Was machen Marker?: Logik, Materialität und Politik von Differenzierungsprozessen [1. Aufl.] 9783839422441

Differenzierungsprozesse stehen heute im Zentrum interdisziplinärer Debatten. Marker tragen hierbei als Zeichen von Diff

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German Pages 348 Year 2014

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Was machen Marker?: Logik, Materialität und Politik von Differenzierungsprozessen [1. Aufl.]
 9783839422441

Table of contents :
Inhalt
Geleitwort
Was Marker machenVersuch über die Materialität soziokultureller Differenzierung
Marker und Interaktion
Situierte Markiertheit und AccountabilityBoxen als verkörperte reflexive Aktivität
Die Semiotik soziolinguistischer Marker am Beispiel der Diskurspartikel alterSprachliche Variation in einer Gesamtschule
Marking subjectivity in interviews on political engagementInterpretive logics and the metapragmatics of identity
Multimodale Marker in Museen
Wirkung von Markern
Differenzmarkierungen einer FernsehdokumentationEine von ethnomethodologischen media studies inspirierte Untersuchung
The Mark(er) of EvilDie Markierung von Monstrosität
„All I Ask is That You Behave Like an Adult!“Altersstufen als flexible Differenzmarker in Mike Leigh’s HAPPY-GO-LUCKY
Ziemlich kraus – viel zu glattHaariges in afrikanischen Filmen und postkolonialen Diskursen
„I want people to appreciate the art of braiding“Differenz(de)konstruktionen entlang von Haar und Haarstilen und deren Aushandlungen in einer Braidingschule
Politik von Markern
Zuschreibung oder anerkennende Berücksichtigung ethnischer Unterschiede?Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund im Fokus wissenschaftlichen Interesses
Das Recht auf Gleichbehandlung und die (Ir)Relevanz von gruppenspezifischen Merkmalen am Beispiel des Antidiskriminierungsrechts
Autorinnen und Autoren

Citation preview

Eva Bonn, Christian Knöppler, Miguel Souza (Hg.) Was machen Marker?

Sozialtheorie

Eva Bonn, Christian Knöppler, Miguel Souza (Hg.)

Was machen Marker? Logik, Materialität und Politik von Differenzierungsprozessen

Finanziert vom Forschungszentrum Sozial- und Kulturwissenschaften Mainz (SoCuM).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Eva Bonn, Christian Knöppler, Miguel Souza Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2244-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Geleitwort

Walter Bisang | 7 Was Marker machen: Versuch über die Materialität soziokultureller Differenzierung

Nils Lindenhayn, Nora Sties | 11

MARKER UND I NTERAKTION Situierte Markiertheit und Accountability: Boxen als verkörperte reflexive Aktivität

Christian Meyer | 25 Die Semiotik soziolinguistischer Marker am Beispiel der Diskurspartikel alter: Sprachliche Variation in einer Gesamtschule

Miguel Souza | 47 Marking subjectivity in interviews on political engagement: interpretive logics and the metapragmatics of identity

Jan Zienkowski | 85 Multimodale Marker in Museen

Yannik Porsché | 113

WIRKUNG VON MARKERN Differenzmarkierungen einer Fernsehdokumentation: Eine von ethnomethodologischen media studies inspirierte Untersuchung

Désirée Bender, Johannes Beetz | 155

The Mark(er) of Evil: Die Markierung von Monstrosität

Christian Knöppler | 189 „All I Ask is That You Behave Like an Adult!“: Altersstufen als flexible Differenzmarker in Mike Leigh’s H APPY-G O -L UCKY

Anita Wohlmann | 213 Ziemlich kraus – viel zu glatt: Haariges in afrikanischen Filmen und postkolonialen Diskursen

Cassis Kilian | 239 „I want people to appreciate the art of braiding“: Differenz(de)konstruktionen entlang von Haar und Haarstilen und deren Aushandlungen in einer Braidingschule

Caroline Schmitt | 257

P OLITIK VON MARKERN Zuschreibung oder anerkennende Berücksichtigung ethnischer Unterschiede? Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund im Fokus wissenschaftlichen Interesses

Christine Schlickum | 297 Das Recht auf Gleichbehandlung und die (Ir)Relevanz von gruppenspezifischen Merkmalen am Beispiel des Antidiskriminierungsrechts

Doris Unger | 317 Autorinnen und Autoren | 343

Geleitwort W ALTER B ISANG

Marker sind ein zentrales Beispiel für die Fähigkeit des Menschen zur Bildung von Symbolen und zum Umgang mit Zeichen und eignen sich daher hervorragend zur interdisziplinären Zusammenarbeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften, wie der hier vorliegende Band mit seinen Beiträgen zeigt. Seit Grice wissen wir um die Offenheit des Zeichenbildungsprozesses, bei dem grundsätzlich alles, was sich als Konzept erfassen lässt, in einem geeigneten Diskurskontext als Zeichen genutzt werden kann. Wenn ein Sprecher auf die Frage, wie denn heute das Wetter wird, mit dem Finger auf die am Horizont auftauchenden schwarzen Wolken zeigt, werden die schwarzen Wolken in diesem Kommunikationsakt spontan als Zeichen für „Regen“ genutzt und aller Wahrscheinlichkeit nach vom Hörer in diesem Sinn gedeutet. Dieser pragmatische Prozess der Zeichenbildung ist letztlich auch der Hintergrund für die Entstehung und die Verwendung von Markern als körperliche, sprachliche und dingliche Zeichen zum Ausdruck von sozio kulturellen Differenzierungen. Die Faktoren, die zum Verständnis von Markern und deren Produktion erforderlich sind, führen allerdings weit über die Pragmatik als Disziplin der Linguistik und der Philosophie hinaus. So stehen nach Bourdieu (1978: 278) hinter der Entwicklung von Elementen des Körperlichen zu Zeichen mit der Funktion der Differenzbildung zwischen Individuen und Gruppen von Individuen eigentliche Verteilkämpfe: „Die Kämpfe zur Aneignung wirtschaftlicher oder kultureller Güter sind untrennbar symbolische Kämpfe um die Aneignung derjenigen distinktiven Zeichen, welche für die klassifizierten oder klassenbildenden Güter oder

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Praktiken oder aber für die Bewahrung oder die Unterwanderung der klassenbildenden Prinzipien mit ihren distinktiven Eigenschaften stehen.“1 Abstrakter formuliert, werden Marker somit stets innerhalb eines bestimmten sozialen Raumes von Individuen und Gruppen mit ihren sozialen Praktiken, ihrem sozialen Wissen und vor dem Hintergrund bereits bestehender (Kon)texte ausgehandelt. Dabei ist grundsätzlich mit stetigem Wandel praktisch aller beteiligten Parameter und damit natürlich auch der Bedeutung des Markers selbst zu rechnen. Spätestens an dieser Stelle muss das enorme Potential des Markers als Verbindung des Körperlich-Materiellen mit dem Soziokulturellen für interdisziplinäre Zusammenarbeit unmittelbar einleuchten. Wie sonst wäre das komplexe Szenario, in dem Marker ihre Bedeutung erlangen, adäquat zu erfassen. Hier sind die Soziologie und die Kulturwissenschaft, die Literaturwissenschaft und die Medienwissenschaft, die Politikwissenschaft und die Rechtsphilosophie sowie verschiedene Ansätze der Linguistik und insbesondere die Soziolinguistik in gleicher Weise gefragt und gefordert. Die Doktorandinnen und Doktoranden am „Forschungszentrum Sozialund Kulturwissenschaften in Mainz“ (SOCUM) haben diese Herausforderung aufgegriffen und unter dem Titel „Was machen Marker? Logik, Materialität und Politik von Differenzierungsprozessen“ zum Thema ihrer Arbeitstagung 2011 gemacht. Dieses Thema passt nicht nur ausgezeichnet in das Konzept von SOCUM, welches sich die Entwicklung von interdisziplinären Verbundforschungsprojekten aus der Verknüpfung von Sozial- und Kulturwissenschaften zum Ziel gesetzt hat, sondern es bietet auch den Doktorandinnen und Doktoranden eine hervorragende Gelegenheit zum fruchtbaren Austausch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anderer Universitäten des In- und Auslandes. Das Produkt dieses Austausches ist der vorliegende Sammelband, über den ich mich als Sprecher von SOCUM außerordentlich freue. Den Mainzer Doktorandinnen und Doktoranden möch-

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Die Übersetzung ins Deutsche stammt von mir (W.B.). Das Original lautet: „Les luttes pour l’appropriation des biens économiques ou culturels sont inséparablement des luttes symboliques pour l’appropriation de ces signes distinctifs que sont les biens ou les pratiques classés et classants ou pour la conservation ou la subversion des principes de classements de ces propriétés distinctives.“ (Bourdieu, Pierre. 1979. La distinction. Paris, Les Éditions de Minuit, p. 278).

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te ich an dieser Stelle für die Organisation und Durchführung der Arbeitstagung und für die Herausgabe dieses Sammelbandes herzlich danken. Mainz, 02. November 2012, Walter Bisang

Was Marker machen Versuch über die Materialität soziokultureller Differenzierung N ILS L INDENHAYN , N ORA S TIES „Let a state distinguished by the distinction be marked with a mark of distinction.“ SPENCER BROWN (1972: 4)

Kopftuchmädchen, Hartz-IV-Empfänger, Yuppie, Karrierefrau: menschliche Gesellschaften ziehen Grenzen – wie ethnische, politische oder sprachliche – nicht nur nach außen, sondern haben zudem die Eigenart und die Möglichkeit, auch ihre Mitglieder zu differenzieren und zu kategorisieren. Sie produzieren Menschensorten, die sie nach einer Vielzahl von Kriterien unterscheiden, von denen Geschlecht, Alter, Klasse oder Hautfarbe nur einige sind. Der Verdacht liegt nahe, dass solche Differenzierungen nicht nur allgegenwärtig sind, sondern dass vor allem der Tatbestand des Differenzierens unvermeidlich ist: „To classify is human and all cultures at all times have produced classification systems“. (Bowker/Star 1999: 131) Die hier versammelten Beiträge stammen aus so unterschiedlichen Disziplinen wie der Pädagogik und Amerikanistik, der Politik- und Sprachwissenschaft, der Ethnologie und Soziologie. Bei allen Unterschieden ist ihnen die Grundannahme gemein, dass soziokulturelle Differenzierungen über ihre eigene Materialität verfügen. Eine Differenzierung, so die These, ist nicht denkbar ohne ein wahrnehmbares Kennzeichen, mit dem Differenz als Differenz markiert – das heißt, beim Treffen einer Unterscheidung ver-

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deutlicht wird, dass ein Gegenstand mindestens im Hinblick auf eine bestimmte Eigenschaft von einem anderen Gegenstand verschieden ist. Im Mittelpunkt dieses Bandes steht das Problem der Kennzeichnung und damit der Wahrnehmbarkeit von Differenzen. Mittels welcher Mechanismen markieren Gesellschaften Differenz als Differenz? Auf welche bereits vorhandenen, als evident unterstellten Kennzeichen können sich Differenzierungen stützen? Wie entstehen von Grund auf neue Kennzeichnungen? Unter dem Begriff des „Markers“ suchen die Beiträge anhand ihrer jeweiligen Fallbeispiele darauf Antwort zu geben. Als Marker werden im Folgenden die körperlichen, sprachlichen und dinglichen Zeichen und Träger von Differenzen verstanden, denen grundsätzlich eine materielle wie semiotische Dimension eigen ist. Marker präsentieren sich in einer großen Bandbreite, die von bewusster und selbst gewählter Performanz (z.B. Kleidung, Frisur, Sprechverhalten), über verkörperte Differenz (Insignien der Geschlechtszugehörigkeit, Hautfarbe, körperliche Anomalien) bis zu zwangsweise zugewiesenen Markern (Personalausweis, Schuluniform, gelber Fleck/Ring/Stern) reichen können. Entsprechend breitgestreut ist das Maß, in dem verschiedene Marker von ihren Trägern angeeignet, abgelegt, verändert oder zielgerichtet eingesetzt werden können. Dass Marker eine solch zentrale Rolle in der Herstellung von Menschensorten spielen – und nur diese Sorten sind Gegenstand dieses Bandes –, dürfte in den Mechanismen menschlicher Kognition begründet liegen. Nicht nur gibt es Dinge in dieser Welt, die sich aufgrund ähnlicher Eigenschaften oder Verwendungsweisen in Kategorien zusammenfassen lassen; vor allem besitzt das Denken den Automatismus, diese Zusammenfassung auch tatsächlich vorzunehmen. Es bildet, so die These der Kognitionsforschung, mentale Repräsentationen – Konzepte – dieser Dinge: „Concepts are the glue that holds our mental world together“. (Murphy 2002: 1) Erst diese abstrakten Konzepte versetzen uns in die Lage, auf Dinge, Personen und Situationen zu reagieren, und sind somit unabdingbar für das Verstehen der Welt und das Handeln in ihr. Damit wir jedoch einen Gegenstand einer Kategorie zuordnen können, muss dieser als solcher erkennbar sein. Verkehrspolizisten beispielsweise mögen in Deutschland blaue Uniformen tragen und Handzeichen geben; in Nordamerika hingegen mit schwarzen Hosen, weißen Hemden und rot-grünen Kellen ausgestattet sein; in Südkorea wiederum gelb gekleidet sein und orange Leuchtstäbe verwenden. Obwohl sie derart verschieden gekennzeichnet sind, wird jeder von ihnen davon

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ausgehen, dass er auch von Nichteinheimischen als Verkehrspolizist erkannt wird. Die Tatsache, dass sich seine Annahme in der Regel bewahrheitet, verdeutlicht die Selbstverständlichkeit des Funktionierens von Markern – und lenkt den Blick auf die Frage nach den Bedingungen dieses Funktionierens ebenso wie diejenigen Fälle, in denen ein Verkehrspolizist nicht als solcher erkannt wird. Im Sinne grundlegender konzeptueller Polaritäten wie „Mann–Frau“, „alt–jung“, „krank–gesund“ durchzog die Diskussion der vorliegenden Beiträge die Frage, ob und wenn ja im jeweils untersuchten Gegenstand das Normale (das Ganze, Allgemeine, Eigene) markiert sei, oder ob dies nur auf das Abweichende (das Andere, Besondere, Fremde) zuträfe. Mindestens theoretisch genügt es zur Kennzeichnung des Unterschieds, nur eine der beiden Seiten mit einem Marker zu versehen. Dort, wo zwischen „normal“ und „abweichend“ unterschieden werden soll, scheint es besonders die Abweichung zu sein, die markiert wird, während ihr Gegenteil sich oftmals gerade durch die Abwesenheit von Markierung auszuzeichnen scheint. Gerade solche Fälle sind es jedoch, die wiederum die Frage aufwerfen, wie sich das Unmarkierte – das, was keine Kennzeichen hat –, begrifflich fassen lässt: was bleibt übrig nach Abzug einer jeden Markierung? Menschliche Sprachen beispielsweise, so die Antwort der Linguistik für ihren Gegenstandsbereich, kennen „Nullmorpheme“, welche an jenen Stellen stehen, an denen jede Markierung fehlt (des Haus-es; das Haus-ø). Lange Zeit galten auch Personenbezeichnungen im maskulinen Genus als unmarkiert (Lehrer-ø), die weibliche Variante dagegen als markiert. Die feministische Linguistik hat an Phänomenen wie diesem aufgezeigt, wie sprachliche Praktiken Polaritäten konstruieren, reproduzieren und verfestigen. „Wirtschaftlich selbstständig, männlich und weiß“, formuliert Philipp Sarasin für die Diskursgeschichte des abendländischen Körpers in der Moderne, „sind die Koordinaten der klassischen bürgerlichen Vorstellung davon, was es heißt, unmarkiert zu sein, als Subjekt ‚frei‘ zu bleiben, ganz ‚sich selbst‘ zu sein und – die Wahrheit erkennen zu können“ (Sarasin 2001: 25). Eine solche Vorstellung von Unmarkiertheit ist nur mit Hilfe praktischer und diskursiver Ausschließungen und Normalisierungen zu haben. Derartige Prozesse herauszuarbeiten, gehört zu den wesentlichen Aufgaben in der Analyse von Markern und Markierungen. Dabei stehen die hier unternommenen Analysen vor einer Schwierigkeit. Wenngleich das Motiv der Differenz und ihrer Markierung zu den

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Grundbeständen der Philosophie gehört; wenngleich gerade die modernen Kulturwissenschaften in so unterschiedlichen Ansätzen wie denen Saussures, Derridas oder Spencer Browns es immer wieder neu zu justieren versucht haben – unsere Analysen können zwar an derartige Versuche anknüpfen, jedoch bislang nicht auf eine, geschweige denn eine kanonische, geschlossene Theorie des Markers zurückgreifen oder sie gar selbst hervorbringen. Eine solche scheint weiterhin auszustehen. Diese Lücke vollends zu schließen gehört nicht zu den Zielen des vorliegenden Bandes. Seinen Zweck hat dieser bereits dann erfüllt, wenn es gelingt, das Verhältnis von Differenzierungsprozessen und ihren Markern ein Stück weit zu entschlüsseln. Dabei sind die Beiträge hinsichtlich ihrer Analysegegenstände und Herangehensweisen höchst heterogen. Jedoch wird in der Zusammenschau ihrer Grundannahmen und Ergebnisse eine Reihe von Gesichtspunkten deutlich, welche die Funktion von Markern in soziokulturellen Differenzierungsprozessen grundsätzlich charakterisieren. Diese Gesichtspunkte, die sich jeweils leitmotivisch durch die Mehrzahl der Beiträge ziehen, dort zum Einsatz gebracht, bestätigt oder hinterfragt werden, sollen im Folgenden zusammengefasst werden. Die Genese von Markern als Marker ist (1) nur in den seltensten Fällen als einfache „top-down“-Implementierung zu verstehen, bei der Menschen per hoheitlichem Beschluss differenziert, gruppiert und gekennzeichnet würden. Zwar mögen Fälle dieser Art, wie wir sie vor allem in der physisch wie symbolisch gewaltsamen Entstehung und Reinhaltung nationaler, religiöser oder „völkischer“ Identitäten finden, zu den augenfälligsten Beispielen für Marker und ihre Logik zählen. Viel häufiger jedoch, so eine Kernthese dieses Bandes, sind Marker Gegenstand komplexer lokaler Aushandlungen im Sinne des „doing difference“ (Fenstermaker/West 1995). Ihre Funktion und Bedeutung ist in hohem Maße kontextabhängig, und selbst innerhalb desselben Rahmens kann nicht immer von einem intersubjektiven Konsens über die Aussage eines Markers ausgegangen werden. Dabei möge der unscheinbare Begriff der „Aushandlung“ jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Aushandlungen in der Regel höchst asymmetrisch strukturiert und von Machtverhältnissen durchzogen sind. Derartige Verhältnisse in Prozessen der Markierung zu entziffern und Möglichkeiten ihrer Subversion herauszuarbeiten, ist ein Hauptaugenmerk vieler Beiträge dieses Bandes.

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Marker sind (2) nicht der Ausgangspunkt, aber ebensowenig sind sie bloßes Produkt von Markierungsprozessen. Vielmehr zeigen einige der Beiträge, dass Markierungsprozesse auf ihnen vorgängige Objekte zurückgreifen, die in diesen Prozessen einen Funktionswandel hin zu Zeichen der Differenz durchlaufen. Marker, so die These, sind nicht immer schon als Marker in der Welt, sondern werden dazu gemacht. Daher verbietet es sich, Differenzierung und Markierung ausschließlich als getrennt und aufeinanderfolgend zu verstehen – in dem Sinne, dass zuerst eine Unterscheidung getroffen würde, die es in einem nächsten Schritt mit einem noch zu bestimmenden Marker zu kennzeichnen gilt. Vielmehr scheint es uns angezeigt, Differenzierung und Markierung als verschränkte Teile desselben Prozesses zu denken: eine Unterscheidung erhält nur durch ihre Markierung als solche langfristigen Bestand und intersubjektive Wahrnehmbarkeit. Folgt man Spencer Browns Gesetzen der Form, in denen das Zeichen der Unterscheidung schlicht „the mark“ heißt und „marked states“ von „unmarked states“ trennt, ist eine Unterscheidung, die nicht als solche markiert ist, keine Unterscheidung: „First we may illustrate a form, such as a circle or near-circle. A flat piece of paper, being itself illustrative of a plane surface, is a useful mathematical instrument for this purpose, since we happen to know that a circle in such a space does in fact draw a distinction“. (Spencer Brown 1972: 78–79) Die Einsicht in diesen Zusammenhang stellt die Analyse von Markern und Markierungen vor allem dort vor Schwierigkeiten, wo es deren zeitliche Dimensionen herauszuarbeiten gilt. Wenn Differenzierung und ihre Kennzeichnung nicht ohne einander denkbar sind – wo nimmt dann die Geschichte des zur Untersuchung stehenden Markers ihren Ausgang? Marker sind (3) keineswegs selbstevident. Ob es sich beim fraglichen Objekt um einen Marker handelt und wofür dieser Marker steht, liegt für den Beobachter nicht selten im Unklaren. Es bedarf daher bisweilen einigen Aufwandes seitens der Akteure, Evidenz und Eindeutigkeit herzustellen, das heißt Objekte als Marker wahrnehmbar zu machen und ihre Bedeutung intersubjektiv zu klären. Für unsere Analysen stellt sich daher vor allem die Frage, nach welchen Logiken die Praktiken und Diskurse funktionieren, die Markern Evidenz und Bedeutung verleihen. Umgekehrt eröffnet allerdings gerade diese mangelnde Selbstevidenz die Möglichkeit, in Differenzierungen bewusst mit Mehrdeutigkeiten zu arbeiten. Markierungsprozesse, das zeigt die Mehrzahl der vorliegenden Beiträge, sind deutungsoffen und sub-

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vertierbar. Marker können gelegentlich Gegenstand des Spielerischen sein; sie können angeeignet und abgelegt werden; ihre vielschichtigen Bedeutungen lassen sich flexibel und situationsspezifisch einsetzen. Mehr noch: Marker erlauben ihren Trägern zumindest prinzipiell die Umkehrung der Konnotationen, die mit ihnen auf der Gegenseite einhergehen. Derartige Fälle des „symbolic reversal“ machen deutlich, dass Fremdmarkierung und Eigenmarkierung enge Verknüpfungen eingehen können und dass die auf Markern beruhenden Vorstellungen vom jeweils Anderen wenngleich nicht kurzfristig und beliebig, so doch potentiell wandelbar sind. Jedoch verlaufen (4) auch derartige „Spiele“, wo sie überhaupt möglich sind, keineswegs beliebig. Nicht nur die Einbettung von Markern in Machtstrukturen setzt einem jeden Spiel mit ihnen Grenzen, sondern nicht zuletzt auch die Widerständigkeit des Materials, das als Marker dient. Der menschliche Körper beispielsweise, welcher in vielen der Beiträge die physische Grundlage der untersuchten Marker bildet, besitzt eine Trägheit, die den Spielräumen für Identitätskonstruktionen ihre Widerstände entgegensetzt. Eine Änderung der eigenen Geschlechtsidentität beispielsweise erfordert mehr als eine bloße Willensentscheidung. Vielmehr sind zusätzlich „Verhaltens- und Handlungsformen nötig, die eine Zeitlang festgehalten werden […] und die dazu imstande sind, verschiedene Körperformen und Körperidentitäten zu prägen und hervorzubringen“ (Gumbrecht 2004: 81). Im Bewusstsein dessen müssen Analysen von Markierungsprozessen immer auch diejenigen Inszenierungen in den Blick nehmen, die erforderlich sind, wenn ein Marker als Grundlage der Konstruktion oder Verschiebung von Identitäten fungieren soll. Anders gesagt: mit Markern lässt sich spielen. Nach welchen Regeln jedoch dieses Spiel zu spielen ist, bestimmt maßgeblich sein Material. Marker gehören (5) zum Arsenal der „Kontrolltechnik Normalisierung“ (Mehrtens 1999): Praktiken, die zwischen „normal“ und „nicht-normal“ differenzieren und Individuen ihre Individualität als Grad der Abweichung vom Standard zuschreiben, benutzen Marker zu Zwecken des Messens, Vergleichens und Darstellens. Daher können Markierungsprozesse auch scheinbar so profane, aber folgenreiche Tätigkeiten umfassen wie das Notieren einer Zensur im Lehrerkalender, das Ankreuzen einer Staatsangehörigkeit auf einem Formular oder das Eintragen des ICD-Codes für eine ärztliche Diagnose. Die schulische Prüfung, das Asylverfahren oder die medizinische Untersuchung nutzen Marker zur „‚Formalisierung‘ des Individu-

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ellen innerhalb von Machtbeziehungen“ (Foucault 1976: 244). Sie sind „Codes der Disziplinarindividualität, mit denen sich die […] individuellen Züge vereinheitlichen und verschlüsseln lassen: der physische Code der Signale, der medizinische Code der Symptome, der schulische oder militärische Code der Verhaltensweisen und Leistungen“ (ebd.). Die Dispositive der Disziplinargesellschaft, so ließe sich im Anschluss an Foucault formulieren, beruhen maßgeblich auf dem Einsatz symbolischer, abstrakter, formalisierter Marker, die die Klassifikation von Individuen unabhängig von ihrer körperlichen Präsenz erlauben. Wenn Marker (6) Grenzen zwischen Menschengruppen kennzeichnen, so sind sie unweigerlich in Fragen des Verhältnisses von Mehr- und Minderheiten verstrickt. Marker entscheiden maßgeblich mit darüber, wer – in der jeweiligen Wahrnehmung – zu welcher Seite gehört: „wir“ sind solchermaßen, „die“ sind solchermaßen markiert. Durch ihre Eigenschaft, Komplexes zu reduzieren, werden Marker zur Grundlage für unser Bild vom jeweils Eigenen oder Anderen. Daher sind Marker keineswegs auf die Rolle als neutrale, unschuldige Kognitionsentlaster beschränkt, die schlicht dazu dienen, Menschengruppen erkennbar zu machen. Vielmehr zeigen beispielsweise die Geschichten des Rassismus und des Antisemitismus – deren Logiken maßgeblich auf Körper-, Sprach- oder Verhaltensmarkern aufbauen –, dass Marker immer schon Komplizen sind, wenn es darum geht, Ideologeme über die Minderwertigkeit („Buschmänner“) bzw. Überlegenheit („jüdische Weltverschwörung“) von Menschengruppen ins Leben zu rufen und auf dieser Basis deren Ausbeutung bzw. Vernichtung voranzutreiben. Gerade weil Marker es ermöglichen, Menschengruppen ihre Mitglieder (mit wechselnder Treffsicherheit) zuzuordnen, tragen sie auch maßgeblich zur Fortpflanzung derartiger Ideologeme bei und sind dort, wo ein Kollektiv sich gegen ein anderes durchzusetzen sucht, nicht selten der Dreh- und Angelpunkt von Identitätspolitik: „white pride“, „black power“. Dieser Band ist hervorgegangen aus einer Mainzer Tagung im September 2011. Die großzügige Förderung von Tagung und Band verdanken wir dem dortigen Forschungszentrum Sozial- und Kulturwissenschaften (SOCUM). Im Austausch zwischen den Arbeitsgruppen zum un/doing differences und zur öffentlichen Konstitution von Minderheiten ist die Idee zu dem Projekt entstanden, dessen Ergebnisse dieser Band versammelt. Seine Beiträge spiegeln unseren fachübergreifenden Zugang zu Markern und

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Markierungen wider und widmen sich somit höchst unterschiedlichen Untersuchungsgegenständen. Den Begriff des Markers von seinen Grenzen her zu fassen, ist das Anliegen von Christian Meyer. Sein Beitrag hebt den Bezug auf lokale, situierte Interaktionen hervor. Auf Grundlage von Feldforschungen am Boxring versucht Meyer, im Sinne von Garfinkels ‚accountability‘ eine Differenzierung zwischen markierten und unmarkierten Praktiken herauszuarbeiten. Bei der Frage nach dieser Differenzierung verweist er auf Probleme, die zur Vorsicht bei einer allzu breiten Anwendung des Begriffs mahnen, um den sich dieser Sammelband dreht. Miguel Souza untersucht, wie die Aussprachevarianten der Diskurspartikel alter unter Schülern als soziolinguistische Marker fungieren. Sein Beitrag, der William Labovs Dreiteilung soziolinguistischer Variablen in Indikatoren, Marker und Stereotypen als Ausgangspunkt nimmt, sucht holistische Perspektiven auf sprachliche Varietäten zu überwinden. Auf der Grundlage eines ethnographischen Ansatzes arbeitet er die Prozesse heraus, die soziolinguistischen Markern ihre Bedeutung erst im Kontext sozialer Interaktion zuweisen. Ebenfalls aus linguistischer Perspektive untersucht der Beitrag von Jan Zienkowski die sprachliche (Selbst)Positionierung von Subjekten im Verhältnis zu den Diskursen, in die sie eingebunden sind. Wenn, so die Annahme, Subjekte maßgeblich durch ihre Verortung in Zeit-, Raum- und Gesellschaftszusammenhängen definiert sind, erhält die Frage nach der Markierung dieser Verortung besondere Bedeutung. Am Beispiel belgischmarrokanischer Politaktivisten und Intellektueller untersucht der Beitrag deren Gebrauch metapragmatischer Marker – jener Elemente also, mit denen ein Diskurs etwas über sich selbst aussagt. Nach welcher Logik funktionieren metapragmatische Marker in der Artikulation der eigenen sozialen und politischen Stellung? Yannik Porsché geht über einen speziellen Marker hinaus – hin zu einer multimodalen Interaktionsanalyse anhand einer Fallstudie, die sich mit Gesprächen rund um eine französisch-deutsche Museumsausstellung über Nationen, Migration und das Fremd- und Anderssein beschäftigt. Seine Beispielanalysen zeigen, wie verbale und non-verbale Marker Gruppenzugehörigkeit erzeugen und stützen, wie sie kontextualisiert werden und welche Rolle sie in der Aushandlung von Wissenshoheit spielen.

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Désirée Bender und Johannes Beetz widmen sich ebenfalls der Untersuchung (massen)medialer Daten, indem sie sich der Frage zuwenden, wie in einer Fernsehdokumentation über den als „Kannibalen von Rotenburg“ populär gewordenen Armin Meiwes Differenzen zwischen Zugehörigkeitsbzw. Mitgliedschaftskategorien gezogen und markiert werden. Sie zeigen, wie unhinterfragtes, meist implizites Wissen über Polaritäten wie Mensch– Monster, gesund–krank, normal–anormal durch mediale Mittel in der Beund Aufarbeitung Meiwes’ reproduziert wird und wie Differenzen zwischen solchen Kategorien markiert werden. Auch der Beitrag Christian Knöpplers irritiert oder erweitert den eingangs beschriebenen Fokus auf die Herstellung von Menschensorten. Marker nämlich, so seine Grundannahme, sortieren nicht nur Menschen, sondern sind bereits dort im Spiel, wo noch vor jeder weiteren Klassifikation die Grenzziehung zwischen Mensch und Nichtmensch auf dem Plan steht. Knöppler nimmt ein Filmgenre in den Blick, das wie wohl kein anderes von der Faszination dieses Grenzbereichs lebt. Die Protagonisten des Horrorfilms mögen Menschen mit unmenschlichem Verhalten sein wie Norman Bates, übernatürliche Nichtmenschen mit menschlichem Aussehen wie der klassische Zombie oder mit den gewohnten Kategorien kaum fassbare Wesen mit Aussehen und Verhalten jenseits alles Menschlichen wie das schlicht „The Thing“ genannte Monster aus dem gleichnamigen Film. Immer jedoch bedarf es körper- oder verhaltensbezogener Marker, mit deren Hilfe der Horrorfilm die Klassifikation klärt, verschiebt oder im Dunkeln hält. Mittels einer Analyse des Films Happy-Go-Lucky demonstriert Anita Wohlmann immaterielle Markierungsprozesse im Kategorienfeld Alter. Sie zeigt auf, dass chronologisches oder körperliches Alter(n) nicht zwingend deckungsgleich mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung einhergeht, sondern in Aushandlungsprozesse von Andersartigkeit eingebunden werden kann. Marker sind hier geprägt vom kulturellen Wissen der Zuschauer über typische altersgemäße Verhaltensformen. Wohlmann macht dafür den von Lévi-Strauss geprägten Begriff des „flottierenden Signifikanten“ fruchtbar: eines Signifikanten also, der eine Verknüpfung zu einem Signifikat noch nicht oder nicht mehr besitzt und daher potentiell jeden beliebigen Sinn annehmen kann. Einen „haarigen“ Marker – das Verhältnis von Kultur und Frisur – haben Cassis Killian und Caroline Schmitt als Analyseobjekt gewählt. Kilian

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betrachtet die Entwicklung der Inszenierung von weiblichem wie männlichem Haar im afrikanischen Film seit den siebziger Jahren. Im Sinne Frantz Fanons stehen dabei die Darstellung von Identitäten und afrikanische Selbstwahrnehmungen im Mittelpunkt. Sie beschreibt ein diskursives Spannungsfeld von Anpassungstechniken in Form westlicher ästhetischer Normen und der Darstellung von Rückbesinnung auf afrikanische Kulturtechniken in Form von traditionellen Frisuren, sowie deren Auf- und Ablösung. Schmitt untersucht anhand eines biographischen Beispiels die individuelle Einflussnahme auf die Wirkweise eines Markers. Sie gibt dazu einen Abriss über die Entwicklung des negativ konnotierten Markers „Afrohaar“ im Kolonialismus und seine Reproduktion hinein in die heutige Zeit. Vor allem aber zeigt sie anhand von Interviewausschnitten mit der Gründerin einer Schule für Afrohairstylisten, wie es durch (De)Konstruktion sowie Aushandlungs- und Anerkennungsprozesse zu einer ambivalenten Wahrnehmung von Markern kommen kann. Mit den Machtverhältnissen, die Differenzmarkierungen im Verhältnis von Mehr- und Minderheiten ebenso erzeugen wie voraussetzen, beschäftigt sich Christine Schlickum. Sie richtet ihren Fokus auf die Kategorie „mit Migrationshintergrund“ und arbeitet in Gruppengesprächen mit Lehramtsstudierenden (mit und ohne Migrationshintergrund) heraus, wie der Handlungs- und Interessensspielraum einer Minderheit vor dem Hintergrund kategorialer Zuschreibung relativiert bis eingeschränkt wird. Die politische und rechtliche Dimension von Differenzmarkierungen steht im Mittelpunkt des Beitrags von Doris Unger. Seit 2006 verbietet in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – im Gegensatz zu Artikel 3 des Grundgesetzes nicht dem Staat, sondern seinen Bürgern untereinander – die Ungleichbehandlung „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ (§ 1 AGG). Da sich Bürger jedoch ebenso nach einer Vielzahl weiterer Merkmale differenzieren lassen, steht eine jede Auswahl derartiger Merkmale unter erheblichem Legitimationsdruck – ein Umstand, den nicht zuletzt das berühmt gewordene „Ossi-Urteil“ 2009 ins öffentliche Bewusstsein gerückt hat. Vor dem Hintergrund des Prinzips der Chancengleichheit stellt sich somit die Frage nach der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Marker und des rechtsstaatlichen Umgangs mit ihnen.

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L ITERATUR Bowker, Geoffrey/Star, Susan Leigh (1999): Sorting Things Out. Classification and its Consequences, Cambridge, MA: MIT Press. Fenstermaker, Sarah/West, Candace (1995): „Doing Difference“, in: Gender and Society 9(1), S. 8–37. Foucault, Michel (1976 [1975]): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Gumbrecht, Hans Ulrich (2004): Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Mehrtens, Herbert (1999): „Kontrolltechnik Normalisierung: Einführende Überlegungen“, in: Werner Sohn/Herbert Mehrtens (Hg.) (1999), Normalität und Abweichung. Studien zur Theorie und Geschichte der Normalisierungsgesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 45–64. Murphy, Gregory L. (2002): The Big Book of Concepts, Cambridge, MA: MIT Press. Sarasin, Philipp (2001): Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers, 1765–1914, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Spencer Brown, George (1972 [1969]): Laws of Form, New York: Julian.

Marker und Interaktion

Situierte Markiertheit und Accountability Boxen als verkörperte reflexive Aktivität C HRISTIAN M EYER

1. E INLEITUNG Das Konzept des Markers, wie es in der Linguistik entwickelt wurde, geht von einigen starken Prämissen aus, die semiotische, aber auch soziale und kulturelle Vorgänge betreffen. Dazu zählt, dass kulturelle Normalitätserwartungen existieren, die insbesondere dann nicht weiter thematisiert werden müssen, wenn ihnen entsprochen wird. Um ein Phänomen dagegen herauszustellen – sei es, um es positiv hervorzuheben oder als abweichend zu stigmatisieren –, mithin um es in irgendeiner Form als besonders zu kennzeichnen, wird es markiert. Markierung entsteht der Theorie zufolge also durch die Hinzufügung eines Elements, das einem Phänomen zum einen größere Komplexität und zum anderen auch eine größere Seltenheit im Auftreten verleiht (vgl. dazu Haspelmath 2006; Battistella 1996). Ein markierter Gegenstand umfasst somit eine größere Menge an Information als ein unmarkiertes Phänomen, nämlich Information über die den Gegenstand betreffende Normalitätserwartung und über deren Überschreitung, d.h. also über sein von der Norm abweichendes Selbst und über die der Abweichung zugrunde liegende Norm der unmarkierten Anderen. Ein Marker hat also einen (einfach) reflexiven Charakter. Gegenstand des vorliegenden Textes sind einige der in diesem, aber auch über ihn hinausgehenden Sinne reflexiven Markierungsaktivitäten von Boxern, die dazu dienen, einen Boxkampf als verkörperte soziale Praxis

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auszuüben und zu gestalten. Auf der Basis dieser Untersuchung werden zwei Kritikpunkte am Markiertheitskonzept formuliert: Zum einen wird sich herausstellen, dass Markierung im Boxen ebenso wie in vielen anderen sozialen Praktiken und kulturellen Bereichen nicht absolut zu verstehen ist, d.h. als universelles semiotisches Prinzip, das Abweichungen von einer einzigen, stets unmarkierten Norm anzeigt. Es ist vielmehr meistens relativ, d.h. als prinzipiell bezogen auf einen aktiv von den Beteiligten hervorgebrachten Arbeitskonsens oder eine Rahmung (im Goffmanschen Sinne), zu verstehen. Dies hat zur Folge, dass Markierung als situiert zu begreifen ist, d.h. also als eine sich aktiv auf einen als bekannt vorausgesetzten Kontext beziehende (kontextsensitive) und damit prinzipiell variable Praxis. Zum anderen zeigt die Untersuchung, dass im Boxen und in der weiteren sozialen und kulturellen Welt Unmarkiertheit eher eine Ausnahme, also den seltenen Fall, darstellt, da Menschen grundsätzlich sinnkonstituierende und sinndeutende Wesen sind, die soziale und kulturelle Intersubjektivität (und damit soziales Leben und kulturellen Sinn überhaupt) nur dann kontinuierlich aufrechterhalten können, wenn sie ihren Praktiken prinzipiell eine interpretierbare Ebene beifügen. Verlieren sie diese Intersubjektivität ermöglichende Markiertheitsebene, dann verlieren sie auch ihren Status als soziale und kulturelle Akteure überhaupt.

2. S ITUIERTE M ARKIERTHEIT

UND

A CCOUNTABILITY

Der Begründer der Ethnomethodologie, Harold Garfinkel, dem ich in der hier dargestellten Argumentation folge, hat auf den im genannten Sinne zugleich „verkörperten“ und „reflexiven“ Charakter von Markierungs-, bzw., wie er sie nennt, Accounting-Praktiken aufmerksam gemacht: „The ‚reflexive‘, or ‚incarnate‘ character of accounting practices and accounts makes up the crux of [my] recommendation [that the activities whereby members produce and manage settings of organized everyday affairs are identical with members’ procedures for making those settings ‚account-able‘].“ (Garfinkel 1967: 1)

B OXEN ALS

VERKÖRPERTE REFLEXIVE

A KTIVITÄT | 27

Garfinkel hat das Accountability-Konzept1 besonders ausführlich und nachhaltig an Beispielen, insbesondere dem Beispiel der transsexuellen jungen Frau Agnes, herausgearbeitet und illustriert. In einer Studie in Garfinkel (1967) vollzieht er detailliert nach, wie Agnes auf sehr unterschiedlichen Ebenen des sozialen Verhaltens die Praktiken kultureller Weiblichkeit im Kalifornien der 1950er Jahre erlernte und einübte. Z.B. lehrte sie ihr Freund, in Gesprächen und Diskussionen nicht zu insistieren und nicht so oft ihre Meinung zu sagen, weil das unweiblich sei. Auch lernte Agnes klar definierte Höflichkeitshandlungen von Männern (z.B. in den Mantel helfen, Tür aufhalten) zu erwarten und andere selbst zu praktizieren (z.B. Gästen Getränke servieren). Agnes’ große und von Garfinkel gewürdigte Leistung als Geschlechtswechslerin bestand also darin, eine scheinbar natürlich verkörperte weibliche Unmarkiertheit in ihrem Verhalten mit großer Mühe erst aktiv und reflexiv hervorzubringen. Auf diese Weise hat Garfinkel demonstriert, dass nur über solche reflexiven Markierungs- bzw. AccountingPraktiken soziale und kulturell gerahmte Realitäten wie etwa die der scheinbar natürlich gegebenen Existenz einer zweigeschlechtlichen sozialen Welt hervorgebracht werden.2 „[Agnes’] specialty consisted of treating the ‚natural facts of life’ of socially recognized, socially managed sexuality as a managed production so as to be making these facts of life true, relevant, demonstrable, testable, countable, and available to inventory, cursory representation, anecdote, enumeration, or professional psychological assessment; in short, so as unavoidably in concert with others to be making these facts of life visible and reportable – accountable – for all practical purposes.“ (Garfinkel 1967: 180)

Letztlich werden Garfinkels Konzept zufolge auch ganze soziale Strukturen erst durch diese reflexiven Markierungs- bzw. Accounting-Praktiken des

1

Zur näheren Bestimmung von Accountability hat Garfinkel auch eine Reihe von Umschreibungen geliefert. Dazu zählen etwa: „detectable, countable, recordable, reportable, tell-a-story-aboutable, analyzable – in short, accountable (Garfinkel 1967: 33) oder „countable, storyable, proverbial, comparable, picturable, representable - i.e., accountable“ (ebd. 1967: 34).

2

Die Agnes-Studie Garfinkels hat im Anschluss mit dem „Doing Gender“-Ansatz eine ganze Forschungsrichtung angestoßen (vgl. West/Zimmerman 1987).

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Alltagslebens hervorgebracht, auch wenn die Akteure selbst davon ausgehen, dass diese ihnen als externe Strukturen entgegentreten: „over the temporal course of their actual engagements, and ‚knowing‘ the society only from within, members produce stable, accountable practical activities, i.e., social structures of everyday activities.“ (Garfinkel 1967: 185) Garfinkel und seine Schüler haben neben Agnes’ gelebter Weiblichkeit noch weitere Beispiele für den reflexiven und zugleich verkörperten Charakter von Accounting-Praktiken angeführt: „for example, order of service in a queue, sequential order in conversation (or) the order of skilfully embodied improvised conduct“ (Lynch et al. 1983: 206). Man könnte sicher noch viele weitere soziale Aktivitäten hinzufügen, so wie etwa das gemeinsame Spielen eines Jazzstückes, ein Fußballspiel, das gemeinsame Streichen der eigenen vier Wände oder einen gemeinsamen Spaziergang. Zu den Beispielen der Ethnomethodologie und Konversationsanalyse zählt auch eines, das mittlerweile sehr gut erforscht ist, nämlich das Schweigen (vgl. dazu auch Bender/Beetz in diesem Band), das wegen seiner geringen Komplexität und dem Fehlen eines hinzugefügten Elements auf den ersten Blick an sich als unmarkierte Praxis verstanden werden müsste, dies freilich aber nicht ist, wie jeder und jede weiß, die einmal ein unangenehmes Schweigen oder eine peinliche Stille erlebt hat (man denke nur an eine nicht gegebene Antwort auf eine Frage!). Situierte Praktiken erzeugen, mit anderen Worten, eine „konditionelle Relevanz“ (Schegloff 1968), die zuvor unmarkiertes Verhalten plötzlich als markierte Praxis erscheinen lässt: „If, for instance, a silence in a conversation is ‚heard‘ by the analyst, and presumably by the participants, as an awkward pause in response to an invitation, the analytic ‚meaning‘ of this silence will be reflexively constituted in and through its sequential occurrence after the invitation, along with any embodied expressions of hesitancy or doubt that accompany that silence.“ (Lynch 1993: 36)

Mit dem Konzept des reflexiven, verkörperten Charakters sozialer Praxis weist Garfinkel also darauf hin, dass soziale Struktur nicht etwas ist, was einfach als externes Phänomen gegeben und existent ist und worüber gewissermaßen in einem zweiten Schritt dann von Seiten der sozialen Akteure gesprochen werden kann, sondern vielmehr etwas, das gerade von den Akt-

B OXEN ALS

VERKÖRPERTE REFLEXIVE

A KTIVITÄT | 29

euren in ihrem gelebten sozialen Tun aktiv und zugleich reflexiv durch die Interpretationsleistungen der Akteure hergestellt wird. „This order of activity is [...] ‚incarnate‘ in the specific, concrete, contexted and sequential details of actors’ actions. It is via the reflexive properties of actions that the participants [...] find themselves in a world whose characteristics they are visibly and describably engaged in producing and reproducing. It is through these same properties that the actors’ actions [...] are condemned to be meaningful.“ (Heritage 1984: 110)

Das Paradox, dass die Akteure selbst durch ihre verkörperten Praktiken die soziale Struktur erst herstellen, die sie selbst als gegeben und extern ansehen, stellt gerade die Möglichkeit bereit, dass sie selbst ihre Praktiken durch die Referenz zu einem sinnvollen Kontext mit Bedeutung versehen. Durch Referenz zum bisher geschehenen und von den Akteuren als implizit gegeben angenommenen Kontext wird erst jede nächste Handlung bedeutsam. „Each ‚next‘ action, in occurring in temporal juxtaposition to the sequence of actions comprising a setting, constitutes both an ‚incarnate‘ commentary on and an intervention in the setting in which it occurs. Actions-as-constitutive-of-their-settings and settings-as-constitutive-of-their-actions are two halves of a simultaneous equation which the actors are continually solving through a mass of methodic procedures. It is through these methods, brought to bear on a temporal succession of actions, that actors are continually able to establish the ‚state of play‘ between them, to grasp the nature of the circumstances in which they are currently placed and, not least, to assess the moral character, dispositions and identities of those with whom they are dealing.“ (Heritage 1984: 308)

Dies ist der Grund dafür, dass Accountability stets situiert (und damit gerade nicht universell strukturiert) ist, was Garfinkel auch mit dem Begriff der Haecceitas (Hier-und-Jetzigkeit) von Duns Scottus illustriert hat. Sinn wird daher immer temporal oder besser: sequenziell, d.h. durch Anschlusshandlungen erzeugt und manifestiert. „In short, it is through the application of methods of practical reasoning to a temporal succession of activities that all aspects of social action are rendered accounta-

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ble. [...] It is through, and only through, the reflexive accountability of its constituent deeds that every aspect of a situation of action, its participants, their rationalities and their motives can be known. It is this insight into the ineluctable, incarnate accountability of action which lies at the core of Garfinkel’s cognitive revolution in sociology.“ (Heritage 1984: 308)

Nachdem nun mit den Konzepten der Situiertheit, Verkörpertheit und Reflexivität der theoretische Rahmen des vorliegenden Textes expliziert wurde, soll im Folgenden ein Beispiel für den situierten, reflexiven und verkörperten (gewissermaßen sogar fleischlichen) Charakter von Markierungsund Accounting-Praktiken am Beispiel des Boxens vorgestellt werden, einer körperlichen Aktivität, die nichtsdestoweniger sozial und kulturell ist.

3. B OXEN

ALS VERKÖRPERTE REFLEXIVE

AKTIVITÄT

Im folgenden werden Videoaufzeichnungen, die im Rahmen des an der Universität Bielefeld angesiedelten Forschungsprojektes „Kommunikation unter Druck“ auf einer Meisterschaft im Amateurboxen erstellt wurden, vor dem Hintergrund des skizzierten Theorieansatzes analysiert.3 Die Fragen, die ich in der Analyse an das Material stellen möchte, sind: 1.

3

Was macht die physische Konfrontation des Boxkampfs zur sozialen Aktivität „Boxen“?

„Kommunikation unter Druck: Praktiken der Verständigung im Spitzensport“, finanziert von der DFG, Laufzeit 2011-2015, Projektleiter: Jörg Bergmann, Carmen Borggrefe, Klaus Cachay und Christian Meyer, Fakultäten für Psychologie und Sportwissenschaft und für Soziologie, Universität Bielefeld. Die Aufnahmen wurden von Ulrich von Wedelstaedt erstellt und von Eva Fenn und Julia Letetzki transkribiert, denen ich an dieser Stelle herzlich danke. Insbesondere danke ich Eva Fenn für die Bearbeitung der Standbilder. Die Auswahl und Analyse der Daten erfolgte in Zusammenarbeit mit Ulrich von Wedelstaedt, auch dafür sei ihm hier noch einmal herzlich gedankt. Die Kämpfe stammen aus unterschiedlichen Gewichtsklassen, dauern aber jeweils drei Runden. Die Namen der Boxer wurden aus Anonymitätsgründen geändert.

B OXEN ALS

2. 3. 4.

VERKÖRPERTE REFLEXIVE

A KTIVITÄT | 31

Wie wird das Boxen als ein Tun in einem Kontext spezifischer Art situiert? Welche Markierungs- bzw. Accounting-Praktiken werden von den Boxern verwendet? Kann Boxen tatsächlich im Sinne des Accountability-Konzepts als reflexive Praxis angesehen werden?

a. Boxen als situierte Aktivität Ich beginne mit den ersten beiden Fragen: Was macht die physische Konfrontation des Boxkampfs zur sozialen Aktivität „Boxen“? Und: Wie wird das Boxen als ein Tun in einem Kontext spezifischer Art situiert? Auf der Basis der vorliegenden Daten können die Merkmale identifiziert werden, mit denen die oben zitierte „nature of the circumstances“ verfahrensmäßig und methodisch hervorgebracht bzw., anders formuliert, der spezifische „Realitätsakzent“ des Boxens hergestellt wird. Mit „Realitätsakzent“ bezeichne ich – Schütz und Luckmann (2003: 55 et seq.) folgend – die ganze Palette an Mitteln, mit denen eine in unserem Falle deutlich deviante soziale Praxis als unhinterfragte, unproblematische und selbstverständliche – d.h. lebensweltliche – Wirklichkeit, als sogenannte „Sinnprovinz“ etabliert wird. Verhaltensweisen, die ansonsten sozial abgelehnt und sanktioniert würden – physische Gewalt gegen das Gegenüber insbesondere – sind im Boxen erwünscht und werden gefördert. Diese offensichtliche Spannung zwischen der alltäglichen und außeralltäglichen Welt wird durch rituelle (und insofern zunächst markierte) Praktiken vermittelt. Ein Boxkampf wird in Bezug auf mehrere Dimensionen gerahmt und so von der Alltagswelt abgegrenzt. In Bezug auf die temporale Dimension dient die Glocke dazu, den Anfang und das Ende der Zeiträume zu markieren, in denen Gewalt erlaubt ist, während sie außerhalb dieser Zeiten sanktioniert wird. In ähnlicher Weise wird auch ein räumliches Feld – der Ring – markiert und als derjenige Raum herausgehoben, in dem Gewalt legitimiert und erlaubt ist, während sie außerhalb dieses Raumes verboten ist. Was die Dimension der Handlungsmacht (agency) anbetrifft, so zeigt sich, dass auch hier besondere Bedingungen herrschen: Es werden spezifische soziale Rollen und soziale Regeln etabliert, die nur für den Zeitraum und Ort des Kampfes gelten. Während des Kampfes müssen die Kontrahenten und auch alle anderen Be-

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teiligten wie Trainer, Ringrichter, Punktrichter, Ringarzt, Zuschauer, Medien diesen klaren, vorab definierten Regeln folgen, und all ihre Aktivitäten werden in Bezug auf die Gefahr der Regelverletzung von eigens dafür benannten Rollenträgern beobachtet und eventuell sanktioniert. Einige der Beteiligten – besonders die Richter und Kontrollinstanzen der Sportorganisationen – werden rituell eingeführt (durch den Hallensprecher benannt) und von da an mit bestimmten Rechten ausgestattet, wie z.B. dem Recht, als vermittelnde und schiedsrichtende dritte Partei zu intervenieren und Regelverstöße zu bestrafen. Der Realitätsakzent der Sinnprovinz Boxen betrifft also alle drei kanonischen Apriori-Dimensionen Zeit, Raum und Agency/Kausalität. Um eine solche Redefinition und Redimensionalisierung der Lebenswelt zu erreichen, genügt es allerdings nicht, die Umdefinition und Neurahmung einfach durch einen Willensakt festzustellen oder auch zu proklamieren. Die neue Situationsdefinition (oder Sinnprovinz) muss vielmehr für alle Beteiligten augenscheinlich gemacht werden – beobachtbar, greifbar, erfahrbar und eben auch accountable – damit ihr Realitätsakzent modifiziert ist. In Transkript 1 wird deutlich, wie die Redimensionalisierung des Gewöhnlichen hin zum Außergewöhnlichen hier im Wesentlichen durch körperliche Aktivität – also praktisch – hervorgebracht wird. Während der Hallensprecher die Boxer namentlich vorstellt, positioniert der Ringrichter sie zugleich als – gerade auch in Bezug auf ihn selbst – Gleiche im Raum. Dies tut er durch eine fortlaufende Adjustierung seiner Gesten. Die Gegner werden nicht nur symmetrisch im Raum, sondern gerade auch in Bezug auf den unparteiischen Ringrichter positioniert. Die Symmetrisierung der Kontrahenten als Gleiche in Bezug auf das Regelwerk war zuvor schon mit dem Ritual des Wiegens begonnen worden, und wird jetzt erneuert und aktualisiert.

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Transkript 1

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Wie man sieht, holt der Ringrichter die beiden Boxer in einer symmetrischen Handgeste zu sich (Zeilen 1-4). Als der rechte Boxer zu schnell heranläuft, bremst er ihn, um die Äquidistanz zu wahren (Zeilen 5-6) und ruft den linken Boxer noch einmal betont zu sich (Zeilen 7-8). Schließlich führt er die beiden auf abgestimmte Weise und gleichzeitig zusammen vor sich und lässt sie sich abklatschen (Zeilen 9-11). b. Markiertheit, Accountability und Täuschung Nachdem diese neue Sinnprovinz nun erzeugt und mit ihrem spezifischen Realitätsakzent versehen ist, kann der Kampf beginnen. Die Fragen, die ich nun stelle, lauten: Gibt es Ethnomethoden von Boxern? Und: Kann Boxen tatsächlich im Sinne des Accountability-Konzepts als reflexive Praxis angesehen werden? Während des Kampfes sind die Kontrahenten gezwungen, im Laufe ihrer jeweiligen Aktivitäten nicht nur gegenseitig physische Gewalt auszuüben, um den Kampf zu gewinnen. Was sie noch sehr viel stärker machen müssen, besteht darin, Handlungen auszuführen, die seitens des Ringrichters als regelkonform und – noch wichtiger – seitens der Punktrichter als zu wertende Treffer beobachtbar sind und am Ende des Kampfes zu einem Punktgewinn aufsummiert werden können. Sie müssen also idealerweise

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A KTIVITÄT | 35

als Treffer zugleich effektiv und erkennbar sein – hier zeigt sich, wie passend das oben angeführte Identitätstheorem von Garfinkel ist. Für den Boxkampf sind derartig als unsichtbar natürlich hervorgebrachte, zugleich aber eben accountable Praktiken notwendig aufgrund der Existenz von dritten, beobachtenden und urteilenden Parteien. Allerdings bleibt es bei den meisten Aktionen der Boxer unklar, ob sie als erfolgreiche Treffer eines der beiden Boxer gezählt und verbucht werden können. Nur eine kleine Zahl von Schlägen kann eindeutig als Treffer gezählt und einem der beiden Kontrahenten zugeordnet werden. Ein Boxkampf ist aus diesem Grund nicht nur ein Wettstreit physischer Kraft, Ausdauer und technischer Fertigkeit, sondern gerade auch ein Wettkampf in der Kunst, den Kampfrichtern während der physischen Auseinandersetzung die am klarsten verbuchbaren, accountablen (d.h. nicht als markiert sichtbaren, aber eben doch demonstrativ erfolgreichen) Aktionen zu präsentieren. Umgekehrt ist es wichtig, Aktionen des Gegners, die potentiell als Treffer gewertet werden könnten, vor den Punktrichtern als eindeutig erfolglose Lufttreffer darzubieten. Aus diesem Grund beobachten die Boxer – und übrigens auch ihre Trainer – konstant ihre Opponenten und versuchen, ihre eigenen Aktionen gegenüber den Punktrichtern nicht nur als regelgerecht, sondern auch als wertbar und eindeutig, diejenigen der Gegner hingegen als sichtbar erfolglos zu präsentieren. Da der Kampf also nur durch eindeutig verbuchbare Aktionen gewonnen werden kann, wird die Notwendigkeit, klare Treffer zu erzielen, immer dringender, je näher das Kampfende rückt. Im Folgenden werden einige Sequenzen vorgestellt und analysiert, in denen die spezifische Accountability-Kultur des Boxens deutlich wird. Das erste Transkript zeigt, wie einer der Boxer ostentativ gegenüber den Punktrichtern deutlich macht, dass die Aktion des Gegners kein Treffer war. Der Trainer ruft währenddessen konstant Anweisungen in den Ring.

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Transkript 2 (T: Trainer)4 1

T:

als erster ruhig=

2

=ruhig als erster

3

JA:=JA:=JA:

4

(.)

5

T:

6

7

(--)

T:

8

9

10

und lang=lang

WEGge:hn=KEvin

(1,5)

T:

FÜ:hrungshand=nich lange wa:rt

selber aktiv=komm

Wie man sieht, weicht nach einem Nahkampf der im Vordergrund sichtbare Boxer zurück (Zeile 9), um dann zurückzuspringen und beide Arme nach oben zu halten (Zeile 10). Damit demonstriert er, dass er nicht getroffen wurde, allerdings in einer Weise, welche die Demonstration als natürlich und scheinbar beiläufig erscheinen lässt. Die nächste Sequenz zeigt wie gegen Ende des Kampfes die Notwendigkeit einer klaren und verbuchbaren Aktion dringender und relevanter

4

Eine Aufstellung der Transkriptionssymbole findet sich im Anhang zu diesem Text (S. 45).

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wird und wie dies vom Trainer und seinem Assistenten auch thematisiert und immer lauter in den Ring gerufen wird. Transkript 3 (T: Trainer; A: Assistent) 1

A:

2

T:

3

zwei unten EINE=MINUTE NOCH schön (-) und wieder lösen (-) JA=JA (--) von

4

A:

5

T:

6

[da yannik] [MACH

] ne=klare

[sache] [ja

] und nochmal

lang (-) schön (-)und gegen nochmal gegen (-) ja

7

A:

jawohl

8

T:

und wieder yannik hinten=raus=hinten=raus=komm

T:

yannik renn=raus (-) rechte mit (-) rechte=mit

9 10

(1,5)

11

[eins=zwei]

12

A:

[nich

13

T:

yannik RANGEHN ((klatscht 2 x)) (.) links=rechts

14 15

] mehr aufsparen jetz

(2,0) T:

16

JA und wieder (-) lang yannik (-) yannik grade (-) [yannik grade=grade]

17

A:

[er is zwei unten

18

T:

JA=doch (-)

19

A:

20 21

] (-) NOCH DREISSIG

KOMM=JETZT YANNIK (1,5)

T:

KOMM=YA BEIß=NOCHMAL=BEIß=NOCHMA=KOMM

22

(.) DREIßIG (-) SELBER

23

(2,5)

24

T:

25 26

A:

27 28

((klatscht 2 x)) KOMM=ZEHN JA=JA=JA

[WEITER] [SCHÖN ] (-) ausgeglichen=

[AUSGEGLICHEN=HE] T:

[YANNIK

]=WEITER=WEITER=

YANNIK=HEY= 29 30

[JA=JA (.) HEY=JA=JA ] A:

[noch ne klare aktion]=noch ne klare

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31

aktion=nochmal

32

T:

yannik=gib alles=jet=alles (.) hey=JA=JA

33

A:

NOCH [NE KLARE AKTION=KLARE] AKTION (-) KOMM (-) JA

34

T:

[KOMM=ALLES (-) ZEHN

] (-)

35

weglassen=yannik=weglassen (.) weglassen=

36

((Glocke läutet))

Die verbleibende Zeit wird ständig in den Ring gerufen und der Boxer wird vom Trainer und seinem Assistenten aufgefordert, klare und eindeutig wiedererkennbare Aktionen zu machen (Zeilen 4, 30/31, 33). Die Dramatik spitzt sich gegen Ende noch weiter zu, als auch der Punktestand hineingerufen wird (Zeilen 1, 17, 22, 34). Dass das Thema der Accountability nicht nur eine Beobachtungskategorie, sondern auch eine Akteurskategorie ist, wird im Folgenden noch deutlicher. Die Boxer und ihre Trainer sind sich wohl bewusst, dass ihre Schläge so ausgeführt werden müssen, dass sie als regelkonforme und erfolgreiche Treffer verbuchbar sind, wie auch unser nächstes Beispiel zeigt. Transkript 4 (T: Trainer) 1

T:

tief=atmen=JA YANNIK (-)

2

du bist=nen=bisschen=hier immer sohandel=mal=locker

3

(.) handel=mal=locker mach=ma=vo=vor=allen=ding=

4

von draußen (.) am=mann wartest du zu lang (.)

5

wartest=bis=der=geschlagen=hat (-)

6

geh einfach raus dann schlach ihn wenn er stehen

7

bleibt (.) und von draußen links=rechts=die rechte

8

mit (.) aber gerade des=op=des=wird=op

9

optisch sichtbar

10 11

(1,5) T:

12 13

T:

14 15

tief=atmen=tief=atmen (2,0) schön (-) schön (1,5)

T:

also=fang=mit=fang=mit=der=linken=an

16

und=dann=locker=dschu:ng=de=deng=bu:ng=de=deng (.)

17

dann die schlachhand mitnehmen (.)

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VERKÖRPERTE REFLEXIVE

A KTIVITÄT | 39

18

aus der langen distanz yannik (-)

19

ruhig=noch mal beißen yannik=komm=noch mal kämpfen

20

(-) aber locker=bleib yannik locker=schlag mal

21

lockrer (-) so wie du, das dauert zu lange

22 23

(1,0) T:

komm handel=ma (.)

24

weiter machen yannik

25

(2,0)

26

((Glocke läutet))

Der Trainer empfiehlt seinem Boxer hier während einer Rundenpause, nochmal aus der langen Distanz zu schlagen, da dies für die Punktrichter optisch besser sichtbar wird (Zeilen 3/4, 8/9, 18). Ein Boxkampf ist für die Akteure ein dramaturgisch genau choreographiertes Geschehen, das jeweils gegen Rundenende und auch am Kampfende noch einmal beschleunigt wird. Der Kampf wird dann hektischer und beide Boxer versuchen, klar verbuchbare Treffer zu landen, um den Kampf nach Punkten zu gewinnen. In dieser letzten Phase erlangt das Boxen oft auch immer stärker eine nicht nur verkörperte, sondern tatsächlich karnale, fleischliche Dimension. Verletzungen wie geschwollene Augen oder Cuts, die jetzt sichtbar werden, können von den Punktrichtern direkt als Zeichen (oder, wie Garfinkel sagen würde, Dokumente) für erfolgreiche Treffer des Gegners gewertet werden und so das Ergebnis beeinflussen. Die gewissermaßen ultimative und finale Form der Accountability für einen erfolgreichen Schlag wäre sicher der K.O. Aber selbst in diesem Fall könnte der gefallene Boxer versuchen, aufzustehen und zu demonstrieren, dass er nicht bewusstlos, sondern z.B. nur ausgerutscht oder gestolpert war. Während die Boxer also einerseits ständig damit beschäftigt sind, die Legitimität und den Erfolg ihrer Aktionen nach außen sichtbar und verbuchbar zu machen, versuchen sie andererseits, ebenso viele andere Aspekte ihrer eigenen Aktionen (Absichten, Manöver, Taktiken) oder der Aktionen des Gegners (Treffer) zu verbergen und gegenüber dem Gegner, dem Ringrichter oder den Punktrichtern durch Finten, Verschleierung und Täuschung unsichtbar zu machen. Diese Täuschungsmittel basieren also wie in vielen anderen Bereichen des Lebens auf der Existenz des zunächst kooperativen, sozialen Accountability-Prinzips. Oder, in Stephen Levinsons Worten, die Möglichkeit, machiavellische (strategische, Täuschungs-) Intelli-

40 | C HRISTIAN M EYER

genz anzuwenden, basiert auf der Vorbedingung, dass humesche (interaktionale, Kooperations-) Intelligenz bereits vorhanden ist und reibungslos funktioniert (Levinson 1995). Die Tatsache also, dass (wie so oft und auch hier) Accountability die einzige mögliche und verlässliche Quelle für die Bewertung der sozialen Situation Boxen seitens der Punktrichter ist, verstärkt die Notwendigkeit von Täuschungspraktiken. Diese sind besonders effektiv bei scheinbar verbuchbaren Aktionen wie erfolglosen Schlägen, die dennoch als Treffer verbucht werden, und erfolgreichen Treffern, die als Luftschläge gewertet werden. Auch wenn Fleischwunden, Cuts, scheinbar unumstritten und unbestreitbar sind, können auch hier Täuschungsmanöver eine Rolle spielen. Trainer und Boxer versuchen daher durchaus, Verletzungen zu verbergen. Dies zeigt das nächste Beispiel, in dem der Trainer (links im Bild) und sein Assistent (rechts) in einer Rundenpause verdeckt Vaseline auf einen Cut am Auge des Boxers auftragen (Zeilen 1, 3, 7, 12). Transkript 5 (T: Trainer) 1

T:

2

3

oh wat hattn DER=der hat Auge uff

((Glocke läutet))

T:

vaseLIne

4

DURCHatmen sehr gut pass uff hast äh fünfe VORne=

5

=tie:f durchatmen SO lass nich

6

(1.5)

7

T:

has VERSTECKN BISSCHEN

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8

die FÜHRUNGShand oben=führungshand

9

versuch nochma höher zuhauen=

10

=schlägste die RECHte schlägst die RECHte

11

ja mein spross

12

du musst da einfach NUR .h nur äh (-) die akTION

13

schlagen=da kriste sofort PUNKte

Materialitäten wie die Haut des Boxers können also zusätzlich zur Performanz eine Form von Accountability herstellen. Sie können zu einem wichtigen Bestandteil des Netzes bedeutsamer Sichtbarkeiten werden, über die letztlich die Punktrichter den Sieger und Verlierer des Kampfes festlegen.

4. F AZIT Wie wir gesehen haben, werden innerhalb der kompetitiven Sinnprovinz des Boxens zunächst spezifische soziale Regeln etabliert und institutionalisierte Handlungsmächte erschaffen, die mit dem Recht ausgestattet sind, den Wettbewerb zu beobachten und mit Bezug auf Regelkonformität, Erfolg oder Misserfolg zu evaluieren. Die Boxer folgen jedoch nicht einfach den vorgegebenen Regeln, sondern sie sind auch damit beschäftigt, ihre Aktionen in Bezug auf diese Regeln accountable zu machen – d.h. sichtbar,

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bezeugbar, berichtbar, rechtfertigbar, verbuchbar, etc.; dabei sind die Aktionen multiadressiert, d.h. nicht nur eindimensional, sondern mehrdimensional auf unterschiedliche Adressaten hin ausgerichtet – den Trainer, den Ringrichter, die Punktrichter, die Zuschauer zugleich. Mit dem Markiertheitskonzept kann dies aus zwei Gründen nicht gefasst werden: erstens sind die Aktionen nicht deutlich abgehoben von der Normalität der Schläge; ganz im Gegenteil soll die Ostentativität der Schläge möglichst nicht auffallen. Zweitens ist diese doppelt reflexive Markiertheit (s.u.) auf mehrere Adressaten spezifisch zugeschnitten und besteht nicht einfach nur eindimensional in einem Mehr an Information. Um auf die Accountability ihrer Aktionen zu achten, beziehen sich die Boxer auf die Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen, wie z.B. materielle Instrumente, räumliche Arrangements, etc. Obwohl also Accountability im Boxen als spezifische Sinnprovinz abgegrenzt wird, wird sie innerhalb eines responsiven Umfelds vollzogen, das die Zuschauer, die Richter, den Trainer etc. umfasst. In ihren accountablen Aktivitäten beziehen sich die Boxer auf dieses Umfeld. In der gleichen Weise, in der die Kontrahenten die Sichtbarkeit ihrer kompetitiven Aktionen hervorbringen, achten sie auch auf die Unsichtbarkeit ihrer Pläne, Strategien, Motive und zum Teil auch Handlungen. Damit ist ein elementarer Bestandteil der Accountability sein Potential für Täuschung. Auch dies widerspricht dem Markiertheitskonzept: Die Täuschung besteht gerade darin, dass eine markierte Aktion (z.B. ein Treffer) als unmarkierte (ein Fehlschlag) oder eine unmarkierte Aktion (ein Fehlschlag) als eine markierte (ein Treffer) dargestellt werden soll. Die zuletzt am Beispiel des Cuts angesprochene Dimension der Fleischlichkeit wirft dennoch die Frage auf, ob eine Basisdimension von Accountability und damit auch Universalien der Accountability angenommen werden könnte, die doch mit dem Begriff der Markiertheit gefasst werden könnte. So könnte man möglicherweise z.B. von Körperinskriptionen als unbestreitbaren Formen der Accountability ausgehen. Dazu würden dann die genannten Verletzungen als sichtbare Zeichen einkassierter Schläge des Gegners, aber auch Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Behinderung, Körpermutilationen etc. zählen. Accountability wäre dann auf dieser basalen strukturellen Ebene – vielleicht aber auch in Extension auf anderen, eher prozesshaften Ebenen – sehr ähnlich gedacht wie Markiertheit. Der Grundgedanke dabei wäre dann ebenfalls gewissermaßen, dass es eine unmarkierte

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Grundform (etwa den gesunden Körper) gibt, von der sich dann eine markierte Version abheben würde, die durch ihre Abweichung eine spezifische Gestalt und soziale Bedeutung erhält. Der Cut verweist auf viele kassierte Treffer, während die unverletzte Haut Normalität anzeigt. Ich möchte dieser Lesart allerdings widersprechen, da sie dem oben vorgestellten ethnomethodologischen Grundgedanken der stets situierten Hervorbringung sozialer Wirklichkeit widerspricht. Die ethnomethodologische Auffassung wäre demgegenüber, dass es keine universell unmarkierte Variante geben kann. Vielmehr sind Normalitätserwartungen, von denen sich eine markierte Variante abheben könnte, erstens jeweils situiert und situiert hervorgebracht, sie sind „taken for granted until further notice“ (Schütz 1962: 95) – d.h. nur solange sie nicht in Frage oder zur Diskussion gestellt werden. Das bedeutet, dass auch eine scheinbar „markierte Variante“ situativ als unmarkierte Basiserwartung behandelt werden kann, so wie etwa die Gewalt in der Sinnprovinz des Boxens. Innerhalb der jeweiligen Sinnprovinz, welche die Basiserwartungen strukturiert, werden die dazu gehörigen Alltagshandlungen (d.h. die als unmarkiert gedachten Praktiken) lediglich als „seen but unnoticed“ (Garfinkel 1967: 36 et seq.) behandelt. Ein so genanntes „noticeable“ (Schegloff 2007: 86-87), und sei es „noticeably absent“ (Sacks 1992: 293-94) wie z.B. das Schweigen nach einer Frage, wird damit insbesondere vor der Kontrastfolie impliziter Hintergrunderwartungen sichtbar. Diesen Basiserwartungen entsprechende Alltagshandlungen sind zweitens dadurch aber nicht unmarkiert, weil sie jederzeit bei auftretenden Störungen selbst ebenfalls in ihrer (kognitiven wie normativen) Normalität verbalisiert, relevant gemacht, praktisch erklärt und normativ begründet werden können, wie Garfinkel in einer ganzen Reihe von Studien gezeigt hat (Garfinkel 1967). Accountability bezeichnet damit im Gegensatz zur Markiertheit stets ein Potential der Relevanzmachung, auch wenn sie sich innerhalb der Normalitätserwartungen bewegt: Menschen handeln stets so, dass sie ihr Tun als ein Tun spezifischer Art dem Gegenüber interpretierbar machen, zugleich aber auch so, dass es bei auftretenden Störung normativ begründbar ist. Dies ist der Grund dafür, warum sie nach Auffassung von Heritage (s.o.) dazu verdammt sind, bedeutungsvoll und sinnhaft zu sein. Dies bedeutet: Aufgrund des doppelt (und eben im Gegensatz zu Markiertheitsphänomenen nicht nur einfach) reflexiven Charakters der sozialen Welt ist das Markiertheitskonzept nur bedingt auf soziale und kulturelle

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Gegenstände übertrag- und anwendbar. Mit doppelt reflexiv meine ich die Tatsache, dass Menschen in Interaktion nicht nur Erwartungen an ihre Gegenüber stellen, sondern auch die Tatsache mitbedenken, dass ihre Gegenüber auch Erwartungen an sie stellen, mithin Erwartungserwartungen an ihr Umfeld haben. Dies führt, wie Parsons und Luhmann es genannt haben, zur „doppelten Kontingenz“. Interaktion unter reflexiven Wesen ist nicht nur einfach kontingent, indem jeder Ko-Interaktant und jede Ko-Interaktantin aus egos Sicht selbst ein nicht-determiniertes Entscheidungsvermögen besitzt, sondern ego muss zusätzlich davon ausgehen, dass auch jeder und jede der beiden selbst davon ausgeht (und in seine/ihre Handlungsentwürfe mit einbezieht), dass auch sein/ihr Gegenüber (hier: ego) unvorhersehbare Entscheidungen trifft. Für die Markiertheitsproblematik bedeutet dies, dass Markiertheit zu einem ständig reflexiv verhandelten Phänomen wird und keine unmarkierte, neutrale Normalitätsvariante mehr existieren kann, die nicht selbst als zumindest potentiell markiert in das Licht der Interaktion gerückt werden kann. Das beweist alleine schon die oben bereits genannte Tatsache, dass Täuschung gerade auf dem Vermögen basiert, dass unmarkierte Praktiken als markierte und umgekehrt dargestellt werden können. Ein Morphem wie das Präfix un- von unglücklich (um ein häufig genanntes Beispiel zu verwenden) ist im Gegensatz zu einer solchen, von einem reflexiven Individuum ausgeübten sozialen Praxis eben gerade nicht dazu in der Lage, je nach Kontext sich selbst als unmarkiert zu definieren und die eigene Markierungsfunktion abzulegen oder sich selbst als ein neutrales Element statt eines markierenden Partikels darzustellen.

L ITERATUR Battistella, Edwin L. (1996): The Logic of Markedness. New York/Oxford: Oxford University Press. Garfinkel, Harold (1967): Studies in ethnomethodology. Englewood Cliffs: Prentice-Hall. Haspelmath, Martin (2006): Against markedness (and what to replace it with), in: Journal of Linguistics 42, S. 25-70. Heritage, John (1984): Garfinkel and Ethnomethodology. Cambridge: Polity Press.

B OXEN ALS

VERKÖRPERTE REFLEXIVE

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Levinson, Stephen C. (1995): Interactional biases in human thinking, in: Esther N. Goody (Hg.), Social intelligence and interaction, Cambridge: Cambridge University Press, S. 221-260. Lynch, Michael (1993): Scientific practice and ordinary action: ethnomethodology and social studies of science. Cambridge: Cambridge University Press. Lynch, Michael/Livingston, Eric/Garfinkel, Harold (1983): Temporal Order in Laboratory Work, in: Karin Knorr Cetina/Michael Mulkay (Hg.), Science Observed: Perspectives on the Social Study of Science, London: Sage, S. 205-238. Sacks, Harvey (1992): Lectures on conversation. Volume I. Oxford: Blackwell. Schegloff, Emanuel A. (1968): Sequencing in Conversational Openings, in: American Anthropologist 70, 6, S. 1075-1095. — (2007): A primer in conversation analysis/1: Sequence organization in interaction. Cambridge: Cambridge University Press. Schütz, Alfred (1962): Choosing among projects of action, in: ders.: The Problem of Social Reality: Collected Papers I. The Hague: Martinus Nijhoff, S. 67-96. Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas (2003): Strukturen der Lebenswelt. Konstanz: UVK. West, Candace/Zimmerman, Don H. (1987): Doing Gender, in: Gender & Society 1, S. 125-151.

T RANSKRIPTIONSSYMBOLE = MAJUSKEL : (.) (-) (--) (1,5) [wort] ((wort)) .h

direkter Anschluss laut Vokallängung kurze Pause (unter 0,3 Sek.) mittlere Pause (ca. 0,5 Sek.) lange Pause (unter 1 Sek.) Pause in Sek. Überlappung mit dem nächsten Sprecher nonverbale Aktivität oder Glosse hörbares Einatmen.

Die Semiotik soziolinguistischer Marker am Beispiel der Diskurspartikel alter Sprachliche Variation in einer Gesamtschule1 M IGUEL S OUZA

E INLEITUNG Der Begriff Marker ist innerhalb der Soziolinguistik eng mit William Labovs Dreiteilung soziolinguistischer Variablen in Indikatoren, Marker und Stereotypen verbunden (Labov 1972). Diese unterscheidet sprachliche Elemente bezüglich des Grades ihrer sozialen Bedeutung für die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft. Marker gelten dabei als Träger sozialer Information, die bei quantitativen Analysen spezifische korrelationale Muster anzeigen. Seit Labovs einflussreicher Studie ist Marker eines der zentralen Konzepte soziolinguistischer Theorie. Wie neuere Studien jedoch gezeigt haben, ist Labovs statistischer Ansatz nur unzureichend in der Lage, die dynamischen Vorgänge zu erfassen, die über die Verbindung zwischen Form und Bedeutung sprachlicher Elemente im Kontext ihrer Äußerung bestimmen. 1

Ich danke Nils Lindenhayn, Britta Schneider, Jaspal Singh und Nora Sties für die Kritik einer früheren Version dieses Aufsatzes. Ein besonderer Dank geht an Manuel Erzgräber, der die meisten der Interviews transkribierte und, durch unsere gemeinsamen Diskussionen, auch inhaltlich zur Entwicklung dieser Studie beitrug.

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Ziel dieses Beitrags ist die Skizzierung derjenigen Prozesse, die soziolinguistischen Markern Bedeutung im Kontext sozialer Interaktionen verleihen. Anhand einer ethnographischen Studie werde ich für einen diskursund konversationsanalytisch orientierten Ansatz argumentieren, der den Fokus auf metapragmatische Diskurse und Funktionen (Silverstein 2003; 1993) richtet. Diese Perspektive soll einen analytischen Zugang zu den sozialen Dynamiken und Dialektiken semiotischer Vorgänge jenseits holistischer Konzepte wie „sprachlicher Varietät“ oder „Sprechstil“ eröffnen. Der Beitrag ist wie folgt organisiert: Im ersten Abschnitt werde ich den soziolinguistischen Ansatz Labovs skizzieren und auf einige damit verbundene Probleme hinweisen. Im zweiten Abschnitt stelle ich Michael Silversteins Konzeption der Metapragmatik und sein Modell der indexikalen Ordnung vor. Diese Perspektive wird im dritten Abschnitt anhand einer ethnographischen Studie in einer Gesamtschule illustriert. Die Untersuchung konzentriert sich auf den unterschiedlichen Gebrauch der Diskurspartikel alter durch die Schüler. Wie die Analysen zeigen, können die verschiedenen Aussprachen von alter (z.B. alta [alt‫ ]ܣ‬oder alla [al‫ )]ܣ‬im Kontext sozialer Interaktionen als „Indizes zweiter Ordnung“ (Silverstein 2003) eingesetzt werden und damit unterschiedliche Bedeutungen generieren. Diese potenziellen Bedeutungsnuancen kommen durch die Erfahrungen der Schüler mit sprachlicher Variation in ihrem Alltag zustande, in denen Diskurse über die Qualitäten verschiedener Sprechweisen, Personengruppen und Praktiken stets (re)produziert und verhandelt werden. Der Beitrag illustriert den Fall einer soziolinguistischen Variablen, die sich in Labovs Typologie irgendwo zwischen Marker und Stereotyp ansiedeln lässt.

1. L ABOVS M ARKER Labovs klassischer Ansatz (Labov 1972) ist auf die Analyse der Korrelation zwischen soziolinguistischen Variablen (wie z.B. die unterschiedlichen Aussprachen der Endung –ing im Englischen, wie in fishing und fishin`) und außersprachlichen Faktoren wie soziale Schicht oder Geschlecht gerichtet. Labov unterscheidet dabei drei Typen soziolinguistischer Variablen hinsichtlich des Grades ihrer sozialen Bedeutung innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Ein Indikator ist eine sprachliche Variable, die ggf. mit einer nicht-sprachlichen Kategorie quantitativ korreliert, ohne dass dies jedoch

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für die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft bedeutsam ist – Sprecher messen ihm keine soziale Funktion zu. Andere sprachliche Elemente hingegen können soziales Prestige innerhalb einer Sprachgemeinschaft ausdrücken und somit als Träger sozialer Information fungieren. Solche soziolinguistischen Variablen nennt Labov Marker. Aufgrund ihrer sozialen Bedeutung können Marker je nach stilistischem Kontext unterschiedlich eingesetzt werden (siehe unten). Der dritte und letzte Typ soziolinguistischer Variablen in dieser Taxonomie ist das Stereotyp. Ein Stereotyp ist ein sprachliches Merkmal, das so eng mit einer bestimmten sozialen Identität verknüpft ist, dass es eine prominente Position innerhalb der soziolinguistischen Landschaft einer Gemeinschaft einnimmt. Es ist als ein Bedeutungsträger stärker als ein Marker – und unterscheidet sich von diesem v.a. dadurch, dass es den Gegenstand offener metasprachlicher Kommentare bildet (vgl. Labov 1972: 314-315). Labovs Modell unterscheidet also drei Typen soziolinguistischer Variablen nach folgendem Schema in Hinblick auf den Grad ihrer sozialen Bedeutung für die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft, wobei Marker für die Soziolinguistik von besonderem Belang sind (der Grad der „sozialen Bedeutung“ steigt in der folgenden Darstellung von links nach rechts): Indikator < Marker < Stereotyp Eine zentrale soziale Variable in Labovs Ansatz ist die der sozialen Schichtzugehörigkeit einer Person, die anhand von Angaben über Beschäftigungsverhältnis, Einkommen und Bildung festgestellt wird. Seine sprachlichen Daten ermittelt Labov anhand von sogenannten soziolinguistischen Interviews, in denen die Sprache des Interviewten in verschiedenen stilistischen Kontexten akustisch festgehalten wird. Der stilistische Kontext bildet ein Kontinuum zwischen formellen und informellen Registern. Der Grad an Formalität entspricht hier der Menge an Aufmerksamkeit, die Individuen ihrer eigenen Sprechaktivität widmen. Als formell gilt z.B. ein Abschnitt des Interviews, in dem der Interviewte gebeten wird, eine Wortliste vorzulesen. Als relativ informell gilt hingegen ein Abschnitt, in dem offene Fragen gestellt werden und das Interview eher einem formlosen Gespräch ähnelt. Marker zeichnen sich in diesem Modell technisch dadurch aus, dass sie sowohl mit sozialer Schicht als auch mit stilistischem Kontext korrelieren.

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Dieses Verhältnis wird in Abb. 1 für die soziolinguistische Variable (r) in New York angezeigt (Labov 2006; 1972). Die Variable (r) entspricht dem Phonem /r/ in postvokalischer Position, wie z.B. in den Wörtern car, card oder four. Die Abbildung zeigt in ihrer vertikalen Achse den Anteil von /r/ in Prozent. Die horizontale Achse gibt die unterschiedlichen stilistischen Kontexte der Interviews an, wobei der Formalitätsgrad von links nach rechts ansteigt. Die Kurven stellen die verschiedenen sozialen Schichten der Interviewten dar. Abbildung 1: Die soziolinguistische Variable (r) in New York

Horizontale Achse: stilistische Kontexte. Vertikale Achse: Vorkommen von /r/ in Prozent. (nach Labov 2006: 140)

Wie die Abbildung zeigt, steigt der Gebrauch von /r/ prozentual in Relation zu sozialer Schicht und stilistischem Kontext: Je höher die Schicht und formeller der Kontext, desto höher das Aufkommen von /r/ wie in der standardsprachlichen Variante. Je niedriger die soziale Schicht und informeller der Kontext, desto häufiger wird /r/ nicht-standardsprachlich ausgelassen. Für Labov ist dieses Muster darauf zurückzuführen, dass die sprachliche Variable von Sprechern positiv als ein Marker einer gewissen sozialen Identität wahrgenommen wird, sodass sie auch soziale Bedeutung, d.h. allgemeines soziales Prestige, ausdrücken kann. Dadurch wird /r/ häufiger in formelleren stilistischen Kontexten eingesetzt, in denen die Sprecher mehr

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auf ihre eigene Sprechaktivität achten. Die Variable (r) ist somit ein soziolinguistischer Marker. Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, Labovs Ansatz einer grundlegenden Kritik zu unterziehen.2 Dennoch gibt es einige Punkte, auf die eingegangen werden muss, wenn wir die Perspektive auf die Semiotik soziolinguistischer Marker entwickeln möchten, wie sie im vorliegenden Beitrag vertreten wird. Labovs statistische Herangehensweise verlangt die Reduzierung multidimensionaler und dynamischer Phänomene auf eindimensionale Skalen und statische Kategorien. Die Konzeption von sozialen Schichten und stilistischen Kontexten als lineare Kontinuen, sowie die dichotome Aufteilung sprachlicher Phänomene in „standard“ und „nicht-standard“, geht weitgehend auf Labovs Bemühung zurück, sprachliche Variation analytisch mit quantitativen Methoden zu bändigen (vgl. Coupland 2007: 41). Neuere soziolinguistische Studien (vgl. z.B. Eckert 2008 und Coupland 2007 für einen Überblick) haben gezeigt, dass die Verwendung einer bestimmten Sprechweise durch Sprecher nicht einfach „Prestige“ oder ein Bekenntnis zu einer makro-sozialen Kategorie wie „obere Mittelschicht“ darstellt. Vielmehr sind die potenziellen Bedeutungen einzelner Sprechweisen nur in Relation zu den Qualitäten zu verstehen, die bestimmte Personenbilder (oder „soziale Typen“) und Einstellungen semiotisch im Kontext sprachlicher Interaktionen konstituieren. Diese meist ethnographischen Studien wenden den Blick ab von a priori festgelegten strukturellen Kategorien hin zur Analyse der sozialen Bedeutungen sprachlicher Elemente im Kontext ihrer Äußerung. Ein wichtiger Schlüssel zu dieser Perspektive sind die metasprachlichen Funktionen des Sprachgebrauchs. Diese werden im folgenden Abschnitt erläutert.

2. S PRACHLICHE V ARIATION

UND

M ETAPRAGMATIK

Mit dem Fokus auf metasprachliche Funktionen richten einige neuere soziolinguistische Studien (z.B. Androutsopoulos 2011; Bucholtz 2009; Johnstone/Kiesling 2008) ihre Aufmerksamkeit auf die reflexive Eigenschaft von

2

Für neuere kritische Einordnungen dieses Ansatzes innerhalb der Soziolinguistik siehe z.B. Coupland (2007; insbesondere Kap. 2) und Eckert (2005).

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Sprache, die u.a. auch die Darstellung von Sprache selbst ermöglicht (z.B. das Reden über Grammatik, über die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke, über die eigene oder die Sprechweisen anderer). Weil metasprachliche Aktivität grundsätzlich den Gebrauch von Sprache impliziert, bevorzugen Soziolinguisten den Begriff der Metapragmatik3 (Silverstein 1993). Der metapragmatische Bezug kann in sprachlichen Äußerungen explizit sein, wie z.B. in offenen Kommentaren über die Bedeutung oder Qualität eines Ausdrucks. In den meisten Fällen ist er jedoch implizit, da diskursive Aktivität die stetige Kontextualisierung sprachlicher Handlungen durch Sprecher erfordert: Sprecher müssen anderen Interaktanten stets Hinweise darüber geben, wie ihre Äußerungen zu interpretieren sind (z.B. als Ironie, Warnung, indirekte Rede, Bitte, Frage, usw.). In anderen Worten: Sprachliche Handlungen haben immer eine „darstellerische“ metapragmatische Seite, die implizit Angaben darüber gibt, wie eine Äußerung in ihrem Kontext zu deuten ist. Neben linguistischen Ausdrucksformen wie Intonation, Prosodie und Syntax tragen auch paralinguistische, wie Gestik und Mimik, zu dieser impliziten Rahmung von Äußerungen bei (vgl. Porsché und Zienkowski in diesem Band). Metapragmatische Handlungen setzen nicht nur das Wissen über die referenziellen Bedeutungen und Funktionen sprachlicher Ausdrücke voraus, sondern auch über komplexe soziokulturelle Zusammenhänge, die über die Qualität und Gestalt sprachlicher Formen im Kontext bestimmen – z.B. über ihre Angemessenheit, Ästhetik oder mit ihnen verbundenen sozialen Konnotationen. Damit spiegeln sie Vorstellungen über Sprache wider, d.h. „ideals with which participants and observers frame their understanding of linguistic varieties and map those understandings onto people, events, and activities that are significant to them“ (Irvine/Gal 2000: 35). Diese Vorstellungen über Sprache bezeichnen Soziolinguisten als Sprachideologien. Da Sprachideologien in erster Linie semiotische Prozesse sind, die sich in der Metapragmatik von Äußerungen manifestieren (d.h. in der Art und Weise, wie Sprecher Sprache implizit oder explizit darstellen), bietet der Fokus auf

3

Dieser Begriff greift auf den sprachwissenschaftlichen Begriff der „Pragmatik“ als die Lehre von Sprache im Gebrauchskontext zurück. „Metasemantik“ ist für Silverstein (1993) nur ein Teilaspekt von Metapragmatik, da auch der Verweis auf die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke Sprache im Gebrauchskontext voraussetzt.

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Metapragmatik einen reliablen analytischen Zugang zu ihrer Rekonstruktion und damit zur Untersuchung der Beziehungen zwischen Form und Bedeutung im Kontext (vgl. Eckert 2008; Jaworski/Coupland/Galasinski 2004; Silverstein 2003; Lucy 1993). Die Beobachtung, dass eine bestimmte Äußerungsart wiederholt in bestimmten Kontexten auftritt, macht sie für den Beobachter (d.h. für den Sprachforscher oder für den „Laien“ als Fachmann des Alltags) zu einem Index dieser Kontexte. Das wiederholte Aufkommen einer bestimmten Sprechweise unter bestimmten Sprechern kann beispielsweise dazu führen, dass diese Sprechweise zu einem Index einer sozialen Gruppe wird (z.B. die Verwendung einer dialektalen Form als ein Index für einen „Dialektsprecher“). Labovs Indikator, wie wir oben gesehen haben, ist ein prototypischer Index, insofern er ohne soziale Bedeutung zu implizieren eine spezifische soziale Kategorie indiziert. Silverstein (2003) bezeichnet einen solchen Fall als einen Index erster Ordnung. Durch diese indexikale Verbindung kann die Sprechweise jedoch ggf. auch für bestimmte Qualitäten stehen, die charakteristisch für diese Sprecher sind (z.B. ein gewisser Bildungshintergrund, gewisse Handlungsweisen, Aktivitäten, Einstellungen, etc.). Dadurch bekommt sie ein weiteres Bedeutungspotenzial als ein Index zweiter Ordnung: Sie kann kreativ von Sprechern eingesetzt werden, um bei Interaktanten spezifische soziale Assoziationen hervorzurufen und damit soziale Bedeutung im Kontext zu generieren. Ein soziolinguistischer Marker spiegelt dieses Verhältnis wider. Der Unterschied zwischen Labovs Marker und Silversteins Index zweiter Ordnung liegt v.a. in Silversteins Verweis auf die sprachideologische Rahmung derjenigen Prozesse, die über die Verbindung zwischen Form und Bedeutung im Kontext bestimmen und sprachliche Formen metapragmatisch mit sozialer Bedeutung versehen (vgl. Eckert 2008: 463; Silverstein 2003: 219). Diese sprachideologische Einbettung ist auch in Abb. 1 zu erkennen: Das Ideal der Standardsprache ist der Ausdruck einer sprachlichen Hegemonie, an der sich Sprecher verschiedener sozialer Schichten habituell unterschiedlich orientieren; und da die stilistischen Kontexte unterschiedliche Vorstellungen über die angemessene Verwendung sprachlicher Formen widerspiegeln, die dem Ideal des sprachlichen Standards entsprechen, reagiert die Variable (r) quantitativ auch auf diese Parameter unterschiedlich (vgl. Silverstein 2003: 219). In der Studie, die im Folgenden vorgestellt werden soll, wird diese Perspektive des Markers als ein Index zweiter Ordnung eingenommen. Durch

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die Untersuchung der Metapragmatik der Äußerungen von Schülern und Schülerinnen in unterschiedlichen Kontexten (Abschnitt 3.1) werden sprachliche Ideologien erkennbar, die Sprechweisen mit Vorstellungen eines „guten“ oder eines „schlechten“ Deutsch sowie mit idealen Vorstellungen über „Gymnasiasten“, „Hauptschüler“, „Deutsche“ und „Kanaken“ verbinden. Vor diesem Hintergrund wird am Beispiel der phonetischen Variation der Partikel alter illustriert (Abschnitt 3.2.3), wie verschiedene Aussprachen im Zusammenspiel mit unterschiedlichen Kontextfaktoren als Indizes zweiter Ordnung fungieren und damit ihre Bedeutung als soziolinguistische Marker bekommen (Abschnitt 3.2.4). Wie wir sehen werden, gründet die individuelle Wahrnehmung der phonetischen Variation von alter und ihrer sozialen Bedeutungen weitgehend auf Interaktionserfahrungen der Schüler in ihrem Alltag, in denen Sprachideologien stets produziert, reproduziert und verhandelt werden.

3. D IE S TUDIE Die zu analysierenden Daten4 stammen aus einer ethnographischen Studie zum Sprachgebrauch von Schülern und Schülerinnen in einer Gesamtschule in Engelsbach5, einer mittelgroßen Stadt im Rhein-Main-Gebiet (Souza in Bearb.). Im Zentrum der Untersuchung steht die Metapragmatik sprachlicher Handlungen und die damit verbundenen sprachlichen Ideologien in Anbetracht unterschiedlicher Schülergruppen. Folgende Fragen stehen im Vordergrund: Welche sozialen Assoziationen rufen bestimmte Sprechweisen aus Sicht der Interaktionsteilnehmer in unterschiedlichen Kontexten hervor? Welche sprachlichen Ideologien lassen sich aus den metapragmatischen Codierungen rekonstruieren? Welche Rolle spielen Alltagserfahrungen in ihrer Produktion und Reproduktion?

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Die Audiodaten umfassen insgesamt ca. 160 Stunden Tonmaterial v.a. aus dem Unterrichts- und Schulhofkontext. Davon wurden bisher ca. 200 Minuten noch während der Feldforschungsphase als Korpus transkribiert (ca. 24.000 Wörter). Hinzu kommen ca. 800 Minuten Tonmaterial aus den Interviews, die mit Hilfe von Manuel Erzgräber transkribiert wurden.

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Alle Ortsangaben und Namen sind zum Schutz der untersuchten Personen anonymisiert.

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Trotz des großen Altersunterschieds zwischen den Schülern und mir6 habe ich im Laufe meiner Feldforschung von 2009 bis 2012 in der Schule ein freundschaftliches Verhältnis zu vielen von ihnen entwickelt und dadurch die Gelegenheit bekommen, sie in unterschiedlichen interaktionalen Kontexten zu beobachten und Tonaufnahmen zu generieren. Aus praktischen Gründen konzentrierte sich die teilnehmende Beobachtung auf Interaktionen im Unterricht und auf dem Schulhof, doch auch Situationen bei Freizeitaktivitäten wurden untersucht (z.B. auf öffentlichen Plätzen sowie in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln, Cafés, Restaurants oder Sportveranstaltungen). Die so gewonnenen Audiodaten wurden durch 19 Einzelinterviews und einigen informellen Gruppeninterviews zu Themen wie Biographie, Identität, Alterität, Mediengebrauch und Einstellungen zu unterschiedlichen sprachlichen Praktiken ergänzt. Um die Zusammenstellung der sozialen Beziehungen der Schüler im Rahmen eines Soziogramms zu ermöglichen, wurden in den Einzelinterviews auch Informationen über ihr soziales Umfeld elizitiert. Die Schule liegt im Stadtteil Ludendorf in der Nähe von LudendorfWest, einem von vielen Engelsbachern als ein „Großstadt-Ghetto“ bezeichneten Bezirk mit hohem Migrantenanteil, hoher Arbeitslosigkeits- und Kriminalitätsrate. Dadurch, dass sie viele Jugendliche aus diesem Stadtteil aufnimmt, hat die Schule im Vergleich zu anderen Schulen der Stadt allgemein einen schlechten Ruf. Gemäß dem System der kooperativen Gesamtschule werden hier die Schüler unterschiedlicher Schulzweige, mit wenigen Ausnahmen, getrennt unterrichtet. Durch diese institutionelle Rahmung bilden die einzelnen Klassen relativ geschlossene Gruppen. Auf dem Schulhof und bei Freizeitaktivitäten lösen sich diese Grenzen jedoch weitgehend auf. In diesen Kontexten offenbart sich erst das „wahre“ soziale Leben der Schüler, und statt Klassen sieht man hier jene Gruppierungen, die sich durch gemeinsame Erfahrungswelten und Alltagspraktiken manifestieren und die den sozialen Orientierungsrahmen für die Jugendlichen bilden. Verschiedene Gruppierungen von Schülern haben i.d.R. spezifische Orte auf dem Schulhof, in denen sie gerne ihre Pausen oder Freistunden verbringen. Dadurch spiegelt der Schulhof selbst eine gewisse soziale Strukturierung wider. Um einen Einblick in diese Strukturierung zu bekommen, habe ich am Ende jedes Einzelinterviews dem Schüler eine von mir ge-

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Zur Zeit der Feldforschung war ich zwischen 32 und 35 Jahre alt.

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zeichnete Karte des Schulhofs vorgelegt, anhand dessen sowohl der Schüler als auch ich bestimmte Personen oder Gruppen geografisch einordnen konnten. Dies ermöglichte methodologisch die Eröffnung einer Diskussion über die soziale Konstitution der Schule aus der Sicht des Jugendlichen, ohne auf von mir a priori festgelegte Kategorien zu rekurrieren (z.B. „Hauptschüler“, „Gymnasiasten“, „Deutsche“, „Ausländer“, etc.). Durch den Abgleich der Daten der teilnehmenden Beobachtung mit denen der Interviews haben sich im Laufe der Studie verschiedene Freundeskreise von Schülern herauskristallisiert. Zwei von ihnen spielen in den folgenden Analysen eine besondere Rolle. Ich nenne sie jeweils „die ClubGruppe“ und „die Aslack-Gruppe“ (oder „die Aslacks“)7. Die Club-Gruppe konstituiert sich aus etwa 12 meist 15-jährigen Gymnasiasten und Realschülern der neunten Klasse. Die meisten von ihnen haben einen deutschsprachigen Familienhintergrund und eine relativ beständige Schulbiografie. Nur wenige kommen aus Ludendorf-West. Die Aslack-Gruppe besteht aus ca. 20 Schülern meistens aus Ludendorf-West und mit Migrationshintergrund (z.B. Kurden und Araber aus unterschiedlichen Ländern, Türken, Afrikaner, aber auch einige Deutsche sind hier vertreten)8. Von ihnen besuchen die meisten die neunte Klasse der Hauptschule. Aufgrund von Wiederholungen und häufigen Schulwechseln sind einige von ihnen etwas älter als andere Neuntklässler (viele haben bereits vor ihrem Hauptschulabschluss das achtzehnte Lebensjahr erreicht). Die Zusammensetzung beider Gruppen gleicht sich weitgehend in Bezug auf den beruflichen Hintergrund der Eltern, mit vielen Vertretern im niedrigen sowie mittleren Lohnbereich (z.B. ungelernte Aushilfen und Selbstständige) und einzelnen im Hochlohnbereich (z.B. Manager oder hohe Beamte). Die meisten Schüler beider Gruppen haben Erfahrung mit

7

Der Begriff „Aslack“ ist weit über dem Kontext dieser Studie hinaus verbreitet und meistens negativ konnotiert. Ich verwende ihn zur Bezeichnung dieser Gruppe, weil die Schüler selbst diese Bezeichnung hin und wieder auf sich und ihre Freunde anwenden, wenn auch spielerisch oder in einem ironischen Ton. Die Bezeichnung „Club-Gruppe“ stammt hingegen ausschließlich von mir und verweist auf einen von dieser Gruppe häufig besuchten Musikclub.

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Diese ethnischen Zuordnungen wurden von den Schülern selbst vorgenommen. Die meisten unter ihnen sind in Deutschland geboren und besitzen einen deutschen Pass.

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übermäßigem Alkoholkonsum und illegalen Drogen, wobei eher die Aslacks gelegentlich auch zu harten Drogen greifen. Gerade in dieser Gruppe haben viele Strafanzeigen wegen Drogenbesitzes und anderer krimineller Delikte wie Raub oder Körperverletzung. Die Club-Gruppe zeichnet sich insbesondere durch eine sehr aktive Betätigung ihrer Vertreter in teils unterschiedlichen Sportvereinen aus. Dadurch, dass sich viele aus früheren Klassen kennen und z.T. in derselben Vereinsmannschaft spielen, pflegen sie oft ein enges privates Verhältnis untereinander. Sie gehen oft gemeinsam aus (v.a. in den X-Club, wodurch meine Bezeichnung „Club-Gruppe“ zustande kommt) oder treffen sich im Königspark, wo viele Jugendliche der Stadt in den Sommermonaten ihre Freizeit verbringen. Die Aslack-Gruppe ist zu einem großen Teil in einer Jugendgang aus Ludendorf-West vertreten, die nach eigenen Angaben häufig andere Jugendlichen schlägt und ausraubt. In der Schule haben sie deshalb einen besonders schlechten Ruf. Weil auch Vertreter der Club-Gruppe bereits gewalttätige Auseinandersetzungen mit Jugendlichen aus Ludendorf-West erlebt haben, vermeiden sie mögliche Begegnungen mit den Aslacks. Das sprachliche Repertoire der Jugendlichen umfasst verschiedene regionale Formen des Deutschen, die jeweiligen Herkunftssprachen der Eltern sowie jugendsprachliche Formen, die je nach Situation und Gesprächspartner zum Einsatz kommen. Insbesondere die Aslacks weisen in ihren habituellen Sprechweisen einige Merkmale des „Türkenslang“ auf, wie dieser als eine eigenständige Varietät oder Sprechstil bereits vielfach linguistisch und soziolinguistisch untersucht wurde (z.B. Kern/Selting 2006; Wiese 2006; Auer 2003). „Türkenslang“ (auch bekannt unter „Türkendeutsch“, „Kiezdeutsch“ oder „Kanaksprak“) wird dabei insbesondere mit der Sprache von Jugendlichen in den multiethnischen Ballungsräumen deutscher Großstädte verbunden. Aufgrund der Beobachtung, dass seine Sprecher i.d.R. auch die „korrekten Regeln“ des Standarddeutschen beherrschen, wird in diesen Arbeiten gegen die Perspektive einer defizitären Sprache argumentiert und dabei dem „Türkenslang“ den Status einer eigenständigen und sozial bedeutsamen sprachlichen Einheit mit eigenen spezifischen Kennzeichen zugewiesen. So ist „Türkendeutsch“ für Kern/Selting (2006) „ein eigenständiger, neuer, ethnischer Stil des Deutschen“, der sich durch „spezifische syntaktische, prosodische, lexikalische und diskursstrukturelle Merkmale auszeichnet“ (ebd.: 240) und „mit dem die Jugendlichen ge-

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sprächsorganisatorische Aufgaben lösen und interaktiv Bedeutung herstellen, sowie ihre Gruppenzugehörigkeit signalisieren und ihre Stellung in der und Einstellung zur Mehrheitsgesellschaft ausdrücken“ (ebd.: 242). Ähnlich weist Auer (2003) auf die Ausbreitung des „Türkenslang“ unter deutschen und andersethnischen Jugendlichen und damit auf seine DeEthnisierung von einem „Ethnolekt“ zu einem „Soziolekt“ hin. In diesen einheitsorientierten, holistischen Ansätzen zeichnet sich „der Türkenslang“ u.a. durch folgende Unterschiede in Relation zum Standarddeutschen aus (vgl. Kern/Selting 2006; Wiese 2006; Auer 2003): • • •



auf phonetischer Ebene die Koronalisierung von [ç] zu [‫( ]ݕ‬z.B. ich ĺ isch) auf prosodischer Ebene kurze abgeschlossene diskursive Einheiten (vgl. Selting 2011) auf syntaktischer Ebene das Weglassen von Artikeln und Präpositionen sowie die abweichende Verwendung von Deklinationsregeln und Genera auf lexikalischer Ebene der häufige Gebrauch von Diskurspartikeln wie alter oder ischwör (für „ich schwöre“).

Diese Klassifizierung des Türkenslang als eine eigenständige holistische Einheit mit spezifischen linguistischen Kennzeichen erfüllt einen wichtigen analytischen Zweck, in dem sie das Abstraktionsniveau ermöglicht, das für eine linguistisch-strukturelle Beschreibung notwendig ist (vgl. Kern/Selting 2006: 243). Die damit verbundene Ausklammerung soziolinguistischer Variationsphänomene versperrt jedoch den analytischen Zugang zu den vielschichtigen sozialen Dynamiken des Sprachgebrauchs, wie sie z.B. in Abschnitt 2 angedeutet wurden. Wie wir sehen werden, ist der Fokus auf Metapragmatik und sprachliche Variation besonders dazu geeignet, ein Verständnis von Sprache jenseits holistischer Einheiten, wie „Soziolekt“ oder „Sprechstil“, zu entwickeln, das Aufschluss über die soziale Bedeutung und Funktion von Sprechweisen und deren Distribution und Diffusion unter Sprechern geben kann.

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3.1 Metapragmatische Diskurse und Funktionen in der Schule: „Kanakendeutsch“ vs. „Hochdeutsch“ Auch wenn es unter den untersuchten Schülern keine fixe und einheitliche Bezeichnung für einen „Türkenslang“ als eine eigene sprachliche Varietät gibt, so finden sich in vielen Kommentaren unterschiedliche Kennzeichen, die weitverbreitete Assoziationen zwischen spezifischen sprachlichen Mustern und außersprachlichen Qualitäten wie „Ghettohaftigkeit“ oder „Kriminalität“ erkennen lassen, die mit stereotypischen Vorstellungen bestimmter Personenkategorien wie „Kanaken“, „Türken“ oder bestimmter „Ausländer“ verknüpft sind.9 Die folgenden zwei Interviewausschnitte mit einem Schüler aus der Aslack-Gruppe illustrieren dies. Der erste Ausschnitt beginnt an einer Stelle, an der ich (MS) den Schüler (S) frage, was er unter dem Begriff „Aslack“ versteht, den er kurz zuvor in Zusammenhang mit seinen engsten Freunden verwendet hatte: Beispiel 1: Ausschnitt aus Interview 10, Seite 26-27 (Transkription nach GAT [siehe Transkriptionssymbole, S. 82-83]; einige Rezeptionssignale werden zur Vereinfachung ausgelassen) 1

S:

also::- (---) man NENNT es so:- (.) also; (.)

2

Eigentlich heisst es (---) so:- (---) also=so

3

FRANKfurter stil sozusagen; (ei) da SAGT man so=

4

unn so was

5

((ca. 2 Sek. Auslassung)) der iss DURCH und so:;

6

(-) der iss richti(g) kaPUTT=so n richtiger Aslack

7

sagt man. (--) so !A!si (.)

8

so; (.) weißt

9

du was ich MEIne, (-) iss son SLÄNGmäßisch.

10

((2 Sek. Ausslassung)) . ((ca. 2 Sek. Auslassung))

12

MS: unn was meinst du mit kaNAke.

13

S:

14

9

(-) .

Der Schüler, der sich selbst an anderer Stelle als „Aslack“ und „Kanake“ bezeichnet, ordnet in Zeile 3 den Begriff „Aslack“ sprachlich einem spezifischen Slang, dem „Frankfurter Stil“, zu. „Aslack“ bezeichnet dabei aus seiner Sicht pejorativ einen bestimmten sozialen Typ: Einen „Kanaken“ (Zeile 11), der ein „Asi“ (d.h. „ein Asozialer“) und „durch“ (d.h. „durchgeknallt“) ist (Zeilen 4 und 5). Auf die Frage hin, was er unter „Kanake“ versteht, greift der Schüler auf die Klischees eines vermeintlich südländischen Ausländertyps zurück, der nicht nur Türken, sondern potenziell auch Kurden, Araber, Südosteuropäer und Afrikaner einschließt. Solche ethnischen bzw. regionalen Zugehörigkeiten sind auch in der Aslack-Gruppe vertreten. In Zeilen 15 und 16 bringt der Schüler die Kriminalität als eine Qualität in seine Beschreibung hinein: Kanaken sind aus seiner Sicht auch diejenigen, die die meisten „Geschäfte“ erledigen – womit er illegale Aktivitäten wie Diebstahl und Drogenhandel meint. Dieses Bild des Aslacks als ein krimineller Ausländer impliziert eine immanente Gewaltbereitschaft, die auch indexikal in den Worten „Asi“, „durch“ und „kaputt“ in Zeilen 4-6 enthalten ist. Wie der folgende Ausschnitt aus demselben Interview verdeutlicht, werden auch bestimmte sprachliche Praktiken dem „Kanaken“ zugeordnet: Beispiel 2: Ausschnitt aus Interview 10, Seiten 39-41 (Transkription nach GAT [siehe Transkriptionssymbole, S. 82-83]; einige Rezeptionssignale werden zur Vereinfachung ausgelassen) 1

n kaNAke:, (2.0) der REdet, (-) prrr (2.0) (2.0) der benutzt nicht nur DEUTSCH; (.)

3

oder der ÄNdert des deutsch ganz schön. (---) anstatt

4

dass er SAGT, (2.0) ähm,: (---) (--) oder (-)

6

7

sagn DIE, (-) (---)

8

wolln wir heut KIno gehn. (-) versTEHST du was ich

9

meine. (--) die sagn SO, (-) die HAbn halt, (.)

10

, (.) sagn wir

11

MAL? (-) iss so was wie (-) oder ((ca. 3 Sek. Ausslassung)) manche nennen sich

14

auch NIgga. ((ca. 20 Sek. Ausslassung)) ein kanake

15

REdet- (-) so, (-) wies ihm grad so PASST; (.) verSTEHST

16

du was ich meine? so, (.) er sagt zum beispiel NICHT,(-)

17

, (-) sagt

19

, (-) dies unn DES. (-) und- (.)

22

wenn so n DEUtscher kommt der sagt so, (-)

23

25

((lacht)) ; (-) die sind so FEIner unn so (.) die redn so

27

ANders noch; ((...))

Viele der von diesem Schüler genannten Sprechweisen der „Kanaken“ weisen neben einigen jugendsprachlichen Phänomenen des Deutschen auch typische Merkmale des „Türkenslang“ auf, wie dieser in den Sprechstil- und Ethnolektperspektiven linguistisch beschrieben wurde. So sind in seiner Schilderung der Sprache eines „Kanaken“ u.a. folgende linguistischen Kennzeichen zu erkennen: •

• •

Der Einsatz von Diskurspartikeln wie digger und nigger (Zeilen 7, 10 und 14) und des Verstärkers krass (Zeile 21, wobei der Schüler das Wort krass mit einem für ihn untypischen gerollten /r/ ausspricht, um wahrscheinlich die Assoziation des „Kanaken“ mit einem Ausländer zu verstärken). Das Auslassen der Präposition in „wolln wir heut kino gehn“, Zeile 8 (statt „wolln wir heut ins kino gehen“). Die aus Sicht des Standarddeutschen „falsche“ Verwendung des Genus in „diese auto“, Zeile 19.

Diese stark stilisierte „Sprache des Kanaken“ wird durch den Schüler in diesem Abschnitt einer ebenso stark stilisierten „Sprache des Deutschen“ gegenübergestellt. Solche überzogenen Darstellungen durch Akteure eignen

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sich besonders, wie einige soziolinguistische Studien bereits gezeigt haben (vgl. z.B. Coupland 2007; Rampton 2006), für die analytische Aufdeckung sprachlicher Ideologien. Auffallend in diesem Zusammenhang ist die für die gesprochene Sprache in vergleichbaren Kontexten untypische Hyperartikulation in der Aussprache von dieses in „dieses auto ist voll GEIL“ (Zeilen 17-18). Wie die Analysen der Metapragmatik in anderen Kontexten zeigen, dient Hyperartikulation allgemein nicht nur der phonetischen Betonung sprachlicher Elemente (z.B. zu ihrer pragmatischen Hervorhebung): Aufgrund ihrer engen ikonischen Beziehung zum schriftlichen Standard kann eine übermäßig deutliche Aussprache je nach Kontext auch einen hohen Bildungsgrad signalisieren oder ebenso für Intellektualismus und Elitismus stehen (vgl. auch Eckert 2008: 470). So wird beispielsweise das Parodieren von Arroganz, Überheblichkeit oder Spießigkeit durch die Schüler in spielerischen Interaktionen oft sprachlich durch eine hyperkorrekte Artikulation sowie vergleichsweise elaboriertere Wortwahl und Grammatik unterstützt. Dies ist auch in diesem Beispiel der Fall: Neben der Hyperartikulation des Wortes dieses erscheint auch die Aussprache der anderen Äußerungen des hier stilisierten Deutschen vergleichsweise hochtrabend. Auch die hohe und zarte Stimme in „ja, (.) also die FELgen gefallen mir auch“ und das danach einsetzende Lachen (Zeilen 23-25) sowie die Ersetzung des Verbs „wollen“ (Zeile 5) durch das vornehmere „möchten“ (Zeile 6) signalisieren die spielerische Karikierung eines jungen Deutschen durch den Schüler. In seiner Darstellung schafft der Jugendliche eine wertende Kontrastierung zweier sozialer Typen, in der „der Deutsche“ durch die für einen Jugendlichen übermäßig und unangebracht „feine“ Sprache (Zeile 26) als streberhaft, naiv, verklemmt und weltfremd erscheint. „Der Kanake“ hingegen spricht eine ungezügelte und schroffe Sprache, eine Sprache, die sich nicht den Regeln des Bildungsstandards beugt. Die metasprachliche Wahrnehmung eines grammatisch korrekten Deutsch geht zurück auf die monolinguale nationalsprachliche Ideologie in Deutschland und vielen anderen Staaten, die einen Standard zum sprachlichen Kanon normativer Instanzen erklärt. Diese Standardsprache stellt einerseits ein Ideal dar, das im Zentrum sprachpolitischer Regulierungen steht und sich in der Schriftsprache und in Wörter- und Grammatiklehrbüchern niederschlägt. Andererseits spiegelt der Standard die Umgangssprache einer etablierten Elite wider. Er verkörpert Bildung, Etiquette, Autorität und Erfolg – und sichert dabei, in einer sozialkritischen Lesart, einen einge-

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schränkten Zugang zu allgemeingesellschaftlich wertvollen sozialen Ressourcen, indem er Nicht-Standardformen degradiert (vgl. Lippi-Green 1997; Fairclough 1995; Bourdieu 1991). Vor diesem Hintergrund sind die Sprechweisen der Aslacks in der metapragmatischen Wahrnehmung der Schüler oft voller negativer Konnotationen. Dabei sind es nicht nur Lehrer und Schüler der Club-Gruppe, die diese Sprechweisen allgemein negativ bewerten, sondern auch die Aslacks selbst, indem diese ohne Ironie z.B. behaupten, sie können „kein richtiges Deutsch“, ihr Deutsch sei „asozial“ oder „kaputt“. Auf der anderen Seite weisen sie gelegentlich darauf hin, dass dies die Sprache ihrer sozialen Umgebung sei, an die sie sich angepasst haben. Wie ein Schüler der Aslack-Gruppe es in einem Pausengespräch anderen Schülern und mir gegenüber ausdrückt: Beispiel 3: „Produkt der Umgebung“ (Aufnahme Nr. 29/6: 21:45-22:24) (stark vereinfachte Transkription) S:

Wenn ich will, kann ich normal reden. Aber ich mach`s nicht, weil, ich mach mir mein Deutsch, das ist so, das ist so dumm, ich mach so mein eigenes Deutsch mache ich so kaputt.

MS:

Und wieso?

S:

Ja, keine Ahnung, es kommt alles drauf an, Freundeskreis und alles, wenn die alle so reden. (ca. 10 Sek. Auslassung) Weil man ist ein Produkt der Umgebung, so zu sagen.

Auch die Schüler der Club-Gruppe glauben, sich an die Sprache ihrer Umgebung anzupassen und sich dabei z.T. Aslack-typische Sprechweisen anzueignen. Der folgende Ausschnitt aus einem Interview mit einem Schüler dieser Gruppe verdeutlicht diese Perspektive. Der Ausschnitt schließt an meine Frage an, was unter dem Wort „Asodeutsch“ gemeint sein könnte – ein Begriff, den ich im Laufe der Feldforschung wiederholt im Zusammenhang mit den Aslacks gehört habe.

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Beispiel 4: Ausschnitt aus Interview Nr. 6, Seite 30-31 (Transkription nach GAT [siehe Transkriptionssymbole, S. 82-83]; einige Rezeptionssignale werden zur Vereinfachung ausgelassen) 1

S:

(--) so äh, (2.0) ((hörbares einatmen))

4

keine AHnung, (.) halt so was wie Alla oder:,

5 6

PIcco:, so:, SCHEIße halt. MS: hm=hm, (-) und (.) wer (.) äm: redn Alle so::,

7 8

hier an der SCHUle?= S:

ja. (-) alle. ((lacht leicht)) es ISS so. (-) ja

9

((lacht leicht)). (-) ((ca. 2 Sek. Auslassung))

11

MS: und was MEINst du, woher KOMMt das?

12

S:

(2.0) äh:, keine Ahnung; (.) verDUmmung? ((lacht))

13

((ca. 8 Sek. Ausslassung)) ich glaub die leute

14

machn sich halt einfach keine so:- keine geDANkn

15

darüber wie sie sprechn, ((ca. 20 Sek. Ausslassung))

16

MS: aber gibts äh, (-) ähm, welche die eher, so redn

17

als ANdere? oder, (-) oder iss das wirklich so

18 19

dass alle, (-)[GLEICH S:

[((hörbares einatmen

] ))]

20

aja die DINGS äh (-) die äh (1.5) Aslacks halt.

21

(---) also= die kaNAkn. ((ca. 2 Sek. Ausslassung))

22

aber ich mein WIR redn ja auch so zum teil.

23

((ca. 5 Sek. Ausslassung)) dieses GANze:, (---)

24

SCHEISSegelaber halt; (-) diese, (.) keine

25

Ahnung=diese ganzen wörter die man benutzt die man

26

eigentlich gar nich beNUtzen müsste so:, (.)

27

((...))

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Auch dieser Schüler verbindet einige Sprechweisen, v.a. Wörter wie alla (für alter) oder picco10 (Zeilen 4 und 5), mit negativen Qualitäten, indem er sagt, er selbst drücke sich „auch nicht am besten aus“ (Zeilen 2 und 3), oder dass es sich vielleicht auch (in einem ironischen Ton) um „Verdummung“ handele, wenn man so spricht (Zeile 12). Als er (auf meine Frage hin) diese Ausdrucksweisen in erster Linie mit der Sprache von „Aslacks“ und „Kanaken“ in Verbindung bringt (Zeilen 20 und 21), verweist er darauf, dass auch die anderen Schüler (und er selbst) sie verwenden (Zeile 22), weil sie sich keine Gedanken darüber machen, wie sie sprechen (Zeilen 13-15). Zusammenfassend zeigen die in diesem Abschnitt dargestellten Beispiele eine in der Schule weitverbreitete Wahrnehmung von Sprechweisen, die insbesondere mit der Sprache der Aslack-Gruppe assoziiert sind und trotz der negativen sozialen Konnotationen z.T. auch von anderen Schülern verwendet werden, indem sie sich ihrer sprachlichen Umgebung in Schule und Freundeskreis anpassen. Dabei wird in der Wahrnehmung der Jugendlichen zwischen unterschiedlichen Ausdruckaspekten differenziert. Für die meisten Schüler sind es Ausdrücke wie picco oder alter, die sich unter den Jugendlichen unterschiedlicher Gruppen ausbreiten und überwiegend von „Aslacks“ und „Kanaken“ verwendet werden. Andere Ausdruckelemente, wie z.B. eine mit diesen Personenkategorien assoziierte „unartikulierte“ (d.h. hypoartikulierte) Aussprache, die oft spöttisch nachgeäfft wird, bleiben hingegen in der Wahrnehmung der Schüler auf diese sozialen Typen beschränkt. Abb. 2 fasst einige der sprachlichen (fett markiert) und sozialen Qualitäten zusammen, die in der metapragmatischen Wahrnehmung der Schüler mit bestimmten idealisierten sozialen Typen bzw. Personenkategorien (in Kästen) assoziiert werden. Je näher eine bestimmte Personenkategorie einem Ende des Pfeils ist, desto eher verkörpert sie die entsprechenden Qualitäten. Auch wenn hier zwecks der Vereinfachung ein Kontinuum mit zwei Polen dargestellt wird, ist dies nicht als ein Kontinuum zwischen einem „Standard“ und einem „Nicht-Standard“ wie in Labovs Modell zu verstehen. So sind beispielsweise die einzelnen sprachlichen und sozialen Qualitäten keineswegs auf die Personenkategorien beschränkt, die hier angezeigt

10 Der Ausdruck picco wird sehr häufig unter den Aslacks gebraucht und deshalb oft mit ihrer Sprache assoziiert. Er wird als ein Schimpfwort verwendet, oft auch im Kontext ritueller Beleidigungen, und bezeichnet etwa eine „Niete“.

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sind (z.B. werden manchmal auch dialektale Formen metapragmatisch als „asozial“ und „bildungsfern“ durch die Schüler wahrgenommen). Auch sind Qualitäten wie „anständig“ nicht zwangsläufig positiv. Es handelt sich hier vielmehr um unhinterfragte Indexikalitäten, deren Bedeutung in Interaktionen immer zur Aushandlung stehen. Abbildung 2: Sprachliche und soziale Qualitäten verbunden mit der „Sprache der Aslacks“ in Relation zu einem „guten Deutsch“

Die Beispiele in diesem Abschnitt zeigen die Notwendigkeit einer differenzierten linguistischen Analyse der Verbreitung unterschiedlicher Sprechweisen in der Schule, die nicht von einzelnen Varietäten oder Stilen als holistischen Konstrukten ausgeht, indem sie verschiedene strukturelle Ebenen wie Phonetik, Lexikon und Syntax als eine Einheit betrachtet, sondern von der Indexikalität sprachlicher Formen im Kontext ihrer Äußerung. Im Folgenden wird diese Analyse am Beispiel der Diskurspartikel alter vorgenommen. 3.2 Die Diskurspartikel alter Alter als eine Diskurspartikel weist im Korpus der vorliegenden Studie funktional viele Parallelen zum von Kiesling (2004) untersuchten Terminus dude im US-Amerikanischen Englisch auf (vgl. auch Heyd in Bearb.). Ursprünglich als eine informelle Anrede unter Latinos und Afro-Amerikanern gebraucht, ist dude heute v.a. unter jungen weißen Männern verbreitet. Die

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Beliebtheit des Wortes gerade unter Männern führt Kiesling auf seine verschiedenen Diskursfunktionen zurück: „The term is used mainly in situations in which a speaker takes a stance of solidarity or camaraderie, but crucially in a nonchalant, not-too-enthusiastic manner […] The reason young men use this term is precisely that dude indexes this stance of cool solidarity. Such a stance is especially valuable for young men as they navigate cultural Discourses of young masculinity, which simultaneously demand masculine solidarity, strict heterosexuality, and nonconformity.“ (Kiesling 2004: 282)

Der Einsatz von dude ist jedoch nicht ausschließlich Männern vorbehalten. Seine gelegentliche Verwendung durch Frauen offenbart seine Funktion nicht bloß als ein Index von Maskulinität, sondern vielmehr als ein Index einer subkulturellen Lebenseinstellung, die typischerweise von jungen Männern vertreten wird (ebd. 284-286). Dude ist gewissermaßen ein SlangAusdruck (vgl. Bucholtz 2009: 149). Auch die Partikel alter weist in der deutschen Sprachlandschaft einen gewissen Slang-Charakter auf. Selbst wenn sie als eine informelle Anrede gelegentlich von erwachsenen Männern und Frauen verwendet wird, ist sie inzwischen stereotypisch mit männlichen Jugendlichen assoziiert, in Engelsbach insbesondere mit der Sprache der Jugend in den Großstadtghettos – d.h. der Sprache von „Aslacks“ und „Kanaken“. 3.2.1 Alter im metapragmatischen Diskurs Einige Studien haben bereits auf den häufigen Gebrauch der Partikel alter im Zusammenhang mit dem „Türkenslang“ hingewiesen. Diese Verbindung wird auch aus den expliziten metapragmatischen Daten in meiner Studie deutlich: Alter wird insbesondere mit der Sprache von „Aslacks“ und „Kanaken“ in Verbindung gebracht. Dies ist u.a. in der folgenden Aussage eines Hauptschülers erkenntlich: „[…] Kanake ist eigentlich nix weiteres als ein Ausländer, der sich daneben benimmt. Der nur Scheiße im Kopf hat. Zum Beispiel so, ‚ey Bruder, lass mal Schlägerei machen‘. ‚Ey alter, was (ist) denn los mit dir‘ und so ein Scheiß. Nur Scheiß im Kopf halt.“ (Interview Nr. 13, Seite 26-27)

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Alter ist auch in der metapragmatischen Wahrnehmung vieler Schüler ein sprachliches Element, das sich allgemein unter Jugendlichen ausbreitet, in dem sie sich ihrer sozialen Umgebung anpassen. Die folgende Aussage stammt aus einem Interview mit einem Mädchen aus der Club-Gruppe: „Ja aber eigentlich, bei uns in der Klasse ist jetzt eigentlich nicht so, dass wir so total diesen Türkenslang11 sprechen, sondern immer nur diese paar Wörter, oder ähm, ja ‚alter‘ zum Beispiel, ‚ey alter gib mir das mal bitte‘ […] Das ist eigentlich eher so die Jugendsprache was man heute so alles sagt. […] Also das kommt dann so, mit der Zeit kommen dann immer wieder neue Wörter, schleichen sich dann auch in unsere Sprache ein und die benutzen wir dann auch.“ (Interview Nr. 1, Seite 22)

Bezeichnend für die zwei obigen Beispiele ist das Vorkommen von alter (in beiden Fällen als alta geäußert) in Verbindung mit ey, denn außerhalb von solchen konstruierten Zitaten kommt diese Paarung im sprachlichen Korpus der Studie nicht vor. Bevor wir daher auf die Analyse der sozialen Semiotik von alter und seiner phonetischen Varianten eingehen, müssen wir uns die Art und Weise genauer anschauen, wie die Partikel im tatsächlichen Sprachgebrauch der Jugendlichen eingesetzt wird. 3.2.2 Die Partikel alter im Korpus der Studie und ihre Funktionen Die Partikel alter erfüllt sowohl im Korpus der Aslack-Gruppe als auch der Club-Gruppe bestimmte diskurspragmatische Funktionen (Souza in Bearb.). Besonders häufig kommt sie im Aslack-Korpus vor. Hier finden wir sie meistens im Nachfeld von Sätzen und am Ende prosodischer Einheiten – oft in Kombination mit Elementen wie digger oder ich schwöre bzw. ischwör. Gelegentlich alterniert sie mit digger, mann oder junge. Je nach

11 Die Bezeichnung „Türkenslang“ wurde hier durch das Mädchen selbst eingeworfen, ohne dass ich sie vorher erwähnt hatte. Sie führt zurück auf den gleichnamigen Song des Deutsch-Rappers Eko Fresh, der unter den Schülern der Club-Gruppe großen Anklang fand. Zum Verhältnis zwischen Massenmedien, wissenschaftlicher Praxis und Ideologie in Zusammenhang mit der diskursiven Entstehung „des Türkenslang“ als „ein Ethnolekt des Deutschen“ siehe Androutsopoulos (2011).

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Kontext wird sie unterschiedlich ausgesprochen und häufig als alda oder alla geäußert. Als primäre Diskursfunktion weist die Partikel allgemein die Eigenschaft auf, den oder die Hörer zu einer emotionalen Beteiligung an der aktuellen Situation oder diskursiven Aktivität einzuladen. Andere Funktionen, wie beispielsweise die Signalisierung von Dramatik, Emphase oder Entrüstung, leiten sich von dieser Primärfunktion ab. Der folgende Gesprächsausschnitt illustriert einige dieser Eigenschaften. Das Gespräch findet unter Schülern der Aslack-Gruppe in einer Pause außerhalb des Schulgeländes statt. Auch ich bin anwesend. Die Schüler reden über die Methoden der Polizei, Drogenkonsumenten wie sie wegen ihrer Delikte zu belangen. Beispiel 5: Gespräch über Polizisten (Aufnahme Nr. 31/1: 5:04-5:27) (Transkription nach GAT [siehe Transkriptionssymbole, S. 82-83]; Parallelgespräche werden zur Vereinfachung ausgelassen) 1

S1: aber die bulln sind heutzutage DUMM, (weil) weißt

2

du waRUM? (-) die f uh fangn immer so KLEIne

3

fische=so wie WIR sag ich mal; (.) immer so

4

KLEIne, ((ca. 3 Sek. Ausslassung)) du musst die

5

GROßn leute fickn alda! (---)

6 7 8

[weißt du, (

) ]

S2: [die großn leute KRIEgn sie nicht=weil

] sie

zuhause CHIlln alda.

9

S1: weil, (.) die habn SELber angst,

10

S2: ((lacht))

11

S1: weißt du WIE die angst habn vor den großn, (2.0)

12

keine AHnung. (2.0) die solln mal zu ZWEIT, (.)

13

in ein haus reinlaufen alla; (.) wo alle niggers

14

drin SItzn alla; ((ca. 1 Sek. Ausslassung))

15

17

((alle lachen))

)

Schüler 1 beanstandet, dass die Polizei („die Bullen“, Zeile 1) ihren Drogenkampf gegen kleine Konsumenten und Dealer („kleine Fische“, Zeilen 2 und 3) wie ihn und seine Freunde ausfechtet, mit dem Verweis darauf, dass

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die Polizeimaßnahmen effektiver sein würden, wenn sie gegen die Großdealer („die großen Leute“, Zeile 5) ausgerichtet wären. Schüler 2 sieht den Grund dieser Methodenwahl durch die Polizei darin begründet, dass es für die Beamten schwieriger sei, die Großdealer zu erwischen, da diese verdeckt von Zuhause aus agieren können („weil sie zuhause chillen“, Zeilen 7 und 8). Schüler 1 ergänzt diese Aussage mit dem Hinweis, dass die Polizisten letztendlich Angst vor den Großkriminellen haben (Zeile 9). Dies illustriert er mit der Vorstellung (Zeilen 12-16), wie es wäre, wenn zwei Polizisten scheinbar unvorbereitet das Haus eines Großdealers betreten würden, in dem sich die eigentlichen gefährlichen Kriminellen aufhalten (der Begriff „Nigger“ verweist hier auf den Stereotyp des „schwarzen Gangsters“ in den USA). Dieser Gesprächsausschnitt kennzeichnet sich u.a. durch die von Kern/Selting (2006) im Zusammenhang mit dem „Türkenslang“ als ein Sprechstil untersuchten kurzen prosodischen Einheiten, die jeweils einen eigenen Primärakzent aufweisen (z.B. „aber die bulln sind heutzutage DUMM,“ und „(weil) weißt du waRUM?“ in Zeilen 1-2). Durch ihre abgeschlossene prosodische Gestalt setzen sich diese Einheiten von anderen ab, sodass sie eigene kleine Diskurseinheiten und damit kleine diskursive Foki bilden. Die Partikel alter, die in diesem Beispiel als alda und alla geäußert wird, hebt diejenigen dieser Diskurseinheiten hervor, die innerhalb der diskursiven Struktur eine besondere Dramatik bzw. Brisanz enthalten (z.B. „du musst die GROßn leute fickn alda!“ (Zeilen 4-5); „weil sie zuhause CHIlln alda.“ (Zeilen 7-8). Dadurch, dass die Partikel weiterhin z.T. die Semantik einer Anrede aufweist, fungiert sie als eine Einladung an die Gesprächsbeteiligten, sich für einen Moment auf diese Dramatik einzulassen (eine ähnliche Funktion erfüllt die Partikel mann in der Umgangsprache, wie z.B. in Äußerungen wie „Oh mann!“ oder „Du musst das unbedingt erledigen, bevor es zu spät ist, mann!“). Aufgrund dieser Funktionen eignet sich die Partikel auch dazu, eine besondere Spannung in einer Erzählung aufzubauen. Diese weitere abgeleitete Funktion ist in Zeilen 11-16 deutlich, in denen Schüler 1 eine Pointe innerhalb dieses Gesprächs setzt, wie sie durch das einsetzende Lachen in Zeile 17 erkenntlich wird.

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Auch im Korpus der Club-Gruppe erfüllt die Partikel alter diese Funktionen. Dennoch wird sie in dieser Gruppe viel seltener gebraucht.12 Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass die Partikel hier auch isoliert im Zusammenhang mit Entrüstung vorkommt (z.B. als isolierte Exklamation wie in „Alter!“). Diese Funktion ist im Korpus der Alsack-Gruppe nicht belegt. Darüber hinaus wird sie in der Club-Gruppe häufiger als alta ([alt‫ ]ܣ‬oder [alt‫ހ‬a]) ausgesprochen. Die Aussprache alla ([al‫ )]ܣ‬kommt in der ClubGruppe fast ausschließlich im Kontext sprachlicher „Kreuzungen“ (Rampton 1995) vor, in denen die Schüler bestimmte soziale Typen parodieren. Die unterschiedlichen Aussprachen von alter und ihre potenziellen Bedeutungen stehen im Zentrum des nächsten Abschnitts. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Partikel alter im Korpus der Studie unterschiedliche interaktionale Funktionen erfüllt. Durch ihre diskursorganisatorische Primärfunktion, den oder die Hörer zu einer emotionalen Beteiligung am Geschehen einzuladen, eignet sie sich auch dazu, in Gesprächsbeiträgen einzelne Diskurseinheiten hervorzuheben oder eine narrative Spannung zu erzeugen. Darüber hinaus enthält sie stilistisch eine stark informelle ästhetische Qualität, die nur im Rahmen einer bestimmten sozialen Ordnung – d.h. unter Gleichgesinnten bzw. Peers – Sinn ergibt. Gleichzeitig hilft sie dabei, diese Ordnung in Interaktionen herzustellen und aufrecht zu erhalten. 3.2.3 Prosodische Kontexte und die phonetische Variation von alter Wie wir bereits gesehen haben, wird die Partikel alter im sprachlichen Korpus der Studie durch die Schüler oft unterschiedlich ausgesprochen. Dabei geht die jeweilige Aussprache mit einem bestimmten prosodischen Kontext einher. Die Form alta ([alt‫ )]ܣ‬kommt meistens exponiert in betonten Zusammenhängen vor (wobei das /t/ oft aspiriert wird, im unteren Schaubild signalisiert durch das hochstehende h). Die Formen alda ([ald‫)]ܣ‬ und alla ([al‫ )]ܣ‬erscheinen hingegen meistens unbetont am Ende prosodi-

12 Eine quantitativ-vergleichende Analyse der beiden Korpora ist nicht möglich, da nur das Aslack-Korpus neutral in Bezug auf das Vorkommen von alter transkribiert wurde. Da die Partikel viel seltener in der Club-Gruppe Verwendung findet, habe ich für dieses Korpus gezielt diejenigen Aufnahmen zur Transkription ausgewählt, in denen die Partikel vorkam.

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scher Einheiten. Diese Position begünstigt diese artikulatorisch reduzierten Sprechweisen durch die für sie typische reduzierte Lautstärke und schnelle Aussprache (vgl. Selting 2011: 141). Abb. 3 fasst das phonetische Kontinuum von alter zwischen betontem und unbetontem prosodischen Kontext zusammen: Abbildung 3: Das phonetische Kontinuum von alter und seine prosodischen Kontexte

alt‫ހ‬a

alda

alla

betont/

unbetont/

langsam

schnell

Mit diesen Feststellungen können wir eine erste Heuristik über die verschiedenen Aussprachen der Diskurspartikel alter im Korpus dieser Studie formulieren: Die verschiedenen Aussprachen hängen mit ihrem jeweiligen prosodischen Kontext zusammen. Da die Aslacks besonders häufig kleine Diskurseinheiten aneinanderreihen, die mit der Partikel abgeschlossen werden und eine reduzierte Artikulation fördern, kommen die Formen alda und alla in ihrer Sprache öfter vor als die betonte Form alta. Wie wir sehen werden, wird diese Variation z.T. von Jugendlichen wahrgenommen, die in ihrem Alltag regelmäßig diesen unterschiedlichen Sprechweisen in ihren jeweiligen prosodischen und sozialen Kontexten begegnen. Dadurch fungieren die verschiedenen Aussprachen von alter (samt dem jeweiligen prosodischen Kontext) für sie als Indizes erster Ordnung, die, vor dem Hintergrund der in Abschnitt 3.1 illustrierten sprachlichen Ideologien, metapragmatisch als Indizes zweiter Ordnung eingesetzt werden können. 3.2.4 Metapragmatische Funktionen der phonetischen Varianten von alter Einige der untersuchten Schüler nehmen die phonetische Variation von alter wahr. Dabei ist insbesondere die Aussprache alla metapragmatisch mit der Sprechweise der Aslacks verbunden. Die folgende Diskussion mit den

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Schülern einer gemischten Gruppe veranschaulicht dies. Der erste transkribierte Ausschnitt beginnt im Anschluss an die Frage einer mir damals unbekannten Schülerin (S3), was ich an der Schule mache. Sowohl die Schülerin als auch Schüler 1 sind Deutsche. Schüler 2 hat einen türkischen Familienhintergrund. Beispiel 6: Gespräch über die Aussprache von alter I (Aufnahme Nr. 41/7: 8:50-9:40) (Transkription nach GAT [siehe Transkriptionssymbole, S. 8283]; parallel stattfindende Gespräche werden ausgelassen) 1

MS: ich uh: bin SPRACHwissenschaftler, (.) unn mach

2

ne DOktorarbeit über, (.) den sprachgebrauch hier

3

in der SCHUle. (2.0) sprachliche variaTION,

4

((lacht))

5

S1: wie ISS so der sprachgebrauch,

6

S3: ((zeigt in Richtung der Aslack-Gruppe und anderer

7

Hauptschüler)) ich sag mal da drüben ist ja ganz

8

anders als HIER. ((lacht))

9

(3.0)

10

MS: ja? (-) in wie FERN?

11

S3: ja, (-) die AUSdrucksweise.

12

MS: ja?

13

S1: ((ca. 5 Sek. Auslassung))

15

S2: das iss voll HEssisch. (--) [alDÄR.]

16

S3

17

S1: alDA:,

18

S2: WENN (dann) sagt man einfach Alla. (-) aber nich

19

[was.

] (--) aldär?

alDÄR;

Als die Schülerin (S3) von meinem Interesse an sprachlicher Variation erfährt (Zeilen 1-3), weist sie auf den von ihr wahrgenommenen Unterschied in der Ausdrucksweise der Hauptschüler bzw. der Aslacks hin (Zeilen 5-7 und 11). Schüler 1 bestätigt diese Wahrnehmung, indem er in Zeilen 13-14 den sozialen Typus des Aslacks parodiert. Die Parodie wird insbesondere durch die Artikulation in „ey aldä:r“ und in der Befehlsform „komm ma he::r“ signalisiert, die, durch eine regional-dialektale Aussprache verstärkt,

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das mit diesen Jugendlichen assoziierte schlechte Benehmen in Szene setzen.13 Mit dem Verweis „das iss voll hessisch“ in Zeile 15 zeigt sich Schüler 2 mit der Aussprache aldär ([aldæ: rࡘ ]) in der Parodie nicht einverstanden. Auch im Datenkorpus lässt sich erkennen, dass in Wahrheit niemand aldär sagt, es sei denn in einer übertriebenen Parodie wie in Zeilen 13-14. Mit der Aussprache alda in Zeile 17 scheint Schüler 1 bemüht, sich selbst zu korrigieren und eine vermeintlich authentischere Sprechweise zu zitieren. Schüler 2 insistiert jedoch auf Genauigkeit. Er, der, wie die anderen Schüler wissen, nicht nur einen türkischen Familienhintergrund hat, sondern auch enge Kontakte zu Jugendlichen aus Ludendorf-West pflegt, beruft sich auf seine Insider-Kenntnisse, in dem er in Zeile 18 darauf verweist, dass die Aussprache alla authentischer sei. Um diese Interpretation zu überprüfen und ggf. zu vertiefen, habe ich diese Schülergruppe einige Tage später in einer Pause wieder aufgesucht. In dieser zweiten Diskussion wird die Assoziation von alla mit der Sprache der „Kanaken“ und „Aslacks“ deutlicher: Beispiel 7: Gespräch über die Aussprache von alter II (Aufnahme Nr. 77/7: 12:15-13:00) (Transkription nach GAT [siehe Transkriptionssymbole, S. 82-83]; parallel stattfindende Gespräche werden ausgelassen) 1 2 3

S1: (zu Schüler 2) ich dachte immer alla sagn immer die TÜRkn so eigentlich so ALLA, (-) von gott her. (-) von Allah, (.) WEIßT du?

4

S2: allAH, (-) ja.

5

S1: aber das hat nix mit gott zu TUN oder, (.) dieses

6

Alla.

7

S2: NEIN, ds iss genau dasselbe was wenn ich zu dir

8

PIcco sag, so:, weißt du was ich MEIne, (-) hat

9

auch keine beDEUtung. ((ca. 3 Sek. Auslassung))

10 11 12

MS: ((zu Schüler 2)) was meinst DU (.) wer SAGT das? (2.0) unn wer sagt das NICHT? S2: einfach die leute die kein DEUTSCH können. (-)

13 Die dialektale Qualität dieser Äußerung wirkt hier insofern verstärkend, als sie u.a. den Kontrast zum bildungsnahen Standard betont.

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13

die sagn Alla; (--) die sagn nich alTA? (--) ALta

14

iss so, (3.0) keine Ahnung, (2.0)

15 16

[ich WEIß es nich S1: [ich glaub aber

] ] trotzdem die TÜRkn sagn mehr

17

alla, (---) iss wirklich so. (2.0) weil manchmal

18

wenn n deutscher Alla sacht, (.) dann sacht er so

19

EY, (---) du bist DEUtscher, (.) warum sagst du

20

Alla;

21

S2: ja geNAU, (.) ja.

22

S1: ((lacht leicht)) S2: ((...))

In Zeilen 1-2 weist Schüler 1 auf die Verbindung von alla mit den „Türken“ hin. Die Assoziation mit Gott („Allah“, Zeile 3) kommt dadurch zustande, dass die Partikel häufig in Verbindung mit einer gesprächsbeitragserhaltenden aufsteigenden Intonation am Ende von Diskurseinheiten vorkommt (vgl. Selting 2011: 141). Schüler 2 weist diese religiöse Verbindung in Zeilen 7-9 zurück: alla sei eine Floskel wie picco und habe keine wirkliche Bedeutung. Durch die Aussage, diese Aussprache sei für diejenigen typisch, die „kein Deutsch können“ (Zeilen 12-13), distanziert sich Schüler 2 von dieser Gruppe. Gleichzeitig weist er auf einen Kontrast zur Aussprache alta hin (Zeile 13). In Zeilen 17-20 illustriert Schüler 1 die von ihm festgestellte Assoziation zwischen der Form alla und „den Türken“ in einer imaginären Begegnung zwischen einem Türken und einem Deutschen. Damit leitet er einen Vergleich zweier sozialer Typen ein, der eine Aushandlung ihrer jeweiligen sprachlichen Authentizität im Gespräch eröffnet. „Der Deutsche“ wird erneut durch eine besonders genaue bzw. vorsichtige Aussprache (Zeilen 22-23) parodiert, dessen ludischer Charakter durch das folglich einsetzende Lachen beider Schüler bestätigt wird. Schüler 2 treibt diese Parodie in Zeile 25 auf die Spitze, in dem er den „Deutschen“ mit einer (noch stärker) hyperartikulierenden Sprache inszeniert (altҦer), in der das in der gesprochenen Sprache typischerweise ausgelassene post-vokale /r/ als ein Approximant ausgesprochen wird. Diese Parodie offenbart einige der potenziellen Bedeutungen dieser Sprechweisen als Indizes zweiter Ordnung, die hier entscheidend zur Konstruktion des „Deut-

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schen“ beitragen. Dabei wird deutlich, dass weder der parodierte „Deutsche“ noch „der Türke“ in diesem Gespräch für eine Nationalität stehen. Vielmehr dienen beide Kategorien dazu, zwei gegensätzliche soziale Typen in Szene zu setzen: der brave, sich ständig entschuldigende (Zeilen 23 und 24), streberhafte und überkorrekte „Weichei“-Typ des Deutschen (u.a. konstruiert durch die hyperartikulierte Aussprache altҦer als Index zweiter Ordnung14) bildet den extremen Kontrast zum prototypischen „asozialen Kanaken“, der in diesem Beispiel meist implizit bleibt. Im hier dargestellten Transkript sind jedoch einige Spuren enthalten, die einzelne mit diesem sozialen Typen verbundene Attribute durchschimmern lassen, wie wir sie bereits in Abschnitt 3.1 gesehen haben: Die Kontrastierung mit einem naiven und verklemmten Deutschen (Zeilen 23 und 24), die Verbindung zwischen alla und einer defizitären Sprache (Zeilen 12-13) sowie der Vergleich von alla mit der rituellen Beleidigung picco (Zeilen 7-8) führen uns auf die Spuren des prototypischen bildungsfernen und kriminellen jugendlichen „Ausländers“, des „Kanaken“, des „Aslacks“. Diese Assoziation mit den „Aslacks“ und den mit diesem sozialen Typen verbundenen Qualitäten gibt auch der spezifischen Aussprache alla ein neues Bedeutungspotenzial als ein Index zweiter Ordnung. So wird sie z.B. gelegentlich von Schülern der Club-Gruppe eingesetzt, um spöttisch ein Bild von „Möchtegerne-Härte“, „Ghettohaftigkeit“ und „Gangster-Gehabe“ im Kontext zu generieren. Das folgende Beispiel zeigt diese Verbindung. Es stammt aus einer Interaktion in einer Pause auf dem Schulhof, in der mehrere Vertreter der Club-Gruppe anwesend waren. Der transkribierte Ausschnitt beginnt, als ich eine Packung Fisherman`s Friend aus meiner Hosentasche herausziehe, um mir eine Lutschpastille zu entnehmen. Dabei biete ich diese den Jugendlichen an. Einige der Schüler gehen auf mein Angebot ein, andere lehnen es dankend ab.

14 Insofern hier ein deutscher Jugendlicher konstruiert wird, der glaubt, durch den Gebrauch der Partikel alter „gangsterhaft“ und „cool“ zu wirken, könnte man diesen Fall auch als einen Index dritter Ordnung (Silverstein 2003: 226) interpretieren.

S PRACHLICHE V ARIATION

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G ESAMTSCHULE | 77

Beispiel 8: Fisherman’s Friend (Aufnahme Nr. 61/7: 7:03-7:10) (Transkription nach GAT [siehe Transkriptionssymbole, S. 82-83]) 1

S1: bist du zu SCHWACH=sind sie zu STARK. ((ca. 3 Sek. Auslassung))

2

S2: warte, (-) wie HEIßT es; (.) wie HEIßT es;

3

S1: bist du zu SCHWACH, (-) sind sie zu STARK.

4

S3:

((ca. 3 Sek. Auslassung)) 5

S4: ihr seid so DERB,

6

S5: ich bin sowieso der HÄRteste. (.) nein. (.) WIR

7

sinn die härtestn. (-) (erst) GEStern

8

zitronensaft blanko reingekippt alla.

9

((alle lachen))

Schüler 1 zitiert den Werbeslogan von Fischerman’s Friend, „Sind sie zu stark, bist du zu schwach“, der auf die besondere Schärfe der Pastillen anspielt (wobei der Schüler scheinbar aus Versehen beide Teilsätze vertauscht), in der Absicht, diejenigen in der Runde spielerisch als „schwach“ zu beleidigen, die die Süßigkeit abgelehnt haben (Zeilen 1 und 3). Schüler 3, der sich gerade eine Pastille in den Mund schob, geht auf dieses Spiel ein, in dem er durch sein Lachen Zustimmung signalisiert und dabei so tut, als würde er diese Schärfe besonders genießen (signalisiert durch das „m:::“ in Zeile 4). Auch Schüler 4 setzt dieses Spiel fort, in dem er Schüler 3 und die anderen, die sich auf die besondere Schärfe der Bonbons eingelassen haben, als „derb“, d.h. rau, bezeichnet (Zeile 5). Damit setzt er das Bild eines „Möchtegern“-Typs in Szene, der, scheinbar um seine Schwächen zu verbergen, seine Stärke in einem solchen trivialen Gebiet wie dem Lutschen von Bonbons betont. Schüler 5 bringt sich in das Spiel ein, in dem er so tut, als ob er selbst ein solcher Typ sei (Zeilen 6-8). Spielerisch bringt er das Argument ein, er und seine Freunde seien besonders tüchtig, weil sie erst am Tag zuvor reinen Zitronensaft getrunken haben („blanko“, Zeile 8). Schüler 5 spricht die Partikel alter im sprachlichen Korpus durchgehend als alta aus. Die für ihn untypische Aussprache alla in Zeile 8 deutet eine sprachliche Kreuzung (Rampton 1995) an, d.h. der Schüler inszeniert sich als eine andere Person, in dem er seine Äußerung in einer „fremden“ Stimme vollzieht, einer Stimme, die ihm kontextuell nicht „gehört“ (dies betrifft u.a. auch die hyperartikulierte Aussprache in Beispiel 7 [Zeilen 22-

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23 und 24-25] durch Schüler 1 und 2). Die Form alla hilft ihm dabei, eine Person zu karikieren, die sich darum bemüht, das Bild eines besonders rauen Typs abzugeben. Diese Indexikalität der überzogenen Rauheit, Tüchtigkeit und Härte der Form alla in diesem Beispiel kommt durch ihre Assoziation mit der Sprache der „Aslacks“ und „Kanaken“ zustande, d.h. in Verbindung mit dem Stereotypen des „asozialen“ und gewalttätigen Jugendlichen aus dem „Großstadt-Ghetto“, der hier von Schüler 5 parodiert wird. Wie die Aussprache alta in Beispiel 7 bekommt alla hier ihre Bedeutung als Index zweiter Ordnung im Zusammenspiel der verschiedenen Kontextfaktoren: Nicht nur der spielerische Charakter der Situation und der semantische Inhalt der Äußerungen tragen zu ihrer kontextuellen Bedeutung bei, sondern u.a. auch das geteilte Wissen der Gesprächsbeteiligten über den Sprecher (z.B. über seine Biografie, sein Habitus, etc.), die eine Deutung seiner Äußerung als eine sprachliche Kreuzung nahelegen.

4. F AZIT Die unterschiedlichen Aussprachen von alter können potenziell als Indizes zweiter Ordnung und somit in bestimmten Kontexten als soziolinguistische Marker fungieren. Ihre Bedeutung als Indizes zweiter Ordnung bekommen sie im Zusammenspiel unterschiedlicher kontextueller Faktoren mit den sprachlichen Ideologien, die sich in den metapragmatischen Diskursen und Funktionen alltäglicher Interaktionen niederschlagen und dabei Sprechweisen mit bestimmten Qualitäten verbinden. Die potenzielle Bedeutung der Indexikalität zweiter Ordnung ist dabei bereits in der Indexikalität erster Ordnung immanent (vgl. Silverstein 2003: 194): Sie stellt eine kreative Rekontextualisierung eines bereits bestehenden semiotischen Zusammenhangs der ersten Ordnung dar, die angesichts ideologischer Verbindungen – z.B. Vorstellungen eines „guten“ oder eines „schlechten“ Deutsch sowie bestimmter sozialer Typen und Einstellungen und den mit ihnen verbundenen Qualitäten – vollzogen wird. Abb. 4 fasst die verschiedenen Aussprachen von alter und einige ihrer potenziellen Qualitäten in Relation zueinander als ein indexikales Feld (Eckert 2008) zusammen:

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Abbildung 4: Das phonetische Kontinuum von alter als indexikales Feld alla

alta

Sprachliche

undeutlich

deutlich

Qualitäten:

unartikuliert

artikuliert

unbetont

betont

Soziale

asozial

nicht-asozial

Qualitäten:

ghettohaft

nicht-ghettohaft

kriminell

nicht-kriminell

bildungsfern

nicht-bildungsfern

Die Analyse macht dabei einige Grenzen des Ansatzes Labovs deutlich. Denn die verschiedenen Formen von alter lassen sich weder in einem stilistischen Kontinuum zwischen formellen und informellen Kontexten darstellen, noch in standard und nicht-standard einteilen: Sie sind alle informell und nicht-standard. Dennoch haben sie aufgrund ihrer Indexikalitäten (potenziell) unterschiedliche soziale Bedeutung. Die phonetische Variation von alter ist in komplexen sozialen Differenzierungsprozessen eingebettet und damit z.T. ein Ausdruck der unterschiedlichen sozialen Orientierung der Vertreter der Aslack- und der ClubGruppe. Die Wahrnehmung der Aussprache alta als typisch für die „Deutschen“ geht auf ihren Einsatz unter vermeintlich typischen (bzw. typisierten) „Hochdeutschsprechern“ im gymnasialen Schulzweig zurück – hier durch die Club-Gruppe vertreten –, die u.a. tendenziell höhere Bildungsabschlüsse anstreben. Die Wahrnehmung der Aussprache alla als typisch für die „Türken“ und „Kanaken“ hängt mit ihrem Einsatz als eine Diskurspartikel unter jenen typischen (bzw. typisierten) „auf das Ghetto hin“ orientierten Jugendlichen zusammen (vgl. Keim 2004), die in der vorliegenden Studie durch die Aslack-Gruppe repräsentiert sind. Diese Wahrnehmungen gründen weitgehend auf den interaktionalen Erfahrungen der Schüler in ihrem Alltag, in denen Sprachideologien stets (re)produziert und verhandelt werden (vgl. auch Johnstone/Kiesling

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2008):15 Ihre Funktion als soziolinguistische Marker zeigen die verschiedenen Sprechweisen von alter bei Personen, die – wie im Falle der hier untersuchten Schüler – regelmäßig mit dieser Variation konfrontiert werden und sie somit als solche wahrnehmen und mit verschiedenen sozialen Kontexten in Verbindung bringen können. Für einige Schüler scheinen die verschiedenen Aussprachen von alter gar den Status von Stereotypen im Sinne Labovs zu besitzen, insofern sie wie in Beispiel 7 explizit thematisiert werden. Die Studie illustriert also den Fall einer soziolinguistischen Variablen, die sich, zumindest im Falle dieser Gesamtschule, in Labovs Typologie irgendwo zwischen Marker und Stereotyp ansiedeln lässt (in welche dieser Kategorien sie sich genau einordnen lässt, hängt von den individuellen Erfahrungen der beteiligten Personen ab). Die Feststellung, dass die verschiedenen Aussprachen von alter unterschiedliche indexikale Qualitäten haben können, macht aber auch deutlich, dass ein Verständnis über die sozialen Funktionen sprachlicher Formen eine Perspektive jenseits holistischer Einheiten (sei es als „Varietät“, „Ethnolekt“ oder „Sprechstil“) erfordert, die Variation und die ideologische Rahmung von Sprachgebrauch in seinem Kontext einbezieht.

L ITERATUR Androutsopoulos, Jannis (2006): „Jugendsprachen als kommunikative soziale Stile. Schnittstellen zwischen Mannheimer Soziostilistik und Jugendsprachenforschung“, in: Deutsche Sprache 34, S. 106-121. — (2007): „Ethnolekte in der Mediengesellschaft. Stilisierung und Sprachideologie in Performance, Fiktion und Metasprachdiskurs“, in: Christian Fandrych/Reiner Salverda (Hg.), Standard, Variation und Sprachwandel in germanischen Sprachen, Tübingen: Narr, S. 113-155. — (2011): „Die Erfindung ‚des‘ Ethnolekts“, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 41, S. 93-120.

15 In diese Erfahrungen fließen selbstverständlich auch weitverbreitete Diskurse (u.a. durch die Massenmedien) mit ein, wie z.B. in Androutsopoulos (2011) dargestellt. In diesen Diskursen wird jedoch kaum zwischen den verschiedenen Aussprachen von alter unterschieden (vgl. Heyd in Bearb.).

S PRACHLICHE V ARIATION

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Auer, Peter (2003): „,Türkenslang‘: Ein jugendsprachlicher Ethnolekt des Deutschen und seine Transformationen“, in: Annelies Häcki-Buhofer (Hg.), Spracherwerb und Lebensalter, Tübingen/Basel: A. Francke, S. 255-264. Bourdieu, Pierre (1991): Language and Symbolic Power, Cambridge: Polity Press. Bucholtz, Mary (2009): „From Stance to Style. Gender, Interaction, and Indexicality in Mexican Immigrant Youth Slang“, in: Alexandra Jaffe (Hg.), Stance. Sociolinguistic Perspectives, Oxford: Oxford University Press, S. 146-170. Coupland, Nikolas (2007): Style. Language Variation and Identity, Cambridge: Cambridge University Press. Coupland, Nikolas/ Galasinski, Dariusz/ Jaworski, Adam (Hg.) (2004): Metalanguage. Social and Ideological Perspectives, Berlin/New York: Mouton de Gruyter. Eckert, Penelope (2005): „Three Waves of variation Study: The emergence of meaning in the study of variation.“ (Zugriff: 16.10.2012) — (2008): „Variation and the Indexical Field“, in: Journal of Sociolinguistics 12, S. 453-476. Fairclough, Norman (1995): Critical Discourse Analysis, London: Longman. Gumperz, John (1982): Discourse Strategies, Cambridge: Cambridge University Press. Heyd, Theresa (in Bearbeitung): „Dude, Alter! A Tale of two Vocatives“. Manuskript in Revision. Irvine, Judith/ Gal, Susan (2000): „Language ideology and linguistic differentiation“, in : Paul Kroskrity (Hg.), Regimes of language: Ideologies, polities, and identities, Santa Fe: School of American Research Press, S. 35-84. Johnstone, Barbara/Kiesling, Scott (2008): „Indexicality and Experience: Exploring the meanings of /aw/-monophtongization in Pittsburgh“, in: Journal of Sociolinguistics 12, S. 5-33. Keim, Inken (2004): „Kommunikative Praktiken in türkischstämmigen Kinder- und Jugendgruppen in Mannheim“, in: Deutsche Sprache 32, S. 198-226.

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T RANSKRIPTIONSSYMBOLE Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem (GAT): Selting et al. (1998) Sequenzielle Struktur: [ ] Überlappung von Gesprächsbeiträgen [ ]

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= :, ::, ::: Pausen (.) (-), (--) , (---)

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schneller, unmittelbarer Anschluss neuer Einheiten Dehnung je nach Dauer

(2.0)

Mikropause kurze, mittlere und längere Pausen von ca. 0.25-1,0 Sek. Pause von ca. 2 Sekunden

Akzentuierung akZENT Ak!ZENT!

Großbuchstaben geben den Hauptakzent an. extra starker Akzent

Tonhöhenbewegungen am Einheitsende ? hoch steigend , mittel steigend gleich bleibend ; mittel fallend . tief fallend Sonstige Konventionen ((lacht)) para- und außersprachliche Handlungen sprachbegleitende para- und außersprachliche Handlungen mit Reichweite reden in fremder Stimme und beschreibende Kommentare mit Reichweite ( ) unverständliche Passage je nach Länge (wort) vermuteter Wortlaut

Marking subjectivity in interviews on political engagement Interpretive logics and the metapragmatics of identity J AN Z IENKOWSKI

1. I NTRODUCTION In the humanities it has become commonplace to argue that the self involves multiple processes of identification. No matter whether we talk about the individual as being constituted by a multiplicity of communicative or social roles, by a polyphony of voices, by a variety of performances and strategies, or by a set of discursive interpellations, it has become quite acceptable to argue for the normality of the multiple personality. The particularities of the way such processes operate differ depending on the metaphors used to conceptualise the self. There are also studies emphasising the narrative, reflexive, creative, ethical, and/or aesthetic quest for some degree of coherence and continuity in the self. My own interest in self and subjectivity pertains directly to this tension between coherence and multiplicity of the self. It is also a direct result of my analyses of interviews conducted with activists and intellectuals with a Moroccan background in Flanders. I was especially interested in the way these people articulated a political world-view with a preferred sense of self. Throughout my interviews, I asked them about the evolution of their political points of interest, their political engagements, and their political ideas – letting them decide what may or may not be ‘political’. The people I talked to included party politicians, minority activists, intellectuals, and social workers. Almost all of them had

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a Moroccan background, were living in Flanders (the Dutch speaking region of Belgium), and enjoyed a relatively high degree of education. They have all publicly voiced their opinion on one or more issues central to the Flemish minority debates that revolve around notions such as identity, diversity, gender, Islam, language, norms, values and relationships between so-called autochthons and allochthons (see: van der Haar/ Yanow forthcoming: 17; Zienkowski 2011a: 242-245; Jacobs/Rea 2006: 21;; Blommaert/Verschueren 1998: 47-50).1 After conducting about forty interviews I was both impressed and disoriented by the myriad of topics raised throughout these interactions. People talked about global and international issues such as the financial crisis of 2007, the Iraq war, and Islamic terrorism. They discussed national and local issues, as well as personal discriminatory and emancipatory experiences. Moreover, I was usually able to identify over 200 identity labels. These labels, identities or subject positions (partially) defined the sense of self as articulated by my respondents in positive and negative ways within the interview context. Even more dazzling was the fact that these complex discourses on politics and identity seemed relatively transparent in situ. Things became less transparent as soon as I started my analyses. A series of theoretical and empirical questions emerged. How do these individuals manage to articulate and to co-construct a more or less coherent sense of self and other(s) in and through their language use? Why wasn’t I significantly disoriented in spite of the manifold identification processes that were going on in practically every conversational turn of every interview? How do these people manage to trigger a subjective sense of coherence on my part? And how do they relate their various identities to the

1

The binary pair allochthons - autochthons is a peculiarity of Dutch discourses on migration in Flanders and in the Netherlands. In mainstream political discourse, the notion of autochthony refers to supposedly ethnic Flemish or Netherland citizens who speak Dutch. The word ‘allochthon’ derives from the Greek words ‘allos’ (i.e. other) and ‘chton’ (i.e. country, land or earth). In practice, this latter notion is mainly used to designate lower class, ethnic and cultural minorities, mostly Moroccan and Turkish Muslims who migrated to Belgium or to the Netherlands. The allochthony – autochthony opposition is contested by most minority activist since the label of allochthony refers to the second and third generation of migrants as well as to the first.

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SUBJECTIVITY IN INTERVIEWS ON POLITICAL ENGAGEMENT

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utterances about the political debates under discussion? The analysis was further complicated when I realised that these people often used contradicting and different notions of culture, identity, politics, ethnicity and individuality (Zienkowski 2011a: 23-63). All of these questions led me to ask according to what interpretive logics interviewees mark their subjectivity in my interviews on political engagement. Within the context of this paper, I will focus on this last question by means of a focus on their usage of metapragmatic markers. These linguistic markers are used by language users to orient, to instruct, and to guide each other throughout interpretive processes. They are useful entrypoints for an analysis of the interpretive frames, repertoires and/or logics that are constitutive of the subjectivities and political engagements of my respondents. These markers are key to an adequate understanding of the way political awareness functions. As such, this paper aims to contribute to an empirical analysis of large-scale interpretive processes marked in discourse.

2. I NTERPRETING THE

SELF IN DISCOURSE ON POLITICAL ENGAGEMENT

Concepts such as politics, identity, integration, and assimilation perform key functions in the Flemish minority debates. They can be described in terms of empty signifiers over which a struggle for hegemony is being waged (Torfing 1999: 301-302; Laclau 1994). At the same time, we are dealing with abstract categories that perform key functions in the value systems of concrete individuals (Zienkowski 2011a: 425-426). The intellectuals and activists I talked to display a high degree of awareness with respect to hegemonic uses of such notions in the Flemish public sphere. This awareness is indexed at various points in their discourse. Below, I will first clarify some key concepts used in this paper. These include metalinguistic awareness, political engagement, and metapragmatics. Secondly, I will demonstrate the close relationship between metalinguistic and metapragmatic awareness with reference to a discourse on ‘identity’ and ‘integration’ articulated by a Flemish / Moroccan youth worker critical of hegemonic discourse on minorities in Flanders.

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2.1 On metalinguistic and political awareness I already pointed out that my interviews focused on the political engagement(s) of intellectuals and activists involved in the Flemish minority debates. Their utterances and practices are considered to be political to the extent in which they attempt to challenge and/or rearticulate what they consider to be hegemonic and problematic (discursive) practices in the public sphere. Political engagement can therefore be defined as a practice of discursively rearticulating social patterns in a public sphere by means of imagined collective action (cf. Zienkowski 2011a: 205). My respondents engage themselves in a variety of contexts (e.g. political parties, youth organisations, pressure groups, ethnic and cultural organisations) and they may deploy different interpretive frameworks, political theories (e.g. Marxist, liberal, Foucaultian), and lived ideologies, but they have all voiced some kind of critique with respect to minority politics in Flanders on websites, in newspapers, and at public lectures or debates. In line with the Essex school of discourse theory (Laclau 2000: x-xi), I favour a view that considers politics as an analytical category that designates those discursive practices, institutions and relations whose contingency is publicly challenged and rearticulated by various stakeholders . Of course, the question remains exactly how the contingency of concrete practices and discourses can be highlighted. I will argue that an empirical analysis of the metalinguistic or metapragmatic dimension of political discourse allows for an investigation of the various ways in which preferred modes of self are linked to preferred modes of politics. Metapragmatic and metalinguistic markers allow interlocutors to identify patterns of coherence in their subjectivities and in their political discourses. It is not my intention to dwell on the historiography and intradisciplinary tensions within the broad field of linguistic pragmatics. I subscribe to the view of pragmatics as a perspective, attitude, or turn within linguistic approaches to communication. This perspective involves a turn towards a functional and interpretive approach to language use that transcends traditional disciplinary boundaries. It is an aggregate concept that designates those ways of conceptualising language use that allow us to highlight the process based nature of the intersubjective, contextual, functional and interpretive acts we perform when we talk and write (Zienkowski 2011a: 149-152). As such, I subscribe both to the early definition of pragmatics

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provided by Charles Morris and to the more recent definition provided by Jef Verschueren. “By ‘pragmatics’ is designated the science of the relation of signs to their interpreters. […] Since most, if not all, signs have as their interpreters living organisms, it is a sufficiently accurate characterization of pramatics to say that it deals with the biotic aspects of semiosis, that is, with all the psychological, biological, and sociological phenomena which occur in the functioning of signs.” (Morris 1938 cited in: Verschueren 2009: 3) “At the most elementary level, pragmatics can be defined as the study of language use, or, to employ a somewhat more complicated phrasing, the study of linguistic phenomena from the point of view of their usage properties and processes.” (Verschueren 1999: 1)

The interdisciplinary view of pragmatics as a perspective has been criticised for being too broad. Even a proponent of this broad view such as Verschueren acknowledges the validity of Davis’ concern that “the problem with this broad view of pragmatics [as defined by Morris] is that it is too inclusive to be of much use” since it “includes almost all human activity, from baseball to the stock market”. The ultimate implication being that “all of the human sciences become part of pragmatics” (Davis 1991 cited in: Verschueren 2009: 14). Nevertheless, Verschueren does offer an alternative to what Mey calls the Scylla and Charybdis of either confining oneself to strict linguistic definitions of pragmatics or developing impossibly vague definitions that basically incorporate “as much social context as possible” thus blurring the boundaries between pragmatic and other (linguistic) disciplines (Mey 1999: 43). Within pragmatics, context is not conceptualised as a container that surrounds utterances and texts. Rather, context is interactively negotiated. Language users indicate to each other what aspects of contextual reality should be taken into account in order to achieve a preferred mode of interpretation (Zienkowski 2011a: 182-87; Heritage/Clayman 2010: 21; Gumperz 1982: 153; also cf. Porsché in this volume). Within such a framework, context is not a vague notion: “contextual interpretations are actively signalled and/or used, and it is this fact that makes them most useful in linguistic analysis, because it is what makes them traceable”

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(Verschueren 1999: 11). The social and the mental worlds get activated through choice-making practices (Verschueren 1999: 83-87). We mark relevant aspects of context by means of contextualisation cues that point to spatial, temporal, social and/or (inter)textual coordinates of reality. These indexes may be linguistic or non-linguistic. In either case, they prompt language users to engage in interpretive efforts whereby linguistic and nonlinguistic aspects of reality are linked to each other (see also: Zienkowski 2011a: 429; Blommaert 2005: 251; Verschueren 1999: 77; Bauman/Briggs 1990: 68). I will work with a notion of context that can be defined as the flexible and temporal (result of a) discursive contextualization process that contributes to interactional clarity and/or to the establishment of an imagined common ground by means of indexical meaning generation. As such, I subscribe to a pragmatic view on context as advocated by pragmatically oriented authors such as Jan Blommaert, Jef Verschueren, James Collins, Monica Heller, Ben Rampton, and Stef Slembrouck who do not refrain from using notions such as power, ideology, or hegemony, but who use these notions reflexively in dialogue with the empirical data at hand (cf. Blommaert et al. 2001, 2003; also cf. Souza in this volume). A study of the linguistic strategies used in order to communicate relevant contexts of interpretation to each other allows for an empirical analysis of large-scale interpretive logics leaving traces at the micro-level of language use (Zienkowski 2011b: 7-8). Markers of metapragmatic awareness perform a key function in this respect. The phenomena discussed under the header of metapragmatics (Bublitz/Hubler 2007; Verschueren 2004; Caffi 1998) also figure in research on metalinguistics (Jaworski et al. 2004). There is no consensus with respect to the delineation of these terms. In this paper, I will follow Blommaert who points out that “every discourse simultaneously says something in itself (e.g. it describes a particular state of affairs ‘out there’) and about itself, about how that discourse should be interpreted, situated in relation to context, social relations, and so on. Such indexical levels can also be called ‘metalinguistic’ (i.e. about linguistic structure) or ‘metapragmatic’ (i.e. about forms of usage of language).” (Blommaert 2005: 253)

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This description highlights just one of three senses of metapragmatics. The notion of metapragmatics can also refer to a theoretical debate on pragmatics defined as a scientific discipline or perspective – irrespective of the specific definition given to this discipline. In addition, it may refer to the conditions that make speaker’s language use possible and effective. In this article, I am concerned with metapragmatics in the sense of “the investigation of that area of the speaker’s competence which reflects the judgments of appropriateness on one’s own and other people’s communicative behaviour”. Caffi points out that “This metapragmatics deals with the ‘knowhow’ regarding the control and planning of, as well as feedback on, the ongoing interaction” (Caffi 1998: 581). This third sense is closely related to a view on language use as “the adaptable and negotiable making of linguistic choices, both in production and in interpretation, from a variable (and constantly varying) range of options in an interactive effort at generating meaning” (Verschueren 2004: 57). This implies that the interpretations of actors need to be “part and parcel of what needs to be described and explained” in pragmatic modes of discourse analysis (Verschueren 2004: 444-445). Metapragmatics may be described as “the systematic study of the metalevel, where indicators of reflexive awareness are to be found in the actual choice-making that constitutes language use, is the proper domain of what is usually called metapragmatics” (Verschueren 1999: 188). Metapragmatic awareness can be defined as a mental awareness of the way an aspect of discourse is (or should be) used. Like any other reflexive process related to language use, it may or may not be marked explicitly in discourse. Lastly, metapragmatic markers are basically discursive (linguistic or nonlinguistic) items that mark mental awareness of the way an aspect of discourse is (or should be) used (Zienkowski 2011a: 432). As such, they are empirically observable indicators of discourse strategies, frames, repertoires, and large-scale interpretive logics deployed by language users. Reflexive awareness and subjectivity can be marked in discourse by linguistic forms that may be categorised as metapragmatic markers. These markers are functional entities. There is a metapragmatic dimension to all language use, but potential indicators include “all of Jakobson’s ‘shifters’, Gumperz’s ‘contextualization cues’ (such as instances of code switching), anything ever discussed under the labels ‘discourse markers / particles’ or ‘pragmatic markers / particles’ (such as anyway, actually, undoubtedly,

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I guess, you know, etc.), ‘sentence adverbs’ (such as frankly, regrettably), hedges (such as sort of, in a sense), instances of ‘mention’ vs ‘use’ (again as already suggested in Jakobson), as well as direct quotations, reported speech, and more implicitly embedded ‘voices.’” [emphasis in the original] (Verschueren 2004: 446)

It is impossible to achieve either full explicitness or full implicitness (Verschueren 1999: 26-36). Metapragmatic performances also serve as a means of commenting on and interfering with ongoing discourse or text (Bublitz/Hübler 2007: 6). As such, these performances are fundamental to the articulation of social and textual critique. Even though we have no direct access to our own awareness or to the awareness of others, we do have access to a language that may indicate relevant aspects of our own awareness of the discursive processes we are involved in, as well as one’s subjective stance towards a multiplicity of social and discursive phenomena articulated in discourse. As such, metapragmatic markers allow for an empirical analysis of both subjectivity and critique. In fact, the process of negotiating relevant context lies at the heart of political debate defined as a dialogic and intertextual network in which a variety of subject positions are activated in a political struggle over the meaning of empty signifiers that supposedly define identities, policy domains, political practices, norms, values, or any other aspect of discursive reality (Zienkowski 2011a: 429). A pragmatic approach to the self, to politics and to subjectivity allows for an investigation of the way subjects relate themselves to the sociopolitical dimensions of their contextual realities. Since metapragmatic awareness involves an awareness of the way people use language, it is a precondition for the discursive articulation of socio-political critique. Moreover, metapragmatic awareness allows language users to identify (in)coherent patterns in the subjectivities and discourses of self and other. These principles will be exemplified with reference to interviews conducted with intellectuals and activists involved in the Flemish minority debates. These examples will illustrate why preferred modes of politics are linked to preferred modes of subjectivity. However one may define subjectivity, it involves at least some degree of awareness with respect to oneself and with respect to the multiplicity of voices and meanings that may potentially be inferred from texts and discourses. Analysing subjectivities involves analyzing a multiplicity of potentially contradicting identities and meanings within more or less coherent in-

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dividuals, groups, and discourses. The notion of subjectivity allows one to think of the self in terms of an exercise in balancing on the edge between coherence and a multiple personality disorder. As such, Donald E. Hall points out that “We may have numerous discrete identities of race, class, gender, sexual orientation, etc … and a subjectivity that is comprised of all of those facets, as well as our own imperfect awareness of our selves” (Hall 2004: 134). There are many perspectives that take the multiplicity of subjectivity into account: “[…] you may have heard of the Lacanian theory of the split subject according to which we cannot speak without letting the Other speak with us, you may have heard of Erving Goffman who suggested that rather than being one single source, the actor be divided into at least three different instances: author, principal and animator” (Angermüller 2008: 6). Nevertheless, the multiplicity of voices and meanings that may potentially be inferred from texts is limited by the operation of various interpretive rules that are triggered when we are confronted with various types of discursive markers. Whenever I will talk about the self in the remainder of this article, I will consider the self in terms of a reification of the various processes that allow an individual to reflectively position itself as a more or less coherent whole with respect to the various spatial, temporal, social, and (inter)textual coordinates of contextual reality (Zienkowski 2011a: 434). Such a concept of selfhood can only be established when it is possible to identify large-scale interpretive logics that structure one’s metapragmatic awareness of the various contexts through which one moves. I use this definition in order to distinguish between specific identities, roles, and/or subject positions activated throughout my interviews on the one hand, and the more or less coherent and continuous sense of self that is being narrated throughout the interaction and which may provide consistency for self-experience beyond this particular language game. The fact that the terminology of the social sciences frequently overlaps with the terminology of (minority) politics, should not obscure the fact that the various actors involved in the debate may hold very different views on what abstract notions such as self and identity actually mean. In fact, most of my interviewees have pointed out that a struggle for a preferred meaning of these terms constitutes a major focal point in their socio-political engagements.

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2.2 Najim Einauan on identity and integration The close link between metapragmatic and political awareness can be exemplified with reference to an interview conducted with youth worker Najim Einauan. At the time of our interview, Najim was engaged in an umbrella organisation of youth organisations called PAJ (Platform Allochtone Jeugdwerkingen, i.e. Platform Allochthon Youth Organisations). He described his engagement for PAJ as a practice of ¢wading through piles of prejudices² in a Flanders that is ¢faced with an identity crisis². Below, I shall use the symbols ¢ and ² in order to illustrate that the words used are literally the same words as those used by my interviewees. Different usage of similar abstract categories such as ¢identity² necessitates the introduction of a visual contextualisation cue that highlights when and where the wordings of researcher and respondent overlap. The excerpts below are useful for a number of reasons. First of all, they exemplify that metapragmatic markers allow for a differentiation between various modes of interpretation. In turn, this allows subjects to distinguish between their own political standpoints and those of others. Secondly, the examples demonstrate that metapragmatic markers are especially useful in order to differentiate various usages of abstract categories such as integration or identity. Thirdly, metapragmatic markers can be used in order to categorise the multiplicity of voices that constitute the public debate. This implies that they perform a key function in the pursuit of a more or less coherent world-view and sense of self. Before we move on to discuss some of Najim’s statements in detail, it is important to point out that he subscribed to my analyses. Nevertheless, a few years after our interview was conducted, he was quite surprised by the sharpness of his original statements. Because he was not very familiar with interviews at the time, he asked me to nuance his statements. His remarks with respect to Scouts and Chiro2 were first and foremost a reaction to poli-

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Youth organisations are increasingly popular in Belgium compared to most other European countries. Chiro was the biggest organisations in 2008 and counted almost 80 000 members. In 2009 there were 95 000 members and 15 000 leaders. Scouts en Gidsen Vlaanderen (Boy Scouts and Girl Scouts Flanders) counted almost 75 000 members in 2008. In 2009 they still counted 75 000 members and 13 000 leaders. Scouting and Chiro are the most popular youth organisa-

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ticians who presuppose that the participation of a group of allochthon youngsters in a mainstream Chiro group would lead to an assimilation of these youngsters into an unchanging Chiro group identity. To Najim, this is absurd, since we are dealing with two groups with different sub-cultural tastes that are linked to variants in youth culture. He also emphasised that minorities have a right to establish their own organisations. In this sense, the argument of locking oneself away in one’s identity might as well be directed at organisations of homosexual, lesbian, and bisexual people, which is absurd to Najim. Both the original excerpt and Najim’s comments a few years later illustrate the extent to which respondents may be aware of the problematic ways in which notions such as ¢identity² may be used by themselves as well as by socio-political opponents. Najim’s remarks with respect to the discourse of his opponents exemplify how metapragmatic awareness is constitutive of political awareness. All forms of critique imply an awareness of the way meanings are generated through discourse. Interview excerpt 1: Najim Einauan 03/07/2008 NE: My job and the job of all of my colleagues consist in uhm … wading through piles of prejudices and trying to make something out of it nevertheless (laughs). JZ:

mmh

NE: I hear from uhm policy makers, and from journalists, and from politicians like “Allochthon youth work, come on, what is that good for? You lock yourselves away in your own identity. Why don’t you just join Scouts and Chiro?” JZ:

mmh

NE: Then I think like, “come on man, wake up (laughs), they are not welcome over there, it is not adapted to them … . It’s, it’s an evolution.” So, as far as the topic of integration is concerned, … I think Flanders is faced with an identity crisis. JZ:

mmh (this interaction continues in the excerpt below)

In the excerpt above, Najim rearticulates the voices of ¢policy makers², ¢journalists², and ¢politicians² who question what ¢allochthon youth work² tions in Belgium. However, research from 2010 shows that the members predominantly belong to white middle class families.

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is ¢good for². The excerpt contains various markers of metapragmatic awareness: discourse markers; direct reported speech; metapragmatic qualifications; shifts in prosody; and laughter. These markers perform various functions but together, they allow Najim to rearticulate some basic features of the Flemish identity debates as he interprets it. Najim uses direct reported speech3 (see Holt 2009; Coulmas 1998: 778779) in order to rearticulate arguments against an organisation such as PAJ: ¢You lock yourselves away in your own identity. Why don’t you just join the Scouts and the Chiro?² (see Debusscher 2010; De Ceulaer 2009; Baumers 2008). He also articulates his response to such voices: ¢come on man, wake up, (laughs) they are not welcome there, it is not adapted to them …². Through subtle shifts in prosody and tempo, Najim distinguishes between his own voice and the voices of ¢policy makers², ¢journalists² and ¢politicians². In the excerpts above and below, I have marked the points where such shifts occur with quotation marks. Najim’s laughter and metapragmatic comments ¢come on man, wake up (laughs)² achieve a similar effect. The distinction between both types of voices is not merely conversational. The rearticulated dialogue allows Najim to contextualise the interview discourse within a large-scale political debate on ¢identity². He counters reproaches on the part of ¢journalists², ¢politicians², and ¢policy makers² with respect to allochthons locking themselves away in their own

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The term reported speech is used to refer to the presentation of discourse that purports to be from a prior occasion, and may originate from another author. Direct reported speech occurs when someone refers to another speech situation and (claims to) convey(s) the original speaker’s exact words. Direct reported speech implies the articulation of two deictic centres or perspectives – that of the interaction one refers to and that of the ongoing communicative situation (e.g. He looked at her furiously and said ‘Why can’t you stop it? Really! Why do you go on with this comedy). Indirect reported speech has only one deictic centres: that of the communicative situation. The point of view of the reported utterance and the report is the same (e.g. He looked at her furiously and asked her why she could not stop it, and why she continued with the comedy). Quasi direct reported speech implies reference to two deictic centres without an explicit reference to another speaker or speech event (e.g. Why couldn’t she stop it? Really! Why did she go on with this comedy?).

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¢identity² by claiming that (non-allochthon) Flanders is faced with an ¢identity crisis² itself. According to Najim, this ¢crisis² is fundamentally linked to ¢the topic of integration². Put differently, by emphasising the topical coherence of the debate as being about ¢integration² as well as about ¢identity², Najim is able to criticise the interpretive logic leading to a criticism of so-called allochthon organisations such as PAJ. In the excerpt below, we are still discussing Najim’s engagement as a practice of wading through prejudices in a Flanders with an identity crisis. Here, Najim frames the problem as follows: ¢one is faced with a schizophrenic phenomenon over here² in the sense that ¢one says like we “want to stimulate integration”, but one wants assimilation². According to Najim, ¢allochthons who are incited to integrate themselves² are presented with a ¢totally unrealistic² ¢image². Contrary to this image, someone who follows ¢an inburgering course²,4 who ¢speaks Dutch fluent², or who is ¢active in an association² and ¢friendly to his neighbours², will still have no guarantee of not being ¢discriminated². Note that the demands made of ¢allochthons² or ¢inburgeraars² are framed dialogically in terms of direct reported speech. Interview excerpt 2: Najim Einauan 03/07/2008 NE: (this interaction is a continuation of the excerpt above) One is faced with a schizophrenic phenomenon over here. One says like “we want to stimulate integration”, but one wants assimilation. JZ:

mmh

NE: One calls it integration, but the measures one proposes are assimilation, … . The image one presents new inburgeraars and allochthons who are incited to integrate themselves is totally unrealistic. 4

The Dutch notion of ‘inburgering’ is particular to Flemish and Dutch discourses on diversity and migration. It is a nominalisation of the process verb ‘inburgeren’. The noun ‘burger’ means citizen. The notion of ‘inburgering’ refers to a metaphorical movement from a status of non-citizenship into a mode of citizenship. It is a frequently used politically correct notion within the context of discourses of ‘integration’. As such, it is frequently used as a synonym for the concept of integration when emphasis is being put on the efforts that are being asked of individual immigrants to adapt themselves to supposedly hegemonic ‘norms and values’ in Flanders and Belgium. Governmental institutions in Flanders provide courses for immigrants in order to achieve this effect.

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JZ:

mmh

NE: If you simply take a look at what’s going on in society. The image of public opinion, … “you come to Belgium, … you learn Dutch, … you follow an inburgering course, and all doors will be opened to you, you will be equal, you will have all the opportunities your fellow country men already have, here in Belgium …”. It isn’t like this … . Of course, it’s good that one is inburgering eh (laughs). I don’t have a problem with this, but we shouldn’t pretend as if someone who is following an inburgering course, or who is pushing his kids to follow a nice education, or who speaks Dutch fluent and is active in an association, or friendly to his neighbours, pays his taxes in time, and puts out the garbage at the right time, … that he will not be discriminated (laughs), … JZ:

yes yes

NE: or that he, eh, that he will not be addressed uhm, feel addressed by these negative stories, and by the entire perception about this, … . So, I think that Flanders has to look at itself in the mirror … .

In the last line of the excerpt above, Najim stated that ¢Flanders has to look at itself in the mirror². In subsequent turns, he explains that this crisis involves a non-recognition of the ethnically heterogeneous image of the contemporary Flemish public sphere. His point is that the reproach of locking oneself away in one’s identity might as well be directed at Flemish autochthons. A ¢Flanders² that looks ¢at itself in the mirror² would consist of autochthons who recognize the heterogeneity of the public sphere and who denounce a ¢romanticised or idealised image one has about oneself² and ¢about the Fleming² or ¢Belgian². Metapragmatic awareness does not merely pertain to abstract categories such as ¢identity² or ¢integration². A little bit further down the interview, Najim and I started to discuss the topic of ‘terminology and knowledge about Islam in the Flemish media’. Within this context, Najim advised me to ¢take a look at the news² and pointed out that ¢one has invented a whole new vocabulary² by taking ¢the predicate Muslim² and attaching it to ¢a common Flemish word². This ¢sad² phenomenon ultimately functions by means of a ¢pars pro toto² reasoning: ¢one reduces a person to the headscarf, or to a piece of his identity that makes him² ¢a Muslim², ¢as if² ¢one would constantly address² ¢everyone² ¢raised within the Christian tradition or who is only partially practicing² ¢on the basis of his Christian or Catholic identity². He thus proves to be engaged in a critical form of discourse anal-

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ysis wherein he metapragmatically comments upon ¢pars pro toto² or metonymic language use (see Panther/Radden 2005; Geeraerts 1998: 586-587; Chantrill/Scott Mio 1996) with respect to ¢identity² and Islamic identity markers. Interview excerpt 3: Najim Einauan 03/07/2008 NE: You should take a look at the news … a Muslim man eh … . One has invented a whole new vocabulary. One takes the predicate Muslim and then one takes a common Flemish word one attaches it to. Sometimes, just for fun, I am making some up myself eh, a Muslim pet eh, you can combine it with anything … . A Muslim man, … it’ s really just sad, it is sad through and through … . Imagine that one would talk about a Christian country in other countries (laughs), in East Africa eh, that makes one think about (laughs) the crusades … . A Muslim woman, … a Muslim restaurant, a Muslim kitchen, a Muslim trip, a Muslim home, a Muslim organisation. I say, the sky is the limit. A Muslim headscarf. You can combine it with anything, and each time one zooms in on it, focusing on it, JZ:

mmh

NE: and one reduces, eh, what is it called again … a pars pro toto eh. One reduces a person to the headscarf, or to a little piece of his identity that makes him, … uhm, that makes him a Muslim. As if uhm, one would constantly address everybody I know who has been raised in the Christian tradition, or who is even partially practicing, on the basis of his Christian or Catholic identity. Uhm, … or as if one would address women continually on the basis of their gender eh, or holebi’s on the basis of their orientation. So, it’s, it’s, it’s simply absurd, but apparently, it’s a sign of our times … .

When Najim Einauan describes his engagement for the umbrella of allochthon youth organisations PAJ as a practice of ¢wading through piles of prejudices², it is important to realise that an awareness of these prejudices arises out of a metapragmatic evaluation of dominant discourses. More specifically, it involves a mode of critique in which dominant usage of ethnic, religious, and other abstract categories are linked to an analysis of unequal socio-political relationships. For this reason, metapragmatic awareness and political awareness are closely intertwined.

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3. L ARGE - SCALE

INTERPRETIVE LOGICS CONSTITUTIVE FOR THE SELF

Changes in prosody, hedges, boosters, contextualisation cues, and other markers of metapragmatic awareness may sensitise us to the various voices to which an individual orients his or her subjectivity while talking about politics. But if we are to study the selves of interviewees and if we are to move beyond a study of highly contextualised identities, we need to answer the question how large-scale interpretations can be marked in discourse. Notions such as frame, narrative, or interpretive repertoire may do the trick, but within the context of this article, I prefer to build upon the concept of logic as developed by Glynos and Howarth. Whereas frames, narratives, and /or interpretive repertoires are usually deployed by individuals, the notion of logic allows us to talk about the logic of a system, of a discourse, as well as of an individual or group. For instance, Howarth and Glynos point out that one might describe the “logic of the market” through a description of a set of subject positions (e.g. buyers and sellers); objects (e.g. commodities and means of exchange), and a system of relations that articulates objects and subjects with one another (e.g. a well functioning legal system). The notion of logic captures the conditions that make the continued operation of these practices, discourses, and subject positions possible (Glynos/Howarth 2007: 136). Even though I think this is a useful way to analyse social processes, some caveats need to be made. Researchers are not the only subjects analysing the logics of their socio-political contexts. For instance, interviewer and interviewee co-construct a discourse through which they may articulate a critical stance towards socio-political processes and entities. Respondents may use various metapragmatic strategies in order to distinguish between what they consider to be legitimate and illegitimate discourses, subjectivities, organisations, and practices. This implies that one may criticise the logic of the capitalist system but that one cannot claim that this person deploys a capitalist logic. We need to distinguish between the logics externalised and criticised by actors on the one hand, and the logics that make up their preferred sense of self and subjectivity on the other hand. It is quite difficult to distinguish between the self-interpretations of individuals and the social logics they may observe in reality. I therefore prefer to focus on the interpretive logics that positively or negatively define the

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sense of self and the sense of others (re)articulated by my respondents. Such interpretive logics also structure preferred and disavowed modes of politics within the context of my interviews. The identification of processes in large-scale socio-political debates thus boils down to the question how an individual may articulate his or her sense of self in relation to the public debate. I will define the concept of logic as follows: Logics are large-scale interpretive patterns informing a preferred mode of subjectivity. They are particular interpretive configurations of functional relationships between subject positions, statements, practices, (sub)topics, or any other aspects relevant to an understanding of self and other. In order to identify and name such logics, one needs to go through the selfinterpretations of subjects which are marked metapragmatically in discourse. (cf. Zienkowski 2011a: 333) In order to demonstrate how such large-scale interpretive logics may be identified and operate, I will refer to the case of Nadia Babazia (Zienkowski 2011a: 371-377, 383-384). Almost all of my interviewees implicitly or explicitly framed the development of their political awareness or engagement in terms of a reaction against interpellations and interactions that did not confirm to their preferred sense of self and/or politics. This involves a metapragmatic interpretation of specific speech events, speech acts, and language games (Zienkowski 2011a: 369). It should also be noted that feelings of misrecognition often occur where contextual frameworks clash. Individuals switch between subject positions as they highlight different aspects of contextual reality. As such, they may identify themselves with particular ethnic, cultural, religious and /or political subject positions when discussing a particular topic. However, if interlocutors misrecognise subject positions relevant to the utterance of particular statements, this often triggers an emotional response. Interlocutors who are able to frame these responses by means of a metapragmatic analysis of the speech event, are able to politicise the interaction itself (Zienkowski 2011a: 369). This is what happens in my interview with Nadia Babazia.

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3.1 Being a bridge for others: a logic of rapprochement At the time of our interview, Nadia was involved in an organisation called SAMV (Support Centre for Allochthon Girls and Women). On a practical level, SAMV organised workshops, protest actions, and debates. The organisation sought to inform women of their rights and possibilities in society. After a while, SAMV also started to work with allochthon youngsters, including boys, in 2004. It developed educative games about sexuality, role patterns and relationships. Another project involved a play based on women’s stories about sexuality, forced marriages, divorce, virginity, and Islam. As such, the organisation aimed to stimulate what it calls “the internal debate” within the so-called allochthon communities. This debate involves a discussion of topics such as partner choice, marital migration, interreligious relationships, and homosexuality. Later on, the organisation would change its name to Ella, a name change that was informed by the following considerations: “Whereas during the first five years, SAMV focused mostly on individual empowerment of allochthon women by means of various methods and courses, from 2006 on, SAMV developed a new track. Because, with respect to sensitive gender issues, ‘taboo themes’, and traditions that obstruct or hinder individual emancipation, the individual and communal levels are fundamentally intertwined. It is difficult to break certain taboos on your own, if there is no support within the community. We therefore never suggest only one solution or model. Rather, we want to stimulate people to think independently, to be critical with respect to common opinions / convictions within one’s own community, and to make their own choices.” (Bouzarmat 2010)

Within the context of our interview, Nadia Babazia discussed her ¢job² at SAMV in terms of an ¢engagement² with and within ¢the internal debate². As such, SAMV constituted one of three different ¢worlds² through which she travels. In addition to SAMV, these worlds include a ¢Flemish², ¢Belgian², ¢white² ¢environment² and an ¢environment² provided by her ¢family². These spatial metaphors are used in order to distinguish metapragmatically between three types of interpellations that are characteristic of three sets of speech events in which other interpretive logics are deployed.

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At the very end of our interview, Nadia remarked that she thought the interview was ¢kind of interesting² and that she did not know ¢what to expect² when we made our appointment. This made me wonder what she did expect. She explained that she and her SAMV colleagues are frequently invited to interviews of all sorts. Interview excerpt 4: Nadia Babazia 11/06/2008 NB: all sorts, yes, and sometimes it’s rather … well yes … sometimes, sometimes you do get tired of always explaining this. And I liked it like right now, that it wasn’t just about this aspect. Well, it went a step further, like well, “Why do you engage yourself?”, so you don’t have to talk that much, well, you do have to talk about yourself of course, but not … well, I don’t know, the basics, the basic identity … JZ:

What do you consider to be basic?

NB: well, … I don’t know, like “Do you feel Moroccan or Belgian?”, and “How about you being a Muslim”, you know … . And you can really get quite exhausted after such a conversation. It’s like “shit, yes, uhm how does this work again”, and you think like “shit, that’s not what I am working on at all”, or “this is what I am working on”, and that’s so, … well, sometimes, very exhausting, and then you’re like … “should I still do this sort of thing?”

The excerpt above shows that Nadia prefers interviews in which the ¢basic² ¢identity² questions do not have to be answered. She explains how questions asked by interviewers such as ¢“Do you feel Moroccan or Belgian”² are ¢exhausting² to her. She was interested by the fact that I ¢went a step further² by asking her ¢“Why do you engage yourself?”². This still meant that she ¢had to talk about² herself but presuppositions with respect to what she considered to be the ¢basics² of ¢identity² formation were left to function in the background of our interview. In order to understand this preference, we need to take a look at the interpretive logics that Nadia deploys in making sense of her socio-political engagement. Nadia’s preferred mode of subjectivity is characterised by what one may call a spatial logic of rapprochement. She uses a lot of spatial metaphors to distinguish between the various contexts or ¢worlds² in which she moves. This logic allows her to switch between the environments of SAMV, of her family, and of the Flemish public sphere while maintaining a high degree of interpretive coherence. Spatial metaphors perform an im-

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portant function in this respect. Nadia explains how she would like to be a ¢bridge for others², connecting the interactional settings that make up her social reality. She also emphasises the difficulty of drawing ¢a line² between her self and her job. Moreover, she looks for a ¢road² between a ¢Moroccan² and a ¢Belgian² way of being. The interpretations associated with her usage of these metaphors inform her preferred mode of ¢engagement² as well as her description of her three ¢worlds². Nadia characterises the three ¢worlds² or environments in which she moves with reference to three types of language games and with reference to different definitions of ¢emancipation² - a key concept constitutive of her preferred mode of political engagement. First of all, there is the SAMV environment. Nadia explained to me that she grew up in a provincial town in Flanders which she considered to constitute ¢a very Belgian environment², her family being ¢practically the only Moroccan family over there². At the age of ¢fifteen² and ¢sixteen² her friends started going out. At that point, ¢all sorts² of normative ¢differences² emerged with respect to a differential treatment of ¢boys² and ¢girls². In order to come up with ¢arguments² for the ¢conversations² she had with her ¢father², she started reading authors such as ¢Fatima Mernissi², a well-known Islamic feminist sociologist.5 After having explained this, she explains why her job is so important to her. Interview excerpt 5: Nadia Babazia 11/06/2008 NB: […] And I still feel this today, in my job, that you … you’re very much involved, also because it’s about yourself … . Well, we work with allochthon women, and it’s about emancipation and that sort of stuff, but … . Well, partly it’s also about ourselves, and sometimes it’s rather difficult to draw the line like “this is just my job” … . It’s very close to uhm … one another. But that’s also what’s so nice about it, I don’t want something that’s simply …, well without engagement, or about a theme that does not really uhm … JZ:

touch you (this interaction continues in the excerpt below)

NB: No, […]

5

Fatima Mernissi is a Moroccan sociologist. She is also a well-known Islamic feminist who argues that the Koran does not justify an unequal treatment of men and women. Her publications can be found at the website: http://www.merni ssi.net/ .

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In the excerpt above, Nadia explains that it is ¢rather difficult to draw² a ¢line² between her ¢job² and her self. Even though the focus of SAMV is oriented towards the ¢emancipation² of ¢allochthon women², the job and Nadia’s sense of self are closely intertwined. Her ¢engagement² for this emancipatory organisation is framed as a project that relates to her self. The themes that are being dealt with within SAMV are ¢close² to her skin. Her ¢job² and her self are ¢very close² ¢to one another². This is why the border between her sense of self and the activities she is involved in is hard to draw. Nadia explained that she recently did an apprenticeship for the Flemish soap opera called ¢Thuis² (English: Home) broadcasted by the Flemish public broadcasting company called VRT. Within this ¢white environment², Nadia is ¢again confronted with questions² that neither confirm to her preferred mode of ¢engagement², nor with her preferred sense of self. The excerpt below clarifies the fact that SAMV has ¢passed this stage². Even though this organisation focuses on emancipation, questions about ¢girls², ¢the headscarf², and the ¢Ramadan² are not asked ¢for days². These are the ¢basic identity questions² that exhaust Nadia so much. Note that Nadia sighs when discussing these questions. Her ¢personal engagement² within the ¢white environment² of the VRT ¢was not deep enough² to accept the ¢full-time² job she was offered there after her apprenticeship. Her ¢themes² - which are the themes being dealt with by SAMV – the issues related to the ¢internal debate² – required more attention. Interview excerpt 6: Nadia Babazia 11/06/2008 NB: […] I was at Thuis, … the soap, and yes, that was a lot of fun, but still, within this white environment, you are once again confronted with all these questions (sighs), “Well, what about this Ramadan?”, and “Girls?”, and “Did you ever have to wear a headscarf?”. So you get all these questions once again. And well, within the Support Centre, we have really passed this stage. Well, we simply do our jobs, I don’t get this sort of questions for days and yes, … . It implied a lot less engagement with respect to content, it was kind of, I did like it, … but that personal engagement was not deep enough in order to … . I was offered a full-time, but (sighs), I was like, “I am not ready at the Support Center yet, I still want to … work about these themes”. And I still would like to work in the media, but yes, … on my themes, not merely, … .

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In addition to the SAMV and ¢Flemish² environments, Nadia discussed her family ¢environment². The ¢little world² of ¢the Support Centre² sometimes ¢clashes² with the realities of her ¢community² and family contexts. Note that at SAMV there is agreement on the importance of ¢emancipation². Nevertheless, the ¢clash² with other contexts, forces Nadia to ask her self ¢how to give meaning to² her ¢emancipation² ¢on a personal level². As we will see, different ideas concerning the meaning of ¢emancipation² are among the most distinguishing features between these environments that ¢sometimes² ¢clash² metaphorically. Interview excerpt 7: Nadia Babazia 11/06/2008 NB: On the Support Centre we are like “yes, we have to stimulate the internal debate about role patterns, we have to stimulate it, men and women, and”, well, you know the theoretical ideas about that … . But in the evening you go home, and, and, I have a husband at home (laughs), and, and it’s not … well, it clashes at times. Sometimes you can, well, you are within your own little world, and then you are confronted sometimes, often, with well, “what is it really like in the community” … . You know what I mean? Sometimes we can go on a weekend with the entire general assembly of the Support Centre, and then we are all like “we want this and that, and this and that”, after that, everyone comes home, … and, and you too, have to manage, how to give meaning to your emancipation. JZ:

On a personal level?

NB: On a personal level, yes, … . And sometimes, … well, sometimes, this is how I, with respect to my environment eh, how I deal with it … . I don’t know if this is a complete answer to JZ:

yes yes, but

NB: yeah, sometimes it can kind of clash.

At the beginning of this analysis, I pointed out that Nadia’s preferred sense of self is frequently articulated by means of spatial metaphors as well. This can be exemplified with reference to the excerpt below. She explains that she wants to be ¢a bridge to others². She does not want ¢to separate² from her ¢community² even though her social ¢trajectory went reasonably well². She values the ¢connection² she can make between the different ¢worlds² in which she moves.

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Interview excerpt 8: Nadia Babazia 11/06/2008 NB: […] it’s fun to work on … on such themes uhm … . Because I feel like it’s not because I … my trajectory went reasonably well, that I don’t want to be … a bridge to others or, I don’t know. Well, somehow, I consider this to be my responsibility … JZ:

And where do you think this comes from?

NB: Well, I don’t know, it’s, it’s, well, … it’s a feeling, I don’t know, It’s a feeling I have, like … “it is sort of my community … I don’t want to separate from it”, or something. I do want to be able to do my own thing. And, … probably, … I don’t know what the Moroccan community, … well, some will agree with some things and others won’t, but I , … I do think it’s important to … have a connection with it, and if possible, to bring a positive energy, … JZ:

in it

NB: into it (laughs), yes, and especially with regard to youngsters.

The operation of a spatial logic of rapprochement should be clear at this point. It informs Nadia’s preferred mode of engagement as well as her preferred mode of subjectivity. Nevertheless, it should be emphasised that there are other logics to be identified as well. 3.2 Logics of enunciation A closer analysis of the SAMV ¢environment², the family ¢environment² that is partially located in the ¢internal debate², and the ¢white², ¢Flemish², and ¢Belgian² ¢environment², shows that these ¢worlds² are characterized by different enunciative logics according to which the notion of ¢emancipation² gathers very different meanings. Interview excerpt 9: Nadia Babazia 11/06/2008 NB: […] But I do think that uhm, … because I have been raised in a very Flemish environment … and uhm … well for instance, my physician can really say to me like, … because I still go to my physician in Wuustwezel, … like uhm “well, I really think it’s nice what you’re doing, you can play a very important role within your community”, but … in such a paternalistic, mothering way … . Whereas I don’t want to, well, I do want to play a role for my community, but not in the way she means it … . She has like this image of women like “those

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women are being repressed”, and yes, … you know, as if you … as if you are liberating them or something, whereas I … . Well, I do not consider this to be my role. I do not want to deal with my community in this way, … . They give another meaning to it … . JZ:

Yes

NB: I think they may all be quite enthusiastic about uhm, about what I’m doing eh, but I think they give it another meaning … .

The excerpt above indicates that people in Nadia Babazia’s ¢Flemish environment² tend to give another meaning to her engagement in SAMV then the one she prefers. Even though people such as her ¢physician² in Wuustwezel may be ¢enthusiastic² about the ¢role² she plays with respect to her ¢community², Nadia suspects they interpret this ¢role² in a rather ¢paternalistic² or ¢mothering² way. She does not consider it to be her ¢role² to liberate ¢women² in this particular way. Her preferred mode of engagement and emancipation is informed by a refusal to define these notions for others. Even within her own family context, she wonders ¢how to give meaning² to her ¢emancipation². One might say that there are two different interpretive logics informing the discourse of her ¢white² and ¢Flemish² world on the one hand, and the logic of SAMV on the other. There is a polysemic enunciative logic that is part of her preferred mode of ¢engagement². Nadia refuses to define ¢emancipation² and ¢participation² on behalf of others. It should be noted that these logics are not simply individual concepts. For instance, this polysemic logic can also be observed in the speech given at the name change from SAMV to Ella: “It is difficult to break certain taboos on your own, if there is no support within the community. We therefore never suggest only one solution or model. Rather, we want to stimulate people to think independently, to be critical with respect to common opinions / convictions within one’s own community, and to make their own choices.” (Bouzarmat 2010) Elsewhere, Nadia Babazia argues that SAMV and the ¢younger generation² of ¢feminists² refuse to do so as well. The logic informing her approach to minority and gender related themes is quite different from the logic informing the discourse of her physician and her co-workers at the VRT. The physician’s ¢paternalistic² and ¢mothering² comments about Nadia’s engagement, and the ¢questions² asked at the VRT involve rather nar-

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row definitions of concepts such as ¢engagement², ¢emancipation², and ¢participation². One might say that questions and statements about Nadia’s identity and engagement in ¢white² and ¢Flemish² environments are characterised by a monosemic logic of enunciation. The enunciative logic informing the dominant mode of discourse in a particular context also informs the prevailing interpellations and forms of address. An individual’s ability to identify large-scale enunciative strategies by means of metapragmatic language use correlates with his or her awareness of a preferred mode of interaction, politics, and self. Nadia Babazia is quite aware of the fact that the political tensions between individuals and organisations in the public sphere are to a large extent informed by different interpretations of the categories that give meaning to her preferred mode of engagement and subjectivity.

4. C ONCLUSIONS :

INTERPRETIVE LOGICS AND THE METAPRAGMATICS OF IDENTITY

Faced with complex discourses on social and political engagement one needs to distinguish between the interpretations externalised and criticised by actors on the one hand, and those interpretations that make up their preferred sense of self and subjectivity on the other hand. The notion of interpretive logics that are marked metapragmatically in discourse allows us to do this. Metapragmatic and political awareness are closely intertwined. This was exemplified extensively with reference to the case of Najim Einauan’s discourse on identity and integration. The subjective sense of coherence one experiences in many large-scale interactions such as extended conversations or in-depth interviews emerges through manifold markers which are linked through a set of family resemblances. For instance, the many spatial metaphors deployed by Nadia Babazia were used in order to characterise a whole set of discourses and voices in the public sphere that are to be distinguished from her preferred mode of self and engagement. Every socio-political discourse is characterised by a set of interpretive logics. For purposes of exemplification, I have restricted myself to an illustration of how these logics may be identified. Two logics positively define Nadia’s preferred mode of subjectivity: a polysemic logic of enunciation and a spatial logic of rapprochement. Both logics are negatively defined by

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a monosemic enunciative logic deployed by various actors in mainstream Flemish society when they discuss the integration and emancipation of minorities. Most of the notions used by Nadia also figure in mainstream political discourse. However, by putting these notions in new interpretive and functional relationships to each other, she is able to articulate a more or less coherent world view and critique. Depending on their usage, categories such as ¢emancipation² may function as personal values as well as objects of criticism. By metapragmatically highlighting the different usages of such notions, people are able to highlight the contingency of these concepts and the associated practices. As such, a politicisation of hegemonic discourses is enabled. A recognition of the fact that people deploy differential logics in the public debate when they use ethnic, cultural, religious, and other abstract categories may be the best antidote to counter processes of misrecognition among minorities and majorities in the public sphere.

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Multimodale Marker in Museen Y ANNIK P ORSCHÉ

In diesem Beitrag möchte ich anhand einer Fallstudie, die sich mit einer französisch-deutschen Museumsausstellung befasst, präsentieren, was Marker in Interaktionen machen bzw. wie diese Marker in einer multimodalen Kontextualisierungsanalyse genutzt werden können. In zwei Interaktionen, die jeweils im Rahmen einer Führung durch die französische und deutsche Version der Ausstellung stattgefunden haben, lassen sich gesprochene Sprache als auch Gestiken, Mimiken, Bewegungen im Raum, der Gebrauch von Objekten etc. daraufhin untersuchen, wie sie Gruppenzugehörigkeit, institutionellen Kontext und epistemischen Status bzw. Behauptungen von Wissen anzeigen. Nach einer kurzen Präsentation der Fallstudie möchte ich anhand der Beispielanalysen Überlegungen anstellen, wie verbale und nonverbale Markierungen von Gruppenzugehörigkeit, institutioneller Kontext und epistemischer Status zusammenhängen. Zuvor werde ich kurz den Inhalt der Ausstellung skizzieren, welcher sich aus historischer und künstlerischer Warte auch mit Themen der Markierung von Gruppenzugehörigkeit beschäftigt, sowie den methodologischen Rahmen dieser Fallstudie.

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1. D IE M USEUMSAUSSTELLUNG

DER

F ALLSTUDIE 1

Die untersuchte Museumsausstellung trägt den Titel „À chacun ses étrangers? France – Allemagne 1871 à aujourd’hui / Fremde? Bilder von den Anderen in Deutschland und Frankreich seit 1871“. Sie wurde zuerst in Paris in Frankreich in der Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration (CNHI) in Kooperation mit dem Goethe Institut Paris gezeigt und ein Jahr später in Deutschland im Deutschen Historischen Museum (DHM) und im Kreuzbergmuseum (KM) in Berlin.2 Die Ausstellung wählt das Jahr 1871 (Reichsgründung in Deutschland und erste Wahlen der Dritten Republik in Frankreich) als Beginn beider Nationalstaaten und leitet die Besucher durch eine historische Matrix3 bis zur Gegenwart, unter der Fragestellung welche Bilder von Immigranten in den beiden Ländern vorherrschten und wie sie repräsentiert wurden. Der Schwerpunkt liegt darauf wie Immigranten mit unterschiedlicher Herkunft im öffentlichen Raum präsentiert wurden (z.B. auf Postern, in Filmen oder der Rechtsprechung). In manchen Fällen wird gezeigt wie Immigranten4 sich selbst präsentieren und Fragen zu Identitäten von Immigranten und der Aufnahmegesellschaft werden angesprochen. Weitgehend geht es in der Ausstellung aber darum welche Bilder des

1

Die Fallstudie untersuche ich umfassender im Rahmen meiner Promotion mit dem Arbeitstitel ‘Representing Foreigners in Museums. A Microsociological Contextualisation Analysis of Franco-German Knowledge Constructions’. Hinsichtlich der Methode und Fragen der Repräsentation und Öffentlichkeit siehe auch Porsché (2012, in Bearb.) und zu diskursivem Wissen und dem Umgang mit einem Zensurvorwurf im DHM Porsché (in Bearb.).

2

Ausstellungszeit: 16.12.2008-19.04.2009 in Paris und 15.10.2009-21.02.2010 in Berlin.

3

Obgleich historische Phasen das zentrale Ordnungsprinzip beider Versionen der Ausstellung darstellen, wurde die DHM Version auf einer größeren Ausstellungsfläche um Vertiefungsräume zu folgenden Themen ergänzt: Anthropologie, „schwarze Schmach“, Antisemitismus, Algerienkrieg, „Gastarbeiter“, Islam. Außerdem begleiteten zeitgenössische Kunstwerke die historischen Objekte in der CNHI, welche zum größten Teil in der DHM Version nicht gezeigt wurden.

4

Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Beitrag, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint.

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Fremden (insbesondere, aber nicht nur, von Immigranten5) von der Aufnahmegesellschaft konstruiert wurden und wie. Die Ausstellung wurde zuerst in dem temporären Ausstellungsraum im Obergeschoss der CNHI gezeigt. Der seitliche Ausstellungsflügel ist mit der Dauerausstellung verbunden. Im DHM wurde die Ausstellung dann im Pei-Bau, einem separaten, durch eine Rolltreppe und über den Innenhof des Zeughauses (dem „Schlüterhof“) mit dem Gebäude der permanenten Ausstellung verbundenen Bau für temporäre Ausstellungen gezeigt. Die Institutionen blicken auf eine sehr unterschiedliche (poltische) Geschichte zurück, welche sich für die Ausstellung oftmals als relevant herausgestellt hat: die französische CNHI war früher das Hauptgebäude der kolonialen Weltausstellung 1931 und wurde zuvor als Museum für koloniale Kunst und Geschichte genutzt. Im Jahr 2007 wurde das Gebäude, von Kontroversen begleitet, als nationales Museum und Netzwerk für Immigrationsgeschichte in Frankreich eröffnet.6 Das DHM wurde im Jahr 1987, ebenfalls von Kontroversen begleitet, als nationales Museum der deutschen Geschichte eröffnet. Die derzeitige permanente Ausstellung wurde der Öffentlichkeit im Jahr 2006 zugänglich gemacht, nachdem das Hauptgebäude (das „Zeughaus“) zuvor als Waffenarsenal, als militärhistorisches Museum, als Gedenkstätte für gefallene deutsche Soldaten und zu Zwecken der nationalsozialistischen Propaganda sowie als Geschichtsmuseum der DDR genutzt wurde.7 Es hat sich herausgestellt, dass sich der Produktionsprozess der Ausstellung auch aufgrund eines politischen Zensurvorwurfes besonders für eine detaillierte Analyse eignet. Das Ereignis wurde von einem bestürzten Mitglied des akademischen Beirats der Presse gemeldet und nach der journalistischen Berichterstattung im Ausstellungsraum diskutiert.8 In dieser Fall-

5

Eine interessante Frage, die über den Rahmen dieses Beitrages hinausgeht, ist, wer in der Ausstellung außer Immigranten als Fremde behandelt wird. Obgleich jeder Unbekannte oder Unvertraute (sogar man selbst sich) als fremd erscheinen kann, werden nur ausgewählte Beispiele, wie z.B. Juden, als Fremde thematisiert.

6

Siehe Stevens (2008); Murphy (2007).

7

Siehe Ohliger (2002); Maier (1992); Heuser (1990).

8

Die Debatte bezog sich weitestgehend darauf, dass folgende Sätze auf einer Tafel geändert wurden. Die Passage “Während innerhalb Europas die Grenzen ver-

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studie lassen sich nicht nur anhand dieses Ereignisses Verflechtungen und Spannungen zwischen akademischen, politischen und institutionellen Diskussionen ausgesprochen gut untersuchen. Beispielsweise wurde eine akademische Konferenz und Doktorandenworkshops im Vorfeld zur Vorbereitung der Ausstellung organisiert und die Ausstellung wurde von unterschiedlichen politischen Einrichtungen finanziert: dem französischen und deutschen Staat und der Europäischen Kommission. Hierbei wurden zahlreiche unterschiedliche akademische Ansätze zu nationaler und kultureller Identität präsentiert, von welchen manche von traditionellen Ansätzen abweichen, die in politischen Debatten weiterhin verbreitet sind. Andererseits wurde sich in politischen Stellungnahmen, welche den institutionellen Rahmen der Ausstellung mitgeprägt haben, desweilen auf akademische Arbeit bezogen. Wie die folgenden Beispiele illustrieren, wurde der Inhalt der Museumsausstellung daraufhin von Besuchern und Mitarbeitern im Lichte dieser institutionellen, politischen und akademischen Rahmungen diskutiert.

2. M ETHODOLOGISCHER R AHMEN

DER

F ALLSTUDIE

Den methodologischen Rahmen bildet eine mikroanalytische Kontextualisierungsanalyse, die an die Conversation Analysis (CA) und ihre ethnomethodologischen (EM) Wurzeln sowie ihre multimodalen und diskurspsychologischen (DP) Auslegungen der Interaktionsanalyse anknüpft. Dabei wird der Versuch unternommen, Elemente interaktionsanalytischer Ansätze mit poststrukturalistischer und antiessentialistischer Diskurstheorie kompatibel zu machen (vgl. Howarth/Torfing 2005). Poststrukturalistische Diskurstheorie reflektiert die diskursive Subjektkonstruktion und Machteffekte, zeigt die Polyphonie von Aussagen in Verbindung zum Sprecher auf sowie die Irrelevanz des ursprünglichen Sprechers und als unhinterfragbar präsentiertes Wissen im Falle von diskursiven Vorkonstrukten. Der Kontext wird hierdurch zu einem sequentiellen Verständnis auch im Sinne von

schwinden, schottet sich die Gemeinschaft der EU zunehmend nach außen ab. Die ‘Festung Europa’ soll Flüchtlingen verschlossen bleiben.“ wurde durch folgenden Satz ersetzt: „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fördert seitdem staatlicherseits die Integration von Zuwanderern in Deutschland.“

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Möglichkeitsbedingungen über die strukturellen Eigenschaften von Konversationen hinaus verstanden. Außerdem bilden vorzugsweise Ansätze der Ethnographie (vgl. Kalthoff/Hirschauer/Lindemann 2008; Mohn 2002) einen methodologischen Rahmen, um die Rolle der Forscher zu reflektieren und zusätzliche Informationen über die Interaktionen zu liefern. Die Ethnographie reflektiert die variierenden Perspektiven des Forschers auf das Feld und macht sie im Sinne von menschlich-fokussierter Wahrnehmung fruchtbar, bezieht über isolierte Sequenzen hinaus Erhebungen in unterschiedlichen Orten und Zeiträumen sowie die materielle Umgebung und physische Dinge mit ein. Obgleich z.T. in der Konversationsanalyse vertretene Subjektverständnisse, vorherrschende Annahmen über die notwendige Anbindung von Diskursen und Dingen an menschliche Akteure, die realitätsabbildende Perspektive auf Transkripte und ein beschränktes Kontextverständnis hinterfragt werden, erscheinen mir insbesondere neuere Arbeiten der Konversationsanalyse zu Institutionen, Wissen und Identitäten mit Strängen der Diskursanalyse und Ethnographie vereinbar. Über das hier präsentierte Instrumentarium könnten detailliertere Polyphonieanalysen einzelne Aussagen und Kontextualisierungsmarker im Text als Verbindung von Text und Kontext untersuchen (vgl. Angermüller 2007). Im Unterschied zu der Untersuchung materieller Marker (z.B. einer linguistischen Typologie von Wörtern wie „aber“ oder Formen der Negation in Polyphonieanalysen), die kognitive Prozesse in Gang setzen, liegt der Fokus dieser Kontextualisierungsanalyse auf diversen Kontextualisierungen, die in Prozessen sozialer Interaktion angezeigt werden (z.B. indem auf Prosodie oder Körpersprache bei Verweisen auf kollektive Phänomene und Diskurse geachtet wird oder auf Kodewechsel, die den Kontext für Positionierungen und Verweise bilden). Das Interesse an soziologischen Themen findet sich im Anschluss an Goffmans mikrosoziologische Arbeiten zur face-to-face Interaktion.9 Der ethnomethodologische Hintergrund der Konversationsanalyse eröffnet die Perspektive und begründet die Bedeutung von selbstverständlich hingenommenen Praktiken in Alltagssituationen. Für diese Kontextualisierungsanalyse besonders relevant sind ethnomethodologische Ausführungen

9

Einen epistemologischen und ontologischen Hintergrund für einen essentialismuskritischen Impetus mit Bezug auf Diskurs kann Foucaults (1969) Arbeit liefern und hinsichtlich Identitäten und Intentionalität Derrida ([1968] 2004).

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zum indexikalischen Charakter von Handlungen, dem impliziten Wissen und der Konstellation von Interaktionsteilnehmern, wodurch die Relevanz und Dynamik des Kontextes sowie die Einmaligkeit und Partikularität jeder sozialen Begegnung deutlich wird. Diese Analyse übernimmt die etablierte Haltung der CA/EM, dass nicht die Forscher darüber zu entscheiden haben, welchen Sinn eine Aussage oder eine Handlung hat,10 sondern dass das Verhalten der Interaktionsteilnehmer nach Indizien ihrer Interpretation vorangehender Aussagen, des Kontextes etc. untersucht wird (Teilnehmerorientierung). Indem sich diese Kontextualisierungsanalyse der Analyseinstrumente der CA als (nur) einem wichtigen Baustein in einer umfassenderen, multimodalen Interaktionsanalyse bedient (vgl. Mondada 2009a; Goodwin 2000; Goodwin/Duranti 1992),11 wird der Grad der Detailanalyse im Vergleich zum Anspruch der CA sowie Ansätzen, die sich ausschließlich auf multimodale Erweiterungen konzentrieren, gesenkt. Stattdessen soziologische Reflexion in die Analyse mit einzubeziehen, reduziert dafür die Gefahr, dass der Detailreichtum der CA-Analyse zu einer „deskriptiven Verdopplung des Gegenstands“ (Bergmann 2008: 134) führt. In dieser Stu-

10 Z.B. wie in rekonstruktiven Sequenzanalysen der objektiven Hermeneutik (Oevermann, et al. 1979) auf der Suche nach intersubjektiv geteiltem, latentem Struktursinn oder der dokumentarische Methode (Bohnsack 2007) mit komparativem Blick auf den Dokumentensinn oder den impliziten Orientierungsrahmen. Dieser Ansatz teilt mit der dokumentarischen Methode das Interesse an impliziten Wissensrahmen, die sich in dem modus operandi „wie“ von Äußerungsprozessen manifestiert. Der Unterschied besteht darin, dass es aus der hier vertretenen Sicht nicht sinnvoll ist einen intersubjektiv geteilten Orientierungsrahmen oder eine soziogenetische Typenbildung zu identifizieren. Stattdessen wird von einer Vielfalt und Dynamik von Perspektiven auch innerhalb von Gruppen, Individuen und der Polyphonie von Aussagen ausgegangen. 11 Vgl. auch in Jewitts (2009) Handbuch multimodaler Analysen: Kress, van Leeuwen and Machin für sozial-semiotische Bildanalysen und O’Halloran für einen ‚systemic functional grammar‘ Ansatz der Diskursanalyse. Z.B. in Jewitts Handbuch bieten Jones, Norris und Scollon und Scollon eine situierte Interaktionsanalyse an (siehe auch Gu 2006). In diesen Ansätzen der Interaktionsanalyse stimmen Konzeptionen von Kognition, Intentionalität und der sozialen Situation jedoch nicht mit der konstruktionistischen und soziologischen Perspektive dieser Methodologie überein.

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die soll also weder das Geschehen in dem Ausstellungsprojekt lediglich nacherzählt werden, noch zielt die Analyse darauf ab, ein mechanisches Funktionieren von Gesprächen offen zu legen. Nicht zuletzt wird mit dem Einbezug des weiteren Kontextes in die Analyse der Versuch unternommen den ideologischen Hintergrund der eigenen Analyse zu reflektieren (zu diesem Kritikpunkt an der CA vgl. Billig 1999). Die diskursive Psychologie und die Goffmansche (1981) Interaktionsanalyse vertreten den ethnomethodologischen Ansatz, Sinnkonstitution nicht in den Köpfen der Individuen zu suchen, sondern im sozialen Alltagsgeschehen zwischen den Menschen.12 Im Vergleich zur CA sind Goffman13 und Forscher der DP wie in diesem Ansatz tendenziell weniger an der sprachlichen Organisation von Diskurs interessiert und mehr am Inhalt von Kommunikation, den in der Kommunikation ausgeführten Aktionen, der Angemessenheit von Verhalten und der von den Teilnehmern als relevant erachteten Orientierungen und Kontextverweisen. Auch durch den Fokus auf empirische Analysen von Aushandlungsprozessen in häufig institutionell gerahmten Gesprächen und die von ihnen vertretenen konstruktionistischen und relativistischen Ontologien stellen Goffmans Arbeiten und die DP passende Ergänzungen zur institutionellen CA dar (Drew/Heritage 1992). Kompatibel mit dem Antiessentialismus dieser Kontextualisierungsanalyse geht die DP von einer unaufhebbaren Variabilität diskursiver Pro-

12 Wobei Ansätze der ‚distributed/extended cognition‘ (Clark/Chalmers 1998; Hutchins 1995; Menary 2010) im Unterschied zu traditionellen kognitiven Ansätzen mit diesem Ansatz kompatibel sind, wodurch ein Antikognitivismus der traditionellen DP vermieden wird (siehe aber auch die Öffnung gegenüber Ansätzen zu epistemischen Fragestellungen, Drew [2012]). 13 Nach Ansicht von Goffman wird in der CA „gerade jenes Verbindungstück vernachlässigt, das in der Beschreibung von sozialen Interaktionsvorgängen die Aufgabe übernehmen kann, die Einmaligkeit jeder Handlungssituation mit der übersituativen Allgemeinheit von Interaktionsregeln zu vermitteln […] Anstatt die Partikularität einer Situation im Formalismus einer Sequenzanalyse zu beseitigen, wäre, so Goffman, gerade eine soziologisch relevante Frage, worin die Besonderheit einer Situation begründet ist, denn erst dadurch lassen sich die spezifischen Anforderungen abklären, welche die formale Organisation der in dieser Situation ablaufenden sprachlichen Interaktion zu berücksichtigen hat“ (Bergmann 1991: 311 f.).

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zesse aus und analysiert situierte linguistische Mittel (z.B. ‚interpretative repertoires‘) durch die Aktionen ausgeführt werden, ohne von der Existenz separater Diskurse, auszugehen (Wetherell 2007; Wetherell 1998; Edwards/Potter 1992). Einen überzeugenden Ansatz Wissen und Identitäten in einer CA-konformen Weise in die Analyse miteinzubeziehen liefern Heritage und Raymond (2005), Raymond und Heritage (2006) und Heritage (2012b). Kompatibel mit Scheffers (2010) transsequentieller Analyse und Hajers (1995) argumentativer Diskursanalyse wird in diesem Ansatz das Interaktionssetting auch auf die Kontextualisierungen untersucht, die situationsübergreifende (wenn auch fragile und heterogene) Diskurse (re)produzieren. Dadurch verschiebt sich der Fokus von einer Untersuchung der interaktionslinguistischen Kompetenzen zu den Kompetenzen anhand derer auf unterschiedliche Formen des Kontextes verwiesen und zugegriffen wird, um sie als Wissensressourcen zu nutzen. Im Unterschied zum Interessenschwerpunkt der EM und der CA auf Alltagskommunikation im Allgemeinen und der DP auf sozialpsychologische Themen der Kognitionskritik, konzentriert sich diese Kontextualisierungsanalyse auf die Verbindung von Mikroanalysen sozialer Interaktionen mit soziologischen Konstruktionsprozessen von Wissen, das von Akteuren häufig als kollektiv geteilt angesehen wird. Insbesondere der Fokus auf institutionelle Konfigurationen, in denen Aussagen getätigt, reguliert und transformiert werden, macht die gleichzeitig ermöglichende und beschränkende Eigenschaft des Kontextes deutlich. Die ethnomethodologische Betonung aktiver und kreativer Individuen wird relativiert, da Subjekte nicht als autonom und originell angesehen werden. Das Analyseinteresse dieser Kontextualisierungsanalyse geht außerdem über den ethnomethodologischen Ansatz hinaus, indem nicht nur danach gefragt wird, wie Wirklichkeit in den Interaktionen hergestellt wird und wie das jeweilige gesellschaftliche, kulturelle und institutionelle Umfeld Teilnehmer in ihren Interpretationen der Interaktion anleitet, sondern auch, welche politische Bedeutung Aussagen haben und welche soziologischen Folgen diese Konstruktionen mit sich bringen (vgl. Van Dijk 2006: 167). Hinsichtlich der Frage was als Kontext(ualisierung) gesehen und für die Analyse verwendet wird, gibt es zahlreiche Ansichten und Forschungsan-

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sätze (Van Dijk 2009; Van Dijk 2008)14. Grundsätzlich wird der Kontext in der Kontextualisierungsforschung für das Verständnis einer Interaktion als notwendig erachtet und es wird davon ausgegangen, dass der Kontext nicht vor, außerhalb oder von der Interaktionssituation unabhängig existiert, welcher die Interaktion beeinflusst oder sogar determiniert. Stattdessen wird dieser auch durch das Zutun der Akteure in der Situation hervorgebracht und den anderen Interaktionsteilnehmern durch Kontextualisierungshinweise15 (Gumperz 1992; Gumperz 1982: 131) angezeigt. Somit ist der Kontext

14 Auer (1992: 4) unterscheidet erstens zwischen einer Definition von Kontextualisierung im weiteren Sinne (z.B. durch kommunikative Gattung [vgl. Günthner/Knoblauch 1994: 705-715], Sprechakte, Stimmung, Themen, Rollen, soziale Beziehungen, Relation des Sprechers zur geäußerten Information, Status der Interaktion) und im engeren Sinne im Anschluss an Gumperz (nicht-referentielle und nicht-lexikalische ‚contextualisation cues‘ wie Prosodie, Gestik/Körperhaltung, Blick, ‚backchannels‘, linguistische Variation; insbesondere explizit ausgesprochene Kontextualisierungen [vgl. Schmitts 1993: 344 ff. Kontextualisierungen zweiter Ordnung] und zeitliche und räumliche Deixis werden ausgeschlossen). Zweitens unterscheidet Auer (1992: 26) zwischen zwei Polen eines Kontextkontinuums, obgleich beide Pole letztlich in der Situation konstruiert werden: 1. „brought along“ (z.B. physische Umgebung, Zeit, Teilnehmereigenschaften), welcher in der Interaktion nur indiziert werden muss um relevant zu werden/bleiben; 2. „brought about“ als ausschließlich durch die Kontextualisierungsarbeit der Teilnehmer hervorgebracht (z.B. Aktivitätstyp, Modalität, kulturelles Wissen über angemessene Teilnahme). Zwischen den Polen befinden sich soziale, an Institutionen gebundene Rollen und „default assignments“ aufgrund Interaktionsgeschichten, welche durch Kontextualisierung bestätigt werden müssen. 15 Der Begriff ‚Kontextualisierungshinweise‘ geht auf Gumperz’ ‚contextualisation cues‘ zurück und bezeichnet Hinweise, mit denen sich Sprecher Nuancen des Bedeutungsgehaltes durch eine Rahmung des Gesagten anzeigen (z.B. ob eine Aussage ironisch gemeint ist). Auf den verwandten Begriff ‚Marker‘ wird z.B. in der Aussagenanalyse mit Verweis auf Culiolis (2002) formale ‚marqueurs‘ Bezug genommen. Letztere zeigen Spuren der Polyphonie und Indexikalität von Aussagen an und fordern den Leser dazu auf, die entsprechenden Leerstellen in den Sprecherpositionen mit realen Sprechern zu füllen (z.B. zeigt eine Negation zurückgewiesene Stimmen an).

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dynamisch, temporal emergent, variabel und fragil. Diskurstheoretisch stellen Kontextmodelle einerseits eine mögliche Konzeptualisierung der Verbindung zwischen Gedanken und Diskursartikulationen dar. Andererseits erlauben sie die Verbindung zwischen Mikro- und Makroebenen (z.B. Diskurs und Gesellschaft, Person und Soziales oder ‚agency‘ und Struktur) über Korrelationen oder eine Beschränkung auf explizite Verweise hinaus zu analysieren. Im Unterscheid zu Ansätzen, die davon ausgehen, dass sich sinnvoll zwischen sozialer Situation und Diskurs unterscheiden lässt und dass zwischen ihnen eine kausale Verbindung besteht, zeigen Kontextualisierungshinweise die andauernde Verbindung beider auf. Der Kontext ist aus dieser Perspektive nicht a priori als unabhängige Variable (z.B. Klasse, ethnischer Hintergrund, Geschlechtskonstellation, institutionelles, geographisches oder kulturelles ‚setting‘) fassbar, sondern entsteht und entfaltet seine Wirkung erst in dem Moment in dem Gesprächsteilnehmer eine soziale Situation definieren (Van Dijk 2008: X f.; Van Dijk 2006: 164 f.). Im Unterschied zu van Dijks Kontextualisierungsforschung in der mentale Modelle die Lösung darstellen, bezieht sich dieser Ansatz auf einen erweiterten, vernetzten und verteilten Kognitionsansatz, welcher subjektive Teilnehmerkonstrukte als Erklärung ablehnt und den Fokus stattdessen auf soziale Prozesse und Praktiken der Aushandlung zwischen interagierenden Menschen, Objekten und Instrumenten legt.16 Kontextualisierungen bieten hierbei für Gesprächsteilnehmer sowie für Forscher empirische Anhaltspunkte, um zu erklären wie (andere) Gesprächsteilnehmer die soziale Situation definieren und was sie als relevanten Kontext erachten.17

16 Vgl. Fußnote 12 zu Ansätzen der ‚distributed/extended cognition‘ und die ‚Actor-Network-Theory‘ (ANT) (vgl. Latour 1996; Latour 2000) sowie Lash und Lury (2007) zum Einbezug von Objekten, Technik und anderen Menschen. 17 Für Diskussionen in wie weit Forscher selbst kontextuelle Informationen in die Analyse miteinbeziehen sollen siehe die zwischen Schegloff (1987) und der linguistischen Anthropologie (Duranti 1997) oder kritischen diskursiven Psychologie (Schegloff 1998; Schegloff 1997; Wetherell 1998). Zu einer (äußerst begrenzten) temporellen Kontextdimension der Interaktionssituation im Sinne der EM/CA wird in diesem Ansatz auch auf unterschiedliche Ebenen eines Abstraktionskontinuums und u.U. auf unterschiedliche Kulturräume eingegangen, die auch als externer order entfernter Kontext bezeichnet werden (vgl. Arminen 2000; Pomerantz 1998). Der Fokus der Kontextualisierungsforschung auf ge-

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Für die folgenden Analysebeispiele und Überlegungen zu der Frage „was machen Marker?“ sind Arbeiten zur sprachlichen Formung des institutionellen Kontextes (Heritage/Clayman 2010; Drew/Heritage 1992) und insbesondere an Sacks (1992) anschließende Arbeiten zu Gruppenzugehörigkeit, sozialen Positionierungen (Harré et 2009; Harré/Moghaddam 2003; Harré/van Langenhove 1999) und Heritages Arbeiten zu epistemischen Fragestellungen relevant. Sacks (1992: 40-48) untersucht institutionalisierte Kategorisierungs- und Schlussfolgerungsregeln in der temporellen und sequentiellen Interaktionsorganisation, die er als ‚membership inference-rich representative devices‘ (MIR) bezeichnet. In der Analyse von MIR oder ‚Membership Categorization Devices‘ (MCD) wird davon ausgegangen, dass Beschreibungen und Verweise auf Akteure eine Ressource der Alltagsinteraktion darstellen. Typische Kategorien wie z.B. Lehrer-Schüler sind Teil des Alltagswissens, welche bestimmte Handlungsformen implizieren und standardmäßige und somit ökonomische Interpretationen von Interaktionsverhalten erlauben (vgl. Mondada 2009a; Mondada 2009b; Egbert 2004; Eglin/Hester 1997). Heritage bezieht sich auf Labov und Fanshels (1977) ‚territories/domains of knowledge‘ und stellt die These auf, dass die Wahrnehmung von Wissensungleichheit, d.h. der Gradient nach welchem ein Interaktionsteilnehmer mehr bzw. weniger weiß als sein Gegenüber sowie die Ansicht, in wie fern die Interaktionsteilnehmer zu einem unterschiedlichen Maße Zugang zu Wissen haben, ein entscheidender Antrieb für Interaktionen darstellt. Heritage (2012a: 32 f.) definiert hierfür den ‚epistemic status‘ als: „relative epistemic access to a domain as stratified between actors such that they occupy different positions on an epistemic gradient (more knowledgeable [K + ] or less knowledgeable [K − ]), which itself may vary in slope from shallow to deep […] in which persons recognize one another to be more or less knowledgeable con-

sprächsintrinsische, indexikalische Verweise ermöglicht es Äußerungen und Handlungen als Kontext für das folgende Gespräch zu fassen und erwartete Verhaltensweisen für den Interaktionsanlass zu formulieren. Der diskursive, materielle und institutionelle Kontext wie z.B. zuvor und anderswo geführte Debatten, Architektur, organisationelle Strukturen oder etablierte Kategorisierungen kann über die sprachliche Struktur hinaus als ermöglichende und beschränkende Ressourcen für die Teilnehmer verstanden werden.

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cerning some domain of knowledge as a more or less settled matter of fact […] [It varies] from domain to domain, as well as over time, and can be altered from moment to moment as a result of specific interactional contributions.“

Dieses Verständnis von Wissen beruht nicht auf einem objektiven Wissensmaßstab, sondern meint: „a consensual and thus effectively ‘real’ state of affairs, based upon the participants’ valuation of one another’s epistemic access and rights to specific domains of knowledge and information“ (Heritage 2012b: 7). Heritage unterscheidet ‚epistemic status‘ von dem Ausdruck des flüchtigeren ‚epistemic stance‘, welches er in Relation zu ersterem Terminus folgendermaßen definiert: „how speakers position themselves in terms of epistemic status in and through the design of turns at talk. While there is often congruence between epistemic status and epistemic stance such that the epistemic stance encoded in a turn is aligned to the epistemic status of the speaker, this congruence is not inevitable. The additional concept of epistemic stance is necessary because epistemic status can be dissembled by persons who deploy epistemic stance to appear more, or less, knowledgeable than they really are.“ (2012a: 33)

3. ANALYSEBEISPIELE

DER

F ALLSTUDIE

Die folgende Transkription18 stellt einen Auszug aus einem Gespräch im Anschluss an eine Führung dar, in welchem vor dieser Passage u.a. Diskrepanzen zwischen einem in der Ausstellung thematisierten Antidiskriminierungsgesetzes und alltäglichen Praktiken der Diskriminierung in Frankreich besprochen wurden. Die Referentin hat sich an der Diskussion beteiligt und sich kurz vor diesem Auszug höflich verabschiedet. Transkript 1: Epilog 1 in der Cité Nationale de l‘Histoire de l’Immigration 1

A:

Au Canada,=

2

B:

=Oui=

3

A:

=si vous êtes au Canada,=

18 Aus Platzgründen wird die Multimodalität in Screenshots illustriert, ohne detaillierte Annotationen für Blickrichtung, Körperhaltung, Gestik etc. zu liefern.

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4

B:

=Oui=

5

A:

=votre couleur ne vous porte pas préjudices.=

6

B:

=Oui, oui=

7

A:

Là, « mh:: »=

8

B:

=oui=

9

A:

10 11

B:

12 13

=« on va le mettre parce que comme ça c'est un noir, [donc pas comme un problème » Mais non ! [.h (.) .h Oui, mais le « on », le « on »

] ]

, le « on » c'est qui ? A:

14

Ben, le « on » c'est eh le gouvernement qui (tague) [((A :sniff)), qui (tague) l'opinion publiĹque]. ((A führt die Nase der Hand nach s. Screenshots 1-4))

15

B:

16 17

[Oui, mais

]

eh la France ce n'est pas le gouvernement. A:

18

Non, c'est pas, heureusement.= ((B nickt))

19

A:

20

B:

21

A:

Ma [is

]

[Voilà. ]= =attendez ! Attendez. La France a changé

22

maintenant, eh ? Ou là ((A: Pfeifen)). Et je vais

23

vous dire (.) pourtant, monsieur Sarkozy n'a pas

24

besoin de moi, eh ? Pour le défendre. Je ne le

25

défends pas, mais je vous dis voyez, cette façon

26

>même de< (0.4) l'homme qui

27

représente >la FraĹncec'est finimême de< (0.4)“ (26) und dem lautstarken Ausatmen als eine Kritik an diesem Verhalten gerahmt. In diesem Punkt stimmt B mit A überein, was A mit „Vous voyez“ (30) als einen Gewinn ihrer Argumentation wertet, dass es schlecht um Frankreich bestellt ist. Daraufhin markiert A durch die Intonation, dass sie die karikierenden Franzosen zitiert (somit spricht sie diesmal mit „on“ von der allgemeinen Bevölkerung, 30-32). Indem A die karikierende Bevölkerung als virtuellen Gegenüber kritisiert, weist sie deren Position von sich. Dadurch, dass sie keinen der Anwesenden anschaut, wird deutlich, dass sie die Rede an Abwesende adressiert, also zumindest keinen der Gesprächsteilnehmer explizit kritisiert. Gleichzeitig zeigt sie auf den Boden, was als ein Zeigen auf das gemeinsame französische Terrain verstanden werden kann (Screenshot 5):

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Screenshot 5

In dem nationalen Kollektiv umfasst sie gleichzeitig alle Gesprächsteilnehmer in dem sinkenden Schiff („Ou allons-nous là ?“, 33). Die Dramatik wird durch As Wegdrehen und -gehen unterstrichen. Als Beweis führt A die in der Ausstellung oder vorherigen Diskussion genannten Fälle an und zeigt in die Richtung der Ausstellung (Screenshot 6): Screenshot 6

Wenn wir uns bis zu diesem Punkt nun die Wechsel von Zugehörigkeitsmarkierungen vor Augen halten, kann dieses Gespräch als ein Formationstanz unter den Teilnehmerinnen in Relation zur umgebenden Tanzfläche und dem Einbezug von kollektiven Strohpuppen als Partner beschrieben werden: zunächst verstehen sich A und B prächtig (bis Zeile 8), dann mar-

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kiert die, durch die Überlappung und wiederholtes, hörbares Einatmen, als dringend ersichtliche Frage eine Irritation oder zumindest Klärungsbedarf. Der wiederkehrende Indikator für Polyphonie „mais“ (11, 15) zeigt sich widersprechende Stimmen an. Die verneinte Stimme wird von beiden Teilnehmerinnen zurückgewiesen, in 17 besteht also für den kürzesten Moment Einigkeit, wobei die Überlappung von „Ma[is]“ und „[Voilà.]=“ (19/20) und das Fehlen von wahrnehmbaren Pausen (‚latching‘) zwischen dem „[Voilà.]=“ und „=attendez !“ die Kombination von Nicken und „[Voilà.]=“ als Angel oder Achse (‚pivot‘) erscheint: zwischen der Feststellung von Einigkeit und somit der Richtigkeit von Bs Argumentation einerseits und bereits dem vehementen Einspruch von A andererseits. In Zeilen 29/30 findet ein Richtungswechsel der bekannten Tanzfigur statt, indem analog zum vorherigen „=Voilà.=“ diesmal „[Vous voyez]“ als Zustimmung der anderen zur eigenen Argumentation gewertet wird. Die nur scheinbar, nämlich mittels der der Gesprächspartnerin unterstellten Übereinkunft, aufgelöste Spannung zwischen den Tanzpartnern entlädt sich in Zeilen 40/41 wieder in einer Überlappung. Hier kommt auch Heritages „Interaktionsantrieb“ zum Vorschein: B leitet mit „[Ecoutez]moi“ (41) ein, dass sie über einen Sachverhalt mehr weiß als A. A ratifiziert dies mit einer ansonsten scheinbar redundanten Frage nach dem bereits geäußerten Sachverhalt (44). Gleichzeitig drückt die Frage in Verbindung mit der seichten Intonation Solidarität aus und Bs Erfahrungs- oder Wissensschatz wird als Argument anerkannt. Im weiteren Verlauf präsentiert B das Argument, dass die Existenz der anwesenden Personen bedeutet, dass es Franzosen gibt, die ihre Ansichten teilen (wobei Zustimmung die gewünschte Antwort, ‚preferred response‘, auf die Solidaritätsfrage 50/51 darstellt). Dies bringt A in die Position, dass sie ihre eigene Existenz negieren müsste oder die anwesenden Gesprächsteilnehmer diskreditieren müsste, um ein Argument des Niedergangs des gesamten Frankreichs beizubehalten. A bekommt jedoch Rückhalt von C (63/64) bzw. nutzt dessen Aussage, um zu argumentieren, dass nicht genügend von ihnen existieren. Die lautstarke Markierung ihrer Existenz und Aufforderung zur Anerkennung ist aufgrund der sprachlichen Überlappung nicht zu überhören (68/69), als ob sich die Stimme buchstäblich durchsetzen muss bzw. sich gegenüber der Ansicht von A Gehör verschaffen muss. Das wiederholte Lachen von B (52, 73) relativiert oder entschärft (‚mitigates‘) den lautstarken Protest und kann möglicherweise so interpretiert werden, dass der Protest freundschaft-

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lich gemeint ist und überdimensioniert war. Dadurch wird gleichzeitig die für Bs Argumentation so wichtige Solidarität zwischen den Anwesenden angezeigt. Die von den Teilnehmerinnen als notwendig erachteten Markierungen zeigen, dass es für A und B eine diffizile Gradwanderung darstellt, die Gemeinsamkeiten mit der Gesprächspartnerin jeweils in einer Argumentation gegen sie ins Spiel zu bringen. Wie in den folgenden Zeigebewegungen (Darstellungen 1a & 1b) und anhand Screenshot 5 und 6 gezeigt, spielen multimodale Ressourcen, des auf sich, andere und die Umgebung zeigen, wertvolle Ressourcen für die Interaktionsteilnehmerinnen dar. Darstellung 1a: Kontext und Kontextualisierung

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Darstellung 1b: Indexikalität im Dialog

Zumal finden sich in dem Gespräch explizite Verweise auf die Museumsinstitution oder die Antirassismusgruppe, denen die Besuchergruppe angehört. In den folgenden Beispielen zur Interaktion zwischen Vertretern der Institution und den Besuchern möchte ich andeuten, dass die institutionelle Rahmung auch durch die sprachliche Organisation, mutlimodale Marker und den Sprachstil hergestellt wird. Zu solchen überindividuellen Mustern ist zu beachten, dass die Markierungen immer auch von einer (subpersonalen) Gemengelage von bestimmten Sprecherpositionen aus geschehen, die dann konkreten anwesenden und abwesenden Personen zugeschrieben wird (vgl. Angermüller 2010: 86). Beispielsweise werden in Transkript 1 die anwesenden Personen dem rechten Politiker Le Pen gegenübergestellt, wodurch die Teilnehmer der Antirassismusgruppe oder die Museumsbesucher charakterisiert werden. Auch sind die Ausführungen zu Rassismus, der Darstellung des Präsidenten und die Verständigung der Solidarität hinsichtlich dieser Themen nicht in Abstraktion von den spezifischen, normativen Interaktionsregeln und den kollektiven Eigen- und Fremdzuschreibungen der Teilnehmer zu sehen: Das vernichtende Fazit von A (33-36) „Ou allons-nous là ? Voyez pas, la France c'est fini la France, je

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vous assure ça (.) c'est fini. (.) C'est fini, >c'est finiUnd ich hoffe das

29

ist mir klargewordenschnell< ins Negative, wenn

42

ein Bedrohungsgefühl da ist

43

B:

mhm

44

R:

Und ich glaub, da sollte man eben aufpassen, denn

45

das wird ja gerade gemacht, es wird gerade ein

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46

Bedrohungsgefühl geschürt gegenüber (.)dem Islam […]

47

C:

(Weil) solche Bewegungen haben ja immer ein

49

R:

Ja

50

C:

die wollen hier ihre Plätze in der, im Parlament

48

Interesse. Also

51 52

haben oder sie wollen= R:

53

=Und die, angefangen hats eben, die wollten diese Moschee nicht dahaben.

54

B:

((lachen))

55

R:

das war, eben weil sie irgendne Angst ja, war,

56 57

>>weiß ich nichtdas sag ich ja>weiß ich nicht>viel schneller