Vom Recht zur Geschichte: Akten aus NS-Prozessen als Quellen der Zeitgeschichte 9783666355004, 9783525355008

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Vom Recht zur Geschichte: Akten aus NS-Prozessen als Quellen der Zeitgeschichte
 9783666355004, 9783525355008

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Vom Recht zur Geschichte Akten aus NS-Prozessen als Quellen der Zeitgeschichte Herausgegeben von Jürgen Finger, Sven Keller und Andreas Wirsching

Vandenhoeck & Ruprecht

Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Gesellschaft der Freunde der Universität Augsburg.

Mit 4 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN: 978-3-525-35500-8

Umschlagabbildung: Franz Johann Hofmann (1.v.l.), Herbert Scherpe (2.v.l.), Josef Klehr (3.v.l.), Robert Mulka (4.v.l.), Stefan Baretzki (5.v.l.). Der Prozess wird im Bürgerhaus Gallus fortgesetzt. Im Gerichtssaal. 32. Verhandlungstag. Frankfurt am Main, 03.04.1964 © picture-alliance / dpa

© 2009 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Daniela Weiland, Göttingen Druck und Bindung: l Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Jürgen Finger, Sven Keller und Andreas Wirsching Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Grundlagen der Prozesse Freia Anders Kontinuität oder Diskontinuität? Plädoyer für eine rechtshistorische Perspektive bei der Nutzung von Strafakten als Quelle . . . . . . . . . .

27

Ludwig Eiber Nach Nürnberg. Alliierte Prozesse in den Besatzungszonen . . . . . . .

38

Edith Raim Der Wiederaufbau der Justiz in Westdeutschland und die Ahndung von NS-Verbrechen in der Besatzungszeit 1945–1949 . .

52

Annette Weinke Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Diskussion und Perspektiven . . . . . .

63

Claudia Kuretsidis-Haider Die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen durch die österreichische Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

Amedeo Osti Guerrazzi Italiener als Opfer und Täter. Kriegsverbrecherprozesse in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

Quellenkritik, Methode, Darstellung Jürgen Finger Zeithistorische Quellenkunde von Strafprozessakten . . . . . . . . . . .

97

Jürgen Finger und Sven Keller Täter und Opfer – Gedanken zu Quellenkritik und Aussagekontext . . 114

6

Inhalt

Dieter Pohl Sowjetische und polnische Strafverfahren wegen NS-Verbrechen – Quellen für den Historiker? . . . . . . . . . . . 132 Werner Renz Tonbandmitschnitte von NS-Prozessen als historische Quelle . . . . . . 142 Katrin Stoll Selbst- und Fremddeutung von NS-Tätern im Bielefelder Białystok-Prozess. Angeklagte und Richter zu den Deportationen aus Grodno . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Stephan Lehnstaedt Mehr als nur die Verbrechen. Kulturgeschichtliche Fragen an Justizakten 167 Sven Keller Geschichte aus Gerichtsurteilen. Perspektiven auf die Gesellschaft der Kriegsendphase . . . . . . . . . . 180 Kerstin Brückweh Dekonstruktion von Prozessakten – Wie ein Strafprozess erzählt werden kann . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Sabrina Müller Zum Drehbuch einer Ausstellung. Der Ulmer Einsatzgruppenprozess von 1958 . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Forschungspraxis: vom Finden der Quellen Andreas Kunz Weder Täterschutz noch bürokratischer Selbstzweck. Archivgesetzliche Grundlagen der Benutzung von NSG-Verfahrensakten 219 Andreas Kunz Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. Bestandsbeschreibung und Forschungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . 225 Andreas Eichmüller Die Datenbank des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin zu allen westdeutschen Strafverfahren wegen NS-Verbrechen . . . . . . 231

Inhalt

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Claudia Kuretsidis-Haider Die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes . . . . . 238 Wolfgang Form Quellen und deren Erschließung am Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbrecherprozesse (ICWC) . . . . 243 Dick de Mildt und Christiaan F. Rüter Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen . . . . . . . . . . . . . 250 Martin Gruner Quellen online: Prozessdokumente im Internet . . . . . . . . . . . . . . 254

Anhang Linkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

Jürgen Finger, Sven Keller und Andreas Wirsching

Einleitung

Geschichte und Justiz – beide akademischen Disziplinen blicken auf lange Traditionen, Verwandtschaften und Wechselwirkungen zurück. So steht bei Herodot der Begriff historia noch in seiner ursprünglichen Bedeutung und bezieht sich auf einen Prozess der Erkenntnisgewinnung: Während histor zunächst den »Wissenden« meint, den Augenzeugen, der selbst gesehen hat und aus eigener Anschauung weiß, bezeichnet historia das Nachforschen desjenigen, der sich erkundigt, der durch ein »Verhör« die Zuverlässigkeit des Zeugen ergründet und sichert. Die damit verbundenen juristischen Assoziationen sind durchaus berechtigt. Denn diese historia, diese Zeugeneinvernahme, konnte durchaus auch der Rechtsfindung durch eine zum (Schieds-) Richter berufene Person – oder einen Gott – dienen. Durch die Jahrhunderte haben sich Historiographie und Jurisprudenz als je eigene Disziplinen entwickelt, die ihr Betätigungsfeld voneinander abgegrenzt haben. Gleichwohl gab und gibt es Berührungspunkte, die dazu führten, dass die selbstdefinitorische Frage nach einer (Wahl-)Verwandtschaft beider Disziplinen lange virulent war. Sie berührt das Verständnis von Natur und Aufgabe des jeweils eigenen Faches. In die moderne Geschichtsschreibung hat sie sich überdies als Spannung zwischen dem Prinzip des Verstehens und der Möglichkeit des historischen Urteils dauerhaft eingeschrieben. Längst nicht immer entsprach Hegels Formel von der »Weltgeschichte als Weltgericht« dem professionellen Selbstverständnis moderner Historiker. Gerade diejenigen, die sich in die Tradition des Historismus stellten, sahen ihre Rolle nicht darin, über die Taten der Vergangenheit zu Gericht zu sitzen. Das Ziel der Geschichtsschreibung sollte es vielmehr sein, politisch neutral, unbeteiligt und »objektiv« zu schildern, »wie es eigentlich gewesen« (Leopold von Ranke). Umgekehrt war dieses auf dem Verstehensprinzip ruhende Objektivitätspostulat niemals unumstritten. Bereits Gervinus forderte, dass der Historiker vor allem ein »Parteimann des Schicksals« zu sein habe. Und in den jüngeren und jüngsten historiographischen Debatten wie etwa um die Historische Sozialwissenschaft oder die Neue Kulturgeschichte spielt die Frage nach der Möglichkeit der Objektivität eine wichtige Rolle. An den zweifelsohne vorhandenen und nicht nur in den etymologischen Wurzeln begründeten Berührungspunkten zwischen Geschichts- und Rechtswissenschaften änderten diese Debatten freilich nichts. Weiterhin gab und

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gibt es eine grundlegende Gemeinsamkeit in der Arbeit von Richtern und Historikern: Beider Aufgabe sei es, so Carlo Ginzburg, »Beweise oder nachprüfbare Belege«1 zu finden – wobei er beides keineswegs positivistisch als »offenes Fenster« begriffen sehen will, »das uns direkten Zugang zur Realität gibt«2. Beide, Richter und Historiker, teilen die Aufgabe, vergangenes Geschehen zu rekonstruieren. Sie stützen sich dabei auf »Ermittlungen«, indem sie Zeugnisse und Zeugen befragen, ihre Glaubwürdigkeit prüfen, gegeneinander abwägen und schließlich miteinander in Einklang zu bringen versuchen. Der konstitutive Unterschied liegt im letztlich differierenden Erkenntnisinteresse, das sich aus den fundamental verschiedenen Aufgaben beider Professionen ergibt. Dieses beeinflusst schon das Sammeln der Belege, und es leitet die nachfolgende Bewertung der ermittelten Informationen ebenso wie deren Aus- und Verwertung auf je spezifische Weise. Der Richter interessiert sich für die einzelne, individuelle Tat, die er dem Angeklagten zweifelsfrei und lückenlos nachweisen muss, um ihn bestrafen zu können; Informationen, die dazu nicht von Bedeutung sind, beachtet er nicht. Der Interessenhorizont des Historikers ist breiter, umfassender, und er ist freier in seiner Bewertung, in seinem historischen Urteil, das eben kein strafrechtliches ist: er kann nach Plausibilität rekonstruieren und ist nicht an den Grundsatz in dubio pro reo gebunden. Umgekehrt verstärkt dies die bereits genannte, der Geschichtswissenschaft inhärente methodische Spannung zwischen Verstehen und Urteilen. Und wo begegnete diese in nachdrücklicherer und auch beklemmenderer Weise als in der historischen Erforschung der NSVerbrechen? Die Frage nach dem Verhältnis von Justiz und Geschichtswissenschaft stellte sich daher keineswegs zufällig in besonderer Schärfe nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Nürnberger Prozesse bildeten – nach frühen Ansätzen im Gefolge des Ersten Weltkrieges3 – den Auftakt und einen ersten Höhepunkt des Bemühens, jüngste Vergangenheit auf juristischem Wege aufzuarbeiten und zu sühnen. Diese Ansätze einer »Vergangenheitsbewältigung durch Recht«4 blieben nicht auf die Verfahren vor dem Internationalen Militärtribunal beschränkt; unmittelbar nach dem Krieg und in den folgenden Jahrzehnten gab es in Deutschland, aber auch in einer Vielzahl von europäischen, ehemals von NS-Deutschland besetzten Ländern Prozesse gegen Vertreter der deutschen Besatzungsmacht wie gegen einheimische »Kollaborateure«. 1 Im Original: »trovare prove o riscontri oggettivi«. Ginzburg, Il giudice e lo storico, S. 7 f.; die deutsche Übersetzung (Ginzburg, Der Richter und der Historiker, S. 26) ist an dieser Stelle wenig geglückt. 2 Ginzburg, Checking the Evidence, S. 294. 3 Vgl. Hankel, Die Leipziger Prozesse. 4 Isensee, Vergangenheitsbewältigung durch Recht.

Einleitung

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In Westdeutschland führten die NS-Prozesse in den folgenden Jahrzehnten zu wachsenden Interdependenzen zwischen Geschichtswissenschaft und Justiz; letztere hatte sich mit Verbrechen zu befassen, die sich ohne Berücksichtigung des historischen Kontextes nicht angemessen aburteilen ließen. Die Verbrechen führten die damit befassten Juristen »an die Grenzen des Rechts«5 und zwangen sie, sich historischer Methoden und Argumentationslinien zu bedienen: Anders war eine individuelle Motivforschung und Tatbewertung nicht zu leisten, ohne die wiederum die hohen Hürden des deutschen Strafrechts für die Verurteilung wegen eines Tötungsverbrechens nicht genommen werden konnten. Um diesen notwendigen Kontext zu liefern, traten auch Historiker vor Gericht als Gutachter auf. Sie stellten den Gerichten die Erkenntnisse und den Sachverstand der zeithistorischen Forschung zur Verfügung und wirkten so mit an der moralisch als notwendig erkannten strafrechtlichen Aburteilung historischer Ereignisse. Inzwischen ist der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit längst selbst zum Thema der Geschichtswissenschaft geworden, und eine ganze Reihe von Studien zur westdeutschen »Vergangenheitsbewältigung« hat sich dem juristischen Teilaspekt zugewandt. Kritisch wurde dabei insbesondere vermerkt und vielfach belegt, dass der Rechtsstaat im Umgang mit den Tätern »befangen« gewesen sei: Grund dafür sei zum einen das Fortwirken der »furchtbaren Juristen«6 der NS-Zeit gewesen, mithin das erschreckend hohe Maß an Personal- und Mentalitätskontinuität bei Richtern und Beamten der Justizverwaltung. Auch die lange Zeit vorherrschenden gesamtgesellschaftlichen Abwehrreflexe gegenüber der »Vergangenheitsbewältigung«, die in der Forderung nach einem »Schlussstrich« ihren plakativen Ausdruck fanden, wirkten einem angemessenen strafrechtlichen Umgang mit dem nationalsozialistischen Unrecht entgegen. Hintangestellt wurden diese Tendenzen nicht selten nur auf Grund außenpolitischer und deutsch-deutscher Erwägungen und Einflussnahmen. Hinzu kamen justizpolitische Vorgaben, die eine konsequente Aufarbeitung eher einschränkten als förderten – zu denken wäre hier etwa an die Amnestien, Straffreiheitsgesetze und das immer wiederkehrende Problem der Verjährung. Fest steht, dass sich ein Gefühl nachträglicher Gerechtigkeit auf Seiten der von den Verbrechen Betroffenen nur selten einstellen wollte: Häufig kam es aus unterschiedlichsten Gründen gar nicht erst zu einer Anklage, viele Verfahren wurden eingestellt. Wurden Beschuldigte tatsächlich verurteilt, musste das geringe Strafmaß unter den Auspizien der vom Bundesgerichtshof sanktionierten Gehilfenrechtsprechung oft genug eher als »Verhöhnung der Opfer« denn als gerechte Sühne für die zu verantwortenden Taten wahrgenommen werden. 5 Horstmann / Litzinger, An den Grenzen des Rechts. 6 Müller, Furchtbare Juristen.

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Auf der anderen Seite wird einer allzu kritischen Bewertung der Bilanz juristischer Aufarbeitung entgegengehalten, dass die Justiz insbesondere in den ersten Nachkriegsjahren unter äußerst schwierigen materiellen Voraussetzungen tätig gewesen sei. Für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sei die Justiz nicht verantwortlich zu machen, wohl aber sei sie selbstverständlich von der Gesellschaft, deren Teil sie war, geprägt gewesen. Dies sei bei einer realistischen Einschätzung dessen, was möglich und zu erwarten gewesen sei, ebenso zu berücksichtigen wie die nicht zu unterschätzende Herausforderung, sich einem gänzlich neuen Verbrechenskomplex – dem staatlich gewollten und organisierten Massenverbrechen – zu nähern, dem die zur Verfügung stehenden Mittel des zur Verfolgung von Individualtaten geschaffenen Strafrechts kaum gerecht werden konnten. Die Rechtsprechung habe überwiegend nicht mit den Tätern sympathisiert – sie sei schlicht überfordert, aber »nicht böswillig«7 gewesen. Großer, wenn nicht entscheidender Anteil an der in dieser Perspektive versöhnlicher ausfallenden Gesamtbewertung kommt zweifelsohne dem Engagement einzelner Juristen zu – etwa des hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer und der Mitarbeiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Vor allem betreffend die Zusammenarbeit von Justiz und Geschichtswissenschaft bei der Aufklärung von NS-Verbrechen wurde zuletzt ein durchaus positives Fazit gezogen: Erstere, so Erich Haberer, habe nicht gelitten, weil sie sich auf historische Expertise gestützt habe; letzterer habe nicht geschadet, dass ihre Protagonisten als Gutachter vor Gericht aufgetreten seien, zumal die damals verfassten Gutachten noch heute als Vorbilder historischen Forschens gelten können. Dem Ansatz, »historisch-politischem Unrecht« zugleich »mit den Erkenntnismöglichkeiten des Historikers und den Sanktionsmitteln des Richters zu begegnen«8, war – bei aller berechtigten Kritik und allen Unzulänglichkeiten – durchaus Erfolg beschieden. Dies belegt auch der europäische und internationale Vergleich, der zuletzt in der historischen und politikwissenschaftlichen Forschung in den Mittelpunkt gerückt ist. Dabei zeigt sich auch, dass sechs Jahrzehnte nach den Nürnberger Prozessen die Frage nach einem angemessenen Umgang mit Regimeverbrechen längst kein spezifisch deutsches oder allein auf den Nationalsozialismus und seine Verbrechen in Europa bezogenes Problem mehr ist. Sie stellt sich weltweit in vielen Fällen, sei es bei der Aufarbeitung von Militärdiktaturen in Südamerika, kommunistischer Systeme in Osteuropa oder des Apartheidregimes in Südafrika. Die Antwort auf die Frage nach dem ob und wie strafrechtlicher Ver7 So selbst Barbara Just-Dahlmann und ihr Mann Helmut Just in ihrer ansonsten sehr justizkritischen Studie: Just-Dahlmann/Dahlmann, Die Gehilfen. 8 Frei, Einleitung, in: Frei u. a., Geschichte vor Gericht, S. 7–10, hier S. 7.

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folgung und dem »Mischungsverhältnis« zwischen Justiz und zeithistorischer Dokumentation wurde dabei je unterschiedlich beantwortet. Der Ansatz, Vergangenheitsbewältigung als transnationales Phänomen zu fassen, erweist sich also – auch für die Zukunft – als Gewinn versprechend.9 Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung berechtigt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheine die »Verknüpfung von Justiz und Zeitgeschichte […] fester etabliert zu sein denn je«.10 Gleichzeitig ist die Verfolgung von NSVerbrechen, die am Anfang dieser Entwicklung stand, an einen Schlusspunkt gelangt; mit weiteren Verfahren ist angesichts des fortgeschrittenen Lebensalters von Tätern, Überlebenden und Zeugen allenfalls noch in Ausnahmefällen zu rechnen – auch wenn in München just zur Zeit der Niederschrift dieser Einleitung eine weitere Anklageerhebung vorbereitet wird.11 Damit schließt sich auch für die NS-Forschung ein Kapitel, nämlich das Kapitel ihres Beitrages zur juristischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Damit wird für die Geschichtswissenschaft ein anderer Aspekt endgültig in den Vordergrund rücken, der schon in den letzten eineinhalb Dekaden mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hat: die Verwendung der auf historischer Rekonstruktionsarbeit beruhenden justiziellen Erkenntnisse, die in Abertausenden von Aktenseiten ihren Niederschlag gefunden haben. Sie sind zu einer bedeutenden Quelle für die historische Forschung geworden. Die Ermittlungs- und Strafverfahren »produzierten« Quellen: Die beteiligten Juristen recherchierten (Beweis-)Dokumente und werteten sie aus; sie erschlossen und sicherten die Erinnerungen und Erfahrungen von (Zeit-)Zeugen, insbesondere von Opferzeugen, lange bevor deren Berichte unter dem Signum der oral history von der Geschichtswissenschaft berücksichtigt wurden. Diese hatte sich lange mit der Expertise politischer und militärischer Funktionsträger des nationalsozialistischen Regimes begnügt. Angesichts der so angesammelten Aktenmassen steht die Geschichtswissenschaft vor der grundsätzlichen Frage nach dem Quellenwert und der Eignung von Prozess- und Verfahrensakten als Grundlage historischer Forschung. Gegen deren Verwendung lassen sich in der Tat eine ganze Reihe von Einwänden ins Feld führen: In den Justizakten liegen keine »Überreste« des NS-Regimes und seiner Verbrechen vor, sondern es handelt sich gleichsam um Quellen »zweiter Ordnung«, die nicht zeitgenössisch entstanden sind und somit kein »direktes« Zeugnis der Vergangenheit bieten. Die Aussagen von Tätern oder in das Tatgeschehen verstrickten Zeugen, die gegebenen9 So bereits für einen Teilbereich: Frei, Transnationale Vergangenheitspolitik. 10 Ebd. 11 Vgl. Das Blutbad in der Casa Canicci, in: Süddeutsche Zeitung, 24.5.2008 und Kriegsverbrecher vor Gericht, in: Süddeutsche Zeitung, 18.7.2008.

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falls damit rechnen mussten, selbst belangt zu werden, sind natürlich nicht ohne weiteres glaubwürdig. Auch Opferzeugen sind nicht automatisch verlässlich: sowohl der zeitliche Abstand als auch die oft existenzielle Ausnahmesituation zur Tatzeit beeinflussten die Erinnerung; hinzu kam die enorme psychische Belastung, wenn die Opfer vor Gericht im Angesicht der Täter erneut mit ihrem Leiden konfrontiert wurden. Aussagen vor Gericht sind immer – mal mehr, mal weniger offensichtlich – interessengeleitet, nicht selten bewusst oder unbewusst verfälschend. Jedoch: diese Einwände sprechen nicht gegen eine Verwendung durch die historische Forschung. Sie treffen in weiten Teilen nicht nur auf die Quellengattung der Justizakten zu, und sie können durch entsprechenden methodisch und theoretisch reflektierten Umgang mit dem Material aufgefangen werden. Eine Reihe von Autoren plädierte schon in den 1980er Jahren für die Nutzung juristischen Aktenmaterials als Quelle der NS-Geschichte und betonte dessen Aussagewert. Die Forschung hat seitdem nicht nur auf die grundsätzliche Legitimität hingewiesen, sondern auch das entsprechende Problembewusstsein beim Umgang mit diesem Material angemahnt. Erstens erlauben es die Methoden der Quellenkritik durchaus, diesen (in Bezug auf das verhandelte Verbrechen, das Grundereignis) indirekten Quellen mit dem Werkzeug des Historikers beizukommen. Alle Quellen, »Traditionen« genauso wie »Überreste«, sind immer mit den Interessen ihrer Urheber behaftet und spiegeln nur deren jeweils begrenzten Erfahrungs- und Wissenshorizont. Dass sie durch die jeweilige Situation und Form ihrer meist schriftlichen Fixierung beeinflusst, mithin immer schon gedeutete Wirklichkeit sind, gehört zu den alltäglichen Schwierigkeiten der geschichtswissenschaftlichen Forschung und Lehre. Die Verwendung von Prozessakten aus der Zeit des Nationalsozialismus selbst oder aus anderen Epochen der Geschichte, der weithin übliche Rückgriff auf die Überlieferung der Nürnberger Prozesse oder auf Spruchkammerakten würde sich ansonsten verbieten. Mit den Mitteln der äußeren und inneren Quellenkritik, der kritischen Gegenüberstellung verschiedener Zeugenaussagen und deren Konfrontation mit Quellen anderer Provenienz kann der Historiker – ähnlich dem Richter, aber mit anderem Erkenntnisinteresse und nicht den strafrechtlichen Anforderungen, Maßstäben und Einschränkungen unterworfen – deren Genauigkeit und Glaubwürdigkeit bewerten und diese dann in einen größeren Kontext einordnen. Die in Frage stehenden Prozessakten sind zwar keine Artefakte der nationalsozialistischen Zeit, aber doch deren Zeugnisse, auf die sich Historiker bei ihrer historischen Beschreibung dieser Vergangenheit stützen können. Eng damit verbunden ist – zweitens – die Feststellung, dass der Quellenwert von Ermittlungs- und Verfahrensakten in Strafsachen grundsätzlich unabhängig ist vom juristischen Ausgang. Freispruch, Schuldspruch oder Straf-

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maß haben per se keine Auswirkungen auf den Quellenwert der Akten. Der Historiker ist an das Urteil der Justiz nicht gebunden, er kann sich – wie bereits betont – seine eigene Auffassung bilden, und ist dabei deutlich freier als der Richter. Selbst wenn ein Verfahren nicht eröffnet (etwa wegen Verhandlungsunfähigkeit) oder keine Anklage erhoben wurde (etwa wenn der Beschuldigte verstorben oder sein Aufenthaltsort nicht zu ermitteln war), enthalten die Akten der Staatsanwaltschaft in oft monate- oder jahrelanger Arbeit zusammengetragene Ermittlungsergebnisse, etwa in Form von Beschuldigtenvernehmungen und Zeugenaussagen. Ganz pragmatisch ist drittens zu konstatieren, dass für viele Fragestellungen zur nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und zu Kriegs- und Gewaltverbrechen keine anderen Quellen vorliegen, weil sie entweder von vornherein nicht dokumentiert oder vorhandene Materialien durch Kriegseinwirkung oder zum Zwecke der Verschleierung bei Kriegsende vernichtet wurden. Prozessakten und anderes nach 1945 entstandenes Schriftgut stellen damit einen unverzichtbaren Fundus an Erkenntnissen für zentrale Teile der Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs dar. Darüber hinaus standen den Strafverfolgern nicht nur bedeutend größere finanzielle, personelle und bürokratische Ressourcen bei der Materialbeschaffung zur Verfügung; sie konnten vor allem auch Zeugen und Beteiligte vernehmen, die der Zeitgeschichtsforschung ansonsten nie zur Verfügung gestanden hätten, und dies – die Unterstützung des jeweiligen Staates vorausgesetzt – auch im Ausland. Martin Broszat stellte schon 1976 fest, dass gerade die »in mühseliger Kleinarbeit« erarbeiteten »Ergebnisse historischer Rekonstruktion« als Ergebnisse der Strafverfahren in ihrem Wert hoch zu veranschlagen seien, denn »Richter und Staatsanwälte« hätten »mit ihren Möglichkeiten der Tatsachenermittlung […] vielfach mehr und Systematischeres zuwege gebracht als die Historiker es allein mit ihren beschränkten Mitteln vermocht hätten«12. Dementsprechend seien die Leistungen der Justiz an »faktischer Aufklärung und begrifflicher Erfassung des NS-Unrechtsregimes möglicherweise von größerer Bedeutung als die individuellen Strafen, die Gerichte verhängten oder nicht verhängten.«13 Dass Prozessakten eine wichtige Quellengattung sein können, hat sich in den letzten Jahren bereits in verschiedenen Feldern der Forschung zur neuesten Geschichte und zur Zeitgeschichte niedergeschlagen. So wurden etwa für das Kaiserreich und die Weimarer Republik in einigen Studien Gewalt, Urbanisierung, subkulturelle Phänomene und deren öffentliche Wahrnehmung mit Hilfe von Strafprozessakten untersucht. Systematisch ausgewer12 Broszat, Juristische und zeitgeschichtliche Bewältigung der Vergangenheit, S. 44. 13 Broszat, Siegerjustiz oder strafrechtliche »Selbstreinigung«, S. 543.

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tet wurden Prozessakten bisher vor allem von der Historischen Kriminalitätsforschung, deren Fokus aber traditionell auf dem Zeitraum vom hohen Mittelalter bis zur Sattelzeit der Moderne liegt. Sie hat in den vergangenen Jahrzehnten ein ausgefeiltes methodisches und begriffliches Instrumentarium entwickelt, teilweise auf der Basis soziologischer Konzepte. Begriffe wie Delinquenz und Devianz, Repression und Konfliktregulierung, Funktionsbestimmungen der rechtlichen und sozialen Kontrolle und Sanktion, sowie Vorstellungen vom doing Recht als performativem Akt sind allerdings stark im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Untersuchungszeitraum dieser Forschungsrichtung verankert und führen in der Forschung zu NS-Straftaten eher in die Irre, als dass sie nutzen. Während die historische Kriminalitätsforschung die meist zeitnahen Strafverfahren als Indikator zeitgenössischer Vorstellungen und Diskurse verwendet, waren im vorliegenden Fall die Prozesse – oft mit großem zeitlichen Abstand – erst durch den systemischen »Bruch« von 1945 möglich geworden, durch den die Wertvorstellungen des nationalsozialistischen Regimes ihre Gültigkeit verloren hatten und die Voraussetzungen einer Strafverfolgung überhaupt erst geschaffen wurden. Die Täter, die sich nach 1945 einem Strafverfahren wegen nationalsozialistischen Gewaltverbrechen stellen mussten, hatten sich gerade nicht deviant verhalten, hatten vielmehr den Leitbildern und Erwartungen des Regimes entsprochen. Die klassische (Straf-)Rechtsgeschichte als rechtswissenschaftliche Disziplin ist auf der anderen Seite stark auf die Rekonstruktion und Entstehung rechtlicher Normen fixiert und berücksichtigt Prozessakten bei der Erforschung spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Rechtsvorstellungen vor allem deshalb, weil in der Zeit vor den großen Rechtskodifikationen Gerichte in ihren Urteilen Recht setzten, nicht nur anwandten. Vorschläge zur Aufweitung des rechtshistorischen Zugriffs beschränken sich bezeichnenderweise oft auf diese früheren Epochen. Eine »juristische Zeitgeschichte« entwickelt sich erst seit etwa zwei Jahrzehnten. *** Vor diesem Hintergrund diskutierten im Sommer 2007 an der Universität Augsburg die Teilnehmer einer Arbeitstagung die »Juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen« und die Verwendung von »Strafprozessakten als historische Quelle«.14 Unter den Teilnehmern und Teilnehmerinnen – allesamt durch einschlägige Forschungen ausgewiesen – herrschte Einigkeit über das Desiderat einer zeitgeschichtlichen Einführung in diese Quellengattung, wel14 Tagungsbericht von German Penzholz, in: AHF-Information Nr. 149, 2007, www.ahfmuenchen.de/Tagungsberichte/Berichte/pdf/2007/149–07.pdf (14.2.2008).

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che deren spezifische Anforderungen, Probleme und Potentiale reflektiert. Diese Anregung wird in Form des vorliegenden Buches aufgegriffen. Die Tagungsteilnehmer und eine Reihe weiterer Autoren und Autorinnen wurden um Beiträge zu grundsätzlichen Fragen der Verwendung von Prozessakten als Quellen der Zeitgeschichte gebeten. Der Band wendet sich neben Fachwissenschaftlern, Studierenden und Doktoranden an eine interessierte Öffentlichkeit und soll künftigen Forschungen, Qualifikationsarbeiten sowie der universitären Lehre Impulse geben. Dementsprechend wird der Schwerpunkt der Beiträge auf der theoretisch-methodischen Reflexion ebenso liegen wie auf der Vermittlung von Grundlagen, die diese ermöglichen. Die Autoren werden ihre Ausführungen am Beispiel eigener Forschungen empirisch unterfüttern, ihre Forschungsergebnisse selbst stehen in diesem Band – wenn sie es auch zweifelsohne verdient hätten – jedoch nicht im Mittelpunkt.15 Die Beiträge des ersten Abschnitts führen in rechtliche und institutionelle Grundlagen und in gesellschaftspolitische und erinnerungskulturelle Hintergründe der Strafverfolgung nationalsozialistischer Verbrechen ein. Nach grundsätzlichen Reflexionen über das Kontinuitätsproblem in der deutschen Justiz und zu dessen Folgen für die Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts werden in kurzen Überblicksartikeln die Grundlagen der Strafverfolgung nationalsozialistischer Täter vorgestellt: zunächst durch die Alliierten, sodann durch die einheimische Justiz in den Besatzungszonen und in den drei Nachfolgestaaten des Deutschen Reichs mit ihren teilweise sehr unterschiedlich gelagerten Justizsystemen sowie strafrechtlichen und prozeduralen Vorgaben. Der letzte Beitrag der Sektion erweitert die Perspektive um den besonders interessanten Fall Italiens, das als langjähriger faschistischer Verbündeter Deutschlands schließlich selbst zum Opfer deutscher Besatzungsherrschaft wurde; hier stand die Gesellschaft vor einer doppelten Herausforderung: der Strafverfolgung deutscher Besatzungs- und Kriegsverbrechen und der Aufarbeitung der eigenen faschistischen Vergangenheit. Der zweite Abschnitt behandelt grundsätzliche methodische und quellenkritische Fragen bei der Auswertung von Ermittlungs- und Prozessakten. Die Beiträge gehen jeweils exemplarisch auf verschiedene Verfahren ein. In einem ersten Schritt werden in einer kurzen zeitgeschichtlichen Quellenkunde die Entstehungsbedingungen, Formen und Inhalte dieser Aktengattung erläutert. Als zentrale Dokumente für den Historiker erweisen sich die Aussagen von Tätern und Opfern, denen sich der folgende Beitrag von zwei 15 Die Mehrzahl der Beiträge wird entsprechend der individuellen Expertise ihrer Autoren und den bisherigen Schwerpunkten der Forschungslandschaft zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen westdeutsche NS-Prozesse als Quellenbasis heranziehen.

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Seiten her nähert: Anhand der Einlassungen der Angeklagten werden quellenkritische Überlegungen angestellt; mit Blick auf die Überlebenden und ihre besondere Situation werden die Schwierigkeiten und Belastungen thematisiert, die für die Opferzeugen mit ihrem Auftritt vor Gericht verbunden waren – aber auch die Erwartungen, die sie selbst daran knüpften. Ebenfalls unter dem Blickwinkel der Quellenkritik geben die in der Sowjetunion durchgeführten Prozesse gegen Deutsche und gegen einheimische Kollaborateure Anlass, eine grundsätzliche Frage an die Geschichtswissenschaft zu stellen: Welchen Quellenwert können Prozessakten haben, die nicht unter rechtsstaatlichen Bedingungen entstanden sind? Wie legitim und wie informativ können sie sein? Schließlich wird mit Tonbandmitschnitten noch eine Quellenart in den Blick genommen, die einen seltenen Einblick in Wortlaut und Atmosphäre der Hauptverhandlung gewährt. Der folgende Beitrag widmet sich Selbstdeutungen und Verteidigungsstrategien der Täter am Beispiel des Bielefelder Białistok-Prozesses. Zwei weitere Texte versuchen das eigentliche Erkenntnisinteresse der Strafverfahren, die (Re)Konstruktion strafbarer Handlungen und den konkreten und individuellen Schuldnachweis, aufzubrechen: Verfahrensakten teilen oft mehr mit als die bloße Beschreibung des Tathergangs. Der erste Aufsatz lotet daher deren Potential für kulturgeschichtliche Fragestellungen aus. Der zweite zeigt Möglichkeiten und Grenzen eines extensiven Ansatzes mit gesellschaftsgeschichtlicher Fragestellung auf. Für die Geschichtswissenschaft stellen sich aber nicht nur Probleme der Quellenkritik und der Methode, um die Prozessakten »zum Sprechen« zu bringen. Die derart erschlossenen Quellen bedürfen auch der angemessenen Darstellung, die bis zu vier Ebenen berücksichtigen kann: die rechtliche Grundlage der Strafverfolgung und die damit verbundene Zuschreibung einer Handlung als kriminell; das Prozessgeschehen selbst; die im Prozess und später an Hand der Akten vom Historiker rekonstruierten Tatverläufe der nationalsozialistischen Verbrechen; schließlich die Ebene der Rezeption und gesellschaftlichen Diskussion von Prozess und Gewaltverbrechen, die wiederum im politischen Raum auf die rechtlichen und institutionellen Grundlagen zurückwirkt. Zwei Beiträge werden sich diesen Problemen mit Blick auf Geschichtsschreibung im Wortsinn und zeithistorische Ausstellungen annähern. Der dritte Abschnitt des Bandes stellt in kurzen Artikeln wichtige Quellenbestände, Recherchemöglichkeiten und Hilfsmittel vor und ebnet so den Weg zu den Quellen. Da Ermittlungs- und Prozessakten sensible Daten zu Beschuldigten, Angeklagten und Tätern, zu Zeugen, Opfern oder dritten Personen enthalten, bedürfen Fragen des Archiv- und Datenschutzrechts besonderer Beachtung. Vorgestellt werden sodann die Bestände und Findmittel der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in der Außenstelle Ludwigs-

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burg des Bundesarchivs; die umfassenden Inventarisierungs- und Dokumentationsprojekte, welche die Masse der Ermittlungs- und Strafverfahren durch westdeutsche bzw. österreichische Justizbehörden für die Forschung erschließen; die Bemühungen um eine interdisziplinäre Einordnung des Phänomens Kriegsverbrechen und ihre Strafverfolgung im internationalen Rahmen; die bekannte Urteilssammlung »Justiz und NS-Verbrechen« und schließlich online zugängliche Prozessdokumente alliierter Gerichte. Eine Linkliste und eine Auswahlbibliographie schließen den Band ab. Die methodischen und quellenkritischen Erwägungen dieses Bandes sind vielfach grundsätzlicher Natur und nicht nur auf die Verwendung von Justizakten zu NS-Verbrechen beschränkt. Sie können analog auf benachbarte Themen und Quellengattungen übertragen werden. Dies gilt etwa für die Verwendung von Straf-, aber auch Zivilprozessakten aus dem nationalsozialistischen Deutschland oder für die Justizgeschichte der DDR. Seit der Archivierung und Öffnung der Spruchkammerakten Anfang der 1990er Jahre werten zahlreiche Studien mit größter Selbstverständlichkeit Unterlagen aus Entnazifizierungsverfahren aus oder ziehen sie ergänzend zur Bewertung einzelner Personen heran. Trotz einer inzwischen breiten Forschungslandschaft mit lokalen, regionalen und gruppenspezifischen Schwerpunkten und Gesamtdarstellungen sind methodische Überlegungen auch für diese Quellengattung selten, obwohl hier der Vorwurf interessengeleiteter Zeugenaussagen angesichts von offensichtlicher Selbstdarstellung und von »Persilscheinen« umso dringlicher scheint. Dies gilt analog für Unterlagen, die in anderen rechtsförmigen Verfahren entstanden sind, etwa in Wiedergutmachungsverfahren, in denen über die individuelle Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus oder die Rückerstattung oder Entschädigung von Eigentum entschieden wurde. Ähnlich den hier verhandelten Strafprozessakten geben auch diese vielfältigen Quellengattungen nicht nur Aufschluss über Funktionsweise, Erfolge und Defizite der Verfahren, aus denen sie hervorgegangen sind; im Kontext der »Vergangenheitsbewältigung« zeugen sie von den Mentalitäten und Einstellungen der Verfahrensbeteiligten und der Nachkriegsgesellschaft im Allgemeinen; schließlich liefern sie auf einer weiteren Ebene wertvolle Hinweise auf Vorgänge, Erfahrungen und politische Haltungen vor 1945, welche die Verfahren auslösten: etwa die Übernahme von Ämtern und Funktionen im Regime, die Verfolgung politischer, weltanschaulicher und rassischer Gegner, oder die Praxis der »Arisierung« und des Vermögensentzugs. Der vorliegende Band will somit bei der Erschließung neuer Themen und Quellen der Zeitgeschichtsschreibung seinen Beitrag leisten und der Mahnung Hans Rothfels’ bei der Begründung der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte im Jahr 1953 zumindest mit Blick auf die nach 1945 entstandenen Prozessakten nachzukommen suchen: »methodische Grundsätze für die Be-

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nutzung spezifischer Quellengruppen, wie Befragungen und Prozessakten oder ›Fragebogen‹, herauszuarbeiten und technische Hilfsmittel für ihre Erschließung bereitzustellen«.16 *** Um den einführenden Charakter der Beiträge zu betonen, wurden die Autoren gebeten, auf die Diskussion von Literatur und Forschungsmeinungen in den Fußnoten zu verzichten. Die Anmerkungen enthalten deshalb in der Regel nur Belege von Literaturzitaten und Verweise auf – publizierte oder archivalische – Quellen. Jedem Beitrag folgt stattdessen eine annotierte Bibliographie, die zentrale Texte zum Thema und zum gewählten Beispiel kurz vorstellt und kommentiert. Der Einleitung folgen übergreifende Annotationen und Hinweise zu Themenbereichen, die nicht im Anschluss an einen der Beiträge berücksichtigt wurden. Die Kurztitel verweisen auf die Bibliographie am Ende des Bandes, die in drei Abschnitten gedruckte Quellen, Literatur zur »justiziellen Vergangenheitsbewältigung« und zu Fragen der Methodik und Quellenkritik sowie weitere, meist die empirischen Beispiele betreffende Literatur umfasst. Querverweise innerhalb des Bandes sind durch ein Pfeil-Symbol und den Namen des Beiträgers markiert: (→ Name). Ein Schlagwort ergänzt den Verweis, wenn ein Beiträger zwei Texte verantwortet. *** Die Gesellschaft der Freunde der Universität Augsburg und die PhilologischHistorische Fakultät der Universität Augsburg ermöglichten durch ihre finanzielle Unterstützung freundlicherweise die Durchführung der Arbeitstagung, die am Beginn dieses Projektes stand. Für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses sind wir der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften und wiederum der Gesellschaft der Freunde der Universität Augsburg zu großem Dank verpflichtet. Der Dank der Herausgeber gilt darüber hinaus den Autoren, die sich bereit erklärt haben, sich für dieses Studienbuch über das bei Tagungsbänden übliche Maß hinaus mit Vorgaben, Wünschen und Anregungen der Herausgeber auseinanderzusetzen. Dr. Thomas Schlemmer hat die Übersetzung des Beitrags von Amedeo Osti Guerrazzi aus dem Italienischen besorgt; Johannes Schmid, M. A. hat sich den Mühen der Endkorrektur unterzogen und wertvolle Hinweise gegeben. Bei der Tagungsorganisation und der Vorbereitung des Sammelbandes haben uns die studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Lehr16 Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, S. 4.

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stuhls für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Augsburg unterstützt. Die guten Seelen des Lehrstuhlsekretariats, Heidrun Kilian und Iris Schmidt, standen uns immer hilfreich zur Seite. Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank. Augsburg, im Juli 2008

Annotierte Bibliographie Literaturhinweise zu den im Band behandelten Themenfeldern finden sich in den Annotationen der entsprechenden Beiträge. Für Literaturhinweise zu den Kriegsteilnehmern und vom Deutschen Reich besetzten Staaten sei auf Frei, Transnationale Vergangenheitspolitik verwiesen. Die wichtigsten gedruckten Quellen zu alliierten und deutschen Prozessen weist die Bibliographie im Anhang aus. → Eiber stellt zudem die archivische Überlieferung und die Editionen zu den Verfahren vor alliierten Militärgerichten vor. Von den zahlreichen zeitgenössisch oder zeitnah publizierten Prozessdokumentationen seien nur einige wenige erwähnt: zum Frankfurter Auschwitz-Prozess Naumann, Auschwitz sowie zum Eichmann-Prozess Arendt, Eichmann in Jerusalem und Mulisch, Strafsache 40/61. Das Standardwerk zur Quellenkritik und Interpretation von Quellen zur Shoah ist Hilberg, Die Quellen des Holocaust, der sich den formalen, sprachlichen wie auch inhaltlichen Dimensionen der Quellenarbeit widmet und verschiedene Quellengattungen vorstellt. Mit dem Problem von Zeitzeugenschaft und Holocaust beschäftigt sich Browning, Collected Memories. Aus der Vielzahl neuerer Einführungen in die Geschichtswissenschaft wird mit Blick auf die Quellenkritik insbesondere Howell / Prevenier, Werkstatt des Historikers empfohlen sowie immer noch Rusinek, Einführung in die Interpretation historischer Quellen. Auf die Bedeutung der Verwendung von Justizakten aus NS-Prozessen für die historische Forschung hat schon früh Kempner, The Nuremberg trials as sources of recent German political and historical materials hingewiesen. Seit den 1980er Jahren mahnten verschiedene Autoren die Entwicklung einer spezifischen Quellenkritik bei der Verwendung juristischen Materials an und gaben Hinweise auf Problemfelder und Stolpersteine, so etwa Steinbach, Zum Aussagewert der nach 1945 entstandenen Quellen; Scheffler, NS-Prozesse als Geschichtsquelle sowie Tuchel, Die NS-Prozesse als Materialgrundlage für die historische Forschung; neben mehreren Beiträgen in Kuretsidis-Haider / Garscha, Keine Abrechnung, auch Streim, Staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten als geschichtliche Quelle; Kaminsky, Der Quellenwert staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsakten; grundsätzliche Erwägungen am Beispiel Österreichs stellen an Garscha / Kuretsidis-Haider, Die Nachkriegsjustiz als nichtbürokratische Form der Entnazifizierung und exemplarisch Kuretsidis-Haider, Justizakten als historische Quelle am Beispiel der »Engerau-Prozesse«. Den Quellenwert für die Geschichte der deutschen KZ hinterfragt Friedlander, Die Auswertung der Nachkriegsprozesse. Aktuelle Überlegungen bieten Archivmitarbeiter aus Baden-Württemberg und Bayern: Koch, Quellen zur Ermittlung und Verfolgung und Bachmann, Schuld und Sühne? Zum justiziellen Umgang mit NS-Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland gibt es mittlerweile eine breit gefächerte Literatur (zur SBZ/DDR → Weinke und zu Österreich → Kuretsidis-Haider, Österreich). Die Konjunkturen des Themas lassen sich nicht zuletzt an einer großen Zahl von Sammelbänden ablesen. Die Aktualität des Themas in den 1960er Jahren do-

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kumentieren die Bände von Forster, Möglichkeiten und Grenzen (1962); Schneider / Meyer, Rechtliche und politische Aspekte (1968) und Rückerl, NS-Prozesse (1971). Aktuelleren Datums sind Weber / Steinbach, Vergangenheitsbewältigung durch Strafverfahren? (1984); NS-Verbrechen und Justiz (1996); Beier u. a., Die juristische Aufarbeitung des Unrechts-Staats (1998); Klein / Wilhelm, NS-Unrecht (2003) und Schuldig (2005). Unübersehbar ist dabei der Trend weg von juristischen, justizpolitischen und rechtsphilosophischen Überlegungen hin zu umfassenderen historischen Fragestellungen. Hinsichtlich der auch für Fragen der Verfolgung von NS-Tätern interessanten Rolle der Justiz in Diktaturen bietet Weber / Piazolo, Justiz im Zwielicht (1998) interessante Beiträge. Thematisch befassten sich diese Sammelbände zunächst vor allem mit juristischen und justizpraktischen Fragen. Diskutiert wurden die »gerechte« Bestrafung und Stichworte wie Gehilfenrechtsprechung und Befehlsnotstand; beispielhaft dafür stehen auch die beiden Monographien von Hanack, Zur Problematik der gerechten Bestrafung und Ducklau, Die Befehlsproblematik bei NS-Tötungsverbrechen. Einblick in Anlass und Ergebnis dieser Debatten bietet der Band NS-Verbrechen vor Gericht des Leiters der ZStL Adalbert Rückerl aus dem Jahr 1984 und dessen Vorgänger Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen (1979), die als Einblick in die Praxis der Strafverfolgung beinahe den Charakter eines Tätigkeitsberichts tragen. Vor allem die Ausführungen über die Möglichkeiten und Grenzen der Strafverfolgung sind für das Verständnis von Verfahrensabläufen und -zwängen instruktiv. Mit der juristischen Dimension haben sich auf dem Wege systematischer Urteilsvergleiche Oppitz, Strafverfahren und Strafvollstreckung sowie zuletzt Freudiger, Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen befasst. Seit den 1990er Jahren hat sich der thematische Schwerpunkt – analog zum absehbaren Ende der NS-Verfahren – auf die gesellschaftlichen, politischen und justizpolitischen Rahmenbedingungen und damit auf die historische Dimension der Strafverfolgung von NS-Verbrechen verlagert. Unter dem Terminus der Vergangenheitspolitik fasste Norbert Frei in seiner gleichnamigen Studie politische Prozesse, die sich der Vergangenheit und dem durch sie geschaffenen Regelungsbedarf – vor allem dem Umgang mit den Tätern – widmen (vgl. dazu auch die komplementär zu verstehenden Begriffe der Geschichts- bzw. Erinnerungspolitik: Wolfrum, Geschichtspolitik und Reichel, Politik mit der Erinnerung). Eine Anschlussstudie für die 1960er Jahre legte Miquel, Ahnden oder Amnestieren vor. Ebenfalls mit den 1960er Jahren befasst sich Greve, Der justitielle und rechtspolitische Umgang. Die Bundestagsdebatten mit Bezug zur NS-Vergangenheit (u. a. zur Verjährungsfrage) sind das Thema von Dubiel, Niemand ist frei von Geschichte. Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte unter diesen Vorzeichen schreibt Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Aktuelle Forschungstendenzen bemühen sich, die Verfolgung von NS-Unrecht in einen internationalen bzw. transnationalen Kontext zu stellen und vergleichend mit der Aufarbeitung von Verbrechen anderer Unrechtsregime in Beziehung zu setzen, so etwa Kuretsidis-Haider / Garscha, Keine Abrechnung; Frei u. a., Geschichte vor Gericht; Kenkmann / Zimmer, Nach Kriegen und Diktaturen; Frei, Transnationale Vergangenheitspolitik und Zimmerer, Verschweigen – Erinnern – Bewältigen, sowie, nach wie vor instruktiv, Woller / Henke, Politische Säuberungen in Europa. Darüber hinaus rückt die pädagogische Komponente der strafrechtlichen Ahndung von NS-Verbrechen – sowohl die damit verbundenen Erwartungen als auch ihr Einfluss auf die Wahrnehmung vor allem des Holocaust in Gesellschaft und Wissenschaft – in den Fokus des Forschungsinterresses: Bloxham, Genocide on Trial; Douglas, The Memory of Judgement; Haberer, History and Justice. Das Thema dieses Bandes ist auch im weiten und vieldimensionalen Feld der »Vergangenheitsbewältigung« zu verorten. Den Fortschritt der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dieser »zweiten Geschichte« des Nationalsozialismus zeigen Fischer / Lorenz, die ein Lexikon der Vergangenheitsbewältigung mit 170 Einträgen und umfassenden Literaturhinweisen vorgelegt haben. Einen kompakten Überblick bieten Knigge / Frei, Verbrechen erinnern sowie nach wie vor Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland.

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Lokale bzw. regionale Perspektiven auf die Strafverfolgung eröffnen Boberach, Die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Nordrhein-Westfalen 1946–1949); Zimmermann, NS-Täter vor Gericht (Düsseldorf); Klein / Wilhelm, NS-Unrecht (Köln); Hoffmann, Die Verfolgung (Hessen); Warlo, NSG-Verfahren in Frankfurt am Main sowie zu Hamburg Grabitz, Täter und Gehilfen des Endlösungswahns und Dies., Die Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen. Von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wurden zwei Sammelbände mit dem Schwerpunkt auf Norddeutschland vorgelegt: Schuldig und Die frühen Nachkriegsprozesse. Einen Überblick über die Bestände und Verfahren im OLG-Bezirk München gibt Bachmann, Schuld und Sühne? Literatur zu einzelnen Prozessen findet sich u. a. im Anschluss an die Beiträge von → Müller (Ulmer Einsatzgruppenprozess), → Finger / Keller (Frankfurter Auschwitz-Prozess, EichmannProzess) und → Stoll (Bielefelder Białystok-Prozess) und kann darüber hinaus durch die Bibliographie erschlossen werden. »Klassiker« der Forschung, die im Kontext der Verfahren oder aufbauend auf ihren Ergebnissen entstanden sind, sind nach wie vor unbedingt lesenswert. Dies gilt zum Beispiel für eine Reihe von Gutachten, die von Historikern für Verfahren vor bundesdeutschen Gerichten erstellt und später publiziert wurden, so etwa von Hans Buchheim, Martin Broszat Hans-Adolf Jacobsen und Helmut Krausnick in Buchheim u.a, Anatomie des SS-Staates sowie von Wolfgang Scheffler, Zur Rolle der Zivilverwaltung im Reichskommissariat Ostland. Auf den Erkenntnissen der bis Mitte der 1960er Jahre stattgefundenen NS-Prozesse basieren Jäger, Verbrechen unter totalitärer Herrschaft; Rückerl, Nationalsozialistische Vernichtungslager sowie Henkys, Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Zahlreiche Prozessbeteiligte und Strafverfolger haben sich publizistisch betätigt, um die Notwendigkeit der Bestrafung von NS-Verbrechen zu betonen und auf praktische, politische und rechtswissenschaftliche Probleme hinzuweisen, so etwa der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, die Richter Armin Draber und Heinz Fassbender; die beiden Oberstaatsanwälte und aufeinander folgenden Leiter der Zentralen Stelle Ludwigsburg, Erwin Schüle (der bereits im Ulmer Einsatzgruppenprozess die Anklage vertreten hatte) und Adalbert Rückerl; schließlich die Hamburger Oberstaatsanwältin Helge Grabitz. Aufschlussreiche oral-history-Interviews mit beteiligten Juristen bietet der Band von Horstmann / Litzinger, An den Grenzen des Rechts. Gesondert hingewiesen werden soll schließlich auf einige Periodika und Reihen, die sich regelmäßig dem Thema widmen, insbesondere Justiz und Erinnerung (online: www.nachkriegs justiz.at/service/archiv/) und Kritische Justiz. Vierteljahrsschrift für Recht und Politik (KritJ oder KJ), die 1968 auch im Bemühen um die »Vergangenheitsbewältigung« der Justiz begründet wurde; wichtige Beiträge aus der KJ wurden wieder abgedruckt in Blanke u. a., Der UnrechtsStaat sowie Beier u. a., Die juristische Aufarbeitung des Unrechts-Staats, der auch eine Aufstellung der 1968–1997 erschienen Beiträge zum Thema enthält (S. 769–778). Schließlich immer wieder die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ, online auf: www.ifz-muenchen.de). Für die Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik sind zudem die Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte (ZNR) und als Neugründung das Journal der Juristischen Zeitgeschichte (JoJZG) zu beachten. Die Juristische Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen[s] ist Thema der gleichnamigen, vom Justizministerium des Landes seit 1993 herausgegebenen Reihe, und auch das vom Fritz Bauer Institut herausgegebene Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust hat sich immer wieder Themen der juristischen Aufarbeitung gewidmet. Zuletzt einige Hinweise zu benachbarten Quellengattungen und Forschungsfeldern: Überlegungen zur Verwendung von Gerichtsakten aus der NS-Zeit bieten unter anderem: mit Blick auf Gestapo-Verhöre Rusinek, Vernehmungsprotokolle und auf Sondergerichte: Bästlein, Die Akten des ehemaligen Sondergerichts Kiel; Ders., Zum Erkenntniswert von Justizakten aus der NSZeit; sowie aktuell und mit grundsätzlichen Erwägungen Wagner-Kern, Juristische Quellen des NS-Staates.

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In den vergangenen Jahren sind auch andere Massenakten in den Blick der Forschung gerückt, die (teilweise) in justizförmigen Verfahren entstanden sind. Dazu gehören nicht zuletzt die Spruchkammerakten, die erst seit 1990 auf Grund von Gesetzesänderungen von den Gerichten ausgesondert und dadurch in den Archiven zugänglich gemacht werden. Methodische Überlegungen zu dieser mittlerweile häufig verwendeten Quellengattung sind selten: Molitor, Spruchkammerverfahrensakten; Pilger, Entnazifizierungsakten; einige grundsätzliche Erwägungen enthält zudem der Band von Schuster, Entnazifizierung im regionalen Vergleich. Bei der Rückerstattung handelte es sich um ein streitiges Verfahren mit mehreren Instanzen ähnlich einem Zivilverfahren (der Antragsgegner war der neue Besitzer, der bei der Arisierung das Vermögen erworben hatte – eventuell der Fiskus selbst). Im Gegensatz dazu wurden Entschädigungen durch ein Verwaltungsverfahren entschieden. In beiden Fällen entstanden Massenakten, die seit geraumer Zeit von der Forschung entdeckt werden. Hinweise zu deren Benutzung geben: Grau, Entschädigungs- und Rückerstattungsakten als neue Quelle der Zeitgeschichtsforschung; Wiedergutmachung vor Gericht in Schleswig-Holstein; Pusch, »… es tut mir leid um Deutschland!«; Häußermann, Quellen zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Einführende Literatur zur Historischen Kriminalitätsforschung als benachbartem Forschungsfeld wurde vorgelegt von Schwerhoff, Aktenkundig und gerichtsnotorisch sowie Ders., Gerichtsakten und andere Quellen; einen Überblick über die Forschung geben Blasius, Kriminologie und Geschichtswissenschaft; Eibach, Kriminalitätsgeschichte. Von grundsätzlichem Interesse ist Smaus, Kriminologie und Geschichte. Zur Verwendung von Verhörprotokollen als »EgoDokumenten«, also als autobiographische Aussagen in der Frühen Neuzeit vgl. eine Reihe von Beiträgen in: Schulze, Ego-Dokumente. Mit Fokus auf die gleiche Epoche aber grundsätzlich interessant: Simon-Muscheid / Simon, Zur Lektüre von Gerichtstexten. Den Zugang zu den Rechtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts erleichtern Ranieri, Gedruckte Quellen der Rechtsprechung und Dölemeyer, Repertorium ungedruckter Quellen zur Rechtsprechung. Die vielfältige Literatur zu den Institutionen der deutschen Justiz dokumentiert Vormbaum, Deutsche Justizinstitutionen. Es ist auffallend, dass Einführungswerke in die Rechtsgeschichte regelmäßig ohne Reflexion der eigenen Quellen auskommen. Eine Ausnahme bleibt: Senn / Gschwend, Rechtsgeschichte II, sowie Senn, Rechtsgeschichte. Ein kulturhistorischer Grundriss. Wegweisend für eine auf das 20. Jahrhundert ausgerichtete Rechtsgeschichte war Stolleis, Juristische Zeitgeschichte; die sich neu etablierende Forschungsrichtung fand ihren Niederschlag u. a. in dem 2007 begründeten Journal Juristische Zeitgeschichte.

Grundlagen der Prozesse

Freia Anders

Kontinuität oder Diskontinuität? Plädoyer für eine rechtshistorische Perspektive bei der Nutzung von Strafakten als Quelle

Im Mai 2004 lud die Justizakademie Nordrhein-Westfalen zu einer Fortbildungsveranstaltung für Rechtsreferendare, angehende Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte. Dabei bot sich die Gelegenheit zu einem Experiment. Die Referendare erhielten die Aufgabe, anhand von Quellen aus der NSZeit – damals gültige gesetzliche Grundlagen, Angaben zur Person des Angeklagten und Sachverhaltsbeschreibungen aus Urteilen nationalsozialistischer Sondergerichte – fiktive Kammerentscheidungen zu treffen. Die angehenden Juristen wussten sich die Tatbestände schnell anzueignen. Die Begründung ihrer Entscheidungen und das Strafmaß entsprachen im Wesentlichen den Entscheidungen aus der ersten Hälfte der vierziger Jahre. Lediglich drei Referendarinnen, die die Umstände eines Diebstahls nach der Generalklausel »Ausnutzung der Kriegsverhältnisse« wie sie in der Volksschädlingsverordnung vom 5. September 19391 enthalten ist, hätten interpretieren können, scheuten deren Anwendung und votierten für die Annahme eines minderschweren Falls, für einfachen Diebstahl. Es würde zu kurz greifen, wenn man dieses Ergebnis nur auf Mängel in der Juristenausbildung zurückführen würde. Tatsächlich hatten Anwendungsmodi und Interpretationsbreite nationalsozialistischer Gesetzesschöpfungen sowie die fließende Zuständigkeit zwischen der ordentlichen und der Sondergerichtsbarkeit offene Fragen über die Rechtmäßigkeit der Rechtsprechung im Nationalsozialismus hinterlassen. Die politische und juristische Debatte über den Umgang mit nationalsozialistischen Strafurteilen führte vor dem Hintergrund der strafrechtlichen Aufarbeitung des so genannten SED-Unrechts nach mehr als fünfzehnjähriger Diskussion 1998 zu einem »Gesetz über die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege«.2 Sie bietet durchaus Stoff für vergangenheitspolitische Betrachtungen. Der Aufhebung war der Weg auch durch die Erforschung der nationalsozialistischen Strafjustiz seit Ende der achtziger Jahre gebahnt worden, die wiederum 1 RGBl. 1939 I, S. 1679. 2 BGBl. 1998 I, S. 2501; geändert durch Gesetz vom 23. Juli 2002, BGBl. 2002 I, S. 2714.

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einen Ausgangspunkt in einer halbherzigen Bundestagsentscheidung hatte. Dieser hatte sich 1985 dazu durchgerungen, den Volksgerichtshof nicht länger als ein Gericht »im rechtsstaatlichen Sinne« anzuerkennen. Im Übrigen befürchtete man jedoch, Urteile aufzuheben, die aufgrund gewöhnlicher Kriminalität ergangen waren. Die Debatten um die Aufhebung nationalsozialistischer Rechtsprechung führten – sieht man von der 50jährigen Verspätung ab – zu einer politisch befriedigenden Entscheidung. Mittlerweile sind Normengefüge, Rechtspraxis und Rechtswissenschaft der NS-Zeit gut erforscht. Aussagekräftige Studien zur Entnazifizierung des Rechts und zu alliierten Reformvorhaben für die unmittelbare Nachkriegszeit bis ca. 1950 liegen vor. Zur Rechtsprechung, z. B. der Spruchgerichte, sind sie jedoch rar geblieben. Für das Justizsystem der Bundesrepublik, die Zeit vor der großen Strafrechtsreform 1969 und der Phase vor der Neuverkündung des StGB 1987, hat die Forschung mit einem Zeitraum von vierzig Jahren zu kämpfen. Hinzu kommen die föderale Struktur der Bundes- und Landesgerichtsbarkeiten, sowie Fragen der Aktenselektion bei den Staatsanwaltschaften und in den Archiven und Fragen des Datenschutzes. Das Sammeln und Sichten ist noch nicht weit fortgeschritten, sieht man von Einzelthemen und der eingehenden Beschäftigung mit Strafverfahren wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen (NSG-Verfahren) ab. Negative Bilanzen sprechen häufig vom Scheitern der juristischen »Vergangenheitsbewältigung«, für die sie (personelle) Kontinuitäten verantwortlich machen. Die an sich gut zugänglichen Strafakten sind dabei nur selten eingehender Untersuchung unterzogen worden. Auch gegenwärtige Debatten über Sicherungsverwahrung oder »Feindstrafrecht« verführen schnell zum Verweis auf Kontinuitäten. Die juristischen Debatten über den Stand der Dogmatik, über Anerkennungsmodi der Rechtsgeltung, über Kontinuität und Diskontinuität des Strafrechts bleiben daher ein Kommunikationsprozess, der von Historiker/innen in die Analyse von Justizakten einbezogen werden sollte, wenn sie über moralische Statements hinaus zu einer Analyse des Rechtssystems beitragen und ihre eigenen, unausgesprochenen normativen Grundannahmen transparent machen wollen. Lassen sich aus der weit fortgeschrittenen Forschung zur NS-Strafjustiz, aus der Diskussion um Kontinuität und Diskontinuität des Rechts, Fragestellungen für die Analyse von Strafverfahrensakten späterer Zeitabschnitte entnehmen? (IV). Dieser Frage soll sich in drei Schritten angenähert werden: Einer Skizze des Forschungsstands (I) und konkurrierender Deutungen der historischen Forschung zum NS-Recht (II) folgt eine Beschreibung der spezifischen Quellentypen (III). I. Der Wert von Justizakten des NS-Staates für die zeitgeschichtliche Forschung ist seit den achtziger Jahren anerkannt. Seither hat die Erforschung der NS-Justiz in enger Verbindung zur politischen Rezeption eine reichhaltige Li-

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teratur hervorgebracht. Durchgesetzt haben sich eine quellenorientierte Forschung, die apologetische Tendenzen überwand, wesentliche theoretische Beiträge zur Rechtssetzung und institutionengeschichtliche Standardwerke. In den neunziger Jahren folgten regionale Forschungsprojekte, die detaillierte Dokumentationen der Rechtsprechung hervorbrachten. Gleichzeitig etablierte sich die »Juristische Zeitgeschichte« als Teilbereich der Rechtsgeschichte. Seit Anfang des neuen Jahrtausends werden die lange tabuisierte NS-Vergangenheit von Strafrechtslehrern, sowie Einflüsse des Nationalsozialismus auf gegenwärtiges Strafrecht neu thematisiert. Voraussetzung war, das NS-Recht in den Rahmen längerer Entwicklungslinien und Kontinuitäten einzufügen. Dies betrifft Fragen institutionsgeschichtlicher Art ebenso wie Fragen nach den Auswirkungen von Herrschaftstechniken, bürokratischer Vorschriftsmäßigkeit und justizieller Normalität und schließlich normative und rechtsphilosophische Probleme. Herausgestellt wurde die Bedeutung der nationalsozialistischen Normsetzung im Nebenstrafrecht – zu dem alle Strafnormen gerechnet werden, die nicht im Strafgesetzbuch (StGB), sondern in anderen Rechtsnormen, in Gesetzen, aber auch Verordnungen enthalten sind – als Herrschaftsinstrument zur Kriminalisierung abweichender politischer Meinungsbildung. Hierzu zählen beispielsweise die Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen3 oder das Heimtückegesetz,4 die elementar auf das Privatleben zugriffen. Es wurde herausgearbeitet, dass die Radikalisierung der politischen Justiz nicht ausschließlich ministeriellen und parteiinternen Vorgaben folgte, sondern auch Initiativen der Behörden vor Ort. Diese Wechselbeziehung wurde in der breit erforschten Spruchpraxis der Sondergerichte jedoch vernachlässigt. Ihrer Analyse fehlt zudem oft die empirische Verknüpfung mit der Struktur und Spruchpraxis der Mittelbehörden – den Oberlandesgerichten und Generalstaatsanwaltschaften – und der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Die okkupations- und volkstumspolitische Kontextualisierung, deren Bedeutung durch das Volksgerichtshof-Projekt von Klaus Marxen deutlich geworden ist, fand in Regionalstudien wenig Beachtung.5 Eine komparative Studie, die die bisherigen Forschungsergebnisse bündelt, steht aus.6 Für die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichtsbarkeit fehlt es an eigenständiger Betrachtung. Für das Strafrecht arbeitete Gerhard Werle die charakteristischen Züge der Entwicklung von 1933 bis 1945 umfassend heraus, indem er das materielle 3 RGBl. 1939 I, S. 1681. 4 RGBl. 1934 I, S. 1269 f. 5 Vgl. Marxen, Das Volk und sein Gerichtshof; Schlüter, Die Urteilspraxis des nationalsozialistischen Volksgerichtshofes; Marxen / Schlüter, Terror und »Normalität«. 6 Vgl. …eifrigster Diener und Schützer des Rechts.

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Strafrecht, das die Voraussetzungen der Strafbarkeit und ihre Rechtsfolgen definiert, und das Strafprozessrecht mit seinen Verbindungen zum Polizeistrafrecht behandelt. Die Konvergenz von Straf- und Polizeirecht unter dem NS-Regime diente demnach nicht nur der Verbrechensbekämpfung, sondern auch der Stabilisierung des Regimes.7 Kaum behandelt wurde, in welchem Umfang und mit welchen Abweichungen diese Entwicklung von den mittleren und unteren Instanzen der Justizverwaltung und in der Rechtsprechung nachvollzogen wurde. Ferner fehlen rechtshistorische Arbeiten, die die Zäsur von 1945 überschreiten, und die These der personellen Kontinuität mit einer Untersuchung der Rechtsprechung verbinden. Es steht also durchaus Arbeit aus, die auf das reichhaltige Aktenmaterial der Strafjustiz zurückgreifen muss und kann, da die archivrechtlichen Schranken langsam fallen. Methodische Probleme für die Forschung, z. B. bei der Bildung von aussagekräftigen Samples, können sich aus der Kassation – der Vernichtung von Unterlagen – durch die Archive ergeben, die »Alltagsfälle«, die nicht auf Sonderrecht beruhen und nur die »normale« Strafjustiz betreffen unter Umständen für nicht archivwürdig halten. II. Für die zahlreichen Deutungen des NS-Rechts lassen sich zwei Diskussionsstränge skizzieren: Trennungs- versus Verbindungsthese, und »normale« versus »totalitäre« Strafjustiz. Nach der Trennungsthese ist das NS-Strafrecht eine »Perversion des Strafrechts« (Eberhard Schmidt). Das positive Recht besteht danach aus heterogenen Bestandteilen. Dabei wird zwischen einem nationalsozialistischen und einem nicht-nationalsozialistischen Strafrecht geschieden, wobei einigen Erscheinungsformen des NS-Rechts der Rechtscharakter schlechthin abgesprochen wird. Für das Strafrecht der Bundesrepublik geht es in der Folge darum, ob man es als vom spezifisch nationalsozialistischen Gedankengut bereinigt darstellen kann. Einige Strafrechtswissenschaftler argumentieren, dass das, was fortwirke, nicht nationalsozialistisch sei, sondern auf Weimarer oder frühere Vorarbeiten, auf Vorbilder im ausländischen Strafrecht oder auf sonst unabhängig vom NS-Strafrecht Formuliertes zurückgehe. In der juristischen und publizistischen Praxis ging die Suche nach spezifisch nationalsozialistischem Strafrecht bis heute weitgehend fehl. Art. III Nr. 4 des Gesetzes Nr. 1 der amerikanischen Militärregierung für das Kontrollgebiet des Obersten Befehlshabers verbot die Auslegung und Anwendung deutschen Rechts nach nationalsozialistischen Lehren.8 Darüber hinaus war anerkannt, dass Gesetze, die auf genuin nationalsozialistischem Gedankengut beruhten, mit dem Ende des NS-Regimes ungültig geworden waren. Die Rechtsprechung der Nachkriegszeit ging dementsprechend für 7 Werle, Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung. 8 Hemken, Sammlung, Bd. 1.

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alles Strafrecht, das nicht von den Alliierten aufgehoben wurde, ohne Weiteres davon aus, dass es nicht genuin nationalsozialistisch sei. Der Umkehrschluss jedoch blieb aus: Unter dem aufgehobenen Recht wurde manches für weiterhin gültig erachtet, weil die ihm zugrunde liegenden Rechtsgedanken nicht nationalsozialistisch gewesen seien. Nationalsozialistisches Recht wollten Rechtsprechung und Rechtswissenschaft kaum irgendwo entdecken: Im Gegenteil, die Rechtswissenschaft machte sich rechtsgeschichtlich und rechtsvergleichend auf die Suche nach anderen Wurzeln; zugleich votierte sie gegen die alliierte Aufhebung von Normen. Das lässt vermuten, dass der Trennungsthese eine apologetische Funktion für das bestehende Strafrecht zukommt. Die Trennungsthese wirft weitere Probleme auf: Legt man eine naturrechtliche Deutung des Rechts – also die Existenz einer naturrechtlich inspirierten »objektiven Werteordnung« – zu Grunde, müssen bestimmte »exzessive« Bestandteile der NS-Strafjustiz (z. B. das »Blutschutzgesetz« oder die »Polenstrafrechtsverordnung«) zweifelsohne ausgeschieden werden. Aber ist deshalb das NS-Strafrecht schlechthin naturrechtswidrig? Aus dem Blick gerät die Voraussetzung der nationalsozialistischen Normen, die in der Moralisierung des positiven Rechts liegt. Ob die mit dem Ende der Naturrechtsrenaissance in den sechziger Jahren sich breit machende verfassungsrechtliche Perspektive bereits den Ausweg aus der Indienststellung des positiven Rechts garantierte, ist fraglich. Dies war zumindest solange nicht der Fall, wie Verfassungsinterpretationen – so bis in die achtziger Jahre das Bundesverfassungsgericht – von der »objektiven Werteordnung« des Naturrechts ausgingen. Erst die strikte Grundrechtsorientierung ließ das Bundesverfassungsgericht davon Abstand nehmen. Eine unter dem Aspekt der Ideologie oder Weltanschauung der NS-Herrschaft formulierte Trennungsthese führt in ihrer Reingestalt zur Behauptung des Dualismus von Ideologie und Recht und damit zur Annahme, es habe sich um eine »normale« Strafjustiz gehandelt. Das Recht wird infolge dieser Behauptung als ideologisch neutral vorgestellt. Strittig ist, ob der Maßstab der »Rechtsstaatlichkeit« für die historiographische Arbeit ergiebig ist. Während Michael Stolleis ihn als inadäquat zurückweist,9 hält ihm Werle zugute, dass die »Zwiespältigkeit« nicht einer Ex-post-Deutung (auf der Folie eines späteren Bezugssystems) entspringt, sondern die historische Situation der Nachkriegsjahrzehnte abbildet. Kritisch wendet er ein, dass das Schema rechtsstaatswidrig/rechtsstaatskonform den Erklärungshorizont verengt, da das NS-Strafrecht nur in der Abweichung vom Rechtsstaat, das heißt negativ, definiert wird. Nach diesem Ansatz werden rechtsstaatskonforme von rechtsstaatswidrigen Normen geschieden. Das überkommene Recht, aber auch eine 9 Stolleis, NS-Recht in historischer Perspektive.

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»unpolitische« Rechtsfortbildung wahrt hier den rechtsstaatlichen Charakter. Nur Teile des (materiellen) Strafrechts seien politisch missbraucht worden, z. B. durch die Aufhebung des Analogie- und Rückwirkungsverbots, die Bestrafung nach dem »gesunden Volksempfinden«, die Aufweichung mittels Generalklauseln oder die Schaffung neuer Straftatbestände. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde die Trennungsthese zunehmend zugunsten der so genannten Verbindungsthese hinterfragt. Die Strafrechtsentwicklung der NS-Zeit ist hier Teil eines Kontinuums. Typische Charakteristika des NS-Strafrechts wie Kollektivismus, Dynamismus, Teleologie und Rechtsstaatsfeindlichkeit seien auch im gegenwärtigen Strafrecht zu entdecken. Wolfgang Naucke geht von einer strukturellen Kontinuität aus, insofern das Strafrecht weiterhin die »Dienstmagd« der Politik sei. Das politische Ziel des NS-Rechts sei es gewesen, die Strafrechtspflege exekutivistisch in eine Bürokratie umzuformen, die wiederum der Durchsetzung und Vermittlung einer vorgängigen, sich ständig wandelnden Sozialmoral diene. Der politische Wandel werde damit zur Rechtsquelle, Strafrecht zur »erfolgsorientierten Staatsverwaltung«, das Strafgesetz zum Informationsmittel unter anderen. Als »verständnisvoller Verbündeter des Gesetzgebers« helfe der Richter, »den absoluten Vorrang des sozialen Wandels vor dem Strafgesetz zu organisieren«.10 Werle hielt dem entgegen, dass die Vertreter einer Verbindungstheorie es bis dahin versäumt hätten, die als »rechtsstaatskonform« behaupteten Teile in den Blick zu nehmen; die Diagnose entziehe sich der Beschreibung der politischen Substanz des Strafrechts und der Präzisierung der inhaltlichen Züge der Sozialmoral. Festhalten lässt sich, dass bei dieser Diagnose die juristische Geltung von Seiten der ideellen und faktischen Geltung ausgehebelt wird. Aufgrund eines naturrechtlich geprägten Begriffs von Positivität stellt Naucke einerseits die juristische Geltung unter das Vorzeichen der ideellen Geltung. Andererseits besagt die Diagnose, dass die Rechtsgeltung dem faktischen Wandel anheim gegeben, das heißt im Wege des Primats der Politik soziologisiert werde. Zurückhaltung ist jedoch geboten, weil das Problem der faktischen Betrachtung gewiss nicht genuin nationalsozialistisch ist. Eine vermittelnde Interpretation bietet sich an: Die NS-Herrschaft hat die Entwicklung des öffentlichen Strafrechts auf spezifische Weise fortgeschrieben, in erster Linie radikalisiert. Wo und wie diese Entwicklungslinien zu ziehen sind, wird nicht einheitlich beurteilt. Nach Werle lassen sich drei Maßstäbe zur Bewertung als »nationalsozialistisches Strafrecht« unterscheiden: (a) das Naturrecht, (b) das rechtsstaatliche Strafrecht und (c) die nationalsozialis10 Naucke, Die Aufhebung des strafrechtlichen Analogieverbots 1935.

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tische Ideologie. Folgt man dieser Dreiteilung im Ergebnis, empfiehlt sich jedoch, eine herrschaftssoziologische Perspektive anzuschließen und anzuerkennen, dass sich die Mischung von rationalen und charismatischen Elementen in der NS-Herrschaft auch im Justizwesen und der Rechtsprechung wieder findet. Die Gemengelage der Strukturelemente ist symptomatisch für die Transformation eines Herrschaftssystems rationaler Struktur hin zur charismatisch legitimierten Führerstruktur. Stimmt man mit der Grundaussage der Verbindungsthese überein, nach der die »normale« Strafjustiz von der »totalitären« nicht isoliert werden darf, ist die methodologische Konsequenz, zunächst den »Normalbetrieb« eines Kriminaljustizsystems, die Aufstellung und Durchsetzung von Rechtsnormen nach geordneten Prinzipien mit dem Ziel, den inneren Frieden einer Gesellschaft aufrecht zu erhalten, zu betrachten. Will man etwa die SEDHerrschaft mit der NS-Herrschaft vergleichen, bedarf es einer Gradualisierung totalitärer Herrschaft, ist es Totalitarismus-Modellen doch in der Regel gemein, totalitäre Systeme in Hinblick auf die Mechanismen von Herrschaft zu definieren, nicht aber nach ihren Zielen oder dem Ausmaß der Repression hin zu kategorisieren. Juristische Versuche, den Totalitarismus mit einer Operationalisierung – präzisen Anweisungen für Ermittlungs- und Erkenntnisschritte – zu versehen, brauchen als normativen Fluchtpunkt das Gegenbild einer nicht-totalitären Verfassung. Dan Wielsch hat im Gefolge von Gunther Teubners systemtheoretisch inspirierter Rechtstheorie eine brauchbare Konzeption formuliert, die den Prozess der Entformalisierung des Rechts totalitär nennt.11 Für die Operationalisierung des Begriffs bietet sich der darin festgehaltene Umstand an, dass nicht so sehr die praktische Absenz der Menschenrechte und die Unterwanderung der Gesetzlichkeit den Ausschlag zum Justizunrecht gaben, sondern Mängel staatlicher Gewaltenteilung. III. Justizakten bilden ein komplexes Geflecht der Institutionen ab, so dass auf Gesetzgebung oder Urteilspraxis begrenzte Analysen defizitär bleiben müssen. Das Mammutwerk von Lothar Gruchmann dokumentiert anhand der Generalakten des Reichsjustizministeriums, welchen Einfluss die Reichsjustizverwaltung auf die Justizpraxis zu nehmen suchte. Zahllose Rundverfügungen und Dienstbesprechungen auf der Ebene des Ministeriums mit den Provinzialchefs belegen die Dimension und die tradierten Formen des »Normenstaats«, Generalakten auf der Ebene der Mittelbehörden erlauben, die Arbeit der Verwaltung und ihre Binnenstrukturen zu rekonstruieren. Sie belegen unterschiedliche Einschätzungen der Staatsanwaltschaften und Gerichte zu zeitgenössischen Fragen der Rechtsanwendung. Besonders aufschlussreich ist das Berichtswesen, in dem sich die sonst kaum artikulierten Erfahrungen 11 Wielsch, Die Verheißungen des Totalitarismus.

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aus den einzelnen Gerichtssprengeln spiegeln. Sie sind regional dokumentiert, aber nur vereinzelt hinsichtlich der justizinternen Vorgänge ausgewertet worden. Die Überlieferung der Justizpressestelle zeigt die Versuche, die Gerichtsberichterstattung zu lenken. Denn auch für die NS-Zeit galt, dass die Rechtsprechung nur durch Veröffentlichung präventive Wirkung entfalten und ein passives Publikum an der Urteilsfindung partizipieren konnte. Der Aktentypus der Personalakten enthält eine Vielzahl von Informationen über Ausbildungs- und Karriereverläufe, Organisationszugehörigkeiten und die Beurteilung durch den Dienstherrn. Prosopographische Ansätze sind in den rechtsgeschichtlichen Arbeiten kaum enthalten, wären aber möglich, zumal die Mehrzahl der Personaldokumente erlauben würde, auf die Lebensund Arbeitsbedingungen zu verweisen. Aufschlüsse können sich aus der Verknüpfung zwischen Kammerbesetzungen und Urteilssamples ergeben. Da es sich bei Registern der Geschäftsführung, besonders aber bei den Haftakten der ordentlichen Justiz und der Sondergerichte um Massenaktenbestände handelt, versagen die hergebrachten Mittel der rechtsgeschichtlichen Quellenexegese. Qualitative und quantitative Methoden müssen sich ergänzen, um Faktoren zu extrahieren, die einer Re-Konstruktion der Entscheidungsfindung dienen können. Die Strafprozessakten weisen formal kaum Unterschiede zu heutigen Strafakten auf. Sie enthalten Ermittlungsakten, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil, Handakten, Vollstreckungs- und Gnadenhefte. Dokumentiert sind die polizeilichen und geheimpolizeilichen Maßnahmen und die Zeugenvernehmungen. Verlässlich arbeitet die Bürokratie bei der Urteilsvollstreckung: Aufnahmeersuchen, Mitteilungen vom Abgang der Gefangenen und Entlassungsanzeigen sind registriert. Vermerke belegen aber auch Überstellungen an die Gestapo, zur Bewährung an die Wehrmacht etc. Nicht zuletzt bieten Strafakten Einblick in die besonderen sozialen Problemlagen und in die mentalen Haltungen, die das Lokalkolorit einer Region ausmachen. Zur Quellenkritik und zu den Grenzen der Quelleninterpretation ist bereits viel gesagt worden, vor allem hinsichtlich des Bildes, das sich die Polizei, der Staatsanwalt und das Gericht von dem Betreffenden machten, und bestenfalls des Bildes, das die Angeklagten selbst vor der Obrigkeit repräsentierten, zur Interessengesteuertheit von Aussagen oder Vernehmungspraktiken. Berücksichtigt man das Dunkelfeld, die Differenz zwischen amtlich registrierten und vermutlich begangenen Straftaten, versteht es sich, dass Justizakten es nicht erlauben, quantifizierende Daten in Bezug auf abweichende Verhaltensweisen und das tatsächliche Ausmaß illegaler Verhaltensweisen zu ermessen. IV. Eine Analyse von Strafakten muss immer das Kriminaljustizsystem einbeziehen. Stichworte für den Analyserahmen können die von Joachim Rückert

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hervorgehobenen konkreten Ergebnisse der Analyse des NS-Rechts sein, die sich in wesentlichen, aber eben nicht NS-spezifischen Punkten fassen lassen. Zu nennen sind: die Umwertung des Strafrechtszwecks vom individuellen Strafzweck zum kollektiven Schutz; die »Härte« der Gesetzgebung; Aufweichung der Gesetzesworte der geschriebenen Tatbestände; der Abbau von Verfahrenssicherungen in Gerichtsverfassungsgesetz und Strafprozessordnung; Kompetenzverlagerungen zwischen Gerichten, aber auch zwischen Gerichten und Staatsanwaltschaft sowie zwischen Justizapparat und Polizei; Richtungswechsel innerhalb der Rechtswissenschaft; und nicht zuletzt die Produktion von Strafrechtssätzen zum politischen Strafrecht.12 Zu fragen ist, ob, wie und in welchem Ausmaß sich solche Tendenzen in Strafakten ausmachen lassen. Für Historiker/innen lässt sich die Zeit nach 1945 leichter behandeln, da die Folie hier der Diskurs über den Rechtsstaat sein kann. Probleme der Analyse von Verfahren wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen ergeben sich daraus, dass das Strafrecht während der NS-Zeit zwar auf dem gleichen Rechtssystem basierte, dies jedoch ab einer gewissen Zeit im Krieg gravierende Einschnitte erfuhr, die sich aus der Legitimitätsgrundlage der NS-Herrschaft ableiten lassen. Dieses Spannungsverhältnis ist in die Analyse einzubeziehen. Beispielhaft sei genannt, dass in der Praxis der Staatsanwaltschaften die justizökonomische Form des Strafverzichts nach §§ 153, 153a StPO dominiert, die auf die öffentliche Feststellung von Schuld verzichtet. Die Gründe der Ermittlungseinstellungen sind bisher sowohl für die NS-Strafjustiz als auch für spätere Phasen unterbelichtet. In die Analyse einbezogen werden sollten verfahrensrechtlich »normale« Praktiken, aus denen sich Verschiebungen vom Legalitätsprinzip – der Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörde, ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, wenn sie Kenntnis von einer Straftat erlangt hat – hin zum Opportunitätsprinzip ergeben können – der Verfahrenseröffnung oder -einstellung nach Ermessen. Es erscheint selbstverständlich, dass Urteilsanalysen, die über die Konzeption des Dispositivs hinausgehen und die Binnenperspektive der Akteure einbeziehen, die strafprozessualen Verfahrensgrundsätze und den Verfahrenszweck gerichtlicher Strafprozesse – die individuelle Schuldfeststellung – quellenkritisch einbeziehen müssen. Sie bestimmen Verfahrensgang und Aktengestaltung wesentlich. Darüber hinaus sollten sie zugleich in Einklang mit der strafrechtlichen Verfahrensdogmatik stehen, das heißt dem darin verbürgten Anspruch auf eine richtige Entscheidung – die einen genuinen, von einer nachfolgenden Bestrafung isolierbaren Schritt des Verfahrens bedeutet. Hinterfragbar sind die normativen Annahmen »richtigen« Strafens.

12 Rückert, Strafrechtliche Zeitgeschichten, S. 239–244.

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Joachim Vogel fasst die übergreifenden Entwicklungslinien auch für die Zeit nach 1945 unter fünf Stichworten zusammen. Phasenübergreifend kann von einer Expansion der Normen gesprochen werden. Um diese zu begrenzen kommt es zu einer Materialisierung des Rechts: Zweckmäßigkeitsdenken, das sich auch in unbestimmten Strafrechtsbegriffen ausdrückt, verdrängt formale Rationalität. Es kommt zu einer Ethisierung des Rechts, in der Rechtsgutverletzungen zugleich als ethisch relevante Wertverletzungen aufgefasst werden. Mit ihrer Personalisierung ging in der NS-Zeit eine »täterorientierte« Subjektivierung einher, die Kategorien der Moralität – z. B. Motive und Gesinnungen – wieder in den Stand der Legalität erhob. Zwar wurde mit diesen radikalisierten Formen der Subjektivierung nach 1945 und durch die Große Strafrechtsreform 1968 gebrochen, doch finden sich täterstrafrechtliche Elemente bei den Rechtsfolgen der Tat und in der Diskussion um die Sicherheitsverwahrung bis heute. Unter sozialer Funktionalisierung fasst Vogel schließlich Bestrebungen, das Recht als Instrument sozialer Integration, Steuerung und Kontrolle zu gebrauchen.13 Es bietet sich an, die von Vogel rechtsdogmatisch aufgewiesenen »fortwirkenden Einflüsse« auf das Strafrecht als »Ausdruck übergreifender Entwicklungslinien im Strafrecht des 20. Jahrhunderts« auch empirisch anhand der Rechtspraxis zu überprüfen und exemplarisch, aber konkret zu fragen, ob und welche – dogmatischen – Residuen eine Rolle für konkrete, zeitgeschichtlich und rechtspolitisch interessante Verfahren spielen.

Annotierte Bibliographie Forschungsstand: Ein bibliographischer Überblick zum Thema Recht und Justiz im Nationalsozialismus lässt sich gewinnen aus: Ehrlich, Recht – Nationalsozialismus; Ruck, Bibliographie zum Nationalsozialismus; Zarusky, Gerichte des Unrechtsstaats. Die Nachkriegszeit bezieht ein Rückert, Strafrechtliche Zeitgeschichten; Ders,. Zeitgeschichte des Rechts. Standardwerke zu Recht und Justiz im Nationalsozialismus sind Angermund, Deutsche Richterschaft 1919–1945; Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933–1940; Majer, »Fremdvölkische« im Dritten Reich; unter Einbeziehung von Besatzungsformen siehe Dies., Nationalsozialismus im Lichte der juristischen Zeitgeschichte; Pauli, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts. Ausschlaggebend zur Rechtssetzung im Nationalsozialismus siehe: Werle, Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung. Die Gesetzgebung über das Strafrecht hinaus unter dem Aspekt der spezifischen Einwirkung von weltanschaulichen Gesichtspunkten ist dokumentiert bei Buschmann, Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung. Außerdem mit regionalem Schwerpunkt: Anders, Strafjustiz im Sudetengau. Rechtskontinuität: Unter den vielfältigen Beiträgen, die sich mit Fragen der Rechtskontinuität befassen, sind hier maßgeblich juristisch orientierte Arbeiten zu nennen: Naucke, Über

13 Vogel, Einflüsse des Nationalsozialismus auf das Strafrecht, S. 14–17, 43–96.

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die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts; Ostendorf / Danker, Die NS-Strafjustiz und ihre Nachwirkungen; Rückert, Strafrechtliche Zeitgeschichten; Vogel, Einflüsse des Nationalsozialismus auf das Strafrecht; Vormbaum, Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte; Ders., Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte. Der Sammelband von Pauli / Vormbaum, Justiz und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität, dient in allen Beiträgen dem Aufweis von Kontinuitäten. Der darin enthaltene strafrechtliche Beitrag beschränkt sich auf den Nachweis einer »starken personellen Kontinuität«. Sondergerichte: Die Sondergerichte gerieten infolge einer Bundestagsauseinandersetzung um die Aufhebung ihrer Urteile zu Beginn der achtziger Jahre in das Blickfeld der Forschung. Den Anstoß zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Sondergerichtsbarkeit gab Bästlein, unter dessen frühen Arbeiten vor allem hervorzuheben ist: Bästlein, Zur »Rechts«Praxis des Schleswig-Holsteinischen Sondergerichts 1937–1945. Als fundierte Studien zu einzelnen Sondergerichten sind zu nennen: Ludewig / Kuessner, »Es sei also jeder gewarnt« (Braunschweig); Oehler, Die Rechtsprechung des Sondergerichts Mannheim 1933–1945; Schlüter, »… für die Menschlichkeit im Strafmaß bekannt …« (Litzmannstadt); Weckbecker, Zwischen Freispruch und Todesstrafe (Frankfurt am Main, Bromberg). Zu einzelnen Verordnungsgruppen, die vornehmlich vor den Sondergerichten abgehandelt wurden siehe: Dörner, »Heimtücke«; Hensle, Rundfunkverbrechen. Die Rolle der ordentlichen Gerichte bezieht ein: Justiz im Dritten Reich. NS-Sondergerichtsverfahren. Mittelbehörden Oberlandesgericht und Generalstaatsanwaltschaft: Institutionelle Zusammenhänge der Justizebenen beziehen ein: Anders, Strafjustiz im Sudetengau 1938–1945; Form / Schiller, Politische NS-Justiz in Hessen; Niermann, Die Durchsetzung politischer und politisierter Strafjustiz; Rüping, Staatsanwaltschaft und Provinzialjustizverwaltung. Institutionsgeschichtlich orientiert, mit Schwerpunkt auf der Zivilgerichtsbarkeit: Schiller, Das Oberlandesgericht Karlsruhe im Dritten Reich. Mit kollektivbiographischem Schwerpunkt: Kißener, Zwischen Diktatur und Demokratie.

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Nach Nürnberg Alliierte Prozesse in den Besatzungszonen

Die Alliierten und die Exilregierungen waren ab 1941/42 nicht die ersten, die Überlegungen über die Bestrafung der Kriegsverbrechen Hitler-Deutschlands anstellten. Schon 1934 hatten die deutschen Sozialdemokraten aus dem Exil in ihrer als »Prager Manifest« bekannt gewordenen programmatischen Verlautbarung, die »Aburteilung der Staatsverbrecher, ihrer Mitschuldigen und Helfer in der Politik, der Bürokratie und Justiz« nach dem Sturz des Regimes angekündigt.1 Für die Alliierten waren zunächst die Erfahrungen mit der Verfolgung deutscher Kriegsverbrechen nach dem Ersten Weltkrieg von Bedeutung: Sie hatten damals Deutschland selbst mit der Strafverfolgung beauftragt und waren an der deutschen Verweigerung gescheitert. Der Bruch internationaler Verträge, die Führung von Angriffskriegen, Verbrechen in der Art und Weise der Kriegsführung und der Besatzungspolitik hatten das Verbrechenskonto des NS-Regimes anschwellen lassen. Als sich die Sowjetunion im Sommer und Herbst 1941 gegen den deutschen Angriff behauptete und Deutschland den USA im Dezember 1941 den Krieg erklärte, schienen erstmals die Kriegswende und eine Niederlage Deutschlands möglich. Damit wurde die Frage nach der Nachkriegsordnung akut, mithin auch die Frage, wie die deutschen Verbrechen zu bestrafen wären. Im Folgenden wird nach der alliierten Entscheidungsfindung über Form und Mittel von Strafverfolgung und Sühne der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess vorgestellt, der von allen vier Mächten getragen wurde. Anschließend werden die Verfahren der einzelnen Alliierten in ihren jeweiligen Besatzungszonen bzw. Ländern betrachtet und jeweils ein Überblick über Rechtsgrundlage, Institutionen, besondere Verfahrenskomplexe und die »Bilanz« der Prozesse gegeben. Zunächst traten Exilregierungen der von der deutschen Wehrmacht besetzten Länder in Aktion. Vertreter von neun Exilregierungen (u. a. Frankreich, 1 Neuer Vorwärts, 28.1.1934, online in: Sozialistische Mitteilungen. News for German Socialists in England, Newsletter, herausgegeben vom Exilvorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SOPADE) 1939–1948. Ungekürzte Online-Ausgabe, hg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2003, hier: library.fes.de/fulltext/sozmit/abb-05-big.jpg.

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Tschechoslowakei, Polen) bildeten die Inter-Alliierte Kommission zur Bestrafung von Kriegsverbrechen (Inter-Allied Commission for the Punishment of War Crimes) und verkündeten am 13. Januar 1942 in London die »Erklärung von St. James«. Die Unterzeichner forderten, die Verantwortlichen für diese Verbrechen in Gerichtsverfahren abzuurteilen und begannen gleichzeitig, Beweismaterial über deutsche Verbrechen in ihren Staaten zu sammeln. Die Krieg führenden Mächte waren zwar auf der Konferenz vertreten, unterzeichneten die Erklärung jedoch nicht. Im Juni 1942 mobilisierte die Erschießung der Männer des tschechischen Dorfes Lidice nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich die internationale Empörung, und die zunehmenden Informationen über die systematische Ermordung der europäischen Juden forderten nun auch eine Reaktion der großen Drei heraus. Mehrmals hatten US-Präsident Roosevelt und andere alliierte Repräsentanten die Deutschen zur Einhaltung der Haager Landkriegsordnung und des Völkerrechts aufgefordert und die Bestrafung von Kriegsverbrechen angekündigt. Im Oktober 1942 schlug die Sowjetunion in einer Note an die britische Regierung einen internationalen Gerichtshof gegen die Hauptverantwortlichen dieser Verbrechen vor. Aus der Inter-Allied Commission ging 1943 die United Nations Commission for the Investigation of War Crimes, später kurz United Nations War Crimes Commission, UNWCC, hervor, der nunmehr 17 Staaten angehörten, darunter auch die USA und Großbritannien. Auf einer Konferenz in der sowjetischen Hauptstadt zogen die Alliierten am 30. Oktober 1943 mit der Moskauer Deklaration die Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher an sich. Die besetzten Länder sollten die Verantwortlichen der in ihren Gebieten verübten Kriegsverbrechen selbst vor Gericht stellen. Die Täter sollten dorthin ausgeliefert werden, und in Zusammenarbeit mit der UNWCC sollte jedes Land Fahndungslisten erstellen, Beweisdokumente sichern und die Strafverfolgung vorbereiten. Die Verbrechen des NS-Regimes an Deutschen blieben ausgeklammert. Nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reichs am 8. Mai übernahmen die Alliierten mit der Berliner Erklärung am 5. Juni 1945 die Staatshoheit – auch über die Justiz. Obwohl seit der Moskauer Deklaration ein internationaler Gerichtshof für die Hauptkriegsverbrecher vereinbart worden war, blieben zentrale Fragen ungeklärt: Sollte es ein Tribunal der UN oder der drei Siegermächte werden, ein regulärer Prozess oder eine Art Standgerichtsverfahren? Der Kriegs-, der Außen- und der Justizminister der Vereinigten Staaten unterzeichneten am 22. Januar 1945 ein Memorandum, das auch die Tötung Hitlers und anderer Nazi-Krimineller ohne Verfahren in Erwägung zog, aber betonte, dass ein Gerichtsverfahren aus juristischen und moralischen Gründen ebenso vorzuziehen sei wie um der Dokumentation der Verbrechen für die Zukunft willen: »The use of the judicial method will,

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in addition, make available for all mankind to study in future an authentic record of Nazi crimes and criminality.«2 Erst US-Präsident Harry S. Truman entschied nach seinem Amtsantritt im April 1945 zugunsten eines internationalen Gerichtshofs und bestätigte damit die von dem Richter am Supreme Court Robert H. Jackson schon im Auftrag Präsident Franklin D. Roosevelts begonnenen Vorarbeiten. Die endgültige Entscheidung über den Internationalen Militärgerichtshof trafen die drei Alliierten auf ihrer Konferenz in Potsdam. In Punkt VII des Protokolls bekräftigten sie ihre Absicht, die Hauptkriegsverbrecher »einer schnellen und sicheren Gerichtsbarkeit zuzuführen« und verwiesen dabei auf die parallel stattfindenden Beratungen in London. Dort tagten seit Juli 1945 Vertreter der drei Alliierten und Frankreichs und befassten sich mit Rechtsgrundlagen, Anklagepunkten und Verfahrensfragen. Ergebnis war die London Charter of the International Military Tribunal vom 8. August 1945, die Grundlage für den Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Als Anklagepunkte legte sie fest: Verschwörung, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen (Verletzung der Kriegsgesetze oder -gebräuche), Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dem Nürnberger Gericht standen vier Richter vor, je einer der vier Siegermächte. Die Verurteilung erfolgte mit Stimmenmehrheit. Auch die Anklage setzte sich aus vier Vertretern der Siegermächte zusammen. Jackson amtierte als Hauptankläger. Insgesamt 24 deutsche (und österreichische) Hauptkriegsverbrecher waren in Nürnberg angeklagt, außerdem Organisationen wie das Reichskabinett, der Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht, die Gestapo sowie NS-Organisationen (NSDAP-Führerkorps, SA, SS, SD). Der Prozess wurde in den vier Arbeitssprachen englisch, französisch, russisch und deutsch geführt, das gesprochene Wort simultan gedolmetscht, Dokumente übersetzt. Die angeklagten Personen und Organisationen erhielten deutsche Rechtsanwälte und weitgehende Verteidigungsrechte wie das Recht, Zeugen der Anklage ins Kreuzverhör zu nehmen. Das Gerichtsverfahren stützte sich damit auf das angloamerikanische Procedere. Der Prozess begann mit der Verlesung der Anklage (Anklagepunkte, Rechtsbestimmungen, Beweisdokumente und Zeugen) und der Stellungnahme der Angeklagten (schuldig – nicht schuldig). Es folgte die Anhörung der Zeugen der Anklage (Befragung durch die Anklagevertreter, dann durch die Verteidiger), anschließend die Anhörung der Zeugen der Verteidigung. Auch die Angeklagten konnten, wie im amerikanischen Strafrecht üblich, in den Zeugenstand treten und sich einem Kreuzverhör unterziehen. Nach den Plädoyers der Ankläger und der Verteidiger erfolgte der Urteilsspruch.

2 Form, Justizpolitische Aspekte, S. 50.

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In Nürnberg wurde öffentlich und vor den Vertretern der Weltpresse verhandelt. Auch Verbrechen wie die »Euthanasie«-Morde, der Holocaust an den europäischen Juden und Verbrechen in den Konzentrationslagern kamen zur Sprache, die das NS-Regime versucht hatte geheim zu halten. Mit der Verkündung des Urteils am 30. September und 1. Oktober 1946 wurden zwölf Angeklagte zum Tode und sieben zu langjährigen bis lebenslangen Haftstrafen verurteilt, drei freigesprochen. Zu verbrecherischen Organisationen erklärte das Gericht das Korps der politischen Leiter der NSDAP, die SS, den SD und die Gestapo. Trotz mancher Kritik an der Rechtsgrundlage des Prozesses bleibt festzuhalten, »dass hier Recht geschehen ist«.3 Auf den von den vier Alliierten getragenen Prozess in Nürnberg folgte kein weiterer internationaler Prozess in Europa, allerdings gab es in Tokio vor dem Internationalen Militärgerichtshof für den Fernen Osten ein vergleichbares Verfahren. Schon vor Beginn des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher am 14. November 1945 hatten alliierte Kriegsverbrecherprozesse vor amerikanischen und britischen Militärgerichten begonnen; nach seinem Ende folgten zahlreiche weitere Verfahren, die von Militärgerichten der vier Siegermächte sowie von den befreiten Ländern wegen Verbrechen auf ihrem Gebiet geführt wurden. Für die nachfolgenden Prozesse der Alliierten in den Besatzungszonen schuf das Kontrollratsgesetz Nr. 10 (KRG 10) vom 25. Dezember 1945 die maßgebliche Rechtsgrundlage. Es stützte sich ausdrücklich auf die Moskauer Deklaration von 1943 sowie auf das Londoner Statut von 1945. Das Gesetz ermöglichte die Verfolgung der Straftatbestände »Verbrechen gegen den Frieden«, »Kriegsverbrechen, Gewalttaten oder Vergehen gegen Leib, Leben oder Eigentum, begangen unter Verletzung der Kriegsgesetze oder -gebräuche«, »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« sowie »Zugehörigkeit zu gewissen Kategorien von Verbrechensvereinigungen oder Organisationen, deren verbrecherischer Charakter vom Internationalen Militärgerichtshof festgestellt worden ist.«4 Dies galt unabhängig davon, ob gegen Täter als unmittelbar Ausführende, als Beihelfer, Teilnehmer oder Planer verhandelt wurde. Das KRG 10 kam vor allem ab Oktober 1946 zur Anwendung und ermöglichte den alliierten Militärgerichten erstmals die Einbeziehung von Straftaten, die vor Kriegsbeginn begangen worden waren. Die Zugehörigkeit zu einer im Nürnberger Urteil als verbrecherisch festgestellten Organisation konnte ebenso verhandelt werden wie Verbrechen an Deutschen. Vor allem in letzterem Fall sah es die Möglichkeit vor, deutsche Gerichte mit diesen Verfahren zu beauftragen. 3 Erdmann, Die Zeit der Weltkriege, S. 645. 4 Gesetz Nr. 10, Art. II., abgedr. bei Ueberschär, Nationalsozialismus vor Gericht, S. 295–301.

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Die USA und Großbritannien hatten bereits 1944 ihre Bemühungen um die Verfolgung der deutschen Kriegsverbrechen koordiniert. Die Direktive 551 der Combined Chiefs of Staff (CCS) vom 17. April 1944 sah vor, Hitler, die NS-Führung und alle der Kriegsverbrechen verdächtigen Personen zu verhaften. Unter Bezug darauf ermächtigte wenig später die Direktive 119 des Combined Civil Affairs Committee (CCAC) die Oberbefehlshaber, Militärgerichte auf deutschem Gebiet einzurichten. Die Errichtung und die Kompetenzen dieser Gerichte regelte die Ordinance No. 2 über die Military Government Courts des alliierten Oberbefehlshabers General Dwight D. Eisenhower, die am 18. September 1944 in Kraft trat. Ihre Zuständigkeit erstreckte sich nicht nur auf Kriegsverbrechen, sondern auch auf Verstöße gegen Anordnungen der Militärregierung – nicht jedoch auf Verbrechen des NS-Regimes an Deutschen. Daneben gab es Military Commissions für Länder in denen keine funktionierende Strafjustiz bestand, z. B. in den eroberten deutschen Gebieten vor der Installierung der Besatzungsbehörden, aber auch in Österreich, wo zwar eine eigene österreichische Strafjustiz vorhanden war, die aber offensichtlich nicht als funktionierend betrachtet wurde (→ Kuretsidis-Haider, Österreich). Ende 1944 richteten auch die USA unabhängig vom UNWCC eine eigene Kommission zur Vorbereitung und Durchführung von Prozessen wegen Kriegsverbrechen ein, die an US-Amerikanern auf beiden Kriegsschauplätzen begangen worden waren. Mit der Errichtung des US Military Government wurden zugleich 37 Military Government Courts für das amerikanische Besatzungsgebiet errichtet. Herausragend in Bezug auf die Bestrafung von Kriegsverbrechen wurden die amerikanischen Militärgerichtshöfe in Nürnberg, der die zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse durchführte, und im ehemaligen Konzentrationslager Dachau, der vor allem Prozesse wegen der Verbrechen in verschiedenen Konzentrationslagern und der Tötung von amerikanischen Kriegsgefangenen verhandelte. Weitere Kammern gab es in Darmstadt, Ludwigsburg, Heidelberg, München, Augsburg und Freising sowie in Wiesbaden, wo im Oktober 1945 der erste amerikanische Militärgerichts-Prozess wegen der »Euthanasie«Morde stattfand. In den Nürnberger Folgeprozessen waren 177 führende Persönlichkeiten aus den Bereichen der Medizin (Fall 1: Ärzteprozess), der Luftwaffe (Fall 2: »Milch Case«), der Justiz (Fall 3: Juristenprozess), der zentralen KZ-Verwaltung (Fall 4: Pohl-Prozess, SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt), der Industrie (Fall 5: Friedrich Flick u. a.; Fall 6: IG-Farben-Prozess; Fall 10: KruppProzess), der Wehrmacht (Fall 7: »Südost-Generale« sowie Fall 12: OKWProzess), der SS-Führung (Fall 8: SS-Rasse- und Siedlungshauptamt), der SSund Polizeiführung (Fall 9: Einsatzgruppen) sowie der Auswärtigen Politik (Fall 11: Wilhelmstraßen-Prozess) angeklagt. Diese Verfahren begannen erst nach Beendigung des Hauptkriegsverbrecher Prozesses auf der Rechtsgrund-

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lage des Kontrollratsgesetzes Nr. 10. Die Gerichte bestanden aus drei, meist hochrangigen amerikanischen Richtern, die vom Militärgouverneur ernannt wurden. Sie waren unabhängig und nur dem Gesetz verantwortlich. Die Verteidiger waren zumeist deutsche Rechtsanwälte oder Juristen und von den Angeklagten selbst ausgewählt worden. In den Prozessen wurde anglo-amerikanisches und kontinentaleuropäisches Verfahrensrecht angewendet. Ersteres wurde von vielen Verteidigern bevorzugt, da es die Verteidigung begünstigte. In Dachau wurden im Wesentlichen zwei Tatkomplexe zur Anklage gebracht: Verbrechen an (vor allem zivilen) Angehörigen der alliierten Nationen in den Konzentrationslagern und an amerikanischen Kriegsgefangenen (Fliegerprozesse, Malmedy-Prozess). In 489 Verfahren mit 1.672 Angeklagten wurden über 400 Todesurteile ausgesprochen, von denen etwa 300 vollstreckt wurden.5 Das erste Verfahren, der Prozess gegen die Lagerführung des KZ Dachau, begann im November 1945, das Urteil erging nach nur vier Wochen am 13. Dezember 1945. Die Anklagen beschränkten sich auf eine Tatzeit zwischen dem 1. Januar 1942 und Kriegsende und auf Verbrechen an Angehörigen der alliierten Nationen. Als wesentliche Grundlage diente der Anklage im ersten Dachau-Prozess die Rechtskonstruktion des common design – des Vorwurfs also, »in Verfolgung eines gemeinschaftlichen Vorhabens« gehandelt zu haben – wie sie im britischen Bergen-Belsen-Prozess (dort noch als conspiracy – Verschwörung) adaptiert wurde. Die Rechtskonstruktion des common design erleichterte die Beweisführung, da sie keine formelle Vereinbarung zur Tat voraussetzte und die Anklage lediglich beweisen musste, »dass die Beschuldigten sich einer kriegsrechtswidrigen ›bestimmten Praxis von Grausamkeiten und Misshandlungen‹ bewusst waren und dass sie diese Praxis ›aktiv förderten‹«.6 Den Angeklagten, darunter der zeitweilige Lagerkommandant Martin Gottfried Weiß sowie 36 SS-Angehörige des Kommandanturstabs und drei Capos, wurden Tötungen, Folterungen und andere Grausamkeiten gegen Gefangene vorgeworfen. Die 40 Angeklagten wurden verurteilt, 36 von ihnen zum Tode, 28 wurden hingerichtet. Entsprechend der amerikanischen Rechtstraditon wurde der 1. Dachau-Prozess zum parent case, zum Präzedenzfall für alle nachfolgenden KZ-Prozesse. Allein 119 davon betrafen das KZ Dachau, einschließlich des Außenlagers Mühldorf (eigener parent case), mit insgesamt 549 Angeklagten und 457 Verurteilten. Entsprechende Leit5 Form, Justizpolitische Aspekte, zählt als »Dachau Trials« alle US-Militärgerichtsprozesse, insgesamt 463 Verfahren gegen 1.922 Angeklagte, davon 447 in Deutschland und 395 in Dachau, weitere Verfahren in Österreich und Italien. 6 Bryant, Die US-amerikanischen Militärgerichtsprozesse, S. 111.

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und Nachfolgeverfahren folgten zu anderen großen Konzentrationslagern wie Mauthausen (298 Angeklagte, 277 Verurteilte), Buchenwald (62 Angeklagte, 55 Verurteilte), Nordhausen (Dora-Mittelbau, 25 Angeklagte, 20 Verurteilte), Flossenbürg (87 Angeklagte, 76 Verurteilte). Die zweite große Verfahrensgruppe mit etwa 200 Prozessen betraf die Tötung von amerikanischen Fliegersoldaten, die über Deutschland notgelandet oder abgeschossen worden waren, sowie die Tötung amerikanischer Kriegsgefangener durch SS-Einheiten. Am meisten Aufsehen erregte der »Malmedy-Prozess« 1946. Es war das größte Dachauer Verfahren mit 73 Angeklagten, die zur Jahreswende 1944/45 an der Massenexekution von 353 amerikanischen Kriegsgefangenen beteiligt gewesen waren. 43 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt, die Urteile jedoch nicht vollstreckt. Vorwürfe wegen Misshandlungen und Nötigungen sowie gekaufter Zeugen erwiesen sich zwar weitestgehend als unhaltbar, führten jedoch auf Grund des erheblichen öffentlichen Aufsehens und des Nachlassens des Verfolgungswillens zu einer Reduzierung der Strafen. Die britischen Militärgerichte führten in Europa mindestens 358 (nach anderen Angaben ca. 380) Prozesse gegen 1.100 Angeklagte. Die Zahl der Todesurteile wird auf über 200 geschätzt. Der erste Prozess begann im Juli 1945 im italienischen Bari, der letzte endete im Dezember 1949 in Hamburg. Auch gegen Generalfeldmarschall Albert Kesselring wurde in Italien verhandelt. Die meisten Verfahren fanden jedoch in der britischen Besatzungszone statt, davon über die Hälfte in Hamburg (im Curio-Haus). Neben Prozessen gegen das Personal verschiedener Konzentrationslager (Auschwitz, Bergen-Belsen, Neuengamme, Ravensbrück u. a.) gab es Verfahren gegen den Zyklon B-Lieferanten Tesch & Stabenow, weitere wegen der »Euthanasie«-Morde in Hadamar, wegen Verbrechen in Arbeitserziehungslagern und Gestapogefängnissen und in Heimen für Kinder von Zwangsarbeiterinnen. Allein zum KZ Neuengamme wurden acht, zu seinen Außenlagern 23 Verfahren mit 110 Angeklagten durchgeführt. Das erste britische Militärgerichtsverfahren, das »Belsen-Trial« (zugleich der erste Auschwitz-Prozess) begann bereits am 17. September 1945 und stützte sich auf die Regulations for the Trial of War Criminals made under Royal Warrant of 14th June, 1945. Im Gegensatz zum späteren Internationalen Nürnberger Tribunal gründete der Prozess auf dem zur Tatzeit geltenden Völkerrecht und verhandelte Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Kriegs. Die Anklage beschränkte sich auf Taten zwischen dem 1. Oktober 1942 und dem 30. April 1945 und auf Verbrechen an Angehörigen der alliierten Nationen. Bedeutsam wurde die Anwendung der conspiracy-Formel, die gerade bei der schwer nachweisbaren unmittelbaren Verantwortlichkeit für die Tötung von Häftlingen in Konzentrations- und Vernichtungslagern von

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einer »Verschwörung« gegen das Leben der Häftlinge ausging. Damit war eine Verurteilung allein auf Grund der ausgeübten Funktion und ohne Tatnachweis im Einzelnen möglich. Am 17. November 1945 wurde im Belsen-Trial das erste Urteil eines alliierten Militärgerichts in Deutschland verkündet, elf der 45 Angeklagten wurden zum Tode verurteilt und am 13. Dezember 1945 hingerichtet. Das im Vergleich zum 1. Dachau-Prozess vergleichsweise niedrige Strafmaß lag in der sehr heterogenen Struktur der Angeklagten (verschiedene KZs bzw. Außenlager) und der durch die spezifischen Verhältnisse im KZ Bergen-Belsen sehr schwierigen Beweislage begründet. Die Verfahren folgten den britischen Militärgerichtsbestimmungen. Die Gerichte waren mit drei bis fünf Offizieren als Richter besetzt. Als Berater fungierte ein Judge Advocate, der auch bei der Aufnahme der Beweise und ihrer Würdigung half. Als Verteidiger waren auch deutsche Rechtsanwälte zugelassen. Das Verfahren kannte nur eine Instanz, das Urteil musste von einem höheren Offizier bestätigt werden. Einwände dagegen waren durch eine petition for review möglich. In den ersten britischen Militärgerichtsprozessen waren wie bei den Dachau Trials nur Anklagen wegen Kriegsverbrechen möglich. Auch die angeklagten Verbrechenskomplexe waren ähnlich. Erst nach dem Urteil des IMT in Nürnberg ermöglichte eine Gerichtsreform auch die Anklage nach KRG 10, wofür eigene Control Commission Courts eingerichtet wurden. Sie behandelten in ca. 150 Verfahren Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die zwischen 1933 und Kriegsende an deutschen und staatenlosen Opfern begangen worden waren. Anders als die USA ermächtigte die britische Militärregierung schon ab Ende 1946 auch deutsche Gerichte, Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit an dieser Personengruppe nach dem KRG 10 durchzuführen. Ab 1948 gab es dafür eine eigene Revisionsinstanz, den Obersten Gerichtshof für die Britische Zone (OGHBZ). Im Vergleich zu den USA und Großbritannien war die Sowjetunion von deutschen Kriegsverbrechen in besonderer Weise betroffen. Die Wehrmacht hatte einen großen Teil des Landes besetzt und die Besatzungspolitik war in extremer Weise von Terror und Völkermord geprägt gewesen. Die Dimension dieser Verbrechen, die große Zahl von Beteiligten sowie die Schwierigkeiten, die Verantwortlichen zu identifizieren und ausfindig zu machen, mussten eine reguläre Strafverfolgung immens erschweren. Hinzu kam, dass die Sowjetunion keine an rechtsstaatlichen Kriterien orientierte Gerichtsbarkeit besaß und Beweissicherung und Beweisführung von geringerer Bedeutung blieben angesichts der Möglichkeit, Geständnisse einfach zu erzwingen (→ Pohl). Ab dem Jahr 1942 begann die Sowjetunion mit der Verfolgung von Besatzungsverbrechen. Eine staatliche Kommission »für die Feststellung und Untersuchung der Gräueltaten der deutsch-faschistischen Eindringlinge und ih-

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rer Helfershelfer« wurde eingerichtet. Am 19. April 1943 verabschiedete das Präsidium des Obersten Sowjets den so genannten Ukaz 43, einen Erlass, nach dem Verbrechen des Mordes und der Misshandlung an der sowjetischen Bevölkerung bestraft werden sollten.7 Er verankerte das Prinzip des individuellen Schuldnachweises. Für deutsche Beschuldigte war bei einem Schuldspruch grundsätzlich die Todesstrafe durch öffentliches Erhängen vorgesehen. Für sowjetische Angeklagte gab es auch die zeitliche Verurteilung zu »Katorga«-Strafen, d. h. Zwangsarbeit in Lagern in der Region Workuta nördlich des Polarkreises. Tatsächlich wurden auch viele Deutsche zur »milderen« Katorga-Strafe verurteilt. Im Mai 1947 schaffte die Sowjetunion die Todesstrafe ab. 25 Jahre Zwangsarbeit wurde zur Höchststrafe. Für die Verfahren wurden bei den Frontdivisionen entsprechende Militärtribunale eingerichtet, später auch bei rückwärtigen militärischen Einheiten. Der Ukaz 43 wurde für die Militärtribunale auf sowjetischem Gebiet zur wichtigsten Strafvorschrift, knapp 60 % der auf 34.000 geschätzten sowjetischen Urteilssprüche gegen deutsche Kriegsgefangene stützten sich auf diese Strafvorschrift. Daneben wurde auch gelegentlich nach Artikel 58–2 des sowjetischen Strafgesetzbuches angeklagt, der das »Eindringen von bewaffneten Banden in das Sowjetgebiet in gegenrevolutionärer Absicht« unter Strafe stellte – also nicht primär auf Kriegsverbrechen abzielte.8 Schon im Dezember 1943 standen in Charkov drei deutsche Offiziere und ein russischer Helfer wegen Mordaktionen mit Gaswagen vor Gericht. Sie wurden in einem aufwändig und medienwirksam in Szene gesetzten Prozess zum Tode verurteilt. Bis Kriegsende folgten zwar keine weiteren Schauprozesse, aber vermutlich einige Hundert nichtöffentliche Verfahren gegen deutsche Soldaten nach dem Ukaz 43. Der Höhepunkt der Verurteilungen auf dieser Grundlage kam aber erst in zwei Wellen in den Jahren 1947/48 und 1949/50, mit zahlreichen öffentlichen und nichtöffentlichen Verfahren. Allein vom November 1949 bis August 1950 wurden 13.910 deutsche Gefangene verurteilt, fast 70 % aller nach Ukaz 43 Verurteilten. Hintergrund waren die einsetzenden Bemühungen der USA und Großbritanniens um den Aufbau eines westdeutschen Militärs; die Verurteilungen sollten den verbrecherischen Charakter der deutschen Wehrmacht belegen. Zu den Verfahren auf dem Gebiet der Sowjetunion vor allem gegen deutsche Kriegsgefangene (Angehörige der Wehrmacht, der SS oder des Besatzungsapparates) gesellten sich die Militärgerichtsverfahren auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone. Sie betrafen vor allem dort verhaftete oder von anderen Alliierten ausgelieferte und in »Speziallagern« internierte Beschuldigte. Für Verbrechen, die auf sowjetischem Staatsgebiet ausgeübt wor7 Abgedr. in: Ueberschär, Nationalsozialismus vor Gericht, S. 279–281. 8 Strafgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjet-Republik, Art. 58–2.

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den waren, galten ebenfalls die oben genannten Vorschriften, für Verbrechen auf deutschem Gebiet das KRG 10. Anfang 1947 befanden sich über 48.000 Internierte in den so genannten Speziallagern auf deutschem Boden. Bisher wurde die Zahl der vor sowjetischen Militärgerichten in der SBZ als Kriegsverbrecher Angeklagten auf 14.000 bis 17.000 geschätzt. Neuere, noch nicht abgeschlossene Forschungen des Hannah Arendt-Institutes (HAIT) ergaben jedoch, dass unter den 25.000 bislang erfassten Internierten knapp 4.500 wegen Kriegs- und NS-Verbrechen Verurteilte waren – die Zahl der Verfahren also bei etwa 9.000 gelegen haben dürfte. Ein gutes Viertel (1.279) der bisher erfassten 4.500 Personen wurde nach Art. 58–2 des sowjetischen Strafgesetzbuchs verurteilt, also wegen Verbrechen auf sowjetischem Territorium »in gegenrevolutionärer Absicht«. Die knapp tausend Verurteilungen nach Ukaz 43, der vor allem bei Erschießungsaktionen an der Zivilbevölkerung angewendet wurde, zeitigten die meisten Todesurteile (in etwa einem Drittel dieser Fälle) und erreichten ihren Höhepunkt 1947. 1948 dagegen wurden die meisten Fälle nach KRG 10 abgeurteilt. Nach Abschaffung der Todesstrafe 1947 wurden zwar keine Todesurteile mehr gefällt, aber viele lebenslängliche Strafen verhängt (über ein Drittel der Fälle). Zu den in der SBZ verhandelten größeren Fällen gehören die Verfahren gegen 240 Mitglieder des Polizeibataillons 9 (Berlin), die die britische Militärregierung ausgeliefert hatte. Das Verfahren im Sommer 1947 fand im ehemaligen KZ Sachsenhausen statt, das nun als Speziallager genutzt wurde. 227 Angeklagte wurden nach Ukaz 43 zu Haftstrafen von 25 Jahren, einige wenige zu geringeren Strafen verurteilt. Im Sachsenhausen-Prozess im Oktober 1947 wandte das sowjetische Militärgericht das KRG 10 an. 14 der 16 Angeklagten, darunter der letzte Kommandant und mehrere Angehörige des Kommandanturstabs, wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, zwei weitere zu 15 Jahren Haft, jeweils verbunden mit Zwangsarbeit. Neuere systematische Untersuchungen des HAIT in den sowjetischen Archiven bestätigen die bisherigen Bewertungen, wonach die Verfahren sich zumeist auf die Zugehörigkeit der Angeklagten zu bestimmten Einheiten bzw. die Ausübung bestimmter Funktionen stützen; die individuelle Verantwortung im Zusammenhang mit den angeklagten Verbrechen spielten demgegenüber kaum eine Rolle. Der Verzicht auf rechtsstaatliche Methoden setzte nicht nur die an sich rechtmäßige Verfolgung von Kriegsverbrechen Zweifeln aus, sondern verhinderte zugleich die damals noch mögliche eigentliche Aufklärung von Verantwortlichkeiten und Abläufen, die diese Verbrechen auch für künftige Generationen beweiskräftig dokumentiert hätten. Ob und welchen Quellenwert die derart entstandenen Unterlagen überhaupt haben können, bedarf einer genauen Quellenkritik und auch einer ethischen Abwägung (→ Pohl). Offensichtlich war sich die Sowjetunion später selbst die-

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ser Mängel bewusst. Kollektive Verurteilungen wurden teilweise in den späteren Jahren überprüft und das Strafmaß reduziert. Die letzten etwa 10.000 Verurteilten wurden 1955 in die Bundesrepublik abgeschoben und dort als »Spätheimkehrer« begrüßt. Wie die Sowjetunion war Frankreich direkt von der deutschen Besatzung und Verbrechen im eigenen Land betroffen. Auch hier sind die Verfahren in zwei Gruppen zu unterscheiden: Verfahren im eigenen Land nach französischem Recht und Verfahren in der Besatzungszone nach alliiertem Recht. Insgesamt wurden in Frankreich und in der französischen Besatzungszone bis zum März 1949 mindestens 2.107 Personen wegen Kriegsverbrechen angeklagt, 104 zum Tode verurteilt und 62 davon hingerichtet. 404 wurden freigesprochen. General Charles de Gaulle als Repräsentant der France libre war maßgeblich beteiligt an der Erklärung von St. James und der Errichtung der UNWCC. Nach der Landung der Alliierten im Juni 1944 und im Zuge der libération wurde im Herbst ein Service de recherche des crimes de guerre ennemis (SRCGE) als zentrale Vorermittlungsstelle eingerichtet. Im Juli 1945 begannen in Frankreich erste Verfahren vor französischen Militärgerichten (u. a. Bordeaux, Colmar, Lille, Lyon, Paris, Rennes, Straßburg), die französisches Strafrecht zur Ahndung von Kriegs- und NS-Verbrechen anwendeten. Noch in den 1950er Jahren kam es zu Militärgerichtsverfahren wie etwa im Fall Hermann Campe, der am 2. Juli 1954 vom Militärgericht in Metz wegen Verbrechen im KZ Natzweiler in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde. In der französischen Besatzungszone galt zunächst ebenfalls Eisenhowers Ordinance No. 2 als Rechtsgrundlage, die im November 1945 mit der französischen Ordonance No 20 präzisiert wurde und die Militärgerichte für Verbrechen außerhalb französischen Territoriums, begangen von Angehörigen feindlicher Staaten oder Nicht-Franzosen seit dem 1. September 1939, für zuständig erklärte. Daneben wurde im Januar 1946 auch das KRG 10 für die Besatzungszone in Kraft gesetzt. Die Verfahren folgten dem angelsächsischen Procedere. Mit dem Arrêté No 43 vom 2. März 1946 wurde die Einteilung und Zusammensetzung der Militärgerichte in der Französischen Besatzungszone neu geregelt. An der Spitze stand das Tribunal Général in Rastatt, das Kriegsverbrecher-Tribunal schlechthin (um die 235 Prozesse), da nur dieses für Tatbestände zuständig war, die mit der Todesstrafe geahndet werden konnten. Darunter gab es fünf untergeordnete Tribunaux Intermédiaires in den Landesteilen sowie 30 Gerichte auf Kreisebene. Gegen Urteile des Tribunal Général waren Rechtsmittel zulässig. 1947 und 1948 wurden die Strukturen reformiert und im Zuge dessen 1948 deutsche Gerichte zur Bestrafung von NS-Verbrechen an Deutschen nach KRG 10 ermächtigt.

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Im Mai 1946 begann der erste Kriegsverbrecherprozess in der französischen Besatzungszone. Vor dem Obersten Gericht der Militärregierung in Rastatt wurden Angehörige der Gestapo angeklagt, die im Saarbrücker Gestapo-Gefängnis Neue Bremm Verbrechen an Gefangenen alliierter Nationalität begangen hatten. Zu den Richtern und Anklägern gehörten neben französischen auch britische Juristen. Die Angeklagten konnten ihre Rechtsanwälte frei wählen, hatten aber zumeist Pflichtverteidiger. Vom amerikanischen Dachau-Prozess übernahmen die Ankläger die Rechtskonstruktion des common design als entreprise collective. Von den Angeklagten wurde einer freigesprochen, 21 erhielten meist langjährige Freiheitsstrafen, 14 wurden zum Tode verurteilt. Im Revisionsverfahren wurden die Todesurteile bestätigt und wenige Wochen danach vollstreckt. Weitere größere Verfahren folgten zu den Außenlagern des KZ Natzweiler, zu Verbrechen in Gefängnissen, in Fabriken sowie gegen SS-Aufseherinnen des KZ Ravensbrück. Die Bestrafung der NS-Verbrechen, die an der Front, während der Besatzungszeit oder in Konzentrations- und Vernichtungslagern begangen worden waren, war in ihrer Breite nur möglich durch Rechtskonstruktionen wie conspiracy (Belsen-Trial), common design (1. Dachau-Prozess) und entreprise collective oder durch die Verurteilung allein wegen der Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation auf Grund des KRG 10. Letzteres war nur möglich, wenn die Angeklagten einer Organisation angehört hatten, deren verbrecherischen Charakter das IMT in Nürnberg festgestellt hatte. Bald zeichnete sich ab, dass die Verfolgung der großen Zahl von Verbrechen zu einer immensen organisatorischen und finanziellen Belastung werden würde; ein riesiger Apparat musste aufgebaut und unterhalten werden, um Ermittlungen und Verfahren durchzuführen. Schließlich verlangte der beginnende Kalte Krieg andere Prioritäten: Die USA forderten den Aufbau eines deutschen Militärs zur Abwehr der vermuteten sowjetischen Expansionsbestrebungen. Die deutsche Gesellschaft und die deutsche Politik drangen seit Ende der 1940er Jahre als Preis dafür auf ein Ende der Verfahren gegen die als »unschuldig« erachteten Kriegs- und NS-Verbrecher, die Amnestierung der Verurteilten und ihre Entlassung. Sie setzten sich damit durch, Todesurteile wurden in Haftstrafen umgewandelt, zu Zeitstrafen Verurteilte bald entlassen. Ende der 1950er Jahre gab es nur noch wenige Inhaftierte. Aber auch die Sowjetunion stellte Anfang der 1950er die Strafverfolgung durch Militärgerichte ein bzw. übertrug sie der DDR.

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Annotierte Bibliographie Quellen: Die aus der Arbeit des UNWCC entstandene Dokumentensammlung befindet sich heute in den UN-Archiven; die Berichte der UNWCC über eine Vielzahl von Nachkriegsprozessen sind online verfügbar (→ Gruner). Über die rechtshistorische Bedeutung hinaus sind die publizierten Protokolle und Dokumente des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher zu einer zeitgeschichtlichen Quelle ersten Ranges geworden. Ein Grossteil der Gerichtsakten und Originaldokumente befindet sich beim Internationalen Gerichtshof im Haag bzw. den anklagenden Mächten; manche Beweisdokumente sind aber auch bei der Rückgabe deutscher Akten aus den USA ins Bundesarchiv gelangt. Umfangreiche Sammlungen von Kopien und Abschriften der Prozessmaterialen (inklusive der Nachfolgeprozesse) finden sich im Staatsarchiv Nürnberg, im Institut für Zeitgeschichte in München sowie im Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen. Die Originalunterlagen der Nürnberger Nachfolgeprozesse befinden sich heute in den amerikanischen National Archives. Kopien von Protokollen und Beweisdokumenten sind bei den unter dem IMT-Prozess genannten Institutionen sowie im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu finden. Die Urteile der einzelnen Verfahren sind publiziert, Protokolle und Beweisdokumente nur in Auszügen mit Ausnahme des Ärzteprozesses, der insgesamt ediert ist (s. u.). Die Unterlagen der Dachauer Prozesse finden sich in den amerikanischen National Archives. Von den Protokollen und einem Teil der Beweisdokumente existieren Mikrofilme im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, Kopien für einzelne Dachau-Prozesse liegen auch in der KZGedenkstätte Dachau. Zu den Beweisdokumenten des 1. Dachau-Prozesses gehörten z. B. die vollständigen Zugangsbücher von 1933 bis zum April 1945, Digitalisate davon befinden sich in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Die Unterlagen der britischen Militärgerichtsverfahren liegen heute in den National Archives London in Kew (früher Public Record Office). Einen Überblick über die Quellenlage bieten Schulze, »The picture seems […]« und Keller, Quellen aus britischen Sammlungen und Archiven. Unterlagen der sowjetischen Militärgerichtsverfahren liegen in den Archiven des FSB (Inlandsgeheimdienst), des MVD (Innenministerium), im Militärarchiv (RGVA) bzw. im Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF), vgl. auch → Pohl. Entsprechendes gilt für die anderen post-sowjetischen Staaten. Die Akten der französischen Militärgerichte der Besatzungszone werden in einer Außenstelle der Archivdirektion des Quai d’Orsay, im Bureau des Archives de l’occupation française en Allemagne et en Autriche (AOFAA) in Colmar aufbewahrt. Die Unterlagen der französischen Militärjustiz verwahrt der Service historique de la Défense in einer kleinen Gendarmerie-Kaserne in Le Blanc (Indre). Diese unterliegen einer Sperrfrist von 100 Jahren; Ausnahmegenehmigungen (dérogations) des französischen Außenministeriums und seltener des Verteidigungsministeriums machen sie aber zunehmend für die wissenschaftliche Forschung zugänglich. Besonders bedeutsame Urteile veröffentlichte das französische Oberkommando in seinem Amtsblatt; die Entscheidungen des Kassationshofes liegen gedruckt vor: Bulletin des Arrêts de la Cour de cassation. Die Unterlagen des SRCGE liegen in den Archives Nationales (AN) in Paris. Eine Anzahl französischer Militärgerichtsakten ist in den Unterlagen der Zentralen Stelle Ludwigsburg (→ Kunz, Zentrale Stelle) sowie im Bestand Zentrale Rechtsschutzstelle (B 305) des Bundesarchivs verfügbar. Editionen (vgl. zu online-Editionen: → Gruner, → Form): Die Verhandlungsprotokolle und Beweisdokumente des IMT wurden vom Gericht ediert und sind durch Indizes erschlossen: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher (»blaue Reihe«, in deutscher, englischer und französischer Ausgabe). Dazu gesellen sich die Beweisdokumente der amerikanischen und britischen

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Ankläger (»rote Reihe«): Nazi Conspiracy and Aggression. Zu dem gut erschlossenen und durch viele wissenschaftliche und andere Publikationen erforschten Nürnberger Prozess sei hier aus den zahlreichen, teilweise neu aufgelegten Reportagen, Prozessberichten und Publikationen der Beteiligten stellvertretend nur noch auf Taylor, Nürnberger Prozesse, hingewiesen. Die umfassendste Edition der Nürnberger Nachfolgeprozesse wurde um 1950 von den USA herausgegeben: Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law Nr. 10 (»grüne Reihe«); sie sind durch Indices erschlossen: Indices zu den zwölf Nürnberger Militärgerichtsprozessen. Einen schnellen Überblick über alle Nürnberger Prozesse und den Aufbau der verschiedenen Reihen und der zugehörigen Indizes bietet Baumgart: Bücherverzeichnis, S. 238–241. Lediglich der Ärzteprozess liegt in einer umfassenden deutschsprachigen Edition (Mikrofiche) vor: Dörner u. a., Der Nürnberger Ärzteprozeß 1946/47. Für den Wilhelmstraßen-Prozess liegt eine deutsche Ausgabe des Urteils vor: Kempner / Haensel, Das Urteil im Wilhelmstraßen-Prozeß. Zu den britischen Militärgerichtsprozessen erschien 1949–1952 eine von Sir David Maxwell Fyfe herausgegebene neunbändige Auswahldokumentation: War Crime Trials. Sie enthält u. a. Protokolle und Dokumente zu folgenden Verfahren: Belsen-Trial, Hadamar-Trial, Natzweiler-Trial, Velpke Baby Home Trial, Dulag Luft Trial. Zum Neuengamme-Hauptverfahren erschien 1969 eine vierbändige hektografierte Protokollmitschrift: Curiohaus-Prozess. Literatur: Zu den deutschen Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg und dem deutschen Umgang mit dem Auftrag der Entente-Mächte ausführlich Hankel, Die Leipziger Prozesse. Einen fundierten Überblick über die alliierte Militärgerichtsbarkeit liefert Form, Justizpolitische Aspekte, ebenso die Beiträge in Ueberschär, Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die Dachauer Prozesse werden durch einzelne Monografien erschlossen. Im Überblick durch Sigel, Im Interesse und durch den Sammelband Eiber / Sigel, Dachauer Prozesse; im Speziellen durch Lessing, Der erste Dachauer Prozess; Freund, Der Dachauer Mauthausen-Prozess; Schlaffer, Gerechte Sühne? (Flossenbürg); Weingartner, Crossroads of Death (Malmedy-Prozess). Zu den britischen Verfahren ist die Literaturlage weniger gut. Hervorzuheben ist Kaienburg, Die britischen Militärgerichtsprozesse (Neuengamme), der rechtliche Basis, Struktur und Ablauf der Verhandlungen vorstellt, die Hauptverfahren schildert und eine Aufstellung über alle Neuengamme- und Außenlagerverfahren gibt. Neuerdings zum Belsen-Trial Wenck, Verbrechen als Pflichterfüllung? Einen knappen Überblick über die sowjetischen Prozesse bieten die Beiträge von → Weinke und → Pohl in diesem Band sowie von Ueberschär, in Ders., Der Nationalsozialismus vor Gericht (enthält auch den Text des Ukaz 43). Ausführlicher werden diese in den Veröffentlichungen des Hannah Arendt-Instituts über die sowjetischen Militärtribunale behandelt: Hilger u. a., Sowjetische Militärtribunale, sowie in der Dokumentation Hilger, Sowjetische Justiz und Kriegsverbrechen. Mehrere neue Arbeiten zeigen, dass auch die Unterlagen der französischen Militärgerichte zunehmend für die wissenschaftliche Forschung zugänglich sind. Während Pendaries, Les procès de Rastatt sich mit den Verfahren in der Besatzungszone beschäftigt und die wichtigsten Verfahren vorstellt, setzt sich Moisel, Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher mit den Verfahren in Frankreich auseinander. Thalhofer, Neue Bremm – Terrorstätte der Gestapo untersucht den Prozess gegen die Saarbrücker Gestapo. Meyer, Die deutsche Besatzung in Frankreich untersucht unter Verwendung von Militärgerichtsakten die Zusammenhänge von Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung.

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Der Wiederaufbau der Justiz in Westdeutschland und die Ahndung von NS-Verbrechen in der Besatzungszeit 1945–1949

Eine quellengestützte Gesamtdarstellung zum Wiederaufbau der westdeutschen Justiz fehlt bis jetzt. Der Haupthinderungsgrund ist die schlechte Quellenlage, denn entweder gibt es gar keine oder nur eine sehr schlechte Aktenüberlieferung bei Länderjustizministerien, bei Oberlandesgerichten (OLG) oder Generalstaatsanwaltschaften (GStA). Für die Rekonstruktion der Neuanfänge der Justiz in Westdeutschland greift dieser Beitrag daher vor allem auf die Unterlagen der westlichen Alliierten zurück, die für die deutsche Justizgeschichte bisher kaum genutzt wurden. Jede westliche Militärregierung hatte eine Rechtsabteilung (Legal Division, Division de la Justice), und bei jeder dieser Rechtsabteilungen gab es ein Referat, das sich nur mit der deutschen Justiz befasste: bei den Amerikanern German Courts Branch, bei den Briten German Courts Inspectorate, bei den Franzosen Contrôle de la Justice Allemande genannt. Die Rechtsoffiziere dieser Referate überprüften Fragebogen von Staatsanwälten und Richtern, berieten mit den Justizministerien der Länder über Stellenbesetzungen, übermittelten Befehle der Militärregierung und führten Inspektionsreisen zu Staatsanwaltschaften und Gerichten durch, wo sie sich Akten und Register zeigen ließen oder auch Hauptverhandlungen besuchten. Ihre Eindrücke legten die Angehörigen der Rechtsabteilung in teils überaus detaillierten Berichten nieder, die es ermöglichen, die Ausgangssituation der deutschen Justiz zu skizzieren. Neben Statistiken, Notizen von Pressekonferenzen, Protokollen von Besprechungen mit Oberlandesgerichts-Präsidenten oder Generalstaatsanwälten sind auch Beobachtungen aus Prozessen enthalten. Diese Reportagen sind spannende Momentaufnahmen der Lage der Amts-, Land- und Oberlandesgerichte vor Ort, die auf vielen verschiedenen Ebenen genutzt werden können, sei es zur Rekonstruktion der Justizverwaltung, sei es als Dokumente interkultureller Kommunikation. Zu letzterer Thematik legen auch die spärlich erhaltenen deutschen Quellen beredtes Zeugnis ab. Die gegenseitige Vermittlung komplexer Sachverhalte wurde durch die beschränkten Sprachkenntnisse auf beiden Seiten und landeskundliche Defizite gehemmt. Der spätere Bamberger OLG-Präsident

Der Wiederaufbau der Justiz in Westdeutschland

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Dr. Lorenz Krapp und der spätere Bamberger GStA Dr. Thomas Dehler versuchten sich an einer Einführung in das deutsche Gerichtswesen (»Aufzeichnung«) für die Besatzer und stellten ein Glossar deutsch-englischer Begriffe aus der Welt der Justiz voran, räumten aber gleichzeitig ein, dass einige Wörter unübersetzbar oder der Versuch der Übertragung in die Zielsprache missverständlich sei.1 Sie führten aus, dass es bei den deutschen Rechtsanwälten keine Unterscheidung zwischen einem gerichtlich tätigen barrister und einem lediglich außergerichtlich beratenden solicitor gebe. Ein britischer Besatzungsoffizier hätte mit der gut gemeinten Erklärung etwas anfangen können, ein amerikanischer dürfte allerdings befremdet gewesen sein, da ein solicitor im Amerikanischen einen Justizbeamten, in einigen Südstaaten einen Staatsanwalt und im nichtjuristischen Kontext sogar einen Hausierer bezeichnen kann. Die Amtsrichtertätigkeit wurde in der »Aufzeichnung« mit dem Aufgabenfeld eines Justice of the Peace verglichen – und dabei übersehen, dass ein amerikanischer Friedensrichter nicht zwingend über eine juristische Ausbildung verfügt. Der Bamberger OLG-Präsident verfiel angesichts von Fragebögen, die seine Juristen ausgefüllt hatten, ins Lamentieren, da vieles durch die Fallstricke der Übersetzung buchstäblich ins Gegenteil verkehrt wurde: Ein Stellensuchender hatte sich im Fragebogen stolz als Vertrauensmann einer Organisation bezeichnen wollen, die unbeholfene Übersetzung (confidence man) bezeichnet im Englischen jedoch einen Trickbetrüger oder Bauernfänger – nicht wirklich eine Empfehlung für einen Juristen.2 Für die westlichen Alliierten stellte sich das Problem, dass einerseits nach der Willkürjustiz des Dritten Reichs die Kontrolle der Justizbehörden bitter nötig schien, anderseits zum Aufbau einer stabilen Demokratie und eines funktionierenden deutschen Rechtswesens die Unabhängigkeit der Justiz respektiert werden musste. Die Herausforderung hätte größer nicht sein können, denn abgesehen von der anstehenden Ahndung der NS-Verbrechen sah sich die alliierte und deutsche Justiz mit einer überbordenden Nachkriegskriminalität konfrontiert. Dazu kamen zahlreiche unbearbeitete Zivilsachen aus der Kriegszeit ebenso wie neu anfallende Angelegenheiten, z. B. die Scheidungen von Kriegsehen oder die Todeserklärungen Vermisster. Zunächst ordneten die Alliierten die Schließung der deutschen Gerichte an. Nationalsozialistische Gesetze wurden für ungültig erklärt und eine Rückkehr zum Strafgesetzbuch im Stand vor dem 30. Januar 1933 verkündet. Reichsgericht, Volksgerichtshof, Sondergerichte und Parteigerichte wurden abgeschafft. Bereits im Sommer 1945 nahmen die ersten deutschen Amts- und Landgerichte ih1 Die folgenden Zitate aus: StAB, Rep. K 100/V, Nr. 2549, Aufzeichnung, 8.5.1945. 2 Ebd., Brief OLG-Präsident Bamberg, Dr. Lorenz Krapp an Landgerichts- und Amtsgerichtsdirektoren in Bamberg, Coburg, Hof/Saale und Bayreuth, 8.11.1945.

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ren Betrieb wieder auf. In einer zweiten Phase ab Herbst 1945 und Frühjahr 1946 wurden die OLG als vorläufig höchste Instanz der deutschen Justiz wiedereröffnet. Die Strukturen der Justizverwaltung blieben im Wesentlichen erhalten. In der britischen Zone wurden sämtliche früheren OLG an ihren alten Standorten wiedereröffnet, lediglich das OLG Kiel wurde nach Schleswig verlegt. Die Kompetenzen der OLG-Präsidenten in der britischen Zone waren stark erweitert, denn sie konnten – mit Genehmigung der britischen Militärregierung – selbst Vorschriften für Gerichte erlassen und Gesetzesvorschläge machen. In der amerikanischen Zone behielt Bayern seine traditionellen OLG (München, Nürnberg, Bamberg), verlor allerdings Zweibrücken durch die Abtrennung der Pfalz. In Hessen wurde lediglich ein OLG in Frankfurt wiedereröffnet, Kassel und Darmstadt erhielten nur Zweigstellen. Für Bremen, die amerikanische Enklave innerhalb der britischen Zone, wurde 1947 ein eigenes OLG geschaffen. Die größten Neuregelungen gab es in der französischen Zone: Das OLG für die Pfalz in Zweibrücken wurde aufgrund starker Bombenschäden nach Neustadt an der Haardt verlegt. Das OLG Stuttgart mit einem Zweigsenat in Karlsruhe befand sich in der amerikanischen Zone, so dass in der französischen Zone zwei völlig neue OLG entstanden, nämlich Tübingen und Freiburg. Auch das OLG Koblenz war eine Neuschöpfung, das sich aus den Zuständigkeitsbereichen der OLG Köln, Hamm, Frankfurt und Darmstadt zusammensetzte. In Lindau, dem bayerischen Teil der französischen Zone, entstanden eine neue Staatsanwaltschaft und ein neues Landgericht. Die materiellen Bedingungen des Neubeginns spotteten jeder Beschreibung. Die Justizgebäude waren vielfach völlig zerstört, so dass die Justizverwaltungen buchstäblich in den Trümmern hausten. Intakte Gebäude wurden häufig von alliierten Truppen beschlagnahmt und konnten über Monate und Jahre nicht von der Justiz genutzt werden. Akten waren vernichtet oder wegen der Bombengefahr ausgelagert worden. Den Gerichten mangelte es an allem: an Gesetzestexten und Kommentaren, Papier, Schreibmaschinen, Akten, Registern und Räumlichkeiten. Das größte Problem aber stellte das Justizpersonal dar, von dem zahlreiche Angehörige durch die Beteiligung an der Willkürjustiz des Dritten Reiches jenseits jeglicher Rehabilitierung kompromittiert waren. Das alliierte Kontrollratsgesetz (KRG) Nr. 4 hatte angeordnet, dass alle ehemaligen aktiven NSDAP-Mitglieder sowie diejenigen, die an der Strafjustiz des Nationalsozialismus direkten Anteil gehabt hatten, nicht mehr als Richter und Staatsanwälte verwendet werden durften. Der Teufel steckte natürlich im Detail: wie definierte man die aktive Unterstützung der NSDAP? Was genau verstand man unter dem »direkten Anteil« an der NS-Strafjustiz? Obwohl Amerikaner, Briten und Franzosen einer mehr oder weniger identischen Personalsituation gegenüberstanden, war ihr Umgang mit der deut-

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schen Justizverwaltung sehr unterschiedlich. Die Amerikaner waren zumindest anfangs am unerbittlichsten, was die Säuberung anging. Sie griffen vor allem auf Richter zurück, die schon 1933 pensioniert worden waren, was allerdings dazu führte, dass die Justizverwaltung in der amerikanischen Zone in weiten Teilen einem Seniorenheim glich. Amerikanische Beschreibungen von über 70-jährigen, ja über 80-jährigen Amtsrichtern sind Legion. »Totteringly senile, but nice« charakterisierte ein amerikanischer Inspizient beispielsweise den Amtsrichter am AG Neukirchen in Hessen.3 Die strenge amerikanische Entnazifizierungspolitik stieß allerdings an ihre Grenzen, als kaum mehr unbelastete Staatsanwälte und Richter gefunden werden konnten, gleichzeitig aber eine Vielzahl von Fällen zur Aburteilung anstanden. Die britische und die französische Militärregierung waren deutlich weniger restriktiv. Die Briten beschränkten sich darauf, zuverlässige Personen in die Schlüsselpositionen – Präsidenten der Oberlandesgerichte, Generalstaatsanwälte und Justizministerien – zu befördern, um auf diese Weise Kontrolle über die belasteten Juristen zu haben. Die französische Besatzungsmacht war – vielleicht vor dem Hintergrund der Erfahrung instabiler politischer Systeme und der Existenz einer faschistischen Bewegung in Frankreich, der sich auch namhafte Intellektuelle angeschlossen hatten – von Anfang an eher bereit, frühere NSDAP-Mitglieder wieder zum deutschen Justizdienst zuzulassen. Vielleicht war es aber auch schlichter Pragmatismus: um eines funktionierenden Rechtswesens willen wurden belastete Juristen als Preis akzeptiert. Der Directeur Général de la Justice in der französischen Besatzungszone, Charles Furby, wußte: »Il faut une dizaine d’années pour faire un juge.«4 Soviel Zeit hatten die Alliierten schlicht und einfach nicht. Mehrfach sammelten die Franzosen das Personal auf, das die Amerikaner verschmäht hatten: der erste OLG-Präsident von Tübingen war von der amerikanischen Militärregierung am OLG Stuttgart als untragbar entlassen worden, weil er noch 1941 zum Senatspräsidenten befördert worden war. Das neu gegründete Landgericht Lindau in der französischen Zone wurde mit Justizbeamten besetzt, die die Amerikaner am Landgericht Kempten entfernt hatten, was wiederum die amerikanische Seite echauffierte. Auch in Bremen, wo Zonen- und Gerichtsgrenzen kollidierten, gerieten die unterschiedlichen amerikanischen und britischen Entnazifizierungskonzepte in Konflikt. Die Kehrseite der liberaleren Personalpolitik der Franzosen und Briten war freilich die stärkere Kontrolle der eigentlichen Rechtssprechung: Britische und insbesondere französische Eingriffe in laufende deutsche Verfahren waren deutlich häufiger als in der amerikanischen Besatzungszone. Sowohl Briten als auch Franzosen zogen deutsche Prozesse an ihre eigenen Militärgerichte, wenn sie ihre Interessen verletzt sa3 NARA, OMGH 17/209 – 1/2, Inspektion AG Neukirchen, 16.9.1947. 4 AOFAA, AJ 805, p. 605, Dossier 17, Presseerklärung Charles Furby, 4.3.1947.

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hen – wenn etwa deutsche Richter über die Verbrechen an Fremdarbeitern und damit alliierten Opfern geurteilt hatten – oder hoben missliebige deutsche Urteile auf, um sie erneut entweder an deutschen oder alliierten Gerichten verhandeln zu lassen. Erst nach der Entnazifizierung konnten die höheren Justizbeamten auf eine vorläufige Wiederzulassung hoffen. Wie auch bei anderen Bevölkerungsgruppen wurden die Fragebögen von Juristen nicht stets wahrheitsgemäß ausgefüllt, NSDAP-Mitgliedschaften entweder ganz verschwiegen oder das Eintrittsdatum in die Partei nach hinten verschoben. Mit Entsetzen dürften viele Juristen von der Auffindung der Personalakten des Reichsjustizministeriums durch amerikanische Truppen in Kassel reagiert haben. Mit Hilfe dieser Personalakten konnten die Fragebögen aller Staatsanwälte, Richter, Notare, Rechtsanwälte und Referendare auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Hinzu kam die Auffindung der NSDAP-Mitgliederkartei ebenfalls in der amerikanischen Zone, die mit anderen personenbezogenen Unterlagen im Berlin Document Center (BDC) zusammengefasst wurde. In der Folge wurden höhere Justizangehörige durch alliierte Militärgerichte und später deutsche Gerichte wegen Fragebogenfälschung verurteilt. Gleichwohl wurden nicht alle falschen Angaben entdeckt: so räumte ein junger Freiburger Advokat in seinem Fragebogen 1948 zwar seinen Dienstrang als »MarineStabsrichter« ein, hielt es aber dann doch für tunlich, eine Tätigkeit bei Sondergerichten, Standgerichten und Kriegsgerichten kategorisch zu verneinen, um seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht zu gefährden: Dr. Hans Filbinger.5 Zusätzlich erschwert wurde die Rekrutierung geeigneten Personals für den höheren Justizdienst durch die Tatsache, dass die Bezahlung wenig lukrativ war. So hatte der Celler OLG-Präsident Freiherr Hodo von Hodenberg als Rechtsanwalt während des Dritten Reiches ein jährliches Einkommen von 45–50.000 RM gehabt, sein Salär als OLG-Präsident dagegen betrug lediglich 27.600 RM und das auch nur dank britischer Intervention. Über die Qualität mancher Rekrutierten hegten die westlichen Alliierten wenig Illusionen: so hieß es bezüglich des GStA von Berlin, Dr. Kühnast, man habe immer gewusst, er sei ein Schuft: »He was a rogue, but he was at least an efficient and co-operative rogue and the most capable Generalstaatsanwalt who was available.«6Auf deutscher Seite erschwerte die Blockierung von Planstellen und die generelle Abneigung gegen Ortsfremde die Suche nach neuem Personal. Bei einer Besprechung zur Personalplanung am OLG Bamberg hieß es, dass keine Verwaltungsjuristen und keine Rechtsanwälte in die Justizverwaltung aufgenommen werden sollten. Außerdem: 5 AOFAA, AJ 3681, p. 37, Dossier Hans Filbinger, Fragebogen, 9.1.1948. 6 TNA, PRO, FO 1060/1165, Monatsbericht Chief Legal Officer, Berlin Sector, Mai 1947.

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»Hinsichtlich der Hereinnahme andersstämmiger Deutscher oder gar von Ausländern in den bayerischen Justizdienst sprachen sich die Bamberger Herren dahin aus, daß gegen Süddeutsche in der Regel wohl nichts einzuwenden sei, daß man aber mit Nord- und Mitteldeutschen, die bisher schon gelegentlich hereingenommen worden seien, in der Regel schlechte Erfahrungen gemacht habe. Am schlechtesten hätten sich die Sachsen gemacht. Auch die Rheinländer und sonstige Preußen haben in der Mehrzahl versagt, nur gelegentlich seien auch brauchbare und gute darunter gewesen.«7

Der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg und die Militärtribunale der Besatzungsmächte verhandelten vor allem die völkerrechtlich relevanten Straftaten, die von Deutschen an alliierten Opfern begangen worden waren, also insbesondere während des Krieges. Damit wurde zunächst nur ein Teil der kriminellen Handlungen geahndet. Für NS-Verbrechen von Deutschen an anderen Deutschen bzw. Staatenlosen sollten deutsche Gerichte zuständig sein. So erhob bereits am 5. September 1945 die Staatsanwaltschaft Limburg Anklage gegen sechs Personen wegen Landfriedensbruchs und Freiheitsberaubung während der Pogromnacht in Villmar in Hessen. Schon am 12. September 1945 erging das Urteil gegen die Täter vor dem AG Weilburg. Den Angeklagten wurde »moralische Verwahrlosung« vorgeworfen. »Es mag auch sein, daß sie, wie die meisten Deutschen, unter dem Einfluß einer jahrelangen Propaganda an moralischer Urteilsfähigkeit eingebüßt hatten, so daß ihr Blick für die Verwerflichkeit des Vorgangs getrübt war. Es ist bekannt, daß der November 1938 der Beginn von Untaten war, die ohnegleichen in der Geschichte sind und für die es überhaupt keine menschliche Sühne gibt. Jedoch geschähe den Angeklagten Unrecht, wenn man ihr Tun unter dem Eindruck dieser späteren Missetaten beurteilen würde, wie schwer es auch heute ist, sich einer solchen Beurteilung zu enthalten.«8

Das Urteil ist ein kleines Beispiel für die vielfältigen Probleme, mit denen sich die deutsche Justiz in den folgenden Jahren befassen musste: die Verkehrung ethischer Werte, der Zusammenbruch der Rechtsordnung (Verhaftung der Opfer anstatt der Täter durch die Polizei), die Aburteilung von Ereignissen, die sich Jahre zuvor ereignet hatten, und die generelle Frage, wie solche Verbrechen überhaupt adäquat bestraft werden könnten. Im Dezember 1945 erließ der Alliierte Kontrollrat das Gesetz Nr. 10, in dem unter anderem der Straftatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit 7 StAB, Rep. K 100/V, Nr. 3649/I, Dienstreisebericht des AG-Präsidenten von Würzburg und Unterfranken, Dr. Hans Lobmiller, 15.6.1945. 8 HStAW, Abt. 463, Nr. 1201, Limburg 2 Js 641/45 = AG Weilburg DLs 3–8/45 = Limburg 5 KLs 2/52.

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festgelegt war. Ziel war es, eine einheitliche Rechtsgrundlage für die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern und anderen derartigen Tätern zu schaffen. Das KRG Nr. 10 gab den Alliierten auch die Möglichkeit, deutsche Gerichte für bestimmte Verbrechen für zuständig zu erklären. In der Folge ermächtigten die britische und die französische Besatzungsmacht die deutschen Gerichte, das KRG Nr. 10 anzuwenden. Insbesondere Denunziationen, die durch herkömmliche deutsche Gesetze nicht zu fassen waren, wurden so geahndet. Allerdings quälten sich die Juristen in der britischen und französischen Zone mit der Füllung der vagen Kategorien des KRG Nr. 10 (»Ausrottung«, »Versklavung«), die im deutschen Strafrecht keine Entsprechung hatten. In der Folge behalfen sich Richter meist mit der »Tateinheit«, also damit, dass sie sowohl nach deutschem Recht als auch unter Verwendung des KRG Nr. 10 urteilten. Dagegen beschloss die amerikanische Militärregierung, den deutschen Strafkammern keine Erlaubnis zur Anwendung des KRG Nr. 10 zu geben. Sie verwendete es lediglich im völkerrechtlichen Kontext vor ihren eigenen Militärgerichten. Die deutschen Gerichte in der amerikanischen Besatzungszone urteilten dagegen bei nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nur nach dem Strafgesetzbuch. Denunziationen mussten entweder mit existierenden Straftatbeständen wie (mittelbare) Freiheitsberaubung oder falsche Anschuldigung abgehandelt werden oder wurden an die Spruchkammern verwiesen. Die unterschiedliche Handhabung des KRG Nr. 10 durch die westlichen Alliierten führte zu großen Diskrepanzen in der Strafverfolgung und Rechtsprechung zwischen den Zonen. Da es außer dem Obersten Gerichtshof für die britische Zone keine höheren Gerichte als die OLG gab, blieben viele juristische Probleme während der Besatzungszeit ungeklärt und konnten erst durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den 1950er Jahren gelöst werden. Die Anwendung des KRG Nr. 10 war Anlass zahlreicher juristischer Kontroversen. Kurz gesagt: war es wichtiger, Unrecht zu sühnen, das mit Hilfe des bisherigen Strafrechts nicht oder nur unzureichend erfasst werden konnte oder galt ein absolutes Rückwirkungsverbot neuer, dies ermöglichender Normen? Die strafrechtliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus stellte die Justiz vor bislang unbekannte Fragen. Konnte die Beteiligung am Völkermord unter den gleichen Voraussetzungen abgeurteilt werden wie Mord an einer einzelnen Person? Oder war dies nicht doch ein Verbrechen einer neuen Dimension, das die Alliierten folgerichtig als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« charakterisiert hatten? Anders gefragt: konnte das Unrecht des Dritten Reiches mit den Mitteln des Rechtsstaates geahndet werden? Deutsche Juristen kritisierten die Anwendung des KRG Nr. 10 wegen des Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot. Gleichzeitig aber gab es vehemente Forderungen aus der deutschen Bevölkerung, das KRG Nr. 10 zur Anwendung zu bringen.

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Die Ermittlungen zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen waren schwierig, da die Polizei meist unerfahren war. Viele Polizisten waren aufgrund ihrer SS-Mitgliedschaft nach Kriegsende sofort verhaftet worden, die neu rekrutierten Polizisten waren mit den diffizilen Recherchen überfordert. Die Beschuldigten selbst waren in Kriegsgefangenschaft, interniert, untergetaucht, nicht mehr am Leben oder wurden irrtümlich für tot gehalten. Die Ehefrau des Gebietskommissars von Lubomil (Ukraine) hatte ihren Ehemann Bernhard Uhde 1950 durch das Amtsgericht Gemünd in der Eifel für tot erklären lassen. Sie wurde unangenehm überrascht, als ihr, die sie sich als vermeintliche Witwe neu verheiratet hatte, mitgeteilt wurde, der Totgeglaubte befinde sich unter dem Falschnamen Bernd Ohdewski quicklebendig, wenn auch seinerseits anderweitig liiert, in Wiesbaden. Fehlende Kommunikations- und Transportmittel machten den Austausch von Informationen zwischen einzelnen Ermittlungsbehörden fast unmöglich. Falsche Identitäten konnten nur schwer überprüft werden. Selbst unverdächtige Personen hatten nach Ausbombung, Evakuierung, Flucht und Vertreibung keine gültigen Personalpapiere mehr. Wie kamen die Verfahren zustande? In den meisten Fällen waren Anzeigen die Auslöser. Überlebende von Deportationen oder ehemalige Häftlinge aus Konzentrationslagern, Opfer von Denunziationen oder Angehörige von Getöteten wandten sich an die Staatsanwaltschaften. Überdies wiesen die GStA die Staatsanwaltschaften an, selbst Nachforschungen zu NS-Verbrechen anzustellen. Die Register der Sondergerichtsverfahren, so noch vorhanden, waren ebenfalls wichtige Quellen. Die Belastungszeugen, die z. B. in Heimtückeverfahren vermerkt waren, wurden nun ihrerseits als Beschuldigte in den Denunziationsprozessen geführt. Auch Verfahren, die 1933/1934 auf Weisung von Generalstaatsanwälten und Justizministerien niedergeschlagen worden waren, wurden wieder aufgegriffen. So wurden Angehörige eines Münchner SS-Sturmes, der 1933 Juden in ihren Wohnungen überfallen und ausgeraubt hatte, nach der Wiederaufnahme des Verfahrens 1949 mit der auf den 13.7.1933 datierenden Anklage konfrontiert.9 Ebenso wurden Personalakten überprüft: Ein Finanzbeamter, der als Kassenleiter beim Finanzinspekteur Warschau beschäftigt gewesen war, war im Mai 1942 auf einem Bauernhof im Kreis Warschau auf zwei versteckte Jüdinnen aus dem Ghetto Otwock gestoßen, die er trotz gegenteiliger Anweisungen des stellvertretenden Kreishauptmanns von Warschau-Land und eines Kriminalsekretärs in Otwock von einem Sonderdienstmann erschießen ließ. Das Verhalten des Finanzbeamten hatte schon im Dritten Reich Anstoß erregt, so dass er vor dem Sondergericht Warschau wegen Totschlags und Amtsanmaßung angeklagt worden war. Ab9 StAM, Staatsanwaltschaften 19325, München I 1 Js 24–36/49 = München I 1 KLs 21– 33/49.

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schriften aus den Sondergerichtsakten blieben in der Personalakte, die so wie der Steuerinspektor wieder nach Schleswig-Holstein gelangte.10 Der alliierte Verfolgungsvorbehalt beschränkte die Ermittlungstätigkeit der deutschen Justiz in vielen Bereichen. Vielfach konnten nur Taten vor Ort verfolgt werden, umfangreiche (und kostspielige) Rechtshilfeersuchen ins Ausland wären zu diesem Zeitpunkt überdies unmöglich gewesen. Neben diesen örtlich begrenzten Recherchen, die vor allem die Straftaten an den politischen Gegnern 1933, das Pogrom 1938 oder Tötungen in der Endphase des Dritten Reichs betrafen, waren aber auch bereits diejenigen Verbrechen Gegenstand, die bis heute unser Bild von der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus prägen: die Deportation der deutschen Juden in den Osten, die Ermordung der Geisteskranken in den Euthanasieanstalten, Tötungen in Konzentrationslagern ebenso wie die Vergasungen in den Vernichtungslagern. Die Verfahren wurden überdies höchst zügig durchgeführt: im Frankfurter Sobibor-Prozess von 1950 sollte es nur drei Hauptverhandlungstermine brauchen, bis ein Urteil gefällt war.11 In den 1960er Jahren dagegen sollten im Hagener Sobibor-Prozeß zwei Jahre allein von der Erhebung der Anklage (1963) bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung (1965) vergehen. Die Ermittlungen der frühen Jahre blieben allerdings punktuell und unsystematisch: gegen den Führer des Einsatzkommandos 8, Otto Bradfisch, wurde nur wegen seiner eventuellen Beteiligung am Pogrom in Landau in seiner früheren Funktion als Leiter der Staatspolizei Neustadt ermittelt.12 Auch blieben die Stimmen der Opfer vielfach ungehört: Obwohl bereits 1946 in einem Presseorgan der Displaced Persons Angehörige der KZ-Wachmannschaften in den Außenlagern des KZ Vaivara (Estland) und ihre Verbrechen benannt worden waren, sollte es bis 1980 dauern, ehe einer der Täter zu 18 Mal lebenslänglich verurteilt war.13 Nie wieder sollte zahlenmäßig soviel ermittelt werden wie in den Jahren der Besatzungsherrschaft. Jede der in Westdeutschland zu diesem Zeitpunkt existierenden Staatsanwaltschaften befasste sich mit nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, wohingegen in späteren Jahren vielfach nur noch Schwerpunktstaatsanwaltschaften ermittelten. Die Zahl der Beschuldigten und Angeklagten sowie die Zahl der Prozesse war nie höher, mit einer nie wieder erreichten Klimax im Jahr 1948. 70 % sämtlicher Verurteilungen wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen vor westdeutschen Gerichten fallen 10 LASH, Abt. 352 Lübeck, Nr. 493, Lübeck 14 Js 357/49 = Lübeck 14 Ks 55/49. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde vom LG Lübeck abgelehnt, da keine Verurteilung zu erwarten war. 11 HStAW, Abt. 461, Nr. 36346/1–130, Frankfurt 8 Js 1055/49 = Frankfurt 52 Ks 3/50. 12 AOFAA, AJ 3676, p. 36 und p. 37, Parallelüberlieferung zu Landau 7 Js 44/47. 13 StAS, Rep. 271a Stade accession (acc.) 15/98, p. 27–34, Stade 9 Js 778/65 = Stade 9 Ks 1/78.

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in die Jahre 1945 bis 1949. Seit den 1960er Jahren war die Strafverfolgung aufgrund der Verjährung aller anderen Delikte auf Mord bzw. Beihilfe zum Mord beschränkt. Dies ging einher mit einer Einengung auf bestimmte Taten und Täterkategorien: Diese Taten hatten sich meist während des Krieges im Ausland ereignet, die Täter waren nun vor allem Angehörige von Sicherheitsdienst, Kripo und Gestapo, die in Einsatzgruppen oder Gestapo-Dienststellen fungiert hatten, oder Personal der Konzentrationslager. Stereotypisiert wurden diese wahlweise als entmenschte Dämonen oder tumbe Befehlsempfänger dargestellt, was, ebenso wie die seitdem verflossene Zeit, durchaus zu einer Distanzierung von den Tätern führte. In den späten 1940er Jahren war dies nicht möglich: Die Straftaten waren meist vor Ort passiert und waren trotz allen Wunsches nach Vergessen Teil eines lokalen kollektiven Gedächtnisses geworden. Brandstiftungen, »Prangermärsche« durch den Ort, Verhaftungen, Körperverletzungen und Morde waren nach Kriegsende keinesfalls sofort ad acta gelegt worden, nicht zuletzt deswegen, weil Täter und Opfer örtliche Honoratioren, Arbeitskollegen, Bekannte, Freunde, Nachbarn, Familienangehörige gewesen waren. Gab es eine Stunde Null in der deutschen Justiz? Die Rückkehr der ehemaligen NSDAP-Mitglieder in Amt und Würden und das Anknüpfen an das Rechtswesen vor dem Dritten Reich könnten den Eindruck erwecken, als habe das Jahr 1945 keinen Neuanfang in der Justiz dargestellt. Und doch: neue rechtliche Probleme, die Entnazifizierungsgesetzgebung, die Wiedergutmachung und die Verpflichtung zur Rechenschaft vor den Organen der Besatzungsmacht stellten die Justiz vor ungeahnte Herausforderungen. Die Ahndung der NS-Verbrechen war in den frühen Nachkriegsjahren nicht von großer Begeisterung auf Seiten der deutschen Justiz getragen. Schon 1947 diagnostizierte ein französischer Rechtsoffizier in Württemberg-Hohenzollern mangelnde Tatkraft der Justizverwaltung und geringes Interesse der Bevölkerung an den Prozessen: »Les magistrats allemands ne veulent à aucun prix être les juges du passé. Trop de collègues d’ailleurs se sont compromis avec le régime nazi, juger le passé, c’est juger leurs collègues. […] C’est parce que l’Allemand veut oublier le passé, qu’il ne s’intéresse nullement à ce genre de procès.«14

Die Alliierten insistierten aber, dass zum Aufbau einer stabilen Demokratie unter anderem auch die justizielle Aufarbeitung der NS-Vergangenheit gehöre. Weder Deutsche noch Alliierte konnten damals ahnen, dass hier ein Prozess in Gang gesetzt wurde, der bis heute andauert. Der Bundesrepublik ist häufig der Vorwurf einer verspäteten Auseinandersetzung mit den Verbre14 AOFAA, AJ 806, p. 617, Dossier Monatsbericht August 1947.

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chen des Nationalsozialismus gemacht worden. Diese Kritik kann allerdings nur derjenige erheben, der die frühen Ahndungsbestrebungen ignoriert. Dass nach einer Phase der intensiven Beschäftigung mit diesen Verbrechen – sowohl von alliierter als auch deutscher Seite – in den 1950er Jahren eine Zeit folgte, in der die Verfolgung der Verbrechen in den Hintergrund trat, macht den Verlauf der NS-Verbrechensverfolgung in Westdeutschland auch insgesamt nachvollziehbarer. Gerade weil es diese Vielzahl früher Prozesse gab, konnte sich die (freilich irrige) Vorstellung breit machen, es sei – von alliierter und deutscher Seite – bereits alles aufgeklärt. Eine angemessene Würdigung der Anstrengungen der deutschen Justiz zur Aufklärung der NS-Verbrechen wird stets auch diese frühen Ermittlungen und Prozesse beinhalten müssen.

Annotierte Bibliographie Quellen: Wichtige Quellenbestände für die Justiz unter alliierter Besatzungsherrschaft finden sich in den Archiven der jeweiligen Besatzungsmächte. Für die USA verschiedene Bestände der National Archives and Records Administration (Washington): Record Group 260, OMGUS, Records of the Administration of Justice Branch; außerdem für die Länder Bremen, Bayern, Hessen und Württemberg-Baden die Bestände der jeweiligen Militärregierungen dort: OMGBR, OMGBY, OMGH und OMGWB. Für Großbritannien in den National Archives (ehemals Public Record Office, London): Foreign Office 1060 und Legal Division. Für Frankreich die Archives de l’Occupation Française en Allemagne et en Autriche (Colmar), dort v. a. Affaires Judiciaires und Division de la Justice. Literatur: Die Monographie von Wrobel, Verurteilt zur Demokratie, stützt sich lediglich auf publizierte Quellen in verschiedenen juristischen Zeitschriften, beeinträchtigt wird die Studie überdies durch einen unangemessen polemischen Sprachstil. Ein Standardwerk – allerdings nur zur britischen Zone – ist nach wie vor Wenzlau, Der Wiederaufbau der Justiz in Nordwestdeutschland. Über die französische Zone unter Verwendung französischer Quellen informiert jetzt neuerdings Groß, Die deutsche Justiz unter französischer Besatzung, allerdings auf Zonenebene, nicht aber auf Länderebene. Stolleis ist in zahlreichen Aufsätzen auf die westdeutsche Justiz in der Besatzungszeit eingegangen, etwa: Besatzungsherrschaft und Wiederaufbau. Die örtlichen Gegebenheiten des Wiederaufbaus haben häufig auch in Festschriften von Oberlandesgerichten Eingang gefunden, wobei hier aber oft der essayistischen oder memoirenhaften Darstellung der Vorzug über die wissenschaftliche Analyse gegeben worden ist. Grundlegend für die justizielle Aufarbeitung von NS-Verbrechen in der Besatzungszeit sind nach wie vor: Broszat, Siegerjustiz oder strafrechtliche ›Selbstreinigung‹? sowie Rückerl, NS-Prozesse und Ders., Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen. Aktuell außerdem: Raim, Der Wiederaufbau der Justiz.

Annette Weinke

Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR Verfolgung von NS-Verbrechen in der SBZ und der DDR

Diskussion und Perspektiven

Anfang 1969 begann vor dem West-Berliner Landgericht ein HolocaustProzess, der im Westen und Osten der geteilten Stadt mit gleich großer Spannung erwartet worden war. Angeklagt im so genannten »Berliner Judenmordprozess« waren 20 ehemalige Angehörige der einst größten Gestapostelle Deutschlands, unter diesen auch der frühere Behördenleiter, der zu Prozessbeginn 63jährige Otto Bovensiepen.1 Im Mittelpunkt des Verfahrens stand die Deportation von etwa 50.000 Berliner Juden nach Riga und in die Vernichtungslager des »Ostens«, ein Nebenaspekt der Anklage betraf die Vergeltungs- und Verhaftungsaktionen, die die Gestapo nach dem Sprengstoffattentat im Berliner Lustgarten vom 18. Mai 1942 an jüdischen und nichtjüdischen Mitgliedern der kommunistischen Widerstandsgruppe »Herbert Baum« vollzogen hatte. Die Ost-Berliner Sicherheits- und Justizbehörden, die in diesem Verfahren von der West-Berliner Staatsanwaltschaft bereits dreimal um Rechtshilfe gebeten worden waren, hatten zum damaligen Zeitpunkt zwar die eigenen staatlichen Archivbestände schon mehrfach gründlich gesichtet, zögerten jedoch weiterhin, das benötigte Beweismaterial zugänglich zu machen. Der Hauptgrund dafür war, dass man befürchtete, die Aufmerksamkeit »zionistischer Kreise« auf in der DDR lagernde Akten zur NS-Judenpolitik zu lenken.2 Die für Westkontakte zuständige Abteilung bei der Ost-Berliner Generalstaatsanwaltschaft wurde daher über die Entscheidung der Staatssicherheit, das Material zurückzubehalten, wohlweislich gar nicht erst nicht informiert, beziehungsweise mit der Ausrede vertröstet, es werde noch gesucht. Komplizierter gestaltete sich hingegen der Umgang mit den in der DDR lebenden Opferzeugen. So hatte die in Ost-Berlin lebende Jüdin Charlotte 1 Vgl. das Urteil gegen Bovensiepens Mitangeklagte Max Grautstück und Kurt Venter in: JuNSV, Band XXXV, Nr. 754. Bovensiepen selbst schied als verhandlungsunfähig aus dem Verfahren aus. 2 BStU, ZA, RHE-West 341/1, Bl. 55, Vermerk Hartig, Hauptabteilung (HA) IX/11 (Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen) v. 13.3.1969.

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Holzer, eine der wenigen Überlebenden der deutsch-jüdischen Widerstandsbewegung und Mitbegründerin der Geschichtsinitiative »Arbeitsgruppe Herbert Baum«, einige Monate vor Beginn der Hauptverhandlung eine Ladung des West-Berliner Untersuchungsrichters erhalten, in der sie gebeten worden war, sich für eine Vernehmung im Bovensiepen-Verfahren zur Verfügung zu stellen. Am 18. März 1969 fand daraufhin in der Dienststelle der OstBerliner Generalstaatsanwaltschaft eine »informatorische Befragung« statt. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte diese Verfahrensweise angeregt, weil sie der Meinung war, Holzer würde aller Voraussicht nach in einer richterlichen Vernehmung »ihre persönlichen Angelegenheiten in den Vordergrund« stellen.3 Mit der Formel »persönliche Angelegenheit« suchte man den Sachverhalt zu umschreiben, dass Charlotte Holzer und deren Ehemann – letzterer ebenfalls ein ehemaliger Mitstreiter Herbert Baums –, kurz zuvor von ihren Posten an der DDR-Handelsvertretung in Stockholm abberufen worden waren, weil sie unerlaubt private Kontakte zu dort lebenden jüdischen Emigranten aufgenommen hatten. Auch die Tatsache, dass alle Besuchsanträge der in Israel lebenden Kinder abgelehnt worden waren, führte das MfS zu der Schlussfolgerung, bei den Holzers habe sich vermutlich eine gewisse Befangenheit gegenüber der DDR herausgebildet, die sie als Zeugen in einem bundesdeutschen NS-Verfahren unbrauchbar mache. Während der Befragung – die wegen eines Herzanfalls der Zeugin kurzfristig unterbrochen werden musste – stellte sich dann jedoch heraus, dass Holzers Aussagen weitaus umfassender und präziser waren, als die DDR-Organe erwartet hatten. So berichtete sie nicht nur ausführlich über die Zerschlagung der Baum-Gruppe, sondern schilderte auch Vorbereitungen und Ablauf der Deportationen aus dem Sammellager Kleine Hamburger Straße. Doch obgleich die DDR mit dem westlichen Vorwurf rechnen musste, sie würde die Ermittlungen gegen die Täter aus dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) behindern, erhielt die Ost-Berliner Zeugin weder eine Genehmigung zur Aussage vor einem westdeutschen Gericht noch wurden ihre Angaben der West-Berliner Justiz zugänglich gemacht. Wie die Kulturwissenschaftlerin Regina Scheer in ihrer kurzen Studie zur Herbert-Baum-Gruppe schreibt, hatten Charlotte und Richard Holzer ihre Überlebensberichte zum damaligen Zeitpunkt schon teils an das Londoner Leo-Baeck-Institut, teils an das Jerusalemer Archiv von Yad Vashem übergeben, um sie der Verfügungsmacht von Partei und Staatssicherheit zu entziehen.4 Für die gerichtliche Überführung der Täter von der Gestapostelle Berlin blieben diese Gedächtnisprotokolle aber insofern »verloren«, als sie nicht der vorgeschriebenen Form juristischer Zeugenbefragungen entsprachen. 3 Ebd., Bl. 62. 4 Scheer, Die Lösung von der Gruppe Baum war durchaus richtig, S. 252.

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Welche Schlussfolgerungen ergeben sich nun aus dieser kurzen Momentaufnahme für die historische Einordnung der ostdeutschen NS-Strafverfolgung? Ist es angesichts ihrer langen Dauer, der Wechselhaftigkeit verschiedener Phasen sowie der Fülle von Verfahren überhaupt legitim, aus einem einzelnen Vorgang übergreifende Rückschlüsse zu ziehen? Welche NS-Prozesse können beanspruchen, als repräsentativ für den Umgang mit bestimmten Tätergruppen und Tatkomplexen zu gelten, und wonach bemisst sich deren Repräsentativität? Dies sind nur einige der methodischen Fragen, die etwa seit Mitte der neunziger Jahre zunächst im Zusammenhang mit der westdeutschen NS-Strafverfolgung diskutiert wurden, und die erst jetzt – mit mehrjähriger Verzögerung – teilweise auf die ostdeutsche Parallelgeschichte übertragen werden. In seinem Rückblick auf die jüngere Forschung zum DDR-Antifaschismus stellte der Potsdamer Zeithistoriker Jürgen Danyel kürzlich zu Recht fest, es handele sich dabei um eines jener Forschungsfelder, das sich – ungeachtet des Krisengeredes, das seit einiger Zeit Teile der DDR-Forschung zu ergriffen haben scheint – einer beispiellosen und anhaltenden Konjunktur erfreue. Nachdem der anfängliche Furor abgeebbt ist, der sich mit der oftmals übertriebenen, insgesamt jedoch überaus notwendigen Entzauberung des Antifaschismus verband, hat die Zeitgeschichtsforschung auf diesem Gebiet verlorenes Terrain wettgemacht. Nicht nur in quantitativer, sondern vor allem auch in qualitativer Hinsicht konnten die Historiker in den letzen Jahren zu einer Versachlichung, Verbreiterung und Differenzierung der Diskussion beitragen. Im Vergleich zur bundesrepublikanischen Zeitgeschichte hat die DDRForschung allerdings nach wie vor mit strukturellen Nachteilen zu kämpfen, die eine halbwegs kontinuierliche Bearbeitung dieses für die deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte so wichtigen Themas erschweren. Auch wenn sich die Geschichte der ostdeutschen NS-Strafverfolgung noch nicht als eigenständiges Forschungsfeld etablieren konnte, sind doch einige Grundlinien erkennbar, die hier in der gebotenen Kürze rekapituliert werden sollen. Ein Teil jener Forschungsarbeiten, die sich nach dem Ende des SEDRegimes verstärkt mit dem justiziellen Antifaschismus beschäftigten, nimmt einen dezidiert herrschaftsgeschichtlichen Blickwinkel ein, dies allerdings auf der Grundlage variierender Schwerpunktsetzungen und Fragestellungen. Eine Gemeinsamkeit ist, dass die erste Welle von Strafverfahren wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die seit Sommer 1945 teils vor sowjetischen Militärgerichten, teils unter Ägide der Besatzungsbehörden vor ostdeutschen Gerichten stattfanden, als ein wichtiger Gradmesser für die Offenheit politisch-ideologischer Prozesse in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) angesehen wird, der NS-Strafverfolgung aber darüber hinaus auch formative Wirkungen für die beabsichtigte Transformierung von Justiz und Polizei zuerkannt werden. Der Fokus liegt dementsprechend auf dem be-

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kannten Doppelcharakter des frühen justiziellen Antifaschismus, der sowohl auf die Bestrafung schwerer und schwerster NS-Verbrechen als auch auf die schrittweise Errichtung einer kommunistischen Weltanschauungs- und Erziehungsdiktatur abzielte. In diesem Zusammenhang konnte zwar einerseits herausgearbeitet werden, dass die forcierte Durchführung von NS-Prozessen in der zweiten Jahreshälfte 1947 und parallel einsetzende Tendenzen zur »Zentralisierung, Politisierung und Sowjetisierung«5 des ostdeutschen Justizwesens in der Tat eng miteinander verknüpft waren. Andererseits verdeutlichen Fallstudien aber auch erhebliche Steuerungsprobleme in Verbindung mit einem ausgeprägten habituellen Beharrungsvermögen des Justizapparates. Letzteres konnte erst nach und nach im Zuge der »Volksrichter«-Ausbildung überwunden werden. Ein wichtiger Schritt im Hinblick auf eine differenzierte Sowjetisierungsthese stellt zweifelsohne die Erkenntnis dar, dass einzelne ostdeutsche Institutionen und Akteure – wie etwa die SED-Justizverwaltung und die Deutschen Zentralverwaltungen für Justiz und Inneres – beim Umbau von Polizei und Justiz einen aktiv gestaltenden Beitrag geleistet haben. Trotz inhaltlicher Überschneidungen blieb allerdings die Frage nach den Implikationen der drakonischen sowjetischen Internierungs- und Strafpraxis auf die Arbeit deutscher Behörden in der SBZ/DDR-Forschung überwiegend ausgespart, während das Thema der deutschen NS-Strafverfolgung umgekehrt von der Osteuropaforschung bislang nur am Rande wahrgenommen wurde. Ein zweiter Forschungsansatz widmet sich den beziehungsgeschichtlichen Dimensionen des Themas. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass die politische, gesellschaftliche und rechtliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit eine wichtige, wenn nicht überhaupt die wichtigste Gemeinsamkeit beider deutschen Nachkriegsstaaten darstellte. Nachdem der alliierte Druck zu einer juristischen Aufarbeitung der Verbrechen seit Anfang der 1950er Jahre weitgehend entfallen war, wurde diese Aufgabe auf der Grundlage unterschiedlicher ideologischer Deutungsrahmen und unterschiedlicher Bewältigungsstrategien von Bundesrepublik und DDR in Angriff genommen. Deutsch-deutsche Systemkonkurrenz und asymmetrische Wechselbeziehung beider deutschen Staaten auf den Gebieten der Vergangenheitspolitik und strafrechtlichen Ahndung brachten in den ersten zwanzig Jahren nach der doppelten Staatsgründung eine spezifische Dynamik des Verdrängens und Verarbeitens hervor, die auch in die Strafverfolgung hineinwirkte. Sowohl gewisse zeitliche Parallelen in der Ermittlungsarbeit als auch inhaltliche Übereinstimmungen bei den Verfolgungsschwerpunkten lassen sich daher zum Teil mit dem Systemkonflikt beziehungsweise den sich vollziehenden Wandlungen im innerdeutschen Verhältnis erklären. Damit ist bereits angedeutet, welche Kehrseiten sich aus der Gemengelage an wechselseitigen 5 Wentker, Justiz in der SBZ/DDR, S. 255.

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Projektionen und dem bis 1989 vorherrschenden Drang zu wechselseitigen Aufrechnungen ergaben: Angesichts der Tatsache, dass die Strafverfolgung zu einem beträchtlichen Maß auf negativem Mobilisierungsdruck beruhte und beide deutsche Staaten – wenn auch in unterschiedlicher Weise – bei der Durchführung der Prozesse auf eine gewisse Außenwirkung bedacht waren, konnte es nicht ausbleiben, dass es zu zahlreichen Blindstellen und Verfolgungslücken kam. Es gehört daher zu den typischen Paradoxien des deutschdeutschen Antagonismus, dass die NS-Ermittlungen einerseits nur deshalb wieder in Gang kamen, weil die DDR die Bundesrepublik mit vergangenheitspolitischen Aktionen zu delegitimieren suchte. Andererseits führte aber gerade diese Konstellation dazu, dass beide Teilstaaten in ihren Verfolgungsleistungen erhebliche Defizite aufwiesen und offenbarten. Diese phänomenologische Gemeinsamkeit sollte allerdings nicht zu voreiligen Schlussfolgerungen verleiten: In der Regel war es ein komplexes Geflecht an strukturellen, politischen und kulturellen Faktoren, die den Ausschlag für eine Verfolgung oder Nichtverfolgung von NS-Verbrechen gaben. Zudem war die juristische Aufarbeitung an die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen in Ost und West geknüpft. Der fundamentale Unterschied zwischen einem demokratischen Rechtsstaat und der Parteijustiz einer Diktatur ist somit ein Punkt, der eine unverrückbare Prämisse jeder vergleichenden Gegenüberstellung bleibt. Abgesehen von der Sensibilisierung für deutsch-deutsche Verflechtungs- und Abgrenzungsprozesse liegt ein wichtiger Erkenntnisgewinn dieses Ansatzes meines Erachtens darin, dass er die Abhängigkeit deutscher Bewältigungsmuster von transnationalen Ereignissen und Entwicklungslinien deutlich gemacht hat. Während die beiden erstgenannten Forschungsfelder im weitesten Sinne der Politik- und Institutionengeschichte zuzurechnen sind, hat sich daneben seit einiger Zeit ein drittes Untersuchungsfeld etablieren können, das vorwiegend mit den Methoden der neuen Kulturgeschichte operiert. Dieser Ansatz bietet vielleicht die größten Chancen, aus der bereits erwähnten Aufrechnungsmentalität herauszukommen, die auch achtzehn Jahre nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes keinesfalls völlig überwunden scheint. Ihr begriffliches Instrumentarium bezieht diese Forschungsdiskussion zum einen aus dem gedächtnisgeschichtlichen Diskurs, der sich seit den 1990er Jahren als Folge einer geänderten Wahrnehmung des Holocaust und anderer schwerer Menschenrechtsverletzungen herausgebildet hat. Zum anderen kommen darin die Wirkungen eines linguistic turn in den Geschichts- und Kulturwissenschaften zum Ausdruck, der sprachliches Handeln als einen permanenten Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren und Gruppen begreift. In diesem Diskurs nimmt die Justiz, und zwar nicht nur die Strafjustiz, eine herausgehobene Rolle ein. So wurde bekanntlich bereits 1945/46 in Nürnberg die sprachliche Vergegenwärtigung

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der NS-Geschichte entscheidend durch jene Staatsanwälte und Richter geprägt, die den didaktischen Anspruch erhoben, die deutsche Geschichte im Gerichtssaal »bewältigen« zu wollen. Ungeachtet des vehementen Widerstands, der sich unter den westdeutschen Eliten gegen das alliierte Bestrafungsprogramm erhob, setzte sich auch nach dem Ende der Besatzungsherrschaft in beiden Nachfolgestaaten des »Dritten Reiches« der verrechtlichende Umgang mit dem NS-Erbe unter veränderten Vorzeichen fort. Neben der professionellen Geschichtswissenschaft, den Denkmälern und Museen, den literarischen und massenmedialen Geschichtsdiskursen in Presse, Funk und Film fungierten die westdeutschen Nachkriegsprozesse gegen NSTäter seit den späten 1950er Jahren als ein wichtiger vector of public memory6 im Sinne Henry Roussos – also als Träger von öffentlicher Erinnerung an den Nationalsozialismus. In der DDR setzte diese Entwicklung wie üblich mit gewisser zeitlicher Verzögerung ein, war aber deswegen nicht weniger bedeutsam. Verschiedene neuere Untersuchungen, die sich mit den Repräsentationen von NS-Prozessen in den ostdeutschen Massenmedien befasst haben, konnten zeigen, dass die Interpretationsmuster und Geschichtsbilder, die in diesen Diskursen vermittelt wurden, keinesfalls nur bloße Abbildungen und Illustrationen offizieller Faschismusdeutungen darstellten. Vielmehr trugen sie – nicht zuletzt aufgrund der Eigendynamiken kultureller Subsysteme – durchaus zu einer partiellen Differenzierung historischer Herrschaftsdiskurse bei. Bemerkenswert ist zudem, dass sich analog zu der im Westen sich vollziehenden Fokussierung auf Holocaust-Verbrechen auch im Osten Deutschlands seit Mitte der 1960er Jahre eine vermehrte Beschäftigung mit dem Judenmord andeutete, die insbesondere über die kulturelle Aneignung und Verarbeitung ost- und westdeutscher NS-Prozesse erfolgte. Die große mediale Aufmerksamkeit, die der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess und – als Pendant dazu – der in Ost-Berlin stattfindende Prozess gegen den KZ-Arzt Horst Fischer erfuhr, ist nur ein Beispiel für dieses Phänomen. Eine Folge der Historisierung der westdeutschen Strafverfolgungsgeschichte ist, dass das dichotomische Schema von »Erfolg« oder »Scheitern« an Bedeutung verloren hat. Stattdessen sucht man verstärkt den Wirkungen nachzuspüren, die die NS-Prozesse auf den politischen, kulturellen und mentalen Wandel in der Bundesrepublik ausübten. Vor diesem Hintergrund erhebt sich die Frage, ob diese Perspektive auf die ostdeutschen NS-Prozesse übertragbar ist, die ja eine ganz andere Rechtstradition verkörpern. Die hier geschilderte Episode zum West-Berliner Judenmordprozess scheint diese Möglichkeit auf den ersten Blick in geradezu bedrückender Weise zu widerlegen, denn die Art und Weise, in der das West-Berliner RSHA-Verfahren von den DDR-Behörden ausgebremst wurde, war eben durchaus nicht untypisch, 6 Rousso, Le Syndrome de Vichy.

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sondern spiegelte vielmehr gängige Strukturen und Muster des ostdeutschen Umgangs mit den NS-Massenverbrechen wider. Als exemplarisch kann die Rolle der DDR-Staatssicherheit gelten: Wie Henry Leide in seiner materialreichen Studie zur »tschekistischen« Vergangenheitspolitik des DDR-Geheimdienstes herausgearbeitet hat, monopolisierte das MfS nicht nur die justizielle Verfolgung bzw. Nichtverfolgung von NS-Tatverdächtigen, sondern beherrschte darüber hinaus auch die Aktensuch- und Sammelpolitik sowie die klassische Spionage- und Abwehrarbeit.7 Aufgrund der MfS-Vormachtstellung wurde die DDR-Strafpolitik in NS-Sachen daher seit Mitte der 1960er Jahre größtenteils von der Logik der politisch-ideologischen Opportunität und des operativen Kalküls bestimmt. Exemplarisch war neben der verweigerten Hilfeleistung für den westdeutschen »Klassenfeind« auch die aktive Inschutznahme von in der DDR lebenden Tatverdächtigen. Denn während SED und MfS in ihren »Braunbüchern« den stereotypen Vorwurf erhoben, auf dem Territorium der Bundesrepublik würden hochrangige Schreibtischtäter vor Strafverfolgung geschützt, beschäftigten die Sicherheitsorgane ehemalige RSHA- und Gestapo-Leute als Inoffizielle Mitarbeiter und West-Agenten, ohne dass gegen diese ermittelt wurde. Schließlich wäre noch ein weiterer Aspekt des missglückten Berliner Rechtshilfeverfahrens hervorzuheben, der für die Haltung der DDR-Behörden insgesamt charakteristisch war. So zeichneten sich diese Verfahren durch eine überaus rücksichtslose Instrumentalisierung der Opferzeugen aus, die die hochtrabende moralische Rhetorik des offiziellen Antifaschismus in eklatanter Weise konterkarierte. Die mangelnde Empathie und das Desinteresse gegenüber den Opferzeugen manifestierte sich insbesondere gegenüber Holocaust-Überlebenden, die trotz vielfach bekundeter Loyalität für das politische System der DDR a priori als unsichere Kantonisten eingestuft wurden. Ungeachtet der Tatsache, dass Charlotte und Richard Holzer dem MfS ihre Wohnung jahrelang für konspirative Treffen zur Verfügung gestellt hatten, verhinderte die Staatssicherheit deren Aussage vor einem westdeutschen Gericht. Ähnliches widerfuhr noch im Jahre 1987 Helmut Aris, dem linientreuen Präsidenten der Jüdischen Gemeinden der DDR. Aris, ein deutsch-jüdischer Antifaschist mit einer lupenreinen Biographie »roter Assimilation«8, der während der 1950er Jahre zeitweise für die Stasi Berichte geschrieben hatte, sollte ursprünglich in dem Dresdner Prozess gegen Henry Schmidt, vor 1945 Leiter des Judenreferats der Gestapostelle Dresden, als Belastungszeuge gehört werden. Jedoch sagten MfS und Staatsanwaltschaft in letzter Minute dessen geplante Einvernahme vor dem – wohlgemerkt ostdeutschen – Gericht ab. Zur Begründung wurde angeführt, sein Auftritt könne zu einer unerwünsch7 Vgl. Leide, NS-Verbrecher und Staatssicherheit. 8 Hartewig, Die Loyalitätsfalle, S. 49.

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ten außenpolitischen Optik führen, da er während des Zweiten Weltkriegs als »Zwangsverpflichteter einen LKW gefahren hat, in dem Juden zum Bahnhof gefahren wurden« und aus diesem Grund wahrscheinlich »moralische Schuldgefühle« entwickelt habe.9 Angesichts solch ernüchternder und durchaus repräsentativer Details fällt es in der Tat schwer, in den ostdeutschen NS-Prozessen ein Medium des gedächtnisgeschichtlichen Wandels oder gar einen Katalysator kollektiver Lernprozesse zu sehen, wie dies seit einiger Zeit für die westdeutsche Strafverfolgung postuliert wird. Trotzdem kann es aus verschiedenen Gründen lohnenswert sein, genauer hinzusehen und dabei auch auf längerfristige Entwicklungslinien zu achten. Denn obgleich es zutrifft, dass das DDR-Justizsystem bis zum Schluss nicht den Standards eines demokratischen Rechtsstaats entsprach und die juristische Wahrheitssuche in den politisch bedeutsamen NS-Verfahren in starkem Maße von politisch-ideologischen Vorgaben überformt blieb, war die Rechtsprechung auch in diesem Bereich keineswegs statisch. Vielmehr durchlief sie verschiedene Phasen und machte dabei Wandlungen durch, die nicht nur gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegelten, sondern die selbst Teil gesellschaftspolitischer und kultureller Veränderungen waren. Insgesamt lassen sich vier Hauptphasen erkennen: Nach einer ersten, bis Anfang der 1950er Jahre andauernden Phase, die durch die Abwicklung der noch zu Besatzungszeiten eingeleiteten Verfahren nach SMAD-Befehl Nr. 201 und der Zweckentfremdung des alliierten Instrumentariums für die Verfolgung politischer Gegner gekennzeichnet war, setzte danach ein weitgehender Stillstand bei den Ermittlungen ein, verbundenen mit mehreren Amnestiewellen. Die 1956 eingeleiteten vergangenheitspolitischen Aktionen gegen die Bundesrepublik markieren den Übergang in eine dritte Phase, zu deren besonderen Merkmalen eine vorwiegend nach opportunistischen Gesichtspunkten und auf unsicherer Rechtsgrundlage durchgeführte Strafverfolgung zählte, deren Höhepunkte einige spektakuläre Schau- und Abwesenheitsprozesse gegen westdeutsche Symbolfiguren wie Oberländer und Globke bildeten. Mit dem Entspannungszeitalter setzte dann eine vierte Phase ein, die sich durch das Nebeneinander von antifaschistischer Rechtspropaganda, dem erneuten Rückgriff auf Nürnberger Recht und dem Beginn systematischer Ermittlungen gegen die »ganz normalen Männer« auszeichnete.10 Abschließend sind drei Bereiche zu benennen, die im Zusammenhang mit der Geschichte der ostdeutschen Strafverfolgung bemerkenswert scheinen und die künftig stärker in den Fokus der zeithistorischen Forschung rücken sollten. 9 Zit. nach Meyer, Der Eichmann von Dresden, S. 284. 10 Vgl. Leide, NS-Verbrecher und Staatssicherheit, S. 105 ff.

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Wie Martin Sabrow vor kurzem noch einmal bekräftigt hat, fand in der DDR nur in Ansätzen ein der Bundesrepublik vergleichbarer erinnerungskultureller Wandel statt. »Ungeachtet einer zögernden Entkopplung von Kapitalismus und Genozid besonders in den achtziger Jahren«, so Sabrow, »blieb die Ermordung der europäischen Judenheit in der DDR auch später noch ein verschwiegenes, wenngleich nicht mehr gänzlich unterdrücktes Thema.«11 Unübersehbar ist allerdings auch, dass sich gerade in den späten ostdeutschen NS-Verfahren ein neues Geschichtsverständnis bemerkbar macht, das eine allmähliche Hinwendung zur Judenpolitik und zum Holocaust, zu den sozialen Grundlagen des NS-Terrors, dessen regionaler und lokaler Verankerung und insbesondere zu den jüdischen Opfern erkennen lässt. Die Dimensionen dieses gedächtnisgeschichtlichen Wandels, der in erster Linie dem außenpolitischen Kurswechsel der Honecker-Regierung geschuldet war, hat vor einiger Zeit die Hamburger Historikerin Beate Meyer am Beispiel des Dresdner Schmidt-Prozesses in anschaulicher Weise herausgearbeitet. So kam in dem Dresdner Verfahren zumindest auch am Rande die Tatsache zur Sprache, dass bereits 1946 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone ein erster Prozess wegen der Judendeportationen aus Dresden stattgefunden hatte. Dieses Verfahren, das vor einem Sowjetischen Militärtribunal durchgeführt worden war, hatte sich jedoch nicht etwa gegen einen Beamten der Gestapo, sondern gegen den jüdischen Vertrauensmann der Reichsvereinigung der Juden in Dresden gerichtet. Der promovierte Rechtsanwalt Ernst Neumark, den die Sowjets 1946 zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt hatten und der zwei Jahre später im KZ Sachsenhausen an den Folgen der Haft verstorben war, blieb somit neben dem früheren SS-Obersturmbannführer Schmidt der einzige Angeklagte in einem NS-Strafprozess auf SBZ/ DDR-Territorium, der für die Verbrechen der Dresdner Gestapo gerichtlich zur Rechenschaft gezogen wurde. Insofern spiegeln sich in diesem Verfahren wie in einem Prisma die beiden Pole öffentlichen Erinnerns in der DDR, verkörpert in dem heroischen Widerstandsmythos und dem selbstviktimisierenden Blick auf die Leiden der Zivilbevölkerung – unter denen die Juden allerdings nur als eine Opfergruppe neben anderen galten. Vor diesem Hintergrund wäre zu fragen, ob sich aus einer Längsschnittuntersuchung der ostdeutschen NS-Prozesse nicht noch weitere Einblicke gewinnen lassen, die über die Interdependenzen zwischen Justiz, Geschichtswissenschaft und historischem Gedächtnis Aufschluss geben. Aufgrund ihres öffentlichen bzw. halböffentlichen Charakters bieten sich NS-Prozesse als Folie an, um graduelle Veränderungen zu erkennen, die zwar keinen Niederschlag in der kanonisierten öffentlichen Erinnerungskultur gefunden haben, die aber gleichwohl für die Formierung von Geschichtsbildern bedeutsam ge11 Sabrow, Die NS-Vergangenheit in der geteilten deutschen Geschichtskultur, S. 139.

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wesen sein können. Eine Untersuchung zu diesem Thema dürfte aber auch insofern erhellend sein, als sich daran Ambivalenzen und Grenzen der politischen Funktionalisierung von NS-Verbrechen nach dem Ende des »Kalten Krieges« festmachen lassen. Eine wichtige Rolle spielten in diesem Zusammenhang die ostdeutschen Medien. Bereits seit Anfang der 1960er Jahre wurde in den DDR-Massenmedien über das Geschehen in westdeutschen Gerichtssälen in kritischer Weise berichtet. Zudem entstanden zahlreiche Dokumentar- und Spielfilmproduktionen zu dem Thema NS-Prozesse, mit denen man einen deutsch-deutschen Dialog über die NS-Vergangenheit anzustoßen suchte. Zwar war damit wiederum eine Externalisierung von Geschichte sowie eine Delegierung von Schuld und Mitverantwortung verbunden. Auf der anderen Seite bildete sich aber dadurch, dass die öffentliche Wahrnehmung auf die westdeutsche NS-Strafverfolgung gelenkt wurde, als nicht intendierte Folge auch eine allmähliche Pluralisierung des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses heraus. Diese Entwicklung verstärkte sich noch, als in den 1970er Jahren vermehrt gegen nachrangige Täter der Geheimen Feldpolizei ermittelt wurde, die bis dahin unerkannt in der DDR gelebt hatten. Die Ermittlungsergebnisse dieser Verfahren unterminierten nicht nur die offizielle Sicht auf den »Klassencharakter« des Faschismus, sondern es wurde darüber hinaus deutlich, dass es sich bei dem Mordprogramm an den europäischen Juden um mehr als ein bloßes Epiphänomen eines imperialistischen Eroberungsfeldzuges gehandelt hatte. Als zweites potentielles Forschungsfeld ist das Thema justizieller Antifaschismus und Menschenrechte zu erwähnen. Ausgangspunkt einer Untersuchung könnte beispielsweise die Frage bilden, inwieweit der justizielle Antifaschismus zur Legitimierung oder Delegitimierung eines bestimmten Menschenrechtskonzeptes herangezogen wurde. Zu den wichtigsten Aspekten dieses Themas gehört zweifelsohne die Geschichte der Todesstrafe in der SBZ/DDR, die in engster Weise mit der Aburteilung von NS-Tätern verknüpft war. Aber auch andere Bereiche der DDR-Entwicklung stellten in gewisser Weise Folgeerscheinungen von Erfahrungen dar, die die DDR mit Kampagnenarbeit und nationaler Strafverfolgung gesammelt hatte. Dazu zählten etwa die außenpolitischen Initiativen zur Durchsetzung einer UNKonvention für die Nichtverjährung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, die einen wichtigen Etappensieg auf dem steinigen Weg nach internationaler Anerkennung bildete. Ein drittes Feld künftiger Forschungen, das inhaltlich eng mit dem zuvor genannten Thema verschränkt ist, betrifft schließlich die Frage nach den Implikationen des justiziellen Antifaschismus für die internationalen Kulturbeziehungen der DDR. Hier handelt es sich um einen gänzlich unerforschten Bereich, der seit den 1960er Jahren für die Wahrnehmung der DDR auf internationaler Ebene eine wachsende Bedeutung erlangt hat. So gründete die

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Respektabilität, die der SED-Staat ungeachtet eklatanter Menschenrechtsverstöße auch in vielen westlichen Demokratien genoss, in erster Linie auf kulturellen Leistungen und in zweiter Hinsicht auf dem – empirisch allerdings nach wie vor nicht bewiesenen – Ruf, bei der Aburteilung von NS-Tätern konsequenter vorgegangen zu sein als sein westdeutscher Konkurrent. Zu untersuchen wäre daher zum einen, mit welchen Mitteln es der DDR gelungen ist, den Mythos vom »besseren Deutschland« über Jahrzehnte hinweg zu konservieren und zur Anknüpfung weltweiter kultureller Kontakte zu nutzen. Zum anderen sollte der Frage nachgegangen werden, in welcher Weise dieser Mythos nach dem Ende des ostdeutschen Staates teilweise dazu beigetragen hat, eine kritische Erörterung von Leistungen und Defiziten des justiziellen Antifaschismus nicht nur auf akademischer Ebene zu verhindern.

Annotierte Bibliographie West-Berliner RSHA-Ermittlungen und Bovensiepen-Verfahren: Einen Abriss zum historischen Hintergrund und zur Vorgeschichte des Prozesses liefert die ältere Studie von Kempner, Ermordung von 35.000 Berliner Juden. Auf die strategische Bedeutung des Verfahrens für die Aktivitäten der nordrhein-westfälischen Amnestielobby um Werner Best verweist Herbert, Best. Biographische Studien über Weltanschauung. Mit den deutsch-deutschen Rechtshilfekontakten und der verweigerten DDR-Rechtshilfe beschäftigt sich Weinke, Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Ostdeutsche NS-Strafverfolgung und der konspirative Umgang mit NS-Tatverdächtigen in Ost und West: Eine Einordnung in die aktuelle Forschungsdiskussion, verbunden mit theoretisch-methodischen Überlegungen unternimmt Danyel, DDR-Antifaschismus. Empirische Arbeiten zur Geschichte der ostdeutschen Strafverfolgung existieren nach wie vor nur wenige: die Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszeit behandelt Meyer-Seitz, Die Verfolgung von NS-Straftaten; nach den Interdependenzen zwischen vergangenheitspolitischer Propaganda und Strafverfolgung während des »Kalten Kriegs« fragt Weinke, Verfolgung von NS-Tätern. Die DDR-typische Gemengelage an außenpolitischen und geheimdienstlichen Erwägungen beim Umgang mit NS-Tatverdächtigen untersuchen Leide, NS-Verbrecher und Staatssicherheit; Dirks, Die Verbrechen der anderen und Wentker, Die Juristische Ahndung von NS-Verbrechen. Einen umfassenden, aus der Perspektive eines früheren DDR-Strafverfolgers verfassten Überblick zur ostdeutschen Strafverfolgung liefert Wieland, Die Ahndung von NS-Verbrechen in Ostdeutschland. Das späte Fallbeispiel des Dresdner Judenreferenten Schmidt schildert anschaulich Meyer, Der Eichmann von Dresden. Einen ersten Einblick in die Archivpolitik von SED und MfS liefert Unverhau, Das NS-Archiv. NS-Prozesse, Holocaust und erinnerungskultureller Wandel: Zum konspirativen Umgang der DDR mit den aus der UdSSR übernommenen deutsch-jüdischen Archivalien Käppner, Erstarrte Geschichte. Die Rezeption der Nürnberger Prozesse und der dort entwickelten Stilmittel und Narrative in der ostdeutschen Filmkultur wurde bislang nur in Ansätzen erforscht; erste Anregungen liefern Steinle, Vom Feindbild zum Fremdbild; Marxen / Weinke, Inszenierungen des Rechts. Die Frage nach der Bedeutung geschlechterspezifischer Besonderheiten in der medialen Berichterstattung über ostdeutsche NS-Prozesse untersucht Eschebach, Gespaltene Frauenbilder.

Claudia Kuretsidis-Haider

Die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen durch die österreichische Justiz Verfolgung von NS-Verbrechen durch die österreichische Justiz

Nationalsozialistische Verbrechen wurden in Österreich durch alliierte und österreichische Gerichte geahndet. Dieser Beitrag behandelt die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen durch die österreichische Justiz. Der justizförmige Umgang mit den NS-Verbrechen lässt sich in mehrere Phasen unterteilen. Die wichtigste Zäsur ist mit dem Abzug der alliierten Besatzungsmächte und dem Abschluss des österreichischen Staatsvertrages 1955 anzusetzen. Ab diesem Zeitpunkt sah die österreichische Justiz keine Veranlassung mehr, für die Verfolgung von NS-Verbrechen auf die Sondergesetzgebung der unmittelbaren Nachkriegszeit und die darauf basierenden »Volksgerichte« zurückzugreifen. Während sich die österreichische Justiz zwischen 1945 und 1948 erkennbar um eine Ahndung von NS-Verbrechen bemühte, kennzeichnete die folgenden Jahre bis 1955 ein starker Rückgang der Prozesse, verbunden mit immer milderen Urteilen. Die ausgehenden 1940er Jahre standen bereits im Zeichen des Bestrebens zur Abschaffung der Volksgerichtsbarkeit, um einen »Schlussstrich« unter die Verfolgung von mutmaßlichen NS-Tätern zu ziehen. Nach der Abschaffung der Volksgerichtsbarkeit erfolgte die Ahndung von NS-Verbrechen durch die ordentliche Gerichtsbarkeit. Die Jahre von 1955 bis 1970 waren geprägt von einer nur mehr geringen Anzahl von Gerichtsverfahren mit teils skandalösen Urteilssprüchen. 1975 wurde das letzte Urteil wegen NS-Verbrechen gefällt. Schon in der Regierungserklärung vom 27. April 19451 bekundete die provisorische Regierung die Absicht, Verbrechen »im Namen des Nationalsozialismus« strafrechtlich verfolgen zu wollen. Der Staatssekretär der Staatskanzlei Adolf Schärf (von der Sozialistischen Partei Österreichs, SPÖ) präsentierte bereits in der zweiten Sitzung des Kabinettsrates am 30. April 1945 den Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der NSDAP. Am 8. Mai 1945 beschloss die provisorische Regierung schließlich das »Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP« (Verbotsgesetz, VG), wenige Stunden vor der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht. Es umfasste das Verbot der NSDAP, ihrer Gliede1 StGBl. Nr. 3/45.

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rungen und angeschlossenen Verbände und untersagte jegliche nationalsozialistische Betätigung. Das Verbot der nationalsozialistischen Wiederbetätigung ist heute noch in Kraft, § 3 VG wurde 1992 durch eine Norm gegen die »Auschwitzlüge« erweitert, welche mit einer Höchststrafe von zwanzig Jahren bedroht ist.2 Am 26. Juni 1945 erließ der Kabinettsrat in Ergänzung zum Verbotsgesetz das »Verfassungsgesetz über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten« (Kriegsverbrechergesetz, KVG), das bis 1957 in Kraft blieb. Das KVG war ein in weiten Teilen rückwirkendes Gesetz. Seine Tatbestände konnten zu dem Zeitpunkt, zu dem es in Kraft trat, nicht mehr verwirklicht werden, sondern waren auf während der NS-Herrschaft begangene Taten zugeschnitten. Wie auch das Verbotsgesetz sah das Kriegsverbrechergesetz als Höchststrafe die Todesstrafe vor. Das KVG beruhte auf dem so genannten Realprinzip, d. h. seine Bestimmungen waren anwendbar, wenn die Tat im Inland begangen worden war oder, bei im Ausland verübten Verbrechen, einen Österreicher betroffen hatte. Allerdings kam das Realprinzip nur so weit zur Anwendung, als dem nicht internationale Verträge, Vereinbarungen oder Verpflichtungen entgegenstanden. Grund für diese Regelung war, dass die Verfolgung der Kriegsverbrecher eine Frage des internationalen Rechts war und Österreich auf Auslieferungswünsche daran interessierter Staaten Rücksicht nehmen musste. Auf die im KVG als strafbar erklärten Handlungen konnten größtenteils auch die Bestimmungen des allgemeinen Strafgesetzes angewendet werden (Gesetzeskonkurrenz). Die Strafe war jedoch jeweils nach dem strengsten anwendbaren Strafgesetz zu bemessen. Den Entschluss der provisorischen österreichischen Regierung, NS-Verbrechen nicht ausschließlich nach dem Strafgesetz abzuurteilen, begründete der Justizstaatssekretär Dr. Josef Gerö (parteilos, aber von der SPÖ nominiert) in einem Zeitungsinterview so: »Das österreichische Strafgesetz rechnet mit Menschen, aber nicht mit Nationalsozialisten. Es bestraft den ›bösen Vorsatz‹, der Menschen zum Verbrechen treibt. Die nazistischen Untaten jedoch verraten eine solche Bestialität, dass man ihnen mit den bisher geltenden Strafparagrafen nicht gerecht werden kann. Durch diese Bestialität ist das neue Gesetz erzwungen worden.«3

Außerdem erfülle das Kriegsverbrechergesetz auch politische Zwecke, wie Gerö weiter ausführte. Das Zustandekommen des Gesetzes entspreche drei Forderungen, 2 Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Verbotsgesetz geändert wird (Verbotsgesetz-Novelle 1992 vom 19. März 1992, BGBl. [Ö] Nr. 148/92). 3 Gespräch über das Kriegsverbrechergesetz, in: Neues Österreich, 28. Juni 1945.

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»einer innenpolitischen, einer außenpolitischen und einer Forderung der Opfer und Märtyrer. Innenpolitisch ist zu sagen, dass nicht nur die österreichisch gesinnte Bevölkerung, sondern sogar jene nazistischen Kreise, die zum österreichischen Staatsgedanken zurückfinden wollen, die Trennung von jenen Elementen verlangen, die konkrete Straftaten begangen haben. Außenpolitisch ist das Gesetz deshalb wichtig, weil es einen Teil des geforderten Beitrages liefert, mit dem wir unsere radikale Abkehr vom Nazismus bekunden. Und was die dritte Forderung anlangt, ist es einfach eine Schuld, die wir an die Opfer der Naziverbrechen abzutragen haben, indem wir die Urheber der Verbrechen zur Verantwortung ziehen.«4

Zu den von KVG und VG sanktionierten Verbrechen zählten Kriegsverbrechen (darunter Massenmorde, Deportationen zur Zwangsarbeit oder die mutwillige Zerstörung von Sachwerten), Verbrechen der Kriegshetzerei, Quälerei und Misshandlung, Verletzung der Menschlichkeit und Menschenwürde, Deportationen, missbräuchliche Bereicherung, Denunziation und Hochverrat am österreichschen Volk. Als »Denunziation« wurde die Anzeige einer strafbaren Handlung ohne behördliche Aufforderung definiert. Deren strafrechtliche Ahndung rief – als klassisches Beispiel einer rückwirkenden Bestrafung – besonders heftige Kritik hervor. Die Befürworter betonten jedoch, dass Österreich während der nationalsozialistischen Herrschaft ein unterworfenes Land gewesen sei, dessen Bewohner gegenüber den Machthabern keine Treuepflicht gehabt hätten, sondern vielmehr »ihrem verlorenen Vaterlande und ihren österreichischen Mitbürgern gegenüber gewisse moralische Verpflichtungen hatten«5. Unter den Tatbestand des Hochverrats am österreichischen Volk fielen vor allem Handlungen im Umfeld der Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich im März 1938. Automatisch von Strafe bedroht waren Kommandanten, Lagerführer von Konzentrationslagern und ihre Stellvertreter, leitende Beamte der Gestapo und des SD vom Abteilungsleiter aufwärts, soweit sie nicht ausschließlich mit Verwaltungsaufgaben betraut gewesen waren, sowie die Mitglieder des Volksgerichtshofs (VGH) und der Oberreichsanwalt beim VGH samt seinen Stellvertretern, ohne dass jeweils der Nachweis einer besonderen Tat notwendig gewesen wäre. Die Deportation als wichtige Stufe des Holocaust war vom Gesetzgeber zunächst »vergessen« worden. Erst bei der ersten Konferenz der Bundesländer im September 1945 wiesen die Vertreter Kärntens auf die Notwendigkeit von Strafbestimmungen gegen Personen hin, die an der gewaltsamen Aussiedlung österreichischer StaatsbürgerInnen slowenischer Volkszugehörigkeit in Kärnten und der Untersteiermark mitgewirkt hatten. Im Zuge der 4 Ebd. 5 Heller u. a., Das Nationalsozialistengesetz, S. II/140.

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Kriegsverbrechergesetznovelle vom 18. Oktober 19456 wurde schließlich dieser Straftatbestand in das KVG mit aufgenommen. Unter Strafe gestellt wurden allgemein Enteignungen, Aus- und Umsiedlungen und Vertreibungen, so dass diese erst nachträglich hinzugefügte Gesetzesstelle auch auf die Deportation von Juden und Jüdinnen angewendet werden konnte. Der Straftatbestand der missbräuchlichen Bereicherung ermöglichte in erster Linie die Verfolgung von Privatpersonen, die sich im Zuge der »Arisierung« Vermögensvorteile verschafft hatten. Die Wiederherstellung der Gerichtsorganisation durch die österreichische Justiz gestaltete sich in den Besatzungszonen unterschiedlich. Die sowjetische Besatzungsmacht griff nicht ein und sah auch keine personellen Maßnahmen gegenüber Angehörigen der Justizverwaltung vor. Dadurch konnten die Gerichte im Osten Österreichs schon im Sommer 1945 ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Anders hingegen handelten die westlichen Besatzungsmächte, die die höchste gesetzgebende, Recht sprechende und vollziehende Gewalt zunächst für sich beanspruchten und das österreichische Gerichtswesen vorübergehend aufhoben. Erst nach der Anerkennung der provisorischen Regierung durch die westlichen Besatzungsmächte am 20. Oktober 1945 wurde auch in den übrigen Besatzungszonen die österreichische Gerichtsbarkeit wieder eingeführt. Die Normalisierung des Gerichtswesens in ganz Österreich dauerte aber noch bis April/Mai 1946, bis auch in den westlichen Zonen Volksgerichte tätig wurden. Als gerichtliche Instanzen zur Umsetzung des Verbots- und des Kriegsverbrechergesetzes wurden bei den Landesgerichten am Sitz der Oberlandesgerichte (ab August 1945 in Wien und ab dem Frühjahr 1946 in Graz, Linz und Innsbruck) so genannte Volksgerichte installiert, die den Spruchgerichten in der britischen Zone in Deutschland ähnelten. Diese agierten kraft ihrer gesetzlichen Grundlage auch als Instrument der bürokratischen Entnazifizierung, was sehr rasch zu einer Überlastung und Überforderung der Sondergerichtsbarkeit führte. Das Volksgericht war ein neuer Gerichtstypus, geschaffen zur Aburteilung der nach den Bestimmungen des KVG und des VG strafbaren Handlungen. Es handelte sich dabei um eine Form der Gerichtsbarkeit erster und letzter Instanz. Für das volksgerichtliche Verfahren galten die Vorschriften der österreichischen Strafprozessordnung. Ein Volksgerichtssenat bestand – anders als beim Schöffengericht im ordentlichen Verfahren, das aus zwei Berufs- und zwei LaienrichterInnen besteht – aus zwei Richtern, von denen einer den Vorsitz führte, und drei SchöffInnen. Jede der drei politischen Parteien (SPÖ, ÖVP, KPÖ) entsandte gemäß dem Schöffenlistengesetz vom Juni 1945 einen Vertreter/eine Vertreterin als Schöffin oder 6 StGBl. Nr. 199.

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Schöffen an das Volksgericht. Dieser Proporz wurde mit der Novellierung des Schöffenlistengesetzes ein Jahr später allerdings aufgehoben.7 Da sowohl das Volksgericht Graz als auch das Volksgericht Linz aufgrund des hohen Anfalles an Strafsachen bald überlastet waren, richtete das Volksgericht Graz sowohl in Leoben als auch in Klagenfurt einen ständigen Außensenat ein; das Volksgericht Linz installierte zwei temporäre Außensenate in Salzburg und Ried/Innkreis. Die Volksgerichte konnte zusätzlich zur Freiheitsstrafe die Verhängung des Vermögensentzuges aussprechen. Ein Einspruch gegen die Anklageschrift (außer im Verfahren gegen Abwesende und Flüchtige) sowie Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde waren nicht möglich. Am 30. November 1945 beschloss die Provisorische Regierung ein Gesetz über das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof (OGH) in Volksgerichtssachen8, das dessen Präsidenten die Möglichkeit einräumte, bei »Bedenken gegen die Richtigkeit eines Erkenntnisses des Volksgerichtes« den Fall durch einen Dreirichtersenat des OGH überprüfen und die Vollstreckung in der Zwischenzeit ruhen zu lassen. Ergaben sich dabei »erhebliche Bedenken« gegen die Richtigkeit der dem Urteil zugrunde gelegten Tatsachen oder war ein Gesetz zum Vor- oder Nachteil des Angeklagten unrichtig angewendet worden, konnte der OGHPräsident – um ein offenkundiges Fehlurteile zu korrigieren – das Urteil aufheben und die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung an das gleiche (jedoch unterschiedlich zusammengesetzte) oder an ein anderes Volksgericht verweisen. Damit wurde de facto eine – rein amtswegige – Rechtsmittelinstanz eingeführt. Der ehemalige Generalanwalt im Justizministerium, Karl Marschall, veröffentlichte 1977 eine erste Statistik zur Tätigkeit der Volksgerichte in Österreich, die 1987 neu aufgelegt wurde. Diese beinhaltet regional und zeitlich gegliederte Übersichten, gibt aber nur unvollständig Auskunft über die Anzahl der betroffenen Personen und die Anzahl der Gerichtsverfahren und Urteile. In Forschungsprojekten, die zwischen 1993 und 1998 vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) durchgeführt wurden, konnten weitere Informationen zu NS-Prozessen in Österreich gesammelt werden. Seit 1998 arbeiten MitarbeiterInnen der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz an einer Gesamterfassung der Nachkriegsprozesse in Österreich (→ Kuretsidis-Haider, Forschungsstelle). 1945 bis 1955 wurden vor den Volksgerichten in Wien, Graz, Linz und Innsbruck in 136.829 Fällen gerichtliche Voruntersuchungen wegen des Verdachts nationalsozialistischer Verbrechen oder der »Illegalität« (Mitgliedschaft in der NSDAP zur Zeit ihres Verbots 1933–1938) eingeleitet, davon 7 StGBl. Nr. 30 und BGBl. [Ö] Nr. 135. 8 BGBl. [Ö] Nr. 4/1946.

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108.000 oder knapp 75 % bis Anfang 1948. Die gerichtlichen Ermittlungen (etwa 85.000 bis 90.000 Untersuchungsverfahren) betrafen vermutlich 100.000 bis 115.000 Personen. Von den 85.000 bis 90.000 Voruntersuchungen – gegen 28.148 Personen erfolgte eine Anklageerhebung – führten bis zu 21.000 zu einer Hauptverhandlung. In diesen Prozessen wurden insgesamt 23.477 Urteile (gegen rund 20.000 Personen) gefällt, davon 13.607 Schuldsprüche. Dabei sind rund 10.000 Schuldsprüche dem justiziellen Bereich der Entnazifizierung (Verurteilung wegen Illegalität und Falschregistrierung) zuzurechnen. Rund 80 % aller Urteile ergingen bis 1948. 796 Personen wurden in 526 Prozessen wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen (Mord, Totschlag, Misshandlung) verurteilt. 341 Strafen liegen im oberen Bereich: 43 Angeklagte wurden zum Tode, 29 Angeklagte zu lebenslänglichem Kerker und 269 Angeklagte zu Kerkerstrafen zwischen zehn und zwanzig Jahren verurteilt; dreißig Todesurteile wurden vollstreckt (davon 25 in Wien, vier in Graz und eines in Linz), zwei Verurteilte begingen vor der Vollstreckung Selbstmord. Von den insgesamt von den Staatsanwaltschaften eingebrachten 28.148 Anklagen entfielen 48,2 % (13.561) auf das Volksgericht Wien, 23,8 % (6.698) auf die Volksgerichte Graz-Leoben-Klagenfurt, 21,2 % (5.958) auf das Volksgericht Linz und 6,8 % (1.931) auf das Volksgericht Innsbruck. Dass fast die Hälfte der Volksgerichtsverfahren in Wien geführt wurde, erklärt sich aber nicht nur daraus, dass nahezu die Hälfte der österreichischen Bevölkerung in der sowjetischen Besatzungszone und damit dem Wiener OLG-Sprengel lebte: der Großteil der Holocaust-Verbrechen fiel in den Zuständigkeitsbereich des Volksgerichts Wien, da bis 1938 über 95 % der österreichischen Juden und Jüdinnen in und um Wien wohnten. Ein beträchtlicher Teil der Verbrechen in der Endphase des NS-Regimes ist in Niederösterreich und im Burgenland verübt worden – dementsprechend hoch war auch der Anteil derartiger Verfahren vor dem Volksgericht Wien. Von den insgesamt 23.477 Urteilen entfielen 47,8 % (11.230) auf das Volksgericht Wien, 28,0 % (6.587) auf die Volksgerichte Graz-Leoben-Klagenfurt, 18,5 % (4.313) auf das Volksgericht Linz und 5,7 % (1.347) auf das Volksgericht Innsbruck. Ab 1948 mehrten sich die Stimmen in Justiz, Politik und Medien, die justizielle Ahndung von NS-Verbrechen einzustellen, und Forderungen wurden laut, endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Am 22. November 1950 beschloss der Nationalrat gegen die Stimmen der KPÖ eine Regierungsvorlage für ein »Bundesgesetz über die Aufhebung der Volksgerichte und die Ahndung der bisher diesen Gerichten zur Aburteilung zugewiesenen Verbrechen«9, doch 9 Stenographische Protokolle [Sten. Prot.] über die Sitzungen des Nationalrates der Republik Österreich, 34. Sitzung, VI. GP, 22.11.1950, S. 1337.

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versagte der Alliierte Rat am 15. Dezember 1950 dem Gesetz seine Zustimmung, so dass es nicht in Kraft treten konnte. Erst der Abzug der Alliierten 1955 beendete die Volksgerichtsbarkeit in Österreich. Der Nationalrat ersuchte die Bundesregierung einstimmig, so rasch wie möglich einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen, damit diese mit 31. Dezember 1955 ihre Tätigkeit einstellen könnten.10 Mit dem Nationalratsbeschluss vom 20. Dezember 1955 über die Abschaffung der Volksgerichte wurde die Ahndung von NS-Verbrechen den Geschworenengerichten übertragen. 1956 verabschiedete der Nationalrat die so genannte Vermögensverfallsamnestie, die die Rückerstattung eingezogenen Vermögens für solche Verurteilte ermöglichte, die von einem Volksgericht wegen eines Formaldeliktes (Illegalität, Registrierungsbetrug) schuldig gesprochen worden waren.11 Das »Bundesverfassungsgesetz womit Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes abgeändert oder aufgehoben werden (NS-Amnestie 1957)«12 vom 14. März 1957 bedeutete schließlich das Ende des Kriegsverbrechergesetzes. NS-Verbrechen waren ab diesem Zeitpunkt allein nach dem österreichischen Strafgesetz abzuurteilen. Bis Anfang der 1960er Jahre oblag die Ausforschung mutmaßlicher NS-Täter der Abteilung 2 (ab 1957: 2A) des Bundesministeriums für Inneres. Ähnlich der 1958 gegründeten bundesdeutschen Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg (→ Kunz, Unterlagen) richtete Innenminister Franz Olah (damals SPÖ) 1963 eine eigene koordinierende Stelle zur vorbereitenden Ermittlung von NS-Gewaltverbrechen ein (Abteilung 2C). Diese wurde im Zuge der Mitte der 1960er Jahre erfolgten Umorganisierung des Bundesministeriums für Inneres in die Abteilung 18 umgewandelt. 1970/71 verkleinerte Innenminister Otto Rösch die Abteilung 18 erheblich und löste sie 1975 überhaupt auf. In der Folge war die Ahndung von NS-Verbrechen der Abteilung II/7 der Gruppe C (Staatspolizei) zugeteilt. Die Tätigkeit des Innenministeriums hinsichtlich der Ausforschung von mutmaßlichen NS-Tätern ist bis jetzt wissenschaftlich nicht erforscht. Eine wichtige Rolle bei der Aufklärung von NS-Verbrechen kam Simon Wiesenthal zu. 1947 richtete er in Linz ein Dokumentationszentrum zur Ausforschung von NS-Tätern ein, das er 1954 wieder schloss, da seiner Ansicht nach in Österreich kaum noch jemand Interesse an der Verfolgung von NSTätern hatte. Nach dem Ende des Prozesses gegen Adolf Eichmann 1961 in Jerusalem nahm Wiesenthal seine Tätigkeit wieder auf, diesmal in Wien. Sein 10 Sten. Prot., 91. Sitzung, 7. GP, 20.12.1955. 11 BGBl. [Ö] Nr. 285/55 u. 155/56. 12 BGBl. [Ö] Nr. 82/57.

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Wirken bildete einen Gegenpol zu den schon seit den ausgehenden 1940er Jahren vorherrschenden Tendenzen in Gesellschaft und Politik, endlich einen Schlussstrich unter die Ahndung von NS-Verbrechen zu ziehen. Insbesondere der Eichmann-Prozess, aber auch die Tätigkeit der Zentralen Stelle Ludwigsburg hatten neue Beweismittel gegen österreichische Täter zutage gebracht. Durch die Ausforschung von mutmaßlichen NS-Tätern durch Simon Wiesenthal wurde die österreichische Justiz unter Druck gesetzt, Strafverfahren einzuleiten. Dabei stellte sich für den Nationalrat – so wie in der Bundesrepublik Deutschland für den Bundestag – die Frage nach möglichen Verjährungsfristen. Die Volksgerichtsbarkeit hatte keine Verjährung von NS-Gewaltverbrechen vorgesehen, nach deren Abschaffung 1955 war diese Frage jedoch zunächst nicht berücksichtigt worden, so dass selbst NS-Tötungsverbrechen nach zwanzig Jahren zu verjähren drohten. Am 10. Juli 1963 beschloss das Parlament das Bundesgesetz über die Verlängerung der Verjährungsfristen.13 Mit dieser Strafgesetznovelle wurde der Beginn der Verjährung von gerichtlich strafbaren Handlungen auf den 29. Juni 1945 festgesetzt, falls diese aus »nationalsozialistischer Gesinnung oder aus Willfährigkeit gegenüber Anordnungen«, »die im Interesse der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder aus nationalsozialistischer Einstellung ergangen sind«, begangen worden waren. 1964, also kurz vor Eintreten der Verjährung im Juni 1965, setzten sich Simon Wiesenthal und der Internationale Auschwitz-Komitee für die Aufhebung der Verjährung von NS-Verbrechen ein. Der entscheidende Punkt der daraufhin beschlossenen neuerlichen Gesetzesnovelle vom 31. März 196514 war die Nichtverjährung von Mord, und somit die Nichtverjährung von NS-Tötungsverbrechen. Auf der anderen Seite fällten Gerichte jedoch gerade in den 1960er und 1970er Jahren teilweise offenkundige Fehlurteile, etwa die beiden Freisprüche für die Erbauer der Krematorien von Auschwitz, Walter Dejaco und Fritz Ertl. Wahrsprüche der Geschworenen mussten mehrmals wegen Rechtsirrtums aufgehoben werden, wie die insgesamt vier Verhandlungen gegen den Eichmann-Mitarbeiter Franz Novak zeigen, der u. a. für die Zusammenstellung der Transporte österreichischer Juden und Jüdinnen in die Vernichtungslager zuständig war. Den Skandalurteilen dieser Zeit stehen lediglich drei lebenslängliche Haftstrafen gegenüber. Insgesamt fanden zwischen 1956 und 1975 nur 35 Prozesse gegen 49 Angeklagte wegen NS-Verbrechen statt, wovon dreißig mit einem rechtskräftigen Urteil abgeschlossen wurden (zwanzig endeten mit einem Schulspruch, 23 mit einem Freispruch). In fünf Fällen erfolgte eine

13 BGBl. [Ö] Nr. 180/63. 14 BGBl. [Ö] Nr. 79/65.

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Einstellung des Verfahrens ohne Urteil. 26 der 35 Prozesse hatten die Ermordung von Juden und Jüdinnen zum Verhandlungsgegenstand. Zu Beginn der 1970er Jahre stellte der damalige Justizminister Christian Broda (SPÖ) die Verfolgung von NS-Verbrechen in Österreich faktisch ein. Das letzte Urteil eines österreichisches Geschworenengerichtes – bezeichnenderweise ein Freispruch – erging im Jahre 1975. Danach gab es 24 Jahre lang keine Anklage wegen NS-Verbrechen. 1999 klagte die Staatsanwaltschaft Wien den Arzt und langjährigen Gerichtspsychiater Heinrich Gross an, in der psychiatrischen Klinik »Am Spiegelgrund« Kinder ermordet zu haben. Das Verfahren musste 2005 wegen des Todes des Angeklagten eingestellt werden. »Ordnung machen im eigenen Haus«15 – diese Strategie zur Ahndung von NS-Verbrechen hatte der Justizstaatssekretär und spätere Justizminister Dr. Josef Gerö 1945 vorgegeben. Tatsächlich zeigte die österreichische Justiz in den ersten Jahren nach der Befreiung ein vielfach ernsthaftes Bemühen, nationalsozialistische Verbrechen zu ahnden. Dieses Bemühen nahm in den ausgehenden 1940er Jahren vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der Reintegration ehemaliger NationalsozialistInnen in die österreichische Gesellschaft sehr rasch wieder ab – eine Tendenz, die sich auch in anderen europäischen Ländern feststellen lässt. Im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland, wo nach der Gründung der Zentralen Stelle Ludwigsburg seit den 1960er Jahren wieder zahlreiche große Prozesse verhandelt wurden, gab es in Österreich kein gesteigertes Interesse mehr an einer justiziellen Ahndung von NS-Gewaltverbrechen. Dies ist aber nicht alleine der Justiz zuzuschreiben, sondern es fehlte vor allem am gesellschaftlichen und politischen Willen dazu. Die Notwendigkeit der strafrechtlichen Ahndung schwerer Kriegs- und Humanitätsverbrechen in post-diktatorischen bzw. Nachkriegsgesellschaften – sei es mit den Mitteln der ordentlichen Strafjustiz, sei es mit den Mitteln einer Sondergerichtsbarkeit – ist nach wie vor evident – wenngleich nicht unumstritten. Dies zeigen beispielsweise die Einrichtung von ad-hoc-Tribunalen im ehemaligen Jugoslawien oder in Ruanda sowie des Internationalen Strafgerichtshofes. Ob es heute, mehr als sechzig Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft noch Sinn macht, Prozesse gegen mutmaßliche NS-Täter zu führen, wird zurzeit in Österreich wieder diskutiert. So hat etwa die österreichische Justiz Ermittlungen gegen eine Wärterin des KZ Majdanek eingeleitet, die jedoch Anfang 2008 verstorben ist. Dennoch gibt es im Bundesministerium für Justiz Überlegungen, zum Komplex Majdanek weitere 15 Gertrude Enderle-Burcel u. a. (Hg.), Protokolle des Kabinettsrates der Provisorischen Regierung Karl Renner 1945, Bd. 1, Horn-Wien 1995, S. 260.

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Ermittlungen einzuleiten. Außerdem wurden der Arzt des KZ Mauthausen Aribert Heim sowie der für die Deportation Tausender Juden und Jüdinnen verantwortliche Alois Brunner zur Fahndung ausgeschrieben. Tatsache ist, dass wohl kaum mehr ein Urteil wegen NS-Verbrechen möglich sein wird. Was bleibt, sind Tausende von Seiten Gerichtsakten, die die Verbrechen dokumentieren und eine noch lange nicht ausgeschöpfte Quelle nicht nur für die Geschichtswissenschaft darstellen.

Annotierte Bibliographie Einen ersten statistischen Überblick über die justizielle Ahndung von NS-Verbrechen in Österreich bietet Marschall, Volksgerichtsbarkeit und Verfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Die neuesten Forschungsergebnisse sind publiziert in Halbrainer / Polaschek, Kriegsverbrecherprozesse in Österreich, Albrich u. a., Holocaust und Kriegsverbrechen vor Gericht sowie Halbrainer / Kuretsidis-Haider, Kriegsverbrechen. Einen Überblick über die Tätigkeit der Volksgerichtsbarkeit gibt Kuretsidis-Haider, Das Volk sitzt zu Gericht.

Amedeo Osti Guerrazzi

Italiener als Opfer und Täter Kriegsverbrecherprozesse in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg

Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg führt in Italien zu bemerkenswerten Identitätsproblemen – die Polemiken von Journalisten und Politikern nach jedem neuen Buch zum Thema sind ein untrügliches Zeichen hierfür. Italien hat zwischen 1940 und 1945 mehr als nur einen Krieg geführt: Nach dem Krieg der »Achse« an der Seite des nationalsozialistischen Deutschen Reiches spaltete sich die italienische Nation. Nach dem am 8. September 1943 verkündeten Waffenstillstand zwischen Italien und den Alliierten und der Kriegserklärung an Deutschland fünf Wochen später kämpften Soldaten des Königlichen Heeres einen »regulären« Krieg als Repräsentanten eines »mitkriegführenden« Staates. Gleichzeitig gab es nicht wenige Italiener, die als Anhänger der Repubblica Sociale Italiana (RSI) – Mussolinis am 17. September 1943 ausgerufenen Staat von Hitlers Gnaden – weiterhin den Deutschen die Treue hielten. Schließlich kam es zu einem erbitterten Guerrillakrieg, den die Kämpfer der Resistenza gegen die deutschen Truppen und die eigenen Landsleute führten, die im neofaschistischen Heer Benito Mussolinis und seines Kriegsministers Rodolfo Graziani dienten. Wir haben es also mit wenigstens vier Kriegen zu tun – mit zwei faschistischen und zwei antifaschistischen. Es ist daher kein Zufall, dass die Erinnerung an alles, was sich zwischen September 1943 und April 1945 in Italien ereignet hat, zersplittert ist. Die Schwierigkeit, zu einer allgemein akzeptierten Erinnerung zu kommen, ist jedoch nicht nur auf unterschiedliche Erfahrungen zurückzuführen, sondern auch darauf, dass es keinen ernstzunehmenden Versuch von Politik und Justiz gab, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die in Italien – bzw. nach dem 8. September 1943 in den von deutschen und italienischen Truppen kontrollierten Landesteilen – Kriegsverbrechen begangen hatten. Aus der Sicht der Historiographie hat man es dabei mit einem ausgesprochen komplexen Problem zu tun, das aus der Doppelrolle Italiens resultiert. Das königlich-italienische Heer kooperierte zunächst aktiv und an allen Fronten mit der Wehrmacht; sowohl in Frankreich als auch in den Kriegen gegen Großbritannien, Griechenland, Jugoslawien und die Sowjetunion leisteten die Soldaten des faschistischen Achsenpartners ihren Beitrag. Über-

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dies besetzten italienische Truppen monate- oder sogar jahrelang Teile der eroberten Territorien. Nach der demütigenden Kapitulation im September 1943 wurde das italienische Mutterland seinerseits von den »teutonischen Barbaren« besetzt. Etwa 600.000 Soldaten der königlichen Streitkräfte wanderten in die Lager des Dritten Reiches und blieben als Italienische Militärinternierte (IMI) ohne den Kriegsgefangenen zustehenden Schutz des Völkerrechts, während auf dem Balkan Tausende grausam zu Tode kamen – zumeist von deutscher Hand, aber auch durch die Hand jugoslawischer Partisanen. Der anschließende Bürgerkrieg zwischen italienischen Faschisten und Antifaschisten, der vor allem 1944/45 mit ganzer Härte tobte, schlug tiefe Wunden, die den Zusammenhalt der Gesellschaft bedrohten und die noch heute zuweilen aufbrechen. Die deutsche Besatzungsherrschaft zeichnete sich durch extreme Härte aus, die in einer Reihe von grausamen Massakern an der Zivilbevölkerung gipfelte. Aus stolzen Bürgern eines Staates mit imperialen Herrschaftsansprüchen wurden so Opfer eines Krieges, der in der eigenen Heimat ausgefochten wurde. Dies begünstigte eine Art Gedächtnisschwund, welcher die Tatsache in Vergessenheit geraten ließ, dass nicht nur das nationalsozialistische Deutschland, sondern auch das faschistische Italien Verantwortung für die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs und für schreckliche Kriegsverbrechen trug. Die politisch-kulturellen Lager, die man der Einfachheit halber zumeist mit den Zuschreibungen rechts und links kennzeichnet, geraten sich in der Regel auch noch bei der Deutung untergeordneter Geschehnisse aus der Zeit von Krieg und Bürgerkrieg auf der Apennin-Halbinsel in die Haare, während beide Seiten gleichsam von einer Art kollektiver Amnesie befallen werden, wenn es um italienische Kriegsverbrechen geht. Eine Häufung als tragisch wahrgenommener Erfahrungen ließ in den Italienern die Überzeugung reifen, ohne wenn und aber Opfer zu sein: Opfer des Faschismus, der alliierten Bomberflotten, der Deutschen, die man zunächst als illoyale und arrogante Verbündete, dann als brutale Besatzer kennen gelernt hatte, der Sowjets, in deren Lagern Zehntausende italienischer Gefangener zugrunde gegangen waren, der »slawischen Barbarei« und der Undankbarkeit der Anglo-Amerikaner bei den Verhandlungen um Waffelstillstand und Friedensvertrag. Um diese Geisteshaltung zu dokumentieren, genügt es, einen Blick in die – kaum noch zu zählenden – Bücher über das blutige Abenteuer Mussolinis an der Ostfront zu werfen. Es gibt kaum einen Autor, der nicht vor allem über das katastrophale Ende der 8. italienischen Armee in den Eiswüsten am Don und über das Grauen der Gefangenschaft berichten würde. Themen also, die das Bild von den Italienern als Opfer des Krieges (oder der Kommunisten) verfestigen, während von den Monaten vor dem großen Rückzug im Dezember 1942/Januar 1943 nur selten die Rede ist, als die Divisionen des königlichen Heeres zusammen mit der Wehrmacht im Sü-

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den der Sowjetunion kämpften. Der Krieg an der Seite des Deutschen Reiches wurde sozusagen verniedlicht und in einer Form erinnert, die es erlaubte, die edle Gesinnung des italienischen Soldaten und seine Güte herauszustellen. Diese Form bewusster Amnesie ermöglichte es dem damaligen Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi noch im Jahr 2003, mit starken patriotischen Worten die italienischen Soldaten zu feiern, die im Herbst 1942 die Schlacht bei El Alamein verloren hatten. Man möchte meinen, die Italiener seien nach Kriegsende brennend daran interessiert gewesen, die deutschen Kriegsverbrecher für das zur Rechenschaft zu ziehen, was sie auf der Apennin-Halbinsel angerichtet hatten. Aber es war gerade die Doppelrolle der Italiener als Opfer und Täter, die Prozesse gegen die Verantwortlichen erschwerte. Historiker wie Filippo Focardi, Michele Battini oder Joachim Staron haben in den letzten Jahren gezeigt, dass es die Regierung des demokratischen Italien gewesen ist, die sich scheute, diesen Weg zu Ende zu gehen. Focardi hat daran erinnert, dass man auf der Moskauer Konferenz (30. Oktober 1943) vorgesehen hatte, die deutschen Verbrechen in Italien zu ahnden. Zu diesem Zweck beschlossen die Alliierten, Listen mit den Namen der Beschuldigten zusammenzustellen, denen dort der Prozess gemacht werden sollte, wo die Verbrechen verübt worden waren (→ Eiber). Doch es blieb offen, wer diese Prozesse durchzuführen hatte. Da das Waffenstillstandsabkommen vom September 1943 in Artikel 29 jedoch bestimmte, auch italienische Kriegsverbrecher an die Alliierten auszuliefern, war die Frage der deutschen Kriegsverbrecher von Anfang an mit der Frage der italienischen Kriegsverbrecher verknüpft. Nach der Kriegserklärung an das Deutsche Reich wurde Italien lediglich der ambivalente Status einer mitkriegführenden Partei zuerkannt – damit zählte das Königreich zwar nicht mehr zu den Feindstaaten, aber auch nicht zu den vollwertigen Mitgliedern des alliierten Lagers. Die antifaschistischen Kräfte hielten es in diesem Zusammenhang für geboten, eine doppeldeutige Aussage der Moskauer Erklärung in ihrem Sinne zu interpretieren, nach der deutsche und italienische Kriegsverbrecher der Justiz übergeben werden sollten, wobei man darunter die italienische Justiz verstand. Die Briten andererseits hatten keinerlei Interesse daran, die Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher den Italienern zu überlassen, die man zwar nicht mehr als Gegner ansah, denen man aber auch keinen Stellenwert zubilligen wollte, der sie allzu sehr über den Rang einer besiegten und schuldigen Nation herausgehoben hätte. Nachdem die italienische Seite zunächst ziemlich entschieden auf die Auslieferung deutscher Kriegsverbrecher gedrängt hatte, agierte sie mit der Zeit zunehmend vorsichtiger. Die Gründe dafür brachte der italienische Botschafter in Moskau, Pietro Quaroni, bereits im Januar 1946 auf den Punkt, als er

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seine Regierung darauf hinwies, dass noch am Tag der Auslieferung des ersten deutschen Kriegsverbrechers eine ganze Reihe von Staaten mit dem gleichen Recht die Auslieferung italienischer Kriegsverbrecher verlangen würde. Damit erscheine unweigerlich die Frage italienischer Verbrechen auf der Tagesordnung, was mit Blick auf die Verhandlungen um den Friedensvertrag vermieden werden müsse. Es waren also die Staatsräson und die Tagespolitik gleichermaßen, welche über die Prozesse gegen deutsche und italienische Kriegsverbrecher entschieden: Am 26. September 1946 kam es zwischen italienischen und alliierten Stellen (hier vor allem den Briten) zu einem Kompromiss: Die Prozesse sollten alle in Italien stattfinden, wobei alliierten Tribunalen die Zuständigkeit für ranghohe Offiziere und italienischen Gerichten die Zuständigkeit für weniger prominente Beschuldigte zugesprochen wurde. Vor britischen Militärgerichten (→ Eiber) wurden vor allem zwei grosse Prozesse durchgeführt: gegen den Oberbefehlshaber der 14. Armee, Generaloberst Eberhard von Mackensen, und den Stadtkommandanten von Rom, General Kurt Mälzer, in Rom (18.–30.11.1946) sowie gegen Generalfeldmarschall Kesselring in Venedig (10.2.–6.5.1947). Die ersten beiden mussten sich als kommandierende Offiziere für das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen verantworten. Dort waren am 23. März 1944 335 Italiener erschossen worden, um den Tod von 33 Angehörigen eines deutschen Polizeibataillons zu rächen, die in Rom einem Anschlag zum Opfer gefallen waren. Das Attentat in der Via Rasella und die deutsche Vergeltungsaktion fanden in Italien ein starkes Echo, und noch heute ist die Gedenkstätte in den Ardeatinischen Höhlen der Erinnerungsort für alle Morde an Zivilisten während des Krieges in Italien. Während man in der Öffentlichkeit lautstark eine exemplarische Bestrafung der Angeklagten forderte, bemühte sich das Militärgericht, die wirklichen Verantwortlichkeiten zu ermitteln. Dabei ergaben sich vor allem vier Fragen, die es zu klären galt: Wer gab den Befehl? War die Vergeltungsmaßnahme nach dem geltenden Kriegs- und Völkerrecht legitim? Und wenn sie legitim war, konnte man sie auch als verhältnismäßig betrachten? Hatten deutsche Soldaten das Recht, einen Befehl zu verweigern, der gegen geltende Normen verstieß? Zu diesen Fragen kam eine fünfte hinzu: Für jeden getöteten Angehörigen der deutschen Sicherheitskräfte sollten zehn Italiener hingerichtet werden. Aber die Deutschen begnügten sich nicht mit 330 Opfern, sondern erschossen 335, also – möglicherweise wegen einer Serie von Irrtümern – fünf zuviel. Dieses Faktum avancierte während der Prozesse um das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen – es waren mehrere, wie wir noch sehen werden – zu einem heiß diskutierten Streitpunkt. Das Militärgericht konzentrierte sich auf die Befehlskette, um schließlich zu dem Ergebnis zu kom-

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men, verantwortlich sei die Wehrmacht (und nicht der Sicherheitsdienst der SS (SD), wie von den Angeklagten behauptet). Überdies sei die Vergeltungsaktion illegitim gewesen, und zwar auch deshalb, weil es sich bei den Opfern nicht um Geiseln, sondern um politische Häftlinge gehandelt habe. Mackensen und Mälzer wurden zum Tode verurteilt und später zu einer lebenslänglichen Haftstrafe begnadigt. Wenn die Wehrmacht tatsächlich die Verantwortung für das Massaker trug, musste man auch Albert Kesselring vor Gericht stellen, den Oberbefehlshaber der Heeresgruppe C. Der Feldmarschall wurde angeklagt, im Falle des Massakers in den Ardeatinischen Höhlen einen verbrecherischen Befehl weitergegeben zu haben – die Anordnung zu den Geiselerschießungen kam von Hitler persönlich – und in anderen Fällen im Sommer 1944 durch eigene einschlägige Befehle seine Untergebenen angestachelt zu haben, Zivilisten zu töten. Dadurch habe Kesselring dem von der Wehrmacht entfesselten Krieg gegen die Zivilbevölkerung Vorschub geleistet. Auch in diesem Fall konzentrierte sich das Gericht auf die Befehlskette, um herauszufinden, welche Rolle die Befehle Kesselrings – der sich im übrigen in seiner Verteidigung als Freund Italiens gab – zur Bandenbekämpfung im Zusammenhang mit dem Massaker spielten und wie der Feldmarschall am 23./24. März 1944 agierte. Das Urteil lautete Tod durch Erschießen, wurde aber in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. 1952 begnadigt, war Kesselring nach wenigen Jahren wieder ein freier Mann und betätigte sich seither als zweifelhafter Chronist des Zweiten Weltkriegs – und seiner selbst. Andere deutsche Offiziere wurden bis Frühjahr 1947 in Padua vor Gericht gestellt. Schließlich überließen es die Briten den Italienern, deutsche Soldaten, denen Kriegsverbrechen zur Last gelegt wurden, strafrechtlich zu verfolgen. Die zuständigen italienischen Stellen beeilten sich damit freilich nicht. Dies lag neben der Befürchtung, italienische Soldaten, Diplomaten oder Beamte, die Kriegsverbrechen beschuldigt wurden, an Griechenland, Jugoslawien oder die Sowjetunion ausliefern zu müssen, wenn man auf der Auslieferung mutmaßlicher deutscher Kriegsverbrecher bestand, auch daran, dass die Republik Italien an guten Beziehungen zur 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland interessiert war. Nach dem, was wir durch die Forschungen von Filippo Focardi wissen, wurden bis 1965 13 Prozesse mit 25 Angeklagten wegen Verbrechen gegen italienische Zivilisten eingeleitet. Tatsächlich hatte die Militär-Generalstaatsanwaltschaft gegen 2.274 mutmaßliche Kriegsverbrecher ermittelt und die entsprechenden Akten angelegt. Militär-Generalstaatsanwalt Enrico Antacroce ließ die Ermittlungsakten jedoch sammeln und mit dem Stempel »vorübergehend archiviert« versehen. Der Schrank mit diesen Akten wurde umgedreht und stand mit der Türe zur Wand, bis er 1994 als »Schrank der Schande«, wie ihn Journalisten nannten, wiederentdeckt wurde. Seitdem konnten die Militärstaatsanwälte einige Verfahren weiter-

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führen, wenn auch nur in Abwesenheit der Angeklagten, da das Grundgesetz der Bundesrepublik die Auslieferung deutscher Staatsbürger nur mit deren Zustimmung erlaubt. So konnte das Militärgericht in Turin den Prozess gegen die beiden ehemaligen SS-Offiziere Theo Saevecke und Friedrich Engel abschließen, die seinerzeit an der Spitze der Sicherheitspolizei und des SD in Mailand und Genua gestanden hatten. Doch nicht nur viele deutsche Kriegsverbrecher, sondern auch deren einstige italienische Waffenbrüder kamen zumeist ungeschoren davon. Die Alliierten stellten nur wenige Soldaten der königlichen Streitkräfte vor Gericht. In London hatte man eine Liste mit den Namen von 497 Italienern zusammengestellt, denen Gewalt gegen Kriegsgefangene vorgeworfen wurde. Die Regierung in Rom behandelte die Angelegenheit dilatorisch und verfolgte das Ziel, Prozesse zu vermeiden. Nichtsdestotrotz eröffneten die Alliierten Verfahren gegen einige Beschuldigte, die ihnen bei Kriegsende in die Hände gefallen waren. Besonderes Aufsehen erregte der Fall des Generals Bellomo, der wegen des Todes eines britischen Kriegsgefangenen zur Rechenschaft gezogen wurde, den die Wachen während eines Fluchtversuchs erschossen hatten. Bellomo wurde schuldig gesprochen und im Sommer 1945 erschossen. Andere 22 Kriegsverbrecher befanden sich noch 1952 in einem Gefängnis auf der Insel Procida im Golf von Neapel. Was mutmaßliche Kriegsverbrecher anging, auf deren Auslieferung Jugoslawien und Äthiopien drängten, so erhielt Italien dagegen von den Briten und Amerikanern die Erlaubnis, diese im eigenen Land vor eigene Gerichte zu stellen. Der bedeutendeste Prozess, den italienische Gerichte gegen deutsche Kriegsverbrecher führten, war der gegen den Chef der Sicherheitspolizei und des SD in Rom, Herbert Kappler (3.5.–20.7.1948 in Rom). In diesem Verfahren interessierte sich das Gericht weniger für die Befehlskette als dafür, Kapplers Verantwortung für die fünf über eine Repressalquote von eins zu zehn hinaus erschossenen Italiener festzustellen und seine Rolle als SS-Obersturmbannführer bei der Erpressung von 50 kg Gold von der jüdischen Gemeinde Roms im Oktober 1943 zu klären. Kappler wurde schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, die er bis 1977 absaß. Dann gelang ihm die Flucht aus einem römischen Militärkrankenhaus, und er kehrte als freier Mann in die Bundesrepublik zurück. Die Verfolgung faschistischer Kriegsverbrecher beruhte auf einem Dekret vom 27. Juli 1944, hinter dem die Regierung von Ivanoe Bonomi stand. Dieses Dekret, das Hans Woller als die »Magna Carta« der politischen Säuberung in Italien bezeichnet hat, sah Strafen für jeden vor, der mit den deutschen Besatzern kollaboriert oder sich schwerer Verbrechen wie Mord und Folter schuldig gemacht hatte. Zunächst hatte sich ein im September 1945 errichteter und bis Oktober 1946 bestehender Hoher Gerichtshof (Alta corte di gius-

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tizia per le sanzioni contro il fascismo) mit diesen Fällen zu befassen. Dieses Sondergericht, vor dem sich die Hauptverantwortlichen für die Verbrechen des faschistischen Regimes verantworten sollten, führte 16 Prozesse mit 99 Angeklagten und verhängte in vier Fällen die Todesstrafe, sprach sechsmal lebenslange Haftstrafen aus und verfügte eine Vielzahl weiterer Haftstrafen bis zu dreißig Jahren. Zwei der Prozesse vor dem Hohen Gerichtshof erregten besonderes Aufsehen: Unter den Angeklagten des ersteren befand sich General Mario Roatta, eine der wichtigsten Persönlichkeiten des königlich-italienischen Heeres. Als Chef des Militärgeheimdiensts hatte er während des Spanischen Bürgerkriegs eine besonders herausgehobene Rolle gespielt, und auch bei der Ermordung der Brüder Rosselli im Jahr 1937 hatte er seine Hände im Spiel gehabt. Die Brüder Rosselli waren als Antifaschisten nach Frankreich geflüchtet und dort durch eine rechtsextreme französische Gruppierung getötet worden, der man Verbindungen nach Italien nachsagte. Überdies war Roatta während des Zweiten Weltkrieges als Oberbefehlshaber der 2. Armee für die Bekämpfung der Partisanen in Slowenien verantwortlich gewesen. Dennoch beschäftigte sich das Gericht in dem im März 1945 eröffneten Verfahren nur mit Geschehnissen bis zum Jahr 1937. Doch bevor ein Urteil gesprochen werden konnte, gelang Roatta die Flucht aus einem Militärhospital ins Ausland. Der zweite Prozess der besonderes Aufsehen erregte, fand bereits im September 1944 in Rom statt und sah Pietro Caruso, den ehemaligen Polizeichef der Stadt, auf der Anklagebank. Caruso hatte zwischen Februar und Juni 1944 die faschistische Polizei geführt, also in der gewalttätigsten Phase der deutschen Besatzung. Auch in diesem Verfahren ging es um die Morde in den Ardeatinischen Höhlen: Caruso hatte fünfzig Italiener an Herbert Kappler ausgeliefert. Der Prozess dauerte nur zwei Tage, verlief aber nichtsdestoweniger dramatisch, da während der Verhandlung der Direktor des römischen Gefängnisses Regina Coeli vom wütenden Mob angegriffen und gelyncht wurde. Auch Caruso kam nicht mit dem Leben davon. Die Richter verurteilten ihn in einem Verfahren, in dem es vor allem um die Struktur der italienischen Polizei und ihre Beziehungen zu den deutschen Besatzern ging, zum Tode; zwei Tage später starb Caruso unter den Kugeln eines Erschießungskommandos. Während die Alta Corte zwar aufsehenerregende, aber nur wenige Prozesse führte, kam es zu zahlreichen Verfahren vor außerordentlichen Schwurgerichten, die zwischen Mai 1945 und Dezember 1947 in den einzelnen Provinzen gegen mehr als 20.000 Faschisten verhandelten und etwa 6.000 Urteile fällten, darunter 500 Todesurteile, von denen 91 vollstreckt wurden. Die Akten der Prozesse vor den außerordentlichen Schwurgerichten stellen eine überaus bedeutende Quelle für das Studium des Bürgerkriegs auf der

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Apennin-Halbinsel dar, zumal die Geschichte der RSI für die italienische Geschichtswissenschaft lange Zeit vermintes Gelände war. Mussolinis Republik war ein schwächliches Gebilde, das nicht einmal eine wirkliche Hauptstadt hatte und die Provinzen kaum kontrollieren konnte. Die faschistischen Lokalgrößen, die hier die Macht ausübten, schlossen sich nicht selten lieber den Deutschen an als dass sie die Anweisungen ihrer eigentlichen Vorgesetzten befolgt hätten. Nach dem Dekret vom 27. Juli 1944 sollten auch die führenden Exponenten des für verbrecherisch erklärten faschistischen Regimes bestraft werden. Daher wurden auch Verbrechen und Vergehen verfolgt, die bis in die blutigen Jahre 1921/22 zurückreichten, so dass die Prozessakten wichtige Rückschlüsse auf die Formierung der faschistischen Bewegung und des Partito Nazionale Fascista zulassen. In diesem Zusammenhang sind jedoch hauptsächlich die Prozesse von Bedeutung, die von den außerordentlichen Schwurgerichten wegen der Bekämpfung der Resistenza und der Kollaboration mit den deutschen Besatzern geführt wurden. Aus den Akten dieser Verfahren lässt sich eine noch weitgehend unbekannte Geschichte der RSI rekonstruieren, in der es nicht nur um die Spitzenmänner des Regimes wie Mussolini, seinen Parteisekretär Alessandro Pavolini oder Kriegsminister Rodolfo Graziani geht, sondern vor allem um das faschistische Führungspersonal auf der mittleren und unteren Ebene, also etwa um die Offiziere der als Guardia Nazionale Repubblicana wiederbelebten Miliz oder die verantwortlichen Beamten in den Provinzen. Die Taten und Untaten einzelner militanter Faschisten, Soldaten oder Polizisten lassen sich nachzeichnen und zu einem Mosaik zusammensetzen, das ein neues, größeres Bild ergibt. Die Verteidigungsstrategie der Angeklagten basierte häufig darauf, die Verantwortung auf die Deutschen abzuwälzen, die in weiten Teilen des Landes tatsächlich das Sagen hatten. Die Gerichte bemühten sich also – wenn auch nicht immer mit großem Erfolg – darum, Befehlsketten, Unterstellungsverhältnisse und deutsch-italienische Abhängigkeiten zu untersuchen, um den tatsächlichen Gegebenheiten auf die Spur zu kommen. Ein Blick auf zwei Verfahren vor den außerordentlichen Schwurgerichten in Rom und Mailand soll genügen, um ihre Bedeutung als historische Quelle zu unterstreichen: Gino Bardi und Guglielmo Pollastrini waren die wichtigsten Vertreter der faschistischen Partei in Rom, die nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 verboten worden war. Im September 1943 wurde sie – gestützt von den Deutschen – wieder aktiv. In kurzer Zeit verbreitete die ebenso gewaltbereite wie korrupte Bande Bardi-Pollastrini Angst und Schrecken, ja sie ging so brutal vor, dass ihre Mitglieder am 27. November 1943 auf eine deutsche Intervention hin verhaftet und vor Gericht gestellt wurden. 1946 wurde Bardi, Pollastrini und über 40 ihrer faschistischen Spießgesellen erneut der Prozeß gemacht. Das außerordentliche Schwurgericht in Rom hörte

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Dutzende von Zeugen, was den Historikern heute Gelegenheit gibt, aus vier prall gefüllten Aktenordnern unbekannte Aspekte der Geschichte Roms unter deutscher Besatzung im Herbst 1943 zu erforschen. Bei Pietro Koch handelte es sich dagegen um einen ehemaligen Grenadier des italienischen Heeres, der unter der Bezeichnung Reparto speciale di Polizia eine andere Bande auf die Beine stellte, die als Banda Koch in Rom und Mailand traurige Berühmtheit erlangte. Koch unterhielt beste Beziehungen zu den Deutschen, zeichnete für hunderte von Verhaftungen verantwortlich und war auch in das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen verstrickt, bis er schließlich in Mailand noch von den Faschisten selbst festgenommen wurde. Wie die Akten des Prozesses gegen Bardi und Pollastrini stellen auch die Akten des Prozesses gegen Pietro Koch eine einzigartige Quelle zur Rekonstruktion vergessener Aspekte des Bürgerkriegs in Italien dar. Einer der letzten Prozesse vor einem außerordentlichen Schwurgericht war im Jahr 1948 derjenige gegen den Kriegsminister der RSI, Rodolfo Graziani. In diesem Verfahren ging es nicht zuletzt darum festzustellen, wer für die Partisanenbekämpfung verantwortlich gewesen war; es stand also das Verhältnis der RSI zu den deutschen Besatzungsstreitkräften im Mittelpunkt des Interesses. Der Prozess zog sich über einige Wochen hin, bis das Gericht sich für unzuständig erklärte und das Verfahren an die Militärjustiz abgab. Graziani wurde zu neun Jahren Haft verurteilt, allerdings schon 1952 aus der Haft entlassen. Bis zu seinem Tod 1955 widmete er sich seiner politischen Karriere im neofaschistischen Movimento sociale italiano. Eine Frage blieb in den Prozessen jedoch ungeklärt: der Grad der Verantwortlichkeit italienischer Kollaborateure für die Deportation von Juden in die Vernichtungslager des Dritten Reiches. Wie hinlänglich bekannt, hat die italienische und die internationale Geschichtswissenschaft Italien stets eine im Großen und Ganzen wohlwollende Haltung gegenüber den Juden attestiert. Hannah Arendt, Leon Poliakov oder Renzo De Felice sprachen davon, dass die Italiener (und hier vor allem das königliche Heer in Frankreich, Kroatien und Tunesien) die Juden in Schutz genommen und dass sogar die Behörden der RSI in vielen Fällen die deutschen Forderungen nach ihrer Auslieferung abgeblockt hätten. Die Akten der Nachkriegsprozesse vermitteln freilich einen ganz anderen Eindruck. Viele Italiener, die es mit den Deutschen und den Faschisten hielten, machten regelrecht Jagd auf die Juden, vor allem weil sie sich den Besitz der Denunzierten anzueignen hofften oder weil sie begierig darauf waren, das von deutschen oder italienischen Dienststellen ausgesetzte Kopfgeld zu kassieren. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass es sich bei der RSI expressis verbis um einen antisemitischen Staat handelte, wie schon ein Blick in die Carta von Verona – eine Art Grundgesetz der faschistischen Republik Mussolinis vom Novem-

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ber 1943 – zeigt. Wer also einen jüdischen Mitbürger denunzierte, konnte mit Fug und Recht behaupten, geltende Gesetze zu befolgen. Dieses Verhaltensmuster zeigt sich etwa in den Akten des Prozesses gegen eine etwa zehnköpfige Bande, die sich den deutschen Sicherheitskräften in Rom angedient hatte, um Juden aufzuspüren, die nach dem Schlag gegen die jüdische Gemeinde der Hauptstadt am 16. Oktober 1943 in den Untergrund gegangen waren. Diese Bande konnte auf die Hilfe einer Jüdin zählen, Celeste Di Porto, die als Schwarzer Panther in die Geschichte der deutschen Besatzung Roms eingehen sollte. Dank der intimen Kenntnisse der jungen Frau gelang es der Bande, für die Verhaftung von Dutzenden von Juden zu sorgen, die oft genug in den Todeslagern ein schreckliches Ende fanden. Keiner dieser Handlanger der deutschen Vernichtungsmaschinerie wurde je für Beihilfe zum Mord vor Gericht gestellt. Die Richter nahmen es als gegeben hin, dass kein Italiener wusste, welches Ende die Juden erwartete; sie versuchten zumeist auch nicht herauszufinden, was über die Vernichtungslager bekannt war. Die Strafen gegen die Beschuldigten fielen daher mild aus und hatten mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Aus dem Italienischen übersetzt von Thomas Schlemmer (München).

Annotierte Bibliographie Archivalien: Publiziert liegen vor Auszüge aus den Verfahren gegen Rodolfo Graziani, Pietro Caruso und den Kommandeur der 10. Flottille MAS: Algardi, Processi ai fascisti, aus dem Verfahren gegen Mario Roatta Settimelli, Il Processo Roatta und fast das komplette Material aus dem Prozess gegen Rodolfo Graziani: Il processo Graziani. Was aus den Dokumenten des Prozesses gegen Herbert Kappler veröffentlicht wurde, ist dagegen aufgrund merkwürdiger Editionsgrundsätze nur wenig brauchbar: Il Processo Kappler. Die Akten der Prozesse gegen Mackensen und Mälzer werden wie die Akten des Prozesses gegen Kesselring in den National Archives of the UK (London) verwahrt. Kopien der Dokumente aus dem Verfahren gegen den Generalfeldmarschall finden sich in den National Archives (Washington) und in den Unterlagen der Zentralen Stelle Ludwigsburg (→ Kunz, Zentrale Stelle). Die Unterlagen aus dem Prozess gegen Kappler sind ins Archiv des Militärgerichts in Rom gelangt. Das Schriftgut der Verfahren vor den außerordentlichen Schwurgerichten liegt dagegen in den Staatsarchiven in den jeweiligen Provinzhauptstädten, wobei Erhaltungszustand und Zugangsbedingungen von Archiv zu Archiv variieren. Im Archivio Centrale dello Stato (Rom) können die Akten (oder wenigstens die Urteile) von 500 Prozessen gegen Kollaborateure eingesehen werden. Literatur: Über die italienischen Nachkriegsprozesse im Allgemeinen sind in den letzten Jahren einige bemerkenswerte Arbeiten verfasst worden. Eine ausgezeichnete Studie zur Strafverfolgung von deutschen wie italienischen Kriegsverbrechern und den damit zusammenhängenden Problemen ist Focardi, La questione della punizione, zum Mythos der »anständigen« Italiener Ders., Die Unsitte des Vergleichs. Die Rahmenbedingungen der politischen Säuberung in Italien in ihren verschiedenen Facetten untersucht Woller, Die Abrechnung mit dem Faschismus

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in Italien. Ein Themenheft des Journal of Modern Italian Studies (Heft 3/2004, Pavone, Introduction) bietet eine Reihe einschlägiger Beiträge, darin u. a. Focardi / Klinkhammer, The question of Fascist Italy’s war crimes. Die Verfahren gegen deutsche Angeklagte haben Battini, Peccati di memoria und Staron, Fosse Ardeatine und Marzabotto thematisiert, ebenso Klinkhammer, Die Ahndung von deutschen Kriegsverbrechen in Italien. Dagegen gibt es nur wenige Bücher, die sich mit den Prozessen gegen Kollaborateure befassen bzw. auf deren Überlieferung beruhen: Zu den beiden vielleicht berüchtigtsten faschistischen Banden Griner, La banda Koch sowie Ders., La Pupilla del Duce. Außerdem zur italienischen Beteiligung an der Verfolgung und Vernichtung der Juden Osti Guerrazzi, Caino a Roma und Ders., Kain in Rom. Zu zwei wichtigen Protagonisten auf deutscher bzw. italienischer Seite sind die Studien von Lingen, Kesselrings letzte Schlacht und Osti Guerrazzi, Rodolfo Graziani aufschlussreich.

Quellenkritik, Methode, Darstellung

Jürgen Finger

Zeithistorische Quellenkunde von Strafprozessakten

Angesichts der ausufernden Aktenüberlieferung der Justizbehörden ist der Befund paradox: Gerade als sich Mitte des 19. Jahrhunderts die Mündlichkeit des Verfahrens als eine der zentralen Prozessmaximen des liberalen Rechtsstaats durchgesetzt hatte, ist ein deutliches Anwachsen der Aktenberge festzustellen. Längere Verfahrensdauern, umfassendere Vorbereitungen für die Hauptverhandlung und detailliertere Verfahrensdokumentation sind zum Teil für die Aktenberge verantwortlich. Zudem stehen auch die Justizbehörden im Kontext der Bürokratisierung und der Büroreform des beginnenden 20. Jahrhunderts. Vor allem aber wurden im Strafverfahren die Ermittlungsakten umfangreicher – wohingegen Protokoll und Urteil der Hauptverhandlung nur einen kleinen Teil des Aktes ausmachen. Trotz ihrer Allgegenwärtigkeit findet über Gehalt und Funktion der Akten kaum eine juristische Reflexion statt. Polizisten, Staatsanwälte, Verteidiger und Richter nehmen sie als alltägliches Werkzeug hin. Bezeichnend sind die Leerstellen im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte genauso, wie jene in den gängigen aktenkundlichen und archivwissenschaftlichen Darstellungen, die meist mit dem Ende des Kanzleiwesens im Ersten Weltkrieg enden oder die Justiz ganz außen vor lassen. Im Folgenden sollen die Entstehungsbedingungen von Strafprozessakten in der Bundesrepublik kurz umrissen werden. Dem folgen Bemerkungen zu Archivierung und Überlieferungsbedingungen von Akten der Rechtspflege. Am Beispiel des beim Landgericht Augsburg geführten Verfahrens gegen Ilse Koch, die Frau des Kommandanten von Buchenwald Karl Koch, werden Aufbau und Inhalt eines Prozessaktes vorgestellt und Hinweise auf mögliche ergänzende oder Ersatzüberlieferungen gegeben.1 Die Entstehung von Prozessakten ist streng reglementiert und hoch formalisiert. Ihre grundsätzliche Vereinheitlichung erfuhren alle Arten von Unterlagen der Straf- und Ziviljustiz nach der Verreichlichung des Rechtswesens im 1 StAA, Staatsanw. Augsburg, Ks 22/50, 12 Bände mit zahlreichen Sonderbänden. Urteil des LG Augsburg v. 15.1.1951 (1 Ks 22/50) und Revisionsbeschluss des BGH v. 22.4.1952 (1 StR 622/51), abgedr. in: JuNSV Bd. VIII, Nr. 262. Wichtige Entscheidungen des BGH sind auszugsweise publiziert in: Entscheidungen des BGH in Strafsachen (BGHSt), hier: Bd. 2, S. 300–308.

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Dritten Reich. Die 1934 erlassene Aktenordnung (AktO), die sich weitgehend an der preußischen Rechtslage orientierte, gab den Rahmen für die Tätigkeit der Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaften und Gerichte vor. Nachdem die Justiz 1945 wieder in die Kompetenz der Länder fiel, bildete die AktO in ihrer Fassung von 1939 die Grundlage für länderrechtliche Regelungen. Obsolete Teile wurden gestrichen, vieles umgearbeitet, manches vereinfacht. Heute existieren 16 verschiedene Ausformungen der AktO sowie eigene Vorschriften für die Obergerichte des Bundes und einzelne Fachgerichtsbarkeiten. Der fortwirkende Kern der alten reichseinheitlichen AktO wird erst mit der Modernisierung der Justiz und der Entwicklung hin zur elektronischen Aktenführung endgültig aufgeweicht. Die einheitliche Registrierung von Vorgängen stellt eine der wichtigsten Vorgaben der AktO dar und ermöglicht die Auffindung von Unterlagen in den Registraturen der Justiz. Schriftstücke, die die gleiche Strafsache betreffen, werden in der Reihenfolge des Ein- bzw. Ausgangs zu einem Akt zusammengefasst. Jeder Vorgang wird in der Geschäftstelle der Staatsanwaltschaft (nur in Ausnahmefällen der Gerichte) »registriert«, also in das für das Rechtsgebiet relevante Register eingetragen und mit einer laufenden Nummer versehen. Neben Angaben zur Person und zur Straftat werden alle wichtigen Entscheidungen und Beschlüsse im Verlauf des Verfahrens vermerkt. Von den 1939 gültigen 77 Registerzeichen (davon allein 27 für Strafsachen) und zahlreichen weiteren Listen und Kalendern sind viele inzwischen abgeschafft, neue hinzugekommen. Lateinische Buchstaben bezeichnen Vorgänge aus dem Strafrecht, römische Zahlen jene aus dem Zivilrecht. Folgende Registerzeichen sind im Kontext der NSG-Verfahren bedeutsam: AR Js OJs UJs KLs Ks StR VRs Gns

Allgemeines Register Vorverfahren (Ermittlungsverfahren) der Staatsanwaltschaft Vorverfahren (Ermittlungsverfahren) der GStA beim OLG Vorverfahren (Ermittlungsverfahren) gegen Unbekannt Strafsachen vor der Großen Strafkammer beim Landgericht (Diebstahl, Raub) Strafsachen vor dem Schwurgericht beim Landgericht (Mord und Totschlag) Revision in Strafsachen beim Bundesgerichtshof Vollstreckungsverfahren Gnadensachen

Das Aktenzeichen entsteht durch die Kombination von Registerzeichen, laufender Nummer und Jahr der Eintragung in das Register, das jahresweise geführt wird. Da ein Vorgang gleichzeitig immer nur in einem Register eingetragen sein kann, muss dieser umgetragen werden, sobald der Status des Vorganges sich verändert: In das Allgemeine Register (AR) werden alle Vorgänge eingetragen, in denen vorläufig die Eröffnung eines Verfahrens nicht erwartet wird, oder

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die Verfahren anderer Staatsanwaltschaften und Gerichte betreffen, mit denen sich die Behörde im Wege der Amts- oder Rechtshilfe befasst, etwa auch die Vorermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg (→ Kunz, Zentrale Stelle). Ermittlungsverfahren werden bei der Staatsanwaltschaft im Js-Register eingetragen. Der Hinweis der Strafverfolger, dass in einem Fall von großem öffentlichen Interesse noch kein Aktenzeichen angelegt sei, verweist auf diese Praxis: erst nach der Prüfung, ob ein Anfangsverdacht auf eine Straftat vorliegt, wird ein förmliches Verfahren eingeleitet, das nur durch Anklage, Strafbefehl oder förmliche Einstellung beendet werden kann. Wird ein Vorgang an eine andere Staatsanwaltschaft abgegeben, wird er ausgetragen und in dem Register der neu zuständigen Behörde eingetragen. Nach der Erhebung der Anklage wurde früher der Vorgang aus dem JsRegister gelöscht und – je nach Spruchkörper – in das Register für Hauptverfahren eingetragen. Auf diesen Schritt wird inzwischen verzichtet: dem Js-Aktenzeichen wird nur noch das Registerzeichen und die Nummer der zuständigen Kammer vorangestellt. Im Falle von Berufung, Revision oder Verfassungsbeschwerde wird das Verfahren bei den entsprechenden Instanzen wiederum in ein eigenes Register eingetragen und die neuen Geschäftszeichen auf dem Aktendeckel vermerkt. Auf diese Weise werden einem Verfahren im Lauf der Bearbeitung mehrere Aktenzeichen zugewiesen bzw. das Aktenzeichen erweitert. Um die jährlich geführten Register schließen zu können, werden langwierige Ermittlungsverfahren in der Regel nach drei Jahren in das aktuelle Register übertragen – wodurch ein neues Aktenzeichen entsteht. Schon aus der Diskrepanz der Jahreszahlen im Js- und im Ks-Aktenzeichen ist der oft langwierige Verfahrensgang ersichtlich. Bei der Angabe der Aktenzeichen muss immer auch der Gerichtsort berücksichtigt werden, da die Register in jedem Sprengel eigens geführt werden. Die darauffolgende Zahl verweist auf die zuständige Abteilung/Referat der Staatsanwaltschaft bzw. Kammer/Senat des Gerichts. Im Aktenzeichen schlagen sich also auch die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften und Gerichte und deren innere Geschäftsverteilung nieder. Die Akten werden von der Staatsanwaltschaft geführt: für die Dauer der Hauptverhandlung werden dem Gericht die Hauptakten übergeben. Handakten (HA) verbleiben bei der Staatsanwaltschaft – diese enthalten Schriftstücke aus dem inneren Geschäftsverkehr, aufschlussreiche Entwürfe, auch Abschriften oder Kopien wichtiger Teile der Verfahrensakten. Im Falle von Rechtsmitteln werden die Prozessakten vom Gericht der höheren Instanz vorgelegt, danach aber zurückgegeben. Da die Staatsanwaltschaft auch Vollstreckungsbehörde ist (§ 451 StPO), werden die Prozessakten dort verwahrt bis der Strafvollzug beendet ist. Das Verfahren gegen Ilse Koch wurde beispielsweise unter folgenden Aktenzeichen geführt:

100 Staatsanw. Augsburg 4 Js 360/49 LG Augsburg Ks 22/50 Vf. 201-VI-49

1 StR 622/51 II VRs 244/52 I Gns 637/55

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Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Augsburg, Abteilung 4, eröffnet 1949 Hauptverfahren vor dem LG Augsburg, Schwurgericht, Anklageerhebung war 1950 Verfassungsbeschwerde und Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) im Jahr 1949, verhandelt von der 6. Spruchgruppe Revision beim Bundesgerichtshof, vor dem 1. Strafsenat, eingelegt 1951 Vollstreckungsheft, angelegt 1952 nach Eintreten der Rechtskraft des Urteils eines von zahlreichen Gnadenverfahren, hier 1955

Wurde bei einer Staatsanwaltschaft ein eigenes Dezernat für NS-Verbrechen eingerichtet, entsteht durch die Berücksichtigung der Abteilungsnummer im Aktenzeichen ein geschlossener Aktenbestand (z. B. in Stuttgart, Dortmund und Köln). Oft sammeln diese Einrichtungen auch Material unabhängig von konkreten Verfahren, das wertvolle Hinweise auf den Kontext der Verbrechen oder auf die Ermittlungspraxis zulässt. Andernfalls wurden die NS-Verfahren vermischt mit den übrigen Ermittlungsverfahren in die Register eingetragen und sind nicht ohne weiteres auszumachen. Da Justizakten häufig in den staatlichen Archiven nicht neu verzeichnet werden, ist die Kenntnis des Aktenzeichens unabdingbar, um eine Verfahrensakte überhaupt zu identifizieren. Die oft wenig spezifischen Aussonderungslisten der Staatsanwaltschaften weisen oft nur Aktenzeichen, Namen und Tatvorwurf aus; der empfohlene NSG-Vermerk fehlt häufig. Umso hilfreicher sind Erschließungsprojekte einzelner Archive oder des Instituts für Zeitgeschichte (→ Eichmüller). Nach Rechtskraft des Urteils und nach Abschluss des Strafvollzugs werden die Akten »weggelegt« und gemäß den in den Ländern geltenden Aussonderungsbestimmungen behandelt. Im Regelfall vermerken die Staatsanwälte nach Abschluss des Verfahrens das Jahr der Weglegung, die Aufbewahrungsfrist und die Archivwürdigkeit auf dem Aktendeckel. Die Überlieferungsgeschichte von Strafakten ist davon geprägt, dass die Justiz »ihr Erinnern und Vergessen nicht zuletzt mit Hilfe von Fristen«2 organisiert. Die Anfang der 1950er Jahre bundeseinheitlich festgelegten Aufbewahrungsbestimmungen legen eine Mindestfrist für die Aufbewahrung zur Wahrung der Rechtssicherheit fest – der Ablauf dieser Fristen bringt dann die Aussonderung und regelmäßige Vernichtung. Die Akten sind aufzubewahren: mindestens 10 Jahre, evtl. bis zum Eintreten der Verjährung bei eingestellten 2 Rügge, Steuerung des Erinnerns und Vergessens?, S. 348.

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Ermittlungsverfahren; bis zu 20 Jahre bei Verfahren vor der Großen Strafkammer oder dem Schwurgericht, bzw. »dauernd aufzubewahren«, wenn das Urteil auf lebenslängliche Haft lautet. Unabhängig davon sind Anklageschriften, verfahrensbeendende Entscheidungen, Urteile oder Strafvollstreckungsnachweise in Form von ausgedünnten »Restakten« 30, teils 50 Jahre aufzubewahren. In der Praxis gestaltet sich der Umgang mit abgeschlossenen Verfahrensakten häufig anders. Das Bewusstsein um den späteren Quellenwert der Arbeitsmaterialien des gerichtlichen Alltags war in der Vergangenheit eher gering ausgeprägt; meist fehlte die Aktenkenntnis bei den Nachfolgern der bearbeitenden Staatsanwälte, oft auch das Interesse an Fragen der Archivierung. Oft wurden Weglegung und Aussonderung an das Verwaltungspersonal der Geschäftsstelle delegiert, das kaum für diese Aufgabe sensibilisiert war. Die seit langem notorische Überlastung der Strafverfolger dürfte ein Übriges getan haben. Die Aussonderungspraxis vor Ort weist dementsprechend eine große Varianz auf: erst recht bei vordergründig erfolglosen Ermittlungsverfahren, die nie in eine Anklage mündeten; nicht selten aber auch bei »großen« Strafprozessen, deren Bedeutung oder frühere Publizität jüngeren Staatsanwälten nicht mehr bewusst ist. Besonders Verfahren der ersten Nachkriegsjahrzehnte, deren Aufbewahrungsfristen zwischen den 1960er und 1980er Jahren endeten, sind für viele Gerichte notorisch schlecht dokumentiert. Nachdem der Archivsachenvermerk 1994 auch offiziell den Geschäftsstellen übertragen wurde, versuchen die Archive seit geraumer Zeit durch Vereinbarungen und Schulungen diese Missstände zu beheben. Da Akten auch nach der Weglegung häufig noch bei den Staatsanwaltschaften verbleiben, ist bei jüngeren Verfahren deren Auffindbarkeit und Erhaltung angesichts überbordender Aktenböden (im Wortsinn: in Kellern und auf Dachböden) nicht immer sichergestellt (zur Überlieferungslage → Eichmüller). Nach der gerichtsinternen Aussonderung werden die Akten dem zuständigen Archiv angeboten und übergeben. Es folgt eine weitere Reduktion der Bestände durch die endgültige Entscheidung über Archivierung oder Kassation und Vernichtung. Dies birgt zwangsläufig einen kaum aufzuhebenden Konflikt zwischen dem Wunsch der Geschichtswissenschaft, möglichst viele Quellen für künftige Forschungen zu bewahren, und dem Zwang, angesichts begrenzt vorhandener Regalmeter nur eine Auswahlarchivierung der historisch und rechtlich relevanten Verfahren betreiben zu können. Grundsätzlich sind die Archive bemüht, neben den großen Strafverfahren möglichst repräsentative Querschnitte der Tätigkeit der Justiz zu archivieren. Verschiedene Auswahlstrategien überlagern sich: Als archivwürdig gelten grundsätzlich Verfahren in Staatsschutzsachen und bei politisch motivierten Straftaten (also auch NSG), Pressesachen, Verfahren die mit Todesstrafe oder lebenslanger Freiheitsstrafe endeten, sowie »zeittypische« oder »milieutypische«

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Verfahren (etwa typische Phänomene der Jugendkriminalität oder Demonstrationssachen im Kontext der Anti-AKW-Bewegung) und »herausragende« Fälle, die schon zeitgenössisch auf großes Interesse stießen oder Personen der Zeitgeschichte betrafen. Insgesamt also eher vage Kriterien, die in den Ländern je unterschiedlich gefüllt werden und den Sachbearbeitern und Archivaren große Entscheidungsfreiheit belassen. Zusätzlich wird empfohlen, ein Promille der Ermittlungsverfahren und ein Prozent der Strafverfahren zu archivieren: mal wird ein Querschnitt aus repräsentativen Gerichtsorten (etwa: Kleinstadt – Industriestadt – Universitätsstadt), mal nach dem Anfangsbuchstaben des Namens oder schlicht nach dem Zufallsprinzip archiviert. Ob diese häufig schematische Auswahl ohne methodisch abgesicherte Samplebildung quantitative und qualitative Forschung erlaubt, wird sich erweisen müssen. Auch sind die Probleme, die digitale Aktenformen für die archivische und geschichtswissenschaftliche Praxis mit sich bringen, noch nicht abzusehen. Der Umfang der überlieferten Verfahrensakten hängt darüber hinaus maßgeblich von Dauer, Komplexität und Ermittlungsintensität des Verfahrens ab. Während viele der frühen NSG-Verfahren in einzelnen Aktenbänden Platz finden oder gar nur ein Urteil von wenigen Seiten überliefert ist, kann die Akte zu einem größeren Tatkomplex mehrere Regalmeter im Archiv einnehmen. Der Fall Ilse Koch ist für die frühe Phase der NS-Verfahren mit elf Archivkartons ungewöhnlich umfangreich dokumentiert. Auch Form und Inhalt zentraler Schriftstücke eines Verfahrens sind normiert: staatsanwaltschaftliche und richterliche Untersuchungshandlungen sind aktenkundig zu machen; allgemeine Regelungen zur Einvernahme von Zeugen oder Sachverständigen (§§ 48–71, 72–93 StPO, aktuell gültige Fassung) sowie von Beschuldigten (§§ 133–136a) finden sich ebenso wie die Bestimmung, Vernehmungen zu protokollieren – wobei ein Wortprotokoll nicht vorgesehen ist (§§ 168, 168a, b); Form und Inhalt der Anklageschrift (§ 200) und der Urteilsniederschrift (§ 275) sind detailliert vorgegeben (zu Urteilen als Quelle → Keller). An das Protokoll der Hauptverhandlung werden hohe formale Anforderungen gestellt (§§ 271–274): Neben Angaben zu Ort und Tag der Verhandlung, den Verfahrensbeteiligten, der Bezeichnung der strafbaren Handlung und Angaben zur Gerichtsöffentlichkeit (§ 272) gibt das Protokoll »den Gang und die Ergebnisse« der Verhandlung »im Wesentlichen« – jedoch leider nicht im Wortlaut – wieder (§ 273): es handelt sich also nicht um ein Wortprotokoll, sondern um ein Verlaufsprotokoll. Zentral ist die Dokumentation aller »wesentlichen Förmlichkeiten«, da bei Revision oder Berufung ausschließlich das Protokoll der Hauptverhandlung dazu dient, Verfahrensfehler nachzuweisen (§ 274). Protokolliert werden also Anträge der Parteien, Aufruf und

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Vereidigung von Zeugen, Entscheidungen des Gerichts und die Urteilsformel. Wesentliche Ergebnisse der Zeugenbefragungen sind zwar zusammenfassend zu notieren, doch auch dieses knappe Inhaltsprotokoll fehlt gelegentlich. In Ausnahmefällen kann das Gericht – von Amts wegen oder auf Antrag – die vollständige Niederschrift von Aussagen, Vorgängen oder sonstigen Äußerungen im Wortlaut anordnen. Der Protokollführer verliest dann dieses Wortprotokoll, alle Beteiligten müssen es genehmigen, die Genehmigung ist wiederum im Protokoll zu vermerken – ein paradoxes Spiel von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Strafverfahren. Das Protokoll der Hauptverhandlung gegen Ilse Koch (Quelle 1) ist durchaus repräsentativ. Für jeden Verhandlungstag (Datum, Anwesende) und Zeugen (Angaben zur Person, Belehrung und Vereidigung) werden die vorgeschriebenen Angaben gemacht; Anträge der Parteien und Beschlüsse des Gerichts werden vermerkt. Die Routine der Zeugenbefragungen wurde unterbrochen von dem Verteidiger Kochs, Dr. Alfred Seidl, der einen Antrag auf Vorlage der Häftlingskartei des Konzentrationslagers Buchenwald stellte. Die beiden anwesenden Zeugen – unter ihnen Eugen Kogon3 – wurden zu dieser befragt, bevor das Gericht die Vorlage anordnete. Da die Befragung im Zusammenhang eines Beweisantrages vorgenommen wurde, ist sie ausnahmsweise mit einer oberflächlichen Inhaltsangabe vermerkt – der einzige inhaltsbezogene Vermerk auf den 245 Seiten der handschriftlichen Niederschrift. Das enge prozessrechtliche Korsett verlangte Urkundsbeamten also gute Kenntnis sowohl des materiellen wie des prozessualen Strafrechts ab – mit der auch Historiker an die Akten gehen sollten. Ihre Ergänzung finden die Vorgaben der StPO in den stärker praxisorientierten Richtlinien für das Strafverfahren (RiStV, später RiStBV), die nur für das behördeninterne Handeln relevant sind. Ilse Koch (1906–1967) war die Ehefrau des Kommandanten der Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald und schließlich Majdanek, SSStandartenführer Karl Otto Koch. Ihr Mann wurde 1943 seines Amtes enthoben, von einem SS-Ehrengericht wegen Korruption zum Tode verurteilt und im April 1945 hingerichtet. Ilse Koch selbst war freigesprochen worden. Nach ihrer Festnahme durch die Alliierten wurde sie 1947 in Dachau von einem amerikanischen Militärgericht unter Annahme eines common design (→ Eiber) der dort begangenen Verbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil wurde später zu einer vierjährigen Haftstrafe reduziert. 3 Eugen Kogon (1903–1987) hat mit »Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager« (1946) eine frühe klassische Analyse vorgelegt, die weitgehend auf seinen Beobachtungen und Erfahrungen als Häftling 1939–1945 im Konzentrationslager Buchenwald basiert.

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Zu diesem Zeitpunk war Koch bereits international bekannt: Seit den letzten Kriegsmonaten kursierten Berichte über ihren unsteten Lebenswandel, über ihren Einfluss auf die Führung des Lagers Buchenwald, über von ihr initiierte Bestrafungsmaßnahmen, an denen sie sich erfreut, gar erregt haben soll, und über die angeblich von ihr veranlasste Verarbeitung tätowierter Menschenhaut: der berüchtigte »Lampenschirm« gehört zu den wirkmächtigsten frühen Chiffren der nationalsozialistischen Barbarei. Noch vor ihrer Entlassung aus alliierter Haft 1949 wurde ein deutscher Haftbefehl erlassen. Koch sollte für die an deutschen Häftlingen begangenen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, die weder von dem SS-Verfahren (Quelle 2, Karteikarte »Waldeck«) noch von dem Dachauer Urteil erfasst waren. Die Zuständigkeit des Landgerichts Augsburg ergab sich aus dem »Wohnort« Kochs im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg am Lech. Von 1949 bis 1950 ermittelten die Staatsanwaltschaft Augsburg und ein Untersuchungsrichter gegen Koch. Am 27. November 1950 begann das Verfahren. Nach 28 Verhandlungstagen sprach das Schwurgericht des LG Augsburg am 15. Januar 1951 Koch der Anstiftung zum Mord, zum Mordversuch und zur Körperverletzung in mehreren Fällen für schuldig und verurteilte sie zu lebenslangem Zuchthaus. Nach Überzeugung des Gerichts hatte sie wiederholt Häftlinge gemeldet, die angeblich sie selbst oder andere SS-Ehefrauen beobachtet hätten oder faul gewesen seien. Dies führte regelmäßig zu Bestrafungen, bei denen der Tod zumindest einkalkuliert war. Andere Anklagepunkte wurden fallengelassen. Der konkrete Einfluss Kochs auf Entscheidungen der Lagerführung konnte nicht rekonstruiert werden – Staatsanwaltschaft und Gericht verfolgten eine Gratwanderung beim Nachweis konkreter Schuld. Das Urteil hatte 1952 bei der Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) Bestand. Insgesamt elf Gnadenverfahren war kein Erfolg beschieden, bevor Koch 1967 Selbstmord beging. Neben der bis zuletzt fehlenden Schuldeinsicht Kochs erwuchs eines der zentralen Argumente gegen eine Begnadigung aus der Feststellung, sie habe außerhalb aller Hierarchien gestanden: Anders als militärisch und politisch hochrangige »Kriegsverbrecher«, die bereits aus alliierter Haft freigekommen waren, habe sie als Privatperson und aus eigenem Antrieb gehandelt. Von besonderer Bedeutung war der Vorwurf, sie habe ihre Rolle als Ehefrau und den sozialen Raum der Hausfrau verlassen, in die Lagerführung ihres Mannes eingegriffen und dort brutalisierend statt mäßigend gewirkt. Der Vergleich mit anderen, »guten« SS-Ehefrauen ließ Koch umso unmenschlicher erscheinen. Sofern die Prozessakten vollständig überliefert sind, findet der gesamte Verfahrensgang seinen Niederschlag: das Erkenntnisverfahren, bestehend aus dem Ermittlungsverfahren, dem gerichtlichen Zwischenverfahren (nach der Anklage bis zum Beschluss über die Zulassung der Anklage) und dem Haupt-

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verfahren, in dem aus dem »Angeschuldigten« ein »Angeklagter« wird, schließlich – falls zutreffend – der Rechtsmittelinstanz. Nach der Rechtskraft des Urteils schließt sich das Vollstreckungsverfahren an, begleitet von möglichen Gnadenverfahren. Der Übersichtlichkeit halber werden besondere Hefte für die einzelnen Zusammenhänge angelegt, etwa für Revision, Strafvollzug oder Gnadensachen, bei aufwändigen Verfahren auch für eher technische Schriftstücke, wie Ladungen, Zustellungsurkunden, Kostenrechnungen. Das Gnadenheft enthält beispielsweise die Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und deren Schriftwechsel. Der eigentliche Gnadenakt wird beim zuständigen Justizministerium geführt. Die Ermittlungsakten im Fall Koch beinhalten Berichte der Ermittlungsbehörden einschließlich auswärtiger und ggf. ausländischer Behörden im Wege der Amts- und internationalen Rechtshilfe; Kopien von Vernehmungen durch die amerikanische Militärpolizei; Schriftwechsel aller Art, Druckschriften und – als wertvollste Quelle – die Niederschriften der Vernehmungen von Beschuldigten und Zeugen. Ins Auge stechen die Zeugenvernehmungen durch den Untersuchungsrichter im Rahmen der gerichtlichen Voruntersuchung in ganz Deutschland, Österreich und sogar in New York. Insgesamt wurden wohl über Tausend Zeugen befragt, von denen aber nur ein Bruchteil sachdienliche Angaben machen konnte. Um den Überblick zu behalten, erstellten die Ermittler eine eigene Kartei und ordneten sie mit farbigen Karteikartenreitern den Tatkomplexen zu (Quelle 2). Damit liegt zugleich ein nützliches Findmittel für die Forschung vor. Da das Verfahren eine Vielzahl unterschiedlicher Komplexe und Rechtsprobleme tangierte, wurden zahlreiche Sonderbände angelegt: für die BDCAkten der Eheleute Koch, zum SS-Ehrengerichtsverfahren und zum Dachauer Verfahren, zu Karl Kochs Personal- und Disziplinarakte; zum KZ Buchenwald außerdem Foto-Mappen, Kopien der Häftlingskartei und Lageund Organisationspläne. Das Verhandlungsprotokoll und die in den Prozess eingebrachten urkundlichen und dinglichen Beweisstücke sind genauso Teil des Verfahrensaktes wie Beweisanträge und Beschwerden. Die wenigen Asservate wurden in diesem Fall allerdings aus den Akten entfernt und dem Landeskriminalamt übergeben. Die Handakten der Staatsanwaltschaft ermöglichen oft einen schnellen Überblick über das Ermittlungsverfahren, da sie stärker komprimiert sind. Häufig sind sie jedoch rein chronologisch geordnet und werden damit leicht unübersichtlich. Die Aktenbände für das Gericht hingegen sind streng geordnet – die Vernehmungsniederschriften z. B. geographisch. Zentrale Dokumente wie die Anklageschrift sind oft mehrfach vorhanden; in den Handakten finden sich im Optimalfall auch die Entwurfsfassungen. Ging ein Verfahren in die Revision, entstanden beim Revisionsgericht und der dortigen Staatsanwaltschaft Retent-Akten, die im Regelfall aber nur Dop-

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pel enthalten. Die Akten des BGH und des Generalbundesanwaltes (GBA) gelten bis auf Ausnahmefälle deshalb nicht als archivwürdig. Die Handakten des GBA zum Revisionsverfahren gegen Ilse Koch (1 StR 622/51) sind bereits ausgesondert und vernichtet; das sogenannte Senatsheft beim BGH enthält neben den genannten Abschriften nur belanglose Eingaben Dritter.4 Da der Anwalt Kochs beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) Verfassungsbeschwerde und Popularklage einreichte, entstanden auch auf diesem Wege neue Akten – die Bestände des BayVerfGH sind jedoch für diese Jahre nicht überliefert. Da bei der Normenkontrolle die Stellungnahme aller Verfassungsorgane einzuholen ist, bildeten diese wiederum Akten – unter anderem die Staatskanzlei, die die Stellungnahme der Bayerischen Staatsregierung koordinierte. Neben deren taktischen Überlegungen offenbaren sich hier verfassungsrechtliche Diskussionen der jungen Republik.5 Die Bedeutung solcher Überlieferungen sollte nicht unterschätzt werden, da Gerichte wie der BayVerfGH oder der OGHBZ bereits vor Gründung der Bundesrepublik 1949 und noch bis zur Errichtung des Bundesgerichtshofs 1950 und des Bundesverfassungsgerichts 1951 höchstrichterlich über grundlegende Rechtsprobleme zu befinden hatten. Die Verfahrensakten geben Auskunft über das Vorleben der Beschuldigten, aber auch über die Zeit der Strafvollstreckung und über das Leben der Verurteilten nach dem Prozess. Das Vollstreckungsheft ermöglicht mit seinen Berichten und Abschriften von Briefen, Gedichten und anderen Schriftstücken aus der Hand Ilse Kochs einen Blick in deren Selbstwahrnehmung als unschuldig Verurteilte. Umfangreicher und detaillierter ist die Gefangenenpersonalakte, die seit Ablauf der zehnjährigen Schutzfrist nach dem Tod der Betroffenen Forschern grundsätzlich zur Verfügung steht – mit Ausnahme jener Teile, die Persönlichkeitsrechte ihres 1947 geborenen Sohnes berühren.6 Diese oft umfangreichen Akten können Hinweise auf das Verhalten in Haft, auf Kontakte und Briefverkehr geben. Im Rahmen der Briefkontrolle wurden zahlreiche Kopien in die Akte aufgenommen, ganz oder teilweise zensierte Schreiben auch als Originale. Zahlreiche (teilweise anonyme und oft abstruse) Schreiben wurden nicht an Koch weitergegeben, vieles nur auszugsweise verlesen. Die Briefzensur wurde vom Staatsanwalt, auf die Dauer des Prozesses vom Vorsitzenden des Schwurge4 Mitteilung des GBA v. 10.3.2007 und telefonische Auskunft des Präsidialreferats des BGH v. 13.3.2008. 5 BayHStA, Staatskanzlei (StK) 10983. Ähnliche Stellungnahmen sind in den Registraturen des Bayerischen Landtags und des Senats zu erwarten. 6 StAM Justizvollzugsanstalten (JVA Aichach) 13948, 10 Bde. Aufschluss über das Verhalten Kochs gibt auch die Krankenakte (StAM, Justizvollzugsanstalten 13878), die neben Beobachtungsbögen und Krankenblättern auch Berichte der Wärterinnen und des Anstaltarztes enthält.

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richts und im Strafvollzug von der Gefängnisleitung vorgenommen. Auch der Schriftwechsel mit der »Stillen Hilfe für Kriegsgefangene und andere Internierte« ist so dokumentiert. Im Falle Kochs finden sich in der Gefangenenpersonalakte die einzig verfügbaren Ego-Dokumente, abgesehen von ihren Tagebüchern die als Effekten dem Erben übergeben wurden. Die Akten des gegen Koch durchgeführten Spruchkammerverfahrens, das während des Augsburger Prozesses ausgesetzt war, geben keinen Aufschluss zu den Tatvorwürfen. Sie dokumentieren aber die Abläufe und Hintergründe bis zur Eröffnung des Ermittlungsverfahrens.7 Die Staatsanwaltschaften mussten regelmäßig Berichte über den Stand ihrer NSG-Verfahren beim zuständigen Generalstaatsanwalt und dem Justizministerium vorlegen. Auf diese Weise entstanden komprimierte Überlieferungen, die einen schnellen, wenn auch perspektivisch eingegrenzten Einblick in den Gang der Verfahren erlauben und im Falle des Aktenverlusts eine Ersatzüberlieferung bieten. Oft erläuterten und rechtfertigten bei dieser Gelegenheit die Staatsanwälte ihren Vorgesetzten gegenüber Vorgehen und Prozesstaktik. Solche Berichte finden sich im Fall Ilse Koch in den Akten des Bayerischen Justizministeriums und der Generalstaatsanwaltschaft München. Um einen Überblick über Taktik und Handeln der Strafverfolger zu erlangen, müssen diese zusammen mit den Handakten aus dem Verfahrensakt betrachtet werden, da kein Bestand vollständig ist. Insbesondere die Ministerialüberlieferung bietet im vorliegenden Beispiel wichtige Hinweise zum Rechtshilfeverkehr mit verschiedenen europäischen Ländern, mit der DDR und den amerikanischen Besatzern.8 Justizverwaltungsakten dokumentieren die Geschäftstätigkeit der Justizbehörden. Dazu zählen Generalakten, also sachthematische Akten ohne Einzelfallbezug, die Aufschluss über die innere Behörden- und Gerichtsorganisation und -praxis geben. Sofern diese nur Abdrucke von Verfügungen vorgesetzter Stellen beinhalten, werden sie allerdings zugunsten der dortigen Überlieferungsbildung kassiert. Sie lagern, anders als die routinemäßig ausgesonderten Verfahrensakten, oft noch bei den Justizbehörden: für das Landgericht Augsburg gibt es noch gar keinen entsprechenden Archivbestand; für die Staatsanwaltschaft Augsburg sind nur wenige Verwaltungsakten überliefert, darunter eine knappe Dokumentation und statistische Meldungen über NSG-Verfahren.9 Personalakten der Justizangehörigen schließlich »wandern« bei jeder Versetzung mit den Beamten. Sie werden durch die Oberlandesge7 StAM, Spruchkammerakten (SpkA), K 911. 8 BayHStA, Staatsministerium der Justiz (StMJ), NSG-Akten: Koch, Ilse. StAM, Generalstaatsanwaltschaft beim OLG München (GStAnw.) 330; Verfahrensakt Ilse Koch, Handakten, v. a. Bde. 2 und 9. 9 StAA, Staatsanw. Augsburg, Verwaltungsakten, 33, sowie die Sammlung in: ebd., Bde. 29–32.

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richte geführt und im dortigen Archivsprengel archiviert; bei den nachgeordneten Justizstellen sind nur Nebenakten vorhanden. Auch andere Behörden konnten mit einem NSG-Verfahren befasst sein. Deren Überlieferung bietet kaum Material zu den ermittelten und verhandelten Verbrechen – kann aber zum Gang des Verfahrens und dessen Bewertung Interessantes bieten: Im Fall Koch trifft dies etwa auf das bayerische Staatskommissariat für rassisch, religiös und politisch Verfolgte und dessen Leiter, den späteren Präsidenten des Landesentschädigungsamts Philipp Auerbach zu, der die Ermittlungen von Beginn an gefördert hatte. Gerade in den Nachkriegsjahren wurden NSG-Verfahren vor deutschen Gerichten von den Besatzungsbehörden verfolgt, sei es im Rahmen der generellen Kontrolle der deutschen Justiz, oder hier wegen des besonderen Interesses der amerikanischen Behörden und Öffentlichkeit an Ilse Koch. Dieses Verfahren fand unter anderem seinen Niederschlag in den Unterlagen des Office of Military Government for Germany U. S.10 Auf der Basis der Verfahrensakten des Falles »Koch, Ilse« lassen sich die Konstruktion eines öffentlichen Bildes von Ilse Koch, der sie umgebende negative Mythos und die Bemühungen der Politik und der Strafverfolger um eine Verurteilung nachvollziehen. Was eigentlich im Verhandlungssaal geschah und gesagt wurde, bleibt jedoch weitgehend im Dunkeln. Dagegen geben viele Vernehmungen Aufschluss über das Verhalten Kochs in Buchenwald und ihre Wahrnehmung durch die Häftlinge; sie zeichnen ein plastisches Bild einzelner Schicksale und der Verhältnisse im Konzentrationslager – auch wenn Machtstrukturen und Verantwortlichkeiten häufig eher diffus bleiben. Quelle 1 Niederschrift geführt in öffentlicher Sitzung des Schwurgerichts beim Landgericht Augsburg am Montag, den 27. November 1950 und folgende Tage, in: StAA, Staatsanwaltschaft Augsburg, Ks 22/50, Gerichtsakten Bd. 11, hier S. 203–7. 23. Verhandlungstag Zur Fortsetzung der Hauptverhandlung am Montag, den 8.1.1951 – in der gleichen Besetzung des Gerichts – erschienen die Angeklagte, vorgeführt, ihr Verteidiger, von den für heute geladenen Zeugen: […] und Dr. Eugen Kogon. 10 Vgl. etwa die Treffer in der OMGUS-Datenbank des Instituts für Zeitgeschichte: www. ifz-muenchen.de/omgus.html?&L=13.

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Die erschienenen Zeugen wurden aufgerufen, gem. § 57 StPO. belehrt und sodann zunächst aus dem Sitzungssaal entlassen. […] 229. Zeuge: Z. P.:11 Dr. Kogon, Eugen, 47 Jahre alt, verh. Schriftsteller in Falkenstein/Taunus, m.d. Angekl. nicht verw. od. verschw.12 Der Zeuge sagte zur Sache aus. Der anwesende Zeuge Josef Ackermann wurde vorgerufen und weiter zur Sache vernommen. Der Zeuge Dr. Kogon sagte weiter zur Sache aus. Der Zeuge Dr. Kogon wurde gesetzlich vereidigt (§ 66c/II StPO). Der Zeuge Ackermann wurde weiter zur Sache vernommen. Er versicherte die Richtigkeit seiner heute getätigten Aussage unter Berufung auf den bereits geleisteten Eid. Sodann wurde der Zeuge Dr. Kogon weiter zu Sache gehört. Er versicherte insoweit die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf den eben geleisteten Eid. Der Verteidiger beantragte, die bei der Dokumentenzentrale Arolsen befindliche Häftlingskartei des Lagers Buchenwald beizuziehen und zwar für diejenigen Häftlinge, die als Zeugen vernommen worden sind, da sich nach den Aussagen des Zeugen Dr. Kogon ergebe, daß diese Kartei Aufschluß darüber geben müsse, welchen Winkel der einzelne Häftling trug, welchem Kommando er angehörte und vermutlich auch, zu welchem Zeitpunkt er eine Prügelstrafe erhielt. […] Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärte hiezu, daß nach seinem Wissen die Kartei der Schreibstube neben den Personalien Angaben über Winkel, Häftlings-Nr. und Kommandos enthalte, nicht aber Angaben über Bestrafungen. Die Zeugen Ackermann und Dr. Kogon wurden nochmals vorgerufen. Sie sagten beide weiter zur Sache aus und zwar zur Frage der Häftlingskartei. Sie versicherten insoweit die Richtigkeit ihrer Aussagen unter Berufung auf den bereits geleisteten Eid. Beide Zeugen wurden sodann mit Zustimmung der Beteiligten entlassen. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft beantragte nunmehr, den Angestellten des Int. Suchdienstes der IRO. in Arolsen13, Dr. Marian Ciepielowski, als Zeugen zu laden und zwar auf 20.1.1951. Der Zeuge werde Fotokopien der von der Verteidigung gewünsch-

11 Zur Person. 12 Nicht verwandt oder verschwägert. 13 Der ISD (engl.: International Tracing Service ITS) wurde 1946 der International Refugee Organisation, 1955 dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz unterstellt. Er unterhält eine der umfangreichsten Dokumentationen zu Deportation, Flucht und Vertreibung in Europa.

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ten Dokumente vorlegen und bestätigen, daß es sich bei diesen Kopien um solche von Originalen handelt. Nach geheimer Beratung des Gerichts verkündete der Vorsitzende folgenden Beschluß: Die Ladung des Zeugen Dr. Marian Ciepielowski des Int. Suchdienstes der IRO. in Arolsen wird angeordnet. Dem Zeugen wird zur Auflage gemacht, die Fotokopien der Originalkarteikarten des KL. Buchenwald vorzulegen und zwar für diejenigen Häftlinge, die hier als Zeugen vernommen worden sind.14 […] Es wurde in der Vernehmung der Zeugen fortgefahren: 230. Zeuge […]

Quelle 2 Zeugenkartei der Staatsanwaltschaft Augsburg im Verfahren gegen Koch, Ilse, in: StAA, Staatsanwaltschaft Augsburg, Ks 22/50, Karton 11. Die Karteikarten sind mit kleinen, farbigen Metallreitern gekennzeichnet, die die schnelle Zuordnung zu Tatkomplexen ermöglichten: schwarz – Körperverletzung, blau – Anstiftungen zur Körperverletzung, gelb – Anstiftungen zu Körperverletzungen mit Todesfolge, rot – Tötungshandlungen, weiss – ne bis in idem-Problematik, grün – keine Angaben, braun – Tätowierungskomplex, lila – allgemeine Lagerkenntnisse.15

[schwarzer, blauer und roter Reiter] P r e n k e l , Max geb. am 30 Jahre15

zu –

Beruf: Angestellter

Anschrift: Weimar, Friedrich Engelsring 139, vorbestraft: Ja – nein

Strafliste keine – liegt vor

Buchenwaldzeit: 10.10.1939 – 11.4.1945 Kennzeichnung: roter Winkel Tätigkeit ev. Funktion im KZ.: Steineträger, Vertrauensmann beim Baukommando 1 Dienstgrad und Funktion: –. –

einvernommen von: Amtsgericht Weimar

14 Der Zeuge erschien am 10.1.1951 vor der Schwurkammer. Die Kopien wurden vom Gericht überprüft und mit den Daten der Zeugen abgeglichen. Die Kopien wurden zu den Gerichtsakten genommen. 15 Eintragungen im Formularvordruck sind kursiv gesetzt.

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Wesentlicher Inhalt der Aussage: Über den Reithallenbau bekundet der Zeuge, daß I. K. die zur Errichtung vorgesehene Frist so verkürzte, dass ein übermässiges Tempo angeschlagen werden musste. Es gab daher zahlreiche Tote insbesondere bei den dort eingesetzten H jüdischen Kommandos. Die Häftlinge waren gezwungen, alle Arbeiten im Laufschritt auszuführen und wurden dabei von SS-Posten geprügelt. Dabei lag hoher Schnee, der die Häftlinge behinderte. Der Zeuge hat bei diesen Arbeiten selbst zweimal mitgewirkt. Es gab sehr viele Tote, insbesondere an Sch Erschöpfung durch Herzschlag. Zu unbekannter Zeit begegnete der Zeuge I. K. und wurde von ihr wegen Anschauens beim Grüßen notiert. Er erhielt am gleichen Abend 50 Stockschläge, weil er die »Kommandeuse« als Jude mit frechen geilen Blicken angesehen hätte. Einige Zeit später wiederholte sich diese Szene, nur wurde der Zeuge diesmal bestraft, weil er I. K. nicht gegrüsst hatte. Er weiss im übrigen aus allgemeiner Lagerkenntnis, bezw. Erzählungen von Kameraden, dass I. K. Häftlinge selbst schlug oder durch Meldung zur Bestrafung zu bringen pflegte. Der von dem Zeugen Schlöder geschilderte Vorfall, der zum Tode des Häftlings Schwarz führte, ist dem Zeugen aus Erzählungen bekannt, da Schwarz Angehöriger seines xxxx Blockes war.1617

[weißer Reiter] Wa l d e c k , Josias Erbprinz zu geb. am 13.5.1896

zu

Beruf:

Anschrift: Strafgefangener in Landsberg/Lech (Kriegsverbrechergefängnis) Vorbestraft: ja – nein16

Strafliste keine – liegt vor

Buchenwaldzeit: -

Kennzeichnung: –

Tätigkeit ev. Funktion im KZ.: – Dienstgrad und Funktion: General d. einvernommen von: OStA. Dr. Ilkow Waffen SS, Höherer SS- und Polizeioffizier in Weimar17

Zeuge war Gerichtsherr für Buchenwald. Er hat das Verfahren gegen die Eheleute Koch mit ins Rollen gebracht. Er kann positiv bekunden, dass in dem damaligen Verfahren I. K. wegen Häftlingsmisshandlungen etc. nicht angeklagt war. Nach seiner Ansicht hätte man gerne auch in dieser Richtung Anklage erhoben, doch lagen keine Anhaltspunkte vor.

16 Zwar war ein Auszug der Strafliste (Strafregister) beim Bundeszentralregister angefordert worden. Da ein Urteil des Amerikanischen Militärgerichts in Dachau gegen Waldeck vom 14.7.1947 von den deutschen Behörden nicht erfasst wurde, galt dieser nicht als vorbestraft. 17 Tatsächlich: Höherer SS- und Polizeiführer.

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Annotierte Bibliographie Allgemeine Aktenkunde, Arbeiten im Archiv: Als kulturgeschichtlicher Überblick zur Entwicklung auch im 20. Jahrhundert Vismann, Akten. Die klassischen Überblickswerke geben nur wenig Aufschluss für Justizakten und die neueste Zeitgeschichte: Schmid, Akten; Kloosterhuis, Amtliche Aktenkunde der Neuzeit. Einen Überblick über Organisation und Funktion der Archive bietet Franz, Einführung in die Archivkunde, und Ders., Archive; als praxisorientierte Einführung sei empfohlen Burckhardt, Arbeiten im Archiv. Aktenordnung: Die Aktenführung wurde reichsweit vereinheitlicht durch Reichs- und Preußischer Justizminister, Aktenordnung für die deutschen Justizbehörden [1934], deren Neufassung bis weit nach 1945 maßgebend war: Anweisung für die Verwaltung des Schriftguts. Für die darauf aufbauenden Aktenordnungen der Bundesländer können wegen der Vielzahl der Ausformungen keine Hinweise gegeben werden. Die Richtlinien für das Strafverfahren (RiStV) des Reichsministeriums der Justiz sind mit Änderungen als Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) bis heute gültig. Sie finden sich im Anhang von Meyer-Goßner, Strafprozessordnung. Verfahrensvorschriften: Empfohlen sei der Kommentar von Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, dessen Vorläufer seit den 1920er Jahren erscheinen und der seit der 13. Auflage von 1950 fast jährlich neu bearbeitet wird. Grundsätzlich ist darauf zu achten, StGB, StPO, deren Nebengesetze und Kommentare in jener Fassung zu verwenden, die zum Zeitpunkt des Verfahrens gültig war. Die gerichtliche Voruntersuchung durch einen Untersuchungsrichter wurde beispielsweise 1977 abgeschafft – nicht zu verwechseln mit dem heutigen Ermittlungsrichter, ugs. auch Haftrichter. Die Kommentare zu StGB und StPO verzeichnen im Regelfall alle Änderungsgesetze. Das seit 1976 mehrmals aktualisierte Lehrbuch von Schäfer, Praxis des Strafverfahrens zeichnet an Hand einer fiktiven Prozessakte in Faksimile den Gang eines Verfahrens nach und bietet eine gute Orientierung vor dem ersten Archivbesuch. Die StPO des Deutschen Reiches galt auch in der DDR anfangs weiter, wurde 1952 aber abgeändert und mit der Verkündung eines neuen StGB und einer neuen StPO 1968 schließlich ersetzt. Die Protokollierung der Ermittlungshandlungen und des Prozessgeschehens blieb aber grundsätzlich ähnlichen Vorgaben unterworfen: Beyer, Strafprozessrecht der DDR. Über die Praxis der Protokollführung in der Hauptverhandlung geben die beiden maßgeblichen, in mehreren Auflagen erschienen Handbücher Aufschluss: Wissmann / Pusz, Protokollführung in Strafsachen (seit 1977) und Hendrix / Reiss, Die Protokollführung in der Hauptverhandlung der Strafgerichte (seit 1951). Aussonderung und Archivierung: Einen kurzen Überblick bietet Dölemeyer, Justizforschung in Frankreich und Deutschland. Stahlschmidt, Empfehlungen zur Archivierung von Massenakten der Rechtspflege, erschließt und kommentiert in einem für die archivische Praxis hilfreichen Leitfaden die justiziellen Aktengattungen und gibt Hinweise zu Entstehung und Inhalt. Treffeisen, Erweitertes Auswahlmodell und Jäger, Justizschriftgut als historische Quelle stellen die Auswahlmodelle in Baden-Württemberg und Sachsen vor. Grundsätzliche Überlegungen stellt Rügge, Steuerung des Erinnerns und Vergessens? an. Einen Überblick über die Gerichtsorganisation und Zuständigkeiten in Süddeutschland bietet Franz u. a., Gerichtsorganisation. Rückschlüsse sind zudem möglich aus dem Archivführer von Dölemeyer, Repertorium ungedruckter Quellen zur Rechtsprechung, das Archivbestände teilweise bis in die Nachkriegszeit erfasst. Einen Überblick zu den Quellenbeständen des ehemaligen Berlin Document Center im Bundesarchiv gibt Heusterberg Personenbezogene Unterlagen aus der Zeit des Nationalsozialismus; zu den erst jetzt der Forschung zugänglichen Beständen des Internationalen Suchdienstes des IKRK in Arolsen Schulte, Nationalsozialismus und europäische Migrationsgeschichte.

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Verfahren gegen Ilse Koch: Das von Durand, Die Bestie von Buchenwald noch orthodox antifaschistisch ausgearbeitete Bild der devianten Kriminellen wird von Smith, Die Hexe von Buchenwald auf der Basis der amerikanischen Prozessunterlagen – nicht im revisionistischen Sinne – relativiert. Eine prägnante Darstellung findet sich bei Przyrembel, Ilse Koch, die in Dies., Der Bann eines Bildes, unter Verwendung des Schriftverkehrs der Augsburger Strafverfolger den Gang des Verfahrens, die Taktiken der Prozessbeteiligten und die intrinsischen und extrinsischen Zwänge herausarbeitet, unter denen das Verfahren stattfand. Zum Thema der SS-Ehefrauen allgemein Schwarz, Eine Frau an seiner Seite.

Jürgen Finger und Sven Keller

Täter und Opfer – Gedanken zu Quellenkritik und Aussagekontext

Der große Frankfurter Auschwitz-Prozess endete im August 1965 nach 20 Monaten und 183 Verhandlungstagen. In der mündlichen Urteilsbegründung – deren Verlesung zwei Sitzungstage in Anspruch nahm – betonte Senatspräsident Hans Hofmeyer besonders das weitgehende Fehlen dinglicher Beweismittel und die Schwierigkeiten, die sich bei der Verwertung und Bewertung von Zeugenaussagen fast ein Vierteljahrhundert nach der Tat ergaben. Anders als in »normalen« Mordprozessen habe man weder eine Leiche noch etwa eine Mordwaffe zur Verfügung gehabt, »nur die Zeugenaussagen«, die jedoch »mitunter nicht so exakt und präzise [gewesen seien], wie das in einem Mordprozess erforderlich ist«. Doch das Gericht anerkannte die besondere Situation, in der sich vor allem die Opferzeugen, also die Überlebenden der zu verhandelnden Verbrechen befanden: Sie hätten sich der »Zumutung« unterziehen müssen, das »unter Leid und Qualen« Erlebte in allen Einzelheiten wiederzugeben – es sei nur natürlich, dass das vielfach eine »Überforderung« gewesen sei. Ausführlich erläuterte der Vorsitzende Richter, unter welchen Voraussetzungen solchen Zeugenaussagen dennoch hinreichender Beweiswert zukommen konnte – und wo die Grenzen der gerichtlichen Verwertung lagen.1 Doch auch die »andere Seite« kam zu Wort: die Angeklagten selbst wurden zur Sache gehört, und daneben wurden weitere Angehörige des Lagerpersonals vernommen, das in Auschwitz Dienst getan hatte. Angeklagte und »Täterzeugen« offenbarten allerdings große »Erinnerungslücken«, die sich erst unter dem wachsenden Druck belastender Aussagen und bohrender Nachfragen langsam schlossen. Ihnen attestierte Hofmeyer mangelnde Kooperation, die sie sich auch zurechnen lassen müssten: Sollte sich das Urteil auf unzutreffende Zeugenaussagen stützen, könnten sie sich »nicht beschwert fühlen«2, da sie kaum dazu beigetragen hätten, diese durch wahrheitsgemäße Aussagen zu berichtigen. In zwei Schritten stehen im Folgenden zunächst die Angeklagten (im weiteren Sinne: die Täter), dann die Opfer im Mittelpunkt der Betrachtung. Am 1 Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte, S. 36.678–36.683, Zitat S. 36.680. 2 Ebd., S. 36.685.

Täter und Opfer – Gedanken zu Quellenkritik und Aussagekontext

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Beispiel der ersteren werden Überlegungen zur Quellenkritik angestellt, die die Verwendung von Täteraussagen exemplarisch in den Mittelpunkt stellen. Der Kontext, in dem Aussagen im Strafverfahren getätigt werden, wird anhand der besonderen Gruppe der Opferzeugen thematisiert, die als Überlebende der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik sowohl besondere Erwartungen an einen Prozess knüpften als auch besondere Schwierigkeiten und Belastungen zu bewältigen hatten. Die Überlegungen aus beiden Abschnitten lassen sich in Teilen – mutatis mutandis! – auch für die jeweils andere Personengruppe fruchtbar machen. Die Argumentation schöpft jeweils aus dem Fundus des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, der eine ungewöhnlich dichte und gut zugängliche Quellenbasis bietet. Diese verdankt sich nicht zuletzt der Besonderheit, dass in Form von Tonbandaufzeichnungen weite Teile der Hauptverhandlung im Wortlaut nachvollziehbar sind (→ Renz). Folgt man dem methodischen Dreischritt von Heuristik, Kritik und Interpretation, kommt beim Umgang mit Zeugenaussagen und deren Niederschriften der Quellenkritik besondere Bedeutung zu. Dieser zweite Schritt umfasst die Gewinnung, Überprüfung und Bewertung der Informationen und ihrer Qualität. Sofern die Akten einer an rechtsstaatliche Grundsätze gebundenen Justiz entstammen, erscheint die äußere Quellenkritik weitgehend unproblematisch: Die Datierung der Schriftstücke ist in der Regel ohne Weiteres klar, auch die Frage nach der Authentizität stellt sich – abgesehen von Ausnahmefällen – nicht, und auch von der Verlässlichkeit von Abschriften, Durchschlägen, Fotokopien und Reproduktionen wird der Forscher ausgehen können. Die innere Quellenkritik sieht sich hingegen spezifischen Problemen gegenüber. Die nachfolgenden Hinweise verstehen sich als Richtschnur, nicht als Checkliste für den Umgang mit Verfahrensakten, die für den jeweiligen Einzelfall adaptiert werden muss. Wie immer bleibt es letztlich den Forschenden überlassen, einzelne Punkte dort zu prüfen, wo es nötig erscheint. Methodische Sensibilität, im Laufe der Arbeit wachsende Kenntnis von Zusammenhängen, Ereignissen und Personen und – letztlich – Erfahrung erlauben es abzuschätzen, ob und inwieweit Einlassungen der Verfahrensbeteiligten der kritischen Überprüfung bedürfen oder (zumindest vorläufig) als glaubhaft gelten können. Die Entstehungsumstände, der räumliche, zeitliche und situative Kontext beeinflussen Gehalt und Form der Quelle – dies gilt auch und besonders für die Zeugenvernehmung durch die Strafverfolgungsbehörden bzw. die Aussage vor Gericht. Den allgemeinen Rahmen bildet das Strafverfahren. Zum situativen Umfeld gehört neben den Spezifika der Vernehmungssituation (FrageAntwort-Situation, Beteiligte, sonstige Anwesende/Publikum, psychische Belastung) auch deren genaue Verortung im Verfahrensablauf. Je nachdem, ob es sich um eine polizeiliche, staatsanwaltschaftliche oder richterliche Verneh-

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mung im Ermittlungsverfahren oder um eine Aussage vor Gericht handelte, ob der Aussagende als Zeuge, Tatverdächtiger, Beschuldigter oder Angeklagter agierte, konnte sich die Aussagebereitschaft und Erinnerungswilligkeit v. a. der Täter und ihrer ehemaligen Kameraden deutlich verändern. Wer als ehemaliger Angehöriger des Verfolgungsapparates nicht selbst eines Verbrechens beschuldigt wurde, musste gegen damalige Kameraden aussagen und gleichzeitig auf der Hut sein, sich nicht selbst zu belasten. Allein die Tatsache, in derartige »Angelegenheiten« verwickelt gewesen zu sein und nun erneut damit konfrontiert zu werden, musste als äußerst unangenehm empfunden werden; sie gefährdete die »Normalität«, zu der die Täter nach dem Krieg in Familie und bürgerlicher Existenz zurückgekehrt waren. Die Aussage war in diesen Fällen meist etwas, das man möglichst schnell hinter sich zu bringen gedachte. Im Ermittlungsverfahren entstandene Aussagen von Angeklagten wurden gelegentlich später aus taktischen Gründen zurückgenommen. Der Angeklagte Pery Broad etwa relativierte in der Hauptverhandlung seine Angaben in einer polizeilichen Vernehmung; er habe – aus gesundheitlichen Gründen und in der Stresssituation – der Formulierung des damaligen Protokolls »nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt«.3 Der ehemalige SS-Unterführer Oswald Kaduk wollte im Hauptverfahren von seiner aufschlussreichen Aufforderung an »die Herren« SS-Führer nichts mehr wissen, sie sollten »doch nicht leugnen heute, sondern als Männer zu dem stehen, was tatsächlich geschehen ist.«4 Im Ermittlungsverfahren wurden die Aussagen der Zeugen in Niederschriften festgehalten. Allerdings waren Untersuchungshandlungen gemäß Strafprozessordnung (StPO) grundsätzlich nicht im Wortlaut zu protokollieren (→ Finger). Die wörtliche Wiedergabe des Wechsels von Frage, Antwort und Vorhalt sind die Ausnahme. Selbst wenn die Niederschrift diesem Wechselspiel folgt, handelt es sich häufig nicht um eine wortgetreue Wiedergabe des Vernehmungsverlaufs. Fragen und Aussagen wurden meist in einer bereits kondensierten, begriffliche und juristische Eindeutigkeit herstellenden Form notiert, vom Vernommenen autorisiert (»[vor]gelesen, genehmigt und unterschrieben« – »v.g.u.« bzw. »g.g.u«) und vom Vernehmenden und dem Protokollführer beglaubigt. Die Aufzeichnungen sind damit häufig näher an der Rechts- und Amtssprache der Polizisten, Staatsanwälte und vernehmenden Richter als am tatsächlich gesprochenen Wort. Die Niederschriften – und noch stärker die auf ihnen basierenden Anklageschriften, Einstellungs- und Eröffnungsbeschlüsse, Berichte und Urteile – spiegeln eine juristische Sub3 Aussage des Angeklagten Broad am 6. Verhandlungstag, 13.1.1964, Mitschrift des beisitzenden Richters, in: ebd., S. 4.805–4.809, Zitat S. 4.806. 4 Anklageschrift, in: ebd., S. 2.366.

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sumtionstechnik, die Sachverhalte als »Fälle« individualisiert, isoliert und klassifiziert, während atmosphärische Details oder scheinbare Nebensächlichkeiten wegfallen. Solche Inhaltsprotokolle stellen Historiker vor ein beileibe nicht nur akademisches Problem: Wer ist der Autor dieser Quelle? Der intellectual author, der Zeuge, entwirft den Inhalt der Aussage und ordnet ihn. Der juridical author, der Ermittlungsbeamte, Staatsanwalt, Untersuchungsrichter oder in der Hauptverhandlung das Gericht, verleiht der Aussage durch seine institutionelle Position Gewicht: durch die Ermittlungs- und Rechtsprechungstätigkeit im Rahmen der StPO und durch seine juristischen Kenntnisse, durch das Diktat der Aussage oder Anweisungen an den Protokollführer. Der Vernehmende – der durch seine Fragen den Gang des Gesprächs maßgeblich beeinflusst, Themen setzt, umgeht und durch seinen Fragestil die Vernehmung lenkt – tritt in Inhaltsprotokollen allerdings regelmäßig in den Hintergrund. Der material author, der Protokollführer, der Berichterstatter des Gerichts oder ein Polizist, hält schließlich den Text fest und – soweit es sich nicht um ein Wortprotokoll oder die Übertragung einer Bandaufnahme handelt – formuliert ihn. Er glättet die Aussage im Inhaltsprotokoll, überträgt sie vom Dialekt in die Hochsprache, ändert den Stil vom umgangssprachlichen, vielleicht eher vagen, unpräzisen Gesprochenen in eine bürokratische, an strafrechtlichen Begriffen orientierte Sprache. Die mühsam erarbeitete und rekonstruierte Erinnerung des Zeugen gewinnt sprachliche Faktizität. Auch die Verwendung der ersten Person darf nicht den Eindruck erwecken, es handle sich um eine wörtliche Wiedergabe des gesprochenen Wortes. Die sprachlichen Wendungen einer richterlichen Vernehmung des Beschuldigten Oswald Kaduk während der Ermittlungen zeigen eine feine Abstufung von Wissen und Nicht-Wissen, Anerkenntnis, Vermutung, Nicht-Leugnen und Bestreiten. Formelhafte Passagen wie »Ich weiß mit Bestimmtheit« vereindeutigen beispielsweise die Aussage und transportieren in den knappen Worten des Richters den umständlicher oder nonverbal formulierten Nachdruck, mit dem eine Aussage vorgebracht wurde (Quelle 1). Eine derart arbeitsteilige Autorschaft wird meist nicht klar abzugrenzen sein. Wo der Staatsanwalt bereits die Ergebnisse der Vernehmung dem Mitarbeiter ins Protokoll diktierte, dürfte dessen Einfluss auf die Formulierung gering gewesen sein. In der polizeilichen Vernehmung fielen juridical und material author oft in eins. Die Zuordnung der Autorschaft ist ohnehin kein Selbstzweck und wird in der Forschungspraxis nicht für jedes Vernehmungsprotokoll vorzunehmen sein – die Existenz verschiedener Ebenen der Autorschaft bei Vernehmungsniederschriften und Prozessmitschriften sollte dem Forschenden aber immer bewusst bleiben.

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Unverzichtbar ist es, die Kompetenz des intellectual author, also des Zeugen, zu prüfen. Welche Autorität kann er als Informant beanspruchen? Ist er Augenzeuge oder berichtet er aus zweiter Hand? Anders als für das Gericht sind Informationen, die auf Hörensagen beruhen, für Historiker nicht von vornherein ohne Relevanz. Konnte der Zeuge überhaupt von dem Berichteten wissen? War er zur betreffenden Zeit vor Ort? Kann er den Zugang zu Informationen glaubhaft machen, erlaubten ihm seine Position und sein damaliger Wissenshorizont die Beurteilung von Ereignissen und Hintergründen? Der Angeschuldigte Oswald Kaduk etwa bezweifelte die Aussagen eines Belastungszeugen, der seine Kompetenz aus der Zugehörigkeit zum »Sonderkommando« schöpfte, mit der zynischen Bemerkung, als Angehöriger dieses Kommandos habe der Zeuge eigentlich gar nicht überleben können. Gleichzeitig suchte er einen zweiten Tatvorwurf durch ein Alibi zu entkräften: Wie in »normalen« Mordprozessen auch bot dies in NS-Verfahren einen »eleganten« Weg, eine Anklage oder Verurteilung abzuwenden. Die Frage der Anwesenheit zum Tatzeitpunkt am Tatort war ebenso zentral wie häufig umstritten. Kaduk ist ein klassisches Beispiel: Wo er die Tatbestände oder seine Anwesenheit nicht glaubwürdig leugnen konnte, suchte er zumindest seine Beteiligung zu verneinen oder die Verantwortung auf eine höhere Ebene zu verlagern (Quelle 1). Zudem gilt es, die Perspektive des Zeugen zu klären: Welchen Blickwinkel – im wörtlichen Sinn – hatte er auf das berichtete Geschehen? Konnte er dieses von seinem Standpunkt aus überhaupt wahrnehmen? Um dies zu klären, kamen häufig Lagepläne und zeitgenössische Fotografien zum Einsatz, nicht selten wurden Sichtbeziehungen auch durch Inaugenscheinnahme des Tatorts und der örtlichen Gegebenheiten geklärt. Auch das Frankfurter Gericht hatte einen Lokaltermin in Auschwitz anberaumt, der durch ein Protokoll und einen Gerichtsfotografen dokumentiert wurde.5 Solche Bildquellen besaßen vor Gericht keinen eigenständigen Beweiswert, sondern nur in Verbindung mit einer beglaubigenden, kommentierenden und einordnenden Aussage – etwa, wenn der Zeuge auf einem Foto einen Angeklagten identifizierte oder die räumliche Situation erläuterte. Entgegen der scheinbaren Authentizität visueller Medien sprachen und sprechen die Bilder nicht für sich, sondern stellen besondere Anforderungen auch an die historische Quellenkritik, die den ursprünglichen Entstehungszusammenhang (Erinnerungsoder Gebrauchsfotografie), Komposition, Bildsprache und Wahrnehmungskonventionen berücksichtigen muss. Die Klärung, ob der Zeuge das Ausgesagte tatsächlich beobachtet oder erfahren haben konnte, lässt grundsätzlich Rückschlüsse auf die Verlässlichkeit 5 Vgl. Anlage 6 zum Protokoll der Hauptverhandlung v. 7.1.1965 (mit Fotos), in: ebd., S. 27.377–27.419.

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und den guten Willen des Zeugen zu – über die »Wahrheit« einer Schilderung oder die Verlässlichkeit der Erinnerung ist damit aber noch nichts gesagt. Die Originalität, also die Selbständigkeit der Aussage ist zumindest stichprobenartig durch Abgleich mit anderen, komplementären Quellen zu prüfen. Bestätigen andere Zeugen die Aussage? Werden die Aussagen durch zeitgenössische Dokumente gestützt – auch solche, die im Verfahren nicht zur Verfügung standen? Hat der Zeuge in früheren und späteren Aussagen ähnliches mitgeteilt? Falls sich der Aussageinhalt im Laufe der Zeit veränderte, stellt sich die Frage nach dem Grund: War der Zeuge nun offener, weil er selbst – etwa aus Gründen der Verjährung – keine Strafverfolgung mehr gewärtigen musste? Konnte der Zeuge zusätzliche Details zwischenzeitlich erinnert haben, oder entstammt zusätzliches Wissen anderen Quellen? Dies verweist auf die intertextuelle Qualität von Niederschriften und Transkripten von Zeugenaussagen. Diese zeigt sich schon innerhalb der Quellengattung: Immer wieder finden sich Querverweise auf frühere Aussagen, blattgenaue Hinweise auf Ermittlungsakten, Vermerke zu Verlesung, Kommentierung und Vorhalt von Inhalten. Dieses Verweissystem diente als Gedächtnisstütze, gleichzeitig aber auch als vernehmungsstrategisches Instrument (Quelle 1). Die Glaubwürdigkeit des Zeugen kann der Historiker entlang ähnlicher Linien beurteilen wie der Jurist: Beobachtungen über die Vernehmungssituation, über Persönlichkeit, Kenntnisse, Funktion, Aussagestrategien und Selbstbilder (→ Stoll) müssen in diese Bewertung einfließen. Der Übergang von der Quellenkritik zur inhaltlichen historischen Analyse der Aussage- und Vernehmungsstrategien ist fließend. Die einzelnen Elemente der Quellenkritik müssen immer wieder aufeinander bezogen werden und sollten im besten Fall in einer hermeneutischen Spirale die Arbeit mit Verfahrensakten kontinuierlich begleiten. Bei der Bewertung einer Aussage durch das Gericht steht vor allem ihre innere Schlüssigkeit im Vordergrund. Nur auf umfassende, widerspruchsfreie, logische und eigenständige Ausführungen kann sich ein Schuldspruch stützen. In historischer Perspektive kann unabhängig davon auch solchen Aussagen Glaubwürdigkeit zukommen, die von Emotionen und von der Qualität des tatsächlich Erlebten geprägt sind; der Historiker verfügt über größere Freiheiten bei der Auflösung von Widersprüchen und kann durchaus darüber hinwegsehen, wenn Zeugen einzelne Tathintergründe nicht kannten, falsch bewerteten oder sich in der Identität der Handelnden und der genauen zeitlichen Einordnung irrten oder ihnen diese nicht bekannt waren. Unvollständige und unterschiedlich gewichtete Aussagen können Zeichen individueller Schwerpunktsetzung und Folge der Begrenztheit menschlicher Erinnerung sein; ebenso kann sich dahinter aber auch eine Entlastungsstra-

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tegie des Beschuldigten oder präventives Schweigen des Täterzeugen verbergen. Einmal aufgedeckt erhalten offensichtlich falsche oder nicht vollständige Angaben, Verschweigen und Lügen eine ganz eigene Bedeutung – es gilt, die jeweils dahinter stehende Motivation zu hinterfragen. Können gruppenspezifische Strategien ausgemacht werden, gar ein »Aussagekartell«, das sich auf alte Bindungen der »Kameradschaft« stützte? Zweifelsohne stellt die Rekonstruktion solcher individuellen oder gar kollektiven Aussagestrategien hohe Anforderungen an die Interpretation der Quellen. Als besonders aufschlussreich erweisen sich jene Momente des Verfahrens, in denen solche Strategien widerlegt wurden und angepasst werden mussten – oder auch von einzelnen Angeklagten selbst aufgegeben wurden, weil sie Nutzen und Lasten in der Solidargemeinschaft ungleich verteilt sahen: In Frankfurt etwa öffnete sich im Frühjahr 1965 eine unerwartete Bresche in der Verteidigungsfront der Angeklagten, als der SS-Unterführer Stefan Baretzki das Gericht am 137. Verhandlungstag überraschte. Zum ersten Mal belastete ein Angeklagter den anderen und bestätigte, dass der Lagerarzt Dr. Franz Lucas auf der Rampe für die Gaskammern selektiert hatte. Baretzki war es offenbar Leid, dass den niedrigen, unmittelbarer mit den Häftlingen verkehrenden Dienstgraden auf der Anklagebank Verbrechen leichter nachgewiesen werden konnten, während die SSOffiziere sich unwissend gaben.6 Doch auch die Staatsanwaltschaft schaffte es, etwa durch Dokumentenbeweise Verteidigungsstrategien einzelner Angeklagter scheitern zu lassen. Der Hauptangeklagte Robert Mulka hatte als Adjutant des Lagerkommandanten Rudolf Höß mehrfach Befehle für den Transport des »Desinfektionsmittel[s]« Zyklon B, des »Material[s] für die Judenumsiedlung« unterzeichnet oder gegengezeichnet. Sowohl die Dokumente als auch seine Signatur musste er als echt anerkennen – damit waren seine Beteuerungen ad absurdum geführt, er habe von der Vernichtung kaum etwas mitbekommen (Quelle 2). Die Situation der Opfer, die als Zeugen vor Gericht erschienen, unterschied sich in vielerlei Hinsicht von jener der Täter. Sie hatten in aller Regel kein Interesse daran, Vorgänge zu verschleiern und »Erinnerungslücken« vorzuschützen. Doch auch die Abwesenheit von Verschweigens- und Verteidigungsabsichten garantiert keine zuverlässige Erinnerung: Angesichts »menschlicher« Fehlleistungen bei der Wahrnehmung, Erinnerung und Wiedergabe vergangenen Geschehens gilt der Zeugenbeweis trotz seiner zentralen Stellung im Strafprozess traditionell als schwierig und tendenziell unzuverlässig. Dies gilt umso mehr, wenn der Zeuge nicht nur unbeteiligter Beobachter des Geschehens, sondern selbst Opfer des Verbrechens war. Dieses Problem des Beweis6 Vgl. Aussage des Angeklagten Baretzki am 137. Verhandlungstag, 18.2.1965 (Transkript bzw. Mitschrift des beisitzenden Richters), in: ebd., S. 29.218–29.240 und 29.241–29.244.

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werts steht seit langem im Zentrum juristischer Reflexion und Diskussion. Überlegungen zur Rolle und Stellung des Zeugen im Prozess sind dagegen selten. Gleiches gilt für die Frage nach den Vorbedingungen, unter denen es zu einer Aussage vor Gericht kommt; nach den Motiven und den Erwartungen, die insbesondere Opferzeugen daran knüpfen; nach den Rahmenbedingungen, unter denen der Auftritt vor Gericht stattfindet; zuletzt nach den Erfahrungen, die damit verbunden sind – innerhalb wie außerhalb des Gerichtssaals. Bei der Durchführung von Strafprozessen wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen spielten Opferzeugen eine zentrale Rolle. Der Historiker muss sich bei der Arbeit mit ihren Aussagen die skizzierten Fragestellungen bewusst machen und bei der Be- und Auswertung den dadurch umrissenen juristischen, gesellschaftlichen, sozialen und politischen Kontext berücksichtigen – um so mehr, als es sich vielfach um Verbrechen und Verfahren handelte, die in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich waren. Dies gilt zum einen für die zugrunde liegenden Taten: der Holocaust hatte die Überlebenden mit lang andauernden existenziellen Ausnahmesituationen konfrontiert, sie nicht selten als einzige Überlebende des eigenen familiären und sozialen Umfeldes zurückgelassen und tief traumatisiert. Darüber hinaus rührte die strafrechtliche Thematisierung der Vergangenheit nicht nur in Deutschland an gesellschaftliche Selbstwahrnehmungen und Selbstgewissheiten, sondern auch an geschichtspolitisch aufgeladene Weltbilder und die ideologische Deutungshoheit (→ Kuretsidis-Haider, Österreich, → Osti Guerrazzi, → Pohl, → Weinke). Als der Frankfurter Auschwitz-Prozess am 20. Dezember 1963 begann, waren seit dem Ende des Dritten Reiches fast zwei Jahrzehnte vergangen. Der Umgang der Überlebenden mit der »Lagerzeit« war in diesen beiden Jahrzehnten höchst unterschiedlich gewesen; diese hatte das Leben der Opfer nach dem Krieg belastet und geprägt. Individuelle Entscheidungen spielten eine Rolle – etwa die, sich in einem Verband ehemaliger Konzentrationslagerhäftlinge zu engagieren, oder jene, »Auschwitz« zu Gunsten beginnender »Normalität« nur am Rande in die eigene Nachkriegsbiographie zu integrieren bzw. soweit möglich zu verdrängen, um das neue Leben in Familie und Beruf nicht über die Maßen zu belasten. Doch auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen waren von Bedeutung; sie markierten den Kontext, in dem diese individuellen Entscheidungen getroffen wurden und die Folgen und Konsequenzen, die gegebenenfalls damit einhergingen. Dies galt selbst in Israel, wo die Überlebenden des Holocaust nicht – wie anderswo – nur eine kleine Minderheit bildeten, sondern nach der Staatsgründung rund ein Drittel der Bevölkerung ausmachten. Wie in Deutschland oder den USA wurde auch dort erst Jahre nach dem Krieg offiziell des Holo-

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caust gedacht. Die Ermordung von Millionen von Juden ließ sich zunächst nur schwer in den heroischen Gründungsmythos des Staates Israel integrieren; das zentrale Narrativ des Zionismus distanzierte sich bewusst von den leidvollen und demütigenden Erfahrungen der Diaspora, seien sie nun Jahrhunderte oder wenige Jahre alt. Unter diesen Voraussetzungen wurden Erinnerung und Gedenken an den Holocaust weitgehend privatisiert; erst nach und nach setzte ein Wandel ein, der der Erinnerung auch öffentlich und offiziell Bedeutung beimaß – bis hin zu der zentralen Rolle, die das Gedenken an die Shoah heute in Israel einnimmt. Katalysator dieses Wandels war der Prozess gegen Adolf Eichmann 1961, der durch Zeugenaussagen erstmals die individuellen Erinnerungen einzelner Überlebender an die Öffentlichkeit brachte. Fast die Hälfte der 211 Überlebenden, die als Zeugen im Frankfurter Auschwitz-Prozess aussagten, stammte aus den Staaten jenseits des Eisernen Vorhangs. Die Ausreise ins westliche Ausland, noch dazu zum Zwecke einer als politisch hoch sensibel eingestuften Teilnahme an einem westdeutschen NS-Prozess, wurde von den dortigen Regierungen in der Regel misstrauisch beäugt (→ Weinke). Nicht selten ging der Genehmigung durch die jeweiligen Regime eine Vernehmung durch eigene Sicherheitsorgane und Geheimdienste ebenso voraus wie der Versuch, auf den Inhalt der Aussagen Einfluss zu nehmen. Schließlich in die Bundesrepublik ausgereist, mussten die Zeugen damit rechnen, überwacht zu werden. Dies galt umso mehr, wenn das Opfer aus Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt worden war, die es auch dem neuen, kommunistischen Staatswesen verdächtig und potenziell unzuverlässig erscheinen ließ. In Polen betraf dies neben anderen Opfergruppen etwa die ehemaligen Angehörigen der Heimatarmee (Armia Krajowa), die den Warschauer Aufstand gegen die Deutschen Besatzer entfesselt hatte. Im kommunistischen Polen durfte nichts das Verdienst der Roten Armee bei der Befreiung des Landes schmälern – schon gar nicht eine nationalpolnischbürgerliche Widerstandsbewegung. So verwundert es nicht, dass die Erwartungen derer, die sich anschickten, aus den Ostblockstaaten in die Bundesrepublik der 1960er Jahre zu reisen, zumindest teilweise von den ideologisch aufgeladenen Stereotypen des Kalten Krieges geprägt waren. In Polen zeichnete die Propaganda das kapitalistische Westdeutschland als Staat, in dem die Nationalsozialisten längst wieder an der Macht seien und offen oder hinter den Kulissen die Fäden zögen. Dies verstärkte ohnehin vorhandene psychologische Hürden, die alle Überlebenden – unabhängig von ihrer Herkunft – zu überwinden hatten: Die Zeugenaussage vor einem deutschen Gericht erforderte eine Reise ins Land der Täter. Sie brachte die Konfrontation mit einer Gesellschaft, deren Reaktionen die Opfer zwanzig Jahre nach Kriegsende fürchteten; mit der Sprache der Täter; und spätestens im Gerichtssaal mit den Tätern selbst. Hinzu kamen praktische Probleme und organisatorische Gedankenlosigkeit, die die emo-

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tionale Belastung weiter steigerte. So wurden die Zeugen in Frankfurt zunächst im gleichen Hotel untergebracht wie die nicht inhaftierten Angeklagten und ihre Angehörigen. Eine Betreuung der aus dem Ausland angereisten Überlebenden fehlte zunächst – eine Lücke, die erst durch die private Initiative Emmi Bonhoeffers7 und anderer geschlossen wurde. Die Zeugen wurden nun in Privatunterkünften untergebracht, Ansprechpartner und Begleitpersonen standen zur Verfügung. Diese Betreuung war eine Erleichterung und trug zweifelsohne stark dazu bei, ein positiveres Bild der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu transportieren. Ein Bild, das allerdings auch als Kontrast wahrgenommen wurde zum sonstigen Umfeld, das sich – jenseits der vielen Journalisten – kaum für den Prozess oder das Schicksal der Zeugen zu interessieren schien. Warum also nahmen trotz Zweifeln und Hindernissen viele Überlebende die beschwerliche Reise nach Frankfurt auf sich, um sich der Anklage im Auschwitz-Prozess als Zeugen zur Verfügung zu stellen? Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es nicht – die Motivationen waren vielfältig und individuell von je unterschiedlichem Gewicht. Wichtig war zweifelsohne die Aussicht, die ehemaligen Peiniger einer verdienten Strafe zuzuführen, zumindest ein kleines Stück Gerechtigkeit zu erringen und daran mitzuwirken. Für viele – vielleicht die meisten – schuf der Prozess ein Forum, das es ihnen erlaubte, das in Auschwitz Erlebte und Erlittene in der Öffentlichkeit zu thematisieren und weiterzugeben. Hinter diesem Bedürfnis der Überlebenden stand auch die gegenüber den Ermordeten tief empfundene Verpflichtung, als deren Sprachrohr Zeugnis abzulegen, als moralische Zeugen zu fungieren. Mit der Zeugenaussage vor Gericht verband sich häufig die Hoffnung, die – in Israel wie gerade auch im »antifaschistischen« Ostblock – bisher auf das Private beschränkte und abgedrängte, von Vergessen und Verfälschung bedrohte Erinnerung in den öffentlichen Raum zu heben – nicht nur um ihrer selbst oder der Verarbeitung der eigenen traumatischen Erfahrung willen, sondern auch zur Sicherung des Zeugnisses für die Zukunft. Bei jüdischen Zeugen wurde dieses Gefühl ethischer Verpflichtung durch eine religiöse Dimension, das Zeugnisgebot (Mizwat Edut) der Tora, verstärkt, das um so größere Bedeutung hatte, als der Holocaust nicht nur ein Genozid, sondern gleichzeitig ein Mnemozid gewesen war: Die Maßnahmen der Nationalsozialisten hatten darauf gezielt, mit den Menschen auch die Erinnerung an sie auszulöschen. Mit dem Strafprozess fanden sich die Zeugen dann allerdings in einem System wieder (→ Brückweh), das ihnen enge Grenzen setzte. Die deutsche StPO 7 1905–1991, Tochter von Hans Delbrück und Ehefrau des noch 1945 als Angehöriger des Widerstandes des 20. Juli 1944 ermordeten Klaus Bonhoeffer.

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stellt den Täter, nicht das Opfer in den Mittelpunkt des Verfahrens. Das Opfer besitzt zunächst überhaupt keinen eigenen Status im Strafprozess, sondern tritt als Zeuge unter anderen auf. Anders der Täter: Er genießt verschiedene Privilegien, die ihre Wurzeln in den Freiheitsrechten des Individuums zur Abwehr gegen staatliche Eingriffe haben. Unter anderem darf er schweigen, ohne dies begründen zu müssen, und ohne, dass dies zu seinem Nachteil ausgelegt werden dürfte. Und er darf lügen, ohne von Sanktionen bedroht zu sein. Der Zeuge dagegen ist zur Aussage und zur Wahrheit verpflichtet, er kann vereidigt und für eine eidliche oder uneidliche Falschaussage belangt werden. Darüber hinaus ist die Rolle des Zeugen klar definiert: Er soll Tatsachen berichten, Dinge, die er mit seinen eigenen Sinnen – mit eigenen Augen und Ohren – unmittelbar wahrgenommen hat. Was ihm Dritte erzählt haben, er also nur vom Hörensagen weiß, ist für das Gericht irrelevant; gleiches gilt für seine Eindrücke und Empfindungen, seine Schlussfolgerungen und Mutmaßungen, und zuletzt für alle Aspekte des Gesamtbildes, die nicht unmittelbar mit der angeklagten Tat und dem Täter zusammenhängen. Der Wille der Überlebenden, im Angesicht der Öffentlichkeit und der Täter endlich moralisches Zeugnis abzulegen, umfasste aber genau diese subjektiven Elemente und das Bedürfnis, möglichst ausführlich zu berichten, ein Gesamtbild des eigenen und fremden Leides zu zeichnen. Die juristischen Verfahrensweisen waren für einzelne Zeugen irritierend, das Gerichtsszenario potenziell einschüchternd: An der Frontseite des Frankfurter Gerichtssaals saßen neben dem Vorsitzenden Richter zwei weitere Richter, sechs Geschworene sowie zwei Ergänzungsrichter und drei Ersatzgeschworene. Auf der Anklagebank fanden sich die 22 Angeklagten, jeweils begleitet von zwei Verteidigern. Die Anklage vertraten vier Staatsanwälte, hinzu kamen drei Nebenklagevertreter. Der Auftritt im Gericht brachte die direkte Konfrontation mit ehemaligen SS-Männern, die nun aber nicht mehr Uniform trugen und auch nicht auf der Anklagebank saßen: So konnte es durchaus geschehen, dass sich ein Überlebender im Zeugenwarteraum mit einem Herrn im Anzug unterhielt – der sich später als Angehöriger der SS-Wachmannschaften entpuppte, der ebenfalls als Zeuge vernommen werden sollte. Dieses Aufeinandertreffen war für die ehemaligen Häftlinge psychisch belastend und physisch kräftezehrend – wie die manchmal mehrstündige Vernehmung durch Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft überhaupt. Sie brachten teilweise die Opferzeugen an den Rand der völligen Erschöpfung, nachdem sie nach der Eröffnung der Sitzung eventuell Stunden auf ihren Aufruf gewartet hatten. Nach der Traumatisierung durch die Verbrechen des Holocaust bedeuteten die erneute Vergegenwärtigung ihrer Leiden, die Situation des Prozesses und die konkreten Vorgänge im Gerichtssaal für viele ein zweites Trauma. Als besonders anstrengend erwies sich die Strategie so manchen Verteidigers. Besonders negativ tat sich zweifelsohne Dr. Hans Laternser hervor, der

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die drei angeklagten SS-Ärzte Dr. Viktor Capesius, Dr. Willi Frank und Dr. Willi Schatz verteidigte (Quelle 3, → Renz). Vom ersten Verhandlungstag an schöpfte er das gesamte Arsenal an Anträgen, Beschwerden, Einsprüchen und Verfahrensrügen aus. Zeugen aus Staaten des Ostblocks warf er pauschal vor, sie seien Kommunisten, ihre Aussagen untereinander abgestimmt und parteigesteuert. Selbst vor persönlicher Verleumdung schreckte der Jurist nicht zurück: Durch überhöhte Reiseabrechnungen und illegale Devisengewinne hätten die osteuropäischen Zeugen enorme Summen ergaunert. Zu Laternsers Standardrepertoire gehörte die Frage, ob die Vernommenen Mitglieder des Internationalen Auschwitz-Komitees seien, einer als kommunistisch geltenden Häftlingsorganisation. Jüdische Überlebende mussten sich pauschal Rachegelüste unterstellen lassen. Was auch immer die Zeugen sagten, Laternser mühte sich, es gegen sie zu verwenden: Enthielt eine Aussage Details führte das zum Vorhalt, daran könne man sich unmöglich nach zwanzig Jahren noch erinnern; offenbarte ein Zeuge andererseits Erinnerungslücken, wollte Laternser die Aussage verworfen sehen. Stimmten Aussagen überein, witterte der Verteidiger Absprachen im Vorfeld des Prozesses; gab es Abweichungen selbst im kleinsten Detail, waren sie für Laternser unglaubwürdig. Immer wieder auftretende Missverständnisse, die aus mangelnden deutschen Sprachkenntnissen der Zeugen oder Problemen bei der Übersetzung rührten, lieferten ihm willkommene Munition. Darüber hinaus hatten die Angeklagten das Recht, ihrerseits Fragen an die Zeugen zu stellen. Dies führte nicht selten dazu, dass sich die Opfer von ihren ehemaligen Peinigern der Lüge bezichtigen und geradezu ins Kreuzverhör nehmen lassen mussten. Der vorherrschende Ton war arrogant bis beleidigend – jedenfalls aber geschmacklos. Die Zuschauer reagierten mit Zwischenrufen, Prozessbeobachter waren entsetzt. Der Vorsitzende Richter mühte sich, die Zeugen so gut wie möglich in Schutz zu nehmen und lieferte sich Wortgefechte mit Laternser, dessen Vorgehen selbst bei anderen Verteidigern für Unbehagen sorgte. Trotz aller Belastungen waren die Opferzeugen meist geduldig bemüht, sich innerhalb der juristischen Grenzen der Zeugenschaft zu bewegen, also auch über kleinste Einzelheiten Auskunft zu geben und trotz des alltäglichen Mordens einzelne Ereignisse mit einem möglichst genauen Datum zu versehen. Dies stand in deutlichem Kontrast zu den Angeklagten, denen an der Wahrheitsfindung offensichtlich nicht gelegen war – und auch nicht gelegen sein konnte. Den Tätern drohte am Ende des Prozesses Strafe, sie wurden zur Verantwortung gezogen – wenn auch das Strafmaß häufig unbefriedigend ausfiel. Dass sich der Auftritt als Zeuge in Frankfurt für Überlebende dennoch im Rückblick positiv darstellen konnte, lag vielfach daran, dass der Prozess Gelegenheit bot, öffentlich über erfahrenes Leid zu sprechen. Und auch, wenn das juristische Korsett des Gerichtsverfahrens im Auschwitz-Prozess nur

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»Momente der Wahrheit«8 zuließ, wie Hannah Arendt kritisch vermerkte, so waren es doch diese Momente, die es den Überlebenden erlaubten, zumindest ein Stück weit dazu beizutragen, den Opfern nicht nur juristische, sondern auch moralische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Quelle 1 Richterliche Vernehmung des Angeklagten Oswald Kaduk vom 18.4.1962 (Niederschrift), Quelle: Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte, S. 4.077–4.083 (Auszug). In der Voruntersuchungssache gegen Baer u. a. wegen Mordes erscheint in der Untersuchungshaftanstalt Preungesheim, Kleines Haus, vorgeführt der Angeschuldigte Kaduk. Er wurde wie folgt vernommen: Dem Angeschuldigten wurde die Aussage des Zeugen Milton Buki (Bl. 11.628–11.630 d[er] A[kten]) zur Kenntnis gebracht. Der Angeschuldigte erklärte hierzu: Es erscheint mir ausgeschlossen, daß der Zeuge als Angehöriger des »Sonderkommandos« den Aufenthalt in Auschwitz überlebt hat. Ich weiß mit Bestimmtheit, daß die Angehörigen des Sonderkommandos von Zeit zu Zeit restlos beseitigt worden sind. […] Ich bestreite, einen 11jährigen Jungen erschossen zu haben, wie es von dem Zeugen Buki auf Bl. 11.629 angegeben ist. Wenn in diesem Zusammenhang der Zeuge Buki von einem Transport spricht, der 50–70 Leute umfaßte, so kann ich bestätigen, daß derlei Transporte tatsächlich angekommen sind. Es handelte sich meistens um Gestapotransporte. Diese Transporte passierten das Lagertor und fuhren sofort zu Block 11. Hier wurden die Angekommenen sofort erschossen. Die Erschießung erfolgte mit kleinkalibrigen Gewehren. Frage des Gerichtes: Wer hat diese Erschießungsaktionen durchgeführt? Antwort des Angeschuldigten: Ich will im Augenblick keine Erklärung abgeben. Möglicherweise werde ich aber in der Hauptverhandlung darüber sprechen. Frage des Gerichtes: Kannten Sie den [ebenfalls angeklagten, d.Verf.] Arrestverwalter Bruno Schlage? Antwort des Angeschuldigten: Ich habe Schlage gekannt. Frage des Gerichtes: War Schlage an den Erschießungen beteiligt? Antwort des Angeschuldigten: Ich kann es nicht sagen, er war jedenfalls in Block 11 und war dort Bunkerführer. Bestritten wird auch von mir, daß ich auf dem Evakuierungsmarsch Häftlinge erschossen habe. Ich nehme insoweit Bezug auf die Erklärungen in meiner Verneh-

8 Arendt, Der Auschwitz-Prozeß, S. 135.

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mung vom 5.9.1961. Ich habe damals schon ausgeführt, daß ich im Zeitpunkt der Evakuierung meine Frau nach Luwlintz9 verbrachte. Auf Vorhalt der Aussage Dürmayer (Bl. 11.781 d.A.) (selbständige Durchführungen von Selektionen): Daß ich bei Selektionen im Lager zugegen war, wird von mir nicht in Abrede gestellt. Ich habe aber keine selbständige Entscheidungsbefugnis gehabt, wer zu selektieren war.

Quelle 2 Vernehmung des Zeugen Leopold Heger, hier: Einlassung des Angeklagten Mulka, 88. Verhandlungstag, 11.9.1964 (Transkript), Quelle: Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte, S. 17.740–17.745. Vorsitzender Richter: Herr Mulka, wir sprechen eben dauernd von den Fahrten nach Dessau. Haben Sie diese Fahrten nicht veranlaßt nach Dessau? Angeklagter Mulka: Mir ist ein einziger Vorgang bekannt davon, Herr Vorsitzender. Und zwar eine Fahrt nach Dessau zum Abholen von Desinfektionsmittel, unterschrieben von Glücks, General der Waffen-SS. Für die Richtigkeit links unten in der Ecke: Mulka. Vorsitzender Richter: Ja, da habe ich noch mehrere. Ich habe zunächst hier einen Fahrbefehl, da heißt es: »Fahrgenehmigung für einen Fünftonner-Lkw mit Anhänger nach Dessau und zurück, zwecks Abholung von Materialien für die Judenumsiedlung, wird hiermit erteilt. Dem Kraftfahrer ist diese Fahrgenehmigung mitzugeben. Liebehenschel, Obersturmbannführer, ständiger Vertreter des Leiters der Dienststelle im Range eines Generalleutnants der Waffen-SS.« Und unten: »Für die Richtigkeit«, gezeichnet »Selle, Funkstellenleiter. Für die Richtigkeit der Ausfertigung: Mulka, Hauptsturmführer und Adjutant.« Angeklagter Mulka: Es kann sein. Wenn ich es unterschrieben habe, Herr Vorsitzender, ist es durchaus möglich.10 Vorsitzender Richter [unterbricht]: Wenn Sie es sich ansehen wollen. Angeklagter Mulka: Darf ich dahin kommen? Vorsitzender Richter: Ja. Dann habe ich das Weitere hier vom 2.10.42: »Fahrgenehmigung für einen Fünftonner-Lkw mit Anhänger nach Dessau und zurück zwecks Abholung von Material für die Judenumsiedlung wird hiermit erteilt. Für die Richtigkeit« Angeklagter Mulka [unterbricht]: [unverständlich] Unterschrift. Vorsitzender Richter: Auch Ihre Unterschrift. Ja. Wo ist das andere? So, ja, ja. Sehen Sie. Was haben Sie denn unter »Materialien für die Judenumsiedlung« verstanden? [Pause] Was haben Sie denn darunter verstanden, was das sein könnte? [Pause] Herr Mulka. Angeklagter Mulka: Mir war bekannt, was es bedeutete: »Judenumsiedlung«. Vorsitzender Richter: Eben. 9 Wahrscheinlich Lubliniec (dt. Lublinitz, 1941–45: Loben) in Oberschlesien. 10 Unterstreichungen im Transkript kennzeichnen Passagen, in denen sich Äußerungen der Sprecher überschneiden.

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Angeklagter Mulka: Dazu habe ich hier auch schon mich entsprechend eingelassen. Vorsitzender Richter: Und was bedeutete »Material für die Judenumsiedlung«? Angeklagter Mulka: Das dafür benötigte Material, insoweit höchstwahrscheinlich Vorsitzender Richter [unterbricht]: Wir wollen doch das Material Angeklagter Mulka [unterbricht]: Zyklon B. Vorsitzender Richter: Zyklon B, nicht. Und sehen Sie, hier ist noch ein dritter, der allerdings so schlecht fotokopiert ist. Angeklagter Mulka: Alles meine Unterschrift. […] Vorsitzender Richter: Ja. Nun ist es ja richtig, Herr Mulka, nun ist nur eins: Sie haben bisher immer den Standpunkt vertreten, daß Sie mit nichts etwas zu tun hatten. So ist es ja doch nun nicht gewesen. Sie haben doch hier immerhin diese Fahrbefehle ausgefertigt, für die Richtigkeit gezeichnet und wußten, daß Angeklagter Mulka [unterbricht]: Die Richtigkeit der Funksprüche. Vorsitzender Richter: Der Funksprüche gezeichnet und damit die Voraussetzung geschaffen, daß das Gas in Dessau geholt wurde. Angeklagter Mulka: Für einen Fahrbefehl. Vorsitzender Richter: Für einen Fahrbefehl. Angeklagter Mulka: Die Voraussetzung für einen Fahrbefehl. Vorsitzender Richter: Ja. Was sollte dieser Fahrbefehl bezwecken? Angeklagter Mulka: Wer den Fahrbefehl unterschrieben hat, kann ich nicht sagen. Vorsitzender Richter: Nein. Das ist ja auch nicht Ihre Sache. Das steht ja hier drauf, wer da drin Angeklagter Mulka [unterbricht]: Ich habe nur die Richtigkeit des Funkspruches bestätigt. Vorsitzender Richter: Und warum haben Sie die bestätigt? Warum? Angeklagter Mulka: Das gehörte zu meinen Dienstobliegenheiten. Vorsitzender Richter: Und was sollte mit dieser Abschrift geschehen, die Sie bestätigt haben? Nun, Herr Mulka, das Angeklagter Mulka [unterbricht]: Diese Abschrift sollte dann… Vorsitzender Richter: Dem Kraftfahrer Angeklagter Mulka [unterbricht]: Ein Fahrbefehl Vorsitzender Richter [unterbricht]: Mitgegeben werden, damit der Fahrer in der Lage war, die Fahrt durchzuführen. Angeklagter Mulka: Jawohl. Vorsitzender Richter: Bitte schön, nehmen Sie wieder Platz.

Quelle 3 Vernehmung des Zeugen Alfred Wetzler durch den Verteidiger Dr. Hans Laternser, 108. Verhandlungstag, 5.11.1964 (Transkript). Quelle: Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte, S. 23.831–23.843. Verteidiger Laternser: Ja. Also Sie standen nicht die ganze Stunde dort, sondern? […] Zeuge Wetzler [unterbricht]: Als die Exekution der 15 war, war ich hier.

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Verteidiger Laternser: Waren Sie da? Zeuge Wetzler: Ja. Dort war keine Promenade, ich habe dort nicht eine Stunde stehen können, weil man hat gejagt, man ist gegangen Verteidiger Laternser [unterbricht]: Ja, ja, sicher. Ja, deswegen frage ich ja auch. Zeuge Wetzler: Ja. Verteidiger Laternser: Ja. Also. Und wie weit ist die Entfernung von da bis zur Leichenhalle? Zeuge Wetzler: [Pause] Das wird vielleicht der Verteidiger besser wissen als ich, ich habe Verteidiger Laternser [unterbricht]: Bitte? Zeuge Wetzler: Vielleicht werden Sie das besser wissen, aber ich glaube, es waren 80 oder Verteidiger Laternser [unterbricht]: Nein, nein, nein, ich würde Sie dann nicht fragen. Ich würde Sie dann nicht fragen. Sie waren doch dort, und ich weiß nicht Zeuge Wetzler [unterbricht]: Ich glaube, circa 80 Meter, 60, 80 Meter. Verteidiger Laternser [unterbricht]: 80 Meter, ja. Nun, als die Erschießung erfolgte, wo standen die zu Erschießenden? Oder die, die leider erschossen worden sind? Zeigen Sie mal, wo die gestanden sind. Zeuge Wetzler: Die, hier. Verteidiger Laternser: Sie sagten »vor der Leichenhalle«. Das ist aber nicht vor der Leichenhalle. Zeuge Wetzler: Die Leichenhalle war hier an der Ecke, und die Türe von den Leichen hat man geöffnet zu der Straße. […] Verteidiger Laternser: Und wie weit standen die Schützen entfernt von den Leuten, die Zeuge Wetzler [unterbricht]: Es hat können sein auch zwei Meter, auch fünf Meter. Von solcher Verteidiger Laternser [unterbricht]: Ja. Ja. Herr Zeuge, [Pause] nun haben Sie vorhin gesagt auf die Frage des Herrn beisitzenden Richters, daß Sie beim Schießen das Feuer aus drei Gewehren gesehen haben. Zeuge Wetzler: Jawohl. Verteidiger Laternser: Wieviel Uhr war es etwa? War es hell, oder war es dunkel? […] Zeuge Wetzler: Hell. Verteidiger Laternser: Ja. Nun haben aber die Schützen, wie Sie es eben gezeigt haben, in eine Ihnen entgegengesetzte Richtung geschossen. Wie können Sie dann sagen, daß Sie das Feuer aus drei Gewehren gleichzeitig gesehen haben? Und es hell war? Zeuge Wetzler: Čiže by som povedal: — Feuer — je u nás po slovensky obrazne povedané pálení. Dolmetscher Schamschulla: Ano, výstřel. Zeuge Wetzler: Iste, ja som nepovedal, že som videl blesky alebo niečo od ohňa, ale traja padli a potom dali ďalších troch. Aby ste porozumel […] Also wie ich habe mir übersetzen lassen vom Slowakischen: Das Feuer ist bei uns — strielanie. […] Auf Slowakisch übersetzt sagt man also für Feuer Knall. Verteidiger Laternser: Also das Schießen?

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Zeuge Wetzler: Ja. Verteidiger Laternser: Ja. Wie können Sie denn sagen, daß Sie gleichzeitig drei Schüsse, wenn Sie Schüsse meinen, den Knall, daß Sie gleichzeitig drei Schüsse gehört haben? Wie können Sie das sagen? […] Zeuge Wetzler: Ja, ich habe das schon einmal gesagt, und ich werde nie was anderes sagen. Verteidiger Laternser: Ach so. Sie nehmen es an, daß das, was Sie gehört haben, gleichzeitig drei Schüsse gewesen sind. Zeuge Wetzler: Na ja, nach 20 Jahren sehe ich das wieder noch so gut. Verteidiger Laternser: Ja, gut, nun Zeuge Wetzler [unterbricht]: Und vorläufig lebe ich noch. […] Verteidiger Laternser: Nun gut. Sie sind dann weiter gefragt worden von dem Herrn Vorsitzenden, wie diese Gewehre ausgesehen haben. […] Würden Sie das mal bitte etwas näher beschreiben? Wie sah das Gewehr aus? Zeuge Wetzler: Ich bin kein Verteidiger Laternser [unterbricht]: So ein kleines Gewehr? Zeuge Wetzler: Ich bin kein Fachmann für Gewehre. […] Verteidiger Laternser [unterbricht]: War es vielleicht keine Gewehr, sondern ein Zeuge Wetzler [unterbricht]: Und wenn ich hätte sagen wollen, was für Gewehre, hätte ich mir es vielleicht zugelernt vor der Aussage. […] Die SS-Männer haben dort Gewehre gehabt, und da im Lager Birkenau, Herr Verteidiger, 175.000 Häftlinge gestorben sind, waren zwischen denen auch Erschossene. Aber ich bin kein Experte auf Verteidiger Laternser [unterbricht]: Herr Zeuge, es kommt mir jetzt im Augenblick darauf an: Diese Gewehre, von denen Sie behauptet haben, daß sie an diesem Morgen benutzt worden sind, wie groß die gewesen seien und wie sie ausgesehen haben?

Annotierte Bibliographie Zum ersten Frankfurter Auschwitzprozess (1963–1965) existiert umfangreiche Literatur. An zeitgenössisch erschienenen Bänden seien die Beobachtungen und Reflektionen von Naumann, Auschwitz; Langbein, Der Auschwitz-Prozess und Arendt, Der Auschwitz-Prozess hervorgehoben. Neben einer Vielzahl von Veröffentlichungen aus dem Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main (siehe etwa die Titel von Renz) sei auf den schwergewichtigen Ausstellungskatalog Wojak, Auschwitz-Prozess 4 KS 2/63 sowie auf zwei Studien neueren Datums hingewiesen: Wittmann, Beyond Justice und Pendas, The Frankfurt Auschwitz Trial. Umfangreiches Quellenmaterial inklusive der Transkripte der Tonbandmitschnitte der Hauptverhandlung, der Mitschriften des beisitzenden Richters und des Urteils sowie einführende Texte liegen auf DVD vor: Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte (→ Renz). Zu Fragen der Quellenkritik sei aus der Vielzahl von Einführungen in die Geschichtswissenschaft herausgegriffen: Howell / Prevenier, Werkstatt des Historikers. Für Komposition, Sprache und Stil von Vernehmungsniederschriften und für die Auslassung oder Verschleierung von Sachverhalten können die Hinweise zur Quellenkritik von Hilberg, Die Quellen des Holocaust sinngemäß angewandt werden. Zum Umgang mit Vernehmungsprotokollen sei auf die

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paradigmatische Studie von Meyer, Täter im Verhör verwiesen, sowie Rusinek, Vernehmungsprotokolle. Die Erkenntnisse der Kriminologie, insbesondere der Aussagepsychologie können ebenfalls hilfreich sein (→ Renz). Für die Vernehmungsstrategien der Strafverfolger sei auf praxisorientierte Hand- und Lehrbücher für die polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Vernehmung hingewiesen, insbesondere zu Vernehmungstaktiken und zu Frage- und Gesprächstechniken: Schubert, Die Vernehmung im Ermittlungsverfahren oder Brockmann / Chedor, Vernehmung. Hilfe für den Praktiker. Zur Verwendung von Fotografien als Beweismittel im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher und im Frankfurter Auschwitz-Prozess Brink, Ikonen der Vernichtung und Brink, Das Auschwitz-Album vor Gericht. Die historische Forschung hat das Thema bisher primär aus dem Blickwinkel der Erinnerungsgeschichte betrachtet, etwa Knoch, Die Tat als Bild (v. a. mit Blick auf Eichmann und Höß, S. 641–685); sowie in Paul, Visual History neben anderen Beiträgen besonders Knoch, Verschobene Schuld. Brink, Vor aller Augen thematisiert den geschichtswissenschaftlichen Umgang mit Gewaltdarstellungen, die ohne Einwilligung der Opfer gemacht wurden. Mit verschiedenen, teils über das Strafprozessuale hinausgehenden Aspekten von Zeugenschaft und Opfer-Zeugen befassen sich Beiträge der Sammelbände Elm / Kößler, Zeugenschaft des Holocaust und Baer, Niemand zeugt für den Zeugen. Für den Frankfurter Auschwitz-Prozess sei insbesondere hingewiesen auf die Schriften Emmi Bonhoeffers (Bonhoeffer, Zeugen im Auschwitz-Prozeß und Dies., Essay), auf deren Initiative die private Betreuung der Zeugen zurückging. Auf oral history-Interviews beruhen von Plato, Vom Zeugen zum Zeitzeugen und Knellessen, Momentaufnahmen der Erinnerung. Exemplarisch Knellessen, Momente der Wahrheit zu Rudolf Vrba, der maßgeblich zur Verurteilung Robert Mulkas beitrug. Außerdem: Wittmann, Telling the Story und Dies., Beyond Justice. Zu Verteidiger Hans Laternser Dirks, Selekteure als Lebensretter. Beiträge zur Erinnerung an den Holocaust in verschiedenen Staaten enthält der Sammelband Knigge / Frei, Verbrechen erinnern, u. a. von Sznaider zu Israel und von Dmitrów zu Polen. An Monographien zu diesem Thema sind insbesondere Rousso, Le Syndrome de Vichy (Frankreich), Novick, Nach dem Holocaust (USA) und Segev, Die siebte Million (Israel) als wegweisend hervorzuheben. Zu Israel außerdem Yablonka, Nazi-Prozesse und Holocaust-Überlebende. Der Eichmannprozess war für Israel von zentraler Bedeutung. Die Literatur zum Prozess kann hier nicht ausführlich vorgestellt werden, u. a. haben sich Douglas, The memory of Judgement und Yablonka, The State of Israel vs. Adolf Eichmann mit den erinnerungskulturellen Auswirkungen befasst. An Quellen sind gedruckt verfügbar ein Transkript der Tonbandaufzeichnungen der Vernehmungen Eichmanns (Less / von Lang, Das Eichmann-Protokoll) sowie das Wortprotokoll der Verhandlung in Jerusalem (The Trial of Adolf Eichmann). Darüber hinaus Quellensammlungen älteren Datums, die auszugsweise Material aus dem Prozess zugänglich machen (Schmorak, Sieben sagen aus; Ders., Der Eichmann-Prozeß; Less, Schuldig). Dem Zusammenhang zwischen Trauma und Strafprozess spürt Felman, The Juridical Unconscious u. a. am Beispiel des Eichmann-Prozesses nach. Ebenfalls mit Blick auf den Eichmann-Prozess Brunner, Trauma in Jerusalem, außerdem Felman / Laub, Testimony sowie Liebermann, Trauma und Schneider, Trauma und Zeugenschaft. Das Modell des moralischen Zeugen hat der israelische Philosoph Avishai Margalit im Rahmen der Frankfurter Max-Horkheimer-Vorlesungen entwickelt (Margalit, Ethik der Erinnerung). Aleida Assmann erkennt darin einen der Vier Grundtypen von Zeugenschaft (neben juridischem, religiösem und historischem Zeugen). Zum jüdischen Zeugnisgebot Mizwat Edut Krochalnik, Pflicht Nr. 122.

Dieter Pohl

Sowjetische und polnische Strafverfahren wegen NS-Verbrechen – Quellen für den Historiker?

Die Sowjetunion und Polen waren die ersten Länder, die im Zweiten Weltkrieg Strafverfahren wegen nationalsozialistischer Verbrechen durchführten. Die sowjetische Geheimpolizei des NKVD (Volkskommissariat des Inneren) begann damit insgeheim bereits im Frühjahr 1942, Polen unmittelbar nach der weitgehenden Vertreibung der deutschen Besatzungsmacht Ende 1944. Der erste polnische Prozess wurde vom 27. November bis zum 2. Dezember 1944 vor dem Sondergericht Lublin gegen fünf SS-Wachmänner des Konzentrationslagers Majdanek durchgeführt – alle Angeklagten wurden zum Tode verurteilt. Gemeinsam war den Prozessen in beiden Ländern, dass sie im Kontext etablierter kommunistischer Herrschaft bzw. deren Errichtung abliefen, und dass sie sich sowohl gegen Angehörige der eigenen Bevölkerung als auch gegen eine hohe Zahl von Reichsdeutschen richteten, die entweder in den Ländern selbst festgesetzt oder von anderen Staaten – in der Regel den Westalliierten – ausgeliefert worden waren. Dies kann man – wenn auch in begrenztem Ausmaß – auch für die Verfahren in der Tschechoslowakei und in Jugoslawien konstatieren. In diesen beiden Ländern hatten vorher jedoch anders strukturierte deutsche Besatzungsregime geherrscht, zum Teil regelrechte Kollaborationsregierungen mit durchaus breiteren Handlungsspielräumen. In der Tschechoslowakei waren von den NS-Verbrechen vor allem die Juden betroffen, in Jugoslawien fielen vor allem Serben den Verbrechen des Ustascha-Regimes und den deutschen Repressal-Massakern zum Opfer. Die Zahl der verurteilten Deutschen war in der ČSR sehr hoch; gegen eigene Staatsbürger beruhten die Verfahren dort eher auf einem allgemein gehaltenen Vorwurf der Kollaboration als auf konkreten Verbrechen. Für Jugoslawien fehlen bis heute genaue Statistiken. Zunächst gilt es, den politischen und rechtlichen Hintergrund dieser Verfahren zu skizzieren. In der Sowjetunion standen sie in der Kontinuität einer Tradition politischer Prozesse. Zunächst wurde das Instrumentarium stalinistischer Feindbekämpfung mittels Geheimverfahren des NKVD seit 1942 auch gegen echte oder vermeintliche Kollaborateure mit der deutschen Besatzungsmacht gerichtet. Formal gesehen stützten sich diese Verfahren auf die

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berüchtigten Artikel 58 bzw. 56 der Republik-Strafgesetzbücher Russlands und der Ukraine, diesmal weniger wegen konterrevolutionärer Aktivität als vielmehr wegen Vaterlandsverrat.1 Auf neuere Erfahrungen wurde bei der Aburteilung der Kollaboration in den annektierten Westgebieten zurückgegriffen. Vor allem im Baltikum und in der Westukraine war nach dem sowjetischen Einmarsch 1939/40 bis zum Juni 1941 jeweils massiv gegen Angehörige des nationalistischen Untergrunds vorgegangen worden. Als dort ab 1944 massenhaft gegen echte und vermeintliche Kollaborateure der deutschen Besatzer vorgegangen wurde, saßen teils dieselben Personen wie 1940/41 auf der Anklagebank. Andere Völker wurden dagegen kollektiv bestraft: Krimtataren, Tschetschenen und Inguschen etwa wurden in Massendeportationen nach Zentralasien und Sibirien gezwungen. Ob es parallel dazu außerdem einzelne NKVD-Verfahren gab, denen einzelne »Kollaborateure« aus deren Reihen zum Opfer fielen, ist bisher kaum erforscht. Sicher galt dies jedoch für die Sowjetdeutschen, also Bürger der Sowjetunion deutscher Abstammung, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg seit 1933 besonderen Verfolgungen zum Opfer gefallen waren. Sie wurden ab 1944 in vielen Fällen sowohl deportiert als auch verurteilt. Im Gegensatz dazu stellten die Strafverfahren gegen Reichsdeutsche (wie im übrigen auch gegen deren ungarische und rumänische Verbündete) qualitativ etwas Neues dar. Die sowjetische Staatsführung war dabei sowohl an einer Bestrafung von Kriegsverbrechen interessiert als auch an der Instrumentalisierung der Prozesse für die internationale Politik. Stalin wollte nicht nur gegenüber der eigenen Bevölkerung demonstrieren, dass in der Sowjetunion faschistische Kriegsverbrecher und Kollaborateure besonders konsequent bestraft würden. Ihm war außerdem daran gelegen, die Schäden durch Krieg und Besatzung möglichst breit zu dokumentieren, um Reparationsforderungen für die Zeit nach dem Krieg zu unterstreichen. Mit dem Kriegsende kam für Prozesse gegen deutsche Angeklagte ein weiteres Motiv hinzu: Die Kriegsgefangenen galten der Sowjetführung als deutschlandpolitisches Faustpfand, das es möglichst lange in der Hand zu behalten galt. Um den langen Aufenthalt der Internierten in den sowjetischen Lagern zu legitimieren, sollten möglichst viele als Kriegsverbrecher identifiziert werden. In Polen hingegen fehlten diese Kontinuitäten lange geübter staatlicher Verfolgungs- und Unterdrückungspraxis. Allerdings hatten sowohl die polnische Exilregierung in London als auch die bürgerliche Untergrundbewegung seit 1941 Überlegungen zur Bestrafung der Kriegsverbrecher nach einer etwaigen Befreiung angestellt. Die Exilregierung unterstützte maßgeblich die Schaffung internationaler Ermittlungsagenturen, insbesondere die nach langwierigen Debatten 1943 eingerichtete United Nations War Crimes Com1 Strafgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjet-Republik, Art. 58.

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mission (→ Eiber). Gleichzeitig drohte die Untergrundbewegung, Landsleute noch während der deutschen Besatzungsherrschaft wegen Kollaboration zu bestrafen. Tatsächlich hatte es besonders ab 1943 eine Reihe von UntergrundGerichtsverfahren in Abwesenheit der Angeklagten gegeben, infolge derer prominente Kollaborateure erschossen wurden. Mit der Befreiung der Osthälfte des Landes im Sommer 1944 machte sich auch das kommunistisch gesteuerte Volksbefreiungskomitee die Forderung nach Kriegsverbrecherprozessen zu eigen. Die meisten polnischen Kriegsverbrecherprozesse fanden zwischen 1945 und 1947 statt. Während dieser Kernphase herrschte in Polen ein brutaler Kampf um die Macht – genauer gesagt ein kommunistischer Unterdrückungsfeldzug gegen die traditionellen Institutionen des Landes und gegen die Reste des national-bürgerlichen Widerstandes. Dennoch scheint es so, als ob die Kriegsverbrecherprozesse zu dieser Zeit noch wenig von der sich parallel vollziehenden kommunistischen Machtergreifung beeinflusst wurden. Freilich geriet das Bestreben zur Bestrafung der Kriegsverbrechen in Polen immer mehr in den Sog der Vertreibungspolitik, die sich gegen die Deutschen richtete, d. h. die Deportation der deutschsprachigen Minderheit aus Polen und der deutschen Bevölkerung aus den Ostgebieten des Deutschen Reiches. Sicher haben die Verfahren als Legitimierung für die Vertreibung eine gewisse Rolle gespielt. Ein direkter Zusammenhang ist jedoch bisher noch nicht erforscht. Obwohl die Sowjetunion die Deutschen auch aus Nordostpreußen vertrieb, scheint es hier kaum einen Zusammenhang mit den Strafprozessen zu geben. Bereits 1947/48 zeichnete sich ein Abflauen der Verfahren in Osteuropa ab. Die Gründe hierfür waren vielfältig: Die meisten Verdächtigen, derer man bisher habhaft geworden war, waren abgeurteilt, und ab 1947 lieferten die Westalliierten kaum noch Beschuldigte, die Verbrechen in Polen begangen hatten, dorthin aus.2 Die zentralen Anklagepunkte der Kriegsverbrechen wurden zusehends von gegenwartsbezogenen Beschuldigungen (etwa konterrevolutionäre Bestrebungen gegen den kommunistischen Staat) überdeckt; und schließlich sah man – wie auch im Westen – die Zeit für eine Neuorientierung der Deutschlandpolitik gekommen, insbesondere mit Blick auf ein zukünftiges kommunistisches Deutschland in der sowjetischen Besatzungszone. Zudem zeichnete sich auch in Osteuropa, ähnlich wie überall auf dem Kontinent, eine Politik der Integration derer ab, die mit den deutschen Besatzern zusammengearbeitet hatten oder anderweitig als belastet galten. Fast analog zur Politik in der DDR wurde seit 1951 auch in Polen um die kleineren Kollaborateure geworben, nicht zuletzt im Hinblick auf die Konsolidie2 Vgl. Verzeichnis der Ausgelieferten: Kobierska-Motas, Elżbieta, Ekstradycja przestępców wojennych do Polski z czterech stref okupacyjnych Niemiec 1946–1950, Warszawa 1991.

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rung der neuen kommunistischen Herrschaft. In der Sowjetunion schließlich ermöglichte die zaghafte Entstalinisierung ab 1954 Massenentlassungen aus dem Gulag, von denen auch Kollaborationsverurteilte profitieren konnten. Die Anfänge der Verfahren in der Sowjetunion sind in den ersten Monaten des Jahres 1942 anzusetzen. Unmittelbar nach der sowjetischen Gegenoffensive vor Moskau im Dezember 1941 begann das NKVD mit seinen Ermittlungen gegen Kollaborateure, die nach einigen Monaten zu ersten Verurteilungen führten. Zwar gerieten zu diesem Zeitpunkt auch Deutsche in Kriegsgefangenschaft, es existieren bisher aber nur wenige Indizien für derart frühe Kriegsverbrecherprozesse gegen gefangene deutsche Soldaten. Am 19. April 1943 erließ das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR den Ukaz 43, auf dessen Grundlage die »deutschen, italienischen, rumänischen, ungarischen und finnischen faschistischen Übeltäter«, die sich Verbrechen an der Zivilbevölkerung oder an Rotarmisten schuldig gemacht hatten; sie sollten, ebenso wie einheimische »Spione und Verräter der Heimat […] mit dem Tod durch Erhängen«3 bestraft werden. Für Kollaborateure war eine Inhaftierung in Arbeitslagern für die Frist von 15 bis 20 Jahren vorgesehen (→ Eiber). In einem ersten größeren Schauprozess wurden Mitte Juli 1943 in Krasnodar elf sowjetische Bürger verurteilt, acht davon zum Tode. Als Auftakt für die Aburteilung Deutscher kann der Schauprozess von Charkow im Dezember 1943 gelten, der international für Furore sorgte. Angeklagt waren ein sowjetischer Kollaborateur, der als Kraftfahrer bei einem Kommando der Sicherheitspolizei tätig gewesen war, ein Hauptmann der Wehrmacht, ein SSUntersturmführer und ein Obergefreiter der Geheimen Feldpolizei. Thema des Prozesses waren die Massenmorde an Juden in Charkow und an sowjetischen Bürgern nach der deutschen Wiedereroberung der Stadt im Mai 1943. Die Urteile von Krasnodar und Charkow wurden veröffentlicht. Mit der Rückeroberung des sowjetischen Territoriums ab Frühjahr 1943 begannen flächendeckende Ermittlungen der Geheimpolizei. Nach momentanem Kenntnisstand wurden bereits 1943 etwa 40.000, bis in die ersten Kriegsjahre etwa 300.000 sowjetische Bürger wegen Kollaboration verhaftet; den meisten davon dürfte ziemlich schnell der Prozess gemacht worden sein. Dagegen stoppte die sowjetische Führung anscheinend zeitweise die Verfahren gegen deutsche Kriegsgefangene. In einer genau durchinszenierten Aktion wurden erst um die Jahreswende 1945/46 etwa ein Dutzend großer Schauprozesse gegen hochrangige Deutsche, meist Generäle durchgeführt. Sie fanden parallel zu den Nürnberger Prozessen in zahlreichen Großstädten statt. Das rechtsstaatliche und juristische Fundament dieser Schauprozesse war gering: Die Vorbereitung der Verfahren wurde teils bis ins Detail 3 Abgedr. in: Ueberschär, Nationalsozialismus vor Gericht, S. 279–281.

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aus Moskau gesteuert, den Verhören folgte ein Prozess, der beinahe unweigerlich mit der Verurteilung zur Höchststrafe endete. Freilich wurde dabei eine Reihe von schwerstbelasteten Massenmördern abgeurteilt. Auch in späteren Phasen wurden die Prozesse quasi in Wellen durchgeführt, vor allem Ende 1947 und 1949/50 gab es in großer Zahl Geheimverfahren gegen deutsche Soldaten. Dabei ergingen meist Haftstrafen von 25 Jahren, insbesondere in der Zeit von 1947 bis 1950, als die Todesstrafe in der Sowjetunion zeitweise suspendiert war. Die Zahl der Verurteilten in diesen nichtöffentlichen Verfahren wird für die Jahre 1945–1948 auf etwa 1.000, in den großen Massenprozessen 1949/50 auf etwa 20.000 geschätzt. Letztere waren Massenverfahren, die vor Militärtribunalen der Truppen des sowjetischen Innenministeriums durchgeführt wurden, und über deren Mangel an rechtsstaatlicher Qualität keine Zweifel bestehen. Die letzten dieser Verfahren gegen Deutsche lassen sich etwa für das Jahr 1952 nachweisen. Bezüglich der Strafverfahren gegen ehemalige Reichsdeutsche verfügen wir zwar über genauere Statistiken, es lässt sich jedoch nicht näher bestimmen, wie viele der mindestens 26.000 Verurteilungen, die wegen Kriegsverbrechen ausgesprochen wurden, auf tatsächlicher individueller Schuldzuweisung beruhen. Während im übrigen Osteuropa die Strafverfolgung im Großen und Ganzen im Laufe der fünfziger Jahre praktisch abgeschlossen war – durchaus parallel zu den Verfahren in ganz Europa – folgten in der Sowjetunion weiterhin regelrechte Prozesswellen: Besonders in den 1950er Jahren wurden viele Sowjetdeutsche vor Gericht gestellt – anscheinend hatte man an den Verbannungsorten ihre Kriegsaktivitäten erst spät erkannt. Auch für die 1960er Jahre sind eine Reihe z. T. spektakulärer NS-Prozesse in der Sowjetunion zu verzeichnen, so 1966/67 in Dnepropetrovsk zum Wachpersonal des Vernichtungslagers Belzec. Möglicherweise stehen diese Konjunkturen im Zusammenhang mit dem propagandistischen Kampf um die strafrechtliche Verjährung von NS-Verbrechen in der Bundesrepublik. Auch danach kam es immer wieder zu Prozessen wegen Besatzungsverbrechen, zuletzt nach momentanem Kenntnisstand im Jahr 1997. Insgesamt erheblich besser als zu den sowjetischen Verfahren ist der Kenntnisstand zu den polnischen NS-Prozessen, da sie weitgehend öffentlich geführt wurden. Für eine kurze Phase etablierte sich in Polen eine Sondergerichtsbarkeit in NS-Sachen. Sie bestand aus dem Obersten Gerichtshof, der zwölf besonders spektakuläre Verhandlungen abhielt, etwa gegen den Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, und aus regionalen Sondergerichten, die bis 1946 existierten. Danach ebbte die Zahl der Verfahren deutlich ab; diese wurden nun von den regulären Wojewodschaftsgerichten übernommen. Anfang der 1950er Jahre folgten noch einige große Verfahren gegen prominente NS-Führer, der Prozess gegen den ostpreußischen Gauleiter Erich Koch setzte

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1959 vergleichsweise spät den Schlusspunkt. Nach offizieller polnischer Statistik wurden an die 100.000 Ermittlungsverfahren geführt; etwa 5.400 Deutsche wurden wegen NS-Verbrechen verurteilt, außerdem etwa 13.000 polnische Staatsbürger, zumeist sogenannte Volksdeutsche. Nach dem Sturz des Kommunismus gab es in Polen neue Bemühungen, Besatzungsunrecht aufzuklären. Die Hauptkommission zur Untersuchung der Verbrechen am polnischen Volk ermittelte vor allem gegen polnische Kollaborateure beim Massenmord. Noch in den 1990er Jahren ergingen einige Urteile. An der quantitativen Bilanz der Verfahren änderte dies indes kaum noch etwas. Es ist beinahe unmöglich, aus der Vielzahl der sowjetischen Verfahren solche exakt herauszufiltern, die tatsächlich Tötungsverbrechen während der deutschen Besatzungszeit zum Gegenstand hatten. Der erhobene Vorwurf war oft pauschaler Natur. Den Tatbestand der Kollaboration legte das NKVD extrem weit aus: Dabei konnte es sich um die Teilnahme an einer Massenerschießung handeln, aber auch um die Tätigkeit einer einheimischen Putzfrau bei der Wehrmacht. Und auch die Mitgliedschaft in einer antikommunistischen Untergrundgruppe wie der Organisation Ukrainischer Nationalisten konnte schnell als Kollaboration ausgelegt werden. Dennoch zeigen ausführliche Stichproben in sowjetischen Verfahrensakten, dass hier nicht durchweg und ausschließlich auf der Basis kollektiver Zugehörigkeiten oder pauschaler Behauptungen gearbeitet wurde. Ein erheblicher Teil der Angeklagten war in der von der Wehrmacht bzw. der deutschen Polizei aus Einheimischen rekrutierten Hilfspolizei für deutsche Interessen tätig gewesen, und in vielen Gebieten ging damit die Teilnahme an Massenverbrechen einher. Eine regionale Untersuchung für Weißrussland hat ergeben, dass von den Hilfspolizisten eines Ortes etwa 50 % mit den Deutschen geflüchtet waren, als diese den Rückzug antraten. Etwa ein Sechstel hat den Krieg nicht überlebt, das restliche Drittel fiel dem NKVD in die Hände. Von letzteren kamen die meisten vor Gericht und anschließend in den Gulag. In Lemberg hingegen konnte das NKVD nur einen von 800 ukrainischen Hilfspolizisten ergreifen – was sicherlich als Ausnahme einzustufen ist. Sieht man sich nun die gesamten Mannschaftsstärken der Hilfspolizei in den besetzten Gebieten an, also etwa 300.000 Mann inklusive Feuerwehr, so wird man dennoch mit der Annahme nicht fehlgehen, dass wohl mehrere Zehntausend dieser Hilfspolizisten vor Gericht kamen. Da sicher ein erheblicher Teil der Angeklagten lediglich wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Formation verurteilt wurde, scheint sich die Zahl der Verfahren wegen tatsächlicher NS-Verbrechen eher im Bereich von vielen Tausend oder höchstens wenigen Zehntausend zu bewegen. Erst seit den 1950er Jahren betrieb der KGB (Komitee für Staatssicherheit) aufwendige Ermittlungen über die genaue Tätigkeit des jeweiligen Beschuldigten, d. h. es wurden nun eindeutige NS-Verbrechen thematisiert.

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Tendenziell anders verhält es sich mit den deutschen Angeklagten, meist Angehörige der Wehrmacht oder der SS. Oftmals hatten diese besonders verbrecherischen Einheiten oder Dienststellen angehört, allerdings fehlte ein Nachweis der individuellen Tatbeteiligung. Deshalb ist besondere Vorsicht angebracht, wenn man Bilanzen über Verurteilungen in der Sowjetunion in die allgemeine Statistik verurteilter NS-Verbrecher aufnehmen will. Bei den NS-Verfahren in Polen standen hingegen Reichsdeutsche vor Gericht, die oft schwer belastet waren. Der individuelle Tatnachweis wurde, wenn auch oft auf der schmalen Basis von wenigen Zeugenaussagen, in jedem Fall geführt, sieht man von kürzeren Strafen wegen Zugehörigkeit zur SS ab. Soweit es sich bisher überblicken lässt, beschäftigten sich die meisten NS-Verfahren in Polen mit Verbrechen an nichtjüdischen Polen. In der Sowjetunion orientierten sich die verhandelten Taten hingegen meist an den regionalen Schwerpunkten verbrecherischer Praxis, also im Westen des Besatzungsgebietes vor allem Morde an Juden, weiter östlich eher an Nichtjuden. Freilich fehlen noch genaue inhaltliche Analysen, ebenso wie eine intensive Erforschung dieser Verfahren insgesamt. Die Gretchenfrage bei der Beschäftigung mit den osteuropäischen NS-Prozessen lautet: Wie steht es um die Rechtsstaatlichkeit dieser Verfahren? Die Antwort könnte kurz ausfallen: Sie war in der Sowjetunion eindeutig nicht gegeben. Sie bewegten sich in den Bahnen stalinistischer Justiz, wenn auch die grotesken Rituale der Schauprozesse seit 1936 nur noch in Ansätzen nachvollzogen wurden. Ein erheblicher Teil der Beschuldigungen beruhte auf den Angaben der Angeklagten selbst, die nicht nur durch die Anwendung von Gewalt bei den Verhören gewonnen wurden. Vielmehr wandten sowjetische Ermittlungsbeamte meist eine ausgeklügelte Technik von Gegenüberstellungen verschiedener Angeklagter an, was mit erheblichem psychischem Druck verbunden war. Bei den deutschen Angeklagten wirkte zusätzlich der Schock über die Gefangennahme desorientierend. Darüber hinaus besorgte sich das NKVD einen Teil der Vorwürfe auf dem Wege der Denunziationen, indem es V-Männer einsetzte. Erst eine sorgfältige Prüfung von Parallelüberlieferungen im Westen, unter Umständen auch in Polen, ermöglicht die Verifizierung bestimmter Verfahrensinhalte. Oftmals bietet sich die Möglichkeit, Ermittlungsverfahren deutscher Strafverfolgungsbehörden (→ Kunz, Zentrale Stelle) heranzuziehen, die zum gleichen Tatkomplex ermittelten und andere, heimgekehrte Angehörige einer Einheit befragte. Seit den 1990er Jahren wurden einzelne Verfahren durch Gerichte in den USA und in Kanada einer Überprüfung unterzogen, als diese Länder selbst mit Prozessen gegen ehemalige osteuropäische Kollaborateure begannen, die nach 1945 eingewandert waren. Dabei ergab

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sich, dass nicht selten Beschuldigungen oder Selbstbezichtigungen nicht der Wahrheit entsprochen hatten. Andererseits standen auch vor sowjetischen Gerichten eine Vielzahl schwer belasteter Täter oder einheimischer Helfer beim Massenmord – insbesondere bei letzteren spielte der Zeugenbeweis örtlicher Einwohner eine große Rolle und ermöglichte einen individuellen Tatnachweis. Die Einschätzung der Verfahren in Polen ist weniger eindeutig. Zwar befand sich das Land im Prozess kommunistischer Machtergreifung, doch hatte dies nur bedingt Auswirkungen auf die für die NS-Verfahren zuständige Justiz. Von besonderer Bedeutung ist, dass in Polen die eindeutig politischen Verfahren, die sich gegen den zeitgenössischen Antikommunismus richteten, separat von der Militärjustiz übernommen wurden. An den regulären Strafgerichten richteten dagegen zumeist die polnischen Juristen der Zwischenkriegszeit, sofern sie den nationalsozialistischen Verbrechen an der polnischen Elite entgangen waren. Sie sahen sich eher rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet. Ohne Zweifel herrschte aber auch in Polen allgemein ein glühender Hass auf die Besatzer, und so sind auch in polnischen Untersuchungsgefängnissen Misshandlungen der Angeklagten nachweisbar. Sieht man sich aber die Substanz der gerichtlichen Beweisführung an, so ist diese nicht weit von den Ergebnissen entfernt, zu denen die zeitgleichen Anstrengungen deutscher Staatsanwälte in den westlichen Besatzungszonen führten. Welche Erkenntnisse verspricht die Nutzung osteuropäischer Verfahrensakten dem Historiker, und wo liegen die Grenzen? Diese Frage stellt sich vor allem für die sowjetischen Verfahrensakten, in deren Fall von einem rechtsstaatlichen Ansprüchen auch nur in Ansätzen genügenden Verfahrensverlauf nicht ausgegangen werden kann. Für eine wissenschaftliche Auswertung in Frage kommen hier fast ausschließlich solche Verfahren, in denen überhaupt der Versuch unternommen wurde, den individuellen Tatnachweis zu führen. Dies war am ehesten bei Prozessen gegen Kollaborateure, aber auch bei deutschen Tätern niedrigen oder mittleren Ranges der Fall, die »vor Ort« Verbrechen begangen hatten. So sind die Ermittlungsakten vor allem für die Mikroperspektive von Bedeutung, für Verbrechenskomplexe in größeren und kleineren Städten, bisweilen sogar in Dörfern oder in Lagern. Dabei wird die örtliche Struktur von Besatzungsverwaltung ebenso deutlich wie das Handeln der deutschen Polizei, vor allem aber die der einheimischen Hilfsorgane und das Verhalten einzelner Kollaborateure. Bisweilen ergeben sich tiefe Einblicke in die gewalttätige Welt des Dorfes oder der Kleinstadt unter der Besatzung. Eher am Rande greifbar sind Aspekte wie der alltägliche Profit einzelner Bewohner am Holocaust, die die Gelegenheit nutzten, sich die Hinterlassenschaft der deportierten und ermordeten Juden anzueignen, oder die unorganisierte Kollaboration etwa in Form von Denunziationen oder Morden auf

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eigene Initiative. Auch wenn sich für daran anknüpfende Fragestellungen größere Zeitzeugen-Befragungsprojekte der letzten Jahre als ergiebiger erweisen, lassen sich deren Ergebnisse dennoch sinnvoll mit dem NKVD-Material oder den Berichten der staatlichen Untersuchungskommissionen verzahnen und unterfüttern. Auf der anderen Seite enthalten die osteuropäischen Justizquellen nur vereinzelt Informationen über Struktur und Dynamik der deutschen Tatorganisation, also über die Befehlsgebung, über Initiativen oder Widerstände – die Strafverfolgung hatte an diesen Fragen ein bestenfalls nachrangiges Interesse. Gerade bei höherrangigen deutschen Funktionären der Besatzungsherrschaft, die in die Hand polnischer und besonders sowjetischer Behörden fielen, ist allerdings denkbar, dass andere, bisher noch nicht zugängliche Geheimdienstunterlagen hierzu noch mehr Gehalt aufweisen könnten. Freilich sind selbst große Prozesse bis heute noch nicht im Detail ausgewertet, etwa jene gegen die »Besatzungskönige«, die NSDAP-Gauleiter Albert Forster (Danzig-Westpreußen), Artur Greiser (Posen) und Erich Koch (Ostpreußen), der gleichzeitig als Reichskommissar in der Ukraine amtierte. Bei allen Kautelen muss am Ende die pragmatische Erkenntnis stehen, dass eine intensive Beschäftigung mit der Geschichte nationalsozialistischer Verbrechen in Osteuropa ohne die Auswertung der Justizakten kaum möglich scheint. Oft sind sie die einzige Quelle, die überhaupt eine lokale Perspektive für die osteuropäischen Gebiete eröffnet – eine Perspektive, die Voraussetzung ist für eine Gesellschaftsgeschichte der Massenmorde am Ort ihres Geschehens (→ Keller). Zum anderen ist das Material zeitlich so nah am Geschehen wie nur wenige andere Justizakten. Manchmal wurden Verfahren bereits wenige Monate nach der Tat durchgeführt. Der Mangel an anderem Quellenmaterial ist vor allem auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion spürbar, wo nach 1948 fast keine Befragungen mehr zur Besatzungszeit unternommen wurden. Hier klaffen im Vergleich zum übrigen Europa enorme Quellenlücken. Die Interviews neuerer Projekte, die seit den 1990er Jahren durchgeführt wurden, können diese Defizite nicht annähernd wettmachen; nur unter Heranziehung von Material juristischer und geheimdienstlicher Provenienz lassen sie sich ansatzweise füllen. Mit einer angemessenen Fragestellung und fundierter Quellenkritik gerüstet, die insbesondere individuelle Beschuldigungen einer genauen Prüfung unterzieht, lässt sich noch viel aus den osteuropäischen NS-Verfahrensakten herausholen. Dabei steht die Forschung heute erst am Anfang.

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Annotierte Bibliographie Archivische Überlieferung: Die polnischen Verfahrensdokumente sind seit über 15 Jahren im Warschauer Institut des Nationalen Gedenkens (Instytut Pamięci Narodowej, IPN) zugänglich, in dem die Hauptkommission für die Untersuchung der Verbrechen am polnischen Volk aufging (www.ipn.gov.pl). Die Publikation eines Registers ist in Vorbereitung. Die Akten stehen der historischen Forschung also zur Verfügung und werden durch entsprechende Findmittel erschlossen. Deutlich schwieriger gestaltet sich der Zugang zu den sowjetischen Verfahren, die unter der Regie des NKVD und dessen Nachfolgers KGB durchgeführt wurden. Diese werden in der Regel immer noch bei den Nachfolgeorganisationen verwahrt, lediglich in den baltischen Staaten wurden sie an die Staatsarchive abgegeben (→ Eiber, → Linkliste). Aus Sicht des Forschers zusätzlich verkompliziert wird die Situation durch die Rehabilitierungsgesetze der einzelnen Staaten, die einen Persönlichkeitsschutz eingeführt haben, der eine Akteneinsicht erschwert und teilweise verhindert. Über den momentanen Stand der Rechtslage und Aktenöffnung besteht noch kein Überblick. Eingeschränkter Zugang zu den osteuropäischen Verfahrensakten war schon vor 1990 möglich. Seit Mitte der 1960er Jahre haben Polen und, in geringerem Maße die Sowjetunion Verfahrensteile, insbesondere Vernehmungsprotokolle im Rahmen der Rechtshilfe an die bundesdeutsche Justiz geschickt. Ab Ende der 1980er Jahre konnten dann amerikanische und kanadische Ermittler die sowjetischen Akten vor Ort prüfen und damit einen Einblick in die Struktur der Verfahren bekommen. Auf dem Umweg über Nordamerika ist es wiederum dem Historiker möglich, Kenntnisse zu erlangen. So hat etwa das US Holocaust Memorial Museum (USHMM) in größerem Umfang sowjetische Verfahrensakten auf Mikrofilm aufgenommen. Einen Überblick über die entsprechenden Bestände liefert der Archival Guide to the Collections of the USHMM (www.ushmm.org/research/center/archguide). Urteile und Prozessprotokolle von Schauprozessen in der Sowjetunion wurden zu Propagandazwecken von der Staatsführung in mehreren Sprachen veröffentlicht, so auch zu den Schauprozessen in Krasnodar und Charkov: Prozeß in der Strafsache gegen die faschistischen deutschen Okkupanten und Gerichtsprozeß über die Bestialitäten der faschistischen deutschen Okkupanten. Polnische und sowjetische Strafermittlungen: Die NS-Prozesse in beiden Ländern sind noch nicht gründlich erforscht. Gute Überblicke geben vor allem Borodziej, Hitleristische Verbrechen und Kulesza, Völkermord vor Gericht für Polen, Hilger, Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf für die Sowjetunion. Mehrere Forschungsprojekte untersuchten sowjetische Verfahren gegen Kriegsgefangene und Zivilisten, vgl. Karner / Selemenev, Österreicher und Sudetendeutsche vor sowjetischen Militär- und Strafgerichten. Hervorzuheben sind auch die Mikrostudien von Kuromiya, Freedom and Terror in the Donbas und Penter, Collaboration on Trial zu den Kollaborations-Prozessen im Donecbecken. Ein Sammelband zum Thema steht vor dem Erscheinen: Dean / Prusin, War Crimes Trials in Eastern Europe and the Soviet Union. Verwendung des Prozessmaterials: Die polnischen Prozessakten sind schon vielfach verwendet worden und fließen meist in die Literatur zur Besatzungspolitik und zu den Massenverbrechen mit ein. Für sowjetische Kriminalakten trifft dies nur in sehr eingeschränktem Maße zu. Dean, Collaboration in the Holocaust hat entsprechendes Material verwendet, Penter für ihre Geschichte des Donecbeckens unter deutscher Herrschaft, die demnächst als Buch erscheint.

Werner Renz

Tonbandmitschnitte von NS-Prozessen als historische Quelle

In Verfahren gegen NS-Täter vor bundesdeutschen Schwurgerichten waren häufig Zeugen das Beweismittel, auf das sich die Strafrichter bei ihrer Wahrheitserforschung (§ 244 StPO) stützen mussten. In ihrer Mehrheit waren die Zeugen selbst Opfer der NS-Verfolgungspolitik, Überlebende der zur Verhandlung stehenden Verbrechen. Neben den Opferzeugen gab es die Gruppe der Aussagepersonen, die auf der Seite der Täter unmittelbar (Direkttäter) bzw. mittelbar (Initiativ-, Schreibtischtäter) an den Straftaten beteiligt gewesen war (→ Finger / Keller). Bei diesen Zeugen (Täterzeugen) handelte es sich vor allem um einstige Angehörige der SS, Mitglieder von Polizeiformationen, Beamte von Zivilverwaltungsstellen etc. Im Strafrecht gilt der Zeugenbeweis (Personalbeweis) als das schlechteste Beweismittel. Die Urteilsfindung ausschließlich auf die Vernehmung von Beweispersonen stützen zu müssen war für die Tatrichter in den NS-Prozessen ein schwieriges Unterfangen. Der Zeitabstand zum Tatgeschehen war groß, die Beweisvergänglichkeit beträchtlich. Als Anfang der 1960er Jahre Sammel- bzw. Komplexverfahren gegen NSTäter1 durchgeführt wurden, war den Prozessparteien bewusst, dass die voraussichtlich lange Verfahrensdauer und die oftmals große Zeugenanzahl für die Organe der Rechtspflege – Gericht, Anklagevertretung und Verteidigung – eine große Herausforderung bedeuten würden. Die Schwurgerichte setzten sich aus drei Berufsrichtern und sechs Laienrichtern (Geschworene) zusammen. Hinzu kamen bei Großverfahren häufig noch Ergänzungsrichter und Ersatzgeschworene. Aufgabe von Strafgerichten ist es laut § 261 StPO, über »das Ergebnis der Beweisaufnahme« nach ihrer freien, aus dem »Inbegriff der Verhandlung« geschöpften Überzeugung eine Entscheidung zu treffen. Die Verhandlungen in Verfahren wegen nationalso1 Prozesse zur Aufklärung von arbeitsteilig verübten Verbrechen in a) ihrer Organisationsstruktur nach komplexen Vernichtungslagern, b) im hierarchisch strukturierten, militärisch organisierten Rahmen eines mobilen Sonderkommandos oder eines Polizeibataillons, c) einer Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD etc. Den Verfahren gingen Vorermittlungen der Zentralen Stelle (ZStL) in Ludwigsburg voraus, in denen »Tatkomplexe« aufgeklärt wurden. Die ZStL gab sodann die Sache an eine zuständige Staatsanwaltschaft zur weiteren Ermittlung und zur etwaigen Anklageerhebung ab.

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zialistischer Gewaltverbrechen (NSG) setzten sich in der Hauptsache aus der Vernehmung der Angeklagten und Zeugen sowie der Verlesung von Urkunden und Vernehmungsprotokollen zusammen. Die Strafprozessordnung kennt kein Wortprotokoll, keine wortgetreue Wiedergabe der Hauptverhandlung. Das Sitzungsprotokoll beschränkte sich auf das Festhalten von prozessualen Formalien. Erst durch eine Novellierung der Strafprozessordnung waren die Gerichte ab Mitte 1965 verpflichtet, den wesentlichen Inhalt einer Zeugenaussage durch den Protokollführer (Urkundsbeamten) festzuhalten. Prozessbeteiligte machen sich gemeinhin während der Gerichtsverhandlung Notizen, die ihnen als Gedächtnisstütze dienen. Auf der Seite der Berufsrichter ist es vornehmlich die Aufgabe des Berichterstatters, insbesondere die Zeugenvernehmungen und die Einlassungen der Angeklagten schriftlich festzuhalten. Die (oft stenografische und später in Langschrift übertragene) ausführliche Mitschrift dient dem erkennenden Gericht sodann als Grundlage für die Urteilsberatungen und dem Gerichtsvorsitzenden für die Abfassung des mündlichen Urteils, dem Berichterstatter selbst als Vorlage für das »Absetzen« des schriftlichen Urteils. Staatsanwaltschaft und Verteidigung ziehen bei der Ausarbeitung der Plädoyers (Schlussvorträge) ihre persönlichen Unterlagen heran. Seit Mitte der 1950er Jahre erörterten Juristen den Gebrauch von Tonbandaufnahmen unter anderem als Hilfsmittel bei der Protokollführung in Zivil- und Strafprozessen.2 Eine allgemeine Regelung für die Verwendung von Tonbandaufnahmen in Gerichtsverfahren wurde von Seiten des Gesetzgebers erst viel später getroffen.3 Im Februar 1964 erging jedoch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die es den Gerichten ermöglichte, in der Hauptverhandlung ein Tonband zu benutzen.4 Voraussetzung für die Verwendung des technischen Hilfsmittels war, dass alle Prozessbeteiligten ihre Einwilligung zur Nutzung des Tonbandgeräts erteilten. Die Tonbandaufnahme sollte nicht zu Protokollzwecken dienen, also keine Ergänzung der Sitzungsniederschrift sein, die allen Verfahrensbeteiligten zur Verfügung steht und Bestandteil der Akten ist. Die Verwendung des Mitschnitts war beschränkt auf das

2 Vgl. Das Protokoll im Strafprozess. Sitzungsbericht der Verhandlungen der zweiten Arbeitsgemeinschaft am 7. und 8. September 1955, in: Verhandlungen des einundvierzigsten Deutschen Juristentages (Berlin 1955), Bd. II: Sitzungsberichte, hrsg. von der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages, Tübingen 1956, S. G 1–G 125. 3 Erst 2004 hat der Gesetzgeber im »Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren« (BGBl. 2007 I, S. 1355) die Aufnahme von Zeugenvernehmungen auf einen »Tonträger« anstelle ihrer Protokollierung festgelegt. Vgl. hierzu § 273, Abs. 2 StPO. Der Tonträger ist Bestandteil der Akten, kann mithin von allen Prozessbeteiligten beigezogen werden. 4 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (BGHSt), 19 (1964), S. 193–196.

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Gericht: den Richtern sollte die Tonbandaufnahme bei ihren Beratungen als »Gedächtnisstütze« dienen. Der Tonbandmitschnitt wurde mithin den Notizen bzw. der Mitschrift des Berichterstatters gleichgesetzt, er war kein den Verfahrensparteien allgemein zugängliches Wissensmittel. War ein Verfahren mit der Rechtskraft des Urteils abgeschlossen, ging man bei der Justiz davon aus, dass die Tonbandaufnahmen, die nunmehr keinen strafprozessrechtlichen Zweck mehr hatten, zu löschen waren. Die Staatsanwaltschaft als aktenführende Behörde verwaltet die Hauptund Beiakten eines Verfahrens und gibt sie nach Ablauf bestimmter Fristen an die jeweiligen Staatsarchive ab, sofern sie als archivwürdig bewertet werden. Die Tonbänder dagegen verblieben bei den Landgerichten. Sie sollten, da sie kein Aktenbestandteil waren und nach dem Abschluss eines Prozesses keinem gerichtsinternen Zweck mehr dienten, in anderen Verfahren wieder eingesetzt, also überspielt werden. Dass angesichts dessen überhaupt Tonbandmitschnitte erhalten blieben ist somit ein außergewöhnliches, von seinerzeit beteiligten Juristen vereinzelt noch Jahrzehnte später nicht gutgeheißenes Faktum.5 Im Falle der Strafsache gegen Mulka u. a., des ersten Frankfurter AuschwitzProzesses (1963–1965), lässt sich die Überlieferungsgeschichte des Tonbandmitschnitts rekonstruieren. Wenige Tage nach dem Ende des Verfahrens wandte sich der Auschwitz-Überlebende Hermann Langbein, Zeuge und Beobachter des Prozesses und Repräsentant einer Vereinigung von KZ-Überlebenden (Comité International des Camps), an den Vorsitzenden Richter des Auschwitz-Prozesses und an den Hessischen Minister der Justiz. Langbein wies in seinem Schreiben darauf hin, dass die »Tonbänder der Zeugenaussagen« von »außerordentlichem historischen Wert« seien und bat darum, sie nicht zu löschen.6 Während der Gerichtsvorsitzende Langbeins Bitte mit Verweis auf die eindeutige Rechtslage negativ beschied und auf den nur gerichtsinternen Gebrauch der Aufnahmen verwies7, verfügte der Hessische Justizminister per Erlass, »dass das Tonband nicht gelöscht, vielmehr zum Zwecke einer späteren Archivierung aufbewahrt wird«.8 5 So der Beisitzende Richter im 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess, Landgerichtsdirektor a. D. Josef Perseke, in einem Interview mit dem Autor vom 19.12.1997 (Fritz Bauer Institut, Sammlung Auschwitz-Prozess, FAP1/I-2). 6 ÖStA, Nachlass Hermann Langbein, E/1797:83, Schreiben Langbeins an Senatspräsident Hans Hofmeyer vom 27.8.1965. 7 Ebd., Schreiben von Senatspräsident Hofmeyer an Langbein vom 31.8.1965. 8 Fritz Bauer Institut (Archiv), Handakten der Staatsanwaltschaft bei dem LG Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Bd. 25, Bl. 5075, Schreiben des Hessischen Ministers der Justiz an Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 24.9.1965.

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Tonbandmitschnitte von NSG-Verfahren sind eine in methodischer Hinsicht komplexe historische Quelle. In der Regel enthalten die Aufnahmen Zeugenvernehmungen, gelegentlich auch Plädoyers sowie mündliche Urteilsbegründungen. Auch das »letzte Wort« der Angeklagten ist verschiedentlich aufgezeichnet worden. Nicht aufgezeichnet wurde die Verlesung von Urkunden, die Verkündung von Gerichtsbeschlüssen, etc. Alles, was schriftlich dem Gericht vorlag und durch Verlesung zum Gegenstand der Verhandlung gemacht wurde, ist nicht auf Band aufgenommen worden. Die Mitschnitte geben mithin den Verlauf einer Hauptverhandlung keineswegs vollständig wieder, stellen nur einen Ausschnitt des Prozessverlaufs dar. Will man insbesondere prozessuale Einzelheiten einer Gerichtssitzung eruieren, muss auf das Hauptverhandlungsprotokoll samt seinen oftmals umfangreichen Anlagen (Beweisanträge, Vernehmungsniederschriften, Urkunden etc.) zurückgegriffen werden. Die Nutzung von Tonbandaufnahmen mit Zeugenvernehmungen ist allein auf der Grundlage eines Zeugenverzeichnisses und des Sitzungsprotokolls möglich, denn die Identifikation der Sprecher bereitet nicht geringe Schwierigkeiten. Unschwer lassen sich der jeweilige Zeuge und der Vorsitzende Richter identifizieren, der die Befragung des Zeugen leitet. Deutlich problematischer ist die Identifikation der sonstigen Verfahrensbeteiligten (Beisitzer, Anklagevertreter, Verteidiger). Durch den die Vernehmung führenden Vorsitzenden werden die Personen gewöhnlich nicht mit ihren Eigennamen, sondern mit ihrer Funktionsbezeichnung angesprochen, was besonders in großen Verfahren mit mehreren Anklagevertretern und einer Vielzahl an Verteidigern zu Problemen führt. Da Tonbandmitschnitte erst spät Gegenstand der historischen Forschung wurden, sind viele Prozessbeteiligte der in den 1960er Jahren durchgeführten NSG-Verfahren nicht mehr erreichbar und Sprecheridentifikationen damit häufig nicht mehr möglich. Dennoch ergibt sich aus dem Sachzusammenhang einer Zeugenvernehmung meist eindeutig, welche der Prozessparteien Fragen stellt. Zum Verständnis der Kommunikation zwischen Zeuge und jeweiliger Prozesspartei ist diese Funktionszuordnung eines Sprechers ausreichend. Die Verwertung der auf Band aufgenommenen Zeugenaussagen ist abhängig vom Erkenntnisinteresse des Nutzers. In Strafprozessen werden die gegen einzelne Angeklagte erhobenen konkreten Tatvorwürfe verhandelt. Zeugen haben auszusagen, was Gegenstand ihrer sinnlichen Wahrnehmung gewesen war. Die Aussagen der Beweispersonen dienen dann und nur dann der richterlichen Wahrheitsfindung gemäß § 244 StPO, wenn sie sichere, unzweifelhafte Tatsachenfeststellungen ermöglichen. Die Gerichte haben bei Komplexverfahren in der Regel einzelnen Zeugen, die sachkundig Auskunft über das weiter gefasste Gesamtgeschehen geben konnten, zu Beginn der Beweisaufnahme die Möglichkeit eingeräumt, Aussa-

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gen allgemeiner Natur zu machen. Hatte sich das Gericht hinreichend sachkundig gemacht, beschränkte sich die Vernehmung der nachfolgenden Beweispersonen strikt auf die Aufklärung konkreter Sachverhalte. Den Verlauf einer Zeugenvernehmung geben die Tonbandaufnahmen in allen Einzelheiten wieder. Allein dies macht sie zu einer exemplarischen Quelle für die nach der bundesdeutschen Strafprozessordnung durchgeführten Verfahren, die – wie erwähnt – Wortprotokolle nicht kennen. Der Ablauf einer Zeugenvernehmung war festgelegt. Nach der Befragung durch das Gericht, die Anklagevertreter, eventuell die Nebenklagevertreter, sowie die Verteidigung, hatten die Angeklagten das Recht, an den Zeugen Fragen zu richten oder aber Erklärungen abzugeben. Handelte es sich bei dem Zeugen um einen Überlebenden der deutschen Vernichtungspolitik, war das Opfer mit dem meist leugnenden und uneinsichtigen, die geschilderten Taten bagatellisierenden Täter unmittelbar konfrontiert. Die Fragen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft wurden auf der Grundlage der im Vorverfahren (staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren und gerichtliche Voruntersuchung) erbrachten und im richterlichen Eröffnungsbeschluss zusammengefassten Erkenntnisse gestellt. Sachverhaltsaufklärung ist der alleinige Zweck der Zeugenvernehmung durch Gericht und Anklagevertretung. Bei der Nutzung der auf Band aufgezeichneten Zeugenvernehmungen ist ein komparatistischer Ansatz zu empfehlen. Um eine Zeugenaussage kontextualisieren zu können, die oft nur eine Momentaufnahme eines umfassenden Sachzusammenhangs ist, sind eventuell vorhandene Vernehmungsprotokolle aus dem Vorverfahren sowie der Rückgriff auf historiografische Darstellungen des verhandelten Geschehens hilfreich. Sofern Vernehmungsprotokolle von Zeugen bereits der Anklageschrift zugrunde lagen, ist es auch geboten, die Schwurgerichtsanklage heranzuziehen und zu prüfen, welchen Beweiswert die Staatsanwaltschaft der Einlassung des Zeugen zugemessen hat. Ein Abgleich der Protokolle mit der Aussage vor Gericht macht oft deutlich, wie strikt die vom Gericht vorgegebene Konzentrierung auf einzelne Sachverhalte ist. Ein Zeuge, der über das Tatgeschehen umfassend aussagen könnte, dessen Lebensgeschichte von größtem historischem Erkenntniswert wäre, wird durch die enge forensische Zwecksetzung auf oft magere Daten und Fakten reduziert. Eine auf Band aufgenommene Zeugenvernehmung ist folglich nicht isoliert, in ihrem oft fragmentarischen Charakter zu betrachten. Sofern interpretatorische Hilfsmittel zur Verfügung stehen, sind sie für ein angemessenes Verständnis der Aussage beizuziehen. Anders stellt sich die Situation bei der Befragung des Zeugen durch Vertreter der Verteidigung dar. Die Vernehmungen von Opferzeugen durch die Rechtsbeistände der Angeklagten haben recht unterschiedliche Formen. Verteidiger konnten sich auf Vorhalte beschränken, die sich aus den Akten (Vernehmungsprotokolle) und der Beweisaufnahme bei etwaigen Widersprüchen

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ergaben. Sie agierten gleichsam im wohl begründeten Interesse ihrer Mandanten. Sie versuchten aber auch über die Prüfung der Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit der Zeugen (Aussageehrlichkeit und -tüchtigkeit) hinaus, die Überlebenden durch Fragen zu verunsichern, die Zeugnisfähigkeit in Abrede zu stellen oder den Beweiswert der Aussagen zu bestreiten. Sie griffen die Zeugen in oft bedenklicher Weise an, stellten deren Wahrheitsliebe generell infrage und denunzierten nicht wenige als vorgebliches Werkzeug politischer, gegen den Staat Bundesrepublik Deutschland und das »deutsche Volk« gerichteter Propaganda. Manchem Verteidiger war ein jüdischer Überlebender per se ein befangener Zeuge. Wegen seines Verfolgungsschicksals konnte er einem deutschen Täter gegenüber nach Einschätzung von Verteidigern nicht vorurteilsfrei aussagen. Die Audio-Quelle Zeugenaussagen in NS-Prozessen vermittelt in psychologischer Perspektive die Lage der Opferzeugen, die, persönlich mit den Tätern konfrontiert, vor einem deutschen Gericht Zeugnis ablegten. In der atmosphärischen Dichte, die die Tonaufnahmen nachvollziehbar machen, erhellen sich gelegentlich Aspekte der Viktimologie und es lassen sich fallweise Erkenntnisse der Aussagepsychologie evaluieren. Anders als die bloße Transkription bzw. die wörtliche Mitschrift bietet der Tonbandmitschnitt differenzierte Erkenntnismöglichkeiten. Zu Gehör kommen die Stimmen der Opfer in unterschiedlicher Intonation und differentem Gehalt: Zeugenaussagen wichen oftmals voneinander ab. Die Erfahrungen der Überlebenden waren bestimmt durch ihre spezifische Situation und ihre spezielle Beziehung zu einem Täter. Dies zeigte sich im Auschwitz-Prozess z. B. am Beispiel des Angeklagten Boger. Aussagen von Häftlingsfrauen, die bei und mit Boger zu arbeiten gezwungen waren und denen gegenüber er sich »anständig« verhalten hatte, unterschieden sich signifikant von den Berichten derer, die Boger nur als Folterer wahrgenommen hatten. In den Verfahren gab es den professionellen Opferzeugen, der geübt und routiniert einen Tathergang schilderte, einen Angeklagten charakterisierte und in seiner Dienststellung beschrieb. Die selbstsicher und kontrolliert gemachte Aussage, auf das Beweisthema beschränkt, vermied jegliche Abschweifung. Die Aussage basierte offensichtlich auf sicheren Erinnerungen und war aus einem guten, Aussagekonstanz verbürgenden Gedächtnis geschöpft. Die Aussagen derartiger sachkundiger Zeugen ermöglichen auch Einblick in strukturelle Zusammenhänge, in Unterstellungsverhältnisse, Tätigkeitsbereiche, Zuständigkeiten, Befehlswege, liefern dem Historiker somit Informationen, die oftmals den wenigen überlieferten Quellen nicht zu entnehmen sind. Es gab aber auch häufig den Überlebenden, der nur unter größter seelischer Belastung seiner Zeugenpflicht nachkommen konnte. Vernimmt man die Aussage solcher Opferzeugen, ist die Anstrengung, die Selbstüberwindung in den meist leise und verhalten gemachten Vernehmungen zu erken-

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nen. Die Pausen und die Stockungen, wenn schmerzliche Erinnerungen den Zeugen überwältigen, die Bitte um ein Glas Wasser oder eine kurze Unterbrechung, die zitternde, versagende Stimme, die offenkundig restringierte Artikulationsfähigkeit bei spürbarem Mitteilungsverlangen, veranschaulichen nachdrücklich, welchen psychischen Belastungen Opferzeugen ausgesetzt waren. Obgleich der Zeitabstand zum Tatgeschehen beträchtlich war, haben viele Überlebende in schmerzvollem Wiedererleben des Erlittenen ihre Aussage machen müssen. Sie nahmen die Last der Zeugenschaft auf sich und versuchten, »zur Sache« zu sprechen. Die in Schwurgerichtsurteilen zur Validierung einer Zeugenaussage angeführten Kriterien: sachliche, leidenschaftslose, klare, widerspruchsfreie Aussage, ruhige, überlegte, von Rache- und Hassgefühlen freie Bekundung, waren für die verletzten Opfer oft schwer zu erfüllen. Manch ein Opferzeuge verlor sich in seinen ihn bedrängenden, ihn heimsuchenden Erinnerungen und war zu einer stringenten und glaubhaften Aussage nicht fähig. Im Zeugenstand erlebten viele eine sekundäre Traumatisierung, verließen gleichsam beschädigt den Gerichtsort. Spürbar ist oftmals am Ende einer Vernehmung, wenn der Zeuge »entlassen« wird, die Ratlosigkeit des Überlebenden, der sich im Unklaren darüber ist, welchen Sinn und Zweck sein Erscheinen vor Gericht angesichts der Dimension der Verbrechen, für die die Angeklagten nur partiell einzustehen hatten, gehabt haben kann. Deutlich führen die Aufnahmen auch vor Augen, dass es zur Zeit der großen bundesdeutschen NS-Prozesse keinen Opferschutz gab. Nicht wenige Überlebende, im Falle der Holocaust-Opfer die wenigen Davongekommenen vernichteter Familien eines ausgelöschten Volkes (Scherit Hapleta)9, empfanden ihre im Gerichtssaal gemachten Erfahrungen deshalb als sekundäre Viktimisierung. Bereits die üblichen Fragen des Vorsitzenden Richters zur Person waren für Opferzeugen überaus schmerzlich. Auf die Frage, ob er verheiratet sei, antwortete der 68-jährige Zeuge Dr. Schlinger (Quelle 1) in nie überwundener Trauer: »Also, ich hab kein Weib. Sie ist in Auschwitz geblieben.«10 Der Mann, der die Ehefrau des Zeugen in die Gaskammer geschickt hatte, saß in oft arroganter Haltung auf der Anklagebank. Ein spezielles kommunikatives Problem der Prozesse gegen nationalsozialistische Gewaltverbrecher zeigen die Mitschnitte gelegentlich deutlich auf: Zeugen, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren, hatten nicht immer Dolmetscher zur Seite gehabt, die ihre Vernehmung adäquat übersetzt hätten. Die Strafjustiz, mit Zeugen aus aller Herren Länder konfrontiert, hatte nicht selten große Mühe, professionelle Dolmetscher zu finden: Allein im 9 Die wenigen Juden, die der Vernichtung entronnen waren, organisierten sich unter dem hebräischen Namen Scherit Hapleta: überlebender Rest. Nur einen »Rest« eines ganzen Volkes stellten die Überlebenden dar. Die Wenigen bezeugten den Mord an Vielen. 10 Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte, S. 17.787.

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1. Frankfurter Auschwitz-Prozess wurden die 360 Zeugenvernehmungen in insgesamt elf Sprachen durchgeführt. Somit gelang es nicht immer, einen Zeugen angemessen zu befragen und damit eine Beweiserhebung gründlich durchzuführen. Dolmetscher wurden ausgetauscht, Vernehmungen wegen Verständigungsschwierigkeiten abgebrochen. Im Unterschied zu den Opferzeugen entzogen sich die meisten Täterzeugen ihrer Pflicht zu wahrheitsgemäßer und vollständiger Aussage. Von Aussageehrlichkeit und -willigkeit kann bei den meisten von ihnen keine Rede sein. Die einstigen Mitakteure am Tatgeschehen schützten Nichtwissen vor, beriefen sich auf Gedächtnisschwäche und Erinnerungslücken, schwiegen sich über etwaige Tatbeteiligungen der Angeklagten aus. Ebenso wie die Angeklagten anerkannten sie in ihrer Mehrheit keine individuelle Verantwortung, keine persönliche Schuld. Komplizenschaft, Kameraderie, Korpsgeist kommen in den inhaltsarmen und wortkargen Aussagen zum Ausdruck. Schuldabwehr und Tatbeschweigen, ein gesamtgesellschaftliches Phänomen nach 1945, spiegelt sich im Aussageverhalten der Täterzeugen wider. Viele dieser Zeugen blieben wegen des Verdachts der Beteiligung an den zur Verhandlung stehenden Taten (§ 60, Abs. 3 StPO) unvereidigt. Hört man die Täterzeugen, herrscht meist noch ein Kasernenhofton vor. Oft demonstrierten die einstigen SS-Angehörigen in ihrem Sprachgebrauch, wie nah sie der NS-Zeit noch standen. Auffällig ist neben dem forschen und herrischen Ton auch ihre mitleidlose, distanzierte Sprache, eine Wortwahl zumal, die die verbrecherischen Ereignisse zu derealisieren versucht. Die Entkonkretisierung des Geschehens, die Vernebelung und Verschleierung der Verantwortlichkeiten, die notorische Beteuerung der eigenen Nichtbeteiligung sind Momente der Exkulpationsstrategien, die sich im Aussageverhalten der Täterzeugen finden lassen. Verwunderte, ungläubige, auch ironische Nachfragen der Prozessbeteiligten entlarven nicht selten diese Aussagestrategien der Täterzeugen. So ist der Vernehmung des Zeugen Friedrich Ontl (Quelle 2) zu entnehmen, dass Lagerpersonal, das an wichtigen Funktionsstellen tätig war und umfangreiche organisatorische Aufgaben zu erfüllen hatte, entgegen aller vorliegenden Erkenntnisse der Prozessparteien über die Organisationsstruktur des Lagers, ihr Unwissen beteuerten. Ontl war als sogenannter Spieß in der Abt. SS-Standortarzt mit zuständig für den Rampendienst. In seiner Abteilung wurde der Dienstplan für die Selektionstätigkeit der SS-Ärzte auf der Rampe ausgearbeitet. Ontl und sein Vorgesetzter, SS-Standortarzt Dr. Eduard Wirths, hatten die Diensterfüllung zu überwachen. Bei der Ankunft von Todeszügen der Deutschen Reichsbahn benachrichtigte er die entsprechenden Stellen, die für die »Aufnahme« eines Transportes zuständig waren. Zusammenfassend lässt sich über Tonbandmitschnitte von NS-Prozessen als historische Quelle anmerken, dass die richterliche Tataufklärung und die

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strafrechtliche Schuldfeststellung auf der Basis der in der Beweisaufnahme erbrachten Erkenntnisse für die Ereignisbeschreibung des Historikers wichtige Informationen im Detail liefern können. NS-Prozesse bringen notwendigerweise eine Individualisierung von historischem Geschehen mit sich. Die Relation Täter-Tat-Opfer lässt sich auf der Grundlage der Aufnahmen im Einzelnen untersuchen. Der Versuch der strafrechtlichen Zurechnung von Taten, die sich im arbeitsteiligen Verbrechensgeschehen unterscheiden lassen, die Klärung von Motivlagen der Tatbeteiligten und die Erörterung von Handlungsspielräumen erhellen Fragen der Täterforschung. Bei der Quelle Tonbandmitschnitt kann es hingegen nicht darum gehen, eine Nachprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung vorzunehmen. Widersprüche zwischen den Tatsachenfeststellungen des Urteils und den auf Tonband festgehaltenen Bekundungen der Zeugen aufzuzeigen und damit den Nachweis der Protokollwidrigkeit zu führen, kann nicht das Anliegen historiografischer Darstellung sein. Der Historiker will nicht den Richter revidieren, er will keine Protokollrüge vorbringen, er kann aber vom aktuellen Forschungsstand aus im Einzelnen aufzeigen, dass die zeitbedingte, limitierte Sachkenntnis des Gerichts zu Bewertungen des individuellen Verhaltens von Angeklagten führte, die die Historiografie nicht konfirmieren kann. Wie viele Tonbandmitschnitte von NSG-Verfahren erhalten geblieben sind, ist bis dato systematisch nicht untersucht worden. Neben den Tonbandmitschnitten des 1. Frankfurter Auschwitz-Prozesses11 und des Bielefelder Bialystok-Verfahrens12 – die in Teilen publiziert worden sind – sind nach bisherigen Recherchen und Auskünften die Aufnahmen folgender Prozesse überliefert: – Strafsache gegen Heinrich Hamann u. a. (Az. 16 Ks 1/65, LG Bochum)13 wegen Ihrer Tätigkeit als Angehörige der Sipo-Außenstelle Nowy Sacz in Polen, – Strafsache gegen Erich Wollschläger (Az. 2 Ks 1/67, LG Darmstadt)14 wegen der Erschießung von Juden als stellvertretender Leiter der Schutzpolizei im polnischen Kielce, – Strafsache gegen Herbert Härtel, den Leiter der Schutzpolizei im polnischen Kołomyja, u. a., (Az. 2 Ks 1/66, LG Darmstadt)15 sowie 11 Strafsache gegen Robert Mulka u. a. (Az. 4 Ks 2/63, LG Frankfurt am Main). Vgl. Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte. 12 Strafsache gegen Wilhelm Altenloh u. a. (Az. 5 Ks 1/65, LG Bielefeld) → Stoll. 13 Angabe von Dr. Andreas Eichmüller, Institut für Zeitgeschichte (München), vom 10.4. 2008. Urteil abgedr. in: JuNSV, Bd. XXIV, Nr. 635. 14 HeStA Darmstadt, H 13 Darmstadt, Nr. 1293 (Kielce-Prozess). Urteil abgedr. in: JuNSV, Bd. XXXV, Nr. 757. Siehe hierzu Maaß, Staatsarchiv Darmstadt digitalisiert die Tonbänder. 15 HeStA Darmstadt, H 13 Darmstadt, Nr. 1287 (Kolomea-Prozess).

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– Strafsache gegen Georg Boettig u. a. (Az. 2 Ks 1/69, LG Darmstadt), wegen ihrer Tätigkeit als Angehörige der Sicherheitspolizei in Tomaszow, ebenfalls in Polen.16 – Nachweislich gelöscht wurden die Mitschnitte der Strafsache gegen Kurt Franz u. a. aus dem 1. Treblinka-Prozess (Az. 8 I Ks 2/64, LG Düsseldorf)17 sowie des Verfahrens gegen Karl Größer u. a. (Az. 2 Js 461/64 Ks, LG Darmstadt).18 Es ist dringend geboten, eine weitere Bestandsaufnahme vorzunehmen und die Mitschnitte durch Digitalisierung zu sichern. Waren die Tonbandaufnahmen in den laufenden Verfahren für die Gerichte ein bloßes Hilfsmittel, eine nützliche »Gedächtnisstütze«, so sind sie heute, am definitiven Ende der justiziellen Ahndung der NS-Verbrechen, eine authentische Quelle, die neben den Verfahrensakten zur Rekonstruktion von NS-Prozessen und zur differenzierten Darstellung von Verbrechensvorgängen dienen. Quelle 1 Vernehmung eines Opferzeugen: Dr. Lajos Schlinger (Rumänien), im Juni 1944 aus Siebenbürgen (damals Teil Ungarns) nach Auschwitz deportiert)19, betreffend die Ankunft auf der Rampe von Birkenau und die dort durchgeführte Selektion durch den Angeklagten Dr. Victor Capesius, Leiter der SS-Apotheke in Auschwitz, in: Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte, S. 17.792 f. Zeuge Dr. Schlinger: (…) Nachdem wir heraus sind aus dem Waggon, habe ich mich umgeschaut. Ich habe mich einige Male herumgedreht: Was ist hier, was für ein Hölle ist das? Und auf einmal, plötzlich, sehe ich an der Rampe den Doktor Capesius.20 Mit großer Freude bin ich zu ihm gelaufen und habe ihn gegrüßt, und meine erste Frage war: »Wo sind wir eigentlich?« Er sagte mir: »In der Mitte Deutschlands.« Vorsitzender: »In der Mitte Deutschlands«? 16 Angabe von Dr. Andreas Eichmüller, Institut für Zeitgeschichte (München), vom 10.4. 2008. Urteil abgedr. in: JuNSV, Bd. XXXVII, Lfd. Nr. 781. 17 Vgl. Scheffler, Der Beitrag der Zeitgeschichte zur Erforschung der NS-Verbrechen, S. 118 f. 18 Vgl. den Beitrag von Maaß, Staatsarchiv Darmstadt digitalisiert die Tonbänder, S. 13. 19 Die Transkription der Aussage des Zeugen Schlinger ist keine wörtliche Wiedergabe. Schlinger machte seine Aussage in deutscher Sprache, einer Fremdsprache für den Zeugen. Grammatikalische Abweichungen wurden stillschweigend geglättet. Warf der Vorsitzende Richter oder der Dolmetscher zur Formulierungshilfe ein Wort ein, so sind diese Einschübe, gekennzeichnet durch Auslassungszeichen, der besseren Lesbarkeit wegen bei der Transkription weggelassen worden. 20 Dr. Schlinger, Arzt von Beruf, in Cluj/Klausenburg (Rumänien) wohnhaft, kannte Dr. Victor Capesius aus seiner Heimat (Siebenbürgen), wo Capesius Vertreter des Pharma-Unternehmens Bayer (Leverkusen) war. Insgesamt haben im Auschwitz-Prozess acht Zeugen ausgesagt, die Capesius unmittelbar bei den Selektionen auf der Rampe als den vormaligen »BayerPropagandisten« erkannt haben.

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Zeuge Schlinger: »In der Mitte Deutschlands.« Das glaubten wir nicht, weil unterwegs haben wir gesehen die Bahnstationen mit slawischen (…) Bezeichnungen. Wie ist das möglich? Na, aber ich habe keine Zeit gehabt nachzudenken, was das bedeuten soll. Ich habe gefragt: »Was wird mit uns passieren, was ist denn hier?« Er sagte: »Ja, es wird alles gut sein.« »Ja, aber«, sage ich, »meine Frau ist nicht ganz gesund.« »Ja«, fragt er, »ist nicht gesund? Dann soll sie dorthin stehen.« Nämlich es war schon dort formiert eine Gruppe von diesen schwer kranken Leuten. Ich bin zurückgelaufen zu meiner Frau und Tochter, aber die ganze Kolonne ist schon ein wenig in (…) Bewegung gewesen. Und ich sagte meiner Frau: »Du sollst dorthin gehen, du musst dorthin stehen.« (…) Meine Frau ist mit diesem 17-jährigen Mädchen [der Tochter; W. R.] dorthin gegangen. Danach habe ich sie nie mehr gesehen.

Quelle 2 Vernehmung eines Täterzeugen: Friedrich Ontl, SS-Hauptscharführer, »Spieß« in der Abt. V: SS-Standortarzt, KL Auschwitz, betr. Selektionen auf der Rampe, in: Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte, S. 9763 ff. Vorsitzender: Nun, wir wollen mal anfangen bei den sogenannten Selektionen, die auf der Rampe stattfanden. Als Sie 42 hinkamen, wo sind denn da diese Transporte ausgeladen worden? Zeuge Ontl: Das weiß ich nicht, 42. Vorsitzender: Das wissen Sie nicht. Zeuge Ontl: Nein [unverständlich] nicht genau. Vorsitzender [unterbricht]: Wann haben Sie denn zum ersten Mal erfahren, wo die Transporte ausgeladen worden sind? Zeuge Ontl: Das kann ich auch nicht mehr sagen, wann das war. Aber es ist dann in Birkenau gewesen. Vorsitzender: Das war schon in Birkenau. Zeuge Ontl: Ja. Vorsitzender: Auf der sogenannten Rampe. Zeuge Ontl: Auf der Rampe, ja. Vorsitzender: Auf der Rampe. Wenn Sie sich mal diese Karte da an Ihrer rechten Seite ansehen würden. Ist es so richtig gezeichnet? Da ist vorn links ein brauner Bau, das soll der Eingang zu dem Lagertor gewesen sein. Und da sehen Sie eine gelbe Linie, da sollen die Gleise gewesen sein, die zur Rampe führten. Zeuge Ontl: [Pause] Ja, da kann ich mich nicht mehr so erinnern dran. Vorsitzender: So genau können Sie sich nicht erinnern. Zeuge Ontl: Höchstens einmal vorübergefahren. Vorsitzender: Waren Sie persönlich dort auf dieser Rampe? Zeuge Ontl: Nein, einmal mit dem Chef. Vorsitzender: Einmal mit dem Chef, bei dem Sie an Doktor Wirths21 denken. Zeuge Ontl: Ja. 21 SS-Sturmbannführer Dr. Eduard Wirths, Standortarzt von Auschwitz.

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Annotierte Bibliographie Tonband in der juristischen Diskussion: Die Zulässigkeit und Reichweite des Einsatzes ist v. a. von der Rechtswissenschaft der 1950er und 1960er Jahren diskutiert und teilweise bestritten worden, etwa: Kohlhaas, Tonbandaufnahmen im Strafprozeß; Schmidt, Verwendbarkeit von Tonbandaufnahmen; Ders., Zulässigkeit und Verwendbarkeit; Henckel, Die Zulässigkeit. Psychologie und Zeugenschaft vor Gericht: Aus rechtswissenschaftlicher und aussagepsychologischer Sicht seien hervorgehoben als Einführung Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, sowie: Greuel, Psychologie der Zeugenaussage; Henne, Zeugenschaft vor Gericht; Knellessen, Momentaufnahmen der Erinnerung; Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen. Mit konkretem Bezug auf NSG-Verfahren Richtberg / Täschner, Zeugen und ihre Aussagen. Tonbandmitschnitte zu NSG-Verfahren: Die Forschung hat von den wenigen überlieferten Tonbandmitschnitten bislang bearbeitet und zugänglich gemacht: Zum Frankfurter Auschwitzprozess die DVD Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte, sowie Renz, Opfer und Täter: Zeugen der Shoa; zum Bielefelder Bialystok-Prozess (→ Stoll) Anders u. a., Bialystok in Bielefeld mit beigelegter Audio-CD, insb. einleitend Stoll, Einführung. Frankfurter Auschwitz-Prozess: → Finger / Keller.

Katrin Stoll

Selbst- und Fremddeutung von NS-Tätern im Bielefelder Białystok-Prozess Angeklagte und Richter zu den Deportationen aus Grodno

Zwischen dem 23. März 1966 und dem 14. April 1967 mussten sich der ehemalige Leiter der Dienststelle »Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD für den Bezirk Bialystok« (kurz KdS), Dr. Wilhelm Altenloh, und drei seiner ehemaligen Mitarbeiter vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht Bielefeld wegen ihrer Beteiligung an der Verfolgung und Vernichtung der Juden aus dem von den deutschen Besatzern im Sommer 1941 eingerichteten Verwaltungsbezirk Białystok verantworten. Gegenstand des Prozesses waren die Deportationen der Juden aus den Ghettos Białystok (im Februar und August 1943), Grodno (im Januar und Februar 1943), Prużana/Próżany (im Januar 1943) und dem Sammellager Zambrów (im Januar 1943) in die Vernichtungslager Auschwitz und Treblinka. Neben der Mitwirkung an den Deportationen wurde den Angeklagten zur Last gelegt, sie hätten Juden auf Befehl oder aus eigener Initiative töten lassen und selbst erschossen. Um die ehemaligen Angehörigen der Sicherheitspolizei wegen Beihilfe zum Mord verurteilen zu können, musste das Bielefelder Schwurgericht den Nachweis erbringen, dass sie zum Zeitpunkt der Deportationen gewusst hatten, dass die Juden am Zielort ermordet wurden. Trotz einer genauen Rekonstruktion des historischen Geschehens gelang der Nachweis des Vorsatzes nicht in allen Fällen. Letztlich verurteilte das Gericht die Angeklagten wegen ihrer Beteiligung an den Deportationen von Juden aus Białystok (Februar und August 1943) und Grodno (Februar 1943). Sie wurden der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mehreren tausend Menschen schuldig gesprochen. Der ehemalige Kommandeur der Sicherheitspolizei, Wilhelm Altenloh, und der Leiter der Gestapo beim KdS, Lothar Heimbach, wurden ferner schuldig befunden, im Februar 1943 an der Erschießung von 100 Menschen des Białystoker Ghettos mitgewirkt zu haben. Hinsichtlich der sog. Exzesstaten lautete das Urteil in allen Anklagepunkten auf Freispruch. Altenloh erhielt eine Zuchthausstrafe von acht Jahren, Heimbach von neun, Heinz Errelis – der ehemalige Leiter der KdS-Außenstelle in Grodno – von sechseinhalb und Richard Dibus – Mitarbeiter des »Judenreferates« beim KdS in Białystok – von fünf Jahren unter Anrechnung der Unter-

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suchungshaft. Das Urteil des Bielefelder Schwurgerichts wurde am 5. Februar 1970 vom vierten Strafsenat des BGH bestätigt. Am Beispiel der Deportationen aus Grodno werden im Folgenden die Selbstdeutungen und Verteidigungsstrategien der Angeklagten Wilhelm Altenloh und Heinz Errelis analysiert und mit den Interpretationen des Gerichts kontrastiert. Die Analyse der Aussagen stützt sich auf den Tonbandmitschnitt der Hauptverhandlung (→ Renz) und das schriftliche Urteil des Schwurgerichts vom September 1967. Das Gericht ließ von ausgewählten Tonbandaussagen schriftliche Übertragungen anfertigen. Leitendes Kriterium bei der Erstellung der wörtlichen Abschriften war die Gerichtsrelevanz der Aussagen. Fragen und Antworten, die als irrelevant betrachtet wurden, fehlen. Darüber hinaus wurden wichtige Merkmale der mündlichen Kommunikation (gleichzeitiges Sprechen, Verwendung von Füllwörtern wie »ä«, »also«, »hm«, umgangssprachliche Formulierungen etc.) bei diesen Übertragungen nicht berücksichtigt. Über die Besonderheiten des Sich-Äußerns in der Hauptverhandlung geben die Abschriften somit nur bedingt Auskunft. Daher hat die Verfasserin von ausgewählten Aussagen eigene Transkripte angefertigt, die den tatsächlichen Ablauf der Kommunikation – wie Sprechpausen und Betonung – genauer wiedergeben.1 Hier wird mit Ahlrich Meyer davon ausgegangen, dass die in Verfahren wegen NS-Gewaltverbrechen entstandenen Vernehmungsprotokolle (→ Finger / Keller) als »eigenständige historische Quelle für die Erforschung des Genozids an den Juden ernst zu nehmen sind«. Meyers methodologische Überlegungen zum Thema »Vernehmungsprotokolle als historische Quelle« beziehen sich auf »Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen von Täterseite«. Die Protokolle geben aus seiner Sicht »keine Auskunft über die historischen Fakten, sondern bestenfalls darüber, ob und wie die Zeugen oder Beschuldigten sich an die Fakten erinnern«. Diese Erinnerung sei »nicht spontan, sondern vielfach vermittelt«, d. h., sie sei »zu einer sozialen Konstruktion geworden«.2 Wie ist es nun um den Quellenwert der Aussagen der Angeklagten im Bielefelder Białystok-Prozess bestellt? Sie enthalten Angaben darüber, wie die ehemaligen Besatzer über die Verfolgung und Vernichtung der Juden des Bezirks Bialystok sprachen, wie sie ihr eigenes Verhalten und das anderer darstellten und welche Verteidigungs- und Entlastungsstrategien sie verwendeten. Bei der Auswertung der Quellen gilt es, nicht allein das Ge1 Es bestand jedoch nicht der Anspruch, das kommunikativ-interaktive Geschehen ganz genau aufzuzeichnen. Dies hätte die Anwendung eines innerhalb der Konversationsanalyse akzeptierten Transkriptionsnotationssystems vorausgesetzt, auf das mit Blick auf die Länge und die Lesbarkeit der ausgewählten Fragmente verzichtet wurde. Bei längeren Sprechpausen findet sich der Vermerk schweigt in runden Klammern, abgebrochene Sätze wurden mit einem Unterstrich _ gekennzeichnet. Betonungen wurden durch Unterstreichung des betreffenden Wortes vermerkt. 2 Meyer, Täter im Verhör, S. 299 und S. 300.

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sagte zu analysieren, sondern auch zu untersuchen, welche Themen in den Aussagen nicht vorkommen. Die Staatsanwaltschaft warf Wilhelm Altenloh vor, er habe einen Befehl des RSHA zum Abtransport von Juden aus Grodno erhalten und diesen an seinen Untergebenen Heinz Errelis zur Ausführung weitergegeben. Der ehemalige Leiter der KdS-Außenstelle in Grodno habe daraufhin im Januar und Februar 1943 den Abtransport der Juden aus dem Ghetto I geleitet und Angehörige seiner Dienststelle eingesetzt. Insgesamt seien in diesem Zeitraum mindestens 10.000 Grodnoer Juden nach Auschwitz und Treblinka deportiert und dort ermordet worden.3 Die ersten Deportationen von Juden aus Grodno und Umgebung, die ebenfalls von Altenloh und Errelis organisiert worden waren, waren nicht Gegenstand der Anklage. Am 9., 14., 18. und 25. November sowie am 2. und 8. Dezember 1942 ließ der KdS nachweislich Juden aus dem Ghetto II in Grodno und dem Sammellager Kiełbasin nach Auschwitz deportieren.4 Angeklagte sind – im Gegensatz zu Zeugen – nicht verpflichtet, zur Wahrheitsfindung beizutragen. Gemäß § 243 Abs. 4 StPO steht es dem Angeklagten frei, »sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen«. Nachdem die Angeklagten sich am ersten Verhandlungstag des Bielefelder Białystok-Prozesses grundsätzlich zur Aussage bereit erklärt hatten, vernahm der Vorsitzende sie am dritten Verhandlungstag, am 28. März 1966, und zu Beginn des vierten Verhandlungstags, am 30. März 1966, ausführlich zu den Vorwürfen der Anklage. Darüber hinaus gab er ihnen während der Beweisaufnahme die Gelegenheit, zur Sache auszusagen. Altenloh und Errelis gaben ihre Beteiligung am Abtransport der Juden aus dem Ghetto I in Grodno zu. Sie erklärten indes, sie hätten nicht gewusst, dass die Menschen deportiert wurden, um ermordet zu werden. Den Zielort der Transporte hätten sie nicht gekannt. Die Unkenntnisbeteuerungen der Angeklagten zeugen von strategischem Kalkül. Durch die Selbstdarstellung als unwissende Gehilfen versuchten sie einer Verurteilung durch das Schwurgericht zu entgehen. Altenloh behauptete in der Hauptverhandlung, von Vernichtungslagern habe er damals nichts gewusst. Er erklärte, er habe einen fernschriftlichen Befehl des RSHA zum Abtransport der Juden aus Grodno erhalten. Darin sei ein Ziel genannt worden, aber er wisse nicht mehr, welches. Es sei von einem Lager »zum Arbeitseinsatz« die Rede gewesen. Er 3 L/StADT, D 21 A, Nr. 6270, 45 Js 1/61, Anklageschrift des Leiters der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei dem Leitenden Oberstaatsanwalt in Dortmund, OStA Hesse, Fall 8, S. 117 f. 4 Vgl. L/StADT, D 21 A, Nr. 6194, Urteil Schwurgericht des LG Bielefeld 5 Ks 1/65, Bl. 57. Siehe auch: Gerlach, Kalkulierte Morde, S. 726–728. Gerlach geht davon aus, dass zwischen dem 9. und 20. Dezember neun Transporte zur Vernichtung nach Auschwitz und Treblinka gingen. Ebd., S. 727.

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habe seinem Untergegebenen Errelis den Inhalt des Fernschreibens aus Berlin mitgeteilt, sei jedoch nicht selbst vor Ort gewesen.5 Wie Quelle 1 zeigt, hatte Altenloh im Fall Grodno – im Gegensatz zu den Deportationen der Juden aus dem Białystoker Ghetto im Februar 19436 – keine Einwände gegen die Ghettoauflösung erhoben. Auf die Frage des Vorsitzenden, weshalb er angenommen habe, dass die Grodnoer Juden in Rüstungsbetriebe an einen anderen Ort gebracht werden sollten, gab Altenloh keine Antwort. Auch die Nachfrage des Vorsitzenden nach der Informationsquelle blieb unbeantwortet. Der Angeklagte zog es vor, sich selbst nicht zu belasten und an entscheidenden Stellen zu schweigen. Obwohl der Vorsitzende ihm verschiedene, teilweise entlastende Erklärungsmöglichkeiten anbot, ging der Angeklagte darauf nicht ein. Seinem im Prozess zur Schau gestellten Selbstverständnis nach war Wilhelm Altenloh ein gehorsamer, ahnungsloser Befehlsempfänger, dem die Ziele der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik, die er durch sein Handeln aktiv unterstützt und verwirklicht hatte, verborgen geblieben waren. Seine Strategie war zum Teil erfolgreich. Dass Altenloh bereits vor Februar 1943 die sichere Kenntnis von dem »Todesschicksal« der Juden gehabt hatte, erschien dem Gericht »wahrscheinlich«, indes »nicht mit letzter Sicherheit nachgewiesen«.7 Das Bielefelder Schwurgericht verurteilte Altenloh im Falle Grodno nur wegen seiner Mitwirkung an den Deportationen im Februar 1943 und folgte der Einlassung des Angeklagten, die endgültige Auflösung des Ghettos I in Grodno sei auf Befehl des RSHA erfolgt.8 Tatsächlich hält Christian Gerlach es durchaus für »denkbar«, dass »die gänzliche Leerung des Grodnoer Ghettos vom KdS Białystok ursprünglich nicht vorgesehen war, sondern nur auf Grund einer Weisung des RSHA durchgeführt wurde«.9 Während Altenloh in der Hauptverhandlung behauptete, er habe für die Deportationen aus Zambrów und Grodno jeweils einen Einzelbefehl vom RSHA erhalten, war das Gericht davon überzeugt, er habe im Dezember 1942 einen »Gesamtbefehl« für den Abtransport der Juden aus dem Bezirk erhalten.10 Trotzdem wurde Altenloh wegen der Organisation der Deportationen aus Grodno, Zambrów und Prużana/Próżany nach Auschwitz im Januar 1943 strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen. In diesen Fällen misslang der Nachweis des Vorsatzes. 5 L/StADT, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 2 VS. 6 Vgl. L/StADT, D 21 A, Nr. 6194, Urteil 5 Ks 1/65, Bl. 86 ff. und Gerlach, Kalkulierte Morde, S. 730. 7 L/StADT, D 21 A, Nr. 6194, Urteil 5 Ks 1/65, Bl. 142. Zum Nachweis der Kenntnis des Angeklagten Altenloh vgl. Nr. 6195, Urteil 5 Ks 1/65, Bl. 141–221. 8 L/StADT, D 21 A, Nr. 6194, Urteil 5 Ks 1/65, Bl. 79. 9 Gerlach, Kalkulierte Morde, S. 731. 10 L/StADT, D 21 A, Nr. 6194, Urteil 5 Ks 1/65, Bl. 70.

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Auch der Angeklagte Heinz Errelis behauptete, ihm sei das Ziel der Transporte »nie offiziell« mitgeteilt worden; er habe aber »keinen Zweifel« gehabt, dass sie nach Auschwitz gegangen seien. Er habe damals nur gewusst, dass in Auschwitz ein Konzentrationslager gewesen sei.11 Errelis leitete die Deportationen der Juden aus dem Ghetto I in Grodno im Januar und Februar 1943. Dennoch sah er sich selbst in erster Linie als ausführendes Organ seines Kommandeurs und Befehlsgebers, des KdS Altenloh. Am 12. August 1966 beschrieb Errelis dem Gericht detailliert den Ablauf der Ghettoauflösungen. Nach den Schilderungen des Angeklagten hatte sich seine eigene Aufgabe bei der Durchführung darauf beschränkt, seinen Untergegebenen Anweisungen zu erteilen und die Zusammenstellung der Transporte und ihren Abgang zu überwachen. Errelis betrachtete sich nicht als Organisator der Deportationen. Er wies sich vielmehr nachträglich die Rolle eines Kontrolleurs zu, der den reibungslosen Ablauf garantiert, aber nicht selbst ins Geschehen eingegriffen hatte. Nicht der KdS, sondern der Judenrat und die jüdische Polizei waren aus Errelis’ Sicht federführend für das Zusammentreiben der Juden verantwortlich gewesen. Er habe dem Judenrat den Zeitpunkt der Abfahrtszeiten mitgeteilt und dieser habe daraufhin Tage vorher die Transportlisten »fertig gestellt« und die Betreffenden benachrichtigt. Einen Tag vor Abgang der Züge habe die jüdische Polizei angefangen, die Menschen »zusammenzuholen«. Zum Teil seien sie auch selbst zum Sammelpunkt in die Große Synagoge gekommen. Acht Stunden vor Abgang des Transportes habe er zwei Beamte ins Ghetto geschickt. Diese hätten »bei der jüdischen Ordnungspolizei festgestellt, wer von der Transportliste noch nicht erschienen war« und mit ihr zusammen die Wohnungen der zur Deportation Bestimmten durchsucht und die Menschen »nach Möglichkeit geholt«. Errelis suggerierte durch seine Wortwahl, das Zusammentreiben der Juden sei gewalt- und zwangfrei abgelaufen. Was mit den Kranken und Gehunfähigen geschah, erwähnte er nicht. Zwei bis drei Stunden vor Abgang des Zuges sei er ins Ghetto gegangen und habe sich berichten lassen, »ob der Transport komplett« gewesen sei. Die Zahl der Abzutransportierenden sei ihm »immer vorgeschrieben worden«. Errelis hatte sich freilich eifrig darum bemüht, die Vorgaben zu erfüllen: »Es wurde mir durchgegeben: Dann und dann geht ein Zug für 1000 oder 1500 oder 2000 oder 3000 Leute. Ich habe nach den Erfahrungen der ersten Transporte, habe ich die Zahl gegenüber dem Judenrat um etwa 10 % höher gesetzt, weil nie alle Leute, die auf der Liste standen, aufzufinden waren, so dass ich also diesen Verlust von vorn11 L/StADT, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 26 VS, Einlassung des Angeklagten Heinz Errelis in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh u. A. (5 Ks 1/65) v. 12.8.1966 und Tonband 2 VS, Einlassung des Angeklagten Errelis v. 28.3.1966. Das Gericht ließ eine Abschrift der Aussage des Angeklagten vom 12. August 1966 erstellen. Sie ist zu finden in: L/StADT, D 21 A, Nr. 6203.

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herein schon einkalkuliert hatte. Und um diese Leute, die irgendwie abhanden gekommen waren, haben wir uns weiter überhaupt nicht gekümmert. Da ist nicht irgendwie eine besondere Fahndung oder sonst etwas veranstaltet worden. Ich hatte ja mit meinen sechs Beamten, die ich hatte – ich bitte zu bedenken, ich hatte sechs Beamte in Grodno –, keine große Streitmacht. Ich hatte technisch ja gar nicht die Möglichkeit etwas in dieser Richtung zu unternehmen.«12

Von Angehörigen eines Polizeibataillons bewacht wurden die Juden zwei Stunden vor der Abfahrt des Zuges von der Großen Synagoge zum Bahnhof geführt. Errelis behauptete, der Transport zum Bahnhof und die Verladung der Menschen in die Züge seien – von einer Ausnahme abgesehen – »immer völlig ruhig vor sich gegangen«. Was mit den Menschen geschah, die unter seiner Aufsicht in die Züge gezwungen worden waren, hatte Errelis damals angeblich nicht weiter interessiert: »Und in dem Augenblick, wo die Türen geschlossen waren, war für mich ä der Fall erledigt. Da übergab ich, in dem Augenblick übergab ich den Transport dem Offizier, der das Begleitkommando führte. Damit war für mich der Transport schon fort, auch wenn der Zug noch da stand.« Über die Zahl der deportierten Juden machte Errelis keine Angaben. Die Gesamtzahl der Transporte schätzte er auf zehn.13 Während Errelis also behauptete, beim Abtransport der Juden sei keine Gewalt ausgeübt worden, gewann das Bielefelder Schwurgericht aufgrund der Aussagen der jüdischen Zeugen die Erkenntnis, dass die Deutschen bei den Ghettoauflösungen mit unglaublicher Brutalität vorgegangen waren. So heißt es im Urteil über die Zustände in der Synagoge während der sog. 10.000er Aktion im Januar: »Die Menschen wurden in unvorstellbarer Enge in die Synagoge hineingepreßt und mußten dort unter Bewachung stundenlang verbleiben. Es wurde ihnen nicht gestattet, ihre Notdurft außerhalb der Synagoge zu verrichten. Es herrschte ein kaum zu ertragender Gestank. Es kam vor, daß Gestapoangehörige Schüsse gegen die Decke der Synagoge abgaben und damit Panik unter den Juden auslösten. Einmal wurden dabei die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten zerschossen (berichtet von dem Zeugen Shulkes).«14 12 Alle Zitate dieses Absatzes in: L/StADT, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 26 VS, Einlassung des Angeklagten Errelis v. 12.8.1966. 13 Ebd. 14 L/StADT, D 21 A, Nr. 6195, Urteil 5 Ks 1/65, Bl. 289 f. Obwohl das Schwurgericht in der Sachverhaltsdarstellung auf die grausamen Begleitumstände der Deportationen verwies, stellte es bei der rechtlichen Würdigung das Mordmerkmal »grausam« nicht explizit fest. Der vierte Strafsenat des BGH erklärte in seinem Urteil, der »vom Schwurgericht festgestellte Sachverhalt« ergebe »eindeutig«, dass »es sich in allen Fällen, in denen die Angeklagten verurteilt worden sind, auch um grausame Tötungen im Sinne des § 211 StGB« handele. L/StADT, D 21 A, Nr. 6197, Bl. 318–329, Urteil des BGH v. 5.2.1970 (4 StR 272/68), hier Bl. 326.

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Ber Shulkes, ein ehemaliges Mitglied des Judenrats, erklärte vor Gericht, er habe während der »großen Aktion« Haufen von Toten auf dem alten jüdischen Friedhof und in verschiedenen Häusern gesehen, insgesamt »vielleicht 70, 80, vielleicht 120 oder auch 150 Leichen«15. Der Zeuge Zwi Lipszyc sprach von 70 Toten.16 Als der Vorsitzende dem Angeklagten die Aussagen der beiden Zeugen vorhielt, erklärte Errelis, er wisse »nichts davon« und »nach Lage der Dinge« könne er sich »eine derartige Zahl von Toten auch nicht vorstellen«. Er blieb dabei, dass während der Ghettoauflösungen nur ein Jude, namentlich der Judenratsvorsitzende Dr. Brawer, getötet worden sei.17 Das Schwurgericht hielt diese Einlassung für »völlig unglaubhaft«. Es ging davon aus, dass Errelis die »exzessiven Tötungen« nicht entgangen sein konnten, weil er sich nach eigenen Angaben häufig im Ghetto aufgehalten und das Zusammentreiben und den Abtransport der Juden überwacht hatte. Das Gericht konnte dem Angeklagten zwar nicht nachweisen, dass er sich selbst an Tötungshandlungen während der Deportationen aus Grodno im Januar und Februar 1943 beteiligt hatte. Es war jedoch davon überzeugt, Errelis habe »sich als Herr über Leben und Tod in Grodno gefühlt«. Im Januar wurden nach den Feststellungen des Bielefelder Schwurgerichts mindestens hundert Männer, Frauen und Kinder von der Gestapo erschossen, im Februar habe es mindestens fünfzig Tote gegeben.18 Auch die Einlassung des Angeklagten, ihm sei das Ziel der Transporte nicht bekannt geworden, hielt das Gericht angesichts der Tatsache, dass Errelis als Leiter der Aktion die Zugunterlagen erhalten und einen genauen Überblick über den Umfang der Deportationen gehabt hatte, für unglaubhaft. Das Gericht stützte sich dabei auf Dokumente der Reichsbahn, die für Forschungen zur Deportation der Juden bis heute von großem Wert sind. Aus einer Fahrplanordnung der Generaldirektion der Ostbahn in Krakau vom 1. Februar 1943, die dem Gericht vorlag, ergibt sich, dass für den 14. Februar 1943 ein »Sonderzug« von Grodno nach Treblinka vorgesehen war. Dieser Zug (Pj 163) wird in einem Dokument der Deutschen Reichsbahn, Generalbetriebsleitung Ost in Berlin, vom 16. Januar 1943 erwähnt. Sowohl in der Zusammenstellung der am 15. Januar 1943 »in Berlin vereinbarten Sonderzüge für Umsiedler« als auch in dem »Umlaufplan« für die Wagenzüge in der Zeit vom 20. Januar bis 18. Februar 1943 taucht der Transport von Grodno nach Treblinka auf. Aus einem weiteren Bahntelegramm geht hervor, dass am 16. Fe-

15 L/StADT, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 11 VS, Aussage des Zeugen Ber Shulkes in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh u. A. (5 Ks 1/65) v. 29.4.1966. 16 L/StADT, D 21 A, Nr. 6195, Urteil 5 Ks 1/65, Bl. 269. 17 L/StADT, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 11 VS, Einlassung des Angeklagten Heinz Errelis während der Vernehmung des Zeugen Shulkes v. 29.4.1966. 18 Vgl. L/StADT, D 21 A, Nr. 6195, Urteil 5 Ks 1/65, Bl. 287 und Bl. 290, Zitate Bl. 293 f.

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bruar 1943 ein Zug von Grodno nach Treblinka fuhr.19 Der Vorsitzende Richter Günther Witte hielt dem Angeklagten am 12. August 1966 vor, ihm habe aufgrund dieser Dokumente, die in den Prozess eingeführt worden waren, das Ziel der Transporte bekannt sein müssen (Quelle 2). Aus dem von der Historikerin Danuta Czech erstellten Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ergibt sich, wie der Vorsitzende richtig vermutete (Quelle 2), dass im Februar 1943 keine Transporte von Juden aus Grodno in Auschwitz eintrafen.20 Czech wurde am 24. Oktober 1966 vom Gericht als Zeugin vernommen und zur Quellengrundlage der in den Zeszyty Oświęcimskie (Hefte von Auschwitz) aufgeführten Transporte, die zwischen November 1942 und August 1943 aus dem Bezirk Bialystok nach Auschwitz gingen, befragt. Die Einträge zu den Deportationen von Juden aus dem Bezirk enthalten – von einer Ausnahme abgesehen – nur Angaben über die Zahl der ins Lager eingewiesenen Häftlinge, nicht über die Zahl der Deportierten und der sofort nach der Ankunft Ermordeten. Aus dem Kalendarium geht hervor, dass im Januar 1943 fünf Deportationszüge mit Juden aus Grodno in Auschwitz ankamen (je ein Transport am 20., 21., 22., 23. und 24. Januar). Das Gericht ging davon aus, dass die Deutschen im Januar »mindestens 7.500« jüdische Männer, Frauen und Kinder von Grodno nach Auschwitz verschleppten und dort töteten. Im Februar 1943 gingen nach den Feststellungen des Bielefelder Schwurgerichts »mindestens drei Transporte nach Treblinka, je einer am 13., 14. und 16. Februar«. Mit diesen drei Zügen seien »mindestens 3.500« jüdische Männer, Frauen und Kinder in den Tod geschickt worden. Die in Grodno verbliebenen Juden wurden im März 1943 ins Białystoker Ghetto gebracht.21 Errelis habe, so das Bielefelder Schwurgericht, »spätestens als er den Befehl zur endgültigen Räumung des Gettos I« erhalten habe, gewusst, dass »die zu deportierenden Juden für den Tod bestimmt waren«. Zum Nachweis der Kenntnis verweist das Gericht im Urteil auf die Verhältnisse in Grodno in der Zeit von November 1942 bis Februar 1943 und führt anschließend folgende Umstände als Beleg für die Kenntnis des Angeklagten von der Vernichtung der im Februar nach Treblinka deportierten Menschen an: 1. die damalige Kenntnis der Juden »von dem sie erwartenden Todesschicksal«; 2. die Kenntnis vom Zielort Treblinka; 3. die Begleitumstände der Deportationen.22 Zu den einzelnen Punkten bemerkte das Gericht unter anderem:

19 Die beiden Reichsbahndokumente sind abgedruckt bei Hilberg, Sonderzüge nach Auschwitz, Anlagen 45 und 48. (Siehe auch Hilberg, Quellen des Holocaust, S. 85 ff.). Das Bahntelegramm wird erwähnt in: L/StADT, D 21 A, Nr. 6195, Urteil 5 Ks 1/65, Bl. 269. 20 Vgl. Czech, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. 21 Vgl. L/StADT, D 21 A, Nr. 6195, Urteil 5 Ks 1/65, Bl. 278 f., Zitat Bl. 267. 22 Vgl. ebd., Bl. 295, Zitat Bl. 275.

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Ad 1.: 10 der 15 vom Gericht vernommenen Zeugen aus Grodno sagten vor Gericht aus, dass sie damals von der bevorstehenden Tötung Kenntnis erhalten hatten, mindestens vier hatten nach Feststellungen des Schwurgerichts »damals schon genau gewusst«, dass »Auschwitz und Treblinka die in Frage kommenden Vernichtungslager waren«. Als Beleg für die weitverbreitete Kenntnis unter den Juden verweist das Gericht außerdem auf zwei Aussagen deutscher Zeugen und auf einen Eintrag aus dem Tagebuch des Widerstandskämpfers Tenenboim-Tamaroff. Am 18. Januar 1943 notierte Tenenboim im Ghetto Białystok: »Es sind Mädchen aus Grodno angekommen. Fortsetzung der Aktion … Man wird noch bis an die 10.000 Leute wegführen. … Jetzt wissen bereits alle, daß man sie in den Tod führt und man nichts mehr zu verlieren hat.«23 Ad 2.: Errelis habe »entgegen seiner Einlassung« Kenntnis vom Ziel der Transportzüge gehabt. Das Gericht war aus Gründen der inneren Logik davon überzeugt, dass ihm die Transportziele in den Deportationsbefehlen genannt worden waren. Im Urteil heißt es, es sei »nicht einzusehen, warum die Transportziele einem Leiter der Gestapo gegenüber geheimgehalten werden sollten, wo sie doch jedem Eisenbahnbeamten bekannt gewesen« seien. Das Gericht hielt es für »geradezu selbstverständlich«, dass »dem Leiter der Außenstelle mit der Mitteilung, daß Züge auf dem Bahnhof zum Abtransport bereit stehen, zugleich gesagt wird, wohin die Züge fahren«. Es sei allenfalls vorstellbar, dass man – »aus Gründen der Geheimhaltung« – Errelis »ein falsches Transportziel genannt hätte, keineswegs aber«, dass »man ihm nichts gesagt« habe.24 Ad 3.: Die »blutigen Begleiterscheinungen« der Deportationen im Januar und Februar 1943 waren nach Auffassung des Gerichts »ein starkes Beweisanzeichen« dafür, dass sich der Angeklagte »der Wertlosigkeit jüdischen Menschenlebens voll bewußt« gewesen sei. Er habe nicht angenommen, »die SSFührung benötige die Grodnoer Juden als Arbeitskräfte an einem anderen Ort«, sondern habe »die angebliche Motivierung des Deportationsbefehls: Umsiedlung zum Arbeitseinsatz, als echte Tarnung erkannt«. Das Gericht war überzeugt, Errelis habe erst im Februar »die sichere Kenntnis von der bevorstehenden Vernichtung aller bei dieser Aktion aus Grodno deportierten Juden« erlangt, weil er zu diesem Zeitpunkt vom Transportziel Treblinka erfahren habe: »Mag er sich früher damit beruhigt haben, daß Auschwitz als Konzentrationslager auch Arbeitslager war, für Treblinka galt das nicht.« Es bleibe der »starke Verdacht bestehen«, dass Errelis »bereits im Januar 1943 vor der 10.000er-Aktion Kenntnis« von der bevorstehenden Vernichtung gehabt hatte. Dies sei »ihm jedoch nicht mit letzter Sicherheit nachgewiesen«.25 23 Ebd., Bl. 296 und Bl. 297. 24 Ebd., Bl. 300. 25 Ebd., Bl. 302 f. und Bl. 304.

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Altenloh und Errelis wurden wegen ihrer Beteiligung an den Februar-Deportationen aus Grodno als Gehilfen der sog. Haupttäter – »die nationalsozialistische Führungsspitze, insbesondere Hitler, Göring, Himmler, Heydrich, Dr. Kaltenbrunner, Müller, Eichmann« – verurteilt. Die Tötung der Juden stelle sich »rechtlich als Mord im Sinne des § 211 StGB dar« und sei »allein aus rassischen Gründen und damit aus niedrigen Beweggründen« geschehen. Zur Überzeugung des Schwurgerichts handelten die Angeklagten im Gegensatz zu den »Haupttätern« nicht aus niedrigen Beweggründen. So habe Altenloh »die Verbrechensbefehle mißbilligt und ihnen widerstrebt, sie aber gleichwohl aus menschlicher Schwäche ausgeführt«. Auch Errelis habe »sich mit dem Ziel der Haupttäter« nicht identifiziert. Die Todesopfer bei den Deportationen im Februar wertete das Gericht nicht als Indiz dafür, dass Errelis die Massenmorde an den Juden gebilligt und »als eigene Tat« gewollt hatte. »Wenn er die Exzesse geduldet« habe, so könne »das bei Mißbilligung der verbrecherischen Befehle auch darauf zurückzuführen sein«, dass »er die Befehle – wie verlangt – genau, zügig durchführen wollte oder auch Scheu davor hatte, bei energischem Einschreiten gegen die Exzesse sein Gesicht zu verlieren«. Deshalb betrachtete das Gericht Errelis nicht als Mittäter. Die Gerichte in Verfahren wegen NS-Gewaltverbrechen orientierten sich bei der Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme an subjektiven Kriterien: nicht der äußere Tatbeitrag, sondern die innere Einstellung zur Tat war demnach ausschlaggebend. Als Täter galt, wer die Tat »als eigene« wolle, als Gehilfe hingegen, wer »fremdes Tun« fördere.26 Auch in der rechtlichen Würdigung des Bielefelder Schwurgerichts erscheint nicht die konkrete Handlung, sondern die Einstellung zu dieser als entscheidendes Element für die Schuld- und Strafzumessung. Die schwerwiegenden Tatbeiträge Dr. Altenlohs und Errelis’ verloren durch den Verweis auf die angebliche Missbilligung der Befehle an Gewicht.27 Es ist deutlich geworden, dass das Gericht bei der Frage nach der inneren Einstellung zur Tat die Selbstdarstellung der Angeklagten übernahm. Wilhelm Altenloh und Heinz Errelis erscheinen nach der rechtlichen Würdigung als passive Befehlsempfänger ohne eigenen Willen, als funktionierende Rädchen im System der arbeitsteiligen Vernichtung, die sich die Ziele der Taturheber nicht zu eigen gemacht hatten. Diese Deutung gilt es zu hinterfragen. So waren nach Auffassung von Raul Hilberg »Initiativen auf allen Ebenen« die »unbedingte Voraussetzung, um die Politik der Judenverfolgung zu fördern«. Folgt man Hilberg, waren weniger Befehlsstrukturen, sondern vielmehr das »Konzept der ›Federführung‹« entscheidend. Seine These lautet: »Allein mit Befehlen wäre das Judentum nie vernichtet worden. Es 26 Vgl. Hanack, Zur Problematik der gerechten Bestrafung. 27 Ebd., Bl. 382, 392 und 406.

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bedurfte eines Willens, einer Bereitschaft, eines Gedankengangs, und einer Übereinstimmung.«28 Das Gericht sprach den Angeklagten diesen Willen und diese Bereitschaft ab. Quelle 1 Einlassung des Angeklagten Dr. Wilhelm Altenloh in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh u. A. (5 Ks 1/65) v. 28.3.1966, in: L/StADT, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 2 VS. Zur Methodik der Transkription vgl. Fußnote 1. Vorsitzender: Warum haben Sie im Falle Grodno keinen Widerspruch erhoben, obwohl die Masse der Juden arbeitete? Nämlich die Juden aussem alten Ghetto. Weshalb haben Sie da keinen Widerspruch erhoben? Beispielsweise, dass Ihnen, dass es Ihnen nicht mehr möglich sei, Wehrmachtsaufträge durchzuführen. Angeklagter Dr. Altenloh: Herr Direktor, in Białystok war es ja anders als in Grodno. Vorsitzender: Reden Sie nicht von Białystok. Sie brauchen nur nein zu sagen, ich habe keinen Widerspruch erhoben. Angekl. Altenloh: Nein. Vorsitzender: Denn es war in Grodno anders als in Białystok. Was war denn in Grodno anders? Wir reden jetzt von Grodno. Angekl. Altenloh: Ich (schweigt) Vorsitzender: Hm. Angekl. Altenloh: In Grodno waren meiner Erinnerung nach wohl viel Außenkommandos, die auch draußen arbeiteten, ich glaub’ aber nicht, dass im Ghetto von Grodno besondere Rüstungsbetriebe waren, im Ghetto. Vorsitzender: Ah so. Sie meinen nicht. Angekl. Altenloh: Das muss ja Herr Errelis besser wissen, ich kann mich da irren. […] Vorsitzender: Also für Grodno, so wollen Sie sagen, war kein großer Rüstungseinsatz, oder doch? Angekl. Altenloh: Wie groß der Rüstungseinsatz war, weiß ich heute nicht mehr. Vorsitzender: Gab’s für Grodno einen besonderen Beauftragten der Wehrmacht von der Rüstungsinspektion? Angekl. Altenloh: Das ist möglich, ich weiß es aber nicht. […] Vorsitzender: Ja, also hatten Sie Anlass anzunehmen, dass die Juden nunmehr in Rüstungsbetriebe nach Polen kommen sollten? Angekl. Altenloh: (schweigt) Das hab’ ich angenommen. Vorsitzender: Was, weshalb? Aufgrund welcher Tatsache? Angekl. Altenloh: Dass sie zum Arbeitseinsatz ä Vorsitzender: Arbeiteinsatz meinten Sie, sei identisch mit Rüstungsaufträgen und Rüstungsarbeit. 28 Raul Hilberg, Gehorsam und Initiative (1991), zitiert nach: Paul, Von Psychopathen, Technokraten des Terrors und »ganz gewöhnlichen« Deutschen, S. 37. Siehe auch Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 1, S. 58.

Selbst- und Fremddeutung von NS-Tätern im Bielefelder Białystok-Prozess

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Angekl. Altenloh: (schweigt) Nee, kriegswichtige Betriebe, nicht wahr. Vorsitzender: Ja. Woher hatten Sie denn diese Auffassung? Wie kamen Sie denn zu dieser Auffassung? Irgendeiner muss Ihnen doch was erzählt haben? Oder nicht? Angekl. Altenloh: (schweigt) Vorsitzender: Es brauch’ ja nicht am Tage des Befehls von Berlin gewesen zu sein, sondern es kann Ihnen ja schon vorher einer was gesagt haben. Dass Sie das dienstlich oder außerdienstlich erfahren haben, im Generalgouvernement werden kolossale Wehrmachtsrüstungsbetriebe aufgebaut mit Hilfe der Juden. Ist doch denkbar, dass man Sie dahin unterrichtete. Angekl. Altenloh: (schweigt) Es war mir bekannt, dass ä Vorsitzender: Hä. Vorsitzender: diese Juden zum ä, zur Rüstungsindustrie gebraucht wurden. Vorsitzender: Also, woher wussten Sie das? Wer hat Ihnen das gesagt? Oder geschrieben? Angekl. Altenloh: (schweigt) Vorsitzender: Können Sie nicht sagen mehr, nein? Angekl. Altenloh: Herr Direktor, da bin ich überfragt, wer mir das gesagt hat, aber_ Vorsitzender: Das können Sie ja dienstlich erfahren haben. Angekl. Altenloh: Das glaub’ ich sogar. Vorsitzender: Das glauben Sie sogar. Vor dem Fernschreiben schon? (schweigt) Durch eine allgemeine Information. Angekl. Altenloh: (schweigt) Die Konzentration der Juden vorher, die vorher ging_ Vorsitzender: Hm. Angekl. Altenloh: (schweigt) war mir_ eigentlich auch, auch der Ansicht, dass die im Endeffekt mit der Absicht war, die Juden nunmehr ä zweckdienlich, d. h. ä arbeitsmäßig einzusetzen. Vorsitzender: Ich habe schon am Freitag mehrfach diese Frage gestellt: ob das nur Ihre Ansicht war, oder ob Sie dafür klare Richtlinien und Erklärungen des Reichssicherheitshauptamts hatten? Angekl. Altenloh: (schweigt) Vorsitzender: Wir wollen das Thema fallen lassen.

Quelle 2 Einlassung des Angeklagten Heinz Errelis in der Hauptverhandlung der Strafsache gegen Dr. Altenloh u. A. (5 Ks 1/65) v. 12.8.1966, in: L/StADT, D 21 A, Nr. 6341, Tonband 26 VS. Zur Methodik der Transkription vgl. Fußnote 1. Vorsitzender: Ich hab’ jetzt aber noch eine Frage Herr Errelis, die müssen Sie mir noch unbedingt beantworten, ehe wir abbrechen. Wann haben Sie denn nun das Wort Treblinka zum ersten Mal gehört? Angeklagter Errelis: Nach dem Kriege, Herr Vorsitzender. Vorsitzender: Na, das kann doch nicht ganz gut möglich sein. Denn ich meine, das eine ist_verzeihen Sie, wenn ich so grob Ihnen erwidere. Aber wir wissen doch aus der Urkunde, dass der Pj Zug 165 von Grodno nach Treblinka ging und das war im

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Katrin Stoll

Januar 63, ä 43. Und außerdem wissen wir, dass im Februar ein Zug von Grodno nach Treblinka ging und das kann sich Ihnen doch wohl eigentlich nicht (schweigt) Angekl. Errelis: Herr Vorsitzender, den Zielort der Züge habe ich ja von Białystok nie genannt bekommen. Vorsitzender: Naja. Auschwitz haben Sie sehr schnell gehört. Und da nahmen Sie immer an, das geht nach Auschwitz? Angekl. Errelis: Ja, natürlich. Vorsitzende: Und von Treblinka niemals was gehört? Angekl. Errelis: Nein. Vorsitzender: Obwohl – ich vermute es jetzt, ich weiß es nicht, ist ne reine Behauptung, die ich aufstelle – vielleicht aus den Auschwitzer Eingangslisten sich ergibt, dass im Januar, Februar oder im Februar, im Februar überhaupt kein Transport aus Grodno angekommen ist. Angekl. Errelis: Herr Vorsitzender_ Vorsitzender: Also, dann dürfte vielleicht – bitte, reine Vermutung zunächst – von Ihnen aus alles nach Treblinka gegangen sein. Angekl. Errelis: Herr Vorsitzender, das ist möglich, ich habe mich also, nachdem mir der Name Auschwitz bekannt war, nie mehr darum gekümmert, wo die Transporte hingingen. Vorsitzender: Na, ja, das wollte ich nur zur Kenntnis nehmen. Weiter nichts.

Annotierte Auswahlbibliographie Bielefelder Białystok-Prozess: einen Überblick über den Verlauf des Prozesses liefern Anders u. a., Der Bialystok-Prozess vor dem Landgericht Bielefeld und Stoll, Strafverfahren gegen ehemalige Angehörige der Sicherheitspolizei. Ausgewählte Aussagen von Zeugen und Angeklagten zu den Geschehnissen in Grodno sind abgedruckt bei Klarsfeld, Documents Concerning the Destruction of Jews of Grodno, Bd. IV. Anhand von Zeugenaussagen jüdischer Überlebender aus Grodno analysiert Bitterberg, Der Bielefelder Prozeß, Ereignisse im Ghetto Grodno, darunter die Erhängung Lena Prenskis, und befasst sich mit dem Erkenntniswert der Prozessmaterialien für die historische Forschung über den Mord an den Juden des Bezirks Białystok. Kölner Grodno-Prozess gegen Kurt Wiese und Heinz Errelis: In Klarsfeld, Documents Concerning the Destruction of Jews of Grodno, Bd. V, sind Vernehmungsprotokolle von Angeklagten und Zeugen sowie das Urteil dokumentiert. Deutsche Vernichtungspolitik in Grodno: dazu finden sich Angaben bei Gerlach, Kalkulierte Morde; Bender, The Reinhardt Action und Ackermann, Palimpsest Grodno. Die Überlebenden Felix Zandman und Alexandre Blumstein legen in ihren Erinnerungsberichten Zeugnis vom Leben und Sterben der Grodnoer Juden ab: Zandman, Nie die letzte Reise; Blumstein, A little house on Mount Carmel. Gerichtskommunikation in NS-Prozessen: Kemper, Konstruktion der KZ-Welt untersucht das Redeverhalten der Angeklagten im Frankfurter Auschwitz-Prozess.

Stephan Lehnstaedt

Mehr als nur die Verbrechen Kulturgeschichtliche Fragen an Justizakten

Zentrales Element der Kulturgeschichte ist das Interesse für Deutungen und Interpretationen, die Menschen auf ihre Umgebung und die darin existierenden Dinge und Lebewesen anwenden. Gefragt wird danach, wie die geistigen, materiellen und sozialen Umstände die Wahrnehmungen und Sinnstiftungen beeinflussen, nach denen ein Individuum oder eine Gruppe ihre Existenz ordnet. Dass kulturgeschichtliche Fragestellungen für die Zeitgeschichte im Allgemeinen und für die Erforschung des Nationalsozialismus im Besonderen fruchtbar sein können, hat zuletzt unter anderem die neuere Täterforschung gezeigt. Auch und gerade die Arbeit mit Quellen juristischer Provenienz ermöglicht eine solche kulturgeschichtliche Erweiterung der Perspektive, und die Täterforschung, die sich mit dem ausführenden Personal des Massenmordes befasst, kann davon in besonderer Weise profitieren. Dies soll am Beispiel der Ermittlungen zu deutschen Verbrechen in Warschau und Minsk gezeigt werden. Noch vor wenigen Jahren ging es der Täterforschung vor allem darum, durch individuelle Schuldzuweisung Geschichte gewissermaßen zu re-personalisieren und vom unpersonellen, systembedingten Handeln des »Schreibtischtäters« auf die Einzelperson zurückzuführen. Die Justizakten trugen dazu bei, die im Zeichen des Strukturalismus weit verbreitete Darstellung von Verbrechen als transpersonalem Geschehen zu korrigieren und gleichzeitig individuelle Verantwortung kenntlich zu machen. Inzwischen ist in vielen Fällen bekannt, wer die Täter waren und was sie taten. Doch noch immer herrscht kaum Klarheit darüber, warum sie zu Tätern wurden. Ideologie, Sozialisation oder einfach Karrierestreben sind nur ein Teil der Erklärung. Situative Momente, die Umgebung des Alltags oder der Habitus der Menschen fanden bisher kaum Berücksichtigung. Um die Voraussetzungen zu benennen, die die Anwendung der Gewalt erst möglich machten, muss über die Frage nach Plänen und Intentionen hinausgegangen werden. Nur so kann die Komplexität des Genozids annähernd erfasst werden: Es gab mehr als nur eine Zielrichtung der Gewalt, denn verschiedene Gruppen waren ihr ausgesetzt; es gab mehr als nur eine Gruppe

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Stephan Lehnstaedt

von Tätern, denn alle Angehörigen der Besatzergesellschaft waren auf unterschiedliche Art daran beteiligt; es gab mehr als nur ein Motiv für Gewalt, da ökonomische, ideologische und habituelle Faktoren zusammen mit staatlichen Befehlen und Normen eine für die Einheimischen verhängnisvolle Dynamik entwickelten. Die Ursachen für Massenmorde waren in der Gesellschaft, in der sie geschahen – oder die sie auslöste – tiefer verwurzelt als nur in der staatlichen Politik, auch wenn diese die Rahmenbedingungen bestimmte, unter denen der Genozid möglich war. Aber soziale, politische und administrative Strukturen erklären höchstens, wie Menschen handeln, nicht jedoch, warum sie es tun. Der kulturgeschichtliche Blickwinkel hingegen kann wesentliche Antworten zu dieser zentralen Fragestellung der Holocaust-Forschung liefern. Diese Perspektive kann nicht nur zur Erklärung beitragen, warum Menschen zu Tätern und wie die Massenmorde möglich wurden; sie gibt auch Aufschluss über das spannungsreiche Verhältnis zwischen dem Alltag der Besatzer und ihrem mörderischen Tun einerseits und den verschiedenen Erfahrungshorizonten von Besatzern, Besetzten und Opfern nationalsozialistischer Verbrechen andererseits. Und auch wenn die Ausführungen mit Beispielen aus der nationalsozialistischen Besatzung im Osten illustriert werden, so spiegelt dies keineswegs lokale oder thematische Grenzen des kulturhistorischen Potentials der Justizakten wider. Die hier angestellten methodischen Überlegungen können mit kleineren Adaptionen ganz oder teilweise für andere Verbrechenskomplexe und Tätergruppen Gültigkeit beanspruchen. Eine Einschränkung muss im vorliegenden Fall wegen der Quellenbasis gemacht werden: der Blick wird weitgehend auf die Gruppe der Täter beschränkt bleiben. Denn solange die Opfer nicht befragt wurden – oder nicht mehr befragt werden konnten –, ermöglichen die Justizakten kaum Aussagen über deren Deutungen und Interpretationen des Alltags; die Wahrnehmung der deutschen Besatzungs- und Vernichtungspolitiken durch die lokale Bevölkerung oder die Bewohner der Ghettos bleibt somit im Dunkeln. Die Opfer kamen hauptsächlich in polnischen Prozessen zu Wort, die im Gegensatz zu den sowjetischen rechtsstaatlichen Prinzipien genügten. Zahlreiche Zeugenaussagen sind heute im Instytut Pamięci Narodowej (Institut des Nationalen Gedenkens, IPN) in Warschau einsehbar. Hier kann der Historiker einiges über die Lebenswirklichkeit der Opfer erfahren, über ihre Wahrnehmung ihrer Umwelt und ihrer Unterdrücker. Auf diese Perspektive kann im Folgenden nicht näher eingegangen werden. Stattdessen wird der Fokus exemplarisch auf verschiedenen Vertretern der deutschen Besatzungsmacht in Polen und Weißrussland liegen. Gerade die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg (→ Kunz, Unterlagen) bilden einen Quellenkorpus, der sich

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hervorragend für eine Untersuchung dieser Fragestellung eignet – nicht anders als die Akten der Inquisition, die schon in den 1970er Jahren unter kulturgeschichtlicher Perspektive befragt wurden.1 Zwar ist bei den verwendeten Vernehmungsprotokollen nicht immer zweifelsfrei zu klären, ob die Wortwahl der Protokolle dem Ermittlungspersonal oder den Befragten zuzuschreiben ist. Daher ist nicht nur methodisches Fingerspitzengefühl gefragt; die Vielzahl der Vernehmungen ermöglicht in ihrer Gesamtheit durchaus tragfähige Ergebnisse: anders als bei Studien auf der Basis von Prozessen früherer Epochen, bei denen die Quellenbasis oft enger ist und zudem das Problem der Illiteralität das genannte Problem verschärft, entwickelt die bloße Quantität der Aussagen gleichsam eine korrigierende Funktion. Die Ludwigsburger Überlieferung bietet hinsichtlich ihres Umfangs, ihrer Breite und auch ihres Detailreichtums Erstaunliches und eröffnet vielfache neue Perspektiven. Eine mit der Datenbank des Instituts für Zeitgeschichte im Jahr 2005 erstellte Übersicht für Minsk zeigte, dass zwar nur zwölf Gerichtsverfahren, aber beinahe 250 Ermittlungsverfahren durchgeführt wurden, wobei besonders die Untersuchungen gegen die SS-Kommandeure Georg Heuser und Erich Ehrlinger mit einem Aktenumfang von acht bzw. 25 Bänden herausragen.2 In Bezug auf Warschau existieren beinahe 300 Ermittlungsverfahren; auch wenn nur gegen 43 Männer Anklage erhoben wurde, stehen dadurch doch mehrere Aktenmeter an Material zur Verfügung. Aus diesem Bestand sticht wegen seines Umfanges besonders das Verfahren gegen die Sicherheitspolizei und ihren Chef Ludwig Hahn heraus. Die Ermittlungen füllen allein in Ludwigsburg 69 Bände, überwiegend mit Zeugenaussagen.3 In Hahns Fall konnten zahlreiche Staatsanwälte und Polizisten in jahrelanger Arbeit den Nachweis von Tötungshandlungen oder deren direkter Anordnung erbringen, was schließlich zu einer Verurteilung wegen der organisatorischen Gestaltung und Leitung der Deportation von mindestens 230.000 Juden führte. Hahn wurde 1975 vom Landgericht Hamburg zu lebenslänglicher Haft verurteilt; der Bundesgerichtshof bestätigte die Strafe zwei Jahre später. Wer nun an diese Akten kulturgeschichtliche Fragen stellt, wird hauptsächlich auf die Zeugenaussagen im Ermittlungsverfahren zurückgreifen. Die Ermittlungsberichte, Anklageschriften oder Urteile enthalten vor allem die beweiserheblichen »Fakten« über die Verbrechen, aber wenig darüber hinaus. Die Strafverfolgungsbehörden versuchten, eine möglichst große Zahl von Personen ausfindig zu machen und zu befragen, die damals in der betreffenden Region tätig waren oder deren Truppenteile zeitweise dort stationiert 1 Vgl. Ginzburg, Der Käse und die Würmer; Le Roy Ladurie, Montaillou. 2 BArch, B 162/3224–3231 und B 162/1672–1697. 3 BArch, B 162/3658–3727.

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waren – ohne dass im Voraus klar war, ob diese überhaupt verfahrensrelevantes Wissen hätten. Die Befragten offenbarten während der polizeilichen oder staatsanwaltlichen Vernehmung allerdings meist weit mehr, als für die Rekonstruktion des unmittelbaren Tathergangs bedeutsam war. Gerade weil viele von ihnen kein echtes Interesse daran hatten, eine wie auch immer geartete (Mit-)Schuld einzugestehen, berichteten sie nur zu gerne von scheinbar unbedeutenden, aber keineswegs banalen Begebenheiten. Die Ermittler auf der anderen Seite stellten – außer bei Beschuldigten – nur selten konkrete Fragen nach Tatkomplexen, sie erkundigten sich nur routinemäßig nach bestimmten Namen und Gegebenheiten. Von den bundesrepublikanischen Ermittlungen unterschieden sich entsprechende Verfahren in der ehemaligen DDR schon aufgrund der Untersuchungsführung. Anders als im Westen konfrontierten die vernehmenden Beamten sogar Zeugen mit oftmals gleichen oder ähnlichen Anschuldigungen wieder und wieder. Ein »Erzählen« des Befragten, wie es in der Bundesrepublik vorkam, sah diese Verhörtechnik nicht vor. Daher finden sich in diesen Akten kaum für kulturgeschichtliche Fragestellungen verwendbare Angaben, auch weil die vernehmenden Beamten nicht selten mit massiven Drohungen gegenüber den Befragten arbeiteten. Aus der unterschiedlichen Art, Prozesse vorzubereiten, erklärt sich, warum sich in den Ludwigsburger Akten vielerlei für die unmittelbare Strafverfolgung nicht relevante und kaum verwertbare Details des alltäglichen Lebens finden. Dieses Potential der Überlieferung ist bislang von der Wissenschaft kaum erkannt worden. Die Ermittlungen etwa gegen den Kommandeur der Sicherheitspolizei Warschau umfassen einige hundert Verhörprotokolle, in denen mit ermüdender Gleichmütigkeit konstatiert wird, dass man »im Osten« nichts Verbrecherisches erlebt habe. Für die meisten Befragten war die Vernehmung eine unbehaglich Sache, die sie in möglichst kurzer Zeit hinter sich bringen wollten; Erinnerungen an längst vergangen geglaubte Zeiten wurden wachgerufen und stets schwebte das Bewusstsein im Hinterkopf, dass damals eben doch nicht alles rechtens war. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass die meisten Zeugen keine juristischen Konsequenzen mehr zu befürchten hatten, so wurde doch die Gegenwart eines Polizisten, der in die eigene Vergangenheit eindringen wollte, als bedrückend empfunden. Damit eignen sich die Justizakten gut für alltagsgeschichtliche Untersuchungen. Dies gilt auch für die in Ludwigsburg überlieferten Bestände zu Warschau und Minsk. Sie bieten reichhaltiges Material über den Alltag der Besatzer im Osten, illustrieren seine Ausprägungen, wie er von den Besatzern erlebt und erfahren wurde, welche Folgen dies für deren Leben vor Ort hatte, also wie sie sich den Alltag aneigneten. Die Quellen beschreiben nicht nur den Dienstbetrieb, sondern auch die Freizeit, etwa im Theater oder beim

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Sport; sie handeln von den Lebensbedingungen im Wohnheim oder vom Verhältnis zu den Kollegen und Kameraden. Quelle 1 illustriert das Eheleben eines Paares in Warschau, die beide bei der dortigen Sicherheitspolizei beschäftigt waren. In der Vernehmung berichtet der Zeuge Siegfried N., wie er gemeinsam mit seiner Frau Theater und Cafés besuchte, aber auch Zeit mit Freunden verbrachte. Eine Vielzahl von Befragungen schildert auf vergleichbare Weise die zahlreichen Freizeitangebote, von denen die Besatzer profitierten, und deren Akzeptanz. Die gezielte Durchdringung des Lebens durch die oft staatlich oder durch die Partei gesteuerten Maßnahmen nationalsozialistischer Gesellschaftspolitik lässt erahnen, wie im Osten bereits Visionen von der Volksgemeinschaft umgesetzt wurden, die im Reich noch weitgehend Planung blieben. In den Befragungen wurde naturgemäß nur das geschildert, was auch im Gedächtnis blieb, insbesondere Ereignisse, denen eine besondere Relevanz für die eigene Biographie und das eigene Erleben zugeschrieben wurde oder Ereignisse mit exzeptionellem Charakter. In dieser Hinsicht bieten die Akten einen tiefen Einblick in Erlebnisse, die in offiziellen Berichten oder zeitgenössischen Publikationen über das Leben im »Osten« oft keinen Widerhall fanden. In ihnen wird ein Spektrum der Freizeit- und Verhaltensmöglichkeiten aufgezeigt, die auch außerhalb der vom Regime vorgegebenen Normen und Angebote liegen konnten. Derartige Aktivitäten trugen einen Gutteil zur Akzeptanz der Existenz im Osten bei, da individuelles Handeln zu einem nicht geringen Teil davon bestimmt wurde, ob Ablehnung oder Zufriedenheit mit der eigenen Situation vorherrschte. Davon abhängig war nicht zuletzt auch die Bereitschaft, sich mit den Zielen und der Politik der nationalsozialistischen Herrschaft zu identifizieren. Deren bedeutsamste Ausprägung war ohne Zweifel die Gewalt gegen die Einheimischen, die nach einem Vierteljahrhundert und später wegen ihres exzeptionellen Charakters in vielen Aussagen noch detailliert wiedergegeben wird. Die Unaufgeregtheit und Emotionslosigkeit vieler Schilderungen unterstreichen dabei die Alltäglichkeit des Mordens und der strukturellen Gewalt. So sagte die Ehefrau eines Polizisten aus: »Bei meinem Eintreffen in Warschau war das G[h]etto bereits in Brand. Ich erinnere noch, dass mehrere Angehörige des KdS [Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD] mit den Frauen auf das Dach unserer Unterkunft gestiegen sind, um das Feuer zu sehen. Ich war ebenfalls dabei und man sagte mir, was da brenne, sei das G[h]etto«.4

Viele Befragte berichteten ausführlich über diesen »jüdischen Wohnbezirk«, dessen Besuch gewissermaßen zum Pflichtprogramm für jeden durchreisen4 BArch, B 162/3708, S. 120 ff., Vernehmung von Gertrud H. am 3.6.1965.

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den Deutschen gehörte – und natürlich auch für die in der Stadt stationierten Besatzer selbstverständlich war. Zur Alltäglichkeit der Gewalt gehörte deren Öffentlichkeit, deren Erforschung sich als schwierig erweisen kann. Nach ihr wurde normalerweise von den Ermittlern nicht gezielt gefragt. Die Angaben sind meist eher fragmentarisch und bleiben im Bereich von Andeutungen, da die so offenbarte Anwesenheit schnell belastenden Charakter annehmen konnte. Immer wieder finden sich aber Hinweise darauf, dass Gewalt und Genozid letztlich vor aller Augen stattfanden; der Geschäftsführer einer Warschauer Ghetto-Firma berichtete 1962: »So erinnere ich mich, dass wir im Februar 1942 einmal […] an Hand der damaligen Sterbeziffer ausrechneten, dass das Ghetto ohne jede gewaltsame Einwirkung bei diesen Todesziffern innerhalb von 6 Jahren restlos ausgestorben sein würde«.5

Häufig ist in den Aussagen von der Wahrnehmung der Gewalttaten anderer zu lesen. Das mochte zwar in manchen Fällen nur der Ablenkung davon dienen, dass der Befragte selbst an solchen Verbrechen beteiligt gewesen war; nicht selten aber offenbaren sich auf diese Weise Kommunikationswege und -inhalte sowie Vermutungen und (Halb-)wissen der Zeitgenossen vor Ort von der Form und vom Ausmaß des Genozids. Die Deutschen in Warschau und in Minsk waren über die Ausmaße des Judenmordes in Osteuropa erstaunlich gut informiert – ihre damalige Neugier ist auch in den Akten nachzulesen. Eines ihrer Gesprächsthemen stellte der Massenmord dar. Quelle 2 zeigt verschiedene Wege auf, wie man in Warschau vom Massenmord erfahren konnte: Eisenbahner und SS-Angehörige berichteten von ihren Beobachtungen, und in den diversen deutschen Treffpunkten der Stadt Warschau wurde ausführlich darüber gesprochen. So kann nicht nur der Informationsfluss nachgezeichnet werden, es wird deutlich, dass die Besatzer – Zivilisten wie Militärs und Sicherheitsbehörden – die verschiedenen Formen der Gewalt gegen die Juden genau registrierten, wie etwa Unterernährung, Ausbeutung, aber auch Misshandlungen und Morde. Wenn demgegenüber viele Befragte im Gegensatz zu Quelle 2 konstatieren, dass sie sich über das in Warschau existierende Ghetto keine Gedanken gemacht und sich über die Judenmorde nicht privat unterhalten hätten, so kann das kaum der Wahrheit entsprechen. Aussagen wie in Quelle 2, in denen derartige Gespräche geschildert werden, erscheinen oft plausibler, wird in ihnen doch das Geschehen als zumindest außergewöhnlich wahrgenommen und als meist – aber nicht immer – bewusst vermiedenes Gesprächsthema geschildert.

5 BayHStA, Staatsanwaltschaften 34865/18, Vernehmung von Rudolf N. am 20.9.1962.

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Ein weiteres Feld der Kulturgeschichte ist die Untersuchung der Begriffe und Formulierungen, die Menschen für die Beschreibung ihrer Welt, ihrer Wahrnehmungen und Vorstellungen gebrauchen. Die Justizakten erlauben in großem Umfang die Erkundung ihres Gebrauchs und ihres Symbolgehalts, aber auch der Wandlungen unter verschiedenen Bedingungen. Wenn 1960 in Bezug auf die Warschauer Verhältnisse die Formulierung benutzt wurde, »das G[h]ettogebiet [sei] offensichtlich überbevölkert, die Menschen heruntergekommen und unterernährt« gewesen6, dann war das als eine Verneinung der eigenen Schuld gemeint. Hier wurde nicht die Besatzungspolitik für Leid und Tod verantwortlich gemacht, sondern vor allem die Juden – als ob sie ihr Schicksal selbst zu verantworten hätten. Ein vielfach verwendeter Euphemismus wie »Judenaussiedlung«7 für die Deportation in das Vernichtungslager Treblinka ist ein weiteres Beispiel dafür, welche Sprachpraktiken und damit verbundene Verschleierungen auch nach dem Krieg noch verbreitet waren. In Quelle 2 ist von der »großen Umsiedlung« der Juden als Umschreibung der Deportation von rund 300.000 Menschen in das Vernichtungslager Treblinka die Rede; darüber hinaus wird die Zwangsarbeit in den deutschen Textilfabriken des Warschauer Ghettos als »gelenkte Produktion« ebenso verharmlost wie der Hunger, der viele tausend Leben kostete, mit der Bemerkung abgetan wird, dass es nicht gelungen sei, eine »gewisse auskömmliche Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen«. Mit der damals weit verbreiteten Dichotomie der Selbstwahrnehmung der Besatzer als »Menschen«, gar Herrenmenschen, und der damit verbundenen Fremdwahrnehmung der Einheimischen als »Nicht-Menschen« und »Untermenschen« entstanden jene »asymmetrischen Gegenbegriffe«8, die so bedeutsam für die Interpretation der eigenen Handlungen waren. Die Untersuchungsakten zeigen damit zugleich die diskursive Gestaltung der Wirklichkeit in der Vergangenheit der Besatzungszeit und in der Gegenwart der Ermittlungen. Im Sinne einer Historischen Anthropologie forscht die Kulturgeschichte danach, wie sich der Mensch selbst im Laufe der Zeit definiert und seine Existenz durch kulturelle Entfaltung rechtfertigt. Sie ist eng verwandt mit der Mentalitätsgeschichte, die Verhaltensweisen untersucht und letztendlich den Habitus der Menschen erkunden will. Hier geben die Vernehmungsprotokolle Aufschluss über Wahrnehmungsraster, die die alltäglichen Beobachtungen strukturieren; sie illustrieren Denkschemata, also Alltagstheorien und Klassifikationsmuster, aber auch implizite ethische Normen bzw. Ethos allgemein, sowie ästhetische Maßstäbe zur Beurteilung kultureller Objekte und Praktiken. In Quelle 2 etwa bedauert der vernommene Heinrich H., der für 6 BArch, B 162/3663, S. 149 f., Vernehmung von Hans A. am 5.12.1960. 7 Z. B. in: BArch, B 162/3666, S. 30 f., Vernehmung von Friedel M. am 20.2.1960. 8 Vgl. Koselleck, Zur historisch-politischen Semantik.

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die wirtschaftliche Ausbeutung des Warschauer Ghettos zuständig war, noch im Abstand von fast 20 Jahren die Deportation und Vernichtung der Juden einzig und allein aus dem Grunde, dass deren Arbeitskraft danach fehlte. Darüber hinaus lassen die Akten in gewissen Grenzen auch auf Handlungsschemata schließen, die die individuellen und kollektiven Praktiken der Akteure hervorbrachten. So ist in den Quellen beispielsweise viel zu lesen über den Umgang der Deutschen untereinander und mit den Einheimischen, wobei nicht nur die Gewalt, sondern auch das friedliche Miteinander erinnert werden. Es zeigt sich, dass sich die Besatzer in ihrer Selbstwahrnehmung durch ein starkes Kameradschaftsgefühl verbunden fühlten: So berichtet beispielsweise in Quelle 2 der Zeuge zweimal mit moralischer Empörung über die Verfehlungen anderer Deutscher – die offen zur Schau gestellte persönliche Bereicherung und die individuelle und sadistische Misshandlung von Juden; er erwähnt jedoch keinerlei deswegen von ihm ergriffene Maßnahmen, obwohl er andeutet, entsprechende Möglichkeiten gehabt zu haben. Wem gegenüber zuerst Solidarität und Loyalität geübt werden musste, wurde nämlich in der Regel nicht in Frage gestellt: Obwohl die Deutschen sich in ihren eigenen Augen als Herren der Stadt sahen, hatten sie zugleich große Angst vor dem Widerstand und waren sich ihrer Situation als faktischer Minderheit in Warschau bewusst. Daraus resultierte ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, aber auch die Annahme einer Pflicht zum Zusammenhalt.9 Dennoch konnten Minsk und vor allem Warschau für viele Deutsche zur Heimat werden, in der sie (deutsche) Freunde fanden – und nicht nur Kameraden;10 ein besonders prägnantes Beispiel dafür ist die Heirat reichsdeutscher Männer mit ortsansässigen volksdeutschen Frauen. Damit ist ein weiterer Themenschwerpunkt der Kulturhistorie angesprochen, das Verhältnis der Geschlechter zueinander, im Sinne der gender history. Für Warschau zeigt sich beispielsweise, dass die nicht-militärischen Besatzungsbehörden einen veritablen Heiratsmarkt darstellten. Viele junge Frauen, die sich für den Dienst im Osten gemeldet hatten, um von zu Hause ausziehen zu können und ein selbständiges Leben zu führen, trafen dort auf meist wenig ältere, aufstiegsorientierte Männer, die sie in der letztlich begrenzten deutschen Gemeinschaft kennenlernten und ehelichten.11 So heiratete die 1914 geborene Christel S. genauso in Warschau wie ihre sechs Jahre jüngere Schwester Sieglinde J.; beide Frauen waren für die Sicherheitspolizei als Sekretärinnen tätig, gaben nach der Hochzeit ihren Beruf auf und blieben bei ihren Männern im Osten.12 Die Schilderungen dieser und anderer Frauen 9 10 11 12

BArch, B 162/3663, S. 149 f., Vernehmung von Hans A. am 5.12.1960. BArch, B 162/AR 179/71, Bd. 7, S. 1164 ff., Vernehmung von Gretel S. am 26.8.1971. Ebd. BArch, B 162/AR 179/71, Bd. 2, S. 272 ff., Vernehmung von Christel S. am 21.1.1971.

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zeigen einen beinahe kolonialen Lebensstil,13 den die Okkupation verheirateten Besatzerinnen erlaubte – und der sie deutlich von ihren Geschlechtsgenossinnen im Reich unterschied. Umgekehrt belegt die Perspektive der Männer, dass einheimische Frauen für sie vielfach nur Objekte darstellten, die jederzeit für die Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse bereitzustehen hatten. Ihren jungen Kolleginnen war der Kontakt zu einheimischen Männern vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Bilds der »reinen deutschen Frau« dagegen streng untersagt – zumal sie nach einer eventuellen Heirat dem Ideal der häuslichen Mutter entsprechen sollten. Die Aufgabe ihrer Berufstätigkeit und damit eines ansatzweise selbstbestimmten Lebens war für die jungen reichsdeutschen Frauen unumgänglich – das nationalsozialistische Frauenideal hatte sie auch im besetzten Osteuropa eingeholt. In Quelle 1 geht der dort vernommene Siegfried N. kurz darauf ein, dass er vor der Ankunft seiner Frau in Warschau anderen Freizeitbeschäftigungen nachging als nachher. Als Paar war vieles davon nicht mehr möglich, da bei den hauptsächlich im Kameradenkreis wahrgenommenen Aktivitäten keine Frauen erwünscht waren. Dies galt um so mehr, als bei abendlichen Aktivitäten häufig und in großem Ausmaß Alkohol konsumiert wurde. So legen die Quellen auch Zeugnis von Männlichkeitsidealen und Männlichkeitsritualen ab, die in der Besatzergesellschaft mit ihrem geringen Frauenanteil noch viel stärker ausgeprägt waren als im Reich. Im Osten wurde ein nationalsozialistisches Männerbild gefeiert, das auch die SA und die SS propagierten. Die justiziellen Quellen, besonders die Zeugenaussagen, bedürfen auch hier der genauen Quellenkritik. Dass sich die vorgestellten, entlang kulturgeschichtlicher Analyseraster entwickelten Themenfelder nur peripher mit der individuellen Schuld bei konkreten Verbrechen beschäftigen, bedeutet nicht, dass die Aussagen der Zeugen nicht gründlich auf ihre Glaubwürdigkeit hin untersucht werden müssten. Die Annahme, dass Auskünfte zum Alltagsleben eher nicht verfälscht oder schlicht erfunden wurden, ist jedoch durchaus legitim, gerade weil sie oftmals von Themen und Fragen ablenken sollten, die dem Befragten unbequem waren. Deshalb wurde dem Vernehmenden etwas angeboten, was zwar wahr, für diesen aber kaum sachdienlich erschien. Demgegenüber lässt schon der zeitliche Abstand von teilweise über 30 Jahren Erinnerungslücken und -fehler ebenso wahrscheinlich werden wie die Überlagerung eigener Erfahrungen und Erinnerungen durch jene ehemaliger Kameraden oder durch nach dem Krieg erworbenes Wissen aus Gesprächen oder Publikationen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es sich – wie bei anderen EgoDokumenten auch – bei den Aussagen um Selbstzuschreibungen, um Teile 13 BArch, B 162/3709, S. 219 ff., Vernehmung von Sieglinde J. am 23.8.1965.

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nachträglicher Legitimationsdiskurse handelt, die noch dazu unter den besonderen Bedingungen eines Verhörs stattfanden. Ähnlich wie der Verfasser eines Tagebuchs oder – mit vergleichbarem zeitlichem Abstand – von Memoiren hat auch der Zeuge im Ermittlungsverfahren zumindest teilweise sowohl den Inhalt als auch den Umfang und die Form dessen reflektiert, was er mitteilen möchte. Zeugenaussagen und Angeklagtenvernehmungen beruhen auf einer vorangegangenen Reflexionsleistung, die eine vorsichtige Interpretation nötig macht. Die Subjektivität von Gewichtungen und Wahrnehmungen sowie die teils beschönigenden oder gar verklärenden Eindrücke »des Ostens«, die die Protokolle transportieren, machen eine Abwägung heikel. Wiedergegeben wurde ein erinnerter Eindruck, der sich den »realen« Verhältnissen nur subjektiv annäherte. Eindeutige Richtlinien für diese Interpretations- und Bewertungsleistung können hier nicht gegeben werden. Letztlich ist genau dies die Aufgabe des Historikers, aus seiner Kenntnis des damaligen Geschehens heraus die Validität jeder Quelle aufs Neue abzuwägen und gegebenenfalls zu verwerfen. Bei der Bewertung der Aussagen muss stets berücksichtigt werden, wer der Befragte ist: seine damalige Dienststellung, sein Bildungsgrad und sein Freundeskreis lassen vielerlei Rückschlüsse auf den damaligen Erfahrungshorizont und die Wahrscheinlichkeit derartiger Gespräche zu. Einem Wehrmachtsoffizier fiel es im privaten Freundeskreis gewöhnlich leichter, Verbrechen zu thematisieren, als einem einfachen SS-Mann, der sich hauptsächlich im Wohnheim mit seinen Kameraden aufhielt und stets die Überwachung der Vorgesetzten fürchten musste. Subjektiv unangenehm konnte es sein, durch das Eingeständnis der begangenen Gewalttat einen Begründungszusammenhang zu konstruieren, der sich dadurch als umso schwerer mit dem eigenen Gewissen vereinbar erwies. Andererseits sind gerade Stadtgespräch, Flüsterpropaganda und Gerüchte über Verbrechen, über den einheimischen Widerstand oder Klagen über die eigene Führungsschicht in anderen Quellen kaum besser erfasst und treffender wiedergegeben als in diesen Aussagen. Die Auswertung einer größeren Anzahl von Aussagen mit ähnlichem zeitlichem und räumlichem Bezug ermöglicht dabei eine multiperspektivische Herangehensweise. Beachtet man derartige Fallstricke, so kann mit Ermittlungsakten, insbesondere mit den Vernehmungsprotokollen, eine Lücke zumindest zu Teilen geschlossen werden, die durch das Fehlen anderer Ego-Dokumente gerade im Bereich der Täterforschung auftritt. Die Aussagen erzählen Alltagsgeschichte auf unkonventionelle, neue Art; sie liefern Informationen, die in den wenigen anderen zur Verfügung stehenden Ego-Dokumenten nicht – oder nur sehr selten – zu finden sind. Die Alltäglichkeit mancher Situationen, die dabei in vielfacher Variation geschildert werden, eröffnet dem Historiker in ih-

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rer Quantität, aber auch in ihrer Qualität einen neuen Deutungshorizont der Besatzungsherrschaft und erlaubt eine Darstellung, die beispielsweise alleine mit Verwaltungsakten und Tagebüchern nicht möglich wäre. Die Befragten konstruieren, begründen und gewichten Zusammenhänge, die sich auch aus Sachakten nicht herauslesen lassen, so beispielsweise, wenn das Vernichtungslager Treblinka durch einen dort hergestellten Holzstuhl zum Symbol für eine unbeschwerte Kindheit wird.14 Quelle 1 Aussage des Zeugen Siegfried N. am 7.12.1971. BArch, B 162/AR 179/71, Bd. 7, Blatt 1291 ff. (Auszug). N. war in Warschau bei der Dienststelle des Kommandeurs der Sicherheitspolizei beschäftigt. »[…] Ich war seit März 1940 mit Margot geb. B. verheiratet. Sie war von 1941 – 1944 Stenotypistin bei einer SS-Dienststelle […] In Warschau sind meine Ehefrau und ich privat häufig mit dem Ehepaar K. zusammengekommen. Wir haben häufig Theater besucht und sind hin und wieder in das Café Adria gegangen. Im Café Adria waren wir meistens mit Horst I. zusammen, der damals noch Junggeselle war. […] Das Café Adria war wohl das beste Lokal in Warschau und hatte entsprechend hohe Preise. Wir konnten es uns daher auch höchstens einmal im Monat leisten, dorthin zu gehen. […] Bis zur Ankunft meiner Ehefrau in Warschau war ich Mitglied einer Musikkapelle, die in unregelmäßigen Abständen in der Kantine Musik machte. Es war immer sehr lustig. […] Später kam es dann nur noch selten vor, dass wir in der Kantine Musik machten. In der Kantine wurde viel getrunken. […]«

Quelle 2 Aussage des Zeugen Heinrich Alexander H. am 17.5.1963. BArch, B 162/3696, Blatt 65–81 (Auszug). H. war in Warschau Referent bei der Transferstelle zum Ghetto.15 »[…] In der damaligen Zeit war es so, dass im Ghetto viel produziert wurde. Diese Produktion war jedoch unkontrolliert, und die Produkte wurden im Schwarzhandel eingetauscht gegen Lebensmittel und dergleichen. Diesem Zustand ein Ende zu bereiten war das Bestreben des Rüstungskommandos [der Wehrmacht] und der Transferstelle. Gegenüber der ursprünglichen Konzeption nach der Besetzung Polens, das jüdische Ghetto sich selbst zu überlassen, war es der Standpunkt u. a. auch des Gou14 BArch, B 162/3662, S. 53 ff. Vernehmung von Gertrud W. am 28.9.1960. 15 Die sogenannte Transferstelle Warschau fungierte als deutsche Verwaltung des Ghettos. Sie regelte und kontrollierte den Wirtschaftsverkehr zwischen dem Ghetto und der Außenwelt.

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verneurs16 wie auch der Transferstelle, die Produktion zu lenken und umgekehrt auch eine gewisse auskömmliche Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen, was allerdings niemals ganz möglich gewesen ist. […] Die Firma Toebbens war bei meiner Ankunft [in Warschau] bereits vorhanden. Geschäftsführer der Firma Toebbens war ein sehr unangenehmer kahlköpfiger Textilkaufmann, der von Bleyle aus Stuttgart kam. Ich erinnere mich an einen Vorfall, als er einmal im Hotel Bristol an einem Tisch nach Alkoholgenuss ein Säckchen mit Diamanten zeigte, in welchem sich Diamanten von ½ bis zu 2 Karaten [sic] befanden. Da ich den Eindruck hatte, dass er diese nicht auf korrekte Weise erworben haben könnte, forderte ich ihn nachdrücklich und energisch auf, im Hotel Bristol diese Steine nicht zu zeigen. […] Auf Vorhalt des Lichtbildes Nr. 30: Die abgebildete Person ist mit aller Sicherheit nicht J. J. war ein großer kräftiger Mann und hatte eine Fußballerfigur. Er soll einer von den Schlägern im Betriebe von Toebbens gewesen sein. Ich selbst habe J. und B. die Entziehung ihrer Passierscheine angedroht. Von J. weiß ich positiv, dass er ein Schläger war. Ich habe mir selbst ausdrücklich verbeten, dass er schlug, solange ich im Betriebe war. Wenn ich nicht da war, hatte ich darauf keinen Einfluss. […] Mir ist aus der Zeit vor der großen Umsiedlung, also vor dem 22. Juli 1942, bekannt, dass häufig Juden in den Straßen des Ghettos erschossen wurden. Wenn ich z. B. bei Schultz [eine weitere deutsche Textilfirma] im Büro war, dann kam es häufig vor, dass ein Jude hereingestürzt kam und sagte, eben hat man unten den und den erschossen. Ich erinnere mich selbst, dass ich einmal auf dem Wege zur Firma Schultz gegenüber deren Toreinfahrt einen alten, vollkommen zerlumpten Mann stehen sah. Als ich bei Schultz im Betriebe war, kam plötzlich ein Jude herein und sagte, dass ein SD-Mann diesen alten, zerlumpten Juden erschossen hätte. So etwas war also durchaus kein Einzelfall. […] Die große Umsiedlungsaktion im Sommer 1942 kam für uns vollkommen überraschend. […] Es wurde zunächst ganz glaubhaft das Gerücht verbreitet, dass alle Juden, die nicht in den Rüstungsbetrieben tätig seien, nach dem Osten in große Lager umgesiedelt würden. Der Judenrat bekam die Aufgabe, diese Transporte von sich aus zu organisieren und die Leute bereitzustellen. In der ersten Zeit ging das auch verhältnismäßig reibungslos. Nach einiger Zeit sickerte jedoch durch, dass die Züge in Wirklichkeit nach Treblinka gingen. Man erfuhr das von den Eisenbahnern. Auffällig war auch, dass die Züge, die mit den Juden abfuhren, bereits nach wenigen Stunden wieder in Warschau zurück waren und zur erneuten Verladung bereitstanden. Mir wurde dann von jüdischen Herren der jüdischen Handelsgesellschaft berichtet, dass in Wirklichkeit die Juden in Treblinka alle vergast würden. Ich konnte das zunächst nicht glauben, weil es mir unvorstellbar erschien, dass bei dem Arbeitermangel in Deutschland eine so große Zahl von Menschen, die noch für den Arbeitseinsatz geeignet gewesen wäre, getötet werden sollten. Dann erfuhr man jedoch konkret, dass tatsächlich die Juden in Treblinka massenweise vernichtet wurden. So erinnere ich mich, dass mir eines Tages ein deutscher Arzt, dessen Namen ich nicht mehr weiß, im Hotel Bristol erzählte, er sei von einem SS-Arzt […] aufgefordert worden, 16 Gemeint ist: der Gouverneur des Distrikts Warschau, Dr. Ludwig Fischer (1905–1947, amtiert 1939–1945).

Kulturgeschichtliche Fragen an Justizakten

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sich mit ihm die Vernichtungsanlage in Treblinka anzusehen. Er sei dann zwar nicht in das Lager Treblinka hineingekommen, er habe jedoch von der ortsansässigen polnischen Bevölkerung erfahren, dass dort eine große Zahl von Menschen hineingebracht würde und dass kein Mensch wieder herauskäme. Meine Frau behandelte in der Abteilung Gesundheitswesen, wo sie damals tätig war, einen deutschen Eisenbahner, der vollkommen fertig war und sagte, er hielte das nicht mehr aus. Er war einer von dem Eisenbahnpersonal, das die Züge nach Treblinka fuhr. Dieser Mann wurde dann meines Wissens sofort ins Reich geschickt. Nach einiger Zeit, ich kann also nicht mehr sagen, ob es nach einer Woche oder nach drei oder vier Wochen war, wusste man positiv Bescheid, dass die Juden getötet wurden. Auch von den Polen wusste es jeder. […]«

Annotierte Bibliographie Besatzungsherrschaft in Polen und Weißrussland: Die neusten Studien liegen zum Distrikt Radom vor mit Seidel, Deutsche Besatzungspolitik in Polen und Młynarczyk, Judenmord in Zentralpolen. Zu Warschau überzeugt die ältere polnische Monographie Szarota, Warschau unter dem Hakenkreuz; Weißruthenien wird untersucht von Gerlach, Kalkulierte Morde und Chiari, Alltag hinter der Front. Eine Alltagsgeschichte der Besatzer in Warschau und Minsk ist Lehnstaedt, Okkupation im Osten. Täterforschung: Einen Forschungsüberblick vermitteln Longerich, Tendenzen und Perspektiven der Täterforschung und Paul, Die Täter der Shoah. Grundlegend zu den Typologien der Verbrechen ist nach wie vor die erste Studie aus den bundesrepublikanischen Ermittlungsakten Jäger, Verbrechen unter totalitärer Herrschaft. Die Täterforschung streitet momentan über die Gewichtung von Sozialisation und Biographie gegenüber situativen Momenten. Ersteres vertritt Wildt, Generation des Unbedingten, zweiteres Browning, Ganz normale Männer. Während Wildts Ansatz einer Kollektivbiographie bei deutschen Historikern viel Unterstützung erfährt, sind es momentan eher Soziologen, die die andere Richtung betonen (Welzer, Täter). Kulturgeschichte: Es liegen einige gute und umfassende Einführungen in die Kulturgeschichte vor: Burke, Was ist Kulturgeschichte?; Daniel, Kompendium Kulturgeschichte; Tschopp/ Weber, Grundfragen der Kulturgeschichte. Nur selten wird hier allerdings auf die Spezifika einer NS-Kulturgeschichte eingegangen, so dass der Rückgriff auf Einzelstudien nach wie vor unerlässlich ist. Mit Frauen im Osten beschäftigt sich Harvey, Women and the Nazi Germanization of the East; Männlichkeitsideale und Kameradschaft untersucht Kühne, Kameradschaft. Die Problematik geschlechterspezifischer Zuschreibungen zeigt analog für Spruchkammerverfahren Meyer, Die Frau ist der Frieden der Welt auf. Kommunikationsprozesse in Diktaturen erläutert von Saldern, Öffentlichkeiten in Diktaturen. Zur historischen Anthropologie vgl. Tanner, Historische Anthropologie zur Einführung. Alltagsgeschichtliche Methodik stellen vor Lüdtke, Alltagsgeschichte und van Laak, Alltagsgeschichte.

Sven Keller

Geschichte aus Gerichtsurteilen Perspektiven auf die Gesellschaft der Kriegsendphase

Anfang 1945 war der Zweite Weltkrieg für das Deutsche Reich längst verloren, die Unvermeidbarkeit der Niederlage bei nüchterner Betrachtung nicht mehr zu übersehen. Auch wenn der Krieg die deutsche Gesellschaft schon in den Jahren zuvor auf vielfältige Weise berührt hatte – sei es durch die Abwesenheit und den Verlust von Angehörigen im Felde, sei es durch die stetig intensiver werdenden alliierten Luftangriffe, steigende Arbeitsbelastung oder zunehmende Einschränkungen im Alltag – brachten die letzten Monate des Zweiten Weltkrieges doch eine neue Dimension: Weite Teile des Reiches wurden nun selbst zum Kampfgebiet, alliierte Truppen rückten im Westen wie im Osten vor. Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik trat in ihre letzte Phase, und die Verbrechen eskalierten noch einmal. Das Morden in den Lagern ging weiter, auf Todesmärschen starben hunderttausende Konzentrationslagerhäftlinge, und Gefängnisinsassen wurden in großer Zahl ermordet: zumeist ausländische Zwangsarbeiter, die das Regime schon allein wegen ihrer großen Zahl als Sicherheitsrisiko einstufte, und Deutsche, die oppositioneller Gesinnung verdächtigt wurden. Darüber hinaus bedrohte der NS-Staat auch jene aus seiner Sicht abtrünnigen und verräterischen »Volksgenossen«, die den sinnlos gewordenen Kampf nicht fortführen wollten und für sich die notwendigen Konsequenzen zu ziehen wagten, indem sie desertierten oder die kampflose Übergabe ihres Heimatortes an die alliierten Truppen betrieben. Die historische Forschung fasst diese äußerst heterogene Gruppe von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, die in den letzten Monaten des »Dritten Reiches« begangen wurden, unter dem Begriff der Verbrechen der Endphase. Kennzeichnend ist dabei nicht nur der zeitliche Rahmen, sondern auch eine kontextuelle Verknüpfung mit dem sie rahmenden Endkampf- und Untergangszenario, in dem sich das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft am Horizont immer deutlicher abzeichnete – für die einen als Hoffnungsschimmer, für die anderen als Götterdämmerung. Befasst man sich als Historiker mit diesen Verbrechen der Endphase, steht man nicht selten vor einem Quellenproblem: Je näher das Kriegsende rückte

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und je chaotischer sich die Verhältnisse im Deutschen Reich gestalteten, desto weniger Wert wurde einer »ordentlichen« Schriftlichkeit beigemessen: Akten oder Kriegstagebücher wurden in den letzen Kriegswochen immer weniger geführt oder unmittelbar vor dem Anrücken der feindlichen Truppen gezielt vernichtet – zumal wenn es sich um allzu eindeutige Befehle oder anderes inkriminierendes Material handelte. Standgerichte und Lynchtribunale verhandelten bestenfalls mit einem Minimum an schriftlichem Aufwand, und wer mordete, hinterließ darüber in aller Regel kein ausführliches Selbstzeugnis – und selbst wenn, erhält die historische Forschung darauf nur in Ausnahmefällen Zugriff. Freilich ist solches Schriftgut vereinzelt überliefert. In der überwiegenden Zahl der Fälle aber verbleiben dem Historiker bestenfalls knappe zeitnahe Informationen: Tagebücher und Erinnerungen unbeteiligter Personen etwa oder Orts- und Pfarrchroniken. Mehr als ein rein inventarisches Interesse vermögen diese jedoch in den seltensten Fällen zu befriedigen, liefern sie doch in aller Regel kaum substanzielle Informationen, die über eine knappe und oberflächliche Nachricht vom Ereignis hinausgehen. So ist es nicht verwunderlich, dass keine der vorliegenden – nicht sehr zahlreichen – Arbeiten, die sich mit den Verbrechen der Endphase befassen, auf eine Quellengattung verzichten kann, die einzig in der Lage ist, diese Lücke zu füllen: die Akten und Urteile der Ermittlungs- und Strafverfahren der Nachkriegsjustiz. Allein durch eine Auswertung der Urteilssammlung »Justiz und NS-Verbrechen« für West- und Ostdeutschland lassen sich rund 330 einzelne Tötungsverbrechen (Mord, Totschlag, fahrlässige Tötung, Körperverletzung mit Todesfolge) in der Endphase des Zweiten Weltkriegs nachweisen, deretwegen nach dem Krieg von deutschen Gerichten Urteile gesprochen wurden. Dies ist – verglichen mit anderen Tatkomplexen – eine sehr hohe Zahl, die vor allem auf die ersten Jahre der Strafverfolgung nach dem Krieg zurückzuführen ist. 1948 etwa betrug der Anteil der Endphasenverbrechen an allen in den westlichen Besatzungszonen verhandelten NS-Tötungsdelikten rund 70 %, und Ende der 1950er Jahre waren auf dem Gebiet der Bundesrepublik über 80 % aller einschlägigen Verfahren abgeschlossen. Die Argumentation wird sich im Weiteren auf die bundesrepublikanische Strafverfolgung konzentrieren. Dem Historiker stellt sich nun zunächst die Frage, auf welche Weise und mit welcher Fragestellung er sich diesen Akten nähern kann. Idealtypisch hat er dabei zwei Möglichkeiten: Er kann, erstens, einen Teil der Quellen mittels einer Methode auswerten, die auf größtmögliche Tiefe zielt und die ich als intensiv bezeichnen möchte: Zu einem einzelnen Verbrechen, einem einzelnen Prozess, einem Täter oder Täterkreis, oder auch zu einem bestimmten Tatzusammenhang werden sämtliche einschlägigen Justizakten ausgewertet:

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Vernehmungsprotokolle der Beschuldigten und Zeugenaussagen im Ermittlungsverfahren, urkundliches Beweismaterial, Ermittlungsberichte, Anklageschrift und, nicht zuletzt, das oder die Urteile. Darüber hinaus kann der Historiker weiteres Quellenmaterial heranziehen; über eventuell überlieferte zeitgenössische Dokumente und Selbstzeugnisse hinaus seien hier die Zeitungsberichterstattung der unmittelbaren Nachkriegszeit und insbesondere die Überlieferungen der Entnazifizierungsverfahren vor Spruchkammern und Spruchgerichten erwähnt, vor denen das Verhalten von lokalen Funktionären des NS-Staates bei Kriegsende nicht selten eine wichtige, weil die Menschen vor Ort unmittelbar betreffende Rolle spielte. Diese Art des Zugriffs wird man vor allem für lokal- und regionalhistorische Fragestellungen und Darstellungsinteressen wählen, wie dies Elisabeth Kohlhaas für Aschaffenburg getan hat. Die zweite Möglichkeit, das Quellenmaterial auszuwerten, ist die Anwendung einer extensiven, die Breite möglichst vieler verschiedener Fälle in den Blick nehmenden Methode, die eine große Zahl einschlägiger Strafurteile in die Untersuchung einbezieht, sich gleichzeitig bei der Auswertung des juristischen Aktenmaterials jedoch weitgehend auf die Urteilstexte beschränkt. Diese Alternative kann – abhängig vom Erkenntnisinteresse – gegenüber dem intensiven Zugriff eine Reihe von Vorteilen bieten, führt aber auch zu einigen Impedimenten, derer man sich bewusst sein muss. Bevor die Frage der prinzipiellen Legitimität einer weitgehend auf die Strafurteile konzentrierten Auswertung von Justizakten und die damit verbundenen Chancen und Möglichkeiten behandelt wird, scheint an dieser Stelle der Hinweis angebracht, dass quantitative und statistische Fragestellungen nur mit großer Vorsicht und sehr eingeschränkt an den hier vorgestellten Quellenkorpus herangetragen werden können. Dies muss nicht notwendig für alle juristischen Akten gleichermaßen gelten, und hängt sicherlich auch vom konkreten Erkenntnisinteresse ab. Beachtet werden muss jedenfalls, dass erfolgreiche – im Sinne von in ein Urteil mündende – Strafverfolgung keine unausweichliche Folge des Verbrechens war und ist. Hier macht sich ein Faktor bemerkbar, der sich unter dem Begriff des »Strafverfolgungszufalls« subsumieren lässt und der die vielen Variablen beschreibt, die Einfluss darauf haben, ob ein Verbrechen der Justiz überhaupt bekannt wird, ob Ermittlungen aufgenommen werden, in ein Gerichtsverfahren münden und schließlich zu einem Urteil führen. Im Fall der NS-Verbrechen spielten hier eine ganze Reihe von Umständen eine Rolle: Zum einen war die Verfolgung nationalsozialistischer Gewalttaten sowohl wechselnden strukturellen Rahmenbedingungen als auch gesellschaftlichen Konjunkturen unterworfen, die auf Intensität und Gegenstand der Ermittlungstätigkeit erheblichen Einfluss hatten. Man denke nur an Am-

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nestien, Straffreiheitsgesetze und die Frage der Verjährung – letztere ein Faktor von besonderer Bedeutung, da viele Prozesse erst mit erheblichem zeitlichem Abstand geführt wurden. Dieser zeitliche Abstand führte nicht nur zu zunehmenden justizpolitischen Einschränkungen des Strafverfolgungspotenzials, sondern – ebenso wie die weltpolitischen Gegebenheiten des Kalten Krieges – zu ermittlungspraktischen Problemen: Nicht selten war der Aufenthaltsort eines Täters nicht mehr zu eruieren oder er war zwischenzeitlich verstorben; gleiches galt für überlebende Opfer und Zeugen, die zudem – ebenso wie die Tatorte – vielfach »auf der anderen Seite« des Eisernen Vorhangs zu finden waren. All dies ist bei einer auf tatzeitrelevante Erkenntnisse abzielenden quantitativen Auswertung der Verfahrensakten von NS-Prozessen zu bedenken – globale statistische Repräsentativität für die begangenen Verbrechen können diese jedenfalls nicht beanspruchen. Die wissenschaftliche Validität einer Breitenanalyse des hier skizzierten Zuschnitts steht und fällt natürlich mit der Frage, ob sich der Historiker überhaupt auf die in einem Strafurteil niedergelegten Schlüsse des Gerichts stützen – wohlgemerkt: nicht ihnen rückhalt- und kritiklos vertrauen – darf. Der Hinweis allein, dass sich für dieses Vorgehen in der Forschung bereits eine ganze Reihe von Beispielen finden lässt, soll hier nicht genügen. Denn zunächst ist es richtig, dass sich die Ziele, die Richter und Historiker verfolgen, unterscheiden: Während Richter ein idealerweise klar eingegrenztes Ereignis unter dem eindeutigen Erkenntnisinteresse der Tatbeteiligung, der Verantwortlichkeit und der Motive des oder der Angeklagten rekonstruieren, kann der Historiker sich aus vielen verschiedenen Perspektiven und mit einer Vielzahl denkbarer Fragestellungen mit vergangenem Geschehen auseinandersetzen. Gleichwohl stehen Richter und Historiker bei ihrer Arbeit vor durchaus vergleichbaren Aufgaben und Problemen: Historiker wie Richter müssen aus bruchstückhaften, oft widersprüchlichen und tendenziösen Informationen ein vergangenes Geschehen rekonstruieren; dabei sind sie auf das Auffinden und Bewerten von Hinweisen, Indizien, Belegen und Beweisen angewiesen.1 Bei der Rekonstruktion von NS-Verbrechen müssen sich Richter wie Historiker vielfach auf Quellenmaterial stützen, das alles andere als unproblematisch ist: »Dass man Augenzeugen nicht unbedingt aufs Wort glauben darf, wissen auch die einfältigsten Polizisten«2, pointierte Marc Bloch die Erkenntnis, dass die Aussagen und Erinnerungen beteiligter Personen nicht automatisch als zuverlässig angenommen werden können. Bei Zeugen und vor allem bei Beschuldigten und Angeklagten ist mit bewussten oder unbewuss1 Ginzburg, Der Richter und der Historiker, S. 26. 2 Bloch, Apologie der Geschichtswissenschaft, S. 91.

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ten Fehlern und Falschaussagen, mit Entlastungs- und Belastungsstrategien zu rechnen. Im Falle der Endphasenverbrechen konnten die Richter im Vergleich sowohl zur gegenwärtigen Geschichtsschreibung als auch zu anderen NS-Prozessen beim Umgang mit den Zeugen einen Vorteil verbuchen: Eine mehrdimensionale »Nähe«3 wirkte sich positiv auf die Bewertungs- und Rekonstruktionsmöglichkeiten konkreter Tatsituationen aus, die dafür sorgte, dass bei den mehrheitlich bald nach Kriegsende abgeschlossenen Verfahren eine Reihe von Problemen weniger stark zum Tragen kamen als bei den Prozessen späterer Jahrzehnte. Was ist unter dieser mehrdimensionalen Nähe zu verstehen? Zum einen, und am offensichtlichsten, war der zeitliche Abstand zwischen Verbrechen und Strafprozess vergleichsweise gering; statt mehrerer Jahrzehnte betrug er bestenfalls nur Monate und in der Mehrzahl der Fälle nicht mehr als fünf bis sechs Jahre. Die Tatorte der verhandelten Endphasenverbrechen befanden sich fast ausschließlich in Deutschland und konnten vom Gericht nötigenfalls ohne große Umstände in Augenschein genommen, Opfer gegebenenfalls exhumiert und obduziert werden. So kam das Landgericht Aachen in seinem Urteil vom 12. Dezember 1950 gegen Angehörige eines Gestapokommandos – »trotz [des] bis zuletzt erfolgten Bestreitens« des Angeklagten, des ehemaligen Gestapobeamten Gö. – zu folgendem Schluss: »Nach dem Aussteigen aller Beteiligten forderte [der mit der Hinrichtung beauftragte Gestapobeamte] Z. den W. zum Gehen auf. Hierbei schoss er ihn von hinten mit einem Feuerstoss von etwa 15 Schuss aus seiner Maschinenpistole nieder. Gö. befand sich – wiederum aus Neugierde – unmittelbar an der Hinrichtungsstelle. Als er sah, dass W. nochmals im letzten Aufzucken leicht den Kopf erhob, Z. andererseits aus nicht feststellbaren Gründen nicht weiter schoss, zog er seine Pistole, Kaliber 7.65 mm, um damit W. den Gnadenschuss zu geben. Er traf ihn – wie die Exhumierung ergeben hat – in den untern Teil des Hinterkopfes.«4

Darüber hinaus sorgte die räumliche Nähe dafür, dass es – anders als etwa bei Besatzungsverbrechen im Osten oder in den Konzentrationslagern – vielfach Zeugen gab, die weder der Gruppe der Täter noch der Gruppe der Opfer angehörten und gleichzeitig mit den lokalen und sozialen Verhältnissen vor Ort vertraut waren. Damit ist in diesem Kontext eine weitere Dimension des nahe Liegenden, die subjektive Nähe, eng verknüpft: Häufig ging es bei den Endphasenverbrechen um Taten, die die Bevölkerung selbst miterlebt hatte 3 Zu den Grundzügen des hier vorgestellten Konzepts der Nähe vgl. Rüter, Die Ahndung von NS-Tötungsverbrechen. 4 HStAD, Gerichte Rep. 89, Bd. 2, Bl. 562–597, Urteil des LG Aachen v. 12.12.1950 (Az. 3 Ks 2/50), abgedr. in: JuNSV, Bd. VII, Nr. 259.

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und von denen sie unmittelbar betroffen war. Wenn die Opfer Freunde, Verwandte oder Nachbarn gehabt hatten, gab es ein genuines Interesse an der Aufklärung der Verbrechen und der Bestrafung der Täter, das die Ermittlungen erleichtern konnten. Diese Umstände verbesserten und erweiterten die Möglichkeiten des Gerichts, Widersprüche in den Aussagen aufzudecken; zudem standen den Gerichten bei der Zeugenarbeit Instrumente zur Verfügung, die dem Historiker verschlossen sind: Er verfügt in der Regel über geringere Ressourcen, er kann keine Zeugen vorladen und ihm stehen keine Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung – um nur einige Beispiele zu nennen. Das wichtigste dieser Instrumente ist jedoch die Strafverhandlung selbst: In ihrem Verlauf können unterschiedliche Versionen des Geschehens sowie deren Protagonisten unmittelbar miteinander konfrontiert werden. Leider sieht die deutsche Strafprozessordnung kein Wortprotokoll vor, in dem der Historiker die Dynamik dieses Vorgangs unmittelbar nachvollziehen könnte. Stattdessen rekonstruiert der Richter das Tatgeschehen und die ihm relevant erscheinenden Informationen zu Kontext und Hintergrund in der Sachverhaltsdarstellung des Urteils, die zusammen mit der Beweiswürdigung die sogenannten »tatsächlichen Feststellungen« bildet. Vor allem dieser zweite Teil, die Beweiswürdigung, sorgt dafür, dass die Rekonstruktionstätigkeit des Richters für den Leser der Urteilsschrift keine black box bleibt, deren Output lediglich aus einer im juristischen Idealfall bruchlos »rekonstruierten«, vom Gericht als erwiesen angesehenen Version der Vergangenheit bestünde. Eine solche, vorgeblich konsistente Tatnarratio findet sich selten: Schon die Sachverhaltsdarstellung enthält in der Regel Verweise auf Widersprüche und Lücken, die dann im Rahmen der Beweiswürdigung in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken. Hier gibt das Gericht Einblick in seine Rekonstruktionstätigkeit und thematisiert abweichende Darstellungen des Geschehens durch Zeugen und Angeklagte. Wo es Widersprüche gibt, berücksichtigt es Aussagen während des Ermittlungsverfahrens, wägt ab und begründet seine Schlussfolgerungen hinsichtlich des Tathergangs – Schlussfolgerungen, die der Historiker hinterfragen kann und denen er nicht zwingend zu folgen braucht. Dies macht die Beweiswürdigung zu einem Abschnitt des Urteils, der für den Historiker mindestens ebenso aussagekräftig und wichtig – wenn nicht wichtiger – ist als die Sachverhaltsdarstellung. Die im Urteil folgende juristische Wertung der tatsächlichen Feststellungen und das schließlich ausgeworfene Strafmaß sind dagegen von deutlich geringerer Bedeutung; ansonsten wären angesichts der oft beklagten Fehlleistungen der westdeutschen Justiz im Umgang mit NS-Straftätern viele Urteile in der Tat auch quellenmäßig wertlos. Allerdings sind tendenziöse Richter nicht immer so leicht zu erkennen wie im Fall eines Urteils des Landgerichts

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Traunstein, das im Fall der sogenannten »Bürgermorde von Altötting«5 aus seiner Antipathie gegenüber den Teilnehmern an der »Freiheitsaktion Bayern« keinen Hehl machte: »In den frühen Morgenstunden des 28. April 1945 verbreitete die Bayerische Freiheitsbewegung über den Münchner Rundfunk ihr Auftreten […]. Dieser Aufruf ließ in vielen Orten eine Widerstandsbewegung gegen die nutzlose Kriegsverlängerung und gegen die herrschende NSDAP aufflackern. So auch in Altötting, wo sich zum Mittelpunkt des Widerstandsgedankens der stellvertretende Landrat Dr. Kehrer aufwarf. Zu ihm stießen mehr missvergnügte, als voll einsatzbereite Bürger des Ortes […]. Wie Dr. Kehrer selbst so hatten auch die meisten seiner Gesinnungsgenossen ihre oppositionelle Einstellung mit dem Parteiabzeichen getarnt.«6

Doch auch in diesen Fällen ermöglichen Sachverhaltsdarstellung und Urteilsbegründung nicht selten eine ausreichend zuverlässige Darstellung der Ereignisse: Schon bei den tatsächlichen Feststellungen ist der Historiker nicht an die Schlüsse des Gerichts gebunden und kann – anhand der in der Beweiswürdigung thematisierten Abweichungen – eigene Folgerungen ziehen; um so weniger ist er abhängig von der juristischen Wertung. Im Gegenteil: Sich davon zu emanzipieren ist gewissermaßen sein Vorrecht, sogar seine Pflicht, egal ob es nun um juristische Entlastungskonstrukte geht oder die Notwendigkeit zu lückenloser Beweisführung für eine Verurteilung. Der Historiker ist in der Tat kein Richter. Der Grundsatz in dubio pro reo bindet ihn nicht, und genau das gibt ihm eine viel größere Freiheit, nach Plausibilität zu rekonstruieren. Vielfach ist zu lesen, vor allem frühe Urteile bezögen den Tatkontext und den Tathintergrund in ihre Betrachtungen nur unzureichend ein. Gemünzt ist dieser Einwand vor allem auf die genozidalen, zentral geplanten Massenverbrechen des Regimes, vor allem die Shoah. Für die zur Aburteilung gekommenen Endphasenverbrechen ist er nur begrenzt stichhaltig. Gerade in den vielen Fällen, die innerhalb dieses Tatkomplexes eher den Charakter von Individualtaten als den des zentral organisierten »Staatsverbrechens« tragen, sind die Informationen, die den Urteilen zum Hintergrund der Tat entnommen werden können, ungewöhnlich dicht. Umgekehrt bilden jedoch in späteren Urteilen, die etwa am Ende der großen Prozesse zu den Konzentrationslagern standen, die Endphasenverbrechen (Evakuierung und Räumung des betreffenden Lagers, Todesmärsche) meist einen eher knapp abgehandelten Nebenaspekt angesichts der Komplexität der verhandelten Verbrechen. 5 Völklein, Ein Tag im April. 6 StA M, Staatsanwaltschaften 20203, Bd. 1, Bl. 429–433, Urteil des LG Traunstein vom 17.12.1948 (Az. KLs 78/48), abgedr. in: JuNSV, Bd. III, Nr. 108.

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Strafurteile werden nicht zu dem Zweck geschrieben, Historikern als Quelle zu dienen, und sie beschreiben nicht die historische Realität. Das gilt freilich im einen Falle für die meisten, im anderen für alle Quellen. Die Urteilsschrift ist das Ergebnis einer bestimmten Regeln verpflichteten und Rahmenbedingungen unterworfenen Informationsverarbeitung durch die Justiz. Dessen muss man sich bewusst sein. Bei allen Kautelen beschreiben die Urteile im Falle der Endphasenverbrechen – und nur für diese kann hier gesprochen werden – ausreichend zuverlässig konkrete Tatvorgänge. Sie enthalten dem Historiker Lücken und Widersprüche nicht prinzipiell vor. Dass dies nicht für alle Urteile in gleichem Ausmaß gilt, die Bandbreite vielmehr groß ist, soll indes nicht unerwähnt bleiben. Historische Forschung auf der Grundlage von Strafprozessurteilen ist also grundsätzlich legitim. Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass sich der Forscher dennoch der Mühe unterziehen sollte, für einen Teil der von ihm herangezogenen Fälle nicht nur die Urteile, sondern darüber hinaus auch die dazugehörigen Ermittlungs- und Verfahrensakten einzusehen. Gerade dann, wenn sich der Historiker dafür entscheidet, bis zu einem gewissen Grad der ermittelnden und rekonstruierenden Tätigkeit des Richters zu vertrauen, ist es wichtig, ein Gefühl für die polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Arbeit, ihr Umfeld und ihre Rahmenbedingungen zu entwickeln, die die Grundlage dieser Tätigkeit bildeten. Dieser Kontext ist nur den Gesamtakten zu entnehmen. Doch wo liegen die Vorteile der extensiven gegenüber einer intensiven Herangehensweise an die Quellen – riskiert man doch zweifelsohne, für den Einzelfall an Informationstiefe zu verlieren? Wenn etwa aus arbeitsökonomischen und forschungspraktischen Gründen eine intensive Auswertung eines Quellenkorpus in seiner vollen Breite nicht möglich ist, kann entweder auf einen – möglicherweise beträchtlichen – Teil davon verzichtet werden. Auch dadurch ergäbe sich jedoch ein Verlust an Dimension: Gerade im Fall der Endphasenverbrechen erlaubt dieses Vorgehen, einen möglichst facettenreichen Überblick über das »Morden in der Endphase« zu geben, das in der Tat den Eindruck erweckt, »wahllos und von tausenderlei Zufällen bestimmt«7 gewesen zu sein. Tatsächlich ist wohl kaum ein Tatkomplex innerhalb der NS-Verbrechen ähnlich heterogen: Die zunehmende Auflösung staatlicher Ordnung und bröckelnde bürokratische wie militärische Hierarchien führten zu einer fortschreitenden Dezentralisierung von Kompetenzen und der Verlagerung weit reichender Befugnisse und Verantwortlichkeiten auf mittlere und untere Entscheidungsebenen. Die Täter agierten mehr und mehr autonom, häufig außerhalb eines etablierten Verfolgungsapparates, und sie 7 Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, S. 846.

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handelten zum Teil aus persönlichen Motiven und Interessen. Die Entscheidung über Leben und Tod fiel häufig ausschließlich vor Ort, nicht selten spontan oder affektiv. Nicht weniger vielfältig als die Tatvorgänge sind die Täter, Opfer und Motive. Angesichts dieser Unschärfe erlaubt nur die Kenntnisnahme einer großen Zahl von Verbrechensvorgängen, möglicherweise vorhandene strukturelle Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und Exemplarisches wie Eigentümliches des Einzelfalles zu erkennen und zu beschreiben. Berücksichtigt der Historiker parallel dazu nicht nur die fallspezifische, sondern darüber hinaus die allgemeine Überlieferung (etwa der Berliner Zentralbehörden, von Verfolgungsinstanzen und militärischer Provenienz), lässt sich so eine aussagekräftige Rückbindung des Einzelfalles an übergeordnete Faktoren leisten und das »Verhältnis zwischen Lokalem und Globalem«8 angemessen berücksichtigen. Letzteres bildet die Grundlage dafür – wenn nicht allein, so doch überwiegend – auf der Basis der Strafurteile Erkenntnisse über die Gesellschaft in der Kriegsendphase zu gewinnen. Eng damit verknüpft sind Aspekte des militärischen, staatlichen und systemischen Zusammenbruchs des NS-Staates. Insbesondere der Anspruch einer modernen, kulturgeschichtlich angereicherten Gesellschaftsgeschichte, die Interdependenz zwischen Gesellschaft und Individuum in den Blick zu nehmen, lässt sich auf der Grundlage von Gerichtsurteilen durchaus einlösen. In ihnen begegnet konkretes, individuelles Handeln. Auch, wenn es nicht selten schwierig ist, die subjektive Motivation von Tätern hinter juristischer Argumentation und verteidigungsstrategischen Nebelkerzen zu fassen, können doch gerade in der Zusammenschau einer größeren Zahl von Einzelfällen aus individuellem Handeln Rückschlüsse auf die politischen, sozialen, kulturellen und situativen Kontexte und Strukturen gezogen werden. Indem individuelles Handeln als gesellschaftliches Phänomen verstanden und im hermeneutischen Sinne »erfahrungsnah« erklärt wird, gerät eine ganze Reihe von Faktoren in den Blick, die das Orientierungs- und Handlungswissen der Akteure prägten: dazu gehören das soziale Umfeld und situative Umstände ebenso wie Gruppendynamik, militärische Befehlsmechanismen, Wissen, Kenntnisse und Kompetenzen, religiöse Überzeugungen und gesellschaftlich vorgegebene und als gültig betrachtete Werte und Normen. Darauf basieren die Bedeutungszuweisungen, Wahrnehmungsmuster und Sinnstiftungen, mit deren Hilfe sie Umwelt und Ereignisse deuteten. Um mit Reinhart Koselleck zu sprechen: Der »Erfahrungsraum« und der »Erwartungshorizont«9 der Individuen sind es, die Handeln sowohl ermöglichen als auch das, was dem Akteur in seiner subjektiven Wahrnehmung 8 Burke, Was ist Kulturgeschichte?, S. 70. 9 Koselleck, »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont«.

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möglich erscheint, begrenzen. Der Akteur trifft auf der Grundlage dieses »Referenzrahmens«10, der die ihm denkbar erscheinenden Optionen bereitstellt, seine Wahl. Diese Entscheidungsfindung, die auch eine Abwägung der Risiken und Chancen für die eigene Person – und damit auch egoistische Motive – umfasst, geschieht dabei keineswegs immer bewusst, und schon gar nicht entlang objektiv rationaler Kriterien. Denn nicht zu übersehen ist der Einfluss von Gefühlen wie Hass, Wut, Angst, Sorge oder Verzweiflung – Emotionen, deren Geschichtsmächtigkeit die historische Forschung gerade erst zu thematisieren beginnt. Darüber hinaus spielen in Ausnahmesituationen – wie sie die Kriegsendphase zweifelsohne war – auch Faktoren wie übermäßiger Alkoholgenuss, Müdigkeit, Erschöpfungszustände oder Depression eine Rolle. So schilderte der NSDAP-Ortsgruppenleiter von Binswangen im Jahr 1947 dem Gericht, wie er die Tage vor der Tat, wegen der er angeklagt war, verbracht hatte, während die amerikanischen Truppen näher gerückt waren: »In der Nacht vom 12./13. April sei ihm der Befehl zugegangen, sich zum Stabe des Volkssturmbataillons zu begeben; er habe diesen aber in Erlenbach nicht mehr angetroffen und sei umgekehrt, nachdem er einige Viertel Wein getrunken habe. Gegen 1/2 12 Uhr sei er heimgekommen und habe sich in seinem Keller schlafen gelegt […]. Er will schlecht geschlafen haben. Gegen 1/2 9 – 9 Uhr kam dann, wie er angibt, der Zeuge Ko., der damals in seiner Eigenschaft als Landjäger eine Streife machte, zu ihm und beide tranken zusammen 1 – 2 Viertel Wein. Er selbst will später auch noch für sich allein eine 3/4 Liter Flasche Wein, insgesamt 5 – 6 Viertel getrunken haben. Der Angeklagte hörte dann das Geschrei und den Jubel der Bevölkerung und begab sich, offensichtlich schon darüber empört, zur Panzersperre. Hier will er zunächst die Bauern lediglich gefragt haben, ob sie sich denn überlegt hätten, was sie machten. Nach seiner Angabe gab ihm Martin Sch. darauf zur Antwort: ›Was willst denn Du, Du hast ausgeschissen, Du bist der erste, der gehängt wird. Du hast genug tyrannisiert‹.«11

Gerade im Kontext der NS-Verbrechen ist besonders zu betonen, dass den exogenen, außerhalb des Individuums begründeten Elementen des Referenzrahmens (soziales Umfeld, gesellschaftlich akzeptierte und vorgegebene Werte und Normen etc.) bei der subjektiven Bewertung von Handlungsspielräumen durch die Akteure zwar eine wichtige Rolle zukommt, keinesfalls jedoch eine determinierende und damit letztlich exkulpierende Funktion. Vielmehr haben die Akteure immer auch die Möglichkeit, sich anders zu entscheiden: sie können die Strukturen und Verhältnisse durchbrechen und letztlich ändern, anstatt sie durch konformes Verhalten zu reproduzieren und zu festigen.

10 Welzer, Täter, passim. 11 Urteil des LG Heilbronn vom 4.11.1947 (Az. KLs 3/47), abgedr. in: JuNSV, Bd. IV, Nr. 33.

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Dass der Historiker auf der Grundlage der gegen die Täter geführten Strafverfahren Erkenntnisse über eben diese Täter gewinnen kann, ist einleuchtend. Jedoch: Das Erkenntnispotenzial der Quellengattung bleibt nicht darauf beschränkt. Die vorgestellte Forschungsperspektive ermöglicht es in vielen Fällen, nicht nur die Täter in die Analyse einzubeziehen. Gerade im Fall der Endphasenverbrechen war das auslösende Moment für die Tat nicht selten eine in den Urteilen auch konkret greifbare Interaktion des Opfers mit seiner Umwelt – eine Feststellung, die freilich keineswegs als eine Rechtfertigung der Täter, im Sinne einer Schuldzuweisung an die Opfer oder als Negation anderer wirkmächtiger Faktoren missverstanden werden darf. Diese Interaktion konnte vielfältige Formen annehmen: Bürger wurden initiativ, um eine sinnlose Verteidigung des eigenen Heimatortes zu verhindern und fielen Durchhaltefanatikern zum Opfer; Konzentrationslager-Häftlingen gelang während eines Todesmarsches die Flucht, was die Bevölkerung mit der Frage konfrontierte, wie sie sich den schwer gezeichneten, oft dem Tode näher als dem Leben stehenden Gestalten gegenüber verhalten sollte; Angehörige der Wehrmacht desertierten, wurden aufgegriffen und erschossen oder aufgehängt; Fremdarbeiter, die geflohen, auf Urlaub oder durch Kriegseinwirkung ihrer Arbeitsstelle verlustig gegangen waren, mussten sich durch Betteln oder Mundraub durchschlagen. Gerade die Interaktion der späteren Opfer mit ihrer Umwelt und die Reaktion der Umwelt darauf gehört zum Bild der Gesellschaft in der Kriegsendphase: »An einem Spätnachmittag oder Abend, wahrscheinlich am 20.3.1945, gegen 18 Uhr wurde ein Ausländer, dessen Nationalität und Personalien nicht festgestellt werden konnten, in dem Hause Herne, Viktor-Reuter-Strasse 49 angetroffen. In diesem Haus wohnte im Erdgeschoss die Zeugin L., im 1. Stockwerk der Zeuge August F. Nach der Darstellung der Zeugin L. soll der Ausländer an ihrer verschlossenen Tür, die vom Hausflur in ihre Küche führte, ›gerappelt‹ haben. […] Sie selbst will nicht um Hilfe gerufen haben. Der Zeuge F. gibt eine andere Darstellung: Er habe im Schlafzimmer seiner Wohnung am Sterbebette seines Kindes geweilt. Plötzlich habe er deutlich Frau L. rufen hören: ›Herr F., Herr F.‹ Sofort sei er in Strümpfen die Treppe heruntergeeilt und habe in der Küchentür der Zeugin L. einen Ausländer stehen sehen, der sich eilig entfernt habe. Frau L. habe ihm zugerufen, der Mann sei in ihrer Wohnung gewesen. Er, der Zeuge F., sei dem Manne nachgeeilt und habe ihn einem vorübergehenden anderen Mann [vermutlich einem Angehörigen des Volkssturms] mit der Bemerkung übergeben, der Ausländer sei festzunehmen, er sei in der Wohnung der Frau L. gewesen.«12

Auf der gesellschaftlichen Analyseebene können die Opfer – bezogen auf das konkrete Verbrechen – im Vorfeld der Tat damit selbst als gesellschaftliche Akteure wahrgenommen werden. Ähnliches trifft in vielen Fällen auf dritte 12 Urteil des LG Bochum vom 23.12.1948 (Az. 2 Ks 11/48), abgedr. in: JuNSV Nr. 101.

Geschichte aus Gerichtsurteilen

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Personen zu, seien sie nun unmittelbar beteiligt am Geschehen oder nicht: Im Quellenbeispiel hatte der Zeuge F. etwa durchaus die Möglichkeit, den Ausländer – dem außer des Rüttelns an einer Tür nichts vorgeworfen wurde – gegebenenfalls nach einer Ermahnung seiner Wege gehen zu lassen, statt seine Festnahme zu fordern. Wie auch die Täter trafen sie subjektive Entscheidungen, die ihnen zum gegebenen Zeitpunkt innerhalb ihres individuellen Referenzrahmens sinnhaft schienen – ein Handeln, das ebenso Teil der gesellschaftlichen Realität der Kriegsendphase war und zum Untersuchungsgegenstand gemacht werden kann wie die Gewalt, mit der darauf reagiert wurde oder die sie – möglicherweise unbeabsichtigt – auslösten. So eröffnen die Ermittlungs- und Verfahrensakten in Sachen Verbrechen der Endphase eine breite Perspektive auf eine Gesellschaft im Zusammenbruch und in der Katastrophe, wie die gängigen Apostrophierungen lauten. Diese Gesellschaft war jedoch gleichzeitig eine Gesellschaft im Umbruch und Übergang; die Wochen und Monate des »langen Kriegsendes«, der »Schlüsselphase« jener »Katastrophen- und Transformationsperiode« zwischen »Stalingrad und Währungsreform«13, war eine Phase des Wartens auf etwas Neues, gekennzeichnet von Unsicherheit, Zukunftsangst und Hoffnung gleichermaßen; es galt, einen Schwellenzustand zu überstehen, dessen zeitgenössische Wahrnehmung durch ein je individuelles Mischungsverhältnis verschiedener Gefühls- und Erwartungslagen bestimmt wurde: Hoffnung auf Befreiung, auf das Überleben, auf Heimkehr, auf einen Neuanfang, auf ein Ende der Belastungen des Krieges. Angst, in letzter Minute doch noch zu sterben (sei es durch nationalsozialistische Gewalt oder Kampfhandlungen), vor den heranrückenden Alliierten, vor der Zukunft, in der man keine Perspektive mehr für sich sah. Trotzige Entschlossenheit, in letzter Minute nicht noch zu sterben, sondern zu überleben – oder, diametral entgegengesetzt, jetzt erst recht noch Rache zu nehmen an den rassischen und weltanschaulichen Feinden des Nationalsozialismus, die die hereinbrechende Niederlage verschuldet haben mussten. In einem – individuell wie gesellschaftlich – existenziellen Ausnahmezustand sahen sich die Zeitgenossen vor die Notwendigkeit gestellt, Entscheidungen zu treffen. Ziel der großen Mehrheit war es dabei, der Agonie des Nationalsozialismus und seinem gewaltsamen, zerstörerischen und tödlichen Sog zu entkommen – und sei es durch passives, ja apathisches Abwarten. Gewalt war ein Grundelement dieses Erfahrungsraumes und ein ubiquitär drohendes Phänomen, das maßgeblichen Einfluss hatte auf die Entscheidungen und das Handeln der Menschen. Nicht zuletzt deshalb ist es sinnvoll und legitim, einen Beitrag zur Geschichte dieser Gesellschaft in der Kriegsendphase 13 Henke, Deutschland, S. 340.

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auf der Basis von Gerichtsurteilen zu leisten – auf Quellen also, die aus individueller Warte Einblick erlauben in just diese Gewalt und in das Umfeld, in dem sie begangen wurde.

Annotierte Bibliographie Verbrechen der Endphase und Täterforschung: dazu aktuell Wolfrum u. a., Terror nach innen; darin zu definitorischen, methodischen und quellenkritischen Fragen sowie mit weiterführenden Literaturhinweisen Keller, Verbrechen in der Endphase. Ein fundiertes Beispiel für eine lokalhistorisch ausgerichtete, »intensive« Studie zu Endphasenverbrechen ist Kohlhaas, Krieg nach innen für Aschaffenburg. Im Bereich der Täterforschung sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe innovativer Arbeiten erschienen. Hervorzuheben ist die Tendenz, ideologische Faktoren wieder stärker zu gewichten (etwa bei Wildt, Generation des Unbedingten) und die Bedeutung einer spezifisch nationalsozialistischen Wertvorstellung – als »Tötungsmoral« oder Pflichtethik – zu untersuchen (Welzer, Täter und Mineau, Ethics of Duty). Gesellschaft in der Kriegsendphase: Bisher unübertroffenes Standardwerk zur Kriegsendphase im Westen und Süden Deutschlands ist Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, für andere Regionen fehlt entsprechendes. Eine konzeptionelle Annäherung an die »Kriegsgesellschaft« unternimmt Echternkamp in seinem einleitenden Beitrag zu Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 9. Aus gesellschaftlicher Perspektive liegen für einige Städte Beiträge zur Kriegsendphase vor: Münkler, Machtzerfall (Friedberg in Hessen); Rusinek, Gesellschaft in der Katastrophe (Köln) und, unter Rückgriff auf den von Karl Teppe für die Nachkriegsgesellschaft eingeführten Begriff der »Trümmergesellschaft« Szodrzynski, Das Ende der »Volksgemeinschaft« (Hamburg) sowie Bajohr, Hamburg. Ebenfalls mit Blick auf die Nachkriegsverhältnisse, jedoch auch für die Kriegsendphase fruchtbar spricht Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung von der »Zusammenbruchgesellschaft«. Die vielfachen Kontinuitäten, die das Kriegsende im Mai 1945 als Zäsur überwölben, betont Broszat u. a., Von Stalingrad zur Währungsreform. Darüber hinaus bieten die beiden von Rusinek bzw. Hillmann / Zimmermann herausgegebenen Sammelbände unter dem Titel Kriegsende 1945 Einblick in die aktuelle Forschungslandschaft. Gesellschaftsgeschichtliche Methodendebatte und Verhältnis zur Kulturgeschichte: Anregende Beiträge bieten die Sammelbände Mergel / Welskopp, Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft; Schulze, Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie; Osterhammel u. a., Wege der Gesellschaftsgeschichte und Nolte u. a., Perspektiven der Gesellschaftsgeschichte; darüber hinaus Buskotte, Zur Debatte Struktur- oder Ereignisgeschichte; Daniel, Kultur und Gesellschaft; Daniel, Geschichte schreiben nach der kulturalistischen Wende und Ziemann, Überlegungen zur Gesellschaftsgeschichte angesichts des cultural turn. Zur Rolle von Emotionen in der Geschichte des 20. Jahrhunderts Frevert, Angst vor Gefühlen?. Aktuell findet unter gesellschaftsgeschichtlichen Vorzeichen die nationalsozialistische »Volksgemeinschaft« verstärkt das Interesse der Forschung. Vgl. dazu methodisch anregend zuletzt Wildt, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung.

Kerstin Brückweh

Dekonstruktion von Prozessakten – Wie ein Strafprozess erzählt werden kann

Vor Gericht wird aus den verschiedenen Erzählungen der Zeugen, die eine für wahr angenommene Geschichte konstruiert. Im Gerichtssaal wird nicht über Wirklichkeit verhandelt, sondern über Repräsentationen, in denen aus verschiedenen Perspektiven und Interessen die Tat dargestellt wird. Die Aufgabe der Richter ist es dabei, aus den verschiedenen Erzählungen, die durchaus miteinander konkurrieren oder gar im Widerspruch stehen können, die plausibelste Version des Verbrechens im Urteil zu fixieren. Gelingt ihnen dies nicht – und sei es nur aus Sicht eines der beteiligten Akteure –, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Überprüfung des Urteils durch Berufung oder Revision kommt. Für die Urteilsfindung stehen den Richtern verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung: Sie können Zeugen befragen, auf Urkundenbeweise zurückgreifen oder die Expertise von Sachverständigen und Gutachtern einholen. Die Richter sind keineswegs frei in ihren Entscheidungen, sondern in ein in hohem Maße normiertes Verfahren eingebunden, über dessen Einhaltung von verschiedenen Seiten gewacht wird. Dies gilt zumindest für Systeme, die sich am Ideal der Rechtsstaatlichkeit orientieren. Die folgenden Überlegungen beschäftigen sich nicht ausschließlich mit Prozessen zu NS-Verbrechen, sondern beziehen sich auf die allgemeine Funktion von Strafprozessen in der Gesellschaft, auf Grenzen und Möglichkeiten von Gerichtsakten als historische Quellen und die Probleme der Darstellung, die damit einhergehen. Der Strafprozess ist andernorts mit einem Bühnenstück verglichen worden: Es gibt Haupt- und Nebenrollen ebenso wie Akteure hinter der Bühne und – je nach Thema des Stückes – ein großes oder kleines, euphorisches oder wenig begeistertes Publikum. Die Literaturwissenschaftler Joachim Linder und Claus-Michael Ort zum Beispiel haben das Strafverfahren als eine Art Aufführung beschrieben, »in der nach festgelegten Rollenvorgaben und gleichsam nach einem Drehbuch Vergangenheit vergegenwärtigt und im Sprachspiel Schuld zugerechnet wird.«1 Von »Sprachspiel« zu sprechen mag auf den ersten Blick in Anbetracht von über sechs Millionen ermordeter Juden und anderer Opfer des nationalsozialistischen Systems und seiner Ak1 Linder / Ort, Zur sozialen Konstruktion der Übertretung, S. 18.

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teure euphemistisch klingen, hat aber bei genauer Betrachtung exakt den gegenteiligen Sinn. Um dies zu zeigen wird im Folgenden als Erstes die Rolle der Gewaltopfer im Gerichtsprozess thematisiert. Sodann wird, zweitens, der Blick auf die Entwicklungen und Entscheidungen vor und in der Hauptverhandlung gelenkt, denn hier finden Auswahlprozesse statt, die in hohem Maße durch Machtaktionen bestimmt sind. Als Drittes steht der Urteilstext selbst im Mittelpunkt. Eine besondere Rolle nehmen, viertens, im Prozess Medien und Öffentlichkeit bzw. das imaginierte Publikum ein, in dessen Namen Recht gesprochen werden soll und das der Adressat des justiziellen Vorgangs ist. Der Strafvollzug, der insbesondere für die Zeitgeschichte ein noch wenig bearbeitetes Feld darstellt, wird auch hier weitgehend ausgeblendet, da er nicht im Erkenntnisinteresse dieses Handbuchs zu NS-Verbrechen steht. Aus der bisher skizzierten Annahme, dass es sich beim Urteil um eine konstruierte Geschichte und nicht um Wirklichkeit oder Wahrheit handelt, ergeben sich über eine übliche Quellenkritik hinausgehende Erkenntnis- und Darstellungsprobleme für die Historikerinnen und Historiker, die über Gerichtsakten Fragen zu NS-Verbrechen beantworten wollen. Trotzdem sind Gerichtsakten wichtige Quellen für historische Problemstellungen. Die hier zu erörternde Frage ist also, wie diese Dokumente »aufgebrochen« werden können, ohne sie vor lauter Dekonstruktivismus abschreiben zu müssen. Oder anders formuliert: Es soll auf die Grenzen der Urteile als historische Quellen verwiesen und gleichzeitig ihre durchdachte Verwendung für die Geschichtsschreibung propagiert werden. Wird behauptet, im Prozess gehe es um Gerechtigkeit gegenüber den Opfern, so sollte kritisch aufgehorcht werden. Denn erstens ist der Strafprozess täterzentriert und zweitens hat die Mehrzahl der Opfer keine Stimme im Prozess. Das hat mehrere Gründe: Zum einen sind in Mordprozessen die Opfer tot, und obwohl Überlebende als Zeugen (→ Finger / Keller) oftmals im Vorfeld der Prozesse und in der Verhandlung befragt werden, zählen im Rahmen des täterzentrierten Gerichtsprozesses die Mordopfer mehr. Denn die Überlebenden werden zwar als so genannte Opferzeugen benötigt, aber sie sind – so hart das klingen mag – eher Mittel zum Zweck der Strafverfolgung. Ein weiterer Grund dafür, warum es selbst bei besten Vorsätzen kaum um die Erfahrungen der Opfer gehen kann, zeigen bisherige Forschungsergebnisse zum Verhältnis von Schmerz und Sprache. Diese haben gezeigt, dass sich die Schmerzempfindung als Antithese zur Sprache erweist: »Indem der Schmerz eingeschlossen ist im Körper, umschließt er diesen und macht uns (mit den Worten von Maud Ellmann) deutlich, »wie fürchterlich ›einsam‹ wir mit unseren körperlichen Erfahrungen sind«. Ob lautes Schreien oder stummes Leiden: Schmerz ist (was ihn von der Lust unterscheidet) radikale Abtrennung,

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Ausschließung aus dem symbolisch codierten Kontinuum der menschlichen Gesellschaft.«2 Das heißt, selbst wenn Opfer befragt werden, sind sie eventuell nicht in der Lage auszusagen. Oder aber sie sehen den Gerichtssaal nicht als den Ort an, in dem sie über diese Erfahrungen sprechen möchten, dafür werden andere Rahmen gewählt (Familie, andere Opfer, Therapeuten etc.). Als Grundregel, von der es wie üblich Abweichungen geben kann, kann folgender Satz formuliert werden: Je massiver der Gewaltakt, desto schwerer fällt das Sprechen über ihn. Grundsätzlich stellt sich die Frage, inwieweit man über die Prozesse überhaupt an das die justizielle Tätigkeit auslösende Grundereignis, also das Verbrechen selbst, herankommt. Bei NS-Prozessen kann es die Besonderheit geben, dass viele Überlebende es als ihre Pflicht gegenüber den Toten betrachten, Zeugnis abzulegen, was wiederum zu einer ReTraumatisierung führen kann. Der Blick wäre dann auch auf Einrichtungen des Opferschutzes zu richten: Werden Opfer, die über sehr persönliche Schmerzen und Demütigungen aussagen sollen, vor Gericht geschützt – und wenn ja, wie? Diese Frage stellt sich insbesondere angesichts der personellen Kontinuitäten in der bundesdeutschen Justiz nach 1945 oder angesichts der wenig rücksichtsvollen Befragungsstrategien vieler Verteidiger in NS-Prozessen. Soll trotzdem mit Gerichtsakten die Geschichte der Opfer geschrieben werden, so bieten sich am ehesten die Ermittlungsakten an, denn hier äußern sich Opfer innerhalb des Verfahrens erstmals und in diesen Akten kann – je nach Aufzeichnungsart z. B. als Wort- oder Inhaltsprotokoll – die Interaktion von Opfer und Ermittlungsbeamten kritisch rekonstruiert werden. Die Ermittlungsakten sind auch deshalb besonders geeignet, Aufschlüsse über die Opfer zu erhalten, da diese Befragungen ohne Gerichtspublikum, ohne die Angeklagten und ohne den von Berufs wegen zweifelnden Verteidiger durchgeführt werden. Allerdings kann sich gerade auch das Fehlen einer kritischen Instanz in den Ermittlungen als Nachteil erweisen und die Befragungssituation prägen. Wichtige Perspektiven können zudem Opferaussagen vor Gericht eröffnen, insbesondere wenn sie als Ton- und Filmdokumente (→ Renz) vorliegen. Dies gilt allerdings nur, wenn für diese verschiedenen Quellen einerseits ihr kommunikativer Entstehungskontext, andererseits ihre Zielgerichtetheit auf den Gerichtsprozess berücksichtigt wird. Wenn die Opfer also nur eine Nebenrolle im Prozess spielen, worum geht es dann? Steht Wahrheit, Gerechtigkeit, Vergeltung oder Vergangenheitsbewältigung im Mittelpunkt der Gerichtsverhandlung? Welche Funktion, welches Ziel hat ein Prozess? Und welche Interessen haben die einzelnen historischen Akteure in diesem Prozess? Einer Gesellschaft stehen verschiedene Rahmen zur Verfügung, um Phänomene zu verstehen bzw. um ihnen Sinn 2 Tanner, Körpererfahrung, Schmerz und die Konstruktion des Kulturellen, S. 491.

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zu geben – so die Annahme von Erving Goffman.3 Für die Aufarbeitung von NS-Verbrechen wurde unter anderem die Gerichtsverhandlung als ein relevanter Rahmen erachtet. Das heißt auch, dass sich alle Akteure einer vergangenen Tat in diesen Rahmen einfügen mussten, womit wiederum strukturelle Schwierigkeiten verbunden sind. Ein Beispiel: Ganz gleich, in welchem Zusammenhang etwa die Zeugen zur Tat, zu Täter oder Opfer standen, welche Funktion sie ausübten und was ihr persönlicher oder professioneller Hintergrund war – alle Aussagen wurden in den Rahmen des Gerichtsprozesses ein- und seiner Logik untergeordnet. Es treffen also individuelle, emotional konnotierte Erfahrungen (z. B. geprägt durch traumatisierende Erlebnisse) und hoch spezialisiertes, oft abstrakt formuliertes Wissen (z. B. medizinische Expertise) gleichermaßen unter dem Referenzsystem Gericht zusammen. Nicht immer ist den Beteiligten diese Unterordnung bewusst: Sie kommen mit unterschiedlichen Erwartungen in den Prozess. Einige erhoffen sich Gerechtigkeit, andere wollen vertuschen, manche wollen Rache. Vordergründige Aufgabe des Gerichts ist es jedoch, die gestörte gesellschaftliche Ordnung wiederherzustellen, Sicherheit zu schaffen und Konflikte zu entscheiden. Wahrheitsfindung ist kein primäres Ziel des Rechtssystems, Vergangenheitsbewältigung erst recht nicht. In diesem Sinne kommentierte ein bundesdeutscher Strafrichter 1971 sein Urteil wie folgt: »Ob dies Ergebnis jedoch identisch ist mit der Wahrheit, wissen wir nicht. Aber was ist ›Wahrheit‹? Sie zu ergründen, ist noch niemanden gelungen, keinem Staatsanwalt und keinem Richter.«4 Vielmehr – so der Richter weiter – gehe es um Rechtoder Unrechtmäßigkeit, die aufgrund des Beweisergebnisses innerhalb des Rechtsrahmens, in dem der Prozess abläuft, festgestellt werden kann. Blickt man aus systemtheoretischer Sicht auf den Gerichtsprozess, so wird hier die Differenz zwischen verschiedenen Systemen deutlich: Das Rechtssystem operiert mit den Codes »rechtmäßig/unrechtmäßig«, sein Programm sind die Ordnung und das Recht, das Medium sind Gesetze und Entscheidungen, und die Funktion ist die Herstellung von Sicherheit bzw. die Entscheidung von Konflikten. Die Codes »wahr/unwahr« gehören nicht ins Rechts-, sondern ins Wissenschaftssystem, dessen Programm die Forschung, dessen Medium wissenschaftliche Erkenntnisse und dessen Funktion die Produktion neuer Erkenntnisse ist. Somit stellte der Richter im oben genannten Zitat heraus, dass es nicht seine Aufgabe sei, nach der Wahrheit zu suchen, sondern nach der Rechtmäßigkeit. Anders gesagt: Mit der Betonung, dass die Wahrheitssuche noch keinem Rechtsanwalt oder Staatsanwalt gelungen sei, 3 Goffman, Rahmen-Analyse, S. 18. 4 HStA D, Gerichte Rep. 240, Nr. 229, Hauptakten Bd. 29d (Jürgen Bartsch), Urteil: Mündliche Begründung, Düsseldorf, 6.4.1971, Bl. 112.

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verdeutlicht er, dass die Wahrheitssuche auch gar nicht das oberste Ziel der juristischen Akteure sei. Zwar könnte eingewandt werden, dass die Feststellung der Recht- bzw. Unrechtmäßigkeit sich auch an einer Version der Wahrheit orientiert, nämlich derjenigen, die in der Tatsachenfeststellung vor Gericht konstruiert wurde. Aber dabei geht es nicht um die Wahrheit im Sinne einer einzigen aufzudeckenden, unumstößlichen Wahrheit, die hinter allem Gesagten liegt, sondern um die Version der Wahrheit, die das Gericht aufgrund der eigenen Arbeit als wahr annimmt. Nichtsdestotrotz haben wir es im Gerichtsprozess mit einer Rangfolge zu tun: An erster Stelle steht die Feststellung der Recht- bzw. Unrechtmäßigkeit. Im Rahmen der Gerichtsverhandlung treffen somit verschiedene Teilsysteme mit spezifischen Codes, Programmen, Funktionen und Zielen aufeinander. War die Entscheidung, ein NS-Verbrechen vor Gericht zu thematisieren, einmal gefallen, mussten alle Beteiligten diesem Rahmen Priorität einräumen. Das hatte für die Sachverständigen aus den verschiedenen Disziplinen – also auch für Historiker, die als Gutachter vor Gericht befragt wurden – zur Folge, dass sie ihr Wissen den Erfordernissen des Gerichtsprozesses entsprechend argumentativ anordnen mussten. Dafür bedurfte es verschiedener Übersetzungsleistungen zwischen den Teilsystemen und ihren Fachsprachen. Für alle Beteiligten bedeutete dies, dass in dem gewählten Rahmen zum Beispiel nicht die Systeme Moral oder Ethik und damit Werturteile oder Moralreflexionen höchste Priorität hatten, sondern die Vorgaben des Rechtssystems. Welches Rechtssystem Gültigkeit besaß, war insbesondere für die beteiligten Juristen von Bedeutung und historisch spezifisch; so hatte es bei NS-Prozessen maßgeblichen Einfluss auf den Prozessablauf, ob alliierte Normen, reguläres deutsches Strafrecht oder beides gleichzeitig zur Anwendung kam. Dem Rechtssystem untergeordnet werden von allen Beteiligten auch Entscheidungen, die vor und in der Hauptverhandlung getroffen werden und Einfluss auf das Verhalten innerhalb des Rahmens Gericht haben. Ein Beispiel sind die Strategien der Verteidigung – zu denken wäre an die Berufung auf Befehlsnotstand – und der Anklage, etwa wenn es darum geht, Verfahren systematisch zusammenzufassen oder aufzuteilen und zu entscheiden, nach welchen Straftatbeständen Anklage erhoben werden soll. Um den Prozess oder auch nur das Urteil als Historiker oder Historikerin erzählen zu können, hilft es demnach, das Funktionieren des Rechtssystems zu beachten, und mit der »naiven Beobachtung des geschulten Beobachters« (René König) das Zusammenspiel von rechtlicher, moralischer, ethischer und wissenschaftlicher Perspektive auf die Täter zu analysieren. Anders gesagt: Mit der Anlehnung an Luhmanns Überlegungen zu Systemen und zur Beobachtung des Beobachters, also der Beobachtung zweiter Ordnung, kann hier die Kontroverse zwischen Realismus und Konstruktivismus zwar nicht aufge-

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löst, aber hoffentlich umgangen werden.5 Dies schließt ein, sich als Historiker oder Historikerin auch immer wieder selbst zu beobachten und während der Analyse und späteren Darstellung nicht von normativen Annahmen und Bewertungen (z. B. »es war ein fairer Prozess« oder »das Urteil wurde dem Ausmaß der Taten nicht gerecht«) leiten zu lassen. Ohne Frage gibt es auch moralische und ethische Überzeugungen und Überlegungen, die in den Prozess hineinspielen und in ihm deutlich werden – so z. B. die Darstellung der Täter und Opfer im Plädoyer. Wichtig ist allerdings, dass die letztendlich geltende Entscheidungsmacht das Rechtssystem hat. Mit diesen Bedenken gewappnet kann man sich den eigentlichen Urteilstexten zuwenden und zum Beispiel einen systematischen Zugang über das im Urteil für angemessen befundene Strafmaß wählen. Von diesem zumeist recht kurzen Absatz des Gesamturteils ausgehend bietet sich sodann eine Art Rückwärtslesen an, das heißt, dass vom Strafmaß her geprüft werden kann, ob die Argumentation, die im Urteilstext zu diesem Strafmaß führt, plausibel ist. Dabei kann man sich an folgendem Fragenkatalog orientieren: Wie ist der Urteilstext aufgebaut (Gliederung, Verhältnis der einzelnen Teile zueinander etc.)? Wie sind die Argumente angeordnet? Welches Bild vom Täter bzw. von den Opfern wird gezeichnet? Welche Deliktart (Denunziation, Mord oder nur Beihilfe zum Mord etc.) wird für relevant erachtet? Wie wird die strafrechtliche Zurechnungs- und Verantwortungsfähigkeit eingeschätzt? Wie gestaltet sich das Verhältnis von Einzelperson und Gesellschaft, das heißt, wird stärker auf die Verantwortung der Angeklagten oder auf das System, innerhalb dessen er oder sie operiert hat, fokussiert? Welche Zeugenaussagen werden für wichtig befunden? Gibt es Zusammenhänge zwischen der Relevanzzuschreibung von Zeugenaussagen und der gesellschaftlichen Herkunft dieser Zeugen, das heißt, welche Machtverhältnisse können beobachtet werden? An welche Traditionen wird angeschlossen, welche Wissensbestände einer Gesellschaft werden aktiviert? Wie emotional ist der Text gestaltet? Wird Mitleid, Rache oder gar Angst oder Verdrängung eigener Verantwortung und Vergangenheit deutlich? Der Vorteil dieser von Fragen geleiteten Form des Rückwärtslesen liegt darin, dass man von Anfang an weiß, auf welches Urteil und welches Strafmaß der Text hinauslaufen soll. Aus dieser Kenntnis des Urteilsspruchs und des Strafmaßes kann die Argumentation der Urteilsbegründung hinterfragt werden: Man weiß als Historiker oder Historikerin also, worauf diese spezifische historische Quelle in ihrer Argumentation abzielt, und kann sich dann auf die Zwischentöne oder Widersprüche konzentrieren, die darüber hinaus etwas über die verhandelten Verbrechen erzählen. 5 Siehe dazu die Ausführungen bei Reese-Schäfer, Luhmann, S. 37.

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Bei der Bewertung der Plausibilität eines Urteils scheint dabei besondere Vorsicht geboten, denn je plausibler und kohärenter eine Urteilsbegründung gestaltet ist, desto eher kann vermutet werden, dass im Vorfeld des Verfahrens oder in der Hauptverhandlung selbst bereits maßgebliche Vorentscheidungen getroffen wurden, z. B. in der Auswahl der Zeugen und in der Bedeutung, die ihnen im Prozess zugemessen wurde. Oder anders formuliert: Wurden bewusst bestimmte Zeugen nicht geladen oder wurden sie im Verlauf des Prozesses ins Abseits gedrängt? Ein um Objektivität bemühtes, an Rechtsstaatlichkeit orientiertes Urteil versucht, auch die Gegenargumente vorzubringen und zu widerlegen. Findet man also ein verdächtig einförmiges Urteil, so sollte spätestens dann der Blick auf den Kontext gelenkt werden: Funktionieren die Organe des Rechtsstaats, kommt es etwa zur Berufung oder gar zur Revision? Oder spiegelt das Urteil den Konsens der Zeit wider, wird also von allen Beteiligten für rechtmäßig befunden? Falls es zur Berufung kam, so können Historiker ihren Zeitvorteil nutzen und die verschiedenen Urteile und Entscheidungen zu einem Fall und ihre Begründungen jeweils gemeinsam betrachten und parallel lesen. Dadurch treten umstrittene Aspekte ebenso hervor wie solche, an deren Richtigkeit zum jeweiligen historischen Zeitpunkt übereinstimmend nicht gezweifelt wird. Weiterhin bietet sich die Einbettung eines Urteils in weitere Urteile ähnlicher Verbrechen desselben Zeitraums oder aber in längerer Perspektive an, um die Besonderheit im Einzelfall gegen die Zeitspezifik eines Urteils abgrenzen zu können. Bisher ist deutlich geworden, dass sich aus Aufbau und Struktur der Urteilstexte bereits vielfältige Aussagen über die Konstruktion des Urteils treffen lassen. Diese werfen eine Vielzahl weiterer Fragen auf, die – selbst wenn Ermittlungsakten etc. nicht zur Verfügung stehen – in einer historischen Arbeit gestellt und bestenfalls auch beantwortet werden. Zu fragen wäre neben personellen Kontinuitäten, politischen Rahmenbedingen und Strafgesetzen auch danach, ob und wie gesellschaftliche Kontrollmechanismen funktionieren, das heißt, wie reagieren zum Beispiel Medien und Öffentlichkeit? Wie ändert sich das öffentliche Interesse im Verlauf der Zeit? Im Gerichtsprozess gibt es verschiedene Formen von Öffentlichkeit, die eine Rolle spielen oder zumindest spielen können. Zum einen geht es um das imaginierte Publikum der Gemeinschaft der Rechtsunterworfenen, in deren Namen Recht gesprochen wird. Dabei handelt es sich um eine abstrakte Größe, die auf verschiedene Weise von den historischen Akteuren mit Inhalt gefüllt und dabei auch anekdotisch oder mahnend verwendet wird, die aber im ursprünglichen Sinn als Formel ein Stück politisch konnotierte Verfassungsgeschichte darstellt.6 An die Weimarer Tradition anknüpfend wurde in einigen 6 Zur Geschichte der Formel siehe Müller-Graf, »Im Namen des Volkes«.

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Bundesländern auch nach 1945 »im Namen des Volkes« Recht gesprochen. Damit sollte für Richter, Parteien und Angeklagte betont werden, dass Gerichte Organe des Volkswillens seien und ihre Autorität und Richtbefugnis aus der Billigung und dem Auftrag des Volkes herleiten, das als Träger staatlicher Gewalt auch Inhaber der Jurisdiktionshoheit sei. Kennzeichnend für die Weimarer Republik war allerdings, dass Bestrebungen, die Reichsjustizhoheit aus- und damit die Zuständigkeit der Länder abzubauen, regelmäßig gescheitert waren. Dies wurde erst im Nationalsozialismus rigoros durchgesetzt. Im Zuge dessen wurde 1934 eine neue Formel eingeführt: »Im Namen des Deutschen Volkes«. 1945 hielten die Besatzungsmächte zwar an der würdevollen Urteilseröffnung fest, entschieden aber entpolitisiert »im Namen des Rechts« und distanzierten sich damit von der NS-Justiz und etwaigen Anklängen an eine »völkische« Justiz. Wodurch ist das Recht legitimiert? Ist es etwa universal oder gar naturgegeben? Oder handelt es sich doch nur um ein schieres Konstrukt? Die Landesverfassungen der einzelnen Bundesländer waren sich da – zumindest was die Eingangsformel der Urteile anging – nicht einig und knüpften an verschiedene Traditionen an. Es stellt sich also die Frage, wie das Recht und damit auch der Prozess inszeniert wurden. Greift man hier noch einmal analog das Bild des Bühnenstücks auf, so muss gefragt werden, auf welcher Bühne überhaupt gespielt wurde und wie sich das Bühnenbild im Verlauf der Zeit veränderte. An dieser Stelle könnte der Gerichtssaal – analog auch das Vernehmungszimmer der Staatsanwaltschaft oder der Polizei – in seiner räumlichen Anordnung mit festgelegten, oftmals Hierarchien widerspiegelnden Orten für Richter, Zeugen, Angeklagte, Publikum etc. in die Analyse einbezogen werden. Und auch die Kleidung der Akteure ist von Bedeutung: von der Richterrobe bis zur Entscheidung, ob der Angeklagte in Zivil oder in Sträflingskleidung im Gericht erscheint. Sobald die Bühne festgelegt ist und das Stück begonnen hat, stellte sich die Frage, vor welchem Publikum gespielt wird. Tritt Publikum im Verlauf des Gerichtsprozesses passiv oder sogar aktiv in Erscheinung? Welche Zuschauer sind vom Verteidiger oder vom Ankläger erwünscht oder auch in ihren Reden imaginiert, wen sprechen sie an und welches Publikum ist tatsächlich anwesend? Zum einen können dies fachwissenschaftliche Öffentlichkeiten sein (z. B. weitere Juristen oder andere Experten, wie etwa Historiker), die in ihren eigenen Foren den Fall diskutieren oder sich auch in einer breiteren Medienöffentlichkeit dazu äußern. Von hier kann der einzelne Strafprozess dann den Weg in Diskussionen und Praktiken mehr oder weniger offizieller Geschichts- oder Vergangenheitspolitik (zurück)finden. Medienrezipienten, die ihre Meinung in Leserbriefen oder auch in Briefen äußern, die direkt an die Gerichte und Prozessbeteiligten geschrieben werden, bilden eine weitere, indirekte Publikumsform. Zudem stellen durch sozialwissenschaftliche Befragungsmethoden ermittelte Meinungsbilder, die als repräsentativ für die Ge-

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sellschaft vorgestellt werden, eine weitere Öffentlichkeit dar. Je nach Macht und Präsenz dieser Öffentlichkeiten können diese auf den Prozess einwirken oder einzelne Prozessbeteiligte in ihrer Wahrnehmung und Entscheidung prägen. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Jahr 1967: Montags, mittwochs und freitags verbrachte der Anwalt Heinz Möller im Wuppertaler Landgericht, wo der Fall des Kindermörders Jürgen Bartsch, der zwischen 1962 und 1966 vier Jungen gequält und ermordet hatte, verhandelt wurde. Der Medienandrang war enorm: Allein 53 Namen von Pressevertretern aus dem In- und Ausland finden sich auf der Anwesenheitsliste des Prozesses. Hinzu kamen Menschenmengen in und vor dem Gerichtssaal sowie eine große Zahl von Briefen, die Besucher und Medienrezipienten an die Beteiligten des BartschFalles geschickt hatten. Darunter befanden sich auch Todesdrohungen an Heinz Möller, der im Prozess die Verteidigung von Jürgen Bartsch übernommen hatte. Die Dienstage und Donnerstage verbrachte der Anwalt mit einem anderen Prozess: Angeklagt waren zwölf Polizisten des Polizei-Bataillons 309 wegen Erschießungen von Zivilisten, sowjetischen Kriegsgefangenen und Juden am Tage des Einmarsches der deutschen Wehrmacht in Białystok. Ferner waren die Lebendverbrennung sowie Erschießung von mindestens 700 Juden in der dortigen Hauptsynagoge und die Erschießung von mindestens 25 Juden in der Nähe von Dobrjanka Verfahrensgegenstand.7 Im Gerichtssaal befanden sich kaum Zuhörer, die Presse berichtete wenig und wenn, dann nicht über die personellen Kontinuitäten aus der NS-Zeit, die innerhalb des Gerichts bestanden: Der damalige Leiter der Wuppertaler Staatsanwaltschaft stand wegen seiner Tätigkeit als Staatsanwalt beim deutschen Sondergericht im besetzten Prag noch immer auf der tschechoslowakischen Kriegsverbrecherliste.8 Einige der Angeklagten wurden verurteilt; andere wurden zwar für schuldig befunden, aber von Strafe wurde abgesehen. An leere Bänke und geringe Medienaufmerksamkeit, zum Beispiel bei den Ghettoverfahren Ende der 1960er und 1970er Jahre, erinnerte sich auch Wolfgang Scheffler, der selbst als Gutachter in NS-Prozessen tätig war. An- oder Abwesenheit von Öffentlichkeit in ihren verschiedenen Formen kann unterschiedliche Auswirkungen auf einen Prozess haben: Im BartschProzess 1967 trafen die vielfach geäußerten Todesstrafenforderungen und die Rachefantasien auf ein Gericht, das in ähnlicher Richtung dachte und mit dem Fall überfordert war. Beispielhaft sei hier noch einmal auf den Anwalt Möller verwiesen, dessen emotionale und psychische Involviertheit sich auch darin zeigte, dass er im Bartsch-Prozess auf das zu jedem ordentlichen Pro7 Urteil des LG Wuppertal vom 12.3.1968 (Az. 12 Ks 1/67 ) und Urteil des BGH vom 13.5.1971 (Az. 3 StR 337/68), abgedr. in: JuNSV, Bd. XXVII, Nr. 664. 8 So zumindest die Information bei Moor, Jürgen Bartsch, S. 47.

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zess gehörende Plädoyer verzichtete. Das Urteil wurde vom Bundesgerichtshof revidiert und zur Neuverhandlung an das Landgericht Düsseldorf gegeben. Der neue Verteidiger Bartschs war der Staranwalt Rolf Bossi, der von einem bekannten Journalisten für die Verteidigung bezahlt wurde. Der Journalist selbst hatte sich vom Kindermörder Bartsch die Exklusivrechte der Berichterstattung überschreiben lassen. Mit einiger Sicherheit kann vermutet werden, dass vor dem Hintergrund eines anderen Medienmarktes das rachegeprägte Urteil Bestand gehabt hätte. Das neue Urteil aus dem Jahr 1971 baute auf anderen Zeugenaussagen auf und kam dann zu einem wesentlich anderen Bild des Täters und seiner sozialen Umgebung. Auch das Wuppertaler Urteil zum Polizei-Bataillon 309 wurde vom Bundesgerichtshof 1971 überprüft mit dem Ergebnis, dass die Revisionsanträge der zuvor für schuldig befundenen Angeklagten Erfolg hatten. Verjährung, die angebliche Geisteskrankheit eines Geschworenen und andere Verfahrensfehler wurden als Gründe für die Aufhebung des Wuppertaler Urteils angeführt. Fehlt Öffentlichkeit im Prozess, so scheint einmal mehr der kritische Blick auf den Urteilstext geboten zu sein. Bei der Bewertung und Kontextualisierung der NS-Prozesse helfen zeithistorische Forschungsarbeiten, die die gesellschaftlichen und politischen Konjunkturen der »Vergangenheitsbewältigung« in den Jahrzehnten nach 1945 beleuchten. Sie machen die perspektivischen Verschiebungen in der Wahrnehmung von Themen der jüngsten Vergangenheit, von Tätern, Opfern und Delikten ebenso erkennbar wie die verschiedenen Interessen der jeweiligen Akteure. Insbesondere dadurch erweist sich der wachsende Umfang zeithistorischer Forschungsarbeiten, die sich mit den NS-Prozessen und deren politisch-gesellschaftlichen Umfeld in der Nachkriegszeit befassen, als hilfreich für Historikerinnen und Historiker, die sich für Verbrechen der NS-Zeit interessieren und diese über Strafprozessakten erschließen wollen. Sie ermöglichen ihnen, sich die zeitgenössischen Rahmenbedingen und Diskurse, in denen die Prozesse stattfanden, schnell zu erschließen und zwischen zeit- und fallspezifischen Besonderheiten zu unterscheiden. Mit dem Anwachsen der historischen Erkenntnisse, die über die Zeit vorliegen, in denen die Verfahren wegen NS-Verbrechen stattfanden, wird dem Forscher bzw. der Forscherin deren Einordnung in die Zeit und damit auch deren Erzählung erleichtert. Wie genau ein Prozess erzählt werden kann, hängt von der die Analyse leitenden konkreten historischen Fragestellung ab. Steht beispielsweise der Prozess in seiner gesellschaftlichen und politischen Dimension im Fokus des Interesses, so sind andere Aspekte der Quellen von Bedeutung als wenn versucht wird, über die Prozessakten die zugrunde liegenden Verbrechen zu erzählen. Ist Letzteres der Fall, so wird man aus den Akten möglichst viel über den im Urteil verhandelten Gewaltakt in Erfahrung bringen wollen und sich dabei

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zum Beispiel auf die Überlegungen zur Geschichte der Gewalt, wie sie Trutz von Trotha in seiner Ethik der Genauigkeit vorgeschlagen hat, beziehen.9 Neben dem Erkenntnisinteresse ist das methodische Vorgehen für die Erzählung von Bedeutung: Wird ein Fall exemplarisch bearbeitet, so muss die Frage mitgedacht werden, warum gerade dieser Fall für sich genommen besonders relevant ist, oder ob er über sich selbst hinausweist und allgemeinere – oder gar verallgemeinerbare – Erkenntnisse verspricht. Wird mit einer Vielzahl von Fällen gearbeitet, so stellt sich die Frage, wie daraus ein gemeinsames Narrativ gewonnen werden kann (z. B. in Form einer Typologie der Fälle). Egal für welches Vorgehen man sich entscheidet, immer muss der juristische Prozess in seinem konkreten historischen Kontext betrachtet werden, der sich selbstverständlich ebenso wie alle anderen Kontexte (z. B. die Vergangenheitspolitik oder das politische System) im Laufe der Geschichte verändern kann. Es gibt also kein Patentrezept für die Erzählung von Strafprozessen, aber der reflektierte, sensible Umgang mit den obigen Elementen des Strafprozesses ist für das Erzählen nicht nur nützlich, sondern unabdingbar. Oder anders formuliert: Das Bild des Bühnenstückes kann bei der Analyse und beim Erzählen der Geschichte helfen, sich selbst bewusst zu machen, welche Teile des Stückes durch die Gerichtsakten ins Scheinwerferlicht geholt werden und welche Teile im Dunkeln bleiben, welche Rolle die Darsteller spielen und wie sie sie interpretieren. Die besondere Herausforderung liegt darin, die Teile im Dunkeln mitzudenken, nach Vorentscheidungen zu suchen und das, was schwarz auf weiß geschrieben steht, als Konstrukt zu verstehen und darzustellen.

Annotierte Bibliographie Theoretische Überlegungen zur Funktion von Strafprozessen in der Gesellschaft: Aus interdisziplinärer Sicht zum Zusammenhang von Verbrechen, Justiz und Medien siehe Linder / Ort, Zur sozialen Konstruktion der Übertretung, darin auch zahlreiche Literaturhinweise zu diesem Themenkomplex. Zu sozialen Verfahren in der Gesellschaft und damit auch zu Gerichtsverfahren Luhmann, Verfahren und allgemein zur Funktion von Systemen in der Gesellschaft Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft. Hilfreich für eine Zusammenfassung der Luhmannschen Funktionssysteme, ihrer Codes, Programme, Medien und Funktionen Reese-Schäfer, Luhmann zur Einführung. Zur Überlegung von Rahmen, die in der Gesellschaft für das Verstehen von Ereignissen zur Verfügung stehen und durch die Erfahrung organisiert wird: Goffmann, Rahmenanalyse. Speziell auf Verbrechen angewendet: Papke, Framing the Criminal. Zwar wird das 20. Jahrhundert weitgehend ausgeblendet, aber trotzdem als grundlegende Anregung aus historischer Sicht wichtig ist die Einführung in die historische Kriminalitätsforschung von Schwer9 Trotha, Soziologie der Gewalt, S. 20.

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hoff, Aktenkundig und gerichtsnotorisch. Zur Funktion von Sexualmordprozessen in deutschen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts siehe Brückweh, Mordlust. Zum Verhältnis von Gewalterfahrungen, Schmerzen und dem Sprechen darüber: Grundlegend und vielfach gelobt ist die Studie von Scarry, The Body in Pain. Zur Geschichte des Schmerzes siehe auch Morris, Schmerz. Als einführender Überblick bietet sich der folgende Aufsatz an: Tanner, Körpererfahrung. Die Literatur zur Körpergeschichte ist vielfältig; gegen eine Reduzierung von Menschen auf Zuschreibungen hat sich zum Beispiel Barbara Duden gewehrt: Duden, System unter der Haut. Aus soziologischer Sicht siehe auch den Exkurs zu Gewalt und Schmerz im Aufsatz von von Trotha, Soziologie der Gewalt, der außerdem eine Analyse des Gewaltakts in Anlehnung an Geertz’ »Dichte Beschreibung« vorschlägt. Trotha nennt dies »Ethik der begrifflichen Strenge, der Genauigkeit«. Anregende Lektüre zu Verbrechensopfern bietet das gemeinsam geschriebene Buch von Winfried Hassemer, Professor u. a. für Strafrecht und gleichzeitig Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, und von Jan Philipp Reemtsma, Professor für Literatur, Vorstand des Hamburger Instituts für Sozialforschung und selbst Opfer einer Entführung: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer.

Sabrina Müller

Zum Drehbuch einer Ausstellung Der Ulmer Einsatzgruppenprozess von 1958

»Das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte« – »Endlich kam die Wahrheit an den Tag« – »In Ulm steht eine ganze Epoche vor Gericht«. Zahlreiche Schlagzeilen hoben im Sommer 1958 die Bedeutung des Ulmer Einsatzgruppenprozesses hervor. Der »größte deutsche Strafprozess seit Kriegsende« rückte den organisierten Massenmord an den Juden wieder in den Blick der Öffentlichkeit. Vor Gericht standen zehn Angehörige des Einsatzkommandos der Stapo und des SD Tilsit, das der Einsatzgruppe A zugeordnet war. Die Angeklagten hatten 1941 in Litauen über 5.500 Juden ermordet. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurden zunächst jüdische Männer, ab August 1941 auch Frauen und Kinder erschossen. Mit den Massenerschießungen begann in den besetzten Gebieten Osteuropas die systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Der Ulmer Einsatzgruppenprozess vom 28. April bis 29. August 1958 gilt als Wendepunkt im Umgang der bundesdeutschen Justiz mit nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Die 60 Verhandlungstage offenbarten, dass noch zahlreiche Mitglieder der Erschießungskommandos unbehelligt mitten in der Gesellschaft lebten. Auch unter den 184 Zeugen befanden sich viele NS-Täter, die noch nicht für ihre Beteiligung am nationalsozialistischen Massenmord zur Verantwortung gezogen worden waren. Der Prozess gab einen entscheidenden Impuls für die Bildung der »Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen« Ende 1958 in Ludwigsburg. Die Vorermittlungen dieser länderübergreifend tätigen Justizbehörde lösten den »Staatsanwalt Zufall« ab, der die Arbeit der Justiz in den fünfziger Jahren bestimmt hatte. Die Ermittlungen gegen NS-Verbrecher waren damals fast vollständig zum Erliegen gekommen. Der 50. Jahrestag des Strafverfahrens veranlasste das Haus der Geschichte Baden-Württemberg, das Stadtarchiv Ulm und das Stadthaus Ulm zu einem Kooperationsprojekt: Vom 15. Februar bis 13. Juli 2008 wurde im Stadthaus die Ausstellung »Die Mörder sind unter uns. Der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958« gezeigt. Der Titel erinnert an den gleichnamigen Film von Wolfgang Staudte (DEFA, 1946), der schon unmittelbar nach Kriegsende die strafrechtliche Verfolgung nationalsozialistischer Massenmörder forderte. Ver-

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antwortlich für die Konzeption und die Realisierung der Ausstellung war das Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Wie lässt sich ein Prozess, der vor allem Papier produziert, in einer Ausstellung erzählen? Grundlage des Projekts sind die umfangreichen Akten der Staatsanwaltschaft Ulm zur »Strafsache KS 2/57 gegen Fischer-Schweder und neun andere« im Staatsarchiv Ludwigsburg (in einem eigenen Bestand zu den Ulmer NS-Verfahren: EL 322 II). Dort werden auch die Akten des Landeskriminalamts Baden-Württemberg (Bestand: EL 48/2 I, Büschel 3097–3125) und der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart (EL 302, Büschel 304–305) verwahrt, die das Ermittlungsverfahren von 1955 bis 1958 dokumentieren. Wie hatten sich die Täter nach 1945 in der Gesellschaft eingerichtet? Wie kam das Strafverfahren trotz des mangelnden Ahndungswillens der Justiz in den fünfziger Jahren in Gang? Welches Engagement zeigten Kriminalbeamte und Staatsanwälte bei den Ermittlungen? Diese Fragen waren zunächst bei der Sichtung der Justizakten und der Recherche von Exponaten in den Familien von Prozessbeteiligten leitend. Im Mittelpunkt der Ausstellung sollte die Bewertung des Verbrechens vor Gericht stehen. Ein weiterer Fragenkomplex zielt auf die Wahrnehmung des Prozesses außerhalb des Gerichtssaals: Wie reagierten Journalisten und Bürger auf die Verhandlungen vor dem Ulmer Schwurgericht? Lässt sich der Prozess als Teil eines politisch-kulturellen Umbruchs Ende der 1950er Jahre deuten oder waren es nur wenige »engagierte Demokraten« in der Justiz und den Medien, die eine »kritische Vergangenheitspolitik« beförderten? Für das Ausstellungskonzept wurden zunächst Briefe, Vermerke, Skizzen und andere Dokumente ausgewählt, die prägnant Antworten auf diese Fragen vermitteln. Bei den Recherchen entwickelte sich zugleich der narrative Spannungsbogen der Ausstellung: In einem Drehbuch wurden die Exponate entlang von Thesen zu einzelnen Kapiteln gruppiert. Nach der Ausarbeitung dieses Konzepts begann die Diskussion über die Ausstellungsarchitektur. Die Gestaltung der Themenbereiche sollte die Leitthese der Ausstellung auch räumlich vermitteln und damit einen neuen Interpretationsrahmen für die Exponate bieten, die ja aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang, der Aktenüberlieferung, gerissen sind. Die Problemstellungen und Lösungsansätze, die sich bei diesen Arbeitsschritten ergaben, sollen im Folgenden anhand eines kurzen Ganges durch die Ausstellung erläutert werden. Die rund 1.000 Quadratmeter große Ausstellungsfläche im Stadthaus Ulm warf viele Probleme auf: Der lichtdurchflutete Bau des Architekten Richard Meier schien auf den ersten Blick denkbar ungeeignet für die Präsentation von Justizakten. Auch die eindrucksvollsten Vernehmungsprotokolle und Tatortskizzen verloren sich in den weitläufigen Gängen – von den konser-

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Abb. 1: Eingang zum Schacht »Integration der Täter« im Stadthaus Ulm (Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Fotograf Armin Buhl).

vatorischen Bedenken der Leihgeber ganz abgesehen. Der Ulmer Architekt Max Stemshorn entwickelte eine symbolisch eingängige Lösung, die einen Kontrast zur lichten, weißen Architektur schuf: In die beiden Ausstellungsebenen im Stadthaus wurden dunkle, begehbare Kuben eingebaut, die quer zu den hellen Gängen liegen. Diese Schächte oder Tunnel symbolisieren den Prozess als sperriges Element am Ende der fünfziger Jahre. Die Architektur des Stadthauses steht stellvertretend für den Aufbau der neuen Demokratie und die Zeit des Wirtschaftswunders. Die Bürger konnten die Konfrontation mit den NS-Verbrechen suchen, die im Innern der Schächte thematisiert werden. Sie konnten sich aber auch abwenden und die Aufarbeitung der Vergangenheit ignorieren. Das Raumbild wird so der Tatsache gerecht, dass ein Teil der Gesellschaft sich nicht für die NS-Prozesse interessierte oder die Verfolgung der Verbrechen ablehnte. Innerhalb der Einbauten erzählt die Ausstellung, wie sich 1958 zufällige Ermittlungen zur systematischen Ahndung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen entwickelten. Dabei war es wichtig, auch die Grenzen der justiziellen Verfolgung der Massenmörder zu beleuchten. Das erste Kapitel Integration der Täter zeigt exemplarisch die Geschichte von drei Angeklagten. Für die Auswahl war der landesgeschichtliche Bezug

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entscheidend. Bernhard Fischer-Schweder, Hans-Joachim Böhme und Werner Schmidt-Hammer hatten sich in den fünfziger Jahren im Südwesten eine neue Existenz aufgebaut. Fotografien und Dokumente veranschaulichen die familiäre Idylle und den beruflichen Neubeginn, bevor die Täter ins Visier der Ermittler gerieten. Einzelne Exponate sind im Hintergrund der Vitrinen als großformatige Reproduktionen mit Farbelementen inszeniert, um das Augenmerk auf bestimmte Aspekte zu lenken. Böhme und Fischer-Schweder hatten in ihren Meldebögen für die Spruchkammern falsche Angaben gemacht und sich damit der Entnazifizierung entzogen. Der ehemalige Polizeidirektor von Memel und der frühere Leiter der Stapostelle Tilsit leugneten ihre Mitgliedschaft bei NSDAP, Gestapo, SA und SS. Die entsprechenden Einträge in den Meldebögen sind groß reproduziert. Böhme arbeitete von 1948 bis zu seiner Verhaftung im August 1956 als Wirtschaftsjurist in Karlsruhe. Der Optikermeister Werner Schmidt-Hammer entwickelte Brillen bei der Firma Carl Zeiss in Oberkochen. Der frühere SS-Oberführer Fischer-Schweder war von 1946 bis 1953 zunächst als Handelsvertreter tätig. Ende 1953 wagte er die Rückkehr in den öffentlichen Dienst und bewarb sich erfolgreich um die Leitung des Ulmer Flüchtlingslagers Wilhelmsburg. Er leugnete zwar weiterhin seine Zugehörigkeit zu NS-Organisationen, nicht aber die Laufbahn bei der Kriminalpolizei. Der Personalbogen aus der Akte Fischer-Schweders beim Regierungspräsidium Nordwürttemberg verzeichnet die einzelnen Karriereschritte vor 1945. Für die Behörde waren gerade die beruflichen Erfahrungen im Kriminaldienst entscheidend für die Anstellung Fischer-Schweders. Der Schacht Staatsanwalt Zufall präsentiert mit wenigen Aktenstücken die Verdachtsmomente, durch die das Ermittlungsverfahren in Gang kam. Um den rechtlichen Status des neuen Lagerleiters im öffentlichen Dienst zu klären, überprüfte das Regierungspräsidium Nordwürttemberg 1954 die Laufbahn Fischer-Schweders vor 1945. In diesem Zusammenhang richtete die Landespolizeidirektion über den Verfassungsschutz eine Anfrage an das Berlin Document Center. Dort wurden sowohl die Mitgliederkartei der NSDAP als auch die Personalakten von SS-Angehörigen verwahrt, die bei Kriegsende aufgefunden worden waren. Auf drei Seiten listete das amerikanische Archiv im September 1954 die NS-Karriere des »alten Kämpfers« seit 1925 auf. Der Ulmer Lagerleiter war gezwungen zu kündigen – was ihn aber nicht davon abhielt, sich weiterhin um die Rückkehr in den öffentlichen Dienst zu bemühen. Auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle bewarb sich Fischer-Schweder Ende März 1955 beim Regierungspräsidium Südbaden. Dort arbeitete eine frühere Telefonistin der Polizeidirektion Memel, die über den Bewerber befragt wurde. Ihre Aussagen begründeten den Anfangsverdacht, dass der damalige Polizeidirektor 1941 in Litauen an der Erschießung von Juden beteiligt gewesen sein könnte. Der entsprechende Vermerk des Regierungs-

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Abb. 2: Blick in den Schacht »Umfangreiche Ermittlungen«: Die »Ereignismeldung UdSSR« Nr. 19 v. 11. Juli 1941 (Bildmitte) wird als zentraler Nachweis der Erschießungen an der Seitenwand des Schachtes vergrößert und verfremdet als gestalterisches Element wieder aufgenommen. (Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Fotograf Armin Buhl).

präsidiums Südbaden war Ausgangspunkt für das polizeiliche Ermittlungsverfahren. Die Dreistigkeit, mit der Fischer-Schweder zurück in den öffentlichen Dienst drängte, wird durch mehrere Zeitungsartikel über seinen Arbeitsgerichtsprozess gegen das Land Baden-Württemberg im Mai 1955 dokumentiert: »Ehemaliger SS-Oberführer klagt auf Wiedereinstellung«. Diese Presseberichte las in Hannover auch der frühere Fahrer von Fischer-Schweder aus Memel. Einem Ulmer Bekannten gab Wilhelm Kersten den entscheidenden Hinweis, dass Fischer-Schweder eine Erschießung von Juden in Garsden geleitet hatte. Der Brief von Kersten lag der Strafanzeige bei, die die Israelitische Kultusvereinigung Württemberg und Hohenzollern am 12. September 1955 bei der Staatsanwaltschaft Ulm erstattete. Nachdem sich der Tatverdacht durch weitere Vernehmungen erhärtet hatte, wurden die schon seit Frühjahr des gleichen Jahres laufenden Recherchen intensiviert. Wie sich die Ermittlungen gegen einen NS-Verbrecher von 1956 bis 1958 zum bis dahin größten deutschen Strafverfahren der Nachkriegszeit entwickelten – dies dokumentiert der nächste Bereich Umfangreiche Ermittlungen. Der Blick fällt zunächst auf rund 50 Ordner, in denen die Staatsanwalt-

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schaft Ulm Vernehmungsprotokolle, Tatortskizzen, Reisekosten und Daten der Zeugen abgeheftet hatte. Ausgewählte Stücke aus diesen Ordnern und den Akten des Landeskriminalamts Baden-Württemberg veranschaulichen die Akribie und das Engagement, mit dem die beteiligten Staatsanwälte und Kriminalbeamten den Massenmord in Litauen im Vorfeld des Prozesses aufklärten. Die Exponate zeigen zugleich die Probleme, die mit den Recherchen verbunden waren. Der Ulmer Staatsanwalt Dr. Rudolf Mettler war zwar interessiert, die Mordaktionen in Litauen aufzuklären, aber mit der Komplexität eines nationalsozialistischen Massenverbrechens überfordert. Zudem belasteten ihn die Ermittlungen nervlich sehr. Ein Vermerk vom Januar 1956 illustriert die vielfältigen historischen und geografischen Fragen, mit denen sich Mettler konfrontiert sah. Eine Tabelle belegt überdies die Bemühungen des Kriminalsekretärs Helmut Opferkuch, die Hinweise von Zeugen auf unterschiedliche Tatorte, Opfer und Täter zu systematisieren. Obwohl sich die Ermittlungen im Frühjahr 1956 auf den Beschuldigten Fischer-Schweder und die Erschießungsaktionen der Schutzpolizei Memel in Garsden, Krottingen und Polangen konzentrierten, dokumentiert die Übersicht den ersten Schritt hin zur Rekonstruktion des ganzen Tatkomplexes, an dem das Einsatzkommando der Stapo und des SD Tilsit beteiligt gewesen war. In diese Richtung weist auch eine eigens gezeichnete Landkarte des litauischen Grenzstreifens, in die Tatorte und Opferzahlen eingetragen wurden. Trotz der Bemühungen von Mettler und Opferkuch hielt der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Erich Nellmann die Recherchen für »völlig ungenügend«. Sein Brief an das Justizministerium vom 9. Juni 1956 gab dem Ermittlungsverfahren einen entscheidenden Impuls. Dank der Intervention von Nellmann erhielt die Ulmer Staatsanwaltschaft ab Mitte Juni 1956 Unterstützung durch Staatsanwalt Erwin Schüle aus Stuttgart. Nach dem Eintritt von Schüle in das Ermittlerteam wurde die Zusammenarbeit mit Zeithistorikern, Archiven, Gedenkstätten und jüdischen Hilfsorganisationen verstärkt. Von der Suche nach Beweismitteln und Zeugen im In- und Ausland zeugt eine umfangreiche Korrespondenz. Ein Hauptproblem der Ermittler waren die Zeugen. Eine »Übersicht der noch zu vernehmenden Zeugen« vermittelt, dass sich die Staatsanwaltschaft weitgehend mit Täterzeugen begnügen musste, die selbst an Erschießungen teilgenommen hatten. Laut Auskunft des Yivo Institute for Jewish Research in New York waren fast alle jüdischen Bürger an den Tatorten ermordet worden. Bis zum Ende des Prozesses suchten Landgericht und Kriminalbeamte mit Hilfe des Auswärtigen Amtes nach Zeugen, die den Massenmord überlebt hatten und nach dem Krieg ausgewandert waren. Mit Telegrammen aus Kanada und den Vereinigten Staaten informierten die deutschen Botschaften das Ulmer Landgericht noch im Juli 1958 über die Flugdaten litauischer Zeu-

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gen, die in New York und Montreal gefunden worden waren. Ihre Flugtickets runden das Ensemble Suche nach Zeugen ab. Die Protokolle der Vernehmungen von Täterzeugen und Beschuldigten aus den Jahren 1956 und 1957 geben trotz vieler Schutzbehauptungen Einblick in den Ablauf der Massenerschießungen und die Motive der NS-Täter. Der Angeklagte Harm Willms Harms hatte 1941 in Tilsit eine Abteilung der Staatspolizei und das Grenzpolizeikommissariat geleitet. Bei einer Vernehmung am 18. Oktober 1956 schilderte er die Erschießung von jüdischen Zivilisten in den Dünen bei Polangen. Er beschrieb, wie der Hauptbeschuldigte Werner Hersmann während der Exekution einen jüdischen Kinderarzt aus dem Lazarett holen und ermorden ließ. Auf die Frage »Warum wurden diese Juden von Polangen und auch von den übrigen Orten erschossen?« antwortete Harms: »Sie wurden erschossen, weil sie Juden waren. Ich glaube nicht, daß sie irgendetwas getan haben.« Mehrere Protokollseiten aus den Vernehmungen der Täter werden in der Ausstellung mit den Aussagen der Zeugin Fanny Pitum konfrontiert. Sie beschrieb den Ermittlern Anfang 1957 die Verfolgung und Ermordung ihrer Familie in Polangen und Kaunas. Frau Pitum hatte Ghetto und Konzentrationslager überlebt und war 1945 in Bergen-Belsen befreit worden. Um die nationalsozialistische Vernichtungspolitik zu belegen, engagierte sich Staatsanwalt Erwin Schüle für die Recherche historischer Dokumente. Das Berlin Document Center unterstützte die Ermittlungen. Im Dezember 1956 flog Schüle selbst mit einer Maschine der amerikanischen Luftwaffe zu Archivrecherchen nach Berlin. Seine Reisekostenrechnung hängt ebenso in der Ausstellung wie die Beweisstücke, die er dort auffand. Wichtigster Beleg für den organisierten Massenmord waren die »Ereignismeldungen UdSSR« des Reichssicherheitshauptamts in Berlin. Sie verzeichneten Tatort, Datum und Opferzahl einzelner Mordaktionen in den besetzten Gebieten. Die »Ereignismeldung« Nr. 19 vom 11. Juli 1941 informierte über Erschießungen des Einsatzkommandos Tilsit in Tauroggen, Georgenburg, Augustowo und Mariampol. Ein großformatiger Ausschnitt aus dieser »Buchhaltung des Massenmords« befindet sich im Hintergrund der Vitrine, in der das originale »Beweisstück 9i« aus den Prozessakten präsentiert wird. Dank der Initiative von Generalstaatsanwalt Erich Nellmann und Erwin Schüle wurde das Ermittlungsverfahren von August 1956 bis April 1957 gegen die Bedenken der Ulmer Juristen auf insgesamt zehn Beschuldigte aus der ganzen Bundesrepublik ausgedehnt. Die historische Rekonstruktion eines ganzen Verbrechenskomplexes war Vorbild für spätere Verfahren wie den großen Frankfurter Auschwitz-Prozess ebenso wie für die Vorermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg ab Ende 1958. Eine Reihe von Aktendeckeln mit roten Stempeln »Haft!« verdeutlicht die Dynamik des Strafverfahrens. Die Täterperspektive der Ermittler wird im Bereich Festnahmen

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nochmals betont. In einem Gang, der zwei Gebäudeteile des Stadthauses verbindet, sehen sich die Besucher mit lebensgroßen Fotografien der zehn Angeklagten konfrontiert. Vorlage für diese Reproduktionen sind die erkennungsdienstlichen Aufnahmen der Kriminalpolizei. Die Rasterung der Grafik wirkt einer zu plastischen Wiedergabe entgegen. Kurzbiografien informieren über die NS-Karriere der Täter und ihren Lebenslauf von 1945 bis zur Festnahme. Am Ende des Ganges ist ein Ausschnitt aus dem Tonbandmitschnitt der Urteilsverkündung vom 29. August 1958 zu hören. Minutenlang ordnete der Vorsitzende Richter Edmund Wetzel jedem Angeklagten die Opferzahlen zu, für die er verurteilt wurde: »Garsden I 201, Krottingen I 214, Augustowo 316…« Da an einigen Tatorten mehrere Erschießungen stattgefunden hatten, nummerierte das Gericht die Mordaktionen durch (zum Beispiel Garsden I und II). Dieses Tondokument, auf das unten noch ausführlicher eingegangen wird, leitet zum nächsten Bereich über, der den eigentlichen Prozess und die rechtliche Würdigung des Verbrechens thematisiert. An der Außenwand des Schachtes sind stichwortartig rund 30 Mordaktionen des Einsatzkommandos Tilsit verzeichnet, die das Gericht bis Ende August 1958 rekonstruierte. Im ersten Kabinett des Ausstellungsbereichs Prozess wird der Blick der Ermittler auf die Täter mit einem Filmdokument kontrastiert, das eher die Sicht der Opfer vermittelt. Die litauische Augenzeugin Ona Rudaitis hatte im Juli 1941 durch Zufall die Erschießung von Hunderten von Frauen und Kindern beobachtet. Für ihre Aussage vor Gericht am 10. Juli 1958 reiste die 67jährige von einem Flüchtlingslager in Niedersachsen an. Da Fernsehaufnahmen während der Verhandlungen nicht erlaubt waren, befragte der Süddeutsche Rundfunk die Augenzeugin außerhalb des Landgerichts. Das Interview wurde in der Abendschau des SDR vom 17. Juli 1958 gesendet. Von einer Sprecherin übersetzt, vermittelt die Schilderung das Ausmaß und die Grausamkeit des Verbrechens. Rudaitis berichtet unter anderem über ein kleines Kind, das blutend Schutz bei der Mutter suchte, bevor es durch einen weiteren Schuss ermordet wurde. Bei der Darstellung des Prozesses und der Interpretation des Verbrechens vor Gericht dominieren Zitate sowie Film- und Tondokumente. Auf die Präsentation von Prozessunterlagen wurde bewusst verzichtet, weil die Aussagen von Zeugen, Angeklagten und Sachverständigen sowie die Plädoyers der Staatsanwälte und Verteidiger sehr unterschiedlich überliefert sind. Die Akten der Staatsanwaltschaft und des Landgerichts dokumentieren vorwiegend das Ermittlungsverfahren. Es gibt weder ein Wortprotokoll noch eine umfassende Tondokumentation der Gerichtsverhandlung. Zwar befinden sich in den Prozessakten immerhin sieben Manuskripte mit den Plädoyers der Verteidiger und das schriftliche Gerichtsurteil. Die Aussagen von Zeugen und Angeklagten sind aber hauptsächlich durch Zeitungsberichte überliefert.

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Pressefotografen und Kameraleute des SDR und der DEFA durften nur vor Beginn der Verhandlung und in den Pausen Aufnahmen machen. Das Gericht hatte Fernseh- und Rundfunkaufnahmen während der Sitzungen verboten, weil der Gerichtssaal nicht zur »Schaubühne« werden sollte. Der SWR und das Bundesarchiv verwahren Filmsequenzen ohne Ton, die Einblick in die Atmosphäre im Sitzungssaal des Ulmer Landgerichts geben. Neben der Zeugin Ona Rudaitis wurden drei Sachverständige außerhalb der Verhandlungen interviewt. Während des Plädoyers der Anklage am 1. August und bei der Urteilsverkündung waren Tonaufnahmen zugelassen. Ein kurzer Ausschnitt der Ausführungen von Oberstaatsanwalt Erwin Schüle ist beim SWR archiviert. Bei den Recherchen zur Ausstellung fanden sich im Landgericht Ulm zudem zwei Tonbänder mit der rund fünfstündigen Urteilsverkündung und -begründung vom 29. August 1958. Damit sich das Ungleichgewicht bei der Überlieferung nicht in der Visualisierung der Argumente widerspiegelt, wurden aus den verschiedenen Vorlagen Kernsätze ausgewählt. Die Aussagen von Angeklagten und Verteidigern sind den Argumenten von Staatsanwaltschaft und Gericht als Zitate an den Wänden gegenübergestellt. Das Schlusswort des Hauptangeklagten Werner Hersmann: »Ich sah es damals nicht als Mord an, sondern als Tötung auf Befehl« steht einem Zitat von Staatsanwalt Dr. Fritz Schneider gegenüber: »Wenn sich jemand darum reißt, Exekutionen durchführen zu dürfen, dann kann von einer Konfliktlage und einem Notstand wirklich nicht mehr die Rede sein.« An einer Medienstation können die Besucher zudem Ausschnitte aus den überlieferten Film- und Tondokumenten abrufen. In einer Sequenz urteilt der Vorsitzende Richter Edmund Wetzel, dass die Angeklagten bei den Exekutionen wie »kalte Henker« gehandelt hätten: Fotografien in Pose nach den Erschießungen oder Gaststättenbesuche mit dem Geld der Opfer vermittelten Wetzel zufolge nicht das Bild von Tätern, die in äußerster Notlage gehandelt hätten, weil sie um ihr Leben fürchteten. Obwohl der Richter betont, dass der Vernichtungsbefehl auch nach den damaligen Gesetzen rechtswidrig gewesen sei und die Angeklagten im Bewusstsein dieser Rechtswidrigkeit an einem staatlich organisierten Massenmord mitgewirkt hätten, sprach er ihnen einen eigenen Täterwillen ab. Der Originalton der Urteilsverkündung vermittelt drastisch die Grenzen der justiziellen Verfolgung nationalsozialistischer Massenmörder. Die Strafen reichten von drei bis fünfzehn Jahren Zuchthaus wegen »des Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord«. Die Ausstellung konfrontiert die Besucher mit diesem Widerspruch in der rechtlichen Würdigung des Verbrechens – sie visualisiert aber nicht die komplexe juristische Auseinandersetzung über die Gehilfenrechtsprechung, die mit den Mitteln einer historischen Ausstellung für juristische Laien kaum darstellbar scheint. Die Ausstellung will vielmehr dazu anregen, dass sich die Besucher intensiver mit diesem

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Thema beschäftigen; das Studium der Forschungsliteratur kann sie nicht ersetzen. Am Ende des Schachtes werden zuletzt die Grenzen der Strafvollstreckung beleuchtet. Die Abteilung schließt mit den Mitteilungen der Gefängnisse, die den »Abgang« der Gefangenen meldeten. 1963 befand sich nur noch der Hauptangeklagte Hans-Joachim Böhme in Haft. Der frühere Leiter des SD Tilsit, Werner Hersmann, war schon 1961 mit einem Strafrest von 1.660 Tagen entlassen worden. Die Geschichte des Angeklagten Werner SchmidtHammer zeigt exemplarisch die Reintegration eines Täters in den sechziger Jahren. Die Firma Carl Zeiss unterstützte das Gnadengesuch ihres Mitarbeiters und versorgte ihn in der Haft mit Arbeit. Nach der Entlassung konnte der Optikermeister an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Die Resonanz, die das Strafverfahren in der Öffentlichkeit erzeugte, wird in der nächsten Ausstellungsebene behandelt. Eine Collage aus Schlagzeilen und Zeitungsartikeln vermittelt, welche Bedeutung die Presse dem Ulmer Einsatzgruppenprozess zuschrieb. Das Strafverfahren rief ein großes Echo in der Tagespresse hervor. Durch die ausführliche Berichterstattung über alle 60 Verhandlungstage hinweg wurde die Bevölkerung über den Ablauf und die Organisation der Massenerschießungen informiert. Zugleich forderten Journalisten wie der Jurist und Kommentator der Süddeutschen Zeitung, Ernst Müller-Meiningen jr., die »Zufallsjustiz« zu beenden und eine systematische strafrechtliche Verfolgung der NS-Verbrechen einzuleiten. Wie die Zeitungsleser den Ulmer Einsatzgruppenprozess beurteilten, lässt sich im Innern des Schachtes Reaktion der Öffentlichkeit erkunden. Zahlreiche Briefe und Postkarten aus der ganzen Bundesrepublik zeugen von der starken Polarisierung der Gesellschaft im Hinblick auf die NS-Prozesse. Diese Zuschriften an die Staatsanwaltschaft und das Landgericht wurden 1958 in den Handakten der Strafverfolgungsbehörden abgeheftet. Zitate aus den Briefen von Gegnern und Befürwortern treten in der Ausstellung in einen Dialog. Der Aussage »Ich finde es ganz in der Ordnung & nicht mehr wie recht & billig, daß Massenmörder zur Verantwortung gezogen werden« antwortet ein anderes Zitat: »Hören Sie endlich in Deutschland auf mit solchen Prozessen!« Die ausgewählten Originale in den Vitrinen dokumentieren, dass viele Bürger den Prozess aufmerksam verfolgten und die strafrechtliche Verfolgung der NS-Täter für eine wichtige Aufgabe des Rechtsstaats hielten. Andere befürchteten, die »innere Ruhe unseres Volkes« könnte durch die Prozesse gestört werden. Mit dem Bereich Systematische Ahndung endet die Darstellung des Prozesses und seiner juristischen Folgen. Der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Erich Nellmann nutzte die Pressedebatte nach dem Ulmer Gerichtsurteil, um in der Stuttgarter Zeitung vom 3. September 1958 nochmals eindringlich für die Gründung einer zentralen Ermittlungsbehörde zu werben. Der Justizmi-

Zum Drehbuch einer Ausstellung

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nister von Baden-Württemberg, Wolfgang Haußmann, griff die Anregungen Nellmanns schließlich auf und überzeugte seine Kollegen aus den anderen Bundesländern auf einer Konferenz in Bad Harzburg von der Bildung einer zentralen Justizbehörde, die Recherchen zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen koordinieren sollte. Sein Redemanuskript vom Oktober 1958, das neben dem Artikel Nellmanns hängt, enthält zahlreiche Stichworte aus den Schreiben des Generalstaatsanwalts. Filmberichte, die sich an einer Medienstation abrufen lassen, reflektieren die Arbeit der Zentralen Stelle in Ludwigsburg kritisch. Der erfolgreichen Archivarbeit der Justizbehörde und der vorbildlichen Dokumentation nationalsozialistischer Massenverbrechen steht die geringe Verurteilungsquote der Gerichte gegenüber. Die ernüchternden Zahlen sind an der Wand zu lesen. Von 1945 bis heute verurteilte die westund bundesdeutsche Justiz nur 6.498 NS-Täter. 167 Personen erhielten eine lebenslange Freiheitsstrafe. Dass die Dokumentation der Verbrechen vor Gericht trotzdem einen »Tropfen Gerechtigkeit« für die Opfer bedeutete, darauf verweist zum Schluss ein Originalton des Juristen Adolf Arndt aus der Bundestagsdebatte vom 10. März 1965 über die Verjährung von Mord. Ein Prozess lässt sich in einer Ausstellung erzählen. Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, mussten bei der Ausarbeitung des Drehbuchs jedoch mehrere Probleme bewältigt werden. Justizakten sind eine äußerst spröde Grundlage für eine Ausstellung. Es war zunächst notwendig, den ausgewählten Aktenstücken durch die Ausstellungsarchitektur einen Interpretationsrahmen zu geben, der zugleich die Erzählung gliederte. Bei der inhaltlichen Konzeption der Ausstellung sollten zudem die Wiederholungen vermieden werden, die einem Strafverfahren innewohnen. Der Vernehmung der Beschuldigten und Zeugen im Ermittlungsverfahren folgt die Befragung derselben Personen vor Gericht. Der Recherche von Beweismitteln ihre Präsentation während der Verhandlung. Die Ausstellung begegnet diesem Problem, indem sie in den Bereichen Umfangreiche Ermittlungen und Prozess unterschiedliche Aspekte des Strafverfahrens in den Vordergrund rückt. Bei der Darstellung des Ermittlungsverfahrens wurde der Blick auf die Probleme bei der historischen Rekonstruktion eines komplexen Massenverbrechens gelenkt. Bei der Visualisierung des Prozesses hingegen ging es vorrangig um die rechtliche Würdigung des nationalsozialistischen Massenmords. Da die beiden Bereiche andere Akzente setzten, stellte die unterschiedliche Überlieferungsdichte des Vor- und Hauptverfahrens kein Problem dar. Mit zahlreichen Skizzen, Protokollseiten und Briefen ließ sich die These der Abteilung Umfangreiche Ermittlungen am Besten unterstützen: Der Staatsanwalt Zufall wurde von akribischen und weltweiten Recherchen abgelöst. Die unterschiedliche Interpretation des Verbrechens durch die einzelnen Prozessbeteiligten konnte durch die Reduktion

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auf Kernaussagen eher verdeutlicht werden als durch die erneute Präsentation von Aktenbergen. Die Sichtweisen von Zeugen, Angeklagten, Staatsanwälten, Verteidigern und Richter lassen sich durch Ton- und Filmdokumente besonders eindringlich vermitteln. Eine Ausstellung kann im Gegensatz zu einem Buch alle Sinne ansprechen. Sie sollte sich nicht auf die Präsentation von Justizakten beschränken. Ebenso wichtig wie der Wechsel zwischen den Perspektiven der Prozessbeteiligten ist die Kombination schriftlicher Unterlagen mit Ton- und Filmdokumenten.

Annotierte Bibliographie Der Aufbau und die Themen der Ausstellung werden im Katalog dokumentiert: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Die Mörder sind unter uns. Zum Ulmer Einsatzgruppenprozess sei einführend überdies verwiesen auf Fröhlich, Die Gründung der Zentralen Stelle und Miquel, Ahnden oder Amnestieren. Eine frühe Dokumentation des Gerichtsurteils liegt vor mit KZ-Verbrechen vor deutschen Gerichten, Bd. II. Zur Darstellung von Themen der Zeitgeschichte in Museen und historischen Ausstellungen siehe auch die Debatte in Heft 4 (2007), 1+2 der Zeithistorischen Forschungen: Zürndorf, Zwischen Event und Aufklärung: Zeitgeschichte ausstellen. Als weiteres Beispiel für eine Ausstellung über NS-Verfahren siehe den Katalog des Fritz Bauer Instituts Wojak, Auschwitz-Prozeß 4 Ks 2/63.

Forschungspraxis: vom Finden der Quellen

Andreas Kunz

Weder Täterschutz noch bürokratischer Selbstzweck Archivgesetzliche Grundlagen der Benutzung von NSG-Verfahrensakten

Die wissenschaftliche Auswertung von Ermittlungs- und Strafprozessakten, die im Zusammenhang mit der Aufarbeitung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen durch die deutsche Nachkriegsjustiz entstanden sind, ist ein alltägliches Benutzungsanliegen in deutschen Archiven. Dabei stehen Fragen der Recherchierbarkeit und des methodischen Umgangs im Vordergrund, wohingegen die Rechtsgrundlagen der Archivbenutzung, so der Eindruck aus dem Archivalltag, nur selten das Interesse von Archivbenutzern finden. Die folgenden Ausführungen wollen deshalb Leser mit einschlägigen wissenschaftlichen Forschungsinteressen mit den wichtigsten Rechtsgrundlagen ihrer Archivbenutzung vertraut machen und sie zugleich für die Verantwortung sensibilisieren, die ihnen bei der Verwendung der aus der Archivbenutzung erlangten Informationen persönlich zukommt. Noch nicht alle Unterlagen, die im Zusammenhang mit der Strafverfolgung der NS-Täter entstandenen sind, haben ihren Weg in die Archive gefunden. Eine kleinere Menge, insbesondere die jüngsten Unterlagen, befinden sich noch in den Registraturen von Staatsanwaltschaften und Gerichten. Die Auskunftserteilung und Akteneinsicht ist durch §§ 474 ff. StGB geregelt. Bei der Genehmigung des Aktenzugangs orientieren sich die Justizbehörden an den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiSTBV). Ergänzend sei hier auch auf die Sonderstellung der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR hingewiesen, dessen konspirative Ermittlungsarbeit in Sachen nationalsozialistische Gewaltverbrechen (NSG) ihren Niederschlag in den sogenannten Zentralen Untersuchungsvorgängen gefunden hat. Für die Benutzung dieses Aktenbestandes ist das StasiUnterlagen-Gesetz (StUG) maßgeblich; es hat die Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU, »Birthler-Behörde, früher »Gauck-Behörde«) geschaffen, welcher die Verwaltung der Unterlagen obliegt.1

1 www.bstu.bund.de.

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Der weitaus größte Teil west- und ostdeutscher NSG-Verfahrensakten befindet sich in den zusammen mehr als drei Dutzend staatlichen Archiven des Bundes und der Länder. Der Verwahrungsort der Unterlagen leitet sich aus dem Archivsprengel ab, d. h. dem Zuständigkeitsbereich der Staatsarchive der Landesarchivverwaltungen. So verwahrt beispielsweise das Generallandesarchiv Karlsruhe die Überlieferung der im Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe angesiedelten Landgerichte Heidelberg, Karlsruhe, Mannheim, Mosbach und Pforzheim sowie der dortigen Staatsanwaltschaften. In der Zuständigkeit des Bundesarchivs liegen insbesondere die Archivierung der Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen (BArch, B 162) sowie weiterer relevanter Archivbestände wie beispielsweise die Überlieferungen des Bundesgerichtshofs (BArch, B 283), der Zentralen Rechtsschutzstelle (BArch, B 305), des Generalbundesanwalts (BArch, B 362) oder des Generalstaatsanwalts der DDR (BArch, DP 3). Die staatlichen Archive sind Teil der öffentlichen Verwaltungen des Bundes und der Länder. Die gesetzliche Regelung ihrer Aufgaben erfolgt, dem föderalen Staatsprinzip entsprechend, durch das Bundesarchivgesetz und die 16 Landesarchivgesetze. Hinzu kommen bundes- und landesarchivspezifische Verordnungen, die Detailfragen der Archivbenutzung regeln. Im Wesentlichen haben die Archivgesetze allerdings den gleichen Inhalt. Dennoch weist die deutsche Archivgesetzgebung nicht nur terminologische Unterschiede, sondern auch Differenzen in den einzelnen Regelungsgehalten auf. Da staatliche Archive nur öffentlich-rechtlich benutzt werden können, bedarf die Archivbenutzung immer eines förmlichen Antrags- und Genehmigungsverfahrens. Archivgut, das heißt öffentliches Kulturgut, soll benutzt werden! Das Selbstverständnis der Archive, Geheimarchive der Staatsgewalt zu sein, ist schon lange Geschichte. Archive sind vielmehr wichtige Träger unserer modernen Wissens- und Informationsgesellschaft. Es ist deshalb nur konsequent, wenn etwa das Bundesarchivgesetz ausdrücklich Jedermann das grundsätzliche Recht der Archivbenutzung zuerkennt. Gleichwohl gibt es gewichtige Gründe, die eine Archivbenutzung einschränken oder dieser ganz entgegenstehen können. Denn staatliches Archivgut ist aus der behördlichen Aufgabenwahrnehmung von Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung und der Rechtsprechungsorgane entstanden. Darin sind Informationen dokumentiert, deren allgemeine Zugänglichkeit mit einer Vielzahl von Schutzinteressen kollidieren würde. Deshalb müssen Archivbenutzer ihre Benutzung schriftlich unter genauer Angabe von Thema und Zweck beantragen. Auf der Grundlage dieses mehr oder minder formalisierten Benutzungsantrages prüft der zuständige Archivar die Möglichkeiten des Zugangs zum Archivgut bei sachgerechter Abwägung etwa betroffener Rechtsgüter. Übrigens ist die ausführlichere Darlegung des Benutzungsanliegens auch eine wichtige Vor-

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aussetzung dafür, dass der Benutzer umfassend beraten und sein Archivbesuch zielführend vorbereitet werden kann. Zwischen der Aufgabe der Archive einerseits, Informationen zu erhalten und sie der öffentlichen Nutzung für vielfältige Zwecke zur Verfügung zu stellen, und dem Datenschutz andererseits besteht ein gewisser Widerspruch, der letztlich nicht voll aufgehoben werden kann. Denn letztgenannter verbrieft dem Bürger das Recht, über die Verwendung von Informationen, die seine persönlichen oder sachlichen Verhältnisse betreffen, selbst bestimmen zu können. Das Datenschutzrecht unterscheidet nicht zwischen Tätern und Opfern. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts endet das aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht automatisch mit dem Tode des Betroffenen. Es gebietet auch den Schutz von Angehörigen oder Personen, die dem Verstorbenen nahe verbunden waren. Schutzbedürfnis und Schutzverpflichtung schwinden allerdings in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasst. Tatsächlich begegnet dem wissenschaftlich begründeten Anliegen, für eigene Forschungszwecke NSG-Verfahrensakten einzusehen, Ablichtungen daraus zu bestellen und entsprechende Ergebnisse zu publizieren, regelmäßig das Problem, dass dadurch die Persönlichkeitsrechte einer oder mehrerer Personen, auf welche sich die Unterlagen beziehen, tangiert werden. Insbesondere Justizakten enthalten auf nahezu jeder Seite personenbezogene und teilweise selbst über die intimen Lebensverhältnisse eines Menschen Auskunft gebende Informationen. Zu Beginn einer jeden polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen Vernehmung werden der Name des Betroffenen sowie Angaben zu Geburtsdatum und -ort, Wohnanschrift, Familienstand und Beruf protokolliert. Häufig werden die Namen und Adressen von Ehefrauen, geschiedenen Ehepartnern oder von Kindern genannt. Anklage- und Urteilsschriften gehen ausführlich auf die Biographie des Täters ein und lassen seine individuellen Persönlichkeits- und Charakterzüge in die strafrechtliche Würdigung des Fehlverhaltens einfließen. Der Zugang zu unscheinbaren Details kann schwerwiegende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte direkt oder mittelbar Betroffener bedeuten, etwa wenn ein ehemaliger Konzentrationslager-Häftling Homosexualität als Grund für die Einweisung ins Lager angab oder Ablichtungen aus der Patientenakte eines »Euthanasie«Opfers Rückschlüsse auf Erbkrankheiten ermöglichen. Eine bemerkenswerte Zahl staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen wurde, um ein weiteres Beispiel zu nennen, durch Vorwürfe ausgelöst, jemand habe sich während des Krieges am Judenmord beteiligt. Diese erwiesen sich später nicht selten als haltlos; der Hintergrund für diese Anzeigen waren oft Ehe- und Familien- oder Nachbarschafts- und Geschäftskonflikte. Diese wurden in den Ermittlungsakten entsprechend dokumentiert, bevor das Verfahren eingestellt wurde.

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Die Schutzbedürftigkeit derartiger Informationen ist offenkundig. Die Beispiele verdeutlichen auch, dass die normative Regelung des Informationszugangs nicht der Täter-Opfer-Dichotomie folgen kann. Die Verabsolutierung des Schutzgebots würde jedoch der wissenschaftlichen Forschung den Zugang zu wesentlichen Erkenntnisquellen versperren. Gerade die NSGVerfahren und die wissenschaftliche Auswertung des aus ihnen hervorgegangenen empirischen Materials bewirkten in den vergangenen Jahrzehnten die stete Konfrontation der Nachkriegsgesellschaft mit der nationalsozialistischen Barbarei und trugen dadurch wesentlich zur Herausbildung des demokratischen Selbstverständnisses bei, das unsere Zivilgesellschaft kennzeichnet. Zudem verbürgt das Grundgesetz genauso die Informations- und Forschungsfreiheit. Deshalb enthalten die Archivgesetze Regelungen, mit denen ein Ausgleich zwischen den Rechtsgütern des Persönlichkeitsrechts bzw. des Datenschutzes sowie der Forschungsfreiheit herbeigeführt wird. Die Wahrung von Persönlichkeitsrechten stellen die Archivgesetze des Bundes und der Länder durch sogenannte personenbezogene Schutzfristen sicher. Je nach Archivgesetz endet die Schutzfrist 10 bis 30 Jahre nach dem Tode des Betroffenen oder, wenn das Todesjahr nicht feststellbar ist, 90 bis 110 Jahre nach dessen Geburt. Noch nicht erloschene Schutzfristen stehen einer Archivbenutzung zunächst grundsätzlich entgegen. Allerdings räumen die Archivgesetze wissenschaftlichen Forschungsvorhaben die Möglichkeit einer Schutzfristverkürzung ein, sofern das Archivgut für das Gelingen des Forschungsvorhabens unerlässlich ist. Wegen der erforderlichen Rechtsgüterabwägung erfolgt die Schutzfristverkürzung stets nur für das einzelne, klar umrissene Benutzungsanliegen. Die Verwendung von Informationen beispielsweise für einen publizistischen Beitrag, die zuvor im Rahmen eines Dissertationsvorhabens gewonnen wurden, bedarf deshalb der ausdrücklichen, vorherigen Genehmigung durch das Archiv. Der Zugang zu Archivgut unter Verkürzung etwaiger personenbezogener Schutzfristen kann vom Archiv mit Auflagen versehen werden. In der Regel müssen sich Archivbenutzer förmlich dazu verpflichten, dass sie bei der Auswertung ihrer Forschungsergebnisse die Persönlichkeitsrechte und sonstigen schutzwürdigen Belange der in den Unterlagen Betroffenen durch geeignete Maßnahmen wahren. Zu diesem Zweck ist der Personenbezug zu veröffentlichender Informationen aufzuheben, etwa durch Anonymisierung. Benutzungsauflagen können sich auch auf einzelne Unterlagen innerhalb der Verfahrensakten beziehen, die beispielsweise der Schweigepflicht nach § 203 Abs. 1 und 2 StGB (z. B. ärztliche Gutachten) unterliegen, und folglich dem Benutzer die Verwendung entsprechender Informationen oder sogar die Vorlage der einschlägigen Unterlagen versagen. Im Fall der Schutzfristverkürzung wird der Archivbenutzer grundsätzlich dazu verpflichtet, bei der Weitergabe von Archivkopien oder Informationen an Dritte die vorherige

Archivgesetzliche Grundlagen der Benutzung von NSG-Verfahrensakten

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Zustimmung des Archivs einzuholen. Bei Verstößen gegen Benutzungsauflagen, deren prinzipielle Wirksamkeit inzwischen verwaltungsgerichtlich anerkannt ist, sehen die Archivgesetze und Benutzungsverordnungen die Möglichkeit des sanktionierenden Ausschlusses des Benutzers von der weiteren Archivbenutzung vor. Aus dem Umstand, dass personenbezogene Daten bereits an anderen Stellen veröffentlicht wurden, kann der Archivbenutzer nicht automatisch der Wegfall seiner eigenen Verpflichtung zur entsprechenden Wahrung von Persönlichkeitsrechten folgern. Allerdings lässt sich für das Gebot der Anonymisierung keine für alle Fälle gleich anzuwendende Regelung erstellen. Möglich sind offene Namensnennungen dann, wenn ein Betroffener zuvor seine Zustimmung gegeben hat oder die entsprechende Schutzfrist abgelaufen ist. Auch die Nennung von Inhabern offizieller Ämter und Funktionen ist unproblematisch, wenn diese Informationen aus den allgemein zugänglichen amtlichen Unterlagen des NS-Staates, etwa Stellenbesetzungspläne des Reichssicherheitshauptamtes, ersichtlich ist. Ein Abweichen erscheint nur dann statthaft, wenn dies wissenschaftlich zwingend erforderlich ist. Das Argument der besseren Lesbarkeit spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Bei Personen der Zeitgeschichte ist das Recht auf Persönlichkeitsschutz geringer, weil dieser Personenkreis freiwillig am öffentlichen Leben teilnimmt. Während allerdings absolute Personen der Zeitgeschichte, insbesondere Politiker, generell der öffentlichen Kritik unterworfen sind, gilt dies bei relativen Personen der Zeitgeschichte nur für den spezifischen Sachverhalt, durch den sie öffentliches Interesse erregt haben. Ein Beispiel dafür lieferte der seinerzeit 92-jährige Erich Steidtmann, der im Jahre 2007 eine Zivilklage gegen den Verleger der Lebenserinnerungen seiner früheren Geliebten anstrengte. Steidtmann sah durch die Veröffentlichung seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Der Angelegenheit wurde in dem Moment öffentliche Aufmerksamkeit zuteil, als Steidtmann von sich aus in Interviews seine Rolle u. a. bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes im Jahre 1944 in ebenso verzerrter wie apologetischer Art und Weise schilderte.2 Selbstverständlich müssen auch bei Personen der Zeitgeschichte deren Intimsphäre sowie die der nächsten Angehörigen respektiert werden. Täglich nimmt die Zahl noch lebender Zeitzeugen der nationalsozialistischen Einzel- und Massenverbrechen, die im weitesten Sinne sowohl der Täter- als auch der Opferseite angehörten, ab. Die aus gesetzlichen Vorgaben des Persönlichkeitsschutzes resultierenden Einschränkungen bei der Archivbe2 Die Klage wurde vom Landgericht Leipzig abgewiesen. Vgl. Streit um One-Night-Stand eines SS-Offiziers, in: Die Welt online vom 8.11.2007, www.welt.de/kultur/article1341609/ Streit_um_One-Night-Stand_eines_SS-Offiziers.html und »Esra« und die Folgen, in: Die Welt online vom 18.12.2007, www.welt.de/welt_print/article1472559/Esra_und_die_Folgen.html .

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nutzung von NSG-Verfahrensakten werden damit in absehbarer Zeit fortfallen. Aktuell unterliegen die Archivgesetze des Bundes und der Länder auch durch den Erlass von Informationsfreiheitsgesetzen einem Modernisierungsdruck – wobei die Konkurrenz der Rechtsgüter Datenschutz und Aktenzugang nichtsdestoweniger weiterbestehen wird. Ungeachtet aller kommenden Veränderungen wird sich die zeitgeschichtliche Forschung auch in Zukunft mit den rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Archivbenutzungen auseinandersetzen müssen. Dass die Akten der Strafverfahren zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen trotz rechtlicher Einschränkungen seit nunmehr zwei Jahrzehnten der zeitgeschichtlichen Forschung als wichtiger Rohstoff für ihren in beispielloser Publikationsfülle dokumentierten Erkenntnisfortschritt dienen, belegt gleichwohl den forschungsfreundlichen Charakter der archivgesetzlichen Bestimmungen und ihrer Anwendung durch die Archivare.

Annotierte Bibliographie Hinweise auf den Umgang mit personenbezogenen Unterlagen am Beispiel der ZStL gibt auch Borgert, Justizunterlagen und Archive. Nicht mehr auf dem neuesten Stand, für die grundsätzliche Diskussion aber noch lesenswert ist Weber, Datenschutz und Forschungsfreiheit. Die Archivgesetze der Länder können über eine Seite der Archivschule Marburg abgerufen werden (→ Links).

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Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen

Bestandsbeschreibung und Forschungsmöglichkeiten

Innerhalb der Überlieferung bundesdeutscher Verfahrensakten zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nehmen die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg (ZStL) eine Sonderstellung ein: Der Archivbestand bietet der wissenschaftlichen Forschung den Benutzungskomfort einer verdichteten, kompakten Aktenlage und darüber hinaus noch weitere, hilfreiche Forschungs- und Recherchemöglichkeiten. Die Einrichtung der Zentralen Stelle im Jahre 1958 war die Folge einer Krise des Justizsystems der Bundesrepublik, das verstärkt mit innen- wie außenpolitischen Vorwürfen konfrontiert wurde, die Strafverfolgung der NS-Täter nur unzureichend betrieben zu haben. Die neue Sonderbehörde erhielt, ohne dafür mit eigenen Exekutivbefugnissen ausgestattet zu werden, den Auftrag, nationalsozialistische Gewaltverbrechen systematisch nach Ort und Zeit aufzuklären mit dem Ziel, den Kreis der strafrechtlich noch verfolgbaren Tatbeteiligten festzustellen. Auf die Vorermittlungen der Zentralen Stelle bauen seither die meisten der förmlichen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften auf. Die regulären Strafverfolgungsbehörden sind im Gegenzug gehalten, die Zentrale Stelle vom Fortgang sämtlicher einschlägiger Ermittlungen in Kenntnis zu setzen. Darüber hinaus unterstützt die Zentrale Stelle die Staatsanwaltschaften und Gerichte durch Informations- und Materialtransfer. Sie setzt ihre Tätigkeit bis heute fort. Im Verlauf der zurückliegenden fünf Jahrzehnte ist daraus ein Bestand mit einem Umfang von etwa 70.000 Aktenbänden entstanden. Zu den meisten der an bundesdeutschen Staatsanwaltschaften und Gerichten eingeleiteten Verfahren zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen (NSG) liegt in Ludwigsburg eine Komplementärüberlieferung vor. Dabei handelt es sich um komprimierte Akten, die in der Regel von Schriftstücken unwesentlichen Inhalts frei sind und sich zu über 90 % aus Vernehmungsniederschriften, Sachstandsvermerken, Verfügungen, Anklagen und Urteilen zusammensetzen.

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Auch zu vielen west- bzw. bundesdeutschen NSG-Verfahren aus der Zeit vor 1958 liegen auszugsweise Ablichtungen vor. Hinzu kommen verschiedene Aktenkomplexe, die ausschließlich dort überliefert sind: zahllose Überprüfungsvorgänge zu Einzelpersonen oder Einrichtungen wie etwa KZ-Nebenlagern, die keine staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zur Folge hatten und dennoch einen hohen historischen Quellenwert besitzen; Dokumentationen des infolge der Ermittlungsarbeit entstandenen historischen und rechtswissenschaftlichen Spezialwissens; eine umfassende Sammlung von Ablichtungen einschlägiger Quellen des NS-Staates, die aufwändig in osteuropäischen Archiven und anderen staatlichen Einrichtungen und Institutionen recherchiert wurden; allgemeine Dienstakten, die insbesondere über die strukturellen Bedingungen der Ermittlungsarbeit, etwa den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland, Auskunft geben. Ein Beispiel für die verdichtete Überlieferung der Zentralen Stelle liefern die Ermittlungen gegen Angehörige des III. Bataillons des SS-Polizeiregiments 22 wegen deren Teilnahme an Einzel- und Massenverbrechen zwischen Sommer 1943 und Frühjahr 1944 im damaligen Generalgouvernement. Systematisch wurde seitens der Zentralen Stelle den Hinweisen auf Tötungshandlungen in den regionalen Einsatzräumen der Einheiten nachgegangen und dadurch flächendeckend die Beteiligung der Bataillonsangehörigen sowohl an den planmäßigen Vernichtungsaktionen als auch den mehr oder minder auf eigene Initiative begangenen Gewaltverbrechen aufgeklärt. In die umfangreichen und aussagekräftigen Ludwigsburger Akten integriert sind Mehrfertigungen aus den Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften Darmstadt, Karlsruhe, Göttingen, Dortmund und Hamburg, die in die Aufklärung und Strafverfolgung dieses Verbrechenskomplexes involviert waren. Während die Erstüberlieferung der Staatsanwaltschaften an verschiedenen Orten verwahrt wird, die mehrere Hundert Kilometer voneinander entfernt liegen, ermöglichen die Unterlagen der Zentralen Stelle den schnellen, konzentrierten Einstieg in die Verfahrensüberlieferung. Der herausgehobene Quellenwert der Unterlagen der Zentralen Stelle bemisst sich aus dem Umstand, dass Archivrecherchen hier besonders effektiv und effizient durchgeführt werden können. Regionale, gruppen- bzw. einheitsspezifische sowie individualbiographische Forschungsvorhaben finden in Ludwigsburg exzellente Rahmenbedingungen vor. Dies liegt, neben der Fülle an Unterlagen, an einzigartigen Findhilfsmitteln. Sie sind das Ergebnis eines den Erfordernissen der systematischen Aufklärungstätigkeit der Zentralen Stelle entsprechenden Informationsmanagements. Als zentrales Datenspeichermedium fungierte die zuletzt auf etwa 1,6 Millionen Karteikarten angewachsene sogenannte Zentralkartei. Diese gliedert sich in drei Teilkomplexe: Eine Personenkartei enthält fast 700.000 Namenseinträge mit biographischen Angaben und Hinweisen zu Ämtern und Funktionen. Vor allem

Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen

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Abb. 1: Personenkartei der Zentralen Stelle Ludwigsburg mit Karteikarte Wilhelm Boger, SS-Oberscharführer, KZ Auschwitz (Bundesarchiv; Foto: A. Kunz).

aber weist sie Fundstellen aus, welche Dokumente sich beispielsweise auf einen Beschuldigten beziehen oder an welcher Stelle, d. h. mit Band- und Seitenangabe (!), dieser selbst etwas zu Protokoll gegeben hat. Eine Ortskartei zu mehr als 26.000 Orten und sonstigen geographischen Begriffen ermöglicht die zielgerichtete Recherche in den Verfahrensakten. Die Kartei kann mit einem den ganzen damaligen deutschen Machtbereich umfassenden, detailliert gearbeiteten Kataster der NS-Verbrechen verglichen werden, das vom Polarkreis bis nach Nordafrika, von den Pyrenäen bis in die Täler des Kaukasus reicht. Eine Einheitenkartei enthält Verweise auf insgesamt mehr als 4.200 politische, Verwaltungs-, parteiamtliche, sicherheitspolizeiliche, militärische und andere Institutionen, Einrichtungen und Einheiten des NS-Staates, die in den Unterlagen der Zentralen Stelle »aktenkundig« sind. Neben der Kartei beinhaltet schließlich eine Verfahrensübersicht die wichtigsten inhaltlichen und strafprozessualen Informationen zu allen der Zentralen Stelle bekannt gewordenen west- bzw. bundesdeutschen NSG-Verfahren. Deren Datenbestand bildete das Fundament für das von Mitarbeitern des Instituts für Zeitgeschichte erstellte Inventar der westdeutschen Justizverfahren zu NS-Verbrechen (→ Eichmüller). Die speziellen Ludwigsburger Findhilfsmittel ermöglichen eine Art Metarecherche in bundesdeutschen NSG-Verfahrensakten. Archivbenutzer können hier sowohl verfahrens- als auch archivbestandsübergreifend nach verschie-

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denen Kriterien recherchieren. Mittels einer personenbezogenen Karteiabfrage können sämtliche, d. h. über den engeren Kreis der Beschuldigten oder Angeklagten hinausreichenden Personen, die im Zusammenhang mit der Aufklärungsarbeit der Zentralen Stelle im weitesten Sinne »aktenkundig« geworden sind, zielgerichtet recherchiert werden. Dies gilt sowohl für den punktuellen Zugriff auf die Niederschrift einer einzelnen zeugenschaftlichen Vernehmung, etwa des jüdischen Dienstboten des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höss, als auch für das Aufspüren eines regelrechten AussagenMosaiks von Angehörigen der T4-Organisation, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten in verschiedenen Verfahren, mal in der Rolle des Beschuldigten, mal als Zeugen, ausgesagt haben. Die von der Zentralen Stelle jahrzehntelang betriebene Aktenauswertung relevanter Informationen und deren karteimäßige Erfassung war übrigens von so hoher Güte, dass sich die Zentralkartei heute regelmäßig als ein ebenso umfassendes wie zuverlässiges Rechercheinstrument zur Unterstützung von Archivbenutzungen bewährt. Die Möglichkeit des schnellen, bequemen Zugriffs durch diese Findhilfsmittel sollte nun nicht dazu verleiten, aus dem Kontext der Verfahrensakten einem Steinbruch gleich »passende« Quellen herauszulösen. Abgesehen von dem dezidiert juristischen Blickwinkel, unter dem die Ermittlungsakten insgesamt entstanden sind, weist die in Gestalt von Vernehmungsniederschriften und Aussageprotokollen geronnene spezifische Form der oral history doch weitreichende quellenkritische Imponderabilien auf. Eine Kernforderung des wissenschaftlichen Umgangs mit den Aussagen aus NSG-Verfahren ist deshalb ist die Reflexion darüber, in welcher Situation ein Betroffener etwas zu Protokoll gab und in welcher Position sich dieser zum damaligen Geschehen befand. Das quellenkritische Gebot der vergleichenden Betrachtung unterstützen gerade die besonderen Ludwigsburger Findhilfsmittel. Zielgerichtet können Abweichungen und Unterschiede im Aussageverhalten ein- und derselben Person festgestellt und überprüft werden. Gleiches gilt für die Plausibilitätsprüfung etwa von Opferzeugenaussagen zu einem bestimmten Sachverhalt. Der orts- oder einheitenbezogene Zugriff ermöglicht die umfassende Recherche von Quellenmaterial auch über die Grenzen des einzelnen Verfahrens hinweg. Es lassen sich beispielsweise Einzelaussagen jedweder staatsanwaltschaftlicher Provenienz betreffend einen kleinen Ort in Weißrussland ebenso recherchieren wie flächendeckendes Quellenmaterial zu einem KZNebenlager, einem Gendarmerieposten im Distrikt Radom oder etwa zur Tätigkeit des Sonderkommandos R der Volksdeutschen Mittelstelle. Dass sich diese Zugangsmöglichkeiten in besonderem Maße für institutionsgeschichtliche und gruppenbiographische Forschungsansätze eigenen, bedarf hier keiner weiteren Ausführung. Die Unterlagen der Zentralen Stelle sind seit gut zwei Jahrzehnten als ein wichtiger zeitgeschichtlicher Quellenbestand zur Verbrechensgeschichte des

Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen

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»Dritten Reichs« etabliert. Die verbesserte Zugänglichkeit auch der staatsanwaltschaftlichen Akten nach Übernahme und Erschließung durch die zuständigen Landesarchive wirft verstärkt die Frage auf, welcher Überlieferung der Vorzug gegeben werden soll. Methodisch beschreibt eine solche Sichtweise den Holzweg, der forschungskonzeptionell in die ressourcenzehrende Sackgasse führen kann. Die Unterlagen der Zentralen Stelle und die in den Landesarchiven verwahrte Überlieferung der Staatsanwaltschaften und Gerichte stehen in keinem Konkurrenzverhältnis zueinander. Die Relevanz der jeweiligen Archivbestände hängt maßgeblich vom individuellen Forschungsansatz ab. Dem Aspekt, dass die staatsanwaltschaftlichen Akten die gegebenenfalls vollständigere Überlieferung darstellen, sollte natürlich Rechnung getragen werden. Andererseits bietet der Ludwigsburger Archivbestand gute Möglichkeiten, sich schnell einen zuverlässigen Überblick über die Überlieferung zu verschaffen. Aber insbesondere die allein hier gegebenen multiperspektivischen Recherchemöglichkeiten lassen es jedem Interessierten angeraten sein, zumindest in der Anfangsphase seiner Forschungen zweigleisig vorzugehen, d. h. beide Überlieferungsstränge zu berücksichtigen. Der überwiegende, nicht mehr für aktuelle Zwecke der Strafverfolgung benötigte Teil der Unterlagen der Zentralen Stelle wird durch das Bundesarchiv dauerhaft gesichert und für Benutzer zugänglich gemacht. Dazu wurde am Dienstsitz der Zentralen Stelle eine Außenstelle des Bundesarchivs eingerichtet, die zuständig ist für Auskunftserteilung und die Akteneinsichtnahme. Die Archivbenutzung unterliegt den Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes sowie weiterer Rechtsbestimmungen (→ Kunz, Archivrecht). Die Unterlagen der Zentralen Stelle bilden zusammen den Archivbestand B 162. Die Akten wurden neu signiert und werden mittelfristig durch ein Online-Findbuch frei recherchierbar sein. Ältere Fundstellenangaben, die auf den früheren Aktenzeichen der Zentralen Stelle beruhten, bleiben recherchierbar. Aus rechtlichen und konservatorischen Gründen können Benutzer nicht selbständig auf die Zentralkartei zugreifen. Die Recherche wird von den Archivmitarbeitern vorgenommen; die Ergebnisse werden Archivbenutzern unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsbestimmungen zur Verfügung gestellt. Mittel- bis langfristig ist auch die Digitalisierung und Zugänglichmachung der Zentralkartei geplant.

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Annotierte Bibliographie Als Einführung in die Geschichte der Strafverfolgung der NS-Verbrechen und die Tätigkeit der Zentralen Stelle besitzen die älteren, halboffiziellen Veröffentlichungen des ehemaligen Leiters der Zentralen Stelle nach wie vor Gültigkeit: Rückerl, Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen sowie Rückerl, NS-Prozesse. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Zentralen Stelle im Jahre 2008 erschienen: Pöschko, Die Ermittler von Ludwigsburg; Schrimm / Riedel, 50 Jahre Zentrale Stelle; Weinke, Eine Gesellschaft ermittelt gegen sich selbst. Eine Einführung in die Archivbenutzung der Unterlagen der Zentralen Stelle, die neben allgemeinen und exemplarischen Beiträgen auch eine quellenkundliche Handreichung für die Arbeit mit NSG-Verfahrensakten umfasst, bietet Die Außenstelle Ludwigsburg; die Veröffentlichung ist als »Mitteilungen aus dem Bundesarchiv« auf der Website des Bundesarchivs zugänglich. Ebenfalls einführend in Geschichte und Bestände der ZStL Kunz, NS-Verbrechen. Nicht mit der ZStL als einer länderübergreifenden Behörde für Vorermittlungen zu verwechseln sind die 1961 als Schwerpunktstaatsanwaltschaften bei den Staatsanwaltschaften Dortmund und Köln eingerichteten Zentralstellen im Land Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen: Die Zentralstellen zur Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen sowie Rondholz, Dortmund zum Beispiel; Weber, Die Kölner Zentralstelle.

Andreas Eichmüller

Die Datenbank des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin zu allen westdeutschen Strafverfahren wegen NS-Verbrechen

Die Akten von Strafverfahren wegen NS-Verbrechen sind seit den 1980er Jahren in zunehmendem Maße als Quellen zur Erforschung der Geschichte des Nationalsozialismus entdeckt und genutzt worden. Mittlerweile bilden sie eine nahezu unentbehrliche Quellengattung. Freilich auch eine, deren Benutzung mitunter längere Vorrecherchen nötig macht. Denn zunächst stellt sich das Problem, wie man überhaupt feststellen kann, welche Strafverfahren zu einer bestimmten Thematik stattgefunden haben. Über die besten Unterlagen darüber verfügte bislang wohl die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Straftaten in Ludwigsburg (ZStL, → Kunz, Zentrale Stelle). Sie besitzt eine Verfahrens-, eine Personen- und eine Ortskartei sowie eine elektronische Verfahrensdatenbank. Allerdings sind in diesen Hilfsmitteln die Strafverfahren, die ohne Beteiligung der Zentralen Stelle durchgeführt wurden – also vor allem diejenigen aus der Zeit vor 1960 – nur recht unvollständig erfasst. Außerdem weiß man nach der Feststellung eines bestimmten Verfahrens immer noch nicht, wo sich dessen Originalakten befinden. Dieses Fehlen eines zentralen Verzeichnisses aller Strafverfahren wegen NS-Verbrechen bildete den Ausgangspunkt des hier vorzustellenden Projektes, dessen Ziel es war, alle von westdeutschen Justizbehörden seit 1945 wegen NS-Verbrechen geführten Strafverfahren nach bestimmten, für die Forschung relevanten Kriterien zu erfassen – also nicht nur die Prozesse, sondern auch die viel zahlreicheren eingestellten Ermittlungsverfahren. Darüber hinaus sollte der Verbleib der zugehörigen Verfahrensakten festgestellt werden. Strafrechtliche Ermittlungsverfahren werden von Staatsanwaltschaften geführt, die Staatsanwaltschaften sind aktenführende Behörde und bleiben dies auch, wenn es zu einem Gerichtsprozess kommt (→ Finger). Die einschlägigen Akten waren daher in den Registraturen der Staatsanwaltschaften zu suchen oder in den Beständen der entsprechenden Staatsanwaltschaften bei den zuständigen Archiven, mit Ausnahme einiger früher Prozesse vor Amtsgerichten, die in deren Bestände übergingen. In den Jahren 1999–2007

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wurde von den Projektmitarbeitern in 34 Landesarchiven und bei 102 Staatsanwaltschaften nach den Verfahrensakten recherchiert, mehr als 50.000 Aktenbände zur Erhebung der Informationen für die Datenbank wurden ausgewertet und zahlreiche weitere kurz gesichtet. Es stellte sich heraus, dass die Staatsanwaltschaften meist die Akten ihrer bis etwa Mitte der 1970er Jahre eingeleiteten Strafverfahren bereits an die Archive abgegeben hatten, teilweise war dies sogar schon für die Akten der bis in die 1990er Jahre begonnenen Verfahren der Fall. Der Erschließungszustand der Akten in den Archiven ist recht unterschiedlich. – Für einige Staatsanwaltschaften gibt es relativ detaillierte Findbücher zu NS-Verfahren, etwa zur Staatsanwaltschaft München II im Staatsarchiv München oder zur Staatsanwaltschaft Hannover im Hauptstaatsarchiv Hannover. Allerdings erfassen solche Findbücher nicht immer alle Strafverfahren wegen NS-Verbrechen. Manchmal findet sich auch in den Findmitteln zu den übrigen Strafverfahren einer Staatsanwaltschaft noch das eine oder andere NS-Verfahren, oder das Findbuch umfasst nur die Zeit, in der es bei der Staatsanwaltschaft eine separate Abteilung für NS-Verbrechen gab – so etwa im Fall der Staatsanwaltschaft Stuttgart im Staatsarchiv Ludwigsburg. – In der Regel sind die Akten aber Teil des Gesamtbestandes einer Staatsanwaltschaft. Die archivische Verzeichnung dieser Akten umfasst dann in den meisten Fällen die Namen der Beschuldigten, einen kurzen Tatvorwurf mit Tatort und Tatzeit, wichtige Aktenteile, die Laufzeit und ehemalige Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts. – In nicht wenigen Fällen sind die Akten aber bei den Archiven noch gar nicht verzeichnet. Das heißt, dort liegen zur Auffindung allein die Abgabelisten der Staatsanwaltschaft vor, die das Aktenzeichen, den Namen des Hauptbeschuldigten, den Straftatbestand nach dem Strafgesetzbuch (also etwa Mord, Totschlag oder Körperverletzung) und die Laufzeit umfassen. Hier ist es also unbedingt notwendig das Aktenzeichen oder den Namen des Beschuldigten zu wissen, um ein Verfahren aufzufinden. Bereits zu Beginn des Projekts wurden deshalb die Verfahrenskartei der ZStL sowie 50 Aktenordner mit Listen einschlägiger Strafverfahren erfasst, die von den Staatsanwaltschaften 1965 im Auftrag der Bundesregierung zusammengestellt worden sind. Die Überlieferungslage ist wenig einheitlich. Im Ergebnis konnten die Originalakten von etwa zwei Drittel aller Verfahren aufgefunden werden, in einigen Fällen allerdings nur noch stark ausgedünnt. Für das verbleibende Drittel der Verfahren sind die Originalakten mit größter Wahrscheinlichkeit

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irgendwann in der Vergangenheit ganz vernichtet worden oder verloren gegangen. Darunter befinden sich auch einige neuere Akten, bei denen nicht auszuschließen ist, dass sich diese im Laufe der Zeit doch noch wieder finden und nur etwa wegen der zahlreichen Versendungen und Aktenumzüge »außer Kontrolle geraten« sind, wie es in der Amtssprache heißt. Bei Aktenverlust bieten teilweise Parallelüberlieferungen Ersatz. Solche finden sich aufgrund des zumindest in einigen Bundesländern seit 1945 recht intensiven Berichtswesens besonders in den Aktenbeständen der den Staatsanwaltschaften übergeordneten Behörden, also der Generalstaatsanwaltschaften und Justizministerien; für die Frühzeit außerdem in den Beständen der alliierten Militärregierungen sowie des Zentraljustizamts und des Obersten Gerichtshofs der Britischen Zone. In einigen weiteren Fällen fand sich die einzig noch vorhandene Ausfertigung eines Urteils bei Yad Vashem in Jerusalem, im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte in München oder in der Urteilssammlung »Justiz und NS-Verbrechen« (→ de Mildt / Rüter). Für Strafverfahren, die ab Anfang der 1960er Jahren eingeleitet wurden, ist außerdem in der Regel eine mehr oder minder dichte Parallelüberlieferung in den Beständen des Bundesarchivs in Ludwigsburg vorhanden (→ Kunz, Zentrale Stelle). Durch Recherchen in den genannten Aktenbeständen gelang es, für ein weiteres Zehntel der Verfahren noch Aktenteile (meist die wichtigsten Entscheidungen wie Anklageschriften oder Urteile) aufzufinden. Aber selbst unter Berücksichtigung aller möglichen Parallelüberlieferungen sind für etwa ein Viertel aller Strafverfahren wegen NS-Verbrechen keinerlei Akten mehr festzustellen. Betrachtet man allein die NS-Prozesse, also diejenigen Verfahren, bei denen es zu Anklage, Hauptverhandlung und Urteil kam, ist die Überlieferungslage zwar etwas günstiger, jedoch fehlen auch zu einem Viertel der Prozesse die Originalakten. Hier ist allerdings die Wahrscheinlichkeit, Parallelüberlieferungen zu finden, etwas höher. Bei einem Zehntel aller Prozesse endete die dahingehende Suche aber ohne Erfolg. Um zu diesen noch weitere Informationen zu erhalten, wurden einschlägige Tages- und Verfolgtenzeitungen, zusätzliche Verfahrenslisten sowie einige staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister ausgewertet. Für einige Prozesse blieb es jedoch bei rudimentären Informationen über Aktenzeichen, Beschuldigtennamen und Verfahrensausgang. Eine besonders hohe Verlustrate von fast der Hälfte ergab sich bei eingestellten Verfahren der Jahre von 1945 bis 1960. Die Ursache dafür ist in der Aussonderungspraxis bei Justizakten (→ Finger) zu suchen, die bei eingestellten Verfahren in der Regel eine Ausscheidung nach fünf Jahren vorsieht; zum Teil galt dies auch für Prozesse, die mit Freispruch oder Einstellung endeten. Zwar bestand daneben auch die Faustregel, geschichtlich wertvolle Akten von einer Aussonderung auszunehmen. Jedoch fehlte es den zuständi-

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gen Staatsanwälten, deren Aufgabe es war, die Akten entsprechend zu kennzeichnen, offenbar manchmal an dem notwendigen Geschichtsbewusstsein oder eine Kennzeichnung unterblieb aus Nachlässigkeit. Zudem kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass Akten bewusst der Vernichtung anheim gegeben wurden. Meist erst Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre wurden Vorschriften erlassen, die Akten von Strafverfahren wegen NS-Verbrechen dauernd aufzubewahren, die freilich nicht immer in vollem Umgang befolgt wurden. Von Bundesland zu Bundesland, aber auch von Staatsanwaltschaft zu Staatsanwaltschaft bestehen bei der Überlieferung erhebliche Unterschiede. Überdurchschnittlich hoch ist der Aktenverlust in den Bundesländern Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Bei den Staatsanwaltschaften ragt als besonderes Negativbeispiel Duisburg heraus. Von dort fehlen die Akten aller eingestellten Verfahren und von drei Vierteln aller durchgeführten Prozesse. Bei der Staatsanwaltschaft Hamburg fehlen 95 % der Akten der eingestellten Verfahren der Zeit vor 1960, bei der Staatsanwaltschaft Bochum 89 %. Aber nicht überall sieht es so schlecht aus; einige kleinere Staatsanwaltschaften wie Detmold, Landshut, Lüneburg oder Weiden können sogar eine nahezu vollständige Überlieferung vorweisen. Die Datenbank gliedert sich in fünf verknüpfte Tabellen mit insgesamt 71 Datenfeldern für jedes Verfahren. Der Benutzer kann die Daten in einer Formularmaske einsehen und eine Volltextsuche tätigen. Darüber hinaus sind komplexere Abfragen mit einer Kombinationen verschiedener Suchbegriffe und -merkmale möglich. Grob sind sieben Gruppen von Informationen zu unterscheiden: – Verfahrensbezeichnung: Aktenzeichen der Staatsanwaltschaften, ggf. der Gerichte und der ZStL; – Verfahrensgegenstand: Tatvorwurf mit Tatort(en), Tatland, Tatzeit, beteiligte Einheiten oder Dienststellen, Opfergruppen, Opferherkunft; – Beschuldigte (Name, Geburtsdatum, Geburtsort, Sterbedatum, Funktion, Dienstgrad); – Verfahrenschronologie (Anklage, Urteil, Revision oder oft einfach Einstellung, Strafmaß, jeweils mit Datum, Aktenzeichen und kurzer Begründung); – Weitere Informationen zum Verfahren (beteiligte Staatsanwälte, Richter, Verteidiger, Gutachter, wichtige Zeugen, Parallelverfahren, Presseberichte); – Verbrechenskomplex (insgesamt 20 Komplexe, die sich zwecks Vergleichbarkeit an die entsprechende Unterteilung in der Urteilssammlung »Justiz und NS-Verbrechen« anlehnen); – Aktenverbleib (Behörde, Signatur, Umfang/Inhalt).

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Abb. 1: Datenmaske der NSG-Verfahrensdatenbank (Foto: Andreas Eichmüller).

Insgesamt enthält die Datenbank Hinweise zu etwas mehr als 36.000 Verfahren, die in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik wegen NS-Verbrechen gegen rund 175.000 Beschuldigte durchgeführt wurden. Sie kann von interessierten Forschern an einem Computerterminal im Institut für Zeitgeschichte in München benutzt werden. Aus Gründen des Datenschutzes und des Archivrechtes ist es nicht möglich, die Datenbank im Netz zur Verfügung zu stellen; außerdem mussten die Namen der Beschuldigten – mit Ausnahme von Personen mit hohen Dienstgraden oder Funktionen – in der Benutzerversion der Datenbank anonymisiert werden. Es ist jedoch möglich, bei Nachweis eines entsprechenden wissenschaftlichen Interesses eine gezielte Recherche nach bestimmten Personen beim Institutspersonal zu beauftragen.

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Beispiel eines Datensatzes Verfahren Staatsanwaltschaft: Heilbronn, Aktenzeichen: Js 2928/53, ehemals Braunschweig 1 Js 284/49, 1 Js 635/49, 1 Js 606/52; Oldenburg 9 Js 51/49, 9 Js 138/50; Tübingen 3a Js 2493/53 Gerichte: Heilbronn; Stuttgart; BGH, Gerichtsaktenzeichen: Ks 8/53; III Ks 2/57; 1 StR 653/54; 1 StR 117/56, Aktenzeichen ZStL: AR 1031/67 Tatorte: Groß-Trampken; Danzig; Käsemark; Marienwerder; Lienfelde; Tatland: Deutschland (Freie Stadt Danzig) Opfergruppen: Kriegsgefangene; Häftlinge; Juden: Opferherkunft: Großbritannien; Polen; Sowjetunion Tatzeit 01.01.1941 bis 31.01.1945 Dienststelle(n): Gestapoleitstelle Danzig, RSHA Tatvorwurf: a) Erschießung von 4 britischen Kriegsgefangenen, die nach der Flucht aus dem Stalag Sagan wieder ergriffen wurden, in Groß-Trampken in der Nähe von Danzig Ende März 1944 auf Befehl des RSHA; b) Anordnung der Exekution von in Danzig wegen verschiedener Delikte inhaftierter Personen ohne Gerichtsurteil 1941–45 in Käsemark, bei Marienwerder, Lienfelde bei Karthaus; c) Anordnung der Erschießung einer alten Jüdin im Januar 1945, nachdem diese beim Abtransport in ein KZ im Hof der Gestapo-Dienststelle zusammengebrochen war. Wichtige Zeugen: Karl von Eberstein, Staatsanwälte: Ferber, Vorsitzende Richter: Bühler (1954); Stoll (1955); Wetzel (1957); Peetz (BGH), Verteidiger: Fertig Presseberichterstattung: Allgemeine Wochenzeitung der Juden 10.9.54 (»Freispruch für glatten Mord«), 11.11.55 (»Freispruch für Gestapo-Offizier«), Süddeutsche Zeitung 1.4.57 (»Zuchthaus für Gestapo-Chef«), Die Tat 6.4.57 (»Kavaliershaft für Mörder«)

Beschuldigter Name: Venediger, Vorname: Günther, Dr. jur., Geburtsdatum: 2.3.1908, Geburtsort: Berlin, Funktion: Leiter der Stapoleitstelle Danzig, Dienstgrad: Oberregierungsrat, SS-Obersturmbannführer

Verfahrenschronologie 10.04.1953 LG Heilbronn: Ablehnung der Eröffnung der von der Staatsanwaltschaft beantragten Voruntersuchung wegen örtlicher Unzuständigkeit 20.04.1953 OLG Stuttgart: Anordnung der Voruntersuchung beim LG Heilbronn auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft 10.12.1953 Anklage wegen Beihilfe zum Mord in 4 Fällen, Beihilfe zum Totschlag in 5 Fällen

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31.05.1954 Außerverfolgungsetzung bezüglich der Tatvorwürfe c) und einiger Vergehen zu b) mangels Beweises auf Antrag der Staatsanwaltschaft 31.05.1954 Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt bez. b) mangels Beweises (Rechtswidrigkeit der RSHA-Anordnung vom 5.11.42 nicht erkannt, außerdem § 47 MilStGB; Eröffnung bezüglich Vorwurf a) 03.09.1954 LG Heilbronn: Freispruch mangels Beweises für Wissen um Rechtswidrigkeit des Tötungsbefehls (§ 47 MilStGB), außerdem Notstand nach § 52 StGB zuzubilligen 22.04.1955 BGH: Urteil des LG Heilbronn auf Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben und zurückverwiesen 04.11.1955 LG Heilbronn: Freispruch wegen Befehlsnotstandes § 52 StGB 08.06.1956 BGH: Urteil des LG Heilbronn auf Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben und an LG Stuttgart zurückverwiesen 26.03.1957 LG Stuttgart: Hauptverhandlung eröffnet 30.03.1957 LG Stuttgart: Urteil: 2 Jahre Zuchthaus wegen Beihilfe zum Totschlag in 4 Fällen 15.11.1957 BGH: Revision des Angeklagten verworfen, Urteil rechtskräftig

Aktenverbleib Archiv: Staatsarchiv Ludwigsburg, Signatur: EL 312 Zug. 1985 Nr. 1998 Umfang/Inhalt: I: Vorakten Braunschweig/Oldenburg (161 Blatt), Gnaden-, Vollstreckungsheft, Dokumente; II-V: Hauptakten (Blatt 162–886).

Annotierte Bibliographie Die Datenbank kann unter dem Titel Die Verfolgung von NS-Verbrechen durch westdeutsche Justizbehörden seit 1945. Datenbank aller Strafverfahren und Inventar der Verfahrensakten, bearbeitet im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin von Andreas Eichmüller und Edith Raim, München 2007 zitiert werden; Eine ausführliche Projektbeschreibung bietet Eichmüller, Die Verfolgung von NS-Verbrechen; die Ergebnisse sind bilanziert bei Eichmüller, Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen.

Claudia Kuretsidis-Haider

Die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes

Die am 14. Dezember 1998 gegründete Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz (FStN) ist eine außeruniversitäre, am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) angesiedelte Forschungseinrichtung. Wesentlichste Aufgabe ist die zentrale Dokumentation von Akten der justiziellen Ahndung von nationalsozialistischen Verbrechen in Österreich. Mittelfristig sollen sämtliche staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Untersuchungen zu NS-Gewaltverbrechen in Österreich erfasst und nach den untersuchten Verbrechen und Tatorten ausgewertet sowie abfragbar gemacht werden. Ein langfristiges Ziel ist die Mitwirkung an der elektronischen Vernetzung von Informationen zu sämtlichen europäischen Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen. Die Forschungsstelle Nachkriegsjustiz ist ein Aufbewahrungsort von Wissen über die Akten, nicht aber von Akten selbst. Mittels Papierkopien, Mikrofilmen, die sowohl am DÖW als auch im Österreichischen Staatsarchiv aufbewahrt sind, und – in Perspektive – digitalen Speichermedien sind die Verfahrensakten dokumentiert und deren Auswertungsergebnisse für die wissenschaftliche Forschung nach Maßgabe datenschutzrechtlicher Bestimmungen zugänglich. Ermöglicht wird die Tätigkeit der FStN durch das Entgegenkommen der Justizverwaltung und die Zusammenarbeit mit den Landesarchiven sowie den Aktenlagern der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Vorsitzende des Kuratoriums der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz sind Finanzminister a. D. Ferdinand Lacina und der ehemalige Zweite Nationalratspräsident Heinrich Neisser, die (ehrenamtliche) wissenschaftliche Leitung liegt bei Winfried R. Garscha und Claudia Kuretsidis-Haider – beide sind auch am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes tätig. Präsident der Forschungsstelle ist der Rechtshistoriker und Vizerektor an der Karl-Franzens-Universität Graz Martin F. Polaschek. Die FStN erhält keine regelmäßige öffentliche Basissubventionierung. Die Finanzierung erfolgt durch Einwerbung von Drittmitteln für wissenschaftliche Forschungsvorhaben sowie für Dokumentationsprojekte. Dementspre-

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chend fluktuierend ist die Zahl der MitarbeiterInnen je nach Durchführung eines Projektes. Neben der Einbindung der FStN in den Forschungsschwerpunkt des DÖW zur Täterforschung existieren enge Kontakte zum Oberösterreichischen Landesarchiv (OÖLA), zum Wiener Stadt- und Landesarchiv und zum Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Kooperationspartner auf internationaler Ebene waren bzw. sind das Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse in Marburg/Lahn (→ Form), Yad Vashem in Jerusalem, das U. S. Holocaust Memorial Museum Washington, die Herausgeber der Dokumentationsreihe »Justiz und NS-Verbrechen« in Amsterdam (→ de Mildt / Rüter), die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen in Ludwigsburg (→ Kunz, Zentrale Stelle), und die polnische Hauptkommission zur Untersuchung von NS-Verbrechen in Warschau. In den Aktenlagern der Gerichte und Staatsanwaltschaften und in den österreichischen Landesarchiven werden umfangreiche Bestände der zahlreichen österreichischen Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen aufbewahrt, die in der Rechts- und Zeitgeschichtsforschung bis heute nur unzureichend wahrgenommen und genutzt werden. Unabhängig vom Ausgang dieser Verfahren stellen die Ermittlungsakten eine einmalige historische Quelle dar. Ein Gesamtregister, das es erlauben würde, sämtliche in Österreich geführten Prozesse zu bestimmten Verbrechenskomplexen (z. B. Holocaust oder Euthanasie) oder zu Verbrechen in einer bestimmten Ortschaft oder in einem KZ zu ermitteln, existiert bis heute nicht. Für Wien liegen jedoch Beschreibungen von mehr als 1.000 Verfahren sowie rudimentäre Angaben zu sämtlichen eingeleiteten und abgeschlossenen Verfahren vor. Wesentlich detaillierter sind die elektronischen Findhilfsmittel, die die FStN gemeinsam mit dem OÖLA 2000 bis 2005 für die Akten des Volksgerichts Linz erstellt hat. Mit ihnen liegt das erste vollständige Register mit Aktenbeschreibungen vor, die inhaltliche Angaben zu den Verfahren sowie zu Tatort und Tatzeit der Verbrechen, die Gegenstand des Prozesses waren, enthalten. Diese Parameter sind auch in die interne Aktenabfrage des OÖLA integriert. Analog zum Kategoriensystem das der Amsterdamer Strafrechtsprofessor Christiaan F. Rüter für die Dokumentationen der west- und ostdeutschen Prozesse entwickelt hat, sind die Verfahren vor dem Volksgericht Linz und seinen Außensenaten in Ried/Innkreis sowie Salzburg kurz beschrieben und verschlagwortet. Daneben enthalten die elektronischen Findhilfsmittel der Forschungsstelle die Kartei der 52.601 von der Staatsanwaltschaft Wien zwischen 1945 und 1955 gerichtsanhängig gemachten Volksgerichtsverfahren – darunter auch die Vorerhebungen und Voruntersuchungen –, die gemeinsam mit dem DÖW und Yad Vashem erfasst wurde, sowie eine Auswertung der Hauptverhandlungsregister.

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In den letzten Jahren wurde in mehreren Forschungs- und Dokumentationsprojekten eine Sammlung von Kopien der Anklageschriften und Urteile von Verfahren wegen NS-Gewaltverbrechen vor den Volksgerichten Wien angelegt und mit den analogen Urteilen der übrigen Volksgerichte komplettiert. Derzeit besteht diese Sammlung aus Dokumenten zu mehr als 1.900 Prozessen. Weiters konnten dank der Unterstützung von Staatsanwaltschaften und Oberstaatsanwaltschaften von einer Reihe großer Verfahren der 1960er und 1970er Jahre, insbesondere wegen des Massenmords an Jüdinnen und Juden, staatsanwaltschaftliche Tagebücher bzw. Handakten der Oberstaatsanwaltschaften kopiert werden, die eine Rekonstruktion des Verfahrensgangs erlauben. Die Aktenkopien werden am Sitz der Forschungsstelle im DÖW aufbewahrt und sind – unter Berücksichtigung der für Gerichts- und Staatsanwaltschaftsakten geltenden gesetzlichen Bestimmungen – entsprechend der Benützerordnung des DÖW einsehbar. Seit 1993 hat die Forschungsstelle über 1.500 Wiener Gerichtsverfahren wegen ausgewählter NS-Verbrechen EDV-gestützt mikroverfilmt und formal sowie inhaltlich ausgewertet. Als Kooperationspartner konnten Yad Vashem sowie das US Holocaust Memorial Museum gewonnen werden. Der Schwerpunkt der Mikroverfilmung liegt bei den Ermittlungen wegen Verbrechen im Zuge der Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden. Aus diesem Bereich erfasst die Filmsicherung – Arisierungsverbrechen, – Verfahren gegen Angehörige der Einsatzgruppen, – Verbrechen in Ostgalizien, die insbesondere während der Räumung der Ghettos von aus Österreich stammenden Angehörigen der deutschen Polizei verübt wurden, – »Schreibtischverbrechen« im Zusammenhang mit den Deportationen in die Vernichtungslager und – Massenverbrechen und Misshandlungen in Vernichtungs- und anderen Lagern (u. a. Verfahren gegen Angehörige des Bewachungspersonals des KZ Auschwitz, des KZ Mauthausen und seiner Nebenlager und Außenkommandos sowie anderer Konzentrationslager). Darüber hinaus werden auch Verbrechen der Endphase verfilmt. Dazu zählen insbesondere die Ermordung und Misshandlung von ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern im Rahmen des »Südostwallbaus« sowie das Massaker im Zuchthaus Stein am 6. April 1945. Verfilmt werden weiters Gerichtsakten betreffend »Euthanasie«-Verbrechen in psychiatrischen Kliniken, Denunziationsverbrechen (insbesondere gegen den österreichischen Widerstand) und Verbrechen von Mitarbeitern der Gestapoleitstelle Wien bzw. der GestapoAußenstelle St. Pölten.

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Die Aktenverfilmung erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Wiener Stadtund Landesarchiv, an das die Wiener Volksgerichtsakten vom Landesgericht für Strafsachen Wien abgegeben wurden und wo sie seit Mitte 2006 einsehbar sind. Dabei werden temporär zusammenhängende Aktenteile gebildet, welche eine Signatur erhalten und während des Verfilmungsvorgangs mit Lichtmarkierungen (so genannte »Blips«) versehen werden. Diese »Portionierung« des Gerichtsaktes orientiert sich an der inneren Ordnung des Akts und dient dazu, die Kernstücke des Verfahrens (Antrags- und Verfügungsbogen, Anzeige der Sicherheitsdirektion mit Zusammenfassung der polizeilichen Ermittlungsergebnisse, Vernehmungsprotokolle der Beschuldigten und der ZeugInnen, Anklageschrift, Hauptverhandlungsprotokoll sowie Urteil) auf dem Mikrofilm hervorzuheben und somit ein rascheres Auffinden zu ermöglichen. Auf der Basis einer chronologischen Liste österreichischer Urteile wegen NSTötungsverbrechen wird gegenwärtig die Urteilsedition »Österreichische Justiz und NS-Verbrechen. Nationalsozialistische Tötungsverbrechen vor österreichischen Gerichten« vorbereitet. Im Unterschied zu den österreichischen liegen die entsprechenden deutschen Urteile in den Urteilseditionen »Justiz und NS-Verbrechen« (für die westlichen Besatzungszonen bzw. die Bundesrepublik Deutschland) und »DDR-Justiz und NS-Verbrechen« (für die sowjetische Besatzungszone bzw. die DDR) bereits teilweise in gedruckter Form vor (→ de Mildt / Rüter). Die geplante Edition wird ca. zwölf Bände und einen Registerband umfassen. Die Sammlung wird die Urteile der mehr als 500 Prozesse wegen NS-Tötungsverbrechen vor den vier österreichischen Volksgerichten 1945–1955 und die Anklageschriften und Urteile bzw. gerichtlichen Einstellungsbeschlüsse in den 35 Prozessen wegen NS-Tötungsverbrechen vor Geschworenengerichten 1956–2005 enthalten. Ihr Abdruck in den einzelnen Bänden soll nicht chronologisch, sondern nach Tatkomplexen gegliedert erfolgen, so dass die einzelnen Bände jeweils sämtliche Urteile zur NS-Euthanasie, zu Kriegsverbrechen, Verbrechen in Haftstätten etc. beinhalten werden. Der sich zurzeit in Arbeit befindliche Registerband enthält eine Kurzbeschreibung sämtlicher Urteile in chronologischer Reihenfolge, die Rechtsquellen im Wortlaut und eine Darstellung der unterschiedlichen Gerichtstypen (Volksgericht, Schöffengericht, Geschworenengericht). Über das Publikationsvorhaben existiert eine Absprache zwischen dem Saur-Verlag und der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz. Die österreichischen Bände werden die beiden deutschen Editionsreihen ergänzen und damit die Urteilsdokumentation für den gesamten deutschsprachigen Raum komplettieren.

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Claudia Kuretsidis-Haider

Annotierte Bibliographie Die Arbeitsweise und Ziele der Forschungsstelle werden dargestellt in Kuretsidis-Haider, Die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz. Einzelne Erfassungsprojekte und die ihnen zugrunde liegenden Bestände werden von Steffek / Uslu-Pauer, Das Projekt und Holpfer, Die Verfilmung von Gerichtsakten präsentiert. Grundsätzliche Reflexionen zu den Erschließungsprojekten der Forschungsstelle, zu den relevanten Akten und methodische Überlegungen finden sich in der Projektbeschreibung von 1995 bei Garscha / Kuretsidis-Haider, Die Nachkriegsjustiz als nicht-bürokratische Form der Entnazifizierung. Über die Tätigkeit der Forschungsstelle sowie umfangreiche Informationen über die Ahndung von NS-Verbrechen in Österreich gibt die Website www.nachkriegsjustiz.at Auskunft.

Wolfgang Form

Quellen und deren Erschließung am Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbrecherprozesse (ICWC) Das Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbrecherprozesse

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs standen zwei Nationen im Fokus der Bewältigung begangenen Unrechts mit juristischen Mitteln: Deutschland und Japan. Als Aggressoren ungeahnten Ausmaßes wurden in vielen Tausend Prozessen rund um den Globus Verantwortliche strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen – in Australien und dem asiatischen Raum, über Europa bis zu den USA und Kanada. Die nationalen Strafverfolgungsprogramme starteten kurz nach dem Kriegsende und dauerten bis in die frühen 1950er Jahre an. Bereits ab 1947/48 machte sich der Ost-West-Konflikt bemerkbar. In den Westzonen Deutschlands gingen die alliierten Verfahren mit Gründung der Bundesrepublik zu Ende. Im Fernen Osten fanden sie vereinzelt noch bis 1951 statt. In den darauf folgenden Jahren wurden nach und nach fast alle verurteilten Kriegsverbrecher vorzeitig entlassen. Die Ahndung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf der Basis völkerrechtlicher, nicht nationalstaatlicher Normen fand im Verlauf des Kalten Krieges nur noch punktuell statt – zu nennen sind z. B. der Eichmann Prozess in Israel und das Verfahren gegen Klaus Barbie in Frankreich. Erst ab den frühen 1990er Jahren entwickelte sich das Völkerstrafrecht wieder zu einem wichtigen Forschungsgebiet mit praktischer Bedeutung. Einer der Auslöser ist ohne Zweifel die Einsetzung der Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda sowie die Errichtung des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH).1 Im Mittelpunkt der aktuellen rechtswissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Völkerstrafrecht steht die Ausarbeitung einer Völkerstraftatlehre einschließlich der allgemeinen Regeln über die Voraussetzungen und den Ausschluss strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Die Statute beider Ad-hoc-Gerichtshöfe sowie das des IStGH greifen das Nürnberger Statut und die seitherige Entwicklung auf und führen sie fort. Das Völkerstrafrecht nach dem Zweiten Weltkrieg ist aber nicht nur durch die beiden internationalen Strafgerichtshöfe von Nürnberg und To1 International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY); International Criminal Tribunal für Ruanda (ICTR); International Criminal Court (ICC).

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kio angewendet worden, sondern auch durch nationale Gerichte. Solche Prozesse können als Ausdruck von Rechtsüberzeugung sowie als Staatenpraxis Gewohnheitsrecht erzeugen. Mithin erlaubt eine nationale prozessuale Gesamtschau einen überzeugenden Beitrag bei der Festlegung eines gewohnheitsrechtlichen Status quo zu leisten bzw. Impulse bei der Herausbildung allgemeiner Rechtsgrundsätze zu geben. Darüber hinaus können Urteile als Rechtserkenntnisquellen dazu beitragen, den Inhalt völkerstrafrechtlicher Normen zu präzisieren bzw. zu bestimmen. Dies trifft umso mehr zu, je expliziter nationalen Gerichten der Zugriff über das Völkerrecht, wie z. B. über den Bruch internationaler Übereinkommen oder Verstöße gegen allgemeingültige Grundsätze der Humanität, erlaubt wurde. Damit stehen aber nicht nur Kriegsverbrechen im engeren Sinn im Fokus. Ebenso spielen die erstmals im Statut von Nürnberg aufgeführten Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine entscheidende Rolle – insbesondere in Bezug auf den aktuellen völkerstrafrechtlichen Diskurs. Wenige Monate nach dem Londoner Abkommen beschlossen die Alliierten im Dezember 1945 für die vier deutschen Besatzungszonen einen gemeinsamen strafrechtlichen Korpus, das Kontrollratsgesetz (KRG) Nr. 10, zur Ahndung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf nationaler Ebene. Das Kontrollratsgesetz bildete den rechtlichen Rahmen für die von US-amerikanischer Seite durchgeführten zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse. Auch Großbritannien setzte die gemeinschaftlichen Beschlüsse in seiner Besatzungszone in geltendes Recht um und führte Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch. In weit größerem Maß überließ die britische Zonenverwaltung jedoch einschlägige Prozesse deutschen Gerichten (→ Eiber). Diese gehören zu den seither in der völkerstrafrechtlichen und zeitgeschichtlichen Forschung zu Unrecht nur am Rande wahrgenommenen Judikaten. Ungeachtet des defizitären Forschungsstandes über Vorkommen nationaler Strafverfolgung von Kriegsverbrechen und deren Relevanz für das Völkerstrafrecht greift die aktuelle Rechtsprechung bereits auf Judikate internationaler und nationaler Strafgerichte zu. Zum Beispiel hat das Jugoslawien-Tribunal auf mehr als 110 solcher Verfahren Bezug genommen, was indes nur wenigen Prozent aller nach dem Zweiten Weltkrieg geführten Prozesse entspricht. Es ist also davon auszugehen, dass die Spruchtätigkeit der mit der Verfolgung von Kriegsverbrechen befassten nationalen Gerichte die konkrete Rechtsanwendung des aktuellen Völkerstrafrechts beeinflusst. Im Sinne einer Weiterentwicklung des geltenden Völkerstrafrechts und einer Optimierung seiner aktuellen Anwendung lassen sich aus der Verfolgung von Kriegsverbrechen Erkenntnisse über die Art und Weise der Bewältigung der darin aufgeworfenen völkerstrafrechtlich relevanten Problemstellungen gewinnen.

Das Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbrecherprozesse

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Neben den in Deutschland geführten Prozessen sind in nahezu allen am Krieg beteiligten Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg Strafverfahren gegen Personen mit dem Vorwurf der Begehung von Kriegsverbrechen und/oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit durchgeführt worden. Gesicherte Erkenntnisse zu der Frage, ob die jeweils zuständigen nationalen Gerichte ihre Spruchtätigkeit auf völkerstrafrechtlicher Grundlage oder allein auf der Basis nationalen Strafrechts betrieben haben, konnten in den vergangenen Jahren noch kaum gewonnen werden. Grund ist sicherlich die Zersplitterung der Aktenlage auf viele Archive rund um die Welt. Datenschutzgründe können in einzelnen Ländern auch heute noch ein Problem darstellen (dies gilt z. B. für Frankreich und zum Teil auch für die Niederlande). Das Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse an der Philipps-Universität Marburg (International Research and Documentation Center for War Crimes Trials, ICWC) sieht seine zentrale Aufgabe in der Erforschung des Völkerstrafrechts und dessen Anwendung unter rechtswissenschaftlichen, politikwissenschaftlichen, soziologischen und geschichtswissenschaftlichen Aspekten. Das interdisziplinäre Zusammenwirken verschiedener Fachkompetenzen wird entsprechend betont. Dazu gehört zunächst der fächerübergreifende Diskurs innerhalb des Zentrums. Die Forschungsprojekte werden nicht nur von Juristen, Historikern oder Politikwissenschaftlern bearbeitet, sondern interdisziplinär vorangetrieben, zum Beispiel die im Sommer 2008 angelaufenen Forschungen zum Obersten Gerichtshof für die Britische Zone (OGHBZ) mit Sitz in Köln (1948–1950). In der zusammen mit der Universität Hannover durchgeführten Studie – auch Fachkompetenzen von außen sollen möglichst eingebunden werden – nehmen sich ein Jurist und ein Politikwissenschaftler gemeinsam des Themas an. Die zonenpolitischen Rahmenbedingungen werden ebenso akzentuiert wie strafrechtsdogmatische und verfahrensrechtliche Fragestellungen. Als weitere Beispiele sind die Studien zu den in der US-amerikanischen Besatzungszone abgehaltenen so genannten Dachauer Prozessen sowie zu den Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia (ECCC – Khmer Rouge Tribunal) zu nennen. Im ersten Fall arbeiten Politologen, Historiker und Juristen aus Marburg im Rahmen einer transatlantischen Kooperation mit Kollegen aus den USA daran, die während des Zweiten Weltkrieges entwickelten europapolitischen Ahndungsstrategien in Bezug zur Rechtsprechungspraxis zu setzen. Die Arbeiten zu Kambodscha finden unter einem noch breiteren fachlichen Dach statt. Es geht nicht nur um aktuelle völkerstrafrechtliche Aspekte,2 sondern um generelle Fragestellungen bei der Überwindung von diktatorischen Regi2 Das Zentrum liefert dem ECCC historische Prozessunterlagen, auf die in IStGH-Entscheidungen Bezug genommen wurde und recherchiert in seinem Auftrag nach weiteren einschlägigen Entscheidungen.

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men (Transitional Justice-Prozesse), bei denen mit der Marburger Friedensund Konfliktforschung eng kooperiert wird. Das seit 2003 in Marburg aufgebaute Zentrum kann sich auf umfangreiche eigene Vorarbeiten im Rahmen mehrerer Projekte zur politischen NS-Justiz in Deutschland und Österreich sowie auf die des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main3 stützen. Die Ausrichtung des Zentrums zeigt sich an seinen fünf wichtigsten Arbeitsfeldern: 1. Ermittlung und dokumentarische Aufbereitung vollständiger Prozessunterlagen für die interdisziplinäre Forschung. 2. Analyse der Auswirkungen der Nachkriegsverfahren auf die heutige internationale völkerstrafrechtliche Diskussion. 3. Internationaler Vergleich von nationalen justizpolitischen Entscheidungen und nationalen Kriegsverbrecherprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg. 4. Standardisierte Dokumentation historischer Quellen. 5. Bereitstellung von Judikaten für aktuelle internationale bzw. internationalisierte Prozesse wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genozide und Angriffskriege. Hier sollen die wichtigsten Entscheidungen nationaler Gerichte (domestic courts) und Tribunale, die mit Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Verbindung stehen, zugänglich gemacht werden. Dabei werden strafrechtliche wie zivilrechtliche Verfahren berücksichtigt. In erster Linie betrifft dies Verfahren aus Staaten, die direkt vom Zweiten Weltkrieg betroffen waren, und zwar sowohl in Europa – darunter auch jene im besetzten Deutschland – als auch in Nordamerika, Ost- und Südostasien. Insgesamt ist mit über 10.000 Prozessen weltweit zu rechnen. So sind nach heutigem Kenntnisstand z. B. von den Vereinigten Staaten über 2.000 (in 1.075 Verfahren, inkl. der Nürnberger Nachfolgeprozesse), vor französischen Zonengerichten wohl an die 2.000, in Polen mindestens 1.800, in China etwa 650, in den Niederlanden über 230, in Norwegen 95 (in 53 Verfahren) und in Australien mehr als 900 Personen (in 296 Verfahren) als Kriegsverbrecher oder wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt worden. Die Arbeiten konnten bereits in einem beträchtlichen Umfang in Angriff genommen werden. Wir schätzen, dass das Zentrum bereits Unterlagen zu etwa 35 % aller einschlägigen Verfahren besitzt. Über 3.500 Prozesse sind recherchierbar, die sich gegen rund 10.000 Angeklagte richteten. Bis dato wurden rund 500 Mikrofilmrollen mit insgesamt rund 450.000 Seiten erworben. Es handelt sich vornehmlich um britische und US-ame3 www.mpier.uni-frankfurt.de/.

Das Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbrecherprozesse

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rikanische Kriegsverbrecherprozesse in Europa und im Fernen Osten. Darüber hinaus ist mit der digitalen Archivierung von Prozessunterlagen sowie Generalakten zu mehreren Ländern (u. a. Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Jugoslawien, Polen und den USA) begonnen worden. Es stehen zur Zeit sämtliche australische Kriegsverbrecherverfahren digital zur Verfügung (109.000 Seiten). Darüber hinaus sind in den National Archives in Canberra eine größere Zahl von justiz- und außenpolitischen Dokumenten zusammengetragen worden, die für die Ahndung von Kriegs- und Humanitätsverbrechen relevant sind. Darunter findet sich auch eine Kollektion von Berichten, Summaries und Memoranden der United Nations War Crimes Commission (UNWCC) – samt ihrer Sub-Commission im chinesischen Nang Ching (bekannt durch das japanische Massaker 1937, das auch im internationalen Tokioter Militärtribunal Thema gewesen war). Für die europäischen Nachkriegsprozesse waren die Aktivitäten der United Nations War Crimes Commission von grundlegender Bedeutung. Hier verdichteten sich die zunächst noch vagen Vorstellungen bezüglich der Ahndung von in Deutschland zwischen 1939 und 1945 begangenen Verbrechen von unspezifischen Ahndungsstrategien hin zu konkreten politischen Maßnahmen (→ Eiber). Ab Dezember 2004 wurde ein großes Digitalisierungsprogramm in England und den Vereinigten Staaten gestartet, in dessen Rahmen bis 2008 rund 160.000 Aktenblätter zusammengetragen worden sind. Weitere Aktenbestände zu einzelnen Ländern sind ebenfalls vorhanden (zu Belgien, China, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Italien, Ex-Jugoslawien, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen, Österreich und Polen). Insgesamt besitzt das Zentrum aktuell mehr als 750.000 Blatt historisches Quellenmaterial. Alle Unterlagen können im Zentrum eingesehen werden. Ausgewählte Dokumente sind auch online zugänglich.4 Über völkerstrafrechtliche Bezüge hinaus sind die zeitgenössischen Quellen zu Kriegsverbrecherprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg einzigartige Zeugnisse des Kriegsgeschehens. Darunter finden sich zum Teil sehr detaillierte Aussagen über Kriegsgräuel. Überdies enthalten die Akten oftmals Beweismaterialien (Bilder, Zeichnungen oder Schriftstücke), die im Rahmen der Anklageerhebung zusammengetragen wurden. Um nur ein Beispiel anzuführen: Im ersten der so genannten Dachauer Prozesse gegen Martin Gottfried Weiss und 39 Mitangeklagte finden sich mehrere Hundert Dokumente zu Kriegsverbrechen im Konzentrationslager Dachau, z. B. Unterlagen über medizinische Experimente am lebenden Menschen. Insgesamt erschließen sich vielfältige und vor allem interdisziplinär ausgerichtete Forschungsmöglichkeiten. Eine bisher wenig genutzte Quelle sind die Urteile des Obersten 4 www.icwc.de.

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Gerichtshofes für die britische Zone. Das Revisionsgericht verhandelte in über 550 Fällen wegen Geschehnissen um die Reichspogromnacht 1938, im Umfeld von Übergriffen auf NS-Gegner vor allem in den Jahren 1933/34, zu Denunziationen, zu so genannten Verbrechen im Amt und zu Vorkommnissen in den letzten Kriegsmonaten. Bis Mitte 2009 werden alle im Bundesarchiv vorhandenen Entscheidungen des OGHBZ mittels personenbezogener Findmittel im Zentrum zugänglich sein. Die archivische, dokumentarische und datentechnische Erschließung der Unterlagen ist eine der wesentlichen Aufgaben des Forschungs- und Dokumentationszentrums. Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen. Die Arbeit in den Archiven und Dokumentationsstellen beginnt regelmäßig mit der Durchsicht der Findmittel und der Erstellung eines Spezialinventars in Listenform. Diese Verzeichnisse werden ständig gepflegt. Alle im Zentrum befindlichen Quellen werden, je nach Art der Reproduktion, in den Listen als vorhanden vermerkt. Zwar sind nicht zu allen Signaturen entsprechende Reproduktionen in den Sammlungen des Zentrums verfügbar; in diesem Fall können die Fundstellenverzeichnisse jedoch als themenspezifischer Zugang zum Komplex der Ahndung von Kriegs- und Humanitätsverbrechen für die gebenden Archive dienen. Wurden Kopien angefertigt oder erworben, werden sie strikt nach der Tektonik der Ursprungsarchive sortiert verzeichnet und digital bzw. physisch geordnet. Die Erschließung von Prozessen geschieht mittels einer relationalen Datenbank. Sie umfasst vor allem prozessuale Grunddaten, Angaben zu Richtern, Staatsanwälten und Angeklagten. Soweit es sich um digitale Quellen handelt, können sie von der Datenbank aus aufgerufen werden. Ferner finden sich hier Angaben zu den ausgewerteten Quellen und Hinweise auf die Reproduktionsform. Quellenkritisch sei angemerkt, dass es sich beim Gros der Prozesse um Militärgerichtsentscheidungen handelt – Ausnahmen bilden u. a. deutsche, niederländische und norwegische Verfahren. Diese sind grundlegend anders strukturiert, als in der allgemeinen Justiz üblich. Insbesondere bei angloamerikanischen Quellen findet sich keine Urteilsabfassung im herkömmlichen Sinn. Die Gerichte entschieden oftmals schematisch mit einem Schuldig oder Nichtschuldig. Wichtiger als die so genannten Charge Sheets (Urteilsformulare) sind die Hauptverhandlungsprotokolle (vor allem von Kreuzverhören) sowie die von den Anwälten eingelegten Petitionen, nebst vielfältigen Leumundsbekundungen. Parallel zur Auswertung nationaler Kriegsverbrecherprozesse werden die einschlägigen prozessualen und strafrechtlichen Grundlagen ermittelt. Ziel ist es, sowohl die rechtlichen Aspekte, als auch die politischen und historischen Hintergründe bei deren Zustandekommen transparent werden zu lassen. Gleichfalls relevant ist die nationale und internationale Politik, die den Verlauf der Anwendung von Völkerstrafrecht beeinflusste. Nicht zuletzt zie-

Das Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbrecherprozesse

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len die Arbeiten des Zentrums darauf ab, die Hintergründe für das Ende der »War Crimes Trials« nach dem Zweiten Weltkrieg zu beleuchten und komparative Forschungen zu ermöglichen.

Annotierte Bibliographie Alliierte Prozesse in Europa und Völkerstrafrecht: Gut geschrieben und mit vielen historischen Bezügen angereichert ist Harris, Tyrannen vor Gericht, das in diesem Jahr auch auf Deutsch erscheinen wird. Zu den Verfahren unter Anwendung von Völkerrecht bzw. alliiertem Recht in Europa vgl. auch → Eiber. Ein Beispiel für einen breit gefächerten Aufsatzband, der neben Vorgeschichte und Durchführung auch die Nachwirkungen der Nürnberger Prozesse für das Völkerstrafrecht behandelt ist Reginbogin / Safferling, Die Nürnberger Prozesse. Radtke u. a., Historische Dimensionen verortet die Kriegsverbrecherprozesse in Europa nach 1945 historisch und völkerrechtlich. Zur übergreifenden Entwicklung der Völkerstrafrechtsgeschichte siehe Form, Vom Völkermord an den Armeniern bis zum Tokioter Kriegsverbrecherprozess. Mit Fokus auf die deutsche Völkerstrafrechtspolitik, aber grundsätzlich interessant Kreß, Versailles – Nürnberg – Den Haag. Für die sich seit einigen Jahren immer stärker ausdifferenzierende rechtswissenschaftliche Forschung sei auf das Handbuch von Werle zum Völkerstrafrecht verwiesen. Zusammenfassungen aller Verfahren (Reviews and Recomandations) sind auf der Homepage des ICWC unter www.icwc.de/index.php?id=69 abrufbar zudem finden sich hier australische (www.icwc.de/index.php?id=49) sowie polnische Prozesse gegen Deutsche und Österreicher (www.icwc.de/index.php?id=70).

Dick de Mildt und Christiaan F. Rüter

Justiz und NS-Verbrechen Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen

Das an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Amsterdam beheimatete Projekt »Justiz und NS-Verbrechen« beschäftigt sich – seit nunmehr 40 Jahren – mit der Ermittlung der wegen NS-Tötungsverbrechen von der ost- und westdeutschen Justiz seit 1945 durchgeführten Strafverfahren sowie mit der Sammlung und Veröffentlichung der in diesen Verfahren ergangenen Gerichtsurteile der Tatsachen- und Revisionsinstanz. Dabei umfassen die in diesem Projekt berücksichtigten »NS-Tötungsverbrechen« mehr als die klassischen Verbrechen wider das Leben wie Mord und Totschlag; auch Verfahren wegen anderer Delikte wie Freiheitsberaubung, Rechtsbeugung, Körperverletzung, Aussageerpressung, Landfriedensbruch, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (insbesondere Denunziation) werden berücksichtigt, vorausgesetzt, dass sie zum Tode eines Menschen geführt haben. Im Rahmen dieses Projekts sind bis jetzt (Dezember 2008) 40 Bände mit westdeutschen und zwölf Bände mit ostdeutschen Urteilen erschienen. Wenn das Vorhaben in einigen Jahren zum Abschluss gekommen sein wird, wird die Urteilssammlung 63 Bände mit insgesamt rund 3.200 Gerichtsurteilen aus fast 1.900 Verfahren gegen mehr als 3.500 Angeklagte umfassen. Daneben wird in den Registerbänden zur west- und ostdeutschen Urteilssammlung sowie im Internet (www.jur.uva.nl/junsv) eine Übersicht über die in Ost- und Westdeutschland wegen NS-Tötungsverbrechen durchgeführten Verfahren geboten. Diese werden nach einem einheitlichen Modell1 mit einer Reihe von tat-, täter- und opferbezogenen Merkmalen sowie einer kurzen Beschreibung des Verfahrensgegenstandes verzeichnet; diese Merkmale eröffnen vielfältige Recherche- und Zugriffsmöglichkeiten. Die Internetseite bietet zusätzlich geographischen Zugang über den Bereich »Nazi Crimes on Maps«, der die Tatorte auf einer Karte verzeichnet. Schließlich ist im Dezem1 Dieses Modell wird in einer den jeweiligen rechtlichen Gegebenheiten angepassten Fassung auch bei der Beschreibung der österreichischen NS-Verfahren (→ Kuretsidis-Haider, Forschungsstelle) sowie für die amerikanischen Dachau-Verfahren und die niederländischen NSVerfahren gegen Deutsche und Österreicher (www.jur.uva.nl/junsv) verwendet.

Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen

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ber 2008 auf der Internetseite eine »online-Urteilsedition« eröffnet worden, die sämtliche veröffentlichte Urteile im Volltext nach verschiedenen Kriterien absuchbar macht. Darüber hinaus werden zwei auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittene Dienste angeboten:2 Wer nur einige wenige Urteile benötigt, kann diese in Form von im Volltext durchsuchbaren Einzeldokumenten im PDF-Format abrufen. Wer wissen möchte, ob in irgendeinem Urteil z. B. bestimmte Begriffe, Personen, Einheiten oder Dienststellen erwähnt werden, kann – unter gewissen Voraussetzungen – in dem nicht-anonymisierten Amsterdamer Zentralbestand sämtliche digitalisierten Urteilsbestände danach absuchen lassen – aus datenschutzrechtlichen Gründen kann diese Dienstleistung nicht online angeboten werden. Ähnliches gilt für die Suche nach Verfahren, die auf der Internetseite nicht aufgefunden werden können, z. B. weil der Name des gesuchten Angeklagten gekürzt wiedergegeben werden musste oder das Verfahren ohne Urteil abgeschlossen worden ist. Das Projekt »Justiz und NS-Verbrechen« hat das Ziel, einen vollständigen Überblick über die durchgeführten Verfahren zu bieten und alle zu NS-Tötungsverbrechen ergangenen deutschen Strafurteile zu veröffentlichen. Dieses Ziel hat sich jedoch nicht in vollem Umfange verwirklichen lassen. Zwar sind die ab 1960 durchgeführten ost- und westdeutschen Verfahren lückenlos erfasst worden, bei den früheren Verfahren besteht dafür aber keine volle Gewähr. Das hängt damit zusammen, dass in den ersten 15 Nachkriegsjahren NS-Verfahren von der Justiz nicht besonders ausgewiesen oder registriert worden sind. Diese Verfahren wurden zwar Anfang der sechziger Jahre von der west- und ostdeutschen Justiz aus der Masse der dortigen Justizakten herausgesucht; dabei sind aber mehrere NS-Verfahren übersehen worden. Bei den im Rahmen des Projekts durchgeführten Recherchen bei über vierzig Archiven und Behörden wurden allein für Ostdeutschland nicht weniger als 47 wegen NS-Tötungsverbrechen durchgeführte Verfahren aufgefunden, die in der in den sechziger Jahren entstandenen NS-Verfahrenskartei des Generalstaatsanwalts der DDR nicht enthalten sind. Ähnliches ergab sich bei den westdeutschen Verfahren. Dass die im Rahmen des Projekts durchgeführte Verfahrensrecherche alle von der Justiz beider deutschen Staaten übersehenen NS-Verfahren ans Tageslicht gebracht hätte, ist unwahrscheinlich. Unabhängig hiervon gibt es bei den westdeutschen Verfahren eine zusätzliche Lücke: Verfahren wegen NS-Tötungsverbrechen, die vor dem 1. September 1939 begangen worden sind, wurden – anders als bei den ostdeutschen Urteilen – nicht berücksichtigt. Diese Beschränkung hängt damit zusam2 Die PDF-Bestände und die Forschungshilfen werden von Ex Post Facto Productions (www.expostfacto.nl) angeboten.

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men, dass für die 1966 aus Anlass der sog. Königsteiner Erklärung3 von Fritz Bauer, dem Tübinger Strafrechtler Jürgen Baumann und anderen angeregte Veröffentlichung von Urteilen wegen NS-Gewaltverbrechen nur auf eine – für private Forschungszwecke gebildete – Urteilssammlung zurückgegriffen werden konnte. In dieser Sammlung waren nur westdeutsche Verfahren wegen im Kriege begangener NS-Verbrechen enthalten. Durch diese sich aus dem privaten Forschungsvorhaben ergebende Beschränkung scheiden namentlich die im Rahmen der Machtergreifung, anlässlich der »Röhmrevolte« am 30. Juni 1934, während der »Reichskristallnacht« am 9. November 1938 und in den Konzentrationslagern vor Kriegsbeginn begangenen Verbrechen aus. Angesichts der Tatsache, dass eine Erweiterung der Urteilssammlung mit auf die Zeit von 1933 bis 1939 bezüglichen Urteilen erfahrungsgemäß mehrere Jahre in Anspruch genommen hätte, hat die Redaktion der westdeutschen Urteilssammlung im Interesse einer zügigen Veröffentlichung diese Lücke in Kauf genommen.4 Bei den ostdeutschen Verfahren gibt es diese Lücke nicht, da sie erst später und mit dem ausschließlichen Ziel einer Urteilsveröffentlichung ermittelt worden sind. Doch auch die Urteile zu Verfahren, die in das Projekt aufgenommen wurden, weisen Lücken auf: Urteile wurden vernichtet, gingen verloren oder sind aus anderem Grund unauffindbar. Eine Reihe von Strafakten westdeutscher Verfahren der späten 1940er Jahre sind nach Ablauf der üblichen Aufbewahrungsfrist von den Justizbehörden vernichtet worden. Die Tatsache, dass es diese Verfahren gegeben hat, ergibt sich zwar aus den (aufbewahrten) Justizregistern, die darin ergangenen Urteile sind aber unwiederbringlich verloren gegangen. In der DDR hat eine von den dortigen Staatsanwaltschaften beabsichtigte Vernichtung von Strafakten älterer NS-Verfahren nicht stattgefunden; sie wurde vom Generalstaatsanwalt der DDR verboten. Stattdessen wurden die zur Vernichtung vorgesehenen Akten dem Ministerium für Staatssicherheit übergeben – der einzigen Behörde, die personell und räumlich in der Lage war die zahlreichen Verfahrensakten aufzunehmen und daran als zentrales Ermittlungsorgan für NS-Verbrechen seit Anfang der 1960er Jahre auch ein gewisses Eigeninteresse hatte. Die übrigen Akten verblieben bei den Staatsanwaltschaften oder kamen – vereinzelt – in das Staatsarchiv der DDR, teilweise auch in die (heutigen) Landesarchive. Trotzdem fehlen bei rund 10 % der ostdeutschen Ver3 Probleme der Verfolgung und Ahndung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, in: Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages Essen 1966, Bd. II, Teil C: Probleme der Verfolgung und Ahndung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. München 1967, S. C 10. 4 Hierzu sowie zu den Auswahl- und Bearbeitungskriterien mehr in: JuNSV, Bd. I, S. V–IX und S. XVI ff.

Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen

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fahren die Urteile. Dabei handelt es sich in vielen Fällen um an justizfremde Organe ausgeliehene und nicht zurückgereichte Strafakten. Sie dürften in die Akten dieser Organe eingegangen sein und sind damit, auch bedingt durch das archivalische Durcheinander nach der Wende, unauffindbar geworden. Bei den westdeutschen Urteilen gibt es in dem veröffentlichten Material noch eine zusätzliche Lücke: die westdeutschen Justizbehörden haben sich 1967 ausbedungen, dass nur solche Urteile zur Veröffentlichung kommen sollten, die mindestens teilweise rechtskräftig geworden waren. Die nichtrechtskräftigen Urteile sind jedoch im digitalisierten Amsterdamer Zentralbestand vorhanden und können bei der oben erwähnten Recherche berücksichtigt werden. Bei den ostdeutschen Urteile gab es eine solche Auflage nicht: hier werden auch voll aufgehobene Urteile veröffentlicht. Abgesehen von dieser westdeutschen Auflage haben die Redaktionen der west- und der ostdeutschen Urteilssammlung jede auswärtige Einflussnahme auf das vor allem in den 1960er und 1970er Jahren politisch noch recht sensible Projekt abgewehrt, etwa die Versuche des Freistaats Bayern und der DDR, selbst darüber zu entscheiden, welche Urteile zur Veröffentlichung kommen und welche nicht. Während Bayern sich schließlich den übrigen Bundesländern anschloss und auf eine solche Einflussnahme verzichtete, musste die damals bereits beabsichtigte, parallel zur westdeutschen Urteilsserie verlaufende Veröffentlichung ostdeutscher Gerichtsentscheidungen auf Eis gelegt werden und konnte erst Anfang der 1990er Jahre in Angriff genommen werden. Und auch bei der Finanzierung des Projekts ist darauf geachtet worden, dass kein – sei es auch nur mittelbarer – Einfluss auf die Gestaltung der Urteilssammlungen ausgeübt werden konnte.5 Die Urteilssammlungen erscheinen beim Verlag Amsterdam University Press (der das Verlagsrisiko trägt), vertriebsmäßig in Kooperation mit dem K. G. Saur Verlag in München.

Annotierte Bibliographie Weitere Informationen zum Editionsprojekt bietet Reiter, 30 Jahre Justiz und NS-Verbrechen.

5 In den ersten zwanzig Jahren sind die Projektkosten zu über 90 % von niederländischen Stellen getragen worden, danach hat – neben der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Amsterdam – eine eigene Projektstiftung die Finanzierung übernommen.

Martin Gruner

Quellen online: Prozessdokumente im Internet

Immer häufiger ist Quellenmaterial für den Forscher komfortabel im Internet verfügbar. Wie so oft in diesem Kontext kommt amerikanischen – häufig juristisch bzw. rechtshistorisch ausgerichteten – Forschungsinstitutionen, Archiven und Bibliotheken dabei eine Vorreiterrolle zu. Dies gilt auch für die Bereitstellung von Quellen zur strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechern. Der Schwerpunkt liegt hier naturgemäß auf den Vorgängen mit direkter amerikanischer Beteiligung, also auf dem Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärtribunal (IMT) in Nürnberg, den Nürnberger Nachfolgeprozessen unter amerikanischer Leitung und der Verfolgung von Kriegsverbrechern durch amerikanische Kriegsgerichte. Dieser Beitrag stellt einige online verfügbare Quellenbestände aus diesem Kontext vor. Vergleichbare Sammlungen aus Provenienzen der drei anderen Allierten sind derzeit noch nicht im Internet verfügbar. Weitere zentrale Online-Dokumentationen aus dem mitteleuropäischen Raum werden in eigenen Beiträgen dieses Bandes vorgestellt (→ de Mildt / Rüter, → Form, → KuretsidisHaider, Forschungsstelle). Mehrere amerikanische Forschungsprojekte haben sich zum Ziel gesetzt, die bereits 1949 bzw. 1950 in gedruckter Form publizierten Prozessmaterialien des Nürnberger Militärtribunals online zur Verfügung zu stellen. Den quantitativ umfangreichsten Fundus bietet die Library of Congress1 auf ihren Webseiten an: hier liegt der komplette Bestand des gedruckten Materials in Form von PDF-Dateien vor. Dies umfasst die Prozessprotokolle und Dokumente zum Hauptverfahren in der sog. »blauen Reihe«2 ebenso wie die Beweissammlung der amerikanischen und britischen Anklage (»rote Reihe«) und die Dokumente zu den Nürnberger Nachfolgeprozessen (»grüne Reihe«). Der Benutzer kann sich der inhaltlichen Konsistenz der online-Version sicher sein, da es sich um eine reine Reproduktion der offiziellen Dokumentation handelt. Ein Nachteil des Formats ist jedoch, dass eine Suche im Volltext zwar innerhalb der einzelnen, jeweils als eigene Datei zum Download vor1 The Library of Congress: Military Legal Ressources. Nurembeg Trials: www.loc.gov/rr/ frd/Military_Law/Nuremberg_trials.html. 2 Die blaue Reihe ist im PDF-Format auch auf der Internetseite des ICWC (→ Form) verfügbar: www.icwc.de/index.php?id=45.

Quellen online: Prozessdokumente im Internet

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liegenden Bände, jedoch nicht über alle Bände hinweg möglich ist. Ausgeglichen wird dies teilweise dadurch, dass dem Nutzer die Erschließungsmittel der gedruckten Bände natürlich ebenfalls zur Verfügung stehen. Ergänzend finden sich der Bericht des amerikanischen Anklagevertreters Robert H. Jackson über die Verhandlungen zwischen den vier alliierten Mächten über das Gerichtsstatut und der Abschlussbericht von Telford Taylor.3 Ein weiteres Projekt, das sich unter anderem der Online-Edition der Nürnberger Prozess-Dokumente widmet, ist an der juristischen Fakultät der Yale University angesiedelt. Das sogenannte Avalon Project4 setzt es sich zum Ziel, »digital documents relevant to the fields of law, history, economics, politics, diplomacy and government« zu sammeln und im Internet zugänglich zu machen. Der breit gefächerte Fundus umfasst Gesetze und Verträge aus allen historischen Epochen. Kern der Nuremberg Trials Collection ist das vollständig abrufbare Wortprotokoll des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher.5 Dieses umfasst die Bände 1 bis 22 der »blauen Reihe«, auf deren transkribierten Inhalt sowohl nach Bänden und Prozesstagen als auch mit Hilfe einer Volltextsuche zugegriffen werden kann. Darüber hinaus finden sich Schlüsseldokumente zur alliierten Strafverfolgung von Kriegsverbrechern und den Kriegsverbrecherprozessen sowie einzelne Beweisdokumente, die dem Gericht im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess vorgelegt wurden (etwa das Protokoll der Wannseekonferenz). Letztere sind für die Forschung freilich wertlos: Sie liegen lediglich in englischer Übersetzung vor. Ähnliche Ziele wie das Avalon Project verfolgt auch die Dokumentensammlung der Harvard Law School Library.6 Beide sollten als Ergänzung zueinander gesehen werden: Während das Avalon Project die Prozessmitschrift des Nürnberger Prozesses bietet, werden in Harvard die dazugehörigen Dokumente in den Mittelpunkt gerückt. Zudem sind die Quellenmaterialien als 3 Telford Taylor, Final Report to the Secretary of the Army on the Nuernberg War Crimes Trials Under Control Council Law No. 10, 15.9.1949, (www.loc.gov/rr/frd/Military_Law/NT_ final-report.html); Report of Robert H. Jackson, United States Representative to the International Conference on Military Trials (London 1945), Washington 1947 (www.loc.gov/rr/frd/ Military_Law/pdf/jackson-rpt-military-trials.pdf). Die Library of Congress stellt zudem eine Fülle publizierten und ungedruckten Materials zum Kriegsrecht in Geschichte und Gegenwart zur Verfügung (www.loc.gov/rr/frd/Military_ Law/) sowie den Bericht des Deputy Judge Advocate General über die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen zwischen Juni 1944 und Juli 1948 (www.loc.gov/rr/frd/Military_Law/reportDJA-war-crimes.html). 4 The Avalon Project at Yale Law School: Documents in Law, History and Diplomacy: www.yale.edu/lawweb/avalon/avalon.htm. 5 Ebd., The Nuremberg War Crimes Trials: www.yale.edu/lawweb/avalon/imt/imt.htm. 6 Harvard Law School Library: Nuremberg Trials Project. A Digital Document Collection: nuremberg.law.harvard.edu.

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digitalisierte Faksimiles einsehbar. Derzeit stehen die Dokumente des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses – sowie noch nicht vollständig – der Nachfolgeprozessen 1 (»Ärzteprozess«), 2 (gegen Erhard Milch) und 4 (gegen Oswald Pohl u. a.) zur Verfügung. Vor allem aus den Evidence File Groups, also den Beweisdokumenten zu den einzelnen Verfahren, können hier Teile der Nürnberger Dokumente abgerufen werden, die bisher großteils nur in Form von Mikrofiches in Archiven eingesehen werden konnten.7 Die drei genannten Projekte sind Beispiele für eine weitgehend gelungene Umsetzung digitaler Inhalte, die zumindest teilweise auch in Druckform vorliegen. Für den wissenschaftlichen Benutzer bieten sie insbesondere durch verbesserte Recherchemöglichkeiten einen Vorteil. Dort, wo er Dokumente einsehen kann, für die er bisher ins Archiv reisen musste, liegt dies ohnehin auf der Hand. Dort, wo inhaltliche Überschneidungen dies erlauben, bietet ein kombinierter Zugriff zweifelsohne den größten Nutzen: So erlaubt das Avalon Project die komfortable Volltextsuche über das transkribierte Prozessprotokoll des Hauptkriegsverbrecherprozesses, während der Wissenschaftler sich bei der Library of Congress gegen eventuelle Transkriptionsfehler absichern kann, indem er die Fundstellen anschließend überprüft, da er die »gedruckten« Editionsbände virtuell aus dem Regal nehmen kann. Ebenfalls im weiteren Umfeld der Nürnberger Prozesse angesiedelt sind die Dokumente, die die Donovan Nuremberg Trials Collection bietet, die der Cornell University Law Library angeschlossen ist.8 Diese Sammlung ging aus dem Teilnachlass des Generals Wiliam J. Donovan hervor, der von 1942 bis 1945 Leiter des amerikanischen Geheimdienstes OSS (Office of Strategic Services) war. Unter den Dokumenten befinden sich unter anderem Befragungsprotokolle zu Göring, Streicher, Schacht und anderen Größen des Dritten Reiches, Beweissammlungen des OSS sowie Gutachten von Psychologen über die Angeklagten der Nürnberger Prozesse. Tatsächlich vereinigt die Kollektion »two areas of activity that are normally studied and widely thought about as quite different, even incompatible: U. S. intelligence agencies and war crimes trials.« Der Gesamtbestand ist über einen Index in Form eines umfassenden elektronischen Findbuchs erschlossen. Der kleinere Teil der Dokumente wird als Faksimile (PDF) zur Verfügung gestellt; die restlichen Dokumente sind mit einem detaillierten Regest samt Abstract erfasst. Über diese Regesten ist eine Volltext-Suche möglich. Die vom Web Genocide Documentation Center an der University of West England in Bristol zur Verfügung gestellten Seiten sind zwar für eine wissen7 In Deutschland u. a. im Institut für Zeitgeschichte in München und im Staatsarchiv Nürnberg. 8 Cornell University Law Library: Donovan Nuremberg Trials Collection: library.lawschool. cornell.edu/WhatWeHave/SpecialCollections/Donovan/index.cfm.

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schaftliche Nutzung zu den Nürnberger Prozessen nicht brauchbar. Sie bieten aber die Berichte der United War Crimes Commission (UNWCC) und damit zumindest einen Überblick über eine Vielzahl von Kriegsverbrecherprozessen unter alliierter Ägide und spannen den Bogen weiter bis in die Gegenwart.9 Im Bundesarchiv der USA, der National Archives and Records Administration (NARA), war von 1999 bis 2007 eine Arbeitsgruppe tätig, die den Auftrag hatte, in den Überlieferungen der unterschiedlichsten Institutionen alle Akten, die mit Kriegsverbrechern im Zusammenhang standen, zu finden, zu inventarisieren, zur Freigabe vorzuschlagen und schließlich zugänglich zu machen. Rechtliche Grundlage für die Arbeit der Nazi War Crimes and Japanese Imperial Government Records Interagency Working Group (IWG)10 war der Nazi War Crimes Disclosure Act aus dem Jahr 1998, der insbesondere die Freigabe noch unter Geheimhaltungsvorbehalt stehender Unterlagen vorsah. Der Auftrag umfasste auch japanische Kriegsverbrechen.11 Durch die Arbeit der Kommission konnten ca. 60.000 Namen gelistet werden, die im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen und den dazugehörigen Prozessen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges standen.12 Leider ist erst eine Auswahl der Akten im Abschlussbericht über japanische Kriegsverbrechen digitalisiert; die Findmittel zu den mikroverfilmten Akten aller Nürnberger Prozesse und amerikanischen Kriegsverbecher-Prozesse ermöglichen dem Forscher zumindest einen Überblick. Für den überwiegenden Teil der Prozessakten bleibt aber der Weg ins Archiv unerlässlich.13 Abschließend ist das Problem der Zuverlässigkeit der Akten anzusprechen, die mittels »neuer Medien« zugänglich gemacht werden. Dazu gehört – im Falle der Veröffentlichung von Einzeldokumenten oder Aktenauszügen – der Verlust des Akten- und Überlieferungskontextes. Der Wissenschaftler kann 9 Web Genocide Documentation Center: Ressources on Genocide, War Crimes and Mass Killing, bearb. von. Stuart D. Stein: www.ess.uwe.ac.uk/genocide, hier: Crimes, Trials and Laws: www.ess.uwe.ac.uk/genocide/war_criminals.htm. 10 The U. S. National Archives and Records Administration: www.archives.gov; The Nazi War Crimes and Japanese Imperial Government Records Interagency Working Group: www. archives.gov/iwg. 11 Ebd., Japanese War Crimes. Ressources für Researchers: www.archives.gov/iwg/japanesewar-crimes. 12 IWG: Final Report to the United States Congress (April 2007), Washington 2007, S. 29: www.archives.gov/iwg/reports/final-report-2007.pdf. 13 IWG: Select Documents on Japanese War Crimes and Japanese Biological Warfare, 1934– 2006: www.archives.gov/iwg/japanese-war-crimes/select-documents.pdf; sowie NARA: Captured German and Related Records on Microform in the National Archives. National Archives Collection of World War II War Crimes Records (Record Groups 153, 238 and 549), hier: www. archives.gov/research/captured-german-records/war-crimes-trials.html.

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die Dokumente, die er heranzieht, nicht selbst in die Hand nehmen, sondern muss sich auf die Zuverlässigkeit der Reproduktion verlassen. Für den Benutzer mag es zudem verlockend sein, sich auf die schnelle aber punktuelle Recherche von Namen oder Orten zu beschränken, anstatt größere Sachzusammenhänge in Dokumenten zu eruieren – die möglicherweise ohne die Nennung der gesuchten Schlagworte auskommen. Liegt das Dokument in Form eines Faksimiles vor (also in der Regel in gescannter Form als Bild- oder PDF-Datei), kann mit einigem Recht von einer Identität mit dem Original ausgegangen werden – sofern man dem Anbieter nicht bewusste Manipulation unterstellen will. Problematischer sind transkribierte Fassungen: Beim Transkriptionsprozess können Fehler unterlaufen, zudem gehen visuell wahrnehmbare Eigenheiten des Originaldokuments verloren. Damit steht der Forscher allerdings vor ähnlichen Problemen und Einschränkungen wie bei der Nutzung von gedruckt vorliegenden Quelleneditionen. Die Besonderheiten des Mediums Internet – niedrige Publikationshürden und fehlende Kontrollmechanismen, potenzielle Flüchtigkeit der Information – machen es jedoch erforderlich, sich mit besonderer Gewissenhaftigkeit von der Seriosität des Anbieters zu überzeugen und sich ein Bild von der angewandten Methode und Sorgfalt bei der Bereitstellung des Quellenmaterials zu verschaffen. Material, das von Internetseiten obskurer oder gar anonymer Provenienz stammt, eignet sich keinesfalls für eine Verwendung in wissenschaftlichem Kontext. Hilfreich ist es, wenn die bereit stellende Institution die Archivsignatur oder die bibliographischen Angaben des Originaldokuments angibt: Diese sollte in der Zitation mitberücksichtigt werden. Dies gewährleistet die Nachvollziehbarkeit wissenschaftlicher Argumentation auch dann, wenn eine Internetseite – aus welchen Gründen auch immer – aus dem Netz verschwinden sollte. Bei Digitalisaten bereits publizierter Quellen ist zudem darauf zu achten, dass auch die Dokumentennummern oder Seitenzahlen der Druckausgabe angegeben werden, damit dem Leser das Auffinden der Belege in allen ihm verfügbaren Ausgaben möglich ist. Einen wie auch immer vollständigen Überblick über die Seiten, die im Internet Quellenmaterial zur Verfügung stellen, das im Zusammenhang mit Kriegs- bzw. NS-Verbrecherprozessen steht, kann und will dieser Abriss nicht bieten. Insgesamt wird jedoch deutlich, dass die Bereitstellung von Quellen im Internet gerade erst begonnen hat. Einheitliche oder allgemein anerkannte Standards sowohl für das Angebot als auch für die Nutzung gerade im wissenschaftlichen Kontext, lassen bisher auf sich warten. An die Erschließung sowie an die Editionsrichtlinien im Internet werden künftig dieselben Maßstäbe zu legen sein, wie dies bei papierenen Archiven, Findbüchern und Quelleneditionen der Fall ist. Dabei wird der Transparenz des editorischen Verfahrens besonderer Wert zukommen müssen. Während allerdings

Quellen online: Prozessdokumente im Internet

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gedruckte Editionen in oft umfangreichen Einleitungen über Auswahl und Bearbeitung der Quellen Rechenschaft ablegen, schweigen sich die Herausgeber digitaler Editionen bislang meist aus. Gleichwohl wird deutlich, dass die digitale Bereitstellung und Aufarbeitung von Quellen im Internet das Potenzial hat, Erleichterungen für die Forschung mit sich zu bringen, sowohl mit Blick auf Verfügbarkeit und Zugänglichkeit als auch auf Suchfunktionen und Handhabbarkeit großer Dokumentenbestände. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Umfang digital und online verfügbarer Quellen weiter zunehmen wird.

Annotierte Bibliographie Digitale Edition und Publikation: Mit den Anforderungen und Strategien zum wissenschaftlichen Umgang mit Geschichte im Netz befassen sich inzwischen auch Archive und Bibliotheken, insbesondere mit Problemen von Digitalisierung, elektronischer Publikation und Edition und Erschließung von Quellenbeständen. Die Ergebnisse zweier Tagungen zu diesen Themen sind dokumentiert in Burckhardt u. a., Geschichte und Neue Medien, Bd. 1 sowie Burckhardt u. a., Geschichte im Netz.

Anhang

Linkliste Zu online publizierten Quellen → Gruner. Verwiesen sei außerdem auf die umfangreiche Linkliste unter www.nachkriegsjustiz.at/service/links. Archives of Russia (Portal der Staatlichen Archivverwaltung der Russischen Föderation) www.rusarchives.ru Archivportal der Archivschule Marburg: Archive im Internet (Deutschland, Europa und Übersee) www.archivschule.de/content/59.html Archivschule Marburg: Archivgesetze des Bundes und der Länder www.archivschule.de/content/49.html The Avalon Project at Yale Law School: Documents in Law, History and Diplomacy www.yale.edu/lawweb/avalon/avalon.htm Bundesarchiv: Außenstelle Ludwigsburg www.bundesarchiv.de/aufgaben_organisation/dienstorte/ludwigsburg/ Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BstU) www.bstu.bund.de Bundesstiftung Aufarbeitung: Vademekums zur Zeitgeschichte (DDR-Forschung, Ukraine, Slowakei, Großbritannien und Irland, Bulgarien, Ungarn, Tschechische Republik, Rumänien, Polen) www.stiftung-aufarbeitung.de/service_wegweiser/vademekums.php? Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbrecherprozesse (ICWC) – Philipps-Universität Marburg www.icwc.de Fritz Bauer Institut. Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust www.fritz-bauer-institut.de Harvard Law School Library: Nuremberg Trials Project www.nuremberg.law.harvard.edu Institut für Zeitgeschichte München-Berlin www.ifz-muenchen.de www.ifz-muenchen.de/verfolgung_von_ns-verbrechen.html International Institute of Social History: ArcheoBiblioBase (Informationssystem zu Archiven in der Russischen Föderation) www.iisg.nl/~abb

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Abkürzungen a.D. AG AJ AOFAA AR Az BArch BayHStA BDC BGBl. BGBl. [Ö] BGH BRD BStU CCAC CCS DDR DÖW FO FStN Gestapo GP GStA HA HeStA HStA HStAD HStAW ICC ICTR ICTY ICWC IMT IStGH IWG JuNSV KdS KGB KL KPÖ KRG Kripo KVG KZ L/StADT LA

außer Dienst Amtsgericht Affaires Judiciaires Archives de l’Occupation Française en Allemagne et en Autriche, Colmar Allgemeines Register Aktenzeichen Bundesarchiv Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München Berlin Document Center Bundesgesetzblatt Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich Bundesgerichtshof Bundesrepublik Deutschland Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Combined Civil Affairs Committee Combined Chiefs of Staff Deutsche Demokratische Republik Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes Foreign Office Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz Geheime Staatspolizei Geschäftsperiode Generalstaatsanwalt, Generalstaatsanwaltschaft Hauptabteilung Hessisches Staatsarchiv Hauptstaatsarchiv Hauptstaatsarchiv Düsseldorf Hauptstaatsarchiv Wiesbaden International Criminal Court International Criminal Tribunal for Ruanda International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia International Research and Documentation Center for War Crimes Trials International Military Tribunal – Internationales Militärtribunal Nürnberg Internationaler Strafgerichtshof Interagency Working Group Justiz und NS-Verbrechen Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD Komitet Gosudarstwennyj Bezopasnosti, Komitee für Staatssicherheit Konzentrationslager Kommunistische Partei Österreichs Kontrollratsgesetz Kriminalpolizei Kriegsverbrechergesetz Konzentrationslager Landesarchiv/Staats- und Personenstandsarchiv Detmold Landesarchiv

266 LASH LG MfS NARA NKVD NRW NS NSDAP NSG OGH OGHBZ OLG OMGBR OMGBY OMGH OMGUS OMGWB OÖLA OSS OStA ÖStA ÖVP p. PDF PRO Rep. RHE RS RSHA SD Sipo SMAD SPÖ SS StA StAB StAM StAS Stapo Stasi Sten. Prot. StGB StGBl. StPO TNA UNWCC VG VS ZStL

Abkürzungen Landesarchiv Schleswig-Holstein Landgericht Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) National Archives and Records Administration Narodnyj Komissariat Vnutrennych Del, Volkskommissariat des Inneren der UdSSR Nordrhein-Westfalen Nationalsozialismus, nationalsozialistische Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands Nationalsozialistische Gewaltverbrechen Oberster Gerichtshof Oberster Gerichtshof für die britische Zone Oberlandesgericht Office of Military Government for Bremen Office of Military Government for Bavaria Office of Military Government for Hesse Office of Military Government for Germany, US Office of Military Government for Wuerttemberg-Baden Oberösterreichisches Landesarchiv Office of Strategic Services Oberstaatsanwalt Österreichisches Staatsarchiv, Wien Österreichische Volkspartei Paquet Portable Document Format Public Record Office Repertorium Rechtshilfeersuchen Rückseite Reichssicherheitshauptamt Sicherheitsdienst des Reichsführers SS Sicherheitspolizei Sowjetische Militäradministration Sozialistische Partei Österreichs Schutzstaffel Staatsarchiv Staatsarchiv Bamberg Staatsarchiv München Staatsarchiv Stade Staatspolizei Staatssicherheitsdienst Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates der Republik Österreich Strafgesetzbuch Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich Strafprozessordnung The National Archives, Kew United Nations War Crimes Commission Verbotsgesetz Vorderseite Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Straftaten in Ludwigsburg

Literaturverzeichnis Die nachfolgende Auswahlbibliographie verzeichnet neben den im Band zitierten und empfohlenen Publikationen eine Vielzahl weiterer Titel, erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Beiträge aus den zahlreichen Sammelbänden zum Thema wurden nicht vollständig aufgenommen. (Stand Mai 2008)

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Zum Weiterlesen empfohlen Manfred Gailus (Hg.) Kirchliche Amtshilfe Die Kirche und die Judenverfolgung im »Dritten Reich«

2008. 223 Seiten mit 15 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-55340-4 Als Eigentümerin der Kirchenbücher besaßen die Kirchen zentrale Personendaten, die für die NS-Sippenforschung von Bedeutung waren. Der Forderung von NS-Staat und NSDAP nach Auslieferung dieser Daten kamen die Kirchen meist sehr bereitwillig nach. Nicht selten entstanden eigene Kirchenbuchstellen, die rassistisch motivierte Forschung betrieben und ihre Ergebnisse an Behörden und Parteistellen weiterreichten. Dieses Buch zeigt an fünf Fallbeispielen unterschiedliche Formen kirchlicher »Amtshilfe« und beschreibt, wie in der Nachkriegszeit mit diesem brisanten Thema umgegangen wurde. »[Es ist] sehr zu begrüßen, dass hier aus einigen dieser Kirchen zum ersten mal die Archivpraxis während des „Dritten Reiches“ anhand der Quellen dargestellt wird.« Rudolf Lill, Frankfurter Allgemeine Zeitung »Es bleibt zu hoffen, dass die hier veröffentlichten Studien ... eine baldige Fortsetzung finden.« Antifaschistische Nachrichten

Edgar Wolfrum / Ulrike Weckel (Hg.) »Bestien« und »Befehlsempfänger« Frauen und Männer in NS-Prozessen nach 1945

2003. 271 Seiten mit 4 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-36272-3 Wie Frauen zu Täterinnen im Nationalsozialismus wurden, ist seit Längerem Thema der Forschung, ihr Auftreten in den Gerichtsprozessen der Nachkriegszeit blieb bislang unbeachtet. Auch das Verhalten der mehrheitlich männlichen Angeklagten ist noch nie aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive analysiert worden. Beides untersuchen die Beiträge dieses Bandes erstmals systematisch und vergleichend – ein wichtiger Beitrag zur nationalsozialistischen Täter- und Täterinnenforschung. »This book is a welcome shift that should inspire historians, legal scholars, cultural critics, theological and ethical thinkers to insert questions of gender perception and identity into all analysis of human behavior.« K. von Kellenbach, theologie.geschichte »Die Produktivität dieses Disziplinen übergreifenden Ansatzes wird durch den Sammelband eindrucksvoll bewiesen.« Linde Apel, Werkstatt Geschichte

Literatur zum Nationalsozialismus Harald Scholtz Erziehung und Unterricht unterm Hakenkreuz

Michael Wildt Geschichte des Nationalsozialismus

Neuausgabe. 208 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-01389-2

UTB 2914 Grundkurs Neue Geschichte 2008. 219 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-8252-2914-6

Welche Folgen hatte die nationalsozialistische Machtergreifung für Erziehung und Unterricht? Wie hat sich die Machtausübung der politischen Führung auf die Praxis der Jugenderziehung ausgewirkt? Hitlers Forderung nach Umerziehung aller Deutschen umfasste alle gesellschaftlichen Gruppen, gleich welchen Alters. Die Jugenderziehung stellte einen wesentlichen Teilbereich seines Bestrebens dar, Motive, Wertvorstellungen und Verhalten möglichst tief greifend zu beeinflussen. Wie sich diese Form der Umerziehung auf das Bildungs- und Erziehungssystem auswirkte, zeigt die umfassende Analyse von Harald Scholtz, die hier in neuer Ausgabe vorliegt. »Dieses gut und anspruchsvoll geschriebene Buch ist als ein Standardwerk uneingeschränkt zu intensiver Lektüre zu empfehlen.« Hans Jürgen Apel, Bildung und Erziehung

Die meisten Darstellungen zum Nationalsozialismus konzentrieren sich auf die Zeit zwischen 1933 bis 1945. Michael Wildts kompakte Einführung umfasst hingegen die gesamte Geschichte des Nationalsozialismus: von seiner Entstehung aus dem Ersten Weltkrieg und seinem Aufstieg in der Weimarer Republik, über den Machtantritt und die Umwandlung der deutschen Gesellschaft bis hin zum Massenmord und Zerfall im Krieg. Michael Wildt bietet eine moderne, problemorientierte und auf die neueste Forschung gegründete Geschichte des Nationalsozialismus. »Wildt erhebt ... nicht den Anspruch, eine Gesamtdarstellung des Nationalsozialismus und seiner Herrschaft vorzulegen. Vielmehr möchte er eine klar konturierte Interpretation des Nationalsozialismus liefern, deren Kern die ›Volksgemeinschaft‹ ist. Das ist ihm überzeugend gelungen, wovon sich hoffentlich viele Leser ... selbst ein Bild machen mögen.« M. Roth, Wissenschaftlicher Literaturanzeiger