. 89 Schildt, Zeiten; Jarausch; Raithel; Faulenbach; Metzler, Konzeptionen; Schanetzky, Ernüchterung; Leaman, West Germany. 90 Umfangreichere Studien liegen statt dessen zum Aufstieg und zur politischen Implementierung des »Neoliberalismus« seit den siebziger Jahren – und zwar mit Schwerpunkt auf Großbritannien und den USA – vor: Stedman Jones; Jenkins; Mirowski u. Plehwe; Burgin; Geppert, Revolution, S. 108–135. Zur Vorgeschichte: Hannah; Ebke. Für die Bundesrepublik erschließen dieses Feld die Beiträge in: Bösch, Grenzen; vgl. auch: Leendertz, Zeitbögen, S. 212–217.

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Grundlinien nachzeichnen und das historische Umfeld ausloten.91 Erst seitdem sich Zeithistoriker verstärkt den achtziger und neunziger Jahren zuwenden, ist auch ihre Aufmerksamkeit für Entstaatlichungsprozesse gestiegen, die sich in mehreren neuen Publikationen niederschlägt.92 Dem hierin immer wieder formulierten Postulat, Privatisierungs- und Deregulierungsvorhaben als politische Projekte zu untersuchen, an denen sich politische Bedingungen und Deutungskonflikte sowie gesellschaftliche Leitvorstellungen studieren lassen, folgt auch der vorliegende Band. Hier wird diese Fragehaltung jedoch auf die Zeit seit den fünfziger Jahren ausgeweitet, um Wandlungen der wirtschaftlichen Staatsfunktionen in der Bundesrepublik in ihren langfristigen, bruchhaften wie kontinuierlichen Verlaufsformen nachzuverfolgen. Wenn bisher auch nicht viele Untersuchungen zur Geschichte der Bundesrepublik vorliegen, die im Schwerpunkt die wirtschaftlichen Staatstätigkeiten behandeln, kann dieses Vorhaben dennoch an mehrere Knotenpunkte der (zeit-) historischen Forschung anknüpfen. Die Forschungslandschaft der letzten Jahre maßgeblich geprägt haben programmatische Schriften, die für eine umfassende und systematische Erforschung der Zeit seit den siebziger Jahren plädieren.93 Dieses Plädoyer umfasst zum einen die zeitliche Dimension, distanzieren sich die wichtigsten Vertreter doch nachdrücklich vom dekadologischen Fortschreiten der zeithistorischen Forschung und treten dafür ein, die Zeit »nach dem Boom« in längere Entwicklungszusammenhänge einzubetten und (auch) über ihre Vorgeschichte zu erschließen. Um das Ansinnen, die politische Zäsuren transzendierenden Grundkonstellationen des zwanzigsten Jahrhunderts aufzuspüren, kreisen auch die jüngsten Diskussionen um eine alternative Periodisierung der deutschen (Zeit-)Geschichte, zu deren Kontro­versen der analytische Nutzen der Bezeichnung »Neoliberalismus« zählt.94 Damit wird bereits deutlich, dass sich die angestrebte Spurensuche zum anderen gleichermaßen auf sozioökonomische Strukturveränderungen wie den (semantischen) Wandel politischer Leitvorstellungen und gesellschaftlicher Selbstthematisierungen richtet.95 Der vorliegende Band mit dem Ziel, die Geschichte der wirtschaftlichen Staatstätigkeit in der Bundesrepublik seit den fünfziger Jahren als Geschichte der Definitionen, Begründungs- und Legitimationsweisen staatlichen Wirtschaftens zu erzählen, findet in diesem Rahmen seinen Platz. Verbindungen bestehen ebenso zu einem jüngeren Forschungsvorhaben, das in zweifacher Hinsicht auf die Historisierung des »Rheinischen Kapitalismus« 91 Leaman, Germany, S. 50–71; Wirsching, Abschied, S. 223–288; ders., Preis, S. 226–269; Wolf­ rum, S. 354–364; E. Conze, Suche, S. 584–591; Herbert, S. 970–973; Rödder, S. 47–55. 92 Böick; Ther, Ordnung; Frei u. Süß; Metzler, Weg; Bösch, Macht; vgl. auch die Beiträge in: ­Ahrens, Vermarktlichung. 93 Insbesondere: Doering-Manteuffel, Boom; ders. u. Raphael; ders., Vorgeschichte. 94 Doering-Manteuffel, Geschichte; Hoeres, Westernisierung; Leendertz, Zeitbögen. 95 Das Ziel, den semantisch-diskursiven Rahmen der Epoche »nach dem Boom« zu vermessen, verfolgen die Beiträge in: Leendertz u. Meteling. Die beispielgebende Untersuchung zur Geschichte der USA legte Rodgers vor.

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abzielt. Erstens geht es um eine historische Standortbestimmung der Debatten um verschiedene varieties of capitalism, welche die sozialwissenschaftliche und ökonomische Forschung lange Zeit umgetrieben haben. Zweitens sollen die Charakteristika und Spezifika der deutschen Kapitalismusvariante mit Blick auf den Wandel von Semantiken, Praktiken und Institutionalisierungen erschlossen werden.96 Die vorliegende Studie leistet einen Beitrag zum Verständnis des bundesdeutschen Kapitalismusmodells, indem sie die Geschichte der wirtschaftlichen Staatstätigkeit in der Bundesrepublik als Geschichte der leitenden Semantiken erzählt, die staatliches Wirtschaften definierten, begründeten und plausibilisierten. Anknüpfen kann das Vorhaben hierbei an neuere Forschungen zur Geschichte diskursiver Grenzziehungen zwischen »Wirtschaft« und »Politik« im zwanzigsten Jahrhundert.97 Während dieser fundamentale Abgrenzungsdiskurs allerdings auch auf Fragen politischer Machbarkeit und Interessengebundenheit sowie Semantiken von »Demokratie« verweist, stehen hier Definitionen und Begründungsweisen wirtschaftlicher Staatstätigkeiten im Mittelpunkt, die freilich in allgemeinere diskursive Zusammenhänge eingebunden waren. Eine Analyse der dominierenden Begründungsweisen wirtschaftlicher Staatsaufgaben wird ferner besonderes Augenmerk auf die Verwendung des Wortes »Wettbewerb« richten müssen. Der Kölner und Münchener Forschungsverbund »Konkurrenzkulturen«, in dessen Rahmen dieser Band entstanden ist, untersucht soziale Praktiken, Wahrnehmungsweisen und Institutionalisierungen von Wettbewerb in historischer Perspektive.98 Der Fokus der vorliegenden Studie liegt auf der Wahrnehmungsdimension des Kompetitiven, geht es hier doch um den semantischen Wandel von Wörtern und Redeweisen, die wirtschaftliche Staatstätigkeiten begründeten und mit Bedeutung versahen. Das Sprechen von der »vollständigen Konkurrenz«, vom »funktionsfähigen Wettbewerb« oder von »Wettbewerbsfähigkeit« – um hier nur einige Erscheinungsformen zu nennen – prägte die Definitionsprozesse staatlichen Wirtschaftens in beson­derem Maße. Semantiken des Kompetitiven mit Blick auf ihre unterschiedlichen Bedeutungsgehalte und Konjunkturen der Plausibilisierbarkeit nachzuspüren, ist daher für die nachfolgende Analyse besonders lohnend. Aus dem Anspruch, den Wandel von Definitionen, Begründungs- und Legitimationsweisen wirtschaftlicher Staatstätigkeit über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten nachzuverfolgen, ergibt sich die Notwendigkeit, Untersuchungsschwerpunkte zu setzen. Am Beispiel ausgewählter Wirtschaftsbereiche und Unternehmen werden im Folgenden allgemeine Entwicklungstendenzen und 96 Sattler. Das Forschungsdesign des Projekts ist angelehnt an: Plumpe, Denken. Zur Debatte um varieties of capitalism: Albert; Hall u. Soskice; Streeck, Capitalism. Zur geschichtswissenschaftlichen Diskussion: Hockerts u. Schulz, Kapitalismus; Berghahn u. Vitols. Grundlegend zur Historisierung sozialwissenschaftlicher Studien: Graf u. Priemel. 97 Scholl. 98 Vgl. Jessen.

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Wandlungsprozesse im konkreten Zusammenhang sichtbar.99 So gerät die erste Entstaatlichungsphase der fünfziger und frühen sechziger Jahre anhand der Teilprivatisierung des Volkswagenwerks in den Blick. Hierfür spricht zum einen die besondere Bedeutung, die dem Volkswagenwerk für die bundesdeutsche Automobilindustrie – und die gesamte Volkswirtschaft – zugeschrieben wurde und die eine breite öffentliche Diskussion dieses Privatisierungsvorhabens bedingte. Denn das zur Zeit des »Dritten Reiches« gegründete Automobilwerk avancierte in der frühen Bundesrepublik nicht nur zu einem der erfolgreichsten Unternehmen, sondern nachgerade zu einem Symbol für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Zum anderen lässt sich am Beispiel des Volkswagenwerks eine bundesdeutsche Besonderheit wirtschaftlicher Staatstätigkeit berücksichtigen, die auf die verschiedenen politisch-administrativen Ebenen im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen ist. So konzentriert sich der öffentliche Unternehmensbesitz keineswegs allein beim Bund, sondern auch bei den Ländern und – in weitaus größtem Umfang – bei den Kommunen.100 Mit Blick auf das Volkswagenwerk lässt sich – im Gegensatz zu den übrigen »Privatisierungskandidaten« der frühen Phase – diese Besonderheit einfangen, da sowohl der Bund als auch das Land Niedersachsen Besitzrechte an dem Unternehmen beanspruchten und umfangreiche Anteile hielten, deren Veräußerung seit Mitte der fünfziger Jahre zur Disposition stand. Auf die erste Reihe von Privatisierungsvorhaben, die der Selbstvergewisserung über das Wirtschaftsordnungsmodell der »Sozialen Marktwirtschaft« dienten, folgte auf Bundesebene in den sechziger und siebziger Jahren eine Phase zunehmender Verstaatlichungstendenzen. Kennzeichnend hierfür war der Anstieg des staatlichen Beteiligungsbesitzes, der einerseits durch den Erwerb von Unternehmensbeteiligungen seitens des Bundes zustande kam, insbesondere jedoch auf die Diversifikationsstrategie von Unternehmen in öffentlichem Besitz zurückzuführen ist, durch die vornehmlich die Zahl mittelbarer Bundesbeteiligungen zunahm.101 Beide Entwicklungen lassen sich mit Blick auf die Mineralölwirtschaft, und zwar auf die VEBA als bedeutendsten bundesdeutschen Energie- und Ölkonzern, einfangen. Denn diese betrieb nicht nur eine umfassende Diversifikationspolitik und trug demzufolge in erheblichem Maße zur angedeuteten Zunahme mittelbarer Bundesbeteiligungen bei. Sie war ebenso Gegenstand der energiepolitischen Pläne der Bundesregierung zum Aufbau eines »nationalen Mineralölkonzerns«, die in den öffentlichen Erwerb direkter, unmittel99 Zur Relation von Besonderem und Allgemeinem vgl. Pohlig. 100 Vgl. Wengenroth; Esser, Germany. 101 Den Anstieg des Beteiligungsbesitzes dokumentieren die Beteiligungsberichte des Bundesfinanzministeriums aus diesen Jahren: Bundesministerium der Finanzen, Beteiligungsberichte 1962 ff.; vgl. auch Tofaute, Ausverkauf, S. 106. Auf die Diversifikationspolitik als Ursache für den Anstieg des mittelbaren Beteiligungsbesitzes verweist insbesondere: Knauss, Verlauf, S. 150; ders., Privatisierung, S. 147.

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barer Unternehmensbeteiligungen mündeten und damit die zuvor verfolgten Privatisierungsbestrebungen wieder umkehrten. Gerahmt war dieser Prozess durch Semantiken der Sicherheit, die der Zunahme staatlicher Aufgabenbereiche und Unternehmensbeteiligungen zusätzliche Plausibilität und Dringlichkeit verliehen. Außerdem war das Vorhaben eng verflochten mit der Reformulierung staatlicher Regulierungsaufgaben, bildete der Zusammenschluss der VEBA mit der Gelsenberg AG doch den ersten Anwendungsfall für das Fusionskontrollverfahren, das im Zuge der Novellierung des »Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen« (GWB) im Sommer 1973 eingeführt worden war. Allerdings standen die siebziger Jahre nicht ausnahmslos im Zeichen zunehmender Verstaatlichungstendenzen, entwickelte sich doch seit Mitte der Dekade eine neuerliche öffentliche Auseinandersetzung um die Begrenzung staatlicher Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche, die der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium mit seinen Thesen zum Zusammenhang von öffentlicher Verschuldung und funktionaler Privatisierung anstieß. Zwar blieben die Diskussionen auf funktionale Privatisierungen im kommunalen Bereich beschränkt und kamen nicht ohne Referenz auf die öffentliche Verschuldung als Problemhintergrund aus. Jedoch wiesen sie zugleich argumentativ voraus auf die umfassenden »Entstaatlichungs«-Vorhaben der achtziger Jahre, um die es im dritten Abschnitt der Untersuchung gehen wird.102 Während die Privatisierungen der frühen Bundesrepublik insbesondere der Bestätigung der »Sozialen Marktwirtschaft« als Wirtschaftsordnungsmodell gedient hatten, standen die »Entstaatlichungs«-Bestrebungen der neuen schwarzgelben Bundesregierung in den achtziger Jahren im Zeichen der Rückbesinnung auf die ordnungspolitischen Weichenstellungen der bundesrepublikanischen Gründungsphase. Dabei ging es allerdings nicht allein um eine präzise Reproduktion des ordoliberalen Verständnisses von »Soziale Marktwirtschaft«, hatten sich doch im Laufe der siebziger Jahre die Annahmen zum Ablauf und zur Beschaffenheit ökonomischer Prozesse grundlegend gewandelt. Der Anspruch, der sich mit dem politischen Projekt der »Entstaatlichung« in den achtziger Jahren verband, war ein umfassender. Die Vorhaben der Bundesregierung erstreckten sich außer auf die Bereitstellungs- ebenso auf die Regulierungsdimension. Jedoch gerieten die verheißungsvollen Ziele zunehmend in Widerspruch zu ihrer Umsetzung, die erstens schleppend verlief und zweitens nicht auf einen umfassenden Rückbau staatlicher Zuständigkeitsbereiche hinauslief, sondern diese in Teilen sogar bestätigte. Der Schwerpunkt der Untersuchung wird in diesem letzten Teil auf den Diskussionen um die sogenannte »Postreform I« liegen, wofür zwei Gründe sprechen. Erstens war die öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Reformvorhaben hoch, gehörte die Deutsche Bundespost doch nicht nur zu den 102 Da das Wort »Entstaatlichung« in den achtziger Jahren gebräuchlich war, um den umfassenden politischen Anspruch der schwarz-gelben Bundesregierung auszudrücken, ist es im dritten Teil der Studie als Entlehnung aus dem zeitgenössischen Sprachhaushalt kenntlich gemacht.

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größten westdeutschen Unternehmen, sondern operierte im Fernmelde- und Telekommunikationssektor auf einem wirtschaftlichen Gebiet, dem die zeitgenössischen Beobachter die größten Wachstumschancen und damit eine herausgehobene Bedeutung für die volkswirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik beimaßen. Zweitens erstreckten sich die Debatten um eine Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens seit den achtziger Jahren sowohl auf die Bereitstellungs- als auch die Regulierungsdimension, ging es doch gleichermaßen um die Organisation der Deutschen Bundespost wie um die Verfasstheit des Postund Fernmeldesektors.

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Erster Teil: »Soziale Privatisierung« – »Soziale Marktwirtschaft«, 1949–1965

1. Privatisierung als (ordnungs-)politisches Projekt 1.1 Ordoliberalismus und »Soziale Marktwirtschaft« Die erste Privatisierungsphase der fünfziger und sechziger Jahre muss vor dem Hintergrund der Debatten um die bundesrepublikanische Wirtschaftsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg untersucht werden, für die sich schließlich die Wortverbindung »Soziale Marktwirtschaft« als Bezeichnungsform etablierte. Für die vorliegende Studie sind allerdings nicht die politischen Entscheidungen und Bedingungen von Belang, die zur Verankerung der Formel »Soziale Marktwirtschaft« im öffentlichen Sprachgebrauch der Bundesrepublik beitrugen. Ebenso wenig geht es um die sozio-ökonomischen Entwicklungen seit den frühen fünfziger Jahren, die maßgeblich dafür waren, dass dieses Wortpaar zum Symbol für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg Westdeutschlands und für ein wirtschaftspolitisches Ordnungsgefüge von modellhaftem Charakter avancierte.1 Die Frage nach den Verweis- und Begründungszusammenhängen der frühen bundesrepublikanischen Entstaatlichungsvorhaben legt vielmehr nahe, das Wortpaar »Soziale Marktwirtschaft« nicht auf einen materiellen Kern hin zu befragen, sondern als »Leerformel« zu untersuchen, die mit unterschiedlichsten Bedeutungsgehalten gefüllt werden konnte.2 Denn diese Vieldeutigkeit verlieh dem Wortpaar »Soziale Marktwirtschaft« einerseits seine integrierende Wirkung als politische Formel und machte sie andererseits zum Träger verschiedener Denkfiguren, symbolischer Verweise und normativer Ordnungsvorstellungen,3 die für die frühen bundesdeutschen Debatten um die wirtschaftlichen Aufgabenbereiche des Staates einen wichtigen semantisch-diskursiven Bezugsrahmen darstellten.

1 Ptak, Ordoliberalismus, S. 233–289; Zinn, S. 59–98. Zu den politischen Weichenstellungen: Nicholls, S. 322–366; Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 87–105; ders., Kleider; Leaman, West Germany, S. 48–80; K. I. Horn, S. 121–129. Mit Schwerpunkt auf dem Bundeswirtschaftsministerium: Löffler. Zu den sprachlichen Popularisierungsstrategien: Wengeler. 2 Spoerer, S. 28. Ähnlich: Tilly, S. 227. 3 Auf die unterschiedlichen Verwendungsweisen der Formel »Soziale Marktwirtschaft« verweisen auch: Hockerts u. Schulz, Einleitung, S. 14.

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Als wissenschaftliche Stichwortgeber für die Idee der »Sozialen Marktwirtschaft« fungierten die Vertreter des Ordoliberalismus,4 die ihre grundlegenden Gedanken bereits in der Zeit des »Dritten Reiches« formuliert hatten und ihre Positionen nach dem Krieg nicht nur in die ordnungspolitischen Auseinandersetzungen in Westdeutschland einspeisten, sondern geradehin zu Ideengebern »der programmatischen Konzeptualisierung von Ordnungspolitik überhaupt« avancierten.5 Der Aufbau des ordoliberalen Gedankengebäudes vollzog sich vor dem Hintergrund der »Krise des Liberalismus«,6 die sich während der Weltwirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre zuspitzte und zu Plausibilitätsverlusten liberal-kapitalistischer Wirtschaftsvorstellungen in zahlreichen europäischen Ländern führte. Für den deutschsprachigen Raum zeigt sich diese Entwicklung im »Prozess semantischer Abwertung«,7 den das Wort »Kapitalismus« seit der Weltwirtschaftskrise durchlief. So wurden diejenigen Bedeutungsgehalte getilgt, die deskriptiv auf strukturelle Merkmale marktbasierter Wirtschaftsformen abhoben.8 In der Folge geriet »Kapitalismus« zu einem normativ aufgeladenen Begriff, zu einer Negativfolie, vor der sich entweder – in Abgrenzung zum Gegenbegriff »Sozialismus« – unternehmerisches Gewinnstreben anprangern oder  – mit Verweis auf die Folgen der Weltwirtschaftskrise  – das Versagen marktförmiger Wirtschaftsordnungen beklagen ließ. Die Vertreter des Ordoliberalismus, die sich selbst als »neoliberal« bezeichneten, wollten diese Krise – und aufgrund dieser Zielsetzung lassen sie sich auch rückblickend der geistigen Strömung des »Neoliberalismus« zuordnen – überwinden und suchten die Ideen des klassischen Wirtschaftsliberalismus zu revitalisieren und zugleich zu revidieren.9 Als revisionsbedürftig galt ihnen vornehmlich das Verhältnis von Staat und Wirtschaft, dessen Veränderungen sie als Hauptursache für den Legitimitätsverlust liberal-kapitalistischer Annahmen identifizierten. So beschrieben etwa Walter Eucken und Franz Böhm die Wandlung des Staates zu einem 4 Grundlegend zur Ideengeschichte des Ordoliberalismus: Ptak, Ordoliberalismus, S. 23–131; ders., Neoliberalism; Haselbach, S. 77–115; Heuß, Kontinuität; Starbatty; Nützenadel, Stunde, S. 33–44; Löffler, S. 40–70. Mit Blick auf das Verhältnis zum Neoliberalismus: Biebricher, S. 38–49; Foucault, Geburt, S. 112–259; Hesse, Staat; Goldschmidt u. Hesse; Stedman Jones, S. 121–127. Mit Schwerpunkt auf diskursiven Veränderungen der Disziplin Volkswirtschaftslehre: Hesse, Wirtschaft, S. 256–387. Zu einzelnen Vertretern und ihrem Werk: Goldschmidt, Entstehung; E. Conze, Röpke. 5 Scholl, S. 231–243, Zit. S. 231; Streit. 6 Biebricher, S. 24. 7 Spoerer, S. 30. 8 Dies sind vor allem die Koordination wirtschaftlicher Prozesse auf (Tausch-)Märkten und die Steuerung dieser Märkte durch freie Preisbildung. Beide Merkmale waren für das damalige Verständnis von »Kapitalismus« konstitutiv und sind bis heute in gängigen Definitionen enthalten. Für die historische Forschung vgl. Kocka, S. 20; Plumpe, Kapitalismus. Zur Differenzierung zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft: Boltanski u. Chiapello, S. 39–42. 9 Auf diese beiden Ziele der Revitalisierung und der Revision als wesentliche Kennzeichen des »Neoliberalismus«, die bereits frühe »neoliberale« Selbstbeschreibungen prägten, hebt ab: Biebricher, v. a. S. 31–38.

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»Wirtschaftsstaat«, der zunehmend von gesellschaftlichen Gruppeninteressen geleitet und dadurch fortwährend geschwächt werde. An Stärke könne der Staat erst wieder gewinnen, wenn er die interessengeleitete Interventionstätigkeit aufgebe und sich darauf beschränke, als unabhängige Instanz den rechtlichen Ordnungsrahmen des Wirtschaftens bereitzustellen und zu garantieren.10 Diesen ordoliberalen Kerngedanken, auf den auch die Bezeichnung für diese deutsche Spielart des »Neoliberalismus« zurückgeht, spitzte Eucken in der zweiten Ausgabe der Zeitschrift Ordo wie folgt zu: »Der Staat hat die Formen, das institutionelle Rahmenwerk, die Ordnung, in der gewirtschaftet wird, zu beeinflussen, und er hat die Bedingungen zu setzen, unter denen sich eine funktionsfähige und menschenwürdige Ordnung entwickelt. Aber er hat nicht den Wirtschaftsprozeß selbst zu führen.«11 »Dem Staat«, der im ordoliberalen Schriftgut als abstrakter Adressat von Zuschreibungen ohne konkreten akteursbezogenen oder materiell-institutionellen Bezugspunkt fungierte,12 fiel dieser Auffassung zufolge die Aufgabe zu, den rechtlichen Rahmen, die Ordnung des Wirtschaftens als Veranstalter zu bestimmen, ohne als Teilnehmer an diesem Prozess zu partizipieren. Der Staat war konstitutives Außen des Wirtschaftsgeschehens, da er einerseits unabdingbar für dessen Funktionalität war, diese Funktionalität aber andererseits gerade auf der Trennung beider Funktionsbereiche fußte.13 Die wesentlichen inhaltlichen Bestandteile, Prinzipien und Ziele der vom Staat zu garantierenden Wirtschaftsordnung, die zuweilen auch als »Wirtschaftsverfassung« bezeichnet wurde, bildeten wiederum diejenigen ordoliberalen Grundpositionen, die auf eine Revitalisierung des klassischen Wirtschaftsliberalismus abzielten. So bezeichnete Walter Eucken »die Herstellung eines funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrenz« als »das wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundprinzip«14 und brachte damit zwei weitere zentrale Grundüberzeugung des Ordoliberalismus zum Ausdruck. Denn er verwies damit erstens auf die Bedeutung der freien Preisbildung, deren zentrale Funktion für eine marktförmige Wirtschaft die Ordoliberalen stets als konstitutives Element ihrer Ordnungsvorstellungen herausstrichen und in Abgrenzung zu alternativen Entwürfen profilierten. Als Negativfolie fungierten hierbei vornehmlich die Wörter »Zentralverwaltungswirtschaft« und »Planwirtschaft«, mit denen die Vertreter des Ordoliberalismus eine zentrale, staatliche Lenkungsfunktion und damit eine zu starke Verschränkung von Staat und Wirtschaft verbanden. Da »Kapitalismus« im deutschen Sprachraum in Folge der Weltwirtschaftskrise zu sehr mit negativen Bedeutungsgehalten aufgeladen war, etablierten sie zunächst »Verkehrswirtschaft« und im weiteren Verlauf »Marktwirtschaft« als positiv be10 Eucken, Strukturwandlungen, S. 298; vgl. auch Böhm, Ordnung. Ptak, Ordoliberalismus, S. 33–37; Biebricher, S. 47; Heuß, Kontinuität, S. 333. 11 Eucken, Wettbewerbsordnung, S. 93. 12 Ptak, Ordoliberalismus, S. 108. 13 Scholl, S. 240–241. 14 Eucken, Politik, S. 144.

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setzte Bezeichnungsformen, die auf das zu revitalisierende Ideal einer marktförmig organisierten Wirtschaft verwiesen.15 Darüber hinaus sollte die staatlich garantierte Wirtschaftsordnung nach ordoliberalem Verständnis zweitens – und darauf verweist das Euckensche Grundprinzip ebenfalls – am Ideal der »vollständigen Konkurrenz« ausgerichtet werden. Hiermit schloss Eucken in zweierlei Hinsicht an die Grundannahmen der (neo-)klassischen Wirtschaftstheorie an, in der zum einen Wettbewerb – und nicht Tausch – als Grundprinzip des Marktes fungierte. Mit dem Idealbild der »vollständigen Konkurrenz«, das Eucken zum anderen ebenfalls übernahm, verband sich die Vorstellung von Wettbewerb bzw. Konkurrenz als einem Zustand, der über den freien Preismechanismus permanent dem Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage zustrebt. Wenn diese modellhaft-statische Konzeption von Wettbewerb im Laufe der fünfziger Jahre auch zugunsten eines dynamischeren Wettbewerbsverständnisses verabschiedet wurde,16 bildeten doch die Gleichgewichtsannahmen der (Neo-)Klassik für die ordnungspolitischen Diskussionen der jungen Bundesrepublik im Allgemeinen und damit auch die Privatisierungsdebatten im Besonderen einen wichtigen argumentativen Bezugspunkt.17 Ein wesentlicher Unterschied zum Wettbewerbsverständnis des 19. Jahrhun­ derts bestand gleichwohl darin, dass die Ordoliberalen im Wettbewerb kein naturgegebenes Phänomen erkannten, sondern im Anschluss an die Phänomenologie Husserls auf dessen Wesenhaftigkeit und formale Eigenschaften abhoben. Diese »Theorie des reinen Wettbewerbs« als eines anzustrebenden Idealzustands  – nicht Naturzustands  – markiert den ordoliberalen Bruch mit der Politik des Laissez-faire, des dem Staat abzuringenden wirtschaftlichen Freiraums, und fungiert als Begründung für die aktive Rolle des Staates als Ordnungshüter.18 Denn als Idealzustand wird »vollständige Konkurrenz« zu einem anzustrebenden Ziel, das »eine aktive und äußerst wachsame Politik notwendig« macht.19 In den Worten des Eucken-Schülers Leonhard Miksch: »[A]us der ›Naturordnung‹ wird eine staatliche Veranstaltung«.20 Das leitende Prinzip, die staatlich garantierte wirtschaftliche Ordnung am »Gesetz des Wettbewerbs«21 auszurichten, konstituieren ferner weitere Grund15 Die Leitunterscheidung zwischen »Zentralverwaltungswirtschaft« und »Verkehrswirtschaft« geht zurück auf Euckens Hauptwerk: Eucken, Grundlagen. Vgl. Ptak, Ordoliberalismus, S. 115–118. Zur Karriere der Begriffe »Verkehrswirtschaft« und »Marktwirtschaft«: Spoerer, S. 30–31. 16 Hesse, Wirtschaft, S. 350–364. Ernst Heuß unterscheidet in diesem Zusammenhang zwei »Generationen« ordoliberaler Wirtschaftswissenschaftler; Heuß, Kontinuität, S. 337–338; ders., Wettbewerb; vgl. auch Kapitel 2.4 im zweiten Teil. 17 Foucault, Geburt, S. 170–171; Ptak, Ordoliberalismus, S. 118–120. 18 Foucault, Geburt, S. 172–173, 187–188, Zit. S. 188. Zu den phänomenologischen Wurzeln des Ordoliberalismus: Goldschmidt, Reich. 19 Röpke, Gesellschaftskrisis, S. 358. 20 Miksch, S. 9. 21 Eucken, Grundsätze, S. 371.

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prinzipien, die Walter Eucken in zahlreichen Veröffentlichungen unter den Überschriften »Primat der Währungspolitik«, »Offene Märkte«, »Privateigentum«, »Vertragsfreiheit«, »Haftung« und »Konstanz der Wirtschaftspolitik« behandelte.22 Für die vorliegende Studie sind vornehmlich die Ausführungen zu den Prinzipien des Privateigentums und der offenen Märkte von Belang, da beide die eingangs umrissenen wirtschaftlichen Aufgabenfelder des Staates betrafen. Das Prinzip der Marktöffnung entwickelt Eucken vor dem Hintergrund einer Problematik, die das ordoliberale Schrifttum gleich einem Leitmotiv durchzieht: der Gefahr wirtschaftlicher Machtkonzentration. So fungiert der Ausprägungsgrad wirtschaftlicher Macht beispielsweise in Euckens Hauptwerk, den »Grundlagen der Nationalökonomie«, als ein wesentliches Kriterium zur Unterscheidung der beiden hierin postulierten idealtypischen Wirtschaftsordnungsmodelle. Während die »Zentralverwaltungswirtschaft« für die stärkste Ausprägung wirtschaftlicher »Vermachtung« steht, gilt die »Verkehrswirtschaft« im Modus »vollständiger Konkurrenz« als vollkommen »machtfreie Wirtschafts­ form«.23 Die beiden Ziele, »vollständige Konkurrenz« zu ermöglichen und die Gefahr wirtschaftlicher Macht zu verhüten, bildeten im ordoliberalen Gedankengebäude folglich zwei Seiten derselben Medaille. Zugleich implizierte das Postulat vom Wettbewerb als »Entmachtungsinstrument«24 die grundlegende Annahme, dass die Tendenz zur Ausprägung wirtschaftlicher Macht, zur Schließung von Märkten durch Monopole oder Kartelle, nicht dem Modus Wettbewerb inhärent, sondern vielmehr, wie Wilhelm Röpke formulierte, »ein Fremdkörper im Wirtschaftsprozeß«25 sei. Demnach drohe die »Gefahr der Behinderung der vollständigen Konkurrenz«26 von außen, »von den Stellen […], welche die Schließung anordnen [und] die Funktionen der Lenkung und der Auslese [übernehmen], welche bei offener, vollständiger Konkurrenz Preise und durch Preise die Konsumenten vornehmen«. Um diese äußere Gefährdung der »vollständigen Konkurrenz« abzuwenden, erklärte Eucken die »Öffnung der Märkte« zum ordnungspolitischen Grundprinzip, dem er »wirtschaftsverfassungsrechtlichen Sinn« zuschrieb und damit den Staat zum Garanten dieser »Wirtschaftsverfassung« erklärte. Indem er hierbei dem Staat die Aufgabe zuwies, »die Schließung der Märkte durch private Machtgruppen« zu verhindern,27 hob er auf Vertreter der Privatwirtschaft als Urheber von Marktschließung und Machtbildung ab. Während die frühen ordoliberalen Schriften den Schwerpunkt eindeutig auf diese Form wirtschaftlicher Machtausprägung gelegt hatten, verlagerte sich 22 Eucken, Politik; ders., Grundlagen; ders., Wettbewerbsordnung. Diese Prinzipien übernehmen auch: Eekhoff u. Pimpertz, S. 28–33. 23 Eucken, Grundlagen, S. 103, 230; die Bezeichnung »machtfreie Wirtschaftsform« bei: Ptak, Ordoliberalismus, S. 119. 24 Böhm, Demokratie, S. 22. 25 Röpke, Gesellschaftskrisis, S. 359. 26 Eucken, Politik, S. 147. 27 Ebd., S. 148.

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das Interesse seit den späten vierziger Jahren zunehmend auf die ökonomische Tätig­keit des Staates als Ursache wirtschaftlicher »Vermachtung«.28 So problematisierte Eucken in mehreren Aufsätzen beispielsweise die Bildung staatlicher Monopole, die er auf »ein ausschließliches Privileg […], ein bestimmtes Gewerbe auszuüben« zurückführte, und forderte, derartige »Zulassungssperren, Privilegien […] im ganzen also staatliche Schließungsmaßnahmen zu vermeiden«.29 Mit dem Verweis auf zwei unterschiedliche Gruppen von Urhebern, die außerhalb des marktförmig organisierten Wirtschaftsgeschehens verortet wurden, nahm die Redefigur wirtschaftlicher »Vermachtung« im ordoliberalen Schrifttum zwei verschiedene diskursive Ausprägungsformen an, die für die ordnungspolitischen Diskussionen der frühen Bundesrepublik als Positionierungsmöglichkeiten bereitstanden. Das Privateigentumsprinzip lässt sich ebenfalls in das Schema gegensätzlicher Idealtypen einpassen, das dem ordnungspolitischen Gedankengebäude der Ordoliberalen zugrunde lag. So galt ihnen kollektives Eigentum als »ein überaus wirksames Beherrschungsinstrument«, das »zwangsläufig mit zentraler Lenkung des Wirtschaftsprozesses verbunden« sei. Aus diesem eminenten sachlichen Zusammenhang zwischen Kollektiveigentum und dem Idealtypus der »Zentralverwaltungswirtschaft«, der sich durch staatliche Lenkung des Wirtschaftsprozesses, Schließung von Märkten und demnach ein Höchstmaß wirtschaftlicher »Vermachtung« auszeichne, folgte für die Vertreter des Ordoliberalismus ebenso zwangsläufig die Unvereinbarkeit kollektiven Eigentums mit einer Wirtschaftsordnung im Modus »vollständiger Konkurrenz«.30 Privateigentum und »reiner Wettbewerb« hingegen standen nach ordoliberalem Verständnis in einem Verhältnis wechselseitiger Ermöglichung zueinander. Als konzeptionelles Gegenstück zum Kollektiveigentum ermögliche das Privateigentum als eine der »Voraussetzungen der Wettbewerbsordnung«31 erst die Konkurrenz einer Vielzahl von Eigentümern um Arbeitnehmer, Kunden oder Rohstoffe und beuge damit der stärksten Ausprägung wirtschaftlicher »Vermachtung« in Form der »Zentralverwaltungswirtschaft« vor. Umgekehrt gewährleiste die »vollständige Konkurrenz«, »daß das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht zu wirtschaftlichen und sozialen Mißständen« führe,32 sondern »in den Dienst der Allgemeinheit« gestellt werde.33 Aus dieser Gegenüberstellung zweier idealtypischer Wirtschaftsordnungsmodelle leiteten die Ordoliberalen ihre ablehnende Haltung gegenüber erwerbswirtschaftlichen Betrieben im Besitz des Staates ab, ließen diese sich doch nicht in das angestrebte Muster eines auf privatem Eigentum basierenden Wirtschaftsgeschehens im Modus »vollständiger Konkurrenz« ein28 Ptak, Ordoliberalismus, S. 185–186. 29 Eucken, Politik, S. 147–148. Nahezu wortgleich in: ders., Wettbewerbsordnung, S. 37–38. 30 Eucken, Politik, S. 151. 31 Ebd. 32 Ebd., S. 153. 33 Röpke, Wirtschaftspolitik, S. 52.

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passen. Wilhelm Röpke erklärte demzufolge – stellvertretend für alle Vertreter des Ordoliberalismus – Staatsbetriebe für »erträglich«, sofern sie »sich in Wettbewerbsmärkte einordnen und die Preisbildung auf den Märkten nicht durch staatliche Subventionen an solche Werke gestört« werde.34 Die staatliche Beteiligung an erwerbswirtschaftlichen Unternehmen erschien aus einer solchen Perspektive als Ausnahme von einem postulierten Normal- und Idealzustand, die nicht als erstrebenswert, sondern allenfalls als tolerabel galt. Über diese wirtschaftsordnungspolitischen Überlegungen hinaus stellte die Forderung, die Bildung von privatem Eigentum zu fördern, eine tragende Säule der gesellschaftspolitischen Überlegungen dar, die Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke unter den Stichwörtern »Vitalpolitik« und »soziologischer Liberalismus« formulierten.35 Wesentliche Bestandteile dieses Konzepts, das auf eine »grundsätzliche Änderung soziologischer Grundlagen« durch »Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Dezentralisation« abzielte, waren die »Streuung des kleinen und mittleren Betriebes […] und [die] Förderung des Kleineigentums der Massen«. Ziel war, »eine neue Klasse von Arbeitern zu schaffen, die durch Eigentum […] zu vollwertigen Bürgern einer Gesellschaft freier Menschen werden«.36 Rüstow und Röpke führten damit zum einen den wirtschaftstheoretischen Gedanken eines engen Zusammenhangs zwischen Privateigentum und Wettbewerbsordnung konsequent weiter, indem sie privates Eigentum als Möglichkeitsbedingung von Wettbewerb für weite Teile der Bevölkerung forderten.37 Zum anderen wiesen ihre Überlegungen über das ordnungspolitische Postulat des Ordoliberalismus hinaus, lassen sie doch den Anspruch erkennen, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik miteinander zu verknüpfen.38 Die Denkfigur der Verbindung wirtschafts- bzw. ordnungspolitischer mit gesellschaftspolitischen Zielsetzungen bildete für die Privatisierungsdiskussionen der fünfziger und frühen sechziger Jahre einen weiteren wichtigen Begründungszusammenhang. Den Referenzrahmen für die ordnungspolitischen Auseinandersetzungen und Grundsatzentscheidungen der jungen Bundesrepublik steckten freilich insbesondere die wirtschaftstheoretischen Kernaussagen des Ordoliberalismus ab. Mit Walter Eucken und Franz Böhm waren zudem zwei einflussreiche Vertreter des Ordoliberalismus unmittelbar an den Debatten beteiligt, konnten beide doch ihre Positionen als Mitglieder im wissenschaftlichen Beirat der bizonalen Wirtschaftsverwaltung in die Diskussionen einspeisen. In seinem ersten Gutachten vom 1. April 1948 formulierte der Beirat die prinzipielle »Auffassung, daß die Funktion des Preises, den volkswirtschaftlichen Prozeß zu steuern, in 34 Eucken, Politik, S. 151. 35 So insbesondere in: Röpke, Gesellschaftskrisis; ders., Civitas; Rüstow, Weg; ders., Mensch. 36 Röpke, Wirtschaftspolitik, S. 59. 37 Diesen Zusammenhang betont vor allem Michel Foucault, der hinter den gesellschaftspolitischen Forderungen das Ideal einer »Unternehmensgesellschaft« erkennt; Foucault, Geburt, S. 208. 38 So lautete der Untertitel zu einem von Röpkes Hauptwerken nicht zufällig »Grundfragen der Gesellschafts- und Wirtschaftsreform«; Röpke, Civitas.

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möglichst weitem Umfang zur Geltung kommen soll.«39 Die Ökonomen gaben damit ein eindeutiges Plädoyer für eine marktförmig organisierte Wirtschaftsordnung ab, deren Popularisierung und Umsetzung unter dem Label »Soziale Marktwirtschaft« in Westdeutschland insbesondere Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack betrieben. In seinen frühen programmatischen Schriften bezeichnete Müller-Armack als »Soziale Marktwirtschaft« eine Wirtschaftsordnung, die in Form einer »Synthese« vermöge, »das soziale Wollen unserer Zeit und die elementarsten Einsichten der Wirtschaftspraxis und Nationalökonomie in Übereinstimmung zu bringen«. Er perpetuierte damit die Redefigur der Vereinigung einer »freie[n] Marktwirtschaft […] mit sozialen Sicherungen«,40 die den semantischen Kern der Bezeichnungsform »Soziale Marktwirtschaft« bildet(e). Über diesen semantischen Grundgehalt hinaus blieben die beiden Wortelemente »Marktwirtschaft« und »Soziales« allerdings deutungsbedürftig. Im Folgenden wird es um diejenigen Bedeutungsgehalte gehen, die in den fünfziger Jahren die größte Plausibilität entfalteten und demzufolge auch für die Untersuchung der frühen bundesrepublikanischen Privatisierungsdebatten von Relevanz sind. Das im deutschen Sprachraum  – im Gegensatz zu »Kapitalismus«  – unbelastete Wort »Marktwirtschaft« profilierte Erhard gegenüber »jede[r] Art von bürokratischem Dirigismus und staatlicher Befehlswirtschaft«41 und zog damit eine Grenze sowohl zur sozialistischen Plan- als auch zur nationalsozialistischen Kommandowirtschaft. Die ordoliberale Leitunterscheidung von »Zentralverwaltungswirtschaft« und »Verkehrswirtschaft«, die diesen Abgrenzungen zugrunde lag, spitzte Müller-Armack noch weiter zu, indem er »der zentral gelenkten Planwirtschaft wesenhafte Mängel« attestierte, die zu unaufhaltsamen Folgen führten, bestehe das »innere Schicksal der Planwirtschaft« doch darin, »von einem ruhelosen Zwang erfüllt, von Eingriff zu Eingriff weiterzugehen, weil mit jedem Eingriff eine weitere Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts eintritt, die neue Eingriffe verlangt und so fort bis zum völligen Erstarren einer totalen Planwirtschaft«.42 Dieser Hinweis auf zwangsläufige, schicksalhafte Mängel planerischer Wirtschaftsformen transportierte zugleich den Verweis auf diejenige Wirtschaftsordnung, auf die Erhards und Müller-Armacks Konzeption einer »Sozialen Marktwirtschaft« ausgerichtet war: eine Marktwirtschaft,

39 Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi, Maßnahmen, S. 1. 40 Müller-Armack, Wirtschaftsordnung, S. 83, 84. In seiner ersten ordnungspolitischen Monographie reproduzierte Müller-Armack diese Figur ebenfalls, wenn er forderte, »die marktwirtschaftliche Ordnung auf ihre Vereinbarkeit mit jenen wirtschaftlichen und sozialpolitischen Zielen zu überprüfen, die wir heute zum Grundbestand aller staatlichen Gesinnung rechnen«; ders., Wirtschaftslenkung, S. 61. In einem Handbuchbeitrag schrieb er: »Sinn der sozialen Marktwirtschaft ist es, das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden.«; ders., Art. Soziale Marktwirtschaft, S. 390. 41 Erhard, S. 201. 42 Müller-Armack, Wirtschaftsordnung, S. 76.

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die im Modus »vollständiger Konkurrenz« einem »wirtschaftlichen Gleichgewicht« zustreben sollte. Hierbei bediente sich Müller-Armack erneut der Redefigur des Sachzwangs, indem er die Entscheidung für eine marktwirtschaftliche Ordnung als »zwangsläufig« sowie als »Schicksal« bezeichnete und feststellte, »dass wir in der Wahl einer Wirtschaftsordnung in einem tieferen Sinne gar nicht frei sind«.43 Die Denkfigur des wirtschaftlichen Equilibriums wiederum betonte Erhard besonders, für den »das Geheimnis der Marktwirtschaft, und das macht ihre Überlegenheit gegenüber jeder Art von Planwirtschaft aus«, darin bestand, »daß sich in ihr sozusagen täglich und stündlich die Anpassungsprozesse vollziehen, die Angebot und Nachfrage, Sozialprodukt und Volkseinkommen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Beziehung zu richtiger Entsprechung und so auch zum Ausgleich bringen.«44 Als »Störungsfaktor des marktwirtschaftlichen Gleichgewichts« identifizierte Erhard – und hier ist ebenfalls die Übernahme ordoliberaler Positionen zu erkennen – das »Problem der wirtschaftlichen Macht«,45 das er auf vertragliche Vereinbarungen und Konzentrationstendenzen privater Unternehmen, »aber darüber hinaus auch [auf] Maßnahmen des Staates selbst« zurückführte.46 Der störende Effekt bestehe darin, dass »der Marktpreis, der in der vollkommenen Wettbewerbswirtschaft dem Diktat des einzelnen Marktpartners entzogen ist, willkürlich verändert und damit also auch der Marktablauf im Interesse und zum Vorteil der einflussnehmenden Machtgruppen bewusst und künstlich gelenkt« werde. Aus dieser Problembeschreibung, die das Denkmuster der Unterscheidung zwischen »vollständiger Konkurrenz« und äußeren, das wirtschaftliche Gleichgewicht störenden Faktoren reproduzierte, leitete Erhard für den Staat als »Gesetzgeber« die drei Aufgaben ab, »vollständige Konkurrenz in einem möglichst großen Umfang« herzustellen, »die mißbräuchliche Ausnutzung einer Marktmacht« zu verhindern und »ein staatliches Organ zur Überwachung und – wenn nötig – zur Beeinflussung des Marktgeschehens« zu schaffen.47 Auch in Erhards und Müller-Armacks Vorstellung von »Sozialer Marktwirtschaft« fungierte der Staat folglich als konstitutives Außen der Wirtschaft im Modus vollständigen Wettbewerbs, deren Schutz vor störenden Eingriffen in den freien Preismechanismus er zu garantieren hatte. Diese Überlegungen finden ihre Entsprechung in Müller-Armacks »Grundsatz der Marktkonformität« staatlicher Interventionen, durch die »die Funktionsweise des Marktes […] nicht gestört und, wenn möglich, gar noch verbessert« werden sollte.48 Damit übernahm er explizit Wilhelm Röpkes Typologie von Eingriffen in die Wettbewerbsordnung, der unter anderem »konform[e]«, »nicht in den Preismechanismus eingrei43 Ebd., S. 87, 88. 44 Erhard, S. 202. 45 Ebd., S. 204. 46 Ebd., S. 200, 204–205, Zit. S. 200. 47 Ebd., S. 205. 48 Müller-Armack, Jahrzehnt, S. 121.

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fend[e]« von »nichtkonformen Eingriffen« wie der »Festsetzung eines Höchstpreises« unterschied.49 Zugleich wollte insbesondere Müller-Armack das Aufgabenfeld des Staates nicht auf die Garantie der Wettbewerbsordnung beschränkt wissen. Vielmehr betonte er, dass »die neoliberale Theorie vor allem auf die Technik der Wettbewerbspolitik« abhebe, während »das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft ein umfassender Stilgedanke« sei, »der nicht nur im Bereich des Wettbewerbs, sondern im gesamten Raum des gesellschaftlichen Lebens […] Anwendung« finde.50 Mit Müller-Armacks »Stiltheorie«,51 der die Unterscheidung zwischen spezifisch-technischer Wirtschafts- und ganzheitlicher Gesellschaftspolitik zugrunde lag, verband sich demnach der Anspruch, die »soziale« Komponente des Labels für die neue westdeutsche Wirtschaftsordnung mit Bedeutung zu füllen. Den diskursiven Rahmen hierfür bildete die Unterscheidung zweier »Phasen« der »Sozialen Marktwirtschaft«, die Müller-Armack und Erhard im Laufe der fünfziger Jahre perpetuierten. Diese Redefigur verwies einerseits auf »Soziale Marktwirtschaft« als gleichbleibenden referentiellen Bezugspunkt, dessen Veränderungen durch die Unterscheidung zweier »Phasen« abgebildet und in eine zeitliche Abfolge gebracht wurden. Während die erste Phase als »Bewährungsprobe« geprägt gewesen sei von den »praktischen Aufgaben des Wiederaufbaus«,52 der Sicherung der »materielle[n] Existenz«53 sowie der »Produktion und der Güterversorgung«, stünden seit den späten fünfziger Jahren »der gesellschaftspolitische Rahmen« sowie Fragen der »sinnvolle[n] und lebensgemässe[n] Gestaltung der gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt« im Vordergrund. Das aus diesen Fragen entwickelte »Leitbild einer neuen Gesellschaftspolitik«, das sich sowohl sprachlich als auch inhaltlich an Rüstows und Röpkes gesellschaftspolitischen Überlegungen orientierte, war zum einen »der Betriebsstruktur, der Eigentumsbildung in der Hand breitester Schichten, [sowie] der Förderung der Spartätigkeit« gewidmet.54 Zum anderen schlug Müller-Armack auf dieser Grundlage eine neue Definition staatlicher Aufgabenfelder vor. Während er ein »Minimum staatlicher Tätigkeit« ganz in ordoliberalem Sinne für »richtig« erklärte, wies er dem Staat im Rahmen seiner gesellschaftspolitischen Überlegungen neue Aufgabenbereiche zu: »Aber so, wie auch nach neoliberaler Auffassung eine Wettbewerbsordnung als ein staatlich gesetztes Rahmengefüge für den Wettbewerb unerlässlich ist, sollte der Staat, je mehr er im Wirtschaften selbst entbehrlich erscheint, sich auf seine spezifischen Aufgaben für die Setzung einer konkreten Umweltordnung besinnen.« Für Müller-Armack war somit  – spätestens mit Abschluss der »ersten Phase« der »Sozialen Marktwirtschaft« – 49 Röpke, Wirtschaftspolitik, S. 57, 58. Diese Differenzierung war bereits in einem Hauptwerk Röpkes grundgelegt: ders., Civitas, v. a. S. 78. 50 Müller-Armack, Jahrzehnt, S. 119–120. 51 Ausführlicher: Dietzfelbinger. 52 Müller-Armack, Jahrzehnt, S. 119. 53 Müller-Armack, Phase, S. 129. 54 Müller-Armack, Jahrzehnt, S. 126, 128.

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eine »staatliche Unternehmensführung« zwar »überflüssig« geworden.55 Umso mehr richtete er jedoch den Fokus auf die gesellschaftspolitische Aufgabe einer »befriedigende[n] Umweltgestaltung« und forderte eine Erweiterung der »öffentlichen Leistungen« etwa »im Schul- und Bildungswesen, im Gesundheitswesen, im Strassen- und Wohnungsbau, im Sicherheitsdienst, in der allgemeinen Verwaltung und so weiter«.56 Mit dem Übergang zur »zweiten Phase« der »Sozialen Marktwirtschaft« verband Müller-Armack demnach nicht nur eine Annäherung an das ordoliberale Ideal vom Staat als Ordnungsgaranten, vielmehr ging damit seiner Ansicht nach die Erweiterung des staatlichen Funktions- und Zuständigkeitsbereichs, die »Verstärkung des öffentlichen Sektors«,57 geradezu notwendigerweise einher. Ein zweiter wichtiger Bedeutungsgehalt der »sozialen« Komponente von »Soziale Marktwirtschaft« war der Verweis auf das »Volk« als Referenzpunkt und Gegenstand (wirtschafts-)politischer Bemühungen. Die Bezeichnung »Volk« verwies hierbei auf die Gesamtheit von Staatsbürgern, erhoben Müller-Armack und Erhard doch den Anspruch, eine Wirtschaftsordnung zu schaffen, die dem »Gesamtinteresse«58 diene, indem »jeder wirtschaftliche Erfolg […] dem Wohle des ganzen Volkes nutzbar gemacht« werde.59 Diese Überwindung von »Einzelinteressen« oder »Gruppeninteressen« zum Wohle der Gesamtheit des Volkes, die Erhard auch als den »soziale[n] Sinn der Marktwirtschaft«60 bezeichnete, orientierte sich an der wirkmächtigen dichotomischen Unterscheidung von »Gemeinschaft« und »Gesellschaft«, die schon im frühen zwanzigsten Jahrhundert Karriere gemacht und auch in das nationalsozialistische »Volksgemeinschafts«Konzept Eingang gefunden hatte.61 Mit der Währungsreform und der Öffnung der Konsumgütermärkte waren die wichtigsten ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen der Nachkriegszeit zwar bereits im Juni 1948 gefallen. Im Anschluss an Werner Abelshauser lässt sich dieser Zeitraum der »Durchsetzung der Marktwirtschaft«, in dem sich auch die Wortverbindung »Soziale Marktwirtschaft« als Beschreibungsform für die westdeutsche Wirtschaftsordnung im öffentlichen Sprachgebrauch etablierte, allerdings unterscheiden von einer daran anschließenden Phase, in deren Verlauf sich der »Streit um die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik« fortsetzte.62 Die ordnungspolitischen Grundsatzdebatten dieser Phase, die bis Mitte

55 Müller-Armack, Phase, S. 138, 139. 56 Ebd., S. 142. 57 Ebd., S. 145. 58 Müller-Armack, Wirtschaftsordnung, S. 75. 59 Erhard, S. 200–201. 60 Ebd., S. 200. 61 Grundlegend zur Unterscheidung von »Gemeinschaft« und »Gesellschaft«: Tönnies; Weber, Wirtschaft, S. 29–31. Zur Übernahme dieser Leitdifferenz in das nationalsozialistische Konzept von »Volksgemeinschaft«: Janka. 62 Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 173, 87.

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der sechziger Jahre andauerten, kreisten insbesondere um die wirtschaftlichen Aufgabenbereiche des Staates, die hier im Zentrum des Interesses stehen. Das rechtliche Fundament für die Regulierungsaufgabe des Staates bildete das »Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen« (GWB),63 das der Deutsche Bundestag schließlich nach mehrjähriger Beratung in seiner Sitzung am 3. Juli 1957 verabschiedete. Zwar weichten die zahlreichen im Gesetzestext verankerten Ausnahmebereiche das strikte Kartellverbotsprinzip, das dem »Missbrauchsprinzip« vorgezogen worden war, zunehmend auf.64 Jedoch hatte das Kartellgesetz affirmativen Charakter, diente es doch insbesondere der Vergewisserung über das ordoliberale Wirtschaftsordnungsmodell der »Sozialen Marktwirtschaft«. So entsprach erstens die mit Verabschiedung des GWB beschlossene Gründung des Bundeskartellamtes der oben zitierten Forderung Ludwig Erhards, »ein staatliches Organ zur Überwachung und  – wenn nötig  – zur Beeinflussung des Marktgeschehens« zu schaffen.65 Zweitens fungierte das ordoliberale Ideal der »vollständigen Konkurrenz« als wirtschaftstheoretisches Leitbild des Kartellgesetzes, hieß es doch in der Gesetzesbegründung: »Es darf als sichere wissenschaftliche Erkenntnis angesehen werden, daß die Marktverfassung des freien Wettbewerbs das Vorhandensein der Marktform des vollkommenen Wettbewerbs als wirtschaftliche Gegebenheit zur Voraussetzung hat«.66 Dass das GWB der Bestätigung des bundesrepublikanischen Wirtschafts­ ordnungsmodells diente, belegt zudem nicht nur die Übernahme und Integration von Bedeutungsbeständen der Wortverbindung »Soziale Marktwirtschaft«, die dem Theoriehaushalt des Ordoliberalismus entlehnt waren. Vielmehr galt das »Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen« drittens im öffentlichen Sprachgebrauch der Bundesrepublik gemeinhin als »Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft«.67 Diese Redeweise gründete bereits in der ersten Bundestagsdebatte über den Gesetzesentwurf vom Juni 1952, in deren Verlauf Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard das GWB ein »Korrelat zu der politischen Demokratie« nannte und Hans-Joachim von Merkatz von der DP sich der ordoliberalen Wortschöpfung der »Wirtschaftsverfassung« bediente und konstatierte, dass das Kar63 Zur Genese des GWB: Robert; Murach-Brand; Kurzlechner, S. 62–77; Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 173–177. Zum wirtschaftstheoretischen Fundament des bundesdeutschen Kartellgesetzes: Hesse, Abkehr. 64 Die Vertreter des »Missbrauchsprinzips« traten nicht für ein grundsätzliches Verbot jeglicher Kartellierung, sondern für die rechtliche Kontrolle des Missbrauchs von Marktmacht ein; ebd., S. 34–35. 65 Erhard, S. 205. 66 BT-Drucksache II/1158, S. 22. Jan-Otmar Hesse weist auf die zeitgleich zur Beratung des Gesetzes vollzogene Abwendung einer großen Zahl auch deutschsprachiger Ökonomen vom theoretischen Leitbild der »vollständigen Konkurrenz« hin. Ob und inwieweit derlei Diskussionen auch in die Mitarbeiterstäbe des Ministeriums und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie vordrangen, die über den GWB-Entwurf berieten, ist bislang allerdings nicht bekannt; Hesse, Abkehr, S. 39–46. 67 Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 173.

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tellgesetz »eigentlich ein Gesetz von einer Bedeutung ist, die der vieler grundlegender Bestimmungen des Grundgesetzes nicht nachsteht.«68 Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass die Privatisierungsmaßnahmen der fünfziger und frühen sechziger Jahre vornehmlich als politische Projekte zu deuten sind, die  – ebenso wie das »Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen« – der Vergewisserung über die »Soziale Marktwirtschaft« als Wirtschaftsordnungsmodell für die Bundesrepublik Deutschland dienten. 1.2 Privatisierungsforderungen – Privatisierungsabsichten Seit den frühen fünfziger Jahren geriet die staatliche Wirtschaftstätigkeit in der Bundesrepublik zunehmend zu einem Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen. Das Augenmerk des Bundesverbands der Deutschen Industrie, des Deutschen Industrieinstituts, des Bundes der Steuerzahler sowie des Bonner Instituts Finanzen und Steuern, die das Thema mit Unterstützung mehrerer Zeitungen und wissenschaftlicher Vereinigungen vorantrieben, richtete sich hierbei vornehmlich auf den öffentlichen Vermögensbesitz im Allgemeinen und die staatlichen Unternehmensbeteiligungen im Besonderen. So forderte das Institut Finanzen und Steuern einen staatlichen »Gesamtfinanzplan« als Voraussetzung für eine öffentliche »Prüfung der Finanzgebarung der öffentlichen Hand«.69 Mit dieser Aufforderung, die Vermögensverhältnisse von Bund, Ländern und Gemeinden offen zu legen, verband sich zumeist der Vorwurf an die Finanzbehörden, diese Informationen absichtlich zurückzuhalten, bezeichnete doch das Institut Finanzen und Steuern den Bundeshaushalt als »ein Schicksalsbuch mit sieben Siegeln […], von denen ein amtlicher Engel nur von Zeit zu Zeit eines löst«,70 und beklagten Steuerzahlerbund sowie Industriekurier den »dichten Schleier«,71 durch den »das Bundesvermögen bisher vor den neugierigen Blicken der Öffentlichkeit verborgen gehalten« worden sei.72 Zugleich verliehen die genannten Verbände ihren Forderungen Nachdruck, indem sie auf die »Grundgesetzpflicht […] zum Vermögensnachweis, der als Anhang zum Bundeshaushalt geführt werden soll«, verwiesen.73 Hinter der Forderung, die öffentlichen Vermögensverhältnisse einer kritischen Prüfung zugänglich zu machen, stand das grundsätzliche Anliegen, die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates in Form von Beteiligungen an Unternehmen zu begrenzen. So lancierte der Bundesverband der Deutschen Industrie über Die Berliner Wirtschaft seinen »Appell an die gesetzgebenden Körperschaften«, 68 VDB, 1. WP, 220. Sitzung, 26.6.1952, S. 9750, 9759. 69 Institut »Finanzen und Steuern«, Bd. 2, S. 27. Die Forderung eines »Gesamtfinanzplans« findet sich ebenso in: Institut »Finanzen und Steuern«, Bd. 1, S. 84. 70 Ebd. 71 Bund der Steuerzahler, Konzern-Unternehmer, S. XIV. 72 Die Wirtschaft fordert: Rückzug der öffentlichen Hand, in: Industriekurier, 23.6.1953. 73 Ebd.

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der »ständig um sich greifenden erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand […] wirksame Grenzen« zu setzen,74 und stellte Karl Bräuer, Präsident des Steuerzahlerbundes, ohne Umschweife klar: »Alle diese Bestrebungen der Kritik steuern im Endziel auf die Beantwortung der Kernfrage zu: Welche Methoden können zur Anwendung gebracht werden, um in möglichst großem Umfang solche Industrieunternehmungen und Beteiligungen aus dem Verband der öffentlichen Wirtschaft auszugliedern, also sie zu privatisieren.«75 Hierbei schwebte den Privatisierungsbefürwortern kein vollumfassender Rückzug des Staates aus jeglicher wirtschaftlicher Betätigung vor. Gegenstand ihrer Kritik war vielmehr die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit des Staates in Form von Anteilen an Unternehmen des Privatrechts, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet waren. Prinzipiell von den Privatisierungsforderungen ausgenommen blieben die beiden »Sondervermögen« der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost.76 Ferner war die grundsätzliche Aufforderung an Regierung und Ministerialbürokratie zur materiellen Privatisierung – neben dem geforderten »Gesamtfinanzplan« – mit weiteren Vorschlägen hinsichtlich der »praktischen Möglichkeiten« und »Konsequenzen« verknüpft. Der Wirtschaftsjournalist Max Kruk etwa forderte in einem mehrseitigen Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, »aus Vertretern der beteiligten Bundesministerien, des Bundesparla­ ments und der Wirtschaft ein Gremium zu bilden, das Vorschläge zur Privatisierung auszuarbeiten hätte.«77 Auch Wilhelm Duhmer schlug im Namen des Instituts Finanzen und Steuern die Bildung eines beratenden Gremiums vor, das allerdings aus Vertretern der Wirtschaft und des Bankenwesens bestehen sollte.78 Dass die Privatisierung staatlichen (Industrie-)Besitzes für ihre Befürworter nicht mehr zur Disposition stand, zeigt ebenfalls der Blick in die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die ohnehin als wichtiger Transmitter für Privatisierungsforderungen fungierte.79 So machte Max Kruk den bereits erwähnten Artikel über den 74 Erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, in: Die Berliner Wirtschaft, Jg. 2, 1952, S. 740. 75 Bund der Steuerzahler, Konzern-Unternehmer, S. X. 76 Der Industriekurier schrieb hierzu unter Verweis auf Auskünfte des Bundesfinanzministeriums: »Diese Sondervermögen können aus dieser Betrachtung ausscheiden, zumal da auch theoretisch eine Privatisierung wegen der Eigenart dieser Unternehmen kaum in Frage kommt.« Die Wirtschaft fordert: Rückzug der öffentlichen Hand, in: Industriekurier, 23.6.1953. Die Journalisten des Volkswirt forderten eine »[s]elektive Reprivatisierung« und bemerkten: »Bundesbahn und Bundespost und andere Unternehmungen mit überwiegendem öffentlichen Interesse scheiden von vornherein aus.« Reprivatisierung durch Investmentsparen, in: Der Volkswirt, 29.9.1956. Der CDU-Abgeordnete Erwin Häussler schrieb in der Zeit von der »Übereinstimmung darüber, daß Bahn, Post und sonstige Versorgungsunternehmen nicht herangezogen werden.« Das Staatskapital bedroht die Freiheit, in: Die Zeit, 17.1.1957. 77 Der Bund – der größte Unternehmer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.2.1954. 78 Duhmer. 79 Größere Veröffentlichungen des Steuerzahlerbundes und des Instituts »Finanzen und Steuern« wurden in der FAZ grundsätzlich – und zwar positiv – besprochen. So etwa: Duhmer;

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Unternehmensbesitz des Bundes mit der Frage auf: »Wann werden die Bundesbeteiligungen in Privathand übergeführt?« und stellte fest: »Die entscheidenden Schwierigkeiten der Privatisierung liegen nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht in dem Ob, sondern in dem Wie.«80 Außer dieser Redefigur, die auf der grundlegenden Annahme der Unvermeidbarkeit einer Privatisierung staatlichen Unternehmensbesitzes fußte und Argumente für unternehmerische Staatstätigkeiten damit ausschloss, wiesen die Zeitungsartikel zum Thema sowie die Publikationen der genannten Verbände weitere sprachlich-argumentative Regelmäßigkeiten auf. Das Wort »Reprivatisierung« etwa, das zahlreiche Veröffentlichungen enthielten,81 verwies auf die Vergangenheit des staatlichen Unternehmensbesitzes und sollte eine Überführung vormals privater Unternehmen in den Besitzbestand des Staates suggerieren, die es rückgängig zu machen gelte. Die Wirtschaftsjournalisten des Industriekurier schrieben gar: »Die Reprivatisierung des Staatsvermögens gilt als eine der wichtigsten Aufgaben, die der ›zweiten Periode der Sozialen Marktwirtschaft‹ gestellt sind.« Damit bedienten sie sich der insbesondere von Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack perpetuierten Redefigur von zwei Phasen der »Sozialen Marktwirtschaft« und erklärten die Privatisierung zu einer politischen Aufgabe ersten Ranges.82 Die Privatisierungsbefürworter konnten auf diese Weise die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates als gesellschaftlich relevantes und lösungsbedürftiges Problemfeld konturieren und ihre Forderung, staatliche Unternehmensbeteiligungen abzubauen, plausibel machen. Die konkreten Handlungsaufforderungen, mit denen sie ihre grundsätzlichen Privatisierungsforderungen verknüpften, formulierten zudem Erwartungen an Regierung und Ministerialbürokratie, zu denen diese Stellung beziehen mussten. Für das Bundesfinanzministerium antwortete Ministerialdirektor Heinz Oef­ tering auf die Forderung, die staatlichen Vermögensverhältnisse offen zu legen.83 Im Juni 1953 publizierte er einen Artikel im Regierungsbulletin, der erstens »die wirtschaftlichen Beteiligungen des Bundes nach Umfang, Art und Entstehung« dokumentieren und darüber hinaus zweitens »hinsichtlich einer möglichen EntFünfzig Milliarden Bundesvermögen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.3.1955. Bund der Steuerzahler, Konzern-Unternehmer; Neuer Vorstoß für die Privatisierung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.5.1955. Bund der Steuerzahler, Bundes-Konzerne; Schach dem Staatskapitalismus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.1.1958. Zu den wirtschaftspolitischen Positionen der FAZ in den fünfziger Jahren: Kutzner, Riedl. 80 Der Bund – der größte Unternehmer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.2.1954. 81 So beispielsweise in: Die Reprivatisierung fuhr sich fest, in: Die Zeit, 8.11.1956; Scharf gegen eine Reprivatisierung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.6.1955; Die Wirtschaft fordert: Rückzug der öffentlichen Hand, in: Industriekurier, 23.6.1953; Seeling, Staatskapitalismus – eine neue Gefahr, S. 13. 82 Die Wirtschaft fordert: Rückzug der öffentlichen Hand, in: Industriekurier, 23.6.1953. 83 Der Bund als Unternehmer, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 112, 18.6.1953; Heinz Oeftering, Der Bund als Unternehmer, in: Die Öffentliche Wirtschaft, Jg. 4, H. 3, 1954, S. 2–10.

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staatlichung (Reprivatisierung)« beleuchten sollte.84 Im Artikel lieferte Oeftering eine schematische Übersicht derjenigen Beteiligungen des Bundes an erwerbswirtschaftlichen Unternehmen, die eine Million DM des jeweiligen Grund- oder Stammkapitals überstiegen. Hierbei gab er jeweils den prozentualen Anteil des Bundes an und bezifferte den nominalen Gesamtwert der Bundesbeteiligungen auf 1,075 Milliarden DM. Unter Berücksichtigung der »übrigen Beteiligungen des Bundes«, die »im eigentlichen Sinne gar kein ›Erwerbsvermögen‹« darstellten, sei ein Nominalwert von etwa 1,3 Milliarden DM zu veranschlagen.85 Außerdem setzte er sich gegen die Vorwürfe zur Wehr, das Bundesfinanzministerium wolle die Vermögensverhältnisse des Bundes vor der Öffentlichkeit geheim halten. Das Ministerium habe »[k]eine Scheu vor der Öffentlichkeit«. Oeftering betonte, der grundgesetzlich vorgeschriebene Vermögensnachweis sei vielmehr noch nicht erbracht worden, »da die Vermögensverhältnisse des Bundes erst einer Klärung zugeführt werden mußten«, und stellte einen solchen Nachweis als Anhang des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1954/55 in Aussicht.86 Zugleich nutzte er die Gelegenheit, die prinzipielle Bereitschaft der Bundesregierung zur Privatisierung zu betonen, indem er die »klare Erkenntnis« herausstellte, »daß es grundsätzlich nicht Aufgabe des Bundes sein kann, sich an industriellen Betrieben zu beteiligen.«87 In diesem Zusammenhang verwies Oeftering ebenso auf die Entstehungsgeschichte des bundesdeutschen Beteiligungsbesitzes und unterstrich, der Bund habe »lediglich das Erbe des Reiches und des Landes Preußen angetreten. Eine wesentliche Erweiterung des Beteiligungsvermögens hat der Bund nicht vorgenommen.« Demnach sei das Wort »Reprivatisierung« irreführend, suggeriere es doch eine vormalige »Entprivatisierung«, die nicht stattgefunden habe.88 Der Industriekurier bewertete die Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums grundsätzlich positiv und betonte, es sei »zu begrüßen«, dass das Ministerium mit der vorgelegten Übersicht »die Schleier etwas lüftet«. Gleichwohl sei der Öffentlichkeit mit dem Aufsatz Oefterings, dessen Ausführungen sich teils wörtlich in dem Zeitungsartikel wiederfinden, lediglich ein »›Surrogat‹ […] verabreicht worden«.89 Max Kruk hob in dem erwähnten Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung ebenfalls auf die Lücken in der Dokumentation ab, sei die von Oeftering vorgelegte Übersicht doch »alles andere als vollständig«. Der Anhang des Entwurfs zum Bundeshaushaltsplan von 1954 »enttäuschte wiederum«, so Kruk, »aus einem anderen Grunde: das Finanzministerium hat darin, formal unangreifbar, nur über die direkten Beteiligungen berichtet«. Die 84 Der Bund als Unternehmer, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 112, 18.6.1953, Zit. S. 954. 85 Ebd., S. 955. 86 Ebd., S. 960. 87 Ebd., S. 959. 88 Ebd., S. 957. 89 Die Wirtschaft fordert: Rückzug der öffentlichen Hand, in: Industriekurier, 23.6.1953.

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Frage »Will der Bund etwas verbergen?«90 blieb somit leitend für die Berichterstattung mehrerer Zeitungen, welche die öffentliche Vermögenssituation im Laufe der fünfziger Jahre beobachteten, über neuere Untersuchungen zu diesem Thema berichteten,91 den Umgang von Ministerien und zuständigen Behörden mit Fragen der Privatisierung kritisierten92 und selbst wortgewaltig für eine materielle Privatisierung eintraten.93 Diese mediale Beobachtung trug mit dazu bei, die vornehmlich von einzelnen Interessenverbänden aufgeworfene Problematik des staatlichen Beteiligungsbesitzes dauerhaft als ein gesellschaftlich relevantes Thema zu etablieren, das der politischen Bearbeitung bedürfe. Dass Fragen der öffentlichen Wirtschaftstätigkeit zu Beginn der fünfziger Jahre auch die Arena der politischen Entscheider erreicht hatten, zeigt insbesondere die zunehmende Aufmerksamkeit, die Parlament und Regierung diesem Themenkomplex widmeten. Nachdem der erste Deutsche Bundestag sich zunächst mit Fragen der Eigentümerschaft an den Vermögen des ehemaligen Reiches und des Landes Preußen zu beschäftigen hatte, die mit dem so genannten »Vorschaltgesetz« vom Juli 1951 einer vorläufigen Regelung zugeführt worden waren,94 geriet der Umfang des Bundesvermögens schrittweise ins Zentrum der parlamentarischen Debatten. Noch in der ersten Legislaturperiode forderten Abgeordnete der Unionsfraktion die Bundesregierung in einem Antrag auf, »Regiebetriebe der öffentlichen Hand […] zu überprüfen und gegebenenfalls abzubauen.«95 Nach der Wahl zum zweiten Deutschen Bundestag war es dann vornehmlich der FDP-Abgeordnete Karl Atzenroth, der Umfang und Beschaffenheit des Bundesvermögens in den (Haushalts-)Debatten problematisierte,96 im Namen seiner Fraktion eine Vielzahl kleinerer Anfragen und Anträge an die

90 Der Bund – der größte Unternehmer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.2.1954. 91 Industriebesitz des Bundes, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.1958; Der Bund als Mammut-Konzern, in: Die Zeit, 24.4.1959. Die Artikel thematisierten eine Veröffentlichung des 1957 neu geschaffenen Bundeschatzministeriums: Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes. 92 So beispielsweise in: Nebel um die Privatisierung, in: Der Volkswirt, 5.3.1955; Neuer Anlauf zur Privatisierung, in: Der Volkswirt, 30.6.1956; Die Initiative kommt zu spät, in: Der Volkswirt, 13.10.1956. 93 In einem FAZ-Kommentar aus dem Jahr 1958 hieß es etwa: »Es wird höchste Zeit, daß der Staat in seiner Rolle als Eigentümer von Erwerbsunternehmen zurückgedrängt wird.« Für die Privatisierung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.6.1958. 94 Das »Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen« wies dem Bund die Verwaltung der aus dem ehemaligen Reich und dem ehemaligen Land Preußen stammenden »Eigentums- und sonstigen Vermögensrechte« zu. »Die endgültige Auseinandersetzung« hatte durch Bundesgesetze gemäß Artikel 134 Absatz 4 und Artikel 135 Absätze 5 und 6 des Grundgesetzes zu erfolgen; Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen, in: BGBl, Teil I, Nr. 35, 25.7.1951, S. 467–468. 95 BT-Drucksache I/3133; VDB, 1. WP, 201. Sitzung, 26.3.1952, S. 8650–8664. 96 VDB, 1. WP, 13. Sitzung, 5.2.1954, S. 398–399; ebd., 90. Sitzung, 22.6.1955, S. 5095–5098.

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Bundesregierung richtete97 und seine Vorschläge zur Privatisierung sowohl im Plenarsaal vortrug als auch über die Wirtschaftspresse lancierte.98 Im September 1956 brachte die FDP-Fraktion unter Federführung Atzenroths überdies den Entwurf zu einem Gesetz ein, das »die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand« grundsätzlich regeln sollte.99 In den Reihen der CDU-Fraktion profilierte sich der Abgeordnete Erwin Häussler mit seinem über die Presse lancierten Vorschlag, die Erwerbsunternehmen des Bundes in Aktiengesellschaften umzuwandeln und die Anteile über eine Investmentgesellschaft an eine möglichst große Zahl von Käufern unterschiedlichster Einkommensschichten zu veräußern.100 Die zunehmende Relevanz, die Fragen des Bundesbeteiligungsbesitzes zugeschrieben wurde, lässt sich nicht nur an einer steigenden Zahl von Anfragen, Gesetzesinitiativen und praktischen Vorschlägen ablesen, sondern auch an organisatorischen Veränderungen. So beschloss der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung am 6. Mai 1954, »einen Unterausschuß aus den Ausschüssen für Wirtschaftspolitik, Finanz- und Steuerfragen, Geld und Kredit und dem Haushaltsausschuß zu bilden«, der »sich mit der Klärung und Prüfung aller Fragen, die mit dem Bundesvermögen in Zusammenhang stehen, befassen« sollte.101 Den Vorsitz übernahm mit dem CDU-Abgeordneten und Leiter des Deutschen Industrieinstituts Fritz Hellwig ein uneingeschränkter Privatisierungsbefürworter, der sich beispielsweise bei einer Arbeitstagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft im November 1953 für eine Prüfung der öffentlichen Vermögensbestände mit dem Ziel der anschließenden Privatisierung ausgesprochen hatte.102 Der Unterausschuss sah sich mit hohen Erwartungen der Presse und der Interessenverbände konfrontiert, die mehrfach ein für Fragen des Beteiligungsbesitzes zuständiges Gremium gefordert hatten, entsprach dieser Erwartungshaltung jedoch nicht. Vielmehr galt der Ausschuss nach acht Sitzungen im Jahr 1955 – die konstituierende Sitzung fand erst im Januar 1955 statt – und einem Zeitraum von zwanzig Monaten, in denen keinerlei Treffen stattfanden, 97 Unter anderem waren dies die folgenden zehn Anfragen und Anträge, von denen die FDPFraktion alleine neun im Jahr 1954 stellte: BT-Drucksachen II/172, II/457, II/505, II/603, II/631, II/936, II/999, II/1029, II/1030, II/1088. Auch CDU / CSU und DP richteten einzelne Anfragen an die Bundesregierung: BT-Drucksachen II/383, II/489. 98 Bundesholding und Verlustkonzern, in: Handelsblatt, 10.9.1954. 99 BT-Drucksache II/2712. 100 Die Reprivatisierung fuhr sich fest, in: Die Zeit, 8.11.1956; Ein neuer Vorschlag, in: Die Zeit, 8.11.1956; Reprivatisierung durch Investmentsparen, in: Der Volkswirt, 29.9.1956. Häussler selbst formulierte kurze Zeit später noch einmal die Grundsätze seines Vorschlags: Das Staatskapital bedroht die Freiheit, in: Die Zeit, 17.1.1957. 101 VDB, 2. WP, 28. Sitzung, 6.5.1954. Zitat des Abgeordneten Hermann Lindrath ebd., 90. Sitzung, 22.6.1955, S. 5092. 102 Hellwig. Das Deutsche Industrieinstitut machte sich in mehreren Veröffentlichungen für eine umfassende Dokumentation der öffentliche Vermögensverhältnisse und die anschließende Privatisierung staatlicher Betriebe stark: Schnelldienst des Deutschen Industrieinstituts, Nr. 78, 23.9.1952; Nr. 102, 16.12.1952; Nr. 2, 7.1.1955.

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als faktisch aufgelöst.103 Ein Redakteur der Wirtschaftszeitung Der Volkswirt, die ebenfalls zum Kreis der Privatisierungsbefürworter zu zählen ist, beklagte, dass der Unterausschuss so »schnell das Zeitliche wieder gesegnet« habe, und fügte an: »Daß dieser Ausschuß bisher – um es klar zu sagen – so eklatant versagte, liegt sicher zu einem Gutteil am Bundesfinanzminister, dessen Aversion gegen die Privatisierung bekannt ist, zum weiteren aber an der mangelnden Konzeption der Bundesregierung«.104 Dieser Satz steht beispielhaft sowohl für die grundsätzliche Kritik an der Privatisierungspolitik der Bundesregierung als auch für die öffentliche Wahrnehmung der Rolle von Bundesfinanzminister Fritz Schäffer, der als verantwortlich für die zögerliche Umsetzung der geäußerten Privatisierungsabsichten galt. Der Volkswirt etwa machte nicht nur »[t]iefgreifende Meinungsverschiedenheiten« zwischen Bundeskanzler und Bundeswirtschaftsminister auf der einen sowie Schäffer auf der anderen Seite aus, sondern verwies auch darauf, dass die Äußerungen des Finanzministers »dazu noch häufig in krassem Widerspruch zu anderen offiziösen Äußerungen [seines] Hauses« gestanden hätten.105 Anlass für diese Wahrnehmung war insbesondere eine Rede Schäffers vor der Belegschaft des Volkswagenwerkes im August 1953, in der er die von ihm angestrebte Eigentümerschaft des Bundes am Volkswagenwerk damit begründete, dass dieses Unternehmen »seiner eigentlichen Aufgabe [nicht] entfremdet werden« dürfe. Neben dem FDP-Abgeordneten Karl Atzenroth, der diese Formulierung des Ministers im Bundestag zum Anlass nahm, an der »wirtschaftspolitische[n] Haltung« der zuständigen Behörden zu zweifeln,106 zitierte beispielsweise der Bund der Steuerzahler die Äußerung Schäffers in mehreren monographischen Darstellungen und zog den Schluss, der Bundesfinanzminister wolle sich das Volkswagenwerk »gerne einverleiben« und den staatlichen Unternehmensbesitz noch erweitern, statt die geforderten – und von Mitgliedern der Bundesregierung auch in Aussicht gestellten – Privatisierungen voranzutreiben.107 Hier geht es nicht darum, Rolle und Haltung Fritz Schäffers zu beurteilen. Zu beobachten ist jedoch zweierlei: Erstens fand die von Vertretern des Bundeskabinetts geäußerte grundsätzliche Bereitschaft zur Privatisierung in den Jahren 1953 bis 1957 keine Entsprechung in den gefassten Beschlüssen, legte die Bundesregierung in dieser Zeit doch weder vollständige Übersichten des öffentlichen Beteiligungsbesitzes vor noch trieb sie die Verabschiedung von Gesetzen voran, die eine signifikante Verringerung der (industriellen) Bundesbeteiligun103 Der Unterausschuss traf sich erst im März 1957 wieder, um den CDU-Abgeordneten Geiger zum neuen Vorsitzenden zu wählen. K. Hirche, Komödie, S. 30–31. 104 Neuer Anlauf zur Privatisierung, in: Der Volkswirt, 30.6.1956. 105 Nebel um die Privatisierung, in: Der Volkswirt, 5.3.1955. 106 VDB, 2. WP, 13. Sitzung, 5.2.1954, S. 399. 107 Bund der Steuerzahler, Konzern-Unternehmer, S. 10–11, Zit. S. 10. Der auf diesen Seiten zitierte Artikel erschien unter dem Titel »Der mißverstandene Pionier« am 29.8.1953 in der Deutschen Zeitungs- und Wirtschaftszeitung.

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gen bedeutet hätten.108 Der erste Antrag zur »Privatisierung des Volkswagenwerk GmbH« aus dem Juli 1956109 sowie der FDP-Antrag zur »wirtschaftliche[n] Betätigung der öffentlichen Hand« vom September desselben Jahres waren vielmehr erst zu Beginn des Jahres 1957 Thema im Plenum, als mit einem Abschluss der parlamentarischen Beratungen angesichts der anstehenden Bundestagswahl nicht mehr zu rechnen war.110 Der Gesetzesantrag, der schließlich die Grundlage für die Privatisierung des VW-Werkes bilden sollte, datiert sogar vom 22. Mai 1957.111 Diese Diskrepanz zwischen Ankündigung und Umsetzung lasteten die Privatisierungsbefürworter zweitens Bundesregierung und zuständigen Behörden an, denen sie Konzeptlosigkeit und die Neigung vorwarfen, die Umsetzung der geäußerten Privatisierungsabsichten zu verzögern.112 Hierbei richtete sich der Fokus insbesondere auf Fritz Schäffer, der als Bundesfinanzminister das zuständige Ressort leitete.113 Nach der Bundestagswahl 1957, bei der die CDU / CSU die absolute Mehrheit der Stimmen erhielt, kam es zu Veränderungen im Bundeskabinett, die sowohl den Zuschnitt der Ressorts als auch die Besetzung der Ministerien betrafen. Franz Etzel löste Fritz Schäffer als Finanzminister ab, der in das Justizministerium wechselte und damit seine Zuständigkeit für Fragen des Bundesbesitzes verlor. Außerdem war die Verwaltung des wirtschaftlichen Bundesvermögens fortan Aufgabe des neuen Ministeriums »für den wirtschaftlichen Besitz des 108 Eine Übersicht der in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre privatisierten Unternehmen findet sich beispielsweise in einem Artikel des Volkswirts: Nebel um die Privatisierung, in: Der Volkswirt, 5.3.1955. 109 BT-Drucksache II/2614. 110 VDB, 2. Walperiode, 182. Sitzung, 10.1.1957, S. 10117–10146; ebd., 183. Sitzung, 11.1.1857, S. 10154–10158; Neue Initiative zur Privatisierung, in: Handelsblatt, 7.1.1957. Zum Zeitpunkt der Beratungen bemerkte etwa die Wirtschaftsredaktion der Zeit: »[E]s besteht wohl auch keine Aussicht, daß dieser Bundestag vor Ablauf seiner Legislaturperiode noch ein Reprivatisierungsgesetz verabschieden wird. Man sollte annehmen, daß dies auch den Bundestagsabgeordneten bekannt ist«; Das Staatskapital bedroht die Freiheit, in: Die Zeit, 17.1.1957. Ähnlich: Volkswagen-Privatisierung braucht Zeit, in: Handelsblatt, 3./4.5.1957; Die Initiative kommt zu spät, in: Der Volkswirt, 13.10.1956; Hartmanns PrivatisierungsErzählungen, in: Der Volkswirt, 19.1.1957. 111 BT-Drucksache II/3534. 112 Die Reprivatisierung fuhr sich fest, in: Die Zeit, 8.11.1956; Bis zur VW-Aktie ist noch ein weiter Weg, in: Die Zeit, 23.5.1957; Produktives Eigentum für alle, in: Der Volkswirt, 4.5.1957. 113 Volkswagen-Privatisierung braucht Zeit, in: Handelsblatt, 3./4.5.1957; Neuer Anlauf zur Privatisierung, in: Der Volkswirt, 30.6.1956; Privatisierung des Volkswagenwerks?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.3.1955; Die Premiere der Volksaktie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.5.1957; Volksaktien. Bonbon des Jahrhunderts, in: Der Spiegel, 18.2.1959. Differenzen zwischen Wirtschafts- und Finanzministerium in der Privatisierungsfrage räumte Wirtschaftsminister Erhard zudem in einem Spiegel-Interview ein: Vom Volkswagen zum Volkskapitalismus, in: Der Spiegel, 20.2.1957. Auf das Ansinnen des Bundesfinanzministers, die Privatisierungen zu verzögern, verweisen auch: Edelmann, Priva­ tisierung, S. 60; Nicolaysen, S. 60.

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Bundes«, das aus dem vormaligen ERP-Ministerium hervorgegangen war.114 Das »Bundesschatzministerium«, wie es fortan häufig genannt wurde und seit 1961 auch offiziell hieß, übernahm Hermann Lindrath, der gleich im Jahr 1958 einen umfangreichen Bericht über die industriellen Bundesbeteiligungen vorlegte und damit die Privatisierungsziele der Bundesregierung zu bekräftigen suchte.115 Diese Absicht unterstrich Lindrath noch einmal, indem er eine über den Bayerischen Rundfunk versendete Ansprache nutzte, um die »Privatisierung von Bundesvermögen« zur »dringlichsten Aufgabe« seines Ministeriums zu erklären.116 Auch die Gründung eines »Privatisierungsbeirats« beim Bundesschatzministerium im August 1958, den die Presse zuvor gefordert hatte,117 sollte die Entschlossenheit des Ministers dokumentieren.118 Für die Privatisierungsbefürworter waren die Einrichtung des Schatzministeriums und die ersten Monate der Amtszeit Lindraths Anlass zu »erhoffen, daß die Privatisierung in dieser Legislaturperiode in spürbarem Umfang in Gang kommt und damit die Weichen zugunsten eines zügigen Fortganges gestellt werden«, wie in einem Leitartikel des Handelsblatts zu lesen war.119 Die Wiederaufnahme der Beratungen zur Privatisierung des Volkswagenwerkes im Januar 1958120 und weitere Anfragen der FDP- und auch der SPD-Fraktion, mit denen sich das Plenum ausführlich beschäftigte,121 bestätigten diese Hoffnung. Hinzu kam, dass die CDU-geführte Bundesregierung das wirtschaftspolitische Ziel der Privatisierung zunehmend mit dem gesellschaftspolitischen Ziel der Eigentumsbildung zu verbinden und ihrem Anliegen, die (erwerbs-)wirtschaftliche Tätigkeit des Staates zu begrenzen, auf diese Weise zusätzliche Legitimation und Bedeutung zu verschaffen suchte. Anlass war die »relativ starke Konzentration der Kapitalbildung in der Hand des Staates und der privaten Unternehmerwirtschaft«, der laut Beschluss des CDU-Bundesparteitags im Mai 1957 eine »breite Eigentumsbildung« entgegenwirken sollte.122 Die genannten Forderungen, organisatorischen Veränderungen und Initiativen, die auf die umfassende Dokumentation und anschließende Verringerung des Bundesbeteiligungsbesitzes zielten, wiesen die Privatisierung staatlichen Unternehmensbesitzes als lösungsbedürftiges politisches Problemfeld aus. Zu114 VDB, 3. WP, 3. Sitzung, 29.10.1957, S. 16, 19.  115 Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes. 116 Das Ziel der Privatisierung von Bundesvermögen, in: Bulletin des Presse- und Informa­ tionsamts der Bundesregierung, Nr. 45, 7.3.1958. 117 Privatisierung und Eigentumsbildung, in: Der Volkswirt, 21.6.1958. 118 Schatzminister Lindrath bildet einen Privatisierungsbeirat, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.8.1958. 119 Die Privatisierung soll vorankommen, in: Handelsblatt, 25.11.1957. Ähnlich: Die Privatisierung des Bundesvermögens, in: Die Berliner Wirtschaft, 8. Jg., Nr. 16, 1958, S. 477–478. 120 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 251–291. 121 Ebd., 63. Sitzung, 20.2.1959, S. 3383–3407; ebd., 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1626–1674. 122 ACDP, 7. Bundesparteitag der CDU, 11.–15. Mai 1957, Hamburg, S. 146, 163. Das Handelsblatt feierte den Beschluss in einem Leitartikel als »wirtschaftspolitische Sensation«; Volksaktie soll Wirklichkeit werden, in: Handelsblatt, 15.5.1957.

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gleich reichte die politische Dimension des Themas hierüber hinaus, verband sich doch mit dem Ziel, die staatlichen Vermögensverhältnisse zunächst zu dokumentieren und anschließend zu reduzieren, der grundlegendere Anspruch, die wirtschaftlichen Aufgaben des Staates zu begrenzen und eine grundsätzliche Trennung von Staat und Wirtschaft zu begründen. Dieser politische Anspruch war insbesondere in denjenigen Vorschlägen und Initiativen zu erkennen, die auf eine prinzipielle Regelung der öffentlichen Unternehmenstätigkeit abzielten. Der Deutsche Industrie- und Handelstag und die FDP etwa entwickelten in ihren Gesetzesentwürfen dieselben Kriterien für staatliche Unternehmensbeteiligungen.123 Hiernach musste »ein dringender öffentlicher Zweck« vorliegen, der »durch private Unternehmen oder ohne Beteiligung der öffentlichen Hand nicht ebenso gut und wirtschaftlich erfüllt werden« könne. Ferner sollten »private Unternehmen nicht unbillig im Wettbewerb benachteiligt werden«.124 Diese Kriterien legen zwei generelle Beobachtungen nahe: Zum Ersten zielten die Vorschläge zur Regelung der staatlichen Unternehmertätigkeit im Kern auf eine verbindliche Definition der Aufgaben und Funktionen öffentlicher Betriebe, die nach dem Verständnis der Privatisierungsverfechter möglichst eng abgesteckt werden sollten. Die Essenz dieser Definitionsversuche bildeten allerdings deutungsoffene und definitionsbedürftige Bezeichnungen, die  – in den Gesetzesentwürfen von FDP und Deutschem Industrie- und Handelstag – auf »ein[en] dringende[n] öffentliche[n] Zweck« verwiesen oder  – in zahlreichen anderen Veröffentlichungen – auf »ein öffentliches Interesse«, »gewichtige öffentliche Interessen«, die »echte[n]« oder »wahren Staatsaufgaben« sowie die »Erfüllung staatsnotwendiger Aufgaben«,125 auf »hoheitliche oder öffentliche Aufgaben«126 oder eine »öffentliche Funktion«127 abhoben. Dieses Spannungsverhältnis von Verbindlichkeit und Uneindeutigkeit, das ein grundlegendes Merkmal politischer Kommunikation darstellt, weist die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates als politisches Problemfeld aus. Zum Zweiten waren diese politischen Kommunikations- und Sinnbildungsprozesse in symbolisch-diskursive Verweishorizonte eingepasst, die einen strukturierenden Referenzrahmen und Begründungszusammenhang für die Privatisierungsforderungen bildeten. Unterscheiden lassen sich hierbei drei inhaltliche Bezugsfelder, die in den vorgenannten Bedeutungsgehalten von »Soziale Marktwirtschaft« grundgelegt waren und erstens das Verhältnis Staat – Wirtschaft, zweitens das wirtschaftliche Aufgabenfeld des Staates und drittens die gesellschaftspolitische Verschränkung von Privatisierung und Eigentumsbildung betrafen. Den Bezeichnungsweisen, die auf das Verhältnis von Staat und Wirtschaft abhoben, war gemein, dass sie auf die Unvereinbarkeit staatlicher Unternehmer­ 123 Beide Vorschläge sind abgedruckt in: Frentzel, S. 41–50. 124 Ebd., S. 41. 125 Bund der Steuerzahler, Konzern-Unternehmer, S. XII, XIII, XXIV, XXVIII. 126 Der Bund – der größte Unternehmer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.2.1954. 127 Zeiss, Entwurf, S. 4.

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tätigkeit mit einer marktbasierten Wirtschaftsordnung verwiesen. So bezeichnete Wilhelm Röpke anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Währungsreform die »bisherige übermäßige Ausdehnung der Staatsaufgaben« als »mit der Sozialen Marktwirtschaft« und »einer auf Privateigentum und fairem Leistungswettbewerb beruhenden Gesellschaftsordnung nicht vereinbar«.128 Daneben verwendeten die Befürworter von Privatisierungsmaßnahmen das Wort »Staatskapitalismus«, um den »Einsatz von staatlichen Mitteln oder von Steuergeldern zum Zwecke der Gründung oder des Erwerbs wirtschaftlicher Unternehmungen oder der Beteiligung an solchen«129 als »planmäßige[s] Eindringen des Staates in die Privatwirtschaft ohne innere Beziehung zu der Erfüllung staatsnotwendiger Aufgaben« zu verurteilen.130 Da das Kompositum »Staatskapitalismus« hierbei die negativen Bedeutungsgehalte transportierte, mit denen das Wort »Kapitalismus« im Deutschen gefüllt war, eignete es sich besonders gut, um die unternehmerische Tätigkeit des Staates zu diskreditieren.131 Das Sprechen vom »Eindringen« in die private Wirtschaft wies staatliche Erwerbstätigkeit zugleich als unrechtmäßig aus.132 So berief sich der Bundesverband der Deutschen Industrie auf das Grundgesetz und stellte fest: »Die Markt- und Wettbewerbswirtschaft des privaten Unternehmers ist […] im Grundgesetz der Bundesrepublik garantiert. […] Mit den verfassungsmäßigen Grundrechten steht es demnach in Widerspruch, wenn die öffentliche Hand sich über das Maß hinaus, das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben erforderlich ist, mit Eigenbetrieben auf erwerbswirtschaftlichem Gebiet betätigt. Tut sie das dennoch, so vollzieht sie in einer Fülle von neuen Einzeltatbeständen […] fortlaufend eine Enteignung des Bereichs privater Wirtschaft ohne die geringste Entschädigung.«133

Dieser Satz setzte staatliche Wirtschaftstätigkeit mit einem Verfassungsbruch – wörtlich: einem »verfassungswidrigen Unwesen«  – gleich und kriminalisierte sie zusätzlich durch den interdiskursiven Verweis auf »Einzeltatbestände«.134 128 Röpke, Jahrzehnt, S. 36. 129 Seeling, Staatskapitalismus – eine neue Gefahr, S. 6–7. 130 Bund der Steuerzahler, Konzern-Unternehmer, S. XIII. 131 Beispielsweise findet sich das Wortpaar »Staatskapitalismus« auch in: Bund der Steuerzahler, Bundes-Konzerne; Frickhöffer, S. 21; Seeling, Staatskapitalismus – eine Gefahr, S. 2–5; Schach dem Staatskapitalismus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.1.1958; Die Initiative kommt zu spät, in: Der Volkswirt, 13.10.1956. 132 Der Geschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelstages, Gerhard Frentzel, verfasste gar eine Monographie zur staatlichen Wirtschaftstätigkeit als »Problem des Wirtschaftsverfassungsrechts«. 133 Erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, in: Die Berliner Wirtschaft, Jg. 2, Nr. 24, 1952, S. 740. 134 Ebd. In einer Monographie des Steuerzahlerbundes hieß es: »Aus den Prinzipien, nach denen unsere Wirtschaftsordnung seit dem 20. Juni 1948 aufgebaut wird, ergibt sich ohne weiteres, daß es nicht Aufgabe des Staates und seiner Bürokratie sein kann und sein darf, sich selbst unmittelbar erwerbswirtschaftlich zu betätigen.« Bund der Steuerzahler, Bundes-Konzerne, S. 31.

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Der Vorwurf der »Enteignung« nahm zudem Bezug auf ein planwirtschaftliches Ordnungsmodell, das die Aussage als Negativfolie grundierte. Daneben finden sich weitere Wortimporte aus fachdiskursiven Zusammenhängen. So übernahm der Steuerzahlerbund in seine monographischen Schriften das Wort »Beweislast« aus dem juristischen Fachdiskurs, wo hiermit auf diejenigen Teilnehmer eines Verfahrens verwiesen wird, die für ihre Behauptungen Beweise zu erbringen haben. Diesen Bedeutungsgehalt bezog der Verband auf die Frage staatlichen Unternehmensbesitzes und argumentierte, die »Beweislast« kehre sich hier um. Folglich könne »die Frage nicht lauten: Warum sollen diese Betriebe in privates Eigentum überführt werden? Sondern sie muß richtig lauten: Welche besonderen Gründe rechtfertigen es, das Staatseigentum an diesen erwerbswirtschaftlichen Unternehmen weiter aufrechtzuerhalten? Die ›Beweislast‹ tragen hier […] das Bundesfinanzministerium und seine Ministerialbürokratie«.135

Die Unvereinbarkeit von Marktwirtschaft und staatlicher Unternehmensbeteiligung suggerierten ferner diejenigen Redeweisen, die in Anlehnung an das idealtypische Wettbewerbsverständnis des Ordoliberalismus auf das »Wesen der Marktwirtschaft« abstellten. Beispielsweise bezeichnete der Großindustrielle Hermann Reusch, Generaldirektor der Gutehoffnungshütte, als »Wesen der Marktwirtschaft, daß der Staat sich sowenig wie möglich in den Wirtschaftsprozeß einschaltet«.136 Diese Denkfigur lag auch dem »Appell« des Bundesverbands der Deutschen Industrie in der Berliner Wirtschaft zugrunde, in dem eine »wesensfremde Konkurrenz« beklagt wurde, welcher »[d]er private Unternehmer als der Träger des wirtschaftlichen Leistungswettbewerbs […] ausgesetzt« sei.137 Die idealtypische Trennung von Staat und Wirtschaft bekräftigten zudem diejenigen Bezeichnungsweisen, die auf die »Verflechtung des Staates mit wirtschaftlichen Unternehmungen«138 und das »Spinnennetz der Bundesbeteiligungen«139 verwiesen. Eine zusätzliche Steigerung erfuhr die dichotome Gegenüberstellung idealtypischer Wirtschaftsordnungen durch Wortimporte aus medizinisch-biologistischen Diskurszusammenhängen. Ludwig Erhard etwa warnte in einer Parteitagsrede vor der Marktwirtschaft »artfremden Prinzipien«.140 Für Wilhelm Röpke war der »heutige hohe Anteil der öffentlichen Haushalte am Sozialprodukt […] kein Zeichen strotzender Gesundheit, sondern höchst beunruhigender Krankheit«.141 Hans-Josef Breidbach bezeichnete es in einer Schrift für das 135 Bund der Steuerzahler, Konzern-Unternehmer, S. 7. 136 Zit. n. K. Hirche, Komödie, S. 58. 137 Erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, in: Die Berliner Wirtschaft, Jg. 2, Nr. 24, 1952, S. 740. 138 Seeling, Staatskapitalismus – eine neue Gefahr, S. 14. 139 Die Wirtschaft fordert: Rückzug der öffentlichen Hand, in: Industriekurier, 23.6.1953. 140 ACDP, 7. Bundesparteitag der CDU, 11.–15. Mai 1957, Hamburg, S. 142. 141 Röpke, Jahrzehnt, S. 36.

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Deutsche Industrieinstitut als »symptomatisch«, dass »der Prozeß einer zunehmenden Staatstätigkeit bislang keinesfalls zum Abschluß gekommen ist«.142 Den »Staatskapitalismus« nannte Otto Seeling, Vorsitzender des Landesverbands der Bayerischen Industrie, eine »Krankheit«, deren Ursache zu »bekämpfen« sei,143 und der Ökonom Otto Lautenbach sowie der Wirtschaftsjournalist Max Kruk bezeichneten die unternehmerische Tätigkeit des Staates als »Fremdkörper«,144 der mit einem »chirurgische[n] Eingriff […] entfernt« werden müsse.145 Diese Wortentlehnung orientierte sich an Wilhelm Röpkes Diktum vom Monopol als »Fremdkörper im Wirtschaftsprozeß«,146 das zugleich einen weiteren wichtigen Strukturierungszusammenhang sichtbar macht, die Redefigur wirtschaftlicher Macht. Der Topos wirtschaftlicher »Vermachtung« bildete einen wichtigen Referenz­ punkt derjenigen Redeweisen, die auf das wirtschaftliche Aufgabenfeld des Staates abstellten. Hierbei referierten die Privatisierungsbefürworter allerdings vorwiegend auf den Staat als Urheber wirtschaftlicher Machtbildung, indem sie – wie der Steuerzahlerbund – betonten, »daß Monopole und Markt-Machtstellung in der Hand des Staates um vieles gefährlicher und wirksamer sind als im Besitz privater Staatsbürger«, und hieraus folgerten: »Man kann es heute als eine gesicherte Erkenntnis ansehen, daß der Staat und seine Verwaltung die Pflicht haben, sich aus der unmittelbaren Planung, der bewirtschaftenden Verteilung, der Festsetzung der Preise und der unternehmerischen Betätigung im alltäglichen Wirtschaftsprozeß grundsätzlich herauszuhalten«.147 Um das wirtschaftliche Aufgabenfeld des Staates auf dieser Grundlage positiv zu definieren, griffen die Privatisierungsbefürworter außer auf die vorgenannten deutungsoffenen Signifikanten und ordoliberalen Denkfiguren auch auf Wortimporte aus dem semantischen Feld des Sports zurück.148 So eröffnete Johann Lang 1955 die Jahrestagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft mit einem Vortrag zum Thema »Zu viel Staat in der Wirtschaft«, in dem er forderte, dass »der Staat nicht in der Wirtschaft, sondern über der Wirtschaft stehen« solle, »daß er 142 Breidbach, Privatisierung, S. 18. 143 Seeling, Staatskapitalismus – eine neue Gefahr, S. 3. 144 Lautenbach, S. 12. 145 Der Bund – der größte Unternehmer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.2.1954. Otto Seeling sprach ferner von einem »akuten Fall« in Bayern, bei dem der »Zugriff des Staates« habe verhindert werden können; Seeling, Staatskapitalismus – eine Gefahr, S. 5. 146 Röpke, Gesellschaftskrisis, S. 359. 147 Bund der Steuerzahler, Bundes-Konzerne, S. 33, 34. Bei Otto Seeling hieß es: »Die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht in den Händen des Staates ist viel gefährlicher als wirtschaftliche Macht in privaten Händen«; Seeling, Staatskapitalismus – eine neue Gefahr, S. 10. Die Gefahr der Kopplung wirtschaftlicher mit politischer Macht, »wie es immer dann geschieht, wenn die öffentliche Hand von sich aus wirtschaftlich aktiv wird«, beschwor auch: Breidbach, S. 18. 148 Zu Semantiken des Sports als Bildspender für die Beschreibung ökonomischer Prozesse: Bröckling, Semantiken; ders., Konkurrenzordnungen; Boltanski u. Thévenot, S. 268.

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keine eigene Wirtschaft entwickeln, sondern die private Wirtschaft nach Kräften fördern« solle und sie »gegen alle Versuche der Vermachtung zu schützen« habe. Nach diesem Verständnis, das an das ordoliberale Idealbild vom Staat als konstitutivem Außen der Wirtschaft angelehnt war, hatte der Staat die »schiedsrichterliche Aufgabe«,149 »den Ordnungsrahmen für das wirtschaftliche Geschehen zu setzen, die Regeln zu entwickeln, nach denen der Wirtschaftsprozeß ablaufen kann, und die Einhaltung dieser Regeln zu überwachen«.150 Die Metapher vom Staat als »neutraler Schiedsrichter«151 nahm auch Wilhelm Röpke in einem bilanzierenden Vortrag über die »Soziale Marktwirtschaft« auf, in dem er betonte: »Der Staat hat also Spielregeln für die wirtschaftliche Tätigkeit zu setzen und ihre Einhaltung zu überwachen. Er soll dabei Schiedsrichter sein, nicht Mitspieler.« Die Behauptung, eine derartige Wirtschaftspolitik ermögliche Wettbewerb als »faires Zusammenspiel der wirtschaftlichen Kräfte«,152 dokumentiert einen weiteren Wortimport aus dem semantischen Feld des Sports, der in der Redefigur von der »Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen« aufging.153 Einen wichtigen Bezugsrahmen für die Privatisierungsforderungen bildeten mithin die Denkmodelle des Ordoliberalismus mit ihrem idealtypischen Verständnis von wirtschaftlichem Wettbewerb, den der Staat zu garantieren habe, ohne sich selbst aktiv am Wirtschaftsgeschehen zu beteiligen. Ebenso im ordoliberalen Gedankengebäude grundgelegt war die Verschränkung von ordnungs- und gesellschaftspolitischen Überlegungen, die seit Mitte der fünfziger Jahre auch die bundesrepublikanischen Privatisierungsdebatten bestimmte. Bereits der sogenannte »Häussler-Plan« der CDU sah die Ausgabe von Aktien an eine möglichst große Zahl von Käufern vor, um die Bildung von Eigentum in breiteren Schichten der Bevölkerung zu ermöglichen. Auf dem Bundesparteitag der CDU im Mai 1957 in Hamburg bekräftigten Wirtschaftsminister Erhard und der vormalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold dieses gesellschaftspolitische Anliegen. Arnold verband in seiner Rede 149 Lang, S. 21, 13. In einer Schrift des Steuerzahlerbundes hieß es: »Man kann es heute als eine gesicherte Erkenntnis ansehen, daß der Staat und seine Verwaltung die Pflicht haben, sich aus der unmittelbaren Planung, der bewirtschaftenden Verteilung, der Festsetzung der Preise und der unternehmerischen Betätigung im alltäglichen Wirtschaftsprozeß grundsätzlich herauszuhalten«; Bund der Steuerzahler, Bundes-Konzerne, S. 34. 150 Frickhöffer, S. 11. 151 Bund der Steuerzahler, Konzern-Unternehmer, S. 1. Das Bild vom Staat als Schiedsrichter findet sich auch in der FAZ-Rezension Harold Raschs zur gleichlautenden Schrift des Steuerzahlerbundes: Schach dem Staatskapitalismus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.1.1958. 152 Röpke, Jahrzehnt, S. 44, 45. 153 Frentzel, S. 8. Wilhelm Röpke etwa forderte einen »Wettkampf mit gleichen Startbedingungen«; Röpke, Wirtschaftspolitik, S. 57. Karl Bräuer vertrat die Überzeugung, Privatisierungen beugten »unfair[em]« Wettbewerb vor; Bund der Steuerzahler, Konzern-Unternehmer, S. XXIV. Die Redefigur findet sich auch in den Gesetzesentwürfen von FDP und Deutschem Industrie- und Handelstag, wonach »private Unternehmen nicht unbillig im Wettbewerb benachteiligt werden« durften; Frentzel, S. 41–50.

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Privatisierung und Eigentumsbildung zu einem zusammenhängenden politischen Ziel, indem er betonte: »Es ist nicht Aufgabe des Staates, für sich selbst weiteres Eigentum zu erwerben (Beifall). Es ist aber eine Aufgabe des Staates, seinen bisher eigentumslosen Bürgern zu Eigentum zu verhelfen (Beifall).«154 Hierbei lud er das Wort »Eigentum« mit Bedeutungsgehalten aus unterschiedlichen Verweiszusammenhängen auf, bezeichnete »das persönliche Eigentum« unter Verweis auf religionsphilosophische Schriften »als wichtige Quelle für die geistige Weiterbildung des Menschen«155 und stellte in Anknüpfung an die gesellschaftspolitischen Überlegungen des Ordoliberalismus heraus: »In einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung ist das private Eigentum entscheidender sozialer Ordnungsfaktor.« Ferner fördere die »breite Eigentumsbildung« den »sozialen Ausgleich in der freiheitlichen Ordnung« und bewahre vor »sogenannten Allheilgedanken wie der Sozialisierung«. Die Feststellung, »breite Eigentumsbildung« schränke überdies »den massiven Interessenkampf« ein,156 verwies zugleich auf einen Strukturierungszusammenhang, der die Rede Erhards maßgeblich prägte, die Redefigur der (Volks-)Gemeinschaft. So verwandte der Wirtschaftsminister nicht nur vielfach das Wort »Volk«, sondern forderte von seinen Parteifreunden, »daß wir nicht mehr in Klassen oder auch nur in Gruppen denken, daß wir über den Schatten unserer Interessengebundenheit zu springen vermögen und uns im Bewußtsein einer echten Lebensgemeinschaft […] auch gemeinsam für das Schicksal und die Zukunft unseres Landes und Volkes verantwortlich fühlen.« Diese Überhöhung einer emotional verbundenen Gemeinschaft des Volkes gegenüber rational geleiteten Einzel- oder Gruppeninteressen, die erkennbar vom Gemeinschaftsverständnis des frühen zwanzigsten Jahrhunderts wie des Nationalsozialismus inspiriert war, spitzte Erhard noch weiter zu, indem er seinen Zuhörern zurief: »Wir können nur als Volk gedeihen, oder wir werden alle verlieren.«157 Zugleich bildete dieses Verständnis vom Volk als bindungsstarker Gemeinschaft den Referenzrahmen für Erhards abschließende Ankündigung, »das Volkswagenwerk über das Mittel der Volksaktie in den Besitz weitester Volkskreise zu überführen.« Hierbei verzichtete der Wirtschaftsminister auf eine klare Definition der deutungsbedürftigen Bezeichnung »Volksaktie«, lud das Wortpaar jedoch mit Bedeutungsbeständen auf, die in Anknüpfung an die nationalsozialistische Verheißung der »Volksgemeinschaft« Bindungswirkung, Gemeinschaft und sozialen Aufstieg verhießen. Die Privatisierungsbefürworter erhoben die materielle Privatisierung öffentlicher Erwerbsunternehmen nicht nur zu einem Problemgegenstand von gesellschaftlicher Relevanz, sondern passten diesen Komplex zugleich in unterschiedliche Begründungs- und Verweiszusammenhänge ein. Mit Blick auf die 154 ACDP, 7. Bundesparteitag der CDU, 11.–15. Mai 1957, Hamburg, S. 162. 155 Hiermit korrespondiert folgender Satz Erhards beim selben Parteitag: »Zu der materiellen Befreiung soll sich die geistige und seelische Befreiung des Menschen gesellen.«; ebd., S. 143. 156 Ebd., S. 163. 157 Ebd., S. 143.

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Privatisierung des Volkswagenwerkes werden die Prozesse der Definition und Begründung wirtschaftlicher Staatsaufgaben, die sich in diesen semantisch-diskursiven Bezugsrahmen bewegten, im Folgenden genauer untersucht.

2. Die (Teil-)Privatisierung des Volkswagenwerkes 2.1 Wirtschaftliche Bedeutung und ungeklärte Rechtsfragen Das Volkswagenwerk, das aus der im Mai 1937 gegründeten »Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens mbH« hervorging und seit September 1938 »Volkswagenwerk GmbH« hieß, entwickelte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem herausragenden Wirtschaftsunternehmen der Bundesrepublik.158 Die Zahl der Beschäftigten wuchs von rund 10.000 im Jahr 1949 bis zum Jahr 1962 auf etwa 78.000 an. Ein vergleichbarer Anstieg ist bei den Verkaufszahlen zu verzeichnen, ging doch im Oktober 1951 der 250.000. Volkswagen vom Band und konnte das Unternehmen weniger als vier Jahre später, im August 1955, bereits eine Million verkaufter Fahrzeuge vermelden. Ab dem Jahr 1961 wurden gar jährlich etwa eine Million Automobile im Wolfsburger Werk gefertigt.159 Zudem zahlte das Unternehmen seit 1950 nicht nur bundesweit die höchsten Löhne und Sozialleistungen, sondern entschied zugleich, trotz steigender Rohstoffkosten die Preise zu senken.160 Doch die herausgehobene Stellung des Volkswagenwerkes blieb nicht allein auf den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens beschränkt. Vielmehr avancierten das Automobilwerk im Allgemeinen und das Modell »Käfer« im Besonderen zu Ikonen, die den wirtschaftlichen Wiederaufstieg Westdeutschlands und die Reintegration der Bundesrepublik in die westliche Staaten- und Wirtschaftsgemeinschaft symbolisierten.161 Diese symbolische Aufladung betrieben sowohl die Bundesregierung und allen voran Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, der auf dem ersten CDU-Bundesparteitag erklärte, die Lohn- und Preispolitik des Volkswagenwerks entspreche »vollkommen der Zielsetzung der sozialen Marktwirtschaft«,162 als auch die Presse, die das Unternehmen als »des deutschen Wunders liebstes Kind«163 und

158 Zur Geschichte des Volkswagenwerkes im »Dritten Reich«: Mommsen u. Grieger; Nicolaysen, S. 13–19. 159 Rieger, Schulden, S. 193; Nicolaysen, S. 30; Edelmann, Volkswagen, S. 555. 160 Im Jahr 1950 etwa wurden die Löhne und Sozialleistungen um zehn Prozent erhöht und die Preise um denselben Prozentsatz gesenkt; Edelmann, Privatisierung, S. 58; Rieger, Schulden, S. 193; Nicolaysen, S. 30–31. 161 Hierzu insbesondere: Rieger, Car, S. 123–187; ders., German, S. 3–26. 162 ACDP, Erster Parteitag der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands, Goslar, 20.– 22.10.1950, S. 129. 163 Erlkönige in Detroit, in: Der Spiegel, 18.2.1959.

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»wirtschaftswunderbare Kostbarkeit«164 geradezu überschwänglich lobte. Aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke und symbolischen Strahlkraft nahm das Volkswagenwerk auch in den Privatisierungsplänen von Bundesschatzminister Hermann Lindrath eine herausgehobene Stellung ein. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel wies in seiner Titelgeschichte vom Februar 1959 ausführlich auf diese Sonderstellung hin und zitierte Lindrath mit den Worten: »Als erste werden wir die Volkswagenaktie herausbringen. Sie wird an der Börse der Bonbon des Jahrhunderts.« Der Spiegel-Redakteur nahm diese Formulierung auf und merkte süffisant an: »Im Vergleich zu dem VW-Bonbon ist die Preußag allenfalls ein saurer Drops.«165 Als Hemmnis für das Vorhaben der Bundesregierung, das Volkswagenwerk durch Ausgabe von »Volksaktien« zu privatisieren, erwiesen sich zwei ungelöste Rechtsfragen, welche die Diskussionen um die Zukunft des Werkes seit den späten vierziger Jahren begleiteten. So sah sich das VW-Werk erstens mit Ansprüchen der sogenannten »Volkswagensparer«166 konfrontiert, die während der NS-Zeit einen Ratensparvertrag zum Erwerb eines Volkswagens abgeschlossen hatten und nach Ende des Krieges auf dessen Einhaltung pochten. Karl Stolz, der 1948 mit dem Hilfsverein ehemaliger Volkswagensparer die einflussreichste Interessenvertretung gegründet hatte, führte seit Mai 1949 einen Musterprozess gegen das Volkswagenwerk, der sich zu einem zwölfjährigen »Mammut­ prozess«167 über mehrere gerichtliche Instanzen auswuchs. Das Verfahren endete schließlich im Oktober 1961 vor dem Bundesgerichtshof mit einem Vergleich, wonach die Sparer einen Preisnachlass von 150 bis zu sechshundert DM erhielten, der sich am jeweils nachgewiesenen Sparbetrag orientierte. Dem VW-Werk wurden im Gegenzug die Spareinlagen zugesprochen, die auf einem gesperrten Konto gelegen und einen Wert von rund 17 Millionen DM erreicht hatten. Der Volkswagensparerprozess hatte keinen unmittelbaren Einfluss auf die Privatisierung des Werkes, die bei Abschluss des Prozesses im Jahr 1961 bereits vollzogen war. Die ungeklärten Rechtsansprüche der Sparer schwebten jedoch, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Dezember 1955 schrieb, gleich einem »Damoklesschwert«168 über den Debatten und ließen sich demnach argumentativ einsetzen. So wies das Bundesfinanzministerium mehrfach auf die laufenden »Rechts­auseinandersetzungen«169 im Volkswagensparerprozess hin, vor deren Abschluss die notwendige »Bewertung des Reinvermögens des Volkswagen-

164 In König Nordhoffs Reich, in: Der Spiegel, 10.8.1955. 165 Bonbon des Jahrhunderts, in: Der Spiegel, 18.2.1959. Der FAZ-Journalist Heinz Brestel nannte das Volkswagenwerk den »kostbarste[n] Edelstein« in der »Vermögenskrone« des Bundes; Die Premiere der Volksaktie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.5.1957. 166 Ausführlicher zum Volkswagensparerprozess: Rieger, Schulden; Nicolaysen, S. 47–53. 167 Rieger, Schulden; Nicolaysen, S. 51. 168 Das Werk, das keinem gehört, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.12.1955. 169 Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes.

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werks nicht möglich«170 sei. Vor diesem Hintergrund wurde der andauernde Prozess auch als »Hindernis«171 und »Risiko«172 für die geplante Privatisierung des Werkes eingestuft. Der FDP-Abgeordnete Karl Atzenroth bezeichnete einen »fairen Vergleich mit den Volkswagensparern« als »Voraussetzung« für den Fortgang der Privatisierung.173 In einem Volkswirt-Artikel nannte Hans Ulrich Freiherr von Wangenheim es gar einen »grundsätzliche[n] Mangel« des Gesetzesentwurfs, »dem Entscheid des obersten Gerichts in einem schwebenden Verfahren vor[zugreifen]«.174 Andere Privatisierungsbefürworter wendeten demgegenüber ein, diejenigen Argumentationsweisen, die auf die Unabgeschlossenheit des Prozesses abstellten, seien nicht mehr als eine »Ausflucht«,175 die der Verzögerung der geplanten Privatisierung diene,176 sei dieses Vorhaben doch vollkommen unabhängig vom Ausgang des Sparerprozesses.177 Von weitaus größerer Relevanz war zweitens die ungeklärte Rechtsfrage, wer nach dem Zweiten Weltkrieg Eigentümer des VW-Werkes geworden war.178 Nach Kriegsende stand das Volkswagenwerk gemäß Kontrollratsgesetz Nr. 52 zunächst unter Kontrolle der britischen Militärregierung,179 die den Vermögenskomplex nach der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag an die gemäß dem Grundgesetz zuständigen Stellen übergab. Die Eigentumsfrage blieb hierbei allerdings in der Schwebe, hieß es doch in Artikel 6 Absatz 3 der Direktive Nr. 202 vom 6. September 1949: »Solange die zuständigen deutschen Behörden keine anderweitigen Vorschriften erlassen haben, hat das Land Niedersachsen die Kontrolle im Namen und unter der Weisung der Bundesregierung auszuüben über […] die Volkswagenwerke GmbH.«180 Im Protokoll der offiziellen Übergabe, die am 8. Oktober 1949 im Bundesfinanzministerium in Bonn stattfand, ist zu lesen: »Die Bundesregierung übernimmt die Treuhänderschaft und über170 So Staatssekretär Alfred Hartmann im Bundestag; VDB, 2. WP, 183. Sitzung, 11.1.1957, S. 10157. Mit diesen Worten zitiert wird er in: Zur Privatisierung bereit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.1.1957. 171 Bis zur VW-Aktie ist noch ein weiter Weg, in: Die Zeit, 23.5.1957. 172 Dieses Wort wählte der SPD-Abgeordnete Heinrich Deist in zwei Plenardebatten: VDB, 2. WP, 182. Sitzung, 10.1.1957, S. 10137; ebd., 214. Sitzung, 31.5.1957, S. 12604. 173 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 265. 174 Danaergeschenk Volkswagen-Volksaktien?, in: Der Volkswirt, 1.6.1957. 175 Nebel um die Privatisierung, in: Der Volkswirt, 5.3.1955. 176 Diesen Vorwurf äußerte der CDU-Abgeordnete Fritz Hellwig im Bundestag; VDB, 2. WP, 214. Sitzung, 31.5.1957, S. 12610. 177 Das Volksaktiengesetz wird im Bundestag eingebracht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.5.1957. 178 Hierzu: Nicolaysen, S. 21–28; Edelmann, Privatisierung, S. 57–61. 179 Von der Direktive Nr. 50, wonach ehemaliges DAF-Vermögen, das keiner bestimmten NSOrganisation zugeordnet werden konnte, dem jeweiligen Bundesland zugeteilt wurde, nahm die britische Militärregierung das Volkswagenwerk aus, um es vor unkalkulierbaren finanziellen Schwierigkeiten angesichts der Rechtsansprüche sowohl der »Volkswagen­ sparer« als auch der Gewerkschaften zu bewahren; vgl. Edelmann, Privatisierung, S. 57. Zu den Gewerkschaftsansprüchen: Nicolaysen, S. 38–46. 180 Zit. n. Nicolaysen, S. 25.

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trägt die Verwaltung über die Gesellschaft auf das Land Niedersachsen […]. Das Land Niedersachsen wird die Verwaltung im Namen und unter Weisung der Bundesregierung ausüben.«181 Der Entschluss der britischen Militärregierung, die Eigentumsfrage bewusst offen zu lassen und eine Entscheidung hierüber in die Zukunft zu verlagern, war für die Privatisierungsdiskussion in zweierlei Hinsicht bestimmend. Zum einen erhielt das Unternehmen hierdurch einen rechtlichen Sonderstatus, auf den in den Debatten immer wieder hingewiesen wurde. Ministerialdirektor Heinz Oeftering beispielsweise zog sich in seinem Artikel vom Juni 1953, der einen ersten Überblick über das vom Bundesfinanzministerium verwaltete Vermögen geben sollte, auf die Formel des Übergabeprotokolls zurück und stellte fest: »Das Volkswagenwerk ist nicht Bundeseigentum. Der Bund ist hier nur Treuhänder. Die Eigentumsverhältnisse sind hier noch nicht geklärt.«182 Genau so argumentierte beinahe vier Jahre später, im Januar 1957, Alfred Hartmann, Staatssekretär beim Bundesfinanzministerium, der vor dem Deutschen Bundestag noch einmal explizit auf die »Verordnung der britischen Militärregierung« verwies.183 Die argumentative Strategie des Bundesfinanzministeriums, auf die ungeklärten Eigentumsverhältnisse zu verweisen, kritisierten die Privatisierungsbefürworter als Verzögerungsstrategie. Der CDUAbgeordnete Hellwig beispielsweise erhob im Bundestag den Vorwurf, die »Klärung des Problems« sei »immer mit dem Hinweis auf die angeblich so schwierigen Rechtsfragen verzögert worden.«184 Die offene Eigentumsfrage ließ sich zum anderen nicht nur argumentativ instrumentalisieren. Mit ihr war vielmehr die ebenfalls weiterhin offene Frage verknüpft, ob das Land Niedersachsen einen rechtlichen Anspruch auf das Volkswagenwerk hatte. Nachdem die Landesregierung Niedersachsens im Jahr 1949 noch das Modell der Treuhänderschaft angestrebt hatte, beantragte der niedersächsische Finanzminister Alfred Kubel im Juni 1953 beim Allgemeinen Organisations-Ausschuss in Celle, die Eigentümerschaft am Volkswagenwerk auf das Land Niedersachsen zu übertragen. Den Antrag, in dem Kubel argumentierte, das Werk müsse als ehemaliges NS-Vermögen aufgefasst werden, gelte folglich als aufgelöst und falle dem Land Niedersachsen zu, lehnte die zuständige britische Besatzungsbehörde Ende Juli 1953 zwar ab.185 Der Vorgang macht jedoch deutlich, dass der angestrebten Privatisierung nicht nur eine Klärung der Eigentumssituation vorausgehen, sondern die Bundesregierung auch eine Einigung mit der niedersächsischen Landesregierung herbeiführen musste. 181 Zit. n. Edelmann, Privatisierung, S. 58. 182 Der Bund als Unternehmer, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 112, 18.6.1953, Zit. S. 957. Wortgleich in: Die Wirtschaft fordert: Rückzug der öffentlichen Hand, in: Industriekurier, 23.6.1953. Ähnlich: Privatisierung des Volkswagenwerks?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.3.1955. 183 VDB, 2. WP, 183. Sitzung, 11.1.1957, S. 10157. 184 Ebd., 214. Sitzung, 31.5.1957, S. 12610. 185 Nicolaysen, S. 25, 53–61.

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2.2 Der öffentliche Einfluss Die Auseinandersetzungen um die Eigentumsrechte am Volkswagenwerk dauerten bis zum Jahresende 1959 an.186 Bei der ersten Lesung des erneut eingebrachten Gesetzesentwurfes im Januar 1958 bekräftigte der niedersächsische Ministerpräsident Heinrich Hellwege, der »in seiner Eigenschaft als Mitglied des Bundesrates« zu den Abgeordneten sprach, nochmals den Standpunkt seines Kabinetts und bezeichnete die »in § 1 des Gesetzesentwurfs vorgesehene Lösung der Eigentumsfrage«, wonach das VW-Werk dem Bund zufallen sollte, als »für Niedersachsen nach wie vor unannehmbar«.187 Als entschleunigender Faktor erwiesen sich zudem die niedersächsischen Landtagswahlen im April 1959, die nach einhelliger Meinung nicht unter dem Einfluss der Auseinandersetzungen um das Volkswagenwerk stattfinden sollten. Wenige Wochen nach der Wahl, die zu einem Regierungswechsel – auf den DP-Ministerpräsidenten Hellwege folgte Hinrich Wilhelm Kopf von der SPD  – führte, trieb die Bundesregierung ihr Privatisierungsvorhaben wieder voran und verlagerte den ersten Paragraphen, der die Eigentumsfrage behandelte, in ein sogenanntes »Vorschaltgesetz«,188 um Eigentums- und Privatisierungsfrage getrennt und – so das Ziel – zügiger abhandeln zu können. Allerdings schien sich an der grundsätzlichen Frontstellung zwischen Bundes- und niedersächsischer Landesregierung nichts geändert zu haben, beanspruchte doch auch der neu gewählte niedersächsische Ministerpräsident Kopf das Volkswagenwerk für das Land Niedersachsen und strebte dessen Umwandlung in eine Stiftung an. So bekräftigte er im Oktober 1959 bei der ersten Beratung des neu eingebrachten »Gesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung« vor dem Bundestagsplenum, »daß Niedersachsen nach wie vor daran festhält, daß das Volkswagenwerk dem Land Niedersachsen gehört.« Eine etwaige »Verabschiedung des vorliegenden Gesetzesentwurfs« setzte er gar mit »einer entschädigungslosen Enteignung« gleich und kündigte eine Klage der niedersächsischen Landesregierung beim Bundesverfassungsgericht an.189 Hinzu kamen rechtliche Bedenken einzelner Bundestagsabgeordneter, welche die Gesetzgebungskompetenz des Bundes in der Frage des Eigentums am Volkswagenwerk anzweifelten.190 Angesichts solcher rechtlicher Unsicherheiten, des unveränderten Widerstands der niedersächsischen Regierung und einer drohenden Verfassungsklage schien sich die angestrebte VW-Privatisierung weiter zu verzögern. Gleichwohl war die Frontstellung zwischen Bundes- und niedersächsischer Landesregierung 186 Ausführlich ebd., S. 235–339. 187 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 257. 188 BT-Drucksache III/1217. 189 VDB, 3. WP, 81. Sitzung, 14.10.1959, S. 4403. 190 Derartige Bedenken formulierten die Abgeordneten Georg Kurlbaum (SPD) und Thomas Dehler (FDP); ebd., S. 4404–4406.

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nicht derart ausgeprägt, wie Kopfs Rede vor dem Deutschen Bundestag vermuten lässt. Vielmehr intensivierten Bundesschatzminister Hermann Lindrath und Niedersachsens Finanzminister Hermann Ahrens seit Juli 1959 ihre Bemühungen, auf dem Verhandlungswege eine Einigung zu erzielen. Auch Ministerpräsident Kopf rückte im Laufe des Oktober 1959 auf Anraten des Rechtsausschussvorsitzenden im Niedersächsischen Landtag von seiner ursprünglichen Haltung ab und stimmte weiteren Vergleichsverhandlungen zu, die im November des Jahres schließlich in einen Staatsvertrag zwischen dem Bund und dem Land Niedersachsen mündeten. Der Vergleichsvertrag, der mit den Unterschriften von Bundesschatzminister Lindrath und des niedersächsischen Finanzministers Ahrens am 11. und 12. November 1959 zustande gekommen war, bedeutete dann nicht nur eine Lösung im Streit um das Eigentum am Volkswagenwerk, sondern regelte zugleich die künftige Verteilung der Besitzanteile und die Einflussmöglichkeiten des Bundes wie des Landes Niedersachsen auf das Wolfsburger Automobilwerk. So sah der erste Paragraph des Staatsvertrages zwar die Umwandlung des Unternehmens in eine Aktiengesellschaft vor, welche die Bundesregierung stets angestrebt hatte sowie von zahlreichen Journalisten und Interessenverbänden gefordert worden war. Allerdings legte der zweite Paragraph fest, dass lediglich »60 % des Grundkapitals […] in Form von Kleinaktien« veräußert werden, während »je 20 % des Grundkapitals« beim Bund und beim Land Niedersachsen verbleiben sollten. Die Bundesregierung war somit vom ursprünglichen Vorhaben, das Volkswagenwerk vollständig zu privatisieren, abgerückt und hatte sich mit der niedersächsischen Landesregierung auf eine Teilprivatisierung verständigt. Der öffentliche Einfluss wuchs zudem durch die Bestimmungen des Paragraphen fünf, wonach »je zwei Mitglieder vom Bund und dem Land Niedersachsen in den Aufsichtsrat entsandt werden« und »Beschlüsse, für die nach dem Aktiengesetz eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, einer Mehrheit von mehr als 80 % des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals bedürfen« sollten. Diese Klausel, die laut Vergleichsvertrag in der Satzung der Volkswagenwerk AG »vorzusehen« war und in dieser Form auch Eingang in den Gesetzestext fand, sicherte dem Land Niedersachsen, das zwanzig Prozent der Aktien erhalten sollte, eine Sperrminorität und damit erheblichen Einfluss auf die künftige Geschäftspolitik des Unternehmens.191 Wenn mit der vertraglichen Einigung auch ein »Kompromiß«192 zustande gekommen war, der einerseits die (Teil-)Privatisierung des Volkswagenwerkes erlaubte und andererseits zugleich weitreichende Einflussmöglichkeiten für das Land Niedersachsen garantierte, blieb die Frage der Stimmrechtsbeschränkung für Aktien dieser beiden Anteilseigner zunächst umstritten. Nach dem Abschluss der Ausschussberatungen im Deutschen Bundestag sah der Entwurf 191 BT-Drucksache III/1522. 192 VDB, 3. WP, 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5857. Dieser Einschätzung des CDU-Abgeordneten Rainer Barzel folgt: Nicolaysen, S. 234.

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des sogenannten »Privatisierungsgesetzes« grundsätzlich eine Beschränkung des Stimmrechts auf den zehntausendsten Teil des Grundkapitals für diejenigen Aktionäre vor, die »Aktien im Gesamtnennbetrag von mehr als dem zehntausendsten Teil des Grundkapitals« hielten.193 Streitig war – und »diese Streitfrage« konnte auch der Wirtschaftsausschuss des Bundestages in seinen Beratungen »nicht klären« –,194 ob und wie lange der Bund und das Land Niedersachsen von dieser Stimmrechtsbeschränkung ausgenommen bleiben sollten. Der abschließende Entwurf sah die Aufhebung der Stimmrechtsbeschränkung für die Dauer von fünf Jahren sowie eine mögliche Fristverlängerung per Bundesgesetz vor. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion eignete sich in dieser Frage die Position des Landes Niedersachsen an, der zufolge eine Begrenzung des Stimmrechts für Aktien der öffentlichen Hand »gegen den Wortlaut und gegen den Sinn des Vergleichsvertrags« verstoße.195 Ergebnis der Vergleichsverhandlungen war demnach, wie der SPD-Abgeordnete Hans Jahn betonte, »dem Lande Niedersachsen einen hervorragenden Einfluß auch auf die laufende Geschäftspolitik der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft einzuräumen.«196 Einen entsprechenden Änderungsantrag, der auf die dauerhafte Aufhebung der Stimmrechtsbeschränkung für den Bund und das Land Niedersachsen abzielte, lehnte die Mehrheit der Abgeordneten gleichwohl ab.197 Die Privatisierungsbefürworter wiederum – und hierbei vor allem die Abgeordneten Karl Atzenroth von der FDP und Rainer Barzel von der CDU – zogen angesichts der »Konzessionen« an die niedersächsische Regierung und des damit verbundenen »Übergewicht[s] der öffentlichen Hand« in Zweifel, ob »das Ganze dann noch als Privatisierung« oder »echte, wirkliche Privatisierung« bezeichnet werden könne.198 Schließlich stimmte der Bundestag in dritter Lesung zwar der vom Wirtschaftsausschuss vorgelegten Fassung zu. Über den Bundesrat erwirkte die niedersächsische Landesregierung jedoch die Einberufung des Vermittlungsausschusses, der in seiner Sitzung am 24. Juni 1960 beantragte, die Ausnahmeregelung für die Stimmrechtsbeschränkung auf zehn Jahre auszuweiten. Die Möglichkeit, diese Regelung per Bundesgesetz erneut zu verlängern, wurde im Gegenzug gestrichen. Bundestag und Bundesrat stimmten am 29. Juni bzw. 1. Juli 1960 zu, so dass das »Privatisierungsgesetz« am 22. Juli 1960 in Kraft treten konnte. Diese wenigen Schlaglichter auf den Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens machen deutlich, dass die niedersächsische Landesregierung wesentlichen Einfluss auf die Auseinandersetzungen um die Zukunft des Volkswagenwerkes nahm, der sich in zeitlicher wie in materieller Hinsicht auswirkte. Während 193 Vgl. den entsprechenden Bericht des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages: BT-Drucksache III/1680. 194 BT-Drucksache III/1680zu, S. 2. 195 So der SPD-Abgeordnete Hans Jahn; VDB, 3. WP, 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5856. 196 Ebd., S. 5859. 197 Ebd., S. 5863. 198 Ebd., S. 5854, 5857.

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in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre vor allem Unstimmigkeiten zwischen einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung die Privatisierung des Volkswagenwerkes verzögert hatten, erwiesen sich seit 1957 insbesondere die Auseinandersetzungen mit dem Land Niedersachsen um die Eigentumsfrage als entschleunigender Faktor. Aus Rücksichtnahme auf die niedersächsischen Landtagswahlen ruhten die Gesetzesberatungen zwischen Januar 1958 und Juli 1959 beinahe vollständig. Die angedrohte Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht, der die Bundesregierung durch die Vergleichsverhandlungen zu entgehen suchte, hätte die Dauer des Verfahrens gar noch weiter verlängert. Im Zuge der Vergleichsverhandlungen war die Bundesregierung dann zu »Konzessionen« bereit, die schließlich die Grundlage für die Teilprivatisierung der Gesellschaft bildeten. Diese Lösung erwuchs im Falle des Volkswagenwerkes zwar insbesondere aus dem Ansinnen, eine Einigung mit der niedersächsischen Landesregierung zu erzielen. Das Festhalten an umfangreichen Besitzanteilen der öffentlichen Hand war jedoch mitnichten ein Spezifikum der VW-Privatisierung, sondern ein hervorstechendes Merkmal der Privatisierungsmaßnahmen in den fünfziger und sechziger Jahren.199 Wenn der staatliche Anteil am Grundkapital der neu geschaffenen Volkswagenwerk Aktiengesellschaft und der damit verbundene öffentliche Einfluss auf die Geschäftspolitik des Unternehmens auch (weiterhin) hoch waren, blieb mit dem Privatisierungsvorhaben doch der Anspruch verbunden, eine grundsätzliche Trennlinie zwischen Staat und Wirtschaft zu markieren. Daher werden im Mittelpunkt der nachfolgenden Abschnitte diejenigen Begründungszusammenhänge und Bezeichnungsweisen stehen, die das Vorhaben der VW-Privatisierung semantisch rahmten und plausibilisierten. Das entschleunigte Gesetzgebungsverfahren gab den Prozessen der Definition, Begründung und Legitimation wirtschaftlicher Staatsaufgaben zusätzlichen Raum. Denn je weiter sich eine abschließende Entscheidung in die Zukunft verlagerte, ließen sich die rahmenden Begründungszusammenhänge in Prozessen der politischen Kommunikation und Sinnstiftung umso mehr verfestigen. 2.3 Zwischen Ermöglichung von »Wettbewerb« und Eindämmung »wirtschaftlicher Macht« Aus dem politischen Anspruch, die wirtschaftlichen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche des Staates verbindlich zu definieren, ergab sich im Falle des Volkswagenwerkes die grundlegende Frage, ob dieses öffentliche Unternehmen überhaupt staatliche Wirtschaftsaufgaben zu erfüllen habe. Als Kriterien hierfür dienten die deutungsbedürftigen Bezeichnungen des »wichtigen öffentlichen Interesses« und des »dringenden öffentlichen Zwecks«, welche die Zeitgenossen 199 Dietrich, S. 331.

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den Wirtschaftsbestimmungen, Haushalts- und Gemeindeordnungen der Weimarer Jahre und der NS-Zeit entlehnten. Die Befürworter einer Privatisierung des Werkes vertraten in Anlehnung an den Gesetzesentwurf der FDP-Fraktion »über die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand«200 den vom FDPAbgeordneten Karl Atzenroth formulierten »Grundsatz […], daß sich die öffentliche Hand an Erwerbsunternehmen nicht beteiligen soll«. Ein »dringender öffentlicher Zweck« zählte demnach zu den »Voraussetzungen […], unter denen eine solche Betätigung ausnahmsweise zugelassen werden« könne.201 Bundesschatzminister Hermann Lindrath unterstützte diesen Standpunkt und bekräftigte in seiner Antwort auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag202 die »Auffassung, daß der Staat sein erwerbswirtschaftliches Vermögen grundsätzlich veräußern solle, soweit nicht im Einzelfall zur Wahrung wichtiger öffentlicher Belange die Aufrechterhaltung einer Beteiligung des Staates an einem wirtschaftlichen Unternehmen einstweilen oder auf die Dauer geboten« sei.203 Dass im Falle des Volkswagenwerkes derartige »öffentliche Belange« bestünden und »die Produktion von Automobilen automatisch und von Natur aus eine Aufgabe oder eine Verpflichtung für das Allgemeinwohl sei«, zog der DP-Abgeordnete Victor-Emanuel Preusker stellvertretend für die Befürworter einer Privatisierung des Werkes in Zweifel.204 Öffentliche Unternehmen bildeten nach deren Verständnis einen wirtschaftlichen Ausnahmebereich, den die Privatisierungsbefürworter zudem möglichst eng abzustecken suchten. Die Verweise auf das »öffentliche Interesse« oder einen »öffentlichen Zweck«, die zudem »wichtig« und »dringend« sein mussten, sollten die Abweichung vom postulierten Normalzustand als »vertretbar[e]«205 oder »erträglich[e]« Ausnahme, wie Wilhelm Röpke schrieb,206 ausweisen. Dass diese Aussagen mit dem Anspruch verbunden waren, die wirtschaftlichen Staatsaufgaben möglichst trennscharf und verbindlich festzulegen, zeigt eine Äußerung des CDU-Abgeordneten Fritz Burgbacher, der im Bundestag bemerkte, auch der SPD-Abgeordnete Heinrich Deist sei »der Meinung, daß Bundesbeteiligungen nur bei öffentlichem Interesse am Platz seien«, und hieraus folgerte: »[U]nter der Voraussetzung, daß wir über den Begriff des öffentlichen Interesses einig sind, sind wir in diesem Punkte einig.«207 Dieser Äußerung lagen die Annahme und der Anspruch zugrunde, die wirtschaftlichen Aufgaben des Staates über die Bezeichnung des »öffentlichen

200 BT-Drucksache II/2712. 201 VDB, 2. WP, 182. Sitzung, 10.1.1957, S. 10119. 202 BT-Drucksache III/617. 203 VDB, 3. WP, 63. Sitzung, 20.2.1959, S. 3387. 204 Ebd., 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 284. 205 So formulierte es Bundesschatzminister Lindrath in einem Interview: Privatisierung des industriellen Bundesvermögens, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 232, 14.12.1957, Zit. S. 2142. 206 Röpke, Wirtschaftspolitik, S. 52. 207 VDB, 3. WP, 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1642.

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Interesses« verbindlich und eindeutig zu definieren. Diese Wortverbindung eignete sich allerdings insbesondere aufgrund ihrer Uneindeutigkeit als politischer Begriff, der zwischen Trennschärfe und Mehrdeutigkeit oszillierte. Da die von Burgbacher postulierte »Voraussetzung« demnach gerade nicht gegeben war, ließ sich die Bezeichnung politisieren und für unterschiedliche argumentative Zwecke einsetzen. So argumentierte der vormalige Bürgermeister der Stadt Hamburg, Max Brauer, bei einer Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in umgekehrter Weise und betonte, eine Privatisierung sei lediglich möglich, wenn kein »öffentliches Interesse« bestehe.208 Der Ökonom Hans Ritschl verwandte in einem Beitrag für die Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft ebenfalls die Wortverbindung »öffentliches Interesse«, auf deren Entlehnung aus den Wirtschaftsbestimmungen der Weimarer Republik er verwies, um hiermit allerdings »positiv« die »Aufgabe« des Volkswagenwerks zu definieren, »einen billigen und leistungsfähigen Kleinwagen zu den Selbstkosten zu liefern.«209 Sein Fachkollege Horst Heidermann stimmte dieser Ansicht zu und vertrat die »Meinung«, es sei »Aufgabe des Staates, einen wirklichen Volkswagen zu produzieren.«210 Auch der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Heinrich Deist verneinte ein »öffentliches Interesse« am Volkswagenwerk keineswegs, sondern insistierte im Gegenteil: »[D]ie Lieferung eines billigen Volkswagens auch an Bezieher von kleinen Einkommen sollte die Aufgabe der öffentlichen Hand auf dem Gebiet der Automobilwirtschaft sein.«211 Sein SPD-Fraktionskollege Georg Kurlbaum pflichtete ihm bei und betonte, dass hierin die »entscheidende Bedeutung« des Volkswagenwerks »als öffentliches Unternehmen« bestehe.212 Der Wirtschaftswissenschaftler und Gemeinwirtschaftstheoretiker Gisbert Rittig weitete den Bedeutungs- und Bezugsrahmen der Wortverbindung »öffentliches Interesse« noch weiter aus, indem er hiermit »die bestmögliche Versorgung der Bevölkerung mit den Gütern, die von ihr nachgefragt werden«, bezeichnete. Demnach stehe »im öffentlichen Interesse […] einer modernen Gesellschaftswirtschaft jedes Produktionsunternehmen; die Unterschiede der Bedeutung sind nur graduell.«213 Diese Argumentationsweise belegt abermals die Vieldeutigkeit des Sprechens vom »öffentlichen Interesse«, nutzte Rittig doch dieselbe Bezeichnung wie die Privatisierungsbefürworter, um allerdings eine entgegengesetzte Position zu vertreten und nicht möglichst wenige, sondern »je-

208 Brauer, S. 22. Auch die FAZ berichtete: Scharf gegen eine Reprivatisierung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.6.1955. 209 Diese Aufgabe bezeichnete Ritschl auch als »Volkswagendienst«; Ritschl, Aufgaben, S. ­39–40, Zit. S. 40, 43. 210 H. Heidermann, Zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Jg. 6, H. 2, 1955, S. 73–78, hier: S. 78. 211 VDB, 2. WP, 182. Sitzung, 10.1.1957, S. 10139. 212 Ebd., 3. WP, 81. Sitzung, 14.10.1959, S. 4404. 213 Rittig, Gemeinwohl, S. 30.

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des Produktionsunternehmen« als »im öffentlichen Interesse stehend« zu klassifizieren. Darüber hinaus verweist Rittigs umfassender Begriff des »öffentlichen Interesses«, der die Regulierung von Märkten im Sinne eines Ausgleichs von Angebot und Nachfrage einschloss, auf die Frage, ob dem Volkswagenwerk – über die Bereitstellung eines bestimmten Produkts hinaus – weitere, allgemeine wirtschaftspolitische Aufgaben zuzuschreiben seien. Als Referenz und Orientierungsmuster für diese Diskussion diente die Redefigur wirtschaftlicher »Vermachtung«, die Befürworter wie Gegner einer Privatisierung des Volkswagenwerkes argumentativ einsetzten. So betonten die Privatisierungsbefürworter, das Ansinnen, »die Aufgaben des Staates auf das unbedingt notwendige Maß zurückzuführen«, ziele auf die »Entmachtung des Staates« und richte sich gegen dessen »wachsende Allmacht«.214 In Anlehnung an Formulierungen der Interessenverbände, welche die Privatisierung forderten, argumentierte der FDP-Politiker Karl Atzenroth mehrfach, dass die »Zusammenballung wirtschaftlicher Macht in der öffentlichen Sphäre […] wesentlich größer als die in der privaten Sphäre«215 sei und vom Bund »als marktbeherrschenden Großkapitalisten« die größere »Gefahr der Marktbeherrschung« ausgehe.216 Auch Wirtschaftsminister Ludwig Erhard vertrat diese Ansicht in einem Spiegel-Interview, in dem er »Marktpositionen in der Hand des Staates« als »gefährlicher als die dezentralisierten und sich gegenseitig ausgleichenden starken Marktpositionen in der Privatwirtschaft« bezeichnete.217 Ziel dieser Argumentationsweise, die auf die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates als wesentliche Ursache ökonomischer Machtbildung abhob, war demnach, den Rückzug des Staates aus der unternehmerischen Tätigkeit und damit die Privatisierung des Volkswagenwerkes zu begründen. Wenn die Privatisierungsverfechter die wirtschaftliche Macht des Staates allerdings als »größer« und »gefährlicher« einstuften, implizierten ihre Aussagen zugleich die alternative Argumentation, privatwirtschaftliche Zusammenschlüsse als ursächlich für wirtschaftliche Machtbildung darzustellen. Der SPD-Abgeordnete Heinrich Deist, der sich mit einer 1959 erschienenen Monographie über »Die Kontrolle wirtschaftlicher Macht«218 profilierte, ragte unter den Vertretern dieser diskursiven Position heraus. So knüpfte er an die Warnung der Privatisierungsbefürworter vor der »Allmacht des Staates« an, um seinerseits die Gefahr einer »Allmacht großer wirtschaftlicher Machtgruppen« zu prognostizieren.219 Seine Position bekräftigte er in den Plenardebatten über die Zukunft des Volkswagenwerkes mehrfach und warnte, dass durch eine Privatisierung des Unternehmens »der Markt für normale Kleinwagen der Beherr214 So formulierten es die Abgeordneten Karl Atzenroth und Victor-Emanuel Preusker; VDB, 2. WP, 182. Sitzung, 10.1.1957, S. 10118; ebd., 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 284. 215 Ebd., 3. WP, 63. Sitzung, 20.2.1959, S. 3385. 216 Ebd., 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1646. 217 Vom Volkswagen zum Volkskapitalismus, in: Der Spiegel, 20.2.1957. 218 Deist. 219 VDB, 2. WP, 182. Sitzung, 10.1.1957, S. 10137.

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schung durch einige wenige private Großunternehmen freigegeben« werde.220 Hierbei stellte Deist – mit Seitenblicken auf den US-amerikanischen und den französischen Automobilmarkt – auf die »Marktstruktur der Automobilindustrie« ab, die »automatisch dazu« führe, »daß ihre Unternehmungen […] von einigen großen monopolistischen Gruppen beherrscht« werde.221 Mit dem Hinweis auf »automatisch[e]« Entwicklungen suggerierte Deist in seiner Analyse,222 der sein SPD-Fraktionskollege Georg Kurlbaum zustimmte,223 eine Zwangsläufigkeit der privatwirtschaftlichen Machtbildung, die es zu verhindern gelte. Auch die Gewerkschaften vertraten diese Position und warfen  – wie etwa der IGMetall-Vorsitzende Otto Brenner  – »den Verfechtern der Privatisierung« vor, »daß sie mit diesen Absichten auch der weiteren Monopolisierung und Kartellierung in der Wirtschaft der Bundesrepublik Vorschub« leisteten.224 Zur Begrenzung privatwirtschaftlicher Machtbildung schlugen die Gegner der Privatisierungsvorhaben eine »aktive Wirtschaftspolitik«225 vor, bei der den öffentlichen Unternehmen eine Schlüsselrolle zugedacht war. Als Stichwortgeber für diese Überlegungen fungierten die Wirtschaftswissenschaftler Gisbert Rittig und Hans Ritschl, die sich im Laufe der fünfziger Jahre mit ihren Thesen zu Fragen der »Gemeinwirtschaft« profiliert hatten226 und sich in Beiträgen für die Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft auch explizit zu Fragen der Privatisierung des Volkswagenwerkes äußerten. Ritschl wies dem Volkswagenwerk eine »besondere preispolitische Aufgabe« zu, die er aus preistheore­tischen Annahmen ableitete. Hierbei referierte er zunächst Forschungspositionen der »moderne[n] Preistheorie«, die neben den »beiden Marktformen der vollständigen Konkurrenz und des Monopols« auch »Oligopol[e]« als »Zwischenformen« postuliere. 220 Ebd., 3. WP, 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5853; beinahe wortgleiche Aussagen finden sich ebd., S. 5848, 5882. Vor dem zweiten Deutschen Bundestag hatte Deist bereits vor »einer monopolistischen Beherrschung der Automobilindustrie durch private Mächte« gewarnt; VDB, 2. WP, 182. Sitzung, 10.1.1957, S. 10144. 221 Ebd., S. 10136. 222 Um seine Position zu bekräftigen, berief sich Deist zudem auf Aussagen des Aktienrechtlers Curt Eduard Fischer, eines prinzipiellen Privatisierungsbefürworters; ebd., 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 272. 223 Für Kurlbaum war »mit Sicherheit vorauszusehen, daß in Zukunft der deutsche Automobilmarkt von einer Gruppe von vier privaten Großunternehmen beherrscht sein« werde; ebd., S. 255. 224 Mit diesen Worten zitierte Wirtschaftsminister Erhard Otto Brenner im Bundestag; ebd., 2. WP, 214. Sitzung, 31.5.1957, S. 12602. Der »Vorwurf gegenüber der Marktwirtschaft, sie habe die Machtkonzentration gefördert«, nahm auch in Ludwig Rosenbergs Referat auf dem Kongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1959 in Stuttgart eine herausgehobene Stellung ein; Rosenberg gegen zu große Wirtschaftsmacht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.9.1959. 225 So der SPD-Abgeordnete Paul Bleiß vor dem Deutschen Bundestag; VDB, 3. WP, 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1656. Für Kurt Hirche, Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung beim Deutschen Gewerkschaftsbund, waren öffentliche Unternehmen »Instrumente einer aktiven Konjunktur-, Beschäftigungs- und Preispolitik«; K. Hirche, Experiment, S. 18. 226 Hier seien lediglich genannt: Ritschl, Grundlagen; Rittig, Sozialismus.

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Da ein »Oligopol« »zu einer künstlichen Verknappung des Angebots bei überhöhten Preisen« führe, sei es »grundsätzlich ebenso unvereinbar mit dem System der Wettbewerbswirtschaft wie das Monopol«. Für die staatliche Wirtschaftspolitik leitete Ritschl aus diesem Befund die »Aufgabe« ab, »das den Wettbewerb beschränkende Oligopol zu brechen«. Auf dem Automobilmarkt nehme diese Funktion das Volkswagenwerk als öffentliches Unternehmen wahr, da es laut Ritschl »einen bedeutenden Anteil an der Produktion innehat« und demzufolge die private »Preispolitik durchbricht«.227 Rittig stützte die Position seines Fachkollegen und forderte in seinem Beitrag, die staatliche Wirtschaftspolitik am »Gesamtinteresse« auszurichten, um die »ökonomisch verantwortbare größtmögliche Bedarfsdeckung« zu erreichen. Ihm schwebte eine aktive Preispolitik des »marktbeherrschenden Unternehmens« vor, die sich an einem »bedarfswirtschaftlichen Prinzip« auszurichten hatte mit dem Ziel: »Preise nahe dem Kostendeckungspreis«. In dieser »Gesamtkonzeption« nahm das VW-Werk als öffentliches Unternehmen eine Schlüsselstellung ein, dessen »bedarfswirtschaftliche[s] Verhalten« Rittig mit der Rolle »eines […] Hechtes im Karpfenteich« verglich.228 SPD-Bundestagsfraktion und Gewerkschaftsvertreter machten sich diese Position zueigen, die der SPD-Abgeordnete Heinrich Deist auf die Formel der »bewußten Marktpolitik« brachte.229 So trat Deist im Bundestag mehrfach »für einen wirksamen Einfluß auf die private Wirtschaftsentwicklung«230 im Allgemeinen und »eine marktkonforme Beeinflussung« des Automobilmarktes231 im Besonderen ein. Hierbei übernahm er Wilhelm Röpkes Typologie unterschiedlicher Markteingriffe, der das Kriterium der »Marktkonformität« zugrunde lag.232 Zugleich verwies Deist auf die Gründung der Hibernia zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, die als Reaktion auf »die Gefahr einer monopolistischen Kontrolle eines wichtigen Marktes« zu verstehen sei. Dieser historische Bezug sollte seiner Position zusätzliche Evidenz verleihen, wonach »eine wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand auf den Märkten, auf denen eine […] monopolistische Kontrolle droht«, als »dringend erforderlich« galt.233 Als Plausibilitätsspender fungierte zudem das schon von Rittig gezeichnete Bild vom öffentlichen Unternehmen als »Hecht im Karpfenteich«, dessen sich außer Deist beispielsweise auch Kurt Hirche, Leiter der wirtschaftspolitischen Abtei-

227 Ritschl, Aufgaben, S. 41–43. 228 Rittig, Gemeinwohl, S. 31, 33–37. 229 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 274. 230 Ebd., 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5853. Auch Ludwig Rosenberg argumentierte auf dem DGB-Bundeskongress 1959 für eine Beeinflussung des Wirtschaftsgeschehens durch öffentliche Unternehmen; Rosenberg gegen zu große Wirtschaftsmacht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.9.1959. 231 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 256. Ähnlich ebd., 3. WP, 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5882. 232 Röpke, Wirtschaftspolitik, S. 57–58. 233 VDB, 2. WP, 182. Sitzung, 10.1.1957, S. 10132, 10133.

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lung beim Deutschen Gewerkschaftsbund, bediente.234 Deist suchte den argumentativen Gebrauchswert dieser Metapher noch weiter zu steigern, indem er sich auf einen Vortrag berief, den der in die USA emigrierte Volkswirtschaftsprofessor Fritz Karl Mann bereits im Juni 1953 gehalten hatte.235 So führte Deist im Plenum des Bundestags aus, Mann habe »in diesem Zusammenhang von der Yardstik-Funktion [Sic!]« öffentlicher Unternehmen gesprochen, die sich »schwer übersetzen« lasse. »Bei uns würde man vielleicht, frei übersetzt, von der Aufgabe sprechen, als Hecht im Karpfenteich zu wirken.« Im Anschluss betonte Deist – und hierbei berief er sich erneut explizit auf Mann –, öffentliche Unternehmen sollten »gerade durch ihre Yardstick-Funktion« die »Preise auf ein angemessenes Niveau herabdrücken.«236 Bemerkenswerterweise sprach Mann in dem von Deist zitierten Vortrag allerdings ausschließlich über Besonderheiten der wirtschaftlichen Staatstätigkeit in den Vereinigten Staaten und betonte, diese beruhe »vorwiegend auf mannigfaltiger Regulierung durch Bund, Einzelstaaten und Gemeinden«. An dieser Stelle erwähnte Mann zwar auch »das neuartige Instrument der ›Yardstick Enterprise‹«, ohne dieses jedoch näher zu erläutern oder zu bewerten. Ihm ging es vielmehr darum, die »Tendenzen in der amerikanischen Wirtschaftsverfassung« zu beschreiben, die für ihn in der »Scheu vor der ›reinen‹ öffentlichen Unternehmung« in Form staatlicher Unternehmensbeteiligungen und der »Vorliebe für indirekte Methoden der Wirtschaftslenkung« bestanden.237 Deist nutzte folglich ausschließlich die wirtschaftswissenschaftliche Autorität Manns zur Unterstützung seiner Position und fügte die Darstellung des Ökonomen bruchlos in sein Bild vom öffentlichen Unternehmen als »Hecht im Karpfenteich« ein. Wenn die Befürworter einer Privatisierung des Volkswagenwerkes die Begrenzung der staatlichen Unternehmenstätigkeit forderten und die Gegner demgegenüber auf die instrumentelle Funktion des Unternehmens für eine aktive Preispolitik verwiesen, thematisierten beide Gruppen eine Problemkonstellation, über die sie sich einig waren. Die Konzentration wirtschaftlicher Macht galt ihnen nämlich als äußere Gefährdung und Störung der wirtschaftlichen Preisbildung, die es abzuwenden galt, mochten sie in der Benennung der Ursachen und den angestrebten Lösungsmöglichkeiten auch voneinander abweichen. Den geteilten Referenzrahmen der wirtschaftlichen Machtbildung umrissen bereits die Schriften des Ordoliberalismus, die zugleich zwei unterschiedliche diskursive Positionierungsmöglichkeiten bereitstellten. So sahen die Privatisierungsbefürworter in der wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates die wesentliche Ursache für die Konzentration wirtschaftlicher Macht, während die Verfechter einer staatlichen Wettbewerbspolitik in privatwirtschaftlichen Zusammenschlüssen 234 Ebd., 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 274; K. Hirche, Komödie, S. 65. 235 Abgedruckt unter: F. K. Mann, Der Stand der öffentlichen Wirtschaft in den Vereinigten Staaten, in: Die Öffentliche Wirtschaft, Jg. 4, H. 3, 1954, S. 11–17. 236 VDB, 3. WP, 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1630, 1631. 237 Mann, Stand, S. 17.

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die größere Gefährdung des Preisbildungsprozesses erkannten. Beiden diskursiven Positionen lag jedoch die Denkfigur wirtschaftlicher Machtbildung als äußerer, fremder Gefährdung des Wettbewerbsmechanismus zugrunde, die für die Debatten um die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates in der frühen Bundesrepublik einen wichtigen Begründungszusammenhang bildete. Die Problematisierung wirtschaftlicher Machtbildung als Störung des Preismechanismus schärft zudem den Blick dafür, dass es Befürwortern wie Gegnern der VW-Privatisierung gleichermaßen um die Verhütung wirtschaftlicher Machtkonzentration und die Sicherung ökonomischen Wettbewerbs ging und beide Ziele geradezu unauflöslich zusammen gehörten. Die Gemeinwirtschaftstheoretiker Gisbert Rittig und Hans Ritschl beschrieben in ihren Texten das Ideal ökonomischen Wettbewerbs, dessen Funktion als »Entmachtungsinstrument« bereits die Vertreter des Ordoliberalismus skizziert hatten. Ritschl, der sich an der »preistheoretischen« Unterscheidung verschiedener Marktformen orientierte, definierte die wirtschaftspolitische »Aufgabe« des Staates, »das den Wettbewerb beschränkende Oligopol zu brechen«, um – positiv gewendet – »de[n] freie[n] Wettbewerb wiederher[zustellen]« und »einen echten Wettbewerbspreis zu erreichen«. Indem er sein Modell der »Preispolitik« als das »marktkonforme Werkzeug einer Wettbewerbspolitik« bezeichnete, »mit dem sich das marktbeherrschende Oligopol ohne Zwangseingriffe ausschalten« lasse,238 übernahm er den im Ordoliberalismus grundgelegten und von Alfred Müller-Armack explizit formulierten »Grundsatz der Marktkonformität«,239 wonach die äußere Beeinflussung des Wettbewerbs- und Preismechanismus zu vermeiden sei. Gisbert Rittig berief sich auf »[d]ie Klassiker« des Wirtschaftsliberalismus, in deren Ideal »vollständiger Konkurrenz« er eine »gesamtwirtschaftliche« Konzeption und Ausrichtung erkannte, die darauf abziele, »Gleichgewichtspreise« zu erreichen, »die dem Kostenniveau einigermaßen« entsprächen, um dem »Gesamtinteresse« im Sinne einer »größtmögliche[n] Bedarfsdeckung« zu dienen. Da die auf den wirtschaftlichen Märkten agierenden Unternehmen jedoch dazu »genötigt« werden müssten, dieses »bedarfswirtschaftliche Prinzip« umzusetzen, schlug Rittig eine »aktive Preispolitik« vor, die »durch das bedarfswirtschaftliche Verhalten eines […] Hechtes im Karpfenteich« umgesetzt werden sollte. Das Ziel dieser Preispolitik war allerdings, »nicht mehr und nicht weniger zu erreichen, als das, was nach guter alter Konkurrenztheorie sich ergeben soll: Preise nahe dem Kostendeckungspreis«.240 Die Vertreter der SPD-Fraktion, die im Bundestag für eine »aktive Preispolitik« öffentlicher Unternehmen eintraten, setzten das Wort »Wettbewerb« ebenfalls argumentativ ein, ohne es jedoch mit wirtschaftstheoretischen Bedeutungen auszustatten. Wenn der Abgeordnete Georg Kurlbaum forderte, »daß nunmehr ein wirklicher Wettbewerb auf dem deutschen Automobilmarkt […] 238 Ritschl, Aufgaben, S. 41, 42, 47. 239 Röpke, Wirtschaftspolitik, S. 57–58. 240 Rittig, Gemeinwohl, S. 31, 32, 33, 34, 35–36.

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sichergestellt werden«241 müsse, oder sein Kollege Deist postulierte, dass »das Volkswagenwerk als Mittel des Wettbewerbs«242 »dazu beitragen« solle, »im Marktverkehr den Wettbewerb zu stärken«243 und »im Sinne größeren Wettbewerbs auf dem Automobilmarkt« zu agieren habe,244 referierte das Wort »Wettbewerb« auf einen Idealzustand, der in der deutschen Volkswirtschaft »herrschen sollte«.245 Hierbei transportierte die Bezeichnung »Wettbewerb« allerdings nicht die wirtschaftstheoretischen Bedeutungsimplikate des Gleichgewichts und des Ausgleichs, sondern bildete vielmehr den Kontrast zur privatwirtschaftlichen Machtbildung, die es zu »brechen« gelte, um »in den oligopolistischen Bereichen wenigstens ein Stück Wettbewerb zu retten«.246 Die Ausrichtung am idealisierten Zustand ökonomischen Wettbewerbs bildet eine zweite Einigkeit, die sowohl Befürworter als auch Gegner der VWPrivatisierung verband. Die Vertreter der Gemeinwirtschaftslehre passten ihr Plädoyer für eine »aktive Preispolitik« öffentlicher Unternehmen – und damit auch ihr Verständnis von »Wettbewerb«  – in das (ordo-)liberale Denkmodell der »vollständigen Konkurrenz« ein, wonach Angebot und Nachfrage durch Preisbildung einem Equilibrium zustrebten. In den Aussagen der SPD-Politiker fehlte hingegen eine derartige semantische Festlegung, sollte doch der bloße Verweis auf das anzustrebende Ziel »Wettbewerb« deren Plädoyer für eine »aktive Wirtschaftspolitik« plausibel machen. Dass »Wettbewerb« hierbei nicht mit konkreten Bedeutungsgehalten ausgestattet war und dennoch als Fluchtpunkt wirtschaftspolitischen Handelns ausgewiesen werden konnte, zeugt von der Politisier­barkeit dieses Wortes, von seinem Status als »leerer Signifikant«, als Ideal, das alle Debattierenden anstrebten. Den Status von »Wettbewerb« als Fahnenwort belegt auch das »Godesberger Programm« der SPD, auf das Heinrich Deist sich in einem Debattenbeitrag im Bundestag berief.247 Denn mit dem »Grundsatzprogramm« vom November 1959, das den Abschluss eines mehrjährigen Prozesses innerparteilicher Auseinandersetzungen bildete, verwarf die westdeutsche Sozialdemokratie planwirtschaftliche Ordnungsvorstellungen und bekannte sich zur Formel der »Sozialen Marktwirtschaft«.248 Wenn es im Text hieß: »Wettbewerb durch öffentliche Unternehmen ist ein entscheidendes Mittel zur Verhütung privater Marktbeherrschung«,249 belegt das Programm allerdings nicht nur die Übernahme ordoliberaler Redefiguren, sondern vielmehr die Politisierbarkeit und Integrationskraft des Wortes »Wettbewerb«, die in dessen Uneindeutigkeit begründet lagen. 241 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 256. 242 Ebd., 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5852. 243 Ebd., 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 274. 244 Ebd., 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5849. 245 Ebd., S. 5853. 246 Ebd., S. 5880. 247 VDB, 3. WP, 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5876–5877. 248 Nützenadel, Stunde, S. 234–244; Klotzbach, Weg, S. 421–453. 249 Froehmer, S. 49; VDB, 3. WP, 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5877.

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Die Befürworter einer Privatisierung des Volkswagenwerkes richteten ihre Argumentation ebenfalls am Ideal ökonomischen Wettbewerbs aus, betonte doch der FDP-Abgeordnete Atzenroth vor dem Bundestagsplenum: »Wir kämpfen für die private Initiative und für den freien Wettbewerb«.250 Dieses Ziel war für die Privatisierungsanhänger allerdings nicht durch eine preispolitische Instrumentalisierung öffentlicher Unternehmen, die sie »im Prinzip ablehn[t]en«,251 sondern ausschließlich dadurch zu erreichen, »daß sich die öffentliche Hand aus dem Erwerbsleben heraushält.«252 Ihre grundsätzliche Position, wonach »es nicht Aufgabe des Staates sein kann, weiterhin erwerbswirtschaftliches Vermögen zu verwalten«253 oder »sich erwerbswirtschaftlich zu betätigen und mit der privaten Wirtschaft in Wettbewerb zu treten«,254 Staat und Wirtschaft also strikt zu trennen seien, suchten die Anhänger der Privatisierungsidee durch Verweis auf die prinzipielle Unvereinbarkeit einer markt- und wettbewerbsbasierten Wirtschaft mit staatlicher Unternehmertätigkeit zu festigen. So war 1958 in einem Volkswirt-Artikel zu lesen, die wirtschaftspolitischen Mittel des Staates seien »auch ohne die Krücken eigener Unternehmungen« ausreichend und eine staatliche »Einflußnahme«, wie die Privatisierungsgegner sie vorschlugen, würde »dem marktwirtschaftlichen Prinzip […] grundsätzlich und faktisch widersprechen.«255 Diesen Widerspruch spitzte Bundesschatzminister Hermann Lindrath vor dem Deutschen Bundestag noch weiter zu, indem er die Entwicklung der »bundeseigenen Unternehmen […] zu einem Fremdkörper« als Gefahr heraufbeschwor und sich damit der unter den Privatisierungsanhängern verbreiteten Krankheitsmetaphorik bediente.256 Lindrath und auch Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard suchten die Unvereinbarkeitsthese zudem zu plausibilisieren, indem sie – wie schon der Redakteur des Volkswirt – Bedeutungsimplikate der »Sozialen Marktwirtschaft« bemühten. So zitierte Der Spiegel einen Brief Erhards an Bundeskanzler Konrad Adenauer, in dem es hieß: »Mit der Politik der freien Marktwirtschaft ist es unvereinbar, daß der Staat als Unternehmer in der Automobilindustrie tätig wird«.257 Lindrath verwies zunächst auf die »großen wirtschaftlichen Erfolge«, die »auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft errungen« worden seien, um hieraus zu schließen: »Vom Standpunkt der sozialen Marktwirtschaft aus soll und kann es nicht Aufgabe des Staates sein, sich erwerbswirtschaftlich zu betätigen und mit der privaten Wirtschaft in Wettbewerb zu treten.«258

250 VDB, 3. WP, 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1645. 251 Ebd., 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5879. 252 Ebd., 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 263. 253 So der CDU-Abgeordnete Erwin Häussler im Bundestag; ebd., S. 278. 254 So Bundesschatzminister Hermann Lindrath; VDB, 3. WP, 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1636. 255 Privatisierung und Eigentumsbildung, in: Der Volkswirt, 21.6.1958. 256 VDB, 3. WP, 30. Sitzung, 12.6.1958, S, 1637. 257 Bonbon des Jahrhunderts, in: Der Spiegel, 18.2.1959. 258 VDB, 3. WP, 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1636.

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Der Verweis auf die »Politik der freien Marktwirtschaft« bildete zugleich den Begründungszusammenhang für die positive Definition der wirtschaftlichen Rolle des Staates, die sich für die Privatisierungsbefürworter aus der prinzipiellen Trennung von Staat und Wirtschaft ergab. Wenn Schatzminister Lind­ rath nämlich die unternehmerische Staatstätigkeit ablehnte, um im darauffolgenden Satz den »freie[n] Wettbewerb« als einen »entscheidende[n] Eckpfeiler der Marktwirtschaft« zu bezeichnen,259 wies er »dem Staat« die Aufgabe zu, den angestrebten Idealzustand des »freien Wettbewerbs« zu ermöglichen und zu garantieren. Um diese ordoliberale Denkfigur vom Staat als Garanten wirtschaftlichen Wettbewerbs zu plausibilisieren, setzten die Privatisierungsanhänger unterschiedliche argumentative Strategien ein. Der CDU-Abgeordnete Fritz Burgbacher etwa wies dem Staat eine übergeordnete Position »über dem eigentlichen Wirtschaftsprozeß« zu,260 von der aus er »eine Wirtschaftspolitik auf höherer Ebene, auf volkswirtschaftlicher Ebene machen« wollte.261 Karl Atzenroth von der FDP reproduzierte diese Unterscheidung zweier Ebenen und betonte: »Der Wettbewerb muß sich auf der privaten Ebene abspielen. Der Staat kann darüber wachen, wie er sich abspielt.«262 Der dichotomen Trennung von »oben« und »unten« verlieh der CDU-Abgeordnete Rainer Barzel zusätzliches argumentatives Gewicht, indem er ein »Lehrschreiben der deutschen Bischöfe über die Aufgaben und die Grenzen der Staatsgewalt« zitierte, in dem es hieß: »Der Staat […] soll nicht selbst als Unternehmer in den Kampf der Interessen hineinverstrickt sein, sondern unabhängig über dem Ganzen stehen.«263 Der Vergleich des wirtschaftlichen Geschehens mit einem »Kampf«, den die deutschen Bischöfe hierbei bemühten, macht zugleich auf das semantische Feld des Sports als einen weiteren wichtigen Bildspender aufmerksam. So bemühte der DP-Abgeordnete Alexander Elbrächter gleich zu Beginn seiner Begründung des Gesetzesentwurfs zur VW-Privatisierung das verbreitete Bild vom »Staat als Schiedsrichter […], der die Regeln aufstellt und darüber zu wachen hat, daß sie innegehalten werden.« Hierbei berief er sich explizit auf Wilhelm Röpke, dessen fachwissenschaftliche Autorität diesem Bild zusätzliche Evidenz verleihen sollte.264 Als der Gesetzesentwurf im dritten Deutschen Bundestag unverändert erneut eingebracht wurde, forderte Elbrächter ebenfalls, »der Staat« solle »echter Schiedsrichter bleiben und in diesem Spiel nicht mitspielen.«265 Dass es bei diesem »Spiel« auch »Risiko, […] Gewinne und Verluste und Niederlagen« gebe, hob der FDP-Abgeordnete Atzenroth hervor.266 Metaphoriken aus dem Wortfeld des Sports sollten darüber hinaus die Position der Privatisierungsbefürworter 259 Ebd. 260 VDB, 3. WP, 107. Sitzung, 16.3.1960, S, 5867. 261 Ebd., 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1642. 262 Ebd., 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5870. 263 Ebd., S. 5877. 264 VDB, 2. WP, 182. Sitzung, 10.1.1957, S. 10120; Röpke, Jahrzehnt, S. 44, 45. 265 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 266. 266 Ebd., 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5870.

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abstützen, wonach »die bundeseigenen Unternehmen«, wie Bundesschatzminister Lindrath sagte, nicht »unter anderen Wettbewerbsbedingungen« agieren sollten als die »konkurrierenden Privatunternehmen«.267 Diese Ungleichheit der Wettbewerbsbedingungen suchten die Anhänger der Privatisierungsidee als »unfair« zu markieren und damit zu delegitimieren. So führte Alexander ­Elbrächter von der DP die Allegorie der staatlichen Schiedsrichtertätigkeit in der Debatte weiter und fügte an: »Wir können uns aber nicht vorstellen, daß ein Schiedsrichter mitspielen darf. Das erscheint uns nicht fair.«268 Auch Ludwig Erhard wies in einem Spiegel-Interview mehrfach die Idee einer aktiven Marktbeeinflussung durch das Volkswagenwerk mit der Begründung zurück, er wolle sich nicht auf diesen »unfairen Standpunkt« stellen und mit »unfairen Mitteln, mit denen der Bund die Sonderstellung seines Unternehmens hätte mißbrauchen können, […] die Marktsituation keinesfalls aufknacken.«269 »Wettbewerb« avancierte mithin in den frühen bundesrepublikanischen Debatten um die wirtschaftlichen Aufgabenbereiche des Staates im Allgemeinen und in denen über die Privatisierung des Volkswagenwerkes im Besonderen zu einem zentralen argumentativen Fluchtpunkt. Wie »Wettbewerb« hergestellt werden sollte, war zwischen Gegnern und Befürwortern der Privatisierung zwar höchst umstritten, traten die einen doch für die Instrumentalisierung öffentlicher Unternehmen im Rahmen einer staatlichen Preis- und Wettbewerbspolitik ein, während die anderen für eine grundsätzliche Trennung von Staat und Wirtschaft und damit einen Rückzug des Staates aus der unternehmerischen Tätigkeit argumentierten. Dass wirtschaftliches Handeln sich allerdings »im Wettbewerb« zu vollziehen hatte, Abweichungen von diesem Grundsatz als »Ausnahmen« zu deklarieren waren und eine marktförmige und wettbewerbsgeleitete Wirtschaft politisch zu garantieren war, zweifelte keiner der beteiligten Akteure an. Diese argumentative Verschränkung von beteiligungs- und wettbewerbspolitischen Fragen belegt damit zugleich die enge Verflechtung der Bereitstellungs- mit der Regulierungsdimension wirtschaftlicher Staatsaufgaben. Wie die Rede von der wirtschaftlichen »Vermachtung« bildete die Bezeichnung »Wettbewerb« einen diskursiven Knotenpunkt, an dem Fäden unterschiedlicher Bedeutungen zusammenliefen. Dass sich diese Verdichtungen beobachten lassen, zeugt zum einen von der kommunikativen Anschlussfähigkeit zentraler Denk- und Redefiguren des Ordoliberalismus, die mit den wirtschaftlichen Erfolgen der »Sozialen Marktwirtschaft« im Laufe der fünfziger Jahre zunahm. Wenn sowohl die Gefahr wirtschaftlicher Machtkonzentration als auch das Ideal ökonomischen Wettbewerbs unhinterfragt blieben, stellten die Schriften des Ordoliberalismus und der Ordnungsentwurf der »Sozialen Marktwirtschaft« offenbar Rede- und Bezeichnungsweisen bereit, mit denen sich erfolgreich argumentieren ließ. Andererseits sind die diskursiven Verdichtungen auch auf 267 Ebd., 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1637. 268 VDB, 2. WP, 182. Sitzung, 10.1.1957, S. 10120. 269 Vom Volkswagen zum Volkskapitalismus, in: Der Spiegel, 20.2.1957.

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den Status von »Wettbewerb« wie von »wirtschaftliche Macht« als leere Signifikanten zurückzuführen. Zuweilen transportierten beide Bezeichnungen nämlich nicht (mehr) wirtschaftswissenschaftliche Bedeutungsgehalte und Implikationen, sondern fungierten als weithin unbestimmte Zustandsbeschreibungen, die – wie »wirtschaftliche Vermachtung« – abzuwenden oder – wie »Wettbewerb« – anzustreben waren. Gerade diese Unbestimmtheit, die sich auch für die Wortverbindung »öffentliches Interesse« beobachten lässt, begründete den Status sowohl von »Wettbewerb« als auch »wirtschaftliche Macht« als politische Begriffe. Diese Beobachtung stützt zudem der Befund, dass beide Bezeichnungen in zahlreichen Aussagen weder definiert noch argumentativ eingeführt, sondern über Sprachbilder und Metaphern plausibilisiert wurden. Als am häufigsten bemühter Bildspender erwies sich hierbei das semantische Feld des Sports. 2.4 Die Aktiengesellschaft als künftige Rechtsform Die Debatten um die unternehmerischen und wirtschaftspolitischen Funktionen des Volkswagenwerkes waren eng mit der Frage verbunden, in welche Rechtsform die »Volkswagenwerk GmbH« zukünftig gekleidet werden sollte. So forderte der Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Zeiss in einem Aufsatz für die Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft: »Wenn die gemeinwirtschaftlichen Aufgaben des Volkswagenwerkes bejaht werden, so muß das Ziel einer Neu­ordnung seiner Rechtsform sein, die Voraussetzungen zu ihrer Durchführung sicher zu stellen.« Zur »Kennzeichnung des gemeinwirtschaftlichen Charakters«270 öffentlicher Unternehmen schlug Zeiss eine eigene Rechtsform für öffentliche Unternehmen vor, die er bereits in einem 1954 veröffentlichten Gesetzesentwurf entwickelt hatte.271 In diesem »Entwurf zu einem Gesetz über öffentliche Unternehmen« formulierte Zeiss zwei wesentliche Grundsätze. Erstens sollte die exklusive Rechtsform für öffentliche Unternehmen deren »öffentliche Funktion«, die für Zeiss in der Erfüllung »gemeinwirtschaftlicher Aufgaben« bestand, hervorheben und »klar zum Ausdruck« bringen. Und zweitens forderte der Ökonom, dass öffentliche Unternehmen »im ausschließlichen Eigentum der öffentlichen Hand« zu stehen hätten. »Die Beteiligung Privater sollte gesetzlich ausgeschlossen werden.«272 Wenn Zeiss’ Vorschlag auch die »gemeinwirtschaftlichen Aufgaben« öffentlicher Unternehmen exponierte, fand dessen Konzeption einer eigenen Rechtsform für Unternehmen der öffentlichen Hand dennoch in den Debatten um die Zukunft des Volkswagenwerkes keinerlei Beachtung. Die Gegner einer Pri270 Zeiss, Vorschläge, S. 58, 62. 271 Zeiss, Entwurf. Die Schrift erschien ebenfalls in der Schriftenreihe der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft e. V., die 1954 noch »Gesellschaft zur Förderung der öffentlichen Wirtschaft e. V.« hieß. 272 Ebd., S. 4; Zeiss, Vorschläge, S. 62.

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vatisierung des VW-Werkes, die ebenfalls auf dessen »gemeinwirtschaftliche Aufgaben« abstellten, plädierten stattdessen dafür, das Unternehmen in eine Stiftung umzuwandeln. Einen in diese Richtung weisenden Vorschlag hatte ein Student bereits im September 1953 in einem Leserbrief an die Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung gefordert, der zu diesem Zeitpunkt von der Öffentlichkeit allerdings weitgehend unbeachtet geblieben war.273 Erst mehr als vier Jahre später griff die SPD-Bundestagsfraktion den Gedanken wieder auf und brachte in die erste Plenardebatte über den VW-Gesetzesentwurf der Bundesregierung im Januar 1958 einen eigenen Antrag ein, der die »Errichtung einer ›Stiftung Deutsches Volkswagenwerk‹« vorsah.274 Als »Stiftungszweck« bezeichneten die beteiligten SPD-Abgeordneten, allen voran Heinrich Deist, »das Volkswagenwerk im Dienste des Gemeinwohls zu führen und mit seinen Überschüssen die Ausbildung des technischen Nachwuchses in der Bundesrepublik zu fördern.« Die postulierte Unternehmensführung »im Dienste des Gemeinwohls« spezifizierten die Abgeordneten durch Verweis auf die unternehmerischen und wirtschaftspolitischen Aufgaben des Volkswagenwerkes, die nach Ansicht der Sozialdemokraten darin bestanden, »breite Bevölkerungsschichten mit einem billigen und guten Kraftwagen zu versorgen« und »den Wettbewerb in der Automobilindustrie zu fördern«.275 Die Stiftung erschien der SPD-Fraktion demnach als geeignete Rechtsform, um das Volkswagenwerk auf eine »marktkonforme Beeinflussung« des Automobilmarktes mit dem Ziel zu verpflichten, »marktbeherrschenden Gruppen« entgegenzuwirken und »wirkliche[n] Wettbewerb auf dem deutschen Automobilmarkt« zu ermöglichen.276 Der Ökonom Achim von Loesch suchte diesen Vorschlag wissenschaftlich zu flankieren und definierte in einem Aufsatz die Rolle des VW-Werkes als die eines »Instrument[s] der Wettbewerbsplanung in oligopolistischen Märkten«.277 Die Wortverbindung »Wettbewerbsplanung« macht allerdings bereits deutlich, dass von Loesch den leeren Signifikanten »Wettbewerb« mit anderen Bedeutungsgehalten füllte. So übernahm er nicht die (ordo-)liberale Dichotomie von »vollständiger Konkurrenz« und auf »Planung« basierender »Zentral­ verwaltungswirtschaft«, auf die sich seine Fachkollegen Hans Ritschl und ­Gisbert Rittig in ihren Begründungen der wirtschaftspolitischen Funktion des Volkswagenwerkes beriefen. Von Loesch lehnte vielmehr diese Gegenüberstellung ab und plädierte für ein Nebeneinander von »Wettbewerb und Planung«, auf dessen Grundlage sich auf ökonomischen Märkten »noch viel besser an den 273 Wem soll das Volkswagenwerk gehören?, in: Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung, 19.9.1953. Vgl. hierzu und zu ähnlichen Überlegungen in der Unternehmensleitung sowie der niedersächsischen Regierung: Nicolaysen, S. 63–65. 274 BT-Drucksache III/145. 275 Ebd. Mit dem Wort »Gemeinwohl« wurde außerdem die Aufgabe des VW-Werkes bezeichnet, »Arbeitsbedingungen, Arbeitsschutz und Ausbildungswesen beispielhaft zu gestalten.« 276 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 256. 277 A. von Loesch, Die »Stiftung Deutsches Volkswagenwerk« als Instrument moderner Wirtschaftspolitik, in: AöfU, Jg. 4, 1958, S. 126–140, hier: S. 134.

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Gleichgewichtspreis herantasten« lasse. Zuweilen wies er dem »Wettbewerb« gar eine nachgeordnete Stellung zu, wenn er vom »Wettbewerb als Instrument der Planung« schrieb und am Ende seines Beitrags hervorhob, »[j]e nach der Marktform« müsse »mehr oder weniger geplant werden, hat der Wettbewerb eine größere oder geringere Funktion«. Die Ausführungen von Loeschs führen somit abermals die Vieldeutigkeit des Wortes »Wettbewerb« vor, das auch innerhalb des ökonomischen Fachdiskurses mit unterschiedlichen Bedeutungen ausgestattet war. Zwar stellten sowohl Rittig und Ritschl als auch von Loesch auf das wirtschaftspolitische Ziel ab, ein »Gleichgewicht« zwischen Angebot und Nachfrage herzustellen. Diese Denkfigur des wirtschaftlichen Equilibriums verbanden die Erstgenannten allerdings ausschließlich mit dem Wort »Wettbewerb«, während von Loesch das Gleichgewichtsziel auch mit der Bezeichnung »Planung« verknüpfte und diesem Begriff eine zentrale Stellung in seiner Konzeption einer »modernen Wirtschaftspolitik« zuwies.278 Die Argumentationsweise der SPD-Bundestagsabgeordneten, deren Vorschlag von Loesch zu unterstützen suchte, wich allerdings hiervon ab, kam das Wort »Planung« in ihren Aussagen doch gar nicht vor. Dies ist insofern überraschend, als von Loeschs Postulat einer Verknüpfung von »Wettbewerb« und »Planung« im Laufe der fünfziger Jahre zunehmend ins Zentrum der von Karl Schiller und Heinrich Deist dominierten sozialdemokratischen Programmdiskussionen geriet. Schillers Idee einer gemischten Wirtschaftsordnung aus »Elemente[n] der staatlichen Planung und des privaten Wettbewerbs«,279 die im Laufe der fünfziger Jahre innerhalb der SPD konsensfähig geworden war, fand denn auch in Gestalt der prägnanten Formel »Wettbewerb soweit wie möglich, Planung soweit wie nötig!« Eingang in das »Godesberger Programm«.280 In den Aussagen der SPD-Fraktion zur VW-Privatisierung fungierte »Wettbewerb« jedoch als weitgehend unspezifizierter Fluchtpunkt wirtschaftspolitischen Handelns. Die SPDFraktion suchte ihren Antrag durch die Bezeichnung »Wettbewerb« plausibel zu machen, die gleichermaßen uneindeutig wie unhinterfragt war, jedoch aus dem Sprachhaushalt der liberalen ökonomischen Theorie stammte. Kern der argumentativen Strategie war demnach, diese Vieldeutigkeit einerseits zu perpetuieren und die Bedeutung von »Wettbewerb« bewusst offen zu lassen. Andererseits sollte die Bezeichnung auch nicht ihrer (ordo-)liberalen Bedeutungsgehalte entledigt und gänzlich umgedeutet werden, um die kommunikative Anschlussfähigkeit der Argumentationsweisen aufrechtzuerhalten. Da die Zeitgenossen mit dem Wort »Planung« eine zentralgelenkte Wirtschaft nach sowjetischem Muster und damit mehrheitlich ein inakzeptables ökonomisches Ordnungsmodell assoziierten, passte das Wort in die argumentative Strategie der SPD offenkundig nicht hinein.

278 Ebd., S. 127, 129, 134, 138. 279 Schiller, Wettbewerb, S. 70. 280 Metzler, Konzeptionen, S. 90; Nützenadel, Stunde, S. 240.

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An Stelle Achim von Loeschs, dessen Verständnis von »Wettbewerb als Instrument der Planung« sich nicht in die argumentative Strategie der SPD-Abgeordneten integrieren ließ, verwies Heinrich Deist in seinem Debattenbeitrag auf einen anderen Stichwortgeber, der bemerkenswerterweise als grundsätzlicher Privatisierungsbefürworter in Erscheinung trat. So verfasste der Aktienrechtler Curt Eduard Fischer große Teile der erwähnten monographischen Schriften des Steuerzahlerbundes, in denen er vehement die Privatisierung von Bundesunternehmen forderte. Dem Volkswagenwerk wies Fischer jedoch in mehreren Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen281 eine Sonderstellung zu: »Ausschließlich im Hinblick auf die in der Bundesrepublik einmalige MarktmachtPosition des Volkswagenwerkes in seinem Wirtschaftszweig dürften in diesem Falle die markt- und volkswirtschaftlichen Gefahren aus einer Privatisierung als AG. größer zu veranschlagen sein, als die klar auf der Hand liegenden Vorzüge dieser Lösung, nämlich dem ›schleichenden Staatskapitalismus‹ an einem bedeutungsvollen Punkt ein entschiedenes Halt geboten zu haben.«282

Fischer wies hiermit das VW-Werk zwar als »einmalige« Abweichung vom präferierten Weg der Privatisierung aus. Da er hierbei allerdings auf die »Gefahren« der wirtschaftlichen Machtbildung referierte, waren seine Aussagen in den­selben Begründungszusammenhang eingepasst, der auch den Stiftungsvorschlag der SPD-Fraktion plausibel machen sollte. Demzufolge fiel es Heinrich Deist leicht, Fischer als Gewährsmann zu zitieren, der erstens den »Auffassungen« der Privatisierungsanhänger »näher stehen dürfte«, und der zweitens dennoch konstatierte, der deutsche Automobilmarkt sei »weit davon entfernt, als Markt mit vollständigem Wettbewerb funktionieren zu können«, und der vor der »gefährliche[n] Marktmacht des Volkswagenwerkes« sowie »große[n] wirtschaftspolitische[n] Gefahren« warnte.283 Um diese Gefährdungslagen zu vermeiden, schlug Fischer in Anlehnung an die Schriften des Aktienrechtlers Georg Stickrodt284 für das Volkswagenwerk ebenfalls die Rechtsform der Stiftung vor, die das Unternehmen seiner Ansicht nach sowohl vor den Begehrlichkeiten »privatwirtschaftliche[r] Kapitalmacht« bewahren als auch den »Einfluß der öffentlichen Hand […] auf das Mindestmaß der Zuständigkeit für die Überwachung der Einhaltung der gesetzten Stiftungssatzung« reduzieren konnte.285 Die Befürworter einer Privatisierung des Volkswagenwerkes suchten diese Idee der Stiftung als Rechtsform auf unterschiedliche Weise zu deplausibilisieren. Der CDU-Abgeordnete Fritz Hellwig etwa sprach dem Stiftungsvorschlag seinen »Ausnahmecharakter« ab und wollte »bei der SPD ein ganz grundsätz281 C. E. Fischer, Das Volkswagenwerk als Stiftungsunternehmen, in: AöfU, Jg. 4, 1958, S. 98– 125; Mehr Realismus bei Privatisierungsversuchen, in: Industriekurier, 7.1.1958. 282 Fischer, Volkswagenwerk, S. 113. 283 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 272, 273. Hier zitierte Deist Fischers Beitrag im Industriekurier: Mehr Realismus bei Privatisierungsversuchen, in: Industriekurier, 7.1.1958. 284 Stickrodt. Fischer, Volkswagenwerk, S. 114–115. 285 Ebd., S. 115.

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liches Bekenntnis zur Stiftung als Rechtsform für zu vergesellschaftende Unternehmungen« erkannt haben. Indem er den Sozialdemokraten eine solche Politik der »Vergesellschaftung« und der »Nationalisierung« attestierte, die auf die Bildung von »Gemeineigentum«, die »Nationalisierung des ganzen Industriezweiges« und eine »staatliche Wirtschaftsplanung« abziele, wies Hellwig den Stiftungsvorschlag der SPD als unvereinbar mit dem Konzept der »Sozialen Marktwirtschaft« und damit als undurchführbar zurück.286 Der DP-Abgeordnete Alexander Elbrächter übernahm diese Abgrenzungsstrategie, indem er betonte, eine »Stiftung wäre doch weiter nichts als eine Verlagerung von kollektivem Eigentum vom Staat zu einem anderen kollektiven Unternehmer.«287 Sein Fraktionskollege Victor-Emanuel Preusker referierte abermals auf die Gefährdung des Wettbewerbs, der das Unternehmen in Form einer Stiftung nicht begegnen könne. Da das VW-Werk als Stiftung »am Kapitalmarkt nicht emissionsfähig« und deshalb zur Kapitalisierung auf Preise »angewiesen« wäre, würde die den Wettbewerb gefährdende Selbstfinanzierung, die Preusker in Anlehnung an die gebräuchliche Krankheitsmetaphorik als »Krebsübel« bezeichnete, noch vergrößert.288 Darüber hinaus warnten sowohl Schatzminister Lindrath und der Wirtschaftsjournalist Franz Reuter als auch Achim von Loesch vor dem Verlust von Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten, der sich mit der Stiftungslösung verbinde. Lindrath bemängelte, dass das Volkswagenwerk in Form einer Stiftung »der öffentlichen Kontrolle entzogen« würde.289 Bei Reuter und von Loesch war die Redefigur des Kontrollverlust gekleidet in die Warnung vor einem »Regime der Manager«290 und »der Verwirklichung der Idee des Unternehmens an sich«, derzufolge »die Manager unter sich zu lassen« und auf keinerlei öffentliche Aufgaben zu verpflichten wären. Während von Loesch dafür plädierte, dem Kontrollmangel durch eine hinreichend spezifische Definition des Stiftungszwecks zu begegnen, lehnte Reuter die Unternehmensform der Stiftung prinzipiell ab und fügte an: »Diese paßt in eine soziale Marktwirtschaft grundsätzlich nicht hinein.«291 Während das Plädoyer der Privatisierungsgegner, das VW-Werk als Ganzes in eine Stiftung umzuwandeln, sich somit direkt aus der Konzeption des Unternehmens als Garant ökonomischen Wettbewerbs ergab, wiesen diejenigen Vorschläge in eine andere Richtung, die Fragen der Neubestimmung von wirtschaftlichen Aufgaben, Rechtsform und Besitzverhältnissen des Volkswagenwerkes mit dem Vorschlag zur Neugründung einer Stiftung zum Zwecke der Wissen­schaftsförderung verbanden. Diese Konzeption, die auch der im Mai 1961 schließlich gegründeten »Stiftung Volkswagenwerk« zugrunde lag, wich in wesentlichen Punkten von den vorgenannten Vorschlägen ab. So fand sich zwar 286 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 259, 260. 287 Ebd., S. 268. 288 Ebd., S. 283. 289 Ebd., S. 279. 290 von Loesch, Stiftung, S. 137. 291 Volkswagenwerk und Volksaktie, in: Der Volkswirt, 1.2.1958.

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auch im Antrag der SPD-Fraktion der »Stiftungszweck«, die »Ausbildung des technischen Nachwuchses in der Bundesrepublik zu fördern«.292 Allerdings verband sich hiermit die Absicht, das Unternehmen vollständig in die Rechtsform der Stiftung zu kleiden. Das Modell, das zuletzt in die Gründung der Volkswagenstiftung mündete und seit Mitte des Jahres 1957 von dem Journalisten Giselher Wirsing und dem Juristen Reinhold Schairer öffentlichkeitswirksam propagiert wurde, sah demgegenüber vor, das Volkswagenwerk in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln und einen bestimmten Teil des Aktienkapitals in die neu zu gründende Wissenschaftsstiftung einzubringen. Für das Volkswagenwerk war demzufolge eine privatrechtliche Unternehmensform vorgesehen, welche die Privatisierung des Unternehmens ermöglichte. Hier kann nicht der Ort sein, die Entstehung der »Stiftung Volkswagenwerk« ausführlich und umfassend nachzuzeichnen.293 Denn hier geht es erstens nicht um unternehmensspezifische Besonderheiten, sondern um eine allgemeine Analyse der frühen bundesdeutschen Privatisierungsvorhaben, die mit Blick auf die Privatisierung des Volkswagenwerkes vertieft wird. Zweitens richtet sich diese Analyse nicht auf die Frage nach dem Verwendungszweck der Kapitalerträge oder der Erlöse aus der Privatisierung des Volkswagenwerkes, die der Idee einer Wissenschaftsstiftung zugrunde lag. Vielmehr interessiert der politische Charakter der Diskussionen um die Zukunft des Volkswagenwerkes, der auf den Anspruch der beteiligten Akteure verweist, das Verhältnis von Staat und Wirtschaft verbindlich zu definieren. 2.5 »Soziale Privatisierung« durch Ausgabe von »Volksaktien« Die Privatisierungsanhänger, die für eine grundsätzliche Trennung von Staat und Wirtschaft und die Umwandlung des Volkswagenwerkes in eine Aktiengesellschaft eintraten, distanzierten sich nicht nur in der gezeigten Weise vom Vorschlag, das VW-Werk in eine Stiftung zum Zweck einer aktiven Marktbeeinflussung umzuwandeln, sondern waren zugleich bestrebt, die von ihnen geforderten Privatisierungsmaßnahmen zu einem gesellschaftspolitischen Projekt zu erklären. So betonte Bundesschatzminister Hermann Lindrath wiederholt, mit dem wirtschaftspolitischen Ziel der Privatisierung bundeseigener Unternehmen verbinde sich die »gesellschaftspolitische Zielsetzung« der Bundesregierung, »zu einer breiteren Streuung des Eigentums an den Produktions­mitteln zu gelangen«.294 Diese Redefigur der Verbindung zweier unterschiedlicher Ziele, 292 BT-Drucksache III/145, S. 1. 293 Vgl. Nicolaysen. 294 VDB, 3. WP, 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1637. Ebenso argumentierte Lindrath bei seiner über den Bayerischen Rundfunk versandten Ansprache, in der er die »Streuung von Eigentum« als »ein sozialpolitisches Anliegen« bezeichnete; Das Ziel der Privatisierung von Bundesvermögen, in: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Nr. 45, 7.3.1958, Zit. S. 400.

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derer sich beispielsweise auch der DP-Abgeordnete Alexander Elbrächter zur Begründung des ersten Entwurfs zur VW-Privatisierung bediente,295 nahm der FAZ-Journalist Heinz Brestel auf und kommentierte, mit der Privatisierung des Volkswagenwerkes sollten »[z]wei Fliegen mit einer Klappe […] geschlagen werden.«296 Das Verhältnis der beiden Regierungsziele zueinander war in den einzelnen Aussagen zwar unterschiedlich definiert.297 So ging Franz Reuter in einem Artikel für den Volkswirt von der »Grundidee« aus, dass es »nicht Aufgabe des Staates sein« könne, »sich erwerbswirtschaftlich zu betätigen«. Die »Streuung des Eigentums« wiederum komme zu dieser Grundidee »hinzu«.298 Die Redner der CDU-Bundestagsfraktion hingegen suchten ihre Privatisierungsabsichten mehrfach als Bestandteil einer umfassenderen Eigentumspolitik darzustellen. Diese Lesart vertrat der Abgeordnete Hans Katzer mit besonderem Nachdruck, indem er ausführte: »Unser gesellschaftspolitisches Ziel heißt nicht: Privatisierung des Bundesvermögens, sondern es heißt: Eigentum für jeden«. Die »Privatisierung des Bundesvermögens« sei hierbei lediglich ein Baustein, »ein erster, aber sehr sinnvoller Anfang«.299 Schatzminister Lindrath gewichtete das Verhältnis beider Ziele auf ähnliche Weise, wenn er als das »erklärte Ziel der Bundesregierung« formulierte, »mit der Privatisierung des erwerbswirtschaftlichen Bundesvermögens einen wesentlichen Beitrag zur Bildung von Eigentum […] zu leisten«.300 An anderer Stelle stellte er hingegen die Gleichwertigkeit beider Bestrebungen heraus und betonte die »Einheit« der »gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Ziele«.301 Gleichwohl eröffnete die Verbindung des primär ordnungspolitisch angeleiteten Privatisierungsgedankens mit dem gesellschaftspolitischen Postulat der Eigentumsbildung, die insbesondere die CDU seit ihrem Hamburger Bundesparteitag 1957 mit Nachdruck propagierte, einen weiteren Begründungszusammenhang, in den sich die Privatisierungsvorhaben der fünfziger und sechziger Jahre einpassen ließen. Die politischen Ziele der Privatisierung und der Eigentumsbildung gehörten in den Aussagen der Regierungsvertreter fortan unauflöslich zusammen. Augenscheinlich wird dieser Zusammenhang im Bestreben der CDU-Bundestagsfraktion, die eigenen Vorhaben als »soziale Privatisierung« zu etikettieren und auf diese Weise von den Privatisierungspostulaten der FDP-Fraktion abzugrenzen. Der Abgeordnete Hans Katzer führte diese Strategie eindrücklich vor, als er gegenüber dem Bundestagsplenum über den »Unterschied zwi295 VDB, 2. WP, 182. Sitzung, 10.1.1957, S. 10120. 296 Die Premiere der Volksaktie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.5.1957. 297 Für eine genauere Einordnung der Privatisierungsvorhaben in die allgemeine Vermögenspolitik der frühen Bundesrepublik, die zugleich auf inhaltliche Auseinandersetzungen und Neupositionierungen innerhalb der CDU verweist, vgl. Dietrich. 298 Privatisierung und Eigentumsbildung, in: Der Volkswirt, 21.6.1958. 299 VDB, 3. WP, 63. Sitzung, 20.2.1959, S. 3407. 300 Ebd., S. 3388. 301 Breite Streuung des Eigentums, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 4.3.1959, Zit. S. 42.

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schen den Überlegungen der FDP und unseren Absichten« sprach. So warf er der FDP-Fraktion vor, »nur einen wirtschaftlichen Ausgangspunkt bei der Privatisierung zu kennen«. Die CDU hingegen verfolge »neben diesem wirtschaftlichen Ausgangspunkt auch gesellschaftspolitische Ziele. Wir wollen eine breite Eigentumsstreuung in Personenhand.« Diesen Gegensatz zwischen rein wirtschaftspolitisch fundierten und gesellschaftspolitischen Zielen spitzte Katzer noch weiter zu, indem er die Absichten der FDP schlicht mit dem Wort »Privatisierung« etikettierte, dem er »soziale Privatisierung« als Label für die gesellschaftspolitischen Ziele der Regierung gegenüberstellte.302 Auch Schatzminister Lindrath, in dessen Ausführungen zur Privatisierung des Bundesvermögens die Wortverbindung »soziale Privatisierung« vielfach vorkam,303 bediente sich dieser Abgrenzungsstrategie, wenn er den FDP-Abgeordneten Karl Atzenroth mit der Feststellung konfrontierte, »daß die Privatisierung nur gerechtfertigt ist, wenn sie zugleich gesellschaftspolitische Ziele verwirklicht, die Sie nur wenig angesprochen haben.«304 Die Wortverbindung »soziale Privatisierung« diente allerdings nicht allein der Abgrenzung von den Privatisierungsvorschlägen der Freien Demokraten, sondern bettete die Privatisierungspläne der Regierung zugleich in das rahmende Ordnungsmodell der »Sozialen Marktwirtschaft« ein. Wie die Bezeichnung »Soziale Marktwirtschaft« für eine »Synthese« aus wettbewerbsbasierter Wirtschaft und gesellschaftspolitischen Maßnahmen stehen sollte,305 repräsentierte nämlich auch »soziale Privatisierung« eine Verbindung des ordnungspolitisch begründeten Rückzugs des Staates aus der unternehmerischen Tätigkeit mit der sozialpolitisch motivierten Eigentumsbildung in breiten Bevölkerungsschichten – und damit ein politisches Projekt, das die Grundgedanken der »Sozialen Marktwirtschaft« bestätigen und aktualisieren sollte. Diese Absicht, die Privatisierungen der noch jungen Bundesrepublik zu einem Projekt der Selbstvergewisserung über deren Wirtschaftsordnung zu erheben, bekräftigte insbesondere Schatzminister Lindrath, indem er Privatisierungen mit dem Ziel der Eigentumsbildung als »Element der sozialen Marktwirtschaft« bezeichnete306 und das politische Ziel ausgab, »die soziale Marktwirtschaft zu sichern und auszubauen.«307 Wirtschaftsminister Erhard ordnete die Privatisierungsabsichten ebenfalls ein in den »natürlichen Trend der eingeschlagenen Wirtschaftspolitik, die wir durch neun Jahre […] durchgeführt haben«, und kennzeichnete die »soziale Privatisierung« damit als folgerichtiges wirtschaftspolitisches Vorhaben.308 302 VDB, 3. WP, 107. Sitzung, 16.3.1960, S. 5865. 303 Beispielsweise in: Breite Streuung des Eigentums, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 4.3.1959; Die neuen Aktionäre, in: Handelsblatt, 20.12.1959. 304 VDB, 3. WP, 63. Sitzung, 20.2.1959, S. 3389. 305 So die wirkmächtige Formulierung in: Müller-Armack, Wirtschaftsordnung, S. 76. 306 VDB, 3. WP, 63. Sitzung, 20.2.1959, S. 3388. 307 Ebd., 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1636. 308 VDB, 2. WP, 214. Sitzung, 31.5.1957, S. 12603.

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Diesem Ansinnen entsprach auch das Bestreben der Privatisierungsbefürworter, die Privatisierung des Volkswagenwerkes – wie auch die übrigen Privatisierungsprojekte der fünfziger und sechziger Jahre – als zentrale Aufgabe für die »zweite Phase der sozialen Marktwirtschaft« auszuweisen. Insbesondere Schatzminister Lindrath,309 Wirtschaftsminister Erhard310 und der vormalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold311 reproduzierten die Redefigur zweier Phasen der »Sozialen Marktwirtschaft« und unterschieden in Anlehnung an Alfred Müller-Armack eine erste Periode »des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus«312 von einer zweiten Phase, in der gesellschaftspolitische Zielsetzungen und damit insbesondere »die Frage der Eigentumsbildung in den Vordergrund gestellt werden« sollten.313 Das Sprechen von »zwei Phasen« der »Sozialen Marktwirtschaft« referierte hierbei nicht nur auf die Veränderung politischer Schwerpunkte, sondern auch auf »Soziale Marktwirtschaft« als gleichbleibenden referentiellen Bezugspunkt und wies damit die »soziale Privatisierung« als ein die bundesrepublikanische Wirtschaftsordnung bestätigendes und festigendes Projekt aus. Und nicht zuletzt knüpften die Privatisierungsverfechter in ihrem Ansinnen, mit der »sozialen Privatisierung« ordnungs- mit gesellschaftspolitischen Zielsetzungen zu verbinden, auch an wirkmächtige Bedeutungsimplikate an, mit denen die Formel »Soziale Marktwirtschaft« versehen war. So prägte bereits das ordoliberale Schrifttum die Annahme vom Privateigentum als Grundprinzip einer marktbasierten Wirtschaftsordnung, die Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke konsequent in ihre gesellschaftspolitischen Überlegungen mit dem Ziel der »Förderung des Kleineigentums der Massen« integrierten.314 Als Exponent der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft trat Röpke auch im Laufe der fünfziger Jahre öffentlichkeitswirksam für diese Überlegungen ein, indem er »Soziale Marktwirtschaft« – neben der freien Preisbildung auf Märkten – über das Prinzip des Privateigentums definierte und forderte, »die Massen des Volkes durch echtes privates Eigentum an dem wachsenden Reichtum der 309 Lindrath; Das Ziel der Privatisierung von Bundesvermögen, in: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Nr. 45, 7.3.1958; VW-Privatisierung geht alle an!, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 124, 14.7.1959; Breite Streuung des Eigentums, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 42, 4.3.1959. 310 Erhard steht zur Volksaktie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.8.1957; Miteigentum durch Volksaktie, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 126, 13.7.1957. 311 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 252; ACDP, 7. Bundesparteitag der CDU, 11.–15. Mai 1957, Hamburg, S. 156. 312 Das Ziel der Privatisierung von Bundesvermögen, in: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Nr. 45, 7.3.1958. 313 So Karl Arnold vor dem Plenum des Deutschen Bundestages; VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 252. 314 Röpke, Wirtschaftspolitik, S. 59.

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Volkswirtschaft zu beteiligen«.315 Dieses Postulat der breiten Eigentumsbildung war einerseits auf die ordoliberale Denkfigur vom Privateigentum als Ermöglichungsbedingung einer Wettbewerbsordnung bezogen. Andererseits verband sich hiermit der Anspruch, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik miteinander zu verbinden. Und ebendiese Verbindung sollte dem Projekt der »sozialen Privatisierung« zusätzliche Plausibilität verschaffen. In den Aussagen über die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen für die »zweite Phase der sozialen Marktwirtschaft« ist überdies bereits die zentrale argumentative Funktion der Wörter »Eigentum« und »Privateigentum« zu erkennen. Insbesondere in den Aussagen der politischen Entscheider fungierten beide Bezeichnungen als uneindeutige Zielprojektionen und als Fluchtpunkte politischen Handelns, wenn etwa der DP-Abgeordnete Alexander Elbrächter »die Schaffung von Eigentum« in Verbindung mit einem »Bekenntnis zum Privateigentum« als politisches Ziel formulierte,316 sein CDU-Kollege Fritz Burgbacher die »Schaffung von Eigentum in Personenhand« forderte,317 Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard im Spiegel-Interview die »Überführung bundeseigener Betriebe in privates Eigentum« als »unumgänglich« bezeichnete318 oder der DPAbgeordnete Victor-Emanuel Preusker sich zum »Prinzip des privaten Eigentums« bekannte.319 Für die semantische Offenheit und Unbestimmtheit spricht auch, dass Erhard beispielsweise die Bezeichnung »Miteigentum« bevorzugte.320 Die politische Zielsetzung der Eigentumsbildung spezifizierten die Verfechter der VW-Privatisierung lediglich dahin gehend, dass sie eine »breite Streuung von Eigentum« befürworteten, wie Schatzminister Lindrath,321 Wirtschaftsminister Erhard322 und die Bundestagsabgeordneten Alexander Elbrächter von der 315 So etwa bei einem Vortrag anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Währungsreform: Röpke, Jahrzehnt, S. 43, Zit. S. 17. 316 VDB, 2. WP, 214. Sitzung, 31.5.1957, S. 12596, 12599. 317 Ebd., 3. WP, 63. Sitzung, 20.2.1959, S. 3402. 318 Vom Volkswagen zum Volkskapitalismus, in: Der Spiegel, 20.2.1957. 319 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 284. 320 Miteigentum durch Volksaktie, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 126, 13.7.1957; Vom Volkswagen zum Volkskapitalismus, in: Der Spiegel, 20.2.1957. Wie Yorck Dietrich gezeigt hat, entstammte das Wort »Miteigentum« dem Sprachgebrauch der Katholischen Soziallehre, wo es jegliche Form privater Vermögensbildung bezeichnete. Im Laufe der vermögenspolitischen Auseinandersetzungen innerhalb der CDU im Allgemeinen und des Arbeitnehmerflügels im Besonderen sei die Bedeutung allerdings auf eine Gewinn- und Kapitalbeteiligung von Arbeitnehmern verengt worden; Dietrich, S. 56–61. Erhard übernahm diese verengte Bedeutung in den zitierten Aussagen offenbar nicht, sondern weitete den Bedeutungsgehalt wieder aus. 321 Das Ziel der Privatisierung von Bundesvermögen, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 45, 7.3.1958; Privatisierung des industriellen Bundesvermögens, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 232, 14.12.1957; Breite Streuung des Eigentums, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 42, 4.3.1959. 322 ACDP, 7. Bundesparteitag der CDU, 11.–15. Mai 1957, Hamburg, S. 148.

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DP, Rudolf Vogel, Fritz Hellwig sowie Hans Katzer von der CDU und Karl Atzenroth von der FDP323 mehrfach betonten. Dass die Bezeichnungen »Eigentum« und »Privateigentum« den Status leerer Signifikanten erhielten, die nicht mit konkreten, trennscharfen Bedeutungen ausgestattet waren, sondern insbesondere aufgrund ihrer Uneindeutigkeit integrierend wirkten, zeigen auch die verschiedenen Strategien, mit denen die Privatisierungsbefürworter beide Wörter zu plausibilisieren suchten. So definierten Lindrath, dessen CDU-Fraktionskollege Hellwig und der DP-Abgeordnete Elbrächter »privates Eigentum« einerseits ex negativo, unterschieden sie diese Bezeichnung doch von den Wortverbindungen »Gemeineigentum« und »kollektives Eigentum«, mit denen sie die Absicht assoziierten, »Eigentum zu neutralisieren und der Privatwirtschaftsordnung […] zu entziehen«.324 Demnach stand, wie Schatzminister Lindrath schrieb, »das kollektive, das gebundene Eigentum dem individuellen, dem freien Eigentum gegenüber.«325 Erhard perpetuierte diese Unterscheidung ebenfalls, indem er zwei Formen von »Miteigentum« unterschied. Dabei stellte er »echte[m] Miteigentum, über das der Träger nach eigener Entscheidung frei verfügen kann«, »jenes andere Miteigentum« gegenüber, »das dem Staatsbürger einen anonymen, nicht verwertbaren und deshalb praktisch sinnlosen Beteiligungsanspruch an kollektiv verwalteten Vermögensmassen […] begründen soll«.326 Diese Leitunterscheidung von Privateigentum und Kollektiveigentum, die den Schriften des Ordoliberalismus entlehnt war, diente insbesondere der Abgrenzung und Profilierung gegenüber den Wirtschaftsordnungsvorstellungen der Sowjetunion und der DDR. So bezeichnete der DP-Abgeordnete Elbrächter »das Bekenntnis zum Privateigentum« als »eine der Grundlagen der westlichen Gesellschaft«327 und wollte sein CDU-Kollege Erwin Häussler mit der VW-Privatisierung »den Unterschied der Wirtschaftsgesellschaftsauffassung von Ost und West mit nicht zu überbietender Deutlichkeit herausstellen«.328 Karl Arnold führte diese Unterschiede zu »Mitteldeutschland« auf »die bolschewistische Lehre« im Anschluss an die »Theorie von Karl Marx« zurück, auf deren Grundlage »aus den arbeitenden Schichten […] ein anonymes Kollektiv ohne individuelle Persönlichkeitsrechte« entstanden sei.329 Schatzminister Lindrath wiederum bediente sich zentraler Begriffe marxistischer Theoriebildung und wollte mit den Privatisierungsmaßnahmen »einen Schlußstrich unter den unheilvollen Klassenkampf der ›Produktionsfaktoren‹ 323 VDB, 2. WP, 182. Sitzung, 10.1.1957, S. 10120–10121; ebd., S. 10141; VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 261; ebd., 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1647; ebd., 63. Sitzung, 20.2.1959, S. 3385. 324 VDB, 3. WP, 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1636; ebd., 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 268; ebd., S. 260. 325 So Lindrath im Vorwort zu Ferrari, S. 3. 326 Miteigentum durch Volksaktie, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 126, 13.7.1957, Zit. S. 1190; beinahe wortgleich in: Vom Volkswagen zum Volkskapitalismus, in: Der Spiegel, 20.2.1957. 327 VDB, 2. WP, 214. Sitzung, 31.5.1957, S. 12596. 328 Ebd., 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 277. 329 Ebd., S. 253.

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Arbeit und Kapital […] ziehen«330, um damit die »ideelle und materielle Überwindung der marxistischen Klassenkampflehre« einzuleiten331 und »ein Bollwerk zu errichten gegen den Kommunismus«.332 Die Unterscheidung von »Eigentum« und »Privateigentum« hier von »Gemeineigentum« oder »Kollektiveigentum« dort, die vor allem auf die Abgrenzung zum östlichen Teil Deutschlands zielte, stand in direktem Zusammenhang mit dem Bestreben, beide Wörter darüber hinaus mit positiven Bedeutungen auszustatten. Zu diesem Zweck bedienten sich die Befürworter der »sozialen Privatisierung« weiterer unkonkreter und deutungsoffener Signifikanten, die sie zu den Wörtern »Eigentum« und »Privateigentum« in Beziehung setzten. So bezeichnete Karl Arnold, der bereits auf dem Hamburger Parteitag der CDU für das Ziel der Eigentumsbildung geworben hatte, das »persönliche Eigentum« als »Fundament der Freiheit« und betonte, »daß persönliche Freiheit ohne ein Maß von persönlichem Eigentum nicht möglich« sei.333 Auf diesen inhärenten Zusammenhang von »Eigentum« und »Freiheit« stellten auch weitere Aussagen von Regierungsvertretern ab. Der CDU-Abgeordnete Häussler etwa sagte: »Eigentum ist die Basis der Freiheit.«334 Für Schatzminister Lindrath war »wirkliche Freiheit ohne frei verfügbares privates Eigentum nicht denkbar«.335 In seiner Rede stellte der CDU-Abgeordnete Theodor Blank heraus: »Nur über das persönliche Eigentum geht der Weg zu mehr Freiheit«,336 und Wirtschaftsminister Erhard betonte, »[m]it dem Eigentum würden die Menschen erst frei«.337 Eine weitere Gruppe von Aussagen verband die Signifikanten »Freiheit« und »Privateigentum« wiederum mit der Entwicklung einer staatsbürgerlichen Identität und Individualität, auf die insbesondere die Wörter »Persönlichkeit« und »Unabhängigkeit« referierten. Karl Arnold beispielsweise nannte es »unbestreitbar, daß die verantwortungsbereite und zur Verantwortung fähige Persönlichkeit nur in einer Atmosphäre der Freiheit herangebildet werden« könne und forderte, »dem Staatsbürger die Freiheit und Unabhängigkeit« zu sichern.338 In einem Aufsatz für das »Politische Jahrbuch« der CDU zählte Bundesschatzminister Lindrath die »Schaffung von Eigentum« zu den »zwingenden Voraussetzungen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit« und definierte die politische »Aufgabe«, »dem 330 Mit diesen Worten zitierte Der Spiegel Lindrath; Bonbon des Jahrhunderts, in: Der Spiegel, 18.2.1959. 331 Das Ziel der Privatisierung von Bundesvermögen, in: Bulletin des Presse- und Informa­ tionsamtes der Bundesregierung, Nr. 45, 7.3.1958, Zit. S. 400. 332 Ferrari, S. 3. 333 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 252, 253. 334 Ebd., S. 277. 335 VW-Privatisierung geht alle an!, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 124, 14.7.1959, Zit. S. 1270. Mit dieser Aussage wird Lindrath auch zitiert in: Ferrari, S. 35. 336 VDB, 2. WP, 214. Sitzung, 31.5.1957, S. 12584. 337 Erhard steht zur Volksaktie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.8.1957. 338 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 253.

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Einzelnen durch die Schaffung von Privateigentum die wirtschaftliche und persönliche Unabhängigkeit zu verschaffen.«339 Der CDU-Abgeordnete Blank wiederum betonte: »Zur Entfaltung der menschlichen Person ist Eigentum eine der bedeutsamsten Voraussetzungen.«340 Für Ludwig Erhard ging es um die »Befreiung des Menschen aus kollektivistischen Bindungen«,341 so »daß er in freier individueller Entscheidung Herr seines eigenen Schicksals« sei.342 Denn, so schrieb der Bundeswirtschaftsminister in der Zeit, »Eigentum macht aus geistiger Bevormundung frei. Wer sein Leben […] gestalten kann, ist stark. Er hat es nicht länger nötig, seine Existenz von der Funktionärswillkür in irgendeinem Kollektiv abhängig zu machen.«343 Das Wort »Kollektiv«, das wie auch das Kompositum »Kollektiveigentum« als Kontrastbezeichnung fungierte, referierte auf die »Art der Vergesellschaftung« in der Sowjetunion und der DDR. In den Worten Karl Arnolds: »Aus den arbeitenden Schichten hat man [dort] ein anonymes Kollektiv ohne individuelle Persönlichkeitswerte gemacht. Das ist das Ergebnis der vom Osten in die Praxis übersetzten Marxschen Lehre.«344 Ferner verbanden die Privatisierungsbefürworter »Eigentum« und »Privateigentum« mit der ebenfalls deutungsbedürftigen Bezeichnung »Sicherheit«, wenn etwa der DP-Abgeordnete Elbrächter die »Frage des Eigentums« auch auf die »wirtschaftliche Sicherheit« bezog345 oder Schatzminister Lindrath betonte, dass »der einzelne mit dem Verlust des Eigentums oft auch den Verlust seiner Sicherheit und seiner bürgerlichen Existenz in Kauf nehmen« müsse.346 Eine dritte Plausibilisierungsstrategie, die hiermit in engem Zusammenhang stand, zielte schließlich darauf, die Bezeichnungen »Eigentum« und »Privateigentum« unter Rückgriff auf geistesgeschichtliche Anleihen mit Bedeutung zu versehen. Wenn Lindrath beispielsweise »Eigentum«, »Sicherheit« und staatsbürgerliche »Identität« miteinander verknüpfte, berief er sich auf den Staatstheoretiker John Locke, »der bereits vor mehr als 200 Jahren auf die große politische Bedeutung des Eigentums für den einzelnen Staatsbürger« hingewiesen habe.347 Karl Arnold wiederum berief sich auf die theologisch fundierte Naturrechtslehre und erhob »Eigentum« sogar zu einem »Naturrecht, das vom Schöpfer dem Menschen verliehen worden« sei.348

339 Lindrath, S. 94. 340 VDB, 2. WP, 214. Sitzung, 31.5.1957, S. 12584. 341 Über die Volksaktie, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 126, 27.7.1957, Zit. S. 1298. 342 ACDP, 7. Bundesparteitag der CDU, 11.–15. Mai 1957, Hamburg, S. 151. 343 Wie stehen die Aktien?, in: Die Zeit, 18.7.1957. 344 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 253. 345 Ebd., S. 267. 346 Breite Streuung des Eigentums, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 42, 4.3.1959, Zit. S. 398. 347 Ebd. 348 VDB, 3. WP, 8. Sitzung, 22.1.1958, S. 252.

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Die beschriebenen argumentativen Verwendungsweisen der Signifikanten »Eigentum« und »Privateigentum« zielten folglich mitnichten darauf ab, beide Wörter eindeutig und trennscharf zu definieren. Gerade deren Uneindeutigkeit prädestinierte sie vielmehr für die Verwendung in politischen Kommunikationszusammenhängen und war Voraussetzung für ihre argumentative Anschlussfähigkeit. Indem die Privatisierungsbefürworter einen Zusammenhang zwischen »Eigentum«, »Freiheit« und »Persönlichkeit« herstellten, eröffneten sie einen weiteren Begründungshorizont, vor dem sich die geplanten Privatisierungen als »soziale Privatisierungen« mit dem Ziel der Eigentumsbildung legitimieren ließen. Konkrete Gestalt sollte das politische Ziel der »sozialen Privatisierung« in dem Vorhaben annehmen, Unternehmen des Bundes »über das Mittel der Volksaktie in den Besitz weitester Volkskreise zu überführen«.349 Laut Schatzminister Lindrath zielte die so genannte »Volksaktienbewegung«350 der Bundesregierung darauf ab, »breiten Kreisen unseres Volkes« die Möglichkeit zu eröffnen, »sich an den großen Unternehmen der Wirtschaft zu beteiligen«.351 Allerdings war mit dem Wortpaar »Volksaktie« keine trennscharfe Begriffsdefinition verbunden. Das Kompositum aus »Volk« und »Aktie« war vielmehr als Leerformel konzipiert, die sich politisieren und mit unterschiedlichen symbolischen Implikaten ausstatten ließ. Lindrath war denn auch gar nicht um eine konkrete Definition der Merkmale einer »Volksaktie« bemüht, als er im Bundestag unumwunden herausstellte: »›Volksaktie‹ ist ein politischer Begriff, dessen Inhalt in die Vorstellungswelt sehr großer Kreise unseres Volkes Eingang gefunden hat.«352 Einem Bericht des Spiegel zufolge interessierte sich auch Wirtschaftsminister Erhard für keinerlei Fragen »nach Details der Volksaktien«, die er mit dem Satz »Da müssen die Techniker ran.« zu beantworten pflegte.353 Für den politischen Charakter der Bezeichnung »Volksaktie« spricht zudem, dass sie in den Gesetzesentwürfen zur VW-Privatisierung keine Erwähnung fand. Die Wortverbindung diente mithin vorrangig als Bedeutungs- und Bildspender, mit dem sich die Privatisierungsvorhaben der Bundesregierung in zusätzliche Verweiszusammenhänge ein­betten ließen. So nahm das »Volksaktienprogramm« semantische Anleihen bei einem gesellschaftstheoretischen Ordnungsentwurf, für den seit Mitte der fünfziger Jahre die Bezeichnung »Volkskapitalismus« gebräuchlich geworden war. »Volkskapitalismus« soll im Folgenden jedoch keineswegs als analytischer »Ordnungsbegriff« fungieren, unter dem sich sämtliche vermögenspolitische Vorschläge und Konzeptionen der fünfziger und frühen sechziger Jahre versammeln ließen.354 349 ACDP, 7. Bundesparteitag der CDU, 11.–15. Mai 1957, Hamburg, S. 153. 350 Lindner. 351 Lindrath, S. 94–95. 352 VDB, 3. WP, 63. Sitzung, 20.2.1959, S. 3386. 353 Bonbon des Jahrhunderts, in: Der Spiegel, 18.2.1959. 354 Vor einer derartigen Verwendung des Wortes »Volkskapitalismus« als Terminus historischer Analyse warnt vor allem: Dietrich, S. 116–117, Zit. S. 117.

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Das Vorhaben, die zeitgenössische Bezeichnung »Volkskapitalismus« in einen Terminus historischer Analyse zu transformieren, sähe sich allein aufgrund deren Vieldeutigkeit Schwierigkeiten ausgesetzt, diente die Wortverbindung doch etwa ebenso als Etikett für gesellschaftspolitische Ordnungsentwürfe wie als Kampfvokabel für die Anhänger marxistischer Theoriebildung.355 Hier geht es vielmehr um diejenigen Bedeutungsgehalte der Leerformel, die als Begründungs- und Sinnstiftungsmuster für die frühen bundesrepublikanischen Privatisierungsmaßnahmen Verwendung fanden. »Volkskapitalismus« tauchte seit Beginn der fünfziger Jahre in Publikationen von Interessenverbänden der Industrie auf, die sich gegen Sozialisierungs- und Mitbestimmungsforderungen der Arbeiterschaft richteten oder für eine Popularisierung des Aktiensparens einsetzten.356 Im weiteren Verlauf der Dekade waren es dann vornehmlich die Ökonomen Wolfgang Drechsler und Fritz R ­ abich, die mit dieser Bezeichnung den Entwurf einer neuen Gesellschaftsordnung zu etikettieren suchten.357 Für Drechsler war dann »von Volkskapitalismus zu sprechen, wenn man damit eine Gesellschaftsordnung meint, die durch privates Eigentum an den Produktionsmitteln gekennzeichnet ist, sich jedoch vom klassischen Kapitalismus durch eine breite Streuung des produktiven Eigentums auf Millionen von Individuen unterscheidet.«358 In dieser definitorischen Annäherung ist zum einen der Anspruch zu erkennen, über die »breite Streuung« von privatem Eigentum die gesellschaftliche Ordnung umzugestalten, der auch die Privatisierungsforderungen der Bundesregierung grundierte. Daneben verwies dieser Satz zum anderen auf die erklärte Absicht des Autors, die »Alternative: Staatskapitalismus oder Volkskapitalismus«359 aufzubauen und auf diese Weise den in Deutschland negativ besetzten »Kapitalismus«-Begriff semantisch (wieder) aufzuwerten. So warnte Drechsler vor dem zunehmenden Einfluss des Staates als »Eigentümer der Produktionsmittel«, den er als »Weg zum Staatskapitalismus« bezeichnete, und assoziierte »Verstaatlichungen« mit »unerträglichen Begleiterscheinungen wie Zwangswirtschaft, Kollektivismus, Bürokratismus, und Gleichmacherei«.360 Damit nahm er einerseits die Formel »Staatskapitalismus« auf, die sich unter den Kritikern der unternehmerischen Tätigkeit des Staates im Laufe der fünfziger Jahre etabliert hatte und gezielt auf die negativen Bedeutungen rekurrierte, mit denen die Bezeichnung »Kapitalismus« im Deutschen behaftet war. Dieser »Ressentiments« war sich Drechsler, wie er in einem Abschnitt über die Implikationen der Formel »Volkskapitalismus« schrieb, durchaus bewusst und erkannte andererseits in der »Formulierung ›Volkskapitalismus‹ den Vorteil, zu einer Überprüfung grundsätzlicher Auffassungen, zu einer ideologischen Ent355 So etwa bei Kirchner und Fabiunke. 356 Dietrich, S. 116. 357 Drechsler; Rabich. Zu Beginn der sechziger Jahre erschien zudem das Buch von Klug. 358 Drechsler, S. 23. 359 Ebd., S. 22. 360 Ebd., S. 19, 20.

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rümpelung« kommen und die negativen Bedeutungsgehalte von »Kapitalismus« tilgen zu können. Der Ökonom Heinz-Dietrich Ortlieb hob diese Funktion der Formel »Volkskapitalismus« besonders hervor, erkannte er doch in der »Idee vom Volkskapitalismus kein echtes Leitbild«,361 sondern vielmehr einen propagandistischen »Slogan«, der »den alten diffamierten Kapitalismus wieder zu Ehren bringen« sollte.362 Für eine solche, eher propagandistische Verwendung der Formel »Volkskapitalismus« stand vor allem Fritz Rabich, der in seinem Buch die Dichotomie »Staatskapitalismus« versus »Privatkapitalismus« bevorzugte und dafür plädierte, »den Kapitalismus aus seiner oft verwirrenden Zwiespältigkeit« herauszuführen »und ihn unter dem Begriff ›Volkskapitalismus‹ zum echten ›Kapitalismus der Privaten‹ zu machen«, »Volkskapitalismus« also instrumentell als wirkungsvolles Etikett zu gebrauchen.363 Die von Drechsler intendierte »Überprüfung« und »Entrümpelung« betraf einmal die semantische Ebene, war »Volkskapitalismus« doch ein Kompositum aus »Kapitalismus« und dem Wort »Volk«, das einen beträchtlichen Bedeutungsüberhang aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts aufwies. Eine Übernahme überkommener semantischer Versatzstücke lässt sich dann auch vor allem bei Drechsler beobachten, der in seinem Text die »Lebensfrage« einer »organischen Verteilung des sich neu bildenden industriellen Eigentums« aufwarf.364 Das Anliegen einer »organischen« Eigentumsverteilung präzisierte er dahin gehend, dass sich die Kapitalbildung auch auf »den vorstaatlichen Raum der Gesellschaft« zu erstrecken habe, und reproduzierte damit die insbesondere von Wilhelm Stapel in den dreißiger Jahren geprägte Denkfigur eines vorstaatlichen Volkes, das üblicherweise mit Metaphern aus dem Wortfeld des Natürlichen und Organischen umschrieben und in Opposition zum künstlich geschaffenen Staat gesetzt wurde.365 Auf Grundlage dieser Unterscheidung zwischen staatlicher Sphäre und dem »vorstaatlichen Raum des Gesellschaftlichen« plädierte Drechsler für einen »Wandel der Funktionen des Staates«, durch den »wieder natürliche gesellschaftliche Ordnungskräfte wirksam werden« könnten. Konkret meinte er hiermit den Rückbau staatlicher »Funktionen […] rein unternehmerischen Charakters« und einen »weitgehenden Abbau der Bürokratisierung« bei gleichzeitiger Intensivierung staatlicher Tätigkeiten in den Bereichen »Erziehung, Bildung, Wissenschaft und Forschung«.366 Diese Überlegungen weisen abermals auf den eminenten diskursiven Zusammenhang zwischen ordnungs- bzw. wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Zielformulierungen in der Frühphase der Bundesrepublik hin, der die Aussagen insbesondere der politischen Entscheider als Redefigur strukturierte und bereits im ordoliberalen 361 Ortlieb, S. 13, 9.  362 Drechsler, S. 23. 363 Rabich, S. 27. 364 Drechsler, S. 20. 365 Stapel. Zur Figur des vorstaatlichen Volkes: Koselleck, S. 407–410. 366 Drechsler, S. 65, 66.

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Gedankengebäude – vornehmlich in den Texten Rüstows und Röpkes – grundgelegt war. Ferner nahm das Postulat vom »Wandel der Funktionen des Staates« Anleihen bei Müller-Armacks Entwurf einer »Umweltordnung«, demzufolge der Staat »im Wirtschaften entbehrlich« werden und sich statt dessen gesellschaftspolitischen Aufgaben zuwenden sollte.367 Insbesondere Röpkes und Rüstows Entwürfe des »soziologischen Liberalis­ mus« und der »Vitalpolitik« waren darüber hinaus in einen weiteren wirkmächtigen diskursiven Verweiszusammenhang verstrickt, in dem sich auch der Ordnungsentwurf des »Volkskapitalismus« bewegte. Wenn Drechslers Postulat einer »organischen« Eigentumsverteilung nämlich außerdem einschloss, »auf der Grundlage eines weit gestreuten Privateigentums an den Produktionsmitteln« die »unorganisch[e]« und als »Bedrohung« einzustufende »Herrschaft der Verbände« zu mindern,368 nahm er erkennbar semantische Anleihen bei der diskursmächtigen Leitunterscheidung zwischen »Gemeinschaft« und »Gesellschaft« auf, die maßgeblich auf Ferdinand Tönnies’ gleichnamige Studie zurückging.369 Tönnies entwickelte hierin die Dichotomie zwischen natürlich gewachsenen, gleichsam organischen »Gemeinschaften« und vertraglich fundierten, auf Interessenausgleich gerichteten »Gesellschaften«. Drechslers Entwurf des »Volkskapitalismus« fußte auf dieser Unterscheidung, richtete er sich doch explizit gegen Interessenvertretungen und beschwor demgegenüber eine gesellschaftliche Ordnung, die auf einer »organischen Verteilung des sich neu bildenden industriellen Eigentums« beruhen sollte.370 Sowohl das vorstaatliche Verständnis von »Volk« als auch die Dichotomie »Gemeinschaft« versus »Gesellschaft« waren wichtige semantische Implikate der nationalsozialistischen Propagandaformel »Volksgemeinschaft«, welche die Bildung einer sozialen Gemeinschaft, sozialen Aufstieg und die Überwindung von Klassengegensätzen verhieß.371 Diese Gemeinschaft von »Volksgenossen« war allerdings nicht als sozialegalitäres Gebilde gedacht, gehörte doch zu den wesentlichen Bestandteilen des nationalsozialistischen Konzepts von »Volksgemeinschaft« ebenso ein spezifisches Verständnis von »Leistung«, das sich gegen die als »Gleichmacherei« bezeichneten Sozialisierungsziele des Marxismus wie gegen Privilegierungen richtete, welche die Nationalsozialisten mit »Kapitalismus« assoziierten.372 Seinen Entwurf des »Volkskapitalismus« verortete Drechsler in einer ebensolchen mittleren Position, indem er sich von »Verstaatlichungen« mit dem Ziel der »Gleichmacherei« distanzierte, um im anschließenden Satz zu betonen: »Eine volkskapitalistische Gesellschaftsordnung würde vielmehr das Leistungsprinzip auch im Bereich des Eigentums aufrechterhalten, 367 Müller-Armack, Phase, S. 139. 368 Drechsler, S. 21, 22.  369 Tönnies, Gemeinschaft. 370 Drechsler, S. 20. 371 Zum nationalsozialistischen Verständnis von Volksgemeinschaft: Janka; Wildt, S. 29–68; Bajohr u. Wildt; Schmiechen-Ackermann. 372 Janka, S. 209–213.

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den Umfang der individuellen Eigentumsbildung also nach Fähigkeit und Leistung differenzieren.«373 Das Wort »Volk« lässt sich demzufolge als Vehikel für semantische Versatzstücke der nationalsozialistischen »Volksgemeinschafts«-Ideologie deuten, die in der jungen Bundesrepublik anschlussfähig und plausibel blieben. Getilgt waren freilich die rassenbiologischen Implikationen, die konstitutiv für das nationalsozialistische Verständnis von »Volk« und »Volksgemeinschaft« gewesen waren. Der Entwurf des »Volkskapitalismus«, der auf eine semantische Aufwertung von »Kapitalismus« zielte, schloss allerdings an die wirkmächtigen Denkfiguren des vorstaatlichen Volkes, der organischen Gemeinschaften und einer meritokratischen »Leistungsgemeinschaft« an. Wie die NS-Formel »Volksgemeinschaft« eine blutsreine, meritokratisch gegliederte Gemeinschaft von »Volksgenossen« verhieß, verband sich auch mit der Formel »Volkskapitalismus« die Verheißung, »daß der Kapitalismus in seiner späten Phase so etwas wie eine ›klassenlose Gesellschaft‹ verwirkliche, weil jetzt jeder Wirtschaftsbürger ›Kapitalist‹ werden«374 und an den Wertschöpfungsprozessen der Wirtschaft partizipieren könne. Die Konzeption des »Volkskapitalismus« blieb allerdings nicht allein auf das Ziel einer Umdeutung von »Kapitalismus« beschränkt. Vielmehr sollte die Verheißung einer Kapitalisierung breiter Bevölkerungsschichten darüber hinaus in praktische Maßnahmen münden. Fritz Rabich und Wolfgang Drechsler wollten »den Menschen ganz allgemein als ›Privatkapitalisten‹ gewinnen« und formulierten das Ziel, »daß die nicht selbstständig Tätigen mehr als bisher […] in die Rolle von Privatkapitalisten […] hineinwachsen«. Ergebnis dieser Entwicklung sollte ein »Gesinnungswechsel im wirtschaftlichen Verhältnis der Menschen zu einander« sein, in dessen Folge »privatkapitalistisches Denken und Handeln […] unser Wirtschaftssystem […] allgemein bestimmen«.375 Als Voraussetzung hierfür galt ihnen eine »Erziehungsarbeit«,376 die auf »die Vermittlung von Grundkenntnissen der wirtschaftlichen Zusammenhänge« zielen sollte.377 In den Debatten um die Privatisierung des Volkswagenwerkes fand die Wortverbindung »Volkskapitalismus« nur selten Verwendung und blieb vornehmlich auf die Veröffentlichungen des Spiegel und des Volkswirt beschränkt. Im Gespräch über die Privatisierungspläne der Bundesregierung legte ein Spiegel-­ Redakteur Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard das Wort geradezu in den Mund, indem er fragte: »Man könnte also sagen, Ihnen schwebt die Idee eines, sagen wir, Volkskapitalismus vor?«. Die Frage und auch Erhards knappe Antwort – »Ganz recht. Das ist die Idee.« – zeigen, dass die Bezeichnung »Volkskapitalismus« zu diesem Zeitpunkt, im Februar 1957, (noch) nicht mit den zuvor skizzierten Bedeutungsimplikaten ausgestattet war. Weder rekurrierte der 373 Drechsler, S. 20. 374 Ortlieb, S. 9–10. 375 Rabich, S. 30, 67. 376 Ebd., S. 67. 377 Drechsler, S. 23.

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Fragesteller auf eine bestimmte Deutung der Wortverbindung noch lag Erhard daran, hier einen Begriff politisch zu besetzen.378 Im Frühjahr 1957 hatte sich der Status der Bezeichnung »Volkskapitalismus« dann bereits verändert. Unter dem Titel »Volkskapitalismus – reale Möglichkeit oder Utopie?« veröffentlichte der Volkswirt eine Artikelserie, die erkennbar auf die Überlegungen R ­ abichs und Drechslers rekurrierte.379 Bereits die im Titel formulierte Frage nach dem utopischen Gehalt des Wortes nahm die Verheißung einer Eigentums- und Kapi­ talbildung in breiten Bevölkerungsschichten auf, die mit einer kritischen Analyse konfrontiert werden sollte. Außerdem deutete der Autor des ersten Artikels »Volkskapitalismus als Überwindung des Kapitalismus alter Art und des marxistischen Sozialismus« und nahm damit Drechslers Standortbestimmung des »Volkskapitalismus« in einer mittleren, einer dritten Position auf.380 In einem Spiegel-Artikel vom Juni 1957 urteilte Rudolf Augstein unter seinem Pseudonym »Moritz Pfeil«, »[d]as gesellschaftspolitische Leitbild vom ›Volkskapitalisten‹« sei »unversehens dem Bundeswirtschaftsminister beigekommen«.381 Die Autoren der Spiegel-Titelgeschichte aus dem Februar 1959, die sich unter dem Titel »Bonbon des Jahrhunderts« ausführlich den Privatisierungsplänen der Bundesregierung widmeten, identifizierten schließlich die Bezeichnung »Volkskapitalismus« mit dem Vorhaben der »sozialen Privatisierung« und beschrieben das »Unternehmen ›Volkskapitalismus‹«, mit dem die Regierung »zwei politische Ziele«, Privatisierung und Eigentumsbildung, verbinde. An anderer Stelle setzten sie »Volkskapitalismus« gar mit dem »Gesellschaftsbild« der CDU gleich.382 Diese Analyse der Spiegel-Journalisten legt nahe, dem Status der skizzierten Bedeutungsimplikate von »Volkskapitalismus« in den Privatisierungsplänen der Bundesregierung nachzuspüren. Hierbei wird zunächst augenfällig, dass die Formel »Volkskapitalismus« auch in das Vokabular der Regierungsvertreter  – abgesehen von wenigen Ausnahmen – keinen Eingang fand. In der erwähnten Äußerung im Interview mit dem Spiegel wurde dem Bundeswirtschaftsminister das Wort in den Mund gelegt, ohne dass er es selbst verwendete.383 Daneben sprach der CDU-Abgeordnete Fritz Hellwig bei der ersten Lesung des VW-Gesetzesentwurfs im Bundestag von einem »Durchbruch zum Volkskapitalismus«, der »in Amerika« gelungen sei.384 Sieht man von diesen beiden Äußerungen ab, tauchte die Wortverbindung »Volkskapitalismus« weder in Parlamentsreden von Unionsabgeordneten noch in Parteiprogrammen oder Parteitagsbeiträgen der CDU auf. Diese Zurück­haltung mag zum einen auf die negativen Konnotationen des »Kapitalismus«-Begriffs im 378 Vom Volkswagen zum Volkskapitalismus, in: Der Spiegel, 20.2.1957. 379 Volkskapitalismus – reale Möglichkeit oder Utopie?, in: Der Volkswirt, 4.5.1957. 380 Die Ausgangslage und das Prinzip, in: Der Volkswirt, 4.5.1957. 381 Die Aktie überm Kanapee, in: Der Spiegel, 19.6.1957. 382 Bonbon des Jahrhunderts, in: Der Spiegel, 18.2.1959. 383 Vom Volkswagen zum Volkskapitalismus, in: Der Spiegel, 20.2.1957. 384 VDB, 2. WP, 214. Sitzung, 31.5.1957, S. 12612.

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deutschen Sprachraum zurückzuführen sein, die auch das Kompositum »Volkskapitalismus« in den Augen der CDU-Politiker als ungeeignet erscheinen ließen. Zum anderen hatte sich im Westdeutschland der frühen Nachkriegszeit die Bezeichnung »Marktwirtschaft« als Etikett für eine auf marktförmiger Preisbildung basierende Wirtschaftsordnung etabliert. Diesen konzeptionellen und zugleich morphologischen Kernbestand der »Sozialen Marktwirtschaft«, deren Entwurf maßgeblich auf die beiden CDU-Mitglieder Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard zurückgegangen war, wollte die Partei offenbar nur ungern zugunsten einer weiteren Leitvokabel aufgeben. Gleichwohl lassen sich einige diskursive Verweiszusammenhänge, die für die gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen unter dem Label »Volkskapitalismus« prägend waren, auch in den Aussagen der Regierungsvertreter zum Vorhaben der Privatisierung erkennen. Bereits der Ordnungsentwurf der »Sozialen Marktwirtschaft«, in den die Bundesregierung ihr Vorhaben einer »sozialen Privatisierung« einzupassen suchte, fußte auf der Leitunterscheidung von »Gemeinschaft« und »Gesellschaft«. So war Alfred Müller-Armack daran gelegen, nicht zum »Anwalt von Einzelinteressen« zu werden, sondern eine Wirtschaftsordnung zu schaffen, die dem »Gesamtinteresse« dienen sollte.385 Ludwig Erhard verband diese Denkfigur mit dem gesellschaftspolitischen Ziel der Eigentumsbildung, indem er auf dem CDU-Bundesparteitag 1957 ebenfalls die Einheit des Volkes beschwor und an seine Parteifreunde appellierte, »daß wir nicht mehr in Klassen oder auch nur in Gruppen denken, daß wir über den Schatten unserer Interessengebundenheit zu springen vermögen und uns im Bewußtsein einer echten Lebensgemeinschaft […] auch gemeinsam für das Schicksal und die Zukunft unseres Landes und Volkes verantwortlich fühlen.«386 Manifestieren sollten sich die derart beschworene Einheit des Volkes und der Dienst an der »Gesamtheit«387 in dem Vorhaben, »mit jedem weiteren wirtschaftlichen Fortschritt zu einer immer breiteren Streuung des Eigentums an den Produktionsmitteln zu kommen«.388 Zugleich war an die gesellschaftspolitische Zielsetzung der Eigentumsbildung in breiten Schichten die Verheißung geknüpft, bestehende Klassengegensätze zu entschärfen. Wenn Schatzminister Lindrath nämlich die »breite Streuung von Eigentum« mit einem »Gefühl der Gleichwertigkeit« verband, das dazu führen sollte, dass »kein Raum und keine Notwendigkeit mehr für ein Klassenbewußtsein und einen Klassenkampf« bestünden, grenzte er die eigenen Privatisierungspläne nicht allein von den gesellschaftspolitischen Vorhaben marxistisch geprägter Staaten ab. In dem von Lindrath beschworenen »Gefühl der Gleichwertigkeit« ist ebenso die Verheißung sozialen Aufstiegs zu erkennen, die bereits der nationalsozialistische »Volksgemeinschafts«-Begriff und auch die

385 Müller-Armack, Wirtschaftsordnung, S. 75. 386 ACDP, 7. Bundesparteitag der CDU, 11.–15. Mai 1957, Hamburg, S. 146–147. 387 So Bundesschatzminister Hermann Lindrath in: Ferrari, S. 3. 388 ACDP, 7. Bundesparteitag der CDU, 11.–15. Mai 1957, Hamburg, S. 148.

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Formel »Volkskapitalismus« enthielten.389 Das gesellschaftspolitische Ziel der Bundesregierung, so formulierte Lindrath an anderer Stelle, bestand darin, »soziale Spannungen, wie sie auch heute immer noch zwischen arm und reich, zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestehen, abzubauen«, »eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen« und »aus den deutschen Menschen ›ein Volk von Eigentümern‹ zu machen«.390 Mit diesem Ziel verband die Regierung zudem das Ansinnen, »daß der Aktienbesitzer nicht nur Anteil am Produktionsvermögen der Wirtschaft hat, er lernt vielmehr, sich mit wirtschaftlichen Vorgängen zu beschäftigen und sie zu verstehen, d. h. er nimmt auch persönlich am wirtschaftlichen Geschehen Anteil.«391 Erkennbar wird in diesem Bestreben der Bundesregierung, »ein neues staatsbürgerliches Bewußtsein zu wecken« und eine »veränderte geistige Haltung« hervorzurufen,392 das Postulat einer wirtschaftlichen »Erziehungsarbeit«, das die Propagandisten eines »Volkskapitalismus« ebenfalls formuliert hatten. Wenn die Bundesregierung also auch auf die Formel »Volkskapitalismus« verzichtete, war das Vorhaben der »sozialen Privatisierung« doch in dieselben Bedeutungszusammenhänge eingebunden wie der Gesellschaftsentwurf des sogenannten »Volkskapitalismus«. Als Träger dieser Semantiken, die an Implikate der nationalsozialsozialistischen Formel »Volksgemeinschaft« anschlossen, fungierte das Wort »Volk«. Die Regierung beschränkte sich allerdings nicht darauf, durch Verwendung des »Volk«-Begriffs positive Assoziationen bei der Bevölkerung hervorzurufen, sondern war ebenso bestrebt, das Aktiensparen durch gezielte Werbemaßnahmen zu popularisieren. Eine hervorstechende Rolle nahm hierbei der Kölner Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Wirtschaftsausschusses der CDU Rheinland, Horst Rheinfels, ein, der bereits im Jahr 1957 in seiner Heimatstadt einen sogenannten »Volksaktienverein« gründete. Im Laufe des Jahres kamen weitere Vereinigungen in Düsseldorf und Mülheim an der Ruhr hinzu, woraufhin sich die bestehenden vier »Volksaktienvereine« in Köln »zu einer Arbeitsgemeinschaft der Volksaktienvereine«393 zusammenschlossen, zu deren Geschäftsführer sie Rheinfels bestimmten. Ihre Aufgabe sahen die Vereinigungen nach eigener Darstellung darin, »die Öffentlichkeit über die Möglichkeiten einer neuen Eigentumsordnung aufzuklären und für diese zu werben« und »den Mitgliedern sowie auch der übrigen Öffentlichkeit das notwendige Wissen zu vermitteln«. Um diesen Anforderungen »der allgemeinen Aufklärung und Werbung« zu ent389 Das Ziel der Privatisierung von Bundesvermögen, in: Bulletin des Presse- und Informa­ tionsamts der Bundesregierung, Nr. 45, 7.3.1958, Zit. S. 400. 390 VW-Privatisierung geht alle an!, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 124, 14.7.1959, Zit. S. 1270. 391 Ebd. 392 So formulierte es Erhard vor dem Plenum des Bundestages; VDB, 2. WP, 214. Sitzung, 31.5.1957, S. 12602. 393 Rheinfels, S. 39. Der Spiegel nannte diesen Zusammenschluss »Ring der Volksaktienvereine«; Samstags wird regiert, in: Der Spiegel, 6.11.1957.

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sprechen, brachten die Vereine eine Zeitschrift heraus, die monatlich unter dem Titel »Die Volksaktie« erschien.394 Daneben veröffentlichte Rheinfels noch im selben Jahr eine »Fibel für Volksaktionäre«, um darin, so schrieb er im Vorwort, »eine für jedermann verständliche Einführung in das Aktienwesen« bereitzustellen, »dem Leser die weit verbreitete Scheu vor der Aktiengesellschaft und der Aktie [zu] nehmen« und bestehende »Ressentiments« abzubauen.395 Nach einer allgemeineren Darstellung der wesentlichen Merkmale von Aktiengesellschaften und Aktien passte Rheinfels im zweiten Teil des Buches das Aktiensparen in die gesellschaftspolitischen Vorhaben der Bundesregierung ein und wiederholte deren Zielsetzung, »das immer größer gewordene öffentliche Vermögen wieder in Privateigentum zu überführen, und zwar die gesamte Bevölkerung an dieser Eigentumsbildung zu beteiligen.«396 Einige Hinweise zur Frage »Was muß ich als Aktionär wissen?« und die Forderung nach aktien- und steuerrechtlichen Reformen schlossen die Darstellung ab.397 Die öffentliche Kritik am »Volksaktienprogramm« der Bundesregierung, die vornehmlich Presse und einzelne Interessenverbände formulierten, entzündete sich zunächst nicht zufällig an der  – durchaus intendierten  – definitorischen Ungenauigkeit, mit der das Wort »Volksaktie« behaftet war. So echauffierte sich etwa ein Kommentator der Zeit über das Eingeständnis des Vorsitzenden des Düsseldorfer »Volksaktienvereins«, der nach eigener Aussage »selber noch nicht recht wisse, ›was eigentlich eine Volksaktie sein solle.‹«398 Ein Redakteur des Volkswirt forderte: »Im Grunde genommen wäre es gut, wenn dieses Wort möglichst bald verschwände, weil es zu sehr die Vorstellung von einer Sonderspezies der Aktie hervorruft und nährt.«399 Damit verwies er auf einen zweiten wesentlichen Kritikpunkt, der auf das Verhältnis der »Volksaktie« zu hergebrachten Aktienformen abstellte. Anlass war der erste Regierungsentwurf zur Privatisierung des VW-Werkes, der in den dritten Deutschen Bundestag unverändert erneut eingebracht worden war und vorsah, dass die VW-Aktien in der Terminologie des Aktienrechts als »vinkulierte Namensaktien« auszugeben waren. Das bedeutete, dass die Aktien »auf Namen lauten« mussten und die »Übertragung von Aktien der Gesellschaft […] an die Zustimmung des Aufsichtsrates gebunden« werden sollte. Des Weiteren schrieb dieser erste Entwurf einen Preisnachlass für Käufer mit niedrigem Einkommen, ein bevorzugtes Kaufrecht für VW-Angestellte sowie eine Begrenzung des Aktionärsstimmrechts »auf ein Hundertstel des Grundkapitals« vor.400 Angesichts dieser Merkmale kam der Bundesverband des privaten Bankgewerbes in einer Stellungnahme vom Februar 1958 zu dem Schluss, dass die »im Entwurf vorgesehene Volkswagen-Aktie […] 394 Rheinfels, S. 39. 395 Ebd., S. 3. 396 Ebd., S. 18–33, Zit. S. 18. 397 Ebd., S. 34–39, Zit. S. 34. 398 G’schaftelhuberei, in: Die Zeit, 12.9.1957. 399 Volkswagenwerk und Volksaktie, in: Der Volkswirt, 1.2.1958. 400 BT-Drucksache II/3534, S. 1, 2; BT-Drucksache III/102, S. 1, 2. 

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im Vergleich zu den gängigen Aktien nicht als vollwertig zu bezeichnen« sei und die Regierung folglich »Aktien zweiter Klasse« zu schaffen drohe.401 Die Wirtschaftsjournalisten Heinz Brestel und Carl Zimmerer stimmten dem zu und warnten vor »›kastrierten Aktien«, die »nicht mehr viel mit dem üblichen Begriff ›Aktie‹ zu tun« hätten.402 In besonderem Maße richtete sich die Kritik an der Ausgestaltung der »Volksaktien« auf das Vorhaben, die Ausübung des Aktionärsstimmrechts in der Hauptversammlung zu beschränken. Unumstritten war, mit einem derartigen Vorhaben »gegen eine unerwünschte Macht- oder Besitzkonzentration« vorzugehen. Anlass für die Kritik war vielmehr, dass diese Maßnahmen, so die Kritiker im Handelsblatt, »in das Privatisierungsgesetz aufgenommen« würden »und nicht – wie bei der Preußag und auch sonst allgemein üblich – einer Regelung in der Gesellschaftssatzung vorbehalten« blieben. Auf diese Weise entstünden »Aktiengesellschaften besonderer Art«, die »am Gängelband des Gesetzes geführt« und »von Sondergesetzen maßgeblich bestimmt« würden.403 In diesen Aussagen scheint erneut das idealtypische Denkmuster der Trennung von Staat und Wirtschaft auf, demzufolge der Staat die gesetzliche Rahmenordnung wirtschaftlichen Handelns bereitzustellen, jedoch nicht durch »dirigistische Vorschriften« in den Wirtschaftsprozess selbst einzugreifen habe.404 Besonders augenscheinlich wird dieses Ideal in der Forderung eines Zeit-Kommentators, »Parteien oder sonstige Organisationen politischer Art […] mögen ihre Aktivität auf eine Reform des Aktienrechts konzentrieren«.405 Wenn die Bundesregierung das Kompositum »Volkskatie« auch als politischen Begriff in Stellung bringen wollte, um ihre Privatisierungspläne zu legitimieren, kam sie angesichts der vorgenannten Kritik nicht umhin, den rechtlichen Status und die Merkmale dieses Aktientyps genauer zu bestimmen. Hierbei waren das Kabinett und Schatzminister Hermann Lindrath zunächst bestrebt, die Besonderheiten der »Volksaktien« gegenüber hergebrachten Aktienformen zu marginalisieren. So betonte Lindrath in einem Handelsblatt-Beitrag: »Die Volksaktien sollen sich von einer normalen Aktie in ihrem Wesen nicht unterscheiden.«406 Einer Pressemitteilung der Bundesregierung zufolge sollte die »Volksaktie« vielmehr als »[e]ine Aktie wie jede andere« gelten. Dieses Bestreben, technische Abweichungen von hergebrachten Aktientypen zu leugnen, geriet allerdings zunehmend in Widerspruch zu dem Versuch, die spezifischen Merkmale einer »Volksaktie« zu bestimmen. Laut »Definition« der Bundesregierung sollte nämlich die »Volksaktie eine kleingestückelte Aktie, eine breitgestreute Inhaberaktie« mit einem »niedrig gehaltene[n] Ausgabekurs« sein. Die breite 401 Zit. n. Bukow, S. 53, 54. 402 Volksaktienplan fand ein lebhaftes Echo, in: Handelsblatt, 24./25.5.1957; Die Volksaktie – ein Trojanisches Pferd?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.4.1957. 403 Volkswagenwerk – AG besonderer Art, in: Handelsblatt, 19.1.1960; Aktiengesellschaften besonderer Art, in: Handelsblatt, 20.12.1959. 404 Volkswagenwerk – AG besonderer Art, in: Handelsblatt, 19.1.1960. 405 G’schaftelhuberei, in: Die Zeit, 12.9.1957. 406 Die neuen Aktionäre, in: Handelsblatt, 20.12.1959.

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Streuung sollte durch Begrenzung des Stimmrechts in der Aktionärsversammlung dauerhaft gewährleistet werden.407 Die VW-Aktien wiesen diese drei Eigenschaften auf, schrieb doch das im Juni 1960 verabschiedete Gesetz die Ausgabe von Inhaberaktien mit einem Nennwert von einhundert DM, Vorkaufsrecht und Preisnachlass für Käufer mit niedrigem Einkommen sowie eine Stimmrechtsbeschränkung auf ein Zehntausendstel des Grundkapitals vor.408 Ein niedriger Ausgabekurs, den der Bundesschatzminister festzulegen hatte, sollte ferner eine zusätzliche Gewähr dafür darstellen, dass die Anteilspapiere am Volkswagenwerk möglichst vielen Käufern zugänglich gemacht werden konnten.409 Gleichwohl musste die Regierung zugleich einräumen, dass die von ihr propagierten »Volksaktien« damit nicht (mehr) über ein »Spezifikum« und »beson­ deres Kennzeichen« verfügten. So war in der vorgenannten Pressemitteilung zu lesen, dass »auch die bekannte Kleinaktie […] kleingestückelt«, »die sogenannte Belegschaftsaktie ebenfalls zu einem Kurs unterhalb des Börsenkurses ausge­ geben« und »jede andere Aktie […] auch breitgestreut sein« könne.410 In besonderem Maße bildet diese aporetische Spannung eine Veröffentlichung des Bundesschatzministeriums ab, die unter dem Titel »Volksaktie. Ausdruck der Zeit« für den Kauf von »Volksaktien« warb. Der Autor, hinter dessen Pseudonym »Hilger Ferrari« sich ein ranghoher Mitarbeiter des Ministeriums verbarg,411 gestand auf ein und derselben Seite zunächst ein, dass »die kleine Stückelung sowie die breite Streuung noch kein besonderes Merkmal der Volksaktie« seien. Nur wenige Zeilen später bezeichnete er die »breite Streuung« dann als »eine natürliche Eigenschaft der Volksaktie«, um im nächsten Satz wieder einzuräumen: »Gewiß können andere Aktien auch breitgestreut sein.«412 Die Definitionsentwürfe der Bundesregierung zum Wort »Volksaktie« führen eindrücklich das Spannungsverhältnis zwischen Trennschärfe und Uneindeutigkeit vor, das für politische Bezeichnungsweisen konstitutiv war. In ihrem Versuch, dem Wortpaar »Volksaktie« einen spezifischen Bedeutungsgehalt zu geben, produzierten die Regierungsvertreter nicht zufällig Widersprüche, war »Volksaktie« doch als politischer Begriff, nicht als aktienrechtlicher Terminus konzipiert. Dieser genuin politische Charakter wird auch in der Presseerklärung sowie der Schrift »Ferraris« deutlich, welche die wortgleiche Feststellung enthalten, dass sich für andere breitgestreute Aktien schlicht »der Name ›Volks­ 407 Die Volksaktie – ein qualifiziertes Wertpapier, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 140, 5.8.1959, Zit. S. 1435. 408 Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand, in: BGBl, Teil I, Nr. 39, 27.7.1960, S. 585–587. 409 Der Nennwert der Volkswagenwerk-Aktien lag schließlich bei einhundert DM, der Emissionskurs wurde auf 350 Prozent festgesetzt; Nicolaysen, S. 387. 410 Die Volksaktie – ein qualifiziertes Wertpapier, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 140, 5.8.1959, Zit. S. 1435. 411 So stellte es jedenfalls der Gewerkschaftsfunktionär Kurt Hirche in seinem kritischen Buch über die »Volksaktien«-Idee dar; K. Hirche, Experiment, S. 29. 412 Ferrari, S. 41.

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aktie‹ nicht eingebürgert« habe.413 Die Wortverbindung »Volksaktie« sollte an die positiv besetzten Bedeutungsüberhänge des Wortes »Volk« anknüpfen und dem Privatisierungsvorhaben der Bundesregierung einen zusätzlichen Sinnhorizont eröffnen. Als Rechtsbegriff war die Bezeichnung nicht vorgesehen.

3. »Soziale Privatisierung« – »Soziale Marktwirtschaft« Die drei großen Privatisierungsmaßnahmen der jungen Bundesrepublik bedeuteten keinen vollständigen materiellen Rückzug des Bundes aus seinem industriellen Beteiligungsbesitz. Wie das im Sommer 1957 beschlossene »Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen« avancierten die Teilprivatisierungen der Preussag, des Volkswagenwerkes und der VEBA jedoch zu politischen Projekten der Selbstvergewisserung über die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik, für die sich die Bezeichnung »Soziale Marktwirtschaft« etabliert hatte. So verbanden die Vertreter der Regierungsfraktionen im Allgemeinen und Bundesschatzminister Hermann Lindrath im Besonderen die Privatisierungsvorhaben mit dem Ziel, die »soziale Marktwirtschaft zu sichern und auszubauen«.414 Das Etikett der »sozialen Privatisierung«, mit dem die CDU und insbesondere Lindrath die Projekte versahen, sollte die »Einheit« von gesellschafts- und wirtschafts­ politischen Zielen betonen, wie sie Alfred Müller-Armacks Verständnis von »Sozialer Marktwirtschaft« als »Synthese« aus Marktwirtschaft und sozialpolitischen Maßnahmen vorsah. Außerdem erklärten die Vertreter der Bundesregierung das Vorhaben der »sozialen Privatisierung« zum zentralen Anliegen für die »zweite Phase der sozialen Marktwirtschaft«. Die Redefigur verschiedener Phasen der »Sozialen Marktwirtschaft«, die diesen Aussagen zugrunde lag, verwies einerseits auf die phasenweise Verschiebung politischer Schwerpunkte von der materiellen Existenzsicherung hin zu gesellschaftspolitischen Zielsetzungen. Da »Soziale Marktwirtschaft« als referentieller Bezugspunkt dieser Veränderungen andererseits jedoch unverändert blieb, suggerierte das Sprechen von zwei Phasen der »Sozialen Marktwirtschaft« zugleich die schrittweise Bestätigung und Festigung der bundesrepublikanischen Wirtschaftsordnung. Doch fungierte die Wortverbindung »Soziale Marktwirtschaft« nicht nur als Leerformel, die aufgrund ihrer Bedeutungsoffenheit integrierende Wirkung entfaltete. Der argumentative Gebrauchswert ihrer wirtschaftstheoretischen Implikate, die im Ideengeflecht des Ordoliberalismus, der deutschen Spielart des »Neoliberalismus«, wurzelten, nahm mit der Etablierung der Wortverbindung als Etikett für die bundesrepublikanische Wirtschaftsordnung immer mehr zu. Die Privatisierungsdiskussionen der frühen Bundesrepublik waren einerseits 413 Ebd.; Die Volksaktie – ein qualifiziertes Wertpapier, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 140, 5.8.1959, Zit. S. 1435. 414 VDB, 3. WP, 30. Sitzung, 12.6.1958, S. 1636.

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in diesen semantisch-diskursiven Bezugsrahmen eingepasst und trugen andererseits ebenso zur Bestätigung des ordoliberalen Verständnisses von »Soziale Marktwirtschaft« bei. So aktualisierten die Privatisierungsbeschlüsse den ordnungspolitischen Grundgedanken einer scharfen Trennung von Staat und Wirtschaft, der ein Kernanliegen des Ordoliberalismus darstellte. Demnach hatte der Staat eine Rahmenordnung für das wirtschaftliche Marktgeschehen zu garantieren, ohne selbst an ökonomischen Prozessen zu partizipieren. Die Privatisierungsmaßnahmen sollten in Anlehnung an dieses Grundprinzip die Absicht dokumentieren, den Umfang staatlicher Unternehmensbeteiligungen zu begrenzen und der von Interessenverbänden und Presse beschworenen »Verflechtung des Staates mit wirtschaftlichen Unternehmungen«415 entgegenzuwirken. Eine zentrale kommunikative Funktion in den Debatten erfüllte das Wort »Wettbewerb«, das sich im Laufe der fünfziger Jahre einerseits als Beschreibungsform für das anzustrebende modale Grundprinzip ökonomischer Prozesse etablierte, deren regelgeleiteten Ablauf die staatliche Rahmenordnung garantieren sollte. Im ordoliberalen Schrifttum sowie in Ludwig Erhards und Alfred Müller-Armacks programmatischen Texten zur »Sozialen Marktwirtschaft« stellte »Wettbewerb« einen Idealzustand dar, der permanent einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage zustrebt. Wie schon für das »Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen« bildete diese Denkfigur der »vollständigen Konkurrenz« auch für die frühen bundesrepublikanischen Privatisierungsmaßnahmen einen wichtigen Begründungszusammenhang, sollte doch der Rückzug des Staates aus der unternehmerischen Tätigkeit ökonomischen Wettbewerb in diesem idealtypischen Sinne garantieren. Andererseits entfaltete »Wettbewerb« nicht nur in Verbindung mit einem spezifischen semantischen Gehalt Plausibilität, sondern avancierte auch zu einer weitgehend bedeutungsoffenen referentiellen Größe. So formulierten selbst die Gegner von Privatisierungsmaßnahmen, die gegen die strikte Trennung von Staat und Wirtschaft eintraten und öffentliche Unternehmen für eine »aktive Preispolitik« instrumentalisieren wollten, als Ziel die Herstellung ökonomischen Wettbewerbs. Zudem löste sich das Wort zuweilen von der Denkfigur des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage und geriet zu einem anzustrebenden, aber zugleich semantisch leeren Fluchtpunkt. Für diesen Status von »Wettbewerb« als leerer Signifikant spricht auch, dass die Bezeichnung nicht definitorisch eingeführt, sondern über Metaphoriken plausibilisiert wurde. Die Privatisierungsbefürworter bemühten hierbei Sprachbilder aus dem Wortfeld des Sports und beschrieben etwa den Staat als einen Schiedsrichter, der für die Umsetzung von Spielregeln verantwortlich sei, während die Gegner der Privatisierungen das Bild vom Staat als »Hecht im Karpfenteich« perpetuierten. Dass ökonomische Prozesse sich jedoch »im Wettbewerb« zu vollziehen hatten und ökonomische Konkurrenz politisch zu ermöglichen war, stand nicht (mehr) zur Disposition. Diese argumentative Verschränkung von beteiligungs- und wett415 Seeling, Staatskapitalismus – eine neue Gefahr, S. 14.

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bewerbspolitischen Fragen belegt zugleich die enge Verflechtung der Bereitstellungs- mit der Regulierungsdimension wirtschaftlicher Staatsaufgaben. Das Ziel der Herstellung ökonomischen Wettbewerbs nach dem Ideal »vollständiger Konkurrenz« war im ordoliberalen Gedankengebäude ferner eng verknüpft mit weiteren Grundprinzipien. Den diskursiven Rahmen für das Prinzip der »Öffnung der Märkte« bildete die Rede von der wirtschaftlichen »Vermachtung«, die auf Monopole und Kartelle als äußere, dem wirtschaftlichen Marktgeschehen nicht inhärente Gefährdungen des Wettbewerbsmechanismus abstellte. Mit dem Verweis auf staatliche Monopol- wie auf privatwirtschaftliche Kartellbildung nahm diese Redefigur zwei unterschiedliche Ausprägungsformen an, die als diskursive Positionen für die Privatisierungsdebatten der frühen Bundesrepublik offen standen. Befürworter und Gegner der Privatisierung besetzten jeweils unterschiedliche Positionen, beschworen doch erstere vornehmlich die Gefahr staatlicher Machtbildung, während letztere die Privatisierung staatlichen Unternehmensbesitzes mit Blick auf privatwirtschaftliche Machtkonzentration ablehnten. Gleichwohl blieb die Gefahr wirtschaftlicher Machtbildung, die im Sinne der Herstellung ökonomischen Wettbewerbs abzuwenden war, ein gemeinsamer referentieller Bezugspunkt. Auch »Privateigentum« gehörte im ordoliberalen Denkmodell zu den von Walter Eucken formulierten »Voraussetzungen der Wettbewerbsordnung«. An die Denkfigur von privatem Eigentum als Ermöglichungsbedingung der anzustrebenden wettbewerbsbasierten Wirtschaftsordnung schlossen die gesellschaftspolitischen Überlegungen Wilhelm Röpkes und Alexander Rüstows unter den beiden Schlagwörtern »soziologischer Liberalismus« und »Vitalpolitik« an, die unter anderem auf die Eigentumsbildung in breiten Bevölkerungsschichten zielten. Mit ihren Überlegungen war der Anspruch verknüpft, Wirtschafts- und Gesellschafts- bzw. Sozialpolitik zu verbinden, der den Privatisierungsvorhaben der jungen Bundesrepublik einen wichtigen Verweishorizont eröffnete und in der Formel von der »sozialen Privatisierung« unmittelbaren Ausdruck fand. Zugleich blieb der Bedeutungsgehalt von »Privateigentum« nicht auf dessen wirtschaftliche Funktion als Bedingung ökonomischen Wettbewerbs beschränkt. Vielmehr avancierte auch diese Bezeichnung in den Privatisierungsdebatten zu einem leeren Signifikanten, der über kontrastive Bezeichnungsformen wie »Kollektiveigentum«, andere uneindeutige Zeichen wie beispielsweise »Freiheit« oder »Persönlichkeit« sowie geistesgeschichtliche Verweise plausibilisiert wurde und auf diese Weise die Privatisierungsmaßnahmen in zusätzliche Begründungszusammenhänge einbettete. Einen solchen Status erhielt auch die Wortverbindung »Volksaktie«, die nicht als aktienrechtlicher Terminus, sondern, wie Bundesschatzminister Hermann Lindrath selbst sagte, als »politischer Begriff« konzipiert war. Das Wort »Volk« transportierte Bedeutungsgehalte aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts sowie des nationalsozialistischen Konzepts von »Volksgemeinschaft«, die über das Ende der NS-Zeit hinaus anschlussfähig geblieben waren und mit denen sich das Vorhaben der »sozialen Privatisierung« als Beitrag zur Überwindung gesellschaftlicher Klassengegensätze ausflaggen ließ. 101

Zweiter Teil: Zwischen Verstaatlichung und neuer Privatisierungsdiskussion, 1965–1980

1. Von der Privatisierung zur Verstaatlichung Die Teilprivatisierung der VEBA im Jahr 1965 war das letzte große Privatisierungsvorhaben der frühen Bundesrepublik.1 Dass die erste Entstaatlichungsphase trotz fortgesetzter Forderungen nach weiteren Veräußerungen von Bundesbeteiligungen2 am Übergang von den sechziger zu den siebziger Jahren »endgültig« abgeschlossen war,3 lässt sich an zwei Indikatoren ablesen. Erstens schaffte die nach der Bundestagswahl 1969 ins Amt gekommene sozial-liberale Bundesregierung das Bundesschatzministerium wieder ab, dessen Gründung im Jahr 1957 den politischen Willen zur Neuordnung und Privatisierung des Bundesvermögens hatte dokumentieren sollen. Die Zuständigkeit für den wirtschaftlichen Bundesbesitz lag fortan wieder beim Bundesministerium der Finanzen. Zweitens scheiterten in dieser Zeit mehrere Initiativen, die auf eine Neuorganisation und weitere Privatisierung von Unternehmen im Bundesbesitz zielten. So legte zunächst die Bundestagsfraktion der FDP, die während ihrer Oppositionsjahre »die Rolle des Fackelträgers der Privatisierung« einnahm,4 im April 1968 anlässlich der Haushaltsberatungen einen Entschließungsantrag vor, der die weitere Privatisierung von öffentlichen Anteilen an der Vereinigten Industrie-Unternehmungen AG (VIAG), der VEBA sowie der Salzgitter AG vorsah.5 1 Die im Juli 1965 beschlossene und 1966 vollzogene Teilprivatisierung der Lufthansa kam durch eine Kapitalerhöhung auf Kosten der Bezugsrechte des Bundes zustande und ordnet sich demnach nicht in die Reihe der »sozialen Privatisierungen« ein; Bozdag-Yaksan, S. 165–166. Daneben wurden in den Jahren 1967 und 1968 (mittelbare Bundes-)Beteiligungen des Salzgitter-Konzerns, der AG für Binnenschiffahrt i.L., der Industrieverwaltungsgesellschaft mbH und des VIAG-Konzerns außerhalb der Börse veräußert; vgl. Bundesministerium der Finanzen, Beteiligungsberichte 1967 f. 2 Der Steuerzahlerbund etwa setzte sein öffentliches Werben für einen weiteren Rückbau staatlicher Unternehmensbeteiligungen fort: Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler. Auch die FDP brachte in ihren Oppositionsjahren das Thema mehrfach auf die politische Tagesordnung; Knauss, Verlauf, S. 147–149; Privatisierung erst am Anfang, in: Der Volkswirt, 29.10.1965. 3 Fuder, S. 192. 4 So urteilte rückblickend: Knauss, Verlauf, S. 148. Zur FDP-Position in den siebziger Jahren: Ders., Beteiligungen, S. 50–51. 5 VDB, 5. WP, 167. Sitzung, 4.4.1968, S. 8901; Differenzen in der Privatisierungspolitik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.4.1968.

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Der Bundestag erklärte den Antrag im Dezember desselben Jahres auf Empfehlung des Ausschusses für das Bundesvermögen zwar für erledigt.6 Allerdings nahm der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, HansJürgen Junghans, die parlamentarischen Beratungen zum Anlass, eine grundlegende Neuordnung des industriellen Bundesvermögens zu fordern,7 und unterbreitete dem zuständigen Bundesschatzminister Kurt Schmücker einen Vorschlag zur Konzentration der industriellen Bundesbeteiligungen in einer Holdinggesellschaft, den dieser jedoch ablehnte. Der sozialdemokratische Finanzminister Alex Möller griff dann im Februar 1970 Junghans’ Überlegungen wieder auf und formulierte den Plan, die Bundesanteile an der VIAG, der VEBA, der Salzgitter AG, der Industrieverwaltungsgesellschaft (IVG), der Deutschen Industrieanlagen GmbH (DIAG), der Gesellschaft für praktische Lagerstättenforschung (Prakla), der Saarbergwerke AG und der Volkswagenwerk AG in einer Holding zusammenzufassen. Diese sogenannte »Bundesholding« mit einem Nominalwert des Bundesanteils von rund eineinhalb Milliarden DM,8 als deren Dachgesellschaft die VIAG vorgesehen war, sollte anschließend zu 49 Prozent privatisiert werden.9 Um das Vorhaben voranzutreiben, bildeten die beiden Regierungsfraktionen sogleich eine »Arbeitsgruppe Bundesholding«, auf deren Anregung hin Möller im März 1971 den Wirtschaftsprüfer Erich Potthoff mit einem Gutachten »zur Frage einer Neuordnung des industriellen Bundesvermögens« beauftragte.10 Letztlich scheiterte das Projekt einer »Bundesholding« jedoch nach mehreren Überarbeitungen bereits im Bundeskabinett, wo sich insbesondere SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller dagegen aussprach.11 Zudem gingen nach dem Rücktritt Alex Möllers vom Amt des Bundesfinanzministers im Mai 1971 vom Finanzressort keine Initiativen zur Neuordnung und Privatisierung von Bundesvermögen mehr aus. Auch das Gutachten Potthoffs, das schließlich im November 1971 vorlag, entsprach nicht dem ursprünglichen Auftrag Möllers und der »Arbeitsgruppe Bundesholding«. Während Möller gutachterliche Stellungnahmen zum Kapitalbedarf, zu Konsolidierungs- und Kooperationsmöglichkeiten sowie zu »strukturelle[n] Neuordnungsmöglichkeiten« und zur »mögliche[n] Verbesserung der Organisationsform« industrieller Unter6 VDB, 5. WP, 203. Sitzung, 6.12.1968, S. 10975; BT-Drucksache V/3287. 7 VDB, 5. WP, 167. Sitzung, 4.4.1968, S. 8834. 8 Die Gesamtsumme des Grundkapitals der angestrebten Holding betrug beinahe drei Milliarden DM. Mit einem Nominalwert von rund eineinhalb Milliarden DM machten die Industriebeteiligungen des Bundes den weitaus größten Teil des Bundesbeteiligungsbesitzes aus, dessen Nominalwert bei rund dreieinhalb Milliarden DM lag; Bundesministerium der Finanzen, Beteiligungsbericht 1970. 9 Ei des Kolumbus, in: Der Volkswirt, 17.4.1970; Wirren um eine Holding, in: Der Volkswirt, 18.12.1970; Möller schmiedet das Superding, in: Die Zeit, 18.9.1970. 10 Potthoff, S. 1. Das Bundeskabinett hatte dem Vorschlag, ein solches Gutachten in Auftrag zu geben, in seiner Sitzung am 4. März 1971 zugestimmt; BArch, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1971. Protokolle, 61. Kabinettssitzung am 4.3.1971. 11 Knauss, Entscheidungen, S. 166; ders., Verlauf, S. 149; Fuder, S. 192; Einstimmig kontra, in: Der Spiegel, 5.10.1970; Wer wird Mutter?, in: Die Zeit, 23.4.1971.

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nehmen im Bundesbesitz in Auftrag gegeben hatte,12 konzentrierten sich die Untersuchungen Potthoffs und seiner Mitarbeiter seit Sommer 1971 in Absprache mit dem neuen, integrierten Wirtschafts- und Finanzressort unter der Leitung Karl Schillers vor allem auf Möglichkeiten der »Einflußnahme des Bundes auf seinen industriellen Besitz«.13 Die Bundestagsfraktion der CDU wiederum unternahm zur selben Zeit den Versuch, an die Privatisierungsmaßnahmen der fünfziger und sechziger Jahre anzuknüpfen. So war ein im November 1970 unter Federführung Fritz Burgbachers eingebrachter Gesetzesentwurf gegen den Plan Möllers gerichtet, die »sämtlichen Beteiligungsrechte in einem zentral geleiteten Konzern zusammenzufassen«. Vielmehr sollten nach den Vorstellungen der Unionsfraktion in einem ersten Schritt weitere Bundesanteile sowohl der VIAG als auch der VEBA privatisiert werden. Im Falle der VIAG war die Erhöhung des Grundkapitals vorgesehen, wobei 49 Prozent des erhöhten Grundkapitals im Anschluss privatisiert werden sollten. Der Staatsanteil an der VEBA, der seit der Teilprivatisierung 1965 rund vierzig Prozent betrug, sollte auf etwa 26 Prozent gesenkt werden. In ihrer Begründung des Gesetzesvorhabens knüpften die Unionsabgeordneten explizit an die Legitimationsfigur der Verknüpfung ordnungs- und gesellschaftspolitischer Zielsetzungen an, die bereits die vorangegangenen Privatisierungen argumentativ gerahmt hatte, stellten sie doch »die vierte soziale Privatisierung« von Unternehmensanteilen des Bundes »im Interesse der Bildung von Produktivvermögen in breiten Bevölkerungsschichten« in Aussicht.14 Neben weiteren Teilprivatisierungen der VIAG und der VEBA sah der Gesetzesentwurf als zweiten Schritt die Gründung einer »Aktiengesellschaft für Bundesbeteiligungen« vor, in welche die verbleibenden Industriebeteiligungen eingebracht werden sollten. Ziel der Aktiengesellschaft war laut Entwurf, »auf die Stärkung der Ertragskraft dieser Gesellschaften hinzuwirken« und auf diese Weise auch deren »soziale Privatisierung« zu ermöglichen.15 Der Gesetzesentwurf wurde im Dezember 1970 ohne Aussprache an die zuständigen Bundestagsausschüsse überwiesen.16 Weitere Debatten im Plenum fanden jedoch nicht mehr statt. Der Abschluss der ersten bundesrepublikanischen Privatisierungsphase, für den die Abschaffung des Bundesschatzministeriums und die gescheiterten Initiativen zur Neuordnung und Privatisierung von Bundesvermögen beispielhaft stehen, ist auf ein Bündel mehrerer finanzieller, wirtschaftlicher und politischer Faktoren zurückzuführen. Zwei wesentliche Gründe nannte bereits im Juli 1969 Bundesschatzminister Kurt Schmücker in seiner Antwort auf eine »Kleine Anfrage« der FDP-Bundestagsfraktion zum Thema »Vermögensbildung«.17 Er ver12 Potthoff, S. 1. 13 So der Titel einer der beiden vorgelegten Studien; ebd. Zur Anpassung der Untersuchungsschwerpunkte: Ebd., S. 2–4. 14 BT-Drucksache VI/1434, S. 4. 15 Ebd., S. 2. 16 VDB, 6. WP, 87. Sitzung, 16.12.1970, S. 4852. Vgl. auch Knauss, Äußerungen, S. 404–405. 17 BT-Drucksache V/4572.

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wies erstens auf den Mangel an privatisierungsfähigen Unternehmen im Bundesbesitz, sei doch mit den durchgeführten (Teil-)Privatisierungen der Preussag, des Volkswagenwerkes sowie der VEBA »zugleich der privatisierungsfähige Teil des industriellen Bundesvermögens im wesentlichen erfaßt« worden.18 Aufgrund ihrer Ertragssituation seien die Saarbergwerke AG, die Salzgitter AG oder der VIAG-Konzern nicht zur Privatisierung geeignet.19 Die übrigen Firmen mit maßgeblicher Beteiligung des Bundes, beispielsweise aus dem ERP-Sondervermögen, nähmen »weitgehend Sonderaufgaben wahr«.20 Zweitens war, wie Schmücker ebenfalls betonte, der Aktienverkauf seit den sechziger Jahren nunmehr lediglich »ein Bestandteil der allgemeinen Vermögenspolitik der Bundesregierung«, dem gegenüber »andere vermögenspolitische Maßnahmen in den Vordergrund getreten« seien.21 Hiermit verwies der Minister insbesondere auf die in den Jahren 1961 und 1965 verabschiedeten Vermögensbildungsgesetze und die Einführung der sogenannten »Arbeitnehmersparzulage«.22 Fraglos trug zu dieser vermögenspolitischen Neuausrichtung auch die allgemein schlechte Kursentwicklung an den Börsen im Laufe der sechziger Jahre bei, die weitere Aktienemissionen grundsätzlich erschwerte. Zudem verlor das erklärte politische Ziel der Vermögensbildung in breiteren Bevölkerungsgruppen zunehmend an Bindungswirkung, stieg das private Vermögen doch in allen Gesellschaftsschichten kontinuierlich an. Diejenigen, auf die das »Volksaktien«-Programm gezielt hatte, investierten ihr Vermögen jedoch nicht in Aktien, sondern erwarben in zunehmendem Maße Konsumgüter.23 Mit Blick auf die politische Dimension der Privatisierung ist darüber hinaus drittens der Wandel (wirtschafts-)politischer Leitvorstellungen und Bedingungsfaktoren zu berücksichtigen, der bis in die fünfziger Jahre zurückverfolgt werden kann und sich im Laufe der sechziger Jahre weiter beschleunigte.24 Kennzeichnend für diesen Wandlungsprozess, der auch den politischen Bedingungsrahmen für die Definition wirtschaftlicher Aufgabenbereiche des Staates veränderte, ist einmal der Bedeutungsverlust ordnungspolitischer Fragen. Hatten die »sozialen Privatisierungen« der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre als politische Projekte noch in besonderem Maße auf die Bestätigung und Festigung der »Sozialen Marktwirtschaft« als Wirtschaftsordnungsmodell der Bundesrepublik gezielt, verloren Fragen der Ordnungspolitik im Laufe der sechziger Jahre zunehmend an Relevanz. Diese Entwicklung ist zum einen auf die Etablierung der »Sozialen Marktwirtschaft« als wirtschaftliches Ordnungsmodell der Bundesrepublik zurückzuführen, das nun weithin anerkannt war 18 BT-Drucksache V/4606, S. 1. 19 Ebd., S. 2. 20 Ebd., S. 3. 21 Ebd., S. 2. 22 Knauss, Verlauf, S. 148. 23 von Loesch, S. 141–145. 24 Zu den folgenden Abschnitten ausführlich: Metzler, Konzeptionen; Nützenadel, Stunde; ders., Wachstum; Schanetzky, Ernüchterung.

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und keiner weiteren Bestätigung mehr bedurfte. Begünstigt wurde dieser Umstand überdies durch die krisenhaften ökonomischen Entwicklungen in der DDR, die den vormaligen Alternativentwurf einer planwirtschaftlichen Ordnung desavouierten.25 Zum anderen mündete der Bedeutungsverlust ordnungspolitischer Fragen in eine Phase der wirtschaftspolitischen Neuorientierung, die den Übergang von der Ordnungs- zur Prozesspolitik, zum Streben nach Optimierung wirtschaftspolitischer Abläufe und Prozesse markierte. Der Ordoliberalismus verlor in dieser Übergangsphase als wirtschaftstheoretischer Orientierungsrahmen an Relevanz gegenüber keynesianisch inspirierten Ansätzen, die auf die politische Steuerung makroökonomischer Bezugsgrößen abhoben. Gewiss ist die zunehmende Relevanz einer aktiven Konjunktur- und Wachstumspolitik angesichts exzeptioneller Wachstumsraten, Vollbeschäftigung und hoher Exportüberschüsse, die für die Bundesrepublik bis in die zweite Hälfte der sechziger Jahre hinein kennzeichnend waren, erklärungsbedürftig. Die historische Forschung verweist dazu auf ein Bündel von wissenschafts-, politik- und erfahrungsgeschichtlichen Faktoren. Der Blick auf die personellen, institutionellen und theoretisch-methodischen Veränderungen innerhalb der deutschsprachigen Nationalökonomie zeigt, dass die wissenschaftliche Wirkungsmacht ordoliberaler Ideen bereits in den fünfziger Jahren hinter dem politischen Einfluss und dem öffentlichen Ansehen ihrer wichtigsten Vertreter zurückblieb, die schon in der Frühphase der Bundesrepublik nicht mehr an westdeutschen Universitäten lehrten und forschten. Unterdessen öffnete sich die bundesdeutsche wirtschaftswissenschaftliche Forschung stärker neoklassischen und keynesianischen Denkansätzen und beschäftigte sich zunehmend mit makroökonomischen Fragen der Wachstums- und Konjunkturtheorie sowie ökonometrischen und mathematisierten Modellrechnungsverfahren. Die wichtigsten Protagonisten dieses westdeutschen Anschlusses an die angelsächsische wirtschaftswissenschaftliche Forschung waren Erich Schneider, der sich schon zu Beginn der fünfziger Jahre eine öffentliche Auseinandersetzung mit Wilhelm Röpke über den Stellenwert von John Maynard Keynes in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung geliefert hatte26 und dessen Lehrbuch zur Einführung in die Volkswirtschaftslehre zu einem Standardwerk für die Studierenden der fünfziger und sechziger Jahre avancierte,27 und Fritz Neumark, der insbesondere auf dem boomenden Feld der Fiskaltheorie ausgewiesen war.28 Gleichwohl markiert der Übergang vom Ordoliberalismus zum Keynesianismus nicht bloß einen wirtschaftstheoretischen Wendepunkt, sondern steht viel25 von Loesch, S. 141–145. 26 E. Schneider, Streit; mit dem Text antwortete Schneider auf Röpkes Artikel: Was lehrt Keynes?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.9.1952. 27 E. Schneider, Einführung. 28 Nützenadel, Stunde, S. 44–62, 81–89; Metzler, Konzeptionen, S. 58–59; Heuß, Kontinuität, S. 341–344.

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mehr für einen fundamentalen Wandel der bundesrepublikanischen Volkswirtschaftslehre, der sich in drei Dimensionen beobachten lässt. Erstens begann mit der Rezeption neoklassischer und keynesianisch inspirierter Ideen seit den fünfziger Jahren eine bis heute andauernde Phase der Orientierung am »internationalen Mainstream« der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung,29 mit dem Ergebnis, »daß seitdem die deutsch-sprachige Nationalökonomie nur noch Reflex der angelsächsischen ist.«30 Zweitens war mit der Rezeption des Keynesia­nismus ein grundlegender epistemologischer Wandel der Wirtschaftswissenschaften verbunden, deren Erkenntnisinteresse sich zunehmend von der Mikro- zur Makroökonomie, von der Analyse einzelner Marktverhältnisse hin zur Betrachtung eines volkswirtschaftlichen Gesamtmodells verlagerte.31 Mit dieser erkenntnistheoretisch angeleiteten Verschiebung des Gegenstandsbereichs hing drittens eine methodische Neuausrichtung des Faches zusammen, wandten sich doch auch die deutschsprachigen Ökonomen seit den späten fünfziger Jahren verstärkt abstrakten und mathematisch formalisierten Modellverfahren zu, die einen endgültigen Bruch mit den sozial- und geisteswissenschaftlichen Traditionen ihrer Disziplin bedeuteten. So erhielten Ökonometrie, Konjunkturbeobachtung und Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung fortan einen höheren Stellenwert. Insbesondere die außeruniversitäre Wirtschafts- und Konjunkturforschung expandierte, was sich an der Entwicklung beispielsweise des Münchener Ifo-Instituts, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin oder des Kieler Instituts für Weltwirtschaft ablesen lässt.32 Die »Transformation der Ökonomie von einer vergangenheitsbezogenen zu einer prognostischen Wissenschaft«33 stand in engem Zusammenhang mit dem zunehmenden gesellschaftlichen Stellenwert des Faches. So rückten ökonomische Fragen schon seit den fünfziger Jahren nicht nur in das Zentrum politischer Debatten, sondern sie waren vielmehr in zahlreichen gesellschaftlichen Handlungsfeldern und Funktionszusammenhängen von Belang, wuchs doch der Bedarf an wissenschaftlichem Wissen im Allgemeinen und an ökonomischem Datenmaterial im Besonderen sowohl in Ministerien und staatlichen Behörden als auch in privatwirtschaftlichen Unternehmen stetig an. Die gestiegene gesellschaftliche Relevanz der Ökonomie bestimmte nicht zuletzt das Selbstverständnis der Wirtschaftswissenschaftler, die eine funktions- und anwendungsorientierte Wende vollzogen und den Anspruch erhoben, volkswirtschaftliche Prozesse und Zusammenhänge präzise messen und prognostizieren zu können. Die drei skizzierten Tendenzen – die Entwicklung ökonomischen Wissens »zu einer Schlüsselvariablen für unterschiedliche gesellschaftliche Anwendungs29 Nützenadel, Stunde, S. 44. 30 Heuß, Kontinuität, S. 344. 31 Diesen tiefgreifenden diskursiven Wandel betonen vor allem: Hesse, Wirtschaft; Galbraith, S. 281–282. 32 Nützenadel, Stunde, S. 90–122; ders., Wachstum, S. 124–128; Hesse, Wirtschaft, S. 304–334. 33 Nützenadel, Wachstum, S. 128.

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bereiche«,34 das neue Selbstverständnis der Wirtschaftswissenschaftler35 und die Entwicklung neuer ökonomischer Berechnungs- und Prognoseverfahren – sind wesentliche Kennzeichnen einer zunehmenden Verwissenschaftlichung der Wirtschaftspolitik und der Institutionalisierung der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung in der Bundesrepublik. Beide Entwicklungen fanden in der Gründung des »Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung« im August 1963 ihren sichtbarsten Ausdruck. Mit seinem Selbstverständnis, nicht nur wissenschaftliches Wissen zu produzieren, sondern Forschungsergebnisse für politisches Handeln verfügbar zu machen und wirtschaftspolitische (Entscheidungs-)Prozesse zu beeinflussen, avancierte der Sachverständigenrat zum wichtigen Wegbereiter und Protagonisten einer wissenschaftlich fundierten, zukunftsorientierten Wachstums- und Konjunkturpolitik in der Bundesrepublik.36 Darüber hinaus prägten die Erinnerungen an Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise in den zwanziger Jahren, die in den geschichtspolitischen Debatten nach 1945 sehr präsent waren, den wirtschaftspolitischen Erfahrungsraum der Bundesrepublik nachhaltig. Zum einen galt die Krise der zwanziger Jahre den Zeitgenossen als wirtschaftspolitisches Referenzereignis, das, so der Wirtschaftswissenschaftler Andeas Predöhl in einem 1953 erschienen Aufsatz, »[j]edes Urteil in wirtschaftlichen Fragen […] bewusst oder unbewusst« bestimme.37 Zum anderen stellten geschichtspolitische Abhandlungen der Nachkriegszeit einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Großer Depression und nationalsozialistischer Machtübernahme her, aus dem sich das Streben nach ökonomischer Stabilität als unbedingtes wirtschaftspolitisches Erfordernis ergab.38 Vor diesem erfahrungsgeschichtlichen Hintergrund wird nicht nur verständlich, dass die Ideen einer aktiven Steuerung makroökonomischer Größen bereits seit den fünfziger Jahren auch in politischen Diskussionszusammenhängen zunehmend an Einfluss gewannen.39 Die herausgehobene Stellung der Großen ­Depression der zwanziger Jahre im Erfahrungsraum der jungen Bundesrepublik erklärt ebenso, dass die Bundesregierung ihre stabilitätspolitischen Bemühungen während der Rezession der Jahre 1966 und 1967 intensivierte. In quantitativer Hinsicht war die wirtschaftliche Entwicklung der Bundes­ republik in diesen Jahren zwar »überaus harmlos«, sank doch das Bruttoinlandsprodukt 1967 um lediglich 0,7 Prozent, während die Arbeitslosenquote für kurze Zeit auf 2,1 Prozent anstieg.40 Wenn der materielle Umfang des kurzfristigen 34 Nützenadel, Stunde, S. 355. 35 Zu den Rückwirkungen der Beratungstätigkeit auf die Disziplin: Hesse, Wirtschaft, S. 105–131. 36 Grundlegend zu Prozessen der Verwissenschaftlichung im Allgemeinen: Raphael; SzöllösiJanze. Zum Sachverständigenrat: Metzler, Versachlichung; dies., Konzeptionen, S. 170–181; Nützenadel, Stunde, S. 152–174; Schanetzky, Rat. 37 Predöhl, S. 97. 38 G. Kroll; Grotkopp. 39 Nützenadel, Stunde, S. 234–278. 40 Plumpe, Wirtschaftskrise, Zit. S. 19.

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wirtschaftlichen Abschwungs, der die Bundesrepublik lediglich auf den langfristigen Pfad wirtschaftlicher Entwicklung zurückführte und das Ende der Sonderkonjunktur der Nachkriegszeit bedeutete, auch gering ausfiel, hatte dessen zeitgenössische Wahrnehmung als »Krise« jedoch beträchtliche wirtschaftspolitische Auswirkungen.41 Zum einen irritierte die kurze Wachstumsdelle etablierte gesellschaftliche Erwartungen, indem sie den »Traum immerwährender Prosperität«42 beendete und zum »Verlust an ordnungspolitischer Sicherheit und Stabilitätsgewissheit«43 beitrug. Diese Irritation vormaliger Normalitäten, Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten evozierte zum anderen den politischen Reformwillen und beschleunigte die Hinwendung zu einer aktiven, wissenschaftlich fundierten Politik der Steuerung makroökonomischer Prozesse und Bezugsgrößen nach dem Leitbild der »Globalsteuerung«.44 Im 1967 verabschiedeten »Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft«, dessen Beschluss sich bereits in den fünfziger und frühen sechziger Jahren angebahnt hatte,45 fand die Hinwendung zur »Globalsteuerung«, zur aktiven Konjunktur- und Wachstumspolitik ihren sichtbarsten Ausdruck. Ziel des Wachstums- und Stabilitätsgesetzes war – dies geht bereits aus dem ersten Paragraphen des Gesetzestextes hervor –, die »Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts« als Referenz und Orientierungspunkt der wirtschaftspolitischen Maßnahmen von Bund und Ländern festzuschreiben. Zu den Eckpfeilern des anzustrebenden »gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts« erklärte der Gesetzgeber vier gleichberechtigte makroökonomische Zielgrößen, die für die Zeitgenossen angesichts vorhersehbarer Zielkonflikte ein »magisches Viereck« bildeten: die »Stabilität des Preisniveaus«, ein »hoher Beschäftigungsstand«, »außenwirtschaftliches Gleichgewicht« sowie ein »stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum«. Daneben verpflichtete das Gesetz die Bundesregierung zur Veröffentlichung von Jahreswirtschaftsberichten. Darin hatte das Kabinett zu den Jahresgutachten des Sachverständigenrates Stellung zu beziehen sowie die wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele für das jeweilige Kalenderjahr darzulegen.46 Dass die skizzierte wirtschaftspolitische Neuorientierung der sechziger Jahre mit der Hinwendung zu einer aktiven Wachstums- und Konjunkturpolitik den 41 Zu Krisen als »Wahrnehmungsphänomenen«: Mergel, Einleitung. Vgl. auch: C. Meyer; Wengeler u. Ziem; Tanner. 42 So der vielfach zitierte Titel einer soziologischen Studie, die insbesondere die wirtschaftlichen Problemlagen der siebziger Jahre akzentuiert; B. Lutz. 43 Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 299. 44 Ausführlich zur »Globalsteuerung«: Schanetzky, Ernüchterung, S. 55–159. 45 So beispielsweise mit dem SPD-Entwurf eines Konjunktur- und Wachstumsgesetzes vom Mai 1956: BT-Drucksache II/2428B. Ausführlich zur Genese des Stabilitätsgesetzes: Nützenadel, Stunde, S. 283–336; Schanetzky, Ernüchterung, S. 81–112; Metzler, Konzeptionen, S. 315–327. 46 Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, in: BGBl, Teil I, Nr. 32, 13.6.1967, S. 582–589.

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Bedingungsrahmen für die Definition wirtschaftlicher Aufgabenfelder des Staates grundlegend veränderte, wird ferner mit Blick auf das allgemeine Staats­ verständnis und die Umdeutung des Wortes »Planung« besonders augenscheinlich. Im Wirtschaftsordnungsmodell der »Sozialen Marktwirtschaft«, das seit den späten vierziger Jahren auf dem theoretischen Fundament des Ordoliberalismus errichtet worden war, galten staatliche Interventionen in ökonomische Prozesse als »geradezu perhorresziert«,47 war dem Staat doch lediglich die Aufgabe zugedacht, den Rahmen für wirtschaftliche Prozesse bereitzustellen und eine marktförmige, wettbewerbsbasierte Wirtschaftsordnung zu garantieren. Der Staat hatte – um nochmals die von Wilhelm Röpke und anderen wiederholt bemühte Sportmetaphorik aufzugreifen  – »Schiedsrichter« zu sein, nicht »Mitspieler«. Im Zuge der Hinwendung zu einer aktiveren, prozessorientierten Wirtschaftspolitik der Steuerung von Wachstum und Konjunktur verlor die Reduktion des Staates auf eine konstituierende Rolle jedoch an Plausibilität. Sowohl die Veränderungen innerhalb der deutschsprachigen Volkswirtschaftslehre, die eine zunehmende Rezeption neoklassischer und keynesianischer Ansätze sowie die Erprobung neuer methodischer Verfahren umfassten, als auch die Institutionalisierung der (wirtschafts-)wissenschaftlichen Politikberatung schufen einen neuen politischen Ermöglichungs- und Bedingungsrahmen, in dem der Rolle des Staates als wirtschaftspolitischer Akteur größere Bedeutung zukam. Einen zusätzlichen semantischen Rahmen für diesen Prozess der Aufwertung des Staates als Akteur im Wirtschaftsgeschehen bildete die zeitgenössische Staatsrechtslehre, die im Laufe der sechziger Jahre ebenfalls einen grundlegenden diskursiven Wandel durchlief.48 Zu dessen wesentlichen Kennzeichen zählte erstens die Abschaffung der theoretischen Trennung von Staat und Gesellschaft, die für die Staatsrechtslehre seit Jahrhunderten konstitutiv gewesen war, nun jedoch Autoren wie Horst Ehmke, Walter Besson, Kurt Sontheimer oder Martin Drath in programmatischen Schriften für unzeitgemäß erklärten.49 Eine neue Staatskonzeption musste sich ihrem Verständnis nach an den Bedürfnissen moderner Industriegesellschaften ausrichten, die, in den Worten Martin Draths, eines »Regulierungssystems«50 bedurften. Als solches war allerdings nicht der über der Gesellschaft stehende Staat zu verstehen. Vielmehr waren für Drath, Hesse und andere Wissenschaftler, deren Überlegungen auf dem theoretischen Fundament der Kybernetik fußten, Staat und Gesellschaft als Teile eines »Gesamtsystems«51 zu verstehen, in dem der Staat »funktional auf die Gesellschaft bezogen«52 sein sollte. Aus dieser funktionalen Verknüpfung von Staat und Gesellschaft ergab sich zweitens die Idee einer steuernden und koordinie47 Metzler, Konzeptionen, S. 51. 48 Ebd., S. 297–306. 49 Ehmke; Besson; Sontheimer; Drath, Staat; ders., Theorie. 50 Drath, Staat, S. 274. 51 Ebd., S. 276; Ehmke, S. 44. 52 Drath, Staat, S. 276.

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renden Rolle des Staates. Martin Drath nannte dessen »Steuerungsfähigkeit« gar »die ›ratio‹ der Existenz des Staates überhaupt.«53 Der Staat hatte demnach nicht die »Erhaltung von ›Gegebenheiten‹ einer ›bestehenden Ordnung‹« zu gewährleisten, sondern die »Gestaltung des Wandels« und die Steuerung gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse zu betreiben.54 Mit der Neudefinition des Staates über dessen Fähigkeit zur Steuerung gesellschaftlicher Prozesse ging auch eine Erneuerung des semantischen Gehalts von »Planung« einher. Während die Ideengeber und geistigen Architekten der »Sozialen Marktwirtschaft« das Wort noch mit dem gegensätzlichen Wirtschaftsordnungsmodell der »Planwirtschaft« verknüpft und in der frühen Bundesrepublik eine »Rhetorik der Planungsabstinenz«55 etabliert hatten, erfuhr »Planung« bereits in den sozialdemokratischen Programmschriften der fünfziger Jahre eine semantische Aufwertung. In den sechziger Jahren war das Wort dann nicht mehr mit dem Vorwurf übermäßiger, »dirigistischer« Staatseingriffe verknüpft. Als »systematischer Entwurf einer rationalen Ordnung auf der Grundlage alles verfügbaren einschlägigen Wissens«56 markierte »Planung« vielmehr das parteiübergreifend anerkannte Ideal maßvollen, rationalen und wissenschaftlich fundierten politischen Handelns, das sich an den Erfordernissen der Zukunft orientierte und gesellschaftlichen Fortschritt gewährleistete.57 Mit der Hinwendung zur Prozesspolitik, der Umwertung der Rolle des Staates als intervenierender, steuernder Akteur und der zunehmenden Verwissenschaftlichung politischen Handelns veränderte sich das (wirtschafts-)politische Bedingungsgefüge der Bundesrepublik bis in die Mitte der sechziger Jahre grundlegend. Die Rufe nach Neuordnung und Privatisierung von Bundesvermögen über einen Rückzug des Staates von weiteren wirtschaftlichen Tätigkeitsfeldern stießen in diesem neuen politisch-gesellschaftlichen Resonanzraum auf keinerlei Widerhall. Dass die Bundesregierung im Zuge ihrer Hinwendung zur »Globalsteuerung« vielmehr auch ihre beteiligungspolitischen Ziele anpasste, dokumentiert eine amtliche Stellungnahme aus dem Jahr 1967 besonders anschaulich, in der es abschließend hieß: »Die Bundesunternehmen bilden ein wichtiges Instrument der Strukturpolitik und der Konjunkturbeeinflussung.«58 Neben einem solchen instrumentellen Einsatz der Unternehmen im Bundesbesitz für wirtschaftspolitische Zwecke und dem obligatorischen Konsolidierungsziel stand sogar das Ziel einer Privatisierung – allerdings nicht im Sinne des

53 Ebd., S. 275. 54 Drath, Theorie, S. 74. 55 Metzler, Konzeptionen, S. 82. 56 Kaiser, S. 7. 57 Grundlegend zur Geschichte politischer Planung in der Bundesrepublik: Metzler, Konzeptionen; Ruck; van Laak. Mit Schwerpunkt auf wirtschaftspolitischer Planung: Nützenadel, Stunde. 58 Die Entwicklung der Bundesunternehmen, in: Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik, Nr. 95, 1967, Zit. S. 3.

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Abbaus staatlicher Unternehmensanteile, sondern eines »zeitgemäßen Weg[s] der Privatisierung« durch »Zusammenarbeit der Bundesgesellschaften mit der Privatwirtschaft«.59 Jedoch blieben die beteiligungspolitischen Maßnahmen hinter diesen Ankündigungen zurück. Noch im November 1977, zehn Jahre nach der Stellungnahme der Großen Koalition zur Rolle der Bundesunternehmen, stimmte der SPD-Bundesparteitag für einen Vorschlag der wirtschafts- und finanzpolitischen Kommission beim Parteivorstand zur »Vorausschauenden Strukturpolitik für Vollbeschäftigung und humanes Wachstum«, in dem es unter anderem hieß, dass die Bundesbeteiligungen »bei der Verwirklichung wirtschaftspolitischer Zielsetzungen mit einbezogen werden« müssten.60 Auch während ihrer Regierungsjahre hatte die SPD mithin an ihrem beteiligungspolitischen Ziel festgehalten, die Bundesunternehmen instrumentell für wirtschaftspolitische Zwecke einzusetzen, das sie im Kern bereits in den fünfziger Jahren formuliert hatte. Die Sozialdemokraten beschränkten sich jedoch darauf, diese Zielsetzung in Programmen und Grundsatzpapieren zu bestätigen, statt sie in politische Beschlüsse und Maßnahmen zu überführen.61 Die geschilderten Veränderungen des politischen Bedingungsrahmens markierten daher sehr deutlich das Ende der frühen bundesrepublikanischen Privatisierungsvorhaben. Den Auftakt zu einer Phase prozesspolitischer Steuerungsversuche, die sich der Bundesunternehmen als Instrumente bedienten, bildeten sie indes nicht. Gleichwohl lassen sich die sechziger und siebziger Jahre nicht allein als ein Zeitabschnitt deuten, in dem der Prozess der Privatisierung von Bundesunternehmen zu einem vorläufigen Abschluss kam. Ebenso kennzeichnet diese Jahre eine erkennbare Tendenz zur Verstaatlichung, die sich an der Zunahme staatlicher Unternehmensbeteiligungen und wirtschaftlicher Staatsaufgaben ablesen lässt. So wuchs der Unternehmensbesitz des Bundes im Laufe der siebziger Jahre von 697 Beteiligungen im Jahr 1970 auf 985 in 1979 an. Diese Entwicklung ist vornehmlich auf die Zunahme im Bereich der mittelbaren Beteiligungen zurückzuführen. Begünstigt durch die beteiligungspolitische Zurückhaltung der SPD-geführten Bundesregierungen betrieben mehrere Konzerne im unmittelbaren Bundesbesitz  – allen voran die VEBA, die Salzgitter und die Saarbergwerke – in Eigenregie eine umfangreiche Diversifikationspolitik, die sie an ihren wirtschaftlichen Zielen ausrichteten.62 Die Verstaatlichungstendenzen der späten sechziger und siebziger Jahre werden im Folgenden mit Blick auf die VEBA studiert, die in den Jahren nach der 1965 durchgeführten Teilprivatisierung erneut eine herausgehobene beteiligungs­ politische Bedeutung erlangte. So lag in den siebziger Jahren rund ein Drittel 59 Ebd., S. 2. 60 Zit. n. Knauss, Beteiligungen, S. 50. 61 Zum Fehlen eines beteiligungspolitischen Gesamtkonzepts: Knauss, Verlauf, S. 149–151. 62 Bundesministerium der Finanzen, Beteiligungsberichte 1970 ff. Knauss, Privatisierung, S. 147; Tofaute, Ausverkauf, S. 106.

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des im Laufe der Dekade stetig wachsenden mittelbaren Beteiligungsbesitzes beim Düsseldorfer Energiekonzern,63 der sich sogar dem Vorwurf gegenüber sah, »das Aufsaugen kleiner und mittlerer Unternehmen am Rande der eigenen Tätigkeitsbereiche zu einer langfristigen Unternehmensstrategie gemacht« zu haben.64 Daneben – und hierauf wird der Schwerpunkt des nachfolgenden Kapitels liegen – geriet die VEBA seit den ausgehenden sechziger Jahren zum Gegenstand energiepolitischer Bestrebungen der Bundesregierung zum Aufbau eines »nationalen Mineralölkonzerns«, die zum einen in den öffentlichen Erwerb direkter, unmittelbarer Unternehmensbeteiligungen mündeten – und damit die zuvor verfolgten Entstaatlichungsbestrebungen wieder umkehrten – und zum anderen eine öffentliche Debatte über die wirtschaftlichen Zuständigkeitsbereiche des Staates entfachten. Bevor diese Vorhaben und Auseinandersetzungen beleuchtet werden können, gilt es zunächst, deren Rahmenbedingungen zu skizzieren und die Politisierung der bundesrepublikanischen Mineralölversorgung sowie deren Etikettierung als Sicherheitsproblem nachzuzeichnen.

2. Das Projekt eines »nationalen Mineralölkonzerns« 2.1 Die Mineralölversorgung der Bundesrepublik als politisches (Sicherheits-)Problem Bis in die sechziger Jahre hinein war Energiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland beinahe ausschließlich (Stein-)Kohlepolitik, bildete die heimische Steinkohle nach dem Zweiten Weltkrieg doch zunächst den weitaus wichtigsten Energieträger der westdeutschen Volkswirtschaft.65 Ihr Anteil am Primärenergieverbrauch66 betrug in den Jahren 1956 und 1957, als die geförderten Steinkohlemengen Spitzenwerte erreichten und der Ruhrkohlebergbau sich »auf der Höhe seiner Entwicklung« befand,67 circa siebzig Prozent. Hinzu kam ein etwa 15-prozentiger Beitrag der Braunkohle, während der Anteil von Mineralöl­produkten 63 Wirtschaftliche Beteiligungen des Bundes 1973, in: ÖWG, Jg. 24, 1975, S. 30. 64 So die Einschätzung der im Zuge der zweiten Kartellgesetznovelle gegründeten Monopolkommission; Monopolkommission, Hauptgutachten 1973/75, S. 476. Zu deren Gründung s. Kap. 2.4. 65 Zum Folgenden: Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 199–212; Graf, Öl, S. 72–83. Ausführlich zur Krise des westdeutschen Steinkohlebergbaus: Abelshauser, Ruhrkohlebergbau; Nonn. Grundlegend zur Globalgeschichte des Erdöls: Yergin. Einen Überblick über die Geschichte der bundesrepublikanischen Energiepolitik bieten die Beiträge in: Hohensee u. Salewski. 66 Der Gruppe der Primärenergieträger werden gemeinhin Erdöl, Braun- und Steinkohle sowie Erdgas zugeordnet. Als Sekundärenergieträger gelten in Weiterverarbeitungsprozessen gewonnene Stoffe wie Benzin oder Koks. 67 Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 199.

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am Gesamtenergieverbrauch bei gerade einmal elf Prozent lag.68 Doch bereits gegen Ende der fünfziger Jahre geriet die Steinkohle in einen verschärften Preiswettbewerb mit den günstigeren Mineralölprodukten, deren Beitrag zum Primärenergieverbrauch kontinuierlich anstieg und den Bergbau damit in anhaltende Absatzschwierigkeiten stürzte. Der Deutsche Bundestag nahm die Probleme des Ruhrkohlebergbaus bereits im Juni 1959 zum Anlass, die Arbeitsgemeinschaft wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute mit einem Gutachten zu beauftragen, das »über die Entwicklung der gegenwärtigen und zukünftigen Struktur von Angebot und Nachfrage in der Energiewirtschaft der Bundesrepublik unter besonderer Berücksichtigung des Steinkohlebergbaus« Aufschluss geben sollte.69 Die Entwicklung des Gesamtenergieverbrauchs wie des Mineralölanteils an der bundesrepublikanischen Energieversorgung ging allerdings weit über den im Gutachten abgesteckten Erwartungsrahmen hinaus. So waren die für 1975 vorausgesagten Verbrauchszahlen bereits Mitte der sechziger Jahre überschritten. Im Jahr 1966 löste das Mineralöl, dessen Anteil am Primärenergieverbrauch bereits bei 45,7 Prozent lag, die Steinkohle (38,3 Prozent) als wichtigsten Energieträger ab. Schon im Jahr 1969 stieg der Mineralölanteil auf über fünfzig Prozent. 1972, am Vorabend der ersten Ölpreiskrise, hatte er bereits 55,4 Prozent erreicht.70 Der Wandel der Versorgungsstruktur und die rasante Zunahme des Ölanteils schufen neue energiepolitische Problemlagen für die bundesrepublikanische Wirtschaft, die in besonderem Maße abhängig von Ölimporten aus dem Ausland war. Mit den übrigen westeuropäischen Ländern und Japan bildete die Bundesrepublik die größte Gruppe der sogenannten »Verbraucherländer«, deren Mineralölversorgungssituation sich durch eine zunehmende Diskrepanz zwischen stetig steigenden Energieverbrauchszahlen und gleichbleibend geringen Mengen von Mineralöl aus inländischer Produktion auszeichnete. Im Jahr 1970 beispielsweise stand dem hohen Ölverbrauch der europäischen Volkswirtschaften, der einem Anteil am weltweiten Mineralölverbrauch von 27,3 Prozent entsprach, lediglich ein einprozentiger Anteil an der globalen Rohölforderung gegenüber.71 In der Bundesrepublik erreichte die Menge des im Inland geförderten Rohöls mit acht Millionen Tonnen im Jahr 1968 ihren Spitzenwert, während die 68 Übersichten zur Entwicklung des Primärenergieverbrauchs finden sich beispielsweise in: Mineralölwirtschaftsverband, Jahresberichte; Bundesministerium für Wirtschaft; BT-Drucksache VII/1057, S. 3. 69 Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute. Dazu gehörten das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das Energiewirtschaftliche Institut der Universität zu Köln (EWI), das Rheinisch-westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, das Kieler Institut für Weltwirtschaft, das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München sowie das Hamburgische Welt-Wirtschafts-Archiv. 70 Karlsch u. Stokes, S. 345. Zum Problem energieprognostischer Fehleinschätzungen: N. Sandner, Die Grenzen der mittel- und langfristigen Prognosen des Energieverbrauchs, in: Glückauf, Jg. 108, 1972, S. 1147–1160; aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive: Ehrhardt. 71 M. Horn, S. 29.

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importierte Rohölmenge kontinuierlich zunahm und zu Beginn der siebziger Jahre auf über einhundert Millionen Tonnen anwuchs. Mehr als neunzig Prozent des benötigten Rohöls mussten mithin aus dem Ausland importiert werden. Hinzu kam der Import von Mineralölprodukten aus ausländischer Rohölverarbeitung, deren Menge seit den siebziger Jahren mehr als dreißig Millionen Tonnen pro Jahr ausmachte.72 Die Bundesrepublik war nicht nur in hohem Maße abhängig von Rohölimporten aus dem Ausland. Prägend für die westdeutsche Mineralölversorgung waren darüber hinaus mehrere Merkmale, die auf die übrigen westeuropäischen Länder nicht (in gleichem Maße) zutrafen und die Versorgungsproblematik – auch in den Augen der Zeitgenossen  – weiter verschärften.73 Da mit den militärischen Niederlagen und Gebietsverlusten des Deutschen Kaiserreiches und des NS-Staates in den beiden Weltkriegen auch der Verlust ausländischer Rohölbasen verbunden war, verfügten deutsche Mineralölunternehmen über keine umfangreichen Rohölvorkommen, auf deren Grundlage die Importabhängigkeit der Bundesrepublik hätte verringert werden können. Einzig die Gelsenberg Benzin AG hatte sich im Jahr 1958 eine 25-prozentige Beteiligung an einer libyschen Rohölbasis des US-amerikanischen Mineralölkonzerns Mobil sichern können.74 Auch wenn die Gelsenberg beispielsweise im Jahr 1969 viereinhalb Millionen Tonnen Rohöl für die Weiterverarbeitung in eigenen Raffinerien oder zum Weiterverkauf an andere Unternehmen aus ihrer libyschen Rohöl­ basis gewinnen konnte, was immerhin einem Anteil von fünf Prozent an der importierten Gesamtmenge entsprach, blieb die geringe ausländische Rohölbasis deutscher Unternehmen doch ein Charakteristikum des Mineralölsektors in der Bundesrepublik.75 Während die deutschen Mineralölunternehmen ihren Zugang zu den Rohölvorkommen der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg eingebüßt hatten, konnten die Tochterunternehmen weltweit agierender multinationaler Großkonzerne, die einen hohen Grad an vertikaler Integration76 aufwiesen und sowohl die Förderung und Verarbeitung von Rohöl als auch den Transport und Vertrieb von Mineralölprodukten weltweit zu kontrollieren suchten, in diesen Jahren sowohl ihre führende Position auf den internationalen Märkten weiter ausbauen als auch ihre dominierende Stellung auf dem westdeutschen Mineralölsektor

72 Ebd., S. 35; Mineralölwirtschaftsverband, Jahresbericht 1974, T10. 73 Ausführlich zur Geschichte der bundesrepublikanischen Mineralölwirtschaft: Karlsch u. Stokes, S. 247–378; M. Horn. Grundlegend zu Frankreich: Nouschi; zu Großbritannien: More. 74 Zum Erwerb der Konzession und den damit verbundenen vertraglichen Zugeständnissen an Mobil: M. Horn, S. 50; Radzio, S. 195–202; Gelsenberg AG, Geschäftsbericht 1966, S. 34; Zebra, weil’s vernünftig ist…, in: Die Zeit, 4.2.1966. 75 M. Horn, S. 34–36, 50; Gelsenberg AG, Geschäftsbericht 1969, S. 19; dies., Geschäftsbericht 1970, S. 14; Karlsch u. Stokes, S. 351. 76 Eine grundlegende Studie zur vertikalen Integration in der Mineralölindustrie gab die Monopolkommission Anfang der achtziger Jahre in Auftrag: Dirrheimer.

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manifes­tieren. Die Gruppe der sogenannten »seven sisters«,77 der sieben weltweit größten und einflussreichsten Mineralölgesellschaften, die aus den US-amerikanischen Unternehmen Standard Oil of New Yersey (ab 1977 Exxon), Standard Oil of New York (später Mobil), Standard Oil of California (später Socal und Chevron), Texaco und Gulf Oil sowie der Anglo-Persian / Iranian Oil Company (ab 1954 British Petroleum oder kurz: BP) und der niederländisch-britischen Royal Dutch Shell bestand, konnte ihre globalen Marktanteile in den Bereichen der Rohölproduktion und des Vertriebs von Mineralölprodukten bis zum Jahr 1970 auf über siebzig Prozent steigern. Ihr Anteil am weltweiten Rohöldurchsatz, an der Weiterverarbeitung von Rohöl in Raffinerien, lag 1970 bei 56 Prozent.78 Auf dem bundesrepublikanischen Mineralölsektor konnten die »sieben Schwestern« ihre Position gegenüber den größten deutschen Mineralölunternehmen, der Gelsenberg Benzin AG, der VEBA-Tochter Scholven-Chemie AG, der Wintershall AG sowie der Deutschen Erdöl AG (kurz: DEA), ebenfalls entlang der gesamten Mineralölwertschöpfungskette stärken.79 Für viele zeitgenössische Beobachter war das Fehlen eines integrierten und staatlich kontrollierten Mineralölkonzerns in der Bundesrepublik ein wesentlicher Grund für die dominierende Position multinationaler Großkonzerne auf dem deutschen Markt. Denn im Gegensatz zu den anderen westeuropäischen Ländern sahen sich die »Multis« in der Bundesrepublik einer nationalen Gruppe von Mineralölunternehmen gegenüber, die bis in die siebziger Jahre hinein überwiegend in privatem Besitz waren. Während sich in mehreren europäischen Nachbarländern große, vertikal integrierte Mineralölkonzerne mit umfangreichen staatlichen Beteiligungen fanden – zu nennen sind hier vor allem die französische Compagnie française des pétroles (kurz: CFP) und die italienische Ente Nazionale Idrocarburi (kurz: ENI)  –, forcierten die Bundesregierungen bis in die siebziger Jahre hinein weder Konzentrationstendenzen noch den Erwerb staatlicher Beteiligungen an Unternehmen der Mineralölwirtschaft mit dem Ziel der politischen Einflussnahme auf diesen Wirtschaftssektor. Im Laufe der sechziger Jahre ging die Bundesregierung lediglich dazu über, Darlehen für gemeinsame Explorationsvorhaben der deutschen Unternehmen bereitzustellen, um neue ausländische Rohölvorkommen zu erschließen. Außerdem führten schon die Zeitgenossen weitere zentrale Gründe für die Dominanz der internationalen Großkonzerne auf dem westdeutschen Mineralölsektor an, die auf dessen weitere wesentliche Merkmale verweisen. So verfügten die sogenannten »Majors« nicht nur über einen privilegierten Zugang zu den globalen Rohölvorkommen. Sie profitierten auch zunehmend von dem 77 Sampson. 78 M. Horn, S. 30. 79 Zur Übernahme von Beteiligungen an deutschen Mineralölvorkommen durch multinationale Konzerne: Ebd., S. 38. Bei der Verarbeitung stieg der Marktanteil von Esso, Mobil, BP und Shell zwischen den Jahren 1958 und 1972 von circa 44 auf rund fünfzig Prozent an; ebd., S. 42–46; Karlsch u. Stokes, S. 370–371. Im Vertriebsbereich sank der Anteil deutscher Gesellschaften in den frühen siebziger Jahren auf rund 25 Prozent; M. Horn, S. 46–51.

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großzügigen Regulierungsrahmen im Mineralölbereich, den die Bundesregierungen seit den fünfziger Jahren abzustecken begannen und der mit dem Verzicht auf Konzentrations- und Verstaatlichungsbestrebungen korrespondierte.80 Während sich die Regierungen anderer westeuropäischer Länder wie Frankreich oder Italien zu regulierenden Eingriffen in die nationalen Mineralölmärkte entschlossen, bot der vergleichsweise wenig regulierte westdeutsche Sektor einen attraktiven Absatzmarkt für die großen international operierenden Gesellschaften, die in den sechziger Jahren über erhebliche Überschussmengen an Rohöl und Mineralölprodukten verfügten.81 Auf den westeuropäischen Energiemärkten im Allgemeinen und dem nur wenig regulierten Markt der Bundesrepublik im Besonderen begünstigte diese Veränderung der Marktsituation hin zu einem »Käufermarkt«82 den oben beschriebenen Prozess der Verdrängung der Steinkohle durch weitaus günstigere Mineralölprodukte. Während die deutschen Mineralölgesellschaften unter dem anhaltenden Preissturz auf dem heimischen Produktmarkt – die Heizölpreise waren in der Bundesrepublik in den sechziger Jahren auf dem niedrigsten Niveau in Westeuropa – litten, da sie sich in einer »Zange von hohen Rohölpreisen einerseits, niedrigen Produktpreisen andererseits« befanden,83 gereichten Überangebot und Preisverfall den großen multinationalen Konzernen allerdings nicht zum Nachteil. Sie erhielten in ihren jeweiligen Mutterländern Steuervergünstigungen, auf deren Grundlage sie Gewinneinbußen ihrer deutschen Tochterunternehmen ausgleichen oder zumindest abfedern konnten. Diese steuerlichen Privilegien, welche die deutsche Gruppe der Mineralölunternehmen nicht genoss, verschafften den multinationalen Gesellschaften neben ihrem hohen Grad an vertikaler Integration einen zusätzlichen Wettbewerbsvorteil, den auch zeitgenössische wissenschaftliche Studien bereits problematisierten. So veröffentlichte Manfred Liebrucks vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, einer der einflussreichsten energiewissenschaftlichen Experten der Bundesrepublik, 1968 einen Aufsatz über die »Wettbewerbsstellung deutscher mineralölverarbeitender Unternehmen«, in dem er auf Grundlage der nationalen Steuergesetzgebungen eine Typologie von Mineralölgesellschaften entwickelte. Liebrucks unterschied »A-Gesellschaften«, die im Ausland abgeführte Steuerzahlungen in ihren Stamm80 Auf den großzügigen Regulierungsrahmen auf dem Mineralölsektor als Grund für die Dominanz ausländischer Gesellschaften verweist beispielsweise Kokxhoorn. Für einen konzisen Überblick über die Regulierung des bundesrepublikanischen Mineralölbereichs in den frühen Nachkriegsjahrzehnten vgl. Karlsch u. Stokes, S. 277–302. 81 M. Horn, S. 29–30. 82 Die Redefigur der Unterscheidung eines Käufer- von einem Verkäufermarkt findet sich in zahlreichen Aussagen an der Schwelle von den sechziger zu den siebziger Jahren, so zum Beispiel im »Energieprogramm der Bundesregierung« vom Oktober 1973, in Reden von Bundestagsabgeordneten oder in wissenschaftlichen Publikationen: BT-Drucksache VII/1057, S. 5; VDB, 7. WP, 73. Sitzung, 17.1.1974, S. 4546; ebd., 77. Sitzung, 25.1.1974, S. 4918; M. Horn, S. 30. 83 Ebd., S. 36.

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ländern geltend machen könnten, von den sogenannten »B-Gesellschaften«  – unter ihnen auch die bundesdeutschen Unternehmen –, die diese Möglichkeit nicht hätten und demzufolge unter »Wettbewerbsnachteilen« litten.84 Auch in der zeitgenössischen Wirtschaftspresse wurde die Studie besprochen.85 Im Jahr 1972 legte der Ökonom Albrecht Mulfinger eine ausführliche Arbeit über die Mineralölpolitik der EG-Staaten vor, deren Schwerpunkt ebenfalls auf der Steuer­ gesetzgebung lag und in der er forderte, »Wettbewerbsverzerrungen auf Grund steuerlicher Vorteile« abzubauen.86 Prägend für die bundesrepublikanische Versorgungslage im Mineralöl­ bereich war mithin nicht allein die Abhängigkeit von Rohölimporten aus dem Ausland, die auch für die westeuropäischen Nachbarn in vergleichbarer Weise bestand. Da die westdeutsche Mineralölindustrie über keine nennenswerten Rohölbasen im Ausland verfügte und ausländische Firmen den deutschen Mineralölsektor aufgrund ihres privilegierten Rohölzugangs, ihres hohen vertikalen Integrationsgrades und ihrer steuerlichen Vorteile gegenüber den deutschen Mineralölunternehmen in weiten Teilen dominierten, war die bundesrepublikanische Wirtschaft jedoch in besonderem Maße anfällig für etwaige Lieferunterbrechungen. Obwohl zeitgenössische Experten, Journalisten und Politiker bereits in den sechziger Jahren die strukturellen Bedingungen auf dem bundesdeutschen Mineralölsektor problematisierten, nahm die Bundesregierung die zunehmende Bedeutung des Mineralöls und die damit verbundenen Schwierigkeiten für die Energieversorgung der Bundesrepublik zunächst nicht zum Anlass, den Schwerpunkt ihrer energiepolitischen Bestrebungen auf den Mineralölbereich zu verlagern. Der Fokus lag weiterhin auf der Steinkohle. So leitete Bundeswirtschaftsminister Kurt Schmücker die »energiepolitische Konzeption der Bundesregierung«, die er im März 1966 anlässlich einer Anfrage der CDU / CSUsowie der FDP-Fraktion vor dem Deutschen Bundestag erläuterte, noch aus den »zwei grundlegende[n] Realitäten« ab, die seit der frühen Nachkriegszeit Gültigkeit und Prägekraft besessen hatten. Demnach galt es, erstens die »Versorgung […] mit billiger Energie« und zweitens »die Existenz eines gewichtigen und unverzichtbaren Steinkohlebergbaus in unserem Lande« zu gewährleisten.87 In ihrem im Januar 1968 erstmalig vorgelegten Jahreswirtschaftsbericht knüpfte die Bundesregierung an die zuvor formulierten Grundsätze an und bezeichnete »die konsequente Durchführung des Gesamtprogramms zur Anpassung und Gesundung des Steinkohlebergbaus und der Steinkohlebergbaugebiete« als »[v]ordringlichste Aufgabe der Energiepolitik«, die in den einschlägigen Aus84 Liebrucks, Frage. 85 So beispielsweise in: Gemeinsamer Nenner gesucht, in: Der Volkswirt, 16.8.1968; Erdöl­ politik des Dabeiseins, in: Der Volkswirt, 16.8.1968. 86 Mulfinger. 87 Die energiepolitische Konzeption der Bundesregierung, in: Bulletin des Presse und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 37, 17.3.1966, Zit. S. 289; VDB, 5. WP, 30. Sitzung, 16.3.1966, S. 1313.

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führungen auch den weitaus größten Raum einnahm. Der Mineralölwirtschaft war hingegen lediglich ein einziger Ordnungspunkt gewidmet, der gerade einmal elf Zeilen umfasste.88 Im folgenden Jahreswirtschaftsbericht geriet der Abschnitt zur Mineralölwirtschaft bereits deutlich ausführlicher und enthielt die drei Ziele: »niedrige Preise für Erdölprodukte«, »Sicherheit der Erdölversorgung« und »Aufrechterhaltung des Marktanteils deutscher Mineralölunternehmen«.89 Zur Wahrnehmung der bundesrepublikanischen Mineralölversorgungslage als politisches Problem und einer Verlagerung des energiepolitischen Schwerpunkts trug jedoch erst eine Ankündigung der US-amerikanischen Vertreter in der High Level Group Oil der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei.90 Die OECD stellte seit ihrer Gründung im Jahr 1961 eine wichtige internationale Diskussionsplattform für Fragen der weltwirtschaftlichen Entwicklung dar, auf der Vertreter der westeuropäischen Länder, der USA, Kanadas und seit 1964 auch Japans über zentrale Themen und Problemlagen berieten. Angesichts der rasant steigenden globalen Ölverbrauchszahlen gerieten Fragen der Energiepolitik im Allgemeinen und der Mineralölversorgung im Besonderen zu einem Thema von zunehmender weltwirtschaftlicher Relevanz, die sowohl das Oil Policy Comitee als auch die kleinere High Level Group Oil behandelten, in der sich lediglich Delegierte aus den bedeutendsten Verbraucherländern zusammen fanden. Vor dieser High Level Group Oil erklärten die US-amerikanischen Vertreter am 8. Januar 1970, dass die USA aufgrund des zunehmenden Ölverbrauchs ihrer nationalen Volkswirtschaft ab dem Jahr 1975 nicht mehr über überschüssige Ölmengen verfügen würden, auf die ihre westeuropäischen Partner im Krisenfall zurückgreifen könnten. Die US-Delegierten verbanden diese Ankündigung mit der Warnung vor weiteren krisenhaften Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten, die ihrer Ansicht nach drohen würden. Sowohl während der sogenannten »Suez-Krise« des Jahres 1956 als auch im Zuge einer weiteren kurzzeitigen Sperre des Suez-Kanals im sogenannten »Sechs-Tage-Krieg« vom Juni 1967 hatten Produktionssteigerungen in den USA maßgeblich dazu beigetragen, die Folgen der Lieferunterbrechungen für die westeuropäischen Volkswirtschaften gering zu halten.91 Nach der USamerikanischen Erklärung vom Januar 1970 war die Aussicht auf einen derartigen Sicherheitsmechanismus, der einen wichtigen Referenzpunkt für die grundsätzlich optimistischen Zukunftserwartungen des Ölkomitees dargestellt hatte, nicht mehr gegeben. Der angekündigte Wegfall der US-amerikanischen Überschussproduktionsmengen veränderte nicht nur die Lagebeurteilung innerhalb der zuständigen 88 BT-Drucksache V/2511, S. 19–22, Zit. S. 20. 89 BT-Drucksache V/3786, S. 33. Dieses mineralölpolitische Zieldreieck formulierte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsministerium, Klaus Dieter Arndt, bereits im Zuge einer Fragestunde des Deutschen Bundestages im Oktober 1968; VDB, 5. WP, 190. Sitzung, 18.10.1968, S. 10319. 90 Hierzu ausführlich: Graf, Öl, S. 52–66. 91 Zu den Auswirkungen der »Suez-Krise«: Karlsch u. Stokes, S. 296–301.

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OECD-Gremien, sondern verschärfte auch die öffentliche Problemwahrnehmung in der Bundesrepublik. Am 21. April 1970 etwa richtete eine Gruppe von CDU-Abgeordneten des Deutschen Bundestages aus Anlass einer Pressemitteilung von Staatssekretär Detlev Karsten Rohwedder über die Erklärung der USDelegation im OECD-Ölkomitee eine »Kleine Anfrage« an die Bundesregierung. Die Abgeordneten wollten wissen, ob die Mitteilung zutreffe, »daß Europa im Falle einer neuen Nahostkrise nicht mit zusätzlichen Öllieferungen aus den USA oder aus anderen amerikanischen Staaten rechnen könne«, und »[m]it welchen Mitteln« die Regierung dieser »Verschlechterung der Sicherheit der Energieversorgung in der BRD« entgegenzutreten gedenke.92 Nachdem die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 6. Mai 1970 die Meldungen über den Wegfall der USamerikanischen Reservekapazität als zutreffend bezeichnet und erklärt hatte, sie nehme »diese Darlegungen sehr ernst«, formulierte die CDU / CSU-Fraktion unter Federführung der Abgeordneten Gerd Springorum, Fritz Burgbacher und Hermann Josef Russe am 26. Mai 1970 eine weitere »Kleine Anfrage« an die Bundesregierung, die sich in zehn Ordnungspunkten mit grundsätzlichen Fragen der Energiepolitik befasste. So richtete sich das Interesse der Unionsabgeordneten nicht nur auf die Ölvorräte der Bundesrepublik und die US-amerikanischen Reservekapazitäten, sondern etwa auch auf die Konsequenzen für die Steinkohleförderung in der Bundesrepublik.93 Die Antwort der Bundesregierung erfolgte am 11. Juni 1970.94 Außerdem erschienen zu Beginn der siebziger Jahre mehrere wissenschaftliche Studien, deren Autoren aus Anlass des drohenden Ausfalls der US-amerikanischen Produktionsreserven ein öffentliches Bewusstsein für die zukünftigen Versorgungsschwierigkeiten der westeuropäischen Volkswirtschaften zu schaffen suchten. Der Energiewissenschaftler Erich Schieweck etwa blickte in einem 1972 veröffentlichten Aufsatz in eine grundsätzlich »[g]efährdete Zukunft«, werde die weltweite Nachfrage nach Erdöl doch stetig weiter wachsen, während die globale Versorgung mit dem »Träger dieser Epoche« aus politischen wie aus wirtschaftlichen Gründen zunehmend gefährdet sei. Als wichtigsten Grund für die »kommende Welterdöl- und Energiekrise« führte Schieweck den steigenden Importbedarf der Vereinigten Staaten an, der durch die Erklärung vor der High Level Group Oil sichtbar geworden sei sowie zu Engpässen und Preissteigerungen auf den globalen Mineralölmärkten führen werde.95 Der Geologe Herbert Lögters richtete im selben Jahr den Blick nicht nur auf die globale Marktentwicklung, sondern verwies auch auf die spezifische Versorgungssituation der Bundesrepublik, die er durch drei zentrale Merkmale gekennzeichnet sah. Die Bundesrepublik sei, so Lögters, aufgrund der geringen inländischen 92 BT-Drucksache VI/654. 93 BT-Drucksache VI/756; BT-Drucksache VI/819. 94 BT-Drucksache VI/941. 95 E. Schieweck, Die kommende Welterdöl- und Energiekrise, in: Glückauf, Jg. 108, 1972, S. 343–355, hier: S. 344, 348, 351–353.

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Eigenproduktion von Rohöl erstens in hohem Maße abhängig von Importen, die zweitens ganz überwiegenden aus den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas stammten. Den Mineralölimport bewerkstelligten drittens vorrangig die großen multinationalen Mineralölgesellschaften, die bisher in erheblichem Maße auf Fördermengen aus den Vereinigten Staaten, aus Kanada und auch Lateinamerika hätten zurückgreifen können. »[I]n der Zukunft« werde sich die Versorgungssituation der USA jedoch – und hier verwies auch Lögters explizit auf die »Ausführungen des amerikanischen Vertreters vor dem Ölausschuß der OECD im Frühjahr 1970« – dahin gehend wandeln, dass die Vereinigten Staaten »im Gegensatz zu bisher […] in weitaus stärkerem Maße importabhängig« würden und »ihren steigenden Importbedarf vor allem aus der östlichen Hemisphäre, d. h. aus Nahost und Afrika, decken« müssten.96 Die Mitteilung über die sinkenden Erdölreservekapazitäten der Vereinigten Staaten trug freilich nicht nur maßgeblich zur gesteigerten öffentlichen Problemwahrnehmung in der Bundesrepublik bei. Vielmehr war sie zugleich Ausgangsund argumentativer Bezugspunkt eines internen »energiepolitischen Umgestaltungsprozess[es]«, den das Bundeswirtschaftsministerium unter Federführung von Ulf Lantzke im Frühjahr 1970 einleitete.97 Lantzke, der seit 1968 im Bundeswirtschaftsministerium die Abteilung für Energiepolitik und Grundstoffe leitete, plädierte schon im Mai 1970  – nach einem weiteren Treffen der High Level Group Oil  – dafür, die nationalen Ölvorräte zu erhöhen, die Beziehungen zu den Förderländern zu intensivieren und supranationale Krisenmechanismen auf Ebene der EWG sowie der OECD einzurichten. Auf seine Initiative fand sich im Frühjahr des folgenden Jahres eine Arbeitsgruppe aus Ministerialbeamten, Vertretern der Industrie sowie Mitarbeitern der großen Wirtschaftsforschungsinstitute im Bundeswirtschaftsministerium zusammen, um ein »Sofortprogramm für die optimale Energiebedarfsdeckung im Falle einer zivilen Mineralölversorgungskrise«,98 also ein »nationales Krisenmanagement«,99 zu erarbeiten. Das wissenschaftliche Fundament dieser Überlegungen sollten das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das Energiewirtschaftliche Institut der Universität zu Köln (EWI) sowie das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) errichten, die schon im Januar 1971 mit dem Entwurf eines Krisensimulationsmodells beauftragt worden waren und im darauffolgenden Jahr ein »Gemeinschaftsgutachten« zur »Sicherung der Energieversorgung für die Bundesrepublik Deutschland« vorlegten.100 Die energiewissenschaftlichen Expertisen der Wirtschaftsforschungsinstitute und die Beratungen der Arbeitsgruppen im Bundeswirtschaftsministerium bildeten die Grundlage für das »Energieprogramm der Bundesregierung«, dessen 96 Lögters, S. 255, 256. 97 Hierzu ausführlich: Graf, Öl, S.75–83, Zit. S. 75. 98 Zit n. ebd., S. 78. 99 Ebd. 100 Liebrucks, Sicherung.

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Ausarbeitung unter Federführung von Ulf Lantzke im Herbst 1972 begann. Der Schwerpunkt der Beratungen über das erste energiepolitische Gesamtkonzept der bundesrepublikanischen Geschichte lag auf dem Mineralölbereich, würde das Öl doch, so die Ausgangsüberlegung, für die nächsten Jahrzehnte der wichtigste Energielieferant Westeuropas bleiben. Die Notwendigkeit einer politischen Neuorientierung im Energie- und insbesondere im Mineralölbereich ergab sich für die Arbeitsgruppen um Lantzke einmal aus der schwachen deutschen Position auf dem internationalen Mineralölmarkt, welche die Bundesrepublik in ihren Augen in hohem Maße anfällig für Lieferunterbrechungen machte. Verschärft wurde diese Gefahr ihrer Ansicht nach durch die zunehmende Tendenz der Förder- wie der Verbraucherländer, auf den Mineralölmärkten politisch zu intervenieren. Zusätzliches argumentatives Gewicht erhielt diese Problemwahrnehmung abermals in einer Sitzung der High Level Group Oil. Als das für Ölversorgungsfragen zuständige Gremium der OECD sich am 24. und 25. Oktober 1972 mit Fragen zwischenstaatlicher Kooperationsmöglichkeiten beschäftigte, verstiegen sich die US-amerikanischen Vertreter, Außenminister John Irwin und James Akins, Ölexperte des State Department, zu einer deutlichen Drohung gegenüber ihren westeuropäischen Partnern. Irwin und Akins warnten die europäischen Vertreter davor, bilaterale Abkommen mit den Erdölförderländern anzustreben und damit einen Wettstreit um die Rohölvorkommen des Mittleren und Nahen Ostens zu beginnen, den die Vereinigten Staaten aufgrund ihrer ökonomischen Stärke ohnehin gewinnen würden. Darüber hinaus formulierten sie erneut die Erwartung künftiger Lieferengpässe und kündigten für den Fall der Wiederwahl von Präsident Richard Nixon eine grundlegende Neugestaltung der USamerikanischen Energiepolitik an.101 Ulf Lantzke galten diese Äußerungen als weiterer Beleg für die dringende Notwendigkeit einer energiepolitischen Neuorientierung der Bundesregierung, die er in einem vertraulichen Brief an den Bundeswirtschaftsminister zum Ausdruck brachte. Hierin schrieb Lantzke: »Die veränderte Weltlage und die amerikanische Initiative werden uns zu einer grundlegenden Überprüfung unserer Erdölposition mit denkbaren erheblichen Konsequenzen für die Erdölpolitik zwingen. […] Ich meine, daß die Sicherung der Energieversorgung angesichts dieser Entwicklungstendenzen in einem neuen Regierungsprogramm eine sehr hohe Priorität genießen muß, da nunmehr endgültig deutlich ist, daß die Ölversorgung in den kommenden Jahren nicht den allgemeinen Regeln eines freien Weltmarktes folgen wird, sondern maßgeblich von politischen Einflüssen nicht nur der Erdölförderländer, sondern auch der großen Verbraucherländer bestimmt sein wird.«102

Die von Lantzke geforderte »Überprüfung unserer Erdölposition« in Form eines »Regierungsprogramm[s]« stellte dann Bundeskanzler Willy Brandt am 101 Graf, Öl, S. 63–64, 80. 102 Zit n. ebd., S. 81.

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18. Januar 1973 in seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag in Aussicht, in der er ankündigte, die Bundesregierung werde sich in der beginnenden Legislaturperiode »besonders der Energiepolitik annehmen«. Denn, so Brandt: »Wenn sich unsere Volkswirtschaft gesund weiterentwickeln soll, muß die Energieversorgung langfristig gesichert sein.« Aus dieser allgemeinen energiepolitischen Zielformulierung leitete der Bundeskanzler zwei konkretere Ankündigungen ab. So knüpfte er zum einen an die »Kohlevorrangpolitik«103 vergangener Regierungen an, indem er versprach, »daß die deutsche Steinkohle als wichtigste heimische Energiequelle eine angemessene Aufgabe in der Energieversorgung« behalte. Zum anderen kündigte er an, dass die Bundesregierung ihre »Vorstellungen von einem energiepolitischen Gesamtkonzept beiden gesetzgebenden Körperschaften noch in diesem Jahr vorlegen« werde.104 Nachdem das Bundeskabinett das in Aussicht gestellte energiepolitische Konzept in seiner Sitzung am 29. August 1973 beraten und »in seinen Grundzügen« bestätigt hatte,105 wurde das »Energieprogramm der Bundesregierung« schließlich am 3. Oktober desselben Jahres veröffentlicht.106 Ausgangspunkt der darin formulierten energiepolitischen Ziele waren zwei grundlegende Beobachtungen. Erstens konstatierte die Bundesregierung einen »tiefgreifenden Wandel der Versorgungsstruktur des deutschen Marktes […] zu einer dominierenden Stellung des Mineralöls«,107 aus der sie zweitens eine zu nehmende Importabhängigkeit und Einbindung der Bundesrepublik in die Weltenergiemärkte ableitete. Mit Blick auf die »zukünftige Entwicklung«108 rechnete die Regierung für die Jahre bis 1985 – und hierbei verwies sie auf die vorgelegten Prognosen des DIW, des EWI und des RWI – mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum des Bruttosozialprodukts von 4,7 Prozent bei einer Zunahme des Primärenergieverbrauchs von 4,3 Prozent pro Jahr. Hierbei werde das Mineralöl »mit einem Anteil von über 50 % auch in den 80er Jahren der dominierende Energieträger« bleiben, wenn auch mit »sehr hohe[n] Zuwachsraten« bei Erdgas und Kernenergie zu rechnen sei.109 Als »konkrete Ziele«, die sich aus diesen Vorüberlegungen ergäben, nannte die Bundesregierung die »Sicherung einer kontinuierlichen Mineralölversorgung«, den schnellen Ausbau der »kostengünstigen Energieträger« Erdgas, Kernenergie und Braunkohle, die »finanzielle Festigung« des Steinkohlesektors, die Balance zwischen Umweltschutz und sicherer Energieversorgung sowie Maßnahmen zur Forschungsförderung und zur Energieeinsparung.110 103 Düngen, S. 42. 104 VDB, 7. WP, 7. Sitzung, 18.1.1973, S. 126. 105 BArch, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1973. Protokolle, 29. Kabinettssitzung am 29. August 1973. 106 BT-Drucksache VII/1057. 107 Ebd., S. 3. 108 Ebd., S. 4. 109 Ebd., S. 5. 110 Ebd., S. 6.

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Die Verabschiedung und Veröffentlichung des ersten energiepolitischen Gesamtprogramms für die Bundesrepublik im Herbst 1973 dient der neueren historischen Forschung zum einen als wichtiger Beleg für die These, dass Lieferbeschränkungen und Versorgungsschwierigkeiten im Mineralölbereich die westeuropäischen Regierungen in den frühen siebziger Jahren keineswegs vollkommen unvorbereitet trafen. Als die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) am 17. Oktober 1973 beschloss, die Rohölfördermengen zu reduzieren, und damit einen Preisanstieg auf dem globalen Mineralölmarkt um mehr als zwei US-Dollar pro Barrel heraufbeschwor, der in die erste »Ölpreiskrise« mündete,111 wirkte diese Entwicklung auf die großen Verbraucherländer nicht etwa wie ein »Ölpreisschock«.112 Die Verknappung des Ölangebots und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Preisbildung bewegten sich vielmehr innerhalb eines Erwartungshorizonts, den die jeweiligen Regierungen seit Beginn der Dekade sowohl im Rahmen internationaler Gremien als auch in nationalen energiepolitischen Grundsatzentwürfen vermessen hatten.113 Zum anderen lässt sich das Energieprogramm der Bundesregierung deuten als Ausweis und Effekt einer zunehmenden Problematisierung und Politisierung der Energieversorgung in der Bundesrepublik. Die oben skizzierten wissenschaftlichen Studien, parlamentarischen Anfragen und internen Diskussionsprozesse, die in die Verabschiedung des Energieprogramms mündeten, wiesen die Rohstoffversorgung im Allgemeinen und die Versorgung mit Mineralöl im Besonderen als Problemkomplex aus, welcher der politischen Bearbeitung bedurfte und auf den das energiepolitische Grundsatzprogramm der Bundesregierung ausgerichtet war. Den Begründungszusammenhang für diesen Prozess der Problematisierung und Politisierung der Energieversorgung bildeten Semantiken der »Sicherheit«. Schon in der jungen Bundesrepublik war das Wort »Sicherheit« ein wesentliches Element des politischen Sprachhaushalts, mit dem sich in unterschiedlichen thematischen Zusammenhängen erfolgreich argumentieren ließ. Hierbei begünstigte die Eigenschaft von »Sicherheit« als »universeller Code«114 zugleich die Tendenz, dessen Bedeutungshaushalt und Verweishorizonte sukzessive zu erweitern. Nachdem sich der Referenzrahmen von »Sicherheit« nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst auf außen- wie sozialpolitische Themenfelder ausgedehnt hatte, wurden seit den frühen siebziger Jahren zunehmend auch Fragen der Rohstoffversorgung und Umweltbelastung als sicherheitsrelevante Probleme markiert und mit Sicherheitssemantiken ausgestattet.115 111 Zur ersten »Ölpreiskrise«: Graf, Öl; Yergin, S. 708–744; Hohensee; Venn; Merrill; Göbel; Bini. 112 So die These von Hohensee. Den Begriff »Ölpreisschock« verwendet auch: Schanetzky, Ölpreisschock; der Schwerpunkt des Beitrags liegt allerdings auf dem Wandel wirtschaftspolitischer Leitvorstellungen. 113 Diese These vertritt nachdrücklich: Graf, Öl; vgl. auch die Beiträge in: Bösch u. Graf. 114 Hierzu: Mergel, Propaganda, S. 270–281; Bonß. Eckart Conze wählte »Sicherheit« als leitenden Analysebegriff für seine Geschichte der Bundesrepublik: E. Conze, Suche; konzeptionelle Überlegungen formulierte er in: ders., Sicherheit. 115 Zur semantischen Ausweitung: Rothschild, S. 55; vgl. auch: Graf, Öl, S. 349–357.

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Ablesen lässt sich dieser Prozess semantischer Ausweitung beispielsweise an den energie- und mineralölpolitischen Zielformulierungen der Bundesregierungen, deren inhaltlicher Fokus sich am Übergang von den sechziger zu den siebziger Jahren hin zur Sicherung der Versorgung verlagerte. Als Bundeswirtschaftsminister Kurt Schmücker im März 1966 die »energiepolitische Konzeption der Bundesregierung« im Deutschen Bundestag vorstellte, wies er außer der Erhaltung des deutschen Steinkohlebergbaus noch die »Versorgung unserer Wirtschaft, unserer Energieverbraucher mit billiger Energie« als zentrales energiepolitisches Ziel der Bundesregierung aus.116 Diese Zielformulierung des Ministers entsprach den Empfehlungen Hans K. Schneiders, der als wichtiger energiepolitischer Berater der Bundesregierung bis zum Ende der sechziger Jahre das »energiewirtschaftspolitische Hauptziel« vorgab, »den aktuellen und künftigen Energiebedarf mit den minimalen volkswirtschaftlichen Gesamtkosten auf lange Sicht zu decken.«117 Auch die Wirtschaftspresse, die Mitte der sechziger Jahre im Angesicht der niedrigen Mineralölpreise noch eine steigende »Ölflut« kommen sah118 und Westdeutschland »geradezu in einem Energieüberfluß« wähnte,119 unterstrich Schmückers Zielvorgabe der »billigen« Versorgung. So betonte etwa der Journalist Bernd Huffschmid in seinem Bericht über die oben erwähnte Plenardebatte, »daß der wirtschaftspolitische Kompaß im ganzen auf billige Energie gerichtet sein« müsse, um »die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft im ganzen und der auf den Weltmärkten agierenden Industrie im besonderen« zu gewährleisten.120 Hatte die politische Zielsetzung einer möglichst preisgünstigen Energie- und Rohstoffversorgung auch in den ersten Jahren nach Schmückers Erklärung noch höchste Priorität besessen, gewann gegen Ende der sechziger Jahre angesichts des zunehmenden Ölanteils und immer rasanter steigender Energieverbrauchszahlen die Frage an Relevanz, wie die Energieversorgung »langfristig gesichert« werden könne. So gab die Bundesregierung in ihrem Jahreswirtschafsbericht vom Januar 1969 zwar noch »niedrige Preise für Erdölprodukte« als oberstes energiepolitisches Ziel für den Mineralölbereich an, dem jedoch als zweites sogleich die »Sicherung der Erdölversorgung« folgte.121 Nachdem im Frühjahr 1970 der mittelfristige Wegfall der US-amerikanischen Reserveproduktionsmengen bekannt geworden war und sich die öffentliche Problemwahrnehmung zu verschärfen begann, sah sich die Bundesregierung mit den Fragen der Opposi­tion konfrontiert, wie sie »der damit eingetretenen Verschlechterung der 116 Die energiepolitische Konzeption der Bundesregierung, in: Bulletin des Presse und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 37, 17.3.1966, Zit. S. 289; VDB, 5. WP, 30. Sitzung, 16.3.1966, S. 1313. 117 H. K. Schneider, S. 134. 118 Die Ölflut steigt weiter, in: Die Zeit, 2.4.1965. 119 Billige Energie für morgen, in: Der Volkswirt, 3.12.1965. 120 Elastisches Energieprogramm, in: Der Volkswirt, 25.3.1966. 121 BT-Drucksache V/3786, S. 33.

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Sicherheit der Energieversorgung in der BRD zu begegnen«122 und »die künftige Sicherstellung der Versorgung zu gewährleisten«123 gedenke. Während das Ziel der preisgünstigen Mineralölversorgung in den öffentlichen Mitteilungen und Verlautbarungen der Bundesregierung fortan in den Hintergrund trat, geriet die Sicherung der Mineralölversorgung zum vorrangigen energiepolitischen Anliegen. So konstatierte die Bundesregierung in ihrem Jahreswirtschaftsbericht 1971, dass die »führende Rolle des Mineralöls und die hochgradige Verflechtung unserer Mineralölwirtschaft mit den internationalen Versorgungsströmen […] den Gesichtspunkt einer aktiven Versorgungspolitik zunehmend in den Vordergrund treten« lasse, und nannte im Anschluss die »[w]eitere Verbesserung der Versorgungsbedingungen und der Versorgungssicherheit im Mineralölbereich« als ersten ihrer energiepolitischen »Schwerpunkte«,124 den sie im folgenden Jahr unter der Überschrift »Erhöhung der Versorgungssicherheit im Mineralöl­ bereich« weiter ausführte und präzisierte.125 Dass das im Herbst 1973 veröffentlichte Energieprogramm der Bundesregierung hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten sollte, zeigt die Vorbemerkung, die den inhaltlichen Ausführungen vorangestellt war. Hierin verwies die Bundesregierung auf die Ankündigung des Energieprogramms in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom Januar 1973 und wiederholte dessen Satz, »daß die Energieversorgung langfristig ge­sichert sein« müsse.126 Der inhaltliche Wandel der energiepolitischen Zielprojektionen von der preisgünstigen hin zur sicheren Energieversorgung trug mithin dazu bei, den Bedeutungsgehalt und Verweishorizont von »Sicherheit« auszu­weiten und Fragen der Energie- und Rohstoffversorgung als sicherheitsrelevant zu kennzeichnen. Besonders augenfällig wird dieser Prozess der Etikettierung der Energieversorgung als Sicherheitsproblem in einem Satz des SPD-Abgeordneten Klaus Dieter Arndt, der während der Haushaltsdebatte des Bundestages im Oktober 1973 pointiert feststellte: »Energiepolitik ist Sicherheitspolitik«.127 Die Ausweitung des Bedeutungsgehalts von »Sicherheit« auf Fragen der Energie- und Rohstoffversorgung trieben jedoch nicht allein Politiker, sondern auch wissenschaftliche Experten und Interessenorganisationen voran. So erhielt die Aufgabe der Sicherung der Energieversorgung etwa in den Gutachten und Publikationen der großen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen einen zunehmend höheren Stellenwert, den bereits die Titel der Veröffentlichungen widerspiegeln.128 Die Wissenschaftler inszenierten sich in ihren Studien 122 BT-Drucksache VI/654. 123 BT-Drucksache VI/819. 124 BT-Drucksache VI/1760, S. 45. 125 BT-Drucksache VI/3078, S. 36. 126 BT-Drucksache VII/1057, S. 3. 127 VDB, 7. WP, 61. Sitzung, 25.10.1973, S. 3555. 128 Liebrucks, Sicherung; Dolinski u. Ziesing; Dolinski; Emmerich u. Lukes. Ausführlich zu den wissenschaftlichen Gutachten und ihrem Stellenwert für die bundesdeutsche Energiepolitik in den siebziger Jahren: Graf, Öl, S. 219–239.

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als Experten, die zwischen ihrer Forschungsarbeit und den politischen Zielgrößen vermittelten und deren Gutachten die »Basis für rationale Entscheidungen« im Feld der auf Versorgungssicherung ausgerichteten Energiepolitik bereitstellten.129 In den Publikationen des Mineralölwirtschaftsverbandes, der die Interessen aller auf dem bundesdeutschen Markt tätigen Mineralölgesellschaften zu vertreten beanspruchte, übernahm die »Sicherung der Energieversorgung« ebenfalls eine legitimatorische Funktion und avancierte zum zentralen ar­gumentativen Fluchtpunkt. Mit dem einleitenden Verweis auf das gemeinsame »Interesse einer langfristigen Sicherung der Energieversorgung« veröffentlichte der Verband beispielsweise im Februar 1973 seine »Vorschläge« zu einem »energiepolitischen Gesamtkonzept für die Bundesrepublik Deutschland«.130 Die Vertreter der Mineralölindustrie forderten hierin neben steuerlichen Entlastungen für ihre Firmen und der Wahrung unternehmerischer »Dispositions­ freiheit« durch Begrenzung staatlicher Interventionsmöglichkeiten131 eine »Akzentverschiebung in den energiepolitischen Zielsetzungen«. Fortan müsse »die Sicherung der langfristigen Versorgung im Vordergrund aller Bemühungen stehen. […] Das Postulat der preiswerten Energiedarbietung bleibt zwar im Interesse der internationalen Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft nach wie vor ein wichtiges Ziel der Energiepolitik, die Forderung nach Versorgungssicherheit gewinnt jedoch größeres Gewicht.«132 Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie plädierte seit Frühjahr 1973 für eine stärkere Berücksichtigung des Sicherheitsaspektes bei energiepolitischen Entscheidungen.133 Indem Politiker, wissenschaftliche Experten und Interessenvertreter das Problem der Energie- und Mineralölversorgung als Sicherheitsproblem kennzeichneten, statteten sie es zugleich mit Bedeutungsimplikaten aus, die an das Wort »Sicherheit« geknüpft waren.134 Sicherheitsdiskurse waren zum einen binär kodiert, war die Bezeichnung »Sicherheit« doch einerseits ein »gesellschaftliches Wertsymbol«, das auf Schutz, auf »Gewißheit, Verläßlichkeit und vor allem Beruhigung und Geborgenheit«,135 mithin auf einen Zustand verwies, den es herzustellen oder zu bewahren galt. Andererseits implizierten die an dieses Zeichen geknüpften Semantiken zugleich Referenzen auf »sein Entgegengesetztes«,136 auf Unsicherheiten, Risiken oder Gefährdungslagen, die abzuwenden oder zu­ mindest einzuhegen waren. Begreift man »Sicherheit« nicht als statische, gleich-

129 So etwa die Formulierung in: Dolinski u. Ziesing, S. 20. 130 Mineralölwirtschaftsverband, Energiepolitik, S. 4. 131 Ebd. 132 Ebd., S. 6. 133 Bundesverband der Deutschen Industrie, Energiepolitik. 134 Grundlegend zu den Semantiken der »Sicherheit«: Kaufmann; vgl. auch: Mergel, Propa­ ganda, S. 270–281; E. Conze, Sicherheit; ders., Geschichte. Zur Begriffsgeschichte von »Sicher­heit«: W. Conze; Daase, Security. 135 Kaufmann, S. 1. 136 Mergel, Propaganda, S. 273.

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sam essentialistische Kategorie, sondern als Gegenstand und Produkt kommu­ nikativer Sinnstiftungen und Bedeutungszuweisungen, ist der Verweis auf ein Äußeres, auf einen Gegenpol für derartige Prozesse geradezu konstitutiv. Da sich der Referenzrahmen von »Sicherheit« seit den siebziger Jahren zunehmend erweiterte und auch auf Fragen der Energieversorgung ausdehnte, wird der inhärente Zusammenhang zwischen der Zielkategorie »Sicherheit« und ihrem konstituierenden Gegensatz auch in den energiepolitischen Grundsatzpapieren dieser Zeit sichtbar, in denen die Bundesregierung die »Sicherung der Energieversorgung« zum zentralen Ziel ihrer Energiepolitik erklärte. So versah das Kabinett etwa in seinem energiepolitischen Gesamtprogramm, dessen Einleitung bereits den rahmenden Verweis auf die Notwendigkeit einer langfristigen Sicherung der Energieversorgung enthielt, die Prognosen über die »zukünftige Entwicklung«137 mit dem grundsätzlichen Hinweis, die »Erwartung in einen ungestörten Ablauf einer derartigen Entwicklung« sei »mit erheblichen Risiken belastet«. Mit Blick auf die »Struktur des Weltmineralölmarktes« referierte die Bundesregierung zudem nicht nur auf die steigende Importabhängigkeit der Vereinigten Staaten, sondern auch auf die »Konzentration der gesamten Nachfrage auf eine relativ kleine Anzahl von Produktionsländern, deren Produktionspolitik nicht mit Sicherheit vorherbestimmbar« sei, sowie auf die »Ungewißheit über die Realisierung notwendiger Produktionsausweitungen«. Im Angesicht von »Einzelerscheinungen«, zu denen die Verfasser des Energieprogramms beispielsweise die »Verengung der auf dem freien Markt angebotenen Rohöl­mengen«, den Preisanstieg bei einzelnen Mineralölprodukten sowie Schwierigkeiten bei der Versorgung von US-amerikanischen Tankstellen zählten, schlussfolgerte das Bundeskabinett, »daß es sich bei diesen Risiken nicht um abstrakte Möglichkeiten, sondern um reale Gefährdungstatbestände« handle.138 Eine »besondere Schwierigkeit«139 bestehe ferner darin, dass bei kurzfristigen Versorgungsstörungen »eine elastische Reaktion anderer Energieträger nicht möglich« sei.140 Auf diese Beschreibungen von Risiken, Ungewissheiten und Gefährdungslagen, die bereits implizit Sicherheitssemantiken aufriefen, folgte unmittelbar anschließend eine Aufzählung der »Konsequenzen für Ziele und Ausrichtung der Energiepolitik«. Als »Grundziel« für ihre Energiepolitik bezeichnete die Bundesregierung in diesem Abschnitt zuvörderst »die Verwirklichung einer Energieversorgung der Bundesrepublik, bei der ein […] ausreichendes Energieangebot sichergestellt« und die »mittel- und langfristig sicher« sei.141 Das Postulat der Sicherung der Energieversorgung war mithin direkt mit dem Verweis auf Unsicherheiten und Gefährdungslagen verbunden. Beide 137 BT-Drucksache VII/1057, S. 4. 138 Ebd., S. 5. 139 Ebd. 140 Ebd., S. 5–6. 141 Ebd., S. 6. Hinzu kamen die beiden Ziele der möglichst günstigen Energieversorgung und des Umweltschutzes.

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Redeweisen gehörten unauflöslich zusammen und reproduzierten denselben Diskurszusammenhang. Zu den im energiepolitischen Gesamtkonzept formulierten »Konsequenzen« zählte neben dem Ziel einer langfristigen Sicherung der Energieversorgung auch »die Notwendigkeit zu staatlichem energiepolitischem Handeln«. Dass beide Schlussfolgerungen miteinander verknüpft waren, machten die Verfasser des Energieprogramms deutlich, indem sie betonten, dass »[i]n Anbetracht der grundlegenden Bedeutung der Energieversorgung sowohl für die Lebensbedingungen des einzelnen wie für das Funktionieren der gesamten Volkswirtschaft […] für den Staat ein hohes Maß an Verantwortung« bestehe.142 Dieser Verweis auf den Staat als verantwortlichen Garanten einer langfristigen Energieversorgung macht einen zweiten wesentlichen Bedeutungsgehalt sichtbar, mit dem das Wort »Sicherheit« gefüllt war. So bezeichnete »Sicherheit« nicht nur einen anzustrebenden Zustand der Gewissheit, der Ruhe und Verlässlichkeit, sondern adressierte zugleich eine Instanz, die diesen Zustand zu gewährleisten und zu garantieren hatte. In politischen Kommunikationszusammenhängen, in denen Sicherheitssemantiken weit verbreitet waren, transportierte »Sicherheit« dementsprechend die Verheißung politischer, sozialer oder ökonomischer Stabilität, während das Wort den Staat als die Instanz bezeichnete, die derlei »Sicherheit(en)« zu garantieren hatte. Semantiken der Sicherheit transportierten und implizierten mithin Verweise auf den strafenden, sorgenden und schützenden Staat.143 Die Ausstattung des Energieversorgungsproblems mit einer Semantik der Sicherheit wird im Energieprogramm der Bundesregierung in zweifacher Weise sichtbar. Zum einen bildete das Ziel einer langfristigen Sicherung der Energieversorgung den Kern des energiepolitischen Gesamtkonzepts, der sich zudem aus dem Verweis auf Unsicherheiten und Gefährdungslagen als konstitutives Außen des Sicherheitsdiskurses ergab. Dass die politische Semantik von »Sicherheit« zum anderen den Staat als Sicherheitsgaranten auswies, wird mit Blick auf das Energieprogramm ebenfalls in mehrfacher Hinsicht deutlich. Denn indem die Bundesregierung erstens ein solches energiepolitisches Grundsatzprogramm formulierte, markierte sie Fragen der Energie- und Mineralölversorgung bereits als politische Probleme, die in den Zuständigkeitsbereich der Exekutive und damit des Staates fielen. Die Verweise auf die Verantwortung des Staates für die Energieversorgung machten die Verknüpfung von Sicherheit und Staatlichkeit zweitens sprachlich noch einmal explizit. Ulf Lantzke, unter dessen Federführung das Energieprogramm der Bundesregierung entstanden war, beschrieb diesen Zusammenhang in einem Vortrag am Kieler Institut für Weltwirtschaft einige Jahre später folgendermaßen: »Die Sicherung der Energieversorgung ist das Ziel, das die Politiker auf den Plan ruft«.144 142 Ebd. 143 Mergel, Propaganda, S. 272. Zu den Wurzeln der Verkoppelung von Sicherheit und Staatlichkeit: W. Conze, S. 837–841; W. Reinhard, S. 46; Sofsky, S. 83–84. 144 Lantzke.

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Abermals bestätigt und manifestiert wurde der inhärente Zusammenhang zwischen Sicherheit und Staatlichkeit im »Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Mineralöl oder Erdgas«, das der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung am 9. November 1973 einstimmig bei lediglich einer Enthaltung verabschiedete.145 Ließ sich der oben bereits beschriebene Prozess der Etikettierung von Energieversorgungsfragen als sicherheitsrelevante Probleme und deren Ausstattung mit Sicherheitssemantiken schon an der Titelgebung des sogenannten »Energiesicherungsgesetzes« ablesen, fand dieser kommunikative Prozess auch im Gesetzestext seinen Niederschlag. So betonte die Bundesregierung in der einführenden Begründung, dass »bei auch nur vorübergehender Störung der Einfuhren die Versorgung mit dem lebenswichtigen Bedarf an Energie gefährdet werden« könne. »Um ernsten Störungen in der Energieversorgung begegnen zu können«, so die Begründung weiter, »bedarf es einer gesetzlichen Grundlage, die administrative Maßnahmen zur Abschwächung der Auswirkungen von Versorgungsstörungen ermög­licht.«146 Auch hier rief der Verweis auf Gefährdungslagen und Störungen implizit Sicherheitssemantiken auf, mit denen sich zugleich der Bedarf an administrativen – und damit staatlichen – Befugnissen und Handlungsmöglichkeiten verknüpfen ließ. Konkret erhielt die Bundesregierung durch das Gesetz insbesondere die Befugnis, »durch Rechtsverordnung Vorschriften über […] die Produktion, den Transport, die Lagerung, die Verteilung, die Abgabe, den Bezug, die Verwendung sowie Höchstpreise von Erdöl, Erdölerzeugnissen, festen, flüssigen, gasförmigen Brennstoffen, von elektrischer Energie sowie von sonstigen Energien und Energieträgern« zu erlassen.147 Von den verbrauchsbeschränkenden Maßnahmen, welche die Bundesregierung auf Grundlage des »Energiesicherungsgesetzes« verabschiedete, erregten die vier autofreien Sonntage im November und Dezember 1973 zweifelsohne die größte gesellschaftliche Aufmerksamkeit.148 Galt das »Energiesicherungsgesetz«, das die Zeitgenossen aufgrund der weitreichenden administrativen Eingriffsmöglichkeiten in den Energiemarkt auch als »Ermächtigungsgesetz« bezeichneten,149 zunächst nur für ein Jahr, entfristete der Deutsche Bundestag am 5. Dezember 1974 einstimmig dessen Gültigkeit.150 Prozesse der sprachlich-kommunikativen Konstruktion von Sicherheitspro­ blemen und der Verkoppelung von Sicherheit und Staatlichkeit sind auch Gegenstand des »Versicherheitlichungs«-Konzeptes der Kopenhagener Schule für 145 Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Mineralöl oder Erdgas (Energiesicherungsgesetz), in: BGBl, Teil I, Nr. 89, 10.11.1973, S. 1585–1592; VDB, 7. WP, 65. Sitzung, 9.11.1973, S. 3831–3852. 146 BT-Drucksache VII/1198, S. 1. 147 Ebd., S. 2. 148 Hohensee, S. 143–161. 149 Graf, Öl, S. 213. 150 VDB, 7. WP, 134. Sitzung, 5.12.1974, S. 9154–9160.

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Internationale Beziehungen,151 das in jüngerer Zeit auch in der historischen Forschung verstärkte Aufmerksamkeit erfahren hat.152 Dieser politikwissenschaft­ liche Analyseansatz zielt auf die grundlegende Frage, wie bestimmte Sachverhalte und Phänomene zu Sicherheitsproblemen (gemacht) werden. »Versicherheit­ lichung« ist also, wie Eckart Conze in seiner geschichtswissenschaftlichen Adaption des Konzepts schreibt, als »akteursgesteuerter kommunikativer Prozess« zu begreifen.153 Das Akteursverständnis bleibt hierbei gleichwohl weitgehend auf den Staat beschränkt, ist doch etwa bei Ole Waever, einem der wichtigsten Vertreter des Ansatzes, zu lesen: »In naming a certain development a security problem, the ›state‹ can claim special right«.154 Prozesse der »Versicherheitlichung« werden mithin an das Interesse staatsnaher Akteure rückgebunden, staatliche Befugnisse und Handlungsspielräume zu begründen, zu bestätigen und auch auszuweiten sowie außerordentliche politische Maßnahmen zu rechtfertigen. Eckart Conze hat vorgeschlagen, den Ansatz zu historisieren und nach den Faktoren, den beteiligten Akteuren und ihren Interessen sowie den Erfolgsbedingungen von »Versicherheitlichungs«-Prozessen zu fragen. Ein solches historisches Verständnis von »Versicherheitlichung« harmoniert einerseits gut mit der in dieser Studie angestrebten Analyse von Prozessen politischer Kommunikation, die ebenfalls auf Sinnstiftung und Bedeutungsproduktion ausgerichtet waren. Auch die oben beschriebenen Prozesse der Bezeichnung und Etikettierung von Energieversorgungsfragen als Sicherheitsprobleme lassen sich demnach als »Versicherheitlichungen« untersuchen, wobei gleichwohl nicht nur staatsnahe Akteure, sondern gleichermaßen Interessenvertreter oder wissenschaftliche Experten an diesen Sinnstiftungsprozessen partizipierten – ein Postulat, das Conze ebenfalls formuliert, wenn seine Überlegungen auch vornehmlich auf den Staat konzentriert sind.155 Außerdem schärfen die Vorschläge zur Historisierung des »Versicherheitlichungs«-Konzepts den Blick für die Abweichungen von etablierten Routinen politischer Kommunikation, die ebenfalls im Rahmen von Sicherheitssemantiken Plausibilität entwickelten. »Prozesse der Versicherheitlichung«, schreibt Conze, »rechtfertigen außerordentliche Maßnahmen, die sofort umgesetzt werden müssen, zu denen es keine Alternative gibt und die  – zumindest tendenziell  – den normalen Strukturen des politischen Prozesses und der politischen Meinungsbildung und Entscheidungsfin-

151 Waever; Buzan. 152 Vgl. E. Conze, Securitization; ders., Geschichte, S. 82–101. Vgl. ferner die Teilprojekte des Sonderforschungsbereichs 138 »Dynamiken der Sicherheit. Formen der Versicherheit­ lichung in historischer Perspektive«. Außerdem erschienen in den letzten Jahren mehrere Themenhefte historischer Fachzeitschriften: Zwierlein; Lüthi u. Purtschert; Graf, Production; Kirsch. 153 E. Conze, Securitization, S. 457. 154 Waever, S. 54. 155 Zu diesem und weiteren Kritikpunkten gegenüber dem »Versicherheitlichungsansatz«  – und auch den Überlegungen Conzes: Daase, Historisierung, S. 403–404.

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dung entzogen sind.«156 Als augenfälliger Beleg für diese Beobachtung lässt sich das sogenannte »Energiesicherungsgesetz« bemühen, das der Deutsche Bundestag nach Einbringung des Entwurfs am 7. November 1973 innerhalb von gerade einmal 48 Stunden verabschiedete. Andererseits erscheint es jedoch problematisch, nach den Interessen der Akteure sowie den Erfolgsbedingungen von »Versicherheitlichungs«-Prozessen zu fragen. Hier geht es nicht darum, auf die »hinter« sprachlichen Äußerungen liegenden Intentionen von Sprechern zu schließen und diese zu rekonstruieren.157 Vielmehr liegt dieser Studie die eingangs formulierte Annahme zugrunde, dass in politischen Kommunikationsvorgängen solche Bezeichnungsweisen Verwendung fanden, die einen hohen argumentativen Gebrauchswert hatten. Indem die beteiligten Akteure Energieversorgungsfragen zu Problemen der »Sicherheit« erklärten, statteten sie diese Probleme mit bestimmten Semantiken aus, die kommunikativ anschlussfähig waren, und passten sie in Verweiszusammenhänge ein, in denen sich staatliche Zuständigkeitsbereiche begründen ließen. Wie genau diese Zuständigkeitsbereiche für den Energiebereich abgesteckt werden sollten, legte ebenfalls das energiepolitische Programm der Bundesregierung fest. Auf die allgemeinen politischen Zielformulierungen folgten nämlich konkretere Aufgabenbeschreibungen für die einzelnen Bereiche der Energiewirtschaft. Im Abschnitt zum Mineralöl,158 der unmittelbar an die einleitenden Kapitel anschloss und damit als besonders relevant gekennzeichnet war, formulierte die Bundesregierung drei »Aufgabenbereiche«, die dem »Hauptziel« zugeordnet waren, »die Voraussetzungen für eine langfristige, kontinuierliche und ausreichende Versorgung des deutschen Marktes zu verbessern und vorhandene Risiken zu minimieren«.159 Zur »Verbesserung der Struktur des inneren Marktes«160 sollte vor allem der Ausbau der einheimischen Raffineriekapazitäten beitragen, strebte das Kabinett doch an, »den hohen Anteil (28 %) von eingeführten Mineralölprodukten an der Versorgung des deutschen Marktes« zu verringern. Auch diese Absicht formulierten die Autoren in Verbindung mit einer Semantik der Sicherheit, indem sie eine »starke einheimische Raffinerieindustrie« als »wesentliches Sicherheitselement für eine kontinuierliche Versorgung des Marktes mit Mineralölprodukten« bezeichneten.161 Daneben unterschied das energiepolitische Grundsatzprogramm die beiden Aufgabenfelder der »Vorsorge gegen kurzfristige Störungen« einerseits und der »Sicherung der langfristigen Versorgung« andererseits.162 Für den Bereich der kurzfristigen Vorsorge 156 E. Conze, Securitization, S. 465. 157 Darum geht es Conze offenbar, wenn er zu untersuchen beabsichtigt, wie Akteure »ihre Interessen durch sicherheitsbezogene Argumentationen durchzusetzen versuchen«; ebd., S. 459. 158 BT-Drucksache VII/1057, S. 7–9. 159 Ebd., S. 7. 160 Ebd. 161 Ebd., S. 9. 162 Ebd., S. 7.

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waren neben »Vorschriften zur Krisenbewältigung« vornehmlich »Maßnahmen der Bevorratung« vorgesehen.163 Konkret waren dies die »Erhöhung der Pflichtbevorratung« sowie die Schaffung einer »Bundesrohölreserve« im Umfang von insgesamt zehn Millionen Tonnen ab 1975.164 Einen zentralen Beitrag zur »Sicherung der langfristigen Versorgung« sollte neben den »großen integrierten Mineralölgesellschaften« mit »ihre[n] Erfahrungen, ihre[r] wirtschaftliche[n] Leistungskraft und ihre[n] weltweiten Rohölbezugsmöglichkeiten« auch die »Gruppe der einheimischen Mineralölunternehmen« leisten. Hierbei betonte die Bundesregierung die Notwendigkeit zur internationalen Zusammenarbeit sowohl zwischen den Verbraucherländern und -regionen als auch mit den Förderländern. Da es der Bundesrepublik jedoch »bisher an einer leistungsfähigen, im internationalen Bereich operationsfähigen Mineralölgesellschaft [fehle], die finanziell und ihrer Größenordnung nach Träger von bedeutenden Koopera­ tionsvorhaben sein könnte«, kündigte die Bundesregierung »die Neugruppierung der deutschen Mineralölinteressen« an. Den »Kern für eine solche Neugruppierung« sollte »die VEBA AG« bilden.165 Dieses Vorhaben, um die VEBA als »Kern« einen »nationalen Mineralöl­ konzern« aufzubauen, das die historische Forschung bislang nur wenig beachtet hat, wird im Zentrum der nachfolgenden Analyse stehen. Damit wird gewiss weder der internationale Charakter der Energiekrisen der siebziger Jahre und die Einbindung der Bundesrepublik in transnationale wirtschaftliche Zusammenhänge, politische Bewältigungsstrategien und Krisenmechanismen geleugnet,166 noch soll das beteiligungspolitische Instrument einer staatlich mitfinanzierten Fusion von Mineralölunternehmen zur wichtigsten energiepolitischen Krisenbewältigungsstrategie der Bundesregierung erklärt werden. Für die vorliegende Arbeit über den langfristigen Wandel wirtschaftlicher Staatsaufgaben ist vielmehr von Interesse, wie die beschriebene versorgungspolitische Problemwahrnehmung der frühen siebziger Jahre die beteiligungspolitischen Überlegungen der Bundesregierung beeinflusste und einen Begründungszusammenhang für den staatlichen Erwerb von Unternehmensanteilen schuf. Zu diesem Zweck wird der Blick im Folgenden zunächst auf die Debatten der sechziger Jahre zu richten sein, die ebenfalls bereits um die Neugruppierung der deutschen Mineralölunternehmen kreisten, allerdings (noch) nicht von der Wahrnehmung der bundesrepublikanischen Mineralölversorgungssituation als sicherheitsrelevantes politisches Problem bestimmt waren.

163 Ebd. 164 Ebd., S. 8. 165 Ebd., S. 7. 166 Hierzu ausführlich: Graf, Öl, S. 240–286; ders., Bundesrepublik.

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2.2 Frühe Überlegungen zur Zusammenführung deutscher Mineralölunternehmen Der im Energieprogramm formulierte Plan zur Neugruppierung der deutschen Mineralölinteressen war im Herbst 1973 keineswegs eine neue Idee. Überlegungen zur Neugestaltung und organisatorischen Umstrukturierung der so genannten »deutschen Gruppe« von Mineralölunternehmen waren vielmehr bereits seit Mitte der sechziger Jahre Gegenstand interner Planungen und öffentlicher Debatten. Im August 1965 etwa berichtete Der Volkswirt über ein Vorhaben des Bundesschatzministeriums zur Gründung einer »Finanz-Holding, deren Gesellschaften sowohl Kohle als auch Erdöl als auch Erdgas erzeugen, verarbeiten und vertreiben« sollten.167 Anlass für die Überlegungen,168 die auf eine Initiative von Staatssekretär Wilhelm Kattenstroth zurückgingen, waren sowohl strukturelle Schwierigkeiten der Deutschen Erdöl AG (DEA) und der Gelsenberg Benzin AG – beide Unternehmen waren außer auf dem Mineralölbereich auch auf dem Steinkohlesektor tätig und hatten infolgedessen mit Kurseinbrüchen an den Börsen zu kämpfen – als auch die geringe Rohölbasis beider Firmen. Beiden Problemen wollte das Bundesschatzministerium mit einer Kooperation zwischen DEA und Gelsenberg begegnen, die, so die Überlegung, zu Einsparungen im Verarbeitungsbereich sowie im Vertriebssektor führen und demzufolge die nötige Kapitalbasis für die Rohölsuche im Ausland schaffen würde. Zu diesem Zweck strebten die Ministerialbeamten weder eine bloße »Interessengemeinschaft«169 noch eine Gesellschaft mit staatlicher Beteiligung an. Die geplante »EnergieVerwaltungs-AG« (EVAG) sollte vielmehr die »eigentumsmäßige Bindung von GBAG und DEA«170 ermöglichen und zugleich die »Gestalt eines Privatunternehmens«171 annehmen. Für die Umsetzung des Vorhabens war laut einem internen Bericht des Bundesschatzministeriums in einem ersten Schritt der Verkauf von EVAG-Aktien vorgesehen, mit deren Erlös »die bei GBAG vorhandenen Pakete«172 gekauft werden sollten. Ein Umtauschangebot an die Kleinaktionäre von DEA und Gelsenberg sollte der EVAG schließlich in einem zweiten Schritt ermöglichen, die Mehrheitsbeteiligung an beiden Unternehmen zu übernehmen. Die öffentlichen Erwartungen an das Vorhaben waren hoch, verbanden doch beispielsweise die Wirtschaftsjournalisten des Volkswirt mit dem Aufbau eines solchen »Super-Zebra« nicht nur die Möglichkeit zur aktiven »Marktpolitik« auf dem energiewirtschaftlichen Sektor,173 sondern auch und vor allem die Er167 Ein »Super-Zebra«?, in: Der Volkswirt, 13.8.1965. 168 Zu den folgenden Ausführungen: Karlsch u. Stokes, S. 351–353. 169 Ebd., S. 352. 170 Zit. n. ebd. 171 Ebd. 172 Zit. n. ebd. 173 Ein »Super-Zebra«?, in: Der Volkswirt, 13.8.1965. Das Wort »Zebra« war im energiewirtschaftlichen Zusammenhang gebräuchlich als metaphorische Bezeichnung für ein Unternehmen, das in mehreren Bereichen der Energiewirtschaft tätig war.

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wartung, »den großen ausländischen Ölkonzernen in der Bundesrepublik auf privatwirtschaftlicher Basis eine potente und wettbewerbsfähige deutsche Erdölgesellschaft gegenüberzustellen«.174 Wenn die Idee einer subventionierten Fusion von Mineralölkonzernen im Frühjahr 1966 auch noch einmal ins Gerede kam, führten die Planungen letztlich doch zu keinem Ergebnis. Die von öffentlicher wie politisch-administrativer Seite an dieses Vorhaben geknüpften Erwartungen zum Aufbau eines Gegengewichts gegen die internationalen Mineralölkonzerne erhielten im Laufe des Jahres 1966 vielmehr eine herbe Enttäuschung, als die US-amerikanische Texaco die Aktienmehrheit an der DEA übernahm. Die Deutsche Erdöl AG sah sich Mitte der sechziger Jahre einem Bündel von Problemen gegenüber, die beispielhaft für die strukturellen Schwächen der gesamten »deutschen Gruppe« von Mineralölunternehmen stehen. So war die DEA erstens besonders aktiv in der inländischen Rohölförderung, die in der vorangegangenen Dekade noch etwa ein Drittel, Mitte der sechziger Jahre aber lediglich zehn Prozent des Bedarfs decken konnte, und deren Kosten zudem im Vergleich zur Förderung im Ausland doppelt so hoch waren. Über eine nennenswerte ausländische Rohölbasis verfügte die DEA zweitens allerdings nicht. Hinzu kamen drittens die zunehmenden Schwierigkeiten der Kohleindustrie, an denen das Unternehmen weiterhin beteiligt war. Die Aufhebung der Schutzzölle im »Gesetz über die Umstellung der Abgaben auf Mineralöl« vom Dezember 1963 wirkte sich viertens verschärfend auf alle drei vorgenannten Probleme aus.175 Die Unternehmensleitung war zunächst bestrebt, sowohl die politischen Entscheidungsträger als auch die breitere Öffentlichkeit für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der deutschen Mineralölunternehmen im Allgemeinen sowie der DEA im Besonderen zu sensibilisieren. Ende 1965 beispielsweise legte ein Mitarbeiter der Volkswirtschaftlichen Abteilung der DEA im Auftrag des Managements eine Studie über die Wettbewerbsverhältnisse auf dem deutschen Mineralölmarkt vor, die auch dem Bundeswirtschaftsministerium zuging. Er kam zu dem Schluss, dass die vorherrschende Preissituation auf dem bundesdeutschen Markt »eine ausreichende Verzinsung des eingesetzten Kapitals« unmöglich mache. Die Auswirkungen berührten zwar alle in der Bundesrepublik tätigen Mineralölgesellschaften, die deutschen Unternehmen seien jedoch in besonderem Maße betroffen, da sie »auf Zukauf angewiesen« seien und »nicht wie die großen internationalen Gesellschaften in geschützten Märkten, insbesondere in den USA, einen Ausgleich für Verluste in Deutschland und Westeuropa« fänden.176 Im März 1966 traten die DEA-Manager allerdings in Verhandlungen mit Vertretern der Texaco ein, für die der Kauf eines der größten deutschen Mineralölunternehmen aus mehreren Gründen attraktiv erschien. So drängte der zur 174 Ein deutscher Großkonzern?, in: Der Volkswirt, 29.10.1965. 175 Karlsch u. Stokes, S. 347. 176 Leiner, S. 15.

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Gruppe der »sieben Schwestern« gehörende Mineralölkonzern auf den deutschen Markt, auf dem das US-amerikanische Unternehmen bis zu diesem Zeitpunkt lediglich über ein Kooperationsgeschäft mit der Standard Oil of California präsent war. Zudem war die Texaco nicht nur kapitalstark, sondern auch auf der Suche nach Absatzmöglichkeiten für große Mengen und Reserven an Rohöl, über die der Konzern insbesondere aufgrund einer Beteiligung an der ArabianAmerican Oil Company (ARAMCO), einer der weltweit größten Rohölfördergesellschaften, verfügte. Die Übernahmepläne, über welche die Unternehmensleitung der DEA die Bundesregierung trotz der wirtschaftspolitischen Relevanz nicht in Kenntnis setzte, wurden bereits Ende April 1966 konkret, als die Texaco den DEA-Aktionären ein Verkaufsangebot unterbreitete und das Gespräch mit Vertretern des Bundeswirtschafts- wie des Bundesschatzministeriums suchte. In der bundesdeutschen Öffentlichkeit erregten die Verkaufsverhandlungen große Aufmerksamkeit. So musste Bundeswirtschaftsminister Kurt Schmücker bereits unmittelbar, nachdem die Übernahmepläne bekannt geworden waren, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 4. Mai 1966 zu den Umständen des sich anbahnenden Geschäfts, zur Rolle der Bundesregierung und den energiepolitischen Konsequenzen Stellung nehmen.177 Die Bundestagsabgeordneten wollten zum einen wissen, »seit welchem Zeitpunkt zwischen den Beteiligten Verhandlungen über diesen Fragenkomplex geführt worden« seien178 und »[w]elchen Einfluß […] die Bundesregierung auf die Verhandlungen […] ausgeübt« habe.179 Eine zweite Gruppe von Fragen zielte auf die Beteiligungsverhältnisse auf dem deutschen Mineralölmarkt, insbesondere auf den Umfang der amerikanischen Beteiligungen und deren Auswirkungen auf die Energiepolitik der Bundesregierung.180 Schließlich ging es um die »Vorstellungen« der Bundesregierung zur Aufgabe, »die wirtschaftliche Zukunft der unabhängigen deutschen Mineralölunternehmungen zu sichern«.181 Hierbei verwies der SPDAbgeordnete Hans-Jürgen Junghans auf den von Staatssekretär Wilhelm Kattenstroth im Vorjahr formulierten Plan, »die partiellen Beteiligungen des Bundes im Mineralölgeschäft zusammenzufassen«.182 Das Mineralöl-Referat im Bundeswirtschaftsministerium griff daraufhin zwar kurzzeitig noch einmal die Planungen zum Aufbau einer solchen »Energie-Verwaltungs-AG« auf. Doch fasste das Bundeskabinett auf seiner Sitzung am 11. Mai 1966 den Beschluss, nicht gegen die Übernahme zu intervenieren, da sich erstens die Verhältnisse auf dem deutschen Markt nicht signifikant verändern würden – der Anteil der DEA an der Verarbeitungskapazität lag zu diesem Zeitpunkt bei fünf Prozent  – und die Bundesregierung zweitens den finanziellen 177 VDB, 5. WP, 38. Sitzung, 4.5.1966, S. 1695–1700. 178 Ebd., S. 1697. 179 Ebd., S. 1695. 180 Ebd., S. 1697. 181 Ebd., S. 1698. 182 Ebd., S. 1699.

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Aufwand eines Eingriffs für den Bund, den Bundeswirtschaftsminister Kurt Schmücker auf achthundert Millionen DM bezifferte, angesichts des wachsenden Haushaltsdefizits für zu hoch befand.183 Bereits zwei Tage später, am 13. Mai 1966, unterbreitete die Texaco den DEA-Anteilseignern erneut ein Angebot zum Umtausch ihrer Aktien in Papiere der Deutschen Texaco und / oder ihrer USamerikanischen Muttergesellschaft, das Aktienbesitzer von mehr als neunzig Prozent des DEA-Grundkapitals annahmen. Anfang 1967 besaß der US-Konzern bereits 97 Prozent des Aktienkapitals der Deutschen Erdöl AG, die 1970 schließlich in »Deutsche Texaco AG« umbenannt wurde.184 Der Verkauf der DEA an die US-amerikanische Texaco bildete fortan nicht nur einen wesentlichen argumentativen Bezugspunkt, sondern geriet zugleich zu einem Katalysator für die öffentlichen Debatten um die Verhältnisse auf dem bundesdeutschen Mineralölmarkt. Wenn in den sechziger Jahren auch die Mineralölversorgung als politisches Problem noch keine wahrnehmbaren Konturen angenommen hatte und die Krise des Ruhrkohlebergbaus weiterhin das dominierende energiepolitische Thema war, entwickelten sich doch bereits Diskussionen über die Zukunft der bundesdeutschen Mineralölindustrie und den Einfluss ausländischer Großkonzerne. Als bestimmend und strukturierend erwiesen sich hierbei eine nationale Semantik und ein konzernkritischer Diskurs,185 die sich in Verweisen auf die »›Überfremdung‹ der Mineralölraffinerien in der Bundesrepublik durch ausländische Gesellschaften«186 oder auf das seit dem DEA-Texaco-Geschäft über den deutschen Firmen schwebende »Damoklesschwert einer Überfremdung«187 sowie in Warnungen vor drohender »Überfremdungsgefahr«,188 vor einer zunehmenden »Abhängigkeit [von] riesenhafte[n] ausländische[n] Konzerne[n]«189 oder der »Kontrolle der großen europäischen Erdölleitungen von im wesentlichen den gleichen internationalen Erdölkonzernen«190 verfestigten. Die Rückseite derartiger Warnungen und Redeweisen, die eine dichotomische Unterscheidung von nationalen Gesellschaften und international operierenden Großkonzernen perpetuierten, bildeten Forderungen zum Aufbau eines »nationalen Mineralölkonzerns«, die bereits im Umfeld der Diskussionen um eine »Energie-Verwaltungs-AG« erhoben worden waren und sich seit Anfang 1966 183 BArch, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1966. Protokolle, 26. Kabinettssitzung am 11. Mai 1966. 184 Karlsch u. Stokes, S. 353–358. 185 Zu internationalen Großkonzernen als Element der diskursiven Konstruktion der »Ölkrise«: Graf, Öl, S. 340–348. 186 Ein deutscher Großkonzern?, in: Der Volkswirt, 29.10.1965. 187 Die Veba bestellt das Aufgebot, in: Die Zeit, 25.10.1968. 188 Bohren für Deutschland, in: Die Zeit, 31.1.1969. 189 So der SPD-Bundestagsabgeordnete und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt während einer Plenardebatte anlässlich der anhaltenden Schwierigkeiten des Steinkohlebergbaus: VDB, 5. WP, 131. Sitzung, 8.11.1967, S. 6643. 190 Ein deutscher Großkonzern?, in: Der Volkswirt, 29.10.1965.

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verdichteten, nachdem erste Informationen zum Einstieg der Mobil bei ARAL und über das DEA-Texaco-Geschäft an die Öffentlichkeit gelangt waren. Vor allem Diether Stolze, der das Wirtschaftsressort der Zeit leitete und einem breiteren Publikum bereits in den frühen sechziger Jahren durch mehrere Buchpublikationen bekannt geworden war,191 übernahm in diesem Zusammenhang die Rolle eines medialen agenda setters. In zahlreichen Artikeln und Kommentaren betonte er die technologische, wirtschafts- und auch außenpolitische Bedeutung eines nationalen Mineralölkonzerns für die Bundesrepublik Deutschland und kritisierte den Verzicht auf nachhaltige Fusions- und Konzentrationsbemühungen als schwerwiegendes Versäumnis der Bundesregierung. So sah er im Februar 1966 angesichts des sich anbahnenden Einstiegs von Mobil bei ARAL »die letzte Chance vertan, in der Ölindustrie ein leistungsfähiges deutsches Unternehmen aufzubauen«, und fragte rhetorisch, ob »das drittgrößte Industrieland der Welt es sich leisten« könne, »in einem der wichtigsten Zweige der modernen Wirtschaft nicht vertreten zu sein«. In seiner Antwort verwies Stolze auf die technologischen, wirtschaftlichen und politischen Implikationen seiner Forderung, indem er feststellte: »Verzicht auf einen international wettbewerbsfähigen Ölkonzern – das bedeutet Verzicht auf sichere Deviseneinnahmen und technisches know how, auf eine breite Basis zur Entwicklung der Petrochemie, auf wichtige Grundlagenforschung und nicht zuletzt auf politischen Einfluß in der Welt.«192 Als im Mai desselben Jahres das Übernahmegeschäft zwischen DEA und ­Texaco vor dem Abschluss stand, erneuerte Stolze seine Vorwürfe und klagte: »Die Bundesrepublik wird so das einzige große Industrieland ohne einen heimischen Ölkonzern werden.« Außerdem warf er der Bundesregierung vor, erstens die Wichtigkeit eines deutschen Mineralölkonzerns »viel zu spät erkannt« und zweitens die finanziellen Unterstützungsmaßnahmen fälschlicherweise auf die inländische statt auf die ausländische Rohölförderung konzentriert zu haben. Darüber hinaus habe das Kabinett es drittens »versäumt, all die kleinen deutschen Unternehmen zum Zusammenschluß zu einem einzigen Konzern zu zwingen«, und viertens »die Chance vertan«, mit den westeuropäischen Partnern »einen europäischen Ölkonzern zu gründen«.193 In den darauffolgenden Jahren wiederholte Stolze seine Argumente für eine Zusammenfassung der deutschen Mineralölunternehmen mehrfach.194 Hierbei verwies er auch auf argumentative Gewährsmänner, die diese Idee ebenfalls befürworteten. So habe sich, wie Stolze in einem Zeit-Kommentar im Juni 1967 schrieb, etwa der Wintershall-Generaldirektor Josef Rust »für die Gründung einer großen ›nationalen Erdölgesellschaft‹« ausgesprochen und auch der neue 191 Stolze, Weltmacht; ders., Inflation; ders., Aufgaben. 192 Die Sache mit Aral, in: Die Zeit, 4.2.1966. 193 Die Fehler bei der DEA, in: Die Zeit, 20.5.1966. 194 Nationale Interessen, in: Die Zeit, 3.3.1967; Rettet Aral jetzt, in: Die Zeit, 2.6.1967; Die Antwort der Nationalisten, in: Die Zeit, 11.10.1968; Der deutsche Ölkonzern, in: Die Zeit, 24.1.1969.

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Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller betont, »daß sich ein ›Fall DEA‹ nicht wiederholen und der Bundesrepublik […] ein deutsches Erdölunternehmen erhalten werden« solle.195 Umstritten waren unter den grundsätzlichen Befürwortern einer stärkeren Konzentration im Mineralölbereich allerdings die konkreten Modalitäten eines solchen Zusammenschlusses. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Georg Kurlbaum etwa plädierte während einer Plenardebatte anlässlich der Krise des Steinkohle­ sektors im März 1966 für den »Wiederaufbau einer stärkeren Bundesbeteiligung« an der VEBA, »um in Zukunft ein Unternehmen wie die VEBA wirksam auch in der Energiepolitik einzusetzen.«196 Der Volkswirt-Journalist Bernd Huffschmidt, der bereits im Vorjahr die Bildung einer »Energie-Verwaltungs-AG« befürwortet hatte, betonte hingegen, dass die »diskutierte Kooperation […] nicht zum Aufbau einer staatlichen Machtposition« führen dürfe und »eine privatwirtschaftlich organisierte Zusammenarbeit die besten Voraussetzungen« biete, »mit unternehmerischer Initiative zur Lösung der Probleme auf dem Energiemarkt beizutragen«.197 Diether Stolze sprach sich ebenfalls für einen Zusammenschluss auf privatwirtschaftlicher Basis aus, präferierte allerdings das »Verteilernetz von Aral« als »Kern eines integrierten Ölunternehmens«.198 Nach dem Verkauf der DEA an Texaco und dem Einstieg von Mobil bei ARAL konzentrierten sich die Bemühungen des neuen Bundesschatzministers Kurt Schmücker, der dieses Ressort am 1. Dezember 1966 von Werner Dollinger übernommen hatte und auf den Karl Schiller im Amt des Bundeswirtschaftsministers gefolgt war, seit Frühjahr 1967 auf einen Zusammenschluss von VEBA und Gelsenberg. Im Zentrum der Überlegungen zur Kooperation beider Gesellschaften, die Der Volkswirt mit den Etiketten »Energieholding« sowie »Deutsche Energie-AG« versah,199 stand die Übernahme von Teilen des Gelsenberg-Aktienkapitals durch die VEBA, die jedoch, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb, »[o]hne Einschaltung des Staates, das heißt ohne starke Belastung der Bundeskasse […] nicht realisierbar«200 erschien. Denn nicht nur die Ertragslage beider Gesellschaften differierte, zahlte die VEBA 1967 auf ihr freies Grundkapital von 528 Millionen DM doch elf Prozent Dividende, die GBAG jedoch lediglich fünf Prozent auf 485 Millionen DM.201 Auch die Börsenkurse lagen weit auseinander. Während die VEBA beispielsweise im August 1967 bei 206 195 Rettet Aral jetzt, in: Die Zeit, 2.6.1967. 196 VDB, 5. WP, 30. Sitzung, 16.3.1966, S. 1336. 197 Ein deutscher Großkonzern?, in: Der Volkswirt, 29.10.1965. 198 Die Sache mit Aral, in: Die Zeit, 4.2.1966. Ähnlich: Rettet Aral jetzt, in: Die Zeit, 2.6.1967; Nationale Interessen, in: Die Zeit, 3.3.1967; Die Fehler bei der DEA, in: Die Zeit, 20.5.1966. 199 Wer soll die GBAG beherrschen?, in: Der Volkswirt, 10.11.1967. 200 Noch keine Verhandlungen zwischen Veba und GBAG, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.8.1967. 201 Gelsenberg AG, Geschäftsbericht 1967; Bundesministerium der Finanzen, Beteiligungsbericht 1967; Wer soll die GBAG beherrschen?, in: Der Volkswirt, 10.11.1967; Noch keine Verhandlungen zwischen Veba und GBAG, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.8.1967.

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Punkten notiert wurde, lag der GBAG-Kurs zum selben Zeitpunkt bei lediglich 164 Punkten.202 Ein Umtauschangebot an die Aktionäre der Gelsenberg wäre für die VEBA unter diesen Voraussetzungen weder finanzierbar noch gegenüber den eigenen Aktionären – seit der Teilprivatisierung befanden sich rund sechzig Prozent des Grundkapitals der VEBA in den Händen von etwa 2,6 Millionen freien Aktionären – vermittelbar gewesen. Um einen Zusammenschluss dennoch zu ermöglichen, plante Bundesschatzminister Schmücker die Übernahme der beiden GBAG-Aktienpakete, die sich im Besitz der Dresdner Bank AG und der Deutschen Bank AG befanden. Die Dresdner Bank verfügte über einen rund dreißigprozentigen Anteil am Grundkapital der GBAG mit einem Nominalwert von etwa 145 Millionen DM, das Paket der Deutschen Bank machte einen Anteil von acht Prozent des GBAG-Aktienkapitals aus, was einem Nominalwert von rund vierzig Millionen DM entsprach. Ein Kauf dieser beiden größten Aktienpakete der Gelsenberg durch den Bund hätte nicht nur die Ausgangsbedingungen für einen Zusammenschluss mit der VEBA verbessert, die zunächst lediglich den freien GBAG-Aktionären ein Umtauschangebot hätte unterbreiten müssen, während die Übernahme der beiden großen Pakete erst für das Jahr 1968 vorgesehen war. Die Überlegungen Schmückers gingen auch dahin, dem Bund größere Einflussmöglichkeiten auf den geplanten Konzern zu sichern und eine Mehrheitsbeteiligung US-amerikanischer Großkonzerne an der GBAG zu verhindern.203 Die Vertreter beider Banken eigneten sich diese Argumentationsweise und die verbreiteten nationalen Semantiken sowie konzernkritischen Redefiguren an, ließen sie sich doch in der Zeit mit den Worten zitieren, sie wollten »die GBAG vor einer Überfremdung« bewahren und »als deutsches Energie-Unternehmen erhalten«.204 Nachdem die Vorstände der Deutschen Bank und der Dresdner Bank, Hermann Josef Abs und Werner Krueger, Bundesschatzminister Schmücker am 26. Mai 1967 bereits angeboten hatten, die im Besitz ihrer Häuser befindlichen Anteile an der GBAG zu einem Kurs von 190 Prozentpunkten und damit einem Preis von insgesamt rund 365 Millionen DM an den Bund zu veräußern, scheiterte das Vorhaben schließlich dennoch aus mehreren Gründen. So zweifelte einmal das Bundeswirtschaftsministerium an ernst zu nehmenden Übernahmeabsichten US-amerikanischer Konzerne und erachtete den Kauf beider Pakete für eine zu große finanzielle Belastung des Bundeshaushalts.205 Da Bundesschatzminister Schmücker daraufhin zunächst den Erwerb einer Schachtelbeteiligung 202 Noch keine Verhandlungen zwischen Veba und GBAG, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.8.1967. 203 BArch, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1967. Protokolle, 82. Kabinettssitzung am 6. Juni 1967; Noch keine Verhandlungen zwischen Veba und GBAG, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.8.1967; Wer soll die GBAG beherrschen?, in: Der Volkswirt, 10.11.1967. 204 Blau-weiße Tankstellen und ein schwarzer Peter, in: Die Zeit, 16.6.1967. 205 BArch, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1967. Protokolle, 82. Kabinettssitzung am 6. Juni 1967.

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von 26 Prozent anstrebte, schied die Deutsche Bank aus den Verhandlungen aus, während die Dresdner Bank einen Anteil von rund vier Prozent an der GBAG behalten sollte.206 Außerdem war die Zustimmung des Bundeskabinetts zum Kauf an die Bedingung geknüpft, dass hierüber »Einvernehmen erzielt« werde.207 Dass die Vorbehalte des Bundeswirtschaftsministeriums jedoch fortbestanden, wurde in der Haushaltsdebatte des Bundestages am 8. Juni 1967 deutlich, in der Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller seine Bedenken gegenüber dem in Rede stehenden Erwerb einer Gelsenberg-Beteiligung durch den Bund formulierte. Schiller sprach sich zwar ebenso »gegen den Übergang der letzten oder vorletzten deutschen Mineralölposition in fremde Hände« aus, stellte aber zugleich zur Disposition, »ob man das nicht privatwirtschaftlich macht, deutsch und privatwirtschaftlich. Warum da nun mit öffentlichem Eigentum?« Außerdem äußerte er Bedenken gegenüber einer anschließenden Übernahme der Aktienpakete durch die VEBA sowie möglichen Forderungen der GBAG-Kleinaktionäre, die aus dem Verkauf von Aktien zu einem höheren als dem an der Börse notierten Kurs resultieren würden.208 Als zusätzliche Belastung für die Verhandlungen erwiesen sich Vorwürfe der SPD-Fraktion gegenüber der Dresdner Bank, die ebenfalls am 8. Juni 1967 öffentlich wurden. In einer Presseerklärung warf der SPD-Fraktionsvorsitzende und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt den Vorständen der Dresdner Bank »ultimative Forderungen«,209 »Bereicherung auf Kosten des Steuerzahlers«210 sowie die Absicht vor, das »Geschäft ihres Lebens machen zu wollen«.211 Sein SPD-Fraktionskollege Georg Kurlbaum bekräftigte die Vorwürfe und sagte während der Haushaltsdebatte am selben Tag: »Wenn hier von einer großen Bank in der Bundesrepublik versucht wird, die schwierige energiepolitische Lage […] dafür auszunutzen, ein Spekulationsgeschäft zu Lasten der Steuerzahler zu machen, dann verdient das öffentlich angeprangert zu werden.«212 Wenn Bundesschatzminister Schmücker diesen Vorhaltungen auch an gleicher Stelle widersprach und betonte, »daß von ›ultimativen Forderungen‹ […] nicht gesprochen werden« dürfe,213 vermochte er doch den Rückzug der Dresdner Bank aus den Verhandlungen mit der Bundesregierung nicht zu verhindern. Die nachfolgende Kritik der Wirtschaftspresse richtete sich zum einen auf Helmut Schmidt, dem 206 Übernimmt der Bund nur eine GBAG-Schachtelbeteiligung?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.6.1967; Blau-weiße Tankstellen und ein schwarzer Peter, in: Die Zeit, 16.6.1967; Was will Schmidt?, in: Die Zeit, 16.6.1967; Noch keine Verhandlungen zwischen Veba und GBAG, in: Die Zeit, 9.8.1967. 207 BArch, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1967. Protokolle, 82. Kabinetts­ sitzung am 6. Juni 1967. 208 VDB, 5. WP, 112. Sitzung, 8.6.1967, S. 5439–5440, Zit. S. 5439. 209 Zit. n. ebd., S. 5425. 210 Zit. n. Was will Schmidt?, in: Die Zeit, 16.6.1967. 211 Zit. n. Blau-weiße Tankstellen und ein schwarzer Peter, in: Die Zeit, 16.6.1967. 212 VDB, 5. WP, 112. Sitzung, 8.6.1967, S. 5424. 213 Ebd., S. 5425.

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Diether Stolze in der Zeit vorwarf, »ohne jede Kenntnis der Zusammenhänge« eine »phantasievolle Behauptung« aufgestellt zu haben.214 Seine Kollegin Ingrid Neumann warf in derselben Ausgabe den Blick auf die GBAG, mit der nicht nur »die letzte Chance« verbunden sei, »einen leistungsfähigen, im internationalen Wettbewerb standfesten Energie-Konzern zu schmieden«, sondern die nun weiterhin ein »Spekulationspapier« und damit »ein latenter Gefahrenherd für einen zweiten ›Fall DEA‹« bleiben werde.215 Im August 1968 fühlten sich die Wirtschaftsjournalisten in ihren Warnungen bestätigt, war doch in einem Artikel des Volkswirt von einem »seit einigen Wochen andauernde[n] Börsensog auf GBAG-Aktien« zu lesen.216 Hintergrund waren Verhandlungen zwischen der Dresdner Bank, dem Mehrheitsaktionär der Gelsenberg, und dem französischen Mineralölkonzern Compagnie française des pétroles (CFP), über die unter anderem die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 4. Oktober 1968 berichtete. Demnach hatten sich Dresdner Bank und CFP bereits im August auf die Gründung einer gemeinsamen Gesellschaft deutschen Rechts geeinigt, in die das GBAG-Paket der Dresdner Bank eingebracht werden sollte.217 Die Meldungen beruhten auf einer Mitteilung des Hamburger ErdölInformationsdienstes, dessen Leiter Alfred M. Stahmer mehrere Zeitungen unter Berufung auf die CFP darüber informiert hatte, dass der französische Konzern und die Dresdner Bank »als gleichberechtigte Partner eine Auffanggesellschaft für deutsche Ölinteressen zu gründen« planten.218 Die Nachrichten über eine bevorstehende Übernahme des GBAG-Pakets der Dresdner Bank beschäftigten sowohl die mediale Öffentlichkeit als auch den Deutschen Bundestag. So sah sich die Bundesregierung aus Anlass der medialen Berichterstattung mit einigen parlamentarischen Anfragen konfrontiert,219 die der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsministerium, Klaus Dieter Arndt, in der Sitzung am 18. Oktober 1968 beantwortete. Hierbei betonte Arndt zunächst, dass die »Verhandlungen zwischen Dresdner Bank und CFP ruhen«, wie das Handelsblatt zutreffender Weise gemeldet habe. Außerdem zähle die »Aufrechterhaltung des Anteils deutscher Mineralölunternehmen am heimischen Markt von 25 %« zu den wichtigsten mineralölpolitischen Zielen von Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller. Daher habe die Bundesregierung während eines Konsultationstreffens mit der französischen Regierung »durch den Herrn Bundeswirtschaftsminister und den Herrn Bundesfinanzminister dargelegt, daß sie zunächst die deutsche Mineralölposition zu konsolidieren gedenke«.220 Die Wirtschaftsjournalisten der Zeit schrieben angesichts der Entwicklungen von einer »Halali auf Gelsenberg«, für die sie die Bundesregierung 214 Was will Schmidt?, in: Die Zeit, 16.6.1967. 215 Blau-weiße Tankstellen und ein schwarzer Peter, in: Die Zeit, 16.6.1967. 216 Gemeinsamer Nenner gesucht, in: Der Volkswirt, 16.8.1968. 217 Die GBAG lehnt jede Stellungnahme ab, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.10.1968. 218 So berichtete es eine Woche später Die Zeit: Halali auf Gelsenberg, in: Die Zeit, 11.10.1968. 219 BT-Drucksache V/3350, S. 9. 220 VDB, 5. WP, 190. Sitzung, 18.10.1968, S. 10319.

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verantwortlich machten. Heinz-Günter Kemmer forderte: »Wenn Karl Schiller nicht will, daß das GBAG-Paket über die deutschen Grenzen wandert, dann soll er es doch selbst kaufen, dann soll doch die Bundesregierung endlich einsteigen.«221 Hierbei verwiesen er und seine Kollegen Ingrid Neumann222 und Diether Stolze auf die im Vorjahr versäumte Gelegenheit, »den Grundstock für ein deutsches Ölunternehmen zu legen«.223 Da die Zukunft der Gelsenberg weiterhin ungeklärt war und zu öffentlichen Mutmaßungen über die mineralölpolitischen Planungen der Bundesregierung Anlass gab, richtete der SPD-Fraktionsvorsitzende Helmut Schmidt im Namen seiner Fraktion am 15. Januar 1969 eine »Große Anfrage« an die Bundesregierung, die er mit dem Verweis auf »die vielfältig vorliegenden Informationen« und daraus resultierende »Mißdeutungen« begründete.224 Gegenstand der Anfrage waren außer den Konsultationsgesprächen mit der französischen Regierung und den Kooperationsmöglichkeiten nationaler, von den multinationalen Konzernen unabhängiger Mineralölgesellschaften vor allem die »Verhandlungen über einen etwaigen Verkauf des GBAG-Pakets an einen deutschen Konzern« sowie die »Rolle« der GBAG »im Rahmen der energiepolitischen Vorstellungen der Bundesregierung mit dem Ziel einer Bündelung der nationalen deutschen Unternehmen im Mineralölbereich«.225 Dass derartige »Überlegungen zur Bildung einer deutschen Einheitsgesellschaft, der alle Inlands-Ölgesellschaften angehören, und die Absicht, das Gelsenberg-Paket an den französischen Erdölkonzern Compagnie Francaises des Petroles zu verkaufen«, verworfen worden seien, hatte wenige Tage zuvor der Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Erich Vierhub, erklärt, während er in Frankfurt eine Pressemitteilung seines Hauses zu den Entwicklungen und der Berichterstattung der vorangegangenen Monate erläuterte. Zugleich enthielten seine Ausführungen jedoch auch den Hinweis auf einen zukünftigen Käufer für das GBAG-Paket der Dresdner Bank, erklärte Vierhub doch, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 9. Januar 1969 berichtete, dass mit der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk AG (RWE) zumindest »›lose gesprochen‹ worden« sei.226 In den folgenden Tagen verdichteten sich dann die Anzeichen eines Einstiegs von RWE bei der Gelsenberg. Bereits am 17. Januar 1969 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, »daß mit der Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist, daß es zum Übergang des Gelsenberg-Pakets der Dresdner Bank an das RWE kommt und daß auch das bei der Deutschen Bank liegende kleinere Gelsenberg-Paket dem RWE übereignet werden wird.«227 Der Volkswirt wähnte am selben Tag »RWE gut im Rennen« und sah bereits eine »deutsche ›Energie-AG‹«, einen »Großkonzern, der in allen Energiebereichen nicht nur 221 Halali auf Gelsenberg, in: Die Zeit, 11.10.1968. 222 Die Veba bestellt das Aufgebot, in: Die Zeit, 25.10.1968. 223 Die Antwort der Nationalisten, in: Die Zeit, 11.10.1968. 224 BT-Drucksache V/3723, S. 2. 225 Ebd., S. 1. 226 »Unser Gelsenberg-Paket ist frei«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.1.1969. 227 Bonn: Nationale Lösung am vernünftigsten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.1.1969.

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eine führende Rolle spielte, sondern durchweg an erster Stelle stünde«, »in greifbare Nähe« gerückt.228 Am 3. Februar 1969 schließlich wurde offiziell bestätigt, dass das RWE die GBAG-Anteile sowohl der Dresdner Bank als auch der Deutschen Bank jeweils zu einem Kurs von 240 Prozent erworben hatte und fortan über rund 42,5 Prozent des Grundkapitals von Gelsenberg mit einem Nominalwert von 206 Millionen DM verfügte.229 Während der Zeit-Journalist Diether Stolze mit dem Kauf der GBAG-Anteile durch das RWE abermals »die letzte Chance zur Gründung einer deutschen Ölfirma« verband,230 war »der Plan einer deutschen ›Mineralöl-Einheits-Gesellschaft‹« für die Wirtschaftsjournalisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung »auf jeden Fall schwieriger geworden«.231 Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller plante indessen nicht, eine solche »Einheitsgesellschaft nach dem Muster der Ruhrkohle AG oder eine Staatsgesellschaft aufzubauen«.232 In seiner Antwort auf die vorgenannte große Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion vom Januar 1969, die erst am 21. April desselben Jahres erfolgte, betonte Schiller im Rückblick auf den Einstieg des RWE bei der Gelsenberg vielmehr, die Bundesregierung habe »wiederholt erkennen lassen, daß sie eine privatwirtschaftliche Konsolidierung der deutschen Mineralölinteressen auf möglichst breiter Grundlage« anstrebe. Ziel der Bemühungen sei »eine enge Kooperation […] in der Rohölversorgung«,233 für die eine »Starthilfe des Staates«234 erforderlich sei. Der Minister verwies damit auf die »Deutsche Erdölversorgungsgesellschaft mbH DEMINEX«, welche die acht deutschen im Mineralölbereich tätigen Gesellschaften im Februar 1969 zum Zwecke gemeinsamer Erdölexplorationsvorhaben im Ausland gegründet hatten.235 Bereits im Spätsommer 1966 hatten sich die GBAG, Preussag und Wintershall, die VEBA-Tochter Scholven-Chemie, die Union Kraftstoffe Wesseling, die Saarbergwerke AG, die Deutsche Schachtbau und die Deilmann GmbH mit demselben Ziel zur »Deutschen Mineralölexplorationsgesellschaft mbH« (kurz: DEMINEX) zusammengeschlossen, die jedoch an unterschiedlichen Interessen der einzelnen Firmen und mangelnden finanziellen Grundlagen »kläglich gescheitert« war.236 Die Aufgaben der »neuen« D ­ EMINEX, die gemeinsam mit den Geschäftsbedingungen in einem Rahmenvertrag zwi228 Die Bonner Oelsucher, in: Der Volkswirt, 17.1.1969. 229 Das RWE legt eine halbe Milliarde bar auf den Tisch, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.2.1969. 230 Der deutsche Ölkonzern, in: Die Zeit, 24.1.1969. 231 Gelsenberg-Paket an das RWE verkauft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.2.1969. 232 M. Horn, S. 274. 233 BT-Drucksache V/4111, S. 2. 234 Ebd., S. 3. 235 Zur Geschichte der Deminex: Karlsch u. Stokes, S. 359–375; M. Horn, S. 276–279; Lögters; Hiller, H.-J. Schürmann, Veba – Gelsenberg – Deminex. Unternehmerische Konsequenzen aus der Energiekrise, in: ZögU, Bd. 4, 1981, S. 19–50; K.-H. Blömer, Die deutsche Erdölversorgungsgesellschaft mbH Deminex. Konzeption und bisherige Tätigkeit, in: Glückauf, Jg. 108, 1972, S. 143. 236 Karlsch u. Stokes, S. 373. Zur »ersten« DEMINEX: ebd., S. 359–368.

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schen den Mitgliedsunternehmen und der Bundesregierung am 17. Juli 1969 festgeschrieben wurden, entsprachen zwar denen ihrer Vorgängergesellschaft und lagen vornehmlich im Bereich des Aufschlusses von Rohölvorkommen und des Erwerbs von Erdölkonzessionen im Ausland. Auch waren die beteiligten Firmen weiterhin berechtigt, laufende eigene Explorationsprojekte unabhängig von der neu gegründeten Gesellschaft fortzuführen.237 Die finanzielle Basis der DEMINEX hatte sich allerdings erheblich verbessert, war die neue Holding doch nicht nur mit einem viel höheren Stammkapital von fünfzig Millionen DM ausgestattet, sondern garantierte die Bundesregierung ihr auch bedingt rückzahlbare Darlehen in Höhe von insgesamt 575 Millionen DM für Explorationsvorhaben im Zeitraum von 1970 bis 1974. Anfang 1974 stellte der Bund außerdem weitere achthundert Millionen DM in Form voll rückzahlbarer Darlehen zur Verfügung. Trotz der geänderten Geschäftsbedingungen und der breiteren finanziellen Grundlage blieben die Explorationsbemühungen der DEMINEX238 jedoch weitgehend erfolglos, so dass die Erdölkonzessionen der GBAG in Libyen »[b]is weit in die 70er-Jahre hinein […] die einzige nennenswerte Rohölquelle einer Gesellschaft in deutschem Besitz«239 blieben. Bereits seit Mitte der sechziger Jahre waren Wirtschaftskraft und Organisation der Mineralölunternehmen in deutschem Besitz mithin Gegenstand öffentlicher Debatten, die durch nationale Semantiken gerahmt waren. Auch wenn hierbei sowohl eine Fusion von als auch die finanzielle Beteiligung des Bundes an den deutschen Mineralölunternehmen, die insbesondere einige Wirtschaftsjournalisten forderten, bereits im Raum standen, entschied sich die Bundesregierung mit der Neugründung der DEMINEX doch zunächst für einen losen privatwirtschaftlichen Zusammenschluss mit finanzieller Unterstützung des Staates. Der Zeit-Journalist Diether Stolze, der zu den dezidiertesten Befürwortern eines Unternehmenszusammenschlusses gehörte, sah im DEMINEX-Verbund dann auch nicht mehr als einen »Torso«, der nicht »international wettbewerbsfähig« sei. Hierbei stieß sich Stolze zudem an der Erklärung der DEMINEX-Firmen, durch ihre Gesellschaft »werde ein Beitrag zur ›Sicherheit der Energieversorgung‹ geleistet«, sei »Sicherheit« doch angesichts der Versorgungslage »kaum ein Argument«.240 Doch erst und gerade die oben beschriebene Etikettierung und Konturierung der bundesrepublikanischen Mineralölversorgung als sicherheitsrelevantes politisches Problem verschaffte den Überlegungen zum Zusammenschluss von Mineralölunternehmen unter finanzieller Beteiligung des Bundes seit Beginn der siebziger Jahre die notwendige Dringlichkeit.

237 So musste beispielsweise die GBAG ihre libyschen Erdölkonzessionen nicht in die neue GmbH einbringen. 238 Eine Übersicht liefert Neuhauser. 239 Karlsch u. Stokes, S. 375. 240 Das Gespenst der Monopole, in: Die Zeit, 7.3.1969.

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2.3 Das Zusammenschlussvorhaben VEBA-Gelsenberg Nachdem Bundesfinanzminister Alex Möller im Umfeld der Diskussionen um die Gründung einer »Bundesholding« Ende März 1971 ein Gutachten »zur Frage einer Neuordnung des industriellen Bundesvermögens« in Auftrag gegeben hatte, legte der Wirtschaftsprüfer Erich Potthoff schließlich im November desselben Jahres in einem Band zwei entsprechende »Studien« vor, die sich, so die Titel der beiden Untersuchungen, mit den Möglichkeiten zur »Einflußnahme des Bundes auf seinen industriellen Besitz« sowie der »Lage im Energiebereich« befassten.241 Die zweite Studie belegt in mehrfacher Hinsicht die zunehmende Politisierung energiewirtschaftlicher Fragen und deren Etikettierung als sicherheitsrelevantes Problem seit Beginn der siebziger Jahre. Während zum einen der ursprüngliche Auftrag Möllers an Potthoff noch sowohl andere inhaltliche Schwerpunkte als auch eine ausführlichere gutachtliche Stellungnahme vorgesehen hatte, passte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen, Hans Hermsdorf, im Sommer 1971 den Auftrag inhaltlich an und bat die Wirtschaftsprüfer nun um eine kurzfristige Stellungnahme zur energiewirtschaftlichen Situation sowie zu den beteiligungspolitischen Einflussmöglichkeiten des Bundes auf diesem Sektor. Zum anderen orientierte sich die Studie, wie Potthoff im Vorwort des Sammelbandes schrieb, an den wirtschaftspolitischen Zielformulierungen des Ministeriums, wobei Potthoff die »zukünftige Sicherung der Mineralölversorgung« explizit nannte und damit an den kommunikativen Prozess der »Versicherheitlichung« der Mineralölversorgung anknüpfte.242 Außer zwei einleitenden Kapiteln über welt- und volkswirtschaftliche Zusammenhänge sowie technische Bedingungsfaktoren der Energieversorgung enthielt der Hauptteil der Studie insbesondere den Entwurf »einer möglichen energiepolitischen Strategie mittels Bundesbesitz«. Zu den »beiden Zielschwerpunkte[n]« einer solchen Strategie zählten die Wirtschaftsprüfer den »Erwerb von Eigentum an im Ausland gelegenen Rohölquellen«243 und rieten der Bundesregierung zu einer »Neuordnung des industriellen Bundesvermögens« im Sinne einer »aktive[n] industrielle[n] Energiepolitik«. Hierbei nannten sie es erstens »dringend geboten, die DEMINEX-Anteile der bundesbesitzlichen Unternehmen bei einem Bundesunternehmen zusammenzufassen«, um einer »›Zersplitterung‹ der Besitzanteile« entgegenzuwirken. »Eine Konzentration der ­DEMINEX-Anteile« war für Erich Potthoff und seine Mitarbeiter jedoch lediglich ein »Teilschritt«,244 verbanden sie ihre Handlungsempfehlung doch zweitens

241 Potthoff. 242 Ebd., S. 3. 243 Ebd., Studie 2, S. 25. Der zweite Zielschwerpunkt betraf die Elektrizitätswirtschaft und kann hier vernachlässigt werden. 244 Ebd., S. 33.

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mit der »Zielergänzung ›Mindesbetriebsgrößen‹«,245 die sie für den Bereich der Mineralölversorgung auf »etwa 25 Mio jato« bezifferten.246 »Um dieses Ziel zu erreichen«, so die Gutachter weiter, bedürfe »es mit der Neuordnung des Bundesvermögens einer Neuordnung der Anteile der deutschen Gruppe an den Produktionsstufen des Mineralölversorgungssystems.«247 Die Gutachter bestätigten mithin nicht nur das mineralölpolitische Ziel, den Anteil deutscher Unternehmen an ausländischen Rohölbasen zu erhöhen, das bereits den Bemühungen zur (Neu-)Gründung der DEMINEX zugrunde gelegen hatte. Sie gaben vielmehr eine eindeutige Empfehlung zum Zusammenschluss deutscher Mineralölunternehmen, um einerseits einer »Zersplitterung« der ­DEMINEX-Anteile entgegenzuwirken und andererseits einen wirtschaftsstarken, vertikal integrierten deutschen Mineralölkonzern aufzubauen, der auf allen Wertschöpfungsstufen der Mineralölwirtschaft  – von der Rohölförderung bis hin zum Vertrieb von Mineralölprodukten – aktiv werden und auf diese Weise zur »Sicherung der Mineralölversorgung« beitragen konnte. In den folgenden Jahren flossen diese Problemdiagnosen und Handlungsempfehlungen der Gutachterkommission um Erich Potthoff direkt in die Beratungen und Überlegungen der von Ulf Lantzke geleiteten Abteilung für Energiepolitik und Grundstoffe beim Bundeswirtschaftsministerium ein, deren Mitarbeiter im Herbst 1972 mit der Ausarbeitung des energiepolitischen Gesamtkonzepts der Bundesregierung begannen. So zählte »die Neugruppierung der deutschen Mineralölinteressen«, die um »die Veba AG« als »Kern« erfolgen sollte,248 zu den wichtigsten mineralölpolitischen Zielformulierungen des im Oktober 1973 veröffentlichten Energieprogramms der Bundesregierung, das ebenfalls mit dem rahmenden Verweis auf die Notwendigkeit einer langfristigen Sicherung der Mineralölversorgung versehen war. Die Auswahl der VEBA als Kristallisationskern eines »nationalen Mineralölkonzerns« lässt sich vordergründig aus der Wirtschaftsstärke dieses Konzerns ableiten. Denn die »Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerksaktiengesellschaft«, die im März 1929 auf Beschluss des Preußischen Landtages als Dachgesellschaft für die größten Bergwerks- und Elektrizitätsunternehmen des Landes Preußen249 gegründet worden war, avancierte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur zum wichtigsten Energieversorger der Bundesrepublik, sondern zu einem der größten und umsatzstärksten westdeutschen Unternehmen überhaupt.250 245 Ebd., S. 25. 246 Ebd., S. 33. 247 Ebd., S. 35. 248 BT-Drucksache VII/1057, S. 7. 249 Dies waren die Preußische Elektrizitätsaktiengesellschaft, die Preußische Bergwerks- und Hüttenaktiengesellschaft, die Bergwerksgesellschaft Hibernia und die Bergwerksaktiengesellschaft Recklinghausen. 1935 fusionierten Hibernia und die Bergwerksaktiengesellschaft Recklinghausen. Außerdem wurde im selben Jahr die Hydrierwerke Scholven AG als Unternehmen des Mineralöl- und Chemiebereichs unter dem Dach der VEBA gegründet. 250 Zur Geschichte der VEBA: Radzio.

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Rund 60.000 Menschen waren Anfang der siebziger Jahre bei den Tochter- und Beteiligungsgesellschaften der VEBA beschäftigt, deren Aktivitäten sich nach Einbringung des Steinkohlebergbaus der Hibernia und der Stinnes AG in die 1969 neu geschaffene Ruhrkohle AG auf die Bereiche Elektrizität, Chemie und Mineralöl, Braunkohlebergbau, Glaserzeugung, Schifffahrt sowie Handel und Transport erstreckten. Der Gesamtumsatz des VEBA-Konzerns, dessen Hauptverwaltung seit 1970 in Düsseldorf saß, stieg von rund 10,3 Milliarden DM im Jahr 1972 auf über 17 Milliarden DM 1974 an.251 Die Veba-Chemie AG, die bis zur Abgabe der Steinkohleaktivitäten im Sommer 1969 Scholven-Chemie AG geheißen hatte und als hundertprozentige VEBATochter im Mineralölbereich tätig war, stand zu Beginn der siebziger Jahre geradezu beispielhaft für die schwierige wirtschaftliche und firmenpolitische Situation deutscher Mineralölunternehmen.252 So verfügte die Veba-Chemie mit ihren Raffinerieanlagen in den Gelsenkirchener Stadtteilen Scholven und Horst sowie ihren Beteiligungen an der Oberrheinische Mineralölwerke GmbH in Karlsruhe, der Erdöl-Raffinerie Neustadt GmbH und der Erdölraffinerie Ingolstadt AG seit 1973 über eine Rohölverarbeitungskapazität von rund 18 Millionen Jahrestonnen.253 Die schrittweise Erweiterung der Raffinerieanlagen, deren Kapazitäten sich seit Beginn der siebziger Jahre nahezu verdoppelt hatten, entsprach einerseits dem allgemeinen strukturellen Wandel der deutschen Mineralölindustrie vom Import fertiger Mineralölprodukte aus dem Ausland hin zur Rohölverarbeitung im Inland. Andererseits bedeutete die Kapazitätserweiterung im Falle der VEBA lediglich »ein langsames Hineinwachsen in den eigenen Bedarf«, wie Vorstandssprecher Heinrich Reinert gegenüber der Zeit betonte, verfügte die Veba-Chemie doch nicht nur über eine eigene Vertriebsorganisation für Heizöl, sondern auch über eine 28-prozentige Beteiligung an der ARAL, der größten Vertriebsgesellschaft auf dem westdeutschen Benzinmarkt, die mit Mineralölprodukten aus eigener Verarbeitung versorgt werden sollten.254 Da der VEBA-Tochter jedoch eine eigene Rohölbasis fehlte, war das in Gelsenkirchen ansässige Unternehmen auf den Zukauf von teurem Rohöl angewiesen und konnte die eigenen Verarbeitungsanlagen nicht voll auslasten. Erschwerend wirkte sich zudem der insbesondere auf dem westdeutschen Markt herrschende Preisdruck auf Mineralölprodukte aus, der die Veba-Chemie in die bereits beschriebene und schon von den Zeitgenossen beklagte »Zange von hohen Rohölpreisen einerseits, niedrigen Produktpreisen andererseits«255 hinein251 G. Gebhardt, Veba AG. Integration der Gelsenberg AG – Zusammenarbeit mit Gulf Oil, in: Glückauf, Jg. 111, 1975, S. 349–351, hier: S. 350. 252 Zur Geschichte der Veba-Chemie, die seit 1979 »VEBA-Oel« hieß: Kemmer. Vgl. auch die Geschäftsberichte der VEBA sowie die Beteiligungsberichte des Bundesfinanzministe­ riums aus den entsprechenden Jahren. 253 Kokxhoorn, S. 195. Eine Übersicht der deutschen Mineralölverarbeitungskapazitäten bis zum Jahr 1972 findet sich bei: M. Horn, S. 44. 254 Letzter Trumpf im Ölgeschäft, in: Die Zeit, 15.9.1972. 255 M. Horn, S. 36.

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trieb. Mithin waren insbesondere die Verarbeitungsanlagen der Veba-Chemie AG zwar geeignet, den angestrebten »Kern« zum Aufbau eines »nationalen Mineralölkonzerns« zu bilden, doch verfügte das Unternehmen ohne eigene Rohölquellen nicht über das notwendige Maß an vertikaler Integration. Um dieses Defizit zu beheben, war eine Zusammenführung der Mineralölaktivitäten der VEBA und der Gelsenberg AG, die schon im Frühsommer 1967 in Rede gestanden hatte, weiterhin der einzig denkbare Lösungsansatz. Die »Gelsenkirchener Bergwerksaktiengesellschaft« (GBAG), die bereits im Januar 1873 gegründet worden war, fungierte nach dem Zweiten Weltkrieg als Holdinggesellschaft für Unternehmen des Bergbaus sowie der Mineralöl- und Elektroindustrie. Nachdem auch die GBAG ihre Aktivitäten im Steinkohlebergbau 1969 in die Ruhrkohle AG eingebracht hatte, wurde der Gesamtkonzern in »Gelsenberg AG« umbenannt.256 Die 1936 gegründete Gelsenberg Benzin AG wiederum, die als hundertprozentige Tochterfirma der Gelsenberg AG im Mineralölbereich tätig war, verfügte aufgrund des bereits beschriebenen Geschäfts mit der US-amerikanischen Mobil Oil als einziges deutsches Unternehmen über eine ergiebige ausländische Rohölbasis, die 1969 sogar noch einen jährlichen Ertrag von rund viereinhalb Millionen Tonnen einbrachte. Wenn die Fördermengen aufgrund der Verstaatlichungspolitik der libyschen Regierung auch auf rund 2,7 Millionen Tonnen im Jahr 1973 zurückgingen, blieb die Konzession in Libyen für Gelsenberg dennoch von großer wirtschaftlicher Bedeutung, war der Rückkauf des Rohöls aus libyscher Förderung doch weitaus günstiger als der Erwerb von Öl auf dem freien Weltmarkt.257 Da die Gelsenberg-Tochter außer der libyschen Rohölkonzession und mehreren Erdölraffinerien mit einer Gesamtkapazität von rund zehn Millionen Jahrestonnen einen 28-prozentigen Anteil an ARAL hielt, verhieß ein Zusammenschluss der Mineralölaktivitäten von VEBA und Gelsenberg die Entstehung eines Mineralölkonzerns, der den von der Bundesregierung anvisierten Beitrag zur »Sicherung der Mineralölversorgung« leisten konnte. Eine um die GBAG erweiterte VEBA würde nicht nur auf allen Stufen des Mineralölmarktes aktiv werden können, sondern auch über eine Verarbeitungskapazität von rund dreißig Millionen Tonnen verfügen und zudem über die umfangreiche ARAL-Beteiligung rund 25 Prozent aller westdeutschen Tankstellen kontrollieren.258 Gleichwohl blieben die Konzentrationsbemühungen der Bundesregierung seit Herbst 1973 auf einen Zusammenschluss von VEBA und Gelsenberg beschränkt. Zwar hatten die ursprünglichen Überlegungen zur »Neugruppierung der deutschen Mineralölinteressen« auch die Einbringung der BASF-Tochter Wintershall 256 Zur Geschichte von GBAG und Gelsenberg liegt bisher lediglich eine firmeneigene Unternehmensgeschichte vor: Gelsenberg AG, Energie. 257 M. Horn, S. 35–36; Gelsenberg AG, Geschäftsbericht 1969, S. 19; dies., Geschäftsbericht 1970, S. 14; Alles halb so schlimm, in: Die Zeit, 14.9.1973; Gelsenberg geht nicht arm in die Ehe mit dem Veba-Konzern, in: Handelsblatt, 21./22.6.1974. 258 Kokxhoorn, S. 198.

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AG und der zum RWE-Konzern gehörenden Union Rheinische Braunkohlen Kraftstoff AG (UK) Wesseling in den geplanten Mineralöl­konzern vorgesehen, deren wirtschaftlicher Schwerpunkt ebenfalls auf der Erdölförderung lag.259 Nachdem die Pläne der Bundesregierung jedoch schon im Juni 1973  – mehrere Monate vor Veröffentlichung des Energieprogramms – »durch eine Indiskretion« an die Öffentlichkeit gelangt waren,260 erteilte BASF-Chef Bernhard Timm per »Fernschreiben« an die Presse den Überlegungen zur Übernahme der Wintershall AG sogleich eine Absage. Das RWE war ebenfalls nicht zur Abgabe der UK Wesseling bereit.261 Derweil fanden die Diskussionen um einen Zusammenschluss von VEBA und Gelsenberg vor dem Erfahrungshintergrund gescheiterter Explorationsvorhaben der DEMINEX statt. Hatten Erich Potthoff und seine Kollegen in ihrem 1971 verfassten Gutachten zur »Lage im Energiebereich« eine Zusammenfassung der DEMINEX-Anteile bereits als »dringend geboten« bezeichnet, sollte sich die von ihnen problematisierte »Zersplitterung« des Beteiligungsbesitzes als Hindernis für die Erdölexplorationsprojekte der folgenden Jahre erweisen. Im Frühjahr 1972 etwa unterbreitete die British Petroleum (BP) der DEMINEX ein Angebot zur Übernahme eines zwanzigprozentigen Anteils an ihren Bohrkonzessionen in Abu Dhabi, die jedoch nicht zustande kam, da die einzelnen DEMINEX-Gesellschafter keine Einigkeit über den Konzessionserwerb erzielen konnten.262 Wenn das Projekt aufgrund der hohen Kosten, die sich auf rund siebenhundert Millionen DM belaufen sollten, und der Verstaatlichungspolitik der Erdölförderländer auch in der bundesdeutschen Öffentlichkeit umstritten war,263 geriet der gescheiterte Erwerb von Erdölkonzessionen in Abu Dhabi doch zum Sinnbild für die Uneinigkeit der DEMINEX-Gesellschafter und das drohende Scheitern der Deutschen Erdölexplorationsgesellschaft, das zu zunehmender öffentlicher Kritik Anlass gab. So führte beispielsweise die Politikwissenschaftlerin Nicoline Kokxhoorn die fehlgeschlagenen Explorationsvorhaben der DEMINEX in einem Aufsatz über die ökonomische Situation der deutschen Erdölindustrie auf die verschiedenen Interessenlagen der beteiligten Unternehmen zurück, deren wirtschaftliche Schwerpunkte auf unterschiedlichen Gliedern der Mineralölwertschöpfungskette lägen.264 Der Wirtschaftsjournalist Heinz-Günter Kemmer bezeichnete das DEMINEX-Programm in einem Zeit259 Ebd., S. 195. 260 Im Juni 1973 berichtete beispielsweise Heinz-Günter Kemmer für Die Zeit: Nur wenn der Bund zahlt…, in: Die Zeit, 29.6.1973. Sein Kollege Hans Otto Eglau führte die Berichterstattung im September desselben Jahres auf »eine Indiskretion« zurück; Die billige Hochzeit, in: Die Zeit, 7.9.1973. 261 Ebd., Zit. ebd.; M. Horn, S. 104. 262 Der Traum ist aus, in: Die Zeit, 14.7.1972. 263 Aus diesen Gründen hielt beispielsweise Erich Schieweck den Konzessionserwerb für falsch; E. Schieweck, Die kommende Welterdöl- und Energiekrise, in: Glückauf, Jg. 108, 1972, S. 343–355, hier: S. 353–354. 264 Kokxhoorn, S. 194–197.

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Artikel rückblickend gar als »Schlag ins Wasser«, hätten doch die einzelnen Gesellschafter weiterhin »auf eigene Faust nach Öl zu suchen und Öl zu kaufen« beabsichtigt.265 Damit schloss er sich der Analyse des VEBA-Chefs Rudolf von Bennigsen-Foerder an, nach dessen Ansicht die DEMINEX »zu schwerfällig in der Entscheidung und zu wenig bindend für die Beteiligten« war.266 Mit der Zusammenführung der Mineralölaktivitäten von VEBA und Gelsenberg war mithin nicht nur die Erwartung verbunden, einen vertikal integrierten Mineralölkonzern zu schaffen. Vielmehr sollte eine solche Fusion auch die Zusammenfassung der D ­ EMINEX-Beteiligungen beider Unternehmen ermöglichen und damit die Entscheidungsfindungsprozesse innerhalb der Erdölversorgungsgesellschaft positiv beeinflussen. Die Interessenkonflikte innerhalb der DEMINEX dienten zugleich als Begründungsfigur für die Entscheidung, den geplanten Zusammenschluss unter dem Konzerndach der VEBA zu vollziehen und nicht die Gelsenberg AG zum Fusionskern zu machen. Derlei Überlegungen, wonach die Veba-Chemie AG gegen eine Beteiligung des VEBA-Konzerns in die Gelsenberg AG integriert werden sollte, erläuterte Gelsenberg-Generaldirektor Walter Cipa im Rahmen der Jahreshauptversammlung der Gesellschaft am 2. August 1973. Sein sogenannter »Gelsenberg-Plan« sah vor, »daß diejenigen deutschen Gesellschaften, die die Konzentration wollen, ihre Mineralöltätigkeiten in Gelsenberg einbringen und dafür an dieser Gesellschaft beteiligt werden, und zwar auf dem Weg der Kapitalerhöhung.«267 Außer betrieblichen Argumenten268 hielt VEBA-Chef von Bennigsen-Foerder diesem Vorschlag die bestehenden Interessenskonflikte innerhalb der DEMINEX entgegen, die sich lediglich unter das Dach der Gelsenberg verlagern würden. In der Zeit ließ er sich im Herbst 1974 mit der saloppen Bemerkung zitieren: »Wir hätten uns nur gekloppt. Das, was bei Deminex nicht lief, hätte dann auf höherer Ebene ebenfalls nicht funktioniert.«269 Aus dieser rückblickend formulierten Aussage ist bereits abzulesen, dass die Bundesregierung an ihrem ursprünglichen und im Energieprogramm fixierten Plan mit der VEBA als aufnehmender Gesellschaft festhielt, dem sie zudem durch ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft »Treuhand« im Frühjahr 1974 eine zusätzliche Legitimationsgrundlage verschaffte.270 Die Debatten um das Kernunternehmen des Zusammenschlusses, die in der personalisierten medialen Berichterstattung vornehmlich auf eine Konfronta­ tion zwischen den beiden für die Interessen ihrer Unternehmen streitenden Konzernchefs Walter Cipa und Rudolf von Bennigsen-Foerder hin zugespitzt 265 Loyal – doch nicht devot, in: Die Zeit, 22.11.1974. 266 Nur wenn der Bund zahlt…, in: Die Zeit, 29.6.1973. 267 Zit. n. Radzio, S. 247; vgl. auch: Gelsenberg auf Veba-Kurs, in: Handelsblatt, 21./22.6.1974. 268 Der Vorstandsvorsitzende der VEBA betonte vor allem, dass die im Konzern entstandene enge Verbindung zwischen den Bereichen Mineralöl und Petrochemie durch eine Ausgliederung der Veba-Chemie nicht aufgebrochen werden dürfe; Radzio, S. 247. 269 Loyal – doch nicht devot, in: Die Zeit, 22.11.1974. 270 Gelsenberg kommt bald zur Veba, in: Handelsblatt, 7.5.1974.

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wurden,271 sind vor allem aus unternehmensgeschichtlicher Perspektive von Belang. Im Folgenden soll es hingegen um die ordnungspolitischen Auseinandersetzungen im Umfeld des Zusammenschlussvorhabens gehen, die – wie schon die Debatten aus Anlass der Privatisierungsmaßnahmen der jungen Bundesrepublik – um Fragen der Grenzziehung zwischen Staat und Wirtschaft sowie der Definition wirtschaftlicher Aufgabenbereiche des Staates kreisten. 2.4 Zwischen Wettbewerbstheorie und wirtschaftspolitischer Praxis Dass die Pläne der Bundesregierung zur Neuordnung der deutschen Mineralölindustrie die ordnungspolitischen Grundsatzdiskussionen revitalisieren würden, die schon für die »sozialen Privatisierungen« der jungen Bundesrepublik kennzeichnend und prägend gewesen waren, wurde bereits in den Kommentaren und Berichten der Wirtschaftspresse deutlich, die nur wenige Tage nach Bekanntwerden der Konzentrationsvorhaben im Juni 1973 erschienen. Im Besonderen der Wirtschaftsjournalist Max Kruk, der schon während der fünfziger Jahre als medialer agenda setter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung umfangreiche Privatisierungen von Bundesunternehmen gefordert hatte,272 steckte im Sommer 1973 in derselben Zeitung das argumentative Feld ab, auf dem sich die Auseinandersetzungen der folgenden Monate abspielen sollten. Angesichts der kolportierten Überlegungen, das Gelsenberg-Paket des RWE mit Mitteln des Bundes zu erwerben und anschließend durch Aktienumtausch in die VEBA einzubringen, warnte Kruk vor »einer Verstärkung des Bundeseinflusses auf die Veba« und verwies auf »Kräfte« innerhalb der SPD-Fraktion, »die nur zu gern die Privatisierung der Veba rückgängig machen, mindestens den Staatseinfluß bis zur Majorität verstärken möchten«.273 Derartigen Warnungen vor »Sozialisierungs-Fanatiker[n]«274 suchte die Bundesregierung zwar frühzeitig zu begegnen, indem sie ihre im Energieprogramm erstmals öffentlich begründeten Überlegungen um den Hinweis ergänzte, »auch im Rahmen eines derartigen Konzepts an der privatwirtschaftlich-unternehmerischen Struktur unserer Wirtschaftsordnung und den Zielen der Wettbewerbsordnung« festhalten zu wollen.275 Dennoch blieb die Frage des Bundesanteils an der VEBA, die auf die Ausgestaltung der staatlichen Bereitstellungsfunktion zielte, in den Debatten der folgenden Monate nicht nur stetig virulent, sondern hatte auch einen hohen kommunikativen Gebrauchswert.

271 Die billige Hochzeit, in: Die Zeit, 7.9.1973; Nur wenn der Bund zahlt…, in: Die Zeit, 29.6.1973. 272 Der Bund – der größte Unternehmer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.2.1954. 273 Die Macht der Veba, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.7.1973. 274 Ebd. 275 BT-Drucksache VII/1057, S. 7.

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So setzte beispielsweise Gelsenberg-Generaldirektor Walter Cipa den Problemkomplex argumentativ ein, um für seinen sogenannten »Gelsenberg-Plan« zu werben. Einem Bericht der Zeit zufolge trug Cipa dem Bundeswirtschaftsministerium im Spätsommer 1973 seine Überlegungen vor und gab hierbei zu bedenken: »Mit der Wahl Gelsenbergs als Zentrum des geplanten Großkonzerns an Stelle der zu 40 Prozent dem Bund gehörenden Veba würde Bonn einer ›privatwirtschaftlichen Lösung‹ den Vorzug geben können.«276 Dass die Bundesregierung tatsächlich eine solche »privatwirtschaftliche Lösung« anstrebte, zogen nach der Entscheidung für die VEBA als aufnehmende Gesellschaft insbesondere einige Wirtschaftsjournalisten in Zweifel. Heinz-Günter Kemmer etwa warnte in der Zeit, der VEBA-Vorstand müsse »künftig ständig auf der Hut sein vor ungebührlichen Einflußversuchen seines Großaktionärs Bundesrepublik Deutschland. Denn für Bonn ist die Versuchung groß, die Veba auch als preispolitische Waffe zu nutzen.«277 Wenn Kemmer auch nicht explizit darauf verwies, speisten sich seine Warnungen doch insbesondere aus den Auseinandersetzungen um die »sozialen Privatisierungen« der jungen Bundesrepublik, in deren Rahmen vornehmlich die Vertreter der nun regierenden SPD für eine instrumentelle preispolitische Nutzung öffentlicher Unternehmen eingetreten waren. Als die VEBA-Geschäftsleitung im Herbst 1974 einen Rohölliefervertrag mit Saudi-Arabien schloss und rückblickend die umfangreiche Staatsbeteiligung als »außerordentlich nützlich« bezeichnete, erkannte der FAZ-Journalist Wolfgang Müller-Haeseler darin eine Bestätigung der vorangegangenen Warnungen. In einem Kommentar kritisierte er, angesichts der vormaligen Versicherungen der Bundesregierung, die den erhöhten Bundesanteil »als gewissermaßen technische[n] Begleitumstand heruntergespielt« habe, lasse eine solche Aussage des Vorstandes »das Bild der Veba schillern«. Zudem warnte er vor einem »Verstoß gegen die geltende Wirtschaftsordnung, wenn die erst vor wenigen Jahren privatisierte Gesellschaft plötzlich wieder unter den Einfluß des Staates geraten würde.«278 Die Vertreter der Regierungskoalition waren indessen weiterhin bestrebt, derartigen Vorwürfen entgegenzutreten. So hatte etwa Otto Graf Lambsdorff schon im Sommer 1973 auf die Unterschiede zu anderen westeuropäischen Ländern verwiesen und betont, die Zusammenfassung von VEBA und Gelsenberg würde »erlauben, die Vorteile der privatwirtschaftlichen Unternehmensführung beizubehalten und die Form des Staatskonzerns, die beispielsweise Frankreich und Italien gewählt haben, zu vermeiden.« Dass der Bundesanteil an der VEBA im Zuge der Fusion »nicht wesentlich über die jetzigen 40 Prozent hinaus erhöht« werden dürfe, hatte der FDP-Politiker hierbei eine »conditio sine qua non« genannt.279 Ministerialdirektor Ernst Pieper, der im Bundesfinanz276 Die billige Hochzeit, in: Die Zeit, 7.9.1973. 277 Loyal – doch nicht devot, in: Die Zeit, 22.11.1974. 278 Das schillernde Bild der Veba, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.11.1974. 279 Pakt der Zwerge, in: Die Zeit, 20.7.1973.

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ministerium für das industrielle Bundesvermögen zuständig war, suchte den Sorgen vor übermäßiger Einflussnahme des Bundes auf die Geschäftspolitik der VEBA im Gespräch mit dem Handelsblatt280 zu begegnen, indem er erklärte, der Konzern werde »keineswegs zur Plattform einer nicht kommerziellen Energiepolitik werden.« Hierbei war Pieper auch bestrebt, die Argumentation Cipas und die ordnungspolitisch fundierten Warnungen der Wirtschaftspresse zu entkräften, konstatierte er doch: »Die Tatsache, daß der Bund seine 51 %ige Gelsenberg-Mehrheit in die Veba einbringt, an der er nur mit etwas mehr als 40 % beteiligt ist, zeigt im übrigen klar, daß eine privatwirtschaftliche Lösung und kein energiepolitischer Dirigismus angestrebt wird.« Außerdem stellte der Ministerialdirektor noch einmal heraus: »Bei Veba und VW, den beiden Publikumsgesellschaften mit Minderheitsbeteiligung des Bundes, verfolgen wir eine ausschließlich privatwirtschaftlich ausgerichtete Beteiligungspolitik.«281 Rudolf von Bennigsen-Foerder pflichtete dem Bekunden der Bundesregierung wiederholt bei. Im Juli 1974 etwa konzedierte der VEBA-Chef gegenüber dem Handelsblatt zwar, bei der Rohölbeschaffung einzig mit dem »Backing des Staates«282 arbeiten zu können. »Das heiße allerdings nicht, so von Bennigsen, daß das bewährte privatwirtschaftliche Prinzip der Unternehmensführung aufgegeben werden dürfe.«283 Wenige Monate später bestritt Bennigsen-Foerder in der­ selben Zeitung abermals das mutmaßliche Vorhaben der Bundesregierung, die VEBA zu einem »Unternehmen wie etwa die Bundesbahn oder die Bundespost zu machen.«284 Als ein Redakteur der Wirtschaftswoche ihn dann im Mai 1975 nach der staatlichen Beeinflussung und der »energiepolitische[n] Funktion« der VEBA fragte, entgegnete der VEBA-Chef mit einem Verweis auf das Prinzip der »Wirtschaftlichkeit« und betonte: »Die Fragen der Beteiligung des Bundes an der VEBA spielen in diesem Zusammenhang sicher nicht die ausschlaggebende Rolle.«285 Wenn Fragen der staatlichen Anteile an der VEBA sowie der politischen Einflussnahme auf die wirtschaftlichen Entscheidungen der Unternehmensleitung auch wiederholt in Rede standen, blieben die Debatten um das Vorhaben eines Zusammenschlusses von VEBA und Gelsenberg doch nicht auf diese konkreten Aspekte beschränkt, sondern waren vielmehr in weitere, allgemeinere Zusammenhänge eingepasst, die auf das Verhältnis von Staat und Wirtschaft verwiesen. Auch diese Verweishorizonte skizzierte Max Kruk in seinem Kommentar vom Juli 1973, richteten sich seine Überlegungen doch außer auf die Ausgestal280 Veba wird nicht zum Erfüllungsgehilfen, in: Handelsblatt, 22./23.11.1974. Das Gespräch führte Heiner Radzio, der 1979 eine Geschichte der VEBA vorlegte. Radzio ist die überarbeitete Neuauflage des Buches. 281 Zit. n.: Veba wird nicht zum Erfüllungsgehilfen, in: Handelsblatt, 22./23.11.1974. 282 Zit. n.: »Veba-Gelsenberg muß bald kommen«, in: Handelsblatt, 3.7.1974. 283 Ebd. 284 Zit. n.: Deutscher Ölkonzern formiert sich zügig, in: Handelsblatt, 28.10.1974. 285 »Wir haben flotte Lieder gesungen«, in: Wirtschaftswoche, 9.5.1975.

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tung der Unternehmensbeteiligungen an der VEBA auch in einem grundlegenderen, ordnungspolitischen Sinne auf »wirtschaftliche Macht, die außerdem den Staat im Rücken hat. Sie ist der gefährlichste Feind der Marktwirtschaft.«286 Hiermit schloss Kruk, der seinen Kommentar gewiss nicht zufällig mit »Die Macht der Veba« betitelte, einerseits an das dem ordoliberalen Theoriehaushalt entlehnte Verständnis von »wirtschaftlicher Macht« als einem die wettbewerbsbasierte Marktwirtschaft gleichsam »von außen« bedrohenden »Fremdkörper« an, das schon im Zuge der ordnungspolitischen Debatten der frühen Bundesrepublik Plausibilität entfaltet hatte. Andererseits verwies seine Aussage auf die am 14. Juni 1973 im Deutschen Bundestag einstimmig verabschiedete zweite Novelle des »Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen« (GWB). Zu den vordringlichsten Bestandteilen der Kartellgesetzreform, die das Bundestagsplenum im Allgemeinen sowie Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs im Besonderen stets mit dem Verweis auf die Gefahren »einer vermachteten Wirtschaft« begründet hatten, zählte insbesondere die gesetzliche Kontrolle derartiger Zusammenschlussvorhaben, wie sie nur wenige Tage später in Bonn mit den Planungen der Bundesregierung zur Neugruppierung der deutschen Mineralölunternehmen bekannt wurden.287 An der Gleichzeitigkeit von Kartellnovelle und staatlich unterstützter Fusionsbemühung stieß sich beispielsweise der Zeit-Journalist Diether Stolze, der seinen Kommentar mit der mokanten Feststellung einleitete: »Geschickte Regie war dies gewiß nicht. Am 14. Juni verabschiedet der Bundestag einstimmig die Kartellnovelle mit den Bestimmungen über die Fusionskontrolle in der Großwirtschaft. Am 18. Juni wird in Bonn bekannt, daß die Bundesregierung unter dem Dach der halbstaatlichen Veba einen nationalen Ölkonzern gründen will, der ganz vorne in der Spitzengruppe der Industriegiganten liegen würde.« Wenn Stolze auch über das »Doppelleben« des Bundeswirtschaftsministers spottete, kam er letztlich dennoch zu dem Schluss: »In der Sache freilich hat Hans Friderichs Tadel nicht verdient, im Gegenteil. Die Zusammenfassung der im Öl- und Benzingeschäft tätigen Unternehmen, die sich noch in deutscher Hand befinden, war längst überfällig. Der Weg, den das Wirtschaftsministerium nun einschlagen will, ist nach den Versäumnissen der Vergangenheit wohl der einzig noch gangbare.«288 Indem der Wirtschaftsjournalist das Vorhaben damit als sachlich geboten und unvermeidbar etikettierte, suchte er nicht nur seinen eigenen Forderungen zur Konzentration in der deutschen Mineralölindustrie Legitimation und Nachdruck zu verleihen, die er seit Mitte der sechziger Jahre

286 Die Macht der Veba, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.7.1973. 287 Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BGBl, Teil I, Nr. 64, 4.8.1973, S. 917–929; VDB, 7. WP, 42. Sitzung, 14.6.1973, S. 2315–2342, Zit. S. 2336. Das Zitat des Bundeswirtschaftsministers findet sich auch in Kruks Artikel: Die Macht der Veba, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.7.1973. 288 Die rechte und die linke Hand des Ministers, in: Die Zeit, 29.6.1973.

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wiederholt und öffentlichkeitswirksam formuliert hatte. Er reproduzierte damit zugleich die diskursive Leitunterscheidung zwischen wettbewerbstheore­ tischen Gesichtspunkten einerseits und sach- bzw. wirtschaftspolitischen Erfordernissen andererseits, die in den Debatten um das Zusammenschlussvorhaben VEBA-Gelsenberg argumentationsstrukturierende Wirkung entfaltete. Besonders augenscheinlich wird der rahmende und strukturbildende Charakter dieser Redefigur in einer Aussage des FDP-Wirtschaftspolitikers und späteren Bundeswirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff, der anlässlich des Bekanntwerdens der Fusionspläne in einem Gastbeitrag für Die Zeit betonte: »Die vorbeugende Fusionskontrolle will einen funktionsfähigen Wettbewerb sichern und der Entstehung wirtschaftlicher Macht durch Unternehmenszusammenschlüsse vorbeugen. Aber die Fusionskontrolle für richtig und notwendig halten heißt nicht, jede Fusion, die den gesetzlichen Kriterien genügt, schon deshalb als wirtschaftspolitisch von Übel anzusehen.«289

Aus Lambsdorffs Verweis auf die »vorbeugende Fusionskontrolle« geht zudem hervor, dass die diskursive Unterscheidung von wettbewerbstheoretischen und wirtschaftspolitischen Erfordernissen auch die Bestimmungen der zweiten Novelle des »Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen« strukturierte, die sich in mehrjährigen inner- wie außerparlamentarischen Beratungen, wissenschaftlichen Diskussionen und öffentlichen Debatten angebahnt hatte. Nachdem die Auseinandersetzungen um eine Reform des 1957 vom Deutschen Bundestag nach jahrelanger Beratung beschlossenen Kartellgesetzes bereits unmittelbar nach dessen Inkrafttreten eingesetzt und zu einer ersten Novellierung im Spätsommer 1965 geführt hatten,290 bildete Karl Schiller im Herbst 1967 bei dem von ihm geführten Bundeswirtschaftsministerium die »Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik« mit dem Ziel, eine zweite Kartellnovelle vorzubereiten. Die Diskussionen der Arbeitsgruppe, die unter der Leitung des späteren Kartellamtspräsidenten Wolfgang Kartte stand,291 empfingen wichtige Impulse aus den zeitgenössischen wirtschaftswissenschaftlichen Debatten, die im Laufe der sechziger Jahre auch in der Bundesrepublik zunehmend um die Notwendigkeit einer Neudefinition des ökonomischen Wettbewerbsverständnisses sowie einer stärkeren Hinwendung zu makroökonomischen Fragestellungen kreisten. Mehrere Ökonomen aus dem angelsächsischen Sprachraum arbeiteten sich bereits in der Zwischenkriegszeit an den wettbewerbstheoretischen Annahmen der Neoklas289 Pakt der Zwerge, in: Die Zeit, 20.7.1973. 290 Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 15. September 1965, in: BGBl, Teil I, Nr. 53, 22.9.1965, S. 1363–1367. 291 Zu den inner- und außerparlamentarischen Diskussionen um eine Kartellnovelle, den Beratungen und Stellungnahmen der »Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik« sowie der wettbewerbstheoretischen Umorientierung der sechziger Jahre: Kartte. Im selben Jahr dokumentierte auch das Bundeskabinett die wettbewerbspolitische Neuausrichtung: Die Bundesregierung, Die Wettbewerbspolitik dieser Bundesregierung, in: Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik, Nr. 74, 1969.

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sik ab, die durch den Einfluss der Ordoliberalen Eingang in die Gesetzgebung der jungen Bundesrepublik fanden. So kritisierten vor allem Edward H. Chamberlin, Joan Robinson und John Maurice Clark seit den dreißiger Jahren die Denk­ figur der »vollständigen Konkurrenz« als modellhaftes Idealbild, das mit realwirtschaftlichen Vorgängen abgeglichen werden müsse, und profilierten ihrerseits »monopolistische Konkurrenz«,292 »unvollkommene Konkurrenz«293 und »workable competition«294 als wettbewerbstheoretische Schlüsselkategorien.295 Wenn die Arbeiten im Detail auch unterschiedliche Schwerpunkte setzten und verschiedene Fluchtpunkte ansteuerten, fußten sie doch auf denselben Beobachtungen und Prämissen. In seinem Aufsatz formulierte John Maurice Clark die Ausgangsbeobachtung, »that ›perfect competition‹ does not and cannot exist and has presumably never existed«. »Vollständige Konkurrenz« bzw. »perfect competition« sei vielmehr »an unreal or ideal standard which may serve as a starting point of analysis and a norm with which to compare actual competitive conditions«.296 Stellvertretend formulierte Clark damit das Forschungsziel, das Ideal der »vollständigen Konkurrenz« als analytischen Ausgangspunkt zu fixieren und mit den realwirtschaftlichen Gegebenheiten abzugleichen, hinter dem sich die genannten angelsächsischen Wirtschaftswissenschaftler gemeinsam versammelten.297 Zugleich aktualisierte der US-amerikanische Ökonom in diesem Satz die diskursive Leitdifferenz zwischen theoretischen Modellen und realwirtschaftlichen Bedingungen, die für die Grundsatzdebatten der Wirtschaftswissenschaften prägend war und auch die wettbewerbspolitischen Auseinandersetzungen der Bundesrepublik seit den späten fünfziger Jahren zunehmend bestimmte. In seinem 1961 veröffentlichten Spätwerk, das den aussagekräftigen Titel »Competition as a Dynamic Process« trägt, spitzte Clark die bereits in den dreißiger Jahren formulierte Kritik am modellhaften Ideal der »vollständigen Konkurrenz« noch weiter zu.298 Wie Wolfgang Kartte gegen Ende der Dekade rückblickend betonte, war Wettbewerb für Clark nun »nicht mehr die Bewegung von einem Gleichgewichtszustand zu einem anderen, sondern ein dynamischer Prozeß, der seine Impulse gerade aus Unvollkommenheiten, aus monopolis­ 292 Chamberlin. 293 Robinson. 294 Clark, Concept. 295 An den Debatten um eine Neuausrichtung der neoklassischen Preistheorie beteiligten sich auch deutsche Ökonomen, deren Beiträge Kartte in seiner Rückschau allerdings verschwieg. Zu den Debatten um eine »moderne Preistheorie«, den deutschen Beiträgen und den Auswirkungen auf das wirtschaftswissenschaftliche Feld in Deutschland: Hesse, Wirtschaft, S. 350–364. 296 Clark, Concept, S. 241. 297 In den Worten Wolfgang Karttes ging es den genannten Ökonomen darum, »den Gedanken des reinen, vollständigen, perfekten Wettbewerbs mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu versöhnen.« Kartte, S. 40–41, Zit. S. 40. 298 Clark, Competition.

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tischen Elementen im Sinne der herkömmlichen Theorie« empfange.299 Auch in der deutschsprachigen Fachdiskussion gewann ein solches dynamisches Wettbewerbsverständnis seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zunehmend an Wirkungsmacht. Sogar der Eucken-Schüler und zeitweilige Herausgeber der Zeitschrift Ordo, Friedrich August Lutz, konzedierte bereits 1956 in seinen »Bemerkungen zum Monopolproblem«, die er ebenfalls entlang der binären Unterscheidung zwischen wirtschaftswissenschaftlicher Theorie und ökonomischer Praxis entwickelte: »Was den dynamischen, vorwärtsstürmenden Charakter der Konkurrenz angeht, so ist gerade deshalb die ›vollständige‹ Konkurrenz des Theoretikers eine Schlafmützenkonkurrenz verglichen mit der monopolis­ tischen Konkurrenz, die der Praktiker allein als Konkurrenz anerkennt.«300 Karl Schiller wies zu Beginn der sechziger Jahre in einem Lexikonartikel zum Thema »Wirtschaftspolitik« in dieselbe Richtung, indem er forderte: »Für die wirtschaftspolitische Praxis brauchen wir einen anderen Wettbewerbsbegriff, nämlich die Konkurrenz als ständigen Prozeß der Rivalität, des Kampfes und der Auslese, den Wettbewerb von ›neu gegen alt‹.«301 Fraglos nahmen die genannten Versuche zur Neudefinition des ökonomischen Wettbewerbsbegriffs auch semantische Anleihen bei Joseph A. Schumpeter, der schon zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts auf »den statischen Charakter« des klassisch-liberalen Denkgebäudes hingewiesen hatte und in seiner während des Jahrhunderts vielfach neu aufgelegten »Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung« den »schöpferischen« vom »nachahmenden« Unternehmer unterschied, wirtschaftliches Handeln also als permanente, dynamische Abfolge von Vorstoßbewegungen und Anpassungsprozessen konzeptualisierte.302 Nicht zufällig waren es dann vor allem Schumpeter und Karl Schiller, die – neben John Maurice Clark – als Gewährsmänner für die wissenschaftliche Begründung der zweiten Kartellgesetznovelle dienten. Den Anspruch, eine solche wissenschaftliche Begründung vorzulegen, erhob der Ökonom Erhard Kantzen­ bach, der im Sommer 1965 am Institut für Europäische Wirtschaftspolitik der Universität Hamburg seine Habilitationsschrift mit dem Titel »Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs« fertigstellte. Hierin reproduzierte auch er eingangs die wirkmächtige dichotomische Leitunterscheidung zwischen wirtschaftswissenschaftlicher Theoriebildung und ökonomischer Praxis, indem er konstatierte, »in welch starkem Ausmaß sich gerade bei der Beurteilung des Wettbewerbs die praktische Wirtschaftspolitik und die entsprechenden theoretischen Vorstellungen und Leitbilder voneinander entfernt« hätten,303 um anschließend die Zielsetzung seiner Arbeit zu formulieren, 299 Kartte, S. 41. 300 F. A. Lutz, Bemerkungen zum Monopolproblem, in: Ordo, Bd. 8, 1956, S. 19–43, hier: S. 31–32. 301 Schiller, Wirtschaftspolitik, S. 214. 302 Schumpeter, S. 100, 103–198. Vgl. Kartte, S. 41. 303 Kantzenbach, S. 10.

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»die Kluft zwischen den theoretischen Wettbewerbsvorstellungen und Leitbildern einerseits und den konkreten Orientierungsgrößen der Wettbewerbspolitik andererseits zu verringern. Zu diesem Zweck soll versucht werden, realistische Neuansätze für eine Wettbewerbstheorie zu entwickeln, die einer rationalen Wettbewerbspolitik auch in Einzelfragen als Basis dienen können.«304

Mit dem erklärten Anspruch, als Vermittler zu fungieren zwischen wissenschaftlichem Wissen und politischem Handeln, das zudem »rational« zu sein habe, repräsentierte Kantzenbach zum einen geradezu beispielgebend die Sozialfigur des (ökonomischen) Experten, dessen gesamtgesellschaftliche Relevanz und politischer Einfluss in der Bundesrepublik just während der Entstehung der Arbeit zu Beginn der sechziger Jahre signifikant zunahmen.305 Zum anderen leitete Kantzenbach aus dem erklärten Forschungsziel, zwischen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik zu vermitteln, die Notwendigkeit ab, auf einen »theoretisch exakt definierten Wettbewerbsbegriff« wie etwa den der »vollständigen Konkurrenz« zu verzichten, habe sich ein solches Vorgehen »für die Entwicklung einer wirtschaftspolitischen Zielvorstellung« doch als »ungeeignete[r] Denkansatz« erwiesen. Vielmehr berief er sich ausdrücklich auf John Maurice Clark und dessen Spätwerk »Competition as a Dynamic Process«, »bei dem auf eine vorgegebene Definition des Wettbewerbs verzichtet« werde. »Stattdessen« gehe Clark, so Kantzenbach weiter, »von einer Reihe gesamtwirtschaftlicher Funktionen« aus und frage »nach dem Charakter der Wettbewerbsprozesse«, die diese Funktionen erfüllten, »nach der funktionsfähigen Konkurrenz.«306 Als »Leitbild einer rationalen Wettbewerbspolitik«307 könne demnach eine »Wettbewerbsform« gelten, »deren Funktionen zusammen eine gesamtwirtschaftlich optimale Kombination« ergäben.308 Mit seiner makroökonomischen Erweiterung der Wettbewerbskonzeption, die über eine weitergehende Differenzierung von abstrakten Marktformen hinauswies, avancierte John Maurice Clark somit zum wichtigsten wissenschaftlichen Stichwortgeber für Kantzenbachs Überlegungen zur »Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs«. Indem Kantzenbach seine wettbewerbstheoretische Konzeption unter Berufung auf Clark makroökonomisch an »gesamtwirtschaftlichen Funktionen« ausrichtete, zu denen nach Clark beispielsweise die »Durchsetzung des technischen Fortschritts bei Produkten und Produktionsmethoden« oder die »Zusammensetzung des laufenden Angebots an Waren und Dienstleistungen nach den Käuferpräferenzen« zählten,309 folgte er mit seiner Arbeit zugleich dem grundlegenden Trend der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung wie der Wirtschaftspolitik, die sich auch in der Bundesrepublik seit den ausgehenden fünfziger Jahren zu304 Ebd., S. 11. 305 Nützenadel, Stunde; Metzler, Konzeptionen; Schanetzky, Ernüchterung. 306 Kantzenbach, S. 14. 307 Ebd., S. 15. 308 Ebd., S. 14. 309 Ebd., S. 17.

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nehmend der keynesianisch inspirierten, nachfrageorientierten Prozesspolitik zuwandten und an gesamtwirtschaftlichen Zielgrößen ausrichteten. Besonders augenscheinlich wird dieser Orientierungsrahmen im letzten Teil der Arbeit über »Wirtschaftspolitische Folgerungen«, in dem Kantzenbach »Ansätze einer wachstumsorientierten Wettbewerbspolitik«310 formulierte und »das Kriterium der gesamtwirtschaftlichen Rationalität« als wichtigsten wettbewerbspolitischen Bezugspunkt fixierte.311 Ferner schlug er hierin vor, »alle Zusammenschlüsse von Großunternehmen einer staatlichen Genehmigung zu unterwerfen«,312 wobei er, der binären Kodierung aus ökonomischer Praxis und Wettbewerbstheorie folgend, gesamtwirtschaftliche von Wettbewerbsfunktionen unterschied: »Die Genehmigung ist nur dann zu erteilen, wenn die voraussichtlichen gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerungen höher zu bewerten sind als die voraussichtliche Reduzierung der Wettbewerbsfunktionsfähigkeit.«313 Seinem Anspruch, das wissenschaftliche Fundament für eine erneuerte Wettbewerbspolitik zu legen, wurde Kantzenbach mit seiner Studie nicht nur insofern gerecht, als Wolfgang Kartte, der die 1967 eingerichtete »Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik« beim Bundeswirtschaftsministerium leitete, ihn rückblickend als einen wichtigen »Lieferanten« für die Diskussionen der Arbeitsgruppe bezeichnete.314 Wie aus Karttes monographischer Darstellung der wettbewerbspolitischen Neuorientierung seit den späten fünfziger Jahren hervorgeht, machten sich vielmehr er und die von ihm geleitete Arbeitsgruppe wie auch das Bundeskartellamt die Überlegungen Kantzenbachs zu eigen. So identifizierte Kartte, der sich selbst ebenfalls als »Praktiker«315 und Verfechter einer »praktische[n] Wirtschaftspolitik«316 bezeichnete, eine allzu große »Wirklichkeitsfremdheit« als wesentliche »Schwäche« des »neoliberalen« Wettbewerbsbegriffs, der dem Kartellgesetz zugrunde lag, und lobte stattdessen ebenso wie Kantzenbach die Vertreter der »moderne[n] angloamerikanische[n] Wettbewerbstheorie« um John Maurice Clark, da sie die »wirtschaftliche Realität« und nicht »unerreichbare Modellvorstellungen« als wettbewerbspolitische Orientierungsgrößen auswiesen.317 In ihrem Ergebnisbericht zur »Diskussion über das wettbewerbspolitische Leitbild«318 schrieb die »Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik« folglich mit Verweis auf Kantzenbach und in Anlehnung sowohl an Clark als auch an Schumpeter: »Die neuere Wettbewerbstheorie sieht im Wettbewerb in erster Linie einen Marktprozeß, der sich in Vorstoß und Verfolgung äußert. Seine dynamischen Funktionen (Anpassungsflexibilität, rasche Durchsetzung des technischen und wirtschaftlichen 310 Ebd., S. 129. 311 Ebd., S. 135. 312 Ebd., S. 140. 313 Ebd., S. 148–149. 314 Kartte, S. 34. 315 Ebd., S. 35. 316 Ebd., S. 36. 317 Ebd., S. 40. 318 Ebd., S. 93–100.

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Fortschritts und damit gesamtwirtschaftlichen Wachstums) könne der Wettbewerb nur erfüllen, wenn auf den einzelnen Märkten aktive, leistungsfähige Unternehmen vorstießen, und dadurch die Intensität des Wettbewerbs steigerten. Das setze ›Unvollkommenheiten‹ des Marktes voraus.«319

Zugleich plädierte die Arbeitsgruppe um Wolfgang Kartte nicht nur allgemein für die Orientierung an einem dynamischen, auf makroökonomische Funktionalität ausgerichteten Verständnis von »Wettbewerb«, sondern gab ebenso konkrete Empfehlungen zur Änderung des »Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen«. Außer um Fragen der Missbrauchsaufsicht und des Kartellverbots kreisten die Vorschläge insbesondere um die Einführung einer Fusionskontrolle  – in der Gesetzesterminologie: »Zusammenschlusskontrolle« –, die den Deutschen Bundestag bereits seit den ausgehenden fünfziger Jahren beschäftigt320 und die auch schon Kantzenbach in seiner Habilitationsschrift angeregt hatte. Wie Kartte berichtete, befasste sich die von ihm geleitete Arbeitsgruppe »seit Anfang 1968« mit dem »Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße und Wettbewerb« und veranstaltete unter anderem »vier Hearings« mit Professoren, Managern, Verbandsfunktionären und Mitarbeitern wissenschaftlicher Institute.321 Die Beratungen der Arbeitsgruppe führten zu zwei wesentlichen Ergebnissen. Als einziger Gesichtspunkt einer Zusammenschlusskontrolle »unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten« könne erstens lediglich »eine mehr oder minder starke Beeinträchtigung des Wettbewerbs« gelten, da ein solches Kriterium »im allgemeinen nachprüfbar« sei.322 Zugleich betonte Kartte zweitens jedoch, wobei er den Industriemanager und späteren Vorstandsvorsitzenden der Thyssen AG, Dieter Spethmann, zitierte, »daß man dem Konzentrations­problem ›nicht nur mit ordnungspolitischen Vorstellungen zuleibe rücken (kann)‹«. Vielmehr sollte der entsprechende Gesetzesparagraph »eine Regelung entsprechend § 8 GWB enthalten. Danach kann der Bundeswirtschaftsminister jedes Kartell zulassen, ›wenn ausnahmsweise die Beschränkung des Wettbewerbs aus überwiegenden Gründen der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls notwendig ist‹.«323 Der Vorschlag Karttes, wettbewerbsbeschränkende Fusionen unter Verweis auf gesamtwirtschaftliche Erwägungen und Erfordernisse »ausnahmsweise« zuzulassen, nahm nicht nur die Differenzierung zwischen gesamtwirtschaftlichen und Wettbewerbsfunktionen auf, die schon Kantzenbach in seiner Habilita­ tionsschrift vorgenommen hatte. Vielmehr wies die Empfehlung dem Bundeswirtschaftsminister eine Position zu, aus der dieser im Einzelfall über die Rechtmäßigkeit und Vereinbarkeit von Unternehmenszusammenschlüssen mit dem Kartellgesetz entscheiden und die Deutungshoheit über »gesamtwirtschaftliche« 319 Ebd., S. 100. 320 Zum Gang der parlamentarischen Beratungen: ebd., S. 70–72. 321 Ebd., S. 73–74, Zit. S. 73. 322 Ebd., S. 76. 323 Ebd., S. 77.

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Gründe sowie die semantisch weitgehend leere Bezeichnung »Gemeinwohl« beanspruchen konnte. Nicht zufällig wiesen Karttes abschließende Überlegungen zum Ablauf solcher Zusammenschlussverfahren in genau diese Richtung, regte er doch Einzelfallentscheidungen des Bundeswirtschaftsministers an, während das Bundeskartellamt »in der Rolle des ›Staatsanwalts‹« agieren sollte. Darüber hinaus schlug er die Gründung einer »Monopolkommission« als »Beratungsgremium« nach britischem Vorbild vor.324 Die Überlegungen und Vorschläge der »Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik« flossen ganz unmittelbar in das »Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen« ein, das im August 1973 in Kraft trat.325 So lieferte das novellierte Kartellgesetz nicht nur eine ausführlichere Definition »marktbeherrschender Unternehmen«, die auf die Zahl der Wettbewerber und das Kriterium der »Marktstellung« abstellte,326 sondern enthielt außerdem detaillierte Regelungen für Zusammenschlussvorhaben von Großunternehmen.327 Die »Befugnisse« des Bundeskartellamtes knüpfte das novellierte GWB an die Voraussetzung, »daß durch einen Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird«,328 die zugleich als einziges Kriterium für die Beurteilungen der Kartellbehörde festgesetzt war.329 Während das Bundeskartellamt sich folglich in seinen Entscheidungen – wie von der »Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik« vorgeschlagen – ausschließlich am Kriterium der »Marktbeherrschung« zu orientieren hatte, wies die zweite Kartellnovelle dem Bundeswirtschaftsminister eine Rolle zu, die nahezu exakt den Anregungen Karttes entsprach. So hieß es im Gesetzestext: »Der Bundesminister für Wirtschaft erteilt auf Antrag die Erlaubnis zu dem Zusammenschluß, wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluß durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist […]. Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn durch das Ausmaß der Wettbewerbsbeschränkung die marktwirtschaftliche Ordnung nicht gefährdet wird.«330

324 Ebd., S. 78. 325 Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BGBl, Teil I, Nr. 64, 4.8.1973, S. 917–929. 326 Ebd., S. 918. Unter dem Etikett »Marktstellung« waren hierbei der »Marktanteil« des Unternehmens, dessen »Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, Verflechtungen mit anderen Unternehmen sowie rechtliche oder tatsächliche Schranken für den Marktzutritt anderer Unternehmen« subsumiert. 327 Als solche definierte das Gesetz diejenigen Unternehmen, die »innerhalb des letzten vor dem Zusammenschluß endenden Geschäftsjahres mindestens 10 000 Beschäftigte oder in diesem Zeitraum Umsatzerlöse von mindestens 500 Millionen Deutscher Mark hatten.« Ebd., S. 919. 328 Ebd., S. 920. 329 Ebd., S. 921. 330 Ebd.

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Wie Kartte bereits 1969 vorgeschlagen hatte, konnte der Bundeswirtschaftsminister demnach bei strittigen Fusionsvorhaben eine sogenannte »Ministererlaubnis« erteilen, wobei er »im Einzelfall« die »gesamtwirtschaftlichen Vorteile« gegen die drohenden »Wettbewerbsbeschränkungen« abzuwägen hatte. Wenn auch der verabschiedete Passus nicht mehr – wie ursprünglich von Kartte angeregt – auf das »Gemeinwohl« referierte, wies er doch statt dessen »ein überragendes Interesse der Allgemeinheit« sowie die Gefährdung der »marktwirtschaftlichen Ordnung« als weitere Beurteilungskriterien aus. Die Erlaubnisentscheidungen über Großfusionen waren damit an semantisch weitgehend leere und in hohem Maße deutungsbedürftige Bezeichnungsformen geknüpft, die sich insbesondere für politische Kommunikationsprozesse eigneten und in jedem »Einzelfall« mit unterschiedlichen Bedeutungen ausstatten ließen. Diese politische Deutungshoheit über die sogenannte »Gemeinwohlklausel«, die Befugnis, die vorstehenden leeren Signifikanten im konkreten Fall mit Bedeutung(en) zu versehen, erteilte das novellierte GWB dem Bundeswirtschaftsminister. Der hatte außerdem »innerhalb von vier Monaten« über den Erlaubnisantrag zu entscheiden und »den obersten Landesbehörden, in deren Gebiet die beteiligten Unternehmen ihren Sitz haben, Gelegenheit zur Stellungnahme« einzuräumen.331 Außer den Bestimmungen zum Fusionskontrollverfahren fand sich ebenso Karttes Vorschlag im Gesetzestext wieder, eine »Monopolkommission« zu gründen, die mit der, so hieß es in der Endfassung der Kartellnovelle, »regelmäßigen Begutachtung der Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik Deutschland und der Anwendung« der GWB-Paragraphen zur Fusionskontrolle beauftragt wurde. Die Kommission, die »aus fünf Mitgliedern« bestehen sollte, »die über besondere volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, sozialpolitische, technologische oder wirtschaftsrechtliche Kenntnisse und Erfahrungen verfügen« mussten, jedoch keiner Regierung, Körperschaft öffentlichen Rechts  – ausgenommen: Hochschulen und Forschungseinrichtungen  – oder Interessenvertretung angehören durften, war ausschließlich an den im GWB »begründeten Auftrag gebunden und in ihrer Tätigkeit unabhängig«. Die von dem Gremium »alle zwei Jahre« zu erstellenden Gutachten hatten »den jeweiligen Stand der Unternehmenskonzentration sowie deren absehbare Entwicklung unter wirtschafts-, insbesondere wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten« zu behandeln. Ebenso war die Monopolkommission befugt, »nach ihrem Ermessen zusätzliche Gutachten [zu] erstellen«, wie auch der Bundesminister für Wirtschaft »in Einzelfällen«, die ihm zur Erlaubnisentscheidung über einen Unternehmenszusammenschluss vorlagen, »eine gutachtliche Stellungnahme der Monopolkommission einholen« konnte.332 Im Zuge des von der Bundesregierung angestrebten Zusammenschlusses von VEBA und Gelsenberg kam das in der zweiten Kartellnovelle geregelte Fusionskontrollverfahren nicht nur erstmalig zur Anwendung. Die hieran ge331 Ebd. 332 Ebd., S. 923.

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knüpften Abläufe und Entscheidungen dienten zugleich als Bestätigung für die neue ordnungspolitische Leitdifferenz zwischen wettbewerbstheoretischen und wirtschafts­politischen Entscheidungsparametern. Wie Bundesfinanzminister Helmut Schmidt dem Deutschen Bundestag im Januar 1974 berichtete, nahm die Bundesregierung Mitte des Jahres 1973 Verhandlungen mit dem RWE über den Erwerb von dessen rund 48-prozentiger Beteiligung an der Gelsenberg auf. Beide Parteien einigten sich nach Auskunft Schmidts auf einen Kaufpreis in Höhe von rund 640 Millionen DM, der am 7. Dezember 1973 einem RWE-Konto gutgeschrieben worden sei. Darüber hinaus erwarb der Bund, wie der Minister weiter berichtete, im Dezember 1973 weitere drei Prozent des Gelsenberg-Nennkapitals zu einem Gesamtpreis von rund dreißig Millionen DM. Der Bundesanteil an der Gelsenberg AG betrug demnach 51,3 Prozent.333 Zugleich verwies Schmidt auf den Umstand, dass der Erwerb des beim RWE liegenden Gelsenberg-Pakets »kartellrechtlich noch nicht abschließend geregelt« sei,334 fiel der Aktienerwerb, den die Bundesregierung am 28. November 1973 beim Bundeskartellamt angemeldet hatte, doch gemäß der zweiten Kartellnovelle allein aufgrund der Beschäftigtenzahl der Gelsenberg AG von rund 14.500 zu Beginn der siebziger Jahre in den Zuständigkeitsbereich der Kartellbehörde, die über die Vereinbarkeit der Übernahme mit den Bestimmungen des »Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen« zu entscheiden hatte.335 Die Kartellbehörde, die nach eigenen Angaben »die Beteiligungen des Bundes vor allem an der VEBA AG und deren Beteiligungen an der preußischen Elektrizitäts-AG, VEBA-Kraftwerke Ruhr AG, VEBA-Chemie AG, Hugo Stinnes AG und an der Ruhrkohle AG«336 bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigte, untersagte mit Beschluss vom 7. Januar 1974 die Übernahme der GelsenbergBeteiligung des RWE durch den Bund und führte zur Begründung aus: »Es ist zu erwarten, daß durch den beabsichtigten Zusammenschluß auf verschiedenen Märkten beherrschende Stellungen des Bundes entstehen oder verstärkt werden.«337 Mithin verwies das Kartellamt nicht nur explizit auf die Paragraphen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, sondern übernahm die dor­tigen Formulierungen vielmehr wörtlich in seine Begründung. Der eng am Gesetzestext entlang geführte Argumentationsgang setzte sich auch im weiteren Verlauf der Verbotsbegründung fort, fand die Berliner Behörde doch nach eigenen Angaben ebenso »keine Anhaltspunkte für Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen […], welche die aufgezeigten wettbewerblichen Nachteile des vorgesehenen Zusammenschlusses überwiegen könnten.« So sei eine Verbesserung 333 BT-Drucksache VII/1512, S. 1. Nahezu wortgleich: BT-Drucksache VII/2113, S. 28. 334 BT-Drucksache VII/1512, S. 1. 335 Gelsenberg geht nicht arm in die Ehe mit dem Veba-Konzern, in: Handelsblatt, 21./22.6.1974. 336 BT-Drucksache VII/2250, S. 68. Zur Stellungnahme des Bundeskartellamtes vgl. auch: Gelsenberg: Bonn gibt sich selbst den Segen, in: Handelsblatt, 9.1.1974; Das Gegengewicht gegen die Ölscheichs zählt für das Kartellamt nicht, in: Handelsblatt, 18.2.1974. 337 BT-Drucksache VII/2250, S. 68.

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der Wettbewerbsbedingungen auf dem inländischen Mineralölmarkt durch den geplanten Zusammenschluss zwar »nicht auszuschließen«, doch sei »auch möglich, daß der vorgesehene Zusammenschluß zu einer Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen auf inländischen Märkten für Mineralölprodukte führen würde«. Unberücksichtigt ließ das Bundeskartellamt hingegen, »inwieweit die deutsche Verhandlungsposition bei der Nachfrage auf den internationalen Rohölmärkten durch den vorgesehenen Zusammenschluß verbessert würde«, da die Behörde »nur die Wettbewerbsbedingungen innerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen überprüfen« könne. Indem sie abschließend betonten, dass die Berücksichtigung der »Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auch auf Märkten außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen« allerdings dem »Bundesminister für Wirtschaft im Rahmen einer Erlaubniserteilung« möglich sei, nahmen die Kartellbeamten gleichwohl den weiteren Gang des Fusionsverfahrens bereits vorweg und skizzierten zugleich eine Begründungsfigur für die zu erwartende Ministererlaubnis.338 Eine solche Erlaubnis stellten sowohl Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs als auch sein Parlamentarischer Staatssekretär Martin Grüner nur wenige Tage nach Bekanntwerden der Entscheidung des Bundeskartellamtes vor dem Deutschen Bundestag in Aussicht. Auf eine entsprechende Frage des SPD-Abgeordneten Peter Reuschenbach antwortete Grüner in der Sitzung am 25. Januar 1974, der Minister werde »über die Erteilung der im Kartellgesetz vorgesehenen Ausnahmeerlaubnis unmittelbar nach der gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung der Länderwirtschaftsminister entscheiden.« Zudem sei »beabsichtigt, auch die aufgrund der Kartellnovelle gebildete Monopolkommission um eine Stellungnahme zu bitten.«339 Beinahe wortgleich hatte sich Friderichs im Zuge der »Erklärung der Bundesregierung zur Lage der Energieversorgung« geäußert, die er am 17. Januar 1974 vor dem Bundestagsplenum abgegeben hatte. Hierbei nahm der Minister außerdem bereits eine weitere wichtige Begründungsfigur der zu erwartenden Ministererlaubnis vorweg, betonte er doch in enger Anlehnung an das novellierte Kartellgesetz, dass das Kartellamt »bei seiner Entscheidung gegen den Erwerb des Gelsenberg-Pakets durch den Bund nur die wettbewerbspolitische Seite zu berücksichtigen« gehabt habe, während etwaige »gesamtwirtschaftliche Vorteile« oder »ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit« in seinen »Entscheidungs- und Abwägungsbereich verwiesen« seien.340 Die diskursive Unterscheidung wettbewerbstheoretischer und wirtschaftspolitischer Gesichtspunkte, die dem zugrunde lag, strukturierte auch die Kommentare, die anlässlich der Entscheidung des Bundeskartellamtes in der Wirtschaftspresse erschienen. Hans Mundorf etwa bezeichnete im Handelsblatt den

338 Ebd., S. 69. 339 VDB, 7. WP, 77. Sitzung, 25.1.1974, S. 4945–4946, Zit. S. 4946. 340 Ebd., 73. Sitzung, 17.1.1974, S. 4539–4544, Zit. S. 4542.

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bevorstehenden Verfahrensablauf, demzufolge der Bundeswirtschaftsminister unter Berücksichtigung »gesamtwirtschaftlicher« Aspekte über den Erlaubnis­ antrag der Bundesregierung zu entscheiden haben würde, als »Schizophrenie«.341 Sein Kollege Joachim Nawrocki, der für Die Zeit schrieb, pflichtete ihm bei und fragte lakonisch: »Wäre es da nicht besser, Fusionen, die im Bereich von Bundesunternehmen oder Bundesbeteiligungen stattfinden, gleich von der Fusionskontrolle auszunehmen? Die Frage ist, ob ein Votum des Bundeskartellamtes und der Monopolkommission irgend etwas bewirken wird.« Zudem machte sich Nawrocki das ordnungspolitische Kriterium des Kartellgesetzes zu Eigen und betonte, der »Schaden an der Marktwirtschaft« müsse »denkbar gering« gehalten werden.342 Ein Wirtschaftsjournalist, der unter dem Kürzel »Eg.« für Die Zeit schrieb, spitzte in seinem Kommentar, der anlässlich der schriftlichen Begründung durch den Kartellamtspräsidenten Eberhard Günther erschien, die Unterscheidung wirtschaftspolitischer und wettbewerbstheoretischer Erwägungen noch weiter bis hin zu einem Gegensatz zu. So bezeichnete er gleich im Titel seines Beitrags die Mitglieder des Bundeskartellamtes als »Theoretiker«, denen er ein hohes »Maß an Praxisfremdheit« vorwarf, und resümierte abschließend: »Etwas weniger Theorie würde den Berliner Kartellwächtern bestimmt gut tun.«343 Darüber hinaus skizzierte Staatssekretär Martin Grüner in seinen Antworten vor dem Plenum des Deutschen Bundestages weitere rahmende Begründungszusammenhänge für das bevorstehende Erlaubnisverfahren, die zuvor neben dem Bundeskartellamt auch schon mehrere Vertreter der Regierungskoalition abgesteckt hatten. So stellten sowohl Grüner als auch Bundesfinanzminister Helmut Schmidt, der die für den Paketerwerb benötigten Bundesmittel als »außerplanmäßige Ausgaben« im Bundeshaushalt 1973 deklariert hatte,344 auf das »Energieprogramm der Bundesregierung« ab, das in den energiepolitischen Debatten der Bundesrepublik im Allgemeinen wie auch im Zuge der Diskussionen um die Konzentration deutscher Mineralölunternehmen im Besonderen den wichtigsten argumentativen Bezugspunkt darstellte.345 Aus dem Hinweis auf das Energieprogramm ergab sich zudem unmittelbar der Verweis auf das Ziel der »Sicherung der langfristigen Mineralölversorgung«,346 das dem energiepolitischen Gesamtkonzept als übergeordnete Vorbemerkung vorangestellt war. Der FDP-Wirtschaftspolitiker Otto Graf Lambsdorff bediente sich nach Bekanntwerden der Konzentrationsvorhaben ebenfalls dieser wirkmächtigen Begründungsfigur, um der Kritik des Zeit-Journalisten Diether Stolze zu begegnen. Stolze hatte im Juni 1973 angesichts der Gleichzeitigkeit von Kartell341 Veto aus Berlin, in: Handelsblatt, 9.1.1974. 342 Das unwirksame Veto, in: Die Zeit, 18.1.1974. 343 Theoretiker, in: Die Zeit, 1.3.1974. 344 BT-Drucksache VII/1512, S. 1. 345 Ebd.; VDB, 7. WP, 77. Sitzung, 25.1.1974, S. 4946. 346 Ebd.

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novelle und Fusionsüberlegungen der Bundesregierung gemutmaßt: »Nach der Verabschiedung der Kartellnovelle werden Fusionen künftig danach beurteilt werden, ob sie politisch opportun erscheinen.«347 Diesem Vorwurf entgegnete Lambsdorff nur wenige Tage später in derselben Zeitung: »Die Neuorientierung der deutschen Mineralölinteressen geschieht nicht aus Gründen wirtschaftspolitischer Opportunität, sondern sie geschieht in dem Bewußtsein, von Seiten der Bundesregierung die Voraussetzungen für ein höheres Maß an Versorgungssicherheit zu gewährleisten.«348 Das allgemeine Ziel der »Versorgungssicherheit« im Mineralölbereich war seit Veröffentlichung des energiepolitischen Gesamtprogramms außerdem mit der konkreten Zielsetzung verknüpft, »insbesondere für die Entwicklung einer verstärkten Kooperation mit den Erdölförderländern […] ein leistungsfähiges deutsches Mineralölunternehmen zu schaffen, das sowohl von seinen finanziellen Möglichkeiten als auch seiner Kapazität her in der Lage« sei, »die deutschen Interessen auf dem internationalen Mineralölmarkt wirksam zur Geltung zu bringen«, auf die sowohl Staatssekretär Grüner349 als auch Bundesfinanzminister Schmidt350 verwiesen. Mit dem Hinweis auf den »internationalen Mineralölmarkt« war ferner der schon im Laufe der sechziger Jahre im öffentlichen Sprachgebrauch eingeübte Vergleich von nationalen, auf den deutschen Vertriebsmarkt beschränkten Mineralölgesellschaften mit internationalen, weltweit agierenden Großkonzernen verbunden, den nun vor allem Lambsdorff und der Zeit-Journalist Diether Stolze anstellten. So schrieb Stolze in einem Kommentar: »Die Verhältnisse auf dem Weltmarkt, wo harter Wettbewerb um jede Tonne Öl herrscht, erzwingen eine Zusammenfassung aller Kräfte. Im internationalen Vergleich wird der ›deutsche Ölriese‹, der erst noch geboren werden muß, sowieso ein Zwerg bleiben.«351 Dieser Einschätzung Stolzes, der die Zusammenführung deutscher Mineralölunternehmen wiederholt als sachlich geboten und zwingend etikettierte, stimmte Lambsdorff zu, der konstatierte: »Weltweit gesehen hat man zutreffend von einer Hochzeit der Zwerge und nicht der Elefanten gesprochen.«352 Beide gebrauchten als Beschreibungsform die Metapher der »Zwerge«353 in Abgrenzung zu derjenigen der »Elefanten«, die der einflussreiche Bankier Hermann Josef Abs anlässlich der schon Mitte der sechziger Jahre gehegten Fusionspläne in die öffentliche Diskussion eingeführt hatte. Die Wirtschaftspresse hatte den in zahlreichen Aufsichtsräten – darunter auch derjenige der GBAG – vertretenen Abs seinerzeit bereitwillig mit den Worten zitiert, bei der Vereinigung von VEBA und Gelsenberg handele sich um 347 Die rechte und die linke Hand des Ministers, in: Die Zeit, 29.6.1973. 348 Pakt der Zwerge, in: Die Zeit, 20.7.1973. 349 VDB, 7. WP, 77. Sitzung, 25.1.1974, S. 4946, Zit. ebd. 350 BT-Drucksache VII/1512, S. 2. 351 Die rechte und die linke Hand des Ministers, in: Die Zeit, 29.6.1973. 352 Pakt der Zwerge, in: Die Zeit, 20.7.1973. 353 Die Metapher findet sich ebenso in: Bonn muß tief in die Tasche greifen, in: Die Zeit, 26.10.1973.

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die »Paarung zweier Elefanten«,354 von denen beispielsweise die Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auch im Laufe der siebziger Jahre noch Gebrauch machten.355 Neben den energiepolitisch grundierten Begründungsfiguren standen ferner Redeweisen, die im Rahmen von Semantiken der Sicherheit auf Dringlichkeiten, notwendige Ausnahmeregelungen und beschleunigte Verfahrensabläufe verwiesen. Bundesfinanzminister Helmut Schmidt etwa schrieb zur Begründung seines Entschlusses, die für den Erwerb der GBAG-Beteiligungen benötigten Bundesmittel als »außerplanmäßige Ausgaben« zu genehmigen: »Wegen der Energiekrise erwies es sich als erforderlich, die Gespräche mit RWE so schnell wie möglich zum Abschluß zu bringen.«356 Der Hinweis auf die »Energiekrise« rief hierbei implizit eine Semantik der Sicherheit auf, in deren Rahmen sich ein beschleunigtes Genehmigungsverfahren für die benötigten Finanzmittel plausibel machen und legitimieren ließ. Der Bundesrechnungshof stellte in seinen »Bemerkungen« zum Bundeshaushalt des Jahres 1973 zwar das Erfordernis infrage, zum Zwecke des Erwerbs von Beteiligungen an der GBAG »außerplanmäßige Ausgaben« zu bewilligen. So erkannten die Mitglieder des Rechnungshofes die Notwendigkeit zum schnellen Beteiligungserwerb an, betonten aber, dass es dem Bundesfinanzminister »möglich gewesen wäre, vor Leistung der Ausgabe nicht nur den Haushaltsausschuß zu unterrichten, sondern so rechtzeitig auf die Einbringung eines Nachtragshaushalts hinzuwirken, daß dieser noch im Jahre 1973 hätte verabschiedet und die Ausgabe geleistet werden können.«357 Dass der Bundesfinanzminister auch nach Ansicht der Zeitgenossen von hergebrachten politischen Kommunikationsroutinen abwich, betonte beispielsweise der CSU-Abgeordnete Walter Althammer, der im Rahmen der Haushaltsberatung im Januar 1975 unter Verweis auf die »Bemerkungen« des Bundesrechnungshofes bemängelte, »wie wenig sich der damalige Bundesfinanzminister Helmut Schmidt um das Etatrecht des Parlaments gekümmert« habe.358 Wenn der Rechnungshof auch Kritik an der Bewilligung »außerplanmäßiger Ausgaben« durch den Bundesfinanzminister und am Ablauf des Genehmigungsverfahrens übte, stellte die Behörde doch den inhärenten Zusammenhang zwischen der Semantik von »Sicherheit« und dem Verweis auf Dringlichkeiten nicht infrage, dessen argumentativen Gebrauchswert sie vielmehr bestätigte und anerkannte. Diesen Konnex explizierte der SPD-Abgeordnete Alwin Kulawig, der das Vorgehen des Bundesfinanzministers in der erwähnten Haushaltsdebatte unter Verweis 354 Wer soll die GBAG beherrschen?, in: Der Volkswirt, 10.11.1967; Erste Verhandlungen zwischen Veba und GBAG, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.8.1967; Abs: Jetzt leichter zu paaren, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.1968. 355 Die Energiequellen bleiben unsicher, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.11.1974; Das schillernde Bild der Veba, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.11.1974; Verluste aus der »Elefanten-Hochzeit«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.5.1975. 356 BT-Drucksache VII/1512, S. 1. 357 BT-Drucksache VII/2709, S. 17–18, Zit. S. 18. 358 VDB, 7. WP, 143. Sitzung, 23.1.1975, S. 9863.

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auf »die krisenhafte Entwicklung der deutschen Mineralölversorgung im Spätherbst 1973« verteidigte. Die prekäre Versorgungslage habe es Kulawig zufolge »unumgänglich notwendig« gemacht, »die Verhandlungen des Bundes mit dem RWE über den Kauf des Aktienanteils so schnell wie möglich zum Abschluß« zu bringen. »Sofortiges Handeln war geboten, um erhebliche Schäden von der deutschen Volkswirtschaft abzuwenden.«359 Die Verknüpfung zwischen Sicherheitssemantik und Dringlichkeitsrhetorik lag ebenso einer Aussage von Staatssekretär Martin Grüner zugrunde, der während einer parlamentarischen Fragestunde im Anschluss an den Verweis auf die im Energieprogramm festgeschriebenen Pläne zur Neugruppierung deutscher Mineralölunternehmen mit dem Ziel der »Sicherung der langfristigen Mineralölversorgung« betonte: »Die gegenwärtige Lage auf dem Mineralölmarkt hat die Notwendigkeit einer solchen Neugruppierung noch dringlicher gemacht.«360 Die vorgenannten Redefiguren bildeten schließlich den semantischen Begründungsrahmen für die Ministererlaubnis »zur Übertragung der Beteiligung der Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft an der Gelsenberg Aktiengesellschaft auf die Bundesrepublik Deutschland«, die Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs am 1. Februar 1974 erteilte und Wolfgang Kartte in dessen Auftrag am 12. Februar 1974 im Bundesanzeiger bekannt gab.361 So argumentierte auch Friderichs in seiner Begründung der Erlaubnis zunächst eng am novellierten Kartellgesetz, indem er konstatierte, dass »ein Zusammenschluß zu erlauben« sei, »wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen« werde »oder der Zusammenschluß durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt« sei. Zugleich machte der Minister von der ihm durch das Kartellgesetz übertragenen Deutungshoheit über diese semantisch leeren Bezeichnungen Gebrauch, betonte er doch, der Zusammenschluss diene »der langfristigen Sicherung der Mineralölversorgung der Bundesrepublik« und die »sich daraus ergebenden gesamtwirtschaftlichen Vorteile« überwögen »die mit der Verwirklichung dieses Zieles verbundenen Wettbewerbsbeschränkungen«. Dass das allgemeine Ziel der »Sicherung der Mineralölversorgung« seit Veröffentlichung des »Energieprogramms der Bundesregierung« eng mit deren konkreten Plänen zur Neugruppierung von Mineralölunternehmen verbunden war, machte Friderichs ebenfalls deutlich, indem er im Begründungstext zur Ministererlaubnis herausstellte, »die Neugruppierung der deutschen Mineralölinteressen« sei »für eine gesicherte Mineralölversorgung unerläßlich«. Mit dem Hinweis auf das im energiepolitischen Gesamtprogramm grundgelegte Ziel der Versorgungssicherheit stattete der Minister mithin die deutungsbedürftigen Redeweisen der »gesamtwirtschaftlichen Vorteile« sowie des »überragenden 359 Ebd., S. 9867. 360 VDB, 7. WP, 77. Sitzung, 25.1.1974, S. 4946. 361 Bekanntmachung über die Erteilung einer Erlaubnis nach § 24 Abs. 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: Bundesanzeiger, Jg. 26, Nr. 29, 12.2.1974.

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Interesses der Allgemeinheit« mit konkreten Bedeutungen aus, während der Verweis auf die Unvermeidbarkeit bzw. Unerlässlichkeit eines Zusammenschlusses von Mineralölunternehmen, der abermals Semantiken des Sachzwangs aufrief, diesem Vorhaben zusätzliche Legitimität verschaffen sollte. Außerdem setzte Friderichs seine eng am Text des Kartellgesetzes orientierte Argumentationslinie fort, indem er feststellte, »auch die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Märkten außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes« sei »zu berücksichtigen« und die »marktwirtschaftliche Ordnung« werde »durch die Erlaubnis nicht gefährdet«. Um den Einwand einer Gefährdung der »marktwirtschaftlichen Ordnung« zu widerlegen, bemühte der Minister den ebenfalls in der öffentlichen Diskussion bereits etablierten Vergleich deutscher, auf den nationalen Mineralölmarkt beschränkter Unternehmen mit multinationalen, weltweit operierenden Konzernen und betonte, auch nach einer Fusion von VEBA und Gelsenberg »wäre diese Gruppe im Weltmaßstab nur zu den mittleren Unternehmen zu zählen.«362 Ferner passte der Bundeswirtschaftsminister die Begründung der von ihm erteilten Ministererlaubnis nicht nur in die energiepolitisch fundierten Begründungszusammenhänge ein, die das Bundeskartellamt, sein Staatssekretär Martin Grüner, weitere Vertreter der Regierungsfraktionen und einige Wirtschafts­ journalisten zuvor bereits umrissen und hergestellt hatten. Die Kurzfristigkeit der Entscheidung – für die Erlaubniserteilung schöpfte der Minister nicht etwa die im Gesetz als Höchstgrenze vorgesehenen vier Monate Zeit aus, sondern ließ seinen Entschluss bereits rund dreieinhalb Wochen nach dem Veto des Bundeskartellamtes bekannt geben – weist zudem auf den Zusammenhang von Dringlichkeiten sowie beschleunigten Verfahrensabläufen und Sicherheitssemanti­ ken hin, der bereits in den Aussagen von Staatssekretär Martin Grüner und Bundesfinanzminister Helmut Schmidt deutlich geworden war. Dass Bundes­ wirtschaftsminister Hans Friderichs mit Verweis auf die Notwendigkeit zur »Sicherung der Mineralölversorgung« von den zuvor im Rahmen des novellierten »Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen« skizzierten Verfahrensabläufen abwich, wird besonders augenscheinlich mit Blick auf die Rolle der Monopolkommission, die ebenfalls erst im Zuge der zweiten Kartellnovelle gegründet worden war. Hatten Friderichs und sein Staatssekretär im Januar 1974 noch angegeben, die Monopolkommission um eine Stellungnahme zu bitten, hieß es zunächst in der Begründung der Ministererlaubnis, die Monopolkommission werde zu »den wettbewerblichen und strukturellen Aspekten der bevorstehenden Neugruppierung […] noch Stellung nehmen«,363 ehe die Bundesregierung die Monopolkommission schließlich »in einer Sitzung am 24.5.1974« davon in Kenntnis setzte, »daß mit dem in der Gemeinwohlentscheidung angekündigten Gutachtenersuchen nicht mehr zu rechnen sei.«364 362 Zit. n.: Konzern Veba-Gelsenberg: »Mittleres Unternehmen«, in: Handelsblatt, 8./9.2.1974. 363 Zit. n. ebd. 364 So deren eigene Darstellung in: Monopolkommission, Sondergutachten 2, S. 9.

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Gleichwohl beschloss die Monopolkommission auf ihrer Sitzung am 7. Juni 1974, von der ihr durch das Kartellgesetz gegebenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, nach eigenem Ermessen Gutachten zu erstellen. Für das Zusammenschlussvorhaben VEBA-Gelsenberg begründete das Gremium diesen Entschluss einmal damit, dass in diesem Fall die »Gemeinwohlklausel […] erstmals angewendet« worden sei, von deren »Auslegung […] die praktische Wirksamkeit der Fusionskontrolle wesentlich mitbestimmt« sein werde. Des Weiteren seien etwaige Gefährdungen der »marktwirtschaftliche[n] Ordnung« und die besondere Situation auf dem Mineralölmarkt zu berücksichtigen, auf dem »sowohl staatlich kontrollierte als auch multinationale Großunternehmen tätig« seien. Und nicht zuletzt gelte es, Auswirkungen auf andere Märkte in den Blick zu nehmen.365 Im Ergebnis ihres Sondergutachtens, das die Kommissionsmitglieder dem Bundeswirtschaftsminister am 22. April 1975 übergaben,366 bestätigte die Monopolkommission zunächst dessen politische Deutungshoheit über die leeren Signifikanten der sogenannten »Gemeinwohlklausel«, indem sie die »Auffassung« vertrat, »daß sich die gesamtwirtschaftlichen Vorteile und die überwiegenden Interessen der Allgemeinheit […] nur unter Zugrundelegung der von den zuständigen Verfassungsorganen formulierten Politik ermitteln« ließen. Das Gremium akzeptierte mithin »das im Energieprogramm der Bundesrepublik festgelegte Ziel einer langfristigen Sicherung der Mineralölversorgung als Konkretisierung dieser Gemeinwohlklausel.«367 Außerdem konnte die Monopolkommission nach eigener Aussage »die vom Bundesminister für Wirtschaft vorgetragene Auffassung nicht widerlegen, auf dem internationalen Rohölmarkt habe ein deutsches Unternehmen nur dann die erforderliche Verhandlungsstärke, wenn es die durch den Zusammenschluß geplante Größe und eine staatliche Kapitalbeteiligung habe.« Allerdings bemängelten die Kommissionsmitglieder, der Zusammenschluss hätte sich auf den Mineralölbereich beschränken müssen.368 Die Kernaussage aus dem Sondergutachten der Monopolkommission rief bei den Vertretern der Mineralölwirtschaft positive Resonanz hervor. So zeigte sich der Kommentator der Zeitschrift OEL, des Publikationsorgans der deutschen Mineralölindustrie, zufrieden, dass sich die Kommission der »Grundthese, daß die Fusion der beiden Unternehmen im Interesse einer Stärkung der deutschen Position im internationalen Ölgeschäft unbedingt notwendig war, gebeugt« habe. Auch dieser Artikel war eingepasst in die diskursive Leitdifferenz zwischen ökonomischer Theorie und wirtschaftlicher Praxis, wobei der Autor die Monopolkommission als Vertreter der ökonomischen Theorie einordnete, von denen im Vorhinein »eine Menge Ratschläge aus der ›reinen Lehre‹« zu 365 Ebd., S. 10. 366 Kritik an der Fusion Veba-Gelsenberg, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.4.1975. 367 Monopolkommission, Sondergutachten 2, S. 10. 368 Ebd., S. 11. Das Kommissionsmitglied Josef Murawski schloss sich dieser Mehrheitsmeinung nicht an; ebd., S. 12.

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erwarten gewesen seien. Angesichts der grundsätzlichen Bestätigung der energiepolitischen Zielsetzung hinter dem Fusionsvorhaben arbeitete er sich gleichwohl lediglich an den Kritikpunkten und Empfehlungen des Gremiums ab.369 Die Vertreter der Regierungskoalition wiederum demonstrierten in ihren Stellungnahmen zum Sondergutachten der Monopolkommission ihre Zufriedenheit und deuteten dessen Ergebnisse aus ihrer gewichtigen Sprecherrolle als Bestätigung für die Energiepolitik der Bundesregierung. Der FDP-Wirtschaftsexperte Otto Graf Lambsdorff und Bundeswirtschaftsminister Hans F ­ riderichs etwa nutzten die Gelegenheit, die diskursive Leitdifferenz zwischen Wettbe­ werbstheorie und Wirtschaftspolitik abermals zu perpetuieren. Lambsdorff zeigte sich im Deutschen Bundestag demonstrativ erfreut, dass die Monopolkommission »die wirtschaftspolitische Zielsetzung, die hinter dieser Fusion steckt, bestätigt« habe und verwies damit implizit auf die diskursive Gegenposition sowie das wettbewerbstheoretisch fundierte Veto des Kartellamtes. Daneben war er bestrebt zu betonen, dass seine Fraktion »die Fusion Veba-Gelsenberg […] von Anfang an begrüßt und diese Maßnahme für vernünftig« gehalten habe, womit er den Zusammenschluss zugleich wiederholt als vernunftgeleitet und sachlich geboten etikettierte.370 Bundeswirtschaftsminister Friderichs wiederum hob in derselben Debatte zunächst hervor, dass im Gutachten der Monopolkommission »neben einigen kritischen wettbewerbspolitischen Anmerkungen keine Einwendungen gegen die gesamtwirtschaftlich überwiegenden Gründe der Bundesregierung für den Zusammenschluß erhoben« worden seien. Hierbei aktualisierte der Minister erstens die Redefigur einer Differenz zwischen Wettbewerbstheorie und Wirtschaftspraxis, betonte er doch, das Gutachten habe »uns auf dem Weg einer realitätsbezogenen Fortentwicklung des Wettbewerbs einen erheblichen Schritt vorangebracht.« Zweitens verwies er erneut auf die energiepolitischen Ziele der Bundesregierung als Konkretisierung der »gesamtwirtschaftlich überwiegenden Gründe«, indem er konstatierte: »In diesem Falle hatte das energiewirtschaftliche Anliegen Priorität.« Das »Energieprogramm der Bundesregierung« fungierte hierbei abermals als wesentlicher argumentativer Referenzpunkt, betonte Friderichs doch, dass »eine konkrete politische Zielsetzung der Regierung, nämlich das Energieprogramm, Mitursache für die Einstellung der Monopolkommission zur Frage des Gemeinwohls war. Hier zeigt sich, wie wichtig es auch war, ein Programm zu formulieren, das damit auch als Gegenstand der dann nicht mehr nur nach wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilenden Fakten herangezogen werden konnte.«371 Hiermit wies der Bundeswirtschaftsminister noch einmal explizit auf die Begründungszusammenhänge des staatlich mitfinanzierten Zusammenschlusses von VEBA und Gelsenberg hin, der zwar bereits in den sechziger Jahren in Rede gestanden hatte, aber erst mehrere Jahre später begründbar geworden war. Denn 369 Monopol-Kommission nicht überzeugend, in: OEL, Jg. 13, H. 4, 1975, S. 115. 370 VDB, 7. WP, 167. Sitzung, 24.4.1975, S. 11653. 371 Ebd., S. 11657.

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erst die »Versicherheitlichung« der Energieversorgungsproblematik seit den frühen siebziger Jahren, zu dessen wesentlichen Indikatoren und zugleich Faktoren das »Energieprogramm der Bundesregierung« zählte, schuf einen semantischen Rahmen, in dem sich die Zusammenfassung großer Unternehmenseinheiten mit umfangreicher finanzieller Unterstützung des Bundes und die Zunahme von Bundesanteilen an einem Konzern plausibilisieren ließ, der wenige Jahre zuvor noch teilprivatisiert worden war. Außerdem bestätigten und konkretisierten die energiepolitischen Ziele der Bundesregierung, die in deren energiepolitischem Grundsatzprogramm festgeschrieben waren, zugleich die veränderte Definition der Grenzen zwischen Staat und Wirtschaft, die seit den späten sechziger Jahren entlang der Leitunterscheidung Wettbewerbstheorie – Wirtschaftspolitik gezogen worden waren. Hatten die Privatisierungsbefürworter der jungen Bundesrepublik noch auf der Trennung von Wirtschaft und Staat insistiert, um einer Beeinflussung des wettbewerbsförmigen ökonomischen Geschehens vorzubeugen, galt eine derartig strikte Trennung fortan nicht mehr. Vielmehr waren seit der zweiten Kartellgesetznovelle »wettbewerbstheoretische« den »wirtschaftspolitischen« bzw. »gesamtwirtschaftlichen« Erwägungen nachgeordnet, die zudem der Bundeswirtschaftsminister im konkreten Einzelfall mit Bedeutung(en) zu versehen hatte. Die energiepolitischen Ziele des Energieprogramms dienten einer solchen Konkretisierung und bildeten mithin nicht nur den Begründungrahmen für den Zusammenschluss von VEBA und Gelsenberg, sondern dienten zugleich als Bestätigung für die Unterscheidung wettbewerbstheoretischer Orientierungspunkte einerseits und wirtschaftspolitischer Ziele andererseits. Im Anschluss an die Ausführungen zum Gutachten der Monopolkommission fügte Bundeswirtschaftsminister Friderichs schließlich an: »Entscheidend aber, glaube ich, ist jetzt die Aktivität dieses neuen Konzerns.«372 Damit verwies er auf die Frage, ob der neu geschaffene Mineralölkonzern in der Lage war, die mit dem Zusammenschluss verbundenen energiepolitischen Erwartungen zu erfüllen. 2.5 Enttäuschte Erwartungen und das Ende des »nationalen Mineralölkonzerns« Nachdem der Bundeswirtschaftsminister in seiner Erlaubnisentscheidung die wettbewerbstheoretischen Bedenken gegen das Zusammenschlussvorhaben VEBAGelsenberg für nachrangig gegenüber »gesamtwirtschaftlichen« Erwägungen erklärt hatte, konnte die Bundesregierung das angestrebte Fusionsverfahren weiter vorantreiben. In der Regierungserklärung anlässlich seiner Wahl zum Bundeskanzler gab Helmut Schmidt am 17. Mai 1974 dann auch zufrieden bekannt, die Bundesregierung sei bei der »Zusammenfassung deutscher Mineralölgesellschaften zu einer im internationalen Maßstab handlungsfähigen Unternehmenseinheit«, die er ein »Kernstück« des energiepolitischen Gesamt372 Ebd.

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programms nannte, »ein gutes Stück weitergekommen«. Zugleich jedoch kündigte der Bundeskanzler an, der Bund werde »den Zusammenschluß von VEBA und Gelsenberg im Rahmen des VEBA-Konzerns noch in dieser Legislaturperiode verwirklichen«.373 Diese Aussage ist bemerkenswert, hatte Schmidt das Amt des Bundeskanzlers doch inmitten der laufenden Legislaturperiode übernommen, die zu diesem Zeitpunkt noch mehr als zwei Jahre andauern würde. Der Satz lässt sich somit einerseits als Hinweis auf hemmende Faktoren deuten, die den angestrebten Zusammenschluss verzögerten. Derlei Hemmnisse sprach Schmidt sogar explizit an, indem er ankündigte: »Die Widerstände  – übrigens nicht von der Mineralölwirtschaft, sondern aus der Ruhrindustrie – werden wir überwinden.«374 Gemeint war damit Hans-Günther Sohl, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und Aufsichtsratsvorsitzender der Gelsenberg AG, der sich laut einem Bericht der Zeit weigerte, den Aufsichtsratsvorsitz bei der GBAG an VEBA-Chef Rudolf von Bennigsen-Foerder zu übergeben, und damit den »Mittelpunkt des Widerstandes gegen eine Einverleibung von Gelsenberg in die Veba« bildete. Die mediale Berichterstattung folgte erneut dem Muster der Personalisierung, nannte der Zeit-Redakteur Sohl doch Helmut Schmidts »Intimfeind« sowie einen »hartgesottene[n] Königsberger« und brach das Vorhaben des Bundeskanzlers auf die Formel herunter: »Schmidts Plan: den widerborstigen Sohl von seinem Stuhl zu kippen und ihn durch den Veba-Generaldirektor Rudolf von Bennigsen-Förder zu ersetzen.«375 Ein Blick über die personalen Konstellationen hinaus, die der Bundeskanzler selbst mit seiner Aussage offenbar bereitwillig in den Vordergrund zu rücken suchte, vermag dagegen einzufangen, dass die Bundesregierung im Anschluss an die rasch durchgeführte Übernahme der GBAG-Beteiligung die anvisierte Fusion – zumindest gemessen an der zuvor kommunizierten Dringlichkeit – zögerlich vorantrieb. So übertrug das Kabinett zwar noch im Frühjahr 1974 die treuhänderische Verwaltung der GBAG-Beteiligung des Bundes und das dem Bund nach der Anteilsübernahme zustehende Aufsichtsratsstimmrecht bei der Gelsenberg AG an die VEBA. Zum selben Zeitpunkt fehlte allerdings noch das erforderliche Gutachten über das Wertverhältnis der Aktien beider Gesellschaften, auf dessen Grundlage die Modalitäten der Fusion durch Umtausch von Aktien festgelegt werden mussten.376 Dass die Bundesregierung zudem gleich drei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit einem solchen Wertgutachten beauftragte – die Schitag, Schwäbische Treuhand AG arbeitete zusammen mit der Treuarbeit AG und der Dr. Rätsch & Co. GmbH, die zuvor die Abschlüsse von VEBA und Gelsenberg geprüft hatten –, verschaffte dem Zusammenschluss und dessen Bedingungen zwar eine breitere Legitimationsbasis, verzögerte jedoch das Verfahren.377 373 VDB, 7. WP, 100. Sitzung, 17.5.1974, S. 6603. 374 Ebd. 375 Schuß auf den Kontrolleur, in: Die Zeit, 24.5.1974. 376 Ebd. 377 BT-Drucksache VII/2724, S. 2.

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In ihrem Gutachten, das schließlich Ende Oktober 1974 vorlag,378 bezifferten die drei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften das Wertverhältnis auf eine VEBAAktie zu 1,7 bis 1,8 Gelsenberg-Aktien, was einem Umtauschverhältnis von vier zu sieben entsprochen hätte. Dass die Tauschmodalitäten für die Aktionäre der Gelsenberg jedoch weitaus günstiger ausfielen, ist auf eine Vereinbarung zwischen dem VEBA-Vorstand und der Bundesregierung zurückzuführen, die das Kabinett in seinem Antrag gegenüber dem Deutschen Bundestag zur Einwilligung in das Tauschgeschäft erläuterte. Demnach war einmal der VEBA an einer »möglichst große[n] Beteiligung der Gelsenberg-Aktionäre an dem Umtausch« gelegen, um die »Kooperationsvorteile« mit der GBAG bestmöglich nutzen zu können. Diese »unternehmerischen« Gründe verband die Bundesregierung in ihrem Antrag wiederum mit den eigenen »energiepolitischen Zielsetzungen«,379 die das Kabinett abermals unter Verweis auf das »Energie­programm« und die darin formulierten Ziele der »langfristigen Sicherung unserer Energieversorgung« sowie der Schaffung eines »leistungsfähige[n] deutsche[n] Mineralölunternehmen[s]« konkretisierte.380 So wollte die Bundesregierung nach eigenen Angaben »nicht nur aus den von der VEBA dargelegten unternehmerischen Gründen, sondern auch im Hinblick auf ihre energiepolitischen Zielsetzungen Wert darauf legen, daß für die Kooperation beider Gesellschaften eine breite und dauerhafte Grundlage geschaffen« werde.381 Folglich unterbreitete die VEBA den Aktionären der Gelsenberg am 30. Oktober 1974382 ein bis zum 17. Dezember desselben Jahres befristetes Angebot zum Tausch von fünf GBAG-Aktien gegen vier Anteilspapiere der VEBA. Hinzu kam die Auszahlung eines Barbetrags in Höhe von 6 DM je verkaufter Gelsenberg-Aktie, um die Dividendenunterschiede der Papiere auszugleichen. Die deutliche Verbesserung des Umtauschangebots an die GBAG-Aktionäre war nur möglich, da die Bundesregierung der VEBA eine Zuzahlung von dreißig DM auf jede getauschte GBAG-Aktie mit einem Nennwert von einhundert DM zusicherte,383 die aus Mitteln des Bundeshaushalts – die zu zahlende Summe bezifferte die Bundesregierung in ihrem Antrag auf »bis zu 145,5 Millionen DM« – finanziert werden sollte.384 Zusammen mit den Aufwendungen für den Erwerb der GBAG-Anteile brachte der Bund für die angestrebte Fusion von VEBA und Gelsenberg mithin rund achthundert Millionen DM auf.385

378 Öl-Fusion ist perfekt, in: Handelsblatt, 30.10.1974. 379 BT-Drucksache VII/2724, S. 2. 380 Ebd., S. 1. 381 Ebd., S. 2. 382 Radzio, S. 254. 383 BT-Drucksache VII/2724, S. 2. 384 Ebd., S. 3 385 Da der Bund als Hauptaktionär der Gelsenberg von der schließlich gewählten Lösung zweifellos zugleich finanziell profitierte, ist die tatsächliche Belastung des Bundeshaushalts freilich geringer zu veranschlagen. So bezifferte die Bundesregierung selbst den Anteil der

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Nachdem der Deutsche Bundestag auf Empfehlung des Haushaltsausschusses386 am 15. November 1974 dem Antrag der Bundesregierung ohne weitere Aussprache zugestimmt hatte,387 beschloss die außerordentliche Hauptversamm­ lung der VEBA am 12. Dezember desselben Jahres mit Zustimmung des Bundes als Hauptaktionär eine Erhöhung des Grundkapitals um 388 Millionen DM, um das für den Eintausch benötigte Kapitalvolumen zu schaffen. Allerdings musste die Umtauschfrist noch einmal bis zum 24. Januar 1975 verlängert werden – bis Mitte Dezember 1974 waren lediglich etwa 75 Prozent des GBAG-Grundkapitals zur VEBA übergegangen –,388 ehe rund 96 Prozent der Gelsenberg-Anteile der VEBA gehörten und damit die Voraussetzungen für die angestrebte Eingliederung erfüllt waren. Die Eingliederungsbeschlüsse der Hauptversammlungen von GBAG und VEBA erfolgten schließlich am 16. Juli und am 29. August 1975. Die prozentuale Beteiligung des Bundes an der VEBA stieg im Zuge des Zusammenschlusses von rund 40,2 auf circa 43,7 Prozent.389 Dass der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung den Abschluss der angestrebten Fusion für das »Ende der Legislaturperiode« in Aussicht stellte, lässt sich andererseits ebenso als Indikator dafür deuten, dass der argumentative Zusammenhang zwischen Sicherheitssemantik und Dringlichkeitsrhetorik, der sowohl den Prozess energiepolitischer Neuorientierung seit den frühen siebziger Jahren als auch die vorangegangenen Bemühungen um einen Zusammenschluss deutscher Mineralölunternehmen gerahmt hatte, an Plausibilität eingebüßt hatte. Diese Beobachtung belegen die Einlassungen des Bundesrechnungshofes, der nicht nur Kritik an der Bewilligung »außerplanmäßiger Ausgaben« zum Zwecke des Zusammenschlusses von VEBA und Gelsenberg formulierte. Außerdem konzedierten die Beamten in ihren »Bemerkungen« zum Bundeshaushaltsplan für das Jahr 1973 mit Blick auf die energiepolitischen Begründungen des Bundesfinanzministers: »Es mag zutreffen, daß es  – aus damaliger Sicht  – notwendig war, die Gelsenberg-Beteiligung noch im Jahre 1973 zu erwerben.«390 Damit gestanden sie zwar die energiepolitische Notwendigkeit zum schnellen Erwerb der Gelsenberg-Beteiligung zu, verwiesen aber durch den Einschub »aus damaliger Sicht« zugleich darauf, dass die angesichts rasant steigender Ölpreise vorherrschende Dringlichkeit des Herbstes 1973 nicht mehr bestehe. Im Anschluss an Eckart Conze lassen sich diese Beobachtungen mit dem ­Etikett der »Entsicherheitlichung« versehen. Komplementär zum analytischen Zuschusszahlung aus der Bundeskasse, der auf das GBAG-Paket des Bundes entfiel, auf »rd. 75 Millionen DM«; ebd., S. 3. 386 BT-Drucksache VII/2815. 387 VDB, 7. WP, 132. Sitzung, 15.11.1974, S. 8958. 388 »Die Veba geht den richtigen Weg«, in: Handelsblatt, 13./14.12.1974. 389 Radzio, S. 254–255; R. v. Bennigsen-Foerder, VEBA AG  – der deutsche Energiekonzern. Aussichten und Wirkungsmöglichkeiten einer neuen deutschen Mineralölgesellschaft, in: Glückauf, Jg. 111, 1975, S. 824–828, hier: S. 824. 390 BT-Drucksache VII/2709, S. 17.

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Begriff der »Versicherheitlichung« meint »Entsicherheitlichung«, so Conze erneut unter Verweis auf die Kopenhagener Schule für Internationale Beziehungen, einen Prozess der »Rückkehr zu normbestimmter und regelhafter politischer Kommunikation angesichts einer nicht mehr als existenzgefährdend wahrgenommenen oder dargestellten Situation«.391 Fraglos blieb die »Sicherung der Energieversorgung« über das unmittelbare Bedrohungsszenario des Winters 1973/74 hinaus eines der zentralen energiepolitischen Ziele der Bundesregierung(en). Energieversorgungsfragen waren somit auch weiterhin mit einer Semantik der Sicherheit ausgestattet. Zugleich deuten sowohl die Regierungserklärung Schmidts als auch die Einlassungen des Bundesrechnungshofes allerdings darauf hin, dass die an die Energieversorgungsproblematik gebundenen Sicherheitssemantiken sich schon im Jahr 1974 nicht mehr erfolgreich mit Verweisen auf Dringlichkeiten und Abweichungen von hergebrachten Verfahrensabläufen verknüpfen ließen. Ein spezifischer semantischer Gehalt von »Sicherheit« hatte offenkundig seinen argumentativen Nutzen verloren. Dass sich Verweise auf Dringlichkeiten und notwendige Verfahrensbeschleunigungen nicht mehr in Verbindung mit Sicherheitssemantiken plausibilisieren ließen, ist vor allem auf strukturelle Veränderungen des bundesdeutschen Mineralölmarktes zurückzuführen, an denen sich seit Mitte der siebziger Jahre auch die mit der Bildung eines nationalen Mineralölkonzerns verbundenen Erwartungen brachen. »Die Veba wird durch die Zusammenfassung mit Gelsenberg das größte integrierte deutsche Energieunternehmen werden. Wenn man den Umsatz als Maßstab nimmt, sogar das größte deutsche Unternehmen überhaupt«, sagte Ministerialdirektor Ernst Pieper im November 1974 im Gespräch mit dem Handelsblatt392 und schürte damit noch einmal zusätzlich die Erwartungen an eine Fusion der beiden Gesellschaften zu einem integrierten Mineralölkonzern. Angesichts der von Pieper angesprochenen Wirtschaftsstärke des Unternehmens richteten sich die Erwartungen der politischen Entscheidungsträger, der beteiligten Gesellschaften, der Wirtschaftspresse wie auch der breiteren Öffentlichkeit dann auch vorwiegend auf die durch den Zusammenschluss verbesserten Möglichkeiten der Rohölbeschaffung, die dessen Befürworter auf die Größe und wirtschaftliche Stärke, den vertikalen Integrationsgrad sowie die hohe Staatsbeteiligung des Konzerns zurückführten. So zählte beispielsweise Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs in einem Interview mit der Zeit, das im März 1974 erschien, »eine bestimmte Menge an Durchsatzvolumen, wie eine bestimmte Finanzkraft« zu den – vom neuen Konzern VEBA-Gelsenberg freilich erfüllten – notwendigen Voraussetzungen, »um im internationalen Konzert mitspielen zu können.«393 Die auf den internationalen Beschaffungsmärkten gestärkte Position des Unternehmens betonte im Juli desselben Jahres auch Rudolf von Bennigsen-Foerder, der gegenüber dem 391 E. Conze, Securitization, S. 459. 392 Veba wird nicht zum Erfüllungsgehilfen, in: Handelsblatt, 22./23.11.1974. 393 Bonns neue Öl-Diplomatie, in: Die Zeit, 29.3.1974.

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Handelsblatt sagte, dass »hier eine Gruppe geschaffen wird, die international wenigstens ein gewisses Gewicht hat.«394 Hieraus zog der VEBA-Vorstandschef den Schluss, dass »der größte deutsche Industrie- und Handels-Konzern […] für die Förderländer und auch für die internationalen Gesellschaften ohne Zweifel ein gewichtiger Gesprächspartner sein« werde.395 Ministerialdirektor Ulrich Engelmann hob in einem Aufsatz ebenso auf die durch Wirtschaftskraft und Größe der Gesellschaft verbesserten Kooperationsmöglichkeiten mit den Erdölförderländern ab und schrieb: »Durch die Zusammenführung von VEBA und Gelsenberg ist ein Unternehmen entstanden, das von seinem Abnahmepotential und seiner Finanzkraft her ein vollwertiger Partner der Förderländer sein kann.«396 Die Politikwissenschaftlerin Nicoline Kokxhoorn pflichtete dieser Einschätzung ebenfalls bei und urteilte, durch den Zusammenschluss werde die deutsche Mineralölindustrie »als effizienter, erfahrener und starker Verhandlungspartner der Ölförderländer und als Alternative zu den internationalen Ölkonzernen« wahrgenommen.397 Die erwartete Verbesserung der Kooperationsmöglichkeiten sowohl mit den ölfördernden Staaten als auch den multinationalen Großkonzernen führten die Befürworter der Fusion ebenso auf den gesteigerten Integrationsgrad der Gesellschaft zurück. Rudolf von Bennigsen-Foerder etwa verwies in einem Beitrag für die Bergbaufachzeitschrift Glückauf darauf, dass das von ihm geführte Unternehmen »auf allen Gebieten des Mineralölgeschäftes eine wirkungsvolle Zusammenarbeit anbieten« könne. Hierbei gehe es, so der VEBA-Vorstandsvorsitzende weiter, nicht ausschließlich um Explorationsvorhaben im Rahmen der DEMINEX. Vielmehr habe die VEBA zudem »eine Projektabteilung geschaffen, die die Entwicklung der Volkswirtschaften der ölexportierenden Staaten unterstützen und fördern« werde, und strebe darüber hinaus auch im Verarbeitungsbereich eine Zusammenarbeit mit den Förderländern an.398 Erleichtert würde die Zusammenarbeit nach Ansicht der Zeitgenossen außerdem durch den hohen VEBA-Staatsanteil von rund 43 Prozent, erschien die Beteiligung des Bundes doch als Vorteil in den Verhandlungen mit den Regierungen der Förderländer, die seit Herbst 1973 zwischenstaatliche Lieferverträge unter Ausschluss der multinationalen Mineralölkonzerne bevorzugten. Otto Graf Lambsdorff etwa vertrat schon im Januar 1974 gegenüber dem Handelsblatt die Auffassung, »daß die Ölförderländer, vor allem Persien, sowohl für den Absatz ihres Rohöls wie für die Zusammenarbeit beim Ausbau ihrer Infra394 Zit. n.: »Veba-Gelsenberg muß bald kommen«, in: Handelsblatt, 4.7.1974. 395 Öl-Fusion ist perfekt, in: Handelsblatt, 30.10.1974. 396 U. Engelmann, Der neue deutsche Energiekonzern Veba / Gelsenberg. Eigenständige, auch im internationalen Maßstab leistungsfähige Mineralölgruppierung durch Zusammenführung von Veba und Gelsenberg, in: ÖWG, Jg. 24, 1975, S. 69–70, hier: S. 70. 397 Kokxhoorn, S. 198. 398 Bennigsen-Foerder, VEBA, S. 827. Grundsätzliche Überlegungen zu Möglichkeiten der Koope­ration mit den Förderstaaten stellte der VEBA-Chef bei einer Tagung zum Thema »Zukunftsorientierte Energiepolitik« an: von Bennigsen-Foerder.

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struktur einen Partner mit der Autorität des Staates wünschten.«399 Im Gespräch mit Journalisten derselben Zeitung nannte Ministerialdirektor Ernst Pieper die Bildung »von gemischten Regierungsdelegationen, die sich aus Vertretern der Bundesregierung und der freien Wirtschaft zusammensetzen«,400 um mit den Regierungen der Förderstaaten in Verhandlung zu treten, eine Form der »Gemeinsamkeit von Staat und Wirtschaft«, die »sich bewährt« habe.401 Der für Die Zeit schreibende Wirtschaftsjournalist Heinz-Günter Kemmer adaptierte in diesem Zusammenhang die im Sprechen über Staatlichkeit gebräuchliche Schiffsmetaphorik und verwies auf die Möglichkeit des VEBA-Vorstandschefs, »im Ausland die Bundesflagge zu zeigen. Als Kapitän eines Staatskonzerns liegt er auf richtigem Kurs, weil die nahöstlichen Ölländer zumindest im Augenblick mehr an Partnerschaft mit Regierungen als mit Privatunternehmen interessiert sind.«402 Dass Kemmer den Vorstandsvorsitzenden der VEBA hierbei als »Kapitän« titulierte, macht deutlich, dass die Bundesregierung nicht die von den Förderländern anvisierten bilateralen Lieferverträge auf Regierungsebene abzuschließen beabsichtigte, sondern den Mineralölunternehmen die Verhandlungsführung überließ. Diese Position bekräftigte Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs in dem oben erwähnten Zeit-Interview vom März 1974 mit den Worten: »Man soll das Geschäftemachen den Firmen überlassen. Wir Politiker müssen versuchen, die politischen Voraussetzungen zu schaffen, daß auch in schwierigen Zeiten […] Abmachungen zwischen Unternehmen der deutschen Seite und Förderländern getroffen werden können. Aber die Politiker sollten sich aus Verhandlungen über Preise, Konditionen und anderes heraushalten.« Hierbei betonte der Minister ausdrücklich den »Unterschied zu anderen westlichen Nachbarländern« und spielte damit auf die Regierungen Frankreichs und Italiens an, die ihrerseits bilaterale Vereinbarungen mit denen von Saudi-Arabien und Kuweit getroffen hatten.403 In den ersten Monaten nach dem Zusammenschluss schienen sich die positiven Erwartungen, die an die Fusion geknüpft waren, zu bestätigen. So konstatierte Rudolf von Bennigsen-Foerder in dem oben erwähnten Aufsatz für Glückauf: »Schon die ersten Kontakte haben gezeigt, daß eine leistungsfähige deutsche Ölgesellschaft mit einer Bundesbeteiligung von 43 % bei den Regierungen der Ölstaaten auf eine bemerkenswert große Bereitschaft zur Zusammenarbeit trifft.«404 Auch Ministerialdirektor Ulrich Engelmann stellte zur gleichen Zeit zufrieden fest: »Die Bildung des deutschen Energiekonzerns hat vor allem auch in den Erdölförderländern ein positives Echo hervorgerufen. Die zunehmenden Kooperationsangebote zeigen, daß wir auf dem richtigen Wege 399 Friderichs nimmt kein Amt bei Gelsenberg, in: Handelsblatt, 11./12.1.1974. 400 Veba wird nicht zum Erfüllungsgehilfen, in: Handelsblatt, 22./23.11.1974. 401 Zit. n. ebd. 402 Loyal – doch nicht devot, in: Die Zeit, 22.11.1974. 403 Bonns neue Öl-Diplomatie, in: Die Zeit, 29.3.1974. 404 Bennigsen-Foerder, VEBA, S. 827.

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sind.«405 Als Beleg für diese Beobachtungen mochte der Liefervertrag mit SaudiArabien über 15 Millionen Tonnen Rohöl gelten, den die VEBA im Herbst 1974 aushandeln konnte406 und den Heinz-Günter Kemmer in der Zeit dann auch einen »erste[n] Erfolg« nannte.407 Für die Möglichkeiten des neuen VEBA-Konzerns zur Zusammenarbeit mit den multinationalen Großkonzernen sollte beispielhaft die Kooperationsvereinbarung mit der Gulf Oil stehen, die Rudolf von Bennigsen-Foerder im Rahmen der Pressekonferenz anlässlich des vorläufigen VEBA-Konzernabschlusses für das Geschäftsjahr 1974 bekannt gab.408 Das positive Echo auf diese Mitteilung entstammte vor allem der erwartungsvollen Beobachtung, dass »Gulf bisher immer einen verhältnismäßig hohen Überschuß an Rohöl hatte, an dem jetzt die Veba AG partizipieren könnte«.409 Unter Verweis auf derlei positive Aussichten gab sich der SPD-Abgeordnete Adolf Schmidt vor dem Deutschen Bundestag optimistisch und stellte zufrieden fest: »[D]a fädelt sich etwas ein, worüber, wenn es gelingt, wir alle glücklich sein könnten.«410 Gerade einmal ein Jahr später, im Mai 1976, richtete der CSU-Bundestagsabgeordnete Hermann Höcherl an die Bundesregierung die Frage, ob das Kabinett »nach den bisherigen Erfahrungen die Fusion Veba-Gelsenberg ein zweites Mal durchsetzen« würde.411 In seiner Antwort legte Martin Grüner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsministerium, erneut Wert auf die Feststellung, die Bundesregierung habe den Zusammenschluss nicht »durchgesetzt«, sondern vielmehr die Bestrebungen der VEBA »unterstützt«. Abermals referierte er auf die vormalige »Aufsplitterung der mineralölwirtschaftlichen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland« und die »grundlegende Veränderung der mineralölpolitischen Lage in der Welt«, auf die das Bundeskabinett mit der Bildung eines »im internationalen Maßstab interessanten deutschen Kooperationspartner[s]« habe adäquat reagieren können.412 Den Hintergrund der Frage, die auf die »bisherigen Erfahrungen« im Anschluss an den Zusammenschluss zielte, bildeten jedoch offenbar Entwicklungen auf dem Mineralölsektor, die in einem Spannungsfeld zu den Erwartungen an die Bildung eines vertikal integrierten deutschen Mineralölkonzerns standen.

405 Engelmann, Energiekonzern, S. 70. 406 Für diese Lesart sprach sich – abermals unter Verweis auf den »Beitrag« des Liefervertrages zur »Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung« – auch der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesfinanzministerium, Konrad Porzner, aus; VDB, 7. WP, 134. Sitzung, 5.6.1974, S. 9179. 407 Loyal – doch nicht devot, in: Die Zeit, 22.11.1974. 408 Zusammenarbeit Veba-Gulf Oil, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.3.1975; Mit Gulf unter die Nordsee, in: Wirtschaftswoche, 21.3.1975. 409 G. Gebhardt, Veba AG. Integration der Gelsenberg AG – Zusammenarbeit mit Gulf Oil, in: Glückauf, Jg. 111, 1975, S. 349–351, hier: S. 350. 410 VDB, 7. WP, 167. Sitzung, 24.4.1975, S. 11707. 411 BT-Drucksache VII/5094, S. 4. 412 VDB, 7. WP, 239. Sitzung, 7.5.1976, S. 16762.

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Vordergründig war dies das Scheitern der angestrebten Zusammenarbeit mit der Gulf Oil, die im Frühjahr 1975 über ihre Londoner Europazentrale den Abbruch der Kooperationsgespräche bekannt gegeben und mit »derzeit veränderte[n] Bedingungen« begründet hatte.413 Grundlegender und damit schwerwiegender waren allerdings die strukturellen Veränderungen auf dem bundesdeutschen Mineralölmarkt, auf die Rudolf von Bennigsen-Foerder in seinem Aufsatz über die hinter dem Zusammenschluss stehenden Überlegungen ebenfalls bereits hingewiesen hatte. So hatte der VEBA-Vorstandsvorsitzende unter anderem prognostiziert, dass die Nachfrage nach Mineralölprodukten »erst 1980 wieder das Niveau von 1973 erreichen« werde und die Auslastung der Verarbeitungsanlagen daher »bis 1980 auf unter 60 % nach 83 % in 1973 zurückgehen« werde. Hinzu komme außerdem die »Absicht der Ölstaaten, statt Rohöl mehr Produkte zu exportieren«, welche »die einheimische Produktion noch mehr zurückzudrängen« drohe. Folglich hatte Bennigsen-Foerder schon Anfang 1975 gewarnt: »Insgesamt werden in Europa für 1980 auf dem Raffineriesektor Überkapazitäten von 200 bis 250 Mill. jato erwartet. Diese werden besonders zu Lasten der deutschen Raffinerien gehen, da der Import von Fertigprodukten in die Bundesrepublik besonders leicht ist.«414 Ein ähnlich düsteres Bild hatte bereits Ende 1974 ein Autor der Zeitschrift OEL gezeichnet und mit Blick auf die Preissituation auf dem deutschen Mineralölmarkt vorgerechnet: »Der durchschnittliche Rohöleinstandspreis für die deutschen Raffinerien bewegt sich heute um 235 DM / t. […] Sieht man sich nun die Erlösseite an, so stellt man fest, daß in der Bundesrepublik Mitte April [1974] ex Raffinerie für schweres Heizöl zwischen 165 und 175 DM je t erzielt wurden, für leichtes Heizöl zwischen 210 und 220 DM. Das aber heißt: Die beiden mengenmäßig bedeutendsten Produkte […] erbringen nicht einmal die durchschnittlichen Rohöleinstandskosten«. Zugleich warnte der Autor vor den möglichen Schlussfolgerungen aus einem solchen »Preisverfall, wie er hier einmal mehr durch Marktlage und Wettbewerb erzwungen« worden sei: »Die Konsequenz läge nicht mehr im Rückfahren, sondern im Stillegen von Raffinerien.«415 Dass derlei pessimistische Prognosen durchaus begründet waren, zeigte sich nur wenige Monate später, wirkten sich doch die von Bennigsen-Foerder beschriebenen »Strukturprobleme der Mineralölwirtschaft in der Bundesrepublik«416 seit 1975 auch auf die wirtschaftliche Situation der VEBA aus. Hatte der Gesamtkonzern im Geschäftsjahr 1974 die durch den Nachfragerückgang417 und die anhaltend hohen Rohölkosten bedingten Verluste im Mineralölbereich noch durch

413 Zit. n. Radzio, S. 270. 414 Bennigsen-Foerder, VEBA, S. 828. 415 Alles wie gehabt?, in: OEL, Jg. 12, H. 4, 1974, S. 89. 416 Bennigsen-Foerder, VEBA, S. 828. 417 Der Mineralölverbrauch ging in der Bundesrepublik 1974 um 9,7 Prozent zurück; Primärenergieverbrauch 1974 rückläufig, in: Glückauf, Jg. 111, 1975, S. 307.

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positive Ergebnisse in anderen Konzernbereichen ausgleichen können,418 fanden die negativen Entwicklungen im Mineralölgeschäft seit 1975 auch im Konzernergebnis der VEBA einen deutlichen Niederschlag. Allein im Mineralölbereich, dessen Verarbeitungsanlagen seit Anfang 1975 nur rund zur Hälfte ausgelastet waren,419 entstanden im selben Jahr Verluste von 460 Millionen DM. Der Gesamtüberschuss ging von rund 227 Millionen DM im Vorjahr auf etwa 152 Millionen DM zurück, die Aktiendividende musste von 15 auf zwölf Prozent gesenkt werden.420 Vertreter der Wirtschaftspresse werteten diesen »drastischen Ertragsverfall«421 im »Öl-Sumpf«422 als »Katastrophe«423 und merkten süffisant an: »Die erste Frucht aus der ›Elefantenhochzeit‹ Veba-Gelsenberg kann man also nicht gerade als glückliches Ereignis bezeichnen.«424 Während der Hauptversammlung im August 1976 sah sich der VEBA-Vorstand sogar öffentlichkeitswirksamer Kritik eines Aktionärs ausgesetzt, der einen Misstrauensantrag stellte und in seiner mündlichen Begründung die Konzernleitung unter Verweis auf die mit umfangreicher finanzieller Unterstützung des Bundes vollzogene Eingliederung der GBAG sowie die hohen Verluste im Mineralölgeschäft als »ungeeignet für ihre Aufgabe« bezeichnete.425 Die VEBA-Geschäftsleitung reagierte auf die schwierige wirtschaftliche Situation zum einen mit organisatorischen und strukturellen Anpassungen. So wurden beispielsweise in den Monaten Juli und August 1975 die Raffinerien in Gelsenkirchen teilweise und in Emden vollständig heruntergefahren. Zwischen Juli und September 1975 stellten sowohl die Veba-Chemie AG als auch die Gelsenberg AG auf Kurzarbeit um.426 Anfang 1977 entschied sich die Leitung der Veba-Chemie AG sogar zum Verkauf der Erdölwerke Frisia AG, deren Anlagen über eine Verarbeitungskapazität von etwa 2,4 Millionen Tonnen verfügten427 und erst im August 1973 in den Besitz der VEBA-Tochter gelangt waren.428 Daneben war der VEBA-Vorstand seit 1975 bestrebt, die Raffinerieproduktion noch stärker an der Nachfrage zu orientieren und den Bau von Konversionsanlagen zu forcieren, die chemische Weiterverarbeitung zu stärken sowie durch Teil­ 418 G. Gebhardt, Veba AG. Integration der Gelsenberg AG – Zusammenarbeit mit Gulf Oil, in: Glückauf, Jg. 111, 1975, S. 349–351, hier: S. 350. 419 G. Gebhardt, Veba-Chemie AG. Wachsende Verluste im Mineralölgeschäft, in: Glückauf, Jg. 111, 1975, S. 591. 420 Veba will sich durchboxen, in: OEL, Jg. 14, H. 3, 1976, S. 63. 421 Starker Ertragsbeinbruch bei der Veba, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.12.1975. 422 Verluste im Öl-Sumpf, in: Wirtschaftswoche, 11.7.1975. 423 Macht uns kaputt, in: Der Spiegel, 2.6.1975. 424 Verluste aus der »Elefantenhochzeit«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.5.1975. 425 Zit. n.: Die Gelsenberg-Fusion im Mittelpunkt der Veba-Hauptversammlung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.8.1976. 426 G. Gebhardt, Chemie AG. Wachsende Verluste im Mineralölgeschäft, in: Glückauf, Jg. 111, 1975, S. 591. V. Bennigsen: Versorgungssicherheit wird kleiner geschrieben, in: Glückauf, Jg. 111, 1975, S. 739–741, hier: S. 741. 427 VEBA verkauft die Frisia, in: ÖWG, Jg. 26, 1977, S. 63. 428 Radzio, S. 268, 270.

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stilllegungen im Umfang von etwa vier Millionen Tonnen Verarbeitungskapazität weitere Kosten zu sparen.429 Zum anderen galt den Zeitgenossen als wesentliche Ursache für die diffizile wirtschaftliche Situation deutscher Mineralölunternehmen im Allgemeinen sowie der VEBA im Besonderen der großzügige Regulierungsrahmen in der Bundesrepublik, der den westdeutschen Mineralölmarkt zum »liberalsten Markt Europas«430 und damit zugleich zur »Müllkippe Europas«431 gemacht habe, auf der »alle überschüssigen Mineralölmengen […] abgeladen«432 würden. Angesichts dieser allegorischen Problemdiagnose konstatierte ein Spiegel-Redakteur schon im Juni 1975: »Wirksame Hilfe kann die Veba nur aus Bonn erhoffen, sei es durch direkte Zuschüsse oder durch staatliche Behinderung der Billigöl-Einfuhren.«433 Derlei regulierende Eingriffe in den Mineralölmarkt forderte Rudolf von Bennigsen-Foerder dann auch bereits während der VEBA-Hauptversammlung im August 1975 ein, indem er mahnte: »Wenn der gegenüber Importen sicheren Versorgung aus inländischen Raffinerien der Vorrang nicht gegeben wird, ist mit massierten Stillegungen im Raffineriesektor der Bundesrepublik zu rechnen.«434 Rund ein Jahr später, im September 1976, ging der VEBA-Vorstandschef dann noch einen Schritt weiter und formulierte mit den Vorständen der französischen Firmen Elf-Aquitaine und CFP, der belgischen Petrofina sowie der italienischen ENI ein gemeinsames »Memorandum«435 an den zuständigen EG-Kommissar Henri Simonet, in dem die »fünf nationalen Ölgesellschaften für eine Reglementierung des europäischen Ölmarktes«436 plädierten und unter anderem eine Beschränkung der Einfuhren von schwerem Heizöl sowie »die Begrenzung der Zahl der Vertriebsstellen«437 forderten. Mit diesem Vorstoß handelte sich Bennigsen-Foerder zum einen heftige Kritik der bundesdeutschen Wirtschaftspresse ein. So hatte Wolfgang Müller-Haeseler schon im Juni 1975 in einem FAZ-Kommentar süffisant angemerkt: »Es ist verblüffend, mit welcher Unbekümmertheit dieselben Männer, die jahrelang die Privilegien der freien Marktwirtschaft für ihre Unternehmen in Anspruch nahmen, heute genau das fordern, was sie ihrem Konkurrenten der fünfziger Jahre, der Kohle, seinerzeit verwehren wollten, nämlich die Hilfe des Staates.«438 Nach Bekanntwerden des Memorandums im September des folgenden Jahres warf Müller-Haeseler dem 429 Veba will sich durchboxen, in: OEL, Jg. 14, H. 3, 1976, S. 63. 430 Verluste aus der »Elefanten-Hochzeit«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.5.1975. 431 Die Bundesrepublik als »Müllkippe« für Mineralölprodukte?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.5.1975. 432 Verluste aus der »Elefanten-Hochzeit«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.5.1975. 433 Macht uns kaputt, in: Der Spiegel, 2.6.1975. 434 Zit. n.: Die Veba liebäugelt mit Importbeschränkungen bei Öl, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.8.1975. 435 Zit. n.: Solo des Vorsitzenden, in: Der Spiegel, 20.9.1976. 436 Ebd. 437 Zit. n. ebd. 438 Der seltsame Wandel der Oelunternehmen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.6.1975.

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VEBA-Chef dann in einem weiteren Kommentar vor, »die marktwirtschaftliche Ordnung auf dem Mineralölmarkt auf den Kopf stellen« zu wollen und wandelte einen berühmten, dem letzten König von Sachsen zugeschriebenen Satz ab, indem er Bennigsen-Foerder im übertragenen Sinne zurief: »Sie sind mir ein schöner Marktwirtschaftler.«439 Michael Jungblut nannte die Initiative des VEBA-Vorstandsvorsitzenden in der Zeit gar einen »Skandal« und begrüßte zugleich, dass Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs und sein zuständiger Staatssekretär Otto Schlecht gegen das Vorhaben »erbittert Widerstand leisten« wollten.440 Dieser Erwartung entsprach der Bundeswirtschaftsminister dann auch, als er im Herbst 1976 im Rahmen einer Festveranstaltung der Ruhrgas AG betonte: »Aufforderungen von Unternehmerseite an die Bundesregierung, einen weiteren Energiewirtschaftlichen Bereich zu lenken, den Markt zu ordnen, den Unternehmen ihre Aufgabe zu definieren, werden wir aus Gründen ordnungspolitischer Überzeugung […] nicht folgen.«441 Der Widerstand gegen ­Bennigsens Vorstoß lässt sich somit als Beleg für die Persistenz marktwirtschaftlicher Ordnungsvorstellungen in der Bundesrepublik deuten, die auch im Zuge der Ölpreiskrisen und angesichts der damit verbundenen Schwierigkeiten auf den Mineralölmärkten zwar kurzzeitig zur Disposition, aber nie grundsätzlich infrage standen.442 Daneben beschränkte sich die Gruppe der Kritiker an der Initiative des VEBA-Chefs zum anderen nicht nur auf Wirtschaftspresse und Öffentlichkeit. Rudolf von Bennigsen-Foerder, der seit Sommer 1975 zudem Präsident des Mineralölwirtschaftsverbandes war, zog sich zugleich den Unmut der ebenfalls in der Interessenorganisation deutscher Mineralölfirmen vertretenen Tochterunternehmen der multinationalen Konzerne zu, die von den bestehenden Verhältnissen auf dem westdeutschen Mineralölmarkt profitierten. Nachdem sich im Zuge dieser Auseinandersetzungen sogar »Spaltungstendenzen« innerhalb des Verbandes abgezeichnet hatten,443 konnten sich die Mitgliedsfirmen zwar »zu einem einstimmigen Memorandum an Bundeswirtschaftsminister Friderichs mit gemeinsamen Lösungsvorschlägen« durchringen,444 in dem sie ihre Übereinstimmung und Einigkeit darin betonten, »daß die Strukturprobleme der Mineralölindustrie mit marktwirtschaftlichen Mitteln und damit ohne dirigis­ tische Eingriffe des Staates lösbar« seien.445 Dieses Bekenntnis zur Marktwirt­ schaft, dem die ordoliberale Leitdifferenz Marktwirtschaft / Dirigismus zugrunde lag, vermochte aber weder die Interessengegensätze innerhalb des Verbandes zu 439 Der Ärger mit der Veba, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.9.1976. 440 Schlimmer als ein Juso, in: Die Zeit, 24.9.1976. 441 Zit. n.: Risse notdürftig gekittet, in: Die Zeit, 5.11.1976. 442 Hierzu ausführlich: Graf, Öl, S. 231–240. 443 Risse notdürftig gekittet, in: Die Zeit, 5.11.1976. 444 Mineralölindustrie einstimmig gegen Dirigismus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.11.1976. 445 Zit. n. ebd.

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überwinden noch verhieß es einen konkreten Lösungsansatz für die wirtschaftlichen Probleme der VEBA. Einen solchen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere versprach sich die VEBA-Konzernleitung vielmehr von einem weiteren Übernahmegeschäft, das im Sommer 1978 öffentliches Aufsehen erregte. Denn am 18. Juni dieses Jahres gab der Vorstand bei einer eigens für diesen Zweck einberufenen Pressekonfe­ renz einen Vertragsabschluss mit dem Mineralölgroßkonzern BP bekannt, den der Wirtschaftsjournalist Heiner Radzio rückblickend als »eines der aufsehenerregendsten Geschäfte der deutschen Nachkriegszeit« bezeichnete.446 Im Kern sah die Übereinkunft der beiden Unternehmen die Übernahme der fünfzig- bzw. 25-prozentigen Beteiligungen der Gelsenberg an der Erdölraffinerie Ingolstadt AG (ERIAG) und der Erdölraffinerie Speyer (ERS) sowie der GBAG-Schachtelbeteiligung an der Ruhrgas AG von rund 25 Prozent durch den BP-Konzern vor. Das Übernahmepaket ergänzten der 31-prozentige Anteil der VEBA an der Deutschen Flüssigerdgas Terminal GmbH (DFTG), der Stinnes-Stromeyer Brennstoffhandel sowie eine Kaufoption für das Stinnes-Fanal-Tankstellennetz, zu dem rund eintausend Stationen im Bundesgebiet gehörten. Im Gegenzug erklärte sich die BP nicht nur bereit, für die Übernahme dieser Unternehmen(sbeteiligungen) einen Kaufpreis in Höhe von achthundert Millionen DM zu zahlen, sondern außerdem mit der VEBA einen langfristigen Rohölliefervertrag abzuschließen, in dem sich der britische Mineralölkonzern verpflichtete, »in nennenswertem Umfang Rohöl für die Raffinerien von VEBA bis zum Jahre 2000 zu wettbewerbsmäßigen Bedingungen zu liefern«.447 Aus wirtschaftlicher Sicht war der »Veba / BP-Deal«448 für beide Unternehmen attraktiv. Die British Petroleum AG, die »seit Jahrzehnten« mehr Rohöl produziert hatte, als sie über ihre Raffinerien weiterverarbeiten und im Anschluss über eigene Verkaufsstellen absetzen konnte, erhielt nun umfangreiche Verarbeitungskapazitäten und zugleich die Kaufoption auf ein weit verzweigtes Tankstellennetz. Und nicht zuletzt eröffnete der Erwerb der Ruhrgas-Schachtel dem Ölmulti den begehrten Zugang zum Gasmarkt. Die VEBA wiederum, die neben den Rohölquellen und Bohrkonzessionen der GBAG lediglich seit 1975 über Anteile am noch nicht vollständig erschlossenen Thistle-Feld in der britischen Nordsee verfügte,449 hatte in den Jahren zuvor aufgrund der Politik der Erdölförderländer sowohl unter erheblichem Rohölmangel als auch unter man-

446 Radzio, S. 271–284, Zit. S. 271. 447 So die öffentliche Erklärung der VEBA vom 16.6.1978, abgedruckt in: D. Schmitt u. H. J. Schürmann, Die Vereinbarungen zwischen der Deutschen BP und der Veba. Bestandsaufnahme und energiewirtschaftspolitische Würdigung, in: Zeitschrift für Energiewirtschaft, Jg. 2, 1978, S. 225–244, hier: S. 226–227, Zit. S. 226. Laut Wirtschaftspresse verpflichtete sich die BP zur jährlichen Lieferung von drei Millionen Tonnen Rohöl; Mit 4711 an die Spitze, in: Wirtschaftswoche, 23.6.1978; Radzio, Unternehmen, S. 272. 448 Kemmer, S. 43. 449 Deminex-Ölfund in der Nordsee, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.10.1975.

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gelnder Auslastung der eigenen Raffinerien gelitten. Das Geschäft mit BP verhieß eine Lösung beider Problemkomplexe durch den Verkauf umfangreicher Raffineriekapazitäten einerseits und einen langfristigen Rohölliefervertrag mit einem sogenannten »Overproducer« von Erdöl andererseits. Hinzu kam, dass dem Konzern der für ihn attraktive Teil der GBAG-Beteiligung erhalten blieb, nämlich die ARAL-Anteile und die DEMINEX-Beteiligung, die zum Jahresende 1978 in den VEBA-Konzern integriert wurden, außerdem der ehemalige Grundbesitz der Gelsenberg und die Rohölquellen in Libyen sowie die Bohrkonzessionen in der Nordsee und den Niederlanden.450 Da das Geschäft fraglos den Kriterien der im Zuge der zweiten Kartellgesetznovelle 1973 eingeführten Fusionskontrolle entsprach, begann mit der Anmeldung der geplanten Übernahme der Gelsenberg durch BP beim Bundeskartellamt das entsprechende Verfahren, in dessen Verlauf zunächst die Kartellbehörde mit Beschluss vom 27. September 1978451 den Zusammenschluss untersagte. Hierbei beurteilten die sogenannten »Wettbewerbshüter« den »Übergang der Aktivitäten im Mineralölbereich von Veba auf BP« sogar als »fusionsrechtlich wettbewerbsneutral […], weil nur eine Umschichtung innerhalb der Gruppe der fünf großen im Inland tätigen Mineralölgesellschaften bewirkt werden sollte, die die Marktstellung dieser Gruppe insgesamt nicht verstärkt hätte«. Den Ausschlag für das Veto gab vielmehr der beabsichtigte »Übergang einer Schachtelbeteiligung an Ruhrgas von Veba auf BP«, der nach Ansicht des Kartellamtes »eine Verstärkung des ohnehin schon überragenden wettbewerblichen Handlungsspielraumes von Ruhrgas und eine Verschlechterung der schon bedrohten Wettbewerbsstrukturen befürchten« lasse.452 Diese abermals eng am Gesetzestext orientierte Beurteilung begründete die Kartellbehörde im Weiteren unter Verweis auf die mit der Fusion verbundene »Integration eines potentiellen Wettbewerbers« in die Ruhrgas AG, die durch einen Zusammenschluss mit der GBAG noch weiter verbesserten Zugangsmöglichkeiten dieses Konzerns zu ausländischen Gasvorkommen sowie die drohende »Dämpfung des noch bestehenden jedenfalls Restwettbewerbes zwischen Gas und Heizöl«, dem »entscheidende wettbewerbliche Bedeutung beizumessen« sei.453 Damit nahm das Kartellamt die grundsätzliche Position der Monopolkommission ein, die in ihrem ersten Hauptgutachten angesichts der zunehmenden Konzentrationsprozesse auf den Märkten für einzelne Energieträger »dem Substitutionswettbewerb zwischen den verschiedenen Energieträgern zusätzliche Bedeutung« beigemessen hatte.454 450 Das Geschäft ihres Lebens, in: Die Zeit, 23.6.1978, Zit. ebd.; Mit 4711 an die Spitze, in: Wirtschaftswoche, 23.6.1978; Gewinne mit Minister-Genehmigung, in: Wirtschaftswoche, 12.3.1979. 451 Radzio, S. 277. 452 BT-Drucksache VIII/2980, S. 93. 453 Ebd., S. 94. 454 Monopolkommission, Hauptgutachten, S. 432–434, Zit. S. 434.

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VEBA und BP beantragten daraufhin am 5. bzw. 6. Oktober 1978 eine Zusammenschlusserlaubnis bei Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, der am Folgetag sogleich die Monopolkommission um eine Stellungnahme bat.455 Im weiteren Verlauf des Verfahrens legten dann zunächst die Vorstände der beiden Unternehmen mit Schreiben vom 30. bzw. 31. Oktober 1978 gegenüber dem Bundeswirtschaftsministerium betriebswirtschaftliche Gründe wie eine finanzielle Stärkung und erhöhte vertikale Integration der VEBA einerseits sowie gesamtwirtschaftliche Gründe für den Zusammenschluss andererseits dar, zu denen die beiden fusionswilligen Gesellschaften beispielsweise einen »Beitrag zur langfristigen Sicherung der Energieversorgung« und den Schutz von Arbeitsplätzen zählten.456 Dass die Bundesregierung, die dem Übernahmegeschäft grundsätzlich positiv gegenüber stand und deren Zustimmung der VEBA-Vorstand vor der Vertragsunterschrift eingeholt hatte,457 der Argumentation beider Unternehmen folgte, wurde in mehreren Stellungnahmen der zuständigen Ministerien deutlich. So verwies Karl Haehser, Parlamentarischer Staatsekretär beim Bundesfinanzministerium, in seiner Antwort auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage des Unionsabgeordneten Heinz Riesenhuber auf die »infolge der Ölkrise veränderten Nachfrageverhältnisse« sowie die Entstehung von »Überkapazitäten und Strukturproblemen in der gesamten Mineralölindustrie«. Das Geschäft der VEBA mit BP erfolge demnach zur »Anpassung an die Marktsituation und um die Ertragskraft ihres Mineralölbereichs nachhaltig zu verbessern sowie die Rohölversorgung auf eine sichere Basis zu stellen.«458 Auch Staatsekretär Martin Grüner, der bereits im Juli 1978 die Frage des SPD-Abgeordneten Peter Reuschenbach nach der Zustimmung des Kabinetts zur Übereinkunft zwischen VEBA und BP beantwortet hatte, hob hervor, dass die Vereinbarung der beiden Unternehmen aus energiepolitischer Sicht außer der zunehmenden vertikalen Integration der VEBA insbesondere »durch die von BP übernommene langfristige Rohöllieferverpflichtung eine Erhöhung der Versorgungssicherheit« bedeute. Daneben verwies er auf unternehmenspolitische Aspekte wie etwa die Anpassung der Raffineriekapazitäten an den »nachhaltig erwarteten Durchsatz« und die »Verbesserung [der] Ertragslage« sowie den Umstand, »daß die Unternehmen der Mineralölwirtschaft die sich stellenden Strukturprobleme auf dem Mineralölmarkt aus eigener Kraft lösen« müssten, was einer »Forderung der Bundesregierung« entspreche.459 Die Monopolkommission widersprach in ihrem am 22. Dezember 1978 vorgelegten Gutachten, dessen Fertigstellung Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff im Gegensatz zu seinem Vorgänger Hans Friderichs im Falle VEBA455 Monopolkommission, Sondergutachten 8, S. 9. 456 Ebd., S. 35–38, Zit. S. 35. 457 Das Geschäft ihres Lebens, in: Die Zeit, 23.6.1973. 458 VDB, 8. WP, 121. Sitzung, 1.12.1978, S. 9439. 459 BT-Drucksache VIII/2000, S. 5.

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Gelsenberg vor seiner Entscheidung über die beantragte Ministererlaubnis abwartete,460 den von beiden Unternehmen angeführten betriebswirtschaftlichen Gründen zunächst nicht, stellte zugleich jedoch klar: »Für eine Begründung der Ministererlaubnis reichen indes einzelwirtschaftliche Gründe nicht aus.«461 Gegen die angeführten beschäftigungspolitischen Argumente wandte die Kommission ein, Großunternehmen wie VEBA und BP dürften aus »wettbewerbspolitischen« Gründen bei Gemeinwohlentscheidungen nicht gegenüber kleineren Unternehmen bevorteilt werden. Mit Blick auf die energiepolitischen Implikationen des angestrebten Zusammenschlusses gaben die Kommissionsmitglieder unter Verweis auf die Fusion von VEBA und Gelsenberg zu bedenken, dass im Zuge der Ministererlaubnis im Fall VEBA-Gelsenberg als »Voraussetzung für die energiepolitisch geforderte Verstärkung der Kooperation mit den rohölfördernden Ländern die Größe der im Inland vorhandenen Mineralölverarbeitungskapazitäten und das Absatzpotenzial des nationalen Energiekonzerns« galten. »Die Abgabe von Raffinerieanteilen ist mit den Grundlagen der damaligen Genehmigungsentscheidung unvereinbar. Diese Einschätzung wird auch durch die Veräußerung der Ruhrgas-Beteiligung unterstützt.«462 Hiermit wiesen die Kommissionsmitglieder zum einen hin auf Widersprüche zum vorangegangenen Zusammenschluss von VEBA und Gelsenberg mit dem Ziel, einen »nationalen Mineralölkonzern« zu gründen. Zum anderen wird deutlich, dass auch die Monopolkommission vornehmlich an der geplanten Übernahme der Ruhrgasschachtel durch BP Anstoß nahm. So lautete die abschließende Empfehlung des Gremiums dann auch einerseits, »die beantragte Erlaubnis […] nicht zu erteilen«, da der Erwerb einer 25-prozentigen Beteiligung an der Ruhrgas AG seitens BP »durch gesamtwirtschaftliche Vorteile oder durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit nicht gerechtfertigt werden« könne. Zugleich zeigte die Kommission andererseits jedoch die Möglichkeit auf, den zu veräußernden Ruhrgas-Anteil durch den Bund als Hauptaktionär der VEBA auf maximal neun Prozent zu begrenzen, um die Mehrheitsbeteiligung der Kohle- und Stahlunternehmen an der Ruhrgas AG, die bei sechzig Prozent des Grundkapitals lag, gegenüber den Mineralöl- und Erdgasgesellschaften zu erhalten und den Substitutionswettbewerb zwischen Mineralöl und Erdgas zu wahren.463 Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff stimmte dem Übernahmege­ schäft schließlich am 5. März 1979 zu,464 knüpfte seine Ministererlaubnis aller­ dings an mehrere Bedingungen, die – der Empfehlung der Monopolkommission entsprechend – einer Majorisierung der Ruhrgas-Hauptversammlung durch Un460 Radzio, S. 278; Lambsdorff soll Veba-BP-Transaktion nicht erlauben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.12.1978. 461 Monopolkommission, Sondergutachten 8, S. 45. Die Kommission selbst unterschied in ihrem Gutachten betriebs- und einzel- von gesamtwirtschaftlichen Erwägungen. 462 Ebd., S. 48. 463 Ebd., S. 81–85, Zit. S. 84; Radzio, S. 278. 464 Zum Folgenden: ebd., S. 279–280; Kurzlechner, S. 229–231.

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ternehmen der Mineralölindustrie entgegenwirken sollten. So erlegte der Minister der VEBA auf, die eigene Ruhrgas-Restbeteiligung von 3,7 Prozent an die Bergemann KG zu veräußern, die den Kern des sogenannten »BergemannPools« bildete, einer »der Ruhrgas vorgeschaltete[n] Holdinggesellschaft«.465 Die BP wiederum erhielt die Auflagen, erstens gemeinsame Preisabsprachen mit dem Gasversorgungsunternehmen zu unterlassen sowie zweitens die erworbene GBAG-Beteiligung an der Ruhrgas AG ebenfalls »bis auf einen Rest von nicht mehr als 9 %« abzugeben, »falls der Bergemann-Pool-Vertrag aufgelöst« werde.466 Doch erfolgte diese Einschränkung nicht  – wie von der Monopolkommission angeregt  – durch Einflussnahme des Bundes als Hauptaktionär der VEBA, sondern »durch einen hoheitlichen Akt nach dem Kartellgesetz«.467 Rückblickend betonte der Bundeswirtschaftsminister, dass nicht nur die »erheblichen Auflagen und Beschränkungen […] die wettbewerblichen Risiken weitgehend reduziert«, sondern die vor diesem Hintergrund »nicht zu unterschätzenden energiepolitischen Vorteile des Vorhabens […] zur Erteilung der Erlaubnis« geführt hätten.468 Diese nachträgliche Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes für das Jahr 1978 diente gewiss einerseits der Rechtfertigung der Entscheidung. Andererseits lassen die Aussagen erkennen, dass auch das Zusammenschlussverfahren VEBA-BP in den seit der zweiten Kartellnovelle bestehenden diskursiven Rahmen einer Unterscheidung zwischen wettbewerbstheoretischen und wirtschaftspolitischen Aspekten eingepasst war. Ein FAZ-Journalist beispielsweise aktualisierte diese diskursive Leitdifferenz, indem er in seinem Bericht über den Ablehnungsbeschluss des Bundeskartellamtes herausstellte, dass für die Behörde »weder unternehmenspolitische noch energiepolitische Erwägungen […], sondern ausschließlich wettbewerbsrechtliche Überlegungen« von Belang gewesen seien.469 Auch VEBA-Vorstandschef Rudolf von Bennigsen-Foerder eignete sich die Redefigur an, um die Übereinkunft mit BP zu legitimieren, betonte er doch im Gespräch mit der Zeit, das Bundeskartellamt dürfe »bei seinen Entscheidungen nur wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigen. Da dem Gesetzgeber bewußt war, daß hierbei gesamtwirtschaftliche Überlegungen nicht zum Tragen kommen, ist die Ministererlaubnis für derartige Fälle vorgesehen worden. Überragende gesamtwirtschaftliche Gründe […] sind  – wie die jüngste Entscheidung des Herrn Bundeswirtschaftsministers ausführlich darlegt – auch heute gegeben.«470 Zugleich deuteten diese Aussagen – wie die vormaligen Stellungnahmen der zuständigen Bundesministerien und die Begründung der Entscheidung seitens des Wirtschaftsministeriums  – an, dass »energiepolitische Erwägungen« weiterhin als 465 Schluß mit den Verlusten, in: Die Zeit, 9.3.1979. 466 Radzio, S. 280. 467 Lambsdorff soll Veba-BP-Transaktion nicht erlauben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.12.1978. 468 BT-Drucksache VIII/2980, S. III. 469 Kartellamt untersagt den BP-Veba-Vertrag, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.10.1978. 470 Schluß mit den Verlusten, in: Die Zeit, 9.3.1979.

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Konkretisierungen »gesamtwirtschaftlicher« und wirtschaftspolitischer Orien­ tierungsgrößen plausibilisierbar waren. So kommentierte Joachim Nawrocki in der Zeit, die »Energiepolitiker« hätten mit »Wettbewerb und Sicherung der Energieversorgung« gleichsam »seit je zwei Seelen in ihrer Brust«.471 In einem FAZ-Kommentar hieß es: »Mehr Energie oder mehr Wettbewerb, das ist jetzt die Frage.«472 Daneben knüpften die Debatten um das VEBA-BP-Geschäft ebenso an die Grenzziehungen zwischen Wettbewerbstheorie und ökonomischer Praxis an, die in den wissenschaftlichen Diskussionen um die zweite Kartellgesetznovelle grundgelegt waren und im Zuge des Fusionsverfahrens VEBA-Gelsenberg eine weitere, insbesondere medial vermittelte Zuspitzung erfahren hatten. So bezeichnete Heinz-Günter Kemmer die Entscheidung des Bundeskartellamtes in der Zeit als »Veto aus dem Elfenbeinturm« und mahnte: »Irgend etwas kann nicht stimmen, wenn es beinahe schon zur Regel wird, daß volkswirtschaftlich vernünftig ist, was den Wettbewerb nach Meinung des Bundeskartellamtes beeinträchtigt. So drängt sich der Verdacht auf, daß die Kartellbeamten in einem Elfenbeinturm sitzen und an der Wirklichkeit vorbeileben«.473 Indem der Wirtschaftsjournalist die Übereinkunft zwischen VEBA und BP als »volkswirtschaftlich vernünftig« bezeichnete, spitzte er die Leitunterscheidung zwischen Theorie und Praxis bzw. Wirklichkeit nicht nur weiter zu, sondern aktualisierte damit zugleich die Redefigur des Sachzwangs und wies die Erlaubnisentscheidung des Bundeswirtschaftsministers als sachlich geboten aus. Der Beschluss von Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff, dem GBAGÜbernahmegeschäft zwischen VEBA und BP zuzustimmen, bestätigte nicht nur die in der zweiten Kartellnovelle begründete Tendenz, wirtschaftspraktische, »gesamtwirtschaftliche« Variablen, die im Einzelfall mit konkret(er)en Bedeutungen zu versehen waren, gegenüber »Wettbewerb« als abstrakter, theoretischer Orientierungsgröße zu priorisieren. Mit der Entscheidung waren vielmehr weitere Implikationen verbunden, die Fragen nach den beteiligungspolitischen Zielen und Konzeptionen der Bundesregierung in den siebziger Jahren aufwerfen. Für die auf energiewirtschaftliche Themen spezialisierten Journalisten Dieter Schmitt und Heinz Jürgen Schürmann etwa, die den Vertragsabschluss zwischen VEBA und BP nur wenige Wochen später in der Zeitschrift für Energiewirtschaft ausführlich behandelten, bedeutete das Geschäft zum einen »die Aufgabe einer Vision, nämlich mit Bonner Rückendeckung ein auch international beachtetes Energiekonglomerat schaffen zu können«.474 Als Rudolf von Bennigsen-Foerder Anfang 1984 zur erneuten Teilprivatisierung des von ihm geführten VEBAKonzerns Stellung bezog,475 stimmte er dieser Deutung zu und blickte zurück auf »den Abschied von der vormaligen energiepolitischen Zielvorstellung eines 471 Die Versorger versorgen sich, in: Die Zeit, 9.2.1979. 472 Energie oder Wettbewerb, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.10.1978. 473 Veto aus dem Elfenbeinturm, in: Die Zeit, 6.10.1978. 474 Schmitt u. Schürmann, Vereinbarungen, S. 244. 475 Zur (Teil-)Privatisierung der VEBA in den frühen achtziger Jahren: Kap. 1.2 im dritten Teil.

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nationalen Energie- und Ölkonzerns«,476 der im Zuge »des später sogenannten ›BP-Deals‹« seinen Anfang genommen habe.477 Zweifelsohne fand das im »Energieprogramm der Bundesregierung« formulierte Vorhaben, um die VEBA als »Kern« einen »nationalen Mineralölkonzern« aufzubauen, keine Entsprechung in den getroffenen energiepolitischen Maßnahmen, beschränkten sich die Konzentrationsbemühungen doch auf den Zusammenschluss von VEBA und Gelsenberg, der mit dem Vertrag zwischen VEBA und BP zudem in Teilen wieder rückgängig gemacht wurde. Die Gründe hierfür waren vielschichtig. Beachtenswert ist der grundsätzliche beteiligungspolitische Einwand von Fritz Knauss, der sich neben seiner langjährigen hauptberuflichen Tätigkeit als Referent der Abteilung »Industrielles Bundesvermögen« beim Bundesschatzministerium und später beim Bundesfinanzministerium478 in zahlreichen Publikationen mit Fragen der Beteiligungspolitik beschäftigte479 und gegen Ende der achtziger Jahre rückblickend anmahnte: »Ein Gesamtkonzept für die Beteiligungspolitik wurde [in den sechziger und siebziger Jahren] nicht erarbeitet. Es wurde pragmatisch von Fall zu Fall entschieden.«480 Dieser Befund vermag nicht nur die deutliche Zunahme insbesondere der mittelbaren Unternehmensbeteiligungen des Bundes im Laufe der siebziger Jahre zu erklären, die auf firmenpolitische Erwägungen der Unternehmen im unmittelbaren Besitz des Bundes – und damit auf die von Knauss beschriebene Orientierung an Einzelfällen  – zurückzuführen ist. Mit Blick auf den hier näher betrachteten Fall der VEBA entspricht diese Feststellung ebenso den Beurteilungen und Begründungen der zeitgenössischen Beobachter, der beteiligten Unternehmensleitungen und politischen Entscheider, die vorwiegend auf strukturelle Wandlungen des (bundesdeutschen) Mineralölmarktes abstellten, die unternehmerische Anpassungen und damit den Abbau zuvor erworbener Raffineriekapazitäten erforderten. Außer diesen schon von den Zeitgenossen angeführten Erklärungsansätzen sind im Rahmen der vorliegenden Studie die leitenden Semantiken zu beachten, in welche die beteiligungspolitischen Maßnahmen der späten sechziger und siebziger Jahre eingepasst waren. Zum wichtigsten Legitimationsspender für die Konzentrationsvorhaben im Mineralölbereich avancierte das Wort »Sicherheit«, das seit den ausgehenden sechziger Jahren zunehmend mit energie- und versorgungspolitischen Fragen verknüpft war. Da die politische Semantik von »Sicherheit« zum einen geradezu konstitutiv auf eine abzuwendende Krisen- und Bedrohungslage und zum anderen auf den Staat als diese Überwindung garantierende Instanz verwies, verschafften die Wortverbindungen »Versorgungssicherheit« und »Energiesicherheit« dem Fusionsvorhaben VEBA-Gelsenberg erst die not476 R. v. Bennigsen-Foerder, Grundsätzlich eine Funktion auf Zeit, in: ÖWG, Jg. 33, 1984, S. 3–6, hier: S. 3. 477 Ebd., S. 6. 478 Zum Werdegang: Knauss, Beteiligungen, Klappentext. 479 Zum Beispiel: ebd.; Knauss, Beteiligungspolitik; ders., Aufgabenwandel. 480 Knauss, Verlauf, S. 153.

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wendige Plausibilität, die gegen Ende der sechziger Jahre noch nicht gegeben war, als Konzentrationsvorhaben auf dem bundesdeutschen Mineralölsektor ebenfalls in Rede gestanden hatten, jedoch nicht umgesetzt worden waren. Der argumentative Gebrauchswert von »Versorgungssicherheit« nahm im Laufe der siebziger Jahre – wie wohl auch darüber hinaus – nicht ab, begründete doch Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff seine Zustimmung zum Über­ nahmegeschäft zwischen VEBA und BP ebenfalls mit dessen Beitrag zur »Sicherung der Mineralölversorgung«. Gewandelt hatte sich vielmehr der semantische Gehalt des Wortes »Sicherheit«, an das am Ende der siebziger Jahre – zumindest in den Debatten um die bundesdeutsche Mineralölindustrie – weder Verweise auf den Staat als Garantieinstanz noch auf Dringlichkeiten und Abweichungen von politischen Kommunikationsroutinen geknüpft waren. Während der im »Energieprogramm der Bundesregierung« enthaltene Hinweis auf die »Notwendigkeit zu staatlichem energiepolitischem Handeln« noch den staatlichen Erwerb umfangreicher Unternehmensbeteiligungen mit dem Ziel der Gründung eines »nationalen Mineralölkonzerns« legitimiert hatte, war der Zusammenhang Sicherheit – Staatlichkeit in Fragen der Bundesbeteiligung an Mineralölunternehmen Ende der siebziger Jahre nicht mehr gegeben. Bereits Mitte der Dekade hatte sich die semantische Verknüpfung des Wortes »Sicherheit« mit außerplanmäßigen Dringlichkeiten gelöst. Während der damalige Bundesfinanzminister Helmut Schmidt noch im Herbst 1973 die für den Erwerb der GBAG-Beteiligung benötigten rund 640 Millionen DM an Bundesmitteln unter Verweis auf die »Energiekrise« als »außerplanmäßige Ausgaben« deklariert und Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs die Fusion von VEBA und Gelsenberg mit derselben Begründung genehmigt hatte, ohne die gutachtliche Stellungnahme der Monopolkommission einzuholen, setzte die Bundesregierung seit Sommer 1974 das Fusionsvorhaben – zumindest gemessen an der vorherigen Dringlichkeitsrhetorik – nur zögerlich fort, galt fortan doch das Ende der Legislaturperiode als anvisierter Termin. Im Angesicht der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in die der »nationale Mineralölkonzern« geraten war, hatte ein spezifischer Bedeutungsbestand von »Sicherheit« seinen argumentativen Gebrauchswert verloren. Abermals belegen derlei Veränderungen des semantischen Gehalts von »Versorgungssicherheit« respektive »Energiesicherheit« im Laufe der siebziger Jahre die Deutungsoffenheit der Bezeichnung »Sicherheit«, die das Wort zur Verwendung insbesondere in politischen Kommunikationszusammenhängen prädestinierte. Zum anderen erkannten Dieter Schmitt und Heinz Jürgen Schürmann in der Zustimmung des Bundeswirtschaftsministeriums zum VEBA-BP-Geschäft eine »ordnungspolitische Weichenstellung. Die Bundesregierung dürfte endgültig Abschied von den Vorstellungen genommen haben, sich mit der VEBA sozusagen einen energiepolitischen ›Erfüllungs-gehilfen‹ schaffen zu können bzw. zu wollen«, wozu nach Meinung der beiden Wirtschaftsjournalisten »auch die positiven Erfahrungen, die die Bundesrepublik mit ihrer starken Verflechtung in das durch die internationalen Gesellschaften repräsentierte weltweite Energieversorgungssystem insgesamt gewonnen« habe, beigetragen hätten. Zugleich 193

beschränkten sich die beiden allerdings nicht auf diese Einschätzung, sondern verknüpften ihren Befund mit folgender weiterer Forderung: »Je mehr sich die VEBA als privatwirtschaftliches Unternehmen im marktwirtschaftlichen Wettbewerb begreift, um so deutlicher muß dann auch die Frage gestellt werden dürfen, welche Gründe nach erfolgter Konsolidierung einer Privatisierung dieser Gesellschaft noch im Wege stehen!«481

Dieses Plädoyer, die in der ersten Hälfte der siebziger Jahre eingeschlagene Tendenz zur Verstaatlichung mittels Privatisierung der Bundesanteile an der VEBA wieder umzukehren, knüpfte an eine Diskussion an, die bereits in der Mitte des Jahrzehnts begonnen hatte.

3. Eine neue Privatisierungsdiskussion Am 5. Juli 1975 legte der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium sein Gutachten »Zur Lage und Entwicklung der Staatsfinanzen in der Bundesrepublik Deutschland«482 vor, dessen Schwerpunkt auf den Haushaltsschwierigkeiten der Gebietskörperschaften im Bundesgebiet lag. Gleich im ersten Satz beklagte der Rat für das Jahr 1975 »ein Defizit von über 60 Mrd. DM«, das zudem nur teilweise der schwierigen konjunkturellen Lage geschuldet, sondern vielmehr in einer »Größenordnung von etwa 30 Mrd. DM […] Ausdruck eines strukturellen Ungleichgewichts der öffentlichen Haushalte« sei.483 In der nachfolgenden Darstellung möglicher »Maßnahmen zur Verringerung des staatlichen strukturellen Defizits« unterschieden die Beiratsmitglieder »einnahmenpolitische Maßnahmen« wie die Begrenzung staatlicher Zuschüsse oder steuerpolitische Anpassungen von »Ausgabensenkungen«,484 die sie als Mittel zur »Einschränkung des Anstiegs der Staatsausgaben« präferierten.485 Hierzu zählten sie außer dem »Abbau«486 und »Einsparungen bei der Erstellung öffentlicher Leistungen«487 auch die »Verlagerung bisher öffentlich angebotener Leistungen auf den privaten Bereich«, deren Erörterung im Text den größten Raum einnahm.

481 Schmitt u. Schürmann, Vereinbarungen, S. 244. 482 Zur Lage und Entwicklung der Staatsfinanzen in der Bundesrepublik Deutschland. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen zur Lage und Entwicklung der Staatsfinanzen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Nr. 103, 15.8.1975, S. 1001–1016. 483 Ebd., S. 1001. 484 Ebd., S. 1003. 485 Ebd., S. 1004–1011, Zit. S. 1004. 486 Ebd., S. 1004–1006. 487 Ebd., S. 1006–1007.

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Die Gutachter präzisierten dieses Instrument der Ausgabensenkung dahingehend, dass zwar »die Bereitstellung der bisher vom Staat angebotenen Leistungen auf den privaten Bereich verlagert« werde, der Staat jedoch nicht »die Verantwortlichkeit für die Erstellung bisher von ihm erbrachter Leistungen vollständig« aufgebe, »dies wäre ein eindeutiger Abbau öffentlicher Leistungen –, sondern daß er die Privatwirtschaft stärker als bisher an der Erfüllung dieser Aufgaben« beteilige. Legt man die eingangs skizzierte Typologie verschiedener Formen von Privatisierung zugrunde, waren somit funktionale Privatisierungen im Bereich der Gebietskörperschaften gemeint, die auf die »Verringerung öffentlicher Ausgaben« zielten.488 Mit diesem Gutachten, in dem sie die Privatisierung sogenannter »öffentlicher Aufgaben« als mögliches Mittel gegen staatliche Haushaltsdefizite zur Disposition stellten, steckten die Beiratsmitglieder das argumentative Feld ab für eine grundsätzliche Diskussion über die Bemessung staatlicher Zuständigkeitsbereiche, die seit Mitte der siebziger Jahre über wissenschaftliche Kommunikationszusammenhänge und Beratungsgremien hinaus auch in den politischen Parteien und der massenmedialen Öffentlichkeit auf Widerhall stieß.489 Wenn der BMF-Beirat im Rückblick auch als wichtigster Stichwortgeber dieser Auseinandersetzungen gilt, war er doch nicht das einzige Gremium der Politikberatung, das Mitte der siebziger Jahre funktionale Privatisierungsmaßnahmen als Instrument zur Begrenzung des öffentlichen Haushaltsdefizits in den Blick nahm. Ebenfalls im Jahr 1975 stellten etwa auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in eigenen Untersuchungen diesen Zusammenhang her. Der Wissenschaftliche Beirat des BMWi befasste sich in seinem Gutachten allerdings mit den steigenden Defiziten öffentlicher Unternehmen und verwies lediglich am Schluss des Textes auf deren mögliche Privatisierung, ohne Voraussetzungen und erwartbare Effekte zu behandeln.490 Unter dem Stichwort »Revision der Staatstätigkeit« wies der Sachverständigenrat ebenso wie der BMF-Beirat auf »[s]trukturelle Defizite in den Haushalten der öffentlichen Gebietskörperschaften« hin, die es zu beseitigen gelte.491 Als Mittel zur »Erfüllung dieses Revisionsauftrages« nannten die »Wirtschaftsweisen« im Folgenden zuvörderst die fortlaufende Überprüfung, ob »öffentliche Leistungen« entweder vollständig oder teilweise »aufgegeben« oder »privat in staatlichem Auftrag erstellt werden« könnten.492 Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium gilt gemeinhin als Auslöser der Debatten, weil es fortan deren zentralen ar488 Ebd., S. 1007. 489 Ausführlich zur öffentlichen Verschuldung in der Bundesrepublik: Ullmann, Abgleiten. 490 Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi, Kosten, S. 775. 491 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1975, Zf. 333–359, Zit. Kapitelüberschrift, Zf. 335, 337, 338, 357, 358, 359. 492 Ebd., Zf. 336.

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gumentativen Bezugspunkt bildete. So enthielten die nachfolgenden Veröffentlichungen zwar zum Teil auch Verweise auf die Gutachten der beiden anderen genannten Institutionen. Ausführlich beschäftigten sich die Verfasser jedoch allein mit der Studie der BMF-Experten. Den Grundstein für diese Verweisstruktur legte der Wissenschaftliche Beirat der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, der nur wenige Monate nach der Veröffentlichung des BMF-Gutachtens eine erste ausführlichere Gegenexpertise herausbrachte. Hierin erwähnten die Verfasser zwar auch die übrigen Studien. Die Betitelung als »Stellungnahme« zum BMF-Gutachten lässt jedoch bereits den eindeutigen Fokus auf dieser Studie erkennen, die zudem als einzige im Anhang abgedruckt war.493 Der gewerkschaftsnahe Volkswirt Hartmut Tofaute, der ebenfalls zu den entschiedenen Privatisierungsgegnern zählte, betonte zwar, das BMF-Gutachten habe die Debatten nicht »in Gang gesetzt«, sondern eher katalysatorische Wirkung entfaltet. Dennoch widmete Tofaute den Positionen des BMF-Beirats »wegen ihrer originären Bedeutung« einen eigenen Abschnitt in seiner 1977 erschienenen Studie »Zur Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen«.494 Fritz Knauss zufolge hatten die Gutachten des BMF und des BMWi gemeinsam die »neue Privatisierungsdebatte […] ausgelöst.«495 Heutige Vertreter der wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Forschung betonen nicht nur die initiatorische Rolle des BMF-Beirates, sondern bezeichnen die Debatten der siebziger Jahre zuweilen retrospektiv auch als »theore­ tische Privatisierungsdiskussion«.496 Auf den ersten Blick erscheint dieses Etikett zwar plausibel, da die Auseinandersetzungen in den siebziger Jahren erstens ganz überwiegend auf funktionale Privatisierungsmaßnahmen im kommunalen Bereich beschränkt blieben und somit sowohl die übrigen wirtschaftlichen Staatsfunktionen als auch andere politisch-administrative Ebenen im bundesdeutschen Föderalsystem weitgehend unberücksichtigt ließen. Zweitens mutet die Diskussion um Möglichkeiten und denkbare Effekte von Privatisierungen auch insofern »theoretisch« an, als sie schon in der Mitte der Dekade begann und damit zeitlich in die zuvor behandelte Verstaatlichungsphase fiel, die auf Bundesebene durch eine Zunahme staatlicher Unternehmensbeteiligungen und Aufgabendefinitionen gekennzeichnet war. Der (bundes-)politischen Tendenz zur Verstaatlichung stand aus dieser Perspektive eine Diskussion über Privatisierungsmöglichkeiten und die künftige Begrenzung staatlicher Zuständigkeitsbereiche gegenüber, die keine wahrnehmbaren politischen und materiellen Effekte zeitigte. Zugleich ist das Labeling jedoch irreführend, da die Auseinandersetzungen um funktionale Privatisierungen schon Mitte der siebziger Jahre in zweierlei Hinsicht nicht rein theoretischer Natur waren. So gingen zum einen den wissen­ 493 Wissenschaftlicher Beirat GÖWG, Privatisierung. 494 Tofaute, Privatisierung, S. 13–15, Zit. S. 13. 495 Knauss, Beteiligungen, S. 48. 496 So beispielsweise: Spelthahn, Privatisierung, S. 19.

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schaftlichen Tagungen und Debatten erste konkrete Maßnahmen in einzelnen Städten und Gemeinden voraus, deren Verwaltungsbehörden beispielsweise die »öffentliche Aufgabe« der Müllentsorgung entweder – wie etwa in Kiel geschehen – privaten Dienstleistern übertrugen oder – wie zum Beispiel in Hamburg – deren Ausgliederung aus der Verwaltungsbürokratie prüfen ließen.497 Ein in der verwaltungswissenschaftlichen Literatur besonders häufig besprochener Fall war die schon 1973 erfolgte Privatisierung des Kölner Schlachthofs.498 Die wissenschaftliche Diskussion um Möglichkeiten und zu erwartende Effekte von funktionalen Privatisierungen muss mithin auch als Reaktion gedeutet werden auf bereits erfolgte kommunalpolitische Maßnahmen, die der wissenschaftlichen Analyse bedurften, wie auf das Interesse der Kommunalbehörden, die nach einer fundierten empirischen Grundlage für die zu treffenden Entscheidung über Neuorganisation, Ausgliederung oder Privatisierung der »öffentlichen Aufgaben« in ihrem Zuständigkeitsbereich verlangten. Zum anderen suggeriert die attributive Bezeichnung der Debatten als »theoretisch« deren wissenschaftliche Schlagseite, die sich aus der dominierenden Rolle eines wissenschaftlichen Beratungsorgans notwendigerweise ergeben mag. Jedoch blieb die Diskussion um die städtischen Aufgabenbereiche und Leistungskataloge auch schon in den siebziger Jahren keineswegs allein auf Wirtschafts-, Politik- und Verwaltungswissenschaftler, Institutionen der Politikberatung und wissenschaftliche Vereinigungen beschränkt, sondern stieß auch bei unterschiedlichen Interessenverbänden, unter den politischen Entscheidern sowie in der massenmedialen Öffentlichkeit auf Resonanz. So hielt der Problemkomplex nicht nur Einzug in die parteipolitische Programmatik und die Plenardebatten des Deutschen Bundestages, in Veröffentlichungen von Politikern,499 Gewerkschaften, Industrie- und anderen Interessenverbänden sowie die Berichterstattung der überregionalen Presse, sondern nahm sich sogar das Fernsehen des Themas an. An Weihnachten 1976 etwa berichteten die abendlichen Nachrichtensendungen über den Entschluss der Stadt Saarlouis, den öffentlichen Busverkehr über die Feiertage auszu- und durch private Taxis zu ersetzen. Zuvor hatte bereits die ARD-Sendung »Pro und Contra« das Thema aufgegriffen.500 Viel spricht demnach dafür, statt von einer »theoretischen« von einer neuen Privatisierungsdiskussion auszugehen, an der sich eine Vielzahl von Stimmen beteiligte. Neu waren die Debatten insofern, als sie sich durch eine veränderte Terminologie und neue inhaltliche Schwerpunkte auszeichneten im Vergleich zu den Privatisierungsvorhaben der frühen Bundesrepublik, deren Schwerpunkt auf der materiellen Privatisierung von Beteiligungen des Bundes sowie der Ver497 »Dann müssen Behörden Brötchen backen«, in: Der Spiegel, 3.11.1975. 498 Schlachthöfe. Letztes Gefecht, in: Der Spiegel, 27.10.1975; vgl. die Zusammenstellung in: Bischoff u. Nickusch, Privatisierung, S. 193–202. 499 Hervorzuheben ist hierbei eine Buchveröffentlichung der niedersächsischen Wirtschaftsministerin Birgit Breuel, die sich frühzeitig und öffentlichkeitswirksam für Privatisierungen aussprach. 500 Bischoff u. Nickusch, Einleitung, S. 9.

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knüpfung von ordnungs- und gesellschaftspolitischen Zielformulierungen gelegen hatte. Die Privatisierungsdiskussionen der siebziger Jahre erhielten somit zwar einen originären inhaltlichen Charakter, bildeten jedoch zugleich ein diskursives Bindeglied zwischen den beiden Entstaatlichungsphasen der fünfziger und sechziger Jahre einerseits sowie der achtziger Jahre andererseits. Augenscheinlich wird diese Kontinuität mit Blick auf die verwendeten Bezeichnungen und die diskursiven Regelmäßigkeiten, welche die Debatten strukturierten. Terminologisch waren die Diskussionen der siebziger Jahre gekennzeichnet durch die überwiegend synonyme Verwendung unterschiedlicher Bezeichnungs­ formen. Die Mehrheit der Stimmen verwendete das Wort »Privatisierung«, um damit die Übertragung sogenannter »öffentlicher Aufgaben« an private Unternehmen und Dienstleister, also funktionale Privatisierungen, zu bezeichnen.501 Der Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel bevorzugte hierfür das Wort »Reprivatisierung«,502 das auch in der frühen Bundesrepublik schon vereinzelt Verwendung gefunden hatte. Dagegen benutzten der Bund der Steuerzahler sowie eine Reihe von Politikern und Wirtschaftswissenschaftlern das Wort »Entstaatlichung«, das sie gleichwohl synonym verwandten und mit denselben Bedeutungsimplikaten ausstatteten. So hieß es in einer Studie des Karl-Bräuer-Institutes einleitend: »›Privatisierung‹ bedeutet – wie auch das Synonym ›Entstaatlichung‹ – keinen Zustand, sondern einen Prozeß, wobei das Wort ›Entstaatlichung‹ den Ausgangspunkt der Ermittlung hervorhebt, während das Wort ›Privatisierung‹ die Zielrichtung markiert. Der Prozeß verläuft also – schlagwortartig formuliert – hin zum Privaten und weg vom Staat«.503 Willy Haubrichs, der Präsident des Steuerzahlerbundes, hatte in seinem Geleitwort für eine wenige Jahre zuvor erschienene Publikation mit »Entstaatlichung« bereits die Zielsetzung verknüpft, »unseren Staat von Aufgaben zu entlasten«.504 Der CDU-Wirtschaftspolitiker Elmar Pieroth wiederum veranstaltete in seiner Heimatstadt seit 1971 jährlich die sogenannten »Bad Kreuznacher Gespräche«, die profilierten Politikern der Unionsparteien einen Rahmen bieten sollten, in dem sie sich mit einschlägig ausgewiesenen Wissenschaftlern über aktuelle finanz- und wirtschaftspolitische Themen austauschen, inhaltliche Positionen erarbeiten und mit ökonomischer Expertise grundieren konnten. Der Schwerpunkt der Diskussionen im Mai 1975, die mit der Leitfrage »Was soll und kann der Staat noch leisten?« überschrieben waren, lag auf der Vermögensverteilung zwischen Staat und Bürgern, wobei es den Teilnehmern um eine Bestandsaufnahme der »Krisensymptome staatlicher 501 So beispielsweise: ebd.; der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenminister, Dr. Jürgen Schmude, in seiner Antwort auf eine Anfrage, VDB, 7. WP, 223. Sitzung, 18.2.1976, S. 15514; Kommission für Wirtschaftlichen und Sozialen Wandel, S. 101; Kux; Zumbühl; Deutscher Städtetag. Die Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verwandten ebenso ausnahmslos den Terminus »Privatisierung«. 502 Hickel, S. 19. 503 von Arnim, S. 9. 504 Präsidium des Bundes der Steuerzahler, S. 3.

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Leistungsfähigkeit« ging.505 Um der von Pieroth einleitend beschworenen Gefahr einer zunehmenden »Verstaatlichung der Gesellschaft«506 konzeptionell zu begegnen, bildeten die Teilnehmer der Bad Kreuznacher Tagung zwei Arbeitskreise, die sich hinter zwei programmatischen Stichwörtern versammelten: »Rationalisierung« und »Entstaatlichung«. Die Wortführer und Sprecher des Arbeitskreises »Entstaatlichung«, die beiden Ökonomen Wolfram Engels und Karl Oettle, setzten hierbei das Fahnenwort »Entstaatlichung« mit funktionaler Privatisierung gleich. So forderte etwa Oettle, Ziel der wirtschaftspolitischen Bestrebungen müsse sein, »den Umfang gemeinwirtschaftlicher Aufgabenerfüllung im Staatswesen insgesamt im Verhältnis zum Volumen der gesamtwirtschaftlichen Produktion zu verringern.«507 Ein weitaus umfassenderes Verständnis von »Entstaatlichung« stellten schon Mitte der siebziger Jahre einzelne Politiker der CSU zur Disposition. Der bayerische Landtagsabgeordnete Kurt Falthauser etwa veröffentlichte 1976 einen programmatischen Aufsatz mit dem erklärten Ziel, dem »politischen Schlagwort« der »Entstaatlichung« die »eigenen Inhalte, Grenzen und Assoziationen einzufüllen«, um »die Alternative der Union zu den Sozialisten« deutlich zu machen.508 Hierbei betonte er: »›Entstaatlichung‹ ist nicht gleichbedeutend mit ›Reprivatisierung‹. […] Das Wort Entstaatlichung zielt vielmehr über die Orientierung an Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsmaßstäben hinaus auf die Bestimmung des Verhältnisses des einzelnen Menschen und von gesellschaftlichen Gruppen zum Staat.«509 Außer Privatisierungen, der Einführung privatwirtschaftlicher Organisationsformen in staatlichen Behörden sowie dem »Abbau engmaschiger Reglementierungen des Bürgers« umfasste der von Falthauser abgesteckte Bedeutungsrahmen von »Entstaatlichung« sogar die »Zurückführung des Sozialstaats-Gedankens von wohlfahrtsstaatlichen Utopien auf die Prinzipien des Grundgesetzes«.510 Derlei Überlegungen fanden sich auch in einem Antrag der Jungen Union Bayern zum CSU-Parteitag im Juni 1976 unter der Überschrift »Entsozialisierung«. Zu den drei Bestandteilen einer Politik der »Entsozialisierung«, die folglich noch expliziter der inhaltlichen Abgrenzung gegenüber dem politischen Gegner dienen sollte, gehörte dem Antrag zufolge neben der »Reprivatisierung« und »Entstaatlichung« auch die »Wiederbesinnung auf die Grundsätze des Sozialstaats«.511 Die nicht weiter erläuterte Differenzierung zwischen »Entstaatlichung« und »Privatisierung« unter einem neuen Dachbegriff bestätigte zwar Kurt Falthausers Beobachtung, »Entstaatlichung« eigne sich gerade deshalb als politischer Begriff, weil das Wort ein »Füllhorn […] für 505 Pieroth, Staat. 506 Pieroth, Einführung, S. 6. 507 Oettle, S. 93. 508 Falthauser, S. 84. 509 Ebd., S. 84–85. 510 Ebd., S. 87. 511 ACSP, PT 25./26.6.1976: 5, Anträge der Jungen Union Bayern zum CSU-Parteitag am 25./26. Juni 1976.

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alle möglichen Inhalte und Erwartungen« darstelle.512 Zugleich belegt die uneindeutige Verwendung jedoch, dass die politische Begriffsbesetzung in den siebziger Jahren noch nicht vollzogen war. Vielmehr war in den Folgejahren unter den politischen Parteien – auch in der CSU – »Privatisierung« die gebräuchliche Bezeichnung.513 Dass die Diskussionen um funktionale Privatisierungen in den siebziger Jahren ganz überwiegend auf Kommunen bezogen waren, reflektierte die Bezeichnung »Entkommunalisierung«, die beispielsweise Journalisten des Spiegel als weiteres Synonym für »Privatisierung« benutzten.514 Gegenstand der Privatisierungsforderungen für den kommunalen Bereich waren insbesondere folgende Aufgabenbereiche: Müllentsorgung, Straßen-, Kanalsowie Gebäudereinigung, öffentlicher Nahverkehr und der Betrieb von Schlachthöfen.515 Der Vorsitzende der Jungen Union, Matthias Wissmann, fügte diesem »Katalog« die Paketpostdienste, den Stückgüterverkehr, Friedhofsdienste sowie städtische Planungs- und Überwachungsämter hinzu.516 Dem Bundesfachausschuss für Wirtschaft der FDP, dessen Überlegungen im September 1975 im Spiegel lanciert wurden, schwebte zudem die Privatisierung städtischer Krankenhäuser und Energieversorgungsunternehmen vor.517 Daneben standen Kassendienste in öffentlichen Einrichtungen wie beispielsweise Zoos, Stadtküchen, Plakatierungsgesellschaften, Dienstwagenparks oder städtische Schrotthändler zur Diskussion.518 Auch der Deutsche Städtetag stellte eine Auflistung von »Hilfstätigkeiten« zusammen, deren Privatisierung »denkbar« sei.519 Da der Schwerpunkt der Debatten im Laufe der siebziger Jahre auf den Potenzialen und zu erwartenden Effekten von funktionalen Privatisierungen, also der Übertragung »öffentlicher Aufgaben« an private Unternehmen und Dienstleister lag, ergab sich die Notwendigkeit, die deutungsbedürftige Wortverbindung der »öffentlichen Aufgabe« semantisch zu füllen.520 Den Versuch einer definitorischen Annäherung unternahmen Anfang 1977 die beiden Verwaltungs­ wissenschaftler Detlef Bischoff und Karl-Otto Nickusch, die in Abgrenzung von finanzwissenschaftlichen Definitionsversuchen und unter Verweis auf ihren 512 Falthauser, S. 84. 513 So etwa auch in einem weiteren Antrag der Jungen Union Bayern aus dem Jahr 1977; ACSP, PA 2.7.1977: 2, CSU. Stellungnahmen zu den Anträgen des Parteitages vom 26. Juni 1976 zur Vorlage an den Parteiausschuss am 2. Juli 1977 in Amberg. Antrag »Privatisierung« der Jungen Union Bayern. 514 »Dann müssen Behörden Brötchen backen«, in: Der Spiegel, 3.11.1975. 515 Beispielhaft in: von Arnim; Engels, Leistung, S. 64. 516 Es geht nicht allein um Privatisierung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.12.1975. 517 Unternehmer Staat: zu teuer, in: Der Spiegel, 29.9.1975. 518 »Dann müssen Behörden Brötchen backen«, in: Der Spiegel, 3.11.1975. 519 Deutscher Städtetag, S. 42–43. 520 Außer dem Wortpaar »öffentliche Aufgabe« war vereinzelt auch von Aufgaben der »Daseinsvorsorge«, von »gemeinwohlbezogenen Aufgaben« oder »öffentliche Gemeinwohlaufgaben« die Rede. »Öffentliche Aufgabe« war jedoch die zumeist – insbesondere in außerwissenschaftlichen Kommunikationszusammenhängen – gebräuchliche Wortverbindung; Bischoff u. Nickusch, Einleitung, S. 13.

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Fachkollegen Heinz Laufer die Wortverbindung »öffentliche Aufgabe« zur Verwendung vorschlugen, »wenn eine Aufgabe genuin oder traditionell oder aufgrund politischer Entscheidung bei einem Amt des politischen Systems liegt, wenn unmittelbar oder mittelbar Amtspersonen für die Aufgabenerledigung zuständig sind und Mittel in den öffentlichen Haushalten dafür ausgewiesen sind«.521 Diese Definition reflektierte zwei weitere zentrale Merkmale der Privatisierungsdiskussionen in den siebziger Jahren. Zum einen verwies sie auf die Verknüpfung der Privatisierungsforderungen mit dem »strukturellen Defizit« der öffentlichen Haushalte, die der Wissenschaftliche Beirat beim BMF bereits hergestellt hatte und auf die auch weitere Wissenschaftler und Beratungsgremien sowie Interessenverbände und politische Parteien Bezug nahmen. Während der Wissenschaftliche Beirat der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft zwar gegen die BMF-Studie argumentierte, funktionale Privatisierungen seien kein geeignetes Instrument zum Defizitabbau,522 bestätigte er damit jedoch implizit den skizzierten Problemzusammenhang. Hieran schloss neben dem Verwaltungswissenschaftler Rainer Pausch, der in einer Studie für das Institut für Mittelstandsforschung den Stand der Forschung skizzierte,523 auch der Wirtschaftsprüfer Werner Schmid an, der in einem Zeitschriftenaufsatz die Privatisierung von defizitären öffentlichen Unternehmen unter dem Gesichtspunkt der Haushaltssanierung diskutierte.524 Der Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel hingegen stellte die vom BMF-Beirat postulierte Krisenbewältigungsstrategie grundsätzlich infrage und bemängelte, die Haushaltsproblematik müsse »in ihrer systemischen Bedingtheit« betrachtet werden, doch »der Kern der Krise des politischen Systems« werde in der Diskussion »nicht thematisiert«.525 Dem schlossen sich die Verwaltungswissenschaftler Detlef B ­ ischoff und Karl-Otto Nickusch an, die kritisierten: »Statt das gesamte System der öffentlichen Leistungen zu betrachten, argumentieren die Befürworter der Privatisierung überwiegend betriebswirtschaftlich, also ohne auch die langfristigen Folgekosten von Privatisierungsmaßnahmen für die Gesellschaft miteinzubeziehen.«526 Der Volkswirt Hartmut Tofaute, der seit 1970 als wissenschaftlicher Referent am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Düsseldorf tätig war, befasste sich ebenfalls ausführlich mit dem Zusammenhang von funktionaler Privatisierung und Defizitreduktion. Hierbei warf er den »Verfechter[n] des Einspararguments« – ähnlich wie Bischoff und Nickusch – vor, den Gegenstand aus einem »verkürzten und eigennützigen Blickwinkel« darzustellen, blieben ihre Ausführungen doch auf einen allzu eng 521 Ebd., S. 14. 522 Wissenschaftlicher Beirat GÖWG, Privatisierung. 523 Pausch, Möglichkeiten. 524 W. Schmid, Bringt die Privatisierung öffentlicher Defizitunternehmen eine Entlastung öffentlicher Haushalte?, in: ZögU, Bd. 3, 1980, S. 240–245. 525 Hickel, S. 19. 526 Bischoff u. Nickusch, Einleitung, S. 23–24.

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abgesteckten »Kosten«-Begriff, einzelne Fallbeispiele sowie einen sehr begrenzten Zeithorizont beschränkt.527 Auch die Debattenbeiträge außerhalb der fachwissenschaftlichen Kommunikationszusammenhänge kamen nicht ohne Verweise auf die Problematik öffentlicher Verschuldung aus. Der Deutsche Städtetag etwa verband gleich im Vorwort seiner Publikation zur »Privatisierung öffentlicher Aufgaben« dieses Vorhaben mit dem »Ziel einer Entlastung der öffentlichen Haushalte und der Verbilligung öffentlicher Dienstleistungen für den Bürger«.528 In ihrer »Mannheimer Erklärung« aus dem Frühsommer 1975 hatte die CDU bereits gemahnt: »Durch die Übernahme eines wesentlichen Teils der Dienstleistungen durch den Staat wird dessen Finanzkraft […] überfordert.«529 Die »Entlastung des Staates im Dienstleistungsbereich durch nichtstaatliche Leistungsträger«530 zählte sie demzufolge zu den wichtigsten Instrumenten für die angestrebte »Sanierung der öffentlichen Haushalte«.531 In ihrem Grundsatzprogramm aus dem Jahr 1978 bestätigte die Partei diese Problemdiagnose und konstatierte: »Die Neuordnung der Staatswirtschaft wird zu einem vordringlichen Problem.«532 Aus den Reihen der CDU stach Elmar Pieroth als öffentlichkeitswirksam und energisch auftretender Verfechter von fiskalpolitisch angeleiteten Privatisierungsmaßnahmen hervor. In einem Zeit-Artikel vom Oktober 1975 etwa stellte der Wirtschaftspolitiker die Begrenzung staatlicher Aufgabenbereiche nicht bloß als denkbares Mittel zur Haushaltssanierung dar, sondern als Sachzwang. So schrieb er: »Die leeren Kassen des Staates zwingen uns ohnehin, den Aufgaben- und Ausgabenkatalog grundsätzlich neu zu überdenken.«533 Den Einführungsvortrag zu den von ihm veranstalteten »Bad Kreuznacher Gesprächen« des Jahres 1975 nutzte Pieroth, um seine Position noch weiter zuzuspitzen. Unter Verweis auf die von ihm eingangs beklagte »Verstaatlichung der Gesellschaft« sagte er: »Die leeren Kassen beschneiden die auswuchernde Kompetenz des Staates. Die Gesellschaft kann sich also ihre eigene Verstaatlichung nicht leisten! Ich meine: Gott sei Dank! […] Anders gesagt: der Staat hat schon viel zu viel Aufgaben an sich gezogen, die außerhalb des Staates vielleicht besser und billiger erledigt werden.«534 Zu den dezidiertesten Verfechtern umfassender Privatisierungsmaßnahmen zählte seit den Gründungsjahren der Bundesrepublik der Bund der Steuerzahler, der seine Forderungen in den siebziger Jahren stets mit dem Hinweis auf die öffentliche Haushaltsproblematik verband. So konstatierte der Verbandspräsident Willy Haubrichs 1975: »Angesichts der 527 Tofaute, Privatisierung, 1030, S. 58–83, Zit. S. 83. 528 Deutscher Städtetag, S. 5. 529 ACDP, Christlich Demokratische Union Deutschlands, Unsere Politik für Deutschland. Mannheimer Erklärung. 23. Bundesparteitag, 23.–25. Juni, Mannheim, S. 110. 530 Ebd., S. 112. 531 Ebd., S. 111. 532 ACDP, Grundsatzprogramm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Verabschiedet auf dem 26. Bundesparteitag Ludwigshafen, 23.–25. Oktober 1978, S. 34. 533 Ein Weg ohne Umkehr?, in: Die Zeit, 31.10.1975. 534 Pieroth, Einführung, S. 8.

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leeren Kassen gilt es heute, die Aufgaben des Staates zu reduzieren. […] Das Codewort, das aus dem Finanzdilemma heraushelfen könnte, heißt Entstaat­ lichung.«535 Drei Jahre später stellte der Steuerzahlerbund sogar eine »Privatisierungsformel« auf, die vorschrieb: »Eine Privatisierung ist geboten, wenn sie zu einer Kostensenkung (Entlastung der öffentlichen Haushalte) führt, ohne daß die mit der staatlichen Leistungserstellung bisher verfolgten öffentlichen Ziele beeinträchtigt werden.«536 Diese »Ziele« waren nach Meinung des Verbandes die »Sicherung der Leistungsqualität«, die »Zumutbarkeit des Entgelts für den Bürger« sowie die »Verhinderung sonstiger sozialschädlicher Auswirkungen«.537 In der Logik der »Privatisierungsformel« waren mithin die Privatisierung »öffentlicher Aufgaben« und die Entlastung der öffentlichen Haushalte unmittelbar miteinander verbunden. Mehr noch: in derselben Publikation diskutierte der Steuerzahlerbund sogar eine »Rechtspflicht zur Privatisierung« für den Fall, dass »die Voraussetzungen der Privatisierungsformel vorliegen«.538 Sogleich nutzte ein Kommentator der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Studie des Steuerzahlerbundes und die darin diskutierte »Rechtspflicht« als argumentative Stütze für seine im September 1978 formulierte Forderung: »Mehr privatisieren«.539 Die oben zitierte Definition »öffentlicher Aufgaben« trug zum anderen der von den Autoren Detlef Bischoff und Karl-Otto Nickusch angestellten Beobachtung Rechnung, »daß der Abgrenzung [zwischen ›privaten‹ und ›öffentlichen Aufgaben‹] letztlich keine wesentlich inhaltlichen Kriterien, sondern vielmehr politische Entscheidungen zugrunde liegen.«540 Dieser Befund verweist nicht nur auf eine Kontinuität zu den Privatisierungsmaßnahmen der frühen Bundesrepublik, die eingepasst waren in die Bemühungen, das ebenso deutungsbedürftige wie auch semantisch leere – und damit politisierbare – Wortpaar »öffentliches Interesse« mit Bedeutung zu füllen und verbindlich zu definieren. Denn die Wortverbindung der »öffentlichen Aufgabe«, die insbesondere im Laufe der siebziger Jahre gebräuchlich war, bildete in gleicher Weise das Spannungsfeld ab zwischen Verbindlichkeit und Uneindeutigkeit, in dem sich die Privatisierungsdebatten bewegten und ihre politische Aufladung erfuhren. Doch die Beobachtung Bischoffs und Nickuschs, die beispielsweise auch der Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel, der Ökonom Christian Watrin und die Kommission für Wirtschaftlichen und Sozialen Wandel bestätigten,541 hatte nicht allein den Charak535 Präsidium des Bundes der Steuerzahler, S. 3. 536 von Arnim, S. 15–16. 537 Ebd., S. 16. 538 Ebd., S. 17–24, Zit. S. 17. 539 Mehr privatisieren, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.9.1978. 540 Bischoff u. Nickusch, Einleitung, S. 14. 541 Hickel, S. 19; Watrin, Überlastung, S. 250; Kommission für Wirtschaftlichen und Sozialen Wandel, S. 99; dort hieß es wörtlich: »Wissenschaftliche Kriterien für die Abgrenzung zwischen Staat und Privatwirtschaft gibt es nicht. […] Welche ökonomischen Zielvorstellungen vom privaten bzw. staatlichen Sektor erfüllt werden, ist das Ergebnis eines politischen Prozesses und damit eine Wertentscheidung.«

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ter eines wissenschaftlichen Befunds. Vielmehr markierte die Feststellung, die Definition »öffentlicher Aufgaben« müsse als permanenter Prozess politischer Entscheidungsfindung betrachtet werden, einen Topos, an den sich zahlreiche Teilnehmer der Privatisierungsdebatten zurückzogen – den Topos der andauernden Prüfungsbedürftigkeit des Einzelfalls. Grundgelegt war auch diese wirkmächtige Redefigur im Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, der auf die Schwierigkeit der »Aufdeckung konkreter Fälle« hinwies542 und mit diesen Worten beispielsweise im Spiegel wörtlich zitiert wurde.543 In den Privatisierungsdebatten der siebziger Jahre war der Topos dann so wirkmächtig, dass kaum ein Beitrag ohne Verweis auf die Notwendigkeit der fortlaufenden Einzelfallprüfung auskam. So betonte nicht nur der Wissenschaftliche Beirat der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft den Bedarf »stetiger Überprüfung«544 oder befand der Sachverständigenrat, der eine grundlegende »Revision der Staatstätigkeit« forderte, dass zu diesem Zweck »öffentliche Leistungen immer wieder« auf die Möglichkeit zur Privatisierung hin »überprüft werden« müssten.545 Die Kommission für Wirtschaftlichen und Sozialen Wandel empfahl in ihrem Gutachten, eine fortlaufende »Prüfung«546 darüber »in Gang zu halten, welche gesellschaftsrelevanten Aufgaben besser von staatlichen, nichtstaatlichen oder von Mischformen staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen wahrgenommen werden sollten.«547 Auch die politischen Parteien und Entscheidungsträger eigneten sich die Redefigur an. So leitete etwa der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenministerium, Jürgen Schmude, seine Antwort auf die Frage nach der »Haltung« der Bundesregierung gegenüber den Privatisierungsforderungen gleich mit den Worten ein: »Die Frage der Privatisierung ist nicht generell oder pauschal zu beantworten. Es bedarf vielmehr sorgfältiger Einzeluntersuchungen«. Im Weiteren sprach er nochmals von der Notwendigkeit zur »Prüfung, ob und in welchem Umfang im Einzelfall eine Privatisierung in Betracht« komme.548 Im Rahmen der Hessischen Landeskonferenz 1977 der Gewerkschaft für Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr betonte der CDU-Landesvorsitzende Alfred Dregger, es gebe »keine generelle Lösung. Jeder Einzelfall müsse für sich gesondert untersucht« werden.549 Die Bundes-CDU schrieb in ihrem Grundsatzprogramm vom Oktober 1978, »[a]lle staatlichen Aufgaben« seien »ständig auf ihre Notwendigkeit, Vertretbar542 Zur Lage und Entwicklung der Staatsfinanzen in der Bundesrepublik Deutschland. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen zur Lage und Entwicklung der Staatsfinanzen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Nr. 103, 15.8.1975, S. Zit. S. 1008. 543 »Dann müssen Behörden Brötchen backen«, in: Der Spiegel, 3.11.1975. 544 Wissenschaftlicher Beirat GÖWG, Privatisierung, S. 9. 545 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1975, Zf. 336. 546 Kommission für Wirtschaftlichen und Sozialen Wandel, S. 566. 547 Ebd., S. 102. 548 VDB, 7. WP, 223. Sitzung, 18.2.1976, S. 15514. 549 Die öffentliche Hand will nichts abgeben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.10.1977.

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keit und rationelle Durchführung zu überprüfen.«550 In der fünften ihrer »Kieler Thesen« aus dem Jahr 1977 hielt die FDP fest: »Welche Aufgaben vom Staat übernommen werden sollen, kann allerdings nicht generell festgelegt werden. […] Es muß vielmehr dauernd geprüft werden, ob eine bestimmte Aufgabe besser von der privaten Wirtschaft oder vom Staat erfüllt werden kann.«551 Auch der CSU-Politiker Kurt Falthauser forderte in seinem bereits erwähnten Aufsatz über »Entstaatlichung«, dass künftig »alle Bereiche der staatlichen Leistungsverwaltung auf die Möglichkeit der (Re-)Privatisierung ernsthaft – ernsthafter als bisher – untersucht werden« sollten.552 Zahlreiche inhaltliche Überschneidungen wies Falthausers Text mit den Publikationen des Steuerzahlerbundes auf, die ebenfalls auf die Prüfungsbedürftigkeit im Einzelfall hinwiesen. Der Präsident Willy Haubrichs forderte bereits 1975, »daß jede staatliche Aufgabe daraufhin abgeklopft wird, ob sie tatsächlich im öffentlichen Sektor durchgeführt werden muß.«553 In der Publikation zum Thema »Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen« von 1978 hieß es dann unter Verweis auf die bereits zitierte »Privatisierungsformel«: »Ob die Voraussetzungen [der Privatisierungsformel] dann tatsächlich vorliegen, muß im Einzelfall geprüft werden.«554 Der Topos der fortdauernden Einzelfallprüfung war nicht nur ein diskursiver Knotenpunkt der Privatisierungsdebatten seit den siebziger Jahren. Die unterschiedlichen Sprecher steuerten diesen argumentativen Sammelplatz zudem aus unterschiedlichen Positionen an. Während die SPD-geführte Bundesregierung etwa die fortlaufende Diskussion lediglich »aufmerksam« verfolgen wollte,555 strebte der Steuerzahlerbund ganz im Gegensatz dazu die permanente Überprüfung an, welche Aufgaben überhaupt (noch) vom Staat übernommen werden sollten. Folglich ging es einerseits vornehmlich darum, die Inaugenscheinnahme des konkreten Falls einer generellen Privatisierungsforderung vorzuziehen. Aus der Perspektive der Privatisierungsbefürworter jedoch war es andererseits geboten, jede einzelne »öffentliche Aufgabe« auf den Prüfstand zu stellen. Auch in den achtziger Jahren blieb der Verweis auf die Prüfungsbedürftigkeit konkreter Fälle eine wirkmächtige Redefigur, mit der sich insbesondere zeitliche Verzögerungen im Verfahrensablauf begründen ließen. Die synonyme Verwendung der Etiketten »Privatisierung«, »Entstaatlichung« und »Entkommunalisierung«, der Fokus auf der Definition »öffentlicher Aufgaben« im kommunalen Bereich sowie die Verschränkung der Privatisierungsforderungen mit der Problematik öffentlicher Verschuldung bildeten die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale der Privatisierungsdiskussion in den siebziger 550 ACDP, CDU-Grundsatzprogramm 1978, S. 35. 551 AdL, Druckschriftenbestand, D1–135, Kieler Thesen der Freien Demokratischen Partei, S. 28; archiviert als PDF-Dokument, Signatur IN5–201. 552 Falthauser, S. 90. 553 Präsidium des Bundes der Steuerzahler, S. 3. 554 von Arnim, S. 17. 555 So der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenminister, Dr. Jürgen Schmude; VDB, 7. WP, 223. Sitzung, 18.2.1976, S. 15514.

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Jahren. Darüber hinaus waren die Debatten dieser Dekade eingepasst in größere diskursive Verweiszusammenhänge, die sowohl über die kommunikativen Prozesse der Definition staatlicher Aufgabenbereiche als auch teilweise über das Jahrzehnt hinaus strukturierende Wirkung entfalteten. Explizit eigneten sich einige Stimmen in der Privatisierungsdiskussion die Krisendiagnose der »Unregierbarkeit« westlicher Demokratien an, die in den siebziger Jahren wahrnehmbare Resonanz erzeugte, zugleich jedoch auf diese Dekade beschränkt blieb.556 Der Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis, der Mitte des Jahrzehnts mit Unterstützung der Thyssen-Stiftung einen Arbeitskreis »zu Problemen der Regierbarkeit freiheitlich-westlicher Industriegesellschaften« gründete,557 unternahm 1977 den Versuch einer definitorischen Annäherung an das öffentlichkeitswirksam beklagte Phänomen und schlug vor, die Wörter »Regierbarkeit« und »Unregierbarkeit« »einzig zur Kennzeichnung spezifischer Schwierigkeiten des Regierens in Gemeinwesen vom Muster der westlichen, demokratischen Verfassungsstaaten« zu verwenden.558 Als wesentliche Kennzeichen der »(Un-)Regierbarkeits«-Problematik identifizierte er die steigenden »Erwartungen« an die »Regierungen der modernen Staaten«,559 die »veränderten Rahmenbedingungen« des Regierens,560 insbesondere die »Aufhebung der Territorialität« sowie die »ökologischen Gefährdungen«,561 sowie den hieraus resultierenden Verlust staatlicher Steuerungsmöglichkeiten.562 Der Anspruch einer möglichst präzisen Benennung, scharfen Eingrenzung und wissenschaftlichen Analyse, mit dem Hennis und seine Kollegen angetreten waren, gründete auf der Beobachtung, die Wörter »Unregierbarkeit« und »Regierbarkeit« seien »verschlissen, zu plumpen Vokabeln herabgekommen, Reizworte, die sich die Politiker an den Kopf werfen«.563 Diese Formulierungen reflektierten, dass auch und gerade »Unregierbarkeit« eine schillernde Bezeichnung war, die sich insbesondere aufgrund ihrer Uneindeutigkeit als Adressat für unterschiedliche ideologische Zuschreibungen, als Bündel verschiedener Krisenbeschreibungen und als Sonde für die Vermessung staatlicher Zuständigkeitsbereiche eignete.564 Folglich nahm das Wort »Unregierbarkeit«, das Jürgen Habermas aufgrund des hohen politisch-publizistischen Gebrauchswerts in seine Sammlung von Stichwörtern zur »Geistigen Situation unserer Zeit« aufnahm,565 auch in den Privatisierungsdiskussionen der siebziger Jahre eine wichtige, wenngleich unterschiedliche Funktion ein. Die deutsche Sektion des Internationalen Instituts 556 Grundlegend: Metzler, Staatsversagen; dies., Konzeptionen, S. 404–411; Hacke. 557 Hennis, Regierbarkeit, Zit. S. 7. 558 Hennis, Begründung, S. 10. 559 Ebd., S. 12. 560 Ebd., S. 13. 561 Ebd., S. 14. 562 Vgl. auch: Offe, Unregierbarkeit, S. 296–297. 563 Hennis, Begründung, S. 9. 564 Metzler, Staatsversagen, v. a. S. 243. 565 Offe, Unregierbarkeit.

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für Verwaltungswissenschaften etwa veranstaltete im Juni 1976 eine Fachtagung zum Thema »Regierbarkeit? Dezentralisation? Entstaatlichung«, deren Titel sogleich die Verknüpfung der »Unregierbarkeits«-Problematik mit Möglichkeiten der Privatisierung nahelegte.566 Im ersten inhaltlichen Tagungsbeitrag sah der vormalige Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, Hans Reschke, seine Aufgabe dann auch unter anderem darin, »einige Bemerkungen«567 zu Privatisierungen als möglicher Rezeptur gegen die »gefährdete Regierbarkeit von Gemeinden und Staat« zu machen. Vornehmlich war ihm allerdings daran gelegen, mit der Behauptung des BMF-Beirates aufzuräumen, »daß besonders auf kommunaler Ebene eine privaten Gruppen gegenüber feindliche Ideologie der verantwortlichen politischen Willensträger bestände«.568 Ferner konzedierte Reschke zwar »manche Möglichkeiten in Richtung einer Privatisierung«, ohne diese jedoch zu konkretisieren oder persönlich Stellung zu beziehen.569 Neben dieser weitgehend deskriptiven Verknüpfung der Bedeutungsimplikate von »Regierbarkeit« und »Entstaatlichung« standen dezidierte Privatisierungsforderungen, die anschlossen an die – ebenfalls mit dem Stichwort »Unregierbarkeit« verknüpfte – Diagnose einer zunehmenden Handlungsunfähigkeit des Staates, einer – in den Worten Claus Offes – »unmittelbare[n] Gefahr eines chronischen oder gar akuten Staatsversagens«.570 Elmar Pieroth stellte beispielsweise in einem Zeit-Beitrag fest: »Seit die These von einer drohenden Unregierbarkeit demokratischer Staaten in der Bundesrepublik diskutiert wird, wird vielfach die Fehlsteuerung privater und öffentlicher Mittel als Ursache für die gegenwärtige Wirtschaftsund Finanzkrise genannt.«571 Hierbei ging es dem CDU-Wirtschaftspolitiker weder um einen Beitrag zu den genannten Diskussionen noch um eine trennscharfe Verwendung von »Unregierbarkeit«. Vielmehr nutzte er die durch dieses Wort bei der Leserschaft aufgerufenen Assoziationen, um die eigenen Privatisierungsforderungen plausibel zu machen. Der Kölner Ökonom und Direktor des dortigen Instituts für Wirtschaftspolitik, Christian Watrin, der ebenfalls dem Arbeitskreis um Wilhelm Hennis angehörte, betrachtete hingegen die »Regierbarkeits«-Problematik aus wirtschaftswissenschaftlicher und -politischer Sicht. Hierbei knüpfte er an die »in der neueren wirtschaftspolitischen Diskussion« vorgenommene Unterscheidung »zwischen privaten und öffentlichen Gütern«572 an und beklagte »Tendenzen zur Überforderung des Staates durch die ständige Kreierung immer neuer öffentlicher Güter«573 sowie politische Entscheidungen »für bürokratische Regelungen an Stelle denkbarer marktwirtschaftlicher 566 Wagener. 567 Reschke, S. 45. 568 Ebd., S. 46. 569 Ebd., S. 49. 570 Offe, Unregierbarkeit, S. 296. 571 Ein Weg ohne Umkehr?, in: Die Zeit, 31.10.1975. 572 Watrin, Überlastung, S. 248. 573 Ebd., S. 253.

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Lösungen«.574 Ziel müsse stattdessen sein, zum einen »die Staatstätigkeit auf die Lösung jener Probleme zu konzentrieren, die vom Markt nicht oder nur unzureichend bewältigt werden« könnten, um »staatliche Instanzen nicht durch Aufgaben zu überlasten und sie tunlichst nicht mit der Erstellung jener Güter zu belasten, die auch durch private Unternehmen oder gesellschaftliche Einrichtungen effizient erstellt werden« könnten.575 Aus »ordnungspolitisch[er]« Sicht seien zum anderen »Maßnahmen« anzustreben, »die einzelwirtschaftliches Verhalten durch geeignete rechtliche Datensetzungen gemeinwohlverträglich« machten.576 Der Ökonom Wolfram Engels teilte die Analyse seines Fachkollegen, wenngleich er den Blick vornehmlich nicht auf die Definition privater und öffentlicher »Güter«, sondern auf die gesellschaftlichen Formen richtete, die für deren Bereitstellung verantwortlich waren. So schrieb er etwa 1976 in einem populärwissenschaftlichen Buch: »Inzwischen werden in unserer Gesellschaft Krisensymptome deutlich. Der Irrglaube an die Machbarkeit hat uns zu dem Irrtum verführt, man könne Märkte ohne Leistung und Bürokratien ohne Herrschaft haben. Das Ergebnis ist wirtschaftliche Lähmung, ist Verschwendung, sind erste Anzeichen von Chaos (»Unregierbarkeit«). Wir brauchen einen kleinen, aber handlungsfähigen Staat, wir schaffen einen großen, aber ohnmächtigen.«577 Die Privatisierungsforderungen der siebziger Jahre waren somit einerseits explizit auf die »Unregierbarkeits«-Diagnose bezogen und trugen andererseits, indem sie »Versuche der Renormativierung« staatlicher Tätigkeiten als Gegenmaßnahmen transportierten, zur Begrenzung dieser wirkmächtigen Problembeschreibung auf die Dekade bei.578 Darüber hinaus machen die Aussagen der beiden Ökonomen Christian W ­ atrin und Wolfram Engels zwei weitere diskursive Verweiszusammenhänge sichtbar, in welche die Debatten um funktionale Privatisierungen eingebunden waren. Die Leitunterscheidung von »Markt« und »Bürokratie« geht sogar maßgeblich auf die wissenschaftlichen und publizistischen Arbeiten von Engels zurück, der nach seiner Promotion in Köln und der Habilitation an der Universität Saarbrücken seit 1968 als Professor für Betriebswirtschafts- und Bankenbetriebslehre an der Universität Frankfurt am Main lehrte, der breiteren Öffentlichkeit allerdings vornehmlich als CDU-Mitglied und mehr noch als Autor zahlreicher populärwissenschaftlicher Bücher sowie als Kolumnist und Mitherausgeber der Wirtschaftswoche bekannt geworden war. Ausführlich entwickelte Engels die Dichotomie von »Markt« und »Bürokratie«, die sich an der im Jahr zuvor erschienenen Monographie des US-amerikanischen Ökonomen Oliver William­son über »Markets and Hierarchies«579 orientierte, in seinem Buch »Mehr Markt« 574 Ebd., S. 252. 575 Ebd., S. 250. 576 Ebd., S. 253. 577 Engels, Markt, S. 11. 578 Zur »Überwindung« der »Unregierbarkeit«: Metzler, Staatsversagen, S. 252–255, Zit. S. 253. 579 Williamson. Zur Geschichte des organisatorischen Denkens: Bonazzi.

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aus dem Jahr 1976, in dem er beide als die ausschließlichen »zwei Formen der gesellschaftlichen Organisation« bezeichnete: »Wer beide ablehnt, wählt das Chaos.«580 Engels konzedierte zwar, dass die Leitunterscheidung von »Markt« und »Bürokratie« als »Organisationsprinzipien« von Gesellschaft idealtypisch sei, vertrat gegenüber seiner Leserschaft jedoch den Anspruch, anhand dieser Dichotomie die Überlegenheit marktförmiger Organisationsweisen als Wohlstandsgaranten vorzuführen. Zu diesem Zweck identifizierte er zunächst »Hierarchie« und »Befehl« als zentrale Merkmale von »Bürokratie«,581 um den Typus »Markt« hiervon scharf und zugleich positiv abzugrenzen: »An die Stelle der Hierarchie treten Handelspartner. Am reinen Markt gibt es weder Befehl noch Herrschaft. An ihre Stelle tritt der Handel, also Freiwilligkeit zu gegen­ seitigem Nutzen. Die Initiative am Markt geht von jedem einzelnen Marktteilnehmer – von der Basis – aus. Schließlich braucht ein Markt weder Macht noch Kontrolle. An ihre Stelle treten Motivation und Eigeninteresse. Der Marktpartner ist selbstverantwortlich; nicht das Einhalten eines Befehls, sondern das Erreichen eines Erfolges (die Leistung) zählt.«582

Im Folgenden übertrug Engels diese Dichotomie auf das Verhältnis von »Staat« und »Wirtschaft«, wobei er konstatierte: »Den zentralen, bürokratisch organisierten Teil der Gesellschaft nennen wir ›Staat‹.« Zwar räumte er ein, dass eine »klassische Alternativstellung – ›Wirtschaft oder Staat‹« angesichts staatlicher Unternehmen und auch wachsender Verwaltungsstrukturen in Großkonzernen »nicht mehr zeitgemäß« sei.583 Gleichwohl ging es Engels darum, die zunehmende »Bürokratisierung« als gesellschaftliches Problemfeld sichtbar zu machen: »[Die] Ausdehnung des Staates, d. h. des bürokratisch gelenkten Teils der Gesellschaft, geht sowohl mit einem Abbau von Marktelementen innerhalb des Staates wie auch einer Bürokratisierung der Wirtschaft einher.«584 Die Lösung dieses Problems könne deshalb einzig liegen »in einer Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft: im Ersatz von Bürokratie durch Markt«.585 Die von Engels umschriebene Unterscheidung gesellschaftlicher »Organisationsprinzipien« bildete einen anschlussfähigen Verweiszusammenhang für die Privatisierungsforderungen seit den siebziger Jahren. In verdichteter Form war sie beispielsweise sichtbar in der Formel »Weniger Bürokratie – mehr Leistung«, die Willy Haubrichs, der Präsident des Steuerzahlerbundes, in seinem Geleitwort zu den »Entstaatlichungs«-Forderungen des Verbandes gebrauchte.586 Die oben zitierte wirtschaftswissenschaftliche Betrachtung der »Unregierbarkeits«580 Engels, Markt, S. 10. 581 Ebd., S. 18. 582 Ebd., S. 19. 583 Ebd., S. 20. 584 Ebd., S. 107. 585 Ebd., S. 81. 586 Präsidium des Bundes der Steuerzahler, S. 5.

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Problematik, die Engels’ Fachkollege Christian Watrin vorlegte, war ebenfalls orientiert an der Leitunterscheidung von »Markt« und »Bürokratie«. So führte Watrin »Beispiele« an, »bei denen die Entscheidung für bürokratische Regelungen an Stelle denkbarer marktwirtschaftlicher Lösungen in zunehmende verwaltungsmäßige Schwierigkeiten« führe,587 um seine These zu belegen, die Zunahme »öffentlicher Güter« sei ursächlich für das allseits beklagte Problem der »Unregierbarkeit«. Seine Ausführungen im Arbeitskreis »Entstaatlichung« der »Bad Kreuznacher Gespräche« im Mai 1975 hatte Engels schon mit einem Verweis auf »Markt« und »Bürokratie« als die zwei grundlegenden gesellschaftlichen »Organisationsformen« eingeleitet. Bereits hier hatte er festgestellt: »Zwischen Markt und Bürokratie gibt es eine Fülle von Übergangsformen. Es gibt aber nichts Drittes.«588 Der Veranstalter der Tagung, der CDU-Wirtschaftspolitiker Elmar Pieroth, integrierte Engels’ Aussagen in der Folge bruchlos und teils sogar wörtlich in seine eigenen Veröffentlichungen. So dozierte er im Oktober desselben Jahres in der Zeit: »Im Grunde genommen stehen uns zwei Steuerungssysteme zur Verfügung, um Entscheidungen und Aktionen zu koordinieren: der Markt und die Bürokratie«, um anschließend die Zunahme »bürokratischer« Elemente als Problem zu identifizieren: »Zweifellos ist in den letzten Jahren die Bürokratie auf Kosten des Marktes enorm angewachsen. […] Die Erfahrungen mit bürokratischer Steuerung haben [je]doch zur Genüge deutlich gemacht, daß die Alternative nur lauten kann: Mehr Markt und weniger Bürokratie zur Lösung der Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft.«589 In der skizzierten argumentativen Einbettung bildete die Leitunterscheidung von »Markt« und »Bürokratie« einen wichtigen Verweiszusammenhang nicht nur für die Privatisierungsforderungen seit den siebziger Jahren, sondern auch für die Forderungen nach einer Reform der Deutschen Bundespost und das erklärte politische Ziel der »Entbürokratisierung«, das im Laufe der achtziger Jahre wiederholt formuliert wurde. Zugleich war diese argumentative Verknüpfung jedoch Ausdruck einer selektiven Rezeption der von Engels perpetuierten Dichotomie. Wenn dieser nämlich feststellte: »Den zentralen, bürokratisch organisierten Teil der Gesellschaft nennen wir ›Staat‹«,590 verwies er damit zwar auf die in der öffentlichen Diskussion verbreitete Identifizierung von »Staat« mit »Bürokratie«, der er aber selbst nicht uneingeschränkt folgte. Vielmehr sagte Engels im Rahmen der »Bad Kreuznacher Gespräche« ausdrücklich, es könne »vernünftigerweise nicht um Verstaatlichung oder Entstaatlichung von Aktivitäten gehen, sondern lediglich um zweckmäßige Organisationsformen. Der Staat kann eigene Aktivitäten marktmäßig organisieren.«591 Im Kern ging es Engels folglich um die Ausrichtung gesellschaftlicher Institutionen an den »Organisationsprinzipien« 587 Watrin, Überlastung, S. 252. 588 Engels, Leistung, S. 15. 589 Ein Weg ohne Umkehr?, in: Die Zeit, 31.10.1975. 590 Engels, Markt, S. 10. 591 Engels, Leistung, S. 15.

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des »Marktes«, nicht jedoch  – oder zumindest nicht ausschließlich  – um die Reduktion der (wirtschaftlichen) Zuständigkeitsbereiche des Staates. Hierfür spricht auch, dass Engels in seinem Bad Kreuznacher Vortrag explizit auf seinen US-amerikanischen Fachkollegen James M. Buchanan verwies,592 der Mitte der siebziger Jahre begonnen hatte, auch politische Handlungen als ökonomische Tauschbeziehungen zu verstehen und zu modellieren.593 In den bundesrepublikanischen Debatten um den Zuschnitt staatlicher Aufgabenbereiche blieb die Dichotomie »Bürokratie« – »Markt« gleichwohl bestimmend als Synonym für die Gegenüberstellung von »Staat« und »Wirtschaft«. Die von Christian Watrin außerdem formulierte Forderung, »einzelwirtschaftliches Verhalten durch geeignete rechtliche Datensetzungen gemeinwohlverträglich« zu machen,594 knüpfte an die ordoliberale Definition des Staates als wirtschaftlicher Ordnungsgarant an, der nicht selbst am Wirtschaftsgesehen zu partizipieren, sondern lediglich dessen »Rahmen« abzustecken und zu sichern hatte. Eingepasst war die Aussage Watrins in einen größeren diskursiven Zusammenhang, in dem sich die Diagnose einer »Krise der Sozialen Marktwirtschaft« mit dem Postulat der Rückbesinnung auf die ordnungspolitischen Weichenstellungen der jungen Bundesrepublik verband. Da auch die »Entstaatlichungs«-Politik der achtziger Jahre in dieses Verweissystem eingebunden war, wird es im folgenden Kapitel ausführlicher beschrieben. Die Privatisierungsdiskussionen der siebziger Jahre lassen sich einerseits insofern von den Privatisierungs- und »Entstaatlichungs«-Phasen der fünfziger und sechziger sowie der achtziger Jahre abgrenzen, als sie auf funktionale Privatisierungen im kommunalen Bereich beschränkt blieben und nicht ohne Verweis auf die öffentliche Verschuldung als Problemhintergrund auskamen. Andererseits werden anhand der Debatten Kontinuitätslinien sichtbar, die sowohl in die nachfolgende Dekade hineinreichen als auch auf die Frühphase der Bundesrepublik zurückverweisen. Zudem hilft der Blick auf die neue Privatisierungsdiskussion der siebziger Jahre, das beteiligungspolitische Bild dieses Jahrzehnts genauer und differenzierter zu zeichnen. Während auf Bundesebene eine Tendenz zur Verstaatlichung zu beobachten ist, die sowohl auf beteiligungspolitische Neuorientierungen und kommunikative Prozesse der »Versicherheitlichung« als auch Diversifizierungsstrategien der Unternehmen im Bundesbesitz zurückzuführen ist, standen die siebziger Jahre seit Mitte der Dekade ebenso im Zeichen einer neuerlichen Auseinandersetzung um die Begrenzung staatlicher Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche, die gleichwohl auf den kommunalen Bereich beschränkt blieb. Dieser Befund verweist nicht nur abermals auf die unterschiedlichen politisch-administrativen Ebenen im bundesdeutschen Föderalsystem, die auch und gerade bei der Betrachtung der Definitionsprozesse von wirtschaftlichen Aufgaben des Staates zu berücksichtigen sind. Die Gleichzeitig592 Ebd., S. 21. 593 Zuerst ausführlich in: Buchanan. 594 Watrin, Überlastung, S. 253.

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keit von Verstaatlichung und Privatisierungsdiskussion verleiht den siebziger Jahren vielmehr eine bemerkenswerte Doppelgesichtigkeit  – als episodisches Zwischenspiel beteiligungspolitischer Umorientierung einerseits und als Bindeglied zwischen zwei Phasen der Entstaatlichung andererseits.

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Dritter Teil: Die Verheißung der »Entstaatlichung«, 1980–1989

1. »Entstaatlichung« als verheißungsvolles politisches Projekt 1.1 Zwischen Revitalisierung und Revision Hatten die Privatisierungsdebatten der siebziger Jahre, die um die Möglichkeiten funktionaler Privatisierungen im kommunalen Bereich gekreist waren, auf Bundesebene zunächst allenfalls ein leises Echo in einzelnen Fragestunden des Deutschen Bundestages ausgelöst, war es insbesondere der CSU-Bundestagsabgeordnete und vormalige Bundesschatzminister Werner Dollinger, der Fragen wirtschaftlicher Zuständigkeitsbereiche des Staates gegen Ende dieses Jahrzehnts wieder auf die bundespolitische Agenda setzte. Nachdem Dollinger gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der Unionsfraktion bereits seit Mitte der Dekade mehrere parlamentarische Anfragen an die Bundesregierung gerichtet hatte, die sich auf die Mitgliedschaft von Bundestagsabgeordneten, Parlamentarischen Staatssekretären und hochrangigen Bundesbeamten in Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen im Bundesbesitz bezogen hatten, thematisierte die CDU / CSU-Fraktion seit Frühjahr 1977 unter seiner Federführung fortlaufend Möglichkeiten der materiellen Privatisierung von Bundesunternehmen.1 So ergänzte Dollinger beispielsweise eine Anfrage zur Aufsichtsratsbesetzung bei der Deutschen Lufthansa vom Mai 1977 um die Frage, ob nicht die Begrenzung der Bundesbeteiligungen auf etwa 51 Prozent »ausreichend« sei,2 oder erkundigte sich im August 1978 nach der Bereitschaft des Kabinetts, die VEBABeteiligungen des Bundes »endgültig zu privatisieren«.3 Im März 1980 zeichnete er dann für eine »Kleine Anfrage« seiner Fraktion verantwortlich, die auf eine grundsätzliche Erörterung des Themas »Privatisierung von Bundesbeteiligungen« abzielte. Dollinger und seine Fraktionskollegen verwiesen hierin auf bereits eingeleitete Privatisierungsmaßnahmen in Großbritannien und Frankreich, auf deren Grundlage sie nach der generellen Bereitschaft der Bundesregierung fragten, »auch den Bundesbesitz auf Privatisierungsmöglichkeiten zu untersuchen«. Zudem benannten sie konkret mit der Deutschen Pfandbriefanstalt sowie – zum wiederholten Male – der Deutschen Lufthansa und der VEBA drei 1 Eine Übersicht der Anfragen sowie der zugehörigen Antworten findet sich bei: Knauss, Äußerungen, S. 407–408. 2 BT-Drucksache VIII/487, S. 2. 3 BT-Drucksache VIII/2114, S. 12.

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Beteiligungsunternehmen, deren Veräußerung zu erwägen sei.4 Wenn die sozial-liberale Bundesregierung in Person von Finanzminister Hans Matthöfer die Fragen auch abwehrend beantwortete und auf den zuvor bereits mehrfach formulierten Grundsatz pochte, den »Mehrheitseinfluß« des Bundes wahren zu wollen,5 blieb die Bemessung der wirtschaftlichen Einfluss- und Zuständigkeitsbereiche des Staates fortan ein Thema von bundespolitischer Relevanz. Klarere Konturen verlieh diesem politischen Feld ebenfalls Dollinger, indem er im Herbst 1980 in einem programmatischen Aufsatz mehrere »Grundsätze der CDU / CSU für die öffentliche Beteiligungspolitik« formulierte. Um den grundlegenden Charakter seiner Ausführungen hervorzuheben, betonte er einleitend: »Die Grenzen der öffentlichen Wirtschaft müssen immer wieder prinzipiell überdacht und gegebenenfalls neu abgesteckt werden.«6 Den Maßstab für diese Grenzziehung zwischen staatlicher und privater Wirtschaftstätigkeit sollte die Bundeshaushaltsordnung bereitstellen, die in Paragraph 65 die Beteiligung des Bundes an Unternehmen des Privatrechts an die Bedingung knüpfte, dass »ein wichtiges Interesse des Bundes vorliegt und sich der vom Bund angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen läßt«.7 Dollinger berief sich auf diese Bestimmung und forderte: »Es muß ein wichtiges Interesse der öffentlichen Hand an einer Beteiligung vorliegen, um sie zu rechtfertigen. […] Grundlinie der unternehmerischen Beteiligungen von Bund, Ländern, Kreisen und Kommunen muß sein und bleiben, daß ein wichtiges Interesse vorliegen muß, dem auf andere Weise nicht entsprochen werden kann. Dies gilt nicht nur für das Eingehen einer Beteiligung, dieser Maßstab muß auch immer wieder an den bereits vorhandenen Unternehmensbesitz angelegt werden«.8

Mit diesem Postulat etablierte der CSU-Politiker in den bundespolitischen Debatten nicht nur ein weiteres deutungsbedürftiges Wortpaar, das sich für politische Kommunikationsprozesse im Spannungsfeld von Uneindeutigkeit und Verbindlichkeit eignete. Er knüpfte vielmehr zugleich an eine Verweisstruktur an, die in den frühen siebziger Jahren und damit unter der sozial-liberalen Bundesregierung grundgelegt worden war. Im September 1971 hatte der Bundesrechnungshof unter Berufung auf den erwähnten Paragraphen 65 der Bundeshaushaltsordnung empfohlen, die Beteiligungen des Bundes an erwerbswirtschaftlichen Unternehmen im Hinblick auf ein »wichtiges Interesse des Bundes« zu »prüfen«. »Ergeben diese Überprüfungen durch die zuständigen Bundes­ ministerien, daß Beteiligungen nicht mehr beizubehalten sind, so wäre zu erwägen, ob und in welcher Weise eine Veräußerung im Einzelfall in Betracht 4 BT-Drucksache VIII/3862, S. 1. 5 BT-Drucksache VIII/3895, Zit. S. 2. 6 W. Dollinger, Grundsätze der CDU / CSU für die öffentliche Beteiligungspolitik, in: ZögU, Bd. 3, 1980, S. 457–464, hier: S. 457. 7 Bundeshaushaltsordnung (BHO) vom 19.8.1969, in: BGBl, Teil I, Nr. 81, 23.8.1969, S. 1284–1302, hier: S. 1293. 8 Dollinger, Grundsätze, S. 459.

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kommt«.9 Den Empfehlungen hatte sich der Haushaltsauschuss des Deutschen Bundestages angeschlossen, dessen entsprechendem Antrag das Parlament im Juni 1973 zugestimmt hatte.10 Wenn dieser Beschluss im Laufe der siebziger Jahre auch keine unmittelbaren beteiligungspolitischen Konsequenzen zeitigte,11 stellte er dennoch einen Verweiszusammenhang her, der bereits in den Privatisierungsdebatten der siebziger Jahre die beschriebene strukturbildende Wirkung entfaltete: Privatisierungsoptionen waren zum einen fortlaufend und zum anderen im Einzelfall zu prüfen. Während die Diskussionen über funktionale Privatisierungen auf kommunaler Ebene vorwiegend um das Wortpaar der »öffentlichen Aufgabe« kreisten, avancierte das in der Bundeshaushaltsordnung vorgeschriebene »wichtige Bundesinteresse« zum Maßstab für die bundespolitischen Auseinandersetzungen. An den Gemeinsamkeiten der Verweisstruktur, die in den achtziger Jahren wirkmächtig bleiben sollte, änderte dies nichts. Dollinger knüpfte ebenfalls an die Empfehlungen des Bundesrechnungshofes an, indem er die Bundesregierung aufforderte, »den öffentlichen Auftrag ihrer Beteiligung in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und bejahendenfalls dies dem Parlament gegenüber zu begründen.«12 Des Weiteren postulierte er: »Kann der öffentliche Auftrag jedoch nicht stichhaltig begründet werden, müssen entsprechende Privatisierungsmaßnahmen eingeleitet werden.«13 Dollingers Grundsatz lautete: »Auch der Bund sollte sich nicht scheuen, überflüssig gewordene Beteiligungspositionen abzustoßen«. Abermals verwies er auf die Privatisierungsvorhaben der britischen wie der französischen Regierung und nannte die Deutsche Lufthansa sowie die Deutsche Pfandbriefanstalt als Beteiligungsunternehmen, deren Privatisierung in Betracht zu ziehen sei.14 Mit den zahlreichen parlamentarischen Anfragen sowie der Formulierung beteiligungspolitischer Prinzipien konnte der ehemalige Bundesschatzminister Dollinger nicht nur sein eigenes Profil schärfen, sondern auch das wirtschaftliche Aufgaben- und Zuständigkeitsgebiet des Staates wieder als Themenfeld von bundespolitischer Relevanz ausweisen. Den Referenzrahmen der bisherigen Debatten erweiterte er hierbei in zweierlei Hinsicht. Zum einen waren fortan nicht mehr ausschließlich »öffentliche Aufgaben« im kommunalen Bereich ­Gegenstand der Auseinandersetzung, rief Dollinger doch ebenso Bund und Länder dazu auf, ihre Unternehmensbeteiligungen zu überprüfen. Indem er insbesondere den Bund, aber auch die Länder als Anteilseigner adressierte, stellte er zum anderen die Veräußerung von öffentlichen Besitzbeständen zur Disposition und weitete damit den Bezugsrahmen der Diskussionen auf materielle Privatisierungen aus. 9 BT-Drucksache VI/2697, S. 96. 10 BT-Drucksache VII/749, S. 31; VDB, 7. WP, 42. Sitzung, 14.6.1973, S. 2388. 11 Knauss, Verlauf, S. 156–157; ders., Entscheidungen, S. 167. 12 Dollinger, Grundsätze, S. 460. 13 Ebd., S. 460–461. 14 Ebd., S. 460.

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Hatte Werner Dollinger an der Schwelle zu den achtziger Jahren Fragen der Beteiligungspolitik auf die bundespolitische Agenda zurückgeholt, ging Helmut Kohl nach seiner Wahl zum Bundeskanzler daran, die Begrenzung staatlicher Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche als eines der wichtigsten politischen Projekte der neuen schwarz-gelben Bundesregierung zu deklarieren. In seiner ersten Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag im Oktober 1982 war Kohl zunächst bestrebt, die Amtsübernahme des neuen Kabinetts als Zäsur zu kennzeichnen,15 sprach er doch über »die Schwerpunkte und die Grundsätze […], nach denen wir in den vor uns liegenden Jahren eine Politik der Erneuerung einleiten werden.«16 Einen wesentlichen Bestandteil des angekündigten Politikwechsels sollte der weitreichende Rückbau staatlicher Zuständigkeiten und Besitzbestände bilden, den der neue Regierungschef in dem viel zitierten Satz zum Ausdruck brachte: »Wir wollen den Staat auf seine ursprünglichen und wirklichen Aufgaben zurückführen«.17 Nach seiner Wiederwahl im Frühjahr 1983 bekräftigte Kohl diese Absicht nochmals und zählte die Rückführung des Staates »auf den Kern seiner Aufgaben« zu den »Leitgedanken« der künftigen Kabinettsarbeit.18 Diese zweite Regierungserklärung im Allgemeinen sowie die darin enthaltene prägnante Formel von der Reduktion des Staates »auf den Kern seiner Aufgaben« im Besonderen fungierten in den nachfolgenden beteiligungspolitischen Auseinandersetzungen der achtziger Jahre als zentrale Referenzpunkte, kam doch fortan kaum ein Diskussionsbeitrag ohne den Verweis auf die programmatischen Äußerungen Kohls aus, mit denen der Bundeskanzler die enge Begrenzung staatlicher Aufgabenbereiche zu einem regierungspolitischen Projekt ersten Ranges erklärt hatte. Doch blieb der Status der Regierungserklärung nicht allein auf den eines referentiellen Bezugspunktes beschränkt, steckte Kohl aus seiner wirkmächtigen Sprecherposition doch ebenso das argumentative Feld ab, auf dem sich die Auseinandersetzungen der folgenden Jahre bewegen sollten. Zu beobachten ist hierbei eine thematische Akzentverschiebung, die zugleich erneut einen wesentlichen Unterschied zu den Privatisierungsdebatten der siebziger Jahre sichtbar macht. So hatte der Bundeskanzler die finanz- und wirtschaftspolitischen Elemente der angekündigten »Politik der Erneuerung« noch in seiner ersten Regierungserklärung in einem »haushaltspolitische[n] Dringlichkeitsprogramm« 15 Die bis in die Gegenwart im kollektiven Gedächtnis verwurzelte Wortverbindung »geistigmoralische Wende« gebrauchte der Bundeskanzler hierbei gleichwohl nicht. Den Status des Wortpaares, das auch in programmatischen Äußerungen der Unionsparteien zu Beginn der achtziger Jahre nicht vorkam, als Chiffre für eine konservative Zeitenwende begründeten vielmehr insbesondere Kritiker aus dem linksliberalen und linken politischen Spektrum; ausführlich hierzu: Hoeres, Tendenzwende. Eine andere Analyse der »Wende«-Rhetorik liefert: Wirsching, Konstruktion. Zur »Tendenzwende« der siebziger Jahre: Schildt, Kräfte. Zu deren sprachpolitischer Dimension: Geyer, Kritik; ders., War. 16 VDB, 9. WP, 121. Sitzung, 13.10.1982, S. 7213–7229, Zit. S. 7215. 17 Ebd., S. 7224. 18 VDB, 10. WP, 4. Sitzung, 4.5.1983, S. 56.

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zusammengefasst19 und damit die Notwendigkeit zur Eingrenzung der Staatstätigkeit unmittelbar aus der »Finanzkrise unseres Staates«20 abgeleitet. Dass Kohls Aussagen in Verweiszusammenhängen standen, die bereits die Diskussionen der siebziger Jahre gerahmt hatten, zeigt auch sein Hinweis auf »den Unterschied zwischen strukturellem und konjunkturbedingtem Defizit«, den der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium bereits 1975 festgestellt und damit die nachfolgenden Debatten vorstrukturiert hatte. Der Kanzler berief sich allerdings auf den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und betonte: »Unsere Konsolidierungspolitik zielt eindeutig auf den strukturellen Kern.«21 Die enge Verknüpfung zwischen der Begrenzung staatlicher Aufgabenbereiche und dem öffentlichen Haushaltsdefizit, welche die Privatisierungsdebatten der vorherigen Dekade noch ausgezeichnet hatte, war jedoch für die nachfolgenden Diskussionen nicht mehr von starker diskursiver Prägekraft, verlagerte sich der Fokus doch auf ordnungs- und wettbewerbspolitische Fragen, also auf die diskursive Grenzziehung zwischen Staat und Wirtschaft sowie die Ausgestaltung des wirtschaftlichen Marktgeschehens. Den argumentativen Rahmen hierfür umrissen ebenfalls die beiden ersten Regierungserklärungen Helmut Kohls, die zum einen geprägt waren von der Rückbesinnung auf die Etablierung der »Sozialen Marktwirtschaft« als Wirtschaftsordnung für die Bundesrepublik in der frühen Nachkriegszeit. So sagte Kohl bereits im Oktober 1982 nicht ohne Pathos: »Was 1949 gelang, unter schweren seelischen Wunden und materiellen Lasten, das ist auch heute möglich und notwendig. […] Die Soziale Marktwirtschaft war ein schöpferisches Werk. Sie bedeutet nicht allein Wohlstand. Sie begründet eine soziale Friedensordnung, die auch heute noch in vielen Ländern der Welt als vorbildlich gilt.«22 Fungierte die »Soziale Marktwirtschaft« hier ausschließlich als erinnerungspolitische Chiffre, während der Bundeskanzler die politischen Ziele der Bundesregierung noch eng mit der öffentlichen Haushaltskrise verknüpfte, erhielt das Wortpaar »Soziale Marktwirtschaft« in der folgenden Regierungserklärung bereits eine ordnungspolitische Konnotation. Darin betonte Kohl, die in Aussicht gestellte »Politik der Erneuerung« müsse sich »zuerst beweisen in der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft. Alle geschicht­ lichen Erfahrungen dieses Jahrhunderts lehren: Eine Wirtschaftsordnung ist um so erfolgreicher, je mehr sich der Staat zurückhält und dem einzelnen seine Freiheit läßt. […] Wir wollen nicht mehr Staat, sondern weniger; wir wollen nicht weniger, sondern mehr persönliche Freiheit.«23

19 VDB, 9. WP, 121. Sitzung, 13.10.1982, S. 7218. 20 Ebd., S. 7214. 21 Ebd., S. 7218. 22 Ebd., S. 7216. 23 VDB, 10. WP, 4. Sitzung, 4.5.1983, S. 57.

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Die Wortverbindung »Soziale Marktwirtschaft« stand hier für eine Wirtschaftsordnung, in der die Zuständigkeitsbereiche des Staates klar und eng begrenzt waren. Das politische Projekt der Rückführung des Staates auf seinen »Kern« war damit zugleich ein Projekt der Revitalisierung der »Sozialen Marktwirtschaft«. Zum anderen wies Helmut Kohl bereits in seiner ersten Regierungserklärung anhand kontrastiver Wortpaare die Richtung, die das politische Projekt der Begrenzung staatlicher Aufgabenbereiche einschlagen sollte: »[W]eg von mehr Staat, hin zu mehr Markt; weg von kollektiven Lasten, hin zur persönlichen Leistung; weg von verkrusteten Strukturen, hin zu mehr Beweglichkeit, Eigeninitiative und verstärkter Wettbewerbsfähigkeit.«24 Damit schloss der Bundeskanzler nicht nur an die Bewegungsmetaphorik an, die schon in den Privatisierungsdebatten der siebziger Jahre Plausibilität entfaltet hatte, als beispielsweise der Steuerzahlerbund »Entstaatlichung« als einen »Prozeß« definiert hatte, der »hin zum Privaten und weg vom Staat« führe.25 Die gegensätzlichen Wortpaare markierten vielmehr die diskursiven Grenzlinien zwischen Staat und Markt, Kollektiv und Individuum, Statik und Dynamik, deren Umrisse schon in der Privatisierungsdiskussion des vorherigen Jahrzehnts sichtbar geworden waren und entlang derer die Debatten um die wirtschaftlichen Aufgabenbereiche des Staates fortan geführt werden sollten. Die Wörter »Dynamik« bzw. »Beweglichkeit« und »Wettbewerbsfähigkeit« lassen überdies bereits ein verändertes Verständnis von ökonomischen Vorgängen erkennen, das die nachfolgenden Auseinandersetzungen ebenso prägte. Im Folgenden wird mithin genauer zu zeigen sein, dass die von Helmut Kohl in Aussicht gestellte Politik der »Entstaatlichung«, der engen Begrenzung staatlicher (Wirtschafts-)Aufgaben, aus den beiden Quellen der Revitalisierung der »Sozialen Marktwirtschaft« einerseits und der Revision des Verständnisses von kompetitiven Marktprozessen andererseits ihre verheißungsvolle Kraft bezog.26 Das erklärte Ziel der Wiederbelebung der »Sozialen Marktwirtschaft« beruhte auf der viel beachteten Beobachtung, die bundesrepublikanische Wirtschaftsordnung befinde sich in einer tiefgreifenden und geradezu existenzbedrohenden Krise, die in den wirtschaftswissenschaftlichen und publizistischen Debatten seit den siebziger Jahren einige Aufmerksamkeit erzeugte. Der Wirtschaftswissenschaftler Horst Sander beispielsweise sah am Übergang zu den achtziger Jahren »einen Gefährdungspunkt erreicht, der dringend zu einer politischen Umkehr veranlaßt. Worin besteht die Gefahr? Sie liegt vor allem darin, daß das Ordnungssystem unterminiert wird.«27 Verantwortlich für diesen Missstand machte Sander eine »Politik, die die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft auf das gröbste verletzte«.28 24 VDB, 9. WP, 121. Sitzung, 13.10.1982, S. 7218. 25 von Arnim, S. 9. 26 Daher lassen sich die »Entstaatlichungs«-Vorhaben auch als »neoliberale« Projekte begreifen; Handschuhmacher im Anschluss an Biebricher. 27 Sander, S. 275. 28 Ebd., S. 277.

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Derlei »Verfallsnarrative«29 verwiesen zum einen explizit auf die Tradition ordnungspolitischer Grundsatzentscheidungen und Weichenstellungen in der Frühphase der Bundesrepublik, von der sich die Wirtschaftspolitik in zunehmendem Maße entfernt habe. So bezeichnete sich nicht nur der Wirtschaftspublizist Wolfgang Pohle im Vorwort zu seinem 1970 erschienenen populärwissenschaftlichen Buch über die bundesrepublikanische Wirtschaftsordnung als »politische[n] Freund und Anhänger Ludwig Erhards«.30 Neben diesen nominellen Anrufungen von wichtigen Vertretern des Ordoliberalismus, die sich auch in Reden und Vorträgen der politischen Entscheider finden,31 erschien in den folgenden Jahren eine Vielzahl von Textsammlungen mit dem Ziel, die Grundideen der »Sozialen Marktwirtschaft« zu dokumentieren und in Erinnerung zu rufen.32 Über diese traditionsstiftende Komponente hinaus war der Krisendiskurs zum anderen eng mit dem wirtschaftstheoretischen Ideengeflecht des Ordoliberalismus verknüpft, zu dessen Grundannahmen die scharfe Trennung des marktförmig und kompetitiv zu organisierenden Wirtschaftsgeschehens von anderen gesellschaftlichen Funktionsbereichen gehörte. Wolfgang Pohle aktualisierte dieses Postulat und warnte in seinem Buch fortlaufend vor der »Gefahr, daß Politik und Gesetzgebung wirtschaftsfremder werden«.33 Unüberhörbar hallte in dieser Aussage nicht nur das wirkmächtige Diktum Wilhelm R ­ öpkes vom Monopol als »Fremdkörper im Wirtschaftsprozeß« wider, das bereits in den ordnungspolitischen Debatten der frühen Bundesrepublik einen hohen argumentativen Gebrauchswert besessen hatte.34 Auch die medizinisch-biologistische Metaphorik, die hiermit verknüpft war, prägte den Krisendiskurs seit den siebziger Jahren maßgeblich. So sprach etwa der Ökonom Walter Hamm im Juli 1975 am Walter-Eucken-Institut in Freiburg zu der zugespitzten Frage: »Entartet die soziale Marktwirtschaft?«. Mit »Entartung« bezeichnete Hamm diejenigen »Vorgänge«, die »durch Veränderungen wesentlicher Ziele oder Ordnungselemente der Sozialen Marktwirtschaft ausgelöst werden und die zur Transformation dieses Wirtschaftssystems führen oder zu führen drohen.« Hierbei gehe es »in allererster Linie um die Abwehr äußerer Feinde einer freiheitlichen Ordnung, und nicht um den Kampf gegen innere Verfallserscheinungen.«35 Die Kassandrarufe warnten mithin in Anknüpfung an die ordoliberale Kritik der Zwischenkriegszeit vor Gefährdungen, die nicht dem marktwirt29 Scholl, S. 339. 30 Pohle, S. 9. 31 Hier seien lediglich zwei Beispiele genannt: Helmut Kohl verwies in seinen ersten beiden Regierungserklärungen auf Wilhelm Röpke und Alfred Müller-Armack; VDB, 9. WP, 121. Sitzung, 13.10.1982, S. 7225; ebd., 10. WP, 4. Sitzung, 4.5.1983, S. 61. Otto Graf Lambsdorff referierte 1984 in einem Vortrag auf »die Neoliberalen um Eucken, Röpke oder MüllerArmack«; Lambsdorff, Liberalismus, S. 6. 32 So zum Beispiel: Stützel; Pohl; Broschell. 33 Pohle, S. 393–394. 34 Röpke, Gesellschaftskrisis, S. 359. 35 Hamm, S. 7.

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schaftlichen Geschehen selbst inhärent seien, sondern dieses gleichsam von außen bedrohten. Als äußere Gefahrenquellen identifizierten die selbsterklärten Seismographen der markwirtschaftlichen Krise zum einen die Zunahme wirtschaftlicher Staatsaufgaben seit den sechziger Jahren, die zu einer unzulässigen Verflechtung staatlicher und ökonomischer Zuständigkeitsbereiche geführt habe. So beklagte beispielsweise Walter Hamm: »Was die freiheitliche Ordnung gefährdet und ihre Entartung zu bewirken droht, ist nicht so sehr das Ausmaß, sondern die Art der staatlichen Tätigkeiten in der Wirtschaft.«36 Hamm zufolge waren beispielsweise Geld- und Wettbewerbspolitik, Investitionsförderung, aber auch Infrastruktur-, Sozial- und Umweltpolitik durchaus Aufgabenfelder des Staates. Jedoch habe eine steigende »Inflation der Wünsche« und Erwartungen gegenüber staatlichen Instanzen37 zur Zunahme von »staatliche[n] Maßnahmen« geführt, »die die Entfaltung der Marktkräfte lähmen, deren Koordination über die Märkte be­ einträchtigen oder unmöglich machen, die Initiative der Individuen abtöten«.38 Der Verweis auf überhöhte Erwartungen, die an staatliche Institutionen herangetragen würden, macht die bereits angedeutete enge Verflechtung mit der »Unregierbarkeits«-Diagnose deutlich, die auch Hamms Fachkollege Christian Watrin herstellte, indem er 1978 in einem Aufsatz über die Gefährdungen der marktwirtschaftlichen Ordnung schrieb: »Der durch die Parteienkonkurrenz vorangetriebene Prozeß der Ausweitung von Staatsaufgaben im leistenden Sektor auf der einen Seite und die Erwartungsinflation im Hinblick auf das öffentliche Leistungsangebot auf der anderen Seite erzeugen die vielfach analysierten Überlastungen des modernen Leistungs- und Sozialstaates.«39 Zum anderen stellten die beiden Ökonomen damit zugleich den Bezug her zu einer weiteren äußeren Gefährdungslage für das Wirtschaftsgeschehen, die schon in der ordoliberalen Warnung vor einem interessengebundenen »Wirtschaftsstaat« angeklungen war.40 Die von Christian Watrin beschriebene »Parteienkonkurrenz« um die »Ausweitung von Staatsaufgaben« galt hierbei als Symptom einer zunehmenden Abhängigkeit der (wirtschafts-)politischen Entscheidungsträger von »Einzelinteressen«, die das »Gesamtinteresse« gefährde. Walter Hamm skizzierte diesen Problemzusammenhang in seinem Vortrag wie folgt: »Das durch ständig neue Versprechungen aufgeheizte Erwartungsklima wird sich freilich nicht kurzfristig ändern lassen. Unerfüllte Versprechungen führen nicht nur zu Enttäuschungen und Unzufriedenheit. Gruppeninteressen werden mit zunehmender Härte vertreten. […] Solidarität – ein Ziel, das so häufig im Munde geführt wird – gibt es mehr und mehr nur noch in der Gruppe, die ihre Sonderinteressen durchzusetzen 36 Ebd., S. 4. 37 Ebd., S. 8. 38 Ebd., S. 4. 39 Watrin, Ordnung, S. 124. 40 Eucken, Strukturwandlungen, S. 298.

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bemüht ist. Das gemeinsame Interesse aller Staatsbürger an der Lösung zentraler, für das gesamte Gemeinwesen wesentlicher Fragen tritt dagegen zunehmend in den Hintergrund.«41

Die Folge einer solchen Übervorteilung des »Gesamtinteresses« durch gruppenspezifische »Sonderinteressen« sei neben einer zunehmenden Abhängigkeit der Bürger »von fallweise zu treffenden Entscheidungen staatlicher Instanzen«42 insbesondere das Problem »wachsender unkontrollierter Macht in der Hand von Gruppenvertretern«.43 Wolfram Engels reproduzierte die Leitunterscheidung des singulären »Gesamtinteresses« von pluralen »Einzelinteressen« ebenfalls, indem er ein Kapitel seines populärwissenschaftlichen Buches über die »Soziale Marktwirtschaft« mit der Warnung »Gruppeninteressen verdrängen das Allgemeininteresse« überschrieb und darin konstatierte: »Die Gesellschaft als Ganzes könnte es nicht hinnehmen, daß einzelne Gruppen aus einer Machtstellung heraus ihre Interessen durchsetzen und die Allgemeinheit Schaden nimmt.«44 Die äußeren Gefährdungen des marktförmigen Wirtschaftsgeschehens durch eine verfehlte Staatstätigkeit unter dem übergroßen Einfluss von »Sonderinteressen« waren im Krisendiskurs als Verstöße gegen den marktwirtschaftlichen Regelmechanismus gekennzeichnet. Christian Watrin etwa beklagte, indem er auf den »Prozeß der Ausweitung von Staatsaufgaben im leistenden Sektor« verwies: »Unter dem Druck knapper Kassen ist die Versuchung groß, durch politischen Akt bei wirtschaftlichen Scheinlösungen Zuflucht zu suchen und teilweise der Problemfülle dadurch Herr zu werden, daß gegen marktwirtschaftliche Ordnungsregeln verstoßen wird.« Auf den Arbeits-, Agrar- oder Wohnungsmärkten seien »zahlreiche Beispiele für marktwidrige Interventionen« zu beobachten, die »unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten […] äußerst problematisch« seien.45 Auch Walter Hamm zählte zu den äußeren Gefährdungen der marktwirtschaftlichen Ordnung zuvörderst »Verstöße staatlicher Instanzen gegen wesentliche marktwirtschaftliche Regeln«.46 Den Verweisen auf Regelverletzungen lag das Postulat zugrunde, bei der Marktwirtschaft handle es sich um ein »höchst kompliziertes System von Regeln«.47 Als Plausibilitätsspender für diese Annahme dienten Metaphoriken aus dem semantischen Feld des Sports, die schon in der Frühphase der Bundesrepublik gebräuchlich gewesen waren. So zählte Christian Watrin zu den wesentlichen »ordnungspolitischen Gesichtspunkten« das Grundprinzip »gleicher Regeln für alle«, das er auch als das »Fairnessprinzip« bezeichnete.48 Noch wirk41 Hamm, S. 9–10. 42 Ebd., S. 11. 43 Ebd., S. 11–12. 44 Engels, Marktwirtschaft, S. 53–56, Zit. S. 56. 45 Watrin, Ordnung, S. 124. 46 Hamm, S. 7. 47 Watrin, Ordnung, S. 121. 48 Ebd., S. 124.

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mächtiger waren die metaphorischen Beschreibungen der staatlichen Aufgabenbereiche, die zugleich auf die Rückseite des Krisendiskurses und damit die Vorschläge zur Überwindung der beschriebenen Gefährdungslagen verwiesen. Im Rahmen der »Baden-Badener Unternehmergespräche« im Juni 1979 zum Verhältnis von »Unternehmer und Staat in der Sozialen Marktwirtschaft« eignete sich beispielsweise Otto Schlecht, Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsministerium, den von Wilhelm Röpke vielfach angestellten Vergleich der staatlichen Wirtschaftsaufgaben mit den Tätigkeiten eines Schiedsrichters an und sagte: »Um in einem Bilde zu sprechen: Der Staat hat im marktwirtschaftlichen Wettkampf nicht die Aufgabe, selbst als Wettkämpfer mitzuspielen. Aber er ist Ausrichter und Schiedsrichter in diesem Wettkampf. Er muß klare und faire Spielregeln verordnen und bei Verstößen die gelbe und rote Karte zeigen.«49 Wie schon in den ordnungspolitischen Debatten der jungen Bundesrepublik plausibilisierte die Metapher vom Staat als Schiedsrichter das dem ordoliberalen Theoriehaushalt entnommene Ideal des Staates als wirtschaftspolitischer Ordnungsinstanz, die den »Rahmen« für das wirtschaftliche Betätigungsfeld abzustecken, jedoch nicht selbst auf diesem Feld zu agieren habe, in den Worten Otto Schlechts: »Marktwirtschaft erfordert einen starken Staat. Staatstätigkeit ist nicht Fremdkörper, sondern sie hat durchaus ihren systematischen Platz in einer marktwirtschaftlichen Ordnung. […] In der Marktwirtschaft ist der Staat […] vor allem verantwortliche Instanz für die Vorgabe und Fortentwicklung fester Rahmenbedingungen, die von allen – auch den staatlichen Instanzen selbst, wenn sie sich wirtschaftlich betätigen – eingehalten werden müssen.«50

Zwar klingt hier an, dass die ordoliberale Idealvorstellung einer strikten Trennung der Funktionsbereiche eher einen Orientierungspunkt darstellte, wenn staatliche Wirtschaftstätigkeit nicht grundsätzlich ausgeschlossen war. Dass der »starke« Staat jedoch vorrangig für die Bereitstellung der wirtschaftlichen »Rahmenordnung« verantwortlich und eine Rückbesinnung auf diese Kernaufgabe notwendig sei, war im Krisendiskurs unumstritten. So grenzte sich Otto Schlecht etwa 1984 während eines Symposiums des Forschungsinstituts für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb in Innsbruck scharf gegenüber der ironisch vorgetragenen »These von den segensreichen Wirkungen staatlichen Wirtschaftshandelns« ab und betonte demgegenüber die Notwendigkeit einer »Flankierung durch den Staat« mittels der »wirtschaftspolitischen Instrumente der Rahmensetzung«. Die »einzelwirtschaftlichen Entscheidungen im Marktprozeß« und ihre »Effizienzvorteile« müssten zwar »so weit wie möglich genutzt werden«, seien jedoch zugleich »durch die Rahmendaten der Ordnungs-, Sozialund Gesellschaftspolitik« einzuhegen und zu steuern.51 Auf demselben Sympo49 Schlecht, Rolle, S. 21–22. 50 Ebd., S. 21. 51 Schlecht, Aspekte, S. 3.

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sium sprach der Wirtschaftswissenschaftler Gerhard Zeitel von dem »übergreifenden Ordnungsrahmen«,52 den der Staat durch seine »Ordnungsfunktion«53 bereitzustellen habe. Auch Wolfram Engels wies in seinen Büchern »dem Staat eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des Wirtschaftsablaufs zu. Er ist verantwortlich dafür, daß die für den Wohlstand seiner Bürger erforderlichen Leistungen erbracht werden. Er muß den Ordnungsrahmen entsprechend gestalten.«54 Die Metapher des »Rahmens«, die schon die Ordoliberalen bemüht hatten, um ihre Überlegungen zum ökonomischen Aufgabengebiet des Staates zu begründen, wies den Staat als konstitutives Außen des Wirtschaftsprozesses aus, dessen Funktionsfähigkeit er dadurch garantierte, dass er auf die Rolle des außerhalb stehenden Ordnungshüters beschränkt blieb. Indem die Seismographen einer Krise der »Sozialen Marktwirtschaft« an diesen ordoliberalen Kerngedanken der scharfen Abgrenzung von Staat und Wirtschaft anschlossen, wiesen sie zugleich den Weg, auf dem sich die von ihnen diagnostizierte Krise überwinden lassen sollte: nicht allein über die Rückbesinnung auf die Wirtschaftsordnung der »Sozialen Marktwirtschaft« im Besonderen, sondern vielmehr durch die Wiederbelebung des ordnungspolitischen Denkens im Allgemeinen. So beklagte Walter Hamm nicht nur eine Gefährdung der »Sozialen Marktwirtschaft«, sondern dass das »Denken in wirtschaftlichen Ordnungen und sozialen Interdependenzen« zunehmend verfalle.55 Die »Entartung« der »Sozialen Marktwirtschaft« werde vorangetrieben durch »praktische Experimente« in der Wirtschaftspolitik, denen es an der »Mühe« mangele, »gedankliche Vorarbeit« zu leisten.56 Hier scheint die Unterscheidung zwischen Ordnungs- und Prozesspolitik auf, die Christian Watrin in seinem Aufsatz über die Gefährdungen der marktwirtschaftlichen Ordnung wie folgt explizierte: »Die konjunkturpolitische Problematik unserer Tage stellt sich somit als die Frage, was getan werden muß, um die Dynamik marktwirtschaftlicher Prozesse zurückzugewinnen. Dabei dürften ordnungspolitische Maßnahmen den Vorrang vor prozeßpolitischen haben.«57 Nachdem die wirtschaftspolitischen Weichenstellungen der sechziger Jahre geprägt gewesen waren von der Hinwendung zur Prozesspolitik im Sinne einer steuernden Einflussnahme auf marktwirtschaftliche Vorgänge, wurden seit den späten siebziger Jahren wiederum die Rufe lauter nach einer »Renaissance der Ordnungspolitik«58 und »des marktwirtschaftlichen Denkens«,59 mit der die viel beklagte Krise der »Sozialen Marktwirtschaft« zu überwinden sei. Der Öko52 Zeitel, S. 70. 53 Ebd., S. 71. 54 Engels, Marktwirtschaft, S. 60. 55 Hamm, S. 3–4. 56 Ebd., S. 32. 57 Watrin, Ordnung, S. 121. 58 A. Bohmet u. W. Mansfeld, Renaissance der Ordnungspolitik, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 61, 1981, S. 223–227. 59 Zeitgespräch. Renaissance des marktwirtschaftlichen Denkens?, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 61, 1981, S. 7–16.

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nom Ralf Zeppernick brachte diese Akzentverschiebung während eines Vortrags am Walter-Eucken-Institut in dem Kernsatz zum Ausdruck: »Die herausragende und alles dominierende Aufgabe des Staates in dem Wirtschaftssystem der Sozialen Marktwirtschaft ist es, für eine möglichst effiziente Ordnungspolitik zu sorgen.«60 Eine ähnlich pointierte Forderung zur Rückbesinnung auf das ordnungspolitische Denken fand sich in der ersten programmatischen Schrift des Kronberger Kreises, eines 1982 auf Initiative von Wolfram Engels gegründeten Zusammenschlusses von Professoren der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Das erste Kapitel dieser wie auch der folgenden Schriften des Kronberger Kreises trug den Titel: »Ordnung braucht Ordnungspolitik«.61 Die beschworene Wiederbelebung des ordnungspolitischen Denkens vor dem Hintergrund einer Krise der »Sozialen Marktwirtschaft« war semantisch eng verflochten mit der »Wende zur Angebotspolitik«,62 die der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ebenfalls im Laufe der siebziger Jahre vollzog. Bereits zu Beginn des Jahrzehnts hatte sich das Beratungsgremium unter dem Problemdruck einer zunehmenden Geldentwertung der wirtschaftstheoretischen Strömung des »Monetarismus« zugewandt,63 deren Vertreter die Kontrolle der Geldmenge ins Zentrum ihrer Überlegungen stellten und zum wichtigsten wirtschaftspolitischen Betätigungsfeld erklärten.64 Indem die Bundesbank in der Folge schrittweise zum wichtigsten Garanten der Geldwertstabilität aufstieg, veränderte sich nicht nur das wirtschaftspolitische Akteursgefüge nachhaltig, ging doch ein Eck aus dem »magischen Viereck« der wichtigsten wirtschaftspolitischen Orientierungsgrößen in das Zuständigkeitsgebiet einer politisch unabhängigen Institution über. Vielmehr verschärfte die restriktive Kontrolle der Geldmenge durch die Bundesbank im Verbund mit der fortgesetzten expansiven Fiskalpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung die wirtschaftliche Problemlage, in der sich die Bundesrepublik seit den frühen siebziger Jahren in Folge der ersten Ölpreiskrise befand. So trieben zum einen die stark gestiegenen Ölpreise das allgemeine Preisniveau in die Höhe und verstärkten damit die Inflationstendenz, gegen die sich die Geldpolitik der Notenbank richtete. Für die Unternehmen hatten die Ölpreissteigerungen zum anderen wachsende Rohstoffkosten zur Folge, verschlechterten die Exportbedingungen und verringerten den finanziellen Freiraum für Investitionen. Die wirtschaftspolitische »Globalsteuerung« war mithin »in ein 60 Zeppernick, S. 11. 61 Engels, Mut 1982, S. 1. Im folgenden Jahr erschien die Schrift in Buchform: ders., Mut 1983. Es folgten u. a.: ders., Handlungsaufforderungen; ders., Problemlösungen. 62 Schanetzky, Ernüchterung, S. 178. 63 Zur wirtschaftspolitischen Adaption des »Monetarismus« in der Bundesrepublik: Janssen; Schanetzky, Ernüchterung, S. 128–139; ders., Ölpreisschock. 64 Zu den konsequentesten und einflussreichsten Vertretern des »Monetarismus« zählte der US-amerikanische Ökonom Milton Friedman, der seine Position seit den sechziger Jahren in zahlreichen Veröffentlichungen ausarbeitete, genannt seien hier lediglich: Friedman, Quantity; ders., Role.

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grundsätzliches strategisches Dilemma«65 geraten: Vor dem Hintergrund der massiven Preissteigerungen schied einerseits eine allzu expansive Fiskalpolitik zur Belebung der Konjunktur und gegen den zu befürchtenden Anstieg der Arbeitslosenzahlen aus. Andererseits drohte die Fortsetzung des strikten, auf Inflationsbekämpfung ausgerichteten geldpolitischen Kurses die gesamtwirtschaftlichen Schäden noch weiter zu vergrößern. Nachdem die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr im Februar 1974 sogar einen Pilotabschluss für Lohnerhöhungen im Umfang von elf Prozentpunkten hatte durchsetzen können, spitzte sich die Lage noch einmal dramatisch zu. Da die Bundesbank die Geldmenge weiterhin begrenzte, konnten die Unternehmen den zusätzlich entstehenden Kostendruck nicht über die Preise abfedern. Die Folgen waren ein Absturz der Investitionsquote von 25,2 Prozent im Jahr 1973 auf 19,7 Prozent in 1975 sowie ein sprunghafter Anstieg der durchschnittlichen Arbeitslosenzahlen von 300.000 auf 1,1 Millionen im selben Zeitraum. Die bundesrepublikanische Wirtschaft war in eine Stagflation geraten: Schon 1974 stand einem Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent eine Inflationsrate von annähernd sieben Prozent gegenüber. 1975 ging die Wirtschaftsleistung gar um 1,6 Prozent zurück, während die Inflationsrate bei rund sechs Prozent lag. Damit war nicht nur das wirtschaftspolitische Leitbild der »Globalsteuerung« an seine Grenzen gestoßen, mit dessen Instrumentarium das Nebeneinander von stagnierendem Wirtschaftswachstum und instabilem Preisniveau offenkundig nicht zu beheben war. Auch der »kurze Traum immerwährender Prosperität«66 hatte ein jähes Ende gefunden.67 Die wirtschaftstheoretische Umorientierung des Sachverständigenrates im Laufe der siebziger Jahre,68 die das Beratungsgremium in mehreren Schritten vollzog, muss vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Hatten sich die »fünf Weisen« schon in ihrem 1974 veröffentlichten Jahresgutachten unter Verweis auf mehrere wirtschaftspolitische »Irrtümer« vom Leitbild einer weitreichenden staatlichen Konjunktursteuerung distanziert69 und im folgenden Jahr eine »Reinigungskrise der Globalsteuerung« prophezeit70 sowie auf die »zentrale Rolle der Investitionen« hingewiesen,71 plädierten sie in ihrem im Herbst 1976 unter dem öffentlichkeitswirksamen Titel »Zeit zum Investieren« ver­öffentlichten Gutachten für eine entschiedene angebotspolitische Wende. Oberstes Ziel dieses Kurswechsels war neben der Geldwertstabilität, die seit der Hinwendung zum »Monetarismus« als wesentliche Grundvoraussetzung galt,72 die Er­möglichung 65 Schanetzky, Ernüchterung, S. 166. 66 B. Lutz. 67 Schanetzky, Ernüchterung, S. 163–170; Rodgers, S. 47–50. 68 Zum Folgenden: Schanetzky, Ernüchterung, Zit. S. 178; ders., Aporien; Meteling, Standortsemantiken, S. 210–227. 69 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1974, v. a. Zf. 365, 366, 369. 70 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1975, Zf. 375–383, Zit. Kapitelüberschrift. 71 Ebd., Zf. 296–315, Zit. Kapitelüberschrift. 72 Ebd., Zf. 380–383.

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wirtschaftlichen Wachstums, das nach den Krisenerfahrungen der Stagflation keine fortbestehende Gewissheit, sondern nunmehr eine politisch anzustrebende Orientierungsgröße darstellte.73 Der Weg dorthin sollte fortan nicht mehr über die Nachfrageseite führen, sondern an der Angebotsseite seinen Anfang nehmen, an der Investitionsbereitschaft der Unternehmen. So setzten die Sachverständigen, indem sie sich der diskursübergreifend gebräuchlichen Krankheitsmetaphorik bedienten, »der gegenwärtigen Malaise«74 zur »wachstumspolitische[n] Vorsorge«75 eine »angebotsorientierte Therapie« entgegen, um damit »die Bedingungen für das Investieren und den Wandel der Produktionsstruktur so zu verbessern, daß wieder mit angemessenem Wachstum und hohem Beschäftigungsstand gerechnet werden darf.«76 Hierbei grenzte der Rat sich zudem dezidiert von der nachfrageorientierten »Globalsteuerung« ab und dozierte in Anlehnung an das Saysche Gesetz: »Man muß sich auch lösen von der heute weit verbreiteten Vorstellung, daß in jedem Fall eine spontan sich ergebende oder vom Staat erzeugte Nachfrage der Produktion zeitlich vorauslaufen muß. Die Wirtschaftsgeschichte lehrt, daß oft die primären Impulse für die Expansion vom Angebot ausgehen, das selbst die Nachfrage hervorbringt.«77 Das im vorangegangenen Kapitel bereits erwähnte Plädoyer für eine »Revision der Staatstätigkeit« mit dem Ziel des Abbaus »struktureller« Haushaltsdefizite sollte das angebotspolitische Programm ergänzen.78 Mit dem wirtschaftstheoretischen Positionswechsel des Sachverständigenrates, dem in den späten siebziger Jahren die liberalen Spitzenpolitiker in der Regierungskoalition folgten,79 war zugleich der Abschied vom umfassenden technokratischen Anspruch der Steuerung »gesamtwirtschaftlicher« Prozesse verbunden, verlagerte sich der Zuständigkeitsbereich der Wirtschaftspolitik von der makro- auf die mikroökonomische Ebene. Die notwendigen Voraussetzungen für die wirtschaftlichen »Entscheidungen« im Allgemeinen und die unternehmerische Investitionstätigkeit im Besonderen zu schaffen, war demzufolge das konjunkturpolitische Aufgabenfeld, auf das sich der Staat zu beschränken hatte. In verdichteter Form fand sich dieses Leitbild in der Zielformel, »Anreize in Gestalt veränderter Rahmenbedingungen« zu schaffen,80 in der die beiden 73 Zur Genese von »Wachstum« als wichtigstem Ziel wirtschaftspolitischer Bemühungen: Schmelzer. 74 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1975, Sondergutachten zur konjunkturpolitischen Lage im August 1975, Zf. 18. 75 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1976, Zf. 272–466, Zit. Kapitelüberschrift, Zf. 449. 76 Ebd., Zf. 284. 77 Ebd., Zf. 283–288, Zit. Zf. 286. Das Saysche Gesetz bildet auch den Ausgangspunkt für den programmatischen angebotsökonomischen Aufsatz des Wirtschaftswissenschaftlers Heiner Flassbeck. 78 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1975, Zf. 333–359, Zit. Kapitelüberschrift, Zf. 335, 337, 338, 357, 358, 359. 79 Schanetzky, Ernüchterung, S. 211–233. 80 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1976, Zf. 393.

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zentralen angebotspolitischen Vokabeln des »Anreizes« und des »Rahmens« unmittelbar miteinander verbunden waren. Die Wirtschaftspolitik hatte demnach, wie es etwa im Jahresgutachten 1976 gleich mehrfach hieß, Nachfrage und Produktion zu »stimulieren«,81 und zwar durch den »Anreiz zu neuen Investitionen«,82 der durch »staatliche Rahmenbedingungen« zu schaffen war.83 Die Metapher des »Rahmens« plausibilisierte hierbei die Denkfigur einer systematischen Trennung von Staat und Wirtschaft, auf der schon das Gedankengebäude des Ordoliberalismus gefußt hatte und die auch den Forderungen nach einer Revitalisierung des ordnungspolitischen Denkens zugrunde lag. Staatliche Wirtschaftspolitik sollte nach angebotspolitischer Vorstellung die ökonomischen Marktprozesse lediglich »ergänzen, fördern, auch in manchem beeinflussen«, sich aber »nicht vornehmen, sie zu bestimmen.«84 Die Rede von stimulierenden »Anreizen« wiederum wies als zentralen Fluchtpunkt wirtschaftspolitischer Bestrebungen das Handeln der einzelnen Wirtschaftssubjekte aus, das es nicht direkt vorherzubestimmen, jedoch indirekt anzuregen galt. Dass es mithin um »vom Staat gesetzte Rahmenbedingungen für das individuelle Handeln«85 ging, drückte der Ökonom Horst Sander in seinem bereits erwähnten angebotspolitischen Plädoyer mit der beschwörenden Forderung aus: »Man muß sich doch endlich wieder auf die Bedeutung des Einzelmenschen, des Individuums, besinnen und die Förderung des einzelnen Menschen im Gegensatz zum Kollektiv wieder ins Zentrum der Politik rücken.«86 Derlei Verweise auf das Individuum als Zielobjekt wirtschaftspolitischer Bemühungen lagen auch den Diagnosen einer Krise der »Sozialen Marktwirtschaft« zugrunde, warnte doch beispielsweise Walter Hamm wie erwähnt vor solchen »staatliche[n] Maßnahmen«, welche »die Initiative der Individuen abtöten«.87 Sein Kollege Christian Watrin wiederum beklagte die »zahlreichen marktwirtschaftswidrigen Maßnahmen, die gegenwärtig die Entscheidungsautonomie des einzelnen und die Flexibilität der marktwirtschaftlichen Anpassung« belasteten.88 Beispielhaft steht diese Aussage zum einen für die Aporien, welche die Beschreibungen ökonomischer Prozesse seit den siebziger Jahren prägten. Neben dem Insistieren auf den einzelnen Wirtschaftssubjekten als den wirtschaftspoli-

81 Ebd., Zf. 58, 275, 461. 82 Ebd., Zf. 3, 10. An anderer Stelle war auch die Rede vom »Anreiz, mehr zu investieren« oder vom »Anreiz für Investitionen«; ebd., Zf. 343, 361. Die Wortverbindung »Investitionsanreize« gebrauchte der Rat 1974 und 1975; Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1974, Zf. 450; ders., Jahresgutachten 1975, Zf. 440–447, Zit. Kapitelüberschrift, Zf. 441. 83 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1976, Zf. 49, 306. 84 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1975, Zf. 291. 85 Ebd. 86 Sander, S. 277. 87 Hamm, S. 4. 88 Watrin, Ordnung, S. 122.

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tischen Zielobjekten standen Verweise auf die Wirtschaft als Kollektivsingular und gleichsam anthropomorphe Entität.89 Zum anderen macht der zitierte Satz eine grundlegende Veränderung der Bezeichnungsformen für wirtschaftliche Prozesse sichtbar, wurde die Wirtschaft doch seit den siebziger Jahren in der Regel als »dynamisch«, »flexibel« und »anpassungsfähig« beschrieben. Diese Bezeichnungsinnovation war Reflex und Ausdruck einer grundlegenden diskursiven Transformation, die eng verknüpft war mit dem Bedeutungswandel des Wortes »Flexibilität«.90 Hatte etwa im englischen Sprachgebrauch des 15. Jahrhunderts ursprünglich dasjenige Lebewesen als »flexibel« gegolten, das sich durch Anpassungsfähigkeit und Persistenz gleichermaßen auszeichnete,91 wurde die zweite Bedeutungskomponente im Laufe der Zeit getilgt: »Flexibilität ist jetzt gleichbedeutend mit der Fähigkeit, sich permanent und unverzüglich auf Veränderungen einzustellen«.92 Mit dieser semantischen Veränderung, die sich im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts verfestigte, korrespondierte ein diskursiver Wandel innerhalb der Medizin, wo bis in die fünfziger Jahre das »bakteriologische Paradigma« dominiert hatte. Demzufolge war die Gesundheit des menschlichen Körpers eng verknüpft mit der Gleichmäßigkeit und Regelmäßigkeit der darin ablaufenden Stoffwechselprozesse, die durch den hygienischen Schutz vor äußeren Gefährdungen – vor allem Bakterien – zu gewährleisten oder durch die Behandlung wiederherzustellen waren. Seit den sechziger Jahren gewann jedoch auf der Grundlage medizinischer Forschungen zum Immunsystem die Annahme an Einfluss, der menschliche Organismus zeichne sich gerade nicht durch regelhafte, gleichförmige und rekursive Abläufe aus, sondern durch seine Fähigkeit zur permanenten Veränderung und aktiven Anpassung an äußere Einflüsse.93 Ausgehend von der Medizin diffundierte diese »immunologische Logik«,94 welche die etablierten Vorstellungen von zentraler Steuerung, hierarchischer Organisation und Gleichmäßigkeit infrage stellte, auch in andere Diskurszusammenhänge und ge­ sellschaftliche Funktionsbereiche. »Flexibilität«, »Anpassungsfähigkeit« und »Dynamik« avancierten zu unverzichtbaren Attributen für Individuen wie für gesellschaftliche Organisationseinheiten. Die Konzeptualisierung des gesellschaftlichen Funktionsbereichs Wirtschaft als dynamisch, flexibel und anpassungsfähig, die auch und insbesondere den Forderungen nach einer angebotspolitischen Neuausrichtung der bundesdeutschen Wirtschaftspolitik zugrunde lag, war Ausdruck dieses wirkmächtigen 89 Im selben Aufsatz hatte Watrin nur eine Seite zuvor die »Dämonisierung und Anthropomorphisierung« der Marktwirtschaft noch kritisiert; ebd., S. 122. 90 Zum Folgenden: Sennett, S. 57–80; Lemke. 91 »Seine Bedeutung war ursprünglich aus der einfachen Beobachtung abgeleitet, daß ein Baum sich zwar im Wind biegen kann, dann aber zu seiner ursprünglichen Gestalt zurückkehrt«; Sennett, S. 57. 92 Lemke, S. 82. 93 Ebd., S. 83. 94 Luhmann, Systeme, S. 507.

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Flexibilisierungsdiskurses. Sichtbar wurde sie vor allem in der verbreiteten Problemdiagnose einer durch staatliche Eingriffe gelähmten und eingeengten Wirtschaft, deren dynamische Kräfte es freizusetzen gelte.95 Der Ökonom und Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Gerhard Fels, der 1976 in den Sachverständigenrat berufen worden und folglich maßgeblich an dessen angebotspolitischer Neuausrichtung beteiligt gewesen war, beklagte etwa zu Beginn der achtziger Jahre in einem programmatischen Aufsatz zur Angebotsökonomie einen »Mangel an [wirtschaftlicher] Dynamik« und konstatierte: »Eine Redynamisierung der Wirtschaft kann nur über eine angebotsorientierte Politik erreicht werden.«96 Indem er an den wirkmächtigen Diskurszusammenhang der marktwirtschaftlichen Krise und die damit verbundenen Krankheitsmetaphoriken anschloss, bezeichnete Fels den Staat als »Verursacher der Störungen, deshalb Objekt der Therapie, nicht Subjekt, Teil des Problems, nicht dessen Lösung.«97 Walter Hamm warnte wie erwähnt vor »staatliche[n] Maßnahmen«, welche »die Entfaltung der Marktkräfte lähmen«.98 In seinem Jahresgutachten aus dem Herbst 1977 forderte der Sachverständigenrat, »solche Regelungen abzubauen, die in vielen Bereichen der Wirtschaft die Dynamik behindern.«99 Die Problembeschreibung gehemmter wirtschaftlicher Dynamik reproduzierte mehrfach auch Otto Graf Lambsdorff, der sich gegen Ende der siebziger Jahre entschieden dem angebotsökonomischen Kurswechsel des Sachverständigenrates anschloss. In seinem 1982 vorgelegten »Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit«, in dem Lambsdorff seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen für die achtziger Jahre skizzierte und das wegen der dezidiert angebotspolitischen Forderungen fortan als »Scheidungspapier« der sozial-liberalen Regierungskoalition galt, beklagte der Bundeswirtschaftsminister beispielweise »gesamtwirtschaftliche« Schwierigkeiten wie den Rückgang der Investitionsquote, eine zunehmende Staatsquote sowie die Erhöhung steuerlicher Abgaben, die im Verbund mit »gesetzlichen, bürokratischen und tarifvertraglichen Verpflichtungen« dazu beigetragen hätten, sowohl »die Anpassungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft an binnenwirtschaftliche und weltweite Marktänderungen zu schwächen« als auch »die frühere Eigendynamik und das Selbstvertrauen der deutschen Wirtschaft zu erschüttern«.100 Während eines Vortrags am Kölner Institut für Wirtschaftspolitik im Januar 1984 suchte Lambsdorff das Problem metaphorisch zu beschreiben: »Unsere Wirtschaft liegt, so wurde es einmal anschaulich verglichen, wie Gulliver gefesselt am Boden. Von diesen Fesseln müssen wir die Wirtschaft wieder befreien«.101 Um durch eine solche Befreiung, wie Christian Watrin schrieb, 95 Zu diesem Zusammenhang vgl. auch Scholl, S. 351–353. 96 Fels, S. 35. 97 Ebd., S. 36. 98 Hamm, S. 4. 99 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1977, Zf. 446. 100 Lambsdorff, Konzept, S. 7. 101 Lambsdorff, Liberalismus, S. 10.

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»die Dynamik marktwirtschaftlicher Prozesse zurückzugewinnen«,102 musste aus angebotspolitischer Sicht insbesondere die private Investitionstätigkeit gefördert werden, die, wie Walter Hamm schrieb, »schöpferische Kräfte anregen und die marktwirtschaftliche Dynamik sogar verstärken« würde.103 Den Regelmäßigkeiten des Flexibilisierungsdiskurses folgte ebenso die Leitunterscheidung von »Markt« und »Bürokratie« als den zwei idealtypischen Formen der »Organisation« von Gesellschaft, die auch den Privatisierungsdebatten der siebziger Jahre zugrunde lag. So entwickelte Wolfram Engels, der dieses Begriffspaar in seinen Schriften vielfach bemühte, die Leitunterscheidung von »Bürokratie« und »Markt« nicht nur entlang der Gegensätze Hierarchie / Partnerschaft, Befehl / Freiwilligkeit oder zentral / dezentral,104 die bereits auf die »immunologische Logik« des Flexibilisierungsparadigmas verweisen. Auf einer Tagung des Vereins für Socialpolitik im September 1978 sagte Engels vielmehr explizit: »Die bisherige Erkenntnis besagt, daß sich die Bürokratie als Organisationsform dort eignet, wo es auf Gleichmäßigkeit und Vorhersehbarkeit ankommt, der Markt eher dort, wo Anpassungsfähigkeit und Dynamik erwünscht ist. Die Bürokratie ist eher eine bewahrende (›konservative‹), der Markt ist eher eine verändernde (›progressive‹) Organisationsform.«105 Als Modus wiederum, in dem sich der flexible und dynamische Charakter marktwirtschaftlicher Prozesse entfalten sollte, galt weiterhin »der Wettbewerb«. In Engels’ Worten: »Die Formen der Konfliktaustragung sind bestimmten Organisationsformen zugeordnet. […] Wettbewerb ist die Form des Marktes.«106 Folglich war auch die Ermöglichung ökonomischen Wettbewerbs weiterhin das vorrangige Ziel der staatlichen Ordnungspolitik, galt, wie Wirtschaftsstaatssekretär Otto Schlecht in Anlehnung an eine Monographie des Eucken-­Schülers Leonhard Miksch107 formulierte, »Wettbewerb als ständige Aufgabe«.108 Denn, so Schlecht: »Der Staat muß zunächst die rechtlichen Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb schaffen«.109 Otto Graf Lambsdorff übernahm die Formulierungen seines langjährigen Staatssekretärs beinahe wörtlich und betonte wiederholt: »Die Erhaltung des Wettbewerbs ist eine permanente Herausforderung an den Staat.«110 Auch für den Ökonom Christian Watrin bestand die vorrangige »Aufgabe der Wirtschaftsordnungspolitik« darin, den »Wettbewerb zu schützen und zu ermöglichen«.111 Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichte Mitte der achtziger Jahre eigens 102 Watrin, Ordnung, S. 121. 103 Hamm, S. 4. 104 Engels, Markt, S. 18–19. 105 Engels., Rolle, S. 48. 106 Engels., Markt, S. 37. 107 Miksch. 108 Schlecht, Wettbewerb. 109 Schlecht, Rolle, S. 22. 110 Lambsdorff, Liberalsimus, S. 7. 111 Watrin, Ordnung, S. 121.

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ein Gutachten zu Fragen der »Wettbewerbspolitik«, in dem die Ratsmitglieder einleitend konstatierten: »Der Staat muß eine wettbewerbsfreundliche Rahmenordnung setzen und erhalten.«112 Knüpften die Wirtschaftspolitiker und Ökonomen seit den siebziger Jahren damit auch an ein zentrales ordnungspolitisches Anliegen des Ordoliberalismus an, fußten ihre Überlegungen doch auf einem Verständnis von ökonomischen Vorgängen, das sich von den ordoliberalen Gleichgewichtsannahmen unterschied. Denn mit der Beschreibung des wirtschaftlichen Funktionsbereichs über dessen Fähigkeiten zur flexiblen und dynamischen Anpassung war auch eine Neubestimmung des semantischen Gehalts von »Wettbewerb« verbunden. Die Rückbesinnung auf ordoliberale Leitlinien ging einher mit der Revision wirtschafts- und wettbewerbstheoretischer Überlegungen.113 So setzte sich im Laufe der siebziger Jahre in den wissenschaftlichen und publizistischen Debatten der Bundesrepublik zunehmend das Verständnis von »Wettbewerb« als Modus ökonomischen Handelns durch, der geprägt sei von Dynamik, Spontaneität und Produktivität. Die ordoliberale Vorstellung, ökonomische Prozesse vollzögen sich im Modus »vollständiger Konkurrenz« und strebten stets einem Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage zu, war bereits im Zuge der zweiten Kartellgesetznovelle in den frühen siebziger Jahren endgültig verabschiedet worden. Die wissenschaftlichen Stichwortgeber dieser Reform hatten ihre Überlegungen scharf gegen ein idealisiertes und zu statisches Verständnis von »Wettbewerb« abgegrenzt und sich hierbei auf Veröffentlichungen englischsprachiger Ökonomen berufen, die bereits in der Zwischenkriegszeit gegen die Modellannahmen der neoklassischen Theorie Front gemacht und »Wettbewerb« als »dynamischen Prozess« begriffen hatten. Die Neudefinition von »Wettbewerb« im Zuge der Kartellnovelle blieb jedoch nicht auf die Absage an ein starres theoretisches Modell beschränkt. Als neues wettbewerbspolitisches Leitbild sollte vielmehr künftig die »Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs« gelten, die optimale Ausrichtung der kompetitiven Marktprozesse an »gesamtwirtschaftlichen«, makroökonomischen Orientierungsgrößen. In dem Maße jedoch, in dem der Anspruch einer umfassenden politischen Steuerung wirtschaftlicher Prozesse zunehmend in Misskredit geriet, verlor auch das Konzept des »funktionsfähigen Wettbewerbs« im weiteren Verlauf der siebziger Jahre in den wissenschaftlichen, politischen und publizistischen Debatten der Bundesrepublik an Plausibilität, veränderte sich der Bedeutungsgehalt von »Wettbewerb« nochmals beträchtlich und nachhaltig. Einer der wissenschaftlichen Wegbereiter dieses semantischen Wandels war der österreichische Ökonom Friedrich August von Hayek, der schon in der ersten Jahrhunderthälfte

112 Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi, Wettbewerbspolitik, S. 1362. 113 Für die Finanzwirtschaft indes erfüllte die Denkfigur des Gleichgewichts eine zentrale Selbstvergewisserungs- und Legitimationsfunktion, die in der Rede von der »Effizienz der Märkte« ihren sichtbarsten Ausdruck fand; Vogl, S. 83–114, Zit. S. 97.

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mit seiner Kritik an den neoklassischen Gleichgewichtsannahmen die disziplinären wettbewerbstheoretischen Debatten beeinflusst hatte.114 In der Bundesrepublik der späten siebziger und achtziger Jahre war die wissenschaftliche, mediale und insbesondere politische Aufmerksamkeit für die Person Hayeks, der bereits an der intellektuellen Geburt des »Neoliberalismus« in den dreißiger Jahren maßgeblich beteiligt gewesen war und nach seiner langjährigen Tätigkeit an der London School of Economics und der Universität Chicago sowie der Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften im Jahr 1974 zu den einflussreichsten Vertretern seines Faches gehörte,115 zwar gering,116 insbesondere im Vergleich zu Großbritannien und den USA.117 Im Laufe der siebziger Jahre entstand jedoch auch hier ein diskursiver Resonanzraum für Denkfiguren, die H ­ ayeks Schriften entstammten, wenn diese Bezüge auch nicht immer durch direkte Verweise auf seine Person gekennzeichnet waren. Eine komprimierte Darstellung seiner wettbewerbstheoretischen Überlegungen legte Hayek in einem Vortrag vor, den er im März 1968 vor der Philadelphia Society in Chicago unter dem Titel »Competition as a Discovery Procedure« hielt. Hierin distanzierte auch er sich zwar von der Annahme, ökonomische Konkurrenz führe ein »Gleichgewicht« herbei, wäre »der Prozeß des Wettbewerbs« doch damit »zum Stillstand gekommen«.118 Hayek nannte es gar eine »Absurdität des gebräuchlichen Vorgehens«, dass Ökonomen ausgingen von »einem Zustand, den die Theorie merkwürdigerweise vollkommenen Wettbewerb nennt, in dem aber für die Tätigkeit, die wir Wettbewerb nennen, keine Gelegenheit mehr besteht, und von der vielmehr vorausgesetzt wird, daß sie ihre Funktion bereits erfüllt hat.«119 Hier scheint die Gegenüberstellung eines statischen und eines dynamischen, handlungsbezogenen Verständnisses von kompetitiven Marktprozessen wieder auf, die schon wesentlicher Bestandteil des theoretischen Leitbildes vom »funktionsfähigen Wettbewerb« gewesen war. Ebenso scharf grenzte sich Hayek jedoch von dem Postulat ab, »Wettbewerb« funktional zu begreifen und aus makroökonomischer Perspektive an »gesamtwirtschaftlichen« Zielprojektionen auszurichten. Wie der Vortragstitel bereits andeutet, ging es ihm vielmehr darum, »Wettbewerb einmal systematisch als ein 114 von Hayek, Wirtschaftstheorie; ders., Verwertung; ders., Sinn. Wie Jan-Otmar Hesse gezeigt hat, orientierte sich der deutsche Ökonom Helmut Arndt bereits in den frühen fünfziger Jahren an Hayeks Annahmen; Hesse, Wirtschaft, S. 358–359. Zu den wettbewerbstheoretischen Schriften Hayeks: Hennecke, Einführung, S. 57–61. Für eine Skizze seiner wissenschaftlichen Positionen vgl. auch: Streit, Wissen. 115 Zu Leben, Werk und politischem Einfluss Hayeks: Hennecke, Tradition; ders., Einführung. 116 Ausführlich zur Rezeption Hayeks in der Bundesrepublik: Karabelas. Der Schwerpunkt der Studie liegt auf den Verweisen auf die Person Hayeks und seinen Kontakten zu Politikern, Journalisten und Interessenverbänden. 117 Zur Rolle Hayeks als wirtschaftspolitischer Ideengeber in Großbritannien und den USA: Stedman Jones; Geppert, Revolution; Hennecke, Tradition, S. 325–340. 118 von Hayek, Wettbewerb, S. 195. 119 Ebd., S. 193.

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Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen [zu] betrachten«.120 Dabei verglich er den wirtschaftlichen Wettbewerb mit wissenschaftlichen Verfahren und nannte ihn »eine Methode zur Entdeckung besonderer vorübergehender Umstände«, zur Produktion von Wissen.121 Aus dem experimentellen Charakter des ökonomischen Wettbewerbs, den Hayek in Anlehnung an einen Aufsatz Leopold von Wieses122 postulierte, ergab sich für ihn unmittelbar, »daß Wettbewerb nur deshalb und insoweit wichtig ist, als seine Ergebnisse unvoraussagbar und im ganzen verschieden von jenen sind, die irgend jemand bewußt hätte anstreben können«.123 Eine makroökonomische Fundierung der Wettbewerbstheorie, die »auf die Voraussage konkreter Ereignisse« ziele,124 war aus dieser Sicht nicht nur irreführend, sondern nicht möglich. Hayek zufolge produzierte »der Wettbewerb« weder ein Gleichgewicht noch konkrete Ergebnisse, sondern vielmehr eine »spontane Ordnung«, über die »gar nicht gesagt werden kann, daß sie bestimmte Zwecke hat«.125 Die von Hayek perpetuierte Vorstellung eines dynamischen, Wissen produzierenden und unvorhersehbare, »spontane Ordnungen« schaffenden Modus wirtschaftlichen Handelns entfaltete auch in den wirtschaftswissenschaftlichen und -politischen Debatten der Bundesrepublik seit den siebziger Jahren einige Wirkungsmacht, integrierten doch sowohl einflussreiche Ökonomen und Gremien der Politikberatung als auch Politiker diese Denkfigur in ihre Vorträge und Veröffentlichungen. Der Sachverständigenrat etwa nannte den »dynamischen Wettbewerb« in den achtziger Jahren mehrfach gar »das Lebenselixier der Wirtschaft« und »das Leitbild« der Wirtschaftspolitik. Deren Ziel müsse demnach sein, sowohl »für wettbewerbsgerechte und verläßliche Rahmenbedingungen zu sorgen« als auch den »Wettbewerbsprozeß […] zu stimulieren«.126 Dass die Umdeutung des ökonomischen Begriffs von »Wettbewerb« mithin eng verbunden war mit den Forderungen nach einer Rückbesinnung auf die Grundpfeiler des ordoliberalen Denkens, lassen auch die Aussagen der Verfechter einer solchen ordnungspolitischen »Renaissance« erkennen. So sprach BMWi-Staatssekretär Otto Schlecht während des erwähnten Symposiums zu den wirtschaftlichen Staatsaufgaben über die Notwendigkeit, das »Entdeckungsverfahren freier Marktprozesse«127 zu fördern, oder beklagte der Ökonom Walter Hamm in seinem Vortrag am Walter-Eucken-Institut: »Die spontane Ordnung wird mehr und mehr von unmittelbarer staatlicher Lenkung wirtschaftlicher Prozesse be-

120 Ebd., S. 188. 121 Ebd., S. 189–190, Zit. S. 190. 122 von Wiese. 123 von Hayek, Wettbewerb, S. 189. 124 Ebd., S. 191. 125 Ebd., S. 194. 126 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1985, Zf. 308–349, Zit. Zf. 308; zuvor bereits: ders., Jahresgutachten 1984, Zf. 314–322. 127 Schlecht, Aspekte, S. 8.

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einträchtigt.«128 Die wichtigste Aufgabe staatlicher Wirtschaftspolitik, die sich daraus ergebe, bestehe darin, »schöpferische Kräfte« anzuregen und die »marktwirtschaftliche Dynamik« zu »verstärken«.129 Die Beweglichkeit, Dynamik und Vitalität kompetitiver Marktprozesse stand hierbei im Gegensatz zu deren Beeinträchtigung durch staatliche Eingriffe und Regulierungen, lag doch beispielsweise für den Sachverständigenrat die Förderung »dynamischen Wettbewerbs« darin: »Abzubauen, was ihm an unnötigen Hemmnissen im Wege steht«,130 dem »dynamischen Wettbewerb«, der »ein ständig pulsierender Prozeß« sei,131 »mehr Schubkraft zu verleihen«132 und »Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten«.133 Darüber hinaus war die Definition »dynamischen Wettbewerbs« als wirtschaftspolitisches »Leitbild«, wie die zitierten Aussagen ebenfalls zeigen, eng an die Terminologie Hayeks angelehnt. Der Sachverständigenrat etwa schrieb im Jahresgutachten 1985: »Dynamischer Wettbewerb ist ein Such- und Entdeckungsverfahren.«134 Christian Watrin betonte, »der marktwirtschaftliche Prozeß« beruhe »auf dem Grundprinzip des ›trial and error‹«, des experimentellen, ergebnisoffenen Suchens und Entdeckens.135 Dass das »Entstehen von Gewinnen« untrennbar mit diesem wirtschaftlichen Entdeckungsprozess verbunden sei, suchte der Kölner Ökonom mit dem Wort »Leistungsgewinne« auszudrücken, womit er die »Belohnung für das Finden neuer Märkte, neuer Produktionsprozesse oder neuer Güter […], kurz, die wirtschaftlichen Risiken und Entdeckungen« bezeichnete.136 Otto Graf Lambsdorff, der im Gegensatz zur überwiegenden Mehrzahl der Parteipolitiker auch den persönlichen Kontakt zu Hayek suchte,137 insistierte ebenfalls auf dem »›trial‹- und ›error‹-Prozeß mikroökonomischen Herantastens an rationale Lösungen« und betonte unter explizitem Verweis auf Hayek: »Der Wettbewerb ist ein hochwirksames Entdeckungsverfahren (von Hayek), der für immer neue Problemlösungen sorgt.«138 Der Sachverständigenrat formulierte knapp: »Dynamischer Wettbewerb bringt Innovationen hervor.«139 Die prinzipielle Offenheit und Unvorhersehbarkeit von ökonomischem Wettbewerb als »Suchprozess« betonten die »Wirtschaftsweisen« ebenso, stellten sie doch in ihrem Jahresgutachten 1984 resümierend fest: »Insgesamt handelt es sich beim dynamischen Wettbewerb um einen gesell128 Hamm, S. 13. Auf der vorherigen Seite verwies Hamm zudem explizit auf Hayek, allerdings auf eine seiner bekanntesten Monographien: von Hayek, Verfassung. 129 Hamm, S. 4. 130 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1984, Zf. 315; ders., Jahresgutachten 1985, Zf. 196. 131 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1984, Zf. 316. 132 Ebd., Zf. 315. 133 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1985, Zf. 308. 134 Ebd., Zf. 309. 135 Watrin, Ordnung, S. 121. 136 Ebd., S. 123. 137 Karabelas, S. 197–208. 138 Lambsdorff, Liberalismus, S. 7. 139 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1985, Zf. 314.

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schaftlichen Prozeß der Suche nach besseren Lösungen für die materielle Wohlfahrt. Eine konkrete Zielsetzung […] ist von niemandem, besonders auch von keiner gesamtwirtschaftlichen Planungsinstanz auszumachen.«140 Sehr früh integrierte auch Wolfram Engels die enge Verknüpfung ökonomischen Wettbewerbs mit Produktivität und Schöpferkraft in seine Schriften. Hierbei grenzte er Konkurrenz als spezifische Form der Austragung gesellschaftlicher Konflikte von anderen Modi der Auseinandersetzung wie Kampf, Selbstjustiz oder Gerichtsverfahren ab und konstatierte: »Es gibt aber auch Konfliktaustragungsformen, die schöpferisch sind. Eine dieser schöpferischen Formen ist der Wettbewerb.«141 In einem weiteren Buch aus dem Jahr 1976 nannte er »de[n] Wettbewerb« gar das »einzig produktive Verfahren der Konfliktaustragung«.142 »Während beim Kampf die Drittwirkungen negativ sind (externe Kosten), sind sie beim Wettbewerb positiv (externe Erträge)«.143 Indem er sich der zur Beschreibung kompetitiver Marktprozesse gebräuchlichen Sportmetaphorik bediente, grenzte Engels seine Überlegungen ebenso wie Hayek zugleich von den neoklassischen und ordoliberalen Gleichgewichtsannahmen ab: »Es wird oft als Nachteil des Wettbewerbs empfunden, daß er niemals völlige Gleichheit zuläßt. Würde man eine Methode erfinden, die sicherstellt, daß im Fußball beide Mannschaften gleichviel Tore schießen, so gäbe es kein Fußballspiel mehr. Wettbewerb findet nur dort statt, wo wenigstens die Aussicht besteht, daß man gewinnen kann.«144 Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium legte im Dezember 1986 eigens das bereits zitierte Gutachten zur »Wettbewerbspolitik« vor, an dessen Entstehung und Inhalten sich die Umdeutung des ökonomischen Begriffs von »Wettbewerb« ebenso deutlich ablesen lässt. Manfred Neumann, der Vorsitzende des Gremiums, stellte in seinem einleitenden Forschungsüberblick, der am Beginn der ausführlichen Beratungen des Gutachtens stand, dem hergebrachten »wettbewerbspolitische[n] Grundkonsens«, der auf dem wesentlichen Ziel »optimale[r] Marktstrukturen« gefußt habe, eine »Gegenposition« gegenüber, die er auch als »neo-österreichische Position« oder als Position der »Chicago-School« bezeichnete und damit eindeutig auf Hayek verwies. Diese Forschungsmeinung fasste Neumann in der zentralen Annahme »spontan« entstehender »Marktergebnisse« zusammen.145 Wenn sich die Angehörigen des Beirats in der Folge auch skeptisch gegenüber dem Postulat »wettbewerbspolitische[r] Enthaltsamkeit«146 äußerten, das sich aus einer solchen Grundannahme 140 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1984, Zf. 316. 141 Engels, Marktwirtschaft, S. 53–54. 142 Engels, Markt, S. 35. 143 Ebd., S. 36. 144 Ebd. 145 Archiv des IfZ, NL Hans Möller, ED 150–48, Protokoll der 262. Tagung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft am 18. und 19. April 1986 in Berlin, Hotel Schweizerhof, S. 2–3. 146 Ebd., S. 3.

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ergebe, argumentierten sie doch entlang der Leitunterscheidung zwischen Statik und Dynamik und betonten den innovativen, forschenden Charakter ökonomischen Wettbewerbs. Als sie während ihrer Tagung im Oktober 1986 zum wiederholten Male über die »grundsätzliche Stoßrichtung des Gutachtens« sprachen, fixierten die Experten schließlich die Umdeutung des Begriffs »Wettbewerb« und nahmen zu Protokoll: »Optimale Wettbewerbsintensität sei ein inhärent statisches Konzept. Wettbewerb müsse aber als Entdeckungsverfahren begriffen werden und sei von daher unvereinbar mit der statischen Vorstellung von einer optimalen Marktstruktur.«147 Im Text des Gutachtens war dann nicht nur vom »Innovationswettbewerb«148 sowie vom »Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, als Such- und Innovationsprozeß«149 zu lesen, der neben der »Einführung neuer Produkte und Produktionsverfahren […] auch neue Organisationsformen« hervorbringe.150 Auch plädierten die BMWi-Experten gegen eine strukturpolitische Beeinflussung des kompetitiven Marktgeschehens: »Die am Markt überlebensfähigen Betriebsgrößen und Unternehmensformen verändern sich in der Regel infolge von Innovationen, die nicht prognostiziert werden können. Welche Marktstruktur sich durchsetzt, muß sich im Wettbewerb erweisen. Diese Frage kann nicht am grünen Tisch einer Kartellbehörde entschieden werden.« Damit reproduzierten die Ratsmitglieder zum einen die Denkfigur vom »Experiment des Marktes«,151 vom ökonomischen Wettbewerb als Suchbewegung, als forschendem Prozess, dessen Ergebnisse spontan und unvorhersagbar seien. Zum anderen korrespondierte die Absage des BMWi-Beirates an eine »Wettbewerbspolitik als Strukturpolitik«152 mit dem Konzept des Sachverständigenrates, der seit der angebotspolitischen Wende für einen Kurs der ergänzenden, nicht der bestimmenden Strukturpolitik plädierte.153 Darüber hinaus zeigen Komposita wie »Wettbewerbsfähigkeit« oder »Wettbewerbsvorsprung«, mit denen sich in zunehmendem Maße erfolgreich argumentieren ließ, dass sich nicht nur der Bedeutungsgehalt des Wortes »Wettbewerb« veränderte, sondern auch dessen semantischer Bezugsrahmen. Hatte die Wortverbindung »Wettbewerbsfähigkeit«, die vereinzelt schon in der Gründungsphase der Bundesrepublik aufgetaucht war und deren argumentativer Gebrauchswert seit den siebziger Jahren anwuchs, ursprünglich die kompetitiven Chancen einzelner Unternehmen auf den jeweiligen Rohstoff- und Produktmärkten bezeichnet, bezog sie sich seit der zweiten Hälfte der Dekade zunehmend auf ganze Volkswirtschaften und referierte auf deren Konkurrenz um 147 Archiv des IfZ, NL Hans Möller, ED 150–48, Protokoll der 265. Tagung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft am 24. und 25. Oktober 1986 in Nürnberg, Atrium Hotel, S. 2. 148 Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi, Wettbewerbspolitik, S. 1362. 149 Ebd., S. 1364. 150 Ebd., S. 1362. 151 Ebd., S. 1367. 152 Ebd., S. 1366. 153 Schanetzky, Aporien.

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technologische Innovationen, Ressourcen, Arbeitskräfte und private Investitio­ nen. Seit dem Übergang zu den achtziger Jahren war das Kompositum in der Bundesrepublik zudem eng mit einer nationalen Standortsemantik verknüpft, die neben dem Sachverständigenrat vor allem das in Köln ansässige Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in die wirtschaftswissenschaftlichen und politischen Debatten einspeiste.154 So sprach Otto Vogel, der die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Abteilung des IW leitete, auf der Jahrestagung des Instituts im November 1979 über die bundesdeutsche »Standortproblematik«, die »im Grunde identisch« sei »mit der Frage nach der internationalen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen überhaupt.«155 Das Pronomen »unserer« fungierte hierbei als identitätsstiftende Kollektivbezeichnung, die auf die deutsche Nation referierte. Die öffentlichkeitswirksamen Debatten um den »Wirtschaftsstandort Deutschland«, denen die Verbindung von nationaler Standortsemantik und Wettbewerbsimagination zugrunde lag, erreichten zwar erst in den neunziger Jahren ihren Höhepunkt.156 Doch besaß die Vorstellung eines Wettbewerbs der nationalen Volkswirtschaften, in dessen Verlauf die Bundesrepublik nicht »abgehängt« werden dürfe, schon in den wirtschafts- und beteiligungspolitischen Debatten der achtziger Jahre einen hohen argumentativen Gebrauchswert. Plausibilisiert wurde diese Denkfigur häufig durch Metaphoriken aus dem semantischen Feld des Sports, kam es doch beispielsweise für den Sachverständigenrat »darauf an, daß wir auf hinreichend vielen Märkten Wettbewerbsvorsprung halten, und dringend wäre es vor allem: daß wir Wettbewerbsvorsprung hinzugewinnen«.157 Die wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen an der Schwelle zu den achtziger Jahren changierten zwischen Revitalisierung und Revision, waren auf eine idealisierte Vergangenheit und die zu gestaltende Zukunft gleichermaßen bezogen. So referierte die »eher rückwärts orientierte« wirtschaftspolitische Semantik158 einerseits auf die idealisierte Wirtschaftsordnung der »Sozialen Marktwirtschaft«, die durch eine »Renaissance« des ordnungspolitischen Denkens wiederhergestellt werden sollte. Andererseits zielte die vielbeschworene »Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft« nicht allein auf eine präzise Reproduktion, hatten sich doch die Annahmen über die Merkmale und Bedingungen marktwirtschaftlicher Abläufe, die durch die staatliche »Rahmenordnung« zu garantieren waren, gewandelt. Als wesentliche Kennzeichen ökonomischer Prozesse galten seit den ausgehenden siebziger Jahren nicht mehr Ausgleich und Gleichgewicht, sondern Dynamik und Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität, durch die sich neben einzelnen Unternehmen und Marktteilnehmern auch »die« Wirtschaft als Kollektivsubjekt respektive der im internationa154 Ausführlich hierzu: Meteling, Standortsemantiken. 155 Vogel, S. 40. 156 Ausführlich zur »Standortdebatte« der neunziger Jahre: Meteling, Konkurrenz. 157 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1985, Zf. 319. 158 Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 501.

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len Wettbewerb befindliche deutsche »Wirtschaftsstandort« auszeichnen sollten. Das beschriebene Nebeneinander von Tradition und Transformation bildet ein Vortrag besonders eindrücklich ab, den Otto Graf Lambsdorff im Januar 1984 am Kölner Institut für Wirtschaftspolitik hielt. Einerseits sprach sich Lambsdorff für die »Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft« und »eine Renaissance der Ordnungspolitik« aus, um jedoch andererseits sogleich hinzuzufügen: »Erneue­rung der sozialen Marktwirtschaft darf nicht mißverstanden werden als ein Zurück in die 50er Jahre.«159 Die Berufung auf die ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen der jungen Bundesrepublik verband der FDP-Spitzenpolitiker mit einem in die Zukunft gerichteten Anspruch: »Politik machen heißt, die Zukunft gestalten.«160 1.2 Zwischen Entschlossenheit und Prüfungsbedürftigkeit Die »Entstaatlichungs«-Vorhaben der schwarz-gelben Regierungskoalition, die deren Vertreter seit Herbst 1983 zunächst in öffentlichen Bekanntmachungen, Reden und Vorträgen zu bekräftigen und zu konkretisieren suchten, waren in den skizzierten semantisch-diskursiven Begründungsrahmen eingepasst. Gleichsam obligatorisch war hierbei der – häufig mit einem wörtlichen Zitat verbundene – Verweis auf die zweite Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl aus dem Mai 1983, die den zentralen argumentativen Referenzpunkt aller offiziösen Stellungnahmen zur wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates darstellte. Die am häufigsten zitierte Wendung des Bundeskanzlers war das formulierte Ziel einer »Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft«, das die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung in die Tradition der frühen Nachkriegszeit stellte und als Bestandteil der vielfach eingeforderten ordnungspolitischen »Renaissance« kennzeichnete. Hans Tietmeyer etwa, der seit Amtsantritt des neuen Kabinetts als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium fungierte, verband während seiner Ansprache auf einer gemeinsamen Veranstaltung der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft sowie der Konrad-AdenauerStiftung im Oktober 1983 die Formel mit einem längeren Zitat aus der Er­k lärung des Bundeskanzlers, um zu betonen, dass sich die Regierungspolitik »am Ordnungskonzept der Sozialen Marktwirtschaft« ausrichte. Dies erfordere zuvörderst eine permanente Kontrolle, ob »die Grenzen zwischen den Tätigkeitsgebieten des Staates, insbesondere des Bundes, und der Privaten noch richtig« verliefen, die er metaphorisch mit dem Wort »Grenzkontrolle« bezeichnete.161 Dass die Begrenzung staatlicher Einfluss-und Zuständigkeitsbereiche zu den wesentlichen Elementen der ausgerufenen »Politik der Erneuerung« gehören sollte, 159 Lambsdorff, Liberalismus, S. 10. 160 Ebd., S. 5. 161 Neukonzeption der Beteiligungspolitik des Bundes, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 118, 4.11.1983, S. 1079–1083, Zit. S. 1079.

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hatte das Kabinett bereits im Jahreswirtschaftsbericht 1983 niedergeschrieben. In der entsprechenden Passage, die Tietmeyer ebenfalls wörtlich zitierte, hieß es: »Die Wirtschaftspolitik wird konsequent an den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft ausgerichtet; dazu gehört vor allem […] die Staatstätigkeit auf ihre eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren, öffentliche Dienstleistungen möglichst auf Private zu übertragen, wo diese sie besser erfüllen können, und öffentliche Vermögen dort zu privatisieren, wo dies ohne Beeinträchtigung staatlicher Belange möglich ist«.162

Auch der neue Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg, in dessen Zuständigkeitsbereich die Beteiligungspolitik fiel, nannte die »Privatisierung von Bundesunternehmen« in einem Artikel für den Wirtschaftsdienst einen »Beitrag zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft«,163 wobei er auf die »grundsätzliche Entscheidung für die Soziale Marktwirtschaft« verwies, die »Konrad Adenauer und Ludwig Erhard« getroffen hätten.164 Neben solchen expliziten Anknüpfungen an die ordnungspolitische Tradition der jungen Bundesrepublik waren die Absichtserklärungen der Regierungs­ vertreter ebenso gekennzeichnet durch Verweise auf den dynamischen und flexiblen Charakter ökonomischer Prozesse, der zum einen vor dem Problemhintergrund zunehmender Verlangsamung durch hemmende staatliche Einflüsse beschrieben wurde. Hans Tietmeyer etwa warnte, dass »die europäische Wirtschaft sich auf dem Weg der Erstarrung und Verkrustung« befinde und unbedingt darin »gestärkt werden« müsse, »ohne staatliche Krücken und Fesseln den internationalen Wettbewerb zu bestehen«. Zu diesem Zweck sei eine Prüfung der staatlichen Aufgabenbereiche erforderlich, um den »notwendige[n] Freiraum« zu schaffen, »der dringend für neue Initiativen benötigt« werde und »die Entfaltung wie das Nachwachsen von dynamischen Unternehmern« ermögliche.165 Eine solche Prüfung sei jedoch zum anderen auch deshalb permanent erforderlich, weil die »öffentlichen Aufgaben im Entwicklungsprozeß des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfelds einem ständigen Wandel unterworfen« seien. Aus der Konzeptualisierung des kompetitiven Marktgeschehens als dynamisch und flexibel ergab sich demnach die fortlaufende Anpassung der wirtschaftlichen Staatstätigkeit geradezu als notwendige Konsequenz, in den Worten Tietmeyers: »Der Beteiligungsbesitz des Bundes muß jedenfalls statischer, konservierender Betrachtungs- und Handlungsweise entzogen werden. Aufgabenveränderung ist ein dynamischer Prozeß, der natürlich auch Auswirkungen auf Bestand und Inhalt des staatlichen Unternehmensbesitzes haben kann.«166 Im Jahreswirtschaftsbericht 1985 hieß es dementsprechend: 162 BT-Drucksache IX/2400, S. 11. 163 G. Stoltenberg, Ein Beitrag zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 64, 1984, S. 59–62, hier: S. 59. 164 Ebd., S. 60. 165 Neukonzeption, S. 1080. 166 Ebd., S. 1081.

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»Der Rückzug aus wirtschaftlicher Betätigung dort, wo staatliche Präsenz nicht mehr geboten ist, führt tendenziell zu besseren Wettbewerbsbedingungen zwischen den privaten Unternehmen und zu dynamischeren Marktstrukturen«.167 Wie schon das in der frühen Bundesrepublik gebräuchliche Wort »Reprivatisie­ rung« suggerierte die dem militärischen Sprachhaushalt entnommene Metapher des »Rückzugs« eine vormalige »Landnahme« durch den Staat, der sich von seiner ökonomischen »Präsenz« wieder zurückzuziehen und den status quo ante wiederherzustellen habe. Zugleich zielten die geäußerten »Entstaatlichungs«-Absichten nicht nur auf Beweglichkeit und Dynamik der Wirtschaft im Sinne der »immunologischen Logik« des Flexibilisierungsparadigmas ab, sondern auch, wie die Aussagen Hans Tietmeyers bereits erkennen lassen, auf die Stärkung ihrer »internationalen Wettbewerbsfähigkeit« gegenüber anderen Volkswirtschaften. So verknüpfte Tietmeyer seinen Appell, die wirtschaftliche »Dynamik« durch Überprüfung der ökonomischen Staatsaufgaben zu ermöglichen, mit dem Hinweis, dass andernfalls »eine Spitzenposition unter den Industrienationen auf Dauer nicht zu halten« sei.168 Auch Bundesfinanzminister Stoltenberg warnte in dem bereits erwähnten Artikel zum Thema »Privatisierung von Bundesunternehmen« vor dem »Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit«, der für Deutschland besonders bedrohlich sei, habe die Bundesrepublik doch ihre »Position in der Spitzengruppe der Industrienationen gegenüber nachdrängenden Wettbewerbern zu verteidigen«.169 In diesem Zusammenhang betonte der Finanzminister ebenfalls den Vorrang der genannten ordnungs- und wettbewerbs- gegenüber haushaltspolitischen Erwägungen: »Entscheidend ist, daß unsere Wirtschaft flexibel auf binnenwirtschaftliche Strukturveränderungen reagiert und sich den von außen kommenden Herausforderungen gewachsen zeigt.« Die »Haushaltsentlastung« hingegen stehe »nicht im Vordergrund der Überlegungen der Bundesregierung«.170 Hans Tietmeyer bekräftigte diese Darstellung unter Verweis auf die Privatisierungsvorhaben in Großbritannien. Indem er sich der medizinisch-biologistischen Metaphorik des beschriebenen Krisendiskurses bediente, stellte er fest: »Es wäre ein Trugschluß anzunehmen, dort würden Beteiligungen nur zur Haushaltsentlastung veräußert. Die Schaffung von Wettbewerbsdruck und die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit gehören zu der Medizin, welche das Kabinett Thatcher der gesamten englischen Wirtschaft, insbesondere dem staatlichen Unternehmenssektor, verabreicht.«171 In seiner Rede anlässlich der Jahrestagung von Vorständen und Aufsichtsräten der Bundesunternehmen im Oktober 1984 167 BT-Drucksache X/2817, S. 13. 168 Neukonzeption, S. 1080. 169 Stoltenberg, Beitrag, S. 60. 170 Ebd., S. 62. 171 Neukonzeption, S. 1080. Damit übernahm er zugleich die Rhetorik der britischen Tories; vgl. Geppert, Krankheit.

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wandelte der Bundesfinanzminister seine Argumentationsweise zwar geringfügig ab, beklagte er doch nun im Bereich des unternehmerischen Bundesbesitzes »ein beträchtliches Ungleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen und damit eine nicht unbedeutende haushaltsmäßige Belastung.« Dies änderte für ihn allerdings nichts an der politischen Priorisierung. Vielmehr verleihe die beschriebene Haushaltsproblematik »der primär ordnungspolitischen begründeten Frage Nachdruck, ob wir den Bundesbesitz im bisherigen Ausmaß benötigen.«172 Waren die Debatten der siebziger Jahre noch gekennzeichnet durch eine enge Verknüpfung der Begrenzung staatlicher Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche mit den »strukturellen« Defiziten der öffentlichen Haushalte, die nicht nur die Diskussionen um funktionale Privatisierungen im kommunalen Bereich, sondern auch die Wiederaufnahme der beteiligungspolitischen Debatte auf Bundesebene maßgeblich bestimmt hatte,173 gerieten die finanzpolitischen Zielformulierungen seit dem Amtsantritt der schwarz-gelben Bundesregierung zunehmend in den Hintergrund gegenüber ordnungspolitischen Erwägungen. Für diese Umorientierung, die schon anhand der Regierungserklärungen des Bundeskanzlers nachvollzogen werden konnte, dürfte freilich die von Bundesfinanzminister Stoltenberg mehrfach formulierte Feststellung nicht unerheblich gewesen sein, »daß bei uns im Gegensatz zu anderen wichtigen europäischen Industrieländern in der Nachkriegszeit nicht verstaatlicht worden ist«  – dass also mit anderen Worten das privatisierungsfähige Bundesvermögen nicht nur weitaus geringer ausfiel als in anderen Staaten, sondern auch im Vergleich zur kommunalen Ebene, die im Vordergrund der Diskussionen der siebziger Jahre gestanden hatte.174 Schon im Herbst 1983 ließ die neue Bundesregierung ihren Ankündigungen Taten folgen und demonstrierte, wie Hans Tietmeyer und Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg wortgleich betonten, ihre »ordnungspolitische Entschlossenheit«:175 In seiner Sitzung am 26. Oktober 1983 beschloss das Kabinett auf Vorschlag des Bundesfinanzministers die Reduzierung des Bundesanteils an der VEBA auf dreißig Prozent.176 Mit dem Aktienverkauf, dem der Bundestag noch im selben Jahr zustimmte und dessen erfolgreichen Verlauf Minister Stoltenberg Anfang Februar 1984 vermelden konnte,177 waren mehrere Implikationen 172 Ziele der Neuorientierung der Beteiligungspolitik, in: Bulletin des Presse- und Informa­ tionsamtes der Bundesregierung, Nr. 116, 9.10.1984, Zit. S. 1035. 173 Werner Dollinger verwies in seinen parlamentarischen Anfragen mehrfach auf das öffentliche Haushaltsdefizit als Problemhintergrund: BT-Drucksache VIII/487, S. 3; BT-Drucksache VIII/3862, S. 3. 174 Bilanz der Neuorientierung der Beteiligungspolitik des Bundes, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 103, 16.9.1986, Zit. S. 878. 175 Neukonzeption, S. 1079; Stoltenberg, Beitrag, S. 61. 176 BArch, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1983. Protokolle, 17. Kabinettssitzung am 26. Oktober 1983. 177 Zum Verkauf der VEBA-Aktien des Bundes, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 11, 1.2.1984.

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verbunden. Erstens markierte die abermalige Teilprivatisierung der VEBA einen entschiedenen Bruch mit dem erklärten Ziel der Vorgängerregierung, durch Unternehmenszusammenschlüsse einen »nationalen Mineralölkonzern« aufzubauen. Wenn das sozial-liberale Kabinett dieses Vorhaben auch schon seit Mitte der siebziger Jahre nicht mehr konsequent verfolgt und auch keine beteiligungspolitische Gesamtkonzeption vorgelegt hatte, war der Bundesanteil am Düsseldorfer Energiekonzern im Zuge des Zusammenschlusses mit der Gelsenberg AG doch auf rund 43,7 Prozent angestiegen und seitdem konstant geblieben. Die neue schwarz-gelbe Regierungskoalition kehrte diese Tendenz wieder um und erhielt hierfür erwartungsgemäß viel Beifall von der Konzernleitung. VEBA-Chef Rudolf von Bennigsen-Foerder, der zehn Jahre zuvor eine staatliche Unterstützung der Fusion mit Gelsenberg noch vehement gefordert hatte, schwang sich nunmehr zum Verfechter der ordnungspolitischen »Renaissance« auf und dozierte, »eine Staatsbeteiligung im Sinne des ›Schutzpatrones‹« könne »grundsätzlich nur eine Funktion auf Zeit sein.«178 »Schutzpatron« im Sinne Bennigsens war der Bund zweitens, wenn er über eine faktische Mehrheit in der VEBA-Hauptversammlung verfügte. Da der Bundesanteil fortan unterhalb der Majoritätsgrenze lag, die der Bundesgerichtshof in seinem Grundsatzurteil vom 13. Oktober 1977 zum Maßstab für die unternehmerische Abhängigkeit erklärt hatte,179 galt die VEBA nach der neuerlichen Teilprivatisierung nicht mehr als ein vom Bund abhängiges Unternehmen. Dieser Umstand hatte weit mehr als aktienrechtliche Konsequenzen, tauchte doch fortan die große Zahl der VEBAFirmenbeteiligungen, an denen der Bund mittelbar beteiligt gewesen war, nicht mehr im Beteiligungsbericht des Bundesfinanzministeriums auf. Folglich fiel die Zahl der Unternehmen im Bundesbesitz innerhalb eines einzigen Berichtszeitraumes von 958 auf 487.180 Diese Entwicklung konnte die Bundesregierung drittens als sichtbares Zeichen deuten, das ihre beteiligungspolitische Handlungsbereitschaft unterstreiche. Finanzminister Stoltenberg etwa ließ sich mit

178 R. v. Bennigsen-Foerder, Grundsätzlich eine Funktion auf Zeit, in: ÖWG, Jg. 33, 1984, S. 3–6, hier: S. 3. 179 Im Zuge des Zusammenschlusses von VEBA und Gelsenberg im Juli 1975 hatten die freien Gelsenberg-Aktionäre auf das Angebot einer Barabfindung geklagt, das ihnen aufgrund der aktienrechtlichen Abhängigkeit der aufnehmenden Gesellschaft – der VEBA – vom »Unternehmen« Bundesrepublik Deutschland zustehe. Der zweite Zivilsenat des Bundesgerichtshofes schloss sich in seinem Grundsatzurteil vom 13. Oktober 1977 dieser Rechtsauffassung an, da der Bund mit seinem Anteilsbesitz von mehr als vierzig Prozent die VEBA-Hauptversammlung dauerhaft majorisieren konnte, in der kontinuierlich lediglich 77 Prozent des Grundkapitals vertreten waren. Den Klägern wurde damit nicht nur das Recht auf eine Barabfindung zugesprochen. Vielmehr galt die Bundesrepublik Deutschland fortan als Unternehmen im Sinne des Aktienrechts. Mit der Reduktion des Bundesanteils auf dreißig Prozent bestand die faktische Mehrheit des Bundes in der Hauptversammlung nicht mehr, war die gerichtlich festgestellte Abhängigkeit der VEBA vom Bund aufgehoben; Radzio, S. 256–257. 180 Knauss, Entscheidungen, S. 164–165.

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der Ankündigung zitieren, »der eingeschlagene Weg der Neugestaltung der Beteiligungspolitik des Bundes werde nach dem VEBA-Signal konsequent und mit Augenmaß fortgesetzt.«181 Die von Stoltenberg und Tietmeyer angekündigte »ordnungspolitische Entschlossenheit« der Bundesregierung, staatliche Zuständigkeits- und Aufgabenbereiche zu begrenzen, sollte darüber hinaus nicht auf die Privatisierung von Unternehmensanteilen beschränkt bleiben, sondern war vielmehr umfassender ausgerichtet. Otto Graf Lambsdorff brachte diesen Anspruch in seinem Vortrag am Kölner Institut für Wirtschaftspolitik pointiert zum Ausdruck, indem er wie erwähnt auf den hemmenden, »fesselnden« Einfluss des Staates auf wirtschaftliche Vorgänge verwies und forderte: »Von diesen Fesseln müssen wir die Wirtschaft wieder befreien und das heißt: Rückführung des Staates, Privatisie­ rung, Abbau von Bürokratismus.«182 Das Bundeskabinett183 war seit Mitte 1983 bemüht, diesen umfassenden »Entstaatlichungs«-Anspruch zu konkretisieren. In seinem bereits erwähnten Beitrag für den Wirtschaftsdienst unterschied Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg unter der Überschrift »Weniger Staat«, die er abermals unter Verweis auf die zweite Regierungserklärung Helmut Kohls formulierte, drei wirtschaftliche Tätigkeitsbereiche des Staates, auf die sich die Bemühungen der Bundesregierung konzentrieren würden. Erstens seien »Rechts- und Verwaltungsvorschriften […] zu vereinfachen und bürokratische Hemmnisse abzubauen.« Zweitens knüpfte der Minister explizit an die Privati­sierungsdebatten der siebziger Jahre an, indem er forderte: »Öffentliche Dienstleistungen sind dort zu privatisieren, wo diese durch private Unternehmen ebenso gut oder besser erbracht werden können. Dies muß sich im wesentlichen im kommunalen Bereich vollziehen.« Zum Abbau bürokratischer Regelungen und der funktionalen Privatisierung im kommunalen Bereich kämen drittens materielle Privatisierungen durch »Veräußerung von Anteilsrechten an Unternehmen« hinzu, wobei »in erster Linie an den Bund zu denken« sei.184 Diesen Dreiklang aus »Entbürokratisierung«, funktionaler Privatisierung im kommunalen Bereich und materieller Privatisierung auf Bundesebene, der bereits im Jahreswirtschaftsbericht 1983 angeklungen war,185 spielte die Bundesregierung auch in den folgenden amtlichen Mitteilungen, in denen sie das Stichwort der »Entbürokratisierung« mit weiteren Bedeutungsimplikaten ausstattete. Im Jahreswirtschaftsbericht 1984 etwa definierte das Kabinett »Ent­ bürokratisierung« als den »Abbau bürokratischer Hemmnisse« und als »Entlastung der Wirtschaft und Bürger von unnötigen, einengenden staatlichen Vorschriften«, womit sie dessen Bedeutungsbestände zugleich in die wirkmäch181 Zum Verkauf der VEBA-Aktien des Bundes, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 11, 1.2.1984. 182 Lambsdorff, Liberalismus, S. 10. 183 Lambsdorff trat im Juni 1984 vom Amt des Bundeswirtschaftsministers zurück. 184 Stoltenberg, Beitrag, S. 61. 185 BT-Drucksache IX/2400, S. 11.

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tigen Flexibilisierungs- und Individualisierungsdiskurse einbettete.186 An diese diskursiven Knotenpunkte knüpfte die Bundesregierung auch im folgenden Bericht an, demzufolge der »Abbau überzogener staatlicher Gebote und Verbote […] die Bedingungen für mehr individuelle Freiheit, für selbstverantwortliches Handeln und damit auch für größere Flexibilität und mehr Wettbewerb« schaffen sollte. Zudem tauchte hier erstmals das Wort »Deregulierung« als Synonym für »Entbürokratisierung« auf.187 Die erklärte Absicht der Bundesregierung, ihre Bemühungen zur Begrenzung staatlicher Zuständigkeitsbereiche nicht nur auf die Bereitstellungs-, sondern auch auf die Regulierungsfunktion des Staates zu richten, markieren einen wesentlichen Unterschied zu den Entstaatlichungsvorhaben der frühen Bundesrepublik, die auf die materielle Privatisierung von Unternehmensbeteiligungen des Bundes beschränkt geblieben waren. Um seinen umfassenden »Entstaatlichungs«-Anspruch zu unterstreichen, setzte das Kabinett bereits im Sommer 1983 eine »Unabhängige Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung« unter der Leitung des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesinnenministerium, Horst Waffenschmidt, ein.188 Die auf die staatliche Bereitstellungsfunktion gerichtete beteiligungspolitische Entschlossenheit der Bundesregierung wiederum sollte das »Gesamt­ konzept für die Privatisierungs- und Beteiligungspolitik des Bundes« erweisen, das Finanzminister Gerhard Stoltenberg seit dem Beschluss zur VEBA-Privatisierung ausgearbeitet hatte und das Kabinett am 26. März 1985 verabschiedete.189 In diesem ersten beteiligungspolitischen Regierungskonzept der bundesrepublikanischen Geschichte leitete Stoltenberg einleitend abermals aus dem zitierten »Leitgedanken« der Regierungserklärung vom Mai 1983, »den Staat auf den Kern seiner Aufgaben zurückzuführen«, die »drei Aufgabengebiete« der »Entbürokratisierung« sowie der funktionalen und materiellen Privatisierung ab. Die Handlungsschnelligkeit des Kabinetts auf dem Feld der funktionalen Privatisierung sollte das 1983 noch von Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff vorgelegte Konzept über »Möglichkeiten und Kriterien der Privatisierung durch Verlagerung öffentlicher Dienstleistungen auf freiberuflich Tätige« belegen, auf das der Finanzminister verwies. Dass die angestrebte Politik auf eine Begrenzung der staatlichen Wirtschaftsaufgaben zielte, verdeutlichte die Beschreibung der materiellen Privatisierungsvorhaben als »Einschränkung staatlicher unternehmerischer Betätigung«.190 Auf die nachfolgende knappe Darstellung der Genese des bundesdeutschen Beteiligungsbesitzes folgte die Formulierung einiger »Grundsätze der Beteiligungspolitik«, die den umfassenden 186 BT-Drucksache X/952, S. 12. 187 BT-Drucksache X/2817, S. 13. 188 Bundesministerium des Innern. 189 BArch, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1985. Protokolle, 78. Kabinettssitzung am 26. März 1985. 190 Gesamtkonzept für die Privatisierungs- und Beteiligungspolitik des Bundes, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 34, 28.5.1985, S. 281–285, hier: S. 281.

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Anspruch der Bundesregierung bekräftigten, hieß es doch unter dem zweiten Ordnungspunkt: »In der Sozialen Marktwirtschaft gebührt grundsätzlich privater Initiative und privatem Eigentum Vorrang vor staatlicher Tätigkeit und staatlichem Eigentum. Privates Eigentum und privatwirtschaftliche, durch Markt und Wettbewerb gesteuerte und kontrollierte unternehmerische Tätigkeit gewährleisten am besten wirtschaftliche Freiheit, ökonomische Effizienz und Anpassung an sich verändernde Marktverhältnisse. Für die Beteiligungspolitik des Bundes bedeutet das eine möglichst weitgehende Zurückhaltung sowie den Abbau bisheriger Beteiligungen, wo diese nicht mehr erforderlich sind.«191

Diese Leitgedanken bündelten noch einmal die diskursiven Verweise und symbolischen Implikate, mit denen das politische Vorhaben der »Entstaatlichung« ausgestattet war  – die Anknüpfung an die ordnungspolitische Tradition der »Sozialen Marktwirtschaft«, die sich daraus ergebende scharfe Grenzziehung zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Zuständigkeitsbereichen, die Überlegenheit der Steuerungs- und Organisationsform des »Marktes« und das Ideal der Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft(-subjekte). Die aus den formulierten Grundsätzen abgeleitete Notwendigkeit zum »Abbau« von Bundesbeteiligungen sollte zudem ohne bisherige Einschränkungen erfolgen und sich »grundsätzlich auf alle Beteiligungen des Bundes und der Sondervermögen erstrecken«.192 Damit standen fortan auch Privatisierungen von Besitzanteilen aus dem Bereich der »Sondervermögen« Deutsche Bundesbahn und Deutsche Bundespost zur Disposition, die während der ersten Entstaatlichungsperiode in der Frühphase der Bundesrepublik noch ausdrücklich sowohl von den Privatisierungsforderungen der Wirtschaftsverbände, Journalisten und Parteien als auch den Privatisierungsplänen der Bundesregierung ausgenommen gewesen waren. Zugleich beschränkte sich Finanzminister Stoltenberg nicht auf die Formulierung beteiligungspolitischer Prinzipien, sondern legte dem Kabinett gemeinsam mit dem »Gesamtkonzept« eine weitere »Beschlußvorlage« vor, in der dreizehn »Vorhaben« zur Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen des Bundes genannt waren.193 Einerseits bekräftigte das beteiligungspolitische »Gesamtkonzept« somit die beschworene »ordnungspolitische Entschlossenheit« der Regierung zur »Entstaatlichung«. Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik hatte ein Bundeskabinett in Form einer Gesamtkonzeption beteiligungspolitische Leitlinien skizziert, die zudem weitreichender waren als noch in der jungen Bundesrepublik. Zum einen erstreckten sich die angestrebten Maß­nahmen auf unterschiedliche Dimensionen wirtschaftlicher Staatstätigkeit und blieben nicht auf das Ziel der materiellen Privatisierung beschränkt, die zum anderen auf sämtliche Bundesbeteiligungen – auch diejenigen der »Sonder­vermögen« – 191 Ebd., S. 282–283. 192 Ebd., S. 283. 193 Ebd., S. 285.

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ausgedehnt werden sollte. Schließlich war der Beschluss beteiligungspolitischer Prinzipien eng verbunden mit der Ausarbeitung konkreter Privatisierungsmaßnahmen, welche die allgemeinen Absichtserklärungen in konkrete Handlungsziele überführten. Andererseits jedoch markiert die Formulierung des beteiligungspolitischen »Gesamtkonzepts« einen Wendepunkt, an dem für die Zeitgenossen erstmals ein Spannungsfeld sichtbar wurde zwischen den weitreichenden »Entstaatlichungs«-Zielen der Bundesregierung und deren Umsetzung, die gekennzeichnet war durch Tendenzen zur Verzögerung und Beharrung. Die zeitgenössische Wahrnehmung dieses Spannungsverhältnisses lässt sich beispielhaft anhand der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages zur »Privatisierungspolitik der Bundesregierung« beobachten, die am 27. März 1985 und damit am Folgetag der beschriebenen Kabinettsbeschlüsse stattfand. Den Antrag zu dieser Aussprache hatte die FDP-Fraktion unter Federführung des Abgeordneten Wolfgang Weng gestellt, der in seiner Rede auf ein früheres Fernsehinterview Bezug nahm und spottete: »Ich erklärte: Ich hoffe nicht, daß der Berg kreiße und ein Mäuslein gebäre. Nun hat er […] eine Schnecke geboren.«194 Otto Graf Lambsdorff stimmte dieser Bewertung zu, indem er sich direkt an Gerhard Stoltenberg wandte: »Herr Bundesfinanzminister, wir haben Ihren ersten Vorschlag, den Sie vor einer Reihe von Monaten gemacht haben, sehr gut gefunden; wir haben ihn sofort begrüßt. Nun, aus dem ansehnlichen Paket ist eher ein Päckchen geworden.«195 Dass auch die mediale Öffentlichkeit ein zunehmendes Auseinanderdriften von aufgebauten Erwartungen und politischen Handlungen beobachtete, mag ein Kommentar des Wirtschaftsjournalisten Peter Hort beispielhaft zeigen, der Ende September 1985 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien. Über die »Leitgedanken« der Regierungserklärung schrieb Hort nur noch in der Vergangenheitsform, sei doch »manche Hoffnung […] enttäuscht« worden. Explizit verwies er hierbei auf die »Privatisierungspolitik«, deren bisheriger Verlauf »alles andere als ein Ruhmesblatt für die Regierung« sei. Vielmehr sei »von Stoltenbergs ordnungspolitisch so bedeutsamen Vorhaben nicht viel mehr als ein Skelett übrig«, ein »kümmerlicher Restposten«.196 Die Journalisten der Wirtschaftswoche kritisierten bereits im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses die Vagheit der formulierten »Absichtserklärungen und Forderungen«.197 Für das Handelsblatt kommentierte Reinhard Uhlmann Anfang 1986 lakonisch, in dem vorgelegten »Schneckentempo« werde die Regierung »ohne Wunder ihren Beschluß nicht einhalten können.«198 Die Aktuelle Stunde des Bundestages sowie die Kommentare und Artikel der Presse reflektierten zum einen den sich vornehmlich in den Reihen der Union 194 VDB, 10. WP, 128. Sitzung, 27.3.1985, S. 9442. 195 Ebd., S. 9448. 196 Privatisierung – nur noch ein Skelett, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.9.1985. 197 Rückzug in drei Stufen, in: Wirtschaftswoche, 22.3.1985. 198 Im Schneckentempo, in: Handelsblatt, 27.2.1986.

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formierenden Widerstand gegen die angekündigten »Entstaatlichungs«-Vorhaben des Bundeskabinetts. Vor allem die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) machte frühzeitig gegen den angekündigten »Rückzug« des Staates Front. Stellvertretend zog etwa der Geschäftsführer der CDU / CSUArbeitnehmergruppe, Peter Köppinger, das von Helmut Kohl erklärte Ziel einer »Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft« öffentlich in Zweifel, indem er vor einer drohenden »Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft« warnte.199 Heinz Soénius, Vorsitzender des größten CDA-Kreisverbandes in Köln, pflichtete dem bei und stellte klar: »Unser Vorbild ist […] weder Ronald Reagan noch Margret Thatcher, sondern Ludwig Erhard. […] Wer also heute einseitig dem freien Spiel des Marktes das Wort redet, will nicht die Wende zurück zur ›sozialen Marktwirtschaft‹, sondern ein anderes System.«200 Damit begaben sich beide nicht nur in einen Deutungskampf um den Gehalt der Leerformel »Soziale Marktwirtschaft«, sondern repräsentierten den Widerstand, den insbesondere der Arbeitnehmerflügel der Union den »Entstaatlichungs«-Absichten des Kabinetts entgegenbrachte. Da er Nachteile für die überwiegend in Bayern ansässigen Firmen der bundesdeutschen Luftfahrtindustrie befürchtete, reihte sich auch der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß mit seiner öffentlichkeitswirksamen Ankündigung, die angestrebte Verringerung des Bundesanteils an der Deutschen Lufthansa zu verhindern, in die Phalanx der koalitionsinternen Gegner ein.201 Zum anderen war der scharfe Kontrast zwischen dem formulierten Anspruch weitreichender »Entstaatlichung« einerseits und den politischen Maßnahmen der Bundesregierung andererseits, dessen Beobachtung den spöttischen Bemerkungen sowohl der FDP-Bundestagsfraktion als auch der Journalisten zugrunde lag, sprachlich bereits in den Kabinettsbeschlüssen vorstrukturiert. So nannte die Sitzungsvorlage des Finanzministers, die Fritz Knauss, mittlerweile Ministerialdirektor im Bundesfinanzministerium, auch als »Schwerpunktprogramm« bezeichnete, zwar explizit dreizehn Beteiligungsunternehmen, deren Veräußerung das Kabinett grundsätzlich anstrebe. Als »ausdrückliche Verkaufsvorhaben« deklariert waren jedoch lediglich die VIAG, die Deutsche Pfandbriefanstalt, die Deutsche Siedlungs- und Landesrentenbank, das Prospektionsunternehmen Prakla-Seismos sowie die Deutsche Verkehrs-Kredit-Bank und die Logistikfirma Schenker & Co, die beide zum Beteiligungsbesitz der Deutschen Bundesbahn gehörten. Im Falle der Volkswagen AG war zunächst eine »passive Privatisierung« durch Nicht-Beteiligung des Bundes an künftigen Kapital­ erhöhungen vorgesehen. Bei der DIAG ging es um die »Bekundung einer Verkaufsabsicht ohne Konkretisierung«, während für die Deutsche Lufthansa, die IVG, die Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen sowie die beiden Touristikunternehmen DER und abr aus dem Beteiligungsbesitz der Deut199 Das ist keine Perspektive, in: Soziale Ordnung, 29.11.1984, Zit. S. III. 200 An der sozialen Marktwirtschaft nagt der Wurm, in: Soziale Ordnung, 1.10.1983. 201 Zohlnhöfer, Wirtschaftspolitik, S. 169.

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schen Bundesbahn sogar nicht mehr als »Verhandlungs-« und »Untersuchungsaufträge« erteilt werden sollten.202 Die Formulierungen des »Schwerpunktprogramms« waren nicht nur vage, referierten die verwendeten Bezeichnungen  – »Vorhaben«, »Absichten«, »Aufträge« – doch auf einen zeitlich nicht eingrenzbaren, unabgeschlossenen Prozess, ohne einen konkreten Veräußerungszeitpunkt zu benennen. Auch wird sowohl in der Beschlussvorlage des Bundesfinanzministers als auch im zeitgleich verabschiedeten »Gesamtkonzept« der Topos der Einzelfallprüfung überdeutlich sichtbar. So erklärte der Bundesfinanzminister die »Prüfungserfordernis«, »ob Zahl und Höhe der Beteiligungen des Bundes in bisherigem Ausmaß erforderlich« seien, nicht nur zum ersten und damit wichtigsten der beteiligungspolitischen »Grundsätze«. Das »Gesamtkonzept« durchzogen vielmehr unterschiedliche grammatikalische Formen des Verbs »prüfen«, die auf jeder Seite des Textes zu finden waren.203 Auch in seinem Beitrag für den Wirtschaftsdienst betonte Gerhard Stoltenberg, dass die »Entscheidung, ob eine Beteiligung verringert oder ganz aufgegeben werden« könne, »eine sorgfältige Prüfung« voraussetze.204 Staatssekretär Hans Tietmeyer stellte während der erwähnten Ansprache im Oktober 1983 fest, dass die »sorgfältige Prüfung« zudem »in jedem Einzelfall« zu erfolgen habe.205 An den Topos der Einzelfallprüfung zogen sich auch die Mitglieder der CDU / CSU-Bundestagsfraktion zurück, als sie mehrere Vertreter des liberalen Koalitionspartners im März 1985 während der Aktuellen Stunde zur Privatisierungspolitik mit den erwähnten spöttischen Vorwürfen konfrontierten. So wollte Bernhard Friedmann von der CDU »großen Wert darauf legen, daß wir bei allen diesen Überlegungen ganz konkret und gezielt von Fall zu Fall vorgehen« und »das alles gar nicht von heute auf morgen so Hals über Kopf übers Knie brechen«.206 Dem CSU-Abgeordneten Erich Riedl zufolge »steckt der Teufel im Detail: Was ist ein wichtiges Interesse des Bundes? Was das ist, läßt sich nicht mit einer Schablone feststellen. Man wird und kann es eigentlich immer nur im Einzelfall ermitteln.«207 Die Rede von der beständigen Prüfungsbedürftigkeit des Einzelfalls, die schon in den Privatisierungsdebatten der siebziger Jahre einen diskursiven Knotenpunkt gebildet hatte, eignete sich aufgrund ihrer Semantik wie ihrer semiotischen Verweisstruktur als Begründungsfigur für die als langsam und zögerlich wahrgenommene Umsetzung der formulierten »Entstaatlichungs«-Ziele. Auf der Bedeutungsebene referierte die Redefigur auf einen zeitlich nicht eingrenzbaren, unabgeschlossenen und ergebnisoffenen Prozess. Die Fragen, wann mit der Veräußerung von Aktienanteilen des Bundes begonnen werde und in 202 Knauss, Entscheidungen, S. 174. 203 Gesamtkonzept, S. 282. 204 Stoltenberg, Beitrag, S. 61. 205 Neukonzeption, S. 1079. 206 VDB, 10. WP, 128. Sitzung, 27.3.1985, S. 9443. 207 Ebd., S. 9445.

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welchem Umfang dessen Besitzbestände reduziert werden könnten, waren deklariert als Gegenstand andauernder Untersuchungen. Wie die oben zitierte Aussage Erich Riedls zeigt, ließen sich die Verweise auf notwendige Einzelfallprüfungen zudem auf der Bezeichnungsebene mit deutungsbedürftigen Wortpaaren verknüpfen. Insbesondere Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg und Staatssekretär Hans Tietmeyer betonten wiederholt die Absicht der Bundesregierung, »die bisherigen Bundesbeteiligungen daraufhin zu überprüfen, ob noch in allen Fällen ein ›wichtiges Bundesinteresse‹ an der Beibehaltung der bisherigen Beteiligung gegeben sei.«208 Da das Wortpaar des »wichtigen Bundesinteresses« der Ende der sechziger Jahre als rechtlicher Maßstab für die Beteiligungspolitik festgesetzten Bundeshaushaltsordnung entstammte, standen die anberaumten »Prüfungen«, wie beispielsweise Erich Riedl herausstellte, »in vollem Einklang mit dem Gesetz«, das einen zusätzlichen Legitimationsspender für die Vorgehensweise des Bundeskabinetts darstellte.209 Neben der dem Gesetzestext entlehnten Wortverbindung »wichtiges Bundesinteresse« führte die Bundesregierung darüber hinaus selbst ein weiteres uneindeutiges Zeichen in die Debatte ein. Schon im Jahreswirtschaftsbericht 1983 formulierte das Kabinett die viel zitierte Absichtserklärung, »öffentliche Vermögen dort zu privatisieren, wo dies ohne Beeinträchtigung staatlicher Belange möglich« sei. Hans Tietmeyer nannte diesen Leitgedanken, der auch im beteiligungspolitischen »Gesamtkonzept« der Bundesregierung enthalten war,210 eine »Grundposition«, aus der sich die Frage ergebe, »wo denn ›staatliche Belange‹ beeinträchtigt« würden. »Diese Frage bedarf natürlich in jedem Einzelfall sorgfältiger Prüfung.«211 Für die vielfältigen kommunikativen Anschlussmöglichkeiten der Rede von der Prüfungsbedürftigkeit spricht auch deren Verwendung durch den Wissenschaftlichen Beirat der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, der die öffentlichen Unternehmen im Gegensatz zur Bundesregierung zu einem »integralen Bestandteil für die soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland« erklärte.212 In seinen Thesen »zu den Aufgaben öffentlicher und gemeinwirtschaftlicher Unternehmen im Wandel« konzedierte der Beirat zwar ebenfalls, dass diese »einem ständigen Wandel« unterlägen.213 Als 208 Ziele der Neuorientierung der Beteiligungspolitik, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 116, 9.10.1984, Zit. S. 1035. Beinahe wortgleich: Neukonzeption, S. 1079; Gesamtkonzept, S. 282. 209 VDB, 10. WP, 128. Sitzung, 27.3.1985, S. 9445. Der CDU-Abgeordnete Hermann Josef Unland stimmte dieser Argumentation ausdrücklich zu; ebd., S. 9450. Im beteiligungspolitischen »Gesamtkonzept« war der Verweis auf die Bundeshaushaltsordnung als gesetzliche Grundlage und Vorgabe ebenfalls enthalten; Gesamtkonzept, S. 282. 210 BT-Drucksache X/2400, Zit. S. 11; nahezu wortgleich: Gesamtkonzept, S. 283. Das Wortpaar findet sich auch in: Ziele der Neuorientierung der Beteiligungspolitik, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 116, 9.10.1984, hier: S. 1035. 211 Neukonzeption, S. 1079. 212 Eichhorn u. Münch, S. 13. 213 Wissenschaftlicher Beirat GÖWG, Thesen, S. 31.

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Maßstab für die notwendige »Prüfung« formulierten die Mitglieder des Gremiums jedoch die Frage, »ob es vorteilhafter wäre, dessen eingespielte personelle und sachliche Organisation für andere öffentliche Aufgaben einzusetzen.«214 Die Verwendung dieser deutungsoffenen Bezeichnungsformen weisen die Diskussionen um wirtschaftliche Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche des Staates zum einen abermals als Prozesse politischer Kommunikation aus, die zwischen Verbindlichkeit und Uneindeutigkeit changierten. Zum anderen verliehen die Wortpaare aufgrund ihrer semantischen Offenheit den Verweisen auf die Prüfungsbedürftigkeit im Einzelfall umso größere Plausibilität. Gerade weil das »wichtige Bundesinteresse«, die »staatlichen Belange« und »öffentlichen Aufgaben« nicht allgemein und grundsätzlich definiert, die Wortverbindungen also nicht mit konkreten Bedeutungen ausgestattet waren, bestand eine umso größere Notwendigkeit, deren semantischen Gehalt im einzelnen Fall verbindlich festzulegen. Seit Frühjahr 1985 war mithin eine Konstellation erkennbar, die für die »Entstaatlichungs«-Debatten der achtziger Jahre kennzeichnend blieb. Den weitreichenden und umfassenden »Entstaatlichungs«-Zielen, die mit dem Anspruch einer »Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft« verbunden waren und auf dem Ideal ökonomischer Anpassungsfähigkeit fußten, stand die Tendenz entgegen, die Umsetzung der formulierten Ziele zu verzögern, die bereits in den Verweisen des Kabinetts auf die Prüfungsbedürftigkeit der jeweiligen Einzelfälle vorstrukturiert war. Die vom Sachverständigenrat bereits Mitte der siebziger Jahre geforderte »Revision der Staatstätigkeit« wurde damit im Wortsinne umgesetzt, wurden die benannten Beteiligungsunternehmen doch nicht etwa in kurzer Zeit privatisiert, sondern wiederholt in Augenschein genommen. Ebenfalls im März 1985 beschloss das Bundeskabinett die »Berufung einer Regierungskommission für das Fernmeldewesen«,215 mit der ein langjähriger Prozess der Reorganisation und Neustrukturierung des bundesdeutschen Postund Fernmeldewesens begann. Den ersten Teilabschnitt dieses Reformprozesses, dessen Vorläufer bis in die sechziger Jahre zurückreichten, bildete die sogenannte »Postreform I«, an der im Folgenden die Neuvermessung staatlicher Zuständigkeitsbereiche in den achtziger Jahren ausführlicher beschrieben wird. Aus drei Gründen eignet sich diese Fallstudie besonders gut. Erstens war die öffentliche Aufmerksamkeit für das Reformvorhaben hoch, gehörte die Deutsche Bundespost doch nicht nur zu den größten westdeutschen Unternehmen, sondern operierte im Fernmelde- und Telekommunikationssektor auf einem wirtschaftlichen Gebiet, dem die zeitgenössischen Beobachter die größten Wachstumschancen und damit eine herausgehobene Bedeutung für die volkswirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik beimaßen. Zweitens erstreckten sich die Debatten um eine Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens seit den achtziger 214 Ebd., S. 33. 215 BArch, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1985. Protokolle, 77. Kabinettssitzung am 13. März 1985.

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Jahren auf mehrere Dimensionen wirtschaftlicher Staatstätigkeit, ging es doch gleichermaßen um die Organisation der Deutschen Bundespost wie um die Verfasstheit des Post- und Fernmeldesektors. Hierbei lässt sich drittens das Spannungsverhältnis zwischen Verheißung und Beharrung beobachten, in dem die »Entstaatlichungs«-Vorhaben dieser Dekade standen. Auch die Bemühungen und Auseinandersetzungen um die erste »Postreform« waren gekennzeichnet durch den zunächst vielfach geäußerten Anspruch einer umfassenden »Entstaatlichung«, der zunehmend in Widerspruch geriet zu Tendenzen der zeitlichen Verzögerung und Beharrung sowie der Bestätigung hergebrachter Zuständigkeitsbereiche des Staates.

2. Die »Postreform I« 2.1 Kontinuitäten der Reformdiskussion Die Auseinandersetzungen um eine Neuordnung des bundesdeutschen Postund Fernmeldewesens setzten nicht erst im Laufe der achtziger Jahre ein, sondern reichten bis in die sechziger Jahre zurück.216 Ansatzpunkt der ersten Reformversuche waren die Grundsatzentscheidungen über Rechtsform und Aufgabenbereiche der Deutschen Bundespost (DBP) in der frühen Nachkriegszeit, die deren »traditionelle Gestalt« aus den Jahren des Kaiserreichs und der Weimarer Republik wiederhergestellt hatten.217 Das rechtliche Fundament hierfür bildete das Grundgesetz, das in Artikel 87 vorschrieb, die Deutsche Bundespost als bundeseigene Verwaltung zu führen, und das Post- und Fernmeldewesen in Artikel 73 der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterstellte. Die konkrete Ausgestaltung der grundgesetzlichen Vorgaben erfolgte im 1953 verabschiedeten »Gesetz über die Verwaltung der Deutschen Bundespost«, das mit dem Reichspostfinanzgesetz aus dem Jahr 1924 in wesentlichen Punkten übereinstimmte. Demnach war die DBP in der Rechtsform einer Bundesverwaltung unter der Leitung des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen zu führen, die nicht nur für den Post- und den Fernmeldebereich zuständig war, sondern zugleich die wirtschaftlichen Staatsaufgaben der Regulierung und Bereitstellung unter einem organisatorischen Dach vereinigte. Das Bundespostministerium hatte somit einerseits hoheitlich-administrative Aufgaben zu erfüllen, nahm es doch »die öffentlichen Rechte und Pflichten des Bundes auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldewesens wahr.«218 Andererseits 216 Zum Folgenden: Etling, S. 51–60; Grande, Monopol, S. 188–205; Herrmann, S. 87–149; Lotz, S. 7–36; Werle, S. 145–170. 217 Herrmann, S. 114. 218 Gesetz über die Verwaltung der Deutschen Bundespost (Postverwaltungsgesetz), in: BGBl, Teil I, Nr. 40, 27.7.1953, S. 676–683, hier: S. 676.

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stand der Postminister an der Spitze eines der größten westdeutschen Wirtschaftsunternehmen – am Beginn der achtziger Jahre etwa lag die Beschäftigtenzahl der Deutschen Bundespost bei über 500.000  –, das als PTT-Organisation sowohl Post- als auch Telefon- und Telegrafendienste bereitstellte. Das Dienstleistungsangebot der Bundespost ergänzten die Postbankdienste. Die Vermögensbestände der DBP waren ferner – wie bereits mehrfach angedeutet – »als Sondervermögen des Bundes mit eigener Haushalts- und Rechnungsführung von dem übrigen Vermögen des Bundes, seinen Rechten und Verbindlichkeiten getrennt zu halten.«219 Das Postverwaltungsgesetz bestimmte zugleich die konkrete institutionelle Ausgestaltung der umfassenden staatlichen Monopolrechte im Post- und Fernmeldebereich, die gemäß Grundgesetzartikel 123 als hergebrachte Rechte, die nicht der Verfassung widersprachen, unverändert fortbestanden. So behielt etwa das im Januar 1928 verabschiedete »Gesetz über Fernmeldeanlagen« auch nach Gründung der Bundesrepublik seine Gültigkeit. In der Neufassung des Gesetzes aus dem Jahre 1977, die lediglich vorgenommen wurde, um die strafrechtlichen Bestimmungen an die allgemeine Strafrechtsreform anzupassen, hieß es demzufolge im ersten Paragraphen: »Das Recht, Fernmeldeanlagen, nämlich Telegrafenanlagen für die Vermittlung von Nachrichten, Fernsprechanlagen und Funkanlagen zur [Sic!] errichten und zu betreiben, steht ausschließlich dem Bund zu.«220 Die Mitte der sechziger Jahre formulierten Reformvorschläge zielten nicht auf die staatlichen Monopolrechte im Post- und Fernmeldesektor, sondern auf die beschriebene Rechtsform der DBP und ihre funktionale Doppelgesichtigkeit. Am 15. Juli 1964 setzte die amtierende Bundesregierung auf Vorschlag des Deutschen Bundestages die »Sachverständigen-Kommission für die Deutsche Bundespost« ein, die am 16. Dezember 1965 ihr Gutachten an Bundeskanzler Ludwig Erhard übersandte. Den Anlass für die Untersuchung bildeten zwar die steigenden finanziellen Defizite der DBP. Der Beschreibung kurzfristiger Maßnahmen mit dem Ziel, die Rentabilität des Unternehmens wiederherzustellen und dessen Kapitalstruktur zu verbessern, fügte die Kommission jedoch ihre grundsätzlichen Vorschläge zur Novellierung des Postverwaltungsgesetzes hinzu, denen die Beobachtung zugrunde lag, dass die »wirtschaftliche und finanziell be­ trübliche Lage« der DBP »hauptsächlich auf betriebsfremde, nämlich politische Einflüsse zurückzuführen« sei. »Gelingt es in Zukunft nicht, diese Einflüsse zurückzudämmen oder der wirtschaftlichen Ratio zu unterwerfen, dann kann das Unternehmen nicht gesunden«.221 Die Anregungen der Sachverständigen waren somit eingepasst in den wirkmächtigen Diskurs einer scharfen Grenz­ ziehung zwischen staatlichen bzw. politischen und wirtschaftlichen Einflussbereichen, der schon die »sozialen Privatisierungen« der späten fünfziger und 219 Ebd. 220 Gesetz über Fernmeldeanlagen, in: BGBl, Teil I, Nr. 17, 23.3.1977, S. 459–462, hier: S. 460. 221 BT-Drucksache V/203, S. 10.

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frühen sechziger Jahre gerahmt hatte. Konkret plädierten die Sachverständigen dafür, die Deutsche Bundespost in die »Organisationsform einer bundeseigenen und bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigenen Organen und eigener Wirtschafts- und Rechnungsführung« umzuwandeln sowie betriebliche und hoheitlich-administrative Aufgabenbereiche strikt zu trennen. So schlugen sie für die wirtschaftliche Leitung der Deutschen Bundespost einen fünfköpfigen Vorstand vor, während die politische Aufsicht über den Post- und Fernmelde­bereich im Zuständigkeitsbereich des Postministeriums verbleiben sollte.222 Die Bundesregierung sah sich nach eigenen Angaben zunächst »nicht in der Lage, zu derart weitreichenden Vorschlägen kurzfristig Stellung zu nehmen.«223 Mehr als drei Jahre nach Vorlage des Kommissionsberichtes legte Werner D ­ ollinger, mittlerweile zuständiger Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, schließlich eine Stellungnahme vor, in der er erklärte, nach »umfangreichen Prüfungen« zu dem Ergebnis gekommen zu sein, »daß die von der Sachverständigen-Kommission aufgezeigten Zielsetzungen auch ohne eine Änderung der Organisationsform der Deutschen Bundespost erreicht werden« könnten.224 Diese späte und zudem knapp begründete Ablehnung grundlegender organisatorischer Reformen entsprach einerseits zwar der oben beschriebenen wirtschaftspolitischen Neuorientierung, die vor allem die Große Koalition in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre vollzog. In diesem Zusammenhang hatten zum einen ordnungspolitische Überlegungen, die den Vorschlägen der Kommission zugrunde gelegen hatten, an Plausibilität gegenüber prozesspolitischen Erwägungen und dem Ziel einer staatlichen Konjunktursteuerung eingebüßt. Zum anderen war den öffentlichen Unternehmen hierbei eine zentrale Rolle als »Instrument« einer aktiven Wirtschaftspolitik zugedacht.225 Wenn die Hinwendung zum prozesspolitischen Ideal der »Globalsteuerung« auch die Ablehnung weitreichender Strukturveränderungen bei der Deutschen Bundespost bedingt haben mag, blieben doch andererseits die Debatten hierüber auf der bundespolitischen Agenda. Noch im November 1969 setzte die sozialliberale Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt die »Kommission Deutsche Bundespost« ein, die im Mai 1970 sogleich ihre Vorschläge für eine Strukturreform vorlegte. Den Entwurf eines »Gesetzes über die Unternehmensverfassung der Deutschen Bundespost«, dem das Kommissionsgutachten zugrunde lag, verabschiedete das Kabinett bereits am 30. Juli desselben Jahres.226 Das Vorhaben fußte auf zwei Überlegungen, die im Kern schon die »SachverständigenKommission« der sechziger Jahre in ihrem Gutachten formuliert hatte. Erstens 222 Ebd., S. 138–145, Zit. S. 140. 223 Ebd., S. 2. 224 BT-Drucksache V/3875, S. 22. 225 Die Entwicklung der Bundesunternehmen, in: Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik, Nr. 95, 1967, Zit. S. 3. 226 BArch, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1970. Protokolle, 36. Kabinettssitzung am 30. Juli 1970.

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sollte die Deutsche Bundespost in ein öffentliches Unternehmen umgewandelt werden, sei sie doch »weit mehr ein Dienstleistungsunternehmen, das öffentliche Aufgaben zu erfüllen hat, als eine staatliche Verwaltung im herkömmlichen Sinne.« Das zweite wesentliche Reformziel bestand darin, »die Zuständigkeiten für die Leitung des Unternehmens und für die Aufsicht über das Unternehmen« scharf voneinander abzugrenzen,227 um zugleich »eine erhebliche Stärkung der Unabhängigkeit der Unternehmensführung von politischen Alltagseinflüssen« zu erreichen.228 Auch die anvisierte Verteilung der getrennten Aufgaben entsprach den Vorschlägen der »Sachverständigen-Kommission«, sollte doch ein Unternehmensvorstand gemeinsam mit einem Aufsichtsrat die Leitungsfunktion übernehmen und die politische Verantwortlichkeit beim Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen verbleiben. Den Gesetzesentwurf ergänzten Veränderungen der Finanzverfassung und im Personalwesen. Umstritten waren im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die vorgesehenen Sonderrechte für die Bediensteten der DBP und die künftigen Mitwirkungsrechte anderer Ressorts. Der folgenreichste Konflikt entzündete sich allerdings an Fragen der betrieblichen Mitbestimmung, die in engem Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Einführung einer paritätischen Mitbestimmung in den Aufsichtsräten von Großunternehmen standen. Hatte die SPD, die dieses Vorhaben zu einem ihrer zentralen regierungspolitischen Projekte gemacht hatte, eine paritätische Mitbestimmung in privatwirtschaftlichen Unternehmen noch für nicht durchsetzbar erklären können, verfing diese Argumentation gegenüber den Gewerkschaften im Falle der Deutschen Bundespost nicht mehr. Am Ende nahm das Kabinett aber Abstand von dem Reformvorhaben.229 Nachdem der Gesetzesentwurf schon vom sechsten Deutschen Bundestag beraten worden war, verkündete Bundeskanzler Helmut Schmidt schließlich zu Beginn der achten Legislaturperiode in seiner Regierungserklärung am 16. Dezember 1976: »Die Deutsche Bundespost […] soll in ihrer bisherigen Rechtsform weitergeführt werden.«230 Während die beiden gescheiterten Reformversuche der sechziger und frühen siebziger Jahre noch auf Rechtsform, Organisation und Funktion der Deutschen Bundespost beschränkt geblieben waren, gerieten seit den ausgehenden siebziger Jahren auch die staatlichen Monopolrechte im bundesdeutschen Postund Fernmeldewesen zunehmend zu einem Gegenstand öffentlicher Auseinan­ dersetzung. Im Jahr 1978 etwa legte der Verwaltungswissenschaftler Rainer Pausch, Sohn des langjährigen Poststaatssekretärs Hans Pausch, eine öffentlich beachtete Dissertation über »Privatisierungsmöglichkeiten bei der Deutschen Bundes­post« vor, welche an die seit Mitte der Dekade geführten Diskussionen

227 BT-Drucksache VI/1385, S. 16. 228 Ebd., S. 17. 229 Grande, Monopol, S. 193–197. 230 VDB, 8. WP, 5. Sitzung, 16.12.1976, S. 37.

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um funktionale Privatisierungen anknüpfte.231 Wenn Pausch demzufolge auch die Senkung betrieblicher Kosten als vorrangiges Ziel formulierte und vornehmlich für die Übertragung unterstützender Tätigkeiten an Privatunternehmen plädierte, schlug er doch ebenso eine Begrenzung der Monopolrechte vor: Diese sollten sich im Falle des Fernmeldewesens auf die Bereitstellung des Netzes beschränken, um die DBP von den Aufgaben der Finanzierung, Lieferung und Unterhaltung von Teilnehmereinrichtungen zu entlasten. Hatte Rainer Pausch die staatlichen Monopolrechte noch aus finanziellen und betriebswirtschaftlichen Gründen zu hinterfragen begonnen, brachten Wirtschaftsverbände und Industrieunternehmen, Wissenschaftler, Ministerien von Bund und Ländern sowie die Monopolkommission dagegen ordnungspolitische Argumente in Stellung. Stellvertretend für die Unternehmen der Computer- und Telekommunikationsindustrie beklagte etwa Helmut Rausch, Mitglied im Vorstand des Computerherstellers Nixdorf, im Juni 1978 in einem Gastbeitrag für die Wirtschaftswoche, die kommunikationstechnische Entwicklung vollziehe sich in der Bundesrepublik nicht »unter dem Druck der herrschenden Marktkräfte«, sondern gemäß »den organisatorischen und technischen Planungen der Fernmeldeadministration«.232 Diese Problembeschreibung, die sich erkennbar an der wirkmächtigen Leitunterscheidung von »Markt« und »Bürokratie« orientierte, eignete sich zur selben Zeit auch das Bundeswirtschaftsministerium an. Als die Deutsche Bundespost nach der hoheitlich-administrativen Entscheidung zur Einführung eines neuen Telefaxdienstes zum 1. Juli 1978 beabsichtigte, die entsprechenden Endgeräte im Wettbewerb mit privaten Industrieunternehmen zu vertreiben, meldete das Wirtschaftsministerium in einem internen Schreiben, das die Wirtschaftswoche auszugsweise veröffentlichte, dagegen »grundsätzliche wettbewerbs- und ordnungspolitische Bedenken« an.233 Auch die Konferenz der Länderwirtschaftsminister beschloss im Januar 1979 die Gründung eines Arbeitskreises »DBP und Fernmeldemonopol«, der in den folgenden Jahren Vorschläge zur Novellierung des Fernmeldeanlagengesetzes erarbeitete. Eine federführende Rolle spielte hierbei abermals die niedersächsische Wirtschaftsministerin Birgit Breuel, die schon den Mitte der siebziger Jahre einsetzenden Diskussionen um funktionale Privatisierungen einen parteipolitischen Resonanzraum verschafft hatte.234 Ein wissenschaftliches Forum fanden die einsetzenden Debatten um eine Begrenzung des Fernmeldemonopols auf einer Tagung

231 Pausch, Privatisierungsmöglichkeiten. Eine Zusammenfsassung der Thesen findet sich in: R. Pausch, Zur Frage der Privatisierung von Verwaltungstätigkeiten – dargestellt am Beispiel der Deutschen Bundespost, in: ZögU, Bd. 1, 1978, S. 61–72. 232 Deutlich erkennbare Eigeninteressen, in: Wirtschaftswoche, 9.2.1978. Darin berief sich Rausch auch auf: Pausch, Privatisierungsmöglichkeiten. 233 Zit. n.: Kriegt das kalte Grausen, in: Wirtschaftswoche, 23.6.1978. 234 Zu den Aktivitäten und Ergebnissen des Arbeitskreises: E. Kuhn, Überblick über die Entwicklung der ordnungspolitischen Diskussion im Bereich der Telekommunikation, in: ZögU, Bd. 9, 1986, S. 169–185, hier: S. 174–176; Grande, Monopol, S. 201–202.

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des Hamburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, die im September 1980 in Bonn stattfand.235 Der zunehmenden öffentlichen Aufmerksamkeit für die staatlichen Monopolrechte im Post- und Fernmeldewesen und deren politisch-gesellschaftlicher Relevanz trug auch die Monopolkommission Rechnung, die Mitte des Jahres 1979 vom Bundesrat um ein Sondergutachten zu den allgemeinen »Problemen des Mißbrauchs der Nachfragemacht durch die öffentliche Hand« gebeten wurde und dieses Thema am Beispiel des Fernmeldewesens bearbeitete.236 Im Rahmen ihrer Untersuchung griff die Kommission auf weitere Studien zurück, die sie eigens zu diesem Zweck in Auftrag gegeben hatte.237 Das Gutachten, das sie schließlich im Februar 1981 vorlegte, stellte nicht nur die erste umfassende wissenschaftliche Untersuchung der Monopolstrukturen auf dem bundesdeutschen Fernmeldesektor dar, sondern avancierte auch zum zentralen argumentativen Bezugspunkt für die Forderungen nach einer grundlegenden Neuordnung dieses ökonomischen Sektors. Die Studie entsprach den Forderungen nach einer ordnungspolitischen »Renaissance«, ließen sich ihre Verfasser doch von der Grundüberzeugung leiten, »daß im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich einem funktionsfähigen Wettbewerbsprozeß Vorrang einzuräu­ men ist vor jeder Art staatlicher Planung und Regulierung. Die Notwendigkeit, einzelne Wirtschaftsbereiche dem Einfluß des Wettbewerbs zu entziehen und einer staatlichen Regulierung zu unterwerfen, bedarf einer ständigen Überprüfung und Rechtfertigung. Dies gilt auch für solche Ausnahmebereiche, die, wie der Fernmeldebereich in der Bundesrepublik Deutschland, von vornherein dem Einfluß des Wettbewerbsmechanismus entzogen waren.«238

Ihre Wahl des Fernmeldesektors als Untersuchungsgegenstand begründeten die Kommissionsmitglieder zudem damit, dass »sich mit dem raschen technologischen Wandel in diesem Gebiet die Gefahr« verbinde, »daß die Bundespost ihren Monopolanspruch auf die sich neu entwickelnden Kommunikationsmärkte« ausdehne.239 Hintergrund dieser Beobachtung war die Entwicklung der Mikro­elektronik, welche die Verschmelzung von Fernmeldetechnik, Datenübertragung und Bürokommunikation ermöglichte. Das bestehende Monopol der Deutschen Bundespost, das sich gemäß dem Fernmeldeanlagengesetz von 1928 auf das Fernmeldenetz mit den entsprechenden Endgeräten erstrecken sollte, drohte sich mithin in weitere Bereiche auszudehnen. 235 Mestmäker. 236 Monopolkommission, Sondergutachten 9, S. 9. 237 Die wichtigste dieser Studien wurde als Monographie veröffentlicht: Knieps. Eine Kurzform der Ergebnisse findet sich bei: G. Knieps, Die Grenzen des Monopols im Fernmeldebereich, in: ZögU, Bd. 4, 1981, S. 287–301. 238 Monopolkommission, Sondergutachten 9, S. 15. 239 Ebd., S. 9.

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Ausgehend von diesen grundlegenden Beobachtungen und Prämissen legten auch die Mitglieder der Monopolkommission den Schwerpunkt ihrer Analyse auf Rechtsform sowie funktionale Doppelgesichtigkeit der Deutschen Bundespost, um allerdings deren Wirkungen auf den Fernmeldebereich im Allgemeinen und den Markt für Endgeräte im Besonderen zu beschreiben und zu bewerten. Auf dieser Grundlage nahmen die Gutachter eine heuristische Dreiteilung des Fernmeldesektors in die Marktsegmente für Netze, Dienste und Endgeräte vor, die nachfolgende Studien und Debattenbeiträge reproduzierten. Den inhaltlichen Ausgangspunkt der Analyse bildeten die Bestimmungen des Fernmeldeanlagengesetzes, demzufolge die DBP nicht nur »alleiniger Betreiber öffentlicher Übertragungs- und Vermittlungseinrichtungen« war sowie über das grundsätzliche Recht verfügte, die für Telekommunikationsdienstleistungen benötigten Endgeräte zu vertreiben und zu warten. Vielmehr fungierte die Deutsche Bundespost zugleich als »Regelungsbehörde«, die für die technische Ausgestaltung von Einrichtungen des Fernmeldewesens zuständig war und somit beispielsweise über die Zulassung von Endgeräten entschied.240 Die Monopolkommission erkannte vor diesem Hintergrund zum einen »negative Wirkungen für Marktstruktur und Wettbewerb«, führe doch allein »das Auftreten der DBP als öffentlich-rechtliches Unternehmen ohne Rentabilitäts- und Konkursrisiko zu ungleichen Startbedingungen und somit zu Wettbewerbsverzerrungen auf den Endgerätemärkten.« Neben den ungleichen Wettbewerbsbedingungen, die sich aus der Rechtsform der DBP ergäben, nahm die Kommission jedoch vor allem Anstoß an deren funktionaler Doppelgesichtigkeit und warnte vor der »Gefahr, daß die DBP den ihr als Zulassungsbehörde ermöglichten Einfluß auf die Gestaltung der Wettbewerbsbedingungen zur Verbesserung ihrer eigenen Stellung als Mitkonkurrent auf diesen Märkten missbraucht«.241 Die Ergebnisse ihrer Analyse bündelte die Monopolkommission abschließend zu mehreren Empfehlungen, denen die Dreiteilung des Fernmeldesektors in verschiedene Marktsegmente zugrunde lag. Während ihr »die Zulassung von Wettbewerb im Netzbereich zum gegenwärtigen Zeitpunkt für volkswirtschaftlich nicht vertretbar«242 galt und auch die Aufgabe der Zulassung von Endgeräten im Aufgabenbereich der DBP verbleiben sollte,243 empfahlen die Kommissionsmitglieder jedoch die »generelle Zulassung der Weitervermietung von Leitungen«, die dafür sorgen sollte, dass sich innerhalb des weiterhin allein von der DBP betriebenen Netzes »eine Dienstleistungskonkurrenz entwickeln« könne.244 Ferner kam die Kommission zu dem Schluss, dass der »Endgerätebereich verstärkt dem Wettbewerb zuzuführen« und »eine weitere unternehmerische Betätigung der Deutschen Bundespost auf den Märkten für Teilneh240 Ebd., S. 15. 241 Ebd., S. 16. 242 Ebd., S. 17. 243 Ebd., S. 19. 244 Ebd., S. 17.

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mereinrichtungen grundsätzlich nicht zu befürworten« sei.245 Hierbei zogen die Gutachter die Konsequenz aus der problematisierten Doppelrolle der Deutschen Bundespost als Wettbewerber einerseits und »Regelungsbehörde« andererseits. Während die vorangegangenen Reformvorhaben – vergeblich – auf diese strukturelle Doppelgesichtigkeit gerichtet gewesen waren, plädierte die Monopol­ kommission dafür, auf deren Folgen für den Wettbewerb im Fernmeldebereich zu reagieren – und die DBP vom Endgerätemarkt auszuschließen. Wenn die Deutsche Bundespost in ihrer offiziellen Stellungnahme auch erwartungsgemäß auf ihren umfassenden Monopolrechten beharrte,246 war mit dem Gutachten der Monopolkommission doch das argumentative Feld für die nachfolgenden Auseinandersetzungen um eine Neustrukturierung des bundesdeutschen Fernmeldewesens abgesteckt. Der Sachverständigenrat etwa schloss sich noch im selben Jahr den Empfehlungen der Monopolkommission an, indem er unter explizitem Verweis auf deren Gutachten für die »Ausdehnung des Wettbewerbs in bisher regulierte Märkte und die Öffnung neuer Märkte« plädierte.247 In ihrem Jahresgutachten 1985 legten die »Wirtschaftsweisen« ausführlichere Vorschläge zur Neuorganisation von Bundespost und Fernmeldewesen vor, die große Schnittmengen mit den Anregungen der Monopolkommission auf­ wiesen.248 Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium widmete sich im Rahmen seines Gutachtens zur »Wettbewerbspolitik« am Beispiel des Fernmeldewesens den Implikationen und Auswirkungen staatlicher Regulierungen. Hierbei stellten die Experten die Monopolrechte der DBP grundsätzlich infrage und übten mehrfach Kritik am »Nebeneinander eines Hoheitsträgers mit privaten Anbietern«.249 Die beginnenden Debatten über eine notwendige Reform von Bundespost und Fernmeldewesen kreisten gleichwohl nicht nur um die Abgrenzung von Monopol- und Wettbewerbsbereichen, sondern waren ebenso eingepasst in die wissenschaftliche und publizistische Zeitdiagnose eines tiefgreifenden infor­ mationstechnologischen Wandels, der dazu zwinge, ökonomischen Wettbewerb auch und gerade im Fernmeldesektor zu ermöglichen. Die Rede von der aufkommenden »Informationsgesellschaft« entstammte der sozialwissenschaftlichen Forschung und bündelte die Beobachtungen einer zunehmenden gesellschaftlichen Relevanz von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie informationsverarbeitenden Berufen zu einer öffentlichkeitswirksamen metonymischen Selbstbeschreibung.250 Schon in den frühen siebziger Jahren hatte neben anderen insbesondere der US-amerikanische Soziologe Daniel Bell in einem viel beachteten Buch, das 1975 auch in deutscher Sprache erschien, die 245 Ebd., S. 18. 246 Deutsche Bundespost. 247 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1981, Zf. 432. 248 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1985, Zf. 337–349. 249 Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi, Wettbewerbspolitik, S. 1377–1381, Zit. S. 1381. 250 Zum Folgenden: Reinecke. Grundsätzlich zum geschichtswissenschaftlichen Umgang mit sozialwissenschaftlichen Zeitdiagnosen: Graf u. Priemel.

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Zukunftsvision einer »postindustriellen Gesellschaft« gezeichnet.251 Die wesentlichen Merkmale dieser neuen Gesellschaftsformation waren laut Bell der sich beschleunigende sektorale Strukturwandel hin zur Dienstleistungswirtschaft sowie die steigende Zahl wissensbasierter Berufe im Besonderen und die rasante Bedeutungszunahme theoretischen Wissens im Allgemeinen, das Bell als »axiales Prinzip« künftiger Gesellschaften bezeichnete. Die Studien zur »Informationsgesellschaft« stimmten in weiten Teilen mit den Thesen Bells überein, fußten doch auch sie auf der Prognose eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels, der gekennzeichnet sei durch den Bedeutungsverlust der Industrieproduktion und die Entstehung eines neuen gesellschaftlichen Grundprinzips. Während Bells Studie wie auch die hieran orientierten Arbeiten jedoch um die Zentralkategorie »Wissen« kreisten, zielten die Untersuchungen zur »Informationsgesellschaft« insbesondere auf den fortschreitenden Prozess der Computerisierung und den damit verbundenen Wandel der technischen Möglichkeiten für die Kommunikation und Informationsverarbeitung ab – nicht »Wissen«, sondern »Information« galt ihren Autoren als Axiom sowohl gegenwärtiger als auch künftiger Gesellschaften. Nachdem derartige Debatten in Japan und den USA bereits in den sechziger und siebziger Jahren eingesetzt hatten, war es der US-amerikanische Politologe Karl W. Deutsch, der während eines mehrjährigen Aufenthalts am Berliner Wissenschaftszentrum die Diskussionen am Beginn der achtziger Jahre auch in den deutschsprachigen Raum trug. Wesentlicher Indikator der »Informationsgesellschaft« war für Deutsch – neben der wachsenden Zahl von Beschäftigten in informationsverarbeitenden Berufen  – die »Zunahme der Informationsmengen, die in Wirtschaft, Technik, Kultur und im täglichen Leben verarbeitet werden müssen und die für das Funktionieren dieser Lebensbereiche zum großen Teil unentbehrlich werden«.252 Dass »Information« auf Grundlage dieser Beobachtung zum zentralen Medium gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen avancierte, zeigt nicht nur der 1983 erschienene Bericht der Kommission »Zukunftsperspektiven gesellschaftlicher Entwicklungen«, an dem Deutsch im Auftrag der baden-württembergischen Landesregierung ebenfalls mitwirkte. Im Abschnitt über den »Weg in die Informationsgesellschaft«, der mit seinen früheren Publikationen beinahe deckungsgleich war, nannte er »Information« die »leitende Grundtechnologie, die den Charakter der Gesellschaft prägt.«253 Im selben Jahr erschien eine 1981 vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie des Münchener Ifo-Institutes für Wirtschaftsforschung zum Thema »Gesamtwirtschaftliche und sektorale Perspektiven der telekommunikativen Innovationen in den achtziger Jahren«, deren Autoren ebenfalls von der leitenden Prämisse ausgingen, dass »Information als wesentlicher Produktionsfaktor« zu betrachten sei, der

251 Bell. Vgl. auch die Historisierung des Textes bei: Leendertz, Schlagwort. 252 Deutsch, S. 1. 253 Kommission »Zukunftsperspektiven gesellschaftlicher Entwicklungen«, S. 77.

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künftig »Rohstoffe und Energie als Grundressource« ablösen werde.254 Außerdem prognostizierten die Autoren erhebliche »Wachstumsimpulse«, die außer auf die Netzinfrastruktur positiv auf die Märkte für Geräte und Dienstleistungen wie die »Wettbewerbsfähigkeit« der Anwender einwirken würden.255 Diese Überlegungen teilte auch der Bundesverband der Deutschen Industrie, der zu Beginn der achtziger Jahre eigene Publikationen zur informationstechnolo­ gischen Entwicklung sowie den damit verbundenen Innovationsmöglichkeiten und gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen herausgab.256 Aus der Feststellung einer zunehmenden Bedeutung der Informationstechnologie für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik ergab sich für die zeitgenössischen Wissenschaftler, Experten und Industrieverbände zum einen unmittelbar die Forderung an die Deutsche Bundespost, die notwendige Infrastruktur bereitzustellen. Die Sozialwissenschaftler und Innovationsforscher Philipp Sonntag und Peter Otto beispielsweise, die als Mitarbeiter von Karl W. Deutsch am Berliner Wissenschaftszentrum tätig waren, veranstalteten im Februar 1983 in Bonn eine Tagung zur »Zukunft der Computergesellschaft«.257 Neben dem informationstechnologischen Wandel und seinen gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen standen in diesem Rahmen auch die wirtschaftspolitischen Implikationen der kommunikationstechnischen Entwicklung im Allgemeinen und die Rolle der Deutschen Bundespost im Besonderen zur Diskussion. Die Bedeutung der DBP hob vor allem die Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin Barbara Mettler-Meibom hervor, die in ihrem Vortrag der Deutschen Bundespost »[e]ine der Schlüsselrollen für die Durchsetzung von Informationstechnologien« in der Bundesrepublik zuschrieb258 und die These vertrat, »daß die DBP der wichtigste institutionelle Akteur für die Informa­tisierung der Gesellschaft« sei.259 Die Autoren der Ifo-Studie wiederum betonten in der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse nicht nur, dass der Deutschen Bundespost »hinsichtlich des Ausbaus des Telekommunikationssystems […] eine Schlüsselrolle« zufalle.260 Vielmehr passten sie ihre Überlegungen zudem in die Vorstellung eines internationalen »Standortwettbewerbs« der nationalen Volkswirtschaften ein, die das Institut der deutschen Wirtschaft an der Schwelle zu den achtziger Jahren perpetuiert und in die wirtschaftspolitischen und -publizis­tischen Debatten der Bundesrepublik eingespeist hatte.261 Für entscheidend erklärten die Ökonomen des Ifo-Institutes »die Leistungsmerkmale 254 M. Reinhard, S. 3. 255 Ebd., S. 2. 256 Bundesverband der Deutschen Industrie, Kommunikationstechniken; ders., Innovationen. 257 Otto u. Sonntag. 258 Mettler-Meibom, S. 207. 259 Ebd., S. 209. 260 M. Reinhard, S. 253. 261 Die Wortverbindung »Standortwettbewerb« fand allerdings erst in den neunziger Jahren Verwendung, als sich die Debatten um den »Standort Deutschland« weiter intensivierten, so beispielsweise in: Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1995; vgl. Meteling, Konkurrenz.

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der zur Verfügung stehenden Telekommunikationsnetze […]. Im internationalen Wettbewerb werden somit die Volkswirtschaften Wettbewerbsvorteile haben, die über eine leistungsfähige Kommunikationsinfrastruktur verfügen.«262 Insbesondere im Vergleich zu Japan und den USA, »zwei bedeutenden Wettbewerbsländern der Bundesrepublik«,263 bestehe allerdings die »Gefahr […], daß die Bundesrepublik in den kommenden Jahren auf dem Gebiet der Telekommunikationstechnik international an Wettbewerbsfähigkeit verliert.«264 Diese konkrete Warnung für den Bereich des Fernmeldewesens entsprach dem allgemeinen »innovatorischen Imperativ«,265 den der Bundesverband der Deutschen Industrie im selben Jahr in Anlehnung an den Sachverständigenrat formuliert hatte: »Um sich im internationalen Wettbewerb zukünftig erfolgreich behaupten zu können, ist eine grundlegende Revitalisierung der wirtschaftlichen Leistungs- und Innovationskraft notwendig.«266 Die Beobachtung eines beschleunigten informationstechnologischen Wandels war zum anderen diskursiv verknüpft mit der Denkfigur ökonomischer Anpassungsfähigkeit und Flexibilität. Während Barbara Mettler-Meibom auf der erwähnten Tagung vor einer Abkehr von der gemeinwirtschaftlichen Orien­ tierung der Deutschen Bundespost warnte und beklagte, »daß die Markt- und Konkurrenzzwänge der Industrie in die Handlungsrationalität der Post eingehen«,267 war diese Entwicklung für den Ökonom Jürgen Müller eine unvermeidbare Begleiterscheinung und zugleich die notwendige Voraussetzung für die informationstechnologische Entwicklung der Bundesrepublik. Müller beschäftigte sich auf derselben Tagung mit der Frage, »ob die bestehenden Institutionen und deren Organisationsstruktur eine flexible Anpassung an den Technologiewandel erlauben«, die erkennbar der »immunologischen Logik« des Flexibilisierungsdiskurses folgte und auf dem Ideal der Anpassungsfähigkeit wirtschaftlicher Organisationsformen fußte. Im konkreten Fall des bundesdeutschen Fernmeldesektors war die notwendige ökonomische Flexibilität und Anpassungsfähigkeit für Müller aufgrund der staatlichen Monopolrechte nicht gegeben. Vielmehr habe die »Liberalisierung« der Fernmeldemärkte in Großbritannien und den USA gezeigt, »daß die Möglichkeit des strukturellen Wandels durch Wettbewerb zwischen Organisationen viel größer« sei.268 Auch dem Sonder­gutachten der Monopolkommission lag diese wirkmächtige diskursive Verknüpfung von informationstechnologischer Entwicklung sowie ökonomischer Dynamik und Anpassungsfähigkeit zugrunde, gingen deren Mitglieder doch von der leitenden Prämisse aus: »Gerade in einem Markt, in dem rasche technologische Veränderungen eine große wirtschaftliche Dynamik auslösen, 262 M. Reinhard, S. 2. 263 Ebd., S. 4. 264 Ebd., S. 252. 265 Bundesverband der Deutschen Industrie, Innovationen, S. 10. 266 Ebd., S. 7. 267 Mettler-Meibom, S. 225. 268 Müller, S. 195.

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kann auf den Wettbewerb als Antriebs- und Steuerungsfaktor nicht verzichtet werden. Der Wettbewerb ist das geeignete Entdeckungsverfahren für die bedarfsgerechte Entwicklung von neuen Produkten.«269 In den Forderungen nach Deregulierung des bundesdeutschen Fernmeldesektors, die maßgeblich auf dem Gutachten der Monopolkommission beruhten, verband sich das Verständnis von »Wettbewerb« als dynamischem, produktivem, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft gewährleistendem Prozess mit der Beobachtung eines beschleunigten technologischen Wandels, der diese Anpassung verlange. Die wirkmächtige Zeitdiagnose einer aufkommenden »Informationsgesellschaft« stellte für die Debatten um eine Reform des bundesdeutschen Fernmeldewesens mithin in mehrfacher Hinsicht einen zusätzlichen Begründungszusammenhang bereit. Erstens verwies sie auf die hohe gesamtgesellschaftliche Bedeutung der informationstechnologischen Entwicklung, aus der sich unmittelbar eine infrastrukturelle »Schlüsselrolle« für die Deutsche Bundespost ergab. Diese zentrale Funktion war zweitens nicht allein auf den nationalen Raum bezogen, galt eine »leistungsfähige Kommunikationsinfrastruktur« doch als Unterpfand im imaginierten Wettbewerb der nationalen Volkswirtschaften, der als Denkfigur im Laufe der achtziger Jahre an Plausibilität gewann. Verknüpft war die Rede vom heraufziehenden »Informationszeitalter« zudem drittens mit dem Ideal wirtschaftlicher Dynamik, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität, das zum einen den grundsätzlichen »Entstaatlichungs«-Zielen der Bundesregierung zugrunde lag und zum anderen den konkreten Forderungen nach »mehr Wettbewerb« im Fernmeldewesen zusätzliche Relevanz und Dringlichkeit verlieh. 2.2 Vorentscheidungen und Verfahrensdauer Die Reformvorhaben der schwarz-gelben Bundesregierung waren in die skizzierten Begründungszusammenhänge eingepasst. So hatte Bundeskanzler Helmut Kohl schon im Zuge seiner ersten Regierungserklärung im Oktober 1982 angekündigt, »die Anwendung moderner Techniken und die Entwicklung neuer Technologien, vor allem im Kommunikationswesen« zu fördern, wobei die Deutsche Bundespost in diesem Zusammenhang eine »besondere Verantwortung« übernehmen und »zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft« beitragen müsse.270 Diese Argumentationslinie nahm Kohl in seiner viel zitierten zweiten Erklärung vor dem Deutschen Bundestag wieder auf, in der er die bundesrepublikanische Volkswirtschaft zunächst im »Standortwettbewerb« der nationalen Volkswirtschaften positionierte und diese Denkfigur durch Metaphoriken aus dem semantischen Feld des Sports plausibilisierte: »Die 80er Jahre sind ein Jahrzehnt des notwendigen Umbaus der deutschen Wirtschaft. Wir müssen bei der wissenschaftlichen und technologischen Entwick269 Monopolkommission, Sondergutachten 9, S. 91. 270 VDB, 9. WP, 121. Sitzung, 13.10.1982, S. 7217.

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lung Anschluß halten und ihn zurückgewinnen, wo wir ihn verloren haben. Wir müssen zur Spitze vorstoßen.«271 Im weiteren Verlauf seiner Rede konkretisierte der Bundeskanzler diese Feststellung mit Blick auf die Deutsche Bundespost, die »wichtige Voraussetzungen« für die »neuen Informations- und Kommunikationstechniken« zu schaffen habe, »um unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen.« Schließlich kündigte der Bundeskanzler »eine umfassende Konzeption für die Förderung der Entwicklung der Mikroelektronik, der Informations- und Kommunikationstechniken« an,272 die das Kabinett bereits im April 1984 dem Deutschen Bundestag vorlegte. Das Konzeptpapier diente der Bundesregierung als Beleg für ihre »Entschlossenheit, die Herausforderung der Informationstechnik anzunehmen und die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Informationstechnik zu verbessern.«273 Ausgangspunkt der Überlegungen und Zielformulierungen war mithin die populäre Beobachtung eines beschleunigten informationstechnologischen Wandels und dessen ökonomische Auswirkungen, die das Kabinett mit den allgemeinen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der Regierungskoalition zu verknüpfen suchte. So ging die Bundesregierung zum einen in enger Anlehnung an die einschlägigen sozialwissenschaftlichen Studien von der Prämisse aus, dass »die Produktion, Verarbeitung und Verteilung von Information in modernen Industriegesellschaften […] immer mehr den Charakter eines eigenständigen Produktionsfaktors neben Arbeit und Kapital« annehme274 und demzufolge die »Informationstechnik […] von grundlegender Bedeutung für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik« sei.275 Gleich im ersten Satz des Papiers verbanden die Autoren diese Annahme mit der Denkfigur eines sich zunehmend verschärfenden »Standortwettbewerbs« der nationalen Volkswirtschaften: »Die Fähigkeit, moderne Informations- und Kommunikationstechniken und ihre Basistechnologie, die Mikroelektronik, rechtzeitig entwickeln und marktgerecht anwenden zu können, ist ein ganz wesentlicher Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit hochentwickelter Industriegesellschaften.« Die informationstechnische Industrie in Westdeutschland habe zwar in »einigen Bereichen […] weltweit eine Führungsposition« inne. Allerdings wiederholte die Bundesregierung die Warnung des Münchener Ifo-Institutes, »daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Informationstechnik in der Mikroelektronik und in Teilbereichen der Datenverarbeitung angesichts der weltweiten Anstrengungen auf diesem Gebiet gefährdet« sei. Ursächlich für die zunehmende Verschärfung des internationalen Wettbewerbs waren nach Ansicht des Kabinetts insbesondere die relativ geringe Größe des heimischen Marktes für Informationstechnologie sowie die staat271 Ebd., 10. WP, 4. Sitzung, 4.5.1983, S. 58. 272 Ebd., S. 63. 273 BT-Drucksache X/1281, S. 3. 274 Ebd., S. 6. 275 Ebd., S. 4.

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lichen Hilfen für die Informationsindustrie in den »Hauptkonkurrenzländern« Japan und den USA.276 Diese Überlegungen suchte das Kabinett zum anderen in das »wirtschaftspolitische Gesamtkonzept der Bundesregierung« zu integrieren, das zwischen der Rückbesinnung auf die ordnungspolitischen Leitlinien der jungen Bundes­ republik einerseits und der Revision des Grundverständnisses ökonomischer Prozesse andererseits changierte. Diese Transformation war eng verbunden mit der Umdeutung des ökonomischen Begriffs von »Wettbewerb«, der zunehmenden strukturierenden Wirkung des Flexibilisierungsdiskurses und der Hinwendung zur Angebotspolitik. Die ordnungspolitische »Renaissance« kennzeichneten Semantiken der Abgrenzung zwischen staatlichen und wirtschaftlichen Zuständigkeitsbereichen, die sich auch im Konzeptpapier der Bundesregierung zur Informationstechnik fanden. So betonte das Kabinett einerseits, »indirekt wirkende Maßnahmen« zu ergreifen und »verbesserte Rahmenbedingungen« für die informationstechnische Industrie in Westdeutschland schaffen zu wollen, damit diese »marktgerecht« agieren könne. Dass diese Maßnahmen andererseits auf die Stärkung der »Eigendynamik und Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft« zielten, lässt die zugrunde liegende Vorstellung von wirtschaftlichem Wettbewerb als dynamischem, produktivem und innovationsaffinem Prozess und die Einbettung der Überlegungen in den wirkmächtigen Flexibilisierungsdiskurs erkennen.277 Die grundlegenden Prämissen bündelte das Kabinett zu »fünf Aufgaben­ feldern«, die wortgleich an zwei Stellen des Konzeptionspapiers genannt waren. Die Beschreibung des ersten Aufgabenbereichs kam lediglich einer nochmaligen Bekräftigung der allgemeinen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen gleich, ging es hierbei doch um die »Verbesserung der marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und damit auch der Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik und Europas mit besonderem Gewicht auf Risikokapital, Marktöffnung und innovationsorientierter öffentlicher Beschaffung«. Mit der ebenfalls angestrebten »Belebung innovationsorientierter Märkte durch zukunftsorientierten Ausbau der Kommunikationsinfrastruktur und Innovationen im Endgerätebereich« übertrug die Bundesregierung diese grundsätzlichen Formulierungen zwar auf das Fernmeldewesen und den Zuständigkeitsbereich der Deutschen Bundespost.278 Konkrete Überlegungen zur angestrebten »Marktöffnung« oder zur Abgren­ zung von »Monopol und Wettbewerb im Fernmeldewesen« fehlten jedoch. Vielmehr betonten die Autoren des Konzeptpapiers unter dieser deutungsbedürf­tigen Überschrift zuvörderst, dass die Deutsche Bundespost durch die »frühzeitige Planung« des Netzausbaus sowie der Einführung neuester Übertragungstechniken 276 Ebd., S. 3. 277 Ebd. 278 Ebd., S. 3, 26. Den Aufgabenkatalog ergänzten bildungs-, verteidigungs- und forschungspolitische Ziele, die ebenfalls aus der informationstechnologischen Entwicklung abgeleitet wurden.

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»internationale Kommunikationsstandards frühzeitig« in der Bundesrepublik habe etablieren und der Industrie dadurch »für die Entwicklung neuartiger Teilnehmerendgeräte wichtige Impulse« habe geben können.279 Präzise Aussagen zu den in Rede stehenden Reformvorschlägen für den Bereich des Fernmeldewesens vermied die Bundesregierung hingegen und zog sich statt dessen an den vielfach bemühten Topos der Prüfungsbedürftigkeit zurück. So kündigte das Kabinett an zu »prüfen, wie auf künftigen Endgerätemärkten möglichst liberale Bedingungen für Angebot und Wartung sichergestellt werden können.« Die ebenfalls von der Monopolkommission aufgeworfene Frage, »ob für die Hoheits- und Unternehmensaufgaben der DBP neue Strukturen gefunden werden können, die ein rascheres Reagieren auf technische, wirtschaftliche und politische Entwicklungen ermöglichen«, wollte die Bundesregierung ebenfalls »prüfen«. Am Ende des Abschnitts kündigte sie schließlich an, zu diesem Zweck »eine hochrangige Kommission mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik« einzusetzen, »die bis Ende 1985 einen Bericht zu diesen Fragen erarbeiten« sollte.280 Die Konzeption der Bundesregierung zur Förderung der informationstechnischen Entwicklung diente dem Kabinett mithin vorwiegend als Nachweis der selbsterklärten politischen »Entschlossenheit« sowie als Bekräftigung der allgemeinen wirtschaftspolitischen Ziele. Konkrete, verbindliche Formulierungen zur Umstrukturierung der Deutschen Bundespost und des Fernmeldewesens enthielt das Papier indes nicht. Indem das Kabinett auf die Prüfungsbedürftigkeit dieser Fragen verwies, verschob es deren Beantwortung vielmehr auf einen zukünftigen, nicht genauer bestimmbaren Zeitpunkt. Die angekündigte »Kommission Post- und Fernmeldewesen«, die ursprünglich »bis Ende 1985« ihren Abschlussbericht vorlegen sollte, setzte die Bundesregierung schließlich am 13. März 1985 ein.281 Mit diesem Beschluss markierte das Kabinett jedoch nicht nur öffentlichkeitswirksam den Beginn der zuvor angekündigten »Postreform«. Vielmehr waren mit der Berufung der »Regierungskommission Fernmeldewesen« zugleich Vorentscheidungen und Implikationen verbunden, die den Reformprozess in zeitlicher, modaler und inhaltlicher Hinsicht vorstrukturierten. So war – blickt man zunächst auf die inhaltliche Dimension  – erstens durch Bezeichnung, Aufgabenstellung und Zusammensetzung der Kommission, der neben dem Wirtschaftswissenschaftler Eberhard Witte als Vorsitzendem und je einem Vertreter der Deutschen Postgewerkschaft, der Bundesländer, der drei größten Bundestagsfraktionen, des Bankgewerbes, der Industriebranche sowie der Rechtswissenschaften auch ein Experte für Schaltungsanlagen und zwei Repräsentanten der Fernmelde- sowie der Kommunikationsindustrie angehörten,282 bereits der thematische Schwerpunkt der Unter­ 279 Ebd., S. 35–36. 280 Ebd., S. 36. 281 BArch, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 1985. Protokolle, 77. Kabinettssitzung am 13. März 1985. 282 Witte, S. 10–11.

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suchungen vorgegeben, der allein auf dem Fernmelde- und nicht etwa auch auf dem Postwesen liegen sollte. Alle das Postwesen betreffenden Veränderungen waren demnach nicht primärer Gegenstand der Erörterungen, sondern den Überlegungen zum Fernmeldebereich nachgeordnet. In ihrem Auftragsschreiben an die Kommission machte die Bundesregierung zweitens weitere inhaltliche Vorgaben, mit denen sie abermals ihre allgemeinen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen bestätigte. So bildete die schon zu Beginn der Legislaturperiode formulierte »Konzeption der Bundesregierung zur Förderung der Entwicklung der Mikroelektronik, der Informations- und Kommunikationstechniken« die Grundlage für die Kommissionsarbeit, die wiederum auf die »bestmögliche Förderung technischer Innovation« und die »Sicherung des Wettbewerbs auf dem Markt der Telekommunikation« zielen sollte. Dass das Kabinett im Sinne der propagierten Rückbesinnung auf ordnungspolitische Grundüberzeugungen auch Vorschläge zur Definition sowie zur Begrenzung staatlicher Aufgabenbereiche im Fernmeldewesen erwartete, zeigen die benannten Untersuchungsschwerpunkte, zu denen die Bundesregierung sowohl »Umfang, Grenzen und Struktur staatlicher Aufgaben im Bereich des Fernmeldewesens« als auch die »staatliche Rahmensetzung für die Erfüllung von privatwirtschaftlichen Aufgaben« zählte. Wenn der Auftrag an die Kommission, die Grenzlinien zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Zuständigkeitsbereichen im Fernmelde­ wesen neu zu vermessen, auch ergebnisoffen anmutet, war er doch drittens mit einer zusätzlichen Einschränkung verbunden, die den Untersuchungsprozess der »Regierungskommission Fernmeldewesen« maßgeblich vorstrukturierte. So sollte, wie das Kabinett im Auftragsschreiben ergänzte, im Laufe der Untersuchung »von der in Art. 78 und 87 GG vorgegebenen Zuständigkeit des Bundes für das Post- und Fernmeldewesen […] ausgegangen werden.«283 Diese einschränkende Bedingung nahm die Entscheidungen über die künftige Rechtsform und Eigentumsstruktur der Deutschen Bundespost bereits vorweg, galt die grundgesetzliche Bestimmung, die Post in »bundeseigener Verwaltung« zu führen, doch als unumstößliche Vorgabe, die eine materielle Privatisierung des Unternehmens rundheraus ausschloss und unmöglich machte.284 Der Verfassungsrechtler Helmut Fangmann etwa leitete in einer 1987 veröffentlichten Studie aus Artikel 87 des Grundgesetzes ein striktes »Privatisierungsverbot« ab.285 Dieser Rechtsauffassung schloss sich der Wissenschaftliche Beirat der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft mit seinen »Thesen zur künftigen Struktur der Deutschen Bundespost« bereitwillig an.286 Eine Änderung der Verfassung mit dem Ziel, die rechtlichen Voraussetzungen für eine materielle Privatisierung zu schaffen, strebte das Bundeskabinett, wie der Auftrag an die 283 Das Auftragsschreiben war im Abschlussbericht der Kommission abgedruckt; ebd., S. 9. 284 Hierzu auch: Metzler, Weg, S. 184–186. 285 Fangmann, S. 64. 286 Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, Thesen zur künftigen Struktur der Deutschen Bundespost, in: ZögU, Bd. 11, 1988, S. 58–66, hier: S. 60.

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»Regierungskommission Fernmeldewesen« ebenso zeigt, nicht an. Daher ging die Kommission nach eigenen Angaben davon aus, »daß für eine Änderung des Grundgesetzes im Telekommunikationsbereich keine politische Mehrheit erkennbar« sei, und orientierte sich an dem »von der Verfassung vorgegebenen Handlungsrahmen«.287 In zeitlicher Hinsicht war die Einsetzung der Regierungskommission mit einer weiteren Verlängerung des Verfahrens verbunden, die zu einer Intensivierung der Reformdiskussionen führte. So hatte die Bundesregierung für die Untersuchungen und Beratungen einen »Zeitraum von etwa zwei Jahren vorgesehen«,288 in dessen Verlauf die Kommission nach eigenen Angaben unter anderem an 43 Tagen Sitzungen sowie zwölf zusätzliche Treffen von Arbeitskreisen abhielt, 41 Stellungnahmen von Verbänden sowie mehrere Studien von Unternehmensberatungen und wissenschaftlichen Instituten auswertete, durch Reisen und Anhörungen Informationen aus anderen Ländern zusammentrug und ein mündliches »Hearing« veranstaltete.289 Wenn der zuvor festgelegte Zeitraum von zwei Jahren angesichts der unternommenen Arbeitsschritte somit auch durchaus angemessen war, stiegen mit zunehmender Dauer des Begutachtungsverfahrens doch zum einen die Erwartungen an die Arbeit der Kommission, die sich mit zahlreichen Forderungen etwa der Industrie und der Wirtschaftsverbände konfrontiert sah. Im August 1985 übersandte beispielsweise IBM Deutschland eine 119 Seiten starke »Denkschrift« an die Regierungskommission, in der die Vorstände des Datenverarbeitungskonzerns »die Sicht der IBM und ihrer Kunden« darstellten und für die Abschaffung des staatlichen Monopols im Dienst- und Endgerätebereich plädierten. Mehrere Wirtschaftsverbände legten unter Federführung des Deutschen Industrie- und Handelstages Anfang 1986 ihre Stellungnahme zu »Fragen der staatlichen Aufgabenstellung und der Organisation im Fernmeldewesen« vor, in der sie die bestehenden Monopolstrukturen gegenüber der Kommission ebenfalls infrage stellten.290 Gleichermaßen hoch waren zum anderen die Erwartungen, welche die mediale Öffentlichkeit an die Untersuchungen der Kommission herantrug, nannte doch beispielsweise ein Kommentator der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Reform der Post einen »Test für die Glaubwürdigkeit der Ordnungspolitik der Koalition«.291 Vor diesem Erwartungshintergrund nahmen während der zweijährigen Begutachtungszeit die öffentlichen Auseinandersetzungen um die Organisation der Deutschen Bundespost und die Grenzziehung zwischen »Monopol« und »Wettbewerb« im Fernmeldewesen an Intensität zu, standen neben den direkten Zuschriften an die Kommission weitere Publikationen und öffentliche 287 Witte, S. 30. 288 Ebd., S. 9. 289 Ebd., S. 11–12. 290 E. Kuhn, Überblick über die Entwicklung der ordnungspolitischen Diskussion im Bereich der Telekommunikation, in: ZögU, Bd. 9, 1986, S. 169–185, hier: S. 182–182, Zit. S. 182. 291 Reform ohne Mut, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.9.1987.

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Stellungnahmen von Beratungseinrichtungen, Wirtschaftsverbänden, wissenschaftlichen Vereinigungen, Interessenvertretungen, politischen Parteien und Institutionen. So formulierte etwa der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 1985 mehrere Vorschläge zur »Marktöffnung in der Telekommunikation«. Die »Wirtschaftsweisen«, die das Thema in die beschriebenen Ausführungen zur Förderung »dynamischen Wettbewerbs« integrierten, skizzierten zunächst die Privatisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen im Telekommunikationsbereich in Großbritannien und den USA. Im Anschluss plädierten sie, wobei sie abermals auf das Sondergutachten der Monopolkommission Bezug nahmen, für eine Zulassung von privaten Netzanbietern auch in der Bundesrepublik, um den Ausbau der Breitbandkommunikationsnetze zu beschleunigen, und für die »Öffnung der Märkte für Endgeräte und Netzzusatzdienste«, die auch ohne Zulassung privater Netzbetreiber »unternommen« werden könne. Mit Blick auf die Organisation der DBP forderten sie zudem die Trennung sowohl »der Bundespost als Unternehmen vom Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen« als auch des »Fernmeldebereich[s] der Bundespost von der gelben Post«.292 In ihrer Replik im Jahreswirtschaftsbericht 1986 enthielt sich die Bundesregierung ganz überwiegend verbindlicher Aussagen und evozierte damit die Fortsetzung der ordnungspolitischen Grundsatzdebatten. So lehnte das Kabinett einzig das Plädoyer der »Wirtschaftsweisen« für die Aufhebung des Netzmonopols ab, während es die übrigen Vorschläge mit einem dilatorischen Verweis auf das ausstehende Gutachten der »Regierungskommission Fernmeldewesen« beantwortete: »Die Bundesregierung wird die für 1987 erwarteten Empfehlungen der Regierungskommission zum Anlaß nehmen, den Gesamtkomplex Fernmeldewesen auch unter Berücksichtigung der europäischen und internationalen Dimension erneut intensiv zu behandeln.« Am Beginn desselben Abschnitts hieß es bereits, dass das Kabinett die Reformbemühungen im Ausland »beobachtet« und die »Notwendigkeit« sehe, »die Strukturen der Telekommunikationsmärkte in der Bundesrepublik intensiv zu durchleuchten.«293 Mit diesen Aussagen, die abermals die Rede von der sorgfältigen Einzelfallprüfung aktualisierten und auf einen laufenden, unabgeschlossenen Prozess der Inaugenscheinnahme und Begutachtung referierten, verlagerte die Bundesregierung den Abschluss des Verfahrens durch verbindliche Beschlüsse über die Neugestaltung der Deutschen Bundespost und des Fernmeldewesens zum wiederholten Male auf einen künftigen, nicht genauer bestimmbaren Zeitpunkt. Auf den weiteren Verlauf des Verfahrens hatte das eingeübte Insistieren auf sorgfältigen Einzelfalluntersuchungen mehrere Auswirkungen. Die Verweise auf das ausstehende Kommissionsgutachten führten erstens zur Verzögerung der vielfach geforderten und schon zu Beginn der Legislaturperiode in Aussicht gestellten Reformprozesse im Bereich des Post- und Fernmeldewesens, die 292 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1985, Zf. 337–349, Zit. Zf. 346, 347. 293 BT-Drucksache X/4981, S. 22.

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das Kabinett erst nach Vorlage des Gutachtens im Herbst 1987 fortzusetzen beabsichtigte. Demzufolge geriet zweitens der Abschlussbericht der »Regierungskommission Fernmeldewesen« bereits vor seiner Veröffentlichung zum wichtigsten inhaltlichen Bezugspunkt der »Postreform«, an dessen Empfehlungen die angestrebten Reformen angepasst werden müssten. Dass das Kabinett die Legitimationsbasis des Vorhabens durch die Einberufung der Kommission zu verbreitern suchte, brachte auch Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling in seiner Ansprache anlässlich der konstituierenden Sitzung des Gremiums zum Ausdruck, in der er betonte, dass »ein Grundkonsens über komplexe und langfristig wirksame Probleme nationaler Bedeutung angestrebt« werde.294 Drittens erhöhten sich mit der Positionierung der »Regierungskommission Fernmeldewesen« als wichtigstem Legitimationsstifter nicht nur die Erwartungen von Befürwortern wie Gegnern der Reformvorhaben an deren Arbeit und inhaltliche Vorschläge. Indem die Bundesregierung fortdauernd auf die ausstehenden Untersuchungsergebnisse und Reformvorschläge des Gremiums verwies und sich damit zugleich eigener eindeutiger, auf Verbindlichkeit zielender Aussagen enthielt, tat sich vielmehr viertens ein kommunikativer Resonanzraum auf, in dem sich die Diskussionen um das Verhältnis von »Monopol« und »Wettbewerb« im Fernmeldewesen sowie die Grenzziehung zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Zuständigkeitsbereichen fortsetzten und intensivierten. Die Organisation der Deutschen Bundespost und des Fernmeldesektors blieb ein ungelöstes politisches Problem, das andauernd in der Diskussion stand. In den entstehenden kommunikativen Resonanzraum stieß beispielsweise der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium vor, der sich in seinem Gutachten zum Thema »Wettbewerbspolitik« auch mit dem Postund Fernmeldewesen als Ausnahmebereich des »Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen« beschäftigte. Kritik übten die Experten des Ministeriums nicht nur an der Rolle der Deutschen Bundespost als Zulassungsbehörde, in deren Praxis sie ein Hemmnis »des Entdeckungsverfahrens durch Wettbewerb« erkannten, das sie ihren Ausführungen als theoretisches Leitbild zugrunde gelegt hatten.295 Wie schon die Monopolkommission und der Sachverständigenrat stellten vielmehr auch die BMWi-Berater die Monopolstrukturen im Fernmeldebereich grundsätzlich infrage, erkannten die »Möglichkeit und Notwendigkeit einer weitreichenden Öffnung der Märkte für Endgeräte und für Kommunikationsleistungen« und wiederholten die seit den sechziger Jahren virulente organisationsstrukturelle Frage, »inwieweit auf den Märkten ein wettbewerbspolitisch bedenkliches Nebeneinander eines Hoheitsträgers mit privaten Anbietern überhaupt zugelassen sein sollte.«296 In einer weiteren Stellungnahme zur Telekom-

294 Sitzung der Regierungskommission Fernmeldewesen, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 43, 25.4.1985, Zit. S. 370. 295 Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi, Wettbewerbspolitik, S. 1377–1381, Zit. S. 1380. 296 Ebd., S. 1381.

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munikation erneuerte auch der Sachverständigenrat im November 1987 noch einmal seine Reformvorschläge.297 Zur Verschärfung der Problemwahrnehmung und zur Intensivierung der Debatten über die »Wettbewerbsfähigkeit« der Deutschen Bundespost sowie der Bundesrepublik trug ein Gutachten der Unternehmensberatung McKinsey bei, dessen Ergebnisse die Wirtschaftspresse im März 1987 in den Diskurszusammenhang eines ökonomischen »Standortwettbewerbs« der nationalen Volkswirtschaften einbettete. So berichtete etwa die Wirtschaftswoche, die Post nehme laut der McKinsey-Studie bei gebräuchlichen Telekommunikationsdienstleistungen wie Telefon und Telefax »im internationalen Leistungsvergleich nur einen Mittelplatz ein«. Bei den »neuen Technologien« liege sie im »unteren Teil des Mittelfeldes«, in »vielen entscheidenden Bereichen« gar bleibe »die Bundesrepublik weit hinter den USA, Großbritannien und Japan zurück«.298 Auch die Berichterstattung über den McKinsey-Report zeigt, dass das deutungsbedürftige Kompositum »Wettbewerbsfähigkeit« durch Metaphoriken aus dem semantischen Feld des Sports plausibilisiert wurde und sowohl auf einzelne Unternehmen als auch nationale Volkswirtschaften referieren konnte. Die Verknüpfung von Wettbewerbsimagination und nationaler Standortsemantik hatte das in Köln ansässige Institut der deutschen Wirtschaft am Beginn der achtziger Jahre in die öffentlichen Debatten eingeführt. Im Sommer 1987 erschien eine neue Studie des IW, die den Problemzusammenhang am Beispiel der Telekommunikation vertiefte und damit die Rede vom ökonomischen »Standortwettbewerb« erneut aktualisierte. Der Autor Berthold Busch, ein Institutsmitarbeiter, warnte, dass der fehlende Wettbewerb im Fernmeldewesen nicht nur die Einführung neuer Produkte sowie Produktionsweisen und organisatorischer Neuerungen erschwere, sondern auch die Kosten – insbesondere für Mietleitungen – so sehr erhöhe, dass unternehmerische Entscheidungen in zunehmendem Maße »gegen den Standort Bundesrepublik Deutschland« getroffen würden.299 Der Deutsche Industrie- und Handelstag hatte »Kosten und Möglichkeiten der Telekommunikation« schon im Herbst 1986 zu einem »immer wichtigeren Standortfaktor« erklärt.300 Dass die Daten- und Kommunikationsabteilungen ausländischer Unternehmen aufgrund zu hoher Kosten entweder in andere Länder verlagert oder gar nicht erst in der Bundesrepublik errichtet worden seien, war seither mehrfach Gegenstand der medialen Berichterstattung.301

297 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1987, Zf. 403–410; Möglichst viel Wettbewerb für die Post, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.11.1987. 298 Vernichtendes Urteil, in: Wirtschaftswoche, 27.3.1987. 299 Busch, S. 31. Fernmeldemonopol hemmt Wachstum und Fortschritt, in: Handelsblatt, 10.8.1987. 300 Zit. n.: Die gelben Bremser, in: Wirtschaftswoche, 29.11.1986. 301 Die Telekommunikation braucht den Wettbewerb, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.5.1987; Mehr Konkurrenz für die Post, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.8.1987; Die gelben Bremser, in: Wirtschaftswoche, 29.11.1986.

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Die Problemwahrnehmung einer zunehmenden Benachteiligung im internationalen »Standortwettbewerb« bildete den Erfahrungshintergrund, vor dem sich auch der Bundesverband der Deutschen Industrie in zunehmendem Maße öffentlich für die Deregulierung des westdeutschen Fernmeldesektors einsetzte. Im Juni 1987 veranstaltete der BDI ein viel beachtetes Symposium zum Thema »Telekommunikation«,302 das unter dem vom Verbandspräsidenten Tyll ­Necker formulierten Eindruck stand, »daß mit Japan, den Vereinigten Staaten und Großbritannien dem Volumen nach mehr als die halbe Welt den Weg gegangen« sei, »mehr Wettbewerb im Telekommunikationsbereich einzuführen.«303 Neben Unternehmern und Ökonomen gehörte auch Walter Hirche, der Birgit Breuel im Amt des niedersächsischen Wirtschaftsministers gefolgt war, zu den Beiträgern. Die Forderungen des FDP-Politikers, die Hirche auch über die Presse lancierte,304 entsprachen ganz überwiegend den Thesen, die der Bundesfachausschuss der Freien Demokraten bereits im Februar desselben Jahres in einem Arbeitspapier formuliert und der »Regierungskommission Fernmeldewesen« zugeleitet hatte.305 Hierzu zählten außer der Trennung von »hoheitlichen und unternehmerischen Aufgaben« sowie »der Gelben und der Grauen Post« die grundsätzliche Zulassung freier Netzbetreiber sowie die uneingeschränkte Einführung von Wettbewerb im Dienst- und Endgerätebereich.306 Der von Wolfram Engels 1982 gegründete Kronberger Kreis brachte 1987 ebenfalls eine Publikation heraus, in der seine Mitglieder in Anlehnung an die früheren Schriften des Frankfurter Instituts für wirtschaftspolitische Forschung für »Mehr Markt in der Telekommunikation« plädierten.307 In den Kreis der Befürworter ordnungspolitischer Reformen im Bereich des Fernmeldewesens trat im selben Jahr auch die Europäische Kommission ein, die schon 1984 erste Maßnahmen zur Vereinheitlichung der europäischen Telekommunikationspolitik eingeleitet hatte und in ihrem 1987 vorgelegten »Grünbuch über die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsgeräte« den Rahmen für die künftige ordnungspolitische Ausgestaltung dieses Wirtschaftssektors abzustecken suchte.308 Einleitend betonten die Autoren des »Grünbuchs« die Bedeutung einer »grundlegenden Revision« der nationalen Fernmeldebereiche auf dem Weg zu der »für 1992 geplanten Vollendung des gemeinsamen Binnenmarktes«.309 302 Bundesverband der Deutschen Industrie, Telekommunikation. 303 Necker, Vorwort, S. 7. 304 Die Post sollte nicht Schiedsrichter und Mitspieler zugleich sein wollen, in: Handelsblatt, 4./5.7.1987. 305 Das Netzmonopol ist keine heilige Kuh, in: Handelsblatt, 18.2.1987. 306 W. Hirche, Zit. S. 77. 307 Engels, Telekommunikation. 308 Zur Rolle der EG-Kommission im Verlauf der Reformen des bundesdeutschen Fernmelde­ wesens: Ritter, S. 27–35. Grundlegend zur »Liberalisierungs«-Politik der Europäischen Gemeinschaft: Schmidt. 309 Kommission der europäischen Gemeinschaften, Grünbuch, S. 1.

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Über diesen an mehreren Stellen des Textes markierten supranationalen politischen Fluchtpunkt hinaus, auf den auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium bereits hingewiesen hatte,310 fügte das »Grünbuch« der bundesrepublikanischen Debatte keine weiteren Argumente hinzu. Vielmehr bettete die EG-Kommission ihre Darstellung zum einen in die bereits umrissenen Begründungszusammenhänge ein, indem sie die volkswirtschaftliche Bedeutung der Informationstechnologie betonte und mehrfach die ökonomische »Wettbewerbsfähigkeit« als vorrangiges politisches Ziel formulierte. Der semantische Bezugsrahmen der Wortverbindung »Wettbewerbsfähigkeit« erstreckte sich hier gleichwohl nicht auf nationale Volkswirtschaften, sondern auf die Wirtschaft der Europäischen Gemeinschaft. Zum anderen unterschieden sich auch die inhaltlichen Forderungen des »Grünbuchs« nicht grundlegend von denjenigen, um die seit dem Sondergutachten der Monopolkommission von 1981 die Auseinandersetzungen in Westdeutschland kreisten. So legte die Kommission nahe, »daß der Wettbewerb auf dem Sektor der Telekommunikationsdienste und der Endgeräte substantiell ausgeweitet« werde,311 und »daß in Zukunft hoheitliche und betriebliche Aufgaben getrennt« würden,312 während sie zugleich auf das »Einverständnis« und die »Einmütigkeit« der Mitgliedsstaaten verwies, »die Rolle der Fernmeldeverwaltungen bei der Bereitstellung der Netzinfrastruktur« zu erhalten und am »Fernsprechdienst« als monopolisiertem »Basisdienst« festzuhalten.313 Im folgenden Jahr verlieh die Europäische Kommission ihren ordnungspolitischen Bemühungen zudem mit der Formulierung einer Richtlinie zur Abschaffung der nationalen Endgerätemonopole Nachdruck, die am Beginn einer Reihe von Verordnungen stand, mit denen die EG-Kommission ihren Einfluss auf die Telekommunikationspolitik ihrer Mitgliedsstaaten bis in die neunziger Jahre auszudehnen suchte. Auf die bundesrepublikanischen Debatten um die Restrukturierung des Fernmeldewesens in den achtziger Jahren blieb der Einfluss der EG-Kommission noch begrenzt. Gleichwohl bildete das Ziel der Vollendung eines europäischen Binnenmarktes einen zusätzlichen argumentativen Fluchtpunkt, den die Befürworter von Reformvorhaben im bundesdeutschen Post- und Fernmeldewesen mehrfach ansteuerten. Zu den entschiedensten Gegnern einer Neuordnung des bundesdeutschen Post- und Fernmeldewesens zählte zuvörderst die Deutsche Postgewerkschaft, die unter Federführung ihres Vorsitzenden Kurt van Haaren fortlaufend vor der »Entstaatlichungs-Ideologie« der Bundesregierung314 und den daraus erwachsenden »Privatisierungs-Gefahren« für die DBP315 warnte. Im Herbst 1986 310 Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi, Wettbewerbspolitik, S. 1381. 311 Kommission der europäischen Gemeinschaften, Zusammenfassung, S. 12. 312 Ebd., S. 13. 313 Ebd., S. 12, 13. 314 K. v. Haaren, Sichert die Post – Rettet das Fernmeldewesen, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Jg. 37, H. 11, 1986, S. 678–687, hier: S. 680. 315 van Haaren, S. 23.

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startete die Gewerkschaft unter dem Leitspruch »Sichert die Post – Rettet das Fernmeldewesen« eine öffentlichkeitswirksame Kampagne, die sich über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren erstreckte und schließlich nach Einschätzung der DPG selbst die größte gewerkschaftliche Aktion in ihrer Geschichte darstellte. Allein die Auftaktveranstaltung in Köln verzeichnete 20.000 Teilnehmer.316 Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling war daraufhin um Beschwichtigung und Vermittlung bemüht, betonte er doch in einem Gespräch mit dem Hauptvorstand der Gewerkschaft, keine Privatisierungen im Bereich der Deutschen Bundespost anzustreben.317 Auf das Bemühen des Ministers, die von Befürwortern wie entschiedenen Gegnern einer Reformierung des Post- und Fernmeldewesen geführten Auseinandersetzungen zu beruhigen, deutet auch die Absage einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Thema »Telekommunikation« hin. Einem Bericht der Wirtschaftswoche vom März 1987 zufolge hatte der Postminister den Stiftungsvorsitzenden darum gebeten, »um die Diskussionen ›nicht aufzuheizen‹.«318 Dem andauernden Ringen um die »Postreform«, dem der zuständige Minister offenbar Einhalt zu gebieten suchte, hatte die Bundesregierung jedoch zuvor erst einen größeren kommunikativen Resonanzraum verschafft, indem sie die »Regierungskommission Fernmeldewesen« zum maßgeblichen Stichwortgeber für die Reformvorhaben erklärt und seit deren Berufung dilatorisch auf die ausstehenden Untersuchungsergebnisse und Empfehlungen verwiesen hatte. Auch während seiner Regierungserklärung im März 1987 hielt der Bundeskanzler an dieser kommunikativen Strategie des Kabinetts fest und sagte zu den Reformvorhaben im Post- und Fernmeldebereich lediglich zwei Sätze: »Für den Bereich des Fernmeldewesens wird die 1985 eingesetzte Regierungskommission Fernmeldewesen in Kürze ihre Empfehlungen vorlegen. Danach wird die Bundesregierung das Post- und Fernmeldewesen neu strukturieren und Maßnahmen zu einer verbesserten Marktöffnung ergreifen.«319 Als im Sommer 1987 schließlich erste Ergebnisse ihrer Untersuchung an die Öffentlichkeit gelangten, wurde jedoch bald deutlich, dass die »Regierungskommission Fernmeldewesen« nicht die angestrebte legitimatorische Verbindlichkeit würde herstellen können. Nicht nur spotteten die Journalisten der Wirtschaftswoche, der Kommissionsvorsitzende Eberhard Witte habe »einräumen« müssen, »daß ganze Abschnitte vom Bundespostministerium selbst formuliert worden waren.«320 Vielmehr konnten die Kommissionsmitglieder in ihren Beratungen keine inhaltliche Einigkeit erzielen. War der Abschlussbericht, den

316 Eine Dokumentation der Kampagne findet sich in: Deutsche Postgewerkschaft. Vgl. auch: Lauschke, Postgewerkschaft, S. 58–69; Metzler, Weg, S. 168. 317 Keine Post-Privatisierung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.10.1986. 318 Vernichtendes Urteil, in: Wirtschaftswoche, 27.3.1987. 319 VDB, 11. WP, 4. Sitzung, 18.3.1987, S. 58. 320 Falsche Richtung, in: Wirtschaftswoche, 7.8.1987.

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Witte im September 1987 schließlich der Bundesregierung übergab, auch mit neun zu zwei Stimmen bei einer Enthaltung verabschiedet worden, stießen doch insbesondere die Vorschläge zur Neuregelung im Netz- und Dienstebereich, die eine Beibehaltung des Netz- und des Telefondienstmonopols der Deutschen Bundespost vorsahen, nicht auf das Einverständnis einzelner Kommissionsmitglieder, die ihre Positionen in mehreren Sondervoten formulierten.321 Der BDI-Vorsitzende Tyll Necker und der Wirtschaftsjurist Wernhard Möschel, die ihre Thesen außerdem in mehreren Zeitungsartikeln verbreiteten,322 sowie der FDP-Wirtschaftspolitiker Dieter Fertsch-Röver und Jürgen Terrahe, Mitglied im Vorstand der Commerzbank, plädierten für die Einführung von »Wettbewerb auf allen Ebenen des Fernmeldewesens«.323 Dem SPD-Politiker Peter Glotz und Albert Stegmüller von der Deutschen Postgewerkschaft hingegen, die beide gegen den Abschlussbericht stimmten und je eine eigene Erklärung abgaben, gingen die Vorschläge der Mehrheit zu weit. Während Glotz sich vor allem an stellenweisen »Auflockerungen« des Netzmonopols stieß,324 lehnte Stegmüller das Ergebnis der Beratungen rundweg ab, da die Empfehlungen der Kommission aus seiner Sicht auf »eine Zerschlagung bewährter Grundstrukturen des Post- und Fernmeldewesens« hinausliefen.325 Dass die »Regierungskommission Fernmeldewesen« somit, wie der Vorsitzende Eberhard Witte im Vorwort zum Abschlussbericht schrieb, »keine modellhafte Optimallösung« liefern konnte,326 verweist zum einen beispielhaft auf die zunehmende Uneindeutigkeit wissenschaftlicher Handlungsempfehlungen. Dass das eigens zum Zwecke der »Postreform« eingesetzte Beratungsgremium die »legitimatorische Funktion wissenschaftlicher Expertise«, die untrennbar mit dem Prozess der Verwissenschaftlichung politischer (Entscheidungs-)Prozesse verbunden war, nicht erfüllen konnte,327 zeigt nicht nur der im Abschlussbericht dokumentierte inhaltliche Dissens innerhalb der Witte-Kommission. Einzelne Mitglieder wie beispielsweise der Rechtswissenschaftler Wernhard Möschel328 oder der BDI-Präsident Tyll Necker329 grenzten sich zudem in eigenen Veröffentlichungen von der Kommissionsmehrheit ab oder lieferten sich in

321 Witte, S. 134–149. 322 Freiheit für das Netz, in: Wirtschaftswoche, 28.8.1987; Die Telekommunikation braucht den Wettbewerb, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.5.1987; Das Monopol der Post steht unter Begründungszwang, in: Handelsblatt, 9.7.1987; Wenig Lust zur Reform, in: Die Zeit, 1.1.1988. 323 Witte, S. 134. 324 Ebd., S. 140. 325 Ebd., S. 142. 326 Ebd., S. VII. 327 Metzler, Weg, S. 182–183, Zit. S. 182. 328 Die Telekommunikation braucht den Wettbewerb, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.5.1987. 329 Das Monopol der Post steht unter Begründungszwang, in: Handelsblatt, 9.7.1987.

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der Presse inhaltliche Auseinandersetzungen mit anderen Experten.330 Hinzu kamen – außer einer gemeinsamen Erklärung von 150 Professoren unterschiedlicher Fachrichtungen,331 die sich gegen die »Postreform« richtete – die bereits erwähnten Studien von weiteren Gremien der Politikberatung, welche die Menge des verfügbaren wissenschaftlichen Wissens zwar noch weiter ansteigen ließen, ohne jedoch trennscharfe und eindeutige Handlungsempfehlungen zu liefern. Sichtbarster Ausdruck der zunehmenden Veruneindeutigung war die Sachverständigenanhörung, die der Bundestagsausschuss für das Post- und Fern­ meldewesen im November 1988 abhielt.332 Der Ausschuss diskutierte einerseits an drei Tagen mit einer Vielzahl unterschiedlichster Experten und Interessenvertreter über einen Katalog von insgesamt 81 Fragen, zu denen außerdem bereits im Vorhinein schriftliche Antworten im Umfang von mehr als sechshundert Seiten vorlagen. Eindeutige Empfehlungen ließen sich hieraus jedoch andererseits nicht herleiten. Vielmehr bestätigte die Anhörung nur erneut diejenigen Positionen, die bereits zuvor formuliert worden waren. In rechtlichen Detailfragen etwa mussten die Experten dagegen einräumen, »noch nicht zu einem endgültigen Ergebnis gekommen« zu sein.333 Die Zunahme wissenschaftlicher Handlungsempfehlungen, die jedoch keine Verbindlichkeit herzustellen vermochten, war zum anderen Indikator und zugleich Faktor einer weiteren Verzögerung des Verfahrensablaufs. Nach Vorlage des Abschlussberichts der Witte-Kommission begannen die öffentlichen Auseinandersetzungen um dessen Deutung, die zunächst die bestehenden Frontlinien vertieften. Auf der einen Seite schlossen sich Wirtschaftspresse und Industrieverbände den Empfehlungen des Minderheitsvotums an und beklagten, dass »das wettbewerbsfeindliche Postmonopol gestärkt und sogar noch ausgeweitet werden« solle.334 Bereitwillig machten sie hierbei von der spöttischen Bezeichnung »Tangalösung« für die Reformvorschläge Gebrauch, die das Kommissionsmitglied Wernhard Möschel schon im Vorfeld der Übergabe des Abschlussberichts öffentlich gebraucht hatte. Demnach habe die Witte-Kommission »die denkbar knappste Antwort auf ein Problem« geliefert.335 Die Deutsche Postgewerkschaft auf der anderen Seite blieb bei ihrer strikten Blockadehal330 Die Wirtschaftswoche stellte im Spätsommer 1987 den Thesen Wernhard Möschels eine Replik des Kommunikationswissenschaftlers Karl-Heinz Neumann gegenüber; Freiheit für das Netz, in: Wirtschaftswoche, 28.8.1987; Vorteile des Monopols, in: Wirtschaftswoche, 4.9.1987. 331 Gegen Reform der Post, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.1.1988. 332 BT-Archiv, Gesetzesdokumentation, XI/125, A2, Nr. 75–77. 333 Ebd., Nr. 77, Unkorrigiertes stenographisches Protokoll der 20. Sitzung des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen, 30.11.1988, S. 151. 334 Ausbau des Monopols, in: Wirtschaftswoche, 22.5.1987. Ähnlich: Falsche Richtung, in: Wirtschaftswoche, 7.8.1987; Reform ohne Mut, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.9. 1989; Mehr Konkurrenz für die Post, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.8.1987. 335 Tanga für die Post, in: Wirtschaftswoche, 3.4.1987; Die Telekommunikation braucht den Wettbewerb, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.5.1987; Wende rückwärts, in: Wirtschaftswoche, 15.7.1988.

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tung und kündigte ihren Widerstand gegen die »Zerschlagung« der Deutschen Bundespost an, vor welcher der DPG-Vorsitzende Kurt van Haaren unablässig warnte.336 Die bis Sommer 1989 dauernden Verhandlungen und Beratungen über die »Postreform« begleitete die Gewerkschaft mit regelmäßigen Protestaktionen und Kundgebungen.337 Bundespostminister Christian Schwarz-­Schilling war angesichts der verhärteten Fronten bemüht, einen »Mittelweg für die Post« zu propagieren.338 In einem Gespräch mit Journalisten der Wirtschaftswoche etwa nannte er die angestrebte »volle Liberalisierung im Endgerätebereich und bei Diensten« den »erste[n] große[n] Schritt«. Das Netz- und Telefondienstmonopol der Deutschen Bundespost wollte er hingegen trotz technischer Bedenken angesichts einer zunehmenden Verschmelzung von Sprach- und Datenübermittlung beibehalten: »Bei der Post darf keine traumtänzerische Revolution in Gang gesetzt werden.«339 Eine Vermittlung war allerdings nicht nur zwischen den Interessenvertretern von Industrie und Arbeitnehmerschaft erforderlich. Vielmehr hatten sich schon vor dem Abschluss der Kommissionsberatungen auch innerhalb der Regierungskoalition und des Kabinetts inhaltliche Divergenzen abgezeichnet, die nun deutlicher hervortraten. Während sich die Liberalen in der Koalition, für die in der Öffentlichkeit neben Walter Hirche auch Otto Graf Lambsdorff zu Fragen des Post- und Fernmeldewesens Stellung bezog, erwartungsgemäß dem Minderheitsvotum der Witte-Kommission anschlossen, bestanden die CSU wie die Sozialausschüsse der CDU auf der Erhaltung des Netzmonopols. Auch innerhalb des Kabinetts, das den Entwurf für das sogenannte »Poststrukturgesetz« erst nach mehrmaliger Überarbeitung schließlich im Mai 1988 verabschiedete, sah sich der Postminister Widerständen gegenüber. Die Einwände von Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann und Finanzminister Stoltenberg waren vorwiegend auf Fragen des Dienstrechts und des Finanzausgleichs zwischen den einzelnen Unternehmensbereichen der künftigen DBP gerichtet.340 Das Gesetzgebungsverfahren verzögerten überdies die Bundesländer, die aufgrund des zu erwartenden Widerstands ausnahmsweise schon vor Verabschiedung des Gesetzesentwurfs im Kabinett die Gelegenheit zur Stellungnahme erhielten. Die Regierungschefs der Länder, die in der Ministerpräsidentenkonferenz im April 1988 den Entwurf des »Poststrukturgesetzes« erstmalig berieten, plädierten unter anderem für eine gemeinsame Führung der geplanten Unternehmensbereiche für Telekom-, Post- und Bankdienste. Die SPD-regierten Länder und Bayern forderten überdies, auch das Monopol für Mobilfunk- und Satellitennetze zu erhalten. Vor allem jedoch ging es den Ländervertretern um 336 Falsche Richtung, in: Wirtschaftswoche, 7.8.1987; Das Reförmchen stößt auf Widerstand der Gewerkschaft, in: Handelsblatt, 11.11.1987. 337 Lauschke, Selbstentmachtung, S. 112–113. 338 Mittelweg für die Post, in: Wirtschaftswoche, 18.9.1987; Wann fällt das Monopol?, in: Die Zeit, 25.9.1987. 339 Mittelweg für die Post, in: Wirtschaftswoche, 18.9.1987. 340 Metzler, Weg, S. 172.

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eine unmittelbare Beteiligung an den künftigen politischen Entscheidungen im Post- und Fernmeldewesen, die ein zusätzliches Gremium garantieren sollte.341 Die Mitbestimmungsforderungen der Länder waren insbesondere im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages umstritten.342 Dass schließlich dennoch beim Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen der geforderte »Infrastrukturrat«343 geschaffen wurde, dem je elf Vertreter aus Bundestag und Bundesrat angehörten und der in diejenigen Entscheidungsprozesse involviert werden sollte, die »von infrastruktureller Bedeutung« waren und »die wesentlichen Belange der Länder« berührten,344 verweist abermals auf eine Besonderheit der wirtschaftlichen Staatstätigkeit in der Bundesrepublik, an deren Definition und Ausübung auch die Bundesländer maßgeblich beteiligt waren. Nachdem am 20. April 1989 der Bundestag und am 12. Mai desselben Jahres auch der Bundesrat zugestimmt hatten, konnte das »Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost« schließlich am 1. Juli 1989 in Kraft treten. Außer der Bildung des »Infrastrukturrates« sah es eine Dreigliederung der Deutschen Bundespost in die öffentlichen Unternehmen Deutsche Bundespost Postdienst, Deutsche Bundespost Postbank und Deutsche Bundespost Telekom vor, die jedoch über das ebenfalls neu eingerichtete Direktorium und die fortbestehende Möglichkeit zur Querfinanzierung eng miteinander verbunden blieben. Statt einer materiellen erfolgte eine formale Privatisierung durch Umwandlung der Deutschen Bundespost in drei öffentliche Unternehmen. Hinzu kam die Trennung der »politische[n] und hoheitliche[n] Aufgaben«, die beim Bundespostminister verblieben, von den »unternehmerische[n] und betriebliche[n] Aufgaben« der DBP.345 Die Neufassung des »Gesetzes über Fernmeldeanlagen«, die am 21. Juli 1989 in Kraft trat, sah die Beibehaltung des Netz- und des Telefondienstmonopols vor, während fortan im Endgeräte- und im Bereich der übrigen Dienste private Anbieter zugelassen waren.346 Zusammen mit dem ebenfalls angepassten »Gesetz über das Postwesen«347 bildeten die beiden Reformgesetze den vorläufigen Abschluss mehrjähriger 341 BT-Archiv, Gesetzesdokumentation, XI/125, B1, Nr. 15, Ergebnisprotokoll der Ministerpräsidentenbesprechung am 14. April 1988 in Bonn; sowie Übersendung der Beschlüsse durch den Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz, Franz Josef Strauß, an den Vorsitzenden der Wirtschaftsministerkonferenz, 14.5.1988. 342 Ebd., XI/125, A2, Nr. 46, Protokoll der 41. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, 25.1.1989. 343 Im Laufe der Beratungen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages war auch die Bezeichnung »Poststrukturrat« gebräuchlich: ebd., Nr. 45, Protokoll der 40. Sitzung des Rechtsausschusse des Deutschen Bundestages, 18.1.1989; Die Bundesländer wollen einen Post-Strukturrat, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.7.1988. 344 Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz), in: BGBl, Teil I, Nr. 25, 14.6.1989, S. 1026–1051, hier: S. 1034. 345 Ebd., S. 1027. 346 Gesetz über Fernmeldeanlagen, in: BGBl, Teil I, Nr. 37, 21.7.1989, S. 1455–1460. 347 Gesetz über das Postwesen, in: BGBl, Teil I, Nr. 37, 21.7.1989, S. 1450–1454.

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Auseinandersetzungen um die Grenzziehung zwischen staatlichen und wirtschaftlichen Zuständigkeitsbereichen im Post- und Fernmeldewesen. Im Folgenden wird es um die Rede- und Begründungsweisen gehen, die diese Grenzdefinitionen rahmten. 2.3 Aufgaben der »Daseinsvorsorge« als Grenze des unvermeidbaren Wettbewerbs Die Advokaten ordnungspolitischer Reformen im Post- und Fernmeldewesen waren bemüht, die angestrebten Maßnahmen zur Deregulierung im Telekommunikationssektor sowie zur organisatorischen Umstrukturierung der Deutschen Bundespost als unvermeidbar und sachlich geboten zu kennzeichnen. Stellvertretend nannte etwa die Europäische Kommission in ihrem »Grünbuch« zur Telekommunikation die Reformvorhaben eine »unausweichliche Entwicklung«.348 In seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung eignete sich auch der Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages diese Argumentationsweise an und bezeichnete »eine Reform der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen in der Telekommunikation […] sowie eine Neustrukturierung der Deutschen Bundespost« als »unabdingbar«.349 Damit korrespondierte die Warnung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, das Reformvorhaben könnte »unter sachfremdem politischen Druck verwässert« werden.350 Die Redefigur des Sachzwangs, die auf die Alternativlosigkeit und objektive Bedingtheit von Entscheidungen referierte, war verbunden sowohl mit Verweisen auf die für 1992 vorgesehene »Vollendung des europäischen Binnenmarktes« und die informationstechnische Entwicklung als auch mit der Rede vom »Standortwettbewerb« der nationalen Volkswirtschaften. So sagte etwa Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling anlässlich der zweiten Lesung des »Poststrukturgesetzes« vor dem Bundestagsplenum: »Wir haben […] ab 1992 den europäischen gemeinsamen Markt, den Binnenmarkt. Wir müssen daher die Strukturen darauf abstellen, daß auch die nationalen Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland in diesem Wettbewerb gegeben sind.«351 Im Rahmen der ersten Lesung hatte der Minister bereits betont: »Nur, daß wir auch den Wettbewerb haben müssen, ergibt schon die Neuregelung des europäischen Marktes, an der wir ja nicht vorbeigehen können.«352 Für Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann war der Fortbestand der hergebrachten 348 Kommission der europäischen Gemeinschaften, Grünbuch, S. 1. 349 BT-Archiv, Gesetzesdokumentation, XI/125, A2, Nr. 61, Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaft des Deutschen Bundestages vom 25. Januar 1989 zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Post- und Fernmelde­ wesens und der Deutschen Bundespost. 350 Schwierigkeiten vor Kabinettsbeschluß, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.5.1988. 351 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10082. 352 Ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6380.

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Strukturen im Bereich des Post- und Fernmeldewesens »im europäischen Binnenmarkt überhaupt nicht möglich«.353 Sein Parteikollege Rainer Funke verwies auf das »EG-Grünbuch«, in dem »ausdrücklich festgelegt« sei, »daß es ohne eine Neuordnung eine Teilnahme der Bundespost am Wettbewerb nicht geben kann.«354 Die Einführung des europäischen Binnenmarktes geriet in den Aussagen der »Postreform«-Befürworter somit zu einer unhintergehbaren politischen Leitentscheidung, die das Reformvorhaben bedingte und unausweichlich machte. Zugleich verbanden die Reformadvokaten die Redefigur des Sachzwangs mit Verweisen auf die informationstechnische Entwicklung, die als gleichsam selbstgesteuerter, überperso-naler Prozess die ordnungspolitischen und strukturellen Anpassungen im Post- und Fernmeldewesen ebenso unvermeidbar mache. Für den CDU-Abgeordneten Gerhard Pfeffermann etwa war »die Neustrukturierung mit der Entwicklung des Fernmeldewesens, der Datenverarbeitung, der Bürokommunikation hin zur Telekommunikation immer dringender geworden«.355 Der Bundespostminister nannte die »Neuabgrenzung von Monopolund Wettbewerbsbereichen« aufgrund der genannten technischen Entwicklung gar »unabdingbar«.356 »Da kann man natürlich nicht mehr«, wie Schwarz-Schilling bei der ersten Lesung im Bundestag feststellte, »eine Wettbewerbs- und Monopolordnung haben, bei der ein Teil eines Gerätes noch dem Monopol unterliegt, weil es nämlich die Kommunikation von einem Büro ins andere über Telefonleitungen betreibt, ein anderer Teil der Datenverarbeitung dient und ein dritter Teil zur Büromaschinentechnik gehört.«357 Auch die SPD-Fraktion bestritt die »Notwendigkeit einer Neustrukturierung« angesichts der informationstechnischen Entwicklung nicht. Die Sozialdemokraten plädierten jedoch nicht für eine weitreichende Deregulierung im Fernmeldebereich, sondern für den Schutz der Monopolrechte vor dem nicht-regulierten Bereich der Datenverarbeitung. »Durch die Anwendung der Mikroelektronik«, warnte beispielsweise der Abgeordnete Arne Börnsen, »wachsen staatlicher Monopolbereich und privat betriebene Datenverarbeitung zusammen. Ohne Regulierung, ohne Anpassung der Struktur ist der Monopolbereich gefährdet«.358 Mit den Verweisen auf die technische Fortentwicklung der Mikroelektronik eng verbunden waren nochmalige Vergewisserungen über die Wachstumserwartungen, die an die technischen Entwicklungen geknüpft waren, sowie über deren grundlegende gesellschaftliche Bedeutung. So betonte beispielsweise der SPD-Abgeordnete Börnsen, angesichts der zunehmenden volkswirtschaftlichen Bedeutung der Informationsdienstleistungen sei »eine moderne, zeitgemäße 353 Ebd., S. 6402. 354 Ebd., S. 6393. 355 Ebd., S. 6385. 356 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10082. 357 Ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6378. 358 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10055.

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Organisation unserer Telekommunikationsstruktur unerläßlich«.359 Hatten die Ökonomen des Münchener Ifo-Instituts schon zu Beginn der achtziger Jahre auf die »Wachstumsimpulse« hingewiesen, die der technische Fortschritt im Bereich der Mikroelektronik evoziere,360 kleidete die Europäische Kommission in ihrem »Grünbuch« diese Erwartung unter der Überschrift »Die Fakten« in konkretere Zahlen, um die ökonomische Bedeutung und den zunehmenden Anteil von Telekommunikationsdiensten und Informationstechnologie an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung hervorzuheben. Das bereits bestehende finanzielle Volumen des weltweiten Marktes bezifferten die Autoren auf 500 Milliarden ECUs.361 In der Europäischen Gemeinschaft, so prognostizierten sie, werde der Anteil am Bruttosozialprodukt von zwei Prozent im Jahr 1984 auf rund sieben Prozent um die Jahrtausendwende ansteigen.362 In der Folge beriefen sich außer dem sozialdemokratischen Abgeordneten Börnsen und dem Bundespostminister auch Fraktionsmitglieder von CDU und FDP363 sowie die Industrieverbände und mehrere wissenschaftliche Vereinigungen364 auf diese Wachstumsprognose der Europäischen Kommission, um auf die Unvermeidbarkeit ordnungspolitischer Reformen im Bereich der Telekommunikation hinzuweisen. Eingebettet waren die Wachstumserwartungen in die wirkmächtige sozialwissenschaftliche Zeitdiagnose der herannahenden »Informationsgesellschaft«, die den Reformforderungen zusätzliche Dringlichkeit und Relevanz verlieh. So stellten beispielsweise Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling, BDIChef Tyll Necker oder der Rechtswissenschaftler Wernhard Möschel ihre Reformforderungen in einen größeren gesamtgesellschaftlichen Entwicklungszusammenhang, indem sie auf die zunehmende sozioökonomische Relevanz der Informationstechnik und den »Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft« verwiesen.365 Auch die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion, die gegen die »Postreform« stimmten, machten sich diese metonymische gesellschaftliche Selbstbeschreibung zu Eigen, die »Information« zum zentralen Wesensmerkmal westlicher Gesellschaften erklärte.366 Einzelne Reformbefürworter erhoben die Kategorie »Information« sogar zu einem Epochenmerkmal. Der CDU-Abgeordnete Gerhard Pfeffermann etwa verortete die Bundesrepublik 359 Ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6383. 360 M. Reinhard, S. 2. 361 Die European Currency Unit wurde als Währungseinheit der Europäischen Union am 1. Januar 1999 durch den Euro abgelöst. 362 Kommission der europäischen Gemeinschaften, Grünbuch, S. 2. 363 VDB, 11. WP, 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6377, 6383, 6385, 6393; ebd., 71. Sitzung, 14.4.1988, S. 4827. 364 So zum Beispiel der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Kronberger Kreis: Necker, Innovationsstrategie, S. 92; Engels, Telekommunikation, S. 10. 365 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10055; Necker, Innovationsstrategie, S. 89; Die Telekommunikation braucht den Wettbewerb, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.5.1987. 366 So etwa Peter Paterna, Vorsitzender des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen: VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10070.

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im »Informationszeitalter«.367 Bundespostminister Schwarz-Schilling erklärte »Information und Kommunikation« auf einem Technologiekongress »zum Wesensinhalt eines Zeitalters«.368 Um die herausgehobene Rolle der Deutschen Bundespost bei der Bewältigung und Gestaltung des sozioökonomischen Wandels plausibel zu machen, waren insbesondere historische Analogien gebräuchlich, die an den Industrialisierungsprozess erinnerten. Besonders verbreitet war die metaphorische Rede von der Post als »Lokomotive des Informationszeitalters«, welche die Informationstechnologie in den Rang eines ökonomischen Führungssektors erhob und die DBP zum volkswirtschaftlich bedeutendsten Unternehmen erklärte.369 Wolfram Engels schrieb in einem Kommentar für die Wirtschaftswoche gar: »Ohne die Post gibt es kein Informationszeitalter. […] Das postindustrielle Zeitalter wird ein Post-Zeitalter.«370 Die Unvermeidbarkeit ordnungspolitischer Reformen im Post- und Fern­ meldewesen machte nicht zuletzt die Verortung der Bundesrepublik im »Standortwettbewerb« der nationalen Volkswirtschaften plausibel. Nach Bekanntwerden der Untersuchungsergebnisse der erwähnten McKinsey-Studie zum Entwicklungsstadium nationaler Telekommunikationsinfrastrukturen und -industrien war die Verknüpfung von Wettbewerbsimagination und nationaler Standortsemantik auch in den Debatten um die Zukunft des bundesdeutschen Fernmeldewesens als Redefigur zunehmend gebräuchlich geworden. Zum einen trat die Bezeichnung der Bundesrepublik als Wirtschaftsstandort in Verbindung mit unterschiedlichen Wörtern vermehrt auf. So galt die Telekommunikationsinfrastruktur als Voraussetzung für »die Standortqualität der Bundesrepublik Deutschland«371 und als bedeutender »Standortfaktor«,372 von dem »der Erhalt des Industriestandortes Bundesrepublik Deutschland«373 abhänge, warnten beispielsweise der Industrie- und Handelstag sowie Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann vor »Standortnachteilen«374 und negativen Folgen für den »Produktionsstandort Bundesrepublik«375 oder waren die Klagen über die Verlagerung von Datenverarbeitungs- und Kommunikationszentren ins Ausland mit dem Hinweis verknüpft, die Bundesrepublik sei »kein günstiger Standort«376 oder müsse als solcher »wieder attraktiver werden«.377 Zum anderen stellte die Vor367 Ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6385. 368 Die Rolle der Deutschen Bundespost im modernen Kommunikationswesen, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 22, 6.2.1988, Zit. S. 177. 369 Die Lokomotive des Informationszeitalters, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.1987; VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10082; ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6377. 370 Wende rückwärts, in: Wirtschaftswoche, 15.7.1988. 371 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10070. 372 Busch, S. 31. 373 VDB, 11. WP, 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6404. 374 Warnung vor Standortnachteilen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.6.1988. 375 VDB, 11. WP, 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6400. 376 So Wernhard Möschel in der FAZ: Die Telekommunikation braucht den Wettbewerb, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.5.1987. 377 Mehr Konkurrenz für die Post, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.8.1987.

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stellung, die Bundesrepublik befinde sich als »Standort« im internationalen Wettbewerb mit anderen nationalen Volkswirtschaften, in den Reformdebatten eine wichtige Begründungsfigur dar. Nicht nur der Bundespostminister und die Vertreter der Koalitionsfraktionen kennzeichneten die »internationale Wettbewerbsfähigkeit« der Bundesrepublik wie der Europäischen Gemeinschaft als zentralen Orientierungspunkt des Reformvorhabens.378 Auch die SPD-Abgeordneten Arne Börnsen und Hans Gottfried Bernrath wiesen auf die herausgehobene Bedeutung der Informationstechnologie für die »Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften« hin.379 Für Börnsen ging es darüber hinaus auch um die »Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundespost«.380 Die Industrieverbände und die Minderheit in der Witte-Kommission hingegen, denen das Reformvorhaben nicht weit genug ging, warnten vor den Konsequenzen für »die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Bundesrepublik«, die sich aus der Erhaltung von Netz- und Sprachdienstmonopol ergäben.381 Als »Hauptkonkurrenten« für die Europäische Gemeinschaft und die Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb der Volkswirtschaften galten weiterhin Japan und die USA.382 Die Rede von der zu erhaltenden »Wettbewerbsfähigkeit« des »Standortes« Bundesrepublik Deutschland kennzeichnete die angestrebte Reform als politische Aufgabe von nationalem Interesse. Schon im März 1986 hatte Bundespost­ minister Christian Schwarz-Schilling in einem Zeitungsinterview den »Wettlauf […] zwischen der Bundesrepublik und den anderen großen Industrienationen« zu einer »Frage der wirtschaftlichen Existenz unserer Nation« erklärt.383 Hier wird außerdem nochmals sichtbar, dass die Aussagen nicht nur auf »Deutschland« oder »die Bundesrepublik« verwiesen, sondern zugleich die inkludierenden Personalpronomina »wir« und »unser« enthielten, die das nationale Volk adressierten. Der hohe argumentative Gebrauchswert der Verknüpfung von Wettbewerbsimagination und Standortsemantik lag gleichwohl in der Bedeutungsoffenheit insbesondere der Wortverbindung »Wettbewerbsfähigkeit« begründet, die das Kompositum für den Gebrauch in politischen Kommunikationszusammenhängen prädestinierte. So konnte das Wortpaar sowohl auf einzelne Unternehmen als auch auf ganze Volkswirtschaften referieren. Eine Definition, die beispielsweise Kriterien ökonomischer »Wettbewerbsfähigkeit« bestimmt hätte, fehlte jedoch. Die »Wettbewerbsfähigkeit« der Bundesrepublik als »Standort« stellte somit ein politisches Ziel dar, das niemand unter Befür­ 378 VDB, 11. WP, 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6380, 6392, 6394; ebd., 71. Sitzung, 14.4.1988, S. 4824; ebd., 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10060. 379 Ebd., 71. Sitzung, 14.4.1988, Zit. S. 4825; ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6383. 380 Ebd., 137. Sitzung, 20.4.1989, Zit. S. 10057; ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6383. 381 Witte, Zit. S. 134; Falsche Richtung, in: Wirtschaftswoche, 7.8.1987; Die Telekommunikation braucht den Wettbewerb, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.5.1987. 382 VDB, 11. WP, 71. Sitzung, 14.4.1988, S. 4827; Die Rolle der Deutschen Bundespost im modernen Kommunikationswesen, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 22, 6.2.1988, hier: S. 178. 383 Auf Gedeih und Verderb, in: Wirtschaftswoche, 14.3.1986.

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wortern wie Gegnern der angestrebten »Postreform« ernstlich bestritt. Uneinigkeit bestand lediglich in der Frage, wie weit die Reformmaßnahmen gehen sollten, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Für die Bedeutungsoffenheit der Rede von der zu erhaltenden »Wettbewerbsfähigkeit« spricht auch, dass sie zumeist, wie die zitierte Aussage des Postministers über den »Wettlauf« der Industrienationen bereits erkennen lässt, durch Metaphoriken aus dem semantischen Feld des Sports plausibilisiert wurde. Besonders gebräuchlich waren dabei Redefiguren, die in Analogie zu sportlichen Auseinandersetzungen, Vergleichsordnungen und Ranglisten eine Relation zu den Mitkonkurrenten herstellten. So standen die Verortungen der Bundesrepublik und der DBP auf einem internationalen »Spitzenplatz« sowie einer »Spitzenstellung«, die es zu behaupten gelte,384 neben den Warnungen, die bundesrepublikanische Wirtschaft dürfe im internationalen Wettbewerb nicht »zurückfallen«,385 »hinterherhinken«,386 »endgültig ins Hintertreffen« geraten,387 »zum Schlußlicht«388 oder gar »zweitklassig« werden.389 Das CDU-Bundestagsmitglied Klaus Bühler machte diese kommunikative Strategie während der ersten Lesung des »Poststrukturgesetzes« sogar explizit, indem er sagte, »daß eines unserer Hauptprobleme die Erhaltung des Industriestandortes Deutschland ist. Ich möchte ein Bild aus dem Sport aufnehmen: Die Bundesrepublik Deutschland ist jetzt im zweiten Jahr der Tabellenführer der Weltliga der Exportländer. Eine der Aufgaben, die dieser Reform zugrundeliegt […], ist, daß wir diesen Tabellenstand – Tabellenführer der Weltliga der Exportländer – im Interesse unserer Arbeitsplätze halten.«390

Während die Verweise auf die Einführung des europäischen Binnenmarktes sowie die technische Entwicklung der Mikroelektronik und die Verortung der Bundesrepublik im internationalen »Standortwettbewerb« die angestrebten Reformen im Post- und Fernmeldewesen als unvermeidbar und sachlich geboten auswiesen, gerieten die Debatten hierüber auch zur Vergewisserung über die wirtschaftspolitischen Ziele der Bundesregierung, in denen sich die Rückbesinnung auf die ordnungspolitische Tradition der jungen Bundesrepublik mit der

384 VDB, 11. WP, 94. Sitzung, 22.9.1988, Zit. S. 6400; ebd., S. 6384. 385 Die Rolle der Deutschen Bundespost im modernen Kommunikationswesen, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 22, 6.2.1988, Zit. S. 178. 386 VDB, 11. WP, 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6383. 387 Ebd., S. 6394. 388 BT-Archiv, Gesetzesdokumentation, XI/125, A2, Nr. 61, Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaft des Deutschen Bundestages vom 25. Januar 1989 zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost. 389 Die Telekommunikation braucht den Wettbewerb, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.5.1987; Starke Bataillone gegen Wettbewerb, in: Handelsblatt, 8.4.1987. 390 VDB, 11. WP, 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6404.

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Ausrichtung am Ideal einer dynamischen, innovativen und anpassungsfähigen Wirtschaft verband. Mit der Beschwörung einer ordnungspolitischen »Renaissance« eng verbunden waren Verweise auf die bestehende marktwirtschaftliche Ordnung sowie Redeweisen, die eine strikte Trennung staatlicher und wirtschaftlicher Zuständigkeitsbereiche suggerierten. In ihrem im Spätsommer 1988 vorgelegten Konzeptpapier zur Neuordnung des Telekommunikationsmarktes etwa gab die Bundesregierung ein Bekenntnis »zum Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft« ab, das sie mit einem wörtlichen Zitat aus der zweiten Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom Mai 1983 bekräftigte.391 Während der Bundestagsdebatten über das »Poststrukturgesetz« legten insbesondere die Abgeordneten der Unionsfraktionen Wert auf ein »Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft« und auf die Orientierung an diesem Leitbild.392 Vereinzelt war auch vom marktwirtschaftlichen »System« die Rede.393 Um die Unterscheidung staatlicher und wirtschaftlicher Zuständigkeitssbereiche plausibel zu machen, war auch in den Debatten um die Neuordnung des bundesdeutschen Post- und Fernmelde­wesens die Metapher des »Rahmens« gebräuchlich, die den Staat als konstitutives Außen und Garanten des ökonomischen Geschehens kennzeichnete.394 Während die Angehörigen insbesondere der Unionsfraktion hiermit allerdings die ordnungspolitischen Aufgabenbereiche des Staates zu bestätigen suchten, ging es den Industrieverbänden und wirtschaftsliberalen Ökonomen um eine »stärkere Begrenzung staatlicher Aufgaben«395 und eine »Begrenzung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit«.396 BDI-Chef Tyll Necker forderte in einem Pressebeitrag gar eine »reine Wettbewerbslösung«, um »Abgrenzungsprobleme« zu vermeiden.397 Von der Rückbesinnung auf die staatliche Aufgabe der »Rahmensetzung« nicht zu trennen war das Ziel der Förderung und Ermöglichung ökonomischen Wettbewerbs, das ebenso zum Kernbestand ordnungspolitischen Denkens gehörte. In ihrem Konzeptpapier zur Neuordnung des Telekommunikationsmarktes reproduzierte die Bundesregierung diese diskursive Verknüpfung und nannte die »Eröffnung erweiterter Wettbewerbschancen auf den Märkten des Fernmeldewesens durch neue ordnungspolitische Rahmenbedingungen« einen Schwerpunkt der angestrebten Reform.398 Tyll Necker beispielsweise hatte schon ein Jahr zuvor auf dem erwähnten BDI-Symposium zu Fragen der Telekommunika391 BT-Drucksache XI/2855, S. 9. 392 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, Zit. S. 10066, S. 10053, 10054, 10057; ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6386. 393 Ebd., S. 6400; Necker, Innovationsstrategie, S. 89; Das Monopol der Bundespost steht unter Begründungszwang, in: Handelsblatt, 9.7.1987. 394 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10053, 10067, 10078; ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6422. 395 Necker, Innovationsstrategie, S. 91. 396 Engels, Telekommunikation, S. 18. 397 Das Monopol der Bundespost steht unter Begründungszwang, in: Handelsblatt, 9.7.1987. 398 BT-Drucksache XI/2855, S. 3.

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tionspolitik gefordert, der Staat müsse »durch geeignete Rahmenbedingungen so viel Märkte wie eben möglich dem Wettbewerb öffnen«.399 »Wettbewerb« war dabei einerseits mit bestimmten Bedeutungsbeständen ausgestattet. Seit den siebziger Jahren wurden – ausgehend vom wirtschaftswissenschaftlichen Fachdiskurs  – ökonomische Prozesse oder »die« Wirtschaft im Kollektivsingular in zunehmendem Maße über ihre Dynamik, Anpassungs- und Innovationsfähigkeit beschrieben. Mit diesem diskursiven Wandel korrespondierte auch die Umdeutung des ökonomischen Begriffs von »Wettbewerb« zu einem Garan­ ten weder von Ausgleich und Statik noch für die Erreichung vorgegebener wirtschaftspolitischer Zielgrößen, sondern von Flexibilität und Innovationsfähigkeit. Auch in den Debatten um die »Postreform« wurde diese semantische Transformation mehrfach bestätigt und aktualisiert. Der Bundespostminister beispielsweise wollte »die bisherige staatliche Monopolstruktur im Fernmelde­ wesen verstärkt […] der Innovationsfähigkeit des Wettbewerbs öffnen.«400 In dem erwähnten Konzeptpapier der Bundesregierung war von den »vielfältigen Innovationschancen im Wettbewerb« die Rede.401 Josef Linsmeier von der CSU setzte »mehr Wettbewerb« gleich mit »mehr Flexibilität«.402 Im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages sprach sich der Unionsabgeordnete Kurt Biedenkopf gegen die Beibehaltung staatlicher Monopole und für »ein Maximum von Flexibilität und Innovation« aus.403 Der Rechtswissenschaftler Wernhard Möschel, der zur Minderheit in der Witte-Kommission gehörte, berief sich wiederum auf Friedrich August von Hayeks Formel vom »Wettbewerb als Entdeckungsverfahren«.404 Andererseits erhielt »Wettbewerb« in den Debatten um die Zukunft des Postund Fernmeldewesens zugleich den Status eines semantisch leeren Fluchtpunkts, den die Befürworter der »Postreform« vielfach ansteuerten, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, ohne das Wort jedoch mit Bedeutungen auszustatten. In den Aussagen der Reformgegner wiederum geriet »Wettbewerb« zu einer Kampfvokabel. Ohne es definitorisch einzuführen, setzten sie das Wort ein, um vor den Konsequenzen der damit verbundenen »Wettbewerbs-Ideologie« zu warnen.405 Der Grünen-Abgeordnete Ulrich Briefs, der schon Mitte des Jahrzehnts ein populärwissenschaftliches Buch zu den Konsequenzen des infor­ mationstechnologischen Wandels für die Entwicklung des Arbeitsmarktes vor-

399 Necker, Innovationsstrategie, S. 91. 400 Neuordnung der Telekommunikation  – Gesamtkonzept und Leitlinien, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 91, 23.9.1987, Zit. S. 786. 401 BT-Drucksache XI/2855, S. 4. 402 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, Zit. S. 10066. 403 BT-Archiv, Gesetzesdokumentation, XI/125, A2, Nr. 60, Kurzprotokoll der 38. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft (9. Aussschuß), 25.1.1989, S. 38. 404 Freiheit für das Netz, in: Wirtschaftswoche, 28.8.1987. 405 K. v. Haaren, Sichert die Post – Rettet das Fernmeldewesen, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Jg. 37, H. 11, 1986, S. 678–687, hier: S. 680.

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gelegt hatte,406 beispielsweise warf der Bundesregierung vor: »Sie behaupten, den Wettbewerb zu fördern. Was aber heißt das in der Praxis? Sie öffnen die Zukunftsmärkte der Telekommunikation einer Handvoll großer internationaler Konzerne und Kapitalkonsortien.«407 Auffällig ist außerdem, dass in den Debatten um die Zukunft des Post- und Fernmeldewesens als Bezeichnung für die angestrebte »Marktöffnung« das Wort »Liberalisierung« besonders gebräuchlich war.408 Der wissenschaftliche Terminus »Deregulierung«, den beispielsweise der Sachverständigenrat synonym verwandte, war demgegenüber insbesondere in den parlamentarischen Auseinandersetzungen um die »Postreform« negativ besetzt und fand lediglich unter den Reformgegnern Verwendung. So erinnerten etwa die SPD-Abgeordneten Annette Faße und Arne Börnsen an die negativen »Erfahrungen mit Privatisierung und Deregulierung im Ausland« und forderten: »Seien wir doch endlich einmal in der Lage, aus diesen Erfahrungen auch tatsächlich lernen zu können und nicht nur Privatisierungszielsetzungen Japans oder Deregulierungszielsetzungen der USA hier glauben nachempfinden zu müssen.«409 Ihr Fraktionskollege Peter Paterna, der zugleich Vorsitzender des Postausschusses war, betonte: »Entwicklungen, wie wir sie im deregulierten Verkehrsmarkt erleben müssen, […] wollen wir in der Telekommunikation nicht.«410 Das Wort »Liberalisierung« hingegen benutzten vor allem die Befürworter der Reform, um die Zulassung privater Anbieter auf den Telekommunikationsmärkten zu beschreiben. Zum einen handelte es sich hierbei um eine Entlehnung aus dem »Grünbuch« der Europäischen Kommission. War die Verwendung des Wortes zunächst auf den internationalen Kapitalverkehr beschränkt geblieben, bezeichnete »Liberalisierung« nach der Veröffentlichung des »Grünbuchs« auch den Abbau von Marktzutrittsbeschränkungen auf dem Telekommunikationssektor. Die Übernahme dieser Bezeichnung lässt sich allerdings nicht allein hierauf zurückführen. Vielmehr waren zum anderen an das Wort »Liberalisierung« offenbar normative Bedeutungsbestände und positive Erwartungen geknüpft, mit denen sich die »Postreform« erfolgreicher legitimieren und begründen ließ als mit dem wissenschaftlichtechnischen Begriff »Deregulierung«, der zudem mit negativen Erfahrungen aus anderen Staaten belastet war. Die Notwendigkeit zur »Liberalisierung« und »Marktöffnung« sollte außerdem die Unterscheidung von Regelfällen und begründungsbedürftigen Ausnahmen suggerieren, die schon im Zuge der Privatisierungsdebatten der jungen Bundesrepublik gebräuchlich gewesen war. BDI-Chef Tyll Necker etwa nahm diese Leitdifferenz auf und postulierte: »In unserem Wirtschaftssystem sollte 406 Briefs. 407 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, Zit. S. 10065. 408 Ebd., 71. Sitzung, 14.4.1988, S. 4824, 4827, 4829, 4830, 4831, 4832; ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6400; ebd., 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10062. 409 Ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6406, 6384. 410 Ebd., 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10069.

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sich nicht derjenige legitimieren müssen, der Wettbewerb fordert. Das Monopol steht unter einem strikten Begründungszwang!«411 Er schloss damit zugleich an die Rede von der Umkehrung der »Beweislast« an, die als Entlehnung aus dem juristischen Sprachhaushalt ebenfalls bereits in der Frühphase der Bundesrepublik anschlussfähig gewesen war und in den »Entstaatlichungs«-Debatten im Laufe der achtziger Jahre an Plausibilität gewann.412 So hatte beispielsweise der Ökonom Helmut Cox diese Denkfigur schon 1984 mit der ordnungspolitischen »Renaissance« verknüpft und betont: »Die ordnungspolitische Grundentscheidung für einen prinzipiell marktwirtschaftlich-wettbewerblich ausgerichteten Typ von Wirtschaftsordnung impliziert, daß staatliche Wirtschaftstätigkeit schlechthin einer besonderen Begründung bedarf (Beweislastthese).«413 Mit Blick auf die Teilprivatisierung des eigenen Konzerns hatte sich auch VEBA-Chef Rudolf von Bennigsen-Foerder diese Argumentationsweise angeeignet und in einem Aufsatz doziert, »daß es grundsätzlich nicht die Privatisierung ist, die einer besonderen Rechtfertigung bedarf, sondern vielmehr ist die Notwendigkeit des Beibehaltens einer Staatsbeteiligung zu beweisen.«414 Während der aktuellen Stunde des Bundestages zur Privatisierung im März 1985 hatte beispielsweise der Unionsabgeordnete Hermann Josef Unland festgestellt, »daß derjenige die Beweislast für die gesamtwirtschaftliche Notwendigkeit staatlicher Unternehmertätigkeit trägt, der ein überwiegendes öffentliches Interesse für die Beibehaltung glaubt behaupten zu können.«415 Im Vorfeld der Verabschiedung des »Poststrukturgesetzes« betonte nun neben dem BDI-Vorsitzenden auch die Bundesregierung mehrfach, dass »der Grundsatz des Wettbewerbs die Regel und das Monopol des staatlichen Anbieters die zu begründende Ausnahme sein« müsse.416 Die beschlossene Reform sah solche Abweichungen vom Regelfall »Wettbewerb« im Bereich des terrestrischen Netzes und auch des Telefonsprachdienstes vor, die somit als begründungsbedürftige Ausnahmen galten. Um diese Grenzen für den Wettbewerb unterschiedlicher Marktteilnehmer zu markieren, diente das deutungsbedürftige Wortpaar »Daseinsvorsorge«. Es geht zurück auf die Arbeiten des Staatsrechtlers Ernst Forsthoff, der in seiner 1933 erschienen Monographie »Der totale Staat« eine rechtswissenschaftliche Legitimation für 411 Necker, Innovationsstrategie, S. 98; wortgleich in: Das Monopol der Bundespost steht unter Begründungszwang, in: Handelsblatt, 9.7.1987. 412 Dagegen wendet sich vor allem: G. Püttner, Privatisierung – eine Frage der Beweislast?, in: ZögU, Bd. 8, 1985, S. 239–241. 413 H. Cox, Die Privatisierungsdiskussion entideologisieren, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 64, 1984, S. 67–71, hier: S. 68. 414 R. v. Bennigsen-Foerder, Grundsätzlich eine Funktion auf Zeit, in: ÖWG, Jg. 33, 1984, S. 3–6, hier: S. 3. 415 VDB, 10. WP, 128. Sitzung, 27.3.1985, S. 9450. 416 Bundesregierung, S. 4; Konzeption zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 63, 17.5.1988, Zit. S. 630; VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10084; BT-Drucksache XI/3917, S. 29; BTDrucksache XI/2855, S. 4.

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die Machtübernahme der Nationalsozialisten vorgelegt hatte.417 Im Jahr 1938, ein Jahr nach dem Eintritt Forsthoffs in die NSDAP,418 folgte die Studie über »Die Verwaltung als Leistungsträger«, in der er »Daseinsvorsorge« als Rechtsbegriff einführte.419 In seiner Begründung dieses Neologismus ging Forsthoff aus von der »Trennung des Menschen von den Lebensgütern«420 und unterschied einen »beherrschten Lebensraum«, den der Einzelne kontrollieren könne, von einem »effektiven Lebensraum«, in dem sich »das Leben, über den beherrschten Bereich hinaus, tatsächlich vollzieht«.421 Da der »effektive Lebensraum« seit dem neunzehnten Jahrhundert fortdauernd größer werde, steige, so Forsthoff weiter, auch die soziale Bedürftigkeit, die er definierte als diejenige Lage, in welcher der Einzelne seine Lebensgüter nicht selbstständig erzeuge, sondern »im Wege der Appropriation« erhalte.422 Hieraus leitete Forsthoff seine Definition von »Daseinsvorsorge« ab: »Diejenigen Veranstaltungen, welche zur Befriedigung des Appropriationsbedürfnisses getroffen werden, bezeichne ich als Daseinsvorsorge.« Außerdem betonte er, dass mit der »Daseinsvorsorge« untrennbar eine »Daseinsverantwortung« verbunden sei,423 die sich mit steigender »Appropriationsbedürftigkeit«424 von der individuellen auf die kollektiv-staatliche Ebene verlagert habe. Die »Darbringung von Leistungen, auf welche der in die modernen massentümlichen Lebensformen verwiesene Mensch lebensnotwendig angewiesen« sei, fielen demnach in den Bereich der »politischen Daseinsverantwortung« – und damit in die Zuständigkeit des Staates.425 Wenn Ernst Forsthoff den Begriff »Daseinsvorsorge« auch ins Zentrum seiner verwaltungsrechtlichen Überlegungen gestellt hatte, die auf eine rechtswissenschaftliche Fundierung der nationalsozialistischen Diktatur und eine scharfe Abgrenzung vom bürgerlich-liberalen Rechtsstaat gezielt hatten,426 blieb das Wortpaar dennoch über das Kriegsende hinaus im wissenschaftlichen und öffentlichen Sprachhaushalt der Bundesrepublik enthalten. Forsthoff selbst, der schon 1952 als Professor an die Universität Heidelberg zurückkehren konnte, war bemüht, seine Überlegungen den verfassungsrechtlichen Gegebenheiten der Bundesrepublik anzupassen.427 Getilgt waren fortan die völkischen Bedeutungsbestände, mit denen er das Kompositum ursprünglich ausgestattet hatte. Als Bezeichnung für die staatlichen Versorgungsaufgaben war »Daseinsvorsorge« 417 Forsthoff, Staat. 418 Klee, S. 159. 419 Forsthoff, Verwaltung. Zum Folgenden: Scheidemann. 420 Forsthoff, Verwaltung, S. 4. 421 Ebd. 422 Ebd., S. 5. 423 Ebd., S. 6. 424 Ebd., S. 5. 425 Ebd., S. 7. 426 Gleich zu Beginn der Studie konstatierte Forsthoff: »Die Grundrechte gehören der Geschichte an«; ebd., S. 1. 427 Forsthoff, Lehrbuch, S. 370; ders., Daseinsvorsorge.

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jedoch seit der frühen Bundesrepublik fest etabliert. Beispielsweise war die Bezeichnung in den Privatisierungsdebatten der siebziger Jahre gebräuchlich, wo »Daseinsvorsorge« vereinzelt als Synonym für das Wortpaar »öffentliche Aufgabe« Verwendung fand. Der hohe Gebrauchswert der Wortverbindung lag aber nicht in seiner begrifflichen Präzision und Trennschärfe begründet. Schon Forsthoff hatte »Daseinsvorsorge« nicht als juristischen Terminus eingeführt, »dessen einzelne Bestandteile bzw. Voraussetzungen subsumierbar wären«.428 Auch als Gesetzesbegriff fand das Kompositum bis in die achtziger Jahre auf Bundesebene keine Verwendung.429 Vielmehr waren es seine Uneindeutigkeit und Definitionsbedürftigkeit, die das Wortpaar »Daseinsvorsorge« für den Gebrauch in politischen Kommunikationsprozessen prädestinierten. In den Debatten um die Zukunft des bundesdeutschen Post- und Fernmeldewesens wurden diese Eigenschaften in mehrfacher Hinsicht deutlich. Zum einen gebrauchten sowohl entschiedene Gegner als auch Befürworter der »Postreform« das Wortpaar, um ihren Positionen Plausibilität und Legitimität zu verleihen. So betonte Kurt van Haaren, Vorsitzender der Deutschen Postgewerkschaft: »Wettbewerb ist ein Ordnungsmittel der Wirtschaft, aber keineswegs das allein seligmachende. Daneben bedarf es der staatlichen Gestaltungskraft, daneben tritt unsere Philosophie von Gemeinwohlverpflichtung und Daseinsvorsorge«.430 Stellvertretend für die Bundestagsfraktion der Grünen, die das Reformgesetz ebenfalls rundweg ablehnten, zählte der Abgeordnete Ulrich Briefs den »Bereich der Deutschen Bundespost […] zur unerläßlichen Daseinsvorsorge« und warf der Bundesregierung vor: »Sie aber opfern diese Bundespost, die diese Daseinsvorsorge garantieren soll, privaten Profit- und Wachstumsinteressen. Das ist der Kern der sogenannten Postreform!«431 Auch der SPD-Abgeordnete und Postausschussvorsitzende Peter Paterna stellte infrage, ob die »Philosophie« der »angeblich segensreichen Wirkungen von weniger Staat und mehr Markt […] auf die Telekommunikation und auf Dienste für die Allgemeinheit, auf Bereiche der Grundversorgung und Daseinsvorsorge überhaupt anwendbar« sei.432 Dass die Wortverbindung »Daseinsvorsorge« in diesen Aussagen zum anderen nicht mit konkreten Bedeutungen gefüllt war, problematisierte beispielsweise BDI-Chef Tyll Necker, der wiederum für eine »reine Wettbewerbslösung« warb: »Was gehört zur von Ernst Forsthoff so oft apostrophierten ›Daseins­vorsorge‹? Wer definiert das gesellschaftlich Wünschbare besser, der Staat oder aber jeder einzelne von uns selbst durch seine Nachfrage?«433 In dieselbe Richtung wies bemerkenswerterweise auch der Bundespostminister, als er im Dezember 1988 vor dem »Münchener Kreis«, der Unternehmern, Ökonomen und Politikern eine 428 Scheidemann, S. 6. 429 Kämmerer, Daseinsvorsorge, S. 7. 430 K. v. Haaren, Sichert die Post – Rettet das Fernmeldewesen, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Jg. 37, H. 11, 1986, S. 678–687, hier: S. 680. 431 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10064. 432 Ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6395–6396. 433 Das Monopol der Bundespost steht unter Begründungszwang, in: Handelsblatt, 9.7.1987.

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Diskussionsplattform für Fragen der informationstechnischen Entwicklung zu bieten suchte, für eine Umdeutung der Wortverbindung plädierte: »Leider wird Daseinsvorsorge häufig viel zu schnell mit staatlichem Monopol und der Notwendigkeit politischer Einflußnahme gleichgesetzt. Gerade das Fernmeldewesen stellt im Spiegel der internationalen Erfahrungen ein gutes Beispiel dafür dar, daß sich wesentliche Belange der Daseinsvorsorge auch oder sogar besser durch unternehmerisches Handeln verwirklichen lassen.«434

Hierbei verschwieg der Minister allerdings, dass die Bundesregierung die angesprochene Verknüpfung von »Daseinsvorsorge« und staatlicher Zuständigkeit frühzeitig selbst hergestellt hatte. Schon im Jahreswirtschaftsbericht 1986, als die Witte-Kommission mit ihren Untersuchungen noch am Anfang stand, hatte das Kabinett auf die umfassenden Deregulierungsvorschläge des Sachverständigenrates entgegnet, sie betrachte das »Errichten und Betreiben« der für die »Individualkommunikation« notwendigen Netze »als Aufgabe der Daseinsvorsorge. Ziel ist eine flächendeckende Versorgung zu gleichen Bedingungen auch bei künftigen Netzgenerationen. Die Bundesregierung beabsichtigt daher nicht, hier konkurrierende Netzträger zuzulassen.«435 Dass das Kabinett von dieser Abgrenzung zwischen Monopol und Wettbewerb auch im Weiteren nicht abwich, stieß auf die Zustimmung der SPD. Im Rahmen der Aussprache über das »Grünbuch« zur Telekommunikation stellte beispielsweise der Abgeordnete Hans Gottfried Bernrath fest, die »Nachrichtenübermittlung« sei »in der Bundesrepublik bewußt als öffentliche Aufgabe im Grundgesetz festgelegt«. Die »Sicherstellung der notwendigen Infrastrukturen« sei also »nach wie vor eine Kernaufgabe des Staates«. Demnach habe die Deutsche Bundespost »die Verpflichtung, im Rahmen der Daseinsvorsorge dafür zu sorgen, daß zur Erreichung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik alle Bürger in allen Regionen geschäftlich und privat Leistungen des Post- und Fernmelde­ wesens zu gleichen Bedingungen in Anspruch nehmen können.«436 Während der ersten Lesung des »Poststrukturgesetzes« setzten Arne Börnsen und Annette Faße diese Argumentationslinie fort und pochten auf die staatliche »Pflicht zur Daseinsvorsorge, zur Versorgung aller Bürger mit gleichen Dienstleistungen zu gleichen Gebühren überall im Lande«. »Die Sicherstellung der öffentlichen Infrastruktur für das Post- und Fernmeldewesen«, betonten sie, »ist und bleibt Kernaufgabe des Staates.«437 Dem widersprachen auch die Vertreter der Regierungskoalition nicht. Beispielsweise konstatierte Josef Linsmeier von der CSU: »Ordnungspolitisch gehört das Netz in den öffentlichen Sektor, ordnungspolitisch ist das Netz eine öffentliche Aufgabe, und wir wollen keinen 434 Ziele und Grundsätze der Neuordnung der Telekommunikation, in: Bulletin des Presseund Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 168, 2.12.1988, Zit. S. 1496. 435 BT-Drucksache X/4981, S. 22. 436 VDB, 11. WP, 71. Sitzung, 14.4.1988, S. 4826. 437 Ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6384, 6406.

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Wettbewerb um das Netz oder um Netze.«438 Auch der niedersächsische Wirtschaftsminister Walter Hirche, der sich in der FDP als Verfechter weitreichender Deregulierungsmaßnahmen im Telekommunikationssektor profiliert hatte, räumte ein: »Die gesetzliche Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge, die das Unternehmen Fernmeldewesen mit dem Netz zu erfüllen hat, rechtfertigt es, ihm  – ebenfalls durch Gesetz  – eine öffentliche Monopolstellung im Netz zu belassen.«439 Wenn die zitierten Aussagen auch eine (grund-)gesetzliche Fundierung suggerierten, von der nicht abgewichen werden könne, war »Daseinsvorsorge« zuvor kein Gesetzesbegriff gewesen.440 Allerdings wurden die staatlichen Aufgaben der »Daseinsvorsorge«, wie mehrere Unionsabgeordnete und der Bundespost­ minister auch mehrfach betonten,441 auf Bundesebene erstmalig mit dem »Post­ strukturgesetz« gesetzlich festgeschrieben, das den »Unternehmen der Deutschen Bundespost« die Aufgabe zuwies, »Infrastrukturdienste (Monopolaufgaben und Pflichtleistungen) und die notwendige Infrastruktur im Sinne der öffentlichen Aufgabenstellung, insbesondere der Daseinsvorsorge, nach den Grundsätzen der Politik der Bundesrepublik Deutschland zu sichern«.442 Als »Pflichtleistungen« sollten fortan diejenigen »Infrastrukturdienstleistungen« gelten, »die die Unternehmen [der DBP] im besonderen öffentlichen Interesse, vor allem aus Gründen der Daseinsvorsorge, erbringen müssen«. Über die inhaltliche Ausgestaltung der »Pflichtleistungen« hatte der Bundespostminister per Rechtsverordnung zu entscheiden.443 Mit der Verankerung der deutungsbedürftigen Wortverbindung »Daseinsvorsorge« im »Poststrukturgesetz« war freilich keine verbindliche Begriffs­ definition verbunden. Wie die Wortpaare »öffentliche Aufgabe« und »öffentliches Interesse«, mit dem es nun im Gesetzestext verknüpft war, bedurfte »Daseinsvorsorge« der konkreten Definition und semantischen Füllung. Vielmehr zeigen insbesondere die häufigen Verweise auf die Aufnahme des Wortes in den Gesetzestext  – der Postminister sprach von einem »der wesentlichen Punkte« der Reform –,444 dass es der Bestätigung wirtschaftlicher Aufgabenbereiche des Staates diente, die unangetastet bleiben sollten. Die »öffentlichen Aufgaben« der »Daseinsvorsorge« setzten der »unvermeidbaren« Zulassung von Wettbewerb im Telekommunikationssektor Grenzen.

438 Ebd., S. 6400. 439 W. Hirche, S. 79–80. 440 Kämmerer, Daseinsvorsorge, S. 7. 441 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10067, 10054, 10084; ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6399. 442 Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz), in: BGBl, Teil I, Nr. 25, 14.6.1989, S. 1026–1051, hier: S. 1028. 443 Ebd., S. 1032. 444 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10084.

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2.4 Die Trennung des »Schiedsrichters« vom öffentlichen Unternehmen Mit der Neudefinition der Grenzen zwischen Monopol und Wettbewerb auf dem Telekommunikationssektor ging eine Anpassung der organisatorischen Strukturen der Deutschen Bundespost einher, die nicht erst die »Regierungskommission Fernmeldewesen« in ihrem Abschlussbericht für notwendig erklärt hatte.445 Schon seit den sechziger Jahren waren die Debatten hierüber entlang der Leitunterscheidung zwischen den »politische[n] und hoheitliche[n]« sowie den »unternehmerische[n] und betriebliche[n]« Aufgabenbereichen der DBP verlaufen, die schließlich auch Eingang in das »Poststrukturgesetz« fand.446 Die Leitdifferenz zielte darauf, staatliche und privatwirtschaftliche Aufgabenund Funktionsbereiche zu trennen. Trotz der Übernahme in den Gesetzestext handelte es sich allerdings um eine in hohem Maße deutungsbedürftige Unterscheidung, die zwischen Verbindlichkeit und Uneindeutigkeit oszillierte. Während Vertreter der Regierungskoalition lobend hervorhoben, mit »der Trennung der hoheitlichen Aufgaben von den Betriebsaufgaben der Deutschen Bundespost« ein lange gehegtes Ziel erreicht zu haben, ohne beide Aufgabenbereiche jedoch konkreter zu definieren,447 fragte beispielsweise der Postausschussvorsitzende Peter Paterna: »[W]as ist der Unterschied zwischen politischen und hoheitlichen Aufgaben?«448 Der Zeit-Journalist Wolfgang Hoffmann kritisierte: »Die Trennung von Hoheit und Unternehmen […] hätte Sinn, wenn klar definiert wäre, was Hoheit eigentlich ist.« Angesichts der Zuständigkeit des Postministeriums für die Wirtschaftspläne der einzelnen Unternehmensbereiche und die Zulassung von Endgeräten habe »der hoheitliche Minister auch weiterhin entscheidenden Einfluß auf den Betrieb.«449 Wenn die Formel von der Trennung »hoheitlicher« und »betrieblicher« Aufgaben auch keine eindeutige Grenze zwischen staatlicher und wirtschaftlicher Sphäre markierte, war sie doch strukturbildend für die Aussagen über die künftige Organisation der Deutschen Bundespost, die sich erstens auf die Regulierung des Telekommunikationssektors bezogen. So hatte schon die WitteKommission in ihrem Abschlussbericht zur organisatorischen Trennung der Regulierungsbehörde vom Unternehmen als Teilnehmer am Wettbewerb geraten: »Wenn der Wettbewerb auf den Märkten der Telekommunikation geöffnet werden soll, dann muß vorher die Hoheitsinstanz abgehoben werden, denn diese kann sich nicht dem Wettbewerb aussetzen, sondern soll ihn regulieren.«450 Neben der dichotomischen Unterscheidung von »oben« und »unten«, die in der Empfehlung der Witte-Kommission sichtbar wird, sollte diese organisatorische 445 Witte, S. 106. 446 Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz), in: BGBl, Teil I, Nr. 25, 14.6.1989, S. 1026–1051, hier: S. 1027. 447 Hier der FDP-Abgeordnete Rainer Funke; VDB, 11. WP, 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6392. 448 Ebd., S. 6396. 449 Der Kurzschluß des Ministers, in: Die Zeit, 23.9.1988. 450 Witte, S. 106.

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Trennung vor allem die Rede vom Staat als »Schiedsrichter« des ökonomischen Wettbewerbs plausibel machen, die schon Wilhelm Röpke während der ordnungspolitischen Grundsatzdebatten in der Gründungsphase der Bundesrepublik popularisiert hatte und deren argumentativer Gebrauchswert im Zuge der propagierten ordnungspolitischen »Renaissance« seit den ausgehenden siebziger Jahren wieder zugenommen hatte. So betonte etwa Bundespostminister ­Christian Schwarz-Schilling im Interview mit Journalisten der Wirtschaftswoche: »Wenn die vorgeschlagene Aufgliederung in Hoheits- und Unternehmensbereiche vollzogen wird, dann ist der Postminister nicht mehr Spieler, sondern Schiedsrichter.«451 Auch der niedersächsische Wirtschaftsminister Walter Hirche und der CDU-Bundestagsabgeordnete Gerhard Pfeffermann bedienten sich dieser Metaphorik.452 Daneben ging es zweitens um die Abschaffung politischer Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmensentscheidungen der DBP. Die Problematisierung einer Verflechtung von politischen und unternehmerischen Entscheidungen im Bereich des Post- und Fernmeldewesens reichte bis in die sechziger Jahre zurück, hatte doch die von der Bundesregierung bestellte »Sachverständigen-Kommission« die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der DBP auf »betriebsfremde, nämlich politische Einflüsse« zurückgeführt.453 Nicht nur die Abgeordneten der SPD waren bemüht, auf diese Tradition vergangener Reformvorhaben zu ver­ weisen. Arne Börnsen beispielsweise zitierte während der zweiten Lesung des »Poststrukturgesetzes« den sozialdemokratischen Bundespostminister Georg Leber, der schon 1970 »weniger Staat, weniger Amt, weniger politischer Einflußnahme« für die Deutsche Bundespost gefordert hatte.454 Auch Gerhard Pfeffermann von der CDU referierte auf Leber und stellte fest: »Von einer Unternehmerpost mit Amtscharakter, wie Georg Leber einmal sagte, […] halten wir nichts.«455 Vielmehr gehe es für die DBP, wie es beispielsweise der Sozialdemokrat Börnsen ausdrückte, um die »Möglichkeit, unternehmenspolitische Entscheidungen sachgerecht, den sich ändernden Marktbedingungen entsprechend kurzfristig zu treffen, also unabhängig von politischen Einflußgrößen«.456 Hier wird erkennbar, dass die Neuorganisation der Deutschen Bundespost drittens darauf abzielte, »eine marktnahe und leistungsfähige Unternehmensorganisation zu verwirklichen.«457 Dabei operierten die entsprechenden Aussagen entlang der diskursiven Leitunterscheidung zwischen Staat / Bürokratie und Markt, an deren Grenzen schon die Privatisierungsdebatten der siebziger Jahre verlaufen waren. So betonte der Unionsabgeordnete Pfeffermann, Ent451 Mittelweg für die Post, in: Wirtschaftswoche, 18.9.1987. 452 Die Post sollte nicht Schiedsrichter und Mitspieler zugleich sein wollen, in: Handelsblatt 4./5.7.1987; VDB, 11. WP, 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6386. 453 BT-Drucksache V/203, S. 10. 454 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10055. 455 Ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6385. 456 Ebd., 71. Sitzung, 14.4.1988, S. 4832. 457 BT-Drucksache XI/2855, S. 3.

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scheidungen »nach hoheitlichen Grundsätzen« und »streng nach Paragraphen« seien abzulösen durch »flexible Anpassung«.458 Die Deutsche Bundespost könne nicht »sich auf der einen Seite tagtäglich im Wettbewerb bewähren […] und auf der anderen Seite so hierarchisch gegliedert« sein wie bisher.459 Der FDP-Abgeordnete Rainer Funke fügte zuspitzend hinzu, es komme darauf an, die drei entstehenden »Unternehmen als wirtschaftliche Einheiten und nicht als Behörden zu führen.«460 Wenn die Unterscheidung der politisch-hoheitlichen von den betrieblich-unter­ nehmerischen Aufgabenbereichen der DBP auch bereits während der sechziger Jahre in Rede gestanden hatte und zudem nicht trennscharf war, verband sich damit doch der Anspruch einer verbindlichen Abgrenzung staatlicher und wirtschaftlicher Zuständigkeitsbereiche. Demgegenüber blieben die weiteren organisationsstrukturellen Veränderungen hinter den zuvor geäußerten Forderungen und Erwartungen zurück. Zwar wurde die Deutsche Bundespost unterteilt in drei Unternehmensbereiche für Brief-, Telekommunikations- und Postbankdienste, die jedoch in der Rechtsform öffentlicher Unternehmen geführt und durch das übergeordnete Direktorium sowie den fortbestehenden internen Finanzausgleich weiterhin organisatorisch miteinander verbunden bleiben sollten. Als Begründung hierfür dienten die Vorgaben des Grundgesetzes, die schon die Arbeit der »Regierungskommission Fernmeldewesen« maßgeblich vorstrukturiert hatten. Als Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling während der ersten Lesung des »Poststrukturgesetzes« die »Grundlagen« aufzählte, auf denen der Entwurf fuße, nannte er zuallererst »die Beachtung der Bestimmungen des Grundgesetzes« – vor dem Bericht der Witte-Kommission und dem »Grünbuch der Europäischen Gemeinschaft«.461 Während der zweiten Lesung konzedierte SchwarzSchilling dann: »Manchen Gruppen – auch mancher Partei – geht die Reform nicht weit genug.« Auf den zustimmenden Zwischenruf des FDP-Abgeordneten Rainer Funke entgegnete der Minister, »daß es für die Reform einen gesetzlichen Rahmen gab, nämlich das Grundgesetz. Die Reform wäre zum Scheitern verurteilt gewesen, wenn wir diese Rahmenbedingungen nicht beachtet hätten.«462 Mit dem Verweis auf die Vorgaben des Grundgesetzes, die Schwarz-Schilling noch einmal als wichtigste Grundlage der »Postreform« bezeichnete, markierte der Minister zugleich den argumentativen Bezugs- und Orientierungspunkt, von dem aus die Vertreter der Regierungskoalition mehrfach eine Privatisierung und »Zerschlagung« der Deutschen Bundespost ausschlossen, vor der insbesondere Grüne und Gewerkschaftsvertreter gewarnt hatten.463 So sagte der Minis458 VDB, 11. WP, 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6385. 459 Ebd., 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10053. 460 Ebd., S. 10062. 461 VDB, 11. WP, 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6377. 462 Ebd., 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10053. 463 Ebd., S. 10063; Falsche Richtung, in: Wirtschaftswoche, 7.8.1987; K. v. Haaren, Sichert die Post – Rettet das Fernmeldewesen, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Jg. 37, H. 11, 1986, S. 678–687.

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ter vor der Abstimmung im Bundestag noch einmal: »Die Deutsche Bundespost als öffentliches Unternehmen – ich sage das mit ganz besonderer Betonung – bleibt erhalten, so wie es im Grundgesetz festgelegt ist.«464 Zuvor hatte etwa der Unionsabgeordnete Gerhard Pfeffermann bereits festgestellt: »Das Grundgesetz läßt in seiner jetzigen Fassung übrigens eine Privatisierung der Deutschen Bundespost nicht zu«,465 um während der zweiten Lesung noch einmal zu betonen: »Die Post wird weder privatisiert noch zerschlagen.«466 Josef Linsmeier sagte ebenso ausdrücklich, die »Poststrukturreform« werde sich im Rahmen »der Vorgaben des Grundgesetzes bewegen. Es gibt keine Zerschlagung der Deutschen Bundespost; es gibt keine Privatisierung der Post«.467 Vielmehr sei das Ziel, »die Einheit der Deutschen Bundespost zu wahren«.468 2.5 Der »erste Schritt« Schon zu Beginn ihrer Amtszeit hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung die erste »Postreform« mit ihren allgemeinen wirtschaftspolitischen Absichtserklärungen verknüpft, die auf eine »Renaissance« des ordnungspolitischen Denkens und die bestmögliche Förderung ökonomischen Wettbewerbs zielten, vor allem jedoch mit dem Diktum Helmut Kohls von der Rückführung des Staates auf seinen »Kern« verbunden waren. Damit hatte das Kabinett hohe öffentliche Erwartungen geweckt, die sich an den gefassten Beschlüssen zur Neustrukturierung des bundesdeutschen Post- und Fernmeldebereichs brachen. Zwar ermöglichte die Novellierung des »Fernmeldeanlagengesetzes« die Zulassung privater Anbieter für Endgeräte, Dienste und auch Mobilfunk- sowie Satellitennetze. Zugleich blieben jedoch nicht nur die Monopole der Deutschen Bundespost für das terrestrische Netz und den Telefonsprachdienst erhalten. Die Bezeichnung »Daseinsvorsorge«, die auf die Begrenzung des Wettbewerbs im Telekommunikationsbereich verwies, fand sogar Eingang in den Gesetzestext und bestätigte damit hergebrachte staatliche Aufgaben. Die organisatorischen Veränderungen im Bereich der Deutschen Bundespost blieben weitgehend auf die Trennung »hoheitlicher« und »betrieblicher« Aufgabenbereiche beschränkt, die bereits in den sechziger Jahren in Rede gestanden hatte und zudem weder trennscharf noch widerspruchsfrei verlief.469 Eine materielle Privatisierung der drei Unternehmensbereiche für Post-, Telekommunikations- und Bankdienste, die zudem organisatorisch miteinander verbunden blieben, war nicht nur frühzeitig mit Verweis auf die Vorgaben des Grundgesetzes ausgeschlossen worden. 464 VDB, 11. WP, 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10082. 465 Ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6386. 466 Ebd., 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10052. 467 Ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6399. 468 Ebd., S. 10066. 469 Zu den Widersprüchen schon aus zeitgenössischer Sicht: Grande, Monopol, S. 238–244.

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Insbesondere die Mitglieder der Unionsfraktion betonten sogar mehrfach, dass die Deutsche Bundespost nicht privatisiert werde. Die Enttäuschung der an die »Postreform« gerichteten Erwartungen drückten beispielhaft die Kommentare mehrerer Wirtschaftsjournalisten aus, die schon vor der Einbringung des Entwurfs für das »Poststrukturgesetz« in den Deutschen Bundestag spotteten, dessen »von Kompromissen verwässerte[r] Rest«470 sei »nichts Halbes und nichts Ganzes«471 und werde allenfalls zu einem »Reförmchen«472 führen. Der Sachverständigenrat kritisierte, die Reform sei »nur ein zaghafter Schritt«.473 Wernhard Möschel fragte angesichts der hohen Wachstumsraten im Telekommunikationsbereich, die zu einem steigenden Staatsanteil am Bruttosozialprodukt führen würden, spöttisch: »Ist dies mit der Botschaft gemeint, ›den Staat auf den Kern seiner Aufgaben zurückführen‹ zu wollen?«474 Die Vertreter der Regierungskoalition waren demgegenüber einerseits bemüht, den nationalspezifischen Charakter der Reform zu betonen und diese scharf von den vorausgegangenen Maßnahmen in den USA, Japan und Großbritannien abzugrenzen. So nannte Bundespostminister Christian SchwarzSchilling das Vorhaben vor dem Deutschen Bundestag »eine Reform, die einen deutschen Weg zeichnet, indem wir neben dem Wettbewerb die Daseinsvorsorge und die Infrastrukturaufgabe in gleicher Ranghöhe einbezogen haben, was es in keinem Gesetz irgendeines anderen Landes gibt, das wir bisher kennengelernt haben.«475 Sein Fraktionskollege Gerhard Pfeffermann spitzte den Gegensatz zum Ausland noch weiter zu: »Die Bundesregierung geht damit ihren eigenen Weg. Nicht die Zerschlagung wie in den USA, nicht die Privatisierung wie in England, nicht konkurrierende Netze wie in Japan sind unser Vorbild.«476 Zugleich schloss die Bundesregierung weitergehende Reformmaßnahmen andererseits nicht aus, sondern war bestrebt, die »Postreform« in einen längerfristigen Prozess einzuordnen. So legte der Postminister Wert auf die »Ausgewogenheit und das Augenmaß der erarbeiteten Empfehlungen«, die »evolutionär und nicht revolutionär« sein sollten.477 Die Minderheit in der Witte-Kommission wolle »den zweiten, dritten, vierten Schritt vor dem ersten tun. Ich will den ersten großen Schritt gehen.«478 Weitere Maßnahmen waren damit nicht ausgeschlossen, sondern für die Zukunft in Aussicht gestellt.

470 Versierte Verhinderer, in: Wirtschaftswoche, 29.7.1988. 471 Der Kurzschluß des Ministers, in: Die Zeit, 23.9.1988. 472 Ebd.; Das Reförmchen stößt auf Widerstand der Gewerkschaft, in: Handelsblatt, 11.11.1987. 473 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1988, Zf. 246. 474 Die Telekommunikation braucht den Wettbewerb, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.5.1987. 475 VDB, 11. WP, 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6380. Ähnlich: ebd., 137. Sitzung, 20.4.1989, S. 10052. 476 Ebd., 94. Sitzung, 22.9.1988, S. 6385. 477 Neuordnung der Telekommunikation  – Gesamtkonzept und Leitlinien, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 91, 23.9.1987, Zit. S. 786. 478 Mittelweg für die Post, in: Wirtschaftswoche, 18.9.1987.

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Die Debatten um die »Postreform I«, deren Bezeichnung auf die nachfolgenden Reform-»Schritte« in den neunziger Jahren zurückgeht, war zum einen gekennzeichnet durch das Auseinanderdriften von weitreichenden »Entstaatlichungs«-Zielen einerseits und deren Umsetzung andererseits, die nicht nur zögerlich verlief, sondern in Teilen sogar auf die Bestätigung hergebrachter Aufgaben des Staates hinauslief. Zum anderen sollte die erste »Postreform« lediglich den Auftakt darstellen für weitergehende »Entstaatlichungs«-Maßnahmen, die für die Zukunft in Aussicht standen. Damit steht sie beispielhaft für die bundesrepublikanischen »Entstaatlichungs«-Projekte der achtziger Jahre, die den Charakter einer auf Dauer gestellten Verheißung annahmen.

3. Die Verheißung der »Entstaatlichung« Kennzeichnend für die »Entstaatlichungs«-Vorhaben der achtziger Jahre war der Gegensatz von weitreichenden Zielformulierungen der Bundesregierung und deren Umsetzung, die zum einen zögerlich verlief und zum anderen keine strikte Trennung von staatlicher und wirtschaftlicher Sphäre herbeiführte, sondern hergebrachte Aufgaben- und Einflussbereiche des Staates in Teilen sogar bestätigte. In seinen ersten beiden Regierungserklärungen hatte der neue Bundeskanzler Helmut Kohl angekündigt, den Staat »auf den Kern seiner Aufgaben« zurückzuführen, und »Entstaatlichung« damit zu einem vorrangigen politischen Projekt des schwarz-gelben Kabinetts erklärt. Der umfassende Anspruch, der sich mit diesem Vorhaben verband, drückte sich in einem Dreiklang von Zielen aus, welche die Vertreter der Regierungskoalition in den folgenden Jahren vielfach wiederholten. So wollte sich das Kabinett nach eigenem Bekunden nicht auf funktionale Privatisierungen im kommunalen Bereich beschränken, die bereits seit den siebziger Jahren öffentlich diskutiert worden waren, sondern auch die materielle Privatisierung von Beteiligungen des Bundes vorantreiben. Diese sollte sich zudem – im Gegensatz zu den Privatisierungsmaßnahmen der jungen Bundesrepublik – nicht allein auf einzelne Unternehmen, sondern auf alle Beteiligungen des Bundes einschließlich der »Sondervermögen« erstrecken. Schließlich sollte das »Entstaatlichungs«-Projekt neben der Bereitstellungs- auch die Regulierungsdimension umfassen und unter den – teils synonym verwandten – Schlagwörtern »Deregulierung« und »Entbürokratisierung« auf den Abbau von Marktzutrittsbeschränkungen sowie Verwaltungsvorschriften abzielen. Ihre selbsterklärte »Entschlossenheit« dokumentierte die Bundesregierung mit dem noch im Herbst 1983 gefassten Beschluss, den Bundesanteil an der VEBA auf dreißig Prozent zu reduzieren. In zweierlei Hinsicht entfaltete diese erste Teilprivatisierung eine symbolische Wirkung, konnte das Kabinett doch nicht nur eine Zäsur zur Politik der Vorgängerregierung markieren, die um die VEBA einen »nationalen Mineralölkonzern« hatte bilden wollen, sondern auch auf den deutlichen Rückgang des mittelbaren Beteiligungsbesitzes verweisen, da 297

die VEBA-Beteiligung unter die gerichtlich festgelegte Majoritätsgrenze gefallen war und die zahlreichen Tochterfirmen des Konzerns deshalb nicht mehr im Beteiligungsbericht des Bundes auftauchten. Als weiterer Ausweis ihrer Zielstrebigkeit galt der Bundesregierung das im Frühjahr 1985 vorgelegte »Gesamtkonzept zur Beteiligungspolitik«, das nicht nur das erste beteiligungspolitische Konzeptpapier in der bundesrepublikanischen Geschichte darstellte, sondern die vorgenannten »Entstaatlichungs«-Ziele zudem nochmals bündelte und sogleich mit einem »Schwerpunktprogramm« von dreizehn zur Privatisierung vorgesehenen Beteiligungsunternehmen verbunden war. Zugleich aber wurde spätestens mit der Verabschiedung des Gesamtkonzepts sichtbar, dass die weitreichenden »Entstaatlichungs«-Ziele der Bundesregierung und deren Umsetzung zunehmend auseinanderdrifteten. Zwar erfolgte der Beschluss zur Teilprivatisierung der VEBA, der die Zielstrebigkeit der Bundesregierung beglaubigen sollte, bereits im Herbst 1983. Als das Bundeskabinett schließlich im Frühjahr 1985 seine beteiligungspolitische Gesamtkonzeption vorlegte, war jedoch bereits die Hälfte der Legislaturperiode vergangen. Besonders augenfällig wird die Tendenz, die »Entstaatlichungs«-Vorhaben zu verlangsamen und zu verzögern, mit Blick auf die »Postreform I«. Obwohl der Bundeskanzler schon bei Amtsantritt des neuen Kabinetts Umstrukturierungen im Bereich des Postund Fernmeldewesens in Aussicht gestellt hatte, dauerte es bis Mai 1985, ehe das Kabinett die »Regierungskommission Fernmeldewesen« unter der Leitung von Eberhard Witte bestellte, die im Laufe von zwei Jahren eine valide Grundlage für die nachfolgenden Reformdiskussionen erarbeiten sollte. Zu einem (vorläufigen) Abschluss kamen die Auseinandersetzungen um die Zukunft des Postund Fernmeldewesens dann im Sommer 1989. Die Verzögerung der angekündigten »Entstaatlichungs«-Vorhaben hatte auch eine sprachliche Dimension, die sich nicht nur in dem dilatorischen Verweis der Bundesregierung auf das ausstehende Gutachten der Witte-Kommission manifestierte. So beschränkte sich das Kabinett beispielsweise in seinem »Schwerpunktprogramm« auf die Formulierung von »Vorhaben«, »Absichten« oder »Aufträgen«, die einen zukünftigen Zeithorizont aufspannten, ohne jedoch einen konkreten Veräußerungszeitpunkt zu nennen. Mit der Veröffentlichung des beteiligungspolitischen Gesamtkonzepts zog sich das Kabinett zudem an den Topos der Einzelfallprüfung zurück, von dem aus sich Verzögerungen im Verfahrensablauf begründen ließen. Die Rede von der fortdauernden Prüfungsbedürftigkeit des Einzelfalls, die schon während der Debatten um funktionale Privatisierungen im Laufe der siebziger Jahre einen diskursiven Knotenpunkt gebildet hatte, verwies auf einen zeitlich nicht eingrenzbaren, unabgeschlossenen und ergebnisoffenen Prozess, waren doch die Fragen, wann mit der Veräußerung von Aktienanteilen des Bundes begonnen werden könne und in welchem Umfang dessen Beteiligungen reduziert werden könnten, als Gegenstand andauernder Untersuchungen deklariert. Darüber hinaus ließ sich die Redefigur auf der Bezeichnungsebene mit deutungsbedürftigen Wortpaaren verbinden, die entweder der Bundeshaushaltsordnung oder früheren Privatisierungs­diskussionen 298

entstammten oder vom Bundeskabinett selbst in die Debatte eingebracht worden waren. Aufgrund ihrer semantischen Offenheit verliehen diese Wortpaare den Verweisen auf die Prüfungsbedürftigkeit im Einzelfall umso größere Plausibilität, waren doch weder das »wichtige Bundesinteresse« oder die »öffentlichen Aufgaben« noch die »staatlichen Belange« der einzelnen Bundesbeteiligungen grundsätzlich und trennscharf definiert. Da die Wortpaare also nicht mit konkreten Bedeutungsbeständen ausgestattet waren, bestand eine umso größere Notwendigkeit, deren semantischen Gehalt im einzelnen Fall verbindlich festzulegen. Deutungsbedürftig war auch die Wortverbindung »Daseinsvorsorge«, die in den »Entstaatlichungs«-Debatten der achtziger Jahre einen hohen argumentativen Gebrauchswert erreichte. Während der NS-Zeit von Ernst Forsthoff als verwaltungsrechtlicher Begriff eingeführt, blieb »Daseinsvorsorge« auch im bundesrepublikanischen Sprachhaushalt als Bezeichnung für staatliche Versorgungsaufgaben enthalten und fand als solche beispielsweise in den Privatisierungsdiskussionen der siebziger Jahre Verwendung. Während der achtziger Jahre war die Wortverbindung insbesondere in den Debatten um die Zukunft des bundesdeutschen Post- und Fernmeldewesens gebräuchlich. Die entschiedenen Gegner der Reform mahnten dabei die Rücksichtnahme auf hergebrachte staatliche Pflichten an, während die Befürworter einer umfassenden Deregulierung des Telekommunikationssektors auf die Uneindeutigkeit der Rede von der »Daseinsvorsorge« hinwiesen und sie in ihrem Sinne umzudeuten versuchten. Für die Regierungskoalition schließlich diente die Bezeichnung »Daseinsvorsorge«, die als »öffentliche Aufgabe« sogar Eingang in das »Poststrukturgesetz« fand, der sprachlichen Begrenzung einer umfassenden Deregulierung im Fernmeldebereich. Doch erwies sich das Wort nicht nur im Falle der »Postreform« als brauchbar, um gegen eine umfassende »Entstaatlichung« zu argumentieren und staatliche Aufgabenbereiche zu bestätigen. So legte etwa der CSU-Bundestagsabgeordnete Erich Riedl Wert auf die Feststellung, dass auch die Deutsche Lufthansa »mit dem Fluglinienverkehr Aufgaben staatlicher Daseinsvorsorge« erfülle.479 Dabei konnte er sich auf eine gleichlautende Äußerung des Staatssekretärs beim Bundesverkehrsministerium vom August 1983 berufen.480 Die Diskrepanz zwischen verheißungsvoller Ankündigung und zögerlicher Umsetzung ist bemerkenswert, zumal die schwarz-gelbe Bundesregierung auch im Bundesrat über eine stabile Mehrheit verfügte. Widerstand gegen die Pläne des Bundeskabinetts formierte sich jedoch vor allem in den Reihen der Union, wo die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) frühzeitig gegen die »Entstaatlichungs«-Vorhaben Front machte. Vornehmlich wirtschaftspolitisch motiviert war der Widerstand einzelner Bundesländer. Insbesondere der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß stellte sich einer weitreichenden Privatisierung der Deutschen Lufthansa vehement entgegen, da er Nachteile für 479 VDB, 10. WP, 128. Sitzung, 27.3.1985, S. 9445. 480 BT-Drucksache X/320, S. 23.

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die überwiegend in Bayern ansässigen Firmen der bundesdeutschen Luftfahrtindustrie befürchtete. Wirtschaftspolitische Interessen standen auch hinter der erklärten Absicht der niedersächsischen Landesregierung, auf ihrer Minderheitsbeteiligung an der Volkswagen AG zu bestehen, die das Land seit der ersten VW-Teilprivatisierung Anfang der sechziger Jahre hielt. Im Zuge der Auseinandersetzungen um die erste »Postreform« konnten die Bundesländer über den Bundesrat schließlich die Einrichtung eines »Infrastrukturrates« erwirken, über den sie an der künftigen Ausgestaltung des Fernmeldebereichs beteiligt waren. Die Einflussnahme der Bundesländer wirkte sich – ebenso wie die dargestellten sprachlichen Faktoren – somit unmittelbar auf den materiellen Gehalt der gefassten Beschlüsse aus. Bis zum Ende der achtziger Jahre veräußerte der Bund allein seine Anteile an den Konzernen VEBA und VIAG vollständig, während er beispielsweise Volkswagen und Lufthansa – um hier nur die umsatzstärksten Unternehmen zu behandeln – lediglich teilprivatisierte. Der Bundesanteil an der Volkswagen AG verringerte sich 1985 zunächst von zwanzig auf circa 14 Prozent, ehe er 1988 schließlich vollständig abgetreten wurde. Das Land Niedersachsen hingegen behielt seine Sperrminderheit von zwanzig Prozent.481 Bei der Lufthansa AG kam die Verringerung der Bundesanteile auf rund fünfzig Prozent lediglich dadurch zustande, dass der Bund auf seine Beteiligung an der im Juli 1989 beschlossenen Kapitalerhöhung verzichtete. Nimmt man den Aktienbesitz der Bundesländer Bayern und Hessen hinzu, lag der öffentliche Anteil am Luftfahrtunternehmen zu diesem Zeitpunkt sogar bei rund 65 Prozent.482 Für die Deutsche Bundespost wiederum war eine materielle Privatisierung bereits mit Einberufung der Witte-Kommission unter Verweis auf die Bestimmungen des Grundgesetzes ausgeschlossen worden. Das Reformwerk blieb demnach auf eine formale Privatisierung durch Umwandlung der Deutschen Bundespost in drei miteinander verbundene Unternehmen des öffentlichen Rechts beschränkt. Das Etikett »Privatisierung« wollten die Vertreter der Regierungskoalition der ersten »Postreform« allerdings ausdrücklich nicht anheften. Auch mit Blick auf die Regulierungsdimension zeigt sich ein Widerspruch zwischen den weitreichenden Zielankündigungen der Bundesregierung und deren Umsetzung. Die Zulassung privater Rundfunksender483 sowie die Börsenreform des Sommers 1989 bildeten hier die Ausnahmen von der Regel. Die Börsengesetznovelle schuf die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Einrichtung einer Terminbörse und die Voraussetzungen für den Zugang ausländischer Wertpapiere, die bereits an einer anderen Börse innerhalb der Europäischen Gemeinschaft gehandelt worden waren.484 Mit der ersten »Postreform« wiederum war auf dem Telekommunikationssektor zwar die Zulassung privater Anbieter für Dienste und sämtliche Endgeräte sowie als Betreiber von Mobilfunk481 Zohlnhöfer, Wirtschaftspolitik, S. 168–170; Knauss, Entscheidungen, S. 174–175. 482 Bozdag-Yaksan, S. 130–132. 483 Bösch, Macht. 484 Rudolph, S. 340–342.

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und Satellitennetzen verbunden. Zugleich jedoch bestätigten die Beschlüsse die staatlichen Monopole für das Festnetz sowie den Telefonsprachdienst. Eine »Deregulierungskommission«, die allgemeine Vorschläge zum Abbau von Marktzutrittsbeschränkungen erarbeiten sollte, setzte das Kabinett im Dezember 1987 ein. Ein erster Teilbericht lag demzufolge erst im Frühjahr 1990 vor.485 Die Bemühungen zur »Entbürokratisierung«, die mit der öffentlichkeitswirksamen Einberufung der Waffenschmidt-Kommission begonnen hatten, blieben auf die Verabschiedung sogenannter »Rechtsbereinigungsgesetze« beschränkt.486 Das zunehmende Auseinanderdriften von weitreichenden Zielankündigun­ gen und deren zögerlicher, schleppender Umsetzung begünstigte die fort­ dauernde Manifestation der Begründungszusammenhänge, in die das politische Projekt der »Entstaatlichung« eingepasst war. Einerseits zielte die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung auf eine »Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft« durch die Rückbesinnung auf die ordnungspolitischen Weichenstellungen der jungen Bundesrepublik. Das Wortpaar »Soziale Marktwirtschaft« avancierte dabei nicht allein zu einer erinnerungspolitischen Chiffre, mit der sich an die idealisierte Vergangenheit der Gründungsjahre anknüpfen ließ. Vielmehr ging es um eine Revitalisierung der ordoliberalen Grundannahmen, in denen der theoretische Gehalt der »Sozialen Marktwirtschaft« wurzelte. Hierzu gehörte zuallererst die konstitutive Trennung staatlicher und wirtschaftlicher Zuständigkeitsbereiche, welche die Metapher des »Rahmens« plausibilisierte. Zugleich galt die Rückbesinnung auf die staatliche Aufgabe der »Rahmensetzung« als Ermöglichungsbedingung für den Wettbewerb als Modus wirtschaftlichen Handelns, der seit den siebziger Jahren nicht mehr als statisch und gleichgewichts­orientiert, sondern als dynamisch, experimentell und unvorhersehbar verstanden wurde. Dieser Bedeutungswandel des ökonomischen Begriffs von »Wettbewerb« war eingebettet in einen diskursiven Wandlungsprozess, in dessen Verlauf sich das Ideal der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gesellschaftlicher Funktionsbereiche und sozialer Organisationsformen  – und damit auch der Wirtschaft als Kollektivsiubjekt – Bahn brach. Schließlich erweiterte sich am Ausgang der siebziger Jahre auch der semantische Bezugsrahmen des Wortes »Wettbewerb«, mit dem sich nicht mehr nur die Interaktion von Wirtschafts­subjekten und Marktteilnehmern, sondern auch das Verhältnis nationaler Volkswirtschaften beschreiben ließ. Insbesondere für die Debatten um die Reform des bundesdeutschen Post- und Fernmeldewesens war die Selbstverortung der bundesrepublikanischen Wirtschaft im internationalen »Standortwettbewerb« prägend. Das Nebeneinander von Revitalisierung und Revision verlieh dem »Entstaatlichungs«-Projekt zugleich eine spezifische temporale Struktur, richtete sich dieses doch einerseits auf die idealisierte Vergangenheit der jungen Bundes­republik, an deren ordnungspolitische Weichenstellungen es anzuschließen galt. Andererseits verband sich mit dem Ziel der »Entstaatlichung« das Versprechen auf 485 Deregulierungskommission. 486 Zohlnhöfer, Wirtschaftspolitik, S. 168.

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eine Zukunft, in der auf der Grundlage einer trennscharfen Unterscheidung staatlicher und wirtschaftlicher Zuständigkeitsbereiche ökonomischer Wettbewerb – befreit von staatlichen »Fesseln« – dynamischer, innovativer und damit wohlstandsfördernder ablaufen würde. Auf eine solche Zukunft verwiesen auch die Mitglieder der Regierungskoalition, wenn sie beispielsweise die Reform des Post- und Fernmeldewesen als »ersten großen Schritt« bezeichneten, auf den weitere folgen würden. Da die formulierten Ziele und deren Umsetzung im Laufe der achtziger Jahre auseinanderklafften, geriet »Entstaatlichung« zu einem (noch) uneingelösten Versprechen – zu einer auf Dauer gestellten Verheißung. Deren andauernde Beschwörung festigte jedoch die rahmenden Begründungszusammenhänge der »Entstaatlichungs«-Politik, mit denen sich zukünftige Maßnahmen flankieren und legitimieren ließen.

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Schluss Ausgehend von der Gegenwartsdiagnose einer staatlichen »Selbstentmachtung« erzählt diese Studie die Geschichte der langfristigen Reformulierung und Umdeutung staatlicher Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche in der alten Bundesrepublik. Ihre Spurensuche nach den Entstehungsbedingungen der heute vielfach beklagten »Staatsvergessenheit«,1 die sich auf die Begründungsweisen der wirtschaftlichen Staatsaufgaben richtet und zeitlich bis in die Gründungsjahre der Republik ausgreift, schärft den Blick für die spezifische Entwicklung der bundesdeutschen Wirtschaftsverfassung. Denn angesichts der frühzeitigen Veräußerung von Anteilen an der Preussag, am Volkswagenwerk und an der VEBA darf die Bundesrepublik nicht nur als das »Mutterland großer Privatisierungen« gelten.2 Die drei großen Privatisierungsvorhaben der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre standen vielmehr einem weltweit zu beobachtenden Trend zur Verstaatlichung entgegen, der – gemessen an der Zahl der verabschiedeten Gesetzesvorhaben – erst am Beginn der siebziger Jahre seinen Höhepunkt erreichte.3 In diese Entwicklung ordneten sich auch die westeuropäischen Nachbarländer der jungen Bundesrepublik ein. Unter dem sozialdemokratischen Premierminister Clement Attlee überführte etwa die britische Regierung seit Ende der vierziger Jahre zahlreiche Unternehmen aus unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen in staatliches Eigentum – darunter die Zentralbank, den Kohlebergbau, die Elektrizitäts- und Gaswirtschaft, Eisenbahn und Luftfahrt, das Funk- und Fernmeldewesen sowie die Eisen- und Stahlindustrie. Auch die Konservativen machten diese Maßnahmen in den fünfziger Jahren nicht rückgängig.4 Zwar blieb der industrielle Sektor in Frankreich weitgehend in privatem Besitz, doch stand auch die Vierte Republik im Zeichen umfassender Verstaatlichungsmaßnahmen, die sogar die Präambel der Verfassung vorsah und die das Finanz-, Banken- und Versicherungswesen, den Bergbau und Transportbereich sowie die Elektrizitäts- und Gaswirtschaft betrafen.5 In Italien war die unmittelbare Nachkriegszeit nicht durch Verstaatlichungsbestrebungen gekennzeichnet. Jedoch trug der 1953 gegründete staatliche Energiekonzern ENI, der seinen Einflussbereich auch auf das 1 Engartner u. Laschet, S. 103. 2 Knauss, Privatisierung, S. 142. 3 Vgl. Mayer, S. 31–32. 4 Gleichwohl war die Bank of England die einzige zu diesem Zeitpunkt noch private Zentralbank auf dem europäischen Kontinent. Hannah, S. 88; Geppert, Krankheit, S. 56–57; Millward, Britain, S. 158, 163–168; Brüggemeier, S. 226–227; Mergel, Großbritannien, S. 55–57; Mayer, S. 38. 5 Chadeau, S. 188–189; Mayer, S. 42–43.

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Bau- und Transportwesen sowie den Fernmeldebereich ausdehnte, maßgeblich zur Erweiterung des öffentlichen Unternehmensbesitzes bei. Hinzu kam die zu Beginn der sechziger Jahre durchgeführte Verstaatlichung der Elektrizitätswirtschaft, die fortan im neu gegründeten Konzern ENEL zusammengefasst war.6 Die bundesrepublikanische Beteiligungspolitik hingegen entzog sich der internationalen Entwicklung und steuerte auf eine Privatisierung der großen industriellen Erbschaften aus der Zeit des »Dritten Reiches« zu, als die westeuropäischen Nachbarn private Unternehmen erst in öffentlichen Besitz überführten. Zwar zogen sich Bund und Länder keineswegs vollständig aus ihren Industriebeteiligungen zurück und behielten beträchtliche Stimmrechte in den Hauptversammlungen der teils neu geschaffenen Aktiengesellschaften. Die drei großen Privatisierungsvorhaben der bundesrepublikanischen Gründungsphase dienten jedoch der Selbstvergewisserung über das Wirtschaftsordnungsmodell des noch jungen westdeutschen Staates, für das sich das Wortpaar »Soziale Marktwirtschaft« als Bezeichnungsform etabliert hatte. Auf den Anspruch, die neue, auf dem theoretischen Fundament des Ordoliberalismus errichtete Wirtschaftsordnung zu bestätigen, verwies insbesondere das Etikett der »sozialen Privatisierung«, das für die Verknüpfung der ordnungspolitisch motivierten Trennung staatlicher und wirtschaftlicher Zuständigkeitsbereiche mit dem gesellschaftspolitischen Ziel der Eigentumsbildung stand. Ihr affirmativer Charakter und das ordnungspolitische Fundament kennzeichneten die Privatisierungsmaßnahmen der jungen Bundesrepublik, deren Wirtschaftsordnung es in den Worten Ludwig Erhards gegen »jede Art von bürokratischem Dirigismus und staatlicher Befehlswirtschaft«7 zu profilieren galt. Im Laufe der sechziger Jahre endete die erste Entstaatlichungsphase. Aufgrund ihrer überwiegend schlechten wirtschaftlichen Lage kamen die übrigen industriellen Beteiligungsunternehmen des Bundes nicht für Privatisierungen infrage. Zudem verlagerte die Bundesregierung ihren vermögenspolitischen Schwerpunkt und vollzog zugleich die Hinwendung zu einer aktiven Konjunktur- und Wachstumspolitik, mit der eine Veränderung des politischen Bedingungsgefüges einherging. Auf Bundesebene folgte eine Verstaatlichungsphase, die durch die Zunahme öffentlicher Aufgabenbereiche und Unternehmensbeteiligungen gekennzeichnet war. Vordergründig schloss sich die Bundesrepublik somit dem internationalen Trend zur Ausweitung staatlicher Einflussbereiche und Besitzbestände an, der sich in den Nachbarstaaten fortsetzte. Zu einem wesentlichen Faktor insbesondere der italienischen und der britischen Beteiligungspolitik avancierten dabei öffentliche Holdinggesellschaften, die den unternehmerischen Staatsbesitz durch gezielten Zukauf ausweiteten. Die französischen Regierungen setzten vornehmlich auf die wirtschaftspolitische Instrumentalisierung öffentlicher Unternehmen und waren seit den sechziger Jahren

6 Amatori, S. 130–132; Mayer, S. 48–49. 7 Erhard, S. 201.

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um die Bildung nationaler »champions« bemüht, wie sie in Großbritannien und Italien beispielsweise im Energiesektor mit BP und ENI bereits bestanden.8 Die bundesrepublikanische Verstaatlichungstendenz hingegen ist vornehmlich durch das Fehlen einer beteiligungspolitischen Konzeption der Bundesregierungen gekennzeichnet. Zwar galten auch die Unternehmen des Bundes seit der zweiten Häfte der sechziger Jahre als »Instrument[e] der Strukturpolitik und der Konjunkturbeeinflussung«,9 deren Aufgabenbeschreibung mithin durchaus den französischen Vorstellungen von wirtschaftspolitischer »Planung« entsprach.10 Doch ließen die Bundeskabinette dieser allgemeinen Definition kaum konkrete Maßnahmen folgen. Auch die von SPD-Finanzminister Alex Möller formulierten Pläne zur Zusammenführung der Industriebeteiligungen des Bundes unter dem Dach einer »Bundesholding«, die etwa mit den italienischen oder britischen Holdinggesellschaften vergleichbar gewesen wäre, verwarf das Kabinett bereits nach kurzer Zeit. So betrieben die Unternehmen im unmittelbaren Besitz des Bundes – insbesondere die Konzerne VEBA und Salzgitter sowie die Saarbergwerke – in Eigenregie eine umfangreiche Diversifikationspolitik, die sie an ihren wirtschaftlichen Zielen ausrichteten. Der dadurch verursachte Anstieg des mittelbaren Beteiligungsbesitzes seit den frühen sechziger Jahren war also weniger das Ergebnis politischer Bemühungen der Bundesregierungen als vielmehr die Folge ihrer grundsätzlichen beteiligungspolitischen Zurückhaltung. Zugleich bemühte sich die sozial-liberale Regierungskoalition seit den frühen siebziger Jahren um die Bildung eines »nationalen Mineralölkonzerns«, dessen Konzeption sich wiederum am Vorbild ausländischer Staatskonzerne orientierte und der durch die Fusion der deutschen im Mineralölbereich tätigen Unternehmen geschaffen werden sollte. Dabei kam es zwar lediglich zum Zusammenschluss der VEBA mit der Gelsenberg. Doch investierte das Bundeskabinett rund siebenhundert Millionen DM in die Fusion, die zudem den Aktienanteil des Bundes an der zuvor teilprivatisierten VEBA wieder ansteigen ließ. Außer der allgemeinen beteiligungspolitischen Passivität der Bundesregierungen trugen schließlich insbesondere die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in die der VEBAKonzern nach der Gelsenberg-Übernahme geriet, zum Abschied vom ursprünglichen Plan eines »nationalen Mineralölkonzerns« bei. Darüber hinaus standen die siebziger Jahre in der Bundesrepublik nicht allein im Zeichen des wachsenden Bundesbeteiligungsbesitzes. In der Mitte der Dekade stieß der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium eine grundsätzliche Debatte über die Begrenzung staatlicher Aufgabenbereiche an, die über wissenschaftliche Kommunikationszusammenhänge hinaus auch unter 8 Amatori, S. 147–152; Millward, Britain, S. 168–170; Chadeau, S. 190–191, 197–199; Mayer, S. 39–40, 43–44, 47–48. 9 Die Entwicklung der Bundesunternehmen, in: Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik, Nr. 95, 1967, Zit. S. 3. 10 Zum deutsch-französischen Austausch über »indikative Planung«: Nützenadel, Stunde, S. 214–222.

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den politischen Entscheidern und in der massenmedialen Öffentlichkeit auf Resonanz stieß. Die Auseinandersetzungen, die um Möglichkeiten der funktionalen Privatisierung im kommunalen Bereich kreisten und stets auf das »strukturelle« Defizit der öffentlichen Haushalte bezogen blieben, reflektierten die zuvor erfolgten Privatisierungsmaßnahmen auf kommunaler Ebene, die mithin der Annahme einer umfassenden Tendenz zur Verstaatlichung entgegenstehen. Mit den Privatisierungsdebatten der siebziger Jahre bahnten sich in der Bundesrepublik außerdem bereits die »Entstaatlichungs«-Vorhaben der nachfolgenden Dekade(n) an, die den vormaligen Trend zur Verstaatlichung von Unternehmensbesitz nachhaltig umkehrten. Zu einem Vorreiter dieser international zu beobachtenden Entwicklung11 avancierte zweifellos Großbritannien, wo die konservativen Regierungen unter Führung von Premierministerin Margaret Thatcher zwischen den späten siebziger und den frühen neunziger Jahren insgesamt vierzig Staatsbetriebe im Wert von rund 33 Milliarden Pfund Sterling in privates Eigentum überführten. Der Anteil öffentlicher Unternehmen am Bruttoinlandsprodukt fiel dadurch im selben Zeitraum von 6,1 auf 1,9 Prozent.12 Eine vergleichbare Führungsrolle wiesen schon die Zeitgenossen auch den Vereinigten Staaten unter der Präsidentschaft Ronald Reagans zu, wo der ökonomische Einfluss des Staates aber traditionell gering war und sich kein einziger Großkonzern in öffentlichem Besitz befand.13 Die französische Beteiligungspolitik war im Laufe der achtziger Jahre starken Wandlungen unterworfen. Nachdem die sozialistisch-kommunistische Regierungskoalition Verstaatlichungen im Bereich des Bankenwesens und zahlreicher Industrieunternehmen veranlasst hatte, führte das »bürgerliche« Bündnis aus Gaullisten und Liberalen in den Jahren 1986 bis 1988 umfangreiche Privatisierungen durch, deren Schwerpunkt ebenso auf den Industrieunternehmen und staatlichen Banken lag. In Italien wiederum blieb der öffentliche Unternehmensbesitz bis auf wenige Ausnahmen im Laufe der achtziger Jahre unangetastet.14 Kennzeichnend für die bundesrepublikanischen »Entstaatlichungs«-Bemühungen dieser Dekade war das Auseinanderdriften von weitreichenden Ankündigungen und deren zögerlicher, schleppender Umsetzung. So blieben die ergriffenen Maßnahmen und gefassten Beschlüsse hinter der ambitionierten Ankündigung des neuen Bundeskanzlers Helmut Kohl zurück, den Staat »auf den Kern seiner Aufgaben« zurückzuführen. War schon im Zuge der frühen Privatisierungsmaßnahmen an der Schwelle zu den sechziger Jahren eine umfangreiche öffentliche Beteiligung sowohl am Volkswagenwerk als auch an der VEBA sowie der Preussag erhalten geblieben, beschränkten sich auch die »Entstaatlichungs«Maßnahmen der achtziger Jahre zunächst auf Teil-Privatisierungen. Lediglich 11 Vgl. Bellini, S. 25–26; Mayer, S. 32–34; Privatization Barometer. 12 Hannah, S. 98; Geppert, Krankheit, S. 51–52; Bellini, S. 27. 13 Ausführlich: Schanetzky, Abschied. 14 Chadeau, S. 189–190, 201–205; Bellini, S. 34–35; Amatori, S. 133; Mayer, S. 33, 103–128, 159– 170.

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die Staatsbeteiligungen an der VEBA sowie der VIAG wurden bis zum Ende der Dekade vollständig veräußert, während für die Deutsche Bundespost eine materielle Privatisierung frühzeitig ausgeschlossen worden war und öffentliche Anteile am Volkswagenwerk und der Lufthansa erhalten blieben. Die Deregulierungsbemühungen kamen in den achtziger Jahren nicht über die Einführung des privaten Rundfunks, die eingeschränkte Börsenzulassung ausländischer Wertpapiere, den Abbau einzelner Monopole im Telekommunikationsbereich und die Einsetzung einer für Marktzutrittsfragen zuständigen Kommission hinaus. Vordergründig ist die Diskrepanz von Ankündigung und Umsetzung auf den vergleichsweise geringen bundesrepublikanischen Beteiligungsbesitz zurückzuführen, betrug doch das privatisierungsfähige Vermögen des Bundes in den achtziger Jahren gerade einmal rund sechseinhalb Milliarden DM – damit waren beispielsweise allein die Erlöse der in Großbritannien durchgeführten Privatisierungen rund zehnmal so hoch. Die vorliegende Studie kann der spezifischen Genese wirtschaftlicher Staatsaufgaben in der Bundesrepublik, die sich nicht bruchlos in internationale Trends einfügt, genauer nachgehen, indem sie die staatliche Bereitstellungsfunktion in ihrer langfristigen Entwicklung, ihrem Wechselverhältnis zur Regulierungsfunktion sowie mit Blick auf die Definitionen und Begründungsweisen der wirtschaftlichen Staatstätigkeit ausleuchtet. Über den ausgedehnten Untersu­ chungszeitraum ließen sich sowohl die Ursprünge und Kontinuitätslinien der wirtschaftlichen Staatsaufgaben in der Bundesrepublik als auch deren Bruchstellen erkunden. So wurde der schon frühzeitg eingeschlagene Privatisierungsweg in den sechziger und siebziger Jahren unterbrochen, als sich auch die Bundes­ republik mit der Erweiterung insbesondere des mittelbaren Bundesbeteiligungsbesitzes und dem Vorhaben zum Aufbau eines »nationalen Mineralölkonzerns« zunehmend am international zu beobachtenden Trend zur Verstaatlichung orientierte, wenn auch die Gründung einer koordinierenden staatlichen Holdinggesellschaft nach italienischem oder britischem Vorbild ebenso wie eine weitreichende wirtschaftspolitische Instrumentalisierung von Bundesunterneh­ men ausblieb. Die frühen Privatisierungen an der Schwelle zu den sechziger Jahren leiteten also mitnichten einen teleologischen Prozess der »Ent-Staatlichung« ein, in dessen Verlauf staatliche Unternehmensbeteiligungen und Aufgabenbereiche sukzessive abgebaut worden wären. Wenn die Zunahme des Unternehmensbesitzes auch vorwiegend der Passivität der Bundesregierungen geschuldet war und die »Re-Staatlichung« der VEBA in eine spezifische, kontextgebundene Problemwahrnehmung eingepasst blieb, zeigt die Entwicklung des Bundes­beteiligungsbesitzes in den sechziger und siebziger Jahren doch, dass die zuvor eingeschlagene Entstaatlichungstendenz weder unumkehrbar noch ohne Alternative war. Zudem standen die siebziger Jahre nicht allein im Zeichen einer Tendenz zur Verstaatlichung auf Bundesebene, sondern auch einer Diskussion über die Möglichkeiten funktionaler Privatisierungen im kommunalen Bereich, deren Betrachtung hilft, das beteiligungspolitische Bild dieses Jahrzehnts genauer und 307

differenzierter zu zeichnen. Indem die vorliegende Studie im Rahmen einer langfristigen Untersuchung die Doppelgesichtigkeit dieser Dekade sichtbar macht, die sich aus der Gleichzeitigkeit von Verstaatlichung und neuer Privatisierungsdiskussion ergibt, rückt sie die siebziger Jahre stärker ins analytische Zentrum, statt deren Funktion als Umbruchphase vorauszusetzen. Die neue Privatisierungsdiskussion der siebziger Jahre fungierte zugleich als Bindeglied zwischen den Entstaatlichungsphasen in der frühen Bundesrepublik sowie in den achtziger Jahren. Nachdem die großen Privatisierungsvorhaben der fünfziger und sechziger Jahre insbesondere der Selbstvergewisserung über die »Soziale Marktwirtschaft« als Wirtschaftsordnung des jungen westdeutschen Staates gedient hatten, stellte das schwarz-gelbe Bundeskabinett in den achtziger Jahren seine umfassenden »Entstaatlichungs«-Ziele unter dem Leitspruch der vielfach beschworenen »Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft« ausdrücklich in die Tradition der ordnungspolitischen Weichenstellungen in der bundesrepublikanischen Gründungsphase. Dabei ging es allerdings nicht bloß um personenzentrierte Erinnerungspolitik. Vielmehr sollte die ordnungspolitische Wiedergeburt an das Ideengeflecht des Ordoliberalismus anknüpfen, in dem die theoretische Konzeption der »Sozialen Marktwirtschaft« wurzelte. Die Grundannahmen dieser deutschen Spielart des »Neoliberalismus«, wonach der Staat als konstitutives Außen des Wirtschaftsgeschehens dessen kompetitiven und zugleich regelgeleiteten Ablauf zu garantieren hatte, blieben auch in den achtziger Jahren wirkmächtig, strukturierten wirtschaftspolitische Debatten und Zielformulierungen. Angesichts dieser ausgeprägten Kontinuitätslinien ist mit Blick auf die Bundesrepublik weder eine scharfe Zäsur in den siebziger Jahren festzustellen, die vollkommen neuartigen Leitvorstellungen zum Durchbruch verholfen hätte, noch ist davon auszugehen, dass bereits am Ausgang dieser Dekade eine anglo-amerikanische, staatsfeindliche und marktradikale Variante des »Neoliberalismus« gleich einem Modell auch auf dem europäischen Kontinent uneingeschränkt Platz gegriffen hätte. In der Bundesrepublik behielten Denkmuster zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft ihre Prägekraft, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts wurzelten und sich bereits in der Gründungsphase des westdeutschen Staates verfestigt hatten. Gewiss wiesen die beiden Entstaatlichungsphasen der alten Bundesrepublik auch Unterschiede auf, die sowohl deren semantische Rahmung als auch den inhaltlichen Umfang der Vorhaben betreffen. Semantisch changierten die »Entstaatlichungs«-Vorhaben der achtziger Jahre zwischen der erwähnten Revitalisierung der »Sozialen Marktwirtschaft« und der Revision wirtschafts- und wettbewerbstheoretischer Überlegungen. So zielte die vielbeschworene »Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft« nicht allein auf eine präzise Reproduktion, hatten sich doch die Annahmen über die Merkmale und Bedingungen marktwirtschaftlicher Abläufe, die durch die staatliche »Rahmenordnung« zu garantieren waren, gewandelt. Als wesentliche Kennzeichen ökonomischer Prozesse galten seit den siebziger Jahren nicht mehr Statik, Ausgleich und Gleichgewicht, sondern Dynamik und Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität, durch 308

die sich außer einzelnen Unternehmen und Marktteilnehmern auch »die« Wirtschaft als Kollektivsubjekt respektive der im internationalen Wettbewerb befindliche deutsche »Wirtschaftsstandort« auszeichnen sollten. Mit dieser diskursiven Transformation ging ein Bedeutungswandel des ökonomischen Begriffs von »Wettbewerb« einher. Hatten die ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen der bundesrepublikanischen Frühphase noch auf dem Ideal der »vollständigen Konkurrenz« gefußt, musste diese Vorstellung, die sich an der Denkfigur eines dauerhaften ökonomischen Gleichgewichts orientierte, bereits im Laufe der sechziger Jahre einem dynamischeren Verständnis von »Wettbewerb« weichen, das eng an »gesamtwirtschaftlichen« Orientierungsgrößen ausgerichtet war. Wie im Laufe der siebziger Jahre der Anspruch einer umfassenden politischen Steuerung wirtschaftlicher Prozesse zunehmend in Misskredit geriet, verlor auch dieses Konzept des »funktionsfähigen Wettbewerbs« in den politischen, wissenschaftlichen und publizistischen Debatten der Bundesrepublik an Plausibilität. Die »Entstaatlichungs«-Debatten der achtziger Jahre waren in der Folge ausgerichtet an einem Verständnis von »Wettbewerb«, das nachhaltige Impulse aus der internationalen wirtschaftswissenschaftlichen Forschung empfing und »Wettbewerb« als einen dynamischen, Wissen produzierenden und unvorhersehbare, »spontane Ordnungen« generierenden Modus wirtschaftlichen Handelns dachte. Dass das politische Projekt der »Entstaatlichung« semantisch changierte zwischen der Rückbesinnung auf die staatlichen Aufgaben der »Rahmensetzung« sowie der Ermöglichung ökonomischen Wettbewerbs einerseits und der Umdeutung ökonomischer Vorgänge andererseits, verweist außerdem auf dessen ordnungspolitischen Schwerpunkt. Die Privatisierungen der jungen Bundesrepublik waren explizit nicht allein als ordnungspolitische, sondern auch als gesellschaftspolitische Projekte mit dem Ziel der Eigentumsbildung in breiten Bevölkerungsschichten ausgeflaggt. Die Diskussionen um funktionale Privatisierungen in den siebziger Jahren wiederum entstanden vor dem Hintergrund des »strukturellen« Defizits der öffentlichen Haushalte, das der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium in seinem initiatorischen Gutachten problematisierte. Die »Entstaatlichungs«-Vorhaben der achtziger Jahre hingegen waren vorwiegend ordnungspolitisch motiviert, sollten sie doch den Anspruch der Bundesregierung beglaubigen, den wirtschaftlichen Zuständigkeitsbereichen des Staates deutliche Grenzen zu setzen und zugleich dessen konstitutive Funktion für das Wirtschaftsgeschehen zu konturieren. Mit dem ordnungspolitischen Ziel einer scharfen Abgrenzung staatlicher und wirtschaftlicher Zuständigkeiten korrespondierte der umfassende inhaltliche Anspruch der »Entstaatlichungs«-Vorhaben in den achtziger Jahren, der diese ebenso von den Privatisierungsmaßnahmen der bundesrepublikanischen Frühphase unterschied. Dokumentiert war die selbsterklärte »ordnungspolitische Entschlossenheit« des Bundeskabinetts in dem ersten beteiligungspolitischen Gesamtkonzept der bundesrepublikanischen Geschichte, das die Regierung im Frühjahr 1985 vorlegte. Demnach wollte sie sich nicht nur auf funktionale Priva309

tisierungen im kommunalen Bereich beschränken, die bereits seit den siebziger Jahren öffentlich diskutiert worden waren, sondern auch die materielle Privatisierung von Beteiligungen des Bundes vorantreiben, die sich außerdem – im Gegensatz zu den Privatisierungsmaßnahmen der jungen Bundesrepublik – nicht allein auf einzelne Unternehmen, sondern auf alle Beteiligungen des Bundes einschließlich der »Sondervermögen« erstrecken sollte. Schließlich umfasste das »Entstaatlichungs«-Projekt neben der Bereitstellungs- auch die Regulierungsdimension und zielte unter den – teils synonym verwandten – Schlagwörtern »Deregulierung« und »Entbürokratisierung« auf den Abbau von Marktzutrittsbeschränkungen sowie Verwaltungsvorschriften. Nicht nur dieser weitreichende Anspruch der schwarz-gelben Bundesregierung legte nahe, den analytischen Blick dieser Studie zu weiten, um die Wechselwirkung von Bereitstellungs- und Regulierungsdimension einzufangen. In der Gründungsphase der Bundesrepublik diente außer den drei großen Privatisierungsmaßnahmen auch das im Juli 1957 verabschiedete »Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen«, das die wirtschaftlichen Regulierungsaufgaben des Staates definierte, der Bestätigung der »Sozialen Marktwirtschaft« als Wirtschaftsordnungsmodell. Gewiss war mit der Verabschiedung des GWB ebenso wenig die Durchsetzung eines strikten Kartellverbotes verbunden, wie die Privatisierungsmaßnahmen, die wiederum auf die staatliche Bereitstellungsfunktion abzielten, keine vollständige Veräußerung öffentlicher Unternehmensanteile bedeuteten. Doch fußte das Kartellgesetz einerseits auf dem ordoliberalen Ideal der »vollständigen Konkurrenz« und schuf mit dem Bundeskartellamt eine staatliche Behörde zur Beobachtung und Kontrolle des unternehmerischen Marktverhaltens. Andererseits galt das GWB schon seit den frühen fünfziger Jahren als »Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft«. Dass auch die großen Privatisierungsmaßnahmen der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre einen solchen affirmativen Charakter besaßen, belegt nicht zuletzt deren Etikettierung als »soziale Privatisierungen«, die auf die Verknüpfung von Ordnungs- und Sozial- bzw. Gesellschaftspolitik verwies. Zudem waren die »sozialen Privatisierungen« argumentativ ebenfalls auf das Ideal der »vollständigen Konkurrenz« bezogen, deren Ermöglichung die Trennung von staatlicher und wirtschaftlicher Sphäre gewährleisten sollte. Die enge Verbindung von Bereitstellungs- und Regulierungsdimension kennzeichnete auch die Debatten um die Bildung eines »nationalen Mineralölkonzerns«. So stellte die im Sommer 1975 vollzogene Fusion von VEBA und Gelsenberg nicht nur den ersten Anwendungsfall für das Fusionskontrollverfahren dar, das im Zuge der zweiten Novelle des Kartellgesetzes zwei Jahre zuvor festgeschrieben worden war. Der Zusammenschluss, den Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs schließlich per Ministererlaubnis gegen das Verbot des Kartellamtes genehmigte, bestätigte zugleich das neue wettbewerbspolitische Leitbild des »funktionsfähigen Wettbewerbs«, das die wissenschaftlichen Stichwortgeber der Gesetzesreform entlang der diskursiven Leitunterscheidungen von wettbewerbstheoretischen Erwägungen und praktischer Wirtschaftspolitik etabliert hatten. 310

Die Privatisierungsdiskussionen der siebziger Jahre, die der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium in der Mitte der Dekade anstieß, zielten wiederum nicht auf die materielle Dimension der staatlichen Bereitstellungsaufgaben, sondern kreisten um die Möglichkeiten funktionaler Privatisierungen im kommunalen Bereich. Mit Blick auf diese Debatten ließ sich somit ein differenziertes Bild des Wandels wirtschaftlicher Staatsaufgaben zeichnen. Während die siebziger Jahre auf Bundesebene durch eine Tendenz zur Verstaatlichung im Zeichen unternehmerischer Diversifizierungs- und staatlicher »Versicherheitlichungs«-Bestrebungen gekennzeichnet waren, begann zur gleichen Zeit eine Debatte um die Begrenzung staatlicher Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche, die bereits in einzelnen Kommunen durchgeführte funktionale Privatisierungen reflektierte und in der sich die umfassenden »Entstaatlichungs«Vorhaben auf Bundesebene diskursiv anbahnten. Da der Schwerpunkt der Untersuchung erstens auf der materiellen Dimension und zweitens dem Zuständigkeitsbereich des Bundes lag, konnten diese Diskus­sionen und die damit verbundenen Privatisierungsmaßnahmen hier zwar nicht kontinuierlich verfolgt werden. Das kurze Schlaglicht auf die neue Privatisierungsdiskussion in den siebziger Jahren schärft jedoch den Blick für die unterschiedlichen politisch-administrativen Ebenen im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland, deren Bedeutung für die Definition wirtschaftlicher Staatsaufgaben auch an anderen Stellen der Analyse deutlich geworden ist. Im Rahmen der Teilprivatisierung des Volkswagenwerkes am Beginn der sechziger Jahre etwa bestand das Land Niedersachsen, das zuvor die alleinigen Besitzrechte an dem Unternehmen für sich beansprucht hatte, auf einer Sperrminorität in der Hauptversammlung der neu geschaffenen Aktiengesellschaft. Von dieser Position rückte es auch in den achtziger Jahren nicht ab, als der Bund seine noch vorhandenen Aktienanteile vollständig veräußerte. Einer weitreichenden Privatisierung der Deutschen Lufthansa stellte sich vor allem der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß öffentlichkeitswirksam entgegen, da er Nachteile für die überwiegend in Bayern ansässigen Firmen der bundesdeutschen Luftfahrtindustrie befürchtete. Im Zuge der Beratungen über die erste »Postreform« wiederum drängte der Bundesrat erfolgreich auf die Bildung eines Infrastrukturrates, der den Bundesländern ein Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen im Bereich des Post- und Fernmeldewesens ermöglichte. Da sich der öffentliche Unternehmensbesitz zudem nicht allein bei Bund und Ländern, sondern in weitaus größtem Umfang bei den Städten und Gemeinden konzentrierte, wird die historische Forschung der kommunalen Ebene, die hier mit Blick auf die neue Privatisierungsdiskussion der siebziger Jahre nur schlaglichtartig beleuchtet werden konnte, künftig fraglos größere Aufmerksamkeit schenken. Der insbesondere auf Bundesebene geringe materielle Umfang der Entstaatlichungs- und Verstaatlichungsmaßnahmen legte außerdem nahe, nicht deren ökonomische oder fiskalische Dimension ins Zentrum der Analyse zu stellen, sondern diese vielmehr konsequent als politische Projekte zu historisieren, mit 311

denen der Anspruch verbunden war, die wirtschaftlichen Aufgabenbereiche des Staates verbindlich zu definieren. Damit liegt der Fokus im Anschluss an neuere politikhistorische Forschungen einmal auf den Begründungszusammenhängen, in die Ent- und Verstaatlichungsvorhaben eingepasst waren. Während die wirtschaftstheoretischen Annahmen des Ordoliberalismus die Entstaat­ lichungsmaßnahmen sowohl der frühen Bundesrepublik als auch der achtziger Jahre rahmten, stand insbesondere das Vorhaben zum Aufbau eines »nationalen Mineralölkonzerns« in den siebziger Jahren im Zeichen einer »Versicherheit­ lichung« der Mineralölversorgung. Die in derselben Dekade entfachten Diskussionen um funktionale Privatisierungen im kommunalen Bereich waren in allgemeinere Verweiszusammenhänge eingepasst, die in der Folge strukurbildende Wirkung entfalteten. Explizit verbunden waren die Debatten mit der Krisendiagnose der »Unregierbarkeit« demokratischer Gesellschaften, die zwar auf die siebziger Jahre beschränkt blieb, jedoch auf die Notwendigkeit einer grundlegenden Neubewertung staatlicher Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche verwies. Die Dichotomie von »Bürokratie« und »Markt« als den beiden maßgeblichen Formen der »Organisation« gesellschaftlicher Funktionszusammenhänge, die der Ökonom Wolfram Engels in Anlehnung an seinen US-amerikanischen Fachkollegen Oliver Williamson in die bundesrepublikanischen Debatten einspeiste, bildete nicht nur für die Privatisierungsdiskussionen der siebziger Jahre einen wichtigen Verweiszusammenhang. Auch die im Laufe der achtziger Jahre formulierten Ziele der »Entbürokratisierung« sowie der Neuorganisation von Verwaltungseinheiten und öffentlichen Unternehmen operierten entlang dieser Leitunterscheidung. Schließlich waren die Diskussionen um funktionale Privatisierungen in den siebziger Jahren in einen Diskurszusammenhang eingebunden, in dem sich der Befund einer Krise der »Sozialen Marktwirtschaft« mit dem erwähnten Postulat der Rückbesinnung auf die ordnungspolitischen Weichenstellungen der jungen Bundesrepublik verband. Zudem wurde mit Blick auf den Wandel der Begründungs- und Legitima­ tionsweisen ökonomischer Staatstätigkeit stets die Eigenschaft politischer Sprache deutlich, zwischen Verbindlichkeit und Uneindeutigkeit zu oszillieren. Mit den Wörtern und Redeweisen, die zur Definition und Begründung der wirtschaftlichen Staatsaufgaben Verwendung fanden, waren weder trennscharfe noch stabile Bedeutungsbestände verbunden. So war beispielsweise das Wortpaar »Volksaktie«, das die gesellschaftspolitische Komponente der frühen Privatisierungsmaßnahmen hervorheben sollte, mitnichten ein rechtlicher Terminus, der die Eigenschaften einer neuartigen Aktienform umriss. Gerade ihre Uneindeutigkeit, die Anschlüsse an hergebrachte Bedeutungsbestände des Wortes »Volk« zuließ, verlieh der Bezeichnung ihre integrierende, politische Wirkung und erlaubte es der Regierungskoalition, die geplanten Privatisierungsmaßnahmen als Beitrag zur Überwindung gesellschaftlicher Klassengegensätze zu deklarieren. Eine legitimationsstiftende Funktion für den Aufbau eines »nationalen Mineralölkonzerns« hatte insbesondere das ebenso deutungsbedürftige Wort »Sicherheit«, das seit den ausgehenden sechziger Jahren zunehmend mit 312

energie- und versorgungspolitischen Fragen verknüpft war. Gegen Ende der siebziger Jahre war die Bezeichnung jedoch nicht mehr an Verweise auf den Staat als Garantieinstanz oder die Notwendigkeit umgehenden politischen Handelns geknüpft, die zuvor den öffentlichen Erwerb von Unternehmensbeteiligungen begründet hatten. Dieser Plausibilitätsverlust einzelner Bedeutungen von »Sicherheit« reflektierte zum einen die Veränderungen auf den Mineralölmärkten und die wirtschaftlichen Turbulenzen, in die der VEBA-Konzern in der Folge geraten war. Zum anderen belegt er anschaulich die Deutungsoffenheit der Bezeichnung »Sicherheit«, die das Wort für die Verwendung in politischen Kommunikationszusammenhängen prädestinierte. Die Uneindeutigkeit politischer Sprache zeigte sich daneben in einer Vielzahl von diskursiven Überlagerungen und Metaphoriken, die vor allem die Entstaatlichungsvorhaben sowohl der frühen Bundesrepublik als auch der achtziger Jahre legitimierten und sich über den gesamten Untersuchungszeitraum als bemerkenswert stabil erwiesen. Um die konstitutive Trennung staatlicher und wirtschaftlicher Zuständigkeitsbereiche zu plausibilisieren, dienten vorwiegend semantische Anleihen aus medizinisch-biologistischen Diskurszusammenhängen, die den Staat als »Fremdkörper« im Wirtschaftsprozess ausmachten oder eine »Entartung« der »Sozialen Marktwirtschaft« diagnostizierten. Zur Beschreibung des kompetitiven wirtschaftlichen Marktgeschehens, das der Staat als konstitutives Außen zu garantieren hatte, dienten zumeist Metaphoriken aus dem semantischen Feld des Sports, die auf die Regelbasiertheit ökonomischer Vorgänge referierten und deren fairen Ablauf einforderten. Die Rede vom Staat als Schiedsrichter, der die Einhaltung gleicher, fairer Regeln aus einer Position außerhalb des Geschehens gewährleistete, verband beide Denkfiguren. Hinzu kamen Importe aus rechtswissenschaftlichen Diskurszusammenhängen, mit denen sich die Beweislast umkehren und den Befürwortern wirtschaftlicher Staatstätigkeit aufbürden ließ. Einen hohen argumentativen Gebrauchswert hatte außerdem die Redefigur des Sachzwangs, die auf selbstgesteuerte Prozesse verwies und damit keine Entscheidungsalternativen zuließ. Nach diesem Muster ließen sich nicht nur die Entstaatlichungsvorhaben der jungen Bundesrepublik sowie der achtziger Jahre als sachgemäß, zwangsläufig und unerlässlich deklarieren, sondern etwa auch die Bemühungen um die Bildung eines mit staatlicher Unterstützung gebildeten »nationalen Mineralölkonzerns«. Die vielfach gebrauchte Rede von Sachzwängen, die politische Entscheidungsalternativen ausschlossen, lässt sich mit Philipp Ther als Wesensmerkmal einer »neoliberalen« Politik begreifen, die wiederum »populistische Gegenreaktionen« als Formen der »Re-Politisierung« hervorruft.15 Zwar spricht der Befund einer vielfältigen Anschlussfähigkeit der Sachzwang-Argumentation eher gegen die Annahme, das Sprechen von »alternativlosen« Maßnahmen sei ein genuines Kennzeichen »neoliberaler« Politik. Dass 15 Ther, Neoliberalismus, S. 21–22.

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sich die Rede von der Unvermeidbarkeit bestimmter Maßnahmen verfestigte, deutet jedoch auf deren Zusammenhang mit dem Phänomen populistischer Bewegungen hin, den künftige Forschungen zu ergründen haben werden.16 Schließlich machte die Untersuchung der leitenden Semantiken und diskursiven Verweiszusammenhänge, in welche die Ver- und Entstaatlichungsmaßnahmen eingepasst waren, deren unterschiedliche temporale Struktur sichtbar. Erstens kennzeichnete die beiden Entstaatlichungsphasen der alten Bundes­ republik die Verklammerung von Vergangenheit und Zukunft. Schon die Vertreter des Ordoliberalismus, die als wissenschaftliche Stichwortgeber für die Einrichtung der »Sozialen Marktwirtschaft« fungierten, waren bestrebt, an die neoklassische Tradition der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung anzuknüpfen und die Denkfigur der »vollständigen Konkurrenz« als theoretisches Leitbild für das wirtschaftspolitische Handeln zu etablieren. Zu diesem Zweck hatte sich der Staat auf seine Rolle als konstitutives Außen des wirtschaftlichen Geschehens zu beschränken. Wie schon das Kartellgesetz, das sich auf das Ideal der »vollständigen Konkurrenz« bezog, bestätigten die großen Privatisierungen der bundesrepublikanischen Gründungsphase einerseits diese ordoliberalen Grundüberzeugungen, indem sie die Trennlinie zwischen Staat und Wirtschaft markierten. Andererseits verlagerte sich der materielle Vollzug dieser Trennung in die Zukunft, blieben doch umfangreiche öffentliche Beteiligungen an der Preussag, am Volkswagenwerk sowie an der VEBA erhalten. Die mit den »Entstaatlichungs«-Vorhaben der achtziger Jahre verbundenen Begründungsformeln wiederum oszillierten zwischen der Rückbesinnung auf die ordnungspolitischen Wurzeln der frühen Bundesrepublik, die durch eine »Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft« revitalisiert werden sollten, und der Revision wirtschafts- und wettbewerbstheoretischer Überlegungen. Das politische Projekt einer umfassenden »Entstaatlichung« knüpfte somit nicht nur an eine idealisierte Vergangenheit an, sondern war zugleich das Versprechen auf eine Zukunft, in der die dynamischen Kräfte »der« Wirtschaft vollständig von den »Fesseln« des Staates befreit würden. Solange jedoch die weitreichenden Zielformulierungen und deren Umsetzung auseinanderdrifteten, blieb »Entstaatlichung« in den achtziger Jahren eine auf Dauer gestellte Verheißung. Damit ist zweitens auf das Verhältnis von Beschleunigung und Verzögerung verwiesen, das die Ver- und Entstaatlichungsmaßnahmen auszeichnete. Mit der Fusion von VEBA und Gelsenberg korrespondierte die Tendenz zu Beschleunigung und zeitlicher Verdichtung. Nachdem die Zusammenfassung der deutschen im Mineralölbereich tätigen Unternehmen schon während der sechziger Jahre in Rede gestanden hatte, verlieh die »Versicherheitlichung« der Energieversorgungsfrage im Umfeld der ersten Ölpreiskrise diesem Vorhaben zusätzliche Relevanz und Dringlichkeit. Dass Prozesse der »Versicherheitlichung« auf die Notwendigkeit sofortigen Handelns verwiesen und die Abweichung von her16 Eine geschichtswissenschaftliche Annäherung an das Phänomen des Populismus unternehmen die Beiträge in: Beigel u. Eckert.

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gebrachten Regeln und Kommunikationsroutinen rechtfertigten, zeigt der Zusammenschluss der beiden Mineralölunternehmen beispielhaft. Mit Verweis auf das politische Ziel der »Sicherung« der Mineralölversorgung deklarierte die Bundesregierung nicht nur die benötigten finanziellen Mittel als »außerplanmäßige« Haushaltsausgaben. Auch erteilte der Bundeswirtschaftsminister seine Erlaubnis zur Fusion schon einige Wochen vor Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Frist, ohne jedoch zuvor die Monopolkommission um eine Stellungnahme gebeten zu haben. Dass die Bundesregierung in der Folge den Zusammenschluss wie auch eine weitere Konzentration der deutschen Mineralölunternehmen nur zögerlich vorantrieb und schließlich verwarf, muss zum einen auf die strukturellen Veränderungen auf dem globalen und bundesdeutschen Markt zurückgeführt werden, unter denen die VEBA, der Kristallisationspunkt der Zusammenschlussbemühungen, zu leiden hatte. Zum anderen ließ sich das politische Ziel der »Versorgungssicherheit«, das weiterhin Gültigkeit besaß, nicht mehr mit Verweisen auf die Dringlichkeit sofortigen Handelns verbinden. Die Entstaatlichungsphasen sowohl der jungen Bundesrepublik als auch der achtziger Jahre kennzeichneten demgegenüber Tendenzen zur Verzögerung und Entschleunigung, die sich bereits anhand der langen, mehrjährigen Dauer der Verfahren ablesen lassen und einerseits auf den Widerstand der jeweiligen koali­ tionsinternen Entstaatlichungsgegner zurückzuführen sind. In den achtziger Jahren allerdings hing die Neigung, die angekündigten Maßnahmen zur Privatisierung und Deregulierung zu verschleppen, andererseits auch mit sprachlichen Faktoren zusammen. So zogen sich die Vertreter der Regierungskoalition vielfach an den Topos der Einzelfallprüfung zurück, indem sie dilatorisch auf ausstehende Gutachten und prüfungsbedürftige Details referierten oder fallbezogene Untersuchungsaufträge formulierten. Insbesondere der argumentative Umgang mit dem Gutachten der »Regierungskommission Fernmeldewesen« im Zuge der »Postreform I«, die bereits zum Amtsantritt des neuen Kabinetts in Aussicht gestellt worden war, aber erst im Sommer 1989 in Kraft trat, markierte einen scharfen Gegensatz zur »Re-Staatlichung« der VEBA. War die Monopolkommission als beratendes Gremium im Vorfeld des Zusammenschlusses mit der Gelsenberg schlichtweg übergangen worden, wies die Bundesregierung die Witte-Kommission hingegen als wichtigsten Stichwortgeber der angestrebten Reformen im Post- und Fernmeldewesen aus, ohne deren Gutachten dieser Prozess nicht fortgesetzt werden könne. Der langen Dauer der Entstaatlichungsmaßnahmen entsprach ihre geringe materielle Reichweite, die insbesondere in den achtziger Jahren weit hinter den Ankündigungen zur Reduktion des Staates »auf den Kern seiner Aufgaben« zurückblieb. In beiden Phasen bestand die Funktion der Privatisierungsmaßnahmen jedoch nicht darin, eine strikte Scheidung staatlicher und wirtschaftlicher Zuständigkeiten vorzunehmen. Je weiter sich der materielle Vollzug einer solchen Trennung in die Zukunft verlagerte, desto deutlichere Konturen erhielt allerdings die diskursive Grenze zwischen beiden Funktionsbereichen, um deren Verlauf die politischen Auseinandersetzungen kreisten. 315

Ob und unter welchen Bedingungen sich die Kluft zwischen Ankündigung und Umsetzung seit den neunziger Jahren zu schließen begann, wird Gegenstand künftiger Forschungen sein. Ohne Frage ging der Zerfall der Sowjetunion mit einer Gewissheit um die Überlegenheit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung einher, die weitergehende Privatisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen im internationalen Maßstab stimulierte.17 Die deutsche Wiedervereinigung verursachte außerdem einen hohen Investitionsbedarf, der insbesondere den Zuständigkeitsbereich der Deutschen Bundesbahn sowie der Deutschen Bundespost betraf. Außer den Tätigkeiten der Treuhandanstalt18 trieben die Bundesregierungen demzufolge etwa nicht nur die formale Privatisierung der Deutschen Bahn, die vollständige materielle Privatisierung der Deutschen Lufthansa sowie weitergehende Privatisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen im Bereich des Post- und Fernmeldewesens voran, sondern begannen auch mit der Veräußerung von öffentlichen Grundstücken und Gebäuden. Zudem beschlossen sie weitere Deregulierungen im Strom- und Gassektor, im Verkehrsbereich sowie im Finanz- und Versicherungswesen.19 Auf kommunaler Ebene griffen zugleich funktionale Privatisierungen zunehmend Platz.20 Die Frage, ob damit die »Selbstentmachtung des Staates« einherging, war nicht Gegenstand dieser Studie. Sie zeigt jedoch, dass der Begründungsrahmen, in den die zweifellos weitreichenden Privatisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert eingepasst waren, sich bereits in den Gründungsjahren der Bundesrepublik auszubilden begann und im Laufe der achtziger Jahre weiter verfestigte. In den Auseinandersetzungen um »soziale Privatisierung«, »Entkommunalisierung« und »Entstaatlichung« wurde die strikte Trennung staatlicher und wirtschaftlicher Zuständigkeitsbereiche nicht materiell vollzogen, aber diskursiv vorweggenommen. Wer heutzutage die »Selbstentmündigung« des Staates beklagt, darf von dieser diskursiven Grenze als Ermöglichungsbedingung nicht schweigen. Die »Epoche der Staatsvergessenheit« hatte eine lange Vorgeschichte.

17 Ther, Ordnung. 18 Böick. 19 Zohlnhöfer, Wirtschaftspolitik, S. 314–370; Mayer, S. 228–238; Lauschke, Selbstentmachtung; Bozdag-Yaksan, S. 145–148; Ritter. 20 Eines der bekanntesten Beispiele ist die Privatisierung der Berliner Wasserversorgung: Beveridge.

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Dank Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2017 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen wurde. Die Disputatio fand am 12. Juli 2017 statt. Dieses Buch hätte ich ohne die Hilfe und Unterstützung zahlreicher Perso­ nen und Institutionen nicht schreiben können, denen ich im Folgenden danken möchte. Besonders großer Dank gebührt meinem Doktorvater, Professor Dr. Hans-Peter Ullmann, an dessen Lehrstuhl stets eine ideale Atmosphäre für intensive Forschung, wissenschaftlichen Austausch und ein freundschaftliches Miteinander herrschte. Als ich während meines Studiums noch mit anderen Themen beschäftigt war, hatte Herr Ullmann bereits die Privatisierungsprojekte der alten Bundesrepublik als ertragreiches Forschungsfeld ausgemacht. Die Durchführung des Vorhabens hat er jederzeit mit großem Interesse, konstruktiver Kritik und fundiertem Rat begleitet. Dabei ließ er mich stets das Vertrauen in meine Ideen spüren und bestärkte mich zu deren Umsetzung. Professor Dr. Ralph Jessen danke ich nicht nur für sein Zweitgutachten, sondern für eine Vielzahl von Ratschlägen, Fragen und Anmerkungen, von denen dieses Buch maßgeblich profitiert hat. Meine beiden Betreuer waren außerdem federführend an der Einrichtung des Kölner und Münchener Forschungsverbunds zur Geschichte von »Konkurrenzkulturen« beteiligt, in dessen Rahmen dieses Buch entstanden ist. Allen Mitgliedern des Forschungsverbunds danke ich für die vielen hilfreichen Gespräche und Diskussionen sowie das freundschaftliche Miteinander, das die Arbeit in dieser Gruppe stets ausgezeichnet hat. Außer im Rahmen unseres Forschungsverbunds durfte ich meine Ideen in mehreren Kolloquien zur Diskussion stellen, bei deren Teilnehmern ich mich ebenfalls für ihre hilfreichen Fragen, Anregungen und Hinweise bedanken möchte. Im Einzelnen nenne ich hier das Kölner Doktorandenkolloquium, das Zeithistorische Kolloquium unter Leitung von Professor Dr. Constantin Goschler an der Ruhr-Universität Bochum sowie die von Dr. Ariane Leendertz geleitete Forschungsgruppe zur »Ökonomisierung des Sozialen« am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Für die dreieinhalbjährige finanzielle Förderung des Vorhabens gebührt der Deutschen Forschungsmeinschaft großer Dank, die auch den Druckkostenzuschuss übernommen hat. Den Herausgebern der »Kritischen Studien zur Geschichtswissenschaft« danke ich für die Aufnahme in ihre Reihe sowie für ihre hilfreichen Anregungen zur Überarbeitung des Manuskripts. Daniel Sander und Carla Schmidt danke ich für die Betreuung der Publikation seitens des Verlages. Mein ganz besonderer Dank gilt Laura Valentini, ohne deren unermüdliche Hilfe bei der Recherche des seriellen Quellenmaterials ich dieses Buch zum jetzi317

gen Zeitpunkt ganz sicher nicht hätte fertigstellen können. Auch weite Teile des Manuskripts hat sie gelesen und durch ihre Anmerkungen verbessert. Ein besonders großes Dankeschön gebührt auch meinen Kollegen, Kommilitonen und Freunden, die meine Jahre an der Universität zu Köln zu einer unvergesslichen Zeit gemacht haben. Vor allem danke ich Dr. Michael Homberg, der mir jederzeit mit freundschaftlichem Rat zur Seite stand und durch seine kritischen Fragen und Anmerkungen half, das Manuskript zu verbessern. Der letzte, aber wichtigste Dank gilt meiner Familie, die mir stets ein sicherer Rückhalt ist und mich seit jeher darin bestärkt, meinen Neigungen und Interessen nachzugehen. Insbesondere denke ich an meinen Vater, der leider schon das Ende meines Studiums nicht mehr erlebt hat. Ihm ist dieses Buch in liebevoller Erinnerung gewidmet.

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Abkürzungen

ACDP

Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-AdenauerStiftung ACSP Archiv für Christlich-Soziale Politik der Hanns-Seidel-Stiftung AdL Archiv des Liberalismus AfS Archiv für Sozialgeschichte AG Aktiengesellschaft AöfU Archiv für öffentliche und freigemeinwirtschaftliche Unternehmen APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte ARAMCO Arabian-American Oil Company BArch Bundesarchiv Bd. Band BDI Bundesverband der Deutschen Industrie BGBl Bundesgesetzblatt BMF Bundesministerium der Finanzen BMWi Bundesministerium für Wirtschaft BT Bundestag CDA Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft CFP Compagnie française des pétroles DAF Deutsche Arbeitsfront DBP Deutsche Bundespost DEA Deutsche Erdöl AG DEMINEX Deutsche Mineralölexplorationsgesellschaft mbH DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DIAG Deutsche Industrieanlagen GmbH DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DPG Deutsche Postgewerkschaft ECU European Currency Unit ENEL Ente nazionale per l’energia elettrica ENI Ente Nazionale Idrocarburi EVAG Energie-Verwaltungs-AG EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWI Energiewirtschaftliches Institut der Universität zu Köln GBAG Gelsenkirchener Bergwerksaktiengesellschaft/Gelsenberg AG GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GÖWG Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft GuG Geschichte und Gesellschaft GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen H. Heft HJ Historisches Jahrbuch HZ Historische Zeitschrift

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IBM Ifo

International Business Machines Corporation Informations- und Forschungsstelle für Wirtschaftsbeobachtung Mün­ chen IfZ Institut für Zeitgeschichte, München IVG Industrieverwaltungsgesellschaft IW Institut der deutschen Wirtschaft Jg. Jahrgang NL Nachlass Nr. Nummer OECD Organisation for Economic Co-operation and Development ÖTV Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr OPEC Organization of the Petroleum Exporting Countries ÖWG Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Prakla Gesellschaft für praktische Lagerstättenforschung Preussag Preußische Elektrizitäts- und Hütten-Aktiengesellschaft PVS Politische Vierteljahresschrift RWE Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk RWI Rheinisch-westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung VDB Verhandlungen des Deutschen Bundestages VEBA Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks-Aktiengesellschaft VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VIAG Vereinigte Industrie-Unternehmungen AG VSWG Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte VW Volkswagen WP Wahlperiode ZögU Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Archivmaterial Archiv des Instituts für Zeitgeschichte in München NL Hans Möller

Archiv des Liberalismus Druckschriftenbestand

Archiv für christlich-demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung CDU-Bundesparteitage 1949–1990 (Online-Bestand) Grundsatzprogramme (Online-Bestand)

Archiv für christlich-soziale Politik der Hanns-Seidel-Stiftung Bestand PA: Parteiausschüsse Bestand PT: Parteitage

Bundesarchiv

Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung (Online-Edition)

Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages Gesetzesdokumentation Drucksachen (Online-Bestand) Stenographische Berichte (Online-Bestand)

Zeitungen, Zeitschriften, Periodika Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik Archiv für öffentliche und freigemeinwirtschaftliche Unternehmen Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Bundesanzeiger Bundesgesetzblatt Der Spiegel Der Volkswirt / Wirtschaftswoche (ab Oktober 1970) Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung Die Berliner Wirtschaft Die Zeit Frankfurter Allgemeine Zeitung

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Gewerkschaftliche Monatshefte Glückauf. Zeitschrift für Technik und Wirtschaft des Bergbaus Handelsblatt Industriekurier Die Öffentliche Wirtschaft / Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft (ab 1973) OEL. Zeitschrift für die Mineralölwirtschaft Ordo. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Schnelldienst des Deutschen Industrieinstituts Soziale Ordnung. Zeitschrift der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft Wirtschaftsdienst Zeitschrift für Energiewirtschaft Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen

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Register Abs, Hermann Josef  141, 168 Adenauer, Konrad  72, 239 Ahrens, Hermann  61 Akins, James  123 Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft  46, 53 Althammer, Walter  169 ARAL  139 f., 149 f., 187 ARAMCO 137 Arndt, Klaus Dieter  127, 143 Arnold, Karl  54, 83, 85–87 Atzenroth, Karl  45–47, 58, 62, 64, 66, 72 f., 82, 85 Augstein, Rudolf  93 Bangemann, Martin  278, 281 Barzel, Rainer  62, 73 BDI  41, 51 f., 128, 260 f., 271, 274, 278, 280, 284, 286 f., 289 Bell, Daniel  258 f. Bernrath, Hans Gottfried  282, 290 Besson, Walter  111 Biedenkopf, Kurt  285 Bischoff, Detlef  200 f., 203 Blank, Theodor  86 f. Böhm, Franz  30, 35 Börnsen, Arne  279 f., 282, 286, 290, 293 BP  117, 151, 186–193, 305 Brandt, Willy  123 f., 253 Brauer, Max  65 Bräuer, Karl  42 Breidbach, Hans-Josef  52 Brenner, Otto  67 Brestel, Heinz  81, 97 Breuel, Birgit  197, 255, 271 Briefs, Ulrich  285, 289 Buchanan, James M.  211 Bühler, Klaus  283 Bund der Steuerzahler  18, 41 f., 47, 52 f., 198, 202, 205, 209, 218 Bundesbank  224 f. Bundesfinanzministerium  26, 43 f., 52, 57–59, 103, 154 f., 188, 192, 194–196, 201, 204, 207, 217, 242, 247, 305, 309, 311

Bundesinnenministerium  204, 244 Bundeskartellamt  40, 157, 161, 163, 165–167, 171, 173, 187, 190, 310 Bundespostministerium, Bundespost­ minister  251, 253, 273, 277, 292 Bundesrechnungshof  169, 177 f. Bundesschatzministerium  48 f., 98, 103, 137, 192 Bundesverkehrsministerium 299 Bundeswirtschaftsministerium, Bundeswirtschaftsminister  122, 136 f., ­141–143, 148, 154, 156 f. 161, 163 f., 166 f.,172, 181, 188, 190, 193, 195, 222, 230, 235 f., 238, 255, 258 f., 269, 272, 289 Burgbacher, Fritz  64 f., 73, 84, 105, 121 Busch, Berthold  270 CFP  117, 143 f. Chamberlin, Edward H.  158 Cipa, Walter  152, 154 f. Clark, John Maurice  158–161 Commerzbank AG  274 Cox, Helmut  287 DEA  117, 135–140, 143 Deilmann GmbH  145 Deist, Heinrich  64–69, 71, 76–78 DEMINEX  145–148, 151 f., 179, 187 Deutsch, Karl W.  259 f. Deutsche Bank AG  141 f., 145 Deutsche Bundesbahn  42, 155, 245, 247 f., 316 Deutsche Bundespost  26 f., 42, 155, 245, 250, 251–297, 307, 316 Deutsche Lufthansa  213, 215, 247, 299 f., 307, 311, 316 Deutsche Pfandbriefanstalt  213, 215, 247 Deutscher Industrie- und Handelstag  50, 267, 270, 281 Deutscher Städtetag  200, 202 Deutsches Industrieinstitut  41, 46, 53 DGB 201 DIAG  104, 247 DIW  108, 117, 122, 124

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Dollinger, Werner  140, 213–216, 253 DPG  265, 272 f., 274–276 Drath, Martin  111 f. Drechsler, Wolfgang  89–93 Dregger, Alfred  204 Dresdner Bank AG  141–145 Duhmer, Wilhelm  42 Ehmke, Horst  111 Elbrächter, Alexander  73 f., 79, 81, 84 f., 87 ENEL 304 Engelmann, Ulrich  179 f. Engels, Wolfram  199, 208–211, 221, 223 f., 230, 235, 271, 281, 312 ENI  117, 303, 305 Erhard, Ludwig  36–40, 43, 52, 54–56, 66, 72, 74, 82–88, 92–94, 100, 219, 239, 247, 304 Etzel, Franz  48 Eucken, Walter  30–35, 101, 159, 219, 224, 230, 233 EWI  122, 124 Exxon s. Standard Oil of New Yersey Falthauser, Kurt  199, 205 Faße, Annette  286, 290 Fels, Gerhard  229 Fertsch-Röver, Dieter  274 Fischer, Curt Eduard  78 Forsthoff, Ernst  287–289, 299 Friderichs, Hans  156, 166, 170 f., 173 f., 178, 180, 185, 188, 193, 310 Friedmann, Bernhard  248 Funke, Rainer  279, 294 Gelsenberg AG/GBAG  26, 116 f., 135–174, 242, 305, 310, 314 f. Glotz, Peter  274 GÖWG  204, 249, 266 Grüner, Martin  166–168, 170 f., 181, 188 Günther, Eberhard  167 Gulf Oil  117, 181 f. Habermas, Jürgen  206 Haehser, Karl  188 Häussler, Erwin  46, 85 f. Hamm, Walter  219–221, 223, 227, 229 f., 233 Hartmann, Alfred  59 Haubrichs, Willy  198, 202, 205, 209 Heidermann, Horst  65 Hellwege, Heinrich  60

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Hellwig, Fritz  46, 59, 78, 85, 89 Hennis, Wilhelm  206 f. Hermsdorf, Hans  147 Hibernia AG  68, 149 Hickel, Rudolf  198, 201, 203 Hirche, Kurt  68 Hirche, Walter  271, 276, 291, 293 Höcherl, Hermann  181 Hoffmann, Wolfgang  292 Hort, Peter  246 Huffschmidt, Bernd  126, 140 Husserl, Edmund  32 IBM 267 Ifo  108, 259, 263, 280 Institut Finanzen und Steuern  41 f. Institut für Mittelstandsforschung  201 Institut für Weltwirtschaft  108, 130 Irwin, John  123 IVG  104, 247 IW  237, 270 Jahn, Hans  62 Jungblut, Michael  185 Junghans, Hans-Jürgen  104, 137 Kantzenbach, Erhard  159–162 Kartte, Wolfgang  157 f., 161–164, 170 Kattenstroth, Wilhelm  135, 137 Katzer, Hans  81 f., 85 Kemmer, Heinz-Günter  144, 151, 154, 180 f., 191 Keynes, John Maynard  107 Knauss, Fritz  192, 196, 247 Köppinger, Peter  247 Kohl, Helmut  216–218, 238, 243, 247, 262, 295, 297, 306 Kokxhoorn, Nicoline  151, 179 Kommission der Europäischen Gemeinschaften  271 f., 278, 280, 286 Kopf, Hinrich Wilhelm  60 f. Kronberger Kreis  224, 271 Krueger, Werner  141 Kruk, Max  42, 44, 53, 153, 155 f. Kubel, Alfred  59 Kulawig, Alwin  169 f. Kurlbaum, Georg  65, 67, 70, 140, 142 Lambsdorff, Otto Graf  154, 157, 167 f., 173, 179, 188–191, 193, 229 f., 234, 238, 243 f., 246, 276

Lang, Johann  53 Lantzke, Ulf  122 f., 130, 148 Laufer, Heinz  201 Lautenbach, Otto  53 Leber, Georg  293 Liebrucks, Manfred  118 f. Lindrath, Hermann  49, 57, 61, 64, 72–74, 79–88, 95, 97, 99, 101 Linsmeier, Josef  285, 290, 295 Lögters, Herbert  121 f. Lutz, Friedrich August  159 Mann, Fritz Karl  69 Matthöfer, Hans  214 McKinsey & Company  270, 281 Mettler-Meibom, Barbara  260 f. Miksch, Leonhard  32, 230 Mineralölwirtschaftsverband 128 Mobil Oil s. Standard Oil of New York Möller, Alex  104, 147, 305 Möschel, Wernhard  274 f., 280, 285, 296 Monopolkommission  163 f., 166 f., 171–174, 187–189, 193, 255–258, 261 f., 265, 268 f., 272, 315 Müller, Jürgen  261 Müller-Armack, Alfred  36–39, 43, 70, 83, 91, 94, 99 f. Müller-Haeseler, Wolfgang  154, 184 Mulfinger, Albrecht  119 Mundorf, Hans  166 Nawrocki, Joachim  167, 191 Necker, Tyll  271, 274, 280, 284, 286 f., 289 Neumann, Ingrid  143 f. Neumann, Manfred  235 Neumark, Fritz  107 Nickusch, Karl-Otto  200 f., 203 Nixdorf Computer AG  255 Nixon, Richard  123 OECD  120 f. Oeftering, Heinz  43 f., 59 Oettle, Karl  199 ÖTV  204, 225 Offe, Claus  207 OPEC 125 Ortlieb, Heinz-Dietrich  90 Otto, Peter  260 Paterna, Peter  286, 289, 292 Pausch, Hans  254

Pausch, Rainer  201, 254 f. Pfeffermann, Gerhard  279 f., 293, 295 f. Pieper, Ernst  154 f., 177, 180 Pieroth, Elmar  198 f., 202, 207, 210 Pohle, Wolfgang  219 Potthoff, Erich  104 f., 147 f., 151 Prakla 104 Predöhl, Andreas  109 Preusker, Victor-Emanuel  64, 79, 84 Preussag  11, 97, 99, 106, 145, 303, 306, 314 Rabich, Fritz  89 f., 92 f. Rausch, Helmut  255 Reagan, Ronald  247, 306 Reinert, Heinrich  149 Reschke, Hans  207 Reusch, Hermann  52 Reuschenbach, Peter  166, 188 Reuter, Franz  79, 81 Rheinfels, Horst  95 f. Riedl, Erich  248 f., 299 Riesenhuber, Heinz  188 Ritschl, Hans  65, 67 f., 70, 77 Rittig, Gisbert  65–68, 70, 77 Robinson, Joan  158 Röpke, Wilhelm  33, 35, 37 f., 51 f., 54, 64, 68, 73, 83, 91, 101, 107, 111, 219, 222, 293 Rohwedder, Detlev Karsten  121 Royal Dutch Shell  117 Rüstow, Alexander  35, 38, 83, 91, 101 Ruhrgas AG  186 f., 189 f. Ruhrkohle AG  149 f., 165 Russe, Hermann Josef  121 Rust, Josef  139 RWE  144 f., 151, 153, 165, 169 f. RWI  122, 124 Sachverständigenrat  195, 204, 217, 224–226, 229, 233 f., 236 f., 250, 258, 261, 268–270, 286, 296 Saarbergwerke AG  104, 106, 113, 305 Salzgitter AG  103 f., 106, 113, 305 Sander, Horst  218, 227 Schachtbau Nordhausen GmbH  145 Schäffer, Fritz  47 f. Schairer, Reinhold  80 Schieweck, Erich  121 Schiller, Karl  77, 104 f., 140, 142–145, 157, 159 Schlecht, Otto  185, 222, 230, 233 Schmid, Werner  201

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Schmidt, Adolf  181 Schmidt, Helmut  142, 144, 165, 167–169, 171, 174 f., 177 f., 193, 254 Schmitt, Dieter  191, 193 Schmude, Jürgen  204 Schmücker, Kurt  104–106, 119, 126, 137 f., 140, 142 Schneider, Erich  107 Schneiders, Hans K.  126 Scholven-Chemie AG  117, 145, 149 Schürmann, Heinz Jürgen  191, 193 Schumpeter, Joseph A.  159 Schwarz-Schilling, Christian  269, 273, 276, 278–282, 293 f., 296 Seeling, Otto  53 Soénius, Heinz  247 Sohl, Hans-Günther  175 Sonntag, Philipp  260 Sontheimer, Kurt  111 Spethmann, Dieter  162 Springorum, Gerd  121 Stahmer, Alfred M.  143 Standard Oil of California  117, 137 Standard Oil of New Jersey / Exxon  117 Standard Oil of New York / Mobil  116 f., 140, 150 Stapel, Wilhelm  90 Stegmüller, Albert  274 Stickrodt, Georg  78 Stinnes AG  149 Stoltenberg, Gerhard  239–246, 248 f., 276 Stolz, Karl  57 Stolze, Diether  139 f., 143–146, 156, 167 f. Strauß, Franz Josef  247, 299, 311 Terrahe, Jürgen  274 Texaco  117, 136–140 Thatcher, Margaret  240, 247, 306 Tietmeyer, Hans  238–241, 243, 248 f. Timm, Bernhard  151 Tönnies, Ferdinand  91 Tofaute, Hartmut  196, 201

352

Treuhandanstalt 316 Uhlmann, Reinhard  246 Union Kraftstoffe AG Wesseling  145, 151 Unland, Hermann Josef  287 van Haaren, Kurt  272, 276, 289 VEBA  11, 25, 26, 99, 103–106, 113 f., 117, 134, 135–194, 213, 241–244, 287, 297 f., 300, 303, 305–307, 310, 313–315 Verein für Socialpolitik  230 VIAG  103–106, 247, 300, 307 Vierhub, Erich  144 Vogel, Otto  237 Vogel, Rudolf  85 Volkswagen(werk) AG  11, 25, 47–49, 55, 56–99, 104, 106, 155, 247, 300, 303, 306 f., 311, 314 von Bennigsen-Foerder, Rudolf  152, 155, 175, 178–182, 184 f., 190 f., 287 von Hayek, Friedrich August  231–235, 285 von Loesch, Achim  76–79 von Merkatz, Hans-Joachim  40 von Wangenheim, Hans Ulrich  58 von Wiese, Leopold  233 Waffenschmidt, Horst  244 Walter-Eucken-Institut s. Eucken, Walter Watrin, Christian  203, 207 f., 210 f., 220 f., 223, 227, 229 f., 234 Weng, Wolfgang  246 Williamson, Oliver  208, 312 Wintershall AG  117, 139, 145, 150 Wirsing, Giselher  80 Wissmann, Matthias  200 Witte, Eberhard  265, 273 f., 298 Zeiss, Friedrich  75 Zeitel, Gerhard  223 Zeppernick, Ralf  224 Zimmerer, Carl  97 Zimmermann, Friedrich  276