Völkerrechtsgeschichte(n): Historische Narrative und Konzepte im Wandel [1 ed.] 9783428551637, 9783428151639

Völkerrechtsgeschichte(n). Der Begriff deutet an, dass die Geschichte des Völkerrechts nicht einfach-linear ist, sondern

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Völkerrechtsgeschichte(n): Historische Narrative und Konzepte im Wandel [1 ed.]
 9783428551637, 9783428151639

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Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel

Band 196

Völkerrechtsgeschichte(n) Historische Narrative und Konzepte im Wandel

Herausgegeben von

Andreas von Arnauld

Duncker & Humblot · Berlin

Andreas von Arnauld (Hrsg.)

Völkerrechtsgeschichte(n)

Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel In der Nachfolge von Jost Delbrück herausgegeben von Andreas von Arnauld, Nele Matz-Lück und K e r s t i n O d e n d a h l Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht

Band 196

Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Christine Chinkin London School of Economics James Crawford International Court of Justice, The Hague Lori F. Damrosch Columbia University, New York Rainer Hofmann Johann Wolfgang GoetheUniversität, Frankfurt a.M. Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis Eibe H. Riedel Universität Mannheim

Allan Rosas Court of Justice of the European Union, Luxemburg Bruno Simma Iran-United States Claims Tribunal, The Hague Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit, Heidelberg

Völkerrechtsgeschichte(n) Historische Narrative und Konzepte im Wandel

Herausgegeben von

Andreas von Arnauld

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 978-3-428-15163-9 (Print) ISBN 978-3-428-55163-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-85163-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Der hier vorgelegte Band ist aus einer Kieler Ringvorlesung im akademischen Jahr 2014/15 hervorgegangen, die unter dem Titel „Das Völkerrecht vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart: Narrative und Konzepte im Wandel“ stand. Seinerzeit gab es gleich zwei Jubiläen zu begehen: 2014 den 100. Jahrestag der Gründung des Instituts für Internationales Recht (heute: Walther-SchückingInstitut für Internationales Recht), 2015 den 350. Jahrestag der Gründung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (der „Christiana Albertina“). Aus diesen doppelten Anlässen sollte Geschichte gerade nicht im Festtagston, d.h. in ihrer affirmativen, Traditionslinien betonenden Variante erzählt werden; vielmehr sollten am Anfang Gedanken darüber stehen, wie wir Völkerrechtsgeschichte schreiben, um anschließend fundamentalen Konzepten des Völkerrechts in ihrem Wandel nachzuspüren. Der Band dokumentiert diesen Weg einer Suche nach besserem Verständnis geschichtlicher Prozesse im Völkerrecht und ihrer wissenschaftlichen Durchdringung. Es gilt hier Dank zu sagen: Sylvia Weidenhöfer und Sinthiou Buszewski für die formale und redaktionelle Betreuung des Bandes, dem Team des WaltherSchücking-Instituts, allen voran Carmen Thies, für die Unterstützung bei der Durchführung der Ringvorlesung. Die Druckkosten konnten aus Mitteln des Jubiläumsfonds der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel sowie durch Unterstützung der Gesellschaft zur Förderung von Forschung und Lehre am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel e.V. bestritten werden. Ohne Unterstützung Letzterer wäre auch die Durchführung der Ringvorlesung nicht möglich gewesen. Auch hierfür Dank!

Kiel, im Oktober 2016

Andreas v. Arnauld

Inhaltsverzeichnis Andreas v. Arnauld Völkerrechtsgeschichte(n). Einleitende Überlegungen .....................................

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Teil I: Historische Narrative Rainer Grote Das „Westfälische System“ des Völkerrechts: Faktum oder Mythos? ..............

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Jochen v. Bernstorff International Legal History and its Methodologies: How (Not) to Tell the Story of the Many Lives and Deaths of the ius ad bellum ……………………………... 39 Heinhard Steiger Das Ius Publicum Europaeum und das Andere: a global history approach ......

53

Markus Kotzur Konstitutionelle Momente? Gedanken über den Wandel im Völkerrecht .........

99

Teil II: Konzepte im Wandel Erika de Wet und Ioannis Georgiadis From communitas orbis to a Community of States – and Back? .......................

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Carsten Stahn Das Ringen um den Frieden: Jus ad bellum – Jus contra bellum – Jus Post Bellum? .............................................................................................................

147

Alexander Proelß und Camilla Haake Gemeinschaftsräume in der Entwicklung: von der res communis omnium zum common heritage of mankind ................................................................ 171 Autorenverzeichnis ..................................................................................................

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Völkerrechtsgeschichte(n). Einleitende Überlegungen Von Andreas v. Arnauld

A. Vom Reflexivwerden der Historiographie Geschichte ist Gegenwart. Dies ist keine neue Erkenntnis, sie beschränkt sich aber nicht darauf, dass das Vergangene uns und unsere Zeit prägt. Ebenso prägen wir dem Vergangenen den Stempel unserer Gegenwart auf. Die Kontingenzen der Geschichte und der Geschichtsschreibung hat Walter Benjamin in seiner Reflexion über Paul Klees Bild „Angelus Novus“ wirkmächtig in Worte gefasst: Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. 1

Angesichts dieses Trümmerfeldes gewinnt die Aufgabe zu ordnen an Bedeutung. Zugleich aber wird deutlich, dass die „Kette an Begebenheiten“, die uns erscheint, unausweichlich konstruiert werden muss. „Auch Klio dichtet“, hat Hayden White dies auf den Punkt gebracht 2 und mit seinem Projekt der „Metahistory“ in den 1970er Jahren die Historiographie aufgeschreckt. 3 Ihm verdanken wir die Erkenntnis, dass Geschichtsschreibung notwendig narrativ ist, dass sie damit aber zugleich das „Graue, will sagen, das Urkundliche, das Wirklich-

_____________ 1

Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte (1940), in: Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. I.2: Abhandlungen, 1980, 697 f. 2 Hayden White, Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen: Studien zur Tropologie des historischen Diskurses (Tropics of Discourse: Essays in Cultural Criticism, 1978), 1991. 3 Hayden White, Metahistory: The Historical Imagination in Nineteenth Century Europe, 1973. Deutsch als: Metahistory: Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, 1991.

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Feststellbare, das Wirklich-Dagewesene“4 verlässt und Fakten interpretierend ordnet: nach narrativen (Romanze, Tragödie, Komödie, Satire), formalen (Formativismus, Organizismus, Mechanismus, Kontextualismus) oder ideologischen Kriterien (Anarchismus, Konservatismus, Radikalismus, Liberalismus). Auch wem die dreimal vier Rubriken der whiteschen Dekonstruktion allzu schematisch erscheinen mögen: „Geschichte“, d.h. unser Bericht von Vergangenem, ist – wie das Recht 5 und andere soziale Praktiken 6 – in Geschichten verstrickt 7. In diesem Sinne trägt der vorliegende Band einen auf den ersten Blick recht verspielten Titel: Völkerrechtsgeschichte(n). Was in den 1970er Jahren noch Anstoß erregte, ist in der Geschichtswissenschaft inzwischen längst angekommen. Eine selbstkritische Historiographie reflektiert ihre Deutungen und Deutungsmuster, ihre Denkhaltungen und blinden Flecke. Dies soll vergangene Leistungen nicht schmälern: Heutige Historiker sind nicht „besser“ als die Historiographen vergangener Epochen. Die Wissenschaft und auch: Die Kunst eines Thukydides, eines Ranke, eines Burckhardt oder Mommsen, eines (um unbemerkt vom Leser zwei persönliche Favoriten einzustreuen) Huizinga oder Friedell haben bleibende Werte geschaffen. Der Einzug der Postmoderne in die Geschichtswissenschaft hat in erster Linie die Art und Weise verändert, wie wir Geschichte(n) erzählen. Auch die Völkerrechtsgeschichte ist – wie so oft bei den „Bindestrichdisziplinen“ nach vorsichtigem Zögern – von diesem Wandel erfasst. Wo vor zwanzig Jahren noch Grewes „Epochen der Völkerrechtsgeschichte“ 8 die Standardreferenz bildeten, leitet das postmodern kanonisierte Zitat den Leser heute zu Koskenniemis „Gentle Civilizer of Nations“ 9. Für das Selbstverständnis der Disziplin ist das kennzeichnend.

B. Völkerrechtshistorische Narrative hinterfragt Am Anfang einer jeden Dekonstruktion steht die – im Wortsinne – DesIllusionierung. Es gilt, tradierte Narrative als solche zu enttarnen, aufzuzeigen, dass das scheinbar objektiv-historische Faktum Konstruktion ist. Pars pro toto _____________ 4 Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral: Eine Streitschrift (1887), Vorrede, Nr. 7 (= Kritische Studienausgabe, Bd. 5, 2. Aufl. 1988, 254). 5 Dazu m.w.N. Andreas v. Arnauld, Erzählen im Recht, in: Matías Martínez (Hrsg.), Erzählen: Ein interdisziplinäres Handbuch, 2017 (i.E.). 6 Allgemein Christian Klein/Matías Martínez (Hrsg.), Wirklichkeitserzählungen: Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, 2009. 7 Die Wendung entlehnt bei Wolfgang Grasnick, In Fallgeschichten verstrickt, Zeitschrift für Rechtsphilosophie 2003, 192 ff. 8 Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (1984), 2. Aufl. 1988. 9 Martti Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations: The Rise and Fall of International Law, 1870–1960, 2002.

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steht hierfür in diesem Band Rainer Grotes Beitrag zum „Westfälischen System“ des Völkerrechts. Wir haben uns daran gewöhnt (in Übernahme einer vor allem im angelsächsischen Schrifttum verbreiteten Chiffre), das Modell souveräner und einander rechtlich gleicher Nationalstaaten als Produkt des Westfälischen Friedens zu bezeichnen und Fortschritte im modernen Völkerrecht im Abstand zum „westfälischen“ Modell zu messen. Dabei ist dieses – praktisch immer als Gegenmodell verwendete – Völkerrechtssystem (sofern und soweit es je existierte) viel eher eine Momentaufnahme der internationalen Ordnung um 1900. Nur wenn man sich auf das Gedankenspiel einlässt, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, wie es aus dem Westfälischen Frieden hervorging, als internationale Organisation im modernen Sinne zu deuten, 10 mag man bestimmte Grundregeln jener Friedensverträge von Münster und Osnabrück im Völkerrechtssystem erkennen. Was aber ist hier historisch belegbare Wirkung, was Projektion? Dass, wie Grote zeigt, der Mythos von „Westfalen“ zu einem Jubiläum in die Welt gesetzt wurde, zum 300. Jahrestag der Friedensschlüsse von 1648, unterstreicht noch einmal die narrative Dimension des Umgangs mit Geschichte. Völkerrechtsgeschichte(n) eben. Das Beispiel des Westfälischen Friedens ist auch aus einem anderen Grunde aufschlussreich. Wir schreiben ihn mit Großbuchstaben am Anfang, „1648“ markiert eine Epochenwende. Das erwähnte Werk Grewes darf in dieser Hinsicht im doppelte Sinne als „epochemachend“ gelten. Die Schneisen, die er in das Dickicht der Völkerrechtsgeschichte geschlagen hat, haben unsere Wahrnehmung der historischen Abläufe geprägt. Auf das spanische Zeitalter (1492– 1648) folgten das französische (1648–1815) und das englische (1815–1919). Die Jahreszahlen kennzeichnen uns bekannte „Wendepunkte“: die Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus, der Westfälische Friede, der Wiener Kongress. Die Deutung solcher historischen Ereignisse als Zäsuren, darauf weist Jochen v. Bernstorff in diesem Band hin, droht jedoch den Blick auf strukturelle Bedingungen und Prozesse zu verstellen, die für die historiographische Befassung mit dem Völkerrecht als einem strukturbildenden Element der internationalen Beziehungen doch eigentlich im Mittelpunkt stehen sollten. Um nicht wie Benjamins Engel der Geschichte ins Chaos des Vergangenen zu blicken, bedürfen wir vermutlich solcher Daten als trigonometrischer Punkte, müssen uns aber stets bewusst machen, dass jede Deutung von Ereignissen als Zäsuren und jede Verklammerung von Zeiträumen zu Epochen Konstrukte sind, die ihre blinden Flecke besitzen und möglicherweise sogar, bewusst oder unbewusst, eine bestimmte Ideologie transportieren. 11 Grewes „Epochen“, die _____________ 10

So Albrecht Randelzhofer, Völkerrechtliche Aspekte des Heiligen Römischen Reiches nach 1648, 1967. 11 Oliver Diggelmann,The Periodization of the History of International Law, in: Bardo Fassbender/Anne Peters (Hrsg.), The Oxford Handbook of the History of International Law, 2012, 997 ff.

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dem Hegemoniedenken Carl Schmitts verpflichtet sind, 12 unterstreichen dies. Vor dem Hintergrund dieses Dilemmas stellt v. Bernstorff die Frage nach der (Un)Möglichkeit von Völkerrechtsgeschichtsschreibung. 13 Völkerrechtler sind niemals bloß Historiker. Die bloße Historiographie im Wortsinne würde dem normativen Sinn der untersuchten Verträge und Dokumente nicht gerecht, währenddessen Erschließung vom heutigen Standpunkt aus anachronistisch zu werden droht, weil wir in die modernen Praktiken von Auslegung und Anwendung verstrickt sind, an denen wir zugleich selbst mitwirken. Teilnehmende Beobachtung ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die nicht einfacher wird, wenn es um die Beobachtung und Analyse des Rechts vergangener Zeiten geht. Historische Periodisierungen unterliegen aber auch einem anderen Problem, auf das v. Bernstorff hinweist: Die von Grewe herangezogenen Daten – 1492, 1648, 1815 – mögen aus europäischer Sicht auf bedeutsame Ereignisse verweisen, nicht aber aus der Sicht außereuropäischer Kulturen z.B. Asiens oder Afrikas. Geschichtsschreibung droht auf diese Weise die „Verweigerung der Zeitgenossenschaft“ 14 fortzuschreiben, mit der der Imperialismus außereuropäische Erfahrungen exkludierte. Das Projekt einer „Weltgeschichte“ soll diesem Exklusionswerk entgegenarbeiten, wie Jürgen Osterhammel schreibt: Weltgeschichte will ‚Eurozentrismus‘ ebenso wie jede andere Art von naiver kultureller Selbstbezogenheit überwinden. Dies geschieht nicht durch die illusionäre ‚Neutralität‘ eines allwissenden Erzählers oder die Einnahme einer vermeintlich ‚globalen‘ Beobachterposition, sondern durch ein bewusstes Spiel mit der Relativität der Sichtweisen. Dabei kann nicht übersehen werden, wer für wen schreibt. Dass sich ein europäischer (deutscher) Autor an europäische (deutsche) Leser wendet, wird den Charakter des Textes nicht unberührt lassen: Erwartungen, Vorwissen und kulturelle Selbstverständlichkeiten sind nicht standortneutral. 15

Die europäische Dominanz auch aus der Völkerrechtsgeschichtsschreibung zurückzudrängen, diese Aufgabe hat Dipesh Chakrabarty auf eine griffige Formel gebracht: „Provincializing Europe“. 16 Dem „global history approach“ ver_____________ 12

Bardo Fassbender, Stories of War and Peace On Writing the History of International Law in the ‚Third Reich‘ and After, European Journal of International Law 13 (2002), 479 ff. 13 Pointiert Antony Carty, Doctrine versus State Practice, in: Fassbender/Peters (Anm. 11), 972, 974: „In fact, the reason international legal history is almost impossible to write is that there is no consensus on what international law is“. 14 Johannes Fabian, Time and the Other: How Anthropology Makes Its Others, 1983 („denial of coevalness“), zitiert nach Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, 2009, 118 Anm. 86. 15 Osterhammel (Anm. 14), 19 f. 16 Dipesh Chakrabarty, Provincializing Europe: Postcolonial Thought and Historical Difference, 2008. Deutsch als: Europa als Provinz: Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung, 2010.

Völkerrechtsgeschichte(n). Einleitende Überlegungen

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pflichtet ist das unlängst erschienene „Oxford Handbook of the History of International Law“. 17 Im vorliegenden Band spürt Heinhard Steiger dem Verhältnis zwischen dem Europäischen Völkerrecht und dem „Anderen“ in der Völkerrechtshistoriographie nach. Für ihn operiert eine wahrhaft globale Völkerrechtsgeschichtsschreibung auf drei einander überlappenden Ebenen: den Geschichten der partikularen „Völkerrechte“ in den verschiedenen Zeiten, Regionen, Kulturen, Zivilisationen; den Geschichten der Begegnungen, Verflechtungen und Vernetzungen zwischen diesen aus den je unterschiedlichen Blickwinkeln; 18 den Geschichten der Herausbildung der heutigen universellen Völkerrechtsordnung. Eine solche Historiographie des Völkerrechts steht vor der Aufgabe, Begriffe, Traditionen, Quellen, Sprache, Interpretation und Kontextualität zu reflektieren; sie steht vor dem Paradox, oftmals der europäischen Tradition entstammenden Begriffe verwenden zu müssen, die sie aber (hier setzt sich Steiger von Koskenniemis postkolonialer Begriffskritik ab 19) in ihrem Sinne umzuprägen vermag. Der Titel „Völkerrechtsgeschichte(n)“ deutet also nicht nur auf die narrative Vermittlung der Historie hin, sondern zugleich auch auf die Pluralität historischer Erfahrung und Überlieferung, die es im transzivilisatorischen Dialog 20 zu erarbeiten gilt. Die Funktion von Entwicklungsnarrativen schließlich steht im Mittelpunkt des Beitrags von Markus Kotzur: Wie und zu welchem Zweck konzipieren wir Wandel im Völkerrecht? Die Rede vom Wandel ruft zwar das Bild eines Prozesses auf, verknüpft gleichzeitig aber ein Vorher und ein Nachher meist durch ein kathartisches Ereignis. Dieses Ereignis wird, in Singularität seines Kontexts entkleidet, zum Agenten des Strukturwandels stilisiert, um Wandel sichtbar und erklärbar zu machen. Ereignisgeschichte und Entwicklungsgeschichte werden so narrativ miteinander verbunden. Solche Rekonstruktionen historischer Prozesse dienen bei der Beschreibung einer „Kette von Begebenheiten“ in der Sphäre des Völkerrechts der Sinnstiftung, nicht selten der Legitimierung des Neuen. Kotzur widmet sich dabei zwei verwandten Konzepten solcher kathartischer Augenblicke: den „Grotian moments“, von Michael P. Scharf bei Richard

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Fassbender/Peters (Anm. 11). Hierzu zuletzt aus Sicht der (Semi-)Peripherie Arnulf Becker Lorca, Mestizo International Law: A Global Intellectual History 1842–1933, 2014. 19 Vgl. Martti Koskenniemi,Histories of International Law: Dealing with Eurocentrism, Rechtsgeschichte 19 (2011), 152 ff.; ders., Histories of International Law: Significance and Problems for a Critical View, Temple International and Comparative Law Journal, 27 (2013), 215 ff. 20 Konzeptuell wegweisend Onuma Yasuaki, A Transcivilizational Perspective on International Law: Questioning Prelevant Cognitive Frameworks in the Emerging MultiPolar and Multi-Civilizational World of the Twenty-First Century, 2010. 18

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Falk 21 entlehnt, 22 mit denen „plötzliche“ Veränderungen in einem ansonsten eher in zähem Fluss befindlichen Völkerrecht erklärt werden sollen; den „constitutional moments“, mit denen Bruce Ackerman einflussreich quasi-revolutionäre Strukturveränderungen primär in der US-amerikanischen Verfassung zu beschreiben versucht hat. 23 Das Gemeinsame liegt für Kotzur darin, dass es beide Male darum geht, Momente zu erfassen, in denen Legitimationsbehauptungen und -ansprüche grundlegend in Frage gestellt werden: Momente des Bestreitens (moments of contestation), der Transformation (moments of transformation) und des Funktionswandels (moments of functional change).

C. Grundkonzepte des Völkerrechts im Wandel Der zweite Teil des Bandes versammelt Beiträge aus einer ganz anderen Warte: der Rekonstruktion von Grundkonzepten des heutigen Völkerrechts vor historischem Hintergrund. In historischer Perspektive geht es um ideengeschichtliche Ableitungszusammenhänge mitsamt ihren Brüchen, Sprüngen, Rückanknüpfungen und Projektionen. Die Autorinnen und Autoren senken „an ihrem Standort das Lot in die Tiefe“ 24; der Geschichtsbezug wird explikativ oder als Kontrastfolie genutzt. Den Anfang macht die Konzeption der internationalen Gemeinschaft als Trägerin des Völkerrechts selbst. Hier skizzieren Erika de Wet und Ioannis Georgiadis zunächst die Entwicklung des Konzepts von der Schule von Salamanca bis in unsere Tage. Dabei betonen sie die Kontinuität des Naturrechtsdenkens, wenn auch mit je wechselnden Akzenten. Stand die communitas orbis bei Francisco de Vitoria noch ganz im Bann der katholischen Kirche und des Papsttums, universalisierte der Protestant Grotius das – immer noch christliche – Naturrecht im Zuge seines Projekts einer „Enttheologisierung“ 25 des Völkerrechts. Auch wenn rund 130 Jahre später die société des nations bei Vattel der Gemeinschaft souveräner Nationalstaaten des späten 19. Jahrhunderts den Weg zu ebnen schien, blieben die naturrechtlichen Vorstellungen virulent, wie die _____________ 21

Richard Falk u.a. (Hrsg.), The Grotian Moment in International Law: A Contemporary Perspective, 1985. 22 Michael P. Scharf, Customary International Law in Times of Fundamental Change: Recognizing Grotian Moments, 2013. 23 Bruce Ackerman,Transformative Appointments, Harvard Law Review, 101 (1988), 1164 ff.; ders., We the People: Foundations, 1991. Außerhalb des US-amerikanischen Kontexts ders., The Future of Liberal Revolutions, 1992. 24 Michel Foucault, Nietzsche, die Genealogie, die Historie (Nietzsche, l’histoire, la généalogie, 1971), in: ders., Von der Subversion des Wissens, 1991, 69, 82. 25 Begriff nach Matthias Herdegen, Völkerrecht, 15. Aufl. 2016, § 2 Rn. 4. Deutlich in Hugo Grotius, De jure belli ac pacis, 1625, Prolegomena § 11.

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Idee der civitas gentium bei ImmanuelKant belegt. Und selbst in der Hochzeit des Nationalismus in den internationalen Beziehungen bediente sich die Opposition der „organisatorischen“ Pazifisten der Sprache des „aufgeklärten“ Naturrechts, bis Kants Modell eines foedus pacificumdem „Weltstaatenbund“ des Völkerbundes zum Vorbild diente, dessen Potenzial erst durch die Gründung der Vereinten Nationen mit ihrer heute wahrhaft universellen Repräsentation erschlossen – scheint. Die „spanischen Wurzeln“ des heutigen Völkerrechts erblicken de Wet und Georgiadisin erster Linie in der Existenz von Gemeinschaftsinteressen, deren ethische Grundierung sich dem naturrechtlichen Erbe verdankt. Die Anerkennung von Pflichten erga omnes, die Idee eines zwingenden Völkerrechts (ius cogens), dessen Anbindung an das voluntaristische Modell des Zwischenstaatenrechts ephemer ist, wie auch inzwischen etablierte Mechanismen der Durchsetzung solcher Interessen (imperfect as they may be): Das Erbe von Salamanca liefert die regulative Idee, mit der staatliche Souveränität als Abschottung wie auch die weiterhin bestehenden hegemonialen Strukturen im internationalen System herausgefordert werden können. Dass dabei der Bezug auf Vitoria nicht frei von „universalistischen“ Projektionen ist, die die ideellen und sozialen Kontexte der Spätscholastik vergessen machen, mag das Zitat eines „Völkerrechtsaktivisten“ unserer Tage verdeutlichen: The universal jus gentium of Vitoria, remindful of the importance of human solidarity, regulated, on the basis of principles of natural law and right reason (recta ratio), the relations between all peoples, respectful of their rights, the territories wherein they lived, and their contacts and freedom of movement (jus communicationis). 26

Gewissermaßen als Seitenstück dieser Renaissance scholastischer Philosophie kann die Wiederkehr des Konzepts des „gerechten Krieges“ dienen. Das Fortschrittsnarrativ der Ächtung des Krieges in den internationalen Beziehungen führt von jener Doktrin über die Kopplung der auctoritas zur Kriegsführung mit der Souveränität, erst des Fürsten, dann des Staates; es macht Station im 19. Jahrhundert und kontrastiert die Schwierigkeit, eine Limitierung der anerkannten Kriegsgründe zu erreichen, 27 mit ersten Erfolgen in der Fortentwicklung des ius in bello (Genfer Konvention von 1864); schließlich gelangt es von der Drago-Porter-Konvention (1907) über das Verbot des Angriffskrieges im Briand-Kellogg-Pakt (1928) zum umfassenden Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta: das ius ad bellum hat sich zu einem ius contra bellum gewandelt. Die vordergründige Neutralität des Gewaltverbots verdeckt dabei, dass die Idee _____________ 26 Antônio Augusto Cançado Trindade, International Law for Humankind: Towards a New Jus Gentium, Recueil des Cours de l’Académie de droit international 316 (2005), 9, 38. 27 Oft fälschlich als freies Recht zum Kriege dargestellt. Hiergegen Emmanuelle Jouannet, The Liberal-Welfarist Law of Nations: A History of International Law, 2014, 130.

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gerechter Kriegsgründe nie wirklich aus der Welt war. 28 Offen aufgegriffen wurde sie in der ab Mitte der 1990er Jahre intensivierten Debatte über humanitäre Interventionen, die seit etwa zehn Jahren von der Diskussion über die Schutzverantwortung (responsibility to protect) weitgehend absorbiert ist. Im Mittelpunkt steht dabei stets isoliert die Frage des Rechts, zu den Waffen zu greifen. Carsten Stahn zeigt in seinem Beitrag auf, dass dem Konzept des gerechten Krieges (v.a. durch die Verbindung von iusta causa und iustus finis) stets auch eine Vorstellung dessen innewohnte, wie eine gerechte Ordnung nach dem Krieg auszusehen habe. Die heutige Diskussion über ein ius postbellum,dem „Übergangsrecht zwischen Konflikt und Frieden“ (Stahn), schöpft also aus historischen Quellen. Die – aus Gründen der Humanität zwingende – Abtrennung des ius in bello vom ius ad bellum hat den Anspruch der Doktrin gerechter Kriege, sich auf alle Konfliktphasen zu beziehen, in den Hintergrund gedrängt. Auch für das ius post bellumerweist sich die Anknüpfung an das historische Konzept als problematisch, weil es einerseits nicht die Legitimationslast für militärische Interventionen schultern will und weil es andererseits auch unabhängig davon bleiben muss, wer die „Kriegsschuld“ trägt. Wie beim ius in bello zeigt sich ein Wandel der Teleologie. Der betroffene Mensch rückt in den Mittelpunkt, wo zuvor die Rechte von Fürsten oder Staaten gegeneinander im Zentrum standen. Unter der Hand gerät eine solche Rekonstruktion vor einer historischen Kontrastfolie zur Absage an eine Lesart der Schutzverantwortung, welche diese unter Rückgriff auf ein wiederbelebtes Konzept gerechter Kriege zur Superinterventionsnorm stilisiert. 29 Nach der Konzeption der internationalen Gemeinschaft und Rechtsfragen von Krieg und Frieden geht es im letzten Beitrag des Bandes um die völkerrechtliche Raumordnung. Neben dem Staatsgebiet und angrenzenden Räumen mit souveränen Vorrechten kennt das Völkerrecht heute eine Reihe von Staatengemeinschaftsräumen, deren historisch erster die Hohe See ist. Diese wird seit Grotius’ „Mare liberum“ noch heute unter Rückgriff auf das römisch-rechtliche Konzept als res communis omnium interpretiert, 30 dessen zentrale Elemente das Verbot der Aneignung und die freie Nutzung sind. Alexander Proelß und Camilla Haake untersuchen nun, ob und inwieweit das Konzept eines common _____________ 28 Vgl. Katharina Ziolkowski, Gerechtigkeitspostulate als Rechtfertigung von Kriegen: Zum Einfluss moderner Konzepte des Gerechten Krieges auf die völkerrechtliche Zulässigkeit zwischenstaatlicher Gewaltanwendung nach 1945, 2008. 29 Vgl. dazu Andreas v. Arnauld,Souveränität als fundamentales Konzept des Völkerrechts, Friedens-Warte 89 (2014), 345 ff. 30 Zweifelnd angesichts immer weiter reichender Vorrechte der Küstenstaaten ScottShackelford, Was Selden Right? The Expansion of Closed Seas and its Consequences, Stanford Journal of International Law 47 (2011), 1 ff.

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heritage of (hu)mankind, das erstmals mit dem UN-Seerechtsübereinkommen von 1982 für den Tiefseeboden („Das Gebiet“) etabliert wurde, aus dem alten Konzept der res communis hervorgegangen ist. Hierfür gehen sie zurück auf die erstmalige Formulierung des common heritage-Gedankens durch den maltesischen UN-Delegierten Arvid Pardo und den vermittelnden Vorschlag, statt des „gemeinsamen Erbes“ das Konzept der res communis omnium in das der res communis humanitatis umzuprägen. Wo vordergründig der Diskurs Anknüpfung und Ableitung erkennen lässt, betonen Proelß und Haake indes die Abgrenzung gegenüber dem Konzept der res communis. An die Stelle eines liberalen Verteilungsprinzips des „first come, first serve“ tritt ein Konzept, das sich mit diesem nur noch hinsichtlich des Verbots der Aneignung deckt. Indem es die gemeinsame Bewirtschaftung, die gerechte Verteilung der Erträge sowie die friedliche und nachhaltige Nutzung fordert, lässt das Menschheitserbe-Konzept die res communis omnium hinter sich, die in eine frühere Phase des Völkerrechts zu gehören scheint. Auch damals standen schließlich hinter der scheinbaren Neutralität grenzenloser Freiheit Macht- und Verteilungsinteressen. Scharfzüngig und -sinnig fasst es, der (schon eingangs in diesen Text hineingeschmuggelte) Egon Friedell so: [D]ie Holländer [waren] während der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts die Zwischenhändler von ganz Europa: Ihre Handelsflotte war dreimal so groß wie die aller übrigen Staaten. […]‚Frei muss der Handel sein, überall, bis in die Hölle‘, lautete ihr höchster Glaubensartikel. Unter Handelsfreiheit verstanden sie aber nur Freiheit für sich selbst, das heißt: rücksichtslos ausgenütztes Monopol. So war es auch gemeint, wenn Grotius in seinem berühmten völkerrechtlichen Werk ‚Mare liberum‘ ausführte, die Entdeckung fremder Länder gebe allein noch kein Recht auf ihren Besitz und das Meer entziehe sich seiner Natur nach überhaupt jeder Besitzergreifung, es sei das Eigentum aller. Da das Meer sich aber tatsächlich im Besitz der Holländer befand, so war diese liberale Philosophie nicht als eine heuchlerische Maskierung ihres wirtschaftlichen Terrorismus. 31

Die Befassung mit Geschichte, auch der Geschichte des Völkerrechts, wird dort besonders spannend, wo sie wenig erforschtes Terrain betritt oder wo sie subversiv bequeme Annahmen hinterfragt. Dass die Beiträge in dem hier vorgelegten Band in diesem Sinne Lust an der Geschichte vermitteln mögen, ist die Hoffnung des Herausgebers.

_____________ 31

Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, 1928, 441 f.

Teil I Historische Narrative

Das „Westfälische System“ des Völkerrechts: Faktum oder Mythos? Von Rainer Grote

A. Einleitung In seinem 1986 erschienenen Aufsatz „Die Idee des modernen Staates“ führte Michael Stolleis aus: Wie auch immer über die Zukunft des menschlichen Kunstgebildes ‚Staat‘ spekuliert werden mag, jedenfalls hängen die dabei zugrunde gelegten Ansichten eng mit unserem Wissen über das historische Phänomen Staat zusammen. Dieses Wissen ist weder zureichend noch kann es als Summe objektiv wahrer Sätze vermehrt werden. Es gibt vielmehr jeweils zeit- und kontextabhängige Deutungsangebote, über die mehr oder weniger stabile Übereinstimmungen erzielt werden können. 1

Diese Sätze lassen sich auch auf das hier zu erörternde Thema „Das Westfälische System des Völkerrechts: Faktum oder Mythos?“ übertragen und ermöglichen gleich zu Beginn eine wichtige Präzisierung und Klarstellung. Es geht im Folgenden nicht darum, ob die Teilnehmer der Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück ein neues System der internationalen Beziehungen geschaffen haben oder die Schaffung eines solchen Systems zumindest intendierten. Zumindest letztere Frage lässt sich anhand der Primärquellen ohne größere Schwierigkeiten beantworten. Die Beteiligten an den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück wollten zunächst und vor allem einen für das Heilige Römische Reich verheerenden Krieg, in dem sich auch nach drei Jahrzehnten kein klarer Sieger abzeichnete, unter Wahrung ihrer jeweiligen (macht) politischen Interessen endlich beenden. 2 Es ging ihnen mit anderen Worten nicht um

_____________ 1

Michael Stolleis, Die Idee des souveränen Staates, in: Stefan Ruppert/Miloš Vec (Hrsg.), Ausgewählte Aufsätze und Beiträge, Bd. 1, 2011, 261. 2 Joachim Whaley, Germany and the Holy Roman Empire, Vol. I, Maximilian I to the Peace of Westphalia 1493–1648, 2012, 637: „It was not the intention of those who framed the Peace of Westphalia to create a balance of power between sovereign states in Europe […] no one at the peace negotiations gave much thought to the emergence of a system of sovereign states that recognized no superior authority, or to a system guaranteed by three major powers in which all sovereign states enjoyed parity regardless of size“.

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abstrakte, sondern um konkrete Fragen, 3 und zu ihrer Lösung griff man auf überkommene und bewährte Rechtsvorstellungen zurück und präzisierte deren Inhalt und Reichweite im Hinblick auf die im Reich herrschenden besonderen Verhältnisse. 4 Weder begrifflich noch in der Sache sollte etwas bahnbrechendes Neues geschaffen oder der Beginn einer neuen Völkerrechtsepoche eingeläutet werden. Die Rede von dem „Westfälischen System des Völkerrechts“, dem die Friedensschlüsse in Münster und Osnabrück zum Durchbruch verholfen haben sollen, kam erst später, viel später auf. Vielmehr geht es bei der Frage „Westfälisches System: Faktum oder Mythos?“ darum, die Plausibilität eines Deutungsangebots, das in den Friedensschlüssen von Münster und Osnabrück den Beginn des modernen, in seinen Grundzügen bis heute fortbestehenden Systems der internationalen Beziehungen sieht, anhand der verfügbaren Quellen und des in der Geschichtswissenschaft bei ihrer Interpretation und Einordnung mittlerweile erreichten Forschungsstandes einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

B. Entstehung und Inhalt der Lehre vom „Westfälischen System“ Die These, dass der Westfälische Frieden den Beginn einer neuen, der modernen Epoche der Völkerrechtsgeschichte markiere, in der wir trotz aller Umbrüche der vergangenen dreieinhalb Jahrhunderte noch immer leben, hat seit dem Zweiten Weltkrieg die Theorie der internationalen Beziehungen insbesondere im anglo-amerikanischen Sprachraum beherrscht, aber auch in die Völkerrechtswissenschaft und -lehre weithin Eingang gefunden. Sie ist in zusammenhängender Form erstmals in einem Aufsatz entwickelt worden, den Leo Gross 1948 unter dem Titel „The Peace of Westphalia, 1648–1948“ im „American Journal of International Law“ veröffentlichte. Wie schon der Titel des Aufsatzes deutlich macht, schlug Gross hier den Bogen zu der Annahme der Charta der Vereinten Nationen wenige Jahre zuvor und deutete den Westfälischen Frieden als Ausgangspunkt eines historischen Kontinuums, das sich über die Wegmarken Wiener Kongress 1815 und Versailles 1918 bis unmittelbar in die Gegenwart er_____________ 3 Bardo Fassbender, Die verfassungs- und völkerrechtsgeschichtliche Bedeutung des Westfälischen Friedens von 1648, in: Ingo Erberich u.a. (Hrsg.), Frieden und Recht, 1998, 9, 28; Whaley (Anm. 2), 637. 4 So schon Wilhelm Janssen, Die Anfänge des modernen Völkerrechts und der neuzeitlichen Diplomatie. Ein Forschungsbericht, 1965, 70: „So wenig Neues Grotius in der Völkerrechtslehre gebracht hat, so wenig entscheidend haben die Westfälischen Friedensverträge das geltende Recht umgestaltet. Was beide auszeichnet, ist die Zusammenfassung überkommener Lehren und Rechtsvorstellungen, wobei sich absterbende und zukunftsweisende Züge schwer voneinander ablösbar mischen. Das meiste aber von dem, was wir an ihnen aus unserer heutigen Sicht als wesentlich ansehen, ist altes Ideengut“.

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streckte. 5 Der Westfälische Friede, so argumentierte Gross, markierte einen Epochenwechsel in der Geschichte des Völkerrechts, indem er das Völkerrecht aus seinem bisherigen christlich-religiösen Kontext herauslöste und dessen Laizisierung vorantrieb. Zugleich erweiterte er die Reichweite seiner Regeln, in dem er sowohl republikanische als auch monarchische Staaten auf der Grundlage der Gleichheit der Geltung des Völkerrechts unterwarf. 6 Selbst die Idee eines universellen Menschenrechtsschutzes sah Gross in den Vertragsbestimmungen zum Schutz konfessioneller Minderheiten und der Verbürgung der vollständigen Gleichheit von Katholiken und Protestanten bereits vorweggenommen: If the efforts of the United Nations are crowned with success by the adoption of an international bill of the fundamental rights of man, they will have accomplished the task which originated in the religious schism of Europe and which had found its first, albeit an inadequate, solution on an international basis in the Peace of Westphalia. 7

Vor allem aber habe der Westfälische Frieden einer hierarchischen Konzeption der internationalen Beziehungen zwischen dem Kaiser auf der einen und den anderen politischen Einheiten auf der anderen Seite, wie sie die Epoche vor 1648 geprägt habe, den Boden entzogen. An ihre Stelle sei die Idee eines weltumspannenden politischen Systems, dem alle Staaten angehörten, oder doch zumindest die Konzeption eines einheitlichen politischen Systems in Westeuropa getreten, dessen Funktionsweise durch das internationale Recht und das Gleichgewicht der Kräfte und nicht mehr durch ein über den Staaten stehendes Recht oder eine über ihnen thronende Macht bestimmt wurde. 8 Dies alles führte Gross zu der Schlussfolgerung, dass mit dem Westfälischen Frieden eine völlig neue Epoche des Völkerrechts begonnen habe, die Ära des modernen Völkerrechts: „The Peace of Westphalia, for better or worse, marks the end of an epoch and the opening of another. It represents the majestic portal which leads from the old into the new world.“ 9 Gross’ Ausführungen wurden rasch zu Standardsätzen in der als International Relations Theory bekannten Disziplin der anglo-amerikanischen Politikwissenschaft, wann immer es um die Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Entstehung des modernen internationalen Systems ging. Ihm folgend sahen zahleiche Autoren in der Schwächung der Stellung von Kaiser und Papst und in der Inthronisierung des souveränen Territorialstaats als neuem Träger der Völkerrechtsordnung das wesentliche Ergebnis der Westfälischen Friedensverträ_____________ 5 Leo Gross, The Peace of Westphalia, 1648–1948, American Journal of International Law 42 (1948), 20. 6 Gross (Anm. 5), 26. 7 Gross (Anm. 5), 24. 8 Gross (Anm. 5), 29. 9 Gross (Anm. 5), 28.

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ge. 10 So bemerkte Richard Falk in einem 1969 erschienenen Beitrag zu einem Kompendium über die Zukunft der Völkerrechtsordnung: The basic formal ordering conception in international society since the seventeenth century has been the coordination of sovereign state units. It is convenient to identify this conception with the Peace of Westphalia of 1648, a dramatic event in the process of transition from medieval society to the modern world […]. The Westphalia conception – giving legal status to a growing exercise of authority on a national level – has provided the main outline of structure and process in international society up to and including the present period. Sovereign states remain the dominant actors in international society and the contents of international law in its most formal sense is the result of voluntary action by states […]. 11

Nicht weniger dezidiert äußerte sich dreißig Jahre später Daniel Philpott in seinem Buch „Revolutions in Sovereignty“ zur herausragenden Rolle des Westfälischen Friedens bei der Entstehung der modernen Völkerrechtsordnung: Together, text, context and practice combine in a strong case for Westphalia as origin of a European system of sovereign states […] Westphalia has achieved its revolutionary constitutional significance, though, not only through its innovation, which guarantees it as nothing more than an interesting but episodic set of victory terms, but through its robustness, the endurance of its provisions even today. 12

Aber nicht nur Politikwissenschaftler und IR-Theoretiker haben die von Leo Gross entwickelten Thesen zur Bedeutung des Westfälischen Friedens nachhaltig beeinflusst, sie haben auch breiten Eingang in Völkerrechtswissenschaft und -lehre gefunden. Nirgends zeigt sich dies vielleicht so deutlich wie an der Tatsache, dass die bedeutendste Sammlung völkerrechtlicher Primärquellen aus der Zeit vor Beginn der Völkerbundsepoche, Clive Parrys „Consolidated Treaty Series“, mit dem Jahr 1648 und den Friedensverträgen von Münster und Osnabrück einsetzt. Der Rezensent der Serie, Robert Friedlander, berief sich gewiss nicht zu Unrecht auf einen breiten Konsens in der Völkerrechtswissenschaft als er die Wahl des Stichjahres im American Journal of International Law rechtfertigte: „The Consolidated Treaty Series begins with the year 1648– 1649, commonly accepted as the genesis of classic international law, and the

_____________ 10

Vgl. die umfangreichen Nachweise bei Andreas Osiander, Sovereignty, International Relations, and the Westphalian Myth, International Organization 55 (2001), 251, 261. 11 Richard A. Falk, The Interplay of Westphalia and Charter Conceptions of International Legal Order, in: ders./Cyril E. Black (Hrsg.), The Future of the International Legal Order, Vol. I: Trends and Patterns, 1969, 32, 43. 12 Daniel Philpott, Revolutions in Sovereignty: How Ideas Shaped Modern International Relations, 2001, 89 f.

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entire first volume is limited to the treaties and conventions relating to the socalled Peace of Westphalia.“ 13

C. Kritik an der Lehre vom „Westfälischen System“ Mit dem Herannahen des Jubiläumsjahres 1998 waren allerdings in der Literatur zunehmend kritische Töne zu vernehmen. Das 350jährige Jubiläum der Westfälischen Friedensverträge wurde zum Anlass einer umfassenden Bestandsaufnahme im Lichte der neueren Forschung genommen, die von der These eines durch die Verträge markierten grundlegenden Epochenwandels wenig übrig ließ. Die Behauptung, dass die Friedensverträge einen Wendepunkt in der Geschichte der internationalen Beziehungen darstellten und einen klaren Bruch mit der bis dahin vorherrschenden hierarchischen Konzeption des internationalen Systems vor 1648 vollzogen, sei bei näherer Betrachtung nicht aufrechtzuerhalten, hieß es nun. 14 Sie fände, wie auch die Vertreter dieser These selbst einräumen müssten, in den Texten der Verträge selbst keine ausreichende Grundlage, sondern stütze sich vor allem auf spekulative Überlegungen über die allgemeinen Konzepte und Ideen, die den Vertragstexten angeblich zugrunde lägen und deren spätere praktische Durchsetzung durch eben diese Verträge gefördert worden sei. 15 Im Kern handele es sich dabei um eine höchst problematische idealtypische Vereinfachung, die einerseits mit dem Westfälischen Frieden Entwicklungen in der europäischen Staatenwelt identifiziere, die ihm weit vorauslägen, andererseits aber auch Veränderungen in ihm widergespiegelt sähe, die erst zwei Jahrhunderte später eintreten sollten. 16 In ihrer antihegemonialen Stoßrichtung laufe sie letztlich auf eine ungeprüfte und unreflektierte Übernahme der Kriegspropaganda der Anti-Habsburg-Parteien hinaus, die den Dreißigjährigen Krieg von Anfang an als notwendige Maßnahme zur Abwehr der Hegemonialbestrebungen des Hauses Habsburg und zur Verteidigung der hergebrachten Freiheiten der Reichsstände (zumal der protestantischen) gerechtfertigt und naheliegenderweise auch die Ergebnisse der Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück in diesem Licht interpretiert hätten. 17

_____________ 13 Robert A. Friedlander, The Consolidated Treaty Series, 1648–1919, by Clive Parry, American Journal of International Law 77 (1983), 922, 923. 14 Stephen D. Krasner, Westphalia and All That, in: Judith S. Goldstein/Robert Owen Keohane (Hrsg.), Ideas and Foreign Policy: Beliefs, Institutions and Political Change, 1993, 235. 15 Osiander (Anm. 10), 265. 16 Fassbender (Anm. 3), 22. 17 Osiander (Anm. 10), 264.

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Die Verfechter der „Westfälischen Konzeption“ des Völkerrechts hatten diese Einwände zum Teil antizipiert. So schrieb Leo Gross in seinem bereits zitierten grundlegenden Aufsatz aus dem Jahr 1948: „It would seem hazardous, however, to regard the Settlement of Westphalia and the work of Grotius as more than stages in the gradual, though by no means uniform, process which antedates and continues beyond the year 1648.“ 18 Der Text der Friedenverträge allein könne daher die außergewöhnliche Stellung, die dem Westfälischen Frieden für die Entwicklung der internationalen Beziehungen zuerkannt werde, nicht erklären: […] the actual terms of the settlement, interesting and novel as they may be, would hardly suffice to account for the outstanding place attributed to it in the evolution of international relations. In order to find a more adequate explanation it would seem more appropriate to search not so much in the text of the treaties themselves as in their implications, in the broad conceptions on which they rest and the development to which they provide impetus. 19

Das ist bis heute die Verteidigungslinie der Verfechter des „Westfälischen Systems“ geblieben: die epochemachende Wirkung des Westfälischen Friedens ergebe sich nicht allein oder nicht einmal primär aus den in ihnen getroffenen Regelungen, sondern aus dem Kontext, aus dem heraus letztere entstanden seien, und aus den Impulsen, die von ihnen für die Umgestaltung der tradierten Völkerrechtsordnung ausgegangen seien. Ganz in diesem Sinne argumentiert Philpott: […] a strict, literal textual analysis only partially reveals the meaning of Westphalia. Just as courts often look not only at the literal text of law but also at the intentions of its framers in order to discern its intelligibility, meaning, and purpose, so we cannot understand Westphalia without asking what principles its signers understood it to embody. Finally, since constitutions of international society are matters of practice, not just legitimacy, we also find Westphalia’s significance in the discernible behavioral changes that followed the settlement. 20

Eine Auseinandersetzung mit der „Westfälischen Völkerrechtskonzeption“ muss sich daher nicht nur mit dem Inhalt der in Osnabrück und Münster geschlossenen Vereinbarungen beschäftigen. Sie ist auch aufgefordert, die Aussagen dieser Schule zur Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Genese der mit ihm assoziierten Schlüsselbegriffe des modernen Völkerrechts – Souveränität, Staatengleichheit, Nichteinmischung – zu überprüfen und zu bewerten.

_____________ 18

Gross (Anm. 5), 27. Gross (Anm. 5), 26. 20 Philpott (Anm. 12), 83. 19

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D. Was wurde tatsächlich in Münster und Osnabrück vereinbart? I. Rahmen und wesentlicher Inhalt der Verträge Die Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück waren die größte diplomatische Konferenz, welche die Welt bis dahin gesehen hatte. Die Verhandlungen zogen sich über mehrere Jahre hin, ohne dass ein eindeutiger Anfangs- oder Schlusspunkt angegeben werden könnte: zahlreiche Verhandlungsdelegationen trafen in Münster und Osnabrück in dem Zeitraum zwischen 1643 und 1646 ein und verließen diese Städte zu unterschiedlichen Zeitpunkten in den darauffolgenden drei Jahren wieder. 21 Insgesamt waren 194 diplomatische Gesandtschaften an der einen oder anderen Phase der Verhandlungen beteiligt, einige von ihnen mit bis zu 200 Mitgliedern. 176 Generalbevollmächtige vertraten 16 europäische Länder, 140 Reichsstände und 38 weitere Beteiligte. Die Gesamtkosten der Friedenskonferenz werden auf mehr als 3 Millionen Reichstaler geschätzt. 22 Dennoch verwirklichten die zu Münster und Osnabrück abgeschlossenen Friedensverträge keine Friedensordnung für ganz Europa; noch weniger können sie als „Verfassung“ für das europäische Staatensystem des 17. Jahrhunderts angesehen werden. Zwar waren nach Artikel XVII des Vertrages von Osnabrück – eine entsprechende Klausel fehlt im Vertrag von Münster – auch die jeweiligen Verbündeten des Kaisers und des Königreichs Schweden in den Friedensschluss mit eingeschlossen. Eigentliche Vertragsparteien waren die in der Klausel genannten europäischen Mächte – der König von England, der König und die Königreiche von Dänemark und Norwegen, der König von Polen, König und Königreich von Portugal, der Großfürst von Moskau, die Republik Venedig, der Herzog von Lothringen, alle Fürsten und Republiken Italiens, die Generalstaaten der Vereinigten Niederlande, die Schweizer und Bündner, der Fürst von Siebenbürgen – deshalb aber nicht. Sie erscheinen als solche weder in der Präambel noch in den Bestimmungen über die Ratifikation und haben den Vertrag von Osnabrück auch nicht unterzeichnet. Vertragsparteien des Friedensvertrages von Osnabrück waren daher nur der Kaiser und die Reichsstände auf der einen und das Königreich Schweden auf der anderen Seite. Für den Vertrag von Münster, in dem eine entsprechende „Einschlussklausel“ fehlt, gilt Entsprechendes. Der Kreis der an dem Vertragswerk Interessierten oder durch ihn in der einen oder anderen Weise Betroffenen war daher wesentlich größer als der Kreis der eigentlichen Vertragsparteien. 23 _____________ 21

Philpott (Anm. 12), 82. Whaley (Anm. 2), 620. 23 Eingehend Fassbender (Anm. 3), 42 ff. 22

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Auch in gegenständlicher Hinsicht war die Reichweite der in Münster und Osnabrück vereinbarten friedensvertraglichen Regelungen begrenzt. Die Verträge sollten vor allem den Krieg im Reich endlich beenden. Eine Lösung sämtlicher Konflikte der Zeit oder auch nur der mit dem kriegerischen Konflikt im Herzen Europas unmittelbar verbundenen militärischen Auseinandersetzungen konnte indes durch ihn nicht erreicht werden. Zwar schlossen das Königreich Spanien und die Generalstaaten der Niederlande bereits im Januar 1648 einen Vertrag, der den 80jährigen Konflikt um die Unabhängigkeit der Niederlande beendete. Der Krieg zwischen Spanien und Frankreich indessen, der den eigentlichen machtpolitischen Kern des Ringens zwischen Frankreich und dem Haus Habsburg um die Vorherrschaft in Europa darstellte, konnte in Münster und Osnabrück keiner friedensvertraglichen Regelungen zugeführt werden. 24 Es sollten noch weitere elf Jahre ins Land gehen, bevor auch dieser Kriegsschauplatz durch einen Friedensschluss (den Pyrenäenfrieden von 1659) zumindest vorübergehend befriedet werden konnte. II. Die Friedensverträge als System kollektiver Sicherheit Der eigentliche Schwerpunkt der Westfälischen Verträge lag daher auf der Regelung der Verhältnisse im Reich. 25 Nur wenige Artikel regeln allgemeine, über das Reich hinausgreifende Fragen. Hierzu gehören das allgemeine Friedensgebot (Art. I IPO, § 1 IPM), die Exemtion Basels und der Schweiz vom Reich, die Regelungen über das Herzogtum Montferrat und andere italienische Herrschaften, sowie vor allem die Schlussbestimmungen über die Gewähr und Sicherung des Friedens, die unter anderem Frankreich und Schweden zu Garantiemächten des Westfälischen Friedens machten und den Kern eines Systems kollektiver Sicherheit im Herzen Europas bildeten. Nach Art. XVII des Osnabrücker Vertrages sollte im Falle einer Verletzung des Friedens der Geschädigte den Täter zunächst abmahnen, die Sache selbst hingegen gütlichem Vergleich oder rechtlicher Entscheidung unterworfen werden. Wenn durch keines dieser beiden Mittel die Streitigkeit innerhalb einer Frist von drei Jahren beigelegt werden konnte, sollten alle am Vertrag Beteiligten verpflichtet sein, sich mit Rat und Tat dem geschädigten Teil anzuschließen und die Waffen zu ergreifen zur Abwehr des ihm zugefügten Unrechts. In der Praxis sind aber gerade diese Bestimmungen über die Pflicht zur Friedenswahrung, zur friedlichen Streitbeilegung und zum Bestand im Falle des Friedensbruchs kaum je beachtet _____________ 24

Whaley (Anm. 2), 620. Prägnant Whaley (Anm. 2), 638: „Apart from general expressions of peaceful intent, the treaties say nothing about Europe as a whole, but a great deal about Germany in particular“. 25

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worden. 26 Schlimmer noch, es ist gerade der Missbrauch ihrer Rolle als Garantiemächte durch Frankreich und Schweden gewesen, der diesen Teil des Vertragswerks schon bald nach den Friedensschlüssen von Münster und Osnabrück in Verruf brachte: „If there really ever was a Westphalian system, it was dead by about 1670, the victim of both French and Swedish abuse of their role as guarantors of the peace.“ 27 III. Restauration der Reichsverfassung Von größerer Dauerhaftigkeit erwiesen sich demgegenüber die Regelungen zur Reichsverfassung. Die Reichsstände setzten sich mit der Auffassung durch, dass der Kaiser das Reich nicht allein, sondern nur gemeinsam mit den Ständen repräsentieren konnte. Der Schlussartikel des Vertrages von Osnabrück hält ausdrücklich fest, dass neben den Gesandten des Kaisers und der Königin von Schweden auch die von den Kurfürsten, Fürsten und Ständen des Reichs eigens zu ihrer Vertretung ernannten Deputierten die Vertragsurkunde „eigenhändig unterzeichnet und mit Siegeln bestätigt und bekräftigt“ haben. 28 Die Reichsstände erreichten ferner die lange begehrte und von der Publizistik begründete Anerkennung ihrer Landeshoheit in ihren jeweiligen Territorien (ius territoriale). Schließlich erhielten sie das Recht, „unter sich und mit Auswärtigen Bündnisse zu ihrer Erhaltung und Sicherheit zu schließen“, allerdings versehen mit der Einschränkung, dass sich solche Bündnisse nicht gegen den Kaiser, das Reich und dessen Landfrieden oder gegen den Westfälischen Frieden selbst richten durften. 29 Die Reichsstände rückten mit vollem Stimmrecht in den Reichstag ein, zu Lasten des Kaisers, dessen Rechte entsprechend eingeschränkt wurden. Zentrale Majestätsrechte wie die Gesetzgebung, das Bündnisrecht, das Recht zur Erklärung des Krieges und zum Friedensschluss, die Wahrnehmung der Obersten Gerichtsbarkeit waren nunmehr unwiderruflich an die Zustimmung des Reichstages gebunden, standen also nicht mehr dem Kaiser allein, sondern Kaiser und Reichsständen „zur gesamten Hand“ zu. 30 Die Verträge von Münster und Osnabrück beendeten die konfessionellen Auseinandersetzungen, die das Reich seit mehr als einem Jahrhundert erschüttert hatten, durch das Einfrieren der konfessionellen Verhältnisse nach dem Stand von 1624, das als Normaljahr festgelegt wurde. Die Untertanen der Reichsstände sollten bei dem Bekenntnisstand von 1624 verbleiben, samt allen _____________ 26

Fassbender (Anm. 3), 39. Whaley (Anm. 2), 637. 28 Art. XVII § 12 Instrumentum Pacis Osnabrugense (IPO). 29 Art. VIII § 2 IPO. 30 Michael Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1, 1988, 226. 27

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Kirchengütern und Stiftungen. Die Vertragswerke enthielten detaillierte Regelungen über die Durchführung der zur Herstellung des „Normalzustands“ erforderlichen Restitutionen. Durch das „Einfrieren“ der konfessionellen Verhältnisse auf dem Stand von 1624 war dem religiösen Bestimmungsrecht des Landesherrn (ius reformandi), auf dem der Augsburger Religionsfriede von 1555 beruht hatte, die Grundlage entzogen. 31 Wechselte ein Landesherr künftig die Religion, so war dies seine persönliche Entscheidung; die konfessionellen Verhältnisse in seinem Territorium wurden dadurch nicht verändert, zumindest nicht unmittelbar. 32 Den Angehörigen der jeweiligen Minderheitenkonfession wurde das Recht auf private Ausübung ihrer Religion, alternativ auf Wegzug in ein anderes Territorium zugesprochen 33 – ein Angebot, von dem viele Gebrauch machten, zumal in dem konfessionellen Fleckenteppich, den das Reich jetzt darstellte, eine andere Landesherrschaft, in der die eigene Konfession die Mehrheitsreligion bildete, meist nicht weit entfernt lag. 34 Die Reformierten wurden, was im Augsburger Religionsfrieden noch nicht geschehen war, auf Seiten der Protestanten in die vertraglichen Rechte und Pflichten einbezogen. Das Prinzip der vollständigen und gegenseitigen Gleichheit (aequalitas exacta mutuaque) der Konfessionen, die sog. Parität, wurde zum Grundprinzip des Reichsverfassungsrechts erhoben: Mehrheitsentscheidungen in Religionsfragen sollte es künftig nicht mehr geben; sofern eine gütliche Einigung nicht möglich war, wurde die Frage vertagt, falls notwendig ad calendas graecas. 35 Die Verfahrensordnungen der obersten Reichsorgane, insbesondere des Reichskammergerichts, wurden entsprechend angepasst, so dass Mehrheitsentscheidungen gegen den Widerstand einer der beiden Konfessionsparteien in Zukunft ausgeschlossen waren. 36

E. Der Westfälische Frieden: eine Epochenwende? In ihrer Summe führten diese Bestimmungen zu einer Säkularisierung der Reichsverfassung. Der Dreißigjährige Krieg mit seinen verheerenden Verwüstungen hatte allen Beteiligten vor Augen geführt, dass ein Sieg der einen oder der anderen Partei nicht mehr zu erwarten, eine Wiederherstellung der alten kirchlichen Einheit mithin ausgeschlossen war. Der Westfälische Frieden vermochte den Konflikt letztlich zu entschärfen, in dem er die Macht- und Besitz_____________ 31

Osiander (Anm. 10), 272. Benno Teschke, The Myth of 1648, 2003, 241. 33 Art. V §§ 34, 36 f. IPO; § 47 Instrumentum Pacis Monasteriense (IPM). 34 Teschke (Anm. 32), 241. 35 Art. 5 § 52 IPO. 36 Stolleis, Geschichte (Anm. 30), 226. 32

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verhältnisse im Reich nach dem Stand eines für beide Seiten akzeptablen Stichjahres einfror und den zentralen Reichsinstitutionen einen explizit bikonfessionellen Charakter gab. Die Einheit der Christenheit war unwiderruflich zerbrochen und damit zugleich der Idee einer christlichen Universalmonarchie endgültig die Grundlage entzogen. Dass der Papst mit dieser Wendung der Dinge, die faktisch nicht nur eine Schmälerung der kaiserlichen, sondern auch seiner eigenen Autorität bedeutete, einverstanden sein würde, war nicht zu erwarten. Der erwartete päpstliche Protest gegen den Frieden, der dann auch nicht ausblieb, wurde daher in den Verträgen selbst ausdrücklich zurückgewiesen. 37 Es handelte sich jedoch sowohl bei der Säkularisierung als auch der Erosion der kaiserlichen Autorität um Prozesse, die schon lange zuvor im Hochmittelalter eingesetzt hatten und erst im 19. Jahrhundert zum Abschluss kommen sollten. 38 Beide Prozesse betrafen unmittelbar nur das Reich. Sie änderten auch nichts an dem grundsätzlich restaurativen Charakter der Friedensverträge, die sich eine befriedende Wirkung von dem Zurückgehen auf ein über zwei Jahrzehnte zurückliegendes Normaljahr versprachen. Die großen strukturellen Veränderungen in der europäischen Staatenwelt, die von den Verfechtern des „Westfälischen Systems“ mit den Friedensschlüssen assoziiert werden, waren von den Vertragsparteien weder intendiert noch bilden sie eine unmittelbare 39 Folge des Vertragswerks. I. Münster und Osnabrück als Geburtsstunde des souveränen Staates? Das gilt zunächst für das zentrale Konzept des souveränen Staates, dem der Westfälische Frieden angeblich zum Durchbruch verholfen haben soll. Von Souveränität bzw. seiner lateinischen Entsprechung – maiestas – ist indessen in den Verträgen an keiner Stelle die Rede. Der Begriff der Souveränitätsrechte, droits de souveraineté, der in verschiedenen Vertragsentwürfen der französischen Delegation auftauchte, hat in den Vertragstext gerade keinen Eingang gefunden. Vielmehr wird in den Verträgen der überkommene Begriff des ius territoriale benutzt, der gewöhnlich mit „Landeshoheit“ übersetzt wird und _____________ 37

Art. V § 1, XVII § 3 IPO; §§ 47, 113 IPM. Vgl. Fassbender (Anm. 3), 25: „[…] eine Stufe in einer langen kontinuierlichen Entwicklung […]“. 39 Teschke (Anm. 32), 239: „The treaties terminology reveals the ubiquity of such concepts as ‚restoration‘, ‚re-establishment‘, and ‚restitution‘ […]. The semantics of restoration reflected the prevailing consensus that the treaties should not enact new principles of public international law, but rather codify the reversal to the status quo ante bellum“; Whaley (Anm. 2), 643: „[…] the Peace of Westphalia was undoubtedly restorative in its intent, aiming to return the Reich to a previous condition, rather than to create something new“. 38

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eine gegenüber der neuzeitlichen Souveränität stärker gebundene und in verschiedene Einzelrechte aufgespaltene Form fürstlicher Herrschaft bezeichnet. 40 Sie wird in den einschlägigen Vertragsbestimmungen auch nicht als etwas Neues eingeführt, sondern als etwas, das zusammen mit anderen hergebrachten Rechten und Privilegien bestätigt und bekräftigt wird. So heißt es im zentralen Artikel VIII § 1 des Friedens von Osnabrück: Damit aber Vorsorge getroffen sei, dass künftig keine Streitigkeiten in Bezug auf die Verfassung (in statu politico) entstehen, sollen alle und jegliche einzelnen Kurfürsten, Fürsten und Stände des Römischen Reiches in ihren alten Rechten, Vorrechten, Freiheiten, Privilegien, der freien Ausübung der Landeshoheit (ius territoriale), sowohl in geistlichen wie in weltlichen Angelegenheiten, und in ihren Herrschaften, Regalien und all deren Besitz durch diesen Vertrag so gefestigt und bestätigt werden, dass sie von niemandem jemals unter irgendeinem Vorwand tatsächlich gestört werden können oder dürfen. 41

Im Hinblick auf die ausländischen Vertragsparteien, also die Könige von Frankreich und Schweden, ist der Verzicht auf den Begriff der Souveränität herkömmlich damit erklärt worden, dass von Souveränität nicht gesprochen werden musste, wo sie unbestritten vorhanden war. 42 Soweit es die französische Delegation betraf, ist nicht zweifelhaft, dass sie ihren Fürsten als „souverän“ im Sinne der von Bodin formulierten Souveränitätskonzeption 43 ansah. Allerdings sind erhebliche Zweifel angebracht, ob diese Souveränität des absolutistischen Herrschers mit der völkerrechtlichen Souveränität des modernen Staates gleichgesetzt werden kann. Vertragsparteien der Westfälischen Friedensverträge waren nicht die Territorialstaaten Deutschland, Frankreich und Schweden, sondern die Monarchen von Frankreich und Schweden auf der einen Seite, der Kaiser und die Reichsstände, also die Kurfürsten, die anderen freien Reichfürsten und die freien Reichsstädte auf der anderen Seite, d.h. natürliche Personen und (im Fall der Reichsstädte) Korporationen. Sowohl der Kaiser als auch die Königin von Schweden werden in den einleitenden Bestimmungen mit der vollen Liste ihrer zahlreichen Herrschaftstitel eingeführt, wobei jeweils auch ihre Vorgänger, unter denen die jetzt beendeten kriegerischen Auseinandersetzungen begannen, mit ihren Namen und sämtlichen Titeln einbezogen sind. Lediglich der König von Frankreich wird vergleichsweise kurz als „zu Franckreich/vnd Navarren/Aller-Christlichsten König“ angesprochen. Darin kommt sehr deutlich zum Ausdruck, dass die Friedensverträge nicht zwischen Staaten, sondern zwischen den Fürsten als Personen abgeschlossen wurden, deren Herr_____________ 40

Whaley (Anm. 2), 639; Fassbender (Anm. 3), 29. Übersetzung von Fassbender (Anm. 3), 28. 42 Fassbender (Anm. 3), 28. 43 Zur besonderen Stellung Bodins und der von ihm formulierten Souveränitätskonzeption zusammenfassend Stolleis, Idee (Anm. 1), 268 ff. 41

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schaft in den ihnen unterworfenen Territorien dynastischen Ursprungs war und auf jeweils besonderen Rechtstiteln beruhte. 44 Die Gebietsveränderungen, welche die Friedensverträge vorsahen, wurden dementsprechend nicht als Abtretung des betreffenden Gebiets von einem Staat an einen anderen, sondern als Übertragung der sorgfältig im Einzelnen aufgezählten, zusammenfassend als Regalien bezeichneten Herrschaftsrechte in Bezug auf das Gebiet von einem Fürsten auf den anderen dargestellt. Der König von Frankreich erhielt auf diese Weise die Herrschaft über die Bistümer Metz, Toulon und Verdun, die Festung Breisach, und vor allem über die bisherigen habsburgischen Besitzungen im Elsass. 45 Der Königin von Schweden wurde die Herrschaft über das Erzbistum Bremen, das Bistum Verden, die Hafenstadt Wismar und den westlichen Teil des Herzogtums Pommern zugesprochen. 46 Diese Übertragung vollzog sich in den hergebrachten Formen der reichsrechtlichen Lehnsverfassung: Die schwedische Königin erhielt sie aus der Hand des Kaisers als Lehen des Reiches und wurde dadurch zu seinem Vasallen. Sie gehörte nunmehr auch zu den Reichsständen und rückte als Herzog von Bremen mit vollem Stimmrecht in den Reichstag ein. 47 Weit entfernt davon, die überkommenen lehnsrechtlichen Grundlagen der Reichsverfassung aufzulösen und sie durch moderne Formen der Territorialstaatlichkeit zu ersetzen, bestätigten die Westfälischen Friedensverträge diese Strukturen und sorgten zugleich für ihre Internationalisierung durch Einbeziehung ausländischer Monarchen in das reichsrechtliche Lehensgeflecht. 48 Auch die ausdrückliche Zuerkennung des Bündnisrechts (ius foederis) an die Reichsstände taugt kaum als Beleg für die damit angeblich erfolgte Anerkennung der Souveränität der Stände. Denn dabei handelte es sich um ein Recht, das die Reichsstände schon lange vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges für sich in Anspruch genommen hatten und das praktisch nicht mehr umstritten war. 49 Eine Auflösung des Reichsverbandes in souveräne Einzelstaaten war damit aber nicht verbunden. Denn zum einen wurden mit diesem Bündnisrecht zugleich auch dessen Einschränkungen mit in den Vertragstext aufgenommen: das Verbot von Bündnissen gegen Kaiser und Reich, gegen die Ordnung des Landfriedens und gegen die Ordnung des Westfälischen Friedens selbst. Zum anderen war es der Hauptzweck dieser und anderer Bestimmungen zur Reichs_____________ 44

Teschke (Anm. 32), 238. §§ 70, 71, 73 IPM. 46 Art. X IPO. 47 Art. X § 9 IPO. 48 Teschke (Anm. 32), 239. 49 Osiander (Anm. 10), 273; Dirk Götschmann, Das Ius Armorum: Ausformung und politische Bedeutung der reichsständischen Militärhoheit bis zu ihrer definitiven Anerkennung im Westfälischen Frieden, Blätter für deutsche Landesgeschichte 129 (1993), 257, 276. 45

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verfassung, die Verfassung des Reichs zu schützen, seine Glieder im vorgesehenen Status zu erhalten und sie der Aufsicht der Reichsinstitutionen zu unterwerfen. 50 Mochten auch die größeren Reichsstände ihren im Westfälischen Frieden bekräftigen Status im Laufe der Zeit dazu nutzen, ihre Unabhängigkeit auszubauen und sich dem Zugriff der Reichsinstitutionen faktisch weitestgehend zu entziehen, so blieben letztere doch für die meisten der kleineren und mittleren Reichsstände der Garant ihrer Rechte im Verhältnis zu den anderen Ständen. Nach heutigem Forschungsstand funktionierten die zentralen Reichsinstitutionen, insbesondere Reichskammergericht und Reichshofrat, weitaus effektiver, als ihnen dies insbesondere im 19. Jahrhundert zugebilligt wurde. Sie erwiesen sich gerade in den mittleren und kleinen Territorien des Reichs oftmals als wirksame Rechtsschutzinstanzen für die Rechte von Landständen und Einzelpersonen gegen den landesherrschaftlichen Zugriff. 51 II. Staatengleichheit und Nichteinmischung Ebenso wenig lassen sich aus den Westfälischen Verträgen Anhaltspunkte für die Anerkennung der anderen Grundsätze des modernen Staatensystems ableiten, die gemeinhin mit dem „Westfälischen System“ assoziiert werden: Gleichheit der Staaten, Nichteinmischung, und Gleichgewicht der Kräfte als regulatives Prinzip der internationalen Beziehungen. Von der Postulierung einer abstrakten Gleichheit der Staaten mit gleichen Grundrechten und Grundpflichten waren die Friedensschlüsse in Münster und Osnabrück noch weit entfernt. 52 Allenfalls kann aus der Tatsache, dass in dem spanisch-niederländischen Friedensvertrag vom 30. Januar 1648 die Unabhängigkeit der Generalstaaten anerkannt und in den Verträgen von Münster und Osnabrück die Exemtion der Schweiz vom Heiligen Römischen Reich bestätigt und auf Basel erstreckt wurde, die stillschweigende Anerkennung des Prinzips gesehen werden, dass auch die nicht unter monarchischer Führung organisierten Gemeinwesen als selbständige Einheiten am Völkerrechtsverkehr teilnehmen konnten. Damit steht in Einklang, dass die Reichsverfassung nicht nur den Reichsfürsten, sondern auch Korporationen, nämlich den Freien Reichsstädten, die mit der Landeshoheit verbundenen Vorrechte und Befugnisse einschließlich des Bündnisrechts zuerkannte. Was mit der Westfälischen Friedensordnung zweifellos einherging, war eine Internationalisierung der durch die Friedensverträge von Münster und Osnabrück wiederhergestellten Reichsverfassung und der künftigen Reichspolitik. 53 _____________ 50

Fassbender (Anm. 3), 32. Osiander (Anm. 10), 274. 52 Fassbender (Anm. 3), 39. 53 Teschke (Anm. 32), 243. 51

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Diese Internationalisierung nahm aber nicht die Form einer Garantie der Westfälischen Friedensordnung durch die europäische Staatengemeinschaft als solche an, sondern verwirklichte sich in der Form besonderer Kompensationen und Eingriffsrechte für diejenigen Mächte, die zur Verteidigung machtpolitischer Interessen in den Kriegsverlauf eingegriffen hatten, um durch Zurückdrängung der habsburgischen Interessen ihre eigene Stellung zu stärken. So wurden Schweden und Frankreich als Garantiemächte des Westfälischen Friedens eingesetzt, eine Stellung, die sie in der Folgezeit ohne Skrupel missbrauchten. Vor allem für die französische Seite stellte der Westfälische Frieden einen wichtigen Etappensieg im Ringen mit den Habsburgern um die Vormachtstellung in Europa dar. § 3 des Friedensvertrages von Münster verbot den Reichsständen und dem Kaiser eine Intervention in den Angelegenheiten des burgundischen Reichskreises, d.h. in den Spanischen Niederlanden. Damit hatte die französische Seite ein Hauptziel des Krieges erreicht, nämlich die spanische Linie von der österreichischen Linie der Habsburger zu trennen, um den Krieg mit den spanischen Habsburgern unter günstigeren Vorzeichen fortsetzen zu können. 54 Ihre Stellung als Garantiemacht des Westfälischen Friedens ermöglichte es dem französischen Monarchen andererseits, sich unter dem Vorwand, die durch die Reichverfassung geschützten Freiheiten der Reichsstände gegen Übergriffe des Kaisers verteidigen zu müssen, in die „inneren Angelegenheiten“ des Reichs einzumischen und auf diese Weise der Entstehung einer starken Macht in der Mitte Europas, die den eigenen Hegemonialbestrebungen hätte abträglich sein können, entgegenzuwirken. Wenn daher die Westfälischen Verträge einem modernen Völkerrechtsprinzip, dessen Ursprünge gerne auf Münster und Osnabrück zurückgeführt werden, gerade nicht zum Durchbruch verholfen haben, dann ist es das Prinzip der Nichteinmischung. Die Westfälischen Verträge sahen Eingriffsrechte vielmehr ausdrücklich sowohl im Verhältnis der am Friedensschluss beteiligten auswärtigen Mächte zum Reich als auch im Verhältnis der zentralen Reichsinstitutionen (Reichshofrat, Reichskammergericht) zu den Reichsständen vor. Dementsprechend überzeugt es auch nicht, in den Friedenschlüssen von Münster und Osnabrück eine Hinwendung zu dem Prinzip des Gleichgewichts der Kräfte als regulativer Idee der modernen internationalen Beziehungen zu sehen. Vielmehr war Kern der friedensvertraglichen Regelungen ja gerade die auf das Normaljahr 1624 bezogene Widerherstellung der Besitz- und Machtverhältnisse im Reich. Auch die Anerkennung des – faktisch schon lange praktizierten – Bündnisrechts der Reichsstände erfolgte unter diesem Vorbehalt, ja sie lässt sich sogar als weitere Einhegung dieses Rechts interpretieren, wurde doch zu den bereits existierenden Schranken eine weitere hinzugefügt, eben die Unverletzlichkeit der durch die Verträge kodifizierten Friedensordnung. In einem _____________ 54

Teschke (Anm. 32), 242.

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System souveräner Staaten bietet indessen nur das freie Bündnisrecht die Gewähr dafür, dass sich aus dem freien Spiel der Kräfte immer wieder ein – wenngleich seiner Natur nach stets prekäres – Gleichgewicht herausbilden kann. Dieses freie Bündnisrecht begründeten die Verträge von Osnabrück und Münster gerade nicht. Vielmehr stellten sie den Versuch dar, den Frieden durch die detaillierte schriftliche Fixierung des territorialen Status quo eines als statisch vorgestellten Machtsystems wiederherzustellen. Mit anderen Worten: Während die Grundlage des Gleichgewichts der Kräfte das Prinzip der Selbstbestimmung der Teilnehmer des internationalen Systems ist, besteht der Kern des westfälischen Friedenswerks gerade in der Beschränkung der Selbstbestimmung von Kaiser und Reichsständen im übergeordneten Interesse der Friedenserhaltung. 55 Von der Geburt des modernen, des „Westfälischen“ Staatensystems in Münster und Osnabrück kann nach alledem nicht gesprochen werden. Die staatliche Souveränität, die ihre Grundlage ist, sollte ihre volle Ausbildung erst im 19. Jahrhundert erhalten, nachdem im Verlauf des 18. Jahrhunderts ihre ursprüngliche Gebundenheit durch göttliches Recht, Naturrecht und die Prinzipien der monarchischen Solidarität allmählich aufgelöst und durch die Vorstellung einer inhaltlich umfassenden und absoluten, keinen äußeren Zwängen mehr unterworfenen einzelstaatlichen Souveränität ersetzt worden war. 56 Dies warf dann wieder ganz neue Probleme auf, insbesondere die Frage, wie denn diese unbeschränkte Staatsgewalt überhaupt wirksam an das Recht gebunden werden könne. 57 Dies ist indes nicht mehr unser Thema. Hier genügt es, mit Bardo Fassbender festzuhalten: Von der ‚Souveränitätsanarchie‘ des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, in die eine unselige Verbindung von Souveränitätsidee, Rechtspositivismus und Nationalismus führte, ist das Zeitalter des Westfälischen Friedens weit entfernt. Es gibt keine Periode des souveränen Staates, die vom sechzehnten Jahrhundert bis in die Gegenwart reichen würde. 58 _____________ 55 Teschke (Anm. 32), 244: „Whereas the core idea of 1648 was peace, not selfdetermination, the core idea of the balance of power is self-determination, not peace“. 56 Ulrich Scheuner, Die großen Friedenschlüsse als Grundlage der europäischen Staatenordnung zwischen 1648 und 1815, in: ders., Schriften zum Völkerrecht, hrsg. von Christian Tomuschat, 1984, 349, 373. 57 Es überrascht nicht, dass für die Zeitgenossen eine Lösung des Problems sowohl nach innen (d.h. gegenüber den Bürgern) als auch nach außen (d.h. im Verhältnis zu anderen Staaten) nur auf der Grundlage des Willensdogmas möglich erschien. So wie nach innen die Grundlage der Rechtsstaatlichkeit die Selbstbindung des Staates ist, d.h. der Wille des Staates, sich den von ihm gesetzten Recht auch selbst zu unterwerfen, so können völkerrechtliche Verpflichtungen gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten nur in dem freien Willen der Staaten ihren Geltungsgrund finden. 58 Fassbender (Fn. 3), 27 f.

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F. Schlussbetrachtung: Die Bedeutung der These vom „Westfälischen System“ für die Völkerrechtswissenschaft der Gegenwart So bleibt am Ende noch die Frage, warum die These vom „Westfälischen System“ der internationalen Beziehungen trotzt ihrer offenkundigen, am Text der angeblichen Gründungsdokumente nachweisbaren Schwächen sich so lange hat halten und über den engeren Bereich der International Relations Theory hinaus auch auf die Völkerrechtswissenschaft so große Ausstrahlungswirkung hat entfalten können. Ein wichtiger Grund hierfür dürfte darin liegen, dass sie ein ideales Fundament für eine am Ziel der möglichst ungeschmälerten Erhaltung der Handlungsfreiheit der Staaten ausgerichteten Wissenschaft von den internationalen Beziehungen darstellt, die als „Realistische Theorie“ der internationalen Beziehungen insbesondere, aber nicht nur, im anglo-amerikanischen Raum viele Anhänger gefunden hat. Indem diese Theorie die einzelstaatliche Souveränität, die im modernen Sinne gedeutet und von ihrem aus den Vertragstexten noch ablesbaren frühneuzeitlichen Ballast in Gestalt dynastischlehnsrechtlicher Bindungen befreit wird, als das wesentliche Ergebnis des Friedenswerks von Westfalen ausgibt, kann sie auf die angeblich lange Kontinuität eines in seinen Grundstrukturen seit mehr als drei Jahrhunderten unveränderten Staatensystems verweisen. So wird die die souveränitätsfixierte Konzeption des Völkerrechts unter der Hand zum historischen Normallfall, während normativ begründete Einschränkungen der Souveränität oder das Verständnis der Souveränität als eines von der Völkerrechtsordnung begründeten, in Inhalt und Schranken vom Völkerrecht definierten Rechtsstatus 59 als Anomalie oder gar als Ausdruck eines Verfallsprozesses erscheinen. Erst recht gilt dies für Ansätze, die in der VN-Charta nicht lediglich die Bekräftigung einer vorgeblichen „Westfälischen Ordnung“ sehen wollen, sondern sie als Gründungsdokument eines Staatengemeinschaftsrechts oder gar als Verfassung der internationalen Gemeinschaft interpretieren. In dieser Sicht erweist sich IR-Theorie als eine impliziert normativ argumentierende Wissenschaft, die zeitgenössische Globalisierungsprozesse vor allem als „Erosion“ der modernen internationalen Ordnung und nicht als weitere Etappe in einer langen Reihe von Transformationsvorgängen wahrnimmt, die nach jeweils eigenen Interpretationsansätzen und Ordnungsprinzipen verlangen. Für eine normative arbeitende Wissenschaft vom Völkerrecht, die sich als selbständige Disziplin und nicht als Wurmfortsatz der IR versteht, bietet eine solche Theorie indessen keinen brauchbaren Anknüpfungspunkt. Benötigt wird _____________ 59

So Stefan Oeter, Souveränität – ein überholtes Konzept?, in: Hans-Joachim Cremer u.a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts: Festschrift für Helmut Steinberger, 2002, 259, 276.

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vielmehr ein Ansatz, der den Strukturwandel des Völkerrechts über die Jahrhunderte ausgehend von den in den unterschiedlichen Epochen jeweils maßgeblichen regulativen Ideen verfolgt und Kontinuitätslinien ebenso wie Brüche von einer Epoche zur anderen – vom „ius gentium“ über das „ius publicum europaeum“ zum modernen „public international law“ – sichtbar macht. Dann dürfte auch deutlich werden, dass die Schrankenziehungsfunktion des Völkerrechts keine Erfindung der Nachkriegszeit ist, sondern auf eine lange Tradition in der Völkerrechtsgeschichte zurückblicken kann, deren zeitgemäße Reformulierung im Lichte der jeweils anerkannten völkerrechtlichen Gemeinschaftswerte und -ziele (Friedensbewahrung, Menschenrechtsschutz, Erhaltung der Umwelt, gerechte Ressourcenverteilung etc.) die Hauptaufgabe der zeitgenössischen Völkerrechtswissenschaft darstellt.

International Legal History and its Methodologies: How (Not) to Tell the Story of the Many Lives and Deaths of the ius ad bellum By Jochen v. Bernstorff The prohibition of the use of force as enshrined in Art. 2 (4) of the UN Charter is considered a “cornerstone” (ICJ Nicaragua case) of the international legal system. And without doubt, taming war and violence became a formative element of late 19th century and 20th century international legal discourse. It therefore seems particularly important to understand the past discursive usages of international legal norms aiming to constrain armed violence; especially in a time where such violence has become omnipresent. The history of the prohibition of the use of force, however, can and has been told in many different ways. 1 Arguably there are and could be many histories of the 20th century fate of what is being called the ius ad – or contra bellum. The typical and influential textbook story of the ius ad bellum in the 20th century goes like this: The right to wage war was a prima facie unlimited sovereign right of the state in the 19th century and at the beginning of the 20th century. Or a little bit more sophisticated, the author holds that international law in the 19th century was “indifferent” towards the topic of war, it conceived the sovereign’s right to wage war as something that could not be regulated by law, which is often called “the indifference theory”. 2 Through the Covenant of the League of Nations, the Kellogg-Briand Pact and then ultimately the UN Charter, it was gradually being replaced by a general prohibition of the use of force in order to civilize international relations. Art. 2 (4) of the UN Charter as a broad prohibition came with an exception, the “inherent” right to self-defence enshrined in Art. 51 of the Charter. During the Cold War, the new UN Security Council’s wide competencies to authorize military enforcement measures in _____________ 1 More recently Stephen C. Neff, War and the Law of Nations, 2008; less historical in his approach Olivier Corten, The Law Against War, 2010. 2 For a critical perspective on this widely held assumption Emmanuelle Jouannet, The Liberal-Welfarist Law of Nations, 2014, 130; and building on Jouannet’s work Agatha Verdebout, The Contemporary Discourse on the Use of Force in the Nineteenth Century: A Diachronic and Critical Analysis, Journal of the Use of Force and International Law 1 (2014), 223 ff.

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cases of a threat to peace or a breach of the peace could not be exercised properly because of the antagonism of the two veto-powers, the US and the Soviet Union. After the fall of the Berlin Wall, the UN Security Council eventually shook off its Cold War paralysis, authorizing numerous measures and interventions in crisis situations. This narrative is only a sketch of a standard approach to the history of the use of force in the twentieth century, if not a caricature. And of course the story being told here is not entirely wrong. But as I will propose in the remainder of this article, it often comes with a number of un-reflected background assumptions about international law, its history and its relationship towards war and violence. It usually constructs a history of the use of force from the perspective of Western states as a history of continuous civilizational progress through legal innovations which have been brought about by important institutional caesura, such as the League Covenant, the Kellogg-Briand Pact and the UN Charter. New universal rules, despite setbacks and violations, over time increasingly constrain states in their relations with one another. But how did the effects of the League Covenant with its new dispute settlement procedures look like from the perspective of those states in the periphery that could not become full members of the League? Was it really a caesura? What do we make of the outbursts of violence during the two World Wars despite previous treaty-law efforts to constrain and outlaw war? How legitimate are the violence, and its long-term effects, employed by a UN Security Council authorized intervention from the perspective of an affected state not being represented in the Council, such as for instance Libya and Mali during and after the NATO intervention in Libya in 2011. Further problematic background assumptions concern the relationship between scholarship and practice. The standard historical account focuses on concrete “evidence” of state behaviour in line with the voluntarist mantra. Contemporary scholarly contributions and comments regarding the ius ad bellum are thus often only regarded as a subsidiary means to discover “the law” during a certain period of time, shaped by treaties and custom, rather than as a highly context-dependent affirmative or critical force in their own right. In the remainder of this contribution, I will try to disentangle some of the pitfalls and problems associated with standard narratives of the history of the prohibition of the use of force. I will exemplify three methodological problems of historiographical approaches to the use of force and international law: First, universalism; second, the excessive use of caesura and periodizations; and third, the relationship between historical practice and contemporary scholarship.

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A. Universalism and the Imperialist Catch Universalist historical accounts of the prohibition of the use of force are not necessarily but very likely to operate on the basis of some assumptions that need to be questioned, if not abandoned. The first one is the idea that Western states after painful experiences of war and violence among each other, championed the pacifist quest to constrain violence through international law. These treaty law efforts ultimately led to an ever more far-reaching universal ban of war and the use of force in international relations. After decolonization, the newly decolonized states accepted this fundamental (ius cogens) rule. While not altogether untrue, this narrative arguably creates a distorted picture of the past mainly by its silences and exclusions. To begin with, it leaves unmentioned that other non-Western communities might have had experiences with taming and prohibiting violence among each other, which preceded the Covenant of the League of Nations. Outside of Europe, according to this approach, there was no international law in our understanding and therefore no experiences and histories with restricting violence and peaceful co-existence or co-operation worth being told. However, the Chinese Empire during the Ming dynasty discovered other continents through maritime expeditions a long time before Columbus. It neither attempted to invade or conquer them, nor permanently imposed trading relationships with many of these newly discovered territories. 3 Another example is pre-colonization African experiences with boundaries between tribes and native kingdoms, which were no fixed frontiers that had to be defended against the other tribe, but spaces of encounter and exchange. 4 Non-Western experiences are not necessarily less violent or more successful in taming violence between communities but it would be wrong to assume that there is a historical Western monopoly on rule-making against inter-community violence. 5 Somewhat subconsciously alleged Western achievements are projected into the past in order to look for their origins, hereby automatically ruling out that other experiences seemingly unrelated to these Western “civilizational breakthroughs” are worth being told. The _____________ 3

I refer here as an example to the voyages of Zheng He between 1405 and 1433 during the Ming dynasty. Without colonizing “European style” the Chinese did, however, in certain cases intervene in local military conflicts and established a system of “tributary trade” using or projecting military power in South East Asia. For example, Zheng He fought in Sumatra “on the side of a deposed sultan, bringing the usurper back to Nanjing for execution”, see: (http://afe.easia.columbia.edu/special/china_1000ce_mingvoyages.htm) and (http://www.britan nica.com/biography/Zheng-He). 4 Lauren Benton, Law and Colonial Cultures, 2002. 5 Cf. the problem of eurocentrism as a “binary simplification” (“binäre Simplifikation”): Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, 2009. On Hegelian “denial of coevalness”, Johannes Fabian, Time and the Other, 2002, 19, 34.

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German historian Jürgen Osterhammel has called this general methodological problem “binary simplification”, others have subsumed it under the term of “Eurocentrism”. During the decolonization period scholars like Aleksandrovic had rediscovered non-Western histories of rule-making and co-operation in an attempt to write a non-Western history of international law. 6 A second and closely related problem is the narrative of a progressive 19th and 20th century process of universalization of an originally European international law. Non-Western states or communities first are outside and then enter the system one by one as sovereign equals over the course of the 20th century. The main problem with this approach is that it cannot adequately grasp the complex relationship between international legal discourse and European and US imperialism in the 19th and 20th centuries. For one, modern Western international law during this time had arguably been constituted on the distinction between the “civilized” core and the allegedly “non-civilized” periphery. 7 Moreover, Western states had developed complex legal relationships with communities in their peripheries (colonies); not only with regard to recognition, sovereignty and statehood, but also concerning the use of violence vis-à-vis these communities. A historical approach to the prohibition of the use of force needs to take into account the complex relationship Western states had with their peripheries before and after these communities had been recognized by the core as sovereign equals. But imperialism poses a further challenge to historical research in international law. Given that European Great Powers in the 19th century assumed a right to legislate with binding effect also for third parties, 8 international legal discourse was undeniably partly, if not entirely, the product of hegemonic forces. Even if the circle of states involved in law-making expanded over the course of the 20th century, the basic rules of the system had still emanated from such hegemonic political constellations, which in various forms persisted over time. Institutions like the UN Security Council, for instance, after 1945 through veto rights and permanent membership of the five victorious Allies cemented a _____________ 6

Charles Henry Alexandrovic, An Introduction to the History of the Law of Nations in the East Indies, 1967; more recently Onuma from an Asian perspective has questioned “Eurocentric” histories of international law and called for an “inter-civilizational” perspective on the history of international law, Onuma Yasuaki, When was the Law of the International Society Born?, Journal of the History of International Law (JHIL) 2 (2000); on this approach Heinhard Steiger, Universalität und Partikularität des Völkerrechts in geschichtlicherPerspektive, 2015, 13 ff. 7 Antony Anghie, Imperialism, Sovereignty and the Making of International Law, 2004, 56 ff. 8 Gerry Simpson, Great Powers and Outlaw States. Unequal Sovereigns in the International Legal Order, 2004, 115 ff.

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privileged position of a small group of states in law making and enforcement over questions of war and peace in international relations. Historical research on the laws of war needs to take into account these entrenched power asymmetries without, however, giving in to what can be called (Schmittian) realist determinism. For Carl Schmitt international law inevitably represented the prevailing power structures in a particular historical context. Any assumed dichotomy between law and power was wrong to begin with. Legal institutions inevitably received their meaning and telos from the underlying hegemonic political structures and therefore could never effectively restrain them. Rule of law in international relations thus inevitably is synonymous with Empire. States in a hegemonic position will always create legal concepts and rules, which allow them to portray their particular economic or political interests as universal laws: One of the overall most significant phenomena in the legal and intellectual life of mankind is the fact that those who possess true power are themselves able to inherently determine words and concepts [… ] Imperialism creates its own concepts. 9

According to this approach, which has strongly influenced Wilhelm Grewe’s “Epochen der Völkerrechtsgeschichte” (Epochs of International Law), 10 international legal discourse as a historical phenomenon has no proprium or separate validity vis-à-vis politics. Without such a notion of an at least potentially autonomous legal medium in international relations, historical research underestimates the power of the law as a distinct societal discourse by retrospectively over-determining political hegemony. Once legal argumentation will be fully equated with politics, international legal historical research loses its object and will become a history of international relations. Instead, historical research should take a reflexive perspective on the relationship between international law and politics; an approach, which does not give up on the notion of a distinct legal validity in international relations without, however, falling into the trap of negating the various complex influences of hegemonic political constellations on historical law-making and law-application; an approach, which takes the politics of international law seriously, without retrospectively dissolving the international legal (discursive) medium into politics. Understood in this way, historical research can serve as a reflexive lens through which concrete hege_____________ 9 Carl Schmitt, Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus, 179, in: ders., Positionen und Begriffe, 1940. 10 Wilhelm G. Grewe, The Epochs of International Law, 2012; see the reviews by Martti Koskeniemmi, International and Comparative Law Quarterly (ICLQ) 51 (2002) and Bardo Fassbender, Stories of War and Peace On Writing the History of International Law in the ‘Third Reich’ and After, European Journal of International Law (EJIL) 13 (2002), 479 ff.

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monic instrumentalizations of the law become visible while upholding the notion of an autonomous legal medium.

B. Historical Events and Periodizations Especially influential textbook accounts of the history of international law tend to focus on events of global significance, such as the Treaty of Westphalia, the founding of the UN and the fall of the so called “iron curtain”. What lends these structuring caesuras such persuasive authority in the history of international law? One the one hand, by interpreting historical events as turning points in the history of international law, they are being used to demonstrate certain characteristics of today’s international legal order. The Peace of Westphalia is often used to highlight in retrospect the starting point of our current understanding of international law as a legal order of sovereign states. That this is a drastic simplification of the emergence of the modern state system is by now well known, but as Randal Lesaffer has observed, this does not diminish the equation of the Peace of Westphalia with the birth of modern international law. 11 Similarly, the end of World War II and the adoption of the UN Charter with its provisions on the use of force, and the creation of the UN Security Council seem to serve as an ideal caesura in the history of the prohibition of the use of force. We thus seek confirmation of perceived constitutive norms of contemporary international law via assumptions of the existence of caesuras, which mark their points of inception. Events with general world historical significance seem especially plausible for this task. However, the example of the history of the prohibition of the use of force also points to weaknesses of this approach of using historical events: It is the tendency to underestimate structural continuities, which survive significant events of world history, such as the above mentioned power asymmetries in decisions over war and peace in the UN Security Council. Law often has a habit of entrenching or “freezing” political and economic practices, which are already prevalent at the inception of a legal norm, and thus stabilizes these structures for the future; a strong focus on caesura as epitomized by “new” law risks to overlook these structural continuities. In addition, the status of specific historical events as assumed caesurae in the history of international law depend on the eye of the beholder. For a Western observer, especially from Germany, 1919 and 1990 represent important watersheds, yet for many Asian and African observers these dates may be far less significant. A related but somewhat different approach is to identify specific historical peri_____________ 11 Randall Lesaffer, International Law and Its History, in: Matthew Craven et al. (eds.), Time, History and International Law, 2007, 31 ff.

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ods or eras in the history of international law. 12 Instead of focusing on single events as turning points, a series of historical events are compressed into an identifiable era or epoch. 13 By referring back to Ernst Troeltsch, for whom the objective periodization of history is dependent on the “economic-political legal substructures”, 14 Jürgen Osterhammel, one of the leading German global history scholars supports historical periodizations, as long as they do not become trapped within national or regional perspectives or are caught up in quantitative categories of time such as the rigid division in centuries. He weaves sociohistorical, politico-historical and cultural developments together into epochs, which may overlap via long epochal thresholds or hinges, which themselves can last one or several decades. Both Eric Hobsbawm and Jürgen Osterhammel divide the late 19th century and the 20th century into the following periods of global historical significance: The years from 1830 to 1880 Osterhammel characterises as the “Victorian” era, especially due to the geopolitical and economic dominance of Great Britain. 15 For Osterhammel the “fin de siècle” starts in the 1880s and represents an epochal threshold, resulting in the period of New Imperialism lasting until the 1950s, hereby avoiding the standard caesuras 1919 and 1945. For the history of international law it obviously makes a great difference whether one chooses to identify the period between the 1880s and the decolonization movements of the 1970s as one era or epoch, or accepts the classic Western periodization from 1919 or 1945 respectively to 1990, given that by adopting the 1880s–1950s periodization, the relationship between Western states and their peripheries (colonies) automatically move into the foreground. Generally, transitions from one era to the next can be identified by the assumption of individual caesurae, however, longer phases of transition may also be identified in which old and new characteristics of order overlap. The 19th century for instance is often portrayed as the epoch of the unlimited “positivist” right of sovereign states to wage war against one another, having replaced old natural law restraints from the just war traditions. This simplistic account of the state of the ius ad bellum before 1914 has to my knowledge never been supported by the special literature on the use of force in the nineteenth century. _____________ 12 See the insightful methodological reflections by Oliver Diggelmann, The Periodization of the History of International Law, in: Bardo Fassbender/Anne Peters (eds.), The Oxford Handbook of the History of International Law, 2012, 997 ff. 13 Wilhelm Grewe’s epochs are a well-known example of periodization. His epochs are openly inspired by Schmitt’s realist determinism. Justifying his approach Grewe (note 10), 44, see for a critique of his approach below. 14 Osterhammel (note 5), 95. 15 For Osterhammel, the 19th century is the “era of the first economic globalisation”: Osterhammel (note 5), 103.

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Most famously Carl Schmitt, already in the interwar period, advanced a polemic counter-periodization – according to which the ius publicum europaeum of the 18th and 19th centuries had abolished old just-war thinking by a more restrictive system of constraints on the use of force. For Schmitt the 20th century then saw a return of unlimited warfare in a punitive “Weltbürgerkrieg” (global civil war). Recently, Emmanuelle Jouannet concluded on the 19th century: “[…] in an over-hasty amalgam, commentators inferred that states legally had the right to trigger war at any time. Nothing could have been more mistaken”. Building on Jouannet’s thesis, Agatha Verdebout emphasized that 19th century international law indeed limited the ius ad bellum by the right to “independence” of sovereign states. 16 What can be inferred from this debate on the ius ad bellum is that to compress the 19th century discourses on the ius ad bellum into one rigid period or epoch is problematic, if not impossible. The politico-legal system of Europe and the world of the first three decades of the century was dramatically different from the situation in the last three decades. Moreover, it is a distinctive feature of the legal discourse on the ius ad bellum that “natural law” thinking and so called “positivist” arguments overlap and are being used simultaneously. 17 This holds true also for the 19th century, where many remnants of natural law or just-war doctrine are present in the discursive structures around war and aggression despite the ever more undisputed reign of various “positivist” methodologies in continental European and British legal scholarship towards the end of the century. Remnants of the just-war doctrine, such as the requirement to have and present a legitimate reason for waging war, also tend to reappear in positivist guises. To add complexity, US scholars of the 19th century are more likely to refer to just-war doctrine than their continental counterparts and many German and Italian scholars after their national wars of unification adopt a more permissive attitude towards war than their colleagues abroad.

_____________ 16 Jouannet (note 2), 130; Agatha Verdebout, The Contemporary Discourse on the Use of Force in the Nineteenth Century: A Diachronic and Critical Analysis, Journal of the Use of Force and International Law 1 (2014), 223 ff. 17 Peter Haggenmacher argues convincingly that in the 17th and 18th century bellum iustum theories differentiating between just and unjust parties to a conflict and a more pragmatic (Roman) duel-like conception of war as a military conflict between two equals acting for their strategic interests, co-existed both continuously influencing doctrine and diplomatic practice. This relativizes the sequential approach taken by Carl Schmitt according to which a moralist bellum iustum approach is being replaced in the 18th century by the rational (duel-like) ius publicum europaeum concept of war. Peter Haggenmacher, On The Doctrinal Origins of Ius in Bello: From Rights of War to the Laws of War, in: Thilo Marauhn/Heinhard Steiger (eds.), Universality and Continuity in International Law, 2010.

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Epochs and periodizations are always momentous and highly suggestive constructions, as Diggelmann rightly points out. 18 At the same time, periodical perspectives usually place greater emphasis on structural continuities, which themselves may cause and become visible in historical events. In the philosophy of history, the distinction between the event and the longue durée, or the difference between a history of events and a history of structures is an important topic of reflection. 19 International legal history inevitably must be a history of (legal) structures, if it is not to be entirely submerged within a history of international relations. As such it operates constantly with specific semantic structures, which may be newly created by a specific historical event, but at the same time are also equipped by contemporaries with a claim to validity beyond that particular event. Even if norms are modified as a result of major events in the form of new treaties, prior existing discursive structures over arguments referring to “custom” nevertheless often may remain effective in shaping the legal discourse. Over long periods, old and new norms thus together structure the “past future” (Koselleck) of the world. The events approach and the periodization perspective both deal with norms of international law that structure society in the sense that they stabilise expectations and at least potentially may influence future human behaviour. The key difference is that the origins, existence and effect of these international legal norms according to an events approach are explained via specific historical events, whereas the perspective of periodization draws on permanent political, economic and socio-cultural structures in order to describe the elements of a specific international legal order. While the events-approach is in danger of overlooking continuities, the periodization perspective risks creating a distorted picture of the past through an inevitably subjective construction of epochs. Strongly deterministic epoch-concepts are thus especially problematic. 20 Take Grewe’s partisan view of the interwar period and World War II as an example. His depiction of the interwar period as the epoch of the “Anglo-Amerikanische Doppelhegemonie” (Anglo-American double hegemony) is written in the spirit of the German interwar struggle against Versailles and the League of Nations portraying Germany as a victim of hegemonic Western political forces. As Bardo Fassbender has shown in his review of the English translation of Grewe’s monograph, Grewe’s earlier writings on public law show close intellectual links not only with Schmittian thinking but with German mainstream conservative (anti-liberal) _____________ 18

Diggelmann (note 12), 997 ff. Reinhart Koselleck speaks generally of „repetitive structures“, i.e. repetitive processes versus processes of transformative character, Reinhart Koselleck, Zeitschichten, 2000, 21. 20 On strong and light epoch-terminology Diggelmann (note 12), 997 ff. 19

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currents in general. 21 Grewe’s characterization of the struggle to outlaw violence is full of ideological blind spots, if not instrumental silences. 22 Germany’s excessive violence in the colonies goes unmentioned, as are the numerous German violations of international law during the First or Second World War. Grewe spends a lot of ink to describe modifications of the law of neutrality in the nineteenth century but completely ignores Germany’s violation of Belgian neutrality in 1914 and the ensuing debate over Germany’s lawlessness. 23 In only one single sentence Grewe mentions “Gräueltaten” (atrocities) and “Mißachtung fundamentaler Sätze des Kriegsrechts” (disregard for fundamental rules of the law of war) during both wars without attributing these to Germany specifically. In the same sentence we find the only reference to the “Judenvernichtung in den osteuropäischen Vernichtungslagern der SS” (annihilation of Jews in the SS death camps of Eastern Europe), also remarkably placed next to the observation on “Flächenbombardements gegen die Wohnviertel der Zivilbevölkerung” (the carpet bombing of civilian residential areas). 24 In contrast, Grewe devotes many pages to the description of numerous tools to prevent wars in the interwar period, for example via the Geneva Protocols and the Kellogg-Briand Pact. Relying on Schmittian thought, he castigates these as instruments of Anglo-American double hegemony, which, according to Grewe, ultimately paved the way towards total war. All the silences and normative predispositions which come with Grewe’s periodization are particularly problematic since he refrains from revealing or reflecting on his own normative convictions lying at the basis of his chosen epoch designation.

C. Theory and Practice Histories of the prohibition of the use of force can focus on scholarship or diplomatic practice and other relevant economic and political activities. Most of the traditional approaches to international legal history attempt to find out what the content of law “was” at a given time in history. Contemporary scholarship for these authors often is a means to detect the then existing legal rules. Particularly problematic in this context appear to be attempts to analyse treaties and custom in line with a 20th century understanding of the “sources” of international law. The sources doctrine, including the understanding of customary law, consisting of state practice and opinio iuris, are relatively recent (20th century) phenomena and therefore cannot function as a retrospective yardstick for legal _____________ 21

Fassbender (note 10), 479 ff. Koskenniemi (note 10), 746 ff. 23 How little esteem German elites during the First World War and in the interwar period had for international law has recently been illustrated by the book Isabel Hull, A Scrap of Paper: Breaking and Making International Law during the Great War, 2014. 24 Wilhelm Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 1984, 755. 22

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utterances. 25 Moreover, as Tony Carty has pointed out, rules on sources are themselves highly contested, and customary law is almost impossible to assess due to restricted access to the then prevailing opinio iuris of acting government officials. 26 Even where written rules existed, they do not come with a detectable and fixed content but their concrete meaning will only be constituted in various institutional contexts of application and interpretation. 27 As is well known, the “content” and meaning of international norms is usually a topic of contention between contemporary scholars. Due to the relative indeterminacy of legal rules it is thus impossible and perhaps also not really worthwhile to attempt to retrospectively decide these contentious debates as a historical observer. Any attempt to say what the law “was” might therefore be doomed to failure from the outset and should be replaced by describing written or unwritten norms in their various contexts of application and interpretation. Admittedly, a treaty is an empirical historical source – an undisputable historical fact, including the date and place of its adoption, the representatives that negotiated and signed the document. As soon as the historian makes a claim about the content of its rules or their legal or political status, validity and effects she will, however, start to interpret the text of the document, hereby moving beyond a statement of historical facts. Given that international law is a complex societal construction embedded in a specific and context-dependent discursive structure, it cannot be meaningfully grasped by historical empirical data alone. Contemporary legal scholarship can be an important element of this structure. It should thus be regarded as a self-standing interpretative contribution to an all-encompassing international legal discourse, stabilising or destabilising specific societal practices. 28 In line with this perspective on historical scholarship, Arnulf Becker Lorca and Lauri Mälksöo have recently explored how international lawyers from the semi-periphery over the course of the 19th and 20th centuries have advanced specific influential law-making projects, which often attempted to overcome the semi-periphery status of their respective countries and to change the old European international law from within. 29 Arnulf Becker Lorca’s work in particular shows how productive a combination of historical research _____________ 25

Anthony Carty, Doctrine versus State Practice, in: Fassbender/Peters (note 12), 972 ff. Carty (note 25), 972 ff. 27 On interpretation in international law Ingo Venzke, How Interpretation Makes International Law, 2012. 28 Cf. Ingo Hueck, The Discipline of the History of International Law – New Trends and Methods on the History of International Law, JHIL 3 (2001), 194 ff.; on the relationship between theory and practice my article International Legal Scholarship as a Cooling Medium in International Law and Politics, EJIL 25 (2014), 978 ff. 29 Arnulf Becker Lorca, Mestizo International Law, 2015; Lauri Mälksoo, Russian Approaches to International Law, 2015. 26

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on scholarship, institutions and foreign office-“practice” of state officials can be. For a history of the law(s) of war and violence, a focus on scholarship as a potentially influential discourse over the use of violence seems vital. It is the complex interaction between theory and practice in legitimising violent practices that promises to generate insights on why well-intended efforts of progressive rule-making in practice often end up stabilising a particular status quo. Scholars also often advance new interpretations of legal norms, helping to justify conduct that had been identified as illegal by most of their colleagues and judicial institutions up to that point in time. An appropriate recent example of the role of scholars is the late Thomas Frank’s justification of an extensive interpretation of the right to self-defence under Art. 51 UN Charter after 2001. By offering – with the authority of a highly respected if not iconic scholar – a new interpretation of Art. 51 UN Charter, which allows for self-defence measures against non-state actors, he changed the discursive landscape around the US-led so called war on terror. By using Art. 51 UN Charter, he may ironically have significantly contributed to the “death” of Art. 2 (4) UN Charter, to use an expression he himself had famously coined in the 1970s. 30 Scholars offer new and stabilise existing justifications for violence, hereby helping to imbue such practices with the attribute of legality. Especially in matters of war and peace, politicians and institutions are often faced with a highly sensitized public for which the question of the legality of violent practices plays an important if not a vital role. 31

D. Objectivity and Partisanship in International Legal History It was the German philosopher Johann Martin Chladenius who in his seminal work “Allgemeine Geschichtswissenschaft” from 1752 liberated historians from the task of reconstructing historic events without taking a time-bound and necessarily subjective perspective on their scientific object: 32 “Die irren sehr, die verlangt haben, daß ein Geschichtsschreiber sich wie ein Mensch ohne Religion, ohne Vaterland, ohne Familie anstellen soll; und haben nicht bedacht, daß sie unmögliche Dinge fordern.” 33 (It is a mistake to demand that historians should in their writing dis_____________ 30

At the time in order to criticize the two superpowers’ cynical disregard for the constraints imposed by the prohibition of the use of force Thomas Franck, Terrorism and the Right of Self-Defense, American Journal of International Law (AJIL) 95 (2002), 839 ff.; id., Who killed Art. 2 (4)?, AJIL 63 (1970), 809 ff. 31 Very instructive on public reactions to the Suez War in 1956 Charlotte Peevers, The Politics of Justifying Force, 2013. 32 Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft, 1988, 187. 33 Johann Martin Chladenius, Allgemeine Geschichtswissenschaft, 1752, 166.

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card their own religion, fatherland and family; for that would be to demand the impossible.) Chladenius in a realist and almost postmodern tone denies that there can be one objective standpoint, from which the true (hi)story could retrospectively be told. 34 According to Reinhart Koselleck, it was Chladenius’s work that finally allowed historians to openly assume and reflect upon their time-bound perspective on historical events and structures. 35 They could now create epochs, describe enduring societal structures, reflect upon and name causes, new beginnings and ends. 36 This freedom, however, was not unlimited since Chladenius did nonetheless require the historian, to neither consciously ignore nor falsify historical sources. For Koselleck’s reading of Chladenius it is the historical sources themselves that, when respected, limit and constrain the historian. While sources need interpretation by the historian, their intrinsic quality of resisting arbitrary historical judgments constitutes a safeguard against what can be called veiled “partisan” historical scholarship. 37 It is on a continuum between these two extreme poles of an unattainable and thus naïve “objective” standpoint on the one hand and biased “partisanship” on the other, that good historical research arguably can be situated until today. Within this spectrum, however, two diverging methodological positions can be identified: the first one is situated more towards the objective pole and has most famously been formulated by Ranke who required historians not to instrumentalize historical research for present day political agendas but to keep a distanced position towards the present in their attempt to understand the past. More towards the partisan pole, Ranke’s liberal contemporary Gervinus had propagated that the historian – while respecting methodological rules related to sources – should advance the cause of freedom through his work. 38 What does all this mean for international legal history, and what can we infer from this ongoing debate about historical methodology? Randall Lesaffer recently criticized that some recent international legal historiographical scholarship has moved too far towards the pole of partisanship by being directed by present day concerns leading to “deplorable” research results. 39 Anne Orford reacted to this criticism by insisting on the present day repercussions and effects of historical international legal norms and structures, defending what can be _____________ 34

As a recent contribution on the constructive dimensions of international legal history Michael Stolleis, Rechtsgeschichte als Kunstprodukt, 1997. 35 Koselleck (note 32), 187. 36 On thefollowing Koselleck (note 32), 187. 37 Koselleck (note 32), 187. 38 Cf. Leopold von Ranke/Georg Gottfried Gervinus, Historische Zeitschrift 27 (1872), 134 ff.; Koselleck (note 32), 202. 39 Lessaffer (note 11), 27 ff.; on Lesaffer’s criticism Matthew Craven, Introduction: International Law and Its Histories, in: Matthew Craven/Malgosia Fitzmaurice/Maria Vogiatzi (eds.), Time, History and International Law, 2007, 16.

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called a “genealogical” approach to international legal history. 40 She refuted allegations from legal historians associated with the Cambridge based Skinnerschool, according to which – in line with Ranke’s dictum – a scientific perspective on historical events excluded approaches inspired by present day legal debates. Her main argument is the nature of international legal discourse, which is “inherently genealogical, depending as it does upon the transmission of concepts, languages and norms across time and space. The past far from being gone, is constantly being retrieved as a source for present obligation”. 41 Orford argues convincingly that there is something specific about international law that makes it particularly important to observe the “movement of meaning” over time. It is the close connection between references to the past through sources doctrine (custom) or precedents and current legal assertions, which almost requires lawyers to question and verify argumentative usages of the past in present international legal discourse. At the same time, legal historians should of course avoid to de-contextualize legal concepts as timeless and trans-epochal objects with a fixed meaning. If a legal concept is taken up again in a different historical context it will be injected with new meaning and will serve and promote new purposes and projects. I would add that not only legal practice but also present scholarship works with general assumptions about the history of international legal norms and institutions, which often fulfil an un-reflected legitimating and stabilizing function. Many textbook references to the past and to legal “developments” leading to the present status quo may not only be empirically incorrect but may at closer inspection turn out to be ideological in conveying linear progress narratives or other un-reflected justifications of certain legal regimes. Historical claims regarding international law in that sense are political interventions, which often remain unrecognizable for students, scholars and practitioners cementing specific power configurations over time. It is therefore particularly important to test these widespread assumptions about the history of international legal norms and to re-describe their history where necessary. This of course is a present day concern inspiring historical research but not one that necessarily or regularly leads to a distorted account of historical events and structures. Quite to the contrary, as long as sources are selected and interpreted in a transparent, context-sensitive and reflected fashion, these historical works add new perspectives and insights regarding international law as an argumentative practice. If they destabilize textbook-myths about the past and present of international law and its institutions, this can only be welcomed. Repercussions on current international legal discourse and international politics in this sense are more than welcome even if their effects remain entirely unpredictable. _____________ 40 Anne Orford, On international legal method, London Review of International Law 1 (2013), 166, 175; on genealogical approaches Craven (note 39), 1 ff. 41 Orford (note 40), 166, 175.

Das Ius Publicum Europaeum und das Andere : a global history approach* Von Heinhard Steiger

A. Einleitung oder: Worum geht es? Das mir für die heutige Vorlesung gestellte Thema ist für einen öffentlichen Vortrag ein wenig ungewöhnlich. Denn es betrifft die Geschichte der Völkerrechtsgeschichtsschreibung oder Völkerrechtshistoriographie, also einen recht esoterischen Gegenstand, der eher in ein Fachseminar oder auf ein Fachkolloquium zu gehören scheint. Schon die Völkerrechtsgeschichte ist ein in einer größeren Öffentlichkeit eher selten behandelter Gegenstand. Das gilt erst recht für die Geschichte der Völkerrechtsgeschichtsschreibung. Aber, wie sich zeigen wird, spiegelt sich in dem Thema – etwas dramatisch ausgedrückt – unter dem Schlagwort „Globalität wider Eurozentrismus“ ein seit der Entkolonialisierung geführter Kampf um die Deutung der Geschichte des Völkerrechts. Da dieser auch einen politischen Hintergrund hat, berührt das Thema die Grundfrage nach dem Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Politik. Die weitverbreitete These der Völkerrechtshistoriographie lautet, dass das universale Völkerrecht oder international law nicht nur begrifflich, sondern auch inhaltlich aus dem europäischen Völkerrecht hervorgegangen sei. D.h., nach dieser Auffassung hat sich das partikulare und regionale europäische Völkerrecht inhaltlich wie räumlich in mehreren Phasen universalisiert. 1 Dieser These werden seit den fünfziger Jahren unter dem Begriff „Eurozentrismus“ zunächst von

_____________

* Überarbeitete, erweiterte und um Anmerkungen ergänzte Fassung meiner Vorlesung vom 22. Januar 2015. 1 Zur Geschichte der Völkerrechtshistoriographie u. a. Martii Koskenniemi, A History of International Law Histories, in: Bardo Fassbender/Anne Peters (Hrsg.), The Oxford Handbook of the History of International Law, 2013, 943 ff.; ders., Histories of International Law: Dealing with Eurocentrism, Rechtsgeschichte 19 (2011), 152 ff. (zit. Histories I); ders., Histories of International Law: Significance and Problems for a Critical View, Temple International and Comparative Law Journal, 27 (2013), 215 ff. (zit. Histories II). Er nennt die ältere Völkerrechtshistoriographie „terribly Eurocentric“ (Histories II, 222).

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nicht-europäischen, heute aber auch von westlich-europäischen Völkerrechtshistorikern im Wesentlichen zwei Vorhaltungen gemacht. 2 Sie spreche anderen, nicht-europäischen normativen Ordnungen für die Beziehungen zwischen politischen Mächten den Charakter als „Völkerrecht“ ab, weil diese nicht dem europäischen Völkerrecht entsprächen. Völkerrechtsgeschichte sei für sie bis in das heutige universale Völkerrecht hinein nur Geschichte des europäischen Völkerrechts. Sie erkenne und berücksichtige daher nicht die möglichen Einflüsse dieser anderen Ordnungen auf das moderne universale Völkerrecht. Dahinter aber stehe eine generelle Abwertung anderer Lebensformen, Kulturen, Zivilisationen durch die Europäer. Sie verleugne oder verdränge jedenfalls den einseitigen aggressiven Charakter des europäischen Völkerrechts seit dem 16. Jahrhundert bis in das 20. Jahrhundert, das die Unterwerfung, Ausbeutung und Kolonialisierung anderer Völker bis hin zur Versklavung durch die europäischen Mächte, deren Imperialismus und Kolonialismus legitimiert habe. In diesem Eurozentrismus zeige sich, dass der Prozess der Entkolonialisierung nur äußerlich, aber noch nicht innerlich abgeschlossen sei. Die Diskriminierung der Anderen sei in der Völkerrechtshistoriographie noch nicht wirklich überwunden. Diese eurozentrisch-kritische Richtung, die mit dem Fortschreiten der Entkolonisierung entstand, führte zu einem Paradigmenwechsel in der Völkerrechtshistoriographie. 3 Ein globaler Ansatz soll den Eurozentrismus ablösen, in dessen Zentrum der europäische Imperialismus und Kolonialismus in all ihren globalen Konsequenzen, die „encounters“ der europäischen Mächte mit den außereuropäischen Mächten und Völkern seit 1500 stehen. 4 Das führt im Ergebnis zu einer Dekonstruktion des älteren Bildes des Völkerrechts und seiner Rekonstruktion unter dem neuen Paradigma. In einem ersten Schritt wurde neben die Kritik an der eurozentrischen Völkerrechtshistoriographie die Erforschung und Darstellung eigener nicht europäischer völkerrechtlicher Ordnungen gestellt. 5 Wesentlich weiter gehen die Autoren des Netzwerkes Third World

_____________ 2

U.a. Upendra Baxi, Some Remarks on Eurocentrism and the Law of Nations, in: Ram Prakash Anand (Hrsg.), Asian States and the Development of Universal International Law, 1972, 3 ff. 3 Mark Mazower, The End of Eurocentrism, Critical Inquiry 40 (2014), 298 ff. 4 Begriff bei Fassbender/Peters (Anm. 1), Teil III, V, 699 ff. 5 Ram Prakash Anand, Development of Modern International Law and India, 2005, 1 ff.; Taslim Olawale Elias/Richard Akinjide, Africa and the Development of International Law, 2. Aufl. 1988, 6 ff.

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Approaches to International Law (TWAIL). 6 Antony Anghie, wohl der führende Völkerrechtshistoriker des TWAIL-Netzwerkes, stellt die These auf, dass colonialism was central to the constitution of international law in that many of the basic doctrines of international law – including, most importantly, sovereignty doctrine – were forged out of the attempt to create a legal system that could account for relations between the European and non European worlds in the colonial confrontation. 7

Er begründet das aus der Ideengeschichte des Völkerrechts und greift bis in das 16. Jahrhundert zurück zu Vitoria und seine naturrechtliche Rechtfertigung der gerechten Kriegsgründe der Spanier gegen die amerikanischen Bewohner. 8 In diesen Lehren Vitorias seien die kolonialen Ursprünge des Völkerrechts niedergelegt. Eurozentrismus ist für die Anhänger dieser Schule also nicht nur eine Richtung oder ein Makel der Völkerrechtshistoriographie, sondern dem Völkerrecht selbst von Anfang an eingeboren, ja macht für sie seine eigentliche raison d’être bis heute aus. Sein Hauptargument ist, dass seit Vitoria bis heute die durchgängige Behauptung einer kulturellen Differenz zwischen den europäischen, christlichen, entwickelten und zivilisierten Staaten und den Anderen als Angelpunkt für das Verhalten der Europäer gegenüber den Anderen maßgebend gewesen sei. 9 Die Erzählung von dem souveränen Europa habe von Anfang an und im wesentlichen Kern die Anderen als nicht-souverän ausgeschlossen. Das Völkerrecht sei, so der Kern der geschichtlichen These der TWAIL-Autoren, in Europa entstanden und von den europäischen Mächten weltweit durchgesetzt worden, um den europäischen Imperialismus und Kolonialismus rechtlich durchzusetzen und abzusichern. Das setze sich in der Gegenwart fort. Aber auch andere Autoren nehmen diesen Paradigmenwechsel auf und begründen aus einer kontextualen Einbindung der frühen Ideengeschichte des Völkerrechts bei Grotius ähnliche Thesen. So hat Martine van Ittersum in einem ähnlichen Ansatz Grotius’ Naturrechtslehre in seinem – seinerzeit nicht veröffentlichten – _____________ 6

Dieses Netzwerk, wie es sich selbst definiert, entstand in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus jungen Völkerrechtlern der Dritten Welt aber im Westen, zur Geschichte: Makau Mutua, What is TWAIL?, American Society of International Law, Proceedings of the 94th Annual Meeting 2000, 31 ff.; Antony Anghie/B.S. Chimni, Third World Approaches to International Law and Individual Responsibility in International Conflicts, Chinese Journal of International Law 2 (2003), 77, 79 ff.; James Thuo Gathii, TWAIL: A Brief History of its Origins, its Decentralized Network, and a Tentative Bibliography, Trade Law and Development 3 (2011), 26 ff.; David P. Fidler, Revolt Against or From Within the West? TWAIL, the Developing World, and the Future Direction of International Law, Chinese Journal of International Law 2 (2003), 29 ff. 7 Antony Anghie, Imperialism, Sovereignty and the Making of International Law, 2005, 13 ff. Vor ihm bereits in einem Durchgang durch die europäischen und amerikanischen Theorien seit dem Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert: Robert A. Williams, The American Indian Western Legal Thought, The Discourse of Conquest, 1990. 8 Anghie (Anm. 7), 3, 310. 9 Anghie (Anm. 7), 310; Anghie/Chimni (Anm. 6), 84 ff.

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Erstlingswerk „De jure praedae“ von 1603 und nachfolgenden Stellungnahmen in den Auseinandersetzungen mit Jakob I. als Grundlegung des holländischen Imperialismus interpretiert. 10 Grotius wird für sie zu einem “of the founding fathers of the First Dutch Empire” 11. Sie bezieht sich dafür auf seine Tätigkeiten für die Dutch East India Company (V.O.C), in deren Dienst er seine Theorien entwickelt habe. Schon vorher hatte Richard Tuck im Rahmen einer relecture die Auffassungen des Grotius zur Führung von Strafkriegen gegen Verletzer des Naturrechts, gerade auch gegenüber Barbaren oder Eingeborenen, sowie zu der Aneignung der von diesen nicht genutzten Gebiete hervorgehoben. 12 Auf eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Thesen muss hier verzichtet werden. 13 Aber sie zeigen die Konsequenzen des Paradigmenwechsel in der internationalen Völkerrechtshistoriographie der letzten Jahre an. Zunächst ist auf den ersten Teil des heutigen Themas einzugehen, das jus publicum europaeum und das Andere oder die Anderen (Teil B.). Nach der Erläuterung meines Ansatzes einer globalen Völkerrechtshistoriographie (Teil C.) und deren Fragestellungen (Teil D.) werden methodische Anforderungen zu erörtern sein (Teil E.). In einer Conclusio werden einige Schlussfolgerungen für die Möglichkeiten und Bedingungen einer globalen Völkerrechtsgeschichte gezogen (Teil F.).

_____________ 10 Martine van Ittersum, Profit and Principle, Hugo Grotius, Natural Rights and the Rise of Dutch Power in the East Indies (1595–1615), 2006; siehe auch Peter Borschberg, Hugo Grotius, the Portuguese and Free Trade in the East Indies, 2011; Scott Shapiro, Hugo the Great, in: Oona Hathaway/Scott Shapiro, The Worst Crime of All: The Paris Peace Pact and the Beginning of the End of War, 2017 (i.E.), Kapitel 1, online unter http://www.law.nyu. edu/sites/default/files/upload_documents/Shapiro%20Paper.pdf (besucht am 1.7.2016). 11 Van Ittersum (Anm. 10), XIX. 12 Richard Tuck, The Rights of War and Peace, Political Thought and the International Order from Grotius to Kant, 1999, 102 ff.; Shapiro (Anm. 10). 13 Zur Kritik u.a. Georg Cavallar, Vitoria, Grotius, Pufendorf, Wolff and Vattel: Accomplices of European Colonialism and Exploitation or True Cosmopolitans?, Journal of the History of International Law/Revue d’histoire du droit international (JHIL/RHDI) 10 (2008), 181 ff.; Emmanuelle Tourme Jouannet, Des origines coloniales du droit international: à propos du droit des gens moderne au 18ème siècle, in: Pierre-Marie Dupuy/Vincent Chetail (Hrsg.), The Roots of International Law/Les fondements du droit international, Liber amicorum Peter Haggenmacher, 2014, 649 ff.; jüngst Janne E. Nijman, Images of Grotius, or the International Rule of Law beyond Historiographical Oscillation, JHIL/RHDI 17 (2015), 83 ff., die sich insbesondere mit Richard Tuck auseinandersetzt.

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B. Eurozentrismus und das Andere Wörtlich übersetzt heißt jus publicum europaeum „öffentliches europäisches Recht“. Der Begriff hat in der Literatur mehrfache, durchaus unterschiedliche Verwendungen gefunden. 14 Er wurde wohl erstmals von Joachim Hagemeier im 17. Jahrhundert für eine vergleichende Darstellung der Staatsrechte europäischer Staaten, also nicht für das Völkerrecht, eingesetzt. Ende des 18. Jahrhunderts wurden unter dem Begriff im lateinisch abgefassten Bücherkatalog der akademischen Bibliothek in Lausanne Werke über zwischenstaatliche Verträge zusammengefasst. Hier erhielt er eine völkerrechtliche Bedeutung. Es handelt sich dabei u.U. um eine Übersetzung des im 18. Jahrhunderts verbreiteten Begriffs droit public de l’Europe. Dieser bezeichnete die innereuropäische Ordnung, wie sie sich auf Grund der europäischen zwischenstaatlichen Verträge seit dem Westfälischen Frieden herausgebildet hatte. 15 Aber die zeitgenössische lateinische Fassung dieses französischen Begriffs lautete jus gentium europaearum. 16 Heute wird ius publicum europaeum in zweifacher Weise verwendet, zum einen in einem modernen Sinn für einen neu entstehenden Rechtsraum im Zusammenhang mit der EU, aber nicht notwendiger Weise auf diese beschränkt, 17 zum anderen in einem historiographischen Sinn für das europäische Völkerrecht der Frühen Neuzeit bis in das 19. Jahrhundert. Allein um diesen geht es hier. I. Carl Schmitt In diesem Sinne wurde er von dem deutschen Staats- und Völkerrechtler Carl Schmitt durch sein völkerrechtsgeschichtliches Hauptwerk „Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum“ von 1950 in die Völkerrechtshistoriographie eingeführt, um das in Europa seit dem 16. Jahrhundert entstandene Völkerrecht begrifflich zu fassen. 18 In der Zeit selbst gab es diesen _____________ 14 Heinhard Steiger, Ius publicum europaeum, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 5, 2007, 1148 ff.; Armin v. Bogdandy/Stephan Hinghofer-Szalkay, Das etwas unheimliche Ius Publicum Europaeum: Begriffsgeschichtliche Analysen im Spannungsfeld von europäischem Rechtsraum, droit public de l’Europe und Carl Schmitt, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 73 (2013), 209 ff. 15 Gabriel Bonnot de Mably, Le droit public fondé sur les traités, erstmals 1761, mehrere Auflagen. 16 Georg Friedrich Martens, Primae lineae juris gentium Europaearum Practici in usum auditorum adumbratae, 1786. 17 v. Bogdandy/Hinghofes-Szalkay (Anm. 14), 214 ff. 18 Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 1950; engl.: The Nomos of the Earth in the International Law of the Jus Publicum Europaeum, 2006, übersetzt von G. L. Ulmen; frz.: Le nomos de la terre dans le droit des

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Begriff für das Völkerrecht nicht. Heute aber ist er in der Völkerrechtshistoriographie weit verbreitet, wie ja auch unser Thema zeigt. Schmitt verbindet mit dem Begriff eine bestimmte Interpretation oder Rekonstruktion der Geschichte des Völkerrechts allgemein. Er bezeichnet sehr deutlich das Problem des Ausgangs unserer Fragestellung, die Entdeckung der Neuen Welt und der anderen Erdteile, also der Welt als tatsächliche, erfahrbare, vermessbare Gegebenheit um 1500. 19 Diese Entdeckungen führten zu einer ersten Globalisierung und verlangten aus europäischer Sicht nach einer normativen Ordnung in Bezug auf diese Welt, also nach einer globalen Ordnung. Da schon seit längerem in Europa selbst ein struktureller Wandel der europäischen Mächte und ihrer Beziehungen zueinander eingesetzt hatte, der sich nun mit dieser ersten Globalisierung verband, wurde auch für Europa selbst eine Neugestaltung der rechtlichen Ordnung erforderlich. Die völkerrechtliche Lehre und Praxis Europas sind in den nächsten Jahrhunderten mit deren Konzeption und praktischen rechtlichen Gestaltung beschäftigt. Für Schmitt ist dies die Entwicklung eines neuen Nomos der Erde, der sich im Völkerrecht des jus publicum europaeum, also in dem partikularen europäischen Völkerrecht mit globaler Ausrichtung manifestiert. Damit ist Schmitts Völkerrechtshistoriographie in besonderer Weise exemplarisch für die heute grundsätzlich kritisierte eurozentrische, aber global ausgerichtete Völkerrechtshistoriographie. Im ursprünglichen griechischen Begriff des nomos wird die „Ur-Teilung und Ur-Verteilung“ des Raumes erfasst. „Dieses Wort in seinem ursprünglichen, raumhaften Sinn verstanden, ist am besten geeignet, den grundlegenden, Ortung und Ordnung in sich vereinigenden Vorgang zum Bewußtsein zu bringen.“ 20 Gerade diesen Sinn will Schmitt dem Wort wiedergeben. Damit wendet er sich gegen eine „substanzlose allgemeine Bezeichnung einer irgendwie gesetzten oder erlassenen normativistischen Regelung und Anordnung“. Er grenzt diesen ursprünglichen Begriff von dem des „Gesetzes“ als Sollenssatz ab und begreift ihn als „raumeinteilenden Grund-Vorgang“. Er ist ein „konstituierender, raumordnender Ur-Akt“. 21 Für die Geschichte des Völkerrechts wird damit sein raumordnender Charakter maßgebend. Die Landnahmen bilden den „konstituierenden Vorgang des Völkerrechts“. 22 Sie begründen einen radical title. 23 _____________

gens du jus publicum europaeum, 2001, als Taschenbuch hrsg. von Peter Haggenmacher 2008, Neudruck 2012; v. Bogdandy/Hinghofer-Szalkay (Anm.14) weisen aber seinen Gebrauch durch Carl Schmitt bereits in früheren, aber erst nach 1945 veröffentlichten Schriften nach, S. 237 ff. 19 Schmitt (Anm. 18), 54. 20 Schmitt (Anm. 18), 36. 21 Schmitt (Anm. 18), 47. 22 Schmitt (Anm. 18), 48. 23 Schmitt (Anm. 18), 51.

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Landnahmen habe es auch früher gegeben, so in der Völkerwanderung. Aber die Landnahmen des 16. und 17. Jahrhunderts haben den „letzten, nunmehr zu Ende gehenden Abschnitt des europäischen Völkerrechts“ begründet. Später tritt die Landnahme in Afrika des 19. Jahrhunderts noch hinzu. 24 Maßgebend für diesen Abschnitt der europäischen Landnahme wurde, dass die „Gestalt der Erde als eines wirklichen Globus aufgetaucht, […], als wissenschaftliche Tatsache erfahrbar und als Raum praktisch meßbar“ wurde. 25 So erfasst sie als nomos oder „raumteilender Grund-Vorgang“ und „konstituierender, raumordnender Ur-Akt“ den Globus als Ganzen. Die nun entstehende globale Raumordnung gliedert sich in drei Räume, Europa, die Neue Welt und das freie Meer. Zentrales Element dieser von Europa für die Europäer errichteten Raumordnung sei für das 16. und 17. Jahrhundert ein von den Europäern entwickeltes globales Liniendenken gewesen, angefangen von der Teilung der Welt zwischen Spanien und Portugal durch Alexander VI. 1492 und den Vertrag von Tordesillas bis zu den sogenannten amity lines und den Freundschaftslinien. 26 Sie sollen die Räume der Neuen Welt, d.h. konkret Amerika, von der europäischen Rechtssphäre, und das freie Meer von dem den Staaten zugeteilten festen Land abgrenzen. Die drei Räume unterscheiden sich durch ihren Status der Offenheit für einen besitzergreifenden Zugriff der europäischen Mächte. Die neue, außereuropäische Welt erscheint als „freier Raum als ein freies Feld europäischer Okkupation und Expansion“. 27 In Europa entsteht das System der souveränen Staaten als den „tragenden Größen einer neuen zwischenstaatlichen und europazentrischen Raumordnung der Erde“. 28 In Europa ist der „Boden anerkannter europäischer Staaten“ mit festen Grenzen versehen, ist nicht frei, sondern als Staatsgebiet eindeutig zugeordnet. 29 Dies ist der Kern des nomos einer „europa-zentrischen Raumordnung“. Der Unterschied des völkerrechtlichen Status von Land und Meer ist fundamental: „Aus der Perspektive des Jus publicum Europaeum ist alles Land der Erde entweder Staatsgebiet europäischer oder ihnen gleichgestellter Staaten, oder es ist noch frei okkupierbares Land, d.h. potentielles Staatsgebiet oder potenzielle Kolonie.“ Das Meer „bleibt außerhalb jeder spezifisch staatlichen Raumordnung. Es ist weder Staatsgebiet, noch kolonialer Raum, noch okkupierbar.“ 30 Es ist der Raum völlig neuer bis dahin nicht gekannter Freiheit. Es ist der Aneignung und Beherrschung nicht zugänglich. „Das ist die Raumstruk_____________ 24

Schmitt (Anm. 18), 188 ff. Schmitt (Anm. 18), 54. 26 Schmitt (Anm. 18), 54 ff. 27 Schmitt (Anm. 18), 55. 28 Schmitt (Anm. 18), 112 ff. 29 Schmitt (Anm. 18), 120. 30 Schmitt (Anm. 18), 143 ff. 25

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tur, die den Gedanken eines Gleichgewichts der europäischen Staaten trägt. Sie ermöglicht ein Binnenrecht der europäischen Souveräne auf dem Hintergrund riesiger offener Räume einer besonderen Art von Freiheit.“ 31 Dieses Binnenrecht ist das jus publicum europaeum. Aber es ist als europäisches Recht ein „interstatales, ein zwischen-staatliches Recht europäischer Souveräne und bestimmte von diesem europäischen Kerne aus den übrigen Nomos der Erde“. 32 Auf Einzelheiten ist im vorliegenden Zusammenhang nicht einzugehen. Einige Hinweise in unserem Zusammenhang von Eurozentrismus und Globalität mögen genügen. In Bezug auf die außereuropäischen Landnahmen erörtert Schmitt ausführlich die völkerrechtlichen Theorien des 16. bis zum 18. Jahrhunderts von Vitoria bis J. J. Moser, die die außereuropäischen Landnahmen rechtfertigen sollten und unterzieht insbesondere die rechtswissenschaftlichen Lehren einer scharfen Kritik, da sie die Raumbestimmtheit der neuen Ordnung nicht wahrgenommen hätten. 33 Er unterscheidet zwischen den theologischen Titeln aus Missionsauftrag und Zutrittsfreiheit gegenüber den fremden Völkern bei Vitoria u.a., also Titeln auf Krieg und Unterwerfung zwischen Europäern und diesen Völkern, und den juristischen Titeln Entdeckung und Okkupation bei den Juristen, also Titeln auf Landnahme – und ebenfalls auf Krieg – zwischen den konkurrierenden europäischen Landnehmern, den europäischen Souveränen untereinander. Zwar sind beide euro-zentrisch, räumen aber den Anderen unterschiedliche Stellungen ein. Für Vitoria waren sie eigene Subjekte, für die Entdecker nur noch Objekte. Zwar verweist Schmitt auf die Verträge, die europäische Landnehmer mit den Fürsten etc. der fremden Völker schlossen, misst ihnen aber wohl keine völkerrechtliche Bedeutung zu. 34 Für die innereuropäische Ordnung, das jus publicum europaeum rückt er die Entwicklung des Kriegsbegriffs vom mittelalterlichen bellum justum zum zwischenstaatlichen bellum legale, die Umwandlung von Strafkriegen gegen den ungerechten Feind in nicht diskriminierende Staatenkriege gegen den gleichberechtigen staatlichen Souverän in den Mittelpunkt. 35 Dieser wird zum gleichen und gleichberechtigten justus hostis, mit dem immer wieder Frieden geschlossen werden kann. Voraussetzung ist die Enttheologisierung des Kriegsbegriffs _____________ 31

Schmitt (Anm. 18), 120. Schmitt (Anm. 18), 97. 33 Schmitt (Anm. 18), 96 ff. 34 Schmitt (Anm. 18), 107. 35 Schmitt (Anm. 18), 89 ff, 112 ff., insb. 123 ff. Das Gegenbild ist: Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff (1938), wieder abgedruckt in: ders., Frieden oder Pazifismus? Arbeiten zum Völkerrecht und zur internationalen Politik, hrsg. von Günter Maschke, 2005, 518 ff.; ders. (Anm. 18), 232 ff. Dazu u.a. v. Bogdandy/Hinghofer-Szalkay (Anm. 14), 242 ff.; Martii Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, The Rise and Fall of International Law 1870–1960, 2002, 418 ff. 32

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nach dem Zerfall der Kircheneinheit in Europa. Der Krieg in Europa wird „gehegt“. Die Verwendung dieses Begriffs hat eine doppelte Richtung. In der Jagd oder der Wildwirtschaft in Deutschland, in der die „Hege“ ein zentraler Grundsatz ist, bedeutet „Hege“ Pflege zum Erhalt, wozu auch das Abschießen von Wild gehört. Auch in der allgemeinen Sprache heißt, etwas umhegen, es pflegen, es schützen. Der Krieg wird also durch seine Hegung nicht abgeschafft, sondern gepflegt und erhalten. Die Bellizität nahm in diesen Jahrhunderten auch keineswegs ab. Auch das jus in bello wird gezähmt. Vor allem wird Neutralität möglich. Das alles aber gilt nur zwischen den Staaten Europas, nicht gegenüber den Anderen. Er unterscheidet ausdrücklich davon nicht nur die Kriege gegen Piraten etc., sondern auch „die Kolonialkriege, die gegen ‚wilde‘ Völker geführt werden“. 36 Unter Berufung auf Vattel stellt Schmitt fest, dass ein Staatsmann ihnen gegenüber zwar ungerecht handeln kann, aber nicht gegen das Völkerrecht verstößt. 37 Der Andere steht außerhalb des Völkerrechts des jus publicum europaeum, da der nomos der Erde ihn in die freie Raumzone verweist. Der Gegensatz zwischen Land und Meer führt zu zwei „globalen Ordnungen“ innerhalb der „im 16. Jahrhundert entstandenen europa-zentrischen Weltordnung“. 38 Jede dieser Ordnungen hat einen „eigenen Begriff von Feind und Krieg und Beute, aber auch von Freiheit“. In der Spannung des Miteinander dieser beiden Ordnungen wird der Nomos der Erde bestimmt. Aber auch an dieser Ordnung des freien Meeres haben nur die europäischen und ihnen gleichgestellten Mächte oder Staaten teil, nicht die Anderen. Sie wird durch die europäischen See-Mächte entwickelt, unter denen England als der einzigen wirklich maritimen Macht eine dominante Rolle zuwächst. Es wurde zum Träger des universalen maritimen Bereichs einer europazentrischen, globalen Ordnung, zum Hüter jener anderen Seite des jus publicum europaeum, zum Herrn des Gleichgewichts von Land und Meer, das den spatialen Ordnungsgedanken dieses Völkerrechts enthielt. 39

Auch diese globale Ordnung ist europäische Ordnung. Die Anderen haben daran keinen Anteil. Sie werden häufig als Piraten zu den ungerechten Feinden des Menschengeschlechts schlechthin erklärt und damit außerhalb des Rechts überhaupt gestellt. 40

_____________ 36

Schmitt (Anm. 18), 114. Schmitt (Anm. 18), 138. 38 Schmitt (Anm. 18), 144. Für Schmitts Grundthese der unterschiedlichen Ordnungen von Land und Meer die ältere Schrift: Land und Meer, Eine weltgeschichtliche Betrachtung (1942), 7. Aufl. 2011. 39 Schmitt (Anm. 18), 144. 40 Schmitt (Anm. 18), 15. 37

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II. Das Ende dieses nomos Dieser Nomos der Erde zerfällt mit dem Beginn der Relativierung der zentralen Stellung Europas ab 1890 bis 1918/19. 41 Diese führt von einer „konkreten Ordnung“ in „ein unterschiedslos universales Weltrecht“. Ihre Auflösung „war zugleich die Zerstörung der bisherigen globalen Ordnung der Erde. An deren Stelle trat für mehrere Jahrzehnte ein leerer Normativismus angeblich allgemein anerkannter Regeln“. Eine „konkrete Ordnung“ sei untergegangen, eine neue aber nicht gefunden worden. 42 Begründet wird das einerseits mit der wachsenden Macht und wenn auch zögerlichen Einflussnahme der Vereinigten Staaten auch in Europa selbst, besonders deutlich mit deren Eintritt in den Ersten Weltkrieg, andererseits mit dem von England ausgehenden wirtschaftlichen Liberalismus, der eine grenzenlose Freizügigkeit des Handels, der Finanzen, des Kapitals und der Arbeit hergestellt habe. „Über, unter und neben den staatlich-politischen Grenzen eines scheinbar rein zwischen-staatlichen politischen Völkerrechts verbreitete sich, alles durchdringend, der Raum einer freien, d.h. nicht-staatlichen Wirtschaft, die eine Weltwirtschaft war“. 43 Die Tendenz zu einem universalen, für alle und damit raumlosen Völkerrecht, das mehr und mehr „Internationales Recht oder Völkerrecht schlechthin“ genannt wurde, sei unaufhaltsam geworden und habe schließlich in der „Genfer Liga“ eine neue Unterstützung erhalten. Das Problem der Raumordnung sei verdrängt worden. Zwar seien Ideen mehrerer raumgebundener Völkerrechte aufgetaucht, so für Amerika aber auch durch das „Völkerrecht der zivilisierten Staaten“. Dieses habe den europäischen völkerrechtlichen Boden-Status von dem völkerrechtlichen Bodenstatus nichtzivilisierter oder nicht-europäischer Völker, also dem Kolonial- und Protektorats-Boden unterschieden. Dieser sei nicht Staatsgebiet gewesen. Da aber Zivilisation immer nur die europäische Zivilisation gewesen sei, habe es letztlich doch nicht mehrere – raumgebundene – Völkerrechte gegeben. Denn die asiatischen Staaten hätten kein eigenes Völkerrecht entwickelt, sondern „glitten […] merkwürdigerweise ohne jede bewusste Problematik in ein scheinbar noch ganz europa-zentrisches Völkerrecht hinein. Dieses verwandelte sich aber dadurch in ein unterschiedslos universales Völkerrecht“. 44 Er hält der europäischen Völkerrechtslehre des ausgehenden 19. Jahrhunderts vor, _____________ 41 Schmitt (Anm. 18), 191 ff., 200 ff. Dazu Heinhard Steiger, Emanzipiert sich das universelle Völkerrecht der Gegenwart von seinem europäischen Ursprung?, in: Michael Bäuerle et al. (Hrsg.), Demokratie – Perspektiven, Festschrift für Brun-Otto Bryde zum 70. Geburtstag, 2013, 711 ff., wieder abgedruckt in: ders., Universalität und Partikularität des Völkerrechts in geschichtlicher Perspektive: Aufsätze zur Völkerrechtsgeschichte 2008–2015, 2015, 63 ff. 42 Schmitt (Anm. 18), 200. 43 Schmitt (Anm. 18), 208, Hervorhebung vom Verf. 44 Schmitt (Anm. 18), 204.

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ohne jedes kritische Empfinden, ja in voller Ahnungslosigkeit das Bewusstsein der Raumstruktur ihrer bisherigen Ordnung verloren […] einen immer weiter, immer äußerlicher und immer oberflächlicher werdenden Universalisierungsprozess in der naivsten Weise für einen Sieg des europäischen Völkerrechts gehalten“ zu haben. 45

Schmitt führte seine grundsätzliche Kritik an dieser raumlosen, ja raumvergessenen Universalisierung über 1918 hinaus fort, verschärfte sie in einer polemischen Auseinandersetzung mit dem System des Genfer Völkerbundes bereits in älteren Schriften, die im „Nomos der Erde“ wieder aufgenommen werden. 46 III. Kritik Hier ist nicht der Ort für eine allgemeine Auseinandersetzung mit der Völkerrechtshistoriographie Carl Schmitts, die auch eine Auseinandersetzung mit seiner Völkerrechtslehre sein müsste, der zu dienen sie bestimmt ist. Zudem müsste eine solche Kritik eine Fülle sehr verschiedener Facetten erfassen. 47 Im Hinblick auf unser Thema einer Völkerrechtshistoriographie zwischen Eurozentrismus und global approach ist die Europa-Zentrik des Nomos der Erde im jus publicum europaeum in der Schmittschen Erzählung aufzunehmen. Er selbst betont diese Europa-Zentrik der von ihm dargestellten völkerrechtlichen globalen Ordnung zwischen 1500 und dem Ende des 19. Jahrhunderts mehrfach und nachdrücklich. Sie ist der Angelpunkt seiner globalen Ordnungs- und Ortungslehre. Wohl in keiner anderen Völkerrechtshistoriographie tritt die Hervorhebung und Betonung der europa-zentrischen Ausrichtung des Völkerrechts und seiner Geschichte so ausdrücklich hervor, wie bei Schmitt. Die Europa-Zentrik ist bei ihm als Konstituens des Nomos der Erde zwischen 1500 und 1890 eindeutig nur positiv besetzt, wenn sie auch nicht nur als Fortschritts- sondern am Ende als Verfallselement erscheint. Sie wird nachdrücklich zum eigentlichen Kern dieser Geschichte des Aufstiegs und vor allem des Zerfalls des von Europa ausgehenden Völkerrechts gemacht. Zum zweiten erscheinen – konsequenter Weise – „das Andere“ oder die Anderen bei Schmitt lediglich als der für Europa offene, freie und von ihm okkupierbare, zu ordnende und geordnete Raum. Anghies Thesen werden in dieser Sicht, wenn auch von einem anderen Ansatz _____________ 45

Schmitt (Anm. 18), 206. Carl Schmitt, Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1890–1939), Deutsche Rechtswissenschaft 1940, 267 ff., wieder abgedruckt in: ders., Staat, Großraum, Nomos: Arbeiten aus den Jahren 1916–1969, hrsg. von Günter Maschke, 1995, 372 ff.; ders. (Anm. 35); ders. (Anm. 18), 213 ff. 47 Die kritischen Schriften sind Legion. Aus der jüngeren kritischen Literatur: Mathias Schmöckel, Die Großraumtheorie: Ein Beitrag zur Geschichte der Völkerrechtswissenschaft im Dritten Reich, insbesondere der Kriegszeit, 1994, insbes. 24 ff., ältere Stellungnahmen: ebd., 27 Anm. 19; Koskenniemi (Anm. 35), 413 ff.; v. Bogdandy/ Hinghofer-Szalkay (Anm. 14), 236 ff. 46

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her, bestätigt. 48 Das raumordnende Völkerrecht des jus publicum europaeum dient der Kolonisierung des angeblich freien außereuropäischen Raumes. Auf diesen Raum selbst, seine Strukturen, vor allem seine Bewohner, seine Ordnungen wird von Schmitt nirgendwo eingegangen. Sie werden nicht weiter erörtert. Das und die daraus abgeleiteten Folgerungen unterscheidet Schmitt von den eurozentrisch kritischen Autoren. Aber Schmitts Darlegungen zur globalen Raumordnung, zur Unterscheidung des europäischen und des offenen freien Raumes für das 16. und 17. Jahrhundert zielen offenbar nur auf Amerika, die „Neue Welt“ und für das 19. Jahrhundert noch Afrika. Zu Asien, der gegenüber Europa „Alten Welt“ schweigt Schmitt. Asien aber war vom Osmanischen Reich in Kleinasien bis Südostasien über Indien, China und Japan keineswegs freies okkupierbares Land, sondern, wenn auch kein „Staatsgebiet“ im europäischen Sinn, so doch ebenfalls umgrenztes Herrschaftsgebiet, das jedenfalls über die ersten fast drei Jahrhunderte außerhalb dieser europa-zentrierten Raumordnung stand und für Europäer nicht oder nicht ohne weiteres zugänglich war. Mochten die Europäer auch untereinander um die Freiheit des Meeres und der Schifffahrt nach Asien streiten und Krieg führen. An den Küsten landen, sich niederlassen, gar ansiedeln und Handel treiben durften sie nur dort, wo diese Mächte entsprechende Privilegien erteilten oder zumindest bereit waren, Verträge mit den Europäern zu schließen. Es gab wohl auch eine eigene Raumordnung. Der chinesischen Position des 19. Jahrhunderts begegnet er mit Unverständnis. „Das Andere“ bleibt bei ihm, genau im Sinne der Kritik am „Eurozentrismus“ der Völkerrechtshistoriographie, ausgeklammert, wird nicht in Beziehung zum europäisch bestimmten Nomos der Erde gesetzt, geschweige denn in seiner Eigenbedeutung aufgenommen. Schmitt anerkennt oder erkennt auch keine anderen Ordnungen in anderen „Räumen“. Dadurch unterscheidet er sich grundlegend von der positiven Völkerrechtslehre der Frühen Neuzeit von Gottfried Wilhelm Leibniz, Johann Jacob Moser, Georg Friedrich Martens u.a., die alle das positive europäische Völkerrecht, eben das „droit public de l’europe fondé sur les traités et l’usage“, 49 für eine partikulare, regionale Rechtsordnung hielten, neben der es anderswo andere derartige Rechtsordnungen geben könne. Insofern behandelt Carl Schmitt mit dem europa-zentrischen Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum zwar eine globale völkerrechtliche Ordnung. Aber Schmitts Erzählung folgt keinem globalen sondern einem eurozentrischen Ansatz. Schmitt hat dem europäischen Völkerrecht zwischen 1500 und 1890 mit dem erst von ihm eingeführten Begriff jus publicum europaeum zugleich eine bestimmte Form und inhaltliche Substanz gegeben. Die allgemeine Verbreitung des Begriffs in der Wissenschaft hat diese aber nicht _____________ 48

Anghie selbst zitiert ihn aber nicht. Mably (Anm. 15); Georg Friedrich Martens, Précis du droit public européen fondé sur les traités et l’usage, 3 Auflagen, 1789, 1801, 1821. 49

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übernommen, ist sich dessen wohl nicht einmal bewusst. 50 Aber der Rat, auf ihn zu verzichten, wird wohl eher vergeblich sein. 51

C. Annäherungen an eine globale Völkerrechtshistoriographie I. Globalität und Universalität Die auf eine Globalgeschichte des Völkerrechts gerichtete Völkerrechtshistoriographie, kurz globale Völkerrechtshistoriographie, ist eine neue Erscheinung seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts. 52 Sie folgt einem allgemeinen Trend der Geschichtsschreibung zur Globalgeschichte. 53 So haben die Herausgeber des „Handbook“ ihren Überlegungen die Thesen der Historiker zugrunde gelegt. 54 Auch für sie gilt, was Osterhammel die „Globalifizierung“ der Wissenschaften nennt, die vor allem durch die Globalisierung in vielen Bereichen angestoßen worden sei. 55 Conrad versteht unter Globalgeschichte zu_____________ 50 Slim Laghmani gibt seiner Darstellung der Geschichte des Völkerrechts von der Antike bis zum Ersten Weltkrieg zwar den Titel: Histoire du droit des gens du jus gentium impérial au jus publicum europaeum, 2003, zitiert Schmitt aber nicht ein einziges Mal und führt seinen „Nomos der Erde“ auch nicht im Literaturverzeichnis auf. Zudem wird der Begriff im Text des diese Epoche behandelnden Kapitels 2 „Déstructuration – restructuration: La naissance de l’Europe des nations“ nirgendwo verwendet, sondern Laghami unterscheidet ius gentium und droit international. 51 So ist der Begriff inzwischen auch modern lexikalisch erfasst, Steiger (Anm. 14). Jedoch liegt dem Artikel ein von Schmitts Konzeption des jus publicum europaeum grundsätzlich unterschiedenes Verständnis zugrunde. Anders als Schmitt stelle ich im Anschluß an Mably auf das positive europäische droit public de l’Europe ab, vertrete also keine ideengeschichtliche, aber auch weder eine eurozentrische noch eine globale, sondern eine europäisch-partikulare Ausrichtung. Das entspricht wohl eher dem allgemeinen Verständnis und heutigem Gebrauch des Begriffs in der Völkerrechtshistoriographie. 52 Daneben steht eine personale Globalität der Völkerrechtshistoriographie oder -historiker selbst. Diese wird hier als internationale Völkerrechtshistoriographie bezeichnet. 53 U.a. Sebastian Conrad, Globalgeschichte: Eine Einführung, 2013; Jürgen Osterhammel, Von einem hohen Turme aus, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. Oktober 2012, 6. 54 Fassbender/Peters (Anm. 1), 8 ff. Vor allem beziehen sie sich auf verschiedene Schriften von Jürgen Osterhammel. Für die allgemeine Rechtsgeschichte Thomas Duve, Von der Europäischen Rechtsgeschichte zu einer Rechtsgeschichte Europas in globalhistorischer Perspektive, Rechtsgeschichte 20 (2012), 18, 27 ff. 55 Jürgen Osterhammel, Globalifizierung, Denkfiguren der Neuen Welt, Lange Leitung: Zeitschrift für Ideengeschichte IX/I (2015), 5 ff. Er versteht „Globalifizierung“ als „das Eindringen und die Übernahme von grenzüberschreitenden Erkenntnisperspektiven in bestehende Diskuszusammenhänge“ (ebd., 8). Dort auch weitere Ausführungen und Literaturnachweise. Schon früher ders., Globalizations, in: Jerry H. Bentley (Hrsg.), The Oxford Handbook of World History, 2011, 89 ff.

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nächst „eine Form der historischen Analyse, bei der Phänomene, Ereignisse oder Prozesse in globale Kontexte“ gesetzt werden. 56 Idealtypisch unterscheidet er drei Formen, „eine Geschichte mit globalem Horizont“, „eine Geschichte globaler Verflechtungen“ und eine „Geschichte vor dem Hintergrund globaler Integration“. 57 Vor allem hebt er Vergleich, Verbindungen, Interaktionen, Austausch in globalen Kontexten, „Verflechtung der Welt, die sich jahrhundertelang zurückverfolgen lässt als Ausgangspunkt globalgeschichtlicher Untersuchung“ hervor. 58 Im Mittelpunkt stehen „Verbindungen global wirksamer Strukturen“. 59 Das wird nicht ohne weiteres auf eine global ausgerichtete Völkerrechtshistoriographie übertragbar sein. Ausgangspunkt einer globalen Völkerrechtshistoriographie ist jedoch ein geschichtlich einzigartiges und auch junges Phänomen, eine einheitliche Organisation aller Völker und Menschen der Erde in gleichen souveränen Staaten, die sich in einer allgemeinen oder universellen positiven Rechtsordnung verbunden haben. Sie ist der Endpunkt einer besonderen normativen Globalisierung, deren Beginn zwar sehr verschieden zwischen dem Ausgang des 15. Jahrhunderts und dem 19. Jahrhundert datiert wird, die aber jedenfalls das 19. Jahrhundert bestimmte und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedenfalls äußerlich oder formell abgeschlossen wurde. In dieser universellen Völkerrechtsordnung werden alle Staaten und damit alle Völker und Menschen in gleicher Weise erfasst. Sie ist eine ausdifferenzierte, d.h. von anderen unterschiedene, und gemeinsame, universelle Rechtsordnung. Sie gilt gleichermaßen für alle und kennt keine Unterschiede in der Rechtsstellung dieser Staaten. Alle haben die gleichen Rechte und Pflichten. Niemand ist mehr ausgeschlossen. Sie unterscheidet sich damit grundsätzlich von der partikularen Völkerrechtsordnung Europas der Frühen Neuzeit und anderen partikularen normativen Ordnungen in früheren Zeiten und in anderen Regionen, Zivilisationen und Kulturen. 60 Zwar war dies in Europa die Epoche des universellen Naturrechts. Aber da dieses von den anderen Völkern, Mächten, Zivilisationen außerhalb Europas nicht geteilt wurde, handelte es sich in Wahrheit um eine europäische partikulare Universalitätsbehauptung. Diese universelle Ordnung der Gegenwart unterscheidet sich aber auch und vor allem von der völkerrechtlichen Ordnung, die sich seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte. Zwar umfasste auch sie die ganze Erde, war also am Ende eine globale Ordnung. Aber sie ging zum einen von Europa bzw. dem Westen aus und wurde von ihm gegenüber den Anderen zum Teil mit Gewalt durchgesetzt. Zum anderen stellte sie eine gespaltene Weltordnung einerseits _____________ 56

Conrad (Anm. 53), 9. Conrad (Anm. 53), 10. 58 Conrad (Anm. 53), 11. 59 Conrad (Anm. 53), 12. 60 Dazu Steiger (Anm. 41), S. IX ff. 57

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des Völkerrechts der zivilisierten Staaten und andererseits des Kolonialrechts der europäischen Mächte gegenüber den von ihnen unterworfenen Kolonialvölkern dar. Die allgemeine oder universelle völkerrechtliche Weltordnung der Gegenwart besteht erst seit dem Ende der Kolonialzeit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vielleicht erst seit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes in dessen achtziger Jahren. Aber für die längste Zeit der Geschichte des Völkerrechts hat es die Völkerrechtshistoriographie mit partikularen Ordnungen in den verschiedenen Regionen der Erde zu tun, die aus sehr unterschiedlichen Kulturen, Zivilisationen, politischen Strukturen und Anforderungen, ökonomischen Verhältnissen etc. hervorgegangen sind, sich mit diesen in der Zeit gewandelt haben und irgendwann aus unterschiedlichen Gründen untergegangen sind. Neue wiederum partikulare Ordnungen bildeten sich unter neuen Voraussetzungen in neu konstituierten Regionen. Erst um 1500, nota bene nach christlich-europäischer Zeitrechnung, begann durch die Begegnungen und Verflechtungen in der europäischen Expansion eine Entwicklung globaler Ordnung zu der gegenwärtigen universellen Ordnung. Globale Völkerrechtshistoriographie richtet sich daher aus meiner Sicht auf die Normenordnungen oder doch normativen Phänomene zur Regelung der Beziehungen zwischen den in irgendeiner Form organisierten politischen Mächten in Krieg und Frieden in allen Zeiten, allen Kulturen, allen Regionen der Erde auf drei miteinander verknüpften Ebenen: 1. Auf die Geschichten der partikularen „Völkerrechte“, d.h. der normativen Ordnungen oder Phänomene der Zwischen-Mächte-Beziehungen, zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Regionen, Kulturen und Zivilisationen; 2. auf die Geschichten der normativen Ordnungen oder Phänomene der Begegnungen, Verflechtungen, Vernetzungen der politischen Mächte und Völker verschiedener Regionen, Kulturen und Zivilisationen und ihrer Wirkungen aufeinander in sehr verschiedenen Epochen, Konstellationen und Abläufen; 3. auf die Geschichte oder Geschichten der allmählichen Herausbildung der heutigen universellen Völkerrechtsordnung. Dies sind Ebenen der Historiographie des Völkerrechts, der Forschung, der Erzählung, nicht des Völkerrechts. Sie überlappen sich zudem. So läuft neben den europäischen „encounters“ mit der außereuropäischen Welt die eigene innere Ordnung Europas. Damit wird also kein „Aufbau“ von Völkerrechtsordnungen oder eine innere „Entwicklungslinie“ von den partikularen über die Begegnungen und Verflechtungen zur universellen Völkerrechtsordnung konstruiert. Ob und inwieweit von den partikularen Ordnungen Wirkungen auf die Begegnungen und Verflechtungen ausgehen und ob und inwieweit diese zur universellen Völkerrechtsordnung der Gegenwart führen, was also von den partikularen Völkerrechten bleibt, was wieder verschwindet, wo Kontinuität besteht und was der Diskontinuität anheimfällt, welche Parallelitäten und funktionale Äquivalenzen bestehen bzw. konstruiert werden können, was Partikula-

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rität bleibt, was zur Universalität heranreift, ist Gegenstand der Erzählungen. Dabei muss immer bedacht werden, dass es sich um Rekonstruktionen durch den „Erzähler“ handelt. Daraus wird, jedenfalls zunächst, keine „Geschichte des Völkerrechts“, sondern es entsteht eine Fülle von Erzählungen über Geschichten derartiger normativer Ordnungen zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Regionen in verschiedenen Zusammenhängen bis zur Geschichte des heutigen, universellen Völkerrechts. Der hier zugrunde gelegte Ansatz einer global ausgerichteten Völkerrechtshistoriographie ist in gewisser Hinsicht weiter als der von der Geschichtswissenschaft entwickelte. Zwar nehmen auch für diese die Verflechtungen, Interaktionen, Austausche etc., gerade auch in ihren Strukturen, die hier unter dem Begriff „encounters“ zusammengefasst werden, die zentrale Stelle ein. Aber zu einer Globalgeschichte des Völkerrechts gehören notwendig die zeitlich und regional partikularen normativen Ordnungen und Phänomene zur normativen und damit auch politischen Bewältigung von Krieg und Frieden, weil diese eine allgemeine menschliche und damit eine Welterscheinung darstellen. Daraus folgt keine Geschichte der Entwicklung des Humanen oder der Menschheit in einer irgendwie gearteten Universalgeschichte, wohl aber eine auf das Leben der Menschen und Völker in ihren konkreten Zeiten, Regionen und Kulturen im Hinblick auf eine allgemeinere inhaltliche Globalität. II. Stand – Überblick Die heutige Völkerrechtshistoriographie ist längst globale Völkerrechtshistoriographie in diesem Sinne auf allen drei Ebenen. Sie hat seit 1999 ihr eigenes zweisprachiges Veröffentlichungsorgan, das von Ronald MacDonald begründete „Journal of the History of International Law/Revue d’histoire du droit international“. Der Frühe oder Alte Orient und die europäische Antike sind schon lange Gegenstand völkerrechtsgeschichtlicher Forschungen. 61 Auch zu außereuro_____________ 61

Arthur Wegner, Geschichte des Völkerrechts, 1936, 1 ff.; Wolfgang Preiser, Über die Ursprünge des modernen Völkerrechts, in: Internationale und staatsrechtliche Abhandlungen: Festschrift für Walter Schätzel, 1960, 373 ff., wieder abgedruckt in: ders., Macht und Norm in der Völkerrechtsgeschichte: Kleine Schriften zu Entwicklung der internationalen Rechtsordnung und ihrer Grundlegung, hrsg. von Klaus Lüdersen und Karl-Heinz Ziegler, 1978, 9, 16 ff.; ders., Völkerrechtsgeschichte: I. Altertum, Mittelalter, Neuzeit bis zum Westfälischen Frieden, in: Karl Strupp/Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, 1962, 680 ff.; engl. in beiden Ausgaben der Encyclopedia of Public International Law; Karl-Heinz Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl. 2007, 1. bis 4. Kapitel; Laghmani (Anm. 50), 7 ff.; David J. Bederman, International Law in Antiquity, 2001; Ammon Altman, Tracing the Earliest recorded Concepts of International Law, in: Randall Lesaffer (Hrsg.), Legal History Library: Studies in the History of International Law (LHL), Bd. 8/4, 2012.

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päischen Kulturen und Regionen sind zahlreiche Darstellungen erschienen. 62 Zwar sind die Forschungen zur und die Darstellungen der Völkerrechtsgeschichte Europas vom Mittelalter bis zum Übergang in das 19. Jahrhundert in der Völkerrechtshistoriographie, vor allem der europäischen besonders stark ausgeprägt. Sie werden jedoch jedenfalls außerhalb Europas inzwischen durch die Forschungen zu den regionalen „Völkerrechten“ in ihrer älteren zentralen Stellung nachdrücklich ergänzt. Insoweit zeigt sich eine gewisse Regionalisierung und Relativierung derselben. Insoweit ist, wie Dipesh Chakrabarty für die allgemeine Geschichtsschreibung festgestellt hat, auch in der Völkerrechtshistoriographie die „Provinzialisierung“ Europas längst auf dem Wege. 63 Die Erforschung dieser Ordnungen in den verschiedenen Zeiten, Regionen, Kulturen und Zivilisationen einschließlich des europäischen Völkerrechts vor den „encounters“ bzw. unabhängig von diesen in ihren jeweiligen parallelen Entwicklungen weisen zum einen deren eigenständige historische Bedeutung auf. Zum anderen werden sie von allen Seiten bei den „encounters“ in wenn auch unterschiedlicher Weise relevant, bis hin zur Entwicklung zum universellen Völkerrecht. _____________ 62

Bereits Wegner (Anm. 61), zu Indien 5 ff.; Wolfgang Preiser, Frühe völkerrechtliche Ordnungen der außereuropäischen Welt: Ein Beitrag zur Geschichte des Völkerrechts (Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. Main, Band IV, Nr. 5), 1976, 96, 98 f.; Anand (Anm. 5); Anand (Hrsg.), Asian States and the Development of Universal International Law, 1972, mit Beiträgen von Autoren der „Dritten Welt“ und des „Westens“; Elias (Anm. 5); Stephan Verosta, History of the Law of Nations 1648 to 1815, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), Encyclopaedia of Public International Law, Bd. 2, 749 ff. mit Abschnitten zu Europa, Osmanischem Reich und Europa, Süd- und Südost-Asien, Fernen Osten: Tesilimi O. Elias, Africa, 793 ff.; Shigeki Miyazaki, Far East, 802 ff.; Ahmed El-Kosheri, Islam, 809 ff.; Antonio Truyol y Serra, Latin America, 818 ff.; Nagendra Singh, South and South-East Asia, 824 ff.; Fassbender/Peters (Anm. 1), Artikel zu einzelnen Regionen: Fatha Sahli/Abdelmalek El Ouazzani, Africa North of the Sahara and Arab Countries, 385 ff.; James Thuo Gathli, Africa, 407 ff.; Umut Özsu, Ottoman Empire, 429 ff.; Shin Kawashima, China, 451 ff.; Masaharu Yanagihara, Japan, 475 ff.; Bimal N. Patel, India, 500 ff.; Mark W. Janis, North America: American Exceptionalism in International Law, 525 ff.; Jorge L. Esquirol, Latin America, 553 ff.; David S. Berry, The Carribean, 578 ff.; Martin Kintzinger, Heinz Duchhardt, Miloš Vec und Peter Krüger, Europe, 607 ff., 628 ff., 654 ff. bzw. 679 ff.; alle mit ausführlichen Literaturlisten. Zum Islam Mohamed Talaat al Ghunaimi, The Muslim Conception of International Law and the Western Approach, 1968; Ebrahim Afsah, An Islamic Law of Nations? The Weight of History and Tormented Modernization in Muslim Nations, in: Thilo Marauhn/Heinhard Steiger (Hrsg.), Universality and Continuity in International Law, 2011, 185 ff. Zu chinesischen Forschungen alten chinesischen Völkerrechts jüngst: Yi Ping, A Swan Song, or a Phoenix Rising, IHIL/RHDI 18 (2016) 147 ff. 63 Dipesh Chakrabarty, Provincializing Europe: Postcolonial Thought and Historical Difference, 2007, 3; dt.: Europa als Provinz: Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung, 2010.

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Auch auf der Ebene des Völkerrechts oder der normativen Ordnung der „encounters“, d.h. der Begegnungen zwischen Mächten zu verschiedenen Zeiten aus verschiedenen Regionen, Kulturen, Zivilisationen, hat die Forschung in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, allerdings beschränkt auf die „encounters“ zwischen europäischen und außereuropäischen Mächten seit dem Beginn des Zeitalters der Entdeckungen. Von einigen dieser Forschungen war bereits im Hinblick auf den Eurozentrismus die Rede. Es begann mit Forschungen zu den vertraglichen und sonstigen Beziehungen. Sie sollten in kritischer Absicht Ausgeblendetes in die Erzählungen der Völkerrechtsgeschichte einfügen. 64 Auch die genannten Forschungen zu den regionalen normativen Ordnungen von Anand, Elias u.a. dienten diesem Zweck. Es folgten die oben dargestellten eurozentrisch-kritischen Forschungen, die den völkerrechtlichen Konzepten, Formen, Methoden, normativen Inhalten des Imperialismus und Kolonialismus der Europäischen Mächte in anderen Regionen der Welt nachgehen, bis hin zu den grundlegenden Kritiken der TWAIL-Autoren. 65 Die Forschungen zum Völkerrecht dieser „encounters“ und ihrer Völkerrechtshistoriographie stehen heute im Zentrum der internationalen Völkerrechtshistoriographie. 66 Sie sind zudem gleichzeitig Untersuchungen zum partikularen europäischen Völkerrecht, da beides sich nicht trennen lässt. Auch das „Handbook“ enthält Untersuchungen zu den Begegnungen, Verflechtungen zwischen Europa bzw. europäischen Mächten mit China, Japan, Indien, Russland und _____________ 64 Charles Alexandrowicz, Treaty and Diplomatic Relations between European and South Asian Powers in the Seventeenth and Eighteenth Century, Académie de droit international, Recueil des Cours (RdC) 100 (1960-II), 207 ff.; ders.,The European-African confrontation: A Study in Treaty-Making, 1973; Heinhard Steiger, Recht zwischen Europa und Asien im 16. und 17. Jahrhundert?, in: Klaus Bußmann/Elke Anna Werner (Hrsg.), Europa im 17. Jahrhundert: Ein politischer Mythos und seine Bilder, 2004, 95 ff., wieder abgedruckt in: ders. (Hrsg.), Von der Staatengesellschaft zur Weltrepublik? Aufsätze zur Geschichte des Völkerrechts aus vierzig Jahren, 2009, 267 ff.; Peter Borschberg, The Singapore and Melaka Straits: Violence, Security and Diplomacy in the 17th Century, 2010. 65 Oben Anm. 6 und 7. 66 Eine Auswahl außer den bereits Genannten: Jörg Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht: Die Auseinandersetzungen um den Status der überseeischen Gebiete vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 1984; Ram Prakash Anand, Universality of International Law: An Asian Perspective, in: Marauhn/Steiger (Anm. 62), 87 ff.; Keun-Gwan Lee, The „Reception“ of European International Law in China, Japan and Korea: A Comparative and Critical Perspective, in: Marauhn/Steiger (Anm. 62), 419 ff.; Masaharu Yanagihara, Japan’s Engagement With and Use of International Law: 1853–1945, in: Marauhn/Steiger (Anm. 62), 447 ff.; Lydia H. Liu, The Clash of Empires, The Invention of China in Modern World Making, 2006, zum Völkerrecht 108 ff.; Stefan Kroll, Normgenese durch ReInterpretation: China und das europäische Völkerrecht im 19. und 20. Jahrhundert, 2012; Michael Stolleis/Masaharu Yanagihara (Hrsg.), East Asian and European Perspectives on International Law, 2004, mit Aufsätzen von Kinji Akashi und Hui-gi Sinn. Koskenniemi nennt diesen Topos zutreffend „International law and empire […] perhaps the most popular item of international law history“, Koskenniemi (Anm. 1), 964.

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Nordamerikanischen Ureinwohnern nach 1500 vor allem im 19. Jahrhundert, ebenfalls mit Literaturlisten. 67 Begründet ist diese zentrale Stellung der Forschungen zu den normativen Ordnungen der „encounters“ durch deren zwar in sich kritisierten aber unbestritten bestehenden unmittelbaren Zusammenhang mit der Entwicklung aus dem europäisch geprägten Völkerrecht zu der heutigen universellen Ordnung. Es ist daher nicht nur eine naheliegende, sondern eine notwendige und dringende Aufgabe, diesen völkerrechtsgeschichtlichen Entwicklungen und Zusammenhängen nachzugehen. Auch die durchweg gegenüber dem von Europa für die Expansion europäischer Mächte eingesetzten Völkerrecht kritische Absicht, den Zusammenhang mit europäischem Imperialismus und Kolonialismus herauszustellen, ist sachlich begründet. Er revidiert das ältere Bild des zivilisatorisch fortschrittlichen Völkerrechts und zeigt auch die dunklen Seiten, die – negativen – Wirkungen dieser europäischen Expansion und ihrer europäisch-völkerrechtlichen Begleitung auf die außereuropäischen Völker, Staaten, ihre Kulturen, Ordnungen, gesellschaftlichen und politischen Strukturen. Das Fortschrittsparadigma, das die europäische Völkerrechtslehre und dann auch die Völkerrechtshistoriographie oft prägte, wird dekonstruiert. Aufklärungen zum Europäischen Imperialismus und Kolonialismus werden zu Ausgangspunkten der Rekonstruktionen in den neueren Erzählungen der Theorien wie der Praxis der völkerrechtlichen Ordnungen der Beziehungen zwischen Europäern und der außereuropäischen Welt. Dieser „anti-eurozentrische“ globale Ansatz macht Zusammenhänge sichtbar, die vorher bewusst oder unbewusst nicht behandelt und erörtert oder „unter den Teppich gekehrt“ wurden. Er ermöglicht damit ein erweitertes Verständnis der Ambivalenz der Vorgänge und des sie begleitenden und tragenden Völkerrechts der sog. „Europäischen Expansion“. So wird allgemein ein neuer Blick nicht nur auf Europa in seinem Verhältnis zur und in der Welt eröffnet. Aber zum einen muss auch hier bedacht werden, dass es sich um Rekonstruktionen aus einem bestimmten geschichtlichen Zusammenhang der Gegenwart handelt. Auch eine solche kritische Völkerrechtshistoriographie ist zeitgebunden, interessengebunden und kontextgebunden. Auch sie läuft Gefahr, die Vergangenheit aus der Gegenwart und ihren vor allem postkolonialen Fragestellungen zu erklären. Die komplexen Verhältnisse und Beziehungen werden erneut, wenn auch aus anderem Ansatz, simplifiziert. Auch sie unterliegt der Gefahr des Eurozentrismus, nunmehr mit umgekehrtem, negativen Vorzeichen, indem sie Entwicklungslinien von Vitoria und Grotius zu den verschiedenen Imperialismen und Kolonialismen der Europäer bis in die Globalisierung der Gegenwart, mit dem Schwergewicht im 19. Jahrhundert postuliert, aber nun nicht als Fortschrittsgeschichte, sondern als Unterdrückungs- und Ausbeutungsgeschichte. Imperialismus und Kolonialis_____________ 67

Fassbender/Peters (Anm. 1), Teil III, Abschnitt V, 699 ff. Dazu auch mein Besprechungsaufsatz, Von einer eurozentrischen zu einer globalen Völkerrechtsgeschichte?, Der Staat 53 (2014), 121 ff., wieder abgedruckt in ders., Universalität und Partikularität (Anm. 41), 31 ff.

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mus sind nicht der archimedische Punkt, um die bisherige Völkerrechtshistoriographie oder gar das Völkerrecht der Gegenwart aus den Angeln zu heben, ebenso wenig wie der universelle Fortschritt allein die treibende Kraft der Völkerrechtsentwicklung war, die die ältere Völkerrechtshistoriographie in die Geschichte des Völkerrechts implantiert. Zu anderen „encounters“ gibt es hingegen keine oder kaum Untersuchungen. 68 Sie bilden allenfalls Abschnitte von Gesamtdarstellungen. Aber auch diese „encounters“ können, wie z.B. die zwischen den griechischen poleïs und den vorderasiatischen Mächten oder zwischen Islam und Europa von erheblicher Bedeutung für die Entwicklung des Völkerrechts sein. Die dritte Ebene einer globalen Völkerrechtshistoriographie, die Erforschung der Strömungen, die zu der gegenwärtigen universellen Völkerrechtsordnung führen, ist mit den beiden vorherigen, insbesondere der zweiten eng verbunden. Denn das Völkerrecht der Gegenwart ist aus dem Vorherigen hervorgegangen. So sind die meisten Studien zu dem Völkerrecht und seiner Entwicklung vor allem im 19. Jahrhundert, aber auch zu davor liegenden Zeiten zugleich Studien zur Geschichte des heutigen Völkerrechts. Das ist nicht nur, aber – in kritischer Weise – besonders deutlich bei den Autoren des TWAIL-Netzwerkes, die aus der imperialistisch-kolonialistischen Geschichte des Völkerrechts dessen heutige „neu-kolonialistische“ Ausrichtung ableiten. 69 Zwei Besonderheiten sind zu nennen. Völkerrechtshistoriographie des geltenden Völkerrechts wird zum einen zur völkerrechtlichen Zeitgeschichte. Zum anderen lässt sie sich kaum von der gegenwärtigen Völkerrechtslehre und Völkerrechtspraxis trennen. Das historische Argument wird, wie auch in anderen Rechtswissenschaften, zu einem Auslegungsargument des geltenden Völkerrechts, sei es aus der Entstehungsgeschichte eines Vertrages etc., sei es aus dem herkömmlichen, üblichen Verständnis einer Regel. 70 Gerade auf dieser dritten Ebene gewinnt die Frage nach dem Einfluss der verschiedenen Kulturen, Zivilisationen und Traditionen, aber auch nach politischen Einflussnahmen zur Interessenverfolgung auf den verschiedenen Gebieten und deren Erfolgen oder Misserfolgen aus der nichtwestlichen Welt eine zentrale Rolle. 71 Bedeutung erlangt aber auch die erste Ebene, weil auf ihr Anknüpfungspunkte einer inhaltlichen Universalisierung aus der Geschichte deutlich und begründbar werden. Denn mögen auch die _____________ 68 Zu den Beziehungen mit den Mongolen: Claudia Garnier, The Sign of the Stranger: Reflections on the Meaning of Symbolic Forms of Communication in Intercultural Exchange in the 13th Century, in: Marauhn/Steiger (Anm. 62), 285 ff. 69 Oben bei Anm. 6 ff. 70 Z.B. Lydia Liu, Abgründe des Universalismus: P.C. Chang entgrenzt die Menschenrechte, Lange Leitung: Zeitschrift für Ideengeschichte, IX/1 (2015), 1, engl. Shadows of Universalism: The Untold Story of Human Rights around 1948, Critical Inquiry 40 (2014), 385 ff. 71 So der schließlich verlorene Kampf um den „new international economic order“.

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alten Völkerrechte untergegangen sein, die sie tragenden Kulturen sind nach wie vor lebendig. Das meint Onuma mit seiner „transcivilizational perspective“. 72 So haben Janne Nijman und Anthony Carty mit chinesischen und anderen Wissenschaftlern ein Projekt zur rule of law im europäischen und chinesischen Denken auf den Weg gebracht. 73

D. Fragestellungen einer globalen Völkerrechtshistoriographie I. Räume, Regionen, Kulturen Bisher wurden die normativen Ordnungen in unbestimmter Weise auf Regionen und Kulturen bezogen. Wie lassen sich aber in völkerrechtshistoriographischer Sicht regionale Ordnungen völkerrechtlicher Art erkennen und bestimmen, nach außen oder gegen andere abgrenzen? 74 In den Artikeln der EPIL und des Handbook werden die Regionen sehr unterschiedlich bestimmt. Manche fehlen, Südost-Asien und Ozeanien. Die Kriterien für die Bestimmung sind offenbar sehr verschieden, geographisch, politisch, wohl auch kulturell beeinflusst. So sind das nördliche Afrika und Arabien, die im Handbook als eine Region behandelt werden, durch den Islam bestimmt und zusammengefasst. Andere islamische Regionen wie Südost-Asien fehlen hingegen. Das ebenfalls als eine Region behandelte Osmanische Reich ist zwar auch islamisch, wird aber als eine politische Macht genommen, wie im Fernen Osten China oder Japan. Ausgangspunkt zur Bestimmung einer völkerrechtshistoriographischen Region werden geographische, religiöse, kulturelle geschichtlich-politische, ökonomische Gegebenheiten sein. Die nähere Bestimmung oder Umgrenzung einer Region ist auch wesentlich eine Frage der Wahrnehmungen der dort lebenden Menschen oder Völker. Regionen wandeln sich in ihrem Zuschnitt. Das Europa der Antike war nicht das Europa der Frühen Neuzeit und dieses ist nicht das Europa der Gegenwart. Da die normativen Ordnungen aufs Engste mit der Kultur einer Region verflochten sind, aus ihr entspringen wird der kulturelle Zusammenhang eine maßgebliche Rolle spielen. Aber letztlich wird die Abgrenzung auf das Bestehen einer eigenen normativen Ordnung abstellen müssen. So wird die völkerrechtshistorische Betrachtung die Ordnungsräume für ihre Fragestellungen konstituieren. _____________ 72

Onuma Yasuaki, When was the Law of International Society Born? An Inquiry of the History of International Law from an Intercivilizational Perspective, JHIL/RHDI 2 (2000), 1, 6; ders., A Transcivilizational Perspective on International Law, 2010. 73 Antony Carty/Janne Nijman, Morality and Responsibility of Rulers: Chinese and European Origins of a Rule of Law for World Order (i.V.). 74 Dazu zuletzt Andreas v. Arnauld, Politische Räume im Völkerrecht, in: Kerstin Odendahl/Thomas Giegerich (Hrsg.), Räume im Völker- und Europarecht, 2014, 179 ff.

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II. Zeitordnungen Auch die Zeitabgrenzungen sind immer wieder umstritten. Schon für das europäische Völkerrecht ist die Frage nach der Epocheneinteilung und deren Kriterien eine immer wieder kehrende Streitfrage. 75 Aber die Frage nach den Zeitordnungen generell verschärft sich in einer globalen Völkerrechtshistoriographie. Weithin wird ohne – größere – Bedenken die europäische Zeitrechnung zugrunde gelegt, auch wenn es sich um nicht europäische normative Ordnungen handelt. Das ist insofern verständlich, als sie sich zentral zum einen den „encounters“ zuwendet, die seit 1500 von Europa aktiv ausgingen, und zum anderen in der völkerrechtlichen Zeitgeschichte die allgemeine universelle, aber europäisch bestimmte Zeitrechnung zugrunde gelegt wird. Aber eine globale Völkerrechtshistoriographie, wie sie hier konzipiert ist, wird zumindest darauf achten müssen, dass die Geschichten in anderen Kulturen und Regionen anderen Zeitverständnissen folgen, seien sie dynastischer Art, wie in China, seien es andere religiöse Gründungsakte, wie im Islam, seien es politische Gründungsakte, wie in Rom. Europäische Zeiteinteilungen passen meist nicht zu denen der Anderen, zerschneiden diese. 76 Ein Zeitgefüge mit einheitlichen Epocheneinteilungen lässt sich nur recht allgemein und nicht-historisch herstellen. Selbst die Grenze um 1500, dem Beginn der europäischen Expansion, ist nur bedingt als allgemeine oder globale Epochengrenze zu verwenden. Denn noch blieben viele Regionen der Welt außerhalb derselben. In Asien wie in Afrika berührte sie nur die Ränder. In Europa wurde die normative Zwischen-Mächte-Ordnung des mittelalterlichen Lehnsrechts, Reichsrechts und Thronfolgerechts nur nach und nach und endgültig erst in Folge der Französischen Revolution durch eine rein völkerrechtliche Ordnung abgelöst. Da jede Kultur und jede normative Ordnung ihre eigenen Zeitabläufe und Epochen hat, kommt es in interzivilisatorischer und globaler Perspektive zu Überlappungen. 77 Daher muss die i.d.R. europäisch orientierte Zeit- oder Epocheneinteilung der Völkerrechtshistoriographie die dadurch entstehende Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen stets mit einbeziehen.

_____________ 75

Ich habe mich selbst daran beteiligt: Heinhard Steiger, Vom Völkerrecht der Christenheit zum Weltbürgerrecht: Überlegungen zur Epochenbildung in der Völkerrechtsgeschichte, in: Paul-Joachim Heinig u.a. (Hrsg.), Reich, Religion und Europa in Mittelalter und Neuzeit: Festschrift für Peter Moraw, 2000, 171 ff.; wieder abgedruckt in: ders., Von der Staatengesellschaft (Anm. 64), 51 ff.; engl.: JHIL/RHDI 3 (2001), 180 ff. 76 So hängt Ziegler (Anm. 61), seine Ausführungen zum Islam an die entsprechenden christlich-europäischen Epochen an, 5. Kapitel: Frühes und Hohes Mittelalter, 93 ff., 6. Kapitel: Spätmittelalter, 113 ff., etc. 77 Osterhammel (Anm. 55), 10 mit weiteren Verweisen.

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III. Strukturen der Ordnungen Das moderne Völkerrecht, aber auch schon das europäische Völkerrecht und das globale Völkerrecht des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind und waren Recht zwischen den modernen souveränen Staaten. Hier soll und kann nicht in die umfangreiche Diskussion der Staatslehre und des Staats- und Völkerrechts über Souveränität, Staat, souveränen Staat etc. eingetreten werden. Aber ein kurzer Blick auf die Mächte vergangener Zeiten und außereuropäischer Regionen zeigt, dass das alte Ägypten, das Reich der Hethiter, die antike Polis, das Römische Reich, das Chinesische Kaiserreich, das Heilige Römische Reich, die Indianerstämme, die afrikanischen Königreiche etc. nicht die Struktur dieses modernen souveränen Staates aufwiesen, mögen sie auch weithin in der Völkerrechtshistoriographie als „states“ bezeichnet werden. Der Begriff wird insoweit ohne historische Begrifflichkeit als Allgemeinbegriff für jede Art politischer Organisation einer Gruppe von Menschen mit einem gewissen Grad von Unabhängigkeit und Selbstbestimmung benutzt. 78 Durch derartige Verallgemeinerungen moderner Begriffe des Völkerrechts, insbesondere der Begriffe „Staat“ und „Souveränität“ verlieren diese aber ihren spezifischen historisch gewachsenen Charakter und damit ihre unterscheidende Wirksamkeit für die Völkerrechtshistoriographie, um die spezifischen Strukturen einer normativen Zwischen-Mächte-Ordnung und zu erfassen und die Unterschiede in den Zeiten wie in den Regionen auch gegenüber der Gegenwart herauszufiltern. Zum einen werden mit diesen Begriffen andere „nicht staatliche“ Akteure nicht erfasst, die für die Zwischenmächte und Völkerbeziehungen stets erhebliche Bedeutung hatten. Zum anderen werden fundamentale Strukturwandel wie z.B. der Übergang von einer personalen zu einer institutionellen Struktur, wie er in Europa vom Mittelalter zur Neuzeit stattfand, begrifflich nicht dargestellt und damit überspielt. Die Fragen nach den Strukturen einer Ordnung orientieren sich nolens volens an unserem heutigen Wissen. Wie sind die Glieder selbst organisiert? Wer sind die Handelnden? Sind die Glieder einer Ordnung einander gleichgestellt oder besteht eine hierarchische oder vasallitische Ordnung? Lässt eine solche zumindest Raum für einen gewissen Grad von Eigenständigkeit der Anderen nach außen, d.h. eine eigene Handlungsfähigkeit zu Krieg und Frieden? 79 Die Abgrenzungen müssen aus der Ordnung selbst gewonnen, können nicht abstrakt vorgegeben werden, wenn die sehr unterschiedlichen Strukturen als solche erfasst werden sollen. So war in Europa der Frühen Neuzeit beides ineinander verwo_____________ 78

Z.B. Ziegler (Anm. 61), 1f. Das macht den Unterschied zwischen den Gliedern des Alten Reiches vor 1806 und den Gliedstaaten des Reiches von 1871 und auch der Bundesrepublik aus. 79

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ben. 80 Der hethitische Herrscher Hathusilis III. schloss im 13. Jahrhundert zwar einen Vertrag mit dem ägyptischen Pharao Ramses II., aber auch Verträge mit seinen Vasallen, in denen er sich allerdings als „die Sonne“ bezeichnete. 81 Wer waren oder sind die Träger der normativen Ordnungen? Ist es die Person des Herrschers? Ist es die Kommunität, wie ist diese organisiert? Wer partizipiert an der Herausbildung der Ordnungen, vor allem bei Verträgen, aber auch bei einseitigen Akten, wie Privilegien, d.h. wer sind die Akteure? Wer ist dann an die Normen „gebunden“? IV. Normativität Wie ist das Selbstverständnis der verschiedenen Kulturen gegenüber ihren normativen Ordnungen? Wir unterscheiden heute in der Regel rechtliche, moralische/religiöse, gesellschaftliche, übliche/gewohnheitliche Normen auch im Völkerrecht. Das Verhältnis dieser Normen zueinander, deren Unterscheidungen in Europa entstanden ist, ist Gegenstand intensiver theoretischer Debatten. Lassen sich diese Unterscheidungen in anderen Kulturen wiederfinden? Wie wurden oder werden sie in ihre Zivilisation und Kultur eingeordnet, wie begründet? Gibt es tragende philosophische, normative, religiöse Konzepte? Wie verhalten sich derartige Konzepte oder Theorien zu der von den Mächten praktizierten Normativität? Werden vorausgesetzte oder vorgegebene Ordnungen angenommen, wie das europäische Naturrecht, oder muss eine normative Ordnung immer erst begründet, gestiftet werden, wenn ja, durch wen? Handelt es sich um gemeinsame, d.h. von allen Gliedern getragene, oder um einseitige Ordnungen? Sind die normativen Ordnungen ausdifferenzierte Systeme, mit eigenen sprachlichen Darstellungsweisen und eigener Begrifflichkeit etc. oder sind sie in die Gesamtkultur oder doch die normative Gesamtordnung eingebettet? Welche Bindungskraft entfalten diese Normen für die Glieder der Ordnung und die Handelnden? Wie entsteht normative Praxis, durch Vereinbarung der Beteiligten, durch Anordnung eines Hegemons oder Oberherrschers? Was sind die Mittel, Institutionen, Formen der Ordnung? Sind diese mit den uns bekannten vergleichbar und wenn ja wie und inwieweit? So begründeten der bereits genannte hethitischen König Hathusilis III. und der ägyptische Pharao Ramses II. um 1230 v. Chr. ihren Frieden durch den genannten persönlichen Vertrag zwischen ihnen, den sie unter Anrufung ihrer je eigenen Götter und einen vorhergehenden Vertrag zwischen diesen abschlossen. Diese sind zudem die Garanten _____________ 80

Heinhard Steiger, Rechtliche Strukturen der Europäischen Staatenordnung 1648–1792, ZaöRV 59 (1999), 609 ff., wieder abgedruckt in ders., Von der Staatengesellschaft (Anm. 64), 191 ff. 81 Steiger (Anm. 75), 172 ff.

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des Vertrages. 82 Die Verträge im Europa des 18. Jahrhunderts n. Chr. wurden auch von den Herrschern, aber auch für ihre Erben, Nachfolger, Staaten und Untertanen unter Anrufung ihres gemeinsamen dreieinigen Gottes geschlossen. Garanten sind andere Herrscher. Verträge der Gegenwart schließen die Staaten als solche durch ihre Vertreter ohne eine religiöse Anrufung. Garanten gibt es keine mehr. So ist zwar das Regelungs- oder Ordnungsinstrument zu allen drei Zeiten der Vertrag. Aber die Unterschiede sind grundlegend und verweisen auf sehr verschiedene politische und organisatorische Strukturen aber auch die jeweils anderen Verständnisse der normativen Ordnungen in Bezug auf ihre Träger und auf deren sehr unterschiedliche Begründungen und Voraussetzungen für normative Beziehungen in diesen drei Zeitaltern überhaupt. 83 Der Vertrag war zudem keineswegs das universale Instrument der Regelung für friedliche Zwischen-Mächte-Beziehungen. Einseitige Akte bildeten immer wieder ein zentrales Instrument, das aber dann auf eine hierarchische Zwischen-Mächte-Ordnung hindeutete. 84 Wie ist es mit der Dauer dieser Ordnungen als ganzer wie der konkreten Regelungen bestellt? Bestehen Kontinuitäten? V. Krieg und Frieden Carl Schmitt sah in der Hegung des Krieges den großen Gewinn des ius publicum europaeum, wenn diese auch nur in Europa bestand und nicht darüber hinaus galt. So wird auch in der Literatur sein Hauptverdienst in der Entwicklung des „gehegten Krieges“ aus seiner europäischen Ideengeschichte von Ayala bis Vattel gesehen. 85 Bis heute steht trotz des Gewaltverbots des Art. 2 Abs. 4 Satzung der Vereinten Nationen (SVN) inhaltlich der Krieg im Mittelpunkt der _____________ 82

Heinhard Steiger, Religion und historische Entwicklung des Völkerrechts, in: Andreas Zimmermann (Hrsg.), Religion und Internationales Recht, 2006, 11 ff., wieder abgedruckt in ders., Von der Staatengesellschaft (Anm. 64), 15, 67 ff., 70 ff. 83 Dazu auch die kritischen Anfragen von Onuma (Anm.72), 270 f.; Pierre-Marie Dupuy, Quelques réflexions sur les origines historiques de l’ordre juridique international, in: Dupuy/Chetail (Anm. 13), 389 ff. Von den religiösen Bedingungen des Vertrages ist aber keine Rede. Karl-Heinz Ziegler postuliert hingegen von der Vertragsrechtskonvention von 1969 eine „Entwicklungskette […], die sich in ununterbrochener Tradition bis ins Völkerrecht des Alten Orients zurückverfolgen läßt“: Zum Völkerrecht in der römischen Antike, in: Martin J. Schermayer u.a. (Hrsg.), Iurisprudentia universalis: Festschrift für Theo Mayer Maly zum 70. Geburtstag, 2002, 933, 934. 84 Am Ausgang der mittelalterlichen Ordnung in Europa stand die Bulle „Inter cetera divinae“ Alexanders VI. vom 4. Mai 1498 zur Teilung der Welt zwischen Spanien und Portugal. Zu chinesischen und indischen einseitigen Akten gegenüber Europäern: Steiger (Anm. 64). 85 Wie schwierig das aber in der bellizistischen Wirklichkeit des 16. und 17. Jahrhunderts war zeigt Axel Gotthard, Der liebe und werthe Fried: Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit, 2014.

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Beziehungen zwischen politischen Mächten. Erst wenn dieser in irgendeiner Weise normativ geregelt, d.h. aber beschränkbar und beherrschbar ist, kann auch der Frieden geschlossen und inhaltlich gefüllt werden. Wird Krieg überhaupt geregelt und wenn ja wie? Oder ist er willkürliche pure Gewaltanwendung? Nicht jeder noch so ausgedehnte Bellizismus spricht jedoch gegen das Bestehen einer normativen Ordnung des Krieges, nicht in der Antike, nicht im europäischen Mittelalter, nicht in der Frühen Neuzeit oder im 20. Jahrhundert und wohl auch nicht in außereuropäischen Regionen. Kann Frieden gemacht werden? Welches sind die Grundlagen, Religion, gemeinsame Kultur, gemeinsame Interessen? Wie geschieht das? Durch Vertrag, mündlich oder schriftlich, oder durch einseitigen Akt? Welche Stellung hat der Unterlegene? Bleibt ihm in der Regel noch ein Rest an Eigenständigkeit? Die deditio des römischen Kriegsrechts, in der sich der Unterlegene anders als in der griechischen auf Gedeih und Verderb den Römern unterwarf, ist ein sehr zweifelhaftes Friedensinstrument. Erfolgt der Friedensschluss mündlich oder in Schriftform? Was wird für den Frieden geregelt? Nur politische oder auch ökonomische, religiöse, kulturelle, sonstige inhaltliche Fragen? Gibt es ein Fremdenrecht und wie ist es gestaltet?

E. Zur Methode einer globalen Völkerrechtshistoriographie 86 I. Begriffe Eine derart weitgespannte globale Völkerrechtshistoriographie über drei Ebenen stellt eine erhebliche methodische Herausforderung dar. „In fact“, schreibt Antony Carty zutreffend, „the reason international legal history is almost impossible to write is that there is no consensus on what international law is.“ 87 Auf die vielen Versuche, doch einen allgemeinen Begriff zu bilden, ist hier nicht einzugehen. 88 Denn zu recht macht Onuma Yasuaki in seiner Suche nach einer Antwort auf seine Frage „What is international law?“ für eine umfassende Völkerrechtshistoriographie auf die vielfachen Unterschiede zwischen den politischen Mächten, den Formen der Vereinbarungen etc. zu verschiedenen Zeiten _____________ 86 Zur Methode in der Rechtsgeschichte allgemein u.a. Michael Stolleis, Rechtsgeschichte schreiben: Rekonstruktion, Erzählung Fiktion, 2008; für eine globale Völkerrechtshistoriographie Fassbender/Peters (Anm. 1), 11 ff. 87 Antony Carty, Doctrine versus State Practice, in: Fassbender/Peters (Anm. 1), 924, 972 ff. Zur Entwicklung des Begriffs Völkerrecht im europäischen Schrifttum: Heinhard Steiger, Völkerrecht in: Otto Brunner et al. (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, 1993, 97 ff., wieder abgedruckt in: ders.,Von der Staatengesellschaft (Anm. 64). 88 Z.B. Preiser (Anm. 62), 96 ff.; Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgechichte, 1984, 26 ff.

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und in den verschiedenen Regionen aufmerksam, die es erschweren einen einheitlichen Begriff zu finden oder zu bilden. 89 Weitere Fragen betreffen die Unterscheidung des Völkerrechtssystems von anderen normativen Systemen, die Unterscheidung von internationalen und internen Normativsystemen, den normativen Charakter der Verträge zwischen europäischen Handelskompanien und den Herrschern in Asien und Afrika etc. etc. Onuma rückt also die längst bekannte Vielfältigkeit der Ordnungen an den Ausgang seiner Untersuchungen. So ist auch seine Antwort mehrschichtig in Bezug auf die Gegenwart und die Zeiten vor dem 20. Jahrhundert. Einen einheitlichen Zeiten und Regionen überwölbenden Begriff des international law bildet er richtiger Weise nicht, vor allem projiziert er nicht den heutigen Begriff auf frühere Zeiten und Regionen, sondern unterscheidet verschiedene regionale normative Systeme in den verschiedenen Kulturen, Zivilisationen und Gesellschaften und nimmt diese Verschiedenheiten der normativen Ordnungen oder Erscheinungen zum Ausgangspunkt seines inter- oder transzivilisatorischen Ansatzes. Er setzt für normative Ordnungen für frühere und außereuropäische Zivilisationen sowohl „international law“ wie „states“ In Anführungsstriche, weil diese modernen Begriffe für die vormoderne Welt nicht anwendbar sind. Werden sie aber unspezifisch verstanden, dann könne man „such ‚international law‘ in Mediterranean, Indian, Chinese or some other antiquity, or medieval Europe, or somewehere or sometime else“ finden. Er fährt fort: „But we must recognize that such ‚international law‘ is different, perhaps fundamentally different, from international law as we, the people of today’s world, assume generally.“ 90 So gibt es eigentlich auf seine Frage „When was the Law of International Society born?“ keine definitive Antwort, ja die Frage selbst löst sich auf. Es gibt mehrere Geburten vieler „Völkerrechte“ zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Regionen und Kulturen, da es verschiedene „international societies“ gab. Im Grunde werden drei verschiedene Begriffe „Völkerrecht“ in der Völkerrechtshistoriographie verwendet. Zunächst ist es das in Europa zwischen 1500 und dem 20. Jahrhundert entstandene und verwendete Völkerrecht, das als europäisches Völkerrecht die Ordnung der Beziehungen zwischen den europäischen Mächten in Europa und das von den europäischen Mächten gegenüber außereuropäischen Mächten angewandte und globalisierte Völkerrecht umfasst. Andererseits sprechen wir von dem universellen Völkerrecht der Gegenwart, das die gegenwärtige internationale Ordnung meint, deren Begriff zwar i.E. umstritten ist, das aber doch grundsätzlich eine Ordnung zwischen souveränen Staaten darstellt, die aber anders als ältere Ordnungen durch einen wesentlich höheren Grad an Organisation und Institutionalisierung auf Weltebene und die _____________ 89 90

Oben Anm. 72. Onuma (Anm. 72), 266 f.

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stärkere Einbindung des Einzelnen in die Ordnung gekennzeichnet ist. 91 Zum dritten wird der Begriff in einer nicht mehr eurozentrisch, sondern global ausgerichteten Völkerrechtshistoriographie für verschiedene Zeiten, Regionen und Kulturen in der Tat ohne spezifischen historischen Inhalt und damit ohne vorgeprägte Substanz als Allgemeinbegriff sehr unterschiedlicher normativer Ordnungen der Beziehungen zwischen politischen Mächten oder Gruppen benutzt werden. Ich verwende für diesen den Begriff normative Zwischen-MächteOrdnung bzw. normative Phänomene der Zwischen-Mächte-Beziehungen. Diese drei Begriffe werden oft verwendet ohne klar geschieden zu werden. Sie können auch u.U. nicht klar geschieden werden. Es ergibt sich dann erst aus der Untersuchung selbst, wovon die Rede ist. Mögen diese drei Völkerrechtsbegriffe auch strukturell sehr unterschiedliche Ordnungen bezeichnen, so sind sie doch funktionell verbunden. Sowohl für Europa, wie zwischen Europa und den außereuropäischen Mächten, wie in den Frühen Zeiten und in den Beziehungen der Mächte anderer Regionen wie auch noch in der Gegenwart geht es, wie bereits hervorgehoben, um die Regelungen von Krieg und Frieden. Hugo Grotius nennt als Anliegen oder Zweck seines Hauptwerkes De jure belli ac Pacis libri tres, dass er jus quod inter populos plures aut populorum rectores intercedit, das Recht zwischen mehreren Völkern oder den Lenkern der Völker, darstellen wolle, was bisher noch niemand in seinem ganzen Umfang getan habe. Unter Berufung auf Cicero bestimmt er dieses jus als scientiam in federibus, pactionibus, conditionibus populorum, regum, exterarumque nationum, in omni denique belli jure ac pacis. 92 Mag das auch eine europäische Bestimmung sein, so ist sie doch in ihrem Kern, Recht des Krieges und des Friedens, universalisierbar. Aber auch wenn man die Begriffe „Staat“, „Souveränität“, „Völkerrecht“, „Recht“ als enthistorisierte Begriffe benutzt oder ersetzt, bleibt das begriffliche Fundamentalproblem, dass alle Begriffe des Völkerrechts und der Völkerrechtshistoriographie auf Grund ihrer europäischen Herkunft und der verwendeten europäischen Sprachen europäisch entwickelte und geprägte Begriffe sind. Das bedeutet, dass die Erzählungen der normativen Ordnungen oder Phänomene der ZwischenMächte-Beziehungen in den verschiedenen Zeiten, Regionen und Kulturen in der Regel in diesen Begriffen dargestellt werden. Es wird ein neuer Eurozentrismus, ja eine neue Kolonisierung durch die Hintertür der Begriffe der globa_____________ 91 Zuletzt Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, 2. Aufl. 2014, Rn. 1; Wolfgang Graf Vitzthum, Begriff , Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts in: ders./Alexander Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, Abschnitt I, 1. 92 Hugo Grotius, De jure belli ac pacis libri tres, (Erstausgabe Paris 1625), Prol. §§ 1, 2; darauf stellt auch Harald Kleinschmidt, Geschichte des Völkerrechts in Krieg und Frieden, Tübingen 2013, ab; dazu meine Besprechung, Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte (ZNR) 37 (2015), 298 ff.

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len Völkerrechtshistoriographie befürchtet. 93 Für Koskenniemi besteht die eigentliche Schwierigkeit, Eurozentrismus zu vermeiden, darin, dass Terminologie und Konzepte des Völkerrechts europäisch geprägt sind. Das zeige sich gerade in den Versuchen von Anand, Elias und anderen, den eurozentrischen Blick durch die Untersuchung der Praxis zwischen asiatischen Herrschern und Vertragsbeziehungen zwischen afrikanischen Fürsten zu korrigieren. „They ended up once again projecting European categories as universal.“ 94 Er sieht die Völkerrechtshistoriographie poised between two alternatives. Either to operate with the inherited vocabularies and to seek to deal with the problems that arise from their association with dubious political causes as best one can, or to reject those vocabularies outright, and then to replace them with something more congenial. 95

Chakrabarty betont, dass die aus der europäischen Aufklärung stammenden Konzepte zur Erklärung des Phänomens „political modernity“ „entail an anavoidable – and in a sense indispensable – universal and secular vision of the human“. 96 Er entwickelt das Konzept einer „Provinzialisierung“ dieses universellen europäischen Denkens. Das ist hier nicht näher zu diskutieren. Auch die Autoren des TWAIL-Netzwerkes beklagen diese europäische Ausrichtung der Begriffe. 97 Dreierlei ist jedoch zu bedenken. Offenbar steht diese europäische Terminologie der fundamentalen Kritik am Eurozentrismus, an Imperialismus, Kolonialismus, etc., der europäischen Völkerrechtshistoriographie und des Völkerrechts selbst nicht entgegen. Sie bedient sich genau dieser Terminologie. Auch insofern hat ein Begriffswandel stattgefunden. Die alten herkömmlichen Begriffe sind offenbar, wie schon früher, flexibel genug, dem Wandel der politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen, kulturellen Verhältnisse wie des Bewusstseins zu folgen und neue Bedeutungen aufzunehmen. Zum anderen wird die Völkerrechtshistoriographie eigene Begriffe der anderen, nicht-europäischen Ordnungen aufnehmen und zugrunde legen müssen. 98 Wo solche aber fehlen, weil es keine eigene ausgebildete Sprache oder Begriffsbildung für die Gegenstände der Völkerrechtshistoriographie gibt, werden entweder die europäischen Begriffe angepasst oder neue gebildet werden müssen, um die politischen Mächte, _____________ 93

Margrit Perneau zit. bei Conrad (Anm. 53), 93. Koskenniemi, Histories I (Anm. 1), 168. 95 Koskenniemi, Histories II (Anm. 1) 224. 96 Chakrabarty (Anm. 63) 3 ff. 97 Anghie/Chimni befürchten sogar, von den „Northern schools“ der USA vereinnahmt zu werden (Anm. 6), 87, zumal die Autoren von den institutionellen Ressourcen abhängig sind. 98 Ähnlich zwar Koskenniemi, Histories I (Anm. 1), 170: „Clearly it is necessary to begin to examine autochthonous legal vocabularies and dispute resolution techniques“. Was aber heißt „legal“ für autochtone Sprachen? 94

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die Normen und ihre Ordnungen der Beziehungen, die Instrumente ihrer Gestaltung etc. zu beschreiben und darzustellen. II. Tradition und Gegenwart Die Geschichte der Begriffe macht auf ein tiefer liegendes Problem einer global ausgerichteten Völkerrechtshistoriographie der verschiedenen Zeiten, Regionen und Kulturen aufmerksam, den „Transport“ von Inhalten aus der Vergangenheit in die Gegenwart. So bemerkt Koskenniemi zwar zutreffend, „to think in terms of traditions flattens history and erases its ruptures, transformations and incommunicabilities.“ 99 Aber Texte bilden Traditionen, Argumentationszusammenhänge, oft über Jahrhunderte, werden zu ständig wieder rezipierten oft gewissermaßen kanonischen Texten. Das gilt nicht nur für „heilige“ Texte wie die Bibel oder den Koran, es gilt auch für Autorentexte. Gerade in der Völkerrechtsgeschichte ist diese „Ideengeschichte“ ein zentraler Forschungsgegenstand. Sie entwickeln dabei ihre eigene Geschichte. Dabei treten gewiss z.T. tiefgreifende Veränderungen ein, weil diese Texte in neue Kontexte gestellt, von den alten gelöst werden. Aber sie transportieren auch Herkunft, Traditionen, früher gewonnene Erfahrungen, Einsichten, Auffassungen, Gewohnheiten. In Alteuropa galt die Verwurzelung des Neuen in Herkunft, Traditionen als dessen Legitimation. Sie drückte sich gerade auch in der Verwendung der Sprache, in der Verwendung der Begriffe etc. aus, mochten diese dabei auch verändert werden. Die Benutzung alter Begriffe sollte Kontinuität begründen, selbst über Diskontinuitäten hinweg. Der Rückbezug auf „die Alten“ soll wenn Grotius die exempla aus der Antike als Belege für seine Aussagen anführt, gerade die Güte des Arguments begründen, Zwar gehören Vitoria, Gentilis, Grotius und Wolff verschiedenen Zeiten, Herkünften, Professionen an, stehen in anderen Kontexten, verfolgen mit ihren Schriften sehr unterschiedliche Zwecke und sind daher voneinander inhaltlich deutlich unterschieden. Aber da sich alle vier ihrerseits derselben überlieferten, wissenschaftlichen Sprache und Begriffe bedienen, des Latein, alle vier Spielarten des Naturrechts vertreten und sich die Jüngeren z.T. auf die Älteren als Autoritäten beziehen, gehören sie auch wieder zusammen. Das wird besonderes an Vattel deutlich. Er schrieb zwar bewusst französisch, nahm aber das Buch „Ius gentium“ von Christian Wolff als „guide“ für sein Vorhaben, entnahm ihm die wichtigsten Materien, wich aber auch in manchem davon ab. 100 Dazwischen liegt in Europa jedoch der Bruch um 1800 in der Einschätzung des Alten der Herkunft und des Neuen der Zukunft, der die Moderne eröffnete _____________ 99

Koskenniemi, Histories II (Anm. 1), 227. Emer de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, appliqués à la conduite et aux affaires des Nations et des Souverains, 1758, Préface, XV ff. 100

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und auch unseren Blick auf die Vergangenheit fundamental veränderte, sie zur „Geschichte“ machte. 101 Erst der nachkritische Kant konnte 1795 Grotius, Pufendorf und Vattel als – alte – „leidige Tröster“ bezeichnen, um die andere, der Herkunft entgegengesetzte Zukunft der Ordnung, den Völkerbund begründen zu können. Seitdem gilt es als modern, bewusst und gezielt die bestehende Ordnung gemäß den jeweiligen Anforderungen weiter zu entwickeln, Zukunft zu gestalten, Reformen durchzuführen. Das unterscheidet die Moderne von der Vormoderne. Begriffe, also Sprache, wandeln nunmehr ihre Bedeutung. Sie tragen, so Reinhart Koselleck, ein Janusgesicht: rückwärtsgewandt meinen sie soziale und politische Sachverhalte, die uns ohne kritische Kommentare nicht mehr verständlich sind, vorwärts und uns zugewandt haben sie Bedeutungen erlangt, die zwar erläutert werden können, die aber auch unmittelbar verständlich scheinen. 102

Neue Begriffe tauchen auf und treten hinzu um neue Inhalte zu transportieren, die aber nicht ohne weiteres für vorherliegende Verhältnisse anwendbar sind. Dieser grundlegende Bruch mit der Vergangenheit, diese fundamentale Diskontinuität oder „Entzweiung“ von Herkunft und Zukunft muss bei der historischen Lektüre durch uns, die wir nach diesem Bruch leben, jedenfalls für Europa und seine völkerrechtlichen Ordnung bedacht werden, wenn wir uns der Vormoderne zuwenden. Zu fragen ist dann im Ansatz einer globalen Völkerrechtshistoriographie, ob und inwieweit sich Ähnliches an Sprachentwicklungen, Wandlungen, Brüchen und der Einschätzung der Vergangenheiten, der Traditionen in ihrem Verhältnis zur Gegenwart auch in anderen Kulturen vollzogen hat, z.B. im Islam mit dem Koran und seinen Interpretationen oder in China, wo Tradition noch viel länger eine grundlegende Bedeutung auch in der Sprache hatte. So sind die Zugänge des Verstehens dieser Quellen aus heutiger Zeit gebunden an das Eintauchen in ihre Zeit. Wir müssen gewissermaßen für die Geschichte des europäischen Völkerrechts und wahrscheinlich auch für andere Regionen und Kulturen über jene Schwelle zurückspringen. Der moderne Deutungshorizont muss verlassen, jedenfalls überschritten werden. Das gilt gerade auch bei Quellen, die unseren heutigen zu ähneln scheinen, z.B. bei Verträgen, aber doch, wie gezeigt, andere Strukturen und Bedeutungen haben. _____________ 101 In diese Zeit fällt dann auch das erste völkerrechtsgeschichtliche Werk, Robert Ward, An Inquiry into the Foundation and History of the Law of Nations, from the Time of the Greeks and Romans to the Age of Grotius, 2 Bde., 1795. Aus philosophischer Sicht zur „Entzweiung“ von Herkunft und Zukunft Joachim Ritter, Hegel und die französische Revolution (1956), in: ders., Metaphysik und Politik, 2006, 183, 209 ff.; Odo Marquard, Zukunft braucht Herkunft, in: ders., Philosophie des Stattdessen, 2000, 66 ff., wieder abgedruckt in ders., Zukunft braucht Herkunft, 2003, 234 ff. 102 Reinhart Koselleck, Einleitung, in: Brunner u.a. (Anm. 87), Bd. 1, 1972, XV. Dort auch zu methodischen Fragen, XIX ff.

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III. Quellen Generell gilt auch für die Völkerrechtshistoriographie, dass sie, wie alle Geschichte nur über sprachliche Überlieferung, also sprachliche Quellen zu fassen ist. Für ältere Zeiten wie für die verschiedenen Kulturkreise werden sehr unterschiedliche Arten von Quellen heran zu ziehen sein. Dazu gehören rechtliche Quellen im engeren Sinne, neben Verträgen u.a. Rechtsbücher und -sammlungen im weitesten Sinne, Gesetze, einseitige Rechtsakte. Bedeutende normative Inhalte werden, gerade für die frühen Zeiten, über religiöse Schriften transportiert, wie das Alte Testament der Bibel oder der Koran, die in theologischen Schriften etc. weiterentwickelt werden. Auch philosophisch-moralische Lehren enthalten bedeutsame normative Aussagen. Für China werden immer wieder die Lehren des Konfuzius genannt. Auch hier sind interpretierende weiterführende Texte aufzunehmen. Da Normen der Zwischen-Mächte-Beziehungen in frühen Zeiten sogar bis weit in das 20. Jahrhundert nicht schriftlich niedergelegt sind, sondern auf Gewohnheiten, Herkommen, Traditionen beruhen, sind Darstellungen normativ geprägten Verhaltens der politischen Mächte in Krieg und Frieden von erheblicher Bedeutung, um auf diese indirekte Weise Normen und Normenordnungen herausfiltern zu können. Sie finden sich in Geschichtswerken, Tagebüchern, Berichten offizieller und inoffizieller Art, Briefen, Flugblätter, auch in literarischen Quellen. Insbesondere für die „encounters“ der Europäer mit den anderen Kulturkreisen entstand eine eigene, gewissermaßen interregionale Quellenart, die Reiseberichte der Kaufleute, Missionare, Forscher etc. Sie berichten über politische und gesellschaftliche Verhältnisse, Gebräuche, Rechtsordnungen in den fremden Ländern. Ältere Ordnungen können sich u.U. auch in Realien, z.B. Grenzzeichen, zeigen. Zentrale Probleme sind zum einen die Qualität der Quellen, zum anderen die Quellenlagen. Die Qualität betrifft zum einen deren Zustand und Überlieferung, zum anderen die Aussagekraft, auch deren Verlässlichkeit. Für viele Zeiten, auch in Europa, besteht Quellenarmut. Das dürfte aber für alle Regionen und Kulturen gelten. Die Erhaltung, selbst das Auffinden verdanken sich oft Zufällen. So sind oft nur einzelne Verträge, Texte etc. erhalten und überliefert. Oft sind es nur punktuelle Hinweise auf derartige normative Phänomene. Schlüsse auf normative Ordnungszusammenhänge der Zwischen-Mächte-Beziehungen können aus dem vorhandenen Material daher oft nur mit Zurückhaltung gezogen werden. 103 _____________ 103

Hingegen hat Dupuy aus dem Vertrag zwischen Hathulisis III. und Ramses II. unter Berufung auf von Kelsen und Hart aufgestellte, also moderne Kriterien den Schluss gezogen, man könne aus ihm „conclure à l’existence d’un ordre juridique commun aux Hittites et aux Egytiens, sur la base du traité de Paix indirectement lié à la bataille de Quadesh“; Dupuy (Anm. 83), 395.

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IV. Sprache Die Quellen sind entweder selbst sprachliche Quellen oder bei Artefakten nur über sprachliche Vermittlung zugänglich. 104 Sprache ist die einzige Vermittlerin der Normen, Ordnungen, Ereignisse, Vorstellungen, Konzeptionen, Kulturen, die den Stoff der Völkerrechtshistoriographie ausmachen. Es geht dabei aber um Sprache in der Mehrzahl, ja der Vielzahl, um Sprachen, alte und heutige, tote und lebendige, Sprachen aus sehr verschiedenen Kulturen, Zivilisationen, kleine und große. Wegen der Vielfalt der Sprachen steht eine globale Völkerrechtshistoriographie vor dem Problem ihrer „Übersetzung“, d.h. ihrer Übertragung in ein gegenseitiges und wechselseitiges Verständnis einer Quelle, die nicht nur ein Wort- oder Begriffs-, sondern ein Inhalts- oder Bedeutungsverständnis sein muss. Auch hier gilt wie für jede Übersetzung, dass Worte sich nicht decken. Besonders bei nicht mehr gesprochenen, d.h. toten Sprachen in eine heutige allgemeine wissenschaftliche Sprache der Völkerrechtshistoriographie erweist sich eine Übersetzung als hoch problematisch und schwierig, wenn sie überhaupt möglich ist. 105 Aber auch die Übersetzung aus noch lebenden Sprachen kann zu Sinnverschiebungen führen, wenn sie nicht demselben Kulturkreis angehören sogar zu Missverständnissen. Koskenniemi hat daher vorgeschlagen, „to examine autochtonous legal vocabularies and dispute-resolution techniques“, meldet aber gleichzeitig eine gewisse Skepsis an, wieweit das trägt. 106 Als Ausweg wird versucht, die Begriffe in der Originalsprache, z.B. chinesische Zeichen in lateinischer Umschrift zu benutzen und zu erklären, aber nicht im eigentlichen Sinn zu übersetzen. 107 Auch in diesem Feld sind die in dem sog. linguistic turn benannten Probleme der Sprachanalytik zu bedenken. 108 Wir erfahren oder erkennen die in den Quellen wiedergegebene Geschichte nur über oder durch ihre Sprachen. Das gilt auch für die normativen Ordnungen und Phänomene der Zwischen-MächteBeziehungen. Alle Quellen sind Produkte ihrer Zeit und ihrer Autoren. Sie sind zum einen eingebettet in ihre jeweiligen kulturellen, politischen und anderen Zusammenhänge, Grundlegungen, Voraussetzungen, Umstände, Anlässe, Zwecke, den Kontexten ihrer Entstehung. Zum anderen sind sie geprägt von den _____________ 104

Für die allgemeine Rechtsgeschichte Stolleis (Anm. 86), 28 ff. Zur Bedeutung von Übersetzungen im Vorgang der Europäischen Expansion in Bezug auf China im 19. Jahrhundert Lydia H. Liu (Anm. 66), einerseits aus dem Chinesischen ins Englische, 30 ff., zur Übersetzung aus dem Englischen ins Chinesische, 108 ff. 106 Koskenniemi, Histories I (Anm. 1), 170. 107 Shin Kawashima, China, in: Fassbender/Peters (Anm. 1), 451 ff. 108 Stolleis (Anm. 86), 18 ff. Gewisse Vorbehalte von Fassbender/Peters (Anm. 1), 15. 105

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subjektiven Vorstellungen, Konzepten, Prägungen, Zielsetzungen, u.U. auch nur Wunschbildern ihrer Verfasser. Auch sie enthalten bereits Rekonstruktionen und Fiktionen. Wieweit konstituiert oder konstruiert Sprache erst diese Realität, auch die einer Norm? Stolleis spricht von den Schrift- und Bildquellen als „Artefakten“, die „durchweg in bestimmter Absicht hergestellt wurden und keineswegs als Abbild der Realität aufgefasst werden dürfen“. 109 Zugespitzt, wo ist die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Fiktion oder gar Fälschung? Ist eine solche überhaupt definitiv möglich? D.h. auch hier ist zu schauen, wie sprachlich in den verschiedenen Arten der Quellen von den Normen einer Zwischen-Mächte-Ordnung die Rede ist. Insbesondere bei den erzählenden Quellen, die über normativ geprägtes Verhalten berichten, also Normen nur indirekt benennen, spielt der Zusammenhang von Sprache und Ereignis eine fundamentale Rolle. „Gab“ es die Norm überhaupt oder gehört sie in die Welt des Verfassers der Erzählung als Normbehauptung? Was, wenn verschiedene Autoren verschieden berichten? Schon in der europäischen Renaissance entstand daher die Quellenkritik. Sie ist für Europa selbstverständlich. Wie ist es in anderen Kulturen im Umgang mit ihren Quellen? Auch ihre Aussagen sind wohl im Hinblick auf eine global ausgerichtete, interzivilisatorische Völkerrechtshistoriographie diesen, wenn auch europäisch-westlichen Kriterien zu unterwerfen. V. Interpretation Methoden der Interpretationen gehören allgemein zu den zentralen Diskussionsthemen der Rechtstheorie. In einer globalen Völkerrechtshistoriographie verschärft sich die Fragestellung in mehreren Richtungen. Jeder Kulturkreis hat dafür seine eigenen Traditionen und Methoden. Werden europäisch-westliche Methoden angewandt, ergibt sich wiederum die Frage nach einem Eurozentrismus durch die Hintertür. Denn es besteht die Gefahr, dass außereuropäische Texte europäisch-westlich gedeutet und damit europäisiert werden. Gerade unter einer transzivilisatorischen Perspektive einer global ausgerichteten Völkerrechtshistoriographie ist es aber eine unabdingbare Voraussetzung, Texte aus ihrer eigenen Kultur heraus zu verstehen. Können die völkerrechtlich relevanten Stellen des Korans mit der für die Bibelauslegung heute üblichen historischkritischen Methode ausgelegt werden? Zwar haben sich für das gegenwärtige universelle Völkerrecht allgemeine Methoden der Interpretation herausgebildet. Aber sie sind nicht ohne weiteres auf höchst unterschiedliche historische Sachverhalte anwendbar. Zudem sind neben rechtswissenschaftlichen auch andere, wie historische, philosophisch-hermeneutische, sprachwissenschaftliche oder linguistische Methoden etc. heranzuziehen. Es ist m.E. daher erforderlich, auch _____________ 109

Stolleis (Anm. 86), 35.

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den Umgang der anderen Kulturen mit ihren Texten etc. aufzunehmen und in eine globale transzivilisatorische Völkerrechtshistoriographie einzubringen. Auf die Fragestellungen, die der linguistic turn aufwirft, wurde bereits hingewiesen. Da erst Sprache die Vergangenheit, aber auch andere Kulturen als Geschichte greifbar macht, entsteht eine Spannung zwischen den Sprachen der Quellen und den Sprachen der Interpretation. Denn die eigentliche Schwierigkeit des Wechselspiels zwischen ihnen liegt, wie bemerkt, darin, dass i.d.R. die Sprachen der Quellen und die der heutigen Interpreten verschieden sind und vor allem die der Interpretation immer modern ist. D.h. aber, dass durch die heutige sprachliche Interpretation wiederum ein Umschreiben der Geschichte im Sinne Kosellecks stattfinden kann, in gewissem Maße wohl stets stattfindet. In der Praxis wird der Interpret diese Schwierigkeiten beachten und soweit wie irgend möglich kritisch prüfen, durch Vergleich von Quellen, mit anderen Interpretationsvorschlägen, durch Überprüfung der eigenen Methoden, durch Vorsicht gegenüber vorschnellen Gleichsetzungen des Alten mit dem Heutigen, etc. Aber das Ergebnis wird immer ein zeitlich und auch persönlich gebundenes und daher überholbar bleiben. Auch das ergibt zunächst Geschichten des Völkerrechts, und keine „Geschichte des Völkerrechts“. VI. Kontextualität In der Kritik am Eurozentrismus ist die Kontextualisierung von Begriffen und Texten ein zentrales methodisches Element der globalen Völkerrechtshistoriographie geworden. So werden die eingangs geschilderten Neuinterpretation Vitorias und Grotius kontextuell aus den politischen, sozialen, aber auch aus den traditionellen Herausforderungen, literarischen, theoretischen, aber auch politischen, gesellschaftlichen, religiösen, ökonomischen u.a. Kontexten begründet. 110 Eine solche kontextuelle Interpretation ist ohne Zweifel notwendig. Aber zum einen sind es viele äußere und innere Kontexte. Jede Auswahl gibt nur einen Strang wieder. Wird ein Kontext fürs Ganze genommen, verzeichnet er immer. Kontextualität soll neue Dimensionen der globalen Völkerrechtshistoriographie eröffnen, darf nicht bestehende verschließen. Auf die Gefahren einer Verengung auf den imperialistisch-kolonialistischen Kontext wurde bereits hingewiesen. Texte sowohl der völkerrechtlichen Lehre oder Ideen wie der Völkerrechtsordnung werden nicht nur durch intertextuelle und politische, ökonomische Kontexte bestimmt. Sie haben auch einen Anlässe, Kontexte etc. übersteigenden eigenen inneren rechtlichen Zweck oder Ziel, für Grotius in de jure belli ac pacis, das Recht zwischen den Völkern oder deren Lenkern in Krieg und Frieden darzustellen. Denn für die Naturrechtslehren ging es zumin_____________ 110

Oben 55 f.

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dest auch um das Ausbuchstabieren der justitia in den gegebenen Kontexten. 111 Auch durch das positive Recht sollten Gerechtigkeit und Frieden vereint werden. Eine nur politisch-kontextuale Völkerrechtshistoriographie läuft Gefahr, Teil der sog. realistischen Völkerrechtslehre zu werden, die das Völkerrecht als solches der Macht funktionell unterordnet und seine eigene, selbstbegründete normative Qualität letzten Endes in Frage stellt oder gar aufhebt. Dagegen wandte sich bereits Grotius selbst in seiner Auseinandersetzung mit Karneades. 112 Zudem sind diese realistischen Interpretationen aus heutiger Sicht bedingt. In der Völkerrechtsgeschichte führen sie u.a. zu einer Epochen Einteilung nach dominierenden Mächten, wie sie Wilhelm Grewe und Karl-Heinz Ziegler ihren Darstellungen zugrunde legen. 113 Die Wendung zur intertextuellen wie zur sachorientierten Kontextualität bezieht sich zwar zunächst auf das europäische bzw. das von Europa ausgehende Völkerrecht und da wieder vor allem auf das Völkerrecht der „encounters“ der Europäer mit außereuropäischen Kulturen, Völkern, Mächten. Aber ihre Beachtung ist auch für die außereuropäischen normativen Ordnungen und deren Geschichte geboten. Aber lässt sich das überhaupt überall machen? Denn sie ist Teil einer historisch-kritischen Methode. Die Frage ist daher zu wiederholen, ob und inwieweit z.B. die Gebote des Koran sowohl in Bezug auf ihre geistesgeschichtliche Herkunft als auch auf ihre konkreten Sachumstände wie auf ihre Weiterentwicklungen und deren Kontexte kritisch aufgenommen werden. Wie gehen andere Kulturen mit ihren Texten um, d.h. welche Interpretationsmethoden wenden sie an? Wie sind deren Ergebnisse mit den nach westlichen Methoden gewonnene Einsichten kompatibel? VII. Interzivilisatorisches oder transkulturelles Gespräch Denn eine globale Völkerrechtshistoriographie bedarf, wie mehrfach betont, notwendig des interzivilisatorischen oder transkulturellen Gesprächs. Welche aber sind diese Kulturen oder Zivilisationen? Gemeinhin werden afrikanische, amerikanische, asiatische, christliche oder europäische bzw. westliche und islamische Kulturen unterschieden. 114 Aber welches sind die Kriterien der Bestimmung? So werden für die westliche Kultur verschiedene Bestimmungen gebraucht, was _____________ 111

Allgemein zur Ausrichtung des Grotius auf die „rule of law“ und gegen Tucks einseitige Sicht des Niederländers jetzt ausdrücklich und wohl begründet Nijman (Anm. 13), passim. 112 Grotius (Anm. 92), Prolegomena §§ 5 ff. Zur deren Interpretation in der Literatur Nijman (Anm. 13), 96 ff. 113 Dazu meine Kritik Heinhard Steiger, Probleme der Völkerrechtsgeschichte, Der Staat 26 (1987), 103 ff. 114 Oben 73 f.

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nicht ohne Grund geschieht. Denn sie hat sich über die Jahrhunderte inhaltlich von einer christlichen zu einer säkularen Kultur gewandelt und von Europa auf Amerika ausgedehnt und weiteren Einfluss genommen. Wie ist das bei anderen Kulturen? Was bedeuten diese inneren Wandlungen der Kulturen für den interzivilisatorischen oder interkulturellen Austausch? So hat Afsah auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich für das Verständnis des islamischen Rechts aus der Spannung zwischen dem „idealist “ und dem „practical/historical“ ergäben, sowie auf die Schwierigkeiten dieses und anderes dem westlichen Forscher zu vermitteln. 115 Vor allem der bereits erwähnte japanische Völkerrechtler und Völkerrechtshistoriker Onuma Yasuaki hat diese Perspektive nicht nur angemahnt, sondern dafür Voraussetzungen und Strukturen entwickelt. 116 Er bezieht diese Perspektive nicht nur auf die universelle Völkerrechtsordnung einer multipolaren und multizivilisatorischen Welt, die nicht mehr staats-zentrisch und west-zentrisch orientiert ist, sondern auch, wie gezeigt, auf die Völkerrechtsgeschichte und die Völkerrechtshistoriographie. Er betont zutreffend die Koexistenz vieler Zivilisationen und Kulturen in der Welt vor dem 20. Jahrhundert, auf die er im Einzelnen eingeht. 117 Grundlage sind „groups of independent human groups or political (or politico-religious) entities sharing a common world image or common idea of world ordering“. 118 Aber es steht außer Frage, dass klare, unzweideutige Abgrenzungen nicht möglich sind, es bestünden immer gewisse Überschneidungen. Zwischen Christentum und Islam hat es immer Austausch gegeben, auch in den Phasen grundsätzlicher feindlicher Konfrontation. Es ist gewiss ein notwendiger grundlegender Schritt, die Ergebnisse der jeweiligen kulturbezogenen Forschungen auszutauschen, nebeneinander zu stellen und evtl. zu vergleichen, wie es in der Regel bisher geschieht. Aber genügt das letztlich für ein Verständnis der jeweiligen normativen Ordnungen oder Phänomene der Beziehungen zwischen den politischen Mächten in diesen Kulturen? Von den sprachlichen Schwierigkeiten war bereits die Rede. Innerhalb der Kulturen vollziehen sich Wandlungen, die sich auch auf diese Ordnungen auswirken. Es gibt keine maßgebenden, offiziellen Selbstverständnisse einer Kultur und damit einer normativen Ordnung. So warnt Afsah vor den Schwierigkeiten für den westlichen Forscher, das islamische Recht zu verstehen, das neben den sprachlichen und kulturellen noch eine Anzahl weiterer Schwierigkeiten bereithalte. 119 Eine _____________ 115

Afsah (Anm. 62), 207 ff. Oben Anm. 72. 117 Onuma (Anm. 72), 289 ff., Islam, Europäische Welt, die sinozentrische Welt, OstAsien. 118 Onuma (Anm. 72), 288. 119 Afsah (Anm. 62), 204. 116

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interkulturelle oder transzivilisatorische Verständigung ist also nicht einfach zu haben. Dieses Problem geht über die Sprachproblematiken hinaus. Es zielt auf die Bemühungen um das gegenseitige Verständnis gerade auch der Unterschiede, der Andersartigkeiten der kulturellen, politischen, sozialen und vor allem der normativen Gegebenheiten in der Geschichte der Kulturen. Dafür gibt es in anderen Wissenschaften von allen Seiten seit langem Bemühungen und Ergebnisse. Sie müssen für die Völkerrechtshistoriographie fruchtbar gemacht werden. In der Völkerrechtshistoriographie gibt es Ansätze, so das bereits genannte Unternehmen zur rule of law im europäischen und chinesischen Denken, das von Janne Nijman und Anthony Carty gemeinsam mit westlichen und chinesischen Forschern betrieben wird. 120 Diese Schwierigkeiten der interkulturellen Verständigung sind nicht unüberwindbar. Dafür gibt es zu viele Beispiele des Gelingens in anderen Kulturwissenschaften, die aber schon sehr lange und gezielt ihre Untersuchungen mit eingeübtem Personal vorantreiben, auch z.T. institutionell verankert sind. Das fehlt aber weitgehend für die Völkerrechtshistoriographie. Diese steht insoweit erst am Anfang. VIII. Interdisziplinarität Völkerrechtshistoriographie ist, wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, auf die Ergebnisse anderer Forschungsrichtungen oder Wissenschaften angewiesen. Dafür bedarf es des interdisziplinären Gesprächs und interdisziplinärer Zusammenarbeit. Das galt und gilt schon bisher für eine eurozentrische Völkerrechtshistoriographie und wird dort auch intensiv praktiziert, insbesondere mit der allgemeinen Geschichtswissenschaft. Es gilt erst recht für den weiten Ansatz einer globalen Völkerrechtshistoriographie. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit dehnt sich auf weitere Fächer aus. Das Spektrum reicht von verschiedenen Zweigen der Rechtswissenschaft über die allgemeine Geschichtswissenschaft und die Geschichte der internationalen Beziehungen, bis zur Philosophie, Theologie, Kulturwissenschaft, Sinologie, Islamwissenschaft, Orientalistik, Linguistik und Sprachwissenschaft, Wirtschaftsgeschichte, u.a. Diese beschäftigen sich z.T. schon sehr lange mit den Anderen. So finden sich bei diesen Wissenschaften reiche Ressourcen, die auch für die globale Völkerrechtshistoriographie nutzbar gemacht werden. Allerdings ist Interdisziplinarität ein mühsames Geschäft. Denn die Fragestellungen der einzelnen Disziplinen und auch deren Methoden sind sehr verschieden. Sie ist ein ständiger Prozess. Vor allem die allgemeine Geschichtswissenschaft hat auf allen drei genannten Ebenen einer globalen Völkerrechtshistoriographie längst intensiv geforscht, auch und gerade _____________ 120

Oben bei Anm. 73.

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zu den heute im Mittelpunkt der Völkerrechtshistoriographie stehenden „encounters“ zwischen Europäern und anderen Regionen. 121 Da aber in der Regel die Fragestellungen der Geschichtswissenschaften andere sind als die der Völkerrechtshistoriographie, sind die Methoden nicht immer dieselben, wenn sie es auch beide mit der Interpretation von Texten und oft denselben zu tun haben. Nicht die tatsächlichen Vorgänge eines Krieges, eines Friedensschlusses, von Handelsbeziehungen, sondern deren normative Seiten stehen für diese im Vordergrund. Quellen haben oft ganz andere Bedeutungen für die allgemeine Geschichtswissenschaft als für die Völkerrechtshistoriographie. Sie werden anders gelesen. 122 Das gilt auch gegenüber anderen Wissenschaften, der Theologie, der Philosophie, anderen Kulturwissenschaften, der Wirtschaftsgeschichte, auch wenn diese selbst auf normative Erscheinungen und Zusammenhänge gerichtet sind, noch einmal erschwert über die Kulturgrenzen hinweg. IX. Voraussetzungen und Vorverständnisse Nicht nur ihre Quellen, die Völkerrechtshistoriographie selbst steht wie jede andere Geschichtsschreibung in den „Kontexten“ ihrer eigenen Zeit, deren sich ständig wandelnden objektiven oder äußeren Voraussetzungen und Fragestellungen. Es ist weitgehende communis opinio, dass diese auch die Forschungsrichtungen bestimmen. Die globale Völkerrechtshistoriographie ist eine Folge der Globalisierung der Gegenwart der letzten Jahrzehnte. Die Wendung zur postkolonialen Kritik am Eurozentrismus älterer Völkerrechtshistoriographie ist der jüngste Beleg. Zum anderen unterliegen die Völkerrechtshistoriker bestimmten inneren subjektiven Vorverständnissen und Vorprägungen, also subjektiven Kontexten. Da aber beide sich in der Zeit ändern, kommt es zu Dekonstruktionen und Rekonstruktionen. In den Worten von Reinhart Koselleck „Geschichte ex post existiert für uns nur, indem sie auf-, ab- und umgeschrieben wird.“ 123 _____________ 121

Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, 2009, Jubiläumsedition 2013; John Darwin, Der imperiale Traum, Die Globalgeschichte großer Reiche 1400–2000, 2010. 122 Zur Interdisziplinarität zwischen Historikern und Juristen jüngst eine Diskussion „Völkerrechtsgeschichten“ siehe „Völkerrechtsblog“, Blog des Arbeitskreises junger Völkerrechtswissenschaftler*innen, mit Beiträgen von Alexandra Kemmerer 3. September 2014, Jochen von Bernstorff 9. September 2014, Marcus M. Payk 16. September 2014, Robert Howse, 7. Dezember 2014, http://voelkerrechtsblog. Auch: „Wir müssen nicht immer auf Westfalen, schauen […]“, Gespräch Alexandra Kemmerer mit Martti Koskenniemi und Anne Orford, Lange Leitung IX/I (2015), 31 ff., engl. „We do not need to always look to Westphalia […]“, JHIL/RHDI 17 (2015), 1 ff. 123 Reinhart Koselleck, Sprachwandel und Ereignisgeschichte (1989), in: ders., Begriffsgeschichten, 2006, 32, 52 ff.

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Es ist generell die Frage, ob Völkerrechtsgeschichte aus der Gegenwart oder doch auf sie hin betrieben werden soll. Dient sie der Erklärung der universellen Völkerrechtsordnung der Gegenwart aus ihren geschichtlichen Wurzeln? Es wurde schon darauf hingewiesen, dass einerseits die Frage „When was the law of international society born?“ sich im Hinblick auf die vielen völkerrechtlichen Ordnungen aufgelöst habe. Trotzdem bleibt die Frage nach den Ursprüngen unseres gegenwärtigen Völkerrechts und den historischen Prägungen seiner Funktion relevant. Aber sie ist, so scheint mir, eine Frage innerhalb einer weiter gespannten globalen Völkerrechtshistoriographie, wenn auch ohne Zweifel die interessanteste und für die Forschung die motivierendste, nicht nur für die Autoren des TWAIL-Netzwerkes. Der Schub der internationalen oder globalen Völkerrechtshistoriographie der letzten dreißig Jahre erklärt sich zu einem sehr großen Teil daraus. Aber der Kontexte der Gegenwart sind viele. Sie werden von der politischen, ökonomischen, sozialen Lage ebenso bestimmt, wie vom bestehenden Recht und den geistigen, kulturellen, philosophischen, wenn nicht ideologischen Tendenzen und Überzeugungen der Gegenwart. Zudem werden die objektiven äußeren Kontexte die Ausgangsfragen für die Historiker des Völkerrechts aus den verschiedenen Teilen der Welt verschieden bestimmen. Es ist nicht möglich, sich von diesen Kontexten völlig zu lösen. Aber die Vergangenheit ist zunächst nicht die Verursacherin der Gegenwart, sondern hat ihre eigene Bedeutung, ihren völlig eigenen Stand auch im Völkerrecht, erst recht in den weiter zurückliegenden Zeiten. Andererseits gibt es Wirkungen aus der Vergangenheit, die sich aber erst im Rückblick erschließen. Es bedarf daher stets einer kritischen Reflexion über und Distanz zu diesen Kontexten der eigenen Arbeit, um nicht durch Konstruktionen nach unserem Bilde die Vergangenheit zu vergewaltigen oder zu überwältigen. Wieweit diese äußeren Kontexte die Auswahl der Fragestellungen und Themen beeinflussen, hängt letztlich von den subjektiven Einstellungen der Völkerrechtshistoriker ab. Darüber hinaus gilt auch für sie, wie für jeden Historiker, dass sie auch durch innere, subjektive Bedingungen bestimmt wird. Das bedeutet für die Interpretation der Quellen, dass er, im hermeneutischen Zirkel gefangen ist. 124 Auch das Verstehen der Quellen der Völkerrechtsgeschichte ist durch die Völkerrechtshistoriographie bzw. die Historiker des Völkerrechts selbst bedingt. Die oben dargelegte Völkerrechtshistoriographie Carl Schmitts ist dafür ein Musterbeispiel. Das trifft für alle oben genannten Quellen zu, gerade auch für die älteren theoretischen Texte von Vitoria bis in die Gegenwart. _____________ 124 Für die Rechtsgeschichte u.a. Michael Stolleis, Rechtsgeschichte als Kunstprodukt: Zur Entbehrlichkeit von „Begriff“ und „Tatsache“, 1997; für die Geschichtswissenschaft u.a. Johannes Fried, „Gens“ und „regnum“: Wahrnehmungs- und Deutungskategorien politischen Wandels im frühen Mittelalter. Bemerkungen zur doppelten Theoriebildung des Historikers, in: Jürgen Miethke (Hrsg.), Sozialer Wandel im Mittelalter: Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, 1994, 73, 75, 91.

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Auch strikte Orientierung am Text, auch die hier vertretene Historisierung unter möglichstem Verzicht auf anachronistische Begriffe können nicht vollständig verhindern, dass die Texte durch die Augen unserer wissenschaftlichen Ausbildungen und Traditionen, Vorprägungen, Vorverständnisse, auf unsere Forschungsinteressen hin gelesen und gedeutet werden. Der Historiker stellt nicht nur die Fragen an den Text; er bereitet auch die Antworten vor. Die Suche nach der Normativität der Zwischen-Mächte-Beziehungen in verschiedenen Zeiten und Kulturen ist schon in sich selbst eine gegenwärtige Frage des Historikers des Völkerrechts und steht stets unter dem Vorbehalt seines heutigen Verständnisses. Kritische Selbstdistanz und wiederholte Prüfung sind auch insoweit notwendig. Erforderlich ist die Bereitschaft, neu zu lesen, Anregungen und Fragestellungen von außen, z.B. des Postkolonialismus, aufzunehmen, sich durch ganz andere und neue Einsichten überraschen zu lassen, gerade wenn sie nicht „in’s Bild“ passen, das Erwartete an Hand der Quellen zu hinterfragen, vorgefasste Meinungen über Bord zu werfen. Es muss ein Austauschverhältnis durch ständige Rückfragen entstehen zwischen den Texten und ihren Interpretationen, um ein einigermaßen zeitnahes Verständnis zu erreichen, das dann auch in das Verständnis unserer Zeit vermittelt werden muss. Da für jeden Historiker die subjektiven Kontexte verschieden sind, sind auch die Rekonstruktionen der erzählten Geschichten verschieden, mag sich auch so etwas wie eine herrschende Meinung herausbilden, jedenfalls für eine gewisse Zeit. In einer internationalen und interzivilisatorischen Gesellschaft der Völkerrechtshistoriker verstärken sich diese Verschiedenheiten, da die subjektiven Vorprägungen, Forschungsinteressen, Fragestellungen der an dieser beteiligten Forscher noch weiter auseinander gehen. Denn die relativ junge internationale Völkerrechtshistoriographie stellt sich als eine vielgestaltige und vielstimmige Wissenschaft dar, mit sehr unterschiedlichen Ansätzen, Fragestelllungen, Methoden, Ergebnissen, Einschätzungen. Zu fragen ist, inwieweit die kulturellen Differenzen der subjektiven Vorprägungen eine grundlegendere Bedeutung für die Völkerrechtshistoriographie haben, und wie sie überwindbar sind, um eine gemeinsame interzivilisatorische Ebene der Diskussion herzustellen. Die Interpretation wird besonders schwierig, wenn Quellen aus anderen Kulturkreisen gelesen und interpretiert werden. So wird das Verständnis des Korans durch einen liberalen Westeuropäer anders ausfallen als durch einen orthodoxen Muslim. Es verlangt erhebliche Anstrengungen, sich in die andere Kultur und hier in die aus ihnen erwachsenen normativen Ordnungen hinein zu denken. Kritische Selbstdistanz und wiederholte Prüfung und ständiger interdisziplinärer und interkultureller Austausch mit anderen sind notwendig. Letztlich werden die subjektiven Vorverständnisse und Bestimmtheiten aber nie ganz ausgeschlossen werden können. So ist gerade der Paradigmenwechsel zur anti-eurozentrischen globalen Völkerrechtshistoriographie äußerlich wesentlich durch die Entkolonialisierung verbunden mit der Universalisierung des Völkerrechts, innerlich

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durch Wandlungen in den subjektiven Einstellungen zu Imperialismus, Kolonialismus, Fortschritt etc. bedingt. Es kann jedoch nicht darum gehen, gewissermaßen eine Völkerrechtsgeschichte der Täter durch die der Opfer zu ersetzen. Man soll auch nicht überall Eurozentrismus wittern, wo die Bedeutung des europäischen bzw. europäisch geprägten Völkerrechts für die Entwicklung zum universellen Völkerrecht der Gegenwart erörtert wird. Es geht vielmehr darum, die Fragestellungen anders auszurichten, zu erweitern, die verschiedenen Dimensionen aufzudecken, die mehrschichtigen Zusammenhänge zu erfassen, um so im gegenseitigen Austausch und in Ergänzung die unterschiedlichen völkerrechtlichen Erscheinungen sowie die Formen, Bedingungen, Ordnungen der Begegnungen, Verflechtungen, Interaktionen etc. zu erhellen.

F. Conclusio Hier ist ein bewusst sehr weiter Ansatz einer globalen Völkerrechtshistoriographie auf den genannten drei, aber miteinander verknüpften Ebenen gewählt worden. Mag auch die postkoloniale Debatte über die „encounters“ zwischen Europäern und außereuropäischen Völkern den Anstoß gegeben haben, so stellt sie doch nur eine Facette derselben dar. Zu einem durchgehenden theoretischen Ansatz ist er zu schmal, weil, wie gezeigt, zeitlich und inhaltlich in vielfacher Hinsicht begrenzt. Die tatsächliche Forschung war und ist auch längst darüber hinaus. Auf eine weitere Theoretisierung der „Globalität“ der Völkerrechtshistoriographie ist ebenfalls bewusst verzichtet worden, um keine Zugänge auszuschließen. Diese weite globale Völkerrechtshistoriographie erzählt keine Weltgeschichte oder Universalgeschichte des Völkerrechts. Sie sucht nicht nach inneren Tendenzen, nach einem Pfeil auf eine Art Endbestimmung der Menschheit als solcher. Sie soll auch nicht versuchen, auf die Pirsch nach globalen oder universalen Werten zu gehen, sondern einfach nur schauen, was und wie normative Phänomene bis hin zu Ordnungen zwischen politischen Mächten in Krieg und Frieden sich in den verschiedenen Regionen und Zeiten ausgeprägt und entwickelt haben. Sie begibt sich nicht auf Sinnsuche einer Menschheitsgeschichte. Über lange Zeiten ist Völkerrechtshistoriographie Erzählung von partikularen normativen Ordnungen, die eher nebeneinander als im Austausch stehen. Eine Geschichte eines globalen Völkerrechts scheint allenfalls seit dem Ende des 15. Jahrhunderts möglich, als die Welt jedenfalls für die seefahrenden Europäer als eine erfahrbar und messbar wurde und sich die „encounters“ intensivierten und dauerhaft wurden und sich Austausche, Verflechtungen, Interaktionen zwischen den Regionen und Kulturen der Welt herstellten. Aber auch diese wird zum einen wegen der verschiedenen Verläufe und Ordnungen dieser Begegnungen und aus den unterschiedlichen Ansätzen der Historiker aus vielen

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Geschichten bestehen. Zwar wird seit dem Bruch von Herkunft und Zukunft um 1800 die völkerrechtliche Ordnung ausgehend von Europa und dann seit der Realisierung der universellen Völkerrechtsordnung von der Weltgesellschaft insgesamt nach bestimmten Prinzipien, Vorstellungen, Zielen entwickelt. Eben dies macht das international law im Unterschied zum älteren jus gentium europaearum oder droit public de l’Europe aus. 125 Das reicht bis in die Gegenwart mit Gewaltverbot, Entkolonialisierung, Verankerung der Menschenrechte, ökonomischen Ordnungen, Regelungen zum Schutz der Umwelt, Einrichtung internationaler Gerichte, Errichtung immer engerer organisatorischer Strukturen etc. Insofern ist Völkerrecht in der Lehre und vor allem in der Praxis in sehr unterschiedlicher Weise seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts auf Entwicklung und Fortschritt ausgerichtet. Aber nicht nur das europäische Völkerrecht ist damit in der Epoche des Imperialismus und Kolonialismus gescheitert. Die Fundamentalkritiken der Autoren des TWAIL-Netzwerkes aber auch sog. realistischer Schulen zeigen, dass dies auch gegenwärtig nur bedingt als zielgerichtete Entwicklungs- oder gar Fortschrittsgeschichte verstanden werden kann. 126 Die seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts endlich erreichte völlige Universalisierung des Völkerrechts und seiner Institutionen, vor allem UNO und deren Sicherheitsrat scheint trotz aller Bemühungen, trotz internationaler Konventionen, vieler Konferenzen und Gerichte zu ihrer Durchsetzung, nicht in der Lage zu sein, die gegenwärtigen erheblichen „Unordnungen“ der vielfältigen globalen und regionalen ökonomischen und sozialen Krisen, der wilden, unerklärten Kriege, Stellvertreterkriege, Bürgerkriege, internationalen Terrorismen, Zerfallserscheinungen von Staaten etc. zu beherrschen. Die einzelnen partikularen Geschichten sind Erzählungen vom Beginn, den Wandlungen, Kontinuitäten und Diskontinuitäten, den Übergängen, dem Ende einer völkerrechtlichen oder normativen Ordnung in einem Ordnungskreis, dem Neubeginn einer normativen Ordnung unter anderen Voraussetzungen. 127 Welche Grundlegungen über Jahrhunderte sind untergegangen, welche trotz aller Wandlungen weiterhin wirksam, die griechische Philosophie, in der die Naturrechtslehre ihren Ursprung hatte, das Römische Recht, das zum ersten Mal eine europäische Rechtsordnung schuf, die christliche Religion, die die Lehre vom gerechten Krieg erfand, der Islam, oder der Konfuzianismus. Verschüttetes oder _____________ 125

Dazu Koskenniemi (Anm. 35). Daher ist die Geschichte des Völkerrechts auch nicht die seiner sog. „Konstitutionalisierung“. Dazu jüngst die Berichte von Axel Tschentscher und Heike Krieger: Verfassung im Völkerrecht: Konstitutionelle Elemente jenseits des Staates? mit Aussprache, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (VVDStRL) 75, Berlin 2016, 407 ff., 439 ff, 473 ff. 127 Für ein Beispiel fundamentaler Diskontinuität der europäischen Völkerrechtsordnung Heinhard Steiger, Die Wiener Congressakte: Diskontinuität und Kontinuität des Europäischen Völkerrechts 1789–1818, Archiv des Völkerrechts 53 (2015), 167 ff. 126

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Abgelegtes kann unter anderen Umständen wieder kommen. Denn zu einer globalen Geschichte des Völkerrechts gehören die Traditionen aller Kultur- und Ordnungskreise. Mögen auch die älteren und außereuropäischen positiven normativen Ordnungen der Beziehungen zwischen politischen Mächte im Zuge der europäischen Expansion durch das europäische Völkerrecht verdrängt und so verschwunden sein, so sind doch die kulturellen Grundlagen und Traditionen, die sie getragen haben, vielleicht überlagert worden, aber nicht untergegangen, sondern im Bewusstsein und in anderen Bereichen des Lebens erhalten geblieben. Auf sie wird zurückgegriffen, sie werden wieder belebt, im Konfuzianismus, im Islam, auch in afrikanischen Traditionen. Eine global ausgerichtete Völkerrechtshistoriographie hebt wegen ihrer Vielfältigkeit die Eigenständigkeiten der verschiedenen Völkerrechtsgeschichten der Völkerrechtsregionen und ihre je eigenen Historiographien nicht auf. Sie gibt ihnen im Gegenteil ihren je eigenen Platz. 128 Das gilt gerade auch für die europäische Geschichte des Völkerrechts und ihr eigene Historiographie. Das zu betonen, ist gerade gegenüber den global begründeten kritischen Ansätzen der Autoren der TWAIL-Schule wichtig. Aber sie ist nicht mehr selbst globale oder universelle Geschichte, sondern partikulare oder regionale Völkerrechtsgeschichte. Die Universalisierung von völkerrechtlichen Konzeptionen, Normen, Institutionen hängt insgesamt von ihrer universellen Anerkennung ab, zu der jedoch sehr verschiedene Prozesse führen können. Das kann politischer Druck und noch schärferer Zwang sein, wie er seitens der Europäer im 19. Jahrhundert vielfach geübt wurde. Aber es können auch gemeinsame Praxis, Vereinbarungen, geistig- kultureller Austausch, Interaktionen, Verständigungen über geteilte inhaltliche Grundlagen, ökonomische Entwicklungen etc. sein. Die Prozesse der Universalisierungen sind, so scheint es, noch nicht hinreichend aufgeklärt. Es ist auf Transfers und Rezeptionen zu achten, die u.U. schon länger auf frühere, nicht selten verschlungene Begegnungen und Verflechtungen zurückreichen. Welche Transfers haben zwischen dem Frühen Alten Vorderen Orient und dem antiken Griechenland stattgefunden, die sich auch später erhalten haben? Insbesondere die lange Geschichte der Beziehungen zwischen dem Christentum und dem Islam ist trotz aller Feindschaften von kulturellen Transfers und Rezeptionen geprägt. Welchen Einfluss hatte das auf die Entwicklung des Völkerrechts als europäisches Recht/europäische Disziplin, auf „Staat“, „Souveränität“ etc.? Eine globale Völkerrechtshistoriographie bietet Stoff für die Wissenschaft und interessierte junge Wissenschaftler auf Jahrzehnte und länger; denn die _____________ 128 So auch Duve (Anm. 54), 4. Hingegen fürchtet der indische Autor Vinay Lal eine Marginalisierung regionaler Bezüge: Provincializing the West: World History from the Perspective of Indian History, in: Benedict Stuchtey (Hrsg.), Writing World History 1800– 2000, 2007, 271 ff., zitiert bei Conrad (Anm. 53), 95.

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Geschichten des Rechtes des Krieges, und erst recht des Rechtes des Friedens scheinen grenzenlos. In der klassischen Völkerrechtshistoriographie standen die politischen Beziehungen im Zentrum. In der modernen sog. kritischen Völkerrechtshistoriographie stehen hingegen eher kulturelle, ökonomische, soziale und damit verbundene Fragen im Vordergrund. Sie sollten für die gesamte Völkerrechtshistoriographie aufgegriffen werden. Eine Antwort auf die Frage, ob es „Fortschritt“ im Völkerrecht gegeben hat oder ob das eine völlig deplazierte eurozentrische Sicht ist, wird wohl lauten, dass es sowohl Fortschritte, als auch Rückschritte, Verschleierungen, Verdrehungen, ja grauenvollen Missbrauch gegeben hat. Aus zunehmenden Kenntnissen auch über die außereuropäischen normativen Ordnungen und über die Bemühungen, die Begegnungen und Verflechtungen normativ zu regeln, können wir vielleicht einer Antwort auf die Frage näher kommen, ob und inwieweit eine inhaltliche Universalisierung des heutigen Völkerrechts aus den verschiedenen regionalen Kulturen und Traditionen getragen wird. Denn diese ist keineswegs mit seiner formellen Allgemeingültigkeit gegeben, wie u.a. gerade die Wirkung der Menschenrechte trotz universeller Verträge in der Praxis zeigt. Schließlich erfahren wir durch die Beschäftigung mit Bemühungen um normative Regelungen von Krieg und Frieden, ihrem Gelingen wie ihrem Scheitern, etwas über die globale oder allgemeine conditio humana. Das lohnt gerade in unserer Welt, die nach einer langen Zeit scheinbarer Stabilität an allen Ecken aus den Fugen zu geraten scheint, alle Male.

Konstitutionelle Momente? Gedanken über den Wandel im Völkerrecht Von Markus Kotzur

A. Einleitung: Das Konstitutionalisierungsnarrativ im Völkerrecht Was den Völkerrechtspositivisten irritieren und den Völkerrechtsdogmatiker herausfordern mag, ist für eine kontextbewusste 1 Völkerrechtswissenschaft längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Das Völkerrecht lebt, wie alles Recht, nicht von Normtext und Dogmatik allein, es lebt auch von und in seinen Narrativen. 2 Jede normative Ordnung, sei es die national-verfasste, die europäisch-geeinte oder die ins Universale ausgreifende, speist sich legitimatorisch aus den großen Meistererzählungen, in denen all das seine Kristallisationspunkte findet, was ihre Genese zu einer mehr oder weniger verdichteten politischen Gemeinschaft ausmacht. 3 Eine normative Ordnung gewinnt Wirklichkeit aber auch aus den kleinen Prozessgeschichten – etwa solchen vor den internationalen Gerichten und Tribunalen –, die einen Lebenssachverhalt erst zu einem Rechtsfall machen 4. Konzept und Idee des Narrativs haben die Rechtswissenschaften respektive die Völker_____________ 1

Die Kontextthese hat bereits seit 1979 Peter Häberle für das nationale Verfassungsrecht geprägt und erprobt, Peter Häberle, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, 1979, 44 ff. und öfter: Arbeiten am Kontext meine „Verstehen durch hinzudenken“. Zu dieser Kontextthese und weiteren kontextspezifischen Arbeiten Häberles jetzt mit ausführlichen Belegen Andreas Voßkuhle/Thomas Wischmeyer, Der Jurist im Kontext: Peter Häberle zum 80. Geburtstag, Jahrbuch des Öffentlichen Rechts (JöR) 63 (2015), 401 ff. Seine Kontextualisierungsidee überträgt Häberle immer konsequenter auch auf transnationale Rechtsordnungen, sei es die europäische (Peter Häberle/Markus Kotzur, Europäische Verfassungslehre, 8. Aufl., 2016) oder die universal-völkerrechtliche (Peter Häberle, Der kooperative Verfassungsstaat – aus Kultur und als Kultur: Vorstudien zu einer universalen Verfassungslehre, 2013). 2 Andreas von Arnauld, Was war, was ist – und was sein soll: Erzählen im juristischen Diskurs, in: Christian Klein/Matías Martínez (Hrsg.), Wirklichkeitserzählungen, 2009, 14 ff.; Peter Brooks, The Law as Narrative and Rhetoric, in: ders./Paul Gewirtz (Hrsg.), Law’s Stories: Narrative and Rhetoric in the Law, 2006, 14 ff. 3 Paul W. Khan, Putting Liberalism at its Place, 2004; Ulrich Haltern, Europarecht und das Politische, 2005. 4 Anthony G. Amsterdam/Jerome Bruner, Minding the Law, 2000.

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rechtslehre, ähnlich wie etwa die Geschichtswissenschaften, von den Literaturwissenschaften rezipiert 5, um die Bedeutung, vor allem um die normative Steuerungskraft der Narration für ihren Gegenstand zu erfassen. 6 Die Diskurse um eine Konstitutionalisierung des Völkerrechts oder jedenfalls Konstitutionalisierungsprozesse im Völkerrecht liefern dafür glänzendes Anschauungsmaterial. 7 Für viele Skeptiker mehr als überraschend, gehört die Konstitutionalisierungsthese im globalisierten Recht des 21. Jahrhunderts zu jenen gewiss bestrittenen, aber nichtsdestoweniger wirkungsmächtigsten völkerrechtlichen Fortschrittsnarrativen, die die Welt diesseits des Staates (mitunter allzu) selbstverständlich auf die jenseits des Staates hin fortdenken, „weiter-erzählen“. 8 Gewiss, die Orientierung des Völkerrechts auf ein „bonum commune humanitatis“ hin hatte schon in der spanischen Spätscholastik und der christlichen Rechtsphilosophie ihren locus classicus 9, gewiss, schon im Jahre 1926 hatte A. Verdross in seiner berühmten Monographie über die „Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft“ programmatisch reflektiert, doch ebenso gewiss gehört das Konstitutionalisierungsnarrativ nicht zu den klassischen Meistererzählungen der Völkerrechtsgemeinschaft. Es ist vielmehr verbunden mit der Entstehung des freiheitlichen Verfassungsstaates im Gefolge von Amerikanischer und der Französischen Revolution (1776/1789), also ganz anders kontextualisierten Phänomenen revolutionären Umbruchs. Und angesichts der dramatischen Krisen- und Konfliktszenarien unserer Tage von der Ukraine bis nach Syrien, von der Al Qaida bis zum IS wollte sich wohl niemand zu der Behauptung versteigen, die vielberufene „International Community“ 10 habe ausgerechnet in der _____________ 5

Siehe Tzvetan Todorov, Théories du symbole, 1977 ; Monika Fludernik, Erzählung aus narratologischer Sicht, in: Balz Engler (Hrsg.). Erzählen in den Wissenschaften: Positionen, Probleme, Perspektiven, 2010, 5 ff. 6 Surabhi Ranganathan, The Value of Narratives: The India USA Nuclear Deal in Terms of Fragmentation, Pluralism, Constitutionalization, and Global Administrative Law, Erasmus Law Review 6 (2013), 16 ff. 7 Statt aller sei nur auf die beiden jüngsten Staatsrechtslehrerreferate von Axel Tschentscher und Heike Krieger verwiesen: Verfassung im Völkerrecht: Konstitutionelle Elemente jenseits des Staates?, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (VVDStRL) 75 (2016), S. 407 ff. bzw. 439 ff. 8 Neben den eben zitierten Beiträgen von Tschentscher und Krieger sei für die Literatur- und Materialsichtung weiterhin verwiesen auf Thomas Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht: Konstruktion und Elemente einer idealistischen Völkerrechtslehre, 2012; Matej Avbelj/Jan Komárek (Hrsg.), Constitutional Pluralism in the European Union and Beyond, 2012. 9 Alfred Verdross, Das bonum commune humanitatis in der christlichen Rechtsphilosophie, in: Willibald M. Plöchl/Inge Gampl (Hrsg.), Im Dienste des Rechtes in Kirche und Staat: Festschrift für Franz Arnold, 1963, 33 ff. 10 Andreas Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht: Eine Untersuchung zur Entwicklung des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, 2001.

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Verfassung ihren Meister gefunden. Warum dann dennoch Beschreibung der Welt jenseits des Staates mit konstitutionellem Anspruch, jedenfalls in konstitutioneller Semantik? Warum ein Narrativ, das für die Genese machtbegründender und machtbegrenzender Einhegung des Staates steht, der so zum Verfassungsstaat wird? Die Gründe haben mit Funktion und Eigenart von Weltbeschreibungen einerseits, von Narrativen im Kontext politischer Ordnungsbildungsprozesse anderseits zu tun. Weltbeschreibung ist niemals nur objektiv-distanzierte Beobachtung, sondern immer auch historische Konstruktion. Wer daher vorangehende Weltbeschreibung ihrer oder seiner notwendig vorverständnisgeleiteten Welterklärung zugrunde legt, knüpft – bewusst oder unbewusst – an diese historischen Konstruktionen an und leistet – wiederum bewusst oder unbewusst – anhand von Narrativen respektive Bedeutungszuschreibungen aus einer spezifischen Erklärungsperspektive eine spezifische Rekonstruktion. 11 Betrifft die Rekonstruktion normativ angeleitete politische Ordnungsbildung, hat das Narrativ ein zentrales Thema: die Legitimation. Dazu taugt ein Gründungsmythos ebenso gut wie eine Aufklärungserzählung. Will die Kieler Ringvorlesung das Völkerrecht vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart entwicklungsgeschichtlich reflektieren, hat sie mit historischen Konstruktionen und deren explikativen Rekonstruktionen umzugehen und muss daher fast zwangsläufig ein Stück weit auch dekonstruktiv 12 arbeiten. Der Dreischritt von Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion ist zugleich der erste Annäherungsversuch an die Erzählung vom Wandel. 13 Der Begriff Wandel geht uns leicht über die Lippen. Dem Wandel der Zeit unterworfen sehen wir rechtliche Ordnungsbildungsprozesse die, gesellschaftliche Veränderungen aufgreifend, normative Setzungen dynamisch fortschreiben. Europäisierung, Internationalisierung und Globalisierung begreifen wir als Phänomene nachhaltigen wenn nicht radikalen Wandels. 14 Um den Wandel in einem ersten Schritt greifbar, in einem zweiten Schritt begreifbar zu machen, bedarf es konkreter Anhaltspunkte oder Momente. Jeder Wandel hat in unserer _____________ 11 Ein Verweis auf die Architektur ist an dieser Stelle gewiss überraschend, aber ihr Greifbar-Anschauliches hat durchaus Erklärungspotential in Sachen Weltbeschreibung und Welterklärung: Winfried Nerdinger (Hrsg.), Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte, 2010. 12 Grundlegend sind hier die Arbeiten von Jacques Derrida, etwa: Die Stimme und das Phänomen: Ein Essay über das Problem des Zeichens in der Philosophie Husserls, 1979; Randgänge der Philosophie, 1988; verwiesen sei auch auf Peter Engelmann (Hrsg.), Jacques Derrida: Die différance: Ausgewählte Texte, 2004. 13 Siehe etwa Hans Peter Dreitzel, Sozialer Wandel: Zivilisation und Fortschritt als Kategorien der soziologischen Theorie, 2. Aufl. 1972; Raj Kollmorgen/Wolfgang Merkel/Hans-Jürgen Wagener (Hrsg.), Handbuch Transformationsforschung, 2015. 14 Dazu auch Markus Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, 2004, 61 ff.

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Vorstellungswelt einen respektive mehrere Auslöser. Hier kommt die Ereignisgeschichte ins Spiel, die mit ihrer „Momentaufnahmenhaftigkeit“ eine wichtige Entlastungsfunktion übernimmt.15 Weil die komplexen, vielfältig miteinander verwobenen ideengeschichtlich motivierten Wandlungsprozesse sich oft kaum eindeutig reflektieren und noch viel weniger eindeutig analytisch explizieren lassen, reduzieren wir sie auf ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Kulminationspunkte. Die „westfälische Staatenwelt“ ist für den Völkerrechtler das im doppelten Sinne „paradigmatische Beispiel“. 16 Wer das westfälische System nun als „überkommen“ apostrophiert, weil längst auch nichtstaatliche Akteure die völkerrechtliche Szene beherrschen und immer mehr Recht jenseits des Staates gesetzt, immer mehr vormals exklusiv staatliche Hoheitsgewalt jenseits des Staates ausgeübt wird, schleppt den ereignisgeschichtlich verkürzten Fixpunkt „1648“ 17 fort und sucht zugleich nach neuen Fixpunkten für die post-westfälische Welt. Allein das Narrativ vom souveränen Staat wird ihr als Legitimationserzählung nicht mehr gerecht 18, die neue Welt verlangt nach einem neuen Narrativ zur Begründung und Begrenzung hoheitlicher Gewalt. Weil es – funktionell gedacht – der Verfassung genau darum geht, bietet sie sich als Rahmen der neuen Erzählung an. 19 Und weil die neue Erzählung wiederum neuer ereignisgeschichtlicher Momentaufnahmen

_____________ 15

Weiterführend auch mit Blick auf die Bedeutung von Ereignis- und Entwicklungsgeschichte für die politische Geschichte Hans Mommsen, Politische Geschichte, in: Klaus Bergman u.a. (Hrsg.), Handbuch der Geschichtsdidaktik, Bd. 1, 1979, 141 ff. (später 5. Aufl. 1997). 16 Dazu in dieser Vorlesungsreihe der Vortrag von Rainer Grote, Das „Westfälische System“ des Völkerrechts: Faktum oder Mythos?, 2014. 17 Nachdrücklich Bardo Fassbender, Die verfassungs- und völkerrechtsgeschichtliche Bedeutung des Westfälischen Friedens von 1648, in: Ingo Erbereich u.a. (Hrsg.), Frieden und Recht: 38. Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht“, 1998, 9 ff.; siehe auch Karl-Heinz Ziegler, Die Bedeutung des Westfälischen Friedens für das Europäische Völkerrecht, Archiv des Völkerrechts (AVR) 37 (1999), 129 ff. 18 Siehe Bardo Fassbender, Sovereignty and Constitutionalism in International Law, in: Neil Walker (Hrsg.), Sovereignty in Transition, 2003, 115 ff.; Matthias Goldmann, Internationale öffentliche Gewalt, 2015. 19 Jan Klabbers/Anne Peters/Geir Ulfstein (Hrsg.), The Constutionalization of International Law, 2. Aufl. 2011; Matthias Kumm, The Cosmopolitan Turn in Constitutionalism: On the Relationship between Constitutionalism in and beyond the State, in: Jeffrey L. Dunoff/Joel P. Trachtman (Hrsg.), Ruling the World? Constitutionalism, International Law, and Global Governance, 2009, 258 ff.; sehr kritisch aus politikwissenschaftlicher Sicht Ingeborg Maus, Verfassung und Verfassungsgebung: Zur Kritik des Theorems einer „Emergenz“ supranationaler und transnationaler Verfassungen, in: Regina Kreide/Andreas Niederberger (Hrsg.), Staatliche Souveränität und transnationales Recht, 2010.

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bedarf, anhand derer sie sich erst erzählen lässt, werden die „constitutional moments“ so attraktiv. 20

B. Michael P. Scharfs Idee der „Grotian Moments“ und Bruce Ackermans Theorie der „constitutional moments“ – vom Versuch einer Legitimationserzählung Der Terminus „Moment“ und die Idee der Momentaufnahmen könnten indes leicht zu Missverständnissen Anlass geben. Deshalb eine Klärung vorweg: Es geht, soll das „Momenthafte“21 zur völkerrechtlichen Theoriebildung genutzt werden, nicht um die additive Aneinanderreihungen von unverbundenen Geschichtssplittern, nicht um das schlichte Aufspüren von tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Auslösern für politischen Umbrüche, schon gar nicht um deren Stilisierung zu einer Art Urknall für die neue Ordnung. Eine rein ereignisgeschichtliche Spurensuche ohne entwicklungsgeschichtliche Kontextualisierung wäre naiv. Der Ansatz ist deshalb ein anderer. Es gilt von den (ins kollektive Gedächtnis 22 einer politischen Gemeinschaft gespeicherten) Momenten auf die sie bedingenden Prozesse rückzuschließen und nachzufragen, warum zu ihrer Deutung ein spezifisches Narrativ gewählt wird. Hier lohnt ein erster Blick auf Michael P. Scharfs Monographie „Customary International Law in Times of Fundamental Change: Recognizing Grotian Moments“ aus dem Jahre 2013. 23 Solche „Grotian Moments“ sind für Scharf Nebenprodukte rapiden technologischen, ökonomischen oder sozialen Wandels innerhalb der internationalen Gemeinschaft, die eine unmittelbare Anpassung des Rechts notwendig machen. Scharf identifiziert exemplarisch sechs solcher „Grotian Moments“: die Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg und Tokio, Präsident Trumans Proklamation zum Festlandssockel, die Initialzündung für das Weltraumrecht, die Tadiç-Entscheidung des ICTY, die NATO-Intervention im Kosovo 1999 und die Reaktion der Vereinigten Staaten auf 09/11. _____________ 20 Zum Folgenden bereits Markus Kotzur, „Constitutional Moments“ in globaler Perspektive – eine völkerrechtliche Spurensuche, JöR 62 (2014), 445 ff. 21 Zur „Momenthaftigkeit“ im Erleben von Gegenständlichkeit aus der Sicht der Literatur Christian Benne, Die Erfindung des Manuskripts: Zur Theorie und Geschichte literarischer Gegenständlichkeit, 2015, bei Anmerkungen 602 und 603. 22 Schon klassisch Maurice Halbwachs, La mémoire collective, 1950; Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, 1992. 23 Vorher schon Michael P. Scharf, Seizing the „Grotian Moment“: Accelerated Formation of Customary International Law in Times of Fundamental Change, Cornell International Law Journal 43 (2010), 439 ff.

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Der Terminus „Grotian Moment“ ist indes keine Erfindung Scharfs. Er findet sich bei R. Falk, 24 UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali 25 hat ihn verwendet, um die Bedeutung des Internationalen Jugoslawientribunals für den Wandel des Völkerrechts und der internationalen Strafgerichtsbarkeit an der Schwelle zum 21. Jahrhundert zu unterstreichen, S. Mendlovitz und M. Datan bieten eine Definition an. 26 Scharf knüpft an diese Ideen an und nutzt die „Grotian Moments“, so wörtlich, „to denote a transformative development in which new rules and doctrines of customary international law emerge with unusual rapidity and acceptance“. 27 Unter Verweis auf die eben zitierte Arbeit von Mendlovitz und Datan seien solche Wandlungen typischerweise festzustellen „during a period in world history that seems analogous at least to the end of European feudalism […] when new norms, procedures, and institutions had to be devised to cope with the then decline of the Church and the emergence of the secular state.“ 28 Inwieweit Scharf sich von dem US-amerikanischen Verfassungsrechtler Bruce Ackerman hat inspirieren lassen, bleibe an dieser Stelle offen. Im Denkansatz jedenfalls zeigen sich Parallelen, was Scharf ausdrücklich formuliert: Drawing from the writings of Professor Bruce Ackerman, who used the phrase ‚constitutional moment‘ to describe the New Deal transformation in American constitutional law, some international law scholars have used the phrase ‚international constitutional moment‘ to convey the ‚Grotian Moment‘ concept. 29

Ackerman arbeitet, wie Scharf, ein Stück weit rekonstruktiv; er entdeckt und begreift den Verfassungsprozess in den Vereinigten Staaten seit ihrer Gründung als eine Serie konstitutioneller Momente: „American history has been punctuated by successful exercises in revolutionary reform in which protagonists struggled over basic questions of principle that had ramifying implications for the conduct of large areas of American life.“ 30 Ackerman unterscheidet dabei zwischen den Normalphasen ei_____________ 24 Richard Falk u.a. (Hrsg.), The Grotian Moment in International Law: A Contemporary Perspective, 1985; ders., International Law and World Order, 2. Aufl. 1990, 1087 ff. 25 Boutros Boutros-Ghali, The Role of International Law in the Twenty-First Century: A Grotian Moment, Fordham International Law Journal 18 (1995), 1609 ff. 26 Saul Mendlovitz/Merav Datan, Judge Weeramantry’s Grotian Quest, Transnational Law and Contemporary Problems 7 (1997), 401, 402 27 Michael P. Scharf, Seizing the „Grotian Moment“: Accelerated Formation of Customary International Law in Times of Fundamental Change, Cornell International Law Journal 43 (2010), 439, 444; siehe auch ders., Customary International Law in Times of Fundamental Change: Recognizing Grotian Moments, 2013, 5. 28 Ebd. 29 Michael P. Scharf (Anm. 23), 439, 445. 30 Bruce Ackerman, We the People: Foundations, 1991, 59; siehe weiterhin ders., Transformative Appointments, Harvard Law Review, 101 (1988), 1164 ff.; ders., Higher Lawmaking, in: Sanford Levinson (Hrsg.), Responding to Imperfection: The Theory and

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nes mehr oder weniger wohlgeordneten politischen Alltags, in denen der Bürger primär Privatmann sein darf und die staatlichen Gewalten in den dafür vorgesehenen Verfahren ihrem Alltagsgeschäft nachgehen, und herausragenden – sich also tief in das schon angesprochene „kollektive Gedächtnis“ einprägenden – Phasen politischen Umbruchs, die den Bürger zu neuen, sogar revolutionären konstitutionellen Grundentscheidungen provozieren 31, die Wendepunkte im Agieren der drei staatlichen Gewalten markieren, die das „standard law making“ nicht mehr genügen lassen, sondern nach einem „higher law making“ verlangen 32 und der großen Meistererzählung einer politischen Gemeinschaft ein neues Kapitel hinzufügen – wenn nicht gar die Erzählung als solche umschreiben! Konstitutionelle Momente stehen damit für Transformationsprozesse aus der politischen Krise 33 heraus, in der Literatur anschaulich beschrieben als „times of political crisis in which the electorate acts collectively to effect constitutional change through informal, extra-constitutional means“. 34 Konstitutionelle Momente markieren Verfassungswandel bis hin zu den Grenzen des Verfassungsbruchs, den eine politische Gemeinschaft mit revolutionärem Impuls bewusst in Kauf nimmt, weil sie für ihr Zusammenleben und in ihrem Zusammenwirken einer neuen Legitimationsgrundlage bedarf (oder jedenfalls zu bedürfen glaubt). Die von Ackerman gewählten Beispiele aus der amerikanischen Verfassungsgeschichte liegen auf der Hand. Neben der Gründung selbst, dem „foundational constitutional moment“, etwa die Rekonstruktionszeit nach dem Bürgerkrieg, der New Deal oder die Ära des „Civil Rights Movement“ als „transformative constitutional moments“. 35 Ganz unbestritten geht es Ackerman bei seiner Theoriebildung um US-amerikanisches Verfassungsrecht, eingebettet in und entwickelt aus seine(n) spezifischen politisch-historischen Kontexte(n), nicht um eine universelle Verfassungslehre und erst recht nicht um einen originären Beitrag zur Völkerrechtslehre. Und doch kann letztere Ackermans rekonstruktive Beobachterperspektive fruchtbar machen und, wie schon angedeutet, die „Grotian Moments“ zu „constitutional moments“ fortdenken. Zeiten krisenhaften Umbruchs bewirken diesseits wie jenseits des Staates Paradigmenwechsel, mehr noch, sie stellen die Legitimationsgrundlage der alten (nationalen, regionalen, _____________

Practice of Constitutional Amendment, 1995, 63 ff.; ders., The Broken Engine of Progressive Politics, American Prospect 9 (1998), 34 ff. 31 Bruce Ackerman, Revolution on a Human Scale, Yale Law Journal 108 (1999), 2279 ff. 32 Michael J. Klarmann, Constitutional Fact/Constitutional Fiction: A Critique of Bruce Ackerman´s Theory of Constitutional Moments, Stanford Law Review 44 (1992), 759 ff. 33 Zum Krisenbegriff und zu aktuellen Krisenszenarien Christian Calliess/Frank Schorkopf, Finanzkrisen als Herausforderung der internationalen, europäischen und nationalen Rechtsetzung, VVDStRL 71 (2012), 113 ff. bzw. 183 ff. 34 Ebd. 35 Ebd., 760 ff.; ferner Michael P. Scharf (Anm. 23), 439, 445.

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internationalen) Ordnung in Frage und sind Auslöser von Prozessen, an deren Ende mit einer neuen (nationalen, regionalen, internationalen) Ordnung 36 jedenfalls qualitative Veränderungen der bisherigen Legitimationsgrundlage stehen. Diese mögen ihrerseits von alten und/oder neuen Narrativen getragen sein. „Grotian“ wie „constitutional moments“ sind denn auch, wenn dieses Paradoxon erlaubt ist, selbst viel weniger Momente als Prozesse. Hervorgerufen durch grundlegenden Wirklichkeitswandel verarbeiten sie „Zeit“ 37, sie generieren ein Umbruchsbewusstsein der betroffen Akteure und stellen mit Nachdruck die Legitimationsfrage für das, was aus den Transformationen neu entsteht. Überkommene Legitimationsbehauptungen werden bestritten, qualitativ veränderte Legitimationsansprüche werden behauptet (und von legitimationsstiftenden Erzählungen getragen), neue Formen der Teilhabe an Legitimationsverfahren werden eingefordert. Die Legitimitäts- aber ist die zentrale Verfassungsfrage 38, sie gerade macht das „constitutional mindset“ aus 39; der grundlegende Streit um Legitimität hat damit letztlich immer konstitutionelle Qualität. Constitutional moments sind in diesem Sinne „moments of contestation“ 40 zur Begründung, Begrenzung und Kontrolle hoheitlicher Macht diesseits wie jenseits des Staates. Darin liegt ihr für die Völkerrechtswissenschaft außerordentlich fruchtbares Potential. Und aus dem Bestreiten lassen sich konstruktive Erzählungen formen.

_____________ 36

Hans Barth, Die Idee der Ordnung, 1958, 213; daran anknüpfend Andreas Anter, Die Macht der Ordnung: Aspekte einer Grundkategorie des Politischen, 2. Aufl. 2007, 3 ff. 37 Peter Häberle, Zeit und Verfassung, Zeitschrift für Politik (ZfP) 21 (1974), 11 ff.; ders., Zeit und Verfassungskultur, in: Die Zeit: Schriften der Carl-Friedrich-von-SiemensStiftung, 1983, 289 ff. (auch in ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, 627 ff.); ders., Zeit und Verfassungsstaat – kulturwissenschaftlich betrachtet, Jura 2000, 1 ff.; Wilfried Berg, Die Zeit im öffentlichen Recht – Das öffentliche Recht in der Zeit, JöR 56 (2008), 23 ff. 38 Dazu Matthias Kumm, The Legitimacy of International Law: A Constitutional Framework of Analysis, European Journal of International Law 15 (2004), 907 ff.; Rüdiger Wolfrum, Legitimacy in International Law, in: August Reinisch/Ursula Kriechbaum (Hrsg.), The Law of International Relations: Liber Amicorum Hanspeter Neuhold, 2007, 471 ff. Für den Verfassungsstaat unter dem Grundgesetz Dieter Grimm, Verfassungsfunktion und Grundgesetzreform, Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) 97 (1972), 489 ff. 39 Martti Koskenniemi, Constitutionalism as Mindset: Reflections on Kantian Themes About International Law and Globalization, Theoretical Inquiries in Law 8 (2007), 9 ff. 40 Antje Wiener, Contested Compliance: Interventions on the Normative Structure of World Politics, European Journal of International Relations 10 (2004), 189 ff.; dies., A Theory of Contestation, 2014.

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C. Von den Fixpunkten einer Legitimationserzählung – eine Zusammenschau möglicher konstitutioneller Momente für die Völkerrechtsgemeinschaft Um nun konkreter zu werden, seien – ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit – mögliche konstitutionelle Momente für die Völkerrechtsgemeinschaft herausgegriffen. Sie markieren zugleich Fixpunkte völkerrechtlicher Legitimationserzählungen, sie werden erinnert und aus der Erinnerung heraus mögen ihnen – was Gefahren und Chancen zugleich birgt, sicher aber nicht für exakte historische Rekonstruktion steht – von den sich erinnernden gegenwärtigen Akteuren Bedeutungen zugeschrieben werden, die sie für die Zeitgenossen (noch) nicht hatten. Ein Gründungsmoment für die internationale Gemeinschaft ist die Unterzeichnung der UN-Charta nach der Menschheitskatastrohe des Zweiten Weltkrieges. 41 So sprechen diesbezüglich B. Fassbender 42 und J. S. Martinez 43 ausdrücklich von einem „constitutional moment“, weil die Neuorganisation der internationalen Gemeinschaft im Rahmen der UN die Schwächen des kläglich gescheiterten Völkerbundsystems überwinden und nach existentieller Krise neue Legitimität stiften will. Sie macht deshalb das Gewaltverbot in Art. 2 Nr. 4 zum Dreh- und Angelpunkt ihres neuen Weltordnungsentwurfs 44 und entwickelt mit ius-cogens-Qualität 45 zum „supreme law“ 46 fort, was schon im BriandKellog-Pakt 47 – vielleicht ein präkonstitutionelles Moment – angelegt, in einer Zeit, da der Krieg als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (C. v. Clausewitz) galt, aber ohne Zweifel nicht Meistererzählung war. Manche Stimmen in der Literatur schreiben der Charta aufgrund ihrer Struktur und ihres Inhalts _____________ 41

Daniel-Erasmus Khan, Drafting History, in: Bruno Simma/Daniel-Erasmus Khan/Georg Nolte/Andreas Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, Bd. 1, 3. Aufl. 2012. 42 The United Nations Charter as Constitution of the International Community, Columbia Journal of Transnational Law 36 (1998), 529 ff. 43 Towards an International Judicial System, Stanford Law Review 56 (2003), 429, 463. 44 Zu Wandlungen des Gewaltverbots Rudolf Streinz, Wo steht das Gewaltverbot heute?, JöR 52 (2004), 219 ff.; Bardo Fassbender, Die Gegenwartskrise des völkerrechtlichen Gewaltverbotes vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung, Europäische Grundrechte Zeitschrift (EuGRZ) 2004, 241 ff. 45 Stefan Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992. 46 Eine Formulierung in bewusster Anspielung an die berühmte „supremacy clause“ aus Art. VI der US-Bundesverfassung von 1787: „This Constitution, and the laws of the United States which shall be made in pursuance thereof; and all treaties made, or which shall be made, under the authority of the United States, shall be the supreme law of the land; and the judges in every state shall be bound thereby, anything in the Constitution or laws of any State to the contrary notwithstanding“. 47 Albrecht Randelzhofer/Oliver Dörr, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Anm. 41), Art. 2 (4), Rn. 10 f.

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selbst die Qualität eines Verfassungsdokumentes zu, begreifen sie als einen positivierten normativen Zukunftsentwurf mit universellem Anspruch und von konstitutioneller Qualität. 48 Im denkbar engsten Zusammenhang mit der Genese der Charta steht das konstitutionelle Moment einer neuen Menschenrechtsordnung. Sie denkt auch das Völkerrecht instrumental auf den Menschen hin 49, will seine Mediatisierung überwinden und steht damit in der geistesgeschichtlichen Tradition großer Meisterzählungen von der jüdisch-christlichen Religion/Philosophie bis hin zur Aufklärung mit ihrem „Meistererzähler“ I. Kant. Diese „anthropozentrische Wende“ ist in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung des Jahre 1948 vorgezeichnet 50 – als Resolution der Generalversammlung lediglich soft law – und in den beiden Menschenrechtspakten des Jahres 1966 rechtsverbindlich ausgeformt – bis hin zum ganz modernen Streit um die „humanitäre Intervention“ 51 oder die Inhalte einer „Responsibility to protect“ 52. Schon die Tatsache, dass die bürgerlichen und politischen Rechte auf der einen, die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte auf der anderen Seite zwei getrennten Vertragsregimen unterworfen wurden, macht die universelle Menschenrechtsordnung zur „contested order“. 53 Und der Widerstreit von Universalismus v. kulturellen Partikularismus oder Relativismus qualifiziert als „moment of contestation“ par excellence, womit die „Grotian“ und die „constitutional moments“ zu einem Dreiklang erweitert werden. So wie Ackerman und Scharf sie begreifen, geht es nämlich um nichts anderes als das grundsätzliche In-Frage-Stellen von Legitimationsbehauptungen und Legitimitätsansprüchen. _____________ 48

Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, vii sowie 221; Pierre-Marie Dupuy, The Constitutional Dimensions of the Charter of the United Nations Revisited, Max Planck Yearbook of International Law 1 (1997), 1 ff.; Bardo Fassbender, The United Nations Charter as Constitution of the International Community, Columbia Journal of Transnational Law 36 (1998), 529 ff. 49 Für den Verfassungsstaat Peter Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, 152 ff. 50 Bardo Fassbender, Die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948 – eine Einführung in ihre Entstehung, Bedeutung und Wirkung, in: ders (Hrsg.), Menschenrechtserklärung. Neuübersetzung, Synopse, Erläuterung, Materialien, 2009, 1 ff.; Markus Kotzur, 60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – Reflexionen zur Entstehungsgeschichte, Ideengeschichte und Wirkungsgeschichte, MenschenRechtsMagazin Potsdam 2008, 184 ff. 51 Roger Mac Ginty/Jenny H. Peterson (Hrsg.), The Rutledge Companion to Humanitarian Action, 2015; Andrej Zwitter (Hrsg.), Humanitarian Action. Global, Regional and Domestic Legal Responses, 2015. 52 Ramesh Thakur/William Maley (Hrsg.), Theorising the Responsibility to Protect, 2015; Peter Hilpold (Hrsg.), Responsibility to Protect (R2P): A New Paradigm in International Law?, 2015. 53 Antje Wiener, A Theory of Contestation, 2014.

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Dieses wird besonders deutlich greifbar, wenn den einen – auf gute entwicklungsgeschichtliche Argumente gestützt – die Universalität als ein im christlichen Naturrecht verwurzeltes „specificum Europeaum“ 54 erscheint, während die anderen deren menschheitsbezogenes Potential erkennen wollen. Universelle Rechtsprinzipien entstehen mehr denn je aus der Reflektion über existentielle menschliche Bedürfnisse und Bedrohungen, sie sind die Reaktion auf universelle Unrechtserfahrungen. 55 Wer gefoltert, willkürlich verschleppt, seiner Existenzgrundlagen beraubt oder zur Flucht gezwungen wird, leidet unabhängig vom kulturellen Kontext, in dem sich diese Menschenrechtsverletzungen ereignen. Das macht die gegenwärtige Flüchtlingskrise schmerzlich deutlich. Leichter als kulturspezifische Werte ist interkulturell und intersubjektiv vermittelbar, was Unrechtserfahrungen ausmacht. Weitere signifikante Beispiele: Im Dekolonialisierungsprozess wird das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Legitimitätsressource neu entdeckt und ein gleichsam „konstitutionelles Empowerment“ der unabhängig gewordenen Staaten und Völker gefordert. In der jüngsten Ukraine-Krise, vorher auch schon im Fall des Kosovo war die Selbstbestimmung ebenso gefährdet wie herausgefordert. 56 Der für das Zeitalter des Kolonialismus so typische Kulturuniversalismus, in Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut („Kulturvölker“, „civilized nations“) noch immer greifbar ist, 57 wurde spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als zivilisatorisches Oktroi und von Machtinteressen getrieben Meistererzählung all derjenigen, die sich nach ihrem „Platz an der Sonne“ sehnten, schonungslos entlarvt. 58 In seiner berühmten Barcelona Traction-Entscheidung leistet der IGH einen vielleicht revolutionären Paradigmenwechsel von einer streng _____________ 54

Hans Maier, Wie universal sind die Menschenrechte?, 2007, 53 ff. Dieses Spezifikum wurde später im Geist der Aufklärung als Rationalitätspostulat weitergedacht und hat die Französische Revolution geistesgeschichtlich nachhaltig beeinflusst hat, deutlich greifbar in Art. 16 der „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ mit ihrem sendungsbewussten Verfassungsuniversalismus: „Toute Société dans laquelle la garantie des Droits n'est pas assurée, ni la séparation des Pouvoirs déterminée, n’à point de Constitution“. 55 Vgl. z.B. Heiner Bielefeldt, Menschenrechte und Menschenrechtsverständnis im Islam, EuGRZ 1989, 489, 491; Winfried Brugger, Stufen der Begründung von Menschenrechten, Der Staat 31 (1992), 19, 21; Wolfgang Huber, Die tägliche Gewalt: Gegen den Ausverkauf der Menschenwürde, 1993, 7 ff.; Hasso Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, Der Staat 34 (1995), 1, 27. 56 Gilbert Gornig/Adrianna A. Michel/Christina Bohle (Hrsg.), Territoriale Souveränität und Gebietshoheit. Selbstbestimmungsrecht und Sezession aus interdisziplinärer Sicht, 2015. 57 Allain Pellet, in: Andreas Zimmermann/Christian Tomuschat/Karin Oellers-Frahm (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice: A Commentary, 2. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 245 ff. 58 Mit den „postcolonial studies“ hat sich sogar eine eigene Forschungsdisziplin etabliert, dazu Yves Clavaron, Petite introduction aux „postcolonial studies“, 2015.

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konsensorientierten Völkerrechtskonzeption hin zu den Pflichten „erga omnes“ – ein „constitutional moment“ gar Marbury v. Madison vergleichbar? 59 Wissenschaftler wie Ernst-Ulrich-Petersmann erkennen in der Entwicklung vom GATT 47 zur heutigen WTO die schrittweise Genese einer globalen Wirtschaftsverfassung. 60 Mit dem Wendejahr 1989/1990 verbindet sich, so Peter Häberle, eine „Weltstunde des Verfassungsstaates“, die neuen Verfassungen in den Transformationsstaaten Osteuropas, in Südafrika, auch im iberoamerikanischen Raum öffnen sich häufig bewusst dem Völkerrecht, verzahnen Völkerrecht und staatliches Recht stärker als je zuvor und helfen so, konstitutionelle Standards zu universalisieren. Mit den zusammenstürzenden Twin Towers des New Yorker World Trade Center am 11. September 2001 wurden indes hochfliegende Blütenträumen einer neuen Weltordnung tief enttäuscht. 61 Auch dieses Datum – schnell und mit ikonographischer Emphase zum Geschichtszeichen stilisiert, ohne Zweifel ins kollektive Gedächtnis vieler Generationen eingebrannt – war ein konstitutionelles Moment im hier verstandenen Sinne 62 – eine existentielle Krise, die im staatlichen wie im überstaatlichen Recht vielerlei Paradigmenwechsel bewirkte (bis hin zum „war on terror“) 63, Risikoprävention zum prägenden Leitmotiv politischer Ordnungsbildung machte und bisher unbestrittene Grundlagen des Völkerrechts radikal, ja „revolutionär“ in Frage stellte. Das gilt vor allem für die Doktrin von den Präventiv- oder Preemptivschlägen mit Blick auf Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht. Eine Renaissance der Legitimationsfigur des Ausnahmezustandes von Carl Schmitt 64 _____________ 59

ICJ, Case concerning the Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited, (Belgium v. Spain), Judgment, ICJ Reports 1970, 3. Hier identifiziert der Gerichtshof „common interests of all mankind“ und bezieht sich auf „interests of the international community as such“. 60 Ernst-Ulrich Petersmann, Constitutional Functions and Constitutional problems of International Economic Law, 1991; später Deborah Z. Cass, The Constitutionalization of the World Trade Organization: Legitimacy, Democracy, and Community in the International Trading System, 2005. 61 Kyrill-Alexander Schwarz (Hrsg.), 10 Jahre 11. September – Die Rechtsordnung im Zeitalter des ungewissen, 2012; Christian Tomuschat, Internationale Terrorismusbekämpfung als Herausforderung für das Völkerrecht, Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) 2006, 357 ff.; Katharina von Knop u.a. (Hrsg.), Countering Terrorism, 2005. 62 So explizit gesagt von Anne-Marie Slaughter/William Burke-White, An International Constitutional Moment, Harvard International Law Journal 43 (2002), 1 ff. 63 Rahmatullah Khan, The War on Terrorism, Indian Journal of International Law 45 (2005), 1 ff.; Alan O’Day (Hrsg.), War on Terrorism, 2004; allg.: Stefan Baufeld, Der 11. September 2001 als Herausforderung für das Völkerrecht, 2005; Luis Alonso Bruccet, Instrumentos jurídicos internacionales en materia de terrorismo, 2003. 64 Vgl. dazu Markus Kotzur, Die Weltgemeinschaft im Ausnahmezustand?, AVR 42 (2004), 353 ff.

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bis Georgio Agamben 65 ging damit einher. Der Irakkrieg schließlich stürzte das Völkerrecht in eine zentrale Legitimationskrise. Der Terrorismus selbst erscheint als „erste(r) Ernstfall eines weltinnenpolitischen Problems“ 66, dem nur die Staatengemeinschaft als Ganze begegnen kann. Der Islamische Staat macht das dramatisch bewusst, das jüngste Brüsseler Attentat (März 2016) führte zu weltweiten Solidaritätskundgebungen in den sozialen Netzwerken: „Je suis Bruxelles“ 67 – zugleich ein Hinweis darauf, wie im Internetzeitalter neue Narrative dank einer globalen Kommunikations-Infrastruktur entstehen und in ihrer Neuartigkeit erst noch entschlossen werden müssen. Viele weitere Beispiele könnten angeführt werden: So lässt ein globales Umweltverfassungsrecht zwar auch nach Kyoto auf sich warten, nach Paris 2015 aber immerhin konkreter erhoffen. Ganz unabhängig von enttäuschten Erwartungen und begründeten Hoffnungen ist der Klimawandel ein ebenso konstitutionelles Moment wie das Internet als neues „global common“. 68 Ihre neuen Wirklichkeiten bedingen Bewusstseinswandel, provozieren neue Narrative und das Ringen um qualitative Veränderung in den Legitimationsgrundlagen. Politik und Wissenschaft leisten in diesem Ringen das Ihrige, gerade wenn und weil sie streitige Debatten über völkerrechtliche Konstitutionalisierungsprozesse initiieren: etwa über das Recht auf demokratische Partizipation 69, über eine international rule of law 70 oder über die Möglichkeiten von Verfasstheit jenseits des Staates als so solche. 71 _____________ 65

Giorgio Agamben, Homo Sacer: Die souveräne Macht und das nackte Leben, 2002. Klaus Dicke, Weltgesetzgeber Sicherheitsrat, Vereinte Nationen (VN) 2001, 163 ff. (Unter der Rubrik „Standpunkt“). 67 https://telebasel.ch/2016/03/22/je-suis-bruxelles/ (letzter Zugriff am 1.4.2016). 68 Charlotte Hess/Elinor Ostrom (Hrsg.), Understanding Knowledge as a Commons, 2006; Wolfgang Durner, Common Goods: Statusprinzipien von Umweltgütern im Völkerrecht, 2001. 69 Thomas M. Franck, The Emerging Right to Democratic Governance, American Journal of International Law 86 (1992), 46 ff.; James Crawford, Democracy and International Law, British Yearbook of International Law 63 (1993), 113 ff.; Barbara Bauer, Der völkerrechtliche Anspruch auf Demokratie, 1998; Hauke Brunkhorst, Demokratie in der globalen Rechtsgenossenschaft: Einige Überlegungen zur poststaatlichen Verfassung der Weltgemeinschaft, Zeitschrift für Soziologie, Sonderheft „Weltgesellschaft“, 2005, 330 ff.; Armin von Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts – eine Bestandsaufnahme, ZaöRV 63 (2003), 853 ff.; Thomas Bruha/Katrin Alsen, Democracy and International Law: Reflections on Current Trends and Challenges, in: Gilbert Gornig u.a. (Hrsg.), Iustitia et pax: Gedächtnisschrift für Dieter Blumenwitz, 2008, 555 ff.; Jude Ibegbu, Right to Democracy in International Law, 2003. 70 Simon Chesterman, Rule of Law, Max Planck Encyclopedia of International Law (online version:www.mpepil.com), 2012 mit zahlreichen weiteren Literaturnachweisen. 71 Dazu bereits oben Fn. 7 und 8. 66

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Hinter den in dieser kleinen Bestandsaufnahme vorgestellten „constitutional moments“ verbergen sich Momente des Bestreitens – moments of contestation –, Momente der Transformation – moments of transformation – und Momente des Funktionswandels – moments of functional change. 72 Alte Ordnungserzählungen werden bestritten, etwa das westfälische Narrativ von der mehr oder weniger uneingeschränkten Souveränität des Territorial-, später Nationalstaates durch menschenrechtlich legitimierten Interventionismus (der selbst wiederum hoch umstritten ist und bei manchen Sehnsüchte nach einer neuen „splendid isolation“ weckt, man denke nur an die außenpolitischen Positionen, die D. Trump in den US-Primaries 2016 vertritt). Alte Ordnungen gehen in neuen Ordnungen auf – die Transformation von einer vorrechtsstaatlich-totalitären Vergangenheit zu einer rechtsstaatlich-demokratischen Zukunft in Osteuropa nach 1989/1990. Funktionen, die der geschlossene Nationalstaat im Zeitalter der Globalisierung autark nicht mehr leisten kann (vom Umweltschutz bis zur Terrorbekämpfung), wandeln sich zu solchen, die von internationalen Akteuren wahrgenommen, jedenfalls von institutionalisierten Kooperationsformen 73 getragen werden müssen. Es gilt also von einer sich wandelnden, ganz anderen Welt des Völkerrechts zu erzählen. Und für ein Narrativ, das all diese heterogenen Wandlungsprozesse verarbeitend in sich aufnehmen will, mag die alte große Erzählung von der „Verfassung“ maßgebliche Inspirationsquelle sein.

D. Von der großen Verfassungserzählung und einer konstitutionellen Matrix für die internationale Ordnung Warum also sollte – oder jedenfalls könnte – die Völkerrechtswissenschaft versuchen, für den transnationalen Rechtsraum an konstitutionelle Erzähltraditionen anzuknüpfen und sich vom Verfassungsmodell zur Ordnungsbildung inspirieren zu lassen. Der Grund liegt in den Funktionen einer Verfassung, die in den oben skizzierten konstitutionellen Momenten bereits aufschimmerte. Weil auch jenseits des Staates „hoheitliche“ Gewalt ausgeübt wird, die es zu begründen, zu begrenzen und zu kontrollieren gilt 74 – und das umso mehr, je mehr vormals staatlicher Gewalt nicht mehr staatlich gebunden ist und von nichtstaatlichen Akteuren realisiert wird, stellt sich die Legitimationsfrage neu und bedarf es einer nicht notwendigen neuen, aber überzeugenden legitimationsstiftenden Erzählung. Und in diesem Erzählkontext will die Völkerrechtswissenschaft eine konstitutionelle Matrix aktivieren. Das heißt längst nicht, _____________ 72

Für diese Typisierung Markus Kotzur (Anm. 20), 445, 453 ff. Matthias Ruffert/Christian Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, 2. Aufl. 2015. 74 Thomas Kleinlein (Anm. 8), 511. 73

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dass sie damit eine ideale Verfasstheit jenseits des Staates behauptet und jeder institutionalisierten Kooperationsform unreflektiert Verfassungsqualität zuschreibt. Sie will vielmehr vorsichtig von den Schlüsselfunktionen einer Verfassung her denken und auch in der transnationalen Rechtsgenese ein Mindestmaß an demokratischer Teilhabe sicherstellen. 75 Insbesondere die Fragen nach der Legitimation und der Teilhabe am Legitimationsprozess (Wer? Wie? In welchen Verfahren?) gehören untrennbar zusammen. Dabei gilt es in Rechnung zu stellen, dass es der internationalen Gemeinschaft an einer einheitlichen verfassunggebenden Gewalt ebenso fehlt wie an einer einheitlichen rechtsetzenden Instanz. 76 Staatenübergreifendes Recht wird vielmehr von multiplen, darunter zahlreichen nicht-staatlichen Akteuren in multiplen, teils formalen, teils auch informalen Prozessen kreiert. Angesichts dieser hybriden Vielfalt reicht allein der Staatenkonsens – für das klassisch konsensorientierte Völkerrecht die zentrale Legitimationsfigur – nicht mehr aus, um eine hinreichende Legitimationsgrundlage sicherzustellen – ganz abgesehen vom asymmetrischen Machtgefüge der Staaten, das auch die Legitimationsleistung des „consensus“ (Wer konsentiert und wodurch motiviert?) in Frage stellt. 77 Der Staatenkonsens, so wichtig er bleibt, trägt als zentrale Legitimationserzählung des Völkerrechts längst nicht mehr unhinterfragt. Deshalb wird ein ordnender Rahmen unabdingbar, der die höchst unterschiedlichen Partizipationsformen von Staaten, internationalen Organisationen, nichtstaatlichen Akteuren (wie NGOs) strukturiert und so Legitimationsleistung ermöglicht. Die völkervertragliche Rechtserzeugung ist immer stärker in die Verantwortung und Gestaltungsmacht internationaler Organisationen gestellt. Deren Kompetenz zur Sekundärrechtsetzung wird damit zu einem zentralen Bauelement im Legitimationsgefüge transnationaler Rechtssetzung. Und das Einräumen einer solcher Kompetenz stellt wiederum eine zentrale Verfassungsfunktion dar: Verfassungen übertragen die Gewalt zur Rechtssetzung an rechtssetzende Körperschaften, sie „ermächtigen“ („enable“). Auch vom Sprachbild her überzeugt daher das von J. L. Dunoff und J. P. Trachtmann 78 vorgeschlagene Konzept des „enabling constitutionalism“. Dass es überdies um verfassungstypische „checks _____________ 75

Christian Walter, International Law in a Process of Constitutionalization, in: Janne Nijman/André Nollkaemper (Hrsg.), New Perspectives on the Divide Between National and International Law, 2007, 191 ff. 76 Vgl. dazu auch Bardo Fassbender, We the Peoples of the United Nations: Constituent Power and Constitutional Form in International Law, in: Neil Walker/Martin Loughlin (Hrsg.), The Paradox of Constitutionalism: Constituent Power and Constitutional Form, 2007, 269 ff. 77 Siehe z. B. Allen Buchanan, Justice, Legitimacy, Self-Determination, 2004, 301 ff. 78 Jeffrey L. Dunoff/Joel P. Trachtmann, A Functional Approach to International Constitutionalization, in: dies. (Anm. 19), 3 ff., 10 f.

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and balances“ im Sinne eines „constraining constitutionalism“ der Hand.

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geht, liegt auf

Mit bloßer semantischer Phantasie ist es indes nicht getan. Wer von „Weltrecht“ 80 statt von Völkerrecht, von „global law“ statt „public international law“ oder mit Emphase von einem „common law of all mankind“ 81 bzw. „Menschheitsrecht“ („law of humanity“) 82 spricht, will gewiss eine neue Erzählung wagen, weil die immer stärker fortschreitende Globalisierung mehr oder weniger aller Lebensbedingungen in der überkommenen Textur des staatlichen bzw. internationalen Rechts keinen hinreichenden Rückhalt mehr findet. Damit die Erzählung trägt, bedarf sie aber mehr als einer Entterritorialisierungsrhetorik. Sie muss erklären können, warum im Sinne des „supplemental constitutionalism“ 83 transnationales Recht mit verfassungsqualitativem Anspruch als effektive Auffangordnung taugt. Die immer stärker limitierte staatliche Gestaltungsmacht zu kompensieren, jedenfalls Defizite im Gestalten-Können zu unterfüttern, ist Kernfunktion einer in konstitutionellen Parametern gedachten „Weltrechtsarchitektur“. Es geht dabei nicht zuletzt darum, Verantwortlichkeiten zu begründen. 84 Nichts wäre so gefährlich wie Recht, das normnative Verbindlichkeit beansprucht, ohne dass nachvollzogen werden könnte, wer für seine Genese die Verantwortung trägt. In einer Verfassung ebenso wie in ihren konstitutionellen Erzählungen entwirft eine politische Gemeinschaft ein Bild davon, was und wie sie sein will. 85 Dieses Bild wird und darf ein normatives Gegenbild zur defizitären Gegenwart zeichnen und für die politische Gemeinschaft immer auch ein Stück weit Utopie sein. Normative Zukunftsentwürfe sollten von einer besseren Welt träumen und müssen sogar ein wohl abgewogenes „Utopiequantum“ 86 wagen, ansonsten fehlt ihnen die zukunftsgestaltende Kraft zur Veränderung. Sie müssen sich aber wirklichkeitsbe_____________ 79

Dunoff/Trachtmann (Anm. 78), 11 ff. Angelika Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, 2007; Martin Schulte/Rudolf Stichweh (Hrsg.), Weltrecht, 2008 (= Rechtstheorie 39 [2008], Heft 2/3, 143 ff.). 81 Programmatisch C. Wilfried Jenks, The Common Law of Mankind, 1958. 82 Peter Häberle, Nationales Verfassungsrecht, regionale „Staatenverbünde“ und das Völkerrecht als universales Menschheitsrecht: Konvergenzen und Divergenzen, in: Charlotte Gaitanides u.a. (Hrsg.), Europa und seine Verfassung: Festschrift für Manfred Zuleeg, 2005, 80 ff. 83 Siehe wiederum Dunoff/Trachtmann (Anm. 78). 84 Dunoff/Trachtmann (Anm. 78); weiterführend Anne Peters, Compensatory Constitutionalism: The Function and Potential of Fundamental International Norms and Structures, Leiden Journal of International Law 19 (2006), 579 ff.; dies., The Merits of Global Constitutionalism, Indiana Journal of Global Legal Studies 16 (2009), 397 ff. 85 Die bereits vielfach zitierten Dunoff/Trachtmann sprechen von einer reflexiven Funktion. 86 Häberle (Anm. 49), 518 ff. 80

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wusst „einfangen“ lassen, an den tatsächlichen Wertgrundlagen einer Politie orientieren, nicht nur neu Identität stiften wollen, sondern vorhandene Identitäten auch ernst nehmen. Der globale Rechtsraum gründet, das ist bereits angeklungen, in Paradigmen wie der universellen Menschenwürde, universellen Menschenrechtsstandards 87 oder einer „international rule of law“, die Mechanismen effektiver Rechtsdurchsetzung einschließt. Er hat vor allem aber auch ein menschheitlich konzipiertes Gemeinwohl (von den global commons war bereits die Rede) im Blick, das F. Súarez (1548–1617), ein berühmter Repräsentant der Spanischen Völkerrechtsschule, in seinem „bonum commune humanitatis“ bereits vorgezeichnet hat. Das Gemeinwohl selbst ist nichts Gegebenes, keine feststehende Größe, die es nur aufzufinden gilt; es muss immer neu in Prozessen geformt und ausgestaltet werden. Verweise auf ein solch menschheitlich gedachtes Gemeinwohl finden sich immer häufiger in aktuellen Völkerrechtstexten und Entscheidungen internationaler Tribunale. So hat die „Appeals Chamber“ des Internationalen Jugoslawien-Tribunals in der Tadiç-Entscheidung vom 2. Oktober 1995 unter Bezugnahme auf solche Gemeinwohlüberlegungen dem bloßen KoexistenzVölkerrecht eine klare Absage erteilt: „traditional configuration of the international community, based on the coexistence of sovereign States more inclined to look after their own interests than community concerns or humanitarian demands.“ 88 Noch sehr viel bekannter ist die bereits zitierte BarcelonaTraction-Entscheidung des IGH aus dem Jahre 1950. Hier identifiziert der Gerichtshof „common interests of all mankind” und bezieht sich auf „interests of the international community as such“. 89 Nicht zum ersten Mal ist der IGH in die Rolle des Meisterzählers geschlüpft und hat in konstitutionellen Kategorien gedacht, noch lange bevor die völkerrechtliche Konstitutionalisierungsdebatte ernsthaft begonnen geschweige denn Fahrt aufgenommen hatte. Auch das, wie schon gesagt, durchaus ein „constitutional moment“.

E. Schlussbetrachtung Die „Meistererzähler“ sind sich trotz allem sehr bewusst, dass die Qualitätszuschreibung „konstitutionell“ prekär bleibt. Das anspruchsvolle Attribut der Verfassung steht für die umfassende Grundordnung der typischerweise staat_____________ 87

Norberto Bobbio, The Age of Rights, 1996; Markus Kotzur, Universality – A Principle of European and Global Constitutionalism, Historia Constitucional (Revista Electrónica, http://hc.rediris.es), 6/2005, 201 ff. 88 ICTY, 3URVHFXWRUY7DGLüDecision on the Defence motion for interlocutory appeal on jurisdiction, 2.10.1995, Case No. IT-94-1-AR72, Human Rights Law Journal 16 (1995), 437, 457 (Nr. 96 am Ende). 89 Siehe Anm. 59.

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lichen politischen Gemeinschaft. Für die internationale Gemeinschaft kann sich volle Verfasstheit letztlich niemals realisieren. Die skizzierte Setzung von Recht und Ausübung vormals hoheitlicher Gewalt jenseits des Staates bloß semantisch mit dem Prädikat des Konstitutionellen einhegen zu wollen, wäre ebenso töricht wie der Versuch, verfassungsstaatliche Kategorien schlicht analog auf den Raum jenseits des Staates zu übertragen, obwohl die strukturellen Voraussetzungen zu einer solchen Analogie gerade fehlen. Das aber will das konstitutionelle Narrativ auch nicht. Es erzählt nur von den immer neuen Legitimationsnotwendigkeiten hoheitlicher Macht- und Gewaltausübung in einer immer rasanter sich wandelnden Welt des Völkerrechts. Und es tut das bewusst mit einem Legitimationsanspruch, den es nie vollständig erfüllen kann, aber als Notwendigkeit eines Völkerrechts im Dienste des Menschen doch stets behaupten muss. Dass dieser Behauptung nachdrücklich widersprochen wird, muss das Schlechteste nicht sein. Damit schließt sich nun auch der Kreis. Am positiven Recht geschulte Juristinnen und Juristen fühlen sich, das ist einleitend schon zugestanden worden, mitunter unwohl, wenn von Konstruktionen, Rekonstruktionen, gar Dekonstruktionen die Rede ist. Und sie unterschätzen oft die Wirkungsmacht eines Narrativs. Ihnen sei ganz am Schluss – freilich cum grano salis – ein berühmtes Hölderlin-Zitat entgegengehalten: „Was bleibet aber, stiften die Dichter!“

Teil II Konzepte im Wandel

From communitas orbis to a Community of States – and Back? By Erika de Wet and Ioannis Georgiadis The international legal community is conceived of as a kind of authority that closely follows world events and bears responsibility for maintaining an orderly and peaceful international environment and for ensuring decent conditions of existence to every human being.1 Christian Tomuschat

A. Introduction The statement cited above by the current President of the Organization for Security and Co-operation in Europe Court of Conciliation and Arbitration presupposes the existence of an entity that constitutes an autonomous collectivity under international law, a bearer of rights and obligations that exists independently of its constituent members.2 The reference to community further suggests normative cohesion in the form of togetherness or collective interests that are shared by all the members of the community.3 This contribution examines the legal nature of the international community in modern international law. In doing so, it first traces the development of the concept which is closely intertwined with the evolution that international law itself has undergone _____________ 1 Christian Tomuschat, Obligations Arising for States without or against Their Will, Recueil des Cours 241 (1993), 195, 222. 2 Geoff Gordon, Innate Cosmopolitan Dialectics at the ICJ: Changing Perceptions of International Community, the Role of the Court, and the Legacy of Judge Álvarez, Leiden Journal of International Law 27 (2014), 309, 310 ff. 3 Andreas Paulus, International Law and International Community, in: David Armstrong (ed.), Routledge Handbook of International Law, 2009, 44. This, in turn, has sparked a debate about global constitutionalism, i.e. about the existence of an international constitutional order consisting of an international community which is based on certain values and which possesses mechanisms for their enforcement, Erika de Wet/ Jure Vidmar, Conflicts between International Paradigms: Hierarchy versus Systemic Integration, Global Constitutionalism 2 (2013), 196 ff.; Erika de Wet, The International Constitutional Order, International & Comparative Law Quarterly 55 (2006), 51 ff.; Andreas von Arnauld, Völkerrecht, 2nd edn. 2014, 10 ff.

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throughout time.4 Elements of contemporary international law can be traced back to Ancient Greece and the Roman Empire.5 Legal relations, for instance, existed amongst the Greek ʌȩȜİȚȢ (póleis, city-States) for defence alliances; the Greeks also had precise laws (ȞȩȝȠȚ, nómoi) governing consular relations and used arbitral tribunals for the settlement of inter-State disputes.6 The Romans for their part used the term ius gentium – as opposed to the ius naturale7 – for the rules governing and applying to the relations between the populus Romanus and its neighbours.8 However, it is fair to say that international law developed, in particular, as of the late fifteenth century, with the emergence of modern States during the so-called Spanish Age. This period was followed by the French Age as of the mid-seventeenth century and the British Age that commenced in the nineteenth century and lasted until after World War I. The end of the British Age coincided with the creation of the League of Nations, which, in turn, paved the way for the modern age of international law subsequent to World War II. The analysis at hand commences with a tour d’horizon of the main periods leading up to the modern era.9 This overview provides the historical context in which the legal status of the modern international community is then assessed. In doing so, it focuses on the composition of the international community, the contours of the interests that it claims to protect on behalf of the community as a whole, as well as the mechanisms for their enforcement. The contribution concludes by questioning the extent to which the international community in the modern era still reflects ‘Spanish roots’, in particular in relation to the representativeness (universality) of community interests.10

_____________ 4

Cf. Karl-Heinz Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 2nd edn. 2007, 1. Ziegler (note 4), 23 f., for examples of elements of contemporary international law in Homer’s Iliad and Odyssey. 6 Wolfgang Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts, in: id./AlexanderProelß (eds.), Völkerrecht, 6th edn. 2013, 33; the Greek equivalent for consul is ʌȡȩȟİȞȠȢ (próxenos). See Ziegler (note 4), 32 ff., for an overview about the impact of ancient Greek legal traditions on international law; Marcus Niebuhr Tod, International Arbitration Amongst the Greeks, 1913. 7 The term can be traced back to Ancient Greece, see Stephen C. Neff, Justice Among Nations. A History of International Law, 2014, 25 ff., 42 ff. 8 Graf Vitzthum (note 6), 34; Ziegler (note 4), 49. 9 See Oliver Diggelmann, The Periodization of the History of International Law, in: Bardo Fassbender/Anne Peters (eds.), The Oxford Handbook of the History of International Law, 2012, 997 ff.; Wilhelm G. Grewe, The Epochs of International Law, 2000, 1 ff.; Matthias Herdegen, Völkerrecht, 15th edn. 2016, 17 ff. 10 Paulus (note 3), 45. 5

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B. Key Periods in the Development of the International Community I. The Spanish Age In the history of international law, the period between 1494 and 1648 has traditionally been characterized as the Spanish Age.11 When modern States were about to emerge, Francisco de Vitoria12, a theologian at the well-known Escuela de Salamanca (School of Salamanca), was the first to recognize the sovereignty of States, while simultaneously subjecting it to natural law.13 Besides, as noted by Judge Rosalyn Higgins, the former President of the International Court of Justice (ICJ), de Vitoria underscored that: ‘States, like individuals, need to live in society and that consequently there exists an international community, and an international system of law to govern that community.’14 Inspired by the natural law theory of Thomas Aquinas,15 de Vitoria based his reflections, inter alia, on ‘the communitatis orbis, the universal community, in which all people, whether Christians, infidels, or pagans, have similar rights and duties proceeding from natural law.’16

_____________ 11

Grewe (note 9), 137 ff.; von Arnauld (note 3), 9. See especially James Brown Scott, The Spanish Origin of International Law. Francisco de Vitoria and his Law of Nations, 1934. See for an overview Arthur Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, 1960, 87 ff.; Kurt Seelmann, Vitoria, Francisco de (1483/93– 1546), in: Michael Stolleis (ed.), Juristen. Ein biographisches Lexikon, 2001, 654 f.; Louis Valenzuela-Vermehren, Vitoria, Humanism, and the School of Salamanca in Early Sixteenth-Century Spain, Logos: A Journal of Catholic Thought and Culture 16 (2013) 99 ff.; id., Empire, Sovereignty, and Justice in Francisco de Vitoria’s International Thought: A Re-Interpretation of De Indis (1532), Revista Chilena de Derecho 40 (2013) 261 ff.; Andreas Wagner, Francisco de Vitoria and Alberto Gentili on the Legal Character of the Global Commonwealth, Oxford Journal of Legal Studies 31 (2011), 565 ff. 13 ICJ, Address by H.E. Judge Rosalyn Higgins, President of the International Court of Justice, on the occasion of the presentation of the Francisco de Vitoria medal to the International Court of Justice by the city of Vitoria (5 April 2006), http://www.icjcij.org/court/index.php?pr=1002&pt=3&p1=1&p2=3&p3=1, accessed 19 August 2016. 14 ICJ, Adress by H.E. Judge Rosalyn Higgins (note 13). 15 Annabel Brett, Francisco de Vitoria (1483–1546) and Francisco Suárez (1548– 1617), in: Fassbender/Peters (note 9), 1087 ff.; Pekka Niemelä, A Cosmopolitan World Order? Perspectives on Francisco de Vitoria and the United Nations, Max Planck Yearbook of United Nations Law 12 (2008), 301, 314 ff. 16 Dominique de Courcelles, Managing the World: The Development of Jus Gentium by the Theologians of Salamanca in the Sixteenth Century, Philosophy and Rhetoric 38 (2005), 1, 10. 12

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Furthermore, the ius gentium ‘secured the unity of the societas gentium.’17 The individual States of Christian Europe were considered to be ‘embedded in the universal international legal community: res publica est pars totius orbis.’18 Although the international community of de Vitoria encompassed all mankind and resembled cosmopolitanism, the ‘highest authority [was] exercised by the Catholic Church [...] leaving no doubt about the authority of the Church, its institutions and officials, as best placed to decide what natural law required.’19 That is why there were two communities, ‘one secular and consisting of all humankind, including the Indians, another joining the Christians all over the world.’20 Nevertheless, as put forward by ICJ Judge Cançado Trindade: The universal jus gentium of Vitoria, remindful of the importance of human solidarity, regulated, on the basis of principles of natural law and right reason (recta ratio), the relations between all peoples, respectful of their rights, the territories wherein they lived, and their contacts and freedom of movement (jus communicationis).21

This idea of an international community based on natural law seems to have inspired – at least in part – other international scholars. An example can be found by comparing de Vitoria’s writings to the theories of the Dutchman Hugo Grotius, originally Huig de Groot, who is often described as the ‘father of international law’.22 In his book De Iure Belli ac Pacis, Grotius describes the law of nations as “the law which has received its obligatory force from the will of all nations or many nations”.23 Grotius further added that “outside of the sphere of the law of nature, which is also frequently called the law of nations, there is hardly any law common to all nations.”24 Avoiding a reference to religion, Grotius assumed that ‘all human beings are united by a natural law’.25

_____________ 17

Antônio Augusto Cançado Trindade, International Law for Humankind: Towards a New Jus Gentium, Recueil des Cours 316 (2005), 9, 37. 18 Grewe (note 9), 145 f. 19 Martti Koskenniemi, ‘International Community’ from Dante to Vattel, in: Vincent Chetail/Peter Haggenmacher (eds.), Vattel’s International Law in a XXIst Century Perspective, 2011, 51, 60. 20 Koskenniemi (note 19), 59. 21 Cançado Trindade (note 17), 38. 22 Robert Feenstra, Grotius (de Groot), Hugo (1583–1645), in: Stolleis (note 12), 265, 267; Neff (note 7), 165. 23 Clarence Wilfred Jenks, The Common Law of Mankind, 1958, 67. 24 Jenks (note 23). 25 Koskenniemi (note 19), 64.

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II. The French Age France dominated the period after the Peace of Westphalia in 1648 (Westphalian System) until the Congress of Vienna.26 French also advanced to the predominant language in diplomacy. The idea of Christianity as a legal community (respublica christiana) lost much of its (religious) importance. From then on, the term droit public de l’Europe (ius publicum europaeum) would characterize the legal relations amongst the Christian European nations.27 Maintaining a balance of power system,28 the circle of grand powers in Europe (Austria, England, France and Spain) was extended to include Prussia, Russia and later the United States in the nineteenth century. Their will (opinion iuris) was considered to be the main source of international law.29 In his book Le droit du gens ou principes de la loi naturelle appliqués à la conduit et aux affaires des nations et des souverains, published in 1758, Emer de Vattel30 developed the notion of a société des nations (society of nations) based on the under lying principle of sovereign equality of States.31 In 1795, the German philosopher Immanuel Kant proposed in his essay Zum ewigen Frieden (Toward Perpetual Peace) the formation of a civitas gentium (state of nations) that would encompass all the nations of the earth.32 Already inspirited by the ideals of the Age of Enlightenment, the 1789 Déclaration des droits de l’homme et du citoyen (Declaration of the Rights of Man and of the Citizen) formulated universal rights, being itself influenced by the English Habeas Corpus Act of 1679 and the American Declaration of Independence of 1776.33

_____________ 26

Grewe (note 9), 294 ff. Herdegen (note 9), 20 ff.; Ziegler (note 4), 146. 28 Grewe (note 9), 294 ff. 29 Graf Vitzthum (note 6), 38. 30 Michael Künzle, Vattel, Emmer de (1714–1767), in: Stolleis (note 12), 647. 31 Herdegen (note 9), 21; Andreas Paulus, International Community, Max Planck Encyclopedia of Public International Law (March 2013), para. 10; Ziegler (note 4), 160. 32 Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, Reclam 2008, 20. See also Amanda Perreau-Sausinne, Immanuel Kant on International Law, in: Samantha Besson/John Tasioulas (eds.), The Philosophy of International Law, 2010, 53 ff. 33 Graf Vitzthum (note 6), 39; Paolo Grossi, Das Recht in der europäischen Geschichte, 2010, 114 ff. 27

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III. The British Age and the League of Nations Commencing with the Congress of Vienna in 1814 and 1815, the British Age lasted until the end of World War I.34 During this period, the world witnessed the widening of the European law of nations to a universal international law and the birth of a non-exclusively Christian European international community.35 Especially non-Christian entities, such as the Ottoman Empire and Persia, as well as Asiatic States such as China and Japan appeared as new powers on the international level. They were included in what Grewe referred to as ‘what was now fully and universally conceived of as the international legal community.’36 Subsequent to World War I, a ‘new law of nations’ began to evolve.37 At the Paris Peace Conference in 1919, the Covenant of the League of Nations (the Covenant), which was based on American President Woodrow Wilson’s Fourteen Points,38 attempted to ‘organise […] a universal family of nations.’39 The Covenant reflected the institutional design promoted by the German lawyer Walther Schücking40, who had – following the tradition of Kant – called for a republican organization of the world in the form of a Weltstaatenbund (world confederation).41 Rather than the League of Nations itself, the Covenant was predominantly concerned with the rights and obligations of its member States. Even so (and despite the fact that the United States never became a member), the League of Nations did represent a first step towards the institutionalization of the interna_____________ 34

Grewe (note 9), 429 ff. Grewe (note 9), 462 ff. 36 Grewe (note 9), 463. See also Ziegler (note 4), 176 f. 37 Grewe (note 9), 575. 38 In order to maintain international peace Wilson called for, inter alia, the formation of a ‘general association of nations […] under specific covenants for the purpose of affording mutual guarantees of political independence and territorial integrity to great and small states alike.’ See President Wilson’s Fourteen Points at http://avalon.law.yale. edu/20th_century/wilson14.asp, accessed 19 August 2016. 39 Jenks (note 23), 62. 40 From 1930–1935, Schücking was the first ever German judge at the Permanent Court of International Justice and he was also the Director of the oldest institute for public international law in Germany, the Institute for International Law at the University of Kiel. It was founded in 1914 and in 1995 was named after him to what is now known as Walther-Schücking-Institut für InternationalesRecht (Walther Schücking Institute for International Law). 41 Walther Schücking, Die Organisation der Welt, 1909, 79 ff. See also Frank Bodendiek, Walther Schückings Konzeption der internationalen Ordnung, 2001, 164 ff., 274 ff.; Martti Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations. The Rise and Fall of International Law 1870–1960, 2001, 216 ff. 35

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tional community of States.42 It also created the first permanent judicial body for settling inter-State disputes, in the form of the Permanent Court of International Justice (PCIJ). In its 1927 Lotus decision, the PCIJ alluded to an international community when referring to ‘international law as it is applied between all nations belonging to the community of States.’43 Preceding the Lotus decision, the PCIJ had also implicitly recognized that notion of a collective or community interest, by acknowledging that the League of Nations could make recommendations in areas where States have accepted its competence.44 These areas fell beyond the domestic (exclusive) jurisdiction of individual States and constituted part of the collective interest that affects all States.45

C. The International Community in the Modern Age In the wake of World War II, the institutionalization of the international community gained new momentum. In an era in which the Soviet Union and China established themselves as major powers alongside the United States, various international organizations were created by States for the purpose of realizing collective goals. The post-World War II period further witnessed a proliferation of judicial bodies which were created under international law in order to deal with inter-State claims; claims by individuals and juridical persons against States; as well as the prosecution of individuals for international crimes.46 These developments had consequences for the composition of the international community, the nature and scope of community interests, as well as the legal effects attached to (the violation of) these interests.47 Of particular importance in this regard was the creation of the United Nations in 1945. Through its almost universal ratification, the Charter of the United Nations (the Charter) has given new momentum to a community-oriented _____________ 42

Antonios Tzanakopoulos, The Permanent Court of International Justice and the “International Community”, in: Christian J. Tams/Malgosia Fitzmaurice (eds.), Legacies of the Permanent Court of International Justice, 2013, 341 f. See also Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 3rd edn. 1984, 66; von Arnauld (note 3), 10. 43 PCIJ, The Case of the S.S. “Lotus” (France v. Turkey), Judgment, PCIJ Reports 1927, Series A No. 10, 16. See also Tzanakopoulos (note 42), 344, note 27. 44 PCIJ, Nationality Decrees Issued in Tunis and Morocco, Advisory Opinion, PCIJ Reports 1923, Series B No. 4, 24 f.; Tzanakopoulos (note 42), 348. 45 Tzanakopoulos (note 42), 348. 46 Christopher Greenwood, The Role of the International Court of Justice in the Global Community, University of California Davis Journal of International Law and Policy 17 (2011), 233, 239 f.; Neff (note 7), 445 ff. 47 Cf. Armin von Bogdandy/Ingo Venzke, In wessen Namen? Internationale Gerichte in Zeiten globalen Regierens, 2014, 65 ff.

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understanding of the international legal system.48 In addition, its formal commitment to human rights in Articles 1 (3) and 55 of the Charter elevated the protection of human rights to a community interest. As is well known, Chapter VII of the Charter – combined with the precedence clause in Article 103 of the Charter – provides the United Nations Security Council (UNSC) with farreaching powers to respond to threats to the peace, including widespread and systematic human rights abuses.49 The limitations and concerns pertaining to these Chapter VII powers, in part due to the consequences of the veto power of the five permanent members, have been illuminated extensively in literature.50 Even so, it is undeniable that since the end of the Cold War, the UNSC has adopted various far-reaching measures in the interest of human rights protection that – according to Articles 25 and 48 of the Charter – are binding on all States. In doing so, it has highlighted the prominent role of the United Nations within the international community.51 Stated differently, the central role of the United Nations in international decision-making illustrates that membership in the international community in the modern era is no longer limited to States. Although States remain central to the process of international law-making, the international community also awards international organizations with legal personality.52 This first and foremost concerned the United Nations itself. Other examples of international organizations that constitute prominent members of the international community include the World Trade Organization (WTO), the European Union (EU), the African Union (AU) and the Organization of American States (OAS). The international community further consists of individuals to the extent that they possess international legal personality, for example in the context of global or regional systems for the protection of human rights, international investment dispute settlement and international criminal prosecution. _____________ 48 Thomas Franck, The Political and the Judicial Empires: Must there be a Conflict over Conflict-Resolution?, in: Najeeb Al-Nauimi/Richard Meese (eds.), International Legal Issues Arising under the United Nations Decade of International Law, 1995, 621, 627; Giorgio Gaja, The Protection of General Interests in the International Community, Recueil des Cours 364 (2012), 9, 28. 49 See generally Erika de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004. 50 See generally Bruno Simma et al. (eds.), The Charter of the United Nations, 3rd edn. 2012; Gaja (note 48), 29. 51 Tzanakopoulos (note 42), 353; Jure Vidmar, International Community and Abuses of Sovereign Powers, Liverpool Law Review 35 (2014), 193, 194. See also Gaja (note 48), 29, who underscores that the United Nations operates within the international community, rather than as a ‘form of general organization of the international community’. 52 See Dino Kritsiotis, Imagining the International Community, European Journal of International Law (EJIL) 13 (2002), 961, 967 ff.

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Such an inclusive view of the international community finds support in the Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ASR), which were adopted by the International Law Commission (ILC) in 2001. Initially, a number of governments had suggested that the phrase ‘the international community as a whole’ should read ‘the international community of States as a whole’. These States pointed, in particular, to the definition of peremptory norms in Article 53 of the two Vienna Conventions of 1969 and 1986, which uses that phrase in terms of the recognition of certain norms as having a peremptory character. The ILC, however, rejected this proposal on the grounds that whilst States belonged ex officio to the international community, such membership was no longer limited to States.53 I. The Recognition of Community Interests (Obligations erga omnes) While the existence of community interests was alluded to in the jurisprudence of the PCIJ,54 the ICJ – which is the successor to the PCIJ and, in accordance with Article 92 of the Charter, the principal judicial organ of the United Nations – explicitly endorsed the notion of community interests. In its Barcelona Traction decision of 1970, the ICJ distinguished between obligations of a State towards the international community as a whole, and those arising towards other (individual) States.55 As far as the former were concerned, all States could be held to have a legal interest in their protection, due to the importance of the obligations involved. Such obligations are thus obligations erga omnes.56 Subsequently, the ICJ has reaffirmed the notion on several occasions, including also its Advisory Opinions on Nuclear Weapons, the Construction of a Wall and Kosovo.57 However, in none of these Advisory Opinions did the erga omnes nature of the obligations in question form the basis of the decision. Furthermore, these Advisory Opinions did not engage in a systematic analysis _____________ 53

de Wet (note 3), 57. PCIJ, The Case of the S.S. “Lotus” (note 43). 55 ICJ, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain), Second Phase, ICJ Reports 1970, 3, 32. 56 ICJ, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (note 55), 32. 57 ICJ, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, ICJ Reports 1996, 226; ICJ, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, ICJ Reports 2004, 136, paras 15 ff.; ICJ, Accordance with International Law of the Unilateral Declaration of Independence in Respect of Kosovo, Advisory Opinion, ICJ Reports 2010, 403, paras 89 ff. See also Gleider I. Hernández, A Reluctant Guardian: The International Court of Justice and the Concept of ‘International Community’, The British Yearbook of International Law 83 (2013), 34 ff. 54

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of the different categories of obligations erga omnes, nor of their legal consequences. The ILC shed light on some of these issues in the ASR. In Articles 42 and 48 of the ASR, it drew a distinction between breaches of bilateral obligations and obligations of a collective (community) interest nature, which include obligations towards the international community as a whole.58 The ILC confirmed that breaches of obligations of a bilateral nature include situations where the performance of an obligation involves two individual States, even though the treaty framework or customary rule in question establishes obligations applicable to all States (parties).59 In such an instance, the nature of the obligations stemming from the multilateral treaty or customary rule can be described as ‘bundles of bilateral obligations’.60 An example would be Article 22 of the Vienna Convention on Diplomatic Relations of 1961, where the obligation to protect the premises of a diplomatic mission is owed by the individual receiving State to the individual sending State.61 Breaches of a collective nature, on the other hand, concern obligations that have been established for the protection of the collective interest of a group of States (erga omnes partes) or indeed of the international community as a whole (erga omnes).62 There is strong support in doctrine for the submission that examples of erga omnes (partes) obligations can be found, in particular, in human rights treaties. Obligations stemming from regional or universal human rights treaties would have erga omnes partes effect towards other States parties, as well as erga omnes effect to the extent that they have been recognized as customary international law.63 The same would apply to the obligations articulated in the Statute of the International Criminal Court (ICC) granting the ICC jurisdiction over the most serious crimes of concern to the ‘international commu_____________ 58

See Arts 42 and 48 of the Articles on State Responsibility available in: James Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, 2002, 257. 59 Crawford (note 58), 257. 60 Crawford (note 58), 258. 61 See e.g. ICJ, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran (United States of America v. Iran), Judgment, ICJ Reports 1980, 3. See also Crawford (note 58), 257 f. 62 Crawford (note 58), 277. 63 Crawford (note 58), 277 f.; Pierre-Marie Dupuy, L’unité de l’ordre juridique international, Recueil des Cours 297 (2002), 9, 382, 384; Institut de Droit International (IDI), The Protection of Human Rights and the Principle of Non-intervention in Internal Affairs of States, 13 September 1989, Art. 1, http://www.justitiaetpace.org/idiE/resolu tionsE/1989_comp_03_en.PDF, accessed 19 August 2016. See Human Rights Committee, General Comment No. 31 [80]. The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant, 26 May 2004, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/ Add.13, para. 2.

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nity as a whole’, namely genocide, crimes against humanity, war crimes and aggression.64 Similarly, the concept of sustainable development is a collective interest norm, as it requires States to take account of the interests of future generations when adopting environmental and economic policies.65 However, it is disputed whether this norm has already acquired customary status.66 The United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS) also, in some respects, contains erga omnes partes obligations.67 For example, the seabed and ocean floor that stretches beyond the limits of the national jurisdiction constitute the ‘common heritage of mankind.’68 A disputed area of erga omnes obligations includes those pertaining to trade liberalization. It remains highly disputed whether WTO obligations are ‘bundles of bilateral obligations’ rather than erga omnes partes in nature.69

_____________ 64 Erga omnes (partes) obligations are often articulated in terms that refer to the common interest of mankind, see Rüdiger Wolfrum, Enforcing Community Interests through International Dispute Settlement: Reality or Utopia?, in: Ulrich Fastenrath et al. (eds.), From Bilateralism to Community Interest. Essays in Honour of Judge Bruno Simma, 2011, 1132, 1134. 65 The notion ofs ustainable development was one of the most important outcomes of the United Nations Conference on Environment and Development (Earth Summit) in Rio de Janeiro in 1992, see Michael Cottier, Die Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Normen im innerstaatlichen Bereich als Ausprägung der Konstitutionalisierung des Völkerrechts, Schweizerische Zeitschrift für internationales und europaïsches Recht 9 (1999), 403, 432 ff.; Wolfrum (note 64), 1135 f. 66 See Catherine Redgwell, International Environmental Law, in: Malcom D. Evans (ed.), International Law, 4th edn. 2014, 688, 697; Wolfrum (note 64), 1136. The nature of sustainable development remains a controversial issue. For support of its customary erga omnes nature, see Separate Opinion of Vice-President Weeramantry in ICJ, GabþíkovoNagymaros Project (Hungary v. Slovakia), ICJ Reports 1997, 7. See also Wolfrum (note 64) according to whom the community-oriented nature of environmental obligations was first recognized in the Stockholm Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment, 5–16 June 1972, UN Doc. A/CONF.48/14/Rev.1, para. 6. 67 Wolfrum (note 64), 1136. 68 Arts. 136 and 137 of the United Nations Convention on the Law of the Sea (adopted 10 December 1982, entered into force 16 November 1994), 1833 UNTS 3 (UNCLOS); Wolfrum (note 64), 1136. 69 See in particular Joost Pauwelyn, A Typology of Multilateral Treaty Obligations: Are WTO Obligations Bilateral or Collective in Nature?, EJIL 14 (2003), 907 ff.; ErnstUlrich Petersmann, Time for a United Nations ‘Global Compact’ for Integrating Human Rights into the Law of Worldwide Organizations: Lessons from European Integration, EJIL 13 (2002), 621, 636 ff.; id., The WTO Constitution and Human Rights, Journal of International Economic Law 3 (2000), 19 ff.

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II. The Relationship between ius cogens and Obligations erga omnes The concept of peremptory norms of international law (ius cogens) was developed, in particular, in the work of the ILC on the law of treaties,70 and afterward transformed into positive law by the Vienna Convention on the Law of Treaties of 196971 (VCLT). As is well known, Article 53 of the VCLT reads as follows: A treaty is void if, at the time of its conclusion, it conflicts with a peremptory norm of general international law. For the purposes of the present Convention, a peremptory norm of general international law is a norm accepted and recognized by the international community of States as a whole as a norm from which no derogation is permitted and which can be modified only by a subsequent norm of general international law having the same character.

On top of that, Article 64 of the VCLT declares that ‘[if] a new peremptory norm of general international law emerges, any existing treaty which is in conflict with that norm becomes void and terminates.’72 The notion of peremptory norms of international law thus developed within the treaty context for the purpose of treaty invalidation. However, it has subsequently been invoked and recognized beyond this context.73 In fact, it is in particular due to the invocation of the concept in other areas of international law that has resulted in the identification of a limited number of peremptory norms

_____________ 70

Gaja (note 48), 47. Vienna Convention on the Law of Treaties (adopted 22 May 1969, entered into force 27 January 1980), 1155 UNTS 331 (VCLT). 72 The definition in the VCLT was influenced, in particular, by the work of Alfred Verdross, who himself was strongly influenced by natural law. Following Verdross’ line of reasoning, general principles of morality or public policy common to the legal orders of civilized States would constitute a limitation on contradicting treaty obligations. In his view, immoral treaties would include those preventing the ‘maintenance of law and order within the states, defense against external attacks, care for the bodily and spiritual welfare of citizens at home, [and] the protection of citizens abroad’, see Alfred Verdross, Forbidden Treaties in International Law, American Journal of International Law (AJIL) 31 (1937), 571, 572, 574. See also id., Jus Dispositivum and Jus Cogens in International Law, AJIL 60 (1966), 55, 56. 73 See extensively Gaja (note 48), 47 ff. On page 52, he noted that the ILC subsequently gave peremptory norms a more general relevance in relation to circumstances precluding wrongfulness, countermeasures and in relation to serious breaches of international law. See also Erika de Wet, The Prohibition of Torture as an International Norm of jus cogens and Its Implications for National and Customary Law, EJIL 15 (2004), 97, 98 f. 71

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by judicial bodies and in doctrine.74 According to the ILC, the most frequently cited candidates for ius cogens status include: (a) the prohibition of aggressive use of force;75 (b) the right to self-defence; (c) the prohibition of genocide; (d) the prohibition of torture; (e) crimes against humanity; (f) the prohibition of slavery and the slave trade; (g) the prohibition of piracy; (h) the prohibition of racial discrimination and apartheid, and (i) the prohibition of hostilities directed at civilian population (“basic rules of international humanitarian law”).76

In this context, one has to remember that Article 53 of the VCLT did not identify any norms having peremptory status. This relates to the fact that at the time of its adoption the concept was regarded with suspicion by some Western countries (notably France77), while enjoying more support amongst the (then) socialist and newly independent States.78 Article 53 of the VCLT was thus negotiated to leave it to the ‘international community as a whole’ to identify those international law norms belonging to the category of ius cogens. This process of identification has lead to much debate. According to one line of reasoning, ius cogens obligations are not grounded within the law itself, but in metaphysical principles of justification.79 Peremptory obligations are regarded as a manifestation of the fundamental values of the international community, which exist independently from the will of States.80 This line of reasoning is reminiscent of the natural law thinking of the seventeenth and eighteenth century and vulnerable to arbitrary conclusions as to what constitutes the underlying values the _____________ 74

Gaja (note 48), 52. Gaja (note 48), 59, who suggested that in ICJ, Accordance with International Law of the Unilateral Declaration of Independence in Respect of Kosovo (note 57), para. 81, the ICJ implicitly characterized the prohibition of the use of force as a peremptory norm. 76 ILC, Report of the Study Group on Fragmentation of International Law. Difficulties arising from the Diversification and Expansion of International Law, 13 April 2006, UN Doc. A/CN.4/L.682, para. 374. See also ILC, Report on the Work of its Sixty-Third Session, 26 April–3 June and 4 July–12 August 2011, UN GAOR 66th Session, UN Doc. A/66/10 and Add.1, Draft Articles on the Responsibility of International Organizations, Commentary on Art. 26, 120 f.; ILC, Report on the Work of its Fifty-Third Session, 23 April–1 June and 2 July–10 August 2001, UN GAOR 56th Session, UN Doc. A/56/10, Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, Commentary on Art. 40, 283 f., paras 4 ff. 77 France has still not ratified the VCLT in large part due to opposition to ius cogens. 78 Eric Suy, Article 53: Treaties conflicting with a peremptory norm of general international law (‘jus cogens’), in: Oliver Corten/Pierre Klein (eds.), The Vienna Conventions on the Law of Treaties, 2011, Vol. II, 1224, 1225. See also Jure Vidmar, Norm Conflicts and Hierarchy in International Law: Towards a Vertical International System?, in: Erika de Wet/Jure Vidmar (eds.), Hierarchy in International Law. The Place of Human Rights, 2012, 13, 26. 79 Hernández (note 57), 38 f. 80 ILC, Report of the Study Group on Fragmentation of International Law (note 76), para. 361. 75

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international community.81 On the one hand, it is true that the purpose of invalidating treaties that conflict with peremptory norms would be the protection of the most fundamental values of the international community.82 Peremptory norms therefore do represent core values of the international community.83 On the other hand, attempts to determine (norms representing) these values independently from the will of States lead to arbitrary conclusions, depending on one’s own perception of fundamental values.84 The better view is that in order to acquire peremptory status, a norm first has to be recognized as customary international law, whereafter the international community of States as a whole further agrees that it is a norm from which no derogation is permitted.85 A peremptory norm would therefore be subject to ‘double acceptance’ by the international community of States as a whole.86 The link between peremptory norms and customary international law is clearly depicted in Articles 53 and 64 of the VCLT, which refer four times to peremptory norms as a ‘norm of general international law’.87 Although it does not require a consensus amongst all States (and one single State would not be able to block the recognition of a peremptory norm), the threshold for gaining peremptory status is high, as it requires at least the acceptance of a large majority of States. The fact that complete consensus amongst States is not a requirement for the emergence of a peremptory norm further implies that the (very small number of) States not in agreement can nonetheless be bound against their will by peremptory obligations.88 For example, the claim of South Africa’s government that it was a persistent objector to the prohibition of racial discrimination and apartheid was universally rejected with the argument that peremptory law does not exempt persistent objectors.89 In the case of a peremptory norm, the will of an individual State can be overruled by the _____________ 81

Gaja (note 48), 53 f. See supra, note 72. 83 See Pierre-Marie Dupuy, Some Reflections on Contemporary International Law and the Appeal to Universal Values: A Response to Martti Koskenniemi, EJIL 16 (2005), 131, 133. 84 Gaja (note 48), 54. 85 Dinah Shelton, Normative Hierarchy in International Law, AJIL 100 (2006), 291, 300. It is, of course, possible that a norm of ius cogens finds its way into a treaty, as is the case with most of the obligations on the International Law Commission’s list referred to above. 86 Vidmar (note 78), 25. 87 Gaja (note 48), 54 f. 88 Vidmar (note 78), 26. 89 Vidmar (note 78), 26. 82

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collective will, underpinned by the fundamental values of the international community of States.90 The first time that the ICJ referred explicitly to ius cogens in a majority opinion was in Congo v. Rwanda in 2006.91 Earlier decisions, though, contain implicit references to peremptory norms. The Nicaragua decision, for instance, referred to the principle of use of force as ‘cardinal principle’ of customary international law.92 Moreover, the Barcelona Traction decision provides authority for the conclusion that ius cogens obligations would have erga omnes effect.93 Without expressly referring to ius cogens, the ICJ implied as much by the types of obligations it mentioned as examples of erga omnes norms. These included the out-lawing of the unilateral use of force, genocide and the prohibition of slavery and racial discrimination. Given the fact that these same prohibitions come widely regarded as being of a peremptory nature, it follows that when an obligation is recognized as one from which no derogation is permitted due to its fundamental nature, all States (and also other subjects of international law) have a legal interest in its protection.94 Peremptory norms therefore embody community interests of a fundamental nature. One should nonetheless be careful not to assume that the opposite also applies, namely that all erga omnes obligations necessarily also have ius cogens status.95 For example, the human rights obligations contained in the International Covenant on Civil and Political Rights and in the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights would arguably all have erga omnes effect to the extent that they have acquired customary international law status.96 Their collective interest nature gives the international community as a whole an interest in their performance and reflects that they amount to more than mere _____________ 90

See Shelton (note 85), 299, who also notes that the notion of ius cogens deviates from the notion of a strictly voluntarist view of international law. 91 See ICJ, Armed Activities on the Territory of the Congo (New Application: 2002) (Democratic Republic of the Congo v. Rwanda), Jurisdiction and Admissibility, ICJ Reports 2006, 6, 32. 92 ICJ, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, ICJ Reports 1986, 14, 100, para. 190. 93 ICJ, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (note 55), 32. 94 ICJ, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (note 55), 32; Jochen A. Frowein, Collective Enforcement of International Obligations, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 47 (1987), 67, 71; Gaja (note 48), 55; Hernández (note 57), 41 ff. 95 Dupuy (note 63), 385; Gaja (note 48), 56. 96 Those rights in the International Covenant on Civil and Political Rights and in the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, which have not yet acquired customary law status, would nonetheless have erga omnes partes effect towards other States parties.

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‘bundles of bilateral obligations’. At the same time, this fact does not in and of itself elevate all erga omnes human rights obligations to peremptory norms. The peremptory character of the prohibition of, for example, genocide and torture resulted from their specific recognition as such by a large majority of States. Finally, it is worth noting that the purpose of ius cogens is different from that of obligations erga omnes. While the peremptory status of a norm can result in the invalidity of conflicting (treaty) obligations and establish a hierarchy amongst international obligations, the erga omnes nature of a particular obligation can result in the invocation of international responsibility.97

D. The Enforcement of Community Interests The issue of the invocation of responsibility in case of the violation of obligations erga omnes raises the question of the enforceability of community interests. In other words, having determined that there are certain legal obligations in the observance of which all States have a legal interest, the question is whether avenues exist for their enforcement ‘on behalf of the international community’. In answering this, one should distinguish between (decentralized) measures undertaken by individual States or groups of States and judicial enforcement measures. Within the latter category, one further needs to distinguish between enforcement by a judicial body with general substantive jurisdiction, namely the ICJ, and enforcement by functional judicial bodies with limited substantive jurisdiction. The International Tribunal for the Law of the Sea (ITLOS) is one such example. I. Decentralized Enforcement by (Groups of) States The first avenue through which erga omnes status can impact the enforcement of the obligations in question concerns Article 48 of the ASR, which has created a system of responsibility for serious violations of international obligations towards the international community as a whole (erga omnes). In accordance with Article 48 (1) (b) of the ASR, States other than injured States are entitled to invoke responsibility of other States where that obligation breached is owed to the international community as a whole. When invoking responsibility in this fashion, the invoking State may claim from the responsible State cessation of the internationally wrongful act, as well as performance of the obligation or reparation in the interest of the beneficiaries. _____________ 97

James Crawford, Responsibility for Breaches of Communitarian Norms: an Appraisal of Article 48 of the ILC Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, in: Fastenrath et al. (note 64), 224, 230.

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The right to claim cessation and performance is a modest mechanism for enforcement of the most fundamental obligations in international law. After all, so-called serious violations of international law would first and foremost include violations of peremptory obligations. The question therefore arises whether non-injured States may also adopt countermeasures against the responsible State, such as economic sanctions in the case of serious violations of international law. This issue remains controversial, as Articles 49 and 52 of the ASR limit the countermeasures to be undertaken in accordance with the ASR to injured States.98 At the same time, however, Article 54 of the ASR determines that the chapter on countermeasures does not prejudice the right of any State, entitled under Article 48, paragraph 1, to invoke the responsibility of another State, to take lawful measures against that State to ensure cessation of the breach and reparation in the interest of the injured State or of the beneficiaries of the obligation breached.

The inclusion of Article 54 of the ASR suggests that while Articles 49 and 52 of the ASR are only concerned with injured States, international customary and/or treaty law may still provide for countermeasures by non-injured States in the case of a violation of obligations erga omnes.99 Support for this position can be found in the ICJ’s Advisory Opinion on the Construction of a Wall. When referring to the Israeli violations of obligations erga omnes regarding the right of self-determination of the Palestinian people and certain obligations under international humanitarian law, the ICJ underscored the positive obligations of the members of the international community to take lawful measures in order to bring these violations to an end. It thus urged States to adopt measures going beyond non-recognition as provided for in Article 41 (2) of the ASR.100 Other examples of countermeasures by non-injured States for the violation of obligations erga omnes include the oil boycott by Arab countries in 1973–1974 in response to Israel’s occupation of the West Bank and Jerusalem; the freezing of funds of the Federal Republic of Yugoslavia and the non-performance of bilateral aviation agreements by EU member States in reaction to human rights violations in Kosovo in 1998; as well as the freezing of assets of members of the Zimbabwean government by EU member _____________ 98

See Pierre-Marie Dupuy, Back to the Future of a Multilateral Dimension of the Law of State Responsibility for Breaches of ‘Obligations Owed to the International Community as a Whole’, EJIL 23 (2012), 1059, 1062. 99 Gaja (note 48), 130. This position is also supported by the IDI in as far as it concerns non-forcible countermeasures, see IDI, Obligations Erga Omnes in International Law, 27 August 2005, Art. 5 (c), http://www.justitiaetpace.org/idiE/resolutionsE/2005_ kra_01_en.pdf, accessed 19 August 2016. 100 ICJ, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory (note 57), para. 159 f.; Crawford (note 97), 233.

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and other States in response to human rights violations in 2003.101 Similarly, the sanctions by the EU and the United States against Russia in 2014 in response to the annexation of Crimea can arguably be justified as countermeasures in terms of Article 54 of the ASR. Finally, it is worth mentioning that Article 49 (3) of the Draft Articles on Responsibility of International Organizations (DARIO) includes a provision similar to Article 54 of the ASR. Article 49 (3) of the DARIO does, however, limit the invocation of responsibility of an international organization by other international organizations for breaches of obligations erga omnes to situations where the functions of the organization in question include the safeguarding of the respective community interest that underlies the obligation breached.102 A practical impediment to the application of Article 49 (3) of the DARIO remains the lack of dispute resolution mechanisms before which such organizations could bring claims of this nature.103 II. Judicial Enforcement Through the International Court of Justice Despite the proliferation of judicial bodies in current international law, the ICJ has certain features that set it apart in terms of universality. It is the principal judicial organ of the United Nations and any member State can bring a case before it, as well as participate in the election of the judges through voting in the General Assembly.104 Since its inception, almost 100 States from all regions of the world have brought cases before the ICJ and/or participated in Advisory Opinion proceedings. Besides, unlike any specialized (functional) international judicial body, the ICJ has substantive jurisdiction over the whole field of international law.105 These distinguishing features create the expectation that the ICJ will play a significant role in the enforcement of international law, including obligations towards the international community as a whole.106 In reality, however, the ICJ _____________ 101

See Gaja (note 48), 129. See also Dupuy (note 98), 1062. Crawford (note 97), 232; Gaja (note 48), 106, noted that although the Draft Articles on Responsibility of International Organizations (DARIO) do not address the case of international organizations invoking the responsibility of a State for violating obligations erga omnes, it should, in principle, be possible for organizations to invoke the responsibility of such States where the conditions of Art. 49 (3) of the DARIO are met. 103 Crawford (note 97), 232, 346. 104 Greenwood (note 46), 241. 105 Greenwood (note 46), 241 f. 106 Hernández (note 57), 58. A broader role for the ICJ is, however, envisaged in Separate Opinions of recent cases, see e.g. the Separate Opinion of Judge Simma in ICJ, 102

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has been reluctant to see itself as an institution responsible for the progressive enforcement of community interests. It has thus far acknowledged the notion of either ius cogens or erga omnes in only eight of its majority decisions.107 In most of these decisions, the recognition of the concept was essentially rhetorical (symbolic) or obiter dictum and was not decisive for the case at issue.108 Instead, the ICJ prefers to rely on technical and narrowly tailored grounds for answering questions before it.109 The ICJ’s reluctance to serve as guardian of community interests manifested itself, in particular, in its initial narrow interpretation of the notion ‘legal interest’. As is well known, the ICJ gave a very restrictive interpretation of ‘legal interest’ in the South West Africa decision of 1966. At the time, it was unwilling to assume that a State may have a legal interest in vindicating a principle of international law where it has not suffered material damages – unless this was explicitly provided for in an international text or instrument.110 In the absence of a legal interest in this restrictive sense, a State could not claim standing before the ICJ. This cautious approach formed a contrast with that of the PCIJ, the predecessor to the ICJ. In 1923, the notion of communitarian interests was invoked before the PCIJ in the Wimbledon case that concerned the right of passage

_____________

Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment of 6 November 2003, ICJ Reports 2003, 161, 327 f. 107 These are in chronological order: ICJ, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (note 55); ICJ, East Timor (Portugal v. Australia), Judgment, ICJ Reports 1995, 90; ICJ, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia), Preliminary Objections, ICJ Reports 1996, 595; ICJ, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory (note 57); ICJ, Armed Activities on the Territory of the Congo (note 91); ICJ, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgment of 26 February 2007, ICJ Reports 2007, 43; ICJ, Application of the International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (Georgia v. Russian Federation), Preliminary Objections, ICJ Reports 2011, 70; ICJ, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), Judgment, ICJ Reports 2012, 99; ICJ, Questions relating to the Obligation to Prosecute or Extradite (Belgium v. Senegal), Merits, ICJ Reports 2012, 422 [hereinafter Habré]. 108 Hernández (note 57), 30 ff. 109 Gordon (note 2), 326. 110 ICJ, South West Africa (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa), Second Phase, ICJ Reports 1966, 6, para. 44. At para. 88, the ICJ further underscored that Art. 38 (1) (c) of the ICJ Statute did not provide for an actio popularis (public interest claim) that would allow any members of the international community to initiate proceedings in vindicating the violation of community interests. See also Hernández (note 57), 30 ff.

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through the Kiel Canal.111 The case concerned Germany’s denial of entry into the Kiel Canal to the Wimbledon which carried arms and munitions destined for Poland. Germany based its refusal to allow passage on its Neutrality Orders pertaining to the Russo-Polish war. The United Kingdom, France, Italy and Japan claimed that such refusal violated their right to passage in accordance with Article 380 of the Treaty of Versailles, which guaranteed passage to vessels of commerce and war to all nations at peace with Germany. The PCIJ allowed the claim, concluding that the Kiel Canal ‘has been permanently dedicated to the use of the whole world’.112 In coming to this conclusion, the PCIJ gave a progressive interpretation of the relevant standing provisions of the Treaty of Versailles. Article 386 (I) of the Treaty of Versailles determined that in the event of a violation of any of the conditions in Articles 380 to 386 of the Treaty of Versailles, or in the event of a dispute pertaining to their interpretation, ‘any interested Power can appeal to the jurisdiction instituted for the purpose by the League of Nations.’113 The PCIJ interpreted this rather vague wording progressively, granting standing to the United Kingdom, France, Italy and Japan. Unlike Italy or Japan, the United Kingdom (as the flag State) and France (as the State of incorporation of the firm that chartered the ship) could claim a direct (material) interest in the case.114 However, the PCIJ interpreted Article 386 (I) of the Treaty of Versailles as establishing a general interest for all parties possessing fleets and merchant vessels flying their respective flags, regardless of whether their pecuniary interests were affected.115 The PCIJ was hence willing to admit standing of individual States in the general interest by means of a progressive interpretation of a vague standing provision.116 The ICJ took a first step towards a more progressive interpretation of the notion of ‘legal interest’ in the Barcelona Traction case, when formally recogniz_____________ 111

PCIJ, Case of the S.S. “Wimbledon” (United Kingdom, France, Italy, Japan v. Germany: Poland intervening), Judgment of 17 August 1923, PCIJ Reports 1923, Series A No. 1, 22, 28; Crawford (note 97), 228. 112 PCIJ, Case of the S.S.“Wimbledon” (note 111), 28; Crawford (note 97), 228. 113 Cited in PCIJ, Case of the S.S. “Wimbledon” (note 111), 20. See also Mariko Kawano, Standing of a State in the Contentious Proceedings of the International Court of Justice, Japanese Yearbookof International Law 55 (2012), 208, 221 f. 114 Tzanakopoulos (note 42), 356. 115 PCIJ, Case of the S.S. “Wimbledon” (note 111), 20. 116 Tzanakopoulos (note 42), 356 f. See also PCIJ, Interpretation of the Statute of the Memel Territory, Preliminary Objection, PCIJ Reports 1932, Series A/B No. 47, 247, 249; PCIJ, Interpretation of the Statute of the Memel Territory, Judgment, PCIJ Reports 1932, Series A/B No. 49. The applicants claimed (and were granted) a general interest in the status of the territory on the basis of the terms of the treaty.

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ing the existence of obligations erga omnes.117 However, the recognition of the notion of community-oriented obligations was not decisive for the decision and the implications of such recognition for the purpose of standing were not addressed. Some 20 years later, in the 1995 Case Concerning East Timor (Portugal v. Australia), there were implicit indications that the ICJ may have broadened its understanding of ‘legal interest’ – despite the fact that it declined to rule on whether Australia had behaved unlawful in concluding a treaty with Indonesia pertaining to the East Timorese continental shelf (while East Timor was de facto administered by Indonesia). Although Portugal and Australia had accepted the ICJ’s compulsory jurisdiction in accordance with Article 36 (2) of the ICJ Statute, a ruling in this case would simultaneously have resulted in a ruling on the lawfulness of the behaviour of a third State (Indonesia), which had not consented to the ICJ’s jurisdiction. This, in turn, would have constituted a violation of the ICJ Statute which only foresees jurisdiction in instances where States had voluntarily subjected themselves to it.118 In reaching this conclusion, the ICJ acknowledged the erga omnes status of the right to self-determination and, in particular, also the right of selfdetermination of the East Timorese people.119 The ICJ, nonetheless, underscored that regardless of the nature of the obligations invoked, it could only rule on the lawfulness of the conduct of a State which had consented to its jurisdiction.120 The ICJ thus made clear that the erga omnes status of a right did not in and of itself oblige States to accept its jurisdiction. However, implicit in the ICJ’s argument was the assumption that if Indonesia had accepted the ICJ’s jurisdiction, Portugal would have been able to invoke the right of selfdetermination of the East Timorese people against Indonesia before the ICJ. Portugal would thus have had a legal interest in the protection of the right of self-determination of the East Timorese people, on the basis of the erga omnes character of this right. This, in turn, constituted an implicit recognition of a broadening of the notion of ‘legal interest’ for the purposes of standing before the ICJ.121 An expanded notion of ‘legal interest’ has since been endorsed explicitly in the decision on Questions relating to the Obligation to Prosecute or Extradite (Belgium v. Senegal), also known as the Habré case.122 In deciding whether Sene_____________ 117

ICJ, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (note 55), 32. See also ICJ, East Timor (note 107), 102. 119 ICJ, East Timor (note 107), 102 f. 120 ICJ, East Timor (note 107), 102. See also Hernández (note 57), 48. 121 See Erika de Wet, Jus Cogens and Obligations Erga Omnes, in: Dinah Shelton (ed.), The Oxford Handbook of International Human Rights Law, 2013, 541, 556 f. 122 ICJ, Habré (note 107). See also Separate Opinion of Judge Simma in ICJ, Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), 118

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gal has breached its obligations under the Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment of 10 December 1984 (the Convention against Torture), in accordance with which it either had to prosecute former Chadian President Hissène Habré without delay or had to extradite him, the issue of Belgium’s standing before the ICJ arose. Belgium relied both on the compromissory clause in Article 30 (1) of the Convention against Torture and on the declarations made by both parties under Article 36 (2) of the ICJ Statute.123 In confirming Belgium’s standing, the ICJ determined that all State parties to the Convention against Torture had a common interest in compliance with the obligation to initiate prosecution by the State on whose territory an alleged offender was present. This common interest implies that the obligations in question are owed by any State party to all the other States parties to the Convention against Torture. All the States parties had a ‘legal interest’ in the protection of these ‘obligations erga omnes partes’.124 Therefore, each State party to the Convention against Torture can make a claim concerning the cessation of an alleged breach by another State party, without proving any special interest.125 It is noteworthy that this broadened notion of ‘legal interest’ for the purposes of standing first and foremost concerned States parties to the Convention against Torture. The ICJ tailored its decisions towards the common interest of the parties to the Convention against Torture and explicitly referred to erga omnes partes obligations. It remains to be seen whether the ICJ would also allow standing in situations where States base their claims exclusively on the fact that customary international law of a community-oriented nature had been violated. Such a claim would then be based on the erga omnes proper character of the international obligation at stake. A claim of this nature would, however, only have a chance of succeeding between States which have both accepted the compulsory jurisdiction of the ICJ in terms of Article 36 (2) of the ICJ Stat_____________

Judgment, ICJ Reports 2005, 168, paras 38 ff.; Alain Pellet, The New Draft Articles of the International Law Commission on the Responsibility of States for International Wrongful Acts: A Requiem for States’ Crime?, Netherlands Yearbook of International Law 32 (2001), 55, 77. 123 ICJ, Habré (note 107), para. 42. 124 ICJ, Habré (note 107), para. 68. 125 ICJ, Habré (note 107), para. 69. See a similar line of reasoning in the Separate Opinion of Judge Simma (note 122), para. 35. See also Crawford (note 97), 235, who noted that Australia, in its institution of proceedings against Japan concerning the whaling in the Antarctic, invoked an obligation erga omnes partes under the International Convention for the Regulation of Whaling. However, its formal base for jurisdiction was Art. 36 (2) of the ICJ Statute and the respective declarations pertaining to compulsory jurisdiction by the two countries. See ICJ, Whaling in the Antarctic (Australia v. Japan: New Zealand intervening), Judgment, ICJ Reports 2014, 226, paras 30 ff.

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ute.126 In the Habré decision, the ICJ refrained from addressing this issue and focused instead on the fact that both Senegal and Belgium are parties to the Convention against Torture.127 The ICJ may, nonetheless, soon have to confront the issue whether the violation of an erga omnes proper obligation as such provides a sufficient legal interest for the purposes of standing, in a situation where all parties have (in principal) accepted its compulsory jurisdiction. In April 2014, the Republic of the Marshall Islands instituted proceedings before the ICJ against India, Pakistan and the United Kingdom respectively.128 The focus of the applications concerns the alleged failure of these countries to fulfil their obligations under customary international law, as enshrined in Article VI of the 1968 Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT),129 which stipulates that [e]ach of the Parties to the Treaty undertakes to pursue negotiations in good faith on effective measures relating to cessation of the nuclear arms race at an early date and to nuclear disarmament, and on a treaty on general and complete disarmament under strict and effective international control.

Although the Marshall Islands and the United Kingdom are party to the NPT while India and Pakistan are not, they claim that the obligation in Article VI of the NPT, in accordance with which parties undertake to pursue in good faith _____________ 126 The ICJ can only exercise jurisdiction over disputes if and to the extent that States have accepted its jurisdiction in accordance with Art. 36 (1) or Art. 36 (2) of the ICJ Statute. This condition is not affected by the broadening of the notion of ‘legal interest’. Even so, Gaja (note 48), 112, suggested that the existence of a judicial remedy, based on consent, available to a State to whom an obligation erga omnes is owed when seeking compliance with the obligation on behalf of the international community, can be defined as an actio popularis. 127 See Hernández (note 57), 49, according to whom the ICJ based the judgment on the narrowest possible interpretation of erga omnes obligations. 128 ICJ, Obligations concerning Negotiations relating to Cessation of the Nuclear Arms Race and to Nuclear Disarmament (Marshall Islands v. India), Application instituting proceedings against the Republic of India, 24 April 2014, Pending, http://www.icj-cij.org/docket/ files/158/18292.pdf, accessed 19 August 2016 [hereinafter Marshall Islands v. India]; ICJ, Obligations concerning Negotiations relating to Cessation of the Nuclear Arms Race and to Nuclear Disarmament (Marshall Islands v. Pakistan), Application instituting proceedings against the Islamic Republic of Pakistan, 24 April 2014, Pending, http://www.icj-cij.org/ docket/files/159/18294.pdf, accessed 19 August 2016 [hereinafter Marshall Islands v. Pakistan]; ICJ, Obligations concerning Negotiations relating to Cessation of the Nuclear Arms Race and to Nuclear Disarmament (Marshall Islands v. United Kingdom), Application instituting proceedings against the United Kingdom, 24 April 2014, Pending, http://www.icj-cij. org/docket/files/160/18296.pdf, accessed 19 August 2016 [hereinafter Marshall Islands v. United Kingdom]. 129 See ICJ, Marshall Islands v. India (note 128), paras 2, 57 ff.; ICJ, Marshall Islands v. Pakistan (note 128), paras 2, 52 ff.; ICJ, Marshall Islands v. United Kingdom (note 128), paras 2, 100 ff.

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and bring to conclusion negotiations leading to nuclear disarmament, constitutes customary international law.130 In addition, the Marshall Islands submitted that this obligation was of an erga omnes nature and owed to the international community as a whole. As a result, every ‘State has a legal interest in its timely performance […] and a corresponding legal obligation to help bring it about.’131 According to the Marshall Islands, the three countries in question have – through their conduct – acted contrary to the objective of nuclear disarmament and breached their customary law obligation.132 Whether the ICJ will accept that an erga omnes customary obligation to bring about nuclear disarmament in the manner argued by the Marshall Islands exists, remains to be seen. Additionally, the question arises whether the ICJ indeed has jurisdiction in relation to these respective disputes, in light of the various subjective matter reservations that India, Pakistan and the United Kingdom made when accepting the ICJ’s compulsory jurisdiction.133 Even so, the proceedings do, in principle, present the ICJ with an opportunity to acknowledge that where the violation of an obligation erga omnes proper is at stake, the legal interest of States (that have accepted the compulsory jurisdiction of the ICJ)134 is a given for the purpose of standing. Ultimately, it is worth emphasizing that the ius cogens status of a particular erga omnes obligation does not (yet) in and of itself provide jurisdiction before the ICJ, nor does it have any other ‘automatic’ effect.135 While the ICJ may be in the process of broadening its definition of ‘legal interest’ for the purpose of standing, it can only do so in disputes between States which have indeed ac_____________ 130

ICJ, Marshall Islands v. India (note 128), paras 41 ff.; ICJ, Marshall Islands v. Pakistan (note 128), paras 36 ff.; ICJ, Marshall Islands v. United Kingdom (note 128), paras 86 ff. 131 ICJ, Marshall Islands v. India (note 128), para. 40; ICJ, Marshall Islands v. Pakistan (note 128), para. 35; ICJ, Marshall Islands v. United Kingdom (note 128), para 85. 132 ICJ, Marshall Islands v. India (note 128), paras 21 ff., 58, 60; ICJ, Marshall Islands v. Pakistan (note 128), paras 21 ff., 53; 55; ICJ, Marshall Islands v. United Kingdom (note 128), paras 24 ff., 104 ff. 133 For a list of declarations and accompanying reservations, see http://www.icj-cij. org/jurisdiction/?p1=5&p2=1&p3=3, accessed 19 August 2016. 134 So far, 72 States have recognized the compulsory jurisdiction of the ICJ. See for the list comprising these States at http://www.icj-cij.org/jurisdiction/?p1=5&p2=1& p3=3, accessed 19 August 2016. 135 In ICJ, Habré (note 107), para. 99, the ICJ did, in passing, refer to the peremptory status of the prohibition of torture. However, the peremptory status did not feature, in relation to its reasoning, pertaining to the erga omnes partes nature of the obligations in the Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (Convention against Torture). Instead, it based the common legal interest of countries in prosecuting torture on the shared values embodied in the Convention against Torture.

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cepted the ICJ’s jurisdiction as provided for in Article 36 of the ICJ Statute. The fact that a violation of a peremptory obligation is at issue does not in and of itself compensate for the absence of such acceptance.136 Moreover, the majority of the ICJ judges do not (yet) seem to be convinced that peremptory norms would weigh heavier than procedural barriers under international law that regulates admissibility and jurisdiction. Stated differently, disputes concerning the violation of the prohibition of peremptory norms cannot (implicitly) provide a basis for jurisdiction which they would otherwise not possess, neither do they automatically set aside procedural requirements for or impediments to such jurisdiction. The prohibition of genocide, for instance, cannot establish access to the ICJ in contravention of the requirements of Article 36 (1) of the ICJ Statute.137 The peremptory character of these prohibitions also does not automatically invalidate an otherwise valid reservation to the ICJ’s jurisdiction. Similarly, the ICJ did not accept that a peremptory obligation can displace State immunity.138 III. Judicial Enforcement Through Functional Judicial Bodies It is possible that the evolving notion of ‘legal interest’ in the jurisprudence of the ICJ will find resonance with functional judicial bodies. Even though they have limited subject-matter jurisdiction, it is possible that the subject-matter for whose enforcement they are responsible includes obligations erga omnes (partes). A prominent example is the International Seabed Authority (the Authority) established by Article 156 (1) of the UNCLOS. Article 153 (1) of the UNCLOS determines that activities in the seabed area shall be organized, carried out and controlled by the Authority on behalf of ‘mankind as a whole’. The seabed area includes the seabed and ocean floor as well as the subsoil thereof, beyond the limits of national jurisdiction.139 Article 187 (a) of the UNCLOS further governs that the Seabed Disputes Chamber (the Chamber) of the ITLOS shall have jurisdiction in disputes with respect to activities in the seabed area between States parties concerning the interpretation or application of the relevant part of the UNCLOS and the Annexes relating thereto.140 The question arises whether a _____________ 136

Cf. Jure Vidmar, Rethinking Jus Cogens after Germany v. Italy: Back to Article 53?, Netherlands International Law Review 60 (2013), 1, 14 ff. 137 ICJ, Armed Activities on the Territory of the Congo (note 91), paras 64, 125; Stefan Talmon, Jus Cogens after Germany v. Italy: Substantive and Procedural Rules Distinguished, Leiden Journal of International Law 25 (2012), 979, 987 f. 138 ICJ, Jurisdictional Immunities of the State (note 107), paras 92 ff. See also Hernández (note 57), 55; Talmon (note 137), 989 f. 139 See Art. 1 (1) of the UNCLOS; Wolfrum (note 64), 1141. 140 Gaja (note 48), 148, 177; Wolfrum (note 64), 1141.

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party to the UNCLOS would have standing before the Chamber to initiate judicial proceedings against the delimitation of the outer continental shelf by a coastal State, on the basis that it would unjustifiably curtail the scope of the international deep seabed area.141 The rationale behind such proceedings would be that the seabed area constitutes the common heritage of mankind,142 as a result of which all States parties would have a legal interest in its protection. In this context, one should keep in mind that Article 76 of the UNCLOS grants coastal States the right to delineate the outer limits of their continental shelves. Where such delimitation allegedly infringed the rights of States with adjacent or opposite coasts, these States can initiate a claim in their own right.143 Nonetheless, it remains controversial whether States that cannot argue that their rights as adjacent or opposite States have been infringed may bring a case on the basis that it would unjustifiably limit the seabed area, which is preserved for mankind. Such a claim would be of a purely collective interest nature, directed at enforcing obligations erga omnes partes.144 The drafters of the UNCLOS did not explicitly address this issue.145 However, some authors suggest that the competencies of the Chamber provided for in the UNCLOS should be interpreted in accordance with Article 48 (1) (b) of the ASR, which allows non-injured States to invoke the responsibility of another State if the obligation breached is owed to the international community as a whole. In line with this reasoning, the term ‘invoke’ would include also the initiating of judicial proceedings before a competent judicial body (in this case the Chamber).146 One should further keep in mind that Article 288 (1) of the UNCLOS explicitly determines that those judicial bodies, which have jurisdiction over disputes relating to the UNCLOS, shall have jurisdiction ‘over any dispute concerning the interpretation or application of this Convention’. But this provision does not contain an explicit requirement that the States concerned have to defend their individual interests.147 Therefore, it can be argued that a combined reading of the articles pertaining to the jurisdiction of the Authority, Article 288 of the UNCLOS and Article 48 (1) (b) of the ASR, would provide States parties with standing before the Chamber in order to protect the sea-

_____________ 141

Wolfrum (note 64), 1141. Art. 136 of the UNCLOS. 143 Wolfrum (note 64), 1141 f. 144 See extensively Wolfrum (note 64), 1141 f., who describes this as an actio popularis. 145 Wolfrum (note 64), 1142. 146 Wolfrum (note 64), 1144; Crawford (note 97), 236. 147 Wolfrum (note 64), 1144. 142

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bed area in the interest of mankind.148 But so far, no case of this nature has been initiated.

E. Concluding Remarks In the final analysis, it is fair to say that the international community has evolved significantly since the time of the Spanish Age, without entirely emancipating itself from this era. The modern age of international law has witnessed the emergence of almost 200 States and numerous international organizations with international legal personality, while individuals have also been recognized as subjects of international law (if only to a limited extent). Such a large number of subjects would have been unimaginable during the time of the Spanish Age. Similarly, the expansion of the regulatory scope of international law, as well as institutionalized decision-making and judicial mechanisms for the enforcement of international law, are distinct phenomena of the modern era. While these developments have not yet resulted in an international community, which in and of itself constitutes a subject of international law,149 the contours of the international community are increasingly sophisticated. The same would apply to the contours of the community interests and the mechanisms for their enforcement. However, it is in relation to its community interests that the international community (of States) reflects its ‘Spanish roots’. The fundamental community interests as represented by ius cogens have a strong ethical underpinning that is reminiscent of natural law. The school of thought according to which peremptory norms of international law exist entirely independent from the will of States may perhaps not represent the dominant view in doctrine or State practice, but, nonetheless, contributes to entrenching the natural law character of fundamental community interests. Moreover, when it comes to identifying fundamental community interests, international law in the modern era remains vulnerable to hegemonic influences. On the one hand, modern international law _____________ 148

Wolfrum (note 64), 1144 f.; cf. Rüdiger Wolfrum, Interventions in Proceedings Before International Courts and Tribunals: To What Extent May Interventions Serve the Pursuance of the Community Interests?, in: Nerina Boschiero et al. (eds.), International Courts and the Development of International Law. Essays in Honour of Tullio Treves, 2013, 219, 222 ff. He argues that Art. 32 of the Statute of the ITLOS (in Annex VI of the UNCLOS) can facilitate interventions by States parties in the interest of obligations erga omnes partes. Aiming at safeguarding the overarching objective of the treaty, this article allows for all States parties to intervene in proceedings concerning the interpretation or application of the UNCLOS. 149 See Mehrdad Payandeh, Internationales Gemeinschaftsrecht, 2010, 439 ff., who argues that the international community as a whole can be conceived as subject of international law.

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does not recognize a highest institution (equivalent to the Catholic Church in the Spanish Age) that has the right to determine the community interests on behalf of all. Instead, these interests are to be stipulated by States themselves on the basis of sovereign equality. The processes for determining community interests would typically be through treaty-making, the development of customary international law, or decision-making within international institutions such as the United Nations (or any combination of these). Yet, in practice, powerful States and groups of States tend to control the various decision-making processes and determine the community interests. While the processes for the identification of community interests may therefore appear to be representative of all its members, the risk of domination of hegemonic interests remains real. The challenge of identifying and protecting those interests, which are truly representative of all nations, remains as relevant in the modern era as during the early stages of the development of international law.150

_____________ 150

Cf. Koskenniemi (note 19), 52.

Das Ringen um den Frieden: Jus ad bellum – Jus contra bellum – Jus Post Bellum?* Von Carsten Stahn

A. Einleitung Seit Hugo Grotius’ „De Jure Belli ac Pacis“ aus dem Jahre 1625 1 beruhen die Grundlagen des Völkerrechts auf der Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden. 2 Grotius stellte die Maxime auf, dass bewaffnete Auseinandersetzung dann droht, wenn Mechanismen der rechtlichen Streitbeilegung scheitern („Ubi iudicia deficiunt, incipit bellum“). 3 Das Recht wurde über Jahrhunderte traditionell in zwei Kategorien unterteilt: Das Recht zum Krieg (jus ad bellum), und das Recht im Krieg (jus in bello). 4 Das moderne jus in bello geht auf die Kodifikationen des 19. und 20. Jahrhunderts zurück. Auf der Brüsseler Konferenz von 1874 wurde erstmals versucht, die Gesetze und Gebräuche des Krieges in Form einer international verbindli-

_____________

* Der Beitrag ist eine überarbeitete Fassung des Vortrags am 18. Juni 2015 im Rahmen der Ringvorlesung 350 Jahre Universität Kiel: „Das Völkerrecht vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart“. 1 Hugo Grotius, De jure belli ac pacis libri tres, 1625. 2 Siehe generell Jörg Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag: Eine universalgeschichtliche Studie über Grundlagen und Formelemente des Friedenschlusses, 1979; Peter Rudolf, Zur Ethik militärischer Gewalt, 2014 (= SWP-Studie 2014/S 06). 3 Siehe Henk J. M. Nellen, Hugo Grotius: A Lifelong Struggle for Peace in Church and State 1583–1645, 2015, 72 f. 4 Georges Scelle, Jus in Bello, Jus ad Bellum, Nederlands Tijdschrift voor Internationaal Recht 6 (1959), 292 ff. Zu den historischen Wurzeln siehe Robert Kolb, Origin of the Twin Terms Jus ad Bellum and Jus in Bello, International Review of the Red Cross 37 (1997), 554 ff.; Stephen C. Neff, War and the Law of Nations, 2005, 185 ff.; Wilhelm G. Grewe, The Epochs of International Law, 2000, 575 ff.; Randall C. H. Lesaffer, Too Much History: From War as Sanction to the Sanctioning of War, in: Mark Weller (Hrsg.), Oxford Handbook of the Use of Force in International Law, 2015, 35 ff. Zur Unterscheidung vgl. auch Robert D. Sloane, The Cost of Conflation: Preserving the Dualism of Jus ad Bellum and Jus in Bello in the Contemporary Law of War, Yale Journal of International Law 34 (2009), 47 ff.

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chen Konvention festzulegen. 5 Ende des 19. Jahrhunderts kam es auf den als Abrüstungskonferenzen geplanten Haager Friedenskonferenzen zu weitreichenden Vereinbarungen über die Kriegführung, insbesondere der Haager Landkriegsordnung. 6 Die Bestimmungen wurden im Rahmen der Genfer Konventionen und ihrer Zusatzprotokolle weiterentwickelt. 7 Angriffe auf geschützte Personenkreise wurden für unzulässig erklärt. Schwere Verstöße wurden als Kriegsverbrechen unter Strafe gestellt. Die Grundlagen des heutigen jus ad bellum wurden im 20. Jahrhundert gelegt. Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs führten zu einer Veränderung der Haltung gegenüber der Rechtmäßigkeit des Kriegs als Mittel der Politik. Der Briand-Kellogg-Pakt aus dem Jahre 1928 ächtete Angriffskriege zur Streitbelegung zwischen Staaten. 8 Der Völkerbund sollte eine dauerhafte friedliche Ordnung sichern, scheiterte aber an diesem Anspruch. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es mit der Charta der Vereinten Nationen zu einer grundlegenden Neuordnung des internationalen Rechts. Die Nürnberger und Tokioter Kriegsverbrecherprozesse bezogen sich auf die Ächtung des Angriffskrieges aus dem Jahre 1928, um die damals umstrittenen Verurteilungen wegen Verbrechens gegen den Frieden zu begründen. 9 Art. 2 Abs. 4 der UNCharta beinhaltet ein allgemeines Gewaltverbot. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wandelte sich das ehemalige jus ad bellum zu einem allgemeinen jus contra bellum. 10 Das Recht nach dem Krieg (jus post bellum) 11 hat seit jeher weniger Aufmerksamkeit erfahren. Die großen Völkerrechtswerke zu Beginn des 20. Jahr_____________ 5 Siehe allgemein zur Entstehung des humanitären Völkerrechts Michael Walzer, Just and Unjust Wars, 1977; Jean Pictet, Développements et principes du droit international humanitaire, 1983. 6 Siehe Arthur Eyffinger, The 1899 Hague Peace Conference: The Parliament of Man, the Federation of the World, 1999; ders., The 1907 Peace Conference: The Conscience of the Civilized World, 2011. 7 Vgl. Andrew Clapham/Paolo Gaeta/Marco Sassòli (Hrsg.), The 1949 Geneva Conventions: A Commentary, 2015. 8 Vertrag über die Ächtung des Krieges vom 27. August 1928, League of Nations Treaties Series Vol. 94, 57. 9 Siehe zur Entstehung Larry May, Aggression and Crimes against Peace, 2008; Kirsten Sellars, „Crimes against Peace“ and International Law, 2013. 10 Vgl. generell Olivier Corten, The Law Against War: The Prohibition of the Use of Force in Contemporary International Law, 2010. Siehe auch Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, 2. Aufl. 2014, 430, Rn. 1009. 11 Siehe Brian Orend, Justice After War, Ethics & International Affairs 16 (2002), 43 ff.; Gary J. Bass, Jus Post Bellum, Philosophy & Public Affairs 32 (2004), 384 ff.; Martin Frank, Das jus post bellum und die Theorie des gerechten Krieges, Politische Vierteljahresschrift 50 (2009), 732 ff. Siehe zur rechtlichen Bedeutung auch Carsten Stahn/Jann K.

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hunderts widmen sich in einzelnen Abschnitten zwar Themen wie dem Ende der Konfliktführung, Friedensabkommen oder Reparationen. 12 Der Schwerpunkt liegt jedoch auf Maßnahmen der Kriegsbeendigung, d.h. Feuerpause, Waffenstillstand, Rückzug, Demobilisierung oder ggf. Amnestien. Fragen des Verhältnisses zwischen Kriegsbeendigung und Friedenssicherung wurden weitgehend ausgeklammert. Die Nachkonfliktphase ist, wie es Christian Schaller in einem Beitrag ausgedrückt hat, eine „offene Flanke des Völkerrechts“. 13 Dieser Befund steht in starkem Gegensatz zur jahrhundertelangen Tradition des jus post bellum in der Lehre des gerechten Krieges. 14 Die Theorie des gerechten Krieges hat sich seit jeher nicht nur mit der Konfliktbeendigung im strengen Sinne, sondern mit dem gerechten Ende von Kriegen befasst. Klassische Autoren wie der heilige Augustin, Gentili, Suarez oder Kant haben dauerhaften und gerechten Frieden als Ziel des gerechten Krieges formuliert: Wenn ein Krieg einen gerechten Grund hat und gerecht geführt wird, muss er auch zu einem gerechten Ende gebracht werden, um gerechtfertigt zu sein. 15 _____________

Kleffner (Hrsg.), Jus Post Bellum: Towards a Law of Transition From Conflict to Peace, 2008; Carsten Stahn/Jennifer S. Easterday/Jens Iverson (Hrsg.), Jus Post Bellum: Mapping the Normative Foundations, 2014. 12 Siehe Lassa Oppenheim, International Law: A Treatise, 1906; Coleman Phillipson, Termination of War and Treaties of Peace, 1916. 13 Christian Schaller, Peacebuilding und „ius post bellum“: Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Friedenskonsolidierung nach militärischen Interventionen, 2006 (= SWP-Studie 2006/S 11), 8. 14 Diese Theorie fragt, wozu, wann und wie militärische Gewalt moralisch erlaubt ist. Zur Rolle von jus post bellum, siehe Alex J. Bellamy, Just Wars: From Cicero to Iraq, 2006; Brian Orend, Jus Post Bellum: The Perspective of a Just War Theorist, Leiden Journal of International Law 20 (2007), 571 ff.; Richard P. DiMeglio, The Evolution of the Just War Tradition: Defining Jus Post Bellum, Military Law Review 186 (2005), 116 ff.; Mark Evans, Balancing Peace, Justice and Sovereignty in Jus Post Bellum: The Case of „Just Occupation“, Journal of International Studies 36 (2008), 533, 542 ff.; Louis V. Iasiello, Jus Post Bellum: The Moral Responsibilities of Victors in War, Naval War College Review 57 (2004), 33 ff.; Doug McCready, Ending the War Right: Jus Post Bellum and the Just War Tradition, Journal of Military Ethics 8 (2009), 66 ff.; Robert E. Williams/Dan Caldwell, Jus Post Bellum: Just War Theory and the Principles of Just Peace, International Studies Perspectives 7 (2006), 309 ff.; Mark J. Allman/Tobias L. Winright, After the Smoke Clears: The Just war Tradition and Postwar Justice, 2010. 15 Francisco Suarez, The Three Theological Virtues (1621, engl. Übersetzung in: James Brown Scott, The Spanish Origins of International Law, 1929, 77 ff.), Disputation XIII, Section VII. Zu Gentili vgl. Randall Lesaffer, Alberico Gentili’s ius post bellum and EarlyModern Peace Treaties, in: Benedict Kingsbury/Benjamin Straumann (Hrsg.), The Roman Foundations of the Law of Nations: Alberico Gentili and the Justice of Empire, 2010, 210 ff. Zu Vattel, siehe Randall Lesaffer, A Schoolmaster Abolishing Homework? Vattel on Peacemaking and Peace Treaties, in: Vincent Chétail/Peter Haggenmacher (Hrsg.), Vattel’s International Law in a 21st Century Perspective, 2011, 353 ff. Zu Kant vgl. Brian Orend, War and International Justice: A Kantian Perspective, 2000.

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Insbesondere Immanuel Kant hat den Begriff des jus post bellum („Recht nach dem Krieg“) geprägt. 16 Nach Kants Rechtslehre 17 beinhaltete das „Recht nach dem Krieg“ Grundsätze wie die Notwendigkeit eines Friedensvertrags (unter Ausklammerung der Kriegsschuldfrage), das Gebot des umfassenden Austauschs der Kriegsgefangen, oder das Verbot der Unterwerfung des besiegten Staates und der Beschneidung politischer Rechte der Bürger in den eroberten Gebieten. Jus post bellum war auf die Aufrechterhaltung der „staatsbürgerlichen Freiheit“ gerichtet. In den letzten Jahrzehnten hat das jus post bellum eine Renaissance in der Moralphilosophie erlebt. Insbesondere der amerikanische Philosoph Michael Walzer hat seit den 1970er Jahren die These vertreten, dass die Rechtfertigung des Einsatzes von Gewalt nach dem jus ad bellum, darunter Interventionen zur Unterbindung schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit, eng an das jus post bellum gekoppelt ist. 18 In Anschluss an Walzer haben Moralphilosophen moderne Entwürfe und Grundsätze des jus post bellum formuliert, die moralische Pflichten nach Konflikten begründen. 19 Brian Orend hat für die Idee einer 5. Genfer Konvention geworben. 20 Im Zusammenhang mit den Balkan-Einsätzen (Bosnien, Kosovo) in den 1990er Jahren, der Intervention in Afghanistan, der Besetzung des Irak, und der erweiterten Mandate von UN-Friedensoperationen hat der Gedanke des jus post bellum neue Bedeutung als Rechtskonzept erhalten. 21 Maßgeblich für diese Ent_____________ 16 Siehe Christian v. Steinsdorff, Das „Recht nach dem Kriege“ in der Philosophie Immanuel Kants, 2014. 17 Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, 1797, Rechtslehre, §§ 55–58. 18 Vgl. Michael Walzer, Just and Unjust Wars: A Moral Argument with Historical Illustrations, 1977, 123. 19 Siehe Anm. 14. 20 Orend (Anm. 14), 591. 21 Siehe Carsten Stahn, ‚Jus in bello‘, ‚Jus ad bellum‘ […] ‚Jus post bellum‘? Rethinking the Conception of the Law of Armed Force, European Journal of International Law 17 (2006), 921 ff.; Kristen E. Boon, Obligations of the New Occupier: The Contours of a Just Post Bellum, Loyola L.A. International & Comparative Law Review 31 (2009), 101 ff.; Jean L. Cohen, The Role of International Law in Post-Conflict Constitution-Making: Toward a Jus Post Bellum for ‚Interim Occupations‘, New York Law School Law Review 51 (2006/07), 498 ff.; Inger Österdahl/Esther van Zadel, What Will Jus Post Bellum Mean? Of New Wine and Old Bottles, Journal of Conflict and Security Law 14 (2009), 175 ff.; Jeremy Waldron, Post Bellum Aspects of the Laws of Armed Conflict, Loyola L.A. International and Comparative Law Review 31 (2009), 31 ff.; Daniel Thürer/Malcolm MacLaren, ‚Ius Post Bellum‘ in Iraq: A Challenge to the Applicability and Relevance of International Humanitarian Law, in: Klaus Dicke u.a. (Hrsg.), Weltinnenrecht: Liber amicorum Jost Delbrück, 2005, 753 ff.; Dieter Fleck, Jus post bellum: Eine neue Disziplin des Völkerrechts?, Humanitäres Völkerrecht 25 (2012), 176 ff.; Eric De Brabandere, Jus Post bellum and Foreign Direct Investment: Mapping the Debate, Journal

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wicklung ist die zunehmende Rechtspraxis im Bereich der Friedenskonsolidierung, und der Einfluss neuer Strukturprinzipen, wie der Auffassung von Souveränität als innere und äußere Verantwortung gegenüber Individuen und der internationalen Gemeinschaft im Rahmen der Schutzverantwortung (R2P). 22

B. Rechtlicher Gehalt Im Völkerrecht wird jus post bellum mit verschiedenen Ideen assoziiert. In einem grundlegenden Beitrag im American Journal of International Law hat Adam Roberts jus post bellum als Ordnungsprinzip für moderne Formen transformatorischer Besatzung angesehen. 23 Roberts sieht die Funktion des jus post bellum in der Gestaltung des Spannungsfelds zwischen den Machtbefugnissen der Besatzungsmächte, dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, und UN-Recht, das durch das klassische Besatzungsrecht nur ungenau skizziert ist. Yael Ronen hat jus post bellum aus der Perspektive des Palästina-Konflikts als NachBesatzungsrecht skizziert. 24 Andere Autoren sehen jus post bellum als weitergehenden Ordnungsrahmen für Friedensprozesse und Friedenskonsolidierung. Jus post bellum wird zum Teil als Sonderrecht für Prozesse der Übergangsverwaltung unter der Schirmherrschaft der UN oder anderer Formen der Internationalisierung gesehen. 25 Andere Stimmen betonen Aspekte der nachhaltigen Beendigung von Friedensoperationen und den Gedanken der „Nachsorge“, der in frühen Modellen des _____________

of World Investment and Trade 16 (2015), 590 ff.; Merryl Lawry White, International Investment Arbitration in a Jus Post Bellum Framework, Journal of World Investment and Trade 16 (2015), 633 ff. Zur Kritik siehe Hilary Charlesworth, Law After War, Melbourne Journal of International Law 8 (2007), 233 ff.; Eric De Brabandere, The Responsibility for Post-Conflict Reforms: A Critical Assessment of Jus Post Bellum as a Legal Concept, Vanderbilt Journal of Transnational Law 43 (2010), 119 ff.; Ruti Teitel, Rethinking Jus Post Bellum in an Age of Global Transitional Justice: Engaging with Michael Walzer and Larry May, European Journal of International Law 24 (2013), 335 ff. 22 Die Internationale Kommission zu Intervention und Staatensouveränität definierte die Schutzverantwortung auf der Basis von drei Pfeilern: Die Responsibility to Prevent (Verantwortung zur Prävention), Responsibility to React (Verantwortung zur Reaktion) und die Responsibility to Rebuild (Verantwortung zum Wiederaufbau). Zu jus post bellum und Schutzverantwortung, siehe Alexandra Gheciu/Jennifer Welsh, The Imperative to Rebuild: Assessing the Normative Case for Postconflict Reconstruction, Ethics & International Affairs 23 (2009), 121 ff.; James Pattison, Jus Post Bellum and the Responsibility to Rebuild, British Journal of Political Science 45 (2015), 635 ff.; Carsten Stahn, R2P and Jus Post Bellum: Towards a Polycentric Approach, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 102 ff. 23 Adam Roberts, Transformative Military Occupation: Applying the Laws of War and Human Rights, American Journal of International Law 100 (2006), 580 ff. 24 Siehe Yael Ronen, Post Occupation Law, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 428 ff. 25 Vgl. Cohen (Anm. 20), 498 ff.

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Konzepts der Schutzverantwortung angelehnt ist. 26 Dieter Fleck sieht die Schutzkonvention für UN-Personal aus dem Jahre 1994 als Teil eines in Entwicklung befindlichen Rechtsrahmens für UN-Friedenkonsolidierung. 27 Christine Bell hat den Ansatz entwickelt, dass jus post bellum Teil eines hybriden Friedensrechts, dem Recht der Friedenschaffung (lex pacificatoria), ist 28, das Aspekte eines demokratischen internen Selbstbestimmungsrechts, Gender-Dimensionen der Friedenskonsolidierung 29 oder Fragen des Rückkehrrechts von Flüchtlingen und Vertriebenen in Post-Konflikt-Situationen umfasst. Wiederum andere Autoren stellen vorwiegend auf den Menschenrechtsgehalt des jus post bellum ab. So sieht Inger Österdahl das Konzept als Instrument der Kontrolle internationaler Exekutivgewalt in Übergangssituationen und als Mittel des Ausgleichs kollektiver und individueller Rechte. 30 Andere Ansätze betonen die Rolle des jus post bellum als Mittel der Interpretation internationalisierter Verfassungen 31 und der Auslegung von Notstandsklauseln in Menschenrechtsabkommen 32. Insbesondere der UN-Menschenrechtsausschuss hat sich nicht umfassend zu der Frage geäußert wie lange Post-Konflikt-Situationen als Notstandssituationen angesehen werden können. Ein Beispiel ist das Urteil Sedjic und Finci aus dem Jahr 2011, in dem der EGMR das Verfassungsmodell des Dayton-Vertrags mit dem Argument gekippt hat, dass ethnisch definierte

_____________ 26

Dominik Zaum, Jus Post Bellum and the Politics of Exit, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 334 ff. Siehe zur Nachsorge Philipp A. Zygojannis, Die Staatengemeinschaft und das Kosovo: Humanitäre Intervention und internationale Übergangsverwaltung unter Berücksichtigung einer Verpflichtung des Intervenienten zur Nachsorge, 2003, 22. 27 Dieter Fleck, Jus Post Bellum as a Partly Independent Legal Framework, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 43, 48, 50. 28 Christine Bell, Peace Settlements and International Law: From Lex Pacificatoria to Jus Post Bellum, in: Nigel D. White/ Christian Henderson (Hrsg.), Research Handbook on International Conflict and Security Law, 2013, 499 ff.; dies., Of Jus Post Bellum and Lex Pacificatoria: What’s in a Name?, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 181 ff. 29 Vgl. auch Fionnuala Ní Aoláin/Dina Francesca Haynes, The Compatibility of Justice for Women With Jus Post Bellum Analysis, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 161 ff. 30 Inger Österdahl, Just War, Just Peace and the Jus post Bellum, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 271 ff. 31 Kristen E. Boon, Legislative Reform in Post-Conflict Zones: Jus Post Bellum and the Contemporary Occupant’s Law-Making Powers, McGill Law Journal 50 (2005), 285 ff; Jennifer S. Easterday, Peace Agreements as a Framework for Jus Post Bellum, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 379 ff. 32 Martin Wählisch, Conflict Termination from a Human Rights Perspective: State Transitions, Power-Sharing and the Definition of the „Post“, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 315 ff.

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Machtteilungsprinzipen zwar der Konfliktbeendigung dienen können, aber kein zulässiges Instrument der Friedenskonsolidierung sind. 33 Besonderer Stellungwert wird dem jus post bellum zudem im Schadensersatzund Wiedergutmachungsrecht eingeräumt. 34 Hier hat das jus post bellum eine Ausgleichsfunktion. Es kann als Mittel der Begrenzung exzessiver Fordungen im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit dienen oder Impulse für die Ausgestaltung von Restitution oder Schadensersatz von Individuen geben. Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Beseitigung von Umweltschäden nach Konflikten. 35

C. Definition Das Bild, das sich bezüglich der Rolle von jus post bellum als Rechtsprinzip ergibt, ist stark fragmentiert. Die Diskussion erinnert teilweise an das Dilemma von Babel. Verschiedene Autoren verstehen das Konzept auf ganz unterschiedliche Weise. Die moderne Theorie des gerechten Krieges ist nach wie vor stark auf Interventionen und internationale Konflikte ausgerichtet. Sie konzentriert sich maßgeblich auf das Verhältnis von Siegern und Besiegten. So hat der Oxforder Theoretiker David Rodin vorgeschlagen, jus post bellum und jus ex bello 36 zu unterscheiden und Grundsätze gemäß den verschiedenen Beendigungsarten von Konflikten auszudifferenzieren, d.h. Sieg oder Niederlage, Patt oder Drittstaatenintervention. 37 Diese Auffassung steht im Gegensatz zu der Realität moderner Konflikte, in denen es meist keinen eindeutigen Gewinner oder Verlierer gibt. 38 Oft bestehen in Konfliktgebieten mehrere Konflikte gleichzeitig oder Konflikte gehen ineinander über, ohne klar differenzierbare Trennungslinien. Gabriella Blum hat das „Fog of victory“, d.h. scheinbaren Sieg, genannt. 39 Ins_____________ 33

EGMR, Große Kammer, 6HMGLüXQG)LQFLY%RVQLHQXQG+HU]HJRZLQD Appl. nos. 27996/06 und 34836/06, Urteil vom 22.12.2009. 34 Markus Krajewski, Schadensersatz wegen Verletzungen des Gewaltverbots als ius post bellum am Beispiel der Eritrea-Ethiopia Claims Commission, ZaöRV 72 (2012), 147 ff. 35 Douglas Lackey, Post war environmental damage: a study in jus post bellum, in: Larry May/Zachary Hoskins (Hrsg.), International Criminal Law and Philosophy, 2010, 141 ff.; Cymie R. Payne, The Norm of Environmental Integrity in Post-Conflict Regimes, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 502 ff. 36 Siehe Darrel Mollendorf, Jus ex Bello, Political Philosophy 16 (2008), 123 ff. 37 David Rodin, Two Emerging Issues of Jus Post Bellum: War Termination and the Liability of Soldiers for Crimes of Aggression, in: Stahn/Kleffner (Anm. 11), 53 ff. 38 Gabriella Blum/David Luban, Unsatisfying Wars: Degrees of Risk and the Jus ex Bello, Ethics 125 (2015), 751 ff. 39 Siehe Kristen E. Boon, The application of Jus Post Bellum to Non-International Armed Conflicts, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 259 ff.

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besondere in internen Konflikten 40 bereitet dieses Erklärungsmodell Probleme, da es oft weder Sieger noch Verlierer gibt. Aufbauend auf der historischen Tradition wird der Begriff „jus“ in der Theorie des gerechten Krieges weitestgehend im Sinne von Gerechtigkeit verstanden. Jus post bellum wird damit zu einer normativen Werteentscheidung. Es ist ein Bewertungsprinzip, das über Recht und Unrecht entscheidet. Insbesondere das Spannungsfeld zwischen retributiver, d.h. vergeltender, und restaurativer, d.h. gestaltender, Gerechtigkeit hat seit jeher bedeutenden Stellenwert in der moralphilosophischen Debatte. In historischen Modellen (Vitoria, Gentili) 41 wurde Friedensgewinnung als Form einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung (jus victoriae) verstanden. 42 Das Ausmaß der Straffunktion blieb umstritten. 43 Es hat insbesondere mit der Entwicklung neuer Formen der individuellen strafrechtlichen Verantwortung im 20. Jahrhundert einen neuen Gehalt bekommen. Dadurch ist das Spannungsfeld zwischen Strafe und Versöhnung zum Gegenstand moderner Auseinandersetzung geworden. 44 Der Ausgangspunkt in der rechtstheoretischen Diskussion ist ein anderer. In der völkerrechtlichen Betrachtung spielt der Ausgang des Konfliktes und das normative Werturteil eine untergeordnete Rolle. „Jus“ wird eher im Sinne von „Recht“ als im Sinne von Gerechtigkeit verstanden. Das Hauptinteresse gilt der Ordnung. Jus post bellum ist ein Regulierungsinstrument zur Gestaltung des Friedensprozesses und der Nachkonfliktsituation bis zu dem Zeitpunkt, in dem das normale Recht des Friedens wieder einsetzt. 45 Semantisch ist es an den Konflikt angelehnt, aber auf den Prozess des Friedens ausgerichtet. 46 _____________ 40

Gabriella Blum, The Fog of Victory, European Journal of International Law 24 (2013), 391 ff. 41 Vgl. Lesaffer, Alberico Gentili (Anm. 15). 42 Stephen C. Neff, Conflict Termination and Peacemaking in the Law of Nations: A Historical Perspective, in: Stahn/Kleffner (Anm. 11), 77, 79. 43 Vgl. Alexis Blane/Benedict Kingsbury, Punishment and the ius post bellum, in: Kingsbury/Straumann (Anm. 15), 241 ff. 44 Siehe Andrew Rigby, Forgiveness and Reconciliation in Jus Post Bellum, in: Mark Evans (Hrsg.), Just War Theory: A Reappraisal, 2005, 177 ff. 45 Siehe auch Jennifer S. Easterday/Jens Iverson/Carsten Stahn, Exploring the Normative Foundations of Jus Post Bellum: An Introducton, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 1, 2 ff. 46 Lazars Kritik von jus post bellum als kriegsorientiertes Konzept ist semantisch verständlich, materiell in diesem Sinne jedoch nicht zutreffend. Siehe Seth Lazar, Skepticism about Jus Post Bellum, in: Larry May/Andrew Forcehimes (Hrsg.), Morality, Jus Post Bellum and International Law, 2012, 220 f. („Jus post bellum theorists are still too focused on warfighting – assessing our adherence to those standards, remedying the wrongs done, punishing us for breaches. It is merely the ex post application of those warfighting principles. But in the aftermath of war, peacebuilding should be our primary concern“).

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Es besteht weitgehend Einigkeit dass die Grundbegriffe neu definiert werden müssen. Rekonstruktion erfordert Dekonstruktion. Alle einzelnen Kernelemente bedürfen der Anpassung. Der Anwendungsbereich von jus post bellum ist breiter geworden. „Jus“ darf nicht vorwiegend der Bestimmung der Rechte von Sieger und Besiegten dienen. Im Gegenteil, es zielt grundlegender auf die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Sieger und Besiegten ab. Der Begriff des „post“ ist unklarer geworden. Der Anfang des „post“, d.h. der Zeitpunkt der Konfliktbeendigung, ist schwer zu bestimmen. Ein Waffenstillstand, ein Friedensabkommen oder eine Sicherheitsratsresolution mögen als rechtliche Indizien gelten. In der Praxis aber gibt es oft keine klare Zäsur zwischen verschiedenen Formen bewaffneter Konflikte und Überschneidungen zwischen parallelen Konflikten. Das ehemalige Jugoslawien und die Demokratische Republik Kongo sind Paradefälle, in denen das Phänomen paralleler Konflikte anerkannt wurde. 47 Zudem ist das Ende des „post“ eine Grauzone. Wann geht Friedenskonsolidierung in Frieden über? Dies erfordert eine klarere Bestimmung des Friedensbegriffs. 48 In struktureller Hinsicht liegt Frieden zwischen verschiedenen Polen: dem Ende organisierter militärischer Gewaltanwendung (negativer Frieden) und der Abwesenheit struktureller Gewalt (positiver Frieden). Im weitesten Sinne ist jus post bellum, wie Larry May herausgearbeitet hat, ein pazifistisches Ordnungsmodell. 49 Es zielt darauf ab, die Widerstandsfähigkeit der konfliktbetroffenen Gesellschaft gegen die Neuentfachung von Gewalt zu erhöhen. Darüber hinaus ist der Kriegsbegriff in rechtlicher Hinsicht zur Ausnahmeerscheinung geworden. „Bellum“ ist revisionsbedürftig. Das moderne jus in bello stellt auf den Begriff des bewaffneten Konflikts ab. Dieser muss auch als Anknüpfungspunkt eines modernen jus post bellum gelten und sowohl internationale als auch interne Konflikte umfassen. 50

_____________ 47 Siehe generell Dapo Akande, Classification of Armed Conflicts: Relevant Legal Concepts, in: Elizabeth Wilmshurst (Hrsg.), International Law and the Classification of Conflicts, 2012, 32 ff. 48 Vgl. dazu Mark Evans, Just Peace: An Elusive Ideal, in Eric Patterson (Hrsg.), Ethics Beyond War’s End, 2012, 197 ff. 49 Larry May, After War Ends, 2012, 232. 50 Vgl. Boon (Anm. 39).

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Aus moderner Sicht kann man jus post bellum am besten funktionell definieren. 51 Es ist ein Übergangsrecht zwischen Konflikt und Frieden. Dieser Übergang ist kein linearer zeitlicher Schnitt, sondern ein dynamischer Prozess.

D. Funktion Diese Ausrichtung stellt auch die Funktionsfrage des jus post bellum neu. 52 I. Grundsatz der Unabhängigkeit In der Theorie des gerechten Krieges ist jus post bellum als Konzept teilweise systematisch an jus ad bellum und jus in bello angebunden. Nach dieser Konzeption ist der Einsatz bewaffneter Gewalt nur dann gerechtfertigt, wenn es allen drei Kategorien Rechnung trägt. Das Werteurteil ist inhaltlich verknüpft. 53 Besteht kein Recht zur Gewaltanwendung (jus ad bellum), stellt dies die Legitimität von Maßnahmen in der Post-Konfliktphase in Frage. Verletzt der Akteur jus ad bellum oder jus in bello, kompromittiert dieser Befund auch das jus post bellum. Letztlich leitet sich diese Abhängigkeitsthese aus der Friedensfunktion der Theorie des gerechten Krieges ab. In der rechtlichen Betrachtung bedarf diese Auffassung der Korrektur. Nach klassischer völkerrechtlicher Anschauung ist das jus in bello normativ vom jus ad bellum unabhängig. 54 Dies wird vorwiegend mit der Schutzfunktion des jus in bello begründet. Der Schutz von Konfliktparteien und Individuen soll objektiv und unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung gelten. Insbesondere die Zivilbevölkerung und geschützte Personen sollen nicht zum Opfer der Entscheidungsprozesse politischer oder militärischer Machteliten _____________ 51 Zum funktionalen Verständnis des Anwendungsbereichs von jus post bellum siehe Jann K. Kleffner, Towards a Functional Conceptualization of the Temporal Scope of Jus Post Bellum, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 287 ff. 52 Siehe generell Julia Domnick, Ius Post Bellum – Zur normativen Orientierungsfunktion des Völkerrechts in fragmentierten Post-Konflikt-Umgebungen, in: Jonathan Bauerschmidt u.a. (Hrsg.), Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, 2015, 301 ff. 53 Zur Abhängigkeitsthese siehe Brian Orend, Morality of War, 2006, 162; Williams/Caldwell (Anm. 14). 54 Zur Trennung von ad bellum und in bello als Element der Völkerrechtsordnung, siehe Antoine Bouvier, Assessing the Relationship between Jus in Bello and Jus Ad Bellum: An „Orthodox View“, Proceedings of the Annual Meeting (ASIL) 100 (2006), 109 ff. Vgl. auch Joseph H. H. Weiler/Abby Deshman, ‚Far Be It from Thee to Slay the Righteous with the Wicked‘: An Historical and Historiographical Sketch of the Bellicose Debate Concerning the Distinction between Jus ad Bellum and Jus in Bello, European Journal of International Law 24 (2013) 25 ff.

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werden. Jus ad bellum and jus in bello haben zudem eigenständige Proportionalitätserwägungen. Sie beruhen auf verschiedenen Aufgaben und Abwägungskontexten. Ähnliches muss im Grundsatz auch für das Verhältnis von jus post bellum zu jus ad bellum und jus in bello gelten. Ob Normen und Prinzipien des jus post bellum Anwendung finden, ist unabhängig von der rechtlichen Würdigung nach jus ad bellum oder jus in bello. 55 Diese Unabhängigkeit begründet sich bereits dadurch, dass Akteure in der Post-Konfliktphase oft nicht mit den Parteien im Konflikt identisch sind. Die Fälle Bosnien, Kosovo oder Irak belegen dass es nach Interventionen oft Drittstaaten oder neuer internationaler Akteure bedarf, um Frieden zu stiften. Wie Larry May herausstellt, unterliegt das jus post bellum ebenso eigenen Verhältnismäßigkeitserwägungen. 56 Das „do no harm“-Prinzip („Tue kein Unrecht“) bezieht sich spezifisch auf konfliktbeendigende und friedenssichernde Maßnahmen. Dennoch gibt es Wechselwirkungen zwischen jus post bellum, jus ad bellum und jus in bello. 57 Einige partielle Aspekte des jus post bellum sind immanent im jus ad bellum und im jus in bello enthalten. 58 II. Jus post bellum und jus ad bellum In der Theorie des gerechten Krieges ist die Kopplung des jus post bellum an das jus ad bellum seit langem anerkannt. Der Zusammenhang wurde vor allem über die Dialektik zwischen Krieg und Frieden im Kriterium der rechten Absicht formuliert: Krieg soll der Herstellung des Friedens dienen und Frieden nicht unmöglich machen. Die Aussicht auf einen „gerechten Frieden“ ist damit ein entscheidender Teil der Beurteilung militärischer Gewaltanwendung.

_____________ 55 Zur Unabhängigkeit, vgl. auch Fleck (Anm. 27), 57; Alex Bellamy, Responsibilities of Victory: Jus Post Bellum and the Just War, Review of International Studies 34 (2008), 601, 622. 56 Siehe May (Anm. 49), 226. 57 Siehe auch Cécile Fabre, Cosmopolitan Peace, 2016, 21; Österdahl (Anm. 30), 285. 58 Nicht zutreffend hingegen ist die These, dass jus post bellum ganzheitlich in jus ad bellum und in jus in bello zu verorten ist. Dies mag auf einige Kriterien der Theorie des gerechten Krieges zutreffen (vgl. Emily Pollard, The Place of Jus Post Bellum in Just War Considerations, in: Fritz Allhoff/Nicholas G. Evans/Adam Henschke [Hrsg.], Routledge Handbook of Ethics and War in the 21st Century, 2013, 93, 101 f.), gilt jedoch nicht hinsichtlich des rechtlichen Gehalts. Siehe Österdahl (Anm. 30), 285 ff.

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Aus der Perspektive des Rechts ist es bedenklich, diesen Zusammenhang an subjektive Kriterien wie Absicht zu knüpfen. 59 Aber ähnliche Verbindungen lassen sich über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit herleiten. Es ist zunehmend anerkannt dass die Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Gewalt eine Folgenabwägung beinhalten muss. Es muss geprüft werden, ob die Mittel geeignet sind, einen legitimen Zweck zu erreichen. Dies erfordert eine Ex-ante-Betrachtung der Folgen, d.h. eine vernünftige Erfolgsaussicht („reasonable prospect of success“), wie es im Rahmen des Prinzips der Schutzverantwortung formuliert wurde. 60 Diese Folgenabwägung ist insbesondere bei Interventionen aus menschenrechtlichen, humanitären oder demokratiegeleiteten Gründen bedeutsam. Sie hat eine Präventivfunktion im Sinne des jus contra bellum. Sie impliziert, dass eine Intervention unterlassen werden sollte, wenn der Intervenient nicht dazu imstande ist, die intendierten Ziele zu erreichen, und nicht die notwendigen Schutzmaßnahmen ergreift. Ist es z.B. vorhersehbar, dass eine Intervention zur Zerstörung der Bevölkerung, Aufstand oder anderen Formen von unkontrollierbarer Gewalt führt, sprechen gewichtige Argumente für eine Unterlassungspflicht. Der zweite Zusammenhang ergibt sich aus der Sorgfaltspflicht des Intervenienten, insbesondere dem Aspekt der Nachsorge. In der modernen Moralphilosophie, von Rawls bis Walzer, wurde lange der Standpunkt vertreten, dass Intervention eine Pflicht zu einem zügigen Rückzug beinhaltet. Dies wurde aus dem Souveränitätsprinzip, dem Nicht-Einmischungs-Gebot und dem Recht auf politische Selbstbestimmung abgeleitet. 61 Doch dieser Ansatz ist problematisch, wenn ein Staat nach Intervention de facto in Bürgerkrieg verfeindeter Völker, Eth_____________ 59

Annalisa Keoman, A Realistic and Effective Constraint on the Resort to Force? Pre-Commitment to the Jus in Bello and Jus Post Bellum as Part of the Criterion of Right Intention, Journal of Military Ethics 6 (2007), 198, 199 f. 60 Der Entwurf der Internationalen Kommission zu Intervention und Staatensouveränität knüpft die Legtimierung von Intervention an verschiedene Voraussetzungen an: einen gerechten Grund (just cause), die richtige Absicht (right intention), das letzte Mittel (last resort), die Verhältnismäßigkeit des Mittels (proportional means), vernünftige Erfolgsaussichten (reasonable prospects) und die zuständige Autorität (right authority). Vgl. auch Brasiliens Vorschlag zur „Responsibility While Protecting“ in Folge der Sicherheitsratsermächtigung des Einsatzes in Libyen („The use of force must produce as little violence and instability as possible and under no circumstance can it generate more harm than it was authorized to prevent“): Annex to the letter dated 9 November 2011 from the Permanent Representative of Brazil to the United Nations addressed to the Secretary-General, A/66/551–S/2011/701, 11. November 2011, 3, Pkt. 11 (e). 61 Vgl. Art. 2 Abs. 1 UN-Charta. Zur Begründung siehe Walzer (Anm. 18), 51 ff.; Jeff McMahan, The Morality of Military Occupation, Loyola L.A. International & Comparative Law Review 31 (2009), 101, 116. Mollendorf argumentiert, dass ständig zu prüfen sei, ob politische Möglichkeiten der Kriegsbeendigung bestehen. Vgl. Mollendorf (Anm. 36), 123 ff.

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nien, Religionsgemeinschaften fällt. Ist es dann noch legitim, auf dem NichtEinmischungs-Prinzip zu bestehen oder ergeben sich Sorgfalts- und Schutzpflichten nach der Intervention? 62 Es geht zu weit, aus dem jus post bellum eine Pflicht zum Wiederaufbau herzuleiten. 63 Rechtsstaat und Demokratie lassen sich schwerlich von außen etablieren. Aber zumindest ergibt sich eine Pflicht zur Nachsorge. Diese folgt aus dem Grundsatz, dass eine Intervention nicht mehr Schaden als Vorteil anrichten darf. Sie steht im Gegensatz zu dem Impuls des ungeplanten Rückzugs („No Exit without Strategy“) vieler Intervenienten. 64 Zudem hängen Schadensersatz- und Wiedergutmachungsansprüche von der Rechtmäßigkeit nach jus ad bellum ab. III. Jus post bellum und jus in bello Ähnliche Wechselwirkungen bestehen auch im Verhältnis jus post bellum und jus in bello. Jus post bellum steht in engem Zusammenhang zu dem Grundsatz der Verhaltnismäßigkeit nach jus in bello. Insbesondere dem Gebot der Vermeidung unnötiger Opfer und Schäden mag sich eine potentielle Pflicht ableiten, Maßnahmen im bewaffneten Konflikt zu unterlassen, welche zu einer unbestimmten Verlängerung des Konflikts, etwa einer zeitlichen unkontrollierbaren Konfliktspirale, führen. Bezüge bestehen ebenfalls zum Besatzungsrecht. 65 Jus post bellum beinhaltet kein Rechtsurteil über die Rechtmäßigkeit der Besatzung. Aber es kann eventuelle Nachsorgepflichten gegenüber den Folgen der Besatzung begründen. 66 Der Oberste Gerichtshofs Israels hat diese Fragestellung hinsichtlich des Abzugs nach langjähriger Besatzung von Gaza erörtert. Durch die Besatzung selbst ergeben sich in solchen Situationen sozio-ökonomische Abhängigkeiten zwischen Besatzungsmacht und besetztem Gebiet. Aus der treuhänderischen _____________ 62

Siehe dazu auch David Rodin, Ending War, Ethics and International Affairs 25 (2011), 359 ff. 63 Vgl. zu Wiederaufbau May (Anm. 49), 145 ff.; Lonneke Peperkamp, On the Duty to Reconstruct After War: Who is responsible for jus post bellum?, Canadian Journal of Law & Jurisprudence XXIX (2016), 403 ff. 64 Siehe Kofi Annan, No Exit Without Strategy: Security Council Decision Making and the Closure or Transition of United Nations Peacekeeping Operations, UN Doc, S.2001/394 (2001); Zaum (Anm. 26), 334, 337; Richard Caplan (Hrsg.), Exit Strategies and Statebuilding, 2012. 65 Vgl. Andrea Carcano, The Transformation of Occupied Territory in International Law, 2015, 442 ff.; Mark Evans (Anm. 14), 533 ff. 66 Ronen (Anm. 24), 428, 428.

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Verantwortung der Besatzungsmacht ergibt sich eine potentielle Pflicht zur ordnungsgemäßen Übergabe der Kontrolle über Infrastruktur und Ressourcen. 67 IV. Funktionsbestimmung Insgesamt ergeben sich daher drei Kernfunktionen des jus post bellum: – Prävention, d.h. Folgenabwägung bezüglich des „post“ vor dem Einsatz bewaffneter Gewalt, nicht nur dabei und danach; – Begrenzung der Gewaltanwendung während des bewaffneten Konflikts; und – Ermöglichung der Friedenskonsolidierung im Übergangsprozess zwischen bewaffnetem Konflikt und Frieden.

E. Rechtsnatur In normativer Hinsicht ist jus post bellum als Rechtskonzept, wie Volker Epping es formuliert hat, ein „Flickenteppich“. 68 Es beinhaltet völkerrechtliche Grauzonen und befindet sich in Entwicklung. Es lassen sich verschiedene Konzeptionen unterscheiden. I. Normatives Regelwerk Im weitesten Sinne kann jus post bellum als normatives Regelwerk zur Organisation der Nachkonfliktperiode aufgefasst werden. Das bedeutet, dass es gewisse Normen und Prinzipien beinhaltet, die als jus post bellum verstanden werden, weil sie Rechtslücken schließen. 69 Dieser Ansatz ist am schwierigsten empirisch zu begründen. Anders als jus ad bellum oder jus in bello ist jus post bellum nicht in allgemeiner Form kodifiziert. Es baut auf Normen auf, die anderen Rechtsbereichen zugeordnet werden (z.B. Vertragsrecht, Menschenrechtsschutz, UN-Recht, Umweltrecht etc.). Es eignet sich auch nicht leicht zur Kodifizierung, da es situationsbedingt angewandt und angepasst wird. Viele Grundsätze _____________ 67 Israeli Supreme Court, HCJ 9132/07, Jaber Al-Bassiouni Ahmed and others v. The Prime Minister, 30. Januar 2008, http://elyon1.court.gov.il/Files_ENG/07/320/091/n25/ 07091320.n25.pdf. 68 Volker Epping, Ius post bellum – Völkerrechtliche Grauzone und Flickenteppich, in: Andreas Fischer-Lescano u.a. (Hrsg.), Frieden in Freiheit: Festschrift für Michael Bothe, 2008, 65, 79. 69 Vgl. näher, Carsten Stahn, The Future of Jus Post Bellum, in: Stahn/Kleffner (Anm. 11), 231, 236 f.

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ergeben sich aus konkreter Rechtspraxis und Rechtsanwendung, wie Friedensabkommen, UN-Resolutionen, Staatenpraxis oder soft law („good practices“). Zum Teil modifizieren sie materielle oder prozessuale Normen aus anderen Rechtsgebieten (wie z.B. die Pflicht zur Strafverfolgung). II. Ordnungsrahmen Eine zweite Konzeption von jus post bellum als Rechtskonzept ist auf Koordination ausgerichtet. In der Anwendung spezifischer Rechtsgebiete in PostKonfliktsituationen kann es oft zu Normenkollisionen kommen. Jus post bellum kann als Ordnungsrahmen zur Lösung normativer Konflikte oder zur Abwägung gegensätzlicher Interessen verstanden werden. 70 Ein klassisches Beispiel ist die Bestimmung des Verhältnisses zwischen lex generalis und lex specialis. Jus post bellum kann das Zusammenspiel bestehender rechtlichen Regelwerke (z.B. humanitäres Völkerrecht – Menschenrechte) organisieren und Konflikte mit spezifischem Blick auf die Interessen und geschützten Rechtsgüter in Post-Konfliktsituation lösen. Insoweit hilft es, Normen besser zusammenzufügen. Zudem kann jus post bellum den zeitlichen Anwendungsbereich bestimmter Maßnahmen koordinieren. Im Bereich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit kommt es oft zu Kollisionen zwischen Demobilisierung, Strafverfolgungspflicht und justizieller Kapazität. Jus post bellum kann Hilfestellung zur Koordinierung und zeitlichen Abfolge von Mechanismen geben, wie z.B. dem Zusammenspiel zwischen Strafverfolgung, Wahrheitsfindung und Amnestien. 71 III. Auslegungshilfe Drittens fungiert jus post bellum als Auslegungshilfe. 72 Es ermöglicht eine kontext-spezifische Auslegung bestimmter normativer Konzepte, wie „militärische Notwendigkeit“ oder Verhältnismäßigkeit. 73 Ein weiterer Anwendungsfall ist die Auslegung von Vertragsklauseln in Investmentabkommen oder von _____________ 70

Siehe auch Easterday/Iverson/Stahn (Anm. 45), 1, 2 ff. Siehe Mark Freeman/'UDåDQ'MXNLü Jus Post Bellum and Transitional Justice, in: Stahn/Kleffner (Anm. 11), 213; Frédéric Mégret, Should Rebels be Amnestied?, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 519 ff. 72 Grundlegend James Gallen, Jus Post Bellum: An Interpretive Framework, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 58 ff. 73 Siehe May (Anm. 49), 219 ff. Zu Verhältnismäßigkeit und Investionsschutz, siehe -XUH =ULOLþ International Investment Law in the Context of Jus Post Bellum: Are Investment Treaties Likely to Facilitate or Hinder the Transition to Peace?, Journal of World Investment & Trade 16 (2015), 604 ff. 71

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Notstandsklauseln in Menschenrechtsverträgen. 74 Menschenrechtsorgane sind typischerweise auf die Kontrolle von Staaten fixiert. Jus post bellum kann Prinzipien für die Anwendung von Notstandsklauseln durch andere Institutionen wie Regionalorganisationen, Friedensmissionen oder den Sicherheitsrat formulieren.

F. Verhältnis zu verwandten Rechtsfiguren Jus post bellum unterscheidet sich im Anwendungsbereich von anderen Konzepten. Im rechtlichen Sinne ist es weder ein klassisches Menschenrechts-, noch ein klassisches Gerechtigkeitsprinzip. Oft wird das Verhältnis zur Transitional Justice diskutiert. 75 Es bestehen mehrere Unterschiede. Transitional Justice hat keinen spezifischen Fokus auf bewaffnete Konflikte. Der Schwerpunkt liegt auf Gerechtigkeit und kollektiver Vergangenheitsbewältigung bzw. Vergangenheitsaufarbeitung. Insofern umfasst es nur einem begrenzten Ausschnitt von post bellum. Jus post bellum betrifft alle Arten gewaltsamer Konflikte. Das Interesse gilt der Herstellung und Konsolidierung eines friedlichen Zustands. Der Zentralwert ist Ordnung. Nicht jeder bewaffnete Konflikt ist mit massenhaften Menschenrechtsverletzungen verbunden. Jus post bellum hat Überschneidungsmerkmale mit der Schutzverantwortung, insbesondere in Bezug auf kollektive Verantwortlichkeit gegenüber PostKonfliktsituationen. Aber auch hier bestehen maßgebliche Unterschiede. 76 Das Konzept der Schutzverantwortung definiert hauptsächlich institutionelle Reaktionsmuster. Es wird durch massenhafte Menschenrechtsverletzungen ausgelöst. Jus post bellum setzt am Einsatz bewaffneten Konflikts an. Es enthält eigenständige Normen und Prinzipien.

_____________ 74

Siehe Wählisch (Anm. 32), 315, 320 ff. Jens Iverson, Transitional Justice, Jus Post Bellum and International Criminal Law: Differentiating the Usages, History and Dynamics, International Journal of Transitional Justice 7 (2013), 413 ff. 76 Ausführlich Stahn (Anm. 22), 102, 110 ff. 75

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G. Inhalt Dies führt zu der Frage nach konkreten Rechtsinhalten des jus post bellum. Diese möchte ich anhand einiger Beispiele erörtern. I. Grundsatz der Mäßigung Im weitesten Sinne kann jus post bellum als ein Grundsatz der Mäßigung 77 verstanden werden. Dieser leitet sich aus der Ausrichtung der Konfliktbeendigung am Ideal des Friedens ab. Im Verhältnis zwischen Konfliktparteien hat das Gebot der Mäßigung stets eine bedeutende Rolle im jus post bellum gespielt. Amnestien wurden historisch anerkannt, um der Gegenseite einen Neuanfang zu erlauben. Im Traktat „Zum Ewigen Frieden“ hat Kant sich gegen Friedensverträge ausgesprochen, die in sich den „Stoff zu einem künftigen Kriege“ bergen 78, und in anderem Kontext dafür plädiert die Kriegsschuldfrage auzuklammern. Basierend auf klassischen Werken hat Larry May daraus die Idee entwickelt, dass jus post bellum zumindest moralisch ein Gerechtigkeitsprinzip beinhaltet, wonach der Sieger nicht unbedingt das fordern soll, was ihm zusteht, sondern was vernünftigerweise verlangt werden kann. 79 Historische Beispiele sind der Wiederaufbau Deutschlands oder Japans nach dem Zweiten Weltkrieg. Rechtlich lässt sich der Grundsatz der Mäßigung in Bezug auf die Staatenverantwortlichkeit untermauern. Exzessive Reparationsansprüche wie im Vertrag von Versailles werden heutzutage mit Skepsis betrachtet. Einen Anhaltspunkt bietet die Praxis der Schadensersatzskommission im Konflikt zwischen Eritrea und Äthopien. 80 Die Kommission hatte über gegenseitige Ansprüche auf Entschädigung für erlittenes Unrecht zu befinden. Sie kam zu dem Schluss, dass Eritrea durch Einsatz von Waffengewalt gegen äthiopische Gemeinden das Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta verletzt habe. Die Kommission lehnte eine Abschreckungsfunktion von Schadensersatzansprüchen bezüglich der Verletzung des Gewaltverbots explizit ab und reduzierte den Umfang der _____________ 77

Siehe Larry May, Jus Post Bellum, Grotius and Meionexia, in: Stahn/Easterday/Iverson (Anm. 11), 1, 19 ff. 78 Siehe Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden: Ein philosophischer Entwurf, 1795, Erster Präliminarartikel. 79 Siehe ausführlich May (Anm. 49), 12 ff.; ders. (Anm. 77), 1, 19 ff. 80 Siehe generell Christine Gray, The Eritrea/Ethiopia Claims Commission Oversteps Its Boundaries: A Partial Award?, European Journal of International Law 17 (2006), 699 ff.; Natalie Klein, State Responsibility for International Humanitarian Law Violations and the Work of the Eritrea Ethiopia Claims Commission So Far, German Yearbook of International Law 47 (2004), 214.

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Entschädigungspflicht auf Ersatz entstandener Schäden. 81 Besonderes Gewicht bezüglich des jus post bellum 82 hat die Feststellung der Kommission, dass Schadensersatz nicht zu einer Bedrohung der staatlichen Existenzgrundlage führen darf. 83 Dieser Grundsatz war in Art. 41 Abs. 3 eines frühen Entwurfs der Artikel zur Staatenverantwortlichkeit der Völkerrechtskommission vorgesehen, wurde in die finale Fassung aber nicht aufgenommen. Die Kommission leitete das Verbot der Bedrohung der staatlichen Existenzgrundlage aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 der beiden Menschenrechtspakte ab 84 und erkannte damit eine Durchbrechung des Prinzips der vollständigen Wiedergutmachung. 85 In der Begründung verwies die Kommission auf die Folgen des Versailler Vertrags 86 und die Verpflichtung, die Interessen der betroffenen Bevölkerung in der Festsetzung des Schadensersatzes zu berücksichtigen. 87 Zutreffend wurde dies also „als allgemeines Prinzip eines ius post bellum“ bezeichnet. 88 Ähnliche Grundsätze werden hinsichtlich der Behandlung staatlicher Schulden diskutiert. 89 Viele Staaten, die von Konflikten oder autoritärer Herrschaft geprägt sind, haben mit schweren finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Grundsätzlich gilt bei Kreditverträgen der Rechtsgrundsatz pacta sunt servanda. Im Völkerrecht wird seit langem die Erstattungspflicht illegitimer Schulden (odious debts) diskutiert. 90 Der Gedanke, dass es illegitime Schulden gibt, für die ein Gemeinwohl nicht einstehen muss, wurde durch den russischen Juristen Alexander Sack bereits im Jahr 1927 formuliert. Nach der sogenannten Sack_____________ 81

Eritrea-Ethiopia Claims Commission, Final Award, Ethiopia’s Damages Claims between The Federal Democratic Republic of Ethiopia and The State of Eritrea, 17 August 2009, International Legal Materials 49 (2010), 101 ff. 82 Siehe Krajewski (Anm. 34), 147, 171 ff. 83 Final Award (Anm. 81), Abs. 18 und 19. 84 Art. 1 Abs. 2 lautet: „In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden“. 85 Siehe die Ausführungen des StIGH im Chorzow Factory-Fall: „Der wesentliche Grundsatz, der sich aus dem Begriff der unerlaubten Handlung selbst ableitet und in der internationalen Praxis, namentlich der Rechtsprechung der Schiedsgerichte, feststehen dürfte, ist der, daß der Schadensersatz, soweit möglich, alle Folgen der unerlaubten Handlung beseitigen und den Zustand wieder herstellen soll, der vermutlich bestanden haben würde, wenn die Handlung nicht begangen worden wäre“. PCIJ Ser. A Nr. 17, 47. 86 Final Award (Anm. 81), Abs. 21. 87 Siehe dazu auch Fania Domb, Human Rights and War Reparation, Israel Yearbook of Human Rights 22 (1993), 77 ff. 88 Siehe Krajewski (Anm. 34), 147, 175. 89 Siehe James Gallen, Odious Debt and Jus Post Bellum, Journal of World Investment & Trade 16 (2015), 666 ff. 90 Vgl. Christoph Paulus, Odious Debts vs. Debt Trap: A Realistic Help?, Brooklyn Journal of International Law 31 (2005), 83 ff.; Andreas Fischer-Lescano, Odious Debts und das Weltrecht, Kritische Justiz 36 (2003), 223 ff.

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Doktrin kann ein Staat die Übernahme von Schulden zurückweisen, wenn die Bevölkerung des Schuldnerstaates keinen Einfluss auf die Kreditaufnahme und die Kreditverwendung hatte, der Kredit nicht im Interesse oder gegen das Interesse der Bevölkerung eingesetzt wurde und die Gläubiger den Kredit in diesem Bewusstsein einräumten. 91 Klassischerweise wurde dieses Argument für den Fall der Staatennachfolge angenommen. Jedoch wird zunehmend erwogen, ob gewisse Ausnahmen auch im Falle von Regierungswechseln gelten können 92, so z.B. wenn Schulden zur Finanzierung von schweren Menschenrechtsverletzungen oder Aggressionskriegen aufgenommen werden. Die Vereinigten Staaten haben dieses Argument nach dem Sturz der Regierung von Saddam Hussein angeführt, um zu begründen, dass die Nachfolgeregierung nicht für das Vorgängerregime einstehen müsse. 93 Die Wahrheitskommission in Südafrika hat empfohlen, Schulden aus der Apartheidszeit zu überprüfen. 94 Das Argument lautet: Die Kreditgeber sollten für Kredite einstehen, die für illegitime Zwecke gegeben wurden – nicht die Bevölkerung. Diese Begründung ruht letztlich in der Verletzung von Treuhandpflichten des Staates gegenüber seiner Bevölkerung. 95 Diese Verletzung, so die Argumentation, berechtigt eine Ausnahme vom Grundsatz pacta sunt servanda im Außenverhältnis, da Verträge bezüglich illegaler Ziele ungültig sind. Formalrechtlich lässt sich diese These auf Art. 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention stützen, wonach ein Vertrag nichtig ist, „wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht“. Demnach sind Schuldverträge dann unwirksam, wenn sie dazu benutzt werden, Verletzungen von jus cogens finanziell zu unterstützen. 96 Das Problem liegt darin, dass es umstritten ist, welche Menschenrechtsverletzungen gegen jus cogens verstoßen, und dass die Definition des „illegitimen“ Zwecks unbestimmt ist. In vielen Fällen ist es schwer zu ermitteln, ob die Schuldenaufnahme die Wurzel des Übels ist oder vielmehr die Auswirkung der Schuldenkontinuität. Was unter die Doktrin der illegitimen Schulden fällt, bleibt umstritten. Daher ist der Grundsatz der Mäßigung in einigen Fällen ein besse_____________ 91 Alexander N. Sack, Les Effets des Transformations des États sur leurs Dettes Publiques et Autres Obligations Financieres, 1927, 157 ff. 92 Siehe Jeff King, The Doctrine of Odious Debts, 2016, 39 ff.; Sabine Michalowski, Unconstitutional Regimes And The Validity Of Sovereign Debt, 2007. 93 Siehe Jai Damle, The Odious Debt Doctrine after Iraq, Law and Contemporary Problems 70 (2008), 139 ff. 94 South African Truth and Reconciliation Commission, Final Report – Vol. 5, 1998, 319. 95 Siehe hierzu Anne Peters, Humanity as the A and ȍ of Sovereignty, European Journal of International Law 20 (2009), 513 ff. 96 P. K. Menon, The Succession of States in Respect to Treaties, State Property, Archives and Debts, 1991, 163; Fischer-Lescano (Anm. 90).

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res Erklärungsmodell. 97 Er mag als eine besondere Ausgestaltung von „Billigkeit“ (Equity) als allgemeiner Rechtsgrundsatz (Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut) gelten. II. Strafe Ein zweiter Anwendungsbereich von jus post bellum betrifft den Umgang mit der Strafverfolgung von Unrecht. Der Gedanke der Friedenssicherung untermauert das Verbot kollektiver Bestrafung 98, das im humanitären Völkerrecht anerkannt ist. 99 Nach modernem Verständnis ist der Gedanke der Strafe an individuelle Verantwortlichkeit gekoppelt. 100 Staaten treffen Wiedergutmachungspflichten bezüglich Völkerrechtsvergehen oder Präventionspflichten 101, aber keine Strafen im formalen Sinne von Vergeltung. Strafe ist Individuen vorbehalten, und nicht im Sinne von Rache zu verstehen. Jus post bellum ist maßgeblich für das Spannungsfeld zwischen Strafe und Versöhnung. Im antiken Griechenland galt der Grundsatz, dass Kriege entweder durch Amnestie (amnesia, d.h. Vergessen) oder durch Vergeltung bezüglich der Besiegten enden. Das moderne Völkerrecht hat eine differenzierte Betrachtungsweise. Die Straffunktion muss mit dem Gebot der Friedensstiftung in Einklang gebracht werden. Dies erfordert eine Abwägung unterschiedlicher Interessen (Strafverfolgungspflicht, Opferinteressen, Sicherheit und Frieden), und eine Koordinierung der zeitlichen Abfolge von Reaktionsmustern. In den vergangenen Jahrzehnten habe sich zwei Grundprinzipen in Bezug auf den Interessenskonflikt zwischen Frieden und Verantwortlichkeit herausgebildet haben, die weiterer Erörterung bedürfen. _____________ 97

Siehe zu der Verknüpfung auch Gallen (Anm. 89), 666, 694. Siehe Shane Darcy, Collective Responsibility and Accountability Under International Law, 2007. 99 Art. 33 der Vierten Genfer Konvention stellt klar, dass eine Person nicht für ein Verbrechen verurteilt werden darf, das sie nicht persönlich begangen hat. Kollektivstrafen zählen zu den Kriegsverbrechen. Siehe Art. 87 Abs. 3 der Dritten Genfer Konvention und Art. 33 der Vierten Genfer Konvention. 100 Vgl. das grundlegende Diktum: „Verbrechen gegen das Völkerrecht werden von Menschen und nicht von abstrakten Wesen begangen, und nur durch die Bestrafung jener Einzelpersonen, die solche Verbrechen begehen, kann den Bestimmungen des Völkerrechts Geltung verschafft werden.“ Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg für die Aburteilung der deutschen Hauptkriegsverbrecher vom 30. September/1. Oktober 1946, Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. NovHPEHU í Oktober 1946; Bd. I, Nürnberg 1947, 189 ff., 248 ff. 101 Siehe IGH, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia v. Serbia), ICJ Reports 2007, 43, 121 f. 98

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Das erste ist die Strafverfolgung von Hauptverantwortlichen, die sogenannte „gezielte Verantwortlichkeit“ in Bezug auf Kernverbrechen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen). Situationen wie der Völkermord in Ruanda haben verdeutlicht, dass es in Postkonflikt-Situationen oft unmöglich ist, alle Straftaten in regulären Strafverfahren zu verfolgen. Die internationale Strafjustiz hat eine wichtige Symbolfunktion. Sie signalisiert, dass sowohl die schwersten Taten als auch die Täter aller Konfliktpartien geahndet werden. 102 Der zweite Grundsatz ist die Zulässigkeit alternativer Strafmodelle im Umgang mit Massenverbrechen. Die Kernverbrechen sind situationsgeprägt. Sie beruhen auf Konformitätszwängen, Machtbegehren, sozialem Druck oder ideologischen Motiven, die kontextgesteuert sind. Entfällt der Kontext, reduziert sich oft der Tatanreiz, die kriminelle Energie und die Gefährdung für Opfer. Um ein geordnetes Zusammenleben und sozialen Frieden zu ermöglichen, ist es notwendig, das Gemeinwesen neu zu ordnen und Täter zu integrieren. Dies erfordert die Wiederherstellung von Vertrauen in die Rechtsordnung, aber auch politische Neubestimmung und Aussöhnung auf lokaler Ebene. Friedensprozesse wie in Kolumbien zeigen, dass Strafmilderung ein „notwendiges Übel“ sein kann, um diesen Interessensausgleich zu schaffen. 103 In Bezug auf Amnestien muss im Einzelfall differenziert werden. Es ist zunehmend anerkannt, dass Amnestien in Bezug auf Kernverbrechen im Widerspruch zu Menschenrechtsnormen und der Pflicht zur Strafverfolgung stehen. 104 Aber es geht zu weit, daraus de lege lata einen kategorischen Ausschluss von Amnes_____________ 102 Siehe Art. 54 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Zu „expressivism“ als Legitimierung internationaler Strafgewalt, siehe Mark Drumbl, Atrocity, Punishment and International Law, 2007, 173. 103 Siehe Inter-Amerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte, Case of the Massacres of El Mozote and Nearby Places v. El Salvador, 25. October 2012, Concurring Opinion of Judge Diego Garcia-Sayán, § 38 („in certain transitional situations between armed conflicts and peace, it can happen that a State is not in a position to implement fully and simultaneously, the various international rights and obligations it has assumed. In these circumstances, taking into consideration that none of those rights and obligations is of an absolute nature, it is legitimate that they be weighed in such a way that the satisfaction of some does not affect the exercise of the others disproportionately“). Vgl. generell Mark Freeman, Necessary Evils: Amnesties and the Search for Justice, 2009. 104 Siehe EGMR, Große Kammer, Margus v. Croatia, Application No. 4455/10, 27. Mai 2014, § 139 („A growing tendency in international law is to see such amnesties as unacceptable because they are incompatible with the unanimously recognised obligation of States to prosecute and punish grave breaches of fundamental human rights. Even if it were to be accepted that amnesties are possible where there are some particular circumstances, such as a reconciliation process and/or a form of compensation to the victims, the amnesty granted to the applicant in the instant case would still not be acceptable since there is nothing to indicate that there were any such circumstances.“).

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tien abzuleiten. Es muss bezüglich Täter, Tat, Form und Ausmaß des Strafausschlusses differenziert werden. So erkennen z.B. Soft-law-Instrumente wie die Belfaster Richtlinien die Zulässigkeit bedingter Amnestien an. 105 III. Wiedergutmachung für Opfer Ein dritter Anwendungsbereich betrifft das Verhältnis zwischen Opfern und Schädigern. Ein wichtiger Ansatz ist das Verhältnis zwischen Restitution, d.h. Wiederherstellung des status quo, und Schadenersatz im Falle von Vertreibung. Diese Frage wird in vielen konfliktbedingten Übergangsituationen relevant. 106 Im Jahr 2005 haben die Vereinten Nationen Prinzipen erarbeitet (die sogenannten „Pinheiro-Prinzipien“), um diesen Konflikt zu regeln. Art. 21 der Prinzipen begründet einen grundsätzlichen Vorrang von Restitution gegenüber Schadensersatz 107, um die Folgen von Vertreibung zu mindern und Rückkehr zu ermöglichen. In der Praxis hat sich dieser Vorrang jedoch als ambivalent erwiesen. In Bosnien-Herzegowina und im Kosovo hat die Rückkehr häufig zu neuen Sekundärkonflikten geführt, da bereits die zuvor bestehende Eigentumsordnung _____________ 105

Vgl. Belfast Guidelines on Amnesty and Accountability, 2013, Richtlinie Nr 5: „Amnesties can be designed to complement or operate sequentially with judicial and non-judicial accountability processes in a way that furthers a state’s multiple obligations and objectives. Such combined approaches can: a) deliver some form of truth and accountability for cases which are not selected for prosecution, b) focus limited prosecutorial resources on those cases which are deemed to be of a higher priority or where the perpetrator has failed to fulfil the conditions of the amnesty, c) contribute to a broader range of conflict transformation goals than an exclusive focus on prosecutions (see Guideline 4), d) deliver greater consistency with a state’s international obligations than broad amnesties that prevent all prosecutions“. 106 Siehe generell Antoine Buyse/Michael Hamilton, Transitional Jurisprudence and the European Convention on Human Rights: Justice, Politics, and Rights, 2011. 107 United Nations Principles on Housing and Property Restitution for Refugees and Displaced Persons (Pinheiro-Prinzipien), E/CN.4/Sub.2/2005/17, 28 June 2005, http://www. cohre.org/sites/default/files/pinheiroprinciples.pdf. Art. 21 lautet: „States shall, in order to comply with the principle of restorative justice, ensure that the remedy of compensation is only used when the remedy of restitution is not factually possible, or when the injured party knowingly and voluntarily accepts compensation in lieu of restitution, or when the terms of a negotiated peace settlement provide for a combination of restitution and compensation […] States should ensure, as a rule, that restitution is only deemed factually impossible in exceptional circumstances, namely when housing, land and/or property is destroyed or when it no longer exists, as determined by an independent, impartial tribunal. Even under such circumstances the holder of the housing, land and/or property right should have the option to repair or rebuild whenever possible. In some situations, a combination of compensation and restitution may be the most appropriate remedy and form of restorative justice.“ Siehe auch Art. 156 der Verfassung von Kosovo aus dem Jahr 2008.

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umstritten war. 108 Die Große Kammer des EGMR hat dies in Bezug auf Nordzypern im Fall Demopoulos klargestellt. 109 Die Kammer befand, dass Wiedergutmachung vorherigen Unrechts kein unverhältnismäßiges neues Unrecht schaffen dürfe. 110 Jus-post-bellum-Kriterien können helfen, dieses Spannungsfeld aufzulösen. IV. Verantwortungsvoller „Exit“ Zuletzt hat das jus post bellum eine Gestaltungsfunktion für den „verantwortungsvollen Exit“ aus Post-Konfliktsituationen. Es begründet eine Folgenverantwortlichkeit. Konkrete Anwendungsfälle ergeben sich im Bereich von Waffen und Umweltschäden. Insbesondere Minen, Streumunition und nicht explodierte Munition haben sich als große Gefahrenquelle für Zivilisten nach dem Ende von Kriegen erwiesen. In den letzten Jahrzehnten haben sich bestimmte Handlungspflichten für Post-Konfliktsituationen herauskristallisiert. Eine Pflicht zur Beseitigung besteht sowohl für Minen 111 als auch für nicht explodierte Rückstände von Streuwaffen. 112 Das Protokoll über explosive Kriegsmunitionsrückstände (Protokoll V) verpflichtet jede an einem bewaffneten Konflikt beteiligte Partei, explosive Kriegsmunitionsrückstände in betroffenen Gebieten unter ihrer Kontrolle zu räumen, zu beseitigen oder zu zerstören. 113 Die UN-Völkerrechtskommission hat den Schutz der Umwelt in die Folgenbetrachtung einbezogen. Prinzip 16 des Regulierungsentwurfs zum Schutz der Umwelt in Bezug auf bewaffnete Konflikte dehnt die Verantwortlichkeit auf Umweltschäden aus. 114 _____________ 108

Siehe Rhodri C. Williams, Post-Conflict Property Restitution and Refugee Return in Bosnia and Herzegovina: Implications for International Standard-Setting and Practice, NYU Journal of International Law and Politics 37 (2005), 441. 109 EGMR, Demopoulos and others v. Turkey, Application Nos. 46113/99, 3843/02, 13751/02, 13466/03, 10200/04, 14163/04, 19993/04, 21819/04, Decision on Admissibility, 1. März 2010, § 116. 110 Ibid., § 117. 111 Zur völkergewohnheitsrechtlichen Verankerung, siehe Regel 83 der Customary Law Study des IKRK: Jean-Marie Henckaerts/Louise Doswald-Beck (Hrsg.), Customary International Humanitarian Law, 3 Bände, 2005. 112 Siehe Art. 4 Abs. 1 des am 1. August 2010 in Kraft getretenen Übereinkommens über Streumunition („Each State Party undertakes to clear and destroy, or ensure the clearance and destruction of, cluster munition remnants located in cluster munition contaminated areas under its jurisdiction or control.“). 113 Siehe Art. 3 des Protokoll vom 28. November 2003 über explosive Kriegsmunitionsrückstände (Protokoll V) zu dem Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können. 114 Siehe Protection of the environment in relation to armed conflicts, Statement of the Chairman of the Drafting Committee, Mr. Pavel Šturma, 9 August 2016, Prinzip 16:

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Oft lasse sich nicht genau nachvollziehen, wer für die Schäden verantwortlich ist. Deshalb komme dem Grundsatz der gemeinsamen Verantwortung („shared responsibility“) besondere Bedeutung zu. In der moralphilosophischen Literatur wird zum Teil sogar eine verschuldensunabhängige Haftung vorgeschlagen. 115

H. Schlussfolgerung An diesen Beispielen wird deutlich, dass jus post bellum noch kein konsolidiertes Sondergebiet des Völkerrechts darstellt. Es ist vielmehr ein Gestaltungsprinzip des Völkerrechts. Es unterscheidet sich in Form und Inhalt von jus contra bellum und dem jus in bello. Inhaltlich baut es weitgehend auf existierenden Primär- und Sekundärnormen in anderen Rechtsgebieten auf. In einigen Feldern, wie dem Friedensicherungsrecht, enthält es spezifische Regeln. In anderen Fällen beinhaltet es Prinzipen zur Konkretisierung von Normen, zur Ausgestaltung spezifischer Konfliktlagen oder zur Modifizierung von Ansätzen. Die rechtliche Bedeutung wird erst schrittweise deutlich. Jahrhundertelang wurde jus post bellum in der Moralphilosophie vorwiegend mit dem Gedanken der Gerechtigkeit assoziiert. Nach völkerrechtlicher Betrachtung dient es nicht nur der Gerechtigkeit, sondern auch der Gestaltung des Rechts. Es hat eine maßgebliche Funktion für die Gestaltung des Friedens in Übergangssituationen.

_____________

„After an armed conflict, parties to the conflict shall seek to remove or render harmless toxic and hazardous remnants of war under their jurisdiction or control that are causing or risk causing damage to the environment. Such measures shall be taken subject to the applicable rules of international law.“ Siehe auch International Law Commission, Third Report on the protection of the environment in relation to armed conflicts, 3. Juni 2016, A/CN.4/700, 77 ff. 115 Siehe Lacey (Anm. 35), 141, 143 („affirmative obligation to restore the environment damaged in […] military operations“).

Gemeinschaftsräume in der Entwicklung: von der res communis omnium zum common heritage of mankind Von Alexander Proelß und Camilla Haake

A. Einleitung: Staatengemeinschaftsräume im Völkerrecht Das Thema „Raum im Völkerrecht“ behandelt die Zuordnung einzelner Räume – zumeist, aber nicht zwingend, der Erde – an bestimmte Staaten, Staatengruppen oder die Staatengemeinschaft insgesamt. Unter dem Gesichtspunkt des Staatsgebiets kommt der raumspezifischen Dimension des Völkerrechts bekanntlich konstitutive Wirkung zu: Ohne Gebiet kein Staat. Das Staatsgebiet ist der Raum, in dessen Grenzen der Staat seine territoriale Souveränität ausübt, innerhalb dessen seine Rechtsordnung gilt, und über den er – ähnlich der zivilrechtlichen Kategorie des Eigentums – grundsätzlich frei verfügen kann. 1 Neben dem Staatsgebiet anerkennt das Völkerrecht die Kategorien der sog. Funktionshoheits- und Staatengemeinschaftsräume. 2 Zu jenen zählen die im Bereich des Seevölkerrechts anerkannten Regime der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) und des Festlandsockels. Bezüglich dieser Gebiete darf nur derjenige Staat, dem sie völkerrechtlich zugeordnet sind (in der Diktion des Seevölkerrechts: der Küstenstaat), einzelne souveräne Rechte oder Hoheitsbefugnisse wahrnehmen. So regelt etwa Art. 77 Abs. 1 und 2 des UN-Seerechtsübereinkommens (SRÜ), 3 dass der Küstenstaat über den Festlandsockel „souveräne Rechte zum Zweck seiner Erforschung und der Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen aus[übt]“; diese „sind insoweit ausschließlich, als niemand ohne ausdrückliche Zustimmung des Küstenstaats den Festlandsockel erforschen oder seine natürlichen Ressourcen ausbeuten darf“. Dabei bleiben diese Zuordnungen trotz ihres beträchtlichen normativen Umfangs jeweils unterhalb der Schwelle der Über_____________ 1

Alexander Proelß, Raum und Umwelt im Völkerrecht, in: Wolfgang Graf Vitzthum/Alexander Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 389 ff., Rn. 10. 2 Die Terminologie ist nicht völkerrechtlich vorgegeben, sondern wurde von Graf Vitzthum in der 1. Aufl. des in Anm. 1 genannten Lehrbuchs eingeführt. Aufgrund ihrer Anschaulichkeit wird an ihr auch in vorliegendem Beitrag festgehalten. 3 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10.12.1982, BGBl 1994 II S. 1799.

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tragung der Gebietshoheit. 4 Die Staatengemeinschaftsräume schließlich sind normativ nicht einzelnen Staaten zugeordnet, sondern stehen der Staatengemeinschaft insgesamt, d.h. allen Staaten der Erde, zur Nutzung offen. 5 Die betreffenden Regime fußen dabei auf Gemeinschaftsinteressen bzw. Gemeinwohlüberlegungen. 6 Als Staatengemeinschaftsräume sind heute die Hohe See, der küstenferne Tiefseeboden (das sog. „Gebiet“), der Weltraum und die Antarktis anerkannt. 7 Die soeben vorgenommene Einteilung wirft die Frage auf, ob damit die tradierte Dichotomie von Staatsgebiet und Nichtstaatsgebiet ihre Gültigkeit verloren hat. Ihre Beantwortung hängt vor allem vom gebietsrechtlichen Status der Staatengemeinschaftsräume ab: Sind diese „Niemandsland“, oder „gehören“ sie vielmehr „allen“? In letzterem Falle handelte es sich bei der Hohen See, beim „Gebiet“, beim Weltraum und – aus Sicht der non-claimants – bei der Antarktis um Kondominien, bezüglich derer die territoriale Souveränität allen Staaten der Erde gemeinsam zustehen würde. Den Ausgangspunkt für eine solche Sichtweise bildet die seit langem geführte Kontroverse um den Rechtsstatus der Hohen See. Nach Auffassung renommierter Völkerrechtler sei dieser Raum als res communis omnium, als gemeinsame Sache aller, zu qualifizieren. 8 Dies scheint zu implizieren, dass es sich bei der Hohen See nicht um Nichtstaatsgebiet, nicht um „Niemandsland“ handeln kann. Bei genauerer Betrachtung vermag das res communis omnium-Konzept, von noch zu thematisierenden Unsicherheiten hinsichtlich seines Gehalts und seiner Reichweite abgesehen, eine solche Schlussfolgerung indes nicht zu tragen. Sie missachtete das Gebot, randscharf zwischen der gebietsrechtlichen und _____________ 4

Proelß (Anm. 1), Rn. 10 m.w.N. Vgl. etwa Art. 87 Abs. 1 SRÜ: „Die Hohe See steht allen Staaten, ob Küsten- oder Binnenstaaten, offen“. 6 Siehe nur Werner Stocker, Das Prinzip des Common Heritage of Mankind als Ausdruck des Staatengemeinschaftsinteresses im Völkerrecht, 1993, 16. 7 Im Hinblick auf die Antarktis kommt bekanntlich eine Besonderheit zum Tragen: Sieben Staaten (sog. claimants: Argentinien, Australien, Chile, Frankreich, Großbritannien, Neuseeland und Norwegen) beanspruchen Souveränität in Bezug auf große Teile des antarktischen Kontinents. Sie haben Sektoren definiert, deren Spitze der Südpol und deren Basis der 60. Breitengrad ist. Die anderen ebenfalls an den AntarktisVertrag vom 1.12.1959, BGBl. 1978 II S. 1517, gebundenen Staaten (sog. nonclaimants) lehnen diese Hoheitsbehauptungen ab. Ihrer Ansicht zufolge ist die Antarktis insgesamt dauerhaft aneignungsunfähiges Nichtstaatsgebiet. Der Antarktis-Vertrag lässt die Frage offen (vgl. Art. IV), verbietet es aber zumindest, dass neue oder erweiterte Gebietsansprüche erhoben werden. 8 Vgl. etwa Paul Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, 1948, 408; Jan Hendrik Willem Verzijl, International Law in Historical Perspective, Bd. IV, 1971, 8. Für den Weltraum Günther Winkler, Raum und Recht, 1999, 44. Kritisch hingegen Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, 2. Aufl. 2002, 343. 5

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der funktionalen (also nutzungs- und schutzrechtlichen) Lage zu differenzieren. 9 In gebietsrechtlicher Hinsicht sind die Staatengemeinschaftsräume angesichts der bestehenden Okkupationsverbote (für Hohe See und „Gebiet“ vgl. Art. 89 und Art. 137 Abs. 1 SRÜ) zwingend souveränitätsfrei; ihre Qualifizierung als res communes wäre mit dem geltendem Völkerrecht nicht vereinbar. Insoweit sind die Staatengemeinschaftsräume daher als terrae nullius, als Niemandsland, einzuordnen. Von diesem Standpunkt aus hat sich an den Grundkategorien Staatsgebiet/Nichtstaatsgebiet mithin nichts geändert. In nutzungsrechtlicher Hinsicht stehen Hohe See, „Gebiet“ usw. hingegen jedem Staat offen; dem trägt dann ihre Einordnung als res communes angemessen Rechnung. Wird berücksichtigt, dass Okkupationsverbot einerseits und Nutzungsfreiheit andererseits von Rechts wegen in einem untrennbaren inneren Zusammenhang stehen (was mit Blick auf den küstenfernen Tiefseeboden im Folgenden noch näher substantiiert wird), 10 dürfte die Einordnung etwa der Hohen See als res nullius communis usus der Rechtslage am ehesten gerecht werden. 11 Diese allgemeinen Überlegungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere im Hinblick auf das „Gebiet“ nach wie vor erhebliche konzeptionelle Unsicherheiten bestehen. Bekanntlich sind nach Art. 136 SRÜ „das Gebiet und seine Ressourcen […] das gemeinsame Erbe der Menschheit“. Dieser Grundsatz prägt zwar das komplexe, im Rahmen von Teil XI SRÜ kodifizierte Regime des „Gebiets“ und findet auch in Art. XI Abs. 1 des Mondvertrags 12 ausdrücklich Erwähnung, ist aber bis heute hinsichtlich seiner Ursprünge, seines normativen Gehalts und seiner Reichweite Gegenstand von Diskussionen. Vorliegende Skizze will daher am Beispiel des „common heritage of mankind“Konzepts einen Beitrag leisten zu einer Bestandsaufnahme der Gemeinschaftsräume in ihrer Entwicklung. Dabei wird der Schwerpunkt nicht nur auf Rechtsstatus und Elemente des Konzepts des gemeinsamen Menschheitserbes gelegt, sondern gerade auch nach einem konzeptionellen Ableitungszusammenhang zwischen res communis omnium und „common heritage of mankind“ gefragt. Darüber hinaus wird ähnlichen Konzepten, etwa dem des „common concern of humankind“ sowie dem Ansatz der Welterbekonvention der UNESCO 13 Aufmerksamkeit geschenkt, um auf diese Weise den Versuch einer begrifflichen und konzeptionellen Schärfung des rechtspraktisch bis heute kaum _____________ 9

Zur AWZ bereits Alexander Proelß, Ausschließliche Wirtschaftszone, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts, 2006, 222 ff., Rn. 216 ff. 10 So Rüdiger Wolfrum, Hohe See und Tiefseeboden (Gebiet), in: Vitzthum (Anm. 9), 287 ff., Rn. 9. 11 Treffend Charles Rousseau, Droit international public, Bd. IV, 1980, 276. 12 Übereinkommen zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten auf dem Mond und anderen Himmelskörpern des Sonnensystems vom 5. Dezember 1979 (1363 UNTS 3). 13 Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt vom 16. November 1972, BGBl. 1977 II, 215.

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wirkmächtig in Erscheinung getretenen „common heritage of mankind“Grundsatzes zu unternehmen.

B. Entwicklung des „common heritage of mankind“-Konzepts Als Urheber des „common heritage of mankind“-Konzepts wird allenthalben der maltesische UN-Botschafter Arvid Pardo bezeichnet, der im Jahr 1967 in einer vielbeachteten Rede vor der UN-Generalversammlung vorschlug, den küstenfernen Meeresboden und den Meeresuntergrund zum „common heritage of mankind“ zu erklären, deren Nutzung ausschließlich zum „benefit of mankind as a whole“ erfolgen solle. 14 Vor dem Hintergrund der Entdeckung großer Ressourcenvorkommen (insbesondere Manganknollen) auf dem sich seewärts an die küstenstaatlichen Festlandsockel anschließenden Tiefseeboden sowie der seinerzeit prognostizierten zeitnahen Erschöpfung der weltweiten terrestrischen Rohstoffe befürchtete Pardo, dass eine Übertragung des liberalen Hohe SeeRegimes auf den küstenfernen Tiefseeboden bzw. das Festhalten am expansive Tendenzen befördernden Ansatz des Genfer Übereinkommens über den Festlandsockel 15 zu einer weiteren Vertiefung des wirtschafts- und entwicklungspolitischen Nord-Süd-Gefälles führen werde: This […] will impel countries with the requisite technical competence competitively to extend their jurisdiction over selected areas of the oceans floor. The process has already started and will lead to a competitive scramble for sovereign rights over the ODQGXQGHUO\LQJWKHZRUOG‫ތ‬VVHDVDQGRFHDQVVXUSDVVLQJLQPDJQLWXGHDQGLQLWVLmplication last FHQWXU\‫ތ‬VFRORQLDOVFUDPEOHIRUWHUULWRU\LQ$VLDDQG$IULFD 16

Denn nur die Industriestaaten verfügten zeitnah über die Kapazitäten und Technologie, um in Tiefen von mehreren tausend Metern Bergbau zu betreiben. 17 Daraufhin nahm die UN-Generalversammlung am 15. Dezember 1969 eine Resolution an, wonach die in den Gebieten jenseits der Räume unter staat_____________ 14 General Assembly, 22nd Sess., Off. Rec., 1st Committee, 1516th Meeting, 1 November 1967, §§ 3 ff. Zum Ganzen auch Arvid Pardo, The Common Heritage: Selected Papers on Ocean and World Order 1967–1974, 1975. 15 Vgl. Art. 1 lit. a des Genfer Übereinkommens über den Festlandsockel vom 29. April 1958 (499 UNTS 311): „Im Sinne dieser Artikel bezeichnet der Ausdruck ‘Festlandsockel‘ […] den Meeresgrund und den Meeresuntergrund der an die Küste grenzenden Unterwasserzonen außerhalb des Küstenmeeres bis zu einer Tiefe von 200 Metern oder darüber hinaus, soweit die Tiefe des darüber befindlichen Wassers die Ausbeutung der natürlichen Reichtümer dieser Zonen gestattet […]“. 16 General Assembly, 22nd Sess., Off. Rec., 1st Committee, 1515th Meeting, 1 November 1967, § 91. 17 Vgl. ebd., § 90: „Current international law encourages the appropriation of this vast area by those who have the technical competence to exploit it“.

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licher Hoheitsgewalt (areas beyond the limits of national jurisdiction – ABNJ) lagernden marinen Ressourcen einerseits nur „for the benefit of all mankind“ genutzt werden sollten; andererseits wies sie dem Tiefseeboden und seinen Rohstoffen zunächst nur ein „common interest of mankind“ zu, erklärte sie aber noch nicht zum gemeinsamen Menschheitserbe. 18 Erst im darauf folgenden Jahr beschloss die UN-Generalversammlung die sog. „Declaration of Principles“, 19 die den Begriff „common heritage of mankind“ aufgriff, der nach Ansicht des Legal Sub-Committee of the Sea-Bed Committee fortan die Basis für alle Regelungen im Zusammenhang mit dem „Gebiet“ bilden sollte. 20 Interessanterweise wies Pardo im Kontext seiner Überlegungen zum künftigen Regime des Tiefseebodens nebenbei auch auf das res communis-Konzept hin. 21 Demgegenüber bezog sich der argentinische Delegierte Aldo Armando Cocca im selben Jahr anlässlich einer Sitzung des Legal Sub-Committee of the Committee on the Peaceful Uses of Outer Space (COPUOS), den engen sachlichen Zusammenhang zwischen Weltraum- und Tiefseebodenregime pointierend, 22 zwar auf das neue Konzept des „common heritage of mankind“. Er befürchtete jedoch, dass es infolge der Verwendung des Begriffs „heritage“ („Erbe“) und dessen unterschiedlicher Bedeutung und Ausgestaltung in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen zu Kontroversen kommen werde, weshalb er das zugrunde liegende Konzept mit der Wendung res communis _____________ 18

General Assembly, Resolution 2574 (XXIV) of 15 December 1969, Examination of the Question of the Reservation Exclusively for Peaceful Purposes of the Sea-Bed and the Ocean Floor, and the Subsoil thereof, Underlying the High Seas beyond the Limits of Present National Jurisdiction, and the Use of Their Resources in the Interest of Mankind. 19 General Assembly, Resolution A 2749 (XXV) of 17 December 1970, Declaration of Principles Governing the Sea-Bed and the Ocean Floor, and the Subsoil Thereof, beyond the Limits of National Jurisdiction. 20 Sea-Bed Committee, Report of the Legal Sub-Committee (UN Doc. A/7622), § 20 f. 21 Vgl. General Assembly (Anm. 16), § 58, dort freilich mit Bezug auf die sog. Truman-Erklärung vom 28. September 1945, mit der die USA geltend gemacht hatten, dass die natürlichen Ressourcen des Festlandsockels ihrer exklusiven „jurisdiction and control“ unterworfen seien (vgl. UN Doc. ST/LEG/SER.B/1 vom 11. Januar 1951, S. 38). Nach Pardo habe diese Erklärung „totally rejected the concept of the continental shelf as res omnium communis – a point on which there had been considerable dispute previously among legal experts […]“ (ebd.). Im Umkehrschluss lässt dies zumindest eine gewisse Sympathie für die Einschlägigkeit dieses Konzepts hinsichtlich des Tiefseebodens erkennen. 22 Der im selben Jahr angenommene Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper vom 27. Januar 1967, BGBl 1969 II, 1967, qualifiziert in Art. I die Erforschung und Nutzung des Weltraums als „Sache der gesamten Menschheit“. Bereits die Präambel des Antarktis-Vertrags vom 1959 (Anm. 7) spricht vom „Interesse der gesamten Menschheit“ an der Antarktis.

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humanitatis umschrieb. 23 Die darin enthaltenen Worte „res communis“ legen nun einen Zusammenhang mit dem res communis omnium-Konzept, auf das sich, wie gesagt, auch Pardo gestützt hatte, durchaus nahe. Dies führt zu der Frage, ob und ggf. inwieweit der „common heritage of mankind“-Grundsatz konzeptionell auf dem Gedanken der res communis omnium beruht. Die Existenz eines unmittelbaren Ableitungszusammenhangs zwischen Menschheitserbe und res communis wird von einigen Stimmen umstandslos bejaht, von anderen hingegen abgelehnt. Dafür, dass sich das „common heritage of mankind“-Konzept aus der letztlich römisch-rechtlich fundierten Idee der res communis omnium entwickelt hat, wird völkerrechtsgeschichtlich angeführt, dass Hugo Grotius den Rechtsstatus der Hohen See als Staatengemeinschaftsraum unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diesen Grundsatz hergeleitet habe. 24 Auch der Telos des „common heritage of mankind“-Konzepts wird insofern fruchtbar gemacht: Die Qualifizierung eines Raums zum gemeinsamen Menschheitserbe, verbunden mit der Schaffung eines internationalen Kooperationsregimes, diene in der Regel der Bewahrung der natürlichen Ressourcen des betreffenden Gebiets für zukünftige Generationen. Ein solches Regime schließe aber eine unilaterale Manifestation exklusiver Eigentumsrechte per definitionem aus, was gerade Kennzeichen einer res communis omnium sei. 25 Unterstützt wurde dieser Ansatz zuletzt auch von Tronchetti, der die Ansicht vertritt, dass „[t]he FRQFHSWRI‫ދ‬FRPPRQKHULWDJHRIPDQNLQG‫ތ‬ILQGVLWVDQWHFHGHQVLQWKHUHVFRmmunis theory“. 26 Bei genauerer Betrachtung streiten freilich die besseren Gründe gegen die Annahme eines konzeptionellen Ableitungszusammenhangs. Dies ergibt sich _____________ 23 Aldo A. Cocca, The Common Heritage of Mankind: Doctrine and Principle of Space Law, in: American Institute of Aeronautics & Astronautics, Proceedings of the 29th Colloquium on the Law of Outer Space, 1986, 17: „[T]he international community has recognized the existence of a new subject of international law – mankind – with the vested common property (res communis humanitatis) […]“. 24 So Kenneth K. Mwenda, Deep Sea-Bed Mining Under Customary International Law, Murdoch University Electronic Journal of Law 7 (2000), § 22; vgl. Hugo Grotius, De iure belli ac pacis libri tres – Drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens, 1625, dt. Übersetzung 1950, 148 ff. 25 So etwa Alexandre Charles Kiss, zit. nach Kemal Baslar, The Concept of the Common Heritage of Mankind in International Law, 1998, 47; vgl. auch Scott J. Shackelford, The Tragedy of the Common Heritage of Mankind, Stanford Environmental Law Journal 27 (2008), 101, 108. 26 Fabio Tronchetti, The Exploitation of Natural Resources of the Moon and Other Celestial Bodies: A Proposal for a Legal Regime, 2009, 87. Siehe auch Corinna Schweizer, Die Zugangs- und Teilhaberegelungen der Biodiversitätskonvention unter besonderer Berücksichtigung der staatlichen Souveränität, 2011, 108 (Fn. 320), wonach „die Entwicklung des CHOM-Prinzips [common heritage of mankind – die Verf.] aus dem Konzept res communis nicht bestritten“ werde.

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zwar nicht, zumindest nicht ohne weiteres, schon aus dem Gedanken, dass die militärische Nutzung einer res communis omnium den Staaten grundsätzlich erlaubt sei, während das Menschheitserbekonzept ausschließlich die friedliche Nutzung des betreffenden Raums gestatte. 27 Denn Art. 141 SRÜ, wonach das „Gebiet“ den Staaten „für eine ausschließlich friedlichen Zwecken dienende Nutzung“ offensteht, gebietet richtiger Ansicht zufolge gerade nicht die vollständige Demilitarisierung des „Gebiets“, sondern steht, zumal vor dem Hintergrund von Art. 301 SRÜ, lediglich Maßnahmen entgegen, die eine völkerrechtswidrige Androhung oder Anwendung von Gewalt verkörpern. 28 Als entscheidend erweist sich vielmehr, dass mit dem res communis omnium-Konzept, im Unterschied zu dem des gemeinsamen Menschheitserbes, die Vorstellung eines liberalen, auf einem „first come, first serve“-Ansatz beruhenden Zugangsregimes verbunden wird. Vor diesem Hintergrund macht Lefeber geltend, dass der „common heritage of mankind“-Grundsatz konzeptionell eher mit dem von Cocca eingeführten Gedanken der res communis humanitatis verknüpft sei. 29 Dabei liege der Unterschied zwischen diesem und dem res communis omniumKonzept in der Rechtsnatur der betroffenen natürlichen Ressourcen: Das Konzept der res communis humanitatis betrachte die Menschheit als „Eigentümer“ der natürlichen Ressourcen und damit als Rechtsträger, 30 der die Bewirtschaftung der betreffenden Ressourcen unabhängig von territorialen Souveränitätsansprüchen betreiben könne. Auch Morell zufolge könne das „common heritage of mankind“-Konzept nicht unmittelbar auf dem res communis omnium-Gedanken basieren. Die Annahme eines Ableitungszusammenhangs i.S. konzeptioneller Kontinuität hätte zur Folge, dass die Ozeane von jedermann, unabhängig von der Existenz eines rechtlichen Regimes nutzbar wären, sofern die Nutzung nicht die Rechte anderer beeinträchtigte. 31 Nach Ansicht von Cocca steht schließlich ein weiterer Umstand der These von der Verwandtschaft des Menschheitserbekonzepts einerseits und des res communis omnium-Gedankens _____________ 27

So Stocker (Anm. 6), 147. Eingehend dazu Rüdiger Wolfrum, Restricting the Use of the Sea to Peaceful Purposes: Demilitarization in Being?, German Yearbook of International Law 24 (1981), 201, 226; Alexander Proelß, Peaceful Purposes, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Bd. VIII, 2012, 193, 199. 29 René Lefeber, The Exercise of Jurisdiction in the Antarctic Region and the Changing Structure of International Law: The International Community and Common Interest, Netherlands Yearbook of International Law 21 (1990), 81, 113; vgl. auch Malgosia A. Fitzmaurice, International Protection of the Environment, Recueil des cours 293 (2001), 9, 152. 30 Ebd., 113. 31 James B. Morell, The Law of the Sea: An Historical Analysis of the 1982 Treaty and Its Rejection by the United States, 1992, 175, zit. nach Christopher C. Joyner/ Elizabeth A. Martell, Looking Back to See Ahead: UNCLOS III and Lessons for Global Commons Law, Ocean Development and International Law 27 (1996), 73, 79 Fn. 37. 28

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andererseits von vornherein diametral entgegen: 32 Der Begriff res communis omnium entstamme ursprünglich dem römischen ius civile bzw. ius gentium. Nach ihm seien Licht, Luft, fließende Gewässer und Meere als res communes omnium zu qualifizieren, als gemeinsame Sache aller also, und zwar aufgrund ihrer fehlenden Beherrschbarkeit. Als Konzept des Privatrechts könne der res communis omnium-Gedanke daher nicht auf die Menschheit als solche angewandt werden; denn dies hätte zur Folge, dass es auch natürliche Ressourcen erfasste, die sich auf Gebieten unter staatlicher Hoheitsgewalt befänden. Eine solche Annahme wäre mit dem geltenden Völkerrecht nicht vereinbar. Auch Cocca zufolge besteht damit lediglich eine konzeptionelle Verbindung des „common heritage of mankind“-Konzepts mit dem der – vom Konzept der res communis omnium völlig unabhängigen 33 – res communis humanitatis. 34 Die Verwandtschaft von „common heritage of mankind“ und res communis humanitatis zeigt sich damit vor allem in der Ressourcenbewirtschaftung „for the benefit of mankind as a whole“ und der Existenz eines internationalen und institutionalisierten Verteilungsregimes hinsichtlich eines souveränitätsfreien Raumes. 35

C. Status und Elemente des „common heritage of mankind“-Konzepts Das Konzept des gemeinsamen Menschheitserbes verkörpert nach alledem primär eine normative Reaktion auf das Zusammentreffen von technischem Fortschritt und der Sorge um eine baldige Erschöpfung der terrestrischen Ressourcen. 36 Pardo befürchtete für den Fall, dass eine Internationalisierung des _____________ 32 Aldo A. Cocca, Mankind as the New Legal Subject: A New Juridical Dimension Recognized by the United Nations, in: American Institute of Aeronautics & Astronautics (Hrsg.), Proceedings on the 13th Colloquium on the Law of Outer Space, 1971, 211, 213. 33 Siehe ebd., 212: „The ancient Roman concept of res communis omnium has nothing to do with res communis humanitatis“. 34 Vgl. auch Ikechi Mgbeoji, Beyond Rhetoric: State Sovereignty, Common Concern, and the Inapplicability of the Common Heritage Concept to Plant Genetic Resources, Leiden Journal of International Law 16 (2003), 821, 826; anders Shackelford (Anm. 25), 107, der den res communis-Gedanken als Vorläufer des „common heritage“-Konzepts ansieht, dieses aber begrifflich mit der res communis humanitatis (humanitatus) gleichsetzt. 35 Vgl. auch Christopher Garrison, Beneath the Surface: the Common Heritage of Mankind, Knowledge Ecology Studies 1 (2007), 1, 18: „For example, an area treated as the Common Heritage of Mankind would not only be incapable of being owned by a particular entity such as a State or a Corporation but they could only carry out the exploitation of the area within the management framework established on behalf of all humanity“. 36 Vgl. Nagendra Singh, Right to Environment and Sustainable Development as a Principle of International Law, Studia Diplomatica 42 (1988), 45, 57: „The Common Heritage of Mankind owes its origin to 20th century technology“; Gary D. Meyers,

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Tiefseebodens nicht gelingen sollte, ein weiteres Auseinanderklaffen der sozioökonomischen Entwicklung von Industrie- und Entwicklungsstaaten, eine Militarisierung des Tiefseebodens sowie das Auftreten schwerwiegender Meeresverschmutzungen. 37 Auf internationaler Ebene manifestierte sich daher früh die Überzeugung, dass Technologietransfer eine zentrale Säule des künftigen Tiefseebodenregimes bilden müsse. 38 Auch diesem Erfordernis sollte mit dem „common heritage of mankind“-Prinzip Rechnung getragen werden. I. Normadressat und Rechtsstatus Art. 136 SRÜ statuiert freilich lediglich, dass das Gebiet und seine Ressourcen das gemeinsame Erbe der Menschheit sind. Was unter dem gemeinsamen Erbe der Menschheit zu verstehen ist, definiert die Norm hingegen nicht. Insbesondere bleibt offen, ob der Menschheit selbst, wie dies von den Anhängern des res communis humanitatis-Gedankens vertreten wurde und wird, bestimmte Rechte und Pflichten zugewiesen werden. Die Wahl des Begriffs „Menschheit“ impliziert zunächst lediglich das Vorhandensein eines intergenerationellen Elements. 39 Im völkerrechtlichen Kontext wurde er erstmals im Jahre 1832 verwendet zur allgemeinen Qualifizierung „der See“ als „ungeteiltes Erbe der Menschheit“. 40 Sein spezifisch normativer Gehalt bleibt jedoch unklar. Die These, dass mit der Anerkennung des „common heritage“-Prinzips die Anerkennung der Menschheit als Träger von Rechten und Pflichten, mithin als Rechtsträger auf Ebene des internationalen Rechts, einhergehe, 41 lässt sich _____________

Surveying The Lay Of The Land, Air and Water: Features Of Current International Environmental And Natural Resources Law, And Future Prospects For The Protection Of Species Habitat To Preserve Global Biological Diversity, Colorado Journal of International Environmental Law & Policy 3 (1992), 481, 578: „Technology is the father of the common heritage of mankind“. 37 General Assembly (Anm. 16), §§ 25 ff. Zu den unterschiedlichen Positionen von Entwicklungs- und Industriestaaten Wilhelm A. Kewenig, Common heritage of mankind – politischer Slogan oder völkerrechtlicher Schlüsselbegriff?, in: Ingo von Münch (Hrsg.), Staatsrecht – Völkerrecht – Europarecht: Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer, 1981, 385, 389 ff., 403 ff. 38 Vgl. etwa Mohammed Bedjaoui, Towards a New International Economic Order, 1979, 231; Wolfgang Graf Vitzthum, Der Rechtsstatus des Meeresbodens, 1972, 19, 327. 39 Antonio A. Cançado Trindade, International Law for Humankind: Towards a New Jus Gentium, 2. Aufl. 2013, 328. 40 Vladimir Postyshev, The Concept of the Common Heritage of Mankind: From New Thinking to New Practice, 1990, 48. 41 Ernst Fasan, The Meaning of the Term Mankind in Space Legal Language, Journal of Space Law 2 (1974), 125, 131; Aldo A. Cocca, The Advances in International Law through the Law of Outer Space, Journal of Space Law 9 (1981), 13, 14; Craig Forrest, Cultural Heritage as the Common Heritage of Humankind: A Critical Re-evaluation, Comparative and International Law Journal of Southern Africa 40 (2007), 124, 143.

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zumindest terminologisch auf die ebenfalls intergenerationelle Prägung des Wortes „Erbe“ stützen. Darüber hinaus stehen nach Art. 137 Abs. 2 SRÜ alle Rechte an den Ressourcen des Gebiets ausdrücklich „der gesamten Menschheit zu, in deren Namen die Behörde handelt.“ Die Menschheit ist insofern zwar selbst nicht handlungsfähig, soll aber offenbar rechtsfähig sein. Wie aber kann dies mit dem Umstand vereinbart werden, dass es sich beim UNSeerechtsübereinkommen um einen zwischen Staaten geschlossenen Vertrag handelt, der nach dem in Art. 34 der Wiener Vertragsrechtskonvention 42 kodifizierten pacta tertiis-Grundsatz prinzipiell – vorbehaltlich der parallelen gewohnheitsrechtlichen Geltung einzelner Normen – nur die Vertragsparteien bindet? Diesbezüglich ist geltend gemacht worden, dass das „common heritage“Konzept nicht zwingend die Entstehung eines neuen Völkerrechtssubjekts zur Folge haben müsse, sondern dass die Verwendung des Menschheitsbegriffs ebenso gut insoweit einen über die Gemeinschaft der Staaten hinausgehenden Adressatenkreis implizieren könne, als auch die nicht durch einen Staat repräsentierten Individuen angesprochen würden. 43 Dem entspricht, dass das gemeinsame Menschheitserbe teilweise als sog. „third generation human right“ bezeichnet wird. 44 Die hier nicht auflösbaren Unsicherheiten hinsichtlich des/der Adressaten des „common heritage“-Konzepts setzen sich fort im Hinblick auf die Frage, ob die in Art. 136 SRÜ kodifizierte Norm auch gewohnheitsrechtlich gilt, ja ggf. sogar über erga omnes-Wirkung verfügt. Bejahendenfalls dürfte dies für Staaten, die dem UN-Seerechtsübereinkommen nicht beigetreten sind, eine Bezugnahme auf das Konzept der „persistent objection“ ausschließen und – möglicherweise – mit einem Verzicht auf das Erfordernis der Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten im Kontext der friedlichen Streitbeilegung einhergehen. 45 Unter dem UN-Seerechtsübereinkommen verfügt das „common _____________ 42

Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBl 1985 II, 927. 43 So Rüdiger Wolfrum, The Principle of the Common Heritage of Mankind, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 43 (1983), 312, 318. 44 Begriffsprägung durch Karel Vasak, For the Third Generation of Human Rights: The Rights of Solidarity, Inaugural Lecture to the Tenth Session of the International Institute of Human Rights, Strasbourg, 2–27 July 1979, zit. nach Rüdiger Wolfrum (Anm. 43), 312, 318 Fn. 20, der wiederum Bezug nimmt auf die Ausführungen von Philip Alston, A Third Generation of Solidarity Rights: Progressive Development or Obfuscation of International Human Rights Law?, Netherlands International Law Review 29 (1982), 307, 307 ff. 45 Dazu Rüdiger Wolfrum, The Role of International Dispute Settlement Institutions in the Delimitation of the Outer Continental Shelf, in: Rainer Lagoni/Daniel Vignes (Hrsg.), Maritime Delimitation, 2006, 19, 30, mit spezifischem Bezug zum Regime des Tiefseebodens; Christian Tams, Enforcing Obligations Erga Omnes in International Law, 2005, 161 ff.; Stefan Talmon, Kollektive Nichtanerkennung illegaler Staaten, 2006, 292 ff., jeweils m.w.N.

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heritage“-Konzept jedenfalls über besonderen Stellenwert. So darf es gemäß Art. 311 Abs. 6 SRÜ nicht geändert werden, und die Vertragsparteien dürfen nicht Partei einer Übereinkunft werden, die von diesem Grundsatz abweicht. Ferner begründen Art. 187 und Art. 288 Abs. 3 SRÜ eine zwingende und ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten des Internationalen Seegerichtshofs (ITLOS) für wesentliche Streitigkeiten betreffend Tätigkeiten im „Gebiet“. Dennoch wird bis heute kontrovers diskutiert, ob das „common heritage“Konzept gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. 46 Da bis heute kein Meeresbodenbergbau im „Gebiet“ erfolgt, kann bezüglich des prinzipiell erforderlichen Elements der Staatenpraxis letztlich nur auf die Anzahl der Beitritte (oder eben die der Nichtvertragsparteien) zu den einschlägigen Verträgen abgestellt werden. Diesbezüglich ist festzustellen, dass von den aktuell 193 UN-Mitgliedsstaaten 166 Vertragspartei des SRÜ und 146 Staaten dem Durchführungsübereinkommen zu Teil XI SRÜ 47 beigetreten sind. Der Mondvertrag 48 wurde bislang gar nur von nur 16 Staaten ratifiziert und von vier weiteren Staaten unterzeichnet, wobei keiner dieser Staaten Aktivitäten im All unternimmt. 49 Hinsichtlich des Elements der Rechtsüberzeugung (opinio iuris) mag die herrschende Ansicht in der Staatengemeinschaft, wie sie seit 1967 und insbesondere im Zuge der Verhandlungen der Dritten UN-Seerechtskonferenz zum Ausdruck gekommen ist, zugunsten der gewohnheitsrechtlichen Geltung des „common heritage“-Prinzips angeführt werden. 50 Hervorhebung verdient in diesem Zusammenhang insbesondere der einstimmig gefasste Beschluss über die fünf Elemente des „common heritage“-Konzepts durch das aus Repräsentanten von zuletzt 91 Staaten

_____________ 46

Dafür u.a. Declaration on the Progressive Development of Principles of Public International Law Relating to a New International Economic Order (ILA Seoul Declaration), International Law Association, Report of the Sixty-Second Conference, 1987, § 7.1; Rüdiger Wolfrum, Common Heritage of Mankind, in: ders. (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Bd. II, 2012, 452, 457; dagegen etwa Jimena Murillo, Common Concern of Humankind and its Implications in International Environmental Law, Macquarie Journal of International and Comparative Environmental Law 5 (2008), 133, 137; Christopher C. Joyner, Legal Implications of the Concept of the Common Heritage of Mankind, International & Comparative Law Quarterly 35 (1986), 190, 197 ff. 47 Übereinkommen zur Durchführung des Teiles XI des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 vom 28. Juli 1994, BGBl 1994 II, 2566. 48 Siehe oben Anm. 12. 49 Darauf weist hin John E. Noyes, The Common Heritage of Mankind: Past, Present and Future, Denver Journal of International Law & Policy 40 (2012), 447, 449. 50 Jon M. Van Dyke/Christopher Yuen, ‚Common Heritage‘ v. ‚Freedom of the High Seas‘: Which Governs the Seabed?, San Diego Law Review 19 (1981–1982), 493, 538.

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bestehende Sea-Bed Committee im Jahre 1971. 51 Gleichwohl ist es, zumal vor dem Hintergrund der abweichenden Stellungnahmen im wissenschaftlichen Schrifttum, 52 letztlich kaum möglich, eine abschließende Entscheidung über die Frage der gewohnheitsrechtlichen Geltung des „common heritage“-Konzepts zu treffen. Das hängt nicht nur mit den geschilderten Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich seiner rechtshistorischen Grundlagen und der Normadressaten, sondern gerade auch mit seiner ungewöhnlichen zeitlichen Komponente zusammen. 53 Letztlich ist dem Menschheitserbekonzept der Gedanke eines Einstehenmüssens der jetzigen für kommende Generationen inhärent, und damit nimmt es einen weit in die Zukunft blickenden Standpunkt ein, der es von anerkannten völkergewohnheitsrechtlichen Grundsätzen unterscheidet. Hinzu treten schließlich fortbestehende Unsicherheiten hinsichtlich seines konkreten Gehalts. So ist bis heute umstritten, ob sich dem in Art. 136 SRÜ kodifizierten Satz – insbesondere der Erwähnung des „Gebiets“ selbst – entnehmen lässt, dass auch die genetischen Ressourcen des Tiefseebodens 54 vom „common heritage“-Konzept umfasst sind. 55 Es ist aber methodisch nicht möglich, die

_____________ 51

Vgl. Günther Jaenicke, Die Dritte Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 38 (1978), 438, 442. 52 Gänzlich sprechen dem „common heritage“-Konzept Rechtsqualität ab Adrian Bueckling, Zur juristischen Substanzlosigkeit des Begriffs – Gemeinsames Erbe der Menschheit, Deutsche Richterzeitung 59 (1981), 288 ff.); Joyner (Anm. 46), 199: „As yet the common heritage of mankind is not a principle of international law erga omnes. The common heritage of mankind today is neither the product of ‚instant custom‘ nor jus cogens. Rather it is merely a philosophical notion with potential to emerge and crystallise as a legal norm“. 53 So zutreffend Forrest (Anm. 41), 147. 54 Dabei handelt es sich um Organismen, die sich auf bzw. unmittelbar über dem Meeresboden oder im Meeresuntergrund befinden. Diese lebenden Ressourcen zeichnen sich durch besondere genetische Eigenschaften aus, die es ihnen ermöglichen, in Wassertiefen von mehreren tausend Metern und damit ohne Sonnenlicht zu überleben. Umfasst sind auch die aquatische Mikrofauna und alle Arten von Tiefseebakterien; vgl. etwa Elisabeth Mann Borgese, The Common Heritage of Mankind: From Non-living to Living Resources and Beyond, in: Nisuke Ando u.a. (Hrsg.), Liber amicorum Judge Shigeru Oda, Bd. 2, 2002, 1313, 1326. 55 Bejahend etwa Alex Oude Elferink, The Regime of the Area: Delineating the Scope of Application of the Common Heritage Principle and Freedom of the High Seas, International Journal of Marine and Coastal Law 22 (2007), 143, 150; Tullio Scovazzi, Mining, Protection of the Environment, Scientific Research and Bioprospecting: Some Considerations on the Role of the International Sea-Bed Authority, International Journal of Marine and Coastal Law 19 (2004), 383, 391; verneinend u.a. Alexander Proelß, Marine Genetic Resources under UNCLOS and the CBD, German Yearbook of International Law 51 (2008), 417, 423 ff. – Nach der Legaldefinition des Art. 133 lit. a SRÜ erfasst der Ressourcenbegriff des Teils XI SRÜ nur mineralische Ressourcen.

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inhaltliche Tragweite eines Rechtssatzes und die Frage nach seiner gewohnheitsrechtlichen Geltung getrennt voneinander zu behandeln. 56 Die fehlende Einigkeit über den rechtlichen Status des Menschheitserbekonzepts insgesamt schließt es bei alledem nicht aus, dass zumindest einige seiner Elemente, wie sie in Teil XI SRÜ konkretisiert sind, zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt sind. 57 In diesem Sinne hat die Kammer des ITLOS für Meeresbodenstreitigkeiten beispielsweise der Verpflichtung zum Schutz der Umwelt von Hoher See und „Gebiet“ erga omnes-Charakter beigemessen. 58 Ungeachtet des diese Sichtweise reflektierenden Wortlauts von Art. 137 Abs. 1 SRÜ, der alle Staaten (und nicht nur die Vertragsparteien des SRÜ) in den Adressatenkreis der Norm einbezieht, setzt die Annahme einer solchen erga omnes-Pflicht vor dem Hintergrund der vertragsrechtlichen pacta tertiis-Regel denklogisch voraus, dass die betreffende Pflicht gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. 59 Die Frage nach dem Rechtsstatus des „common heritage“-Prinzips ist somit zwingend differenzierend zu beantworten. II. Fünf zentrale Elemente Ungeachtet der vorstehend thematisierten Herausforderungen ist es auf der Grundlage der Entstehungsgeschichte und der in Art. 137 ff. SRÜ kodifizierten Regelungen möglich, fünf Kernelemente des „common heritage“-Konzepts zu identifizieren. 60 Das erste Element ist das in Art. 137 Abs. 1 SRÜ normierte Verbot, „über einen Teil des Gebiets oder seiner Ressourcen Souveränität oder souveräne Rechte [zu] beanspruchen oder ausüben“ bzw. sich Teile des Gebiets und/oder seiner Ressourcen anzueignen. Diese Regelung ist nicht in einem engen gebietsrechtlichen Sinn zu verstehen, sondern schließt die Geltendmachung von Ausschließlichkeitsrechten in Bezug auf die Nutzung des „Gebiets“ prinzipiell aus. 61 _____________ 56

So mit Bezug auf das Vorsorgeprinzip Alexander Proelß, Meeresschutz im Völkerund Europarecht, 2004, 81 f. 57 Siehe auch Erkki Holmila, Common Heritage of Mankind in the Law of the Sea, Acta Societatis Martensis 1 (2005), 187, 203. 58 Responsibilities and Obligations of States Sponsoring Persons and Entities with Respect to Activities in the Area, Gutachten vom 1. Februar 2011, International Legal Materials 50 (2011), 455, § 180. 59 Eingehend Alexander Proelß, in: Oliver Dörr/Kirsten Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties: A Commentary, 2012, Art. 34 § 40 m.w.N. 60 Dazu Shackelford (Anm. 25), 109 ff.; Jennifer Frakes, The Common Heritage of Mankind Principle and the Deep Seabed, Outer Space, and Antarctica: Will Developed and Developing Nations Reach a Compromise?, Wisconsin International Law Journal 21 (2003), 409, 411; anders Garrison (Anm. 35), 64 und Wolfrum (Anm. 10), Rn. 146: vier Elemente. 61 Forrest (Anm. 41), 144.

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Der Grundsatz der gemeinsamen Bewirtschaftung der Ressourcen des „Gebiets“ zum Nutzen der gesamten Menschheit verkörpert die zweite, sowohl die Internationalisierung als auch die Institutionalisierung des Staatengemeinschaftsraums Tiefseeboden betreffende Komponente des „common heritage“Konzepts. Nach Art. 157 SRÜ koordiniert die Internationale Meeresbodenbehörde (IMB), der ipso facto alle Vertragsstaaten angehören, die gemeinsame Ressourcenbewirtschaftung im „Gebiet“. Sie agiert faktisch auf Basis einer treuhänderischen Stellung. 62 Die Details der Bewirtschaftung sind mit dem Durchführungsübereinkommen zum UN-Seerechtsübereinkommen von 1994 63 grundlegend – und zum Nachteil der Entwicklungsstaaten – geändert worden. 64 Gleiches gilt für das dritte Kernelement des „common heritage“-Konzepts, 65 das die gerechte Verteilung der finanziellen und sonstigen wirtschaftlichen Vorteile aus Tätigkeiten im „Gebiet“ durch die IMB vorschreibt (vgl. Art. 140 Abs. 2 SRÜ i.V.m. Art. 160 Abs. 2 lit. f (i) SRÜ). Sie ist in einer Weise durchzuführen, in deren Rahmen „die Interessen und Bedürfnisse der Entwicklungsstaaten und der Völker, die noch nicht die volle Unabhängigkeit oder einen sonstigen Status der Selbstregierung erlangt haben, besondere Berücksichtigung finden“ (Art. 160 Abs. 2 lit. f (i) SRÜ). Die bereits erwähnte Beschränkung der Nutzung des Gebiets zu friedlichen Zwecken (vgl. Art. 141 SRÜ) bildet sodann das vierte Kernelement des Konzepts des gemeinsamen Menschheitserbes. Das fünfte Kernelement, die Berücksichtigung der Interessen künftiger Generationen, 66 findet schließlich keine ausdrückliche Erwähnung in den Vorschriften des Teils XI SRÜ. Im Einklang mit dem Telos des Konzepts 67 kommt es aber implizit etwa in den Vorgaben zum Schutz der Meeresumwelt im Zusammenhang mit Tätigkeiten im Gebiet (vgl. Art. 145 SRÜ) zum Ausdruck.

_____________ 62 Dazu Erik Franckx, The International Seabed Authority and the Common Heritage of Mankind: The Need for States to Establish the Outer Limits of their Continental Shelves, International Journal of Marine and Coastal Law 25 (2010), 543, 557. 63 Siehe oben Anm. 47. 64 Überblicke bei Robin R. Churchill/A. Vaughan Lowe, The Law of the Sea, 3. Aufl. 1999, 238; Donald R. Rothwell/Tim Stephens, The International Law of the Sea, 2010, 133 ff. – Die Änderungen betreffen nicht zuletzt die aus Sicht der Entwicklungsstaaten zentrale Pflicht zum Technologietransfer (vgl. Art. 144 SRÜ), die mit Abschnitt 5 der Anlage zum Durchführungsübereinkommen in eine bloße Bemühenspflicht abgemildert wurde. 65 Vgl. Abschnitt 1 der Anlage zum Durchführungsübereinkommen. 66 Vgl. nur Garrison (Anm. 35), 31. 67 Siehe Cançado Trindade (Anm. 39), 327.

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D. Abgrenzungen und Parallelen Vor dem Hintergrund seiner spezifisch menschheitsbezogenen Ausrichtung erscheint es lohnenswert, den Blick auf verwandte Konzeptionen zu werfen, die möglicherweise in einem entstehungsgeschichtlichen oder inhaltlichen Zusammenhang zum „common heritage“-Grundsatz stehen und insofern zu einer Schärfung seines normativen Gehalts beitragen könnten. Schon terminologisch („Menschheitserbe“) drängt sich insoweit zunächst eine Analyse der UNESCOWelterbekonvention auf, bevor das Augenmerk auf das Konzept des „common concern of (hu)mankind“ gerichtet wird. I. Das Welterbe-Prinzip der 1972 UNESCO-Welterbekonvention Bereits 1945 hatte Brasilien gefordert, die UN-Charta um eine Vorschrift zu ergänzen, nach der Kultur als „common heritage of mankind“ anerkennt werden solle. Dieser Vorschlag wurde indes erst sukzessive durch Annahme zahlreicher einschlägiger Übereinkommen über den Schutz von Natur und Kultur, beginnend mit der Haager Konvention von 1954 68, sodann gefolgt vom Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, 69 der vorliegend im Vordergrund stehenden Welterbekonvention 70 sowie der Konvention zum Schutz des Kulturerbes unter Wasser, 71 in die Realität umgesetzt. Absatz 6 der Präambel der Welterbekonvention statuiert, dass „Teile des Kultur- oder Naturerbes von außergewöhnlicher Bedeutung sind und daher als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit erhalten werden müssen“. 72 Welche Teile des Kultur- oder Naturerbes von „außergewöhnlicher Bedeutung“ sind, bestimmt das sog. „World Heritage Committee“, bestehend aus Vertretern von 21 Vertragsstaaten der Konvention (vgl. Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 Welterbekonvention). Heute gelten bspw. der Kölner Dom in Deutschland, die Ruinen von Olympia in Griechenland und der Tower von London in Großbritannien als Weltkulturerbe. 73 Zum _____________ 68 Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. Mai 1954, BGBl. 1967 II, 1234. 69 Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut vom 14. November 1970, BGBl. 2007 II, 626. 70 Siehe oben Anm. 13. 71 UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des Kulturerbes unter Wasser vom 2. November 2001, ILM 41 (2002), 40. 72 Hervorhebung hinzugefügt. Die Parallelen zum Wortlaut des Art. 136 SRÜ liegen auf der Hand. 73 Die vollständige Liste des Welterbes ist abrufbar unter: http://www.unesco.de/kultur/ welterbe/welterbeliste.html. Nach Art. 1 sind Kulturerbe „Denkmäler, Ensembles von

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Naturerbe sind etwa das Wattenmeer, der Vulkan Ätna und die Namib-Wüste erhoben worden. 74 Den Absätzen 6 und 7 der Präambel sowie Art. 6 der Welterbekonvention ist zu entnehmen, dass der „gesamten Menschheit“ die Zusammenarbeit zum Zweck der Erhaltung des Kultur- und Naturerbes der Welt obliegt. Diese Kooperationspflicht ist insoweit von Bedeutung, als der Großteil des Weltkulturund -naturerbes in Bereichen unter nationaler Hoheitsgewalt, regelmäßig also auf den Staatsgebieten der Vertragsparteien, belegen ist. Da die Welterbekonvention die Souveränität der Vertragsparteien ausdrücklich unberührt lässt (vgl. wiederum Art. 6: „[u]nter voller Achtung der Souveränität der Staaten, in deren Hoheitsgebiet sich das in den Artikeln 1 und 2 bezeichnete Kultur- und Naturerbe befindet […]“), erfolgt die Koordinierung im Rahmen der UNESCO. Der internationale Kulturgüterschutz scheint insofern, im Ansatz durchaus ähnlich wie die Bewirtschaftung des Tiefseebodens, 75 funktional institutionalisiert worden zu sein. Dies legt den weiteren Schluss nahe, dass der Welterbekonvention Ansätze einer Ausweitung des „common heritage“-Konzepts auf Gebiete unter staatlicher Hoheitsgewalt entnommen werden können. 76 In diesem Sinne könnte etwa die Resolution der Generalversammlung der UNESCO von 2001 verstanden werden, mit der die Zerstörung der Buddhastatuen von Bamiyan (Afghanistan) durch die Taliban als „crime against the common heritage of humanity“ verurteilt wurde. 77 Bei genauerer Analyse der Welterbekonvention geraten denn auch fünf Elemente in den Blick, die den bereits herausgearbeiteten konstituierenden Elementen des „common heritage“-Konzepts prima facie zumindest ähneln. So verpflichten sich die Vertragsparteien – erstens – zur Zusammenarbeit für den _____________

Gebäuden und Stätten von außerordentlichem geschichtlichem, ästhetischem, ethnologischem oder anthropologischem Wert“. Vertiefend Francesco Francioni, Cultural Heritage, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Bd. II, 2012, 906 ff. 74 Auf der Grundlage von Art. 2 der Welterbekonvention können Naturerbe nur unbewegliche Elemente der Natur sowie Lebensräume sein; vgl. dazu Kerstin Odendahl, World Natural Heritage, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Bd. X, 2012, 948, 949. 75 Zu dieser Parallele auch Cançado Trindade (Anm. 39), 341; Raymond H. M. Goy, The International Protection of the Cultural and Natural Heritage, Netherlands Yearbook of International Law 4 (1973), 117, 131. 76 Dazu ausführlich Susan N. Krohn, Die Bewahrung tropischer Regenwälder durch völkerrechtliche Kooperationsmechanismen: Möglichkeiten und Grenzen der Ausgestaltung eines Rechtsregimes zur Erhaltung von Waldökosystemen dargestellt am Beispiel tropischer Regenwälder, 2002, 271, 273 ff. 77 Resolution on the Protection of the Cultural Heritage of Afghanistan, adopted by the General Assembly of States Parties to the World Heritage Convention at its 13th session (Paris, 30–31 October 2001).

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Schutz und Erhalt des Natur- und Kulturerbes (vgl. Art. 4 ff. der Welterbekonvention). Zweitens enthält das Übereinkommen eine Regelung zur Lastenverteilung, indem die Staatengemeinschaft den sog. Belegenheitsstaaten anerkannten Natur- oder Kulturerbes angemessene finanzielle Unterstützung in Aussicht stellt (vgl. Art. 13, Art. 15 ff., Art. 19 ff. der Welterbekonvention). Zur Erhaltung des Welterbes verpflichten sich die Staaten – drittens – zur wissenschaftliche Kooperation (vgl. Art. 4 Satz 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 und 2 der Welterbekonvention). In der Koordinierung des Schutzsystems für das Welterbe durch das „Komitee für das Erbe der Welt“ (vgl. Art. 8 ff. der Welterbekonvention) zeigt sich – viertens – eine institutionelle Komponente. Schließlich kommt im Zusammenhang mit dem Schutzsystem zur Bewahrung des Welterbes ein Element intergenerationeller Gerechtigkeit zum Tragen, das zur Nachhaltigkeit bei der Entwicklung von Schutzmechanismen aufruft. Aber rechtfertigen diese Ähnlichkeiten bereits die Annahme, dass die Welterbekonvention auf dem Menschheitserbekonzept beruht? Mag sich angesichts der terminologischen Parallelen eine positive Antwort zunächst aufdrängen, 78 wird eine Gleichsetzung des Welterbe-Konzepts der Welterbekonvention mit dem seevölkerrechtlichen Konzept des „common heritage of mankind“ zu recht überwiegend abgelehnt. Das Welterbe-Konzept der UNESCO-Konvention erschöpft sich in einer vergleichsweise vagen Andeutung einer „treuhänderische[n] Bindung des Belegenheitsstaates an die Interessen der Staatengemeinschaft“, 79 die mit dem komplexen Regime des Tiefseebodens letztlich nicht vergleichbar ist. 80 Beim „Gebiet“ handelt es sich um einen in funktionaler Hinsicht vollumfänglich internationalisierten Staatengemeinschaftsraum, demgegenüber Art. 6 der Welterbekonvention gerade die Geltung des Souveränitätsgrundsatzes unterstreicht, die mit dem „common heritage“-Konzept nicht vereinbar wäre. 81 Zu berücksichtigen ist schließlich, _____________ 78 Sharon-Anne Williams, The International and National Protection of Movable Cultural Property: A Comparative Study, 1978, 54. 79 Krohn (Anm. 76), 272; siehe auch Odendahl (Anm. 74), 949; Forrest (Anm. 41), 139. Andere Stimmen lehnen weitergehend jeglichen Zusammenhang mit dem Treuhandaspekt ab und sehen in dem Welterbe-Prinzip der UNESCO-Konvention lediglich eine Anerkennung formeller völkerrechtlicher Kooperationspflichten; so Goy (Anm. 75), 131; ähnlich Roger O’Keefe, World Cultural Heritage: Obligations To The International Community As A Whole?, International and Comparative Law Quarterly 53 (2004), 189. 80 Anders offenbar Baslar (Anm. 25), 302. 81 Thomas Fitschen, Internationaler Schutz des kulturellen Erbes der Welt – Erläuterungen zum Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt vom 23.11.1972, in: Wilfried Fiedler (Hrsg.), Internationaler Kulturgüterschutz und deutsche Frage: Völkerrechtliche Probleme der Auslagerung, Zerstreuung und Rückführung deutscher Kulturgüter nach dem Zweiten Weltkrieg, 1991, 183, 195 meint daher, dass Art. 6 der Welterbekonvention restriktiv ausgelegt werden müsse: „Da die

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dass eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des „common heritage“-Konzepts auf Ressourcen innerhalb staatlicher Territorien – etwa die tropischen Regenwälder – anlässlich der Rio-Konferenz im Jahre 1992 insbesondere von den Entwicklungsstaaten vehement abgelehnt wurde. II. „Common heritage of mankind“ und „common concern of (hu)mankind“ Spätestens im Rahmen des Rio-Erdgipfels 1992 trat mit dem Gedanken des „common concern of mankind“ bzw. – zeitgemäßer 82 und genderneutral 83 – „common heritage of humankind“ ein weiteres und mit dem „common heritage“-Prinzip zumindest begrifflich verwandtes Konzept in den Vordergrund der Diskussion um die „global commons“. Soweit erkennbar wurde der Begriff „common concern of mankind“ erstmals 1988 mit Bezug auf den Klimawandel angesichts dessen Auswirkung auf die Menschheit insgesamt verwendet. In der Folge fand er Eingang in zahlreiche Resolutionen der UN-Generalversammlung 84 und völkerrechtliche Verträge, 85 etwa in das Umweltschutzprotokoll zum Antarktis-Vertrag, 86 in die UN-Klimarahmenkonvention (UN FCCC) 87 und in die Biodiversitätskonvention (CBD). 88 Seinen entstehungsgeschichtlichen Hintergrund bilden die im Vorfeld der Rio-Konferenz ausgetragenen Kontroversen um eine potenzielle Einbeziehung _____________

Vertragsstaaten aber zugleich den ‚Welterbe‘-Charakter der betreffenden Güter anerkennen, ist die Souveränität, soll der Begriff nicht völlig leerlaufen, nicht mehr völlig schrankenlos. Damit wird in der Konvention erstmals ein ‚Recht‘ oder ‚Interesse‘ der Staatengemeinschaft an im Übrigen nationalem Liegenschaftsrecht unterworfenem Gebiet anerkannt“. 82 Vgl. Noyes (Anm. 49), 447. 83 Forrest (Anm. 41), 125 (Fn. 4). 84 Vgl. nur General Assembly, Resolution vom 6. Dezember 1988 (UN Doc. A/ RES/43/53); General Assembly, Resolution vom 22. Dezember 1989 (A/RES44/207); General Assembly, Resolution vom 21. Dezember 1990 (UN Doc. A/RES/45/202); General Assembly, vom 19. Dezember 1991 (UN Doc. A/RES46/169). Alle vorbezeichneten Resolutionen befassen sich mit den Auswirkungen des Klimawandels. 85 Übersicht bei Mostafa K. Tolba, The Implications of the ‘Common Concern of Mankind’ Concept on Global Environmental Issues, Revista Instituto Interamericano de Derechos Humanos 13 (1991), 237, 239 ff., abrufbar unter: http://www.juridicas.unam.mx/publica/ librev/rev/iidh/cont/13/doc/doc27.pdf. 86 Vgl. Präambel des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 4. Oktober 1991, BGBl 1994 II, 2478. 87 Vgl. Präambel und Art. 3 Abs. 1 des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen vom 9. Mai 1992, BGBl 1993 II, 1783. 88 Vgl. Präambel des Übereinkommens über die biologische Vielfalt vom 5. Juni 1992, BGBl 1993 II, 1742.

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des „common heritage of mankind“-Konzepts in UNFCCC und CBD. Dass es hierzu nicht kam, hat primär mit Befürchtungen der Entwicklungsstaaten zu tun, dass eine Bezugnahme auf das gemeinsame Menschheitserbe vor dem Hintergrund des in Teil XI SRÜ kodifizierten Regimes Souveränitätseinschränkungen nach sich ziehen werde. 89 Auf der anderen Seite hatten die Industriestaaten kein Interesse daran, das in Art. 140 Abs. 2 SRÜ angelegte Verteilungsschema auf andere Räume und Umweltgüter zur Anwendung zu bringen; sie fürchteten um ihre wirtschaftliche Vormachtstellung auf der Erde. 90 Auf der Grundlage der vorhandenen Dokumente lässt sich der Schluss ziehen, dass das „common concern of (hu)mankind“-Konzept (Umwelt-)Probleme erfasst, die auf eine Ressourcennutzung in Gebieten unter staatlicher Hoheitsgewalt, also gerade nicht in ABNJ, zurückgehen, aber weltweite Auswirkungen haben. Als „weltweit“ gelten dabei diejenigen Auswirkungen, die alle Staaten in vergleichbarer Weise betreffen bzw. die ein globales Ökosystem in schwerer Weise beeinträchtigen. 91 Vom völkerrechtlichen Präventionsprinzip 92 unterscheidet sich das „common concern of (hu)mankind“-Konzept dadurch, dass es nicht bilaterale oder regionale Streitigkeiten verhindern soll, sondern folgenbezogen eine globale Perspektive einnimmt. 93 Ähnlich wie im Falle des „common heritage“-Konzepts bringt der Begriff „(hu)mankind“ eine intergenerationelle Komponente zum Ausdruck. 94 Neu ist hingegen die Fokussierung auf ein „concern“, ein „Anliegen“. Die Erklärung eines Problemkomplexes zum gemeinsamen Anliegen gleicht einem an alle Staaten der Erde gerichteten Aufruf, bei der Lösung globaler Probleme zu kooperieren; sie bildet die Basis für die anschließende Schaffung spezifischer rechtlicher Verpflichtungen und könnte damit bereits eine generelle Verpflichtung im Sinne des „due diligence“-Gedankens implizieren. 95 _____________ 89

Vor diesem Hintergrund ist das Verlangen der Entwicklungsstaaten konsequent, die genetischen Ressourcen des „Gebiets“ dem „common heritage“-Konzept zu unterstellen. Vgl. etwa Report of the United Nations Open-ended Informal Consultative Process on Oceans and the Law of the Sea at its Eighth Meeting of 2007 (UN Doc. A/62/169), §§ 71 ff. 90 Dazu etwa Murillo (Anm. 46), 138. 91 Krohn (Anm. 76), 285. 92 Zu dessen gewohnheitsrechtlicher Geltung vgl. Pulp Mills on the River Uruguay (Argentina v. Uruguay), Urteil vom 20. April 2010, ILM 49 (2010), 1123, 1150 (§ 101); ICJ, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, ICJ Reports 1996, 226, 241f. (§ 29). 93 Frank Biermann, ‚Common Concern of Humankind‘: The Emergence of a New Concept of International Environmental Law, Archiv des Völkerrechts 34 (1996), 426, 427. 94 Cançado Trindade (Anm. 39), 347. 95 So Cançado Trindade (Anm. 39), 347.

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Das Konzept des „common concern of (hu)mankind“ wird geprägt durch einen räumlichen, einen zeitlichen und einen sozialen Aspekt: 96 In räumlicher Hinsicht wird die Staatengemeinschaft insgesamt zur Zusammenarbeit bei der Lösung globaler Probleme aufgerufen. 97 In zeitlicher Hinsicht gebietet das „common concern“-Konzept die Einbeziehung der Interessen künftiger Generationen, und in sozialer Hinsicht bringt es zum Ausdruck, dass der Kampf gegen globale Bedrohungen die Einbeziehung aller gesellschaftlichen Akteure, Schichten und Strukturen verlangt. 98 Inhaltlich tritt schließlich die Anerkennung des Gedankens der internationalen Solidarität durch Bereitstellung von finanziellen und technologischen Mitteln für Entwicklungsländer im Rahmen einer internationalen Kooperation zur Bekämpfung globaler Probleme hinzu. Noch nicht beantwortet ist mit vorstehenden Überlegungen, ob es sich beim „common concern“-Konzept auch jenseits von CBD und UNFCCC um eine rechtsverbindliche Norm handelt. Diesbezüglich wird z.T. eine unmittelbare Verknüpfung von „common concern“ und erga omnes-Pflichten (die ihrerseits, wie gesagt, das Vorliegen völkergewohnheitsrechtlicher Normen voraussetzen) befürwortet. 99 In der Tat sind Letztere in der Diktion des Internationalen Gerichtshofs (IGH) „by their very nature […] the concern of all states“ 100 – ein Umstand, der ihre Erstreckung auf sämtliche Vorgaben, die der Sicherung der Lebensgrundlagen der Menschheit dienen, nahelegt. Dieses Verständnis scheint auch der Feststellung des IGH zugrunde zu liegen, wonach “safeguarding the earth’s ecological balance has come to be considered an essential interest of all states, to protect the international community as a whole“. 101 Zu berücksichtigen ist indes die inhaltliche Weite – und damit verbunden die konzeptionelle Unschärfe – des „common concern“-Gedankens. Zu Recht hat Ulrich Beyerlin in diesem Sinne dargelegt, dass dergleichen Konzeptionen _____________ 96

Murillo (Anm. 46), 138 ff. Vgl. auch Prinzip 7 der Rio-Deklaration über Umwelt und Entwicklung vom 14. Juni 1992 (UN Doc. A/CONF.151/26 [Vol. I]): „Die Staaten werden in einem Geist der weltweiten Partnerschaft zusammenarbeiten, um die Gesundheit und die Unversehrtheit des Ökosystems der Erde zu erhalten, zu schützen und wiederherzustellen“. 98 Aus dieser Komponente wird z.T. abgeleitet, dass die Konzeption des „common concern of (hu)mankind“ ein „legal standing“ sämtlicher relevanter Akteure vor internationalen Gerichten begründe; vgl. Frederic L. Kirgis, Standing to Challenge Human Endeavours that Could Change the Climate, American Journal of International Law 84 (1990), 525 ff. 99 Cançado Trindade (Anm. 39), 347. 100 ICJ, Barcelona Traction, Light and Power Company Limited (Belgium v. Spain) (Second Phase), Judgment, ICJ Reports 1970, 3, 32 (§ 33). 101 ICJ, Gabcykovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Judgment, ICJ Reports 1997, 7, 41. 97

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allenfalls dann Normcharakter annehmen [können], wenn sie mit bestimmten Umweltgütern verkoppelt werden. Ohne konkreten gegenständlichen Bezug sind sie schon keine Normen und zählen damit auch nicht zum Kreise der Prinzipien, die zu Völkergewohnheitsrecht erstarken können. 102

Angesichts des engen Bezugs zu Gebieten unter staatlicher Hoheitsgewalt ist es bislang aber nicht gelungen, das „common concern“-Konzept mittels Etablierung konkreter Handlungspflichten und Durchsetzungsmechanismen zu operationalisieren. 103 Es beschränkt sich auf allgemeiner Ebene bislang darauf, einen allgemeinen Rahmen für die weitere zwischenstaatliche Kooperation bei der Behandlung der betroffenen Güter festzulegen. Insofern erscheint zweifelhaft, ob ihm überhaupt eine den Handlungsspielraum der Staaten beschränkende Wirkung beigemessen werden kann. 104 Selbst im Rahmen der UNFCCC und der CBD resultieren aus dem „common concern“-Konzept selbst keine spezifischen Rechtsfolgen; vielmehr kommt auch auf völkervertraglicher Ebene den konkretisierenden Vorgaben entscheidende Bedeutung zu. Was das Verhältnis von „common concern“ und „common heritage“ anbelangt, kann erneut nicht von einem unmittelbaren Ableitungszusammenhang ausgegangen werden. Gewiss bestehen in der Bezugnahme auf die Menschheit und im Hinblick auf das in beiden Konzeptionen enthaltene intergenerationelle Element wichtige Parallelen. Als entscheidender Unterschied erweist sich freilich der Umstand, dass das „common heritage“-Konzept die Souveränitätsfreiheit des betreffenden Raums tatbestandlich voraussetzt, demgegenüber der Gedanke des „common concern“ mit Gebieten unter nationaler Hoheitsgewalt verbunden ist. Schon terminologisch stellt der Begriff „Anliegen“ im Unterschied zu dem des „Erbes“ keinen unmittelbaren Objektbezug her zwischen Umweltgut und Menschheit. Dies äußerst sich darin, dass das „common concern“-Konzept die rechtlichen Zuordnung von Ressourcen zu einem bestimmten Belegenheitsstaat nicht aufhebt oder auch nur relativiert. 105 Es verfügt von vornherein nicht über den das Konzept des gemeinsamen Menschheitserbes prägenden ressourcenspezifischen Bezug. 106 Im Vordergrund des „common concern of (hu)mankind“ steht mithin die gerechte Verteilung von Verantwortlichkeiten, nicht die von natürlichen Ressourcen; konzeptionell ist es daher mit dem _____________ 102 Ulrich Beyerlin, ‚Prinzipien‘ im Umweltvölkerrecht – ein pathologisches Problem?, in Hans-Joachim Cremer u.a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger, 2002, 31, 51, 56. 103 Vgl. Biermann (Anm. 93), 472. 104 Bejahend Alexandre Charles Kiss, The Common Concern of Mankind, Environmental Policy and Law 27 (1997), 244, 246. 105 Krohn (Anm. 76), 277. 106 Cançado Trindade (Anm. 39), 349; vgl. auch IUCN Environmental Law Programme, Draft International Covenant on Environment and Development, 4. Aufl. 2010, 39 f. (Kommentar zu Art. 3).

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Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten verbunden. 107 Daraus ergibt sich die Unabhängigkeit der beiden Konzeptionen voneinander. Trotz verwandter Anknüpfungspunkte überlagern sich „common heritage of mankind“ und „common concern of (hu)mankind“ nicht, sondern sie koexistieren. 108

E. Fazit Vorliegende Skizze hat aufgezeigt, dass sich das „common heritage“Konzept autonom, d.h. ohne Existenz eines unmittelbaren Ableitungszusammenhangs zur res communis omnium, und mit spezifischem Bezug zu den Staatengemeinschaftsräumen entwickelt hat. Im Unterschied zu vermeintlich verwandten Konzeptionen wie dem Welterbegedanken der UNESCO-Konvention oder dem des „common concern of (hu)mankind“, deren Anwendungsbereiche die Gebiete unter nationaler Hoheitsgewalt sind, betrifft es konkret die Gemeinschaftsräume in ihrer Entwicklung. Damit geht indes einher, dass eine Bezugnahme auf jene Konzeptionen zwecks inhaltlicher Schärfung des „common heritage“-Grundsatzes, soweit nicht die bloße Abgrenzung zur Diskussion steht, prinzipiell ausgeschlossen ist. Die fortbestehenden Unsicherheiten hinsichtlich seines Status, seiner Reichweite und seiner Adressaten können vor diesem Hintergrund nur im Wege der künftigen Aktivierung und Operationalisierung durch die IMB sukzessive beseitigt werden. Ein über die hier herausgearbeiteten und vom Konsens der Staatengemeinschaft getragenen Kernelemente hinausgehender normativer Gehalt ist derzeit nicht feststellbar. Zugleich steht der ressourcen- und gemeinschaftsraumspezifische Bezug des „common heritage“-Konzepts im völkerrechtlichen Schrifttum häufig anzutreffenden Plädoyers für seine Übertragung auf andere Umweltgüter konzeptionell entgegen. Insoweit sollte das Augenmerk daher auf die Fortentwicklung und Operationalisierung des „common concern“-Gedankens gerichtet werden.

_____________ 107

Jutta Brunnée, Common Areas, Common Heritage, and Common Concern, in: Daniel Bodansky/Jutta Brunnée/Ellen Hey (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Environmental Law, 2007, 550, 566. 108 So auch Cançado Trindade (Anm. 39), 348; a.A. Murillo (Anm. 46), 140.

Autorenverzeichnis Prof. Dr. Andreas v. Arnauld ist Professor für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völker- und Europarecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Direktor des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht. Prof. Dr. Jochen v. Bernstorff ist Inhaber des Lehrstuhls für Verfassungsrecht, Völkerrecht und Menschenrechte an der Universität Tübingen. Ioannis Georgiadis studiert Rechtswissenschaft an der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn und ist dort als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Dr. DDr. h.c. Matthias Herdegen, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und des Instituts für Völkerrecht, tätig. Seine universitäre Schwerpunktbereichsprüfung hat er im Bereich „Internationales und europäisches Recht der Wirtschaftsbeziehungen“ absolviert. Prof. Dr. Rainer Grote, LL.M. (Edinburgh), ist Wissenschaftlicher Referent am MaxPlanck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und außerplanmäßiger Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen. Camilla Haake ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht und Europarecht, an der Universität Trier. Prof. Dr. Markus Kotzur, LL.M. (Duke University), ist Professor für Völker- und Europarecht an der Universität Hamburg, geschäftsführender Direktor des dortigen „Institute for European Integration“ und stellvertretender geschäftsführender Direktor am Institut für internationale Angelegenheiten. Prof. Dr. Alexander Proelß ist Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht und Europarecht, an der Universität Trier, sowie Direktor des Instituts für Umwelt- und Technikrecht und des Instituts für Rechtspolitik. Prof. Dr. Carsten Stahn ist Inhaber des Lehrstuhls für Völkerstrafrecht und Globale Gerechtigkeit an der Leiden Law School sowie Programmdirektor des Grotius Centre for International Legal Studies in Den Haag. Prof. Dr. Heinhard Steiger, LL.M. (Harvard), war von 1975 bis zu seiner Emeritierung zum 1. Oktober 2001 Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen. Prof. Dr. Erika de Wet ist SARChl Professorin für Internationales Verfassungsrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Pretoria, Südafrika, und Honorarprofessorin an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn, Deutschland.