Visuelle Geographien: Zur Produktion, Aneignung und Vermittlung von RaumBildern [1. Aufl.] 9783839427200

Not the image, but its use stands at the center of this volume, which systematically discusses the conceptual and analyt

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Visuelle Geographien: Zur Produktion, Aneignung und Vermittlung von RaumBildern [1. Aufl.]
 9783839427200

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Ausgangspunkte. Das Visuelle in der Geographie und ihrer Vermittlung
Teil I: Theorien visueller Geographien
Einleitende Bemerkungen
2. Das Bild — ein visuelles Medium? Phänomenologische Bemerkungen zu einem sensualistisch-reduktionistischen Bild-Begriff
3. Raum- und Subjektkonstitution durch visuelle Anrufungen auf der Mikroebene
4. Die visuelle Konstruktion gesellschaftlicher Räumlichkeit
Teil II: Praktiken visueller Geographien
Einleitende Bemerkungen
5. RaumBilder und Bildung
6. »… wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist …«. Nachvollsehbarkeit von Bevölkerung
7. RaumBilder und Wirtschaft. Visuelle Strategien in der Wirtschaftsförderung
8. Sichtbares und Unsichtbares. RaumBilder und Stadtplanung — ein Perspektivenwechsel
9. RaumBilder und Sozialisation: Sehen lernen
10. RaumBilder und Kunst
11. »Jedes Volk arbeitet nach seiner Art«. Der »Volksgeist« im Spiegel der Kulturlandschaft
Teil III: Reflexion und Vermittlung
Einleitende Bemerkungen
12. Bildbegriffe und ihre Reichweite zur Analyse von Gesellschaft-Raum-Verhältnissen
13. Geographische Visualitätsregime zwischen Länderkunde und Quantitativer Revolution
14. Leit-Bilder konstruieren und reflektieren. Oder: Die Welt lesen lernen im Zweiten Blick
15. Sehendes Sehen. Zur Praxis visueller Vermittlung
Abbildungsverzeichnis
Literatur

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Antje Schlottmann, Judith Miggelbrink (Hg.) Visuelle Geographien

Sozial- und Kulturgeographie

Band 2

Antje Schlottmann, Judith Miggelbrink (Hg.)

Visuelle Geographien Zur Produktion, Aneignung und Vermittlung von RaumBildern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Franz Ackermann: »mental map, hanging« mit freundlicher Genehmigung zum Abdruck, Courtesy: Privatsammlung, Köln. Korrektorat: Andreas Merkel, Köln Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2720-6 PDF-ISBN 978-3-8394-2720-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Vorwort  | 11 Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink

1. Ausgangspunkte Das Visuelle in der Geographie und ihrer Vermittlung  | 13 1.1 Kulturtheoretische Rahmung | 14 1.2 Visualisierung als fachspezifischer Habitus | 17 1.3 Positionierung und disziplinäre Öffnung | 24

T eil I: T heorien visueller G eographien Jürgen Hasse

2. Das Bild — ein visuelles Medium? Phänomenologische Bemerkungen zu einem sensualistisch-reduktionistischen Bild-Begriff  | 31 2.1 Bild und Einbildung | 32 2.2 Die einen und die anderen Bilder | 34 Anke Strüver

3. Raum- und Subjektkonstitution durch visuelle Anrufungen auf der Mikroebene  | 49 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

Einleitung | 49 Repräsentationen als Konstitutionselemente verkörperter Subjekte – Verkörperung und Inkorporierung | 51 Sehen und Gesehen-Werden: Visuelle Anrufungen und die performative Praxis des Sehens | 54 Wirkmächtigkeit von Visuellem in Praktiken der Raumkonstitution | 58 »Sehen beim Gehen in der Stadt«: Ko-Konstitution von Körpern und Raum | 61

Tilo Felgenhauer

4. Die visuelle Konstruktion gesellschaftlicher Räumlichkeit  | 67 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Einführung | 67 Die soziale Fixierung von Bedeutung | 67 Die Rolle des Visuellen in Prozessen der strategischen Regionalisierung | 70 Raumbilder und die Fixierung von Bedeutung – Beispiele | 73 Fazit | 82

T eil II: P rak tiken visueller G eographien Antje Schneider

5. RaumBilder und Bildung  | 91 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7

Vorbemerkung | 91 Über eine kleine Überraschung | 92 Das Bild am Anfang | 94 Das Bild als Spur | 95 Von der Gegenwart der Geographie | 97 Das Landschaftsbild auf dem Smartphone – Skizze einer Deutung | 99 RaumBilder und Bildung – ein Fazit | 102

Jeannine Wintzer

6. »… wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist …« Nachvollsehbarkeit von Bevölkerung  | 103 6.1 Ausgangslage – Zukunftswissen über die Bevölkerung | 103 6.2 Infografiken I – theoretische Ansätze | 109 6.3 Infografiken II – methodische Zugänge | 111 6.4 Bevölkerung nachvollsehen | 113 6.5 Fazit | 118 Anne Vogelpohl

7. RaumBilder und Wirtschaft Visuelle Strategien in der Wir tschaftsförderung  | 121 7.1 7.2 7.3

Visualität und Wirtschaftsgeographie – Einblicke | 122 McKinseys wirtschafts- und stadtpolitische Beratung für Berlin | 124 Fazit: Von der Bildproduktion zur Raumproduktion. Zum strategischen Gehalt von RaumBildern in der Wirtschaft | 130

Katja Manz

8. Sichtbares und Unsichtbares RaumBilder und Stadtplanung – ein Perspektivenwechsel  | 133 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5

RaumBilder und visuelle Medien in Planungsprozessen | 133 Bilder der Stadt: Die Perspektiven der Bewohnerinnen und Bewohner in Planungsprozessen | 135 Methodologische Überlegungen zum Bildbegriff | 136 Urbane Erkundungen am Beispiel des Chemnitzer Brühl Boulevards | 139 Sichtbares und Unsichtbares – ein Fazit | 144

Kathrin Hörschelmann

9. RaumBilder und Sozialisation: Sehen lernen  | 147 9.1 9.2 9.3 9.4

Einleitende Bemerkungen | 147 Ansätze zur Analyse von Sozialisation und Bild | 149 Partizipatorische Forschung mit Bildern: Einblicke in soziale Wirklichkeiten? | 154 Zusammenfassung und Fazit | 158

Eva Nöthen

10. RaumBilder und Kunst  | 161 10.1 Ästhetische Erfahrung und Kunst im öffentlichen Raum | 163 10.2 Historischer Abriss | 165 10.3 Künstlerische Intervention im Stadtraum (2 Fallbeispiele) | 167 10.4 Abschließende Bemerkungen | 173 Hans-Dietrich Schultz

11. »Jedes Volk arbeitet nach seiner Art« Der »Volksgeist« im Spiegel der Kulturlandschaft  | 175 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6 11.7

Landschaft als Medium | 175 Völkerauslese durch Arbeit und Leistung | 177 Von der Kulturlandschaft zum Volks- und Kulturboden | 179 Germanen gegen Slaven | 180 Belletristik und geographische Jugendlektüre | 183 Drei Unterrichtsvorschläge | 185 Schlussbemerkungen | 187

T eil III: R eflexion und V ermittlung Peter Dirksmeier

12. Bildbegriffe und ihre Reichweite zur Analyse von Gesellschaft-Raum-Verhältnissen  | 195 12.1 Geographisches Nachdenken über das Visuelle | 195 12.2 Grundlegende Bildbegriffe im geographischen Nachdenken über das Visuelle | 197 12.3 Thematisierung des Visuellen in existierenden Theoriesträngen in der Humangeographie | 203 Boris Michel

13. Geographische Visualitätsregime zwischen Länderkunde und Quantitativer Revolution  | 209 13.1 Einleitung | 209 13.2 Länderkunde – Landschaft und Anschauung | 212 13.3 Die Quantitative Revolution – Geometrie und Modell | 216 13.4 Zusammenschau – Synthese | 221 13.5 Schluss | 224 Tilman Rhode-Jüchtern

14. Leit-Bilder konstruieren und reflektieren Oder: Die Welt lesen lernen im Zweiten Blick  | 225 14.1 Vorbemerkung | 225 14.2 Eine kleine Erzählung vorweg | 226 14.3 Begriffliche Vorklärungen: »Text«, »Bild«, »Sehfläche« | 228 14.4 Beispiel 1: Das wissenschaftliche Bild. Altes und neues Denken: »Es ist so!« – »Ist es so?« | 230 14.5 Beispiel 2: Das massenmediale Bild – Der Zweite Blick: Was steckt dahinter? | 234 14.6 Beispiel 3: Das mentale Modell – Unsichtbares sichtbar machen und verstehen: Das Gesetz vom Minimum | 236 14.7 Beispiel 4: Das normative Bild – Das »Gleichgewicht« der Natur: Ordnung oder Unordnung? | 238 14.8 Nachbemerkung | 240

Mirka Dickel

15. Sehendes Sehen Zur Praxis visueller Vermittlung  | 243 15.1 Einleitung | 243 15.2 Zur sprachanalogen Bildpraxis: Das Bild als Text verstehen | 248 15.3 Zur phänomenologischen Bildpraxis: Das Bild als Bild verstehen | 253 15.4 Visuelle Vermittlung als Haltung | 256

Abbildungsverzeichnis  | 259 Literatur  | 263

Vorwort

Dieses Buch hat – wie viele Bücher – eine längere Vorgeschichte. Vielleicht beginnt sie in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends, als wir, die Herausgeberinnen dieses Bandes, vornehmlich mit der sprachlichen, aber auch – eher zaghaft noch – mit der bildlichen Konstruktion von Städten und Regionen im Osten Deutschlands befasst waren und uns vernetzten. Vielleicht beginnt sie auch 2004, als sich eine Reihe von Geographinnen und Geographen in einem Netzwerk zur Diskursanalyse in der Humangeographie zusammenfanden. Irgendwann jedenfalls stellten wir fest, dass wir gemeinsame Interessen, Ansichten und Fragen in Bezug auf die visuelle Aneignung der Welt und die Möglichkeiten ihrer kritischen, wissenschaftlichen Reflexion teilten. Aus unseren Debatten ging eine erste explorative Tagung zum Thema hervor, es folgten ein Themenheft und erste gemeinsame Publikationen, aber auch die Einsicht, dass sich eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen inner- wie außerhalb image- oder diskursanalytischer Debatten mit ähnlichen Fragen beschäftigen. »Visuelle Geographien« wurden buchstäblich an vielen Orten sichtbar. Einerseits, so wurde rasch deutlich, sind es die ubiquitäre Anwesenheit des Bildes in unserem Alltag sowie die Möglichkeiten des Bild-Machens und der visuellen Kommunikation, die eine wachsende Zahl von Geographinnen und Geographen beschäftigen. Andererseits sind es die visuellen Regime, durch die Wissen geschaffen, transformiert, reproduziert und archiviert wird und an denen die Geographie als eine durchaus auch visuelle Disziplin Anteil hat, die zunehmend kritisch reflektiert werden – gerade weil sie oftmals blinde Flecken der geographischen Fachgeschichte darstellen. Diese beiden Stränge und ihre Verflechtung bilden – metaphorisch lässt sich das sagen, auch wenn es nicht ganz im Bild bleibt – den roten Faden, entlang dessen wir diesen Band entwickelt haben. Im Jahr 2009 haben wir einen ersten Versuch einer systematischen Sichtung des Feldes der Visuellen Geographien unternommen. Er führte zu vielen Fragen – weniger zu Antworten. Zehn Jahre später schien es uns angebracht, hier anzuknüpfen – freilich ohne große Hoffnung auf mehr und schon gar nicht abschließende Antworten, aber auch nicht im Sinne eines bunten Aller-

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Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink

leis von Ansätzen zum Verhältnis von Raum und Bild. Als wir anfingen, diesen Band zu konzipieren, schwebte uns daher auch kein klassischer Sammelband vor, sondern ein Buch, das, einer Monographie ähnlich, das Thema systematisch diskutiert – allerdings von und mit einer Vielzahl von Autorinnen und Autoren, die für eine Pluralität von Perspektiven und Positionen und vielfältige Forschungs- und Lehrerfahrungen stehen. Daher ist dieser Band – diese Anthologie – auch als das Etappenziel einer Gratwanderung zu sehen, auf die sich alle Beteiligten ohne Zagen eingelassen haben. Dieses »Sich-Einlassen« spiegelt sich nicht nur in den vielfältigen direkten und indirekten Querbezügen, sondern auch in dem gemeinsamen Literaturverzeichnis und nicht zuletzt in den vielfältigen Debatten, die die Entstehung des Bandes begleiteten. Zu danken haben wir daher in erster Linie unseren Autorinnen und Autoren, die mit ihrem Einsatz und ihrer Kreativität den Band ermöglicht haben. Von ihren kritischen Diskussionen und ihren Anregungen haben nicht nur die einzelnen Beiträge, sondern der gesamte Band sehr profitiert. Wir danken auch den studentischen Hilfskräften Valerie Sargk (Frankfurt a.M.) und Adina Landsmann (Leipzig), die einen großen Teil der organisatorischen und formalen Arbeiten an den Manuskripten übernommen haben. Nicht zuletzt danken wir dem transcript Verlag, der den Anstoß für diesen Band gegeben und die Fertigstellung begleitet hat, sowie dem Künstler Franz Ackermann für die freundliche Genehmigung unseres Titelbildes. Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink Frankfurt a.M. und Leipzig, März 2015

1. Ausgangspunkte

Das Visuelle in der Geographie und ihrer Vermittlung

Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink

Die Hinwendung zu Bildern und Bildlichkeit und dem Visuellen in der Geographie ist nicht neu. Vielmehr erscheint es »geradezu trivial hervorzuheben, dass Geographie im Kern ein visuelles Unterfangen ist« (Sui 2000: 322). Wohl aber neu ist ein breiteres Interesse an einem kritischen und reflexiven Umgang mit geographischer Visualisierung einerseits und an der Bedeutung von Bildlichkeit in der Konstitution raum-zeitlicher Wirklichkeiten andererseits (vgl. aber Tuan 1979). Während die kritisch-reflexive Beschäftigung mit der Geographie als »schon immer« bildproduzierender Wirklichkeit sowie ihren Produkten ein eher fachspezifisches Bestreben ist, finden sich Beschäftigungen mit dem Verhältnis von Bild und Raum in einem größeren Kontext sowohl der deutschsprachigen Bildwissenschaften als auch der englischsprachigen visual studies. Gerade Letztere sind mit ihren Bezügen zu poststrukturalistischen Einflüssen sowie zu den cultural studies stark an den institutionellen und sozialen Kontexten interessiert, in welche Praktiken visueller Bezugnahme auf und Konstitution von räumlicher Wirklichkeit eingebettet sind (vgl. Prinz/Reckwitz 2012). In der deutschsprachigen Geographie erleben wir derzeit weniger die Konsolidierung einer breiten bildwissenschaftlichen Geographie als eine fortlaufende Entdeckung der Bedeutung des Visuellen für verschiedenste kritischreflexive geographische Fragestellungen.1 Dies ist ganz im Sinne unserer Ausgangsposition, dass es weder eine Möglichkeit gibt noch sinnvoll ist, den distinkten Gegenstandsbereich einer geographischen Subdisziplin konsistent aus genuin geographischen Materialien abzuleiten (Schlottmann/Miggelbrink 2009: 18). Gestützt von einer praxistheoretischen Orientierung der visual studies sind Visuelle Geographien inhaltlich zu bestimmen in Bezug auf die Rolle 1 | In ähnlicher Weise ist dies im sich vielfach überschneidenden Feld der soziologischen Beschäftigung mit Visualität zu beobachten (vgl. Lucht et al. 2013).

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des Visuellen bei der Bearbeitung raumbezogener Fragestellungen und ihre Bedeutung beim alltäglichen wie beim wissenschaftlichen Geographie-Machen, was sich bereits auf den Akt des Sehens beziehen kann. Visuelle Geographien, so unsere weiterhin gültige Position, »sollten in ihrer theoretischen Fundierung […] Möglichkeiten bereitstellen, um über das Verhältnis von Bild und Raum nachzudenken« (ebd.). Folglich halten wir es für notwendig, Zugänge zu visuellen Geographien sowohl mit Bezug auf fachtheoretische Debatten wie auch im Kontext eines erweiterten bild- und kulturtheoretischen Diskurses zu führen.

1.1 K ulturtheore tische R ahmung In den sozial-/gesellschaftstheoretischen Debatten des (frühen) 20. Jahrhunderts spielten Fragen der Ästhetik und der Visualität – ebenso wie der Emotionalität – nur eine marginale Rolle (Reckwitz 2012). Dies hat sich mit dem sogenannten cultural turn insgesamt sowie mit seiner praxistheoretischen »Fortsetzung« geändert. Einerseits wird auf der methodisch-methodologischen Ebene visuellen Artefakten eine wichtige Rolle im Erkenntnisprozess zugesprochen, die auch die Bedingungen der Herstellung dieser Artefakte und damit die Reflexion von Bildhaftigkeit im Erkenntnisprozess einschließt (Rheinberger/Wahrig-Schmidt/Hagner 1997). Andererseits wird der visuellen Dimension des menschlichen Lebens – dem unausweichlichen UmgebenSein von Bildern und der Präsenz innerer Bilder – größere Aufmerksamkeit geschenkt (u.a. Pörksen 1997). In dieser Hinsicht werden Bilder zunehmend als Mittel der Weltaneignung thematisiert. Diese Beschäftigung steht wiederum in einem größeren Kontext kulturtheoretischer Entwicklungen: Die Debatten im Zuge des sogenannten pictorial turn oder auch iconic turn sind Teil einer breiteren Bewegung, die bisher wenig(er) beachtete Bereiche menschlicher Welterfahrung und aneignung in wissenschaftliche Arbeiten einbeziehen (vgl. Schade/Wenk 2011). Dies geschieht auf der Ebene des Gegenstandes, der Methoden wie auch der (Selbst) Reflexivität. So werden etwa Emotionen/Affekte, haptische, auditive, olfaktorische und eben visuelle Sinneswahrnehmungen, ja alles, was über das Kognitive hinausgeht oder diesem vorausgeht, Gegenstand des Erkenntnisinteresses, genauso wie sie für den Weg zu Erkenntnissen und die Reflexion der eigenen Positionierung im Erkenntnis- und Bildungsprozess fruchtbar gemacht werden. Bestimmte, im weiteren Sinne konstruktivistische und praxistheoretische Perspektiven arbeiten insbesondere die generative und strukturierende Wirkung von Bildern heraus. Im Feld der bildpragmatischen Ansätze wird dabei die fortlaufende Konstitution von Bedeutung in Abhängigkeit vom Akt der Verwendung und damit verbundenen Verwendungs- und Verwertungskontexten

1. Ausgangspunkte

zentraler Fokus der Rekonstruktion, Interpretation und Reflexion (Schelske 2001: 151; Sachs-Hombach 2006: 157ff). Dieser Perspektive folgend lassen sich einige Eckpunkte des wissenschaftlichen Umgangs mit visuellem Material formulieren: Zunächst resultiert das Gebot, die Bedeutung eines Bildes nicht im Bild selbst zu verankern, sondern Bilder stets im Kontext ihres Gebrauchs, d.h. nicht separiert vom Prozess des Betrachtens und von der Person des Betrachters, zu analysieren. Dieses Gebot der pragmatischen Kontextualisierung ist auf verschiedenste Alltagssituationen anzuwenden. Es betrifft den Prozess der (ggf. strategischen) Herstellung ebenso wie den der (ggf. unbewussten) Aneignung und Verwendung, denn in jedem Falle handelt es sich um Prozesse der Bildproduktion. Unterschiede dieser Produktion ergeben sich aus Situation und Kontext, nicht aus der Eigenart des Bildes. Für das Programm einer kritisch-reflexiv ausgerichteten Geographie resultiert daraus eine Erweiterung der sozialgeographischen Grundperspektive um die Rolle von Bildlichkeit/ Visualität im alltäglichen Geographie-Machen; Bilder werden als Teil des alltäglichen Geographie-Machens und als Praktiken der Konstitution raum-zeitlicher Wirklichkeit(en) relevant. Eine Quintessenz dieser (und ähnlicher Zugänge) ist, dass Geographien ihrer Repräsentation nicht vorausgehen, sondern durch Zeichen- und Symbolsysteme als Repräsentationen geschaffen werden. Damit rückt die Repräsentation als zentraler und gleichzeitig auch problematischer Begriff ins Zentrum der Beschäftigung. In epistemologischer Hinsicht kann von einer Repräsentation nicht ausgegangen werden, ja, ist der Begriff geradezu irreführend, weil er durch die Bedeutung des Wieder-Gebens nahelegt, dass es ein vorgängiges Ding und dessen nachfolgende Repräsentation geben könne und dass sich folglich Repräsentationen im Abgleich mit diesem Ding als richtig oder falsch erweisen könnten. Für die Alltagsüberzeugung hingegen funktioniert Bildlichkeit über weite Strecken genau so, als Repräsentation, als Abbild vorgängiger Realität verbunden mit der Idee, eine realitätsgetreue Wiedergabe sei grundsätzlich möglich und erstrebenswert. Die Auseinandersetzung mit eben dieser alltagsweltlich plausiblen Repräsentationsgewissheit, die auf einer konventionalisierten Ähnlichkeitsannahme zwischen bestimmten Bildarten (insbesondere Fotografie, Luftbild, Satellitenbild) und einem Gegenstand außerhalb des Bildes beruht, ist eine wichtige Aufgabe einer sozialgeographischen Grundperspektive auf alltägliche Raumaneignungen durch visuelle Praktiken (Miggelbrink 2009). Die insbesondere im englischsprachigen wissenschaftlichen Diskurs entwickelten postdualistischen Positionen, namentlich die der non-representational theory (Thrift 2007)2, setzen an der epistemologischen Kritik der trennen2 | Im Zuge diesbezüglicher kritischer Diskussionen, die insbesondere die Priorisierung des Nicht-Repräsentionalen (Affektiven, Emotionalen) in Frage stellte, wird in Anleh-

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den Unterscheidung von Geist und Materie und in der Konsequenz auch von Realität und Bild an. An die Stelle einer solchen Unterscheidung rückt ein performatives Verständnis von Visualität als Verbindung von Körperlichkeit, Materialität und Bedeutungszuweisungen. Explizit wird dabei die opponierende Trennung von Visualität und Materialität kritisch hinterfragt (Rose/Tolia-Kelly 2012). In ähnlicher Weise argumentieren phänomenologische Positionen. Pierre Bourdieu, Edmund Husserl, Alfred Schütz oder Maurice Merleau-Ponty haben schon immer argumentiert, dass (konventionistische) Zeichentheorien das Problem der Repräsentionalität ungelöst mit sich herumtragen, insofern sie vom Zeichencharakter der Bilder bzw. deren Referentialität ausgehen. Sie verstehen dagegen Bilder als etwas, das erst existiert, wenn materielle Objekte einem Betrachter als Bilder, als etwas (allein) Sichtbares, erscheinen. Damit gerät die Genese des Bildes, der Prozess des Bild-Werdens in den Blick. Ernst Cassirer folgend vertritt Wildgens Visuelle Semiotik diese Emergenz für das Verhältnis von Zeichen und Bedeutung: »Die Bedeutung ist also nicht bloß assoziativ einer (wahrnehmbaren) Zeichengestalt zugeordnet […], beide entstehen in einem Zeichenprozess, in einer Semiogenese, die das Symbolische zur Erscheinung bringt, ihm zum Seien verhilft.« (Wildgen 2013: 11) In stärker phänomenologischer Ausrichtung sind Sinn und Bedeutung für den Begriff des Bildes nebensächlich, nicht jedes Bild hat einen Zeichencharakter. Das Bewusstsein erfasst das Bild als etwas allein Sichtbares, das an dieser Stelle anderweitig nicht vorhanden ist. Die Ansicht des Bildes stellt dann eine Grenze dar, die nicht überwunden bzw. »hinter die« nicht vorgedrungen werden kann. »Das Bildobjekt steht nicht hinter der Leinwand, sondern es klettert eher aus der Leinwand hervor.« (Wiesing in Sachs-Hombach 2004: 160) Das Bewusstsein vermag sehr wohl zu unterschieden zwischen sichtbaren Gegenständen und artifiziell präsenten, gleichwohl allein sichtbaren Gegenständen (= Bildern). Im Sinne bildpragmatischer Perspektiven kommt dann der tatsächlichen Verwendung oder auch Rezeption des Bildes als (wahrhaftiges) Bild (von etwas) aber die entscheidende, konstitutive Rolle zu (Sachs-Hombach 2006: 157ff). Obwohl auch die sogenannten nicht-repräsentionalistischen Ansätze der englischsprachigen Humangeographie meist eine sozialkonstruktivistische Haltung einnehmen, bleibt die alltägliche Bedeutung und gesellschaftliche Wirklichkeit von Repräsentionalität und damit verbunden auch von Geltungsund Wahrhaftigkeitsansprüchen jedoch oftmals eher unterbestimmt. Dies mag auch mit der Problematik einer präskriptiven Trennung von Wissenschaft und Alltag zusammenhängen. Grundsätzlich sind aber die Probleme des kritischen Hinterfragens einerseits und gleichzeitigen Arbeitens mit Repränung an Lorimer (2005) heute vermehrt von more-than-representational approaches gesprochen.

1. Ausgangspunkte

sentionalität im wissenschaftlichen Gebrauch der Bilder denen im Gebrauch von Bildern im Alltag ganz ähnlich. Die im Alltagsvollzug habitualisierte Repräsentationsgewissheit lässt sich nicht ablegen, sie ist vielmehr – gerade in der Geographie – die Basis zahlreicher Visualisierungspraktiken, mittels derer Wissen »dargestellt« wird. Daher ist die Überlegung, dass der Begriff der Repräsentation auch Möglichkeiten der Kritik nicht nur strategischen oder manipulativen Handelns in der Darstellung von Sachverhalten im (medialen) Diskurs eröffnet, sondern auch eine Kritik von gerichteter und selektiver, Kontingenz reduzierender Praxis, ernst zu nehmen. Sie führt zu Fragen nach der gesellschaftlichen Bedeutung des Ähnlichkeitstheorems, von Wahrhaftigkeit, Authentizität, Objektivität und Evidenz als Zuschreibung (vgl. Schlottmann/ Miggelbrink 2009: 19).

1.2 V isualisierung als fachspezifischer H abitus Eine Konsequenz der Fokussierung auf die Praktiken der Produktion von Wahrheits- und Geltungsansprüchen ist deren reflexive Wendung auch und gerade auf die wissenschaftliche Praxis, also auch auf die Generierung und den Transfer von Wissen. Damit rücken die Visualitätsregimes in den Blick, welche insbesondere die Geographie »immer schon« als blinden Fleck mitführt. Visualisierungen können geradezu als fachspezifischer Habitus der Geographie als exakter Wissenschaft angesehen werden, und zwar sowohl hinsichtlich eines Bemühens um die originalgetreue Abbildung von Räumen, etwa in Karten der Erdoberfläche, als auch bezüglich der richtigen visuellen Aufnahme von Gegenständen und Sachverhalten, etwa für das Erfassen von Landschaft. Das Verhältnis von Geographie und Visualität, das auch früher schon immer wieder diskutiert wurde (z.B. Tuan 1979), muss dementsprechend zwei Ebenen der Reflexion miteinander verbinden: Zum einen ist zu reflektieren, dass es zum fachspezifischen Habitus gehört, geographisches Wissen mittels raumbezogener Visualisierungen zu generieren und zu vermitteln. Dabei geht es zunächst um eine kritisch-reflexive Analyse geographischer Visualisierung und Visualität (insbesondere wissenschaftliche Bildprodukte) in Bezug auf implizite und explizite Gehalte. Hierbei werden geltende Normalverständnisse – beispielsweise im Sinne der Normierung dessen, was in einer Karte wie dargestellt werden muss – ebenso betrachtet wie Deutungsansprüche und -hoheiten. Das wiederum führt zum kritischen Auseinandersetzen mit den verbundenen Machtpotentialen der Produktion und Verwendung visueller Produkte. Notwendigerweise muss sich diese Auseinandersetzung auf methodische Fragen erstrecken: Das Bild als (selbst produzierte) Quelle wird nunmehr nicht mehr allein Gegenstand des wissenschaftlichen Tuns, sondern der Reflexion

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von Wissenschaftlichkeit. Zum anderen sind es die konstruktiven Praktiken des Bildgebrauchs, der Produktion und Rezeption von (vermittelter) visueller Wirklichkeit, die kritisch reflektiert werden. Mit dieser reflexiven Wendung sind sowohl Einschränkungen als auch Möglichkeiten verbunden. Als besonders problematisch ist wohl anzusehen, dass die bildtheoretischen Debatten ernst zu nehmen konsequenterweise bedeutet, sich von nicht nur lieb gewonnenen und bequemen, sondern auch dem herrschenden Normalverständnis wissenschaftlicher Bildpraxis entsprechenden und damit hochgradig Verständigung fördernden repräsentationalistischen Annahmen in Bezug auf die Konstitution disziplinären, wissenschaftlichen Wissens zu verabschieden. Etwas abgeschwächt und positiver formuliert erwächst daraus die Herausforderung, die Kontextualität und Relativität repräsentationistischen Denkens bei allem wissenschaftlich-geographischem Tun nicht nur zu berücksichtigen, sondern explizit zu machen, sich an ihr zu reiben und sie zu verhandeln. Dies gilt, wenn auch in unterschiedlichem Maße, sowohl für den rekonstruktiv-analytischen wie für den konstruktiv-planerischen Bereich, d.h. gleichermaßen für die interpretative Arbeit mit visuellen (Sinnes-)Daten als auch für die Visualisierung von Daten und die Entwicklung von geographischen Anwendungen (Infografiken, digitale Karten, GIS etc.). Gleichzeitig werden somit durch die Entwicklung einer entsprechenden kritisch-reflexiven Haltung und den damit verbundenen Auseinandersetzungen mit Visualität neue (geographische) Fragestellungen möglich, von denen einige im Laufe der letzten Jahre theoretisch und empirisch aufgegriffen wurden. Die folgende Darstellung gleicht daher eher einem Aufriss als einem systematischen Katalog, denn in Verbindung mit verschiedensten theoretischen Ausrichtungen und Kontexten gesellschaftlicher Praxis ergibt sich ein Kaleidoskop von möglichen Beschäftigungsfeldern. Wir unterscheiden nachfolgend einige generelle Perspektiven, welche in diesem Band an verschiedenen Stellen mal mehr, mal weniger aufscheinen und vertieft werden. Eine erste Perspektive nimmt die Konstitution von Raum einerseits durch die Visualität des Materiellen und die damit verbundenen Bedeutungsstrukturen, aber andererseits auch die durch materielle Bilder in den Blick. Für die Konstitution touristischer Räume beispielsweise ist die Bedeutung von Bildlichkeit kaum zu überschätzen; touristische Räume werden durch Bilder vorbereitet, transportiert und mit Erinnerungen belegt. Mit dem Begriff des tourist gaze zeigt Urry (2002) einerseits, wie sich der touristische Blick im Übergang zu einer postmodernen gesellschaftlichen Verfasstheit verändert hat, andererseits aber die Visualität nach wie vor ganz zentral für die Konstitution von touristischen Erlebnissen und Erfahrungen, von Authentischem und »Sehenswürdigem« sind. Dabei werden in der Fortführung Fragen der damit verbundenen Konstruktion von Betrachtern, Betrachteten und Betrachtetem virulent (Urry/Larsen 2011).

1. Ausgangspunkte

Die Bedeutung von Visualität des Materiellen als Moment der Raumkonstitution wird z.B. untersucht, indem die gebaute Umwelt, sichtbare architektonische und gestalterische Elemente einer Stadt in ihrem Verhältnis zu ihrer gesellschaftlichen Bedeutung oder auch den mit ihnen entstehenden atmosphärischen Eigenschaften verstanden werden. Dabei ist die Emergenz von bedeutsamen Zeichenstrukturen ebenso zu beachten wie deren Historizität. Die Bedeutung eines Platzes ist nicht essentiell rekonstruierbar, sie ergibt sich relational zur Forschungsperspektive als profaner, politischer oder touristischer Ort. Anders gesagt: Der Platz ist in seiner Visualität als eine Vielzahl von Orten zu rekonstruieren, etwa im Sinne eines Begriffes von »Spurenlesen«, mit dem die Spur als etwas verstanden wird, das sich erst durch den Akt des Lesens konstituiert (Hard 1993). Ein wichtiger Zugang zum Ort und seinen Spuren ergibt sich dementsprechend performativ über das Durchdenken und Durchschauen innerer Bilder oder das Durchschreiten des Außenraumes. Gleichzeitig haben alle diese Orte eine Entwicklungsgeschichte, nehmen also Bezug auf zurückliegende Tätigkeiten der Visualisierung und deren kulturelle Rahmung, welche den Platz in einer bestimmten Perspektive so und nicht anders erscheinen lassen. Die Auseinandersetzung mit Konventionen der Deutung auch des wissenschaftlichen Beobachters schließt sich zudem hier geradezu zwingend an. In äußerster Konsequenz sind dies Versuche der Rekonstruktion des Blicks des Anderen durch wissenschaftliche Reflexion und künstlerisch-politische Intervention (vgl. z.B. Adamek-Schyma 2008). Außenraum wird aber auch durch gestalterische Elemente konstituiert, die sich dem Betrachter ihrerseits wiederum als Bilder darstellen. Hierzu zählen die Leuchtreklamen des Times Square ebenso wie Beschilderungen, etwa von Verkehrs- oder Themenwegen. Solche Visualisierungen stellen sozusagen eine zweite Ebene räumlicher Bedeutung dar und bergen Strukturierungspotentiale bezüglich der Regelung von Körpern und ihrer Bewegung im Raum, indem sie Aufmerksamkeit einfordern und Bewegungsrichtungen nahelegen. Aber auch für die Regelung von Öffentlichkeit und Privatheit oder von Prozessen der Exklusion und Inklusion sind sie bedeutsam. So kann die Lobby einer Universität durch studentische Aushänge zu einem Ort der Studierenden und ihrer persönlichen Belange werden, durch deren Abwesenheit oder das Aufhängen von formalen Hinweisen und Wegweisern zu einem funktionalen Ort des regulären Studierens. Damit sind diese Visualitäten grundsätzlich eines strategischen und manipulativen Einsatzes verdächtig und können dementsprechend umkämpft sein. Ob und inwiefern materielle Bilder im Außenraum aber tatsächlich eine andere Kategorie der Bildlichkeit als die visuell wahrnehmbaren gebauten Strukturen darstellen, entscheidet sich wiederum erst in der Praxis, nämlich dann, wenn sie als Bilder (von etwas) gedeutet werden. Für das Praxisfeld der kommerziellen Werbung wird damit nicht nur die spezi-

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fische Gestaltung des Bildes zentral, sondern auch seine Position im visuellen Umfeld – und doch ist z.B. zu vermuten, dass die Leuchtreklamen am Times Square weniger »gelesen« werden, als dass sie ein Stilelement des Platzes darstellen. Es ist dennoch zu vermuten, dass sie Aufmerksamkeit und Wert auch durch das raumbezogene Deutungsschema »wer dort visuell vertreten ist, gehört dazu« erhalten. Eine weitere zentrale Perspektive der Untersuchung des Verhältnisses von Raum und Visualität legt den Fokus auf die Konstitution von Raum, oder weiter gefasst raumbezogener Wirklichkeit, im Bild. Dabei werden Bilder als Präsentationen interessant, die nicht per se räumliche Objekte abbilden, sondern sich perspektivisch oder symbolisch auf soziokulturell angelegte Deutungen räumlicher Wirklichkeit beziehen, seien es Einheiten wie Stadt, Land, Heimat, Landschaft oder Brache oder auch Körper-relationale Kategorien wie Drinnen, Draußen, Enge oder Weite, Nähe oder Ferne. Bildern wird nicht nur eine innere Wirklichkeit zuerkannt, sondern auch eine konstitutive Rolle im Verhältnis von Gesellschaft und Raum. So können beispielsweise aus der Verwendung von bestimmten Bildern in der Werbung, etwa der Autoindustrie, Rückschlüsse auf zeitgenössische gesellschaftliche Konstruktionen von Natur, entsprechende Bedürfnislagen und verbundene Konfliktfelder gezogen werden. Hierbei geht es in erster Linie um die Ausbeutung konventionalisierter Zeichensprachen, die eng mit der Produktion und Reproduktion sozialer Verhältnisse und Beziehungen verbunden sind – mit Symbolisierungen von Macht, Fortschritt, sexueller Attraktivität, Exotik, wie sie etwa auch im touristischen Blick zu finden sind. Darüber hinaus wird auch die Konstitution von sozialen Gruppen und Subjekten über visuelle Anrufungsprozesse interessant. Verortungen, welche aus der performativen Kraft von bildinhärenten Behauptungen resultieren und sowohl das andere als auch das eigene, sprich die Betrachter, adressieren, sind wirkmächtig. Sie sind nicht nur beteiligt am herrschenden Bild von, als plakatives Beispiel, »Afrika«, sondern auch vom »Afrikaner« etwa als einem handlungsunfähigen Opfer von Hungerkatastrophen. Dass das wechselseitig konstitutive Verhältnis von Bild und Raum ein in vielerlei Hinsicht diskursiv geprägtes ist, liegt so gesehen auf der Hand (vgl. Miggelbrink/Schlottmann 2009). Konstitutiv sind Bild- und Abbildungspraktiken auch für die Etablierung von Geschlechterverhältnissen, wie sich nicht nur anhand der Geschichte der Darstellung von Frauen in der Malerei aufzeigen lässt, sondern auch im Hinblick auf die Entwicklung bestimmter Betrachtungsweisen (z.B. Hentschel 2001). Gleichzeitig wohnt den Visualisierungen damit die Kraft inne, angerufene Körper zu strukturieren, indem sie nicht nur Idealbilder in Verbindung mit bestimmten Orten normieren (Eritrea, Banlieu, Venice Beach), sondern auch die an bestimmte Orte gebundenen Emotionen. So entstehen diskursiv geradezu erzwungene Sehnsuchtslandschaften ebenso wie »sichere Verkehrsräume« oder wastelands.

1. Ausgangspunkte

Die Macht der Bilder, die sich jeweils nur kontextuell und situativ, d.h. praxisbezogen erschließen lässt, ist gleichermaßen Ermöglichung wie Einschränkung von Bildungsprozessen. In der Praxis der Vermittlung waren die Bilder lange Zeit kaum Gegenstand kritisch-reflexiver Betrachtung, sondern vielmehr Illustration von zu vermittelnden Tatsachen. Erst in jüngerer Zeit und aktuell vermehrt wird einerseits gefragt, wie mit visuellen Impulsen Brüche und Irritationen erzeugt werden können, die nicht nur der Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Wirklichkeit dienen, sondern auch zur Entwicklung einer kritischen Bildlesekompetenz (visual literacy) führen. Zum anderen wird aber auch gefragt, welche Wirkungen visuelle Bildungsmedien, vom Schulbuch bis zur PowerPoint-Präsentation und interaktiven digitalen Karten, auf Bildungsprozesse haben, zu welchen Vorstellungen und Weltbildern sie beitragen. Dabei rückt in den Blickpunkt, dass die heute sogenannten »Lernenden«, wozu Menschen aller Altersgruppen zählen, so etwas wie »visual natives« sind, was einerseits bedeutet, dass sie den Umgang mit Visualität und visuellen Produkten von frühester Kindheit an gewohnt sind, dass sie aber andererseits auch aus erlernten Bilderspuren nicht einfach ausscheren können, insofern nichts ungesehen gemacht werden kann. Darüber hinaus ist aber zu thematisieren, wie neue Visualisierungsmöglichkeiten zurückwirken auf wissenschaftliche Fragestellungen, auf Strukturierungen von Wissen und die Lenkung von Aufmerksamkeiten (Rose 2004). Eine dritte der von uns hier hervorgehobenen Perspektiven bezieht sich auf Gebrauchsbilder mit scheinbar »nur« informierendem oder dokumentarischem Charakter, die durch ihre Einbettung in den funktionalen Kontext des Abbildens von Wirklichkeit auch als Abbilder von Wirklichkeit erscheinen. Dazu gehören Satellitenbilder und Wetterkarten ebenso wie Videoaufnahmen von Überwachungskameras. Die Dokumentation des Ereignisses umfasst unweigerlich eine Raum-zeitliche Fixierung und aus diesem Moment ergeben sich die Wahrhaftigkeit des Bildes und sein Evidenzcharakter, welcher die Kontingenz der Darstellung in den Hintergrund rücken lässt (Fellmann 1998). Das neuerdings populäre Selfie zeigt dies im Akt des Entstehens ebenso wie in der Praxis seiner weiteren Verwendung. Das Foto aller Beteiligten inklusive der aufnehmenden Person an einem Ort manifestiert die Wirklichkeit und Authentizität des Geschehens (»Seht, so ist es hier und jetzt!«). In der Folge werden die Bilder zu Beweisaufnahmen des Ereignisses (z.B. Kabinenbesuch der Kanzlerin bei der Fußball-WM in Brasilien) und seiner Beteiligten (z.B. Angela Merkel und Lukas Podolski), die wiederum als Beweisstücke weiterverschickt bzw. getwittert oder in der Presse besprochen werden. Ein Verdacht der Manipulation des Bildes erweist sich dann nur noch einmal mehr als Folge des Glaubens an die prinzipielle Objektivität dieser Bilder. Das Moment der Vergegenwärtigung, Wahrhaftigkeit und Authentizität von Bildern, die in der wissenschaftlichen und insbesondere der geographi-

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Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink

schen Praxis kursieren, erscheint uns als ein zentraler Ausgangspunkt vertiefter Beschäftigung. Gerade in einer Wissenschaft, die sich als »Realienkunde« schnell in einer Diskussion der Objektivität und Richtigkeit von Aussagen wiederfindet und dabei auch durch eine diskursiv manifestierte Erwartung gehalten ist, zwischen wahr/falsch zu unterscheiden, sollte auch die kritische Verhandlung und Entwicklung von Möglichkeiten der Reflexivität von wissenschaftlichen Bildern ein Anliegen sein (vgl. dazu den Beitrag von Michel in diesem Band). Dies könnte auch die angewandte Arbeit von Wissenschaftlern deutlich erleichtern, z.B. bei der Entwicklung von Smart-City-Konzepten, bei der sie einerseits die einschränkenden, pauschalisierenden und stereotypisierenden Wirkungen ihrer machtvollen Bildproduktionen (die gleichsam Realitätserzeugungen sind) sehr wohl erkennen, unter dem Druck der Funktionalität und der Ansprüche von Auftraggebern wie Nutzern aber bislang nicht vermeiden können. Die tiefergehende Beschäftigung mit den Potentialitäten und Grenzen der Reflexivität visueller Produkte und dem visuellen Wissen der Geographie (für die Soziologie vgl. Lucht et al. 2013) ist ebenso wichtig für eine Bewertung des methodischen Einsatzes visueller Verfahren sowohl in der Forschung als auch in der Praxis der Vermittlung. Es gilt zu fragen, was bestimmte visuelle Methoden sowohl im Sinne einer Arbeit mit Bildern zu geographischen Fragestellungen als auch geographische Methoden der Bildgebung (nicht) erschließen und was sie zum Ergebnis qualitativ hinzufügen, oder, anders formuliert, was ohne sie nicht sichtbar würde. In diesem Zusammenhang steht ein ggf. naiver Gebrauch visueller Methoden in Forschungssettings zur Diskussion. Im Sinne von Panofskys Begriff der Ikonologie würden sich hierdurch aber auch Möglichkeiten des Rückschlusses auf den Habitus des Forschenden ziehen und dessen Rolle im Forschungsprozess problematisieren lassen. Zeitdiagnostisch schließen sich hier Betrachtungen von dokumentarischen Politiken der Wahrheit (Steyerl 2004) und den Bedingungen ihrer Entstehung an. Die Rolle von Bildern als Evidenzerzeugern und deren Einsatz in politischen Diskursen, etwa zum Klimawandel, wird kritisch hinterfragt (Grittmann 2012). Insbesondere die Verbindung mit Raum-Zeit-Stellen, die konkrete und alltagsweltlich als objektiv geltende Verortung von Sachverhalten und Ereignissen, erzeugt den Wahrheitsanspruch des Gezeigten. Aktuell werden Fragen der Authentizität und Objektivität des Visuellen auch mit kritischen Auseinandersetzungen mit (Augen-)Zeugenschaft (Schmidt et al. 2010) verbunden. Die Bedeutung des selbst Gesehenen und der damit einhergehende Begriff von »echtem« Wissen werden dabei insbesondere auf ihre politische Rolle hin untersucht. Denn »der Zeuge ist Medium, aber auch Person; er ist Träger von möglichst objektivem Wissen, aber auch ethisch-politischer Akteur; und das Zeugnis ist authentische Spur eines Ereignisses, aber auch soziales und diskursives Produkt« (Schmidt/Voges 2010: 11). Eine Verbindung zeigt

1. Ausgangspunkte

sich zu den »Wahrheitsdiskursen« Foucaults und der Moderne als Zeit, in der Bildlichkeit den Status eines Beweises erlangt hat. Steyerl (2004) wählt dafür den Begriff der Dokumentalität, für die das referentielle Bild (im Sinne Rheinbergers) ein wesentliches Instrument zur Herstellung von Wahrheit darstellt. Das Bild aber nimmt eine widersprüchliche Rolle ein, es ist sowohl zentrales Mittel allgemein zugänglicher, globaler Narrationen, es vermag zu zeugen von Unterdrückung, Folter, Krieg im schon als räumliches Synonym für diese Begriffe stehenden »Nahen Osten«, von Vergebung durch Kniefall oder der Geburt von Thronfolgern. Gleichzeitig ist das Bild als solches viel mehr noch als die Schrift etwas der Manipulation Verdächtiges, Unseriöses und damit letztlich Unglaubwürdiges: »Die Zeugenschaft als Form der indirekten Kenntnisnahme und Wissensvermittlung bleibt dabei stets eingebunden in ein Geflecht aus Vertrauen und Skepsis, Wahrnehmung und Darstellung, einfacher Information und sozialer Wirkmächtigkeit.« (Schmidt/Voges 2010: 11) Fotografie, aber auch Luft- und Satellitenbild und andere referentielle »bildgebende« Techniken kollidieren in ihrem Wahrheitsanspruch, etwas »wirklich Geschehenes« und »wirklich Dort-Seiendes« zu bezeugen, mit einer auch im Alltagsdiskurs zunehmenden Bewusstheit um die Manipulierbarkeit der Mittel visueller Zeugenschaft. Damit kommen wir noch einmal zurück auf das eingangs beschriebene Abbild- bzw. Repräsentationsproblem: Als referentielles Bild kann das Bild Teil dokumentarischer Strategien sein, und zwar selbst dann, wenn man um seine grundsätzliche Manipulierbarkeit weiß. Entscheidend ist nämlich, dass es – weil es als referentiell dechiffriert wird – potentiell wahr sein kann, indem es sich auf eine konkrete Raum-Zeit-Stelle bezieht (vgl. z.B. die Bilder des Fotografen Frank Hurley von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, die von ihm nachträglich bearbeitet wurden). Mit den oftmals als Geomedien bezeichneten Technologien potenziert sich gerade die referentielle Bildlichkeit und schließt beispielsweise Karte und Bild als bislang zumeist getrennte und in unterschiedlichen Räumlichkeiten operierende Medien der Visualisierung zusammen. Zu den Merkmalen dieser Bildlichkeit gehört u.a., dass Produktion und Konsum bzw. Produzenten und Konsumenten keine klar getrennten Kategorien und Personen sind. Neogeographien, verstanden als »crowdsourced, user-generated, kollaborativer und bisweilen performativer Prozess« (Boeckler 2014: 5) sind insofern nur die jüngsten Entwicklungen bildgebrauchender Praktiken, in denen konkrete Bedeutungen von Bildern als temporäre Zuschreibungen auf und durch Akteure ausgehandelt werden.

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1.3 P ositionierung und disziplinäre Ö ffnung Ausgehend von den zahlreichen Beziehungen zwischen Bildproduktion und Bildgebrauch, dem alltäglichen Geographie-Machen sowie deren konstitutiver Verschränkung, will der Sammelband bildtheoretische Grundlagen für eine geographische Perspektive nutzbar machen und im Rahmen eines im weiteren Sinne praxistheoretischen Zugangs »auf bereiten«. Dabei gilt es, den fachspezifischen Hintergrund zunächst als Fokus zu verstehen, aus dem sich genuin raumbezogene Fragestellungen ergeben. Zur Behandlung dieser Fragestellungen und Problemhorizonte gilt es dann, weitere disziplinäre Perspektiven hinzuzuziehen. Die Idee für dieses Buch war von Beginn an, keine Sammlung von Beiträgen, sondern eine inhaltlich strukturierte und durch vielfache Querverweise integrative Anthologie vorzulegen. Gleichzeitig gewährleistet die unterschiedliche Autorenschaft ein unseres Erachtens notwendiges Maß an Vielperspektivität. Diese Vielperspektivität bezieht sich zum einen auf eine Bandbreite von Autorinnen und Autoren und ihre spezifischen Berührungspunkte mit und Zugänge zu Fragen des Visuellen, zum anderen – und damit verbunden – aber auch auf eine Versammlung von disziplinär geprägten Herangehensweisen und verbundenen Bildbegriffen und nicht zuletzt auf unterschiedliche Stile des Ausdrucks und der Vermittlung von Erkenntnis. Vollständigkeit ist dabei in jeder Hinsicht weder angestrebt noch gegeben. Gleichwohl haben die Beiträge durchaus eine gewisse Konsistenz. Nicht das Bild, sondern der Bildgebrauch stellt den zentralen gemeinsamen Bezugspunkt dar. Entsprechend steht auch weniger das visuelle Erscheinungsbild der (gebauten, gestalteten oder natürlichen) Umwelt denn deren Herstellung durch situierte und gesellschaftlich gerahmte Praktiken des Sehens bzw. visuellen Aneignens zur Disposition. Im immer wieder aufgenommenen Begriff der RaumBilder ist die beidseitige Bezogenheit und damit auch die Gleichzeitigkeit von Bild und Raum in praktischen Vollzügen der Produktion, Aneignung und Vermittlung versinnbildlicht. Während in Teil I theoretische und fachgeschichtliche Grundlagen einer praxisbezogenen Perspektive vertieft werden, sind es im zweiten Teil verschiedene raumbezogene Praxisfelder, vom Bereich der Kunst, der Wirtschaft bis zu der Wissenschaft, welche dezidiert auf ihr Verhältnis zum Visuellen befragt werden. Schließlich wird das Visuelle sowohl hinsichtlich der Praxis der Forschung als auch der der Vermittlung einer Reflexion unterzogen. Mit dem Fokus auf visuelle Praktiken der Vermittlung wollen wir einen substantiellen theoretischen Beitrag zum Thema der Übersetzung und potentiellen Übersetzbarkeit visueller (allgemein: sinnlicher) Einflüsse leisten. Gleichzeitig legt der Band durchgängig eine kritisch-reflexive Perspektive bezüglich visuell vermittelter Raumkonzepte und Verortungen an.

1. Ausgangspunkte

Der Band will zudem weiterführende Beiträge liefern zur Frage, welche Rolle, Bedeutungen und welche Formen Visuelle Geographien in der Praxis der Vermittlung (in Medien, Unterricht oder auch im Sinne des Sehens als Praxis) annehmen, wie sie zu formen sind und wie sie uns beherrschen. In diesem Sine ist die Auseinandersetzung mit Fragen der Entstehung und Gestaltung von Bildungsprozessen durch und mit Bildern visueller Wahrnehmung und Aneignung weiterer zentraler Bestandteil. Vor dem Hintergrund dieser Ausrichtung wird deutlich, dass »Visuelle Geographien« kein disziplinär gefangenes Thema sind. Sie liegen vielmehr in transdisziplinärer Manier quer über verschiedenste Forschungsbereiche, genauso wie sie verschiedenste Felder nicht-wissenschaftlicher professioneller und alltäglicher Praxis belangen. Sie beziehen sich weniger auf einen gemeinsamen Gegenstand denn auf ein gemeinsames Set von Fragen zur Konstitution in irgendeiner Weise raumbezogener Wirklichkeit durch Visualität und Bildlichkeit. Das Buch soll demzufolge Forschende, Lehrende und Studierende der Humangeographie genauso ansprechen wie solche der Kulturwissenschaften, Medienwissenschaften, Soziologie oder Philosophie. Aber auch für im Bildungsbereich Tätige und alle diejenigen, die kreativ, reflexiv und produktiv mit Bildern und Visualität umgehen, sollten hier Anregungen zu finden sein. Der Band umfasst drei größere Teilbereiche, die sich in bis zu sieben Unterkapitel gliedern. Der erste Bereich fokussiert die theoretische Auseinandersetzung der Konstruktion von gesellschaftlichen Raumverhältnissen durch und mit Bildern bzw. die Stellung von Visualität in Prozessen der Aneignung und Strukturierung der gesellschaftlichen Wirklichkeit von Raum. Im zweiten Teil stehen dann verschiedene gesellschaftliche Praxisfelder im Zentrum, anhand derer beispielhaft die Eingebundenheit des Visuellen in das alltägliche Geographie-Machen konkretisiert und dadurch in ihren Implikationen verhandelbar wird. Der dritte Teil des Bandes wendet sich in einem kritisch-konstruktiven Sinne schließlich stärker der Zukunft der entwickelten Perspektiven zu. Die Überlegungen erfassen erneut Prozesse der Produktion, der Aneignung und der Vermittlung von RaumBildern gleichermaßen. Vor dem Hintergrund der im Band entwickelten Zugänge werden ermöglichende und einschränkende Konsequenzen der Beobachtung des Verhältnisses von Raum, Bild und Gesellschaft diskutiert – sowohl für die wissenschaftliche Geographie und ihre bildliche Praxis als auch für die Geographie als bildende Praxis.

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Teil I: Theorien visueller Geographien

Einleitende Bemerkungen Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink

In diesem ersten Teil des Bandes geht es darum, die Bedeutung von Bildlichkeit/Visualität in Praktiken der Konstitution raum-zeitlicher Wirklichkeiten theoretisch herzuleiten und zu ergründen. Dies ist insofern ein Desiderat, als sich die im Kontext des unter 1.2 skizzierten »fachspezifischen Habitus« hergestellten Bild- und Kartenmaterialien als »richtige«, »objektive« und »angemessene« Formen raumbezogener Visualisierungen immer wieder vor die »anderswo«, also alltagsweltlich produzierten Visualisierungen geschoben haben. Folglich konnten in der Vergangenheit weder die Strukturierungskapazitäten der »eigenen« Visualisierungen noch die der »anderen« hinreichend thematisiert werden bzw. überhaupt ins Blickfeld einer reflektierten Betrachtung geraten. Mit den neuen interaktiven alltagskartographischen Formen der digitalen Geomedien im Web 2.0 ändert sich dieser Sachverhalt nur scheinbar. Es könnte davon ausgegangen werden, dass die neue Teilhabe am Produktionsprozess von visuellen Geographien, etwa bei google maps/streetview oder open street map, eine kritisch-reflexive wissenschaftliche Beobachtung obsolet macht. Die klare Unterscheidung von aktiver und passiver Rolle, von (machtvollen) Produzenten und (machtlosen) Verbrauchern im Produktions-, Vermarktungs- und Kommunikationsprozess wird aufgelöst. Letztlich führen die neuen »tools« aber die Idee von Objektivität der klassischen Medien fort, beharren auf der potentiell »richtigen« Verortbarkeit und bergen dazu die Gefahr, technik-orientierte »Prosumenten« zu erzeugen, die zwar bewusst an der Gestaltung von Bildern der Erde und Erdoberfläche mitwirken, den Implikationen ihres alltäglichen »Geographie-Machens« aber indifferent gegenüberstehen und damit umso mehr kritisch-reflexiver Anleitung bedürfen (vgl. Schlottmann 2013). So gilt es angesichts der immensen Vervielfältigung der Möglichkeiten, georeferentiell und geo-visu-referentiell Wirklichkeiten zu schaffen, umso mehr, eine kritisch-reflexive Haltung herauszuarbeiten, welche diesen Prozess beobachtend begleitet. In dieser Hinsicht ist eben auch und gerade die wissenschaftliche Geographie gehalten, sich kontextspezifisch mit tragfähigen Bildbegriffen ausei-

Einleitende Bemerkungen

nanderzusetzen. Heuristische Bildbegriffe, mittels derer Bilder als Elemente der alltäglichen, aneignenden, strukturierenden und ontologisierenden Produktion und Reproduktion von Gesellschaft-Raum-Verhältnissen aufgefasst werden können, sind zu entwickeln und zu diskutieren. In einem ersten Kapitel nimmt sich Jürgen Hasse dieser Aufgabe an. Aus phänomenologischer Perspektive entwickelt er einen Begriff des Bildes als visuelles Medium, der entgegen sensualistisch-reduktionistischen Bild-Begriffen den affektiven Charakter bildlichen Erlebens und Einverleibens einschließt bzw. diesem besondere Aufmerksamkeit widmet. Gleichwohl er sozialkonstruktivistische Ansätze im Hinblick auf die diesen oftmals zugrunde liegenden rationalistischen Annahmen der Weltaneignung für defizitär erachtet, weist auch er der Verwendung von Bildern und dem Umgang mit ihren affektiven Potentialitäten eine wichtige Rolle bei der Konstitution ihrer Wirklichkeit zu. Anhand des Beispiels Schulbuch argumentiert er folglich, dass weniger die Frage nach guten oder bösen Bildern einen kritischen Blick beherrschen sollte, sondern die nach den »Optionen der Beherrschung« der Lenkung von durch Affekt erzeugten Imaginationen. Bei der Abhandlung verschiedener bildlicher Ausdrucksmedien wie dem visuell sichtbaren Bild, aber auch mit inneren Bildern, mit Metaphern, Allegorien, Synästhesien und Atmosphären ist es ihm um zwei erkenntnistheoretische Aspekte besonders gelegen. Zum einen stellt er die Notwendigkeit eines ideologiekritischen Blicks auf die Interessen, die der Produktion wie der Kommunikation im Medium des Bildes zugrunde liegen, heraus. Dabei wird das Potential der phänomenologischen Perspektive in Bezug auf die Freilegung der spezifischen Wirkmächtigkeit von Bildern deutlich, indem sie die Wahrnehmung von Bildern nicht auf das Sichtbare reduziert. Zum anderen geht es ihm daher um eine genuin phänomenologische Aufmerksamkeit gegenüber den Implikationen der Wahrnehmung, d.h. auch, gegenüber der mit den präsentierten Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten verbundenen Manifestierung innerer Bilder. Im zweiten Kapitel dieser theoretischen Fundierung der unter dem Begriff der visuellen Geographien gefassten disziplinübergeifenden Forschungs- und Vermittlungsperspektive geht es noch einmal, nun aber noch minutiöser, um die Beziehung zwischen dem erlebbaren (sichtbaren) und dem erlebten (gesehenen) Raum. Anke Strüver erfasst dieses Verhältnis über die Herausarbeitung von visuellen Anrufungsprozessen und einen Begriff des Sehens als performativer Praxis, der den Blick auf die Mikro-Strukturierungen des Subjekts und damit auf die visuellen Prozesse der Subjektwerdung eröffnet. Bilder werden hier als Strukturierungsmedium von Körperlichkeit thematisiert, und es wird deutlich, wie durch die alltägliche, meist unreflektierte körperliche Aneignung gesellschaftlicher Normierung auch das Verhältnis von Selbst und Welt konstituiert ist. Gleichzeitig erscheint hierbei die Diskursivität des Visuellen auf doppelter Ebene, zum einen im Sinne des durch visuelle Anrufung dis-

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Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink

kursiv geformten Subjekts, zum anderen im Sinne der immer schon diskursiv gerahmten Möglichkeit des Sichtbaren. In einem letzten Schritt werden diese theoretischen Überlegungen auf ein konkretes Beispiel der Raumkonstitution durch verkörperte Subjekte mittels visueller Anrufungen übertragen. Im von Murals, einer spezifischen Form von politischen Graffitis, durchzogenen Belfast bewegen sich sehende Subjekte und werden doch gleichermaßen von dieser spezifischen Sichtbarkeit konstituiert, ebenso wie erst durch die körperliche Aneignung der Bewegung sich der Raum selbst formiert. Im dritten Kapitel dieses ersten Teiles der Auseinandersetzung mit visuellen Geographien wird die Brennweite der Betrachtung wieder vergrößert. Tilo Felgenhauer leistet eine strukturations- und handlungstheoretische Fundierung gesellschaftlicher Raumkonstitution durch das Visuelle. Räumliche Einheiten bzw. die Konstruktion von deren kultureller Einheitlichkeit über Prozesse der visuellen Sichtbarmachung, Strukturierung und Verortung stehen im Mittelpunkt seiner Betrachtung alltäglicher visueller Regionalisierung, ob es sich nun um den immer schon sozialräumlich konstituierten Begriff der Nation, um Landschaften oder um Regionen im engeren Sinne handelt, wie Felgenhauer an verschiedenen Beispielen deutlich macht. Solche »Makro-Strukturierungen«, so wird aus dieser Perspektive erkennbar, unterliegen Prozessen der Objektivierung und Essentialisierung und entfalten über die entsprechende Bezugnahme auf ein Normalverständnis ihre Wirkmächtigkeit. Indem sie zeigen, wie die Dinge »wirklich« sind, »dass« sie sind und »wie« sie sind, erlangen gerade die öffentlich verfügbaren und von einer scheinbaren kollektiven Gültigkeit geprägten massenmedialen Bilder ihre Bedeutung, etwa für die Konstitution raumbezogener Identitäten. Gleichzeitig, auch dies macht der strukturationstheoretische Ansatz deutlich, eröffnen sich grundsätzlich kreative Gestaltungsräume im Erzeugen von und Umgang mit Raumbezügen, die erst im Laufe ihrer Verfestigung zu Einschränkungen des anders Sehens werden. In strukturationstheoretischer Perspektive lässt sich dann aber auch die Rolle des Visuellen in einer strategischen, d.h. hier: geplant ordnenden, Praxis der Konstruktion räumlicher Objekte erschließen. Visualisierungen, so das Argument von Felgenhauer, kommt hierbei insbesondere ein stabilisierendes Moment zu, welches Akteure auf die Anerkennung der präsentierten objektiven räumlichen Realität verpflichtet. In der Gesamtheit führt in diesem ersten Teil des Bandes gerade die Pluralität der theoretischen Perspektiven, namentlich einer phänomenologischen, einer performativen und diskurstheoretischen sowie einer strukturationstheoretischen Perspektive, zu einer Fundierung der Herstellung von GesellschaftRaum-Verhältnissen durch Bildlichkeit. Sie ist der Ausgangspunkt der Bestimmung visueller Geographien in verschiedenen Feldern gesellschaftlicher Praxis, wie sie dann im zweiten Teil des Bandes erfolgt.

2. Das Bild — ein visuelles Medium?

Phänomenologische Bemerkungen zu einem



sensualistisch-reduktionistischen Bild-Begriff

Jürgen Hasse

Bilder sind untrennbar mit der Zivilisationsgeschichte des Menschen verbunden. Zu allen Zeiten waren sie Medien der Kommunikation. Zum einen bewährten sie sich als Gesten des Zeigens. Aber daneben waren sie stets auch Medien der Veranschaulichung. Als solche forderten sie nicht nur das lineare Verstehen des Gesehenen heraus, sondern auch die Kräfte der Einbildung. Von jeher hatte sich die Bildnahme oberhalb einer nur visuellen Plattform (gleichsam reiztheoretischen Wahrnehmung) als ein ganzheitliches Vermögen differenziert. Wenn es bei Jakob und Wilhelm Grimm heißt, die Einbildung lasse »in mir« Bilder entstehen (Grimm/Grimm 1991, Bd. 3: 149), so ist damit kein semantisches »Lesen« von Zeichensystemen gemeint, deren sinnliches Erscheinen sich naht- und bruchlos auf dem Wege intelligiblen Denkens in aussagefähige und zudem denotative Sätze transformieren lässt. Gemeint war damit vielmehr ein lebendiges Vorstellen, Vor-Augen-Stellen und Einprägen. Zu Recht merkt Stefan Müller-Dohm an: »Aufgrund ihrer Eindringlichkeit dominiert die Bildästhetik gegenüber den diskursiven Darstellungsweisen.« (Müller-Dohm 1993: 440) Und so war und ist mit den durch ein Bild vermittelten Imaginationen auch nie allein ein intelligibel vorstellendes Denken gemeint. Wenn in etymologischer Sicht auch Herz und Gemüt als Milieus der Einbildung genannt werden (vgl. Grimm/Grimm 1991, Bd. 3: 150), so wird die Bildnahme aber nicht schon deshalb zu einer irrationalen Sache; gleichwohl wird im Erlebnisbereich der Gefühle eine nicht nur marginale Berührung durch das Bild deutlich. Oft geht diese affizierende Wirkung programmatisch schon auf den Prozess der Bildgebung zurück. Kulturelle Formen des Bildgebrauchs zielten (je nach ihrer situativen Rahmung mehr oder weniger intensiv) auf eine Transformation der Gefühle. Diese folgt Zwecken, die in ihrem offen manipulativen, verdeckt dissuasiven, in jedem Falle aber die (individuelle bis kollektive) Aufmerksamkeit kolonisierenden Charakter der Legitimation

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Jürgen Hasse

bedürften. Dass sie im Allgemeinen gerade nicht zu Gegenständen ethischer Rechtfertigung werden, adelt weder den Bildgebenden noch den, der sie in Umlauf bringt.

2.1 B ild und E inbildung Wenn sich das Bild des Sehsinns aber nur bedient, um über die ganze Breite der Sinnlichkeit nicht allein etwas zu verstehen zu geben, sondern auch affizierende Wirkungen zu erzeugen, so folgt daraus nur, dass das Bild in seiner kommunikativen Reichweite über das bloße Sehen von Anfang an schon weit hinausgeht. Mit anderen Worten: Bilder sprechen kein kognitivistisch reduziertes, registrierendes Sehen an, sondern die Einbildungskraft und damit auch Phantasie, Intuition und Kontemplation. Wir kennen zwei Bedeutungen von Einbildungskraft, die bis in die Gegenwart an Gültigkeit nichts eingebüßt haben. Nach Kant bedeutet Einbildungskraft »das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen« (Grimm/ Grimm 1991, Band 3: 152). Fichte und Schelling hatten ein weiteres Verständnis; danach wiesen »alle Erzeugung von Vorstellungen« (ebd.) auf die Einbildungskraft hin. Das Anschauen – nicht nur von Bildern, sondern auch von wirklich vor uns erscheinenden Dingen – beansprucht die gesamte Sinnlichkeit: Deshalb »ist anschauen, feierlicher, inniger als ansehen, sinnlicher als betrachten, und diesem vorausgehend, erst wird angeschaut, dann länger betrachtet. Aber auch die Sachen schauen uns an, blicken uns entgegen.« (Grimm/Grimm 1991, Bd.1: 435) Dieser geisteswissenschaftliche Begriff der Anschauung entzieht sich letztlich jeder rein rationalistisch entworfenen Vorstellung der menschlichen Wahrnehmung. Anschauung verlangt ein Gespür für Eindrucksqualitäten, die das in einem unmittelbaren Sinne Visuelle transzendieren. Gerade die Pioniere der Fotografie waren sich schon im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts der damit verbundenen ästhetischen Herausforderungen der Bildgebung bewusst.1 Was im Bild zur Anschauung kommt, soll übersteigen, was in einem 1  |  Schon Ende des 19. Jahrhunderts wussten Fotografen um den Bewirkungscharakter ihrer Bilder. So war sich John Thomson der manipulativen Wirkung seiner Bilder, die er unter dem Titel »Street-Life in London« als Fotoreportage im Jahre 1876 veröffentlichte, sehr bewusst. Gerade deshalb überließ er seine Bilder nicht einer beliebigen Deutung, fertigte vielmehr in Ko-Autorenschaft mit dem Journalisten Adolphe Smith zum Teil lange Bilderläuterungen an, die auf Gesprächen mit den abgebildeten Personen basierten (vgl. Thomson 1994). Er wollte aber auch gar nicht auf das Moment der Manipulation verzichten, bekannte sich offen zur thematischen Fokussierung insbesondere als Folge ergänzender Informationen. Das Programm seiner Manipulation lag offen zu-

2. Das Bild — ein visuelles Medium?

visualistischen Sinne als »sichtbar« gilt. An den frühen erkenntnistheoretischen Überzeugungen zu den gestalterischen Optionen und Restriktionen in der Produktion des fotografischen Bildes ändert auch die z.B. von Susan Sontag (vgl. Sontag 1980) oder Pierre Bourdieu (vgl. Bourdieu 2007) mit der »ideologischen Axt« vorgetragene Kritik an der Fotografie nicht viel. Das Bild verlangt um seines Verstehens willen der mimetischen Einlassung auf sein Erscheinen. Es ist ein Gegenstand der Einbildung. Dabei vollzieht sich ein Ein-Bilden, dessen etymologische Bedeutung auf das »Einbildhauen« (Grimm/Grimm 1991, Bd. 3: 152) zurückgeht. Dies ist ein mimetischer Vorgang der autopoietischen Anverwandlung an die Züge, Gestaltverläufe und Suggestionen eines Bildes wie auch dessen Gegenstand, denn auch Bilder sind – solange wir sie als Artefakte betrachten – Gegenstände. Wenn in der gegenwärtigen Alltagssprache die »Einbildung« auch eher mit Wahn, Trug und Hochmut assoziiert wird, so liegt darin doch nur ein Nebensinn (vgl. ebd.: 151). Im Folgenden rücken im Wesentlichen ikonographische Bilder als Medien der Bildung in den Fokus. Der Begriff der Bildung ist zunächst im wertneutralen Sinne zu verstehen, denn auch dort zielen Bilder zumindest dann auf BILD-ung, solange sie nicht als Medien der Gegenaufklärung, der Manipulation (in der Werbung, dem privaten wie dem sogenannten öffentlich-rechtlichen Fernsehen oder der parteipolitischen Propaganda) einem manipulativen Zweck unterworfen sind, und damit auf immersivem Wege Macht entfalten sollen. Es wäre naiv, schon an dieser Stelle die Bilder als Bildungs-Medien von den Gebrauchsformen eines gleichsam schwarzen Dispositivs abzuscheiden. tage. Auch der in den 1930er Jahren in den USA arbeitende Lewis Hine (vgl. Hine 1977), einer der Begründer der sogenannten »Sozialfotografie«, setzte seine Bilder bewusst für Ziele der Beeinflussung ein: »Hätten wir ein Bild, das auf diese Weise mitfühlend interpretiert wird, was für einen Hebel besäße dann die Sozialarbeit. Die Fotografie eines Jugendlichen, eines hochaufgeschossenen Jungen, der seit acht Jahren in einer anderen Spinnerei die vollen Spulen von der Maschine nimmt, spricht für sich.« (Hine 1999: 271) Schließlich befasste sich Walter Benjamin in seiner 1931 erschienenen kleinen Geschichte der Photographie mit subtilen Problemen der Darstellbarkeit im Medium des fotografischen Bildes. In der Mitte seiner Kritik (aber auch würdigenden Einschätzung) der Fotografie steht die Frage nach der Aura des im Wirklichen Erscheinenden, sich dem Bild im engeren Sinne aber doch weitgehend Entziehenden. Walter Benjamin war sich der Problematik bewusst, dass Bilder ohne jedes erläuternde Wort ein inhaltliches Vakuum hinterlassen. So zitierte er Berthold Brecht: »[…] daß weniger denn je eine einfache ›Wiedergabe der Realität‹ etwas über die Realität aussagt. Eine Photographie der Kruppwerke oder der A.E.G. ergibt beinahe nichts über diese Institute.« (Brecht zit. bei Benjamin 1977: 63). Deshalb fragt auch Benjamin selbst: »Wird die Beschriftung nicht zum wesentlichsten Bestandteil der Aufnahme werden?« (ebd.: 64) Keinen Zweifel lässt er indes an der »Authentizität der Photographie« aufkommen (ebd.).

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Jürgen Hasse

Die Grenze zwischen einer bildungstheoretisch legitimierten – gewissermaßen »guten« – Bildung und einer »schwarzen Pädagogik« der »bösen« Bilder sollte mit großer Zurückhaltung gezogen werden. Solange es Bilder in der Bildung gibt, sind auch »böse« Bilder wirksam, die die »guten« Bilder kolonisieren, zumindest in eine epistemische Beziehung zu ihnen treten. Allzu leicht entsteht in westdeutschen Politik- und Bildungsdiskursen der Eindruck, manipulativ-indoktrinäre Bilder habe es allein in den Schulbüchern der DDR gegeben. Jede kritische Schulbuchanalyse westdeutscher Schulbücher würde indes schnell offenlegen, in welcher Weise Schulbuch-Autoren und -Redakteure ihrerseits die Klaviatur der »Verführung« und »Dissuasion«2 (gegen die Idee von Vernunft und Aufklärung) zu beherrschen wussten und wissen. Zu einer Lenkung der potentiellen Stoffe der Imagination kommt es beim didaktischen Bildgebrauch a priori. Daher stellt sich die Frage nach den Optionen ihrer Beherrschung. Ich will hier zwei erkenntnistheoretische Aspekte in den Vordergrund rücken. Zum einen die Notwendigkeit eines ideologiekritischen Blicks auf die Interessen, die der Produktion wie der Kommunikation im Medium des Bildes zugrunde liegen. Zum anderen die phänomenologische Aufmerksamkeit gegenüber den Implikationen der Wahrnehmung. Dabei wird sich zeigen, dass die Phänomenologie einen profunden Beitrag zu einer in der Sache des Bilderlebens differenzierten und damit auch kritischen Reflexion von Voraussetzungen der Bildproduktion leisten kann.

2.2 D ie einen und die anderen B ilder Der Begriff des Bildes hat zunächst eine kunsthistorische Dimension, die im Folgenden schon aus Platzgründen weitgehend am Rande bleiben muss. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass theoretische Bild-Begriffe eine assoziativ große Nähe zu einem naiven Bildverständnis haben. Danach gilt ein Bild als eine ikonographische Darstellung von etwas real Existierendem. Die (analoge) Fotografie deckt dieses Verständnis paradigmatisch ab. Aber auch die Malerei bezieht sich auf eine Referenz-Welt des Tatsächlichen, wenn dies auch nur im Sinne einer mehr oder weniger ver- bis entfremdeten Ähnlichkeit des Wahrnehmbaren zur Geltung kommt. Damit ist nichts über Art und Weise sowie Bedeutung eines »Existierenden« gesagt, ist doch insbesondere das in der modernen Malerei zur Erscheinung Gebrachte oft nicht auf etwas in einem

2  |  Beide Begriffe hier im Sinne von Jean Baudrillard als manipulative Geste des Geschenks, die sich in ihrer Perfektion und Perfidität der radikalen Verschleierung ihre Zwecke verdankt (vgl. Baudrillard 1983).

2. Das Bild — ein visuelles Medium?

naiven Sinne »Reales« bezogen, sondern auf ein metaphysisch bzw. imaginär »Existierendes«.3

2.2.1 Das visuell sichtbare Bild Das ikonographische Bild ist sichtbar. »Für das Bild ist es typisch, daß es zwar die Sache selbst darstellt, das Abgebildete jedoch als Bild eine vom Original durchaus verschiedene Seinsweise hat.« (Schlüter 1971: 914) Das im Bild Sichtbare ist nicht mit dem Abgebildeten identisch, und es ist von einer anderen Seinsweise als das Abgebildete. Dies noch dann, wenn sich das Abgebildete auf ein anderes Abgebildetes bezieht (Bild eines Bildes, einer Karte, eines Planes etc.). »Das Bild ist [¼] keine der Sache äußerlich bleibende Abbildung, sondern bringt diese in einer ihrer eigenen Möglichkeiten, präsent zu sein, hervor.« (Gessmann 2009: 98) Zunächst bedeutet dies, dass ein Bild nur zeigen kann, was der Bildlichkeit zugänglich ist. Damit wird die Sache nicht einfacher, denn Zugänglichkeit in diesem Sinne beschränkt sich nicht auf Visualisierbarkeit in einem unmittelbar abbildtheoretischen Verständnis. So waren sich Fotografen schon im 19. Jahrhundert darüber einig, dass sich auch Atmosphären im fotografischen Bild darstellen lassen (vgl. von Brauchitsch 2008; Becker 2010). Wahrnehmbar ist im Bild nicht nur das Sichtbare. Und da Bilder im Allgemeinen gemacht werden, ist auch die Planung der Aura eines Bildes Teil(aufgabe) seiner Gestaltung. Schon der Begriff der Bild-Gebung (der Prozess der Produktion des Bildes) weist auf den zunächst banal erscheinenden Umstand hin, dass Bilder hergestellt werden.4 Arno Schubbach unterscheidet deshalb zwischen der Sichtbarkeit eines Bildes und seiner Sichtbarmachung. Gegenstand der Reflexion ist damit nicht nur ein im Bild sichtbarer Gegenstand, sondern auch der Vorgang seiner Sichtbarmachung (vgl. Schubbach 2008: 225). Schließlich ließe sich mit Hermann Schmitz auf die Situiertheit der Sichtbarmachung verweisen.5 Das sichtbare (ikonographische) Bild hat nicht den Charakter einer Abbildung, welche die Identität zwischen einem Abgebildeten und einem Referenzobjekt suggerieren würde. Selbst der Begriff der »Abbildung« geht aber etymologisch nicht auf die lineare Verdopplung eines Gegenstandes im Bild zurück, sondern auf das kreative Gestalten und Herstellen von Abdrücken mit plastischen Massen nach dem Muster der Totenmaske. Deshalb umfasste 3 | Beispielhaft kann hier auf das künstlerische Werk von Franz Radziwill verwiesen werden, der als Repräsentant des magischen Realismus dem Surrealismus nahestand. 4  |  Das gilt auch für die reinen Vorstellungsbilder, wenn sich deren Herstellung auch ganz anderer (nicht-technischer) Prozesse verdankt als die technische Produktion eines Bildes. 5  |  Zum Situationskonzept von Hermann Schmitz vgl. Ders. (1990: 65ff).

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die Abbildung in der Antike auch die Skulptur. Im Folgenden soll indes von »Abbildung« nicht die Rede sein, weil dem Begriff in der Gegenwart die Bedeutung der Verdopplung einer Sache in ihrer bildlichen Darstellung beiliegt. Im phänomenologischen Sinne gibt es solche abdruckartige Wiederspiegelung in einem analogen bzw. linearen Sinne nicht. Das heißt aber nicht, dass sich jede Bildnahme schon automatisch als reflexive Beziehung differenziert. Im Gegenteil ist zunächst von einem naiven Bildbezug auszugehen, der durchaus erkenntnistheoretische Optionen impliziert. »Wer sich unbefangen in ein Bild vertieft und sich nicht bei ästhetischer und kritischer Reflexion auf Vorzüge oder Mängel der bildlichen Darstellung aufhält, sieht das Bild nicht als Bild, sondern als das Abgebildete.« (Schmitz 1990: 175) Bilder sind in ihrem Gestaltungscharakter ge-BILD-et. Damit stehen sie in einem ontologischen Differenz-Verhältnis zum Bildreferenten. Das Bild ist eine nicht-sprachliche Explikation, die sich auf etwas Seiendes bezieht. In ihrem ästhetischen Charakter ist diese dem Text inkommensurabel. Bilder »verkörpern eine eigene Ausdrucksweise« (Müller-Dohm 1993: 452). Keine textliche Aussage lässt sich in einem analogen Sinne – ohne Rest und identisch – in ein Bild transformieren, wie sich kein Bild ohne Verluste, Verzerrungen oder Hinzufügungen in eine textliche Aussage übertragen lässt. Aber es gibt ein Verhältnis der Ähnlichkeit zwischen beiden. Deshalb gilt das Bild in der philosophischen Ästhetik auch als Ähnlichkeitsformel. Im Regress auf Thomas von Aquin und seinen theologischen Bild-Begriff merkte Joseph Jungmann an: »Zu dem Begriffe des Bildes [¼] gehört vor allem die Aehnlichkeit oder die Uebereinstimmung« (Jungmann 1884: 534). Übereinstimmung bezieht sich dabei entweder auf das Wesen oder auf die Gestalt eines Verbildlichten, meint also nicht Identität. Noch grundlegender forderte Thomas von Aquin (überhaupt) eine Beziehung des Abgebildeten zum Ursprung. Das Bild müsse nach einem Urtyp (oder dessen Muster) hergestellt sein. Die (analoge) Fotografie steht aufgrund ihrer lichttechnischen Parameter (als Foto-Graphie) a priori in diesem relativ direkten Verhältnis zum Ursprünglichen. Die daraus resultierende Verklammerung von einem sichtbar Gemachten mit einem Referenzobjekt thematisierte auch Roland Barthes mit der Metapher vom Haftenbleiben des Referenten (vgl. Barthes 1985: 14). Bilder kommen in ihrem mimetischen Ähnlichkeitsbezug zu einer Referenzwelt aber nicht allein im Milieu ikonographischer Sichtbarkeit vor. Bildlichen Charakter haben auch Metaphern, Allegorien, Synästhesien und Atmosphären. Auf diese anderen Ausdrucksmedien sei im Folgenden nur kurz eingegangen, nicht zuletzt deshalb, weil sie im ikonographischen Bild selbst wiederum vorkommen können.

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2.2.2 Metaphern Metaphern sind sprachliche »Bilder«. In der Lebenswelt bilden sie das Rückgrat einer unmittelbar oder auch schlagartig verständlichen Rede. Aber auch in der Sprache der Wissenschaft sind sie von zentraler Bedeutung und in der Sache der treffenden Aussage unverzichtbar. Vor allem in der Aussage komplexer Situationen erweisen sie sich in ihrem Nutzen. Zum Beispiel kommen die folgenden metaphorischen Sprachwendungen nicht nur in der Lebenswelt, sondern auch in der Wissenschaftssprache vor: ökologisches Gleichgewicht, die Stadt als Organismus, die Rede vom Herzen der Stadt, einem Computervirus oder der Rabenmutter. Heinz Werner sprach in seiner psychologischen Analyse die Metapher mit dem seinerseits metaphorischen Begriff der »Ähnlichkeitsgleichung« an. Diese hat in einem weiteren Sinne Bildcharakter. Der Begriff erinnert an den von Thomas von Aquin formulierten Ähnlichkeitsanspruch des Bildes. Auch Harald Weinrich beschreibt die Metapher als ein kürzeres Gleichnis (vgl. Weinrich 1980: 1180) in einem metaphorischen Sinne. Im frühen 20. Jahrhundert galt die Metapher als »Indiz unklaren Denkens« (ebd.: 1180). Damit wurde sie als ungenaues sprachliches Mittel herabqualifiziert. Ihre Zurechnung zu den »Lügenerscheinungen« und Sprachverführungen (ebd.: 1181) eröffnet indes eine ethnologische Deutung, die auf den Gebrauch der Metapher in ihrer Urform verweist, in der sie strategischen Zwecken unterworfen war. Ihr »lügenhafter« und »verführerischer« Zug ist Ausdruck einer spielerischen Rhetorik, die einen ernsten Kern hat. So versteht Hermann Schmitz die Metapher auch als eine spielerische Identifizierung, die sich oft paradoxer sprachlicher Wendungen bedient. »Zur Metapher überhaupt gehört ein Kontext, der eine spielerische Identifizierung lebhaft nahelegt.« (Schmitz 1977: 557) Ihren Ursprung hat dieser spielerische Zug wiederum in einer ethnologischen Tiefenbedeutung der Metapher, an der Heinz Werner interessiert war: »Die Metapher verdankt […] ihre Entstehung dem Bestreben, eine sprachliche Mitteilung irgendwelcher Art zu verhüllen.« (Werner 1919: 183) Die Metapher ist daher nicht irgendeine »schmuckvolle«6, sondern viel eher eine verschleiernde Rede. Daher dürfte auch ihre Charakterisierung als Lügenerscheinung und Sprachverführung (s.o.) herrühren, sollten doch bestimmte vor allem ethnologisch aufschlussreiche Gebrauchsformen eine dissuasive, verschleiernde bzw. verführende Wirkung entfalten.7 6  |  Bei Herder galt die Metapher – abseits ihrer eigentlichen Bedeutung – als »Schmuck der Rede« (vgl. Weinrich 1980: 1182). 7  |  »Der Stoff zum Aufbau der Metapher [stammt] aus der Weltanschauung des Pneumatismus«, d.h. im weiteren Sinne aus der atmosphärischen Virulenz einer Situation. Als Pneuma galt im Pneumatismus das »unschaubar Wirkliche« (Werner 1919: 74; 38). Heinz Paetzold hatte auf Abgrenzungsprobleme zwischen Synästhesien und Metaphern

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Es wird heute als weitgehend unstrittig angesehen, dass gerade der »schwammige« Charakter der metaphorischen Rede auch in der Sprache der Wissenschaften unverzichtbar ist, um komplexe Zusammenhänge in Wort-Bildern zu fassen.

2.2.3 Allegorien Die Allegorien stehen in einem näheren Verwandtschaftsverhältnis zu den Bildern als die Metaphern. Auch sie stellen komplexe Zusammenhänge in einem symbolischen Sinne dar, indes nicht mit den Mitteln der Sprache, sondern denen der Bildlichkeit. Auch die Allegorie baut eine Brücke der Symbolisierung, um eine Bedeutung zum Ausdruck zu bringen. Gerade die Allegorie bietet sich der Diskussion der verschiedenen Gesichter eines im Medium des Bildes Erscheinenden an.

Abb. 2.1: »Tod mit Pfeife«; Holzschnitt aus der Schedel’schen Weltchronik 1493 (Quelle: Kirchbaum 1972 [LCI Bd 4], S. 331)

hingewiesen (vgl. Paetzold 2010: 849). Diese sind aber nicht nur der Sache geschuldet, sondern auch Produkt eines tendenziell synonymisierenden Wortgebrauchs. So beschreibt z.B. Sabine Gross Synästhesien in der Literatur als »eine spezifische Unterkategorie von Metaphern« (Gross 2002: 58). Indes ist die Synästhesie durch einen Übertragungsakzent im Bereich der leiblichen Bedeutungen gekennzeichnet.

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Ein Holzschnitt aus der Schede’lschen Weltchronik von 1493 stellt einen Totentanz dar (s. Abb. 2.1). Die Darstellung hat zweifellos einen visuellen Charakter. Aber das visuell Sichtbare ist nur der sinnliche Rohstoff für die Imagination einer Bedeutung. Diese vermittelt sich ganz wesentlich über die Kommunikation leiblich ergreifender Gefühle. Die Verbildlichung des Todes soll (in der Symbolik der christlichen Ikonographie) programmatisch affektiv ergreifen. Dabei geht es aber nicht um die Darstellung eines Vor-Bildes im Sinne eines Entwurfes für ein subjektiv nachzuvollziehendes Vorstellungs-Bild. Der Holzschnitt erweist sich als Medium der Suggestion von Gefühlen der Furcht, des Respekts und der Demut. Am Beispiel der Allegorie des Totentanzes steht nicht der von Christus besiegte Tod im Zentrum be-deutender Programme, sondern der Tod als Töter. Als solcher kommt er in der christlichen Ikonographie auch als Spielmann vor, ebenso als Sensenmann, apokalyptischer Reiter, Jäger oder Chronos. Die hier gebotene Szene stellt den Tod als Spielmann mit der Flöte dar (auch Darstellungen mit Trommel oder Dudelsack waren gebräuchlich). Am unbedingten Ernst der dargestellten Situation besteht kein Zweifel, denn der velierte Sterbende befindet sich bereits in der Transformation. Nur die Extremitäten erinnern an eine gleichsam »noch gerade« lebendige, aber doch sichtlich dahinscheidende Gestalt, während Schädel und Torso schon skelettiert sind. Zum einen mahnt die Darstellung zum rechtzeitigen Lebensgenuss (vgl. Kirschbaum 1972: 327-332). Aber die Allegorie wäre kein kirchliches Medium der Kommunikation, wenn sie nicht auch (wenn nicht sogar in erster Linie) zum Respekt gegenüber der Kirche und Gehorsam gegenüber ihren Instanzen der Macht disziplinieren sollte. Zur Verbesserung der Wirksamkeit wurde die Einverleibung der Bedeutungen der allegorischen Szene durch eine parodierende Note der Komik und des Humors leicht gemacht. So tragen die mittleren beiden Repräsentanten des Todes auf ihren nackten Schädeln wenige keck emporragende Haare, die bei reinen Skeletten dieser Art nicht mehr vorkamen.8 Damit wird der Abgründigkeit der affizierenden Geste die Spitze genommen, ohne das Bild seiner Eindrucksmacht zu berauben. Der Tod-Ernst des Bildes bleibt in seiner Inszenierung höchst wirkungsvoll! Das Bild erträgt keine ernstliche Relativierung – der Tod ist ein »metaempirisches Ungeheuer« (Jankélévitch 2005: 13), das zwar nie bewältigt, aber in einem »Meer von harmlosen Verallgemeinerungen« ertränkt werden kann (ebd.: 57). So schickt der Künstler, im Wissen um die gebotene Dringlichkeit der ästhetischen Entschärfung des Abgründigen, die existentielle Angst vor dem Tod »ins Feuer 8  |  Zugleich rückt der Spielmann damit aber auch näher an die Vorstellungswelt der Lebenden heran, denn zu mittelalterlichen Zeiten waren extrem kurze Liegezeiten auf den Kirchhöfen üblich, dies mit der Folge, dass Schädel, die nach Ablauf kurzer Ruhezeiten ins Beinhaus kamen, tatsächlich noch mit Haaren besetzt waren.

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der Lächerlichkeit« (Schmitz 1990: 162), um den Absturz ins Bodenlose zu dämpfen. Die Mittel der Komik dementieren den Ernst der Szene und schaffen einen bergenden Fluchtraum der emotionalen Distanz. Nach Schmitz ist es gerade die Aufgabe der »Beweglichkeit solchen Jonglierens« mit den Mitteln des Humors, den »ernstlichen und radikalen Absturz personaler Regression in primitive Gegenwart«9 (ebd.: 163) zu ersparen. Mit dem Beispiel ist vieles erklärt, illustriert es doch die affizierende Macht der Bilder. Zwar teilen uns die meisten Bilder auf einem Niveau der Sachverhalte etwas mit; aber die Art und Weise, wie das Sichtbare sichtbar gemacht wurde, geht – auf höchst verschiedene Weise – auf die Affekte. Die affizierende und darin leiblich einnehmende Art und Weise ihres Erscheinens imprägniert den Bildbetrachter in lenkender Weise für diese oder jene Bildnahme. Es gibt Bilder, die scheinbar nur illustrieren oder dokumentieren und damit in einem naiven Sinne auf etwas zeigen. Es gibt aber auch solche, die als Gesten der Dissuasion einem Betrachter den Verstand rauben (wie die kulturindustriellen Bilder der Werbung oder der politischen Parole). Schließlich gibt es Bilder, die in der Art ihrer Sichtbarmachung kulturell oder individuell disponierte Gefühlserwartung bedienen.10 Wie auch immer Bilder im Erleben ihrer Rezipienten Wirklichkeit werden, in ihrer Einverleibung beanspruchen sie ein affektives Moment des Sich-Einlassens. Leiblichen Charakter hat schon der Prozess der Mimesis, in dem sich gestalterische Kräfte der Bildnahme freisetzen. Auch die Hinwendung der Aufmerksamkeit gegenüber einem Bild ist durch einen Affekt gezündet.11 Seit Krathwohl 1964 in den USA seine Taxonomie affektiven Verhaltens vorgelegt hatte, wissen wir aber auch, dass »jedes kognitive Verhalten ein affektives Gegenstück hat« (Krathwohl/Bloom/Masia 1975: 44). Affizierende Suggestionen bedürfen gestaltspezifischer Ausdrucksweisen, die auf dem Wege ästhetischer Praxis im Bild sichtbar werden. Eine herausgehobene Rolle spielen hier die Synästhesien.

9  |  Mit dem Begriff der »primitiven Gegenwart« spricht Hermann Schmitz persönliche Situationen des Plötzlichen an (ausgelöst z.B. durch Schreck, Angst, Schmerz oder affektiv extrem ergreifende Scham), in denen die in »entfalteter Gegenwart« bewussten Bezugspunkte der Orientierung verschwimmen bzw. verloren gehen (vgl. Schmitz 1990: 48f). 10  |  Dazu s. auch das Beispiel der als Bild zum Trauern in Auftrag gegebene Gemälde »Toteninsel«, das Böcklin für die Gräfin Berna in den 1880er Jahren anfertigte (vgl. Hasse 2011: 40-45). 11  |  Vgl. die unterste hierarchische Kategorie der Taxonomie affektiven Verhaltens definieren Krathwohl und andere als »Aufnehmen (Aufmerksamkeit werden)« (Krathwohl/ Bloom/Masia 1975: 34).

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2.2.4 Synästhesien Cytowic unterscheidet die »starken« (intermodalen) von den »schwachen« (metaphorischen) Synästhesien (vgl. Cytowic 2002: 7).12 Damit dreht er im Prinzip die Bedeutung der Synästhesien in der Sprache herum, denn, was Cytowic mit den schwachen Synästhesien anspricht, spielt in der lebensweltlichen Verständigung eine ungleich größere Rolle als das, was die sogenannten »starken« Synästhesien vermitteln. Gerade die »schwachen« Synästhesien bilden – neben den Metaphern – das Rückgrat der Sprache,13 weil sie in der Aussage komplexer Situationen so unverzichtbar sind. Zwar übertragen auch Synästhesien einen komplexen Zusammenhang in Worte; der Unterschied zur Metapher besteht aber in der Leibbezogenheit der explizierten Bedeutungen. Auch die Synästhesie ist ein Bild. Aber sie bedarf nicht zwingend der Sprache. Auf synästhetische Weise werden Bedeutungen auch mit Mitteln materieller Gestalten ausgedrückt, die dann nicht selten auch in Bildern ins Zentrum rücken. So drängen sich die synästhetischen Brückenqualitäten der Wahrnehmung z.B. in Böcklins Gemälde »Toteninsel« in bemerkenswerter Dichte (vgl. Hasse 2011). Die Architektur spielt geradezu mit solchen Gestaltverläufen und Bewegungssuggestionen. So öffnet sich z.B. die in der Form des Gewändes ausgeführte Fensterleibung gegenüber dem Drinnen des Wohnraumes, weil sie in einer Trichterform verläuft. Damit führt eine scheinbar nur technische Bauform die Wahrnehmung leiblich in die Richtung des Draußen. Die Gestaltung der Dinge und Bauten in Design und Architektur ist voll der synästhetischen Ansprachen des Benutzers. Von dieser Art des »Zugehens« der Dinge auf den Betrachter dürfte auch die Rede vom Angeblickt-Werden durch die Dinge herrühren. Das verbildlichende Gestalten der Dinge setzt ein Bewusstsein für pathische Wirkungen voraus.

12 | Am Rande sei angemerkt, dass der Begriff der metaphorischen Synästhesien einen falschen Akzent setzt, denn die »metaphorischen« Synästhesien sind in ihrer wahrnehmungsspezifischen Besonderheit keine Metaphern (vgl. dazu auch Hasse 2013). 13 | Zum Regelfall der Wahrnehmung wird synästhetisches Wahrnehmen erst im 18. Jahrhundert bei Gottfried Herder, der von einer ganzheitlichen Sinnlichkeit des Menschen ausgeht (vgl. von der Lühe 1998: 769). In dem, was später mit dem Begriff der Synästhesie beschrieben werden soll, sah Herder ein elementares Vermögen der Wahrnehmung: »Wir sind voll solcher Verknüpfungen der verschiedensten Sinne« (Cassirer 2002: 37), und kritisch merkt er an: »alle Zergliederung der Sensation […] sind Abstraktionen« (ebd.). Die Synthese einzelner sinnlicher Eindrücke zu einem übergreifenden Ganzen sah er als Aufgabe eines »sensorium commune«. Auch bei Merleau-Ponty ist die synästhetische Wahrnehmung nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.

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Die große, den Metaphern vergleichbare Bedeutung der Synästhesien macht auf einen »generellen Charakter des Wahrnehmungsbewußtseins« (Paetzold 2010: 861) aufmerksam, das mehr auf Ganzes und Zusammenhängendes geeicht ist als auf die Wahrnehmung von Einzelnem. Den ganzheitlichen Charakter der Wahrnehmung, der in der Bilderfassung insgesamt (von Metaphern über die Allegorien bis zu den ikonographischen Bildern im engeren Sinne) erkenntnisleitend ist, wird bei Felix Krueger mit dem Begriff vom »Akkord« (Krueger 1930: 26) der Wahrnehmung (im Sinne einer Simultaneität) angesprochen.14 Helmut Plessner sprach in diesem Kontext von der »Einheit der Sinne« (Paetzold 2010: 856), während Georg Picht die menschliche Wahrnehmung treffend als »Vibration der gesamten Sphäre unserer Sinnlichkeit« (Picht 1986: 417) charakterisierte. Im philosophischen Werk von Hermann Schmitz treffen wir auf ein Verständnis der Wahrnehmung, das den »synästhetischen Charakter« leiblicher Kommunikation in den Mittelpunkt rückt. Nicht die Ähnlichkeit von Reiz und Empfindung stößt auf sein hauptsächliches Interesse, sondern die Ähnlichkeit von Eindruckssuggestion und dessen leiblicher Regung, mit anderen Worten: die »Affinität zwischen Leiblichkeit und Wahrnehmung« (Schmitz 1978: 59). Damit wendet er sich gegen die Simplifizierungen eines »separatistischen Sensualismus« (ebd.: 9), der auf der Logik auf baut, die Eigenschaft einer Sache gehöre einer Welt der Objekte an und werde über die Einfühlung zu einem Stoff der Empfindungen. »Leibliche Kommunikation« impliziert schon die synästhetische Wahrnehmung15, die in ihrer Ganzheitlichkeit stets situationsbezogen und als kommunizierendes Zusammenspiel vieler Sinne zu verstehen ist.16 Der Begriff »leiblicher Kommunikation« macht auf die Vielgestaltigkeit der Wechselwirkung aufmerksam, die sich im Prozess der sinnlichen Wahrnehmung zwischen Subjekt und Objekt vollzieht. Leibliche Kommunikation ist deshalb auch nicht als Dialog zwischen zwei wahrnehmenden Subjekten zu 14 | Nach Müller-Dohm werden Bilder nicht »analytisch« wie Texte gelesen, sondern »synchron« (1993: 448); darin kommt der Charakter ganzheitlicher Wahrnehmung zur Geltung. 15 | Schmitz spricht deshalb auch nicht von »Einfühlung«, sondern von »leiblicher Kommunikation«. Deren Bedeutung geht über den Begriff der »Einfühlung«, wie er um 1900 in großen Werken zur Theorie der Ästhetik z.B. von Johannes Volkelt (vgl. 19051914), Theodor Lipps (vgl. 1903) und Wilhelm Worringer (vgl. 1907) entwickelt war, weit hinaus. 16  |  Die Sonderung einer »synästhetischen« Wahrnehmung im Unterschied zur visuellen, akustischen, olfaktorischen, taktilen und geschmacklichen Wahrnehmung erweist sich in ihrer systematischen Notwendigkeit überhaupt erst als Folge der kulturellen Festlegung auf fünf Sinne, die in anderen (historischen) Kulturen z.B. im asiatischen oder afrikanischen Kulturraum ganz anders erfolgt ist.

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verstehen, sondern als wahrnehmungsimmanente und integrale Simultaneität der Sinne. Diese vollzieht sich nicht nur zwischen Menschen (und zur leiblichen Wahrnehmung fähigen Säugetieren), sondern auch zwischen Menschen und Dingen (»die Dinge sehen uns an«). In beiden Fällen kommt es nicht auf das »Kommunizieren« (im engeren Sinne) zwischen Dialogpartnern an, wie der Begriff in der Lebenswelt verstanden wird, sondern auf ein Kommunizieren im Sinne einer leiblich-dialogischen Dynamik zwischen Weite und Enge wie Schwellung und Spannung (vgl. auch Schmitz 1994). Nur deshalb kann es auch zur leiblichen Kommunikation mit einer zur »Kommunikation« im engeren Sinne gar nicht fähigen Baugestalt kommen. Zwei Bilder, deren Verstehen wesentlich auf der Erfassung synästhetischer Ausdrucksgestalten auf baut, seien hier knapp illustriert.

2.2.4.1 Das gebaute Bild eines Treppenturmes Erich Mendelsohn (1887-1953), der das in Stuttgart 1926-1928 errichtete Kaufhaus Schocken entwarf, plante zwischen den Etagen des Bauwerkes nicht eine einfache funktionale Treppe, sondern einen in die Außenfassade zur Straßenfront integrierten harmonisch geschwungenen Treppenturm (s. Abb. 2.2).

Abb. 2.2: Kauf haus Schocken in Stuttgart von Erich Mendelsohn (1928) (Quelle: Stadtarchiv Stuttgart [F 2039/234 N 1588]) In der Entwurfsarbeit hat sich ein bildliches Denken vom Charakter der Synästhesie entfaltet, in dem leibliche Analogien der Wahrnehmung in der Mitte standen. Die architektonische Idee für den Treppenturm ist ihm nämlich nicht in der Entwurfsarbeit im Atelier eingefallen, sondern während eines Bach-Konzertes (vgl. Cobbers 2007: 39). Ein musikalisches Erlebnis hatte ihm über die Bewegungssuggestion von Melodie und Rhythmus eine ästhetische

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Formel – in gewisser Weise ein Bild – vermittelt, die er auf die Erfindung einer architektonischen Form anwenden konnte. Die Übertragung ist weit von einer Synästhesie im einfachen (physiologistischen bzw. intermodalen) Sinne entfernt. Es waren ja nicht akustische »Reize« des Bach-Konzertes, die er in eine visuelle Gestalt transformiert hatte, sondern lautliche Gestalten, die ihm eine in der Form ähnliche Bau-Gestalt suggerierten. Der Rhythmus der Musik trug ihn in eine emotionale Stimmung und damit ein leibliches Gefühl, das er wiederum auf mimetischem Wege ins Entwurfs-Bild des Baukörpers eines gläsernen, geschwungenen und transparenten Treppenhauses übersetzt hatte. So baute er ein begehbares Bild, das im Erleben eines nicht-architektonischen Eindruckserlebens gründete.

2.2.4.2 Ein bild-gebliebener Repräsentationsbau Das zweite Beispiel nimmt nicht die auf einen Entwurf Einfluss nehmenden Eindrücke in den Blick, sondern die synästhetische »Sprache« des Ausdrucks, den ein Gebäude vermitteln soll. Das Beispiel ist für den Stil des französischen Architekten Étienne-Louis Boullée (1728-1799) charakteristisch. Über die Architektur seines Justizpalastes (s. Abb. 2.3), der wie viele seiner Entwürfe nicht realisiert worden ist und daher nur als Bild bzw. Zeichnung existiert, sagte er: Um diesem Entwurf die Poesie der Architektur zu verleihen, hielt ich es für richtig, den Eingang zum Gefängnis unter den Justizpalast zu verlegen. Indem ich dies erhabene Gebäude auf die finsteren Höhlen des Verbrechens gestellt zeigte, konnte ich nicht nur durch den entstehenden Gegensatz die Vornehmheit der Architektur herausarbeiten, sondern auch in einem eindrucksvollen Bild darstellen, wie das Laster vom Gewicht der Justiz erdrückt wird. (Kunsthalle Bielefeld 1971: 60) Abb. 2.3: Entwurf für einen Justizpalast mit unterirdischem Gefängnis von Boullée

(Quelle: Kunsthalle Bielefeld 1971, S. 60) Boullées Beschreibung hängt in ihrer Essenz gleichsam am Faden synästhetischer Charaktere. Schon die Rede von einem »eindrucksvollen« Bild hat synästhetischen Charakter, klingt im Ein-Druck doch im engeren Sinne nichts Visuelles an, sondern etwas, das sich assoziativ als leiblich spürbarer »Druck« zur Geltung bringt. Die von Boullée angestrebte Ästhetik des Erhabenen wollte die des Schönen an Eindrucksmächtigkeit überschreiten. Im Erhabenen dieses Entwurfes wird eine Spannung lebendig, in der sich Gefühle der Anziehung

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und der (in diesem Falle ehrfürchtigen) Distanz zu einer gespaltenen Einheit verbinden. Die Zeichnung des Justizpalastes sowie die ihm beigegebenen Beschreibungen machen die angestrebte Mächtigkeit des Erhabenen unmittelbar nachvollziehbar. Im Kern vermittelt sie sich (schon im Bild) durch die Verdichtung zweier synästhetischer Eindrücke. Zum einen spricht die auf dem Gefängnistrakt lastende Schwere des Justizpalastes die leibliche Wahrnehmung an. Das ins architektonische Bild der Entwurfszeichnung gesetzte Gewicht der Justiz appelliert auf diesem Wege an das Gefühl des »Erdrücktwerdens«, das dem Delinquenten als Strafe zugemutet werden soll. Ohne die sichtbar gemachte große Baumasse könnte diese synästhetische Übertragung auf dem Niveau gesellschaftlicher Kommunikation nicht gelingen. Die beinahe unermessliche Ausdehnung des gigantischen Bauwerkes suggeriert sich als lastendes steinernes Volumen, das nicht nur das Gefängnis räumlich überdeckt, sondern vor allem das Laster vom moralischen Gewicht der Justiz (und damit symbolisch vom Rechtsgefühl der Gesellschaft) niederdrückt. Wenn Boullée das Gefängnis als finstere Höhle des Verbrechens pointiert, so ist hier eine Finsternis im doppelten Sinne gemeint. Unter dem Justizpalast, in der optischen (relativen) Finsternis ist der Ort der Einkerkerung der Delinquenten. Aber dieser Ort ist vor allem ein Scheide-Ort, der jene Subjekte, die sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben, in einer Höhle von der Gesellschaft trennt. Der Straffällige wird aus dem sozialen Raum der Mitmenschen isoliert. So verbindet sich die Situation der Finsternis des tief unter dem Gericht liegenden Gefängnisses mit der Bedeutung der moralischen »Finsternis« des Verbrechens. Der Zusammenhang von leiblicher und symbolischer Bedeutung könnte kaum deutlicher hervortreten. Dank des Bildes einer architektonischen Rauminszenierung gelingt es Boullée, eine hochkomplexe gesellschaftliche Situation zu veranschaulichen. Das Beispiel zeigt sehr eindrucksvoll, dass die Zeichnung nur auf ihrer Oberfläche visuellen Charakter hat. Deshalb kann sie auch nicht in einem semiotischen Sinne »gelesen«, sondern nur lebendig einverleibt werden. Beide Beispiele weisen eindrücklich auf die Grenzen eines visualistischen Bild-Verständnisses hin. Bilder appellieren stets an situative und atmosphärische Formen des Mit- oder Nacherlebens dessen, was als punctum17 (Barthes), d.h. als Essenz des Bildes, in einem Abseits vom sichtbaren Bild-Zentrum liegt.

17 | »Das punctum ist mithin eine Art von subtilem Abseits, als führe das Bild das Verlangen über das hinaus, was es erkennen läßt.« (Barthes 1985: 68) Es liegt in einem »Mehr an Sichtbarem« (ebd.: 53). Wenn Dubois das punctum ausschließlich semiotisch begreift und feststellt, es bezeichne (vgl. Dubois 1998: 76), so entgeht diesem semiotischen Verständnis die leiblich affizierende Macht des punctum, das ja in einem berührenden Sinne auch erlebt wird.

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2.2.5 Atmosphären In einem weiteren Sinne lassen sich auch Atmosphären als Eindrücke beschreiben, die den nicht-ikonographischen Bildern ähnlich sind. Genau genommen haben sie weniger Bild- als Situations-Charakter, der sich auf bestimmte, sinnlich wahrnehmbare Weise in einem gestimmten Raum ausdrückt. Gleichwohl weisen sie in ihrer Ganzheitlichkeit und Erinnerbarkeit Bild-Merkmale auf. Atmosphären werden aber anders »erkannt« als ikonographische Bilder, die man in einem analogen Sinne wieder-erkennt. Atmosphären vermitteln sich nicht im Medium des Visuellen, sondern in dem leiblicher Kommunikation. Ihr situationsspezifischer Zusammenhang wird »mit einem Schlage« (Schmitz 1967: 21) erfahrbar. So ist auch eine Atmosphäre nicht in einem semiotischen Sinne »lesbar«. Sie wird auf dem Wege einer Synchronisation der Sinne leiblich spürend wahrgenommen (insbesondere über Bewegungssuggestionen und synästhetische Qualitäten). Auch hier bietet die Böcklin’sche »Toteninsel« ein überzeugendes Beispiel. Es gab in der Geschichte der Phänomenologie die verschiedensten begrifflichen Annäherungen zur Beschreibung der Erlebnis-Essenz von Atmosphären. Zuletzt spricht sie Schmitz – auf dem Hintergrund seiner systematisch entwickelten Philosophie – als Gefühle an, die er als »räumlich ausgedehnte Atmosphären« (Schmitz 1993: 33) auffasst und nicht als »private Zustände seelischer Innenwelten«. Wenn Gernot Böhme von der Atmosphäre als einem leiblich spürbaren »Zwischenphänomen« (Böhme 1995: 22; Böhme 2001: 55) spricht, so klingt darin etwas von jener Metaphorik an, die vor allem in früheren phänomenologischen Strömungen häufig gewählt wurde, um der Mannigfaltigkeit der Bedeutungen von Atmosphären sprachlich gerecht werden zu können. Gerade metaphorische Umschreibungen unterstreichen den bild-ähnlichen Charakter der Atmosphären. So sprach Hubert Tellenbach die Atmosphären (synästhetisch) als »Umwölkungen« an (Tellenbach 1968: 111); Graf von Dürckheim umschrieb sie als »Herumwirklichkeiten mit Vitalqualität« (von Dürckheim 2005: 36;39), und bei Willy Hellpach finden wir (wie zuvor schon bei Felix Krüger) die Rede von einer »akkordartigen« Wahrnehmung (Hellpach 1946: 61), in der wir einer Atmosphäre gewahr werden. Auch in der alten japanischen und chinesischen Philosophie kannte man den ganzheitlichen Charakter der Atmosphären; dort sprach man mit dem ki ihren dampfartigen Charakter an (vgl. Hisayama 2014: 19ff). Atmosphären lassen sich auch deshalb – trotz ihrer Flüchtigkeit und multisensorischen Vitalität – den Bildern vergleichen, weil sie im Bild (dem Gemälde oder der Fotografie) festgehalten und zum Gegenstand der Kommunikation gemacht werden können. Zwar ist die Fotografie des einen Engels einer Grabarchitektur ein physisches Bild. Aber wie ein Engel nicht nur Bildgegenstand ist, sondern Allegorie, so ist die Atmosphäre nicht nur auf einem physischen

2. Das Bild — ein visuelles Medium?

Bildträger visuell wahrnehmbar, sondern als imaginäres Bild einer Situation auch sinnlich und leiblich spürbar. Der Engel der christlichen Mythologie ist deshalb auch nie allein ein Symbol; als Symbol ist er zugleich gefühlssuggestives Medium wie der Tod oder der Teufel. Die Problematik ist zu vielschichtig, als dass sie sich konstruktivistisch auf eine Frage hergestellter Repräsentation reduzieren ließe. Selbst im medientheoretischen Fokus der »Lehrbilder« ist die Vielfalt der Bild-Arten (noch innerhalb der Kategorie des fotografischen Bildes) so groß, dass äußerst heterogene Verweisungsformen der differenzierten Analyse bedürften, um die erkenntnistheoretischen Funktionen und Optionen eines Bildes im Einzelfall bestimmen zu können. So erzeugt z.B. das »dokumentarische« Bild einer grasenden Nonnengans eine strukturell andere atmosphärische Bild-Wirklichkeit als das ebenso »dokumentarische« Bild eines politischen Tumultes auf einem innerstädtischen Platz. Unabhängig von Programm und Mythos dokumentarischer Fotografie affizieren beide Bilder auf ganz unterschiedliche Weise. Beide stehen aber doch auch in einer Referenz-Beziehung zu einer Realität. Sie sind damit Gesten, die auf etwas Tatsächliches zeigen, dass das Bild in bestimmter Weise sichtbar macht. Nur stellt sich die Frage der Tatsächlichkeit der Nonnengangs in ganz anderer Weise als die Frage nach der Tatsächlichkeit einer politisch explosiven Situation. Wenn Walter Benjamin das gelungene Bild an das Kriterium eines zur Anschauung gebrachten punctum knüpft, stellen sich weniger (konstruktivistisch instruierte) Fragen zur Produktion und Rezeption eines Bildes, als solche seiner ästhetischen »Präzision«. Im medientheoretischen Fokus spitzen sich in gewisser Weise alle bildtheoretischen Debatten um Charakter, Funktion, Wirkung, Authentizität, Immersivität des Bildes usw. noch einmal zu. Dies nicht, weil das Bild nun ins Fadenkreuz vermittlungstheoretischer Effizienzkalküle rückt, sondern weil es in Kommunikationsprozessen a priori in einem ethischen Rahmen der gegenstands- wie subjektbezogenen Angemessenheit und Zumutbarkeit steht. Überall da, wo Bilder in einen solchen intentionalen Vermittlungskontext treten und auf ihn hin verbreitet werden (in TV- und Printmedien aller Art), sind sie a priori Medien der Information und Desinformation, der Dissuasion, Ideologisierung und Demagogie. Bilder sind gewiss keine Texte, und sie sollten auch nicht semiotisch wie Texte behandelt werden. Gleichwohl verdienen sie als Medien komplexer Kommunikation eine den Texten vergleichbar wertschätzende und in besonderer Weise kritische Aufmerksamkeit.

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3. Raum- und Subjektkonstitution durch visuelle Anrufungen auf der Mikroebene Anke Strüver

3.1 E inleitung Ausgehend von Eva Schürmanns Konzeptionalisierung des Sehens als »performative Praxis des Welterschließens« (2008) und in Übertragung sprechakttheoretischer Ansätze auf das Sehen (bzw. von Sprachlichem auf Visuelles) skizziert dieses Kapitel die prozessuale Ko-Konstitution von verkörperten Subjekten und Räumen durch visuelle Anrufungsformen. Damit werden u.a. die Debatten im Umfeld der »Neuen Kulturgeographie« zur diskursiven Raumkonstruktion dahin gehend fortgeführt, als dass neben der Konstruktion von Raum durch (sprachliche und visuelle) Repräsentationen sowie einem Verständnis von Raum als Repräsentation (im Sinne von Imagination) hier der Aspekt der Raumproduktion bzw. -konstitution durch den Gebrauch von visuellen Materialien bzw. durch den Vollzug visueller »Anrufungen« auf der Mikroebene des Sozialen bzw. verkörperter Subjekte im Mittelpunkt steht. Konkreter Ausgangspunkt ist hier zunächst der Hinweis auf das »Bild vom Schild«, denn ein Bild (bzw. Schild) »sagt« oftmals mehr als Worte. Dementsprechend werden visuelle Materialien in Anlehnung an Foucault (1971, 2001b) differenziert in einerseits visuelle Medien (wie Bilder, Schilder, Filme, Fahnen, Karten), um das Verhältnis von Sprachlichem und Visuellem zu klären. Andererseits gehören dazu auch räumliche (An-)Ordnungen – und damit das Verhältnis von Materialität zu Visualität. Insbesondere durch die Zusammenführung der Verhältnisse von Sprachlichem zu Visuellem sowie von Visualität zu Materialität ist die Beschäftigung mit räumlichen Praktiken einbezogen: Dieses Bild bzw. Schild bewirkt – auch durch die imperativische Anrufung der Internet-Adresse »platzda.de« – eine veränderte räumliche (An-)Ordnung auf der Mikroebene. Sprachliche wie visuelle Repräsentationsformen sind dabei nicht austauschbar, sie folgen gleichwohl ähnlichen Prinzipien im Prozess der Materialisierung verkörperter Subjekte. Das heißt, menschliche Körper können als

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Effekte gesellschaftlich normierter Machtverhältnisse »gelesen« werden, die sprachliche wie visuelle Anrufungen gleichermaßen inkorporieren wie verkörpern und »ausführen« (Abschnitt 3.2). Im Hinblick auf visuelle Anrufungen müssen zudem visuelle Materialien differenziert werden in materielle (im Sinne von räumlichen Anordnungen) und visuelle (RaumBilder). Dabei geht es vor allem um die Alltagspraxis des Raumgebrauchs durch verkörperte Subjekte – um ein »Sehen beim Gehen« (Abschnitte 3.4 und 3.5). Als Bindeglied fungiert hier die eingangs erwähnt performative Praxis des Sehens als Form des Weltverstehens auf der Mikroebene (Abschnitt 3.3).

Abb. 3.1: Bild vom Schild (Hamburg 2014) (Foto: Anke Strüver, 2014) Den konzeptionellen Hintergrund dafür bildet die poststrukturalistische Theorietradition, in der verkörperte Subjekte und Räume nicht als naturgegebene biologische bzw. physische Gegebenheiten adressiert werden, sondern als gesellschaftliche Konstruktionen. In den Blick rücken dadurch – im wahrsten Sinne des Wortes – gesellschaftliche Machtverhältnisse: Verkörperte Subjekte sind Produkte und Produzenten dieser Verhältnisse und über die Machtverhältnisse stehen sie in enger Beziehung zur Wahrnehmung, Nutzung und Produktion von Räumen. In Anlehnung an Doreen Masseys Konzept der »Power-Geometries of Space«, der Ko-Konstitution von Raum- und Gesellschaftsstrukturen (1994, 2005), stehen daher für die Auseinandersetzung mit visuell vermittelten Raum- und Körperkonstitutionsprozessen auf der Mikroebene die

3. Raum- und Subjektkonstitution

Leitfragen im Mittelpunkt, (1) wie gesellschaftlich produzierte Raumstrukturen von Subjekten inkorporiert werden und (2) wie über die Körperlichkeit von Subjekten Räume definiert und konstituiert werden. Konkreter noch geht es hier um die Körper- und Subjektkonstitution durch visuelle Anrufungen, z.B. durch (Raum-)Bilder, aber auch durch räumliche (An-)Ordnungen. Untrennbar davon sind die Prozesse der Raumkonstitution, z.B. die Wirksamkeit von Visuellem in den raumproduzierenden Praktiken verkörperter Subjekte. Analytisch wird dabei zu unterscheiden sein zwischen sichtbarem (erlebbarem, »objektiven«) Raum und gesehenem (erlebtem, »subjektiven«) Raum – wobei diese Trennung mithilfe der Fokussierung auf die performative Praxis des Sehens überkommen sowie anhand eines Beispiels (Stadtraum Belfast) illustriert werden soll.

3.2 R epr äsentationen als K onstitutionselemente verkörperter S ubjek te – V erkörperung und I nkorporierung In den meisten poststrukturalistischen Ansätzen gelten verkörperte Subjekte als lesbare Texte und als »Fleischwerdung« der Gesellschaft. Michel de Certeau beschreibt dies als Tätowierung des Körpers, als Einprägung von Namen, Normen und Gesetzen in den Körper – ähnlich einer Markierung mit Brandzeichen. Dies geschieht, um den Körper »zu einem Beweis für die Regel zu machen, um eine ›Kopie‹ herzustellen, die die Norm lesbar macht« (de Certeau 1988: 256), und um einer Gesellschaft die Kontrolle über die Körper zu sichern (vgl. auch Foucault 1976a, 1977, 1978). Eine Gesellschaft kopiert ihre Normen somit in die Körper ihrer Subjekte hinein und macht sie zu ihren Repräsentationen. Diese Beschriftung und die Lesbarkeit der Körper sind dabei Teil einer Kreisbewegung von Diskursen: Da die gesellschaftlichen Normen (bei de Certeau: »Gesetze«) bereits die Körper der Tätowierenden markiert haben und inkorporiert worden sind, geschieht die erneute Tätowierung anderer Körper oft unhinterfragt durch das (An-)Sehen. »Diese Textwerdung des Körpers entspricht der Fleischwerdung des Gesetzes.« (de Certeau 1988: 269)

3.2.1 »Der Körper als Text« Ähnlich wie de Certeau verstehen auch Michel Foucault und Judith Butler menschliche Körper als »lesbare Texte«, explizieren dies aber sehr viel deutlicher im Hinblick auf gesellschaftliche Machtverhältnisse. So begreift Butler die Fleischwerdung als Inkorporierung gesellschaftlicher Diskurse und die Textwerdung als Verkörperung, als Materialisierung spezifischer Machtformationen. In ihrer Theorie zur Körper-, Identitäts- und Subjektkonstitution ist

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das Zusammenwirken von Repräsentation und Materialität zentral, das sie in Weiterführung von Foucaults Subjekt-, Macht- und Diskursbegriff entwickelt und mithilfe des Performativität-Konzepts präzisiert (vgl. Butler 1991, 1995, 2006, 2009): Verkörperte Subjekte sind damit weder vorgesellschaftlich materialisiert noch ausschließlich »sozial konstruiert«, d.h. durch Normen und Diskurse produziert. Die Subjektkonstitution ist bei ihr vielmehr ein Prozess der Subjektwerdung, einer anhaltenden Aktualisierung durch Zitierung. Zitierung wiederum verweist auf »den Prozess der Normalisierung, die Art, wie bestimmte Normen, Ideen und Ideale unser verkörpertes Leben im Griff haben« (Butler 2009: 327f). Anstelle der ontologischen Frage nach dem Subjekt-Sein konzentriert sie sich damit auf die konstruktivistische Frage des Subjekt-Werdens und dekonstruiert die scheinbare Naturhaftigkeit des Körperlich-Materiellen: Mit dem Ziel der Entnaturalisierung und Politisierung des Körpers fokussiert Butler den Prozess der verkörperten Materialisierung von diskursiven Repräsentationen entlang gesellschaftlicher Normen. In dem Zusammenhang erweist sich beispielsweise auch das biologische Geschlecht als materialisierte Geschichte, als eine »kulturelle Norm [Repräsentation], die die Materialisierung von Körpern regiert« (Butler 1995: 23).

3.2.2 Performative Materialisierung von verkörperten Subjekten durch sprachliche Anrufungen In Butlers Subjektkonzeption verkörpern Subjekte soziale Kräfteverhältnisse. Sie stellen die materialisierte Verkörperung gesellschaftlich normierter Repräsentationen dar. Repräsentation ist zugleich aber auch als Prozess der Bildung zu verstehen, sie beinhaltet den performativen Vollzug, den Gebrauch, die Praktizierung und Inkorporierung, beispielsweise von geschlechtlich codierten Normen als Teil verkörperter Formen. Dieser Prozess der Inkorporierung umfasst zum einen die sprachliche Anrufung von Körpern, z.B. mit einem weiblichen oder männlichen Vornamen.1 Eine erfolgreiche Anrufung beinhaltet zum anderen aber stets auch die Ausführung des Gesprochenen, und in diesen Ausführungen werden diskursive Normen mittels alltäglicher, routinisierter Aufführungen fortgeschrieben. Performativität, d.h. das Zusammenspiel von Anrufung, Ausführung und Aufführung, ist in diesem Sinne die Praxis, die die körperlich-materiellen Identitäten eines Subjekts »real« werden lässt. Das heißt, »eine bestimmte gesellschaftliche Existenz des Körpers [wird] erst dadurch ermöglicht, dass er sprachlich angerufen wird« (Butler 2006: 15). Mit dem Begriff der Anrufung bezieht sich Butler (1995, 2006) auf den performativen Charakter von Sprache, auf die Produktion sozialer (und räum1  |  Siehe dazu den Einwand von Schürmann (2008: 186), dass dem Akt des Anrufens ein Akt des An-Sehens vorausgeht (vgl. Abschnitt 3.2).

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licher, s.u.) Wirklichkeiten im »Vollzug«: Ihr Sinn geht ihnen nicht voraus, sondern entsteht im performativen Akt. Butlers Performativitätskonzept ist damit eine Weiterführung von Austins Sprechakttheorie, deren Grundzüge er in »How to do things with words« (2002 [1962]) formuliert hat: Austin versteht unter performativen Äußerungen solche, die als Handlung das vollziehen, was sie sprachlich ausdrücken, und die durch ritualisiertes Wiederholen (Kopieren, Zitieren) von Sprechakten das Vollzogene materialisieren und schließlich naturalisieren. Sofern eine sprachliche Anrufung auch die Ausführung des Gesprochenen beinhaltet, ist der performative Akt somit kein rein sprachliches, sondern auch ein soziales und materielles – sowie oftmals räumliches – Phänomen. Dabei sind es die routinisierten und »kopierten« Aufführungen, die gesellschaftliche Normen verfestigen. Der Prozess, durch den eine körperliche Norm angenommen wird, ist ein Anrufungsprozess, der – sofern er erfolgreich ist – durch die Inkorporierung der Norm zugleich die Verkörperung dieser Norm temporär stabilisiert. So beinhaltet die Anrufung mit einem Vor- oder Schimpf-Namen weit mehr als die Zuweisung dieses Namens (Ersteres z.B. im Rahmen der standesamtlichen Registrierung, Letzteres vor allem in weniger institutionalisierten, wohl aber ritualisierten Kontexten, z.B. auf dem Spielplatz, im Bus, am Arbeitsplatz, in der Schule …): Sie verleiht dem Subjekt einen bedeutenden Teil seiner Identität. Wenn ein Subjekt beispielsweise wiederholt als »fette Schlampe« angerufen wird, ergeben sich einerseits aus »fett« und andererseits aus »Schlampe« (ggf. sich widersprechende) Konnotationen – und aus der Kombination beider Begriffe entstehen weitere Konnotationen, die ein Subjekt entlang bestimmter sozialstruktureller, ökonomischer und kultureller Kategorien positionieren. Subjekte – anrufende wie angerufene – sind gleichwohl weder souverän Handelnde/Sprechende noch sprachlich Determinierte, sondern diskursiv Normierte, die den Diskurs, den sie zitieren, nicht kontrollieren können, aber dennoch für die sprachlichen Äußerungen verantwortlich sind – z.B. für die Aktualisierung oder auch (Ent-)Kontextualisierung eines Zitats. Interessant wird dann die Frage, inwiefern das diskursiv-normierte und performativ-materialisierte Subjekt Handlungsspielräume im Prozess der Resignifikation erkennen und nutzen kann. Butler sieht diese – ohne auf die vermeintliche Souveränität des Subjekts zurückzugreifen – in der erforderlichen Aktualisierung durch Zitierung: »Das gesellschaftliche Leben des Körpers stellt sich durch eine Anrufung her, die sprachlich und produktiv zugleich ist. Die Form, in der dieser anrufende Ruf immer weiter ruft, immer weiter in körperlichen Stilen Form annimmt, die ihrerseits eine soziale Magie performativ herstellen, ist die stillschweigende und materiale Funktionsweise von Performativität.« (Butler 2006: 239)

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3.3 S ehen und G esehen -W erden : V isuelle A nrufungen und die performative P r a xis des S ehens Es stellt sich gleichwohl die Frage, ob die Produktivität von Anrufungen tatsächlich auf das ›Rufen‹ im engeren Sinne, also die Sprache, beschränkt ist. In der aktuellen gesellschaftlichen Kultur der Visualität werden Körper und Subjektidentitäten entscheidend durch ein Sehen-und-Gesehen-Werden bestimmt, sodass verkörperte Subjekte offenbar auch Effekte (sowie Konstrukteure) des Visuellen sind. Sehen und Gesehen-Werden sind untrennbar voneinander, sie sind Bestandteile des gleichen Dispositivs.2

3.3.1 Gesehen-Werden Der Prozess der Subjektwerdung ist ein Anrufungsprozess, der sich entlang von Identitätskategorien stabilisiert (Repräsentation), denn »der Akt der Anerkennung [als Subjekt] wird zu einem Akt der Konstitution; die Anrede ruft das Subjekt ins Leben« (Butler 2006: 46f; Herv. A.S.). Darauf auf bauend muss gefragt werden, inwiefern »An-Erkennung« und Anrede nicht auf einem Ansehen (im doppelten Sinne des Wortes) basieren bzw. ob es sich dabei auch um Anrufungsformen handeln kann, die jenseits des Sprachlichen wirkmächtig sind. Direkt bei Butler finden sich unter ihren zahlreichen Beispielen zu performativen Akten in »Hass spricht« (2006) auch Anrufungen, die visuell sind (z.B. Graffitis oder Fahnen), sowie visuell wahrgenommene materielle Anrufungen, z.B. ein brennendes Kreuz vor dem Haus einer schwarzen Familie. Das brennende Kreuz funktioniert hier als performative Äußerung, als Anrufung im Imperativ: »Verbrenne!« (vgl. Butler 2006: 92). Das heißt, Butler beschäftigt sich – weitgehend übereinstimmend mit ihren Ausführungen zur Performativität sprachlicher Anrufungen – mit der Performativität visueller Anrufungen und daher mit der Performativität von Visuellem. So sind auch Fotos nicht einfach Abbildungen, die kontextualisiert angesehen und interpretiert werden (können), sondern sie bilden performativ das, was sie »zeigen«. In der Beschäftigung mit aktuellen politischen und ethischen Fragen am Beispiel der Bedeutung visueller Repräsentationen in der US-Medienbericht2 | Für Foucault ist ein »Dispositiv« die Kennzeichnung der machtstrategischen Verknüpfungen von Diskursen, Praktiken, Wissen und Macht. Es ist ein »heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes wie Ungesagtes umfasst. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann« (Foucault 1978: 119f; siehe auch Abschnitt 5).

3. Raum- und Subjektkonstitution

erstattung über den Irakkrieg und das Gefangenenlager in Guantánamo hat Butler (2005, 2010) das Verhältnis visuell-repräsentierter und lebendig-materieller Körper rekonstruiert. Sie entlarvt diese visuellen Repräsentationen in ihren Funktionsmechanismen als normierte Deutungsmuster und moralische Setzungen, die Affekte konstituieren und so die Notwendigkeit der Unterstützung des Eigenen sowie die Bekämpfung des anderen legitimieren: Butler (2005) dekonstruiert die in US-Medien verbreiteten Bilder des Irakkrieges als westlich-normierte, die die Körper von Muslimen als unzivilisiert porträtieren, sodass sie als Subjekte nicht anerkannt werden und daher nicht als lebensund als schützenswerte Körper gelten. Darauf auf bauend fragt sie »Warum wir nicht jedes Leid beklagen« (2010), befasst sich erneut und intensiv mit den Prozessen der Subjektkonstitution und vor allem mit den normativen Bedingungen des Subjekt-»Seins«. Dafür unterscheidet sie zwischen »Erkennen« und »Anerkennen« und reduziert Ersteres auf die Wahrnehmung eines Subjekts im Sinne von »registrieren, dass es existiert«. »Anerkennung« umfasst hingegen die prinzipielle Anerkennbarkeit eines Subjekts entlang von Normen und Kategorien, die als solche der individuellen Anerkennung vorausgehen. Sie erläutert dies anhand der »Macht der Bilder«, konkret der Bilder aus dem Irakkrieg, sowie mithilfe der Folterfotos aus dem Gefängnis in Abu Ghraib: Diese Fotos von US-amerikanischen Soldaten »zeigen« die menschenverachtende Folter von Häftlingen und entziehen damit einerseits den Häftlingen die Anerkennung als lebenswerter Körper. Das Beispiel der Folterfotos aus Abu Ghraib macht andererseits aber deutlich, dass die »Intention« der Fotografierenden fehlgeschlagen ist, da durch die anhaltende und wiederholte (weltweite) Verbreitung der Fotos die bis dahin kriegsbefürwortende US-Medienberichterstattung sowie auch die US-amerikanische Regierung kritisiert und »irritiert« worden sind (»Subversion durch Zitation«). Natürlich können die Fotos als solche weder physisch foltern noch befreien, doch können sie je nach diskursiver Rahmung anders interpretiert und instrumentalisiert werden. So führten beispielsweise die Folterfotos aus dem Gefängnis in Abu Ghraib eher zu Abscheu als zur Bewunderung der US-Soldaten und letztendlich zu internationalen politischen Debatten (vgl. Butler 2010). Auch jenseits dieser Beispiele macht Butler deutlich, inwiefern die Festlegung des Sichtbaren (z.B. die Auswahl der in den Medien gezeigten Bilder) immer schon eine Regulierung der Wahrnehmungs- und Deutungsrahmen beinhaltet – d.h. was überhaupt erkannt oder anerkannt werden kann. Wenn die Fotografie das Geschehen nicht bloß abbildet, sondern auch erschafft und anreichert, wenn man von ihr sagen kann, sie wiederhole das Ereignis und schreibe es fort, dann folgt das Foto streng genommen nicht dem Ereignis, sondern ist dem Geschehen selbst wesentlich, seiner Herstellung, seiner Lesbarkeit, seiner Unlesbarkeit und seinem Status als Realität. (Butler 2010: 82)

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3.3.2 Sehen und »Gesehenes Geschehen« Butlers Anwendung sprechakttheoretischer Ansätze skizziert die Subjektwerdung durch performative Anrufungen. Schürmann merkt gleichwohl an: »Dass dem Sprechakt ›Es ist ein Mädchen‹ jedoch zuvor ein Wahrnehmungsakt vorausgehen muss, scheint zu selbstverständlich zu sein, als dass es als ein Geschehen [Sehen bzw. Gesehen] von eigenständiger Bedeutung reflektiert würde« (Schürmann 2008: 186; Ergänzung A.S.). Gleichwohl weisen performative Sprechakte einem Subjekt die Bedeutungen zu, die es »in den Augen des mit der elterlichen oder der institutionalisierten […] Autorität ausgestatteten Sprechers« hat bzw. haben soll (ebd.; Herv. A.S.).3 Wie eingangs angedeutet, beschäftigt sich Eva Schürmann mit dem Vorgang des Sehens als performative Praxis – und zwar weder realistisch-wahrnehmungstheoretisch noch konstruktivistisch-diskurstheoretisch sowie jenseits des Subjekt-Objekt-Dualismus. Vielmehr versteht sie Sehen als »performative Praxis epistemischer, ethischer und ästhetischer Welterschließung, die eine ähnliche welterschließende Funktion hat wie das Sprechen« (ebd.: 14). In der Tradition der Sprechakttheorie arbeitend, überträgt sie diese auf das Sehen: Sehkonventionen haben zwar oftmals nicht den gleichen Stellenwert wie sprachliche Diskurse, folgen aber ähnlichen, nämlich gesellschaftlich normierten Deutungsschemata. Sehen bildet die Welt genauso wenig ab wie Sprechen – beides bedarf des performativen Vollzugs; beides ist nicht nur konstativ, sondern konstitutiv. Die das Sehen vollziehende Person ist »mit ihrer Leiblichkeit, raumzeitlichen Situiertheit, ihren mentalen und affektiven Voraussetzungen die performative Instanz, die die Wahrnehmung individuiert« (ebd.: 18) – doch ist die Person im Rahmen der gesellschaftlichen Praxis normiert. Die Praxis des Sehens vollzieht sich daher nicht vorgesellschaftlich-autonom, die Sehenden sind Teil des Gesehenen und sind geprägt durch die Vertrautheit mit der sie umgebenden Welt als bedeutungsstrukturierende Kontexte. In heuristischer Anlehnung an Wittgensteins Sprachphilosophie einerseits und Merleau-Pontys Wahrnehmungstheorie andererseits wendet Schürmann das Konzept der Performativität auf das Sehen als Praxis an: »Das Sichtbare wird […] [dann] mehr als ein Dispositiv oder Ermöglichungsgrund des Sehenkönnens verstanden denn als objektive Referenz des Sehens« (ebd.: 24; Herv. A.S.). Es geht damit weder um originär individuelles (»subjektives«) Sehen noch um objektiv gegebene/gesehene Sichtbarkeiten, sondern um Sehen im Rahmen des Sichtbaren.4 3 | Schürmann (2008) überträgt damit viele Grundgedanken Butlers von der Mesoauf die Mikro-Ebene. 4 | Die Gegenüberstellung von phänomenologischem Essentialismus vs. konstruktivistischem Relativismus überbrückt Schürmann mit der Frage, »wie aus (subjektiver) Sinnlichkeit (objektiver) Sinn wird«.

3. Raum- und Subjektkonstitution

Sehen und Wissen stehen in einem Wechselverhältnis und Sehen geht sowohl über das Gesehene als auch das Sichtbare hinaus: So erfolgt beispielsweise die Kategorisierung von Subjekten anhand körperlicher Merkmale neben dem Sichtbaren zum einen über das Wissen über verschiedene Identitätskategorien (und deren »Merk-Male«) und zum anderen in Abgrenzung zum Unsichtbaren. Die gesehenen bzw. »sichtbaren« körperlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern beispielsweise werden meist als naturgegebene, »objektive Präsenz« eingestuft, dabei sind sie eher ein perspektivisches Gesehen-Werden (s.u. »Aspektsehen«), sie sind im Wissen über geschlechtlich codierte Unterschiede begründet. »Menschliches Sichtbarsein ist notwendig soziales Sichtbarsein, denn ›rein physiologisch‹ ist man allenfalls für Messgeräte sichtbar, aber nicht für andere Personen.« (Ebd.: 189) Das heißt, über das Sehen wird Wissen erlangt und zugleich lässt sich erst das sehen, was man weiß. Die performative Ausdrucksdimension des Sehens wird besonders deutlich beim Sehen von Personen: Die körperliche Sichtbarkeit einer Person hat immer soziale Bedeutung – und im performativen Prozess des Sehens wird eine sozial wirksame Verkörperung (entlang von normierten Kategorien) vollzogen: »Als performative Praxis verstanden ist Sehen eine vollzugsförmige, situierte Tätigkeit zugleich des Bestimmens wie des Bestimmt-Werdens.« (Ebd.: 51) Das Verhältnis von Sehen zu Visuellem besteht gleichermaßen aus Finden wie Erfinden, aus responsiver wie konstituierender Konfigurationskraft. Sehen auf Erkennen im Sinne von neutraler Registrierung zu reduzieren, vernachlässigt den Vollzug und die Vielfalt des Gebrauchs. In der Übertragung von Austins Sprechakttheorie liest sich das folgendermaßen: Die performative Praxis des Sehens konstituiert das, was es sieht. Gemäß Austin ist in performativen Sprechakten das Sagen wichtiger als das Gesagte – dies bedeutet in Übertragung auf das Sehen: Die Praxis des Sehens ist bedeutsamer als das Gesehene. Sehen als performative Praxis bezieht sich damit gleichermaßen auf Vermittlung als auch auf Erzeugung, auf den Vollzug. Wenn Sprechen durch den Vollzug Realitäten schafft, so schafft Sehen ebenfalls durch den Vollzug Realitäten: Sehen als Praxis vollzieht bzw. konstituiert das Gesehene. In Anlehnung an Plessners »vermittelte Unmittelbarkeit« ist Sehen eine Bezugsform, die weder auf unmittelbarer Betroffenheit noch auf vermittelter, reflexiver Distanz beruht, »sondern die sich im Zwischenraum von Überdeterminiertheit und Unbestimmtheit, Anblick und Ansicht, Eindruck und Ausdruck abspielt« (Schürmann 2008: 52). Das Konzept der »vermittelten Unmittelbarkeit« des Sehens eignet sich daher, um den Dualismus von objektiv Sichtbarem und subjektiv Gesehenem zu überkommen. Doch auch jenseits des Subjekt-Objekt-Dualismus bedarf es (individualisierter) Subjekte, die als Sehende das sinnliche Wahrnehmen praktisch bzw. performativ vollziehen – doch sind dies weder frei agierende noch determinierte Subjekte. »Vielmehr

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ist das Praktische eine undingliche, prozessuale Form des Austausches von Sichtbarem und Sehendem; eine Vermittlungsbewegung von Selbst und Welt« (ebd.: 100). Im Vollzug des Sehens werden individualisierte gesellschaftliche Deutungsmuster wirkmächtig, sodass der Sehakt prägt, was und als was man etwas sieht. Dabei ist der Vollzug des Sehens das »Wie« der Durchführung des Sehens und dieses »Wie« überblendet das »Was«. Wittgensteins »Aspektsehen« ist hier ein gutes Beispiel für die Untrennbarkeit von Wahrnehmung und Sinnbildung: Mit dem visuellen Erfassen wird gedeutet, d.h. mit dem »Wie« des Sehens ergibt sich das »Was« (vgl. Schürmann 2008: 130).

3.4 W irkmächtigkeit von V isuellem in P r ak tiken der R aumkonstitution Um die analytische, zum Teil auch epistemologische Trennung zwischen Sichtbarem und Gesehenem im Sinne einer performativen Praxis des Sehens zu überkommen, soll die nun neben zitierte Vermittlungsbewegung von Selbst und Welt mehr als wörtlich genommen werden. Das heißt, es geht nachfolgend um die Praktiken des Sehens beim Bewegen im Raum, des Selbst in der Welt.

3.4.1 »Lese«-Praktiken von Räumen So hat sich beispielsweise Michel de Certeau nicht auf das Sichtbare oder das Gesehene konzentriert, sondern auf die Praxis des Sehens (u.a. beim Gehen) bzw. – allgemeiner – auf die Praktiken verkörperter Subjekte. Er erfasst diese Praktiken anhand von zwei Untersuchungen: zum einen sogenannte Lektürepraktiken, die den Umgang mit städtischen Räumen, mit Alltagsritualen und mit Erinnerungen umfassen. Zum anderen interessiert ihn die »Logik des Denkens, das sich nicht selbst denkt«, die alltäglichen Interaktionsprozesse im Verhältnis zu Erwartungs-, Verhandlungs- und Improvisationsstrukturen. Als Ausgangspunkt zur Beschreibung dieser Alltagspraktiken wählt de Certeau die Lektüre, den ›Konsum‹ von populärkulturellen Medien (wie Fernsehen und Zeitung, einschließlich der in ihnen enthaltenen Werbung), da unsere Gesellschaft einer »Wucherung des Sehens« (de Certeau 1988: 26) unterliegt. Sichtbares wird nach der Fähigkeit bewertet, sich zur Schau zu stellen bzw. zur Schau gestellt zu werden und in der/durch die Anschauung erlebt und ›wirklich‹ zu werden. De Certeau arbeitet ebenfalls in der Tradition von Wittgensteins Sprachpragmatik, die nicht nach den Bedeutungen von Wörtern, sondern ihrem Gebrauch fragt; dementsprechend sind seine Lektürepraktiken eine Form des Gebrauchs: Der Konsum von Alltagsmedien ist ein Ge- bzw. Verbrauch dieser

3. Raum- und Subjektkonstitution

Medien. Verbraucher führen somit beim Lesen/Sehen Praktiken durch und es muss gefragt werden, was Konsumenten mit medial verbreiteten Bildern machen. Das heißt, sprachliche und visuelle Repräsentationen bekommen ihre (Be-)Deutungen in der Praxis des Sehens. Im Prinzip werden Texte und Bilder erst im Gebrauch »Wirklichkeit« (vgl. ebd.: 79f., 293ff). Der Funktionsmodus des Sprechakts als Gebrauch der Sprache kann auch auf nicht-sprachliche Operationen angewendet werden, z.B. das Sehen bzw. den Gebrauch von Bildern und anderen visuell erfassbaren Materialitäten wie die Elemente räumlicher Anordnungen. »Gehen in der Stadt« ist beispielsweise für de Certeau eine Lektürepraktik, die sich auf den Gebrauch von städtischen Räumen konzentriert. Dies grenzt er explizit ab vom »Sehen von oben herab« (z.B. von einem Hochhaus oder aus einem Flugzeug), da es auf Distanz zum Gesehenen basiert und in einem »Trugbild«, einer Fiktion des Wissens resultiert, die nur durch die Ignoranz der Alltagspraktiken des Gehens und Sehens entsteht. Der Akt des Gehens (bzw. des »Sehens beim Gehen«, A.S.) hingegen hat im urbanen Raum den gleichen Stellenwert wie der Sprechakt für die Sprache: Er stellt die Aneignung des topographischen Systems dar, eine Realisierung des Raumes. Im Gehen (bzw. »Sehen beim Gehen«) werden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten wie Bewegungsfreiheit oder -einschränkung innerhalb der räumlichen Ordnung aktualisiert, d.h., durch die Bewegung, durch Abkürzungen oder Umwege, können räumliche Elemente verändert werden. In konkreter Übertragung der bisherigen Ausführungen auf de Certeau wäre ein »objektiv sichtbarer Stadtraum« beispielsweise ein Luftbild oder die Darstellung auf einem Stadtplan – wohingegen der subjektiv erlebte Raum unmittelbar an das Sehen und Gehen im Raum, an raumkonstituierende Praktiken, gebunden ist.

3.4.2 Verkörperte Praktiken in Räumen Wenn mit Reckwitz (2003, 2012) Praktiken als kleinste Einheit des Sozialen verstanden werden, dann verweist dies auf routinisierte körperliche Aktivitäten (wie Sehen, Sprechen oder Gehen), die einerseits auf der Inkorporierung von Wissen und andererseits auf der Verkörperung im Vollzug der Praktik basieren.5 »Es sind zwei ›materielle‹ Instanzen, die die Existenz einer Praktik ermöglichen […]: die menschlichen ›Körper‹ und die ›Artefakte‹« (Reckwitz 5  |  »Praxistheorien leiten einen quasi-ethnologischen Blick auf die Mikrologik des Sozialen« (Reckwitz 2003: 298) und daher sind dichte ethnographische Beschreibungen eine bevorzugte Forschungsmethode, um die »›Fremdheit‹, die Kontingenz des scheinbar Selbstverständlichen wie auch die implizite Logik des scheinbar Fremden« erschließen zu können (ebd.).

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2003: 290). Praxeologisch betrachtet setzt sich das Soziale also nicht durch normative Ordnungen, rational Handelnde, Diskurse oder soziale Strukturen zusammen, sondern aus dem sich anhaltend konstituierenden Netzwerk von menschlichen Körpern und Artefakten – soziale Praktiken sind der »nexus of sayings and doings« (Schatzki 1996, zit. in Reckwitz 2012) bzw. hier der »nexus of seeings, sayings and doings«, die durch kulturelle Schemata ermöglicht werden. Aus menschlichen Körpern werden durch Subjektivierungsprozesse handlungsfähige Subjekte, ihre Körper sind der materielle Anker von Praktiken – zugleich werden die Körper durch diese Praktiken modifiziert. Neben verkörperten Subjekten rücken damit in der Auseinandersetzung mit Visuellem nun die ›Artefakte‹ stärker in den Mittelpunkt: Artefakte (wie Gebäude) sind immer als Teil von Praktiken zu begreifen, ohne Praktiken haben sie keinen materiellen Stellenwert. »Artefakte erscheinen […] als Gegenstände, deren sinnhafter Gebrauch, deren praktische Verwendung Bestandteil der sozialen Praktik« darstellt (Reckwitz 2003: 291; Herv. i.O.). Dabei ist der sinnhafte Gebrauch von Artefakten einerseits nicht durch die Physis der Artefakte determiniert, andererseits ist der Gebrauch auch nicht beliebig. Eine praxeologische Perspektive bietet nach Reckwitz zudem einen Rahmen, um Emotionen und Affekte zusammen mit Artefakten und Räumen jenseits einer entweder natur- oder einer kulturdeterministischen Perspektive zu untersuchen: »Affects and space both share the quality of a materiality that seems to exceed the normative, the rational and the cultural-semiotic; though not uncultural, they are more than norms and signs« (Reckwitz 2012: 242). Er entwickelt dafür drei zentrale Theoreme: (1) die affektive Strukturierung sozialer Praktiken, die das Wechselverhältnis von Körpern zu Artefakten betrifft; (2) die ebenfalls durch das Wechselverhältnis von Körpern und Artefakten geprägte räumliche Strukturierung sozialer Praktiken – Räume werden als Produkte verstanden, die sich aus dem Gebrauch von Artefakten durch verkörperte Subjekte ergeben; und (3) die Beziehung von Affekten zu (räumlichen) Artefakten (vgl. ebd.: 249ff). In Übertragung von Letzterem vor dem Hintergrund meiner bisherigen Ausführungen zum Sehen (sowie als Hinführung zu meinem Beispiel im folgenden Abschnitt) werden mit Reckwitz (2012) Affekte also erst im ›Gebrauch‹ des Raumes aktiviert; der Gebrauch wiederum ist durch kulturelle Schemata und Routinen produziert – die ich gleichwohl auch an das Diskursive (zurück-) binde: Denn auch Butler betont, dass Affekte durch Deutungsrahmen strukturiert sind, d.h., sie sind nicht eigenlogisch, sondern werden gesellschaftlich vermittelt und beinhalten in dieser Vermittlung bestimmte Weltsichten (z.B. von Feind und Freund): Wir »können Affekte nur als unsere eigenen beanspruchen, wenn wir bereits in einen Kreis gesellschaftlicher Affekte eingeschrieben sind« (Butler 2010: 55). Transferiert auf die Mikroebene des Subjekts sind Affekte dann an die Körperlichkeit des Wahrnehmens, z.B. des Sehgeschehens

3. Raum- und Subjektkonstitution

gebunden – nicht im neurobiologischen Sinne, sondern im gesellschaftlichen bzw. der Verinnerlichung gesellschaftlicher Diskurse. So versteht Wetherell (2012: 19) Affekte (bzw. affektive Praktiken) als inkorporierte und verkörperte Bedeutungsproduktionen: »An affective practice is a figuration where body possibilities and routines become recruited or entangled together with meaning-making and with other social and material figurations. It is an organic complex in which all the parts relationally constitute each other.« Damit ist für Wetherell der Bereich des Affektiven nicht losgelöst vom Diskursiven, vielmehr ist es das Diskursive, das Affekten ihre (Wirk-)Mächtigkeit verleiht und ihr Zirkulieren ermöglicht.6

3.5 »S ehen beim G ehen in der S tadt«: K o -K onstitution von K örpern und R aum In diesem letzten Abschnitt werden nun die Praktiken der Subjekt- und Raumkonstitution vor allem in Bezug zu Letzterem sowie im Hinblick auf den Gebrauch von Visuellem sowie das Verhältnis von Sichtbarem und Gesehenem spezifiziert. Mit Foucault ist Sichtbares auf unterschiedliche Vermittlungsformen zurückzuführen, dazu gehören neben Sprache und Bildern auch architektonische Anordnungen.7 Das sicherlich prominenteste Beispiel dafür ist der panoptische Gefängnisbau, der aufgrund der Architektur des Gefängnisses den Blick (unterstützt durch das Licht) zu einer unsichtbaren Machttechnologie bzw. die »Sichtbarkeit (der Gefangenen) zu einer Falle« werden lässt. Das Panopticon ist eine architektonische Maschine zur Einteilung in Sehen oder Gesehen-Werden: Ersteres ist die Position der anonymen Machtausübung (»unsichtbarer Aufseher«), Letzteres die der Gefangenen, die die Möglichkeit des permanenten Gesehen-Werdens verinnerlichen (vgl. Foucault 1976a: 257ff). Sichtbarkeit ist Ausdruck eines Macht-Wissens-Dispositivs – und Sichtbarkeit kann durch Texte und Bilder, aber auch durch architektonische Formen 6 | Im Hinblick auf das Zirkulieren stützt sich Wetherell zunächst auf Sara Ahmed (2004), da das Zusammenwirken von Affektivem und Diskursivem bei ihr in der detaillierten Beschäftigung mit der Zirkulation von (kollektiven) Gefühlen in weite Teile einer Gesellschaft, z.B. durch Medienkampagnen, sehr deutlich wird. Anders als Ahmed, die sich vor allem auf die Zirkulation von Affekten vergleichbar mit der Zirkulation von Kapital bezieht, rückt Wetherell (2012: 156ff) den Körper als Ort des Zusammenwirkens von Diskurs und Affekt in den Mittelpunkt, als den Ort, an dem das Zusammenwirken inkorporiert und verkörpert wird. 7  |  Für eine ausführliche Diskussion des Verhältnisses von Sagbarem und Sichtbarem bei Foucault siehe Renggli (2007); zur Analyse von Bildern als Diskurse siehe Maasen/ Mayerhauser/Renggli (2006).

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erzeugt (und verhindert) werden. Das Gesehene hingegen spielt für Foucault keine »praktische Rolle« (was epistemologisch rückgebunden auch nicht überraschend ist) – in der Alltagspraxis des Raumgebrauchs durch verkörperte Subjekte ist das Sehen gleichwohl sehr zentral. Butler beschreibt performative Äußerungen als gesellschaftliche Rituale und wirkungskräftige Praxisformen: Die ›konstruktive‹ Macht der stillschweigenden Performativität liegt gerade darin, daß sie eine praktische Wahrnehmung des Körpers herzustellen vermag, nicht nur eine Wahrnehmung dessen, was der Körper ist, sondern auch eine der Art, wie er sich Raum schafft oder nicht, wie er seinen Ort in den herrschenden kulturellen Koordinaten einnimmt. (Butler 2006: 249)

Auch wenn hier Raum und Ort eher metaphorisch denn geographisch gemeint sind, so lässt sich dieses Zitat dennoch bestens übertragen auf konkrete Beispiele der Raumkonstitution durch verkörperte Subjekte mittels visueller Anrufungen (durch sowohl Bilder als auch räumliche Artefakte) sowie als Austausch zwischen Sichtbarem und Gesehenem.

3.5.1 Belfast Murals Sehen beim Gehen in der nordirischen Stadt Belfast wird beispielsweise durch unzählige visuelle Anrufungen strukturiert – und diese Anrufungen sind gleichermaßen räumliche Manifestationen (Bordsteinkanten, Zäune, Mauern …) wie auch visuelle Repräsentationen (Fahnen, Bilder, Trikoloren …), die ihre Wirkungen im Sinne von Materialität wie Visualität erst durch den Gebrauch erhalten. Im Gebrauch findet die Vermittlungsbewegung zwischen Selbst und Welt statt, sodass es weder objektiv Sichtbares noch subjektiv Gesehenes gibt. Vielmehr wird in der performativen Praxis des Sehens (beim Gehen) durch das individualisierte »Wie« des Sehens das vermeintlich objektiv sichtbare »Was« konstituiert. Auch lange nach dem formalen Ende des Nordirlandkonflikts 1998 (der die Trennung der Insel in die freie Republik Irland und die britische Provinz Nordirland zum Gegenstand hatte) ist in der nordirischen Stadt Belfast der Konflikt zwischen den unionistisch-loyalistischen (protestantischen) und den nationalistisch-republikanischen (katholischen) Bevölkerungsgruppen im Straßenraum mehr als sichtbar: Neben visuellen Markierungen auf Bordsteinkanten und an Laternenmasten (vgl. Abb. 3.2) gehören dazu auch die sogenannten Peacewalls (Abb. 3.3), mehrere Meter hohe Mauern und Zäune, die seit 1969 zunehmend zwischen den Wohnvierteln der Konfliktpartien errichtet wurden (Interface-Gebiete), um sie räumlich-materiell wie auch symbolisch-visuell voneinander zu trennen.

3. Raum- und Subjektkonstitution

Abb. 3.2a: Visuelle Raumordnungen, (Irische Nationalfahne) »Political status now« – auch ohne Ausrufezeichen eine sprachliche Anrufung im Imperativ, die erst über die visuelle Grundierung (irische Trikolore) funktioniert (Foto: Anke Strüver, 2013)

Abb. 3.2b: Visuelle Raumordnungen, (Bordsteinkante in den Farben des Union Jack) (Foto: Anke Strüver, 2013)

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Abb. 3.3: Peacewall8 (Foto: Anke Strüver, 2014) Schließlich gehören dazu vor allem die über 400 Murals (Wandgemälde im öffentlichen Raum), die den Konflikt von jeweils einer politischen Seite thematisieren und über ihre Platzierungen neben der symbolischen auch als territoriale Markierung (zwischen nationalistischen und unionistischen [Wohn-] Gebieten) fungieren. Das heißt, die oben angesprochenen Graffitis und Fahnen finden sich in Belfast als konkrete Beispiele für visuell wahrgenommene, materialisierte Repräsentationen, die zum Teil eine imperativische visuelle und/oder sprachliche Anrufung enthalten. Die Murals sind als Graffitis im weiteren Sinne einzuordnen, deren Wurzeln als politische Ausdrucksmittel im frühen 20. Jahrhundert liegen, die aber im Zuge der kriegsähnlichen Eskalationen in Nordirland seit 1969 zahlenmäßig zunahmen sowie an Radikalität gewannen. Zunächst entstanden sie vor allem im Inneren von Wohngebieten, breiteten sich dann aber schnell an die Ränder aus und dienen seither in den Interface-Gebieten als informelle territoriale Markierungen – sowohl nach innen als auch nach außen (für eine Analyse der Murals als Ausdruck der Erinnerungskultur in Nordirland vgl. Liftenegger 2013). Mit dem 1994 vereinbarten Waffenstillstand stieg die Zahl der Murals auf beiden Seiten nochmal erheblich an, sodass das insgesamt sehr heterogen strukturierte Belfast an den Übergängen zwischen den in sich homogenen Wohngebieten durch zahlreiche visuelle Markierungen und Anrufungen ge-»kennzeichnet« ist (vgl. Abb. 3.4).

8 | Die Peacewalls sind darüber hinaus ein Beispiel für räumliche Artefakte, deren sprachliche Bezeichnung (Mauer des Friedens) mit der visuell-materiellen Sichtbarkeit (hohe Mauer/Zaun mit Stacheldraht …) nicht übereinstimmt.

3. Raum- und Subjektkonstitution

Abb. 3.4a: Belfast Murals (»You are now entering loyalist Sandy Row«) – sprachlichvisuelle Anrufung im Imperativ – in den Farben des Union Jack (Foto: Anke Strüver, 2013)

Abb. 3.4b: Belfast Murals (»Wear an easter lily«) – sprachlichvisuelle Anrufung im Imperativ – Bezug nehmend auf das traditionelle wie auch während der Troubles aktuelle IRASolidaritätssymbol (Foto: Anke Strüver, 2013)

3.5.2 Synthese Murals sind zu verstehen als Anrufungen, die gleichermaßen materiell wie visuell sind – und über diesen Nexus (bzw. als Anrufungen) verkörperte Subjekte und ihre räumlichen Alltagspraktiken konstituieren. Aber natürlich auch abseits dieses Beispiels aus Belfast erfolgt die Subjektkonstitution auf der Mikroebene u.a. durch das »Sehen beim Gehen« – durch die performative Praxis

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des Sehens als Form des Weltverstehens. Das Gesehene wiederum ist nicht gleichzusetzen mit dem »objektiv Sichtbaren«, vielmehr wird es erst im performativen Vollzug – und im Rahmen des Möglichen – gesehen. Sehende Gehende sind damit Teil eines anhaltenden Austausches von Sichtbarem und Gesehenem – im Vollzug des Sehens werden individualisierte gesellschaftliche Deutungsmuster wirkmächtig, sodass der Akt des Sehens prägt, »was« und »als was« etwas gesehen wird. »Sehen beim Gehen« stellt zudem eine Form der Raumordnung und -aneignung dar, denn im »Sehen beim Gehen« werden visuelle Anrufungen durch Subjekte inkorporiert und durch die Inkorporierung die räumliche (An-)Ordnung aktualisiert.

4. Die visuelle Konstruktion gesellschaftlicher Räumlichkeit Tilo Felgenhauer

4.1 E inführung Fragt man nach dem »größeren« Rahmen, der »Makro-Ebene«, auf der das Bildliche operiert, kann man zunächst davon ausgehen, dass es in vielfältigster Hinsicht sowohl ein Produkt als auch ein zentrales Konstruktionselement gesellschaftlicher und räumlicher Wirklichkeiten ist. Es ist gleichermaßen Medium und Ausdruck der Fixierung von Bedeutungen – jenseits der meist mit dem Bildlichen prominent assoziierten Aspekte subjektiver Wahrnehmungen, affektiver Zuwendung oder auch den Momenten künstlerischer Hervorbringung. Die Stabilisierung von Bedeutung lässt sich daran ablesen, wie das Bildliche in einen – zunächst metaphorisch verstandenen und noch näher auszudeutenden – sozialen Raum hinausweist (z.B. die Region, die Nation oder die Weltgemeinschaft). So kann das Bildliche als ein Modus der Äußerung in einen sozial vorgeprägten Raum hinein verstanden werden. Ein innerlich Präsentes wird nach außen sichtbar und dieses Außen kann nur ein sozial konstituiertes Außen sein (ein anderes Ich, eine Öffentlichkeit oder ein Medium). Das Bild ist also (zunächst) nicht Objekt oder Repräsentation, sondern in dieser Hinsicht eine Form der sozialen Artikulation. Der Bedeutungsgehalt dieser Artikulation kann sich dann – u.a. – auf raumbezogene Konstruktionen wie beispielsweise Landschaft, Region, Nation oder auf eine Weltgemeinschaft beziehen.

4.2 D ie soziale F ixierung von B edeutung Um den Begriff der Makro-Strukturierung näher zu beleuchten, wird im Folgenden auf eine gesellschaftstheoretische Grundperspektive rekurriert. Die Gesellschaftstheorie behandelt die Fragen der sozialen Konstruktion und Fixierung von Bedeutung: Wie bezieht sich ein einzelner Akt (der Visualisie-

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rung), eine Praxis, ein Zeichen oder auch eine Wahrnehmung von etwas auf einen größeren Kontext, der – z.B. – »Gesellschaft« genannt werden kann? Zunächst ist diese Frage in ihrer Form rückführbar auf eine für lange Zeit bestimmende Grundkonstellation gesellschaftstheoretischer Positionen, die unter anderen Alan Dawes zur Rede von »zwei Soziologien« veranlasst hat, was einem Gegensatz der Kategorien »release« (social action) und »order« (social system) entspricht: There are, then, two sociologies: a sociology of social system and a sociology of social action. They are grounded in the diametrically opposed concerns with two central problems, those of order and control. And, at every level, they are in conflict. They posit antithetical views of human nature, of society and of the relationship between the social and the individual. (Dawe 1970: 214)

Jüngere gesellschaftstheoretische Entwürfe sind deshalb (auch) als Überwindungs- oder Syntheseversuche zu verstehen, die sich an dieser Konstellation abarbeiten. Einen der prominentesten und elaboriertesten Versuche, den Gegensatz zwischen individuellem Handeln (Mikroebene) und Struktur (Makroebene) als Zusammenhang zu erklären, unternahm Anthony Giddens mit seiner Theorie der Strukturierung. Er kritisiert die funktionalistische Perspektive, welche Dawes’ Dualismus betont und fortschreibt: [Funktionalistische] Vorstellungen sind eng verbunden mit dem Dualismus von Subjekt und sozialem Objekt: »Struktur« erscheint hier als dem menschlichen Handeln »äußerlich«, als eine Quelle von Einschränkungen der freien Spontanität des unabhängig davon konstituierten Subjektes. (Giddens 1998: 68)

»Makro-Strukturen« sollen dagegen in seinem eigenem Entwurf nicht nur in »Makro-Begriffen« (z.B. Klasse, Schicht, Volk, Gruppe, System, Funktion, Evolution etc.) gedacht, sondern an die Idee subjektiven Denkens und Handelns als »Atom« des Gebildes »soziale Wirklichkeit« rückgebunden werden. »Struktur« meint dabei nicht mehr so etwas wie ein »Skelett«, von denen Mikrophänomene abhängen (wie von Funktionalisten unterstellt), sondern eine alltäglich reproduzierte oder transformierte Praxis (Giddens 1997: 68). Struktur wird zur Strukturierung und ist stets eingelassen in vermeintliche Mikrophänomene. Es stellt deshalb im Sinne eines »Makrophänomens« nicht einfach das Allumfassende, den Behälter der Einzelpraktiken, Wahrnehmungen, Routinen und Subjekte dar, sondern ist unmittelbar in die Praxis eingewoben und geht aus dieser erst hervor. Dabei dient das Sprachlich-Zeichenhafte als Mittel der Verwirklichung und Verstetigung von Strukturierungen1. Es kann 1 | Giddens spricht in diesem Zusammenhang von »Signifikation« (Giddens 1997: 83f).

4. Die visuelle Konstruktion gesellschaf tlicher Räumlichkeit

als Brücke zwischen individuellem Erleben und Wahrnehmen einerseits und den komplexen Strukturierungen gesellschaftlicher Wirklichkeiten andererseits angesehen werden. Peter Berger und Thomas Luckmann erklären, wie die Sprache die soziale Wirklichkeit jenseits der individuellen Erfahrung zu stabilisieren vermag. Die Sprache (und auch andere Zeichensysteme) dienen hierbei als Brücke in räumlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht: Weil Sprache das »Hier« und »Jetzt« überspringen kann, ist sie fähig, eine Fülle von Phänomenen zu »vergegenwärtigen«, die räumlich, zeitlich und gesellschaftlich vom »Hier« und »Jetzt« abwesend sind. Sprachliche Zeichengebung erreicht als symbolische Sprache die weiteste Entfernung vom »Hier« und »Jetzt« der Alltagswelt […] Sie errichtet riesige Gebäude symbolischer Vorstellung, welche sich über die Alltagswelt zu türmen scheinen […]. (Berger/Luckmann 1998 [1969]: 41f)

Stets ist die Möglichkeit zur zeichenhaften Konstruktion von Bedeutungen die Grundvoraussetzung. Der Reichtum und die Vielfalt der Konstruktionen, die in gesellschaftlichen Diskursen erschaffen werden und die eine zeitliche Stabilität komplexer (Makro-)Strukturierungen erlauben, verdanken sich notwendig komplexen Zeichenwelten. Das Vermögen der Zeichen zur Transzendenz der je aktuellen Situation ist im Falle des Bildhaften und Medialen besonders deutlich gegeben. Doch welches Bildverständnis ist mit dem dargelegten gesellschaftstheoretischen Zugang am deutlichsten anschlussfähig? Legt man Lambert Wiesings Ordnung des bildtheoretischen Diskurses zugrunde, so zeigen sich wesentlich drei Stränge, die das Bildliche in einer je eigenen Sprache beschreiben. Er unterscheidet einen anthropologischen, einen zeichentheoretischen und einen wahrnehmungstheoretischen Ansatz (vgl. Wiesing 2005: 17ff). Der anthropologische Ansatz bezieht sich auf den Gedanken, dass der Mensch ein bilderzeugendes Wesen sei. Im Ausdruck »Bilder vom Menschen« ist aber neben dem Moment der menschlichen Hervorbringung des Bildes auch gemeint, dass es vor allem Menschen sind, die von Bildern gezeigt werden. Also nicht nur menschliches Tun und menschliches Vermögen, sondern auch ganz direkt der Mensch als dominantes Bildobjekt ist hier gemeint. Der zweite diskutierte Ansatz, der zeichentheoretische Zugang (vorrangig vertreten von Nelson Goodman), betont, dass Bild nicht Abbild meinen kann, »[…] dass Bilder aufgrund von gelernten Konventionen und nicht aufgrund einer sichtbaren Ähnlichkeit Bilder derjenigen Dinge sind, von denen sie Bilder sind« (Wiesing 2005: 27). Die Annahme einer »Zeichenhaftigkeit der Bilder« (Nöth 2004: 41; zit.n. Wiesing 2005: 41) verbindet das Visuelle mit dem Sprachlichen – ein Bild anzuschauen, heißt es zu lesen. Der dritte skizzierte Zugang ist der wahrnehmungstheoretische Ansatz, der sich an die Phänomenologie anlehnt. »Artifizielle Präsenz« als Wesen des Bildli-

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chen meint dabei, dass es nicht nur einen konventionalisierten Sinn des Bildes gibt, der semiotisch entschlüsselt werden muss, sondern dass unabhängig davon ein Präsenz- und Wahrnehmungsmoment zu beachten ist: Bilder besitzen […] sichtbare Eigenschaften, welche nicht in Sinn, Bedeutung oder Text transformiert werden können […] Zeichen entstehen durch Verwendung und nicht durch Anschauung. Daher können Bilder selbstverständlich wie alle anderen Dinge auch Zeichen sein; müssen es aber nicht. (Ebd.: 35f; vgl. auch den Beitrag von Hasse in diesem Band)

Folgt man dieser grundlegenden Unterscheidung der Zugänge zum Bildlichen, wird schnell deutlich, dass zwar alle drei ihre je spezifischen Erklärungspotentiale aufweisen, es aber vor allem der zeichentheoretische Bildbegriff ist, der mit den gesellschaftstheoretischen Modellen von Makro-Strukturierungen am deutlichsten anschlussfähig zu sein scheint. Jenseits des Begegnungsmoments (phänomenologischer Ansatz) geht es einem zeichentheoretischen Zugang im Kern um die Beschreibung der Strukturierungsleistungen des Bildlichen. Das Verhältnis zwischen Bildlichem und Gesellschaft tritt vor das Verhältnis von Bild und Subjekt. Es steht folglich der weiter gefasste Verwendungszusammenhang im Mittelpunkt. Das Visuelle wird aus dieser Perspektive heraus als Zeichen verstanden. Folgt man der klassischen Unterscheidung, die C.S. Peirce (1998) eingeführt hat, bewegt sich das Visuelle zwischen Arbitrarität (Symbol) und Ikonizität (Ikon) (vgl. Nöth 2000: 473ff). Mit dem semiotischen Zugang wird deutlich: Das Bild ist dasjenige Zeichen, welches ein Ähnlichkeitsverhältnis zu etwas ausdrückt bzw. behauptet, aber diese Ähnlichkeit (Ikonizität) wird zu einem bedeutenden Teil mit arbiträren Mitteln erzeugt. Bildhaftes behauptet eine Ähnlichkeitsbeziehung, die aber von gesellschaftlichen Konventionen der Bedeutungsbelegung abhängt, also auf die »Symbolkenntnisse« von Autoren und Interpreten angewiesen ist. Kurz gesagt: Es ist verstandene und nicht einfach gesehene Ähnlichkeit – z.B. die Ähnlichkeit eines Bildes mit äußeren räumlichen Wirklichkeiten.

4.3 D ie R olle des V isuellen in P rozessen der str ategischen R egionalisierung Der Begriff der Makro-Strukturierung soll für die deutlicher empirisch orientierte Anwendung auf Visualisierungen des Räumlichen (sozialgeographisch) spezifiziert werden. Dazu eignet sich der Begriff der »strategischen Regionalisierung«. »Regionalisierung« meint dabei kein primär wissenschaftliches Verfahren der räumlichen Abgrenzung und Definition eines Raumausschnittes, sondern es meint alltägliche Verstetigungen und Strukturierungen raumbezo-

4. Die visuelle Konstruktion gesellschaf tlicher Räumlichkeit

genen Handelns (vgl. Werlen 2007: 127ff). Damit kann die Benennung eines Raumausschnittes oder die mediale Konstruktion einer Region oder Nation ebenso gemeint sein wie die Herstellung räumlicher Bezüge durch alltägliche Akte der Konsumtion. Mit dem Zusatz »strategisch« wird die konzertierte und kontrollierte, die nicht-zufällige Herstellung räumlicher Bezüge bezeichnet. »Strategie« drückt (im Unterschied zur situativen und flexiblen »Taktik«) die geplante, systematische Anlage der Strukturierung aus. »Strategie« meint einen besetzten Ort, ein im Vorhinein definiertes »Spielfeld« für situative Taktiken und Praktiken (vgl. de Certeau 1988: 87f). Auf bauend auf diesem Bild meint die strategische Regionalisierung entsprechend die geplante, geordnete und vor allem ordnende Konstruktion von räumlichen Objekten und räumlichen Verhältnissen, die durch Akte der Verbildlichung stabilisiert werden. Schaut man auf wiederkehrende visuelle Elemente dieser »Verfestigungsstrategien«, zeigt sich, dass diesen zunächst innerhalb der strategischen Regionalisierung die Rolle der Beglaubigung äußerer Objektivität zukommt. Das bildhaft Gezeigte meint ein Gespiegeltes, welches seinen ontologischen Status des Artifiziellen und Konstruierten verschleiert und für das bildhaft Dargestellte eine objektive oder gar natürliche Existenz behauptet. Das Bild stellt sich zur Verfügung als »Fenster« zu einer vermeintlichen äußeren räumlichen Wirklichkeit. Damit ist es tendenziell dem Bereich des innergesellschaftlich Verhandelbaren enthoben – es wird diskursiv/strukturell wirksam, ohne selbst diskursiv/strukturell angetastet zu werden. Der Verweis auf etwas Sichtbares entbindet von der Forderung, eine Begründung, ein Argument zu konstruieren (z.B. für die Wirklichkeit einer räumlichen Grenze oder eines regional definierten Kollektivs) – das Zeigen markiert im Gegenteil das Ende einer Begründungskette (vgl. Felgenhauer 2007: 179ff). Ist das Visualisierte wirksam präsentiert, besteht dessen Strukturierungsleistung in der Bindung und Verpflichtung der Akteure und Praktiken auf die Anerkennung der vermeintlich objektiven räumlichen Realität. Doch nicht nur Wirklichkeit, Echtheit und Evidenz sind Effekte dieser Objektivierung, sondern darüber hinausgehend werden auch Bedeutungen des Natürlichen transportiert. Damit ist gemeint, dass nicht nur die äußere Objekthaftigkeit, sondern auch ein innerer naturhafter Charakter repräsentiert wird. Die Gestalt des Objektes verdankt sich – im Falle der gelingenden Konnotation des Objektes mit dem »Natürlichen« – einer inneren Kausalität und Notwendigkeit. Was wir »Natur« nennen, ist zwar transformierbar, wird dabei aber seinem Wesen entfremdet. Die innere Beschaffenheit von etwas Natürlichem ist genau nicht verhandelbar. Damit werden – im Rahmen mehr oder weniger strenger Strategieentwürfe – bestimmte typische als richtige Darstellungsweisen räumlicher Wirklichkeit etabliert, die jeweils abweichende Entwürfe entsprechend als fehlerhaft bzw. »widernatürlich« erscheinen lassen können. Empirisch ist dieses Phänomen nicht nur in Form expliziter Darstellungen der Natur in einer Region beobachtbar, etwa im Sinne einer Inventarisierung

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konkreter Einzelphänomene im Natur- und Landschaftsschutz. Tiefer greift die Strategie der Naturalisierung, wenn es um die Legitimation natürlicher (und damit unabänderlicher) Grenzen einer eigentlich kontingent zu fassenden Entität (eines Raumausschnittes, eines Kollektivs, einer Kultur etc.) geht. Eng damit im Zusammenhang steht der Begriff der Essentialisierung, mit dem man die Konstruktion eines feststehenden Wesenskerns von etwas bezeichnet. Damit kann beispielsweise die Etablierung der Idee eines ursprünglichen und feststehenden Charakters einer Region oder Nation gemeint sein, der sich durch alle historischen Wandlungen hindurch erhält. Strukturationstheoretisch betrachtet ist diese Praxis der Naturalisierung und Essentialisierung eigentlich eine Form der Normalisierung, der Etablierung eines bestimmten Normalverständnisses des Räumlichen. Die vermeintliche Rückführung auf eine äußere Wirklichkeit oder einen inneren Wesenskern ist letztlich Ergebnis der gelungenen Wiederholung, Vernetzung und Verfestigung dann immer gängigerer Deutungs- und Ordnungsroutinen. Der Gebrauch der Zeichen und die Visualisierungsweisen folgen zunehmend einer normalisierten Form, welche Abweichungen nicht mehr als mögliche Alternativen zur Routine erscheinen lässt, sondern diese schon allein durch ihre Andersheit negierbar bzw. marginalisierbar macht. Jedes grundsätzliche Gegenargument und alternative Weisen der raumbezogenen Sichtbarmachung und Markierung werden nicht mehr explizit widerlegt, sondern bleiben letztlich einfach unverstanden oder erscheinen als reine Fiktionen: So können etwa Toponyme nicht neu erfunden und die Grenzen einer allgemein bekannten Region nicht beliebig neu gezogen und kartographiert werden. Doch Makro-Strukturierungen bleiben nicht auf das visualisierte, räumliche Objekt beschränkt, sondern sie zeigen sich ebenfalls in darauf auf bauenden, abstrakteren Modi der Verknüpfung einzelner Repräsentationsakte. Diese sind als Raumlogiken (vgl. Schlottmann 2007: 16ff; Felgenhauer 2007: 179ff) implizit in die Visualisierungen des Räumlichen – vor allem in kartographische Darstellungen – eingelassen und strategisch oft leicht mobilisierbar. Dies können beispielsweise Logiken der Verknüpfung von räumlicher Nähe und Kontaktintensität sein, wie sie in der raumwissenschaftlichen Geographie prominent formuliert wurden: Nach Toblers berühmtem »first law of geography« sind »[…] near things […] more related than distant things« (Tobler 1970: 236), was nach Dietrich Bartels mit der distanzabhängigen »Überwindung von Widerständen« (Bartels 1970: 35) erklärt werden kann. Dieses Denken in Distanzabhängigkeiten ist als wissenschaftliches Paradigma eingehend kritisiert worden, besteht aber als alltägliches Deutungsmuster teilweise fort. Es suggeriert, dass unter allen potentiell möglichen die räumlich nahen Handlungsoptionen und Kontaktmöglichkeiten bevorzugt realisiert werden. Trotz globaler Vernetzung, Mobilisierung oder gar Dematerialisierung bleibt eine alltags-

4. Die visuelle Konstruktion gesellschaf tlicher Räumlichkeit

weltliche Erwartung einer größeren Relevanz des räumlich Nahen gegenüber dem räumlich Fernen intakt. Zudem kann die räumliche Nähe über die schiere Kontaktintensität hinaus mit Vertrautheit bzw. Ähnlichkeit aufgeladen werden. Räumlich nah beieinander liegende Dinge sind sich tendenziell ähnlich, und sie sind im Allgemeinen besser bekannt, weil leichter zugänglich, und stehen in intensiverem Kontakt mit dem Hier. Umgekehrt entspricht räumliche Distanz und Ferne der Fremdheit und Differenz. Letzteres ist zwar oft mit Visualisierungen des Bedrohlichen oder Unzugänglichen verbunden, es können aber auch positive Imaginationen hier anschließen: Das Exotische als Sehnsuchtsort verspricht gerade durch seine räumliche Ferne die Chance auf die Begegnung mit dem anderen als imaginierte oder realisierte Bereicherung. Eine weitere semantische Aufladung von räumlichen Lagebeziehungen ist erkennbar in der doppelten Bedeutung des Begriffes »Zentralität«. Eigentlich formiert sich hier ein Horizont um eine kontingent bestimmte Mitte (s. Abschnitt 4.4, Bsp. Mitteldeutschland), womit gleichzeitig eine Peripherie erzeugt wird. Diese räumliche Konstellation ist leicht erweiterbar um ein physikalisches Bild von Gravitation und Gewicht – das schwere ruhende Zentrum bestimmt die Bewegung einer um es angeordneten und bewegten Peripherie. Ist diese Figur erst einmal bestimmt und akzeptiert, kann im Anschluss daran leicht von räumlicher Zentralität auf gesellschaftliche Relevanz oder Dominanz geschlossen werden. Umgekehrt ist das räumlich Periphere unter Umständen auch gesellschaftlich marginalisiert. An diesem Muster können dann inhaltliche Attribuierungen anschließen (Stichwort »Randgruppe«). Spannend erscheinen hier aber insbesondere aktuelle Konjunkturen der gegenläufigen positiven Aufladung des Peripheren. Der »Rand« ist nicht ausschließlich negativ besetzt – denkt man etwa an die Idee von Ländlichkeit als Verheißung entschleunigter »Sonderräume«. Im Falle diskursprägender historischer Bilder der Expansion mutiert der Rand gar zur »Frontier«.

4.4 R aumbilder und die F ixierung von B edeutung — B eispiele Nachdem das Verständnis von Makrostrukturierung erläutert wurde und mit dem Begriff der strategischen Regionalisierung mit dem Fokus auf visuelle Aspekte spezifiziert wurde, können nun einige empirische Forschungsfelder beleuchtet werden, welche Raumbilder gleichsam als strukturiert und strukturierend thematisieren. Im weiteren Sinne innerhalb der politischen Geographie zu verorten wären Untersuchungen zu den vielfältigen Raumbezügen des Nationalismus und Re-

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gionalismus2. Die Nationalismusforschung hat seit ihrer konstruktivistischen Neuausrichtung3 die historische Kontingenz der Phänomene Nation und Nationalismus aufzeigen können, und sie hat die vielfältigen symbolischen und visuellen Bezüge dieser Konstruktionen untersucht. So hat Benedict Anderson eine Erklärung für die erstaunliche Lebensfähigkeit der Idee der Nation gesucht – denn die Nation weist in ihrer territorial-administrativen Gestalt als Nationalstaat eine enorme Komplexität auf und fordert gleichzeitig ihren Mitgliedern eine enorme Abstraktionsleistung ab: die Vorstellung der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die nicht unmittelbar in Face-to-Face-Beziehungen sichtbar und lebbar ist, sondern der medialen, symbolischen Vermittlung unbedingt bedarf. Darin besteht der ambivalente Charakter des Konzepts Nation: dass sie eine Ursprünglichkeit und Sichtbarkeit ihrer Existenz behauptet, praktisch aber einen enormen Abstraktionsschritt über dasjenige hinaus verlangt, wessen die Einzelne tatsächlich unmittelbar in ihrer Lebenswelt ansichtig werden kann. Eines der dafür verwendeten Medien ist nach Anderson die Landkarte4. Anderson zeichnet den Prozess der Etablierung dieser für das Konzept von Nation geradezu konstitutiven Form von Bildlichkeit am Beispiel des heutigen Thailands nach als Adaption des europäischen Territorialprinzips: »Von Triangulation zu Triangulation, von Krieg zu Krieg, von Vertrag zu Vertrag schritt die Angleichung von Landkarte und Macht voran.« (Anderson/Münz/ Burkhard 1996: 175) Anderson zitiert Thongchai, der den Konstruktcharakter dieser Verwirklichungsgeschichte deutlich erkennt: Die Landkarte nimmt die räumliche Wirklichkeit vorweg, nicht umgekehrt. In anderen Worten: die Landkarte war eher ein Vorbild für das, was sie vorgab zu sein, als dessen Abbild […]. (Thongchai 1988: 310; zit.v. Anderson/Münz/Burkhard 1996: 175)

Ist die räumliche Wirklichkeit der Nation erst einmal kartographisch erfasst und gesellschaftlich als Form der Weltbeschreibung akzeptiert, kann sich die Einzelne als Teil der Einheit verstehen, und es kann der Charakter und die Handlungsfähigkeit des Kollektivs ausgedrückt werden (Prinzip der Metony-

2 | Überblicksdarstellungen finden sich z.B. bei Painter/Jeffrey (2010: 145ff); unter dem Stichwort »normativ-politische Regionalisierungen« bei Werlen (2007: 298ff); aus der Perspektive einer diskursorientierten politischen Geographie bei Reuber (2012: 191ff). 3 | Seit den im selben Jahr erschienenen Arbeiten von Benedict Anderson (1996 [1983]), Ernest Gellner (1983) und Anthony Smith (Williams/Smith 1983). 4 | Die Karte als Mittel der Machtausübung wird von der kritischen Kartographie (s. stellv. Wood 1992; Pickles 2006; Crampton 2009) untersucht.

4. Die visuelle Konstruktion gesellschaf tlicher Räumlichkeit

mie). In Abb. 4.1 ist diese Vereinigung der Nationsmitglieder zu einem »höheren Wesen« karikiert.

Abb. 4.1: Die Darstellung europäischer nationaler Charaktere in einer Verschmelzung von Kartographie und Karikatur (Zeichnung v. Paul Hadol; Quelle: Black, Jeremy [2005]: Geschichte der Landkarte. Leipzig: Koehler & Amelang, S. 125) Wie tief das Konzept Nation mit seiner Strukturierungsmacht den Alltag moderner Gesellschaften durchdringt, zeigt Michael Billig am Beispiel der USA mit seinem Begriff »banal nationalism« (Billig 1995; vgl. Miggelbrink/Redepenning 2004). Dieser fasst die Makro-Strukturierung »Nation« als das Produkt von Mikro-Akten des alltäglichen Verweisens und Lesens von nationalen Symbolen auf. Das Attribut »banal« meint »selbstverständlich« oder »alltäglich« – im Gegensatz zu den gewaltsamen Ausbrüchen und Konflikten, die mit dem Nationalismus traditionell assoziiert werden: »The thesis of banal nationalism suggests that nationhood is near the surface of contemporary life« (Billig 1995: 93). Es beruht auf simplen Routinen des Zeigens (»homeland deixis«; ebd.: 105ff), auf »waved flags« (ebd.: 39). Der Gruß der Flagge am Beginn eines amerikanischen Schultags, die Beflaggung von Tankstellen, die strengen Gesetzen zu Ort und Art der Anbringung der Flaggen folgt – all diese Momente des sichtbaren Verweisens auf die Nation bewirken letztlich deren Fortexistenz (vgl. Billig 1995: 39ff). Billig bezieht sich dabei auf eine exemplarische Studie Roland Barthes’ (1964: 95ff), der das Bild eines schwarzafrikanischen, der Trikolore salutierenden Soldaten der französischen Armee auf einem Magazin-Cover be-

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schreibt. Das Magazin mag – wie in der beschriebenen Situation – meist achtlos herumliegen, es ist trotzdem sichtbar, es zirkuliert, es bleibt ein Akt nicht nur der Referenz, sondern der Konstruktion des Nationalen als Mythos: […] alles vollzieht sich, als ob das Bild auf natürliche Weise den Begriff hervorriefe, als ob das Bedeutende das Bedeutete stiftete. Der Mythos existiert genau von dem Augenblick an, da die französische Imperialität in den Zustand der Natur übergeht […]. (Barthes 1964: 113; Herv. i.O.)

Billig betont aber auch die Verselbständigung und Verkürzung dieser zahllosen deiktischen Akte hin zu »unwaved flags«. Sobald alle Mitglieder der Nation das Konzept verinnerlicht haben, bedarf es nicht mehr zwingend der Demonstration: »Deixis is being accomplished without the vulgar business of pointing […] The flags melt into the background, as ›our‹ particular world is experienced as the world« (Billig 1995: 50;108; Herv. i.O.). Die alltagsprägende Idee der Nation ist auch ohne das Vorführen und Zeigen der sozialkulturellen und semiotischen »Makroformation« Nation immer schon präsent. Getragen durch ähnliche Verfestigungs- und Strukturierungsmomente verlaufen Institutionalisierungsprozesse im Bereich regionaler und lokaler Identitäten (s. z.B. Paasi 2003; 2009: 134ff). Die Rolle von (Bild-)Medien innerhalb dieses Prozesses ist vielfältig untersucht worden (vgl. Rost 2004; Micheel/ Meyer zu Schwabedissen 2005; Felgenhauer/Mihm/Schlottmann 2005; Stöber 2007). Dabei wird das strategische Moment solcher Regionalisierungen im Vergleich zum Nationalen oft noch deutlicher sichtbar. Dazu sollen im Folgenden beispielhaft einige Studien vorgestellt werden. Sehr deutlich sichtbar wird dieses Phänomen bei Birgit Stöbers Vergleich (Stöber 2007) des Region-Building der Öresund-Region (um Kopenhagen und Malmö) und der Stadtimage-Kampagnen der Stadt Berlin. Während im ersten Fall, auf bauend auf einer Raumlogik der Nähe als Ähnlichkeit, eine grenzübergreifende Idee, eine Geschichte und Identität fast neu entworfen werden kann (und muss), sind im Falle Berlins Assoziationen und Bedeutungen in fast schon hinderlicher Fülle vorhanden: Es entstehen deutliche Brüche und Reibungen zwischen den Imaginationen und Bildwelten der Kampagnen einerseits und den alltagsweltlichen bzw. lokalkulturellen Besetzungen des Toponyms »Berlin« andererseits. Ins Bild gesetzte Protagonisten eines modernen und modischen Berlin, ihre fassadenhafte und hegemoniale Präsentation, können leicht Gegendiskurse provozieren. Loughlin (2007) beschreibt in seiner historischen Untersuchung die politisch-strategische Formierung der Idee einer regionalen Einheit »Ulster« (Nordirland) am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Abgrenzung zum Diskurs um die Gründung eines unabhängigen irischen Nationalstaats. Er bezeichnet diese politische Bewegung als »Erfindung einer

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geographischen Tatsache«, die sich kartographischer und fotografischer Mittel bedient. Wissenschaftliche Beiträge zur kartographischen Definition Ulsters, Reiseliteratur und zu jener Zeit verbreitete Sammelbilder wirken an der Etablierung einer geographisch allmählich tatsächlich bestehenden, weil sichtbaren kulturräumlichen Entität »Ulster« mit. Der Erfolg erklärt sich aus damals neuen Möglichkeiten der massenhaften Vervielfältigung von Fotografien. Zum Beispiel sollen Bilder der vitalen Industrie der Region vorführen, dass nordirische Geschäftigkeit und Fleiß einen Wohlstand bringen, den ganz Irland teilen könnte, würde es sich nur der irisch-nationalistischen Trugbilder entledigen. […] it can be said that […] photographic dissemination established at a mass level a visual repertoire of regional-identity signifiers in a period when regional allegiance was intensifying. Moreover, during […] crisis Unionist propaganda expanded to include these features. (Loughlin 2007: 180)

Die dabei auch auftretenden diskursiven Spannungen zwischen Mutterlandbezug und eigenständiger geographischer Idee zeigt das damals vorgebrachte Argument für die Verbundenheit Nordirlands mit Großbritannien: Man kann England an einem klaren Tag von Ulster aus sehen (vgl. Loughlin 2007: 182f). Die räumliche Nähe wird durch das Visuelle bezeugt und assoziiert mit kultureller Verbundenheit. Der Aspekt der Etablierung gängiger Visualisierungen der Region als Form der strategischen Regionalisierung tritt auch in einem historisch jüngeren Beispiel, der medialen Konstruktion Brandenburgs durch den regionalen Sender ORB/RBB, hervor (vgl. Rost 2004). »Brandenburg« als Idee bedarf zu seiner strategischen Etablierung im Bewusstsein seiner Bewohner einer bebilderten Geschichte, die in einer mehrteiligen Fernsehsendung erzählt wird. Die Illustration der abstrakten Idee der Region mit Bildern typischer Brandenburger Landschaften liegt nahe und wird (vermutlich) leicht verstanden5. Im Vergleich zur rein fotografischen Darstellung sind im Medium Fernsehen mehr narrative Möglichkeiten der Visualisierung gegeben: Der Erzähler wandelt durch die Landschaft – erinnernd an Fontanes Spaziergänge durch die Mark. Die Landschaft fungiert dabei als symbolisch aufgeladene Repräsentation des Räumlichen – des Schönen, Harmonischen, Echten und Natürlichen. Es wird aber nicht eine reine harmonische Idylle, sondern der einfache, melancholische, raue und bisweilen karge Charakter betont. Zu Landschaftsaufnahmen mit Feldern, Wäldern und Alleen hört man aus dem Off, die Mark sei die »am meisten preußische Landschaft unter den Landschaften Preußens. Sie spiegelt 5 | Für einen historischen Überblick über den Prozess der Einführung und Einübung des landschaftlichen Sehens s. stellv. Trepl (2012) und Cosgrove (1998).

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seine Anspruchslosigkeit wider und lehrt, dass nur der Fleißige belohnt wird […]«. Damit erfolgt nicht nur eine Objektivierung und Naturalisierung der Entität »Brandenburg«, sondern auch die kulturelle Attribuierung des Gezeigten. Ebenfalls einem strategischen Konzept der medialen Etablierung regionaler Identität entstammt das Beispiel der Fernsehserie »Geschichte Mitteldeutschlands«. Die Untersuchung des Inhaltes der Serie6, die wie »Die Brandenburger« zum Ziel hat, eine regionale Identität zu stützen oder diese vielmehr erst zu erzeugen, zeigt ähnliche Momente der Objektivierung und Naturalisierung. Aber nicht (nur) die Landschaft und die Landkarte werden hierfür mobilisiert (z.B. Karten der historischen Grenzverläufe um und durch das heutige »Mitteldeutschland« als Sendegebiet des MDR bzw. als Drei-Länder-Einheit Sachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen). Es ist vor allem die heute überwiegend positiv besetzte Figur der Mitte und des Zentrums, welche ein Leitmotiv für das Konzept der Sendereihe bildet. In klassischen geographischen und kartographischen Darstellungen hat die Mitte eine lange Tradition mit ganz unterschiedlichen Konnotationen7. In dem aktuellen Beispiel Mitteldeutschland zeigt sich die Ambivalenz der Konstruktion von visuellen Geographien, oder besser Geometrien, der Mitte. Die geometrische Idee meint eine wahre und echte Mitte als richtig berechnete und korrekt vermessene Mitte. Die »korrekte« Festlegung der geographischen Mitte Deutschlands oder Europas sind Beispiele, die auch außerhalb des Mitteldeutschland-Diskurses zwar kühl vermessen, aber vor allem hitzig verhandelt werden. In der ersten Folge der Serie »Geschichte Mitteldeutschlands« wird der »Mittelpunkt Deutschlands« im postulierten Sendegebiet verortet. Die Beglaubigung dieses Befundes wird auf zwei Wegen der Sichtbarmachung versucht: Einerseits erfolgt die objekthafte, materielle Markierung vor Ort auf der Erdoberfläche in der Landschaft. Der vermessene Mittelpunkt Deutschlands wird in der Landschaft mit einem kunstvoll gestalteten Holzschild markiert, welches dem Wanderer vor Ort bestätigt, dass er sich aktuell am Mittelpunkt Deutschlands befindet. Die zweite Ebene der Sichtbarmachung meint, dass der Fernsehzuschauer Bilder dieses Objektes konsumiert und sich damit bei ihm auf mediale, vermittelte 6 | Die Untersuchung erfolgte im Rahmen eines von der DFG geförderten Projektes an der Universität Jena. 7 | So zeigt Schultz (1998: 99), wie die Mitte eines politisch erst noch zu konstruierenden Deutschlands im 19. Jahrhundert von Geographen weniger als Zentrum, sondern als Ort der Beliebigkeit, der Unentschiedenheit und der Zersplitterung gedeutet wurde. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts formuliert dann Mackinder seine globale »Heartland«Theorie, die eine Mitte der Weltgeschichte als geopolitischen Angelpunkt (pivot) im Zentrum der eurasischen Landmasse verortet. Diese Mitte bestimmt nach Mackinder einen »inner marginal crescent« und »outer insular crescent« (Mackinder 1904: 435), in dem sich alle Weltgegenden um das Machtzentrum herum anordnen.

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und distanzierte Weise ein Eindruck von Unmittelbarkeit und Nähe einstellen möge. Neben die Geometrie tritt die semantische Aufladung der Mitte. Die Mitte muss nicht nur erdräumlich verortet, sondern auch inhaltlich besetzt werden. Es muss gezeigt werden, wofür sie steht. Die Einführung der Sendereihe »Geschichte Mitteldeutschlands« mit dem Titel »Entdeckung im Herzen Europas« kündigt die dann folgenden Deutungen der Mitte als historischer Ursprung von etwas an: z.B. Mitteldeutschland als Ursprungsland der Reformation, Mitteldeutschland als klassisches Zentrum der Kulturnation, oder auch der mitteldeutsche Erfindergeist (wissenschaftliche und technische Innovationskraft) mit Ausstrahlungskraft ins übrige Deutschland und in alle Welt. Die Mitte ist historischer Begegnungsort und Ausgangspunkt. In anderen Kontexten wird die Mitte noch deutlicher mit Macht und Dominanz assoziiert. Es wird weniger die geometrische oder historische Mitte als »Quelle« von etwas betont, sondern mit der Mitte – genauer mit dem Begriff der Zentralität – wird die hierarchische Idee einer übergeordneten Steuerungsmacht ausgedrückt. Die Mitte wird gedanklich über die sie umgebende Peripherie gestellt. Dies wird vielleicht am deutlichsten bei den Karten von Christallers Theorie der zentralen Orte. Den Gegenpol zum Zentrum bildet die Peripherie, welche aktuell nicht nur, aber auch assoziiert wird mit Rückständigkeit, Strukturschwäche, dem Abgehängt-Sein, der Leere oder Passivität. Es gibt jedoch auch nahezu diametrale Gegenbilder zur Betonung der Mitte und der tendenziellen Ausblendung der Peripherie. Die (Um-)Deutung der Peripherie vom Rand oder Horizont hin zur beweglichen und bewegten Grenze wird sichtbar, wenn man sich dem historischen Motiv der »Frontier« zuwendet. Genau entgegen den vermeintlichen Pathologien und Defiziten der Peripherie wird hier ein Raumbild des sich verschiebenden Horizontes, der Entdeckung und Bewährung, der Innovation, der zukünftigen Entwicklung und des Fortschritts entworfen. Es entsteht eine Peripherie, ein Rand, der als Grenze gerade nicht abgehängt ist. Die historische Bebilderung des Phänomens zeigt diese semantische Aufladung – es entsteht das unkritische, pathetische Bild einer Landnahme. Diese wirkmächtige, eindimensionale Sicht auf die Frontier wird aber in einem zeitgenössischen wissenschaftlichen Raumdiskurs auf spannende Weise verkompliziert (vgl. Turner 1996; Sauer 1963; Block 1980). Frederick Jackson Turner 1893 schreibt in seiner klassischen, intensiv diskutierten und kritisierten Analyse der Frontier: This perennial rebirth, this fluidity of American life, this expansion westward with its new opportunities, its continuous touch with the simplicity of primitive society, furnish the forces dominating the American character […]. (Turner 1996: 2f)

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Abb. 4.2: John Gast »American Progress« (1872) (Quelle: http://commons. wikimedia.org/wiki/File:American_progress.JPG [Zugriff: 11.12.2014]) Die Frontier als Ort der Reibung, Bewegung und Transformation ist dabei aber nicht einfach als Besichtigungsort gesellschaftlicher Innovationskraft und demographischer Vitalität zu verstehen. Die bewegliche Außengrenze der Zivilisation ist kein Ort der reinen Domestizierung und Aneignung der Natur durch den sogenannten Pionier – sein Wesen wird durch den Raum verändert, den er sich zu eigen macht: The wilderness masters the colonist. It finds him a European in dress, industries, tools, modes of travel, and thought. It takes him from the railroad car and puts him in the birch canoe. It strips off the garments of civilization […] the advance of the frontier has meant a steady movement away from the influence of Europe […]. (Turner 1996: 4)

Während also die Verbildlichung der Frontier durch den amerikanischen Liberalismus und Fortschrittsglauben des 19. und frühen 20. Jahrhunderts dominiert wird, waren einige Beiträge zur historischen und geographischen Diskussion – vor allem eben Turners Gedanken – eher mit einem Determinismus imprägniert, der den Theorien Friedrich Ratzels und Ellen Semples folgt (vgl. Block 1980: 36ff). Der Siedler wird durch die Umwelt geformt. Der angenommene eigenständige amerikanische Charakter wird nicht primär mit Auf-

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klärung, Selbstbestimmung und dem Gedanken individueller Freiheit erklärt, sondern es wird eine spezifische Amalgamierung aus Natur und Charakter, aus Wille und Widerstand postuliert. Die Frontier, die natürlich vor allem als pathetisch-patriotische Figur konstruiert und mobilisiert wurde, stellt im Falle der Ratzel/Turner/Semple-Linie eine Formation dar, die (potentiell universellen) Liberalismus mit einem historisch-geographisch spezifischen Environmentalismus verbindet, bzw. Ersteren in Letzteren umdeutet. Carl Sauer (1963) hat dagegen – aus seiner Perspektive der historischen Landschaftsforschung heraus – die kulturlandschaftliche Pluralität der Einflüsse (die lange historische Vorprägung der Gebiete jenseits der Frontier, die Spuren der Native Americans, die Vielfalt der kulturellen Identitäten der Pioniere) betont und gegen die Idee der einen Frontier gesetzt. Vor allem aber hat er die Prämissen des Frontier-Diskurses angezweifelt: das Muster der gesetzmäßigen Abfolge von Nutzungs- und Siedlungsformen (Jäger und Fallensteller – Viehzüchter – Ackerbauer – Stadtbewohner) und die These einer Umbildung des ursprünglich zivilisierten Siedlers durch die Frontier. In jedem Fall aber erscheint mit der Frontier eine Form der Peripherie, die sich am Differenten abarbeitet und nicht rein in Bezug auf ein Zentrum, z.B. Europa und europäische Kultur, definiert wird. Wie vielfältig verwendbar die Figur des beweglichen Außenrandes, des Horizontes als verschiebbare Grenze ist, wird mit Blick auf ein aktuelles Beispiel deutlich. Steven Pinker (2011) vertritt die These, dass die Ausübung physischer Gewalt im Verlaufe der Menschheitsgeschichte abnimmt. Gegen die Intuition, die wir als Fernsehzuschauer und Zeitungsleser haben mögen – die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte der insgesamt erfolgreichen Zähmung, Mäßigung und Rationalisierung der Weisen, in denen Konflikte ausgetragen und Herrschaftsverhältnisse reproduziert werden. Dies wird von ihm als die Expansion einer Vernunftidee verstanden, die auch eine Ausweitung der Empathie des Subjekts mit immer größeren Kollektiven bedeutet. Abbildung 4.3 zeigt die Illustration zu einem TED-Vortrag »The long reach of reason« von Steven Pinker und Rebecca Newberger Goldstein, welche die äußere Grenze einer Sphäre als einerseits beweglich vorstellt; diese Bewegung wird aber andererseits als geschichtlich gelenkt und gerichtet visualisiert. Eine Art »Frontier« wird im Sinne moralisch-zivilisatorischer Evolution konstruiert und als räumliche Ausdehnung veranschaulicht. »The long reach of reason« kommuniziert damit einen in zeitlicher Hinsicht welthistorischen und in räumlicher Hinsicht einen potentiell globalen Rahmen, in den die vom Einzelnen empathisch »mitgedachten« Kollektive hineinwachsen.

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Abb. 4.3: Die räumliche Ausdehnung der Empathie mit immer weiter gefassten Kollektiven im Verlaufe der Geschichte der Menschheit (Quelle: www.ted.com/ talks/steven_pinker_and_rebecca_newberger_goldstein_the_long_reach_of_ reason?language=en [Zugriff: 11.12.2014]); Zeichnung: Price/Wilson/Nazri

4.5 F a zit Als Element der gesellschaftlichen Wirklichkeit wurden Formen der Konstruktion visueller Geographien vorgestellt, welche als Ergebnis von Handlungen verstanden werden können, die aber selbstverständlich nicht allein von der Intuition der Handelnden abhängen. Anthony Giddens’ Theorie der Strukturierung kann als eine Hilfe verstanden werden, die erstaunliche Kreativität der Akteure in der Kommunikation von Raumbildern ebenso anzuerkennen wie deren Bezugnahmen auf bekannte Muster und Gewohnheiten des Zeigens und Sehens als Reproduktionen verräumlichter gesellschaftlicher Verhältnisse. Mit dem Begriff der strategischen Regionalisierung ist eine planvolle Verknüpfung, normative Bindung und letztlich Normalisierung visueller Geographien gemeint. Es sind Versuche, viele einzelne Akte der Bildproduktion und Konsumtion auf eine geographische Idee zu verpflichten. Die Funktionen der so geschaffenen Raumbilder können als genutzte und nützliche Effekte – z.B. der Objektivierung, Naturalisierung/Essentialisierung oder der relationalen Verräumlichung (Bsp. Zentrum-Peripherie-Figur) – beschrieben werden. Dem Raumbild fällt dabei oft die Rolle zu, die Kontingenz in der sozialen Hervorbringung räumlicher Verhältnisse zu verschatten und ein Bild des Ortes

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oder Raumes zu zeigen, welches mit dem Gestus der Spiegelung natürlicher und damit alternativloser Verhältnisse auftritt. Was bei der Untersuchung von solcherlei Praktiken, Bildern, Diskursen und Bildakten der strategischen Raum- und Kollektivkonstruktion auffällt, ist damit eigentlich ein Paradox. Wenn nämlich – wie von vielen regionalisierenden Strategien suggeriert – die bebilderten Identitäten und Gemeinschaften tatsächlich natürlich, objektiv, ewig und unhintergehbar wären, dann bedürften sie gar nicht der vielfältigen Bemühungen strategischer Fixierung, Benennung und Visualisierung. Zygmunt Bauman legt dies offen, wenn er schreibt: Die Gemeinschaft, wie sie auf kommunitaristischen Bildern erscheint, könnte es sich leisten, unsichtbar zu sein, und man bräuchte kein Wort über sie zu verlieren; aber wenn dem so wäre, dann würden die Kommunitaristen keine Bilder malen, geschweige denn sie ausstellen […] Aus rein logischer Sicht diskreditiert sich der Kommunitarismus damit als Versuch, ein politisches Projekt hinter einer rein deskriptiven Theorie sozialer Realität zu verstecken. (Bauman 2003: 199f)

»Deskriptiv« kann dabei leicht mit »visualisierend« übersetzt werden. Der Rezipient des visualisierten Raumes ist angehalten, ein Ideal zu konsumieren, welches er angeblich selbst bereits besitzt, eine Identität zu erlernen, die ihm angeblich angeboren ist, sich eine Idee anzueignen, die ihm schon qua Geburt(sort) eingepflanzt ist. Das zeichenhaft Konstituierte leugnet seine Entstehungsweise und behauptet eine äußere räumliche und gesellschaftliche Wirklichkeit. Solange diese Widersprüchlichkeit aber nicht selbst Thema der Kommunikation zwischen Strategen, Produzentinnen, Zuschauern, Lesern, Technikerinnen und Konsumenten wird, mag vielleicht das Ende der großen Erzählungen postuliert werden. Es kann damit aber kaum das Ende wirkmächtiger Raumbilder gemeint sein.

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Teil II: Praktiken visueller Geographien

Einleitende Bemerkungen Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink

Nähert man sich der Frage des Gebrauchs von Bildern, dann ist fast zwangsläufig der erste Befund, dass es kaum einen Lebensbereich gibt, der nicht von Bildern und dem Wechselverhältnis »innerer« Imagination und »äußerer« Bildlichkeit durchdrungen wird. Die Selbstverständlichkeit ihres Gebrauchs verstellt aber oftmals den bewussten, reflexiven Umgang mit ihnen. Gerade der scheinbar triviale Gebrauch von Bildern, beispielsweise als Hintergrundbild für Smartphones, kann, wie Antje Schneider im folgenden Kapitel zeigt, zum Anlass genommen werden, dem Gebrauch von Bildern und den möglichen Gründen für den Gebrauch eines bestimmten Bildtypus nachzugehen. Diese Bilder – hier: Landschaftsbilder – sind Spuren, die von einem gesellschaftlichen Fundus landschaftsbezogener Themen und Bedeutungen zeugen, auf den – so Schneider – alltäglich bei Bedarf zurückgegriffen wird (vgl. Beitrag Schneider in diesem Band). Das individuelle Landschaftsbild auf dem Smartphone kann also als eingebettet in eine gesellschaftliche Bildpraxis verstanden werden, an der wir teilhaben und teilnehmen, ohne dass dies bewusst und reflektiert geschehen muss. Dieser zweite Teil der Auseinandersetzung mit visuellen Geographien ist nun dieser Bildpraxis und ihrer gesellschaftlichen Einbindung gewidmet. Die folgenden Kapitel thematisieren einzelne Felder oder besser, da eine weniger scharfe Umrandung nahelegend, Dimensionen des Gesellschaftlichen, in denen die Praktiken Visueller Geographien relevant werden: Kunst, Wirtschaft, Politik und Planung, aber auch Sozialisation, Wissenschaft und Bildung werden exemplarisch hinsichtlich der Rolle befragt, die RaumBilder in ihnen spielen (können). Auf den ersten Blick ist das ein sehr heterogenes Feld, in dem sich die Beiträge bewegen. Gerade durch diese Heterogenität wird aber deutlich, dass es durchaus Gründe gibt, das »visuelle Vermitteltsein« moderner Gesellschaften differenziert zu betrachten. Es ist nämlich – und die verschiedenen Untersuchungen stützen diese Annahme – in der Tat davon auszugehen, dass sich in einzelnen Teilbereichen gesellschaftlicher Praxis eigene

Einleitende Bemerkungen

Logiken der Visualisierung entwickeln bzw. dass sich ein bestimmter Habitus und bestimmte Normen des Gebrauchs in ihnen durchsetzen. Die folgenden Beiträge sollen darüber hinaus aber auch exemplarisch demonstrieren, dass Visualisierungen nicht nur ein wichtiges Instrument sind, um bestimmte Sachverhalte, Zusammenhänge und Entwicklungen sichtbar zu machen, sondern dass Visualisierung diese Sachverhalte, Zusammenhänge und Entwicklungen gleichzeitig auch herstellt. Die »demographische Wende«, anhand derer Jeannine Wintzer dieses wechselseitige Verhältnis von Bild und Gegenstand exemplifiziert, steht daher auch stellvertretend für andere Felder strategischen und politischen Handelns, in denen, erstens, raumbezogenes Wissen eine legitimatorische Grundlage für Handeln ist und, zweitens, dieses Wissen daher in einer Form kommuniziert werden muss, die Legitimation schaffen kann. Dies geschieht – basierend auf der für »nationale« Politiken immer noch hochrelevanten räumlichen Einheit, dem Territorium, – durch kartographische Repräsentation, durch diagrammatische Übersetzungen und ggf. auch fotografische Illustration. Es ist daher vermutlich nicht überraschend, dass immer dann, wenn es gilt, einen bestimmten Sachverhalt, wie z.B. Überalterung, als gegeben zu kennzeichnen, ihn als problematisch zu markieren und bestimmte Folgerungen, wie z.B. die Anhebung des Renteneintrittsalters, als notwendig erscheinen zu lassen, eine hochgradig konventionalisierte Zeichensprache bzw. Semiotik etwa in Gestalt von Infografiken angewendet wird. Denn nur eine konventionalisierte Zeichensprache ermöglicht es, Bedeutungen zu fixieren und Interpretationen zu steuern. Bildlichkeit ist dabei keineswegs einfach nur eine ergänzende, politische Programmatiken stützende Form der Argumentation, sondern – wie Anne Vogelpohl anhand zweier Pro-Bono-Studien zum Wirtschaftsstandort Berlin zeigt – Teil einer visuellen Strategie, die einerseits den Text mit visuellen Mitteln zuspitzen und ausrichten kann, andererseits aber eine eigene Agenda hat, die nicht schon über den Text abgedeckt ist. Auch hier geht es um Formen von Bildlichkeit im Alltag, die wesentlich auf konventionalisierten Bildsprachen beruhen, die also im Gebrauch keiner konkreten, reflektierenden Interpretation bedürfen, sondern zumeist (scheinbar) spontan verstanden werden. Allerdings, und das ist das zweite Anliegen dieses Kapitels, bedarf es bei der Analyse von Bildern besonderer methodischer Reflexion. Das liegt nicht zuletzt am Spannungsverhältnis, welches das Bild in Bezug auf seine Interpretationsoffenheit ausmacht: Einerseits operieren Bilder mit und in konventionalisierten Zeichensystemen, was es nahelegt, sie im Hinblick auf ihre interpretative Geschlossenheit hin zu betrachten. Andererseits aber kann es gerade dann, wenn die Praktiken des Bildgebrauchs im Zentrum stehen, nicht um de-kontextualisierte Bildinhalte gehen, sondern immer um Beziehungen des »Sehens« und »Zeigens«, zwischen die das Bild als spezifisches Medium tritt.

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Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink

Gerade weil zahlreiche Bilder im Alltag auf sofortiges und intuitives Erkennen angelegt und ausgerichtet sind, werden Methoden wie etwa die von Anne Vogelpohl durchexerzierte dokumentarische Bildanalyse benötigt, die dieses Erkennen unterbrechen und die Bedingungen des Funktionierens von Bildsprachen aufzeigen. Wie komplex die Beziehungen zwischen Sehen und Zeigen insbesondere dann sind, wenn im Forschungsprozess nicht vorgefertigtes Bildmaterial analysiert wird, sondern durch die Beteiligten erst hergestellt wird, erörtern Katja Manz und Kathrin Hörschelmann in ihren Beiträgen zur Rolle von RaumBildern in den Praxisfeldern der Planung und der Sozialisation. Einmal geht es mehr um die Einbeziehung des Sehens in Prozesse des Entwerfens und Produzierens von gebauter Umwelt, das andere Mal mehr um die Aneignung und Vermittlung raumbezogenen Sehens und Darstellens. Beide Autorinnen haben sich aber in ihren Untersuchungen selbst als Spiegel von Visualisierungsprozessen und strategien angeboten, indem sie Jugendliche in Leipzig bzw. Einwohner der Stadt Chemnitz baten, ihnen ihr Bild von der Stadt zu zeigen. In beiden Fällen geht es darum, visuelle Methoden als Mittel einzusetzen, um (buchstäblich) einen neuen Blick auf die nahräumlichen Umweltbeziehungen – Plätze, Straßen, Wohnhäuser – zu entwickeln. In beiden Fällen wird aber auch deutlich, dass das Zeigen bzw. das Bild, mit dem etwas gezeigt werden soll, das Gegenüber, dem etwas gezeigt wird, bereits mit einschließt und daher immer auch eine Reaktion auf die antizipierten Erwartungen des Gegenübers ist. Das scheinbar nur beobachtende bzw. rezipierende Gegenüber ist daher immer schon Teil des Bildes. Durch die radikale Einbeziehung des forschenden Selbst wird diese Bedingung des Bildgebrauchs offengelegt. Diese beiden Beispiele verdeutlichen, dass es in geographischer Perspektive auch immer darum geht, das Verhältnis bzw. die Differenz zwischen RaumBild und einer dem Bild äußeren »materiellen«, »physischen« Umwelt auszuloten. Das kann geschehen, indem mittels visueller Methoden die gesellschaftlich vermittelte Beziehung zwischen Subjekten und baulicher bzw. städtischer Umwelt ausgelotet wird. Eine andere Möglichkeit besteht darin, künstlerische Interventionen zu untersuchen, wie Eva Nöthen es macht. Auch hier geht es um die Offenlegung eingeübter und daher selbstverständlicher und naturalisierter visueller Praktiken. Sie verweist auf die lange Tradition, Kunst nicht nur im öffentlichen Raum zu platzieren, sondern über Kunst die Rolle des öffentlichen Raumes zu formatieren und zu problematisieren. Kunst als »sichtbar machender« Eingriff unterliegt aber auch, wie Nöthen anhand verschiedener Beispiele zeigt – bestimmten Normierungen und Akzeptanzbedingungen. Wie eng die Verschränkung zwischen Visualität und Wissen sein kann, rekonstruiert schließlich Hans-Dietrich Schultz am Beispiel des wissenschaftlich-geographischen Interesses an der »Landschaft« im ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Landschaft, vermittelt durch Bilder, die

Einleitende Bemerkungen

diese »auf einen Blick« erfassbar machten, ließe sich in Verbindung mit weltanschaulichen Überzeugungen sowohl als Ergebnis wie auch als Ausdruck von Volkscharakteren deuten. Entsprechende Kulturlandschaftsbilder wurden so auch in deutschen Erdkundeschulbüchern als Veranschaulichung eines angenommenen »völkischen Kulturgefälles«, namentlich zwischen Deutschland und Polen, eingesetzt. Damit wird auch noch einmal der Bogen geschlagen zu Praktiken des Bildgebrauchs, die in den Dienst nationalistischer und rassistischer Politiken genommen werden, weil sich über Bilder gesellschaftliche Verhältnisse visuell eingängig behaupten und herstellen lassen. Mit diesem Beitrag wird aber auch die ermöglichende und (manipulativ) einschränkende Rolle des Visuellen in Bildungsprozessen deutlich, die im Beitrag von Hasse im ersten Teil des Bandes bereits thematisiert wurde und im nun anschließenden dritten Teil, der sich noch einmal explizit der Reflexion und Vermittlung des Visuellen widmet, noch etwas weiter ausgeführt wird.

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5. RaumBilder und Bildung Antje Schneider

5.1 V orbemerkung Die folgenden Ausführungen legen ihr Hauptaugenmerk auf den Zusammenhang von »RaumBildern und Bildung«. Die Konjunktion und zeigt an, dass Bild und Bildung zwar getrennte Sphären sind, dass beide Seiten aber in Verbindung stehen, sozusagen eine Allianz eingehen. Es gibt also Bilder auf der einen Seite und es gibt Prozesse des Werdens – Bildungen – auf der anderen Seite. Zusammen gehen beide Seiten in der Annahme, dass wir die Dinge der Welt im Bilde sehen, dass unserem Werden, konkret: unseren Erfahrungen eine Bildlichkeit innewohnt, dass diese durch Bilder präformiert werden (vgl. Waldenfels 1990). Wenn wir also sehen, wenn wir lernen, uns entwickeln und Erfahrungen machen, dann geschieht das zunächst, indem wir uns ein Bild von den Dingen machen. Wir beginnen etwas, das uns ergriffen hat, als Bild zu sehen, wir sind quasi im Bilde. Wenn nun die Allianz von Bild und Bildung betont wird, dann ist damit nicht mehr gemeint, als dass sich beim Lernen Bilder bilden (und weniger, dass uns die Bilder bilden) und dass diese Bilder für den Lernenden etwas Neues, anderes, eine Wandlung, letztlich eine Erfahrung bedeuten. Um genauer zu verstehen, was es mit der Allianz von Bild und Bildung auf sich hat, wird es also notwendig, Ort und Stellenwert des Bildes im Vollzug des Lernens auszuloten. Insbesondere geht es dann um Fragen zum »Wie des Bildes« (Kapust 2009: 255): Was für Bilder stellen sich ein? Wo, wann und wozu tauchen sie im Lernprozess auf? Wie können sie zum Sprechen gebracht werden? Und was lassen sie erkennen darüber, was für den Einzelnen gerade in Veränderung begriffen ist?1 Nun geht es um Ort und Stellenwert des RaumBildes und damit um einen weiteren Fokus. Ich möchte die Bezeichnung etwas wenden und für die Argumentation weniger den Status eines spezifischen Raumbildes bemühen. Mir 1  |  Die Verschiebung der Fragen vom Was zum Wie des Bildes ermöglicht erst, die Verbindung von Bild und Bildung zu denken; entsprechend stehen die Ausführungen in der Tradition phänomenologischer Bildpositionen. Einen Überblick liefert Kapust (2009).

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geht es eher darum, die ›Präsenz des Räumlichen‹ an anderer Stelle zu vermuten. Die Leitthese ist, dass Geographien – im Sinne von sprachlichen Bezugnahmen auf das Räumliche – in der Reflexion auf das Bild aktualisiert werden. Geographien werden also bedeutsam in der Art und Weise, wie das Bild zum Sprechen gebracht wird, welche Worte, Begriffe, Argumente und Deutungen gefunden werden, um zu verstehen, was mit dem Bild in die Wahrnehmung gelangt. Das Bild avanciert zum Anlass für solche Reflexions- und Sprechweisen, die das Geographische einholen. Es markiert jenen Ort, an dem sich Geographie ereignen kann, sie Präsenz erlangt. Für den nun folgenden Versuch, die Allianz von Bild und Bildung zu verstehen, heißt das, das Bild nicht bloß als Dreh- und Angelpunkt im Lernprozess zu greifen, sondern die Bedeutung des Geographischen für den Prozess des Lernens, konkret des Bildverstehens herauszuarbeiten. Es geht dann um eine bestimmte Form von Bildarbeit, konkret um die Frage, wie das ›Sehen im Bilde‹ von der Geographie her angegangen werden kann (vgl. Beitrag Schlottmann/Miggelbrink in diesem Band). Ich werde dazu einige kategoriale Annahmen skizzieren und diese durchweg an einem exemplarischen Fall illustrieren, wie ich ihn in der Geographie im Rahmen eines universitären Seminars beobachtet habe.

5.2 Ü ber eine kleine Ü berr aschung In einem Seminar für Lehramtsstudierende der Geographie, in dem es darum geht, ausführlich über einen geographischen Klassiker – die Idee der Landschaft – nachzudenken (vgl. Abb. 1), äußerte ein Studierender überrascht: Ich stelle gerade fest, dass ich den Bildschirm meines Smartphones mit einem Landschaftsbild ausgestattet habe. Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, weshalb ich gerade ein Landschaftsbild gewählt habe. Heute fällt mir das zum ersten Mal auf. Ich weiß auch nicht, was mit mir passiert ist. Bis vor Kurzem hätte ich mir die Frage, was Landschaft ist, immer so beantwortet, dass ich gesagt hätte: Landschaft ist das, was ich sehe, wenn ich im Zug sitze und aus dem Fenster schaue, und nun ist dies alles irgendwie anders. (Abb. 2)

Im Anschluss an diese Bemerkung holen alle ihre Smartphones und Tablets heraus und betrachten ihre gewählten Hintergrundmotive. Bis auf wenige haben alle im Kurs ein Landschaftsbild gewählt. Sichtlich erstaunt wirft ein anderer Studierender die Frage in den Raum: »Ich verstehe es nicht, was machen wir da eigentlich?« Wir nehmen diesen Befund und die Frage ernst und verfolgen sie weiter. Wir suchen nach Antworten, nach Möglichkeiten der Interpretation und fragen: Was ist uns mit dem Landschaftsbild auf einem Smartphone in einem Landschaftsseminar in den Blick geraten? Was können wir daran erkennen, verstehen und lernen? Wie können wir das tun? Vor welche Herausforderungen

5. RaumBilder und Bildung

interpretatorischer Art stellt uns das Bild? Ob und inwieweit können wir es überhaupt greifen? Diese kleine Überraschung wurde zum Gegenstand einer einzigen Seminarsitzung. Es handelte sich um einen »magischen« Moment, der für die Studierenden etwas Neues, vielleicht einen bisher wenig beachteten Aspekt des Phänomens »Landschaft« einbrachte. Was diese Situation zu einem »magischen« Moment machte und wie sich in ihr die Allianz von RaumBild und Bildung zum Ausdruck bringt, ist Gegenstand der folgenden Argumentation.

Abb. 5.1: Seminarankündigung (eigene Darstellung)

Abb. 5.2: Landschaftsmotiv auf einem Smartphone (eigene Darstellung)

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5.3 D as B ild am A nfang Den Anfang markiert die Überraschung angesichts eines Bildes – das Landschaftsbild auf einem Smartphone. Diese Überraschung stammt von einem Studierenden, von einem Subjekt, das auf etwas aufmerksam geworden ist. Oder anders formuliert: Etwas erscheint diesem Studierenden als Bild. Das Überraschende ist nun einerseits, dass etwas (als Bild) in die Aufmerksamkeit gelangt, andererseits aber auch, dass der Betrachter im Anblick des Bildes erkennt, dass sich etwas verändert hat, dass er sich selbst verändert hat: »Ich weiß auch nicht, was mit mir passiert ist. Bis vor Kurzem hätte ich mir die Frage, was Landschaft ist, immer so beantwortet, dass ich gesagt hätte: Landschaft ist das, was ich sehe, wenn ich im Zug sitze und aus dem Fenster schaue, und nun ist dies alles irgendwie anders« – so die passende Aussage des Studierenden. Was bis zu dieser Überraschung wirkt, ist das, was Jullien als »stille Wandlung« bezeichnet: Denn man nimmt diese vor sich gehende Wandlung nicht nur nicht wahr, sondern sie geschieht selber unversehens, ohne auf sich aufmerksam zu machen, ›in der Stille‹: Ohne sich bemerkbar zu machen und sozusagen unabhängig von uns, ohne uns aufschrecken zu wollen, könnte man sagen, obwohl sie doch in uns selbst ihren Weg nimmt, bis sie uns zerstört. (Jullien 2009: 9)

Dann kommt es irgendwann zu einem Ereignis, im dargestellten Fall das Bemerken eines Bildes, und man stellt fest, dass etwas – hier vielleicht ein naiver Glaube an die wahre Landschaft – unwiederbringlich vergangen, zerstört und nun eben anders ist. Das Bild stört und stiftet eine Wahrnehmung, darin wird es zum Ort, an dem das Lernen beginnt. Im Störfall – und nur darin – liegt die Möglichkeit zur Erfahrung, der Auftakt und Übergang zu etwas Neuem, in das man sich hineinverwandelt. Meyer-Drawe konstatiert: »Lernen als der Beginn eines erstmaligen Aktes ist wie das Aufwachen. […] Lernen beginnt mit einem Aufmerken, einem Aufwachen aus dem Schlummer des Gewohnten.« (Meyer-Drawe 2012: 193) Das ›Bild am Anfang‹ des Lernens ist wie »die Öffnung zu einer Welt, die sich mitunter aufdrängt und fungierenden Erwartungen in die Quere kommt« (ebd.: 189). Folglich provoziert es die Reflexion, es fordert auf, verstanden zu werden. Sich auf das Bild zu verstehen, heißt jedoch weniger darauf zu reflektieren, was es zeigt, sondern vielmehr auf den Umstand, dass es sich zeigt. Mersch argumentiert, dass man das Bild selbst, also das, was das Bild zeigt, nicht lesen und entschlüsseln kann. Es bleibt ein Bild und als solches kann man es nicht in Sprache übersetzen (vgl. Mersch 2014a; Mersch 2014b). Kurz: Ein Bild sagt nichts, es zeigt etwas, vielleicht mehr als tausend Worte sagen können (vgl. Gabriel 2011). Folglich – so Mersch – ist eine Philosophie des Bildes vom Blick her zu denken. Das Bild ist wie eine Oberfläche zu begreifen, die Differenz erst im bzw. über den Blick erzeugt. Etwas

5. RaumBilder und Bildung

erscheint mir als Bild und stört den »Schlummer des Gewohnten«. Das Bild ist somit bedeutsam in der Gabe einer Sichtbarkeit; darin, dass es mir einen Blick schenkt (vgl. Mersch 2014b). Das ›Sehen im Bilde‹, das Lernen vollzieht sich dann, wenn es gelingt, diese Gabe der Sichtbarkeit (und weniger das Bild an sich) zu entschlüsseln. Mit dem ›Bild am Anfang‹ des Lernens wird also ein Reflexionsmoment erzeugt. Das Bild avanciert zum Reflexionsbild; Bildsehen und -verstehen sind dann notwendig reflexiv (vgl. Mersch 2014a). Genau genommen sind dann für die Bildarbeit einige grundsätzliche Fragen von Bedeutung: Welche Wahrnehmung stiftet das Bild? Oder anders: Welchen Blick schenkt das Bild? Und: Wohin führt er? Herauszuarbeiten ist die Evidenz des Bildes, also was uns im Bild entgegenblickt und zum Sehen bzw. Lernen nötigt (vgl. Mersch 2014a; Mersch 2014b). Was es schließlich braucht, damit das Bild zum Reflexionsbild werden und sich seine Bindungskraft entfalten kann, sind verschiedene Reflexionsweisen. Gemeint sind konkrete Erkenntnisfiguren2, um für das Geschenk des Blicks passende Worte zu finden.

5.4 D as B ild als S pur Eine Reflexionsweise bzw. Erkenntnisfigur, die es ermöglicht, die mit dem Bild verbundene »Gabe der Sichtbarkeit« zu entschlüsseln, markiert die Idee, das Bild als Spur aufzufassen und entsprechend zu behandeln. Beim Spurkonzept handelt es sich um ein epistemologisches Modell3. Als solches liefert es Anhaltspunkte, wie die Reflexion im Umfeld des Bildes in Gang gesetzt werden kann. Bezeichnen wir beispielsweise das Landschaftsbild auf einem Smartphone als Spur, bedeutet dies zunächst anzuerkennen, dass es etwas Unbekanntes, Unsichtbares bzw. Abwesendes hinter der konkreten Spur gibt. Das Spurenlesen beginnt in Momenten der Ungewissheit, dann, wenn etwas nicht mehr oder noch nicht verstanden ist. Folglich geht es beim Spurenlesen um eine Orientierungsleistung, darum, dass wir uns in einer ungewissen Situation wieder zurechtzufinden und neue Handlungsmöglichkeiten erschließen (vgl. Stegmaier 2007: 83ff). Kurz: Die Spur besitzt eine besondere Nähe zum Fraglichen. Streng genommen handelt es sich beim ›Bild als Spur‹ um das Kenntlichmachen einer hermeneutischen Situation. Die besondere Wahrnehmung, die das Bild stiftet, ist das Sichtbarwerden von Ungewissheit, letztlich des Fraglichen und Fragwürdigen. Für das Lernen übernimmt sie genau dar2  |  In der Argumentation von Nick handelt es sich bei einer Erkenntnisfigur um »eine Art Gewebe, ein Strukturgebilde von Vorannahmen und Regeln der Erzeugung von Erkenntnis« (Nick 2001: 15). 3  |  Zum Spurenansatz in Philosophie und Medientheorie vgl. Krämer (2007); zum Spurenparadigma in der Geographie vgl. Hard (1995).

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in eine Schlüsselfunktion. Die Spuren-Perspektive lenkt die Aufmerksamkeit auf die Fragen, die mit dem Aufmerken auf das Bild verbunden sind.4 Für die Bildarbeit heißt das, darauf zu reflektieren, dass sich das Bild, und zwar als Spur, in Erscheinung bringt. Wenn wir nun versuchen, das ›Bild als Spur‹ zu entschlüsseln, dann heißt das, ein besonderes Differenz-/Übertragungsgeschehen in den Fokus zu nehmen. Somit interpretieren und verstehen wir das ›Bild als Spur‹ entlang von Unterscheidungen in der Zeit. Will heißen: Ist von einer Spur die Rede, dann spricht man davon, dass es etwas gibt, worauf die Spur verweist, etwas, womit sie selbst nicht identisch ist: »Die Anwesenheit der Spur zeugt von der Abwesenheit dessen, was sie hervorgerufen hat.« (Krämer 2007: 14) Aber: »Spuren zeigen nicht das Abwesende, sondern vielmehr dessen Abwesenheit.« (ebd.: 15) Für das Spurenlesen heißt das, weniger das herausarbeiten zu können, worauf die Spur verweist, als vielmehr das, wovon sie gegenwärtig zeugt. Zu erkunden ist die Tatsache, dass es etwas in der Vergangenheit oder Zukunft gibt, das in der gegenwärtigen Situation fraglich und unverstanden ist. Beides – das Vergangene und Zukünftige – sind nicht einholbar. Sie verbleiben im Dunkeln. Was wir aber mit Worten und Deutungen einholen können, ist das, was sich in der Spur im »Hier und Jetzt« an Vergangenem und Zukünftigem ereignet. Spuren sind also aus dem Zusammenhang heraus zu präparieren, wie sie in der Gegenwart stehen. Das Nichtidentische und an sich Uneinholbare der Spur wird so ein Stück weit verfügbar gemacht (vgl. Krämer 2007: 174ff; Krämer 2008: 89f). Was heißt das nun für den Fall des Aufmerkens auf das Landschaftsbild auf einem Smartphone? Im Seminargespräch haben wir das Bild zunächst als Spur bedeutet und anerkannt, dass es irgendetwas gibt, das uns umtreibt und das wir nicht verstehen: »Ich verstehe es nicht, aber was machen wir da eigentlich? – ist die Studierendenfrage, die das Ungewisse der Situation ganz treffend beschreibt. In der Logik der Spur wurde es notwendig, folgende Fragen zu erkunden: Wie kommt es, dass uns das Landschaftsbild auf dem Smartphone ins Auge springt? Wovon zeugt diese Beobachtung in der gegenwärtigen Situation? Wozu fordert uns das ›Bild als Spur‹ heraus? Worauf sollen wir »jetzt und hier« schauen, was will gesehen, (an-)erkannt oder besser: in die Erfahrung gebracht werden? Kurz: Was sagt uns das ›Bild als Spur‹ darüber, wofür es gegenwärtig eine Spur ist? In dieser Spurenlogik haben wir also Anhaltspunkte markiert, um das Nachdenken und Sprechen über das Landschaftsbild so in Gang zu bringen, dass wir die besondere Gabe seiner Sichtbarkeit entschlüsseln kön4 | Zum Stellenwert der Frage und des Fragens im Bildungsprozess vgl. auch Petzelt (1957); zur Bedeutung der Spur beim forschenden Lernen in der Geographie vgl. auch Dickel/Schneider (2013), Dickel/Schneider (2014).

5. RaumBilder und Bildung

nen. In der Konsequenz bedeutete dies in einem ersten Schritt, die besondere Situation zu erhellen, in der das Bild in Erscheinung tritt.

5.5 V on der G egenwart der G eogr aphie In welcher Gegenwart erscheint das Bild? Oder anders: In welcher konkreten Situation wurde das Bild – das Landschaftsbild auf einem Smartphone – bemerkt und als Spur bedeutet? Was genau kennzeichnet diese Situation? Nun wurde einleitend konstatiert, dass sich in der Reflexion auf das ›Bild als Spur‹, konkret: im Spurenlesen Geographien vergegenwärtigen, sie Präsenz erlangen. Risthaus argumentiert: »Diese Präsenz kommt nicht einfach über uns, sondern benötigt Stätte, Orte, Ortschaften, um erscheinen, sich präsentieren und ankommen zu können.« (Risthaus 2009: 35) Ein solcher Ort ist das Bild in seiner Bedeutung als Spur. Entsprechend ist eine weitere These, dass das Geographische für das Bildverstehen in hohem Maße zweckmäßig ist. Wir holen es sprachlich ein, um das Fragliche der Spur zu greifen, um tragfähige Deutungen zu entwerfen, um zu lernen und um Orientierung in einer ungewissen Situation zu stiften5. Die Art und Weise, wie wir diese Reflexion – das Sprechen mit/über Geographien – angehen, ist gebunden an genau das Reflexionsrepertoire, das die jeweilige Situation bereithält. Um die Bedeutung des Landschaftsbildes auf einem Smartphone als Spur zu erschließen, ist dann allgemein nach der besonderen Situation zu fragen, in der das Bild ins Auge springt. Im Speziellen geht es aber um die Frage, welche Art und Weisen, mit und über Geographien nachzudenken und zu sprechen, mit dieser Situation verbunden sind. Das Bild wurde im Rahmen eines (human-)geographischen Seminars bemerkt. Es situiert sich somit in einem spezifischen »Feld wissenschaftlicher Geographie« als ein bestimmter Bereich des Wissens, Redens, Denkens und Tuns. Es ist sicher unbestritten, dass innerhalb dieses Feldes das Thema »Landschaft« als Topos gelten kann. Dieses Thema wurde im Seminar in Form klassischer Lektürearbeit behandelt. Besprochen wurden begriffs- und ideengeschichtliche Texte vorzugsweise aus der wissenschaftlichen Geographie und ganz grundsätzlich solche, die den Gegenstand Landschaft von der Bürde eines ontologisch-objektiven Status befreien, d.h. Landschaft viel stärker als eine Idee und Wahrnehmungsweise markieren. Entsprechend wurden 5 | Es geht also grundsätzlich um die »Wozu-Frage«, d.h. in Bezug auf was wird das Geographische bemüht und zu welchem Zweck (vgl. Janich 2005; Redepenning 2006; Schneider 2013: 100ff). Im Kontext des Spurenansatzes geht es ganz konkret um die Vereinnahmung des Geographischen für das Fragliche der Spur, und das mit dem Ziel, Orientierung zu stiften.

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verschiedene Versionen des Landschaftsdenkens z.B. in der wissenschaftlichen Geographie, in der Schulgeographie, in Kunst und Malerei, Literatur und Politik thematisiert (vgl. Abb. 1)6. Besonderes Augenmerk galt dabei jenen Thesen, die stärker auf die Funktion und Bedeutung dieser Landschaftsversionen verweisen, d.h. Landschaft eher als eine Beschreibungsformel, als ein Beobachtungskalkül oder als mächtige Semantik vermuten, die dem Gelingen unseres persönlichen und gesellschaftlichen Alltags mitunter einen großen Dienst erweist.7 Im gemeinsamen Gespräch über diese Texte wurde nun eine bestimmte, für die Studierenden bisher ungewohnte Form des Nachdenkens und Sprechens über den Gegenstand Landschaft eingeübt. Gemeint ist eine Reflexionsweise im Modus eines »Etwas als Landschaft« (anstelle eines »Etwas ist Landschaft«), also das Sprechen darüber, dass es Dinge, Formationen, Zustände etc. gibt, die weniger Landschaft sind, als dass wir sie als Landschaft sehen und bezeichnen und sich im Zuge dieses Aktes Sinn entfaltet. Ganz grundsätzlich ist diese Art von Auseinandersetzung vergleichbar mit einem Einstimmen, ähnlich wie das langsame Hineinhorchen in eine neue Musik. Es dauert eine Weile, bis man Tonfolgen, Klangfarben, Rhythmen erkennt, mit der Musik mitschwingt und entscheiden kann, ob sie einem gefällt oder nicht. So kommt man auch in einem Landschaftsseminar nicht umhin, sich auf eine ungewohnte Reflexionsweise, insbesondere auf eine abstrakte raum-/landschaftstheoretische Sprache erst einmal einzustimmen. Es braucht diese Übungen, um die Möglichkeit des Lernens vorzubereiten. Meyer-Drawe konstatiert: »Um nämlich überhaupt Erfahrungen machen zu können, muss man in Bezug auf die Sache bereits etwas wissen, sich auf sie in gewisser Hinsicht verstehen. Mit anderen Worten: Wir sind immer schon von anderen Menschen, aber auch von Dingen und von uns selbst in Anspruch genommen, bevor wir in bestimmter Weise davon sprechen« (Meyer-Drawe 2012: 189). Entsprechend war die Lektürearbeit im Seminar von der Hoffnung getragen, dass sich die Studierenden durch die Texte zum Thema »Landschaft als Idee und Wahrnehmungsweise« in irgendeiner Weise ansprechen lassen und sich so eine Tür zum Lernen öffnet. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurde das Landschaftsbild auf einem Smartphone bemerkt. Es avancierte zum Ort, an dem sich der Gegenstand Landschaft – im Modus des »Etwas als Landschaft« – in die Wahrnehmung bringt und als konkrete Spur allerhand Bedeutung erlangt. Was im Moment des Aufmerkens auf das Bild entstanden ist, ist eine Verbindung von der abstrakten Welt (landschaftstheoretischer Ideen) zum konkreten Tun in der eige6  |  Zur Basisliteratur des Seminars vgl. u.a. Hard (1970), Hard (1982a), Hard (1982b), Lofgren (1994), Lippuner et al. (2010), Simmel (1957). 7  |  Vgl. u.a. Burckhardt (2008), Kirchhoff/Trepl (2009), Leibenath et al. (2013), Eisel (2001), Hard (2008).

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nen Lebenswelt. Plötzlich und unversehens gerieten eigene Tätigkeiten – wie das Auswählen von Landschaftsmotiven für die Verzierung von Smartphoneoberflächen – in den Fokus. Was passiert ist, ist vergleichbar mit einem Sprung der Aufmerksamkeit vom Abstrakten in das Konkrete, und genau das bewirkt ein »Aufwachen aus dem Schlummer des Gewohnten« und die Öffnung eines entsprechenden Erfahrungsraums (vgl. Schneider/Wilhelm 2015). Solche Momente heißt es, als Chance zu ergreifen und in ein verständiges Gespräch zu bringen. Es gilt, Antworten zu finden auf die Frage, wofür das ›Bild als Spur‹ im Feld der Geographie – hier: im Bereich des Redens über »Landschaft als …« – ein Zeugnis ist.

5.6 D as L andschaf tsbild auf dem S martphone — S kiz ze einer D eutung Pointiert ausgedrückt, lautet die Antwort: Das Landschaftsbild auf dem Smartphone zeugt von Dimensionen der »Geographien des eigenen Lebens« (vgl. Daum/Werlen 2002). Es zeugt von der Fraglichkeit solcher raumbezogener Praktiken, die im Dienst einer Kompensation der alltäglichen Erfahrbarkeit von raumzeitlicher Entankerung und entsprechenden Resonanzverlusten stehen (vgl. Werlen 1995: 134). Ich werde diese These in den folgenden Ausführungen erläutern. Im Seminar wurde die Reflexion von raumbezogenen Kategorien wie Landschaft angeregt. Durch diese Reflexivierung wurde die Aufmerksamkeit für das Bild vorbereitet. Im Nachdenken und Sprechen über das ›Bild als Spur‹ vergegenwärtigten sich die eigenen raumbezogenen Denkweisen und Praktiken der Studierenden. Ganz konkret präsentierte sich Landschaft als Bild (anstatt dem Bild einer Landschaft) und die damit verbundene Wahrnehmungsweise, eine Erdgegend als besonders schön, harmonisch, friedlich, ruhig und vertraut zu sehen (vgl. Burckhardt 2008: 33ff; Hard 1982b: 161f; Hard 2008: 279ff). Zudem präsentierte sich, dass wir uns selbst dieser Wahrnehmungsweise bedienen, dass sie für die Meisterung unseres Alltags ziemlich bedeutsam ist. Landschaft fungiert als große Semantik. Gemeint ist ein gesellschaftlich anerkannter Vorrat landschaftsbezogener Themen und Bedeutungen, auf den wir dann zurückgreifen, wenn es notwendig erscheint (vgl. Redepenning 2006: 131ff; Hard 2008: 280ff). Von der alltäglichen Notwendigkeit dieser Landschaftssemantik zeugt der Rahmen des Bildes, das Tablet bzw. Smartphone. Dass sich das Bild zeigt, verweist auch darauf, dass sich für die Einzelnen etwas verändert hat, dass etwas zerstört und vergangen ist. Es handelt sich vielleicht um jene landschaftsbezogenen Vorstellungen und Praktiken sowie ein besonderes Erleben, das damit verbunden ist. Genau wissen wir es nicht. Sicht-

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bar wird zugleich, dass etwas Neues im Entstehen begriffen ist, dass sich neue Vorstellungen und Praktiken etablieren, die fortan vielleicht ein ähnliches Erleben stimulieren. Wohin uns das Bild genau führt, auch das wissen wir nicht. In den Blick geraten ist aber die Tatsache, dass wir unsere Smartphones und Tablets, unsere digitalen Medien des Alltags mit Landschaftsmotiven dekorieren; dass wir genau das und nichts anderes tun und dass es dafür gute Gründe geben muss. Worin könnte also dieser Sinn bestehen? Und was bedeutet es, diese Alltagspraktiken als solche enttarnt zu haben? Wenn wir Orte und Gegenden mit unserem »landschaftlichen Auge« (Hard 1982a: 162) sehen, dann verbinden wir damit in der Regel etwas Schönes, ein begrenztes Stückchen Erde, dessen Anblick ein gutes Gefühl von Harmonie, Stille und Geborgenheit verspricht. Landschaft ist nicht bloß Wahrnehmung, mit ihr einher geht eine besondere Erlebensqualität. Nun ist dieses Erleben nur dann wahrscheinlich, wenn man den Glauben besitzt, dass diese Orte und Regionen tatsächlich über diese Qualitäten verfügen. Dem ist nicht ganz so. Zudem braucht es – so die These – die Wahrnehmung als Landschaft, das »landschaftliche Auge«, um das gute Gefühl, das man mit Ort und Gegend verbindet, auch erleben zu können. Dann erst wird aus Wind und Wellen das Berauschende am Meer oder aus dem Dunklen am Wald ein bezaubernder Märchenwald. Es braucht den Vorrat einer Semantik, um das Bindende von Ort bzw. Gegend zu aktualisieren. Tatsächlich gibt es bloß Orte und Gegenden, mehr nicht. Landschaft (als Semantik) ist dann das, womit diese Orte und Gegenden auf bestimmte Weise erfahrbar werden. Landschaft ist dann ein Mittel, womit Resonanz entsteht, d.h., dass man sich selbst an/mit Ort bzw. Gegend ge- und verbunden fühlt. In dieser Lesart wird es augenfällig, dass sich auf den Tablets und Smartphones fast aller Seminarteilnehmer ein Landschaftsmotiv befindet. Gemeinsam haben wir überlegt, ob wir mit diesem Rekurs auf Landschaft dieses besondere Erleben nach Ge- und Verbundenheit suchen, und wenn ja, ob diese Suche auf etwas verweist, das uns im Alltag an anderer Stelle verlorenzugehen scheint. Im Gespräch stellten wir fest, dass wir ziemlich viel Zeit und Energie auf die Beschäftigung mit diesen elektronischen Medien verwenden, dass wir damit unsere Tagesabläufe strukturieren und einen Großteil unserer Beziehungen gestalten. Wir kamen nicht umhin zu erkennen, dass wir mit Tablet, Smartphone & Co. unseren geschäftigen Alltag und dazu viele Zwischenzeiten füllen, dass sie in Pausen, in der Straßenbahn, im Zug, im Café oder allein zu Hause bevorzugt zum Einsatz kommen. Wir kamen auch zu dem Schluss, dass wir uns mit diesen technikgebundenen Tätigkeiten so etwas wie gute Beziehungen und wirkliche Begegnungen vorgaukeln. Mersch macht in diesem Zusammenhang eine bemerkenswerte Aussage: »Elektronische Medien bewirken zudem eine Einebnung von Raum- und Zeitdifferenzen und verwandeln das Entfernte ins Nahe und das Vergangene ins Gegenwärtige: Ihr Credo

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ist das Phantasma von Präsenz am Ort und im Augenblick der Rezeption« (Mersch 2002: 58). Der Befund ist nicht neu, dass es sich bei diesen neuen Technologien der Kommunikation um eine Zeitsignatur handelt, dass diese ein Ausdruck von Enträumlichung, Beschleunigung und schließlich Entankerung sind (vgl. Rosa 2014: 62ff). Rosa sieht darin ein Entfremdungsphänomen, eine tief greifende Beziehungs- bzw. Resonanzarmut, für die es im Alltag Korrektive braucht (ebd.). Handelt es sich beim Landschaftsmotiv auf einem Smartphone um ein solches Korrektiv? Ist mit dem Landschaftsmotiv tatsächlich das gute Gefühl verbunden oder nährt es vielleicht eine Illusion? Im Zuge der Antworten auf diese Fragen entdeckten wir noch viele Beispiele ähnlicher »Landschaftspraktiken«: Auffällig wurde, dass die Bildarchive der Tablets, Smartphones & Co. bei den meisten der Teilnehmer gut gefüllt waren mit Landschaftsaufnahmen; wir bemerkten die Vorliebe für das Fotografieren von Landschaftsmotiven; wir thematisierten den Blick aus dem Fenster, wenn wir im Zug sitzen und die »Landschaft« genießen; ein Studierender berichtete davon, wie gern er Landschaften zeichnet, ein anderer, wie ihn diese Bilder beim Reisen begleiten; ein Nächster wunderte sich, dass er sich beim Spielen mit seinem Kind auf einem Spielplatz mit Elementen einer Dschungellandschaft wiederfindet; ein anderer erzählte, dass er die Gestaltung seines Aquariums am Ideal einer harmonischen Landschaft ausrichtet. Geschlossen haben wir daraus, dass Landschaft innerhalb dieser Praktiken tatsächlich ein wenig des guten Gefühls von Ge- und Verbundenheit vermittelt. Landschaft (als Wahrnehmungsweise und Semantik) fungiert für uns als etwas, das Resonanz erzeugt. Wir stellten fest, dass uns das »landschaftliche Auge« zu Bildern führt und von dort aus zu konkreten Orten und Gegenden, mit denen wir das gute Gefühl verbinden. Kurz: Landschaft im Bild zu sehen, ist etwas, womit wir als spätmoderne Subjekte unseren oftmals als unverbindlich und entfremdet wahrgenommenen Alltag etwas verbindlicher und vertrauter gestalten. Die Sichtbarkeit, die uns mit dem Landschaftsbild auf dem Smartphone geschenkt wurde, wurde mit dieser Erkenntnis entschlüsselt. Mit diesem Befund offenbarten sich aber weitere Fragen: Ist uns durch diese Erkenntnis nicht etwas sehr Wichtiges verloren gegangen? Werden wir jemals wieder Landschaft bzw. landschaftlich sehen? Was werden wir stattdessen tun? Es handelte sich um berechtigte Fragen, die auf das zukünftige Tun gerichtet sind. Es sind Fragen, die immer dann entstehen, wenn etwas nicht mehr so ist, wie es einmal war. Den unbedarften Gebrauch von Landschaftsbildern haben wir eingebüßt, unser »landschaftliches Auge« haben wir enttarnt. Was aber bleibt, ist nunmehr ein noch weniger gestilltes Bedürfnis nach Resonanzerfahrung. Die Aufgabe besteht nun für jeden von uns darin, andere Formen des Miteinanders zu probieren und einzuüben, um das gute Gefühl von Ge- und Verbundenheit auch anderswo zu stiften. Ausgehend von

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diesem neu gewonnenen Blick, der im Bild seinen Anfang nimmt, geht es darum, dieses Anderswo präsent werden zu lassen. Als spätmoderne Subjekte sind wir jetzt herausgefordert, jenseits von Kompensationen durch illusorische Landschaftsobjekte, etwas mehr Resonanz in unser Leben zu bringen, dazu Menschen, passende Zeiten und Orte zu finden, letztlich andere Räume der Begegnung zu kreieren. Im Kern geht es um den Umgang mit Leerstellen, mit der Ort- und Bindungslosigkeit unserer Zeit, die im Rahmen virtueller Kommunikationen wohl ihren typischsten Ausdruck finden. Im Seminar haben wir darüber diskutiert. Was dies für das konkrete Tun im Alltag bedeutet, das wird sich jedem von uns in den entsprechenden Situationen zeigen.

5.7 R aum B ilder und B ildung — ein F a zit An dieser Stelle wäre die Allianz von RaumBild und Bildung theoretisch und beispielhaft beschrieben. Es sollte deutlich geworden sein, dass dem Bild als Medium im Vollzug des Lernens eine bedeutende Rolle zukommt. Entscheidend ist, dass man es in seiner vermittelnden Funktion erkennt und entsprechend behandelt. Dann hat es das Potential, eine Lernbewegung in Gang zu setzen. Dann kann es als Spur bedeutet und für all die Fragen vereinnahmt werden, die im Zuge des Bildes und im Feld der Geographie gestellt werden wollen und müssen. Dann – in Anbetracht von Spur und Frage – ist es möglich, das Bild zum Sprechen zu bringen. Dann erst ist es ein Reflexionsbild, dessen »Gabe der Sichtbarkeit« sich in der Geographie und von dort aus im Rekurs auf verschiedene Sprech- und Reflexionsweisen erschließen lässt. Somit können wir anfangen, für den gemeinsamen Dialog über das Bild das gesamte Repertoire an Erkenntnisfiguren im Feld der Geographie zu nutzen. Voraussetzung dafür ist, dass wir in der Lage sind, eine Reflexivierung von raumbezogenen Kategorien, Argumenten, Modellen oder Deutungen anzuleiten. Können wir das, offenbaren sich in unserer Gegenwart solche Bilder, Spuren und Fragen, mit denen das Lernen in der Geographie wahrscheinlich wird.

6. »… wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist …«

Nachvollsehbarkeit von Bevölkerung

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6.1 A usgangsl age – Z ukunf tswissen über die B e völkerung 1973 fällt in Deutschland die Geburtenrate unter die Sterberate. Damit beginnt seitens der Bevölkerungsforschung eine Publikationswelle zum Thema »demographischer Wandel«, die bis heute anhält und in unterschiedlichem Maße die Alterung sowie Schrumpfung der deutschen Bevölkerung als problematisch für das soziale und wirtschaftliche Gefüge Deutschlands proklamiert (vgl. Schubnell 1973; Schmid 2000; Höhn et al. 2007; Berlin-Institut 2013). Diese wissenschaftlich und politisch, zunehmend aber auch medial geführten Diskussionen erreichen im März 2007 einen Höhepunkt mit sozialpolitischen Konsequenzen. Auf der Basis wissenschaftlicher Berechnungen zu Veränderungen der Bevölkerungsstruktur bis 2060 beschließt die Große Koalition, das Renteneintrittsalter ab 2012 schrittweise von 65 auf 67 Jahre zu erhöhen. Damit werden die bestehenden staatlichen Instrumente zum Ausgleich des demographischen Wandels (Pflegeversicherung und Beitragszuschlag für Kinderlose) um ein weiteres Instrument erweitert. Das Beispiel zeigt, dass wissenschaftlich produziertes Wissen über die Zukunft das politische Handeln in der Gegenwart beeinflussen kann und die Gegenwart als Entscheidungsfeld für die Zukunft wahrgenommen wird. Das führt dazu, dass die Bevölkerungsforschung nicht allein Daten und Prognosen, sondern auch Handlungsempfehlungen für politische Akteure und Akteurinnen bereitstellt. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist bei der Produktion von Zukunftswissen und Handlungsempfehlungen sehr erfolgreich. Der Direktor des Institutes, Reiner Klingholz, wird im National Geographic als »Deutschlands bekanntester Experte für alle Aspekte der Demographie« bezeichnet, und ein Blick auf seine Vortragsliste und auch

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anderer Mitarbeitenden spiegelt diese zugeschriebene Expertise wider. Sie sprechen vor den Wirtschaftsministerien der Länder, kommunalen Zusatzversorgungskassen und Arbeitgeberverbänden, zahlreichen Stiftungen und Delegationen, dem Bundesinstitut für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Auswärtigen Amt über den demographischen Wandel in Deutschland, Japan, Europa, Afrika und der Welt und fragen: Was kann die Zivilgesellschaft tun, um die Folgen des demographischen Wandels abzufedern? (berlin-institut. org/ueber-uns). Dabei fällt auf, dass die Kommunikation von Daten, Prognosen und Handlungsempfehlungen von einer Vielzahl visueller Materialien begleitet ist, das unter dem Schlagwort Infografiken die diskursiven Debatten unterstützt (Abb. 6.1-6.5). Angefangen bei statistischen Zahlen über vergleichende Graphiken und Tabellen bis hin zu Deutschlandkarten scheint es von Bedeutung zu sein, Bevölkerung respektive die Veränderungen der Bevölkerungsstruktur in Form von Infografiken visuell sichtbar zu machen. Das ist besonders deshalb interessant, da Bevölkerung an sich weder in der Vergangenheit und Gegenwart noch in der Zukunft als materieller Gegenstand existiert und damit sichtbar wäre. Die Bevölkerungsforschung muss also für ihre Produktion von Zukunftswissen und für ihre Handlungsempfehlungen Strategien entwickeln, die ein Phänomen sichtbar machen, dass aufgrund fehlender Materialität grundsätzlich keine Sichtbarkeit besitzt. An dieser Stelle beginnt das Interesse des Beitrags, der danach fragt: »Wie wird Bevölkerung sichtbar? Welches spezifische Wissen wird im Zuge dessen über Bevölkerung vermittelt? Und welche Konsequenzen ergeben sich aus der Sichtbarmachung und visuellen Vermittlung?«. Für die Beantwortung dieser Fragen wird sich der Beitrag in einem ersten Schritt der Infografik als visuelles Medium widmen. Aus einer praxistheoretischen Perspektive wird es hier von Bedeutung sein, den ontologischen Status von Infografiken gegenüber realistischen Ansätzen neu auszuloten, um einen Blick für das in Infografiken vermittelte (Bild-)Wissen, die Bildpraxis sowie die Bildmacht entwickeln zu können. In einem zweiten Schritt wird der methodische Zugang zu Infografiken offengelegt. Informiert durch Ansätze der Rekonstruktiven Sozialforschung und der Soziologie des Visuellen bietet die Analysemethode einen umfänglichen Blick auf Infografiken als wirklichkeitskonstruierendes, -vermittelndes und -durchsetzendes Medium. Auf der Basis dieser theoretischen und methodischen Grundlagen ist es möglich, in einem dritten Schritt am Beispiel des empirischen Datenmaterials des Berlin-Institutes erstens das Bildwissen in Bezug auf dessen Entstehungskontexte und – wie Michel Foucault sagen würde – grundlegende Rationalitäten zu reflektieren, zweitens die konkreten Bildpraktiken zu analysieren, um drittens die Fähigkeiten des Bildwissens und der Bildpraktiken bei der Etablierung von Normalisierungsprozessen als Bildmacht aufzeigen zu können.

6. »… wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist …«

Abb. 6.1: Durchschnittliche Kinderzahl je Frau 2001 (Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung [2007]: Deutschland 2020. Die demografische Zukunft der Nation, Seite 12)

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Abb. 6.2: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland von 1970 bis 2009 (Quelle: in: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung [2011]: Die demografische Lage der Nation, S. 28)

6. »… wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist …«

Abb. 6.3: Japan und die bevölkerungsreichsten Länder der Erde, Einwohner in Millionen, 1950, 2010 und 2050 (Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung [2013]: Demografisches Neuland, S. 5)

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Abb. 6.4: Wie sich Deutschlands Bevölkerung von heute bis 2030 bzw. bis 2050 vermutlich verändern wird (Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung [2013]: Anleitung zum Wenigersein, S. 4)

Abb. 6.5: Prozentualer Anteil der jeweiligen Altersjahre an der Gesamtbevölkerung in Deutschland 2060 (Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung [2013]: Anleitung zum Wenigersein, S. 9)

6. »… wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist …«

6.2 I nfogr afiken I – theore tische A nsät ze Realistische Ansätze (vgl. Knieper 1995) weisen Infografiken als ein hervorragendes Medium der Wissenschaften, Politik und Printmedien aus, trotz der täglichen Informationsflut komplexe Sachverhalte wie Statistiken, Zahlen- und Sachbeziehungen und geographische Verhältnisse« (ebd.: 4) der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Vor allem auch, weil eine »gute Infografik […] ihre eigene Bedienungsanleitung mit[bringe]« und »Dinge zeigen und erklären [könne], auf die der Leser [und die Leserin] vorher keinen Zugriff hatte«. Dies, weil Infografiken einen »strukturierten Zugang zur Information« verschaffen, sodass Leser und Leserinnen den »Sachverhalt nicht selber zusammensuchen und ihn einordnen« müssen (Stoll 2011; o.S.). Die Infografik wird in diesem Sinne als ein »Fenster« verstanden, durch das es möglich sei, eine vermeintlich äußere sozialräumliche Wirklichkeit strukturiert betrachten respektive erkennen zu können (vgl. Felgenhauer in diesem Band: 71). Damit ist die Infografik als visuelles Instrument der Welterkenntnis sowohl »dem Bereich des innergesellschaftlich Verhandelbaren enthoben« als auch ein scheinbar legitimes Mittel der sozialweltlichen Repräsentation, denn das »Zeigen markiert das Ende einer Begründungskette«. Im Gegensatz dazu weisen diskurstheoretische Ansätze (vgl. Gerhard/ Link/Schulte-Holtey 2001) auf die wirklichkeitskonstruierende Funktion von Infografiken hin. Danach kommunizieren sie keine Datenfakten über Phänomene der sozialräumlichen Welt oder geben eine äußere Wirklichkeit strukturiert wieder; Infografiken konstruieren Wissen zum Zweck der Orientierung. Somit sind Infografiken visuelle Zeichen, die eine Funktion (Pörksen 2000: 65) haben wie Information, Beweis und Überzeugung und analog zur Sprechakttheorie (Austin 1979 [1961]) als visuelle Akte zu verstehen sind, die Handlungen wie informieren, warnen und beweisen vollziehen (Sachs-Hombach/ Schirra 2006). Denn Infografiken kann man nicht einfach ›anschauen‹ und im Zuge dessen die Welt einfach ›erkennen‹; sie sind nicht bedeutungsoffen, sondern ihre Bedeutung ist stark fixiert, sodass sie nur auf eine Art gelesen werden können. Diese Orientierung erfolgt durch »illokutionäre Marker«, die als Mittel der Bildsteuerung auf eine spezifische Bedeutung hinweisen. Diese Erkenntnis ist eigentlich nicht allzu überraschend, denn im Gegensatz zu Landschafts-, Stadt- oder auch Personenfotos ist Infografiken ihre technische Konstruiertheit direkt anzusehen. Sowohl Kreis- und Säulendiagramme, Kurven- und Liniengraphiken als auch Schaubilder wie die Bevölkerungspyramide können selbst aus einer realistischen Perspektive nicht als direkte Abbildung der sozialräumlichen Welt verstanden werden. Sie geben kein realistisches Äußeres wieder, sondern sind die Folge eines komplexen Übersetzungsprozesses der sozialräumlichen Welt in eine abstrakte Visualität. Es stellt sich also die Frage, warum das in Infografiken vermittelte Wissen eine

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derartig hohe Evidenz hat. Vor allem auch, weil ihnen bei der Transformation von sozialräumlicher Welt ins visuelle Medium die Dynamik sozialräumlicher Prozesse abhandenkommt. Eine Infografik ist nicht nur ein konstruiertes, sondern auch ein statisches Bild, das der dynamischen Wirklichkeit nicht entsprechen kann. Die erkennbare technische Konstruiertheit und Statik von Infografiken sind kein Widerspruch zu ihrer Evidenz. Ganz im Gegenteil sind beide Charakteristika sogar zentrale Voraussetzungen für die Glaubwürdigkeit von Infografiken. Einerseits legen technische Bilder eine wissenschaftliche Objektivität nahe (vgl. Bredekamp 2008), d.h., sie werden nicht als Konsequenz einer Imagination (vgl. Flusser 1998), sondern als Produkte von technischen Apparaten auf der Basis wissenschaftlich erhobener Daten gelesen. Andererseits macht nicht die Nachahmung der Natur den Sinn der Übersetzung von Natur ins Bild aus, sondern die Darstellung übergeordneter Organisationsprinzipien (vgl. Weltzien 2011). Der Visualisierungsprozess zielt nicht auf die dynamischen Prozesse der Natur, sondern auf die stabilen Naturgesetze, auf deren Basis sich Dynamik entwickelt. Infografiken zeigen eben nicht sozialräumliche Phänomene, sondern – wie Tilo Felgenhauer formuliert – den »naturhaften Charakter« von Ursache-und-Wirkungs-Beziehungen, auf deren Basis sozialräumliche Prozesse ablaufen. Nur so ist es möglich, Abweichendes wie z.B. eine höhere oder niedrigere Geburtenrate als Wesensänderung des Natürlichen zu begreifen, denn die »innere Beschaffenheit von etwas Natürlichem ist […] nicht verhandelbar« (in diesem Band: 71). Dieser Denkstil (vgl. Fleck 1935) hat Tradition. Schon die Pioniere der Bevölkerungsforschung gehen davon aus, dass die erhobenen Daten zur Bevölkerung natürliche Ursachen und Wirkungen beinhalten (vgl. Malthus 1798), und dies stellt im Rahmen der aufsteigenden Naturwissenschaften eine erfolgreiche Strategie der Bevölkerungswissenschaften dar. Auch im 21. Jahrhundert gibt es immer wieder Ansätze, die Naturgesetze auf sozialräumliche Phänomene zu übertragen, um Legitimation innerhalb gesellschaftlicher Debatten zu generieren. In diesem Sinne betont auch einer der bekanntesten Bevölkerungsforscher Deutschlands, Franz-Xaver Kaufmann (2008: 343), die Notwendigkeit der Wiederentdeckung natürlicher Sachverhalte für die Soziologie. Diese seien »in neueren Theorierichtungen und wohl auch im dominanten Habitus soziologischen Denkens marginalisiert worden«. Wie bedeutsam hierbei die Sichtbarmachung natürlicher Prozesse für die Wissenschaft im Allgemeinen und die Geographie im Speziellen war und ist, zeigt Boris Michel in diesem Band am Beispiel geographischer Visualitätsregime, die mit Bezug zu Dieter Mersch (2006) eine wesentliche Rolle bei der Durchsetzung (natur-) wissenschaftlichen Wissens hatten und haben.

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6.3 I nfogr afiken II — me thodische Z ugänge Infografiken als aktive Elemente bei der Konstruktion, Vermittlung und Durchsetzung von Wirklichkeit zu verstehen, ist eng geknüpft an eine methodologische Neuorientierung von der Bildbeschreibung und der Frage »Was zeigt das Bild?« zur Rekonstruktion der dem Bild zugrunde liegenden Bedeutungszuschreibung durch die Frage »Wie wird etwas dargestellt?« (vgl. Warburg 2010). Ralf Bohnsack (2010) interessiert sich für die Thematisierungsregeln und grundlegenden Motive des Bildes und konkretisiert den Zugang zum Bild im Rahmen der rekonstruktiven Sozialforschung durch die Frage: Wofür steht ein Bild respektive was dokumentiert sich in einem Bild? Visualisierungen sind damit keine bloßen Verbildlichungen diskursiver Aussagen, sondern spiegeln im Zuge der spezifischen Darstellung von einem Phänomen das Denken über und den Umgang mit diesem wider. Der Darstellungsstil ist auch in Jürgen Link und Ursula Link-Heers (1994) Konzept der Kollektivsymbolik von Bedeutung, indem sie davon ausgehen, dass visuelle Medien ihre Funktion nur erfüllen können, wenn sie für die Bildkommunikation auf Kollektivsymboliken zurückgreifen. Denn das Verstehen und Erkennen ist nach Link und Heer eine Konsequenz interdiskursiver Verarbeitungsprozesse, d.h., dass in einer Kultur spezifische Symboliken mit Bedeutungen aufgeladen und verbreitet sind und als Kollektivsymboliken Sinn transportieren. Es sind nicht die selbsterklärenden Zusammenhänge einer Infografik, die beweisen oder warnen, sondern die erlernten Muster des Sehens (vgl. Beiträge zur Sozialisation des Sehens von Kathrin Hörschelmann und Mirka Dickel in diesem Band). Damit sind die Regeln, die Verständnis ermöglichen, sozial vorgegeben und die Strategien von Infografiken zur Wissenskommunikation offengelegt: Damit eine Infografik erfolgreich ist, d.h. verstanden wird, muss sie auf privilegierte zeitgenössische Praktiken des Verstehens wie Lese- und Blickrichtung sowie bekannte Symboliken und Erzählungen zurückgreifen. So ist eine aufsteigende oder abfallende Kurve nicht selbsterklärend, sondern in ihrer »Trendsuggestion« ebenso erlernt wie die »mathematische Formel als ideales Instrument der Eindeutigkeit« (Link 2001: 80f). Ein wesentliches stilistisches Mittel von Infografiken besteht also darin, Zahlen, Kurven und Graphen, aber auch den Auf bau einer Tabelle in gewohnter Leserichtung einzusetzen, die in westlichen Gesellschaften durch eine Oben-unten-, Rechts-links- sowie durch eine Innen-außen-Orientierung (vgl. Abb. 6.1-6.5) charakterisiert ist. Für Burkhard Fuchs (2006) sind visuelle Medien darüber hinaus aber auch erzählende Medien, deren Botschaften verstanden werden müssen. Hier wird deutlich, dass Verstehen nicht allein von dem visuellen Medium, sondern vor allem von der Interpretationsleistung der Betrachtenden abhängt. Regula

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Burri (2008) trägt diesem Aspekt in ihrer Soziologie des Visuellen Rechnung. Neben dem Eigenwert als die nichtdiskursive Spezifik eines Bildes und der Organisation der visuellen Zeichen mit dem Ziel, Vergleichbarkeit, Übersichtlichkeit und nicht zuletzt Überzeugung zu gewährleisten, misst sie den »kulturelle[n] Praktiken des Sehens und Interpretierens« (ebd.:348) einen wichtigen Stellenwert in der Bildanalyse zu. Den Auf bau, die Struktur, Beschriftung und Farbgebung sowie die Symbolik von Graphiken, Diagrammen, Tabellen und Karten zu verstehen, ist die Konsequenz habitueller Ressourcen, die sich Lesende, Schreibende und Betrachtende im Laufe ihrer persönlichen und wissenschaftlichen Sozialisation aneignen.

Abb. 6.6: Zugänge zum Bild (eigene Abbildung) Die Tabelle (Abb. 6.6) gibt einen Einblick in die konkreten Fragestellungen, die sich aufgrund der vorangegangenen Auseinandersetzungen ergeben. Für einen analytischen Zugang stellen sich zunächst Fragen nach den dargestellten Objekten innerhalb der Infografiken, bevor Thematisierungsregeln und Narrationen in den Mittelpunkt rücken. Zudem soll der Forderung nach der Bedeutung der Interpretationsleistung der Betrachtenden ebenso Rechnung getragen werden wie der Organisation der visuellen Symbolik im Hinblick auf deren Überzeugungsfähigkeit. Diese Zugänge sind vielversprechend für die Kulturgeographie, die sich im Kontext des Visual Turn die Frage stellt: Wie werden Bedeutungen visuell fixiert? Dabei besteht das geographische Interesse an diesen Erzählten Geographien in dem Gebrauch der Bildelemente, die auf eine vermeintliche Einheit von Gesellschaft und Raum hinweist; wenn also soziale Phänomene verortet und mit spezifischen Eigenschaften aufgeladen werden, sodass Bedeutungen wie »dort/hier ist es so« Geltung beanspruchen (vgl. Schlottmann/Miggelbrink 2009). Dieses Interesse an den Erzählten Geo-

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graphien betrifft alle Analyseebenen, sodass das Gesellschaft-Raum-Verhältnis in den Mittelpunkt der Bildanalyse rückt.

6.4 B e völkerung nachvollsehen 6.4.1 Bildwissen — Bevölkerung als wissenschaftlicher Gegenstand Bevölkerung ist eine sowohl im wissenschaftlichen als auch politischen Bereich verwendete Bezeichnung für eine menschliche Gruppe, die in einem bestimmten Gebiet lebt wie z.B. Dorf-, Land-, Stadt- oder Weltbevölkerung. Damit ist Bevölkerung ein Raumbild, da Repräsentationen von Bevölkerung immer auf räumlichen Konzepten beruhen. Diese räumliche Semantik von Bevölkerung zeigt sich auch in Henriette Engelhardts (2011) Einführungsbuch zur Bevölkerungswissenschaft. Dort wird festgehalten, dass die Bevölkerungsforschung eine Wissenschaft zur Volksbeschreibung sei, die die alters- und zahlenmäßige Gliederung, Reproduktions- und Sterberaten sowie Lebenserwartungen und Wanderungsbewegungen ebenso untersuche wie die geographische Verteilung der Bevölkerung. Die Bevölkerungsforschung sei eine Disziplin, die Wissen über die Gegenwart und Zukunft produziert und eine kontinuierliche Erfassung empirischer Daten über Individuen auf verschiedenen räumlichen Maßstabsebenen anstrebt (ebd.: 83f, 357ff). Für diese Aufgaben hat die Demographie ein breites Instrumentarium quantitativer Methoden entwickelt, das auf der Vorstellung basiert, Bevölkerung und ihre Phänomene wären berechenbar und in Form von Zahlen darstellbar. Darüber hinaus macht Engelhardt weiterhin deutlich, dass die Resultate der Bevölkerungsforschung neben der Bevölkerungsbeschreibung aber auch Beschreibungs- und Erklärungsmodelle seien. Diese beinhalten detaillierte Angaben zu Regelmäßigkeiten und Gesetzmäßigkeiten der Struktur und somit des Zustandes der Bevölkerung. In diesem Kontext versteht sich auch das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Als Berater mit demographischer Expertise führt es Analysen durch und erarbeitet auf dessen Basis Konzepte und Modelle für den Umgang mit dem (globalen) demographischen Wandel (www.berlin-institut.org). Hier wird deutlich, dass die arithmetische Zahlenlogik nicht allein der »Abbildung« von Bevölkerung dient, sondern dafür benutzt wird, von der quantitativen Bevölkerungsstruktur auf den qualitativen Zustand einer Bevölkerung zu schließen. Damit erweitert sich das Aufgabengebiet der Bevölkerungsforschung dahin gehend, die von einer regelmäßigen und gesetzmäßigen Bevölkerungsentwicklung abweichenden Prozesse zu erkennen (vgl. Höhn et al. 2007), um Handlungsempfehlungen für den Umgang mit diesen geben zu

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können. Diesen Einfluss des Zählens und Berechnens der Bevölkerung auf wissenschaftliche Darstellungen und politische Handlungen bezeichnet Uwe Vormbusch (2007: 60) als Soziokalkulation und damit als »soziale[n] Prozess der Aushandlung und Fixierung der relativen Wertigkeit sozialer Objekte mittels der Transformation sozialer Phänomene in numerisch darstellbare Wirklichkeiten«. Die Soziokalkulation stattet wissenschaftliche Behauptungen mit Überzeugungskraft aus, denn sie werden als wissenschaftlich erzeugte Messwerte verstanden, die innerhalb eines kontrollierten Forschungsprozesses erhoben werden. Der Zahlengebrauch ist dabei nicht einfach ein arithmetisches Instrument der Kommunikation, sondern leistet die Transformation von »Messen zu Managen und Rechnen zu Regieren« (Mennicken/Vollmer 2007: 10). Neben der Diskursivität besitzen die Zahlen zudem Visualität, denn sie scheinen die Darstellung komplexer Phänomene auf einen Blick ebenso zu ermöglichen wie den Vergleich im Rahmen bevölkerungsstruktureller Veränderungen. Dass die Bevölkerungswissenschaft und die Politik für ihre Handlungsempfehlungen objektive Dinge benötigen, die vergleichbar sind, ist darin begründet, dass wir nach Nikolas Rose (1991) das »Zusammenleben in numerischen Umwelten« von Schulnoten bis hin zum monatlichen Einkommen, vom Bruttoinlandsprodukt über Arbeitslosenquoten, Fertilitätsraten bis hin zu Wachstumsprognosen und dem damit einhergehenden Vergleich innerhalb der Zahlenmatrix gewohnt sind. Dass die Bevölkerungswissenschaft für ihre Handlungsempfehlungen auch sichtbare Dinge braucht, ist nach Gottfried Boehm (2004: 32f) in dem Bedürfnis begründet, dass Dinge nicht bloß existieren und irgendwie vorkommen, sondern sich »da und dort etwas zeigt«; also neben Verstehen als Nachvollziehen auch Erkennen als Nachvollsehen möglich ist.

6.4.2 Bildpraktiken – Kollektivsymboliken organisieren und Erzählungen aktivieren Die diskursive und visuelle Überzeugungskraft des Zahlengebrauchs kann jedoch nur Überzeugung generieren, wenn dieser an ein allgemein gültiges Referenzsystem von Raum und Zeit gebunden ist; d.h., dass Zahlen zum demographischen Wandel verortet (z.B. Deutschland, Welt) und zeitlich eingebettet (z.B. seit den 1980er Jahren) werden müssen. Die bekannteste visuelle Form raumzeitlicher Kontextualisierung ist die Karte (vgl. Abb. 6.1; vgl. Boris Michel in diesem Band), die Auskünfte über die regionale Streuung und Konzentration sowie über Dichte- und Konzentrationsberechnungen von Bevölkerung innerhalb eines vorgegebenen Raumes und zu einer bestimmten Zeit geben sollen. Die Konsequenzen dieses Raumbildes sind nationalstaatlich, regionalund lokalpolitisch strukturierte Containerräume mit spezifischen Eigenschaften, die eine diskursive Verstärkung erfahren, wenn über das »zukunftsfähige Deutschland«, die »strukturschwachen Gebiete Ostdeutschlands«, »verdichte-

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tes Umland«, »wirtschaftlich starke« und »prosperierende Regionen«, »Inseln der Stabilität«, »entlegene Gebiete« und/oder »schrumpfende Städte und Kommunen« gesprochen wird (vgl. Berlin-Institut 2007, 2011, 2013, 2014). Bevölkerungsveränderungen zu verstehen, ist letztendlich gebunden an die nationalstaatliche Rationalität, die sich in Form der nationalstaatlichen Gliederung Deutschlands und ihrer entsprechenden Regionalisierungen in Bundesländer und Landeskreise zeigt und einen einheitlichen Bezugsraum für die Visualisierung sozialräumlicher Phänomene darstellt. Jedoch schafft nicht allein die bloße räumliche Orientierung Sinn und Glaubwürdigkeit, sondern die erlernten Interpretationen der Kollektivsymboliken wie oben=ansteigend, unten=fallend und mit Bezug zu Karten: links=westlich, rechts=östlich, drinnen=dazugehören, draußen=nicht dazugehören, die als wesentliche Bildpraktiken spezifische Bedeutungen generieren. Diese gewohnten Darstellungsweisen ermöglichen z.B. mit Blick auf die Abbildung 6.2 im Gegensatz zu bloß diskursiv vermittelten Zahlenreihen, dass die Lesenden ein Muster der Problematisierung durch aufsteigende und fallende Kurven sowie markante Farbsetzungen erkennen. In Abbildung 6.3 ermöglicht die Trendsuggestion, dass die Bevölkerungszahl von Japan im Jahr 2050 als fallend wahrgenommen wird, obwohl die absolute Bevölkerungszahl gegenüber dem Jahr 1950 gestiegen ist. Dies ist eine besondere Leistung der Visualität auf der Basis von Lesegewohnheiten. Die visuelle Organisation diskursiver Aussagen – hier am Beispiel des »Nach-unten-Rutschens« innerhalb eines Rankings – fixiert die Bedeutung des Weniger-Werdens im Gegensatz zur Zunahme der Bevölkerung durch den Vergleich mit anderen Nationalstaaten, die »mehr werden«, was bedrohlich wirkt und auf die Beurteilung der »eigenen« Bevölkerungsstruktur Einfluss ausübt. Abbildung 6.4 stellt ein Beispiel für Infografiken dar, die den Zahlengebrauch sowie die bekannten Symboliken von Kurven und Graphen mit Zeitreihen erweitert, sodass Vergleichswerte nicht nur räumlich (Deutschland, Japan usw.), sondern auch über unterschiedliche Zeiträume interpretierbar werden, womit ein Totaleindruck der raumzeitlichen Wirklichkeit entsteht. Diese Trendsuggestion dient nicht allein dem Nachvollsehen von Veränderung, sondern der Prägnanz eines sozialräumlichen Phänomens und der Legitimierung von Handlungsnotwendigkeiten (z.B. Negativzahlen in Rot). Eine weitere Form der Verbindung des Zahlengebrauchs mit räumlichen und zeitlichen Kontexten stellt die Bevölkerungspyramide dar (vgl. Abbildung 6.5), die nicht nur die Abbildung bevölkerungsrelevanter Veränderungen der Vergangenheit und Gegenwart gewährleisten soll, sondern darüber hinaus einen Blick in die Zukunft ermöglicht. Damit stellt die Bevölkerungspyramide unter der Annahme gleichbleibender gesellschaftlicher Bedingungen ein visuelles Mittel dar, das den Vergleich der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ermöglicht und damit eine Realität zeigt, die es noch gar nicht gibt. Für diese zukünftigen Pro-

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gnosen hat die Bevölkerungsforschung vier symbolträchtige Visualisierungen entworfen; die Pyramide zeigt eine stetig und gleichmäßig wachsende Bevölkerung, die Glocke deutet darauf hin, dass die Geburtenzahl stabil ist, bei der Bischofsmütze verringern sich die Geburtenjahrgänge, und die Tropfenform – zum Teil auch als Urne bezeichnet – verweist auf eine sehr geringe Anzahl bis keine Geburten (Engelhardt 2011: 174). Dass diese Visualisierungen nicht allein den Blick in die Zukunft gewährleisten sollen, sondern zudem einen ersten Hinweis auf den »normativen Überschuss der Graphiken« (Barlösius 2010: 236) geben, verdeutlicht die performative Fähigkeit der Infografik. Am Beispiel der visuellen Warnung durch die instabile Tropfen- oder Urnenform im Gegensatz zur stabilen, auf breitem Sockel basierenden Bevölkerungsverteilung einer Pyramidenform wird deutlich, dass illokutionäre Marker wie Farbmarkierungen, Gegenüberstellungen von Kurven, Zahlen und Regionen in Raum und Zeit sowie der nachvollsehbare Blick in die Zukunft es möglich macht, dass Veränderungen nicht nur erkannt (Kurve steigt/fällt), sondern als negative Phänomene wahrgenommen werden. Diese Bedeutungsaufladung schafft einen Interpretationsspielraum im Sinne von »Veränderungen stoppen« und »Normalzustand wieder herbeiführen«.

6.4.3 Bildmacht – Bevölkerung normalisieren Was ist aber der Normalzustand? Woran orientiert sich das Berlin-Institut, wenn es auf der Basis wissenschaftlich erzeugter Bevölkerungsprognosen Handlungsempfehlungen formuliert? Aus diskurstheoretischer Perspektive gibt es keinen Normalzustand, sondern dieser muss durch Normalisierungsprozesse konstruiert und stetig reproduziert werden, um Deutungsmacht erlangen respektive behalten zu können (Foucault 2001a, 2005[1981]). Mit Blick auf Infografiken ist Foucaults Ansatz inspirierend, denn gerade aufgrund der Abwesenheit eines objektiven Normativs – also einer Legitimation von außen, unabhängig von der Darstellung und Abbildung – bedarf es Strategien der Normalisierung, die die Logik einer Infografik sowohl nach innen als auch die überzeugende Argumentation nach außen gewährleisten. Mit Blick auf das in Infografiken verwendete Bildwissen wurde schon auf die erkenntnistheoretischen Vorannahmen und die grundlegenden Rationalitäten bei der Transformation von Wissen über Bevölkerung in Zahlen hingewiesen. Dabei wurde ein wesentlicher Aspekt bisher außer Acht gelassen, der jedoch für die Analyse von Normalisierungsprozessen von großer Bedeutung ist: die Kategorisierung der Individuen nach Alter, Geschlecht und Herkunft sowie deren Anwendung auf unterschiedliche räumliche Maßstabsebenen. So z.B., wenn Frauen einer bestimmten Altersgruppe durch eine Reproduktionsrate repräsentiert werden oder Frauen aus ländlichen Räumen mit Frauen aus

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städtischen Kontexten ebenso verglichen werden wie ostdeutsche und westdeutsche Frauen. Diese Kategorisierungen sind die Folge von Selektionen und in diesem Sinne nicht als Abbilder sozialer Phänomene, sondern als Konsequenzen sozialer Aushandlungsprozesse zu verstehen. Denn nur einige Merkmale wie z.B. die biologische Veranlagung zur Geburt, das biologische Alter oder die Herkunft sind von Interesse und werden vor dem Hintergrund spezifischer Fragestellungen als relevant ausgewählt und miteinander in Verbindung gebracht. Dieses Vorgehen dient der Abstraktion und Reduktion komplexer sozialräumlicher Phänomene mit der Konsequenz, dass individuelle Entscheidungsspielräume im Zuge des Messens und Kategorisierens als Handlungsoptionen von Gruppen erscheinen. Es sind aber nicht allein die Unterwerfungen von Individuen unter eine spezifische Geschlechts-, Alters- und Raumkategorie, die im Zuge dessen dem Vergleichen und Prognostizieren zugänglich gemacht werden. Vielmehr sind es die den Kategorien eingeschriebenen Handlungserwartungen, die Normalisierungsprozesse in Gang setzen. Wenn z.B. das Berlin-Institut (2012) mit Verweis auf die Bevölkerungspyramide (vgl. Abbildung 6.5) betont, dass in Deutschland die Kinderzahl je Frau zu niedrig ist, um die natürliche Reproduktionsrate auch für die Zukunft stabil zu halten, dann dient die geschlechtsund raumspezifische Kategorie nicht allein der Abgrenzung gegenüber Frauen in anderen Ländern, sondern als Hinweis darauf, dass Frauen mit einem oder keinem Kind ein abweichendes Handeln gegenüber einer als natürlich angesehenen Reproduktionsrate aufweisen. Als normal gilt also nicht nur, dass Frauen Kinder haben, sondern auch, dass Frauen eine bestimmte Anzahl von Kindern haben. Was Anke Strüver mit Bezug zu Judith Butler und Michel de Certeau in ihrem Beitrag dieses Bandes als Prozess der Subjektwerdung durch visuelle Anrufung auf der Basis von Identitätskategorien bezeichnet, nennt Foucault (2005 [1981]: 230) Biopolitik. Die Disziplinierung des weiblichen und männlichen Individuums und die Fixierung auf die zweigeschlechtliche Bevölkerung sowie deren Einfluss auf die Strukturierung politischer Handlungen ist für ihn eine Form der Machtausübung, die Normalitätskonzepte entwirft. Die damit einhergehende Unterwerfung des Individuums lässt »Bevölkerung [als] eine Gruppe [erscheinen], die nicht einfach nur aus vielen Menschen besteht, sondern aus Menschen, die von biologischen Prozessen und Gesetzen durchdrungen, beherrscht und gelenkt sind. Eine Bevölkerung hat eine Geburtenrate, eine Alterskurve […], einen Gesundheitszustand« (ebd.: 230). Durch diese als Entitäten geschaffenen Kategorien wird der Zugriff auf das Individuum durch die Bevölkerungsforschung und die Politik möglich. Normalisierungsprozesse haben nicht allein Effekte für das Individuum und das Konzept einer normalen Bevölkerung, sondern auch für das Raumbild, das in Infografiken transportiert wird. Am Beispiel der Abbildung 6.1

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wird deutlich, dass die Bedeutung des dargestellten Raumbildes »Deutschland« durch die Präsenz von Unterschiedlichkeit hergestellt wird; einerseits auf der Basis des statistischen Durchschnittswertes einer bestimmten Bevölkerungsgruppe und andererseits durch einen nach Gemeinde- und Bundesländergrenzen organisierten Raum. Aber die Zusammenhänge zwischen Raum und Statistik sind noch tiefgreifender; denn erst durch die Statistik und ihre Schaffung permanenter Objekte wie z.B. Frauenquoten innerhalb eines Raumes wird Raum überhaupt erst mit Bedeutung aufgeladen. So erfährt der abstrakte Begriff »Raum« zuerst eine räumliche Abgrenzung, die die Homogenität des Raumes (Deutschland, Europa) sichert. Dieser Raum wird dann mit einer Vergleichspopulation bevölkert und in ein zweidimensionales Bild transformiert. Diese Auf bereitung von Dingen als sozialräumliche Phänomene ist eine wesentliche Voraussetzung für den Vergleich und die Evaluierung der als Entität erscheinenden sozialräumlichen Einheiten; und dies letztendlich die Grundlage zur Legitimation wissenschaftlicher und politischer Bemühungen.

6.5 F a zit Bezug nehmend zu praxistheoretischen Ansätzen versteht dieser Beitrag Visualität als Mittel der Erkenntnisproduktion, -vermittlung und -durchsetzung von sozialräumlichen Phänomenen. Mit Blick auf Infografiken als spezifische visuelle Kommunikationsform der Bevölkerungsforschung und Bevölkerungspolitik wurde zunächst das vermittelte Bildwissen rekonstruiert, das auf einem repräsentationalen Denken beruht und davon ausgeht, dass sich eine Bevölkerung in Form von Zahlen, Graphen, Diagrammen, Tabellen und Karten darstellen und abbilden lässt. Grundlage dessen bilden die amtliche Statistik, Volkszählungen sowie Stichproben, die in Bezug auf den Nationalstaat, Gemeinden oder Kreisebene laufend erhoben werden. Der Bezugsraum der Statistik ist damit ein vorstrukturierter Raum, der durch Regionalisierung hervorgerufen und wiederum mit Bezug auf die räumlich und zeitlich verortete Statistik als Entität mit spezifischen Eigenschaften reproduziert wird. In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass Infografiken nicht der Abbildung von Welt dienen, sondern übergeordnete Organisationsstrukturen wie Ursache-und-Wirkungs-Beziehungen präsentieren. Auf der Basis dieser kausalen Zusammenhänge ermöglichen Infografiken, Veränderungen der Bevölkerungsstruktur als Abweichungen von der natürlichen Bevölkerung zu bewerten. Das führt dazu, dass Infografiken nicht allein quantitative Zusammenhänge behaupten, sondern auch qualitative Standards etablieren und somit Normalisierungsprozesse in Bezug auf Individuen und Räume in Gang setzen.

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Die scheinbare Darstellung und Abbildung sozialräumlicher Phänomene durch Infografiken macht diese zu wirkungsvollen Medien innerhalb politischer Aushandlungsprozesse. Sie generieren Glaubwürdigkeit durch die scheinbar exakte wissenschaftliche Erfassung, Beschreibung, Erklärung, Darstellung und Abbildung bevölkerungsrelevanter Prozesse und vermitteln zudem, dass auch Entwicklungsprognosen über einen Zeitraum von 50 und mehr Jahren hinaus erstellt und als Grundlage für bevölkerungspolitische Instruktionen dienen können. Damit sind Infografiken mächtige Medien der visuellen Wissenskommunikation in Wissenschaft und Politik, die darüber hinaus Deutungsmacht über Individuen und Räume entfalten können.

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7. RaumBilder und Wirtschaft

Visuelle Strategien in der Wirtschaftsförderung

Anne Vogelpohl

Das Themenfeld »RaumBilder und Wirtschaft« lässt leicht Assoziationen wie Werbung, Standortmarketing oder Verbildlichungen produktiver Räume (wie dampfende Schlote, Bürotürme, am Laptop arbeitende Personen im Café etc.) wachrufen. In der Mannigfaltigkeit wirtschaftlichen Agierens und dessen vielschichtiger Raumbezüge sind sehr unterschiedliche Schwerpunktsetzungen für die Analyse von Raum, Visualität und Wirtschaft möglich: von Repräsentationen der für eine Region als »typisch« angesehenen Branchenstruktur in Wissenschaft und Standortpolitik wie ein Hightech-Cluster oder Bürozentren über Analysen »visueller Wirtschaftszweige« wie Werbung, Film, Theater etc. bis hin zu Fragen nach bildlichen Strategien für das Erleben eines Produktes wie in der Tourismusbranche üblich, aber auch z.B. die Autostadt von VW. Dieser Beitrag nimmt zwei Beratungsstudien der Firma McKinsey & Company zur wirtschaftlichen Entwicklung Berlins in den Blick: »Berlin 2020 – Unsere Stadt. Wirtschaftliche Perspektiven durch neue Wachstumskerne« im Jahr 2010 und »Berlin gründet – Fünf Initiativen für die Start-up-Metropole Europas« im Jahr 2013. Der Beitrag fokussiert innerhalb des genannten Spektrums somit auf visuelle Strategien von Unternehmensberatungen in Bezug auf städtische Wirtschaftspolitik und damit auf die Fragen: Welche Räume werden repräsentiert, um eine gesteigerte Produktivität zu motivieren? Und mit welchen Mitteln werden diese in den Blickpunkt wirtschaftspolitischer Akteure gerückt, um möglichst entscheidungs- und handlungsrelevant wirken zu können? Mit dieser Perspektive steht weniger die Bildproduktion eines spezifischen Wirtschaftsunternehmens oder -zweigs in Bezug auf einen spezifischen Raum im Vordergrund als vielmehr die Bildproduktion einer politikberatenden Consultingfirma, die auf einer aggregierten Ebene zu verstehen ist: Ihr geht es um die Wirtschaftsentwicklung von Städten und Regionen, weniger um jene einzelner Unternehmen oder Branchen. Umso mehr kann der Blick auf Unternehmensberatungen Zusammenhänge von RaumBildern und Wirtschaft

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erschließen, weil das Beratungsunternehmen selbst schon einzelne Stränge von Stadtentwicklungen zusammenfasst und dann u.a. visuelle Strategien einsetzt, um eine ganz spezifische künftige Entwicklungslinie vorzuzeichnen. In den zwei McKinsey-Studien, die pro bono (also sowohl unbestellt als auch unentgeltlich) für die Stadt Berlin erstellt wurden, wird mit den dort verwendeten Bildern eine visuelle Strategie deutlich, die sich mit »Köpfe statt Orte« zusammenfassen lässt. Zunächst klingt diese Strategie wie eine klassisch dienstleistungsorientierte Wirtschaftsförderung, wird von McKinsey jedoch vor allem auf Infrastrukturen und industrielle Produktion bezogen. Methodisch ist diese Analyse der visuellen Strategien im Feld von Raum und Wirtschaft von der dokumentarischen Methode angeleitet (Bohnsack 2013; Bohnsack et al. 2013), da sich mit ihr besonders gut das Verhältnis von dem tatsächlich Abgebildeten und den darin enthaltenen Anspielungen aufzeigen lässt. Denn mit ihr werden u.a. Bilder, Fotos oder Videos als zeitdiagnostische Dokumente begriffen: Sie dokumentieren spezifische soziale Verhältnisse. Die dokumentarische Methode ist also darauf angelegt, das Dargestellte vor allem auf Indizien für den Bildkontext hin zu interpretieren. Bevor die Methode zum Zuge kommt, beginnt der Artikel zunächst jedoch mit kurzen Einblicken in das Feld von RaumBildern und Wirtschaftsgeographie im Allgemeinen (7.1). Am konkreten Beispiel der McKinsey-Studien wird dann die dokumentarische Methode als Mittel der Bildanalyse vorgestellt, wobei methodologische Überlegungen und analytische Aussagen zur Stadtwirtschaft Berlins immer gleich verschnitten werden (7.2). Das Fazit resümiert die Aussagen schließlich als verbildlichte Innovativitätsansprüche bzw. als »visualisierte Visionen« (7.3).

7.1 V isualität und W irtschaf tsgeogr aphie — E inblicke In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Bildern und Räumen lassen sich zwei Perspektiven einnehmen: zum einen die Perspektive auf Bilder, die in der Wissenschaft selbst produziert werden, um räumliche Entwicklungen darzustellen; zum anderen der Blick auf Bilder, aus denen räumliche Entwicklungen ablesbar erscheinen und die deswegen wissenschaftlich analysiert werden (vgl. Schlottmann/Miggelbrink 2009: 14). Die grundsätzlich für die Geographie gültige Aussage, dass Bilder und andere Visualisierungen wie Graphiken oder Karten seit jeher eine wichtige Rolle spielen, eine lange Zeit jedoch nicht selbst explizit zum Forschungsgegenstand gemacht wurden, gilt auch für die Subdisziplin der Wirtschaftsgeographie. Dass Bilder auch zum Forschungsgegenstand der Wirtschaftsgeographie wurden, hat sich erst mit dem cultural turn vollzogen (vgl. Barnes 2001), der in der Regel für die Geographie in die 1990er Jahre datiert wird. Allerdings hatte mit der new economic geography auch schon eine Abkehr von simplifizierenden Graphiken stattge-

7. RaumBilder und Wir tschaf t

funden: Modelle wie das der Thünen’schen Ringe oder Christallers System der zentralen Orte wurden schon länger als zu unterkomplex aufgefasst, um verzweigte Wirtschafts-Raum-Verhältnisse darstellen zu können. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis wurden und werden Visualisierungen aller Art – seien es Fotos, Graphiken oder Diagramme – weniger als Spiegel der Wirklichkeit, sondern selbst als etwas zu Lesendes und zu Interpretierendes verwendet (vgl. Barnes 2001: 560). Ein visual turn, wie er in anderen Subdisziplinen zu Beginn der 2000er Jahre ausgerufen wurde (vgl. z.B. zur Physischen Geographie Thornes 2004), fand in der Wirtschaftsgeographie – wenn überhaupt – kaum statt. Dennoch lassen sich Forschungsstränge ausmachen, die zur Erklärung wirtschaftsräumlicher Veränderungen die Bedeutung von Visualität ins Zentrum rücken. Ein Beispiel dafür sind Analysen rund um das Thema Konsum. Untersucht wird beispielsweise das Design, die Planung und Vermarktung von Orten des Konsums, deren visuelle Repräsentation wiederum selbst auch neue ökonomische Aktivität erzeugen soll. Das kann sowohl auf vollständig geplante Konsumorte wie Malls (vgl. Mansvelt 2012: 445) als auch auf die Inszenierung von als »authentisch« geltenden urbanen Vergnügungsorten (Amin 2006; Zukin 1998) bezogen werden. Ein anderes Beispiel ist die Forschung zur Kultur- und Kreativwirtschaft, in der es nicht nur um die Funktionsweisen dieses Wirtschaftszweigs geht, sondern auch um die Verwertung von Design und Kunst für die Kapitalakkumulation in Städten (u.a. Deutsche 1996; Harvey 2002). Auch blieben in der (Wirtschafts-)Geographie feministische Arbeiten zu Bildern und deren Relevanz in der Wissensproduktion nicht unbemerkt. Die scheinbare Objektivität von Bildern wurde nämlich besonders früh von feministischen Wissenschaftlerinnen problematisiert. Damit ist hier nicht nur gemeint, dass die feministische Geographin Gillian Rose maßgeblich zur erhöhten Aufmerksamkeit für Bilder und Bildlichkeit in der Geographie beigetragen hat (Rose 2003, 2009). Donna Haraways Wissenschaftskritik, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vermeintlich god’s trick kennen und »everything from nowhere« sehen können (Haraway 1991: 189), hat intensive Debatten um die Konstruiertheit der Wirklichkeit genauso wie auch wissenschaftlicher Erkenntnisse ausgelöst. In der Folge wurden neue methodologische Zugänge entwickelt, die reflexiv ausgelegt sind und der Positionalität einzelner Forscherinnen und Forscher Rechnung tragen können, um die Situiertheit auch von in Bildern verfestigtem Wissen anzuerkennen (vgl. Till 1999). Feministische Ansätze in der Wirtschaftsgeographie – ob sie sich nun jeweils explizit entsprechend zuordnen oder nicht – richten ihr Hauptaugenmerk häufig auf den meist unbezahlten und informellen Bereich der Ökonomie – Hausarbeit, Erziehung, Pflege etc. Mit Visualisierungen auf Basis von GIS-Techniken oder Raum-Zeit-Schemata arbeitet u.a. Mei-Po Kwan besonders häufig. In einer Studie vergleicht sie alltägliche Mobilitätsmuster von Vollzeit-

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und Teilzeitberufstätigen in Columbus, Ohio, und stellt diese graphisch in zeitgeographischen Pfaden dar. Diese nennt sie jeweils »space-time aquarium«1 (Kwan 1999: 376f). Insbesondere anhand der Verbildlichungen, die nach Geschlecht und Anstellungsform differenziert sind, kann sie zeigen, dass Frauen stärkeren Zwängen der tageszeitlichen Taktung (daytime fixity constraints) unterliegen als Männer – unabhängig von der Anstellungsform. Die höhere Belastung der Frauen durch klarere Zeitvorgaben führt Kwan auf die stärkere Wahrnehmung der nicht bezahlten Aktivitäten, die oftmals geschlechtsspezifisch seien, zurück (Kwan 1999: 377). Während dieses hier kurz aufgeführte Beispiel für den Umgang mit Visualisierungen in der Wissenschaft steht, nehme ich im Folgenden mit den McKinsey-Studien die Bildverwendung eines praktischen Akteurs der Raumproduktion in den Blick. Es ist an der Schnittstelle von Wirtschafts- und Stadtgeographie angelegt, indem es um die ökonomische Entwicklung einer Stadt, weniger einer einzelnen Wirtschaftsbranche geht. Im Kanon von möglichen Forschungsfoki zu RaumBildern, die Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink (2009: 19) vorschlagen, verstehe ich die in den McKinsey-Studien verwendeten Bilder als »Elemente strategischen Handelns mit unterliegenden Verortungslogiken und Wahrheitsansprüchen« (ebd.). Entsprechend ist das Argument der folgenden Ausführungen, dass die Bilder gar nicht erst den Anspruch haben, Räume realistisch widerzuspiegeln, sondern dass mit ihnen eine visuelle Strategie verfolgt wird. Diese gilt es nun herauszuarbeiten und zu qualifizieren.

7.2 M c K inse ys wirtschaf ts - und stadtpolitische B er atung für B erlin Welche visuellen Strategien werden nun von McKinsey eingesetzt, um der Notwendigkeit einer Neuorientierung der städtischen Wirtschaftsförderung Nachdruck zu verleihen? Wirtschaftsförderung wird in nahezu jeder deutschen Stadt betrieben. Zumeist wird dies in den kommunalen Behörden oder auch in teilprivatisierten städtischen Agenturen realisiert. Mitarbeitende des Berliner Büros der Unternehmensberatung McKinsey & Co waren 2010 der Meinung, dass die Berliner Politik zu wenig aktiv sei, um das Wirtschaftswachstum der Stadt signifikant voranzutreiben. Sie stellen fest: »Diese Stadt braucht die wirtschaftliche Belebung, um auch auf anderen Feldern vital und inspirierend zu bleiben. Sonst besteht die Gefahr, dass aus dem Ort der Dynamik ein Museum vergangener 1 | Kwan stellt alle Visualisierungen ihrer Publikationen online zur Verfügung. Die hier genannten sind unter http://meipokwan.org/Figures/eg_links.htm (18.08.2014) einzusehen.

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Veränderungen wird.« (McKinsey Berlin 2010: 5) Deswegen haben sie mittlerweile zwei pro bono-Studien erarbeitet (»Berlin 2020«, 2010, und »Berlin gründet«, 2013), um mögliche wirtschaftliche Entwicklungswege aufzuzeigen und praktisch wirksam werden zu lassen. Ich konzentriere mich dabei auf die dargestellten Bilder in Form von Fotos, weniger auf die sprachlichen Bilder, wie sie beispielsweise im obigen Zitat zu Berlin als Museum auch gebraucht werden. Die Analyse ist von der »dokumentarischen Methode in der Bild- und Fotointerpretation« (Bohnsack 2013) angeleitet und entsprechend in drei Schritte untergliedert: Im Zuge der Vorstellung der wirtschafts- und stadtpolitischen Beratung für Berlin durch McKinsey erfolgt eine Zusammenschau der dort verwendeten Visualisierungen. Diese Auffächerung entspricht der Analyse der primären Bildebene, die zunächst nur die sichtbaren Objekte, Gegenstände oder Phänomene und deren Anordnung beschreibt. Da die dokumentarische Methode beansprucht, systematisch die generalisierbaren Visualisierungsabsichten aus Bildern herauszuarbeiten, schließt sich im zweiten Schritt die Analyse der sekundären Bildebene an. Dafür werden Bilder und Fotos explizit als Zeitdokumente begriffen: Welche Hinweise auf aktuelle Debatten oder Geschehnisse lassen sich in den Bildern erkennen? Welche Begriffe oder – wenn mehrere Bilder betrachtet werden – Erzählungen werden symbolisiert? Bilder verstanden als Zeitdokumente geben also Auskunft über ein implizites Wissen, das über das einzelne Bild und dessen Produzenten bzw. Produzentin hinausgeht und bestimmte gesellschaftliche Zusammenhänge repräsentiert. Dieses Wissen wird in der dokumentarischen Methode »Orientierungswissen« (vor allem Bohnsack et al. 2013: 15) genannt und im zweiten Analyseschritt rekonstruiert, indem das Gezeigte mit gesellschaftlichen Themen und Konzepten verknüpft wird. Der dritte Analyseschritt, die Ableitung gegenwärtiger Sinnstrukturen, geht im allgemeinen Fazit dieses Kapitels zu Wirtschaft, Visualität und Raum auf.

7.2.1 Zwischen Brüchigkeit und Glanz: Die primäre Bildebene Das erklärte Ziel McKinseys ist: »Wir wollen Potenziale und Chancen aufzeigen, die eine neue wirtschaftliche Dynamik entfalten können.« (McKinsey Berlin 2010: 5) Die von McKinsey deklarierte Notwendigkeit einer verstärkt gesteuerten Wirtschaftsdynamik wird mit einer Bandbreite von Visualisierungen untermauert. Über die gesamte 52-seitige »Berlin 2020«-Studie hinweg sind Kritzeleien und Anstreichungen abgedruckt, die suggerieren, dass ein Leser die Studie bereits durchgearbeitet und begeistert die wichtigsten Stellen markiert hat. Die häufigsten Visualisierungen in den McKinsey-Studien sind allerdings datenbasierte Diagramme und Graphiken, mit deren Hilfe zentrale Vergleiche angestellt werden: Vergleiche zwischen der jetzigen Wirtschaftslage mit einer potentiellen (beispielsweise Balkendiagramme zur potentiellen Umsatz- und Beschäftigungssteigerung in der Tourismusbranche, in die ein nach oben zei-

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gender Pfeil zwischen 2008 und 2020 eingearbeitet wurde und die Balken der positiveren Szenarien immer leuchtender in blau eingefärbt sind: Szenario 67 % Steigerung des Umsatzes in hellblau/Szenario 111 % Steigerung des Umsatzes in leuchtend blau; vgl. McKinsey Berlin 2010: 20); oder es wird verglichen zwischen der ökonomischen Dynamik in Berlin und der anderer Städte in Deutschland oder Europa, in denen der aktuelle Stand für Berlin in der Regel sehr schwach erscheint (beispielsweise ein Balkendiagramm zur Wachstumsrate des BIPs, in dem Berlin scheinbar die einzige Stadt der EU ist, in der das Wachstum [noch] negativ ist – dabei sind nur zwölf Städte aufgelistet und nur der Balken für Berlin ist in leuchtendem Blau eingefärbt; vgl. McKinsey Berlin 2010: 9). Die Diskrepanz zwischen dem Status quo und einer blühenden Zukunft – anvisiert für das Jahr 2020 – wird nicht zuletzt auch durch bemerkenswerte fotografische Bilder unterstrichen. Die Fotos lassen sich auf der primären Bildebene des visuell Wahrnehmbaren im Wesentlichen in drei Kategorien zusammenfassen: Gebäude, Gegenstände und Schlüsselfiguren. Das Titelblatt ziert beispielsweise ein Kind als Schlüsselfigur vor einer Reihe der Berliner BärenFiguren, den Buddy-Bären. Für die derzeit brüchige Wirtschaftsentwicklung, die das oben genannte Balkendiagramm darstellt, wurde hingegen auf der gegenüberliegenden Seite des Diagramms ein gegenständliches Bild gewählt, das die ersten drei bis vier Lettern des Schriftzuges »B.E.R.L.I.N.« erkennen lässt. Allerdings ist deren Lackierung schon teilweise abgesplittert, sodass das »B.E.R.L.I.N.« sehr marode wirkt (vgl. Abb. 7.1).

Abb. 7.1: B.E.R.L.I.N. in brüchigem Schriftzug wie in der McKinsey-Studie »Berlin 2020« verwendet (Foto: Etienne Girardet: »Letters Spelling Berlin«, o.J.; Lizenz: Getty Images)

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Demgegenüber wird für jede Zukunftsbranche, die laut McKinsey eine Alternative zur aktuell schwachen Wirtschaftsentwicklung bietet, ein Bild ausgewählt, das Glanz und Leuchtkraft ausstrahlt: für den Tourismus steht ein Bild mit zwei Gebäuden – dem Traditionsbauwerk Berliner Dom im Vordergrund und dem Technikbauwerk Fernsehturm im Hintergrund; für das Feld Elektromobilität steht ein blitzblankes Elektroauto als Gegenstand; ebenfalls mit einem Gegenstand verbildlicht wird die Informations- und Kommunikationstechnik mit einem unübersichtlichen, aber dennoch gut sortierten Kabelgewirr; und für die Gesundheitsbranche steht als Schlüsselfigur ein nur als Silhouette erkennbarer Forscher an einem hochmodernen Anatomiemodell eines Menschen. Die Aufnahmen sind allesamt Nahaufnahmen. Vogelperspektiven auf Berlin oder Berliner Stadtteile, Gewerbegebiete, Hochschulstandorte o.Ä. kommen nicht vor. In der 74-seitigen »Berlin gründet«-Studie, die zum Ziel hat, die politische Unterstützung für Gründungsaktivitäten zu erzeugen, ist die Bildsprache eine andere. Hier kommen zwei Bildvarianten vor: zum einen bekannte Berliner Orte aus der Vogelperspektive, zum anderen Serien von – zunächst namenlosen – Porträts. Beide Varianten haben jedoch ein besonderes Merkmal: Sie sind stark verfremdet dargestellt, indem die Farbsättigung auf 100  % eingestellt und zudem der Farbton abgeändert wurde2. Die folgenden zwei Abbildungen (7.2 und 7.3) lassen diesen Verfremdungseffekt nachvollziehen: Außer dem »Molecule Man« auf der Spree wurden für die Gründer-Studie der Reichstag, ein typischer Berliner Hinterhof, das Sony Center sowie eine Straße mit Altbauten als Szenerie ausgewählt. Durch die Verfremdung werden sie jedoch allesamt erst auf den zweiten Blick richtig erkennbar. Auch die Porträtserien, die ebenfalls auf die genannte Art verfremdet sind, lassen auf den zweiten Blick einzelne Persönlichkeiten ausmachen. Das Titelblatt als Beispiel: Auch wenn viele der 84 abgebildeten Personen keine Berühmtheiten sind, fällt bei einigen der typische Bart- und Kleidungsstil um 1900 auf. Andere Personen wirken wiederum zeitgemäßer, da sie Anzug, modische Hornbrillen oder lange offene Haare tragen. Spätestens mit den Zusatzinformationen in der Broschüre selbst wird deutlich: Die abgebildeten Personen sind alle selbst Gründer oder Gründerinnen. Es sind reale Personen der Berliner Wirtschaft – sei es aus der Vergangenheit wie Werner von Siemens (Siemens AG) oder Emil Rathenau (AEG), sei es aus den letzten Jahren wie die Gründer von Hightech- oder Internet-Firmen wie SoundCloud, Freestyl o.Ä. Inwiefern die hier zunächst deskriptiv registrierten Visualisierungen als Verbildlichungen einer prosperierenden Stadtökonomie zu begreifen sind, soll nun mit Blick auf die sekundäre Bildebene rekonstruiert werden. 2 | Die Studie »Berlin gründet« ist hier vollständig einzusehen: www.mckinsey.de/ sites/mck_files/files/berlin_gruendet_broschuere.pdf (18.08.2014).

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Abb. 7.2 (links): Der Molecule Man vor den Treptowers auf der Berliner Spree; Abb. 7.3 (rechts): Der Molecule Man, verfremdet im Stil der McKinsey-Studie »Berlin gründet« (Fotos: Avda, 2013; Lizenz: CC BY-SA 3.0, http://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Molecule_Man_-_Berlin_-_2013.jpg)

7.2.2 Köpfe statt Orte: Die sekundäre Bildebene Wieso wurden genau diese Bilder ausgewählt, um den Bedarf an stärkerer ökonomischer Dynamik zu verdeutlichen? Und was sagen die Bilder über den Charakter dieser Dynamik aus? Laut Bohnsack ist die Bildinterpretation immer auch eine Suche nach versteckten Anspielungen, eine »Unterstellung von ›Um-zu-Motiven‹« (Bohnsack 2013: 77). Mit der dokumentarischen Methode schließt der Übergang von der Beschreibung zur Interpretation eines Bildes die Suche nach Hinweisen auf den Kontext ein, auf den sich die Bilder beziehen. In der Methode wird dieser Bildkontext »Erlebniszusammenhang« oder »Erfahrungsraum« genannt (Bohnsack 2013: 81). Worauf spielen die Bilder also an? In einer Gesamtschau auf die Bildauswahl der 2020-Studie kann für alle drei Bildkategorien eine eigene Botschaft gelesen werden: Die Gebäude repräsentieren eine spannende Mischung aus Tradition und Innovation. Die verzierte Fassade des Berliner Doms – der gar nicht als ebendieser erkannt werden muss, solange die darin Stein gewordene Geschichte ins Auge springt – steht für Dauerhaftigkeit, Kunst und Verwurzelung. »Lokale Identität« wird diese Mischung gelegentlich genannt. Verbunden mit der Technikikone des Fernsehturms samt der vielen Satellitenschüsseln und Antennen entweicht dem

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Traditionsgebäude die potentielle Rückständigkeit, Hierarchiegläubigkeit und Starrheit, die ein Dom auch ausstrahlen könnte. Stattdessen wird in der gewählten Mischung eine geerdete Lebendigkeit, eine verlässliche Innovativität verbildlicht – kurz Kreativität und Lebensqualität, die an genau diesen Orten entstehen. Gleiche paradox anmutende Kombinationen entstehen durch die mit moderner Technik verfremdeten Darstellungen des Hinterhofes und der Altbaustraße. Mit den ausgewählten Gegenständen wird der Bedarf nach Veränderung verbildlicht. Die Gegenwart spiegelt sich in den maroden Berlin-Buchstaben, von denen bereits der Lack abgesplittert ist und anscheinend sogar noch weiter abzusplittern droht. Zudem hat das Foto einen Fluchtpunkt, durch den die hinteren Buchstaben immer kleiner werden bis hin zur Unsichtbarkeit des letzten Buchstabens. Das große Berlin droht also in einer Unkenntlichkeit zu verschwinden. Dem wird nun eine leuchtende Zukunft gegenübergestellt. Der glänzende Lack des Elektroautos sowie das geordnete Kabelgewirr repräsentieren möglichen Erfolg, der offenbar nur technikbasiert sein kann. Die Botschaft der gegenständlichen Bilder vermag also zu vermitteln: Berlin hat die Chance auf eine ökonomisch vitale Stadtzukunft, wenn nur die gegenwärtigen Defizite anerkannt und mit gezielt geförderter Hightech-Industrie behoben werden. Die zentralen Akteure des angestrebten Wandels werden durch die dritte Bildkategorie erkennbar. Die erste Schlüsselfigur ist das Kind auf dem Titelblatt der »Berlin 2020«-Studie. Kinder stehen zunächst per se für Zukunft. Die Zukunft dieses Kindes, dem ein Wind durch die Haare bläst, liegt nun augenfällig in einem Berlin, durch das ein neuer Wind wehen muss – und wird. Insofern vermittelt das Titelbild bereits eine Setzung: nämlich dass ein Wandel unabdingbar ist. Und verbildlicht wird diese Setzung mit der Übersetzung eines Sprachbildes (»ein Wind weht durch die Stadt«) in ein Foto. Der Gesundheitsforscher wiederum, der den Übergang der Gesundheitswirtschaft vom »Kosten- zum Wachstumsthema« repräsentiert (McKinsey Berlin 2010: 41), ist nicht nur eine schlichte Personifizierung der Stadtökonomie, sondern auch ein Hinweis auf die Personengebundenheit dieser: Berlin braucht kluge Köpfe für sein Wirtschaftswachstum. Diese Botschaft wird in der Gründerstudie mit ihren verfremdeten und dennoch deutlich erkennbaren einfallsreichen und proaktiven Persönlichkeiten nur noch weiter vertieft. Hinter dieser Bilderauswahl liegt ein klar erkennbares Wirtschaftskonzept. Denn die Themen der Bildkategorien – Lebensqualität, Technik, kluge Köpfe – können auch mit den Worten »Toleranz, Technologie, Talent« übersetzt werden. Diese berühmten Three T’s kürzen Richard Floridas Thesen zur kreativitätsbasierten Wirtschaftsentwicklung ab (vgl. Florida 2005: 3). Ohne diese zentralen Begriffe noch den der Kreativität explizit in Anspruch zu nehmen, knüpfen die McKinsey-Studien durch ihre Bildsprache auf der sekundären Bildebene an die Codes um Wirtschaftswachstum und Kreativität an.

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Sie wird für den Fall Berlin allerdings spezifiziert und in dem Zuge außergewöhnlich stark auf die wichtige Rolle der industriellen Basis einer städtischen Ökonomie bezogen. Insofern wird das Florida’sche »Kreativitätsskript« (Peck 2008) von McKinsey in der Beratung zu Berlins Wirtschaftsentwicklung wiederholt, jedoch vom starken Fokus auf tertiäre Kreativitätsbranchen entledigt und auf das produzierende Gewerbe gemünzt. Die Logik der kreativitätsbasierten Wirtschaftsentwicklung wird im Kern allerdings nicht abgewandelt, denn entscheidend bleiben einzelne Köpfe (zur zentralen Bedeutung des Ausdrucks »kluge Köpfe« in der Wirtschafts- und Stadtentwicklung vgl. auch Vogelpohl 2012: 238ff). Eine der Kernaussagen Floridas ist nämlich, dass individuelle Talente ein wichtiger Faktor in der Wirtschaftsgeographie seien und Städte deshalb für diese Gruppe eine Lebensqualität bieten und einen entsprechenden Lifestyle ermöglichen müssten (vgl. Florida 2002). McKinsey drückt das Kreativitätsskript insgesamt durch eine Bildsprache aus, die durch Nahaufnahmen und Individuen lebt und weitgehend auf die Vermarktung zeitgemäßer Industrieflächen oder die Reize moderner Großraumbüros verzichten kann.

7.3 F a zit : V on der B ildproduk tion zur R aumproduk tion . Z um str ategischen G ehalt von R aum B ildern in der W irtschaf t Um abschließend die Relevanz einer solchen Bildanalyse für das Verständnis von Räumen zu klären, ist es wichtig, sich einigen der Basiseigenschaften von Bildern und Visualisierungen im Allgemeinen zu vergewissern. Bilder in der Raumproduktion sowie auch Bilder in der geographischen Wissensproduktion werden zumeist einer kritischen Analyse unterzogen, weil die vermeintliche Objektivierung von Wissen durch den Einsatz von Bildern besonders stark ist. Bilder vereindeutigen Erkenntnisse ebenso wie politische Haltungen. Dies geschieht durch die Simultaneität der Darstellung komplexer Zusammenhänge. Hinweise auf deren Entstehung und Variation haben oftmals keinen Platz in einem Bild oder in einer Bildkomposition. Entsprechend fallen, so Bohnsack (2013: 83), das intuitive Verstehen von Bildern und deren Interpretation durch eine explizite Übersetzung in Begriffe besonders weit auseinander. Es bieten sich jedoch einige Wege an, um die starke Vereindeutigung durch Bilder aufzubrechen. Die methodische Reflexion des Übergangs von Bildbetrachtung zu Bildinterpretation ist ein Weg. Die dokumentarische Methode schlägt dafür drei klar voneinander zu trennende Analyseschritte vor: erstens das Erfassen des auf den Bildern Dargestellten (der primären Bildebene), zweitens die Interpretation des Dargestellten als ein Thema (der sekundären Bildebene), drittens die Verknüpfung des dargestellten Themas mit gesellschaftlichen Debatten. Im dritten Schritt wird gefragt, welche »historisch-, kultur- und

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milieuspezifische[n] Sinnstrukturen« (Bohnsack 2013: 98) nun aus der vorgenommenen Bildinterpretation ableitbar sind. Dieser letzte Schritt steht in diesem Beitrag bislang noch aus und soll nun resümierend vollzogen werden: Obwohl die erste McKinsey-Studie den allgemeinen Titel »Berlin 2020« und sogar den Teiltitel »Unsere Stadt« trägt, lassen die Bilder eigentlich keine Vorstellungen von Kollektivität oder gar Einblicke in ein städtisches Gemeinschaftsleben zu. Neben den Gebäuden und Gegenständen sind nur Einzelpersonen sichtbar und dies jeweils in ihrer spezifischen Funktion für die städtische Wirtschaft. Die Zentrierung des erfolgreichen Individuums steht in doppelter Weise für die neoliberalisierte Stadt: Sie setzt auf die Verantwortungsbereitschaft des Einzelnen zur Selbsthilfe; und sie blendet soziale Ungleichheiten aus, die nur in einer Gegenüberstellung mehrerer Personen(gruppen) sichtbar werden könnten. Die McKinsey-Studien setzen also die wirtschaftliche Entwicklung Berlins mit der Stadtentwicklung gleich. Und eben dies ist ein Kernmerkmal der Neoliberalisierung des Städtischen. Für den zweiten und dritten Analyseschritt der Bildinterpretation nach der dokumentarischen Methode gilt es allerdings auch, das oben erwähnte Auseinanderfallen von intuitivem Bildverstehen und der Bildinterpretation zu reflektieren. Denn hier spiegeln sich Wahrnehmungen und Standpunkte des Betrachters3 wider. Die Interpretation der Bilder in den McKinsey-Studien als Momente einer Neoliberalisierung zu deuten, liegt für mich als Stadtgeographin nahe. Denn die aktuelle internationale Literatur zur (kritischen) Stadtforschung deklariert dies als allgemeinen Trend (Belina et al. 2013; Künkel/Mayer 2012). Insofern zeugt die vorgenommene Interpretation zunächst auf subjektiver Ebene von einem Blick einer kritischen Stadtforscherin. Auf einer verallgemeinerten Ebene jedoch, die beansprucht, gesellschaftliche ›Sinnstrukturen‹ herauszuarbeiten, befähigt die schrittweise Verwebung von ›Dargestelltem – darin erkennbaren Codes – Verbindung zu gesellschaftlichen Verhältnissen‹ das Erkennen von den in Bildern angedeuteten Sinnstrukturen. In der vorliegenden Analyse lautet der Dreischritt zusammenfassend z.B. »Schlüsselfiguren – kreative Stadt – Neoliberalisierung des Städtischen«. Ein weiterer Weg, um die Vereindeutigung durch Bilder aufzubrechen, ist die theoretische Anleitung der Bildinterpretation. Raumtheorien ermöglichen es, Bilder als »ein Element in Gesellschaft-Raum-Verhältnissen« (Schlottmann/Miggelbrink 2009: 19) tatsächlich greif bar zu machen. Beispielsweise kann mit der Theorie der »Produktion des Raumes« nach Henri Lefebvre ge3 | Ein Strang der Analyse von Bild-Raum-Wechselwirkungen beschäftigt sich in den letzten Jahren intensiver mit der Interaktion von Bild und Betrachter bzw. Betrachterin. Unter dem Stichwort »Performativität« wird hier der prozessualen Herstellung von Wissen und möglicherweise daraus abgeleiteten Handlungen zwischen Bildproduktion und -lesen Rechnung getragen (vgl. Rose 2009).

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prüft werden, wie Bilder mit anderen räumlichen Elementen wie Gebäuden, menschlichen Interaktionen, Gefühlen oder Leitbildern in Wechselwirkung stehen. In Lefebvres Raumtheorie können Bilder zumeist in die Dimension der »Repräsentation des Raumes« eingeordnet werden, die bewusst produzierte, oft sogar mit Entwicklungszielen verknüpfte Konzeptionen eines Raumes umfasst (ausführlicher dazu vgl. Lefebvre 1991: 38ff; einführend s. Ronneberger/ Vogelpohl 2014). Lefebvres Analysen stellen die starke Wirkung von ›Repräsentationen des Raumes‹ auf die weiteren Raumdimensionen (räumliche Praxis, gelebte Räume) heraus: Bilder können also praktisch wirkmächtig werden. Deshalb kann auf Basis seiner Theorie in Bezug auf die McKinsey-Studien gesagt werden, dass dort eine visuelle Strategie verfolgt wird. Das bedeutet, dass mit Bildern versucht wird, mittel- bis langfristige Ziele zu formulieren und in Richtung Umsetzung zu wirken. Auf zwei zentrale Strategien verweisen die obigen Ausführungen: Erstens wird der Fokus der städtischen Wirtschaftspolitik auf Zukunftsbranchen gerichtet. Das ist am Fall Berlin nicht banal, da die Politik bisher zu sehr auf die reine Behebung von Defiziten und die Unterstützung von schrumpfenden Branchen konzentriert sei – so betont jedenfalls McKinsey (2010: 46). Zweitens wird der Fokus auf Infrastrukturen und Technik gerichtet, um der Überzeugung Einhalt zu gebieten, dass kreative Dienstleistungsbranchen das Hauptwachstumspotential in sich trügen. Strategisch an diesen zwei Refokussierungsabsichten ist nun letztlich das Ziel, u.a. mittels vereindeutigenden Bildern ein industrie- und technikbasiertes Wirtschaftswachstum für plausibel zu erklären und durch diese Plausibilisierung selbst einen tiefen Wandel der ökonomischen Handlungen in Berlin zu erzeugen. Damit ist visuell ein Weg von der Repräsentation des Raumes in die Beeinflussung räumlicher Praxis gezeichnet. Effektiv wurde er von McKinsey noch durch die Präsentation der Studie in den Medien, auf Dinner-Events mit Berliner Führungspersönlichkeiten sowie in politischen Diskussionen unterstützt. Bilder können also potentiell Räume verändern. Statt also gegenwärtige Wirtschaftstrends möglichst treffend abzubilden, sind die RaumBilder der McKinsey’schen Empfehlungen für die städtische Wirtschaftsförderung zusammenfassend als »visualisierte Visionen« zu begreifen, als ein über Bilder generierter Zukunftsentwurf. Dabei sind die dargestellten materiellen und sozialen Räume keine klar lokalisierbaren Orte, die durch Lage oder Infrastruktur bestechen würden. Sie sind Orte von individuellen kreativen Impulsen. Und dies ist symptomatisch für gegenwärtige WirtschaftsRäume wie für neoliberalisierte Städte.

8. Sichtbares und Unsichtbares

RaumBilder und Stadtplanung — ein Perspektivenwechsel

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8.1 R aum B ilder und visuelle M edien in P l anungsprozessen In Planungsvorgängen kommen unterschiedliche Bilder zum Einsatz, die einen raumrelevanten Bezug aufweisen und damit strukturierende Auswirkungen auf gesellschaftliche Zusammenhänge haben. Generell werden unter dem Begriff der Raumplanung Vorgänge planerischer Tätigkeiten zusammengefasst, die sich mit der Ordnung und Nutzung des Raumes auf kommunaler, regionaler, bundesweiter oder europäischer Ebene beschäftigen. Auch an vielen Universitäten wird die Raumplanung im Bereich der Angewandten Geographie oder als eigenständiger Studiengang vermittelt. Die Art und Weise, wie Raum in der Planung hergestellt wird, und der Einsatz visueller Medien zur Veranschaulichung und damit die gesellschaftliche Relevanz von Raumbildern bei der Produktion von (städtischen) Vorstellungsräumen sollen nun näher betrachtet werden. Im Folgenden wird der Fokus auf die Ebene der Stadtplanung gelegt, die zur Aufgabe hat, die Bedürfnisse der Gesellschaft an die bebaute und unbebaute Umwelt sowie die sich daraus ergebenden Konflikte und Handlungsmöglichkeiten in Einklang zu bringen. Ein häufig verwendetes (visuelles) Mittel in der Stadtplanung sind thematische Karten, die auf statistischen und georeferenzierten Daten basieren. Dadurch werden soziale Verhältnisse und ihre räumlichen Beziehungen abgebildet und Gesellschaft-Raum-Relationen produziert, denen eine containerräumliche Konzeption zugrunde liegt. Diese territoriale Abgrenzung, z.B. in Stadtteile, und die Homogenisierung sozialer Aspekte birgt die Gefahr, dass den Menschen, die in diesen Gebieten leben, spezifische Eigenschaften und Vorstellungen zugeschrieben werden und es dadurch zu Problematisierungen und Stigmatisierungen von außen kommt (vgl. Michel 2010). In der humangeographischen Forschung wird aus Sicht einer neu ausgerichteten Kulturgeographie diese Konstruktion von Wirklich-

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keit kritisiert, da soziale Prozesse hierbei räumlich erklärt werden und dies mit einer Vergegenständlichung einhergeht und Grenzen als selbstverständlich erachtet werden (vgl. Gebhardt et al. 2003; Lossau 2008). Bei formellen Planungsprozessen werden vor allem Pläne in Form von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen erstellt, die in ihrer gestalterischen Ausführung als Karten erscheinen. In informellen Planungsdokumenten, z.B. Stadtentwicklungskonzepten oder Planungsstudien, werden neben Karten und Diagrammen auch Fotografien, Satellitenaufnahmen und 3-D-Modelle zur Visualisierung genutzt. Dabei werden städtebauliche Gesichtspunkte sowie soziale und technische Infrastrukturen erfasst, die als Planungsgrundlage zur Entwicklung sozialer und räumlicher Strukturen dienen. Zudem wird die Perspektive auf den Gegenstand meist auf eine »Sicht von oben« reduziert. Ein weiterer Aspekt, der für die Gestaltung von Städten relevant ist und strukturierende Auswirkungen auf gesellschaftliche Zusammenhänge hat, ist die Herstellung von sprachlichen und visuellen Raumbildern im Stadtmarketing. Die Bedeutung von raumbezogenen Semantiken für die Wahrnehmung von Städten wurde u.a. durch die (bild-)sprachliche Analyse von Images untersucht und hat strukturelle Merkmale von Diskursen, durch die sie produziert und reproduziert werden, aufgedeckt (vgl. Mattissek 2010; Meyer zu Schwabedissen/Miggelbrink 2005). Was sichtbar ist und welche Realitäten in Planungs- und Gestaltungsprozessen dargestellt werden, ist demnach damit verknüpft, welches oder wessen Interesse dahintersteht. Die Praxis der Planung ist an dieser Stelle als eine Sichtweise auf Stadt zu verstehen, die gewisse Wirklichkeiten etabliert, um Planungsentscheidungen treffen zu können. Eine Frage, die der Beitrag aufwerfen möchte, ist, wie die Interessen der Menschen, die in einer Stadt leben, in Planungsprozesse einfließen. Dazu wird zunächst die Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner auf Stadt betrachtet, um daran anschließend eine Rückbindung zu gebräuchlichen Planungs- und Partizipationsprozessen zu ziehen. Ziel des Artikels ist es, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und nach den Bedeutungen und Wahrnehmungen urbaner Räume aus Sicht von Bewohnerinnen und Bewohnern zu fragen. Dazu wird ein methodischer Ansatz aufgezeigt, wie diese erfasst und dargestellt werden können. Deshalb wird in einem zweiten Schritt der Frage nachgegangen, welche Bilder bzw. Formen des Bildlichen aus methodologischer Sicht dabei eine Rolle spielen. Die Methode der Urbanen Erkundung wird daraufhin vorgestellt und Möglichkeiten der Darstellung, die sich daraus ergeben, am Beispiel des Chemnitzer Brühl Boulevards veranschaulicht. Abschließend findet eine reflexive Betrachtung statt, um Überlegungen für eine konstruktiv-planerische Praxis zu skizzieren.

8. Sichtbares und Unsichtbares

8.2 B ilder der S tadt : D ie P erspek tiven der B e wohnerinnen und B e wohner in P l anungsprozessen Urbane Räume, betrachtet als ein Produkt wechselseitiger Beziehungen sozialkultureller, leiblich-sinnlicher und semiotisch-symbolischer Dimensionen, werden von den Menschen, die in einer Stadt leben, unterschiedlich bewertet und gedeutet. Diese vielfältigen Sichtweisen sind einerseits geprägt durch individuelle, kulturell-soziale Aspekte, z.B. Sozialisation, und andererseits werden diese durch externe Zuschreibungen beeinflusst. Letzteres kann beispielsweise das Image eines Stadtteils sein, der die Wohnortentscheidung positiv oder negativ beeinflusst. Im alltäglichen Leben der Menschen spielen Abgrenzungen, wie sie in der Planungspraxis getroffen werden, z.B. in Sanierungsgebiete, meist keine große Rolle. Dennoch werden externe Zuschreibungen internalisiert und reproduziert und beeinflussen das Handeln der Menschen (vgl. Beitrag Strüver in diesem Band). Theoretisch-konzeptionelle Ansätze der Sozialund Kulturgeographie beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise mit der Konstruktion von Wirklichkeiten und der praxeologischen Konstitution von Raum. Konstruktivistisch orientierte Untersuchungen stützen sich dabei auf sprachanalytische Betrachtungen und decken strukturierende Mechanismen auf und dekonstruieren z.B. diskursiv gefestigte Machtkonstellationen (vgl. für die deutschsprachige Geographie: Schlottmann 2005; Glasze/Mattissek 2009; Belina/Michel 2008). Ein relevanter Aspekt, der in Stadtplanungsprozessen oft vernachlässigt wird, ist die emotionale Komponente, die demnach in Planungsprozessen auch nicht sichtbar ist. Im Zuge der Re-Materialisierung in der Humangeographie wurde die Forderung laut, sich nicht nur auf das Repräsentationale zu fokussieren, und performative, affektive und atmosphärische Ansätze, die sich an der Phänomenologie orientieren, hielten Einzug in den geographischen Forschungsdiskurs (vgl. Jackson 2000; Kazig/Weichart 2009). Jürgen Hasse, der die Vergessenheit der menschlichen Gefühle bemängelt und damit die sinnlich-leibliche Betroffenheit in den Fokus des Forschungsinteresses stellt, hat den aus der Philosophie stammenden Begriff der Atmosphäre in die humangeographische Diskussion eingeführt und die Bedeutung von Emotionen für die Stadtforschung betont (1999, 2002a, b). Der atmosphärische Ansatz wurde auch von Rainer Kazig (2007) aufgegriffen, der diesen mit dem Handlungsbegriff verknüpft. Das leibliche Erfahren von Umgebungen wird damit thematisiert und bildet einen konzeptionellen Anknüpfungspunkt, um Bedeutungen und Wahrnehmungen von Bewohnerinnen und Bewohnern analytisch zu greifen. Wie werden nun aber die Sichtweisen der Menschen in Stadtplanungsprozessen berücksichtigt? Die Beteiligung der Öffentlichkeit in formellen

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Planungsprozessen ist im Baugesetzbuch §3 festgeschrieben und in ein frühzeitiges Informieren und eine öffentliche Auslegung unterteilt. Um Interessen der Bürgerinnen und Bürger in stadtplanerische Prozesse einfließen zu lassen, sind informelle, partizipative Instrumente ein gängiges Mittel, z.B. in Form von Ideenwerkstätten. Dabei wird vonseiten der Forschung kritisiert, dass es sich indes oft nur um eine Inszenierung von Beteiligung handelt und es darum gehe, für eine bereits getroffene Entscheidung Akzeptanz unter der Bevölkerung herzustellen (Selle 2014: 11). Zudem soll an dieser Stelle die Frage nach der Art und Weise der Übersetzung der gewonnenen Ergebnisse aus informellen Planungsmethoden aufgeworfen werden. Wie werden diese auf bereitet und welche Wirklichkeiten damit hergestellt? In der Planungspraxis werden diese Ergebnisse häufig wieder in Tabellen, Diagrammen und Karten zusammengefasst und transferiert sowie mit Fotografien untermalt und damit in eine Form übersetzt, in der der emotionale Aspekt, der bei Beteiligungsprozessen immer mitschwingt, wieder verloren geht. Die Praxis in Planungsprozessen stellt eine etablierte Sichtweise auf Stadt dar, in der die Bedürfnisse der Menschen, die in einer Stadt leben, oft nicht ausreichend berücksichtigt und integriert werden. Der Versuch, dieser planerischen (Vogel-)Perspektive die Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner und damit eine alternative Raum- und Bildsprache gegenüberzustellen, wird in diesem Beitrag anhand eines möglichen methodischen Vorgehens veranschaulicht, um Unsichtbares sichtbar zu machen. Welche Sicht haben die Menschen, die in der Stadt leben, auf die Umgebungen, in denen sie sich alltäglich bewegen? Welche Emotionen, Erinnerungen, Vorstellungen verknüpfen sie mit den Orten, an denen sie sich aufhalten? Welche Bedeutungen ergeben sich daraus? Damit fokussiert der Beitrag die subjektiven Raumbilder, also mentalen Bilder oder Vorstellungen, und die methodologische Frage, wie diese erfasst werden können, wird im nächsten Abschnitt näher betrachtet.

8.3 M e thodologische Ü berlegungen zum B ildbegriff Analog zum aktuellen Forschungsdiskurs in der neu ausgerichteten Kulturgeographie wird zunächst der phänomenologische und semiotische Bildbegriff verglichen, um einen geeigneten Bildbegriff für die empirische Forschung zu artikulieren, denn »wenn man sich dafür interessiert, was überhaupt ein Bild ist, bleibt einem – ob man es mag oder nicht mag – einfach gar nichts anderes übrig, als zu philosophieren« (Wiesing 2004b: 165). Lambert Wiesing formuliert damit die Komplexität der begrifflichen Abgrenzung und stellt dem phänomenologischen den semiotischen Bildbegriff gegenüber. Er spricht in

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diesem Zusammenhang von einer »Semiotifizierung des Bildes« (ebd.: 159) und kritisiert die zweidimensionale, reduktionistische Perspektive auf Gegenstände einer semiotisch-sprachanalytischen Betrachtungsweise, die durch einen funktional verwendeten Bildbegriff nicht zwischen Bild und Zeichen differenziert. Sein Vorschlag einer dreidimensionalen Unterscheidung zwischen Dingen, Zeichen und Bildern leitet sich aus der phänomenologischen Denkweise her, die das Phänomen der Bildlichkeit betrachtet und Bilder nicht notwendigerweise als Zeichen begreift. Dennoch, konstatiert Wiesing, können Bilder auch die Eigenschaft eines Zeichens haben, indem sie für den Betrachtenden eine Bedeutung haben (ebd.: 153ff), und dass z.B. mediale Bilder unbestritten Zeichen sind. Dadurch stimmt er Wittgenstein zu, dass Zeichen erst durch Verwendung zu Zeichen werden. Während die Perspektive einer semiotischen Bildtheorie, mit Rückbezug auf die Sprachtheorie, Bilder grundsätzlich als Zeichen betrachtet und durch ein sprachanalytisches Instrumentarium deutet und damit allem einen Inhalt zuschreibt, stützt sich die phänomenologische Denkweise währenddessen auf Bewusstseinstheorien. Dadurch treten die wahrnehmbaren Aspekte eines Gegenstandes in den Vordergrund und der Bewusstseinsakt des Sehens ist grundlegend. Die Interpretation von Bildern erfolgt über die Sichtbarkeit (ebd.: 154). Das Sehen wird diskurs- und sprachanalytisch, also im Sinne Panofskys ikonographisch verstanden und angewendet und die Interpretation erfolgt über bestimmtes Vorwissen, das gesellschaftliche, kulturelle und politische Kontexte aufdeckt und Bilder in diese einordnet. Die sprachliche Einbindung des Bildlichen ist dabei ein elementarer Bestandteil. In diesem Sinne werden z.B. Karten in kulturgeographischen, diskurstheoretischen Ansätzen als Texte interpretiert und damit als Zeichen gelesen, um dahinterstehende Intensionen aufzudecken (vgl. Mose/Strüver 2009). Phänomenologisch-leiblich betrachtet ist währenddessen das Ereignis des Sehens entscheidend und die Frage nach dem, was sich zwischen Bild und betrachtender Person aufspannt. Einen konzeptionellen Anknüpfungspunkt zur Erhebung von Wahrnehmungen bilden hier atmosphärische Ansätze, die nach dem »Dazwischen« fragen und die Ungreif barkeit von Atmosphären thematisieren (vgl. Beitrag Hasse in diesem Band). Der Ansatz zur Ikonik von Ihmdahl vereint im erkennenden Sehen, welches sich aus zwei Dimensionen der Sichtbarkeit zusammensetzt, die semiotische und phänomenologische Perspektive. Zum einen konzeptualisiert er im wiedererkennenden Sehen die semantische Analyse eines Bildes und zum anderen im Sehenden Sehen die Ebene des formalen Bildsinns. Durch die Zusammenführung beider Dimensionen zum erkennenden Sehen wird der Akt des Sehens und damit der Brückenschlag zum Phänomen des Bildlichen hergestellt (vgl. Beitrag Dickel in diesem Band). In Anlehnung an Merleau-Ponty, der die in der husserlschen Phänomenologie verankerte Trennung von Subjekt und Objekt überwindet und seinen Zugang durch die leibliche Erfahrung be-

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gründet, konzipiert Schürmann (2008) unter Hinzunahme der Sprachphilosophie Wittgensteins das Sehen als performative Praxis (vgl. Beitrag Strüver in diesem Band). Dadurch wird das Sehen weder rein phänomenologisch noch semiotisch konzeptualisiert und bietet methodologisch einen geeigneten Ansatz. Denn was sichtbar ist und was nicht, wird zum einen über die leibliche Erfahrung konfiguriert und ist zum anderen durch gesellschaftliche Normen inkorporiert. Sehen wird im Folgenden als Bewusstseinsakt des leiblich-sinnlichen Menschen verstanden, der seine Umgebung aufgrund seiner sozialkulturellen Prägung interpretiert sowie aufgrund einverleibter Gewohnheiten handelt. Welche Relevanz haben diese bildtheoretischen Überlegungen nun für die empirische Übertragbarkeit? Peter Dirksmeier hat die Bedeutung des husserlschen Bildbegriffs für die empirische Anwendbarkeit herausgearbeitet und zeigt damit durch eine reflexive Verwendung von Fotografien im Forschungsprozess eine Dimension auf, die den Bezug des wahrnehmenden Subjekts zu seiner Umgebung aufdecken kann (Dirksmeier 2007b: 8; vgl. auch Beitrag Dirksmeier in diesem Band). Um Wahrnehmungen und Bedeutungen aufzudecken, bietet dieser methodische Ansatz einen Ausgangspunkt, um Fotografien als visuelle Medien im Forschungsprozess einzusetzen. Das Fotografieren relevanter Situationen und Orte aus Sicht der Person, die diese mit ihrer emotionalen Erfahrung verknüpft, stellt eine Möglichkeit dar, diese zunächst zu erfassen und im Nachhinein zur Validierung und Kontextualisierung zu nutzen. Visuelle Medien in Form von Karten und Fotografien kommen im Kontext der Stadtplanung verstärkt zum Einsatz und stehen deshalb auch im Fokus des Forschungsinteresses, wenn es um die empirische Erfassung von Wahrnehmungen und Bedeutungen aus Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner geht. »Mehr-als-repräsentationale Ansätze« (vgl. Lorimer 2005) werden auch vonseiten der kritischen Kartographie aufgegriffen und die performative Praxis des Karten-Machens als ein Handeln begriffen, um Unsichtbares aufzugreifen und damit Gegendarstellungen zu entwerfen, die Unbekanntes visualisieren (vgl. Kitchin et al. 2009; Michel 2010)1. Wie können nun Wahrnehmungen und Bedeutungen urbaner Räume empirisch erfasst werden? Der Vollzug des Sehens oder die praxeologische Konstitution des Sehaktes kombiniert mit der Praxis des Gehens bietet einen geeigneten methodologischen Ansatz für die in diesem Beitrag aufgeworfene Fragestellung. Die visuelle Erfahrung wird dabei mit körperlicher Erfahrung in Bezug gesetzt und im nächsten Abschnitt vorgestellt.

1  |  Ein Beispiel dafür sind kollektive Karten, die in einem partizipatorischen Prozess erstellt werden (Kollektiv Orangotango 2012).

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8.4 U rbane E rkundungen am B eispiel des C hemnit zer B rühl B oule vards Ausgehend von der Überlegung, dass Wahrnehmung kein rein kognitiver Prozess ist, sondern als Praxis verstanden wird, die in spezifischer Form abhängig vom leiblich erfahrbaren Kontext angewandt wird, und Bedeutungen sich aus individuellen Deutungsmustern konstituieren, die sozial-kulturell und durch externe symbolische Zuschreibungen geprägt sind, stehen einerseits die Wechselwirkung von Materialität und Leiblichkeit und andererseits die gelebte Praxis im Fokus der Untersuchung. Das Gehen, welches Körperlichkeit und Raumerfahrung zueinander in Bezug setzt, eignet sich deshalb, um die materiellen Bedingungen, in denen sich räumliche Praktiken entfalten, zu erfassen. Es gibt verschiedene Ansätze, die sich mit dem Gehen als Methode beschäftigen. Wesentliche Unterscheidungsmerkmale sind die Art der Konzeption des Weges – offen oder (ab-)geschlossen, die Vertrautheit mit der Umgebung und ob man alleine oder in Gemeinschaft geht (vgl. Evans/Jones 2011; Legnaro 2010). Das Fotografieren der Orte und Situationen während des Gehens ermöglicht zum einen, die Verbindung der Person zur Umgebung zu erfassen, und zum anderen, im Nachhinein die Möglichkeit zu haben, in einem reflexiven Gespräch die Bedeutung zu rekonstruieren und zu kontextualisieren. Ein weiterer Aspekt ist, dass dadurch Bilder erzeugt werden, die in Planungszusammenhängen nicht auftauchen und damit eine erweiterte Sicht auf urbane Räume darstellen. Anknüpfend an atmosphärische Ansätze und Bezug nehmend auf die Theorie der Produktion des Raumes von Henri Lefebvre (1974) ergeben sich drei Dimensionen, durch deren dialektische Verbindung Raum erst entsteht. Der wahrnehmbare Raum oder die Ebene der materiellen Produktion lässt sich durch das Begehen empirisch rekonstruieren und durch einen Rückbezug auf die Bedeutungsproduktion des erlebten Raumes kontextualisieren. Dabei werden sowohl emotionale als auch kulturell-sozial geprägte Aspekte berücksichtigt und sichtbar gemacht. Die konzipierte Ebene der Wissensproduktion, auf der die konstruierten Raumbilder der Stadtplanung und ebenso die eigene wissenschaftliche Praxis zu verorten sind, stellt den Rahmen der Reflexion dar2. Das Gehen setzt Körperlichkeit und Raumerfahrung zueinander in Bezug und wird deshalb als methodisches Vorgehen gewählt, um Wahrnehmungen und Bedeutungen aus Sicht von Bewohnern zu erfassen und sichtbar zu ma-

2  |  Das wechselseitige Positionieren von Forscherin und Beforschten wäre hier zu bedenken, steht aber nicht im Fokus der Ausführungen des Beitrags.

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chen. Die Methode der Urbanen Erkundung3 ist angelehnt an die aus der Ethnologie stammende Methode der go-alongs, die es ermöglicht, verdeckte und unbewusste habituelle Zusammenhänge, die mit Orten und Umgebungen verknüpft sind, zu erfassen. Durch eine Kombination aus bewegter Interviewsituation und teilnehmender Beobachtung können neben Wahrnehmungsprozessen, biographischen Orten, räumlichen Praktiken und der Verortung im Netz sozialer Beziehungen auch Interaktionen im sozialen und alltäglichen Umfeld einer Person untersucht werden (Kusenbach 2003: 466ff). Die Erkundung findet jeweils mit einer Person statt, die den Weg vorgibt, und setzt die körperliche Bewegung direkt mit der visuellen Erfahrung in Bezug. Während des Gehens wird das Gespräch mittels eines Ansteckmikrophons und eines Aufnahmegeräts aufgezeichnet und die Person dokumentiert zusätzlich durch Fotografieren die für sie bedeutenden Situationen und Orte. Des Weiteren werden die Routen per GPS dokumentiert, um nicht nur zu erfassen was, sondern auch wo die Aussagen getroffen wurden. Eine rein sprachliche Auf bereitung des Datenmaterials würde der Komplexität von Wahrnehmungen und Bedeutungen sowie atmosphärischen Aspekten nicht gerecht werden, weshalb sich einige Herausforderungen für die Darstellung der multidimensionalen Daten ergeben. Die Verknüpfung der sprachlichen Aussagen und visuellen Dokumentation, in Form von Fotografien, stellt eine Möglichkeit dar, die einen empirischen, performativen Ansatz aufzeigt. Die während der Erkundung erhobenen Daten werden in kleinen (Film-)Sequenzen zusammengebracht, indem die Audiodateien und die Fotografien übereinandergelegt werden. Eine weitere Ebene ist eine Teiltranskription der Aussagen und Zuschreibungen, die zusätzlich erfolgt und ebenfalls in der Sequenz sichtbar gemacht wird. Damit ist es möglich, die Vorstellungen und Zuschreibungen direkt im Kontext nachzuvollziehen und sie mit der visuellen Erfahrung in Bezug zu setzen. Die Auf bereitung erhebt nicht den Anspruch, eine vermeintliche Wirklichkeit abzubilden, sondern stellt einen Beitrag dar, die individuellen Wahrnehmungen und den Herstellungskontext nachzuvollziehen und sichtbar zu machen und kann als alternative Raum- und Bildsprache zur etablierten Sichtweise von Planung verstanden werden. Durch die Verbindung der Sequenzen mit den erhobenen GPS-Daten ergibt sich eine weitere Dimension, die als Entwurf eines Countermapping betrachtet werden kann4. 3 | Die Methode wird im Rahmen eines laufenden Dissertationsprojektes entwickelt und hier ein Einblick in das methodische Vorgehen gegeben. Weitere Informationen unter: www.urbane-erkundungen.de. 4 | Damit besteht die Möglichkeit, die eigene Wahrnehmung vor Ort mit den während der Erkundungen erhobenen Perspektiven abzugleichen. Ein Beispiel für die konkrete Anwendung der Methode ist ein Stadtteilführer, der im Rahmen eines studentischen Pro-

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Um einen Eindruck zu bekommen, wird im Folgenden anhand des Chemnitzer Brühl Boulevards ein Auszug aus dem Datenmaterial5 vorgestellt. Die Auswahl des Beispiels begründet sich zum einen aus der Tatsache heraus, dass an diesem Ort mehrere Erkundungen stattgefunden haben und sich dadurch verschiedene Perspektiven aufzeigen lassen. Zum anderen wurde 2012 im Auftrag der Stadt Chemnitz eine städtebauliche Planungsstudie erstellt, die die geplante Entwicklung des Brühl Boulevards repräsentiert. Einführend wird kurz die Entwicklung des Stadtteils erläutert, um den Kontext zu erläutern. Im Zuge der gründerzeitlichen Stadterweiterungen, die in diesem Teil der Stadt insbesondere mit der Inbetriebnahme der nahe gelegenen Aktienspinnerei ab 1860 einherging, entwickelte sich der heutige Brühl6 als klassisches Arbeiterviertel. Während die Chemnitzer Innenstadt im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört wurde, ist die Bausubstanz des Brühl-Viertels nahezu erhalten geblieben. Ab den 1970er Jahren wurde der Brühl Boulevard im Zuge des sozialistischen (Wieder-)Auf baus zum Geschäfts- und Wohnviertel um- und ausgebaut und erlangte nicht nur für Chemnitz große Bedeutung, sondern auch über die Stadtgrenzen hinaus. Durch den in den 1990er Jahren eintretenden Wegzug großer Teile der Bevölkerung kam es nach und nach auch zum Schließen der Geschäfte und somit zu einem »Aussterben« des Brühl Boulevards. Zudem bewirkten die am Stadtrand errichteten Einkaufszentren, dass der Boulevard mit seinen kleinteiligen Geschäften nicht mehr konkurrenzfähig war, und beschleunigten diesen Prozess. Die Maßnahmen der städtebaulichen Erneuerung konzentrierten sich zu dieser Zeit auf den Auf bau des Innenstadtzentrums (Denzer 2002: 255ff) und obwohl es einige Bestrebungen zur Wiederbelebung des Brühl Boulevards7 gab, verfiel das Gebiet immer mehr. Seit 2012 liegt eine Planungsstudie des Architektenbüros Albert Speer & Partner vor, die den Bürgerinnen und Bürgern in einer Bürgerplattform vorgestellt wurde und als Planungsgrundlage zur Entwicklung des Brühl Boulejektes an der TU Chemnitz im Sommer 2013 entstanden ist. Dabei werden die Sequenzen über ein GPS-fähiges Tablet dargestellt und sind erst vor Ort durch die verknüpften Koordinaten abrufbar. Weitere Informationen: sonnenberg.urbane-erkundungen.de. 5 | Die Auswertung der Daten ist noch nicht vollständig abgeschlossen, sodass hier nur eine Skizze dargestellt werden kann und keine abschließenden Aussagen getroffen werden können. 6  |  Der Brühl ist kein klar abgegrenzter Stadtteil und umfasst den Brühl Boulevard und das Gebiet Brühl-Nord, welches 1996 in das EU-Programm URBAN aufgenommen wurde (Schmitt 2000:  2; vgl. Chemnitzer Geschichtsverein 2000). Die Ausführungen beziehen sich im Folgenden auf den Brühl Boulevard. 7 | Ein Beispiel ist das jährlich stattfindende Kunstfestival Begehungen, das 2008 auf dem Brühl Boulevard sowie 2010 in der angrenzenden Karl-Liebknecht-Schule stattfand.

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vards dient. Diese beinhaltet städtebauliche Elemente zu baulichen Aspekten, Verkehr und Freiraum, die mit Karten, Fotografien, Skizzen und Projektionen veranschaulicht werden8.

Abb. 8.1: Auszug aus der Planungsstudie zur Entwicklung des Brühl Boulevards (Quelle: AS&P – Albert Speer & Partner GmbH [2012]: S. 4, 9)

8  |  Auf der Webseite der Stadt Chemnitz wird der Kiezboulevard als »urbaner belebter Raum« und die Quartiersmitte als »Begegnungsraum« beschrieben: http://chemnitz. de/chemnit z/de/die-stadt-chemnit z/stadtentwicklung/entwicklung-bruehl/master plan-bruehl/index.html (letzter Zugriff: 20.08.2014).

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Abb. 8.2: Auszug aus dem Datenmaterial9: 50.841117, 12.923800 (Bild 1); 50.841016, 12.923878 (Bild 2, Bild 3); 50.840904, 12.923819 (Bild 4); 50.842096, 12.924429 (Bild 5); 50.842638, 12.924762 (Bild 6) (Quelle: Eigene Daten) Um atmosphärische und emotionale Aspekte zu erfassen, steht die Wahrnehmung der Menschen im Vordergrund. Die Erkundungen haben im Sommer 2012 stattgefunden und die Wege wurden von den Teilnehmenden vorgegeben. Im Zuge dessen war der Brühl Boulevard auch Teil von mehreren Erkundungen, von denen nun zwei auszugsweise vorgestellt werden. Die erste Person beschreibt den Brühl als »etwas Besonderes« und begründet ihre Bedeutung des Ortes damit, dass sie viele Menschen dort kennengelernt hat. Die Verknüpfung emotionaler Erlebnisse und Erinnerungen steht dabei im Vordergrund. 9  |  Link zum Video: http://vimeo.com/erkundungen/bruehl-boulevard (letzter Zugriff: 15.12.2014).

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Durch die Erzählung wird ihre Sichtweise zum sozialen Ereignis und die Fotografien, durch die sie diesen Ort dokumentiert, halten Aspekte ihrer persönlichen Erlebnisse fest. Die Aussage »das hat noch keiner aufgenommen« zeigt, dass eine Perspektive eingenommen wird, die sonst nicht sichtbar ist. Die zweite Person beschreibt den Brühl Boulevard »als das Sorgenkind der Stadt« und ergänzt »das ist nun das traurige Bild des Brühls«. Ihre Schilderungen der heutigen Situation begründen sich einerseits aus einem vorherigen Erleben, als der Boulevard noch eine lebendige Geschäftsstraße war. Die Aussage »es gab Geschäft an Geschäft« zeigt die Bezugsebene der Person auf. Andererseits ist mit der Frage »Wollen Sie so was auch dokumentieren?« die Erwartung an die Forscherin verbunden, eine bestimmte Sicht auf den Ort erfassen zu wollen. Dabei ist zu vermuten, dass die Person davon ausgeht, eine Perspektive wiedergeben zu müssen, die nichts mit ihr persönlich zu tun hat. An dieser Stelle möchte die Methode der Urbanen Erkundungen einen Beitrag dazu leisten, eine Situation zu schaffen, in der es möglich wird, auf eine andere Art und Weise über Stadt zu reden und die eigene Perspektive zu artikulieren. Dabei geht es nicht darum, eine Methode für Planungsprozesse zu schaffen, sondern aus einer wissenschaftlichen Perspektive einen Ansatz aufzuzeigen, der die planerische Lücke aufgreift und die etablierten Sichtweisen auf Stadt erweitert, indem die heterogenen Blickwinkel der Menschen übersetzt und damit sichtbar und lesbar werden. Abschließend werden die Differenzen zwischen Planungsprozessen und den vielfältigen Perspektiven der Menschen nochmal skizziert, um über ein konstruktiv-reflexives Planungsverständnis nachzudenken.

8.5 S ichtbares und U nsichtbares — ein F a zit Die in Planungsprozessen hergestellten Realitäten werden in Form von Karten, Diagrammen und Modellen visuell umgesetzt und stellen eine etablierte Sichtweise auf Stadt dar. Dabei werden soziale, emotionale und atmosphärische Aspekte häufig vernachlässigt und der Fokus auf städtebauliche Maßnahmen gelegt. Die Perspektiven der Menschen, die in dieser containerräumlichen Projektion leben, kann als eine erweiterte Sichtweise und alternative Raum- und Bildsprache verstanden werden. Die Methode der Urbanen Erkundung stellt einen Beitrag dar, wie unterschiedliche Perspektiven von Bewohnerinnen und Bewohnern erfasst werden können und durch die audiovisuelle Darstellung sichtbar und nachvollziehbar werden. Der Einsatz von Fotografien in der empirischen Forschung ermöglicht zum einen, die Situationen zu dokumentieren, die für die Menschen bedeutend sind, und kann damit einerseits zum Gegenstand der Kommunikation gemacht werden und andererseits für einen reflexiven Nachvollzug im Forschungsprozess eingesetzt werden. Die Verbindung

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mit den aufgezeichneten Aussagen erweitert die Darstellung der Perspektiven um emotionale und atmosphärische Aspekte, deren Ungreif barkeit nur durch die Person vermittelt werden kann. Das Ablösen von konventionellen Erhebungs- und Darstellungsmethoden, wie sie in Planungsprozessen momentan praktiziert werden, wirft Fragen nach dem aktuellen Planungsverständnis auf, das oft an den Menschen, die in der Stadt leben, vorbeigeht. Die Heterogenität der Sichtweisen und Ungreifbarkeit von atmosphärischen und emotionalen Aspekten bringt Herausforderungen mit sich, die nur schwer in bekannte (visuelle) Medien der Stadtplanung übersetzt werden können. Aus wissenschaftlicher Perspektive stellt die Erweiterung durch eine audiovisuelle Darstellung eine Möglichkeit dar, dass diese unterschiedlichen Sichtweisen auf Stadt vermittelbarer werden. Die Notwendigkeit, die Bedürfnisse von Bürgerinnen und Bürgern in Planungsprozessen zu berücksichtigen, hat eine besondere Relevanz. Die Bedingung dafür ist aber, andere Sichtweisen und damit verbunden eine momentan noch vernachlässigte Raum- und Bildsprache zuzulassen. Ein Planungsverständnis, das nicht nur für bereits bestehende Pläne Akzeptanz schaffen will, sondern den Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe begegnet, wäre dafür notwendig und wünschenswert.

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9. RaumBilder und Sozialisation: Sehen lernen Kathrin Hörschelmann »Seeing comes before words. The child sees and recognizes before it can speak.« (Berger 1988: 7) »It is at the same time true that the world is what we see and that, nonetheless, we must learn to see it …« (Merleau-Ponty 1968: 4)

9.1 E inleitende B emerkungen Visualität und der Umgang mit dem Visuellen ist von starken Widersprüchen gekennzeichnet. Einerseits ist Sehen für alle, die (noch) im Besitz eines relativ klaren Augenlichts sind, so allgegenwärtig, dass es kaum bemerkenswert erscheint. Andererseits ist die Art und Weise, wie wir mit Bildern umgehen, wie wir das Sehbare wahrnehmen und verarbeiten und welche Bilder wir selbst (re-)produzieren, nicht naturgegeben, sondern in hohem Maße erlernt (vgl. Harrison 2004; Dirksmeier 2007a). Sozialisationstheoretiker haben sich bisher wenig mit dem Erlernen des Sehens und noch weniger mit dem Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Werten, Normen, Rollen und RaumBildern beschäftigt. Dennoch sind ihre grundlegenden Ansätze und Annahmen durchaus auf diese Fragen anwendbar, und sowohl konstruktivistische als auch historisch-materialistische Bildund Medienforscher teilen diese zu einem gewissen Grad (vgl. van Leeuwen 2005; Kress/van Leeuwen 1996; Hall 1997; Rose 1993). Wir könnten zunächst postulieren, dass raumbezogene Sicht- und Darstellungsweisen gesellschaftlich geprägt sind, eben weil sie erlernt werden. Im Detail könnten wir dann untersuchen, • wie genau raumbezogenes Sehen und Darstellen in bestimmten institutionellen Kontexten und Lebensphasen vermittelt und angeeignet wird (Kindheit; Jugend; Schule; Medien …),

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• welche Rolle es bei der Eingliederung in bestimmte gesellschaftliche Strukturen sowie bei der Aneignung gesellschaftlicher Normen und Verhaltensweisen spielt und • inwiefern es die Verortungen von gesellschaftlichen Gruppen und von Subjekten in Gesellschaften beeinflusst. So können wir ganz konkret fragen, inwiefern das Vermitteln räumlicher Zusammenhänge durch kartographische Visualisierungen und andere (vor allem fotografische) RaumBilder in schulischen Lernkontexten und Mediendarstellungen bestimmte Werte, normative Sichtweisen sowie gesellschaftliche Verortungen von Subjekten reflektieren sowie prägen. Die Grenzen-markierende politische Karte, der flache 2-D-Blick aus der abstrahierenden Vogelperspektive, die fotografische Darstellung spektakulärer Naturräume als Symbol für geographisches Wissen, bildliche Gegensatzpaare (»entwickelte« gegenüber »unterentwickelten« Räumen und Subjekten) – wie prägen diese und andere Bilder durch regelmäßige Wiederholung in institutionellen und Alltagskontexten unsere Sichtweisen, Normen, Werte, Rollenverständnisse und Identitäten mit? Und wie beeinflussen sie weitere bildliche Darstellungen von Räumlichkeit, z.B. in der Fotografie von Touristen (vgl. Crang 1997), in der Landschaftsmalerei (vgl. Cosgrove/Daniels 1988) oder in geopolitischen Repräsentationen (vgl. Campbell 1992; Tuathail 1996)? Dieses Kapitel nähert sich diesen Fragen über eine Diskussion semiotischer, ikonographischer und historisch-materialistischer Ansätze zu Sozialisation und visueller Darstellung, verweist aber gleichzeitig auf die Grenzen der Anwendbarkeit und des Erklärungspotentials von Sozialisierungstheorien, indem es einerseits die Pluralität von Bildern und Bildlichkeit und andererseits deren Performativität (als veränderliche Wirksamkeit, vgl. Butler 1989, 1993; Gregson/Rose 2000) und relationale Verarbeitung in gesellschaftlichen Kontexten aufzeigt, die ihrerseits durch Veränderlichkeit und Diversität gekennzeichnet sind. Dass »Sozialisation« in der Wahrnehmung und Produktion von Raumbildern induktiv nur schwer zu ermitteln und nachzuweisen ist, wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung oft sehr schnell deutlich. Wenn wir uns den Lebenswelten von Forschungsteilnehmern durch Bilder zu nähern versuchen, erreichen wir schnell die Grenzen empirischer Wahrnehmbarkeit und analytischer Abstrahierbarkeit. Ist es möglich, das herauszufiltern, was den Blick unserer Teilnehmer prägt? Können wir ihre Bilder über Sozialisationsfaktoren besser oder überhaupt verstehen? Warum brauchen wir Bilder, wenn Sozialisation anscheinend bereits alles erklärt? Ethnographische Untersuchungen und Forschungen aus symbolisch-interaktionistischer Perspektive, die auf kontextspezifische Herstellungs-, Interpretations- und Nutzungsweisen von Bildern fokussieren (vgl. Pink 2013), zeigen, wie kompliziert es ist, die Verbindungen

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zwischen variablen Bildinhalten, verschiedenen Wahrnehmungsprozessen und kontextuellen Gegebenheiten nachzuzeichnen und zudem aufzuzeigen, inwiefern diese gesellschaftlich vorstrukturiert sind. Um diese Überlegungen zu konkretisieren, beziehe ich mich in den folgenden Absätzen neben der breiteren wissenschaftlichen Debatte auch auf meine eigenen Forschungen zu Globalisierung und jugendlichen Lebenswelten. Ich zeige auf, warum die von jugendlichen Teilnehmern selbst produzierten Bilder schwer in einen eindeutigen Bezug zu Sozialisation zu bringen sind, und schlage vor, das Potential des Bildes weniger im Sehbaren als im mittelbar Erfahrbaren und im »Fehlenden«, »Unsichtbaren« festzumachen, das sich nie komplett greifen oder rekonstruieren lässt, aber dennoch die Beziehung zwischen Bild, Darstellender/Darstellendem und Betrachter mitgestaltet und dem Bild somit in gewisser Weise »innewohnt« (vgl. Mitchell 2005; MerleauPonty 1968).

9.2 A nsät ze zur A nalyse von S ozialisation und B ild 9.2.1 Sozialisation durch (Raum-)Bilder Die Annahme, dass Bilder ihre Rezipienten sozialisieren, findet sich in zahlreichen Studien und auch in vielen Alltagsdebatten wieder (u.a. zu Medienkultur, Konsumption, Identität und Lebensstil). Sie reicht von alarmistischen, ikonoklastischen Warnungen über die angenommene verführerische Kraft von Bildern hin zu systemkritischen, historisch-materialistischen Analysen dominanter oder bevorzugter Bedeutungen, die über Bilder vermittelt werden (vgl. Kritiken von Ryan 2003; Mitchell 2005). Zu nennen wären hier vor allem funktionalistisch-strukturalistische und historisch-materialistische Ansätze in der Soziologie, Sprach- und Kulturwissenschaft, die dem Bild regulierende und strukturierende Wirkungen beimessen und insbesondere versuchen, darzulegen, wie Bilder durch strukturierte Mitteilungen und Positionierungen wiederum strukturierend in Subjektivierungsprozesse eingreifen (vgl. z.B. Dill/ Thill 2007; vgl. Beitrag Felgenhauer in diesem Band, Kapitel 4). Doch wird hier zumeist der Blick der oder des Analysierenden priorisiert. Im Bild (anscheinend) angelegte, bevorzugte Sichtweisen, Interpretationen und Positionierungen werden vom Analysierenden zunächst herausgefiltert und es werden auf dieser Grundlage entweder direkte Rückschlüsse auf deren allgemeine Wahrnehmung gezogen, oder empirisch erforschte Interpretationen werden mit jenen der Analysierenden verglichen. Vertreter der psychoanalytisch-geprägten »Screen Theory« (vgl. Jancovich 1995), untersuchen zum Beispiel,, inwiefern bereits die im Bild angelegten Blickrichtungen (»Gaze«) den oder die Zuschauerin positionieren und nur bestimmte Subjektivitäten zulassen. Dies

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hat vor allem in der feministischen Medienforschung zu heftigen Debatten geführt, da psychoanalytische Ansätze die komplexe Positionierung von Zuschauern und Zuschauerinnen häufig entweder komplett unterschlagen oder eine Art »Complicity« der Frauen voraussetzen (u.a. ein temporäres »Hineinschlüpfen« in männliche Rollen und die Adaption patriarchalischer Blickrichtungen; vgl. van Zoonen 1994). Queer-Theorists haben jedoch auch darauf hingewiesen, dass gerade diese Komplexität weiblicher Positionierungen aufzeigt, dass heteronormative Gender-Rollen sozial konstruiert sind und die »Grenzen« zwischen sexuellen Neigungen schon allein im Medienkonsum fließend sind (Sedgwick 1997). Postkoloniale und sozialistisch-feministische Kritiker und Kritikerinnen verweisen zudem darauf, dass in Mediendarstellungen rassistische und klassenspezifische Sichtweisen weiterhin dominieren (Hooks 1990, 2000). In all diesen Arbeiten wird also durchaus davon ausgegangen, dass »Sozialisation« im Sinne dominierender Sichtweisen von Medienproduzenten und hegemonialer Darstellungsformen durchaus in medial-visuellen Repräsentationen nachgewiesen werden können, doch nie losgelöst vom gesellschaftlichen Kontext verstehbar sind.Durch den wachsenden Einfluß der »British Cultural Studies« hat sich seit den 1980er Jahren allerdings ein grundlegender Wandel hin zu ethnographischen Studien vollzogen (vgl. Morley 2003 und Absatz 9.2.2) und Bildinhalte werden inzwischen kaum noch als determinierend verstanden. Ein weiterer interessanter Punkt, der allerdings selten thematisiert wird, ist die Rolle von visuellen Objekten und Formen selbst in der Vermittlung und Konstruktion sozialer Beziehungen. Hiermit meine ich weniger Bildinhalte als die Präsenz und Handhabung verschiedener bildlicher Materialien in sozialen Kontexten. Forschungen zum Umgang Jugendlicher mit digitalen Medien und sozialen Netzwerken im Internet sind hierzu besonders aufschlussreich. Sie deuten darauf hin, dass visuelle Materialien und Technologien (als Medien) ein wichtiger Baustein für soziale Prozesse sind und der Umgang mit ihnen Sozialisationsprozesse beeinflusst. So wird in sozialwissenschaftlichen und geographischen Untersuchungen einerseits auf Generationsunterschiede im Umgang mit Informationstechnik hingewiesen und andererseits auf sehr unterschiedliche »Genres« der Verwendung, die weniger alters- als interessensspezifisch sind (vgl. Ito et al. 2008; Holloway/Valentine 2003). Auch werden soziale Positionierungen und Identitäten im Alltag oft sowohl von der Präsenz als auch von der Verwendung bestimmter visueller Materialien abgelesen, sodass Bildern hier durchaus eine mitgestaltende Rolle in Sozialisationsprozessen zugeschrieben wird. In ethnographischen Studien wird so zum Beispiel die Verwendung von Familienfotografien, Gemälden, Postern und deren Positionierung in Alltagsräumen analysiert (Pink 2013; Harrison 2004; Rose 2012). Auch die An- oder Abwesenheit von bestimmten Bildern und Bildformen in privaten und öffentlichen Räumen kann als Zeichen von,

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und als Einfluß auf, deren Wahrnehmung sozialer oder kultureller Unterschiede verstanden werden (vgl. Bourdieu 1984; Pink 2013). Über diese Präsenzen und Verortungen von Raum-Bildern in verschiedenen Räumen hinaus ist für Geographen sicher auch relevant, obschon selten erforscht, wie visuelle geographische Darstellungen den ›Blick‹ auf die räumliche Gestaltung der Welt schulen, inwiefern also z.B. durch Wiederholung räumlicher Muster, Modalitäten, Rahmungsformen, Kompositionen etc. Sehgewohnheiten entstehen, die auch andere visuelle Zugänge zu Räumlichkeiten (und deren Darstellung) beeinflussen, also quasi den Blick lenken und ästhetische Sinne wie auch affektive Reaktionen mit prägen. Jedoch gibt es hierzu wenige verlässliche Studien und sowohl ikonographische als auch diskursanalytische Untersuchungen in der Kulturgeographie beschränken sich in der Regel auf Annahmen unterschiedlicher kultureller Seh- und Leseweisen, die von Bildern (z.B. Landschaftsmalerei) abgeleitet werden (vgl. Absatz 9.2; Cosgrove/ Daniels 1988; Rose 1993).

9.2.2 Sozialisation beeinflusst Bildproduktion, den Umgang mit RaumBildern und die Bildinterpretation Die letzteren Beispiele deuten bereits darauf hin, dass Bilder nie abstrakt, sondern immer in konkreten gesellschaftlichen Kontexten produziert, verwendet und interpretiert werden. In Bezug auf die Produktion (und Zirkulation) von Bildern sind Machtbeziehungen und ungleiche Verteilungen medial-technischer Ressourcen ebenso zu nennen (vgl. Hall 1997; vgl. Beitrag Felgenhauer in diesem Band, Kapitel 4) wie unterschiedliche Formen und Fähigkeiten der Anwendung dieser Ressourcen (vgl. Harrison 2004; van Leeuwen 2005). Hier spielt Sozialisation durchaus eine wichtige Rolle, aber es ist wiederum schwierig, dies nachzuweisen und Stereotypisierungen zu vermeiden. Wir werden nicht mit der Fähigkeit zur bildlichen Darstellung geboren, sondern müssen diese ebenso wie verschiedene und sich ändernde Methoden der Visualisierung in oft recht langwierigen Lernprozessen erwerben. Hierzu gehört sowohl das »Fachwerkliche« (malen, fotografieren, filmen, motorische Fähigkeiten entwickeln) als auch das bildliche Abstrahieren und perspektivische Sehen. Dieses Lernen findet schon früh in der Kindheit statt, wird hier auch instrumentalisiert (zum Erwerb anderer motorischer und kognitiver Fähigkeiten) und bildet einen großen Bestandteil (westlicher) Schulbildung. Allerdings haben Kinder sehr unterschiedliche Zugänge zu Lernkontexten, in denen diese Fähigkeiten erworben werden können, welche ihre Möglichkeiten, visuelle Darstellungen zu produzieren und sich über diese mitzuteilen ebenso beeinflussen, wie der unterschiedliche Zugang zu Materialien und Technologien. Auch kulturelle Einstellungen zu verschiedenen visuellen Medien, die in sozialen Kontexten vermittelt werden, ohne unbedingt prägend zu sein, spielen eine Rolle (vgl.

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Bourdieu 1984). Zur Sozialisation gehören aber nicht nur didaktisch-hierarchische Vermittlungsprozesse (z.B. von Erwachsenen zu Kindern), sondern auch die Selbstgestaltung gesellschaftlicher Beziehungen, Normen und Kommunikationsformen auf sehr verschiedenen Skalen, die sowohl Mikrokontexte von »Peer-Groups« als auch globalere Fan- und Interessensgemeinden einschließen (vgl. Harrison 2004; Ito et al. 2008). Kinder und Jugendliche schaffen, ebenso wie Erwachsene, auch eigene kommunikative Welten, aus denen sich Erwachsene in manchen Fällen fast schon bedrohlich ausgegrenzt fühlen, wie z.B. in Online-Foren und sozialen Netzwerken. Auch der Stellenwert visueller Repräsentationen hat sich hier stark erhöht, weshalb Jugendliche eventuell momentan größere Expertise in der Produktion und im Umgang mit visuellen Medien erwerben, als es noch zu Zeiten der gedruckten Bilder, stationären Bildschirme und analogen Kameras möglich war, zu denen Jugendliche in der Regel weniger Zugang (unabhängig von Eltern und Erziehern) hatten. Inwiefern sich momentan auch Expertise in der Produktion und im Umgang mit verschiedenen Methoden der visuellen Raumrepräsentation erhöht, ist allerdings unklar. Zwar deuten vor allem partizipatorische Studien und didaktische Forschungen zur Verwendung von GIS und digitalisierter Kartographie auf viele neue Möglichkeiten hin, das Verständnis von und die Teilhabe an der Produktion von Raumvisualisierungen zu erhöhen (vgl. Berglund/Nordin 2007). Doch können diese eher experimentellen und thematisch spezifischen Forschungen kaum darüber Aufschluss geben, wie sich geographisches Wissen und Fähigkeiten zur Anwendung neuer geographischer Visualisierungstechniken in alltäglichen Praktiken verändern. Sehr viel umfangreicher sind hingegen Forschungen zum Zusammenhang zwischen Sozialisation und Bildinterpretation. Hier sind vor allem Rezeptionsstudien aus der Audienzforschung und den »Contemporary Cultural Studies« zu erwähnen (Morley 2003) sowie ethnographische Studien (vgl. Pink 2013) und Arbeiten aus der Perspektive der sozialen Semiotik, der Diskursanalyse und der symbolischen Interaktion (van Leeuwen 2005; Potter et al. 1990; Blumer 1986). Trotz unterschiedlicher Gewichtungen sozial-kultureller Strukturen sowie strukturierter Bildinhalte im Interpretationsprozess vereint diese Perspektiven die Annahme, dass visuelle Bildinhalte nicht direkt übertragen oder transparent rezipiert werden, sondern in konkreten gesellschaftlichen Kontexten und über Machtbeziehungen sozio-kulturell verhandelt werden. Inwiefern auch affektive und nichtsprachliche Wahrnehmungsprozesse hierbei eine Rolle spielen, bleibt allerdings oft unthematisiert (vgl. aber Walkerdine 2009) oder wird zwar festgestellt, aber nicht weiter untersucht, u.a. da die überwiegende Mehrzahl dieser Forschungen sich Bildern über Sprache nähert. Es ist mithin vor allem die Weiterverarbeitung von Bildinhalten über Sprache, die analysiert wird, und der Einfluss von Sozialisation auf Bildwahrnehmung und -interpretation wird überwiegend an

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sprachlichen Ausdrücken von Sozialisationsprozessen festgemacht. Da eine andere Herangehensweise schwierig ist und die Möglichkeiten der Repräsentation anderer sensorischer Wahrnehmungen in akademischen Formaten stark begrenzt sind, ist dies sicherlich verständlich. Bedenklich ist für mich nur, dass eben diese Grenzen in der Annäherung an verschiedene Wahrnehmungsprozesse so selten aufgezeigt und kritisch hinterfragt werden. Auch gibt es einerseits zwar eine Fülle von Studien zur kulturellen Kodierung und Dekodierung von Bildinhalten, doch bleibt meist ungeklärt, inwiefern solche Kodierungen tatsächlich mit Sozialisierungsprozessen zusammenhängen, auf diese Rückschlüsse zulassen und um welche Formen von Sozialisation es sich genau handelt. Mit anderen Worten, welche sozialen Differenzierungsprozesse und Machtbeziehungen schlagen sich wie in Bildinterpretationen wieder? In Untersuchungen aus der Perspektive der »Social Semotics« wird hier oft der Begriff der »Literacy« verwendet, der sicher zu Recht andeuten soll, dass Sehen (auf eine bestimmte Weise) in gesellschaftlichen Kontexten erlernt wird (vgl. Kress/van Leeuwen 1996; van Leeuwen 2005). Aber inwiefern man diese von der Lesart und den Interpretationen gesellschaftlicher Akteure/Rezipienten direkt ablesen kann, ist damit noch nicht geklärt. Hierzu würde es, u.a., genauer teilnehmender Beobachtungen über längere Zeiträume hinweg bedürfen, wozu wir aber in der qualitativen Forschung nur begrenzt in der Lage sind.

9.2.3 Bilder repräsentieren Sozialisation Diese Überlegungen führen uns hin zur Frage, ob und inwiefern Sozialisation in Bildern ablesbar ist. Ikonographische und historisch-materialistische Untersuchungen basieren durchaus auf dieser Annahme, doch spielt hier die Kenntnis historisch-kontextualer Bedingungen der Bildproduktion eine wichtige Rolle für die Interpretation der Bildinhalte. Das Bild als solches wird nicht als »selbstredend« verstanden, sondern als entschlüsselbar nur in Bezug zu den gesellschaftlichen Bedingungen und dominanten Stilrichtungen zur Zeit seiner Produktion. So zeigen Cosgrove (1990) und Rose (1993), dass sich in vielen Gemälden der »Picturesque« (z.B. im viel besprochenen Gemälde »Mr and Mrs Robert Andrews« von Thomas Gainsborough) ökonomische und patriarchalische Machtbeziehungen ebenso widerspiegeln wie einerseits die kulturelle Verarbeitung sozialer Konflikte und andererseits spezifische Stilrichtungen. Wichtig ist in diesen Analysen auch der Verweis darauf, was unter gewissen gesellschaftlichen Bedingungen nicht gezeigt wird oder werden kann, da der ungleiche Zugang zu bestimmten kulturellen Ressourcen und Ausdrucksformen beeinflusst, wer, was, wie dargestellt wird (vgl. Berger 1988; Hall 1997). In der russischen romantischen Landschaftsmalerei des 18. und 19. Jahrhunderts dominieren so Bilder miserabler Lebensumstände der Landbevölkerung, die diese als Folge bäuerlicher

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Untätigkeit und Verrohung darstellen und nicht als Konsequenz gesellschaftlicher Ungleichheit (vgl. Jackson/van Os 2003). Diese Bilder sagen also durchaus etwas aus über »Sozialisation« im Zarenreich des 18. und 19. Jahrhunderts, aber weniger in der direkten Darstellung als in der Interpretation des Zusammenhangs zwischen historisch-kontextualen Bedingungen und Bildinhalt. Auch für Medienforscher aus der historisch-materialistischen Tradition der »Frankfurter Schule« (vgl. Adorno 1963) und des »Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies« (BCCCS) ist das Verständnis gesellschaftlicher Rahmenbedingungen essentiell für die Analyse und Kritik dominanter Medienrepräsentationen (vgl. Hall 1997). Die Konstruktion von Rollenzuschreibungen und Subjektivitäten in dominanten Medienproduktionen wird hier ebenfalls im engen Zusammenhang gesehen mit gesellschaftlichen Ungleichheiten, die (diesen Ansätzen zufolge) in dominanten Mediendarstellungen reproduziert werden.

9.3 Partizipatorische F orschung mit B ildern : E inblicke in soziale W irklichkeiten ? Was in kunsthistorischen und medienkritischen Analysen noch möglich erscheint, wird in der ethnographischen, soziologischen und vor allem partizipatorischen Forschung zu einer enormen Herausforderung. Doch gerade deshalb lohnt es sich, auf der Grundlage solcher Forschungen erneut über die oben postulierten Annahmen nachzudenken und zu hinterfragen, ob und wie sich Sozialisation in Bildgebrauch, -produktion, -interpretation und -bedeutung nachweisen und analysieren lässt. Dies möchte ich nun durch die Reflexion eines gemeinsam mit Nadine Schäfer durchgeführten qualitativen Forschungsprojektes in Leipzig (2002-4) zu Globalisierung und Jugendkultur tun. Knapp über 100 Jugendliche aus verschiedenen Stadtteilen Leipzigs und mit unterschiedlichen Bildungshintergründen nahmen in 15 Gruppen an diesem Projekt teil und stellten im Verlauf der Forschung auch mentale Karten der wichtigsten Orte in ihrem Leben sowie Fotos von Alltagsräumen her (siehe Abb. 9.1-9.3). Hierbei ging es uns vor allem darum, nachzuverfolgen, inwiefern Jugendliche in ihrem lokalen Umfeld Globalisierung erfahren und performativ mitgestalten. Die Fotos wurden mit Wegwerfkameras im Verlauf einer Woche von den Teilnehmenden aufgenommen, anschließend ausgedruckt und eine kleine Auswahl von jeweils zehn Bildern in Gruppengesprächen vorgestellt. Schon allein die Vielzahl der Fotos und die Tatsache, dass wir an ihrer Produktion nicht beteiligt waren, stellen uns in der Analyse vor große Herausforderungen. Wir konnten zwar in manchen Bildern erkennen, dass die Fotos vorrangig in Freundschaftsgruppen aufgenommen und von diesen beeinflusst worden waren. Doch ließ dies wenige Rückschlüsse auf die Bedeutung der dargestellten Orte, Objekte und Personen

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zu. Es war deshalb äußerst schwierig aufzuzeigen, dass, wie und durch welche Sozialisationsbedingungen die Bildproduktionen beeinflusst worden sind, oder welche in den Bildern (eher zufällig) dargestellt wurden. Die Vorteile visueller Methoden werden oft in den Möglichkeiten gesehen, einen besseren Einblick in die Alltagswelten von Forschungsteilnehmenden zu erhalten und marginalisierte Sichtweisen stärker zum Vorschein zu bringen. Doch ist weder eine naturalistische Herangehensweise noch die ikonoklastische Bildkritik (Ryan 2003) für die Analyse solch partizipatorisch produzierter Bilder besonders hilfreich. Letztere geben weder einen transparenten Einblick in alltägliche Räume und deren Wahrnehmung durch Forschungsteilnehmer, noch lassen sich die gesellschaftlichen Zusammenhänge und Kontexte der Produktion solcher Bilder durch ikonographische, semiotische oder historisch-materialistische Analysen entschlüsseln. Es handelt sich nicht um die üblicherweise im Zentrum stehenden hegemonialen Bildproduktionen und wir haben es eher mit mikro-soziologischen Machtstrukturen und sozialen Beziehungen zu tun. In der Analyse und durch die gemeinsame Reflexion mit Teilnehmern der Leipziger Studie bemerkten wir zwar Unterschiede im Umgang der Jugendlichen mit visuellen Techniken und in den dargestellten Räumlichkeiten und sozialen Beziehungen (vgl. Hörschelmann/Schäfer 2005). Doch wurde für uns auch sehr schnell klar, dass wir ohne die zusätzlichen Erläuterungen der Jugendlichen nur wenig verstehen und den konkreten Zusammenhang zwischen Sozialisation, Umgang mit visuellen Methoden und Produktion von Bildern nur vage und unpräzise entschlüsseln konnten. Es war zwar möglich, Kontraste zwischen einzelnen Gruppen herauszuarbeiten und dadurch aufzuzeigen, dass gesellschaftlicher Habitus auch das Erleben und die Mitgestaltung von Globalisierung im Alltag beeinflusst. Die soziale Herkunft zu ermitteln, zu kategorisieren und als Grundlage für die Bildinterpretation zu verwenden, fanden wir jedoch schwierig und wenig hilfreich, zumal diese noch längst keinen Einblick gab in die konkreten, situationsabhängigen Kontexte, in denen unsere Teilnehmer ihre Fotos produzierten. Die soziale Herkunft gab auch wenig Aufschluss über die mikrosoziologische Sozialisation Jugendlicher (z.B. in Peergroups), die Veränderlichkeit ihrer Identitäten oder die komplexen Prozesse der Bildproduktion in Alltagskontexten. Die Bilder selbst vermittelten einen ersten Eindruck von unterschiedlichen Wohnkontexten. In Kombination mit Erklärungen in den Gesprächsrunden und statistischen Informationen ließen sie in begrenztem Maße auch Rückschlüsse auf die soziale Herkunft zu, weniger aber auf Sichtweisen, Identitäten, mikrosoziologische Strukturen oder die Bedeutung und Wertung der Wohnkontexte. So war die Familie eines Teilnehmers aus einer innerstädtischen Altbauwohnung in ein Einfamilienhaus am Stadtrand gezogen, doch bevorzugte der Teilnehmer seine frühere Wohnung, weil er sich von seinem ehemaligen Freundeskreis

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isoliert fühlte und für viele Freizeitmöglichkeiten lange Anfahrtswege in Kauf nehmen musste. Eine Teilnehmerin aus einer Sonderschulklasse, die mit ihren Eltern und Geschwistern in einer unsanierten Wohnung im Norden Leipzigs wohnte, hatte wiederum Zugang zu einem Dachboden, den sie mit ihren Freundinnen eigenständig nutzen durfte und durch den sie ein sehr viel höheres Maß an Autonomie genoss als der eben genannte Teilnehmer.

Abb. 9.1-2: Unterschiedliche Wohnkontexte (Foto: Forschungsteilnehmer)

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Hinzu kommen die Zufallsabhängigkeit der Bilder und die Variationen in den Gewichtungen, die die Jugendlichen mal vornahmen, weil sie das Ziel der Aufgabe anders interpretierten, und mal, weil sie einfach ganz unterschiedliche Dinge interessant und bemerkenswert fanden. Viele Beteiligte beklagten auch, dass sie sich nicht selbst fotografieren konnten, weil sie ja hinter der Kamera standen, dass sie deshalb ihre Handlungen im Raum nicht darstellen konnten und dass die Zahl der Bilder nicht ausreichte, um einen adäquaten Einblick in ihren Alltag zu geben. Für Jugendliche mit hoher Mobilität gab es außerdem eigentlich keinen »typischen« Alltag, der anhand weniger Bilder von bestimmten Orten hätte dargestellt werden können. Und in der Reflexion fiel einigen auf, dass die Bilder »nach außen« gewandt waren und dadurch wenig über ihr Gefühlsleben und ihre Einstellungen oder Werte ausdrückten. Es gab aber auch Teilnehmer aus einem Fotokurs, die ganz gezielt versuchten, über ästhetische Gestaltungsformen und die Auswahl von bestimmten Orten und Objekten ihre Identität über die Fotos zu inszenieren (z.B. in Schwarz-Weiß-Bildern von Friedhofsstatuen oder maroden Gebäuden; siehe Abb. 3):

Abb. 9.3: Ästhetik und Choreographie in der Repräsentation von Stadtlandschaften (Quelle: Forschungsteilnehmer) Hinzu kamen auch altersspezifisch und individuell verschiedene Fähigkeiten im Zeichnen und Fotografieren. Wir bemerkten zwar durchaus, dass diese Unterschiede zum Teil auch im Zusammenhang standen mit dem schulischen Hintergrund und dem Einfluss der Eltern. Doch ließen sich diese weder eindeutig aus der Vielzahl der »Variablen« herauskristallisieren, noch erklärten sie die Bandbreite der Bildinhalte, Identitäten, Werte und Sichtweisen unserer Teilnehmer.

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Abgesehen von zufälligen »Ausrutschern«, sind letztlich fast alle Fotos ein Resultat von Inszenierungen und Choreographien. Selten wird hier einfach nur »geknipst«. Rückschlüsse auf Sozialisierungen sind hier unter Umständen möglich, da diese Inszenierungen auch reflektieren, wie das Verhältnis zwischen Fotograf, visuellem Medium, Bild und Fotografiertem habituell gestaltet und moderiert wird. Aber es ging vielen unserer Teilnehmer auch darum, sich und ihre Alltagswelten individuell darzustellen und das Besondere an sich und ihrer Welt hervorzuheben. Die vorgefundenen Gegebenheiten wurden von manchen gezielt verändert, oder der Blick wurde auf bestimmte Dinge (Zigaretten, Bierflaschen, Fahrrad, Skateboard, Teddy, Haustier, Poster) gerichtet oder abgewendet (z.B. unordentliche Ecken im eigenen Zimmer). Auch »Ausrutscher«, »Zufälliges« und Marginalien sind oftmals interessant, jedoch schwer einzuordnen. So sind Verteilungen von Geschlechterrollen und Altershierarchien in Familien u.a. bemerkbar an Handlungen, Mimiken, Gestiken und Verortungen von dargestellten Personen, aber erst in der Diskussion lässt sich klarstellen, ob es sich hier um reine Zufälle handelt oder um wiederholte, regelmäßige Handlungen. Die Fotos können so zum Ansatzpunkt für weitere Reflexionen werden (vgl. Beitrag Schneider in diesem Band), sagen aber selbst nichts Eindeutiges oder Verlässliches aus. Die hier kurz umrissenen Schwierigkeiten machen visuelle Methoden andererseits aber gerade wertvoll. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn die Zusammenhänge so klar und eindeutig wären, bräuchten wir keine Bilder. Und das Bildliche macht beides: Es übersteigt das, was mit anderen Sinnen wahrgenommen und sprachlich wiedergegen werden kann. Ihm mangelt aber auch vieles, was in der Analyse hinzugefügt werden muss, um das Bild eingebettet in seine konkreten Entstehungs- und Interpretationskontexte zu verstehen. Letztere freilich sind uns ebenfalls nicht direkt zugänglich. In der partizipatorischen Forschung ist es aber möglich, Teilnehmer und Teilnehmerinnen als Bildproduzenten in die Reflexion und Analyse einzubeziehen. In dieser gemeinsamen Reflexion wird oft gerade das, was dem Bild »fehlt«, zum Ausgangspunkt für Fragen und Erläuterungen. Und es ist das, was über unsere sprachlichen Ausdrucksfähigkeiten hinausgeht, was uns (manchmal) einfach nur innehalten und mit anderen Sinnen empfinden lässt, ohne die Möglichkeit oder auch den Willen, das so Empfundene sprachlich weiterzuvermitteln. Hier liegt sowohl die Grenze als auch das enorme Potential visueller Darstellungsmethoden in der Forschung.

9.4 Z usammenfassung und F a zit Das Nachdenken über den Zusammenhang zwischen RaumBildern und Sozialisation wird u.a. dadurch erschwert (aber gleichzeitig auch sehr spannend

9. RaumBilder und Sozialisation: Sehen lernen

und interessant), dass wir in Alltagswelten eine enorme Vielfalt an Bildern und visuellen Formen antreffen, was durch neue Informationstechnologien noch verstärkt wird. Auch sind die Modalitäten von Bildern äußerst unterschiedlich und bedürfen differenzierter Herangehensweisen in der Analyse (z.B. was ihre Beweglichkeit, Form, Komposition, Materialität und Rahmung angeht). Dies machen u.a. Forschungen aus der Perspektive der »Social Semiotics« deutlich (vgl. Kress/van Leeuwen 1996; van Leeuwen 2005). Gleichzeitig ist es angesichts flexibler und vielfältiger Lebensstile problematisch, soziale Gruppen zu kategorisieren und von diesen Kategorien ausgehend bestimmte Umgangsweisen mit Bildern, deren Produktion, Wahrnehmung und Interpretation abzuleiten. So ergibt sich ein Widerspruch zwischen der Annahme einerseits, dass Bilder und der Umgang mit ihnen sozial geprägt sind, und andererseits der Tatsache, dass kausale Beziehungen zwischen Sozialisation und Bild kaum ermittelbar sind. Dies ist nicht zuletzt deshalb so, weil es für die Analysierende eben nicht möglich ist, ein ›davor‹ oder ›danach‹ direkt zu erfassen oder ›hinter die Kulissen‹ zu schauen. Auch unsere Analysen finden ›im Moment‹ statt und sind Teil der kontinuierlichen Produktion von Bedeutungen, Bildern und gesellschaftlichen Beziehungen. Bestenfalls können wir versuchen, Bildproduktionen im Entstehen und in konkreten Handlungskontexten begleitend zu beobachten (vgl. Blum-Ross 2013) oder aber, wenn dies nicht möglich ist, Forschungsteilnehmer bitten, den Prozess im Nachhinein aus der Erinnerung heraus zu schildern und die Bilder mit uns zu interpretieren. Dies ist auch in der partizipatorischen Forschung notwendig, da sich Wirklichkeiten nicht einfach dadurch transparenter erschließen, daß die Beteiligten ihre Bilder selbst produzieren. Die gemeinsame Reflexion ermöglicht aber auch das Nachzeichnen von Räumlichkeiten, Gegebenheiten und Beziehungen, die in hegemonialen Repräsentationen oftmals marginalisiert oder stereotypisiert werden. So können partizipatorisch erstellte Bilder den Anstoß geben für eine Vervielfältigung der Sichtweisen und die Artikulation von Gesellschaftskritik. Wie Mitchell erklärt, besteht das Potential des Bildes daher u.a. auch in dem, was ihm zu ›mangeln‹ scheint, und in dem, was über das sprachlich Repräsentierbare hinausgeht: We need to reckon with not just the meaning of images but their silence, their reticence, their wildness and nonsensical obduracy. We need to account for not just the power of images but their powerlessness, their impotence, their abjection. We need, in other words, to grasp both sides of the paradox of the image: that it is alive – but also dead; powerful – but also weak; meaningful – but also meaningless. (Mitchell 2005: 10)

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Im Frühjahr 1985 erschien in der Zeitschriftenreihe Kunstforum International das Themenheft »Res Publica«. Die enthaltenen Beiträge sind dem Ausloten der herrschenden Beziehungen zwischen Kultur bzw. den kollektiven Kulturleistungen städtischer Gesellschaften und deren Öffentlichkeit bzw. dem räumlichen Umfeld gewidmet. Den zentralen kulturtheoretischen Referenztext bildet ein Auszug aus Richard Sennetts »Verfall und Ende des öffentlichen Lebens«1. Darin beschreibt dieser das Phänomen des Sterbens des öffentlichen Raumes2 in den 1970er Jahren am Beispiel US-amerikanischer wie europäischer Metropolen. Dabei bezieht er sich auf die jeweiligen architektonischen Strukturen und ihre spezifische Formensprache. An Sennetts Beobachtung mehr oder weniger explizit anknüpfend beleuchten Autoren wie z.B. die Galeristen Jörg Johnen oder Rüdiger Schöttler an unterschiedlichen zeitgenössischen Beispielen die Rolle und Bedeutung der Bildenden Kunst im und für den »sterbenden öffentlichen Raum«. Im Fokus stehen Plätze, Gärten und Monumente als jeweils »anschauliches Bild von der Verfassung der res publica« (Johnen 1985: 73, Hervorhebung im Original). Diese städtischen Räume verbindet, dass sie Foren der Versammlung, Integration und Kommunikation darstellen (vgl. Johnen 1985: 73). Um dies aber sein zu können, bedürfen sie einer »bildhaften Gestaltung verbindlicher Inhalte, einer Begrenzung, einer programmatischen Verbindung der Teile zueinander und der Fähigkeit, eine 1  |  Das Buch ist erstmals 1974 in englischer Sprache unter dem Titel »The fall of public man« erschienen. 2  |  Dem Begriff »öffentlicher Raum« werden je nach Verwendungszusammenhang abweichende Bedeutungen zugesprochen. Sofern nicht anders vermerkt, wird in diesem Beitrag ein Begriffsverständnis zugrunde gelegt, wie es das Lexikon der Geographie vorschlägt. So wird unter öffentlichem Raum der von öffentlich-staatlichen Gebäuden und öffentlichen Straßen und Plätzen eingenommene Stadtraum verstanden, für den Durchgängigkeit, Anonymität und eine staatliche gewährleistete Sicherheit charakteristisch sind (vgl. Brunotte 2001).

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größere Menschenmenge theatralisch in dieses Programm mit einzubeziehen« (Johnen 1985: 73). Und dies wird nicht zuletzt erst durch künstlerische Interventionen als zentrale Elemente des »Stadtbildes« möglich. Ein kritischer Blick ruht auch in Zeiten globalisierter urbaner Lebenswelten auf dem urbanen Raum. So erschien Anfang 2011 wiederum in der Zeitschriftenreihe Kunstforum International das Themenheft »Res Publica 2.0«. Die Bezugnahme auf das Vorgängerheft ist offenbar. Dabei hat sich aber der inhaltliche Fokus deutlich verschoben: Die Beiträge setzen sich nun verstärkt mit dem Vordringen der Kunst(szene) aus den Ateliers und tradierten Ausstellungsräumen heraus in die Stadt als (teil-)öffentlichem Raum hinein, als Akt einer Teilhabe an »öffentlichen Angelegenheiten« (= res publica) auseinander. Die Kunst wird nach ihrem »Potenzial als Störung, Unterbrechung, als Durchkreuzung und Verschiebung oder als Gestus des Widerspruchs« (Bianchi 2011b: 33) befragt. »Res Publica 2.0« steht dabei »für die Vorgehensweise von Bürgern und Künstlern, die am Lack der glatten Lebenswelten kratzen und die in den Routinen herrschender Strukturen und Umgangsformen den Grund für gesellschaftlichen Stillstand sehen« (Bianchi 2011b: 33). Nach Probst/Thalmair kommt dabei der künstlerischen Intervention als Akt der Aneignung des Blickfeldes und damit als einer Form der Mobilisierung des widerständigen Potentials der Stadt besondere Bedeutung zu (vgl. 2011: 67). Der Wandel von Form und Rolle künstlerischer Interventionen im städtischen Raum seit den 1960er Jahren lässt sich im Hinblick auf die jeweilige Funktion für die Aushandlung »öffentlicher Angelegenheiten« (Bianchi 2011a: 30) als einer von der minimalistischen »Sehbarriere« (Thomas 2000: 335) hin zu »Störungen der Stadtlandschaft« (Haus am Lützowplatz 2014) beschreiben. In diesem Aufsatz werden nun zwei künstlerische Arbeiten betrachtet, die exemplarisch für die Debatte um das Spannungsverhältnis von Kunst und Öffentlichkeit im urbanen Raum in ihrer jeweiligen Entstehungszeit gelten können. In den weiteren Ausführungen folgen zunächst in Abschnitt 10.1 einige allgemeine Gedanken zu künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum und ihrer Bedeutung für das Erleben raumbezogener Realitäten. Daran knüpft Abschnitt 10.2 mit einem kurzen Rückblick auf die historische Entwicklung des Verhältnisses von Bildender Kunst und gebautem öffentlichen Raum an. Diese Vorüberlegungen erfahren in Abschnitt 10.3 mit der Betrachtung von je einem Werk der beiden Künstler Richard Serra und Brad Downey eine beispielhafte Konkretion. Erläutert werden zunächst die Entstehungszusammenhänge beider Arbeiten, bevor näher auf die spezifischen ästhetisch-visuellen Erscheinungen, den städtebaulichen Kontext und die durch die Arbeiten ausgelösten (Publikums-)Reaktionen eingegangen wird. Abschließend werden die Arbeiten in ihrer Bedeutung für demokratische Prozesse im Stadtraum genauer analysiert. Im Abschnitt 10.4 werden abschließend ausgehend von den

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vorliegenden Betrachtungen alternative visuell-geographische Betrachtungsweisen angedacht.

10.1 Ä sthe tische E rfahrung und K unst im öffentlichen R aum Ästhetische Erfahrungen – so Peez (2003) – stellen Erfahrungen von Diskontinuität und/oder von Differenz zu bisher Erlebtem, oder anders: eines Erlebenskontinuums, dar. Sie können sich in unterschiedlichsten Situationen ereignen: beim Beobachten eines Sonnenuntergangs am Meer oder beim Durchstreifen eines Waldstücks ebenso wie beim Schlendern durch eine Shoppingmall oder beim Passieren einer Straßenunterführung. Voraussetzung ist ein Sich-Einlassen auf eine zweckfreie sinnliche Wahrnehmung des (Nicht-) Dinglichen bei der Auseinandersetzung mit Räumen oder Raumkonstruktionen und deren Wirksamkeit. Wie in den gegebenen Beispielen angedeutet, können dabei sowohl Begebenheiten der natürlichen als auch der menschlich geprägten Umwelt Auslöser für ein Aufmerken aus dem Erlebenskontinuum sein. So erzeugen auch Künstler durch das Einbringen ihrer Arbeiten in den (öffentlichen) Raum Diskontinuitäten des Erlebens und treten damit in einen visuellen Diskurs zu »öffentlichen Angelegenheiten« ein. Die Bildenden Künste – in Abgrenzung u.a. von den Angewandten oder Darstellenden Künsten – einen in sich alle Kunstformen, deren Vertreter Bildhaftes gestalten. Dabei werden als Bild nicht nur flächige Werke wie Tafelmalerei und Graphik, sondern auch raumgreifende Werke wie Skulpturen und Architektur betrachtet (vgl. Stadler 1994: 151; zum Bildbegriff siehe auch die Beiträge von Hasse und Dirksmeier in diesem Band). Somit können auch künstlerische Interventionen im (städtischen) Raum, ob in Form von Architektur, Brunnen, Standbildern oder Kunst-am-Bau-Projekten, Graffitis oder New Genre Public Art (s.u.), unabhängig vom Grad ihrer Gegenständlichkeit als Bilder und als solche aus bildwissenschaftlicher Perspektive in Hinblick auf ihre sozialräumliche Wirksamkeit betrachtet werden. Die Stadt als Materialisierung verdichteten kulturellen Handelns bildet einen (teil-)öffentlichen Raum, in dem ästhetisches Erleben durch im weitesten Sinne formverändernde Interventionen wie Auf bau, Abriss, Nutzung, Meidung… permanent beeinflusst/gesteuert/manipuliert wird. Ein großer Teil dieser Interventionen unterliegt der zentralen Steuerung durch Politik und Wirtschaft und wird von Stadt-/Verkehrsplanern, Architekten, Landschaftsgärtnern… umgesetzt. »Kunst im öffentlichen Raum«3 (im Folgenden kurz: 3 | »Kunst im öffentlichen Raum« wird hier aus pragmatischen Gründen im engeren Sinne als ein Begriff verwendet, der Kunstwerke unterschiedlicher Epochen und Stile

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KiöR) stellt eine Sonderform der Intervention dar, welche sich vor allem ästhetisch-visuell manifestiert. Kunstwerke funktionieren im öffentlichen Raum anders als an extra für das Kunsterleben ausgewiesenen Orten. Kunst wird unter Umständen unfreiwillig und unbewusst erlebt, nicht erkannt oder als Vandalismus verkannt. Die Spielarten von KiöR sind vielfältig. Wacławek unterscheidet drei grundlegende Typen (vgl. 2012: 66ff): Typ A) Künstlerische Arbeiten – oft abstrakte Skulpturen4 – als Staffage für Gebäude und/oder Vorplätze von Amtsgebäuden oder Bürohochhäusern ohne Ortsbezug (z.B. »Kunst am Bau«5). Ziel ist die Schaffung von Identifikation mit einem Ort/Raum6. Wacławek spricht in diesem Zusammenhang auch von »Plop-Art« oder »drop sculptures« (2012: 66). Typ B) Künstlerische Arbeiten oder auch Platz-/Raumgestaltungen unter Einbeziehung von Architektur und Stadtumgebung. Aufgrund des Ortsbezugs werden sie auch als »site specific« (vgl. Wacławek 2012: 66) bezeichnet. Dieser Gruppe von Arbeiten ist auch die Street Art/Urban Art zuzurechnen. Arbeiten dieses Typs zeichnen sich dadurch aus, dass sie in besonderer Weise in den Dialog mit ihrem städtischen Umfeld treten. Typ C) Temporäre Projekte, die unter Einbeziehung der in einem Stadtteil ansässigen Bewohner entstehen. Ziel ist die Initiierung von demokratischen Prozessen im Dialog zwischen Künstler und Publikum. Auf diesem Weg verliert das Kunstwerk selbst an Bedeutung, wichtiger wird die Handlung im Rahmen eines künstlerischen Projektes. Die Debatte über Ästhetik und Design wird zu einer Auseinandersetzung über soziale Verantwortung gewandelt, womit sich der Fokus vom Ort selbst zu denjenigen verschiebt, die dort leben (vgl. Wacławek 2012: 80). Entsprechend wird in diesem Zusammenhang zusammenfasst, die im kommunalen öffentlichen Raum von jedermann zu erleben sind. Eine Problematisierung der vermeintlichen (Teil-)Öffentlichkeit dieser Räume erfolgt nicht selten in den Arbeiten selbst. Eine differenziertere Annäherung an den Begriff findet sich z.B. bei Hornig (2011: 60ff). 4  |  Die »abstrakte Skulptur« wird ausgehend von künstlerischen Tendenzen der Nachkriegszeit als Ausdruck einer demokratisch/nicht-ideologisch verfassten Gesellschaft verstanden und gewinnt daraus ihre Existenzberechtigung im öffentlichen Raum. 5  |  »Kunst am Bau« ist ein staatliches Förderprogramm – heute angesiedelt beim Bundesamt für Raumordnung und Bauwesen –, erwachsen aus einem baukulturellen Anspruch und dem Staat als Bauherrn. Es umfasst die Selbstverpflichtung, einen Anteil der für öffentliche Bauten anfallenden Kosten für deren künstlerische Ausgestaltung aufzubringen. Die Ursprünge dieses Förderprogramms liegen in der Weimarer Republik. Es wurde als Reaktion auf die Forderung der Künstler nach einer sozialen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme eingeführt (vgl. Hornig 2011: 67). 6  |  Parallelen zu geographischen Betrachtungsweisen finden sich u.a. bei Lynch (1989 [1960]).

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auch von »New Genre Public Art« oder auch »Kunst im öffentlichen Interesse« gesprochen. Bei den hier zur genaueren Betrachtung ausgewählten künstlerischen Interventionen von Richard Serra und Brad Downey handelt es sich jeweils um ortsbezogene Arbeiten. Beide Arbeiten wurden jeweils für einen bestimmten städtebaulichen bzw. sozialräumlichen Kontext konzipiert und traten mit diesem in Dialog. Während sich die Arbeit Serras recht eindeutig dem Typ B zuordnen lässt, wird die Arbeit Downeys hier als ein Beispiel für Typ C verstanden.

10.2 H istorischer A briss Das künstlerische Schaffen in Renaissance und Barock war geprägt von der Vision, bei der Planung und Gestaltung von Gebäuden, Plätzen und Stadtvierteln durch ein Zusammendenken von Skulptur, Architektur und Stadtstruktur Gesamtkunstwerke zu schaffen. Dieses Ansinnen trat mit dem Versuch einer systematisierenden Differenzierung von Werken der Bildenden Kunst nach ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Kunstgattungen im 19. Jahrhundert in den Hintergrund (vgl. Matzner 2001). Das Interesse an einer ästhetischen Gegenüberstellung von Kunst, gebautem Raum und Gesellschaft erstarkte erst wieder Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Abklingen der klassischen Moderne. Dabei stellte jedoch nicht mehr das harmonische Gesamtkunstwerk das Ziel konzertierter Gestaltung dar. Vielmehr ging es in Auseinandersetzung mit der starken Regulation der Bildenden Künste durch die ideologischen Regime während der vorausgegangenen Weltkriege um eine kritische Neudefinition des Verhältnisses von Kunst, Gesellschaft und gebautem Raum. Diese inhaltliche Neuausrichtung ging einher mit formalen Wandlungsprozessen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte mit der »Abwendung der Malerei und der Skulptur von der unmittelbaren Auseinandersetzung mit der Welt des Sichtbaren« (Rotzler 1989: o. S. zit.n. Broer et al. 1997: 73) die Abstraktion Einzug in die Kunst gehalten. Dieser Schritt in die Gegenstandslosigkeit war verbunden mit einem Verzicht auf all jene Bildelemente, welche als Verweise auf eine äußere Wirklichkeit zu deuten gewesen wären. Mit der Abkehr von der mimetischen Darstellung, dem Verzicht auf eine Wiedergabe des Sichtbaren, stellte sich den Bildenden Künstlern eine neue Herausforderung: die Sichtbarmachung des Unsichtbaren (vgl. Broer et al. 1997: 73). Kunstströmungen der 1960er Jahre wie der Minimal oder Land-Art ging es in jeweils sehr unterschiedlicher Art und Weise darum, ihrem Publikum durch ästhetische Interventionen diskontinuierliche Erfahrungen zu verschaffen und so zu einer kritischen Perspektive auf die physische wie soziale Umwelt zu verhelfen. Die Künstler der Minimal-Art verstanden ihre Objekte in erster

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Linie als »Sehbarrieren« (Thomas 2000: 335), durch welche die Aufmerksamkeit des Betrachters auf raumfunktionale Aspekte gelenkt werde sollte. In der Land-Art wurden die Ideen der Minimal Art auf größere räumliche Einheiten übertragen und zusätzlich der Natur eine spezifisch menschliche Markierung verliehen, als Manifestation gestalterischen Einwirkens, als Ergebnis eines kreativen Prozesses (vgl. Thomas 2000: 337). Eine Zuspitzung erfuhren diese Ansätze in den Arbeiten des US-amerikanischen Bildhauers Richard Serra (*1939 in San Francisco, Kalifornien). Seine raumgreifenden Großplastiken, für die er vor allem industrielle Werkstoffe verwendet, bearbeitet er so, dass die Materialeigenschaften besonders in Erscheinung treten (vgl. Abb. 10.1). Nicht zuletzt aufgrund der daraus resultierenden »Industrieästhetik« erregten seine Arbeiten immer wieder öffentlichen Widerspruch. Ein ganz anderes Phänomen der Nutzung des Stadtraumes für künstlerische Intervention entsteht etwa zeitgleich – in den 1970er Jahren – in New York und anderen Großstädten der USA: das Graffito. Das Graffito markiert die Ursprünge der Street-Art7. Das Besondere dieser Form der künstlerischen Intervention ist es, dass sie grundsätzlich jedem als Instrument der Äußerung zur Verfügung steht und zugleich auch jedem zur Rezeption zugänglich ist. Formal bewegen sich die Werke der Street Art heute in dem kaum noch eindeutig abzugrenzenden Feld zwischen Tag, Graffiti, Sticker, Paste-up, Installation und Performance. Inhaltlich stellen sie jedoch zumeist Interventionen dar, die auf Machtverhältnisse aufmerksam machen wollen, die das Leben in großen Städten strukturieren (vgl. Probst/Thalmair 2011: 68). Die Interventionen des Street Artists Brad Downey (*1980 in Louisville, Kentucky), die er zum Teil zusammen mit befreundeten Künstlern entwickelt und umsetzt, nehmen durch »Mittel der Um- oder Entfunktionalisierung Eingriffe in bestehende formale oder soziale Verhältnisse vor. […] Sie unterlaufen die gängigen Routinen unserer Wahrnehmung, fordern Kritik- und Urteilsfähigkeit heraus und beziehen die Reaktion des Publikums im Sinne einer ›sozialen Plastik‹ mit ein« (Haus am Lützowplatz 2014; vgl. Abb. 10.2).

7  |  Der Begriff ist als Bezeichnung des Phänomens der illegalen Platzierung von Kunst in mehr oder weniger öffentlich zugänglichen Räumen umstritten. Reinecke (2012: 22ff.) legt aber dar, warum es trotzdem keinen passenderen gibt. Darauf Bezug nehmend wird er im Folgenden verwendet.

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Abb. 10.1: Richard Serra, »Terminal«, 1977/79, Bochum (Quelle: www.bochum. de/C125708500379A31/CurrentBaseLink/W29JL9KC940BOCMDE) Abb. 10.2: Brad Downey, »Broken Bike Lane« 2008, Intervention im öffentlichen Stadtraum von Berlin (Foto: Brad Downey, 2008)

10.3 K ünstlerische I ntervention im S tadtr aum (2 F allbeispiele) 8 Richard Serra ist bekannt für im städtischen Raum – zumeist auf Plätzen oder an anderen zentralen Orten – platzierte Großplastiken aus rostendem Corten­ stahl seines Spätwerks. Typisch für einen Vertreter der Post-Minimal-Art (s.o.), basieren die Entwürfe seiner Plastiken auf präzisen Form- und Materialanalysen (vgl. Thomas 2000: 345). Serra verwendet großflächige Stahlplatten und Blöcke, die er in Form, Größe, Anordnung und Ausrichtung bewusst auf den Umraum bezieht. Oft entstehen begehbare Raumkörper, die dem Betrachter zum Teil überraschende Durch- und Ausblicke in den Umraum eröffnen. Durch die Entscheidung für das rostanfällige Material Stahl weisen die Arbeiten eine »Industrieästhetik« auf. Serra verweigert sich damit tradierten Formen ästhetischer Gestaltung öffentlicher Räume. Die Arbeit »Tilted Arc« wurde 1979 im Rahmen des »Art in Architecture Program«9 von der U.S. General Services Administration als ortsspezifische Skulptur (»site-specific sculpture«) für die Federal Plaza in New York in Auftrag gegeben. Die Federal Plaza liegt imRegierungszentrum Lower Manhattans. Unmittelbar angrenzend und in der näheren Umgebung liegen zahlreiche Gebäude sowohl der US-Regierung 8  |  Die Ausführungen zu den Arbeiten von Serra und Downey folgen den Schritten der formulierenden Analyse und Interpretation nach Panofsky (vgl. hierzu ausführlichere Ausführungen im Beitrag von Dickel in diesem Band). 9  |  Das »Art in Architecture Program« der amerikanischen General Service Administration ist vergleichbar dem deutschen »Kunst am Bau«-Programm des Bundesamtes für Raumordnung und Bauwesen. Bei beiden Programmen handelt es sich um Instrumente der Regierungen zur Förderung der öffentlichen Baukultur.

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als auch des Staates New York. Sie ist ein länglicher Platz, der an allen Seiten von stark befahrenen Straßen begrenzt wird. Die Solitäre der angrenzenden Bebauung bilden keine geschlossene Front zum Platz hin, vielmehr erscheint die städtebauliche Situation wie ein lockeres Ensemble mehr oder weniger kubischer Baukörper. Die Gebäude, welche den Platz in nördlicher, östlicher und südlicher Richtung begrenzen, wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts errichtet10, das Jacob K. Javits Federal Building (errichtet 1963-69) einschließlich seines westlichen Ergänzungsbaus (1975-77) sowie das James L. Watson Court of International Trade Building (errichtet 1960-67) Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Arbeit von Serra wurde für den Bereich des Platzes in Auftrag gegeben, der sich durch die rechtwinklige Anordnung des Jacob K. Javits Federal Building zum James L. Watson Court of International Trade Building ergibt. Nahe der Ecke Worth Street/Lafayette Street befindet sich ein kreisrundes Wasserbassin mit niedriger Einfassung. Der übrige Platz ist gepflastert. Die Arbeit, die Serra für diese Raumsituation entwarf, bestand aus einer 36 m langen, 3,6 m hohen und mehrere Zentimeter mächtigen Platte aus Stahl, die in sich konvex zur Rundung des Bassins sich von diesem weg leicht in Richtung der angrenzenden Gebäude neigte (vgl. Abb. 10.3). Sie erschien als dunkle, nicht spiegelnde und unübersehbare Wand. Serra richtete die Stahlwand so aus, dass es Passanten nicht mehr möglich war, den Platz in gewohnter Weise auf direktem Wege zu queren und dabei die Gehstrecke abzukürzen. Der Blick über den Platz wurde ebenfalls von der hoch aufragenden rostenden Stahlfläche gebremst (vgl. Abb. 10.4). Serra zwang somit sein Publikum, sich leiblich, optisch und ästhetisch mit seiner Arbeit auseinanderzusetzen. 1981 wurde die Skulptur errichtet und eingeweiht. Doch mit dem Moment ihrer Errichtung entspann sich um die Arbeit eine Kontroverse, die sich zunächst an ästhetischen Fragen, aber auch an Sicherheitsaspekten aufhängte. Insbesondere durch die Bevölkerung wurden kontroverse Diskussionen ausgelöst, die in Protestaktionen mündeten. Das führte dazu, dass die Skulptur 1989 nach einem Rechtsstreit von den Auftraggebern wieder entfernt wurde. Aufgrund ihrer Ortsbezogenheit konnte sie an keinem anderen Ort wieder aufgebaut werden.

10 | Zusammengefasst sind hier: United States Courthouse (1933), (1913-1927), Thurgood Marshall United States Courthouse (1932-36), St. Andrew Church (1939), New York County Municipal Building (1914).

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Abb. 10.3: Richard Serra, »Tilted Arc«, 1981, New York (Schrägluftaufnahme) (Quelle: http://artincommon.net/wordpress/wp-content/uploads/2013/12/ late20th38-jpg.jpeg) Abb. 10.4: Mann in Betrachtung von »Tilted Arc« (Quelle: http://observer. com/2014/09/the-law-against-artists-public-art-often-loses-out-in-court/) Brad Downey lebt und arbeitet seit 2008 in Berlin, das er als Plattform der sich zunehmend auf internationaler Ebene manifestierenden Kunstpraxis der Street Art begreift. Durch kleine – zum Teil manipulative – Eingriffe in den Bestand des Stadtraumes erzeugt er »Störungen« der Stadtlandschaft. Er verwendet die Objekte des städtischen Raumes als eine Art Baukasten. Durch Dekonstruktion und Rekonstruktion des Materials legt er dessen Struktur und damit oft auch zugleich die ihm zugewiesene Funktionalität offen. Er platziert seine Interventionen in den stetigen Strom des Stadtlebens und durchkreuzt damit routinierte Wege und lässt zugleich seine Arbeit im Alltagsleben aufgehen (vgl. Nommensen o.J.). Seine Interventionen, die er teilweise zusammen mit befreundeten Künstlern entwickelt und umsetzt, beziehen sich immer unmittelbar auf den Ort, an dem sie in Erscheinung treten (vgl. Haus am Lützowplatz 2014). Unter dem Titel »Gallery 12.12« beauftragte Lacoste 2008 anlässlich des 75-jährigen Bestehens zwölf internationale, mit Berlin verbundene Künstler, die Markenzeichen des Labels – Krokodil und Polohemd – für eine Ausstellung in den Schaufenstern des Berliner KaDeWe11 neu zu interpretieren. Zu den geladenen Künstlern gehörte auch Brad Downey. In seinem Konzeptpapier kündigte er an, ein Objekt im öffentlichen Raum mit grüner Farbe zu besprühen: »Something outside will turn green!« Lacoste nahm dieses Angebot an und erteilte den Auftrag. So begab sich Downey in der im Konzeptpapier erklärten Absicht am Morgen des 22. März 2008 kurz vor 6.00 11  |  Das KaDeWe (Kaufhaus des Westens), gegründet 1907, ist eines der bekanntesten Kaufhäuser Deutschlands mit einem Sortiment der gehobenen Preisklasse.

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Uhr mit einem mit grüner Fingerfarbe gefüllten Feuerlöscher in die Tauentzienstraße12. Er rannte die um die 100 m lange Schaufensterfront des KaDeWe entlang und besprühte diese dabei mit der Farbe (vgl. Abb. 10.5). Zurück blieb eine Farbspur quasi als Zeugnis seines künstlerischen Handelns. Ein Freund filmte die Aktion mit einer Videokamera. Die Bemalung der Fassade des KaDeWe (vgl. Abb. 10.6) wurde unmittelbar nach Bemerken von Reinigungskräften beseitigt. Zur Ladenöffnung um 10.00 Uhr war von dem Farbangriff nichts mehr zu sehen. Unklar blieben zunächst Motiv und Identität des Täters. Vermutet wurden erst terroristische Hintergründe13, dann eine gezielt initiierte PR-Kampagne von Lacoste. Als die Urheberschaft nach dem Erscheinen eines Blogeintrags des beteiligten Dave the Chimp sowie einer Stellungnahme Downeys schließlich geklärt werden konnte, zeigten sich die Verantwortlichen von Lacoste und KaDeWe empört. Downey konnte jedoch nachweisen, dass er mit dem zuvor eingereichten Konzept explizit den Auftrag für die ausgeführte Sachbeschädigung erhalten hatte. Eine Anzeige wurde nicht erhoben – sein Agent übernahm die Kosten für die Reinigung der Fassade (vgl. Haase 2008). Die Videoaufzeichnung der Aktion wurde – wenig überraschend – in die Ausstellung nicht aufgenommen. Die Geschehnisse rund um die Aktion zogen ein großes Medienecho nach sich. Vergleicht man die beiden Arbeiten, lassen sich einige wesentliche Unterschiede feststellen: Größe, Form, Ordnung und Ausrichtung der Stahlplatten Serras wurden vor ihrer Errichtung genauestens geplant – die künstlerische Handlung lag in der Konzeption. Downey plante zwar auch seine Aktion vorab, wichtiger als der Verbleib und die genaue Platzierung der grünen Farbe war für ihn, dass sie überhaupt an der Fassade des KaDeWe sichtbar werden und sein »vandalisierendes« Handeln dokumentiert würde. Während Serra mit seiner »Sehbarriere« aus Cortenstahl eine äußerst präsente räumliche Zäsur gesetzt hat, die dem, der ihr begegnet, ein physisches Gegenüber darstellt, zeichnet sich die gesprühte Farbspur Downeys gerade durch ihre Flüchtigkeit aus. »Tilted Arc« war in seiner formalen Gestaltung – Ausdehnung, Biegung, Neigung – unmittelbar auf die räumlichen Gegebenheiten abgestimmt. Übliche Wege und Blickachsen wurden behindert, neue Orte des Verweilens und Perspektiven geschaffen. Serra äußerte selbst in der Planungsphase, dass er mit seiner Skulptur die rein dekorative Funktion des Platzes hatte stören und das Publikum in die aktive Auseinandersetzung mit der Skulptur versetzen wollen (vgl. Buchloh 1989: 115). Im engeren Sin12 | Die Tauentzienstraße bildet die Verlängerung des Kurfürstendamms zwischen Breitscheid- und Wittenbergplatz. 13  |  In den Schaufenstern des KaDeWe wurden zur Zeit der Aktion Downeys Kleider der chinesischstämmigen Designerin Vera Wang gezeigt. Damit wäre das KaDeWe durchaus auch ein attraktives Ziel für eine politisch motivierte Protestaktion gewesen.

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ne markierte Downey mit »Employ a vandal, get a vandal« – in der Manier eines illegalen Street-Artists – das KaDeWe als ein Sinnbild des Konsums. Im weiteren Sinne lässt sich sein Eingriff als Hinweis auf eine zunehmende visuelle Überprägung des öffentlichen Raumes als Folge privatwirtschaftlicher Einflussnahme deuten, wie sie in Berlin seinerzeit u.a. durch die Bewerbung der von einem Mobilfunkbetreiber gesponserte »O2-World Berlin« zu erleben war (vgl. Lützow 2008). Die Auftragsarbeit Serras erregte von ihrer Errichtung an bei der Bevölkerung großen, vor allem ästhetisch begründeten Widerstand, sodass sie acht Jahre später wieder »rückgebaut« wurde. Auch Downey handelte »im Auftrag«. Hier waren es die Auftraggeber, welche gegen die Arbeit auf begehrten und schließlich die Entfernung der Farbspur im eigenen Interesse veranlassten. Die Bevölkerung bekam sie quasi nicht zu sehen und dennoch wurde sie in den konventionellen Medien sowie in Weblogs ausführlich diskutiert.

Abb. 10.5: Brad Downey am 22. März 2008 beim Besprühen der Fassade des KaDeWe. (Foto: Brad Downey, 2008) Abb. 10.6: Farbspuren auf einem Schaufenster (Foto: Brad Downey, 2008) Wenngleich Serras wie Downeys Arbeiten heute aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr zu sehen sind, zeigt sich in den durch sie ausgelösten öffentlichen Kontroversen doch eine wesentliche Gemeinsamkeit. Im Folgenden werden einige Überlegungen angestellt, inwiefern das einem durch die Arbeiten ausgelösten Moment der Irritation14 geschuldet sein könnte und den sich daraus ergebenden Folgen für eine visuelle Aushandlung der »öffentlichen Sache« im Stadtraum.

14  |  Zum Begriff der Irritation finden sich weitere Ausführungen im Beitrag von RhodeJüchtern in diesem Band.

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Im Zentrum der Arbeit »Tilted Arc« steht die Beziehung der betrachtenden Person zum Objekt. Ihre ästhetischen Qualitäten werden erst vollständig erfahrbar, wenn der Betrachter sich um die Arbeit herum bewegt, sich entfernt und wieder auf sie zugeht. Raumwahrnehmung und Körpergefühl, die sich durch das Objekt und die Bewegung der betrachtenden Person im Verhältnis zum Objekt verändern, sind konstituierend für das Wesen der Arbeit. Die Arbeit ist jedoch nicht rein formal und isoliert von ihrem Umraum zu betrachten. »Tilted Arc« kann – in Anlehnung an Sennett – als interventionistische Irritation verstanden werden, die auf ästhetische Art und Weise die Funktion der Federal Plaza als Ort der Öffentlichkeit in Frage stellt. Sennett zeigt in »Verfall und Ende des öffentlichen Lebens« drei sich zunehmend abzeichnende Praktiken von Architektur und Stadtplanung in westlichen Großstädten auf. Nach Sennett wird durch diese Praktiken im öffentlichen Stadtraum gesellschaftliche Isolation erzeugt. Serra scheint diese gesellschaftliche Isolation mit seiner Arbeit in geradezu paradigmatischer Weise zu visualisieren: So beschreibt Sennett zunächst die Architektur als eine Manifestation der Abgrenzung von »Innen« und »Außen«, welche diese Grenzen durch die Wahl transparenter Baumaterialien nur scheinbar negiert (vgl. Sennett 1985 [1974]: 100f) – Serra platziert mit »Tilted Arc« eine »Sehbarriere« und macht so das jeweils Jenseitige unsichtbar. Darüber hinaus beobachtet Sennett eine Funktionalisierung des öffentlichen Raumes zur Fortbewegung anstatt für das Verweilen (vgl. Sennett 1985 [1974]: 101f) – Serra unterbindet durch Ausmaß und Ausrichtung von »Tilted Arc« eine ungehinderte Querung des Platzes auf kürzestem Wege, die Passanten sind gezwungen, ihren Weg um die Plastik herum zu nehmen. Schließlich verweist Sennett noch auf eine Verhinderung der Möglichkeit des Zustandekommens von »Intimität« an öffentlichen Orten im Stadtraum (vgl. Sennett 1985 [1974]: 102) – Serra hingegen gelingt es durch Material, Ausmaß und Ausrichtung von »Tilted Arc« auf der Federal Plaza Teilräume zu schaffen, die nicht mehr von überall einsehbar sind und somit ein Moment von »Intimität« zustande kommen lassen. Um in der Stadt der Gegenwart den Mechanismen urbaner Bildproduktion nachzuspüren und auf Machtverhältnisse aufmerksam zu machen, welche das Leben in den großen Städten strukturieren, ist aus Sicht von Probst/Thalmair eine Hinwendung zu den das städtische Leben bestimmenden Objekten notwendig, da diese die Rahmenbedingungen alltäglicher Habitualisierungen darstellen. »Eine Ontologie der Stadt kann sich […] erst aus der Vielfältigkeit ihrer Materialien erklären«, so Probst/Thalmair (2011: 68). Downey nimmt in vielen seiner Interventionen spontane Zweckentfremdung und damit zugleich Neu-Definitionen des Stadtmobiliars vor. Indem er gewohnte Sinnbezüge dekonstruiert, zeigt er Möglichkeiten zur Veränderung des Stadtraumes auf (vgl. Nommensen o.J.). »Employ an vandal, get a vandal« lässt sich jedoch nicht auf die an der Fassade des KaDeWe vom Künstler aufgebrachte Farbspur reduzie-

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ren. Zwar bewegte diese sich formal zwischen abstraktem Expressionismus und gestalterischen Mitteln des Graffiti und lud den betrachtenden Blick ein, gleich dem agierenden Künstler an der Schaufensterfront des Kaufhauses entlangzustürmen, war aber nie für einen dauerhaften Verbleib am Ort ihrer Entstehung gedacht – im Gegenteil, erst durch ihre Zerstörung entfaltete sich ihr Sinn. So besteht die eigentliche Arbeit in der dokumentierten Interaktion zwischen Auftraggeber und Künstler, in welcher der Künstler als vermeintlicher Dienstleister seine Auftraggeber zum Material seiner Arbeit machte – für den Auftraggeber eine irritierende Erfahrung. Für Downey war zwar zunächst der Stadtraum offizieller »Austragungsort« seiner Arbeit, die öffentliche Debatte um die Käuflichkeit von Kunst einerseits und den ästhetischen Missbrauch des öffentlichen Raumes zu kommerziellen Zwecken andererseits fand aber in den Foren der Medienöffentlichkeit statt. In dieser Form der öffentlichen Anteilnahme zeigt sich eine »Loslösung von typischen kunstspezifischen Ansätzen und einer stärkeren Betonung des politischen Aspekts der Öffentlichkeit als Ort des Diskurses bzw. der Meinungsbildung« (vgl. Lewitzky 2005: 96), wie sie für Arbeiten der New Genre Public Art konstituierend ist.

10.4 A bschliessende B emerkungen Die im vorherigen Abschnitt erfolgten Beobachtungen zeigen, wie es sowohl Serra als auch Downey gelingt, durch eine künstlerische Intervention den Blick ihres Publikums auf bestehende gesellschaftliche Missstände zu lenken. Durch den Akt der Platzierung der Arbeiten im urbanen Raum ist etwas anders geworden – bestimmte herrschende Zustände haben eine sichtbare Relativierung erfahren. So können auch beide hier vorgestellten Arbeiten in ihrer jeweils eigenen Art als kritische Anmerkungen zu Praktiken »strategischer Regionalisierung« im städtischen Raum interpretiert werden (vgl. hierzu auch den Beitrag von Felgenhauer in diesem Band). Sowohl Serra als auch Downey nutzen das Moment der Irritation, um auf alltägliche Verstetigungen bzw. Strukturierungen raumbezogenen Handelns aufmerksam zu machen, die in jeweils unterschiedlicher Weise Mechanismen einer machtvollen Steuerung unterliegen. Lewitzky interpretiert im Falle von »Tilted Arc« die Besetzung eines zentralen innerstädtischen Platzes mit einer Skulptur, welche massiv in vorherrschende Routinen eingreift, explizit als mahnenden Hinweis auf Prozesse ökonomisch motivierter Stadtplanung im Sinne Lefebvres (vgl. Lewitzky 2005: 89; Lefebvre 2006). »Employ a vandal, get a vandal« hingegen weist durch die Instrumentalisierung einer Auftragsarbeit zur vermeintlichen Sachbeschädigung im öffentlichen Raum auf zunehmend gewinnorientierte Praktiken des Kunstmarktes hin. Dies gilt im Besonderen für die »unternehmerische Stadt«, in welcher ein kreativ-künstlerisches Milieu ein Standortfaktor ist.

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Die hier ausgeführten Gedanken beleuchten – der Frage nach einem möglichen Beitrag künstlerischer Interventionen im öffentlichen urbanen Raum zur »öffentlichen Sache« folgend – nur eine Facette dessen, wie Bilder im Handlungsfeld Kunst aus geographischer Perspektive betrachtet werden können. Zugleich sollen sie zum weiteren Fragen anregen: Was ist im Falle der einen oder anderen Arbeit eigentlich das Bild und wo entsteht seine Bedeutung? Was geschieht im Moment des Betrachtens mit Betrachter, Bild und urbanem Umraum? Wie verändert sich der Raum durch die Präsenz/Absenz der Arbeiten? Inwiefern und mit welcher Qualität werden durch die Arbeiten und ihre Performanz Bildungsprozesse initiiert (vgl. hierzu auch den Beitrag von RhodeJüchtern in diesem Band)? Diesen Fragen weiter nachzugehen bleibt Aufgabe und Herausforderung zukünftiger Auseinandersetzung mit dem Beziehungsgefüge von künstlerischer und geographischer Praxis.

11. »Jedes Volk arbeitet nach seiner Art« Der »Volksgeist« im Spiegel der Kulturlandschaft Hans-Dietrich Schultz

11.1 L andschaf t als M edium 1 Die »klassisch« genannte Geographie des 19./20. Jahrhunderts hat viele Traditionsstränge, ein besonders wichtiger geht auf die Reformpädagogik der Volksschule zurück, die mit ihrem Prinzip der Anschauung den marternden »Verbalismus« des Geographieunterrichts überwinden wollte. Leider war die direkte Anschauung einer Gegend, am besten von einer Anhöhe aus, nur selten möglich, und so blieb nur, das Unerreichbare durch Bilder zu ersetzen. Noch heute gehört die Frage »Was seht ihr?« zum Ritual des Geographieunterrichts. Anfangs waren Bilder Gemälde, Zeichnungen oder detailreiche Stiche; mit dem Aufkommen der Fotografie, später des Films, wurden diese künstlerischen Produkte zurückgedrängt. Die zeitweise präferierten Ideallandschaften, die zusammenstellten, was in der Realität nicht gemeinsam auftrat, blieben umstritten. Als großer Vorzug des Bildes galt, dass sein Inhalt auf einen Blick erfasst werden konnte, während die Erzählung sukzessive vorgehen musste und die »Einbildungskraft« der Lernenden strapazierte. Außerdem wurde angenommen, dass die im Bild simultan auftretenden Objekte nicht zufällig beieinanderstanden, sondern Ausdruck eines Kausalzusammenhanges waren, womit der Vorwurf, die Geographie biete in der Schule nur ein Mixtum compositum, hinfällig wurde. »So erscheint uns denn das Landschaftsbild [als] der [unterrichtliche] Ausgangspunkt der geographischen Betrachtung, von dem ausgehend wir alle Faktoren kennen lernen, deren Wechselwirkung das heutige Bild geschaffen hat, zu dem wir wieder zurückkehren, nunmehr mit der Erfahrung, warum es so aussieht.« (Becker 1912: 6) Die wissenschaftliche Geographie zog nach einigem Hin und Her nach, sodass Bürger (1935: 114) konstatieren konnte: »Die Geographie ist in der Tat eine einheitliche Wissenschaft, steht doch ihr ganzes Schaffen unter einem 1  |  Alle Kursivstellungen in Zitaten sind Hervorhebungen im Original.

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einzigen Begriffe, dem Begriffe der Landschaft!« Die Präferenz galt dabei seit den 1920er Jahren der Kulturlandschaftsforschung, die das »Antlitz« einer Landschaft als zeittypisches Abbild kultureller Entwicklungen (»Schicksale«) deutete (siehe auch den Beitrag Michel in diesem Band). Doch es ging in Wissenschaft wie Schule nicht nur um die äußere Seite des Mensch-Natur-Verhältnisses: Auch die Wechselwirkungen mit dem »innern Sein und Leben der Bewohner, mit ihren geistigen Fähigkeiten, ihrem Charakter, ihrer höhern Weltanschauung, im Kampf oder unter der Begünstigung der unabweisbaren Natureinflüsse« (Prange 1852: 154) sollten dazugehören. Stimmungen bis hin zum Religiösen wurden vom Erdkundeunterricht erwartet und, wichtiger noch, »die Anerziehung sittlicher Gefühle und Werturteile«, wozu ihn der »Vergleich der verschiedenen Völker und ihres Kulturlebens« (Wagner 1919: 99) geradezu dränge. So wurde das Landschaftsbild als Reflex und Dokument eines unsichtbaren »Volksgeistes« der Mittelpunkt eines Gesinnungsunterrichts, dessen Vertreter ihn gleichwohl für objektiv hielten, doch trifft es für die deutsche Geographie nicht zu, dass die vom »Volksgeist« geprägte »nationale Landschaft« meist »pittoreske Landschaften« darbot, »in denen der Mensch und seine Arbeit nicht erscheinen« (Guldin 2014: 15). Im Gegenteil: Für die klassische Geographie war es gerade die umgestaltende Arbeit des Menschen, die der Landschaft ihr nationales Gesicht gab: Das Volk […] hat dem Lande, die Kulturlandschaft schaffend, seinen Stempel so tief aufgeprägt, daß das Land zu einem deutschen Land geworden ist. So ist Deutschland entstanden. Wie das deutsche Volk in seiner ganzen volksmäßigen und kulturlichen Eigenart aus der Arbeit an dem mitteleuropäischen Boden geboren worden ist, so hat sich Deutschland […] als das Produkt dieser Arbeit gebildet. (Maull 1933: 6)

Am Landschaftsbild, das auch Industrie- und Großstadtlandschaften einschloss, las der Geograph die »Kulturfähigkeit und Kulturhöhe ihrer Bewohner« ab, »zu deren Beurteilung« er sich »in erster Linie […] berufen« (Bürger 1935: 75) erklärte. Dabei galt es zu beachten, dass die Kulturlandschaft stets das Ergebnis »geistig-kultureller« sowie »rassischer und völkischer Triebfedern« war und es »im Allgemeinen überhaupt keine internationalen, völkisch indifferenten, sondern nur völkisch betonte Kulturlandschaften« (Schultze 1943: 198) gebe. Doch Bilder brauchen (wie auch Karten) Kontextwissen. Nur so kann der Betrachter in den tiefen Spurrillen eines Dorfweges den Ausdruck einer angeblichen kulturellen Inferiorität des polnischen Volkes erkennen (Abb. 11.1) oder eine Industrielandschaft aus Hochöfen und Schienensträngen für ein Beispiel unterstellter germanischer Schöpferkraft halten (Banse 1926: 101). Das Bild sagt einem solches nicht von alleine, erst durch den Text weiß der Betrachter, was er sieht und sehen soll.

11. »Jedes Volk arbeitet nach seiner Ar t.«

Abb. 11.1: »Dorfweg bei Sompolno im Quellgebiet der Netze« (Quelle: Hinrichs/Grotelüschen/Weber 19402: 86)

11.2 V ölker auslese durch A rbeit und L eistung Angelpunkt des gesuchten Kontextes ist der Begriff der Arbeit. Schon 1845 hatte Kapp sie zur »Seele der Cultur« erklärt, sie fülle »die Kluft zwischen Natur und Geist«, sei »die ewige Brücke zwischen der Materie und dem Gedanken« und bringe »die Natur zu sich« und zu ihrer »Vollendung«. Erst durch die Arbeit werde der Mensch »wahrhaft zum Herrn der Wirklichkeit«, sie allein gebe ihm »das Recht ihrer Besitzergreifung«; denn »alle Arbeit« sei »an sich schon Aneignung« (Kapp 1845: 365). Das bedeutete allerdings für nichtarbeitende Menschen oder Völker, dass sie keine Aneignungs- und Besitzansprüche geltend machen konnten. Diese Konsequenz war eine Kernidee der Kulturlandschaftsgeographie. Wäre, räsonierte Ratzel, die Erde tatsächlich das Erziehungshaus der Menschheit, so würden auch die Völker Produkte der Landesnatur sein, tatsächlich komme es aber auch auf das »Temperament« und die »Intelligenz« der Völker an: Je passiver ein Volk, um so abhängiger ist es von der Natur, um so energischer wirkt dieselbe auf es zurück. Je thätiger und begabter es hingegen ist, um so mehr entzieht es

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Hans-Dietrich Schult z sich den Einflüssen der Naturumgebung und schreitet sogar, wie wir bei unseren höchststehenden Culturvölkern wahrnehmen, zu einer weitgehenden Beherrschung derselben fort. (Ratzel 1877: 126)

Für die verdrängten oder vernichteten »passiven Völker« empfand Ratzel, der in ihnen nur ein Kulturhindernis sah, zwar Mitgefühl, doch »gedanklich« war er mit dem Resultat »zufrieden« und ließ den Vorwurf der Unmenschlichkeit an sich abprallen: »Der Starke schwemmt eben den Schwachen weg.« (Ratzel 1877: 139) Einer seiner Schüler sprach von einem »notwendigen Aufräumungsprozeß«, der sich »unabänderlich […] wie ein Gesetz« vollziehe und »eine Folge der der weißen Rasse in den gemäßigten Breiten innewohnenden Energie« sei. Eine Bevölkerung, welche die Erde schlecht nutze, müsse schnellstens zugunsten einer verallgemeinerten europäischen Kultur verschwinden, »die auf eine gleichmäßige intensive Bewirtschaftung der Erde« abziele »zum Zwecke festerer und festester Fundierung der Menschenart auf unserem Planeten« (Friedrich 1904: 95). Ähnlich argumentierte Kirchhoff, der die Geographie als »unparteiische« Instanz zur »Würdigung fremder Völker aller Erdteile« (Kirchhoff 1898: 9) anpries. »Einzig und allein« sie könne den Schülern die Bedeutung der Geistesund Handarbeit in der Weltwirtschaft begreiflich machen, indem sie zeige, »wie mit Riesenlettern im Antlitz der Länder der Schaffenswert ihrer Bewohner zu lesen« (ebd.: 9) sei. So wird die Landschaft moralisch tingiert, um als visueller Appell zum rechten Handeln zu animieren. »Wer diesem Unterricht die sittlichen Elemente abstreitet, der kennt ihn schlecht.« (Ebd.: 9) Besonders attraktiv und daher viel besucht war Kirchhoffs posthum publizierte Vorlesung über »Darwinismus angewandt auf Völker und Staaten« (Kirchhoff 1910), die ein flammendes Plädoyer für die Kolonisation der Welt durch die europäischen »Kulturvölker« war. Das Dahinsiechen und Wegsterben der »Naturvölker« tat Kirchhoff als eine der »unvermeidlichen Tragödien« im Leben der Völker ab, über die »unbarmherzig der Strom der Geschichte« hinwegrase. Es sei nun einmal Wahrspruch des Daseinskampfes: ›Wer die Scholle am besten zu verwerten weiß, dem gehört sie.‹ […] Wo wenige Träge ohne Nutzen für die übrige Welt leben, da werden sie verdrängt von der Energie, dem besseren Können der Leute anderen Stammes, die von der nämlichen Scholle so viel reicheren Segen ernten für sich und mittelbar für die Menschheit. So will es, kühl bis ans Herz hinan, die Weltgerechtigkeit des Daseinskampfes. (Kirchhoff 1910: 72f)

Warnend malte der wortgewaltige Hallenser Ordinarius der Jugend als Menetekel an die Wand:

11. »Jedes Volk arbeitet nach seiner Ar t.« Senkt der Genius eines Volkes in dem großen Kulturreigen seine Fackel, wird er abtrünnig von der Tugend der Vorfahren, verachtet er die von ihnen geerbte Stimme des Gewissens, so sorgt beim nächsten Wettersturm der Zusammenprall der Völker dafür, das schwach gewordene Glied der großen Kulturkette auszuschalten. Ein tüchtigeres Volk tritt an die Stelle des gesunkenen, aber ungehemmt bleibt der Fortschritt der Menschheit. So will es die unantastbare Gerechtigkeit des Daseinskampfes. ›Die Weltgeschichte ist das Weltgericht‹. (Kirchhoff 1910: 89)

Wer jedoch in »heiligem Antrieb« begriffen hatte, dass die »Würde des Menschentums« von jedem Einzelnen abhing, wer sich selbst als »seines eignen Glückes bester Schmied« verstand und »den steilen Fortschrittsweg« der Vorfahren weitererklimmen wollte, dem verhieß Kirchhoff eine »herrliche Zukunft […] auf Erden« (Kirchhoff 1910: 32f).

11.3 V on der K ulturl andschaf t zum V olks und K ulturboden Ein wichtiger Schritt für die Ethnisierung und Nationalisierung der Arbeit war Wilhelm Heinrich Riehls Studie »Die deutschen Arbeit« von 1861, die der Kulturhistoriker mit dem Satz einleitete: Jedes Volk arbeitet nach seiner Art. Der Geist, womit es die Arbeit anfaßt, der Blick, mit dem es das Wesen der Arbeit erkennt, das Maß, nach welchem es Fleiß, Talent und Erfolg werthet, sind Urkunden seiner tiefsten Charakterzüge. Die Seele des Volkes springt aus seiner Idee der Arbeit hervor wie aus seiner Praxis der Arbeit. Darum kann man ebensogut Volkskunde im Erforschen der Volksarbeit studiren, wie die Lehre und Geschichte der Arbeit in der Volkskunde neue und reiche Quellen suchen muß. (Riehl 1861: 3)

Erst durch ihre Arbeit würden sich die Völker als »Volkspersönlichkeit« legitimieren, nur durch ihre individuelle Kultur, ihre nationale Arbeit sich als »vollgültige Nation« ausweisen können. »Faule Völker« würden hingegen »hinweggearbeitet von den fleißigeren«, sie verschwänden »auch ohne Gewaltthat, denn sie können ihre Persönlichkeit nicht behaupten« (ebd.: 61f). Damit stemmte sich Riehl gegen »die falsche Meinung, daß die Arbeit die Nationalitäten ausgleiche und verschmelze«, was einer Vernichtung der Volkspersönlichkeiten gleichkomme. Der Landschaftsbegriff spielt in dieser Studie Riehls jedoch keine Rolle, wenngleich seine volkskundlichen Arbeiten vielfache landes- und landschaftskundliche Bezüge zur Geographie aufweisen. Sie waren Geographen auch durchaus bekannt, wurden aber erst nach dem Ersten Weltkrieg verstärkt für die eigenen Arbeiten rezipiert.

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Auch Pencks Theorie des »Volks- und Kulturbodens«, die er 1925 präsentierte und auch kartographisch umsetzen ließ (vgl. Schultz 22011: 123ff), kam ohne Verweis auf Riehl aus. »Volksboden« war für Penck der Boden, der von einem bestimmten Volk besiedelt und zum »Kulturboden« gemacht worden war, also »deutscher Volksboden« vom deutschen Volk zum »deutschen Kulturboden«. »Deutscher Kulturboden« konnte aber auch von einem fremden Volk geschaffen werden, wenn es selbst keinen eigenen zu entwickeln vermochte. »Schon eine kleine Zahl von Deutschen« habe oftmals genügt, »um ein großes Land in deutschen Kulturboden zu verwandeln« (Penck 1925: 69f). Die Tschechen beispielsweise hätten es zu keiner »eigenen tschechischen Kulturlandschaft« (ebd.: 68) gebracht, sondern sich am deutschen Arbeitsstil orientiert, nur dass ihr Kulturboden weniger sauber als der deutsche sei. Der Zeitbezug dieser schlichten, aber wirkmächtigen Theorie ist offensichtlich. Hier, im Bild der Landschaft, erblickte der Geograph den unübertreff baren »Leistungswert« des deutschen Volkes, um die Kriegsniederlage zu kompensieren. Pencks »geschultes Auge« erkannte »mit großer Schärfe Verschiedenheiten der Kulturhöhen und Verschiedenheiten der Kulturgrenzen« (Penck 1926: 51) der Völker. Der Versailler Diktatfrieden mochte Deutschland zwar als ungeeignet zur Kolonialisierung erklärt und es seiner Kolonien »beraubt« haben, »der deutsche Kulturboden« bleibe gleichwohl »die größte Leistung des deutschen Volkes«. Ob in Europa oder in Übersee, »wo immer auch Deutsche gesellig wohnen und die Erdoberfläche nutzen, tritt er in Erscheinung, ob es daneben zur Entwicklung eines Volksbodens kommt oder nicht« (Penck 1925: 69). Dabei legte Penck großen Wert darauf, dass »die deutsche Kulturlandschaft […] nicht dem Zusammenwirken verschiedener natürlicher Ursachen« entsprungen sei, sondern »das Werk bestimmt veranlagter Menschen, die die Natur nach ihrem Willen verändern« (ebd.: 70). »Undeutsche« Züge, die dem typisch deutschen Kulturstil fremd waren, sollten aus dem deutschen Landschaftsbild verschwinden, damit das »hohe Lied der deutschen Arbeit« (Scharlau 1938: 60) wieder harmonisch rein erklinge.

11.4 G ermanen gegen S l aven Vor dem Ersten Weltkrieg stand der »Neger« für den Typus arbeitsscheuer, angeblich rassisch auf Faulheit festgelegter »Naturvölker«, die erst durch die »Weißen«, die »Kulturvölker« Europas, zur Arbeit erzogen bzw. gezwungen werden mussten, um ihren Beitrag zur »Entwicklung der Menschheit« zu leisten, wie man euphemistisch die Ausplünderung der Kolonien umschrieb. Nach dem Weltkrieg traten die slavischen Völker verstärkt in den Fokus der deutschen Kulturgeographie und wurden mehr und mehr zum kontrastreichen anderen aufgebaut, gegen den man auf der Basis eines wertenden Vergleichs der beiden

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Kulturlandschaftsbilder annexionistische bzw. revisionistische Besitzansprüche erhob. Deutsches Land und slavisches Land unterschieden sich für den deutschen Geographen fundamental in ihrem Aussehen, entsprechend dichotomisch wurden sie beschrieben. Für Deutschland hatte bereits Ratzel die Richtung vorgegeben: Wir müssen wissen: unser Land ist nicht das größte, nicht das fruchtbarste, nicht das sonnig heiterste Europas. Aber es ist groß genug für ein Volk, das entschieden ist, nichts davon zu verlieren; es ist reich genug, ausdauernde Arbeit zu lohnen; es ist schön genug, Liebe und treuste Anhänglichkeit zu verdienen; es ist mit Einem Worte ein Land, worin ein tüchtiges Volk große und glückliche Geschicke vollenden kann; vorausgesetzt, daß es sich und sein Land zusammenhält. (Ratzel 1898: 314)

Das deutsche Volk war aus geographischer Sicht ein tüchtiges Volk, das den Kampf gegen die kargende Natur seines Landes entschlossen aufgenommen hatte, um es zu einer intensiv genutzten Kulturlandschaft umzugestalten, in der Natur und Menschenwerk eine »harmonische« (»organische«) Verbindung eingegangen waren. Antriebsstärke, Ausdauer, Ernst, Fleiß, Gediegenheit, Gründlichkeit, Organisationstalent und Herrscherwillen galten in der Geographie (wie außerhalb) als entscheidende Merkmale des deutschen Charakters, dem der slavische Charakter als passiv und anleitungsbedürftig gegenübergestellt wurde. So trafen auch für Penck im »Osten« zwei Welten schroff aufeinander, eine Welt der deutschen Ordnung und eine Welt der slavischen Unordnung. Auf der Ordnungsseite fand der Geograph saubere, freundliche, schmucke und ansehnliche Siedlungen mit einem intensiv bebauten Boden, auf der Unordnungsseite stieß er nur auf erbärmliche, verdreckte, unscheinbare Häuser und ein verwahrlostes Land. Und wie das Land, so die Menschen! Stolz bemerkte Penck, dass die deutschen Siedler im Osten als Lehrmeister gewirkt hätten und die deutsche Militärverwaltung während des Krieges gezeigt habe, was aus einem vernachlässigten, verödeten, unproduktiven Land bei entsprechendem Zupacken werden könne. Leider würden aber die Polen dafür und für die Erlösung aus der russischen Herrschaft keinerlei Dankbarkeit zeigen (vgl. Schultz 22011: 122f). Selbstredend pochten die Erdkundeschulbücher der Nachkriegszeit in ihrem Kampf gegen den Versailler Frieden auf die angeblich seit Jahrtausenden währende Kulturarbeit der Germanen im »Osten« und hielten den Polen vor, »den zwei Millionen Deutschen, die in dem neuen Freistaat leben, […] fast ihren gesamten Kulturbesitz« (Müting 1929: 111) zu verdanken. Zwei Fotos (Abb. 11.2 und 11.3) sollten das Kulturgefälle zwischen Deutschen und Polen illustrieren. Das eine zeigte strohgedeckte polnische Bauernhäuser, die von einer Mauer aus unbehauenen Feldsteinen umgeben waren, das andere ein ziegelge-

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decktes deutsches Schulzengehöft, dessen Grundstück ein akkurat errichteter Holzzaun markierte. Zugleich wurde im Geographieunterricht die Hoffnung geschürt, als könnte eine neuerliche Siedlungsbewegung die noch als »unreif« (Rohrmann 1927: 4) empfundene Ostgrenze des Deutschen Reiches irgendwann einmal wieder zugunsten der Deutschen verschieben.

Abb. 11.2: »Polnische Bauernhäuser« (Quelle: Müting 1939: 110) Nach der Vernichtung Polens 1939 kontrastierten die Erdkundeschulbücher durch Bilder und Texte, dass nur ein »Leistungsvolk« wie das deutsche dazu befähigt sei, die verwilderten Landschaften des ehemaligen Polens mit starker Hand zu bezwingen und entwicklungsmäßig voranzubringen. Aus einer vernachlässigten, wilden, ja gefährlichen Natur würde eine geordnete, gezähmte Natur mit gut ausgebauter Infrastruktur (Straßen, Eisenbahnen und regulierten Wasserläufen) werden, um der bisherigen Misswirtschaft ein Ende zu setzen und für bessere Erträge zu sorgen. Die Polen, berichtete das »Erdkundebuch« (Hinrichs et al. 21940: 98), sollten durch eine »öffentliche Arbeitspflicht«, die Juden durch »Arbeitszwang« mit dazu herangezogen werden. Das geschah ihnen nur recht, lautete die Lektion, denn sie hatten sich durch Unterlassung schuldig gemacht. Die Zukunft unter deutscher Herrschaft sah dagegen rosig aus: »Jetzt werden die entsetzlichen Mißstände beseitigt, unter denen Polen infolge der Mißwirtschaft seiner Machthaber gelitten hat.« (Ebd.: 98)

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Abb. 11.3: »Schulzengehöft in einem deutschen Ansiedlerdorf« (Quelle: Müting 1939: 111).

11.5 B elle tristik und geogr aphische J ugendlek türe Unterschätzt wurden bislang belletristische Darstellungen für die Herausbildung des geographischen Beitrags zum Nationsverständnis (vgl. Werber 2014). Bezüglich der Slaven hat Gustav Freytag mit seinem vielgelesenen Bildungs- und Gesellschaftsroman »Soll und Haben« (Freytag 71859) die spätere Ostrichtung des Kolonialdiskurses vorgegeben: »Es giebt keine Race, welche so wenig das Zeug hat, vorwärts zu kommen und sich durch ihre Capitalien Menschlichkeit und Bildung zu erwerben, als die slavische.« (Freytag: 376) An zahlreichen Stellen wird den Slaven das Landschaftsbild mehr oder weniger aufdringlich als Spiegel ihrer vermeintlichen Kulturunfähigkeit vorgehalten, doch sind direkte Spuren Freytags bei Geographen spärlich, obwohl schwer vorstellbar ist, dass der Roman an ihnen vorbeigegangen sein sollte, statt die früh in den Geographielehrbüchern nachzuweisende negative Sicht auf die Slaven zu stützen. Anders liegt die Sache mit Gustav Frenssens ebenso erfolgreichem Roman »Peter Moors Fahrt nach Südwest« (Frenssen 1907), für den sich Felix Lampe, einer der einflussreichsten Geographiedidaktiker der Weimarer Zeit, als Jugendlektüre stark gemacht hat. Zum einen wegen der gelungenen Landschaftsschilderungen, die Lampe gleichwohl nicht über die wissenschaftliche

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gesetzt sehen wollte, weil »die gefühlsmäßige Anschauung« dem »bewußten Verständnis« (Lampe 1908: 173f) nicht zuträglich sei, zum anderen, ausgerechnet, aus moralischen Gründen. Ein Schwarzer wird gefasst, dann aber laufen gelassen, um den im Zickzack Fliehenden wie einen Hasen hinterrücks zu erlegen. Ein Oberleutnant der deutschen Kolonialtruppe rechtfertigte seine Tat »vor Gott und Menschen« nicht etwa mit Verweis auf die bei dem Aufstand gegen die Deutschen getöteten Farmer, »sondern weil sie [die Schwarzen] keine Häuser gebaut und keine Brunnen gegraben« hätten. Gott habe die Deutschen »siegen lassen«, weil sie »die Edleren und Vorwärtsstrebenden« seien, ja, überhaupt danach streben müssten, »vor allen Völkern der Erde die Besseren und Wacheren [zu] werden«, denn: »Den Tüchtigeren, den Frischeren gehört die Welt. Das ist Gottes Gerechtigkeit.« Härte zeigen und Töten gehörte für den Offizier zu den »edlen Taten«, mit denen die Deutschen ihren Teil zur »zukünftigen brüderlichen Menschheit« beitrügen. Nun hörte auch Peter Moor, der oft gedacht hatte, dass »die Sache […] das gute [deutsche] Blut nicht wert« sei, »ein großes Lied […] über ganz Südafrika« klingen »und über die ganze Welt«, das ihm »einen Verstand von der Sache« gab (Frenssen 1907: 200f). Aus dieser Stelle bezog Lampe die Erkenntnis, dass »das Besitzanrecht eines Volkes auf ein Land« sich »weniger« aus nationalen, verfassungsrechtlichen oder konfessionellen Gründen ableiten lasse, als vielmehr aus der Überlegung heraus, welches Volk »in erst zu schaffender Zukunft […] aus Boden, Luft und Wasser wohl das Meiste und Nutzbringende zu gestalten wissen werde« (Lampe 1919: 496). Gerade die Rechtfertigung des Völkermords vermittelte aus Lampes Sicht durch die »Verquickung machtpolitischen Tuns mit ökonomischen und ethischen, selbst religiösen Werten« dem Geographielehrenden »die Einsicht, daß Machtfreude für Lernende ein weiterer Zugang […] zum Interesse für Geographie« sei, »ein Zuschuß aus der seelischen Struktur des Machtmenschen« (Lampe 1929: 72). Schließlich sei noch Grimms Roman »Volk ohne Raum« (1926) erwähnt, der die griffige Formel für ein schon länger bestehendes klaustrophobisches Weltbild deutscher Eliten lieferte. Cornelius Friebott, der nach Deutsch-Südwestafrika ausgewandert war, versprach sich vom Weltkrieg »den Raum, der dem deutschen Volke fehlt […]. Dieser Krieg ist gar nichts anders als der Krieg um Raum« (Ausg. 1931: 1117). Nach dem verlorenen Krieg versuchte Friebott, der als Verbannter zwangsweise in sein Weserdorf zurückgekehrt war, auf dem Dorfplatz seine Zuhörer in flammender Rede davon zu überzeugen, dass Deutschland »zu wenig Land« habe »und zu viel Menschen seit vielen Jahren; und durch den Betrug von Versailles« sei »das Verhältnis noch viel schlimmer geworden« (Ebd.: 1309). Doch die Deutschen seien nirgends willkommen, da sie »in Geschwadern« aufträten, »und der Fleiß von Geschwadern« sei nun einmal ebenso »unbequem zu merken« wie »nicht zu übersehen« (ebd.: 1311). Der Satz aber, »der deutsche Boden biete noch Raum genug und reiche Ent-

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wicklungsmöglichkeiten«, schien ihm der törichste und gefährlichste zu sein: »Und er ist so sündhaft falsch und verlogen wie das alte Gerede, daß ein Volk, wenn es nur immer Fabriken zubaue, schon leben und zuwachsen könne und der Weltverkehr täte den Rest.« (Ebd.: 1321f) In der Geographie, speziell der Schulgeographie, wurde Grimms »Volk ohne Raum« begeistert aufgenommen, denn er sprach aus, was (Schul-)Geographen schon vor dem Weltkrieg gefordert hatten und jetzt erst recht für notwendig hielten: die Überwindung der vermeintlichen deutschen Raumenge.

11.6 D rei U nterrichtsvorschl äge Die Unterrichtspraxis ist nur begrenzt rekonstruierbar, doch dürften Stundenvorschläge durchaus ihren Weg in die Klassenzimmer gefunden und dort über die eingesetzten Medien negative Einstellungen gegenüber den Slaven begründet, gefördert und gefestigt haben. Der Autor des ersten Beispiels machte die Erde zur »Arbeitsschule Gottes« und erblickte in den »von Natur« gegebenen Verschiedenheiten der Völker einen Ansporn für »edlen Wettbewerb« und »wechselseitige Befruchtung« (Heywang 1924: 24). Bezüglich Polens ging es ihm um die Frage: »Kann Polen bestehen?« »Faulheit« wurde nicht als Eigenart eines Volkes hingenommen, wie nachfolgender Auszug eines fiktiven Lehrer-Schüler-Gesprächs zeigt: Kinder: Reich genug wäre das Land wohl. Es ist eine weite Ebene. Diese hat Land-­ wirtschaft. Lehrer: Das Land wäre nicht unfruchtbar, wenn es richtig bebaut würde. Kinde: Dazu sind die Polen aber zu faul. Lehrer: Ja, sie sind nicht fleißig und strebsam. Da nützt der allerbeste Boden nicht viel. Ein Land wie Polen, das so guten Boden hat, müßte landwirtschaftliche Erzeugnisse ausführen. Polen kann aber nichts ausführen. Es erzeugt zu wenig. Kinder: Aber es hat auch Industrie. Da kann es doch wohl leben. Lehrer: Es muß zugegeben werden, daß Polen auf seinem Gebiet recht gut leben könnte, wenn – Kinder: – es fleißig wäre. – Wenn die Polen Deutsche wären! Lehrer: Ganz recht! Es ist auch Tatsache, daß nicht alle Teile Polens verlottert sind. Kinder: Die Teile, die es von Deutschland bekommen und gewonnen hat, sind sicher nicht verlottert. Dort ist sicher Ordnung. Lehrer: Ja, dort ist Ordnung und Erfolg – – gewesen. […] Schon jetzt, nach 3 – 4 Jahren, erfahren wir, daß die beiden Provinzen Posen und Westdeutschland [muß Westpreußen heißen], die zum größten Teil an Polen abgegeben werden mußten, rasch in Unordnung und Verfall geraten. Kinder: Sind denn die Deutschen nicht dort geblieben? Wo sind sie hingezogen?

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Hans-Dietrich Schult z Lehrer: Es sind ja wohl nicht alle Deutschen weg. Aber die einflußreichsten Deutschen und vor allem die deutschen Beamten sind nach Deutschland zurückgezogen. […] Lehrer: […] Die Polen hassen alles Deutsche so sehr, daß sie die Deutschen einfach vertreiben, obschon sie sich selbst dadurch aufs schlimmste schädigen. (Heywang 1924: 69f)

Der Unterrichtsvorschlag Scheers (1928: 22f) orientierte sich am Doppelbegriff des »Volks- und Kulturbodens«. Mit der einschlägigen Penck’schen Wandkarte vor Augen, gehen 11- bis 12-Jährige auf eine Phantasiereise, bei der sie in »lebensvoller, bis ins kleinste ausgemalter Schilderung« die verschiedenen Grenzarten – politische Grenze, Volksgrenze, Kulturgrenze – kennenlernen, zuerst die politische Grenze mit Pass- und Zollrevision, die »recht drastisch und humoristisch« ausgemalt werden soll. Jenseits der Grenze wird ausgestiegen und auf ein Städtchen zugewandert. An den Feldern und Wegen, am Stadtbild mit seinen Türmen und Dächern und beim Gespräch mit den Menschen erkennen die Kinder, dass es sich um deutsches Gebiet handelt, das unter fremder Herrschaft steht. Die Reise wird fortgesetzt, und allmählich ändert sich die Zusammensetzung der Reisenden, die immer häufiger eine fremde Sprache sprechen, bis schließlich die Klasse mit ihrer deutschen Sprache unter sich ist. Die Volksgrenze liegt nun hinter ihnen, aber noch nicht die Kulturgrenze! Draußen ist alles wie vorher. Die Felder sind gepflegt wie bei uns, die Wälder ähnlich durchforstet, die Wege in gutem Zustande, die Häuser von ähnlicher Bauart, die Silhouetten der Städte zeigen gleiche Umrißformen wie bei uns, namentlich sind es die Kirchen, die ins Auge fallen und ein hervorragendes Kennzeichen abgeben. Dann aber ändert sich das Bild. Die Häuser sehen anders aus, sie haben vielleicht eine andere Dachform oder sind auch anders eingedeckt und unsauberer, der ganze Hof in ärmlichem und zerfallenem Zustande, die Wege nicht mehr so gut gepflastert, zwischen den Feldern schieben sich Ödflächen ein, der Wald nimmt einen urwaldartigen Charakter an. Wir haben auch die Grenze des deutschen Kulturbodens überschritten und erst jetzt fühlen wir uns ganz im Auslande. (Scheer 1928: 23)

Für den folgenden Vorschlag nutzte Klenk einschlägige Kartenblätter des seit 1937 in Lieferungen erscheinenden »Atlas des deutschen Lebensraumes«, um zu zeigen, dass »der deutsche Osten […] raumgreifend ausgeweitet worden« war, und um die Frage zu klären: »›Welches Volk hat überhaupt das höhere Recht auf den Boden?‹« Unterfragen waren: »Gibt der lange Besitz schon ein Dauerrecht? – Ist der früheste Siedler am meisten bevorrechtigt? – Soll die Gewalt der Faust das entscheidende Wort sprechen? – Könnte ein Schiedsspruch diese Frage lösen?« Klenks Antwort lautete:

11. »Jedes Volk arbeitet nach seiner Ar t.« Den Ausschlag können, wenn Raumnot herrscht, allein die Leistungen der Menschen geben, die in diesem Raum lebten oder noch leben. Jenes Volk, das imstande ist, einem Raum den besten Ertrag nicht nur für sich selbst, sondern für die Völkerfamilie des größeren Raumes abzuringen, hat das Vorrecht vor dem Volk mit der geringeren Leistung. Wenden wir diesen Gedanken auf den Fall des deutschen Ostens an! – Prüfen wir die uns erreichbaren Tatsachen und versuchen wir ein Urteil zu bilden! Welche Tatsachen müssen wir ins Auge fassen? Wenn über Leistungen der Menschen am Boden geurteilt werden soll, so müssen offenbar I. die Natur des Raumes und II. die Arbeit (damit die Art) der Menschen geprüft werden. (Klenk 1942: 694)

Im ersten Schritt galt es zu erarbeiten, dass sich die natürlichen Verhältnisse des »deutschen Ostens« und des »alten Polen« im Großen und Ganzen glichen, anschließend, dass trotz ähnlicher Naturbedingungen von den Polen geringere landwirtschaftliche Erträge erzielt worden seien: »Dies also ist das Ergebnis der Auseinandersetzung dieser Menschen mit ihrem Boden! Sie können sich nicht auf Ungunst der Natur hinausreden.« So bekam im Ergebnis der Kartenarbeit das deutsche Volk von Klenk »nicht nur ein Recht an diesem Raum« zugesprochen, »sondern die Aufgabe [erteilt], ihn für sich selbst und die Lebensraumgemeinschaft der europäischen Völker weiter aufzuschließen und ertragreicher zu gestalten. Unter deutscher Führung wird auch der brauchbare Teil des polnischen Volkes den ihm angemessenen Platz erhalten«. Gelinge diese »Ostaufgabe« nicht, so sei »der gegenwärtige Kampf umsonst« (Klenk 1942: 695f).

11.7 S chlussbemerkungen Der französische Rassismusforscher Albert Memmi nennt drei Praktiken, die zusammen den Rassismusbegriff erfüllen würden, doch sei erst ihre Verknüpfung recht eigentlich gefährlich. Sie bestehen »in einer Hervorhebung von Unterschieden, in einer Wertung dieser Unterschiede und schließlich im Gebrauch dieser Wertung im Interesse und zugunsten des Anklägers« (Memmi 1992: 44). Alle drei finden sich auch in der klassischen (Landschafts-)Geographie. Sie entdeckte Unterschiede in der Art der Landschaftsgestaltung zwischen den Völkern, was an sich unproblematisch ist, aber durch den Nachdruck, mit dem dies gegenüber bestimmten Völkern geschah, und durch die Verknüpfung mit der Chimäre eines festen Volkscharakters für diese durchaus gefährlich werden konnte; sie wertete diese Unterschiede nach einer Skala von Plus nach Minus und schuf so eine Distanz zwischen sich und anderen Völkern, wobei das eigene Volk als das höherstehende den anderen voranstand; schließlich nutzte sie das Ergebnis dieser »Völkerbeurteilung« für hegemoniale und territoriale Ansprüche. So wurde aus einem scheinbar harmlosen wissenschaftlichen Vergleich von Landschafts- und Kartenbildern durch ihre weltanschauli-

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che Kontextualisierung ein Berechtigungszertifikat für die Unterdrückung und Ausbeutung anderer Völker, die perfiderweise als »natürliche Arbeitsteilung« und Dienst am Fortkommen der Menschheit präsentiert wurde – als gute Tat.

Teil III: Reflexion und Vermittlung

Einleitende Bemerkungen Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink

Schon Ende der 1970er Jahre machte der humanistische Geograph Yi-Fu Tuan auf eine bemerkenswerte Diskrepanz aufmerksam: Während die Frage, wie Sprache die wahrgenommene Struktur der Realität beeinflusst, als grundlegende Frage der Erkenntnistheorie gelte, habe die Frage, wie visuelle Medien zur Strukturierung von Wirklichkeit beitragen, nicht mal in Disziplinen mit einem starken visuellen Fokus, wie die Geographie ihn hat, viel Aufmerksamkeit erzeugt. Das könne daran liegen, so Tuan (1979: 413), dass die Vorherrschaft des Auges im Falle der Geographie so selbstverständlich sei. Blindheit, so stellt er weiterhin fest, macht eine Karriere als Geograph nahezu unmöglich – »whereas it presents no insurmountable barrier to wisdom. Indeed blindness is an emblem of the seer, the prophet, or the bard« (ebd.). Obwohl Sehen also vielfach, aber eher stillschweigend als erkenntnispraktische Voraussetzung des Geographie-Machens angenommen wurde, wurden lange Zeit weder die Bedingungen des Sehens noch die Bedingungen des Vermittelns von Wissen durch visuelle Medien (Foto, Karte, Diagramm, Bild) ausreichend reflektiert. Das ist umso bemerkenswerter, als Sehen und Abbilden keineswegs einfach nur mitlaufende Tätigkeiten waren (und sind), sondern – im Gegenteil – mit erheblichem Aufwand in der universitären Lehre, in der Forschung sowie in der schulischen Unterrichtspraxis verbunden werden. Visualisierungen in der Forschungs- und Lehrpraxis sind – und darin unterscheiden sie sich vom Landschaftsbild auf dem Smartphone – hochgradig kontrollierte Tätigkeiten in dem Sinne, dass es vielfache semiotische Standards und Normierungen gibt, an denen Wissenschaftler sich orientieren (müssen), wenn ihre Abbildungen als Teil von Forschungs- und Lehrprozessen Anerkennung finden soll. Gerade diese Normierung und Standardisierung geht aber in der Regel mit einem Objektivitäts- und Wahrheitsanspruch (und oftmals auch einem Fortschrittsanspruch) einher, was nur schwer mit der These vereinbar ist, dass Visualisierungen Teil und Ausdruck paradigmatischer Orientierungen sind. Visualisierungen sind nicht schlichte Übersetzungen von Wissen in ein weiteres (nicht-textliches) Medium, sondern wissensproduzierend, weil sie

Einleitende Bemerkungen

unmittelbar zusammenhängen mit Fragestellungen und Relevanzannahmen aufseiten der Wissenschaft. Das gilt auch für die wechselnde Bedeutung, die dem Bild als Quelle beigemessen wird: Sie sagt weniger etwas über die gesellschaftliche Relevanz von Bild und Bildlichkeit aus, sondern vielmehr etwas darüber, welche theoretischen Perspektiven an diese angelegt werden (können). Aus diesem Befund lassen sich Konsequenzen in mehrere Richtungen ziehen, von denen drei in den folgenden Kapiteln dieses dritten Buchteiles diskutiert werden: Erstens geht es uns darum, existierende Theoriestränge, die zur Reflexion des Visuellen in der Humangeographie genutzt werden können, zu identifizieren, vergleichend zu erörtern und an die fachspezifischen Interessen und Fragestellungen anzuschließen. Diese theoretische Arbeit verstehen wir über den gesamten Band hinweg als Begriffsarbeit, d.h. als Bemühen, Bildbegriffe explizit zu machen und im Hinblick auf ihr Vermögen zu diskutieren, Gesellschaft-Raum-Verhältnisse zu erschließen. Aus dem weiten Feld möglicher Bildbegriffe, die in kunst-, geistes- und medienwissenschaftlichen Debatten teils bereits eine lange Tradition haben, gilt es jene Bildbegriffe herauszuheben, die in einer sozialgeographischen Grundperspektive anschlussfähig sind. Peter Dirksmeier stellt in seinem Beitrag insgesamt vier Bildauffassungen vor, die in dieser Hinsicht vielversprechend sind: den vom Bildobjekt ausgehenden phänomenologischen Bildbegriff Edmund Husserls und seine Weiterentwicklung durch Lambert Wiesing; den die Bildsymbolik ins Zentrum rückenden Bildbegriff von Ernst Cassirer; Hans-Jörg Rheinbergers Überlegungen zum Bild im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess sowie den an Jacques Derrida anschließenden hauntologischen Bildbegriff Elisabeth Roberts. Ihre Bedeutung für sozialwissenschaftliche Fragstellungen gewinnen diese Bildbegriffe insbesondere durch theoretische Öffnungen der Sozialwissenschaften im Zuge des cultural turn und insbesondere durch poststrukturalistische Perspektiven. Sie richten sich – im Anschluss an Judith Butler – auf die performative gesellschaftliche Wirkung des Visuellen, die im ersten Teil dieses Bandes bereits von Anke Strüver herausgearbeitet wurde; auf das Bild als performatives Mittel der Präsenzhaltung des Abwesenden im Anschluss an die derridasche Hauntologie sowie darauf, wie Visuelles Affekte produzieren kann, indem durch Bilder bestimmte Gefühle und Erinnerungen an besondere Momente wachgerufen werden – wie es bereits bei Jürgen Hasse im ersten Teil anklang. Zweitens erscheint es uns notwendig, die der wissenschaftlich-geographischen Forschung und Lehre zugrunde liegende Visualisierungspraxis näher zu betrachten. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen geht es darum, den generellen und disziplinübergreifenden Zusammenhang zwischen wissenschaftlichen Wahrheits-, Objektivitäts- und Intersubjektivitätsansprüchen und spezifischen wissenschaftlichen Visualisierungen bzw. Visualisierungsregi-

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men offenzulegen. Zum anderen muss es aus unserer Sicht auch darum gehen aufzuzeigen, wie das Bild – das im wissenschaftlichen und Bildungs-Kontext nie »für sich spricht« – in konkreten Gebrauch genommen wird, um Wahrheit nicht nur sprachlich, sondern auch visuell zu artikulieren. Welches Bild (und welche Visualisierung) wofür spricht, hängt wesentlich von jenem durch den Forschungs- und Darstellungsprozess generierten Kontext ab, in dem es als Ergebnis bzw. als Träger der Darstellung eines Sachverhaltes präsentiert wird. Besonders aufschlussreich sind aus unserer Sicht daher »Passungen« zwischen disziplinärer Gegenstandskonstitution und (bevorzugten) Visualisierungsweisen – etwa zwischen dem Territorium bzw. abstrakten Raum und der Karte oder zwischen Landschaft und Fotografie. Dabei ist keineswegs davon auszugehen, dass die Gegenstandskonstitution der Visualisierung vorausgeht und Visualisierungen lediglich umsetzen, was sprachlich und mit anderen Mitteln bereits fabriziert ist; vielmehr ist im Sinne der mehrfach angesprochenen wechselseitig konstitutiven Beziehung auch in Betracht zu ziehen, dass Visualisierungsmöglichkeiten und die Etablierung von Sehgewohnheiten bestimmte Fragestellungen überhaupt erst in Gang setzen. Dieses Konglomerat von (bevorzugten) Formen der Visualisierung, Gegenstandskonstitution und Fragestellung untersucht Boris Michel, indem er den Begriff Visualitätsregime fachgeschichtlich wendet und an zwei prägnante Perioden der Geographie anlegt: die Länderkunde und die »Quantitative Revolution« mit der durch diese ausgelösten Wende zu einem »szientistischen Modelldenken« (vgl. Beitrag Michel in diesem Band). Die zentrale Bedeutung, die Visualitätsregime im Hinblick auf die Artikulation von Forschungsfragen und -ergebnissen einnehmen können, legen in der Tat die These nahe, dass Visualitätsregime nicht nur Ausdruck paradigmatischer Orientierungen sind, sondern diese mindestens mitkonstituieren. Drittens sehen wir als notwendige Konsequenz eines Reflexiv-Werdens geographischer Visualisierungspraktiken die Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Sehens und des Bildes in der Praxis der Vermittlung. Diese Auseinandersetzung ist zum einen ganz konkret und anwendungsorientiert zu führen, etwa im Hinblick auf die Arbeit mit und an Bildern im Erdkunde- bzw. Geographieunterricht. Zum anderen ist sie aber auch übergreifender und grundlegender zu führen, etwa im Sinne der Aushandlung von Fragen der prinzipiell möglichen Übersetz- und Reproduzierbarkeit von Bildern, die einem konstruktivistischen Bildbegriff (gleich welcher Provenienz) folgend erst im Akt des Sehens, der Erfahrung, der Interpretation – ergo subjekt- und kontextgebunden – entstehen. Im Feld der geographischen Fachdidaktik wird eine theoriegeleitete Auseinandersetzung mit dem Sinn von Bildern, dessen Ort und Entstehungsbedingungen und den damit verbundenen Konsequenzen für einen fachspezifischen Begriff von visueller Bildung eher implizit und verinselt, denn explizit

Einleitende Bemerkungen

und breit geführt (Hieber/Lenz 2007; Hoffmann 2011; Dickel/Hoffmann 2012; Jahnke 2011, 2012a, b). Doch scheiden sich gerade an der erkenntnistheoretischen Frage der Offenheit von Bildern und einem dieser Offenheit gerecht werdenden Umgang in der Vermittlungspraxis die Positionen (Jahnke 2013). Vielfach scheint es, als markierten insbesondere die Erfordernisse schulischer und unterrichtspraktischer Vermittlung mit dem verbundenen programmatisch fixierten Bildungsauftrag eine Grenze der Möglichkeit (bzw. der möglichen Denk- und Umsetzbarkeit) praxistheoretischer Ansätze des Visuellen, welche, wie es Dickel/Hoffmann (2012: 13) fordern, sich am Lernenden als sehendes Subjekt orientiert. Dieser Befund mag erstaunen, da sich mit Begriffen der Schüler- oder, neudidaktisch, »Lernerorientierung« in den vergangenen Jahren zumindest programmatisch ein lernkonstruktivistisches Paradigma etabliert hat. Doch eine entscheidende Wendung, welche Dickel/Hoffmann auf den Punkt bringen, ist das Erfordernis, die Wahrnehmung und damit das Sehen eines Bildes theoretisch nicht dem Subjekt nachgeordnet als intentionalen Akt zu fassen. Dann geht es »nicht länger um das Ich, das die Wahrnehmung hervorbringt, sondern um die Wahrnehmung, welche mich hervorbringt« (Dickel/Hoffmann 2012: 13). Erst so lässt sich die Arbeit mit Schülern an »ihren« Bildern auf die Schüler zurückführen. Die Befähigung zu einer kritisch-reflexiven Haltung (nicht nur) gegenüber visuellen Einflüssen, die zur aktiven und emanzipierten Teilnahme an gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen beiträgt, wird heute durchaus als ein grundständiger Bildungsauftrag erkannt (vgl. Bering 2002: 90, s.a. Höpel 2008). Doch herrschen in der Unterrichtspraxis durchaus eigene Bedingungen. So ist einerseits die Operationalisierung von Kompetenzen für die im geltenden System notwendige Bewertung von Bildungsfortschritten ohnehin noch ein Desiderat. Umso mehr muss die damit verbundene Unsicherheit für ein so junges Feld geographischer Auseinandersetzung wie die kritische Reflexion von bislang für wahr genommenen Quellen, von den selbst produzierten Produkten und noch dazu von der für die auch alltagsweltlich nicht reflexiv zugänglichen (visuellen) Wahrnehmung gelten. Unterricht steht aktuell mehr denn je in einem Spannungsfeld von fachtheoretischen und fachepistemologischen Ansprüchen einerseits und solchen der Effizienz und Standardisierung von Bildung andererseits. Vor diesem Hintergrund wird eine unter Schulpraktikern vielfach anzutreffende Haltung des Abwartens verständlich. Und so bleibt es auch unter dem Paradigma der Schülerorientierung trotz bester Absichten und einiger Vorlagen (Hieber/Lenz 2007; Hoffmann 2011; Nöthen 2012; s.a. Beitrag Schneider in diesem Band) doch vielfach wieder bei einem kruden Dreischritt von Bildbeschreibung, -analyse und interpretation, der sich eben nicht am sich bildenden Subjekt, sondern am raumbildlichen Objekt orientiert. Der in angesprochenem Sinne subjektzentrierte unterrichtliche Umgang mit Bildern bedarf also vor allem tragfähiger Vorbilder, durch die es vorstellbar

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Antje Schlottmann und Judith Miggelbrink

und handhabbar wird, über bislang praktizierte Anleitungen hinauszugehen. Diesem Erfordernis nimmt sich hier nun Tilman Rhode-Jüchtern an, indem er konsequent das in der Unterrichtsstunde situierte Bild als Ausgangspunkt seiner geographiedidaktischen Überlegungen wählt. Seine illustrativen Reflexionen zur Rolle von Bildern in der bildenden Praxis führen zu einem Kaleidoskop von Annäherungen an gelungenes, weil gleichzeitig aktivierendes und motivierendes, ergebnisoffenes Arbeiten mit und an Bildern und ihren Kontexten. Der Weg dahin führt, so wird deutlich, für Lehrende und Lernende gleichermaßen über den bewussten Einsatz von bzw. das kontrollierte Spiel mit Irritationen und Rätseln, über die Formulierung richtiger im Sinne von öffnender Fragen an Bild-Text-Verhältnisse oder über gemeinsame Problem- und Fallrekonstruktion von Lehrer und Lerner. Immer wieder erscheint dabei auch die vermittlungspraktische Bedeutung des »zweiten Blicks«, der den ersten, noch unreflektierten Blick einfängt, verarbeitet und im Wortsinn re-vidiert, um zu einem verständnisintensiven Lernen zu gelangen. Mirka Dickel weitet dann zum Abschluss dieses Bandes noch einmal den Blick und nimmt sich des Verhältnisses von Bildlichkeit und Geographie als forschender und insbesondere aber lehrender, also visuell vermittelnder Wissenschaft an. Sie präsentiert Reflexionen über die Praxis der Bilderschließung, wobei ihr Ansinnen ist, die Theorie der Bildpraxis gleichsam aus der reflektierenden Praxis mit entstehen zu lassen, anstatt sie dieser vorwegzustellen. In einem dreistufigen Verfahren nähert sich Dickel den Bildern an, um schließlich zur Explikation einer Haltung der visuellen Vermittlung zu gelangen, welche genau diesen Dreischritt von erfahrender, text- und bildphänomenologischer und schließlich dialogischer Bilderschließung integriert. Eine solche Haltung ist nun sowohl für die Rolle des Bilderschließers wie für die des Vermittlers bedeutsam, geht es doch vornehmlich darum, die Unbestimmtheit des Bildes nicht nur anzuerkennen, sondern dessen damit verbundene perspektivische und situative Bedingtheit und Veränderlichkeit in die Praxis der eigenen Bilderschließung wie auch die Vermittlungspraxis reflexiv und konsequent einzubinden. Konsequenterweise muss auch der aus diesem Ansatz resultierende Zielpunkt aller Vermittlung ein praxisbezogener sein. Nicht das Verstehen von Bildern oder ihren Sujets kann mehr zum Bildungsziel erhoben werden, sondern die Entwicklung eben jener Haltung, die es den Lernenden erst ermöglicht, in der Erschließung des Bildes zu Seh-Momenten zu gelangen, in denen »Bildung im Sinne einer ästhetischen Selbst-Bildung« (vgl. Beitrag Dickel in diesem Band) entsteht. Diese Art der Bildung durch die Auseinandersetzung mit dem Bild verweist über die schulische (und universitäre) Unterrichtspraxis hinaus auf die Notwendigkeit, auf die Entwicklung immer neuer bildgebrauchender Praktiken auch immer wieder reflexiv zu reagieren und sie in Beziehung zu Prozessen und Bedingungen der Subjektivierung zu setzen.

12. Bildbegriffe und ihre Reichweite zur Analyse von Gesellschaft-Raum-Verhältnissen Peter Dirksmeier

12.1 G eogr aphisches N achdenken über das V isuelle Der Bildbegriff ist sicherlich eine der komplexeren Semantiken, denen sich die Humangeographie im Zuge des cultural turn zugewandt hat. Die vielen verschiedenen Spielarten des Begriffes lassen sich nicht unter einer Fragestellung oder Theorietradition vereinen (für einen Überblick: vgl. Schlottmann/Miggelbrink 2009). Genauso wenig ist es möglich, in einem zusammenfassenden Kapitel eine solche Begriffsexegese zu leisten, ohne dass man zwangsläufig holzschnittartig die jeweiligen andersgearteten Semantiken aneinanderreiht. Dieses Kapitel hat vielmehr die Aufgabe, wesentliche Bildbegriffe und -konzepte, die in der Humangeographie gegenwärtig diskutiert werden oder Einfluss auf das humangeographische Nachdenken nehmen, in prägnanter Form darzustellen. Die Komplexität des Bildes zeigt sich daran, dass das Bild seit seiner Entstehung eines Mediums zu dessen visueller Darstellung bedarf (vgl. Kruse 2010). Menschliche Gruppen nutzen seit Langem die materielle Verkörperung des Bildes im Medium für ihre soziale Organisation. Die »Welterfahrung wird in der Bilderfahrung eingeübt« (ebd.: 88). Dieses Zusammenspiel von Visuellem und Kommunikativen verlangt letztlich nach einem eigenen institutionalisierten Zweig in der Geisteswissenschaft, dessen Entstehung Bredekamp in Deutschland und Österreich nach 1970 terminiert (vgl. Bredekamp 2003: 418), obwohl das Nachdenken über das Bild bis mindestens in die Antike zurückreicht. Die entstandene (historische) Bildwissenschaft analysiert die mannigfachen Formen visueller Verständigung und Repräsentation, die sich mit der Herstellung und dem Gebrauch von Bildern im weitesten Sinne1 verbinden. 1 | Die semantische Weite des Bildbegriffs in der deutschen Sprache verdeutlicht die Tatsache, dass das Englische die vier Ausdrücke picture, image, illustration und figu-

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Diese zwei Aspekte von Repräsentation und Verständigung mittels des Bildes sind ursächlich, um dem ur-geographischen Thema der Verbindung von Gesellschaft und Räumlichkeit auch in visuellen Artefakten nachzugehen. Analog zur Bild-Anthropologie Hans Beltings (2011) begreifen und erfahren Menschen die Welt über die Herstellung, Veränderung und Zerstörung von Bildern (vgl. Kruse 2010). Damit sagt die Herstellung und Verbreitung von bildlichen Repräsentationen ebenfalls etwas über gesellschaftliche Positionierungen und räumliche Relationen aus, wie beispielsweise kulturgeographische Arbeiten über die englische und italienische Landschaftsmalerei des 18. Jahrhunderts verdeutlichen (vgl. Daniels/Cosgrove 1988; Mitchell 2000). Diese Möglichkeit, über visuelle Repräsentationen sowie ihre Herstellung und Verwendung etwas über gesellschaftliche und raumbezogene Realitäten zu erfahren, spricht gerade allgemein für die Bedeutung des Bildes in der Humangeographie. Der Beitrag gliedert sich in zwei Teile. Das folgende Kapitel führt in gebotener Kürze zunächst vier Bildbegriffe aus unterschiedlichen Theorietraditionen zusammen, die im Rahmen der gegenwärtigen humangeographischen Diskussion um das Visuelle nach dem cultural turn von Bedeutung sind. Diese vier Bildbegriffe sind der phänomenologische Bildbegriff von Edmund Husserl, der symboltheoretische Bildbegriff von Ernst Cassirer, das Bild im Erkenntnisprozess der Wissenschaft von Hans-Jörg Rheinberger und eine hauntologische Bildauffassung von Elisabeth Roberts in Anlehnung an die Idee der Hauntologie von Jacques Derrida. Diese vier Bildbegriffe kennzeichnen, neben ihrer deutlichen Verschiedenheit, dass sie wesentlich für Theoriestränge in der derzeitigen Humangeographie sind, die sich mit der Relation von Gesellschaft und Raum im weitesten Sinne befassen. Der zweite Teil diskutiert auf bauend auf die skizzierten Bildauffassungen zwei bestehende theoretische Spielarten in der Humangeographie, die entweder, wie im Fall poststrukturalistischer Ansätze, bereits das Visuelle implizit oder explizit thematisieren, oder, wie im Fall der strukturalistischen Kommunikationstheorie von Michel Serres, sich eignen würden, genau dies zu tun. Das übergeordnete Ziel dieser Diskussion ist damit weniger, die theoretische Eloquenz einer sich herausbildenden Visuellen Geographie als Teilgebiet der Humangeographie nach dem cultural turn zu verdeutlichen, als vielmehr das Aufzeigen der vorhandenen Möglichkeiten für die humangeographische Theorieentwicklung, die mit der Thematisierung des Visuellen in Bezug auf gesellschaftliche Raumrelationen verbunden sind.

re benötigt, um dieselben Sachverhalte auszudrücken (vgl. Bredekamp 2003: 418). Bredekamp vermutet daher, dass diese sprachliche Trennung für die Unterschiede zwischen englisch- und deutschsprachiger Kunstgeschichte verantwortlich ist (vgl. ebd.).

12. Bildbegriffe und ihre Reichweite

12.2 G rundlegende B ildbegriffe im geogr aphischen N achdenken über das V isuelle 12.2.1 Edmund Husserl: Bildobjekt In der Phänomenologie Edmund Husserls differenziert sich ein Bild in drei verschiedene »Objekte« (Husserl 2006: 21), die erst in ihrer wechselseitigen Bezogenheit ein Bild ergeben. Der Bildträger oder das physische Bild als Ding bezeichnet das Material, das als Bild erscheint oder das Bild zur Darstellung bringt. Das »Bild als physisches Ding« (ebd.: 20) ist ein physisches Objekt wie die Leinwand oder das Papier, auf dem gemalt wurde. Es kann sich aber auch um das Gestein und den Boden handeln, aus dem eine Landschaft als ein wahrgenommenes Bild besteht. Das Bildsujet, der zweite wesentliche Begriff in Husserls Bildphänomenologie, bezeichnet wiederum die realen Objekte, die in einem Bild dargestellt werden. Dies können etwa die fotografierten Menschen sein, die auf einer Fotografie zu sehen sind, aber genauso die Obstschale, die ein belgischer Maler oder eine belgische Malerin für ein Stillleben verwandt hat. Das dritte Husserl’sche Objekt schließlich ist das Bildobjekt selbst. Das Bildobjekt ist »das genaue Analogon des Phantasiebildes, nämlich das erscheinende Objekt, das für das Bildsujet Repräsentant ist« (ebd.: 21). Im phänomenologischen Sinne nach Edmund Husserl kann also in dem Fall von einem Bild gesprochen werden, wenn ein wahrnehmbarer Unterschied zwischen einem gegebenen, realen Objekt, dem Bildsujet, und einem repräsentierenden Objekt, dem Bildobjekt, erkennbar wird. Ein Bild im phänomenologischen Sinne verlangt folglich nach einem Bewusstsein für die Differenz zwischen Bildobjekt und Bildsujet (vgl. ebd.: 21-22). Husserls berühmte Dreiteilung des Bildbegriffs korrespondiert mit Michael Polanyis Konzeption der Wahrnehmung des Bildes. Polanyi unterscheidet zwischen der fokussierten Wahrnehmung, die die einzelnen Teile des Ganzen sehen lässt, etwa die Farbflecken auf der Leinwand, der begleitenden Wahrnehmung, die die Teile eines Ganzen in der Zusammenschau dieses Ganzen sieht, und der Nicht-Wahrnehmung im Falle eines Täuschungseffekts auf der Leinwand (vgl. Polanyi 1995: 153). Ein Bild ist nun durch die begleitende Wahrnehmung der Teile charakterisiert (vgl. ebd.: 154) wie Leinwand, Pinselstriche und Farbpigmente – das Bild als physisches Ding in Husserls Terminologie –, die als Zusammenschau und damit als Bildobjekt im Sinne Husserls gesehen werden. Wesentlich ist in beiden Ansätzen ein bewusstes Sehen, das nicht fokussiert im Sinne Polanyis, also auf Einzelheiten abstellt, die in ihrer Absonderung keine Bedeutung mehr kommunizieren, sondern in ihrer Synopsis Sinn ergeben. Im Gegensatz zu Polanyi »interpretiert [Husserl] die Darstellung im Bild nicht als eine Form von Sinn oder Inhalt, sondern als eine Art Objekt, eben als ein Bildobjekt« (Wiesing 2005: 30). Beide begriff-

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lichen Dreiheiten zielen folglich auf das Sehen durch ein Bewusstsein. Doch während Polanyi den Bildbegriff für eine bestimmte Form sinnlicher Wahrnehmung durch ein Bewusstsein reserviert, der begleitenden Wahrnehmung, konzipiert Husserl das Bildobjekt als Objekt, das auf ein bewusstes Sehen als Etwas angewiesen ist (vgl. ebd.: 34). Eine Dynamisierung erfährt Husserls statischer Ansatz durch Lambert Wiesing, der das Bildobjekt weitergehend auf der Grundlage der technischen Evolution in ein starres (z.B. Gemälde), ein bewegt-determiniertes (z.B. Film), ein frei manipulierbares (z.B. Animation) und ein interaktives (z.B. Simulation) Bildobjekt differenziert (vgl. Wiesing 2005: 122). Wiesings der medialen Entwicklung angepasste Unterteilung ist der Versuch, das phänomenologische Bildobjekt mit den digitalen Medien zu versöhnen. Interessant ist hier, dass Husserl selbst die Trennung in ein starres und ein bewegt-determiniertes Bildobjekt m.W. nicht vorgenommen hat, sondern bei der statischen Bezeichnung eines »repräsentierende[n] oder abbildende[n] Objekt[s]« (Husserl 2006: 21) verbleibt. Gerade dieses scheinbar statische Objektivieren einer fluiden Kategorie und die damit verbundene Bedeutung des Sehens durch ein Bewusstsein (vgl. Wiesing 2005: 34) lässt den Husserl’schen Bildbegriff für eine methodologische Ausarbeitung visueller empirischer Verfahren als besonders geeignet erscheinen. In der Humangeographie findet sich dieser Bildbegriff daher vor allem in methodologischen Fundierungen visueller Forschungspraxis, wie der Autofotografie oder Reflexiven Fotografie (vgl. z.B. Dirksmeier 2009, Manz in diesem Band).

12.2.2 Ernst Cassirer: Bildsymbolik Ernst Cassirer entwickelt in seiner Philosophie keine eigene »Bildtheorie« wie etwa Edmund Husserl in seiner Phänomenologie entlang der »sichtbare[n] Eigenschaften des Bildes« (Wiesing 2004a: 91) oder betrachtet den Bildbegriff selbst als wesentlich in seinen Arbeiten. Vielmehr widmet er sich in seinen Werken ausführlich dem Problem der Repräsentation. Cassirers Arbeiten zu den symbolischen Formen sind getragen von dem Bewusstsein, dass »unter ›Repräsentation‹ nicht länger eine strukturerhaltende Abbildung von ›Außenwelt‹ verstanden werden kann« (Freudenberger et al. 2003: 18). Die Krise des Abbild-Konzepts lässt Cassirer zu einem Verständnis von Repräsentation kommen, das auf den Begriffen von »Vorstellung und Einbildung (Imagination)« (ebd.: 20, kursiv im Original) beruht. Dies ist ebenfalls von Bedeutung für die Philosophie der symbolischen Formen, Cassirers Hauptwerk, als einer Analyse des menschlichen Weltverständnisses jenseits der Abbildtheorien. Wesentlich ist für Cassirer, dass eine enge Verbindung von objektiver Erkenntnis und intersubjektiver und subjektiver Deutung der Welt besteht. Der Mensch verbindet in seiner Wahrnehmung Sinnliches mit Sinn, Materielles und Ideelles. Cassirer nannte diesen basalen Vorgang symbolische Prägnanz (vgl. Cassirer

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2010: 218-233). Symbolische Formen garantieren nun die kulturspezifische Einordnung dieser Verstandesleistungen in ein Schema. Symbolische Form bedeutet letztlich eine bestimmte Form der Weltdeutung, die an der Grenze von Sinn und Sinnlichem entsteht, wie z.B. die Sprache, der Mythos oder die Geschichte. Die symbolische Form in der Lesart Cassirers übersetzt die Wahrnehmungen des Bewusstseins in eine symbolische und sinnliche Bedeutung (vgl. Cassirer 2009: 69). Das Konzept der symbolischen Form findet sich damit zweifach in den Arbeiten Cassirers. Es bezeichnet zum einen all das, was »eine symbolische Form erfüllt« (Krois 1984: 440), zum anderen einen »Interpretationszusammenhang« (ebd.), der alle denkbaren Objekte umfasst. Diese Breite des Begriffes führte in der Sekundärliteratur bereits zu einer Gleichsetzung von symbolischer Form mit Kultur (vgl. van Heusden 2003: 124). Cassirer entwickelt eine Symboltheorie, die sich um das zentrale Konzept der symbolischen Formen herum entspinnt. Wesentlich für Cassirers Symbolbegriff ist die Verbindung zwischen dem Materiellen und dem Ideellen, die das Symbol leistet. Es stellt einen spezifischen Bezug von Sinn und Sinnlichkeit her. Sämtlicher Sinn findet sich im Medium des Sinnlichen wieder (vgl. Paetzold 2008: 39). Wesentlich ist hier die Ambivalenz des Symbols, das zum einen ein »Haften am Sinnlichen« (Cassirer 1995: 2) genauso auszeichne wie ein »Hinausgehen über das Sinnliche« (ebd.). Ein Bild ist in diesem Kontext eine spezifische Form von Symbol, d.h. eine reine Verbindung zwischen dem Materiellen und dem Ideellen, dem Sinnlichen und dem Sinn, das über symbolische Prägnanz erkannt und mittels symbolischer Formen gedeutet werden kann. Das Symbol des Bildes kennzeichnet nun, »daß das Bild keinen selbständigen Gehalt, keine ihm eigene immanente Bedeutung besitzt« (Cassirer 1994: 77). Ein Bild ist ein Symbol, das »ein Wirkliches« (ebd.) zwar wiedergibt, aber dennoch notwendigerweise in dieser Wiedergabe unvollständig bleibt. Indem Cassirer dem Bild attestiert, der Wirklichkeit »in keiner Weise gewachsen« (ebd.) zu sein, drückt sich seine Haltung zur Repräsentation aus. Das Bild ist auf die menschliche Vorstellung angewiesen und kann nur mittels symbolischer Prägnanz und symbolischer Form mit Sinn versehen werden. Erwin Panofsky übernimmt diese Idee aus der Philosophie der symbolischen Formen und erweitert sie, indem er die Perspektive als eine symbolische Form interpretiert (vgl. Panofsky 1964). Seiner in den 1920er Jahren begonnene Ausarbeitung einer kunstgeschichtlichen Methodologie gründet Panofsky stark in auf Schriften zur Symbolik von Ernst Cassirer (vgl. Levine 2013: 149). Erwin Panofskys auf Cassirers Symbolphilosophie beruhende Arbeiten zur Ikonographie finden sich in der gegenwärtigen Kulturgeographie in Stephen Daniels’ und Denis Cosgroves ikonographischer Lesart von Landschaften als Bilder und Symbole, die es zu entziffern gälte (vgl. Daniels/Cosgrove 1988). Daniels und Cosgrove versuchen hergestellte Landschaften, wie z.B. englische Parks des 18. Jahrhunderts, dadurch zu verstehen, dass sie zum einen die Be-

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deutungen der geschriebenen, gezeichneten oder erzählten Repräsentationen dieser Landschaften erfassen und diese Bilder nicht als einfache Illustrationen ohne ideologischen Sinn betrachten (vgl. ebd.). Zum anderen begreifen sie Landschaften selbst als Bilder, die mit der Methode der Ikonographie als »the theoretical and historical study of symbolic imagery« (ebd.: 1) in Hinblick auf ihren Status als Vorstellung und Symbol zu untersuchen sind (vgl. ebd.). Indem sie Panofskys Ikonographie mit neueren methodologischen Entwicklungen aus der Anthropologie, wie etwa Clifford Geertz’ Dichte Beschreibung oder Roland Barthes’ postmoderne Kritik der Bedeutung, kombinierten (vgl. Della Dora 2011: 265), gaben sie einen wesentlichen Impuls für die Entstehung einer new cultural geography, die sich aus diesem Grund in ihrer epistemologischen Fundierung u.a. bis zu Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen zurückverfolgen lässt.

12.2.3 Hans-Jörg Rheinberger: Das Bild im Erkenntnisprozess der Wissenschaften Eine dritte relevante Bildauffassung für die Thematisierung des Visuellen in der Humangeographie liefern die Arbeiten zu Repräsentation und Bild von Hans-Jörg Rheinberger. Dieser unterzieht die Repräsentation im Kontext des Erkenntnisgewinns der Wissenschaften einer Analyse. Rheinberger stellt der Repräsentation die Intervention entgegen. Für die Herstellung wissenschaftlicher Bilder sei diese Unterscheidung wesentlich, da die Naturwissenschaft in ihrem Erkenntnisprozess nicht in erster Linie abbilde, sondern eingreife (vgl. Rheinberger 2001: 57). Wesentlich ist für Rheinberger eine dreifache Bedeutung des Begriffes der Repräsentation. Eine Repräsentation ist erstens als Bild ein Objekt, das im Rahmen bestimmter Konventionen Ähnlichkeit mit einem anderen Objekt aufweist. Die zweite Auffassung von Repräsentation bedeutet Darstellung in einem doppelten Sinne von »einer Stellvertretung und gleichzeitigen Verkörperung« (Rheinberger 2006: 127). Klassisches Beispiel ist hier der Schauspieler auf der Theaterbühne. Der dritte Aspekt der Repräsentation bezieht sich auf die Herstellung einer Sache, z.B. durch die Darstellung einer bestimmten Substanz im chemischen Labor. In diesem Zusammenhang »bezeichnet Darstellen die Realisierung einer Sache« (ebd.). Rheinberger bezeichnet den ersten Aspekt der Repräsentation als Analogie, im Sinne der Peirce’schen Semiotik wäre dies das Symbol (vgl. Rheinberger 2001: 59). Hier sind Verschiebungen, »Symbolwanderung[en]« (Rheinberger 2005: 265) möglich. Den zweiten Aspekt benennt er mit Modell oder Simulation, im Sinne von Peirce wäre dies Ikon, und den dritten Aspekt mit experimentell realisierter Spur oder im Sinne von Peirce Index (vgl. Rheinberger 2001: 59). Rheinbergers Bildauffassung wendet sich gegen die Abbildtheorie der Repräsentation. Er kritisiert an dieser, Nelson Goodman (vgl. 1968: 8-9) zitie-

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rend, dass es der Abbildtheorie der Repräsentation an der Fähigkeit mangle, »das zu spezifizieren, was abgebildet werden soll« (Rheinberger 1997: 271). Rheinberger entwirft mit Blick auf die Labormethoden der Molekularbiologie einen aktiven Begriff des Bildes, der Bild und Imagination nicht vom Subjekt trennt. Mit Bezug auf Heidegger stellt Rheinberger fest, dass das Bild nur sein kann, wenn es durch den imaginierenden Menschen (vor)gestellt wird (vgl. ebd.). »Das Wort Bild bedeutet jetzt: das Gebild des vorstellenden Herstellens« (Heidegger 1980/1938: 92) heißt es dazu bei Heidegger. Rheinberger wiederum nutzt Heideggers Idee des »vorstellenden Herstellens« (ebd.) für eine Dynamisierung bzw. Aktivierung des Bildbegriffs. »Bilder […] sind Bildungen, Vorstellen ist Stellen« (Rheinberger 1997: 271). Hans-Jörg Rheinbergers dynamischer Bildbegriff drängt über die Adaption der Science and Technology Studies (STS) sowie der Arbeiten von Bruno Latour, die Rheinberger in seinen Arbeiten zur Repräsentation ebenfalls anführt (vgl. z.B. Rheinberger 1999: 88), in die Humangeographie. Ein Kennzeichen dieser Adaptionen ist u.a. ein erweitertes Ausloten der Grenzen von Subjekten und Objekten, ihr Verschmelzen, das Rheinberger in seiner Konzeption wissenschaftlichen Modellierens und Realisierens als »Vergleichung, Verschiebung, Marginalisierung, Hybridisierung und Propfung verschiedener Repräsentationen mit- und gegeneinander« (Rheinberger 1997: 272) bereits vorspurt.

12.2.4 Elisabeth Roberts: Hauntologie des Visuellen Der jüngste Vorschlag aus der Humangeographie selbst für eine Auffassung des Bildes stammt von Elisabeth Roberts (vgl. Roberts 2013). Roberts geht in ihrer Argumentation von der Diagnose eines Problems in der gegenwärtigen Humangeographie aus, dass sie in einer spezifischen Auffassung visueller Bilder und Artefakte verortet. Im Zuge poststrukturalistischer Arbeiten würden Bilder als materielle Akteure begriffen, die sich inkorporierten, performativ und multisensuell seien und als hergestellte Erfahrung, d.h. nur in der Verbindung mit spezifischen Erinnerungen vom Subjekt lesbar seien (vgl. ebd.: 392). Ein solcher Begriff visueller Artefakte verlangt nach einer Auffassung der Repräsentation als einen genuinen Effekt, der über Praktiken und Performativität hergestellt wird und diesen gerade nicht entgegensteht. Für Roberts leitet sich daraus in der Geographie das unnötige Problem ab, gegen die Repräsentation anzuschreiben und dekonstruktivistische, symptomatische oder denaturalisierende Lesarten des Begriffes zu entwerfen, wie dies in poststrukturalistischen und postkolonialen Arbeiten häufig geschähe. Roberts Argument ist vielmehr, dass ein solches »gegen« oder »jenseits« der Repräsentation nicht möglich sei. Die Kluft zwischen Signifikant und Signifikat, die immer wieder die Frage aufwirft, wie genau die Beziehung von Repräsentation und Wirklichkeit ist, stellt für Roberts eine »falsche« Opposition dar (vgl. ebd.). Vielmehr durchdringen

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sich beide Konzepte, die untrennbar seien (vgl. ebd.). Die Idee des Geistes ist in diesem Sinne eine Metapher »proving a productive encounter for disrupting and revising ›ways of seeing‹« (ebd.). Roberts überträgt die Metapher des Geistes als eines nur schwer fassbaren Dazwischen auf ihre Bildkonzeption. Geist ist demnach kein spezifizierter Fachbegriff einer universitären Fachrichtung wie der Geographie, sondern vielmehr eine Trope, die in einer Vielzahl an Disziplinen Verwendung findet (vgl. ebd.). Mit Bezug auf den place konkretisiert beispielsweise Bell die Trope des Geistes als »the sense of the presence of those who are not physically there« (Bell 1997: 813, kursiv im Original). Diese Aufladung von spezifischen Orten mit Bedeutungen, die sich aus Erfahrungen, Erinnerungen, Affekten oder Emotionen speisen, die der Mensch mit anderen Menschen teilt, die aber nicht physisch an diesem Ort in diesem Moment zugegen sind, sieht Bell als ein gemeinsames Merkmal der menschlichen Erfahrung von places an (vgl. ebd.). Die Bedeutung des Ortes ist unauflöslich mit den ›Seelen‹ verbunden, die der Mensch mit diesem Ort verbindet. Sie stehen als Geister zwischen der wahrnehmbaren physischen Materialität des Ortes und der subjektiven Erinnerung. »The ghosts of place« (ebd.) reichern so das menschliche Erleben des place mit Emotionen und Erfahrung an und vervollständigen erst im Zusammenspiel von subjektiver Wahrnehmung und objektiver Materialität dieses Erfahren des Ortes. Roberts überträgt diesen Gedanken auf Bilder, die einen unentscheidbaren Zwischenstatus besetzen zwischen den Polen des Materiellen und Immateriellen, dem Realen und Virtuellen, dem Toten und dem Lebendigen (Roberts 2013: 386). Bilder oszillieren zwischen diesen Polen, sind aber niemals ganz entweder oder. Visuelle Bilder »are theorized as dead and alive, representation and presentation, as deadened, flattened copies of reality or animate, affective, transformative, having a ›life‹ of their own« (ebd.). Das Bild ist nach Roberts hauntologischem Entwurf niemals vollständig das eine oder das andere. Die Erörterungen dieser vier Bildbegriffe, die entweder, wie im Fall von Husserl, Cassirer und Rheinberger, bereits Einfluss auf Arbeiten in der Humangeographie genommen haben oder aber, wie der Entwurf von Elisabeth Roberts, das Potential aufweisen, einflussreich für humangeographisches Arbeiten mit dem Visuellen zu werden, dienen im Folgenden als Grundlage, um aufzuzeigen, wie in bereits etablierten Theoriekonzepten der Humangeographie das Visuelle einen Platz finden könnte.

12. Bildbegriffe und ihre Reichweite

12.3 Thematisierung des V isuellen in e xistierenden Theoriestr ängen in der H umangeogr aphie Poststrukturalistische Arbeiten in der gegenwärtigen Humangeographie bieten denkbare Anknüpfungspunkte, um das Visuelle und dessen Reichweite für die Analyse von Gesellschaft-Raum-Verhältnissen vertieft zu thematisieren. In dem breiten Spektrum poststrukturalistischer humangeographischer Konzepte treten drei unterschiedliche Ansätze deutlich hervor, die eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Visuellen leisten. Der von Judith Butler geprägte Begriff der Performativität ist der erste theoretische Anker der gesellschaftlichen Wirkung des Visuellen in der gegenwärtigen Humangeographie (vgl. Butler 2006, Strüver in diesem Band). Judith Butler zielt mit dem Performativitätsbegriff neben der Sprache und dem Zeichengebrauch ebenfalls auf die herstellende Kraft von Bildern. Bilder sprechen imperativisch, indem der Imperativ des Bildes in der Lage ist, eine soziale Realität herzustellen. Butler zeigt dies anhand von Fotografien, die nicht als visuelle Artefakte in passiver Weise auf ihre Interpretation warten, sondern vielmehr selbst interpretieren (vgl. Butler 2007). Fotografien stellen ein Ereignis performativ her, indem sie es zeitlich auf Dauer stellen und damit immer wieder aufs Neue hervorbringen können. Butlers Beispiele für die performative Macht der Fotografie sind die unautorisierten Fotografien aus dem Gefängnis Abu Ghraib, die eine offizielle Realität, deren Darstellungen über komplexe Zugangs- und Zensurregeln des embedded journalism erzeugt wurden, vernichteten. »Die Bilder lieferten zwar eine Realität, aber sie zeigten auch eine Realität, die das hegemoniale Feld der Darstellung selbst zerstörte.« (Butler 2005: 177) Caroline Scarles zeigt die performative gesellschaftliche Wirkung des Visuellen empirisch anhand von Fotografien auf, die Touristinnen und Touristen herstellen. Die visuelle Abbildung des Erlebten bzw. Gesehenen in der Fotografie wirkt performativ. Fotografien fasst Caroline Scarles als »komplexe performative Räume« (2009: 465; eigene Übersetzung) auf, die in der Lage seien, die gesamten touristischen Erfahrungen einer Reise zu infiltrieren. Die Fotografie ist das Artefakt, das im Anschluss die Erinnerung an die Reise leiten wird. Reisefotografien werden durch die Zeit zu Strukturen, die Erinnerungen an Orte, Erlebnisse, Räume oder Objekte bedingen. Diese Fotografien konstruieren so über die Zeit performativ die Erinnerung. Damit schreibt sich das Visuelle als ein Erlebtes in die Körper der Touristinnen und Touristen ein (vgl. Scarles 2009). Fotografien von Touristen visualisieren somit ein »embodied remembering« (Waterton/Watson 2014: 88) und lassen die Performativität des Visuellen in diesem Zusammenhang deutlich hervortreten. Touristen sehen sich permanent einer Fülle an visuellen Artefakten gegenüber, die Reiseziele und deren besondere Orte abbilden. Empirisch zeigt sich, dass diese Bilder, vor allem aus Broschüren und Katalogen, Reiseführern, Internetseiten oder Post-

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karten, den touristischen Blick leiten. Touristen versuchen, diese Bilder als eigene Bilder zu reproduzieren, d.h. die Motivwahl ist bereits performativ vorstrukturiert, das Motiv gewusst, bevor der Raum physisch erreicht und damit gesehen wird. Die eigenen Bilder werden zu Kopien der bekannten Artefakte in einer Postkartenästhetik oder aber es wird versucht, das Selbst oder den bestimmten Anderen in einem Rahmen vor dem fotografierten Objekt oder Ort abzubilden und so den tourist gaze (vgl. Urry 2002) mit dem family gaze zu verschmelzen (vgl. Waterton/Watson 2014: 89). Das zweite an dieser Stelle zu diskutierende poststrukturalistische Konzept ist die bereits im vorherigen Kapitel vorgestellte Hauntologie von Derrida (vgl. 1994), die eine Neubewertung der Repräsentation erlaubt (vgl. Roberts 2013). Derridas basale Idee in seinem Buch Spectres of Marx (vgl. 1994) sieht im Marxismus einen Geist des Vergangenen, der nach dem Mauerfall und Niedergang der sozialistischen Systeme in Osteuropa aufgrund der pfadabhängigen Geschichte des Kapitalismus im Globalen Norden nur scheinbar verschwunden ist und aktuell sei. Der Geist des Marxismus bleibt der westlichen Gesellschaft erhalten, da ihre sozialen Problemlagen sich gerade nicht im Zuge neoliberaler und kapitalistischer Wirtschaftsformen auflösen. Die von Roberts angestoßene gegenwärtige Auffassung von visuellen Bildern in der Humangeographie versucht, diese in Anlehnung an Derridas Hauntologie als materielle Akteure mit den geisterhaften Attributen eines Dazwischen ernst zu nehmen. Das Visuelle wirkt auf die Körper, inkorporiert sich, ist performativ, multisensuell und eine hergestellte Erfahrung, d.h. nur in Verbindung mit spezifischen Erinnerungen wirksam und damit vom Subjekt lesbar (vgl. Roberts 2013: 392). Über diese Wirkung ist das Visuelle auch in der Absenz präsent und in der Lage, auf Handlungen von Subjekten Einfluss auszuüben. Fotografinnen und Fotografen realisieren mit den technischen Hilfsmitteln der Fotografie lediglich Bilder, die sie in der Realität bereits vorfinden und die über soziale und kulturelle Praxis bereits angelegt sind (vgl. Wiegand 1981). Die Fotomotive entstehen dadurch über performative Effekte der Wiederholung in den Fotografinnen und Fotografen. »Jedes Photo ist ein déjà vu« (ebd.: 10). Die Repräsentation wird damit zu einem genuinen Effekt, der über Praktiken und Performanzen hergestellt wird und nicht Performanz und Praxis entgegensteht (vgl. Roberts 2013: 392). Den dritten Anknüpfungspunkt bietet schließlich die Affektmetapher. Die geographies of affect (vgl. Woodward/Lea 2010) ermöglichen es, eine Brücke zwischen dem Visuellen und dem Sozialen zu denken, indem sie ein Angebot unterbreiten, wie das Visuelle auf die sozialisierten Körper wirkt – über den Affekt und die Affektion. Der Affekt bezeichnet zum einen eine Dauer zwischen Zuständen des Körpers, der Eindrücke, d.h. Affektionen, verschiedentlich verarbeitet. Zum anderen bedeutet der Affekt »für den Körper wie für den Geist eine Vermehrung oder Verminderung des Tätigkeitsvermögens« (Deleu-

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ze 1988: 65). Affekte erzielen Wirkungen jenseits eines habituellen Rahmens der Sozialisation. In dem Ausloten der Beziehung von Affekt und Visuellem stellt sich die Frage, inwieweit das Visuelle Affektionen und Affekte bewirken kann (vgl. ebd.). Die enge Verbindung des Visuellen und des Affekts analysieren Emma Waterton und Steve Watson mit Bezug auf die fotografische Praxis von Touristen. Die Autorin und der Autor verfolgen die These, dass im Kontext des Tourismus Fotografen den Versuch unternehmen, mit der Auswahl an Motiven und der anschließenden Realisierung der Bilder Affektionen zu produzieren, die wiederum in der Lage sind, retrospektiv bei der Betrachtung der Bilder bestimmte Gefühle und Erinnerungen an aufgesuchte Orte und dortige Erfahrungen zu beleben (vgl. Waterton/Watson 2014: 88). Das Bild ist in diesem Fall eine jederzeit nutzbare Affektion, die bei einem wiederholten Anschauen der Bilder Erinnerungen und Gefühle reproduziert. Waterton und Watson sehen gerade in dieser Möglichkeit der Speicherung von Affekten den Reiz und den Grund der Popularität der Urlaubsfotografie (vgl. ebd.). Bilder sind in diesem Sinne habituelle Praxen von affektiven Reaktionen auf visuelle Eindrücke, die »festgehalten« werden sollen. Nicht die visuell kommunizierte Information, wie das besondere Blau des Meeres an dem besuchten Karibikstrand oder das intensive rötliche Leuchten der Sonne beim Untergang im Karibischen Meer ist wesentlich für die Auswahl dieser Sujets, sondern die Hoffnung auf ein Wiederkehren der Gefühle, die in diesen besonderen Momenten im Rahmen einer Urlaubsreise erlebt wurden, d.h. im Kontext einer funktionalen Ausnahmesituation, in deren Spanne die Begrenzungen des Alltags aufgehoben sind und in denen zeitlich befristet ein Raum der Differenz entsteht, der frei ist von den Beschränkungen des Heims und der Arbeit (vgl. Edensor 2007) und gerade deshalb möglichst verstetigt werden soll.2 Dabei ist die Motivwahl keinesfalls zufällig, sondern vollzieht sich entlang von klassenspezifischen Dispositionen, wie Pierre Bourdieu herausgearbeitet hat. Das Bedienen des Fotoapparates stellt keinen Selektionsmechanismus mehr dar, wie etwa das Zeichnen, die Malerei oder das Anfertigen von Reisetagebüchern. Vielmehr offenbaren sich in den habituellen Entscheidungen der Motivwahl die Dispositionen des Fotografierenden. »Doch selbst wenn die Produktion des Bildes gänzlich dem Automatismus des Apparats anvertraut wird, so bleibt doch die Aufnahme selbst der Ausdruck einer Wahl, der ästhetische und ethische Kriterien zugrunde liegen.« (Bourdieu 1981: 17) Das Visuelle kann hier hinter das Affektive zurücktreten und zu einer Methode des retrospektiven Elizitierens von gewünschten Erinnerungen werden. Es kann aber genauso zur 2 | Man könnte kulturpessimistisch hinzufügen, dass die Digitalisierung der fotografischen Praxis, ihre omnipräsente Verfügbarkeit, dazu führt, dass aufgrund des allgegenwärtigen exzessiven Fotografierens, etwa von Sonnenuntergängen am Meer, kein Erleben jenseits fotografischer dokumentarischer Praxis mehr möglich scheint.

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Dokumentierung des Erreichten eingesetzt werden und als Hervorbringung des Habitus gedeutet werden. Die Wahl des Motivs ist in beiden Fällen nicht zufällig, sondern vollzieht sich entlang habitueller Dispositionen. Anstelle eines zusammenfassenden Fazits schließt der Beitrag mit der kurzen Diskussion eines Vorschlags, wie das Verhältnis von Visuellem und Gesellschaft in der Humangeographie zu konzipieren wäre. Der Beitrag wählt dazu ein strukturalistisches Theorieangebot – die Kommunikationstheorie von Michel Serres. Strukturalistisch ist diese Theorie deshalb, da Serres Struktur mit dem »Verhältnis des Erkennens zum ›Kulturellen‹« (Gehring 2011: 626) gleichsetzt. Serres’ Kernidee bezüglich der kommunikativen Vermittlung, wie er sie mithilfe der Figur des Parasiten verdeutlicht, ist, dass sich ein Etwas nur mitteilen kann, wenn es sich von etwas Drittem abhebt. Serres bezeichnet dieses Dritte als Rauschen oder Parasit und sieht es als untrennbaren Bestandteil der Kommunikation, »das Rauschen gehört zur Kommunikation.« (Serres 1987: 26) Wesentlich ist nun, dass nicht das Medium in einem McLuhan’schen Sinne selbst die Botschaft darstellt, sondern vielmehr als Medium selbst Verluste erleiden muss, um die Kommunikation als ein Abheben von etwas Drittem zu ermöglichen (vgl. Gehring 2011: 629). »Wie der Hintergrund nur, indem er für Verluste sorgt, die Kommunikation trägt, so muss die akute Störung auch wieder im Hintergrund verschwinden, sonst zerstört sie das System.« (Ebd.) Der Informationsaustausch zwischen zwei Stationen wird nur in dem Fall vermittelt, wenn das Rauschen als ein Drittes die vollkommene Kommunikation verhindert und gerade dadurch erst zu einer Vermittlung macht, wie Serres betont. »Der Kanal trägt den Fluß, aber er kann sich als Kanal nicht aufheben, und er bremst den Fluß mehr oder weniger. Vollkommene, optimale, gelungene Kommunikation bedürfte keiner Vermittlung. Der Kanal verschwände in der Unmittelbarkeit. […] Wo Kanäle sind, ist auch Rauschen. Kein Kanal ohne Rauschen.« (Serres 1987: 120) In Analogie zu Serres lässt sich die Imagination des Subjekts als ein Kanal begreifen, der dazu führt, dass die Bedeutung des Visuellen nicht ohne Modifikationen in die Gesellschaft übermittelt werden kann. Der Kanal der Imagination kommt nicht ohne Rauschen aus, ohne Reibungsverluste und Modifikationen, die gerade die Vermittlung von Bedeutung garantieren. Bildbegriffe wie etwa die in diesem Kapitel diskutierten von Husserl, Cassirer, Rheinberger und Roberts führen jeweils die Stellung der subjektiven Imagination implizit oder explizit mit. Poststrukturalistische Ansätze, die eine performative Wirkung des Visuellen auf die Körper behaupten und wesentlich für ein geographisches (Nach-)Denken über das Visuelle sind, kommen nicht ohne das Rauschen der Erinnerung aus. Mit Michel Serres’ Auffassung von Kommunikation wird deutlich, dass dieses »Rauschen« den »Sturz in die Unordnung« (Serres 1987: 121) genauso bedeutet wie es »der Anfang einer neuen Ordnung« (ebd.) ist. Eine verstärkte Hinwendung zur subjektiven Imagination

12. Bildbegriffe und ihre Reichweite

und Erinnerung stellt von daher ein wesentliches zukünftiges Tätigkeitsfeld der (post-)strukturalistischen Visuellen Geographie (Schlottmann/Miggelbrink 2009) dar, die sich Theorien der Verbindung des Visuellen und der Gesellschaft zu erarbeiten gedenkt.

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13. Geographische Visualitätsregime zwischen Länderkunde und Quantitativer Revolution Boris Michel

13.1 E inleitung Geographen sehen sich beständig von visuellen Zeichen umgeben: von Karten, Fotografien, Graphen oder Präsentationen. In Forschung und Lehre, mit didaktischen oder erkenntnisgenerierenden Absichten, werden in der Geographie Visualisierungen eingesetzt. Dies hat in der Disziplin eine lange Tradition. Wenn die fachwissenschaftliche Geographie in einem solch erheblichen Maße auf die Produktion und Reflexion von Bildern angewiesen ist, wie dies nicht zuletzt in den Beiträgen dieses Bandes deutlich wird, so ist anzunehmen, dass Verfahren der Visualisierung und Vorstellungen über den Status von Sichtbarkeit in enger Beziehung zu dem stehen, was als Gegenstand, Methode und Perspektive der Geographie verstanden wird. Zugleich haben sich deren Formen und Funktionen in der Geschichte des Faches gewandelt. Was, wie und warum in der Geographie visualisiert wird, um wissenschaftliches Wissen plausibel und intelligibel zu machen, ist eng mit den jeweiligen Rationalitäten und Paradigmen der Disziplin verbunden. Ein ethnographisch arbeitender Geograph im Modus der Assemblageforschung wird in anderer Weise visuelles Material verwenden, um seine Aussagen zu unterstützen und seine Gegenstände zu fassen, als eine in kritisch-rationalistischer Tradition quantitativ arbeitende Geographin oder eine Geographie in diskurstheoretischer Perspektive. Es stellt sich somit die Frage, welche Funktionen und Formen Sichtbarkeit, Sehen und Visualisieren für die Geographie hatten und haben. Visualität ist dabei nicht allein als Abbild, sondern als wesentlicher und als konstitutiver Teil von Wissenschaftspraxis, -kultur und wissenschaftlicher Subjektivität zu begreifen. Sie ist in hohem Maße an der Produktion von Evidenz und Autorität beteiligt. Es ist daher sehr lohnenswert, nicht allein die visuellen Artefakte,

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sondern den Bildgebrauch in den Blick zu nehmen, wenn danach gefragt wird, wie, was und zu welchem Zweck Geographen sehen und visuell darstellen (vgl. mit Bezug zur Schulpraxis für die Landschafts- und Länderkunde den Beitrag Schultz in diesem Band). Der folgende Beitrag geht dieser Frage in Form einer historischen Kontrastierung nach. Es wird also versucht, »das Visuelle« der Geographie in seiner historischen Konkretion zu betrachten. Hierfür werden zwei der zentralen Paradigmen der Geographie des 20. Jahrhunderts gegenübergestellt. Geographie als Länderkunde und Geographie als quantitativ-theoretische Raumwissenschaft werden in der Disziplingeschichte vielfach als zwei Pole begriffen. Wissenschaftstheoretisch, methodologisch und forschungspraktisch sowie in Bezug auf ihre Begriffe von Raum, Theorie, Objektivität oder Wirklichkeit können diese als radikal differente Vorstellungen davon begriffen werden, was Geographie sei. Den konzeptionellen Hintergrund des Beitrags bilden Arbeiten aus Wissenschaftsgeschichte und Science Studies, wie sie einerseits in Anschluss an Thomas Kuhn (1962), andererseits in Anschluss an die französische Traditionslinie der Epistemologie seit den 1970er Jahren entwickelt wurden (Rheinberger 2007a). Zwei Punkte aus diesem Feld einer postpositivistischen Wissenschaftsforschung oder historischen Epistemologie möchte ich für die weitere Argumentation hervorheben (ausführlicher: Michel 2013). Zum einen haben Beiträge aus Wissenschaftssoziologie, Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsethnologie deutlich gemacht, dass Wissenschaft als soziale Praxis verstanden werden muss, dass wissenschaftliches Wissen situiertes und verkörpertes Wissen ist und dass epistemische Tugenden wie Rationalität, Objektivität oder die jeweiligen Aufmerksamkeitsökonomien als historisch zu begreifen sind (Daston 2001; Shapin 2010). Dies richtet sich sowohl gegen ein Verständnis von Wissenschaft, das diese als Ideengeschichte begreift, wie auch gegen einen soziologistischen und relativistischen Ansatz, der sich nur für die externen und gesellschaftlichen Kontexte interessiert. Hiermit erfahren in der Wissenschaftsgeschichte nicht zuletzt Lokalitäten, Handeln, Habitus und materielle Formen der Repräsentation (Bilder, Tabellen, Objekte) eine Aufwertung. Jenseits einer Polarisierung in einerseits ideengeschichtliche und mithin idealistische Ansätze wissenschaftlichen Wissens und andererseits Ansätzen der Erklärung der Wissenschaften allein aus ihrem außerwissenschaftlichen Kontext1, werden damit zudem eine Vielzahl von Techniken des Zeichnens, Lesens, Schreibens, der Selbstverhältnisse, des Sammelns, Beobachtens und Sortierens in den Blick genommen (Hagner 2001: 21). 1 | Zu dieser klassischen Gegenüberstellung von idealistischen und soziologischen Ansätzen sei auf Canguilhelms Begriffe des Internalismus und Externalismus in der Wissenschaftsgeschichte verwiesen (Canguilhem 1979: 27).

13. Geographische Visualitätsregime

Zudem und daraus abgeleitet, wird die Zentralität wissenschaftlicher Bilder für die modernen (Natur-)Wissenschaften hervorgehoben. Von frühen Arbeiten wie Flecks »Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache« (1980 [1935]) und Foucaults Arbeiten zu einer »Archäologie des ärztlichen Blicks«, die dieser in der »Geburt der Klinik« (1976b) schreibt, über die Anfänge von Laborstudien und ANT (Latour/Woolgar 1986), gelten Strategien des Sichtbarmachens, der Kontrolle des Blicks und der visuellen Darstellung als wesentliche Momente der modernen Wissenschaften (Rheinberger 2007b: 117; Daston/Galison 2007). Daraus folgen in deren Geschichte eine Reihe von praktischen und diskursiven Strategien der Fixierung des Gesehenen, der Artikulation und Multiplikation von Zeugenschaft und der Subjektkontrolle (etwa in Form von Latours ›immutable mobile‹: Latour 1986). Visualität in ihrer je spezifischen Ausprägung ist also ein machtvolles Moment der Herstellung und Stabilisierung wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion und epistemischer Tugenden. Besonders eindrucksvoll haben Daston und Galison in ihren Arbeiten über die Geschichte der Objektivität als epistemischer Tugend deutlich gemacht, wie sehr die unterschiedlichen Ausformungen von Objektivität mit Verfahren der Sichtbarmachung verknüpft sind. Deutlich wird dabei aber auch, dass es sich bei den jeweiligen Verfahren der Visualisierung nicht um eine simple und universelle Form der Sichtbarmachung handelt, sondern paradigmenspezifisch sehr Unterschiedliches bedeutet (Daston/Galison 2007). Und so soll es hier gerade nicht darum gehen, ein geographisches Visualitätsregime zu proklamieren, das über Paradigmen, Raum und Zeit hinweg unverändert besteht. Aus dieser Perspektive der Historisierung der Begriffe und Rationalitäten wissenschaftlicher Praxis folgt auch, dass nicht allgemeine bildtheoretische Argumente zu entwickeln sind, sondern diese in ihrer historischen Anwendung und Nützlichkeit zu betrachten sind. Dass wissenschaftliche Bilder gegenüber anderen Bildern eine Spezifik aufweisen, ist primär Effekt ihres Gebrauchs und ihrer Funktion im wissenschaftlichen Handeln und Wissen (Boehm 2001). Im Folgenden werden einige Momente länderkundlicher und quantitativtheoretischer Geographie in Hinblick auf deren Bezug zu Fragen der Sichtbarkeit und Visualisierung skizziert. Der Fokus liegt dabei auf veröffentlichten Bildern und nicht auf der Rolle, die Skizzen und andere Formen der Visualisierung im tatsächlichen Forschungsprozess spielen. Sei es als Archiv oder als Technik der Erkenntnisproduktion. Es ist hier nicht der Ort, ausführlicher auf diese Paradigmen einzugehen und mehr als eine sehr grobe Skizze dieser zum Teil stark divergenten und heterogenen Ansätze zu zeichnen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Länderkunde und Landschaftsgeographie zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie der Früh- und Etablierungsphase des quantitativ-theoretischen Paradigmas in der anglophonen Geographie. Im Anschluss an diese Skizzen wird versucht, zwei konstatierende Visualitätsregime in der Geographie herauszuarbeiten.

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13.2 L änderkunde — L andschaf t und A nschauung Die Geographie, wie sie sich ab etwa 1900 etablierte und unter den Leitbegriffen Landschaft und Länderkunde bis in die 1930er Jahre in Deutschland ihren Höhepunkt erlebte, ist in hohem Maße durch eine Epistemologie des Visuellen geprägt. Mit der Begründung der Geographie als einer individualisierenden und idiographischen Disziplin der Beschreibung erdräumlicher Container sowie einer weitgehenden Absage an Abstraktion und Theorie rücken für eine Reihe von Autoren Fragen der Anschauung, der subjektiven Erfahrung und auch der Kunst in den Blick, wenn es darum geht, der komplexen Ganzheit des geographischen Gegenstandes gerecht zu werden. Das gilt ganz besonders für den Strang, der als ästhetische oder künstlerische Geographie bezeichnet wurde und deren Genealogie sich von Humboldt (1871) über späte Arbeiten von Friedrich Ratzel (1904) bis zu Johannes Granö (1929) und Ewald Banse (1922) zeichnen lässt. Die Landschaft als geographisches Individuum war nicht zuletzt das sichtbare Zusammenkommen landschaftsprägender Faktoren im Raum, die es mittels des geschulten »geographischen Blicks« zu entschlüsseln und zu schildern galt. Zwar divergieren unterschiedliche Autoren dahin gehend, wieweit die Geographie ausschließlich oder zumindest zu einem wichtigen Teil eine Wissenschaft des Nebeneinanders der sichtbaren materiellen Dinge im Raum sei, gemein ist aber den meisten die Annahme einer großen Bedeutung des unmittelbaren Sinneseindrucks (Schultz 1980). Im Folgenden gilt es der Frage nachzugehen, was aus einer solcherart konzipierten Geographie in Bezug auf die visuelle Darstellung ihrer epistemischen Dinge folgt.2 Abgesehen vom Einsatz von Listen und Tabellen als einfache visuelle Ordnungsstruktur der Kommunikation wissenschaftlicher Daten und Aussagen, können die folgenden Darstellungen (Abb. 13.5-8), welche geographischen Arbeiten zwischen 1912 und 1949 entnommen wurden, als wesentliche Formen wissenschaftlicher Visualisierungen in der Geographie dieser Zeit gelten.3 1) Eine fotografische oder auch malerische Darstellung einer konkreten Landschaft bzw. eines Ausschnittes davon mit dem Ziel einer möglichst detailgetreuen Wiedergabe, 2) eine thematische oder topographische Karte, die auf Basis karto2  |  Gleichwohl ist zu betonen, dass nicht nur Fragen der visuellen Darstellung aus Perspektive geographischer Visualitätsregime zu betrachten sind, sondern auch ein spezifisches Regime des Sehens, das im Falle länderkundlicher und landschaftskundlicher Geographie unmittelbare Augenzeugenschaft, ein ganzheitliches, abstraktionsskeptisches Sehen sowie eine damit verbundene Subjektivität des länderkundlichen Geographen voraussetzt (Michel 2014). 3  |  Grundlage hierfür ist eine systematische Auswertung der Visualisierungsverfahren wichtiger deutschsprachiger Fachzeitschriften zwischen 1900 und 1940 sowie eine weniger systematische Auswertung wichtiger Monographien.

13. Geographische Visualitätsregime

graphischer Konventionen konkreten realräumlichen Lagen bestimmte Attribute zuweist, 3) ein Profil und damit eine schematische Übersetzung konkreter erdräumlicher Bodenformen in einen Querschnitt und 4) ein (Block-)Diagramm, das, auf die wesentlichen Charaktereigenschaften reduziert, eine bestimmte Klasse erdräumlicher Erscheinungen vereinfacht darstellt (Abb. 13.1-4).

Abb. 13.1: Blick auf das Dschurdschuragebirge. Im Vordergrund ein Kabylendorf (Schmitthenner 1924: 112); Abb. 13.2: Soil Map of Osage County (Sauer 1968: 42)

Abb. 13.3: Profil durch die Große Randstufe und die Vorstufe zwischen Graskop und Low Veld (Obst/Kayser 1949: 159) Abb. 13.4: Seitliche Verlegung von Rücken durch eine senkrechte Verwerfung (Davis 1912: 172) Die Darstellungen mögen in Komplexität, ästhetischer Qualität und technischer Ausgestaltung variieren, Fotografien mögen einfache Drucke oder aufwendige Heliographien sein, Bilder »nach der Natur« oder nach Erzählung gezeichnet und die Gründe dafür mögen sowohl inhaltlicher, ästhetischer wie auch ökonomischer Natur sein und auf die Entscheidungen von Autor, Verlag oder Herausgeber zurückgehen. Wenn in diesem Artikel der Gebrauch von

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Bildern im Mittelpunkt stehen soll, so interessieren hier aber weniger die sozio-technischen Ensembles, die ein solches Bild entstehen lassen, indem sie Menschen und Dinge von unterschiedlichen Orten zusammenbringen, und auch nicht so sehr deren ästhetische Qualitäten, als vielmehr die Frage, wie diese in die Produktion und Artikulation wissenschaftlicher Aussagen und Wahrheitsansprüche eingebunden sind. Zunächst ist ein deutlicher Unterschied zwischen theoretisch-methodologischen Arbeiten auf der einen Seite und stärker empirischen Arbeiten auf der anderen Seite festzuhalten. So enthält beispielsweise Alfred Hettners »Die Geographie« (Hettner 1927) keine und Richard Hartshornes »The Nature of Geography« (Hartshorne 1939) lediglich eine Abbildung. Bei aller Betonung von Sehen, Sichtbarem und Bildmetaphorik wird in konzeptionellen Arbeiten wenig visuelles Material präsentiert, um Argumente zu plausibilisieren und Aussagen zu stabilisieren.4 Länderkundliche Monographien, der Goldstandard länderkundlicher Geographie, hingegen sind häufig reich an visuellen Elementen, sei es mittels Tabellen zur Präsentation statistischer Daten oder mittels thematischer Karten. Insbesondere aber photographische Ansichten und malerische Darstellungen von Landschaften oder Elementen daraus (etwa ethnographische Porträts der Bewohner) bieten Anschauung des landschaftlichen Eindrucks und sind Beweis der (Augen)Zeugenschaft des Autors. Sie dienen damit im Sinne Latours als immutable mobiles, als Fixierungen des anderswo Gesehenen, um sie transportabel, übersetzbar und archivierbar zu machen. Wesentlich ist dabei, dass die Bilder meist für sich selbst stehen, dass die Autoren implizieren, das Bild spreche für sich selbst. Außer Bildunterschriften wie »Blick auf das Dschurdschuragebirge. Im Vordergrund ein Kabylendorf« (Abb. 1) werden sie in der Regel nicht aktiv in den Text eingebunden. Sie laufen parallel zu diesem und illustrieren und stabilisieren damit das Geschriebene durch visuelle Korrespondenz und Verdoppelung, ohne dass dies expliziert würde. Gelegentlich und insbesondere mittels malerischer Darstellungen erfahren landschaftliche Gesamteindrücke dabei eine dramaturgische und exotisierende Verdichtung (bedrohliche Lichtverhältnisse, die Versammlung zahlreicher Tiere und Pflanzen zur Verstärkung und Überzeichnung des für diesen Raumausschnitt Charakteristischen). Diese Abbildungen generieren dabei keine neue Evidenz, produzieren gegenüber Bericht und Schilderung5 nichts 4  |  Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt Granös »Reine Geographie« (1929) dar, die in sehr radikaler Weise der Geographie den Sichtkreis des Geographen als Gegenstand der Forschung zueignet. 5  |  Der Begriff der Schilderung bezeichnet dabei eine spezifische geographische Darstellungsweise: So schreibt Hettner: »Viel höher als die geographische Beschreibung steht die Darstellungsweise, die wir als geographische Schilderung bezeichnen können. Sie […] wählt die Thatsachen so aus und ordnet sie so an, daß beim Hörer oder Leser

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Neues. Auch ist die Perspektive des Blicks in der Regel keine, die sich vom Blick des mit unbewaffnetem Auge in der Landschaft stehenden Geographen unterscheidet.6 Handelt es sich um Darstellungen, die nicht unmittelbar auf einen individuellen realweltlichen Referenten verweisen, so dienen diese meist der vereinfachten Darstellung konkreter Klassen geographischer Formen und damit der Klassifikation landschaftlicher Elemente. Sie zeigen, so Ratzel, »den Kern oder Grundplan einer Erscheinung, herausgeschält aus seinen zufälligen Hüllen« (Ratzel 1904: 18). In all diesen Fällen sollen diese Visualisierungen aber dazu dienen, dass die Leser sehen, was gesehen würde, wenn sie selbst dort stünden, sei es durch eine Nachzeichnung der Natur, sei es durch eine Betonung des morphologisch Charakteristischen zur Schulung des Blicks oder auch durch das Abtragen des nicht unmittelbar gleichwohl prinzipiell Sichtbaren (etwa einer tiefer liegenden Bodenschicht). Dies korrespondiert mit einer Geographie, die vielfach darauf zielt, eine Landschaft »vor Augen« zu bringen oder ein »Nachsehen« anzuleiten. Dieses Vor-Augen-Führen erfolgt dabei gerade über Darstellungsformen, die den subjektiven Eindruck des Zeugnis ablegenden Geographen zum Ausdruck zu bringen versuchen und daher in sehr expliziter Weise Momente der Ästhetisierung enthalten. Abstrakte Schaubilder sind einem solchen Denken ebenso wenig plausibel wie mathematische Formeln. So verwundert es auch nicht, dass Hettners länderkundliches Schema nicht von diesem visualisiert wurde, sondern die berühmt-berüchtigte Skizze des Schemas erst zu einem Zeitpunkt entstand, zu dem auf der anderen Seite des Atlantiks (und von Nord- und Ostsee) mit der quantitativ-theoretischen Revolution ein radikaler Wandel der Funktion und Form geographischer Visualisierung einsetzte (Weigt 1957: 35). Zwar historisch früher, aber dennoch den Sag- bzw. Zeigbarkeitsraum einer länderkundlichen Geographie überschreitend, ist oben dargestelltes eine lebendige Anschauung des geschilderten Landes erzeugt wird, wie wenn er es mit eignen Augen sähe. Sie wendet sich an die Einbildungskraft, indem sie mit Hülfe vorhandener Vorstellungen verwandte Bilder hervorruft. Sie ist deshalb künstlerisch, obgleich sie nicht, wie die Landschaftsdichtung, Stimmungen und Empfindungen malt, sondern allein die Thatsachen reden läßt.« (Hettner 1895: 8). Ähnlich schreibt Ratzel: »Die Schilderung gesellt sich zur Karte und zum Bild als drittes eigentümliches Darstellungsmittel der Geographie und vervollständigt sie. Jedes leistet seine besonderen Dienste, keines kann durch das andere ersetzt werden. Die Schilderung erreicht nicht die Genauigkeit der Karte und nicht die Fülle von Einzelheiten des Bildes: sie geht auf die großen Züge, auf das Charakteristische, womöglich auch auf das Schöne, und strebt auch die Stimmung wiederzugeben, die über den Naturbildern und über den Werken der Menschen in der Natur schwebt« (Ratzel 1904: 16). 6  |  Luftbilder spielen kaum eine Rolle, erst in den 1940er Jahren beginnen erste Diskussionen um Luftbilder in der Geographie (Troll 1939, 1966).

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Blockdiagramm (Abb. 13.4). Die William Davis’ »Die Erklärende Beschreibung der Landformen« entnommene Darstellung der »Seitliche[n] Verlegung von Rücken durch eine senkrechte Verwerfung« stellt für Autoren wie Hettner etwas Unzulässiges und Gefährliches dar. So liegt das Besondere und für eine Geographie als Länderkunde Problematische darin, dass dieses nicht auf ein geographisches Individuum verweist, sondern eine Theorie visualisiert (in diesem Fall, wie bestimmte Formationen sich unter bestimmten Bedingungen verändern). Davis, dessen deduktiver Ansatz in Widerspruch zur hegemonialen Geographie stand und trotz allem Einfluss auf die Entstehung einer modernen Geomorphologie – und ihrer spezifischen Visualisierungsverfahren – massiv kritisiert wurde, sieht folglich die Funktion einer Darstellung in etwas anderem. Die Beigabe »von Illustrationen typischer Formen in idealer Darstellung« lassen nicht nur »die systematischen Beziehungen der einzelnen Teile am einfachsten und klarsten erkennen« (Davis 1912: vi). Vielmehr, und das ist für Hettner der Skandal, sind sie theoriegeleitet entwickelt. So schreibt Hettner bezüglich der Verwendung von Blockdiagrammen bei Davis: Sie können etwas vereinfachte und schematisierte Darstellungen wirklicher Landschaften sein; aber bei Davis sind die ganz idealisierten und schematisierten Blockdiagramme viel häufiger, die eine typische, aller individuellen Eigenart entkleidete Landschaft darstellen und meist auch nicht aus einer wirklichen Landschaft heraus gezeichnet sind. Auch sie wirken sehr anschaulich und haben vielleicht mehr als etwas anderes beigetragen, den Davis’schen Theorien Eingang zu verschaffen. Sie geben jedoch nur eine hypothetische subjektive Vorstellung wieder und beweisen in keiner Weise die Richtigkeit der Theorie. Gerade in der Täuschung, die sie bei unkritischer Betrachtung erwecken, liegt eine große Gefahr. (Hettner 1927: 375f)

Hettner, der sich hier der subtilen Macht der Bilder im Wettstreit wissenschaftlicher Paradigmen sehr bewusst ist und auch an anderer Stelle skeptisch gegenüber einem naiven Einsatz von Fotografien argumentiert, dienen legitime wissenschaftliche Bilder der Abbildung der sichtbaren Wirklichkeit und der Illustration des textlich Geschilderten (ebd.: 374).

13.3 D ie Q uantitative R e volution – G eome trie und M odell Gegenüber Geographie als Landschaftskunde beginnt sich seit den frühen 1950er Jahren mit den Beiträgen der Quantitativen Revolution7 in der anglophonen Geo7 | Der Begriff der Quantitativen Revolution ist, darauf haben auch zeitgenössische Autoren hingewiesen (Burton 1963; Bartels 1968: 12), irreführend, impliziert dieser

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graphie ein szientistisches Modelldenken zu etablieren, welches sich stärker als die vorherige Geographie auch in Bezug zu wissenschaftstheoretischen Positionen außerhalb der Geographie setzt. Es stellt damit den Versuch dar, die Geographie als Wissenschaft zu modernisieren und als ernst zu nehmenden Teil der akademischen Arbeitsteilung zu begründen. Konkret bedeutete dies eine wissenschaftstheoretische Hinwendung zu logischem Positivismus (Schaefer 1953) und Kritischem Rationalismus (Bartels 1968). Hier tritt eine erhebliche Skepsis gegenüber Idiographie und Vorstellungen der Geographie als einer holistischen Erfassung einer Landschaft zutage. Gegen eine Wissenschaftsvorstellung, die in der Beschreibung und unmittelbaren Beobachtung gründet, tritt nun aus sehr unterschiedlichen Perspektiven das Primat von Theorie und Kalkül (Bunge 1962; Burton 1968; Haggett/Chorley 1967; Harvey 1969; Barnes 2004). Zwar befreit sich Geographie mit der quantitativ-theoretischen Wende von Konzepten wie Landschaft und einer Vorstellung unmittelbarer Anschauung. Eine ganzheitliche Schilderung einzigartiger Landschaften erfüllt nun nicht mehr, was als Standard moderner Wissenschaft begriffen wurde, nämlich kontrollierte Abstraktion, Generalisierung und Suche nach Gesetzmäßigkeiten (Schaefer 1953). Die »Neue Geographie« war aber alles andere als visualisierungsskeptisch. Vielmehr macht bereits ein kursorischer Blick in Grundlagentexte deutlich, dass eine Vervielfältigung von visuellen Darstellungen stattfindet. Auf den ersten Blick mag es verwunderlich sein, dass ein Paradigma, welches sich einer Mathematisierung des Denkens, der Abstraktion, Gesetzen und der Prognostik verschrieben hat und das an eine Perspektive erinnert, die Daston und Galison unter der epistemischen Tugend einer visualisierungsskeptischen »strukturellen Objektivität« (Daston/Galison 2007) fassen, eine größere Affinität zur Visualisierung geographischer Sachverhalte aufweist, als eines, das sich dem Konkreten, dem Individuellen und der Deskription verbunden sieht. Es zeigt sich damit, dass die Geographie auch unter quantitativ-theoretischen Vorzeichen als eine Wissenschaft fortbesteht, die in erheblichem Maße darauf angewiesen ist, ihre Gegenstände zu visualisieren. Dabei ist davon auszugehen, dass die Ursache weder in einer Vereinfachung der technischen Reproduktion von Abbildungen noch in neuen Techniken der Sichtbarmachung zu suchen ist, sondern paradigmeninterne Momente hierfür den Ausschlag geben. Begriff doch eine Identifikation der Quantitativen Revolution mit quantitativen Verfahren und lenkt davon ab, dass es sich in den Augen der Protagonisten doch um einen Paradigmenwechsel, eine neue Weltsicht, handelte. Der Konflikt zwischen alter und neuer Geographie, so Harvey, »has nothing to do with whether or not one employs a chi-square test or calculates a regression line, but [is a conflict] between two views of what are tractable and interesting geographical questions, and what are satisfying and reasonable answers« (Harvey 1969: 17f). »It was not the numbers that were important, but a whole new way of looking at things« (Gould 1979: 140).

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Ein wichtiger Grund für die Bedeutung von visuellen Verfahren zur Sichtbarmachung und Plausibilisierung räumlicher Strukturen und Gesetze scheint in einigen Leitbegriffen und Metaphern der Neubestimmung der Geographie zu liegen (Barnes 1996: 124ff). So versucht insbesondere William Bunge im Anschluss an Schaefer und Christaller die Geographie als eine Wissenschaft der Geometrie zu reformulieren und positioniert in »Theoretical Geography« (Bunge 1962) die Geographie als eine Wissenschaft »whose inner logic is literally visible« (Bunge 1973: xiv). Es ist hier nicht mehr die Oberfläche der Landschaft, sondern eine dieser zugrunde liegende Logik, der ein visuelles Moment zugeschrieben wird und das es aufzuzeigen gilt. Dabei stellt die Karte, als zentrales Moment geographischer Theorieproduktion, nicht nur eine spezifische visuelle Sprache der Disziplin dar, sondern steht bei Bunge gleichberechtigt neben bzw. zwischen den Systemen der Mathematik und der Wörter. Deutlich konkreter gestaltet sich die Forderung von Haggett und Chorley, für die Geographie von »class-based paradigm« zu einem »model-based paradigm« zu gelangen (Haggett/Chorley 1967: 33). Einer positivistischen Linie folgend, die in Modellen das »sine qua non for the progress and application of geographic research« (Harvey 1969: 168) sieht, sind diese Modelle sehr direkt als visuelle Denkwerkzeuge zu begreifen, die den Aufforderungen der Komplexitätsreduktion, Abstraktion und Idealisierung wissenschaftlicher Theoriebildung nachkommen (Garrison/Berry/Marble/Nystuen/Morrill 1959; Haggett 1965a: 106, 1965b: 19; Barnes 2008). Und gegen ein länderkundliches Denken schreibt Haggett: »Order depends not on the geometry of the object we see but on the organizational framework in which we place it.« (Haggett 1965b: 2) Für Haggett, so schreibt Gregory in »Geographical Imaginations«, »it was the framework itself that was geometric, and over the past 25 years or so he has sought to recover a geometrical tradition« (Gregory 1994: 53). Damit ändern sich gerade Funktion und Inhalt der Darstellung der epistemischen Dinge der Geographie. Das bedeutet auch, dass Visualisierungsstrategien und –rationalitäten, wie sie im Landschaftsparadigma in Bezug auf Wahrheitsansprüche bedeutsam waren, als unwissenschaftlich erscheinen. Stattdessen werden nun zunehmend abstrakte, hypothesengeleitete und berechnete Formen der Darstellung – Kartogramme, Mengen-, Fluss- oder Netzdiagramme, Graphen usw. – zur Visualisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse einer problemorientierten und sich als praxisrelevant konstituierenden Wissenschaft eingesetzt. An die Stelle des unmittelbaren Beobachtens und Beobachters treten Statistik, Kalkulation, Graphentheorien sowie zunehmend elektronische Verfahren der Datenverarbeitung und Visualisierung. Gesucht wird nicht eine Beschreibung des Sichtbaren, sondern das Sichtbarmachen von unsichtbaren Mustern und Gesetzen mittels Zerlegung des landschaftlichen Ganzen in abstrakte Geometrien aus Netzwerken, Knoten, Oberflächen und Kräften.

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Wenn theoretisch-methodologische Arbeiten bislang weitgehend visualisierungsarm waren, so sind es nun gerade auch theoretische und konzeptionelle Beiträge, die sich in erheblichem Maße auf visuelle Darstellung stützen und diese nutzen, um theoretischen Argumenten Sichtbarkeit zu verschaffen. Abgesehen vom Einsatz von Tabellen, Graphen und mathematischen Formeln in der Kommunikation wissenschaftlicher Aussagen, scheinen die folgenden Darstellungen (Abb. 13.5-13.8), die geographischen Arbeiten aus der Zeit zwischen 1940 und 1969 entnommen wurden, wesentliche Formen wissenschaftlicher Visualisierungen in der quantitativ-theoretischen Geographie abzubilden. 1) Eine an Christallers (1933) für die quantitativ-theoretische Geographie ikonische Darstellung anschließende Visualisierung von Lösch. So wie Raumgesetze bei Christaller durch das Absehen von fast allem entdeckt werden, so wird durch diese Abstraktion eine Realität sichtbar, die durch Schichten von Gestein, Klima, Flora und Fauna, aber auch Sitten und Gebräuchen verschleiert worden wäre. In der vorliegenden Abbildung erhöht Lösch dies, indem er diese zum »theoretische[n] Bild der Landschaft« erklärt. 2) Hägerstrand (1957, 1967) gehört neben Tobler (1961) zu den Wegbereitern einer neuen Kartographie, die Karten als theoretisches und hypothesenprüfendes Instrument begreift. Mit der Wende der quantitativ-theoretischen Geographie zu relationsräumlichen Begriffen findet damit eine Kritik an euklidischen Raumbegriffen in der Kartographie statt. Zunehmend dienen Kartogramme oder individuelle und theoriegeleitete Projektionen und Transformationen zur kartographischen Darstellung und Theorieprüfung (als Meilenstein: ebd.). 3) Eine von mehreren hundert Karten in Brian Berrys empirischer Arbeit zu Warenflüssen und Raumstrukturen in Indien. Die verzeichneten Verbindungen sind dabei Ergebnis umfangreicher Berechnungen unter Zuhilfenahme der Rechenleistung von Computern (Berry 1966). 4) Ein idealtypisches Modell zur Veranschaulichung der Problematik der Bestimmung von Raumüberwindungskosten und optimaler Raumorganisation in komplexen Umgebungen aus einem einflussreichen Lehrbuch der quantitativ-theoretischen Geographie. Auch wenn etwa zeitgleich neue Verfahren der realistischen Abbildung und Sichtbarmachung in den Möglichkeitsbereich der Geographie dringen, so spielen diese kaum eine Rolle. Zwar werden erste Karten nun auch durch automatisierte Verfahren gezeichnet, wie jene aus 343 Lochkarten in 15 Minuten gedruckte Umrisskarte der Vereinigten Staaten, mit der Tobler die »automatisierte Kartographie« einleitet (Tobler 1959), dienen Luftbilder zunehmend als Grundlage kartographischer Arbeiten und wird im Computer ein künftiger Verbündeter der Geographie erblickt (Hägerstrand 1967). Aber trotz der deutlich modernisierungsoptimistischen Haltung der quantitativ-theoretischen Wende und der Begeisterung für moderne Technologien der Produktion wissenschaftlicher Daten gilt dies nicht für die zunehmend avancierten Techniken der realistischen Abbildung und Sichtbarmachung der Erdoberfläche.

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Weder Luftbilder noch die, seit den 1960er Jahren erhältlichen, ersten Satellitendaten spielen eine nennenswerte Rolle in den Beiträgen der quantitativtheoretischen Geographie.

Abb. 13.5: Theorethisches Bild der Landschaft (Lösch 1940: 80) Abb. 13.6: Location of more important places in the migration field of Asby(Hägerstrand 1957: 73)

Abb. 13.7: Major Connections. Dyadic Factor Two (Berry 1966: 242) Abb. 13.8: Route location across a complex environment with discrete cost regions (Haggett/Chorley 1969: 220) Der unmittelbare Gesamteindruck des blickenden Subjekts und die »abundance of photographs of strange people and landscapes« (Bunge 1973: XV) ist in diesen Abbildungen verschwunden. Darstellungen folgen nun vielmehr einer Ästhetik des Neutralen, Kühlen, Nüchternen, Sachlichen. Es zeigt eine Darstellungsrationalität, die proklamiert, gar keinen ästhetischen Momenten zu folgen, sondern logisch und mathematisch abgeleitet zu sein. Es dominiert eine Ästhetik, die einhergeht mit dem Modus einer »dünnen Beschreibung« und der radikalen Reduktion, wie man sie etwa aus Darstellungen in der

13. Geographische Visualitätsregime

zeitgenössischen Kybernetik kennt. Anleihen werden dabei sowohl bei wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen, wie gerade auch der Physik und einer Metaphorik der Gravitationsmodelle, der Flüsse, Gleichgewichte und Optima genommen. Bei aller Nüchternheit und Distanz sind diese selbst gleichwohl ästhetische Werte. So konstatiert Bunge, Mathematik und Logik »often form beautiful patterns« (Bunge 1964: 10) und Haggett proklamiert »symmetry and elegance go hand in hand with truth« (Haggett, zitiert nach Gregory 1994: 54). Gegenüber Visualisierungen im Modus länderkundlicher Geographie sind diese Abbildungen oftmals enger in den Text eingebunden und explikationsbedürftig, handelt es sich doch im Sinne diagrammatischer Darstellungen beim Dargestellten nicht um Dinge, sondern um Relationen und Verhältnisse zwischen Dingen. Damit sind sie mehr als visuelles Beiwerk, das ein textliches Argument bildlich wiederholt. Vielmehr wird diesen Abbildungen zugesprochen, dass sie helfen, einen Beweis zu führen und zu erklären. Als visuelle Denkwerkzeuge ist ihr Ziel bzw. ihre Referenz nicht die Beschreibung, sondern Theorie und damit Prognostik und Steuerung. So liegt in ihnen ein Moment der Produktion von Neuem, die Behauptung, Unsichtbares sichtbar zu machen, wie etwa die von Schaefer als Fluchtpunkt der Geographie proklamierten morphologischen Gesetze (Schaefer 1953). Abbildungen dieser Art zeigen und transportieren nicht etwas Sichtbares, das nur im Moment des Lesens nicht kopräsent ist, wie der Blick auf eine Landschaft, sondern machen Strukturen zugrunde liegender Muster und Gesetze sichtbar, die dies ohne diese Visualisierung nicht wären (Livingstone 1992: 326f).

13.4 Z usammenschau — S ynthese Diese beiden kurzen Skizzen sollten deutlich machen, dass Geographie sowohl im Modus der Länderkunde wie auch im Zuge quantitativ-theoretischer Rationalität stark auf Visualisierung ausgerichtet war. Es wäre gleichwohl problematisch, von einem für die Disziplin gültigen Visualitätsregime zu sprechen, das historische Veränderungen geographischen Denkens weitgehend unbeschadet übersteht. Deutlich geworden sind gerade die radikalen Differenzen bezüglich Form und Funktion geographischer Visualisierungspraktiken. Die Visualisierungsverfahren der hier präsentierten Paradigmen der Geographie korrespondieren in hohem Maße mit jenen zwei »grundlegende[n] Klasse[n]« visueller Strategien wissenschaftlicher Abbildung, die Mersch in seinen Überlegungen zur Rolle von Bildern in den Naturwissenschaften beschreibt. Er unterscheidet dabei zwischen solchen Darstellungsweisen, deren wesentliche Funktion in der Zeugenschaft liegt, von solchen, »die das Wissen auf abstrakten Tableaus anordnet oder es in Bezug auf eine zugrundeliegende Datenmenge in berechenbare Figuren verwandelt. Erstere verfahren referentiell; sie führen

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einen Existenzbeweis, markieren eine Spur oder einen Abdruck, während Letztere diagrammatisch oder ›graphematisch‹ argumentieren« (Mersch 2006: 97, kursiv im Original). Zugleich handelt es sich aber bei all den hier dargestellten und diskutierten Bildern um solche, die von ihren Autoren als wissenschaftliche Bilder begriffen wurden. Folgt man Boehms Bestimmung wissenschaftlicher Bilder, so zeichnen sich diese im Unterschied zu Kunstbildern dadurch aus, dass sie »schwache« Bilder seien, da sie ihren »Zweck notwendigerweise außer sich selbst haben«. Sie sind Instrumente, haben einen deiktischen Charakter und erstreben Eindeutigkeit (Boehm 2001: 53). Während in den hier präsentierten Beiträgen einerseits differente Verfahren und Formen der Visualisierung eingesetzt wurden (beispielsweise Diagramme statt Fotografien), so haben sich zugleich auch Formen und Funktionen tradierter Verfahren verändert. Beispielhaft lässt sich dies am wohl wirkmächtigsten graphischen Objekt der Geographie zeigen, der Karte. Wenn heute gerade aus Perspektive stärker kulturwissenschaftlich geprägter Ansätze in der Geographie vielfach eine gewisse Skepsis bezüglich des essentialisierenden, homogenisierenden und verräumlichenden Charakters kartographischer Darstellung besteht, so waren sich Länderkunde und quantitativ-theoretische Geographie in der Zentralität von Karten und Kartographie für die Geographie einig. So hat Hartshorne konstatiert, dass ein Problem, das nicht mittels Karten studiert werden könne, vermutlich kein geographisches Problem sei (Hartshorne 1939: 249). Und auch Haggett, als wesentlicher Vertreter quantitativ-theoretischen Denkens in der Geographie, beschreibt diese als »the art of the mappable« (Haggett 1990: 6). Begriffe von »Karte« und »mappable« bezeichnen dabei jedoch sehr Unterschiedliches. Dabei folgt auch bei Hettner die Karte alles anderem als einer naiven Abbildtheorie. So schreibt er in den 1920er Jahren: »Man bezeichnet die Karte oft als die Abbildung von Gegenständen und Eigenschaften der Erdoberfläche. Das ist nicht ganz richtig: sie enthält vielmehr Aussagen oder, nach dem Sprachgebrauch der Logik, Urteile« (Hettner 1927: 335). Karten sind Aussagen über das Wo der Dinge und sie sind der Geographie eine wesentliche Technik zur Formulierung visueller Aussagen über erdräumliche Container und der Sammlung geographischer Sachverhalte. Ganz anders stellt sich dies bei Autoren wie Bunge oder Tobler und in deren Überlegungen zu »Metacartography« respektive »Analytical Cartography« dar. Wenn Tobler, auf bauend auf Erfahrungen aus der Verschaltung von Wissenschaft und Militär im Kalten Krieg und seiner Mitarbeit in Projekten zu Frühwarnsystemen für Interkontinentalraketen (Barnes 2008), Ende der 1950er Jahre in ersten Überlegungen zu Automatisierung, Computern und Karten diese als »a data-storage element in a data-processing system« (Tobler 1959: 526) bezeichnet, so ist das mehr als ein Container der Verortung von Dingen. Vielmehr verweist dies mit den Begriffen der »Daten«, »Datenverarbeitung« und des »Systems« sowie den zahlreichen Experimenten mit nicht-

13. Geographische Visualitätsregime

euklidischen Räumen und neuen Verfahren der Projektion (Tobler 1961, 1963; Bunge/Guyot/Martin/Pattison/Tobler/Toulmin/Warntz 1968) auf ein radikal gewandeltes Verständnis der Rolle und Praxis von Visualisierung in den Wissenschaften. Der Unterschied geht damit weit über unterschiedliche ästhetische Momente und darstellerische Verfahren hinaus. Versucht man die zentralen Momente beider Paradigmen kontrastierend gegenüberzustellen, so lassen sich Äquivalenzketten und Differenzbeziehungen entwerfen, die Leitbilder, Metaphern, Tugenden und Funktionen geographischer Visualisierungen anordnen. Dies ließe sich – nicht ganz ernst gemeint und auf das Gröbste vereinfachend – in Form einer Tabelle visualisieren, welche in ihrer simplen und binären Gegenüberstellung gewiss selbst in genau jene Fallstricke läuft, die gegenüber Visualisierungen angeführt wurden (vgl. Tab. 13.1). Jedem einzelnen Punkt könnte mit Gegenbeispielen begegnet werden, es geht hier also vermutlich eher um Pole in einem Spektrum. Stehen auf der einen Seite eine realräumliche Lokalisierung von Klassen im euklidischen Raum, eine Repräsentation mit Verweis auf Anschaulichkeit, Tiefe, das Dingliche und Sichtbare, so zielt quantitativ-theoretische Rationalität auf Relationen und Topologien,8 bedient sich Modellen in einem abstrakten und relationalen Raum und hat das in strukturellen Systemzusammenhängen angelegte Reale zur Zielscheibe. Anstelle von Tiefe und Individualität richtet sich der Blick auf »dünne Beschreibung« (Porter 2012) und Darstellung. Dies erlaubt, so Bartels, »gerade die Ausschaltung der semantischen Dimension und damit die Abstraktion eines logischen Kalküls, dessen (symbolische) Elemente rein operationalen Sinn haben können, d.h. nur syntaktisch gemäß entsprechenden Ableitungs- und Folgerungsregeln einander zugeordnet sind« (Bartels 1968: 14). Wo Deskription und Genese waren, sind nun Theorie und Prognostik9. Stand der beobachtende Geograph als Zeuge des Gesehenen ein, so gelten nun Kalkül, Logik und Objektivierung als Autoritäten des geographischen Blicks. Während die eine Seite (zumindest nach 1918 und in ihrer Mehrzahl) in Diskurse der Romantik, Modernisierungsskepsis und in die Entstehung und Legitimierung von Nationalstaaten eingelagert ist, partizipiert die andere am Prozess der Technisierung der Wissenschaften, der »Anwendung« im modernen Wohlfahrtsstaat und dem Kalten Krieg. 8 | Entsprechend Schaefer: »Geography, thus, must pay attention to the spatial arrangement of the phenomena in an area and not so much to the phenomena themselves.« (Schaefer 1953: 228) 9 | Theorie und Prognostik finden in zahlreichen Beiträgen der quantitativ-theoretischen Geographie eine fast synonyme Verwendung: Lukermann (1960); Harvey (1969); George (1967). Der quantitiv-theoretischen Geographie ist damit vielfach eine ahistorische Perspektive und eine Kritik an geschichtlicher Entwicklung eigen: Bunge (1979); Schaefer (1953: 243f).

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Landschaft/Länderkunde nach 1918



Quantitativ-theoretische Geographie

Realräumliche Lokalisierung



Relationen und Topologien

Morphologie



Struktur

Klassen



Modelle

Euklidischer Raum



Relationaler Raum

Anschaulichkeit



Abstraktion

Das Sichtbare



Das Reale

Dingliches Substrat



Systemzusammenhänge

Repräsentation



Diagramm

Tiefe



Tableau

Dichte Beschreibung



Dünne Beschreibung

Karte als Abbild/Urteil



Karte als Modell

Zeugenschaft



Kalkül

Genese



Prognostik/Steuerung

Deskription



Prüfung von Hypothesen und Theorien

Semantik



Syntaktik

Nationalstaat



Kalter Krieg

Romantik und Antimoderne



Technisierung der Wissenschaften

Tab. 13. 1: Äquivalenzketten und Differenzbeziehungen von Leitbildern, Metaphern, Tugenden und Funktionen geographischer Visualisierungen in Länderkunde und quantitativ-theorethischer Geographie

13.5 S chluss Ziel dieses Beitrags war es, eine Historisierung geographischer Visualisierung und Visualitätsregime vorzunehmen. Wenn Geographie eine »visuelle« Wissenschaft ist (Rose 2003), die in erheblichem Maße auf Regime der Beobachtung und Darstellung angewiesen ist, so liegt das nicht daran, dass der Gegenstand der Disziplin dies eben nahelegt. Vielmehr muss dies in eine lange Tradition wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion und Legitimierung wissenschaftlicher Aussagen eingeordnet werden, die sehr unterschiedliche Dinge zu den Gegenständen der Disziplin und damit sehr unterschiedliche Dinge zu jenen epistemischen Dingen erklärt hat, die zu visualisieren einen Erkenntnismehrwert produziert.

14. Leit-Bilder konstruieren und reflektieren Oder: Die Welt lesen lernen im Zweiten Blick Tilman Rhode-Jüchtern

14.1 V orbemerkung Es geht in diesem Beitrag um eine spezielle Form der Lesekompetenz, nämlich das Lesen von Bildern. Einen Worttext liest man bei uns von links nach rechts (schon das ist z.B. im Arabischen anders) und von oben nach unten; für das Lesen von Bildern gelten aber andere – diffusere – Logiken. Die Argumentation befasst sich (1) mit dem »wissenschaftlichen Bild«, (2) mit dem »massenmedialen Bild«, (3) mit dem »mentalen Bild« und (4) mit dem »normativen Bild«. Immer geht es dabei um kognitive und reflexive Anleitungen dafür, wie Bilder durch Vorwissen, Irritation und Kommunikation zu neuen Erkenntnissen leiten können. Es geht um Leit-Bilder, die im Nachfragen einen »Zweiten Blick« erfordern und fördern. Der Text soll – besonders vor dem zu erwartenden mehrdimensionalen Anspruch – verständnisförderlich sein, er ist deshalb ausdrücklich und gewollt lese(r)freundlich verfasst (vgl. Pörksen/Schulz von Thun 2014). »Man glaubt den Autor beim Lesen sprechen zu hören« – das ist im Deutschen beim wissenschaftlichen Schreiben ungewohnt, ungewöhnlich, fast verdächtig, im Gegensatz zu Diskursen im Englischen oder Französischen. Nennen wir diese Reflexion zur Rolle von Bildern in der bildenden Praxis also sicherheitshalber einen »Essay«/»Essai« (»Versuch«)1 (vgl. Zima 2012).

1 | »Der Essay ist eine geistreiche Abhandlung, in der wissenschaftliche, kulturelle oder gesellschaftliche Phänomene betrachtet werden. Im Mittelpunkt steht die persönliche Auseinandersetzung des Autors mit seinem jeweiligen Thema. Die Kriterien wissenschaftlicher Methodik können dabei vernachlässigt werden; der Autor hat also relativ große Freiheiten.« »Die essayistische Methode ist eine experimentelle Art, sich dem Gegenstand der Überlegungen zu nähern und ihn aus verschiedenen Perspektiven

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Tilman Rhode-Jüchtern

Es gibt in der Lebenswelt und in formalisierten Situationen (z.B. Nachrichten, Schulunterricht) ein derartiges Übermaß an Textsorten und -variationen, dass in der Allgemeinen Bildung die Lesekompetenz (reading literacy als text literacy und visual literacy) auf teilweise neue Fundamente gestellt werden muss. Dies gilt insbesondere für die visual literacy, die weithin noch rudimentär und manchmal eher trivial definiert wird; erst seit weniger als zehn Jahren gibt es in der Geographiedidaktik einen theoriegeleiteten visual turn (vgl. Bodensteiner/Pöppel/Wagner 2007; Dickel/Hoffmann 2012; Hieber/Lenz 2007; Jahnke 2011, 2012a; für die Geschichtsdidaktik aktuell Land/Pandel 2009; allgemeinpädagogisch/zum imaginativen Lernen Rentschler/Madelung/Fauser 2003; zur »Bildkompetenz« Schaper 2012; Weidenmann 1988). Bilder werden gemacht, sie werden gelesen und interpretiert, und sie werden reflektiert – das sind vier Referenzpunkte einer »Bild(lese)kompetenz«. Gesucht werden hier nun solche Bilder, die über sich selbst hinausweisen, die irritierend, inhaltlich lohnend, interpretationsbedürftig und verallgemeinerbar sind. Einige Fragen dazu vorweg: Wie könnte man ein Bild auch lesen? Was zeigt das Bild nicht? Ist es Anlass für Irritation und – eventuell streitige – Kommunikation? Diese drei angedeuteten Fragerichtungen stehen quer zu traditionellen Interpretationsrichtlinien über einen vermeintlich »logischen Handlungsablauf«2 (vgl. Brucker 2006: 176f).

14.2 E ine kleine E rz ählung vorweg Bei einem einwöchigen Projektunterricht an einem Gymnasium in Wien in der 1. Klasse (= 10-Jährige) wurde gestartet mit einigen Motiven aus der bekannten Schockbilder-Plakatserie der Fa. Benetton (Abb. 14.1, vgl. RhodeJüchtern 2015). Das sollte zu einer ersten offenen Frage führen: »Darf man mit dem Elend anderer Menschen Werbung machen?« (In der soziologischen Fachsprache: »Dealing with the disaster of others«)3. Da diese Frage und ihre Implikationen recht anspruchsvoll werden können, wurde die Frage anfangs zu betrachten. Das Wichtigste ist […] das Entwickeln der Gedanken vor den Augen des Lesers.« (www.wikipedia.org/wiki/Essay). 2 | »Die Schritte der Bildauswertung folgen zwar einem logischen Handlungsablauf vom Beschreiben und Erklären zum Bewerten, doch sollte diese Abfolge nicht zum Schema erstarren. […] Das Bild wird an die Tafel projiziert. Die wesentlichen Konturen werden an der Tafel mit Kreide nachgezogen. Bildinhalte werden benannt, erklärt und beschriftet. Zusammenhänge werden gedeutet. Der Projektor wird ausgeschaltet. Es bleibt ein Merkbild/Tafelbild.« (Brucker 2006: 177) 3 | Selbst die beiden obersten Gerichte in Deutschland, der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht, waren in dieser Frage nicht einig; das eine sah darin

14. Leit-Bilder konstruieren und reflektieren

nicht verbal-direkt gestellt; die Kinder sollten sich vielmehr zunächst zu jedem der markanten Bilder eine minimale Skizze zur Erinnerung machen und möglichst ein Merkwort dazu, damit danach darüber gesprochen werden könnte. Eines der Plakate zeigte einen mit Menschen völlig überladenen LKW in einem wüsten Umfeld; das Merkwort hätte z.B. lauten können: »Flüchtlinge«.

Abb. 14.1: Bildmotiv aus der Schockbilder-Plakatserie der Textilfirma Benetton Zehnjährige sollten dies in eine kleine Skizze umformen und ein Merkwort finden. Ich konnte mich in der letzten Reihe neben ein Mädchen (sie hieß Sheyran) setzen, deren Nachbarin erkrankt war. Nur durch diesen Zufall bekam ich Einblick in das Tun der Schülerin. Sie kritzelte zögerlich so etwas wie ein Strichmännchen aufs Papier. Was tun? Intervenieren (»Ist auf dem Bild nur ein Mensch?«) oder abwarten und staunen: Vielleicht hat die Schülerin schon die Aufgabe nicht verstanden, oder sie konnte das Bild handwerklich nicht mit einer Skizze oder kognitiv mit einem Wort für sich festhalten, oder sie hatte keine Vorstellung von der Szene über das Foto hinaus, oder sie war im Geiste einfach ganz woanders, oder sie war vom Lehrer auf dem Stuhl neben ihr eingeschüchtert, oder oder oder. Kann sein, dass sie gar nicht genug Deutsch sprechen, also auch nicht nachfragen konnte. Kurzum: Diese Schülerin war vom ersten Bild und ersten Wort an »außen vor«. Die Nachforschung zu dieser Situation eines unterrichtlichen Scheiterns müsste wohl eher bei psychischen Prozessen in der Betrachterin ansetzen und eher nicht an irgendeiner Bildtheorie – aber auch das ist nicht eindeutig. Jedenfalls einen unlauteren Wettbewerb (BGH), das andere eine geschützte freie Meinungsäußerung (BVerfG).

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sind drei der oben genannten vier Referenzpunkte im Fall von Sheyran (Lesen, Interpretieren, Reflektieren) nicht so einfach zu erfüllen, wie es die Anleitungen unterstellen. Didaktiker und Pädagogen sind hier auf professionelle Achtsamkeit und Fantasie verwiesen – wenn sie derartiges um des unterrichtlichen Fortschreitens willen nicht gleich ganz ignorieren. Diese kleine Erzählung soll daran erinnern, dass wir es in der Geographiedidaktik gleichermaßen mit fachlichen, kognitiven und pädagogischen Herausforderungen zu tun haben.

14.3 B egriffliche V orkl ärungen : »Te x t«, »B ild «, »S ehfl äche « Als »Texte« werden nicht nur (fiktionale und nicht-fiktionale) kontinuierliche Texte benannt, »fortlaufend geschrieben mit kontinuierlicher sprachlich realisierter Themenentfaltung«. Man spricht auch von diskontinuierlichen (oder nicht-linearen) Texten, die aus einer Kombination von graphischen und textuellen Elementen bestehen, z.B. Karten, Diagramme, Bildstatistiken, Infografiken, PR-Infografiken, kartographische Infografiken, journalistische Pressegraphiken, Formulare, Tabellen, Schaubilder, Prinzipdarstellungen etc. »Teil der allgemeinen Lesekompetenz ist dabei Bildkompetenz, ohne die die komplexen Bild-Text-Beziehungen […] nicht erschlossen werden können.« (Egle 2013) Die Funktion diskontinuierlicher Texte ist zumeist, komplexe Informationen und Sachverhalte reduziert (im Sinne von verdichtet) darzustellen; man muss hier nicht einem vorformulierten Gedankengang folgen, sondern ist gefordert, eine Information eigenständig zu entschlüsseln. »Wir lernen in unserem Kulturraum, dass Schrift oben links beginnt. Der Blick bei einer Bildbetrachtung geht andere Wege.« (Doelker 1997, zit.n. www.kommunikation.uzh. ch/static/unimagazin/archiv/2-98/grammatik.html) Unterstellt wird, dass die Bildkommunikation zu individueller Konzentration und zu sachlicher Effizienz, Glaubwürdigkeit und Verständigung führt. Auf der anderen Seite bleibt die Notwendigkeit, die Seh-Ergebnisse dann wieder in mündliche oder schriftliche Texte zu überführen, mit der Folge, dass eine eventuelle Sprachschwäche sich mit einem »piktoralen Analphabetismus« (Weidenmann 1988) verbinden und zu einem kumulativen Defizit führen kann (vgl. die kleine Erzählung in 2.). Auch für die kommunikative und reflexive Entschlüsselung von Bildern braucht es Lesestrategien. Nationale Bildungsstandards helfen da nicht viel weiter, außer dass der exklusive und exkludierende »Verbalsnobismus« (Doelker 1997: 20) ein wenig gelockert wird. Die KMK-Bildungsstandards (Kultusministerkonferenz 2004: 13) suchen nach grundlegenden Verfahren für das Verstehen gleichermaßen von kontinuierlichen und nicht-kontinuierlichen Texten: »verschiedene Lesetechniken beherrschen«, »flüssig, sinnbezogen, überfliegend, se-

14. Leit-Bilder konstruieren und reflektieren

lektiv navigierend (z.B. Bild-Ton-Text integrierend) lesen«. Das traditionelle Textverständnis wird mit entsprechenden Lesetechniken ausgestattet: »punktuelles, informatives, interpretierendes, kritisches, kreatives oder triviales Lesen« (Egle 2013). Für diskontinuierliche Texte fehlt es aber noch an einem solchen Arsenal, insbesondere in der Rezeption verschiedener Codes der Zeichensysteme.

Abb. 14.2: Bezüge zwischen Bild und Text (Egle 2013 nach Ballstaedt 2005: 61). Graphik entnommen aus www.teachSam.de/ deutsch/d_ling/txtlin//textbegriff/txt_begriff_4.htm Um die Bezüge zwischen Text und Bild zu erkennen, gilt es nicht nur die Zeichensysteme/Codes zu kennen; vielmehr sind auch unterschiedliche Funktionen von Bild und Text füreinander zu klären: (a) in kongruenten Bild-Text-Bezügen wird dasselbe begriffliche Konstrukt abgerufen; (b) in komplementären Bild-Text-Bezügen sind Bild und Text füreinander ein jeweiliger Kontext; (c) elaborative Bezüge aktivieren oft auch unterschiedliche Konzepte, die in ihrer Bedeutung erschlossen werden müssen (vgl. Graphik Abb. 14.2) (Doelker 1997).

Zwischenfazit Texte und Bilder erscheinen oft gemeinsam in einer Sehfläche, aber sie sind gesondert zu decodieren. »Entweder lese ich einen Text oder ich betrachte ein Bild, beides zusammen ist nicht möglich. Sehflächen erzwingen eine Aufteilung der Aufmerksamkeit auf beide Zeichensysteme.« (Ballstaedt 2005: 61) »Sehflächen« sind Flächen, »auf denen Ensembles von Zeichen unterschiedli-

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cher Art verteilt sind, die zur Konstruktion von Bedeutung anregen« (Schmitz 2005: 2). Die möglichen Bedeutungen sind nicht isoliert zu suchen, sondern in konzeptionellen Bezügen zwischen Text und Bild. Die jeweilige Bedeutungszuweisung ist gestützt auf sachlich-fachliches Vorwissen und auf subjektive Präkonzepte (Erfahrungen, Prioritäten, Situationen).

14.4 B eispiel 1 : D as wissenschaf tliche B ild . A ltes und neues D enken 4: »E s ist so!« — »Ist es so?« Für unser erstes Beispiel »Ökosystem Tropenwald« stellen wir drei (problematische) »Forderungen an das geographische Bild und seine Auswertung« der traditionellen Geographiedidaktik an den Anfang (Brucker 2006: 176); viele Geographielehrer dürften aber damit fraglos einverstanden sein. • »Das Bild muss aussagekräftig, eindeutig und vielschichtig im Inhalt sein.« • »Es muss sich für die Gewinnung von Erkenntnissen eignen, weil es die relevanten Merkmale betont (…).« • »Das Bild ist nach gezielten Fragestellungen zu untersuchen. Weil der Mensch ›nur das sieht, was er weiß‹, führen Beobachtungsaufgaben hin zum geographischen Sehen.« Das Bild (Abb. 14.3) zum »Ökosystem Tropenwald« stammt aus dem Bericht der Enquete-Kommission des 12. Dt. Bundestags »Schutz der Erdatmosphäre«/ »Schutz der Grünen Erde« (1994). Da die Original-Zeichnung in dieser Bundestagsdrucksache schlecht lesbar ist, wurde es für die Verwendung in einem Schulbuch nachgezeichnet und koloriert. Das Bild entspricht nun einer weiteren Forderung aus der Doppelseite »Bilder« im bereits zitierten Handbuch »Geographie unterrichten lernen« (Haubrich 2006): »Das Bild muss technischen und ästhetischen Ansprüchen genügen.« (Brucker 2006: 176) Wir finden nun also ein Bild aus wissenschaftlicher Quelle (Enquete-Kommission) in einem (Oberstufen-)Schulbuch; damit wäre ein fachspezifischer Habitus befriedigt, wonach es sich hier um eine »richtige«, »objektive«, » angemessene Form raumbezogener Visualisierung« handeln soll (siehe auch Beitrag Schlottmann/Miggelbrink in diesem Band). Das widerspricht aber einem weiteren Lernziel im zitierten geographiedidaktischen Handbuch: »Die Schüler sollen durch die Auswertung erfahren, dass jedes Bild die ›subjektive Wiedergabe der Wirklichkeit‹ ist. ›Das Bild informiert 1. Über einen Ausschnitt ausschließlich aus der sichtbaren, also nur der visuell wahrnehmbaren Realität, 2. Über einen

4  |  Vgl. von Mutius (2004: 40f)

14. Leit-Bilder konstruieren und reflektieren

Augenblicksmoment der Wirklichkeit, 3. Über einen subjektiven Ausschnitt der Wirklichkeit, 4. Mit authentischen Informationen‹« (Brucker 2006: 176).

Abb. 14.3: Zusammenbruch im gestörten Ökosystem »Tropenwald« (aus: EnqueteKommission des 12. Dt. Bundestages »Schutz der Erdatmosphäre«/»Schutz der Grünen Erde« 1994, S. 520; Reinzeichnung aus: bsv Oberstufen-Geographie »Landschaftsökologie« 1997/2010, S. 30/131 (Fraedrich 2006 [1997])

Dieses Lehr-/Lernziel (jedes Bild: »subjektiver Ausschnitt«, »subjektive Wiedergabe«, »authentische Informationen«) würde man nach heutiger Lesart als fast radikal-konstruktivistisch bezeichnen und es wäre in seiner Absolutheit nicht mehr haltbar (vgl. Gabriel 2013, 2014; Ferraris 2014). »Natürlich« gibt es den Regenwald auch als hochkomplexe objektive Realität, natürlich kann man ihn auch als Ökosystem mit 15 Merkmalen in Bild und textlicher Legende abstrahieren/modellieren, natürlich handelt es sich hier nicht nur um einen »Augenblicksmoment der Wirklichkeit«, natürlich gehört die Indianersiedlung zu diesem System dazu, sei es als Wechselwirkungs-Element, sei es als Störgröße. Schon der Begriff »Ökosystem« bezieht sich auf ein Modell bzw. eine Konstruktion; wenn darin nur vom Nährstoff- und Wasserkreislauf die Rede ist, hat dieser wiederum eine Umwelt, ist also nur ein Subsystem, eine starke Reduktion »der« komplexen äußeren Realität. Und natürlich ist man zumeist auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen, »authentisch« und/ oder »eindeutig« ist hier fast nichts (vgl. z.B. Schmithüsen 1998). Wichtiger für uns ist aber die Kopplung von Bild und Überschrift: Das »intakte Ökosystem« ohne Menschen einerseits, der »Zusammenbruch des Ökosystems« aufgrund eines menschlichen Eingriffs (Feuer, Siedlung, Rodung) andererseits. Das Bild ist stark vereinfacht, so wird z.B. nur ein einzelner

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Mensch sichtbar gemacht5. Hier werden Natur und Mensch in Bild und Text in eine »Sehfläche« gebracht, mit der Gefahr, dass Bild und Text einsinnig als kongruent erscheinen: Das Ökosystem und sein Zusammenbruch. »Subjektiv« wäre dies dann, wenn ein Zeichner oder ein Schulbuchautor der Meinung wäre, dass ein menschlicher Eingriff der gezeigten Art tatsächlich zum Zusammenbruch »des« Ökosystems Tropenwald führt und dass dies schematisch verallgemeinert werden darf. Ist es aber auch dann als subjektiv zu bezeichnen, wenn eine Wissenschaftlergruppe diesen Zusammenhang darstellt? Oder ist hier nicht eher nach Gewissheit und Grenzen wissenschaftlicher Aussagen zu fragen? Hier würde man wissenssoziologisch fragen, in welchem Entdeckungszusammenhang diese Darstellung entstanden ist, ob sie in der Forschungslogik untadelig ist und ob der Verwertungszusammenhang wissenschaftlich wertfrei sein kann. Anders ausgedrückt: Der Code eines identifizierbaren Subjekts (z.B. eines Lehrers, einer Journalistin, eines Stammtischbruders) ist erkennbar anders als der Code einer wissenschaftlichen Körperschaft (z.B. Lehrstuhl, Enquetekommission, Gutachtergremium). Es sei nicht nur am Rande betont, dass dies eine transdisziplinäre Fragehaltung ist (Scholz 2011: 23)6, die also über die Grenzen einzelner Fächer und über deren interdisziplinäre Verständigung hinausgeht. Diese Haltung ist als Meta-Kompetenz zugleich innerdisziplinär zu entwickeln und stets anzuwenden; sie muss im Allgemeinen zunächst von den Lehrenden erklärt und dann immer wieder gemeinsam praktisch geübt werden. Nach den Bezügen zwischen Text und Bild (vgl. Graphik Ballstaedt Abb. 14.2) ist insbesondere zu fragen, wenn sie nicht kongruent sind. Wenn sie komplementär sind, sich also Bild und Text beim »Füllen von Leerstellen gegenseitig helfen«, könnte man vermuten, dass es nicht der einzelne Indianer ist, der das System zusammenbrechen lässt, sondern dass es die Tätigkeit in ihrer spezifischen und verallgemeinerbaren Qualität ist. Ein eher harmlos erscheinendes Bild vom einzelnen Indianer wäre nur ein Zeichen/ein Stellvertreter, es wird gedeutet als systemzerstörerisch: Rodung, Brand, Siedlung. Der Text (Überschrift und Legende) gibt diese Lesart für das Bild vor. Ein dritter Bezug von Bild und Text ist möglich, nämlich der elaborative: Textliche und bildliche Informationen gehen über das jeweils andere hinaus; 5  |  Vgl. im Gegensatz dazu bei »Diercke – Die Welt online entdecken« das Bild »Tropischer Regenwald– Stoffkreisläufe und Folgen der Abholzung«, wo anstelle des holzhackenden Bauern ein großer Bulldozer dargestellt wird (www.diercke.de/kartenansicht. xtp?artId=978-3-14-100770-1&seite=216&id=16204&kartennr=2). 6 | »Transdisciplinarity links interdisciplinarity and a multistakeholder process«; »Transdisciplinary asks for multiple forms of knowledge integration (epistemics: ways of knowing)« (Scholz 2011: 23).

14. Leit-Bilder konstruieren und reflektieren

die Beziehung muss erschlossen werden. Der Text über dem Bild behauptet etwas, was der Inhalt nicht hergibt, was also keine »authentische Information« ist. Es muss etwas elaboriert (»sorgfältig herausgebildet« oder »hoch differenziert«) und rekonstruiert werden (Sievers 2014), was in der visuellen Vorlage grob vereinfacht und zeichenhaft dargestellt wird. Offenkundig liegt hier die Herausforderung für den Text- und Bildleser und seine Bedeutungszuweisungen: Wo liegt eigentlich das Problem (RhodeJüchtern/Schneider 2012)? Ist es wirklich der Indianer(stamm), der mit Brandrodung und Siedlung das Ökosystem Tropenwald zum Zusammenbruch bringt, sind es wirklich die Eingriffe in dieser Größenordnung? Schon dies wäre eine erste Erkenntnis, dass nämlich ein Problem in verschiedenen räumlichen Maßstäben wirken und betrachtet werden kann (»hoch differenziert«). Bedenkt man das nicht mit, sind die Darstellung und die Interpretation von vornherein unterkomplex. Es wäre das Vorwissen zu aktivieren, dass es auch andere Akteure im Tropenwald gibt, die Tropenholzkonzerne, die Soja-, Orangen- und Palmölplantagen, die Rinderzüchter, die Polizei und untätige Politik, die Konsumenten in Europa. Das unterkomplex gezeichnete Ökosystem Tropenwald und der menschliche Eingriff wären neu zu zeichnen. Die Überschrift wäre neu zu konstruieren, und sei es nur dadurch, dass man die alte Überschrift mit einem Fragezeichen versieht: »Es ist so!« wird dann zum »Ist es so?« (Rhode-Jüchtern 2013). Eine weitere Forderung lautet: »Das Bild ist nach gezielten Fragestellungen zu untersuchen. Weil der Mensch ›nur das sieht, was er weiß‹, führen Beobachtungsaufgaben hin zum geographischen Sehen« (Brucker 2006: 176). Man könnte diese Feststellung allgemein als berechtigt ansehen. Aber dass der Mensch nur das sehe, was er schon weiß, darf im Lehren und Lernen nicht trivial verstanden werden, denn sonst würde man nur absurde Zirkel produzieren (Goethe 1954 [1819]: 142). Was mit dem Zitat wohl gemeint ist, ist die Anschließung an Vorgewusstes und auch das Wiedererkennen von Problemmustern und Lösungsoptionen (Reinmann-Rothmeier/Mandl 2001). Aber die Arbeit am Thema beginnt mit etwas anderem, nämlich der Identifizierung von etwas, was irritiert und »nicht passt«, was näher betrachtet werden will, wo ein Problem liegen könnte. Dafür ist das bloße Stellen von »Beobachtungsaufgaben« durch den Lehrer nicht ausreichend – ganz abgesehen von der Frage, ob diese Aufgaben überhaupt problemorientiert, valide und ergebnisoffen sind. Konkret am Fall der Tropenwald-Bilder: Man kann zunächst versuchen zu erkennen, was mit »Intaktes Ökosystem« und »Zusammenbruch« gemeint ist. In einem großen Maßstab, also im Bereich der Indianersiedlung, kann man sicher von einer Störung sprechen; was die kleine Fläche betrifft, wird das eine konkret-lokalisierte Ökosystem in der Tat gestört und zunächst durch ein anderes ersetzt. In diesem Maßstab wird sich aber das alte Ökosystem regenerieren können, Brände und Erosion kommen auch natürlicherwei-

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se vor. Der Ort (»place«) wäre in einem Satellitenbild als ein relativ winziges Areal auszumachen. In einem kleineren Maßstab aber, also im Bereich von tausenden Quadratkilometern, wird die Parole vom Zusammenbruch des Tropenwaldes schon glaubhafter, zumal dann, wenn die Art des Eingriffs (Tropenholz, Soja & Co) und sein Prozess über die Zeit dokumentiert würden. Das wäre aber eine ganz andere Betrachtung und eine Entfernung vom irritierenden Bild-Text. Die Irritation, dass in dieser ursprünglichen »Sehfläche« etwas nicht stimmt, wäre der Arbeitsanlass. »Der Projektor wird ausgeschaltet. Es bleibt ein Merkbild« (Brucker 2006: 177) wäre nicht der letzte Schritt in einer Anleitung zur Bildinterpretation oder in einer Unterrichtsstunde; vielmehr beginnt hier die eigentliche, die ergebnisoffene und aktive Arbeit. Indem die Schüler aufmerksam genug sind, sich mit der Schuld der Indianer nicht zufrieden zu geben und eine triviale Kongruenz von Bild und Text anzuzweifeln, kommen sie sicher auch auf die Frage: Wer ist denn für einen Zusammenbruch des Ökosystems verantwortlich? Inwiefern? Und wer noch? Und damit wäre der konstruierte Begriff »Ökosystem« relativiert und von einer einsinnigen Ontologisierung befreit.

Zwischenfazit Das Bild vom Ökosystem Tropenwald leitet hin zu verschiedenen Erkenntnissen. Dass die Indianer schuld seien am Zusammenbruch des Ökosystems Tropenwald, ist nur wenig »richtig«, ist aber didaktisch nicht wertlos; im Gegenteil: Der Zweifel daran ist ein wertvoller Motivations- und Arbeitsanlass. So wird das Bild zum Leit-Bild.

14.5 B eispiel 2 : D as massenmediale B ild — D er Z weite B lick : W as steck t dahinter ? Eine mögliche (überzeugende) Denkfigur für das Wissen über die Welt lautet: Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien. Das gilt nicht nur für unsere Kenntnis der Gesellschaft und der Geschichte, sondern auch für unsere Kenntnis der Natur. Was wir über die Stratosphäre wissen, gleicht dem, was Platon über Atlantis weiß: Man hat davon gehört. […] Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, dass wir diesen Quellen nicht trauen können. (Luhmann 1995; 2004)

Also auch das, was wir über den tropischen Regenwald wissen, wissen wir über die (Massen-)Medien, einschließlich Schulbuch: Wir haben davon gehört, aber wir können diesen Quellen nicht einfach trauen. Wir wissen nämlich auch:

14. Leit-Bilder konstruieren und reflektieren

Darstellungen in Medien sind geformt aus jeweils einer bestimmten Perspektive (Thematik, Interesse, Ort und Zeit). Andere Sichtweisen sind möglich. Irritation ist ein Motor zur eigenen Problembestimmung. Das eine sehen und dabei das andere mitdenken oder nachfragen, erlaubt ein sachliches Urteil und eine begründete persönliche Wertung. Es führt über das Denken in starren Fachgrenzen und festen Konzepten hinaus. Wir stoßen z.B. auf eine – empörende – Zeitungsmeldung über Biopiraterie: Eingeborene im Tropenwald sollen künftig für die Nutzung von Heilpflanzen zahlen, weil die forschende Pharmaindustrie ein Patent darauf erworben hat. Das Bild vom segensreichen Medikament verlangt nach einem genaueren Blick hinter die Kulissen: Was steckt dahinter? Eine Internet-Recherche ist auch ohne große Fachkenntnisse möglich und hilfreich. Daraus wird eine Erkenntnis, wenn die gewonnenen Informationen weitergeführt und klug verbunden werden. Zunächst lautet das Suchwort: »Traditionelle Heilpflanzen«. Bei der Patentierung von Pflanzen und Wirkstoffen geht es um grundsätzliche Fragen: Wem gehören traditionelle Heilpflanzen? Und wem gehört das Wissen über medizinische Wirkungen? Die Zahl der Arzneimittel, die sich von natürlichen Quellen ableiten, ist außerordentlich groß. Traditionelle Heilpflanzen sind nach wie vor eine wichtige Grundlage zur Erforschung neuer Medikamente. Deshalb ist der Erhalt der Artenvielfalt eine globale Zukunftsaufgabe. (Securvital 3-2008).

Einer der ersten Internet-Treffer (s.o.) führt weiter: (1) Wem gehören traditionelle Heilpflanzen? (2) Wer oder was ist »Securvital«? (3) Bei der Nachrecherche fällt auch der Begriff »TRIPS« auf (hier geht es um geistiges Eigentum). Wenn man nun den Blick auch auf die betroffenen Eingeborenen richtet, wäre die Frage: Brauchen diese überhaupt das westlich-industriell entwickelte Heilmittel, kommen sie nicht auch weiter mit der Heilpflanze selbst aus? (vgl. Levi-Strauss 1973: 14-16): Das wilde Denken: Die unerschöpfliche Kenntnis des Pflanzen- und Tierreichs »Ein charakteristischer Zug der Negritos, der sie von ihren christlichen Nachbarn der Ebenen unterscheidet, ist ihre unerschöpfliche Kenntnis des Pflanzen- und Tierreiches. Dieses Wissen umfasst nicht nur die Einzelbezeichnung einer erstaunlichen Vielzahl von Pflanzen, Vögeln, Säugetieren und Insekten, sondern auch die Kenntnis der Gewohnheiten und Lebensweisen jeder einzelnen Art.« »Der Negrito ist in sein Milieu vollkommen eingebettet, und was noch bedeutsamer ist, er untersucht unaufhörlich alles, was ihn umgibt. Oft sah ich, wie ein Negrito, der sich über die Identität einer Pflanze im Unklaren war, die Frucht kostete, die Blätter beroch, den Stängel knickte und prüfte und den Standort in Augenschein nahm. Und erst wenn

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Tilman Rhode-Jüchtern er alle diese Gegebenheiten berücksichtigt hat, wird er sagen, ob er die Pflanze kennt oder nicht.« »Die äußerste Vertrautheit mit dem biologischen Milieu, die leidenschaftliche Aufmerksamkeit, die man ihm entgegenbringt, die genauen Kenntnisse, die damit verbunden sind, haben die Forscher oft verblüfft, da sich darin Verhaltensweisen und Interessen zeigen, durch die sich die Eingeborenen von ihren weißen Besuchern unterscheiden.«

Wem gehört das Wissen über die Pflanze selbst? Securvital gibt die Antwort: »TRIPS« ist die Rechtsgrundlage. Ist das Recht, ist das Gerechtigkeit, ist das die ganze Wahrheit?

Zwischenfazit Bei der Frage nach Recht/Gerechtigkeit/Wahrheit öffnen sich mehrere Perspektiven. Alle haben darin ihr Recht, aber nicht alle haben die Macht, dies gegeneinander durchzusetzen. Der Artikel über Biopiraterie, das Bild vom Krebsmedikament und von der Heilpflanze, der Begriff TRIPS und der Textausschnitt aus »Das wilde Denken« leiten uns in eine größere Sehfläche von Bild und Text mit mehreren lohnenden Problemaspekten. Diese zu entdecken und zu verbinden, ist eine elaborative Arbeit, sie führt zu einer echten Problemstellung. Von einem Lehrbuch könnte man das kaum erwarten, man braucht vielmehr eine eigene Bild- und Textlesekompetenz. Lehrer und Schüler können diese kommunizierend einsetzen.

14.6 B eispiel 3 : D as mentale M odell — U nsichtbares sichtbar machen und verstehen : D as G ese t z vom M inimum Schwierige technische oder natürliche, ja sogar soziale Prozesse werden oft modelliert und auf das jeweils Wesentliche reduziert/verdichtet, damit sie überhaupt sichtbar werden. Worte würden hier oft nicht ausreichen. Ein Modell ist dadurch schon ein Zweiter Blick, es stellt Details in den Vordergrund, die so eigentlich gar nicht sichtbar sind. Farben, Vergrößerungen/Verkleinerungen, Beschriftungen etc. sind dabei die Mittel. Geographiebücher sind voll davon; Meteorologie, Plattentektonik, Städte im Orient – alle werden für eine gewisse Basisinformation in Modelle reduziert. Man will vielleicht einmal genauer verstehen, wieso der Boden im Tropenwald durchaus nicht fruchtbar sei (Weischet 1997), warum die Eingeborenen Wanderfeldbau betreiben, was es mit der Artenvielfalt im Tropenwald auf sich hat, und inwiefern diese nicht nur Romantik, sondern Naturgesetzlichkeit ist. Vielleicht taucht in diesem Zusammenhang auch die Information vom – rät-

14. Leit-Bilder konstruieren und reflektieren

selhaften – Zusammenhang von Artenvielfalt (Biodiversität) und Individuenarmut auf. Da wird die Modellierung aber schwierig, siehe das irritierende Lehrbild oben vom »Ökosystem Tropenwald« (Abb. 14.3). Der kluge Lehrer wird also einen anderen Zugang wählen, und dieser sollte nicht nur im Diktieren einer Begriffsdefinition bestehen. Der Zugang geht hier nicht über das Abbilden einer Artenvielfalt, sondern über die Kenntnis eines der vielen Grundgesetze dieser Vielfalt; eines davon ist das »Minimum-Gesetz«. Dafür ist der Geographielehrer auszubilden, da geht das Fachwissen der Kommunikation voraus.

Sehfläche: Minimum-Gesetz (Text), Kolibri (Bild), Ökologische Nische (Transfer) Minimum-Gesetz: Etwas für Spezialisten in einer ökologischen Nische. Das Gesetz vom Minimum (Justus von Liebig, 1840) besagt, dass das Auftreten und die Häufigkeit einer Art in einem bestimmten Lebensraum von demjenigen Nährstoff bestimmt wird, der für den Organismus essentiell ist und dessen Gehalt im Mangelbereich (Minimum) liegt. In natürlichen, unbelasteten Gewässern ist z.B. nur eine sehr geringe Phosphatkonzentration vorhanden, die die Vermehrung der Lebewesen, wie z.B. Algen, begrenzt. Gelangt Phosphat durch Einleitung (z.B. Abwässer) in die Gewässer, so verliert es seine Rolle als Minimumfaktor und es kommt zu einer sprunghaften Vermehrung (Eutrophierung) (Katalyse – Institut 2012).

Abb. 14.4: Kolibri vor seiner ökologischen Nische. Diese Nahrungsnische (energiereicher Blütennektar) ist nur für einen Kolibri zugänglich (Schnabelform, »stehender« Schwirrflug) (Quelle: Michael Stifter [siehe: www.geo.de/ reisen/community/bild/108328/Tablones-Costa-Rica-Kolibri])

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Zur Beantwortung der Frage aus der Irritation (»Was, der Boden im tropischen Regenwald ist nicht fruchtbar?«) hilft mit vielen guten Treffern das Internet; aber das verführt möglicherweise zur bloßen Reproduktion von Frage und fertigen Antworten. Im Beispiel des Minimum-Gesetzes geht es dagegen darum, eine – kaum verständliche – fachsprachlich formulierte Gesetzlichkeit mit eigener Erfahrung und mit eigenen Vorstellungen darüber hinaus zu konfrontieren und kognitiv sinnvoll zu machen: Den Kolibri und seine ökologische Nische kann man sich mithilfe des Bildes (Abb. 14.4) vorstellen; der Kolibri ist diejenige Art, die an den Nektar herankommt, aber es dürfen nur einige wenige Exemplare sein, die von dem minimal vorkommenden und schwer zugänglichen Nährstoff leben können und die hier deshalb kaum Konkurrenten haben. Didaktisch gesprochen: Es geht es um verständnisintensives Lernen, das eigene Erfahrungen und weiter gehende Vorstellungen schließlich mit Begriffen verbindet und in einer Metakognition reflektiert (Fauser 2002). Es kann mit einem Minimum an Aufwand gelingen, wenn man die didaktische Figur mit geeigneten Trittsteinen – Irritation, Text, Bild, Zusatztext – ausstattet und wenn man kommunikationsfähig ist.

14.7 B eispiel 4 : D as normative B ild — D as »G leichge wicht« der N atur : O rdnung oder U nordnung ? Wenn man von »raum-« oder »umweltgerechtem Verhalten« oder »raumbezogener Handlungskompetenz« oder einer »Bildung für eine nachhaltige Entwicklung« etc. spricht, könnte es sein, dass sich damit die Idealvorstellung von einer natürlichen Harmonie/ökologischer Kreislaufwirtschaft/gottgewollter Ordnung verbindet. Die Idealfigur wäre so etwas wie der »Edle Wilde im Einklang mit der Natur«. Als Norm formuliert könnte man dies »natürliches Gleichgewicht« oder »Nachhaltigkeit« nennen, wonach dem Naturkreislauf nicht mehr entnommen werden soll als nachwächst. Dahinter stehen grundsätzliche Ordnungsvorstellungen, die auf verschiedene Weise definiert werden können. Kreislauf, Gleichgewicht, Natürlichkeit oder auch »System(stabilität)« wären dafür nutzbare Vokabeln. In den Bildungsstandards Geographie wird der Systembegriff sogar als Basistheorie für das ganze Schulfach vorgeschlagen. Man soll sich danach die Welt in ihrer natürlichen und gesellschaftlichen Dimension vorstellen wie einen erkennbaren Zusammenhang (Wechselwirkung) von Elementen, mit einer Oberflächen-Struktur, mit einer Soll-Funktion und mit einem Ist-Prozess (wobei so definierte Systeme in der Regel Teil von größeren Systemen, also Subsysteme sind, weshalb es auch sehr auf die Bestimmung der jeweiligen

14. Leit-Bilder konstruieren und reflektieren

Systemgrenzen ankommt). Es ist zu vermuten, dass der Systembegriff in seiner definitorischen Klar- und Einfachheit verführerisch ist; er scheint keiner weiteren eigentätigen logischen oder philosophischen Anstrengung zu bedürfen. Die äußere Realität wäre lediglich in ein Format »System« hinein zu zeichnen, bis es aussieht wie ein geordneter Schaltplan. Sollte diese Befürchtung zutreffen, wäre die Anstrengung schleunigst auf die Klärung des Begriffes zu legen. Dafür wird hier ein weiteres Leit-Bild offeriert, das zunächst ohne definitorische Überschrift bleibt, allenfalls eine irritierende Leit-Frage: Ordnung oder Unordnung?

Abb. 14.5: Vulkanisches Gestein in den östlichen Pyrenäen: Ordnung oder Unordnung? (eigenes Foto) Ich vermute mal ganz unschuldig, dass es dieses Foto (Abb. 14.5) so vor mir noch nicht gab. Es ist nämlich aus einem subjektiven Vorverständnis heraus entstanden. Den Gegenstand gab es schon vorher, er musste aber erst einmal wahrgenommen und zu einem Bild für etwas gemacht werden. Die Situation: Wo die Pyrenäen ins Mittelmeer tauchen (Portbou, am Benjamin-Gedenkort »Passagen«), ist mir dieser Gegenstand als Bild aufgefallen. Ich habe es fotografiert, weil es für mich ein Rätsel enthält. Es handelt sich offenbar um dasselbe Gestein, aber um eine unterscheidbare Ordnung. Links unstrukturiert im natürlichen Zustand, allerdings freigelegt (»aufgeschlossen« sagen dazu die Geomorphologen), rechts wohlgeordnet durch Menschenhand. Das Zusammentreffen dieser beiden Ordnungen ist ein Rätsel und enthält auch die Frage, warum mir gerade das aufgefallen ist. Nun, ich erkenne darin etwas Vorgewusstes wieder, nämlich den Begriff der Ordnung im Mensch-Natur-Verhältnis. Und ich erkenne den Widerspruch zur schnel-

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len Deutung: Im reflektierten Naturbegriff wäre die linke Hälfte als »geordnet« anzusprechen, jene Ordnung nämlich, die die Natur in ihren Prozessen schafft, die komplette Durchmischung von Materie und Energie bis zu jenem Endzustand, in dem nichts mehr durchmischt werden kann, in dem der Prozess reif ist und zur Ruhe kommt. Diese natürliche Ordnung in der Durchmischung und im Ausgleich nennt man »Entropie«. Und wenn der Mensch in eine solche reife (natürliche) Ordnung eingreift, indem er etwa die Steine bearbeitet und in eine künstliche (menschliche) Ordnung versetzt, schafft er nach dem Wesen der Natur etwas »Unordentliches«. Die Mauer wird sofort in einen Prozess des natürlichen Ausgleichs geraten: Wasser, Relief, Eis, Hitze, Schwerkraft werden letztlich dafür sorgen, dass die Mauer rutscht und zerfällt und am Ende nur noch ein Haufen loser Steine übrig ist. Wenn man gegen diesen Prozess Zement einsetzt oder andere Stützmaßnahmen, wird sich dieser Prozess lediglich etwas verzögern. Jeder Bergrutsch, jede Lawinenverbauung, jede Terrasse in der Landschaft, jede Überschwemmung stehen für diese Wechselbeziehung, ja für den Kampf zwischen natürlicher (Entropie) und menschengemachter Ordnung (»Negentropie«). Und indem diese absichtsvoll gegen das »Chaos« der Natur geschaffen wird, ist sie auch eine gesellschaftliche und politische Ordnung in der Natur. Die Begriffspaare von Ordnung und Unordnung, von Ausgleich und Chaos, von Abwehr des Chaos und Verletzbarkeit sind ein ungemein fruchtbarer Gesprächsanlass zum Mensch-Natur- (oder genauer: zum Gesellschaft-Umwelt-) Verhältnis. Das rätselhafte Foto, das hier zum Leit-Bild geworden ist, kann Dreh- und Angelpunkt für dieses Gespräch sein. Man wird die Erkenntnis zum Begriff der Entropie bzw. des Chaos, je nach Perspektive (Gesellschaft oder Natur), so schnell nicht mehr vergessen. Und aus der Entschlüsselung dieses Leit-Bildes kann die Kompetenz für einen Transfer in angewandte Fälle und für eine zunehmend reflektierte Welt-Anschauung wachsen.

14.8 N achbemerkung Wie ein Leit-Text kann auch ein Leit-Bild idealtypisch auf Grundsätze verweisen, die den betrachteten Einzelfällen in der natürlichen Welt (Gesetze und Randbedingungen) und der Lebenswelt (Gesetzmäßigkeiten und Regeln) zugrunde liegen. Ein Bild kann diese Erkenntnisfunktion bekommen, wenn es Irritation schafft und ein Rätsel aufgibt. Beides – Irritation und Rätsel – hängt ab von der Kompetenz und Bereitschaft des Betrachters, sich darauf einzulassen und ob er oder sie in der Lage ist, eine fragende Haltung zum Bild einzunehmen (vgl. Beitrag Schneider in diesem Band). Das unterscheidet ein LeitBild von einem Lehr-Bild: Leit-Bilder liegen aber nicht fertig auf der Straße, sondern müssen als solche entdeckt und konstruiert werden. Leit-Bilder sind

14. Leit-Bilder konstruieren und reflektieren

angewiesen auf Vorwissen, das eine Spannung zum Nichtwissen auflädt. Dieses Vorwissen kann/muss zu Beginn der Kompetenzentwicklung von den Erwachsenen/Lehrenden beigesteuert werden, aber in der Dezenz, die für das Finden eines Rätsels notwendig ist. Würde hier zu viel diktiert, wäre es vermutlich kein motivierendes, aktivierendes und ergebnisoffenes Rätsel mehr, sondern allenfalls eine Schulaufgabe.

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15. Sehendes Sehen Zur Praxis visueller Vermittlung Mirka Dickel

15.1 E inleitung Seit Etablierung des Faches an den Schulen und Universitäten wurde Geographie visuell vermittelt. Gemälde, Fotos, Schemata und Zeichnungen wurden immer schon in Forschungs- und Lernkontexte einbezogen und sprachlich kontextualisiert. Schüler und Studierende wurden seit jeher angehalten, sich auf Bilder einzulassen und ihre Gedanken zum Bild zur Sprache zu bringen (Jahnke 2012a). Allein aufgrund der langen Geschichte der Geographie, das Geographische über Bilder in den Blick zu nehmen und herzuzeigen (Tuan 1979), ist es für den heutigen Geographen und die heutige Geographin, deren Gegenwart und Zukunft in seiner oder ihrer fachlichen Herkunft gründet, notwendig, das Bild(liche) als konstitutives Moment der Geographie zu begreifen. Die Anerkennung des Visuellen als spezifisch geographische Epistemik ist im Wortsinne selbstverständlich, da der Geograph sein Fach, die Geographie, und sich selbst, als jemand, der Geographie treibt, überhaupt nur unter der Berücksichtigung des Anschauungscharakters der Erde verstehen kann. Und jeder Geograph, auch wenn er nur zufällig ein Bild betrachtet, ist immer schon in einen visuellen Vermittlungszusammenhang eingewoben.1 Doch wie lässt sich der spezifisch geographische Umgang mit dem Bild und dem Bildlichen theoretisch beschreiben? Den Ausgangspunkt, an dem

1 | Wenn im Folgenden vom »Geographen« die Rede ist, so sind immer sowohl Fachdidaktiker als auch Fachwissenschaftler gemeint. Wenn von »Forschung« die Rede ist, so ist die Lehre bzw. der Unterricht jeweils mit gemeint. Denn Lernen im eigentlichen Sinne ist forschendes Lernen. Jeder Forschungsprozess, der dieses Wort verdient, ist ein Lernprozess, da sich der Forschende und der Gegenstand der Forschung im Zuge der Forschung verändern.

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meine Überlegungen zur Reflexion der Praxis visueller Vermittlung ansetzen, möchte ich in drei Facetten markieren.

Facette 1: Geographen sind häufig im Besitz umfangreicher privater Bild- und Fotosammlungen. Darüber hinaus gibt es standardisierte Bildkarteien der Fachund Schulbuchverlage für die Geographie, früher waren Motivwandkarten, Diareihen oder Folienbücher im Angebot, heute stehen unendlich viele digitale Bilder online zur Verfügung. Doch wonach entscheiden wir eigentlich, welches Bild ein geographisches ist? Im konventionellen Sinne orientiert sich der Bildbegriff an der »Idee des Abbildes: eine vorausgesetzte Realität spiegelt sich (in welcher stilistischen Verzerrung auch immer) nachträglich in den Bildern« (Boehm 2006a: 327). Bilder werden als »Double« (Boehm 2006b: 16) verstanden, die existierende Dinge noch einmal zeigen, und dienen dem Zweck der Veranschaulichung, der Illustration oder Dokumentation eines Sachverhaltes. Ob ein Bild ein geographisches ist, wird danach entschieden, ob das Bild einen geographischen Sachverhalt oder einen geographischen Gegenstand darstellt. Dieser Bildbegriff ist zwar immer noch sehr verbreitet, er greift jedoch zu kurz. In einem erweiterten Bildverständnis lässt sich der Sinn des Bildes nicht an einem Gegenstand festmachen, den das Bild abbildet oder verdoppelt. Vielmehr trägt das Bild Sinn in sich selbst. Somit lässt sich das Geographische auch nicht an dem Motiv des Bildes festmachen. Das Geographische kommt vielmehr über die Art und Weise ins Spiel, wie der Geograph oder die Geographin sich zum Bild in Beziehung setzt und den Bildsinn freisetzt. Dies erfolgt aufgrund der fachlichen Herkunft in spezifischer Weise, sozusagen in geographischer Manier.

Facette 2: Wenn sich der Geograph auf die Suche nach einem Bild macht, das in einem bestimmten Forschungskontext passend ist, so hat er allenfalls dann von vornherein ein konkretes Bild im Auge, wenn er das Bild als Abbild versteht. Häufig beginnt die Suche nach dem Bild, ohne dass ihm bewusst ist, was eigentlich gesucht wird. Und manchmal merkt er auch erst im Augenblick des Findens, dass er auf ein Bild gestoßen ist, das er (schon lange) sucht. Im Prozess des Suchens kommt er also überhaupt erst dem auf die Spur, was er eigentlich sucht. Oder anders gesagt, im Zuge seiner Findigkeit wird das, was gesucht wird, überhaupt erst hervorgebracht. Auch die sprachliche Bilderschließung im Forschungs- und Lernprozess lässt sich mit der Vollzugslogik verstehen. Der Bildsinn formiert sich, indem wir uns sprachlich auf das Bild beziehen. Wir verfertigen unsere Gedanken beim Sprechen über das Bild. Dies schließt

15. Sehendes Sehen

ein, dass wir beim Zuhören auf den im eigenen Sprechen sich formierenden Sinn des Bildes auch überrascht werden können. Der Augenblick, wenn der Geograph oder die Geographin die richtigen Worte findet, um ein Bild zu beschreiben, geht mit einem Gefühl der Stimmigkeit einher. Umgekehrt tritt bei leerem Gerede über ein Bild mehr oder weniger großes Unbehagen, gar Verzweiflung ein.

Facette 3: Das Gefühl, das sich einstellt, wenn wir mit Bildern umgehen, lässt sich als leibliche Spur beschreiben, die uns über unseren Körper einen Hinweis darauf gibt, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Mit dem »richtigen Weg« ist hier ein Vorgang gemeint, der in sich sinnstiftend ist. Geographen, die in der Beziehung zum Bild ihren Leib als Instrument wahrnehmen und ihrem somatischen Marker (Damasio 1994) vertrauen, agieren keineswegs dilettantisch. Denn aufgrund der Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins sind wir immer schon im Bilde, »in einem Bilde, das sich permanent verändert und daher auch ein immer wieder neues »Sich-(selbst)-ins-Bild-setzen verlangt« (Zahnen 2006: 242). Unser Leib fungiert als Schlüssel, wie wir den Dingen, denen wir Aufmerksamkeit schenken, Bedeutung geben können. Über die Leiblichkeit sind wir in einer vortheoretischen Beziehung zum Sein, zur Sinngebung und Sinndeutung. Mit Polanyi (1978) gesprochen macht sich im leiblichen Spüren ein unausdrückliches Erfahrungswissen oder auch implizites Wissen bemerkbar, ein Wissen, von dem man nicht sagen kann, dass man es weiß. Es handelt sich um ein eingekörpertes Wissen, das einem in Fleisch und Blut übergeht und aufgrund dieser Verinnerlichung ein nahezu reflexionsfreies Tun ermöglicht. Dieses stillschweigende bzw. stumme Wissen um den rechten Umgang mit dem Bild folgt keinem Regelkanon. Tacit knowledge bildet sich als ein Können von innen her im Zuge des praktischen Umgangs. Es ist auf den in der visuellen Praxis Geübten, auf die von ihm gespürten Empfindungen, seine Intuition selbst verwiesen. Meine Reflexion der Praxis visueller Vermittlung nimmt ihren Ausgang somit in einer Situation, in der sich die visuelle Vermittlung als Erkenntnis des Körpers über sinnlich-leibliche Erfahrungen im Zuge (m)einer praktischen Mitgliedschaft im Feld der Geographie konstituiert. Seit Ende des 20. Jahrhunderts reicht es nun aber nicht mehr aus, sich in Fragen visueller Vermittlung allein auf das im praktischen Tun erfahrbare Gespür zu berufen. Im Zuge des pictorial turn (Mitchell 1997) oder iconic turn (Böhm 2006b, 2007), der sich in den Geistes- und Sozialwissenschaften aufgrund der Bilderflut, die unseren Alltag heute bestimmt, vollzog, rückten die Praktiken visueller Vermittlung in den Fokus der wissenschaftlichen Theoriearbeit. Gemäß dem Ideal der streng expliziten Erkenntnis wurde quer durch die Wissenschaftsdisziplinen der An-

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spruch laut, die Praxis visueller Vermittlung auch theoretisch zu beschreiben. Mit der ikonischen Wende begann man sich also reflexiv dem zuzuwenden, was Geographen implizit schon immer wussten. Führte der linguistic turn (Rorty 1967) seit Anfang des 20. Jahrhunderts zur Hinwendung zu sprachanalytisch-philosophischen und linguistischen Positionen mit dem Ziel zu verstehen, wie Wirklichkeiten über Sprache und Sprechen hergestellt werden, geht es aktuell darum, sich bewusst zu machen, dass es jenseits der Sprache ebenfalls Sinn gibt und dass Bilder diesen Sinn anders als Sprache vermitteln. In Bildern wird ein sinnerzeugender Überschuss wirksam, der sich nicht auf das Sagen reduzieren lässt (vgl. Boehm 2010: 15). Die Bilderfrage berührt die Fundamente unserer Kultur und stellt an die »Wissenschaft ganz neuartige Anforderungen […], die sich nicht – mir nichts, dir nichts – befriedigen lassen. Denn das ›Bild‹ ist nicht irgendein Thema, es betrifft vielmehr eine andere Art des Denkens, das sich imstande zeigt, die lange gering geschätzten kognitiven Möglichkeiten, die in nicht verbalen Repräsentationen liegen, zu verdeutlichen und mit ihnen zu arbeiten« (Boehm 2007: 27). Die ikonische Wende stellt auch die Geographie vor neue Herausforderungen. Es geht nun darum, sich auch theoretisch darüber klar zu werden, was es eigentlich heißen kann, Geographie visuell zu vermitteln (vgl. Schlottmann/ Miggelbrink 2009). Ziel dieses Beitrags ist es, besser zu verstehen, worin die visuelle Vermittlung ihren Sinn haben könnte. Dabei geht es nicht darum, einen theoretischen Überbau zu finden, ein Regelsystem, nach dem sich die visuelle Praxis dann ausrichten sollte. Theoriearbeit wird im Folgenden nicht präskriptiv, sondern deskriptiv verstanden. Theorie bildet dann keinen Gegensatz zur Praxis, sondern ihre andere Seite: Es gibt die Praxis visueller Vermittlung, das konkrete Tun, und es gibt die Theorie visueller Vermittlung, die Beschreibung des konkreten Tuns. Die visuelle Praxis theoretisch zu greifen bedeutet somit, über das Reflektieren und Beschreiben besser zu verstehen, was in der Praxis immer schon und »einfach so« geschieht. Angesichts eines im Sommer 2014 von der dpa veröffentlichten Fotos des Karl-Marx-Monumentes (Abb. 15.1), das im Zentrum der Stadt Chemnitz an der Brückenstraße steht, gehe ich im Folgenden verschiedenen Fragen nach. Zunächst frage ich, in welche unterschiedlichen visuellen Praktiken sich dieses Bild einbinden lässt, wie sich diese begreifen lassen und wie unterschiedlich der Sinn des Bildes aus dem jeweiligen Tun hervorgeht. Demgemäß nähere ich mich in Punkt 1 »Zur sprachanalogen Bildpraxis: Das Bild als Text verstehen« den visuellen Praktiken nacheinander in dreifacher Weise: Zuerst stelle ich visuelle Praktiken vor, indem ich exemplarisch auf Vorschläge zur Methodisierung visuellen Erkennens zurückgreife, die als didaktische Handreichungen in den letzten Jahren erschienen sind.

15. Sehendes Sehen

Abb. 15.1: Karl-Marx-Monument in Chemnitz (Quelle: dpa 2014) Um zu verstehen, worin sich diese Praktiken unterscheiden, orientiere ich mich an den Systematisierungen der Bilderschließung der Kunsthistoriker Panofsky und Fiedler. Die Praxis der Bilderschließung zeige ich dann am Beispiel. Deutlich wird, dass alle Praktiken den Sinn des Bildes im (sprachlichen) Außen suchen. Ich frage von hier aus weiter, wie das Bildliche des Bildes verstanden werden kann. Dazu wende ich mich von dem sprachlichen Sinn der Bilder ab und wende mich dem Sinn zu, über den Bilder wahrgenommen werden, dem Gesichtssinn bzw. dem Sehen. In Punkt 2 geht es also um die phänomenologi-

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sche Bildpraxis bzw. darum, das Bild als Bild zu verstehen. Diese PhänomenLogik verdeutliche ich mithilfe der Einteilung der Sehordnungen nach Imdahl in das Wiedererkennende Sehen und das Sehende Sehen und ihrer Zusammenführung in der Ikonik. Lag der Fokus bisher auf dem differenzierten Verstehen visueller Praxis, verschiebt sich der Blickwinkel in Punkt 3. Ich frage danach, was eigentlich gemeint ist, wenn von visueller Vermittlung die Rede ist. In »Visuelle Vermittlung als Haltung« geht es darum, Vermittlung dreifach zu verstehen, als Vermittlung von Erfahrung, als Vermittlung von Text- und Phänomen-Logik und als Vermittlung als Dialog. Deutlich wird abschließend, dass die Praxis visueller Vermittlung auf die Haltung der Offenheit verwiesen ist.

15.2 Z ur spr achanalogen B ildpr a xis : D as B ild als Te x t verstehen 15.2.1 Der raum- und subjektzentrierte Blick Sitte (2006) schlägt in Anlehnung an Theissen (1986) und Haubrich (1995) zehn Sachschritte vor: 1. Stilles Einlesen, 2. Spontanäußerungen, 3. Genaueres Beschreiben einzelner Bildelemente nach Vorder-, Mittel- und Hintergrund, 4. Benennen der Bildinhalte mit richtigen Begrifflichkeiten, die vom Lehrer oder im Text zur Verfügung gestellt werden, 5. Weiteres Beobachten, Ergänzen, Ordnen, 6. Deuten der Bildinhalte, indem unter Heranziehen des Vorwissens Funktionen, Relationen, Prozesse und Strukturen gefunden und begründet werden, 7. Überprüfen und Richtigstellen oder Verwerfen der Deutungen eventuell mit zusätzlichen Informationen, auf die der Lehrer aufmerksam macht bzw. die er zur Verfügung stellt, 8. Verorten des Bildes entlang einiger Indizien wie z.B. Relief, Vegetation, Gesichtszüge, Kleidung, Bauten, 9. Festigen der Ergebnisse z.B. durch Anfertigen einer Graphik, einer Tabelle, 10. Abschließende Bewertung mit Thematisierung der Absicht des Bildproduzenten oder den beim Anschauen entstandenen Bezügen zur Innenwelt der Betrachtenden. Für Hieber/Lenz (2007) ist das Bild der Ort, an dem der Schüler und die Schülerin den fachspezifischen Inhalten begegnen. Nach Weidenmann (1991) unterscheiden sie zwei Stufen des Bildverstehens. Beim »Natürlichen Bildverstehen« erkennt der Betrachter mithilfe der Schemata, die er im Umgang mit der Welt erworben hat, etwas auf dem Bild wieder. Beim »indikatorischen Bildverstehen« entschlüsselt die betrachtende Person gezielt die Mitteilungen bzw. Indikatoren, die die Lehrperson für den Lernprozess als bedeutsam erachtet. Das Bild wird entlang bekannter oder noch zu erlernender geographischer Ordnungsmuster verstanden. Die Aufmerksamkeit der betrachtenden Person

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wird so gelenkt, dass es zunehmend eigenständiger gelingen kann, geographische Strukturen und Sachverhalte im Bild zu sehen. Über diese Bildpraxis wird der betrachtenden Person eine raumzentrierte Brille mit der ihr eigenen Sehschärfe angepasst. So soll die geographische Analyse und Interpretation von Bildern nach Hoffmann (2009: 68) »letztlich zu folgenden Erkenntnissen führen: Lagemerkmale, räumliche Verbreitungsmuster, raumwirksame Kräfte, raumzeitliche Ereignisse und Veränderungen, räumliche Wirkungsbeziehungen und -gefüge«. Geiger (2007: 126) zielt auf das Einnehmen sechs geographischer Sichtweisen ab: positionell, strukturell, dynamisch, prozessual, funktional, systemisch. Dickel/Hoffmann (2012) stellen subjektzentrierte Aufgaben vor. Beim »Fünf -Sinne-Check« wird das Bild als Appell an unsere fünf Sinne aufgefasst: Was sieht man, was lässt sich im Zusammenhang mit dem Bild hören, schmecken, riechen, fühlen? Bei der »Annäherung an eine Person im Bild« wird die dargestellte Person interviewt. In der »Verdrehten Perspektive« versetzen sich die Schüler in eine Person, ein Tier oder einen Gegenstand im Bild und formulieren Gedanken und Fragen gegenüber der betrachtenden Person: Was denkt er/sie/es über den, der das Bild betrachtet? Was über die Welt, die aus dem Bild heraus gesehen wird? Diese subjektzentrierte Bildpraxis setzt nur scheinbar im Subjekt an. Vielmehr sprechen die gesellschaftlichen Ordnungs- und Wertungsmuster gleichsam durch die betrachtende Person des Bildes hindurch. Sein Denken, Handeln und Fühlen ist diskursiv präformiert, auch wenn ihm diese Prägung nicht bewusst ist. Beide Bildpraktiken kombinieren zwei Ebenen der Bildinterpretation nach Panofsky: die vorikonographische Beschreibung und die ikonographische Analyse. Die Leitfragen der vorikonographischen Beschreibung des Bildes lauten »Was sehe ich?« bzw. »Was ist dargestellt?«. Der Bildbetrachter beschreibt das »primäre oder natürliche Sujet«, also die dargestellten Objekte und Ereignisse, das, was er sieht, ausgehend von seiner eigenen Erfahrung. Er erfasst Personen, Tiere, Gegenstände und Räumlichkeiten. Darüber hinaus kann er das Gefühl benennen, das mit der Mimik einer Person einhergeht, wie z.B. Trauer, Freude, Wut. Panofsky unterscheidet also ein tatsachenhaftes und ein ausdruckshaftes Subjekt (Panofsky 1979: 214). Leitfrage der ikonographischen Analyse Panofskys lautet: »Was bedeutet das Dargestellte?« (Panofsky 1979: 210). Die bildbetrachtende Person muss mit bestimmten Themen oder Vorstellungen vertraut sein, die sie dann auf die Motive im Bild anwendet. Falls die betrachtende Person zu bestimmten Themen kein Wissen zur Verfügung hat, so muss sie es sich aneignen bzw. sich damit vertraut machen, was die produzierende Person des Bildes zur Zeit der Herstellung des Bildes beschäftigt haben könnte (vgl. Panofsky 1979: 218). Das vorikonographische Verständnis des Bespielbildes konfrontiert uns mit einer etwa 7 m hohen und schweren Plastik, einem frei stehend modellierten Kopf mit

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ernstem, fast düsterem Ausdruck, auf einem drei Meter hohen Sockel. Das Gesicht ist in schwarzen Stein gemeißelt. Auf den Wangen sind drei parallele Striche in den Farben schwarz, rot und gelb angebracht. Der Sockelquader ist von einer weißen Plastikhülle mit schwarz-rot- gelben Streifen, mit einem Emblem »Nr. 1 Fan« und einem Schriftzug »Mercedes-Benz« überzogen. Das Gesicht der Statue wirkt erhaben. Im Vordergrund befinden sich zwei Passanten, ein Radfahrer und eine Fußgängerin, die ihren Blick zur Plastik gewendet haben. Zur ikonographischen Analyse des Beispielbildes: Zu sehen ist das 1971 eingeweihte Karl-Marx-Monument des Künstlers Lew Kerbel, das im Stadtzentrum von Chemnitz vor dem ehemaligen Dienstsitz der SED-Bezirksleitung steht. Am Gebäude im Hintergrund ist eine Wandtafel angebracht, deren unterer Rand im Bild zu sehen ist, die einen in verschiedene Sprachen übersetzten Spruch aus dem Kommunistischen Manifest trägt: »Proletarier aller Länder vereinigt euch«. Während der Fußballweltmeisterschaft verhüllte die Stadt Chemnitz in Zusammenarbeit mit der Werbeagentur »Zerba« die Karl-Marx-Büste im Rahmen der Werbekampagne »Die Stadt bin ich« in ein Fußballtrikot und beklebte die Wangen in den Farben schwarz, rot und gold.

15.2.2 Der diskursanalytische Blick In der Folge des linguistic turn veränderte sich die Auffassung vom Bild. Auch in der Geographie werden Bilder seitdem nicht länger als »statische Nachformung« (Boehm 2006b: 33) oder Abbilder der Wirklichkeit betrachtet. Sie werden vielmehr als Ausdrucksformen »mentaler« oder auch »innerer« Bilder, also als Kommunikationsmittel bzw. Zeichen (Nöthen/Schlottmann 2013: 30) verstanden. Bilder bilden Raum nicht ab, sie stellen Räumlichkeiten her bzw. bringen diese zum Ausdruck. In der Bildpraxis gilt es demzufolge, diese Ausdrucksformen kritisch zu reflektieren im Hinblick auf typisierende Darstellungsweisen, Produktionsprozesse, Verbreitungs- und Platzierungsstrategien sowie Praktiken der Rezeption, mögliche Mitteilungsabsichten, Manipulation und (Macht-)Interessen (Nöthen/Schlottmann 2013: 30; Jahnke 2012b und 2013; Miggelbrink/Schlottmann 2009). Die Bilddiskursanalyse interessiert sich »weniger für das einzelne Bild, auch wenn sie möglicherweise nur ein einziges Bild analysiert […], sondern vielmehr für gesellschaftliche Ordnungsund Positionierungsverhältnisse, innerhalb derer Bilder Funktionen im Hinblick auf gesellschaftliche Sichtbarkeitsverhältnisse haben« (Miggelbrink/ Schlottmann 2009: 183). Zur Einübung des diskursanalytischen Blicks schlägt Nöthen (2012) u.a. die Methode der Bildrecherche und die Methode des Bild-Mindmappings vor. Die Bildrecherche folgt der Frage »Wie könnte ein Bild anders aussehen?«. Einem Bild werden weitere Bilder zum selben Ereignis zur Seite gestellt, die dann z.B. nach den Kriterien Motiv, Farbe, kompositorisches Muster geordnet werden.

15. Sehendes Sehen

In der anschließenden Diskussion wird thematisiert, »welche Darstellungstypen, welche Informationen zum Ereignis vermitteln und in welchen Zusammenhängen die jeweiligen Darstellungen ihren Einsatz finden könnten. Auf Basis der dokumentierten Bildquellen werden die Ergebnisse der Diskussion überprüft. So reflektieren die Betrachter sowohl die Wirkung der Bilder als auch unterschiedliche Intentionen von Medienformaten« (Nöthen 2012: 25). Beim Bild-Mindmapping geht es um das Bildassoziationsfeld, konkret um die Frage, »welche visuellen Traditionen […] durch das Bild aufgerufen« werden. Die betrachtenden Personen sollen kulturelle, gesellschaftliche oder politische Kontexte eines Bildes offenlegen, indem sie aufzeigen, welche Bildelemente sie aus anderen Kontexten kennen und welche Konnotationen das Bild durch diese Visiotype (Pörksen 1997) bekommt. Auch Jahnke (2008, 2011, 2012a) schlägt eine diskursanalytische Methodik im Hinblick auf die Bilderschließung vor. In dem Projekt »Geophotographie« arbeitet er mit Digitalkameras, um anhand selbst gemachter Fotos die Beobachtungsmodi der Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion zu reflektieren. Er weist sieben Phasen aus: 1. Ein Phänomen aufnehmen, 2. Ein Phänomen photographisch erfassen, 3. Ein Phänomen im Bild konstruieren, 4. Ein Phänomen im Bild räumlich konstruieren, 5. Ein Phänomen thematisch konstruieren, 6. Ein intentionales Raumbild konstruieren, 7. Ein strategisches Raumbild konstruieren. Die diskursanalytische Bildpraxis entspricht mit der Leitfrage »Worauf verweist das Dargestellte?« der ikonologischen Interpretation Panofskys. Diese Interpretationsebene zielt auf die »eigentliche Bedeutung oder (den) Gehalt« (Panofsky 1979: 211) des Bildes. Der ikonologische Bildsinn schließt das ikonographische Wissen ein und geht darüber hinaus. Das Bild ist eine Ausdrucksform für zeitgenössische Geisteshaltungen, die zur Entstehungszeit des Bildes als Ideen auch in anderen Bereichen, wie z.B. in der Politik, in der Literatur und Poesie, in der Religion, in der Philosophie hervortreten. Der Bildbetrachter soll nun diese grundlegenden Prinzipien »einer Nation, einer Epoche, einer Klasse, einer religiösen oder philosophischen Überzeugung« (Panofsky 1979: 211), die hier verdichtet und durch die Persönlichkeit des Bildherstellers modifiziert zur Darstellung gebracht werden, herausschälen. Beim Beispielbild ist neben der Imagekampagne zur Vermarktung der Stadt Chemnitz ikonologisch relevant, dass die Plane nachts entwendet und der Spruch »Arbeiter haben kein Vaterland« darauf gesprüht und hinter der ehemaligen SEDBezirksleitung entsorgt wurde. Diese Ereignisse lassen sich als Ausdruck des Zusammenhangs von gesellschaftlichen (Wissens-)Ordnungen, Raum und Macht verstehen. Konkret ist die Verkleidung der Statue eine Maßnahme neoliberaler Stadtpolitik, d.h., dass das Politische in anderen Bereichen als der Politik, z.B. in der Art und Weise der Präsentation des Karl-Marx-Denkmals, sichtbar wird. Die an indianische Kriegsbemalung erinnernde Wangenbemalung der Büste und der Akt der Zerstörung und Entsorgung des Trikots ist ein Zeichen des Kampfes um die

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Deutungshoheit des öffentlichen Platzes bzw. des Widerstandes gegen die Praktiken politischer Einflussnahme, des »Regierens durch Raum« (Reuber 2011: 807). Das Durchsetzen des neuen Trikots an den Tagen der Deutschlandspiele lässt sich interpretieren als Wiederherstellung der städtischen Einflussnahme und Kontrolle unter den spezifischen lokalpolitischen Bedingungen. Die Brisanz wird dadurch zugespitzt, dass Karl-Marx, der Vertreter der Kapitalismus- und Nationalismus-Kritik, hier in doppelter Weise zum Werbeträger für den Kapitalismus und Nationalismus wird. Zum einen wird die Büste in die Praxis rund um das kapitalistische und nationalistische Großereignis »Fußball-WM« eingebettet. Zum Zweiten fungieren diese Praktiken in einem Rahmen wettbewerbsorientierten Stadtmarketings.

15.2.3 Der formanalytische Blick In der Formanalyse geht es um die Analyse der Gestaltung des Bildes und seiner Wirkung. Die betrachtende Person erschließt das Bild hinsichtlich der Komposition und erörtert die Wirkung der Gestaltungsmittel auch im Hinblick auf die Darstellung der Inhalte (z.B. neoliberale Stadtpolitik) und die damit verbundene Vorstellung von Geographie (Politische Geographie, Gouvernementalität, Neoliberalisierung). Die Bedeutung der formalen Interpretationsweise wird z.B. von Konrad Fiedler (1997) herausgestellt, die planimetrische Komposition, der Auf bau eines autonomen Blick- und Bildraumes mithilfe von Linien, Farben und Ebenen sind hier die entscheidenden Bildmittel (vgl. Waldenfels 2006: 235). Günzel weist darauf hin, dass die Formanalyse zwar im Bild ansetzt, indem sie nach der bildimmanenten Bedeutung bzw. nach dem Sinn des Bildes fragt. Jedoch bleibt sie immer noch dem Paradigma der Sprache verpflichtet. Die Hinwendung zum »Bildsinn anstelle der Bildbedeutung stellt zwar den Versuch dar, der Leistung des Bildes als einem synchronistischen Präsentationsmedium gerecht zu werden, die Weise, in der das Potential der Bilder analysiert wird, ist letztlich aber nicht bildspezifisch« (Günzel 2009: 124). Auch Nöthen (2012) sieht die Formanalyse »bloß« als eine Methode der diskursanalytischen Perspektive aufs Bild gemäß der Frage »Was zeigt das Bild wie?«. Veranschaulicht man sich den Auf bau des Beispielbildes, so fallen zwei Kompositionsprinzipien ins Auge: Die Linien, die sich im Profil des Gesichts (Augenbrauen, Augen, Wangenbemalung, Schnäuzer) andeuten, weisen in v-Form nach unten. Der Gesichtsausdruck wirkt schwer, finster, unerbittlich. Im Trikot ist die ʌ-Form in umgekehrter Richtung aufgenommen. Diese Aufwärtsbewegung wirkt leicht, locker, spielerisch. Dieser Gegensatz wird verstärkt durch die düstere Farbe des Kopfes im Unterschied zum hellen Trikot. Die Wangenbemalung ist ein verbindendes Element, welches Skulptur und Sockel als Ganzes erscheinen lässt. Durch die Froschperspektive schaut die betrachtende Person zu Marx auf, sodass dieser uneinnehmbar wirkt.

15. Sehendes Sehen

Indem das Trikot Marx übergestülpt und die Kriegsbemalung aufgetragen wurde, triumphieren die nationalistischen und kapitalistischen Praktiken über Marx, letztlich triumphiert die kapitalistische über die kommunistische Ideologie.

15.3 Z ur phänomenologischen B ildpr a xis : D as B ild als B ild verstehen 15.3.1 Sehendes Sehen Betrachten wir die vorgestellten Bildpraktiken nun noch einmal mit etwas Abstand, so wird erkennbar, dass den Praktiken Vorstellungen darüber eingeschrieben sind, wo das Bildliche zu finden ist. Alle Praktiken gehen davon aus, dass sich das Bildliche im (sprachlichen) Kontext des Bildes befindet. Die Kategorien für die Bedeutung des Bildes werden außerhalb des Bildes gewonnen, die betrachtende Person erkennt etwas im Bild wieder, das sie aus einem anderen Kontext kennt. Der Sinn des Bildes wird also sprachanalog erfasst. Die Bedeutung des Sehens für das Erscheinen des Bildsinns wird so aber unterschlagen. Zu sehen heißt im phänomenologischen Sinne, sich für die immer neuen Vollzüge dessen, was sich zwischen Bild und betrachtender Person im Zuge der Erfahrung ereignet, zu öffnen. Im sich vollziehenden Sehen tritt nicht nur das Bild in immer neuen Weisen in Erscheinung, auch die betrachtende Person bleibt nicht die, die sie war. Der in der Kunstgeschichte von Imdahl stark gemachte Begriff des »Sehenden Sehens« verdeutlicht, dass es beim Sehen des Bildes um ein Sehen des Sehens geht, also darum, wie sich das Bild im Sehakt überhaupt erst konstituiert. Ein Sehen, das nicht bloß eine Welt widerspiegelt, sondern sie mit hervorbringt, ist selbst ein Tun, ein selbstempfundenes Sichbewegen, das Husserl Kinästhese nennt. Augenbewegung und Blickführung, Tastversuche und Erkundungsgänge mitsamt dem vielfältigen Register der Leiblichkeit kommen bei jedem Sehakt mit ins Spiel. (Waldenfels 1989: 332)

Imdahls Vorstellung ist auch deshalb für unseren Zusammenhang so interessant, da er das Sehende Sehen nicht losgelöst von etablierten visuellen Deutungsmustern denkt. In seinem Modell geht es letztlich um die Integration der unterschiedlichen Formate und der semantischen und syntaktischen Bildpraxis, der Sprach-Logik und der Phänomen-Logik, die den Sinn des Bildes als etwas versteht, das sich im Vollzug des Sehens zwischen betrachtender Person und Bild bildet und umbildet. Um diesen Gedanken auch methodologisch stark zu machen, unterscheidet Imdahl in seinem methodischen Schlüsselkapitel »Ikonographie, Ikonologie, Ikonik« des »Giotto-Buches« (Imdahl 1980: 84-98) zwei Ordnungen des Sichtbaren, das Wiedererkennende Sehen und das

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Sehende Sehen. Diese Unterscheidung wurde theoretisch von Konrad Fiedler vorbereitet (vgl. Boehm 1995: 26) und ist nicht auf die Erschließung künstlerischer Bilder oder Gemälde beschränkt, sondern stellt einen »grundsätzlichen methodischen Ansatz« (Waldenfels 2006: 246) dar. Das Wiedererkennende Sehen entspricht der ikonographisch-ikonologischen Methode Panofskys, die sich mit der semantischen Analyse eines Bildes beschäftigt. Im Sehen werden vorgefasste Konzepte bloß eingelöst, da die Gesetze des Sichtbaren nicht dem Bild selbst entstammen (Waldenfels 2006: 234). Das Sehende Sehen berücksichtigt auch »den formalen Bildsinn, die Syntaktik des Bildes: die Art und Weise, wie etwas dargestellt ist« (Waldenfels 2006: 235). Um zu zeigen, dass das Sehende Sehen zwar im Bild selbst ansetzt, aber mehr erfordert als die Formanalyse des Bildes, fügt Imdahl die beiden Sehordnungen wieder zusammen und bezeichnet die Synthese beider Modi des Sehens als erkennendes Sehen. Diese Vermittlung beider Sehweisen und Bildaspekte nennt Imdahl Ikonik. »Der Ikonik wird das Bild zugänglich als ein Phänomen, in welchem gegenständliches, wiedererkennendes Sehen und formales, sehendes Sehen sich ineinander vermitteln zur Anschauung einer höheren, die praktische Seherfahrung sowohl einschließenden als auch prinzipiell überbietenden Ordnung und Sinntotalität« (Imdahl 1980: 92f). An anderer Stelle führt er aus: Selbstverständlich bilden Ikonographie und Ikonologie einerseits und Ikonik andererseits keinen Gegensatz. […]. Während aber Ikonographie und Ikonologie dasjenige aus den Bildern erschließen, was ihnen als Wissensinhalte vorgegeben ist, was vom Beschauer gewusst werden muss und sich durch Wissensvermittlung mitteilen lässt, versucht die Ikonik eine Erkenntnis in den Blick zu rücken, die ausschließlich dem Medium des Bildes zugehört und grundsätzlich nur dort zu gewinnen ist. Ikonographie und Ikonologie reduzieren das an Bildern Erkennbare auf das Nur-Wißbare (sic.!), die Ikonik will dagegen zeigen, dass das Bild seine ihm vorgegebenen Wissensinhalte in einer Weise überbietet, der durch Wissensvermittlung allein nicht mehr gesprochen werden kann. (Imdahl 1980: 97)

»Die Rede vom Ikonischen meint nie, dass es sich der Sprache entzieht, sie meint vielmehr, dass eine Differenz gegenüber der Sprache ins Spiel kommt.« (Boehm 2007: 31) Diese ikonische Differenz realisiert sich über die dynamischen und offenen Zwischenräume (Boehm 2010: 292), die im Zuge der wechselseitigen Bestimmung beider Modi des Sehens aufklaffen. In der Geographie liegen verschiedene Ansätze vor, die eine Verschränkung der verschiedenen Analyseebenen des Bildes vorschlagen, z.B. Hoffmann (2011), Jahnke (2011, 2012a), Dickel/Hoffmann (2012), Dickel/Jahnke (2012). Zahnen (2006) führt am Beispiel der Physischen Geographie aus, wie sich geographische Forschung als einen Vollzug dessen verstehen kann, immer wieder neu ins Bild zu kommen.

15. Sehendes Sehen

Ikonisch relevant ist bei dem Beispielbild, dass der betrachtenden Person Marx als unterlegen und überlegen zugleich erscheint. Seine Macht zeigt sich in der würdevollen Größe und Standhaftigkeit, die sich zum einen durch die Größenrelation zu den ihn betrachtenden Passanten zeigt, zum anderen in der Größe, mit der er die Ereignisse über sich ergehen lässt. Seine Ohnmacht zeigt sich darin, dass er den Ereignissen ausgeliefert ist, er sie über sich ergehen lassen muss. Die Macht der Akteure zeigt sich in der zweckorientierten Verwendung der Statue, ihre Ohnmacht in ihrem Unvermögen, der Statue ihre Größe und Standhaftigkeit zu nehmen, da sie das Spiel dieser Verwendung erträgt. Imdahl spricht von »Übergegensätzlichkeit« (Imdahl 1996: 312), wenn die Macht in der Ohnmacht und die Ohnmacht in der Macht sichtbar werden. Diese Übergegensätzlichkeit wird ikonisch geschaut, sie lässt sich sprachlich nicht vermitteln. Im Zuge des Sehenden Sehens tun sich auch weiterführende Fragen auf, z.B. nach der angemessenen Art und Weise im Umgang mit einem Denkmal, das an ein anderes politisches System erinnert, oder nach der Vermittlung von Ideologie, die durch die Architektur der Plätze und Gebäude – mehr oder weniger verborgen – zutage tritt.

15.3.2 Das Bild als Ort der Erfahrung Waldenfels (2006) verdeutlicht, unter welchen Voraussetzungen das Sehende Sehen nicht bloß wiedererkennt, sondern ein neuartiges Sehen sein kann. Aus einer phänomenologisch bildwissenschaftlichen Position heraus wird das Bild nicht bloß als Gegenstand unserer Umwelt verstanden, sondern als etwas, das in seinem Sein auf die menschliche Subjektivität verweist. Das Eigentümliche der visuellen Vermittlung findet seinen Sinn nicht im Inhalt, sondern in der Art und (Erfahrungs-)Weise, im Bild zu sehen. In der Auseinandersetzung mit der Bilderfahrung geht es weniger um das Bild an sich, als vielmehr um ein Verhältnis, das sich zwischen dem Bild und der betrachtenden Person bildet und umbildet, es geht um den Akt der Bilderfahrung selbst. Die Bilderfahrung ist auf einen Blick verwiesen, nicht als subjektiven Sehakt, sondern als Sehereignis. Damit verschiebt sich die Frage, was ein Bild ist, hin zu der Frage, wie das Bild als Ort unserer Erkenntnis fungiert (vgl. hier und im Folgenden Dickel 2013, 63 und 67ff). Dem Bild haftet dem französischen Kunsthistoriker und Philosophen Georges Didi-Huberman (1999) zufolge etwas Unzugängliches an. Indem Didi-Huberman davon ausgeht, dass wir das, was wir nicht sehen, was sich unseren Augen entzieht, spüren und fühlen können, betont er die taktile Dimension des Sehens, die sich in einem Ergriffen-Werden durch Bilder zeigen kann. Ein Bild ist somit nicht Sichtbarkeit durch und durch, sondern ein Bild ist mehr und anderes als reine Sichtbarkeit. Die visuelle Erfahrung tritt auch nach Waldenfels (2010: 43) nie rein visuell auf, sondern nimmt die ganze Leiblichkeit in Anspruch. Sie geht von einem Anreiz aus, einem An-Reiz, der die erfahrende Person aufstört und auf sie irritierende Wirkung hat. In der Bild-

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wirkung fungiert das Bild als Reizmittel. »Vom Anreiz geht ein Sog aus, der intentionale wie affektive Wirkungen zeitigt, die sich erst in nachträglicher Analyse in kognitive und emotionale, in deskriptive und präskriptive Anteile aufspalten. Die originäre Verquickung dieser Elemente findet ihren Ausdruck in dem Mischbegriff der Affektion.« (Waldenfels 2010: 71) Das Bild richtet sich somit an die betrachtende Person, sie wird von dem Bild erblickt und pathisch affiziert. Eine überraschende und neuartige Erfahrung geht nicht von einem intentional gerichteten und geregelten Akt eines Subjekts aus, das ein Bild betrachtet. Vielmehr entspringt die Erfahrung einem Ereignis des Sichtbarwerdens. Etwas macht sich bemerkbar, etwas fällt mir auf und dann merke ich auf (Waldenfels 2010: 110). Um zu erfassen, wie Bilder als Bilder wirken, wie sie uns als Bilder überraschen, geht Waldenfels bei der Bilderfahrung von einem Doppelereignis aus, das aus Pathos und Response besteht. Der Vorgang, dass mir etwas auffällt, bezeichnet Waldenfels als Pathos, als Widerfahrnis oder als Affektion. Es bezeichnet etwas, das uns geschieht. Wir werden von etwas getroffen (Waldenfels 2002: 33). Der zweite Pol der Erfahrung ist die Response, eine Erwiderung. In der Response antworten wir auf etwas, von dem wir angezogen, bewegt, getroffen, gerührt, affiziert wurden, wir antworten auf etwas, das uns bewegt, uns fehlt, sich uns entzieht und uns eben dadurch affiziert und anrührt (Waldenfels 2004: 136). Die Antwort vollzieht sich nicht als bloße Widerspiegelung der Widerfahrnis. Vielmehr ist die Erfahrung in sich brüchig und verschoben. An den Bruchstellen der Erfahrung ereignet sich etwas, über das wir nicht verfügen können. Es entstehen neue Differenzierungen, die Waldenfels als zeiträumliche Verschiebung oder als Diastase bezeichnet. »Diastase bezeichnet einen Differenzierungsprozess, in dem das, was unterschieden wird, erst entsteht.« (Waldenfels 2004: 174) Anders gesagt: In der Diastase bilden sich Zeit und Raum neu. Vorgängigkeit und Nachträglichkeit gehören zum Zickzackkurs einer jeden kreativen Erfahrung (Waldenfels 2010: 11). In der Umwandlung dessen, wovon ich getroffen bin, in das, worauf ich antworte, entsteht ein Zwischenbereich. In diesem Zwischenbereich vollzieht sich Bildung im Sinne einer ästhetischen Selbstbildung (Sabisch 2009: 71).

15.4 V isuelle V ermittlung als H altung Wie lässt sich nun anknüpfend an die Ausführungen verstehen, worin die visuelle Vermittlung des Bildes ihren Sinn haben könnte? Gehen wir zunächst vom Wortsinn aus. Ver-mitte-lung bedeutet, dass etwas (in der) Mitte (lat. Medium) oder Mittler ist. Im Folgenden werden drei Ebenen visueller Vermittlung differenziert, die nicht losgelöst voneinander zu denken sind, sondern immer schon auf vielfältige Weise miteinander verhäkelt sind.

15. Sehendes Sehen

Vermittlung von Erfahrung Die Logik der Bilderfahrung ist in einem doppelten Sinne auf den Blick verwiesen: auf den Blick der schaffenden Person, die dem Bild seine Signifikanz und Aussagekraft verleiht, und auf den Blick der betrachtenden Person, die von dem Blick affiziert und modelliert wird (vgl. Heßler/Mersch 2009: 42). Diese doppelte Blickbewegung konstituiert die Erfahrung. Das Bild vermittelt zwischen dem Blick der schaffenden Person und dem Blick der betrachtenden Person. Es tritt als Drittes dazwischen und überträgt etwas, das sich dem unmittelbaren Zugriff verweigert. In das Bild ist das implizite Wissen der schaffenden Person als Spur eingeschrieben. Oder anders gesagt: Die schaffende Person legt ihr Blick im Bild nieder. Das Wahrgenommene ist nicht unmittelbar sichtbar, vielmehr teilt es sich der beobachtenden Person mit. Diese Mitteilung formiert sich in einem Bild, in einem Dritten, das sich zwischen Gegenstand und betrachtende Person schiebt und in seiner Gestaltung bzw. Inszenierung etwas zur Ansicht gibt. Neben der ästhetischen Dimension, welche der Produktion des Bildes immanent ist, gibt es die ästhetische Dimension aufseiten der betrachtenden Person vor dem Bild. Es ist nicht das Bild, das sehend macht, sondern dass der Anblick des Bildes auf den Blickwinkel der betrachtenden Person verwiesen ist. In der Auseinandersetzung mit der Bilderfahrung geht es weniger um das Bild an sich als vielmehr um ein Verhältnis zwischen dem Bild und der betrachtenden Person, es geht um den Akt der Bilderfahrung selbst, nicht als subjektiven Sehakt, sondern als Sehereignis.

Vermittlung von Text- und Phänomenlogik Das Bildliche lässt sich nicht denken, ohne dass wir den Bezug zur Sprache herstellen. Vielmehr ist es so, dass wir die visuelle Praxis als ein Vorgehen verstehen müssen, in dem der Akt des Zeigens in ein Sagen umschlägt (vgl. Boehm 2010: 16). Wir rekurrieren hier auf Sprache nicht im sprachanalytischen Sinne, sondern als Vollzugspraxis: Sprache bildet das Gezeigte nicht ab, vielmehr wird das, was sich zeigt, im Prozess der sprachlichen Verfertigung überhaupt erst als solches hervorgebracht. Um den Bildsinn aufzuspüren, müssen wir uns offen halten, so Boehm (2006a: 327), für »die staunenerregende Realität des Ikonischen«. Visuelle Vermittlung hat also keine Frontenbildung zwischen den Praktiken, die das Bild als Text lesen, und jenen, die das Bild als Bild sehen, im Sinn. Denn das Bild »ist so wenig unschuldig oder unmittelbar wie das Auge, sondern mit Kontexten des Denkens, des Geschlechts, der Kultur, der Ideologie, der Rede vielfältig verknüpft« (Boehm 2007: 31). Diese visuelle Erfahrung ist also auf vielfältige Weise in den kulturellen und fachlichen Verständigungsprozess eingebunden. Die Spannung zwischen dem Bildlichen

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und Begrifflichen des Bildes führt zu einer gegenseitigen Beflügelung, ohne dass diese Spannung jemals aufgehoben werden kann.

Vermittlung als Dialog Die visuelle Vermittlung ist auf unseren je eigenen Blick verwiesen, insofern er sich offen hält für etwas, das sich figuriert, von dem wir aber im Vorhinein nicht sagen können, was es ist (vgl. Dickel 2013). Die Praxis visueller Vermittlung ist auf eine Haltung verwiesen, die sich u.a. dadurch auszeichnet, dass sich der Forscher auf die Unbestimmtheit des Bildes einlässt und mit der Unvorhersehbarkeit der Vermittlung einen Umgang finden kann. Damit verbunden ist die Bereitschaft zum Wagnis, sich für den Spielraum zwischen sich und dem Bild zu öffnen und sich im Zuge der Bilderfahrung selbst aufs Spiel zu setzen, da eine Bilderfahrung zu machen, immer schon heißt, sich selbst zu verändern. In diesem »Dialog« kommt die Potentialität des Bildes überhaupt erst zum Ausdruck (vgl. Dickel 2014). Der Begriff »Potentialität« weist darauf hin, dass »der gleiche Gegenstand, je nach Sichtweise und Einstellung, ganz verschieden zu zeigen vermag und dabei doch seine Identität behauptet. Er verfügt über das Potential, sich in verschiedenen Ansichten zu zeigen« (Boehm, 2010: 210). Bezogen auf das Bild ist damit nicht bloß gemeint, dass sich das Bild unterschiedlichen bildbetrachtenden Personen in verschiedenen Ansichten zeigt, sondern auch, dass sich ein Bild ein und derselben bildbetrachtenden Person nacheinander in unterschiedlichen – gleichwohl nicht beliebigen – Ansichten zeigen kann. Im Zuge der visuellen Erfahrung vermittelt sich Lernen im Sinne einer »Umstrukturierung des Vorwissens« als »Umlernen« (Meyer-Drawe 1996: 89). Notwendig ist die Offenheit der betrachtenden Person für den sich figurierenden Bildsinn. Das Aufschließen des Visuellen führt gerade nicht zu einer Vergewisserung des derzeitigen Selbstund Fachverständnisses, sondern es öffnet uns über den Sinn für die Möglichkeiten des Bildes für unsere eigenen Möglichkeiten und es öffnet darüber das Fach Geographie für seine Zukunft.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 2.1

»Tod mit Pfeife«; Holzschnitt aus der Schedel’schen Weltchronik 1493

Abb. 2.2

Kaufhaus Schocken in Stuttgart von Erich Mendelsohn (1928)

Abb. 2.3

Entwurf für einen Justizpalast mit unterirdischem Gefängnis von Boullée

Abb. 3.1

Bild vom Schild

Abb. 3.2a

Visuelle Raumordnung, (Irische Nationalfahne) »Political status now«

Abb. 3.2b

Visuelle Raumordnung, (Bordsteinkante in den Farben des Union Jack)

Abb. 3.3

Peacewall

Abb. 3.4a

Belfast Murals – (»You are now entering loyalist Sandy Row«)

Abb. 3.4b

Belfast Murals, (»Wear an easter lily«)

Abb. 4.1

Die Darstellung europäischer nationaler Charaktere in einer Verschmelzung von Kartographie und Karikatur

Abb. 4.2

John Gast, »American Progress« (1872)

Abb. 4.3

Die räumliche Ausdehnung der Empathie mit immer weiter gefassten Kollektiven im Verlaufe der Geschichte der Menschheit

Abb. 5.1

Seminarankündigung

Abb. 5.2

Landschaftsmotiv auf einem Smartphone

Abb. 6.1

Durchschnittliche Kinderzahl je Frau 2001

Abb. 6.2

Bevölkerungsentwicklung in Deutschland von 1970 bis 2009

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Visuelle Geographien

Abb. 6.3

Japan und die bevölkerungsreichsten Länder der Erde, Einwohner in Millionen, 1950, 2010 und 2050

Abb. 6.4

Wie sich Deutschlands Bevölkerung von heute bis 2030 bzw. bis 2050 vermutlich verändern wird

Abb. 6.5

Prozentualer Anteil der jeweiligen Altersjahre an der Gesamtbevölkerung in Deutschland 2060

Abb. 6.6

Zugänge zum Bild

Abb. 7.1

B.E.R.L.I.N. in brüchigem Schriftzug wie in der McKinseyStudie »Berlin 2020« verwendet

Abb. 7.2

Der Molecule Man vor den Treptowers auf der Berliner Spree

Abb. 7.3

Der Molecule Man, verfremdet im Stil der McKinsey-Studie »Berlin gründet«

Abb. 8.1

Auszug aus der Planungsstudie zur Entwicklung des Brühl Boulevards

Abb. 8.2

Auszug aus dem Datenmaterial

Abb. 9.1

Unterschiedliche Wohnkontexte

Abb. 9.2

Unterschiedliche Wohnkontexte

Abb. 9.3

Ästhetik und Choreographie in der Repräsentation von Stadtlandschaften

Abb. 10.1

Richard Serra, »Terminal«, 1977/79, Bochum

Abb. 10.2

Brad Downey, »Broken Bike Lane«, 2008, Intervention im öffentlichen Stadtraum von Berlin

Abb. 10.3

Richard Serra, »Tilted Arc«, 1981, New York (Schrägluftaufnahme)

Abb. 10.4

Mann in Betrachtung von »Tilted Arc«

Abb. 10.5

Brad Downey am 22. März 2008 beim Besprühen der Fassade des KaDeWe

Abb. 10.6

Farbspuren auf einem Schaufenster

Abb. 11.1

»Dorfweg bei Sompolno im Quellgebiet der Netze«

Abb. 11.2

»Polnische Bauernhäuser«

Abb. 11.3

»Schulzengehöft in einem deutschen Ansiedlerdorf«

Abbildungsverzeichnis

Abb. 13.1

Blick auf das Dschurdschuragebirge. Im Vordergrund ein Kabylendorf

Abb. 13.2

Soil Map of Osage County

Abb. 13.3

Profil durch die Große Randstufe und die Vorstufe zwischen Graskop und Low Veld

Abb. 13.4

Seitliche Verlegung von Rücken durch eine senkrechte Verwerfung

Abb. 13.5

Theorethisches Bild der Landschaft

Abb. 13.6

Location of more important places in the migration field of Asby

Abb. 13.7

Major Connections. Dyadic Factor Two

Abb. 13.8

Route location across a complex environment with discrete cost regions

Abb. 14.1

Bildmotiv aus der Schockbilder-Plakatserie der Textilfirma Benetton

Abb. 14.2

Bezüge zwischen Bild und Text

Abb. 14.3

Ökosystem Tropenwald

Abb. 14.4

Kolibri vor seiner ökologischen Nische

Abb. 14.5

Vulkanisches Gestein in den östlichen Pyrenäen: Ordnung oder Unordnung?

Abb. 15.1

Karl-Marx-Monument in Chemnitz

Tab. 13.1

Äquivalenzketten und Differenzbeziehungen von Leitbildern, Metaphern, Tugenden und Funktionen geographischer Visualisierungen in Länderkunde und quantitativ-theorethischer Geographie

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Literatur

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Visuelle Geographie

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Sozial- und Kulturgeographie Raphael Schwegmann Nacht-Orte Eine kulturelle Geographie der Ökonomie März 2016, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3256-9

Nicolai Scherle Kulturelle Geographien der Vielfalt Von der Macht der Differenzen zu einer Logik der Diversität Januar 2016, ca. 290 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3146-3

Veronika Selbach, Klaus Zehner (Hg.) London – Geographien einer Global City November 2015, ca. 250 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2920-0

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Sozial- und Kulturgeographie Johanna Kramm Das Bewässerungsdispositiv Staatliche Strategien, lokale Praktiken und politisierte Räume in Kenia Oktober 2015, 328 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3167-8

Romy Hofmann Urbanes Räumen Pädagogische Perspektiven auf die Raumaneignung Jugendlicher Mai 2015, 468 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3011-4

Katharina Winter Ansichtssache Stadtnatur Zwischennutzungen und Naturverständnisse Januar 2015, 262 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3004-6

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