Eignungsdiagnostik im Wandel: Perspektiven - Trends - Konzepte 9783666403514, 9783525403518

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Eignungsdiagnostik im Wandel: Perspektiven - Trends - Konzepte
 9783666403514, 9783525403518

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Simone Dlugosch / Anke Terörde (Hg.)

Eignungsdiagnostik im Wandel Perspektiven – Trends – Konzepte

Mit 4 Abbildungen und 3 Tabellen

Vandenhoeck & Ruprecht

99 Exemplare dieser Auflage sind durchnummeriert. Dieses Buch trägt die Nummer:

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-40351-8

© 2009, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Daniela Weiland, Göttingen Druck und Bindung: E Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Simone Dlugosch und Anke Terörde Was bringt die Zukunft? Thesen zu Entwicklungen in der Eignungsdiagnostik . . . . .

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Zukunftsrelevante Kompetenzen Simone Dlugosch Nichts ist so beständig wie der Wandel – Bedeutung und Diagnostik von Veränderungskompetenz . .

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Günter Trost Interkulturelle Kompetenz und deren Erfassung . . . . . . . .

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Sylvia Krämer und Martin Schürmann E-Leadership – Wie lassen sich virtuelle Projektteams erfolgreich führen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Eignungsdiagnostische Verfahren im Wandel Kristine Heilmann Kompetenzentwicklung im Development-Center – Variationen der klassischen Assessment-Center-Methode . . 127 Anke Terörde Assessment-Center im internationalen Kontext – Welche Rolle spielt »Kultur«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

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Inhalt

Alexander Zimmerhofer Der Einfluss des Internets auf die Eignungsdiagnostik – E-Recruiting, E-Assessments und Self-Assessments . . . . . . 177 Ernst Fay Das Interview als situative Übung . . . . . . . . . . . . . . . . 194

Rahmenbedingungen der Eignungsdiagnostik im Wandel Melanie Sauerland Eignungsdiagnostik als Bestandteil des Personalmarketings – Künftige Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Stephan Stegt Die stille Reserve: Hidden Talents – Wie Diagnostik hilft, sie zu finden und zu fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

Vorwort

In der Arbeitswelt haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten aufgrund von Entwicklungen wie der zunehmenden Globalisierung, der rasanten technologischen Innovation und dem demografischen Wandel der Veränderungsdruck wie auch die Veränderungsgeschwindigkeit kontinuierlich erhöht – der Wandel ist zur Konstante geworden. Zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit ist es für Unternehmen essenziell, sich diesem stetigen Wandel zu stellen und dafür Sorge zu tragen, dass die Organisation und vor allem auch die Mitarbeiter1 willens und fähig sind, die notwendigen Veränderungen mitzutragen und mitzugestalten. Personalabteilungen bekommen die Veränderungsdynamik in verschiedenster Form zu spüren: Zum Beispiel steigt – bedingt durch den demografischen Wandel und dem damit einhergehenden Fachkräftemangel – der Konkurrenzdruck bei der Rekrutierung qualifizierter Fach- und Führungskräfte (war for talent); die Globalisierung führt zu einer zunehmenden Internationalisierung von Belegschaften, Mitarbeiter werden weltweit rekrutiert und ausgewählt; technologische Weiterentwicklungen und kürzere Innovationszyklen stellen Mitarbeiter vor immer neue Anforderungen und vor die Aufgabe, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln – was vor zwei Jahren noch aktuelles Fachwissen war, ist heute bereits überholt. Um qualifizierte Mitarbeiter auszuwählen, Potenzialträger zu identifizieren und Weiterentwicklungsbedarf zu ermitteln, bedarf es einer profunden psychologischen Eignungsdiagnostik, die sich mit den Bedingungen und Folgen des Wandels auseinandersetzt und – wo nötig und sinnvoll – an die veränderten Rahmenbedingungen anpasst. Hier setzt das vorliegende Buch an und geht der folgenden 1 Im Interesse der Lesbarkeit des Textes wird bei der Bezeichnung von Personengruppen in diesem Buch nur die männliche Form verwendet; gemeint sind aber stets Männer und Frauen.

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Vorwort

Frage nach: Welche Auswirkungen haben die verschiedenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Trends auf die Eignungsdiagnostik? Im einleitenden Beitrag werden die verschiedenen Facetten einer Eignungsdiagnostik im Wandel aufgezeigt: Welche Kompetenzen einer Person werden angesichts der aktuell absehbaren Entwicklungen künftig für die Arbeitgeber an Bedeutung gewinnen – kurzum: Was sind zukunftsrelevante Kompetenzen? Welche Konsequenzen ergeben sich aus den verschiedenen Trends für eignungsdiagnostische Verfahren, deren Einsatz, Entwicklung und Durchführung? Wie verändern sich die allgemeinen Rahmenbedingungen, unter denen eignungsdiagnostische Prozesse durchgeführt werden, und wie kann diesen Veränderungen begegnet werden? Die weiteren Beiträge folgen dieser Dreiteilung von zukunftsrelevanten Kompetenzen, eignungsdiagnostischen Verfahren und Rahmenbedingungen: Zunächst werden in den Artikeln von Simone Dlugosch, Günter Trost sowie Sylvia Krämer und Martin Schürmann mit der Veränderungskompetenz, der interkulturellen Kompetenz sowie dem E-Leadership Kompetenzen, die für die Zukunft besonders bedeutsam sind, näher beleuchtet und Möglichkeiten aufgezeigt, wie diese anhand diagnostischer Verfahren erfasst werden können. Im Themenfeld eignungsdiagnostischer Verfahren stellt Kristine Heilmann das Development-Center als Variation des »klassischen« Assessment-Centers dar, und Anke Terörde widmet sich der Frage, welche Rolle Kultur im Rahmen von Assessment-Centern im internationalen Kontext spielt. Alexander Zimmerhofer beschäftigt sich mit Möglichkeiten, die sich aus technologischen Entwicklungen – und hier speziell dem Internet – für eignungsdiagnostische Verfahren ergeben. Ernst Fay betrachtet das Interview aus einem neuen Blickwinkel und zeigt auf, wie es noch effizienter genutzt werden kann. Im Themenfeld Rahmenbedingungen eignungsdiagnostischer Prozesse liegt der Schwerpunkt auf dem Fachkräftemangel und wie diesem aus eignungsdiagnostischer Perspektive begegnet werden kann. So stellt Melanie Sauerland Möglichkeiten dar, wie Personalauswahl und Personalmarketing stärker ineinander greifen können, und Stephan Stegt beschäftigt sich mit der Frage, wie Potenziale bislang zu wenig beachteter Zielgruppen besser erkannt und gefördert werden können.

Vorwort

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Deutlich wird im Zuge der Auseinandersetzung mit den sich abzeichnenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technologischen Trends und deren Auswirkungen auf die Eignungsdiagnostik, dass deutlicher Handlungsbedarf bezüglich der konkreten Ausgestaltung von Verfahren besteht, grundlegende eignungsdiagnostische Konzepte jedoch weiterhin Bestand haben. So sind die künftig an Bedeutung gewinnenden Kompetenzen (wie die hier beschriebene Veränderungskompetenz, interkulturelle Kompetenz oder E-Leadership) keine völlig neuen Kompetenzen, sondern setzen sich in ihren Bestandteilen aus wohlbekannten Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften zusammen. Auch mit Blick auf die eignungsdiagnostischen Verfahren ist kein grundlegender Paradigmenwechsel in Sicht – es gilt aber, bewährte Instrumente an die sich wandelnden Rahmenbedingungen und Anforderungen anzupassen. Die Autoren dieses Buchs sind Berater der ITB Consulting GmbH. 1971 als Institut für Test- und Begabungsforschung der Studienstiftung des deutschen Volkes gegründet und seit 1992 als ITB Consulting GmbH firmierend, haben wir in dieser fast 40-jährigen Tradition manchen Wandel erlebt und gestalten ihn kontinuierlich mit unseren Kunden. Die Beiträge spiegeln einige unserer Erfahrungen wider und unterlegen diese mit wissenschaftlichen Befunden. Sie richten sich sowohl an praktisch tätige Personalverantwortliche als auch an Leser anderer Berufsgruppen, die sich für Konzepte, aktuelle Fragen und notwendige (Weiter-)Entwicklungen der Eignungsdiagnostik interessieren. Unser Dank als Herausgeberinnen gilt allen Kollegen, die sich neben ihrer täglichen Arbeit als Berater die Zeit genommen haben, einen Beitrag für dieses Buch zu schreiben und auch jenen, die dieses Buchprojekt durch redaktionelle Arbeiten tatkräftig unterstützt haben. Simone Dlugosch und Anke Terörde

Simone Dlugosch und Anke Terörde

Was bringt die Zukunft? Thesen zu Entwicklungen in der Eignungsdiagnostik

1 Die Arbeitswelt der Zukunft Analysen, Umfragen und Thesen, wie sich die Arbeitswelt in Zukunft entwickeln wird, gibt es viele (vgl. z. B. Bartsch, 2006; Böhm, Leicht u. Strack, 2007; Horx-Strathern u. Mühlhaus, 2001; Martens, 2008; Wabel, Nitsch u. Machl, 2008). Häufig ist dabei die Rede von – einem Fachkräftemangel und weltweitem war for talent (Chambers, 1998); – einer zunehmenden Komplexität der Tätigkeiten und Arbeitsanforderungen; – einer verstärkten Entwicklung hin zur Dienstleistungsgesellschaft, hin zum wissensbasierten Arbeiten und zur lernenden Organisation; – kürzeren Innovationszyklen und einer immer geringeren Halbwertzeit von Wissen; – einer Internationalisierung der Arbeits- und Talentmärkte; – der Anforderung, als Arbeitnehmer die eigene Beschäftigungsfähigkeit über die Lebensarbeitszeit hinweg aufrechtzuerhalten (Stichwort: Employability); – einer Feminisierung der Arbeitswelt (»Megatrend Frauen«); – einer Entwicklung hin zu mehr Gesundheits- und Umweltbewusstsein wie auch zu verstärktem sozialem Engagement der Unternehmen (Stichwort: Corporate Social Responsibility) oder auch von – einer Forderung nach stärkerer Werteorientierung in der Wirtschaft. Gemeinsam ist den zahlreichen – hier nur exemplarisch aufgeführten – Thesen und Prognosen, dass größere ökonomische, gesellschaftliche und technologische Entwicklungen ihre Basis bilden.

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Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie sich diese übergreifenden Entwicklungen speziell auf das Feld der psychologischen Eignungsdiagnostik bereits auswirken beziehungsweise in Zukunft auswirken werden. Die psychologische Eignungsdiagnostik hat zum Ziel, durch eine systematische Untersuchung der individuellen Merkmalsausprägungen einer Person eine möglichst genaue Vorhersage des beruflichen Erfolgs oder des Potenzials der Person mit Blick auf spezifische Anforderungen (z. B. einer Position, einer Projekttätigkeit, eines Trainingsprogramms) zu treffen. Das Ergebnis kann eine Auswahlentscheidung oder auch eine Beschreibung des Status quo mit Blick auf Stärken und Entwicklungsmöglichkeiten der Person sein. Anhand eignungsdiagnostischer Verfahren (wie z. B. Interviews, Assessment-Center, biografische Fragebögen, standardisierte Leistungstests) werden Informationen über die individuellen Merkmalsausprägungen möglichst objektiv und effizient zur Verfügung gestellt. Unserer Ansicht nach sind vor allem – der demografische Wandel, – die Globalisierung, – die Weiterentwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie – die Pluralisierung der Werte in der Gesellschaft maßgebliche Treiber für Veränderungen im Bereich der Eignungsdiagnostik. Wir werden im Folgenden zunächst diese Entwicklungen kurz skizzieren und aufzeigen, welche Konsequenzen sich daraus für die Personalarbeit ergeben. Im Anschluss wollen wir daraus Thesen mit Blick auf drei eignungsdiagnostisch relevante Bereiche ableiten: a) Zukunftsrelevante Kompetenzen: Hier werden wir der Frage nachgehen, welche Kompetenzen einer Person künftig für die Arbeitswelt an Bedeutung gewinnen – kurzum: Was sind zukunftsrelevante Kompetenzen? b) Eignungsdiagnostische Verfahren im Wandel: Dieser Punkt bezieht sich auf die Frage, welche Konsequenzen sich aus den verschiedenen Trends für eignungsdiagnostische Verfahren, deren Entwicklung, Einsatz und Durchführung ergeben. Wie wirken sich beispielsweise technologische Entwicklungen auf eignungsdiagnostische Instrumente aus?

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c) Rahmenbedingungen der Eignungsdiagnostik im Wandel: Hier steht die Frage im Vordergrund, wie sich die allgemeinen Rahmenbedingungen, unter denen eignungsdiagnostische Prozesse durchgeführt werden, ändern, und wie mit diesen Veränderungen umgegangen werden kann. Im Zuge des Fachkräftemangels rücken beispielsweise Fragen der Gewinnung neuer Zielgruppen wie auch Marketingaspekte in den Fokus. Mit den Thesen zu diesen drei Bereichen wollen wir Zukunftsperspektiven aufzeigen und dem Leser Anhaltspunkte liefern, wie den aktuellen und künftigen Entwicklungen in der Eignungsdiagnostik begegnet werden kann. Ausgewählte Themenbereiche werden in den nachfolgenden Beiträgen des Buches vertieft.

1.1 Demografischer Wandel Den demografischen Wandel in Deutschland kann man auf eine einfache Formel bringen (siehe Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2008): 1. Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter und 2. die Bevölkerung in Deutschland schrumpft. In Zahlen ausgedrückt (Statistisches Bundesamt, 2006, S. 5): »Bei der Fortsetzung der aktuellen demografischen Entwicklung wird die Einwohnerzahl von fast 82,5 Millionen im Jahr 2005 auf 74 bis knapp 69 Millionen im Jahr 2050 abnehmen. […] Die Relationen zwischen Alt und Jung werden sich stark verändern. Ende 2005 waren 20 % der Bevölkerung jünger als 20 Jahre, auf die 65-Jährigen und Älteren entfielen 19 %. Die übrigen 61 % stellten Personen im so genannten Erwerbsalter (20 bis unter 65 Jahre). Im Jahr 2050 wird dagegen nur etwa die Hälfte der Bevölkerung im Erwerbsalter, über 30 % werden 65 Jahre oder älter und circa 15 % unter 20 Jahre alt sein.« Aus diesem prognostizierten Rückgang der Erwerbsbevölkerung ergibt sich für die Unternehmen als eine zentrale Konsequenz ein Mangel an qualifiziertem Personal im erwerbsfähigen Alter. Dabei widersprechen sich Wirtschaftskrise und Fachkräftemangel nur auf den ersten Blick: Einerseits dämpft die 2008 einsetzende Krise die Erwartungen für die produzierende Wirtschaft und die Aussichten für das Wachstum und den Arbeitsmarkt werden schlechter, andererseits aber warnen Experten weiterhin vor einem Mangel

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an Fachkräften vor allem in technischen Berufen und bei Ingenieuren – bedingt durch den demografischen Wandel, dessen Auswirkungen die Wirtschaftskrise sicherlich überdauern werden. Einer Studie des Vereins Deutscher Ingenieure und des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge fehlen im technischen Bereich derzeit rund 144.000 Fachkräfte; diese »Lücke« wird bis zum Jahr 2020 auf rund 232.000 Personen anwachsen, wenn Politik, Unternehmen und Verbände nicht gegensteuern. Es sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass sich der Arbeitmarkt in Zukunft voraussichtlich zweiteilen wird: Auf der einen Seite besteht eine große Nachfrage nach hochqualifizierten Fachkräften, auf der anderen Seite wird es nicht genügend Stellen für gering qualifizierte Arbeitskräfte geben. Dabei ist »hochqualifiziert« nicht unbedingt mit einem hohen Qualifikationsabschluss gleichzusetzen, sondern bezieht sich auf das Vorhandensein erfolgskritischen Wissens und entsprechender Kompetenzen. Dieses Wissen zeichnet sich unter anderem durch einen hohen Grad an Einzigartigkeit aus (z. B. weil damit Wettbewerbsvorteile erzielt werden können) und ist erfolgskritisch, weil es die Leistung eines Unternehmens maßgeblich beeinflusst (Rump u. Eilers, 2006). Die steigende Nachfrage nach erfolgskritischem Wissen ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass in Deutschland mehr und mehr wissensintensive Produkte und Dienstleistungen hergestellt bzw. angeboten werden. Neben einem Mangel an qualifiziertem Personal ergeben sich für die Personalarbeit weitere Konsequenzen aus dem demografischen Wandel, wie etwa das Ansteigen des durchschnittlichen Alters der Belegschaften; dies geht mit der Notwendigkeit einher, die Arbeitsfähigkeit älterer Mitarbeiter zum Beispiel durch gesundheitsfördernde Maßnahmen oder eine entsprechende Anpassung der Arbeitsgestaltung aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt drohender Wissensverlust durch die »geballte Verrentung«1 von älteren Experten und Erfahrungsträgern. Schließlich wird es auch eine Herausforderung für die Personalarbeit darstellen, ein Umdenken in den Köpfen aller Beteiligten anzuregen und negative Altersstereotype durch ein differenziertes 1 Es ist davon auszugehen, dass ab dem Jahre 2010 in den Industrieländern eine große Pensionierungswelle der Baby-Boomer (Jahrgänge 1946–1968) einsetzen wird, die bis etwa 2030 an dauert.

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Bild des Alterns abzulösen. Das Prestige der Alten und des Alterns gilt es zu verbessern. Mittlerweile weisen zwar in den Medien platzierte »Age Positive Campaigns« vermehrt auf die Chancen einer alternden Gesellschaft hin, doch in den Köpfen vieler ist das Alter weiterhin mit negativen Stereotypen besetzt.

1.2 Globalisierung Während die einen mit der Globalisierung wachsende Chancen für alle und weltweiten wirtschaftlichen Aufschwung verbinden, sehen die anderen mehr Verlierer als Gewinner und fürchten den »Terror der Ökonomie« (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2009). Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Globalisierung unter anderem charakterisiert durch zunehmend verzweigte Handelsströme und wechselseitig voneinander abhängige Finanzmärkte – dies zeigt sich eindrücklich an der 2008 in den USA einsetzenden Bankenkrise und der daraus folgenden globalen Rezession. Ein weiteres Charakteristikum der Globalisierung ist aber auch die Zunahme globaler Unternehmenskooperationen und »Global Player« (d. h. transnationaler Konzerne). Exemplarisch einige Zahlen zur Globalisierung: – Die Anzahl multinationaler Unternehmen ist in den Jahren von 1980 bis 2004 von etwa 17.000 auf 70.000 gestiegen (Bundeszentrale für politische Bildung, 2006). – Die Summe der deutschen Direktinvestitionen im Ausland und der ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland war 2007 mit 587 Milliarden Euro rund elf mal so hoch wie zu Anfang der neunziger Jahre (Remsperger, 2008). – Der weltweite Warenexport hat gemessen in konstanten Preisen von 1950 bis 2004 um den Faktor 27,5 zugenommen, ist also durchschnittlich um 6,2 Prozent pro Jahr gestiegen (Bundeszentrale für politische Bildung, 2006). Es ist offensichtlich, dass die Globalisierung kein rein auf die Ökonomie bezogenes Phänomen ist, sondern auch auf politischer, gesellschaftlicher, kultureller und ökologischer Ebene Wirkung zeigt. Die weltweiten Migrationsbewegungen führen beispielsweise zu einer kulturellen Diversifizierung. Die Globalisierung wirft aber auch die Frage nach der Balance zwischen einer westlichen »Ein-

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heitskultur« (Stichwort: McDonaldisierung) und einer Stärkung regionaler Kulturen auf. Ebenso sind ökologische Probleme, wie etwa die Erderwärmung, längst globale Themen. Aus der Globalisierung ergeben sich für die Personalarbeit in Unternehmen unter anderem folgende Konsequenzen: – Die Belegschaften werden immer internationaler. So stieg die Anzahl der Personen, die außerhalb ihres Mutterlandes beschäftigt sind, allein in den Jahren von 1986 bis 1996 weltweit von 890.000 auf 1,45 Millionen, dies entspricht einer Zunahme von 63 Prozent. (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln, 2002). – Unternehmen rekrutieren Mitarbeiter zunehmend auch im Ausland, um offene Stellen in der Organisation – sei es in der inländischen Zentrale oder in Zweigstellen im Ausland – zu besetzen. Die Unternehmen erwarten, durch internationale Rekrutierung Kosten einzusparen und die eigene internationale Kompetenz zu steigern; häufig ist aber auch das eigene Selbstverständnis als internationales Unternehmen ein Beweggrund. Das zeigen Studien von PriceWaterhouseCoopers (2006) und dem Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) der Fachhochschule Ludwigshafen (2008). – Es werden vermehrt Mitarbeiter ins Ausland entsandt. Dies wurde in Studien wie »Managing Mobility 2008« oder »Benefits Survey for Expatriates and Globally Mobile Employees 2008/2009« deutlich. An der zuletzt genannten Erhebung nahmen weltweit 243 multinationale Unternehmen teil; die Befragten gaben an, dass ihr Unternehmen die Zahl ins Ausland entsandter Mitarbeiter innerhalb der letzten drei Jahre verdoppelt habe. – Die Globalisierung bringt darüber hinaus auch eine zunehmende Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung und damit in immer kürzeren Zeitabständen immer neue Anforderungen an die Mitarbeiter mit sich. Aus sich stetig ändernden Marktanforderungen, komplexeren Fertigungs- und Serviceanforderungen, immer neuen technischen Lösungen und Möglichkeiten resultiert ein wachsender Innovations- und Veränderungsdruck. Für die Personalarbeit ergibt sich daraus die Forderung nach einem gezielten Wissensmanagement, aber vor allem auch nach einer kontinuierlichen und gezielten Personalentwicklung mit Blick auf die sich stetig ändernden Anforderungen. – Weiterhin ist im Rahmen der Globalisierung eine Verschiebung von Arbeitsmärkten in andere Länder zu beobachten, in de-

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nen günstiger produziert werden kann (z. B. China) oder sich vermehrt technisches und technologisches Know-How findet (z. B. Indien mit seinem Pendant zum »Silicon Valley« in Bengalore).

1.3 Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien »Berlin hat Feierabend, Tokio macht weiter« (Hirschfelder u. Huber, 2004). Die Globalisierung wurde und wird, neben anderen Faktoren, durch entsprechende Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IuK-Technologien) ermöglicht und besonders in den letzten Jahrzehnten deutlich beschleunigt. Das Internet ist hierbei das Informations- und Kommunikationsmedium schlechthin. 2006 gab es in den OECD-Ländern 309 Millionen Internet-Nutzer – diese Zahl hat sich innerhalb von sechs Jahren verdoppelt; 95 Prozent der großen und mittelständischen Unternehmen nutzten 2007 das Medium (OECD, 2008). Das Web 2.0 eröffnet neue Möglichkeiten: Internet-Nutzer surfen nicht mehr nur durch das Web und besuchen Seiten, die zentral von Unternehmen eingestellt worden sind, sondern verändern und bereichern das Web selbst, etwa in Web-Tagebüchern, über OnlineEnzyklopädien wie Wikipedia oder in Foren wie YouTube. Zudem entwickeln sich virtuelle Welten, wie zum Beispiel »Second Life«2, mehr und mehr zu realen Handels- und Arbeitsplätzen. IuK-Technologien wirken sich auch auf die Gestaltung der Arbeitsumgebung aus. In einem Teilprojekt der Studie »Zukunft der Arbeitswelt 2030« der Universitäten Darmstadt und Mainz (TU Darmstadt, 2009) beschäftigen sich zum Beispiel Informatiker mit Verfahren des so genannten paper centric computing, also damit, wie elektronische Dokumentbearbeitung und solche auf Papier intelligent kombiniert werden können. Die Trendforscher gehen dabei allerdings davon aus, dass das papierlose Büro vorerst ein Mythos bleiben wird.

2 Eine virtuelle Parallelwelt, die von den Linden Labs in San Francisco entwickelt wurde und seit 2003 online ist.

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Für die Personalarbeit ergeben sich unter anderem folgende Konsequenzen: – Durch IuK-Technologien erschließen sich neue, interaktivere Möglichkeiten des Personalmarketings, der Personalrekrutierung und der Personalauswahl. Zudem bieten die technischen Innovationen eine immer schnellere und ortsunabhängige Verarbeitung von Informationen (durch E-Recruitung-/E-Assessment-Systeme, digitale Personalakten, webbasierte Talent-Management-Portale etc.). – Auch werden virtuelle Bildungsangebote im Rahmen der Personalentwicklung weiter an Bedeutung gewinnen. Neben E-Learningund Blended-Learning-Maßnahmen werden verstärkt elektronische Bücher (E-Books) genutzt oder »podcasts« zu verschiedensten Bildungsthemen heruntergeladen. – Durch die rasante Weiterentwicklung von IuK-Technologien verändern sich auch die Anforderungen an die Mitarbeiter, etwa hinsichtlich des Arbeitens über räumliche Distanzen hinweg in so genannten virtuellen Teams. Zudem sind die Mitarbeiter deutlich mehr gefordert, sich neue Technologien anzueignen und sich über entsprechende Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten.

1.4 Pluralisierung der Werte in der Gesellschaft Die Arbeitswelt der Zukunft wird schließlich auch bestimmt von sich ändernden Wertvorstellungen in der Gesellschaft. In den vergangenen dreißig Jahren ist es zu einer Aufgliederung von sozialen Positionen und Lebensstilen gekommen – zu einer sozialen Differenziertheit einerseits und einer zunehmenden Individualisierung andererseits. Soziale Differenziertheit bedeutet, dass der Mensch heute in komplexeren Strukturen lebt als noch vor wenigen Jahren und sich zunehmend »nomadisch« zwischen verschiedenen Milieus und Wertewelten bewegt. Die Individualisierung ist geprägt von autonomem, eigenverantwortlichem und persönlich gefärbtem Handeln, eventuell auch gegen die bestehende soziale Norm. Mit Blick auf sich ändernde Lebensentwürfe ist auch die Generation Y (oder auch: millennials oder digital natives) anzuführen. Damit werden nach 1980 Geborene bezeichnet, die mit Internet und mobiler Kommunikation aufgewachsen sind, eine gute Ausbildung haben und sich durch eine technologieaffine Lebensweise auszeich-

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nen. Angehörige der Generation Y ziehen das Arbeiten in virtuellen Teams demjenigen in tief gestaffelten Hierarchien vor, sie bevorzugen selbstverantwortliches, ortsunabhängiges und aufgabenbezogenes Arbeiten – unterstützt durch neue Medien – und lehnen das starre Festhalten an Arbeitszeitregelungen ab (Wilbs, 2009). Aber nicht nur die Generation Y hat spezifische Anforderungen an ihre berufliche Tätigkeit; im Zuge der Individualisierung haben sich die Vorstellungen dazu insgesamt diversifiziert: Der eine sieht in Beruf und Karriere eine Möglichkeit der Selbstverwirklichung, dem anderen ist eine ausgewogene Work-Life-Balance wichtig, der dritte strebt nach Kontinuität und Sicherheit im Arbeitsleben, während der vierte seine berufliche Selbstständigkeit plant. Eine weitere wichtige Forderung – nicht nur für Frauen – ist zudem, Familie und Beruf in Einklang bringen zu können. Bestechungsskandale, Lobbyismus, überzogene Managergehälter und nicht zuletzt Ereignisse wie die Ende 2008 einsetzende Finanzkrise regen erneut Diskussionen um Werthaltungen von Unternehmen und Individuen an und stellen bestehende Annahmen über das Verhältnis zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern in Frage. Es wird dabei deutlich, dass sich die Anforderungen, die die Gesellschaft an das Verantwortungsbewusstsein und die Werteorientierung von Unternehmen stellt, nachhaltig verändern. Eine aktuelle, bundesweite Umfrage unter Führungskräften (befragt wurden 502 Führungskräfte im Alter von 26 bis 40 Jahren; Bucksteeg u. Hattendorf, 2009) zeigt auch auf »individueller Ebene« eine Veränderung in den Prioritäten und Werthaltungen. So benennen 29 Prozent der Befragten Familie und Partnerschaft – mit den Werten Verbindlichkeit, Treue und Verantwortung – als ihre oberste Priorität. »Erfolg und Anerkennung sind mit 10 Prozent eher abgeschlagen, während sich viele andere Werte, die sich bei Zustimmungsgraden um 8 bis 10 Prozent bewegen, de facto um denselben Fixpunkt sammeln: Family Values und die Balance zwischen Beruf und Privatleben. Der Trend zum Downshifting scheint keine Blase zu sein, die nur im Feuilleton existiert, sondern Realität« (Bucksteeg u. Hattendorf, 2009, S. 10). Unserer Ansicht nach ergeben sich aus dem Wertewandel unter anderem folgende Konsequenzen für die Personalarbeit: – Unternehmen stehen zunächst einmal ganz grundsätzlich vor der Herausforderung, die sich ändernden Werte und Lebensverhältnisse ihrer Mitarbeiter zu kennen und auf dieser Basis ihre

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Unternehmenskultur und -werte zu gestalten beziehungsweise Grundlagen zu schaffen, auf denen der Einzelne seine Arbeit mit seinen Wertevorstellungen in Einklang bringen kann. Wichtig dabei ist, dass kommunizierte Unternehmenswerte auch gelebt werden (vgl. Bucksteeg u. Hattendorf, 2009), denn nur so können qualifizierte und begehrte Fach- und Führungskräfte künftig gewonnen und langfristig an das Unternehmen gebunden werden. – Angesichts der veränderten Bedürfnisse der Arbeitnehmer-Generation Y, aber auch vor dem Hintergrund einer wachsenden Familienorientierung müssen Unternehmen zunehmend flexiblere Arbeitsmodelle schaffen und sich darauf einstellen, dass Mitarbeiter an unterschiedlichen Orten arbeiten. »Traditionelle« Arbeitsformen sind auf dem Rückzug und werden mehr und mehr durch neue abseits der klassischen 40-Stundenjobs ergänzt beziehungsweise ersetzt. Schlagworte sind hier: Job Sharer, Teilzeitarbeitende, Telearbeitende, Jobnomaden, Multijobber und Interim Manager. Personalverantwortliche müssen sich zunehmend auf »Patchwork-Lebensläufe« einstellen. – Angesichts der anhaltenden Wertediskussion gewinnt das Thema Corporate Social Responsibility (CSR) an Bedeutung. Bei CSR geht es um die gesellschaftliche und soziale Verantwortung von Unternehmen – und zwar über ihre rechtlichen Pflichten hinaus. Sponsoring- und Fördermaßnahmen oder die Verbesserung der Arbeitsbedingungen sind zentrale Elemente vieler CSR-Maßnahmen (z. B. Förderung von Kindergärten, Stipendien für Studierende, Umweltprojekte; siehe hierzu auch Stuber, 2009).

2 Thesen zu zukunftsrelevanten Kompetenzen Nach der Beschreibung zentraler ökonomischer, gesellschaftlicher und technologischer Trends und deren Konsequenzen für die Personalarbeit richten wir nun den Blick auf die psychologische Eignungsdiagnostik. Im folgenden Abschnitt wollen wir zunächst verschiedene Kompetenzen vorstellen, die unserer Ansicht nach in Zukunft für die Arbeitswelt – und damit auch für die Eignungsdiagnostik – besonders relevant sein werden: Veränderungskompetenz, interkulturelle Kompetenz, virtuelle Teamfähigkeit und E-Leadership sowie Individual Social Responsibility.

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2.1 Veränderungskompetenz – Unabdingbar in einer sich rasant verändernden Welt Die Veränderungskompetenz wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen: Die Globalisierung und die damit einhergehende zunehmende Dynamik wirtschaftlicher und technologischer Entwicklung führen dazu, dass die Anforderungen an Unternehmen stetig steigen und damit Veränderungen und Anpassungsprozesse im Unternehmen häufiger und in größerem Umfang nötig sind. Dies erfordert auch, dass die Mitarbeiter mit diesen kontinuierlichen Veränderungs- und Anpassungsprozessen erfolgreich und effizient umgehen können, Veränderungen aber auch selbst anstoßen und vorantreiben. Die Veränderungskompetenz der Mitarbeiter wird damit zu einem unternehmerischen Erfolgsfaktor. Die Mitarbeiter müssen darüber hinaus aber auch verstärkt Veränderungskompetenz mit Blick auf ihre eigene Person mitbringen. Sowohl die kontinuierlich sinkende Halbwertzeit von Wissen als auch die Forderung, die eigene Beschäftigungsfähigkeit (Employability, vgl. Rump, Sattelberger u. Fischer, 2006) aufrechtzuerhalten und voranzutreiben, erfordern ein hohes Maß an Veränderungskompetenz in Form von Initiative, Lernbereitschaft und -fähigkeit. Dlugosch betrachtet in ihrem Beitrag in diesem Band die verschiedenen Facetten der Veränderungskompetenz wie auch Möglichkeiten zu deren Erfassung, zum Beispiel im Rahmen eines Change-ACs. Deutlich wird dabei, dass Veränderungskompetenz ein komplexes Konglomerat verschiedener kognitiver, motivationaler Kompetenzen und Fähigkeiten sowie Persönlichkeitseigenschaften ist (vgl. Ployhart u. Bliese, 2006), das bereits in vielen Kompetenzmodellen von Unternehmen Niederschlag gefunden hat, jedoch in der wissenschaftlichen Literatur nicht einheitlich definiert wird. Vier Facetten werden als besonders relevant erachtet: – Reaktion auf und Anpassung an Veränderungen: die Kompetenz, flexibel mit Veränderungen, die man selbst nicht beeinflussen kann, umzugehen. – Agieren bei Veränderungsbedarf: die Kompetenz, Veränderungsbedarf zu erkennen, notwendige Maßnahmen anzustoßen und zielgerichtet umzusetzen. – Andere Personen begeistern und »mitnehmen«: die Kompetenz, andere für Veränderungen zu begeistern (als Führungskraft wie als Kollege).

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– Weiterentwicklung der eigenen Person: die Kompetenz, sich auf der Basis regelmäßiger Selbstreflexion und durch Feedback weiterzuentwickeln.

2.2 Interkulturelle Kompetenz – Schlüsselqualifikation des 21. Jahrhunderts Auch die interkulturelle Kompetenz wird unserer Ansicht nach in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Die Globalisierung führt zur Zusammenarbeit von Mitarbeitern über Ländergrenzen hinweg und macht die Kommunikation zwischen Vertretern verschiedenster Kulturen notwendig; um dies erfolgreich zu meistern, bedarf es interkultureller Kompetenz. Die Rede ist in diesem Zusammenhang auch von interkultureller Kompetenz als der »Schlüsselqualifikation des 21. Jahrhunderts« (Bertelsmann Stiftung, 2006). Was aber verbirgt sich hinter dem Begriff interkulturelle Kompetenz? Dieser Frage widmet sich Trost in seinem Beitrag in diesem Band. Gemäß seiner Definition gibt es ein Konstrukt der allgemeinen interkulturellen Kompetenz, welches die Facetten emotionale Stabilität, soziale Kompetenz, Motivation und kognitive Kompetenz umfasst. Neben der allgemeinen interkulturellen Kompetenz sind für ein erfolgreiches Leben und Arbeiten in multinationalen Kontexten auch spezifische Kenntnisse über verschiedene Kulturen nötig; in der Forschung wird auch das Konzept einer kulturspezifischen interkulturellen Kompetenz diskutiert (Deller u. Albrecht, 2007). Die Frage ist dabei unter anderem, ob sich eine Person an eine bestimmte Kultur leichter anpassen kann als an eine andere. Zukünftig wird sich unserer Ansicht nach das Konzept der interkulturellen Kompetenz weiter ausdifferenzieren. Hierzu wird genauer hinterfragt werden müssen, welche konkreten Anforderungen im jeweiligen Arbeitskontext hinsichtlich der interkulturellen Kompetenz an Mitarbeiter gestellt werden, zum Beispiel: – Welche Form der interkulturellen Kompetenz benötigt ein so genannter »globaler Nomade«, der regelmäßig von Land zu Land zieht, im Unterschied zu einem Mitarbeiter, der nur für einen begrenzten Zeitraum ins Ausland geht? – Welche Form der interkulturellen Kompetenz braucht ein Filialleiter, der in Deutschland mit Personen mit Migrationshinter-

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grund zusammenarbeitet, im Unterschied zu einem Filialleiter, der ausländische Mitarbeiter führt, die im Zuge der weltweiten Arbeitsmigration nur vorübergehend im Land tätig sind? Die Diagnostik interkultureller Kompetenz kann in verschiedenen Kontexten relevant sein, etwa bei der Auswahl von Expatriates, das heißt von Mitarbeitern, die für einige Jahre ins Ausland entsandt werden. Ihr kommt aber auch im Zusammenhang mit der Vorbereitung auf Auslandsentsendungen oder Tätigkeiten in einem interkulturellen Team eine wichtige Bedeutung zu. Hier können sich Mitarbeiter zum Beispiel im Rahmen von Self-Assessments3 hinsichtlich ihrer interkulturellen Kompetenz selbst einschätzen. Auf dieser Basis können entsprechende, auf den jeweiligen Kenntnisstand einer Person zugeschnittene Personalentwicklungsmaßnahmen, wie etwa interkulturelle Trainings, geplant werden.

2.3 Virtuelle Teamfähigkeit und E-Leadership – Veränderte Anforderungen in einer zunehmend virtuellen Welt Die Globalisierung erfordert und technologische Entwicklungen ermöglichen eine Zusammenarbeit in so genannten virtuellen Teams – damit werden »flexible Gruppen standortverteilter und ortsunabhängiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezeichnet, die auf der Grundlage von gemeinsamen Zielen bzw. Arbeitsaufträgen ergebnisorientiert geschaffen werden und informationstechnisch vernetzt sind« (Konradt u. Hertel, 2002, S. 18). So mögen beispielsweise Mitarbeiter in Indien, Deutschland und den USA über verschiedene Zeitzonen hinweg eine weltweite Marketingstrategie entwerfen oder Produktionsprozesse in den Werken vor Ort optimieren. Mit der wachsenden Anzahl global agierender Unternehmen, die auf die erfolgreiche Zusammenarbeit ihrer Mitarbeiter in virtuellen Teams angewiesen sind, wird entsprechend auch in eignungsdiagnostischen Verfahren die virtuelle Teamfähigkeit in den Vordergrund rücken. 3 Als Self-Assessments werden Verfahren zur Selbstselektion und Orientierung bezeichnet. Der Begriff unterstreicht, dass die Verfahren den Teilnehmern helfen sollen, sich selbst besser einzuschätzen (siehe Zimmerhofer in diesem Band).

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Die Zusammenarbeit in einem virtuellen Team setzt teilweise andere beziehungsweise an die Situation angepasste Verhaltensweisen und Kommunikationsstrategien voraus als die Kooperation in einem Team, in dem sich die Mitglieder regelmäßig persönlich treffen. So erfordert allein schon die Kommunikation via Computer, Video und (Mobil-)Telefon eine besonders präzise Ausdrucksweise – dies häufig in einer Fremdsprache und mit der Herausforderung, kulturell bedingten, unterschiedlichen Kommunikationsmustern gerecht zu werden. Auch stehen in besonderem Maße eigenverantwortliches, zielorientiertes und selbstorganisiertes Arbeiten der Projektmitglieder im Fokus. Ebenso birgt die Führung virtueller Teams (E-Leadership) besondere Herausforderungen: Wenn die Teammitglieder mehrere tausend Kilometer voneinander entfernt an Rechnern sitzen, bedarf es besonderer Strategien, um ein vertrauensvolles Verhältnis zu den eigenen Mitarbeitern und zwischen ihnen herzustellen, sie zu motivieren und bei möglichen Konflikten gegenzusteuern. Krämer und Schürmann gehen in ihrem Beitrag in diesem Band näher auf die E-Leadership-Kompetenz und deren Erfassung ein. Sowohl die Arbeit in einem virtuellen Team als auch dessen Führung setzen nicht zuletzt auch Kompetenz im Umgang mit IuKTechnologien voraus (angefangen bei gängigen Tools wie E-Mail oder Videotelefonie, über Groupware, wie Gruppenkalender oder Mehrbenutzereditoren, bis hin zu Workflow-Managementsystemen). Denn wer den sich rasant ändernden Technologien nicht gewachsen ist, der kann sich diese in einem virtuellen Umfeld schlechterdings nicht zu Nutze machen.

2.4 Individual Social Responsibility – Auf der Suche nach verantwortungsvollen Mitarbeitern Ereignisse wie die Ende 2008 einsetzende Finanzkrise haben erneut Diskussionen um Werthaltungen angeregt und dazu geführt, dass von Unternehmen mehr Verantwortungsbewusstsein und Werteorientierung gefordert wird. Ein entsprechendes Engagement – häufig unter dem Label der Corporate Social Responsibility (CSR) – ist für viele Unternehmen mittlerweile fast schon eine Selbstverständlichkeit. CSR-Maßnahmen tragen einerseits zu einem positiven Image bei, auf der anderen Seite ist allerdings davon auszu-

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gehen, dass negative Schlagzeilen deutlich größere Auswirkungen auf das Image und schlussendlich auf den Unternehmenserfolg haben. Die Kunden entwickeln für sozialverantwortliches und umweltbewusstes Verhalten zunehmend ein Bewusstsein und auch für Bewerber kann das Image des Unternehmens als gesellschaftlich und ökologisch verantwortlicher Arbeitgeber zum Entscheidungskriterium werden. Mit diesen Anforderungen an Unternehmen geraten aber auch Kompetenzen wie Verantwortungsbewusstsein, Umweltbewusstsein und soziales Engagement auf Seiten der Mitarbeiter in den Blickpunkt. Wenn ein Unternehmen entsprechende Werte leben will, braucht es Mitarbeiter, die diese für sich (und die Organisation) vertreten und umsetzen: Hier ist Individual Social Responsibilty (ISR) gefordert – die individuelle Grundlage für sozial verantwortliches Verhalten im Unternehmen. In eignungsdiagnostischen Verfahren wird die ISR daher künftig stärker in den Fokus rücken. In Abhängigkeit von den Unternehmenswerten kann dies von der Erfassung des Umweltbewusstseins bis hin zur Diagnostik des sozialen Engagements reichen. Um ISR zu erfassen, sollten eignungsdiagnostische Verfahren auf die jeweiligen Werte eines Unternehmens zugeschnitten sein und einen Abgleich mit den entsprechenden Werthaltungen der jeweiligen Person ermöglichen. Fragebogen-Verfahren (z. B. Skalensystem zur Erfassung des Umweltbewusstseins; Schahn, 1999) oder gezielte Fragen in einem Interview sind hierfür geeignet. In einem Assessment-Center können Bewerber zudem im Rahmen von Präsentationen aufgefordert werden, relevante Themen aufzubereiten. Eine zuverlässige Ermittlung individueller Werthaltungen birgt jedoch einige Herausforderungen für die Eignungsdiagnostik: Sie sind nicht leicht messbar zu machen (so ist beispielsweise eine »Verhaltenssimulation« von Werthaltungen im Sinne einer AssessmentCenter-Übung schwer realisierbar) und man ist letztendlich immer auf Selbstbeschreibungen der Bewerber angewiesen, was wiederum zu sozial erwünschtem Antwortverhalten oder gar Verfälschungstendenzen führen kann. Insgesamt betrachtet, ist es unserer Ansicht nach – trotz der genannten Schwierigkeiten – durchaus erstrebenswert, die individuellen Werthaltungen einer Person im Rahmen von Auswahlprozessen mitzuerheben und diese mit den jeweiligen Unternehmenswerten abzugleichen. Jedoch müssen hierzu eignungsdiagnostische

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Verfahren (weiter-)entwickelt werden, die zuverlässige Aussagen erlauben. Neben dem sozial verantwortlichen Handeln wird seit einigen Jahren im Rahmen der Personalauswahl auch die Integrität oder Vertrauenswürdigkeit von Mitarbeitern thematisiert, wobei es kein einheitliches Begriffsverständnis von Integrität gibt. Integritätstests (z. B. von Marcus, 2006) sind Tests, die Einstellungen und Selbstbeschreibungen in Bezug auf beruflich problematisches Verhalten erfassen, wie zum Beispiel Alkoholkonsum und Risikobereitschaft. Eine Meta-Analyse von Schmidt und Hunter (1998) kommt zu dem Ergebnis, dass Integritätstests sehr aussagekräftig sein können. Der Einsatz von Integritätstests ist unserer Ansicht nach dennoch nur eingeschränkt zu empfehlen, da der Testbearbeiter nicht unmittelbar den Zusammenhang zwischen den Testinhalten und den Anforderungen der angestrebten Position erkennt, was wiederum zu einer mangelnden Akzeptanz führt. Die Testintention dagegen ist meist sehr schnell für den Bearbeiter erkennbar und somit besteht – selbst wenn Kontrollskalen eingebaut werden – die Gefahr, dass die Ergebnisse verfälscht werden. Und schließlich ist zu bedenken, dass der Arbeitgeber mit dem Einsatz von Integritätstest ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber den potenziell künftigen Mitarbeitern zum Ausdruck bringt.

3 Thesen zu Entwicklungen im Bereich eignungsdiagnostischer Verfahren Im folgenden Abschnitt wird aufgezeigt, welche Konsequenzen sich für eignungsdiagnostische Verfahren, deren Entwicklung, Einsatz und Durchführung aus den genannten ökonomischen, gesellschaftlichen und technologischen Trends ergeben.

3.1 Neue Technologien auf dem Vormarsch – das Web als Recruiting- und Diagnostik-Plattform Die rasanten technologischen Entwicklungen im Bereich der IuKTechnologien und vor allem das Internet eröffnen für das Recruiting und die Eignungsdiagnostik immer neue Möglichkeiten.

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Vorteile von webbasierten Lösungen sind unter anderem eine hohe zeitliche und örtliche Flexibilität für Unternehmen wie auch für Bewerber; auch ermöglichen diese Lösungen (nach der häufig im Vergleich zu anderen Verfahren eher aufwändigen Entwicklung) einen sehr kostengünstigen Einsatz und eine Beschleunigung von Rekrutierungs- und Auswahlprozessen – eine weltweite Rekrutierung wird dadurch deutlich erleichtert (siehe auch Zimmerhofer in diesem Band). Die neuen Technologien im Web lassen aber auch interaktivere und »werbendere« Formen der Kommunikation mit dem Bewerber zu (siehe auch Thiele u. Eggers, 1999). Zwei Beispiele: In OnlineSpielen können sowohl Informationen über den Bewerber eingeholt als auch konkrete Informationen zur Stelle und zum Unternehmen gegeben werden, etwa über kurze Filme oder die Simulation der Tätigkeit. Einem Auswahlverfahren vorgeschaltete Self-Assessments, die zum Beispiel einen Abgleich zwischen eigenen Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften und den Anforderungen einer Position ermöglichen, fördern zudem die Transparenz für den Bewerber und haben letztendlich einen positiven Effekt auf das Arbeitgeber-Image. Auch wird eine Selbstselektion angeregt, das heißt, die Bewerber erkennen durch mehr Information über die Tätigkeit und die Anforderungen häufiger und auch früher im Auswahlprozess, ob sie für eine Position tatsächlich geeignet sind und die Tätigkeit ihren persönlichen Vorstellungen entspricht. Betrachtet man die weiteren Schritte eines Auswahlprozesses nach der webbasierten Vorauswahl, so sind auch hier neue Technologien auf dem Vormarsch (siehe auch Wottawa, 2008). In einem weltweiten Rekrutierungs-Prozess stellen beispielsweise videogestützte Telefonate eine effiziente und kostengünstige Alternative zu klassischen Face-to-Face- oder Telefon-Interviews dar. Die technische Handhabung ist heute noch nicht ganz ausgereift, wird aber in den nächsten Jahren sicherlich komfortabler, und es wird dann technisch wohl möglich sein, einen Gesprächspartner anhand der exakt übertragenen Mimik und Gestik in einem videogestützten Telefonat wie in einem Vorstellungsgespräch »von Angesicht zu Angesicht« zu beurteilen. In Interviews und Assessment-Centern können neue Technologien als Prozessunterstützung eingesetzt werden, zum Beispiel bei der Aufbereitung von Beobachtungsdaten. Zudem ermöglichen IuK-Technologien auch neue Aufgaben-Formate in einem Assess-

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ment-Center, wie etwa computergestützte Postkorb- oder videogestützte Test-Verfahren. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass solche Verfahren aufwändig in der Entwicklung und nicht unbedingt diagnostisch aussagekräftiger sind als »klassische Verfahren«.

3.2 Potenzialanalyse und Passung zur Unternehmenskultur – Weg von einer positionsgenauen Platzierung Der prognostizierte Mangel an hinreichend qualifizierten Bewerbern wird es aus unserer Sicht nötig machen, sich von der bislang gängigen Vorgehensweise zu lösen, aus einem Bewerberpool den am besten geeigneten Kandidaten für eine spezifische Stelle auszusuchen – dafür wird es schlichtweg nicht mehr genügend passende Bewerber geben. Eine sinnvolle Lösung des »Mangelproblems« kann sein, in eignungsdiagnostischen Prozessen das allgemeine Potenzial einer Person für einen Tätigkeitsbereich und – noch allgemeiner – die Passung eines Kandidaten zur Unternehmenskultur zu erfassen (siehe auch Kleinmann, 2008). Wenn auf diesem Weg in einem Auswahlprozess für das Unternehmen interessante Personen identifiziert werden, die zwar nicht perfekt zu einer vorhandenen Stelle, aber grundsätzlich ins Unternehmen passen, so kann man diese gewinnen und entsprechend weiterentwickeln. In einer solchen Potenzialanalyse sollte der Fokus auf der Erfassung des kognitiven Potenzials, der Lern- und Veränderungsfähigkeit, motivationaler Komponenten (wie z. B. der Leistungsmotivation) und vor allem auch persönlicher Einstellungen, Neigungen und Werthaltungen liegen. Letztere haben zudem wesentlichen Einfluss auf die Passung des potenziellen neuen Mitarbeiters zur Unternehmens- und Teamkultur, die aus unserer Sicht in Zukunft ebenfalls bedeutsamer werden wird. Eine im Jahr 2007 durchgeführte Umfrage unter Personalverantwortlichen (Watkins, 2007) zeigt beispielsweise, dass Führungskräfte bei einem Arbeitgeberwechsel am häufigsten an einer »mangelnden kulturellen Anpassung« scheitern – doch die Unternehmen tun bislang noch vergleichsweise wenig, um diesem Problem zu begegnen. Ein Ansatzpunkt könnte sein, schon bei der Auswahl neuer Mitarbeiter deren Passung zur Unternehmenskultur mit in den Blick zu nehmen. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass nicht für alle Mitarbeiter im Unternehmen die übergeordnete Unterneh-

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menskultur die zentrale Rolle spielt, sondern vielmehr die Kultur des direkten Umfeldes, zum Beispiel des Teams oder des Funktionsbereichs, in dem die Person tätig ist. Schließlich stellt sich nicht nur die Frage, ob der neue Mitarbeiter zur Teamkultur passt, sondern ebenso, ob er das Team mit seinen Fähigkeiten, seinen Persönlichkeitseigenschaften, Neigungen und Interessen gut zu ergänzen vermag – bei einer Einstellung könnte es also auch sehr hilfreich sein, im Vorfeld die Stärken und Lernfelder des jeweiligen Teams zu erheben und das individuelle Profil des Bewerbers damit abzugleichen – die Rede ist hier von Teamdiagnostik.

3.3 Development-Center und Employability-Checks – Weiterentwicklung von Mitarbeitern als Bindungsinstrument Development-Center und Employability-Checks werden als Bestandteil von Personalentwicklungs- und Bindungsmaßnahmen in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Was jemand gelernt hat, qualifiziert nicht mehr für das ganze Leben; angesichts der Dynamik wirtschaftlicher Entwicklung veraltet Wissen immer schneller. Die einmal erworbene Qualifikation bildet heute nur noch das Fundament für weitere Lernprozesse. Development-Center bieten für eben solche Lernprozesse eine geeignete Plattform. Es handelt sich bei Development-Centern um eine Verfahrensart, die nach den Prinzipien der Assessment-CenterMethode konstruiert wird und verschiedene Ziele verfolgt (siehe auch Heilmann in diesem Band): Zum einen ist es möglich, den Entwicklungsstand oder auch das Potenzial einer Person mit bestimmten Tätigkeitsanforderungen abzugleichen. Zum anderen eignet sich das Verfahren aber auch als Lernort, etwa wenn vor der Durchführung einer Übung (bspw. der Simulation eines Konfliktgesprächs) ein theoretischer Input erfolgt, im Anschluss Feedback zum Verhalten gegeben oder eine Trainingssequenz durchgeführt wird. Development-Center gibt es bereits in unterschiedlichen Formen und Arten, wie etwa die bereits in den 1990er Jahren entwickelten Lernpotenzial-Assessment-Center (z. B. Obermann, 1994, zitiert nach Obermann, 2006; Sarges u. Stracke, 2005). Aus unserer Sicht wird sich in Zukunft der Bedarf an solchen Verfahren weiter

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erhöhen – dies auch deshalb, weil eine gezielte Personalentwicklung künftig als Mitarbeiterbindungsmaßnahme für Arbeitgeber an Bedeutung gewinnen wird. In diesem Zuge ist es auch möglich, sich in Development-Centern von einem hauptsächlich diagnostischen Blickpunkt zu lösen und mehr Trainings- und Coaching-Sequenzen einzubauen. Im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen haben wir positive Erfahrungen mit solchen Development-CenterVerfahren gemacht, in denen Teilnehmer selbst mitbestimmen können, in welchen Situationen sie beobachtet werden wollen und was entsprechend Inhalt des Development-Centers sein soll. Es kann in diesem Kontext zudem vermehrt um die Förderung von Stärken und Ressourcen denn um die Identifikation und Bearbeitung von Schwächen und Lernfeldern gehen. In Development-Centern können Mitarbeiter auch voneinander lernen. So hat die ITB Consulting beispielsweise gemeinsam mit einem Kunden ein internationales Development-Center entwickelt, in dessen Rahmen Mitarbeiter aus verschiedenen Funktionsbereichen die Aufgabe hatten, in Teams über einen Tag hinweg ein strategisches Thema zu bearbeiten. Die Teilnehmer tauschten sich nicht nur auf fachlicher Ebene aus, sondern erlangten durch die Zusammenarbeit auch ein Bewusstsein für die Probleme und Herausforderungen unterschiedlicher Funktionsbereiche – daher der Titel des Verfahrens: »Developing a Cross-Functional Mindset«. Die zunehmend laut werdende Forderung der Mitarbeiter, die eigene Beschäftigungsfähigkeit oder Employability (vgl. Rump, Sattelberger u. Fischer, 2006) aufrechtzuerhalten, wird die Weiterentwicklung des Development-Centers ebenfalls vorantreiben. Beim Thema Employability geht es für den Einzelnen darum, sich regelmäßig Gedanken über die eigene Positionierung am Markt und die eigene »Arbeitsmarkt-Fitness« zu machen sowie die eigene Beschäftigungsfähigkeit den sich ändernden Anforderungen kontinuierlich anzupassen. Employability-Checks könnten eine Möglichkeit der regelmäßigen Standortbestimmung in diesem Sinne bieten. Als Angebot des Unternehmens für ihre Mitarbeiter können sie zudem auch ein wertvolles Instrument zur Personalbindung sein.

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3.4 Eignungsdiagnostische Verfahren im internationalen Kontext – Chancengleichheit und kulturfaire Verfahren Durch die stärkere internationale Ausrichtung von Unternehmen im Zuge der Globalisierung und der zunehmend multinationalen Belegschaften werden sich eignungsdiagnostische Verfahren verstärkt in einem internationalen – und damit auch kulturübergreifenden – Kontext bewähren müssen (van de Vijver, 2002). Internationalität kann dabei in verschiedener Hinsicht zum Tragen kommen und aus eignungsdiagnostischer Perspektive unterschiedliche Herausforderungen mit sich bringen: – Bei der Personalauswahl in multinationalen Konzernen kommen die Bewerber häufig aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen. Bei solchen internationalen Auswahlverfahren steht die Frage nach der Chancengleichheit im Vordergrund, das heißt, dass Teilnehmer nicht aufgrund ihrer kulturellen Zugehörigkeit benachteiligt beziehungsweise bevorzugt werden dürfen. Auch stellt es bereits bei der Vorauswahl eine Herausforderung dar, faire Maßstäbe beim Vergleich unterschiedlichster Ausbildungssysteme und -abschlüsse sowie Lebensläufe, Referenzen und Zertifikate der Bewerber anzusetzen. Werden Tests eingesetzt, so müssen diese kulturfair konzipiert sein (vgl. Hambleton, Merenda u. Spielberger, 2005). – Auch werden mittlerweile eignungsdiagnostische Verfahren, die zunächst für die Personalauswahl im Heimatland eines Konzerns entwickelt worden sind, vermehrt in Auslandsniederlassungen »exportiert«. Für solche länderübergreifend eingesetzten Verfahren stellt sich vor allem die Frage nach einer angemessenen Balance zwischen konzernweiter Standardisierung und kulturspezifischer Anpassung: Können beispielsweise die in der deutschen Konzernzentrale entwickelten Auswahlkriterien als Maßstab für alle Länder herangezogen werden oder ist eine Anpassung der Bewertungskriterien an die verschiedenen Kulturen nötig? Diesen und weiteren Fragen der Konzipierung und Durchführung von Auswahlverfahren – speziell Assessment-Centern – im internationalen Kontext geht Terörde in ihrem Beitrag in diesem Band nach.

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3.5 Zielgruppenspezifische Eignungsdiagnostik – Ältere Mitarbeiter im Fokus Wenn angesichts des demografischen Wandels die Erwerbsbevölkerung immer älter wird, steigt unserer Ansicht nach künftig der Bedarf an eignungsdiagnostischen Verfahren, welche auch auf die Erfassung der Potenziale älterer Arbeitnehmer zugeschnitten sind. Dass die Potenziale älterer Arbeitnehmer gefördert und weiter entwickelt werden müssen, ist im Personalmanagement längst keine neue Erkenntnis mehr (vgl. Deller, Kern, Hausmann u. Diederichs, 2008). Die Rede ist – um nur einige Schlagworte zu nennen – von lebenslangem Lernen, altersgemischten Teams zum Wissensmanagement, Gesundheitsförderung und altersgerechten Arbeitsformen. Vergleichsweise wenig Beachtung findet hingegen bislang die Frage nach einer zielgruppenspezifischen Eignungsdiagnostik. Selbst wenn in Auswahlprozessen zunächst einmal an alle Bewerber – auch unabhängig vom Alter – die gleichen Anforderungen gestellt werden sollten, kann eine Anpassung von Verfahren unter bestimmten Bedingungen geboten sein, etwa wenn ältere Mitarbeiter durch das Verfahren benachteiligt würden oder sie ihr Potenzial nicht voll zeigen könnten. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn Aufgaben eingesetzt werden, die eine hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit oder eine besondere Technikkompetenz auf Seiten des Bearbeiters voraussetzen. Auch gilt es zu berücksichtigen, dass ältere Arbeitnehmer oftmals schon lange keiner vergleichbaren Bewertungssituation mehr ausgesetzt waren; entsprechend ist eine gründliche Vorbereitung der Teilnehmer zu empfehlen. Die Erfassung von Fachkompetenz beziehungsweise Erfahrungswissen ist im Rahmen von eignungsdiagnostischen Verfahren mit älteren Arbeitnehmern besonders wichtig: Ältere Menschen können den altersbedingten Abbau, zum Beispiel der mentalen Geschwindigkeit, oftmals durch Erfahrung und Fachkompetenz kompensieren (vgl. Baltes, Lang u. Wilms, 1998). Auch stellt die Erfassung von Erfahrungs- und Fachwissen im Rahmen eignungsdiagnostischer Verfahren eine Form des Wissensmanagements dar: Denn nur wenn Personalverantwortliche wissen, welches Wissen im Unternehmen vorhanden ist, kann dieses produktiv genutzt und weiter gegeben werden. Zudem sollten auch die Lernfähigkeit und vor allem die Lernbereitschaft älterer Arbeitnehmer in den Blick genommen werden: Zahlreiche Befunde zeigen (Staudinger u. Baumert,

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2007; Stamov Roßnagel, 2008), dass Lernen bis ins hohe Alter möglich ist, wobei ältere Menschen in der Regel anders lernen als jüngere. Der Satz »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr« ist also schlichtweg falsch. Für ältere Arbeitnehmer bieten sich Verfahren an, in denen nicht nur einzelne Kompetenzen isoliert betrachtet werden, sondern auch Lebensumstände und eigene Entwicklungsziele mit in den Blick genommen werden. Im Rahmen von Profiling-Verfahren – um ein Beispiel zu nennen – können verschiedene Kompetenzen, individuelle Stärken und Lernfelder, aber auch berufliche Interessen, persönliche Motive und Einstellungen (z. B. im Hinblick auf Work-Life-Balance) erfasst werden. Auf der Basis eines solchen oder vergleichbaren Verfahrens können ältere Mitarbeiter gezielt auf passende Stellen platziert werden, Weiterbildungsmaßnahmen geplant oder auch Anpassungen der Stellenanforderungen an die vorhandenen Kompetenzen und Möglichkeiten des Mitarbeiters vorgenommen werden. Um das Erfahrungswissen älterer Mitarbeiter zu würdigen und zudem die Verantwortung der weiteren Entwicklung auch in die Hände des Mitarbeiters zu legen, bieten sich für ältere Mitarbeiter auch Self-Assessments an, in deren Rahmen sie sich über die eigenen Stärken und Lernfelder Klarheit verschaffen können.

4 Thesen zu künftigen Rahmenbedingungen der Eignungsdiagnostik Im folgenden Abschnitt steht die Frage im Vordergrund, wie sich die allgemeinen Rahmenbedingungen, unter denen eignungsdiagnostische Prozesse durchgeführt werden, ändern und wie diesen Veränderungen begegnet werden kann.

4.1 Erschließung neuer Zielgruppen – Ungenutzte Potenziale erkennen und fördern Um auch künftig konkurrenzfähig zu bleiben und offene Stellen mit hinreichend qualifizierten Mitarbeitern besetzen zu können, wird es nötig sein, weitere Zielgruppen und bisher nicht oder

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kaum genutztes Potenzial zu erkennen und für Unternehmen zu gewinnen. Hierzu bedarf es – neben der Notwendigkeit, im Unternehmen geeignete Rahmenbedingungen für diese Zielgruppen zu schaffen – auch eignungsdiagnostischer Verfahren, die auf die jeweiligen Personengruppen und die Erfassung ihrer Potenziale zugeschnitten sind. Unserer Ansicht nach bergen gerade Personen mit Migrationshintergrund, Personen aus bildungsfernen Schichten und nicht berufstätige Mütter in Deutschland ein entsprechendes Potenzial. Es ist uns wichtig zu betonen, dass diese Personengruppen sehr heterogen sind und eine solch vereinfachende Einteilung natürlich keinesfalls zu einer Stereotypisierung bestimmter Personengruppen führen darf. Personen mit Migrationshintergrund und Personen aus bildungsfernen Schichten: In Deutschland haben Personen mit Migrationshintergrund und Personen aus bildungsfernen Schichten im Bildungssystem und im Berufsleben schlechtere Chancen.4 Jugendliche mit Migrationshintergrund waren bislang auf Grund ihres häufig niedrigen Bildungsniveaus als Zielgruppe für Unternehmen wenig attraktiv. Sie sind – bei einem Anteil von 9,5 Prozent an der gesamten Schülerpopulation – an Gymnasien und Realschulen mit nur jeweils 3,9 und 6,8 Prozent deutlich unterrepräsentiert (Bundeszentrale für politische Bildung, 2005). Der aktuelle Integrationsbericht des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung (Wöllert, Kröhnert, Sippel u. Klingholz, 2009) zeigt jedoch, dass es unter Personen mit Migrationshintergrund viele »ungenutzte Potenziale« gibt – nicht nur bei der schulischen Ausbildung, sondern auch mit Blick auf den Hochschulzugang (Berthold, 2008). Jugendliche aus bildungsfernen Schichten besuchen oftmals Schulformen, in denen ihre Fähigkeiten nicht ausreichend gefördert werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei gleichen Kompetenzen ein Gymnasium besuchen, ist etwa viermal geringer als bei Jugendlichen aus Akademiker-Haushalten (PISA-Konsortium Deutschland, 2004). Es ist sicherlich Aufgabe der Regierung, diesem Missstand entgegenzuwirken, doch Unternehmen werden auf entsprechende Maßnahmen und deren Effekt nicht warten können und sollten (und tun es zum Teil auch bereits) selbst die Initiative ergreifen, um frühzeitig 4 Anzumerken ist, dass sich deutliche Unterschiede in Abhängigkeit von der Nationalität beziehungsweise Herkunftsregion zeigen.

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benachteiligte Personen mit Potenzial zu identifizieren, zu fördern und weiterzuentwickeln. Um das Potenzial der Personen aus den genannten Zielgruppen nutzen zu können, ist es wichtig, dass diese ihre Fähigkeiten in eignungsdiagnostischen Verfahren auch zeigen können. Viele bewährte Verfahren setzen grundlegende Kompetenzen, wie Sprachkenntnisse oder Erfahrungen mit gewissen Situationen und Anforderungen, voraus, die so jedoch bei den Mitgliedern dieser Zielgruppen nicht vorhanden sind und zu einer Benachteiligung führen können. Wie die Diagnostik helfen kann, »hidden talents« zu finden und zu fördern, zeigt Stegt in seinem Beitrag in diesem Band auf. Frauen beziehungsweise nicht berufstätige Mütter: Auch das Potenzial von Frauen beziehungsweise nicht berufstätigen Müttern wird nach wie vor zu wenig ausgeschöpft. Zwar werden Frauen zu hoch qualifizierten Fachkräften ausgebildet, dann aber nur halbherzig in den Arbeitsmarkt integriert. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, allerdings bleibt er in der Privatwirtschaft ebenso wie im öffentlichen Dienst deutlich hinter den Erwartungen zurück. Nach Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind Frauen unter 30 Jahren mit 43 Prozent noch fast genauso stark in Leitungspositionen vertreten wie gleichaltrige Männer. Ihr Anteil sinkt jedoch mit der Familiengründung bis zum Alter von 40 Jahren auf knapp über 20 Prozent und verbleibt dann auf niedrigem Niveau (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2007). Bislang sind auch nur zwei von drei Müttern (61 %) erwerbstätig, während es bei den Vätern neun von zehn (86 %) sind; die Erwerbstätigenquote von Frauen mit Kindern schwankt zwischen 58 Prozent bei Ehefrauen, 65 Prozent bei allein erziehenden Müttern und 66 Prozent bei unverheirateten in einer Partnerschaft lebenden Frauen (Caspar, Kirchmann, Seibold u. Stieler, 2005). Die Vereinbarkeit von Kind und Beruf sollte in Unternehmensleitlinien, Führungsgrundsätzen und Instrumenten des Personalmanagements etc. integriert sein. Wichtiger noch als das: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollte nicht nur auf dem Papier gefördert werden, sondern durch entsprechendes Verhalten aller Verantwortlichen glaubhaft und nachhaltig Unterstützung finden (Lukoschat u. Walther, 2005). Zudem sollte natürlich nicht nur be-

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rufstätigen Müttern, sondern auch Vätern die Möglichkeit gegeben werden, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Der Eignungsdiagnostik kommt an dieser Stelle einerseits die Aufgabe zu, die Erwartungen wieder in den Beruf einsteigender Mütter gezielt zu erfassen und gleichzeitig deren Kompetenzen zu diagnostizieren und zu prüfen, inwiefern die privaten Verpflichtungen mit den Anforderungen der Stelle vereinbar sind. Bei Müttern, die nach der Erziehungszeit wieder in das Berufsleben zurückkehren wollen, bieten sich Kompetenz-Checks an, die auch berücksichtigen, welche außerberuflichen Lernerfahrungen gemacht wurden.

4.2 Eignungsdiagnostik als Bestandteil des Personalmarketings Für viele Personalverantwortliche stellt sich angesichts des Fachkräftemangels weniger die Frage »Wie wähle ich Kandidaten am besten aus?«, sondern »Wie komme ich überhaupt an qualifizierte Bewerber?«. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass die Personalauswahl – mehr noch als dies heute bereits in vielen Unternehmen der Fall ist – in das Personalmarketing eingebettet sein wird. Entsprechend werden eignungsdiagnostische Verfahren mit hoher Akzeptanz und positivem »Marketing-Effekt« dazu beitragen, ein attraktives Arbeitgeber-Image aufzubauen. Im Rahmen des Employer Brandings (Trost, 2009) müssen sich Arbeitgeber im Wettbewerb um qualifizierte und motivierte Mitarbeiter ein klares, besonderes und überzeugendes Profil verleihen. War es in der Vergangenheit vor allem Aufgabe des Bewerbers, sich gegenüber einem potenziellen Arbeitgeber positiv darzustellen, stellt sich die Situation – zumindest für einige Berufsgruppen – heute umgekehrt dar. Heute stellen sich Kandidaten die Frage: Warum soll ich als Arbeitnehmer an Ihrem Unternehmen interessiert sein? Die Attraktivitätsfaktoren eines Unternehmens (z. B. Lern-, Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, wirtschaftliche Lage des Unternehmens, leistungsgerechte Vergütung, flexible Arbeitsmodelle, Gewährleistung von Work-Life-Balance, aber auch das Image des Produkts und der Branche) oder einer Stelle (z. B. interessante, herausfordernde Tätigkeit, Möglichkeit zum selbstständigen Arbeiten) können auch über die Gestaltung des eignungsdiagnostischen Prozesses präsentiert werden. Es versteht sich von selbst, dass dies nicht mit Qualitätseinbußen einher gehen darf. Möglichkeiten der

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Verbindung von Eignungsdiagnostik und Personalmarketing werden von Sauerland in diesem Band diskutiert.

4.3 Steigender Kostendruck und Qualitätsbewusstsein – Test- und Fragebogen-Verfahren sind im Kommen Das Kostenbewusstsein wird in den Personalabteilungen nicht zuletzt aufgrund der 2008 einsetzenden Wirtschaftskrise weiter zunehmen und so wird es auch in Zukunft eine besondere Herausforderung für die Eignungsdiagnostik darstellen, kostengünstige Verfahren anzubieten, ohne dabei qualitative Verluste in Kauf zu nehmen. Der Kostendruck, dem die Eignungsdiagnostik ausgesetzt ist, hat in den letzten Jahren allerdings auch zu einem Klima geführt, das – mit den Worten des BDP (Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen) gesprochen – dem »Wildwuchs Tür und Tor geöffnet hat« (BDP, 2000). Im Personal- und Trainingsmarkt tummelt sich eine Vielzahl von selbst ernannten Experten, die mit selbstgestrickten Verfahren zu günstigen Preisen ihre Dienste anpreisen. Die Kontrolle von Qualitätsstandards wird in der Eignungsdiagnostik daher weiter an Bedeutung gewinnen. Wenn sich Anbieter eignungsdiagnostischer Dienstleistungen und Verfahren nicht ohnehin selbst einer wissenschaftlich fundierten Vorgehensweise verpflichten, ist die Einführung von Qualitätsstandards zu begrüßen, wie etwa in der DIN 33430 formuliert (»Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen«).5 Der Kostendruck bringt jedoch auch eine positive Konsequenz mit sich: Deutschland legt sein »Test-Misstrauen« langsam ab – die Nachfrage nach Test- und Fragebogen-Verfahren ist seit 1990 gestiegen (vgl. Wottawa, 2002). Test- und Fragebogen-Verfahren wurden in Deutschland lange Zeit eher kritisch betrachtet und kamen in eignungsdiagnostischen Prozessen trotz ihrer (meist) hohen Prognosekraft und ihrer Ökonomie nur begrenzt zum Einsatz. Es 5 Die DIN 33430 (DIN, 2002) umfasst Leitsätze für den Einsatz eignungsdiagnostischer Instrumente bei berufsbezogenen Beurteilungen. Sie dient primär der Gewährleistung der Qualität und Effektivität beim Einsatz von Personalauswahlverfahren und bezieht den gesamten Prozess der Personaldiagnostik mit ein.

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mangelte ihnen vor allem an Akzeptanz (Schuler, Hell, Trapmann, Schaar u. Boramir, 2007). Nun finden die Verfahren jedoch vermehrt Eingang in Auswahl- und Entwicklungsverfahren und werden nicht zuletzt auch wegen ihrer vergleichsweise geringen Kosten mehr und mehr »hoffähig« – zwar nicht für alle, aber dennoch für viele Unternehmenspositionen. Das steigende »Test-Interesse« sollte allerdings auch nicht dazu führen, sämtliche Kompetenzen und Fähigkeiten allein mit Testverfahren erheben zu wollen. Unserer Ansicht nach eigenen sich Leistungstests, wie etwa Instrumente zur Erfassung kognitiver Fähigkeiten (vgl. Schmidt u. Hunter, 2004; Kramer, 2009), besonders im Rahmen der Vorauswahl und sind auch eine sinnvolle Ergänzung in den weiteren Auswahlschritten (z. B. im Interview und im Assessment-Center). In einem Verfahren, in dem es nicht um die Auswahl, sondern um die Entwicklung der beteiligten Personen geht, sind auch Fragebogen zu verschiedenen Aspekten der Persönlichkeit hilfreich.

5 Eignungsdiagnostik – Quo vadis? »Eignungsdiagnostik – Quo vadis?« – Stellen wir uns diese Frage vor dem Hintergrund der erfolgten Auseinandersetzung mit den sich abzeichnenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technologischen Trends und deren Auswirkungen auf die Eignungsdiagnostik, so lässt sich eines mit Sicherheit sagen: Die Eignungsdiagnostik wird in Zukunft nicht in eine vollkommen neue Richtung gehen. Oder anders formuliert: Ein grundlegender Paradigmenwechsel in der Eignungsdiagnostik ist nicht in Sicht und ist angesichts einer Vielzahl bewährter Methoden und Ansätze auch keinesfalls notwendig. Wenn die Eignungsdiagnostik in Zukunft nicht in eine völlig andere Richtung geht, so bedeutet dies natürlich noch lange nicht, dass keine neuen Wege beschritten werden. Es besteht Handlungsbedarf, die eignungsdiagnostischen Prozesse und Verfahren an die sich ändernden Anforderungen und Rahmenbedingungen anzupassen. Es versteht sich dabei von selbst, dass bewährte Qualitätsstandards – unabhängig davon, in welchem »neuen Gewand« ein Verfahren daher kommt – weiterhin von zentraler Bedeutung sind.

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Unserer Ansicht nach wird sich besonders die Zielsetzung eignungsdiagnostischer Prozesse und Verfahren ändern: Es wird immer weniger um eine positionsgenaue Platzierung von Personen gehen, sondern immer mehr darum, die allgemeine Passung eines potenziellen neuen Arbeitnehmers zum Unternehmen und zur Unternehmenskultur zu erfassen. In diesem Zusammenhang wird auch die Diagnostik des Weiterbildungsbedarfs von Mitarbeitern vermehrt an Bedeutung gewinnen, und es wird im Rahmen solcher entwicklungsorientierter Verfahren gefordert sein, mehr Spielraum zur Selbstbestimmung und Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen zuzulassen. Und schließlich wird es unserer Meinung nach in Zukunft immer wichtiger, eignungsdiagnostische Verfahren auf die Bedürfnisse und Forderungen von Personen bestimmter Zielgruppen zuzuschneiden, wie etwa ältere Mitarbeiter oder Personen mit Migrationshintergrund.

Literatur Baltes, M. M., Lang, F. R., Wilms, H.-U. (1998). Selektive Optimierung mit Kompensation: Erfolgreiches Altern in der Alltagsgestaltung. In A. Kruse (Hrsg.), Psychosoziale Gerontologie. Band 1: Grundlagen (S. 188–202). Göttingen: Hogrefe. Bartsch, B. (2006). Augen auf! In R. Anrecht (Hrsg.), McK Wissen 17. 2015, 8–19. Bertelsmann Stiftung (2006). Interkulturelle Kompetenz – Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts. Thesenpapier der Bertelsmann Stiftung auf Basis der Interkulturellen-Kompetenz-Modelle von Dr. Darla, K. Deardorff. Zugriff am 20.04.2009 unter http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_ bst_dms_17145_17146_2.pdf. Berthold, C. (2008). Grüße aus der Zukunft. Aspekte der Entwicklung des deutschen Hochschulsystems von 2008 bis 2028. Die Neue Hochschule, Sonderheft, 32–40. Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) (2000). DIN 33430 für Eignungsdiagnostik. Zugriff am 24.2.2009 unter http://www. bdp-verband.org/bdp/presse/archiv/ prarchv4.shtml. Böhm, H., Leicht, M., Strack, R. (2007). Fünf zentrale Herausforderungen für das HR-Management. Personalführung, 40 (9), 68–72. Bucksteeg, M., Hattendorf, K. (2009). Führungskräftebefragung 2009. Zugriff am 02.04.2009 unter http://www.wertekommission.de/content/pdf/kampagne/ Fuehrungskraeftebefragung_2009.pdf. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung und Statistisches Bundesamt (2008). Bevölkerung: Daten, Fakten, Trends zum demographischen Wandel in Deutsch-

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Zukunftsrelevante Kompetenzen

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Nichts ist so beständig wie der Wandel – Bedeutung und Diagnostik von Veränderungskompetenz

1 Warum gewinnt die Diagnostik von Veränderungskompetenz künftig an Bedeutung? Nichts ist so beständig wie der Wandel. (Heraklit von Ephesus)

… und dieser gewinnt zunehmend an Dynamik. Die Markt- und Wettbewerbsbedingungen ändern sich rasant, Fertigungs- und Serviceanforderungen werden komplexer, Produkt-Lebenszyklen immer kürzer und die Halbwertszeit von Wissen verringert sich kontinuierlich – was vor zwei Jahren noch aktuelles Fachwissen war, ist heute bereits überholt (vgl. Cascio, 2003; Probst, Raub u. Romhardt, 2006). Nicht alle Entwicklungen sind dabei absehbar: Hieß es gestern noch »Es geht bergauf, die Wirtschaft boomt« befinden wir uns heute in einer weltweite Krise. Für Unternehmen ist es unter diesen Rahmenbedingungen ein entscheidender Erfolgsfaktor, auf Veränderungen schnell und effizient reagieren zu können (PriceWaterhouseCoopers, 2008; Kaluza, Becker u. Behrens, 2004). Laut einer Umfrage von Houben, Frigge, Trinczek und Pongratz (2007) in deutschen Großunternehmen wird jedoch mehr als jeder dritte Veränderungsprozess – zum Beispiel im Zuge von grundlegenden Restrukturierungen, strategischen Neuausrichtungen, Unternehmensintegrationen oder Kulturwandel – als gescheitert oder wenig erfolgreich eingestuft. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass unzureichendes Engagement der oberen Führungsebenen (58 %), gefolgt von unklaren Zielbildern und Visionen der Veränderungsprozesse (57 %) sowie die fehlende Erfahrung der Führungskräfte im Umgang mit Verunsicherungen der betroffenen Mitarbeiter

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(55 %) häufige Gründe für dieses Scheitern sind. Fast die Hälfte (45 %) der Mitarbeiter erweist sich darüber hinaus tendenziell als »Bremser«, nur ein knappes Fünftel (ca. 19 %) treibt Veränderungsprozesse aktiv voran. Als zentrale Determinanten für den Erfolg von Veränderungsprozessen wiesen Houben et al. die Felder Motivation, Orientierung und Ganzheitlichkeit des Veränderungsprozesses nach. Das heißt, dass mit der zunehmenden Dynamik der Veränderungen in Unternehmen zum einen die Notwendigkeit einhergeht, dass die Mitarbeiter willens und fähig sind, diese Veränderungen mitzutragen und sich entsprechend anzupassen; zum anderen müssen die Führungskräfte aber auch in der Lage sein, die Veränderungen erfolgreich umzusetzen und dabei vor allem ihren Mitarbeitern Orientierung zu geben und Transparenz zu schaffen. Nur wenn beides gegeben ist, sind wichtige Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen Veränderungsprozess geschaffen. In global agierenden Unternehmen – und deren Anzahl steigt stetig (Bundeszentrale für politische Bildung, 2006) – kommt für die Mitarbeiter eine weitere Anforderung hinzu: Sie stehen vor der Herausforderung, ihre Tätigkeit auch in einem anderen Kulturkreis mit anderen Wertvorstellungen und Handlungsweisen effizient und erfolgreich auszuführen. Die Mitarbeiter müssen auch in diesem Kontext ihre Veränderungskompetenz beweisen, sich den variierenden Umgebungen flexibel anpassen und mit »unklaren« Situationen umgehen können (vgl. zum Beispiel Black, 1990; Sanchez u. Levine, 2001; Shaffer, Harrison, Gregersen, Black u. Ferzandi, 2006; oder auch Trost in diesem Band). Für Auswahl- beziehungsweise Potenzialfeststellungsprozesse lässt sich schlussfolgern, dass künftig verstärkt die Veränderungskompetenz der Teilnehmer in den Fokus rücken wird: Wie geht die Person mit Veränderungen um? Was bedeutet Veränderung für einen Mitarbeiter? Betrachtet er diese als Chance oder eher als Bedrohung? Treibt er Veränderungen aktiv voran? Verfügt er über ein Handlungs- und Verhaltensrepertoir, das es ihm ermöglicht, sich in wechselnden Situationen flexibel anzupassen? Vermag er andere für Veränderungen zu begeistern und ihnen die Angst davor zu nehmen? Neben der zunehmenden Dynamik des Wandels führt aber auch der nach wie vor vorherrschende Fachkräftemangel dazu, dass die Diagnostik von Veränderungskompetenz künftig an Bedeutung

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gewinnen wird. Der war for talent hat bereits begonnen und es herrscht Einigkeit darüber, dass er sich künftig verschärfen wird. Dabei geht es nicht nur um Akademiker – es fehlen Fachkräfte aller Qualifikationsniveaus, von dual ausgebildeten Fachkräften bis hin zu promovierten Forschern (vgl. Dercks, Heikaus u. Treier, 2007). Die suchenden Unternehmen und Organisationen sind jedoch nicht unvorbereitet und haben zumeist bereits Maßnahmen auf unterschiedlichsten Ebenen ergriffen, um dem Mangel an Fachkräften und hinreichend qualifiziertem Personal entgegenzuwirken (z. B. gezielte und bereits in der Schule ansetzende Förderprogramme oder Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitgeberimages). Was jedoch tun, wenn trotz aller Bemühungen kaum Auswahlmöglichkeiten bestehen? Wenn sich nur wenige Kandidaten bewerben, die zudem auch nicht perfekt geeignet für die offene Stelle sind? Wenn ein Bewerber zwar grundlegende Voraussetzungen erfüllt und auch zum Unternehmen zu passen scheint, jedoch in der fachlichen oder auch persönlichen Entwicklung erst noch einige Schritte und Maßnahmen nötig sind, damit er die angestrebte Position ausfüllen kann? Oder aber in einem Auswahlprozess wird ein Kandidat identifiziert, der über hohes Potenzial verfügt und bestens zum Unternehmen zu passen scheint, eine geeignete Stelle, die auf sein derzeitiges Profil zugeschnitten ist, fehlt jedoch momentan – ist es dann sinnvoll, den Kandidaten »ziehen« zu lassen? Oder sollte man ihn besser für das Unternehmen gewinnen und ihn entsprechend weiterentwickeln? In beiden Fällen spielt die Veränderungskompetenz des Bewerbers eine entscheidende Rolle: Die offene Stelle kann auf Dauer nicht unbesetzt bleiben; es sollte vielmehr ein Bewerber ausgewählt werden, dessen Entwicklungsbedarf möglichst schnell und mit verträglichem Aufwand behoben werden kann; und den »High-PotentialKandidat« nicht an das Unternehmen zu binden, erscheint ebenso wenig sinnvoll. Im Auswahlprozess ist es dann zu empfehlen, neben der Feststellung des Potenzials in grundlegenden Kompetenzbereichen (wie kognitive Fähigkeiten, Initiative, soziale Kompetenz) den Fokus auf die Veränderungskompetenz des Kandidaten zu richten, um sicherzustellen, dass dieser willens und fähig ist, den in jedem Fall nötigen Entwicklungsprozess mitzutragen und mitzugestalten.

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2 Was ist Veränderungskompetenz? In der wissenschaftlichen Literatur findet man bisher keine eindeutige, allseits akzeptierte Definition von Veränderungskompetenz. Es stehen einzelne Konzepte nebeneinander, die – je nach Forschungskontext – unterschiedliche Determinanten und Facetten sowie äußere Einflussfaktoren beschreiben; eine konzertierte empirische Prüfung der Interaktion und hierarchischen Struktur möglicher Bestandteile der Veränderungskompetenz fehlt jedoch weitgehend. Die vorliegenden Forschungsarbeiten beschäftigen sich mit Veränderungskompetenz beziehungsweise Verhalten von Personen in sich ändernden Situationen in einem jeweils sehr spezifischen Kontext. Zum Beispiel wird die Reaktion bei Änderungen in einem Entscheidungsszenario oder einer spezifischen, bisher vertrauten Aufgabenstellung betrachtet; es wird das Verhalten in Stresssituationen oder bei der Wahl einer Verhaltensstrategie in unterschiedlichen Situationen beziehungsweise mit unterschiedlichem Vorwissen in Augenschein genommen; oder aber es steht das Anpassungsverhalten bei Veränderungen in einer Organisation im Fokus (einen Überblick hierzu geben zum Beispiel Ployhart u. Bliese, 2006). Weiterhin finden sich Studien zum Einfluss individueller Charakteristika (wie Alter, Geschlecht oder Herkunft) oder externer Rahmenbedingungen (wie Unterstützung durch den Vorgesetzten, Gestaltungsspielraum, Kommunikation) auf die Veränderungskompetenz (vgl. zum Beispiel O’Connell, McNeely u. Hall, 2008; Sonntag, Benz, Edelmann u. Kipfmüller, 2001). Um sich dem Begriff der Veränderungskompetenz weiter anzunähern, wird im Folgenden zunächst beispielhaft eine Theorie zum Konzept der Veränderungskompetenz aufgegriffen, bevor im Anschluss eine eigene Definition in Anlehnung an Kompetenzmodelle aufgezeigt wird.

2.1 Die I-ADAPT-Theorie Ployhart und Bliese (2006) entwickelten auf Basis einer Literaturrecherche zu Forschungsarbeiten, die sich mit verschiedenen Ausprägungen von Verhalten in (unterschiedlichsten) Veränderungssituationen auseinandersetzten, eine umfangreiche Theorie (I-ADAPT)

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zu Struktur und Funktionsweise individueller Veränderungskompetenz (»individual adaptability«). Ziel war es dabei, der Forschung zum Konstrukt der Veränderungskompetenz einen klaren Rahmen und ein nomologisches Netzwerk zu geben, das alle denkbaren Formen der Veränderungskompetenz in allen möglichen Kontexten und Situationen umfassen sollte. Die Autoren definieren Veränderungskompetenz wie folgt (Ployhart u. Bliese, 2006, S. 13): »Individual adaptability represents an individual’s ability, skill, disposition, willingness, and/or motivation, to change or fit different task, social, and environmental features.« Das heißt, Veränderungskompetenz ist – wie es für so gut wie alle Kompetenzbegriffe gilt – keine grundlegende, klar abgrenzbare Persönlichkeitseigenschaft oder Fähigkeit, sondern setzt sich aus vielen verschiedenen Dimensionen zusammen. So benennen die Autoren unter anderem – kognitive Fähigkeiten, – Persönlichkeitsmerkmale (wie die Big Five1), – Werthaltungen und Interessen einer Person sowie ihre – physischen Fähigkeiten als primäre und direkte Determinanten der »individual adaptability«. Sie nehmen weiterhin an, dass sich in Abhängigkeit von der Art einer Veränderung (»task, social, and environment«), mit der eine Person konfrontiert ist, verschiedene, latente Subdimensionen der Veränderungskompetenz definieren lassen, für die sich wiederum variierende Zusammenhänge zwischen den genannten Determinanten ergeben. Diese Subdimensionen leiten sich dabei aus der Forschungsarbeit von Pulakos et al. (2000, 2002) ab, die unterschiedliche Aufgaben und Tätigkeitsbereiche in verschiedenen Organisationen analysierten und die identifizierten Anforderungen an die Veränderungskompetenz einer Person in acht Kategorien einteilten: – Umgang mit lebensbedrohlichen und gefährlichen Notsituationen und Krisen, – Umgang mit Stress bei schwierigen Umständen oder einem hohen Arbeitsaufkommen beziehungsweise engem Zeitplan, 1 Neurotizismus (emotionale Stabilität), Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit.

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– kreatives und innovatives Problemlösen in einem komplexen Umfeld, – Umgang mit ungewissen und unkalkulierbaren Situationen (effizientes Agieren ohne alle Fakten oder das Gesamtbild vollständig zu kennen), – Erlernen von (neuen) Arbeitsaufgaben, Technologien und Verfahrensweisen, – interpersonale Anpassungsfähigkeit in sich häufig ändernden Arbeitsumfeldern, – interkulturelle Anpassungsfähigkeit (in einer Organisation, zwischen verschiedenen Ländern), – physische Anpassungsfähigkeit (bei Hitze, Lärm, unbehaglichem Klima etc.).2 Ployhart und Bliese beschreiben in ihrer Theorie weiterhin, in welcher Art und Weise die Veränderungskompetenz einer Person Einfluss a) auf deren Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung einer Situation, b) auf ihre Wahl einer Verhaltensstrategie, c) auf ihre Selbstregulierung und Art der Bewältigung in einer Veränderungssituation wie auch d) auf ihre Selbstreflexion bezüglich des Erfolgs ihres Verhaltens nimmt. Auch wird die Einflussnahme externer Faktoren aufgezeigt.

2.2 Fazit zur I-ADAPT-Theorie Aus eignungsdiagnostischer Sicht gibt die I-ADAPT-Theorie von Ployhart und Bliese (2006) einen Überblick über die breitgefächerten Bestandteile und Determinanten der Veränderungskompetenz. Es fehlt jedoch die Trennschärfe – die Theorie bleibt bezüglich der Determinanten auf einer deutlich zu generellen Ebene und 2 Diese acht Kategorien sind sicherlich nicht für jede Tätigkeit und Position gleich zu gewichten. Der Umgang mit Notsituationen und Krisen sowie die physische Anpassungsfähigkeit sind vor allem für Tätigkeitsbereiche bei Polizei und Militär, die in der Studie ebenfalls analysiert wurden, wichtig. Die anderen sechs Bereiche lassen sich dagegen gut auf Tätigkeiten in Industrie- und Wirtschaftsunternehmen übertragen, jedoch variiert die Gewichtung der einzelnen Kategorien auch hier nach Hierarchieebene, Verantwortungsbereich, Inhalt, Komplexität und Internationalität der Tätigkeit.

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die beschriebenen Bestimmungsstücke (kognitive und physische Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale, Werthaltungen und Interessen) treffen beinahe auf jeden Kompetenzbegriff zu. Es bleibt damit unklar, worin sich schlussendlich eine veränderungskompetente Person von einer weniger veränderungskompetenten unterscheidet. Ich möchte aufgrund dessen im Folgenden den Blick auf die Kompetenzmodelle von Unternehmen richten und genauer definieren, was Veränderungskompetenz in diesem – engeren – Sinne bedeutet, da solche Modelle häufig eignungsdiagnostischen Prozessen zu Grunde gelegt werden. Kompetenzmodelle dienen vorwiegend der Standardisierung von Personalentwicklungs- und Personalauswahlmaßnahmen und sind in der Regel unternehmensweit verbindlich festgelegt. Es werden darin alle notwendigen Kompetenzen in einer hierarchischen Struktur organisiert und durch weitere Beschreibungen, Subkompetenzen und Verhaltensanker inhaltlich genauer definiert beziehungsweise operationalisiert.

2.3 Veränderungskompetenz in Kompetenzmodellen Betrachtet man im Abgleich mit der Taxonomie von Pulakos et al. (2000, siehe oben) die Kompetenzmodelle von Unternehmen, so zeigt die Erfahrung, dass sich die benannten Kategorien auch dort wiederfinden, jedoch in dieser Form nicht innerhalb der Veränderungskompetenz gebündelt sind. Kreatives Problemlösen beispielsweise wird häufig gesondert – etwa bei der kognitiven Kompetenz – aufgeführt, und auch die interpersonale und interkulturelle Anpassungsfähigkeit sind in der Regel in eigenen Kompetenzfeldern wie der sozialen und/oder interkulturellen Kompetenz abgebildet. Die Auflistung von Determinanten der Veränderungskompetenz in der I-ADAPT-Theorie nach Ployhart und Bliese (2006, siehe oben) beinhaltet im Grunde ein komplettes Kompetenzmodell. Veränderungskompetenz ist jedoch in einem Kompetenzmodell jeweils nur ein Bestandteil neben etlichen anderen Kompetenzen (wie z. B. Markt- und Kundenorientierung, Ergebnisorientierung, analytisch-strategische oder soziale Kompetenz); auch mag es zahlreiche Bezeichnungen dafür geben (z. B. »Change Management«,

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»Initiative und Change«, »Veränderungsprozesse gestalten«); und sicherlich gibt es auch Kompetenzmodelle, in denen eine so bezeichnete Kompetenz gar nicht zu finden ist, da diese nicht in allen Organisationen dieselbe Bedeutung zukommt; es ist jedoch davon auszugehen, dass sich dann ihre Komponenten anderen Kompetenzfeldern zugeordnet finden.

2.4 Veränderungskompetenz – Definition und Bestandteile Was zeichnet nun die Veränderungskompetenz in einem Kompetenzmodell aus? Sie beinhaltet – der Erfahrung nach – neben Komponenten der Anpassungsfähigkeit vor allem Facetten der Initiative. So geht es nicht nur darum, sich an den Veränderungen in der Organisation auszurichten, sondern diese auch gezielt voranzutreiben, andere dafür zu begeistern und auch die eigene Person weiterzuentwickeln. Veränderungskompetenz meint demnach die Fähigkeit einer Person, – adäquat und flexibel mit Veränderungen, die sie selbst nicht beeinflussen kann, umzugehen und ihr Verhalten, die Ziele, Pläne und Prioritäten entsprechend anzupassen (Reaktion und Anpassung); – Veränderungsbedarf (vor allem im eigenen Verantwortungsbereich, aber auch darüber hinaus) zu erkennen und die notwendigen Maßnahmen zur Veränderung anzustoßen und zielgerichtet umzusetzen (Agieren); – andere für Veränderungen zu begeistern und zu motivieren beziehungsweise als Führungskraft die nötige Orientierung zu geben und Widerstände abzubauen (andere Personen begeistern); und – auf Basis regelmäßiger Selbstreflexion und Feedback von anderen die eigenen Kompetenzen eigeninitiativ weiterzuentwickeln (eigene Person weiterentwickeln). Schauen wir uns diese vier Facetten im Folgenden näher an (Abbildung 1 veranschaulicht die vier Bestandteile).

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Reaktion und Anpassung bei Veränderungen

Weiterentwicklung der eigenen Person

Veränderungskompetenz

Agieren bei Veränderungsbedarf

Andere für Veränderungen begeistern

Abbildung 1: Die vier Facetten der Veränderungskompetenz

2.5 Reaktion und Anpassung bei Veränderungen Bei Veränderungsprozessen in Unternehmen spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, welche die Akzeptanz und Anpassungsbereitschaft auf Seiten der Mitarbeiter beeinflussen (nach Reiß, 1997): Die Mitarbeiter müssen den Veränderungsbedarf kennen, mit diesem umgehen können, die Veränderung aber auch wollen und neue Verhaltensweisen auch »praktizieren sollen«. Es bedarf also von Seiten der Mitarbeiter sowohl der Fähigkeit als auch der Bereitschaft, die Veränderung mitzutragen und im eigenen Tätigkeitsbereich umzusetzen (Können und Wollen). Die Organisation muss die nötigen Rahmenbedingungen dafür schaffen (Kennen und Sollen). Die Fähigkeit, mit Veränderungen konstruktiv umzugehen und sich entsprechend anzupassen, setzt beim Mitarbeiter vor allem die Fähigkeit zum Transfer voraus – nur wenn eine Person in der Lage

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ist, ihre Kompetenzen und Qualifikationen, ihr Können und Wissen auf andere Situationen zu übertragen und unter wechselnden Bedingungen anzuwenden, verfügt sie über ein hinreichendes Verhaltensrepertoire und wird Veränderungen erfolgreich meistern (vgl. Wittwer, 2006). Um diese Transferleistung erbringen zu können, muss die Person über grundlegende kognitive Fähigkeiten und Erfahrungswerte verfügen, die es ihr unter anderem ermöglichen, Situationen angemessen zu analysieren, Vernetzungen zu erkennen, Probleme zu lösen, die wesentlichen Elemente des erfolgreichen Verhaltens zu abstrahieren und auf die neue Situation zu übertragen. Die Bereitschaft, positiv und zielorientiert – also ohne Widerstand – mit Veränderungen umzugehen, basiert auf verschiedenen Einstellungen und Werthaltungen wie auch motivationalen Komponenten. Mitarbeiter, die positiv mit Veränderungsprozessen umgehen, sind offen für neue Erfahrungen, zeichnen sich durch emotionale Stabilität und Belastbarkeit in unklaren Situationen aus und bringen den nötigen inneren Antrieb für die Anpassung des eigenen Verhaltens wie auch eine entsprechende Selbstwirksamkeitsüberzeugung3 (vgl. Sonntag et al., 2001) mit.

2.6 Agieren bei Veränderungsbedarf Um einen Veränderungsbedarf im eigenen Verantwortungsbereich zu erkennen, bedarf es zunächst einer guten Beobachtungsgabe und auch der Fähigkeit, sich von den aktuellen Gegebenheiten und Verfahrensweisen zu lösen, »über den Tellerrand hinauszuschauen« und das eigene Tun aus einer neuen, anderen, bereichsund funktionsübergreifenden Perspektive zu betrachten. Im nächsten Schritt muss für den erkannten Veränderungsbedarf eine Lösung gefunden und letztere in zielgerichtete Maßnahmen umgesetzt werden. Nach dem Erkennen des Bedarfs und der Identifizierung geeigneter Änderungsmaßnahmen muss der Mitarbeiter dann aber 3 Selbstwirksamkeitsüberzeugung bezieht sich auf die subjektiven Überzeugungen und das Vertrauen eines Individuums, in spezifischen Situationen ein Ziel durch den effektiven Einsatz adäquater Verhaltensweisen erreichen zu können (vgl. Bandura, 1986).

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auch die Motivation und gegebenenfalls den nötigen Mut aufweisen, diese Maßnahmen durchzusetzen, einzuleiten und beharrlich umzusetzen; auch hier ist emotionale Stabilität eine wichtige Voraussetzung, und Dimensionen wie Begeisterungsfähigkeit und Überzeugungskraft spielen eine Rolle. Ein Zusammenhang mit der Ziel- und Ergebnisorientierung – die häufig alleinstehende Bestandteile von Kompetenzmodellen sind – ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen.

2.7 Andere für Veränderungen begeistern Die dritte Facette richtet den Blick auf die Gruppe der von Veränderungen Betroffenen. Wenn Veränderungen erfolgreich umgesetzt werden sollen, ist es wichtig, dass alle »mitziehen« (vgl. Houben et al., 2007; Reiß, 1997). Die Betroffenen befinden sich häufig in einem Spannungsfeld aus der Einsicht, dass eine Veränderung notwendig ist, auf der einen Seite, und dem Wunsch nach Stabilität, Orientierung und Situationskontrolle auf der anderen. Die positive Einstellung gegenüber Veränderungen wie auch die Motivation, Veränderungsprozesse mitzugestalten, liegen dabei aber nicht nur in der Person selbst begründet, sondern können von extern beeinflusst werden. Die Forschung zeigt, dass zahlreiche Umfeldfaktoren, wie die Komplexität und Variabilität von Aufgaben, der Gestaltungsspielraum, die Unterstützung durch den Vorgesetzten und das Team wie auch die Transparenz in der Kommunikation, Einfluss darauf nehmen (vgl. beispielsweise Houben et al., 2007; Reiß, 1997; Stegmaier, Noefer u. Sonntag, 2008). Die eingangs zitierte Studie von Houben et al. weist darüber hinaus auf die fehlende Erfahrung der Führungskräfte im Umgang mit der Verunsicherungen der betroffenen Mitarbeiter hin und identifiziert mangelnde Orientierung und Motivation als zwei Hauptgründe für das Scheitern von Veränderungsprozessen. Die Fähigkeit, andere zu begeistern und zu motivieren, bedeutet im Kontext von Veränderungsprozessen demnach vor allem das Aufzeigen eines klaren Ziels, der Auswirkungen und des Nutzens einer Veränderung – für die Organisation, aber auch für den einzelnen Mitarbeiter – (vgl. das Kennen nach Reiß, 1997), das Formulieren von greifbaren, klaren Zielen, aber auch den Aufbau einer vertrauensvollen Atmosphäre, eine offene und ehrliche Kommuni-

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kation sowie die Einbeziehung und Partizipation der Mitarbeiter und eine konsequente und verbindliche Umsetzung des Vorhabens (Doppler u. Lauterburg, 2005; Helms-Mills, 2003; Sonntag et al., 2001). Motivierend wirkt für Mitarbeiter darüber hinaus das Qualifikationspotenzial einer Tätigkeit (Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten im Zuge neuer Anforderungen; dies ist allerdings gepaart mit der Angst, auf die Aufgaben nicht hinreichend vorbereitet zu sein), herausfordernde Aufgaben (hemmend wirkt allerdings die Angst, die Aufgaben nicht mehr in der gewohnten Qualität bewältigen zu können) sowie ein hinreichender Handlungs- und Gestaltungsspielraum und die Anerkennung, die sich aus der Aufgabe ergibt (Sonntag u. Spellenberg, 2005). Je nach Rolle beziehungsweise hierarchischer Position der agierenden Person stehen in diesem Zusammenhang vor allem Begeisterungsfähigkeit und Überzeugungskraft und bei einer Führungskraft zusätzlich das Vermögen, andere zu motivieren, ihre Delegationsfähigkeit sowie ihre Gewissenhaftigkeit und Konsistenz in Kommunikation und Verhalten im Fokus.

2.8 Weiterentwicklung der eigenen Person In einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt ist es für jeden einzelnen Mitarbeiter essenziell, seine eigene Employability (vgl. z. B. Rump, Sattelberger u. Fischer, 2006) aufrechtzuerhalten. Die Mitarbeiter sind dabei gefordert, kontinuierlich die Entwicklungen und Trends im eigenen Tätigkeitsbereich zu analysieren, die eigenen Stärken und Schwächen, Kompetenzen und Qualifikationen zu reflektieren, mit den erkannten (künftigen) Bedarfen und Anforderungen abzugleichen und daraus den eigenen Entwicklungsbedarf abzuleiten, um so ihre Beschäftigungsfähigkeit innerhalb wie außerhalb der Organisation sicherzustellen (vgl. Pulakos et al., 2000). Die Fähigkeit zur Reflektion des eigenen Verhaltens und der eigenen Kompetenzen, die Kritikfähigkeit, aber auch die Lernfähigkeit und -bereitschaft einer Person stehen hierbei im Mittelpunkt.

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2.9 Fazit Veränderungskompetenz ist ein vielschichtiges Konstrukt, das durch verschiedene grundlegende Fähigkeiten und Persönlichkeitsdimensionen bestimmt wird. In der obigen Beschreibung der vier Facetten werden vor allem – kognitive Fähigkeiten (wie allgemeine Intelligenz, Problemlösefähigkeit, Abstraktionsvermögen, bereichsübergreifendes Denken, Beobachtungs-, Reflexionsfähigkeit, Lernfähigkeit, Flexibilität, Anpassungsvermögen), – motivationale Komponenten und Einstellungen (vor allem innerer Antrieb, Anpassungsbereitschaft, Offenheit für Neues, Lernbereitschaft), – die emotionale Stabilität (vor allem Belastbarkeit in unklaren Situationen, Stressresistenz, Durchsetzungsvermögen, Beharrlichkeit, Ausdauer), – die soziale Kompetenz (vor allem Gewissenhaftigkeit in Kommunikation und Verhalten, Begeisterungsfähigkeit, Überzeugungskraft, Kritikfähigkeit), und – bei Führungskräften weiterhin Bestandteile der Führungskompetenz (vor allem Orientierung geben, Gewissenhaftigkeit in Kommunikation und Verhalten, Delegationsfähigkeit, Vermögen, andere zu motivieren) benannt. Jede einzelne dieser Komponenten ist für sich genommen auch für andere berufliche Kompetenzen und Bereiche von Bedeutung. In ihrer Kombination und speziellen Ausprägung in einer Veränderungssituation machen sie jedoch die Veränderungskompetenz einer Person aus.

3 Wie kann die Veränderungskompetenz einer Person erfasst werden? Die im vorangehenden Abschnitt vorgenommene Definition von Veränderungskompetenz hat gezeigt, dass es sich um einen Kompetenzbegriff mit vielen Facetten handelt. Bevor daher in einem aufwändigen eignungsdiagnostischen Prozess sämtliche dieser Facetten betrachtet werden, sollte im Zuge der (jedem eignungsdia-

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gnostischen Prozess) vorzuschaltenden Anforderungsanalyse genauer geprüft werden, welche Anforderungen sich in der jeweiligen Organisation, aber auch aus der spezifischen Tätigkeit mit Blick auf die Veränderungskompetenz für den künftigen Positionsinhaber genau ergeben.4 Nachfolgend werden nun für die beschriebenen vier Facetten der Veränderungskompetenz Möglichkeiten aufgezeigt, wie der entsprechende Ausprägungsgrad der Kompetenz einer Person diagnostisch erfasst werden kann.

3.1 Reaktion und Anpassung bei Veränderungen Zwei maßgebliche Bestandteile wurden in Abschnitt 2 für diese Facette der Veränderungskompetenz benannt: a) Die Fähigkeit zum Transfer von Kompetenzen, Qualifikationen und Wissen auf unterschiedliche Situationen (Können) und b) die Bereitschaft zur Anpassung des eigenen Verhaltens, von Zielen, Plänen und Prioritäten an geänderte Anforderungen und Rahmenbedingungen (Wollen). a) Die Fähigkeit zur Transferleistung umfasst verschiedene, grundlegende Aspekte kognitiver Leistungsfähigkeit wie Analysefähigkeit, Fähigkeit zum vernetzten Denken, Problemlösefähigkeit, Abstraktionsvermögen oder die Fähigkeit zur (Selbst-)Reflexion. Solch grundlegende kognitive Fähigkeiten spielen jedoch nicht nur für diese Facette, sondern bei allen vier beschriebenen Bestandteilen der Veränderungskompetenz eine Rolle. Mit Blick auf das »Agieren bei Veränderungsbedarf« finden sich zum Beispiel kognitive Anteile in der Problemerkennung, der dafür nötigen Kreativität und dem bereichsübergreifenden Denken; bei der Facette »Andere für Veränderungen begeistern« zeigen sich Aspekte der Kognition etwa in Form von Zielformulierungen und Prioritätensetzung; und bei der »Weiterentwicklung der eigenen Person« findet man Kognition vor allem mit Blick auf die Reflexions- und Lernfähigkeit. 4 Pulakos et al. (2000) entwickelten ein Instrument (Job Adaptability Inventory), das es ermöglicht, die Anforderungen einer bestimmten Position an die Veränderungskompetenz des Positionsinhabers zu erfassen – dieses Instrument könnte bei einer Anforderungsanalyse gegebenenfalls unterstützend zum Einsatz kommen.

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Das heißt, dass eine kognitiv leistungsfähige Person eine wichtige Voraussetzung mitbringt, die es ihr ermöglicht, in Veränderungssituationen erfolgreich zu agieren. Der Umkehrschluss, dass eine Person mit gut ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten auch veränderungskompetent ist, gilt jedoch nicht. In einem eignungsdiagnostischen Prozess sollte daher die kognitive Leistungsfähigkeit der Kandidaten geprüft werden, mit Blick auf deren Veränderungskompetenz aber nicht im Fokus stehen, da auf Basis der kognitiven Fähigkeiten keine hinreichende Differenzierung zwischen den Personen möglich ist. Zur Erfassung der kognitiven Kompetenz einer Person liegen bewährte eignungsdiagnostische Verfahren vor. Allgemeine Intelligenztests zum Beispiel ermöglichen eine Aussage über eine Vielzahl kognitiver Fähigkeiten und verfügen über eine gute Prognosekraft bezüglich des Berufs-, aber auch des Trainingserfolgs (Hülsheger, Maier u. Stumpp, 2007). Dabei spielt auch der Komplexitätsgrad des Berufs eine Rolle: Bei mittlerer Komplexität (z. B. Sachbearbeiter) ist die Vorhersagekraft höher als bei hoher Komplexität der Tätigkeit (wie bei Geschäftsführern). Doch obwohl diese Tests eine gute Vorhersagekraft aufweisen, werden sie im Rahmen der Eignungsdiagnostik selten verwendet, da sie bei den Testpersonen auf wenig Akzeptanz stoßen (vgl. Marcus, 2003). Mit mehr Wohlwollen werden in der Regel komplexere Aufgabentypen oder kleine Problem-Szenarien aufgenommen, die in den jeweiligen, spezifischen Kontext des Arbeitsumfeldes der Testperson eingebettet sind und entsprechend für das eignungsdiagnostische Verfahren entwickelt werden. Auch dabei werden kognitive Fähigkeiten, wie das logische Schlussfolgern, erfasst (vgl. Maichle, 2002). Darüber hinaus ist es möglich, auch im Rahmen eines Interviews Aspekte der kognitiven Kompetenz beobachtbar zu machen. Hier bietet es sich an, eine Fragestellung wie zum Beispiel »Wie viel Liter Kraftstoff werden jährlich in den USA verbraucht?« oder »Alle demographischen Vorhersagen deuten darauf hin: Deutschland wird in den nächsten Jahrzehnten vergreisen. Was könnte getan werden, um diesen Trend zu stoppen?« einzubauen und das Vorgehen bei der Beantwortung der Fragestellung zu betrachten. Weiterhin bietet das Assessment-Center (AC) besonders in Form von komplexen Fallstudien Beobachtungsmöglichkeiten für kognitive Aspekte: Inwiefern durchdringt der Kandidat die Fallstudie? Wie ist er bei der Analyse vorgegangen? Wie wurden die Er-

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gebnisse aufbereitet? Wie schlüssig ist die Argumentation und wie flexibel zeigt sich die Person in der Auseinandersetzung mit den Beobachtern? Ebenso können im AC Problem-Szenarien, wie die oben beschriebenen, zum Einsatz kommen, deren »stille« Bearbeitung um eine Besprechung der Aufgaben ergänzt wird. Bei dieser Besprechung präsentiert der Kandidat das Szenario und verdeutlicht durch lautes Denken seinen Lösungsprozess; die Beobachter können Fehler in der Herleitung der Lösung mit dem Kandidaten besprechen und weitere Fragen zum Szenario stellen, die Aufschluss über die gedankliche Flexibilität des Gesprächspartners geben. b) Die Bereitschaft, sich in Veränderungssituationen anzupassen, basiert auf verschiedenen Einstellungen und Werthaltungen wie auch motivationalen Komponenten: Die Offenheit für neue Erfahrungen, emotionale Stabilität und Belastbarkeit in unklaren Situationen, der innere Antrieb beziehungsweise die Leistungsmotivation und eine positive Selbstwirksamkeitserwartung stehen hier im Fokus. Zur Erfassung dieser Komponenten ist der Einsatz von Fragebogenverfahren denkbar, aber auch Interviews bieten die Möglichkeit, hierzu Informationen einzuholen. Für die beschriebenen Persönlichkeitsmerkmale liegen bewährte Fragebogen-Verfahren vor, wie zum Beispiel das NEO-PI-R (NEOPersönlichkeitsinventar nach Costa und McCrae; Ostendorf u. Angleitner, 2004) oder das BIP (Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung, Hossiep u. Paschen, 2003). Im englischsprachigen Raum finden sich darüber hinaus Fragebögen, die beispielsweise versprechen, mit nur zwölf Fragen die Veränderungsbereitschaft einer Person zu erfassen (Dreschler, 2007). Ployhart entwickelte zur I-ADAPT Theorie ein entsprechendes Instrumentarium (Ployhart, 2004 bzw. eine Kurzversion bei Ployhart u. Bliese, 2006), das ebenfalls die Erfassung der Anpassungsbereitschaft beinhaltet. Daneben gibt es Selbstbeschreibungsbögen, anhand derer eine Person Aufschluss über relevante Facetten ihrer Veränderungskompetenz erhält (z. B. Wittwer, 2007). All diesen Fragebogen ist gemein, dass sie auf Selbstauskünften beziehungsweise Selbsteinschätzungen der Person beruhen und leicht verfälscht werden können. Ein Einsatz empfiehlt sich daher eher in einem Entwicklungskontext denn in einem Auswahlverfahren. Eine weitere Möglichkeit, die Anpassungsbereitschaft zu erfassen, bietet sich in einem strukturierten Interview. Hier können so-

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wohl Informationen zur Biografie und zu Erfahrungen der Person eingeholt, als auch dem Gesprächspartner Situationen vorgegeben und dessen Verhaltensintention erfragt werden. Aus der Biografie einer Person lassen sich Rückschlüsse auf den Umfang ihrer Erfahrungswerte mit Veränderungssituationen ableiten: Wann war die Person schon einmal einer Veränderungssituation ausgesetzt? Ist sie beispielsweise häufiger umgezogen, hat den Studienort oder Arbeitgeber gewechselt? Gab es Auslandsaufenthalte? Welche Rolle hat sie in Veränderungsprozessen in ihrer bisherigen Laufbahn gespielt? Wie ist sie in der Vergangenheit mit Veränderungen umgegangen? Wie hat sie reagiert, inwieweit hat sie sich angepasst? Wie ist sie emotional mit der Situation umgegangen? Was war am Ende das Ergebnis? Daneben ist durch situative Fragen (vgl. Latham, 1989) auch der Blick auf bisher nicht Erlebtes und in die Zukunft Gerichtetes möglich. So können Situationen aufgezeigt werden, mit denen der Gesprächspartner in der Zukunft voraussichtlich konfrontiert sein wird; erfragt wird damit die Verhaltensintention – wie würde sich die Person in der geschilderten Situation verhalten? Wie würde sie genau vorgehen wollen? Was wäre ihr konkretes Ziel? So können schon im Vorfeld kritische Situationen wie Konflikte oder Frustrationen, die sich in einem Veränderungskontext ergeben mögen, thematisiert werden, um zu erfahren, wie willens und fähig die Person ist, mit diesen Situationen zielgerichtet und flexibel umzugehen. Offen bleibt bei dieser Art von Fragestellung, ob sich die Person in der beschriebenen, antizipierten Situation denn dann tatsächlich auch so verhalten würde und könnte, wie sie es selbst beschreibt – belegt ist allein das Wissen um eine mögliche Reaktion. Das heißt: Die Fähigkeit wie auch die Bereitschaft einer Person, adäquat und flexibel mit Veränderungen, die sie selbst nicht beeinflussen kann, umzugehen und ihr Verhalten, die Ziele, Pläne und Prioritäten entsprechend anzupassen, kann vor allem durch Test- und Fragebogenverfahren und im Interview erfasst werden. Ein simulationsorientiertes Verfahren wie die Assessment-CenterMethode stößt hier an seine Grenzen, da die Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft erst über einen längeren Zeitraum sichtbar wird; in einem AC kann man – beispielsweise durch kurzfristige Änderung der Aufgabeninstruktion – lediglich die geistige Flexibilität und Spontaneität einer Person beobachten. Zwar wäre es denkbar,

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das Thema der Reaktion und Anpassung bei Veränderungen inhaltlich in einem AC bearbeiten zu lassen (etwa in einer Präsentationsaufgabe), jedoch ist man auch hier auf Selbstauskünfte des Kandidaten angewiesen – eine Simulation und direkte Beobachtung des Anpassungsverhaltens ist kaum möglich.

3.2 Agieren bei Veränderungsbedarf Veränderungsbedarfe zu erkennen und diese in die Umsetzung zu bringen ist mit einem kreativen Prozess vergleichbar, der sich in verschiedene Phasen einteilen lässt (vgl. Schuler, 2008): So gilt es, von sich aus ein »Problem« zu entdecken, wo zunächst – offensichtlich – gar kein Problem besteht (z. B., dass ein Arbeitsablauf durch Veränderung substanziell gekürzt werden kann), dann müssen für die konkrete Ideenfindung Informationen gesucht, bewertet und kombiniert werden, wobei häufig bisher »unverbundene Konzepte« miteinander in Beziehung zu bringen sind. Für die Umsetzung bedarf es im Anschluss einer konkreten Problemlösung, die es zu bewerten gilt, bevor sie angepasst an technische, ökonomische und organisationale Rahmenbedingungen implementiert wird. Neben kognitiven Aspekten spielen in den verschiedenen Phasen vor allem Motivation, Initiative, Selbstvertrauen, Offenheit für neue Erfahrungen, emotionale Stabilität und schlussendlich auch Begeisterungsfähigkeit und Überzeugungskraft eine Rolle. Test- und Fragebogenverfahren wie die beschriebenen eigenen sich auch hier zur Erfassung der genannten Aspekte, aber auch Interview- und Assessment-Center-Verfahren können wertvolle Informationen liefern: Im Interview kann durch Fragen zur Biografie beispielsweise erkundet werden, wo der Gesprächspartner schon Veränderungen angestoßen und umgesetzt hat, was ihn dazu veranlasst hat, worin genau das Problem bestand, wie er bei der Ideen-, Lösungsfindung und Implementierung vorgegangen ist, auf welche Widerstände er getroffen ist, wie er damit umgegangen ist, was das Ergebnis war etc. Auch mit situativen Fragen beziehungsweise der Diskussion konkreter Situationen können Hinweise auf die Fähigkeit zur Problementdeckung gesammelt werden. Weiterhin kann durch Konfrontation mit konkreten Problemen und die Aufgabenstellung,

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Ideen zu deren Lösung zu generieren, einen Umsetzungsplan zu erarbeiten und/oder verschiedene Lösungsmöglichkeiten zu bewerten, die Kompetenz bezüglich der weiteren »Phasen« des Veränderungsprozesses diagnostiziert werden. Neben Fragen zu den einzelnen Phasen ist jedoch auch eine Simulation derselben in einem Assessment-Center sinnvoll. Anhand einer Fallstudie (mit Ergebnispräsentation), in der eine konkrete Situation, ein Prozessablauf oder ähnliches geschildert wird, geht es zunächst darum, mögliche Problemfelder beziehungsweise Veränderungsbedarfe zu identifizieren und für diese Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Mit weiteren Vorgaben zu technischen und organisationalen Rahmenbedingungen sowie dem zur Verfügung stehenden Budget könnte es dann Aufgabe sein, einen konkreten Plan für die Implementierung zu entwickeln, den es vor einem Entscheidungsgremium (die Beobachter schlüpfen in diese Rolle) zu präsentieren, zu verteidigen und durchzusetzen gilt. In Form eines Rollenspiels könnte weiterhin eine Gesprächssituation mit einem kritischen Ansprechpartner simuliert werden, der von der Umsetzung der Idee überzeugt werden muss. Weniger häufig kommt die Analyse von Filmsequenzen in Assessment-Centern zum Einsatz (da die Konzeption und Erstellung einer entsprechenden Filmsequenz recht aufwändig ist). Für die Diagnostik von Veränderungskompetenz würde sich jedoch ein solches Element anbieten. In Form eines kurzen Filmes könnte einem AC-Teilnehmer eine Veränderungssituation vorgeführt werden, zu der er im Anschluss Fragen zu Inhalt und Ablauf, aber auch zum beobachteten Verhalten (Wie haben sich die Darsteller im Film verhalten? Was hätten sie anders machen sollen? Was wäre idealtypisches Verhalten? Von welchen Rahmenbedingungen hängt dies ab?) und zum eigenen Verhalten (Wie hätte sich der AC-Teilnehmer in dieser Situation verhalten?) beantwortet.

3.3 Andere für Veränderungen begeistern Hinsichtlich dieser Facette der Veränderungskompetenz richtet sich der Blick vor allem auf Führungskräfte (wenngleich es sicherlich auch wünschenswert wäre, dass nicht leitende Mitarbeiter es vermögen, ihre Kollegen bei Veränderungsprozessen »mitzunehmen«,

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zu begeistern und zu motivieren). Die dargestellten Studien verdeutlichen, dass klare Ziele, Transparenz, Konsistenz und Gewissenhaftigkeit in Kommunikation, Vorgehen und Umsetzung sowie Vertrauen und die Delegation attraktiver, herausfordernder Aufgaben mit hinreichendem Gestaltungsspielraum hier essenziell sind. Die besondere Herausforderung besteht für Führungskräfte in einer Veränderungssituation wohl darin, mit der Unsicherheit der Mitarbeiter umzugehen und aus »Bremsern« motivierte »Mitgestalter« zu machen – Houben et al. (siehe Abschnitt 1) haben gezeigt, dass Veränderungsprozesse häufig hieran scheitern. Wie eine Person in einer Veränderungssituation andere motiviert und begeistert, kann wiederum gut in einem Interview wie auch in Form eines AC-Verfahrens erfasst werden: Für die Erhebung von Erfahrungen in entsprechenden Kontexten bieten sich erneut Fragen zur Biografie in einem strukturierten Interview an, die speziell darauf zu geschnitten sind. Zum Beispiel: – »Wie kommunizieren Sie eine Veränderung an Ihre Mitarbeiter? Bitte benennen Sie ein konkretes Beispiel.« – »Beschreiben Sie eine Veränderungssituation, in der Ihre Mitarbeiter verunsichert waren/nicht willens waren, die Veränderung mitzutragen. Wie sind Sie damit umgegangen?« – »Wie haben Sie in der Vergangenheit Ihre Mitarbeiter motiviert, Veränderungen mit voranzutreiben?« Diese Fragen sind dabei als »Einstiegsfragen« zu verstehen, denen dann weitere »Nachhak-Fragen« folgen sollten, die Aufschluss über das genaue Verhalten des Befragten in der Situation, über die Rahmenbedingungen wie auch über das konkrete Ergebnis geben. Selbstverständlich ist es weiterhin auch hier möglich, mit situativen Fragen Verhaltensintentionen zu erheben. So könnte man ein konkretes Veränderungsszenario darstellen und den Gesprächspartner bitten, zu beschreiben, wie er in einer solchen Situation vorgehen würde. Betrachtet man die Gesprächssituation selbst, kann man in ihr hervorragend Aspekte der sozialen Kompetenz erfassen (siehe auch Fay in diesem Band). Kontaktfähigkeit, Einfühlungsvermögen, verbales und nonverbales Ausdrucksvermögen, aber auch Begeisterungsfähigkeit, Überzeugungskraft und Durchsetzungsvermögen sind hier direkt beobachtbar. Auch Facetten des inneren Antriebs

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(z. B.: Gestaltet der Gesprächspartner die Situation mit?) werden deutlich. Um Führungssituationen zu simulieren, eigenen sich vor allem Rollenspiele. Diese sind in der Regel Bestandteil von AssessmentCenter-Verfahren, können aber genauso gut in Interviews eingebaut werden. So kann der Kandidat gebeten werden, eine für seine Mitarbeiter unangenehme Entscheidung der Geschäftsführung an sein Team zu kommunizieren; die Beobachter mimen das Team und diskutieren die Auswirkungen sowie die nächsten Schritte kritisch mit ihrer Führungskraft. Oder aber der Kandidat soll in der Rolle eines Vorgesetzten einen »Bremser« wieder ins Boot holen und dafür sorgen, dass dieser den Veränderungsprozess mitträgt und – idealerweise – mitgestaltet. In einem Assessment-Center bietet es sich weiterhin an, in Form einer geführten Gruppendiskussion zu beobachten, wie eine Person eine Gruppe leitet, einen gemeinsamen Arbeitsprozess strukturiert, inwiefern die Person Orientierung gibt, Unsicherheiten ausräumt, wie sie mit Widerständen umgeht, wie sie andere für ein Thema motiviert und begeistert. Genauso könnte das Thema »Veränderungsprozesse und Veränderungskompetenz« inhaltlich in einer Präsentation erarbeitet werden, um auch das Wissen einer Person um Tools und erfolgreiche Verfahrensweisen zu prüfen.

3.4 Weiterentwicklung der eigenen Person Mit der Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Verhaltens und der Lernfähigkeit einer Person stehen erneut kognitive Fähigkeiten im Fokus. Zur Erfassung derselben mit Testverfahren siehe Abschnitt »Reflektion und Anpassung bei Veränderungen«. Verschiedene Autoren haben darüber hinaus so genannte LernpotenzialAssessment-Center entwickelt, die speziell darauf abzielen, die Lernfähigkeit einer Person zu erfassen. Der Grundgedanke besteht dabei darin, Lerninterventionen in den eignungsdiagnostischen Prozess zu integrieren. Heilmann (in diesem Band) gibt einen Überblick hierzu. Neben der Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln, bedarf es aber sicherlich auch der Bereitschaft dies zu tun. Auch hier bietet sich erneut das Interview mit Blick auf die Biografie der Person an: Welchen Ausbildungsweg ist sie gegangen? Welche Zusatzqualifika-

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tionen liegen vor? Wie und in welcher Form hat sich der Befragte bisher weitergebildet? War er in Förderprogrammen bei vorherigen Arbeitgebern involviert? Vorinformationen hierzu lassen sich auch in Form eines biografischen Fragebogens zielgerichtet erheben. Weiterhin sollte im Interview auch der Blick in die Gegenwart und nach vorne gerichtet werden: Wie schätzt der Kandidat selbst aktuell seinen Lernbedarf ein? Wo sieht er bei sich Stärken und Schwächen? Wann hat er das letzte Mal Feedback zu seinem Verhalten bekommen? Holt er aktiv Feedback ein? In welchen Bereichen möchte er sich selbst weiterentwickeln? Was tut er bereits dafür beziehungsweise möchte er in Zukunft tun? Wo erwartet er sich Unterstützung durch den Arbeitgeber, seine Führungskraft, sein Team usw.?

3.5 Ein Change-AC In einem diagnostischen Prozess, in dem einzelne Bestandteile der Veränderungskompetenz erfasst werden (wie z. B. kognitive Fähigkeiten, emotionale Stabilität, Begeisterungsfähigkeit), bleibt am Ende immer die Frage offen, ob die betrachtete Person auch tatsächlich in der Lage ist, in einer konkreten Veränderungssituation die ihr attestierten Fähigkeiten und Kompetenzen so zu kombinieren und zum Einsatz zu bringen, dass sie die Situation erfolgreich zu meistern vermag – das Ganze ist auch hier mehr als die Summe seiner Teile. Es wäre daher für eine fundierte und umfassende Diagnostik der Veränderungskompetenz einer Person wünschenswert, eine solche konkrete Veränderungssituation so weit und umfassend wie möglich abzubilden und zu simulieren. In einem Assessment-Center wäre dies durchaus möglich: Man könnte das komplette Verfahren – als weitgehend dynamisches AC (für eine Definition siehe Heilmann in diesem Band) – um ein entsprechendes Szenario ranken. Sinnvoll ist eine solch gezielte Ausrichtung auf ein Veränderungsszenario jedoch nur, wenn die Veränderungskompetenz der Teilnehmer im Fokus der Diagnostik stehen soll. Nachfolgend wird beispielhaft ein möglicher Ablauf für ein solches Change-AC skizziert (Tabelle 1). Nehmen wir einmal an, dass es dabei um ein dynamisches Development-Center für Teamleiter, die bereits erste Führungserfahrung gesammelt haben, geht.

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Tabelle 1: Ablauf eines Change-AC Element

Inhalt und Aufgabe

Beobachtung

Einarbeitung in eine Fallstudie

Die Teilnehmer lesen sich in eine umfangreiche Unternehmensfallstudie ein, in der ein konkretes Veränderungsszenario (zum Beispiel ein Merger zwischen zwei oder mehreren Firmen) beschrieben ist. Ziel und Aufgabe ist es, die Veränderung im Verlauf des AC-Verfahrens erfolgreich im beschriebenen Unternehmen umzusetzen.

keine Beobachtung

Um zunächst die Ideen jedes Einzelnen zu erfassen, könnte ein erstes Element darin bestehen, die Teilnehmer zu bitten, ihre Erkenntnisse zur Veränderungssituation, die erkannten Problemfelder sowie ihre individuellen Vorstellungen zum Vorgehen mit einem konkreten Zeit- und Maßnahmenplan zu erarbeiten und einzeln zu präsentieren.

– Welche Informationen zum Merger sind für den Teilnehmer essenziell? Wie analysiert er die Situation? – Wie schätzt er die Situation im Unternehmen ein? Welche Problemfelder identifiziert er? – Wie würde der Teilnehmer sein eigenes Verhalten anpassen und seinen Verantwortungsbereich neu ausrichten? – Wie würde er die Veränderung an die Mitarbeiter kommunizieren? – Welche Widerstände, Hindernisse, Probleme würde er erwarten? Wie würde er damit umgehen? – Welche Maßnahmen würde er konkret aufsetzen und wie würde er diese implementieren? – Welche Aufgaben würde er in welcher Form an sein Team delegieren? Etc.

In Kleingruppen wird aus den individuellen Konzepten ein Gesamtkonzept entwickelt.

– Inwiefern vermag sich ein Teilnehmer durchzusetzen, die anderen zu überzeugen? – Zeigt sich ein Teilnehmer offen für die Ideen und Argumente der anderen? – Wie geht ein Teilnehmer mit Konflikten in der Gruppe um? Etc.

ca. 90 min

Individuelle Präsentation der Ergebnisse ca. 30 min

Gruppendiskussion ca. 45 min

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Element

Inhalt und Aufgabe

Beobachtung

Rücksprache mit dem Team

Im Anschluss präsentiert jeder Teilnehmer nach einer kurzen, individuellen Vorbereitungsphase die Ergebnisse und umzusetzenden Maßnahmen individuell an »sein« Team (die Beobachter schlüpfen in die Rolle der Mitarbeiter); die Mitarbeiter begegnen den Veränderungen kritisch.

– Vermag der Teilnehmer sein Team zu begeistern und für die Veränderung zu motivieren? – Wie geht er mit Ängsten und Befürchtungen der Mitarbeiter um? – Inwiefern gibt er Orientierung, vermittelt klare Ziele? – Wie organisiert er die Umsetzung der Maßnahmen? – Wie delegiert er Aufgaben? Wie viel Gestaltungsspielraum lässt er? Etc.

Um dann wieder für ein einheitliches Ausgangsniveau zu sorgen, könnten erneute Informationen über den weiteren Zeitverlauf des Veränderungsszenarios vorgegeben werden – die Teilnehmer werden sozusagen in die Zukunft versetzt, ein Teil der Maßnahmen wurde bereits umgesetzt, der Veränderungsprozess ist in vollem Gange.

keine Beobachtung

Auf den Zusatzinformationen aufsetzend ließen sich verschiedene Probleme bei der Einführung der beschlossenen Maßnahmen thematisieren und ein Szenario für ein (schwieriges) Mitarbeitergespräch ableiten, in dem beispielsweise ein »Bremser« im Veränderungsprozess ins Boot zu holen ist oder aber andere Parteien (wie der Betriebsrat) zu überzeugen sind.

– Wie führt der Teilnehmer das Gespräch? – Wie spricht er die Problemfelder an? – Wie geht er mit Ängsten, Befürchtungen um? – Welche Lösungsvorschläge unterbreitet er? Wie erarbeitet er diese gemeinsam mit seinem Gesprächspartner? – Vermag der Teilnehmer seinen Gesprächspartner zu überzeugen? Agiert er gewissenhaft und konsistent? – Welche Vereinbarung steht am Ende des Gesprächs? Etc.

ca. 40 min

Zusatzinformationen zur Fallstudie ca. 20 min

Mitarbeitergespräch ca. 50 min

Ein solches Szenario bietet sich hauptsächlich in einem Entwicklungskontext an – in Auswahl-ACs ist die inhaltliche Abhängigkeit der Übungen nicht unproblematisch, da sich »Fehler« aus der

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ersten Übung in sämtlichen weiteren Elementen durchziehen würden und die weiteren Elemente so diagnostisch weniger ergiebig wären. Als weitere »Spielart« in einem Development-Center wäre es darüber hinaus möglich, in den Ablauf Feedback- und/oder Trainingssequenzen einzubauen (in Anlehnung an das Lernpotenzial-AC; vgl. Obermann, 2006). Feedback-Geber könnten dabei sowohl Beobachter als auch teilnehmende Kollegen im AC sein. So könnte zusätzlich auch das Lernpotenzial und die Fähigkeit der Teilnehmer zur Selbstreflexion erhoben werden.

4 Schlusswort Veränderungskompetenz gewinnt in einer dynamischen, sich ständig wandelnden Welt, in der gut qualifizierte Arbeitnehmer immer mehr zur »Mangelware« werden, zunehmend an Bedeutung. Wollen Unternehmen in diesem kontinuierlichen Wandel und dem war for talent bestehen, müssen sie dafür Sorge tragen, dass ihre Mitarbeiter bereit und fähig sind, Veränderungen mitzutragen, zu unterstützen, aber auch – im eigenen Tätigkeitsbereich sowie auf die eigene Person bezogen – selbst voranzutreiben. Die Eignungsdiagnostik kann bei Auswahl- und Entwicklungsmaßnahmen mit Blick auf die Feststellung der Veränderungskompetenz einer Person einen wertvollen Betrag leisten. Veränderungskompetenz ist ein komplexes Konglomerat verschiedener kognitiver, motivationaler und auf die Persönlichkeit bezogener Kompetenzen und Fähigkeiten, dessen Bestandteile sich teils durch Testverfahren (in der Hauptsache kognitive Kompetenz) und Fragebögen, vor allem aber in Interview- und AssessmentCenter-Verfahren gut erfassen lassen. Hat eine erfolgreiche Diagnose der Veränderungskompetenz einer Person stattgefunden und wurde dieser Person eine hinreichende Veränderungskompetenz attestiert, heißt dies jedoch immer noch nicht, dass der Mitarbeiter in einer konkreten Veränderungssituation seine Fähigkeiten erfolgreich zum Einsatz bringen wird. Wie an verschiedenen Stellen angesprochen wurde, nehmen viele Umfeldfaktoren Einfluss auf die Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft einer Person.

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Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ein künftiger Mitarbeiter seine Veränderungskompetenz im Unternehmen voll entfaltet, ist es sicherlich im Auswahlverfahren wichtig, von Unternehmensseite deutlich zu machen, auf welche Rahmenbedingungen die Person vor Ort trifft. Es sollte dabei ein Abgleich erfolgen mit dem, was die Person bisher kennengelernt hat und »gewohnt« war. Wird zum Beispiel eine Führungskraft gesucht, die in ihrem Bereich Veränderungen umsetzen soll, so ist es wichtig, die Rahmenbedingungen darzustellen, unter denen diese Umsetzung erfolgen soll, und diese mit den bisherigen Erfahrungen der Führungskraft abzugleichen; war derjenige bisher klare Vorgaben und Leitlinien von oben gewohnt und kommt nun in eine Organisation mit sehr flachen Hierarchien und wenig Orientierung durch Vorgesetzte, müsste geprüft werden, ob die ansonsten veränderungskompetent erscheinende Person mit den gegebenen Rahmenbedingungen zurecht kommt. Organisationales Lernen und Wissensmanagement fördern die Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft der Mitarbeiter und tragen zur Schaffung einer Lernkultur bei. Mitarbeiter müssen Verantwortung für ihre eigene Entwicklung übernehmen und in der Lage sein, sich und ihre Arbeit selbst zu organisieren. Am Unternehmen und dem Personalmanagement ist es, geeignete Rahmenbedingungen für Selbstverantwortung und Selbstorganisation zu schaffen. »Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, müssen wir zulassen, dass sich alles verändert.« (Giuseppe Tomasi di Lampedusa)

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Interkulturelle Kompetenz und deren Erfassung

1 Warum gewinnt interkulturelle Kompetenz an Bedeutung? Globalisierung: Der Begriff ist in aller Munde. Meist wird mit ihm die Vorstellung von der Wanderung aller erdenklichen Rohstoffe, Halb- und Fertigprodukte sowie großer Summen Geldes rund um den Erdball verbunden. Weniger präsent im öffentlichen Bewusstsein, darum jedoch nicht minder bedeutsam, sind der Austausch von Dienstleistungen und die Verflechtung der Wissenschaft über Länder und Kontinente hinweg. Durch ein zunehmend engeres Netz von transnationalen Bündnissen, Vereinbarungen und Regelungen versucht die Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen, welche all diese Entwicklungen unterstützen, aber auch lenkend und kontrollierend einzugreifen. Daneben agiert eine Vielzahl von Nicht-Regierungsorganisationen mehr und mehr global (Bundeszentrale für politische Bildung, 2006). Die bekannten Begleiterscheinungen der Globalisierung der Wirtschaft sind unter anderem die Errichtung eigener Produktionsstandorte und Vertriebszentren außerhalb des Stammlandes eines Unternehmens, der Export von Geschäftsmodellen (wie etwa des Cash-and-Carry-Prinzips) durch Gründung von Tochtergesellschaften in anderen Ländern, der Zukauf von Unternehmen im Ausland, die Auslagerung von Dienstleistungen (zum Beispiel durch Call-Center) in Regionen, in denen diese am günstigsten zu erwerben sind, sowie die Kooperation von Teams an den verschiedensten Standorten in Forschungs- und Entwicklungsprojekten. All diese Aktivitäten machen den Austausch nicht nur von Führungskräften, sondern von Personen auf nahezu allen HierarchieEbenen über Ländergrenzen hinweg und die Kommunikation zwischen Repräsentanten der verschiedensten Kulturen notwendig.

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– Ingenieure bringen ihren Fachkollegen in anderen Ländern bestimmte Fertigungstechniken bei; Kaufleute bauen Vertriebsstrukturen auf; Führungskräfte wählen lokale Mitarbeiter in den Gastländern aus, Trainer aus dem »Mutterland« helfen diesen, bestimmte Kompetenzen zu entwickeln. Das sind Beispiele typischer Aufgaben für »Expatriates«, also für Mitarbeiter, die vorübergehend ins Ausland entsendet werden. – Daneben gibt es vielerlei Arten der transnationalen Zusammenarbeit zwischen Personen, ohne dass diese ihr Heimatland verlassen müssen: Virtuelle Teams von Wissenschaftlern oder sonstigen Spezialisten, verteilt auf verschiedene Länder, arbeiten gemeinsam an Projekten; Individuen holen sich Information und fachlichen Rat von Kollegen auf der anderen Seite des Globus. – Auch im eigenen Land wird die Zusammenarbeit mit Personen aus anderen Kulturkreisen immer häufiger und immer wichtiger: Mitarbeiter multinationaler Unternehmen agieren auch im Stammland mehr und mehr in Teams zusammen mit Spezialisten anderer Nationalität. Als Folge der Arbeitsmigration – die es zwar schon früher gab, die aber durch die Entwicklung der globalen Verkehrssysteme eine neue Dimension erreichte – haben der Meister, die Filialleiterin, die Stationsschwester, der Behördenchef heute nur noch in Ausnahmefällen ein Team von Mitarbeitern mit ein und demselben kulturellen Hintergrund zu führen. Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der deutschen Gesamtbevölkerung betrug laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2007 stattliche 18,7 Prozent. – In einem multinationalen Unternehmen muss eine Führungskraft, wenn sie strategische Entscheidungen am Hauptsitz trifft, berücksichtigen, auf welche kulturell bedingten Empfindlichkeiten, Erwartungen und Befürchtungen diese Entscheidungen in den betroffenen Regionen außerhalb des Stammlandes stoßen, mithin, welche Akzeptanz sie dort finden. Davon kann der Erfolg der beschlossenen Maßnahmen abhängen. Eines haben alle soeben skizzierten Situationen gemeinsam: Sie fordern von den Handelnden ein hohes Maß an Kompetenz im Umgang mit Vertretern anderer Kulturen und in der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen. Welche Bedeutung dieser Kompetenz zukommt, zeigt am Beispiel von Auslandsentsendungen der in der Literatur genannte Anteil von Personen unter allen Expatriates,

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die jährlich vorzeitig einen Auslandseinsatz abbrechen; er beträgt 30 Prozent (Lindner, 2002). Als Ursache wird häufig mangelnde interkulturelle Kompetenz ausgemacht (Deller, 2002). Die Folgen können, neben den direkten Kosten einer vorzeitigen Rückkehr (bis zu 150.000 US $ pro Einzelfall; Spieß, 2001), Störungen der Beziehungen zu den Kunden, zu Kooperationspartnern, zur Regierung und anderen Organisationen im Gastland sein, ferner der Verlust von Marktanteilen, nicht zustande kommende Geschäfte, aber auch persönliche Versagenserlebnisse und Lebenskrisen der betreffenden Personen (Deller, 2003). Umgekehrt können Personen mit hoher interkultureller Kompetenz als Expatriates mancherlei Wettbewerbsvorteile für ihr Unternehmen erzielen: dadurch, dass sie rasch dauerhafte Netzwerke im Gastland knüpfen, dass sie im Kontakt mit ausländischen Kooperationspartnern und Kunden den Tritt in »Fettnäpfchen« vermeiden und damit Vertrauen gewinnen, dass sie Angebote optimal auf die Wünsche und Bedürfnisse der Zielgruppen zuschneiden und regionale Normen bei der Werbung berücksichtigen, schließlich dadurch, dass sie mit den unvermeidlich auftretenden Konflikten sensibel, gesichtswahrend und de-eskalierend umgehen. Dabei steht außer Zweifel, dass interkulturelle Kompetenz zwar ein wesentlicher, aber keineswegs der allein ausschlaggebende Faktor für den Erfolg in einem anderen kulturellen Umfeld ist. Eine Reihe anderer Faktoren muss hinzukommen; dazu zählen insbesondere günstige Arbeits- und Lebensbedingungen im Gastland und die Unterstützung durch Lebenspartner und Familie (Baker, 1975; zit. nach Spieß, 2001). Soweit es um den Erfolg in interkulturellen Teams geht, spielen neben der interkulturellen Kompetenz weitere persönliche Kompetenzen wie etwa virtuelle Teamfähigkeit und die Fähigkeit zum Führen auf Distanz eine Rolle (Konradt u. Hertel, 2002); ihnen ist ein Beitrag von Krämer und Schürmann in diesem Buch gewidmet. Längst ist die Bedeutung interkultureller Kompetenz auch im Privatleben erkannt worden. Sie zeigt sich in kulturübergreifenden Freundschaften und Lebenspartnerschaften, in »Patchwork-Familien«, aber auch in der alltäglichen Begegnung mit Dienstleistern fremder Nationalität, fremder Sprache, fremder Kultur. Kein Wunder, dass die Bertelsmann-Stiftung von der interkulturellen Kompetenz als der »Schlüsselqualifikation des 21. Jahrhunderts« spricht (Straub, 2007).

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2 Interkulturelle Kompetenz: Was ist das eigentlich? Weder in der Wissenschaft noch in der Praxis gibt es eine allseits akzeptierte, einheitliche Definition der interkulturellen Kompetenz – ein Phänomen, das für viele Fähigkeitsbegriffe in Anthropologie, Psychologie und Pädagogik charakteristisch ist. Infolgedessen finden sich in der Literatur annähernd ebenso viele Ansätze zur Definition und Operationalisierung, wie es Autoren gibt, die sich mit dieser Kompetenz beschäftigen. Auch kann man bis heute nicht von einer bündigen Theorie der interkulturellen Kompetenz sprechen. Vielmehr stehen zahlreiche Konzepte nebeneinander, die sich zumeist in einer Beschreibung der Bestandsstücke dieser Kompetenz erschöpfen. Eine empirisch überprüfbare Darstellung beispielsweise der Interaktion der einzelnen Bestandsstücke oder ihrer hierarchischen Struktur fehlt weitgehend. Das bedeutet nicht, dass die Mehrzahl der vorliegenden Konzepte nicht auf empirischem Wege erarbeitet worden wäre, und es schmälert nicht deren praktischen Nutzen. Auf zwei Wegen wurden die Erkenntnisse empirisch gesammelt, aus denen sich Konzepte der interkulturellen Kompetenz generieren ließen. Der eine – meist begangene – Weg ist die Expertenbefragung. Personen, die interkulturelle Erfahrungen aufzuweisen haben, in aller Regel im Zusammenhang mit Auslandsentsendungen, werden per Fragebogen oder Interview um Auskunft gebeten, welche Faktoren wichtig waren für ihren Erfolg, für das erwünschte Maß an Anpassung und für ihr persönliches Wohlbefinden in den betreffenden Situationen. Zu den befragten Experten zählen außerdem Personalverantwortliche, welche das »Schicksal« vieler Expatriates verfolgen konnten und die Umstände kannten, die zum Erfolg oder Scheitern beitrugen. Dieser Ansatz ist mit relativ geringem Aufwand zu verwirklichen, und er hat zweifellos zu wichtigen Einsichten geführt. Gleichwohl sind die Ergebnisse mit einiger Vorsicht zu interpretieren, da sie allerlei aus der Sozialpsychologie bekannten Einflüssen unterworfen sind, die zu Verzerrungen führen können: die Tendenz zur Verklärung von Erlebnissen im Rückblick, die Neigung zur Typisierung und Vereinfachung und damit zur Vergröberung komplexer Zusammenhänge, die Tendenz zur nicht sachgerechten Attribuierung der Ursachen eigenen Misserfolgs und ganz allgemein die selektive, teils interessen- und präferenzgesteuerte Wahrnehmung.

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Der andere Weg ist der einer echten Bewährungskontrolle im Längsschnitt. Solche Studien sind ungleich aufwändiger als die zuvor genannten und deshalb äußerst rar. Bei ihnen wird, aufgrund bestimmter Hypothesen, eine Vielzahl von Merkmalen bei einer hinreichend großen Personengruppe erfasst, bevor diese sich in der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen zu bewähren haben. Im Verlauf und am Ende dieser Tätigkeit werden Kriterien des Erfolgs erhoben, und ihre Beziehung zu den eingangs gemessenen Merkmalen wird ermittelt. Beispiele von Studien beiderlei Art finden sich etwa bei Deller (2000) und Thomas (1996). Bevor in einer Synopse der Ergebnisse dieser Studien ein Konzept interkultureller Kompetenz vorgestellt wird, sind einige Definitionen angezeigt. Zunächst seien zwei sehr unterschiedliche Ansätze zur Definition der interkulturellen Kompetenz referiert. Thomas (2003, S. 141) versteht interkulturelle Kompetenz als die Fähigkeit, »den interkulturellen Handlungsprozess so (mit)gestalten zu können, dass Missverständnisse vermieden oder aufgeklärt werden können und gemeinsame Problemlösungen kreiert werden, die von allen beteiligten Personen akzeptiert und produktiv genutzt werden können.« Dies ist ein Beispiel für eine in der aktuellen Diskussion dominierende teleologische Definition interkultureller Kompetenz: Es wird beschrieben, was mit Hilfe dieser Kompetenz erreicht werden soll. Aus völlig anderer Perspektive, nämlich mit dem Blick auf die Auseinandersetzung der Person mit dem Fremden, wird interkulturelle Kompetenz definiert als »jene Fähigkeit, die Erfahrung von kultureller Differenz und Fremdheit zu verarbeiten« (Mecheril, 2003, S. 198), oder als Fähigkeit »zu einer reflexiven Haltung gegenüber Fremdheit und damit als Vermögen zu einem vernünftigen Umgang mit dem Umstand, dass sich der andere genau so an seinen wie man sich selbst an eigenen kulturellen Formvorlagen orientiert« (Loenhoff, 2003, S. 193). Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit den verschiedenen Zugängen zum Konstrukt der interkulturellen Kompetenz sei auf Rathje (2006) verwiesen. Wenn von »kulturübergreifend« die Rede ist, gilt es ferner zu klären, was unter »Kultur« verstanden wird. Sie lässt sich mit Thomas (2003, S. 138) definieren als ein »für eine Gesellschaft, Organisation und Gruppe … typisches Orientierungssystem«. Zugehörigkeit zu einer Kultur wird im Alltags-Sprachgebrauch zumeist

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gleichgesetzt mit Zugehörigkeit zu einer Nation. Die zitierte Definition zeigt, dass sich Kulturen in den verschiedensten Arten von Gemeinschaften entwickeln können, in Landsmannschaften, Wirtschaftsbranchen, einzelnen Unternehmen, selbst in einzelnen Abteilungen eines Unternehmens oder in bestimmten Stadtvierteln. Folglich kann der Einzelne einer Vielzahl von Kulturen angehören; Rathje (2006, S. 13) spricht deshalb von der »Multikollektivität der Individuen«. Charakteristisch für Kulturgemeinschaften ist, dass in ihnen Verhaltensnormen gelten, die »von der Mehrzahl der Mitglieder […] als für sich persönlich und andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden« (Thomas, 2003, S. 112). Es wäre deshalb zu kurz gegriffen, wollte man interkulturelle Kompetenz lediglich als Voraussetzung für die Bewährung in fremden Ländern beziehungsweise für den gut angepassten Umgang mit Vertretern anderer Länder betrachten.1 Aus der Vielfalt der Ergebnisse empirischer Studien, wie sie sich in der Literatur finden,2 sowie aus zwei eigenen Untersuchungen der ITB Consulting (Kneher, 1998; Niehaus, 1997) kristallisieren sich vier Faktoren der allgemeinen interkulturellen Kompetenz heraus (vgl. Tabelle 1). »Allgemein« deshalb, weil sie das erfolgreiche Agieren in jedwedem kulturellen Umfeld und den produktiven Umgang mit Vertretern jedweder Kultur begünstigen, weil ihnen mithin eine echte »Schlüssel«-Funktion zukommt. Es versteht sich von selbst, dass darüber hinaus im Kontakt mit bestimmten Kulturen weitere, spezifische Kompetenzen gefordert sind, vor allem spezifische Kenntnisse: Man muss wissen, dass man in arabischen Ländern das Gegenüber schwer beleidigt, wenn man ihm, bei übereinander geschlagenen Beinen, seine Schuhsohlen entgegen streckt. Man muss wissen, dass man in Indonesien fremden Kindern nicht über den Kopf streichen darf. Man muss wissen, dass man in Japan die vom Gegenüber überreichte Visitenkarte nicht einfach wegsteckt, ohne sie aufmerksam und bewundernd zu studieren. Beispiele für nicht kenntnisbezogene kulturspezifische Kompetenzen 1 Wer, wie der Verfasser dieses Beitrags, in einem stark pietistisch geprägten Oberschwaben aufgewachsen ist und dann ins katholisch-karnevalsjecke Rheinland verpflanzt wird, erlebt den Unterschied zwischen zwei Kulturen innerhalb einer Nation hautnah und intensiv. 2 Übersichten zum Beispiel bei Deller und Albrecht (2007), Kühlmann (1995), Müller und Gelbrich (1999) und Stahl (1998).

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sind die in Deutschland und in den Niederlanden geforderte Bereitschaft und Fähigkeit, pointiert – auch in Gegenwart anderer – geäußerte Kritik zu ertragen, oder die im Umgang mit Asiaten so wichtige Fähigkeit, die eigene Mimik zu kontrollieren. Tabelle 1: Faktoren der interkulturellen Kompetenz Emotionale Stabilität

– – – – –

psychische Belastbarkeit Geduld Ausdauer, Zähigkeit Ambiguitätstoleranz Verstärkersubstitution

Soziale Kompetenz

– Kontaktfähigkeit – Einfühlungsvermögen – Toleranz (Wertschätzung des Andersartigen; Freiheit von Vorurteilen) – kommunikative Kompetenz

Motivation

– Aufgeschlossenheit; Offenheit gegenüber Neuem; Lernbereitschaft – Anpassungsbereitschaft – Gewissenhaftigkeit

Kognitive Kompetenz

– – – –

allgemeine Intelligenz Problemlösefähigkeit geistige Flexibilität; Anpassungsvermögen Selbstreflexion

2.1 Emotionale Stabilität Das Erschließen der Spielregeln, die in einer fremden Kultur herrschen, ist stets mit einer mehr oder weniger langen Phase der Verunsicherung verbunden. Die selbstverständlichen Gepflogenheiten, die nicht hinterfragten Verhaltensnormen gelten plötzlich nicht mehr. Wer psychisch belastbar ist, wer sich in die ungewohnte Situation nicht mit der Erwartung und dem Anspruch begibt, es müsse alles sogleich durchschau- und beherrschbar sein, wer sich durch unvermeidliche Missgriffe und Rückschläge nicht beirren lässt und seine Ziele beharrlich weiter verfolgt, wird diese Phase der Verunsicherung leichter durchstehen und überwinden. Der Begriff der Ambiguitätstoleranz mag erläuterungsbedürftig sein: Das Verhalten von Vertretern einer anderen Kultur ist zu-

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nächst mehrdeutig. Die verbalen oder nonverbalen Signale, die ausgesandt werden, lassen, anders als in der Heimatkultur, ganz unterschiedliche Interpretationen zu. Das schafft Irritation und Unbehagen. Wer diese Mehrdeutigkeit (Ambiguität) auch über längere Zeiträume erträgt und geduldig Puzzle-Teilchen an PuzzleTeilchen fügt, bis sich ein Gesamtbild abzeichnet und die hinter dem beobachtbaren Verhalten liegenden Norm-Strukturen erkennbar werden, erfüllt eine wesentliche Voraussetzung für das Zurechtkommen mit anderen Kulturen. Untersuchungen der Bedingungsfaktoren von Erfolg oder Misserfolg, Zufriedenheit oder Frustration bei Auslandsentsendungen zeigen, dass eine sinnvolle Verstärkersubstitution wesentlichen Einfluss auf Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit in einem fremden Land hat. Gemeint ist damit das Maß, in dem es dem Expatriate gelingt, sich vor Ort einen Ersatz für diejenigen Belohnungen (Verstärker) zu verschaffen, die ihm im Heimatland den nötigen Ausgleich für berufliche und sonstige Belastungen bieten: der Plausch mit Freunden, das Glas Wein der Lieblingssorte, das Tennisspiel oder das Klavierspiel. Alle diese Quellen, aus denen man Kraft und Zufriedenheit schöpfen kann, sind im Ausland zunächst nicht vorhanden. Je schneller und nachhaltiger es dem Expatriate gelingt, die zuvor gewohnten Verstärker durch neue, am Ort verfügbare zu ersetzen (Substitution), desto eher wird er sowohl produktiv arbeiten als auch eine neue, befriedigende Balance zwischen Arbeits- und Privatleben finden.

2.2 Soziale Kompetenz Handeln in einem neuen kulturellen Umfeld, in Teams mit Vertretern verschiedener Kulturen oder in der Alltagsbegegnung mit Personen anderer kultureller Herkunft bedeutet in allererster Linie Interaktion und Kommunikation. Die Fähigkeit, rasch in Kontakt mit anderen Menschen zu treten (ein Aspekt der Extraversion), sowie die Fähigkeit, sich anderen durch verbale und nonverbale Signale verständlich zu machen und dabei den jeweils angemessenen Stil zu finden, sind mithin zentrale Voraussetzungen erfolgreichen interkulturellen Handelns. Daneben hat sich die Fähigkeit, sich in andere Personen hineinzuversetzen, deren Vorstellungswelt, Werthaltungen, Bedürfnisse und Erwartungen zu erschließen und da-

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mit auch deren Handlungen bis zu einem gewissen Grad zu antizipieren, als bedeutsam erwiesen. Ein in diesem Zusammenhang wichtiger vierter Aspekt sozialer Kompetenz bezieht sich nicht auf eine Fähigkeit, sondern auf Einstellungen: Er betrifft das Sich-freiMachen von Vorurteilen und Stereotypen über Angehörige anderer Kulturgruppen, die Wertschätzung des Andersartigen, den Respekt vor dem, was einem zunächst unverständlich, gar befremdlich erscheint.

2.3 Motivation Auch die unter der Überschrift Motivation zusammengefassten Aspekte interkultureller Kompetenz beziehen sich, wie der zuletzt genannte Aspekt, auf Einstellungen und Haltungen. Hier sind zunächst zu nennen die Aufgeschlossenheit und Offenheit gegenüber Neuem, also das Herangehen an Unbekanntes mit der Erwartung einer Bereicherung anstatt einer Bedrohung, und die Lernbereitschaft. Das Vertrautwerden mit einer fremden Kultur beziehungsweise mit Menschen aus einer fremden Kultur setzt in allererster Linie Lernen voraus. Ferner braucht es die Bereitschaft, das eigene Verhalten an die in der anderen Kultur herrschenden Gebräuche und die daraus resultierenden Erwartungen anzupassen. Anders als bei allen übrigen in dieser Übersicht aufgeführten Aspekten, für die der Grundsatz »je mehr, desto besser« gilt, gibt es bei der Anpassungsbereitschaft ein Optimum. Der interkulturellen Zusammenarbeit ist es nicht förderlich, wenn das Individuum seine eigene kulturelle Identität und Prägung völlig ignoriert beziehungsweise aufgibt und sich rückhaltlos an die Kultur des Gastlandes oder der Kooperationspartner anpasst (»sich amerikanischer gibt als die Amerikaner selbst«); das führt zum Verlust an Authentizität.3 Es gehört zu den schwierigsten Aufgaben im Zusammenhang mit der Integration in andere Kulturen, jeweils die richtige Balance zwischen Übernahme 3 Die Schweizer benutzen das hübsche Bild vom »Rucksäckli«, das jeder von uns mit sich trägt. In ihm stecken, neben der genetischen Grundausstattung, die Prägungen durch Elternhaus, Schule, soziales Umfeld, Vorbilder und Idole und vielerlei sonstige Erfahrungen des bisherigen Lebensweges. Man kann es beim Eintauchen in eine neue Kultur nicht einfach abstreifen.

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der vorherrschenden Normen und Bewahren einiger zentraler, identitätsstiftender Charakteristika der eigenen Kultur zu finden. Auf einer sehr viel konkreteren Ebene angesiedelt, aber ebenfalls dem Faktor Motivation zugehörig, ist die Gewissenhaftigkeit, die in der Pädagogik als eine der Sekundärtugenden bezeichnet wird. Gemeint ist die Konsistenz im Reden und Handeln, das Erkennbarmachen klarer, zeitlich stabiler Positionen und Prinzipien hinter dem konkreten Agieren in unterschiedlichsten Situationen, das Einhalten von Versprechungen und Ähnliches mehr. All dies trägt dazu bei, dass das eigene Handeln für die Kontaktpartner berechenbar wird. Es schafft Vertrauen und hilft den Repräsentanten anderer Kulturen, sich in das mit ihnen interagierende Individuum hineinzuversetzen, selbst wenn sie das eine oder andere in dessen Verhalten zunächst als fremd und unerklärlich empfinden.

2.4 Kognitive Kompetenz Die Bedeutung der bislang beschriebenen drei Faktoren der interkulturellen Kompetenz dürfte jedem, der bereits einmal Kontakt mit einer anderen Kultur hatte und diese Erfahrung reflektiert, unmittelbar einleuchten – unabhängig davon, dass sie auch in zahlreichen empirischen Studien nachgewiesen worden ist. Dagegen mag es auf den ersten Blick überraschen, wenn in einem Konzept interkultureller Kompetenz an ebenso prominenter Stelle die kognitive Kompetenz rangiert. In der Tat spielt dieser Faktor bei der Mehrzahl der Studien, in denen Expatriates und Personalverantwortliche befragt wurden, kaum eine Rolle (siehe die in Fußnote 2 aufgeführten Übersichten, ferner die Meta-Analyse von Mol, Born, Willemsen u. van der Molen, 2005). Als umso wichtiger erwies er sich demgegenüber in den Verlaufsuntersuchungen, in denen eine große Zahl möglicherweise relevanter Kompetenzen vor Beginn von Auslandsentsendungen gemessen und später in Beziehung zu Kriterien des Erfolgs und der Zufriedenheit in der betreffenden Auslandstätigkeit gesetzt wurde. Unter diesen sei beispielhaft die sorgfältige Studie von Deller (1997) genannt. Die allgemeine Intelligenz wies unter den hier untersuchten zwölf potenziellen Indikatoren interkultureller Kompetenz den engsten Zusammenhang mit der Fremdeinschätzung von Expatriates durch Vorgesetzte bezüglich Leistung und Anpassung auf und

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den zweitengsten Zusammenhang (hinter dem Indikator Gewissenhaftigkeit) mit der Selbsteinschätzung bezüglich der Anpassung. Allgemeine Intelligenz ist bekanntlich unter allen bisher untersuchten Determinanten des Berufserfolgs diejenige mit der höchsten Prognosekraft (Schmidt u. Hunter, 1998). Dass sie auch für den Erfolg beruflichen Handelns im interkulturellen Kontext eine wichtige Rolle spielt, nimmt deshalb nicht Wunder, wohl aber, dass sie offenbar auch solche »weichen« Kriterien wie Anpassung und Wohlbefinden in einem fremden kulturellen Umfeld vorherzusagen vermag. Bei näherer Betrachtung wird der Zusammenhang verständlich. Der Umgang mit Vertretern einer anderen Kultur und das Eindringen in eine fremde Kultur konfrontieren das Individuum, wie ausgeführt, mit Beobachtungen und Erfahrungen, deren Bedeutung zunächst völlig unklar ist – also mit einem ungelösten, komplexen Problem. Es gilt, die vielen – teils scheinbar widersprüchlichen – Einzelbeobachtungen zu sammeln, zu reflektieren und die zugrundeliegenden Werte und Normen, die sich in ihnen manifestieren, zu erschließen. Dies ist ein fortwährender Prozess des Hypothesenbildens und -überprüfens, eines zentralen Aspekts induktiv-schlussfolgernden Denkens. Irrwege und Fehlschlüsse sind dabei unvermeidlich, weshalb ein hohes Maß an Flexibilität im Verwerfen durch die Empirie widerlegter Hypothesen und im kreativen Generieren neuer Hypothesen nötig ist. Dieser Prozess wird befördert durch die in der Kognitionspsychologie gut untersuchte metakognitive Kompetenz, also die Fähigkeit, von Zeit zu Zeit die »Helikopter-Perspektive« einzunehmen und zu prüfen, auf welchem Terrain bereits ein sicherer Grund erreicht ist, welche Fragen noch offen sind, welche Informationen noch fehlen etc. (Forrest-Pressley, MacKinnon u. Waller, 1985). Findigkeit im Erschließen und Nutzen von Informationsquellen erleichtert das Vorankommen in diesem Prozess. Interkulturelle Kompetenz, so lässt sich festhalten, ist also unter anderem die Fähigkeit zum Problemlösen, und zwar nicht zuletzt auf dem Felde der Interaktion, Kooperation und Kommunikation. Als ein weiteres, eminent wichtiges »Werkzeug« zur Bewältigung interkultureller Herausforderungen hat sich die Selbstreflexion erwiesen. Sie hilft, sich der eigenen kulturellen Prägung, der eigenen Werte wie auch der liebgewordenen Gewohnheiten bewusst zu werden, all dies den sich allmählich erschließenden Gegebenheiten in der Gastkultur beziehungsweise den Gepflogenheiten und Er-

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wartungen von Partnern aus anderen Kulturen gegenüberzustellen und das Maß der eigenen Anpassung an diese Gegebenheiten, Gepflogenheiten und Erwartungen zu bestimmen. Die Übersicht zeigt, dass interkulturelle Kompetenz keine neuartige und einzigartige Qualifikation ist, sondern dass sie eine Kombination von Faktoren darstellt, die, jeder für sich, auch in anderen Zusammenhängen von Bedeutung sind. Emotionale Stabilität ist in vielen beruflichen Situationen, die durch Konflikte oder traumatisierende Erlebnisse gekennzeichnet sind, aber auch in Prüfungssituationen oder bei Veränderungsprozessen gefordert. Soziale Kompetenz ist wichtig bei jedweder Aktivität, an der andere Menschen beteiligt sind. Motivation ist wesentlich für berufliches Vorankommen und das Erreichen persönlicher Ziele schlechthin. Und kognitive Kompetenz ist Voraussetzung für Lernen und für das Bewältigen von Problemen im Beruf wie im Privatleben. In ihrer Kombination hingegen machen die vier genannten Faktoren interkulturelle Kompetenz aus. Keiner reicht für sich allein. Nur in ihrem Zusammenwirken und nur, wenn eine bestimmte Mindestausprägung bei jedem dieser Faktoren vorhanden ist, wird erfolgreiches Handeln in anderen Kulturräumen und in der Interaktion mit Repräsentanten anderer Kulturen möglich. Die Analyse und genaue Beschreibung dessen, was interkulturelle Kompetenz ausmacht, befriedigt nicht nur ein theoretisches Erkenntnisinteresse, und sie dient nicht nur als notwendige Voraussetzung der Diagnostik dieser Kompetenz, die Gegenstand des folgenden Abschnitts sein wird. Sie bildet auch die Basis für eine Vielfalt von Seminaren zum Training interkultureller Kompetenz, wie die ITB Consulting sie für international operierende Unternehmen in zahlreichen Ländern durchführt.

3 Wie lässt sich interkulturelle Kompetenz diagnostizieren? Wenn es zutrifft, dass interkulturelle Kompetenz keine neuartige, von anderen Kompetenzen unabhängige Qualifikation ist, sondern ein Konstrukt, das sich aus Facetten zusammensetzt, die, jede für sich, in der Psychologie seit langem bekannt und gut untersucht sind, so hat dies unmittelbare Konsequenzen für die Bestimmung der diagnostischen Methoden zu ihrer Erfassung.

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Prinzipiell stehen für praktisch alle der im vorigen Abschnitt vorgestellten Aspekte interkultureller Kompetenz diagnostische Instrumente zur Verfügung. Die Spezifität der Diagnostik interkultureller Kompetenz liegt zum einen in der konstruktbezogenen Kombination der verfügbaren Verfahren, zum anderen in der konstruktnahen Ausgestaltung dieser Verfahren (beispielsweise wird ein in vielen anderen Zusammenhängen ebenfalls verwendetes »Konfliktgespräch« als Teil eines Assessment-Center-Verfahrens hier in der Situation eines Konflikts mit einem ausländischen Geschäftspartner oder einem Mitarbeiter fremder Kultur angesiedelt; siehe unten unter »Rollenspiel«). Fünf Gruppen von Verfahren, die sich zur Erfassung interkultureller Kompetenz eignen, lassen sich unterscheiden: – biografische Fragebögen, – Persönlichkeits- und Motivations-Fragebögen, – Tests kognitiver Fähigkeiten, – strukturierte Interviews, – Assessment-Center-Verfahren. Sie sollen im Einzelnen untersucht werden.

3.1 Biografische Fragebögen Biografische Fragebögen bieten sich an zur Erhebung von Fakten, die für die Einschätzung bestimmter Aspekte interkultureller Kompetenz wichtig sein können. Das sind zunächst Fakten über einschlägige Erfahrungen des Individuums mit interkulturellen Situationen: bei bisherigen Auslandsaufenthalten, bei Kontakten mit Vertretern anderer Kulturen im eigenen Land etc. Des Weiteren lassen sich mit ihrer Hilfe Fakten über Aktivitäten und Erfahrungen in Situationen ohne unmittelbaren interkulturellen Bezug sammeln, Fakten, die gleichwohl Aufschlüsse geben können über bestimmte Aspekte interkultureller Kompetenz. Informationen beispielsweise über das Engagement und den Erfolg in Vereinen, Bürgerinitiativen oder Institutionen der studentischen Selbstverwaltung lassen Rückschlüsse zu auf die Kontaktfähigkeit, eventuell auch auf die Ausdauer. Die Tatsache, dass jemand zum Sprecher eines Teams oder einer wie auch immer gearteten Organisation gewählt worden ist, mag etwas über die Kommunikations-

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fähigkeit dieser Person aussagen. Hat jemand mehrfach Veränderungsprozesse mitgetragen oder gar initiiert, gibt dies Hinweise auf die Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem und die Bereitschaft zur Anpassung an neue Situationen, wohl auch über psychische Belastbarkeit. Meist ist es nicht möglich, die Angaben im biografischen Fragebogen durch Belege (Zeugnisse, schriftliche Bestätigungen) abzusichern. Deshalb sollten solche Angaben prinzipiell in einem späteren Interview hinterfragt werden. Dabei kann anhand möglichst konkreter Beispiele eruiert werden, was genau die Person gemacht hat, warum sie es gemacht hat, wie sie es gemacht hat, wie die Rahmenbedingungen waren, welche Ergebnisse ihre Tätigkeit gezeitigt hat, welche Lehren sie aus den Erfahrungen gezogen hat und dergleichen mehr. Je konkreter alle diese Angaben, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die geschilderten Vorgänge auch tatsächlich stattgefunden haben.

3.2 Persönlichkeits- und Motivations-Fragebögen Von den biografischen Fragebögen, die allein auf biografische Fakten abzielen, sollten Persönlichkeits- und Motivations-Fragebögen unterschieden werden. Bei den letzteren wird in der Regel um Angaben gebeten, inwieweit einzelne Feststellungen auf die jeweilige Person zutreffen. Solche Feststellungen können sich auf bestimmte Verhaltensweisen, auf individuelle Präferenzen, auf typische affektive Reaktionen in bestimmten Situationen und Ähnliches mehr beziehen. Während Persönlichkeits-Fragebögen auf sehr allgemeine, grundlegende Eigenschaften zielen wie etwa emotionale Stabilität oder Dominanzstreben, erfassen Motivations-Fragebögen enger gefasste Bereiche, beispielsweise den Antrieb, hohe Leistung zu erzielen, oder das Streben nach einer Befriedigung, die in der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit selbst liegt, gegenüber dem Streben nach anderen Arten von Belohnung (Gehalt, Ansehen, Statussymbolen). Prinzipiell können Informationen über alle im zweiten Abschnitt dieses Beitrags aufgeführten Aspekte interkultureller Kompetenz mittels entsprechender Fragebogen-Elemente, die im Testfachhandel verfügbar sind, erhoben werden. Es gibt auch komplette, auf die Erfassung interkultureller Kompetenz zugeschnittene Fragebögen

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wie etwa den Overseas Assignment Inventory (Brown, 1987), den Intercultural Readiness Check (IRC) oder den Test of Intercultural Sensitivity (TIS); die beiden letzteren sind beschrieben bei Deller und Albrecht (2007). Eines ist all diesen Fragebogen-Elementen gemeinsam: Sie beruhen auf Selbstauskünften, insbesondere auf Selbsteinschätzungen der untersuchten Personen. Wer solche Fragebögen auswertet, darf sich dann und nur dann darauf verlassen, ungeschminkte Angaben zu erhalten, wenn die befragten Personen ein Interesse daran haben, sich so zutreffend wie möglich darzustellen, also wenn sie sich von einem realistischen Ergebnis gezielte Förderung und Unterstützung oder auch eine für sie optimale Platzierung versprechen. Anders ist die Situation, wenn das Fragebogen-Ergebnis Einfluss auf die Chancen hat, ein besonders attraktives Ziel zu erreichen, beispielsweise die Entsendung auf einen besonders interessanten und gut dotierten Auslandsposten oder die Leitung eines international zusammengesetzten Teams, die hohe betriebsinterne oder gar öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht. Hier ist – natürlicherweise – mit der Tendenz zur beschönigenden Selbstdarstellung im Sinne des mutmaßlich Erwünschten zu rechnen. In der zuletzt beschriebenen Situation – und das heißt, fast stets, wenn Auswahlentscheidungen zu treffen sind – ist es nicht vertretbar, sich allein auf die Ergebnisse von Persönlichkeits- und Motivations-Fragebögen zu verlassen. Die Angaben müssen im Interview hinterfragt, also verifiziert oder falsifiziert werden. Auch hier, wie bei den Angaben im biografischen Fragebogen, gilt es, Beispiele konkreter Situationen und Verhaltensweisen einzufordern, in denen sich der betreffende Persönlichkeits- oder Motivationsaspekt manifestiert hat. Ein weiterer Indikator für den Wahrheitsgehalt der Selbstauskünfte ist die Konsistenz der im Interview gegebenen Erläuterungen: wenn Nachfragen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven in einer Weise beantwortet werden, die in sich stimmig ist, und wenn die betreffenden Auskünfte im Einklang stehen mit direkten Verhaltensbeobachtungen im Gespräch. Ein Beispiel: Wer sich im Fragebogen als besonders einfühlsam dargestellt hat, sich im Gespräch aber keinerlei Mühe gibt, herauszufinden, was das Gegenüber denn gern über ihn oder sie erfahren möchte, und statt dessen eine Serie vorbereiteter Erklärungen abspult, bietet dem aufmerksamen Interviewer Gelegenheit, die Fragebogen-Angaben im rechten Licht zu interpretieren.

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Einer der vier Faktoren der allgemeinen interkulturellen Kompetenz, die im zweiten Abschnitt erörtert worden sind, lässt sich auf einfachere und weitaus zuverlässigere Weise als durch Fragebögen erfassen: die kognitive Kompetenz. Hier bieten sich andere Verfahren an, die im Folgenden besprochen werden.

3.3 Tests kognitiver Fähigkeiten Kognitive Fähigkeiten haben sich, wie gezeigt wurde, als sehr bedeutsame Bestimmungsstücke interkultureller Kompetenz erwiesen. Die Eignungsdiagnostik verfügt über ein breites Arsenal an erprobten Verfahren, mit denen diese Fähigkeiten objektiv und zuverlässig geprüft werden können. Hier sind zu allererst allgemeine Intelligenztests zu nennen. Sie erfassen schlussfolgerndes Denken, zumeist anhand sprachlichen, numerischen und figuralen Aufgabenmaterials. Auch wenn diese Tests einen wichtigen Beitrag zur Vorhersage des Erfolgs in der Konfrontation mit anderen Kulturen leisten, werden sie im Zusammenhang mit der Diagnose interkultureller Kompetenz äußerst selten verwendet. Ein Grund liegt in der mangelnden Akzeptanz, die diese Tests insbesondere bei Führungskräften als potenziellen »Testpersonen« erfahren. Mehr Zustimmung bei den betroffenen Personengruppen finden komplexere Aufgabentypen oder kleine Problem-Szenarien, die im Rahmen der Management-Diagnostik, in der Regel als Teile von Assessment- oder Development-Center-Verfahren, eingesetzt werden. Auch bei diesen Aufgabentypen geht es um Logik, um das kritische Analysieren und Interpretieren vorgegebener Informationen, aber die Informationen sind wirtschaftsnah, und den Bearbeitern wird zudem Gelegenheit gegeben, ihre Herangehensweise insgesamt, ihre Lösungsstrategien und ihre Ergebnisse mündlich vorzustellen. Als Beispiel sei der von der ITB Consulting entwickelte Test »Interpretation wirtschaftlicher Zusammenhänge« (IWZ) genannt (Maichle, 2002). Problemlösevermögen, geistige Flexibilität und die Fähigkeit zur Anpassung an ständig neue inhaltliche Anforderungen werden mit Verfahren dieses Typs gemessen. Der Aspekt der Selbstreflexion, auch dies eine kognitive Fähigkeit, lässt sich indessen mit Tests der hier beschriebenen Art kaum

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erfassen. Hier ist die Methode der Wahl das strukturierte Interview, das im Folgenden zu besprechen ist.

3.4 Strukturierte Interviews Das Interview ist bekanntlich das weltweit am häufigsten verwendete Instrument der Personalauswahl (Trost, 1994). Bestimmten Formen solcher Gespräche kommt eine Prognosekraft bezüglich des Berufserfolgs zu, die sich mit der Prognosekraft manch anderer Auswahlverfahren durchaus messen kann. Voraussetzung ist, dass sie bestimmte Qualitätskriterien erfüllen. Zu diesen Qualitätskriterien zählen a) die Strukturierung der Interviews; b) die strenge Orientierung der Fragen an den Anforderungen der Positionen oder Funktionen, auf die hin die Eignung einer Person geprüft werden soll; c) die Beschränkung bei der Anlage und der Auswertung der Interviews auf das zuverlässig Erfragbare und das unmittelbar im Gespräch Beobachtbare; d) die Trennung von Informationssammlung und Beurteilung; e) die Verwendung definierter, durch konkrete Verhaltensbeispiele unterlegter Beurteilungsskalen und eine einheitliche Nutzung dieser Skalen durch alle Interviewenden in einem bestimmten Auswahlverfahren; f) die Schulung der Gesprächsführenden für diese Aufgabe (Trost, 1994). Eine Übersicht über die Ergebnisse mehrerer Meta-Analysen zur prognostischen Tauglichkeit von Interviews und zu jenen Eignungsaspekten, die sich mit ihnen am besten erfassen lassen, findet sich bei Schuler (2002). Auch für die Diagnose interkultureller Kompetenz kann das Interview gute Dienste leisten, wenn es die genannten Qualitätskriterien erfüllt. Dabei lässt sich eine besondere Stärke des Interviews nutzen: seine Flexibilität. Das soll an einigen Beispielen gezeigt werden. Man kann das Interview als eine »Wanderung durch die Zeiten« betrachten. Es erlaubt zum einen, die verschiedensten Situationen in der Vergangenheit des Interviewten zu beleuchten, Situationen,

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in denen sich Aspekte der interkulturellen Kompetenz manifestiert haben können. So lassen sich zahllose Begebenheiten oder überdauernde Prozesse vorstellen, die der Person Gelegenheit boten, seelische Belastbarkeit, Einfühlungsvermögen, Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem oder Problemlösefähigkeit unter Beweis zu stellen. Das Interview bietet zweitens die Möglichkeit, bestimmte Situationen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit in der Zukunft eintreten können, im Gespräch vorwegzunehmen und herauszufinden, wie sich die interviewte Person verhielte, wenn diese Situation denn einträte. Dieser Fragentyp wird als situatives Interview-Element bezeichnet und hat sich in zahlreichen Bewährungskontrollen als besonders prognosetauglich erwiesen (Latham, 1989). Gerade für die Diagnostik interkultureller Kompetenz ist es von großem Wert, Überraschungen, Irritationen, Frustrationen, Konflikte vorab zu thematisieren, wie sie einer Person widerfahren können, wenn sie sich in einen fremden Kulturraum begibt oder mit Vertretern anderer Kulturen auseinandersetzen muss, und zu sehen, wie willens und fähig sie ist, damit umzugehen. Je konkreter diese Szenarien, desto ergiebiger sind sie bezüglich des »diagnostischen Ertrags«. Ein Beispiel: »Bitte stellen Sie sich vor, Sie haben in Beijing seit mehr als einer Woche mit einer Delegation von Vertretern eines chinesischen Staatsunternehmens über ein großes Joint-VentureProjekt verhandelt. Heute, bei der Fortsetzung der Verhandlungen, stellen Sie fest, dass die gesamte Delegation ausgetauscht worden ist. Wie reagieren Sie?« Ebenfalls in die Zukunft weisen Fragen nach bestimmten Erwartungen, Befürchtungen, Vorbehalten und Ähnlichem; auch sie können Aufschluss über bestimmte Aspekte interkultureller Kompetenz geben. Eines haben die beiden soeben beschriebenen Ansätze, der retrospektive und der prospektive, gemeinsam: Die interviewte Person redet über früheres oder eventuell künftiges Verhalten. Ob sie tatsächlich seinerzeit genau so und aus genau den Motiven heraus gehandelt hat, wie sie es heute beschreibt, ist nicht mit letzter Sicherheit erfahrbar – wenngleich, wie vermerkt, die Wahrscheinlichkeit umso höher ist, je konsistenter und je konkreter die Angaben sind. Ebenso bleibt offen, ob die Person in der Situation, die antizipierend und hypothetisch im Gespräch diskutiert wird, tatsächlich, wenn diese eines Tages eintritt, so reagieren wird, wie sie es jetzt beschreibt. Immerhin zeigt das Interview im positiven Falle, dass die

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interviewte Person weiß, wie man sich unter den geschilderten Umständen adäquat verhält. Der negative Befund ist hingegen wesentlich besser gesichert: Kann die befragte Person keine sinnvolle Reaktion auf eine im Gespräch umrissene Situation benennen, ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sie im Ernstfalle auch nicht sinnvoll reagieren wird. Wegen dieser unvermeidlichen Rest-Unsicherheit über die Enge der Beziehung zwischen »Reden über Handeln« und dem Handeln selbst ist nachdrücklich zu empfehlen, eine weitere Informationsquelle, die das Interview bietet, gezielt und systematisch zu nutzen: die Beobachtung des Verhaltens der interviewten Person während des Interviews (siehe Fay in diesem Band). Hier kann eine echte Verhaltens-Stichprobe provoziert und ausgewertet werden. Der Analogieschluss liegt nahe: Wer sich in der Interview-Situation in einer bestimmten Weise verhält und hier gewisse Fähigkeiten unter Beweis stellt, wird sich in vergleichbaren Real-Situationen in der Zukunft ähnlich verhalten. Da sind zunächst Beobachtungen zu vielfältigen Aspekten der sozialen Kompetenz zu nennen, denn das Interview ist eine soziale Situation schlechthin: Kontaktfähigkeit, Einfühlungsvermögen, kommunikative Kompetenz sind direkt beobachtbar. Je nach angesprochenem Thema lässt sich auch heraushören, ob die befragte Person vorurteilsfrei oder in Klischees und Stereotypen über Angehörige fremder Gruppen spricht. Ein spezifisches Element, das unmittelbare Verhaltensbeobachtung ermöglicht, ist das Rollenspiel. Mit ihm können diverse Situationen, die interkulturelle Kompetenz fordern, realitätsnah inszeniert werden. Anstatt zu fragen: »Wie würden Sie sich einem Japaner gegenüber verhalten, wenn Sie vermuten, dass dieser mit einem Ihrer Vorschläge keineswegs einverstanden ist, dies aber mit keinem Wort, keinem Blick und keiner Geste zum Ausdruck bringt?« kann die interviewende Person in die Rolle jenes asiatischen Gesprächspartners schlüpfen und dem Gegenüber Gelegenheit geben, sein Einfühlungsvermögen, seine Anpassungsbereitschaft, seine Geduld und seine geistige Flexibilität unmittelbar unter Beweis zu stellen. Ein zweites Beispiel: Die interviewte Person schlüpft in die Rolle des Vorgesetzten und führt ein Mitarbeitergespräch mit einem Angehörigen einer anderen – vorab zu definierenden – Kultur. Anlass ist, dass der Mitarbeiter soeben zum zweiten Mal eine Vorlage, ohne die der Vorgesetzte nicht weiterarbeiten kann, nicht termin-

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gerecht abgegeben hat. Es gilt, ein »kulturangepasstes« Rückmeldegespräch zu führen. Kleine, in das Interview eingestreute Fallbearbeitungen bieten weitere Möglichkeiten zur Verhaltensbeobachtung. Ein für interkulturelle Situationen typisches Problem wird skizziert. Die interviewte Person wird aufgefordert, Hypothesen über die Ursachen dieses Problems aufzustellen und anschließend einen Weg aufzuzeigen, wie es gelöst werden kann. Auch hier werden die (Problemlöse-)Fähigkeiten, um die es geht, im aktuellen Verhalten sichtbar.

3.5 Assessment-Center-Verfahren Assessment-Center-Verfahren bieten die Gelegenheit, praktisch alle bisher aufgeführten diagnostischen Instrumente zu integrieren und durch weitere zu ergänzen. Die Grundidee von Assessment-Center-Verfahren ist, unter kontrollierten Bedingungen eine Vielfalt von Situationen »en miniature« zu gestalten, wie sie für künftige Aufgaben der zu untersuchenden Personen typisch oder gar für den Erfolg entscheidend sind. Die Beobachtung konkreten Verhaltens in den unterschiedlichen Situationen – hier in der Regel durch mehrere Personen – im Blick auf definierte Kriterien bildet die Basis für die Einschätzung der Eignung der Teilnehmenden für die jeweiligen Funktionen beziehungsweise Positionen (Arbeitskreis Assessment Center, 2004; Schuler, 2007). Assessment-Center-Verfahren können sowohl Auswahlzwecken als auch – dann häufig Development-Center-Verfahren genannt – Zwecken der Personalentwicklung dienen (siehe Heilmann in diesem Band). Assessment-Center-Verfahren sind besonders gut geeignet, ganz unterschiedliche Facetten der interkulturellen Kompetenz zu erfassen, denn sie erlauben die verschiedensten Kombinationen von Einzelelementen, je nach den spezifischen Anforderungen an die zu untersuchenden Personen, aber auch, bei Auslandsentsendungen, je nach Zielland. Sie sind allerdings auch besonders aufwändig. In der Fachliteratur finden sich einige Beispiele für AssessmentCenter-Verfahren zur Prüfung interkultureller Kompetenz, etwa bei Deller (2000, 2003, 2004), Deller und Albrecht (2007), Kühlmann (1995) und Stahl (1998). Meist wird in den Unternehmen indessen interkulturelle Kompetenz als eine unter mehreren Kompe-

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tenzen in breiter angelegten Assessment-Center-Verfahren erfasst (siehe Terörde in diesem Band). Einige typische Assessment-Elemente zur Prüfung interkultureller Kompetenz, wie sie größtenteils auch von der ITB Consulting verwendet werden, seien im Folgenden knapp beschrieben. Selbst-Vorstellung: Die zu untersuchende Person stellt sich – nach einer vorgegebenen, mehr oder weniger langen Frist für die Vorbereitung – einem Auditorium vor. Die schriftliche Instruktion kann sehr allgemein gehalten sein, sie kann auch spezifische Fragen enthalten, auf welche in der Selbst-Vorstellung Antworten gegeben werden sollen. Geprüft wird mit diesem Element in jedem Fall die kommunikative Kompetenz. Weitere Aspekte interkultureller Kompetenz (Einfühlungsvermögen, geistige Flexibilität und Anpassungsvermögen) werden erfassbar, wenn die Instruktion beispielsweise vorgibt, das Publikum seien Angehörige einer bestimmten Kultur oder gar Vertreter ganz verschiedener Kulturen. Rollenspiele: Rollenspiele brauchen nicht nur Bestandteile eines strukturierten Interviews zu sein; sie können auch eigenständige Elemente eines Assessment-Verfahrens bilden. In einer schriftlichen Teilnehmer-Instruktion werden die Rollen des Teilnehmers und des Gegenübers sowie die Situation, in der sich beide befinden, und eventuell das Gesprächsziel definiert. Eine Fülle von Szenarien mit interkulturellem Bezug ist denkbar: die Verhandlung mit einem Geschäftspartner anderer Nationalität, die Lösung eines Konflikts mit einem Teamkollegen aus einem anderen Kulturkreis, ein Feedback-Gespräch mit einem Mitarbeiter fremder Herkunft. Es liegt auf der Hand, dass mit einem Rollenspiel alle im zweiten Abschnitt aufgeführten Aspekte sozialer Kompetenz sichtbar gemacht werden können, dazu zentrale Facetten der emotionalen Stabilität (je nach Anlage des Rollenspiels: psychische Belastbarkeit, Geduld, Ausdauer, Ambiguitätstoleranz), motivationale Aspekte wie Anpassungsbereitschaft und Gewissenhaftigkeit und nicht zuletzt kognitive Fähigkeiten wie Problemlösevermögen und geistige Flexibilität. Fallstudien: Die große Gruppe der Fallstudien bildet ein Instrumentarium, das zur Erfassung ganz unterschiedlicher Aspekte interkultureller Kompetenz verwendet werden kann. Gemeinsam ist

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ihnen allen, dass von den teilnehmenden Personen die intensive Beschäftigung mit einer – meist sehr komplexen – Problemsituation und die Erarbeitung eines Konzepts sowie konkreter Maßnahmen zur Lösung gefordert werden. In der Regel erfolgt die Bearbeitung materialgestützt; das heißt, mehr oder minder umfängliche Dokumente stehen zur Verfügung. In anderen Fällen werden Ausgangslage und zu bewältigende Aufgabe lediglich in einem knappen Instruktionstext beschrieben. Fallstudien können im Assessment-Center als Einzel-Übung angelegt werden. Der Teilnehmer bearbeitet die Materie für sich allein und stellt nach einer festgelegten Zeit die Ergebnisse in einer Präsentation den Beobachtern vor, an die sich eine Diskussion anschließt. Ein solches Szenario kann auch in einer Kleingruppe – unter Beobachtung – bearbeitet werden, nach vorheriger individueller Vorbereitung oder von Anfang an im Gruppenrahmen. Es gibt kaum ein – konfliktträchtiges oder in anderer Hinsicht kritisches – Geschehen im Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen, das sich nicht in einer Fallstudie thematisieren ließe. Häufig greifen Unternehmen oder externe Anbieter von AssessmentVerfahren bei der Konzipierung und bei der Ausgestaltung von Fallstudien auf Vorgänge zurück, die sich bereits einmal ereignet haben, den Vorteil nutzend, dass authentisches Material zur Verfügung steht und dass bereits Erfahrungen mit mehr oder weniger aussichtsreichen Lösungsansätzen vorliegen. Eine einfachere, gleichwohl ergiebige Variante ist die Aufgabe an die Teilnehmer, Vergleiche zwischen ausgewählten Kulturen anzustellen, vorzugsweise im Hinblick auf definierte Verhaltenskomplexe wie zum Beispiel Führungsstile, Arten der sozialen Interaktion, Umgang mit Konflikten, aber auch auf die Gewichtigkeit bestimmter Werte und Normen, den Stellenwert von Tradition, von Hierarchie und dergleichen. Wenn es um die Erfassung der allgemeinen interkulturellen Kompetenz geht, ist zunächst zweitrangig, in welchen Kulturräumen die Fallstudien angesiedelt sind. Ist jedoch bereits absehbar, mit welchen Kulturräumen beziehungsweise mit welchen Vertretern anderer Kulturen es die zu beurteilenden Personen künftig zu tun haben werden, so bietet es sich natürlich an, die Fallbeispiele aus den in Frage kommenden Kulturen zu wählen. Welche Faktoren und Einzelaspekte der interkulturellen Kompetenz mit Hilfe von Fallstudien erfasst werden, hängt naturgemäß

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von der Wahl der Themen und der konkreten Aufgabenstellung ab. In jedem Falle aber werden zentrale Aspekte der kognitiven Kompetenz und einzelne Aspekte der Motivation und der sozialen Kompetenz geprüft. Werden die Fallstudien im Team bearbeitet, so eröffnen sich – unabhängig vom Thema – zusätzliche Möglichkeiten, Facetten sozialen Handelns zu beobachten, die für die Beurteilung der interkulturellen Kompetenz wichtig sind: die angemessene, nicht abweisende Körpersprache, die Integration ins neue Team, das Zuhören, das Eingehen auf Äußerungen der Anderen, der Ausdruck von Respekt vor der (abweichenden) Meinung des Anderen, die taktvolle Reaktion, wenn andere Schwächen zeigen, die Rücksichtnahme auf Andere, die Suche nach gesichtswahrenden Kompromissen oder – noch besser – nach Win-win-Lösungen im Konfliktfall, die klare und verständliche verbale Ausdrucksweise etc. Biografische Fragebögen, Persönlichkeits- und Motivations-Fragebögen: In aller Regel sind diese Fragebogen-Instrumente nicht direkter Bestandteil von Assessment-Center-Verfahren. Sie können jedoch im Vorfeld eines solchen Verfahrens ausgefüllt und dann als Grundlage für Teile des strukturierten Interviews genutzt werden. Tests kognitiver Fähigkeiten: Auch Tests kognitiver Fähigkeiten lassen sich im Assessment-Center verwenden. Hier empfiehlt sich die Kombination von Test und Diskussion der Vorgehensweise sowie der Ergebnisse in der Interaktion zwischen Teilnehmern und Beobachtern, wie sie am Beispiel des von der ITB Consulting entwickelten Elements »Interpretation wirtschaftlicher Zusammenhänge« beschrieben wurde. Analyse von Filmsequenzen: Ein neueres Assessment-Center-Element sei abschließend vorgestellt: die Analyse von Filmsequenzen. Dies ist ein sehr effektives und realitätsnahes, aber in der Erstellung besonders aufwändiges Instrument. Es erlaubt, typische beziehungsweise kritische Situationen ganz unterschiedlicher Art darzustellen: etwa die Interaktion zweier oder mehrerer Menschen oder eine Sequenz von Ereignissen im Zeitraffer. Die Szenen werden, nach präzisen Anweisungen von Experten für die betreffenden Kulturen sowie von Fachleuten der Diagnostik, durch Schauspieler gestaltet. Im Anschluss an die Betrachtung der Sequenzen

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beantwortet jeder Teilnehmer allgemeine Fragen zu Inhalt und Ablauf sowie spezifische Fragen, welche kulturellen Normen sich hinter den beobachteten Verhaltensweisen verbergen, wie er selbst auf die dargestellte Situation reagieren würde, was die Handelnden hätten anders machen sollen etc. Eine andere Möglichkeit ist, die Teilnehmer solche und andere Fragen im Team diskutieren zu lassen. Geprüft werden können mit solchen Filmsequenzen unter anderem die Sensibilität für kulturelle Besonderheiten, die Schärfe der Beobachtung anderer Menschen, die Wahrnehmung auch feinster verbaler und nonverbaler Signale, die Unvoreingenommenheit im Herangehen an ungewohnte Situationen und in der Interpretation unerwarteter Handlungsweisen, Ambiguitätstoleranz, die Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem und, abhängig vom jeweiligen Skript, auch Problemlösefähigkeit und allgemeine Aspekte der Intelligenz (etwa die Konsistenz in den Schlussfolgerungen).

4 Ein Schlusswort Zwei Ziele wurden mit dem Abfassen dieses Beitrags verfolgt. Das eine Ziel ist, Personen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, für dieses immer wichtiger werdende Thema interessieren, sich aber weder durch die unüberschaubare Fülle an Einzelbeiträgen unterschiedlichster Art im Internet noch durch dickleibige Fachbücher zum Thema arbeiten können oder wollen, in kompakter Form mit dem schillernden und facettenreichen Phänomen der interkulturellen Kompetenz vertraut zu machen und ihnen ein Konzept vorzustellen, das die wichtigsten Faktoren dieser Kompetenz integriert. Das zweite Ziel ist, die Breite an Möglichkeiten zur Erfassung dieses Konstrukts aufzuzeigen, welche die psychologische Eignungsdiagnostik bietet. Wenn es dem Verfasser außerdem gelungen ist, dem geneigten Leser ein klein wenig von der Faszination dieses Themas zu vermitteln, die er selbst seit mehr als zehn Jahren in der theoretischen und praktischen Beschäftigung mit diesem Komplex erlebt, ist, ganz nebenbei, ein weiteres lohnendes Ziel erreicht.

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E-Leadership – Wie lassen sich virtuelle Projektteams erfolgreich führen?

1 Einleitung Die Zusammenarbeit über verschiedene Orte hinweg ist aus heutigen Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Die Globalisierung, der damit einhergehende verstärkte Wettbewerb, die Verschiebung weg von produktionsbasiertem hin zu wissensbasiertem Arbeiten sowie der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK-Technologien) sind Gründe für immer komplexere und dynamischere Arbeitsplätze (Townsend, DeMarie u. Hendrickson, 1998). Der Einsatz von so genannten virtuellen1 Teams ist eine Möglichkeit, um mit diesen veränderten Bedingungen in Organisationen umzugehen (Axtell, Fleck u. Turner, 2004). Die Relevanz virtueller Zusammenarbeit wird deutlich, wenn man Zahlen zu ihrer Verbreitung betrachtet: Eine Studie in der deutschen Industrie aus dem Jahr 2002 zeigt, dass beinahe 20 Prozent der 376 befragten Führungskräfte dauerhaft in einem virtuellen Team arbeiten und circa 42 Prozent zumindest kurzfristig und projektbezogen in virtuelle Teamarbeit eingebunden sind (Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft GmbH, 2002). Ähnliche Entwicklungen zeigen sich auch in anderen europäischen Ländern und den USA (Gibson u. Cohen, 2003). Arbeitsformen, bei denen virtuell zusam1 Der Begriff virtuell ist im Deutschen missverständlich, weil er suggeriert, dass etwas nur scheinbar, das heißt nicht wirklich ist. Ein virtuelles Team ist aber durchaus ein »echtes«, tatsächlich bestehendes Team. Auch der Begriff virtuelle Zusammenarbeit bezeichnet eine wirkliche, tatsächlich praktizierte Zusammenarbeit, die allerdings unter veränderten Bedingungen stattfindet. Da der Begriff virtuell jedoch in der einschlägigen Literatur eine weite Verbreitung erfahren hat und zudem kürzere, und damit leserfreundlichere Formulierungen ermöglicht, wollen wir ihn trotz seiner sprachlichen Unschärfe verwenden.

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mengearbeitet wird, sind eindeutig auf dem Vormarsch und werden in Zukunft eher die Regel denn die Ausnahme sein. Wenn in der wissenschaftlichen Literatur von virtuellen Teams gesprochen wird, dann sind damit Gruppen gemeint, die ortsverteilt zusammenarbeiten und IuK-Technologien benötigen, um miteinander interagieren zu können. In virtuellen Teams befinden sich die Mitglieder nicht am gleichen Ort, sondern arbeiten über verschiedene Standorte hinweg an einer gemeinsamen Aufgabe. Zu Gruppen, die häufig unter virtuellen Bedingungen arbeiten, zählen insbesondere Projektteams in verschiedenen betrieblichen Funktionen wie im Vertrieb, in der Softwareentwicklung oder Managementteams (Riopelle et al., 2003), sodass Projektteams im Fokus des vorliegenden Beitrags stehen werden. Virtuelle Teams sind vielfältig einsetzbar und haben zahlreiche Vorteile. Zum einen können diejenigen Personen für die Bewältigung einer Aufgabe eingesetzt werden, die am besten dafür geeignet sind – ganz unabhängig von ihrem Standort (Blackburn, Furst u. Rosen, 2003). Zum anderen verspricht man sich beispielsweise eine höhere Effizienz durch die Arbeit in verschiedenen Zeitzonen, eine höhere Präsenz eines Teammitglieds an seinem Heimatstandort sowie Einsparungen von Reise- und Betriebskosten. Diesen Vorteilen stehen aber auch Risiken gegenüber, da sich in virtuellen Teams Gruppenprozesse in der Regel langsamer entwickeln und aufgrund der elektronischen Kommunikation auch anfälliger für Missverständnisse und Störungen sind (Konradt u. Hertel, 2002). Zaccaro und Bader (2003) sprechen in diesem Zusammenhang von Prozessverlusten, die entstehen, weil Ressourcen der Teammitglieder auf die Korrektur ineffizienter Interaktionen verwendet werden müssen, statt uneingeschränkt für die Erledigung der eigentlichen Aufgabe zur Verfügung zu stehen. Die Forschung zeigt zudem ein recht ernüchterndes Bild hinsichtlich der Leistungsfähigkeit virtueller Teams. Die Ergebnisse vergleichender Studien machen deutlich, dass in virtuellen Teams höchstens gleich gute Ergebnisse im Vergleich zu »traditionellen« (face-to-face, f2f) Teams zu erwarten sind; meistens zeigen sich schlechtere Leistungen, nur in wenigen Ausnahmen (Brainstorminggruppen) bessere (Bordia, 1997). Die virtuelle Zusammenarbeit bringt offensichtlich gewisse Herausforderungen mit sich, die f2f-Teams so nicht zu bewältigen haben. Der anfängliche Enthusiasmus, der dieser neuen Arbeitsform

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entgegengebracht wurde, hat sich mittlerweile etwas abgekühlt, und nun wird verstärkt nach Ansatzpunkten gesucht, um virtuelle Teams bei der Ausschöpfung ihrer Potenziale zu unterstützen. Nach unserer Auffassung liegt ein Schlüsselfaktor in der gezielten Einflussnahme des Projektleiters auf die Zusammenarbeit. E-Leadership oder Führung auf Distanz kann – so wie traditionelle Führung auch – definiert werden als die gezielte Beeinflussung einer Person, sodass mittelbar oder unmittelbar bei den Beeinflussten ein intendiertes Verhalten bewirkt wird (Weibler, 2001). Der Unterschied zu traditioneller Führung liegt darin, dass diese in einem Kontext stattfindet, in dem über IuK-Technologien miteinander interagiert wird (Avolio u. Kahai, 2003). Allerdings wird die Frage, inwieweit virtuelle Teams Führung benötigen und wie eine solche aussehen sollte, kontrovers diskutiert (z. B. Müthel u. Högl, 2008). Verschiedentlich findet sich in der Literatur die Auffassung, dass Führung im herkömmlichen Sinne aufgrund fehlender formaler Strukturen und wenig persönlichem Kontakt zwischen den Teammitgliedern ohnehin nicht möglich ist. Virtuelle Teams stehen häufig außerhalb formeller Regelwerke, erscheinen nicht vereinbar mit gängigen Führungsstrukturen und agieren scheinbar außerhalb unternehmerischer Führungswirklichkeit. Während sich eine Reihe von Autoren damit beschäftigt, wie Führung trotz dieser erschwerten Bedingungen erfolgreich gestaltet werden kann, machen andere aus der Not eine Tugend: Sie empfehlen, Mitarbeiter auszuwählen, die in der Lage sind, in hohem Maße eigenverantwortlich zu arbeiten. Diese könnten sich selbst führen und machten den formalen Leiter somit überflüssig. Wir sind der Meinung, dass die Mehrzahl virtueller Teams Führung und Managementunterstützung braucht, auch wenn gegenüber f2f-Teams im Führungshandeln andere Dosierungen erforderlich sind. Warum dies so ist, werden wir nachfolgend herausarbeiten. Zielsetzung dieses Kapitels ist es daher darzustellen, (1) welche Charakteristika und Herausforderungen sich aufgrund der Virtualität für Projektteams ergeben, (2) welche Anforderungen daraus für die Führung virtueller Projektteams resultieren sowie (3) Ansätze zu beschreiben, wie sich die Kompetenz zur Führung virtueller Projektteams diagnostisch erfassen lässt.

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2 Charakteristika und Herausforderungen virtueller Projektteams Virtuelle Projektteams sind dadurch charakterisiert, dass ihre Mitglieder an einer gemeinsamen Aufgabe über räumliche, zeitliche und beziehungsmäßige Grenzen hinweg in unterschiedlichem Ausmaß arbeiten und für ihre Zusammenarbeit IuK-Technologien wie E-Mail, Telefon, Chat oder Groupware nutzen (Martins, Gilson u. Maynard, 2004). Die Überschreitung räumlicher Grenzen, also die ortsverteilte Zusammenarbeit, führt dazu, dass persönliche Interaktionen abnehmen, was mit mehr Selbstverantwortung für die Teammitglieder verbunden ist (Blackburn et al., 2003). Aufgrund der räumlichen Entfernung in virtuellen Teams kann es sein, dass die Mitglieder ausschließlich über elektronische Kommunikationsmedien miteinander interagieren und sich persönlich nie begegnen. Das gewählte Medium hat dabei großen Einfluss auf die Wahrnehmungs- und Interaktionsprozesse der Teammitglieder. Bei Nutzung elektronischer Medien werden teilweise soziale Hinweisreize, wie beispielsweise Alter oder Geschlecht, nicht übertragen. In Abhängigkeit vom gewählten Medium (z. B. bei E-Mail, Telefon) werden Gestik, Mimik sowie Sprachmodalitäten des Kommunikationspartners herausgefiltert. Dadurch wird die gegenseitige Abstimmung des Verhaltens erschwert und die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen nimmt zu. Zusätzliche Probleme entstehen, wenn für die jeweiligen Arbeitsaufgaben unpassende IuK-Technologien eingesetzt werden (Maruping u. Agarwal, 2004; Stöger u. Thomas, 2008). Werden zeitliche Grenzen in der virtuellen Teamarbeit überschritten, kann die Zusammenarbeit nicht mehr synchron erfolgen. Eine zeitversetzte (asynchrone) Zusammenarbeit ergibt sich zwangsläufig, wenn die Teammitglieder über Zeitzonen hinweg arbeiten oder mittels IuK-Technologien interagieren, welche die asynchrone Kommunikation ermöglichen (z. B. E-Mail oder Diskussionsforen). Asynchrone, textbasierte Kommunikation wird häufig als vergleichsweise anstrengend empfunden und fällt daher meist knapper aus als die persönliche Kommunikation. Neben der Informationsbegrenzung durch die Art des Mediums sinkt somit aus einem weiteren Grund die übertragene Informationsmenge. Zudem erhalten die Mitglieder virtueller Teams Informationen zeitverzögert und vom eigentlichen Anlass entkoppelt. Rückmeldun-

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gen treffen so zeitlich versetzt ein und erschweren die Abstimmung untereinander. Mitglieder virtueller Teams werden daher häufig vor die Situation gestellt, die Bedeutung von »Stille« auf der anderen Seite zu interpretieren. Verunsicherung, gefühlte Isolation, mangelndes Commitment und nachlassende Motivation sind nicht selten das Resultat. Im Falle einer projektbezogenen und damit zeitlich begrenzten Zusammenarbeit muss das Team zudem schnell arbeitsbereit sein, sodass aufgrund enger Termine in der Regel kaum Zeit vorhanden ist, Strukturen oder Gruppennormen zu entwickeln (Ford u. Randolph, 1992; Keller, 2001). Projektteams haben darüber hinaus häufig weder eine gemeinsame Vergangenheit noch eine gemeinsame Zukunft, was die Frage mit sich bringt, ob den Teammitgliedern eine Investition in den Aufbau vertrauensvoller, interpersoneller Beziehungen überhaupt lohnenswert erscheint. Die Überschreitung beziehungsmäßiger Grenzen entsteht in virtuellen Teams dadurch, dass häufig Spezialisten mit unterschiedlichen Ausbildungshintergründen gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten. Teammitglieder werden aufgrund ihres spezifischen Wissens- und Erfahrungshintergrundes für die Teamarbeit rekrutiert. Das führt häufig dazu, dass sich Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen oder sogar Unternehmen in einem Team wiederfinden. Diese heterogene Zusammensetzung beinhaltet unterschiedliche soziokulturelle Hintergründe und soziale Identitäten der Teammitglieder. Gehören die Teammitglieder zusätzlich verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen Normen und Werten sowie unterschiedlichen Sprachen an, wird die Zusammenarbeit in diesen Teams weiter erschwert. Die Teammitglieder haben unter diesen Bedingungen wenig gemeinsame Vorstellungen von der Zusammenarbeit, sie sind sich häufig nicht klar darüber, was von ihnen im Rahmen der Projektarbeit genau gefordert wird beziehungsweise was sie von dem Team fachlich, aber auch zwischenmenschlich erwarten können.

3 Anforderungen an die Führung virtueller Projektteams Begibt man sich auf die Suche nach Anforderungen, die ein Leiter eines virtuellen Teams erfüllen sollte, um den geschilderten Herausforderungen virtueller Zusammenarbeit zu begegnen, finden

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sich erste Ansätze in Form von Anforderungslisten (z. B. Konradt u. Hertel, 2002; Remdisch u. Utsch, 2006). Eine systematische Untersuchung der Merkmale von Managern virtueller Teams steht bislang jedoch noch aus (Bell u. Kozlowski, 2002; Hertel, Geister u. Konradt, 2005). Gleichzeitig sehen viele Autoren Führung als eine zentrale Herausforderung in virtuellen Teams an. Im Vordergrund steht dabei die Schwierigkeit für den Teamleiter, die Aufgabenerledigung durch die Teammitglieder direkt zu kontrollieren (vgl. auch Antonakis u. Atwater, 2002). Als Konsequenz davon werden delegative Führungsinstrumente diskutiert, bei denen klassische Managementfunktionen wie beispielsweise Kontrolle auf die einzelnen Teammitglieder verlagert werden. Nötig ist eine Führung »am langen Zügel« (Stöger u. Thomas, 2008). Verschiedene Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von sich selbst steuernden Teams, oder wie Lipnack und Stamps (1997) es ausdrücken: »In virtual teams, shared leadership is the norm« (S. 15). Führung wird von ihnen als eher informell, als zeitweilig wechselnd und nicht als klar einer Person zugeordnete Aufgabe angesehen. Ähnliche Überlegungen finden sich bei Hertel et al. (2005), die virtuelle Teams als sich selbst organisierende Systeme betrachten, die sich jenseits externer Strukturen entwickeln und sich zudem an wechselnde Umgebungsbedingungen flexibel anpassen können. Es gibt keinen alleinigen formalen Leiter mehr – stattdessen übernehmen mehrere oder sogar alle Teammitglieder einzelne Leitungsaufgaben, wobei dies lediglich temporär oder auch über die gesamte Projektlaufzeit hinweg der Fall sein kann (vgl. auch Zigurs, 2003). Nach unserer Auffassung hat der formal eingesetzte Leiter eines virtuellen Projektteams Führungsaufgaben zu erfüllen, die er nicht vollständig delegieren kann. Seine wesentlichen Aufgaben sehen wir in zwei großen Bereichen: Sie bestehen zum einen in der zielorientierten Koordination der arbeitsteiligen Aufgabenerledigung durch die Teammitglieder. Dieser Teil der Führung wird von Lipnack und Stamps (1997) als task leadership bezeichnet. Er richtet sich auf das Erreichen von Ergebnissen, sein Erfolg wird an der Produktivität des Teams gemessen. Zum anderen bezieht sich eine weitere, zentrale Führungsaufgabe auf die Ausgestaltung der Beziehungen zu einzelnen Teammitgliedern und zur Gesamtgruppe. Ziel ist es, eine soziale Klammer für das gemeinsame Arbeiten zu schaffen und für jedes Teammitglied durch geeignete Ansprache

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leistungsfördernde Bedingungen zu schaffen. Dies bezeichnen wir als team leadership. Der Blick wird hierbei auf die Interaktionen innerhalb einer Gruppe gerichtet; im Rahmen von hoch virtuellen Teams wird Vertrauen als zentrale Größe diskutiert (Jarvenpaa u. Leidner, 1999). Sowohl task als auch team leadership sind zwar auch bei der Führung von f2f-Teams von Bedeutung, sie sind allerdings aufgrund der beschriebenen Merkmale hoch virtueller Teams gerade in diesen noch bedeutsamer, da es unwahrscheinlich ist, dass sich ein zielorientiertes Aufgabenmanagement oder auch Vertrauen schnell beziehungsweise spontan in dem Maß entwickeln, wie es virtuelle Projektarbeit erfordert (Bell u. Kozlowski, 2002). Hinsichtlich der Anforderungen an Führung in f2f-Teams und virtuellen Teams gehen wir also von einem hohen Maß an Überschneidungen aus. Die Mehrzahl der Anforderungen ist nach unserer Auffassung identisch – auch wenn sie etwas unterschiedlich ausgeprägt sind. Was bei virtuellen Teams hinzukommt, sind im Kern zwei Dinge: Im Bereich task leadership sehen wir hier vor allem die adäquate Nutzung von IuK-Medien. Was team leadership betrifft, ist zudem die Fähigkeit erforderlich, über Distanz hinweg tragfähige und vertrauensvolle Beziehungen zu Mitarbeitern aufbauen und erhalten zu können. Diesem Gedanken folgend sollte man einem erfolgreichen Leiter virtueller Teams auch guten Gewissens f2f-Teams anvertrauen können, was sich umgekehrt nicht ohne Weiteres empfiehlt. Ausgehend von diesen Überlegungen lassen sich verschiedene Anforderungen an Teamleiter im Kontext virtueller Teams ableiten. Als spezielle Führungsanforderungen im Bereich task leadership virtueller Projektteams möchten wir zwei Aspekte näher betrachten: die Fähigkeit im Umgang und in der Kommunikation mit IuK-Technologien sowie die Fähigkeit, Strukturen für die Aufgabenerledigung zu entwickeln, Ziele zu setzen und den Teammitgliedern auch auf die Entfernung konstruktives Feedback zu geben. Als besonders relevante Führungsanforderungen im team leadership sehen wir insbesondere die Vertrauensbereitschaft und die Fähigkeit, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen sowie Sensitivität und Toleranz für interindividuelle Unterschiede (vgl. auch Konradt u. Hertel, 2002; Hertel, 2007).

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3.1 Umgang mit IuK-Technologien Die Kenntnis technischer Möglichkeiten und das Wissen, wie die verschiedenen Technologien genutzt werden, stellen einen Aspekt der Fähigkeit im Umgang mit IuK-Technologien dar, der für die Führung virtueller Projektteams von Relevanz ist. Gleichermaßen sollte die Führungskraft aber auch wissen und berücksichtigen, welche sozioemotionale Wirkung unterschiedliche Medien haben und welche Medien für welche Aufgaben am besten geeignet sind. Die Mediensensitivität ist demnach eine weitere wesentliche Anforderung an den Projektleiter eines virtuellen Teams. Die sichere Nutzung von IuK-Technologien und das Wissen darüber, welche Möglichkeiten es in diesem Bereich gibt, setzt voraus, dass sich der Projektleiter fortlaufend informiert: In den letzten Jahren wurden viele verschiedene IuK-Technologien zur Unterstützung virtueller Teamarbeit entwickelt. Die Spanne reicht hier von relativ einfachen Technologien wie E-Mail oder Videokonferenzen zum Informationsaustausch bis hin zu komplexeren Technologien wie Groupware (Tools sind beispielsweise Gruppenkalender, Mehrbenutzereditoren), welche die Informationsverarbeitung und Aufgabenkoordination in den Gruppen unterstützen. Weitere komplexe Technologien sind Workflow-Managementsysteme, bei denen hauptsächlich die Vorgangssteuerung im Vordergrund steht und die die Abwicklung von Geschäftsprozessen unterstützen (Hertel, 2007; Hansen u. Neumann, 2005). Der Frage der Mediensensitivität, also wann welches Medium besonders gut geeignet ist, gehen Theorien nach, die sich mit der Medienwahl und der Passung von Aufgabe und Technologie beschäftigen. Die Media-Richness-Theorie (Daft u. Lengel, 1986) unterscheidet arme von reichen Medien. Die Klassifikation in arm und reich erfolgt anhand der Anzahl der Kanäle, die zur Informationsvermittlung parallel genutzt werden können. Zu den reichen Kommunikationsformen zählen zum Beispiel f2f-Kommunikation oder Videokommunikation mit einer Vielzahl paralleler Kanäle, die soziale, nonverbale Hinweisreize und Rückmeldung über Sprache übertragen (z. B. Gestik, Mimik und Tonfall). Zu den armen Kanälen zählen beispielweise Fax oder E-Mail, da sie nur eine geringe Anzahl paralleler Kanäle zulassen. Welches Medium das passende ist, hängt von der Komplexität der Kommunikationsaufgabe ab. Reiche Medien sollten genutzt werden, wenn es sich um kom-

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plexe Aufgaben handelt, die nicht routinemäßig durchgeführt werden und mit Unsicherheit verbunden sind, wie zum Beispiel Problemlöseaufgaben oder das Lösen von Konflikten. Auf arme Medien sollte zurückgegriffen werden, wenn die Aufgabe strukturiert und der Verlauf vorhersehbar ist, zum Beispiel wie bei Terminabsprachen oder bei der Koordination geregelter Abläufe. Asynchrone Kommunikation kann demnach auch Vorteile für die Zusammenarbeit bringen: Sie soll synchroner Kommunikation bei wenig komplexen Aufgaben überlegen sein. Grund hierfür ist, dass Blockaden überwunden werden, die entstehen, wenn nur eine Person zur selben Zeit sprechen kann. Bei komplexen Aufgaben hingegen ist synchrone Kommunikation empfehlenswert, da komplexe Aufgaben ein großes Ausmaß an Informationsmitteilungen und gemeinsamen Entscheidungen erfordern (Bell u. Kozlowski, 2002). Neben der Anzahl parallel genutzter Kanäle unterscheiden sich Medien aber auch darin, inwiefern sie zulassen, dass die Nachricht vor dem Senden überarbeitet werden kann und ob der Verlauf der Kommunikation gespeichert wird, wie es bei E-Mail oder im Diskussionsforum beispielsweise der Fall ist (Maruping u. Agarwal, 2004). Auch diese Unterscheidungskriterien der verschiedenen Medien können für die Medienwahl eine Rolle spielen. Zudem stellt die Dauer der Zusammenarbeit einen wichtigen Einflussfaktor auf die Medienwahl dar. Zu Beginn der Zusammenarbeit sind insbesondere reiche Medien empfehlenswert. Idealerweise sollte die Führungskraft ein persönliches Treffen zu Beginn der Zusammenarbeit, zum Beispiel im Rahmen eines Kick-off-Meetings, durchführen, um Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit zu besprechen, Arbeitsstrukturen festzulegen und ein gemeinsames Verständnis der Zusammenarbeit sowie den Vertrauensaufbau zu fördern. Gleichzeitig erhalten die Teammitglieder so die Möglichkeit, sich mit ihren Erwartungen und individuellen Unterschieden persönlich kennen zu lernen. Voraussetzung für den erfolgreichen Umgang mit IuK-Technologien ist demnach zum einen die Kenntnis der verschiedenen Technologien und zum anderen das Wissen, welches Medium für welchen Zweck am besten geeignet ist.

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3.2 Entwicklung von Strukturen für die Aufgabenerledigung, Zielsetzung und Rückmeldung Teams, die unter virtuellen Bedingungen an einer gemeinsamen Aufgabe arbeiten, stehen häufig vor der Herausforderung, das gemeinsame Ziel im Auge zu behalten. Vielfach fehlt ein gemeinsames Verständnis von der Aufgabe und der Art der Zusammenarbeit. Insbesondere wenn virtuelle Projektteams zu Beginn der Zusammenarbeit komplexen und interdependenten Aufgaben gegenüberstehen, ist den Beteiligten oft unklar, wie die gemeinsamen Arbeitsprozesse aussehen könnten oder sollten, damit das gemeinsame Ziel erreicht wird (Montoya-Weiss, Massey u. Song, 2001). Aufgrund der technologiebasierten und zeitlich versetzten Interaktion der Teammitglieder werden die Hinweisreize und Mechanismen, welche die Interaktionen aufeinander abstimmen (z. B. abwechselnde Kommunikation, unmittelbares Feedback), behindert, was zu den bereits erwähnten Prozessverlusten und Leistungseinbußen führen kann (Montoya-Weiss et al., 2001; Zaccaro u. Bader, 2003). Ziel des Teamleiters muss es daher sein, ein System zu implementieren, welches die Teammitglieder in die Lage versetzt, die gemeinsame Aufgabenerledigung zu regulieren und weitgehend selbstständig zu arbeiten. Hierzu gehört zunächst die Erarbeitung eines gemeinsamen Zielverständnisses. Unterschiedliche Auffassungen müssen gehört und geklärt werden, Zielkonflikte müssen erkannt und ausgeräumt werden. Eine Strukturierung des Arbeitsprozesses ist ein weiterer geeigneter Ansatz für virtuelle Teams, um ein gemeinsames Verständnis der Aufgabe aufzubauen. Eine solche Prozessstrukturierung beschreibt die Organisation von Art, Zeitpunkt und Inhalt von Arbeitsprozessen im zeitlichen Verlauf der Teamarbeit (Montoya-Weiss et al., 2001). Es empfiehlt sich, auf der Grundlage der Prozessstrukturierung Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten eindeutig zuzuordnen und zu vereinbaren. Wer übernimmt welche Arbeitspakete und wer ist für die Einhaltung von Terminen verantwortlich? Für diese Planungs- und Strukturierungsaktivitäten ist der Einsatz klassischer Projektmanagementtools naheliegend, wobei darauf zu achten ist, dass überall die technische Infrastruktur gewährleistet ist und dass im Zweifelsfall die technisch einfachere Variante gewählt wird. Eine Prozessstrukturierung mit klarem Zielfokus korrespondiert mit delegativen Führungskonzepten, bei denen einzelnen Teammitgliedern

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viel Verantwortung übertragen wird und die Führungskraft stärker moderierende und unterstützende Funktionen übernimmt. So erscheint beispielsweise das Führungskonzept Management-by-Objectives mit den Schwerpunkten Zielvereinbarung, hohe Partizipation der Mitarbeiter und konstruktives Feedback hinsichtlich der Aufgabenerfüllung in virtuellen Teams erfolgversprechend (Hertel, 2007; Hertel et al., 2005). Ziele ermöglichen ein selbstständiges Arbeiten und schaffen motivierenden Handlungsspielraum für die Teammitglieder, sofern der Weg zum Ziel durch den Einzelnen mitbestimmt werden kann. Ergänzend zur Zieldefinition sollte der Leiter regelmäßige und zeitnahe Rückmeldung über die Qualität und Quantität der erbrachten Leistung geben. Dies ermöglicht es jedem Teammitglied, seine Leistung einzuschätzen, und erlaubt es, Fehlentwicklungen frühzeitig zu korrigieren. Rückmeldung hat also neben der informierenden auch eine steuernde Funktion und unterstützt das Setzen von Zielen (Locke u. Latham, 2002). Die Schaffung von Strukturen für die Aufgabenerledigung sowie das Setzen von Zielen sind Führungsanforderungen, die auch an Teamleiter von f2f-Teams gestellt werden. Auch in der traditionellen f2f-Situation sollte der Teamleiter die zielorientierte Koordination der arbeitsteiligen Aufgaben der Teammitglieder unterstützen. Leiter von virtuellen Teams sollten allerdings vergleichsweise proaktiver und strukturierender vorgehen, da die örtliche Verteilung und die asynchrone Zusammenarbeit es erschweren, die Prozesse und Ziele aufeinander abzustimmen (Bell u. Kozlowski, 2002). Über klare Strukturen und in gleicher Weise verstandene Ziele wird ein Handlungsrahmen für die Teammitglieder geschaffen, in dem diese sich sicher und selbstständig bewegen können.

3.3 Vertrauensbereitschaft und die Fähigkeit, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen Auch wenn ein hohes Maß an Vertrauen für alle Teams wichtig ist, ist es für virtuelle Teams von besonderer Bedeutung, weil es an die Stelle von hierarchischen und bürokratischen Kontrollen rückt (Lipnack u. Stamps, 1997). Der Projektleiter eines virtuellen Teams kann nicht sehen, ob und wie seine Teammitglieder arbeiten, für ihn sind allein die Ergebnisse wahrnehmbar, nicht der ihnen vorausgehende Schaffensprozess.

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Zahlreiche Autoren sehen Vertrauen als zentrale Größe für das Funktionieren virtueller Teams an (Greenberg, Greenberg u. Antonucci, 2007; Jarvenpaa, Knoll u. Leidner, 1998; Zaccaro u. Bader, 2003; Zigurs, 2003). Manager, die auf Distanz führen, teilen offenbar diese Auffassung. Remdisch und Utsch (2006) befragten 131 Führungskräfte zu Erfolgsfaktoren virtueller Teamarbeit: 80 Prozent sehen die Etablierung von Vertrauen als sehr wichtig an, damit virtuelle Teams erfolgreich arbeiten können. Positive Auswirkungen von Vertrauen finden sich auch in empirischen Untersuchungen. Demnach hat Vertrauen förderliche Auswirkungen auf verschiedene Leistungsparameter (Stahl u. Sitkin, 2004), erhöht die Toleranz gegenüber Fehlern von Teammitgliedern (Greenberg et al., 2007) und steigert das Commitment, was wiederum zu besserer Leistung und höherer Zufriedenheit führt (Costa, Roe u. Taillieu, 2001). Wird der Fokus frühzeitig auf die Teambildung und den Beziehungsaufbau gelegt, werden bessere Ergebnisse erreicht und technische Hindernisse innerhalb des Projektteams leichter überwunden (McCarthy, 2007). Ein anderes Ergebnis der von Remdisch und Utsch (2006) durchgeführten Befragung lautet, dass 55 Prozent der befragten Führungskräfte die Entwicklung einer Vertrauensbeziehung als einen sehr schwierigen Prozess empfinden. Dies lässt sich in erster Linie darauf zurückführen, dass in einer virtuellen Führungssituation eine als wesentlich angenommene Voraussetzung, um Vertrauen aufzubauen, fehlt, nämlich eine gemeinsame Historie persönlicher Interaktionen. Oder wie Sprenger (2002, S. 28) es formuliert: »Vertrauen kann sich nicht mehr aus Vertrautheit entwickeln.« Vor diesem Hintergrund empfehlen zahlreiche Autoren gerade in der Anfangsphase von Projekten persönliche Treffen der Teammitglieder, weil dies laut Handy (1995, S. 46) unabdingbar ist: »Trust needs touch.« Was kann der Leiter eines virtuellen Projektteams nun tun, um möglichst rasch Vertrauen zu schaffen und es dauerhaft über den Lebenszyklus des Projekts hinweg aufrechtzuerhalten? Für die Beantwortung dieser Frage wollen wir zwei Dinge unterscheiden, die zu verschiedenen Zeitpunkten des Projektverlaufs unterschiedlich wichtig sind: Haltung und Verhalten. Nach unserer Auffassung ist entscheidend, mit welcher Haltung der Projektleiter die Arbeit im Projekt beginnt und wie er im Verlauf des Projekts die Kommunikation mit Einzelnen und dem Gesamtteam gestaltet.

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Zuvor wollen wir uns aber kurz dem Begriff Vertrauen näher zuwenden. Anderen vertrauen heißt, bewusst auf Kontrolle zu verzichten, weil man erwartet, dass die andere Seite kompetent, integer und wohlwollend ist (Greenberg et al., 2007; Jarvenpaa et al., 1998; Sprenger, 2002). Folgt man Sprenger (2002), so schließt die Führungskraft hierbei einen impliziten Vertrag, mit dem sie sich selbst verwundbar macht, weil sie die Erreichung ihrer Ziele vom Verhalten des Mitarbeiters abhängig macht. Dieser »Vertrauensvorschuss« schafft beim Vertrauen nehmenden Partner eine Verpflichtung, der er sich nur schwer entziehen kann. Zugrunde liegt das Prinzip der Reziprozität, dem Ausgleich zwischen Geben und Nehmen. Durch das (zunächst einseitige) Schenken von Vertrauen wird ein Anspruch erzeugt, den der andere durch eine Gegenleistung ausgleichen muss. Für die Führungskraft heißt das, zunächst in Vorleistung zu gehen: Sie sollte zu erreichende Ziele vereinbaren, gleichzeitig aber jeden Mitarbeiter seinen eigenen Weg finden lassen. Ebenso sollte auf formale Kontrollen verzichtet werden (z. B. Zeiterfassung), und es sollten Umgebungsbedingungen geschaffen werden, die es erlauben, eigenverantwortlich zu arbeiten. Mitarbeiter sollten Entscheidungsfreiräume (auch über Geld) erhalten und mit Entscheidungskompetenzen ausgestattet werden, um beispielsweise gegenüber Kunden schneller reagieren zu können. Der Projektleiter sollte zudem bei neuen Projektmitarbeitern zunächst davon ausgehen, dass sie willens und in der Lage sind, gute Arbeit zu leisten. Denn schließlich hat der Projektleiter, allein oder mit anderen, die Projektmitarbeiter vorher geprüft und ausgewählt – jetzt sollte er zu dieser Entscheidung stehen, auch wenn es anfänglich vielleicht Missverständnisse oder Zweifel gibt. Eine solche Haltung markiert den Ausgangspunkt für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Verschiedene Autoren sprechen von swift trust, einem sich rasch einstellenden Vertrauen in neu gebildeten Projektteams (z. B. Jarvenpaa u. Leidner, 1999), das bereits ganz am Anfang einen Zenit erreichen kann. Projektmitglieder importieren offenbar entsprechende soziale Strukturen, Werthaltungen und Erwartungen, die viel Vertrauen ermöglichen, noch ohne dass eine Entwicklung von Vertrauen stattfinden konnte. Damit ein solches Anfangsvertrauen aufrechterhalten werden kann, sind vertrauensfördernde Interaktionen im Anschluss erforderlich, womit wir beim zweiten Aspekt sind – dem Verhalten.

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Damit der Vertrauensvorschuss, der zunächst ein Vertrauen auf Probe darstellt, zu dauerhaftem Vertrauen werden kann, braucht es positive Erfahrungen in der Interaktion der Beteiligten. Hierzu gehören ein Kick-off-Meeting, das nach übereinstimmender Auffassung zahlreicher Autoren ein persönliches Treffen der Projektmitarbeiter ermöglichen sollte, und häufige Kontakte vor allem in der Anfangsphase des Projekts. Hierbei sollten Teammitglieder durchaus ermuntert werden, auch persönlichere Informationen (z. B. über Familie, Hobbys, Freizeitaktivitäten) auszutauschen, da dies offenbar den Aufbau von Vertrauen in besonderer Weise fördert (Jarvenpaa u. Leidner, 1999; Zaccaro u. Bader, 2003). Wie bereits erwähnt, ist bei der Wahl der Kommunikationsform reichen Medien eindeutig der Vorzug zu geben. Neben entsprechendem team leadership können auch strukturelle Elemente aus dem Bereich task leadership vertrauensfördernd wirken. Klare Regeln und Vereinbarungen schaffen Sicherheit in der Zusammenarbeit, ermöglichen die Ausbildung gemeinsamer sozialer Normen, fördern ein gemeinsames Aufgabenverständnis und tragen dazu bei, das Verhalten der anderen berechenbar zu machen, was wiederum Vertrauen schafft (Axtell et al., 2004; Gibson u. Manuel, 2003). Panteli und Duncan (2004) konnten beispielsweise in einer Fallstudie zeigen, dass die schriftliche Festlegung von Rollen, Vorgehensweisen, Zielen und Verantwortlichkeiten die Herausbildung von Vertrauen unterstützte. Auch bei Crisp und Jarvenpaa (2000) korrelierten Vereinbarungen, die das Verhalten der Mitglieder global verteilter Teams füreinander vorhersehbar machen, positiv mit Vertrauen.

3.4 Sensitivität und Toleranz für interindividuelle Unterschiede Virtuelle Teams zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie heterogen zusammengesetzt sind: Die Teammitglieder sind aufgrund verschiedener Ausbildungshintergründe, Abteilungs- und Unternehmenszugehörigkeiten sowie Nationalitäten unterschiedlich sozialisiert und konfrontieren sich in ihrer Zusammenarbeit gegenseitig mit verschiedensten Normen und Wertvorstellungen. Die Fähigkeit, mit Personen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und mit unterschiedlichen Sozialisationen erfolgreich umzugehen, wird als interkulturelle Kompetenz bezeichnet. Diese Kompetenz

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bezieht sich also nicht nur darauf, dass man mit Personen, die aus unterschiedlichen Ländern stammen, erfolgreich umgehen kann, sondern beinhaltet auch die Berücksichtigung der interindividuellen Sozialisation des Einzelnen. Sie ist sowohl für den Teamleiter als auch für die Mitglieder des virtuellen Teams von Bedeutung. Trost (in diesem Band) beschreibt als vier »Faktoren« der interkulturellen Kompetenz (1) emotionale Stabilität, (2) soziale Kompetenz, (3) Motivation sowie (4) kognitive Kompetenzen und zeigt auf, wie diese diagnostisch erfasst werden können. Auf Seiten des Teamleiters erfordert die Zusammenarbeit mit interkulturellen Unterschieden zudem, diese untereinander bewusst zu machen und gegenseitiges Verständnis zwischen Teammitgliedern unterschiedlicher Kulturen zu fördern (Konradt u. Hertel, 2002). Die betriebliche Realität zeigt allerdings, dass die Auswahl der Mitglieder eines virtuellen Projektteams in der Regel aufgrund fachlicher Kompetenzen und weniger aufgrund der interkulturellen Kompetenz des Einzelnen erfolgt. Eine Möglichkeit, dieser Tatsache Rechnung zu tragen, liegt darin, dass der Teamleiter gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Verhaltensstandards definiert, die beschreiben, wie sich das Team die gemeinsame Zusammenarbeit vorstellt. Die Entwicklung einer eigenen »Teamkultur« (Bell u. Kozlowski, 2002) kann angestoßen werden, indem Teamregeln erarbeitet werden. Diese Normen oder sozialen Regeln beschreiben, auf welche Art und Weise zusammengearbeitet werden soll und welches Verhalten gezeigt oder nicht gezeigt werden sollte. Sie dienen als Richtlinien, um das eigene Verhalten zu kontrollieren und zudem die Kooperation der Gruppenmitglieder zu unterstützen.

4 Diagnostik der Führungskompetenz in virtuellen Projektteams Vorauslaufend haben wir dargestellt, welche Charakteristika und Herausforderungen damit verbunden sind, wenn virtuelle Projektteams zusammenarbeiten. Dann sind wir auf Anforderungen eingegangen, die sich dadurch insbesondere für den Projektleiter ergeben. Nachfolgend möchten wir Ansatzpunkte aufzeigen, wie sich die Eignung von Führungskräften zur Steuerung virtueller Teams diagnostisch ermitteln lässt. Dabei wollen wir uns auf Kompe-

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tenzaspekte konzentrieren, die nach unserer Auffassung für Leiter von virtuellen Teams spezifisch sind. Eine zentrale Anforderung an Leiter virtueller Teams unter dem task leadership-Blickwinkel ist die Kenntnis und die adäquate Nutzung von IuK-Technologien. Dies beinhaltet zunächst einen Wissensaspekt. Welche Technologien gibt es? Welche Vor- und Nachteile haben bestimmte Technologien? Für welchen Einsatzzweck empfiehlt sich welches Medium? Derartige Wissensaspekte lassen sich gut im Rahmen eines strukturierten Interviews erheben. Liegen darüber hinaus Erfahrungen hinsichtlich des Einsatzes verschiedener Technologien vor, so bietet es sich an, diese Erfahrungen durch gezielte Fragen näher zu beleuchten. Welche Medien wurden in der letzten beruflichen Tätigkeit in welcher Häufigkeit benutzt? Wo traten Schwierigkeiten beziehungsweise Probleme auf? Wie wurde diesen begegnet? Welche Medien wurden für welche Aufgabenstellung (z. B. Information über Arbeitsabläufe, Rückmeldung zu Arbeitsergebnissen, Bearbeitung von Konflikten) genutzt? Inwieweit wurde die Verwendung bestimmter Technologien kritisch hinterfragt und gegebenenfalls modifiziert? Durch entsprechende Trichterfragen, bei denen der interessierende Sachverhalt sukzessive eingegrenzt und fokussiert wird, und durch die Aufforderung, konkrete Verhaltensbeispiele zu benennen, sollten sich aussagekräftige Informationen zum Umgang mit den Medien gewinnen lassen. Verfügt der Interviewte über wenig oder keinerlei Erfahrung, ließe sich das Interview durch situative Fragen anreichern. Der Interviewer könnte erfolgskritische Situationen vorgeben (»Angenommen, ein Leistungsträger in Ihrem Projekt setzt sich wiederholt über gemeinsame Vorgaben hinweg …«) und Handlungsintentionen zur Lösung dieser Situation erfragen. Dabei hätte der Interviewte unter anderem die Aufgabe, die Wahl des Mediums bei der Problemlösung nachvollziehbar zu begründen. Die Erfassung der Medienkompetenz ließe sich auch mit anderen Kompetenzaspekten (z. B. Problemlösefähigkeit, Führungskompetenz) koppeln. Man könnte beispielsweise einen elektronischen Postkorb vorgeben, bei dem der Projektleiter mit einer Arbeitssituation konfrontiert wird, die der eines virtuellen Projektleiters nahe kommt. Eingebettet in eine Beschreibung des Projekts, seiner Rahmenbedingungen und der Vorgeschichte, würde der Projektleiter mit E-Mails, in elektronischer Form vorliegenden Statusberichten und Projektstrukturinformationen konfrontiert. Seine Aufgabe

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bestünde dann darin, sich einen Überblick über die verschiedenen Vorgänge zu verschaffen, diese sinnvoll zu priorisieren und geeignete Maßnahmen zur Problemlösung zu ergreifen. Durch die entsprechend heterogen gewählten Vorgänge ließe sich die Projektwirklichkeit umfassend abbilden, so dass sowohl Sachthemen als auch Personalthemen abgedeckt würden. Interessant wäre dann zu sehen, ob bei der Bearbeitung der Themen neben anderen Aspekten auch die Verwendung der Medien überzeugt. Wird eine Videokonferenz anberaumt oder ein persönliches Meeting terminiert? Wie wird die Nichteinhaltung des Zeitplans kommuniziert? Neben der eigentlichen Bearbeitung eines solchen elektronischen Postkorbs empfiehlt sich eine anschließende Befragung, in der der Projektleiter aufgefordert ist, sein Vorgehen näher zu erläutern. Durch weitergehende Fragen der anwesenden Beobachter lassen sich zusätzlich vertiefende Informationen gewinnen. Dieser Postkorb könnte dann ein Element innerhalb eines Assessment-Centers sein. Neben der Auswahl von Projektleitern könnte er auch im Rahmen eines Development-Centers unter Entwicklungsgesichtspunkten zum Einsatz kommen (vgl. auch Heilmann in diesem Band). Aus der team leadership-Perspektive stehen der Aufbau von Vertrauen und die Ausgestaltung offener, vertrauensvoller Kommunikationsbeziehungen im Vordergrund. Die Vertrauensbereitschaft (»propensity to trust«) wird von Jarvenpaa et al. (1998) als allgemeine Eigenschaft einer Person verstanden, die stabil ist über Zeit und Situationen hinweg und durch kulturelle, soziale und Entwicklungserfahrungen beeinflusst wird. Bereits 1967 stellte Rotter eine entsprechende Skala vor, um die Vertrauensbereitschaft gegenüber Personen zu messen (»Interpersonal Trust Scale«; vgl. auch Petermann, 1996). Rotter versteht unter Vertrauen eine generalisierte Erwartungshaltung, die sich aus gesammelten Erfahrungen speist und Einfluss darauf hat, ob man sich anderen eher vertrauensvoll oder misstrauisch nähert. Eine solche (oder auch modifizierte) Skala zur Erfassung generalisierten Vertrauens eignet sich jedoch nur bedingt für situationsspezifische Vertrauensprognosen. Ob jemand grundsätzlich etwa Kaufleute bei der Beschreibung ihrer Waren für ehrlich hält, erlaubt keine Vorhersage, wie ein Projektleiter eines virtuellen Teams unter bestimmten Rahmenbedingungen handeln wird. Vor diesem Hintergrund wäre von Fragebögen zu fordern, dass sie den relevanten Projektkontext angemessen abbilden. Aber auch dann wären sie zum Zweck der Personalauswahl

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wenig geeignet, da das mit diesem Instrument verfolgte Ansinnen offenkundig ist und sozial erwünschte Antworten provoziert. Lediglich im Entwicklungs- oder Beratungskontext, wenn ein ehrliches, unverfälschtes Beantworten derartiger Fragen zu erwarten ist, könnte ein entsprechend zugeschnittener Fragebogen etwa als Vorbereitung auf ein Interview sinnvoll sein. Diagnostisch ergiebiger erscheint es, über simulierte Situationen nachzudenken, die sich an Interaktionssituationen anlehnen, die in der Literatur als »Gefangenen-Dilemma« oder »Prisoner’s Dilemma« bekannt geworden sind. In der klassischen Version geht es um zwei einer Straftat Verdächtige, die vor dem Richter stehen. Dieser macht jedem folgendes Angebot: Wenn nur er gesteht (und damit den Partner belastet), kommt er ohne Strafe davon und der andere erhält die Höchststrafe. Schweigen beide, gibt es aufgrund vorliegender Indizien für beide eine vergleichsweise geringe Strafe. Gestehen beide, müssen beide für längere Zeit hinter Gitter. Die Verdächtigen haben keine Möglichkeit, sich über ihr Vorgehen abzustimmen. Beobachtet wird, wie sich jemand vor diesem Hintergrund entscheidet, ob jemand also die kooperative Variante (Schweigen) oder die unkooperative beziehungsweise die Wettbewerbsvariante (Gestehen) wählt. Zahlreiche Forschungsarbeiten haben Modifikationen dieser Anordnung untersucht und eine Reihe von Bedingungen beschrieben, unter denen kooperatives Verhalten eher wahrscheinlich ist (für einen Überblick siehe Dawes, 1980). Bezogen auf das Kooperationsverhalten virtueller Projektleiter müsste ein solches Grunddesign natürlich an reale Bedingungen angepasst und alltagstauglich gemacht werden. Aber gegenüber einer Fragebogenvariante erhielte man sicherlich aussagekräftigere Hinweise zum Kooperationsverhalten. Entscheidend wäre die Auskleidung einer solchen Interaktionssituation, damit eine akzeptable inhaltliche Validität, das heißt eine realitätsnahe Abbildung tatsächlicher Anforderungen, erreicht werden kann. Beispielsweise könnte man eine Anordnung schaffen, in der ein Projektleiter auf eine Terminüberschreitung eines Projektmitarbeiters reagieren soll. Betraut er diesen erneut mit zeitkritischen Aufgaben, und wenn ja, begleitet von welchen flankierenden Maßnahmen? Ein anderer diagnostischer Zugang, um herauszufinden, inwieweit ein Projektleiter durch die Art seiner Kommunikation Vertrauen fördert, setzt bei praktischen Verhaltenshinweisen zum Ver-

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trauensaufbau an. Lewicki und Tomlinson (2003) zeigen eine Reihe von Handlungen auf, die insbesondere bei wiederholter und situationsübergreifender Ausführung von anderen als Beleg wahrgenommen werden, dass man ihm oder ihr vertrauen kann. Hierzu gehört ein kompetentes, fachlich angemessenes Agieren, Konsistenz und Vorhersagbarkeit im Verhalten (tun, was man sagt), eine korrekte, offene und transparente Kommunikation, die Abgabe und Delegation von Kontrolle und das glaubhafte Zeigen von Interesse an anderen. Um herauszufinden, inwieweit ein Projektleiter in dieser Hinsicht vertrauensbildend agiert, braucht es sicherlich mehr als naive Fragen zu den genannten Teilaspekten. Die Antworten des Befragten haben nur dann Aussagekraft, wenn sie durch Verhalten in der Vergangenheit glaubhaft belegt werden können. Das bedeutet, dass früheres Verhalten unter Rückgriff auf konkrete Beispiele dezidiert analysiert und ausgewertet werden muss. Ein geübter Interviewer könnte hier sicherlich Informationen zutage fördern, die anforderungsrelevant und diagnostisch verwertbar sind (siehe Fay in diesem Band). Interessanterweise stellt auch die Anfangsphase eines AssessmentCenters eine ähnliche Situation dar, wie sie für virtuelle Teams zu Beginn besteht. Es kommen Personen zusammen, die sich in der Regel nicht oder höchstens flüchtig kennen, die durch unterschiedliche Herkünfte und Sozialisationen geprägt sind, meist keine gemeinsame Zukunft haben und die (mit Ausnahme des moderierenden Beraters natürlich) mehr oder weniger klare Vorstellungen darüber haben, was im Tagesverlauf von wem wie zu tun ist. Ein Projektleiter (der Teilnehmer dieses ACs) könnte dann im Vorfeld die Aufgabe bekommen, die erste Phase des Zusammentreffens zu gestalten, und zwar mit dem Ziel, Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu schaffen. Man könnte die Aufgabe auch näher an eine reale Situation heranführen und eine Arbeitsprobe daraus machen. Der teilnehmende Projektleiter erhielte dann vorab den Auftrag, sein »neues, virtuelles Team« arbeitsfähig zu machen. Gemessen würde dann, inwieweit das beobachtete Verhalten des Projektleiters geeignet war, Vertrauen in seine Person zu fördern, zum Beispiel durch Einschätzungen der Beobachter auf einer vorbereiteten Skala. Im Zusammenhang mit dem Kommunikationsverhalten des virtuellen Projektleiters kommt dem Management von Konflikten beziehungsweise dem Umgang mit enttäuschtem Vertrauen eine

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besondere Bedeutung zu. Neben der Schwierigkeit, sich anbahnende Konflikte frühzeitig zu erkennen, da entsprechende nonverbale Hinweisreize fehlen und die Situation des Mitarbeiters vor Ort nicht im Detail bekannt ist, sollte der Projektleiter im Erkennensfall schnell und unter Nutzung adäquater Kommunikationsmedien reagieren (Zaccaro u. Bader, 2003). Ein virtueller Leiter braucht also eine erhöhte Sensibilität für aufkeimende Konflikte und gleichzeitig eine hohe Bereitschaft, sich mit abweichenden Auffassungen konstruktiv auseinanderzusetzen. Diagnostisch ließe sich dieser Anforderung mit einer Verhaltenssimulation (Rollenspiel) und nachgelagerter Befragung begegnen. Neben der Verhaltensstichprobe, wie der Projektleiter ein solches Gespräch führt, könnte man in einer anschließenden Fragephase weitere Informationen zum Umgang mit Konflikten sammeln. Wie geht der Projektleiter vor, wenn die Ursachen des Konflikts unklar sind oder wenn sichergestellt werden soll, dass seine Reaktion nur den Betroffenen, nicht aber Dritte erreicht? Wie geht er grundsätzlich mit anderen Auffassungen um, gibt es Teamnormen, wie Konflikte gehandhabt werden? Durch diese erweiterte Betrachtung böte sich die Möglichkeit, die Besonderheiten der virtuellen Führungssituation angemessen zu integrieren.

5 Ausblick Aufgrund der Zunahme virtueller Arbeitsformen werden zukünftig immer mehr Führungskräfte mit der Situation konfrontiert sein, Mitarbeiter oder Projektteams auf Distanz zu führen. Umso wichtiger wird es bei der Auswahl und Qualifizierung von Führungskräften sein, den damit verbundenen Anforderungen besonderes Augenmerk zu schenken, damit virtuelle Teams ihre Vorteile ausspielen können. Darüber hinaus wird das Arbeiten in virtuellen Teams auch für Projektmitarbeiter immer häufiger Realität werden. Damit einhergehend werden sie im Sinne des shared leadership-Ansatzes zunehmend mit (Teil-)Führungsaufgaben konfrontiert sein. Es wird nicht mehr ausreichen, allein die eigenen Aufgaben im Blick zu haben und zu erledigen, vielmehr wird es unabdingbar sein, den Blick über den eigenen Tellerrand zu werfen und verantwortlich im Sinne des Gesamtprojekts zu agieren. Im Zuge dessen wird die Dia-

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gnostik und Entwicklung von E-Leadership-Skills auch für Projektmitarbeiter an Bedeutung gewinnen.

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Eignungsdiagnostische Verfahren im Wandel

Kristine Heilmann

Kompetenzentwicklung im DevelopmentCenter – Variationen der klassischen Assessment-Center-Methode

1 Einleitung Assessment-Center-Verfahren sind mittlerweile ein fester Bestandteil im Methodenkoffer des Personalmanagements und erfüllen vielfältige Zwecke: Ein Assessment-Center (AC) kann nicht nur helfen, Potenziale oder Eignungen von Personen zu diagnostizieren, es kann darüber hinaus mehrere Funktionen, die sich der Organisationsund Personalentwicklung zurechnen lassen, erfüllen (Fay, 2002): Es ermöglicht das Training der Beobachter in der Beobachtung und Beurteilung von Menschen, die Verankerung von Kompetenzmodellen und die Vereinheitlichung von Bewertungsmaßstäben innerhalb einer Organisation, den Transport von Zukunftsthemen in ein Unternehmen über Behandlung dieser Themen in den AC-Übungen und schließlich die Kompetenzentwicklung der ACTeilnehmer. Dieser letztgenannten Funktionalität der AC-Methode widmet sich der folgende Beitrag. Nach der Klärung der wichtigsten Begriffe und damit der Abgrenzung verschiedener AC-Verfahrensarten diskutiere ich einige Möglichkeiten, wie die AC-Methode variiert werden kann, wie also Development-Center gestaltet sein sollten, um die Kompetenzentwicklung der Teilnehmer zu fördern, und weise schließlich auf einige unverzichtbare Qualitätsstandards für alle Verfahrensarten nach der AC-Methode hin.

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2 Begriffsklärungen 2.1 AC-Methode ACs in ihrer ursprünglichen Form sind eignungsdiagnostische Verfahren, das heißt sie dienen der Erfassung oder Messung von in der Person liegenden Faktoren, welche die Eignung der Person ausmachen. Eignung ist immer auf etwas bezogen: Eignung für einen Beruf, für eine bestimmte Position, für eine Hierarchieebene in einer Organisation etc. Über alle Definitionen hinweg finden sich einige Kernelemente, welche die AC-Methode ausmachen: – die Simulation von relevanten Anforderungssituationen des angestrebten Berufs, der Position, der Hierachieebene etc., – das Verhalten der Teilnehmer als Hauptinformationsquelle, – die Kombination verschiedener Anforderungsarten beziehungsweise Methoden (Einzel-, Zweier-, Gruppensituationen; mit Kunden, Mitarbeitern, Kollegen; Aufgaben unterschiedlicher Komplexität, Bearbeitung verschiedener Themen etc.) und – das Einbeziehen mehrerer Beurteiler. Damit sind wesentliche Prinzipien festgelegt: Anforderungsbezug und Verhaltensorientierung sollen die Validität des Verfahrens sichern, Methodenvielfalt und Mehraugenprinzip erhöhen die Zuverlässigkeit und Objektivität der Diagnose. Folgende weitere Merkmale tragen wesentlich zur Qualität des Verfahrens bei: – Die Diagnostik erfolgt im Hinblick auf zuvor definierte und operationalisierte Dimensionen. Dies sind in der Regel Fähigkeits-, teilweise auch Einstellungs- und Persönlichkeitsdimensionen; in vielen größeren Unternehmen liegen sie als verbindliches Kompetenzmodell bereits vor. Um den Vorteil der Methodenvielfalt zu nutzen, sollte jede Dimension in mindestens zwei, besser drei verschiedenen Methodenarten erfasst werden (z. B. Beobachtung der sozialen Kompetenz in einer Gruppendiskussion, in einem Konfliktgespräch und bei einer Präsentation; Beurteilung des analytischen Denkens anhand eines Tests, einer Fallstudie und einer komplexen Verhandlung). – Die Beobachter sind Experten und/oder werden für ihre Aufgabe geschult.

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– Verhaltensbeobachtung und Bewertung werden zeitlich voneinander getrennt. – Eine quantitative Beurteilungsskala dient dem Vergleich von Einschätzungen – intra- und interpersonell sowie mit den definierten Anforderungen. – Ein Moderator stellt sicher, dass alle Teilnehmer nach denselben, zuvor festgelegten Regeln beobachtet und bewertet werden. – Aussagen über die Eignung des Teilnehmers werden nur auf der Grundlage aller Informationen von allen Beobachtern aus allen Einzelmethoden gemacht. – Die Teilnehmer erhalten im Anschluss an das AC ein Feedback. Das vom Arbeitskreis Assessment Center in seinen Standards von 1992 (Arbeitskreis Assessment Center, 1992) sehr streng festgelegte Prinzip der Verhaltensorientierung, das »die meisten Testarten« sowie situative Interviews ausschloss, ist sowohl in der Praxis als auch vom Arbeitskreis selbst deutlich gelockert worden (Arbeitskreis Assessment Center, 2004): Interviews und Testverfahren gehören heute sinnvollerweise in vielen Fällen zu einem AC-Programm.

2.2 Development-Center Mit dem Begriff Development-Center (DC) werden in der Literatur sowie in der Praxis seit einigen Jahren jene Verfahren bezeichnet, die zwar weitgehend nach der AC-Methode durchgeführt werden, deren Zielsetzung jedoch nicht ausschließlich in der Eignungsdiagnostik und anschließenden Personalauswahl liegt, sondern zusätzlich – oder auch ausschließlich – in der Entwicklung der Teilnehmer. Das angestrebte Ergebnis ist nicht nur – oder auch gar nicht – eine Eignungs- beziehungsweise Potenzialaussage, sondern ein Entwicklungsplan, der aufgrund der diagnostizierten Stärken und Schwächen passende Maßnahmen empfiehlt. Allerdings ist die strikte Trennung von AC als Auswahlinstrument und DC als Instrument für die Personalentwicklung eher künstlich: Die AC-Methode wird ja schon seit etlichen Jahrzehnten (im Grunde seit sie sich in den Unternehmen etabliert hat) mit der doppelten Zielsetzung der Personalauswahl und der Analyse von Leistungspotenzial und »Entwicklungsnotwendigkeiten« eingesetzt. Jeserich stellt dies bereits 1981 für den deutschsprachigen

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Raum fest, Finkle (1976) konstatiert es für den angelsächsischen Raum (siehe auch Thornton u. Byham, 1982). Aber als Trend deutlich erkennbar ist die Verschiebung des Zielschwerpunkts bei der Anwendung von AC-Verfahren: In einer vom deutschen Arbeitskreis Assessment Center durchgeführten Befragung deutscher Unternehmen im Jahr 2001 (Neubauer, ohne Jahresangabe) zeigte sich, dass der Großteil der in den Unternehmen durchgeführten ACs noch der Auswahl externer Bewerber (78 %) sowie der Potenzialanalyse bei internen Mitarbeitern (71 %)1 diente. Zudem wurde in der Mehrzahl der Fälle bei internen Teilnehmern zusätzlich auch der Trainingsbedarf mit erhoben (58 %). Im Jahr 2007 führte der Arbeitskreis eine erneute Befragung deutscher Unternehmen durch. Aufgrund der Analyse der Ergebnisse berichten Obermann und Höft (2008) einen deutlichen Trend weg von ACs mit Auswahlcharakter (37 % dienten der Personalauswahl mit Schwerpunkt auf externen Bewerbern) hin zu ACs mit Entwicklungs- und Fördercharakter (35,5 % der Verfahren dienten der Potenzialanalyse, 23,5 % waren reine Entwicklungsmaßnahmen). Den gleichen Trend berichten Lievens und Thornton (2005) für den amerikanischen Markt: Die Mehrzahl der AC-Anwendungen in Wirtschaftsunternehmen erfolge mit dem Ziel der Entwicklung von Managementpersonal, das in derselben Position verbleiben soll. Das wichtigste Kriterium zur Unterscheidung verschiedener ACVerfahrensarten ist mithin die Zielsetzung, mit der sie durchgeführt werden. Folgende Ziele sollen unterschieden werden: a) Feststellen der Eignung beziehungsweise des Potenzials einer Person, also Vorhersage ihres zukünftigen Verhaltens; b) auf dieser Basis: Auswahl von Personen für einen bestimmten Zweck; c) Diagnose von Stärken und Schwächen eines Individuums oder gegebenenfalls einer ganzen Organisationseinheit im Hinblick auf bestimmte Anforderungen und/oder Dimensionen; d) daraus abgeleitet: Empfehlungen für spätere Entwicklungsmaßnahmen für das Individuum oder gegebenenfalls die ganze Organisationseinheit; 1 Mehrfachnennungen; ein erstaunlich großer Anteil an AC-Verfahren wurde gleichermaßen für interne Mitarbeiter wie für externe Bewerber eingesetzt.

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e) und schließlich als zusätzliches, mit dem »klassischen AC« ursprünglich nicht verfolgtes Ziel: Training beziehungsweise Entwicklung von Kompetenzen bereits während des Verfahrens, nicht erst nach dessen Durchführung. Für Verfahren mit unterschiedlicher Zielsetzung auch unterschiedliche Bezeichnungen einzuführen, ist nicht zuletzt deswegen sinnvoll, weil sich die Motivation der Teilnehmer, ihre Einstellung zum Verfahren, ihre Bereitschaft, sich zu öffnen und authentisch zu verhalten versus ihr Bestreben, sich möglichst »gut zu verkaufen«, ganz erheblich von der Frage abhängt, welche Folgen mit dem Verfahren verknüpft sind. Das bedeutet auch, dass eine klare und ehrliche Kommunikation der Zielsetzung nicht nur aus ethischen Gründen (s. u.), sondern auch zur Sicherstellung der Verfahrensergebnisse angezeigt ist: Das Verhalten eines Teilnehmers in einem für seine Karriere bedeutsamen Auswahl-AC ist gegebenenfalls anders zu bewerten, als jenes in einem Verfahren, das ausschließlich der Weiterentwicklung seiner Kompetenzen dient. Ein Verfahren, das hauptsächlich die genannten Zielsetzungen (a) und (b) verfolgt, wäre also in der sich in der Praxis allmählich durchsetzenden Diktion ein Auswahl-AC, ein Verfahren, das ausschließlich die Ziele (c) bis (e) erreichen will, ein DevelopmentCenter. In diesem Sinne sollen die Begriffe auch im Folgenden verwendet werden, wobei es immer einen Überschneidungsbereich für zielhybride Verfahren gibt; so kann es zum Beispiel in Einzelfällen auch angebracht sein, in einem Development-Center Potenzialaussagen zu fällen, diese sollten dann aber dazu dienen, die weitere Entwicklungsrichtung der Kandidaten und entsprechende Fördermaßnahmen festzulegen, sie sollten nicht zur Auswahl dienen. Während die Zielsetzungen (a) bis (d) ein Verfahren mit diagnostischem Schwerpunkt verlangen, ist für Zielsetzung (e) eine Lernintervention nötig: Das Verfahren enthält zusätzlich zu den diagnostischen Elementen auch Trainings- oder Informationsanteile (s. u.)2.

2 Ein Verfahren, das keinerlei diagnostische Elemente enthält, wäre nach diesem Verständnis kein Development-Center, sondern ein Training.

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2.3 Lernpotenzial-ACs Die Idee, Lerninterventionen in den diagnostischen Prozess zu integrieren, hatte bereits Guthke (1972), als er das Konzept eines Lerntests entwickelte: Zwischen zwei Testungen desselben Merkmals erfolgt eine Lerneinheit. Diagnostisch genutzt wird sowohl der absolute Testwert zum zweiten Messzeitpunkt (also nach der Lerneinheit) als auch der Differenzwert der beiden Testungen. Die hauptsächliche Zielsetzung ist hier die diagnostische: die Erfassung der Lernfähigkeit. Das Prinzip lässt sich auf die AC-Methode übertragen (Sarges, 1993; Sarges, 2001). Obermann (1994; zit. nach Obermann 2006) zum Beispiel entwickelte ein so genanntes Lernpotenzial-AC, in dem eine Rollenübung nach Feedback und Trainingseinheit wiederholt wurde. Die Teilnehmer zeigten bemerkbare und interindividuell unterschiedliche Leistungssteigerungen, die nicht von der Leistungshöhe zum Testzeitpunkt Eins (also vor der Lerneinheit) abhingen und die den Zusammenhang der ACErgebnisse mit einem externen Kriterium verbesserten. Einige methodische Probleme sind bei diesem Konzept jedoch ungelöst: Zum einen sind Veränderungsmessungen häufig wenig reliabel, da sich Reliabilitätsmängel von Vor- und Nachtest akkumulieren; zum anderen sind mit unterschiedlichen Ausgangswerten auch unterschiedliche Veränderungswahrscheinlichkeiten verbunden, die sich bei Obermann (1994; zit. nach Obermann 2006) in statistischen Deckeneffekten zeigten: Wer etwas schon annähernd perfekt beherrscht, kann kaum noch etwas dazulernen. Schuler (1996) stellt fest, dass deshalb der zweite Testwert in der Regel der bessere Indikator für Lernfähigkeit sei als der Differenzwert. Sarges und Stracke (2005) machen sich mit dem von ihnen vorgestellten Lernpotenzial-AC diese Erkenntnis zunutze, indem sie auf die erste Messung verzichten und einen Teil des Lernens bereits vor die Veranstaltung verlegen. Die Zielsetzung hier ist bereits deutlich stärker auf Entwicklung hin ausgerichtet: Man möchte »echte Lernmöglichkeiten schaffen« und rühmt die Förderung der Lernkompetenz durch die Veranstaltung. Der Begriff Lern(potenzial)-AC bezeichnet daher Mischformen aus diagnostischen ACs und Entwicklungs-DCs: Bei Obermann (1994) stehen diagnostische Ziele im Vordergrund, bei Sarges und Stracke (2005) scheinen Diagnostik und die Entwicklung von Kompetenzen etwa gleich wichtig zu sein.

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3 Variationen der AC-Methode Die aufgeführten Merkmale der AC-Methode dienen einer den klassischen Gütekriterien (Validität, Reliabilität, Objektivität) entsprechenden, seriösen Eignungsdiagnostik. Bei der Entwicklung von ACs mit starkem Selektionscharakter sollten sie ohne Kompromisse zur Anwendung kommen (siehe auch Standards des Arbeitskreises Assessment Center, 2004; Best Practice Guidelines der British Psychological Society, ohne Jahresangabe). Wird jedoch nicht Selektion, sondern Personalentwicklung angestrebt, kann es äußerst sinnvoll sein, bei der Entwicklung und Durchführung des Verfahrens von einigen dieser Prinzipien abzuweichen. Es lassen sich dann neue Varianten mit neuen Vorteilen entwickeln. Im Folgenden will ich einige Variationen diskutieren, die sich in Development-Centern gut umsetzen lassen.

3.1 Zeitpunkt, Häufigkeit und Quellen von Feedback Im Auswahl-AC erfolgt Feedback erst am Ende des Verfahrens, damit Teilnehmer in ihrem Leistungsverhalten nicht beeinflusst werden und die Standardisierung der Bedingungen für alle gewahrt bleibt. Im DC ist Standardisierung weniger erforderlich und Beeinflussung im Sinne von Lerninterventionen unter Umständen geradezu erwünscht, wenn denn das Ziel »Kompetenzentwicklung bereits im Verfahren« heißt. Entsprechend haben einige Autoren die Häufigkeit von Feedback während der DC-Verfahren und auch die Anzahl der Feedbackgeber erhöht: Feedback wird bereits direkt nach den einzelnen Übungen gegeben und manchmal zusätzlich noch abschließend nach dem gesamten Verfahren; als Feedbackgeber fungieren neben den Beobachtern auch der Moderator und die Peers, also die anderen Teilnehmer des DC, – nach dem Motto: je mehr Feedback aus je mehr unterschiedlichen Quellen, desto besser (z. B. Sarges u. Stracke, 2005; Stulle, 2006). Feedback ist jedoch nicht immer hilfreich für die Kompetenzentwicklung des Feedbackempfängers. Kluger und DeNisi (1996) haben die bis dahin etwas uneinheitliche Befundlage in einer Metaanalyse untersucht und einige Faktoren gefunden, die für die Wirksamkeit von Feedback im Rahmen von DCs relevant sind

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(siehe auch Stangel-Meseke, 2005): Feedback wirkt positiv, wenn es – die Aufmerksamkeit auf die Aufgabe lenkt und nicht auf die eigene Person, – die korrekte Aufgabenlösung vermittelt, – sich auf einfache im Vergleich zu komplexen Aufgabenstellungen bezieht, – kein Lob und keinen Tadel enthält, die möglicherweise den Selbstwert bedrohen, – individuelle Leistungsfortschritte vermittelt, – den Empfänger zu einer Zielsetzung beziehungsweise einem Verhaltensvorsatz für das nächste Mal anregt. Entsprechend sollte auch das Feedback im Rahmen eines DC gestaltet sein: Wenn es sich auf verhaltensorientierte Simulationsübungen bezieht, in denen es keine »korrekte« Lösung gibt, so sollte das als effektiv oder adäquat angesehene Verhalten beschrieben werden. Aussagen über die Person, die ihr Selbst und ihre Persönlichkeit betreffen, sind ebenso zu vermeiden wie stark wertende Aussagen; das Feedback sollte eher beschreiben. Die Rückmeldung zu komplexen Aufgabenstellungen muss gegebenenfalls – so möglich – in einzelne Bestandteile zerlegt werden, damit der Teilnehmer sie in Handlungsabsichten umsetzen kann. An dieser Stelle sei auch die Wirksamkeit von Video-Feedback problematisiert: Für viele Menschen ist es eine eher ungewohnte Erfahrung, sich auf Video selbst zu beobachten; der Fokus wird dadurch schnell auf Nebensächlichkeiten und auf personnahe Aspekte gerichtet, der Aufgabenbezug geht verloren. Ich würde daher im Rahmen von DCs auf Videoaufnahmen als Feedbackinstrument verzichten. Feedbackprozesse im Rahmen von DCs brauchen also einige gründliche Vorüberlegungen, um für die Teilnehmer nützlich zu werden: Die Feedbackgeber sollten Diagnostik-Experten und/oder im Feedback-Geben gut trainiert sein. Von einem professionellen DC-Anbieter, der als Moderator fungiert, sollte man dies erwarten; bei den beteiligten Beobachtern und gegebenenfalls den Peers muss man es sicher stellen (z. B. durch ein gründliches Feedback-Training vor Beginn des Verfahrens). Die möglichen Inhalte des Feedbacks sind vorab zu definieren: Was ist das erwünschte Verhalten in den jeweiligen Anforderungssituationen beziehungsweise die rich-

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tige Lösung? Für eine sinnvolle Zielsetzung beziehungsweise einen Verhaltensvorsatz muss eine künftige, gleiche Anforderungssituation ins Auge gefasst werden können – entweder noch während des DC oder im Alltag danach. Sind diese Bedingungen gegeben, so sind häufigere Feedbacks aus unterschiedlichen Quellen eine äußerst sinnvolle Bereicherung eines DC und eine sinnvolle Lernintervention.

3.2 Verwendung von Beurteilungsdimensionen Die AC-Methode folgt dem Multitrait-Multimethod-Ansatz: Verschiedene Traits (Eigenschaften, Kompetenzen; in der AC-Methode bezeichnet als Dimensionen) werden mit verschiedenen Methoden erfasst. Die Definition und Operationalisierung dieser Dimensionen erfordert besondere Kompetenz: Sie müssen in einer handhabbaren Anzahl (möglichst einstellig) trennscharf voneinander definiert werden und sollen alle relevanten Qualitäten, die es zur Bewältigung der identifizierten Anforderungen braucht, abbilden. Die Verwendung solcher Dimensionen, anhand derer die Stärken und Schwächen einer Person beschrieben werden können, erlaubt die Generalisierung der AC-Aussagen: Wir stellen nicht nur fest, dass ein Teilnehmer das Rollenspiel gut bewältigte, und schließen, dass er auch künftige Rollenspiele bewältigen wird, sondern wir schließen von der Bewältigung des Rollenspiels auf die Ausprägung seiner Kompetenzen (z. B. soziale Kompetenz, Führungsfähigkeit) und nehmen an, dass er diese Kompetenzen auch in ganz anderen Situationen zeigen kann. Damit weisen die AC-Ergebnisse über die im AC simulierten Situationen hinaus. Ein DC, in dem keine Eignungs- oder Potenzialaussage getroffen werden soll, braucht ein solches Über-sich-selbst-Hinausweisen unter Umständen nicht – nämlich dann, wenn nicht bestimmte Dimensionen erfasst oder trainiert werden sollen, sondern der Umgang mit bestimmten Situationen, wenn also zum Beispiel nicht die Förderung von sozialer Kompetenz und Führungsfähigkeit allgemein angestrebt wird, sondern die Verbesserung der Gesprächstechnik für schwierige Mitarbeitergespräche. Zwar muss auch in diesen Fällen das erwünschte Verhalten möglichst konkret beschrieben werden, eine Zuordnung der einzelnen Verhaltensweisen

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zu verschiedenen Dimensionen kann hingegen unterbleiben – sie bietet in diesem Fall keinen Mehrwert. Umso wichtiger ist dann allerdings die Auswahl der zu simulierenden Situationen: Es muss sich um die für den beruflichen Erfolg besonders wichtigen und kritischen Situationen handeln. Der Verzicht auf Dimensionen kann die Durchführung des Verfahrens erleichtern, weil er für Beobachter und Teilnehmer die Komplexität bei der Kommunikation von Feedback reduziert: Die Zuordnung von Verhalten zu psychologischen Konstrukten fällt erfahrungsgemäß vielen Menschen schwer (zur Problematik des »Methodenfaktors im AC« siehe z. B. Lance, Lambert, Gewin, Lievens u. Conway, 2004). Das Feedback entspricht dann stärker dem im Alltag praktizierten Feedback, bei dem man sich in der Regel auch auf Situationen und kaum auf Dimensionen bezieht. Der Nachteil hingegen ist Informationsverlust: Nachfolgende Trainingsmaßnahmen lassen sich gegebenenfalls zielgerichteter aussuchen beziehungsweise gestalten, wenn bekannt ist, aus welchen Gründen jemand mit einer Situation nicht gut zurechtkam, an welchen Fähigkeiten es ihm noch mangelt (siehe auch Rupp, Snyder, Mitchell, Gibbons u. Thornton, 2006).

3.3 Quantitative Beurteilung Die Verwendung von numerischen Beurteilungsskalen bringt in der Praxis nach den Erfahrungen, die wir bei ITB Consulting in über zwanzig Jahren AC-Durchführung machen konnten, vor allem folgende Vorteile: Die Beobachter werden angehalten, ein eindeutiges Urteil abzugeben; die Übersicht aller numerischen Beurteilungen ermöglicht eine erste schnelle Einschätzung des Stärken- und Schwächenprofils eines Teilnehmers sowie seine Einordnung im Vergleich zu anderen Kandidaten. Numerische Beurteilungen geben allerdings die eigentlich interessanten Informationen, nämlich die qualitativen Verhaltensbeobachtungen, nur höchst unzureichend wieder. Die Zahlen bergen außerdem immer die Gefahr, dass die Teilnehmer auf diese Noten »reduziert« werden – besonders problematisch dann, wenn auch noch pro Person ein Durchschnittswert über alle Dimensionen berechnet wird, was wir entschieden ablehnen. Wir verwenden numerische Beurteilungen daher stets nur als Hilfsmittel während der Beobachterkonferenz, kommuni-

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zieren die Zahlen aber nicht »nach außen«, also weder an die Teilnehmer noch an deren Vorgesetzte. Im Rahmen von DCs halten wir numerische Beurteilungen für verzichtbar (Arnold, 2002): Lernbedarf erkennt man nicht durch eine irgendwie definierte Abweichung der Note von einem Sollwert, sondern durch die qualitative Verhaltensbeobachtung, die dem vorausgeht. Und Trainingseffekte lassen sich beim Benoteten durch Notenvergabe auch eher nicht erzielen. Die Vorteile des Weglassens numerischer Beurteilungen besteht nach unseren Erfahrungen nicht nur in der Vermeidung ihrer genannten Nachteile, sondern auch in einer stärkeren Fokussierung der Beobachter auf qualitative Beobachtungen; offenbar hilft es, wenn man sich nicht »hinter den Noten verstecken kann«, Ausflüchte wie »ja, ich hab ihm eine Zwei gegeben, da muss er wohl irgendwie gut gewesen sein« sind dann nicht mehr möglich.

3.4 Gestaltung von Übungen Während bei Auswahl-ACs die einzelnen Aufgabenstellungen streng standardisiert sein sollten, um maximale Durchführungsobjektivität und damit Fairness zu garantieren, kann diese Standardisierung bei DCs, in denen keine Eignungs- oder Potenzialaussagen gemacht werden, geringer ausfallen. Damit eröffnen sich zusätzliche Möglichkeiten für die Gestaltung der Übungen. Mit Dynamisierung bezeichnet man die inhaltliche Vernetzung der einzelnen Aufgaben (Sarges, 2001): Sie können aufeinander aufbauen oder sich inhaltlich um ein bestimmtes Thema ranken (z. B.: 1. Analyse einer Unternehmensfallstudie »Dramatische Umsatzverluste in einer Region«; 2. daraus abgeleitete Präsentation von Maßnahmen; 3. Überzeugungsgespräch mit einem Kollegen, bei dem es um diese Maßnahmen geht; 4. Teamsitzung, in der ein Umsetzungsplan erarbeitet wird; 5. Mitarbeitergespräch, bei dem ein Mitarbeiter auf die Folgen dieser Maßnahmen vorbereitet werden soll). Während bei Auswahl-ACs die inhaltliche Abhängigkeit ein methodisches Problem darstellt (Fehler in der ersten Übung und entsprechende Folgefehler in den späteren Aufgaben beeinträchtigen die Qualität der Diagnose), besteht dieses Problem bei DCs dann nicht, wenn zwischen den Übungen Feedback gegeben wird und die richtige Lösung beziehungsweise das erwünschte Verhal-

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ten vermittelt wird. Die Dynamisierung bietet dann den Vorteil von größerer Realitätsnähe und Augenscheinvalidität. Wenn nicht standardisierte Diagnostik, sondern Kompetenzentwicklung im Vordergrund steht, kann die Auswahl einzelner Übungen auch deutlich flexibler erfolgen, zum Beispiel in Abhängigkeit vom Lernbedarf beziehungsweise vom Lernfortschritt, der während des DCs erkennbar wird. Stellt man zum Beispiel für einen Teilnehmer fest, dass er mit der ersten Übung, die überwiegend analytisches Denken erfordert, ausgesprochen gut zurecht kommt, aber in der zweiten Übung, die soziale Kompetenz verlangt, große Schwierigkeiten hat, so könnte man weitere Übungen mit analytischem Schwerpunkt wegfallen lassen und stattdessen mehr Übungsmöglichkeiten für die soziale Kompetenz schaffen. Eine solche Flexibilisierung von Programmen praktizieren wir in Verfahren mit einzelnen Kandidaten (Einzel-AC/-DC), in Gruppenverfahren ist die organisatorische Herausforderung deutlich größer – hier ist Flexibilisierung nur eingeschränkt möglich. Ein dynamisches und flexibles Programm

Für ein internationales Handelsunternehmen entwickelten wir das Abschlussmodul eines zweijährigen Entwicklungsprogramms für junge Führungskräfte. Die Teilnehmer lernen in mehreren mehrtägigen Modulen zuvor Techniken, Ansätze und Theorien zu Zusammenarbeit, Kommunikation, Führung und Veränderungsmanagement. In dem Abschlussmodul sollen sie die Möglichkeit erhalten, möglichst viel des Gelernten anzuwenden, zu üben und Feedback dazu zu erhalten. Der Fokus liegt hier eindeutig auf Kompetenzentwicklung; es geht nicht um die Beurteilung der Teilnehmer. Wir entwickelten ein Programm, das die genannten Kernelemente der AC-Methode – Anforderungsbezug, Verhaltensorientierung, Methodenvielfalt und Mehraugenprinzip – berücksichtigt und eine hoch dynamisierte und flexible Aufgabenstellung enthält: Die Teilnehmer arbeiten in Kleingruppen über zwei Tage hinweg zusammen und werden dabei ständig von einem ITB-Trainer sowie zeitweise von einem Mitarbeiter der unternehmensinternen Personalentwicklung begleitet. Innerhalb der Kleingruppen werden Feedbackpartner festgelegt, die sich am Ende der Veranstaltung gegenseitig Feedback geben. Die Teilnehmer lesen sich zunächst in eine komplexe Unternehmensfallstudie ein (hierfür wurde ein realer Fall aufbereitet). Die Aufgabe lautet, einen Business Plan zu entwickeln, der in der Abschlusssitzung vor den anderen Teilnehmern sowie Managern des Unternehmens zu präsentieren ist. In mehreren Sitzungen, in denen jeweils ein Teilnehmer die Führung und ein weiterer

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die Expertenrolle übernimmt, sind die notwendigen Arbeiten durchzuführen. Dabei organisieren sich die Kleingruppen selbst, verteilen Rollen und Aufgabenpakete, stimmen sich ab, präsentieren sich gegenseitig ihre individuellen Ausarbeitungen, diskutieren, fällen gemeinsam Entscheidungen etc. Zu vorher festgelegten Zeitpunkten finden Feedbacksitzungen statt: Feedbackempfänger sind jeweils die beiden Teilnehmer in der Führungsbeziehungsweise Expertenrolle sowie die Gruppe als Ganzes. Feedbackgeber sind einerseits der anwesende Trainer und der PE-Mitarbeiter sowie andererseits die Teilnehmer selbst. Darüber hinaus interveniert der Trainer immer dann, wenn es für den weiteren Fortschritt der Arbeit notwendig erscheint, gibt Tipps für die fachliche Arbeit, aber insbesondere auch für Zusammenarbeit und Führung. Nach der Abschlusssitzung, in der alle Kleingruppen ihren Business Plan präsentieren und somit Möglichkeiten des Vergleichs und der Selbsteinschätzung des erarbeiteten Ergebnisses bestehen, bieten die Trainer individuelle Feedbackgespräche an, in denen sie jedem Teilnehmer ihre über die zwei Tage hinweg zusammengefassten Beobachtungen mitteilen. Parallel finden die Feedbackgespräche der jeweiligen Feedbackpartner statt: Die Teilnehmer können hier anwenden, was sie in den vorangegangenen Modulen über das Geben von Feedback gelernt haben. Unsere bisherigen Erfahrungen mit 150 Teilnehmern zeigen, dass die Veranstaltung Lernen verschiedener Kompetenzen in verschiedenen Situationen ermöglicht: Neben der Anwendung ihrer unterschiedlichen fachlichen Expertise (und damit fachlichem Voneinanderlernen) sind insbesondere Zusammenarbeit und Führung erforderlich, sowie – bei Mängeln in diesem Bereich – ein gerüttelt Maß an Frustrationstoleranz. Rückmeldungen der Teilnehmer zu der Veranstaltung reichen von Enthusiasmus über Erstaunen bis hin zu Erschöpfung und sprechen insgesamt für ein hohes Maß an Involviertheit: Trotz des vorab bereits absolvierten Entwicklungsprogramms eröffnen sie neue Einsichten in die eigenen Stärken und Schwächen. Darüber hinaus schätzen die Teilnehmer die Möglichkeit, verschiedene Verhaltensweisen ausprobieren zu können.

3.5 Trainingseinheiten im Rahmen eines Development-Centers Das obige Praxisbeispiel macht deutlich, dass die Grenzen zwischen DC und Training fließend sein können. Dies ist zu begrüßen, weil sich dadurch vielfältige Varianten passgenau für die jeweilige Zielgruppe in der entsprechenden Organisation entwickeln lassen. Training beziehungsweise Lernen kann im Rahmen des DC vor, während und nach der Veranstaltung stattfinden:

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Vor dem DC können bereits die Lernziele an die Teilnehmer kommuniziert werden – anhand der verwendeten Dimensionen und/oder durch Beschreibung der im DC enthaltenen Aufgaben. So kann das Lernziel zum Beispiel lauten, die Führungskompetenz zu verbessern, oder es kann lauten, mit einer Reihe von spezifizierten schwierigen Situationen als Führungskraft effektiv umgehen zu können. Bei hoch motivierten Teilnehmern wird dies vermutlich schon ausreichen, um erstes selbstgesteuertes Lernen zu initiieren; sie setzen sich mit den Anforderungen auseinander, schätzen sich selbst ein, beobachten sich vielleicht selbst genauer, suchen nach erstem Feedback etc. Diesen Prozess kann man unterstützen, indem man weitere Informationen oder Instrumente zur Verfügung stellt, zum Beispiel Fragebögen zur Selbsteinschätzung, Fachliteratur, webbasierte Trainingseinheiten und ähnliches. Durch solches vorgeschaltetes Lernen wird gegebenenfalls zudem Varianz beseitigt, die auf bisherigen unterschiedlichen Graden der Beschäftigung mit einem Thema beruht: Alle Teilnehmer haben gleichermaßen die Chance, sich vorab mit dem Thema auseinanderzusetzen. Interindividuelle Unterschiede beziehungsweise individueller Lernbedarf, die im DC dann noch festgestellt werden, resultieren nicht aus unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zu betreffender Information – sie sind substanzieller, die diagnostische Aussage über die betreffenden Stärken und Schwächen ist somit valider. Während des DCs können zusätzlich zu den Aufgabenstellungen praktische Trainingseinheiten durchgeführt oder theoretischer Input gegeben werden – entweder explizit getrennt von den diagnostischen Elementen (z. B. kurze Trainingsequenzen zum Führen eines Mitarbeitergesprächs, anschließend Diagnostik anhand eines Rollenspiels, in dem ein Mitarbeitergespräch simuliert wird) oder in diese integriert (z. B. Vorgabe von umfangreichen Unterlagen zu einem wichtigen, das Unternehmen betreffenden Thema mit der Aufgabe, darüber eine Präsentation zu halten; die Lektüre führt zu Wissenserwerb, die Präsentation ermöglicht Diagnostik). Dadurch wird unter Umständen die Beobachtung von Lernfähigkeit möglich (zu den damit verbundenen methodischen Problemen siehe oben), und natürlich das genuine Ziel Lernen verfolgt. Dass nach dem DC Training und Lernen stattfinden müssen, erscheint beinahe trivial; dies ist ja auch bei den »klassischen« ACs üblicherweise mitgedacht. Die Qualität eines DCs bemisst sich jedoch in besonderer Weise an der Qualität des Entwicklungsplans,

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der für die Teilnehmer resultiert: Er sollte differenziert auf die gewonnenen Beobachtungen und Ergebnisse eingehen und individuelle, passgenaue Maßnahmen vorschlagen. Findet sich in solchen Plänen nur eine Auswahl des im Unternehmen verfügbaren Seminarangebots, ist das kein Ausweis besonderer Qualität. Kenntnis der vielen möglichen Entwicklungsmaßnahmen ist für die Erstellung eines guten Entwicklungsplans die wesentliche Voraussetzung – von der Empfehlung des richtigen Buchs zum Selbststudium über externe Seminare bis hin zu den in der Regel noch viel wichtigeren Maßnahmen on the job. Dabei sollte auch auf die Weiterentwicklung von Stärken geachtet und nicht nur auf die festgestellten Schwächen des Teilnehmers fokussiert werden – für manche Person ist es viel effizienter, ihre Stärken weiter auszubauen, um mit diesen bekannte Schwächen kompensieren zu können, als an der Behebung von Schwächen zu arbeiten. Da das aber nicht für alle denkbaren Kompetenzprofile gilt – nicht alle Kompetenzen sind gleichermaßen gut kompensierbar –, ist auch hier die Mithilfe von Experten angezeigt. Maßgeschneidertes Gruppentraining nach einem Development-Center

Für einen multinationalen Konzern führen wir regelmäßig DevelopmentCenter mit international zusammengesetzten Gruppen von oberen Führungskräften durch. Nach einer Reihe von DCs zeigten sich bei vielen Teilnehmern wiederholt die selben Themen als Entwicklungsfelder – wenig überraschend waren dies einige der Themen, die zur Zeit auf der Agenda des Unternehmens stehen. Da das Unternehmen für diese hochrangige Gruppe von Führungskräften ein besonders passgenaues Training wünschte, wurden wir gebeten, aufgrund unserer Kenntnisse der Teilnehmer und ihrer Entwicklungsfelder aus dem DC ein solches Training zu entwickeln. Ausgangspunkt für die Trainingskonzeption waren die Entwicklungspläne der Teilnehmer, die wir im Rahmen des DC geschrieben hatten. Für die drei Themenbereiche Interkulturelle Kooperation, Komplexitätsmanagement und Veränderungsmanagement entwickelten wir je ein Programm, das auf das Geschäft des Unternehmens zugeschnitten ist und vor jeder Durchführung an die ermittelten Lernbedürfnisse der Teilnehmer angepasst wird. Eingeladen werden jeweils alle Teilnehmer des Development-Centers, nicht nur jene, bei denen Schwächen in den entsprechenden Kompetenzen festgestellt wurden. Bei der Anpassung des Programms an die somit sehr heterogenen Teilnehmergruppen berücksichtigen wir die besonderen Stärken der Teilnehmer ebenso wie mögliche Schwächen und schaffen entsprechend unterschiedliche Gelegenheiten

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zum Erfahrungsaustausch, zum Üben und zum Erwerb von theoretischem Wissen. Zusätzlich erhalten die Teilnehmer von uns sowie von ihren Peers Feedback, das sie direkt in Bezug zu dem im DC erhaltenen Feedback setzen können. Die Erfahrungen aus vier Jahren der Durchführung dieser Trainings zeigen, dass insbesondere die gute Vorkenntnis der Teilnehmer aus dem DC sowie die langjährige Erfahrung mit dem Unternehmen zu einem maßgeschneiderten Training geführt haben, das Teilnehmer wie Unternehmen zu schätzen wissen.

3.6 Entstehung des Ergebnisberichts/Entwicklungsplans: Informationsquellen und Autorenschaft Im klassischen AC mit Auswahlcharakter steht die Erstellung des Ergebnisberichts am Ende des Verfahrens: Nach der Integration aller Beobachtungen in der Beobachterkonferenz wird der Bericht angefertigt, Informationsquelle sind ausschließlich die Beobachter. Im weniger standardisierten DC sind auch hier Varianten möglich. Zunächst können und sollten weitere Informationsquellen mit einbezogen werden, und zwar in jedem Fall der Teilnehmer selbst: Seine Selbstsicht und seine Entwicklungswünsche sollten bekannt sein und berücksichtigt werden, anderenfalls sinkt die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen erheblich. Zusätzlich können auch alle Personen des Arbeitsumfeldes als Informationsquellen dienen: Abhängig von Praktikabilität und erwartbarem Informationsgewinn können Fremdeinschätzungen bis hin zur vollständigen 360°-Analyse durchgeführt und mit den DCErgebnissen zusammengeführt werden. Als dritte Informationsquelle stehen schließlich noch die anderen Teilnehmer des DC zur Verfügung. Da Peer-Ratings in der Regel eine hohe Validität aufweisen, Kollegen also sehr gut in der Lage sind, sich gegenseitig zu beurteilen (Weuster, 2008), und bei einem DC ohne Selektionscharakter auch keine starken Verzerrungen durch Wettbewerb oder gegenseitige Schonung zu erwarten sind, stellen die Peers eine durchaus gute Informationsquelle dar: Ihre Einschätzungen können auch berücksichtigt werden. Während im klassischen Auswahl-AC das Integrieren aller Informationen und das Verfassen des Berichts in der Regel in der Hoheit der Beobachter und Moderatoren liegt, kann und sollte bei einem DC durchaus auch der Teilnehmer selbst in die Verantwortung genommen werden. Er kann zum Beispiel in dem ihn be-

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treffenden Abschnitt der Beobachterkonferenz anwesend sein und kann auch selbst Protokoll führen über die diskutierten Ergebnisse. Je nach Größe und Zusammensetzung des Beobachtergremiums kann dies aber auch eine belastende Situation werden, so dass eine vorherige genaue Planung der Sitzung und professionelle Moderation unabdingbar sind. Bei der Durchführung von Zwischenfeedbacks nach einzelnen Übungen ist der Teilnehmer noch deutlicher in der Pflicht, die erhaltenen Rückmeldungen selbst zu protokollieren. Wenn das DC so gestaltet wird, dass alle Rückmeldungen aus allen Quellen nach und nach erfolgen, so wird in der abschließenden Konferenz keine neue Information mehr berichtet, sondern die vom Teilnehmer bereits protokollierten Informationen werden mit ihm besprochen, verdichtet und Maßnahmen abgeleitet. Dazu ist unter Umständen keine vollständige Beobachterkonferenz mehr nötig, eine solche Besprechung kann auch im kleineren Kreis erfolgen.

4 Unverzichtbare Qualitätsstandards Auch neue Varianten der AC-Methode müssen einige unabdingbare Qualitätsstandards einhalten, die in drei Abschnitten kurz angerissen seien.

4.1 Methodisches Handwerk Eine saubere Auftragsklärung (welche Zielsetzung wird verfolgt?) muss am Anfang der Entwicklung eines jeden AC- und DC-Verfahrens stehen. Dabei sind Zielkonflikte zu beachten: Eine scharfe Selektion von Personen wird sich mit dem Ziel von entspanntem, exploratorischem Lernen nicht in derselben Veranstaltung verwirklichen lassen. Zielhybride Verfahren bergen immer die Gefahr, dass am Ende keines der Ziele erreicht wird. Die Qualität der Anforderungsanalyse und die Umsetzung ihrer Ergebnisse bestimmen maßgeblich die inhaltliche Validität des Verfahrens. Die bisherige Forschung zur AC-Methodik hat wiederholt gezeigt, dass gut konstruierte ACs eine gute Kriteriumsvalidität aufweisen (Lievens u. Thornton III, 2005), dass aber ihre

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Konstruktvalidität zu wünschen übrig lässt. Dasselbe Muster ist für Development-Center zu erwarten, insoweit sie diagnostische Verfahren darstellen. Development-Center mit einem Schwerpunkt auf Training und Entwicklung müssen jedoch auch als Trainingsintervention validiert werden (Lievens u. Thornton III, 2005; Rupp et al., 2006): Sie sollen einen nachweislichen Lerneffekt bewirken, und sie sollen das trainieren, was sie zu trainieren vorgeben. Dabei wird die Trainingsvalidität auch von der diagnostischen Validität abhängen: Nur wenn das verabreichte Feedback auf einer validen Diagnose beruht, wird es für die Entwicklung von Kompetenzen hilfreich sein (Rupp et al., 2006). In der Praxis lässt sich die inhaltliche Validität eines DC als diagnostisches Instrument durch die saubere und regelgerechte Konstruktion des Verfahrens sicherstellen. Die Kriteriumsvalidität des DC lässt sich durch Vergleiche mit Außenkriterien, wie zum Beispiel Fremdeinschätzungen der DC-Teilnehmer hinsichtlich der erfassten Dimensionen, überprüfen. Je stärker mit dem DC Kompetenzentwicklung und somit Verhaltensänderungen verwirklicht werden – je höher also die Validität als Trainingsinstrument ausfällt –, desto geringer sollte die klassische prädiktive Validität des DC als diagnostisches Instrument sein, denn das, was das DC gerade gemessen hat, hat es im besten Falle ja auch gleich positiv verändert. Bei der Validierung des DC als Trainingsinstrument sind die Erkenntnisse der Evaluationsforschung hilfreich. Für die Auswahl von Kriterien für die Überprüfung von Trainingserfolg wird häufig die Taxonomie von Kirkpatrick (1976) herangezogen (Rupp et al., 2006; Schuler et al., 1993). Er unterscheidet vier Kriterienklassen: 1. Reaktion – umfasst die subjektiven Bewertungen des Trainings durch die Teilnehmer, erfassbar zum Beispiel durch Fragebögen; 2. Lernen – bezeichnet den im Training zu beobachtenden Lernfortschritt, zum Beispiel erkennbar an der Reduktion von Fehlern während des Trainings, beobachtbaren Verhaltensänderungen etc.; 3. Verhalten – bezieht sich auf den Transfer des Gelernten in den Arbeitsalltag, zum Beispiel erfassbar durch Vorgesetzteneinschätzungen zu einem späteren Zeitpunkt;

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4. Resultate – bezeichnet die Auswirkungen auf die Ziele und Ergebnisse der Organisation als Ganzes, also zum Beispiel Prozessverbesserungen, Effizienzsteigerung, Fehlerreduktion etc. Wenngleich Verhaltens- und Resultatskriterien die eigentlich relevanten Kriterien sind, werden sie in Evaluationen deutlich seltener einbezogen als die anderen Kriterienklassen – sowohl der hohe Aufwand als auch die Schwierigkeit, diese Größen direkt mit dem Training in Verbindung zu bringen, dürften dafür ausschlaggebend sein. Genau diese Kriterien werden es jedoch sein, die auch für die Beurteilung eines DC als Personalentwicklungsmaßnahme entscheidend sind. In der Praxis wird man zur Abschätzung dieser Kriterien jene aus den Klassen 1 und 2 heranziehen, die deutlich leichter zu erheben sind.

4.2 Ethische Prinzipien Für DCs müssen dieselben ethischen Prinzipien gelten wie für alle anderen Verfahren der Personalbeurteilung und -entwicklung: Volle Transparenz gegenüber den Teilnehmern über Zielsetzung, Methode und Ablauf des Verfahrens sowie über ihre eigenen Ergebnisse und sich daraus ergebende Folgen muss hergestellt werden. Die Teilnehmer haben das Recht auf einen respektvollen und wertschätzenden Umgang, der unrealistische Anforderungen und das Applizieren von zusätzlichem künstlichem und unnötigem Stress ausschließt. Der klare Anforderungsbezug muss gegeben sein und damit die vollständige Vermeidung von jeglichem »Psycho-Hokus-Pokus« – auch unter dem Deckmantel von Innovativität und Entwicklung dürfen keine fragwürdigen Persönlichkeitstests oder in irgendeiner Weise die Würde oder die Privatsphäre der Teilnehmer tangierenden Verfahren zum Einsatz kommen.

4.3 Systematische Einbettung in die Personalentwicklung Forschungsergebnisse sowie praktische Beobachtungen legen nahe, dass die Teilnahme an einem AC oder DC für die Teilnehmer zwar ein eindrückliches Erlebnis ist, dass aber das Verfahren allein nur

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wenig nachhaltige Kompetenzentwicklung mit sich bringt (Jones u. Whitmore, 1995; Bernthal, Cook u. Smith, 2001). Langfristige Entwicklung ist nur dann zu erreichen, wenn das Verfahren eingebettet ist in ein System weiterer abgestimmter Maßnahmen. Dazu gehört, dass die Nominierung der Kandidaten nach sinnvollen Kriterien vorgenommen wird: Für welche Zielgruppe, für welche Individuen aus dieser Zielgruppe ist das Verfahren gedacht? Welche Voraussetzungen müssen sie erfüllen, um von dem Verfahren profitieren zu können? Wie müssen sie sich vorbereiten? Dazu gehört auch, dass alle Beteiligten den Stellenwert des Verfahrens und seine möglichen Konsequenzen kennen, damit im Verfahren verantwortungsbewusst Informationen erhoben und Entscheidungen gefällt werden können. Und schließlich gehört dazu, dass anschließende Entwicklungsmaßnahmen durchgeführt werden können, dass es die nötigen Ressourcen gibt und das nötige Commitment der Entscheidungsträger besteht. Es liegt in der Verantwortung der ein DC organisierenden Stellen, diese Einbettung sicherzustellen. Gelingt sie und wird das DC nach den skizzierten Regeln der Kunst entwickelt und angewandt, so ist es ein äußerst effektives Verfahren, mit dem sich vielfältige Ziele der Personalentwicklung erreichen lassen.

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Anke Terörde

Assessment-Center im internationalen Kontext – Welche Rolle spielt »Kultur«?

1 Kultur und Assessment-Center – Einige Kernfragen Die Auswirkungen der Globalisierung auf die Arbeitswelt sind heute unübersehbar: Ein multinationaler Konzern entsendet eine deutsche Führungskraft für einen Auslandseinsatz nach China, ein indischer IT-Spezialist diskutiert im Rahmen einer Videokonferenz mit seinen amerikanischen Kollegen eine neue Software-Idee, und eine Projektgruppe mit Teilnehmern aus Russland, Frankreich und Brasilien trifft sich zu einem Meeting in London, um eine weltweite Marketing-Strategie zu entwickeln. Eine solche Internationalisierung der Zusammenarbeit ist dabei längst nicht nur in global agierenden Unternehmen zu beobachten, sondern findet sich auch in den zunehmend multinationalen Belegschaften in Deutschland. Die Internationalisierung der Unternehmen stellt die Eignungsdiagnostik vor besondere Herausforderungen: Anhand welcher Kriterien und Verfahren können Mitarbeiter ausgewählt werden, die in einem internationalen Umfeld tätig sein sollen? Können in einem weltweit agierenden Unternehmen länderübergreifend die gleichen, standardisierten Verfahren eingesetzt werden? Oder ist eine kulturspezifische Anpassung nötig? Was ist bei der Konzipierung eines Assessment-Centers mit Bewerbern und Beobachtern aus unterschiedlichen Ländern zu beachten? Was ist zu berücksichtigen, wenn ein Assessment-Center in einer Fremdsprache durchgeführt wird? Alle diese Fragestellungen tangieren – in der einen oder anderen Weise – die Kernfrage, welche Bedeutung Kultur im Rahmen von Assessment-Center-Verfahren zukommt. Der vorliegende Beitrag möchte diesen Zusammenhang näher beleuchten, wobei auf solche Verfahren eingegangen werden wird, bei denen der Faktor Kultur am deutlichsten zum tragen kommt, nämlich bei Assessment-Centern im internationalen Kontext.

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Angesichts der Tatsache, dass der Bedarf an internationalen Assessment-Centern in den letzten Jahrzehnten aufgrund der Internationalisierung der Arbeitswelt stetig gewachsen ist, (Lievens u. Thornton III, 2005), erstaunt es, dass es zu diesem Thema noch vergleichsweise wenig Forschung gibt (vgl. Sarges, 2001). Im Folgenden soll zunächst ein Überblick darüber gegeben werden, welche Formen von Assessment-Centern im internationalen Kontext unterschieden werden können. Ausgehend davon werden dann einige »kulturelle Knackpunkte« dargestellt und diskutiert, welche sich für die einzelnen Verfahren jeweils ergeben, und Handlungsempfehlungen zur Planung und Durchführung von Assessment-Centern im internationalen Kontext gegeben.

2 Assessment-Center im internationalen Kontext – Welche »Spielarten« gibt es? In der Praxis werden Begriffe wie interkulturelle Eignungsdiagnostik, internationales Assessment-Center, interkulturelles AssessmentCenter, internationale Potenzialanalyse und kulturspezifisches Assessment-Center oftmals synonym verwendet beziehungsweise gar nicht näher erläutert. Möchte man diese Begriffsvielfalt systematisieren, so lassen sich ausgehend von der Forschungsliteratur verschiedene nachfolgend beschriebene Definitionen und Themenfelder ausmachen.

2.1 Assessment-Center für Expatriates Mit dem Begriff Expatriates werden in der Regel Mitarbeiter multinationaler Unternehmen bezeichnet, die für einige Jahre, meist begleitet von ihren Partnern beziehungsweise Familien, in eine Tochter- oder Partnerfirma im Ausland versetzt werden (Moosmüller, 2005). Die interkulturelle Eignungsdiagnostik (Deller u. Albrecht, 2007) beschäftigt sich in erster Linie mit der Auswahl solcher Expatriates. Dabei wird unter anderem untersucht, anhand welcher Faktoren eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit im Ausland vorhergesagt werden kann (Mol, Born, Willemsen u. van der Molen, 2005) und welche eignungsdiagnostischen Verfahren sich zur Vorhersage

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eignen. Hier werden Interviews, Tests und Fragebögen ebenso in den Blick genommen wie Assessment-Center-Verfahren (Lievens, 2007). Letztere sollen im Folgenden als Assessment-Center für Expatriates bezeichnet werden. In der Forschung zeichnet sich ein Trend ab, die kulturübergreifende Eignungsdiagnostik, die nach einer allgemeinen Auslandseignung fragt, um eine »kulturspezifische Eignungsdiagnostik, die auf spezifische Anforderungen einer Kultur eingeht« (Deller 1996, S. 310), zu erweitern. Verbunden ist dies mit der Frage, ob es Mitarbeiter gibt, die aufgrund ihrer allgemeinen interkulturellen Kompetenz in jedem Land der Welt erfolgreich arbeiten könnten, oder ob Personen aufgrund persönlicher Präferenzen, Charaktereigenschaften und Vorerfahrungen zum Beispiel für Tätigkeiten in Asien besser geeignet sind als für Aufgaben in Afrika. Für eine ausführliche Darstellung der für die Auswahl von Auslandsmitarbeitern relevanten Diagnostik interkultureller Kompetenz sei auf den Beitrag von Trost in diesem Band verwiesen. Mit Blick auf Assessment-Center für Expatriates kann unterschieden werden, ob diese kulturspezifisch oder kulturunspezifisch konstruiert sind. Bei einem kulturspezifischen Verfahren wird ein Anforderungsprofil für die Arbeit in einem bestimmten Land erstellt, und die Übungen werden in einen Kontext eingebettet, welcher der Realität des jeweiligen Kulturkreises entspricht. Insofern kommt dem Thema Kultur hier explizit eine wichtige Bedeutung zu. Solche kulturspezifischen Assessment-Center eignen sich besonders zur Platzierung eines Kandidaten für eine zuvor klar definierte Tätigkeit in einem bestimmten Land (Kinast, 2003). Kulturunspezifische Verfahren sind hingegen nicht auf ein bestimmtes Land zugeschnitten und haben den Zweck, die generelle Eignung für eine Auslandstätigkeit – unabhängig davon, in welchen Kulturkreis ein Expatriate entsandt wird – zu erfassen.

2.2 Internationale Assessment-Center Assessment-Center können zudem international angelegt sein, das heißt für Manager, die in einem internationalen Kontext arbeiten werden. Solche internationalen Assessment-Center werden zumeist dann durchgeführt, wenn im Rahmen geozentrischer Un-

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ternehmensstrategien eine Integration der weltweiten Unternehmenstätigkeit angestrebt wird und global agierende Manager aus unterschiedlichen Herkunftskulturen mit einem einheitlichen Verfahren erfasst werden sollen (Stumpf, 2006). Einem solchen Instrument liegt ein für alle Teilnehmer gleiches Anforderungsprofil zugrunde, unabhängig von ihrer Herkunft und vom zukünftigen Einsatzland. In internationalen Assessment-Centern spielt Kultur eher implizit eine Rolle. Es werden allgemeine ManagementKompetenzen fachlicher, sozialer und strategischer Natur untersucht, die Diagnostik interkultureller Kompetenz ist nur ein Aspekt neben anderen (Kinast, 2003). Bei internationalen Assessment-Centern steht die Frage nach Chancengleichheit im Vordergrund, das heißt, dass Teilnehmer nicht aufgrund ihrer kulturellen Zugehörigkeit benachteiligt beziehungsweise bevorzugt werden.

2.3 Konzernweite Assessment-Center Neben den genannten Verfahren gibt es noch eine weitere Gruppe von Assessment-Centern, in denen der Faktor Kultur eine Rolle spielt: Assessment-Center, die unter fremdkulturellen Bedingungen eingesetzt werden. Dieser Fall tritt beispielsweise ein, wenn ein in der Konzernzentrale bewährtes Assessment-Center-Verfahren auch in Auslandsniederlassungen »exportiert« werden soll. Anhand eines solchen Verfahrens werden zumeist Mitarbeiter aus dem jeweiligen Zielland ausgewählt, die primär lokal tätig sein sollen. Für länderübergreifend eingesetzte Verfahren stellte sich vor allem die Frage nach einer angemessenen Balance zwischen konzernweiter Standardisierung und kulturspezifischer Anpassung.

2.4 Interkulturelle Assessment-Center Schließlich findet man in der Literatur auch den Begriff interkulturelles Assessment-Center (Bolten, 2001). In der Regel wird das Attribut interkulturell ergänzt, wenn hervorgehoben werden soll, dass Assessment-Center-Kandidaten und/oder Beobachter aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen, ein Verfahren in unter-

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schiedlichen Ländern zur Anwendung kommt oder die interkulturelle Handlungskompetenz als Gegenstand der Diagnose im Vordergrund steht. Interkulturelles Assessment-Center kann insofern als ein Oberbegriff für alle zuvor genannten Verfahren angesehen werden. Welche Konsequenzen ergeben sich nun für die Praxis aus den skizzierten unterschiedlichen »Spielarten« von Assessment-CenterVerfahren im internationalen Kontext? Für Personalverantwortliche und Eignungsdiagnostiker erscheint weniger eine eindeutige definitorische Abgrenzung relevant, als die Notwendigkeit, im Vorfeld bei allen Beteiligten ein einheitliches Verständnis darüber zu erzielen, welche Art von Assessment-Center konzipiert werden soll und welche Rolle Kultur dabei spielt beziehungsweise spielen könnte.

3 Der Begriff der Kultur und welche Konsequenzen birgt dieser für die Eignungsdiagnostik? Der scheinbar selbstverständliche Begriff der Kultur ist erläuterungsbedürftig. Im Alltags-Sprachgebrauch wird Kultur zumeist gleichgesetzt mit der Zugehörigkeit zu einer Nation oder zu einem Land. Problematisch ist an einer solchen Definition jedoch, dass sie impliziert, die jeweilige kulturelle Prägung ergäbe sich direkt aus der Nationalität beziehungsweise dem Herkunftsland einer Person. Die Gleichung Land = Kultur wird heute jedoch weder der sozialen Wirklichkeit gerecht noch unterstützt die kulturwissenschaftliche Forschung eine solche Gleichsetzung. Über eine rein länderbezogene Kulturdefinition geht beispielsweise Thomas’ (1996) Theorie der so genannten Kulturstandards hinaus. Thomas beschreibt Kultur als ein Orientierungssystem, welches für eine Nation, Gesellschaft, Organisation oder Gruppe typisch ist, und aus spezifischen Symbolen (wie Sprache, Gestik, Mimik, Kleidung, Begrüßungsrituale) gebildet wird. Im Rahmen dieses Orientierungssystems sind Kulturstandards »Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich und andere als normal, typisch und verbindlich angesehen werden« (Thomas, 2003, S. 25). Eigenes und fremdes Verhalten wird auf der Basis von

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Kulturstandards1 und spezifischen gesellschaftlichen Spielregeln reguliert und beurteilt. Hierbei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass Kulturen keine »monolithischen Blöcke« sind, sondern sich in einer Gesellschaft immer kleinere und größere Abweichungen von der Norm und dem Typischen zeigen (Stumpf, 2006). In der Wissenschaft wird der Kulturbegriff an ein zugrunde liegendes Sinn- und Bedeutungssystem geknüpft, so dass der Begriff auch auf unterschiedliche Kollektive übertragen werden kann. So wird beispielsweise von Kulturen innerhalb bestimmter Berufsgruppen (Manager-Kultur), Organisationen (Unternehmenskultur, Organisationskultur; siehe Neubauer, 2003) oder bei Mitgliedern unterschiedlicher Generationen (Jugendkultur, Alterskultur) gesprochen. Entsprechend kann es heute nicht als »Normalfall« angesehen werden, dass Menschen in einem monokulturellen Umfeld aufwachsen; vielmehr gehören sie oftmals mehreren Kulturen oder Subkulturen gleichzeitig an (Straub, 2003). Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus einem solchen – recht theoretischen – Kulturbegriff für Personalverantwortliche und Assessment-Center-Konstrukteure? Zunächst einmal besteht eine Herausforderung darin, die scheinbar selbstverständliche Gleichsetzung von Nationalität mit kultureller Zugehörigkeit zu hinterfragen und das Verfallen in Klischees und Stereotype zu vermeiden. Führt man beispielsweise ein Assessment-Center in China mit chinesischen Teilnehmern durch, so sollte man sich bewusst machen, dass es die chinesische Kultur nicht gibt. Es sind Fragen zu berücksichtigen wie: Von welcher Unternehmenskultur sind die Teilnehmer beeinflusst? Sind die Bewerber vielleicht überwiegend im Ausland ausgebildet worden und dadurch möglicherweise westlich geprägt? Arbeiten die Bewerber in einem Unternehmen in der Weltmetropole Shanghai oder kommen sie aus der chinesischen Provinz? Verständlicherweise ist es – allein schon aus praktischen Erwägungen – nicht möglich, bei der Konzipierung und Durchführung eines eignungsdiagnostischen Verfahrens alle genannten 1 Thomas nennt zum Beispiel sieben deutsche Kulturstandards (Thomas, 2003, S. 26): 1. Sachorientierung, 2. Regelorientierung (Wertschätzung von Strukturen und Regeln), 3. Direktheit/Wahrhaftigkeit (es gibt ein Ja oder Nein, der direkte Weg ist immer der effektivste), 4. Interpersonale Distanzdifferenzierung (nicht ungefragt in Angelegenheiten anderer einmischen), 5. Internalisierte Kontrolle, 6. Zeitplanung (keine Zeit vergeuden, genaue Planung), 7. Trennung von Persönlichkeits- und anderen Lebensbereichen.

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Facetten der kulturellen Zugehörigkeit zu berücksichtigen. Es ist jedoch bereits viel gewonnen, wenn Personalverantwortliche wie auch Diagnostiker ein geschärftes Bewusstsein dafür haben, dass Kulturmodelle, welche Kultur primär an Ländergrenzen und geografischen Distanzen festmachen, zu kurz greifen und zu Fehleinschätzungen führen können. Dass zwischen Assessment-Center-Teilnehmern aus verschiedenen Kulturkreisen nicht zwangsläufig große Unterschiede bestehen müssen, illustriert ein Beispiel aus der Praxis der ITB Consulting (siehe hierzu Trost, 2002). Für einen global agierenden Automobilhersteller wurde ein Auswahlverfahren für internationale Nachwuchsführungskräfte konzipiert und durchgeführt. Hier nahmen über die Jahre hinweg über 1000 Bewerber aus China, Russland und den USA teil. Angesichts der kulturellen Distanz dieser Länder würde man erwarten, dass sich auch die Teilnehmer in ihrem Verhalten und ihren Einstellungen massiv voneinander unterschieden hätten. Es zeigte sich jedoch, dass diese spezifische Gruppe von Nachwuchsführungskräften bezüglich der Kernkompetenzen, auf die es bei der Auswahl ankam, insgesamt sehr homogen war. Ein Grund hierfür mag sein, dass internationale Nachwuchsführungskräfte oftmals von den besten Hochschulen der jeweiligen Länder kommen und überwiegend ähnlich aufgebaute – zumeist westliche geprägte – Ausbildungsgänge durchlaufen haben, die auf eine Führungsposition in der Wirtschaft vorbereiten. Es kann demzufolge sein, dass sich Teilnehmer an Auswahlseminaren in Peking, Singapur, Moskau, Warschau und Boston – die allein aufgrund der geografischen Entfernung zunächst kulturell sehr distant erscheinen mögen – weniger unterscheiden als sich beispielsweise die deutschen Teilnehmer an einem Auswahlseminar in Stuttgart von der Gesamtheit der deutschen Hochschulabsolventen unterscheiden (Trost, 2002). Dieses Beispiel soll natürlich nicht zu dem Umkehrschluss führen, kulturelle Differenzen könnten ignoriert werden. Es soll vielmehr zeigen, wie wichtig es ist, die jeweilige Zielgruppe, für die ein Assessment-Center konstruiert wird, genau in den Blick zu nehmen. Ausgehend von der Idee eines erweiterten Kulturbegriffs ist abschließend auf einen kulturellen Aspekt hinzuweisen, welcher in Zukunft für die Eignungsdiagnostik im internationalen Kontext – voraussichtlich – an Bedeutung gewinnen wird: Die Diagnostik der Passung eines Bewerbers zur Unternehmenskultur. Eine zuneh-

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mend internationale Ausrichtung von Unternehmen geht zumeist mit dem Bestreben einher, einheitliche Unternehmenswerte und -leitlinien zu definieren. In manchen Fällen mögen die Prozesse in Unternehmen inzwischen sogar derart standardisiert und die unternehmenseigene Kultur so stark ausgeprägt sein, dass demgegenüber Unterschiede der Landeskultur in den Hintergrund treten (Wunderer u. Dick, 2007). Die Entwicklung eines eignungsdiagnostischen Verfahrens zur Feststellung der Passung zur Unternehmenskultur ist dabei im doppelten Sinne herausfordernd: Zunächst gilt es die Unternehmenskultur zu erfassen – quasi zu »diagnostizieren« – und dann die dazugehörigen Anforderungskriterien auf der Ebene des individuellen Mitarbeiters zu bestimmen. Im Folgenden sollen nun Fragen diskutiert werden, welche für die verschiedenen »Spielarten« von Assessment-Centern im internationalen Kontext jeweils zentral sind.

4 Assessment-Center für Expatriates – Welche Anforderungen werden an Expatriates gestellt und wie lassen sich diese erfassen? In einem Assessment-Center für Expatriates soll der Erfolg in der Auslandstätigkeit vorhersagt werden, welcher – neben kulturellen Aspekten – von verschiedenen Faktoren bestimmt wird. Dieses komplexe Wirkungsgefüge wird nachfolgend näher betrachtet. Es steht außer Frage, dass eine solide Eignungsdiagnostik eine profunde Analyse der konkreten Arbeitsanforderungen voraussetzt (siehe hierzu z. B. die Qualitätsstandards des Arbeitskreises Assessment Center, 2004). Das Ergebnis einer solchen Anforderungsanalyse ist ein spezifisches Anforderungsprofil, in dem die erfolgsrelevanten Kompetenzen dargestellt werden. Zudem dient die Anforderungsanalyse der Erfassung typischer, eignungsrelevanter Arbeitssituationen. Die so gesammelten Informationen liefern die Grundlage für die Konstruktion der Assessment-Center-Übungen. Um ein Assessment-Center-Verfahren für Expatriates zu entwickeln, müssen entsprechend im Vorfeld zentrale Erfolgsfaktoren für eine Auslandsentsendung identifiziert werden (einen Überblick geben Deller u. Albrecht, 2007). In der Forschung hat sich mittlerweile zum größten Teil eine interaktionistische Sichtweise durchge-

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setzt (Stahl, 1995), die davon ausgeht, dass sich bestimmte Umweltfaktoren und Persönlichkeitsmerkmale wechselseitig beeinflussen und in ihrer Kombination zum Erfolg beziehungsweise Misserfolg einer Auslandsentsendung beitragen. Als wichtigste Faktoren wären zu nennen (Reisch, 2003): – die Anforderungen der Auslandstätigkeit (Aufgaben, Funktion, Position), – die konkreten soziokulturellen Umfeldbedingungen im Gastland (Mentalität, Lebens- und Arbeitsbedingungen), – familiäre Voraussetzungen und familiäre Stabilität sowie – die Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensdispositionen des Mitarbeiters. Welche Konsequenzen ergeben sich aus den genannten Faktoren für die Konzipierung von Assessment-Center-Verfahren für Expatriates? Zunächst einmal sollten verständlicherweise die konkreten Anforderungen der Auslandsposition in den AssessmentCenter-Übungen ihren Niederschlag finden. Geht es beispielsweise um die Einstellung eines Projektmanagers für Russland, so sollten im Verfahren Übungen enthalten sein, die typische und kritische Arbeitssituationen eines Projektmanagers simulieren und anhand derer »Projektmanagement-Skills« erfasst werden können. Soll der Projektmanager auch Führungsaufgaben übernehmen, so bietet sich zum Beispiel die Simulation von Mitarbeitergesprächen oder Projektsitzungen an. Die an zweiter Stelle genannten soziokulturellen Umfeldbedingungen können bei der Konstruktion von Übungen insofern berücksichtigt werden, als diese jeweils in einen länderspezifischen Kontext eingebettet werden. In diesem Zusammenhang sollte regelmäßig geprüft werden, inwiefern sich – neben den Anforderungen an die Auslandsposition – die Umfeldbedingungen im Gastland verändert haben, ob also die Anforderungskriterien der Anforderungswirklichkeit noch hinreichend entsprechen. Wer beispielsweise mit Expatriates spricht, die vor zehn Jahren in Indien gearbeitet haben und solchen, die heute dort tätig sind, weiß, wie sehr sich die Arbeits- und Lebensbedingungen im Land verändert haben. Eine Möglichkeit, in einem Assessment-Center die Sensibilität eines Kandidaten für die Veränderungen der Anforderungen an das Leben und Arbeiten in einem bestimmten Zielland zu erfassen, stellt folgende Simulation einer Beratungssituation dar: Die Teil-

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nehmer bekommen die Aufgabe, ausreisende Fach- und Führungskräfte (gespielt durch Beobachter) auf eine anstehende Tätigkeit in einem fremden Land vorzubereiten und sie über wichtige kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen zu informieren. Im Vorfeld des Assessment-Centers sollen sie entsprechende Informationen recherchieren und aufbereiten. Die Schilderungen der Teilnehmer liefern sowohl Aufschluss über deren Sensibilität für kulturelle Veränderungen als auch darüber, ob sie vorwiegend in Stereotypen und Klischees denken (»Für japanische Arbeitnehmer steht das Unternehmen vor der Familie«, »Die Chinesen arbeiten alle am liebsten in der Gruppe«) oder ein differenziertes Bild von kulturellen Zusammenhängen haben. An dritter Stelle werden die familiären Voraussetzungen als zentral für eine erfolgreiche Auslandsentsendung herausgestellt. Um »böse Überraschungen« zu vermeiden, sollte die Bereitschaft der Familie zur Ausreise bereits im Vorfeld eines Assessment-Centers geklärt werden und nicht erst im Rahmen des Verfahrens selbst. Die Bedeutung der Familie für den Erfolg einer Auslandsentsendung ist mittlerweile auch in der Praxis größtenteils erkannt worden (Bergemann u. Sourrisseaux, 2003). Die an vierter Stelle stehenden Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensdispositionen lassen sich unter die Frage subsumieren, inwiefern eine Person interkulturell kompetent ist. Empirische Befragungen zeigen, dass die Auswahl von Expatriates in internationalen Unternehmen jahrzehntelang in erster Linie nach fachlichen Kriterien erfolgte (Wirth, 1992). Dies basierte auf der Überzeugung, dass eine Führungskraft, die ihre Aufgaben im Inland mit Erfolg bewältigt, auch im internationalen Kontext erfolgreich sein wird. Diese Annahme ist jedoch so nicht haltbar, denn die Gründe für unzureichende Leistungen von Expatriates liegen in der Regel nicht in fehlender Fachkompetenz, sondern in mangelnder interkultureller Kompetenz (Deller, 1996). Insofern ist es positiv zu bewerten, dass die interkulturelle Kompetenz vermehrt Eingang findet in die Kompetenzmodelle internationaler Unternehmen und somit auch in Auswahlverfahren zum Kriterium wird. Was verbirgt sich hinter dem Begriff interkultureller Kompetenz? Zunächst einmal gib es ein Konstrukt der allgemeinen interkulturellen Kompetenz, welches die Facetten emotionale Stabilität, soziale Kompetenz, Motivation und kognitive Kompetenz umfasst (für eine ausführliche Darstellung siehe Trost in diesem Band).

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Diese Faktoren sind deshalb allgemein, weil sie »das erfolgreiche Agieren in jedwedem kulturellen Umfeld und den produktiven Umgang mit Vertretern jedweder Kultur begünstigen, weil ihnen mithin eine echte »Schlüssel«-Funktion zukommt« (siehe Trost in diesem Band). Neben der allgemeinen interkulturellen Kompetenz wird in der Forschung auch das Konzept einer kulturspezifischen interkulturellen Kompetenz diskutiert (Deller, 1996; Deller u. Albrecht, 2007). Die Frage ist, ob sich Personen an eine bestimmte Kultur leichter anpassen können als an eine andere. Dabei wird die allgemeine interkulturelle Eignung als eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Anpassung an fremde Kulturen verstanden. Für eine »gezielte Allokation«, das heißt Platzierung auf eine bestimmte Stelle in einem bestimmten Land, wird zusätzlich gefordert, jeweils die »psychische Distanz zwischen Kandidat und verschiedenen Kulturen« zu bestimmen (Bittner u. Reisch, 1994, S. 170). Umfassende empirische Studien zu der Frage, wie die Passung zwischen Expatriate und einem bestimmten Kulturkreis diagnostisch erfasst werden kann, stehen allerdings noch aus. Eigene Erfahrungen mit kulturspezifisch konstruierten Auswahlverfahren für Expatriates zeigen, dass sich Übungen anbieten, in denen so genannte »critical incidents« eingesetzt werden. Dabei handelt es sich meist um typische, interkulturelle Konfliktsituationen, die auf der Basis von Kulturstandards (z. B. Grad der Beziehungsorientierung, Umgang mit Autorität in einem Land) konstruiert werden. Die Teilnehmer bekommen die Aufgabe, die Fälle zu analysieren, zugrunde liegende kulturelle Unterschiede aufzuzeigen und Handlungsoptionen vorzuschlagen. Kulturspezifische Instrumente zur Auswahl von Expatriates werden in der Praxis allerdings vergleichsweise selten verlangt; dies hängt nicht zuletzt mit dem hohen Konstruktionsaufwand und den damit verbundenen Kosten zusammen. Die finanziellen Verluste, die durch die Entsendung eines »falschen« Mitarbeiters und einen gescheiterten Auslandseinsatz entstehen können, sind demgegenüber jedoch ungleich höher. Es erscheint daher sinnvoll, die Aussagekraft von kulturspezifischen Assessment-Centern für Expatriates in Zukunft sowohl aus wissenschaftlicher als auch praktischer Perspektive näher zu untersuchen. Eine Möglichkeit, die kulturspezifische interkulturelle Kompetenz in Assessment-Centern diagnostisch zu erfassen, ist die Simulation von Mitarbeitergesprächen oder Verhandlungen mit Vertretern aus

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dem jeweiligen Zielland. Stehen keine entsprechenden Rollenspieler zur Verfügung, können auch Fallstudien eingesetzt werden, welche sich beispielsweise auf die Regeln der Zusammenarbeit oder den Führungsstil in einem bestimmten Land beziehen. Darüber hinaus können auch Interviews zum Einsatz kommen, in denen Bewerber zum Beispiel zu ihren bisherigen Auslandserfahrungen und Präferenzen für bestimmte Kulturkreise befragt werden. Empirische Studien zeigen jedoch, dass vorausgehende Auslandserfahrung noch kein Garant für Offenheit gegenüber anderen Kulturen und eine erfolgreiche Tätigkeit im Ausland sein muss (siehe hierzu die Meta-Analyse von Mol et al., 2005). Dieser Befund ist für die Diagnostik insofern relevant, als Interviewer schnell dazu verleitet werden könnten, von vorherigen Auslandserfahrungen auf interkulturelle Sensibilität und Offenheit für andere Kulturen zu schließen.

5 Konzernweite Assessment-Center – Kulturübergreifende Standardisierung oder kulturspezifische Ausgestaltung? Eine grundsätzliche Frage, die sich viele international agierende Unternehmen in Bezug auf Personalauswahlverfahren und – entwicklungsentscheidungen stellen, ist die nach der Balance zwischen kulturspezifischer Ausgestaltung von Assessment-Centern und dem gleichzeitigen Bedarf an konzernweiter Standardisierung (vgl. Krause u. Thornton, 2007). Diese Frage ist vor allem für Assessment-Center-Verfahren bedeutsam, die unter fremdkulturellen Bedingungen durchgeführt werden, also dann, wenn ein bewährtes Verfahren von der Unternehmenszentrale in die Auslandsniederlassungen »exportiert« werden soll. Kulturspezifische Ausgestaltung eines Assessment-Centers bedeutet: – Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Kriterien für Berufserfolg in der betreffenden Kultur, – kulturspezifische Beobachtertrainings und Feedbacks, – falls nötig, kulturspezifische Auswahl oder »Einkleidung« der Übungen. Soll zum Beispiel in einem Assessment-Center mit chinesischen Kandidaten auf die Simulation eines Mitarbeitergespräch zu einem

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»Konflikt-Thema« verzichtet werden, weil durch öffentliches Kritisiertwerden die Anwesenden Gefahr laufen, »ihr Gesicht zu verlieren«? Auch mögen Anforderungsanalysen für ein und dieselbe Zielposition in unterschiedlichen Ländern zu identischen Ergebnissen geführt haben (zum Beispiel Konfliktfähigkeit als Voraussetzung für beruflichen Erfolg); allerdings kann sich die Akzeptanz eines bestimmten Konfliktverhaltens, beispielsweise in Deutschland und Indien, deutlich unterscheiden. Verfechter des Einsatzes kulturübergreifender Verfahren (Chawla u. Cronshaw, 2002) gehen hingegen davon aus, dass a) allgemeine, kulturübergreifende Eigenschaften existieren, die für effektives Arbeiten in einer Organisation unabdingbar sind, b) bestehende Diagnoseverfahren auf verschiedene Länder übertragen werden können, c) Standardisierung und Validitätssicherung die Verwendung einheitlicher Kriterien und Verfahren verlangen und d) die Anwendung einheitlicher Auswahlverfahren in verschiedenen Kulturen zu einer homogenen Organisationskultur beiträgt. Die Vor- und Nachteile einer kulturspezifischen Anpassung beziehungsweise Standardisierung liegen auf der Hand: Kulturübergreifend standardisierte Verfahren erlauben eine bessere Vergleichbarkeit von Assessment-Center-Ergebnissen, bergen aber – zumindest wenn sie einseitig aus der »kulturellen Blickrichtung« der Konzernzentrale heraus konzipiert werden – das Problem, dass unter Umständen nicht für alle Teilnehmer Chancengleichheit besteht. Kulturspezifische Verfahren erschweren eine konzernweite Vergleichbarkeit von Assessment-Center-Ergebnissen, sind aufwändiger und nicht zuletzt in der Konstruktion auch teurer, gewährleisten aber, dass kulturelle Spezifika angemessen berücksichtigt werden. Für das Ausmaß an Kulturspezifizität in einem Assessment-Center gibt es offenbar keine »Patentlösung«. Die Antwort wird außer von der Zielsetzung des Verfahrens und der anvisierten Teilnehmergruppe nicht zuletzt von der jeweiligen Unternehmensstrategie bestimmt. Ist ein Unternehmen zentral geführt, werden eher einheitliche Verfahren verlangt, als wenn ein Unternehmen dezentral organisiert ist. In diesem Zusammenhang sei auf die Richtlinien der Kommission für die interkulturelle Assessment-CenterAnwendung der Internationalen Task Force on Assessment Center

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Guidelines (2006) verwiesen. Sie liefern wichtige Hinweise darauf, welche kontextualen Randbedingungen beim Transfer von Assessment-Center-Verfahren in verschiedene Länder beachtet werden sollten. Diese schließen etwa das Ausmaß der Ähnlichkeit der Geschäftsmodelle zwischen Ländern ein, in denen ein Unternehmen aktiv ist. Ungeachtet der genannten praktischen Fragen sind aus diagnostischer Perspektive einige Aspekte beim kulturübergreifenden Transfer eines Assessment-Center-Verfahren relevant, die im Folgenden diskutiert werden sollen.

5.1 Das Verhältnis von Kompetenzen und beobachtbaren Verhaltensweisen Auf der Ebene von abstrakten Kernkompetenzen kann zunächst erwartet werden, dass für alle Teilnehmer, unabhängig davon, in welches Land ein Verfahren übertragen wird, die gleichen Anforderungen gelten. Auf der Ebene konkreter Verhaltensweisen ist hingegen mit kulturell bedingten Variationen zu rechnen. Was damit gemeint ist, soll am Beispiel der Führungskompetenz genauer erläutert werden. Es steht außer Frage: Wer in ein Entwicklungsprogramm für Führungskräfte aufgenommen werden will, muss über eine gut ausgeprägte Führungskompetenz verfügen. Aber was bedeutet gute Führungskompetenz? Gibt es kulturübergreifend einheitliche Anforderungen an gute Führung? Hierzu liefert das Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness Research Program (GLOBE) aufschlussreiche Befunde. In 62 Ländern wurden rund 17000 Manager zum Thema Führung befragt (House, Hanges, Javidan, Dorfman u. Gupta, 2004). Die umfangreichen Befunde sollen hier nur mit Blick auf die Assessment-Center-Praxis kurz erläutert werden, eine Zusammenfassung liefert beispielsweise Brodbeck (2008). Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich einzelner Merkmale weltweit sehr ähnliche Vorstellungen davon bestehen, was eine gute Führungskraft ausmacht. Hierzu zählen Führungsmerkmale, die mit Veränderungs- und Verbesserungsorientierung (etwa hohe Leistungsorientierung, Vertrauenswürdigkeit, Ehrlichkeit, vorausschauendes Planen und Handeln, Motivation und Ermutigung anderer) sowie mit teamorientierter Führung

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(z. B. »fördert Kooperation und Teamentwicklung«, »kommmuniziert gut, ist stets auf dem Laufenden«) zu tun haben. Demgegenüber zeigen sich bei anderen Merkmalen, zum Beispiel bei der Autoritätsorientierung, beträchtliche Unterschiede zwischen den untersuchten Ländern: So wird beispielsweise in China eine weitaus höhere Autoritätsorientierung von einem guten Manager erwartet als dies in Westeuropa der Fall ist. Entscheidend im Hinblick auf die Assessment-Center-Praxis ist nun, wie sich hohe Führungskompetenz in konkret beobachtbarem Verhalten niederschlägt. Hierzu ein Beispiel aus der Praxis: Wenn ein deutscher Vorgesetzter in einem simulierten Kritikgespräch mit einem Mitarbeiter klar sagt, »was Sache ist«, und kritische Punkte offen und direkt anspricht, wird dies von der Mehrheit der deutschen Beobachter in der Regel als Indiz für eine gut ausgeprägte Führungskompetenz interpretiert. Ein thailändischer Vorgesetzter wird – selbst wenn er viel mit Ausländern zu tun hat – seine Kritik in der Regel wesentlich zurückhaltender und weniger direkt formulieren. Während diese Form der indirekten Kommunikation und die Gesicht wahrende Form des Kritikübens in Thailand Ausdruck eines adäquaten Führungsverhaltens ist, mag es von deutschen Beobachtern als ein »Reden um den heißen Brei« empfunden und als Indiz für mangelnde Durchsetzungsfähigkeit in der Funktion als Führungskraft angesehen werden. Wenn einem zentralen Prinzip des Assessment-Centers – nämlich der Verhaltensorientierung – Rechnung getragen werden soll, so ist kritisch zu prüfen, anhand welcher konkret beobachtbarer Verhaltensweisen sich eine bestimmte Kompetenz in einem bestimmten Kulturkreis zeigt. Hier bietet sich bei der Konzipierung des Verfahrens eine Abstimmung mit lokalen Personalverantwortlichen und landeskundigen Expatriates an. Grundsätzlich sollten sowohl Konstrukteure als auch Durchführende der Tatsache Rechnung tragen, dass Verhaltensindikatoren für bestimmte Kompetenzen kulturbedingt variieren können. Eigene Assessment-CenterErfahrungen zeigen, dass dies oftmals schon dadurch gewährleistet werden kann, dass bei interkulturell ausgerichteten Verfahren Beobachter aus verschiedenen Kulturen teilnehmen und als »Korrektiv« dienen, wenn die Beurteilung einer Verhaltensweise zu sehr aus einer einseitig »kulturell gefärbten Brille« erfolgt.

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5.2 Auswahl und Gestaltung von Übungen Bei der Auswahl und Gestaltung von Übungen ist darauf zu achten, dass diese im jeweiligen Kulturkreis Akzeptanz finden. Hinweise zum Einfluss verschiedener kultureller Wertorientierungen auf den Einsatz von Assessment-Center-Übungen liefert eine Studie von Krause und Thornton III (2007). Auf der Grundlage einer Expertenbefragung kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass sich besonders die Kulturdimension der Machtdistanz2, also das Ausmaß, in dem Mitglieder einer Gesellschaft die ungleiche Machtverteilung zwischen Personen akzeptieren, auf die Gestaltung von Gruppendiskussionen auswirkt: Gruppendiskussionen mit vorgegebenen Rollen (z. B. Teammitglied versus Führende) bieten sich eher in Ländern mit hoher Machtdistanz an, wie etwa Malaysia, und Gruppenübungen ohne vorgegebene Rollen (z. B. führerlose Gruppendiskussionen) für Länder mit gering ausgeprägter Machtdistanz, wie zum Beispiel Dänemark. Den größten Einfluss kultureller Wertorientierungen auf Assessment-Center-Elemente konstatieren die Autoren für die Dimension Individualismus versus Kollektivismus. Gemäß ihrer Definition bedeutet Individualismus, dass individuelle Interessen in der jeweiligen Landeskultur über Gruppeninteressen stehen; in kollektivistischen Ländern haben hingegen die Gruppeninteressen Vorrang vor den individuellen Interessen. Die Autoren gehen davon aus, dass Selbsteinschätzungen der Teilnehmer (Self-Ratings) und Einschätzungen durch Kollegen (Peer-Ratings) eher in AssessmentCentern in individualistisch als in kollektivistisch geprägten Ländern eingesetzt werden. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist – neben dem sehr vereinfachenden Kulturmodell, welches der Studie zugrunde gelegt ist – zu berücksichtigen, dass es sich um Experteneinschätzungen handelt und nicht um empirische Befunde über den tatsächlichen Einsatz der jeweiligen Assessment-Center-Elemente (Hinweise zu 2 Zur Beschreibung und zum Vergleich von Kulturen beziehen sich die Autoren auf vier Kulturdimensionen, welche jeweils »Extrempole« eines Kontinuums darstellen: 1. hohe versus geringe Machtdistanz, 2. starke versus schwache Unsicherheitsvermeidung, 3. Individualismus versus Kollektivismus, 4. externale versus internale Kontrolle. Sie stützen sich dabei auf theoretische Ansätze von Hofstede (1991), Trompenaars (1993) und der GLOBE-Studie (House et. al, 2004).

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interkulturellen Unterschieden in der Assessment-Center-Anwendung finden sich bei Krause, Gebert, u. Thornton III, 2007). Ungeachtet dessen sensibilisiert diese Studie für die Notwendigkeit, beim Transfer von Assessment-Center-Verfahren die jeweiligen kulturellen Wertorientierungen des Ziellandes in den Blick zu nehmen. In international agierenden Unternehmen bietet es sich an, kulturkompatible Übungen und Szenarien in Abstimmung mit international erfahrenen HR-Experten beziehungsweise lokalen Fachund Führungskräften zu konstruieren. Dabei versteht es sich von selbst, dass eine kulturspezifische Anpassung einzelner Elemente immer unter Berücksichtigung von bewährten Qualitätsstandards erfolgen muss.

5.3 Feedback geben Bei diesem Thema ist zu berücksichtigen, dass Feedback in unterschiedlichen Kulturkreisen unterschiedlich bewertet wird (Briscoe, 1997) oder – um hier nicht selbst in Stereotype zu verfallen – unterschiedlich bewertet werden kann. In eher individualistisch geprägten Kulturen, wie den USA, wird direktes Feedback sehr geschätzt. In stärker kollektivistischen Kulturen, wie etwa China, ist Feedback vor allem dann problematisch, wenn es in der Gruppe durchgeführt wird. Hier besteht die Gefahr, dass durch das Aufzeigen von Schwächen Anwesende »ihr Gesicht verlieren«. Dieses – zugegebenermaßen sehr vereinfachte – Beispiel sollte natürlich nicht zwangsläufig dazu verleiten, auf Feedback in jenen Ländern zu verzichten, in denen das Geben von Feedback weniger üblich ist. Vielmehr ist auch in diesem Zusammenhang wieder Sensibilität für das Thema Kultur gefragt. Konstrukteure und Durchführende sollten sich im Vorfeld über die adäquate Form des Feedbackgebens in dem betroffenen Land informieren – und die Gespräche letztlich natürlich auch gemäß diesen Vorgaben durchführen. Hinsichtlich des Gebens und Annehmens von Feedback ist auch die jeweilige Unternehmenskultur in den Blick zu nehmen: Wenn ein chinesischer Mitarbeiter in China in einem amerikanischen Unternehmen arbeiten möchte, wo das direkte Feedbackgeben zum Alltag gehört, so wird hier eine gewisse Anpassung auf Seiten des Chinesen gefordert sein. Umgekehrt wird sich ein amerikanischer Mitarbeiter, der in den USA in einem chinesischen Unternehmen

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arbeitet, auch auf eine andere Art des Feedbackgebens einstellen müssen. Es gibt also auch im Zusammenhang mit dem Feedbackgeben – wie insgesamt im Kontext von Kultur und AssessmentCenter – keine einfachen Patentrezepte, sondern nur eine Forderung nach Flexibilität und Offenheit aller Verantwortlichen.

6 Internationale Assessment-Center – Wie kann Chancengleichheit gewährleistet werden? Internationale Assessment-Center werden in Unternehmen eingesetzt, wenn international agierende Manager aus unterschiedlichen Herkunftskulturen mit einem einheitlichen diagnostischen Verfahren erfasst werden sollen. Anders als bei dem zuvor geschilderten konzernweiten Einsatz von Assessment-Center-Verfahren ergibt sich hier nicht vorrangig das Problem einer kulturspezifischen Anpassung, sondern es geht um die Auswahl für einen für alle Teilnehmer einheitlichen internationalen Arbeitskontext. Eine einseitig nationale Vorgehensweise würde hier der späteren Arbeitspraxis mit Kollegen aus unterschiedlichen Ländern sogar zuwiderlaufen. Trotzdem muss natürlich gewährleistet sein, dass in internationalen Assessment-Centern Chancengleichheit für alle Teilnehmer besteht – unabhängig von ihrer kulturellen Zugehörigkeit. Dies wird für Deutschland nicht zuletzt auch durch das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) gefordert. Um Chancengleichheit zu gewährleisten, sind einige Aspekte zu berücksichtigen, die im Folgenden diskutiert werden.

6.1 Der Faktor Sprache Von nicht unerheblicher Relevanz für die Diagnostik ist die Frage, inwiefern die Durchführung eines Assessment-Centers in einer Fremdsprache Einfluss auf die Leistung der Teilnehmer hat. Die Schwierigkeiten eines solchen Vorgehens liegen auf der Hand: So mag es beispielsweise bei der Bearbeitung einer Fallstudie, die das schnelle und effiziente Durchdringen umfangreicher und komplexer Information voraussetzt, zu einer Vermischung der Bewertung von Sprachkenntnissen und analytischer Kompetenz kommen, da

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allein das Lesen von Texten in einer Fremdsprache anspruchsvoller ist als in der Muttersprache. Die Durchführung einer Übung in einer Fremdsprache kann bei der Beobachtung auch einen so genannten Halo-Effekt hervorrufen, das heißt, dass die schlechte Beherrschung einer Fremdsprache andere Kompetenzen »überstrahlt« und es dadurch zu einer schlechteren Einschätzung etwa der Teamfähigkeit oder Führungskompetenz kommt. Kurzum: Bei der Durchführung eines Assessment-Centers in einer Fremdsprache besteht die Gefahr, dass ein Kandidat sein Potenzial aufgrund mangelnder sprachlicher Kenntnisse nicht in vollem Umfang zeigen kann. Ob ein Verfahren in einer Fremdsprache durchgeführt werden sollte oder ob einzelne Elemente oder gar das ganze Verfahren in die Muttersprache zu übersetzen sind, hängt in erster Linie von den späteren Arbeitsanforderungen ab. Wenn die Konzernsprache zum Beispiel Englisch ist und Mitarbeiter später überwiegend in dieser Sprache arbeiten werden, so sollte auch das Assessment-CenterVerfahren in Englisch durchgeführt werden. Eine mögliche »Unschärfe« in der Bewertung von Management- und Sprachkompetenz entspricht dabei sogar einer realistischen Simulation der Arbeitswelt einer Führungskraft in einem internationalen Unternehmen. Wenn im Vorfeld eines Auswahlverfahrens bereits deutlich wird, dass ein Teilnehmer über (prinzipiell behebbare) Schwächen im Englischen verfügt, so kann es eine Option sein, einzelne Assessment-Center-Elemente, etwa eine vorbereitete Präsentation oder eine Selbstvorstellung, in der Muttersprache durchzuführen – vorausgesetzt natürlich, die Beobachter verfügen über ausreichende Kenntnisse der jeweiligen Sprache. Soll in einem internationalen Assessment-Center eine Gruppenübung durchgeführt werden und nur einzelne Teilnehmer verfügen über deutlich geringere Fremdsprachkenntnisse als die übrigen Kandidaten, so kann den betroffenen Teilnehmern die Möglichkeit gegeben werden, vor der Durchführung der Diskussion, ihre Ideen in der Muttersprache schriftlich festzuhalten. Auf diesem Weg können die inhaltlichen Überlegungen der Teilnehmer unabhängig von der Sprachkompetenz bewertet werden. Auch wenn die Konzernsprache Englisch ist und sich deshalb die Durchführung in dieser Sprache anbietet, sind hinsichtlich der Sprachgebundenheit des Verfahrens einige Punkte zu beachten (siehe hierzu auch Lohff, 1996, sowie Stegt in diesem Band):

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– Im Sinne der Transparenz sollten die Teilnehmer im Vorfeld darüber informiert werden, in welcher Sprache das AssessmentCenter stattfinden wird. Wenn möglich, sollten auch die Fremdsprachenkenntnisse vorab geprüft werden. – Die Vorbereitungszeiten sollten ausreichend bemessen sein. – Bei den Instruktionen sind möglichst klare und einfache Formulierungen zu verwenden. Umgangssprachliche Formulierungen, sprachbedingte Andeutungen, Metaphern und verdeckte Botschaften sollten vermieden werden. – Wenn möglich, sollten Übungen mit umfangreichem Textmaterial vermieden werden. Wenn sie zum Einsatz kommen, ist es empfehlenswert, Glossare mit schwierigen beziehungsweise fachspezifischen Begriffen bereit zu stellen. Schließlich empfiehlt es sich, im Rahmen von internationalen Assessment-Centern nicht nur auf die Fremdsprachenkenntnisse der Teilnehmer, sondern auch auf jene der Beobachter einzugehen. In diesem Zusammenhang ist unter anderem ratsam, dass sich die Teilnehmer an einer Beobachterkonferenz der Missverständnisse bewusst sind, die bei der Kommunikation in einer Fremdsprache auftreten können. Moderatoren sollten daher zu Rückfragen und Paraphrasierungen ermutigen. Zu bedenken sind natürlich auch mögliche sprachliche Probleme in der direkten Interaktion mit den Teilnehmern.

6.2 Auswahl und Gestaltung von Übungen In einem internationalen Assessment-Center können prinzipiell alle Übungen verwendet werden, die in einem »normalen« nationalen Assessment-Center auch zum Einsatz kommen, wie etwa Gruppendiskussionen, individuelle Präsentationssituation, Fallstudien, Postkorb-Übungen, Rollenspiele und auch Interviews. Mittels all dieser Übungen lassen sich allgemeine Management-Kompetenzen fachlicher, sozialer und strategischer Natur ebenso erfassen wie interkulturelle Kompetenz. Entscheidend für internationale Assessment-Center ist weniger die strukturelle Auswahl der Übungen als die Art der inhaltlichen Ausgestaltung. Im Hinblick auf die inhaltliche Gestaltung der Übungen bietet es sich an, diese soweit wie möglich in einem multinationalen Kontext

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anzusiedeln, da dies dem Arbeitskontext der Zielgruppe entspricht. Aus der Vielzahl möglicher Übungen hier einige Beispiele: – Internationale Postkorb-Übung: Hier versetzen sich die Teilnehmer in die Rolle einer international tätigen Führungskraft in einem multinationalen Unternehmen. Es müssen Aufgaben in länderübergreifenden Teams koordiniert und international vernetzte Entscheidungen getroffen werden. – Internationales Marketing-Konzept: Hier arbeiten Teilnehmer aus verschiedenen Ländern an einem gemeinsamen Marketing-Konzept, wobei jeder Teilnehmer sein eigenes Land vertritt. Dadurch wird gewährleistet, dass alle Teilnehmer gleichermaßen auf ihren eigenen (kulturellen) Hintergrund zurückgreifen können und zudem die internationale Perspektive berücksichtigt wird. – Mitarbeitergespräch international: Hier werden die Teilnehmer instruiert, ein »kritisches« Gespräch mit einem Leiter eines internationalen Projekts zu führen. Themen könnten sein: Spannungen, die sich in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern aus unterschiedlichen Kulturen ergeben haben, oder sinkende Motivation im internationalen Team aufgrund unklarer Zielvorgaben. Um Chancengleichheit zu gewährleisten, ist es auch möglich, die Übungen in einer »Phantasiekultur« anzusiedeln oder Übungen auf solche Kulturkreise zu beziehen, die den Teilnehmern gleichermaßen bekannt beziehungsweise unbekannt sind. Spricht man von Chancengleichheit im Rahmen von internationalen Assessment-Centern, so ist zu bedenken, dass die Einbettung von Übungen in einen Unternehmenskontext nicht immer vollkommen (kultur)fair sein kann. Die inhaltliche Ausgestaltung von Übungen wird in der Praxis verständlicherweise immer auch von der Unternehmenskultur mitbestimmt. Wer als global agierender Manager also in einem Unternehmen tätig sein möchte, welches in Deutschland seinen Stammsitz hat, wird damit rechnen müssen, auch auf Übungen zu stoßen, die einen Bezug zu Deutschland haben. Im Zusammenhang mit Übungen für internationale AssessmentCenter sei abschließend ein Blick in die Zukunft geworfen: Es ist davon auszugehen, dass der Bedarf an diagnostischen Verfahren steigen wird, welche die veränderten Anforderungen erfassen, denen sich international tätige Manager ausgesetzt sehen. So gewinnt beispielsweise neben der allgemeinen Teamfähigkeit auch die Fähigkeit an Bedeutung, über räumliche Distanzen hinweg in virtu-

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ellen Teams effizient zu arbeiten (Konradt u. Hertel, 2002). Ebenso birgt die Führung virtueller Teams – auch Führung auf Distanz oder E-Leadership (Avolio u. Kahai, 2003) genannt – besondere Herausforderungen: Wenn einzelne Teammitglieder mehrere tausend Kilometer entfernt an einem Rechner sitzen, bedarf es etwas anderer Strategien, sie zu motivieren und bei möglichen Konflikten gegenzusteuern, als wenn ein regelmäßiger Austausch mit den Mitarbeitern »von Tür zu Tür« möglich ist. Vorschläge zur Diagnostik von E-Leadership unterbreiten Krämer und Schürmann in ihrem Beitrag in diesem Band.

6.3 Auswahl und Schulung der Beobachter Im Rahmen eines internationalen Assessment-Centers mit Teilnehmern aus verschiedenen Ländern ist es empfehlenswert, dass die Beobachter ebenfalls aus unterschiedlichen Ländern kommen, um dadurch nicht zuletzt auch die Konzernvielfalt adäquat widerzuspiegeln. Zudem sollten die Beobachter selbst über Auslandserfahrung und interkulturelle Kompetenz verfügen. In der Unternehmensrealität kann die Auswahl von Beobachtern für AssessmentCenter verständlicherweise nicht allein auf Basis der Kulturzugehörigkeit erfolgen. Sie richtet sich auch nach anderen Parametern, wie etwa der Notwendigkeit, dass der zukünftige Vorgesetzte am Auswahlverfahren teilnimmt oder Vertreter bestimmter HierarchieEbenen anwesend sind. Ungeachtet der Zusammensetzung des Beobachterteams kommt in allen internationalen Assessment-Centern – wie auch in jedem anderen Assessment-Verfahren – der Schulung der Beobachter eine besondere Bedeutung zu. Zahlreiche empirische Studien belegen, dass die Qualität der diagnostischen Aussagen in einem Assessment-Center wesentlich von der Schulung der Beobachter abhängt (Woehr, Arthur u. Meriac, 2007). Eine Beobachterschulung im Rahmen eines internationalen Assessment-Centers sollte neben den Elementen einer »klassischen« Beobachtereinweisung, wie etwa der Einführung in die zu erfassenden Kompetenzen, die Elemente des Verfahrens und die Möglichkeiten zur Vermeidung verschiedener Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler, auch eine Sensibilisierung für die besonderen Herausforderungen umfassen, die der Faktor Kultur birgt.

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Für die genannten Beurteilungsfehler liefert die kulturvergleichende Psychologie interessante Forschungsergebnisse. Verschiedene Studien zeigen, dass in westlichen Kulturkreisen die Tendenz besteht, den Einfluss von stabilen Faktoren, wie Persönlichkeitseigenschaften und Einstellungen, auf das Verhalten anderer Menschen zu überschätzen. Äußere, situative Einflüsse werden demgegenüber eher unterschätzt: Dies wird auch als fundamentaler Attributionsfehler bezeichnet. Dieser Effekt ist in individualistischen Kulturen, in denen der eigenen Autonomie ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, sehr robust. In kollektivistischen Kulturen ist er schwächer ausgeprägt: Dort wird bei der Zuschreibung von Ursachen das Umfeld stärker berücksichtigt und das Verhalten eher als Ergebnis einer Interaktion zwischen personalen und situativen Faktoren erklärt (Norenzayan, Choi u. Nisbett, 2002). Ausgehend von diesen Befunden könnte es sein, dass ein schlechtes Abschneiden in einer Assessment-Center-Übung von westlich geprägten Beobachtern eher auf stabile Eigenschaften der Person (zum Beispiel mangelnde Belastbarkeit) zurückgeführt wird. Bei Beobachtern aus östlichen Kulturkreisen wäre denkbar, dass diese vermehrt situative Faktoren, wie zum Beispiel die besondere Belastungssituation eines Assessment-Centers oder die Schwierigkeit der Aufgabe, berücksichtigen. Inwiefern sich kulturelle Unterschiede in der Ursachenzuschreibung tatsächlich in Assessment-Centern niederschlagen, ist in der Forschung bislang leider noch nicht untersucht worden. Darüber hinaus erscheint die vorgenommene Differenzierung zwischen »östlichen und westlichen Denken« (siehe hierzu auch Nisbett, 2003) sehr vereinfachend. Dennoch zeigen eigene Erfahrungen aus der Praxis, dass durchaus Unterschiede in der Interpretation von beobachteten Verhalten bestehen, die in der Beobachterkonferenz offen diskutiert werden müssen. Selbst bei interkulturell erfahrenen Beobachtern mögen sich über die Jahre hinweg (falsche) Hypothesen über Angehörige bestimmter Kulturkreise gebildet haben, die einer unvoreingenommenen Beobachtung und Beurteilung entgegenstehen (»Chinesen sind in Gruppenübungen besser als in Einzelsituationen«, »russische Männer treten im Mitarbeitergespräch oft sehr dominant auf«, »indische Frauen sind zurückhaltend«). Um diesem Problem zu begegnen, könnten die Beobachter beispielsweise dazu angeregt werden, ihre eigene kulturelle Prägung zu reflektieren und sich über ihr Verständnis der beteiligten Kulturen auszutauschen: Welche Vermu-

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tungen gibt es etwa über die in den Kulturen der Teilnehmer vorherrschenden Kommunikations- und Verhaltensweisen? Auf dieser Basis ließen sich bereits im Vorfeld solche Fehler bei der Beurteilung von Teilnehmern vermeiden, die durch Stereotype bedingt sind. Bei einem internationalen Assessment-Center, an dem beispielsweise sechs Beobachter und zwölf Teilnehmer aus acht verschiedenen Ländern teilnehmen, zeigt sich allerdings – wie oft im Zusammenhang mit Assessment-Centern im internationalen Kontext – eine Diskrepanz zwischen theoretischem Anspruch und praktischer Realisierbarkeit. Auch wenn es unter theoretischen Gesichtspunkten sinnvoll erscheinen mag, in der Beobachtereinweisung auf die kulturellen Hintergründe aller Beteiligten einzugehen, ist dies allein deshalb in der Regel nicht möglich, da für Schulungen nur ein begrenzter Zeitraum zur Verfügung steht. Unabhängig von diesen organisatorischen Einschränkungen ist zu berücksichtigen, dass internationale Assessment-Center für eine spezifische Zielgruppe von Führungskräften konzipiert sind, die in einem internationalen Kontext arbeiten werden und von denen daher eine Anpassung an verschiedene Kulturen erwartet werden kann beziehungsweise erwartet werden muss. In global agierenden Unternehmen kommt neben der Passung zu einer oder gegebenenfalls mehreren nationalen Kulturen vor allem auch der Passung zur Unternehmenskultur eine besondere Bedeutung zu; zudem hat sich in vielen multinationalen Unternehmen mittlerweile auch eine Art übergreifende »Manager-Kultur« gebildet, die eigene Werte und Verhaltensweisen umfasst. Angesichts dieser vielschichtigen kulturellen Kontexte, von denen die Teilnehmer beeinflusst sind, kann es in einer Beobachtereinweisung nicht primär um eine Vermittelung von Fakten über verschiedene Kulturen gehen, als vielmehr darum, ein Bewusstsein für die Relevanz kultureller Faktoren zu schaffen. Sind die Beobachter für das Thema »Kultur« ausreichend sensibilisiert, werden sie in uneindeutigen Fällen kritisch reflektieren können, inwiefern eine Verhaltensweise oder dessen Beurteilung kulturgebunden ist.

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7 Assessment-Center und Kultur – Ein Fazit Es ist davon auszugehen, dass im Zuge der Globalisierung vermehrt Assessment-Center im internationalen Kontext durchgeführt werden. In diesen Assessment-Centern spielt »Kultur« in verschiedener Hinsicht eine wichtige Rolle – um einige Beispiele zu nennen: – Bei der Auswahl von Expatriates ergibt sich die Herausforderung, auch die kulturellen Veränderungen im Zielland im Blick zu halten. Zudem stellt sich die Frage, wie kulturspezifische Assessment-Center-Verfahren konzipiert werden können und welche Aussagekraft diese haben. – Beim konzernweiten, länderübergreifenden Einsatz eines Assessment-Center-Verfahrens ist darauf zu achten, dass Übungen in der jeweiligen Kultur Akzeptanz finden, und es gilt zu bedenken, dass Verhaltensindikatoren für bestimmte Kompetenzen kulturbedingt variieren können. – Bei internationalen Assessment-Centern ist Chancengleichheit für alle Teilnehmer zu gewährleisten und besonders den spezifischen Anforderungen Rechnung zu tragen, die das Arbeiten in einem multikulturellen Kontext mit sich bringt. – Und schließlich hat sich für alle Assessment-Center-Verfahren im internationalen Kontext gezeigt, dass die Unternehmenskultur einen wichtigen Einfluss auf Gestaltung und Durchführung von Assessment-Center-Elementen hat. Angesichts dieser vielschichtigen Zusammenhänge wird es nicht verwundern, wenn ein Fazit dieses Beitrags lautet: Ein Patentrezept für den Umgang mit dem Thema »Assessment-Center im internationalen Kontext und Kultur« gibt es nicht. Konkrete Empfehlungen für die Berücksichtigung kultureller Unterschiede lassen sich aus der jeweiligen Zielsetzung und der Zielgruppe des Verfahrens ableiten, dabei gilt es auch, die Unternehmensstrategie und -kultur zu beachten. Zentral ist für alle Verfahren, dass die Beteiligten Sensibilität und Offenheit für das Thema »Kultur« mitbringen. Dabei ist weder eine »Über-Dramatisierung des Kulturellen« noch ein Ignorieren desselben geboten. Entscheidend ist schließlich – und hier unterscheiden sich Assessment-Center im internationalen Kontext nicht von »normalen« Assessment-Center-Verfahren –, dass die Verfahren auf der Basis zentraler Qualitätsstandards geplant und durchgeführt werden.

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Der Einfluss des Internets auf die Eignungsdiagnostik – E-Recruiting, E-Assessments und Self-Assessments

1 Die Bedeutung des Internets Die Zahlen sprechen für sich: Weltweit nutzen 1,2 Milliarden Menschen, somit immerhin jeder fünfte Erdbewohner, das Internet (BITKOM, 2007a). Die Internetnutzer kaufen und verkaufen Produkte und Dienstleistungen, recherchieren oder vertreiben sich einfach die Zeit, zum Beispiel beim Chatten oder Schreiben von E-Mails an Freunde. Im Jahr 2007 wurden Schätzungen zufolge 19 Milliarden Euro in deutschen Online-Shops umgesetzt (nur Business-to-Customer, Lebensmittelzeitung, 2007) und damit dreieinhalb Prozent des Umsatzes des deutschen Einzelhandels insgesamt erwirtschaftet – Tendenz: stark steigend. Wenn wir diese Zahlen auf uns wirken lassen, wird schnell ersichtlich: Die Zeiten, in denen Internetnutzer das Klischee des Sonderlings ohne Kontakte zur Außenwelt oder das des dynamischen Twens bedienten, sind vorbei. In den letzten Jahrzehnten hat das Internet auch für HumanRessource-Abteilungen an Bedeutung gewonnen. Die Mehrzahl aller vakanten Stellen am externen Fach- und Führungskräftemarkt wird heute im Internet ausgeschrieben, auch hier ist die Tendenz weiter steigend. Die Unternehmen reagieren damit auf die Entwicklung, dass sich heute immer mehr Schul- und Hochschulabsolventen, ebenso wie Fach- und Führungskräfte im Internet über potenzielle Arbeitgeber und freie Stellen informieren. 38 Prozent aller Deutschen haben bereits im Internet nach einem neuen Arbeitsplatz gesucht (BITKOM, 2007b). Bei den jüngeren Personen bis zum Alter von 35 Jahren sind es mit 55 Prozent sogar mehr als die Hälfte. Die Inhalte der Karriere-Webseiten, aber auch ihre Benutzerfreundlichkeit, üben heute nachweislich einen nicht zu vernach-

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lässigenden Einfluss auf die Beurteilung des Unternehmens als potenziellen Arbeitgeber aus (Braddy, Meade u. Kroustalis, 2008).

2 Trend zur elektronischen Bewerbung Neun von zehn Unternehmen ziehen heute eine computerbasierte einer klassischen Papier-Bewerbung vor. Papier-, aber auch E-MailBewerbungen werden in einigen Unternehmen überhaupt nicht mehr akzeptiert. Nur für hohe Führungspositionen in Unternehmen gehen weiterhin überwiegend Papier-Bewerbungen ein (Batinic u. Appel, 2009). In den meisten Fällen löst ein Internet-Formular das Papier-Anschreiben und den Papier-Lebenslauf ab, eingescannte Zeugnisse und sonstige bewerbungsrelevante Nachweise werden noch beigefügt. Solche modernen E-Recruiting-Lösungen vereinfachen den Workflow – und zwar sowohl für die Unternehmen als auch für die Bewerber. Durch die standardisierte Vorgabe von Bewerbungsformularen weiß der Bewerber, was das Unternehmen über ihn wissen möchte. Außerdem gibt er selbstständig die Daten in eine zentrale Datenverwaltung ein. Personalverantwortliche können nun komfortabel Bewerbungsunterlagen sichten, zur Ansicht weiterleiten oder Rangfolgen der Bewerber nach festgelegten Kriterien erstellen, ohne lange durch Bewerbungsmappen blättern zu müssen. Auch die Kontaktaufnahme mit den Bewerbern kann bequem und schnell erfolgen. Die neuen E-Recruiting-Systeme haben zum Ziel, die Personalsuche für Unternehmen effizienter zu gestalten, die Kosten pro Einstellung (costs-per-hire) zu senken und die Zeit zu reduzieren, die bis zur Einstellung verstreicht (time-to-hire). Gerade Letzteres ist auf der Suche nach qualifizierten Bewerbern – vor allem in Branchen, die vom Fachkräftemangel betroffen sind – ein Wettbewerbsvorteil (Kerkow u. Hansen, 2000): Prozesse müssen optimiert sein; je länger der gesamte Prozess von der Ausschreibung bis zum Vertragsabschluss dauert, desto höher ist die Gefahr, dass ein anderes Unternehmen »dazwischenfunkt« und den Bewerber früher für sich gewinnt. Mit einer E-Recruiting-Software haben – einer Befragung aus dem Jahr 2008 zufolge – 66,5 Prozent der Top-1000Unternehmen in Deutschland einen effizienteren Workflow und damit eine Zeit- und Kostenreduktion erzielt (Weitzel et al., 2008).

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In vielen Fällen versendet der Bewerber aktiv seinen Lebenslauf an bestimmte Unternehmen – entweder per Mail oder durch ein Einstellen in ein firmeneigenes E-Recruiting-System. Immer häufiger bewerben sich heute Personen aber auch passiv (Weitzel, König, Eckhardt u. Trunk, 2007): Dabei verschicken die Bewerber die biografischen Informationen nicht selbst, sondern stellen diese in eine Jobbörse ein, die von Dritten betrieben wird (zum Beispiel Jobware, Monster, StepStone). In diesen Datenbanken – Kenk (2007) zählt bereits mehr als 800 – können Unternehmen nach interessanten Bewerbern suchen und diese auf Wunsch kontaktieren, um weitere Informationen zu erhalten. Von 10 000 befragten Bewerbern im Jahr 2007 haben sich bereits 74,6 Prozent dieser Form der Bewerbung bedient (Weitzel, König, Eckhardt u. Trunk, 2007).

3 Vermeintlicher Nachteil heutiger E-Recruiting-Systeme Auch wenn sich E-Recruiting-Systeme gerade in großen Unternehmen mittlerweile etabliert haben, ist ein Kritikpunkt an deren Einsatz immer wieder zu hören: Jegliche Individualität gehe durch die Bewerbung über ein standardisiertes Online-Formular verloren. Zuzustimmen ist sicherlich der Ansicht, dass keine Unterschiede in der Gestaltung der Bewerbungsmappen mehr erkennbar sind. Der Einfluss, den ein schönes Layout, eine elegante Schriftart oder eine auffällige Mappe bei der Beurteilung erzeugt haben, kommt damit heute nicht mehr zum Tragen. In standardisierter Form antworten Bewerber mithilfe von webbasierten Freitextfeldern und mit Optionsfeldern, die eine Entscheidung erzwingen. Wichtig für eine Bewertung dieser neuen Art der Bewerbung ist nun die Frage, ob die Besonderheiten der Mappe oder des Papiers etwas über die Eignung für den ausgeschriebenen Beruf aussagen. Wenn ja, zum Beispiel im Fall eines Mediengestalters, eines Architekten oder Schriftsetzers, so erscheint auf den ersten Blick die Einschränkung auf einen standardisierten Online-Fragebogen hinderlich. Aber auch dann können in einer späteren Phase umfangreiche Arbeitsproben von den Bewerbern verlangt werden, aus denen aller Wahrscheinlichkeit nach mehr Informationen über spätere Arbeitsleistungen gewonnen werden können als durch eine Bewertung der Mappengestaltung.

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Bei den meisten anderen Berufen ist noch offensichtlicher, dass in der Standardisierung ein unschätzbarer Vorteil liegt: Alle Personen werden an denselben zentralen Maßstäben gemessen, ohne dass – streng genommen nicht relevante – Äußerlichkeiten (wie zum Beispiel eine aufwändige Bewerbungsmappe) die Entscheidung der HR-Abteilung beeinflussen. Zentrale Dimensionen, wie die Gewissenhaftigkeit, die bislang durch die Mappengestaltung und die Fehlerfreiheit erkannt werden konnten, sind im Rahmen einer standardisierten Online-Bewerbung in analoger Form prüfbar – und zwar über die Art und Weise der Einträge in den Freitextfeldern. Immerhin geben 81,1 Prozent der befragten Unternehmen, die ein E-Recruiting-System nutzen, an, dass sie durch das System mehr Informationen über die Kandidaten erhalten als mit den zuvor eingesetzten »klassischen Verfahren« (Weitzel et al., 2008).

4 Online-Tests zur Personalauswahl Bei einer Bewerbung über ein E-Recruiting-Tool wird zumeist ausschließlich nach biografischen Informationen gefragt: so zum Beispiel nach Zeugnisnoten, Berufsabschlüssen, früheren Arbeitgebern, den beruflichen Erfahrungen, den besuchten Weiterbildungen oder auch nach Kenntnissen in bestimmten Fremdsprachen oder IT-Techniken. Menschen unterscheiden sich zwar hinsichtlich dieser biografischen Daten, Schlüsse von diesen auf spätere Arbeitsleistungen sind aber leider schlechter möglich als landläufig angenommen wird: Der Korrelationskoeffizient, also der statistische Zusammenhang zwischen biografischen Daten und dem späteren Berufserfolg, beträgt nur r = 0,11 bis 0,181 (Hunter u. Hunter, 1984). Viel lässt sich aus den Lebensläufen also nicht extrahieren, insbesondere nicht bei der Besetzung von Stellen durch Hochschulabsolventen, die oftmals vergleichsweise homogene Lebensläufe 1 Der Korrelationskoeffizient ist ein besonders handliches Maß für die Enge des Zusammenhangs zwischen zwei Messreihen. Er variiert von 0,00 (keinerlei Zusammenhang) bis 1,00 (totaler gleichsinniger Zusammenhang: Wer bei der einen Messung ein bestimmtes Ergebnis erzielt, erzielt bei der anderen Messung ein genau vergleichbares Ergebnis) bzw. –1,00 (totaler gegensinniger Zusammenhang).

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aufweisen. Nichtsdestotrotz ist und bleibt die Auswahl anhand der biographischen Informationen aus dem Lebenslauf in vielen Unternehmen das Verfahren der Wahl. Für die Besetzung von mehr als 80 Prozent der ausgeschriebenen Stellen in deutschen Unternehmen werden Bewerbungsunterlagen ausgewertet (Schuler, Frier u. Kaufmann, 1993), wohl auch, weil diese ohne Zutun des Unternehmens zur Verfügung stehen und zumeist für die weitere Verwaltung der Bewerber ohnehin benötigt werden. E-Recruiting-Systeme können aber auch dabei unterstützen, über diese biografischen Informationen hinaus aussagekräftige Daten über die Bewerber zu sammeln – zum Beispiel mithilfe von Tests oder Fragebögen. In so genannten Leistungstests müssen sich die Bewerber meist in Neues einarbeiten, Probleme aufnehmen und analysieren. Gewiss hat dies sehr viel mit den Anforderungen des heutigen Berufsalltags gemein. Wissen hat heute eine extrem kurze Halbwertszeit. Unter sich schnell ändernden Rahmenbedingungen sind unter hohem Zeitdruck viele Informationen zu sichten und zu priorisieren. Danach sind zumeist weitreichende Entscheidungen zu treffen – und dies in der Regel auch noch in kurzer Zeit. Mit einer Korrelation von r = 0,51 zwischen den Ergebnissen von Leistungstests und dem Berufserfolg (Schmidt u. Hunter, 1998) sind gut konstruierte Intelligenztests hervorragend geeignet, bei Personalentscheidungen zu unterstützen. Im direkten Vergleich mit der Auswertung von Lebensläufen sind Intelligenztests damit deutlich besser geeignet, die zukünftigen Arbeitsleistungen vorherzusagen, und das bei meist weniger Aufwand, geringeren Kosten und höherer Fairness. Entscheidend ist auch, dass Tests bei Bewerbern eine höhere Akzeptanz finden als häufig angenommen – zumindest dann, wenn eine zentrale Regel beachtet wird (Hell u. Schuler, 2005; Kersting, 1998). Dabei gilt für klassische »Papier-und-Bleistift«-Tests und für webbasierte Verfahren gleichermaßen: Je mehr sich die Anforderungen des Tests und des anvisierten Berufs für den Teilnehmer erkennbar ähneln, desto sinnvoller erscheint ihm ein solcher Einsatz. Entsprechend sollten möglichst keine abstrakten Aufgabengruppen (z. B. das Vervollständigen von Zahlenreihen) in Auswahlverfahren verwendet werden, deren Anforderungen für den Bewerber augenscheinlich nichts mit dem späteren Beruf gemeinsam haben. Prognostisch tauglich (valide) und auch bei Bewerbern akzeptiert

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In der folgenden Graphik ist angegeben, wie sich der Weinimport aus sieben wichtigen Lieferländern nach Deutschland in den Jahren 1999 bis 2001 entwickelt hat. Dargestellt ist jeweils die prozentuale Veränderung der aus dem jeweiligen Land importierten Menge gegenüber dem Vorjahr.

Welche der folgenden Behauptungen ist bzw. sind diesen Informationen zufolge korrekt? I

Der Weinimport aus Australien hat sich 2000 gegenüber 1998 mehr als verdoppelt.

II

Die Weinimporte aus Italien waren 1999 und 2001 gleich groß.

III Aus Chile wurde anno 2001 ebenso viel Wein nach Deutschland importiert wie im Jahr 2000. A

Nur Aussage I lässt sich ableiten.

B

Nur Aussage II lässt sich ableiten.

C

Nur Aussage III lässt sich ableiten.

D

Nur die Aussagen I und II lassen sich ableiten.

E

Nur die Aussagen II und III lassen sich ableiten.

Die richtige Antwortoption lautet A. Abbildung 1: Aufgabe aus dem »Test analytisches Denken«

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sind Aufgaben, die thematisch in den Kontext der alltäglichen Arbeit eingebettet sind. Ein Beispiel hierfür zeigt die in Abbildung 1 dargestellte Aufgabe aus dem »Test analytisches Denken« für Bewerber, die in der Lage sein sollten, betriebswirtschaftliche Daten zu analysieren. Diese besondere Arbeitsplatznähe kann zum Beispiel durch die Nutzung realer Kennzahlen des Unternehmens (Umsatz, Gewinn, Produktionskosten etc.), der gesamten Branche (Marktwachstum) oder der Volkswirtschaft (Inflationsrate) erreicht werden. Im Gegensatz zu den beschriebenen Leistungstests geht es bei Persönlichkeitstests bzw. -fragebögen um die so genannten soft skills, wie zum Beispiel das Verhalten in Teams, die Zielstrebigkeit, die Gewissenhaftigkeit oder den Umgang mit Stress. Bei diesen Verfahren werden in der Regel verschiedene Aussagen vorgelegt (z. B. »Es fällt mir leicht, auf andere Menschen zuzugehen«), und der Bearbeiter gibt an, inwieweit diese Aussagen auf ihn zutreffen. Hier ist also keine Bestleistung wie bei Leistungstests gefragt, sondern es geht um typisches Verhalten. Damit das Ergebnis dieses typische Verhalten widerspiegelt, muss der Bearbeiter unter anderem in der Lage sein, sich selbst differenziert zu beobachten, und er muss bereit sein, ehrlich zu antworten. Über zahlreiche Studien hinweg zeigt sich, dass Fragebogen-Ergebnisse sorgfältig entwickelter Persönlichkeitstests auch unter Auswahlbedingungen hoch mit Erfolgskriterien im Beruf korrelieren (Hülsheger u. Maier, 2008; Ones, Viswesvaran u. Reiss, 1996). So wird zum Beispiel eine Korrelation zwischen der Persönlichkeitsdimension Gewissenhaftigkeit und dem späteren Berufserfolg – über viele Berufe gemittelt – von r = 0,31 (Schmidt u. Hunter, 1998) berichtet.

5 Einsatz von Online-Tests ohne Beaufsichtigung Grundsätzlich lassen sich zwei Nutzungsszenarien für Online-Tests zur Personalauswahl unterscheiden: In dem einen Fall findet die Testdurchführung unter Aufsicht – meist in Räumlichkeiten des Unternehmens – statt, im zweiten Fall am heimischen PC. Die Vorteile der Testdurchführung unter Aufsicht sind im Folgenden genannt:

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– Es ist gewährleistet, dass die Teilnehmer keine unerlaubten Hilfsmittel (zum Beispiel Wörterbücher, Taschenrechner etc.) verwenden. – Es ist sichergestellt, dass der Bewerber allein am Test teilnimmt. Bei einer Testung zu Hause ist nicht auszuschließen, dass er zum Beispiel Freunde bittet, ihm beim Beantworten zu helfen oder gar die komplette Bearbeitung zu übernehmen. Technische Mittel, die solche Täuschungen zu vermeiden helfen, sind nicht verfügbar, oder wären – wie zum Beispiel eine Videoüberwachung während der Testteilnahme – technisch sehr aufwändig und würden zudem die Privatsphäre verletzen. – Durch die Kontrolle der Personalausweise beim Einlass können mehrfache Teilnahmen an einem Test ausgeschlossen werden. Im Fall einer Testdurchführung zu Hause ist diese Kontrolle nicht möglich. Vielmehr können sich Personen vor der eigentlichen Testteilnahme mit einer zweiten E-Mail-Adresse und einem fingierten Lebenslauf registrieren und den Test zuerst zur Übung durchlaufen. – Bei einer Testung unter Aufsicht sind die Testinhalte (Texte, Bilder etc.) vor Diebstahl und einer unerlaubten Nutzung sicher beziehungsweise zumindest sicherer. Bei einer Durchführung von zu Hause aus kann nicht ausgeschlossen werden, dass Personen die Bildschirminhalte fotografieren und so die Testaufgaben anderen zugänglich machen können. Der Einfluss der Testabnahmeform auf die Testergebnisse ist auch abhängig von der Bedeutsamkeit des Testergebnisses für die Bewerber (Tippins et al., 2006). Gerade bei einem Online-Test, der den Weg zu einem hoch attraktiven und begehrten Arbeitsplatz ebnet, werden häufiger Täuschungen versucht als in Auswahltests, die für die Vergabe weniger interessanter Arbeitsstellen durchgeführt werden. Allerdings deuten mehrere wissenschaftliche Studien darauf hin, dass unter echten Auswahlbedingungen der Einfluss des Testmodus (also Durchführung mit oder ohne Beaufsichtigung) auf die Testergebnisse insgesamt geringer ausfällt, als landläufig angenommen wird (Bartram u. Brown, 2004; Do, Shepherd, u. Drasgow, 2005; Templer u. Lange, 2008). So zeigten sich auch in realen Auswahlsituationen keine signifikant besseren Testergebnisse (was ein Indiz für Täuschungsversuche sein könnte) bei unbeaufsichtigten als bei beaufsichtigten Durchführungen. Auch die Messgenauigkeit

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der Tests wurde durch das unbeaufsichtigte Durchführen nicht beeinträchtigt. Mit der Verwendung von beaufsichtigten im Unterschied zu unbeaufsichtigten Testdurchführungen sind folgende Nachteile verbunden: – Die Teilnehmer müssen teilweise weite Anreisen zu den Testräumen des Unternehmens in Kauf nehmen. Dies kostet nicht nur Zeit, sondern verursacht auch Reise- und Übernachtungskosten. Zudem sinkt die Akzeptanz des Auswahlverfahrens bei den Bewerbern. – Aufwand und Kosten steigen insbesondere dann enorm, wenn ein Test zur Vorauswahl internationaler Bewerber durchgeführt wird und somit in verschiedenen Staaten Testdurchführungen unter Aufsicht organisiert werden müssen. – Die Teilnehmer können – anders als bei einer Online-Testung ohne Aufsicht – den Zeitpunkt der Testteilnahme nicht selbst bestimmen. – Für Testdurchführung vor Ort müssen die technischen, aber auch personellen Voraussetzungen im Unternehmen geschaffen werden: Gerade bei hohen Bewerberzahlen sind erhebliche Investitionen in IT-Technik nötig. Bei einem Test-Einsatz ohne Aufsicht ist es wichtig, das Testergebnis in weiteren Auswahlschritten (z. B. im Interview oder in einem Assessment-Center) zu verifizieren. Schneidet eine Person in einem unbeaufsichtigten Test, der die Intelligenz berufsnah misst, sehr gut ab, allerdings nicht in Assessment-Center-Übungen, mit denen Ähnliches geprüft wird, so könnte ein Täuschungsversuch vorliegen. Eine sinnvolle Vorgehensweise bei einem solchen Verdacht besteht darin, Punktabzüge, beispielsweise für die Dimension der analytischen Kompetenz, vorzunehmen und das unterschiedliche Abschneiden in einem Interview offen zu thematisieren. Je nach Einsatzgebiet wäre es auch möglich, dass ein Bewerber, bei dem der Verdacht besteht, beim Online-Test auf Hilfen zurückgegriffen zu haben, den Test nochmals – dann aber unter Aufsicht – absolvieren muss. Dabei sollte ein Test verwendet werden, der zwar ähnliche, aber eben nicht dieselben Aufgaben verwendet – ansonsten sind Übungseffekte nicht auszuschließen. Worin besteht der Vorteil eines unbeaufsichtigten Online-Tests, wenn die Testergebnisse im Nachhinein noch verifiziert werden

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müssen und vielleicht sogar noch ein weiterer Test unter Aufsicht stattfinden muss? Der Einsatz eines Online-Tests von zu Hause aus ist – trotz der beschriebenen Unsicherheiten – immer dann angezeigt und empfehlenswert, wenn kostengünstig eine große Anzahl an Bewerbern vorausgewählt werden soll. In diesem Fall kann der Online-Test eine frühe Phase der Auswahl mit objektiven Ergebnissen stützen und die Kosten für spätere Auswahlphasen mit höheren Durchführungskosten pro Bewerber deutlich mindern. Allerdings sollte auch hier – wie bereits ausgeführt – wieder berücksichtigt werden, dass die Testergebnisse von unbeaufsichtigen Testdurchführungen eventuell das Ergebnis einer Täuschung sind. Dies kann vor allem dann als Problem auftreten, wenn bei der Vorauswahl sehr restriktiv vorgegangen wird (z. B. wenn nur zehn von hundert Personen zur nächsten Auswahlstufe zugelassen werden). In diesem Fall könnte es nämlich sein, dass nur Personen den Online-Test bestehen, die unerlaubte Hilfsmittel zur Unterstützung herangezogen haben. Ehrliche Personen würden dann vielleicht trotz ausgezeichneter analytischer Kompetenz nicht zugelassen werden. Zwei Instrumente können dieser Problematik entgegenwirken: 1. Der Online-Test sollte lediglich dazu verwendet werden, Kandidaten zu identifizieren, die einen bestimmten geringen Punktwert nicht erfüllen (screening out). Vergrößert man hingegen das Gewicht des Online-Tests und sucht damit Bewerber, die einen besonders hohen Punktwert erfüllen (selecting in) und lässt nur diese in eine weitere Auswahlstufe, so ist die Gefahr größer, lediglich Personen zuzulassen, die unlautere Mittel verwendet haben (Tippins et al., 2006). Mit dieser Forderung nach einem Screening out ist die Empfehlung verbunden, dass die Auswahlquote2 von Online-Tests vergleichsweise hoch sein sollte, um wünschenswerte Ergebnisse zu erzielen: So erscheint es sinnvoll, nur etwa dreißig von hundert Bewerbern als nicht geeignet zu klassifizieren. Bei diesem Zahlenverhältnis kann man davon ausgehen, dass keine äußerst geeigneten 2 Die Auswahlquote gibt den Anteil der Ausgewählten an der gesamten Bewerbergruppe an. Eine hohe Auswahlquote deutet auf ein Auswahlverfahren hin, bei dem anteilsmäßig viele Personen in die nächste Auswahlrunde gelangen. Bei großen Bewerberzahlen und hohen Auswahlquoten kann trotzdem – absolut gesehen – vielen Bewerbern die nächste Auswahlstufe verwehrt bleiben.

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Bewerber durch ungeeignete Personen, die sich unlauterer Mittel bedient haben, verdrängt werden. Ein kleines Rechenexempel soll schließlich verdeutlichen, dass auch eine hohe Auswahlquote den Einsatz eines Online-Tests rechtfertigt: Bei 100 Bewerbern für eine bestimmte Trainee-Stelle könnte ein kostengünstiger und zudem kurzer Online-Test dreißig Bewerber als nicht geeignet klassifizieren. Soll mit den verbleibenden Bewerbern ein Assessment-Center in der nächsten Auswahlrunde durchgeführt werden, ließen sich mit dem Einsatz des Online-Tests fünf Assessment-Center mit jeweils sechs Teilnehmern einsparen. Damit ist ein zusätzliches objektives Kriterium mit vertretbaren Kosten verwendet worden, das die Vorhersage verbessert und den nachgelagerten Aufwand mit wenig geeigneten Kandidaten im Assessment-Center deutlich reduziert. 2. Die Teilnehmer sollten explizit darauf hingewiesen werden, dass die Ergebnisse des Online-Tests in einem weiteren Auswahlschritt überprüft werden. Eine Nutzung unerlaubter Mittel würde also nicht zu einem langfristigen Erfolg führen.

6 Innovative Testansätze im Internet Die Anforderungen, die ein bestimmter Arbeitsplatz an die Arbeitnehmer stellt, sind vorab durch das Unternehmen zu definieren. Diese Anforderungen legen die einzusetzenden Fragebögen oder Tests fest.3 Um einige Beispiele zu nennen: Die Bewerber für die Stelle eines Controllers sollen gut ausgeprägte mathematische Fähigkeiten besitzen. Ein entsprechend konzipierter Test kann dies abbilden. Oder es sollen kaufmännische Auszubildende gesucht werden, welche die deutsche Rechtschreibung angemessen beherrschen. Entsprechende Tests sind online ökonomisch durchführbar und können helfen, Personen mit einer besonderen Stärke in diesem Bereich auszuwählen. 3 Auf der Webseite der ITB Consulting und deren Kooperationspartner, der Gikom CSE, können drei Beispieltests absolviert werden. Besuchen Sie dazu die Webseite http://www.itb-consulting.de/e-assessment. Dort werden die Aufgabengruppen »Diagramme und Tabellen«, »Mitteilungen formulieren« und »Technische Zusammenhänge« vorgestellt.

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Aber das Internet bietet natürlich auch hier mehr: Dank der Computerisierung können Aufgabenformen entwickelt werden, die einen expliziten Bezug zur Berufsrealität zeigen und dadurch augenscheinlich noch mehr mit dem Berufserfolg gemeinsam haben. So kann zum Beispiel in der computergestützten Simulation eines Arbeitstages das Sichten, Priorisieren, Delegieren von vernetzten Aufgaben und das Treffen von Entscheidungen – kurzum die Planungskompetenz – im Mittelpunkt stehen. Die Akzeptanz für diese Verfahren ist bei Bewerbern nachweislich hoch, allerdings nicht in jedem Fall höher als bei klassischen Intelligenztests (Kersting, 1998). Fraglich ist auch, ob diese innovativen Formen überhaupt – auch wenn sie anders verpackt sind – andere Kompetenzen als Intelligenz und Vorwissen messen (Kersting, 1999), dies allerdings bei höheren Entwicklungskosten und größeren Qualitätsproblemen als bei herkömmlichen Leistungstests für die Personalauswahl. Innovative Ansätze werden auch für den Bereich der Erfassung sozialer Kompetenz gesucht. Bislang werden in vielen Fällen Fragebögen eingesetzt, die auf einer Selbstbeschreibung der sozialen Fähigkeiten durch die Bewerber beruhen. Bei diesem Vorgehen ist allerdings fraglich, ob alle Bewerber gleichermaßen in der Lage sind und zudem auch beabsichtigen, ihr eigenes Verhalten in einem Auswahlkontext ehrlich zu beschreiben. Besser wäre es hier, um Arbeitsproben zu bitten, also konkrete soziale Situationen nachzustellen, Videoaufnahmen davon anzufertigen und die Bewerber darauf reagieren zu lassen. Von solchen neuen multimedialen Leistungstests zur sozialen Kompetenz liegen erste erfolgversprechende Forschungsergebnisse vor (Lievens u. Coetsier, 2002; Lievens u. Sackett, 2006; Weis u. Süß, 2007). Auch wenn diese Tests zwar computerisiert, bisher aber nicht webbasiert durchgeführt werden, ist der Schritt zur Nutzung des Internets für diese Verfahren dank des Einzugs des Breitband-Internetzugangs in Europa nicht mehr weit. Die Messung von sozialer Kompetenz könnte aber auch noch realitätsnäher erfolgen: Arbeitet der bereits beschriebene Ansatz noch standardisiert und zwar in Form des Einspielens von Video-Szenen, wäre es genauso denkbar, mehrere Bewerber – zum Beispiel im Rahmen einer Gruppendiskussion – virtuell »an einen Tisch zu holen« und sie in der Interaktion miteinander zu beobachten. Die Bewertung der Kompetenz könnte dann genauso erfolgen wie heute bereits im herkömmlichen Assessment-Center – allerdings über

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Webcam und Lautsprecher. Ein solches Auswahlverfahren misst zudem Fähigkeiten, die heute besonders in Teams benötigt werden, deren Mitglieder über die Welt verstreut arbeiten (siehe Krämer u. Schürmann in diesem Band).

7 Webbasierte Self-Assessments als Maßnahme des Personalmarketings Ein webbasierter Test kann schließlich auch für das Personalmarketing neue Akzente setzen: Er kann Personen bei der Berufswahl unterstützen und als Hilfe zur Karriereplanung dienen – diese Funktionen lassen sich wiederum für das Personalmarketing nutzen. Was damit genauer gemeint ist, soll folgendes Beispiel veranschaulichen: Stellen wir uns vor, ein Unternehmen möchte potenzielle Interessenten über unterschiedliche Trainee-Programme in verschiedenen Geschäftsbereichen informieren. Multimedial und interaktiv lässt sich über das Internet zunächst einmal das Unternehmen präsentieren: Die unterschiedlichen Geschäftsbereiche können mit Filmen, Interviews, Berichten ehemaliger Trainees und Fotos vorgestellt werden. Im Online-Chat lassen sich derzeitige Trainees oder Auszubildende befragen. Abgerundet wird das Ganze durch einen Fragebogen, der hilft, die eigenen Interessen besser kennenzulernen und den Grad der Passung zu den unterschiedlichen Trainee-Laufbahnen zu ermitteln. Solche Online-Systeme unterstützen die Selbstselektion, weil sie die Anforderungen und Merkmale der späteren Tätigkeit vermitteln. Als Konsequenz dieser Selbstselektion steigt die Quote der grundsätzlich Geeigneten im Auswahlverfahren, also erhöht sich die Trefferquote des folgenden Auswahlverfahrens, und die Kosten für eine Stellenbesetzung werden reduziert. Solche Verfahren zur Selbstselektion und Orientierung werden meist mit dem Begriff Self-Assessment bezeichnet (Zimmerhofer, Heukamp u. Hornke, 2006); ein Begriff, der unterstreicht, dass die Verfahren dem Besucher dienen, sich selbst besser einzuschätzen, und nicht dazu, dem Unternehmen weitergehende Informationen über die Bewerber zu liefern.

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8 Ausblick Dieser Beitrag hat dargelegt, welche Chancen das Internet für das Personalmarketing und für die Personalauswahl bietet. Die Verwendung von IT-Lösungen verschlankt den kompletten BewerberWorkflow, beschleunigt den Auswahlprozess und reduziert nicht zuletzt die damit verbundenen Kosten. Aber wohin entwickelt sich das Internet? Welchen Einfluss wird das Internet auf die Personalgewinnung haben? Vier zentrale Trends werden näher beleuchtet. Erster Trend: Es steht außer Frage, dass die Bedeutung des Internets in allen Bereichen des Lebens, somit eben auch bei der Stellenund Bewerbersuche, weiter wachsen wird. Der Einfluss von Anzeigen in gedruckten Medien als Personalmarketingmaßnahmen wird hingegen sinken. Mehr noch als heute werden in Zukunft Stellen für sämtliche Unternehmenspositionen im Internet bekannt gegeben. Derzeit werden Internet-Formulare häufig nur für die Erfassung des Lebenslaufs eingesetzt, weitere Auswahlschritte (zum Beispiel Interviews oder Assessment-Center) finden in der Regel »auf klassischem Weg« statt. Um den Auswahlprozess für die Bewerber komfortabler zu gestalten und Kosten zu sparen, wird auch das Internet weiter an Bedeutung gewinnen. So ist davon auszugehen, dass klassische Interviews vermehrt durch videounterstützte Telefonate ersetzt werden. Dies ist zwar heute technisch schon möglich, allerdings wird die technische Handhabung für alle Beteiligten in den nächsten Jahren sicherlich komfortabler und damit das Vorgehen bei den Bewerbern voraussichtlich auch akzeptierter. Ermöglicht wird dadurch die Bewertung derselben Kompetenzen, die auch in einem »Face-to-Face«-Interview beurteilt werden. Zweiter Trend: In den letzten Jahren zeichnet sich die Entwicklung ab, dass Deutschland in der Einsatzhäufigkeit von Tests und Persönlichkeitsfragebögen in der Personalauswahl zu anderen europäischen Ländern aufschließt. Lange Zeit wurden in Deutschland vergleichsweise selten Positionen durch die Nutzung von Tests oder Fragebögen vergeben. Heute werden diese Verfahren gerade aufgrund geringer Kosten, hoher Objektivität und Fairness mehr und mehr »hoffähig« – zwar nicht für alle, aber dennoch für viele Unternehmenspositionen. Auch das angesprochene Problem der Ver-

Der Einfluss des Internets auf die Eignungsdiagnostik

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fälschbarkeit aufgrund mangelnder Überwachung (bei Testungen zu Hause) beziehungsweise hoher Kosten für das Unternehmen (bei Testungen im Unternehmen) könnte sich in Zukunft durch alternative Vorgehensweisen lösen lassen. Denkbar ist eine dritte, breit einsetzbare Möglichkeit, Tests und Fragebögen unter gesicherten Bedingungen durchführen zu lassen: in kommerziellen TestCentern in örtlicher Nähe zum Bewerber. Entsprechend könnten Unternehmen Dritte damit beauftragen, bei Bewerbern bestimmte Verfahren unter Aufsicht durchzuführen. Ähnliches wird heute schon für IT-Zertifizierungen4 praktiziert, sehr selten aber für den Bereich der Personalauswahl. Ein solches Vorgehen könnte sowohl Kosten auf Seiten des Personal suchenden Unternehmens reduzieren als auch die Akzeptanz bei den Bewerbern steigern, weil diese – unter anderem – keine langen Anreisen einplanen müssen. Dritter Trend: Bereits heute zeichnet sich ab, dass die früher weitgehend getrennten Bereiche Personalmarketing und -auswahl mehr und mehr ineinander greifen werden. So bietet gerade das Internet eine effiziente Möglichkeit, das Unternehmen zu präsentieren, potenzielle Bewerber zu informieren und zugleich mehr über diese zu erfahren. So könnten beispielsweise einerseits webbasierte Arbeitsproben den Besuchern einen Einblick in das Unternehmen bieten, andererseits zugleich etwas über die Eignung der Personen aussagen. Vierter Trend: Es wird in Zukunft der Bedarf an interaktiven Verfahren steigen, anhand derer Kompetenzen abgebildet werden können, die heute eher später im Auswahlverfahren, zum Beispiel im Interview oder im Assessment-Center geprüft werden. Viele der heute eingesetzten Online-Tests wären auch als Papier-BleistiftTests durchführbar. Somit wird auf Konzepte gesetzt, die ohne Interaktion zwischen mehreren Bewerbern beziehungsweise zwischen Bewerbern und Unternehmen auskommen. Zur Erfassung von analytischer Kompetenz funktioniert diese Vorgehensweise hervorragend, nicht so gut aber zum Beispiel zur Erfassung sozialer Kompetenz. Genau diese ist aber im heutigen Berufsalltag immens 4 IT-Zertifikate bescheinigen Teilnehmern nach einer bestandenen Prüfung Kenntnisse im Umgang mit einem bestimmten Hardware- oder Softwareprodukt.

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wichtig. Sinnvoll wäre es daher, schon die Vorauswahl um interaktive Elemente zu ergänzen. Hierzu werden in der Forschung bereits neue Testkonzepte diskutiert und die technischen Rahmenbedingungen geschaffen. Mit Blick auf den Einsatz von interaktiven Verfahren sei abschließend allerdings davor gewarnt, neue technische Möglichkeiten als Selbstzweck zu nutzen und dabei die Erfassung eignungsdiagnostisch relevanter Kompetenzen aus dem Blick zu verlieren.

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Das Interview als situative Übung

1 Vorbemerkung Dieser Essay fußt auf einer über zwanzigjährigen Praxis im Durchführen von Interviews; in dieser Zeit kamen die Interviews in immer neuem Gewand daher und der Anwendungskontext wurde – meinen Beobachtungen zufolge – zunehmend breiter. Das mag damit zu tun haben, dass umfangreiche Assessment-Center-Verfahren mit vergleichbaren diagnostischen Zielsetzungen manchen Unternehmen zu aufwändig, zu teuer oder auch zu unspezifisch sind: Hier hat das Interview das Assessment-Center (AC) ersetzt. Es mag aber auch an der Plastizität und flexiblen Anwendbarkeit des Interviews liegen: Wo immer in der Matrix Kompetenz x AC-Element noch eine Zelle zu besetzen, das heißt ein (weiterer) Messvorgang notwendig ist, das Interview bietet sich als ein mit vergleichsweise geringem Aufwand konstruierbares Diagnoseinstrument an. Das Interview wird dann zum Bestandteil des Assessment-Centers. Das Interview zeichnet sich nicht nur durch geringen Vorbereitungsaufwand, eine besondere Plastizität sowie Flexibilität in der Anwendung aus, es ist gleichzeitig das Diagnoseinstrument mit der höchsten Akzeptanz: Fragende ebenso wie Befragte schätzen das Interview wegen seiner persönlichen Note, seiner zumeist angenehmen Atmosphäre, seiner natürlichen Transparenz und seiner Menschlichkeit. All diese Eigenschaften und Merkmale kann das Interview allerdings nur in der Hand des geübten Anwenders zuverlässig und valide entfalten. Ein kleiner Beitrag zur »Übung« dieses Anwenders soll in der Folge geleistet werden. Hier soll vom Interview als einem diagnostischen Instrument die Rede sein, das vor allem zur Erfassung von Kompetenzen (z. B. Führungskompetenz) eingesetzt wird. Kompetenzen sind in aller Regel recht breit und facettenreich definiert; ihre diagnostische Erfassung ist daher auf den ersten Blick nicht die Domäne des Inter-

Das Interview als situative Übung

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views (Abschnitt 1). Wie es dennoch gelingen kann, im Interview eine Reihe jener Aspekte zu erfassen, die eine solche Kompetenz ausmachen, dazu werden unter der Überschrift 2 Dreipunktmessung in Abschnitt 2 einige Vorschläge gemacht. Abschnitt 3 geht auf eine neben dem Facettenreichtum weitere Besonderheit des Kompetenzbegriffs ein – seine »Stufigkeit«. Die Abschnitte 4 und 5 schließlich beschäftigen sich mit der Frage, wie die im Interview erhobenen Daten noch unter anderen als den Kompetenzgesichtspunkten ausgewertet, und damit einem Reframing unterzogen werden können. In meiner diagnostischen Praxis habe ich Beobachtungen und Überlegungen angestellt, die auch schon andere Interviewer angestellt haben mögen, und Erfahrungen gesammelt, die auch schon andere Interviewer gesammelt haben mögen – und die eventuell an der einen und anderen Stelle auch schon zu Papier gebracht sein mögen. Nichtsdestotrotz sind in der Folge keine Quellen angegeben, weil ich es im Rahmen dieses Erfahrungsberichtes nicht für wesentlich erachte, ob das, was ich überlegt und erfahren habe, vor mir auch schon andere überlegt und erfahren haben.

2 Die Messung von Kompetenzen In dem diagnostischen Kontext, über den wir hier nachdenken, geht es vor allem darum, den Ausprägungsgrad von Kompetenzen zu ermitteln, von Kompetenzen, die in der Regel Bestandteil eines Kompetenzmodells sind, das sich ein Unternehmen als durchgängige Basis für Mitarbeiterrekrutierung, Mitarbeiterbeurteilung und Mitarbeiterentwicklung sozusagen gegeben hat. Kompetenzen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie einen starken Handlungsbezug haben (»kompetent wofür?«) und dass sie in der Regel ein ausgesprochen facettenreiches Konstrukt beschreiben. Zur Erfassung (Messung) der Ausprägung einer Kompetenz kann man daher nicht eine Anzahl homogener Aufgaben verwenden, die sich vor allem hinsichtlich ihres Schwierigkeitsgrades unterscheiden (die Zahl der richtig bearbeiteten Items wäre in diesem Fall Indikator für den Ausprägungsgrad des gemessenen Konstrukts). Da Kompetenzen nicht faktorenrein sind, muss eine höhere Kompetenzausprägung nicht für ein Mehr vom Gleichen stehen. So ist zum

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Beispiel eine dieser Kompetenzen, die in keinem Kompetenzmodell eines Unternehmens fehlt, die soziale Kompetenz: Darunter versteht man im Allgemeinen Aspekte verbaler und nonverbaler Kommunikation, Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit und andere mehr. Greifen wir lediglich aus der Facette Kommunikation die Unterfacette verbale Kommunikation heraus, so sagt uns schon die Alltagserfahrung, dass es nicht ausreichen kann, den Ausprägungsgrad verbal-mündlicher kommunikativer Kompetenz in einer geschützten Zweiersituation zu ermitteln – wir alle kennen Menschen, deren kommunikative Kompetenz in der geschützten Dyade wir als ausgesprochen gut ausgeprägt einschätzen, deren verbale Ausdrucksfähigkeit aber deutlich leidet, sobald sie sich in einer größeren Gruppe bewegen, und die gegebenenfalls ganz zum Erliegen kommt, wenn diese Personen frei vor einer Gruppe von »Hierarchen« reden sollen. Ziel der Kompetenzdiagnostik muss es also stets sein, den vielen Facetten, die einer Kompetenz innewohnen, Rechnung zu tragen. Von zentraler Bedeutung ist es darüber hinaus aber auch, die zeitliche Konstanz und die situative Konsistenz der zu diagnostizierenden Kompetenz zu beobachten. Erst wenn wir beispielsweise sicher sind, dass Person A ein überdurchschnittliches Ausdrucksvermögen in drei oder vier hinreichend unterschiedlichen Situationen unter Beweis zu stellen vermochte, dann wagen wir den Schluss zu sagen: Was immer an Situationen auf diese Person zukommen mag, sie wird mit aller Wahrscheinlichkeit auch in neuen Situationen ein überdurchschnittliches Maß an verbaler Ausdrucksfähigkeit unter Beweis stellen. Daraus leitet sich in aller Regel die Forderung ab, Kompetenzen mittels Assessment-Center-Verfahren zu diagnostizieren, in denen unterschiedliche AC-Elemente unterschiedliche Situationen des beruflichen Alltags abbilden und damit Verhaltensstichproben abfordern. Ein Assessment-Center schafft mit seinen unterschiedlichen Übungen jene unterschiedlichen Kontexte, die im Rahmen einer Anforderungsanalyse als bedeutsam erkannt worden sind, und es besteht die Möglichkeit, die situative (Un-)Abhängigkeit von Verhalten zu beobachten.

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3 Die »Dreipunktmessung« einer Kompetenz im Interview Die Frage stellt sich nun, ob sich ein der Assessment-Center Technik vergleichbarer Messansatz auch im Interview realisieren lässt: Lassen sich, mit anderen Worten, auch im Interview unterschiedliche Situationen schaffen? Betrachten wir dazu nach der Sozialen Kompetenz eine weitere Kompetenz, die – in mehr oder weniger gleicher Diktion – ebenfalls in jedem Kompetenzmodell zu finden ist: Initiative, die Bereitschaft und die Fähigkeit, von sich aus, ohne irgendeinen direkten Anstoß von außen, etwas in die Wege zu leiten – eine Form der Expansivität. Zur Erfassung dieses Konstruktes bietet sich im Interview die Möglichkeit einer so genannten Dreipunktmessung an.

3.1 Situative Initiative – Inhaltsneutrale Informationen aus der Situation Interview Unabhängig von der Thematik, die Sie als Interviewer in einem einbis zweistündigen Gespräch anschneiden, bietet sich stets die Möglichkeit, Aspekte der Initiative des Interviewten zu beobachten. Es geht dabei um Antworten auf Fragen wie die folgenden: »Inwieweit steuert der Interviewte das Gespräch mit?«, »Bringt der Interviewte von sich aus neue Themen in das Gespräch ein?«, »Bringt der Interviewte von sich aus neue Aspekte zu einem Thema ein?«, »Stellt der Interviewte Fragen?«, »Hakt er nach?«, »Antwortet er in ›gehässigem Gehorsam‹ auf eine geschlossene Frage auch mit Ja oder Nein?« Hier bieten sich dem Interviewer eine Reihe von Möglichkeiten, unabhängig von der mit seinen Fragen angezielten Kompetenz (zum Beispiel Marktorientierung) Beobachtungen anzustellen, die ihm Auskunft über etwas geben können, was wir hier situative Initiative nennen wollen. Entscheidend für den Diagnostiker ist es hierbei, den Blick nicht nur auf jene Inhalte zu richten, die zur Erfassung von Marktorientierung interessant sind – vielmehr sollte er gleichzeitig auch die Form der Darstellung (als Indikator für Ausdrucksfähigkeit und diese wiederum als Aspekt der sozialen Kompetenz) sowie Aspekte von situativer Expansivität (als Ausdruck einer initiativen Grundeinstellung) beobachten und auf einem Beobachtungsbogen festhalten.

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3.2 Initiative auf der Makroebene – Globale Informationen aus der Vita Hierbei wird eine der klassischen interviewspezifischen Möglichkeiten, nämlich die, Informationen aus der Vergangenheit gleichsam »in die Situation hereinzuholen«, genutzt – eine der wesentlichen Unterschiede zu den situativen Übungen in einem Assessment, in denen ja jeweils nur das aktuelle Verhalten beobachtet werden soll und kann. Der Interviewer wird in dieser Passage zusammen mit seinem Gesprächspartner einige Situationen aus dessen Vergangenheit durchsprechen; Letzterer wird nachfragen, wer welche Weichen gestellt hat, wie die Entscheidungen für Praktika, Auslandsaufenthalte, Studienwahl, Berufswahl, Stellenwechsel, Erwerb von Zusatzqualifikationen usw. zustande gekommen sind. Hat man diese Veränderungen jeweils an den Kandidaten herangetragen? Sind Eltern, Lehrer oder andere wichtige Bezugspersonen hier aktiv geworden oder lassen sich Indikatoren dafür finden, dass der Gesprächspartner in seiner bisherigen Laufbahn ein bestimmtes Maß an Initiative an den Tag gelegt hat, sich selbst Handlungsspielräume erschlossen und Entscheidungen selbst getroffen hat?

3.3 Initiative auf der Mikroebene – Spezielle Informationen aus der Vita Dies ist sozusagen die dritte Sonde, mit welcher der Interviewer nach Indikatoren für Initiative als eine dem Interviewten habituell gewordene Form der Auseinandersetzung mit der Umwelt suchen soll und fündig werden kann. Die klassische Annäherung an diesen Teil des diagnostischen Interviews besteht darin, dass sich der Interviewer einen bei der Durchsicht der Unterlagen als bedeutsam erscheinenden Zeitabschnitt aus der Vita heraussucht (z. B. eine Ausbildung, ein Praktikum, die Zeit bei einem bestimmten Arbeitgeber, die Tätigkeit im ASTA oder in der Schülermitverwaltung …) und in einer sendersyntonen und adressatengerechten Paraphrasierung die Frage stellt (gemeint ist, dass der Interviewer die folgende Frage sinngemäß und in einer Sprache stellt, die sein Gegenüber versteht und die zu ihm, dem Interviewer, passt – vgl. hierzu die Fußnote auf S. 206): »Was gäbe es heute bei XY (dem Arbeitgeber X,

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dem ASTA in Y) nicht, wenn es Sie dort nicht gegeben hätte?« Ziel der sich an die erste Antwort des Interviewten anschließenden notwendigen Befragung ist es herauszufinden, wie diese Initiative aussah: Wie war die Ausgangssituation, auf die der Kandidat getroffen ist? Welche Aktivitäten sind ganz konkret ihm zuzuschreiben? Und was schließlich war das Ergebnis dieser Aktivität? Welche Projekte hat er selbst angestoßen? Auf welche Widerstände ist er dabei getroffen? Wie hat er sich ihnen gegenüber verhalten? Wie war die zeitliche Erstreckung? Was von den angestoßenen Veränderungen hat Bestand? Wer war noch beteiligt, was waren die Anteile der anderen Beteiligten? Als Alternative zur vorgeschlagenen Einstiegsfrage (»Was gäbe es nicht, wenn es Sie nicht gäbe? Was verdankt sein Dasein Ihnen?«) bietet es sich an, den Kandidaten zu bitten, kurz drei Projekte aus der jüngsten Vergangenheit zu skizzieren, für die er Verantwortung getragen hat – hierbei erschließt sich darüber hinaus noch die Möglichkeit, aus der Art und Weise, wie die drei Projekte skizziert werden, weitere Aufschlüsse zu gewinnen z. B. über die Prägnanz der Darstellung. Wer als Interviewer in jedem dieser drei Bereiche (situative Initiative, auf der Makro- und auf der Mikroebene) hinreichend Indikatoren für ein hohes Maß an Initiative, an Gestaltungswillen seines Gesprächspartners entdeckt hat, wer also sozusagen mit drei Sonden fündig geworden ist, der wird dem Kandidaten mit hoher Konfidenz ein überdurchschnittliches Ausmaß an Initiative zuschreiben können. Dies ist ein Beispiel dafür, wie es im Interview gelingen kann, dem Facettenreichtum eines Kompetenzbegriffes Rechnung zu tragen und gleichsam unterschiedliche Situationen im Interview zu schaffen. Es bietet sich an, dem Interviewer als unterstützende Maßnahme eine Art Beobachtungsbogen (vgl. Abbildung 1) oder Protokollblatt an die Hand zu geben; das wie folgt aussehen könnte:

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Teilnehmer/-in (Name, Kennziffer): Interviewer/-in (Name, Kennziffer): ................................

..................................

Kompetenz

Verhaltensbeispiele

situative Initiative

+ steuert das Gespräch mit + bringt neue Aspekte zu einem Thema ein + bringt neue Themen ein + stellt von sich aus Fragen + agiert (statt reagiert)



1

2

3

4

5 +

– – – – Initiative auf der Makroebene (gesamte Vita) –

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2

3

4

5 +

reagiert ausschließlich/vor allem sagt zu allem »Ja und Amen« nutzt nicht die Chance, Fragen zu stellen nimmt Äußerungen beim geringsten Anzeichen von Widerstand zurück

+ hat eigenständig Entscheidungen getroffen + hat Mobilität unter Beweis gestellt + hat Auslandsaufenthalte selbst initiiert + hat wechselnden Aufgaben/Herausforderungen gesucht – agiert (durchgängig) fremdgesteuert – keine/kaum Hinweise auf Mobilität zu erkennen – hat häufig aufgegeben, sobald Hindernisse auftraten – war noch nie im Ausland

Initiative auf der Mikroebene (konkrete Aktivitäten) –

1

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4

5 +

+ hat im eigenen Verantwortungsbereich Veränderungsbedarfe identifiziert + hat erkannte Veränderungsnotwendigkeiten in Handlungen/Maßnahmenkataloge umgesetzt + hat im eigenen Verantwortungsbereich Projekte angestoßen und diese (ggf. auch gegen Widerstand) durchgesetzt – hat kein Networking betrieben – kann über keine Eigeninitiative berichten – dargestellte eigene Vorgehensweise ist eher »kleinschrittig« – sucht bei einer Aufgabenstellung stets nach 120-prozentigen Lösungen

Abbildung 1: Beobachtungsbogen zur Dreipunktmessung-Initiative

Das Interview als situative Übung

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4 Kompetenzen und deren Stufen Eine weitere Herausforderung für den Kompetenzdiagnostiker liegt darin, dass bei vielen Unternehmen an bestimmte Funktionen beziehungsweise Hierarchieebenen bestimmte Ausprägungen von Kompetenzen geknüpft sind. Ein Beispiel: Man verlangt von einem Mitarbeiter »auf der Fläche eines Supermarktes« eine bestimmte Form von Kundenorientierung (grüßen, Signale des Kunden wahrnehmen, Hilfestellung anbieten, beraten). Der Einkaufschef dieses Unternehmens benötigt ebenfalls Kundenorientierung – nun aber nicht in der Form, dass er besser oder freundlicher grüßt, noch rascher Signale eines suchenden Kunden wahrnimmt usw., sondern in der Form, dass er sich um die Bedürfnisse seiner Kundenzielgruppe ertragreich Gedanken macht, das Sortiment in Breite und Tiefe entsprechend gestaltet, eine bestimmte Preislagenarchitektur umsetzt usw. – gleichzeitig müsste er aber (wäre er auf der Fläche) auch die Verhaltensweisen an den Tag legen (können), die dort vom »normalen« Mitarbeiter erwartet werden. Zu dem, was alle in Sachen Kundenorientierung können sollen, kommen auf höheren Hierarchiestufen beziehungsweise in anderen Funktionen neue Facetten der Kundenorientierung hinzu.1 Solche Prozesse einer stufigen Definition von Verhaltenserwartungen innerhalb einer umschriebenen Kompetenz in Abhängigkeit von der Hierarchieebene beziehungsweise der Funktion, für die diagnostiziert wird, haben natürlich erhebliche Implikationen für den Messvorgang und damit auch für die Messinstrumente. So sind vielfältige Aufgaben denkbar, die unter Aktivierung der Kompetenzaspekte, welche die beiden niedrigsten Stufen von analytischer und strategischer Kompetenz (um eine weitere beliebte Begrifflichkeit aus der Kompetenzdiagnostik einzuführen) ausmachen, erschöpfend bearbeitbar sind: Agieren auf Stufe 2 (einer beispielsweise fünfstufigen Skala mit 5 als höchster Ausprägung) kann gegebenenfalls in einer bestimmten Situation ein Verhaltensoptimum darstel1 Dieses Prinzip fußt auf der Annahme der Additivität der auf den einzelne Stufen beschriebenen und diese definierenden Verhaltensanker – jede Stufe ist in der nächsthöheren sozusagen enthalten. Dies wiederum setzt voraus, dass keine defizitären Definitionen oder Definitionsbestandteile herangezogen werden. Die niedrigste Ausprägung einer Kompetenz darf also nicht durch eine bestimmte Art des umschriebenen Nichtkönnens oder Nichtmachens definiert sein.

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len, das in dieser Situation grundsätzlich nicht mehr übertroffen werden kann, »besser geht’s nicht«: Wenn jemand die Aufgabe hat, eine 50 cm hohe Hürde zu überspringen, und das dann tut, dann ist das eine optimale Lösung der Aufgabe; dies ist anzuerkennen, man kann der Person nicht vorwerfen, keine zwei Meter hoch gesprungen zu sein. Dies stellt dann kein grundlegendes Problem dar, wenn dem Diagnostiker bewusst ist, dass seine veridikale Diagnose »A agiert auf Level 2 und löst damit die Aufgabe vollständig« sowohl einem Personspezifikum als auch einem Aufgabenspezifikum geschuldet ist. Die optimale Lösung der Aufgabe schließt Agieren auf dem höheren Level 3 aus: »Macht nicht mehr, weil es sinnvoll ist, nicht mehr zu machen.« »Macht nicht mehr, obwohl es sinnvoll und notwendig wäre, mehr zu machen«, dies wäre eine völlig andere Sicht auf das gezeigte Verhalten. Hier kommt wieder der Aufgabenbezug des Kompetenzbegriffs zum Tragen: »A agiert bei Lösung der Aufgabe X auf Level 2« kann für eine optimale Aufgabenerledigung ebenso stehen wie für eine suboptimale. Im Assessment-Center wird dieser Tatsache dadurch Rechnung getragen, dass über die Aufgabenvorgabe sicher gestellt wird, dass auch höhere Kompetenz-Level bei der auftragsgemäßen Bearbeitung der Aufgabe sinnvoll aktivierbar sind – ein Innehalten auf einem niedrigeren Level beziehungsweise ein Nichterklimmen (können) der nächsten Stufe somit als diagnostisch bedeutsam betrachtet werden kann. Für den Interviewer bedeutet es, dass er grundsätzlich über seine Fragengestaltung und das Einstreuen von Arbeitsproben dafür Sorge tragen muss, dass sich das im vorliegenden diagnostischen Kontext mindesterforderliche Verhaltenslevel auf Seiten des Kandidaten auch manifestieren kann und dass der Interviewer es als solches zu erkennen vermag.

5 Interview als Arbeitsprobe im sozialen Bereich Puristen mögen argumentieren, ein Interview könne nicht Bestandteil eines Assessment-Centers sein, da ACs dem Prinzip der situativen Übung, der repräsentativen Abbildung von Anforderungssituationen der Zielposition verpflichtet seien. Wir wollen – sozusagen in klarer Abhebung von dieser Position – noch eine weitere Mög-

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lichkeit betrachten, Daten aus dem Interview sozusagen »quer« zu Kompetenzen liegend zu erheben, zu sichten und zu nutzen. Wenn wir unseren beruflichen Alltag betrachten, dann sehen wir, dass wir einen großen Teil unserer Zeit in der klassischen Zweierbeziehung (Mitarbeitergespräche mit unterschiedlichsten Zielsetzungen; Verhandlungen mit einem Kunden; Informationsübermittlung an einen Kollegen; Einstellungsinterviews – auf welcher Seite auch immer sitzend; Besprechung eines Artikelentwurfes mit den Herausgeberinnen des Buches …) verbringen. Dies ist sicherlich auch der Grund, warum wir bei der Analyse der AC-Elemente auf überproportional viele Elemente stoßen, die sich in Gestalt der Zweierbeziehung abspielen: ein Kritikgespräch, eine Verhandlung, ein Feedbackgespräch usw. Die Idee, die hier dargestellt werden soll, ist die folgende: Wir »reframen« das Interview, indem wir sozusagen von oben auf die Interviewsituation blicken und sie nicht als eine Situation zur Erhebung von Daten zu definierten Kernkompetenzen (Initiative, Marktorientierung, Führungskompetenz) betrachten. Wir analysieren stattdessen, wie der Gesprächspartner in der sozialen Situation Interview agiert und reagiert. Wir betrachten, was er beiträgt, um die Beziehung im Interview (mit) zu gestalten. Wir betrachten das Interview sozusagen als eine Arbeitsprobe im sozialen Bereich, die geschaffene Zweierbeziehung Interviewer – Interviewter steht prototypisch für jede andere Zweierbeziehung. Dies setzt natürlich voraus, dass wir bei der Planung des Interviews Passagen vorsehen, in der die klassische Top-down-Position von Interviewer zu Interviewtem bewusst verlassen beziehungsweise erst gar nicht aufgebaut wird. Es setzt auch eine Datensammlung voraus, die sich nicht an der klassischen Einteilung von Kernkompetenzen, die im Interview erfasst werden sollen, ausrichtet: Ziel ist eine Datensammlung, die Aufschluss darüber geben soll, wie gut es dem Kandidaten gelingt, sich in einer Zweierbeziehung zu bewegen, die in seinem beruflichen Alltag einen Großteil seiner Zeit ausfüllen wird. In einer gezielten, theoriegeleiteten Sammlung von Beobachtungsdaten bietet sich der Einbau einer Reihe von kleinen Arbeitsproben an: – Der zu Interviewende wird nach einer Stunde noch einmal zu einem Faktum befragt, das er bereits dargestellt hat. Als Beobachtungsmöglichkeit bietet sich die Reaktion des Gesprächspartners an: Spricht er an, dass er zu diesem Thema bereits befragt wurde?

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Nimmt er die »Schuld« für die offensichtlich notwendig gewordene Nachfrage auf sich (»da habe ich mich wohl vorhin falsch ausgedrückt«) oder reagiert er leicht unwirsch bis anschuldigend (»das haben Sie falsch verstanden«, »das habe ich doch schon erläutert«). – Stellen Sie eine Frage, die viel Raum für Ausführungen eröffnet, und beobachten Sie, wie Sie als Zuhörer »abgeholt« und »bei der Hand genommen werden«, wie viel Zeit und Raum der Gesprächspartner für sich beansprucht und ob er sich vergewissert, dass er verstanden wird. – Senden Sie nonverbale Signale aus und beobachten Sie, ob Ihr Gesprächspartner sie wahrnimmt und darauf reagiert. – Sind die Ausführungen Ihres Gesprächpartners so gestaltet, dass sie zum Weiterführen oder Andocken anregen, oder neigt er eher zu »Non-sequitur-Formulierungen«? Es geht hierbei letztlich um eine Neubewertung der Daten, eine Auswertung aus einem anderen Blickwinkel. Auch hier bietet sich als Hilfestellung für den Interviewer ein Beobachtungsbogen (vgl. Abbildung 2) an: Teilnehmer/-in (Name, Kennziffer): Beobachter/-in (Name, Kennbuchstabe): ................................ ................................. Interview als Arbeitsprobe im sozialen Bereich –

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+ Blickkontakt aufnehmen + Blickkontakt angemessen halten + angemessenes Maß an Raum und Zeit für sich beanspruchen + anknüpfende Formulierungen wählen + »atmendes« Gespräch mitgestalten + »Schuld auf sich nehmen« vs. akkusative Formulierungen wählen + auf »Augenhöhe« mit Gesprächspartner sein + Verantwortung für den Fortgang des Gesprächs übernehmen + sich vergewissern, dass man verstanden wird

Abbildung 2: Beobachtungsbogen zum Interview als Arbeitsprobe im sozialen Bereich

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6 Vom Bauch in den Kopf – Die Cerebralisierung des Viszeralen Werfen wir schließlich noch einen weiteren Blick auf die im Interview nolens volens anfallenden Datenmengen: Ziel dieses Blickens ist es, aus dem legendären Bauchgefühl eine rationale Erkenntnis zu machen – lassen Sie es uns die Cerebralisierung des Viszeralen nennen. Wer sich über das Interview einen neuen Partner für sein Geschäft sucht, wer einen Mitarbeiter einstellen will, mit dem er täglich zusammenarbeiten wird, der wird sich nicht viele Gedanken machen (müssen), wenn er nach dem Interview das berühmte »ungute Gefühl« hat. Er wird sich allerdings dann diese Gedanken machen, wenn der Eindruck da ist: »Wäre eigentlich ein prima Mitarbeiter, aber irgendwas passt nicht.« Und er muss sich Gedanken machen, wenn solche unguten Gefühle bei ihm immer wieder bei Menschen auftreten, die im Unternehmen arbeiten, dort einen guten Job machen, mit denen zusammenzuarbeiten er aber »nicht so die rechte Lust hat«. Es muss nicht sein, aber gegebenenfalls reagieren Sie auf spezielle kommunikative Eigenheiten Ihres Gegenübers, die weder ihm noch Ihnen bewusst sind. Sicher ist, dass das Bauchgefühl existiert, dass es ernst zu nehmen ist, dass es seine Basis in tatsächlichen Sinneseindrücken hat. Sie haben etwas gesehen, gehört, gerochen, ertastet und daraus resultiert eine Einstellung zum Sender, gegebenenfalls Abwehr. Wenn es Ihnen gelingt, den Grund für diese Empfindung ausfindig zu machen, dann eröffnen sich neue Möglichkeiten: So können Sie beispielsweise versuchen, Ihrem Gegenüber – abhängig von der Art der Beziehung – deutlich zu machen, was Sie als störend empfinden. Oder: Sie können, wenn Sie den Auslösereiz identifiziert haben, mit Ihrem unguten Gefühl ganz anders umgehen, weil es ja »nur« eine verbale Eigenheit ist, die Sie als ausschlaggebend identifiziert haben. Betrachten wir uns vier verbale Verhaltensmuster, die in Ihnen – je nach Einstellung – ein ungutes oder auch positives Gefühl hervorrufen mögen, die Ihnen aber nur bewusst werden und auffallen, wenn Sie um sie wissen und wenn Sie aus diesem Wissen heraus im Gespräch gezielt hinschauen und hinhören.

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6.1 Selbstwerterhöhende Darstellungsweise Eine selbstwerterhöhende Darstellungsweise lässt sich daran erkennen, dass der Geprächspartner – grundsätzlich besitzanzeigende Formeln wählt (»in meinem Bereich«, »ich habe angeordnet«), – Selbsterhöhung über die Nennung »wichtiger« Kontakte mit »wichtigen« Personen (Namedropping) betreibt, – unaufgefordert auf Verdienste verweist, – Titelhuberei betreibt, – ungefragt »wichtige« Mitgliedschaften in »wichtigen« Gremien nennt, – deutlich macht, »was alles er weiß«.2 So mag in einem Einstellungsgespräch der Eindruck entstehen, einer macht- und statusorientierten Person gegenüber zu sitzen. Sucht der Interviewer eine solche Person, dann sollte er sich darüber im Klaren sein, dass bloßer Sprachgebrauch kein eindeutiger Indikator für eine bestimmte Persönlichkeitseigenschaft sein muss – er muss sich also Gewissheit darüber verschaffen, ob die Person so ist oder nur so spricht.

6.2 Konjunktivisch-schwebende Darstellungsweise Es entsteht in Ihnen das Gefühl, der Gesprächspartner sei »irgendwie nicht zu fassen«, man könne nicht festmachen, »wofür er eigent2 Der Befragte verwendet im Interview ein Fremdwort, das er aber sofort und ungefragt erläutert. Er nimmt also an, dass sein Zuhörer das Wort nicht kennt, es daher erläuterungsbedürftig ist; trotzdem benutzt er es. Er sendet also die folgende Botschaft: »Ich kenne ein Wort, das du nicht kennst; trotzdem sage ich es, bin aber so nett und erläutere es dir – damit du was lernst und damit du weißt, was alles ich weiß.« Es ist unwahrscheinlich, dass der Interviewer das so wahrnimmt und zwei Mosaiksteinchen in sein Bild einsetzt: »Kennt Fremdwörter« und »Erläutert sie dem Zuhörer«. Eher wird er das Wahrgenommene eine Abstraktionsstufe höher heben und zum Schluss kommen: »Produziert sich, will mich mit der Kenntnis ungewöhnlicher Fachausdrücke beeindrucken.« oder »Kann die überbordende Last seines Wissens um so viele ›schwere‹ Fremdworte nicht mehr allein tragen – lädt etwas davon bei mir ab.«

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lich steht«. Das kann an einem verbalen Verhaltensmuster liegen, das wir als konjunktivisch-schwebend bezeichnen: – gehäufte Verwendung von könnte, sollte, würde; – dito: vielleicht, ja aber; – passivische Formulierungen (»Ich wurde ins Ausland geschickt«, »Ich wurde befördert«); – »es« statt konkreter Akteur beziehungsweise häufige Verwendung von »man«; – Stimme am Satzende heben, so dass auch die Aussage »Es ist jetzt 14.00 Uhr« einen fragenden Charakter erhält. Mutatis mutandis gilt hier das zum angeführten verbalen Verhaltensmuster Gesagte.

6.3 Gestelzt-unlebendige Darstellungsweise In Ihnen entsteht der Eindruck, einem sehr sachlichen Menschen bürokratischen Zuschnitts gegenüberzusitzen; das kann gegebenenfalls an dessen gestelzt-unlebendiger Darstellungsweise liegen: – Substantivismen (»eine Einladung aussprechen« statt »einladen«), – Amtsdeutsch (»unter Heranziehung von«, »… die Verbringung von … nach …«), – Genitivismen (»die Umsetzung der Verordnung des Gesetzgebers«), – gehäufte Anglizismen, – wenig übliche Abkürzungen, – leicht ersetzbare Fremdworte, – Wortschatz allgemein beschränkt, – Klischees und Allgemeinplätze (»all business is local«; »Handel ist Wandel«, »Betroffene zu Beteiligten machen«).

6.4 Sympathie-Effekt Schon bald nach Beginn des Gesprächs wissen Sie, dass Sie den Richtigen gefunden haben. Man spielt sich die Bälle zu, Sie können sich sehr gut vorstellen, deutlich länger als geplant mit Ihrem Gegenüber zu sprechen – Ihr Gegenüber löst in Ihnen einen Sympathie-Effekt aus. Dagegen ist nun beileibe nichts einzuwenden, für

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eine künftige Kooperation ist dies geradezu eine Voraussetzung. Aber dieses sich einstellende Gefühl kann auch ein Hindernis im diagnostischen Prozess sein. Zum einen sollten Sie sich bewusst sein, dass Sympathie keine Personeigenschaft ist, sondern etwas, das sich zwischen Personen »abspielt« – Ihr Gegenüber ist nicht sympathisch, sondern er ist Ihnen sympathisch. Die Herausforderung für Sie als Diagnostiker besteht nun darin, von diesem Eindruck zu abstrahieren und herauszufinden, ob Ihr Gegenüber mehr kann als Sympathie in Ihnen zu wecken, ob er auch über jene Fähigkeiten beziehungsweise Kompetenzen verfügt, die Sie eigentlich abprüfen wollen und sollen. Die naheliegende Frage, ob sich hinter dem erst genannten Verhaltensmuster (selbstwerterhöhende Darstellungsweise) eine machtorientierte und »statusgeile« Person verbirgt, kann man sich natürlich stellen und sie auch durch weitergehende Exploration zu beantworten suchen. Man kann sich aber auch damit zufrieden geben, dem Sender rückzuspiegeln, wie er sich ausdrückt und welchen Eindruck er damit beim Empfänger auslöst, »wie er ankommt«. Oder man sagt sich, dass man mit einer Person, die sich dergestalt ausdrückt, auf keinen Fall zusammenarbeiten will – egal, ob sie nun so ist oder »nur« so spricht. Entscheidend ist, dass Sie als Interviewer die Datenbasis schaffen, von der aus weiter agiert werden kann. Eine Empfehlung lautet daher, das Interview an einer Stelle zu unterbrechen, eine Pause einzulegen, in der Sie sich im Rahmen eines ersten Zwischenresümees nicht nur vergegenwärtigen, was Sie mittlerweile über den Gesprächspartner wissen, sondern sich auch darüber im Klaren werden, was »mit Ihnen passiert ist«, welche Eindrücke sich eingestellt haben. Was machen Sie mit dem »unguten Gefühl«, das aus dem verbalen Verhaltensmuster entsprungen ist? Machen Sie sich in der zweiten Interviewsequenz daran herauszufinden, ob dem verbalen Ausdruck ein faktisches Handeln im beruflichen Umfeld »zur Seite steht«.

7 Das heißt … Sie sollten als Interviewer kein Interview beginnen, ohne zu wissen, was genau Sie herausfinden wollen, was ist erwünschtes und was ist unerwünschtes Verhalten. Sie sollten dem Interviewten Gelegen-

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heit geben, das zu zeigen, was Sie für wichtig erachten: Wenn Sie am Ende aussagefähig zur Strukturierungsfähigkeit Ihres Gesprächspartners sein wollen, dann müssen Sie das Gespräch so gestalten, dass der Gesprächspartner eine Chance hat, Strukturierungsvermögen in einer von Ihnen für essentiell gehaltenen Art und Weise unter Beweis zu stellen. Sie sollten sich als Interviewer darüber im Klaren sein, dass Sie im Prozess des Miteinanderredens nicht nur Erkenntnisse über den Interviewten, sondern auch über sich selbst gewinnen. Sie sollten sich nicht damit zufrieden geben, diese Selbsterkenntnis in Gestalt eines »Bauchgefühls« (sei es ein gutes, sei es ein schlechtes) zu haben – Sie sollten herausfinden, durch welches Verhalten Ihres Gesprächspartners es entstanden ist, und Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass Sie über das »Bauchgefühlhaben« hinaus auf das Verhalten Ihres Gesprächspartners reagieren bzw. in den zurückliegenden Interviewpassagen bereits reagiert haben. Es wäre zweifelsohne überzogen, daraus die Forderung nach einer psychoanalytischen Ausbildung des Interviewers zur Kontrolle von Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen ableiten zu wollen. Nicht überzogen aber ist die Aussage: Die Qualität der Interviewergebnisse hängt in hohem Maße ab von der Kompetenz des Interviewers, ein Interview zu führen.

Rahmenbedingungen der Eignungsdiagnostik im Wandel

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Eignungsdiagnostik als Bestandteil des Personalmarketings – Künftige Anforderungen

1 Einleitung Die deutsche Wirtschaft verzeichnet einen Fachkräftemangel, der sich allen Schätzungen zufolge in den nächsten Jahren noch verschärfen wird. Während 2005 16 Prozent der von den Industrieund Handelskammern befragten Unternehmen angaben, trotz hoher Arbeitslosigkeit Stellen zumindest teilweise nicht besetzen zu können (Dercks u. Heikaus, 2005), waren es 2007 bereits zwei Drittel der Unternehmen (Dercks, Heikaus u. Treier, 2007). Der beschriebene Fachkräftemangel macht es für Unternehmen notwendig, verstärkt um Fachkräfte zu werben und sich um das Personalmarketing zu kümmern. Zudem wirft die Situation einige Fragen auf: Ist Personalauswahl vor diesem Hintergrund überhaupt noch zeitgemäß? Müssen Unternehmen – salopp ausgedrückt – nicht nehmen, was sie kriegen können; dürfen sie sich eine »strenge« Auswahl überhaupt noch erlauben? Werden gute Bewerber möglicherweise durch das Wissen um aufwändige Auswahlverfahren in einem Unternehmen abgeschreckt? Besteht vielleicht sogar die Gefahr, dass sich qualifizierte Arbeitnehmer eher bei Unternehmen bewerben, die weniger aufwändige Auswahlverfahren durchführen? Es steht außer Frage, dass Unternehmen schon immer daran gelegen war, die ausgewählten Kandidaten auch einzustellen und Absagen seitens der Kandidaten möglichst zu verhindern. Dies ist umso wichtiger, je weniger gute Kandidaten es auf dem Markt gibt. Die Verknüpfung von Personalauswahl und Personalmarketing zu zwei ineinander greifenden Prozessen gewinnt dann an Bedeutung. Der vorliegende Beitrag gliedert sich in zwei Teile. Der erste beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, die sich einem Unternehmen

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bieten, um eine ausreichende »Bewerbergrundmenge« zu gewährleisten. Was also macht einen Arbeitgeber attraktiv und wie wird diese Attraktivität im diagnostischen Prozess kommuniziert? Der zweite Teil diskutiert die Wirkung aufwändiger Eignungsdiagnostik auf Bewerber und weitere Faktoren, die sich positiv oder negativ auf die Entscheidung auswirken können, im Bewerbungsprozess zu verbleiben oder einen Vertrag zu unterschreiben. Was also lässt Bewerber schon im Auswahlprozess oder vor Vertragsabschluss absagen und was wirkt positiv auf ihn?

2 Ausreichende Bewerberzahl sicherstellen: Was macht einen Arbeitgeber attraktiv und wie stellt sich dies im Auswahlprozess dar? Wenn nicht genügend Bewerbungen eingehen, um den Fachkräftebedarf zu decken, mag der Gedanke aufkommen, auf aufwändige Eignungsdiagnostik generell zu verzichten. Allerdings können Fehlbesetzungen ein Unternehmen teuer zu stehen kommen, sei es beispielsweise in Form von erhöhtem Einarbeitungs- und Korrekturaufwand oder bedingt durch Unzufriedenheit der Kunden. Hinzu kommen gegebenenfalls die Kosten für eine Neubesetzung. Immerhin jede fünfte Einstellungsentscheidung wird innerhalb von zwei Jahren durch das Unternehmen oder den Mitarbeiter selbst korrigiert. Bei Managern, die von außen in ein Unternehmen kommen, liegt die Quote mit 40 Prozent Kündigungen innerhalb der ersten 18 Monate noch höher (Werle, 2008a). Die direkten und indirekten Kosten einer Fehlbesetzung werden bei einer neu eingestellten Führungskraft auf das eineinhalb- bis dreifache des Jahresgehalts beziffert (Bierwirth u. Nagengast, 2005). Dem gegenüberzustellen sind die Kosten der Nicht-Besetzung einer Position bei vorhandenem Bedarf: Unter Umständen können Aufträge nicht angenommen, Qualitätsstandards nicht eingehalten, Innovationen nicht eingeführt werden etc., wodurch möglicherweise Kunden verloren gehen. Beide Alternativen erscheinen unbefriedigend und führen zurück zur Eingangsfrage, wie man eine ausreichende Bewerberzahl sicherstellen kann. Letztlich hängt die langfristige Leistungsfähigkeit eines Unternehmens zum großen Teil davon ab, ob es dem Unternehmen ge-

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lingt, vakante Stellen mit adäquaten Bewerbern zu besetzen und diese an das Unternehmen zu binden. Je höher der Bewerber die Attraktivität eines Arbeitgebers beziehungsweise einer Stelle bewertet, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich bewirbt. Von welchen Variablen hängt die Bewertung der Attraktivität eines Arbeitgebers und einer Stelle jedoch ab? Sie wird unter anderem von den angebotenen Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens, Aufstiegschancen, WorkLife-Balance, einer leistungsgerechten Vergütung, dem Ruf des Unternehmens als Arbeitgeber, Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung und den Arbeitsbedingungen bestimmt (Sebald, Enneking, Denison u. Richter, 2008; Sebald u. Enneking, 2006). Wie attraktiv eine konkrete Position eingeschätzt wird, hängt vom Herausforderungscharakter und Abwechslungsreichtum der Arbeitsaufgaben sowie dem Maß an Selbstständigkeit bei der Ausführung der Arbeitsaufgaben ab (Sebald u. Enneking, 2006; Sebald et al., 2008). Eine Möglichkeit, das Vorhandensein von Attraktivitätsfaktoren nach außen zu kommunizieren, ist durch eine Listung bei Great Place to Work oder Top Arbeitgeber. Was ist jedoch mit Unternehmen, bei denen Attraktivitätsfaktoren bereits vorliegen oder nicht realisierbar sind? Eine Möglichkeit wäre, neue Zielgruppen zu erschließen, die zwar die geeigneten Fähigkeiten besitzen, aber noch nicht über die notwendigen Fertigkeiten für eine bestimmte Position verfügen (siehe auch Stegt in diesem Band). Zudem erscheint eine stärkere Verknüpfung von Eignungsdiagnostik und Personalmarketing notwendig. Eine Möglichkeit hierfür stellen Recruiting-Maßnahmen dar, bei denen potenzielle Bewerber schon sehr frühzeitig angesprochen werden. So bieten beispielsweise einige Unternehmen in Gymnasien oder auf Messen professionell durchgeführte Vorbereitungsseminare für Assessment-Center und Bewerbungstrainings an. Software-Herstellen bieten einen Online-Einstufungstest für Jugendliche an, der im Anschluss die Möglichkeit einer kostenlosen Online-Schulung mit IT-Inhalten bietet. Beide Wege sind geeignet, die Aufmerksamkeit potenziell geeigneter Personen schon lange vor Beendigung des Studiums – möglicherweise sogar bereits in der Schulzeit – zu gewinnen und sie an das Unternehmen zu binden. Ein weiteres Mittel, neue und größere Bewerberkreise anzusprechen, ohne dabei den Aufwand zu erhöhen, ist über Online-Assessments, die einen gewissen Unterhaltungswert aufweisen

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und gleichzeitig den Einsatz diagnostischer Testverfahren ermöglichen. Zudem werden verschiedene Möglichkeiten zur ersten Kontaktaufnahme mit dem Betreiber angeboten, zum Beispiel Forum, Chat, Newsletter und Pinnwand. Eine weitere Form der Verknüpfung zwischen Personalmarketing und Eignungsdiagnostik liegt in Unternehmens-Events, bei denen Studierende auf das Unternehmen aufmerksam gemacht und ehemalige Praktikanten an das Unternehmen gebunden werden sollen. So entwickelte das Versandhaus Otto beispielsweise das Programm Talents@Otto, in das die besten 10–15 Prozent der Praktikanten eines jeden Jahrgangs gelangen können (Jumpertz, 2008). Das Praktikum dient hier im Sinne einer eingehenden Arbeitsprobe als eignungsdiagnostischer Bestandteil, das Programm als Möglichkeit der Bindung der besten Kandidaten und als Mittel, das Unternehmen – auch nach außen hin – attraktiv darzustellen. Die Talents werden unter anderem regelmäßig per E-Mail-Newsletter über Neuigkeiten aus dem Unternehmen auf dem Laufenden gehalten und bekommen die Gelegenheit, an einem intensiven Bewerbungstraining teilzunehmen. Den Abschluss des Programms stellt ein mehrtägiger, jährlich stattfindender Kreativworkshop dar. Am Ende des Studiums wird gemeinsam nach Einstiegsmöglichkeiten in das Unternehmen gesucht. Eine andere Form von Unternehmens-Events dient als Recruiting-Veranstaltung, bei welcher der Auswahlprozess mit Marketingmaßnahmen, Kennenlernen des Unternehmens und Spaß verknüpft wird. Auch hier soll den Bewerbern signalisiert werden, dass sich ein attraktives, erfolgreiches und potentes Unternehmen um sie bemüht. So lud kürzlich etwa die Boston Consulting Group 62 Studierende nach Österreich an den Stammsitz der Firma Swarovski ein. Dort konnten sie in einem realen Projekt mit einem realen Kunden ihre Beratungsfähigkeiten testen. Ziel war es, möglichst viele verschiedene Studenten neugierig auf die Beratungsarbeit zu machen. Andere Firmen laden zur Reise ins Silicon-Valley mit Führung durch die dortige Dependance, in die Alpen, nach Schweden oder Paris ein. Diesen Veranstaltungen ist gemein, dass nicht nur Sightseeing und Spaß auf dem Programm stehen, sondern auch Eignungsdiagnostik. Dies kann ein Projekt mit Kunden, welches auf der Basis zuvor festgelegter Kriterien beurteilt wird, oder auch ein klassisches Assessment-Center sein.

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Uneingeschränkt positiv werden diese Veranstaltungen aber nicht gesehen. So wurden sie unlängst in der Presseschau des Jobguide für Bewerber (Heitze, 2008) als »Kaffeefahrten« beschrieben, die das alleinige Ziel hätten, potenzielle Bewerber zu beeindrucken. Dort rät man davon ab, sich vom »spaßigen Rahmenprogramm« blenden zu lassen, da dieses keinen Rückschluss auf die Qualität des Unternehmens als Arbeitgeber zulasse. Wie sind diese neueren, mit einem »Unterhaltungsteil« verknüpften Auswahlverfahren zu bewerten? Empirische Untersuchungen bezüglich des Gelingens, dadurch tatsächlich geeignete Kandidaten ans Unternehmen zu binden, gibt es bislang keine. Möglicherweise sind es gerade die Unternehmen, wie zum Beispiel einschlägige Beratungsfirmen oder Automobilkonzerne, die ohnehin bei Bewerbern in der Gunst stehen, die eben auch solche Events anbieten. In diesem Fall hätten Auswahlverfahren mit Marketinganteil nicht so sehr die Funktion, neuen Bewerbergruppen Anreize zu bieten, sondern ein bestimmtes Image aufrechtzuerhalten und zu fördern. Der prognostische Wert der Verfahren wäre aber dann vergleichsweise hoch, wenn in der eigentlichen eignungsdiagnostischen Phase der Veranstaltung nach den Regeln der Kunst vorgegangen wird. Hierzu gehört es, eine Anforderungsanalyse für eine bestimmte Position durchzuführen, bedeutsame Kompetenzen und Beurteilungskriterien zu identifizieren, eine Beobachterschulung durchzuführen sowie das Verfahren transparent zu gestalten. Wenig empfehlenswert erscheint es aus Unternehmenssicht, das Unternehmen oder die konkrete Stelle, zum Beispiel die Arbeitsbedingungen oder Arbeitsaufgaben, während der Veranstaltungen attraktiver darzustellen, als dies tatsächlich der Fall ist. Zu groß wäre die Gefahr, dass aufgrund enttäuschter Erwartungen die Leistungsbereitschaft gerade eingestellter Mitarbeiter deutlich nachlässt oder Arbeitnehmer das Unternehmen schon bald wieder verlassen. Beides ist mit erheblichen Kosten sowohl für das Unternehmen als auch für den Arbeitnehmer verbunden. Vielmehr sollte sich ein Unternehmen authentisch und wahrheitsgemäß darstellen. Eine realistische Vorschau auf das, was den Kandidaten als zukünftiger Arbeitnehmer in dem Unternehmen erwartet, sollte unbedingt zu jeder Bewerbungsveranstaltung gehören. Mitarbeiter, die sich vor Eintritt ins Unternehmen ein klares Bild von ihrem Arbeitgeber machen können, zeigen später mehr Leistung und bleiben länger im Unternehmen (Geuenich, 2006).

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass gegen »Event-Verfahren« nichts einzuwenden ist, so lange diese eignungsdiagnostisch nach den Regeln der Kunst konzipiert und durchgeführt werden und sich das Unternehmen ehrlich und authentisch darstellt. Ob Event-Verfahren aber mehr – oder gar qualifiziertere – Kandidaten anzieht, kann derzeit nicht zuverlässig beurteilt werden.

3 Schreckt aufwändige Eignungsdiagnostik ab? Wenn Bewerber während des Auswahlprozesses ihre Bewerbung zurückziehen, könnte dies an der Ankündigung aufwändiger Auswahlverfahren wie Assessment-Center und (Leistungs-) Tests liegen, so die Befürchtung. Dies lässt sich jedoch empirisch nicht belegen. Anderson, Born und Cunningham-Snell (2006) liefern einen Überblick über Untersuchungen zur Reaktion von Bewerbern auf verschiedene eignungsdiagnostische Verfahren. Demzufolge werden Assessment-Center generell positiv bewertet. Dies wird zurückgeführt auf die hohe Augenscheinvalidität und Anforderungsbezogenheit des Verfahrens. Zudem schätzen Bewerber es, wenn sie die Gelegenheit haben, den Personalverantwortlichen persönlich kennenzulernen. Diese Ergebnisse können Anhaltspunkte für die Gestaltung von Assessment-Centern liefern. Beispielsweise wird die Augenscheinvalidität deutlich höher eingeschätzt, wenn Transparenz hinsichtlich der gemessenen Beurteilungskriterien geschaffen wird (Schulze Versmar, Thomas u. Kersting, 2007). Auch Interviews werden positiv beurteilt. Hier ist erwartungsgemäß eine angenehme und freundliche Atmosphäre von Vorteil. Die Bewertung von Leistungstests, bei denen beispielsweise komplexe Informationen aus Diagrammen und Tabellen extrahiert werden müssen (Maichle, 2002), liegt im mittleren Bereich (Anderson et al., 2006), und die Verwendung eines solchen Tests scheint sich zumindest nicht negativ auf die Bewerbungsentscheidung auszuwirken. Die Messqualität und Kontrollierbarkeit von Leistungstests wird besonders positiv beurteilt, die Augenscheinvalidität hingegen kritisch (Kersting, 2008). Hier wäre es von Vorteil, für den Bewerber die Anforderungsbezogenheit des Verfahrens ersichtlich zu machen und Transparenz hinsichtlich der Verwertung der Ergebnisse zu schaffen.

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Persönlichkeitstests werden weniger positiv gesehen als Leistungstests (Hausknecht, Day u. Thomas, 2004). Hier kommt die empfundene Überschreitung persönlicher Grenzen sowie die wahrgenommene mangelnde Anforderungsbezogenheit zum Tragen. Persönlichkeitstests verfügen zudem aufgrund ihrer Verfälschbarkeit aus Anwenderperspektive nur über einen relativ geringen Nutzen. Auch die teilweise verwendeten Kontrollskalen können durch informierte Testbearbeiter leicht durchschaut werden. Generell kann man sagen, dass Auswahlverfahren vor allem dann akzeptiert werden, wenn sie anforderungsbezogen sind, professionell durchgeführt werden und für den Bewerber erkennbar zu einer Verbesserung der Auswahlentscheidung führen (siehe auch Rynes u. Connerley, 1993). Im April und Mai 2008 führte die ITB Consulting an der Universität Bonn sowie über das firmeneigene Web-Portal eine eigene Umfrage unter 172 Personen (94 weiblich, 78 männlich) im Alter von 18 bis 37 Jahren durch. Zweck der Untersuchung war es, vor dem Hintergrund des derzeitigen Fachkräftemangels aktuelle Informationen zur Einstellung von Studierenden sowie Hochschulabsolventen gegenüber verschiedenen Personalauswahlverfahren zu erhalten. Hier zeigte sich zwar tendenziell, dass die Teilnehmer für eine eigene Bewerbung ein Interview ohne zusätzliche Verfahren präferierten. In der Beurteilung von Verfahren unabhängig von der eigenen Teilnahme (»Für wie sinnvoll halten Sie folgende Verfahren?«) schnitten aufwändige Auswahlverfahren, bestehend aus Interview mit Assessment-Center und/oder Leistungstest, jedoch genauso gut ab wie ein Interview allein. Aufschlussreich war in unserer Erhebung auch die Frage nach der Bewertung von Unternehmen aufgrund der dort eingesetzten Auswahlverfahren. So stuften 92 Prozent der Befragten Unternehmen, die aufwändige Verfahren verwenden (z. B. Assessment-Center), als professionell und eher professionell ein, 89 Prozent als fortschrittlich und eher fortschrittlich und 83 Prozent als anspruchsvoll und eher anspruchsvoll. Mit 66 Prozent schätzten immerhin zwei Drittel der Teilnehmer Unternehmen, die aufwändige Verfahren bei der Personalauswahl verwenden, als attraktiv und eher attraktiv1 1 Weitere Antwortalternativen zu diesen Fragen waren unprofessionell und eher unprofessionell; altmodisch und eher altmodisch; unverschämt und eher unverschämt; unattraktiv und eher unattraktiv.

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ein. Auch hier wird wieder die Differenzierung deutlich zwischen der generellen Bewertung der Verfahren und dem Interesse daran, selbst ein solches als Teilnehmer zu durchlaufen. Aufwändige Auswahlverfahren wie zum Beispiel Assessment-Center werden also allgemein sehr positiv bewertet. Die Bereitschaft, sich einem solchen selbst Verfahren zu stellen, fällt dann nicht ganz so enthusiastisch aus. Hieraus lässt sich aber auch ableiten, dass ein aufwändiges Auswahlverfahren für den Großteil der Befragten für ein bestimmtes Unternehmensimage spricht, das durch Professionalität, Fortschrittlichkeit und einem hohen Anspruch geprägt ist. Dies könnte vor allem auf hochqualifizierte Bewerber einen besonderen Reiz ausüben. Auf die Frage, aus welchen Gründen sie in der Vergangenheit eine Bewerbung zurückgezogen hatten, antworteten die Teilnehmer wie folgt: 16 Prozent nannten eine zu späte Reaktion des Unternehmens auf die Bewerbung, 13 Prozent eine zu lange Dauer des Gesamtprozesses und acht Prozent eine unfreundliche Ansprechperson. Wegen der Ankündigung aufwändiger Verfahren hatten sechs Prozent der Befragten schon einmal eine Bewerbung zurückgezogen. Unternehmen sollten sich also innerhalb ihres RecruitmentProzesses vor allem bemühen, rasch auf Bewerbungen zu reagieren, den Gesamtprozess kurz zu halten und auf die Freundlichkeit der Ansprechpartner zu achten. Diese Faktoren spielen vor allem zu Beginn des Einstellungsverfahrens eine wichtige Rolle. Später im Bewerbungsprozess gewinnen die speziellen Merkmale einer Stelle an Bedeutung (Taylor u. Bergmann, 1987). Wenn aufwändige Verfahren geplant sind, sollten Unternehmen schon früh im eignungsdiagnostischen Prozess die Gelegenheit nutzen, Bewerbern die Vorteile dieser Verfahren für sie selbst zu verdeutlichen. So besteht bei einem Assessment-Center bei entsprechender Gestaltung und professioneller Durchführung die Möglichkeit, Einblicke in das Unternehmen zu gewinnen und durch ein Feedback, Hinweise auf die eigenen Stärken und das persönliche Entwicklungspotenzial zu erhalten. Das Feedback kann abgelehnten Bewerbern zudem Hinweise für folgende Bewerbungsprozesse geben. Vor diesem Hintergrund ist die Tendenz von Unternehmen, zur Vermeidung von eventuellen Schadensersatzansprüchen unter Berufung auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kein Feedback mehr zu geben, sehr kritisch zu sehen. Dies lässt sich mit der Forderung nach Reziprozität des Bewerbungsprozesses (schließlich

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bewirbt sich auch das Unternehmen beim Bewerber) und der Idee, dass beide Seiten vom Prozess profitieren sollen, schlecht vereinbaren. Commitment für ein Verbleiben im Prozess, also Bindung innerhalb des eignungsdiagnostischen Vorgangs, lässt sich auch durch intensive Beschäftigung mit einem Thema erzielen: Bewerber können zum Beispiel aufgefordert werden, sich auf das Auswahlverfahren vorzubereiten. Die Gestaltungsmöglichkeiten diesbezüglich sind vielfältig. Die Teilnehmer könnten beispielsweise einen Vortrag zu einem vorgegebenen oder einem frei wählbaren Thema vorbereiten; sie können die Aufgabe erhalten, sich über die Produkte des Unternehmens, seine Kunden, die Unternehmenskultur oder anderes zu informieren. Ihre Ergebnisse werden dann in einem Element des Auswahlverfahrens verwendet, beispielsweise in Form einer Präsentation oder für eine Gruppendiskussion. So können die Bewerber das Verfahren, wenn auch in begrenztem Rahmen, mitgestalten. Ein weiterer Vorteil einer solchen Vorbereitung ist, dass Bewerber wesentliche Aspekte des Unternehmens bereits im Vorfeld kennenlernen und daher ihre Entscheidung für oder gegen das Unternehmen fundierter fällen können. Die aufzuwendende Vorbereitungszeit sollte einerseits für den Kandidaten eine gewisse Investition bedeuten, andererseits aber auch nicht zu zeitintensiv sein. Die Gestaltung des eignungsdiagnostischen Prozesses spielt also bei der Auswahl eines Arbeitgebers eine wichtige Rolle, denn wie sich das Unternehmen hier darstellt, ist bereits bedeutsam für die Wahrnehmung des Unternehmens insgesamt. Gerade wenn Bewerber nur wenig Vorwissen über eine Organisation haben, kann der Auswahlprozess ausschlaggebend sein bei der Entscheidung, ob man die Bewerbung aufrechterhält (Macan, Avedon, Paese u. Smith, 1994). Ein positiver Eindruck des Auswahlprozesses kann zudem die Wahrscheinlichkeit steigern, dass Bewerber eine ihnen angebotene Stelle annehmen (Chapman, Uggerslev, Carroll, Piasentin u. Jones, 2005; Hausknecht et al., 2004). Zum Vertragsabschluss kommt es aber letztlich nur dann, wenn das Unternehmen die geeigneten Bewerber davon überzeugen kann, dass ihnen ein interessanter Arbeitsplatz mit guten Arbeitsbedingungen angeboten wird. Die Ansprüche hieran ändern sich, wenn sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bei Fachkräften verschiebt. Während interessante Arbeitsaufgaben seit jeher für alle

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Fächergruppen für die Einschätzung der Attraktivität von Arbeitgebern ausschlaggebend waren, haben sich aufgrund des Fachkräftemangels in einigen Berufsgruppen auch Verschiebungen hinsichtlich der Bedürfnisse und Anforderungen an eine Stelle ergeben. So gaben Schweizer Studierende technischer Fachrichtungen in der Trendence Umfrage von 2007 (Viel, 2008) an, dass ihnen vor allem Kollegialität, Work-Life-Balance sowie flexiblere Arbeitszeiten und -formen wichtig sind. Studierende der Wirtschaftswissenschaften hingegen betonten Aufstiegschancen und Eigenverantwortung. Diese unterschiedliche Gewichtung Studierender verschiedener Fachrichtungen wird darauf zurückgeführt, dass es beispielsweise Wirtschaftswissenschaftler im Vergleich zu Ingenieuren nicht ganz so leicht haben, Karriere zu machen. Eine aktuelle Veröffentlichung zum »War for Talents« (Guthridge, Asmus u. Lawson, 2008) bemerkt, dass junge Arbeitnehmer mehr Flexibilität, berufliche Freiheit, bessere Bezahlung und eine bessere Work-Life Balance erwarten als das vielleicht noch in der Elterngeneration der Fall war. Auch die Familienfreundlichkeit spielt eine immer größere Rolle. Bei besonders gefragten Fachvertretern, wie beispielsweise Ingenieuren, die sich unter einer Vielzahl von Arbeitgebern den attraktivsten heraussuchen können, werden solche Faktoren zu einem nicht unerheblichen Anteil entscheidungsweisend sein. Den Kampf um die Talente gewinnen dann jene Arbeitgeber, die die Wünsche ihrer Mitarbeiter ernst nehmen und ihnen hier entgegenkommen. Dies muss nicht unbedingt mit hohem finanziellen Aufwand verbunden sein, wie die Top-10-Treiber für Mitarbeitergewinnung zeigen (Sebald u. Enneking, 2006; Sebald et al., 2008). Hierbei handelt es sich nämlich überwiegend um Faktoren, die das Arbeitsumfeld sowie Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten betreffen, beispielsweise abwechslungsreiche und herausfordernde Arbeit, hohes Maß an Selbstständigkeit, Qualität der Produkte und Leistungen des Unternehmens, akzeptable Arbeitsbelastung, flexible Arbeitszeiten sowie Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten. Die bereits angesprochenen Attraktivitätsfaktoren eines Unternehmens (z. B. Lern-, Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, wirtschaftliche Lage des Unternehmens, leistungsgerechte Vergütung, Flexibilität) oder einer Stelle (z. B. Herausforderungscharakter, Selbstständigkeit) können während der Selektionsphase nicht nur über die Gestaltung des eignungsdiagnostischen Prozesses prä-

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sentiert werden, sondern im Rahmen eines Realistic Job Preview zum Tragen kommen. Dadurch können sowohl die Bewerber als auch das Unternehmen besser beurteilen, ob die jeweiligen Vorstellungen von Arbeitsinhalten, Verteilung von Verantwortung und Arbeitsweise zusammen passen, und ihre Erkenntnisse in ihre Entscheidung einbeziehen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auch aufwändige Auswahlverfahren nicht abschrecken, wenn sie professionell durchgeführt und anforderungsbezogen gestaltet werden, die Teilnehmer ein Feedback erhalten und ihnen Gelegenheit gegeben wird, mit einem Personalverantwortlichen persönlich zu sprechen. Zur Pflege oder zum Aufbau eines Images kann Eignungsdiagnostik auch in Unternehmens-Events eingebettet werden, wenn dabei die Regeln der eignungsdiagnostischen Kunst beachtet werden. Im Verfahren selbst darf ein realistischer Überblick über das, was den Bewerber im Unternehmen erwarten würde, nicht fehlen. Faktoren, die das Unternehmen und die konkrete Stelle attraktiv machen, und das nicht nur finanziell, sollten hier unbedingt Erwähnung finden.

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Melanie Sauerland

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Stephan Stegt

Die stille Reserve: Hidden Talents – Wie Diagnostik hilft, sie zu finden und zu fördern

1 Fachkräftemangel und ungenutztes Potenzial Viele Organisationen beklagen einen Mangel an geeigneten Bewerbern in verschiedenen Bereichen: Für Ausbildungsstellen, Facharbeiterstellen, Traineeprogramme, Führungspositionen fehlen ausreichend qualifizierte Personen, die den Bedarf decken können. Insbesondere Unternehmen aus Branchen, die in Deutschland als weniger attraktiv beurteilt werden (z. B. Handel), leiden unter diesem Fachkräftemangel, der auch durch die derzeitige Wirtschaftskrise voraussichtlich nur vorübergehend gemindert werden wird. In Deutschland haben mehrere Personengruppen im Bildungssystem (z. B. Personen mit Migrationshintergrund, Personen aus bildungsfernen Schichten) oder im Berufsleben (z. B. Frauen) schlechtere Chancen. Aus Sicht des Einzelnen stellt dies eine Diskriminierung dar – er hat weniger Möglichkeiten bei der Wahl seines Lebensweges, bestimmte Türen sind ihm verschlossen und er hat schlechteren Zugang zu immateriellen und materiellen Ressourcen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht bedeutet dies, dass viel Potenzial nicht genutzt wird, das zur Deckung des Fachkräftebedarfs herangezogen werden könnte – hierdurch verschärft sich der Wettbewerb um geeignetes Personal. Aus volkswirtschaftlicher Sicht führt die mangelnde Nutzung von Potenzial zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft und gegebenenfalls zu einer Verminderung des Wohlstands. Angesichts des im Januar 2009 veröffentlichten Integrationsberichts des BerlinInstituts für Bevölkerung und Entwicklung verwies auch Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Bedeutung von Chancengleichheit für Deutschland: »Wir können auf kein einziges Talent in unserem Land verzichten.«

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Die Idee, das bislang nicht ausgeschöpfte Potenzial benachteiligter Personengruppen zur Deckung des Bedarfs heranzuziehen, ist sehr plausibel. So wird seit langem angestrebt, mehr Frauen den Aufstieg in Führungspositionen zu ermöglichen und mehr Mädchen – man denke an den »Girls’ Day«1 – für technische Berufe zu begeistern. Damit versucht man, den Mangel an Führungskräften und den Mangel an Ingenieuren zu beheben. Bei anderen Zielgruppen hingegen besteht eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Möglichkeiten zum Erschließen des Potenzials und deren Erfolgsaussichten. Nachfolgend werden zunächst zwei der benachteiligten Gruppen und ihr Potenzial beschrieben: – Personen aus bildungsfernen Sozialschichten, – Personen mit Migrationshintergrund.2 Anschließend werden zwei Wege aufgezeigt, wie dieses Potenzial zur Deckung des Personalbedarfs erschlossen werden kann. Abschließend wird erläutert, wie diagnostische Verfahren gestaltet sein müssen, um diesen Zielgruppen gerecht zu werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der betriebswirtschaftlichen Perspektive: Was können Unternehmen im Bereich Personalmarketing, -auswahl und -entwicklung tun, um ihren Bedarf mit Personen aus besagten Zielgruppen zu decken? Dabei geht es in erster Linie darum, Jugendliche und junge Erwachsene mit Talent zu entdecken, zu fördern und an das Unternehmen zu binden.

1 Der »Girls’ Day« ist ein jährlich stattfindender Aktionstag, an dem zahlreiche Unternehmen und Organisationen Veranstaltungen für Schülerinnen durchführen. Diese sollen Einblick in Berufsfelder bekommen, die sie im Prozess der Berufsorientierung eher selten in Erwägung ziehen. Vor allem technische Unternehmen bieten am Girls’ Day Veranstaltungen für Mädchen an. Anhand praktischer Beispiele erleben die Teilnehmerinnen, wie interessant und spannend die Arbeit in technischen Berufen sein kann. Ziel des Girls’ Day ist es auch, Kontakte herzustellen, die für die berufliche Zukunft der Mädchen hilfreich sein können. 2 Beide Gruppen sind natürlich sehr heterogen. Es gibt außerdem zahlreiche Angehörige dieser Gruppen, die in unserer Gesellschaft außerordentlich erfolgreich sind. Im Mittel haben sie aber eine schlechtere Ausgangslage als Personen ohne Migrationshintergrund bzw. aus bildungsnahen Schichten, auch wenn sie über die gleichen Fähigkeiten verfügen.

Die stille Reserve

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2 Mögliche Zielgruppen Welche Eigenschaften muss eine Personengruppe haben, damit Unternehmen sie als besondere Zielgruppe für Personalmarketing-, Personalauswahl- und Personalentwicklungsaktivitäten zur Deckung des Fachkräftebedarfs ins Auge fassen können? Zur Beurteilung von Personengruppen lassen sich drei Kriterien formulieren: 1. Die Gruppe muss hinreichend groß sein, damit dem hohen Aufwand für unternehmensseitige Aktivitäten ein entsprechender zu erwartender Ertrag gegenübersteht. 2. Mitglieder der Gruppe müssen – gemessen am tatsächlich vorhandenen Potenzial – in der entsprechenden Laufbahn unterrepräsentiert beziehungweise benachteiligt sein. Denn dann sind die Chancen besonders groß, auf unentdeckte Talente zu stoßen, deren Potenzial das Unternehmen fördern und entwickeln kann, bevor andere Unternehmen dies tun. 3. Es muss möglich sein, die Personengruppe für die entsprechende Laufbahn zu gewinnen – es sind also motivationale Aspekte zu berücksichtigen. Beim bereits angesprochenen Ansatz, das Potenzial von Frauen zur Deckung des Fachkräftebedarfs in technischen Berufen zu nutzen, könnte dies ein Hauptproblem darstellen: Dann nämlich, wenn Frauen trotz aller Bemühungen weniger Interesse an technischen Berufen zeigen. Nach Auffassung des Autors sind diese drei Kriterien insbesondere bei zwei Personengruppen gegeben: bei Personen mit Migrationshintergrund und bei Personen aus bildungsfernen Schichten.

2.1 Personen mit Migrationshintergrund Als Personen mit Migrationshintergrund werden Personen bezeichnet, die in Deutschland leben, die aber nicht in Deutschland geboren wurden, sowie deren Nachkommen. Somit fallen nicht nur in Deutschland lebende Ausländer unter diese Definition, sondern auch in Deutschland geborene Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, deren Eltern nicht in Deutschland geboren wurden. Etwa 15 Millionen Menschen (20 Prozent der Bevölkerung) werden dieser sehr heterogenen Gruppe zugerechnet, davon ha-

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ben etwa acht Millionen die deutsche Staatsbürgerschaft (Woellert et al., 2009). Personen ohne Migrationshintergrund werden nachfolgend als »Einheimische« bezeichnet. Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland wächst beständig, da Migranten im Durchschnitt mehr Kinder bekommen als Einheimische (Woellert et al., 2009). Heute haben etwa ein Drittel aller Jugendlichen einen Migrationshintergrund, in Ballungsräumen sind ca. 40 Prozent der Jugendlichen dieser Gruppe zuzuordnen (Beck, 2005), die Tendenz ist weiterhin steigend. Die beiden am stärksten vertretenen Gruppen sind dabei Aussiedler aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion (knapp vier Millionen) und Türkischstämmige (knapp drei Millionen). Das Potenzial der angesprochenen Personengruppen kann an dieser Stelle nicht umfassend beurteilt werden. Es gibt aber keinen vernünftigen Grund für die Annahme, die Begabungen von Personen mit Migrationshintergrund seien geringer als die Begabungen von Einheimischen. Grundsätzlich besteht ein breiter Konsens, dass die kognitiven Fähigkeiten nicht von der ethnischen Herkunft abhängen. Selbst wenn es Studien gibt, in denen von schlechteren Testergebnissen bestimmter Ethnien berichtet wird, so kann man diese Befunde in der Regel mit einer mangelnden Fairness der verwendeten Testverfahren oder mit anderen Faktoren als »Begabung« erklären (vgl. die Forschung zum »stereotype threat«3; z. B. Steele u. Aronson, 1995). Wir können also davon ausgehen, dass das intellektuelle Potenzial von Personen mit Migrationshintergrund genauso groß ist wie das der Einheimischen. Hinzu kommen möglicherweise Kompetenzen, die bei Einheimischen fehlen oder in

3 Mit »stereotype threat« ist der empirisch mehrfach nachgewiesene Effekt gemeint, dass Angehörige einer Gruppe, bezüglich derer ein negatives Stereotyp besteht, in entsprechenden Leistungssituationen bei Aktivierung des Stereotyps schlechter abschneiden, als es ihren Fähigkeiten entspricht. Denn wenn die Situation so gestaltet wird, dass es nicht zu einer Aktivierung der Stereotype kommt, ist die Leistung der Personen deutlich besser. In der klassischen Studie von Steele und Aronson (1995) schnitten schwarze Versuchsteilnehmer bei Testaufgaben schlechter ab als weiße Versuchsteilnehmer, wenn die Aufgaben als »Intelligenztestaufgaben« deklariert wurden. Bei einer Kennzeichnung als »Problemlöseaufgaben« schnitten Schwarze und Weiße gleich gut ab.

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geringerem Ausmaß vorhanden sind (Sprachkenntnisse, Kenntnisse über mehrere Kulturkreise …). Die Bildungssituation der Personen mit Migrationshintergrund ist insgesamt deutlich schlechter als die Bildungssituation der Einheimischen, wobei es zwischen den Gruppen allerdings große Unterschiede gibt. So sind in der Herkunftsgruppe aus dem Fernen Osten viele Personen hoch qualifiziert: Der Anteil der Personen mit Hochschulreife beträgt hier fast 50 Prozent und ist damit höher als bei den Einheimischen (38 Prozent). In der großen Gruppe der Türkischstämmigen sieht die Situation deutlich schlechter aus: 30 Prozent haben gar keinen Bildungsabschluss, und nur 14 Prozent erreichen die Hochschulreife. Eine umfassende Übersicht liefert der Integrationsbericht des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung (Woellert et al., 2009). Auch der Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung stellt für viele Lehrstellenbewerber mit Migrationshintergrund eine hohe Hürde dar. Selbst bei gleichen allgemein bildenden Schulabschlüssen sind die Erfolgsaussichten für diese Jugendlichen geringer als für die einheimischen (Troltsch u. Ulrich, 2003). Das Potenzial von Personen mit Migrationshintergrund wird also nicht ausreichend erschlossen. Als drittes Kriterium wurde genannt, dass es möglich sein muss, die Personen auch für die entsprechenden Tätigkeiten zu gewinnen. Insgesamt sind hier keine substanziellen Schwierigkeiten zu erwarten – Personen mit Migrationshintergrund können prinzipiell für die gleichen Berufe gewonnen werden wie Einheimische. Je nach Personengruppe kann es aber hinderliche oder fördernde Bedingungen für manche Tätigkeiten geben. Gläubige Muslime werden eventuell einige Aktivitäten im Finanzsektor ablehnen, die im Widerspruch zu religiösen Regeln stehen (im Islam ist es verboten, Zinsen zu nehmen; vgl. Elger, 2002, S. 92).

2.2 Personen aus bildungsfernen Schichten Es gibt mehrere Möglichkeiten, soziale Schichten zu definieren und insbesondere »bildungsferne Schichten« zu beschreiben. Nachfolgend soll die Größenordnung dieser Gruppe abgeschätzt werden. Eine mögliche Einteilung ist die in EGP-Klassen (vgl. Erikson, Goldthorpe u. Portocarero, 1979). Das EGP-Modell (nach den

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Anfangsbuchstaben der Autoren benannt) unterscheidet sieben Schichten, wobei die Schicht VII als eher »bildungsfern« gilt4: I obere Dienstklasse; II untere Dienstklasse; III Routinedienstleistungen in Handel und Verwaltung; IV Selbstständige; V Arbeiter, Techniker, Facharbeiter; VI qualifizierte Arbeiter; VII an- und ungelernte Arbeiter, Landarbeiter. Im Rahmen der PISA-Studie wurden die Eltern der teilnehmenden Schüler in Deutschland den Schichten des EGP-Modells zugeordnet (Ehmke u. Baumert, 2007). Dabei zeigte sich, dass etwa 21 Prozent der Väter und 7 Prozent der Mütter der bildungsnahen EGP-Schicht I zugeordnet werden können, während etwa 20 Prozent der Väter und 17 Prozent der Mütter aus der bildungsfernen EGP-Schicht VII kamen. Eine große Zahl von Vätern und Müttern entstammt also einer als weniger bildungsnah eingestuften Schicht. Eine zweite Möglichkeit zur Klassifikation von Schichten besteht darin, das Ausbildungsniveau eines Elternteils (z. B. des Vaters oder des Elternteils mit dem höchsten Ausbildungsniveau) heranzuziehen. Die regelmäßig durchgeführten Studien des Hochschulinformationssystems HIS (vgl. Isserstedt, Middendorff, Fabian u. Wolter, 2006) nehmen die Bildungsbeteiligung von Personen unter die Lupe, die aus Akademiker- respektive Nicht-Akademikerhaushalten (operationalisiert über das Bildungsniveau des Vaters) stammen. In der HIS-Studie wurde bei der Befragung 17- bis 18-jähriger Schüler deutlich, dass nur 20 Prozent einen Vater haben, der Akademiker ist.

4 Jede Einteilung von Personen zu Schichten, die dann als »bildungsnah« oder »bildungsfern« bezeichnet werden, kann die sozialen Realitäten nur ansatzweise wiedergeben. Denn es wird immer Personen geben, die über eine ausgezeichnete Bildung verfügen, durch eine Klassifikation aber als »nicht bildungsnah« eingestuft werden. Die Einteilungen, die im vorliegenden Beitrag verwendet werden, wurden Studien zugrunde gelegt, deren Ergebnisse für die Kernaussagen des Beitrags zentral sind. Sie geben also nicht die Auffassung des Autors darüber wieder, wie soziale Schichten am besten zu definieren seien.

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Die stille Reserve

Unabhängig davon, welche Einteilung man nun zurate zieht, wird deutlich: Bei den »bildungsfernen Schichten« handelt es sich um einen großen Teil der Bevölkerung. Personen aus »bildungsfernen« Schichten sind in den höheren Stufen des Bildungssystems deutlich unterrepräsentiert. Dies lässt sich am Besuch unterschiedlicher Schulformen darstellen. Tabelle 1 zeigt anhand der Daten von PISA 2006, wie viel Prozent der 15-jährigen Kinder aus verschiedenen EGP-Schichten die Hauptschule, die Realschule oder das Gymnasium besuchten (Ehmke u. Baumert, 2007): Tabelle 1: Schulformen der PISA-Teilnehmer nach EGP-Klassen (Ehmke u. Baumert, 2007) EGP

Sozialschicht

I

obere Dienstklasse

9%

26 %

52 %

13 %

II

untere Dienstklasse

13 %

25 %

41 %

20 %

III

Routinedienstleistungen in Handel und Verwaltung

20 %

24 %

30 %

26 %

Selbständige

23 %

31 %

23 %

23 %

24 %

25 %

21 %

29 %

an- und ungelernte Arbeiter, Landarbeiter

28 %

22 %

14 %

36 %

gesamt

19 %

25 %

31 %

25 %

IV

V, VI Facharbeiter und Arbeiter mit Leitungsfunktion VII

Hauptschule Realschule Gymnasium Andere

Die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium zu besuchen, ist für Kinder aus EGP I mit 52 Prozent deutlich höher als für Kinder aus EGP VII mit lediglich 14 Prozent. Weitere Belege für die geringere Bildungsbeteiligung der bildungsfernen Schichten liefern die bereits angesprochenen HISStudien (Isserstedt et al., 2006). In ihnen wird deutlich, dass 83 Prozent der Kinder aus einem Akademikerhaushalt ein Hochschulstudium aufnehmen, während es bei Kindern aus Nicht-Akade-

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mikerhaushalten nur 23 Prozent sind. Da ein Hochschulstudium Voraussetzung für bestimmte Fach- und Führungslaufbahnen ist, kann von einem deutlich geringeren Anteil von Personen aus Nicht-Akademikerhaushalten an diesen Laufbahnen ausgegangen werden. Nun stellt sich die Frage, ob bei den Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten, die eine Haupt- oder Realschule besuchen, Potenzial besteht, das nicht ausreichend genutzt wird. Denn schließlich spielen kognitive Fähigkeiten eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, welche Schulform ein Kind besuchen wird. Allerdings spielen bei der Selektion der Form der weiterführenden Schule neben intellektuellen Fähigkeiten auch andere Faktoren eine bedeutende Rolle. Hierdurch entsteht eine so genannte sekundäre Ungleichheit. Die soziale Schicht gehört zu diesen Faktoren. Sie wirkt beispielsweise durch die Schulempfehlung des Grundschullehrers: Bei gleichen intellektuellen Fähigkeiten wird Kindern aus einer bildungsnahen Schicht mit einer etwa zwei- bis dreimal so hohen Wahrscheinlichkeit der Besuch des Gymnasiums empfohlen wie Kindern aus einer bildungsfernen Schicht (Bos et al., 2003). Aber auch die Selektion durch die Eltern spielt eine Rolle: Eltern aus bildungsnäheren Schichten versuchen bei gleicher Empfehlung des Grundschullehrers eher, ihre Kinder am Gymnasium oder an der Gesamtschule unterzubringen, als Eltern aus bildungsferneren Schichten (Bos, Holtappels, Pfeiffer, Rolff u. Schulz-Zander, 2006). Um zu beurteilen, wie stark sich solche Faktoren auswirken, haben Ehmke und Baumert (2007) den Schulbesuch bei konstanter PISA-Testleistung nach Sozialschichten aufgeschlüsselt.5 Dabei zeigte sich, dass die Chance eines Schülers aus EGP I, ein Gymnasium zu besuchen, fast dreimal so hoch6 ist wie die eines Schülers aus EGP VII mit den gleichen Problemlösefähigkeiten. In PISA 2003 wurde ein Index gebildet, der ökonomische, soziale und kulturelle Indikatoren der familiären Herkunft abbildet (ESCS-Index). Die Jugend5 Durch eine statistische Prozedur kann man die Testergebnisse konstant halten und fiktive, »gleich gute« Schüler aus verschiedenen EGP-Schichten miteinander vergleichen. In diesem Kontext sind in der PISA-Studie die Problemlöseaufgaben besonders relevant, da sie stärker als die anderen Aufgabengruppen die intellektuelle Begabung abbilden. 6 Die Angabe »dreimal so hoch« ist eine starke Vereinfachung eines Befundes, der auf komplexen statistischen Berechnungen basiert. Für Details sei auf Ehmke und Baumert (2007) verwiesen.

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lichen wurden auf dieser Basis in vier gleich große Gruppen (Quartile) eingeteilt. Es konnte gezeigt werden, dass Jugendliche aus der höchsten sozialen Schicht (die oberen 25 Prozent) bei gleichen Kompetenzen eine etwa viermal höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, ein Gymnasium zu besuchen, als Jugendliche aus der zweituntersten Schicht (PISA-Konsortium Deutschland, 2004, S. 262). Lehmann, Peek und Gänsfuß (1997) wiesen nach, dass Kinder aus bildungsschwachen Familien, verglichen mit Kindern, deren Vater mindestens einen Realschulabschluss hatte, weit höhere Kompetenzen aufweisen mussten, um eine Gymnasialempfehlung seitens der Schule zu erhalten. Ein Aspekt, der die soziale Ungleichheit maßgeblich verstärkt, ist die geringe Durchlässigkeit des Bildungssystems: Im Jahr 2000 wechselten nur 16,3 Prozent der 15-jährigen Schüler (die meisten von ihnen besuchten die Klasse 9) die Schulform, davon wechselten 70 Prozent auf eine niedrigere, aber nur 30 Prozent auf eine höhere Schulform. Nach unten ist das Schulsystem also durchlässiger als nach oben. Somit sind die Chancen, eine durch die Sozialschicht mitbedingte Entscheidung später noch durch einen Schulwechsel auf eine höhere Schule zu korrigieren, gering. Wir müssen also feststellen, dass zahlreiche Personen aufgrund ihrer sozialen Herkunft einen Bildungsweg einschlagen, der nicht ihren Fähigkeiten entspricht. Folglich haben nicht nur Abiturienten, sondern auch ein beachtlicher Teil der Absolventen von Hauptund Realschulen die kognitiven Fähigkeiten, ein Studium abzuschließen und später berufliche Tätigkeiten auszuüben, die ein Studium voraussetzen. Möglicherweise ist das Interesse von Personen aus bildungsfernen Schichten an bestimmten Ausbildungen und Berufen anders ausgeprägt als bei Personen aus bildungsnahen Schichten. Dies könnte mit der Vorbildfunktion des näheren Umfelds und mangelndem Wissen über diese Ausbildungen und Berufe zusammenhängen. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass sich auch bei Personen aus bildungsfernen Schichten ein ausreichend großes Interesse an Laufbahnen wecken lässt, die bislang eher von Personen aus bildungsnahen Schichten gewählt wurden.

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3 Ansatzpunkte zur Förderung der Hidden Talents 3.1 Beseitigung oder Kompensation mangelnder Chancengleichheit im Bildungssystem Der Königsweg ist sicher die Herstellung von Chancengleichheit: Man identifiziert die für die Benachteiligung beziehungsweise die Ungleichheit verantwortlichen Faktoren und beseitigt sie oder mildert ihren Einfluss durch kompensatorische Maßnahmen. Dabei sollten die Ansatzpunkte so früh wie möglich im Lebensalter der Personen liegen: Je früher eine Maßnahme erfolgt, desto geringer ist der Rückstand gegenüber Nicht-Benachteiligten, desto geringer ist der Aufwand zum Aufholen des Rückstands und desto größer sind die Erfolgsaussichten. Nachfolgend werden vier Beispiele für derartige Maßnahmen geschildert: zwei Projekte der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, die frühe Sprachförderung von Kindern in Nordrhein-Westfalen und die Tätigkeit des Vereins »tandem4you«. Viele Institutionen versuchen, Talent bei Personen aus benachteiligten Gruppen früh zu diagnostizieren und diesen Personen eine angemessene Förderung zuteil werden zu lassen. Die Stiftung der Deutschen Wirtschaft (SDW) beispielsweise fördert Schüler in der Zeit des Übergangs zwischen Schule und Studium im Projekt »Studienkompass«. Der Studienkompass will Personen fördern, die in Familien aufgewachsen sind, in denen es keine oder kaum akademische Erfahrung gibt, oder die es aus anderen Gründen (beispielsweise durch einen Migrationshintergrund) bei der Aufnahme eines Studiums schwerer haben. Die Studienkompass-Teilnehmer erhalten bereits zur Schulzeit eine professionelle Beratung rund um das Thema Studienorientierung und Studienwahl. Darüber hinaus werden die Programmteilnehmer während der ersten beiden Semester an der Hochschule begleitet, wodurch der Grundstein für einen erfolgreichen Studienverlauf gelegt werden soll. Das Förderprogramm besteht aus drei wesentlichen Bereichen: Workshops und Trainings, die Schülern beziehungsweise Studierenden passgenaue Unterstützung bieten; persönliche Betreuung vor Ort; ein speziell für die Teilnehmer entwickeltes Intranet zum gegenseitigem Austausch und zur Unterstützung untereinander. Ein weiteres Projekt von SDW mit dem Namen »Zeig, was du kannst« beabsichtigt, leistungsorientierte und leistungsmotivierte Hauptschüler zu fördern, die nach ihrem erweiterten Hauptschulabschluss eine Aus-

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bildung aufnehmen möchten. Das Förderprogramm erstreckt sich über die beiden letzten Jahre der Schulzeit und das erste Jahr in der Ausbildung. Die von ITB Consulting entwickelten Auswahlverfahren für diese beiden Programme sind an die Besonderheiten der jeweiligen Zielgruppen angepasst und helfen, die Potenzialträger zu identifizieren. Im Fokus steht dabei die Erfassung kognitiver Fähigkeiten, aber auch auf Motivation und Persönlichkeit wird im Auswahlprozess geachtet. Neben der Förderung motivierter und begabter Personen werden auch Anstrengungen unternommen, bestehende Defizite frühzeitig zu erkennen und durch Entwicklungsmaßnahmen zu kompensieren. Die sprachliche Frühförderung in Nordrhein-Westfalen ist hier als Beispiel zu nennen: Alle Kinder sollen bereits vor Eintritt in die Schule eine sprachliche Förderung erhalten, wenn die Gefahr besteht, dass Defizite in der Sprachkompetenz den Eintritt in die Schule erschweren. Auch hier kommt der Diagnostik eine bedeutende Rolle zu: Kinder müssen in Nordrhein-Westfalen seit 2007 bereits zwei Jahre vor der Einschulung ein zweistufiges Testverfahren (»Delfin 4«) zur Ermittlung der Sprachentwicklung und der Sprachkenntnisse durchlaufen. Wenn ein Kind in der ersten Stufe seine Sprachkompetenz nicht unter Beweis stellen kann, wird es in der zweiten Stufe genauer untersucht. Bei vermuteten Mängeln in der Sprachkompetenz wird eine Förderung verpflichtend eingeführt. So hofft man, Defizite in einem frühen Stadium zu beheben, um einer deutlich größeren Menge an Personen als bisher gute Chancen im Bildungssystem zu eröffnen. Auch Unternehmen beteiligen sich im Rahmen ihrer »Corporate Citizenship«-Projekte an Fördermaßnahmen für Personen aus Gruppen, die beim Start ins Berufsleben mit größeren Schwierigkeiten zu rechnen haben. Ein Beispiel in der Region Bonn ist der Verein »tandem4you«, der von Kooperationspartnern aus der Wirtschaft unterstützt wird. Er begleitet Schüler ab der 9. Klasse von Haupt-, Real- und Gesamtschulen etwa zweieinhalb Jahre lang auf ihrem Weg in eine Berufsausbildung – viele Teilnehmer haben einen Migrationshintergrund. Dabei werden den Schülern Mentoren zur Seite gestellt. Die Arbeit der Mentoren erfolgt ehrenamtlich und ist als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht. Die Jugendlichen erhalten die Möglichkeit, von den Erfahrungen und Kompetenzen ihrer Mentoren und deren Netzwerk zu profitieren. Zusätzlich zur Unterstützung durch die Mentoren erhalten die Schüler eine ein-

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tätige Schulung durch ITB-Berater (ebenfalls ehrenamtlich). Konkret geht es in den Maßnahmen um die aktive Unterstützung von Jugendlichen bei der Verbesserung ihrer Ausbildungsfähigkeit, bei der Berufswahlorientierung und der Ausbildungsplatzsuche.

3.2 Übertritt von der Schule in die Berufsausbildung oder den Beruf Unternehmen können bei ihren Bemühungen zur Deckung ihres Personalbedarfs auf jene Personengruppen zugreifen, in denen verborgenes Potenzial vorhanden ist. Denkbar wäre es, verstärkt Personen dieser Gruppen für Praktika, Ausbildungsstellen und Berufsakademie-Studiengänge zu rekrutieren. In den Bereichen Personalmarketing und Personalentwicklung müssen dann verschiedene Maßnahmenpakete geschnürt werden, um das Potenzial der Zielgruppen zu erschließen. Zunächst sind Analysen vorzunehmen, um die Kommunikationskanäle zur Ansprache dieser Personen sowie die kritischen Faktoren zu ermitteln, die für sie bei der Auswahl von Arbeitgebern (und für die anschließende Bindung an den Arbeitgeber) relevant sind. Wenn die entsprechenden Informationen erhoben sind, ist es möglich, den Marketing-Mix auf diese Zielgruppen auszurichten. Ein Beispiel könnte dann sein, mit türkischsprachigen Aushängen in Jugendzentren für eine Berufsausbildung zu werben. Seitens der Personalentwicklung können Angebote unterbreitet werden, die speziell auf die Bedürfnisse von Personen der Zielgruppen zugeschnitten sind. Im Rahmen eines Ausbildungsprogramms wären Kurse denkbar, in denen Defizite in den Bereichen Sprache, schulische Bildung, Lern- und Arbeitstechniken sowie gesellschaftliche Verhaltensregeln behoben werden. Solche Maßnahmen haben sich bereits in anderen Kontexten bewährt – man denke an Studienkollegs und Brückenkurse an Hochschulen, in denen noch vor Studienbeginn das benötigte Schulwissen sowie Sprachkenntnisse vermittelt beziehungsweise ergänzt werden. Auch ein vollständiges Einstiegsprogramm für Personen der Zielgruppen, mit eigenem Personalmarketing, eigenem Auswahlverfahren und eigenen Entwicklungsmaßnahmen, ist möglich. Dabei ist es wichtig, dass Personen der Zielgruppen im Auswahlverfahren ihr Potenzial auch zeigen können. Dies mag man zwar als

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Selbstverständlichkeit ansehen, aber in der Praxis werden die Eigenschaften der Zielgruppen häufig nicht explizit bei der Verfahrenskonstruktion berücksichtigt. Viele bewährte Auswahlverfahren setzen nämlich voraus, dass bestimmte grundlegende Kompetenzen bei allen Teilnehmern vorhanden sind. Dies betrifft Sprachkenntnisse, Erfahrungen mit gewissen Anforderungen (z. B. Sprechen vor Publikum, mehrere Stunden konzentriert arbeiten) oder das Wissen über gewünschtes beziehungsweise angemessenes Verhalten in bestimmten Situationen. Wenn diese Voraussetzungen jedoch nicht bei allen Teilnehmern gleichermaßen vorliegen, kann dies eine Einschränkung der Güte der Verfahren mit sich bringen beziehungsweise schlechtere Chancen für Personen bedeuten, die aufgrund ihrer Fähigkeiten ein ausreichendes Potenzial haben, diese Kompetenzen aber aufgrund von bisheriger Benachteiligung nicht erwerben konnten. Natürlich ist es prinzipiell sinnvoll, dass Auswahlverfahren die Anforderungen einer Position umfassend abbilden. Für eine Berufsausbildung sind zum Beispiel Schulkenntnisse (Rechtschreibung, Mathematik) wichtig. Mit Blick auf das vorhandene Potenzial von Personen aus benachteiligten Gruppen empfehlen wir aber, Abstriche in Bereichen zu machen, die sich gut trainieren lassen. Sonst gelingt es eben nicht, das große Potenzial, um das es hier geht, zu nutzen. So besteht die Gefahr, dass bei einer Auswahl von Auszubildenden über schulische Leistungen (z. B. Art des Schulabschlusses, Noten in den Kernfächern Deutsch und Mathematik) und Wissens- sowie Rechtschreibtests intelligente Hauptund Realschüler, die die entsprechenden Kenntnisse aus verschiedenen Gründen nicht erworben haben, »durch das Raster fallen«. Diese Personen würden bei entsprechender Förderung die Anforderungen der Ausbildung aber wahrscheinlich mühelos meistern. Zudem kann man vermuten, dass sie besonders loyal gegenüber solchen Arbeitgebern sind, die an ihre Fähigkeiten glauben und ihnen trotz einiger Defizite eine Chance geben.

4 Relevante Merkmale bei der Auswahl Für die Auswahl von Personen aus benachteiligten Personengruppen wird eine Unterscheidung von Ressourcen und Kompetenzen vorgeschlagen. Sie stellen Eckpunkte einer Dimension dar, wobei

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die Ressourcen zeitlich stabile und zum Teil auch genetisch mitbedingte Verhaltensdispositionen sind. Ressourcen sind kognitive Fähigkeiten (wie z. B. räumliches Vorstellungsvermögen, numerisches Denken, sprachliches Denken) und Persönlichkeitseigenschaften (wie z. B. Offenheit für Erfahrungen, Extraversion, Leistungsorientierung). Kompetenzen hingegen sind das Produkt komplexer Erfahrungen und können mittel- oder gar kurzfristig durch Übung verändert werden. Sie sind inhaltlich näher an den Verhaltensweisen in einer Ausbildung oder im Berufsalltag angesiedelt, denn sie werden größtenteils nicht aus psychologischen Theorien abgeleitet, sondern in Anforderungsanalysen mit Vertretern einer Berufsgruppe ermittelt. Außerdem sind sie häufig operational über Verhaltensweisen definiert. Beispiele sind soziale Kompetenz, Fachkompetenz, Rhetorik, interkulturelle Kompetenz, Projektmanagementkompetenz und analytisch-strategische Kompetenz. Die Ressourcen sind für den Erwerb der Kompetenzen wichtig: So ist Offenheit für Erfahrungen eine Ressource, die den Erwerb interkultureller Kompetenz begünstigt. Räumliches Vorstellungsvermögen und numerisches Denken sind notwendig für den Erwerb von Fachkompetenz im Bereich der Ingenieurwissenschaften. In der Eignungsdiagnostik liegt der Schwerpunkt häufig auf den Kompetenzen, denn ihnen kommt eine größere Bedeutung für den beruflichen Erfolg zu als den Ressourcen: Ein technischer Projektleiter benötigt fachliche Kompetenz in seinem Bereich – ohne eine entsprechende Kompetenz wird er scheitern. Zum Erwerb dieser Kompetenz ist zwar eine mathematische Begabung (Ressource) notwendig, diese Begabung allein reicht jedoch nicht aus, um ein guter technischer Projektleiter zu sein – sie ist notwendig, aber nicht hinreichend. Zur Erfassung von Kompetenzen kommt eine Vielzahl von Verfahren infrage. Ein Studium der Bewerbungsunterlagen kann Aufschluss über eine Reihe von Kompetenzen geben (z. B. Studienabschlussnote als Indikator für die Fachkompetenz, Auslandsaufenthalt als Indikator für Sprachkompetenz etc.), in Interviews lassen sich ebenfalls Hinweise auf die Ausprägung der meisten Kompetenzen gewinnen, und über Tests kann Wissen (z. B. Mathematikkenntnisse, Rechtschreibung) als Voraussetzung für den Erfolg in Ausbildungsberufen überprüft werden. Für Personen der genannten Zielgruppen kann die Fokussierung auf Kompetenzen allerdings problematisch sein, denn diese

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Personen hatten vermutlich weniger Gelegenheit, sich die Kompetenzen anzueignen, auch wenn sie über die nötigen Ressourcen verfügen. Wenn ein Auswahlverfahren sich auf eine Messung der Kompetenzen beschränkt, haben diese Teilnehmer im Durchschnitt schlechtere Chancen, zu bestehen, als ihre Mitbewerber. Sie scheitern beispielsweise am Schulnotenkriterium oder an Rechtschreibetests, wenn sie sich auf eine Ausbildungsstelle bewerben. Die Auswahldiagnostik sollte daher eine Erfassung von Ressourcen vornehmen. Denn wenn die Grundvoraussetzungen für beruflichen Erfolg vorhanden sind, kann ein gewisser Rückstand bei den Kompetenzen gut aufgeholt werden. Die Ressourcen lassen sich größtenteils über objektive Tests erfassen. Nichtsdestotrotz darf die Erfassung von Kompetenzen nicht vernachlässigt werden, denn hier zeigt sich der Förderbedarf der Teilnehmer. Möglicherweise liegen gravierende Defizite in bestimmten Kompetenzen vor, deren Behebung einen so hohen Aufwand für die Personalentwicklung bedeuten würde, dass trotz vorhandener Ressourcen auf eine Einstellung verzichtet werden muss. Im folgenden Abschnitt werden verschiedene diagnostische Verfahren zur Erfassung von Ressourcen und Kompetenzen beschrieben. Probleme bei ihrem Einsatz bei den beiden angesprochenen Zielgruppen werden erläutert, und es werden Empfehlungen gegeben, wie die Verfahren angepasst werden können, um den Zielgruppen besser gerecht zu werden.

4.1 Diagnostik von Ressourcen Mit Ressourcen seien hier insbesondere kognitive Fähigkeiten, Persönlichkeitseigenschaften und Interessen gemeint. Dabei kommt der Lernfähigkeit eine herausgehobene Position zu, denn besonders lernfähige Personen können eventuell vorhandene Kompetenzdefizite gut durch Schulungsmaßnahmen ausgleichen. Als Verfahren zur Diagnostik von Ressourcen kommen neben Interviewverfahren vor allem Fähigkeitstests sowie Persönlichkeits- und Interessentests in Betracht. Fähigkeitstests: Handelsübliche Intelligenztests ermöglichen Aussagen über eine Vielzahl kognitiver Fähigkeiten. Hülsheger, Maier und Stumpp (2007) konnten in einer Metaanalyse mit 54 Studien

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aus Deutschland nachweisen, dass Intelligenz den Berufserfolg, aber auch den Trainingserfolg gut vorhersagt. Dabei differenzierten die Autoren auch nach dem Komplexitätsgrad des Berufs. Bei einem mittleren Komplexitätsgrad des Berufs (Sachbearbeiter, Facharbeiter, Polizisten) war die Vorhersagekraft für Berufs- und Trainingserfolg noch höher als bei einer hohen Komplexität des Berufs (Geschäftsführer, Wissenschaftler). Es konnte ferner gezeigt werden, dass Intelligenztests auch bei ethnischen Minderheiten gute Prognosen ermöglichen (Zeidner, 1988). Die Messung von kognitiven Fähigkeiten ist bei den hier im Fokus stehenden Zielgruppen also besonders wichtig, da die genannten Einstiegsprogramme (Berufsausbildung, BerufsakademieStudium) eine mittlere Komplexität aufweisen; Intelligenztests helfen also, zu ermitteln, bei welchen Personen Personalentwicklungsmaßnahmen wahrscheinlich die größte Wirkung entfalten werden. Ferner ist es bei Fähigkeitstests leichter als bei anderen Elementen von Auswahlverfahren, sie so wissens- und kulturfrei zu gestalten, dass sie unabhängig von Vorwissen und kulturellem Hintergrund der Teilnehmer funktionieren. Handelsübliche Intelligenztests haben allerdings zwei Nachteile: Ihre freie Verfügbarkeit und die mangelnde Nähe zu den Berufs- und Ausbildungsinhalten. Die freie Verfügbarkeit birgt die Gefahr, dass Teilnehmer sich die Aufgaben im Vorfeld verschaffen. Die mangelnde Nähe zu Berufs- und Ausbildungsinhalten ist durch die häufig fehlende inhaltliche Einbettung der Aufgaben bedingt. Dadurch sinkt die Augenscheinvalidität7, die wiederum ein wichtiges Kriterium für die Akzeptanz eines Verfahrens ist (Kersting, 2008). Die Akzeptanz eines allgemeinen Intelligenztests ist folglich etwas geringer als die von Interviews und Arbeitsproben, auch wenn diese Testverfahren insgesamt noch mittlere Akzeptanzwerte aufweisen (Marcus, 2003). Innerhalb der Intelligenztests gibt es allerdings Unterschiede: So schneiden Verfahren besser ab, die nicht nur einen Itemtypus, sondern verschiedenartige Aufgabengruppen beinhalten (Kersting, 2008). Da die Akzeptanz von Verfahren sich auch auf das Image des Unternehmens als Arbeitgeber auswirkt, ist es sinnvoll, sie als Kriterium für die Auswahl 7 Die Augenscheinvalidität eines Verfahrens ist hoch, wenn der Teilnehmer denkt, dass es tatsächlich das misst, was es messen soll, in diesem Fall die Eignung für eine bestimmte berufliche Laufbahn.

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eines Verfahrens zu berücksichtigen (Hausknecht, Day u. Thomas, 2004). Spezifische Testverfahren, die beispielsweise die Begabung für technische oder wirtschaftswissenschaftliche Berufe erfassen, weisen im Bereich der Akzeptanz aufgrund einer besseren Augenscheinvalidität Vorteile gegenüber den allgemeinen Fähigkeitstests auf (Trost, 1993). Außerdem sind sie zumeist nicht frei im Handel verfügbar und stellen somit ideale Auswahlverfahren dar. Schulnoten: Schulnoten werden bei Bewerbern für Ausbildungsstellen oder Berufsakademien gern als Kriterien für die Vorauswahl verwendet, da sie hoch mit kognitiven Fähigkeiten und Studienerfolg korrelieren (vgl. Trapmann et al., 2007). Diese Praxis ist für Personen mit Migrationshintergrund und Personen aus bildungsfernen Schichten problematisch, und es besteht die Gefahr, dass die Fähigkeiten dieser Personen unterschätzt werden. Denn sie erhalten im Schulsystem bei gleicher intellektueller Begabung womöglich schlechtere Noten als Einheimische aus bildungsnahen Schichten. Persönlichkeitstests und Interessentests: Es gibt zahlreiche Persönlichkeitsmerkmale und Interessenrichtungen, die sich über objektive Testverfahren erfassen lassen und die für den Berufserfolg von Bedeutung sind (Hurtz u. Donovan, 2000; Hülsheger, Specht u. Spinath, 2006). Hier spielen beispielsweise emotionale Stabilität (Neurotizismus), Leistungsmotivation und Selbstbewusstsein eine wichtige Rolle. Studien mit deutschen Teilnehmern haben gezeigt, dass die Akzeptanz von Persönlichkeitstests nur geringfügig schlechter ist als die Akzeptanz allgemeiner Fähigkeitstests (Marcus, 2003), aber es ist ungewiss, ob dieser Befund auf Personen aus anderen Kulturkreisen übertragen werden kann. Ein weiteres Problem beim Einsatz von Persönlichkeitstests besteht darin, dass sie vom Teilnehmer in einer Auswahlsituation durchschaut werden können. Den Teilnehmern gelingt es, ihre Antworten zu verfälschen und »sozial erwünscht« zu antworten, vor allem, wenn sie Wissen über die zu messenden Eigenschaften haben (Raymark u. Tafero, 2009). Dennoch hat die Forschung gezeigt, dass eine Prognose des Berufserfolgs mit Persönlichkeitstests auch in Auswahlsituationen möglich sein kann (Marcus, 2006). Ein Persönlichkeitstest bringt den Teilnehmer aber in einen moralischen Konflikt, da

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ihm bewusst ist, dass er durch ehrliches Antworten seine Chancen verschlechtern könnte. Es besteht zudem Unklarheit darüber, ob Personen aus verschiedenen Kulturkreisen oder unterschiedlichen sozialen Schichten ein vergleichbares Antwortverhalten zeigen. Leider weiß man noch zu wenig über die komplexen Interaktionen zwischen Sozialisation, Kultur, Antworttendenzen, Persönlichkeit und Berufserfolg. Da Persönlichkeitseigenschaften und Interessen aber sehr wichtige Ressourcen sind und entsprechende Testergebnisse mit späterem Erfolg zusammenhängen, kann der Einsatz solcher Tests gerechtfertigt werden, wenn mit den Ergebnissen behutsam umgegangen wird. So wäre es eine Möglichkeit, bei der Vorauswahl von Bewerbern Persönlichkeitsfragebögen zu verwenden und dabei niedrige Cut-off-Werte für ein Negativ-Screening festzulegen. Das Problem unterschiedlicher Antworttendenzen kann so zwar nicht beseitigt werden, aber Bewerber erhalten auch bei nicht optimalen Werten eine Chance (»im Zweifel für den Bewerber«).

4.2 Diagnostik von Kompetenzen Die Validität von Verfahren zur Ermittlung von Kompetenzen muss hinterfragt werden, wenn sie bei Personen der genannten Gruppen zum Einsatz kommen. Dies haben auch viele Personalverantwortliche in den Unternehmen erkannt: In einer Studie von Kersting (2007) gaben 52 Prozent der befragten Unternehmen an, dass klassische Personalbeurteilungsverfahren wie Assessment Center (AC) für Personen mit Migrationshintergrund nicht gut geeignet seien. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einige Grundvoraussetzungen zur erfolgreichen Bewältigung der Übung sind bei den Teilnehmern vielleicht nicht ausreichend vorhanden. Solche Voraussetzungen betreffen beispielsweise die Sprache, Wissen über bestimmte Verhaltensregeln und das Deuten von Verhaltensweisen möglicher Interaktionspartner. So vermutet Bungard (1992), dass Teilnehmer im AC scheitern, wenn es ihnen an der sozialen Intelligenz fehlt, aus der Testsituation die Erwartungen der Zuhörer herauszufiltern, »um sich chamäleonartig danach auszurichten« (S. 112). Das, was Bungard als soziale Intelligenz beschreibt, setzt zu einem großen Teil implizites Wissen voraus, welches in der Sozialisation erworben wird. Es ist bei Personen mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Schichten gegebenenfalls geringer ausgeprägt, weil

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weniger entsprechendes soziales Lernen vorher stattgefunden hat. Die Personen der beiden Zielgruppen haben somit geringere Chancen, im Auswahlverfahren ihre volle Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Der angesprochene Effekt der sozialen Intelligenz beziehungsweise des kulturellen Wissens wirkt sich negativ auf die Konstruktvalidität8 aus (Kleinmann, 1997) und scheint einer der Gründe dafür zu sein, dass ACs generell nur eine mittelmäßige Konstruktvalidität erreichen. Diese Problematik der ACs ist seit langem bekannt (Sackett u. Dreher, 1982), aber aufgrund der guten Vorhersage von Berufserfolg und der guten Augenscheinvalidität nimmt man die nur mittelmäßige Konstruktvalidität in Kauf.9 Wenn Personen der beschriebenen Zielgruppen am AC teilnehmen, sind möglicherweise noch stärkere Einschränkungen der Konstruktvalidität zu erwarten. Sie kann dann auf ein Niveau absinken, das inakzeptabel ist und die Qualität von Prognosen bezüglich des beruflichen Erfolgs entscheidend verschlechtert. Nachfolgend wird exemplarisch auf einige Schwierigkeiten und Probleme bei drei klassischen Elementen von Assessment-Center-Verfahren eingegangen, bevor im letzten Abschnitt geschildert wird, wie man mit den Schwierigkeiten umgehen kann. Fallstudie: Hier kann die inhaltliche Einbettung problematisch sein, denn es wird häufig ein reales Szenario verwendet, das nicht ohne Weiteres in einen wissens- und kulturfreien Raum übersetzt werden kann. Man verwendet Konzepte und Themen, die vom Teilnehmer nur bei entsprechender Vorbildung verstanden werden können (z. B. Betriebsrat, Gewerkschaft, Bürgerinitiative). In solchen Fallstudien hängt die Leistung neben der Vorbildung von der Fähigkeit ab, sich schnell durch komplexe verbale Informationen zu arbeiten, von der Erfahrung mit ähnlichen Problemlösesituationen und nicht zuletzt von der Präsentationskompetenz. Alle Teilnehmer müssen ein Basisniveau der genannten Voraussetzungen mitbringen, um das Element so bearbeiten zu können, dass aus ihrer 8 Konstruktvalidität bezieht sich auf die Frage, ob ein Verfahren auch tatsächlich das misst, was gemessen werden soll. 9 Teilweise wird hierin sogar eine besondere Stärke des ACs gesehen: Denn die Kompetenz, zu erkennen, was in einer Situationen erwartet wird, ist berufsrelevant und somit diagnostisch sinnvoll.

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Leistung Rückschlüsse auf wichtige Kompetenzen oder Ressourcen möglich sind. Gruppendiskussion: In einer Gruppendiskussion wird vorausgesetzt, dass der Teilnehmer mit solchen Situationen bereits ausreichend vertraut ist, daher die impliziten Spielregeln kennt und zudem über die verbalen Fähigkeiten verfügt, die für eine Beteiligung notwendig sind. Außerdem gibt es kulturelle und sozialschichtabhängige Unterschiede darin, wie stark man sich in einer solchen Übung »in Szene setzt«. In einigen Kulturen würde das Verhalten, das ein gut bewerteter deutscher AC-Teilnehmer an den Tag legt, als aufdringlich und unangemessen empfunden werden. Der ACTeilnehmer aus einem anderen Kulturkreis bemüht sich womöglich, unauffällig und zurückhaltend zu sein. Sozial adäquates Verhalten sieht mithin in verschiedenen Kulturen unterschiedlich aus; dies muss bei der Bewertung der Teilnehmer in jedem Fall berücksichtigt werden. Rollenspiel: Im Rollenspiel kann es zu ähnlichen Schwierigkeiten kommen wie in Gruppendiskussionen. In vielen Kulturen ist es beispielsweise nicht angebracht, offen Kritik am Gesprächspartner zu äußern, da dieser »sein Gesicht wahren« muss. Zudem wird gegebenenfalls der Beziehungsebene eine deutlich größere Rolle zugemessen als der Sachebene, so dass ein Rollenspiel für den Teilnehmer artifiziell ist, da er seinen Gesprächspartner – anders als im richtigen Leben – kaum kennt.

5 Gestaltung eignungsdiagnostischer Verfahren 5.1 Auswahl der Elemente und Gestaltung des Ablaufs Ein Auswahlverfahren sollte die angesprochene gesonderte Erfassung von Ressourcen und Kompetenzen sicherstellen. Damit der Aufwand bei einer gegebenenfalls großen Zahl zu besetzender Stellen nicht zu hoch wird, ist es sinnvoll, ein zweistufiges Verfahren anzuwenden. Dabei könnte im ersten Schritt eine Prüfung der Ressourcen und zuvor festgelegter Mindestanforderungen bezüglich der Kompetenzen (diese sollten dann aber sehr niedrig angesetzt sein) erfolgen. Dies kann beispielsweise über einen Online-Test für

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Fähigkeiten (nicht: Schulwissen) in Verbindung mit einer Schulnotenabfrage erfolgen. Hier wäre eine Kombination aus allgemeinen Intelligenztestaufgaben mit spezifischen Testaufgaben (beispielsweise zur Erfassung der Begabung für den technischen Bereich) denkbar. Es ist darauf zu achten, die Testaufgaben zur Erfassung der kognitiven Fähigkeiten so zu gestalten, dass sie auch mit geringem Vorwissen und geringen Sprachkenntnissen bewältigt werden können. Im zweiten Auswahlschritt sollten die diagnostischen Verfahren schwerpunktmäßig die Kompetenzen erfassen. Hier können Interviews und/oder Assessment-Center-Elemente zum Einsatz kommen. Es sollte dann die Entwicklungsperspektive für die Teilnehmenden im Vordergrund stehen: In welchen Kompetenzfeldern besteht noch Förderbedarf und wie groß sind gegebenenfalls vorliegende Defizite in wichtigen Kompetenzbereichen? Auch die im Beitrag von Heilmann (in diesem Band) erläuterten Elemente von Lernpotenzial-ACs sollten für die beiden Zielgruppen in Erwägung gezogen werden.

5.2 Transparenz und Vorbereitung der Teilnehmer Auswahlverfahren, an denen Personen der genannten Zielgruppen teilnehmen, sollten in besonderem Maße transparent gestaltet werden, und den Teilnehmern muss eine umfassende Vorbereitung ermöglicht werden. Transparenz bedeutet, dass die Teilnehmer vor dem Auswahlverfahren über die zum Einsatz kommenden Elemente, den Ablauf und die gemessenen Kompetenzen informiert werden. Die Teilnehmer müssen die Möglichkeit haben, sich ein Bild der verschiedenen Verfahrenselemente und der Anforderungssituationen zu machen. Die Information der Teilnehmer sollte so aussehen, dass sie spätestens eine Woche vor dem Auswahlverfahren über den groben Ablauf, die Inhalte und die geforderten Kompetenzen in Kenntnis gesetzt werden. In den zu diesem Zweck zugänglich gemachten Unterlagen sollten Beispiele für Aufgaben oder Übungen enthalten sein, damit sich die Teilnehmer den Ablauf des Verfahrens gut vorstellen können. Für interne Kandidaten, die an einem Auswahlverfahren für einen beruflichen Aufstieg teilnehmen, könnten Vorbereitungsseminare angeboten werden, die alle auf den gleichen Vorwissens-Stand bringen. Ein solches Vorgehen kann grundsätzlich empfohlen werden, also unabhängig von der

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Zielgruppe, bekommt bei den genannten Personengruppen aber eine noch höhere Bedeutung zur Sicherung der Qualität des Verfahrens: Denn Transparenz verbessert die Chancen von Teilnehmern der beiden Zielgruppen und verbessert die Konstruktvalidität (vgl. Kleinmann, 1997).

5.3 Gestaltung der Materialien Bei der Erstellung der Materialien für diagnostische Verfahren gibt es zahlreiche Gestaltungsregeln, die bei der Anpassung der Verfahren an die beiden Zielgruppen helfen können. Sprachliche Einfachheit: Der Problematik, dass mangelnde Sprachkenntnisse beim Bewerber die Interpretation seiner Ergebnisse im Auswahlverfahren erschweren, kann man teilweise entrinnen, indem man Materialien ohne verbale Inhalte verwendet. Bei Zahlenfolgen, Matrizentests und Durchstreichtests hängt die Aufgabenlösung nicht von der Sprachkompetenz der Bearbeiter ab. Die Akzeptanz von Matrizen- und Durchstreichtests ist aber aufgrund der schlechten Augenscheinvalidität eher gering (vgl. Kersting, 2008). Außerdem ist die Erfassung vieler Eigenschaften ohne die Verwendung von Sprache nicht möglich. Also muss verbales Material verwendet werden, und dieses ist möglichst einfach zu gestalten – eine anspruchsvolle Aufgabe. Denn viele komplexe Sachverhalte lassen sich nicht unbegrenzt sprachlich vereinfachen. Und über das, was sprachlich »einfach« oder »schwierig« ist, sind häufig keine ausreichenden Kenntnisse vorhanden. Die folgenden Empfehlungen können helfen, die sprachliche Einfachheit zu verbessern: Schulung der Konstrukteure der Verfahren, Erprobung der Materialien an Personen der Zielgruppe, Vergleich der Ergebnisse im Verfahren mit Ergebnissen von Sprachtests (zur Identifikation besonders sprachlastiger Elemente), Begutachtung der Materialien durch Experten, Sensibilisierung der Konstrukteure der Verfahren. Bei der Konstruktion des TestAS (Test for Academic Studies) wurden alle diese Maßnahmen ergriffen. Der TestAS ist ein auf Deutsch und Englisch angebotener Studierfähigkeitstest für ausländische Studienbewerber aus Nicht-EU-Ländern, der weltweit abgelegt werden kann. Er wurde von ITB Consulting zusammen mit dem TestDaF-Institut entwickelt und besteht aus einem Kerntest

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sowie vier fachspezifischen Testmodulen (Wirtschaftswissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Mathematik/Informatik/Naturwissenschaften und Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften). Hier entwerfen die Testkonstrukteure der ITB Consulting Testaufgaben, mit denen die Begabung für bestimmte Studienfächer (fast) unabhängig von Sprachkenntnissen und Vorwissen erfasst werden kann. Die Aufgabenkonstrukteure arbeiten dabei eng mit DaF (»Deutsch als Fremdsprache«)-Experten zusammen, die sämtliche Aufgaben begutachten und Vorschläge zur weiteren sprachlichen Vereinfachung unterbreiten. Am TestAS könnten sich auch Verfahren zur Auswahl von Personen mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Schichten für Ausbildungsstellen und BA-Studiengänge orientieren. Kulturfairness: Prinzipiell gibt es hier ähnliche Empfehlungen wie für die sprachliche Einfachheit (Schulung und Sensibilisierung der Konstrukteure, Erprobung an Personen verschiedener Kulturkreise, Begutachtung der Materialien durch Experten). Zur Vertiefung der Thematik »Kultur und Assessment Center« sei auf den Beitrag von Terörde in diesem Band verwiesen. Bearbeitungszeit: Bei der Bearbeitung von Instruktionen und Aufgabenmaterialien sollte die Bearbeitungszeit so großzügig bemessen sein, dass ein mehrfaches, langsames Lesen von Sätzen oder Abschnitten möglich ist, denn die Bearbeiter der beiden Zielgruppen haben gegebenenfalls schwache Sprachkenntnisse oder wenig Erfahrung im Durcharbeiten komplexer verbaler Informationen. Im Idealfall gibt man die Materialien einer kleinen Stichprobe von Bearbeitern mit schwachen Sprachkenntnissen vor und ermittelt die benötigte Zeit.

5.4 Auswahl und Schulung der Interviewer und Beobachter Bei vielen Auswahlverfahren sind die Beobachter oder Interviewer das eigentliche »Messinstrument«. Sie bewerten das Verhalten der Teilnehmer anhand von Leitfäden oder Verhaltensankern. Dabei können sie einer Reihe von Beobachtungsfehlern unterliegen, was die Gültigkeit des Verfahrens gefährdet. Eine ausführliche Schulung ist daher immer notwendig. Wenn Personen aus den genann-

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ten Zielgruppen teilnehmen, kommt der Kompetenz der Beobachter/Interviewer eine besonders große Rolle zu. Denn hier werden möglicherweise Verhaltensweisen gezeigt, die vor dem Hintergrund unserer Kultur und eines vorausgesetzten Bildungsniveaus negativ bewertet werden (z. B. starke Zurückhaltung in der Gruppendiskussion). Die Interviewer/Beobachter müssen für diese besonderen Schwierigkeiten sensibilisiert werden, idealerweise haben sie selbst eine hohe interkulturelle Kompetenz. Außerdem müssen sie mit Beurteilungsfehlern bestens vertraut sein. Der Halo-Effekt spielt im vorliegenden Fall eine besonders große Rolle: Ein negativ bewertetes Merkmal (z. B. eine stockende Sprache oder ein mit niedriger Bildung assoziierter Jugend-Jargon) »strahlt« auf die Bewertung anderer Merkmale (z. B. des Inhalts des Gesagten) aus. In der Beobachterschulung für Verfahren, die sich an Teilnehmer der Zielgruppen richten, sollte der Umgang mit solchen Verhaltensweisen anhand konkreter Beispiele behandelt werden.

6 Zusammenfassung und Fazit Es ist möglich, zur Deckung des Fachkräftebedarfs auf Personen zuzugreifen, deren Potenzial aufgrund ihrer Benachteiligung im Bildungssystem aktuell noch nicht ausgeschöpft wird. Solche »hidden talents« können insbesondere bei Personen mit Migrationshintergrund und Personen aus bildungsfernen Schichten vermutet werden. Sie besuchen häufig eine Schulform, die ihren kognitiven Fähigkeiten nicht entspricht, und haben schlechtere Chancen beim Übertritt in das Berufsleben. Durch spezielle Maßnahmen im Bereich des Personalmarketings und der Personalentwicklung kann dieses Potenzial erschlossen werden, indem man verstärkt Personen dieser Gruppen für Ausbildungsstellen und Berufsakademie-Studiengänge rekrutiert. Eine Anpassung der diagnostischen Verfahren ist notwendig. Mit einer getrennten Erfassung von Ressourcen (insbesondere durch Fähigkeitstests) und Kompetenzen können Ausbildungs- und Berufserfolg vorhergesagt werden, außerdem werden Ansatzpunkte für Fördermaßnahmen ersichtlich.

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Die Autorinnen und Autoren

Simone Dlugosch, geb. 1978, Diplom-Psychologin. Seit 2004 Beraterin bei der ITB Consulting GmbH; Schwerpunkte: Konzipierung, Durchführung und Evaluierung eignungsdiagnostischer Verfahren (Gruppen- und Einzel-Assessments), vorwiegend mit internationalen Zielgruppen; Trainings und Workshops zu eignungsdiagnostischen Themen; Coaching (Ausbildung gemäß der Ausbildungsrichtlinien des Deutschen Bundesverbandes für Coaching). Ernst Fay, geb. 1947, Dr. phil., Diplom-Psychologe. Studium der Psychologie in Freiburg, Promotion in Mannheim, 1977 bis 1997 im Institut für Test- und Begabungsforschung der Studienstiftung des deutschen Volkes, daneben 10 Jahre Lehrbeauftragter an der Universität Bonn. Seit 1992 geschäftsführender Gesellschafter der ITB Consulting GmbH mit den Schwerpunkten: Personalauswahl und -entwicklung (Testverfahren, Assessment-Center-Elemente, Beurteilungssysteme), Durchführung von Assessments und Audits, Seminaren und Trainings; Beratung von Unternehmen in all den angeführten Gebieten. Kristine Heilmann, geb. 1969, Dr. rer. nat., Diplom-Psychologin, MBA; zunächst wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Testund Begabungsforschung und am Institut für Bildungsforschung in Bonn, freie Mitarbeit im Zentrum für Managementberatung, Bonn; seit 1998 Beraterin, seit 2006 geschäftsführende Gesellschafterin der ITB Consulting GmbH mit den Schwerpunkten Managementdiagnostik und Personalentwicklung in Unternehmen und Organisationen verschiedenster Branchen, im In- und Ausland. Sylvia Krämer, geb. 1979, Dr. phil., Diplom-Psychologin; hat verschiedene Industrieunternehmen zur Steuerung virtueller Teams beraten sowie zu diesem Thema promoviert. Seit 2008 Beraterin bei der ITB Consulting GmbH mit den Schwerpunkten: Management-

Die Autorinnen und Autoren

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diagnostik für Industrie- und Handelsunternehmen sowie Konzeption und Evaluation von Verfahren zur Potenzial- und Leistungsdiagnostik im Hochschulbereich. Melanie Sauerland, geb. 1976, Dr. phil., Diplom-Psychologin; hat zum Wiedererkennen Tatverdächtiger durch Augenzeugen promoviert und war 2004 bis 2008 als Psychologische Sachverständige tätig. Seit 2008 Beraterin bei der ITB Consulting GmbH mit den Schwerpunkten: Konzeption und Evaluation von Verfahren zur Eignungsfeststellung im Rahmen des Hochschulzugangs (insbesondere Tests) sowie von diagnostischen Verfahren zur Eignungsfeststellung für Industrie- und Handelsunternehmen. Martin Schürmann, geb. 1962, Dr. phil., Diplom-Psychologe; von 1995 bis 2001 Personalentwickler bei der Karstadt Warenhaus AG, zuletzt Leiter der Führungskräfteentwicklung; seit 2001 Berater bei der ITB Consulting GmbH mit den Schwerpunkten: Gruppenund Einzel-Assessments (national und international) sowie Weiterentwicklung von Führungskräften; Mitglied der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., Assessor für den Deutschen Project Excellence Award und seit 2008 praktizierender Coach. Stephan Stegt, geb. 1976, Dr. phil., Diplom-Psychologe, MBA; studierte Psychologie in Bonn und Rouen und promovierte über Gedächtnistäuschungen. Seit 2007 Berater bei der ITB Consulting GmbH mit den Schwerpunkten: Konzeption und Evaluation von Verfahren zur Eignungsfeststellung im Rahmen des Hochschulzugangs (insbesondere Tests) sowie von diagnostischen Verfahren zur Eignungsfeststellung für Industrie- und Handelsunternehmen (insbesondere Assessment-Center). Anke Terörde, geb. 1979, Diplom-Psychologin, M. A. in Vergleichender Religionswissenschaft; Forschungstätigkeit zu Auslandsentsendung von Mitarbeitern. Ausgebildete Trainerin. Seit 2006 Beraterin bei der ITB Consulting GmbH mit den Schwerpunkten: Konzeption und Durchführung von Assessment-Center-Verfahren im In- und Ausland, Entwicklung von Personalbeurteilungssystemen, Durchführung von Trainings und Seminaren (zum Beispiel zur interkulturellen Kompetenz, Kreativität und Veränderungsprozessen).

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Die Autorinnen und Autoren

Günter Trost, geb. 1943, Dr. phil., Diplom-Psychologe; Mitbegründer und Gesellschafter der ITB Consulting GmbH, 1992 bis 2006 Geschäftsführer; Honorarprofessor der Universität Heidelberg. Arbeitsschwerpunkte: Potenzial- und Leistungsdiagnostik im Hochschulbereich sowie bei Führungskräften im In- und Ausland; Training interkultureller Kompetenz. Alexander Zimmerhofer, geb. 1976, Dr. phil., Diplom-Psychologe; promovierte über Studierendenberatung und -auswahl. Seit 2006 Berater bei der ITB Consulting GmbH mit den Schwerpunkten: Entwicklung von Verfahren zur Studierendenauswahl und zur Potenzial- und Leistungsdiagnostik bei Führungskräften von Industrie- und Handelsunternehmen; Konzeption und Implementierung von Systemen zur webbasierten Eignungsdiagnostik (E-Assessments, Self-Assessments).

Andere Länder, anderes Denken?

Al d Th Alexander Thomas / Eva-Ulrike Kinast / Sylvia Schroll-Machl (Hg.) Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation

Alexander l d Thomas h / Stefan Kammhuber / Sylvia Schroll-Machl (Hg.) Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation

Band 1: Grundlagen und Praxisfelder 2., überarb. Auflage 2005. 463 Seiten mit 23 Abb. und 14 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-46172-3

Band 2: Länder, Kulturen und interkulturelle Berufstätigkeit 2., durchgesehene Auflage 2007. 398 Seiten mit 7 Abb. und 6 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-46166-2

Das Grundlagenwerk für Fach- und Führungskräfte in Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft sowie Personalentwickler, Trainer und Coaches zur immer häufiger geforderten Schlüsselqualifikation »Interkulturelle Handlungskompetenz«.

Personalauswahl in Theorie und Praxis

Stephan Kühn/Iris Platte/ Heinrich Wottawa Psychologische Theorien für Unternehmen 2., neu bearbeitete Auflage 2006. 445 Seiten mit 41 Abbildungen und 27 Tabellen, gebunden ISBN 978-3-525-46240-9

Der »gesunde Menschenverstand« sollte sich psychologischer Theorien bedienen – erst recht in Unternehmen. Die Autoren zeigen dies auf verständliche Weise auch für Nicht-Psychologen.

Ernst Fay (Hg.) ( ) Das Assessment-Center in der Praxis Konzepte – Erfahrungen – Innovationen 2002. 138 Seiten mit 3 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-46169-3

Für solche, die AssessmentCenter durchführen, und solche, die an ihnen teilnehmen.