Individuum und Masse - Zur Vermittlung des Holocaust in deutschen Gedenkstättenausstellungen: Zur Vermittlung des Holocaust in deutschen Gedenkstättenausstellungen [1. Aufl.] 9783839428641

»Personalizations« are an expression of changed remembrance. Today, also German memorials increasingly make individuals

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Individuum und Masse - Zur Vermittlung des Holocaust in deutschen Gedenkstättenausstellungen: Zur Vermittlung des Holocaust in deutschen Gedenkstättenausstellungen [1. Aufl.]
 9783839428641

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung: Gedenkstättenausstellungen zwischen Pädagogisierung, Nationalisierung und Musealisierung des Holocaust
1.1 Methodisches Vorgehen
1.1.1 Analyse der Gedenkstättenausstellungen
1.1.2 Ausstellungsrezeption von Schülerinnen und Schülern
1.2 Forschung zu Gedenkstättenausstellungen
2. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Ausstellung im Ort der Information
2.1 Die Entstehungsgeschichte des Denkmals
2.1.1 Historischer Gegenstand als Denkmal: ‚Bekenntnis zur Tat‘
2.1.2 Umgang mit dem Ort: Vom Denkmal zur Gedenkstätte
2.2 Das Denkmal und der Ort der Information heute
2.2.1 Ein Ausstellungskonzept entsteht
2.2.2 Das Vermittlungskonzept
2.2.3 Die Ausstellung im Überblick
2.3 Close-Ups der Präsentation
2.3.1 Historischer Überblick und sechs Porträts
2.3.2 Selbstzeugnisse und Dimensionen
2.3.3 Familienbiografien und Fotografien
2.3.4 Namenslesung oder Yad Vashem in Berlin
2.3.5 Die Gegenwart als Gedenkstättenlandschaft
2.4 Zwischenresümee: Personalisierung und Individualisierung des Holocaust
3. Die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und die Ausstellung ‚Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden‘
3.1 Die Entstehungsgeschichte der Gedenk- und Bildungsstätte
3.1.1 Historischer Gegenstand: Tagesordnung Massenmord
3.1.2 Umgang mit dem historischen Ort: Vom Täterort zur Dokumentation
3.2 Die Gedenkstätte und die ständige Ausstellung heute
3.2.1 Von der Vorgängerausstellung zur aktuellen Ausstellungskonzeption
3.2.2 Das Vermittlungskonzept
3.2.3 Die Ausstellung im Überblick
3.3 Close-Ups der Präsentation
3.3.1 Familienporträts und die zerstörten jüdischen Gemeinden
3.3.2 Biografische Fragmente und Selbstzeugnisse
3.3.3 Konferenzraum und Täterbiografien
3.3.4 Die Vergangenheit in der Gegenwart
3.4 Zwischenresümee: Biografische Fragmente der Opfer in der historischen Dokumentation
4. Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und die Ausstellung ‚Zeitspuren. Das KZ Neuengamme 1938-1945 und seine Nachgeschichte‘
4.1 Die Entstehungsgeschichte der KZ-Gedenkstätte
4.1.1 Historischer Gegenstand: Das Konzentrationslager Neuengamme
4.1.2 Umgang mit dem historischen Ort: Vom Konzentrationslager zum ‚Lernort‘
4.2 Die KZ-Gedenkstätte und die Hauptausstellung heute
4.2.1 Von den Vorgängerausstellungen zur aktuellen Ausstellungskonzeption
4.2.2 Das Vermittlungskonzept
4.2.3 Die Ausstellung im Überblick
4.3 Close-Ups der Präsentation
4.3.1 Der Eintritt ins Konzentrationslager und das KZ-System
4.3.2 Häftlingsbiografien und Raumstruktur
4.3.3 Selbstzeugnisse und Gegenstände
4.3.4 Von 1945 bis zur Neugestaltung der Gedenkstätte
4.4 Zwischenresümee: Die Gefangenenperspektive der Präsentation am historischen Ort
5. Die Sicht von Schülerinnen und Schülern auf Ausstellung und Gedenkstätte
5.1 Bedingungen des Ausstellungsbesuchs
5.2 Die Rezeption der Gedenkstättenausstellungen
5.2.1 Eindrücke von den Personalisierungen
5.2.2 Eindrücke von den Ausstellungsarchitekturen
5.2.3 Geschichtsvermittlung im Vergleich: Ausstellung und Klassenzimmer
5.3 Schule als Bedingung der Rezeption
5.4 Rezeptionsweisen von Personalisierungen
6. Gedenkstätten und ihre Ausstellungen heute
6.1 Museale Darstellungen des Holocaust und ihre Rezeption durch Schülerinnen und Schüler
6.2 Über die Angemessenheit der (Re-)Präsentation von Massenmord
6.3 Personalisierungen im gewandelten Gedenken
Anhang
Quellen und Literatur
Danksagung

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Cornelia Geißler Individuum und Masse – Zur Vermittlung des Holocaust in deutschen Gedenkstättenausstellungen

Histoire | Band 71

Cornelia Geißler (Dr. phil.) hat Erziehungs- und Politikwissenschaften in Berlin, Mainz und Edinburgh studiert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt »Deportationen« am Internationalen Institut für Holocaust-Forschung, Yad Vashem, Jerusalem.

Cornelia Geissler

Individuum und Masse – Zur Vermittlung des Holocaust in deutschen Gedenkstättenausstellungen

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung. Zugleich Dissertation (2013) Freie Universität Berlin, Sozial- und Politikwissenschaften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Burkhard Altevolmer, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2864-7 PDF-ISBN 978-3-8394-2864-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt (kurz)

1.

Einleitung: Gedenkstättenausstellungen zwischen Pädagogisierung, Nationalisierung und Musealisierung des Holocaust | 11

2.

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Ausstellung im Ort der Information | 61

3.

Die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und die Ausstellung ‚Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden‘ | 117

4.

Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und die Ausstellung ‚Zeitspuren. Das KZ Neuengamme 1938-1945 und seine Nachgeschichte‘ | 163

5.

Die Sicht von Schülerinnen und Schülern auf Ausstellung und Gedenkstätte | 211

6.

Gedenkstätten und ihre Ausstellungen heute | 309 Anhang | 351 Quellen und Literatur | 357 Danksagung | 391

Inhalt

1.

Einleitung: Gedenkstättenausstellungen zwischen Pädagogisierung, Nationalisierung und Musealisierung des Holocaust | 11

1.1 1.1.1 1.1.2 1.2

Methodisches Vorgehen | 35 Analyse der Gedenkstättenausstellungen | 43 Ausstellungsrezeption von Schülerinnen und Schülern | 48 Forschung zu Gedenkstättenausstellungen | 54

2.

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Ausstellung im Ort der Information | 61

2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.4

Die Entstehungsgeschichte des Denkmals | 62 Historischer Gegenstand als Denkmal: ‚Bekenntnis zur Tat‘ | 63 Umgang mit dem Ort: Vom Denkmal zur Gedenkstätte | 72 Das Denkmal und der Ort der Information heute | 76 Ein Ausstellungskonzept entsteht | 77 Das Vermittlungskonzept | 84 Die Ausstellung im Überblick | 87 Close-Ups der Präsentation | 90 Historischer Überblick und sechs Porträts | 91 Selbstzeugnisse und Dimensionen | 96 Familienbiografien und Fotografien | 99 Namenslesung oder Yad Vashem in Berlin | 103 Die Gegenwart als Gedenkstättenlandschaft | 108 Zwischenresümee: Personalisierung und Individualisierung des Holocaust | 110

3.

Die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der WannseeKonferenz und die Ausstellung ‚Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden‘ | 117

3.1 3.1.1 3.1.2

Die Entstehungsgeschichte der Gedenk- und Bildungsstätte | 119 Historischer Gegenstand: Tagesordnung Massenmord | 119 Umgang mit dem historischen Ort: Vom Täterort zur Dokumentation | 121 Die Gedenkstätte und die ständige Ausstellung heute | 124 Von der Vorgängerausstellung zur aktuellen Ausstellungskonzeption | 125

3.2 3.2.1

3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.4

Das Vermittlungskonzept | 131 Die Ausstellung im Überblick | 135 Close-Ups der Präsentation | 138 Familienporträts und die zerstörten jüdischen Gemeinden | 139 Biografische Fragmente und Selbstzeugnisse | 141 Konferenzraum und Täterbiografien | 146 Die Vergangenheit in der Gegenwart | 150 Zwischenresümee: Biografische Fragmente der Opfer in der historischen Dokumentation | 156

4.

Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und die Ausstellung ‚Zeitspuren. Das KZ Neuengamme 1938-1945 und seine Nachgeschichte‘ | 163

4.1 4.1.1 4.1.2

Die Entstehungsgeschichte der KZ-Gedenkstätte | 164 Historischer Gegenstand: Das Konzentrationslager Neuengamme | 165 Umgang mit dem historischen Ort: Vom Konzentrationslager zum ‚Lernort‘ | 167 Die KZ-Gedenkstätte und die Hauptausstellung heute | 174 Von den Vorgängerausstellungen zur aktuellen Ausstellungskonzeption | 175 Das Vermittlungskonzept | 178 Die Ausstellung im Überblick | 185 Close-Ups der Präsentation | 188 Der Eintritt ins Konzentrationslager und das KZ-System | 190 Häftlingsbiografien und Raumstruktur | 193 Selbstzeugnisse und Gegenstände | 197 Von 1945 bis zur Neugestaltung der Gedenkstätte | 200 Zwischenresümee: Die Gefangenenperspektive der Präsentation am historischen Ort | 205

4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.4

5.

Die Sicht von Schülerinnen und Schülern auf Ausstellung und Gedenkstätte | 211

5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3

Bedingungen des Ausstellungsbesuchs | 213 Die Rezeption der Gedenkstättenausstellungen | 226 Eindrücke von den Personalisierungen | 227 Eindrücke von den Ausstellungsarchitekturen | 266 Geschichtsvermittlung im Vergleich: Ausstellung und Klassenzimmer | 279

5.3 5.4

Schule als Bedingung der Rezeption | 285 Rezeptionsweisen von Personalisierungen | 292

6.

Gedenkstätten und ihre Ausstellungen heute | 309

6.1

Museale Darstellungen des Holocaust und ihre Rezeption durch Schülerinnen und Schüler | 309 Über die Angemessenheit der (Re-)Präsentation von Massenmord | 329 Personalisierungen im gewandelten Gedenken | 344

6.2 6.3

Anhang | 351 Quellen und Literatur | 357 Danksagung | 391

1. Einleitung: Gedenkstättenausstellungen zwischen Pädagogisierung, Nationalisierung und Musealisierung des Holocaust

Die Opfer der deutschen Mordpolitik waren mit einer Realität konfrontiert, die ihnen das Menschsein absprach. In Täter, Opfer, Zuschauer schreibt Raul Hilberg, dass die jüdischen Verfolgten „als Ganzes gesehen […] eine amorphe Masse“ blieben und ein kollektives Schicksal erlitten. „Man erinnert sich ihrer hauptsächlich im Sinne dessen, was ihnen allen widerfuhr.“ (Hilberg 2011, 10) Aber das, was über die Männer, Frauen und Kinder kollektiv hereinbrach, wurde von den Einzelnen individuell erfahren, und allein ihren Quellen sind diese persönlichen Erfahrungen zu entnehmen. Täterquellen, so wichtig sie für ein Verständnis der historischen Abläufe auch sein können, sind hierfür völlig ungeeignet. Das persönliche Zeugnis ist für eine Vermittlung der nationalsozialistischen Verbrechen unverzichtbar, denn ohne eine Integration der Stimmen der Opfer in die Geschichtsdarstellung (vgl. Friedländer 2006a u. 2006b) wird der sich in offiziellen Dokumenten findende Blick der Täter das Gedenken an die Ermordeten mitbestimmen.1 Es waren die Deutschen und ihre Helfer, die die Jüdinnen und Juden sowie die anderen von ihnen verfolgten Personen als ‚amorphe Masse‘ wahrgenommen und dokumentiert haben, diese Masse setzte sich aber aus Indi-

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Es agierten selbstverständlich auch Täterinnern, Zuschauerinnen, Nationalsozialistinnen und viele weitere Frauen. Um jedoch die kategoriale Differenz zwischen Opfer, Täter und Zuschauer zu betonen, verzichte ich abweichend zur sonstigen Schreibweise auf die Verwendung sowohl der weiblichen als auch der männlichen Form. Auch feststehende bzw. zusammengesetzte Ausdrücke wie ‚Zeitzeugenbegegnung‘ oder ‚Besuchergruppe‘ werden nicht durchgehend angeglichen.

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viduen zusammen. Da die Verfolgten für die Täter im Moment der Tat zu einer bloßen Sache geworden sind, besteht bei einer Vermittlung der Massenverbrechen anhand dieses ‚Täterblicks‘ die Gefahr, dass auch in unserer Wahrnehmung ihre Individualität in den Hintergrund tritt (vgl. Dwork 2003, 166). Wenn vorliegend nach gesellschaftlichen und individuellen Strategien der Aneignung des Holocaust2 und des Nationalsozialismus gefragt wird, dann interessiert dabei insbesondere, welche Ansätze der Vermittlung des Judenmords deutsche Gedenkstätten aufgegriffen haben, wie sie das den historischen Ereignissen immanente Spannungsverhältnis von Individuum und Masse in den Ausstellungsbereichen gestalterisch umgesetzt haben und wie es von Besuchenden wahrgenommen wird.3 Eine der auffälligsten Veränderungen in den Präsentationen von Gedenkstätten, die sich seit den 1990er Jahren beobachten lässt, ist die Integration von Selbstzeugnissen und Biografien der im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Personen als tragende Elemente der Dokumentation des historischen Geschehens. Damit unterscheiden sich die heutigen Ausstellungsbereiche von früheren Repräsentationen der Massenvernichtung. Die ersten Ausstellungen, die überlebende Häftlinge und ihre Befreier in und außerhalb der Konzentrationslager in Deutschland zeigten, gaben deren unmittelbare Eindrücke angesichts der beispiellosen Massenverbrechen wieder. Frühe Ausstellungsbereiche waren von

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Der Begriff ‚Holocaust‘ bedeutet wörtlich übersetzt ‚Brandopfer‘ und wird, auch aufgrund seiner christlichen Konnotation, dem historischen Geschehen der Judenvernichtung kaum gerecht. Die Unspezifik des Ausdrucks erlaubt es, sich in der Rezeption von dem spezifischen historischen Ereignis des Judenmords zu distanzieren. Zudem verlegt die Bezeichnung, und das ist insbesondere in Deutschland problematisch, den Fokus von den Tätern auf die Opfer, was bei Bezeichnungen wie ‚Auschwitz‘ oder ‚Judenmord‘ nicht der Fall ist. Wenn ich ‚Holocaust‘ dennoch verwende, dann einerseits, weil auch andere Bezeichnungen das komplexe historische Geschehen nur unbefriedigend wiedergeben, andererseits, weil der Begriff inzwischen geläufig ist. Zur Entstehung und Wirkung des Begriffs: Claussen 1994, 179; Young 1997a, 139-163.

3

Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist der jeweils zentrale Ausstellungsbereich am Denkmal für die ermordeten Juden Europas, im Haus der WannseeKonferenz und in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Gefragt wird nicht nur nach der dort anzutreffenden Vermittlung der Judenverfolgung, sondern auch danach, wie die Verbrechen an anderen Gruppen, etwa den Sinti und Roma oder den politisch Verfolgten, heute vermittelt werden. Dabei setze ich voraus, dass Darstellungsformen des Holocaust Vorbild für die Vermittlung der NS-Verbrechen im Museumsraum an sich sind.

E INLEITUNG

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Täterdokumenten und Tatortaufnahmen geprägt, die in den Tod getriebene Personen als entmenschlichte Masse zeigten und dabei auch den Blick der Täter offenlegten. Demgegenüber haben aktuelle Dokumentationen den Anspruch, sich dem Geschehen aus der Perspektive der Opfer4 zu nähern. Mit ihnen werden einzelne Personen mit einem Leben vor der Verfolgung vorgestellt, die zu Opfern erst gemacht wurden. Auch nimmt heute die Darstellung historisch-gesellschaftlicher Entwicklungen weniger Raum ein, als dies in den Vorgängerausstellungen der Fall war. Die gegenwärtige Ausstellungspraxis ist, wie ich mit der vorliegenden Studie zeige, stark von Personalisierungen bzw. Individualisierungen geprägt, die einen empathischen Zugang zu den historischen Ereignissen versprechen.5 Dass in Gedenkstättenausstellungen die Einzelnen in der Masse der Verfolgten immer häufiger Namen, Gesichter und Stimmen erhalten, ist eine Entwicklung, die sich nicht nur in Deutschland beobachten lässt, sondern auch international, neben den USA insbesondere in Israel (vgl. Zuckermann 2004b), wo Anfang der 1960er Jahre mit dem Prozess gegen Adolf Eichmann begonnen wurde, die überlebenden Zeuginnen und Zeugen in der Öffentlichkeit wahrzunehmen.6

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Eine spezifische Opferperspektive zu konstatieren ist notwendig, weil der Massenmord in „zwei unterschiedliche, ja gegensätzliche Erfahrungswelten“ (Diner 1996, 23) zerfiel, „Banalität auf der Täterseite“, so Dan Diner weiter, und „Monströsität auf Seiten der die volle Wucht der Tathandlung erleidenden Opfer“ (ebd.). Damit ist allerdings nicht gemeint, dass es eine, von ‚den‘ Opfern geteilte Perspektive gäbe. Ich stimme Irit Dekel zu, dass eine solche Perspektive auf der fortdauernden sozialen Auseinandersetzung über den Umgang mit den deutschen Massenverbrechen und über die Anerkennung der Verfolgten beruht (vgl. Dekel 2013, 13). Ich gehe jedoch davon aus, dass sich die gegensätzlichen Lebensrealitäten, Notwendigkeiten und Handlungsspielräume von Tätern, Opfern und Zuschauern in ihren je unterschiedlichen zeithistorischen Quellen als entgegengesetzte Perspektiven auf das historische Geschehen ausdrücken. Was die Repräsentation dieser Perspektive in Gedenkstätten angeht, ließe sich allerdings kritisch fragen, inwieweit die Opferperspektive mitunter nicht schon längst durch die Perspektive der für die Gedenkstättenausstellungen Verantwortlichen ersetzt worden ist.

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Auf diese bedeutende Veränderung in der musealen Repräsentation haben in den letzten Jahren u. a. aufmerksam gemacht: Marszolek/Mörchen 2013; Köhr 2012; Marcuse 2006, 39; Knigge 2005b, 403; Brink 1998, 208.

6

Der Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem (1961-1962) gilt als Beginn einer Auseinandersetzung mit dem Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden und einer jüdischen Selbstverständigung im Rahmen des israelischen Staats (vgl. Zer-

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Gedenkstätten sind sichtbare Verweise auf die deutschen Massenverbrechen im Nationalsozialismus. Wie Judenmord und KZ-Terror in der Gegenwart dargestellt werden und warum ihre (Re-)Präsentationen sich verändern, lässt sich besonders gut an Gedenkstättenausstellungen aufzeigen, die inzwischen ein wesentliches Medium der Vermittlung historischen Wissens sind. Deutsche Gedenkstätten haben seit Kriegsende einen gravierenden Bedeutungs- und Funktionswandel durchlaufen.7 Aus Erinnerungsstätten, die in ehemaligen Konzentrationslagern im Zuge der Entnazifizierungs- und Re-Education-Politik der Alliierten eingerichtet wurden oder die auf Initiative von Überlebenden entstanden – oft gegen den Protest weiter Teile der Bevölkerung –, sind gesellschaftlich breit akzeptierte Gedenk- und Bildungsorte geworden. In der unmittelbaren Nachkriegszeit interessierten sich fast nur überlebende ehemalige Häftlinge und die Siegermächte für die Tat- und die (potenziellen) Gedenkorte. Sie errichteten erste Mahnmale und hielten Gedenkkundgebungen für die Ermordeten ab. Zur gleichen Zeit dienten die Tatorte den Alliierten zur Beweissicherung und für Aufklärungskampagnen im Rahmen der Re-EducationPolitik. Unter den Vorzeichen des beginnenden Systemgegensatzes störten die historischen Tatorte das Ansehen der neugegründeten Bundesrepublik, zahlreiche Orte verfielen oder wurden überbaut. Während in der DDR bereits nationale Mahn- und Gedenkstätten rege besucht wurden, die stets auch den staatsoffiziellen Antifaschismus bestätigen sollten, war die Eröffnung von Gedenkstätten in

tal 2003, 91 u. 151-201). Der Prozess, der den überlebenden Zeuginnen und Zeugen in diesem Umfang erstmals öffentlich eine Stimme verlieh und den Annette Wieviorka deswegen als Moment der „Entstehung des Zeugen“ (Wieviorka 2000, 136) gedeutet hat, baute auf einer Vielzahl mündlicher Zeugenaussagen auf. Der Chefankläger Gideon Hausner ging dabei von folgender Annahme aus: „Die Geschichte einer bestimmten Folge von Ereignissen ist, wenn sie von einem einzigen Zeugen erzählt wird, noch immer so greifbar, daß man sie sich bildlich vorstellen kann. Als Ganzes genommen, würden die verschiedenen Erzählungen verschiedener Menschen über verschiedene Erlebnisse konkret genug sein, um erfaßt und begriffen zu werden.“ (Hausner zit. n. Wieviorka 2000, 143) Zu den Zeugenaussagen im Prozess, deren Bedeutung über die bloße Beweissicherung hinausging, siehe: Brunner 2007. Eichmann in Jerusalem von Hannah Arendt über den Prozess kann nach wie vor als Klassiker gelten: Arendt 2001. Zur Rezeption ihrer Studie und des Prozesses siehe: Diner 2000; Postone 2000. 7

Zum Wandel der Vergangenheits- und Gedenkpolitik vgl. AutorInnenkollektiv Loukanikos 2015; NG 2015; Siebeck 2011; Skriebeleit 2005; Schwietring 2003; Marcuse 2001.

E INLEITUNG

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der prosperierenden Bundesrepublik eine Ausnahme.8 Doch angestoßen durch Überlebende wurden die historischen Tatorte in den 1970er und 1980er Jahren auch hier zunehmend sichtbar. Das Interesse am Nationalsozialismus stieg deutlich zu dieser Zeit, und die ‚Alltagsgeschichte‘ erfreute sich wachsender Beliebtheit. Die Verbindung von lokaler Forschung mit der Suche nach individuellen Schicksalen ermöglicht in Deutschland allerdings bis heute, nicht nur nach den NS-Opfern, sondern auch nach den Tätern zu fragen und Angehörige beider Gruppen als ‚Zeitzeugen‘ wahrzunehmen. Parallel zum ansteigenden Geschichtsinteresse wurde von konservativer Seite eine ‚Rückbesinnung‘ auf Nationalgeschichte verlangt, und Forderungen, mit der unbequemen Vergangenheit nicht mehr belästigt zu werden, wurden immer lauter. In dieser Situation sind ehemalige Tatorte mehrheitlich in Bildungsorte transformiert worden.9 Der Imperativ von Theodor W. Adorno, „unser Handeln und Denken so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“ (Adorno 1997c, 358; vgl. ders. 1997a, 674), war damals und ist auch heute noch aktuell. Der systematische Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden, für den der Name Auschwitz steht, ist ein spezifisches historisches Ereignis, das in der Gegenwart, darauf hat Moshe Zuckermann hingewiesen, „die permanente Möglichkeit totaler Zertretung des menschlichen Antlitzes und der menschlichen Würde, der Entmenschlichung durch den Menschen“ (Zuckermann 2004a, 34) bereithält. Da der Umschlag von Aufklärung in Barbarei real stattgefunden hat, ist ein erneutes Umschlagen möglich (vgl. Horkheimer/Adorno 1997a, 11).10 Doch der seit den 1970er und 1980er Jahren und auch

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In der DDR wurden mit Buchenwald (1958), Ravensbrück (1959) und Sachsenhausen (1961) zentrale Konzentrationslager in nationale Mahn- und Gedenkstätten umgewandelt; in der Bundesrepublik eröffnete 1965 mit Dachau die erste KZ-Gedenkstätte.

9

Als Etappen sind hier zu nennen: die ‚Bitburg-Kontroverse‘ (1985) und der ‚Historikerstreit‘ (1986-1989). Auch die allen ‚Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft‘ gewidmete Neue Wache in Berlin, die 1993, nach der Wiedervereinigung eingeweiht wurde, fällt unter die nationalkonservative Wende unter der Regierung Helmut Kohls. Siehe: Funke/Neuhaus 1989; siehe auch: Rensmann 2000.

10 Dies ist nicht der Ort, um den Widerspruch zu diskutieren, der sich aus Theodor W. Adornos und Max Horkheimers in der Dialektik der Aufklärung ausgeführten Annahmen über eine Totalität der Gesellschaft ergibt. Da hier aber Gedenkstättenausstellungen der Untersuchungsgegenstand sind und sie das Objekt, an dem reale Subjekte denken und erkennen sollen, sei ausgeführt: Einerseits bestimmt Adorno unter der ‚Wendung aufs Subjekt‘ das empirische Subjekt als realen Angelpunkt gesellschaftlicher Veränderung, andererseits geht er in seinen gesellschaftstheoretischen Ausfüh-

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aktuell noch bestimmende Effekt des Wissens um das im Nationalsozialismus Geschehene ist nicht eine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Einrichtung, wie es Adornos Imperativ fordert. Der Appell wurde stattdessen an Gedenkstätten delegiert. So wurde eine Pädagogisierung der Vergangenheit an den Erinnerungsorten implementiert, die einen Prozess der Institutionalisierung zu durchlaufen begonnen hatten. Die bis dahin weitgehend selbstorganisierte Gedenkstättenarbeit wich einer Professionalisierung, die mit einer stärkeren Finanzierung sowie dem Ausbau der Gedenkstätten und ihrer Vermittlungskonzepte einherging. Das Schicksal der Ermordeten, das heute die Darstellungsformen vieler deutscher Gedenkstätten prägt, wurde immer mehr in einen ‚Lerngegenstand‘ transformiert (vgl. Meseth 2005, 158). Zwar wurden die Leidensgeschichten der Verfolgten in diesem Prozess zunehmend sichtbar und die Individuen traten hervor, aber sie wurden auch stärker als zuvor für eine pädagogische Annäherung an die Massenverbrechen instrumentalisiert. Der Mauerfall war eine vergangenheitspolitische Zäsur, in deren Folge von internationalen Entwicklungen beeinflusst auch die Bedeutung und die Funktion von Gedenkstätten grundsätzlich neu bestimmt wurden. Sie haben sich nicht nur zu breit akzeptierten Gedenkorten mit Bildungsauftrag, sondern auch zu Schauplätzen nationaler Selbstvergewisserung gewandelt, insbesondere zu staatlich ge-

rungen von einer Zerstörung des Subjekts aus (vgl. Weyand 2001, 142). Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe (vgl. Geißler 2004), hat Adorno keine theoretische Lösung für diesen Widerspruch formuliert, weil der Widerspruch nicht theoretisch zu lösen ist. Es läuft also ins Leere, Adornos Schriften in ‚geschichtspessimistische‘ und ‚geschichtsoptimistische‘ aufzuteilen und Adorno eine „resignative […] Praxisverweigerung“ zu attestieren (Meseth 2005, 80). Zur damit zusammenhängenden Frage, inwiefern Adorno Pädagoge gewesen ist oder nicht, siehe: Ahlheim 2010. Als Adorno in der sich seinem Vortrag Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit anschließenden Diskussion gefragt wurde, wo in dem gesellschaftlichen System, das er seinen Ausführungen zugrunde lege, „Raum für die Verantwortung des Einzelmenschen“ bliebe (Adorno 1959, 25), antwortete er: „Ich meine immerhin, daß es, wenn Menschen einmal dazu kommen, wirklich die Verstricktheit in den objektiven Bedingungen zu durchschauen, […] daß das Bewußtsein, das sich über diesen Zwang erhebt, indem es ihn durchschaut, zugleich eben doch auch ein Potential dafür darstellt, daß man diesem Zwang widersteht“ (ebd.). Mit der Denkfigur des „Vorrangs des Objekts“ (Adorno 1997c, 193), die Adorno unter Rückgriff auf psychoanalytische Annahmen bestimmt, lässt sich das wahrzunehmende Äußere als Bedingung der Möglichkeit des Subjekts auf Bewusstwerdung und Handlung verstehen, also als Möglichkeit einer anderen gesellschaftlichen Praxis (vgl. Thyen 1989).

E INLEITUNG

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förderten, die gegenüber dem Ausland eine Normalisierung Deutschlands zu einem demokratischen Staat ‚beglaubigen‘. So sind die Gedenkstätten heute, darauf hat Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, mit Blick auf die nationale Neuausrichtung der ehemaligen Tatorte aufmerksam gemacht, nicht mehr wie noch in den 1980er Jahren per se gesellschaftskritische Einrichtungen, sondern sie gehören zur politischen Kultur wie „Volkshochschulen, Theater oder Museen“ (Knigge 2005a, 443). Im Resultat erfahren die Gedenkorte und ihre Ausstellungen eine erhöhte Aufmerksamkeit, die allerdings auch mit einer stärkeren Zentralisierung und Regulierung ihrer bildungspolitischen Tätigkeit einhergeht. Ihre breite gesellschaftliche Akzeptanz und die staatliche Förderung als ‚Lernorte‘ sind zudem Indikatoren dafür, dass ein Eingeständnis der deutschen Massenverbrechen gegenwärtig nicht mehr im Widerspruch zu einem positiven Bezug auf die deutsche ‚Nation‘ steht. Vielmehr findet eine Nationalisierung des Gedenkens statt, die es erlaubt, sich offensiv zu einer kaum bestimmten, aber selbstbewusst vorgetragenen ‚Verantwortung‘ zu bekennen. Diese Verantwortung äußert sich zwar in diversen Gedenkprojekten, sie ist aber auch damit vereinbar, sich gegen Reparationsforderungen und Entschädigungszahlungen zu sträuben. Gedenkstätten erscheinen so als materielle Anerkennung des Holocaust auf staatlicher Ebene und sind im gleichen Moment auf ein nationales Selbstverständnis ausgerichtet. „Der von Deutschen initiierte und verübte Massenmord“, schreibt Dirk Rupnow treffend, „ist nicht mehr Stachel, sondern Bezugspunkt und Bestätigung deutscher Identität“ (Rupnow 2006, 168). Im Zuge dieser Nationalisierung des Gedenkens ist es auch schwieriger geworden, in Deutschland eine besondere Verpflichtung zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Geschehenen anzumahnen, gerade weil derzeit zu beobachten ist, wie sich Deutschland mit einer ‚bewältigten‘, scheinbar abgeschlossenen Vergangenheit brüstet, wobei den Gedenkstätten und der dort stattfindenden historisch-politischen Bildungsarbeit eine besondere Funktion zugesprochen wird: Putzen wir die ehemaligen Tatorte heraus, heben wir den Zeigefinger und rufen der Jugend „Lernt, lernt!“ zu – und schon folgert alle Welt messerscharf die Abkehr der Deutschen vom Nazismus und seinen Ursachen. Zu Adenauers Zeit lautete der schärfste Einwand gegen nationalsozialistische und antisemitische Umtriebe unwidersprochen: „Das schadet dem Ansehen Deutschlands in der Welt!“ Heute ist die inzwischen formelhafte Rede, als Deutsche keinesfalls Schuld, wohl aber Verantwortung zu tragen, geradezu ein Garant für das insbesondere in der internationalen Arena wiederhergestellte Ansehen der ‚neuen‘ Bundesrepublik. Die an Gedenkstätten zu beobachtende Verschränkung von Pädagogisierung und Nationalisierung des Gedenkens macht den Anspruch, an die Opfer des

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deutschen Massenmords zu erinnern und eine Auseinandersetzung mit Holocaust und Nationalsozialismus anzuregen, aber nicht hinfällig. An den Erinnerungsorten kann historisches Wissen vermittelt werden, und ihre Ausstellungsbereiche führen der Menschheit vor Augen, wozu sie fähig ist. Die Perspektive auf ein zweckfreies Gedenken allerdings, wie sie Micha Brumlik fordert (vgl. Brumlik 1995, 119), findet an staatlichen Gedenkstätten eine Limitierung. Denn hier gerät der Anspruch, der Ermordeten um ihrer selbst willen zu gedenken, in Widerspruch zur politischen Gegenwartskultur, in die die Gedenkstätten eingebettet sind. Unter Rückgriff auf das erkenntnistheoretische Axiom, dass historischen Ereignissen in der Vermittlung von selbst nicht Erfahrenem immer schon ein heteronomes Moment anhaftet, hat Zuckermann ausgeführt, wie die Rezeption des Schicksals der Opfer von emotionalen Bedürfnissen bedingt ist und wie sie im öffentlich-staatlichen Gedenken politischen Interessen unterliegt (vgl. Zuckermann 1999a, 2004a). Sobald aus den NS-Verbrechen handlungsleitende Konsequenzen für die Gegenwart gezogen werden sollen – ein Anspruch, den auch Überlebende formulieren (vgl. Vermächtnis 2009) –, werden die Vergangenheit und ihre Opfer in der einen oder anderen Weise instrumentalisiert (vgl. Scheurich 2009). Das ist eine Aporie, die Gedenkstätten, nicht nur in ihrer heutigen Gestalt, immanent ist. Als eine Konsequenz daraus lässt sich kollektives Gedenken als Möglichkeit begreifen, „die Erinnerung in Denk- und Handlungsweisen umsetzen zu können, die der Verursachung künftiger Opfer entgegenwirken“ (Zuckermann 1999a, 90). Die Frage nach der Angemessenheit von öffentlichem Gedenken und welche Funktion dabei der Opferperspektive zukommt, stellt sich immer dringender, da das subjektive Verständnis von den historischen Ereignissen, je weiter diese zeitlich entrücken, umso stärker davon beeinflusst wird, wie Holocaust und Nationalsozialismus (re-)präsentiert werden (vgl. Young 1997a, 268). Die wenigsten Gedenkstättenbetreibenden sowie -besuchenden haben den Nationalsozialismus selbst erlebt und sind deshalb auf eine vermittelnde ‚Übersetzung‘ der historischen Ereignisse angewiesen. Da aber die Überlebenden als Korrektiv zunehmend wegfallen, werden ihre Zeugnisse in den Gedenkstättenausstellungen umso wichtiger. Moderne Ausstellungskonzeptionen machen diese Zeugnisse deshalb sichtbar, und an die Stelle einer direkten Begegnung treten biografische Zugänge. Es stellt sich dabei allerdings die Frage, unter welchen Prämissen dies geschieht. Auf welche Vermittlungsschwierigkeiten wird zudem mit personalisierenden Darstellungsformen reagiert, und welche neuen werden dadurch möglicherweise aufgeworfen? Die Pädagogisierung der Vergangenheit wird in Gedenkstätten museal umgesetzt. Ihre Ausstellungsbereiche gelten heute als Orte, an denen Historie zwar

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‚erfahren‘ werden kann, allerdings nur indirekt, sozusagen aus zweiter Hand. So tritt an die Stelle von persönlichen Begegnungen mit überlebenden NS-Opfern eine fortschreitende Musealisierung von Zeitgeschichte, die sich vornehmlich im Ausstellen von Selbstzeugnissen und biografischen Zugängen ausdrückt. Ich verwende den Ausdruck ‚museal‘ in erster Linie, um die besondere räumliche Struktur von Ausstellungen hervorzuheben.11 Gleichwohl bezeichnet ‚museal‘ im Deutschen nicht nur die dreidimensionale Vermittlungssituation in Museen, sondern auch etwas Ambivalentes, nach Adorno „Gegenstände, zu denen der Betrachter nicht mehr sich lebendig verhält und die selber absterben“ (Adorno 1997d, 181). Adorno schreibt hier zwar nicht über Quellen des Holocaust in Gedenkmuseen, sondern bezieht ‚museal‘ auf Kunst, die ins Museum kommt und somit der Warenzirkulation entzogen ist. Aber museale Geschichtsdarstellungen unterliegen grundsätzlich der Gefahr, Distanz zur Vergangenheit herzustellen oder zu zementieren. So schreibt Pierre Nora: „Vergangenheit wird uns als radikal andere vorgestellt, sie gilt als jene Welt, von der wir für immer geschieden sind.“ (Nora 1990, 24) Das trifft insbesondere auf Gedenkstättenausstellungen zu, die den Nationalsozialismus als das ganz ‚Andere‘ der bundesdeutschen Gegenwart erscheinen lassen. Auschwitz aber stellt die moderne Gesellschaft, welche die Mittel und Denkstrukturen für die massenhafte Verfolgung und Vernichtung hervorgebracht hat, selbst in Frage (vgl. Bauman 1992, 69). Der Versuch einer Musealisierung ist damit als höchst problematisch einzuschätzen. ‚Museal‘ verweist darauf, wie schwierig es ist, die Vergangenheit fassbar darzustellen, ohne sie in der Aneignung zu neutralisieren. Im Prozess der Musealisierung werden geschichtliche Ereignisse, wie Wolf-Dieter Narr schreibt, „zum beschaulichen Gegenstand, wie z. B. Folterkammern des 16. Jahrhunderts. Gruselt einen noch, wenn man sie sieht? Oder fällt hierbei im Museum X der Stadt Y, wo man für zwei Stunden hineinschaut, die folternde Gegenwart ein?“ (Narr 1987, 25) Das Medium Gedenkstättenausstellung läuft also Gefahr, Auschwitz in einen beschaulichen Gegenstand zu verwandeln, der als von der Gegenwart abgeschnitten erscheint, nicht zuletzt auch deswegen, weil Gedenkstätten wie Museen einen klar umrissenen Raum darstellen, an den das Gedenken delegiert wird (vgl. Fliedl 1989, 29). Mit dem biografischen Zugang zu den Opfern des Massenmords scheint eine Präsentationsform gefunden worden zu sein, die das Gedenken an die Ermordeten im Museumsraum verstärkt. Aber erscheinen die mit ihren Selbstzeugnissen in den Ausstellungen sichtbar werdenden Einzelnen als bloß konservierte Stimmen und Gesichter einer vergangenen Epoche, oder sind

11 Siehe hierzu weiter unten in diesem Kapitel den Abschnitt ‚Anschaulichkeit und Echtheit‘.

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es gerade ihre persönlichen Erfahrungen, die die Vergangenheit näher an das Publikum heranrücken lassen und anhand derer Gegenwartsbezüge in aktuellen Gedenkstättenausstellungen deutlich werden? Im 21. Jahrhundert sind Gedenkstätten und Denkmale, die den Ermordeten gewidmet sind, fast selbstverständlich geworden. Sie sind mit modernen Ausstellungsbereichen ausgestattet, die über den Massenmord aufklären, und übernehmen inzwischen Aufgaben wie Forschen, Deponieren, Sammeln und Ausstellen, wie sie vom International Council for Museums (ICOM) festgelegt wurden.12 Die Ausstellungen sind wohl das wichtigste Element von Geschichtsvermittlung und Bildungsarbeit in Gedenkstätten. Das Medium Gedenkstättenausstellung ist Ausdruck und Indikator gesellschaftlicher Entwicklungen und sich wandelnder Interpretationen von Vergangenheit. Sein Gegenstand sind Judenmord und KZTerror. Die Ausstellungsbereiche von Gedenkstätten sind, wie Museen im Allgemeinen auch, aber kein bloßes Abbild historischer und politischer Deutungen, sondern sie produzieren Bedeutung, indem sie den zu vermittelnden Gegenstand auf spezifische Art und Weise darstellen (vgl. Baur 2009, 30f.). Die Ausstellungsbereiche sind in dieser Funktion wesentlich für die Geschichtsvermittlung und damit für das nationale Selbstverständnis, das in ihnen fortgeschrieben wird. Jörn Rüsen hat in diesem Zusammenhang Gedenkstätten als ein „Kampfmittel um Identität“ (Rüsen 1998, 338) bezeichnet. Auch wenn unklar ist, was genau nationale Identität sein soll (vgl. Narr 1989, 66-71; Claussen 1988b, 12-16), klar ist, dass an Gedenkstätten wie an Museen die Nation fortwährend wiedererfunden und symbolisch repräsentiert wird (vgl. Anderson 1996).13 Diese gesell-

12 Mit der Gründung des International Comittee of Memorial Museums of Remembrance for the Victims of Public Crime (IC MEMO) als einer Sektion des ICOM wurde 2001 unter Beteiligung bundesdeutscher KZ-Gedenkstätten eine Konsequenz aus der zunehmenden Annäherung von Gedenkstätten an Museen gezogen. Die dem IC MEMO angehörenden Gedenkstätten und Museen sind nicht auf den Nationalsozialismus beschränkt (vgl. Schwietring 2003, 167-169; vgl. Bouresh/Brebeck/Lutz 2001). 13 Das Museum in seiner modernen Gestalt ist untrennbar verbunden mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Im Zuge der Französischen Revolution und der sich daran anschließenden Bildung und Konsolidierung von Nationalstaaten wurden die Kunst- und Wunderkammern, die bis ins 18. Jahrhundert der Selbstrepräsentation von Adel und Klerus dienten, in öffentliche Museen überführt. Die aus den fürstlichen und kirchlichen Sammlungen hervorgegangenen staatlichen Sammlungen wenden sich nun an eine Gesellschaft, die nicht mehr durch das ständische Prinzip bestimmt ist, sondern Liberté, Égalité und Fraternité allen Staatsbürgern formal verspricht (vgl. Rupnow 2006, 49f.; Groys 1997, 46-49). Die Bedeutung von Museen für ein nationa-

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schaftliche Aneignung der nationalsozialistischen Vergangenheit in Form von Pädagogisierung, Nationalisierung und Musealisierung und der Wandel, dem die Gedenkstätten dabei unterliegen, bildet sich in ihren Ausstellungsbereichen ab. Zu welchen Resultaten dieser Wandel in den Konzeptionen der Gedenkstättenausstellungen geführt hat und welche Bedeutung er für ein Verständnis des Nationalsozialismus und des Holocaust hat, diese Frage steht im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung. Die Analyse der Vermittlung des Holocaust beschränkt sich dabei auf drei Gedenkstättenausstellungen: auf den Ausstellungsbereich Ort der Information des Denkmals für die ermordeten Juden Europas (Berlin),14 auf die ständige Ausstellung ‚Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden‘ der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz (Berlin)15 und auf die Hauptausstellung ‚Zeitspuren. Die Geschichte und Nachgeschichte des Konzentrationslagers Neuengamme 1938-1945‘ der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hamburg)16. Anhand dieser drei zentralen Dauerausstellungen und anhand einer umfangreichen Befragung von Schülerinnen und Schülern, die diese Ausstellungen besucht haben,17 wird der Frage nachgegangen, wie Judenmord und KZTerror in heutigen Gedenkstätten dargestellt und wie sie rezipiert werden. Innerhalb des breiteren gedenkpolitischen Wandels in Deutschland lässt sich an diesen drei Orten exemplarisch rekonstruieren und deuten, wie die NS-Vergangenheit heute vermittelt wird und wie sich in der Dokumentation der Massenverbrechen das Spannungsverhältnis von Individuum und Masse verändert hat. Für die Ausstellungsbereiche wurden Präsentationsformen gewählt, die Einzelne in der Masse der verfolgten Personen sichtbar machen möchten und die sich an Elementen sowohl des Gedenkens der jüdischen Verfolgten als auch der HolocaustEducation orientieren.

les Selbstverständnis wird in vielen Publikationen betont, siehe etwa: Macdonald 2000, 126-128; Muttenthaler/Wonisch 2006, 13; Baur 2009, 57-60; Piper 2006, 22; Ernst 1991 u. 1997. 14 Die Bezeichnung ‚Denkmal für die ermordeten Juden‘ wird im Folgenden auch mit Denkmal abgekürzt. 15 Die Bezeichnung ‚Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz‘ kürze ich auch mit Haus am Wannsee, Wannsee-Villa, Villa oder schlicht mit Wannsee ab. 16 Die Bezeichnung ‚KZ-Gedenkstätte Neuengamme‘ kürze ich im Folgenden auch mit Neuengamme ab. 17 Zur Begründung des von mir gewählten Fokus auf Schulgruppen siehe Kap. 1.1. u. 1.1.2.

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Die im Untersuchungsverlauf aufzugreifenden Forschungsfragen lauten: Wie hat die Darstellung der historischen Ereignisse sich gegenüber frühen Präsentationsformen in Gedenkstätten verändert? Warum haben sich Personalisierungen zu relevanten Darstellungsformen des Holocaust und Nationalsozialismus entwickelt? Welche historisch-politischen Gründe und pädagogisch-kuratorischen Überlegungen liegen dem Wandel hin zur Präsentation von Selbstzeugnissen und Biografien der Opfer der NS-Verbrechen zugrunde? Welche Konsequenzen haben personalisierende Darstellungen in Gedenkstättenausstellungen für das Verständnis des Nationalsozialismus? Welche Bedeutung geben Ausstellungsbesuchende oder genauer: die Schülerinnen und Schüler, die im Klassenverband die Gedenk- und Bildungsstätten aufsuchen, dem Ausstellungsgegenstand im heute gängigen Dokumentationsmodus? Erkenntnisleitend bei der Wahl der Fragestellung war der nach wie vor aktuelle und in Gedenkstätten eher unbestimmt verfolgte Imperativ Adornos, Handlungs- und Denkweisen zu verfolgen, die neue Katastrophen und Opfer zu verhindern versuchen. Die Möglichkeiten staatlich geförderter Gedenkstätten, die Gesellschaft entsprechend Adornos Forderung einzurichten, sind mehr als begrenzt. Gedenkstätten allein können eine Wiederholung von Auschwitz nicht verhindern, gleichwohl ist es ihr Anspruch, pädagogisch-aufklärend in die Gegenwart und Zukunft zu wirken. Mich interessiert, anhand welcher Präsentationsmittel sie im Museumsraum welche Botschaften transportieren und inwiefern ihre Ausstellungsbereiche es vermögen, die Beunruhigung aufrechtzuerhalten, die Auschwitz für die moderne Gesellschaft fortdauernd bedeutet. Der Historiker Saul Friedländer hat die Integration von Selbstzeugnissen in seine Gesamtdarstellung der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden damit begründet, die „Fassungslosigkeit“ (Friedländer 2006b, 25), die durch historisches Wissen ohne Einschluss der Stimmen der Opfer domestiziert und wegerklärt werde, nicht beseitigen oder einhegen zu wollen (vgl. ebd.). Ich argumentiere mit Friedländer, dass Tagebücher und andere zeitgeschichtliche Aufzeichnungen der verfolgten und ermordeten Personen essentiell für ein Verständnis der Geschichte des Holocaust sind. Inwiefern es die untersuchten Ausstellungen durch die Präsentation von Selbstzeugnissen – sowohl während der Verfolgung als auch im Nachhinein verfasste Berichte über das Erlebte – und von biografischen Elementen vermögen, eine Fassungslosigkeit oder eben Beunruhigung zu vermitteln, aus dieser Frage resultiert das die Studie leitende Interesse. Obwohl die ausgewählten Gedenkstätten sich in ihren besonderen thematischen und gestalterischen Schwerpunkten unterscheiden, wurden für ihre Ausstellungsbereiche Darstellungsweisen gewählt, die Einzelschicksale anhand von persönlichen Dokumenten, Selbstzeugnissen und Biografien sichtbar und ver-

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stehbar machen sollen. Auf diese Weise wird versucht, eine empathische Annäherung an die historischen Ereignisse zu ermöglichen und die Opfer der Massenverbrechen als Personen ins Gedächtnis zu rücken. Angesichts der Bedeutung, die Selbstzeugnissen und biografischen Darstellungen heute in Gedenkstättenausstellungen zukommt, geht es in der vorliegenden Studie vor allem um das Mittel der Personalisierung der Opfer, die den Besuchenden in den Ausstellungen kaum als Masse, sondern als Einzelne begegnen. Der engere Untersuchungsgegenstand sind also Personalisierungen der unter dem NS-Regime verfolgten und ermordeten Personen, denen die Gedenkstätten und ihre Ausstellungen gewidmet sind.18 Unter ‚Personalisierungen‘ werden dabei jene Darstellungsformen in Gedenkstättenausstellungen verstanden, die anhand der von den Verfolgten verfassten Quellen und biografischer Elemente den Judenmord sowie andere NS-Verbrechen vermitteln und auf diese Weise auch anstreben, die verfolgten Personen zu re-personalisieren. ‚Individualisierung‘ bezeichnet ebenfalls eine solche Vermittlungsweise, allerdings werden darunter auch fiktive oder halbfiktive Darstellungen verstanden. Die TV-Serie Holocaust, die ausgehend von der jüdischen Familie Weiss die Judenverfolgung für ein breites Publikum aufbereitete, ist hier wohl das bekannteste Beispiel. Der Begriff der Individuali-

18 Über den Begriff der Personalisierung schrieb Günther Anders gegen Kritiker der Anfang 1979 ausgestrahlten TV-Serie Holocaust, dass „allein Nichtpersonales“ personalisiert werden könne, nicht aber Personen. Da man diese in Auschwitz „ihres Personencharakters beraubt“, also „de-personalisiert“ habe, könnten sie höchstens „repersonalisiert“ werden (Anders 1979, 182f.). Mit dieser Bestimmung von ‚Personalisierung‘ verteidigte Anders die TV-Serie Holocaust; denn diese habe die Ziffern immerhin in Menschen zurückverwandelt und gezeigt, „daß die sechs Millionen Vergasten sechs Millionen Einzelne gewesen sind“ (ebd., 183). Andreas Huyssen kritisiert das Identifikationsangebot der Serie an das deutsche Publikum, stellt aber auch fest, dass Holocaust – ähnlich wie das Tagebuch der Anne Frank – eine emotionale Annäherung an die ermordeten Jüdinnen und Juden Europas überhaupt erst ermöglicht habe (vgl. Huyssen 1980, 135). Dirk Rupnow merkt an, dass auch die ‚arische‘ Familie Dorf in der Serie eine Identifikation anbiete (vgl. Rupnow 2006, 165). Im Zusammenhang mit den von mir untersuchten Personalisierungen greife ich die individualisierende Fernsehproduktion im weiteren Verlauf wieder auf. Dabei orientiere ich mich insbesondere an den Ausführungen Harold Marcuses über die mit der TV-Serie einem breiten deutschen Publikum nahegebrachte Perspektive der Opfer (vgl. Marcuse 2001, 343-347). Die Opfer, so Marcuse über das Darstellungsformat von Holocaust, „became living, breathing people, instead of statistics and piles of emaciated corpses“ (ebd., 346).

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sierung zeigt zwar den Gegensatz zwischen Individuum und Masse auf, abstrahiert aber vom realen Einzelmenschen. Dem Begriff der Personalisierung hingegen ist die Vorstellung einer realen Person mit einem Gesicht und einem Namen inhärent – und genau um die Inbezugnahme zu den realen Einzelnen geht es bei Personalisierungen von Gedenkstättenausstellungen. Auch wenn sich die Präsentationsform ‚Personalisierung‘ in Gedenkstättenausstellungen mitunter an filmischen Vorbildern orientiert, kann sie doch von diesen unterschieden werden, zuallererst da sie sich nicht auf Fiktives stützt, sondern sich aus zeitgeschichtlichen Quellen und persönlichen Berichten der Opfer der NS-Verbrechen zusammensetzt (vgl. Brücker 2009b, 111). Gegen diese Unterscheidung von ‚Personalisierung‘ und ‚Individualisierung‘ lassen sich allerdings auch gewichtige Gründe vorbringen. So beziehen sich beide letztlich auf eine im Abstrakten verbleibende Präsentationsform: Zum einen lernen Besuchende die in Gedenkstättenausstellungen beispielhaft vorgestellten Personen nicht wirklich kennen, obwohl Empathie und Mitleid gerade über die Illusion einer persönlichen Begegnung geweckt werden sollen. Zum anderen sind Personalisierungen auch insofern lediglich scheinbare Konkretisierungen, als sie von den gesellschaftlichen Strukturen abstrahieren, innerhalb derer ein Einzelschicksal erst konkret, also historisch-gesellschaftlich, verstanden werden kann. Auf diese Limitierung von Personalisierungen hat Adorno Ende 1959 in dem Vortrag Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit aufmerksam gemacht: Nach einer Theateraufführung des Tagebuchs der Anne Frank habe eine Frau zu ihm gesagt: „Ja, aber das Mädchen hätte man doch wenigstens leben lassen sollen.“ (Adorno 1997b, 570; H. i. O.) Selbst eine Aussage wie diese sei gut, kommentiert der Autor, „als erster Schritt zur Einsicht. Aber der individuelle Fall, der aufklärend für das furchtbare Ganze einstehen soll, wurde gleichzeitig durch seine eigene Individuation zum Alibi des Ganzen, das jene Frau darüber vergaß.“ (ebd.) Sich mit der Protagonistin zu identifizieren und dabei das Ganze und gerade erst Geschehene nicht an sich heranzulassen, schien sich nicht auszuschließen.19 Das Schicksal Anne Franks sollte stellvertretend für die Millionen

19 Die Empathie, die Anne Frank im „Kulturbetrieb“ (Claussen 1988a, 59) der Bundesrepublik in den 1950er und 1960er Jahre entgegengebracht wurde, scheint eine Ausnahme gewesen zu sein. Die alltäglichen Meinungen und Einstellungen der Bevölkerung, die das Institut für Sozialforschung analysierte, dokumentieren vielmehr eine Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus, die mit unterschiedlich artikulierter Abwehr einherging, sich der Wirklichkeit des kurz zuvor Geschehenen zu stellen (vgl. Adorno/Dirks 1955; Adorno 1997e). Heute, so ist anzunehmen,

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Ermordeten stehen – mit der individuellen Leidensgeschichte identifizierte sich die Frau im Theaterpublikum und war offensichtlich berührt, aber auf die Dimension des Verbrechens und auf den das Einzelschicksal hervorbringenden gesellschaftlichen Kontext schien sich ihre Empörung nicht zu beziehen. Bei den Präsentationsformen in Gedenkstättenausstellungen, die im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung stehen, geht es allerdings auch nicht um solche Personalisierungen, die mit Adorno als falsches Denkmuster begriffen werden können und anhand derer komplexe und unverstandene gesellschaftliche Verhältnisse zu erklären versucht werden.20 Vielmehr geht es um die ‚Re-Personalisierung‘ der ‚Sechs Millionen‘. Versuche, den Nationalsozialismus anhand einzelner Personen resp. Personalisierungen geschichtlich zu vermitteln, vermögen es nicht, übergreifende Strukturen und Entwicklungen darzustellen – deren Kenntnis allerdings ist notwendig, nicht zuletzt um den deutschen Massenmord von anderen Genoziden zu unterscheiden. Diese Limitierung von Personalisierungen ist nicht den Selbstzeugnissen zur Last zu legen, verpflichtet Gedenkstätten aber, den historischen Kontext in anderer Form in die Präsentation zu integrieren. Angesichts dieser Problemkonstellation wird in der vorliegenden Studie auch danach gefragt, welche Potenziale und welche Schwierigkeiten mit personalisierenden Darstellungen verbunden sind. Gedenkstätten und Museen Die Einrichtung von Gedenkstätten war in der Bundesrepublik in der Regel mit der Eröffnung einer Ausstellung verbunden (vgl. Brink 1998, 182). Dies war auch der Fall in der Gedenkstätte Neuengamme und dem Haus der WannseeKonferenz. Aber auch das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wurde zusammen mit einer Ausstellung eröffnet, wodurch das als Denkmal geplante

wird persönlichen Verfolgungsgeschichten von größeren Teilen der deutschen Bevölkerung Empathie entgegengebracht. 20 Die bürgerliche Gesellschaft, die ein freies Leben verspricht, Freiheit in ihrer Vergesellschaftung aber verhindert und von den Einzelnen leicht als Desorientierung empfunden wird, kann durch Personalisierungen scheinbar bewältigt werden. Vor diesem Hintergrund bestimmt Adorno in den Studien zum autoritären Charakter Personalisierungen als Versuch, „[…] objektive gesellschaftliche und ökonomische Prozesse, politische Programme, innere und äußere Spannungen mittels Personen zu bezeichnen, die mit dem jeweiligen Fall identifiziert werden, anstatt sich selbst der Anstrengung der unpersönlichen geistigen Arbeit zu unterziehen, die die Abstraktheit der gesellschaftlichen Prozesse erfordert“ (Adorno 1999, 190). Antisemitische Denk- und Handlungsmuster sind wohl das gewaltvollste Beispiel für Personalisierungen.

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Erinnerungszeichen in eine Gedenkstätte transformiert wurde.21 Diese wie andere Gedenkstätten sind infolge des oben bereits angesprochenen Prozesses der Musealisierung heute auch historische Museen. Gleichzeitig unterscheiden sie sich aber von üblichen Geschichtsmuseen durch den Gegenstand der Vermittlung (vgl. Knigge 2004, 17). Gedenken und Mahnen finden in historischen Museen nicht wie in Gedenkmuseen statt, die an die Opfer der deutschen Massenverbrechen erinnern. KZ-Gedenkstätten sind reale Leichenfelder, aber auch ein symbolischer Friedhof wie Yad Vashem in Israel, ein historischer Täterort wie die Wannsee-Villa oder das Denkmal in Berlin unterscheiden sich von historischen Museen. Erzeugnisse künstlerischen Schaffens werden in Gedenkstätten auch nicht wie in Kunstmuseen zur Zerstreuung ausgestellt, sondern um einen bis heute weniger üblichen Zugang zur Katastrophe und ihren Opfern zu ermöglichen. Als ‚Exponate‘ werden in NS-bezogenen Ausstellungen Dokumente, Erinnerungsberichte oder Gegenstände gezeigt. Die meisten Dinge, die an den Erinnerungsorten ausgestellt werden, wurden von Überlebenden und ihren Befreiern nicht als Museumsobjekte gesammelt, sondern um die bis dahin beispiellosen Massenverbrechen zu beweisen (vgl. ders. 2005b, 399). Zeugnisse, die während Verfolgung, Deportationen und Vernichtung entstanden und heute ausgestellt werden, wurden mit der Intention verfasst, zu berichten und zu belegen. An dieser Funktion hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn im Selbstverständnis von Gedenkstätten die Beweisfunktion zunehmend in den Hintergrund tritt. Auch deswegen sind Gedenkstättenausstellungen von Museen zu unterscheiden, denn ihre Funktion ist es nicht, den „Müllhaufen der Geschichte“ (Groys 1997, 46) auszustellen.22 Heute wird in Gedenkstätten Privates präsentiert, das mitunter niemals für ein Museum bestimmt war. Genauso wie in Museen liegen aber auch

21 Das Denkmal wird auch deshalb als Gedenkstätte verstanden, da es aufgrund seines Ausstellungsbereichs von Politik und Öffentlichkeit als Gedenkstätte wahrgenommen wird (vgl. Meseth 2005, 177; Lutz 2009, 24 u. 48; Kirsch 2003, 38) und sich in seiner administrativen Struktur an anderen Gedenkstätten orientiert. 22 Diesen Ansatz vertritt beispielsweise Jana Scholze 2004, 18f. in ihrer Museumsanalyse; für Gedenkstättenausstellungen hat ihn Lutz 2009, 93 übernommen. Die Verwandlung von Gegenständen in Museumsobjekte vollzieht sich für gewöhnlich erst, nachdem „Symbole der Macht, Zeichen des Kultes, der Ideologie ihre frühere Funktion verlieren und sich in geschichtlichen Müll verwandeln“ (Groys 1997, 46). Boris Groys, der hier über Museen in Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schreibt, nennt Museen deswegen auch „Friedhöfe der Dinge: Was dort gesammelt wird, ist seiner Lebensfunktion beraubt, also tot“ (ebd., 8f.).

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in Gedenkstätten Erinnern und Vergessen nahe beieinander, denn auch hier entscheiden die Verantwortlichen darüber, was exponiert wird und was nicht.23 Ein- und Ausschlusskriterien in Gedenkstättenausstellungen zu reflektieren ist besonders angezeigt, weil das subjektive Verständnis historischer Ereignisse stark von ihrer öffentlichen (Re-)Präsentation geprägt ist. Entsprechend ist auch unser Bild der NS-Verbrechen abhängig von ihrer Darstellung und Vermittlung in der Gegenwart. Daher wird im Untersuchungsverlauf auch der Frage nachgegangen, welche Annahmen die Gedenkstätten sowie die Ausstellungsmachenden bei der Auswahl des zu Zeigenden geleitet haben. Welche Zeugnisse und Dokumente wurden als Exponate ausgewählt und weswegen? Gedächtnis und Geschichte Es hat lange gedauert, bis in Deutschland begonnen wurde, die Stimmen der Opfer zu hören, bis ihre Zeugnisse in die Geschichtsschreibung Eingang fanden und in Gedenkstättenausstellungen den Täterdokumenten gegenübergestellt wurden. Die ‚integrierte Geschichtsschreibung‘ Friedländers (2007), die Selbstzeugnisse als das Gedächtnis der verfolgten und ermordeten Personen und als ein immanentes Element der Historiografie versteht, nimmt hier eine Vorreiterrolle ein.24

23 Eine Studie über das ‚Medium Ausstellung‘, die die Sammlungen von Museen als Ausgangspunkt der Untersuchung über museale Präsentationsformen nimmt, liegt von Scholze (2004) vor. Bei der vorliegenden Untersuchung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wird die Sammlung berücksichtigt, zumal sie sich von Sammlungen gewöhnlicher Museen in ihren Ein- und Ausschlusskriterien unterscheidet (vgl. Rahe 2001, 38-40). Die anderen beiden Gedenkstätten verfügen über keine eigene Sammlung. 24 Die Notwendigkeit, eine integrierte Geschichte des Holocaust zu explizieren, hat Saul Friedländer auf seine Auseinandersetzung mit Martin Broszat im Zuge des Historikerstreits zurückgeführt (vgl. Friedländer 2007, 8). Broszat bezeichnete in seinem Plädoyer für eine Historisierung des Nationalsozialismus die Erinnerung der Opfer als „mythische Erinnerung“, die einer „rationalen“ Geschichtsschreibung hinderlich sei (zit. nach ebd.). Mit diesem positivistischen Wissenschaftsverständnis, geäußert von einem Historiker der Generation der Hitlerjugend, sollte eine vermeintlich objektive Wissenschaft einseitig vom Subjektiven befreit und Erinnerung aus Geschichtsschreibung ausgeschlossen werden. Jüdischen Historikern, die Augenzeugenberichte und andere Selbstzeugnisse in die Historiografie einbezogen, wurde damit ihre Legitimität als Wissenschaftler abgesprochen (vgl. Berg 2004, 613-615 u. 633f.; Traverso 2007, 2529). Bereits ersten Versuchen, die Vernichtung der Juden darzustellen, wurde in Nachkriegsdeutschland die Objektivität aberkannt. Zu nennen ist hier insbesondere

28 | I NDIVIDUUM UND M ASSE „Die Zeugnisse der Opfer können uns nicht über die innere Dynamik der NSVerfolgungen und -Vernichtungen aufklären, aber sie bringen das Verhalten der Täter voll zur Anschauung; sie beschreiben das Zusammentreffen der Täter und Opfer von Angesicht zu Angesicht – während der Verfolgung, der Deportationen und der Morde.“ (Friedländer 2002, 222)

Über Tagebuchauszüge und andere Augenzeugenberichte, die Friedländer in Das Dritte Reich und die Juden (2006a u. 2006b) integriert hat, schreibt er, dass sie „offenbaren, was man wußte oder was man wissen konnte“ (2006a, 12; H. i. O.). Ich folge Friedländer und gehe davon aus, dass Tagebücher, während der Verfolgung angefertigte Fotos und Zeichnungen, aber auch rückblickend verfasste Erinnerungsberichte essentiell sind, um die Auswirkungen der Verfolgung und Vernichtung auf die Opfer zu verstehen. Sie werden von mir als Momentaufnahmen und substantielle Quellen verstanden, die etwas über die Handlungen der Täter, das Verhalten der Zuschauer und die „Welt der Opfer“ (ebd., 11) aussagen. Dabei ist die Einordnung der Berichte der Verfolgten in einen „historischen Gesamtrahmen“ (ebd., 12) notwendig, um Fragen nach dem ‚Warum‘ der Verbrechen aufwerfen zu können. Täterdokumente und Geschichtsschreibung, das haben u. a. die Arbeiten von Hilberg gezeigt (vgl. Hilberg 1990 u. 1994), sind unerlässlich, um ideologische oder ökonomische Voraussetzungen sowie übergreifende historische Entwicklungen zu verstehen und um die oftmals situativen Beschreibungen aus der Verfolgtenperspektive einordnen und voneinander unterscheiden zu können. In heutigen Gedenkstättenausstellungen, die sowohl Quellen der Täter- als auch der Opferseite zeigen, scheinen beide Ansätze berücksichtigt zu werden. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden danach gefragt, wie das Spannungsverhältnis von Person und Struktur in den Ausstellungen umgesetzt wird. Wie werden Personalisierungen in die Dokumentation integriert, um die systematische Verfolgung und ihre Auswirkungen auf die Verfolgten darzustellen? Gelingt es, in den Präsentationen zu verdeutlichen, wie die Einzelnen individuell auf das System reagiert haben, das als Ganzes gegen sie war? Anhand welcher Selbstzeugnisse und biografischer Motive also werden ‚Individuum und Masse‘ miteinander in Beziehung gesetzt? Damit ist auch die Frage verbunden, wie Ge-

der Historiker und Auschwitz-Überlebende Joseph Wulf (vgl. Berg 2004, 337-370 u. 594-601), der sich in den 1960er Jahren erfolglos darum bemühte, in der Villa am Wannsee ein Internationales Dokumentationszentrum des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen einzurichten (vgl. Kap. 3.1.2). Zur integrierten Geschichtsschreibung Friedländers siehe auch: Young 1997b.

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denken und Informieren im Museumsraum umgesetzt werden und wie die Pädagogik des Zeigens auf das Postulat reagiert, die „Opfer im Stande ihres Opferseins“ (Zuckermann 1999a, 90) zu erkennen und anzuerkennen. Die „Memorialfunktion“ (Thiemeyer 2010, 76) von Zeugnissen in Gedenkstättenausstellungen ist also eine besondere. Sie sind nicht lediglich ‚Spuren‘, sondern Tatbeweise – wie Täterdokumente auch. Indem die Erinnerungen, Perspektiven und Erfahrungen der Verfolgten anhand ihrer Aufzeichnungen in die Dokumentation integriert werden, können sie Teil des historischen Verständnisses und ‚kollektiven Gedächtnisses‘ (vgl. Halbwachs 1985) jener Gesellschaft werden, die sie in Gedenkstätten zeigt. Daher wird im Folgenden auch der Frage nachgegangen, warum es so lange gedauert hat, bis die Selbstzeugnisse der Opfer zu gewichtigen Präsentationsmitteln der Gedenkstätten avancierten. Anschaulichkeit und Echtheit Gedenkstätten unterscheiden sich aber nicht nur von anderen (historischen) Museen, sondern teilen mit ihnen dreidimensionale Anschaulichkeit und Begehbarkeit. Darin liegt ihre Spezifik gegenüber anderen Medien der Geschichtsvermittlung sowie gegenüber herkömmlichen Bildungseinrichtungen wie beispielsweise der Schule. In Gedenkstättenausstellungen beruht die Vergegenwärtigung von Geschichte auf Gegenständlichkeit und Visualität, im Gegensatz zur Darstellung in Schulbüchern (vgl. Treinen 2004, 7). Nach Gottfried Korff und Martin Roth beruht die „sinnliche Anmutungsqualität“ (Korff/Roth 1990, 17) des Museums auf dem originalen Objekt. Dieses sei „Dokument und Zeuge“. Seine Anordnung im Ausstellungsraum und dessen Gestaltung ermögliche den Besuchenden, „in den Horizont einer anderen Zeit einzurücken und doch in der eigenen zu bleiben“ (ebd.). Die ‚Echtheit‘, die so viele Gedenkstättenbesuchende anzutreffen erwarten, erweist sich jedoch als Illusion. So sind die historischen Tatorte selbst vielfach überformt und bearbeitet, und auch die Dokumente und Selbstzeugnisse werden von Kuratorinnen und Kuratoren zusammen mit anderen Präsentationsmitteln gedeutet und arrangiert.25 Daran ändert auch ihre ‚Echtheit‘ nichts. Nicht zuletzt ist die Unmöglichkeit einer ‚unmittelbaren‘ oder ‚authentischen‘ Erfahrung selbst nicht erlebter Vergangenheit jedem Versuch eingeschrieben, die

25 Walter Benjamin schreibt zur ‚Echtheit‘ von Kunstwerken: „Noch bei der höchstvollendeten Reproduktion fällt eines auf: das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet.“ (Benjamin 1999 [1935], 437) Benjamin, der über die Zerstörung von Aura im Kapitalismus schreibt, bestimmt hier Kunst. Aber auch auf Zeugnisse trifft zu, dass diese zwar echt im Sinne von nicht gefälscht, aber eben reproduziert, aufbereitet und arrangiert sind.

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Vergangenheit in die Gegenwart zu übersetzen (vgl. Zuckermann 1999a, 92). Die Echtheit und sinnliche Anmutung von originalen Quellen – in der vorliegenden Studie auch von Ausstellungsgebäuden und Außengeländen – verwandeln die Gedenkstätten in einen scheinbaren Erfahrungsraum, der historische Ereignisse näher rücken lässt und Aufmerksamkeit und Emotionen anregen kann. Aber trifft auch auf Gedenkstätten zu, was Andreas Huyssen über Museen schreibt, dass diese „Strategien der Auswahl, des Arrangements, der Darbietung [benutzen], die jegliche Unmittelbarkeit von Erfahrung eines Originären zur Illusion werden lassen“ (Huyssen 1992, 191)? Die Wirklichkeit von Auschwitz und ihre Zeugnisse werden vorliegend nicht in ihrer historischen Echtheit hinterfragt. Das Interesse liegt vielmehr auf der Vermittlung dieser Echtheit oder anders gesagt: auf dem Gebrauch und dem Konsum von ‚Authentizität‘ in Gedenkstätten und ihren Ausstellungsbereichen. Wie bei Museen generell ließe sich auch hier von „collaborative hallucination“ (Kirshenblatt-Gimblett 1998, 167) sprechen. In Anlehnung an Joachim Baur gehe ich davon aus, dass die Echtheit von Zeugnissen, Gegenständen und Orten „einen impliziten Vertrag zwischen Besuchern und Museum [stiftet] und diesem seine Glaubwürdigkeit verleiht“ (Baur 2009, 31f.). Demnach ließe sich formulieren, dass die Stimmen der Opfer, ihre authentischen Zeugnisse, den deutschen Gedenkstätten einen glaubhaften Glanz verleihen. Meine Studie fragt daher auch nach der Wechselwirkung von Ausstellung und dem Ort ihrer Präsentation als einer Bedingung der Rezeption. Wenn ich im Folgenden nicht den Terminus ‚authentische Orte‘, sondern ‚historische Orte‘ verwende, dann möchte ich damit die scheinbare Unmittelbarkeit, die vorgeblich untrügliche Wahrheit, die diesen Plätzen und der dortigen Museumserfahrung innewohnen soll, hinterfragen und ihre Vermitteltheit unterstreichen.26 Der Ortsbezug ist bei Gedenkstätten entscheidend, sowohl im Selbst-

26 Der historische (Täter-)Ort, an dem das Denkmal errichtet wurde, war für die Initiative zum Bau des Denkmals ausschlaggebend und ist vielleicht für einige Besuchende heute noch der entscheidende Besuchsgrund. Für die realisierte Ausstellungskonzeption sind Tatortbezüge der Umgebung aber nicht relevant. Von daher erscheint es sinnvoll, die Gedenkstätten Neuengamme und Wannsee als historisch zu bezeichnen und das Denkmal nicht. Aber auch der alternativ zu ‚authentisch‘ gewählte Begriff ‚historisch‘ ist nur bedingt zutreffend, da jeder Ort eine Geschichte hat und demnach historisch ist (vgl. Haug/Geißler-Jagodzinski 2009, 314, FN 17). Authentizität ist in Bezug auf Museen und Gedenkstätten „[...] nur als vermittelte zu denken [...] und nicht als Unmittelbarkeit“ (Huyssen 1992, 191). Mit Authentizität und der Vermitteltheit von KZ-Gedenkstätten beschäftigen sich auch: Heyl 2011 u. 2010b und Siebeck 2011.

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verständnis als auch in der Fremdwahrnehmung. Mitgebrachtes Wissen und Vorstellungen eines ‚Hier ist es geschehen‘ prägen nicht nur die thematische Ausrichtung der Ausstellungen, sondern auch die Wahrnehmung des dort Gezeigten. Projektionen auf das zu Sehende gehen über das in Gedenkstätten wahrzunehmende Objekt hinaus. Am Denkmal, das nicht wie Neuengamme und Wannsee durch einen historischen Tat- bzw. Täterort definiert ist, frage ich, inwiefern die Ausstellungsgestaltung künstlich eine Atmosphäre herstellt, die dem Denkmal als nichthistorischem Ort von sich aus nicht zukommt. Inwieweit die Außenbereiche, aber auch die den räumlichen Kontext aufgreifenden Ausstellungsarchitekturen die Bedeutungszuschreibungen der Besuchenden prägen, wird vorliegend also anhand von Gedenkstättenausstellungen mit unterschiedlichen Ortsbezügen aufgezeigt. So berücksichtigt die Untersuchung nicht nur die museale Präsentation, insbesondere der Selbstzeugnisse und Biografien, sondern auch die Aufbereitung des räumlichen Kontextes und wie sich dieser inhaltlichgestalterisch im Museumsraum fortsetzt und die Rezeption des hier Präsentierten prägt. Gedenkstätten und Kulturindustrie Ähnlich wie Museen erfahren Gedenkstätten und ihre Ausstellungsbereiche eine massenhafte Aufmerksamkeit. Die Erinnerungsorte, die von den deutschen Verbrechen an den Einzelnen berichten, werden von immer mehr Menschen besucht. So gehören sie heute selbstverständlicher als noch in den 1990er Jahren zum Besuchsprogramm von Klassenfahrten. Das gesteigerte Interesse an Gedenkstätten findet sich quer durch alle sozialen Gruppierungen. Sie sind nicht zuletzt touristische Attraktionen, weswegen die Verantwortlichen in den Gedenkstätten sich mitunter mit einem, wie es Jörg Skriebeleit, Leiter der KZGedenkstätte Flossenbürg, einmal formuliert hat, „KZ-Tourismus“ (Skriebeleit 2005) konfrontiert sehen. Welche Vermittlungsprobleme werden an den historisch aufbereiteten Orten und ihren modernen Ausstellungen aufgeworfen, auf die Kohorten von Schulverbänden heute treffen? Gedenkstätten scheinen sich, dies legen ihre hohen Besuchszahlen nahe, zu einem Massenmedium zu entwickeln, wie es Huyssen Anfang der 1990er Jahre der Institution Museum attestiert hat (vgl. Huyssen 1992, 183). Das „material Reale des musealen Gegenstands“ (ebd., 191), das möglicherweise als Reaktion auf eine immer flüchtiger werdende Gegenwart vom Museumspublikum aufgesucht wird,27 zieht gegenwärtig immer mehr Besuchende in die Ausstellungsbe-

27 Das Begehren nach Echtheit, so lässt sich in Anlehnung an Hito Steyerl formulieren, wird nicht zuletzt durch unscharfe und verwackelte Dokumentationen evoziert, mitun-

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reiche von Gedenkstätten. Wie aber verändern sich Gedenken und die Vermittlung von historischem Wissen angesichts dieses kollektiven Drangs zu den Erinnerungsorten? Wenn Gedenkstätten sich Museen und anderen Freizeitattraktionen angleichen, und davon ist gegenwärtig auszugehen, stellt sich die Frage, wie ihr Gegenstand, die Millionen Opfer und der deutsche Massenmord, von Politik, von den Gedenkstätten selbst sowie von Besuchenden rezipiert und perzipiert werden.28 Auch wenn Gedenkstätten selbst nicht auf Profit ausgerichtet sind, werden sie als Teil von Erinnerungskultur doch in einem gesellschaftlichen Setting rezipiert, dessen NS-bezogene Kulturproduktion in gewisser Weise auch der Logik einer Kulturindustrie folgt. Selbstzeugnisse und biografische Darstellungen einzelner Schicksale sind für sich genommen zwar keine kulturindustriellen Produkte. Doch lässt sich fragen, inwiefern (Re-)Präsentationen des Holocaust im Museumsraum Rezeptionsmuster ansprechen, die außerhalb von Gedenkstätten durch Massenmedien geprägt sind, die auf die Affirmation des Bestehenden zielen29 und dabei die Wahrnehmungsstrukturen und emotionalen Bedürfnisse der Rezipierenden formen und angleichen: „Der Zuschauer soll keiner eigenen Gedanken bedürfen: das Produkt zeichnet jede Reaktion vor: nicht durch seinen sachlichen Zusammenhang – dieser zerfällt, soweit er Denken beansprucht – sondern durch Signale.“ (Horkheimer/Adorno 1997a, 159) Diese Beobachtung von Horkheimer und Adorno aus den USA der 1940er Jahren lässt sich trotz veränderter gesellschaftlicher Vorzeichen auf die massenmediale Vermarktung von Nationalsozialismus und Holocaust übertragen: Signale wie gezielte Musikeinspielungen oder Schnitt- und Lichteffekte lenken das Gefühl der Zuschauenden an entscheidenden Plot-Stellen; fiktive Überlebensgeschichten, die über das

ter live aus Kriegsgebieten übertragene Bilder, die ständig zweifeln lassen, ob das Geschehene mit der Wirklichkeit übereinstimmt, während diese in der Rezeption gleichzeitig in ein Event verwandelt wird (vgl. Steyerl 2008, 7f.). 28 Zu dieser Frage vgl. auch Geißler 2015. 29 In der Vorrede der Dialektik der Aufklärung heißt es, der Abschnitt zur Kulturindustrie zeige „die Regression der Aufklärung auf Ideologie, die in Film und Radio ihren maßgeblichen Ausdruck findet. […] ihrem eigentlichen Gehalt nach erschöpft sich die Ideologie in der Vergötzung des Daseienden und der Macht, von der die Technik kontrolliert wird.“ (Horkheimer/Adorno 1997a, 16) Im Kapitel selbst heißt es: „Trotzdem bleibt die Kulturindustrie ein Amüsierbetrieb. Ihre Verfügung über die Konsumenten ist durchs Amusement vermittelt; nicht durchs blanke Diktat, sondern durch die dem Prinzip des Amusements einwohnende Feindschaft gegen das, was mehr wäre als es selbst, wird es schließlich aufgelöst“ (Ebd., 158).

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sinnlose Massenmorden hinwegtrösten, werden zur Identifikation angeboten, und die Filmtechnik suggeriert im Gewand des Realen: Genau so ist es gewesen (vgl. Zuckermann 1999a, 95). Die Sichtbarmachung der Individualität der Opfer anhand von Personalisierungen, so ist anzunehmen, folgt den Erfordernissen der zeitgemäßen Kulturindustrie. Die Wahrnehmung des Einzelschicksals wird außerhalb des Gedenk- und Museumsraums schon lange von filmischen Massenmedien wie Holocaust, Schindlers Liste oder inzwischen auch bezogen auf Täterdarstellungen wie Der Untergang bedingt, die insofern kulturindustrielle Produkte sind, als sie die Massenvernichtung anhand fiktionaler Individualisierungen in Kassenschlager verwandeln. Sie nehmen dem Publikum die Anstrengung ab, über das Dargestellte nachzudenken, es in ein soziales Verhältnis zum eigenen Leben zu stellen und auf diese Weise einen emotionalen Bezug zum Betrachteten herzustellen. Wissensvermittlung über den Holocaust kommt nicht ohne Gefühle aus; die Gefahr einer kulturindustriell geformten Wissensvermittlung ist aber, dass die Gefühle in massenmedialer Produktion gegen das Kognitive ausgespielt werden: Indem den Rezipierenden das reflexive Denken weitgehend abgenommen wird, können sie auch kaum das damit verbundene spezifische Fühlen entwickeln, stattdessen wird das im Produkt ‚enthaltene‘ Gefühl übernommen. Die spezifische Distanz, die zwischen den Betrachtenden und dem zu Betrachtenden notwendig wäre, um eine subjektive Reaktion herstellen zu können, bleibt aus: Man braucht, wie Michael Elm schreibt, „keine eigenen Gefühle zu haben, weil sie im Produkt mitgeliefert werden“ (Elm 2008, 162). Reale Selbstzeugnisse und biografische Darstellungen der Opfer des Holocaust können, wie Wolf Kaiser, Leiter der Bildungsabteilung der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz und deren stellvertretender Leiter, angemerkt hat, in Gedenkstättenausstellungen ein Korrektiv zu Fiktionalisierungen darstellen (vgl. Kaiser 2009a, 11). Doch den Jugendlichen in der musealen Darstellung über Personalisierungen die historischen Ereignisse nahezubringen bedeutet eben auch, an durch TV- und Game-Konsum eingeübte, kulturindustriell geprägte Rezeptionsgewohnheiten anzuknüpfen. An diesen Massenmedien indes haben sie die Frage, ob real oder fiktiv, als unangemessen zu suspendieren gelernt – ‚spannend‘ soll es sein. Gedenkstätten heute sind mit genau dieser Erwartungshaltung konfrontiert. Ihre Präsentationsformen wandeln sich nicht zuletzt auch deshalb, weil sie auf veränderte Rezeptionsweisen reagieren. Wenn Gedenkstätten sich dem populären Geschmack öffnen, dem es auf Erlebnishaftigkeit und Unmittelbarkeit anzukommen scheint, bedeutet das aber, dass der Unterschied zwischen NS-bezogenen Ausstellungen und gewöhnlicher Kultur schnell beliebig wird und in der Aneignung des Holocaust tendenziell verwischt. Tritt dann das Ge-

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denken an die Opfer des deutschen Massenmords, die in den Ausstellungsbereichen endlich sichtbar werden, doch immer weiter in den Hintergrund? Ungeachtet des Anspruchs von Gedenkstättenmitarbeitenden, sich auf die Perspektive der Verfolgten einzulassen und diese in den Ausstellungsbereichen nicht erneut zum Objekt zu machen, sind die hier porträtierten Einzelschicksale doch letztlich Mittel zum Zweck, und das umso mehr, wie sie in einer auf Tausch beruhenden Gesellschaft gezeigt werden. Auch wenn es bei personalisierenden Präsentationsformen darum geht, Stereotype aufzulösen und individuelle Vielfalt zu vermitteln (vgl. Köhr 2012, 112), kommt den ausgewählten Einzelnen in Gedenkstättenausstellungen immer auch eine exemplarische Funktion zu. Ausstellungen arbeiten grundsätzlich exemplarisch, da Kuratorinnen und Kuratoren auswählen, was gezeigt wird und was nicht (vgl. Muttenthaler/Wonisch 2006, 13). Da anhand von individuellen Lebensgeschichten allgemeine Aspekte von Verfolgung und Vernichtung vermittelt werden sollen, steht die vorgestellte Person in der Darstellung für etwas, ist Repräsentantin oder Repräsentant einer bestimmten Verfolgtengruppe, eines bestimmten Alters, sozialen Hintergrunds oder Landes. Diejenigen, die sich in keinen bestimmten Typus fügen, werden hingegen aus der Darstellung und damit auch tendenziell aus dem ‚kollektiven Gedächtnis‘ ausgeschlossen. Vor dem Hintergrund des Gedenkstätten eigenen ideologischen Mehrwerts lässt sich mit Gedenken und Kulturindustrie von Zuckermann schließlich fragen, inwiefern in der Gedenkpraxis einer auf Tausch beruhenden Gesellschaft „auch die Opfer zu ‚Opfern‘, zu Artefakten, mithin fungibel“ (Zuckermann 1999a, 98) werden. Welche Partikularinteressen und emotionalen Bedürfnisse die Rezeption der Besuchenden prägen und das Gedenken an die Ermordeten mitbestimmen, fragt sich umso mehr, als sich die Politik der Gedenkstätten in dem Maße angenommen hat, in dem das öffentliche Interesse an ihnen gestiegen ist. Angesichts der kulturindustriellen Bedingtheit der Rezeption und ihrer Antizipation seitens der Gedenkstätten einerseits sowie der Ausschluss- und Präsentationsentscheidungen an den Erinnerungsorten andererseits will die vorliegende Untersuchung klären, was im Blick der Betrachtenden auf die in den Gedenkstättenausstellungen vorgestellten Personen aufgeht. An welche Grenzen stoßen ReIndividualisierungen, die zwar einzelne Personen sichtbar machen, die ihnen im gleichen Moment aber eine exemplarische Funktion zuweisen und damit das Individuelle wieder einkassieren?

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1.1 M ETHODISCHES V ORGEHEN Die vorliegende Untersuchung operiert auf zwei Ebenen: Neben der exemplarischen Analyse von drei Gedenkstättenausstellungen wird auch deren Rezeption untersucht. So werden Aussagen über die Ausstellungen durch Einblicke in die Wahrnehmung der sie Besuchenden – genauer: Schülerinnen und Schüler – ergänzt. Die Ausstellungsbereiche von Gedenkstätten geben zwar Geschichtsbilder und Erinnerungsformen vor, doch wie sich die Besuchenden die museale Dokumentation empirisch aneignen, ist damit noch nicht gesagt. Sabine Offe hat in ihrer Studie über Jüdische Museen in Deutschland und Österreich (2000) auf das offene Wechselverhältnis der beiden Ebenen – Ausstellung und Rezeption – aufmerksam gemacht: „Zwar sind die materialen Träger von Gedächtnis im Museum, also Gebäude, Objekte, Texte, benennbar, Aussagen darüber hingegen, wie dieses Gedächtnis angeeignet wird, sind weitgehend auf Mutmaßungen angewiesen, denn was gelernt und erinnert werden soll, steht zu dem, was gelernt und erinnert wird, also zu dem Museum, das in den Köpfen entsteht, in einer durchaus uneindeutigen Beziehung.“ (Offe 2000, 294f.)

Meine Studie möchte die von Offe zu Recht als uneindeutig charakterisierte Beziehung zwischen musealer Präsentation und Publikum näher bestimmen. Meine Deutung der Ausstellungen und der konzeptionellen Absichten der Gedenkstätten ist eine mögliche Lesart der musealen (Re-)Präsentationen. Erkenntnisse darüber, wie Schülerinnen und Schüler sich mit dem fertigen Produkt Ausstellung auseinandersetzen, können mit dieser Methode nicht gewonnen werden. Ich frage daher nicht nur, wie die NS-Verbrechen in Gedenkstättenausstellungen vermittelt werden, sondern auch, wie die neuen Präsentationsformen, die die Opferperspektive wahrnehmbar werden lassen, rezipiert werden. In einem ersten deskriptiv-analytischen Schritt werden die Gedenkstättenausstellungen unter bestimmten Aspekten untersucht – insbesondere im Hinblick auf die Frage nach dem Spannungsverhältnis von individuellen Geschichten und übergreifenden historischen Abläufen in der Präsentation. Zu diesem Untersuchungsblock gehören neben dem analytischen ‚Lesen‘ der Ausstellung (vgl. Muttenthaler/Wonisch 2006) auch ergänzend von mir geführte Experteninterviews (vgl. Meuser/Nagel 1991) mit Ausstellungskuratorinnen und -kuratoren sowie Gedenkstättenleitern. Auf Grundlage der Analyse der Ausstellungen sowie der diskutierten Präsentationskonzepte führe ich in einem weiteren Schritt eine Rezeptionserhebung durch. Um die Besucherwahrnehmung auf die Ausstellungen zu rekonstruieren, habe ich Gruppendiskussionen (vgl. Bohnsack 2003) und

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problemzentrierte Interviews (vgl. Witzel 2000) kombiniert. Die Auswertung der auf diesem Weg gewonnenen Daten erfolgt in Anlehnung an die dokumentarische Methode (vgl. Bohnsack 2003). Mit diesem Ansatz der qualitativen Sozialforschung, den Ralf Bohnsack weiterentwickelt hat, lassen sich von den Befragten bereits mitgebrachte und ihre Aussagen strukturierende explizite sowie implizite Orientierungen empirisch rekonstruieren. Die empirische Studie fokussiert auf einen bestimmten Teil des Publikums, das die Gedenkstätten und ihre Ausstellungsbereiche regelmäßig aufsucht: Jugendliche im Klassenverband. Die „Zwangsbesucher“ Schülerinnen und Schüler (Skriebeleit 2005, 29) sind neben Einzelbesuchenden30 und „KZ-Touristen“ (ebd.) die größte und am stetigsten vertretene Besuchergruppe von deutschen Gedenkstätten (vgl. Lutz 2009, 87). Auf sie ist die Konzeption der Ausstellungen wesentlich ausgerichtet, was ein weiteres Auswahlkriterium für gerade diese Besuchenden gewesen ist. Wie im Untersuchungsverlauf gezeigt wird, lassen sich die Besuchsmotive von Schülerinnern und Schülern aber nicht auf schulischen Zwang reduzieren. Diejenigen, die an der Studie teilgenommen haben, kamen aus diversen bundesdeutschen Städten, waren zwischen 14 und 20 Jahren alt und nahmen entweder an Einzel- oder an Gruppendiskussionen teil. Eine Mehrfachbefragung wurde nicht durchgeführt. Am Denkmal und am Wannsee fanden jeweils zwei und in Neuengamme drei Gruppendiskussionen mit jeweils vier bis sechs Teilnehmenden statt. Ferner haben insgesamt 22 Schülerinnen und Schüler an Interviews teilgenommen: am Denkmal 5, am Wannsee 10 und in Neuengamme 7. Zudem habe ich in allen drei Ausstellungen jeweils zwei Interviews mit Einzelbesuchenden sowie ein Probeinterview am Denkmal geführt. Ein

30 Die Bezeichnung ‚Einzelbesucher‘ ist sinnvoll, um einen selbstgestalteten Besuch von einem organisierten Besuch abzugrenzen, der gerade bei Schulgruppen in der Regel nicht freiwillig erfolgt. Der Begriff ‚Einzelbesucher‘ ist aber insofern irreleitend, als Einzelpersonen in den Gedenkstätten meistens in Begleitung auftreten (vgl. Lutz 2009, 82, FN 62). Studien zu Einzelbesuchenden gibt es bisher leider kaum, obwohl auch ihre Zahl stetig wächst (vgl. Morsch 2002). Eine detaillierte Studie über Gedenkstättenbesuche dieser Besuchsgruppe liegt indes von Bert Pampel (2007) vor. Pampel beschränkt seine Untersuchung allerdings nicht auf Gedenkstätten für NS-Opfer, sondern fragt gleichermaßen nach der Wirkung von Gedenkstätten für die „Opfer der nationalsozialistischen Diktatur oder der kommunistischen Herrschaft in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) oder DDR“ (ebd., 9). Der Frage, inwiefern sich die Unterschiede im historischen Charakter und in der inhaltlichen Ausrichtung der Gedenkstätten auch in der Besuchserfahrung wiederfinden, geht Pampel aber nicht nach. Eine gelungene Rezension der Studie von Pampel liegt von Cornelia Siebeck (2008) vor.

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Überblick über die Stichprobe bzw. die Gruppendiskussionen und Interviews, die in die engere Auswertung eingeflossen sind, ist im Anhang dokumentiert.31 Die im Mittelpunkt der Erhebung stehenden Ausstellungen werden als Fallbeispiele untersucht.32 Sie sind besondere Ausformungen eines allgemeinen Typs von NS-bezogenen Ausstellungen: der Gedenkstättenausstellung. Um möglichst viele Facetten und Ebenen des jeweils besonderen Falls zu beleuchten, zeichne ich die Entstehung der Ausstellungen und der sie präsentierenden Gedenkstätten nach, untersuche die realisierte Präsentation und rekonstruiere empirisch die Besuchseindrücke von Schülerinnen und Schülern anhand einer Kombination qualitativer Methoden, die im Folgenden genauer erläutert werden. Ich möchte möglichst viele Bedingungen des Ausstellungsbesuchs und die Vielfalt der Gedenkstätten untersuchen und stelle auf den jeweiligen Analyseebenen Querschnittsfragen, die in den beiden anschließenden Kapiteln ausgeführt werden. Das Medium Gedenkstättenausstellung lässt sich analog zu anderen Ausstellungen in drei ‚Agenturen‘ differenzieren, die als Quellen der Untersuchung verstanden werden können: Ausstellungsmachende, die Ausstellung selbst und die sie Aufsuchenden (vgl. Thiemeyer 2010, 82). Die Ausstellung und deren Rezeption stehen im Mittelpunkt meiner Analyse. Den Konzeptionsprozess beziehe ich in die Untersuchung mit ein und frage, inwiefern der während des Entstehungsprozesses der Präsentation formulierte Vermittlungsanspruch in den eröffneten Ausstellungsbereichen realisiert wurde. Ich konzentriere mich auf die Dauerausstellungen, die im Mittelpunkt der Gedenkstätten stehen. Diese werden von den meisten Besuchenden bevorzugt aufgesucht, und sie sind fester Bestandteil der Führungen – auch wenn die hier untersuchten Gedenkstätten, besonders ausgeprägt in Neuengamme, darüber hinaus über ergänzende Wechselausstellungen bzw. Ausstellungsbereiche auf dem Gelände verfügen. Mit der Auswahl der drei Fallbeispiele sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutscher Gedenkstätten in der ‚neuen‘ Vermittlung der Massenverbrechen aufgezeigt werden, die in der inhaltlichen und gestalterischen Ausrichtung ihrer Hauptausstellungen zum Ausdruck kommen. Die Erinnerungsorte wurden zur Untersuchung ausgewählt, weil sie verschiedenen Verfolgtengruppen gewidmet sind und sich in ihrer thematischen Ausrichtung, ihrer Entstehungszeit sowie -geschichte ebenso wie in ihrem Ortsbezug voneinander unterscheiden. Gemeinsam sind ihnen indes Selbstzeugnisse und biografische Porträts als wich-

31 Vgl. Anhang 3. 32 Zu Fallstudien und deren Komplexität siehe Süßmann 2007, 12. Für Museen als Fälle siehe Die Musealisierung der Migration von Baur 2009, 68f.

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tige Präsentationsmittel. Personalisierungen, zeigt sich hieran, sind nicht auf die Darstellung der jüdischen Opfer beschränkt, sondern auch eine Form für die Präsentation anderer Verfolgtengruppen. Alle drei Ausstellungen beziehen den Zeitraum nach 1945 in die Dokumentation ein, womit sie sich in einen bundesweiten Gedenkstättentrend einfügen, und ihre (Neu-)Eröffnungen waren an bestimmte Jahrestage gebunden, die jeweils rund um den 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus, also rund um das ‚Gedenkjahr 2005‘ situiert waren. Die gewandelte gedenkpolitische Bedeutung der Erinnerungsorte, ein weiteres Kriterium ihrer Auswahl, lässt sich schließlich daran messen, ob sie in die Bundesgedenkstättenförderung33 einbezogen wurden. Dem Denkmal mit dem Ort der Information wurde die ‚gesamtgesellschaftliche Bedeutung‘ per Bundestagsbeschluss zugesprochen und eine Finanzierung zu 100 Prozent durch den Bund zugesichert. Neuengamme und Wannsee werden von Bund und Land zu je 50 Prozent finanziert und verwaltet. Nicht zuletzt weisen die drei Gedenkstätten ähnlich hohe Besuchszahlen wie andere (Geschichts-)Museen auf und gehören zu den bestbesuchten bundesdeutschen Gedenkstätten.34 Die folgenden Porträts der

33 Der vollständige Titel lautet: Konzeption der künftigen Gedenkstättenförderung des Bundes und Bericht der Bundesregierung über die Beteiligung an Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland (Deutscher Bundestag 1999). Nach dem Fall der Mauer war die Bundesrepublik mit einer auf dem Gebiet der ehemaligen DDR bereits gut ausgebauten Infrastruktur von Gedenkstätten konfrontiert. Die finanzielle Förderung durch den Bund resultiert aus Artikel 35 des Einigungsvertrags, in der die kulturpolitischen Aufgaben und die Verantwortlichkeit des Bundes für die ehemalige DDR festgeschrieben wurden (vgl. Schmid 2011, 42; Schwietring 2003, 160). Die Bundesgedenkstättenförderung ist aus den Empfehlungen der Enquête-Kommission Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit (Deutscher Bundestag 1998) hervorgegangen und ging in die 2008 beschlossene Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen ein (Deutscher Bundestag 2008). 34 Im Jahr 2014 zählte der Ort der Information am Denkmal 470.000 Besuchende (davon geführte oder andere Bildungsangebote in Anspruch nehmende Gruppen: 2.448), die Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz zählte 114.328 Besuchende (davon geführte oder andere Bildungsangebote in Anspruch nehmende Gruppen: 1.339; aufgefächert in 956 Führungen, 89 wechselseitige Führungen und 294 Studientage), die KZ-Gedenkstätte Neuengamme zählte am 10. Dezember 2014 schließlich den hunderttausendsten Besucher desselben Jahres (in diesem Zeitraum geführte oder andere Bildungsangebote in Anspruch nehmende Gruppen: 1.529; davon Schulklassen und Jugendgruppen: 1.346) und gab bekannt, dass sich die jährlichen Besuchszahlen seit

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drei Gedenkmuseen veranschaulichen die hier zusammengefassten Kriterien ihrer Auswahl. Am 10. Mai 2005, zwei Tage nach dem 60. Jahrestag der Befreiung, wurde in einem Festakt der Ort der Information zusammen mit dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas eingeweiht. Das Stelenfeld des Denkmals spricht die Besuchenden auf der Ebene der Repräsentation des Holocaust an. Wie die Einzelnen die Vergangenheit vergegenwärtigen, gibt dieses Denkmal zwar nicht vor, den Modus der Aneignung indes schon. Aufgrund der engen Stelenanordnung ist eine Begehung nur einzeln möglich. So sollen individuelle Fragen über die Vergangenheit angeregt werden, deren Antworten von der gegenstandslosen Stelenästhetik selbst nicht gegeben werden. Diese Individualisierung des Gedenkens setzt sich unter anderen Vorzeichen in der Ausstellung unter dem Denkmal fort. Diese greift zwar architektonisch und gestalterisch die Form der Betonkuben auf, ihre Präsentationform im Museumsraum wurde aber als Gegenentwurf zu dem als abstrakt verstandenen Kunstwerk entwickelt. In der Ausstellung wird jede und jeder aufgefordert, sich individuellen Schicksalen anzunähern. Die über schriftliche, vertonte und fotografische Selbstzeugnisse sowie Familienbiografien aufgezeigte jüdische Perspektive ist das bestimmende Charakteristikum der historischen Dokumentation. Die Ausstellung setzt also explizit auf das Konzept der Personalisierung bzw. Individualisierung. Das Empathie betonende Vermittlungskonzept wird durch die Ausstellungsgestaltung erheblich mitbestimmt, die nicht nur durch das Zitieren der Stelenform, sondern auch durch Ton- und Lichteffekte an das Gefühl der Besuchenden appelliert. Der Ort der Information behandelt schwerpunktmäßig die Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden ab 1941. In einem über 1945 hinausgehenden Bereich informiert die Ausstellung über deutsche sowie europäische Gedenkstätten und kennzeichnet dabei das Denkmal als Ausdruck des gedenkenden (wiedervereinigten) Deutschlands. Das Denkmal und sein Ausstellungsbereich wurden an einem Platz eingerichtet, dessen Bedeutung sich vor allem aus der zentralen Lage im (wiedervereinigten) Berlin ergibt.

1981 verdoppelt hätten, wobei ein deutlicher Besuchsanstieg seit der Neueröffnung der Gedenkstätte im Jahr 2005 zu verzeichnen gewesen sei. Die Angaben wurden mir von den jeweiligen Gedenkstätten zur Verfügung gestellt, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanke. Für einen Vergleich mit den weitaus niedrigeren Besuchszahlen im Jahr 2008, meinem engeren Erhebungszeitraum, siehe: Lutz 2009, 143f. Nähere Angaben zum Erhebungszeitraum der vorliegenden Studie befinden sich in Kap. 1.1.1.

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Die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz wurde mit einer neuen ständigen Ausstellung zum 64. Jahrestag der historischen Konferenz am 19. Januar 2006 eröffnet. Mit dieser Gedenkstätte wurde vorliegend ein historischer Täterort zur Untersuchung ausgewählt. In dem früheren Gästehaus der SS, in dem die Ausstellung eingerichtet ist, haben Vertreter der Ministerialbürokratie und Organe des NS-Regimes über das Schicksal der Jüdinnen und Juden in Europa bestimmt. Zum Zeitpunkt der Wannsee-Konferenz, im Januar 1942, existierten viele Mordstätten bereits oder wurden gerade errichtet. Mit der aktuellen Ausstellung ‚Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden‘ wurde für die Gedenkstätte ein Vermittlungskonzept gewählt, das an historischen Täterorten bislang keine Selbstverständlichkeit ist und als Gegenentwurf zur Vorgängerausstellung verstanden werden kann. Die ständige Ausstellung behandelt schwerpunktmäßig die Mordbürokratie und die in ihr handelnden Täter und Tätergruppen. Von diesen oder den Alliierten aufgenommene besonders schockierende Fotos, die in den Tod getriebene Menschen oder massenhaft Ermordete zeigen, die individuelle Merkmale häufig nur erahnen lassen, wurden weitgehend gegen anderes Fotomaterial ausgetauscht. Zugleich sind Einzelschicksale der von den Tätern als ‚Endlösung‘ bezeichneten Judenvernichtung in Form von fotografischen, schriftlichen, zeichnerischen oder vertonten Selbstzeugnissen sowie als biografische Familienporträts in die Dokumentation integriert. Diese erscheinen in der Dokumentenfülle der Präsentation jedoch eher als Einsprengsel. Die Ausstellungsgestaltung ist gegenüber dem Ausstellungsgebäude stark zurückgenommen, um nicht vom großbürgerlichen Charakter der Villa am Großen Wannsee abzulenken. Im Ausstellungsraum zur Wannsee-Konferenz, der als einziger Raum mit Ausstellungsmobiliar arbeitet, verdichtet sich der historische Ortsbezug ‚Täterort‘. In die historische Dokumentation integrierte ‚Zeitfenster‘ und der die Ausstellung abschließende Themenraum heben die gesellschaftliche bzw. die familiäre Auseinandersetzung mit dem Holocaust nach 1945 hervor. Die Hauptausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme eröffnete zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers am 4. Mai 2005. Dieser Erinnerungsort ist zuallererst ein Ort der Opfer, ein Friedhof, aber auch ein historischer Täterort.35 Das Lagergelände ist das zentrale Exponat dieser Gedenkstätte.

35 Das Bemühen der Alliierten, das „Bild vom dreckigen KZ auch der deutschen Bevölkerung zu vermitteln“, wie Harold Marcuse scheibt (Marcuse 1993, 82), fand nicht im Konzentrationslager Neuengamme statt, einem bereits vor dem Eintreffen des britischen Militärs von den Deutschen geräumten Lager. Die Absicht, die Massenverbrechen vor Augen zu führen, und das versteht Marcuse unter dem Bild des ‚dreckigen

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Die Hauptausstellung ‚Zeitspuren. Die Geschichte und Nachgeschichte des Konzentrationslagers Neuengamme 1938-1945‘ erläutert das Außengelände und das Ausstellungsgebäude, bei dem es sich um eine ehemalige Häftlingsunterkunft handelt. Neuengamme ist, wie andere KZ-Gedenkstätten auch, entschieden von Authentizitätserwartungen bestimmt. Darüber hinaus hat die Gedenkstätte aber auch den Anspruch, als nachträglich errichteter Erinnerungsort kenntlich zu sein. Die Ausstellung und das Außengelände sind in bewusster Abgrenzung zum ehemaligen Konzentrationslager betont sachlich und schlicht gestaltet. Die Gefangenenperspektive ist außergewöhnlich präsent in der Ausstellung. Selbstzeugnisse wie Zeichnungen und schriftliche oder vertonte Erinnerungsberichte sowie Häftlingsbiografien als wichtige Exponate sind hier auch Ausdruck des ausgeprägten und nun erweiterten Oral-History-Ansatzes der Gedenkstätte. Die Präsentation dokumentiert die Geschichte des Konzentrationslagers, geht aber auch über 1945 hinaus. Entsprechend dem Konzept der ‚Geschichte des Orts‘ setzt die Gedenkstätte auf die Sichtbarmachung der Nachnutzung des Geländes und seiner Gebäude und informiert kritisch über den bundesdeutschen Umgang mit dem Konzentrationslagergelände bis 2003 und mit der Umgestaltung der Gedenkstätte in die heutige Form. Ein für kurze Zeit hier eingerichtetes Internierungslager ist ebenso Ausstellungsthema wie das Gefängnis, das seit 1948 bis zur Neugestaltung der Gedenkstätte das ehemalige Häftlingslager unzugänglich machte. Die drei zur Analyse ausgewählten Gedenkstättenausstellungen stehen beispielhaft dafür, wie der Holocaust und die Massenverbrechen in den Konzentrationslagern rund um das ‚Gedenkjahr 2005‘ von Politik und Öffentlichkeit gedeutet und dargestellt wurden. Der 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus stellte eine Zäsur im bundesdeutschen Gedenken dar. Mehr als je zuvor standen die Gedenkstätten im öffentlichen Interesse. Politik sowie Medien fanden sich zahlreich an den historischen Tatorten und dem neuen Denkmal in Berlin ein und reichten den Überlebenden des deutschen Massenmords die Hände. Dass die ins hohe Alter gekommenen Männer und Frauen bald nicht mehr persönlich von ihren Erlebnissen berichten würden, zeigte sich als weitverbreitete Denkfigur, und die ihnen für den öffentlichen Erinnerungsdiskurs zugespro-

KZ‘, geht auf die zum Teil dramatischen Verhältnisse zurück, welche die Alliierten in anderen Lagern bei der Befreiung vorfanden, etwa im Neuengammer Außenlager Wöbbelin, in Bergen-Belsen, Buchenwald oder Dachau. Ganz anders stellt es sich bei den Vernichtungslagern Belzec, Chelmno, Sobibor und Treblinka dar, die von den Nationalsozialisten schon vor 1945 geschlossen und dem Erdboden gleichgemacht wurden.

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chene hohe Bedeutung spiegelte sich in den Eröffnungsreden der teilnehmenden Politikerinnen und Politiker. Und doch erschienen die Verbrechenszeugen und -zeuginnen als schmückendes Beiwerk in der bundesweiten Gedenkzeremonie: Sie bezeugten nicht nur die historischen Verbrechen, sondern auch ein ‚wiedergutgemachtes‘ Deutschland, das aus seiner Geschichte gelernt habe. Ein positives Resultat des an diesem Jahrestag sich in aller Deutlichkeit zeigenden Wandels im Gedenken sollte indessen die Sichtbarwerdung der Opfer der NSVerbrechen in den neueröffneten Gedenkstättenausstellungen sein. Die vielen Einzelnen, so eine grundlegende Prämisse meiner Studie, werden zu einer Zeit sichtbar, in der der Ermordeten nicht mehr gegen den Widerstand der Mehrheitsgesellschaft gedacht wird und sich auch die Politik der Gedenkstätten annimmt. Die Darstellungsformen der drei im Folgenden untersuchten Gedenkmuseen werden vorliegend als Ausdruck der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen um die Vergangenheit untersucht (vgl. Haß 2002, 11). Meine Studie zeichnet entscheidende Entwicklungen der Geschichte der drei Gedenkstätten nach, um ihre neuen, personalisierenden Ausstellungen im öffentlichen Gedenken einzuordnen. So rekonstruiere ich im Hinblick auf den Wandel des Gedenkens, wie das Denkmal im Zuge der Wiedervereinigung als nationaler und zentraler Gedenkort geplant und realisiert wurde und wie das Stelenfeld – dem gedenkstättenpädagogischen Zeitgeist entsprechend – um einen Ausstellungsbereich ergänzt wurde. Am Wannsee lässt sich zeigen, wie sich der Täterort in den 1980er Jahren zu einer Bildungseinrichtung mit einer Dauerausstellung über den Genozid an den europäischen Jüdinnen und Juden entwickelt hat, nachdem die Initiative des Historikers und Auschwitz-Überlebenden Joseph Wulf um eine historische Dokumentation in dem Haus zuvor jahrelang erfolglos blieb. Ich zeige auch, dass die Einrichtung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme maßgeblich auf das Engagement von Überlebenden zurückgeht und wie sie in den 1980er Jahren als ‚Lernort‘ etabliert wurde. Anhand der realisierten Ausstellungen frage ich, wie sich die Gedenkstätten selbst thematisieren und welche Funktion den personalisierenden Segmenten in denjenigen Ausstellungsbereichen zukommt, die die Zeit nach 1945 dokumentieren. Mit dem Vorgehen, sowohl die Ausstellung als auch ihre Rezeption zu untersuchen, ist beabsichtigt, verallgemeinerbare Aussagen über aktuelle Darstellungen der NS-Verbrechen in Gedenkstätten und über ihre Bedeutung für die Besuchenden zu treffen. Die Ausstellungsrezeption der Jugendlichen, die an der Studie teilgenommen haben, bildet zwar nur einen Ausschnitt aus der sozialen Realität von Schulklassen ab und hat keinen Anspruch auf Repräsentativität, dennoch lassen sich ausgehend von der empirischen Rekonstruktion der Rezeption

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Schlussfolgerungen ziehen zu der gewandelten Bedeutung von Gedenkstätten und ihren heutigen Präsentationen. 1.1.1 Analyse der Gedenkstättenausstellungen Die Untersuchung der drei Ausstellungen folgt einem doppelten Anliegen: Einerseits sollen Aussagen darüber ermöglicht werden, wie die konzeptionellen Überlegungen in den Ausstellungen umgesetzt wurden. Andererseits soll die Rezeptionsstruktur der Ausstellungen transparent werden. Die Fokussierung auf die Dauerausstellungen zielt auf die Herausarbeitung ihrer zentralen Charakteristika. In Ausstellungen „kreuzen“ sich „vielfältige Visualisierungsformen“, schreiben Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch in Gesten des Zeigens. Die unterschiedlichen Präsentationsmittel werden „in einem Raum kontextualisiert und zu einer dichten Textur verwoben“. Sie stehen in „Wechselwirkung“ miteinander und werden in einem Kontext im Ausstellungsraum rezipiert (vgl. Muttenthaler/Wonisch 2006, 37). In diesem Sinne werden die Selbstzeugnisse in den untersuchten Ausstellungen mit anderen Präsentationsmitteln in ein Spannungsverhältnis gesetzt. Unter ‚Präsentation‘ verstehe ich in Anlehnung an Baur (vgl. 2009, 72-75) alle Darstellungs- oder Präsentationsmittel einer Ausstellung. Dazu gehören einerseits die Ausstellungsgestaltung (also das Gebäude, die Räume und ihre Abfolge, Vitrinen und andere Exponatenträger, Licht- und Tonbespielungen sowie Texttafeln), andererseits die Exponate selbst. Bei diesen gilt mein besonderes Augenmerk der Präsentation und Inszenierung von Selbstzeugnissen (schriftlichen oder zeichnerischen zeithistorischen Quellen, privaten Fotografien, vertonten oder verschriftlichten Erinnerungsberichten, Videostationen mit Zeitzeugeninterviews) sowie von Biografien und biografischen Quellenkommentaren, aus denen sich die Präsentationsform Personalisierung zusammensetzt. Inhaltliche und gestalterische Präsentation sind dabei nicht voneinander zu trennen, denn „die Präsentationsweise kann den Blick auf bestimmte Zusammenhänge lenken, Botschaften verstärken oder in den Hintergrund treten lassen, zur Identifikation einladen oder kritische Distanz fördern“ (Muttenthaler/Wonisch 2010, 133). Gerade aufgrund des hohen Identifikationspotenzials von Personalisierungen ist die Frage wichtig, anhand welcher Präsentationsmittel die historischen Ereignisse dokumentiert werden und welche Betrachterperspektive die Gedenkstättenausstellungen vorgeben. Werden Willkür, Terror und Mord als ‚Ausstellungsthemen‘ so präsentiert, dass die spezifische Distanz vermittelt wird, die zwischen dem Betrachteten und der betrachtenden Person notwendig ist, um eine subjektive Reaktion herzustellen?

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Eine so detaillierte Ausstellungsanalyse, wie sie für immer mehr Museen36 und eine Gedenkstätte inzwischen vorliegt,37 kommt in meiner Untersuchung nicht zur Anwendung. Um jedoch danach fragen zu können, welche historiografischen Deutungen der Massenverbrechen den jeweiligen Gedenkstättenausstellungen zugrunde liegen, sind die entsprechenden Analyseansätze wertvoll. In Anlehnung an Muttenthaler und Wonisch verstehe ich die ‚Gesten des Zeigens‘ als eine ‚diskursive Praxis‘. Die Ausstellungen stellen ein ‚Statement‘ dar, dessen Rezeption weder determiniert noch völlig offen ist. „Deutungsabsichten von Ausstellenden, Bedeutungen des Ausgestellten und Bedeutungsvermutungen der Rezipierenden“ (Muttenthaler/Wonisch 2006, 38) treffen in den Präsentationen aufeinander, stimmen aber nicht notwendig überein. Analog zur Sprechakttheorie, wie sie Mieke Bal für die Ausstellungsanalyse vorgestellt hat, kann Repräsentation im Museum mit Muttenthaler und Wonisch als „Beziehungsgeflecht“ (ebd.) analysiert werden: Die 1. Person (Ausstellungsmachende) spricht zur 2. Person (Besuchende) über die 3. Person (Präsentiertes). Dabei werden die ‚Erzählungen‘ oder ‚Narrative‘ der Ausstellungen über die Anordnung der Präsentationsmittel im Raum transportiert. Vor diesem Hintergrund ‚lese‘ und interpretiere ich die Erzähl- bzw. Dokumentationsstruktur der untersuchten Ausstellungen – ihre Gegenständlichkeit und Visualität – analog zu Texten. So wie Historiografie als eine Form von Repräsentation der Vergangenheit von bestimmten Erkenntnisinteressen geleitet ist (vgl. White 2008, 9), sind Ausstellungen konstruierte Abbilder historischer Realität. Aus der Einsicht in den konstruierten Charakter von musealen (Re-)Präsentationen folgt jedoch keine Dekonstruktion des Wahrheitsgehalts des Ausstellungsgegenstandes von Gedenkstätten.38

36 Der von Joachim Baur herausgegebene Sammelband Museumsanalyse (Baur 2013) gibt einen guten Überblick über transdisziplinäre Museumsanalysen, die in Deutschland nach wie vor ein Forschungsdesiderat darstellen. 37 In ihrer Arbeit Erinnerung und Demokratie. Holocaust-Mahnmale und ihre Erinnerungspolitik. Das Beispiel Ravensbrück (Marchetta 2000) nimmt Maria Marchetta eine aufwendige Analyse von Denkmalen und Ausstellungsbereichen der KZGedenkstätte vor. Im Gegensatz zu Marchetta war mir wichtig, den Museumsraum stärker in die Analyse mit einzubeziehen. Soweit mir bekannt ist, liegen für bundesdeutsche Gedenkstätten und ihre Ausstellungen ansonsten keine detaillierten Analysen vor. 38 Um das Besondere von musealen Repräsentationsstrukturen zu betonen, spreche ich weniger von „Erzählstruktur“ (Brink 2000, 9) oder „Ausstellungsnarrativ“ (Köhr 2012, bspw. 150) als von Dokumentationsstruktur. Bei Hayden White heißt es: „Ich betrachte […] das Wort des Historikers als offensichtlich verbale Struktur in der Form

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Welche ästhetischen, politischen und nationalen Deutungen in Gedenkstätten einfließen und damit Geschichtsbilder und die Erinnerung an den Holocaust prägen, hat Young in den 1990er Jahren ausgeführt (vgl. Young 1997a, 266-299). Welche Deutungen finden sich konkret in den von mir untersuchten Ausstellungen? Welche Geschichtsbilder werden in ihnen heute anhand welcher Präsentationen vermittelt? Welche Betrachterperspektive gibt die arrangierte Dokumentationsstruktur also vor? Die Beschreibung des chronologisch-thematischen Aufbaus der jeweiligen Präsentation soll Aussagen darüber zulassen, welchen Zeitraum die Ausstellung dokumentiert, welches Geschichtsbild in der Raumabfolge zum Tragen kommt und wie die Besuchenden anhand bestimmter Exponate, der Räume und ihrer Anordnung durch den Ausstellungsbereich geleitet werden. Welchen Parcours sie wählen, entscheidet darüber, welche Deutungen sie überhaupt erreichen können. Da in der Befragung die Besuchseindrücke der Schülerinnen und Schüler ermittelt werden sollen, stelle ich zunächst in einem Überblick die Rundgänge der drei Ausstellungen vor. Ausstellungsrundgänge werden in der Praxis selten so strikt befolgt, wie es die konzeptionellen Überlegungen vorsehen. Dennoch legen sie eine bestimmte Abfolge nahe, an der sich auch Führungen in der Regel orientieren. Wenn ich anschließend den Ausstellungsbeginn ausführlich beschreibe, dann deswegen, weil dieser üblicherweise das Statement der Präsentation vorstellt und die sie bestimmende Perspektive transparent macht. Die Bedeutung des Ausstellungsbeginns zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass hier in der Regel die Einführung von angemeldeten Schulgruppen in ihren Ausstellungsbesuch stattfindet. Die Auswahl der zur Analyse bestimmten Ausstellungsbereiche richtet sich jedoch zuvorderst nach dem Forschungsinteresse der Autorin, Aussagen über ein möglichst breites Spektrum an personalisierenden Präsentationsformen der jeweiligen Gedenkstätte treffen zu können. Die Einführung in die Ausstellung ist

einer Erzählung. Geschichtsschreibungen (und ebenso Geschichtsphilosophien) kombinieren eine bestimmte Menge von ‚Daten‘, theoretische Begriffe zu deren ‚Erklärung‘ sowie eine narrative Struktur, um ein Abbild eines Ensembles von Ereignissen herzustellen, die sich in der Vergangenheit zugetragen haben sollen.“ (White 2008, 10) Das Sprechen über die Konstruiertheit der musealen Dokumentation in Gedenkstätten hat darin seine Grenze, dass eine Erzählung eben eine Erzählung ist, die auch ganz anders lauten könnte, womit Auschwitz sich in eine (postmoderne) Beliebigkeit auflösen kann. Zur Debatte um die Darstellbarkeit des Holocaust in der Historiografie siehe den von Saul Friedländer herausgegebenen Band Probing the Limits of Representation (Friedländer 1992).

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einer der vier bzw. fünf zur Untersuchung ausgewählten Bereiche, die als CloseUps angelegt sind – detaillierte Analysen, mit denen die Präsentationsmittel und -formen in ihrer räumlichen Konstellation sichtbar werden. Dabei werden auch stets Ausstellungsbereiche berücksichtigt, deren Dokumentation über das Jahr 1945 hinausreicht. Wenn am Denkmal insgesamt fünf und nicht wie in Neuengamme und Wannsee vier Close-Ups der Präsentation vorgestellt werden, dann weil sich am Präsentationskonzept im Ort der Information eine besondere Vielfalt an Personalisierungen sowie exemplarisch die konzeptionelle Orientierung deutscher Gedenkmuseen an personalisierenden Ausstellungen insbesondere in Israel aufzeigen lässt. Um möglichst viele Informationen rund um die Gedenkstätten, ihre Ausstellungen und ihre Besuchenden zu erhalten, habe ich meine Aufenthalte dort als Feldforschung angelegt. Mit Stift, Forschungstagebuch und Fotoapparat habe ich die Gedenkstätten mehrmals besucht, ihre Ausstellungen ‚gelesen‘, Besuchende beobachtet, mit Guides39 gesprochen und ausstellungsbegleitende Veröffentlichungen sowie Gästebücher eingesehen. Als Hintergrundinformation habe ich zudem pädagogische Materialien, etwa von den Gedenkstätten angebotene Workshops zur Vertiefung bestimmter Ausstellungsthemen, sowie die Pressespiegel zu Entstehungsprozess und Eröffnung der Ausstellungen ausgewertet. Aufschluss über den Konzeptionsprozess konnte durch Sichtung von Publikationen und Archivmaterialien der Gedenkstätten gewonnen werden.40 Der engere Erhebungszeitraum lag zwischen Oktober 2007 und März 2009.41 Seitdem sind,

39 Der Begriff ‚Guide‘ wird von Gudehus verwendet, der „Führungserzählungen“ untersucht hat (Gudehus 2006, 25). Ich verwende nachfolgend die auch in den Gedenkstätten anzutreffende Bezeichnung ‚Guide‘ schon alleine der Lesbarkeit wegen. 40 Die Gedenkstätte Neuengamme und das Denkmal haben mir Einsicht in die Archivunterlagen gewährt; beide Einrichtungen haben zudem konzeptionelle Überlegungen veröffentlicht. In der Gedenkstätte Wannsee konnte letztlich keine Einsicht in die Protokolle aus der Konzeptionsphase genommen werden. 41 Vor Entwicklung meines engeren ‚Forschungsdesigns‘ habe ich die Ausstellungen kurz nach ihrer Eröffnung besucht und erste, unsortierte Notizen angefertigt. Die erste Materialerhebung in Neuengamme datiert auf Oktober 2007, am Denkmal und im Wannsee auf November 2007. Die zentralen systematischen Erhebungen erfolgten 2008, Nacherhebungen 2009. Ein Forschungsaufenthalt in Israel datiert auf Juni 2008. Während dieser Zeit habe ich das New Holocaust History Museum der Gedenkstätte Yad Vashem sowie Ausstellungsbereiche der Gedenkstätte Beit Lohamei HaGhetaot (Ghetto Fighters’ House Museum) und des Massuah Institute for Holocaust Studies erforscht und Experteninterviews mit Kuratorinnen und Kuratoren sowie Mitarbeiten-

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wie es während der Laufzeit von Dauerausstellungen allgemein üblich ist, die untersuchten Präsentationen stellenweise überarbeitet worden. Meine Ergebnisse gelten für den Untersuchungszeitraum und für die Ausstellungen, auf die sich die Rezeptionsuntersuchung bezieht. Im Ort der Information sind bis zur Fertigstellung des vorliegenden Titels keine für meine Fragestellung relevanten Änderungen vorgenommen worden; bei der Gedenkstätte Neuengamme verhält es sich ähnlich. Bei einem Besuch in der Wannsee-Villa Anfang Oktober 2014 stellte ich hingegen fest, dass ein in Kapitel 3.3.4 behandeltes Ausstellungssegment, das ‚Zeitfenster Vernichtungskrieg‘, in seiner initialen, mit der Ausstellungseröffnung Anfang 2006 präsentierten Form nicht mehr existiert. Doch auch in der veränderten Präsentation ist der allgemeine Trend zur Personalisierung zu erkennen, der bei diesem Ausstellungsabschnitt anhand des Austauschs von fotografischen Quellen untersucht wird; so bleibt die Aussagekraft der – grundsätzlich zeitgebundenen – Fallstudie von dieser Umgestaltung unberührt. Die im Rahmen meiner Studie befragten Gedenkstättenleiter sowie Ausstellungskuratorinnen und -kuratoren sind insofern ‚Experten‘, als sie über eine Funktion und ein Wissen verfügen, die Aufschluss über den Forschungsgegenstand geben können: Sie sind mit der Besucherstruktur vertraut, wissen um das Präsentations- und Vermittlungskonzept und können die Gedenkstätte innerhalb der nationalen und internationalen Erinnerungslandschaft verorten. Die Auswertung der Interviews erfolgte anhand eines thematischen Leitfadens, der ihre Vergleichbarkeit gewährleistete. Zudem konnte ich mit Überlebenden sprechen. Aus dem jeweiligen Beirat der Gedenkstätten wurden Interviews mit folgenden Personen geführt: Fritz Bringmann (Neuengamme), Adam König (Denkmal) und Marian Turski (Wannsee). Auch mit Esther Reiss, deren Lebensgeschichte in der Ausstellung am Wannsee vorgestellt wird, konnte ich sprechen. Mich hat interessiert, was die Zeitzeugen und die Zeitzeugin über die neuen Ausstellungen denken und inwieweit sie an deren Entstehung beteiligt waren.42 Ihre Perspektiven sind unter anderem deswegen hochinteressant, da die Gedenkstätten, die den Ermordeten und

den der Gedenkmuseen geführt. Ein von der Hans-Böckler-Stiftung finanziertes dreimonatiges Praktikum in der Gedenkstätte Beit Lohamei HaGhetaot, 2010/2011, ausgezeichnet betreut von der damaligen Kuratorin des Museums, Bina Sela-Tsur, ermöglichte mir einen praktischen Zugang zu Museen und Gedenkstätten. 42 Zu den Einflussmöglichkeiten von Überlebenden auf die Neugestaltung von KZGedenkstätten an den Beispielen Dachau und Neuengamme liegt die unveröffentlichte Diplomarbeit von Katharina Zeuner (2006) vor.

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Überlebenden gewidmet sind, schließlich den Anspruch vertreten, ihre Erinnerungen und Perspektiven in der Dokumentation vorzustellen. 1.1.2 Ausstellungsrezeption von Schülerinnen und Schülern Ziel der Rezeptionsanalyse ist es, empirisch zu rekonstruieren, wie sich Schülerinnen und Schüler auf welche Ausstellungsbereiche beziehen und wie sie ihren Gedenkstättenbesuch im Klassenverband wahrnehmen. Zu diesem Zweck werden unterschiedliche Orientierungen der Jugendlichen bei ihrer Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsgegenstand ‚Holocaust und Nationalsozialismus‘ herausgestellt. Nach der Rezeption von Schülerinnen und Schülern wird gefragt, weil die Gedenkstätten ihre Bildungsfunktion zunehmend in den Vordergrund rücken. Gedenkstätten werden regelmäßig von Schulklassen als außerschulische Lernorte besucht, wobei sich Schule in den Gedenkstättenbesuch hinein verlängert (vgl. Haug 2004, 252). Schule soll gesellschaftliche ‚Aufarbeitung der Vergangenheit‘ in einer Mischung aus Fakten- und Moralvermittlung einlösen. Neben der Vermittlung von historischem Wissen wird in der Schule die Aneignung des Holocaust als ‚Unterrichtsstoff‘ eingeübt (vgl. Hollstein et al. 2002). Die Institution Schule stellt den zeitlichen, räumlichen und sozialen Kontext des Gedenkstättenbesuchs dar. Dazu gehört auch das historisch-politische und touristische Bildungsprogramm, das den Gedenkstättenbesuch der von mir befragten Schulgruppen rahmt. Ausstellungsrezeption lässt sich als ‚soziale Praxis‘ begreifen – als ‚Ritual‘ an „einem bestimmten Ort und in einem zeitlichen Rahmen“ (Muttenthaler/Wonisch 2006, 41). Bei Jugendlichen, die Gedenkstätten im Klassenverband besuchen, verbinden sich zwei soziale Praxen: Schule einerseits und Gedenkstättenbesuch andererseits. Wenn vorliegend die Gruppe ‚Schülerinnen und Schüler‘ befragt wird, dann berücksichtige ich, dass in dieser sozialen Struktur Gedenken oder der Anspruch an Gedenken besonders eng an Wissensvermittlung geknüpft ist. Was macht also den Unterschied in der musealen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen bei Gedenkstättenbesuchen, die im Klassenverband erfolgen? Um weitergehende Aussagen über die schulischen Bedingungen der Gedenkstättenbesuche treffen zu können, habe ich das Forschungsfeld Schule berücksichtigt. Ich habe mit mehreren Lehrkräften gesprochen und eine Realschullehrerin sowie einen Gymnasiallehrer interviewt. Beide besuchen regelmäßig mit ihren Klassen die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz; einige ihrer Schülerinnen und Schüler nahmen an den Interviews teil. Die Lehrenden schilderten ihre Sicht auf die schulischen Rahmenbedingungen wie Lehrplankürzungen und Zeitmangel und gaben Einblicke in ihre eigene Motivation, die Ge-

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denkstätte zu besuchen und sich mit Holocaust und Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Die Lehrerin ermöglichte mir zudem eine teilnehmende Beobachtung ihrer schulischen Nachbereitung des Gedenkstättenbesuchs. Judenmord und KZ-Terror sind kein gewöhnlicher Lerngegenstand. Daher lassen sich „Konzepte der museumsbezogenen Besucherforschung nicht ohne weiteres auf Gedenkstätten übertragen“ (Knigge 2004, 17). Angesichts dessen operiert meine engere Rezeptionsuntersuchung mit einer Kombination aus qualitativen Interviews und Gruppendiskussionen. Für diese Erhebungsmethoden habe ich mich entschieden, um Aussagen über individuelle und kollektive Sichtweisen auf den Gedenkstätten- und Ausstellungsbesuch im Klassenverband treffen zu können. Meine Gedenkstättenauswahl ermöglicht es, nicht nur nach verschiedenen Orientierungen in der Auseinandersetzung mit einer Ausstellung, sondern auch nach Spezifika in der Aneignung des Holocaust in den unterschiedlichen Gedenkstättenausstellungen zu fragen. Bei der Methode ‚problemzentriertes Interview‘ werden die Interviewten zu einer von der Forscherin als relevant „wahrgenommenen gesellschaftlichen Problemstellung“ (Witzel 1985, 230) befragt. Diese Form des Interviews, die auch auf die Gruppendiskussionen übertragen wurde, hat sich für die vorliegende Studie angeboten, da Erkenntnisse über die Vergegenwärtigung der personalisierenden Gedenkstättenausstellungen gesammelt werden sollten. Anders als im Ansatz des problemzentrierten Interviews vorgesehen habe ich allerdings nicht nach der engeren Thematik – Personalisierungen – gefragt.43 Es sollte den Befragten überlassen werden, welche Besuchsmomente sie wie zur Sprache bringen, welche historischen Ereignisse sie thematisieren und auf welche Präsentationsmittel und Ausstellungsräume sie sich dabei beziehen. Der Ansatz des offenen Interviews, demzufolge die Erhebung und die Auswertung der Daten ein „induktiv-deduktives Wechselverhältnis“ (ders. 2000) ist, wurde gewählt, weil sich auf diese Weise auch während der Gespräche aufkommende Fragen, „Fokussierungsmetaphern“ (Bohnsack 2003, 45) oder in besonders selbstläufigen Passagen aufgeworfene Themen vertiefen lassen. In Gruppendiskussionen sehen die Teilnehmenden sich gezwungen, „ihren Standpunkt zu bezeichnen und zu behaupten“ (Pollock 1955, 34). Einzelne Äußerungen, die in den Diskussionen profilierter als in den Interviews zum Ausdruck gekommen sind, bringen zugleich den kollektiven Charakter von Einstellungen und Meinungen ans Licht. Hierzu zählt beispielsweise die Bedeutung, die Schülerinnen und Schüler den Gedenkstätten für eine Auseinandersetzung mit dem National-

43 Nach Andreas Witzel soll „während der Kontaktaufnahme die Untersuchungsfrage erläutert“ und das „Forschungsinteresse offen“ gelegt werden (Witzel 2000, 4).

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sozialismus geben. Andere aktuelle politische Themen, die für die Jugendlichen offensichtlich relevant waren und zur Sprache kamen, werden nur zusammenfassend wiedergegeben. So wurden Fragen nach (Nicht-)Schuld oder nach dem eigenen Verhältnis zu Deutschland insbesondere im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft 2006 aufgeworfen. Dabei handelt es sich um „informelle Gruppenmeinungen“, die sich „in der Realität unter den Mitgliedern des betreffenden Kollektivs bereits ausgebildet haben“ (Mangold, zit. n. Bohnsack 2003, 107).44 Schule als Formierungsinstitution dieser Vorstellungen und als gemeinsamer Referenzrahmen des Kollektivs ‚Schüler und Schülerinnen‘ berücksichtige ich daher als wichtige Bedingung der Rezeption. Mich interessierten vor allem Gesprächssequenzen, die sich auf die Ausstellungsbereiche der Gedenkstätten beziehen. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses standen dabei Aussagen, die das Verhältnis von Individuum und Masse behandeln: Wie thematisieren Jugendliche die präsentierten Selbstzeugnisse und die biografischen Präsentationsformen, und wie werden die Verfolgten im Sprechen über die Massenverbrechen sichtbar? Inwiefern orientieren sich die jungen Frauen und Männer in ihren Ausführungen an der in den Ausstellungen vermittelten Perspektive der Opfer? Welche Vorstellung von den NS-Verbrechen richten sie an Selbstzeugnisse und artikulieren sie anhand der persönlichen Quellen? Als Kontrast zu den Selbstzeugnissen wurden zudem Eindrücke von in den Ausstellungen präsentierten fotografischen ‚Schreckensbildern‘ (vgl. Marcuse 2006, 39) ausgewertet. Die Berücksichtigung dieser Aufnahmen war nicht zuletzt aufgrund ihres in der Gedenkstättenszene umstrittenen Charakters wichtig. Besuchseindrücke, die sich auf das Ausstellungsgebäude und den spezifischen (historischen) Ort der Präsentation beziehen, wurden ebenfalls ausgewertet. Sie sind Teil des Rezeptionsraums und beeinflussen die Art und Weise, wie Ausstellungsinhalte in Gruppendiskussionen und Interviews thematisiert werden. Darüber hinaus flossen auch Redebeiträge, in denen die Jugendlichen Gedenkstätte und Schule in Beziehung zueinander setzten, in die Auswertung ein. Indem ich der schulischen Rahmung der Gedenkstättenbesuche nachgehe, können zum einen Bedingungen des Besuchs aufgezeigt werden, insbesondere Freiwilligkeit, Vor- und Nachbereitung, aber auch Erwartungen an den Gedenkstätten- und Ausstellungsbesuch. Zum anderen, da Schule und Gedenkstätte in der Öffentlichkeit häufig als Gegensätze begriffen werden, ist angenommen

44 Aufgrund ihrer geteilten schulischen Lebensrealität lässt sich mit Peter Loos und Burkhard Schäffer die Besuchsgruppe ‚Schüler‘ auch als „Realgruppe“ (Loos/Schäffer 2001, 44) bezeichnen und so von Diskussionsgruppen unterscheiden, die anhand statistischer Kriterien zufällig zusammengesetzt werden.

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worden, dass von den Schülerinnen und Schülern kollektiv geteilte Orientierungen besonders profiliert zum Ausdruck kommen, wenn sie den Museumsraum ‚Gedenkstättenausstellung‘ gegenüber ihrem schulischen Alltag thematisieren. Jugendliche, die dem Kollektiv ‚Schüler und Schülerinnen‘ angehören, lassen sich aber nicht auf dieses Kollektiv reduzieren, daher war es mir auch wichtig, einen Eindruck davon zu erhalten, wie sich die Jugendlichen in ihrem Alltag mit den NS-Verbrechen beschäftigen. Die Gruppendiskussionen und Interviews wurden durch einen offenen Leitfaden strukturiert. Der Leitfaden diente als eine Gedankenstütze, sollte es aber auch ermöglichen, die Sichtweisen der Befragten gegenüberzustellen (vgl. Witzel 1985, 236). Zu Beginn eines Interviews wurde eine offene Einstiegsfrage formuliert, die sich auf den Besuchsanlass bezog. Die Interviewten konnten auf diese Weise Themen setzen, die über die Ausstellung hinausgehen. Das wurde auch den Diskutierenden ermöglicht, wobei hier eine ‚Fragereihung‘ die Diskussion zusätzlich initiieren sollte.45 Wie sich herausstellte, gestalteten sich die Diskussionen in der Regel gleich zu Beginn selbstläufig. Faktischer Stimulus der Gespräche schien der Gedenkstättenbesuch selbst zu sein. Nur wenn das Sprechen ins Stocken geriet oder die Jugendlichen für die Forschungsfrage relevante Themen nicht ansprachen, habe ich mitunter gezielte (Nach-)Fragen gestellt und zu weiteren Ausführungen ermuntert. Die Diskussion in der vertrauten schulischen Peergroup sollte auch das Gespräch untereinander anregen; konträre Einstellungen sollten möglichst ohne meine Intervention ausgetauscht werden. Mit der Auswertung der Interviews und Diskussionen ist nicht beabsichtigt, weitergehende Aussagen über bestimmte Milieus zu treffen (vgl. Bohnsack 2003, 113), wie es in der dokumentarischen Methode u. a. auf Grundlage einer soziogenetischen Typenbildung üblich ist (vgl. Klein 2012). Auch wenn ich gruppen- und personenspezifische Rezeptionsweisen herausstelle, strebt meine Studie zudem nicht an, Typen des Handelns oder Wissens zu bilden wie beispielsweise Anne-Christin Schondelmayer in ihrer narrativen Studie über Interkulturelle Handlungskompetenz. Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten in Afrika (Schondelmayer 2010). Mit Hilfe des Analyseansatzes ‚dokumentarische Methode‘ lassen sich aber über den Einzelfall hinausgehende Orientierungen in der Rezeption der Gedenkstättenausstellungen empirisch rekonstruieren. Bei der Auswertung der unterschiedlichen Rezeptionsweisen interessiert mich

45 Der Stimulus lautete in etwa: „Ihr wart jetzt gerade in der Gedenkstätte/am Denkmal und in der Ausstellung. Erzählt doch mal, was fandet ihr gut, was vielleicht blöd? Was sind eure Eindrücke? An was erinnert ihr euch? Ja, wie war das so?“ Ähnlich lautete die Einstiegsfrage der Interviews.

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nicht nur, was die Schülerinnen und Schüler thematisieren, sondern auch, wie sie dies tun. Dazu frage ich, in welchem „Orientierungsrahmen“ (Bohnsack 2003, 135) die Diskutierenden und Interviewten die Themen und Unterthemen behandeln. In einem ersten Auswertungsschritt, der ‚formulierenden Interpretation‘, werden Themen identifiziert. In einem zweiten Schritt, der ‚reflektierenden Interpretation‘, werden die Orientierungsrahmen herausgearbeitet, in denen die Jugendlichen die Themen behandelt haben (vgl. Nohl 2006, 46-63). Als ausgeprägte kollektive Orientierungen der Jugendlichen erwiesen sich ‚Persönliches‘, ‚Echtheit‘ und ‚Wissensvermittlung‘. Diese Rezeptionsweisen der Selbstzeugnisse und biografischen Elemente in den Gedenkmuseen finden sich sowohl in den Interviews als auch in den Gruppendiskussionen. Insbesondere anhand der Letzteren konnte ich besonders materialreich herausarbeiten, auf welche für sie bekannte, gesellschaftlich geprägte Matrix die Schüler und Schülerinnen in ihren Ausführungen zurückgriffen. Im Anschluss an die Gruppendiskussionen und Interviews habe ich Postskripte und ‚thematische Verläufe‘ angefertigt, die einen Überblick über die angesprochenen Themen sowie die Besonderheiten der jeweiligen Rezeptionsweisen ermöglichen (ebd., 65-88). Grundlage der Transkription und Auswertung waren die Aufnahme des Gesprächs sowie eigene Notizen zur Beitragsreihenfolge, zu nonverbalen Äußerungen und zur Gesprächssituation. Die Transkriptionen wurden sprachlich geglättet.46 Die Auswertung der Gruppendiskussionen stellte eine besondere Herausforderung dar, da ich die Gruppen ohne Begleitung getroffen und für die Aufzeichnungen keine Kamera verwendet habe. Vor Beginn des Interviews oder der Gruppendiskussion stellte ich mich und mein Projekt vor und erläuterte den Ablauf des Gesprächs. Nicht immer war es möglich, frühzeitig in Kontakt mit den Lehrkräften zu treten, sodass das erste Zusammentreffen mit den Schulklassen in Ausnahmefällen mit dem Gedenkstättenbesuch zusammenfiel. Nur selten stimmten die Lehrkräfte einer Befragung ihrer Schülerinnen und Schüler nicht zu. Die Jugendlichen selbst waren mir gegenüber zumeist sehr aufgeschlossen, über ihre Besuchseindrücke zu sprechen, Teilnehmende für Gruppendiskussionen fanden sich jedoch schneller als für Interviews. Von den Gedenkstätten erfuhr ich vielfältige Unterstützung, stellte mein Forschungsdesign vor und erhielt die Erlaubnis, Besuchende sowie angemeldete Gruppen zu befragen. Die Guides waren in der Regel damit einverstanden, dass ich bei den Führungen mitging, und wurden nicht müde, meine Fragen zu beantworten.

46 Die verwendeten Transkriptionszeichen befinden sich in Anhang 2.

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Die Teilnahme an Führungen durch die Gedenkstätten – in Neuengamme und Wannsee auch durch die Ausstellungen selbst47 – hat mir einen Einblick in die Interaktion der Jugendlichen untereinander gegeben, wozu auch gehörte, nachvollziehen zu können, in welchen Ausstellungsbereichen sie sich überhaupt aufhalten. Die untersuchten Schulgruppen haben die Gedenkstätten als halb- oder eintägige Schulexkursionen oder im Rahmen einer Klassenfahrt besucht. Während der Erhebung wurde schnell deutlich, dass die Gedenkstättenbesuche in einen vollen Schulalltag bzw. ein engmaschiges Besuchsprogramm eingepasst sind. So bleibt für den Besuch der jeweiligen Ausstellung in der Regel nicht viel Zeit, für ihren selbstständigen Besuch noch weniger. Die Befragungen fanden meistens direkt nach dem Ausstellungsbesuch in der Gedenkstätte statt, manchmal auch in einem Café oder wenige Tage nach dem Besuch in der Schule. Andere Gruppen habe ich zur Diskussion in ihrer Unterkunft getroffen, in der sie für die Dauer der Exkursion untergebracht waren. Die Auswahl der Stichprobe hat sich vor allem danach gerichtet, welche Gruppen während meiner Forschungsaufenthalte für Ausstellungsbesuche angemeldet waren.48 Insofern handelt es sich um einen pragmatischen Querschnitt von Schulgruppen in den Gedenkstätten und den von ihnen in Anspruch genommenen pädagogischen Angeboten. Eine Konstante der Ausstellungsrezeption war das Besuchsformat ‚Führung‘, genauer: ‚Überblicksführungen‘ dominierten in der Stichprobe. Diese Führungen sind in der Regel auf zwei Stunden begrenzt, lassen wenig Raum für eine selbstständige Erarbeitung der Themen und bieten, wie der Name schon sagt, lediglich einen Überblick über die Gedenkstätte und die Hauptausstellung. Die ‚Führungserzählung‘ fließt in viele Besuchseindrücke ein und ist von den subjektiven und kollektiven Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler kaum zu trennen (vgl. Gudehus 2006). Die vorliegende Studie handelt davon, wie personalisierende Ausstellungen und damit auch die hier präsentierten Selbstzeugnisse und die mit ihnen sichtbar werdenden NS-Opfer von Jugendlichen im Klassenverband rezipiert werden, die die touristisch aufbereiteten Gedenkstätten und Museen besuchen. Zwar wird nur eine vergleichsweise geringe Anzahl von Personen zu Wort kommen und ihre

47 Im Ort der Information am Denkmal wurden zum Zeitpunkt der Erhebung keine Führungen angeboten. Audioguide-Führungen, wie es sie inzwischen in allen Gedenkstätten gibt, wurden zum damaligen Zeitpunkt noch von keiner der untersuchten Ausstellungen angeboten. 48 Der Erhebungszeitraum der Rezeption mit Gruppendiskussionen und Interviews war beim Denkmal im Frühjahr, am Wannsee im Sommer und in Neuengamme im Herbst 2008.

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von mir gedeuteten Ausstellungseindrücke lassen sich nicht ohne Weiteres verallgemeinern. Gleichwohl bilden die Befragungsergebnisse einen kleinen, validen Ausschnitt der sozialen Realität von Jugendlichen im Klassenverband ab, die Gedenkstätten und ihre Ausstellungen heute besuchen.

1.2 F ORSCHUNG

ZU

G EDENKSTÄTTENAUSSTELLUNGEN

Bis in die 1980er Jahre spielten museumsanalytische Fragen an Gedenkstätten, beispielsweise die Quellenauswahl und die davon abhängige Dokumentationsperspektive, keine entscheidende Rolle, weil „nicht das Wie von Ausstellungen im Vordergrund stand, sondern das Ob, d. h. die Frage ihrer politischen Durchsetzbarkeit“ (Knigge 2005b, 403; H. i. O.). Im Zuge der Pädagogisierung, Nationalisierung und Musealisierung des Holocaust und der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz des Gedenkens lässt sich auch eine Zunahme an Forschungsarbeiten über deutsche Gedenkstätten beobachten, Arbeiten über ihre Ausstellungsbereiche sind jedoch erst in den letzten Jahren vereinzelt erschienen. Besucherstudien beziehen sich in der Regel auf Gedenkstätten an historischen Tatorten, meistens auf Einrichtungen auf dem Gelände ehemaliger Konzentrationslager. Bei der Mehrzahl dieser Arbeiten ist dann auch das Außengelände der eigentliche Forschungsgegenstand. Die Rezeption anderer Gedenkmuseen wird dabei nur selten einbezogen, noch seltener die Ausstellungsrezeption. Eine Ausnahme bildet die empirisch-rekonstruktive Studie Schülerinnen und Schüler am Denkmal für die ermordeten Juden Europas von Marion Klein (2012), die der Frage nachgeht, wie die Rezipierenden ihren Denkmal- und Ausstellungsbesuch erfahren. Der Frage, wie Selbstzeugnisse und Biografien der im Nationalsozialismus verfolgten Menschen ausgestellt werden und mit welchen Orientierungen sich Jugendliche im Klassenverband die personalisierenden Präsentationen aneignen, wurde bisher noch nicht empirisch nachgegangen.49 Die vorliegende Studie soll dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen, indem die Beziehung der beiden Ebenen Ausstellung und Rezeption in den Blick genommen wird. Dass die „sich wandelnden Präsentationsformen und ihre Auswirkungen auf die Rezeption musealer Darstellungen von Zeitgeschichte [...] noch wenig erforscht“ sind, haben jüngst auch Inge Marszolek und Stefan Mörchen in ihrem Aufsatz Von der Mediatisierung zur Musealisierung. Transformation der Figur des Zeitzeugen festgestellt (Marszolek/Mörchen 2013, 7f.). Der von den Heraus-

49 In zwei Aufsätzen bin ich dieser Frage nachgegangen: Geißler 2010 u. 2011.

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gebern der Zeitschrift WerkstattGeschichte hervorgehobene Wandel des Zeitzeugen steht im selben Problemzusammenhang wie die Frage nach dem Zuwachs an biografischen Darstellungen in Gedenkstätten, der in der vorliegenden Studie nachgegangen wird. Die in der Forschung breit diskutierte Frage nach der Veränderung von Zeugenschaft angesichts der 70 Jahre, die seit dem Holocaust und anderen nationalsozialistischen Verbrechen vergangen sind,50 wird im Folgenden auch insofern aufgegriffen, als ich die im Medium Gedenkstättenausstellung präsentierten, von den Opfern des Nationalsozialismus stammenden Quellen und Zeitzeugeninterviews als Ausdruck einer verstärkt einsetzenden digitalen Aufbereitung von Zeugenschaft verstehe. Laut Thomas Lutz, dem pädagogischen Leiter der Topographie des Terrors, der Gedenk- und Bildungsstätte auf dem Gelände der Zentralen des nationalsozialistischen Terrors, suchten Gedenkstättenbesuchende „vor allem die Authentizität der historischen Orte“, wobei der „höchste Gehalt an Authentizität […] dem Gespräch mit Zeitzeugen zugesprochen“ werde (Lutz 2004, 171). Außerhalb von Gedenkstätten, darauf hat Michael Elm verwiesen, wird die Figur ‚Zeitzeuge‘ jedoch schon lange als ‚Authentifizierungsstrategie‘ in inszenierten TV-Geschichtsdarstellungen wie den ZDF-Produktionen mit Guido Knopp eingesetzt (vgl. Elm 2008, 103). Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ganz unterschiedlicher Epochen dienen hier als zentrale Instanz, „um die Echtheit der freilich inszenierten Geschichtserzählung zu bekräftigen“ (ebd.). Gedenkstätten sind demgegenüber nicht fiktiv, die historischen Tatorte und ihre Leichenfelder sowie die hier präsentierten (Selbst-)Zeugnisse sind real, zweifellos vermittelt sind aber die Präsentationen der Erinnerungsorte. Diesen Befund aufnehmend interessiert mich vor allem, inwiefern die Suche nach Echtheit, die in der Rezeption von Selbstzeugnissen und biografischen Darstellungen zum Tragen kommt, sich an Zeitzeugenbegegnungen orientiert und inwiefern diese massenmedial geprägte Rezeptionsmuster ansprechen. Die Bedeutung von Gedenkstättenausstellungen für die Vermittlung historischen Wissens und das Gedenken an die Opfer des Holocaust hat in den letzten Jahren zugenommen. Vor allem wurden in einigen Magisterarbeiten insbesondere jüngere Täterausstellungen in KZ-Gedenkstätten und frühere Hauptausstellungen untersucht.51 So hat Cornelia Brink in ihrer Magisterarbeit Visualisierte

50 Einen guten Überblick gibt der von Martin Sabrow und Norbert Frei herausgegebene Sammelband Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945 (Frei/Sabrow 2012). 51 Studien zum Wandel von Täterdarstellungen und zu Täterausstellungen finden sich bei Eckel 2010 u. 2007. Die Magisterarbeit Gedenkstättenkonzeption- und Didaktik an ‚Orten der Täter‘ von Miriam Ströh (2003) untersucht mit einer Inhaltsanalyse die erste ständige Ausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-

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Geschichte (Brink 1990) eine frühe Untersuchung von Gedenkstättenausstellungen vorgenommen. Diese Arbeit sowie ein folgender Aufsatz (Brink 1991) liefern wichtige Einblicke in die erste Dauerausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Neben Magisterarbeiten liegen auch erste Aufsätze und Monografien zum Thema vor. So fragt Matthias Haß in seiner Arbeit Gestaltetes Gedenken (Haß 2002) nach der „Konzeption und Perspektive“ (ebd., 23) der von ihm untersuchten Ausstellungen. Der Schwerpunkt seiner international vergleichenden Studie liegt auf dem Entstehungsprozess zentraler Gedenkstätten in Israel, den USA und Deutschland. Anders als Haß liegt mein engeres Forschungsinteresse allerdings auf der realisierten Ausstellung und deren Rezeption. Hinsichtlich der gewandelten Vermittlung des Holocaust in deutschen Gedenkstättenausstellungen habe ich mich u. a. an Harold Marcuses Monografie Legacies of Dachau. The Uses and Abuses of a Concentration Camp, 1933-2001 (Marcuse 2001) orientiert. Marcuse geht detailliert den politischen Entwicklungen nach, die den Wandel der Präsentationsformen in Dachau beeinflusst haben. Mit seiner Studie lässt sich die gewandelte (bundes-)deutsche Gedenkpolitik als ein Wechsel von ‚clean‘ zu ‚dirty‘ verstehen. Insbesondere in den 1950er Jahren waren Gesellschaft und Politik darum bemüht, das schon während des Nationalsozialismus verbreitete Bild vom ‚sauberen‘ Lager zu vermitteln: „[…] the sites of the camps were ‚cleaned‘ as much as possible of traces of the barbaric system that had been implemented there.“ (ebd., 158) Nur überlebende Häftlinge und eine Minderheit von Forschenden traten der Neutralisierung der Erinnerung an die deutschen Verbrechen entgegen. Unter anderem zu diesem Zweck wurden die für frühe NS-bezogene Ausstellungen typischen ‚Schreckensbilder‘ (vgl. Marcuse 2006, 39) ausgestellt. Mit zunehmender Akzeptanz der Gedenkstätten wurden auch die ‚dreckigen‘ Lager sichtbar, und die Verbrechen zum ausgewiesenen Ausstellungsgegenstand. Die vorliegende Studie geht im Hinblick auf den Untersuchungszeitraum über Marcuses Buch hinaus, das mit dem Jahr 2000 und einem Plädoyer für Rekonstruktionen an historischen Orten schließt. Ausgehend vom Wandel in der gesellschaftlichen und individuellen Aneignung des Holocaust frage ich, ob das Bild der ‚dreckigen‘ Vergangenheit, das die um das Jahr 2005 in Deutschland eröffneten Ausstellungen heute vermitteln, nicht selbst

Konferenz. Ein Überblick über aktuelle Täterdarstellungen findet sich bei Lutz 2010. Siehe hierzu ferner Jelitzki/Wetzel 2010. Die Magisterarbeit Ausstellungen in KZGedenkstätten von Anke Griesbach (2003) gibt Einblicke in die von 1995 bis 2005 geöffnete Vorgängerausstellung der von mir untersuchten Präsentation der KZGedenkstätte Neuengamme.

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‚sauberer‘ geworden ist – im Sinne einer Zunahme an wissenschaftlicher Genauigkeit, sachlicher Präsentationsweise und moderner Architektur. Zur Charakterisierung dieses Prozesses in den von mir untersuchten Gedenkstättenausstellungen ist der von Marcuse verwendete Ausdruck „historically objectified“ (Marcuse 2001, 194; im Deutschen: „Versachlichung“, Marcuse 1993, 85) hilfreich, mit dem er eine relevante Entwicklungslinie von der ersten Dachauer Ausstellung bis heute nachzeichnet. Eine der wenigen Arbeiten, die das Thema der Personalisierung behandeln, ist Cornelia Brinks Monografie Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945 (Brink 1998).52 Brink untersucht die Verwendung von ‚KZ-Fotografien‘ u. a. in Gedenkstättenausstellungen (vgl. ebd., 179). Dabei konstatiert sie den Beginn einer stärkeren Berücksichtigung der Perspektive der Opfer. Der veränderte Umgang mit (zumeist) von Tätern oder den Alliierten aufgenommenen Fotos führt zu der Frage, wie Selbstzeugnisse und Biografien, genauer: Personalisierungen, das ‚Alte‘ in den neuen Ausstellungen abgelöst haben. Brink zeigt, wie in den 1990er Jahren damit begonnen wurde, den pädagogischen Nutzen der ‚alten‘ Fotos zu bezweifeln. Die von Brink auf ihre angestrebte Wirkung hin hinterfragten Personalisierungen des Holocaust in Form von statt ihrer gezeigten Familienund Privatfotografien (vgl. ebd., 216) sind aber nur eine von zahlreichen personalisierenden Präsentationsformen. Die u. a. von Brink geäußerte wissenschaftliche, gedenkstättenpädagogische und ausstellungsdidaktische Kritik an den frühen Ausstellungen ist mittlerweile bei der Neugestaltung von Ausstellungsbereichen und Präsentationen weitgehend berücksichtigt worden. Anhand dieser aktuellen Präsentationen fragt die vorliegende Studie nun nach den Möglichkeiten und Grenzen von personalisierenden Gedenkstättenausstellungen und nach den Bedeutungen, die die Gedenkstätten und die sie Besuchenden den persönlichen Quellen geben. Von Katja Köhr erschien Die vielen Gesichter des Holocaust. Museale Repräsentationen zwischen Individualisierung, Universalisierung und Nationalisierung (Köhr 2012). Die Studie, die u. a. nach Potenzialen und Schwierigkeiten von personalisierenden Ausstellungsansätzen fragt, konzentriert sich auf die Dauerausstellungen von zentralen Gedenkstätten und Holocaust-Museen in

52 Eine weitere Arbeit, die sich mit Fotografien vom Holocaust auseinandersetzt, stammt von Habbo Knoch: Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur (Knoch 2001). Siehe auch Knoch 2004. Über Privatfotos von Ermordeten, die die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau zeigt, liegt ein lesenswerter Aufsatz von Hanno Loewy (1996) vor.

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Deutschland, Israel, Norwegen, Ungarn und den USA. Der Ort der Information des Denkmals für die ermordeten Juden ist eine der von Köhr untersuchten Präsentationen, die sämtlich an nichthistorischen Orten zu finden sind. Die Gedenkmuseen antworteten länderübergreifend, so ein Ergebnis der Autorin, mit personalisierenden Präsentationsformen auf das „Erlöschen des kommunikativen Holocaust-Gedächtnisses […]“ (ebd., 245) und knüpften damit zugleich an den allgemeinen Trend der „Betonung affektiver Darstellungs- und Vermittlungsstrategien“ (ebd., 246) an. Im Unterschied zu Köhr konzentriere ich mich auf deutsche Erinnerungsorte und untersuche die Rezeption von personalisierenden Gedenkstättenausstellungen, die rund um den 60. Jahrestag der Befreiung an historischen und nichthistorischen Orten eingeweiht wurden. Mit diesem Vorgehen lassen sich die gewandelten Präsentationsformen und ihre Rezeptionsweisen vor dem Hintergrund des aktuellen geschichtspolitischen Zeitgeists untersuchen. Während Köhr in ihrem Aufsatz Die vielen Gesichter des Holocaust. Individualisierung als Konzept musealer Geschichtsvermittlung (Köhr 2008) fragt, ob eine individualisierende Darstellung „am Ende ebenso zu einer lähmenden Überwältigung führt wie das Zeigen von Fotos, auf denen Leichenberge […] zu sehen sind“ (ebd., 175), widme ich einen kleinen Teil meiner empirischen Untersuchung der Frage, wie diese in der Gedenkstättenszene unbeliebt gewordenen ‚Schreckensbilder‘ gegenüber Personalisierungen überhaupt rezipiert werden. Mit der Studie Die Gestaltung neuer Dauerausstellungen in Gedenkstätten für NS-Opfer in Deutschland und deren Bildungsanspruch von Lutz (2009) liegt schließlich ein informativer Überblick über Gedenkstättenausstellungen zwischen Vermittlungsanspruch und emotionaler Wahrnehmung vor. Die breit angelegte Untersuchung schließt auch die drei Ausstellungen ein, anhand derer die vorliegende Studie nach dem Wechsel in den Präsentationsformen und der veränderten öffentlichen Funktion von Gedenkstätten fragt. Lutz stützt sich auf Experteninterviews, die auch hier als ein methodischer Zugang gewählt wurden. Wichtige Informationsquellen für meine Studie im Hinblick auf in und an den Gedenkstätten geführte Diskussionen, insbesondere aufgeworfene Fragen nach der Perspektive der Opfer in Gedenkstätten, waren die Gedenkstättenpublikationen GedenkstättenRundbrief und Dachauer Hefte. Die Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland zählen ebenfalls zu den Periodika an der Schnittstelle von NS-Forschung und praktischer Arbeit in Gedenkstätten. Hier hat Thomas Rahe, wissenschaftlicher und stellvertretender Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen, mit seinem Aufsatz Die ‚Opferperspektive‘ als Kategorie in der Gedenkstättenarbeit (Rahe 2001) in die Selbstverständigung um Aufgaben und Funktionen von Gedenkstätten eingeworfen, dass die mündlichen und schriftlichen Selbstzeugnisse heute in die Doku-

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mentationen der Verbrechen integriert seien. Die Perspektive der Opfer sei, so Rahe, „zu einem selbstverständlichen Teil der Gedenkstättenarbeit, ja zu einem didaktischen Leitprinzip geworden, das kaum noch legitimierungsbedürftig erscheint und auch in der neueren gedenkstättenpädagogischen Literatur kaum explizit thematisiert wird“ (ebd., 34). Meine Frage nach dem gedenkstättenpädagogischen Umgang mit Selbstzeugnissen und biografischen Elementen in den Präsentationen und der Rezeption der gewandelten Darstellungsformen versteht sich als Beitrag zu der auch bis heute nur vereinzelt geführten Diskussion um personalisierende Vermittlungsansätze in Gedenkstätten. In den Kontext der hier untersuchten Fragestellung gehört schließlich auch die Studie Dem Gedächtnis zuhören. Erzählungen über NS-Verbrechen und ihre Rezeption in deutschen Gedenkstätten von Christian Gudehus (2006). Gudehus hat auf den Einfluss des Besuchsformats ‚Führung‘ aufmerksam gemacht. Die Guides haben Einfluss darauf, wo die Schulgruppen sich in der Gedenkstätte und den Ausstellungen aufhalten und machen auf bestimmte Exponate aufmerksam.53 Sie erläutern ausgewählte Aspekte der historischen Ereignisse sowie der historiografischen oder musealen Repräsentation und vermitteln moralischpolitische Positionierungen – Variablen des Ausstellungsbesuchs, die im Folgenden als eine Quelle des situativen Wissensbestands der Jugendlichen in ihrer Rezeption berücksichtigt werden. Ich habe mich größtenteils an den empirischen Studien zu Besuchenden von Gedenkstätten orientiert, die Gudehus in einem informativen Überblick in Wirkungsforschung und Evaluation aufgeteilt hat (vgl. ebd., 41-51). Da ich einerseits die Absicht von Ausstellungen, bestimmte Geschichtsbilder zu vermitteln, mit der Besuchswahrnehmung konfrontiere, andererseits nach dem vorhandenen Wissen frage, auf das in der Rezeption von Personalisierungen zurückgegriffen wird, berührt meine Arbeit beide Bereiche. Dabei wird nicht in der Logik der Gedenkstätten und ihrer Ausstellungen verblieben, die ich als touristisch und museal aufbereitete Orte untersuche, weil der Kontext ‚Schule‘ als eine grundlegende Bedingung der Ausstellungsrezeption Teil der vorliegenden Analyse ist. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass Gedenkstättenausstellungen Ausdruck des gewandelten Gedenkens sind, werden nun die drei ausgewählten Fallbeispie-

53 Nicht nur bei den bis heute üblichen Überblicksführungen, auch im Rahmen von Workshops und bei den gegenseitigen Führungen (GF) am Wannsee werden die Schülerinnen und Schüler von Guides durch die Ausstellung begleitet. Allerdings treffen sie hier die Auswahl der Exponate selbstständiger als im Rahmen von Überblicksführungen.

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le analysiert. Das folgende Kapitel 2 widmet sich den Gesichtern und Stimmen im Holocaust-Museum unter dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Kapitel 3 der Opferperspektive in der ständigen Ausstellung der Wannsee-Villa und Kapitel 4 schließlich den persönlichen Geschichten vom Häftlingsalltag in der Hauptausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Ein besonderes Augenmerk richtet sich dabei auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der personalisierenden Ausstellungen, in denen das Individuum sichtbar wird, das im Nationalsozialismus und Holocaust nichts galt. In Kapitel 5 stelle ich dann sowohl gedenkstättenspezifisch als auch gedenkstättenübergreifend vor, wie Jugendliche im Klassenverband ihren Gedenkstättenbesuch und die in den Ausstellungen gezeigten persönlichen Quellen rezipieren. Die Ergebnisse der Ausstellungs- und Rezeptionsanalyse werden in Kapitel 6 zusammengefasst. Daran anschließend werden hier die vom Wandel des Gedenkens aufgeworfenen Vermittlungsschwierigkeiten ebenso diskutiert wie mögliche Konsequenzen aus Präsentationsformen, die zwar die Einzelnen in der Masse der Verfolgten sichtbar machen möchten, die aber über die Illusion einer persönlichen Begegnung anhand von ausgewählten und arrangierten Selbstzeugnissen sowie biografischen Elementen andere Formen der De-Personalisierung erzeugen. Die Position, dass personalisierende Präsentationen anzustreben sind, die in der Darstellung beides miteinander verbinden – einzelne Personen, die zu Opfern gemacht wurden, und die sie entpersonalisierende Tat –, begründe ich ausblickend mit Verweis auf das in Deutschland heute gesellschaftlich weithin akzeptierte Gedenken und die damit verbundenen Ambivalenzen in Form von Nationalisierung, Pädagogisierung und Musealisierung der Vergangenheit.

2. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Ausstellung im Ort der Information

Als das Denkmal für die ermordeten Juden Europas am 10. Mai 2005 mit einem Festakt in Berlin eröffnet wurde, lagen die offiziellen Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus nur zwei Tage zurück. In seinem die Einweihungszeremonie eröffnenden Beitrag entwarf der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse einen Parcours durch das Denkmal, mit dem er die Vorstellung verband, die Besuchenden mögen die „begriffslose Ausdruckskraft“ des Stelenfelds „spüren, von ihm berührt sein und betroffen und fragend den Ort der Information aufsuchen“, wo die „Opfer Namen und Gesichter und Schicksale“ erhielten (Thierse 2005, 13).1 Der damalige Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, machte als einziger Redner darauf aufmerksam, dass das Denkmal sich „der Frage nach dem ‚Warum‘“ entziehe (Spiegel 2005, 19) und den Besuchenden die „Konfrontation mit Fragen nach Schuld und Verantwortung“ erspare, weswegen der Ort der Information „eine unerlässliche Ergänzung des Denkmals“ sei (ebd.). Auch der Architekt des Denkmals, Peter Eisenman, betonte, entgegen seiner anfänglichen Skepsis gegenüber einer Erweiterung des Stelenfelds, dass „der Ort und das Stelenfeld […] in ihrem Zusammenspiel sehr wichtig“ seien (Eisenman 2005a, 29). Dann berichtete Sabina van der Linden, die als Einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt hat und die mit ihren Angehörigen im Ort der Information vorgestellt wird, als „Stimme der sechs Millionen misshandelten und ermordeten Juden“ (v. d. Linden 2005, 32) von ihrer Verfolgung als Kind im polnischen Boryslav (heute Weißrussland). Die Reihe der Reden schloss mit Lea Rosh, der Hauptinitiatorin

1

Wie in den beiden nachfolgenden Kapiteln (Kap. 3 u. 4) sind die Eröffnungsreden zur Einweihung der Gedenkstätte in der gehaltenen Reihenfolge wiedergegeben.

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des Denkmals. Rosh betonte die symbolische Funktion des Stelenfelds als Friedhof und präsentierte dem Publikum einen Backenzahn aus dem Vernichtungslager Belzec in Polen, den sie zusammen mit einem ‚Gelben Stern‘ in eine der Stelen einlassen wolle (vgl. Rosh 2005a, 41).2 Die zur Einweihung des Denkmals gehaltenen Festreden geben einen Einblick in den bis dahin geführten gesellschaftlichen Verständigungsprozess über die inhaltliche und gestalterische Ausrichtung des ‚neuen‘ nationalen Erinnerungszeichens für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Hierzu gehören vor allem Fragen nach dem Verhältnis der beiden Elemente des Denkmals – Stelenfeld und Ort der Information –, bezogen auf ihre Funktion, die sie für das Gedenken an den Holocaust und die Vermittlung von historischem Wissen jeweils übernehmen sollen. Im Vordergrund der Reden stand der die heutige Ausstellungskonzeption tragende Anspruch, im Ort der Information exemplarisch Gesichter, Namen und Stimmen der verfolgten Jüdinnen und Juden vorzustellen und darüber eine empathische Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen anzuregen. Dieses Denkmal fragt nicht nach den Tätern und ihren Motiven, sondern ist ein Denkmal für die Opfer des Holocaust. Während beim Stelenfeld die Abstraktion das ästhetische Erlebnis dominiert, ist der Besuch des Orts der Information an der Konkretion der historischen Ereignisse orientiert: In dem das Denkmal ergänzenden kleinen Museum werden die vielen Einzelnen3 mit ihren Selbstzeugnissen in der Masse der Verfolgten als Subjekte der Geschichte sichtbar.

2.1 D IE E NTSTEHUNGSGESCHICHTE

DES

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Der Einweihung des Denkmals im Zentrum Berlins war eine fast 17-jährige Vorgeschichte vorausgegangen. Nach der öffentlichen Forderung nach einem deutschen Holocaust-Mahnmal4 im Jahr 1988 wurden für die Gestaltung des geplanten Erinnerungszeichens zwei Wettbewerbe ausgelobt (1994/1997), das Denkmal war Gegenstand von Kolloquien, Plenardebatten, Ausschusssitzungen

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Ein Vorhaben, das nicht realisiert wurde.

3

Zur ‚Geschichte der vielen Einzelnen‘ siehe Lüdtke 2002. Dieser Hinweis ist Eva Brücker zu verdanken, der für das inhaltliche Präsentationskonzept des Orts der Information verantwortlichen Historikerin (vgl. Brücker 2009b, 111; dies. 2008).

4

Die Bezeichnung ‚Mahnmal‘ wurde von den Initiierenden des Erinnerungszeichens schnell zugunsten des Ausdrucks ‚Denkmal‘ fallengelassen. Damit verschob sich die Charakterisierung des geplanten Erinnerungszeichens von Mahnen auf Gedenken.

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sowie Anhörungen und wurde intensiv in den Medien und in der Öffentlichkeit diskutiert. Ein Bundestagsbeschluss am 25. Juni 1999 sollte den gesellschaftlichen Verständigungsprozess über die Errichtung des Denkmals beenden. Entschieden wurde, einen Entwurf des Architekten Peter Eisenman zu realisieren – ein begehbares Stelenfeld5 –, dieses aber durch einen Ort der Information zu ergänzen, der die Widmung des Denkmals – für die ermordeten Juden Europas, so dessen Titel – verdeutlichen sollte. Bis zur Einweihung des Denkmals am 10. Mai 2005 wurde dessen inhaltliche und gestalterische Ausrichtung, insbesondere die des als Ausstellungsbereich konzipierten Informationsorts, entwickelt. Das Denkmal wurde schließlich als Gedenkstätte mit einem Ausstellungsbereich eröffnet und gehört heute, den hitzigen Debatten vor seiner Errichtung zum Trotz, zu den meistbesuchten Plätzen Berlins – ein Ort, wie der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder es sich gewünscht hatte, „an den man gerne geht“ (Schröder zit. n. Leggewie/Meyer 2005, 179f.). Im Folgenden wird der Entstehungsprozess des Denkmals als Realisierung einer Gedenkstätte untersucht, in der die ermordeten Jüdinnen und Juden exemplarisch sichtbar werden sollten. Eine Entwicklung, die vorliegend auch als ein Prozess der nationalen Selbstvergewisserung im Anschluss an die deutsche Wiedervereinigung verstanden wird (vgl. Stavginski 2002, 237). 2.1.1 Historischer Gegenstand als Denkmal: ‚Bekenntnis zur Tat‘ Die Idee, ein zentrales Holocaust-Mahnmal in Berlin als ‚Bekenntnis zur Tat‘ zu errichten, wurde 1988 formuliert, als sich die Umwandlung des Prinz-AlbrechtGeländes in Berlin-Kreuzberg in eine Dokumentationsstätte abzeichnete (vgl. Spielmann/Staffa 1998, 195). Das Gelände, auf dem sich die Zentralen des nationalsozialistischen Terrors und Massenmords befunden hatten (Gestapo mit einem ‚Hausgefängnis‘, Reichsführung SS und Reichssicherheitshauptamt), wurde nach 1945 planiert und dann gewerblich genutzt. 1987 sind die Fundamente der historischen Gebäude aufgrund des Engagements von Bürgerinitiativen zur 750-Jahr-Feier Berlins freigelegt worden, sodass hier die provisorische Dokumentation Topographie des Terrors eröffnet werden konnte. Die Forderung des

5

Die offizielle Bezeichnung ‚Stelenfeld‘ ist insofern irreführend, als der Begriff ‚Stele‘ genau genommen nur auf die in der Mitte aufgestellten hohen Blöcke zutrifft und die an den äußeren Rändern des Geländes aufgestellten Betonquader eher an liegende Grabsteine erinnern (vgl. Mittig 2005, 45). Mit dem Denkmal verbundene Friedhofsassoziationen sind, ich komme im Verlauf des Kapitels darauf zurück, nach wie vor dominant.

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ersten Aufrufs der Denkmalinitiative Perspektive Berlin e. V. und ihrer Vorsitzenden, der Journalistin Lea Rosh, „auf deutschem Boden, im Land der Täter“ (Perspektive Berlin 1999 [1989], 54), just an diesem Tat- und Täterort eine den ermordeten Jüdinnen und Juden gewidmete „zentrale Gedenkstätte“, „ein unübersehbares Mahnmal in Berlin […] als Verpflichtung für die Deutschen in Ost und West“ (ebd.)6 zu errichten, stieß jedoch auf Ablehnung (vgl. Spielmann/Staffa 1998, 195; Endlich 2003, 4f.). An diesem Ort der nationalsozialistischen Machtzentrale sollte eine Täterauseinandersetzung stattfinden und nicht primär der Opfer gedacht werden. Der aus der Perspektive Berlin hervorgegangene Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas (nachfolgend: Förderkreis) schlug nach dem Mauerfall ein neues Gelände vor: Die sogenannten ‚Ministergärten‘ in direkter Nähe zu Hitlers Reichskanzleien in der Voß- und Wilhelmstraße, zum Tiergarten und zum Brandenburger Tor. Das Gelände lag auf einem nach der deutschen Vereinigung ungenutzten Bereich des DDR-Grenzstreifens (vgl. Deutscher Bundestag 1999, 23). Diesem Vorschlag stimmten sowohl der Berliner Senat als auch die Bundesregierung zu (beide hatten sich 1992 hinter das Gedenkprojekt gestellt), und der Bund stellte für das geplante Denkmal die ca. 20.000 qm große Brachfläche in der Mitte Berlins zur Verfügung. Im Selbstverständnis der Befürwortenden des Denkmals wie auch der Bundesregierung (zunächst unter Helmut Kohl und ab 1998 unter Gerhard Schröder) schien nichts gegen das Gelände der ehemaligen ‚Ministergärten‘ zu sprechen. Die prominente Ortswahl in der Mitte des ‚neuen‘ Berlins verweist auf den gedenkpolitischen und -pädagogischen Rahmen des Denkmals und unterstreicht die nationale Bedeutung dieser im Zentrum der deutschen Gedenkstättenlandschaft stehenden Erinnerungsstätte. In der Diskussion um das Denkmal wurde nicht nur die Lage, sondern auch dessen geplante Dimension und Widmung kritisiert. Die Ausrichtung des Erinnerungszeichens war jedoch mit den Wettbewerbsausschreibungen vorgegeben und wurde von den politisch Entscheidenden bis zu dessen Realisierung unhin-

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Rosh zufolge kam die Idee während eines Besuchs der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem auf, den sie im Zuge von Dreharbeiten für eine ARD-Dokumentation zusammen mit Eberhard Jäckel unternommen hatte (vgl. Rosh 1999, 18). Zu den Erstunterzeichnenden der Bürgerinitiative gehörten Willy Brandt, Margherita von Brentano, Günter Grass, Dieter Hildebrandt, Eberhard Jäckel, Beate Klarsfeld, Udo Lindenberg, Otto Schily und Christa Wolf (vgl. Perspektive Berlin 1999 [1989], 54).

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terfragt übernommen (vgl. Endlich 2003, 5).7 Diese konzeptionellen Bedingungen lassen sich verdeutlichen an dem als ‚Grabplatte‘ in die Diskussion eingehenden Entwurf von Christine Jacob-Marks und Kollegen, der 1994 neben dem Entwurf von Simon Ungers als einer der beiden Sieger aus dem ersten Wettbewerb hervorging und zunächst die Unterstützung des damaligen Bundeskanzlers Kohl erhielt: Vorgesehen war eine 100 × 100 m große, schräg gestellte Betonplatte, in die Namen von Holocaust-Opfern eingemeißelt und Felstrümmer aus der antiken Festung Massada in Israel integriert werden sollten.8 Eine scharfe Kritik daran lautete, dass der Entwurf mit dem Bezug auf Massada suggerierte, die Ermordeten gehörten zu einer Gemeinschaft, die seit jeher verfolgt und ermordet wird, sodass der deutsche Beitrag zwischen 1933 und 1945 schicksalhaftschuldlos erscheine. Der Rückgriff auf jüdische (Gedenk-)Symbole, der überhaupt viele der eingereichten Entwürfe kennzeichnete (vgl. Stavginski 2002, 106), rief zudem Kritik an der gesamten Ausrichtung des Denkmals hervor: Die Tat samt Täter werde ausgespart. Auf diese Weise wolle sich die Nation der Täter in die Reihe der Opfer rücken (vgl. ebd., 239; Wenk 1997, 353f.; Ehmann 1995, 34). Außerdem, so die Kritik weiter, führe die angestrebte Form der Namensnennung ermordeter Jüdinnen und Juden die geplante Ausrichtung auf das Individuelle ad absurdum. Dieses Denkmal hätte das Individuum in der Masse nicht sichtbar gemacht, sondern in dieser erneut begraben. So fragte Salomon Korn, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, ob nicht die „angestrebte Individualisierung der Opfer durch Nennung ihrer Namen […] in millionenfacher Reihung eben jene Anonymität [erzeuge], die die Namensnennung doch gerade aufzuheben“ versuche (Korn 1999a, 176). Die Aufrufung von Namen der Ermordeten, die heute in anderer Form im Ort der Information umgesetzt ist (vgl. Kap. 2.3.4), zielte darauf, die in der Wettbewerbsausschreibung vorgegebenen Gefühlsqualitäten wie Trauer und Erschütterung auszulösen (vgl. Senatsverwaltung 1999 [1994], 215). „Scham und Schuld“ (ebd.), ebenfalls vorgegeben, sollten mit der Namens-Platte angesprochen werden, die die zu gestaltende Denk-

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Beide Wettbewerbe, die Ausschreibung und die Auseinandersetzung um die Siegerentwürfe sind ausführlich dokumentiert bei Kirsch 2003, Stavginski 2002 und Buttlar/Endlich 2000 (1999). Der von Spielmann/Staffa 1998 herausgegebene Band geht auf die Diskussionen zu Projektbeginn und auf den ersten Wettbewerb ein.

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Die Festung Massada ist heute ein Nationalpark mit hohem Symbolwert in der Nationalgeschichte Israels. Als Massada im Jahr 73/74 n. d. Z. von den Römern belagert wurde und die Situation der sich dort verschanzenden Juden aussichtslos wurde, wählten sie den Suizid (vgl. Flavius Josephus 2008, 486-501).

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malfläche ausfüllen sollte. Bezüge zur Täterschaft kamen in diesem Entwurf, abgesehen von seiner Dimensionierung, nicht zum Tragen. Entwürfe, die mit dem Denkmal einen klaren Standpunkt gegen (deutschen) Nationalismus vertreten wollten oder die Zentralität des neuen Erinnerungszeichens gegenüber bereits existierenden Gedenkstätten hinterfragten,9 hatten, wie Dirk Rupnow betont, von Beginn an keine Chance auf Realisierung (vgl. Rupnow 2006, 149f.; Korn 1999a, 186). An der Widmung des Erinnerungsprojekts wurde vor allem dessen Ausschließlichkeit kritisiert. Gegnerinnen und Gegner der vorgesehenen thematischen Ausrichtung des Denkmals forderten, ein nationales ‚Bekenntnis zur Tat‘ als Gedenken aller Opfer der deutschen Massenverbrechen, insbesondere der Sinti und Roma, aufzufassen (vgl. Spielmann/Staffa 1998, 196; Stavginski 2002, 36-42 und 52-61).10 Demgegenüber betonten die Initiatorinnen und Initiatoren die Beispiellosigkeit des deutschen Judenmords und forderten, nach dem Vorbild der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem eine durch Parlamentsbeschluss ent-

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Horst Hoheisel griff mit seiner Idee, das Brandenburger Tor abtragen zu lassen und den Staub auf das für das Denkmal vorgesehene Gelände zu streuen, die nationale Bedeutung auf, die dem Denkmal zugeschrieben wurde. Mit der Zerstörung des Brandenburger Tors, „Symbol ungebrochener deutscher Identität“ (Hoheisel zit. n. Stavginski 2002, 105), wandte sich der Künstler offen gegen ein ungetrübtes nationales Selbstverständnis nach Auschwitz (vgl. ebd., 194f.; Buttlar/Endlich 2000 [1999], 317). Der Entwurf ‚Bus Stop‘ von Renata Stih und Frieder Schnock hinterfragte das Projekt eines zentralen Denkmals, indem er auf dezentrale Denkmale und Gedenkstätten an historischen Orten verwies. Vorgesehen war eine Haltestelle auf dem Denkmalgelände, von der aus Busse zu den existierenden Gedenkstätten in Deutschland und Europa fahren sollten. Von Stih/Schnock stammt auch ‚Orte des Erinnerns. Ausgrenzung und Entrechtung, Vertreibung, Deportation und Ermordung von Berliner Juden in den Jahren 1933 bis 1945‘, eine 1993 eröffnete Schilder-Installation im Bayrischen Viertel in Berlin-Schöneberg (vgl. Rupnow 2006, 159).

10 Nach teilweise heftigen Auseinandersetzungen wurde dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ein Denkmal in der Nähe des geplanten Holocaust-Mahnmals zugesichert (vgl. Stavginski 2002, 54f.). Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas wurde schließlich am 24.10.2012 nahe dem Reichstag im Tiergarten eröffnet. Eine Mitarbeit im Beirat der Stiftung des vorliegend behandelten Denkmals lehnte der Zentralrat ab (vgl. Kap. 2.2.1).

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schiedene und den ermordeten Jüdinnen und Juden gewidmete zentrale und nationale Gedenkstätte zu errichten (vgl. Rosh 2005b, 72f.).11 In dieser frühen Projektionsphase des Denkmals hatte es auch eine verstärkte erinnerungsabwehrende und antisemitische Mobilisierung gegen das geforderte Holocaust-Mahnmal gegeben (vgl. Rensmann 2000, 141).12 Besonders öffentlichkeitswirksam hat im Oktober 1998 Martin Walser in seiner Friedenspreisrede das geplante Erinnerungszeichen für die jüdischen Opfer der deutschen Tat als „Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Albtraum“ und als „Monumentalisierung unserer Schande“ angegriffen (Walser 1998). In seinem Versuch, das Denkmal zu verhindern, stellte sich Walser gegen ein kollektives Holocaust-Gedenken in der Bundesrepublik an sich. In der Ausschreibung zum ersten Wettbewerb 1994, den der Förderkreis zusammen mit dem Berliner Senat und der Bundesregierung ausgerufen hatte, hieß es, man strebe eine Lage in der „Nähe zur Reichskanzlei, dem Amtssitz Hitlers“ (Senatsverwaltung 1999 [1994], 215) an. Diese an die Person Hitlers geheftete Ortswahl wurde als „gesellschaftlicher Entlastungsversuch“ kritisiert (Loewy 1999 [1998], 1191). Das Denkmalgelände, so der Vorwurf, schaffe eine Trennung zwischen Verführer und Verführten, die die Mittäterschaft der deutschen Gesellschaft ausspare. Die (nicht mit einer Personalisierung der Opfer zu verwechselnde) Personalisierung der Tat lege den Deutschen nahe, sich als Verführte Hitlers wahrzunehmen und sich so den Opfern der deutschen Mordpolitik gleichzustellen (vgl. Stavginski 2002, 128 u. 239).13 Forderungen, das Denkmal

11 Siehe zu der Entscheidung der Initiatorinnen und Initiatoren, das Denkmal den ermordeten Jüdinnen und Juden zu widmen: Jäckel 1999. 12 Die Berliner Junge Union forderte 1995: „Kein Juden-Denkmal am Potsdamer Platz“; der damalige Bürgermeister Berlins, Eberhard Diepgen, wollte keine „Hauptstadt der Reue“; der rechtsextreme Bund freier Bürger fragte propagandistisch: „Deutsche, wollt ihr ewig zahlen?“ (zit. n. Rensmann 2000, 141). 13 So kritisierte Silke Wenk die Ortswahl als Ausdruck einer populären Entlastungsstrategie der Deutschen – „Nicht ich, Adolf Hitler ist es gewesen“ (Wenk 1997, 347). Ähnlich Katharina Kaiser, die ebenfalls den Effekt der Ortswahl darin sah, dass „letztendlich Er für alles verantwortlich“ (Kaiser 1995, 92) gemacht werde und man sich selbst „als Opfer des ‚Hitlerkrieges‘ definieren“ könne (ebd.). Annegret Ehmann verwies auf die von Eberhard Jäckel vertretene intentionalistische Lesart des Massenmords, die der Wahl des Wettbewerbsgeländes zugrunde gelegen habe (vgl. Ehmann 1995, 34). Hanno Loewy kritisierte zudem die während des Realisierungsprozesses für kurze Zeit auftauchende Idee, den an das geplante Denkmalgelände angrenzenden ‚Führerbunker‘ und den unter dem Gelände entdeckten Bunker von Joseph

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im damals neu entstehenden Regierungsviertel zu errichten, um die Tat in Beziehung zur deutschen Bevölkerung und ihrer politischen Vertretung zu setzen, wurden von den Auslobenden nicht berücksichtigt (vgl. Loewy/Staffa 1998, 219). Vereinzelte Kritik gab es auch an den symbolischen Bezügen zur deutschen Teilung: Erwecke ein Denkmal auf dem ehemaligen Grenzstreifen doch den Eindruck, Maueropfer gegen den deutschen Massenmord aufrechnen zu wollen (ebd.). In der Ausschreibung für den zweiten Wettbewerb, der 1997 ausgerufen wurde, nachdem sich die Projektverantwortlichen – Politikerinnen und Politiker einerseits, Initiatorinnen und Initiatoren andererseits – auf keinen der beiden Siegerentwürfe hatten einigen können und die Bundesregierung unter Kohl die Unterstützung für die Vorschläge von Jacob-Marks und von Ungers überraschend zurückgezogen hatte, wurden explizite Bezüge auf den historischen Täterort und die Berliner Mauer dann fallen gelassen. Jetzt wurde die Bedeutung des Wettbewerbsgeländes „als ein öffentlicher Ort im Herzen der deutschen Hauptstadt“ hervorgehoben (Senatsverwaltung 1999 [1997], 839; vgl. Kirsch 2003, 211). Das Stelenfeld von Peter Eisenman ist als Sieger aus dem zweiten Wettbewerb hervorgegangen. Zusammen mit dem Bildhauer Richard Serra hat Eisenman ein ‚Field of Memory‘ entworfen (vgl. Endlich 2003, 1): ein begehbares Raster mit zunächst ca. 4.000 bis zu sieben Meter hohen Betonquadern (im Sprachgebrauch ‚Eisenman I‘). Nachdem Helmut Kohl auch gegen diesen Entwurf Veto eingelegt hatte, folgte eine Phase der Projektierung, in der über die Anzahl der Stelen diskutiert wurde, als ginge es um einen „Tauschwert der Opfer“ (Zuckermann 1999a, 115). Die Reduzierung der Anzahl und Höhe der Quader sollte zu einer unauffälligeren Einbindung des Denkmals in seine Umgebung führen und wurde seitens der Bundesregierung zur Bedingung. Serra verließ daraufhin das Projekt, Eisenman legte Mitte Juni 1998 einen überarbeiteten Entwurf (‚Eisenman II‘) vor (vgl. Mittig 2005, 26f.). Der Architekt sollte den Entwurf zwar noch mehrmals überarbeiten, doch im Grunde genommen ist ‚Eisenman II‘ realisiert worden.

Goebbels in die Konzeption einzubeziehen, als Mystifizierung der Verbrechen (vgl. Loewy 1999 [1998], 1191). Die insbesondere von Rosh immer wieder vorgebrachte Begründung, auf diese Weise „die Ermordeten über ihre Mörder, die Opfer über die Täter zu erheben“ (Rosh zit. n. Stavginski 2002, 44), kritisiert Hans-Georg Stavginski nicht zu Unrecht als „mythologisierende Grab- und Auferstehungsidee“ (ebd.).

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Stelenfeld, im Bildhintergrund Tiergarten, Reichstag, US-amerikanische Botschaft

Quelle: Cornelia Geißler

Das Stelenfeld setzt sich aus 2.711 in Höhe und Neigung unterschiedlichen Blöcken oder Stelen aus grauem Beton zusammen und füllt eine begehbare und von allen Seiten offene Fläche von ungefähr 20.000 qm aus. Die Stelenhöhe und der Boden vermitteln zusammen den Eindruck einer an- oder absteigenden Welle, je nachdem von welcher Seite das Feld betreten wird. Die Stelen sind jeweils 95 cm breit, 2,38 m lang und variieren in ihrer Höhe zwischen 0 und 4 m (vgl. Eisenman 2005b, 11). Der Abstand zwischen den Betonblöcken von 95 cm gibt eine „individuelle Durchquerung des Rasters“ (ebd.) auf schmalen Wegen vor. Das Denkmal wendet sich damit in einer Form an die Besuchenden, die es ihnen nur einzeln erlaubt, zwischen den verschieden großen Stelen umherzuwandeln. Welche Wirkung Eisenman mit dem Denkmal erzielen wollte, hat der Architekt selbst in einem Interview erläutert: „Ich wollte den Holocaust nicht darstellen oder veranschaulichen, sondern eine Erfahrung erzeugen, die verunsichernd wirkt. Die Besucher sollen sich fragen: Was ist das hier? Was bedeutet das? Wo befinde ich mich eigentlich? Genau dieses Gefühl will ich erzeugen, diese Verlorenheit, diese Orientierungslosigkeit, diese vergebliche Suche nach dem klaren Sinn. Die kognitive Erfahrung tritt hinter die affektive Erfahrung zurück.“ (Eisenman 2001)

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Der Gang durch die Stelen soll die auf sich gestellten Besuchenden also irritieren und über die emotionale (körperliche) Erfahrung einer Achs- und Bodenlosigkeit Fragen aufwerfen.14 Die Idee der Offenheit findet sich in zahlreichen Beschreibungen Eisenmans zu seinem zweiten Entwurf des Denkmals wieder, das er als „Feld ohne Eigenschaften“, „Ort des Nichts“ oder als Mahnmal, „das die Frage stellt, wofür es steht“, bezeichnete (zit. n. Stavginski 2002, 206). Angesichts der Stelen-Ikonografie dieses der ermordeten Juden Europas gedenkenden Denkmals ist es aber nicht verwunderlich, dass im Verlauf des Realisierungsprozesses zunehmend Friedhofsassoziationen auftauchten. Auch für die Initiatorin und den Initiator des Denkmals, Lea Rosh und Eberhard Jäckel, die von dem „Grab der 6 Millionen“ (Rosh 2005b, 79) oder einem „Gräberfeld“ (Jäckel 2002a, 91) sprachen, war und blieb dieses Denkmal ein symbolischer Friedhof. Der Friedhofscharakter setzt sich heute – christlich gedeutet – im Ort der Information fort (vgl. Loewy 2002a, 178-180).15 Angesichts der Widmung des Denkmals erstaunt es auch nicht, dass der Architekt selbst eine an der Perspektive der Opfer orientierte Rezeption anbot. Das Stelenfeld solle vermitteln, wie Eisenman an anderer Stelle betont hat, „wie es sein mag, wenn man auf verlorenem Posten steht, wenn einem der Boden unter den Füßen schwankt, wenn man von seiner Umgebung isoliert wird“ (Eisenman zit. n. Jureit 2010, 28f.). Eine solche Identifikation der Besuchenden mit den Ermordeten anhand des Denkmals hat zuletzt Ulrike Jureit problematisiert (vgl. ebd.). In die anhaltende Diskussion um eine mögliche Identifikation mit den Opfern hat hingegen als eine der Wenigen Brigitte Sion eingeworfen, dass die Identifikationsrichtung durch die Form des Denkmals selbst nicht vorgegeben sei, „[…] it seems to point both to the perpetrators and to the victims“ (Sion 2010, 243). Dabei schrecke Eisenman nicht vor dem Monumentalen zurück, so Sion weiter, und strebe keine Individualisierung der Toten an (vgl. ebd.). Das ästhetische Erlebnis dominiert beim Besuch des Stelenfelds, aber ob das von dem Kunstwerk ausgehende Identifikationsangebot aufgegriffen wird und wenn, bezogen auf die Opfer oder die Täter, bleibt offen.

14 Ähnlich Brigitte Sion, die das Stelenfeld als „physical sensation of confinement, claustrophobia, threat, and disorientation“ (Sion 2010, 246) beschreibt; eine Besuchserfahrung, die allerdings permanent von anderen Besuchenden unterbrochen werde (ebd.). 15 Hanno Loewy verweist im Zusammenhang mit katholischen Bräuchen auf den ‚Raum der Familien‘ im Ort der Information. Hier deuten die Informationsträger Grabsteine an, auf denen Fotos von Ermordeten angebracht sind, was im Judentum nicht üblich ist (vgl. Loewy 2002a, 180). Zum ‚Raum der Familien‘ siehe Kap. 2.3.3.

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Fest steht, das Stelenfeld bildet eine vom übrigen Stadtbild abgesetzte Fläche, die sich den Besuchenden als Projektionsfläche für (von ihnen mitgebrachte) Gedanken und Gefühle anbietet. Das Stelenfeld wird als Gedenkort wahrgenommen – manchmal liegen Blumen oder Steine auf dem Beton. Darüber hinaus wird bzw. wurde das Denkmal aber auch ganz anders genutzt, zum Beispiel als beliebtes Postkartenmotiv oder als Schauplatz von Werbe- und Modekampagnen.16 Noch problematischer ist seine Nutzung durch die Kampagne ‚Du bist Deutschland‘, die 2005/2006 für eine Identifikation mit der Nation geworben hat.17 Eisenman selbst hat sein Kunstwerk nicht durch historische Erläuterungen ergänzt, und von der Besucherordnung abgesehen, die von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, im Folgenden: Stiftung Denkmal) nachträglich an den Rändern des Stelenfelds angebracht wurde, ist dieses Denkmal selbst frei von Deutungsvorgaben. Aus Sicht von Ulrich Baumann, einem der Ausstellungskuratoren und heute stellvertretender Direktor der Stiftung Denkmal, gewährleiste gerade diese Offenheit des Denkmals das Besucherinteresse am Ort der Information, wie er im Interview ausführt: „Die Leute kommen nicht klar mit dem Stelenfeld oder können es nicht besonders füllen, was aber der Aufmerksamkeit im Ort der Information unheimlich zugutekommt, weil sie so viele Frage aufgeworfen bekommen durch den Rundgang durch die Stelen, dass sie sehr interessiert sind. Eins kriegen sie ja mit: Das Ding ist wahnsinnig groß und monströs, und sie wollen dann, glaube ich, wissen: Warum, was war da los? Es triggert die Aufmerksamkeit. Es ist teuer erkauft, dass man 2.711 Stelen und dieses Labyrinth oder Nichtlabyrinth aufstellen muss und sozusagen eine gewisse Ratlosigkeit erzeugt, die dann ein besonderes Interesse an den historischen Fakten erzeugt, was der Aufmerksamkeit für die Ausstellung zugutekommt. Was wäre denn ohne das Stelenfeld? Viele Leute zeigten womöglich den Reflex des Überdrusses: Oh schon wieder eine Ausstellung. So hat man sich ein künstliches Plateau geschaffen, unbeabsichtigt.“ (Baumann 2009)

Mittlerweile hat sich das Denkmal mit seinem Ort der Information als feste bildungspolitische Institution innerhalb der bundesdeutschen Gedenkstättenlandschaft etabliert. Mit der während des Entstehungsprozesses des Denkmals von den Projektierenden getroffenen Entscheidung, das ‚Field of Memory‘ aufgrund

16 Vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/ungluecklicher-ausrutscher-easy jet-entschuldigt-sich-fuer-fotos-am-holocaust-mahnmal-a-662888.html (2.5.2015). 17 Mit dem Slogan ‚Du bist Deutschland‘ griff die Kampagne eine nationalsozialistische Parole aus Ludwigsburg (um 1934) auf.

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seines offenen Charakters schließlich durch einen weiteren Bereich zu ergänzen, der die Thematik des Denkmals konkretisiert, wurde ein Denkmal neuen Formats ins Leben gerufen: ein Denkmal in Form einer Gedenkstätte. 2.1.2 Umgang mit dem Ort: Vom Denkmal zur Gedenkstätte Das Stelenfeld um einen Informationsort zu erweitern und damit das Denkmal als Gedenkstätte zu realisieren, war von den Initiatorinnen und Initiatoren anfangs nicht vorgesehen. Beide Wettbewerbe hatten lediglich die Auslobung eines Erinnerungszeichens zum Ziel, und auch der zum Sieger des zweiten Wettbewerbs gekürte Entwurf von Eisenman und Serra sah zunächst nur das Stelenfeld als Denkmal vor. Der Prozess, der in der Entscheidung mündete, einen das Denkmal komplementierenden Bereich zu schaffen und diesen letztlich als Museumsraum zu konzipieren, lässt sich als ein Prozess verstehen, in dem sich die Pädagogisierung, Nationalisierung und Musealisierung des Holocaust verschränkten. Zunächst war es die von Eisenman konzipierte Offenheit des Stelenfelds, die zu der Entscheidung führen sollte, „die unbegriffliche ästhetische Form mit begrifflichem Wissen“ zu verbinden (Zuckermann 1999b, 1256). Um das abstrakte Kunstwerk thematisch zu konkretisieren, wurde ein Informationsort konzipiert. Offenbar misstraute man der alleinigen Wirkung dieser Denkmalkunst (vgl. ders. 1999a, 118). In der Konsequenz wurde an den gedenkstättenpolitischen Zeitgeist angeknüpft, Gedenken mit musealer Wissensvermittlung zu verbinden. Mit der Entscheidung, zusätzlich einen Ort der Vermittlung historischen Wissens zu errichten, das Stelenfeld also um ein dokumentativ-edukatives Element zu erweitern, sollte das Denkmal nun zu einer Bildungseinrichtung werden, zu einem ‚Lernort‘ mit staatlichem Bildungsauftrag (vgl. Meseth 2005, 177). Das Denkmal als Gedenkstätte zu realisieren und dem Stelenfeld einen informierenden Ausstellungsbereich an die Seite zu stellen war auch Folge von grundlegenden bildungs- und geschichtspolitischen Entscheidungen, die von der seit 1998 amtierenden rot-grünen Regierungskoalition geprägt wurden. Die neue Bundesregierung legte in ihren Koalitionsvereinbarungen fest, dass die „Entscheidung über das Denkmal [...] der Deutsche Bundestag treffen“ werde (Koalitionsvereinbarung 1999 [1998], 1145),18 und beschloss kurz darauf, das Denkmal in die Bundesgedenkstättenförderung aufzunehmen, die wesentlich un-

18 Kanzler Schröder und der Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, hatten sich noch vor der Bundestagswahl gegen das Denkmal gewandt, mit der Begründung, die Ästhetik des Stelenfelds erinnere an den monumentalen Baustil des NS-Architekten Albert Speer (vgl. Schweppenhäuser 1999, 8).

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ter Rot-Grün ausformuliert wurde.19 Bundeskanzler Schröder bekräftigte in seiner Regierungserklärung vom 10. November 1998, das Denkmal in „ein Gesamtkonzept für die Gedenkstätten in Deutschland“ integrieren zu wollen (Schröder 1999 [1998], 1156). Die in der Bundesgedenkstättenförderung angelegte Ausrichtung der Gedenkstättenarbeit auf eine pädagogische Vermittlung der NS-Verbrechen sowie auf eine nationale Selbstvergewisserung (vgl. Deutscher Bundestag 1998 u. 2008), die nicht zuletzt auf die Wiedervereinigung und die Frage nach dem Umgang mit den ehemaligen DDR-Gedenkstätten zurückzuführen ist, wurde mit der Aufnahme des Denkmals in die Förderung, im Jahr 1999, bestätigt. Kurz vor dem Bundestagsbeschluss vom 25. Juni 1999 gab es, wie Zuckermann geschrieben hat, immer noch kein Denkmal, aber eine Debatte über das geplante Erinnerungszeichen, die jedoch „sehr viel von der Zerredung des an sich zu Erinnernden“ gezeigt habe (Zuckermann 1999a, 100) und sich nicht, wie James E. Young die gesellschaftliche Debatte um das Denkmal zuvor noch eingeschätzt hatte, als das „beste Denkmal an sich“ (Young 1992, 270) herausstellte. Der nicht nur von Walser geforderte Schlussstrich sollte zwar nicht gezogen werden, befand sich das offizielle Gedenken in der Bundesrepublik zu dieser Zeit doch bereits im Umbruch gegen ein Beschweigen der NS-Verbrechen. Der Gegenstand des Denkmals, die Erinnerung an die Opfer des Massenmords, war im Debattenverlauf jedoch zunehmend in den Hintergrund gedrängt worden.20 Ein zentraler Aspekt sei stattdessen, so Zuckermann, die Instrumentalisierung der Opfer für eine gedenkende Selbstverständigung in Deutschland gewesen, die während des Realisierungsprozesses des Denkmals deutlich wurde. Das Gedenken und mit diesem auch die Opfer der deutschen Vernichtungspolitik seien am Denkmal als nationales Projekt verhandelt worden. Ein positives Ergebnis der

19 In den Koalitionsvereinbarungen entschied die Bundesregierung zusammen mit den Bundesländern, „ein Konzept für die Gedenkstättenarbeit in Deutschland entsprechend der ‚Gedenkstättenkonzeption des Bundes‘“ (Koalitionsvereinbarung 1999 [1998], 1145) zu erarbeiten. Damit wurde das Denkmal als ein Projekt mit „gesamtstaatliche[r] Bedeutung“ (Deutscher Bundestag 1999, 4) in den Kontext der bundesdeutschen Gedenkstättenarbeit gerückt (vgl. Leggewie/Meyer 2005, 177). 20 Mit dem Denkmalprojekt wurde der Holocaust als Kunst verhandelt, es war nun möglich, wie Heinz Dieter Kittsteiner kritisch anmerkte, „einen ganz gewöhnlichen Kunstdiskurs zu führen“ (Kittsteiner 1999 [1996], 514). Auch Young räumte später ein, dass lange Zeit „die faszinierenden Aspekte der Denkmalsproblematik“ im Vordergrund der Debatte gestanden hätten und der Massenmord selbst aus dem Blick geraten sei (Young 1999 [1998], 973).

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zehnjährigen Debatte sei es allerdings, dass das Vorhaben, ein Denkmal zu bauen, nicht mehr rückgängig gemacht werden könne (vgl. Zuckermann 1999a, 116). In ähnlicher Weise kritisierte Stefan Krankenhagen die Debatte als den Beginn der „Nationalisierung des Holocaust“ (Krankenhagen 2001, 235) in Deutschland. Er konstatierte, dass nach den USA und Israel nun auch die Bundesrepublik den Holocaust „zur nationalstaatlichen Repräsentation“ benutze (ebd., 236). Eine immanent „erwünschte Nebenwirkung“ des Denkmals sei es, so Gerhard Schweppenhäuser, „zur Definition der eigenen, nationalen Identität nach der Vereinigung beizutragen“ (Schweppenhäuser 1999, 24; vgl. Wippermann 2010). In die Phase der Konsolidierung der Gedenkstättenarbeit fällt der Vorstoß des Staatsministers für Kultur, Michael Naumann, eine an Holocaust-Museen orientierte Institution einzurichten, die er Anfang 1999 zusammen mit dem Architekten als ‚Eisenman III‘ vorstellte. Mit diesem neuen Entwurf stand kein Denkmal, sondern eine Kombination aus Stelenfeld und Dokumentations- sowie Forschungsstätte – und damit erstmals eine bildungspolitische Erweiterung des Denkmals – zur Diskussion. Ein achtstöckiges ‚Haus der Erinnerung‘ mit einer Präsenzbibliothek zu Holocaust, Totalitarismus und Völkermord sollte durch eine in Tunneln vorgesehene Ausstellung ergänzt werden; ein Auditorium und Räume für Forschungseinrichtungen mit Schwerpunkt Völkermord waren ebenfalls vorgesehen. Gedenkstätten und Forschungseinrichtungen aus den USA und Israel sollten potenzielle Kooperationspartner sein (vgl. Eisenman/Naumann 1999, 1217).21 Die Berliner Gedenkstättenlandschaft hatte sich während des jahrelangen Realisierungsprozesses des Denkmals erheblich gewandelt. Ende der 1980er Jahre existierte weder in Deutschland noch in Berlin eine Gedenkstätte mit Schwerpunkt auf dem Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden. Die erste Einrichtung, die den Holocaust zum Gegenstand hatte, war die 1992 eröffnete Gedenkund Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz mit der historischen Dokumentation ‚Der Völkermord an den europäischen Juden‘. Für die nur wenige Meter vom Denkmalgelände entfernte Ausstellung Topographie des Terrors war ein (heute realisiertes) Dokumentationszentrum mit ähnlichen Funktionen wie das ‚Haus der Erinnerung‘ geplant (vgl. Endlich 2003, 6-12; Rürup 1999, 1275). Im Zuge der Einrichtung dieser Gedenkstätten und angesichts von dezentralen

21 Vorgeschlagen wurden Yad Vashem, das Holocaust Memorial Museum in Washington, das Leo Baeck Institut und die Survivors of the Shoah Visual History-Foundation von Steven Spielberg (vgl. Eisenman/Naumann 1999, 1201f.).

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Denkmalen in einigen Berliner Stadtteilen22 wurde vielfach gefordert, bei der Konzeption des Denkmals die Verfolgungs- und Mordstätten in und außerhalb Berlins zu berücksichtigen (siehe etwa Ehmann 1995, 34f.; Kaiser 1995, 94; Libeskind 1995). Die KZ-Gedenkstätten, die sich im Zuge der Umgestaltung der Gedenkstätten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR bundesweit stärker vernetzten, wandten sich in einer Erklärung gegen ‚Eisenman III‘. Das Stelenfeld trete, so die Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten, „an die Stelle der authentischen Lagergelände, Massengräber und KZ-Friedhöfe, die es in Deutschland sehr zahlreich gibt“ (Arbeitsgemeinschaft 1999, 1250). Eine Kombination aus Gedenken und Wissensvermittlung, so die Arbeitsgemeinschaft weiter, finde bereits statt und werde im Rahmen der bundesweiten Gedenkstättenförderung gerade ausgebaut.23 Nach diversen Anhörungen und Ausschusssitzungen des Bundestags sowie Gesprächen mit Gedenkstättenleitenden über die Einbindung des Denkmals in die bestehende Gedenkstättenstruktur (vgl. Leggewie/Meyer 2005, 197-198) stand im Sommer 1999 ein Kompromissvorschlag zur Abstimmung im Bundestag, der ‚Eisenman III‘ zwar nicht explizit erwähnte, an diesem jedoch orientiert war und auf eine pädagogische Erweiterung des Stelenfelds hinauslief. Das Denkmal wurde schließlich als Gedenkstätte konzipiert, in der sich Gedenken und Informieren verschränken sollten. Am Ende der Debatte um das Denkmal und am Beginn des Orts der Information stand der Bundestagsbeschluss vom 25. Juni 1999, mit dem entschieden wurde, dass „der Entwurf eines Stelenfelds von Eisenman (‚Eisenman II‘) realisiert [wird]. Dazu gehört ergänzend im Rahmen dieses Konzepts ein Ort der Information über die zu ehrenden Opfer und die authentischen Stätten des Gedenkens.“ (Stiftung Denkmal 2002, 52) Der Beschluss wurde möglicherweise von dem Motiv der Nationalisierung des Holocaust mitgetragen, das in den Jahren um die deutsche Wiedervereinigung und der Konsolidierung der deutschen Gedenkstättenlandschaft als ein Charakteristikum des sich in Deutschland wandelnden Gedenkens besonders hervortrat und bereits die Projektierung des Denkmals geprägt hatte. Die Forderung der Denkmal-Initiative, ein sichtbares Erinnerungszeichen für die ermorde-

22 Darunter das 1991 eingeweihte Gleis 17 am Deportationsbahnhof Berlin-Grunewald, das 1993 im Bayrischen Viertel errichtete Denkmal und die 1995 eingeweihte Spiegelwand in Berlin-Steglitz. 23 Parallel zum Bundestagsbeschluss zur Errichtung des Denkmals am 25. Juni 1999 wurde von Naumann die „Konzeption der künftigen Gedenkstättenförderung des Bundes“ vorbereitet (Deutscher Bundestag 1999, zum Denkmal insb. 23; vgl. Leggewie/Meyer 2005, 193 u. 222).

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ten Jüdinnen und Juden zu errichten, erhielt im Rahmen dieser Entwicklung allerdings die Chance auf Realisierung. Während also die das Denkmal tragende Absicht als problematisch zu werten ist, ist für die gewählte Präsentationsform der Ausstellung das Gegenteil zu konstatieren, denn sie lässt die Opfer ausführlich zu Wort kommen. Auch das Motiv der Pädagogisierung des Holocaust, ein weiteres Charakteristikum des in dieser Zeit ausformulierten gedenk(stätten)politischen Zeitgeists, scheint die Abstimmung im Bundestag mitgetragen zu haben. Nicht nur wurde auf Bundesebene über das Denkmal entschieden, auch sprachen sich die Politikerinnen und Politiker in der Mehrheit dafür aus, dieses in Form einer Gedenkstätte zu realisieren. Das zunächst als Stelenfeld konzipierte Erinnerungszeichen sollte zusammen mit einem Bereich eröffnen, dem die Vermittlung von Wissen – zuallererst über die Opfer des Holocaust – zugedacht war. Der Bundestagsbeschluss sah zwar einen das Stelenfeld ergänzenden Ort der Information vor, auf den die Widmung des Denkmals übertragen wurde, über dessen Präsentationskonzept war damit jedoch ebenso wenig entschieden wie über das Ausstellungsgebäude und dessen Lage. Das Motiv der Musealisierung des Holocaust schließlich sollte insbesondere in den Jahren nach dem Beschluss zum Tragen kommen, in denen der Ort der Information als kleines Museum konzipiert und realisiert werden sollte, das die ermordeten Jüdinnen und Juden mit ihren persönlichen Berichten sichtbar werden lässt. Dabei stellt sich in diesem Museum wie in anderen (Gedenk-)Museen jedoch die Frage, inwiefern in der Präsentation des Geschichtlichen Bezüge zur Gegenwart hergestellt werden, um so bei den Besuchenden Beunruhigung darüber auszulösen, dass die Möglichkeit einer Wiederholung des Geschehenen nach wie vor besteht.

2.2 D AS D ENKMAL UND

DER

O RT

DER I NFORMATION

HEUTE Während das Stelenfeld des Denkmals den Holocaust nicht konkretisieren, sondern dessen Bedeutung über das individuelle Besuchserlebnis vermitteln möchte, wird im Ort der Information das historische Ereignis individualisiert. Hier erfolgt die Wissensvermittlung in einem Dokumentationsmodus, der von biografischer Konkretion getragen ist (vgl. Uhl 2008, 6). Ein Verständnis von der Dimension der Vernichtung, das das Stelenfeld über die Ansprache der einzelnen Besuchenden einlösen soll, reflektiert die historische Präsentation im Ort der Information durch Konkretion der ‚Sechs Millionen‘. Die Dokumentationsstätte zielt auf die Sichtbarmachung der Opfer des Holocaust, denn ihnen ist das Denkmal gewidmet.

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In den folgenden Kapiteln wird die Realisierung des Orts der Information als Museum nachgezeichnet, das das abstrakte Stelenfeld in Form einer Ausstellung unter dem Denkmal konkretisieren sollte. Schwerpunkte dabei sind das personalisierende Präsentationskonzept und das Vermittlungskonzept des Orts der Information sowie ein Überblick über den Ausstellungsbereich. 2.2.1 Ein Ausstellungskonzept entsteht Mit der inhaltlichen und formalen Konzeption des Orts der Information wurde Anfang 2000, kurz nach dem Bundestagsbeschluss, begonnen. In den ersten Jahren des Konzeptionsprozesses diskutierten die Verantwortlichen aus Politik, Gedenkstätten und verwandten Einrichtungen besonders intensiv über den Charakter der historischen Präsentation. Die inhaltliche Konzeption der Ausstellung ist vor allem von Historikerinnen und Historikern entwickelt worden, mit der formalen Konzeption der Präsentation, also dem Gestaltungskonzept von Museumsraum und Exponatpräsentation, wurde eine professionelle Ausstellungsgestalterin beauftragt. Während das Ausstellungskonzept insbesondere 2001/2002 entscheidende Veränderungen erfahren und schließlich als Gedenkstättenausstellung realisiert werden sollte, ist die Ausstellungsgestaltung nicht wesentlich verändert worden. Im Rahmen der Bundesgedenkstättenförderung wurde im März 2000 eine Bundesstiftung (Stiftung Denkmal) als Trägerin des Denkmals eingerichtet, der die Realisierung des Ausstellungsbereichs oblag (vgl. Leggewie/Meyer 2005, 234) und die für die inhaltliche Konzeption des Orts der Information zuständig war (vgl. Baumann 2011, 171). Das Kuratorium unter dem Vorsitz des damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse bestimmte eine Historikerkommission – Eberhard Jäckel, Andreas Nachama, Reinhard Rürup –, die zusammen mit der Geschäftsführerin der Stiftung Denkmal, Sibylle Quack, ein erstes Präsentationskonzept für den Ort der Information erarbeiten sollte. Das Kuratorium hatte bereits im Februar 2000 in einer ‚Rahmenvorgabe‘ den Ort der Information als Ergänzung zum Stelenfeld bestätigt (vgl. Stiftung Denkmal 2002, 19). In der von diesem Gremium vorgelegten Skizze war ein Ausstellungsbereich mit einer historischen Präsentation noch nicht vorgesehen, erneut zeigte sich aber, wie entscheidend die abstrakte Ästhetik des Stelenfelds für die Konzeption des es komplementierenden Informationsbereichs war. Dort, so hieß es in den ersten Ausführungen eines Präsentationskonzepts über den Ort der Information, „sollen die Opfer des Holocaust ‚ihre menschlichen Gesichter bekommen‘, soll an Biografien und Schicksale erinnert werden. Die zentrale Funktion des Ortes der Information besteht in der Personalisierung und Individualisierung des mit dem Holocaust verbundenen

78 | I NDIVIDUUM UND M ASSE Schreckens. Die abstrakte Form der Erinnerung durch das Denkmal selbst wird auf diese Weise ergänzt durch die Konkretisierung und Personifizierung der Erinnerung.“ (Stiftung Denkmal 2000)

Damit war die inhaltliche Ausrichtung der Präsentation im Ort der Information umrissen, deren Funktion als „emotional-konkrete [...] Erinnerung“ und „Ergänzung des abstrakt-künstlerischen Stelenfeldes“ betont wurde (ebd.). Diese Konkretisierung sollte sich durch Sichtbarmachung individueller Opfer vollziehen, denen das Denkmal gewidmet ist. In der Diskussion der ‚Rahmenvorgabe‘ betonte dem Protokoll zufolge der Historiker Eberhard Jäckel die Vielschichtigkeit der Einzelschicksale, deren Darstellung den Schwerpunkt des vorgesehenen Präsentationskonzepts bilden sollte und daher im Ort der Information „nicht nur wenige Schicksale als Beispiele“ genannt werden könnten (ebd.). Günter Morsch, Leiter der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen und Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätte, zeigte sich skeptisch gegenüber dem personalisierenden Konzept für die geplante Ergänzung des Stelenfelds, wo es nicht darum gehen könne, „den Opfern das menschliche Gesicht zurückzugeben“. Dieser Ansatz funktioniere nur in Gedenkstätten oder in Holocaust-Museen, im Ort der Information solle man sich auf Text konzentrieren, „alles andere tut den Opfern weh“ (ebd.). Die das Stelenfeld ergänzende Funktion des geplanten Informationsorts wird in einem weiteren Beschluss des Kuratoriums hervorgehoben. Demnach sei der Ort der Information „so bescheiden wie möglich“ und in „gewisser räumlicher Trennung“ (ebd.) vom Stelenfeld zu errichten. Die Stiftung Denkmal entschied schließlich, den Ausstellungsbereich von Eisenman unterirdisch bauen zu lassen und die funktionale Trennung auf diese Weise umzusetzen (vgl. dies. 2002, 14).24 Den Ort der Information unterhalb des südöstlichen Teils des Stelenfelds einzurichten folgte der Annahme, die meisten Besuchenden würden das Denkmal vom Brandenburger Tor aus betreten und seien somit gezwungen, sich vor Eintritt in die Ausstellung mit dem Stelenfeld auseinanderzusetzen (vgl. Eisenman 2002, 28). Im Frühjahr 2003 wurde mit dem Bau begonnen. Kurz nach Einrichtung der Stiftung Denkmal wurde das Kuratorium um einen Beirat ergänzt, in dem bis heute Verfolgtenverbände, politische Interessenvertretungen, wissenschaftliche Forschungseinrichtungen und KZ-Gedenkstätten

24 Das Motiv des Unterirdischen greift die Idee des Entwurfs ‚Eisenman III‘ auf, der eine Ausstellung in einem Tunnel vorsah (siehe Kap. 2.1.2).

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vertreten sind (vgl. Stiftung Denkmal 2002, 35f.).25 Die Hauptaufgabe des Beirats sollte es sein, alle im Nationalsozialismus verfolgten Opfergruppen innerhalb der Stiftung zu vertreten (vgl. Benz 2005a). Da das Denkmal aber nur die jüdischen Opfer erinnern sollte, hatte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma eine Mitarbeit im Beirat abgelehnt. Daraufhin wurden die Stiftung Denkmal und der Beirat damit beauftragt, ein Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas zu errichten, das schließlich am 24. Oktober 2012 im Berliner Tiergarten eingeweiht wurde. Bis heute sind von der Stiftung Denkmal weitere Denkmale errichtet worden, die jeweils der in diesem Gremium vertretenen Verfolgtengruppen gedenken.26 Der Beirat des Denkmals hatte – anders als bei der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (siehe Kap. 3 u. 4) – keinen nennenswerten konzeptionellen Einfluss auf die inhaltliche und gestalterische Ausrichtung der Präsentation des Denkmals. Diesen Befund hat Adam König, Auschwitz-Überlebender und bis 2012 für das Internationale Auschwitz Komitee im Beirat der Stiftung Denkmal tätig, im Interview so zusammengefasst: „Der Beirat, der die Konzepte beraten soll, berät die Konzepte, wenn die Sache schon gelaufen ist.“ (König 2009) Nach dem generellen Einfluss von Überlebenden auf die Gestaltung des Orts der Information gefragt hat Uwe Neumärker, einer der Ausstellungskuratoren und heute Direktor der Stiftung Denkmal, im Interview erläutert, dass die Überlebenden, die mit ihren Familien in der Ausstellung vorgestellt werden, zur Präsentationsgestaltung nicht gefragt worden seien: „Sie haben insofern eine Rolle gespielt, als sie uns für den ‚Raum der Familien‘ Materialien zur Verfügung gestellt haben. […] Sie haben die Texte zwar gesehen, aber sie haben nie Einfluss auf die Auswahl der Materialien genommen.“ (Neumärker 2010) Die durch das Kuratorium bestimmte Historikerkommission und die Geschäftsführung der Stiftung Denkmal erarbeiteten seit Anfang 2000 eine inhaltli-

25 Der Beirat konstituierte sich am 21.6.2000 (vgl. Stiftung Denkmal 2002, 35f.). Eine aktuelle Übersicht über die Zusammensetzung des Gremiums bietet die Homepage der Stiftung Denkmal, siehe http://www.stiftung-denkmal.de/stiftung/kuratorium-beirat. html (14.1.2015). 26 Vgl. http://www.stiftung-denkmal.de/denkmaeler/denkmal-fuer-die-ermordeten-sintiund-roma.html (2.12.2014). Eine Übersicht über die von der Stiftung Denkmal realisierten Denkmale findet sich unter: http://www.stiftung-denkmal.de/denkmaeler.html (2.12.2014). Ein Überblick über die Ausstellungen, die bis heute unter der Federführung der Stiftung entstanden sind, ist hier einzusehen: http://www.stiftung-denk mal.de/ausstellungen.html (2.12.2014).

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che Konzeption des Orts der Information, die Ausgangspunkt der heute realisierten Präsentation gewesen ist. Die Arbeitsgruppe entwickelte seit Frühjahr 2000 eine ‚Grundkonzeption‘ sowie einen ergänzenden ‚Bericht zur inhaltlichen Konzeption für den Ort der Information‘. Der Ort der Information wurde hier als „eigenständige[r] Typus“ (Grundkonzeption 2002, 249) vorgestellt. Er solle kein Imitat anderer Gedenkstätten sein, sondern auf diese verweisen und dabei Gedenken und Nachdenken ermöglichen (ebd., 250). Beabsichtigt war, das Informationsangebot „eher zurückhaltend“ zu gestalten (Bericht 2002, 254). Neben einem beinahe leeren Eingangsbereich waren die folgenden Räume vorgesehen: Ein ‚Raum der Stille‘ sollte Besinnung und Trauer ermöglichen 27 und ein ‚Raum der Schicksale‘ Lebensläufe in Wandvitrinen präsentieren; der ‚Raum der Namen‘ war für Datenbanken zur Namensrecherche vorgesehen,28 und ein ‚Raum der Orte‘ sollte schließlich die „Ausdehnung des Mordes auf Europa einsichtig machen“ (Grundkonzeption 2002, 251). Im weiteren Verlauf des Konzeptionsprozesses, in dem auch die Raumtitel geändert wurden, sollte der Schwerpunkt des Orts der Information auf die museale Vermittlung von historischem Wissen verlegt werden. Die Historiker hatten in ihrer Grundkonzeption für den Bereich unter dem Stelenfeld eine Mischung aus Gedenken und Nachdenken vorgesehen. Dabei schienen sie aber nicht an einen informierenden Ausstellungsbereich gedacht zu haben, der möglicherweise beides zulässt, sondern eher an einen Gedenkbereich, der den Holocaust-Opfern exemplarisch ein Gesicht geben, über weite Strecken aber ohne historische Informationen auskommen sollte. Die bis hierhin vorgestellten konzeptionellen Grundlagen für den geplanten Informationsort sowie ein Ausstellungskonzept, ein sogenannter Drehbuchentwurf der Geschäftsstelle der Stiftung Denkmal unter der Regie der Historikerin Eva Brücker, der federführenden Kuratorin der heute realisierten Ausstellung, wurden Anfang November 2001 auf einem interdisziplinären Symposium vorgestellt und von den Anwesenden – u. a. Historikerinnen und Historiker, in Gedenkstätten Tätige sowie Politikerinnen und Politiker – diskutiert (vgl. Quack

27 Jäckel hatte vorgeschlagen, den ‚Raum der Stille‘ als Gedenkraum zu gestalten, ohne Bilder, mit gedämpftem Licht und Sitzbänken, die auf eine Tafel mit der Inschrift „In Memoriam 6.000.000 1941-1945“ ausgerichtet sein sollten (vgl. Jäckel 2002b, 101). Im ‚Raum der Stille‘ kam der damals für den Informationsort festgelegte Schwerpunkt des Gedenkens besonders zum Ausdruck – auch weil der Name dem gleichnamigen Meditationsraum im Brandenburger Tor entlehnt war (vgl. Mittig 2005, 53). 28 Im August 2000 hatte Yad Vashem zugesagt, dem Denkmal die ‚Zentrale Datenbank der Namen der Holocaust-Opfer‘ mit den ‚Gedenkblättern‘ (‚Pages of Testimony‘) zur Verfügung zu stellen (vgl. Jäckel 2002a, 92; ders. 1999 [1997], 61f.).

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2002; Stiftung Denkmal 2002, 19).29 In den ‚Drehbuchentwurf‘ war das Konzept der Ausstellungsgestalterin Dagmar von Wilckens eingeflossen (vgl. Quack 2002, 36-41), das, wie weiter unten zu zeigen ist, insbesondere durch ein gezielt zurückhaltendes Lichtkonzept sowie das Aufgreifen der Stelenästhetik eine emotionalisierende Gestaltung der Präsentationsräume vorsah, die im Wesentlichen auch realisiert werden sollte. Ungeachtet dessen betonte der ‚Drehbuchentwurf‘ gegenüber der ‚Grundkonzeption‘, die inhaltliche Konzeption der Präsentation müsse auf einen „rationalen Zugang zum Thema“ hinwirken (Drehbuchentwurf 2002, 268). Der Ort der Information sei eine Ergänzung des Denkmals, „jedoch keine Doppelung“, beibehalten werden solle aber eine „ruhige, kontemplative Atmosphäre“ (ebd.). Im Interview führt Brücker ihre damaligen konzeptionellen Überlegungen aus: „Mir war wichtig, dass es eine ernstzunehmende Ausstellung ist, die inhaltlich eine Aussage trifft und inhaltlich tatsächlich informiert und nicht nur Bilder präsentiert, die sozusagen dem Gedenken und dem Erinnern so ein bisschen ein Gesicht geben, eher symbolisch. Sondern es war tatsächlich das Ziel, zu dokumentieren und zu informieren, den Wortlaut Ort der Information ernst zu nehmen und einen Gegenpol zu bilden zu dem Denkmal.“ (Brücker 2009a)

Auch hier ist das Stelenfeld als Gegenüber gedacht. Dieses wird als Gedenkort verstanden und sollte dementsprechend nicht durch unterirdische Gedenkräume gedoppelt, sondern vielmehr und entgegen dem Entwurf der Historikerkommission als Ausstellungsbereich konzipiert werden, als eine dokumentierende und informierende Präsentation. Mit dem ‚Drehbuchentwurf‘ lag ein personalisierendes Ausstellungskonzept vor, das nicht nur Gedenkelemente wie mit Namen ver-

29 In Quack 2002 sind die ‚Grundkonzeption‘ (249-252), der ‚Bericht zur inhaltlichen Konzeption für den Ort der Information‘ (253-262), nachfolgend: ‚Bericht‘, sowie der ‚Drehbuchentwurf‘ (263-292) veröffentlicht. Neben den konzeptionellen Überlegungen zum Ort der Information wurde auf dem Symposium auch über den Bauprozess des Denkmals informiert sowie der Gestaltungsentwurf für den zukünftigen Ausstellungsbereich vorgestellt. Der Entwurf stammte von Dagmar von Wilcken, die damit Ende 2000 vom Vorstand der Stiftung Denkmal beauftragt worden war (vgl. Baumann 2011, 173f.; Stiftung Denkmal 2002, 20f.). Von Wilcken wurde dabei von der Arbeitsgruppe ‚Gestaltung‘ des Kuratoriums unterstützt, der auch Richard Rosson (Eisenman Architects), Salomon Korn (Kuratoriumsmitglied) und die damalige Geschäftsführerin der Stiftung Denkmal, Sibylle Quack, angehörten (vgl. Stiftung Denkmal 2002, 21).

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sehene Fotos vorsah, sondern die historischen Ereignisse anhand von Selbstzeugnissen und Lebensläufen vor Augen führen wollte. Orientiert an den Darstellungsformen in Yad Vashem und dem Holocaust Memorial Museum in Washington (vgl. Drehbuchentwurf 2002, 268) schlug das Präsentationskonzept als roten Faden der musealen Vermittlung die Opferperspektive vor (ebd., 271). Dem ‚Drehbuchentwurf‘ zufolge sollten die von den Historikern für den ersten Ausstellungsraum vorgesehenen Überblicksinformationen in den Ausstellungsauftakt vorverlegt werden, der ‚Raum der Stille‘ sollte in ‚Raum der Ereignisse‘ umbenannt werden und grundlegende Informationen zu den Eskalationsschritten der Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden zwischen 1933 und 1945 präsentieren (ebd., 276-289). Gegenüber dem Vorschlag der Historikerkommission, so kann zusammengefasst werden, wurde mit dem Präsentationskonzept Brückers der Wissensvermittlung mehr Ausstellungsfläche eingeräumt und dem doppelten Zweck des Orts der Information – Gedenken und Nachdenken – mehr Material, Ausstellungsexpertise und eine neue Richtung gegeben. Die Diskussionen auf dem Symposium drehten sich im Wesentlichen um die Frage nach dem Verhältnis von Gedenken und Informieren (vgl. Baumann 2011, 174). Gegen die im ‚Drehbuchentwurf‘ vorgeschlagene stärkere Gewichtung von Informationen insistierte die Historikerkommission auf einer „konsequente[n] Reduktion des Stoffes“ (Rürup 2002, 127; vgl. Jäckel 2002a, 94). Einer Informationsvermittlung eher hinderlich schien für viele Teilnehmenden die Fortsetzung der Formsprache des Stelenfelds in der Gebäudearchitektur, wie es das Gestaltungskonzept von Wilckens vorsah. Demgegenüber bevorzugte man, so der Historiker Norbert Frei, eine „möglichst große Neutralität“ der unterirdischen Räumlichkeiten (Frei 2002, 214). Die formale Ausstellungsgestaltung weise durch die Fortsetzung der Stelenästhetik, so Hanno Loewy, sakrale Züge auf, die den Ort der Information in einen „Ort der Besinnung“ verwandelten, der „die emotionale Wirkung des Denkmals fortsetz[e]“, anstatt eine Auseinandersetzung mit „angestoßenen“ oder „ohnehin mitgebrachten“ Fragen anzuregen (Loewy 2002a, 178). Die zu diesem Zeitpunkt für den ersten Ausstellungsraum vorgesehenen beleuchteten Bodenplatten, die einer „Gedenktafel“ (Drehbuchentwurf 2002, 278) nachempfunden werden sollten, wurden als „unangemessen“ (Rürup 2002, 138) eingeschätzt. Diese und dergleichen Einwände gegen das Gestaltungskonzepts von Wilckens sollten nicht berücksichtigt werden. Der Weg für eine historische Präsentation im Ort der Information war nun zwar gelegt, jedoch sollte diese in Form einer an der Ästhetik des Stelenfelds orientierten und ans Gefühl appellierenden Ausstellungsarchitektur realisiert werden.

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Im weiteren Konzeptionsprozess, der auf das Symposium folgte, wurde von einer durch die Stiftung Denkmal einberufenen Expertenkommission – Aleida Assmann, Wolfgang Benz, Ulrich Herbert, Eberhard Jäckel, Monika Richarz, Reinhard Rürup, Peter Stölzl und Sibylle Quack – der Charakter der heutigen Präsentation entlang des ‚Drehbuchentwurfs‘ entwickelt (vgl. Stiftung Denkmal 2002, 23). Das personalisierende Präsentationkonzept wurde als roter Faden der inhaltlichen Vermittlung beibehalten. Von nun an kreiste die Diskussion vor allem um den Ausstellungsauftakt und den ersten Themenraum. Entschieden wurde, den biografischen Zeugnissen einen Abriss des historischen Kontextes voranzustellen (vgl. Brücker 2009a). Dieser sollte schließlich mit 1933 beginnen30 und Eskalationsstufen des Verfolgungs- und Mordprozesses aufzeigen. Durch diese Darstellungsform, mit der ein historischer Überblick entlang Radikalisierungsetappen präsentiert werden sollte und die der Historiker Ulrich Herbert bereits auf dem Symposium im November 2001 vorgeschlagen hatte (vgl. Herbert 2002, 84), wurde der zeitliche Schwerpunkt des Überblicks auf die Jahre 1941 bis 1945 gelegt (vgl. Baumann 2011, 175f.). Ferner wurde geplant, im einführenden Foyer sechs Porträtfotos von Holocaust-Opfern zu zeigen, im ersten Ausstellungsraum einen Wandfries mit den Opferzahlen der europäischen Länder anzubringen und, nach erneuten Diskussionen, die für den ersten Themenraum vorgesehenen Bodenplatten als Informationsträger beizubehalten. Nach den Diskussionen um ein inhaltliches und gestalterisches Konzept für den Ort der Information, die um das öffentliche Kolloquium (2001) ihren Höhepunkt hatten, einigten sich die Entscheidungstragenden schließlich auf die Realisierung einer historischen Präsentation. Die Idee, das Stelenfeld mit einer Ausstellung historisch zu spezifizieren, hat sich gegenüber dem Vorschlag, einen komplementierenden Gedenkraum einzurichten, durchgesetzt. Das schließlich ausformulierte Präsentationskonzept, das auf die biografische Konkretion der historischen Ereignisse ausgerichtet ist, wurde von Heidemarie Uhl als „Verschränkung von historischer Information und emotionalem Gedenken“ bezeichnet (Uhl 2008, 6). Während die entschiedene Ausstellungsästhetik einseitig das Affektive betont, macht die inhaltliche Präsentation des Orts der Information,

30 Auf dem Symposium war ausgehend vom ‚Drehbuchentwurf‘ die zeitliche und räumliche Einordnung des Judenmords diskutiert worden. Jäckel plädierte für die Zeitspanne ab 1941, dem Übergang zum europaweiten Genozid an den Jüdinnen und Juden (Jäckel 2002a, 90f.). Gedenkstättenvertreterinnen und -vertreter schlugen indes vor, die Morde in Deutschland ab der Machtübertragung 1933 (Wickert 2002, 102), dem 9. November 1938 (Distel 2002, 97) oder dem 1939 einsetzenden Massenmord in Polen (Garbe 2002, 97) einzubeziehen.

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die den Holocaust über weite Strecken auf der Grundlage von Selbstzeugnissen vermittelt, deutlich, dass Information nie nur Kognition und Gedenken nie nur Affekt ist. 2.2.2 Das Vermittlungskonzept Die Gedenkstättenausstellung im Ort der Information, die selbst keinen Titel trägt, ist den im Holocaust verfolgten und ermordeten Jüdinnen und Juden gewidmet. Die inhaltliche Schwerpunktsetzung des Ausstellungsbereichs ist am Bundestagsbeschluss von 1999 orientiert, der Informationen über die jüdischen Opfer sowie über andere Gedenkstätten als die zwei Funktionen der edukativen Ergänzung des Stelenfelds festgelegt hatte. Wie beim Vorbild des Berliner Denkmal-Projekts, der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, wird das Vermittlungskonzept von der Präsentationsform der Personalisierung getragen. Namen und Lebensdaten der Opfer des deutschen Massenmords sowie das von ihnen persönlich Erlebte stehen im Vordergrund der Vermittlung. Ausgehend vom Titel des Denkmals, – Denkmal für die ermordeten Juden Europas – sollten die Perspektive der Verfolgten und deren unterschiedliche Schicksale in ganz Europa im Mittelpunkt der historischen Präsentation stehen. Tätergeschichte hingegen sollte lediglich als Hintergrund vorkommen (vgl. Brücker 2009a).31 Mit der inhaltlich-gestalterischen Funktion der ‚Personalisierung und Individualisierung‘ der historischen Ereignisse anhand von Selbstzeugnissen sollten in der musealen Repräsentation einzelne Schicksale und die Dimension der Vernichtung deutlich werden. Mit der Präsentation persönlicher Lebensgeschichten sollten die „Opfer in der Wahrnehmung der Besucher konkrete Gesichter, Namen und individuelle Lebensläufe“ (Quack/v. Wilcken 2005, 40) erhalten. Weitere mit dem Konzept der Personalisierung verbundene Vermittlungsziele bestanden darin, in der Repräsentation des Holocaust die Anonymität der Opfer aufzuheben sowie die Bereitschaft zu erhöhen, „dem einzelnen Schicksal mit Aufmerksamkeit und Empathie zu begegnen und […] einen Zugang bei der kognitiven Verarbeitung der Inhalte“ zu ermöglichen (ebd., 40f.). Die Dokumentation am Denkmal begründet sich nicht mit einer Tatgeschichte und repräsentiert keinen bestimmten Tatort. Darin unterscheidet sie sich sowohl vom Haus der Wannsee-Konferenz als auch von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, deren Vermittlung jeweils auf an diesen Orten begangene Verbrechen bezogen ist (siehe Kap. 3 u. 4). Dass das Denkmal nicht an einem historischen

31 Aus der Fokussierung auf die Opfer des Holocaust erklärt sich auch, weswegen im gesamten Ausstellungsbereich keine Täterabbildungen gezeigt werden (vgl. Brücker 2009a).

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Tatort errichtet wurde, stellt aus Sicht der Stiftung Denkmal einen Vorteil für das Vermittlungskonzept der Präsentation dar, wie Neumärker betont hat: „Der Vorteil des Orts der Information ist genau der, dass es ein symbolischer und kein historischer Ort ist. Wir müssen nicht wie Sachsenhausen unsere eigene Geschichte erzählen, sondern wir können genau den Blick dorthin richten, wo es passiert ist, nach Osten. Denn die historischen Stätten des Holocaust, der Ermordung der europäischen Juden, befanden sich nicht in Deutschland.“ (Neumärker 2010)

Wie der Stiftungsdirektor hier erläutert, steht im Vordergrund der historischen Präsentation nicht ein bestimmter Tatort, sondern die Dokumentation des europaweiten Genozids. Der zeitliche Schwerpunkt der historischen Präsentation liegt auf dem systematischen Massenmord ab 1941 und damit auf Polen und der Sowjetunion als den beiden geografischen Zentren der Vernichtung, was im gesamten Ausstellungsbereich in der Auswahl der Selbstzeugnisse und biografischen Darstellungen zum Tragen kommt. Die „europäische Dimension“, so Neumärker im Interview weiter, sei „bei der Auswahl der Zitate, bei der Auswahl der Familien, bei der Auswahl der Biografien, bei der Auswahl der Orte, auch bei der Auswahl der Gedenkstätten berücksichtigt“ worden (ebd.). Indem einzelne Lebensgeschichten aus Europa präsentiert werden, soll nicht nur das Ausmaß der Verfolgung deutlich werden. Die persönlichen Berichte, die im Ort der Information im Mittelpunkt stehen, sollen auch dazu beitragen, „die gerade in Deutschland wenig vorhandene Kenntnis über die kulturelle Vielfältigkeit des europäischen Judentums vor dem Holocaust zu vertiefen“ (Quack/v. Wilcken 2005, 41). Gegen das Stereotyp ‚des‘ Juden gibt die Ausstellung den Blick der Besuchenden auf die Vielfalt jüdischen Lebens vor dem Holocaust frei. In seiner heutigen Form lässt sich das Denkmal mit Volkhard Knigge als „künstlich authentischer Ort“ (Arbeitsgemeinschaft 1999, 1250) charakterisieren, woran auch zum Ausdruck kommt, dass das Denkmal in seiner heutigen Gestalt in der Konsolidierungsphase der in Deutschland bereits existierenden Gedenkstätten konzipiert wurde: Das Stelenfeld ist der symbolische Friedhof für die ermordeten Jüdinnen und Juden, und das in diesen integrierte Gedenkmuseum lässt ihr individuelles Schicksal wahrnehmbar werden. Die Präsentation verzichtet auf die historischen Ortsbezüge, mit denen die Geländewahl für das Denkmal begründet wurde. Für die Architektur des Ausstellungsgebäudes und die Ausstellungsgestaltung des Orts der Information ist das Stelenfeld als räumlicher Kontext aber ausschlaggebend. Die Ausstellungsarchitektur nimmt das Stelenmotiv als durchgehendes Gestaltungsmittel auf und lenkt auf diese Weise die Perspektive der Betrachtenden: Die Decke greift die Umrisse der Stelen und

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den welligen Boden des Denkmals auf, das Ausstellungsmobiliar zitiert die Formsprache des Außenbereichs. Den Gestalterinnen des Orts der Information zufolge werde auf diese Weise der Eindruck erweckt, das Denkmal sei „gegenwärtig und spürbar“ (Quack/v. Wilcken 2005, 43). Die Präsentation der persönlichen Quellen wird zudem durch die Lichtverhältnisse in dem unterirdischen Gebäude unterstützt. Die dunklen Räume, die sich von den mit Fenstern versehenen Foyerbereichen deutlich abheben, folgen einer „Lichtdramaturgie“ (ebd., 48), die, ähnlich dem Aufgreifen des Stelenfelds, Gefühlsqualitäten wie Orientierungslosigkeit oder Verunsicherung hervorrufen soll. Künstliches Licht dient „nicht primär zur Raumbeleuchtung, sondern größtenteils als Übermittler von Informationen“. So werden die Texte und Fotografien „hinterleuchtet oder […] projiziert“ (ebd.), wodurch die Aufmerksamkeit auf die Exponate gelenkt werden soll. Der Verzicht auf dreidimensionale Exponate wird von Neumärker zum einen mit der kleinen Ausstellungsfläche von nur 800 qm begründet, zum anderen damit, keine ‚Aura des Authentischen‘ evozieren zu wollen: „Wir wollen Authentizität nicht inszenieren, indem wir auch auf Artefakte, Objekte verzichtet haben. Es ist alles Flachware, es sind Scans oder Filmaufnahmen, es sind Texte. Das zeitigt vielleicht auch den Erfolg. Bei einer Gedenkstätte haben ja gerade junge Menschen diese ‚Aura des Authentischen‘, und das schreckt ab.“ (Neumärker 2010)

Indem die Präsentation vor allem durch fotografische und schriftliche Dokumente geprägt ist, unterscheidet sie sich von Holocaust-Museen, die in der Regel auf gegenständliche Exponate zurückgreifen. Sie ist nicht, gleichsam diesen, auf einem Friedhof und historischen Tatort errichtet. Ob allerdings der Ort der Information durch das bewusste Nichtausstellen von Gegenständen keine ‚Aura des Authentischen‘ aufweist, wie seitens des Direktors der Stiftung Denkmal im Interview angenommen, oder ob eine solche nicht vielmehr durch die realisierte Ausstellungsarchitektur künstlich erzeugt wird, kann hinterfragt werden. Denn nicht nur bildet ein symbolischer Friedhof, das Stelenfeld, den räumlichen Kontext der Präsentation, auch werden die unterirdisch präsentierten Zeugnisse und die mit ihnen vermittelten Inhalte in eine von der Ausstellungsgestaltung künstlich erzeugten ‚Aura‘ getaucht, die Authentizität suggeriert und der sich die Besuchenden kaum entziehen können. Die realisierte Ausstellungsgestaltung, von der die inhaltliche Vermittlung des Holocaust gerahmt wird, ist nicht unproblematisch. Denn indem sich das formale Konzept der Ausstellung an dem Verständnis eines ‚spürbaren Denkmals‘ (v. Wilcken) orientiert, appelliert es mit Licht- und Toneffekten sowie einem auffällig durchchoreografierten Ausstel-

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lungsrundgang an ein diffuses Gefühl von Unsicherheit und Beklemmung. In dem Versuch, eine empathische Annäherung an das historische Ereignis zu ermöglichen, von dem der Ort der Information berichtet, wird das Publikum möglicherweise empathisch überwältigt und ihnen wird das eigene Fühlen und (Nach-)Denken abgenommen – eine durch die Gestaltung hervorgerufene Vermittlungsschwierigkeit, die dem Denkmal, wie Neumärker zu Recht betont, von sich aus und im Gegensatz zu deutschen Gedenkstätten an historischen Tatorten so nicht zukommen müsste. Wie auch an anderen Gedenkstätten steht Besuchsgruppen am Ort der Information ein mehrsprachiges breites Bildungsangebot zur Verfügung, das seit der Eröffnung ständig erweitert wird. Die stark nachgefragten Führungen vermitteln Informationen über das Denkmal, bieten einen Austausch über das unbegleitet erkundete Stelenfeld und geben eine Einführung in die historische Ausstellung. Workshops und Projekttage werden ebenso angeboten wie Vorbereitungen auf Präsentationsprüfungen im Rahmen des Mittleren Schulabschlusses und Materialien für Schulen zur Vor- und Nachbereitung des Denkmalbesuchs.32 2.2.3 Die Ausstellung im Überblick Die Ausstellung ist nur über eine Treppe und durch eine Sicherheitsschleuse zu erreichen. Blickfang beim Betreten des Ausstellungsbereichs ist seit 2007 eine Informationstheke, an der bunte, beleuchtete Tafeln auf die pädagogischen Angebote und Begleitmaterialien aufmerksam machen und an der sich die Garderobe und der Audioguide-Verleih befinden. Daran angeschlossen ist ein kommerzieller Buchladen33 – fast kein Museumseingang, der heute nicht so aussähe. So bringt der Eingangsbereich die Annäherung von Gedenkstätten an Museen zum Ausdruck. Unüblich in anderen (Geschichts-)Museen ist hingegen ein Gästebuch mit herausnehmbaren Seiten. Neben einem Computerterminal, das mit einer Datenbank über den Entstehungsprozess des Denkmals informiert.34

32 Zum Zeitpunkt meiner engeren Datenerhebung von Ausstellung und Rezeption (bis Ende 2008) wurden Führungen durch den Ort der Information nicht angeboten. Die aktuellen Bildungsangebote finden sich unter: http://www.stiftung-denkmal.de/besuch /angebote-fuer-besucher.html (13.11.2015) und http://www.stiftung-denkmal.de/be such/angebote-fuer-schulen.html (13.11.2015). 33 Auch die beiden anderen vorliegend untersuchten Gedenkstätten (Kap. 3 u. 4) bieten in einem Eingangsfoyer Informationen sowie hausinterne Publikationen zum Verkauf an. Die Verantwortlichen dort sind jedoch (noch) die Gedenkstätten selbst und nicht private Unternehmen. 34 Zur Zeit meiner Datenerhebung nur in deutscher Sprache.

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Raumplan Ort der Information

Quelle: Ben Buschfeld (Stiftung Denkmal)

Der Ort der Information dokumentiert den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden mit einem Ausstellungsbereich, der sich im Wesentlichen aus vier gleich großen und quadratischen Themenräumen zusammensetzt, denen jeweils ein Foyerbereich voran- bzw. nachgestellt ist. In der Leserichtung der Ausstellung ist der Eingangs- gleichzeitig der Ausgangsbereich des Museums, dem das Eingangsfoyer (Foyer 1/2) folgt und dem das Ausgangsfoyer (den Ziffern des oben abgebildeten Raumplans entsprechend 5, 6, 7) vorangestellt ist. Den Auftakt der historischen Präsentation im Eingangsfoyer bilden ein komprimierter Überblick über die Verfolgungs- und Vernichtungspolitik zwischen 1933 und 1945 sowie sechs großformatige Porträts von Holocaust-Opfern. Die zeitliche und räumliche Entwicklung von Verfolgung und Massenmord wird dann in den vier Ausstellungsräumen mit folgenden thematischen Schwerpunkten vermittelt: In dem an das Foyer anschließenden ersten Ausstellungsraum (‚Raum der Dimensionen‘) berichten Selbstzeugnisse von Verfolgung und Vernichtung, und es finden sich Informationen über die Opferzahlen in Europa. Im zweiten Themenraum (‚Raum der Familien‘) wird anhand von ausgewählten Lebensläufen aus Europa jüdisches Leben vor, während und nach der Verfolgung vorgestellt. Der dritte Themenraum (‚Raum der Namen‘) ist der digitalisierten Namensverlesung gewidmet. Im vierten Themenraum (‚Raum der Orte‘) befinden sich Hörstationen mit Augenzeugenberichten. Zudem informieren Karten, Texte und Kurzfil-

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me über Deportationsorte, Ghettos, Orte von Massenerschießungen, Vernichtungslager und Todesmärsche.35 Mit dem Ausgangsfoyer (Ziffern 5 bis 7) schließt die Ausstellung. Der dem Museumsausgang am nächsten gelegene Teil des Ausgangsfoyers ist als ‚Gedenkstättenportal‘ (5) mit Recherchemöglichkeiten gestaltet. Im dem an die Themenräume anschließenden Foyerteil (6) wird die israelische Gedenkstätte Yad Vashem vorgestellt, hier kann auch in ihre ‚Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer‘ Einblick genommen werden. Das Foyer wird durch zwei Seminarräume ergänzt, in denen seit 2008 ein Videoarchiv (7) eingerichtet ist, das einen Zugriff auf digitalisierte Zeitzeugeninterviews, u. a. aus dem Bestand des Fortunoff-Videoarchivs der Yale University, ermöglicht.36 Der Ausstellungsrundgang, der im Empfangsraum beginnt und endet, überlässt den Besuchenden nur beim Verlassen des letzten Themenraums (4) eine Entscheidung über die Leserichtung der Präsentation, nämlich sich rechter-

35 Da auf diesen Themenraum aufgrund seines struktur- und weniger individualgeschichtlichen Ansatzes in dieser Studie nicht weiter eingegangen wird, nachfolgend eine kurze Skizze: Der ‚Raum der Orte‘ vermittelt die europäische Dimension des Massenmords und schließt in der Darstellung der Verfolgungs- und Vernichtungsorte auch andere Opfergruppen ein. Zentralen Vernichtungsorten ist jeweils ein eigener Informationsträger gewidmet: Kulmhof, Belzec, Treblinka, Majdanek, Auschwitz, Babi Yar, Sobibor und Malyi Trostenez. An den Informationsträgern sind Hörstationen angebracht, die Augenzeugenberichte in Auszügen wiedergeben und auf einer persönlichen Ebene von Gewalt und Tod berichten. 36 Yale hat seit 1979 eine beachtliche Anzahl von Videointerviews mit Überlebenden des Holocaust in 22 Sprachen gesammelt: http://www.library.yale.edu/testimonies (17.3.2015). Für das Videoarchiv des Orts der Information wurden diese sowie Zeitzeugeninterviews u. a. aus dem ‚Archiv der Erinnerung‘ der Universität Potsdam und dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg durch biografische Angaben der Berichtenden ergänzt (eine ähnliche Ergänzung, wie sie von der Stiftung Denkmal an den von Yad Vashem entworfenen Gedenkblättern von Holocaust-Opfern vorgenommen wird), die an den Computerterminals zusammen mit Informationen zu übergreifenden historischen Entwicklungen abgerufen werden können. Der Akzent der Auswahl der persönlichen Berichte mit den Lebensdaten ihrer Verfasserinnen und Verfasser liegt auf Osteuropa, dem Schwerpunkt dieses Berliner Holocaust-Museums. In der vorliegenden Studie wird auf das Videoarchiv und das Interviewprojekt ‚Sprechen trotz allem‘ (www.sprechentrotzallem.de; 6.5.2015) und ihre Integration in die Bildungsarbeit der Stiftung Denkmal nicht weiter eingegangen. Siehe die Aufsätze in dem von der Stiftung herausgegebenen Band ‚Ich bin die Stimme der sechs Millionen‘. Das Videoarchiv im Ort der Information (Baranowski 2009).

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hand den Namensdatenbanken zuzuwenden oder linkerhand durch das Gedenkstättenportal zum Ausgang zu gehen. Die in der Ausstellung präsentierten Dokumente vermitteln klare Botschaften. Ausgestellt werden vor allem schriftliche und bildliche Quellen, die meisten von ihnen haben verfolgte und ermordete Personen selbst verfasst, wie Tagebucheinträge, Briefe, Postkarten, Zitate oder private Fotografien. Diese Selbstzeugnisse werden wie auch die präsentierten Familiengeschichten, Namen und Kurzbiografien als „Herzstücke“ der Ausstellung verstanden (Quack/v. Wilcken 2005, 41). Ihnen nachgeordnet finden sich auch offizielle Dokumente der Nationalsozialisten. Filmausschnitte und Hörstationen sowie Computerterminals sind zurückhaltend eingesetzt.

2.3 C LOSE -U PS

DER

P RÄSENTATION

Mit einem auffällig im Eingangsbereich des Orts der Information platzierten Zitat von Primo Levi eröffnet die Präsentation: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen. Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“ Die Besuchenden des Museums treffen noch vor der historischen Dokumentation des Holocaust auf die Stimme eines Überlebenden, mit der der Ort der Information sowie die mahnende und erinnernde Funktion des Denkmals vorgestellt werden. Der Appell, mit dem sich Primo Levi in seinem persönlichen Bericht über Auschwitz-Birkenau (Ist das ein Mensch?) 1947 an die deutsche Gesellschaft gewandt hat, spricht als erstes Ausstellungssegment das Publikum an und kann als Widmung der Dokumentationsstätte verstanden werden: Anhand des Zeugnisses wird in die personalisierende Präsentationsform des Ausstellungsbereichs eingeführt, die den Ausstellungsgegenstand mit dem Gedenken an die Opfer verbindet (vgl. Drehbuchentwurf 2002, 275f.). Es ist eine universale Aussage, die zur Begrüßung im Ort der Information ausgewählt wurde; sie ist so einfach wie aktuell, ohne allerdings das historische Ereignis und die dafür Verantwortlichen direkt zu benennen. Während des Konzeptionsprozesses hatte David Bankier, Historiker und damaliger Leiter des Internationalen Instituts für Holocaust-Forschung von Yad Vashem, über den Umgang mit Namen und Individuen in dem geplanten Erinnerungsort gesprochen (vgl. Bankier 2002). Bankier bezog sich auf das von der Geschäftsführung der Stiftung Denkmal für den Ort der Information vorgesehene Zitat von Primo Levi, um auf den Zusammenhang von Quellenauswahl und Ausstellungsnarrativ aufmerksam zu machen, indem er betonte, dass die Perspektive des säkularen Primo Levi nur „eine Variante des Judentums“ sei. Zur Verdeutli-

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chung kontrastierte er den universalen Gedanken Levis mit einem Zeugnis, das die deutsche Tat und Täterschaft klar benennt: „Wenn Sie Paul Celan fragen, bekämen Sie eine Deutung, die Sie wahrscheinlich nur schwer akzeptieren würden. Anstelle des Zitats von Primo Levi müssten Sie dann schreiben: ‚Der Tod ist ein Meister aus Deutschland‘. Wäre das akzeptabel?“ Abschließend plädierte Bankier dafür, die verfolgten Jüdinnen und Juden in der Ausstellung „als Subjekte der Geschichte“ darzustellen und zu fragen: „Wie dachten sie selber über das, was geschah?“ (ebd., 224f.) Der Historiker hatte etwas Grundsätzliches angesprochen: Die Perspektive der Opfer setzt sich aus ganz individuellen Lebensläufen zusammen und ist, in der musealen Repräsentation, abhängig von der Auswahl der Exponate sowie der damit verbundenen Interpretationen. Die in der Ausstellung präsentierten Stimmen von Holocaust-Opfern belegen und dokumentieren die Verbrechen. Welche Personen oder Personengruppen vorgestellt, welche Zeiten und Orte thematisiert werden und welche Berichte weggelassen werden, bestimmen indes die für die historische Präsentation Verantwortlichen. Je nachdem welche zeitgenössischen Quellen in der musealen Repräsentation gezeigt werden, und darum geht es vorliegend, werden dem Publikum andere Bilder des Holocaust vermittelt. Im Folgenden führe ich nicht systematisch durch die Präsentation, sondern untersuche ausgewählte Ausstellungsbereiche, in denen Personalisierungen besonders zum Tragen kommen. So sollen Aussagen über ein möglichst breites Spektrum an personalisierenden Präsentationsformen dieser Gedenkstätte getroffen werden. Die Frage, welche Aufgaben und Funktionen personalisierende Elemente im Ort der Information übernehmen, berücksichtigt auch den Ausstellungsbeginn, der in die historische Präsentation einführt, sowie in den Ausstellungsrundgang eingefügte Gegenwartsbezüge. Abweichend zu den Gedenkstätten Wannsee (Kap. 3.3) und Neuengamme (Kap. 4.3) werden nachfolgend fünf und nicht vier Ausstellungsbereiche im Close-Up rekonstruiert. Für dieses Vorgehen habe ich mich entschieden, da das Präsentationskonzept des Orts der Information eine Vorreiterrolle in Bezug auf Personalisierungen einnimmt und weil hier, insbesondere im ‚Raum der Namen‘ (Kap. 2.3.4), deutlich wird, wie sehr sich die personalisierende Konzeption dieses deutschen Gedenkmuseums an der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem orientiert. 2.3.1 Historischer Überblick und sechs Porträts Das den Themenräumen vorangestellte Eingangsfoyer setzt sich aus zwei Ausstellungssegmenten zusammen, die inhaltlich und gestalterisch aufeinander bezogen sind: An der Längsseite wird ein Überblick über den historischen Kontext zwischen 1933 und 1945 gegeben. Die wie ein fortlaufendes Band arrangierte

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Präsentation läuft auf sechs großformatige Porträts von Holocaust-Opfern an der Stirnwand des Foyers zu, die den Fluchtpunkt des Ausstellungsbeginns bilden. Historischer Überblick und Porträts, Eingangsfoyer

Quelle: Cornelia Geißler

Die historische Kontextualisierung ist in Form einer langgezogenen Stele gestaltet und verbindet Bild und Text zu einer chronologisch strukturierten ‚Zeitleiste‘. Die zwölf Jahre des NS-Regimes sind als Ereignisgeschichte angelegt und werden anhand von Radikalisierungsetappen zusammengefasst (vgl. Baumann 2009). Entscheidungen und Verfolgungsmuster werden innerhalb der jeweiligen Jahresspanne ebenso aufgezeigt wie die geografische Dimension des sich radikalisierenden und systematisierenden deutschen Terrors im Kriegsverlauf. Die Zeitspanne ab Juni 1941, also ab dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion und dem Übergang zum Genozid an den europäischen Jüdinnen und Juden, bildet den zeitlichen und geografischen Schwerpunkt der historischen Präsentation. Die erste Tafel ‚Machtübernahme der Nationalsozialisten‘ – hier wie an den anderen Texttafeln fungieren farblich hervorgehobene Thesen im Text als Überschriften – fasst den Zeitraum 1933 bis 1937 zusammen. Den Jahren 1938 und 1939 ist jeweils eine Tafel gewidmet, während die Jahre ab 1940 jeweils auf mehreren Tafeln behandelt werden.

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Georg Mainzer, Beginn ‚Zeitleiste‘ (1933)

Quelle: Cornelia Geißler

Den Jahren 1933-1937 ist ein kleines Schwarz-Weiß-Foto zugeordnet, auf dem ein Mann in Hemd und Weste verstört in eine Kamera blickt, die ihn in einer Wohngegend beim Entfernen von Papieren an einer Hauswand ablichtet. Er wird von einem bewaffneten Mann in Uniform und einem grinsenden Zivilisten beobachtet, die hinter ihm stehen. In einem der Fenster auf der anderen Straßenseite ist eine Person hinter Gardinen zu erkennen. Im Bildhintergrund gehen schemenhaft weibliche Passanten entlang. Der Fotokommentar stellt Georg Mainzer vor, der hier in die Kamera blickt: „politischer Gegner des neuen Regimes [...] Sozialdemokrat und Sohn des jüdischen Kaufhausbesitzers Berthold Mainzer“, der „öffentlich gedemütigt“ wird. „SA-Männer zwingen ihn, Symbole sozialdemokratischer Organisationen von Mauern und Türpfosten abzuwaschen.“ Die Bildunterschrift nennt Ort und Datum dieser frühen Demütigung: Heppenheim, 6.3.1933. Die Texttafel zum Zeitraum 1933-1937 erläutert, wie Jüdinnen und Juden zu „Fremden gemacht“ wurden und die „Verfolgung schrittweise verschärft“ wurde, um dann aus der Perspektive derjenigen zu berichten, die als politische Gegner und Juden in Deutschland verfolgt wurden. Problematisch an diesem Setting ist: Während die Perspektive der jüdischen Bevölkerung eingenommen wird, sind die nichtjüdischen Deutschen seltsam abwesend. Antisemitismus wird zwar gleich zu Beginn als politische Praxis der neuen Regierung benannt, unerwähnt bleibt aber die deutsche Gesellschaft, die diese stereotype Denkform aufgegriffen und den Nationalsozialismus gewählt

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hat. Der Anspruch der Ausstellung, „das Handeln und die Verantwortung der Deutschen im historischen Kontext zu thematisieren“ (Quack/v. Wilcken 2005, 41), wird damit nur bedingt eingelöst. Auch in der Bildunterschrift bleibt das Verhalten der Bevölkerung unerwähnt – es aufzuzeigen, bleibt allein der Abbildung aus Heppenheim selbst sowie anderen am Ausstellungsbeginn gezeigten Fotos überlassen. Zur Fotografie von Georg Mainzer erklärt die Kuratorin Eva Brücker im Interview, es sei eher selten, dass die „Bilder sehr nah rangehen. Er guckt direkt in die Kamera“ (Brücker 2009a). Damit schaut der Fotografierte auch die ihn auf dem Foto Betrachtenden an – ein Gestaltungprinzip, nach dem auch die Porträts an der Stirnseite des Foyers ausgewählt wurden und das die gesamte Ausstellung strukturiert. Die auf dem Foto festgehaltene Demütigung Georg Mainzers wird durch biografische Angaben im Kommentar konterkariert: „Es wird klar“, so Brücker weiter, „es geht um diese Person, und das Bild wird zu einem Dokument seiner Geschichte, es gelingt, die Perspektive auf das Bild zu verändern“ (ebd.). Die Präsentation der Aufnahme Georg Mainzers, die ihn nicht als anonymes Opfer, sondern als Person sichtbar macht, kann für den Umgang mit Fotografien am Denkmal als repräsentativ gelten. Der Blick auf die zumeist von Tätern aufgenommenen Fotos an der ‚Zeitleiste‘ soll verändert und eine andere Wahrnehmung der dokumentierten Szenen und der Opfer ermöglicht werden. Um sichtbar zu machen, dass Bilder nicht objektiv sind und die Kameraeinstellung die Täterperspektive zeigt, werden die visuellen Quellen ergänzt um Personenangaben und quellenkritische Kommentierungen, also Hinweise, die die Originalbeschriftung einordnen. Zudem findet sich von den Verfolgten selbst aufgenommenes Fotomaterial, etwa eine Aufnahme aus dem Ghetto Lodz (Łódź, Litzmannstadt) von Mendel Grossman, der den Besuchenden im ‚Raum der Familien‘ erneut begegnet. Die auf der Textebene benannten Parteifunktionäre und Massenmörder werden auf der Bildleiste nicht visualisiert, und das an der ‚Zeitleiste‘ gezeigte Bildmaterial, größtenteils in Schwarz-Weiß gehalten und auch andere Verfolgtengruppen berücksichtigend, ist für eine historische Präsentation ungewöhnlich kleinformatig. Damit soll verhindert werden, dass die Fotos im schnellen Vorbeigehen lediglich ‚konsumiert‘, also nur oberflächlich wahrgenommen werden (vgl. Neumärker 2010). An der ‚Zeitleiste‘ werden auch einige Aufnahmen von gedemütigten oder in den Tod getriebenen Jüdinnen und Juden gezeigt, die aber nicht die Bildauswahl des historischen Überblicks dominieren. Dazu erklärt Brücker im Interview:

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„Schockfotografien sollten nicht gezeigt werden. Schockpädagogik sollte absolut vermieden werden, es sollte eine Offenheit der Besucher gegenüber dem ermöglicht werden, was sie sehen. Sie sollten sich weder verschließen noch abwehren noch sich mit den Tätern identifizieren können. Sondern es sollte ganz offensichtlich sein, dass sie sehen, die Verfolgten sind Menschen wie alle anderen auch. Das war das oberste Ziel.“ (Brücker 2009a)

Wie in anderen Gedenkstättenausstellungen (vorliegend insbesondere im Haus der Wannsee-Konferenz, vgl. Kap. 3) werden von den Kuratierenden am Denkmal sogenannte Schockfotografien als klarer Gegensatz zu Personalisierungen verstanden. Besonders schockierende Aufnahmen werden zwar vereinzelt am historischen Überblick gezeigt, die Fotos von namenlosen Frauen, Männern und Kindern geben aber nicht die jüdische Perspektive wieder, die im Ort der Information gerade wahrnehmbar werden soll. Gegenüber frühen Gedenkstättenausstellungen, die kaum ein menschliches Gesicht der Opfer des Holocaust zeigten, sollen die Besuchenden der Ausstellung am Denkmal die verfolgten und ermordeten Personen als ‚Menschen wie alle anderen auch‘ erinnern. Von den an der Stirnseite des Foyers auffällig platzierten sechs Porträts, auf die der historische Überblick zuläuft, blicken den Besuchenden hingegen unverletzte Gesichter entgegen, aufgenommen in der Zeit vor der Verfolgung. Es sind private Aufnahmen von Frauen und Männern unterschiedlichen Alters sowie unterschiedlicher Herkunft, die die ‚Sechs Millionen‘ repräsentieren sollen (vgl. Stiftung Denkmal 2010, 14). Dieses Ausstellungssegment soll auf die Vielfalt jüdischen Lebens vor dem Massenmord verweisen und die Dimension der totalen Vernichtung veranschaulichen. Mit der direkten Adressierung der Besuchenden anhand privater Fotografien greift die Ausstellung in Berlin auf eine Präsentation von Fotos zurück, wie sie auch in Yad Vashem (insb. mit der ‚Halle der Namen‘) und im United States Holocaust Memorial Museum in Washington (insb. mit dem ‚Tower of Faces‘) zu finden ist. Damit reiht sich das Denkmal, darauf hat zuletzt Irit Dekel aufmerksam gemacht, in die Gedenkstätten und Museen ein, die von den Opfern stammende fotografische Quellen aufbewahren, pflegen und ausstellen: „This makes the memorial to a member of that care group.“ (Dekel 2009, 81) Die prominente Platzwahl der Porträtfotos gleich zu Beginn des Ausstellungsrundgangs unterstreicht die Funktion des Denkmals: das Aufrechterhalten der Erinnerung an die verfolgten und ermordeten Personen anhand ihrer Zeugnisse. Die stellenweise personalisierende Kontextdarstellung an der ‚Zeitleiste‘ und die Individualisierung des Holocaust anhand der großformatigen Porträts bilden in der Ausstellungskonzeption eine Einheit. Was mitunter auf der ‚Zeitleiste‘ im Kleinen umgesetzt wurde, die Personalisierung des Holocaust, verkörpern die

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Porträtaufnahmen: sechs Millionen Jüdinnen und Juden, die sich der zwischen 1933 und 1945 radikalisierenden Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegenübersahen. Die Großaufnahmen bilden den Auftakt und den Übergang zu den vier Themenräumen. Während für die Präsentation der biografisch kommentierten Privataufnahmen eine Gedenkform mit menschlichem Antlitz aufgegriffen wurde, sind private Fotografien aus der Zeit vor der Verfolgung sowie andere Selbstzeugnisse von verschiedenen Orten und Zeiten, die im anschließenden Ausstellungsbereich präsentiert werden, immer auch Vermittler von historischen Informationen. 2.3.2 Selbstzeugnisse und Dimensionen „Lieber Vater! Vor dem Tod nehme ich Abschied von dir. Wir möchten so gerne leben, doch man lässt uns nicht, wir werden umkommen. Ich habe solche Angst vor diesem Tod, denn die kleinen Kinder werden lebend in die Grube geworfen. Auf Wiedersehen für immer. Ich küsse dich inniglich – Deine J.“

Die wenigen Sätze, mit denen sich die zwölfjährige Judith Wischnjatskaja verabschiedet, sind auf den 31. Juli 1942 datiert und vermutlich vor ihrer Erschießung im polnischen Byton (Bytoń, heute Weißrussland) verfasst worden. Sie sind im ‚Raum der Dimensionen‘ unter einer beleuchteten Bodenplatte ausgelegt und werden von zwei Faksimiles ergänzt: zum einen eine Vergrößerung der zitierten Passage, zum anderen russische Nachschriften des an den Vater adressierten Briefes ihrer Mutter, dem das Mädchen ihre Gedanken beigefügt hat. Aus dem Objektkommentar ist zu erfahren, dass in Byton über 1.900 Juden von deutschen Einheiten erschossen wurden.37

37 Der gemeinsame Abschiedsbrief von Judith Wischnjatskaja und ihrer Mutter Slata, der im Original als verschollen gilt, wurde von einem Offizier der Roten Armee in Byton gefunden und dem Antifaschistischen Jüdischen Komitee in Moskau übergeben. Er wurde 1980 in Jerusalem publiziert und erschien 1994 auf Deutsch im von Wassili Grossman und Ilja Ehrenburg herausgegebenen Schwarzbuch. Der Genozid an den sowjetischen Juden (vgl. Stiftung Denkmal 2010, 21-23; dies. 2005, 83f.).

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Abschiedszeilen von Judith Wischnjatskaja

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Zeugnisse im ‚Raum der Dimensionen‘

Quelle: Cornelia Geißler

Die Abschiedszeilen von Judith Wischnjatskaja sind eines von 14 schriftlichen Selbstzeugnissen, die im ‚Raum der Dimensionen‘ den Massenmord dokumentieren. Die verschriftlichten Stimmen der Opfer prägen die Raumkonzeption: Ein Brief bezeugt eine Massenerschießung, Aufzeichnungen auf Papierfetzen die Gestapo-Haft, Tagebucheinträge halten den Alltag im Ghetto fest und berichten über die Massentransporte, eine Postkarte, die aus einem Deportationszug geworfen wurde, Augenzeugenberichte von Massenerschießungen sowie Nachrichten von den Vernichtungsstätten. Die Berichte werden auf dem Boden präsentiert und durch einen Wandfries ergänzt, der die Todesstatistik der einzelnen europäischen Länder wiedergibt. Es sind in den jeweiligen Landessprachen aufgezeigte Zahlenspannen wie „Polska 2.900.00 - 3.100.00“, die auf offiziellen NS-Dokumenten und Erhebungen nach 1945 basieren (vgl. Pohl 2005, 72). Damit macht dieser Ausstellungsraum auf die Tatsache aufmerksam, dass der Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden – vor allem in Osteuropa – bis heute nicht genau quantifiziert werden konnte, nicht zuletzt deshalb, weil die Mörder die entsprechenden Beweise vernichtet haben. Die im ersten Themenraum ausgelegten persönlichen Berichte geben Auskunft darüber, was mit den Schreibenden und um sie herum geschehen ist. Sie sind in der Mehrheit in Polen und in der Sowjetunion in den Jahren ab 1942 entstanden und wurden nicht nach, sondern während der Verfolgung verfasst, die nur Wenige der Zeugnis Ablegenden überlebt haben (vgl. Richarz 2005, 78). Wie Brücker im Interview unterstreicht, wurden die persönlichen Berichte so ausgewählt, dass Verfolgung und Vernichtung deutlich benannt werden (vgl. Brücker 2009a). Die Dokumentenauswahl der Bodenpräsentation berücksichtigt Augenzeugenberichte, die offenlegen, was Täterdokumente auslassen, und gibt den Blick auf Tagebücher und Briefe frei (vgl. Friedländer 2006a, 23; Turski

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1993). Die Berichte liegen auf dem Boden des Ausstellungsraums aus, als seien sie gerade aus dem Zug geworfen worden. Dadurch können sich die Ausstellungsbesuchenden vorstellen, die Zeugnisse selbst zu finden. Anhand der Perspektive der Opfer werden Momentaufnahmen des Verfolgungs- und Mordprozesses vermittelt, gleichzeitig werden die Schreibenden mit Namen genannt. Der Ausstellungsraum stellt die Opfer nicht als stumme Objekte der historischen Ereignisse dar, sondern lässt sie als denkende und fühlende Subjekte aufscheinen, die die Verbrechen bezeugt haben. Die in diesem Raum präsentierten Zeugnisse geben den Genozid in klaren Worten aus der Sicht der verfolgten Menschen wieder, es ist aber nicht nur der Inhalt, der die Aufmerksamkeit der Besuchenden einfängt, sondern auch die Gestaltung der hell beleuchteten und im Boden unter Glas gezeigten Berichte. Mit der Entscheidung, die Selbstzeugnisse auf den jeweiligen Informationsträgern zweimal abzubilden – zum einen das gesamte Dokument und zum anderen einen zitierten Ausschnitt – sollte das Zitat, wie der Ausstellungskurator Ulrich Baumann im Interview erläutert, „als Teil einer historischen Quelle sichtbar und der starken Emotionalität des Zitats ein einordnendes, kognitiv-wissenschaftliches Element beiseite gestellt werden“ (Baumann 2009). Das Faksimile des Originals ist lediglich im Hintergrund erkennbar. Die Ausstellungsverantwortlichen haben sich um eine sachliche Präsentation bemüht, doch die emotionale Wirkung, die von den Berichten ausgeht, wird erheblich durch ihr Arrangement unter Glasplatten verstärkt. Diese fallen sofort auf, noch bevor der Inhalt der Berichte aufgenommen werden kann, wenn man aus dem durch Tageslicht erhellten Eingangsfoyer diesen ersten Ausstellungsraum betritt. Sie sind die dominierende Lichtquelle in diesem Ausstellungsbereich ohne Tageslicht. Die Informationsträger sind als „virtuelle Fortsetzung des oberirdischen Stelenfelds“ (v. Wilcken 2002, 31) gestaltet worden. Die Ausstellungsgestaltung lenkt den „Blick nach unten“ (ebd., 32) und soll auf diese Weise den „Blick nach Innen erlauben und damit eine meditative und respektvolle Auseinandersetzung mit den Zitaten zulassen“ (ebd.). Befürchtungen, es könnte auf den Bodenvitrinen und damit auf den Zeugnissen und den Ermordeten herumgetreten werden, ließen sich bei meinen Forschungsbesuchen der Präsentation nicht bestätigen. Die Ausstellungsgestaltung lenkt die Besuchsrichtung hier wie vielleicht in keinem anderen Raum im Ort der Information. Die Auswahl der Schriftstücke verdeutlicht sowohl die persönliche als auch die geografische Dimension des systematischen Massenmords. Eine kontemplative Atmosphäre, die der Informationsvermittlung des ersten Themenraums schon zu Beginn des Konzeptionsprozesses zugedacht war, wird heute nicht nur durch den Inhalt der Zeugnisse, sondern vor allem durch die Lichtverhältnisse

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im Raum und durch die Informationsträger im Boden bewirkt. Die Besuchenden werden in diesem Raum wie in keinem anderen mit schriftlichen Selbstzeugnissen konfrontiert, die von Deportationen, Ghettos und Vernichtungsstätten berichten, diese persönlichen Berichte von den Terror- und Mordstätten werden jedoch in einer Raumgestaltung präsentiert, die vergleichsweise stark an das Gefühl appelliert. 2.3.3 Familienbiografien und Fotografien Auf einem großformatigen Foto im ‚Raum der Familien‘ schauen fünf Personen in die Kamera. Ein älterer Mann trägt einen langen Bart, einen Hut, Mantel und hohe Stiefel, neben ihm eine ältere Frau im Rock mit Perücke und einem Tuch um ihre Schultern. Beide sitzen an einem kleinen Tisch. Im Bildhintergrund sind ein Schrank und ein Bett zu sehen. Hinter dem Paar stehen drei jüngere Personen und lächeln in die Kamera. Eine der jungen Frauen hat ihre Hände auf die Schultern der Frau im Bildvordergrund gelegt. Die Aufnahme ist leicht vergilbt, ein länglicher Kratzer zieht sich am oberen Rand durch das Foto. Familie Grossman, ‚Raum der Familien‘

Quelle: Cornelia Geißler

‚Familie Grossman – Polen‘ ist neben dem Familienporträt zu lesen, auf dem die Grossmans den Betrachtenden direkt in die Augen blicken. Bei der in der Aus-

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stellung gezeigten Reproduktion handelt es sich offenbar um eine Familienaufnahme aus der Zeit vor der Verfolgung.38 Unter dem Porträt werden der soziale Hintergrund der Grossmans und ihr Leben knapp zusammengefasst. Aus der Kurzbiografie ist zu erfahren, dass die Familie in der polnischen Industriestadt Łódź (Lodz) lebte und der Vater sich zum Chassidismus bekannte. 1940 waren die Grossmans gezwungen, in das von Deutschen errichtete Ghetto umzuziehen. Die Familienbiografie stellt Mendel Grossman, der auf dem Porträt zwischen seinen beiden Schwestern zu sehen ist, als Fotografen vor. Er dokumentierte im Ghetto mit seiner Kamera (sowohl offiziell für den Judenrat als auch heimlich) Armut, Krankheit und Hunger der eingesperrten Jüdinnen und Juden sowie schließlich die Massentransporte zu den Vernichtungsstätten. Eine kleinere Fläche auf dem Informationsträger zeigt die einzelnen Grossmans in Bildausschnitten aus dem Familienporträt. Hier ist zu lesen, dass das Porträt ca. 1930 aufgenommen wurde und zusammen mit anderen Bildern von Mendel Grossman in einem Versteck im Ghetto erhalten geblieben ist. Die Angaben über die ermordeten Personen sind farblich hervorgehoben, wodurch zu erkennen ist, dass von den Eltern und von den Kindern Ruschka, Mendel und Fajga nur Ruschka Grossman den Holocaust überlebt hat. Einblicke in das Leben der Familie vor ihrer Verfolgung und im Ghetto finden sich unterhalb des Familienporträts. Die meisten Aufnahmen stammen von Mendel Grossman. Fotos, die von den SS-Soldaten im Ghetto gemacht wurden und den Blick der Täter auf ihre Opfer demonstrieren, werden hier nicht gezeigt. Vielmehr vermittelt die ‚Familienstele‘ ausgehend von den Grossmans die Informationen über Verfolgung und Massenmord im besetzten Polen. Unter Mendel Grossmans Aufnahmen sind die Totenmeldungen seiner Eltern abgebildet, die die jüdische Selbstverwaltung im Auftrag der deutschen Ghettoverwaltung ausstellen musste. Dass nicht wie angegeben Lungenentzündung die Todesursache war, sondern anhaltende Unterernährung, darüber informieren die privaten Fotos selbst sowie die Bildunterschrift. Die Totenmeldungen heben sich durch farbliche Gestaltung und Platzierung am unteren Rand der Familienbiografie von den Selbstzeugnissen der Grossmans ab. Die ‚Abmeldungen‘, wie die SS

38 Im Katalog zur Ausstellung ist ergänzend zu lesen, dass es sich um eine privat aufgenommene Fotografie handelt, die die Familie vor ihrer Verfolgung am Wohnzimmertisch in der Ulica Pilsudskiego in Łódź zeigt. Vielleicht, so der Katalog, sei das Foto mit Selbstauslöser und mit der Kamera von Mendel Grossman aufgenommen worden, der damals angehender Maler und Fotograf war. Das Jahr der Aufnahme bleibt unbekannt (vgl. Baumann/Guesnet 2005, 94). Weitere Informationen zu Mendel Grossman finden sich in: Stiftung Topographie des Terrors (2010).

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ihre vorgegebenen Totenmeldungen nannte, legen den Täterblick frei. Und auch die von Mendel Grossman aufgenommenen Fotos kommentieren die Totenmeldungen und machen die Unterernährung sichtbar, die das Nazi-Dokument verweigert. Irritierend ist jedoch die an dieser Stelle vorgenommene Thematisierung der jüdischen Selbstverwaltung im Ghetto. Wo an den Informationsträgern anderer in diesem Raum vorgestellter Familien Einblicke in den NS-Verfolgungsapparat gegeben werden – dokumentiert werden beispielsweise an der Vernichtung beteiligte staatliche Institutionen wie das Finanzamt Berlin-Moabit oder Karl Jäger, Einsatzgruppen-Leiter in Litauen, und Friedrich Hildebrandt, Kommandant im Zwangsarbeitslager für Jüdinnen und Juden im polnischen Boryslav –, sind bei den Grossmans die Judenräte Thema. Durch diese Quellenanordnung kommt die prekäre Situation der jüdischen Führung im Ghetto nicht zum Ausdruck. Die Grossmans sind eine von insgesamt 15 Familien, die in diesem Ausstellungsbereich vorgestellt werden. Dazu dient jeweils ein großer dunkelgrauer Kubus auf Augenhöhe, der an Hängevitrinen in Museen erinnert und auf dem die zweidimensionalen Exponate abgebildet sind. Die Informationsträger für die Familienbiografien sind der Form der Stelen nachempfunden, die in diesem Raum scheinbar durch die Decke dringen. Sie berühren nicht den Boden, sondern beleuchten ihn vielmehr. Der rechteckige Lichtfleck, den jede Stele im Raum auf den Boden wirft, greift das Raster des Stelenfelds auf (vgl. Quack/ v. Wilcken 2005, 47). Persönliche Zeugnisse der Verfolgung prägen die Auswahl der Quellen, die die Porträts kommentieren, und vermitteln einen privaten Eindruck von den vorgestellten Personen. Sie werden von anderen fotografischen und schriftlichen Quellen ergänzt, bei drei Familien auch durch Filmsequenzen. Kleine Landkarten verdeutlichen die Verfolgungswege der Familien. Die großformatigen Familienbilder fallen beim Betreten des Raums sofort ins Auge. Das liegt nicht nur am Format und der Platzierung an der Stele, sondern auch an dem direkten Blick der Porträtierten in die Kamera, der die Betrachtenden auch in diesem Ausstellungsraum empathisch ansprechen soll. Wenn keine Familienaufnahme existiert wie bei den Permans und den Boltjanskijs aus der Sowjetunion (Ukraine), ist die Fläche auf dem Kubus leer. Anstelle eines Fotos ist dann zu lesen, dass Gruppenporträts dieser Familien nicht erhalten geblieben sind. Die überlieferten Familienaufnahmen wurden insofern nicht retuschiert, als Alters- und Gebrauchsspuren zu erkennen sind. Konzeptionell angestrebt wurde damit eine „betont quellentreue Präsentation“ (Stiftung Denkmal 2004), die neben dem Bildinhalt auch die beschädigte Überlieferung der Fotos transparent machen soll. Auf diese Weise werde versucht, einer Emotionalisierung und dem Eindruck der Unmittelbarkeit entgegenzuwirken (vgl. ebd.). Die

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vergrößerten und von Gebrauchsspuren nicht bereinigten Aufnahmen geben den Blick auf ihren historischen Charakter frei. Wenn etwa auf dem Foto der Grossmans am oberen Bildrand ein Kratzer zu erkennen ist oder bei Familie Aig aus Minsk eine Person aus dem Porträt herausgeschnitten ist und die Bildränder abgerissen erscheinen, wird neben der visuellen Dokumentation auch das Medium Fotografie als Präsentationsmittel im Museumsraum transparent. Ob allerdings das Zeigen von beschädigten Aufnahmen dafür bürgt, einer sich an der Wahrnehmung von Echtheit entzündenden Phantasie, so die Annahme der Ausstellungsverantwortlichen, Grenzen zu setzen, darf bezweifelt werden. Denkbar ist auch, dass entgegen der Intention der Stiftung Denkmal die gewählte Präsentationsform die Suche des Publikums nach einer möglichst direkten Vermittlung des Historischen verstärkt. Mit den Familienbiografien werden die individuellen Stimmen, die im vorangehenden ‚Raum der Dimensionen‘ von Verfolgung und Mord berichten, zu Familiengeschichten erweitert. Angestrebt ist, die Dimension des Holocaust an der Zerstörung einzelner Familien aufzuzeigen. Farblich gekennzeichnete Fotoausschnitte einzelner Familienangehöriger machen sichtbar, dass in der Regel nur eine der vorgestellten Personen überlebt hat. Um möglichst viele Besuchende dazu zu bewegen, sich mit dem Ausmaß des Judenmords in Europa auseinanderzusetzen, wurde die Institution Familie als Mikrokosmos ausgewählt. Denn von dieser wurde, entgegen beispielsweise einem Sportverein, angenommen, dass alle Menschen in ihr etwas Vertrautes sähen: „Familien als etwas, was alle kennen, was alle erleben in ihrem Leben, wiedererkennen“ (Baumann 2009), wie Baumann im Interview zusammengefasst hat. Ausgehend von den auseinandergerissenen Familienlebensläufen werden nicht nur Einblicke in die Verfolgung, sondern auch in jüdisches Leben gegeben: „Eine Vielzahl an Biografien, an Leidenswegen, vor allem steht jede Familie repräsentativ für ein Milieu, für eine kulturelle und religiöse Ausrichtung, und dadurch gibt es eine unglaubliche Vielfalt, auch der Verfolgungswege und der Ermordung. Das ist das Grundkonzept.“ (ebd.) So wie in anderen Holocaust-Museen wurde auch hier das Potenzial von personalisierenden Präsentationsformen, ganz unterschiedliche Aspekte des Holocaust veranschaulichen zu können, konzeptionell anhand von ‚Familie‘ umgesetzt. Indem die Holocaust-Opfer im Familienverbund vorgestellt werden, fügt sich das Denkmal in einen internationalen Trend, private Familienaufnahmen in Museen und Gedenkstätten zu zeigen, was Marianne Hirsch als „the pervasive use of private, family images and objects in institutions of public display – museums and memorials […] – which thus construct every visitor as a familial subject“ (Hirsch 2008, 112f.) bezeichnet hat. Die Ausstellungsbesuchenden werden im

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Museumsraum als Familiensubjekt angesprochen und konstruiert (vgl. ebd.). Das trifft auch auf den ‚Raum der Familien‘ am Denkmal zu, wo die Empathie der Besuchenden mit den jüdischen Opfern über das bekannte Emotionale – die soziale Gruppe ‚Familie‘ – geweckt werden soll. Mit dem Fokus auf eine Handvoll realer Familien gelingt es im Ort der Information, unterschiedliche Verfolgungserfahrungen in ganz Europa über eine weite Zeitspanne hinweg zu verdeutlichen. Die vorgestellten Lebensläufe im ‚Raum der Familien‘ setzen sich aus einer Fülle von Selbstzeugnissen zusammen und werden durch Informationen zum Täterhandeln und durch übergreifende historische Informationen ergänzt. So verläuft sich der empathische Zugang zu den vorgestellten Familien(-menschen) nicht in historischer Beliebigkeit, sondern situiert die Schicksale in den spezifischen Kontext des Judenmords. 2.3.4 Namenslesung oder Yad Vashem in Berlin Der ‚Raum der Namen‘ ist der einzige Ausstellungsbereich im Ort der Information, in dem keine Fotos oder schriftlichen Quellen präsentiert werden, sondern ausschließlich mit Akustik und Wandprojektion gearbeitet wird. Biografische Informationen von ermordeten Jüdinnen und Juden werden über Lautsprecher verlesen, während Vor- und Nachnamen sowie ergänzende Lebensdaten an die Raumwände projiziert werden.39 Der Raum ist leer und weitgehend dunkel. Ein wenig Helligkeit spenden die Namensprojektionen, als Hauptlichtquelle fungieren drei von unten angestrahlte Sitzbänke, die die Stelenform aufgreifen.

39 Die Raumpräsentation ist inzwischen über das Internet zugänglich: http://www.holo caust-denkmal-berlin.de/index.php?id=raumdernamen (25.11.2014).

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Wand- und Lichtprojektion ‚Raum der Namen‘

Quelle: Cornelia Geißler

Mit der Namensverlesung der Ermordeten greift die Stiftung Denkmal eine Gedenkform auf, mit der einzelne Personen in der Masse der Verfolgten sichtbar werden sollen. Dabei ist die Verlesung so gestaltet, dass sich, wie in der gesamten Präsentation, Gedenken und Informieren verschränken. Allerdings unterstreicht die durch die Raumgestaltung hervorgerufene Atmosphäre die Gedenkfunktion dieses Ausstellungsbereichs. Sowohl das Sammeln als auch die Dokumentation der Namen und weiterer biografischer Daten verstehen die Ausstellungsverantwortlichen als Erinnerungsform, die darauf ziele, „möglichst viele der Opfer vor dem Vergessen zu bewahren“ (Drehbuchentwurf 2002, 283-285). Mit der Verlesung der Namen soll denjenigen, die aufgerufen werden, in der hohen Anzahl der Mordopfer eine Gestalt gegeben werden; das Aufrufen einiger Namen kann aber auch die vielen nicht vorgestellten im Holocaust Ermordeten ins Bewusstsein rücken und darüber die Dimension der Verfolgung verdeutlichen. Das Gedenken an individuelle Schicksale wird in der Raumkonzeption mit dem Anspruch verbunden, historisches Wissen zu vermitteln. So soll den Besuchenden hier auch das Ausmaß des Judenmords verdeutlicht werden (vgl. Quack/v. Wilcken 2005, 47; Bericht 2002, 258). Dieses pädagogische Motiv wird in dem als Gedenkraum gestalteten Bereich explizit gemacht, indem eine angestrahlte Informationstafel erläutert, wie schwierig, aber gleichzeitig wie wichtig es ist, die Namen der ermordeten Jüdinnen und Juden zu recherchieren. Mit dieser Information über die gewählte Präsentationsform wird die Raumkon-

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zeption transparent und die pädagogische Funktion des Namensgedenkens betont. Zugleich begründet die Stiftung Denkmal mit dem kurzen Text ihre eigene Tätigkeit als Gedenkstättenbetreiberin. Schon von Beginn des Konzeptionsprozesses an war geplant, einen Gedenkbereich auf Grundlage einer Namensnennung für den das Denkmal ergänzenden Ort der Information einzurichten. Die Verlesung der Namen sollte auf der Datenbank der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem basieren, die in den Ort der Information integriert werden sollte. Eberhard Jäckel, neben Lea Rosh Hauptinitiator des Denkmals, hatte „der Präsentation der Namen die Bedeutung einer symbolischen, virtuellen Grabinschrift“ (Jäckel 2002a, 91) zugewiesen. Hanno Loewy hingegen hatte die vorgesehene Integration der von Yad Vashem gesammelten Namen, die zur Verlesung im Ort der Information von der Stiftung Denkmal um biografische Angaben erweitert werden sollte, als „Institutionalisierung eines Rituals“ (Loewy 2002a, 180) kritisiert. In Deutschland, „fernab von den tatsächlichen Zentren jüdischen Lebens der Gegenwart“, werde „die symbolische Wirkung“ der Namensverlesung im Vordergrund stehen und in ihrer digitalisierten Form eher einer „Inszenierung“ als der Vermittlung von Informationen gleichkommen (ebd.). Die Namenspräsentation geht in der realisierten Ausstellung einerseits über ein bloß symbolisches Ritual hinaus, da diese im ‚Raum der Namen‘ zusammen mit die Namen ergänzenden biografischen Informationen verlesen werden, wodurch die Lebensläufe Gestalt annehmen. Andererseits verbleibt die Namensnennung im Ort der Information im Symbolischen, da die Datenbanken mit der Möglichkeit zur Recherche nach Opfern des Holocaust nicht Teil des ‚Raums der Namen‘ sind, sondern den interessierten Besuchenden nur in einer abgelegenen Ecke des Ausgangsfoyers der Ausstellung zur Verfügung stehen. Die Recherche der biografischen Angaben der in diesem Raum vorgestellten Personen wird u. a. über eine Spendenkampagne des Förderkreises und seiner Vorsitzenden Rosh finanziert. Der Spendenappell greift eine Idee des ersten DenkmalWettbewerbs auf, das Einmeißeln von Namen einzelner Opfer auf dem als ‚Grabplatte‘ bekannt gewordenen Entwurf von Christine Jacob-Marks und Kollegen über Spendengelder zu finanzieren. Dieses Entlastungsangebot an die Nachfahren der Täter ist damals von Ignaz Bubis zu Recht als ‚Ablasshandel‘ kritisiert worden (vgl. Spielmann/Staffa 1998, 201). Denkbar wäre hingegen auch gewesen, Geld für die Recherchetätigkeit von Yad Vashem zu sammeln. Die israelische Gedenkstätte kommt seit 1953 dem gesetzlich festgelegten Auf-

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trag nach, Namen und Lebensläufe der ermordeten Jüdinnen und Juden anhand historischer Quellen zu rekonstruieren und zu dokumentierten.40 Der Name ist ein entscheidendes Element im Judentum, und oftmals sind die ‚Yizkorbücher‘ mit den Namen der Ermordeten das Einzige, was von den zerstörten jüdischen Gemeinden erhalten geblieben ist. Darauf und dass die Verlesung von Namen sowohl ein kollektives Erinnerungsritual an Gedenktagen als auch eine private Form des Gedenkens ist, hatte David Bankier während des Konzeptionsprozesses der Ausstellung aufmerksam gemacht und sich für eine Integration von Namen in den Erinnerungsort Denkmal ausgesprochen. Er könne sich, so Bankier, „keine den Juden gewidmete Institution oder Denkmale ohne diese Komponente der Namen vorstellen“ (Bankier 2002, 222f.). Den im Holocaust ermordeten Jüdinnen und Juden „ein Denkmal und einen Namen“ geben zu wollen, steht in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem im Vordergrund: „Und ihnen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern ein Denkmal [Yad] und einen Namen [Shem] geben […], der nicht getilgt werden soll.“ (Jesaja 56:5) Yad Vashem bewahrt die ‚Gedenkblätter‘ (‚Pages of Testimony‘) in der ‚Halle der Namen‘ auf, die in das 2005 eröffnete Museum zur Geschichte des Holocaust (New Holocaust History Museum) der Gedenkstätte integriert wurde. Die ‚Gedenkblätter‘ fassen Lebensdaten zusammen und sind Grundlage der Rekonstruktion von Lebensläufen. Der Verlust der sechs Millionen Menschenleben findet mit diesen individuellen Denkmalen in der Namenshalle einen symbolischen Friedhof. Die kleine Halle selbst ist das Denkmal der jüdischen Gemeinschaft für alle Angehörigen, die im Holocaust ermordet wurden. Entlang des runden Raums stehen die Ordner mit den ‚Gedenkblättern‘ auf Regalreihen aus. Weil bis heute, wie der Ausstellungstext im ‚Raum der Namen‘ in Berlin erklärt, die Identifizierung der Opfer lückenhaft ist, bleiben in Yad Vashem leere Wandregale. Privatfotografien von den Ermordeten sind in der Raumkuppel abgebildet und werden von einem Wasserbecken gespiegelt.41 Shulamit Imber, pädagogische Leiterin der Internationalen Schule für Holocaust-Studien in Yad Vashem, hat im Interview die Bedeutung der Namensnennung in der israelischen Gedenkstätte und ihrem neuen Museum erläutert:

40 Das ‚Gesetz zur Erinnerung an Holocaust und Heldentum‘ wurde 1953 vom israelischen Parlament, der Knesset, verabschiedet. Ausführliche Informationen zu dem Gesetz unter http://www.yadvashem.org/yv/de/about/law.asp (5.5.2015). 41 Siehe auch die Erläuterungen der Gedenkstätte Yad Vashem zur ‚Halle der Namen‘ und den dort aufbewahrten ‚Gedenkblättern‘: http://www.yadvashem.org/yv/de/about/ hall_of_names/about_hall_of_names.asp und http://www.yadvashem.org/yv/de/about/ archive/send_us_ pot.asp _ _ (beide 24.11.2014).

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„To give a name, the Hall of Names stands in the middle now, is not disconnected from the museum, [...] it wasn’t part of the museum, today it is in the museum, it has a meaning, for it is the memory and it is actually the message of the museum, ‚I want you to remember my name‘.“ (Imber 2008)

Das Verständnis ‚Jeder Mensch hat einen Namen‘ ist in Israel mit den ‚Gedenkblättern‘ nicht nur symbolischer Ausdruck von Erinnerung und Gedenken, sondern Teil der israelischen Gesellschaft, in der die Gedenkstätte errichtet wurde. Angehörige oder Freundinnen und Freunde der Ermordeten übergeben Yad Vashem die ausgefüllten Blätter zur Aufbewahrung. Die persönlichen Geschichten hinter den Namen finden heute auch verstärkt Eingang in die pädagogische Arbeit von Yad Vashem, wie Noa Mkayton, Leiterin des German Desk der Internationalen Schule für Holocaust-Studien im Interview ausgeführt hat (vgl. Mkayton 2008). Die Hinwendung zum Individuellen in der Museumspädagogik lässt sich in Yad Vashem nicht nur an der veränderten Gewichtung der Namensdatenbank und ihrer Integration in das Museum beobachten. Auch das Gesamtkonzept des neuen Museums zur Geschichte des Holocaust bringt gegenüber dem ersten, 1973 eingeweihten Museum diese Entwicklung in der musealen Vermittlung des Holocaust zum Ausdruck. Die Namensblätter selbst sind seit 2004 digitalisiert und im Internet abrufbar.42 In Berlin ist ein Zugriff auf die Datenbank im ‚Yad Vashem Portal‘ im hinteren Teil des Ausgangsfoyers über mehrere PCs möglich, die die Grundlage für die biografisch erweiterte Namensnennung im ‚Raum der Namen‘ bildet. Im ‚Raum der Namen‘ werden die Lebensläufe der jüdischen Opfer (in den Ausstellungssprachen Deutsch und Englisch) in Intervallen von ca. 20 Sekunden über Lautsprecher verlesen. Die als „Endlosschleife“ (Bericht 2002, 258) konzipierte Wandprojektion stellt nach dem Zufallsprinzip einzelne Personen vor; abwechselnd weiblich und männlich, ungefähr jeder zweite Lebenslauf stammt aus Polen (vgl. Jaiser 2012). Die Nennung ihres Namens soll diejenigen, die in diesem Raum vorgestellt werden, als Personen fassbar werden lassen. Wenn möglich werden über Geburts- und Sterbedatum hinausgehende Informationen gegeben. In der Form der bloßen Namensverlesung gleicht die Endlosschleife einer Gedenkpraxis aus Israel: Am Gefallenengedenktag (Yom HaZikaron) zeigen die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender statt des üblichen Programms die Namen von umgekommenen Soldaten, die in einer Schleife durchs Bild laufen, was an den Nachspann eines Films erinnert. Im Interview hat Moshe Zuckermann diese

42 Die Datenbank mit den ‚Gedenkblättern‘ ist im Internet unter folgender Adresse abrufbar: http://www.yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome (20.11.2014).

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Form des Gedenkens als zeremoniell-formalisiert beschrieben und mit dem Ausdruck „Fließband der Namensnennung“ (Zuckermann 2008) belegt. Ausgehend von dieser Kritik, die in ähnlicher Form auch auf die durch biografische Angaben akustisch ergänzte Lichtprojektion im ‚Raum der Namen‘ zutrifft, hat Zuckermann auf ein Dilemma des Anspruchs der Individualisierung durch Namensnennung hingewiesen: Welche Namen und damit auch welche Personen werden überhaupt wahrgenommen, wenn es so viele sind, dass in unserer Rezeption die Masse dominiert? Auf diese nicht intendierte Wirkung der personalisierenden Präsentationsform ‚Namensnennung‘ hatte in Bezug auf den Denkmalentwurf ‚Grabplatte‘ auch Salomon Korn verwiesen, als er die ungewollte Anonymisierung Einzelner im Versuch, sie in der Masse sichtbar zu machen, ansprach (vgl. Kap. 2.1.1). Daran anschließend lässt sich fragen, inwiefern die Besuchenden im Ort der Information, insbesondere diejenigen, die die knapp vorgestellten Personen nicht persönlich kennen, die Toten ‚erinnern‘ können? 2.3.5 Die Gegenwart als Gedenkstättenlandschaft Beim Betreten des Ausgangsfoyers, das auf den letzten Ausstellungsraum, dem ‚Raum der Orte‘, folgt,43 werden die Besuchenden zum ersten Mal aufgefordert, sich zwischen zwei Ausstellungssegmenten zu entscheiden: Linkerhand – Richtung Ausgang – befindet sich das ‚Gedenkstättenportal‘; die Datenbank mit den ‚Gedenkblättern‘, Grundlage der Namensverlesung, steht mit mehreren PCStationen rechterhand im ‚Yad Vashem Portal‘ und wird durch knappe Informationen über das Vorbild in Jerusalem ergänzt. Seit 2008 ist hier auch ein Onlinezugang zum Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Holocaust-Opfer aus Deutschland eingerichtet.44 Das Tageslicht in dem die Ausstellung abschließenden ‚Gedenkstättenportal‘ ist nach dem Verlassen des letzten Themenraums, in dem die Mordstätten vorgestellt werden, und dem Gang durch die dunklen Ausstellungsräume besonders auffällig. Aus Sicht der Ausstellungsverantwortlichen war es wichtig, „die Besucher in der Gegenwart zu entlassen, wir wollten sie nicht übergangslos aus der Ausstellung entlassen“ (Brücker 2009a). Das ‚Gedenkstättenportal‘ erfüllt diese Übergangsfunktion, hier werden die Besuchenden mit Gegenwartsaspekten konfrontiert. Dazu trägt auch die intensive farbliche Gestaltung dieses Ausstellungs-

43 Der ‚Raum der Orte‘ wurde, wie bereits in Kap. 2.2.3 ausgeführt, aufgrund seines Schwerpunkts auf Strukturgeschichte nicht zur näheren Analyse ausgewählt. 44 Das ‚Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland (1933-1945)‘, so die vollständige Bezeichnung, steht im Internet zur Recherche bereit: http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch (23.11.2014).

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segments mit bei (vgl. Quack/v. Wilcken 2005, 48). Zahlreiche bunte Aufnahmen von Gedenkstätten und Erinnerungsorten sind an den Wänden und Fenstern des langgestreckten Foyers angebracht. Dieser Ausstellungsbereich geht über die Dokumentation des Massenmords hinaus und fragt, „was sich heute an den historischen Orten befindet, ob und auf welche Weise der schrecklichen Ereignisse gedacht wird“ (ebd., 42). Vorgestellt werden Denkmale an Mordstätten, „an denen nichts geblieben [ist] außer der Phantasie des Suchenden“ (Loewy 1993, 31). Mit Belzec oder Lomazy werden Vernichtungslager und Orte von Massenerschießungen in ihrer heutigen Repräsentation gezeigt, die zugleich den geografischen Schwerpunkt der vorangegangenen Themenräume wiedergeben. Einige der abgebildeten Verbrechensorte liegen vor unserer Haustür. An viele dieser in Deutschland einst „vergessenen KZs“ (Garbe 1983) erinnern heute Gedenkstätten, auch das zeigt das ‚Gedenkstättenportal‘. ‚Gedenkstättenportal‘

Quelle: Cornelia Geißler

Das die historische Präsentation abschließende Foyer fragt nach dem aktuellen Gedenken in Europa und Deutschland und erfüllt darin die von dem Bundestagsbeschluss vorgegebene Funktion, über die „authentischen Stätten des Gedenkens“ zu informieren und in Form eines Portals auf sie zu verweisen.45 Eine Karte, die beim Betreten dieses Foyerabschnitts auffällt, gibt einen Überblick über Gedenkstätten in Europa, vor allem in Westeuropa (vgl. Stiftung Denkmal 2010,

45 Da die Informationen sich nicht auf Gedenkstätten für die ermordeten Jüdinnen und Juden beschränken, sondern auch anderen Opfergruppen gewidmete Tatorte vorstellen, wird in diesem Ausstellungssegment auch die Einbeziehung anderer Verfolgtengruppen eingelöst, die im Bundestagsbeschluss festgelegt wurde.

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47).46 Sitzbänke, ebenfalls der Stelenform nachempfunden, werden von sich hier sammelnden Schulklassen und anderen Ausstellungsbesuchenden rege genutzt. Mehrere PC-Stationen ermöglichen den Zugriff auf die ‚Holocaust Memorial Database‘ mit Informationen über Gedenkstätten, Forschungseinrichtungen und Museen in Europa, Deutschland und Berlin.47 Im Gegensatz zu den meisten Themenräumen stehen im ‚Gedenkstättenportal‘ nicht die Personen im Vordergrund, denen das Denkmal gewidmet ist und die in den vorangegangenen Themenräumen über die ihnen angetanen Verbrechen Zeugnis abgelegt haben. Die Perspektive der Präsentation wechselt stattdessen auf die Orte der Verfolgung und des Massenmords in ihrer heutigen Gestalt. Die Opfer des Holocaust hingegen scheinen plötzlich zu verstummen, die Präsenz der Überlebenden beschränkt sich auf bunte Aufnahmen ihrer Leidensorte in der Gegenwart.

2.4 Z WISCHENRESÜMEE : P ERSONALISIERUNG I NDIVIDUALISIERUNG DES H OLOCAUST

UND

Dem Ort der Information des Denkmals für die ermordeten Juden Europas kommt die Aufgabe zu, den Holocaust zu vermitteln, ohne dabei von einem historischen Ortsbezug getragen zu werden. Der Ausstellungsbereich unter dem Stelenfeld dokumentiert den Holocaust in Europa, der von Berlin ausging, und gedenkt der jüdischen Opfer der deutschen Tat, für die das Stelenfeld steht. Die Selbstcharakterisierung des Denkmals als nationaler Erinnerungsort für die Opfer des Holocaust spiegelt sich in der Präsentation insofern wider, als der Tatkomplex vor allem in seinen Auswirkungen auf die Verfolgten und Ermordeten dokumentiert wird. Die Ausstellungspräsentation orientiert sich in ihrem grundlegenden Vermittlungsmodus von Personalisierung und Individualisierung an internationalen Holocaust-Museen. Weil wie in diesen die Vermittlung der historischen Ereignisse an den Stimmen der Opfer ausgerichtet ist, werden die Verfolg-

46 Die Europakarte, die im Ausgangsfoyer auf die Gedenkorte hinweist, wird in ähnlichem Format, aber mit verzeichneten historischen Terror- und Mordorten, im vorangegangenen ‚Raum der Orte‘ gezeigt: eine Art Überleitung – ein Hinweis, den ich Kim Wünschmann zu verdanken habe – zwischen Geschichte und Nachgeschichte, der aber den wenigsten Ausstellungsbesuchenden auffallen wird. 47 Die Datenbank, die ständig aktualisiert wird, informiert derzeit über ungefähr 400 Einrichtungen aus insgesamt 34 Ländern: http://www.stiftung-denkmal.de/ausstellun gen/ort-der-information-unter-dem-stelenfeld/gedenkstaettenportal.html#c973 (17.3.2015).

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ten im Ort der Information nicht auf eine ‚amorphe Masse‘ reduziert, sondern als Personen vorgestellt. In der modernen Ausstellungsgestaltung setzt sich die Stelenarchitektur des Denkmals mit ihrem Friedhofscharakter unterirdisch fort, was nicht unproblematisch ist. Die Informationsträger bestehen aus von der Decke herabhängenden, in den Raum ragenden oder aus dem Boden strebenden Stelen. Ihre Komposition prägt den Raumeindruck und trägt stark zu einer Ästhetisierung des Ausstellungsgegenstands bei. Dadurch treten die zweidimensionalen und als Reproduktionen gezeigten Ausstellungsexponate – auf dreidimensionale Objekte und persönliche Gegenstände wird bewusst verzichtet – gegenüber der Inszenierung des Ausstellungsmobiliars zurück. Die Raumgestaltung ist durch gezielt eingesetzte Licht- und Toneffekte charakterisiert. Diese ‚Lichtdramaturgie‘ mit ihrem Wechsel von dunkel und hell ist nicht nur Raumbeleuchtung, sondern schafft gezielt gefühlsbetonte Eindrücke. Sie verstärkt die emotionale Wirkung des ohnehin hochemotionalen Themas, indem sie Gefühle von Unsicherheit, Bedrückung und Ehrfurcht diffus hervorruft. Die Gestaltung lenkt von den in Dokumenten und Zeugnissen vermittelten Inhalten ab, denn diese sind in eine von der Ausstellungsgestaltung erzeugte, emotional aufgeladene Atmosphäre getaucht, der sich die Besuchenden kaum entziehen können. Die Gestaltung dieses Museums ruft künstlich einen Eindruck von Unmittelbarkeit hervor, der der Ausstellung an diesem ‚nichthistorischem‘ Ort von sich aus nicht zukommt. Zwar geschieht dies auf abstrakte Weise, dennoch ist der Gedanke, gestalterisch Authentizität erschaffen zu wollen, kritisch zu hinterfragen. Obwohl die Ausstellungsmachenden die Limitierungen in der Vermittlung von Nationalsozialismus und Holocaust vermeiden wollten, auf die die (Museums-)Pädagogik an historischen Tatorten reagieren muss, evoziert die formale Gestaltung des Orts der Information eine Vermittlungssituation, die von den Selbstzeugnissen der jüdischen Männer, Frauen und Kinder ablenkt und möglicherweise wenig zum Fragen anregt. Die inhaltliche Präsentation des Denkmals zeichnet sich durch eine starke Reduktion und Eingrenzung des Themas aus. Die Verantwortlichen hatten den Mut zu einer Ausstellung, die sich auf die wichtigsten Informationen beschränkt und komprimiertes Wissen zu vermitteln vermag. Die Ausstellung kommt mit wenig Text aus und ist sehr übersichtlich, wirkt zugleich aber streng durchchoreografiert. Zu Beginn wird ein chronologischer Überblick über die Eskalationsstufen der Judenverfolgung während des Zweiten Weltkriegs geboten, bevor in den vier, den Kern des Museums ausmachenden, Themenräumen der inhaltliche Schwerpunkt der Ausstellung – die unmittelbaren Folgen von Vernichtungskrieg und Mordsystem für die Opfer – behandelt wird.

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Diese Gedenkstättenausstellung hat sich konsequent einem individualisierenden und personalisierenden Zugang verschrieben. Damit setzt der Ort der Information die im Stelenfeld des Denkmals angestrebte Vermittlung der Bedeutung des Holocaust durch Individualisierung fort. Dort fordert der Gang durch die Stelen jede und jeden auf, sich den Massenmord zu vergegenwärtigen. Hier wird den Ausstellungsbesuchenden nahegelegt, sich in die individuellen Schicksale einzufühlen. Indem die Einzelnen in der Masse der Verfolgten sichtbar werden, bringt der Ort der Information auch Widmung und Zweck des Denkmals zum Ausdruck. So sind im Ort der Information Selbstzeugnisse und Biografien nicht primär Erläuterung oder Ergänzung des Themas, sondern Ausgangspunkt und tragendes Element der Dokumentation. Tagebucheinträge, Postkarten, Briefe und private Fotos gehören zu den zentralen Exponaten dieser Gedenkstättenausstellung. Anhand der Auswahl der persönlichen Zeugnisse rücken die individuellen Lebens- und Leidensgeschichten der Verfolgten sehr nahe an die Besuchenden heran und machen die Tragweite des Massenmords deutlich. Durch die Quellenauswahl mit dem Schwerpunkt auf der Opferseite verschränken sich Gedenken und Informationsvermittlung. Diesen Ansatz, der ermöglicht zu fragen, was die Verfolgten dachten, teilt der Ort der Information mit internationalen Holocaust-Museen wie dem New Holocaust History Museum der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem und dem Washingtoner United States Holocaust Memorial Museum. Neben der Präsentation von Selbstzeugnissen ist ein ganzer Raum – der ‚Raum der Familien‘ – den Schicksalen einzelner Verfolgter und ihrer Familien gewidmet. Hier werden nicht voneinander unabhängige Personen porträtiert, sondern Menschen im Familienverband. Anhand der vorgestellten Familien berichtet die Ausstellung von der europäischen Dimension der Judenvernichtung. Indem das Schicksal der einzelnen Familien in den allgemeinen Verfolgungskontext eingeordnet und die Zeugnisse der Familien den Täterdokumenten kontrastierend gegenübergestellt werden, wird eine Verknüpfung von Individualund Strukturgeschichte hergestellt. Insofern erfüllen die Biografien einen ausstellungsdidaktischen Zweck und stehen exemplarisch und stellvertretend für das Leid aller Verfolgten und Ermordeten. Dennoch sind die zu erinnernden Opfer des Massenmords nicht bloß Fußnote in der musealen Geschichtsschreibung, sondern durchgehend als Personen in ihrer Individualität präsent. Über biografische Porträts sowie fotografische und schriftliche Quellen erfahren wir von ihrem Leben vor, während und – in äußerst seltenen Fällen – auch nach der Verfolgung. Mit Hilfe der Familienschicksale gelingt es der Ausstellung zu vermitteln, wie das kollektive Leben der Opfer zu zerfallen begann (vgl. Friedländer 2006a, 16). Indem die Ausstellung deutlich macht, dass die Vernichtung nicht

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nur Einzelne, sondern ganze Familien in meist mehreren Generationen traf, macht sie die Totalität des Genozids an den europäischen Jüdinnen und Juden offenbar. Die Porträts geben darüber Auskunft, dass der Großteil der Familien den Massenmord nicht überlebt hat. In der Veranschaulichung des Individuellen verhindert die Ausstellung zudem, die Vorstellung der Nationalsozialisten oder heutiger Antisemiten von ‚den‘ Juden zu reproduzieren. Die immanente Grenze des Mediums Biografie in Holocaust-Museen – bei der Darstellung von Lebensläufen auf anschauliches Material angewiesen zu sein, dieses aber allzu häufig nicht vorliegen zu haben, weil das Überleben einzelner Familienangehöriger nicht kennzeichnend für den Holocaust ist – gerät im Ort der Information nicht zum Nachteil, da die Ausstellungsmachenden die Lücken in den Biografien sichtbar gemacht haben, wodurch das Auslöschen von Menschenleben deutlich wird. Die Ausstellung tritt mit dem Anspruch an, die ‚Welt der Opfer‘ zu dokumentieren. Ihre Selbstzeugnisse belegen die ‚Praktiken der Täter‘ und deren Bedeutung für die verfolgten Jüdinnen und Juden (vgl. ebd., 11). Sie können jedoch die Frage nach den Motiven der Täter und nach übergreifenden Hintergründen der Taten meistens nicht beantworten. Diesen Umstand reflektiert die Ausstellung insofern, als sie mit einer Chronologie des Genozids in Form einer ‚Zeitleiste‘ beginnt und eine historische Einordnung der individuellen Schicksale bietet. Da jedoch eine ereignisgeschichtliche Darstellung gewählt wurde, werden Entwicklungen zwar aufgezeigt, aber nicht näher erläutert. Tatmotive und Handlungsräume der Täter bleiben an der ‚Zeitleiste‘ ebenso wie in den anderen Ausstellungsbereichen ausgespart. Zudem wird durch die räumlich und inhaltlich überwiegend stark getrennte Darstellung – übergreifende Strukturen am Ausstellungsbeginn einerseits und persönliche Berichte in den Themenräumen andererseits – ein Verstehen der historischen Ereignisse möglicherweise erschwert. Von Tätern und Zuschauern aufgenommene Fotos konzentrieren sich an der ‚Zeitleiste‘ des Eingangsfoyers. ‚Schreckensbilder‘, die den Massenmord direkt abbilden, werden zwar auch von der Stiftung Denkmal als das ‚Andere‘ von Personalisierungen, als ein mit der Opferperspektive kaum zu vereinbarender Gegensatz behandelt. Dennoch treten im Ort der Information Personalisierungen nicht unmittelbar an die Stelle der Terroraufnahmen. Die Kritik an diesen hat in dieser Ausstellung nicht zum Nichtzeigen geführt, sondern zu einer zurückhaltenden Präsentation mit Bildkommentaren, die bewusst personalisierend gewählt sind und sich deutlich von den Kommentaren in älteren NS-bezogenen Ausstellungen unterscheiden. Die abgebildeten Opfer werden so weit wie möglich biografisch vorgestellt, wodurch sich die Betrachterperspektive verändert: Entgegen den Absichten der Täter machen die kommentierten Aufnahmen im Ort der In-

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formation die einzelnen Menschen in der Masse der Verfolgten und Ermordeten sichtbar. Neben der Beschäftigung mit den Opfern und den Tätern müsste nach Saul Friedländer ein weiterer Aspekt in eine historische Darstellung der Judenvernichtung integriert werden: „die Einstellungen der umgebenden Gesellschaft“ (ebd.). Diese werden in der Ausstellung aber kaum thematisiert. Zuschauende sowie von der Verfolgung und Vernichtung Profitierende sind zwar vereinzelt auf Fotos an der ‚Zeitleiste‘ erkennbar, in den erläuternden Texttafeln kommen diese jedoch nicht vor. Dieses Defizit ist erstaunlich für ein Denkmal, das auch auf deutsche Schuld und Verantwortung hinweisen soll – es wird jedoch erklärbar vor dem Hintergrund, dass es sich bei diesem Erinnerungsort auch um ein Objekt der nationalen Repräsentation und Identitätsstiftung handelt. Auf diese Weise setzt sich im Ort der Information eine kritikwürdige deutsche Geschichtspolitik fort, die über ein nationales Kollektiv, das die Verbrechen der Täter durch Unterstützung, Zustimmung, Wegsehen und Passivität ermöglicht hat, lieber schweigt (vgl. Jensen 2005, 116). Die für die Ausstellung ausgewählten Selbstzeugnisse und ihre Präsentation im Museumsraum lösen mit ihrem Schwerpunkt auf menschlichem Leid über weite Strecken die deutsche Tat aus dem nationalen Kontext (vgl. Uhl 2008, 6), was in einem deutschen Holocaust-Museum kritisch zu bewerten ist, da die Präsentation – umso mehr als Teil eines nationalen Denkmals – einen positiven Bezug auf Nation kaum irritiert. Die Präsentation im Ort der Information endet nicht mit der Befreiung der Terrororte und der Kapitulation von Nazi-Deutschland. Im ‚Gedenkstättenportal‘ – im Ausgangsfoyer der Ausstellung situiert – wechselt die Perspektive der Präsentation von der individuellen Ebene abrupt auf die Orte der Verfolgung und des Massenmords in ihrer heutigen Gestalt. So stehen am Ausstellungsende nicht die Personen im Vordergrund, derer mit dem Denkmal gedacht wird und die im restlichen Ausstellungsbereich über die ihnen angetanen Verbrechen berichten. Vielmehr scheinen die Opfer des Holocaust plötzlich zu verstummen, die Präsenz der Überlebenden beschränkt sich auf ihre Leidensorte in der Gegenwart. Die übrig gebliebenen Einzelnen und ihre Suche nach Freundinnen und Freunden, Angehörigen oder einem neuen Zuhause werden von der das Museum abschließenden Präsentation ebenso wenig aufgegriffen wie ihr Kampf um Entschädigung und um die Sichtbarmachung ihrer Gedenkorte. Die bis heute anhaltende Suche (der Gedenkstättenmitarbeitenden) nach den Opfern und ihren Zeugnissen ist ein wesentliches Motiv der historischen Präsentation des Denkmals, anhaltende Traumata der Verfolgten hingegen nicht. Das Ausstellungspublikum wird in dieser Ausstellung wohl mit den vernichteten Menschenleben konfrontiert, aber kaum mit Fragen nach den Folgen der Verfolgung und dem Wei-

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terleben nach dem Überleben. Da, wo die Ausstellung über die Dokumentation des Massenmords hinausgeht und in die Gegenwart hineinreicht, präsentiert sie lediglich das steinerne Gedenken. Das ‚Gedenkstättenportal‘ schreibt, dem gedenkpolitischen Zeitgeist entsprechend, die historischen Tatorte als ‚Gedenkstättenlandschaft‘ fort. Das Denkmal ist selbst als eine der Gedenkstätten realisiert worden, für die das Ausgangsportal heute steht. Indem die Ausstellung ihre Geschichte und die ihres räumlichen Kontextes präsentiert, wird sie zum Ausdruck des gedenkenden (wiedervereinigten) Deutschlands. Das Denkmal mit dem Ort der Information erscheint als Materialisierung der erfolgten Aufarbeitungsbemühungen. Dazu trägt auch die Situierung des ‚Gedenkstättenportals‘ am Ende des Ausstellungsrundgangs bei, was eine bestimmte Lesart nahelegt: Nach dem Gang durch die Geschichte des deutschen Massenmords erscheint die bundesdeutsche Gegenwart als Ergebnis einer Erfolgsgeschichte der ‚Vergangenheitsbewältigung‘. Der Ausstellungsbereich des Denkmals für die ermordeten Juden mit dem es tragenden personalisierenden Ansatz nimmt eine Vorreiterrolle innerhalb der bundesdeutschen Gedenkmuseen ein. Der Ort der Information in Form eines kleinen Holocaust-Museum ist ein sinnvoller und notwendiger Ort des Gedenkens innerhalb der deutschen und Berliner Gedenkstättentopografie, dessen museale (Re-)Präsentation die Opfer des Holocaust als Subjekte wahrnehmbar werden lässt. Gleichwohl ist das zentrale und nationale Denkmal ein Erinnerungszeichen, das zur nationalen Selbstvergewisserung dient, dafür die ermordeten Jüdinnen und Juden für politische Zwecke instrumentalisiert und Nationalismus als einen entscheidenden Aspekt des Holocaust notwendig ausklammern muss.

3. Die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und die Ausstellung ‚Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden‘

Die neue ständige Ausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz eröffnete am 19. Januar 2006, dem 64. Jahrestag der historischen Konferenz. Auf der Eröffnungsfeier dankten Esther Reiss aus Jerusalem, die als Einzige ihrer Familie die Verfolgung überlebt hat und die in der Ausstellung porträtiert wird, sowie Beate Klarsfeld, Repräsentantin der Gruppe Fils et Filles de Déportés Juifs de France, der Gedenkstätte und den Ausstellungsverantwortlichen für ihr Engagement. Der Regierende Bürgermeister von Berlin zur Zeit der Eröffnung der neuen Ausstellung, Klaus Wowereit, bestätigte in seinem Grußwort den 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“ (Wowereit 2006, 5). Anschließend lobte er die Gedenkstätte für deren Mitwirkung am vergangenheitspolitischen Paradigmenwechsel und betonte den zentralen Stellenwert von historischen Erinnerungsstätten für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die offiziellen Feiern der Bundesrepublik zum 60. Jubiläum des Kriegsendes lagen nur wenige Monate zurück, und Wowereit schloss mit einem Zitat aus der Rede des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler: „Die Verantwortung für die Shoah ist Teil der deutschen Identität.“ (ebd., 6) Der Historiker Yehuda Bauer aus Israel erinnerte schließlich in seinem Beitrag daran, dass die deutsche Geschichtsforschung hauptsächlich Tätergeschichte schreibe und dabei übersehe, dass die Juden während ihrer Verfolgung kein „stummes Objekt“ gewesen seien. Es sei wichtig zu verstehen, wie sie „reagierten, wie sie lebten und wer sie waren, bevor sie zu Opfern wurden“ (Bauer 2006, 12). Mit seiner Aufforderung, in der deutschen Geschichtsvermittlung die jüdische Perspektive stärker zu berücksichtigen, sprach Bauer das wohl auffallendste Charakteristikum der neuen Ausstellung und des veränderten Präsentationskon-

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zepts der Gedenkstätte an (vgl. Jander 2006). Norbert Kampe, Leiter der Gedenkstätte bis April 2014, bezog sich in seiner Einführung in die neue Ausstellung auch auf Bauer, als er die Gäste auf einen Ausstellungsraum aufmerksam machte, der einem „multiperspektivischen Zugang entsprechend […] die Hand1 lungsspielräume bei Tätern, Opfern und Zuschauern“ thematisiert. Das Haus versuche so, „mehr über die Opfer zu erfahren“ (Kampe 2006d, 15). Kampe ging auch auf die vier Familienbiografien ein, die im einführenden Ausstellungsraum der Gedenkstätte vorgestellt werden. Die Angehörigen dieser Familien, so auch Esther Reiss, begegnen den Besuchenden in den verschiedenen Themenräumen der Präsentation wieder, wo ihre Selbstzeugnisse die Auswirkungen des nationalsozialistischen Verfolgungs- und Mordapparats verdeutlichen sollen. Die in die neue Dauerausstellung des historischen Täterorts integrierten Biografien, Erinnerungsberichte und Selbstzeugnisse von verfolgten Jüdinnen und Juden, die die Vorgängerausstellung so nicht zeigte, wurden nach Neueröffnung der Gedenkstätte auch von der Presse kommentiert. Die Ausstellung der Gedenkund Bildungsstätte, so die Frankfurter Rundschau, konzentriere sich dem Ort entsprechend auf die Täter, ohne jedoch „die Opfer zu vergessen“ (Medicus 2006). Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Kilb 2006) und die Jüdische Zeitung (Reininghaus 2006) lobten das auf „Personalisierung und Anteilnahme“ setzende neue Ausstellungskonzept.

1

Norbert Kampe bezog sich hier auf dem Ausstellungsraum 6, ‚Handlungsspielräume unter deutscher Besatzung‘, der die Themen Kollaboration, Zuschauende, Rettende, Widerstand und Selbstbehauptung anhand von biografischen Beispielen behandelt. Bei ‚Widerstand‘ wird auch Eugenia Tabaczynska vorgestellt, die mit ihrer Familie zu Beginn der Ausstellung porträtiert wird. Der Raum wurde in der vorliegenden Untersuchung nicht zur Analyse ausgewählt. Das liegt weniger daran, dass die Frage nach ‚Zuschauern‘ ausgerechnet anhand von Leni Riefenstahl gestellt wird, die mit ihren ästhetisierten Filmaufnahmen das NS-Regime propagierte und in der Ausstellung am Wannsee als Augenzeugin einer Massenerschießung zu sehen ist. Ausschlaggebend war vielmehr, dass der ‚multiperspektivische‘ Ansatz der Ausstellung, also die Gegenüberstellung von unterschiedlichen Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten, auch in anderen Ausstellungsbereichen realisiert wurde.

H AUS DER W ANNSEE-K ONFERENZ

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3.1 D IE E NTSTEHUNGSGESCHICHTE DER G EDENK - UND B ILDUNGSSTÄTTE Nach einem Beschluss des Abgeordnetenhauses von Berlin Ende der 1980er Jahre wurde das Haus der Wannsee-Konferenz als Gedenk- und Bildungsstätte eingerichtet, weil es bis zu dessen Eröffnung am 20. Januar 1992 keine zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust in der Bundesrepublik gegeben hatte. Als die Gedenkstätte 2006 mit der neuen Dauerausstellung eröffnete, hatte die bundesdeutsche Gedenkstättenlandschaft bereits einen grundlegenden Wandel erfahren: In Berlin hatte im Mai 2005 das Denkmal für die ermordeten Juden Europas eröffnet; das (inzwischen eröffnete) Dokumentationszentrum Topographie des Terrors sollte im Mai 2010 fertig sein. Das Besondere am Haus der WannseeKonferenz besteht bis heute jedoch darin, dass es sich um einen historischen Täterort handelt, der den verfolgten Jüdinnen und Juden Europas gewidmet ist. 3.1.1 Historischer Gegenstand: Tagesordnung Massenmord Bei seinen Recherchen zur Vorbereitung des ‚Wilhelmstraßen-Prozesses‘ entdeckte das Team um den US-Ankläger Robert W. Kempner im März 1947 in den Aktenbeständen des Auswärtigen Amts das Protokoll einer Besprechung, die am 20. Januar 1942 im Ortsteil Berlin-Wannsee stattgefunden hatte (vgl. Roseman 2002, 7; Kempner 1992, 57). Diese Niederschrift der als Wannsee-Konferenz bekannt gewordenen Arbeitssitzung wurde von Kempner als das „vielleicht schändlichste Dokument der modernen Geschichte“ (zit. n. Roseman 2002, 8) eingeschätzt. Noch heute gilt das Protokoll als „Schlüsseldokument zur Geschichte der Verfolgung, Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten“ (Kaiser 1995a, 24). Es belegt den systematischen Massenmord, der allerdings bereits zuvor mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 eingesetzt hatte. Die ‚Endlösung‘ wurde entgegen einer sich bis heute in der Öffentlichkeit hartnäckig haltenden Annahme auf der Konferenz 2 nicht etwa beschlossen, sondern koordiniert (vgl. ebd., 26f.). Das Protokoll des Treffens, das von Adolf Eichmann, dem Leiter des sogenannten Judenreferats des Reichssicherheitshauptamts, verfasst wurde, gibt einen Einblick in die Er-

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Darauf machte der Historiker Eberhard Jäckel 1992 zur Eröffnung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz aufmerksam: „Die Endlösung konnte […] auch deswegen nicht beschlossen werden, weil sie bereits in vollem Gange war.“ (Jäckel 1992, 33) Bei Peter Longerich findet sich eine detaillierte Einordnung der Wannsee-Konferenz in die Phasen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik (Longerich 1998b).

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gebnisse der etwa 90 Minuten dauernden „Besprechung mit anschließendem Frühstück“, wie es in der Einladung des Chefs des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, hieß.3 Der Einladung waren 15 Personen der Ministerialbürokratie, der NSDAP und des SS-Apparats gefolgt. Die Besprechung hatte einen einzigen Tagesordnungspunkt: die Abstimmung der Zusammenarbeit bei der „Endlösung der Judenfrage“ (Longerich 1998a, 466-472). Bei allen sprachlichen Euphemismen lässt das Protokoll in seiner „nüchterne[n] bürokratisch-kalten Sprache“ (Wippermann 1982, 17) keinen Zweifel an der Absicht der Konferenz 4 und dem Ausmaß der deutschen Vernichtungspolitik. Neben der Verständigung über den Personenkreis, auf den das Deportations- und Mordprogramm angewandt werden sollte, gibt das Protokoll eine tabellarische Aufstellung wieder, die den Anteil der jüdischen Bevölkerung in Europa nach Ländern auflistet und 5 summiert: „Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Judenfrage kommen rund elf Millionen Juden in Betracht […].“ (zit. n. Roseman 2002, 174) Beden6 ken gegen den Massenmord erhob keiner der Teilnehmer.

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Vgl. http://www.ghwk.de/fileadmin/user_upload/pdf-wannsee/dokumente/luther_einla

4

Begriffe wie ‚Evakuierung‘, ‚Aktion‘, ‚Endlösung der Judenfrage‘, ‚natürliche Ver-

dung_dezember1941_barrierefrei.pdf (18.4.2015). minderung‘, ‚Restbestand‘, ‚durchkämmen‘ oder ‚entsprechend behandeln‘, die, wie Wolfgang Scheffler und Helga Grabitz schreiben, „verhüllende Sprache der Niederschrift“ (Scheffler/Grabitz 1995, 211), können über den Zweck der Konferenz, die Teilnehmer über den Massenmord zu informieren, nicht hinwegtäuschen. „Das Vokabular war eindeutig“ und entsprach dem Kenntnisstand der Konferenzteilnehmer (ebd., 212). Raul Hilberg, der die Konferenz ihrer Tagungsordnung gemäß als „Endlösungskonferenz“ (Hilberg 1990, 421) bezeichnet, hat in dem Zusammenhang auf die „Sprachregelung der Einsatzgruppenberichte“ verwiesen, von denen man wisse, dass mit solchen Formulierungen „die Tötung der Juden gemeint war“ (ebd., 423). 5

Aufgelistet sind von Deutschland besetzte oder kontrollierte Länder, sich mit Deutschland im Krieg befindende Länder, mit Deutschland verbündete Länder sowie neutrale Staaten. Die zum Zeitpunkt der Tagung bereits ermordeten Jüdinnen und Juden tauchen in der Zahlenstatistik nicht auf, allerdings wird Estland als ‚judenfrei‘ vermerkt.

6

Der stellvertretende Ankläger im Eichmann-Prozess, Gabriel Bach, erinnert sich im Interview zum 65. Jahrestag der Wannsee-Konferenz: „Eichmann erzählte uns, wie erleichtert er und Heydrich nach der Konferenz waren, dass alles so harmonisch abgelaufen ist. Außer logistischen Nachfragen gab es keine Kritik, keinen Widerspruch. Eichmann und Heydrich setzten sich anschließend vor den Kamin und tranken einen Schnaps, gratulierten sich, feierten ihren Erfolg.“ (Bach 2007) Auch das Protokoll der Konferenz lässt auf keine grundsätzlichen Einwände der Teilnehmenden schließen

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Als Konferenzort diente das bürgerliche Ambiente einer neoklassizistischen Villa, deren 30.000 qm großes Anwesen am Westufer des Wannsees gelegen ist. Die Villa, in der sich seit 1992 die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz befindet, wurde ab 1941 von der Sicherheitspolizei und dem Sicherheitsdienst der SS (SD) als Gäste- und Tagungshaus genutzt (vgl. Tuchel 7 1992, 108). Ein Jahr zuvor hatte der Prokurist des Stinnes-Konzerns, Friedrich Minoux, das Anwesen ‚Am Großen Wannsee 56-58‘ an eine Wohltätigkeitsor8 ganisation des SD verkauft (vgl. Roseman 2002, 94f.). Die Villa und ihre Parkanlage sind Teil einer Villenkolonie, die ab Ende des 19. Jahrhunderts eine beliebte Sommerresidenz des Berliner Großbürgertums war (vgl. Kampe 2000, 1424). Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten wurden die jüdischen Nachbarn des Viertels vertrieben, enteignet und deportiert. Immer mehr führende 9 10 Nationalsozialisten und NS-Organisationen bezogen Villen am Wannsee, die sie oft zu einem Spottpreis von ihren früheren jüdischen Eigentümerinnen und Eigentümern erworben hatten. KZ-Häftlinge sowie Jüdinnen und Juden wurden in den Villen zur Zwangsarbeit verpflichtet, darunter auch Alfred Silberstein, der in der Ausstellung der Gedenkstätte mit seiner Familie vorgestellt wird und der als Jugendlicher in der Küche des SD-Gästehauses arbeiten musste (vgl. GHWK 2006, 190-193; GHWK 2000, 60). 3.1.2 Umgang mit dem historischen Ort: Vom Täterort zur Dokumentation Nach der Kapitulation Deutschlands unterstand die Villa der Militärverwaltung in Berlin und wurde, so wird heute angenommen, zunächst als Club der sowjetischen und anschließend der US-amerikanischen Besatzungsmacht genutzt (vgl. Haupt 2009, 151). Ab 1947 und auch in der neugegründeten Bundesrepublik

und wird bestätigt von dem Konferenzteilnehmer Josef Brühler, Staatssekretär im Generalgouvernement, der 1946 im Nürnberger Kriegsverbrechergefängnis schrieb: „Ich kann mich noch daran erinnern, daß von den Anwesenden niemand Einspruch erhoben hat“ (zit. nach Kaiser 1995a, 35). 7

Zur Nutzung der Villa als Gästehaus des SD siehe Botsch 2000, 82-84.

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Ausführlich zur Villa und ihrem Vorbesitzer Minoux sowie dem Verkauf an die Stif-

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Hierunter Albert Speer, Joseph Goebbels, Walther Funk und Wilhelm Stuckart (Ro-

tung Nordhav siehe Tuchel 1992 und Haupt 2009. seman 2002, 94). 10 So die Nationalsozialistische Frauenschaft (NSF), die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und mehrere Institute der SS (vgl. Roseman 2002, 94). Zu den Instituten des SD am Wannsee siehe ausführlich Botsch 2000, 70-84.

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wurde der historische Tagungsort zunächst pragmatisch und erinnerungslos weitergenutzt: Von 1947 bis 1951 war auf dem Anwesen das ‚August-BebelInstitut‘ – eine Bildungsstätte der SPD-Stiftung – untergebracht, ab 1951, also auch nachdem 1950 der Inhalt des Protokolls der historischen Besprechung durch den ‚Wilhelmstraßen-Prozess‘ bekannt geworden war und sich fortan in vielen Publikationen fand (vgl. Scheffler 1992, 30), wurde es als Landschulheim des Berliner Bezirks Neukölln genutzt. Erst 1986 gab der Berliner Senat die Umwandlung des historischen Konferenzgebäudes in eine Gedenk- und Bildungsstätte bekannt (vgl. Kühling 2008, 234.). Bereits 1965 hatte der Historiker, Widerstandskämpfer und Auschwitz-Überlebende Joseph Wulf gefordert, an diesem Ort ein Internationales Dokumentationszentrum des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen (DIZ) ein11 zurichten (vgl. Schoenberner 1992; Kühling 2008). In einem Brief aus Berlin an seinen Sohn schrieb Wulf kurz vor seinem Suizid am 10. Oktober 1974: „Ich habe hier 18 Bücher über das Dritte Reich veröffentlicht, und das alles hatte keine Wirkung. Du kannst dich bei den Deutschen tot dokumentieren, es kann in Bonn die demokratischste Regierung sein und die Massenmörder gehen frei herum, haben ihr Häuschen und züchten Blumen.“ (GHWK 2006, 178)

Die Forderung von Wulf und den Unterstützenden des Projekts für ein Dokumentationszentrum aus dem In- und Ausland prallte in den 1960er Jahren an der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft ab, in der personelle NS-Kontinuitäten ebenso vorherrschten wie der Wunsch zu vergessen. Schweigen, Leugnen, Kleinreden und Verfälschen prägten den bundesdeutschen Alltag, wenn es um Schuld und Verantwortung für den Mord an den Jüdinnen und Juden ging, und standen gegen Aufklärung und Erinnern – erst recht gegen ein Dokumentationszentrum, das über 1945 hinaus die Gegenwart beobachten sollte. Die politisch Verantwortlichen und die in den Nachkriegsjahren die deutsche Zeitgeschichte bestimmenden Historiker wie bspw. Martin Broszat stellten sich gegen Wulf und das

11 Joseph Wulf (1912-1974) war Mitglied der Jüdischen Kampforganisation (ZOB) im Ghetto Krakau und Gründer der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission in Polen. Anfang der 1950er Jahre kam er nach Berlin und verfasste als einer der ersten Historiker mehrere Studien über die Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden (vgl. Schoenberner 1992, 153f.; Berg 2004, 337-370). Eine Publikationsliste von Wulf findet sich auf der Webpage der Gedenkstätte: http://www. ghwk.de/bibliothek-mediothek/joseph-wulf.html (8.3.2015). Heute ist die Bibliothek/ Mediathek des Hauses dessen Initiator gewidmet.

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von ihm initiierte Projekt (vgl. Berg 2004, insb. 337-345; Deutschland-Berichte 1968, 23-28). Bei einem Besuch in Israel regte der damalige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmeier 1966 an, „das Haus abzureißen, so daß keine Spur von dieser Schreckensstätte bleibt“ (zit. n. Kühling 2008, 226). Bis Ende der 1960er Jahre wurde in den Zeitungen gegen das Dokumentationszentrum am Wannsee geschrieben bzw. die Nutzung des historischen Gebäudes als Landschulheim gegen das Dokumentationszentrum ausgespielt (vgl. ebd.). Der Berliner Senat erteilte 1967 dem Vorschlag von Wulf eine Absage. Wulf trat 1970 aus Protest gegen die „Zermürbungspolitik des Berliner Senats“ (zit. n. ebd., 232) als Vorsitzender des im August 1966 ins Leben gerufenen Vereins für ein Internationales 12 Dokumentationszentrum zurück. Am Eingangstor des historischen Anwesens Haus der Wannsee-Konferenz wurde 1972, das Jahr, in dem der Verein für ein Dokumentationszentrum seine Auflösung bekannt gab, eine Gedenktafel angebracht (vgl. ebd., 233), die mehrmals mit Naziparolen beschmiert und dann gestohlen wurde. Daraufhin befestigte man eine neue Tafel am Gebäude selbst, was jedoch erschwerte, dass sie von Vorbeigehenden überhaupt bemerkt wurde (vgl. Wippermann 1982, 22). 1982 brachte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski, auf einer Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag der Wannsee-Konferenz erneut den Vorschlag ein, in der Wannsee-Villa ein Dokumentations- und Begegnungszentrum einzurichten; diese abermalige Initiative, das Wulf’sche Projekt umzusetzen, scheiterte jedoch. 1986 schließlich griff der Berliner Senat die viele Jahre lang ignorierte und abgewehrte Initiative für die Einrichtung einer Forschungsstätte in dem historischen Tagungsgebäude auf. Unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen wurde dann 1987 von einer von ihm eingesetzten Planungsgruppe ein Konzeptvorschlag für einen „Ort des Gedenkens und Lernens“ (Scheffler/Schoenberner 1987) entwickelt und vom Senat gebilligt. Daraufhin wurde das historische Gebäude unter Denkmalschutz gestellt (vgl. Botsch 2006, 185). Nachdem das Landschulheim 1988 aus der Villa ausgezogen war, begann man mit historischen Restaurierungsarbeiten (vgl. Kampe 2000, 11). Bei der Eröffnungsfeier 1992 betonte Diepgen die „herausragende Bedeutung der ersten Gedenkstätte des Holocaust im Lande der Täter“ (Diepgen 1992, 6) und stellte das Haus am Wannsee in den Kontext der zu jener Zeit bestehen-

12 Dem Verein Internationales Dokumentationszentrum zur Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen e. V. gehörten u. a. an: Egon Bahr, Fritz Bauer, Heinz Galinski, Max Horkheimer, Karl Jaspers, Robert M. W. Kempner, Eugen Kogon, Golo Mann, Simon Wiesenthal (vgl. Deutschland-Berichte 1968, 20).

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den Berliner Gedenkstätten. Dabei sprach er von einem „Dreiklang des Gedenkens“: In der Wannsee-Villa solle an die „eiskalte Planung des Verbrechens“ erinnert werden, an die „physische Ausübung der Verbrechen in den Kellern des Prinz Albrecht-Palais“ und in der Stauffenbergstraße an den „Widerstand gegen das barbarische Regime und seine Mittäter. Ferner soll und wird das HolocaustMahnmal dieses Gedenken symbolhaft zusammenfassen“ (ebd., 5).

3.2 D IE G EDENKSTÄTTE UND DIE STÄNDIGE AUSSTELLUNG

HEUTE

Die aktuelle Präsentation der Gedenkstätte am Wannsee löste die Vorgängerausstellung ab. Diese war zusammen mit der Gedenkstätte zum 50. Jahrestag der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1992 eröffnet worden. Diese erste Dokumentation wurde zwischen 1988 und 1991 konzipiert und war bis zu ihrer Schließung im Oktober 2005 mit geringfügigen Veränderungen zu sehen. Sie wurde im Vergleich zu anderen Berliner Gedenkstätten von ungewöhnlich vielen Personen aus dem In- und Ausland besucht (vgl. Kampe 2004, 5). Im Jahr 2002 hatte der internationale wissenschaftliche Beirat des Trägervereins Erinnern für die Zu13 kunft vorgeschlagen, die Leitung der Gedenkstätte mit der Ausarbeitung einer „nach Inhalt wie in der Präsentation neue[n] Dauerausstellung unter Einbeziehung der Erfahrungen und Bedürfnisse der pädagogischen Arbeit“ (ebd., 6) zu beauftragen. Im Jahr 2004 informierte der Tätigkeitsbericht der Gedenkstätte darüber, dass die Ausstellung nach mehr als einem Jahrzehnt inhaltlich und gestalterisch „dringend vollständig überarbeitet werden“ (ebd.) müsse. Sie entspreche nicht mehr „heutigen museums- und gedenkstättenpädagogischen Anforde-

13 Dem 1990 gegründeten Verein gehören seit seinem Bestehen die Bundesrepublik, das Land Berlin, die Jüdische Gemeinde zu Berlin, der Zentralrat der Juden in Deutschland, die Katholische und die Evangelische Kirche, das Deutsche Historische Museum und der Bund der Verfolgten des Naziregimes im Auftrag der Berliner Arbeitsgemeinschaft politisch, rassisch und religiös Verfolgter an. Zweck des Trägervereins ist gemäß § 2 der Satzung „die Förderung a) des Gedenkens an die Opfer der nationalsozialistischen Politik des Völkermords, b) der Information über die nationalsozialistischen Verbrechen und c) der Erziehung zu Demokratie und zur Verteidigung der Menschenrechte“ (Haupt 2009, 181). Die Satzung des Trägervereins, seine Mitglieder sowie der internationale wissenschaftliche Beirat werden auf der Webpage der Gedenkstätte vorgestellt: www.ghwk.de/informationen-veranstaltung/traegerverein-und-beirat.html (8.3.2015).

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rungen“ (ebd.). Die Verantwortlichen der Gedenkstätte haben die Ausstellung auch deswegen überarbeitet, weil die Öffnung von Archiven in Osteuropa sowie aktuelle Forschungen über die Planung und Ausführung des Holocaust neue Einsichten und Informationen erbracht hatten (vgl. ebd., 6-10). Neu ist neben der durchgehenden Kombination von Struktur- und Individualgeschichte insbesondere der Anspruch der Gedenkstätte, einzelne HolocaustOpfer in der Masse der Verfolgten sichtbar zu machen und ihre Lebensläufe und Selbstzeugnisse in die Dokumentation zu integrieren. In das neue Präsentationskonzept sind Erfahrungen aus zwölf Jahren pädagogischer Arbeit am Wannsee eingeflossen, und es wurden veränderte Sehgewohnheiten der Besuchenden berücksichtigt. Nicht zuletzt hat sich auch die vorangeschrittene Ausdifferenzierung der bundesdeutschen bzw. Berliner Gedenkstätten konzeptionell ausgewirkt: So ist das Haus der Wannsee-Konferenz heute nicht mehr die einzige deutsche Gedenkstätte, die den Judenmord zum zentralen Thema hat, und unterschiedliche Tätergruppen sowie Konzentrations- und Vernichtungslager werden inzwischen auch von anderen Berliner Gedenkstätten behandelt. 3.2.1 Von der Vorgängerausstellung zur aktuellen Ausstellungskonzeption Der 1987 diskutierte Konzeptvorschlag zur Eröffnung des Hauses betont, dass die Konferenz „Kernstück, nicht Gesamtthema der geplanten Ausstellung sein“ könne. Gezeigt werden müsse, so die verantwortlichen Kuratoren Gerhard Schoenberner und Wolfgang Scheffler, „der Genozid am jüdischen Volk, der bereits vor der Wannsee-Konferenz begonnen hatte“, ebenso wie die Ereignisse, die der Konferenz folgten (Scheffler/Schoenberner 1987, 4). In der Umsetzung beschränkte sich die Darstellung der Wannsee-Konferenz auf einen Ausstellungsraum, was auf Kritik stieß (vgl. Treichel 1994, 1030). Nach einer Umgestaltung des Konferenzraums 1996 durch den neuen Gedenkstättenleiter Norbert Kampe wurde die historische Besprechung selbst mit einem Faksimile des Besprechungsprotokolls sowie mit Kurzbiografien der Teilnehmenden und der Ministerien und Organisationen, denen sie angehörten, dargestellt (vgl. GHWK 2001). Die frühen konzeptionellen Überlegungen vor Eröffnung der Gedenkstätte empfahlen angesichts des historischen Orts und des hier zu vermittelnden Gegenstands „eine stille Ausstellung“. Unter Verzicht auf „aufwendige Inszenierungen“ solle sie sich einfacher Mittel bedienen, „um Herz und Verstand der Besucher an[zu]sprechen: Großfotos und ausgewählte Dokumente, verbunden durch sparsamen Kommentar, sollen im Mittelpunkt stehen“ (Scheffler/Schoenberner 1987, 2). In der Gestaltung der Ausstellung müsse die Verwaltungsbüro-

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kratie des Massenmords so veranschaulicht werden, dass deutlich werde, „was der Mensch dem Menschen angetan hat“. Die Planungsgruppe schlussfolgerte: „Die Opfer müssen ebenso sichtbar werden wie die Täter und das System, das die einen wie die anderen zu dem machte, was sie wurden.“ Die Ausstellung solle daher „präzise Grundinformationen mit emotionaler Wirkung verbinden“ (ebd., 7). Bei der Eröffnungsfeier lobte die damalige Präsidentin des Deutschen Bundestags, Rita Süssmuth, die Gedenkstätte als einen Ort, „der mit grausamen Bildern und Dokumenten […] das Andenken an die Opfer ehrt und die Erinnerung an die unfaßbare Tat und die Täter wachhält“ (Süssmuth 1992, 9). Es waren nicht zuletzt viele sparsam kommentierte Großfotos, mit denen in der ersten Ausstellung gezeigt werden sollte, was geschehen ist. Nach Kampe habe der Gründungsdirektor der Gedenkstätte von 1992 bis 1996, Gerhard Schoenberner, selbst erlebt, „dass sich die deutsche Gesellschaft nicht mit den NS-Verbrechen konfrontieren wollte. Deshalb hat er in der ersten Dauerausstellung bewusst schockierende Fotos gezeigt.“ (Kampe 2008) Die alte Ausstellung, die gegen erhebliche gesellschaftliche Widerstände realisiert wurde, spiegele auf diese Weise den Wunsch wider, „dass die Deutschen endlich begreifen sollen, dass etwas Schreckliches passiert ist“ (ebd.). Schoenberner gehörte zu den Personen, die das Wulf’sche Dokumentationszentrum am Wannsee unterstützt und frühe Ausstellungen über die NS-Verbrechen erarbeitet haben. 1960 hatte er zudem Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933-1945 veröffentlicht, ein Buch, das „erstmals historisches Bild- und Textmaterial einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung“ stellte (Brink 1998, 147). Brinks Studie Ikonen der Vernichtung zufolge beruhte die erste Ausstellung am Wannsee „nicht in allen Details, aber strukturell auf der Darstellungsform des ‚Gelben Sterns‘“ (ebd., 203). Viele der in dem Band abgebildeten Fotos wurden in der ersten Gedenkstättenausstellung gezeigt.14 Bei der Frage, weswegen für die heutige Ausstellung eine Präsentationsform gewählt wurde, die sie von ihrer Vorgängerin deutlich unterscheidet, ist insbesondere die Tätersicht von Interesse, auf die Schoenberner im Vorwort von Der Gelbe Stern aufmerksam gemacht hat.15 Der Autor wandte sich direkt an die

14 Der Katalog der ersten Ausstellung enthält die Texttafeln und eine reduzierte Auswahl der gezeigten Fotos, die fast alle bereits im Gelben Stern abgebildet sind (vgl. Kampe 2008; Schmitt-Holstein 1996, 65). 15 Die Überlegungen, die Schoenberner seinem Band voranstellt, dienen vorliegend der Reflexion auf den veränderten Umgang mit fotografischen Quellen in der aktuellen Ausstellung der Gedenkstätte. In diese sind die in den 1990er Jahren einsetzenden Diskussionen in der Geschichtswissenschaft und in den Gedenkstätten über die Prä-

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deutsche Leserschaft und betonte, was in seinem Buch gezeigt werde, sei „unsere eigene Tat“ (Schoenberner 1998 [1960], 7). Die in dem Band abgebildeten Aufnahmen „stammen fast ausnahmslos aus deutschen Quellen“ (ebd., 9), die auf ihnen abgebildeten Menschen „mußten sich fotografieren lassen“. Die Täter „sahen sich selbst in der Rolle des Helden und ihre wehrlosen Opfer als Untermenschen“, und ihre Aufnahmen versuchten „dieses Verhältnis zu dokumentieren“. Die Fotografierenden hätten „ihre Objekte in möglichst ungünstigen Situationen zu fotografieren“ versucht und darauf gesetzt, „daß verängstigte, gequälte, übernächtigte Menschen dem Betrachter leicht abstoßend erscheinen“ (ebd., 10f.). Gleichzeitig ging Schoenberner davon aus, dass „in diesen Bildern dennoch die Wahrheit immer wieder durchschlägt. […] der Gedanke an ihre Ermordung bringt uns die Verfolgten nahe.“ (ebd., 11) Die Gedenkstättenpädagogik steht dieser Annahme heute sehr skeptisch gegenüber. Damals aber teilte sie der Gründungsdirektor der Gedenkstätte mit anderen engagierten Personen, nicht zuletzt mit den Alliierten, die nach 1945 Aufnahmen des Massenmords zu Aufklärungszwecken veröffentlichten und die, wie Brink in diesem Zusammenhang schreibt, davon ausgingen, „daß sie beim Betrachter zwangsläufig Grauen und ein eindeutiges moralisches Urteil über die Tat erzeugen“ (Brink 1998, 149). Obwohl die Verantwortlichen der Gedenkstätte in vielen Punkten die Vermittlungsziele der ersten Ausstellung bis heute teilen, wird diese rückblickend als ungeeignet für das Andenken an die verfolgten und ermordeten Jüdinnen und Juden sowie die pädagogische Arbeit kritisiert. Insbesondere die frühe Präsentation von Fotos wurde bemängelt, auch außerhalb der Gedenkstätte. So kritisierte Ingrid Strobl bereits 1992 die Art und Weise, wie die Opfer des Massenmords öffentlich gezeigt wurden. Sie beschreibt, wie Frauen, die vor ihrem Tod von Einsatzgruppenangehörigen fotografiert worden waren, nun „nackt und ausgeliefert“ an der Wand der Ausstellung hingen, wo auch die Kinder und Enkel und die „Vernichter“ (Strobl 1992, 46) selbst sie so lange anstarren könnten, wie sie Lust hätten.16 Einige solcher Fotos der alten Ausstellung wurden Mitte der

sentation von Fotos eingeflossen. Eine ausführliche Analyse des Bildbands von Schoenberner, Der Gelbe Stern, findet sich bei Brink 1998, 146-173. 16 Die Kritik an der Darstellung nackter Frauen wurde in Bezug auf die alte Ausstellung der Gedenkstätte Yad Vashem auch von orthodoxen Juden geübt (vgl. Zuckermann 2003, 3), allerdings eher wegen des ‚unsittlichen‘ Anblicks entblößter Frauen. Grundsätzlich nehmen neuere Ausstellungen aus Rücksicht auf die Dargestellten eine dezentere Präsentation solcher Aufnahmen vor: So werden Fotos von Frauen unmittelbar vor Massenerschießungen im 2005 eröffneten neuen Museum zur Geschichte des Holocaust in Yad Vashem etwas abseits in einer Ecke und auf Kniehöhe gezeigt.

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1990er Jahre entfernt, nachdem die Leitung der Gedenkstätte gewechselt hatte. Es handelte sich um eine Fotoserie von einer Massenvernichtung in Liepāja (Libau, Lettland). Die Aufnahmen wurden in den Unterlagen der Gestapo gefunden und sind im Gelben Stern abgebildet (vgl. Schoenberner 1998, 133). Der für die aktuelle Ausstellung verantwortliche Gedenkstättenleiter Kampe geht im Interview auf Fotos aus der Serie ein, die die Täter, die selbst nicht auf den Ausschnittsvergrößerungen zu sehen sind, von nackten und vergewaltigten Frauen vor ihrer Ermordung gemacht haben. Das Zeigen der Aufnahmen sei für Guides sowie für Besuchende problematisch gewesen; es stelle sich die Frage: „Muss man Menschen in der entsetzlichen Situation, in der sie sich befanden, in der höchsten Erniedrigung und oft kurz vor ihrer Ermordung, muss man diese von Tätern festgehaltene Situation noch einmal dem Blick von hunderttausenden Besuchern aussetzen? Das ist die ethische Fragestellung. Es stellt sich auch eine pädagogisch-pragmatische Frage. Sie können die Emotionen nicht steuern, wenn Menschen mit solchen Fotos konfrontiert sind. Sie haben die ganze Palette von Reaktionen, sadistisch, voyeuristisch, bis hin zum Schock und der Reaktion: ‚Ich will mich nie wieder mit dem Thema beschäftigen‘.“ (Kampe 2008)

Kampe erhebt Einwände dagegen, ‚Schreckensbilder‘ in Gedenkstätten zu zeigen. Die „ethische Fragestellung“, wie er betont hat, geht von den Betrachteten, die „pädagogisch-pragmatische“ Frage von den Betrachtenden aus – zwei Ebenen, die Brink unter der Überschrift „Gegen die ‚Leichenbergpädagogik‘“ (Brink 1998, 204) aus den gedenkstättenpädagogischen Diskussionen Mitte der 1990er Jahre herausgearbeitet hat. Wie Wolf Kaiser schreibt, Leiter der Bildungsabteilung der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz und deren stellvertretender Leiter, wird die „Konfrontation der Besucher mit besonders grausamen Bildern der Vernichtung“ von heutigen Gedenkstätten unter dem Stichwort „Betroffenheitspädagogik“ abgelehnt (Kaiser 2001, 106). Mögliche problematische Reaktionen von Besuchenden seien verschiedenste Arten von Projektionen,17 vor allem aber hätte sich deutlich gezeigt, dass die Konfrontation mit dem Schrecken der Vernichtung bei den Bildungsadressaten nicht unbedingt, wie Schoenberner es gehofft hatte, zu Mitleid oder Selbstreflexion führt. In ihrer Kritik beschreibt Strobl die erste Wannsee-Ausstellung als eine Präsentation, die die jüdischen Opfer als „hilflose, passive Objekte der Vernichtung,

17 Hans-Ulrich Treichel etwa beschreibt in seiner Kritik an der alten Ausstellung seinen eigenen voyeuristischen Blick und wie ihm auffiel, „daß die Frau schöne Brüste hatte“ (Treichel 1994, 1030; vgl. Brink 1998, 209).

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[…] nie als Handelnde“ gezeigt habe. Als Ausnahme sei der Widerstand im Warschauer Ghetto präsentiert worden, ohne aber die Gegenwehr selbst zu behandeln. Die Ausstellung beschreibt sie als Reduzierung auf den Täterblick bei gleichzeitiger Abwesenheit einer Perspektive der verfolgten Jüdinnen und Juden selbst: „Versuche von Einzelnen, ihre Würde zu bewahren, werden ebenso wenig dokumentiert wie organisierte Bemühungen in den Ghettos, das soziale, kulturelle und politische Leben aufrechtzuerhalten.“ (Strobl 1992, 46) Die Wirkung einzelner Fotos resultierte Strobl zufolge nicht zuletzt aus dem, was in der Präsentation als Ganzer (nicht) behandelt worden sei. Viele der gezeigten Aufnahmen reproduzierten ihrer Meinung nach ungewollt den Täterblick hinter der Kamera, der die verfolgten Jüdinnen und Juden als ‚Untermenschen‘ sehe: „Ohne weitere Erklärung, ohne Hinweis auf die Herkunft der Fotos und die Absicht, mit der sie gemacht wurden, ohne auch nur einmal den verzerrenden Blick der Fotografen zu thematisieren, wird hier das, was die Deutschen durch zum Teil jahrelange systematische Verelendung und Erniedrigung aus Menschen gemacht haben, als ‚die jüdischen Opfer‘ präsentiert. Als hätten sie immer so ausgesehen und immer so apathisch in die Kamera gestarrt. So wird den Menschen noch einmal ihre Würde, ihre Individualität, ihre Geschichte und ihre Einzigartigkeit geraubt.“ (Ebd.)

Heute indes legt die Gedenkstätte besonderen Wert darauf, den verfolgten und ermordeten Jüdinnen und Juden Gesichter und Stimmen zu geben. Bei der Konzeption der jetzigen Ausstellung war es den Mitarbeitenden ein Anliegen, eine neue Präsentationsform zu entwickeln. Unter anderem sollten Dokumente quellenkritisch kommentiert werden, und es sollte vermieden werden, Fotografien so zu vergrößern oder anzuordnen, dass sie Betroffenheitsgefühle auslösen, ohne den historischen Gegenstand angemessen zu vermitteln. Dazu die Historikerin Christa Schikorra, eine der Kuratorinnen der aktuellen Dauerausstellung und viele Jahre als Referentin für die Gedenkstätte tätig: „Heute ist es nicht mehr, finde ich, eine ikonografische Präsentation, und auf jeden Fall ist eine Stärke heute die Kontextualisierung der historischen Ereignisse, was vorher so nicht existierte. Das war eher wie ein Bilderbuch; man hatte den Eindruck, es werden Bilder präsentiert, und die rufen Bestimmtes ab, aber die historischen Informationen und Kontextualisierung wurden in der ersten Ausstellung nicht so eingelöst.“ (Schikorra 2009)

Auf die Einwände gegen die frühere Ausstellung hat die Gedenkstätte also mit einem neuen Präsentationskonzept reagiert, das die jüdischen Opfer stärker subjektiviert als noch in der Vorgängerausstellung. Die Entmenschlichung und Ano-

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nymisierung, die viele Fotos festhalten, indem sie den Täterblick auf ihre Opfer wiedergeben, prägen die aktuelle Ausstellung nicht mehr. Die wenigen noch ausgestellten Bilder dieser Art sind mit Erklärungen versehen, die die Kameraperspektive reflektieren. Lediglich fünf Prozent des alten Fotomaterials wurden in die neue Ausstellung übernommen, die anderen Bilder wurden durch neue, darunter auch selten gezeigte Aufnahmen ersetzt (vgl. Kampe 2008).18 Auch die Täterdarstellungen sind heute nicht auf die Mörder beschränkt, sondern umfassen andere Täter und Tätergruppen wie auch Profiteure und Zuschauende. Auf diese Weise berücksichtigt die Präsentation einen Wandel in der Geschichtsforschung, der die Verantwortung der ‚Volksgemeinschaft‘ in den Fokus rückt sowie Struktur- und Individualgeschichte miteinander kombiniert.19 Besonders deutlich unterscheidet sich die neue Ausstellung von ihrer Vorgängerin darin, dass neben offiziellen NS-Dokumenten auch Selbstzeugnisse verfolgter Jüdinnen und Juden den Massenmord dokumentieren. So werden private Fotos, auch aus der Zeit vor 1933, und andere Exponate wie Zeichnungen und Erinnerungsberichte einzelner Verfolgter gezeigt, die die jüdische Perspektive auf den Massenmord vermitteln.20 Die Überlegungen, die zu einer inhaltlichen Schwerpunktverschiebung der heutigen gegenüber der ersten Dokumentation geführt haben, zeichnet Schikorra im Interview nach: „Als das Haus der Wannsee-Konferenz 1992 eröffnete, war es eins der wenigen oder das einzige, das die Geschichte der Ermordung der europäischen Juden thematisiert hat. Mittlerweile gab es auch andere Häuser, und deswegen wollten wir uns stärker profilieren in Hinsicht auf die Konferenz selbst. Das nimmt jetzt mehr Platz ein. Früher hat der ganze Bereich Auschwitz oder Konzentrationslager viel größere Räume und viel mehr Fläche gehabt als jetzt. Uns war aber auch klar, dass es nicht nur um die Konferenz gehen soll, sondern es soll auch einen Raum davor geben, der über die beteiligten Organisationen

18 In Kap. 3.3.4 wird dieser veränderte Umgang der Gedenkstätte mit fotografischen Präsentationsmitteln anhand von Abbildungen vorgestellt, die Szenen nach dem Massenmord an Jüdinnen und Juden in der Schlucht von Babi Yar (Ukraine) zeigen. 19 Einen informativen Überblick über die Täterforschung und ihre Wandlungen geben Jana Jelitzki und Mirko Wetzel (Jelitzki/Wetzel 2010). Zu Tätern und dem (moralischen) Referenzrahmen, in dem diese handelten, siehe auch Welzer 2005 u. 1997. 20 Dies entspricht der Aufforderung, die u. a. von Monika Richarz formuliert wurde, Jüdinnen und Juden „nicht länger nur als Opfer und Tote vorkommen zu lassen, sondern die jüdische Geschichte vor 1933 stärker zu berücksichtigen“ (zit. n. Brink 1998, 208; vgl. ebd., 210-220).

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oder Ministerien und Stellen informiert, die an der Konferenz beteiligt waren. Und dass es auch einen Raum geben wird zu dem Entscheidungsprozess hin zur Konferenz, also der ganze Herbst 1941. Schon durch neue Forschungsergebnisse, den wissenschaftlichen Diskurs und die veränderte Gedenkstättenlandschaft in Berlin war es wichtig, diese Schwerpunkte zu setzen.“ (Schikorra 2009)

Diese veränderte inhaltliche Gewichtung der heutigen Dokumentation ist mit einer neuen Raumplanung realisiert worden. Die Wannsee-Konferenz selbst wird heute in mehreren Themenräumen ausführlich kontextualisiert. Durch die Reduktion der Darstellung von Deportationen und Vernichtungslagern wurde anderen Themen wesentlich mehr Ausstellungsfläche eingeräumt, besonders den ideologischen und strukturellen Voraussetzungen des Massenmords in Deutschland sowie der schrittweisen Radikalisierung und der Ausdehnung von Verfolgung und Vernichtung auf Europa. Die Entscheidungen dafür orientierten sich auch an anderen aktuellen Gedenkstätten, die den Vernichtungskrieg und den Massenmord an den Jüdinnen und Juden behandelten (vgl. Kampe 2006a, 41). 3.2.2 Das Vermittlungskonzept Bereits der Titel der Ausstellung ‚Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden‘ bringt das täter- wie opferfokussierte Konzept der Gedenkstätte zum Ausdruck. Ihr historischer Bezugspunkt ist die Konferenz von 1942 und das von ihr überlieferte Protokoll. Die in dem Haus stattgefundene Besprechung wird in der Ausstellung mit dem Vermittlungsanspruch der Gedenkstätte in Beziehung gesetzt, den Genozid an den Jüdinnen und Juden Europas zu dokumentieren. Gegenüber KZ-Gedenkstätten, die an die Opfer der dort begangenen Verbrechen erinnern, ist das Haus am Wannsee seinem historischen Charakter nach ausschließlich ein Ort der Täter. Jüdinnen und Juden erlebten ihre Befreiung nicht in der Villa; die Massenerschießungen und Vernichtungslager wandelten den Besprechungsort selbst nicht in einen Friedhof. Da die Gedenkstätte allein ein Täterort ist, seien kollektive „Zeremonien des Gedenkens […] hier am falschen Ort“ (Kaiser 2001, 106), wie Wolf Kaiser und andere (ehemalige) Mitarbeitende der Gedenkstätte betonen (siehe bspw. Ehmann 1994, 137; dies. 1993, 58f.). Dennoch ist das Haus der Wannsee-Konferenz eine Gedenkstätte: In der Konfrontation mit den Massenverbrechen und dem dadurch verursachten Leiden sähen sich die Besuchenden in dem Haus angeregt, der Verfolgten und Ermordeten zu gedenken, so Kampe. Die Gedenkstätte werde auch von vielen Personen aus dem Ausland besucht, die sich hier aufgrund seiner symbolischen Bedeutung an ermordete Verwandte und Freunde erinnerten (vgl. Kampe 2010). Als Bil-

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dungsstätte bietet das Haus eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und Holocaust an, die auch die jüdische Geschichte berücksichtigt. Dem in der Bildungsarbeit des Hauses von jeher berücksichtigten Doppelanspruch, der Opfer zu gedenken und nach den Tätern zu fragen, wird in der neuen Ausstellung, darauf hat zuletzt auch Caroline Pearce aufmerksam gemacht, deutlicher als zuvor Rechnung getragen (vgl. Pearce 2010, 170). Der Vermittlungsanspruch der Gedenkstätte als Täterort zielt auf eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Strukturen und individuellen Einstellungen, die den systematischen Massenmord ermöglicht haben. „Das zentrale Thema des Hauses“, so der aktuelle Ausstellungskatalog, „ist die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 und ihre Bedeutung für die Organisation des Völkermords wie auch die Beteiligung der Konferenzteilnehmer und der durch sie vertretenen Ämter an der Verfolgung und Ermordung der Juden.“ (Kampe 2006b, 7) In diesem Zusammenhang betont Kampe im Interview, dass auch nicht Hitler, sondern viele andere „handelnde Personen und die schrittweise Radikalisierung“ (Kampe 2008) im Mittelpunkt stünden. Die Gedenkstätte thematisiert die an dem arbeitsteiligen Mordprogramm beteiligten Personen, Gruppen und Institutionen ab 1933 und während des Kriegsverlaufs: Der Staatsapparat, die Ordnungspolizei, die Zivilverwaltung, Wehrmachts- und Einsatzgruppenangehörige werden in ihrer speziellen Tatbeteiligung vorgestellt, zudem wird das Verhalten von Zuschauenden sowie von Profiteurinnen und Profiteuren hinterfragt. Das verbrecherische Handeln Einzelner wird also innerhalb der Tatgesellschaft thematisiert. Schließlich wird auch die Kollaboration in den besetzten europäischen Ländern angesprochen. Die Ausdehnung und Radikalisierung der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden wird nachvollziehbar, indem sie mit dem Kriegsverlauf in Beziehung gesetzt werden. Die Ausstellung beschränkt sich nicht auf die Dokumentation des Holocaust, sondern ermöglicht den Besuchenden, sich mit der „historischen Entwicklung der Judenfeindschaft und des Rassismus“ auseinanderzusetzen (Kampe 2006b, 7). Antisemitismus wird zu Beginn des Ausstellungsrundgangs in einen ideologischen Rahmen gestellt, in dem die Ausdehnung und Radikalisierung von Verfolgung und Vernichtung 1939 bis 1945 verständlicher werden. Dazu informiert die Gedenkstätte auf einer ungewöhnlich großen Ausstellungsfläche über bereits im Mittelalter verbreitete antijüdische Denkmuster und rassentheoretische Ideologeme des modernen Antisemitismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Berücksichtigung findet ferner jüdisches Leben in Deutschland vor 1933. So werden die Integration der Jüdinnen und Juden in der Weimarer Republik und ihre schrittweise Verdrängung aus der deutschen Gesellschaft dokumentiert. Die historische Entwicklung des Antisemitismus erscheint als Vorgeschichte des Natio-

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nalsozialismus, womit die Gedenkstätte ein zentrales Erklärungsangebot bereitstellt für die antisemitische und rassistische Ideologie und ihre radikale Umsetzung nach 1933. Der Ausgrenzung durch die deutsche ‚Volksgemeinschaft‘ wird die Selbstbehauptung von deutschen Jüdinnen und Juden gegenübergestellt (vgl. ebd.). So ist die Dokumentation nicht auf die deutsche Mehrheitsgesellschaft begrenzt, sondern sie fragt auch danach, wie Jüdinnen und Juden auf die gegen sie gerichteten politischen Maßnahmen reagierten. Das Haus konzentriert sich zwar in erster Linie auf den Zeitraum bis 1945, doch es werden auch Fragen „zu den Versuchen der juristischen Ahndung der Verbrechen, zur Entschädigungsfrage, zur Erinnerungspolitik und Gedenkkultur“ aufgeworfen. Insbesondere der letzte Ausstellungsraum solle „verdeutlichen, dass das Jahr 1945 kein Schlusspunkt war“ (ebd.). Der Anspruch, die Perspektive der Verfolgten stärker zu akzentuieren, wurde in den zur Neueröffnung der Gedenkstätte erschienenen Zeitungsartikeln als Novum wahrgenommen und als solches auch von der Gedenkstätte selbst betont. In einem Zeitungsinterview unterstrich Kampe beispielsweise, dass in der alten Ausstellung „überwiegend Opferfotos“ (ders. 2006e, 13) gezeigt worden seien, „Bilder von namenlosen Menschen, die in den Prozess der Deportation und Vernichtung hineingeraten waren. Die neue Ausstellung hebt die bisherige Anonymität der Opfer auf.“ (ebd.) Aus diesem Grund frage die Ausstellung „nach dem Überlebenskampf der Opfer“ und stelle vier Familienschicksale vor, um den Verfolgten und Ermordeten „wenigstens exemplarisch einen Namen und ein individuelles Gesicht zu geben“ (ders. 2006b, 7). Es ist heute ein zentrales Anliegen der Gedenkstätte, an die verfolgten Jüdinnen und Juden als Personen mit unterschiedlichen Lebenswegen zu erinnern, die auch über die Verfolgung hinaus Subjekte und nicht nur Bestandteile einer Mordstatistik waren (vgl. Schikorra 2009). Ausgrenzung, Verfolgung, Deportationen, Ghettos, Massenerschießungen, Konzentrations- und Vernichtungslager sollen heute nicht nur in ihrer Organisation und Durchführung, sondern auch in ihren Auswirkungen auf die Jüdinnen und Juden in Europa dokumentiert werden. Diesen von der Gedenkstätte gewählten ‚multiperspektivischen Zugang‘ der Ausstellung erläutert Kampe im Interview folgendermaßen: „Wir haben im Haus der Täter, wo es um Organisations- und Entscheidungsprozesse geht, in der Dauerausstellung ein starkes Schwergewicht bei den Tätern und bei der Organisation des Völkermords. Aber wir versuchen auch immer wieder zu zeigen, was mit den verfolgten Menschen geschieht. Das erreichen wir mit Biografien und Dokumenten von jüdischen Menschen und Familien, die sich in fast allen Räumen der Ausstellung finden.“ (Kampe 2008)

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Biografien der jüdischen Opfer in die Ausstellung zu integrieren, führt Schikorra im Interview aus, sei nicht von Beginn an geplant gewesen, sondern diese Idee habe sich erst während des Konzeptionsprozesses entwickelt: „Die Idee kam aus der Bildungsabteilung des Hauses. Die Mitarbeiter aus der Pädagogik fanden wichtig, Biografien zu zeigen, die sich durch die Ausstellung durchziehen. Also nicht nur Personalisierungen, die menschliches Tun und Agieren auf der Opferseite aufscheinen lassen, sondern auch sich durchziehende Biografien, um zu ermöglichen, dass anhand einer Person das Verfolgungsschicksal nachvollzogen werden kann.“ (Schikorra 2009)

Mit dem Vorstellen von Biografien in der Präsentation wird der Anspruch der Bildungsarbeit im Haus der Wannsee-Konferenz aufgegriffen, Zeugnisse der Jüdinnen und Juden in der Geschichtsvermittlung zu berücksichtigen, die, wie Kaiser schreibt, „Einsichten ermöglichen, die aus anderen Quellen nicht zu gewinnen sind“. Nicht die Tätersicht, sondern erst der Wechsel zur Perspektive der Opfer lasse uns erahnen, so Kaiser weiter, „welche menschlichen Katastrophen die nationalsozialistischen Verbrechen verursachten, aber auch, welche Kraft viele Opfer aufbrachten, um standzuhalten und ihre menschliche Würde zu verteidigen, so lange es möglich war“ (Kaiser 2001, 106). Was in den pädagogischen Programmen der Gedenkstätte von Beginn an angestrebt wurde, spiegelt die Ausstellung heute stärker als ihre Vorgängerin wider: „Vom grundlegenden Konzept des Hauses ist es immer schon so gewesen, auch in der ersten Ausstellung und im Seminarbereich, dass die Personen, die an der Konferenz teilgenommen haben und die Verbrechen mit verantwortet haben, immer klar benannt werden. Gleichzeitig war der Ansatz des Hauses immer zu sagen, wir dokumentieren in Verpflichtung gegenüber den Menschen, die unter diesen Völkermord gelitten haben. […] Es geht hier in erster Linie um die jüdische Bevölkerung in ganz Europa, und trotzdem sind […] Opfer anderer NS-Verbrechen Thema, ‚Euthanasie‘ und Sinti und Roma und andere Gruppen.“ (Schikorra 2009)

Die Gedenkstätte hat sich seit ihrer Gründung mit einem breit gefächerten Bildungsangebot profiliert, das national und international geschätzt wird. Das pädagogische Angebot für Schulklassen und Erwachsene wird von den Mitarbeitenden des Hauses ständig weiterentwickelt und reicht von Überblicksführungen bis zu sogenannten ‚gegenseitigen Führungen‘ durch die Ausstellung. Bei Letzteren erarbeiten Kleingruppen selbstständig bestimmte Ausstellungsthemen und stellen sie sich gegenseitig vor. Zudem werden Studientage und berufsspezifische

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Seminare angeboten, in denen die Teilnehmenden sich mit der Beteiligung von 21 Angehörigen ihrer Profession an der ‚Endlösung‘ auseinandersetzen. Das Bildungsangebot wird von der Joseph-Wulf-Bibliothek/-Mediathek ergänzt, die Recherchemöglichkeiten zum Holocaust bietet. Die Ausstellung ist ein fester Bestandteil der pädagogischen Arbeit des Hauses. Sie soll aber auch, wie Kampe ausführt, „den pädagogisch nicht betreuten Einzelbesuchern Informationen zur Wannsee-Konferenz und zu deren historischer Einordnung bieten“ (Kampe 2008). Da etwa die Hälfte der Besuchenden pädagogische Angebote in Anspruch nimmt, sollten die Erfahrungen der festen und freien Mitarbeitenden in die Konzeption der neuen Ausstellung eingehen. Das Team, das ab 2004 die neue Ausstellungskonzeption erarbeitet hat, bestand zu „mehr als der Hälfte aus festen und freien Mitarbeitern des Hauses. Die Ausstellung ist auch im Hinblick auf die Themen konzipiert worden, die bei uns nachgefragt und unterrichtet werden.“ (Ebd.) Zudem wurde das pädagogische Personal des Hauses, das nicht direkt an der Konzeptionsentwicklung mitgewirkt hat, in den Diskussionsprozess um die neue Ausstellung einbezogen. 3.2.3 Die Ausstellung im Überblick Der Ausstellungsbereich wird durch die architektonischen Vorgaben des Gebäudes bestimmt, das von der Gedenkstätte als das „eigentliche originäre Ausstellungsobjekt“ (Kampe 2006d, 15) verstanden wird. Aluminiumtafeln dienen als Informationsträger und sind vor den Wänden der Ausstellungsräume an einem Schienensystem befestigt. Die Ausstellungstafeln bilden keine zweite Wand, sondern sind in zwei versetzten Reihen an dem Schienensystem angeordnet, sodass die stoffbespannten oder mit dunkler Holzvertäfelung verkleideten Raumwände zu sehen sind. Durch die Anordnung der Ausstellungstafeln konnte die Quantität der Präsentationsmittel erhöht werden; es handelt sich aber nicht um zwei Rezeptionsebenen, nach denen das Material gezeigt würde. Vielmehr sind die Exponate in den Themenräumen über die Ausstellungstafeln hinweg entlang dreier Ebenen strukturiert: Raumthema, Raumabschnittsthema und manchmal Unterthemen. Die meisten Fenster des Ausstellungsgebäudes sind freigelegt, sodass der Blick der Besuchenden während des Ausstellungsrundgangs immer wieder auf den Wannsee bzw. die Gartenanlage des Anwesens gelenkt wird.

21 Seminare für Lehranwärterinnen und -anwärter sowie Lehrende werden ebenso angeboten wie die Arbeit mit einem Dokumentenkoffer ‚GeschichteN teilen‘, der sich als Beitrag zum interkulturellen Lernen versteht. Ein Überblick über das Bildungsangebot des Hauses findet sich auf der Webpage: http://www.ghwk.de/bildungs-angebote/allge meineinformationen.html (8.3.2015).

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Stellenweise wird dadurch die Gegenwart mit dem in der Ausstellung behandelten Zeitraum verknüpft. Beispielsweise ist ein Foto des Strandbads Wannsee vom 15. Mai 1938, auf der ein über der Kasse hängendes Schild mit der Aufschrift „Juden sind unerwünscht“ zu sehen ist, vor einem Fenster angebracht, das den Blick auf das heutige Strandbad freigibt. Der mit Parkett ausgelegte Boden in den offenen Ausstellungsräumen unterstreicht die Repräsentativität des historischen Konferenzgebäudes, verursacht jedoch an Tagen mit hohem Besucheraufkommen ein stetig knarrendes Hintergrundgeräusch. Das suggeriert Echtheit. In der Wannsee-Villa befindet sich im Unterschied zu manchen KZ-Gedenkstätten „im Kern nur ein historischer Raum“ (Kampe 1999, 175), nämlich der, in dem die Konferenz stattgefunden hat.22 In der Ausstellung ist der historische Konferenzraum, das ehemalige Speisezimmer der Villa, der zentrale Raum, der innerhalb des Ausstellungsbereichs durch die anderen Themenräume inhaltlich und chronologisch kontextualisiert wird. Manche Besuchende beschränken ihren Aufenthalt ausschließlich auf diesen Ausstellungsbereich. Das Eingangsfoyer der Villa dient als Empfangsbereich. Eine Flügeltür mit Marmorsäulen führt von der Eingangshalle in die Räume des Gebäudes, in denen die Dauerausstellung eingerichtet ist. Der relativ kleine Ausstellungsbereich von ca. 450 qm erstreckt sich über das gesamte Erdgeschoss des Hauses. Raum für Sonderausstellungen ist nicht vorgesehen. In den oberen Etagen sind die Büros der Mitarbeitenden der Gedenkstätte, die Joseph-Wulf-Bibliothek/-Mediathek und Seminarräume eingerichtet. Raumplan ständige Ausstellung

Quelle: Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz

22 Weswegen, so Kampe, „nur mit Hilfe des Einsatzes museumsdidaktischer Mittel und pädagogischer Arbeit den Besuchern die Bedeutung dieser flüchtigen Veranstaltung an einem Januarmorgen 1942 erklärt werden kann“ (Kampe 1999, 176).

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Die Ausstellung ist als Rundgang durch 15 Themenräume angelegt. Die Besuchenden bewegen sich entlang einer chronologisch angelegten Geschichtsdokumentation. Der Einführungsraum (Themenraum 1) und die sich anschließenden Ausstellungsräume sind in großzügig geschnittenen, durch Tageslicht erhellten Räumen auf der Seeseite der Villa untergebracht und behandeln ausführlich die historischen Entwicklungen und Ereignisse, die dem systematischen Massenmord an den europäischen Juden vorangingen (Themenräume 2-4). Daran schließen sich zwei Räume an, die den von Deutschland geführten Krieg als Rassen- und Vernichtungskrieg anhand der Länder Polen, Serbien und Sowjetunion thematisieren (Themenräume 5-6). In den folgenden vier Themenräumen, die sich fast alle auf dem gegenüberliegenden Villenflügel befinden, werden die Wannsee-Konferenz, ihre Bedeutung und die an der Organisation und Ausführung des Holocaust beteiligten Ämter und Personen behandelt; hier finden sich Informationen zum Protokoll der Konferenz, zu dessen Rezeption nach 1945 sowie schließlich – die Geschichte des Hauses sollte stärker zum Vorschein 23 kommen als in der ersten Ausstellung – eine komprimierte Hausgeschichte (Themenräume 7-10). Deportationen, Ghettos, Konzentrations- und Todeslager werden anschließend im ehemaligen Küchentrakt der Villa behandelt, der aus engen und dunklen Räumen besteht (Themenräume 11-14). Die Ausstellung endet mit einem Bereich, der über den dokumentierten Zeitraum hinausgeht und sowohl auf der Opfer- als auch auf der Täterseite nach den individuellen Folgen des Nationalsozialismus fragt (Themenraum 15). Der profilierte Dokumentationscharakter der leseintensiven und zweisprachig (Deutsch und Englisch) angelegten Ausstellung setzt sich aus vielen schriftlichen und bildlichen Quellen zusammen. Diese Präsentationsform erklärt die Kuratorin Christa Schikorra unter anderem mit den vom Ausstellungsgebäude vorgegebenen Räumlichkeiten:

23 Eine ausführliche Darstellung der Hausgeschichte sollte, so die anfänglichen Planungen der Gedenkstätte, in einem weiteren Themenraum integriert werden, was aber aufgrund von Raummangel und der Notwendigkeit, Inhalte zu reduzieren, nicht realisiert wurde. Heute wird in Themenraum 10 auf die Hausgeschichte eingegangen, während darüber hinausgehende Informationen zur Geschichte des Hauses im Ausstellungskatalog nachzulesen sind (vgl. Botsch 2006, 182-193). Im Vorwort des Katalogs verweist die Gedenkstätte darauf, dass über „die Geschichte des Gästehauses und des SD im Wannsee […] in einem Raum außerhalb der Villa informiert“ werde (Kampe 2006b, 7) – ein Vorhaben, das bis Oktober 2014 noch nicht realisiert worden war. Das ehemalige Pförtnerhaus der Villa, in dem eine Ausstellung über die Geschichte des Hauses geplant war, stand u. a. wegen Auflagen des Denkmalschutzes leer.

138 | I NDIVIDUUM UND M ASSE „Was immer klar war, dass wir eine Ausstellung ohne Vitrinen konzipieren, also dass wir nur die Wandfläche haben, und dass die Ausstellung eher einen Dokumentationscharakter haben wird. Im Gegensatz zu anderen Museen, in denen die Vermittlung über Gegenstände läuft, haben wir dazu hier im Haus nicht die Möglichkeiten. Es gibt keine eigene Sammlung, und auch von den Räumlichkeiten war klar, dass wir uns auf Fotografien und Dokumente konzentrieren, alles Flachware sozusagen.“ (Schikorra 2009)

Bis auf die ausschließlich zweidimensionalen Ausstellungsexponate, die vor den Raumwänden auf einem Schienensystem gezeigt werden, sind die Ausstellungsräume leer (mit Ausnahme des Konferenzraums). Auf dem Trägersystem wird die ‚Flachware‘ gezeigt: Dokumente der Nationalsozialisten, persönliche Dokumente von Jüdinnen und Juden, Privatfotografien, Zeichnungen von Konzentrationslagergefangenen sowie geografische Karten. An mehreren Stellen der Ausstellung sind Lesemappen oder Hörstationen als Vertiefungsmedien integriert. Monitore mit Bild- und Toneinspielungen werden zurückhaltend eingesetzt. Prominent positioniert ist ein Filmausschnitt, der die Rede Hitlers im Reichstag vom 1. Februar 1939 zeigt, in der dieser von der Vernichtung der europäischen Juden spricht. In erster Linie sind die Monitore aber für die Präsentation der Opfer vorgesehen. Der Genozid an den europäischen Jüdinnen und Juden wird durch zahlreiche Dokumente zum Lesen und Betrachten umfassend kontextualisiert. Die Dokumente werden fast durchgehend ergänzt um ausführliche Kommentierungen, um Angaben zu ihrer Provenienz und zu den von ihnen genannten Personen – Täter, Opfer und Zuschauer – sowie um Orts- und Zeitangaben. Biografische Angaben zu Tätern sind weitgehend auf die Konferenzteilnehmer beschränkt.

3.3 C LOSE -U PS

DER

P RÄSENTATION

Das Villengelände am Wannsee ist von der Straße durch ein massives gusseisernes Tor getrennt, das sich erst nach Betätigung einer Klingel öffnet und den Weg zur Gedenkstätte freigibt.

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Haus der Wannsee-Konferenz

Quelle: Cornelia Geißler

An der Villa, in der die Präsentation gezeigt wird, ist eine Gedenktafel aus den 1970er Jahren mit folgendem Text angebracht: „Dem Gedenken der durch nationalsozialistische Gewaltherrschaft umgekommenen jüdischen Mitmenschen.“ Im Folgenden untersuche ich vier Ausstellungsbereiche im Close-Up, anhand derer besonders facettenreich nach Aufgaben und Funktionen personalisierender Elemente in der ständigen Ausstellung der Wannsee-Villa gefragt werden kann. Berücksichtigt werden dabei auch der Ausstellungsbeginn und in den Ausstellungsrundgang eingefügte Gegenwartsbezüge. Das gewählte Vorgehen ermöglicht, Aussagen über ein möglichst breites Spektrum an personalisierenden Präsentationsformen dieser Gedenkstätte zu treffen. 3.3.1 Familienporträts und die zerstörten jüdischen Gemeinden Der Ausstellungsrundgang beginnt im großzügig geschnittenen Foyer, dem Themenraum 1, der mit seinen weiten Terrassenflügeltüren den Blick auf den hinteren Gartenteil der Villa und den Wannsee freigibt. Der repräsentative Charakter des historischen Konferenzorts wird hier besonders deutlich. Der Raum ist Begrüßungs- und Orientierungsraum zugleich und dient zur Einführung in die Ausstellung. Vor der Fensterfront ist ein Überblicksplan aufgestellt, der über die Raumfolge des Ausstellungsrundgangs und über die Situierung des historischen Konferenzraums informiert. Rechts davon hebt eine geografische Karte den Anteil der jüdischen Bevölkerung in Europa und dem Mit-

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telmeerraum hervor und zeigt „die Zentren jüdischen Lebens vor der Verfolgung“ im Jahr 1933. Auf der gegenüberliegenden Raumseite werden in Wandnischen vier Überlebende des Holocaust und ihre Familien anhand von Kurzporträts vorgestellt: Alfred Silberstein aus Berlin, Alexandre Halaunbrenner aus Paris sowie Esther Reiss und Eugenia Tabaczynska aus Polen. Familienporträts, Begrüßungs- und Orientierungsraum

Quelle: Moshe Shati

Die einführende Raumtafel gibt darüber Auskunft, dass die Familienporträts im Mittelpunkt der Ausstellungskonzeption stehen. Da die „Folgen der Verbrechen […] an den zerstörten Lebensläufen der jüdischen Opfer deutlich“ (Kampe 2006c, 8) werden sollen, stelle die Ausstellung, so die Rauminformation, „die Schicksale von vier Überlebenden stellvertretend für das Leid ihrer Familien und aller Verfolgten und Ermordeten dar“. „Nach der knappen lebensgeschichtlichen Vorstellung in diesem Raum“, bereitet die Informationstafel die Besuchenden weiter vor, „begegnen sie uns im Zusammenhang mit der Dokumentation antijüdischer Aktionen wieder.“ Die konzeptionelle Entscheidung, die Biografien am Ausstellungsbeginn vorzustellen, ist von der Überlegung getragen, den persönlichen (Lebens-)Geschichten einen prominenten Platz einzuräumen. Die Kuratorin Schikorra begründet dies mit der besonderen Verpflichtung, die das Haus der Dokumentation der Verfolgung der europäischen Jüdinnen und Juden gegenüber habe – gerade weil es sich bei der Gedenkstätte am Wannsee um einen historischen Täterort handele. Den Ausstellungsverantwortlichen sei es daher wichtig

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gewesen, die Biografien „als Auftakt und als Kontrapunkt zu den historischen Ereignissen im Foyerraum zu präsentieren“ (Schikorra 2009). Die Familiengeschichten im Foyer berichten von jüdischem Leben vor der Verfolgung, dabei werden einige Holocaust-Opfer auch lebensgeschichtlich vorgestellt. In der Raumgestaltung stehen die Porträts der Wandkarte gegenüber und veranschaulichen die dortigen Zahlenangaben. Die Kombination der beiden Ausstellungselemente bringt die Dimension des Massenmords und seine Bedeutung für die Einzelnen im Museumsraum in einen Zusammenhang. Neben dem Orientierungsplan sind die Wandkarte und die Kurzporträts die einzigen Ausstellungsexponate in dem ansonsten leeren Raum. Durch die Entscheidung, auf andere Präsentationsmittel zu verzichten, erhält die Präsentation der Opfer des Massenmords eine besondere Gewichtung. Indem die Kurzporträts der Familien Silberstein, Halaunbrenner, Reiss und Tabaczynska den Auftakt der Ausstellung bilden, wird der Anspruch der Gedenkstätte unterstrichen, einzelne verfolgte und ermordete Personen in der Masse der Holocaust-Opfer sichtbar zu machen, noch bevor die Ausstellung den entmenschlichenden Verfolgungs- und Mordprozess dokumentiert. Diese Idee geht aber nur zum Teil auf: Bei den Forschungsaufenthalten der Verfasserin in der Gedenkstätte ließen sich zwar immer wieder Besuchende beobachten, die sich vor den Biografien aufhielten, bevor sie in den sich anschließenden Themenraum gingen. Doch die durch die Ausstellung geführten Schulgruppen, die in dem Raum begrüßt und in ihren Gedenkstättenbesuch eingeführt wurden, sind von den Guides in der Regel nur auf die Wandkarte aufmerksam gemacht worden, selten auf die vier porträtierten Familien. 3.3.2 Biografische Fragmente und Selbstzeugnisse Auf einem Foto im Begrüßungsraum der Ausstellung (Raumnummer 1) schaut ein Junge mit Mütze, Mantel und Kniestrümpfen bekleidet in die Kamera. Hinter bzw. links neben ihm sind ein älteres Ehepaar und eine junge Frau zu sehen, die, herbstlich-winterlich gekleidet, ihren Blick ebenfalls in die Kamera richten. Im Bildhintergrund sind Bäume zu sehen. Die vier Personen auf der Schwarz-WeißFotografie befinden sich in einem Park, sie lächeln und lassen sich offensichtlich mit Absicht fotografieren. Der Bildkommentar neben der Aufnahme lässt wissen, dass es sich bei dem Jungen im Bildvordergrund um Alfred Silberstein handelt, der hier zusammen mit seiner Schwester Hansi und den Eltern Käthe und Berthold 1937 in Berlin-Lichterfelde zu sehen ist. Unter dem Foto ist eine weitere Aufnahme der Silbersteins abgebildet, auf der sie am gleichen Ort zu sehen sind, nur dieses Mal im Sommer. Hier blicken die einzelnen Familienangehörigen nicht fröhlich in die Kamera. Die Bildunterschrift datiert die Aufnahme auf

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das Jahr 1940 und erläutert: „Haft, Enteignung und Zwangsarbeit haben alle Familienmitglieder deutlich sichtbar gezeichnet.“ Als Teil einer Bildfolge verdeutlicht die Aufnahme die Auswirkungen der Verfolgung auf die Silbersteins. Als weitere Dokumente zeigt die einführende Biografie den ‚Opfer-des-Faschismus‘Ausweis Alfred Silbersteins vom September 1946 und eine Aufnahme, die ihn 1948 als Ordner im Displaced-Persons-Camp Berlin-Schlachtensee zeigt. Unter dem einführenden Porträt mit den Fotografien und den zwei Dokumenten gibt eine schriftliche Kurzbiografie Auskunft über das Leben und die Verfolgungssituation Alfred Silbersteins und seiner Familie während des Holocaust. Die biografische Skizze endet mit der Information, dass von Familie Silberstein nur die Kinder Alfred und Hansi überlebt haben und heute in Neuseeland leben. Familie Silberstein, Novemberpogrom 1938

Quelle: Cornelia Geißler

Im Themenraum ‚Rassistische Politik und Judenverfolgung in Deutschland 1933-1939‘ (Raumnummer 4) ist Familie Silberstein Teil der historischen Dokumentation. Die Ausstellung dokumentiert, teilweise orientiert am Leben der Familie Silberstein, das Novemberpogrom 1938 und den Ausschluss der jüdischen Bevölkerung aus der deutschen Gesellschaft. Das Familienfoto aus dem Jahr 1937 wird hier in einer Wandnische erneut gezeigt. Ergänzt wird es durch eine Aufnahme des Textilgeschäfts der Familie aus dem Jahr 1938. In einem abgedruckten Interviewauszug von 1996 beschreibt Alfred Silberstein, wie der Laden seiner Familie in der Nacht des 9. November 1938 „zertrümmert“ wurde.

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Sein Vater wurde in Haft genommen, und als er sechs Wochen später zurückkam, so der Sohn Alfred, „erkannten wir ihn kaum wieder. Sein Geist war gebrochen.“ Der zitierte Erinnerungsbericht verdeutlicht die Folgen der Verbrechen und wird als einer jener „zerbrochenen Lebensläufe der jüdischen Opfer“ (Kampe 2006c, 8) sichtbar, die die Gedenkstätte in ihr neues Ausstellungskonzept einschließt. Das Zitat veranschaulicht die Zerstörung der Lebensgrundlage der Familie, stärker noch die Gewalt, die dem Vater Silberstein von nichtjüdischen Deutschen angetan wurde. Die Aussage wird unterstrichen durch die beiden Privataufnahmen, die die Familie und ihr Textilgeschäft unzerstört zeigen. Der in den Ausstellungsbereich eingefügte biografische Einblick legt den Besuchenden eine Perspektive nahe, die die dokumentierte „Ausschaltung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben“ in ihren Auswirkungen auf die Opfer der Verfolgungspraktiken zeigt. Direkt neben dem zitierten Erinnerungsbericht Alfred Silbersteins in Themenraum 4 ist eine farbige Zeitungsannonce abgebildet, die eine zufriedene Frau an einem Tisch mit Leinen zeigt und „Grünfeld in deutschem Besitz“ titelt. Das Täterdokument belegt die ‚Arisierung‘ des Berliner Leinenhauses Grünfeld und die Verdrängung der jüdischen Bevölkerung aus dem Wirtschaftsleben, über die vertiefend eine Lesemappe informiert. Die Ausstellung zeigt auf diese Weise den sozialen und ökonomischen Vorteil der Profiteure des Holocaust. Die Auswirkungen des sich mit dem Novemberpogrom verschärfenden NS-Terrors auf die jüdische Bevölkerung spiegeln sich in der Zeitungsannonce nur in der Abwesenheit der aus dem öffentlichen Leben verdrängten Jüdinnen und Juden wider. Die Integration der Zeugnisse der Familie Silberstein ist eine jener Stellen der Ausstellung, die deutlich machen, wie notwendig es ist, Täterdokumente durch andere Quellen ins richtige Licht zu rücken. Die Silbersteins tauchen an sechs Stellen des Ausstellungsbereichs auf. In Themenraum ‚Integration und Antisemitismus in der Weimarer Republik‘ (3) wird die Familie im Raumabschnitt ‚Berufs- und Sozialstruktur der deutschen Juden‘ vorgestellt. Diesem folgt das oben angesprochene biografische Fragment in Themenraum 4. In dem gegenüberliegenden Villenflügel, im Raum 10, ist schließlich noch ein Foto Alfred Silbersteins und seiner Frau aus dem Jahr 2000 zu sehen, das die beiden bei einem Besuch der Wannsee-Villa zeigt, in der er als Jugendlicher während des Nationalsozialismus Zwangsarbeit leistete. Postkarten von Käthe Silberstein aus Theresienstadt und von Hansi Silberstein aus Auschwitz-Birkenau, Vordrucke der SS, werden in den Themenräumen ‚Die Ghettos‘ (12) und ‚Konzentrations- und Todeslager‘ (13) gezeigt, bei denen jedoch äußerst fraglich ist, ob sie die ‚Sicht der Opfer‘ wiedergeben, die die Gedenkstättenausstellung in den Themenräumen nachzeichnen möchte (vgl. Kampe 2006b, 7). In dem die Präsentation abschließenden Themenraum ‚Die Gegenwart der

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Vergangenheit‘ (15) hält Alfred Silberstein auf einem Foto seinen Unterarm mit der tätowierten Häftlingsnummer in die Kamera. Er wird mit den Worten zitiert: „Es dauerte mindestens sechs Monate nach meiner Befreiung, bis ich sagen konnte, ‚ja ich bin frei‘. Ich trug andere Kleidung. Mein Haar war wieder gewachsen. Ich hatte keinen Hunger mehr. Aber ich traute niemandem.“ Wie bei allen in der Ausstellung vorgestellten Familien ist in den jeweiligen Dokumententexten der Familienname mit einem hellblauen Schriftzug hervorgehoben. Dieser ‚blaue Faden‘ verbindet die zu Beginn vorgestellten Familien durch die verschiedenen Themenräume hindurch. Esther Reiss, Ghetto Lodz

Quelle: Cornelia Geißler

Das zentrale Zeitzeugeninterview in der Präsentation handelt von Esther Reiss aus Łódź, die als Einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt hat und 1946 nach Palästina ausgewandert ist. Ihre Erfahrungen werden vor allem anhand von Monitoreinspielungen vermittelt.24 In Themenraum ‚Die Ghettos‘ (12) berichtet sie über die Enteignung und den Zwangsumzug ihrer Familie in das Ghetto Lodz (‚Litzmannstadt‘ unter deutscher Besatzung), über ihren schrecklichen Hunger, über Zwangsarbeit, den Tod ihres Bruders und Massentransporte aus dem Ghetto

24 Die Interviewauszüge von Esther Reiss, die in der Gedenkstätte gezeigt werden, wurden von der Gedenkstätte Bergen-Belsen aufgezeichnet (vgl. Kampe 2008).

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in die Vernichtungslager. Die beiden Monitore mit den Sequenzen des Zeitzeugeninterviews sind sowohl dem Raumtext als auch dem Raumabschnitt ‚Alltag im Ghetto‘ zugeordnet und an einem Wandabschnitt angebracht, der bis auf eine geografische Karte zur Veranschaulichung des Ghetto-Systems und ein Foto von Esther Reiss (zusammen mit Chaim Rumkowski, dem Vorsitzenden des Judenrats im Ghetto) leer ist. Eine weitere Monitoreinspielung, in der sie über ihre Erfahrungen in Auschwitz und Bergen-Belsen berichtet, wird im Themenraum ‚Zwangsarbeit und Tod im KZ‘ (14) gezeigt. Der Monitor erhält auch hier innerhalb des Wandarrangements einen prominenten Platz und ergänzt Selbstzeugnisse, die die Opferperspektive auf den Terror in den Konzentrations- und Todeslagern vermitteln. Rechts neben dem Monitor im Raumabschnitt ‚Tod, Überleben und Selbstbehauptung‘ veranschaulichen Zeichnungen von Häftlingen aus unterschiedlichen Lagern die Themen Appell, Baracke, Zwangsarbeit, Selektion, Hunger, Strafe, Unterstützung und Tod. Auf der linken Seite grenzt der Monitor an das Abschnittsthema ‚Widerstand in Todes- und Konzentrationslagern‘. Gezeigt werden vier Aufnahmen, die Angehörige des Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau heimlich von dem Krematorium V aufnehmen und aus dem Lager schmuggeln konnten. Die Schicksale vier Überlebender und ihrer Familien, von denen ich zwei zur Untersuchung ausgewählt habe, sind an mehreren Stellen des Ausstellungsrundgangs in die historische Präsentation integriert. Anhand von Erinnerungsberichten und privaten Fotografien, die zwischen Täterdokumenten ausgestellt sind, werden die Gesichter, Namen und Stimmen verfolgter und ermordeter Juden aus Europa vernehmbar.25 Die persönlichen Verfolgungserfahrungen von Esther Reiss unterscheiden sich aufgrund ihrer Präsentation als Monitoreinspielung mit Ton und bewegtem Bild von den anderen drei Lebensläufen, aber auch von der

25 Ein knapper Überblick über die beiden anderen in der Ausstellung porträtierten Überlebenden und ihrer Familien: Zwei Fotos von Eugenia Tabaczynska aus Kłodawa (Polen), die als Einzige ihrer Familie überlebt hat und 1947 in die USA emigriert ist, finden Besuchende im Themenraum 6. Beide Aufnahmen sind dem Raumthema ‚Selbstbehauptung‘ zugeordnet und zeigen Tabaczynska 1942 im Ghetto Warschau und 1946 im Ghetto Lodz (Łódź). Dann taucht sie im Themenraum zu den Ghettos wieder auf, wo ihr Arbeitsausweis der Firma Schultz & Co gezeigt wird. Alexandre Halaunbrenner, der zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester die Verfolgung überlebt hat, begegnet den Besuchenden erst in Themenraum 11; hier sind ein Hörtext mit einem Interview mit Halaunbrenner, ein Familienfoto der Halaunbrenners und ihre auf einer Deportationsliste nach Auschwitz hervorgehobenen Namen in die Dokumentation integriert.

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Gesamtpräsentation der Ausstellung, die ansonsten nur wenige Monitore und Hörstationen einsetzt. Insgesamt heben sich die biografischen Fragmente jedoch kaum von den anderen präsentierten Dokumenten ab, und es ist fraglich, inwiefern sie Besuchenden auffallen und ob diese ferner bemerken, dass es sich um die im Foyer anhand von Kurzporträts vorgestellten Familienangehörigen handelt. Die totale Vernichtung wird in den Lücken des biografischen Materials offensichtlich und setzt der Idee, anhand von sich durch den Ausstellungsbereich ziehenden Lebensgeschichten die historischen Ereignisse zu verdeutlichen, Grenzen. Die biografischen Fragmente sind, anders als die zu Beginn vorgestellten Kurzporträts der Familien, nicht Ausgangspunkt der Dokumentation, sondern dienen hier der Veranschaulichung einzelner Themen. Sie werden von biografischen Fragmenten anderer, nicht zum Ausstellungsbeginn porträtierter Personen ergänzt. Die biografische Darstellung ist jedoch nicht der zentrale Dokumentationsmodus der Ausstellung, die in erster Linie Täterdokumente zeigt. Deren punktuelle Korrektur während des Ausstellungsrundgangs durch Selbstzeugnisse der Opferseite ist wichtig, weil diese Informationen vermitteln, die in Statistiken und Massenmordabbildungen nicht enthalten sind: Durch die Opferperspektive werden die Handlungen der Täter ungeschminkt aufgezeigt, gleichzeitig wird so der Tatkomplex in seinen Auswirkungen auf Einzelne und Familien verdeutlicht. 3.3.3 Konferenzraum und Täterbiografien Blickfang des Themenraums ‚Die Wannsee-Konferenz‘ (9) ist ein großer, massiver Vitrinentisch aus Holz in der Raummitte, der die sonst übliche Raumbespielung des Ausstellungsrundgangs durchbricht. Das Ausstellungsmobiliar zitiert den nicht mehr erhaltenen historischen Tagungstisch, ist aber als nachträgliches Gestaltungselement erkennbar. Damit wolle die Gedenkstätte, so der ehemalige Leiter Kampe, den Eindruck vermeiden, es handele sich um den Originaltisch der Konferenz. Es sei wichtig gewesen, „nicht zu inszenieren“ (Kampe 2010). Mit dieser Darbietungsform unterscheidet sich der Konferenzraum von den anderen Ausstellungsräumen. Unter der Glasoberfläche des Vitrinentischs liegt ein Faksimile des Wannseeprotokolls Seite für Seite zum Lesen bereit. Neben den Faksimiles aus gelblichem Papier befindet sich eine englische Übersetzung der jeweiligen Protokollseite auf weißem Papier. An der Fensterseite des Raums, die zum Wannsee zeigt, visualisiert eine Wandkarte die am Tag der Besprechung bestehende Aufteilung Europas.

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Themenraum ‚Wannsee-Konferenz‘

Quelle: Moshe Shati

Im Ausstellungsraum ist die Perspektive jener Menschen, deren Schicksal auf der Konferenz verhandelt wurde, ganz abwesend. Die Dokumentation bezieht sich allein auf die Besprechung, das überlieferte Protokoll und die teilnehmenden Täter. Im einführenden Raumtext wird das ehemalige Speisezimmer der Villa als Konferenzraum ausgewiesen.26 Das Textende macht darauf aufmerksam, dass die Entscheidung, den seit Juni 1941 stattfindenden Massenmord zu einem „systematischen Völkermord an allen europäischen Juden auszuweiten“, bereits vor der Konferenz getroffen worden war. Auch mit der Gestaltung des Raums versucht die Gedenkstätte zu verdeutlichen, dass die Wannsee-Konferenz nicht die „Entscheidungskonferenz“ (ebd.) war. Kampe führt im Interview das großformatige Organigramm an, das die

26 Die Raumtafel enthält keinen Hinweis darauf, dass nicht mit letzter Sicherheit belegt ist, ob die Arbeitsbesprechung tatsächlich in diesem Raum stattgefunden hat (vgl. Kampe 2010; Schikorra 2009). Ein solcher Hinweis ist nach Meinung der Verfasserin auch nicht notwendig, denn die räumliche Repräsentation der Besprechung hat auch ohne die Frage nach Authentizität Geltung. Für die vorliegende Untersuchung ist dieser Aspekt aber insofern von Bedeutung, als die meisten Schülerinnen und Schüler in diesem Raum versuchen, sich in das Konferenzgeschehen hineinzuversetzen (vgl. Kap. 5.2.2). Gerade hier wird der Mythos Authentizität deutlich.

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Konferenzteilnehmer in das NS-Behördengefüge einordnet und das den Mittelpunkt des zentralen Wandarrangements bildet. Die hier verdeutlichten „Hierarchieebenen und die Fotos von den Teilnehmern“ stehen für folgenden Wunsch der Verantwortlichen des Hauses: „Wir hoffen, dass wir so auch sich zäh haltenden Legenden entgegenwirken können, dass Hitler an der Wannsee-Konferenz teilnahm.“ (ebd.) Die an der Besprechung mitwirkenden Männer werden auf dem Organigramm namentlich genannt und mit je einem großformatigen Schwarz-Weiß-Foto (40 × 40 cm) ihren Ministerien und Organisationen zugeordnet. Ihre Namen werden in der gesamten Ausstellung in rosa hervorgehoben, was aber kaum auffällt. Um das Organisationsschaubild herum sind politische Kurzbiografien der 15 Männer angebracht, ergänzt durch die gleichen Fotos, aber in einem kleineren Format. Linkerhand befinden sich die Biografien der Parteifunktionäre und rechterhand die der Ministerialbeamten. Wie Schikorra ausführt, zeige sich der Ansatz der Ausstellung, nicht „das Leben der Täter zu schildern, sondern die Täter in ihrem Wirken und ihrem verbrecherischen Tun zu zeigen“, in der „sehr sachlichen und formal einheitlichen Form in der Darstellung der Kurzbiografien“ (Schikorra 2009). Diese Lebensläufe stellen die Konferenzteilnehmer in ihrem beruflichen und politischen Werdegang vor, benennen ihre Tätigkeitsfelder und fragen danach, welche der Verbrechen sie jeweils zu verantworten haben. Die Kurzbiografien, die in ihrer Gestaltung an Steckbriefe erinnern, schließen mit einer knappen Information über die Karrieren der Konferenzteilnehmer nach 1945. Auf diese Weise erhalten die Besuchenden einen Eindruck von der Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre: Gut einem Drittel der Konferenzteilnehmer gelang das Verbergen hinter einer neuen bürgerlichen Fassade nahezu bruchlos.27 Die Präsentation am Organigramm macht die unterschiedliche Funktion von Täter- und Opferbiografien in der Ausstellungskonzeption deutlich: Bei den Konferenzteilnehmern geht es darum, sie als gut ausgebildete Menschen in ihrem arbeitsteiligen Beitrag am Massenmord zu zeigen, während die Opfer ihrer Verbrechen durch die Einbeziehung ihres Privatlebens als Personen sichtbar werden. Die Kurzbiografien der Täter werden auf der rechten Seite durch eine Fotografie ergänzt, die das Speisezimmer der Villa im Jahr 1922 zeigt.28 Auf der linken Seite werden die Lebensläufe ergänzt um die tabellarische Auflistung (im

27 Zur Nachkriegszeit und der (ausbleibenden) strafrechtlichen Täterverfolgung siehe: Korn (2003). 28 Ein Foto des Raums aus der Zeit als Gästehaus des SD existiert nicht.

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Großformat) der nach den Vorstellungen der Konferenzteilnehmer zu ermordenden jüdischen Gemeinden, so wie es auch im Protokoll festgehalten ist. Im Übergang zum angrenzenden Wintergarten (Themenraum 10: ‚Konferenzteilnehmer und Protokoll nach 1945 und Hausgeschichte‘) sind eine Marmorsäule und ein Marmorspringbrunnen aus der Zeit vor der Konferenz erhalten – so ist es auch auf der historischen Aufnahme des ehemaligen Speisezimmers der Villa aus den 1920er Jahren zu sehen. Im Wintergarten selbst finden sich, neben einer knappen Darstellung der Hausgeschichte, Informationen zur Rezeption der Konferenz nach 1945 sowie phonografische Auszüge aus dem Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem. Wurde bereits in der Vorgängerausstellung die historische Besprechung chronologisch in die ihr voraus- und nachgegangenen Verfolgungsmaßnahmen eingeordnet, beleuchten heute die vor dem Konferenzraum liegenden Themenräume die Entwicklung hin zum Massenmord viel stärker. Themenraum 7, ein schlauchförmiger Gang, in dem die Dokumentendichte der Ausstellung augenscheinlich wird, behandelt den ‚Weg zum Massenmord‘ anhand von Filmsequenzen und schriftlichen Dokumenten. Der Raum dokumentiert die vor der Konferenz einsetzenden Deportationen der jüdischen Bevölkerung und Hitlers antisemitische Weltanschauung. Der Raum fragt zudem anhand von Zeitungsartikeln aus den Jahren 1940 und 1941 sowie anhand von Wochenschauauszügen und Filmsequenzen, was die Bevölkerung von dem Vertreibungs- und dem beginnenden Mordprogramm an den jüdischen Nachbarinnen und Nachbarn wusste. Die Einladung zur Besprechung am Wannsee und die teilnehmenden Behörden werden in Themenraum 8 behandelt, der den Schriftverkehr der Täter in den Mittelpunkt rückt. Die Konferenzteilnehmer sind den jeweiligen Ämtern zugeordnet, die sie vertreten haben. Schon hier kann man sich mit dem Ausmaß der staatlichen Beteiligung an der Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden auseinandersetzen und sich ein Bild über die Zusammenarbeit von SS und Polizei mit Zivilbehörden wie dem Auswärtigen Amt machen. Eine Personalisierung der Koordination des Massenmords wird nicht vorgenommen, da sich die Darstellung der Wannsee-Konferenz nicht auf den Konferenzraum selbst sowie Einzelentscheidungen oder -handlungen der Teilnehmer beschränkt. Das Zusammenfügen von Struktur- und Individualgeschichte, das die gesamte Präsentation auszeichnet, kommt auch bei der Behandlung der historischen Besprechung deutlich zum Ausdruck. Durch Einbeziehung anderer Beteiligter sowie mitwissender Gruppen und Institutionen – Wehrmacht, Polizei, deutsche Behörden in den besetzten Gebieten – setzt sich schließlich ein komplexes Bild zusammen, das zeigt, wie der systematische Massenmord so reibungslos funktionieren konnte.

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3.3.4 Die Vergangenheit in der Gegenwart Die in der Ausstellung porträtierten Familien, die Kurzbiografien der Konferenzteilnehmer sowie die Hausgeschichte geben auch Auskunft über die Zeit nach 1945. Explizit dokumentieren diesen Zeitraum jedoch der die Ausstellung schließende Themenraum (15) sowie in mehrere Themenräume integrierte sogenannte ‚Zeitfenster‘ – zumeist drehbare Ausstellungstafeln, deren Vorderseite Teil der historischen Dokumentation ist und deren Rückseite Einblicke in den gesellschaftspolitischen Umgang mit dem Judenmord nach 1945 gibt. Im Themenraum ‚Krieg und Völkermord im östlichen und südöstlichen Europa‘ (5) zeigte bis vor Kurzem die Vorderseite einer Ausstellungstafel zum Thema ‚Vernichtungskrieg‘ eine historische Schwarz-Weiß-Aufnahme, auf der die Szene einer Massenerschießung von Jüdinnen in Dubăsari (Dubossary, Moldawien) durch ein Kommando der Einsatzgruppe D am 14. September 1941 abgebildet ist.29 Das Mordkommando ist auf dieser Aufnahme deutlich zu sehen. Die jüdischen Opfer hingegen, auf die die bewaffneten Männer zielen, ich komme darauf zurück, lassen sich auf dem unscharfen Bild nur schwer ausmachen. Berührte man die Ausstellungstafel mit dem Foto aus Dubăsari, drehte sie sich um die eigene Achse, sodass die Rückseite zum Vorschein kam – ein ‚Zeitfenster‘. Die Rückseite bildete zwei Berichte der Süddeutschen Zeitung vom 24. September 1974 ab. Unter der Überschrift „Späte Sühne für Morde an Juden“ und „Wegen tausendfachen Judenmordes vor Gericht“ berichten die Artikel über einen Strafprozess gegen zwei Angehörige der Einsatzgruppe D wegen Beihilfe zum Mord. Die beiden SS-Soldaten – ihr Prozess ist eine Ausnahme; in der Bundesrepublik wurden die Mörder überwiegend nicht verfolgt – wurden unter anderem wegen ihrer Beteiligung an der Massenexekution in Dubăsari zu vier bzw. fünf Jahren Haft verurteilt.

29 Diese Aufnahme, die häufig in Ausstellungen über den Holocaust gezeigt wird, ist von der Gedenkstätte mittlerweile durch neues Bildmaterial ersetzt worden. Heute (2014) zeigt die Tafel eine Szene aus dem Ort Dubno (Ukraine). Die vorher zu sehende Szene wird auch im Ort der Information im Denkmal für die ermordeten Juden Europas gezeigt. In Kapitel 5, Abschnitt ‚Schreckensbilder‘, wird auf ihre Rezeption eingegangen (vgl. Kap. 5.2.1).

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Vorderseite ‚Zeitfenster: Vernichtungskrieg‘ vor Umgestaltung (2009)

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‚Zeitfenster‘ (ehemals Rückseite) nach Umgestaltung (2014)

Quelle: Cornelia Geißler

Das ‚Zeitfenster‘, das heute in veränderter – nüchterner und nicht drehbarer – Form Teil dieses Ausstellungsraums ist, gibt den Blick frei auf die Vergangenheitspolitik der 1970er Jahre. Besuchende erhalten einen flüchtigen Eindruck von einer der wenigen strafrechtlichen Verfolgungen von Einsatzgruppenangehörigen, die an den Massenexekutionen beteiligt waren und auf die das individuelle Strafrecht angewendet wurde. Über den Alltag in der bundesdeutschen Gesellschaft der 1960er und 1970er Jahre, wie ihn Joseph Wulf, der Initiator des Gedenkstättenprojekts am Wannsee, ebenfalls 1974 im oben zitierten Brief an seinen Sohn schildert, über die in fast allen Fällen unterlassene Verfolgung der Täter bzw. über den kollektiven Charakter der Verbrechen gibt dieses ‚Zeitfenster‘ allerdings keinen Aufschluss. Das dem Massenmord an den sowjetischen Jüdinnen und Juden zugeordnete Gegenwartselement im Themenraum 5 ist eines von mehreren ‚Zeitfenstern‘, die in der Ausstellung über das Jahr 1945 hinausreichen: Die ideologisch-personellen Kontinuitäten eines Finanzbeamten thematisiert ein ‚Zeitfenster‘ im Themenraum ‚Deportationen‘ (11) unter dem Titel „Staatlich organisierter Raub“;30 im Themenraum ‚Die Ghettos‘ (12) wird das Warschauer Ghetto durch die populäre Aufnahme von Willy Brandts Kniefall am Denkmal der Helden des Ghettos in Warschau dokumentiert; in dem Themenraum ‚Konzentrations- und Todesla-

30 In diesem ‚Zeitfenster‘ wird die staatliche Beteiligung am Beispiel des Finanzbeamten Josef Krüppel aufgezeigt, der sowohl für den Einzug des Eigentums von Jüdinnen und Juden im Zuge ihrer Deportation (anhand sogenannter Vermögenserklärungen) als auch nach 1945 für die Rückerstattungsanträge zuständig war.

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ger‘ (13) werden zwei Aufnahmen von der heutigen Gedenkstätte des Vernichtungslagers Belzec in Polen gezeigt. Die ‚Zeitfenster‘ sind eine Möglichkeit, mittels Drehelementen Gegenwartsbezüge in die Ausstellung einzubauen, ohne den Wänden weitere Dokumente hinzuzufügen. Sie ermöglichen es, geschichtliche Ereignisse und Zusammenhänge zu visualisieren und miteinander zu verschachteln. Die Auswahl der Dokumente ist gerade dort gelungen, wo die Beteiligung staatlicher Institutionen wie der Finanzämter an den Enteignungen der jüdischen Deportierten gezeigt wird. Im Hinblick auf die Funktion von Gedenkstätten, nicht nur der Ermordeten zu gedenken und über die historischen Ereignisse zu informieren, sondern auch das nationale Selbstbild zu formen, erfüllen die ‚Zeitfenster‘ einen weiteren Zweck: In ihrer aktuellen Auswahl von Gegenwartsaspekten dienen sie auch dazu, die erfolgreichen Aufarbeitungsbemühungen der Bundesrepublik zu präsentieren; die Betrachtenden können sich nach den verstörenden Eindrücken, die die Ausstellung hervorruft, versichern, dass jetzt wieder alles in Ordnung sei, wenn einmal mehr der damalige Bundeskanzler Brandt kniend auf dem historischen Gelände des Warschauer Ghettos gezeigt wird. Mit den ‚Zeitfenstern‘ werden einzelne Täter, Strafprozesse in der frühen Bundesrepublik und das heutige Holocaust-Gedenken thematisiert, während jüngere Auseinandersetzungen um Entschädigungszahlungen oder Aussagen von den verfolgten Jüdinnen und Juden fehlen, ähnlich wie schon im historischen Konferenzraum. Ein anderer problematischer Aspekt ist, dass die Drehelemente Assoziationen wie Spielen, Unterhalten oder Zerstreuen hervorrufen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das oben erwähnte und mittlerweile entfernte Drehelement im Themenraum 5 zu nennen. Hier musste die Aufnahme einer Massenerschießung gedreht werden, wollte man einen Einblick in den Zeitraum nach 1945 erhalten. Es ist aber grundsätzlich zu fragen, ob nicht der spielerische Effekt der ‚Zeitfenster‘ die beabsichtigte inhaltliche Vermittlung, wenn auch ungewollt, in den Schatten stellt. Die Frage nach den in die Ausstellung integrierten Gegenwartsbezügen kurz verlassend lässt sich an dem Ausstellungsarrangement, in dessen Mitte die Massenerschießung in Dubăsari mit dem ‚Zeitfenster‘ zur strafrechtlichen Verfolgung zweier daran Beteiligter eingefügt war, der neue Umgang des Hauses mit fotografischen Quellen verdeutlichen.31 Nicht nur wurde das Drehelement entfernt, auch die Abbildung wurde ersetzt. Durch die vorgenommene Umgestaltung rücken die bereits zuvor an diesem Arrangement gezeigten Fotos von der Schlucht von Babi Yar in der Ukraine stärker in den Blick, wo Mitglieder der

31 Zum Umsturz des vorangegangenen Präsentationskonzepts siehe Kap. 3.2.1.

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Einsatzgruppe C an zwei Tagen (29./30. September 1941) über 30.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus Kiew und Umgebung erschossen haben. Babi Yar, li. v. Ausstellungssegment in heutiger Form

Quelle: Cornelia Geißler

Während die Aufnahme von Dubăsari die ermordeten Jüdinnen zeigte, jedoch lediglich als schemenhafte Masse, ist dies bei den Aufnahmen von Babi Yar nicht der Fall: Auf einem Farbfoto sind Kleidungsstücke in einer Grube zu sehen, ein zweiter Fotoausschnitt zeigt rote Kinderstiefel.32 Das historische Ereignis und die faktische De-Individualisierung der Opfer der Massenvernichtung sollen sich den Besuchenden anhand der im Bild festgehaltenen Szenen nach der Massenerschießung über das Individualisierungsmerkmal ‚Kinderschuhe‘ vermitteln. Die Fotos selbst bilden die jüdischen Opfer nicht ab, trotzdem wird auf den Aufnahmen deutlich, dass ein Massaker stattgefunden hat. Sie werden neben weiteren Abbildungen von Demütigungen und Massenmord gezeigt, die von Tätern oder Zuschauern stammen.33

32 Aufnahmen aus dieser Serie werden auch im Ort der Information des Denkmals an der ‚Zeitleiste‘ zu Beginn der Ausstellung gezeigt. 33 Die jeweiligen Objekttexte geben Hintergrundinformationen. Weitere schriftliche und fotografische Quellen auf mehreren Ausstellungstafeln sowie eine Hörstation ergänzen das Wandarrangement, in das das ‚Zeitfenster‘ eingefügt war.

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Die Fotos von Babi Yar stehen beispielhaft für das Anliegen der Gedenkstätte, die Vernichtung zu dokumentieren, ohne dabei die Ermordeten in der Darstellung erneut zu demütigen. Wer die Opfer des Massakers von Babi Yar sind, erschließt sich aus den Abbildungen selbst nicht, vielmehr wird mit dieser in der Gedenkstätte neuen Fotoreihe zu Babi Yar abstrakt personalisiert. Den notwendigen Kontext bildet das Wandarrangement, dem die Fotos zugeordnet sind und das mit unterschiedlichen Dokumenten von dem Vernichtungskrieg in der ehemaligen Sowjetunion berichtet. Um die fotografischen Quellen von Babi Yar selbst deuten zu können, sind die Betrachtenden nicht nur auf das gesamte Ausstellungsarrangement als deren Kontext, sondern auch verstärkt auf die Bildunterschrift, auf ihr Vorwissen oder auf die Guides angewiesen, sodass sie auf die Ermordeten und noch zu Ermordenden schließen können. Mit der gegenüber der Vorgängerausstellung veränderten Präsentationsform der Massenerschießung sollen die ermordeten Personen in ihrem Menschsein erinnert werden. Es ist zu begrüßen, dass das bis dahin als Blickfang des oben beschriebenen Ausstellungsarrangements deplatzierte Drehelement ‚Zeitfenster‘ entfernt und die Fotografie ersetzt wurde. Denn die Thematisierung des Massenmords und der Strafverfolgung Anfang der 1970er Jahre kommt ohne spielerisches Drehen und ohne diese häufig gezeigte visuelle Quelle aus. Der Trend zur Personalisierung wird mit der veränderten Präsentationsweise insofern fortgesetzt, als da, wo das ‚Zeitfenster‘ in seiner alten Form angebracht war, heute die Aufmerksamkeit stärker auf die Fotos des Massakers von Babi Yar gelenkt wird, die nicht die Masse der Ermordeten, sondern die von ihnen zurückgebliebene Kleidung zeigen. Die vorgenommene Überarbeitung in diesem Themenraum geht möglicherweise auf das Anliegen der Gedenkstätte zurück, die ermordeten Jüdinnen und Juden in der musealen (Re-)Präsentation nicht auf eine ‚amorphe Masse‘ reduzieren zu wollen. Hierin liegt wohl auch die Erklärung für den Verzicht auf das vormalige Drehelement an diesem Wandabschnitt, denn der spielerische Umgang mit der Aufnahme wurde diesem Anliegen nicht gerecht.

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Joseph Wulf (1912-1974)

Quelle: Cornelia Geißler

Im letzten Themenraum ‚Die Vergangenheit der Gegenwart‘ (15) verdeutlichen Zitate von Holocaust-Opfern, von ihren Kindern und ihren Enkelinnen und Enkeln, die zusammen mit Fotos vorgestellt werden, die erlittenen Traumata und ihre innerfamiliäre Weitergabe. Neben Alfred Silberstein begegnet den Besuchenden hier auch Esther Reiss wieder. Aus den Zitaten sticht die Aussage Joseph Wulfs hervor, in der er die in den 1970er Jahren noch vorherrschende Ignoranz gegenüber Holocaust-Dokumentationen sowie personelle Kontinuitäten kritisiert, da sie sich als eine der wenigen auf den – frühen – gesellschaftlichen (Nicht-)Umgang mit dem Holocaust in der Bundesrepublik bezieht. An der gegenüberliegenden Raumwand werden Zitate von Täternachkommen (nicht von den Tätern selbst) gezeigt, die ebenfalls durch Fotos ergänzt werden und Einblicke geben in Täterfamilien nach 1945. Die in dem abschließenden Ausstellungsbereich präsentierten Aussagen sollen, so Elke Gryglewski, die für diesen Raum Verantwortliche, „eine Anregung sein, über Folgen nachzudenken, die die nationalsozialistischen Verbrechen bis in die heutige Zeit haben“ (Gryglewski 2006, 176). Folgen für wen? Weil die Ausstellung am Wannsee Täter behandelt und in Deutschland gezeigt wird, bietet es sich zwar an, am Ausstellungsende die Lebenswelt von Angehörigen einiger der Massenverbrecher zu thematisieren. Allerdings scheint in der gewählten Präsentationsform die notwendige Frage, wie Opfer und ihre Nachfahren mit dem Trauma der Verfolgung und dem Verlust von Menschenleben in ih-

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ren Familien umgehen, auf die Täterseite übertragen worden zu sein. Dabei bleibt in diesem Themenraum unerwähnt, dass in vielen Täterfamilien bis heute nicht über die Verstrickung in die Verbrechen gesprochen wird. Zudem legt der Fokus auf das Subjektive nahe, die objektiv völlig unterschiedliche Situation von Opfern, ihren Familien sowie Täternachfahren in der Rezeption gleichzusetzen. Ein weiterer problematischer Aspekt ist, dass die Auseinandersetzung mit der Tatgesellschaft, die in der Ausstellung vereinzelt von den ‚Zeitfenstern‘ aufgegriffen wird, in diesem abschließenden Raum anhand von Familiengeschichten geschieht und damit einer privaten Ebene zugeordnet wird. Eine Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust sollte aber nicht auf den privaten Bereich beschränkt sein. Zu begrüßen wäre gewesen, hätte die Ausstellung die gesellschaftliche Auseinandersetzung genauso stark gemacht, beispielsweise mit dem Hinweis auf politisches Engagement gegen Rechts. Mit der Thematisierung des im letzten Raum verdichteten Leids von Überlebenden und ihren Nachkommen, das im gesamten Ausstellungsbereich ohnehin erkennbar ist, wird pädagogisch zu vermitteln versucht, was der Dokumentation als Ganzer vielleicht nicht zugetraut wurde. Mitunter wären die zitierten Erfahrungen von Holocaust-Überlebenden besser, sieht man für einen Moment vom vorgegebenen spielerischen Effekt des Drehformats ‚Zeitfenster‘ ab, neben den und kontrastierend zu den juristischen, politischen und gedenkenden Bewältigungsbemühungen nach 1945 aufgehoben gewesen, also verteilt über den gesamten Ausstellungsbereich. Dann wäre am Ausstellungsende Platz gewesen, auf gesellschaftlich relevante Gegenwartsbezüge hinzuweisen – beispielsweise auf geschändete jüdische Friedhöfe, wie es in der Vorgängerausstellung der Fall war; Antisemitismus hat in Deutschland an Aktualität leider nichts verloren. Doch das Anliegen der Gedenkstättenmitarbeitenden, die Dokumentation der historischen Ereignisse nicht mit 1945 enden zu lassen, entlässt die Ausstellungsbesuchenden nicht mit einem klaren Blick auf die gesellschaftspolitische Gegenwart, der von den Kuratierenden vielleicht als zu anklagend empfunden wurde, sondern mit einem unklaren Reflexionsangebot auf der individuellen Ebene.

3.4 Z WISCHENRESÜMEE : B IOGRAFISCHE F RAGMENTE DER O PFER IN DER HISTORISCHEN D OKUMENTATION Im Mittelpunkt der ständigen Ausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz steht der historische Ort oder genauer: der historische Täterort. Die Ausstellung folgt einem ausgeprägten dokumentarischen Ansatz. Ihr zentraler inhaltlicher und ge-

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stalterischer Referenzpunkt ist die in diesem Gebäude abgehaltene Arbeitssitzung über die ‚Endlösung der Judenfrage‘ und das von ihr überlieferte Protokoll. Zu den ausstellungsdidaktischen Grundsätzen zählen die historische Kontextualisierung, der Dokumentationscharakter und die Verbindung von Struktur- und Individualgeschichte. Der Ausstellungsbereich ist insgesamt zurückhaltend gestaltet, um nicht vom großbürgerlichen Charakter der Villa am Großen Wannsee abzulenken. Insbesondere im Ausstellungsraum zur Konferenz selbst hebt die Gestaltung bewusst die Historizität des Gebäudes und des Raums hervor. Die Ausstellungsräume sind hell, die freigehaltenen Fenster ermöglichen Ausblicke auf den großzügigen Garten und den Wannsee. Als Informationsträger dienen Tafeln, die mit deutlichem Abstand vor den Raumwänden angebracht sind und dadurch die Funktion des Gebäudes als zentrales Exponat unterstreichen. Außer im ausgewiesenen Konferenzraum, in dem eine Reproduktion des Konferenzprotokolls in einer tischförmigen Vitrine präsentiert wird, kommt die Ausstellung ohne Ausstellungsmobiliar aus. Auf den Tafeln sind ausschließlich zweidimensionale Exponate – Dokumente, Fotos, Zeichnungen, Zitate, Texte – als Reproduktionen abgebildet. Die Ausstellung, deren Schwerpunkt Täterquellen in Schrift- und Bildform sind, zeichnet sich durch eine große Materialfülle aus. Die hohe Dokumenten- und Textdichte ist eines der signifikantesten Merkmale der Präsentation. Die Menge an schriftlichen Quellen unterstreicht den dokumentarischen Charakter der Ausstellung und steht für eine nüchterne und sachliche Wissensvermittlung. Im Gegensatz zur Vorgängerausstellung werden die Exponate zusammen mit ausführlichen Kommentaren sowie mit detaillierten Orts-, Personen- und Zeitangaben präsentiert. Lesemappen als vertiefende Informationsebene heben den Eindruck einer enzyklopädischen Ausstellung nicht auf, sondern verstärken ihn. Die zweireihige Anordnung der Ausstellungstafeln lässt zudem unterschiedliche Rezeptionsebenen von bspw. Haupt- und Hintergrundinformationen vermuten, die jedoch in dieser Form nicht vorhanden sind. So finden Besuchende, die sich lediglich einen Überblick über die behandelte Thematik wünschen, wenig Orientierung. Die Ausstellung folgt sowohl einer thematischen als auch einer chronologischen Gliederung. Dies ist dem Anspruch geschuldet, den historischen Kontext umfassend in die Darstellung der historischen Ereignisse einzubeziehen. Demzufolge kommt der antisemitischen und rassistischen Ideologie und Politik nicht nur nach, sondern auch vor 1933 – anders als in deutschen Gedenkstätten üblich – eine besondere Bedeutung zu. Obgleich die Wannsee-Villa selbst kein Leidensort der europäischen Jüdinnen und Juden war, über deren Schicksal in dem Gebäude bestimmt wurde, ist die Perspektive der jüdischen Opfer bzw. ihre Würdigung für die Form der Dar-

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stellung im Haus der Wannsee-Konferenz heute ein wichtiger Referenzpunkt. So greift die Gedenkstätte mit ihrer aktuellen Ausstellung – und das ist besonders auffällig – auf andere fotografische Quellen zurück als die Vorgängerausstellung. Besonders grausame, die Opfer als ‚amorphe Masse‘ zeigende Bilder werden bewusst kaum noch ausgestellt. Die meisten dieser Aufnahmen sind solchen gewichen, die die Verfolgten und Ermordeten weniger direkt abbilden. Auch die Form der Präsentation wurde modifiziert. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass von Tätern angefertigte Fotos auch die Sicht der Täter wiedergeben, wird darauf geachtet, die von ihnen festgehaltene Entwürdigung in der Darstellungsform zu vermeiden. So finden sich keine Großaufnahmen von Ermordeten oder von zu Ermordenden mehr. Insgesamt werden fotografische Quellen zurückhaltend präsentiert, durch jüdische Selbstzeugnisse kontrastiert und mit Angaben zur Überlieferungsgeschichte sowie zu Zeit und Ort der Aufnahme ergänzt. Dieser neue Umgang mit Abbildungen der Massenvernichtung folgt zum einen dem Anspruch, die Opfer des Holocaust in der musealen (Re-)Präsentation nicht erneut zu dehumanisieren. Zum anderen ist er didaktischen Überlegungen im Hinblick auf die Besuchenden geschuldet. So soll Abwehrreaktionen vorgebeugt und Sensationserwartungen entgegenwirkt werden. Diese Sensibilität gegenüber den Verfolgten einerseits und den die Gedenkstätte Besuchenden andererseits ist jedoch nicht unproblematisch. Zum einen ist das feststehende Motiv der Gedenkstättenpädagogik nicht unmittelbar einsichtig, das Zeigen von ‚Schreckensbildern‘ entwürdige diejenigen, die keines würdevollen Todes gestorben sind, notwendig erneut (vgl. Kampe 2008). Die Frage ist doch eher, wie Dokumentationszusammenhänge herzustellen sind, die das Entwürdigende der historischen Ereignisse reflexiv freilegen. Zum anderen setzt die veränderte Präsentationsweise auf ein erhebliches Vorwissen der Betrachtenden über die deutsche Vernichtungspraxis – dieses aber kann bei Weitem nicht immer vorausgesetzt werden. Wer bereits mit der Geschichte des Massenmords vertraut ist, kann die Aufnahmen, die das Grauen selbst nicht direkt zeigen, sondern personalisierend andeuten, möglicherweise lesen und entschlüsseln. Wer sich damit noch nicht oder nur oberflächlich beschäftigt hat, ist in der Ausstellung verstärkt auf schriftliche Bildkommentare oder die Erläuterungen von Guides angewiesen oder muss die ‚neuen‘ Abbildungen mit anderen Präsentationsmitteln in Bezug setzen. Die so gesehene Verschiebung der Massenverbrechen von der visuellen auf die textliche Ebene läuft möglicherweise darauf hinaus, dass wichtige Informationen über den deutschen Genozid an den Jüdinnen und Juden – weil in die Bilder kommentierender Textform – weit weniger wahrgenommen werden. Zudem werden die Aufnahmen durch ihr Aussortieren aus der Präsentation tendenziell aus dem visuellen Gedächtnis ausgeschlossen. Dies kann aber langfristig

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nicht, ohne gegen einen reflektierten Umgang mit den ‚Schreckensbildern‘ zu sprechen, das Ziel von Gedenkstättenausstellungen sein. Der Verzicht auf (großformatige) Bilder des Holocaust geht in der Ausstellungskonzeption einher mit einer Verschiebung zu personalisierenden Darstellungen des Massenmords. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass im Haus der Wannsee-Konferenz der Ansatz der Personalisierung an die Stelle von ‚Schreckensbildern‘ getreten ist, ausgeprägter als in der personalisierenden Präsentation des Denkmals, wo solche die Opfer anonymisierenden Aufnahmen prominent zum Ausstellungsbeginn gezeigt werden. Heute sind es am Wannsee die persönlichen Geschichten und eine Nähe zu einzelnen Individuen, die die Grausamkeit des Geschehens verdeutlichen sollen, und nicht mehr die Abbildung des Grauens selbst. Dies ist in Ausstellungen an Täterorten bislang keine Selbstverständlichkeit. Die Individualisierung des Holocaust wird in dieser Gedenkstätte ausstellungsdidaktisch auf unterschiedliche Weise umgesetzt: Biografien und Selbstzeugnisse, aber auch einzelne Dokumentenkommentare heben die Anonymisierung der sechs Millionen Opfer im gesamten Ausstellungsverlauf immer wieder auf und rufen in Erinnerung, dass sich die Masse der Verfolgten aus Individuen zusammensetzte. Mit der Präsentation von vier Familienbiografien im ersten Raum, der in die Ausstellung einführt, werden direkt zu Beginn der Präsentation, ähnlich wie am Denkmal, einzelne Personen im Familienverband vorgestellt. Die Auswahl der porträtierten Familien deutet die europäische Dimension des Massenmords an. Dem Umstand, dass die Mehrheit der ermordeten Jüdinnen und Juden in Polen gelebt hat, wird damit Rechnung getragen, dass aus diesem Land nicht nur eine, sondern zwei Familien vorgestellt werden. Mit der Frage der Repräsentativität von Opferbiografien für den Holocaust wird auch der Widerspruch zwischen Individualität und Exemplarität im Haus der Wannsee-Konferenz offenkundig: In dem Moment, in dem Selbstzeugnisse und Lebensläufe im Museumsraum bestimmte Aspekte des historischen Geschehens verdeutlichen sollen, kommt es in der (Re-)Präsentation zu einer erneuten Exemplarisierung der re-individualisierten Einzelnen, denn sie stehen dann für etwas. Die Gedenkstätte greift dieses Problem auf, indem die porträtierten Familien zu Beginn der Ausstellung für sich stehen und zunächst keine pädagogische Funktion aufweisen. Ihnen fällt zwar schon hier die Funktion zu, symbolisch an die Millionen Ermordeten zu erinnern, denen die Gedenkstätte gewidmet ist, in erster Linie erinnern sie am Ausstellungsbeginn aber an die porträtierten Personen selbst. Mit den Familienporträts werden den abstrakten Opferzahlen gleich zu Ausstellungsbeginn konkrete Lebensgeschichten gegenübergestellt. Indem nicht nur auf die Auswirkungen der Verfolgung abgehoben, sondern auch jüdisches Leben vor der Verfol-

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gung thematisiert wird, wird einer Reduktion auf den Opferstatus vorgebeugt. Dadurch gelingt es der Präsentation an dem historischen Täterort, der beispiellos für den „Mord an Millionen durch Verwaltung“ (Adorno 1997c, 355) steht, einige Holocaust-Opfer sichtbar zu machen und die Folgen der Massenverbrechen an ihren zerstörten Lebensläufen zu verdeutlichen. Die immanenten Grenzen biografischer Porträts in Darstellungen des Judenmords werden aber auch am Wannsee augenscheinlich. Die vier Überlebenden können für die Totalität des Holocaust kaum repräsentativ sein. Die Auswahl der Lebensläufe ist auch dem Umstand geschuldet, dass sie den Besuchenden innerhalb des Ausstellungsrundgangs in biografischen Fragmenten immer wieder begegnen sollen, um auf diese Weise die Darstellung des Tatkomplexes mit seinen Auswirkungen auf die Verfolgten verschränken zu können. Voraussetzung für die Überlieferung biografischer Fragmente ist es jedoch meist, dass die Person selbst oder zumindest nahe Angehörige überlebt haben. Auf diese Weise wird in der Ausstellung die Ausnahme des Überlebens Einzelner vor dem Hintergrund der Ermordung ihrer Familien hervorgehoben. Den Besuchenden wird mit den Überlebensgeschichten eine Sichtweise angeboten, die allzu leicht über den Charakter der Vernichtung hinwegtäuschen kann. Biografische Fragmente und Selbstzeugnisse, die die Familienporträts am Ausstellungsbeginn ergänzen, sind in sämtliche Ausstellungsräume und -themen integriert. Erinnerungsberichte, Interviewsequenzen, Zeichnungen, Postkarten aus Konzentrationslagern oder private Fotografien werden den offiziellen NSDokumenten immer wieder gegenübergestellt. Sie berichten von den Auswirkungen der gegen die europäischen Jüdinnen und Juden gerichteten Maßnahmen, die in der kalten und bürokratischen Sprache der Mörder nicht zum Ausdruck kommen. Besonders gelungen ist diese konsequente Verknüpfung von Strukturund Individualgeschichte an den Stellen, an denen sich Namen von Angehörigen der vier Familien auf offiziellen NS-Dokumenten finden und dadurch die Auswirkung der Verfolgung am persönlichen Schicksal sehr deutlich wird. Indem in die Präsentation durchgängig Selbstzeugnisse und Erinnerungsberichte eingestreut sind, umgeht die Ausstellung die Gefahr, die Opfer „in ein statisches und abstraktes Element des historischen Hintergrundes“ (Friedländer 2006a, 12) zu verwandeln. Unterschiedliche Männer und Frauen werden in ihren individuellen Reaktionen auf die Verfolgung sichtbar, so eingeschränkt ihre Möglichkeiten auch waren. Wenn auch das inhaltliche Konzept, Individuum und Masse in der gesamten Ausstellung zu verschränken und durch Biografien zu Beginn zu ergänzen, als sehr reflektiert, anregend und sinnvoll erachtet werden kann, ist es dennoch nicht in allen Aspekten gelungen. Dies ist nicht zuletzt der Ausstellungsgestaltung ge-

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schuldet, die es schwierig macht, in den Themenräumen auf die vier Familienschicksale aufmerksam zu werden. So stellen die biografischen Fragmente quantitativ nur kleine Einsprengsel in der Gesamtpräsentation dar und drohen in der Materialfülle unterzugehen. Diese Wirkung wird durch den Umstand verstärkt, dass sich die Präsentation der biografischen Skizzen grafisch kaum vom Rest der Ausstellung abhebt. Indem das Haus aber personalisierende Elemente durchgehend aufgreift, setzt es die Aspekte Gedenken und Informieren miteinander in Bezug. Das geschieht zwar noch zurückhaltend, jedoch weit stärker, als dies in der Vorgängerausstellung der Fall war und an andern Täterorten bis heute üblich ist. Nur am Rande soll darauf hingewiesen werden, dass das Haus der WannseeKonferenz auch bei der Präsentation der Täter mit dem Medium Biografie arbeitet. So soll ein anonymes Täterbild verhindert werden. Behandelt werden die Führungselite des NS-Regimes und die am Massenmord beteiligten staatlichen Repräsentanten, aber auch vom Holocaust Profitierende und Zuschauende. Dabei sind die Täterdarstellungen in ihrer inhaltlichen Ausrichtung und gestalterischen Präsentation jedoch deutlich von der Vorstellung der Opfer abgegrenzt. Sie werden durchgängig in Form politischer Biografien, das heißt in ihrem Wirken und ihren Verantwortlichkeiten – und explizit nicht in ihrem Privatleben –, vorgestellt. Das Haus der Wannsee-Konferenz nutzt das Gestaltungselement ‚Zeitfenster‘, um die Präsentation nicht mit 1945 enden zu lassen. Diese sind vereinzelt in die Präsentation integriert und geben Einblicke in den geschichtspolitischen Umgang mit dem Massenmord in der Nachkriegszeit. Selten gelingt hier jedoch ein kritischer Blick auf die jüngste Vergangenheit, da vor allem solche Ereignisse gezeigt werden, die eine angemessene – wenn auch verspätete – Auseinandersetzung mit dem Holocaust repräsentieren. Die Ausstellung fragt im abschließenden Raum 15 auch nach dem persönlichen Umgang von Überlebenden und ihren Angehörigen sowie von Nachfahren der Täter mit den Verbrechen. Das Involviertsein in den Holocaust, das für die Familien der Opfer aufgrund des großen Verlustes sehr präsent ist, wird mit der gewählten Präsentationsform also auf die Nachfahren der Täter übertragen. Wird doch mit der Aneignung dieses jüdischen Narrativs durch das Vorstellen leidvoller persönlicher Erfahrungen sowohl auf der Opfer- als auch auf der Täterseite den Besuchenden suggeriert, der Holocaust sei – wenn auch unter anderen Vorzeichen – im Familiengedächtnis der Täter ein ebenso gewichtiges Thema. Aber das Schweigen über die Verbrechen, das nach wie vor die am meisten verbreitete Form des Umgangs mit dem Nationalsozialismus in den Täterfamilien ist, wird in der Ausstellung nicht thematisiert. Mit der Rezeption einer ‚bewältigten‘ Vergangenheit, wie sie die ‚Zeitfens-

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ter‘ und die Gestaltung des abschließenden Themenraums nahelegen, wird auch im Haus der Wannsee-Konferenz tendenziell ein Bild der Gegenwart vermittelt, das durch die Herausstellung von Selbstkritik und Reflexion eine Affirmation aktueller Gedenkpolitik darstellt.

4. Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und die Ausstellung ‚Zeitspuren. Das KZ Neuengamme 1938-1945 und seine Nachgeschichte‘

Die aktuelle Hauptausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wurde am 4. Mai 2005 im Rahmen der Befreiungsfeiern in Anwesenheit vieler Überlebender, Politikerinnen und Politiker sowie Gäste aus dem In- und Ausland eröffnet. Die Feierlichkeiten fanden zum ersten Mal im ehemaligen Häftlingslager statt, das 60 Jahre nach seiner Auflösung nicht mehr von einem Gefängnisbetrieb blockiert wurde. Der Jahrestag markierte zugleich die Eröffnung des historischen Lagergeländes als ‚Ausstellungs-, Begegnungs- und Studienzentrum‘ der neu gestalteten Gedenkstätte und der neuen Hauptausstellung, die in einer ehemaligen Häftlingsunterkunft gezeigt wird. Die Gefängnisverlagerung und die Neueröffnung der Gedenkstätte standen auch im Mittelpunkt des Senatsempfangs am Vorabend der Feierlichkeiten. Die damalige Kultursenatorin Karin von Welck beschrieb den Weg bis zur Aufgabe des Gefängnisses in Neuengamme als einen „mühevollen Lernprozess“ (v. Welck 2005, 12) der Stadt Hamburg und die neu eröffnete Gedenkstätte als wichtigen Ort für die Erinnerung an den Nationalsozialismus. Detlef Garbe, der Leiter der Gedenkstätte, würdigte das langjährige Engagement der Überlebenden des Konzentrationslagers gegen das Gefängnis und grenzte die heutige Situation der Gedenkstätte von der Hamburger Gedenkpolitik der 1950er Jahre ab (vgl. Garbe 2005, 14-17). Mit der Freigabe des Lagergeländes könne der historische Ort nun „ausschließlich“ der Aufgabe nachkommen, „als Friedhof und Lernort die Erinnerung an die Ermordeten und das Vermächtnis der Überlebenden zu bewahren und zu vermitteln“ (ebd., 15). Jean Le Bris, Vorsitzender der Denkmalkommission der Amicale Internationale de Neuengamme (AIN), dem Dachverband der ehemaligen Häftlinge, sprach die Hoffnung aus, dass auch die Fami-

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lien der „an dieser einst verfluchten Stätte gestorbene[n] Kameraden“ (Le Bris 2005, 19) zufrieden seien, dass Neuengamme „endlich – 60 Jahre danach – zum Ort der Erinnerung und der Begegnung, aber auch zu einer hervorragenden Bildungsstätte mit der unter allen ehemaligen KZ-Standorten vielleicht modernsten Ausstellung“ (ebd.) geworden sei. Fritz Bringmann, langjähriger Generalsekretär und Ehrenpräsident der AIN, schloss seine Rede mit dem Wunsch, es mögen viele Menschen die Gedenkstätte aufsuchen und in den Biografien ehemaliger Häftlinge „das aufrechte Engagement erkennen und damit möglicherweise selbst für eine bessere Welt des Friedens und der Menschlichkeit eintreten“ (Bringmann 2005, 23). Le Bris und Bringmann waren an der Neukonzeption der Gedenkstätte beteiligt und werden als ehemalige Neuengamme-Häftlinge in der Hauptausstellung biografisch vorgestellt. Die Feiern zur Neueröffnung der Gedenkstätte Neuengamme geben den Blick auf die wichtigsten Beteiligten der Gedenkstättendebatte – ehemalige Häftlinge, Gedenkstättenmitarbeitende, Politikerinnen und Politiker – sowie auf die gewandelte Gedenkstättenarbeit frei. Auffällig ist nicht nur die gewachsene Bedeutung des historischen Orts für das Gedenken und die Vermittlung historischen Wissens in Neuengamme, sondern auch das Konzept der Personalisierung: Über persönliche Erinnerungen und Biografien werden einzelne in das Konzentrationslager verschleppte Personen in der Masse der Häftlinge sichtbar. Wie zu zeigen ist, lenkt das personalisierende Präsentationsprinzip der Neuengammer Ausstellung den Blick auf das Konzentrationslager Neuengamme als ein von einzelnen Häftlingen oder Haftgruppen unterschiedlich Erfahrenes, auf das in vielfältigen Formen reagiert wurde. Welches Bild des Verbrechens vermittelt wird, während es in seinen Auswirkungen und seinen unterschiedlichen Formen dokumentiert wird, dieser Frage geht das vorliegende Kapitel nach.

4.1 D IE E NTSTEHUNGSGESCHICHTE DER KZ-G EDENKSTÄTTE Der gesellschaftliche Umgang mit dem Konzentrationslager Neuengamme war jahrzehntelang durch zwei widerstreitende Interessen geprägt: die Nutzung des Lagergeländes als Gefängnis und der Kampf um eine Gedenkstätte. Am 7. November 1965 wurde die Gedenkstätte außerhalb des von dem Gefängniskomplex verstellten ehemaligen ‚Schutzhaftlagers‘ mit einer internationalen Mahnmalanlage eingeweiht. Die Arbeitsgemeinschaft Neuengamme (AGN), die Interessenvertretung ehemaliger deutscher Häftlinge des Konzentrationslagers und ihrer

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Angehörigen,1 hatte die Forderung nach einem Mahnmal von Beginn an mit dem Wunsch nach einer ständigen Ausstellung verbunden (vgl. AGN 2008, 144; Bringmann/Roder 1995, 83). Doch es sollte bis Anfang der 1980er Jahre dauern, bis eine erste Dokumentation in Neuengamme eröffnete, und weitere 20 Jahre, bis der Gefängnisbetrieb verlegt wurde. 4.1.1 Historischer Gegenstand: Das Konzentrationslager Neuengamme Als britische Soldaten, kurz nachdem am 2. Mai 1945 die letzten Häftlinge und SS-Männer das Hauptlager verlassen hatten, das Konzentrationslager Neuengamme erreichten, fanden sie ein weitgehend geräumtes Gelände vor. Die SS hatte die meisten Spuren ihrer Massenverbrechen gezielt vernichtet. Ungefähr 10.000 Häftlinge waren bereits am 20. April 1945 in die Neustädter Bucht bei Lübeck verschleppt worden. Bei einem britischen Bombenangriff auf Schiffe, darunter die Cap Arcona, die nicht als Häftlingstransporte zu erkennen gewesen waren, verloren am 3. Mai 1945 fast 7.000 Häftlinge ihr Leben (vgl. Kaienburg 2009, 1077). Bereits bis Mitte April 1945 waren die über 80 Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme aufgelöst; Tausende Häftlinge starben auf Todesmärschen oder in den Lagern Sandbostel, Bergen-Belsen und Wöbbelin. Ungefähr 700 noch im Lager verbliebene Häftlinge mussten die Baracken reinigen und instand setzen: Stroh wurde entfernt, die Wände teilweise geweißt, Folter- und Mordapparate wie Galgen und Prügelbock beseitigt und die Kommandanturakten, die Unterlagen der Lager-Gestapo und andere SS-Aufzeichnungen vernichtet.2 Die Totenbücher des Konzentrationslagers konnten während der Lagerräumung von Häftlingen gerettet werden. Von den etwa 100.000 Menschen,

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Vgl. http://www.ag-neuengamme.de/www/index.php (22.4.2015).

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In den Unterlagen wurden auch Aufzeichnungen von Dr. Kurt Heißmeyer gefunden, der seit Dezember 1944 Tuberkuloseexperimente mit Erwachsenen und zwanzig jüdischen Kindern zwischen fünf und zwölf Jahren durchgeführt hatte. Die Kinder, von denen einige im dritten Themenbereich der Ausstellung vorgestellt werden, wurden mit ihren Ärzten und Pflegern sowie sowjetischen Kriegsgefangenen in der Nacht vom 20. auf den 21. April 1945 im Keller der Hamburger Schule am Bullenhuser Damm ermordet (vgl. Bringmann/Roder 1995, 11). Zum Mord am Bullenhuser Damm siehe auch: Kühnert 2010. Die 1980 eröffnete Gedenkstätte Bullenhuser Damm ist seit 1999 eine Außenstelle der Gedenkstätte Neuengamme (vgl. Garbe 2011, 68).

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die in Neuengamme und seinen Außenlagern gefangen waren, hat über die Hälfte den nationalsozialistischen Terror nicht überlebt.3 Neuengamme war 1938 als Außenkommando des Konzentrationslagers Sachsenhausen gegründet worden. Aus wirtschaftlichen Interessen unterstützte die Stadt Hamburg die Errichtung des Lagers. Das etwa 50 Hektar große Gelände einer stillgelegten Ziegelei am Rande des Dorfs Neuengamme, rund 30 km von der Hamburger Innenstadt entfernt, wurde von der SS-Firma Deutsche Erdund Steinwerke GmbH erworben. Die ersten 100 Häftlinge, die im Dezember 1938 aus Sachsenhausen überstellt wurden, mussten die Ziegelei für den Tonabbau instand setzen. Ab Frühjahr 1940 war Neuengamme als eigenständiges Konzentrationslager der ‚Inspektion der Konzentrationslager‘ unterstellt (vgl. Garbe 2007b, 315f.). Das ‚Steinhaus II‘, in dem sich heute die Hauptausstellung der Gedenkstätte befindet, wurde 1943/44 von Häftlingen gebaut. In dem Klinkergebäude wurden auf zwei Etagen vier Häftlingsblöcke eingerichtet. Die Häftlinge der sich auf einer Etage gegenüberliegenden und aus jeweils zwei Räumen bestehenden Blöcke mussten sich einen Waschraum und eine Latrine teilen (vgl. Ehresmann 2003a, 13-19). Neuengamme war ein Ort des organisierten Terrors und Mordens. Zwangsarbeit zielte nicht nur auf die ökonomische Verwertung von Arbeitskraft, sondern – vor allem im Fall der jüdischen Häftlinge – auf die Vernichtung von Menschenleben. Die Arbeitskraft der Neuengammer Häftlinge wurde nicht nur von der SS, sondern auch von Rüstungsfirmen ausgenutzt, die, wie Jastram, Messap und die Walther-Werke, Produktionsstätten direkt auf dem Konzentrationslagergelände unterhielten.4 Andere Unternehmen wie Volkswagen oder Blohm & Voss errichteten Außenlager in unmittelbarer Nähe des Hauptlagers (vgl. Garbe 2007b, 326-332). Zudem wurden die Gefangenen für besonders gefährliche Arbeiten, beispielsweise zum Bombenräumen, eingesetzt. Während in den ersten Jahren des Konzentrationslagers der Anteil der politischen Häftlinge

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Eine ausführliche Beschreibung der Räumung des Konzentrationslagers und seiner Außenlager findet sich bei Garbe 2010a.

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Im März 1942 nahm die Motorenfabrik Carl Jastram ihren Betrieb auf; bis zu 300 Häftlinge wurden im Motoren- und Schiffsbau zur Zwangsarbeit verpflichtet. Die Deutsche Meßapparate GmbH (Messap) ließ von Neuengammer Häftlingen Zeitzünder für Granaten produzieren; der Hauptbetrieb der Messap ließ in HamburgLangenhorn ebenfalls KZ-Häftlinge arbeiten. Die Metallwerke Neuengamme GmbH war eine Tochterfirma des thüringischen Waffenherstellers Carl Walther; sie ließ ab 1942 eine über 10.000 qm große Fabrikationsanlage im Konzentrationslager Neuengamme von Häftlingen errichten (vgl. Garbe 2007b, 327).

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aus Deutschland hoch war, wurden ab Winter 1940/41 mehrheitlich Personen aus dem besetzten Europa nach Neuengamme deportiert. Unter ihnen waren solche, die Widerstandsaktionen gegen die deutsche Besatzung geleistet hatten oder als Juden verfolgt wurden (vgl. ebd., 321). In den letzten Kriegsjahren verschärften sich die Arbeits- und Lebensbedingungen im Hauptlager wie in den Außenlagern – die Häftlinge litten zunehmend unter mangelhafter medizinischer Versorgung, schlechter Hygiene und Unterernährung und waren ungeschützt den Witterungsbedingungen ausgesetzt. Zahlreiche Gefangene wurden erschlagen, erhängt, erschossen, für medizinische Versuche missbraucht oder durch Giftgas ermordet (vgl. ebd., 334f.). Bis heute ist für das Hauptlager kein Fall einer gelungenen Flucht vor April 1945 bekannt (vgl. ebd., 326). Das Konzentrationslager war für die Häftlinge – und nur für sie – ein „abgeriegelter Kosmos“ (Sofsky 2004, 24), symbolisiert durch das Lagertor.5 Hierhin neu verschleppte Personen wurden mit der Gewalt und ‚absoluten Macht‘ der SS empfangen, die sie in eine namenlose Masse aus Winkeln und Nummern zu verwandeln versuchte. Willkür und Misshandlungen prägten den Lageralltag. Selbstbehauptung, Solidarität und Widerstand der Häftlinge waren für ein Überleben existenziell. 4.1.2 Umgang mit dem historischen Ort: Vom Konzentrationslager zum ‚Lernort‘ Nach Kriegsende unterstand das Konzentrationslagergelände der britischen Militärverwaltung. Ab Mai 1945 befand sich hier für einige Wochen ein DisplacedPersons-Camp für überlebende sowjetische Zwangsarbeiter, von Juni 1945 bis

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Für die Lagerverwaltung und die umgebene Gesellschaft stellte das Konzentrationslager – anders als für die Häftlinge – keinen „abgeriegelte[n] Kosmos“ dar. Den in das Konzentrationslager verschleppten Menschen wurde bei ihrer Ankunft als Erstes der Zweck des Lagersystems verdeutlicht, das auf die völlige Entrechtung und Vernichtung der Persönlichkeit zielte. Zu Beginn des ersten Curio-Haus-Prozesses am 18. März 1946 gab der Hauptankläger Major Stewart einen Ausschnitt aus einer Zeugenaussage des ehemaligen Häftlings Le Druillenec wieder. Dieser berichtete, wie er und andere Franzosen bei ihrer Ankunft im Konzentrationslager begrüßt worden seien: „Ihr müsst Euch darauf gefaßt machen, völlig erniedrigt und gedemütigt zu werden. Ihr betretet eine neue Welt, in der Ihr keinen Kontakt mit der Außenwelt habt. Habt Ihr eine Frau, Kinder, Verwandte oder Freunde in der Außenwelt, dann vergeßt sie, Ihr werdet sie nie wieder sehen – und vergessen, das kann ich Euch versichern, ist für Eure Seelenruhe viel leichter. Von nun an werdet Ihr jede Sekunde des Tages, und, wenn nötig, auch die ganze Nacht zur Förderung der Interessen des Großdeutschen Reiches arbeiten!“ (zit. n. Bringmann/Roder 1995, 28).

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August 1948 das Civil Internment Camp No. 6.6 Über die Internierung hinausgehende Entnazifizierungsmaßnahmen fanden dort nicht statt (vgl. Bringmann/Roder 1995, 36f.). Während andere befreite Konzentrationslager für Aufklärungskampagnen und zur Beweissicherung genutzt wurden (vgl. Knigge 2005b, 378f.) und den Alliierten einen Eindruck vermittelten, aus dem schon bald frühe Repräsentationspraktiken der Massenverbrechen hervorgehen sollten (vgl. Marcuse 1993, 82), waren die eintreffenden britischen Soldaten im Neuengammer Stammlager nicht mit halbtoten Häftlingen oder Leichenbergen konfrontiert (vgl. Garbe 2011, 59; ders. 2007, 339). Beweise des KZ-Terrors, die von Häftlingen oder den Alliierten hätten gesichert werden können, hatten die Nationalsozialisten größtenteils beseitigt. Zudem wurde Ende 1946/Anfang 1947 das Krematorium abgerissen (vgl. AGN 2008, 121), Plünderungen durch Anwohnende trugen ferner dazu bei, dass vergleichsweise wenig Material der Verbrechen an diesem Ort überliefert ist (vgl. Eschebach 2003, 77). Schließlich wichen Bemühungen der Alliierten, die hier stattgefundenen Massenverbrechen sichtbar zu machen, schnell ihrer Suche nach Verbündeten im Kalten Krieg, in deren Zuge den deutschen Behörden gestattet wurde, eigenmächtig über die ehemalige Mordstätte zu bestimmen.7 Im September 1947 wurde die Justizverwaltung von den Alliierten auf die Länder übertragen. Hernach setzte die schrittweise Auflösung des Internierungslagers ein.8 Nach Übergabe des Geländes an die Stadt Hamburg begann diese sofort mit dem Bau eines modernen Gefängnisses auf dem Gelände des ehemaligen

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Gemäß den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz vom August 1945 und unterstützt durch die im Mai 1946 beginnenden Neuengammer Prozesse inhaftierte die britische Militärregierung hier vor allem SS- und Wehrmachtsangehörige sowie andere Funktionsträger des NS-Staats, mutmaßliche Kriegsverbrecher und aus Sicherheitsgründen Verhaftete (vgl. Garbe 2007, 340). Ute Wrocklage weist darauf hin, dass die baulichen Änderungen, die die britische Besatzungsmacht in Neuengamme durchführte (sanitäre Anlagen, Sportplatz, beheizte Barracken), einen wichtigen Unterschied zwischen Konzentrations- und Internierungslager verdeutlichen: „Das innere Lagerleben wird humanisiert, die Menschenwürde der Gefangenen respektiert und Einrichtungen geschaffen, die vom Gefangenendasein ablenken. All dieses wurde den KZ-Häftlingen nicht gewährt. Sie wurden systematisch entindividualisiert und entrechtet.“ (Wrocklage 1998, 185; vgl. Bringmann/Roder 1995, 34) Siehe hierzu auch die Ausführungen zur Nachgeschichte in Kap. 4.3.4.

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Für diese Entwicklung in der KZ-Gedenkstätte Dachau siehe Marcuse 1993, 81.

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Bereits 1947/48 wurde der größte Teil der Internierten von den Spruchkammern als entlastet eingestuft und entlassen (vgl. Bringmann/Roder 1995, 38).

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Häftlingslagers (vgl. Garbe 2007b, 340). Der Friedhof und Tatort wurde 1948 feierlich an die Gefängnisbehörde übergeben. 1949/50 wurde ein neuer Gefängniszellentrakt errichtet, und die Holzbaracken des Konzentrationslagers wurden abgerissen (vgl. ders. 2011, 60). Bereits in ihrem ersten Programm vom Juni 1948 hatten die in der AGN organisierten Überlebenden des Konzentrationslagers beschlossen, die „Errichtung von Mahnmalen, Erinnerungstafeln, Gedenkstätten im Konzentrationslager Neuengamme, seiner Außenkommandos und an den Stätten der Hinrichtung und der Todesmärsche anzustreben“ (AGN 2008, 123). Wegen des Gefängnisses fanden die Befreiungsfeiern zu dieser Zeit außerhalb des historischen Lagerbereichs statt, vor allem in der Lübecker Bucht. Hier gedachte man der Opfer der von den Alliierten versehentlich bombardierten KZSchiffe, darunter die Cap Arcona (vgl. ebd., 122). Inwieweit das Konzentrationslagergelände zu der Zeit als Ort des Totengedenkens genutzt werden konnte, wurde von der britischen Militärbehörde und der Gefängnisbehörde entschieden (vgl. ebd., 126f.). Der ehemalige Neuengammer Häftling Fritz Bringmann beschreibt im Interview, wie schwierig sich diese Situation für die Überlebenden und ihre Angehörigen gestaltete: „1948 machten die ersten Ausländer ihre Pèlerinagen9 nach Neuengamme. Die Angehörigen wollten zu dem kritischen Punkt des Krematoriums, wo die Einäscherung der Toten stattgefunden hatte, das war ja die Endstation. Da gab es schon die ersten Querelen. Die Franzosen waren sehr hartnäckig, bis sie ihren obersten Mann in der Aufsichtsbehörde für Deutschland einschalteten, damit man ihnen den Zugang zu diesen Stätten gewährt. Dadurch ist die ganze Situation um Neuengamme enorm angespitzt worden.“ (Bringmann 2008)

Während die ehemaligen Häftlinge eine „würdige Gedenkstätte“ (AGN 2008, 166) forderten, äußerte der Bürgermeister von Hamburg, Max Brauer (SPD), bereits 1951 den Wunsch, die „furchtbaren Entsetzlichkeiten der vergangenen Epoche […] allmählich aus der lebendigen Erinnerung auszulöschen“ (zit. n. Thießen 2011, 173). In Brauers Äußerung ist unschwer der vergangenheitspolitische Zeitgeist der 1950er Jahre zu erkennen. Der bis in die späten 1960er Jahre in der Bundesrepublik übliche gesellschaftspolitische Umgang mit den historischen Terrororten – das Verschwinden „ganzer Lagerareale, deren Überwuchs, pragmatische Nachnutzung oder sogar Bebauung“ (Knigge 2002, 383) – prägte

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Pèlerinagen bezeichnet eine französische Tradition des Totengedenkens (hierzu Eschebach 2003, 83-85).

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auch Neuengamme.10 Mit dem Gefängnisbau wurde das ‚dreckige‘ Konzentrationslager nahezu unsichtbar gemacht, und mit dem ‚modernen‘ Strafvollzug konnte die Stadt Hamburg umso mehr ein ‚sauberes‘ Image vertreten (vgl. Marcuse 2001, 159f.). Hinzu kam der sich mit dem Systemgegensatz verschärfende Antikommunismus, der viele ehemalige Häftlinge diskreditierte (vgl. Thießen 2011, 179) und sich zudem in einer tendenziellen Gleichsetzung von Opfern und Tätern manifestierte. Auf dem Teil des Lagergeländes, der nicht als Gefängnis genutzt wurde, errichtete die Stadt Hamburg 1953 eine erste Gedenksäule. Ihre unbestimmte Inschrift ‚Den Opfern 1938 bis 1945‘ knüpfte an die bis heute populäre wie einebnende Sprachregelung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (‚Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft‘) an (vgl. Knigge 1999, 51; Zimmermann 1992, 131), vermied es, Taten, geschweige denn Täter zu nennen, und überließ es den Einzelnen, wem gedacht werden sollte. Nach dem Zusammenschluss der nationalen Häftlingsverbände zum Dachverband AIN im Mai 1958 und der von der Stadt Hamburg abgelehnten Forderung, an dem abgerissenen Krematorium eine Gedenkstätte zu errichten, wurde auf Initiative der AIN am 7. November 1965 in der Nähe der Lagergärtnerei eine internationale Mahnmalanlage eingeweiht (vgl. AGN 2008, 140-143).11 Mit der Anlage war der Grundstein für die KZ-Gedenkstätte gelegt. Die Entwicklung der Gedenkstätte zu einem ‚Lernort‘ fällt jedoch erst in die 1980er Jahre. In dieser Zeit wurde Neuengamme wie andere „vergessene KZs“ (Garbe 1983) in eine Gedenkstätte mit bildungspolitischem Auftrag umgewan-

10 Im befreiten Konzentrationslager Flossenbürg etwa wichen Häftlingsbaracken und der SS-Bereich einer Siedlung für deutsche Flüchtlinge und Vertriebene mit Straßennamen wie ‚Sudentenstraße‘ oder ‚Schlesierweg‘ (vgl. Skriebeleit 2009, 289). 11 Die Mahnmalanlage besteht aus einer hohen Stele, einer Bronzeplastik, Tafeln mit den Nationenzugehörigkeiten der Neuengammer Häftlinge sowie einer Gedenktafel, die an die Außenlager erinnert: Die 27 Meter hohe Stele mit der Inschrift „Euer Leiden, Euer Kampf und Euer Tod sollen nicht vergebens sein!“ soll den Schornstein des Krematoriums symbolisieren. Die AIN legte eine Kapsel mit dem Schwur der Überlebenden bei der Befreiung in den Sockel des Mahnmals (vgl. Bringmann 2004, 209f.). Neben der Stele steht eine Bronzeplastik mit dem Titel ‚Der sterbende Häftling‘, die von der Bildhauerin und Auschwitz- sowie Ravensbrücküberlebenden Françoise Salmon entworfen wurde (AGN 2008, 142f.). An einer Gedenkmauer liegen Tafeln, auf denen die Nationszugehörigkeiten der Neuengammer Häftlinge verzeichnet sind; auf der Wandtafel ‚Gedenkstätte Neuengamme‘ sind die Außenlager – allerdings ohne Nennung der Firmennamen – eingemeißelt, zusammen mit der nachträglich korrigierten Zahl von 55.000 Toten des Konzentrationslagers (vgl. Garbe 2011, 63).

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delt. Die Forderung ehemaliger Neuengamme-Häftlinge, den historischen Tatort sichtbar zu machen, wurde nun von Jugendverbänden, kirchlichen und gewerkschaftlichen Gruppen sowie Teilen der populären Geschichtswerkstätten unterstützt. Auch schien seit der Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust im Jahr 1979 „das Interesse an authentischen Berichten über Konzentrationslager im Allgemeinen und im Raume Hamburg wegen Neuengamme im Besonderen stark gewachsen“ zu sein (Schemmel zit. n. AGN 2008, 150; hierzu auch Garbe 1997, 113; Bringmann/Roder 1995, 96f.). Die Gedenkstättenarbeit begann im Oktober 1981 mit der Eröffnung eines Dokumentenhauses, das als Ausstellungsgebäude konzipiert war und die erste Ausstellung mit dem Titel ‚Arbeit und Vernichtung‘ zeigte.12 Der schrittweise Ausbau zur Gedenk- und Bildungsstätte folgte dabei, so wie in anderen ehemaligen Konzentrationslagern, dem Postulat, dass aus Geschichte gelernt werde (vgl. Brink 1998, 195; Skriebeleit 2001, 5).13 Der Beschluss der Hamburger Bürgerschaft vom 4. September 1979, die Verbrechen des NS-Regimes zu dokumentieren und dahin zu wirken, „daß sich derartiges Unrecht niemals wiederholt“ (zit. n. Garbe 2001a, 18), traf sich mit dem Wunsch der AIN, der Besuch der KZGedenkstätte und ihres Dokumentenhauses möge dazu beitragen, „die nachfolgenden Generationen gegen den faschistischen Ungeist zu immunisieren und darüber hinaus zu engagieren, nie wieder Faschismus und Krieg zuzulassen“ (Bauche et al. 1986, 6). Neben der pädagogischen Arbeit wurden die Betreuung der ehemaligen Häftlinge und die Forschung intensiviert sowie ein Archiv aufgebaut. Die Bedeutung der Gedenkstätte als ‚Lernort‘ trat stärker in den Vorder-

12 Die Vorläuferausstellung ‚Modell und Dokumentation zum Konzentrationslager Neuengamme‘ eröffnete am 14. Juni 1979 im Bergedorfer Schloss in Hamburg und war der „Grundstock für die spätere Ausstellung im Dokumentenhaus“ (AGN, 151). Exponate wurden von den nationalen Häftlingsverbänden gestiftet. Neben Fotos und einem Modell des Konzentrationslagers wurden, wie auch in anderen frühen Gedenkstätten- bzw. NS-Ausstellungen, Schaufensterpuppen in Häftlingskleidung und ein Prügelbock gezeigt. Die AGN organisierte Führungen und Besichtigungen (vgl. ebd.). 13 Diese Gedenkpolitik führte in den 1980er Jahren zu zahlreichen Initiativen: Bereits 1980 wurde die Gedenkstätte Janus-Korczak-Schule und Rosengarten für die Kinder vom Bullenhuser Damm in Hamburg eröffnet (s. o.). 1982 eröffnete die Erinnerungsund Gedenkstätte Wewelsburg 1933-1945 bei Paderborn und 1984 die Gedenkstätte Hadamar für die Opfer der Euthanasie. Ende 1987 folgten die Topographie des Terrors sowie ein Deportationsmahnmal an der ehemaligen Synagoge in der Berliner Levetzowstraße. Ein Überblick über die in den 1980er Jahren eröffneten Gedenkstätten findet sich bei Brink 1998, 195 und Schwietring 2003, 151.

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grund. Sie begann nun, sich zu einem „Ort aktiver Erinnerungsarbeit mit einem umfangreichen Veranstaltungs- und Bildungsprogramm“ (Garbe 2001b, 58) zu entwickeln.14 Das bis dahin private Engagement in der Gedenkstätte fand zunehmend staatliche Unterstützung, und die Überlebenden hatten mit dem Dokumentenhaus eine Anlaufstelle. Der „lockere Zustand bis 1981“ (Bringmann 2008) war beendet und der Grundstein für eine sich bis heute institutionalisierende und professionalisierende Gedenkstättenarbeit gelegt. Neuengamme wandelte sich dann wie andere KZ-Gedenkstätten auch zu einem Schauplatz nationaler Selbstvergewisserung, wo Politikerinnen und Politiker ‚Lehren aus der Vergangenheit‘ anmahnen. So wurden am 3. Oktober 1991 die Feierlichkeiten zum ‚Tag der deutschen Einheit‘ in Hamburg mit Kranzniederlegungen in Neuengamme begonnen (vgl. Garbe 2001c, 79f). Garbe hat die vergangenheitspolitische Bedeutung von Gedenkstätten nach der deutschen (Wieder-)Vereinigung treffend auf den Punkt gebracht: „Man bedarf ihrer, und zwar nach der deutschen Vereinigung in steigendem Maße, als Demonstrationsobjekt dafür, dass das ökonomisch und politisch mächtige und nunmehr auch wieder geografisch größere Deutschland die Abkehr von jenem Deutschland der Jahre 1933 bis 1945 sichtbar und glaubwürdig vollzogen hat.“ (Garbe 1992, 24)

Während in anderen KZ-Gedenkstätten das ehemalige Häftlingslager schon zum Zentrum der Gestaltung geworden war, blieben in Neuengamme der Bereich des Appellplatzes, die Baracken und die Totenorte wegen des Gefängnisses versperrt (vgl. AGN 2008, 144). Von Bedeutung für die weitere Entwicklung der Gedenkstätte war der Beschluss des Hamburger Senats vom Juli 1989, die Justizvollzugsanstalt Vierlande zu verlegen (vgl. Garbe 2001b, 61). Mit der Gefängnisverlagerung konnte das ehemalige Häftlingslager in den Gedenkstättenbereich einbezogen werden. Eine vom Hamburger Bürgermeister Voscherau (SPD) eingesetzte Expertenkommission erarbeitete eine Gesamtkonzeption für die weitere Gestaltung und Nutzung des Geländes als Gedenkstätte (vgl. Garbe 2001a, 25f.; NG 2003a, 4). Mit Jean Le Bris und Fritz Bringmann waren in der Kommission erstmals Überlebende vertreten (vgl. AGN 2008, 161f.). Die im Mai 1993 vom

14 Im Rahmen eines internationalen Jugend-Workcamps wurde ein Rundweg um das Gefängnis mit Hinweistafeln angelegt, die auf die nicht abgerissenen Gebäude des ehemaligen Konzentrationslagers aufmerksam machten. 1984 wurde das Klinkerwerk zusammen mit anderen nicht von der Justizbehörde genutzten KZ-Gebäuden unter Denkmalschutz gestellt und saniert (vgl. Garbe 2011, 61; siehe ausführlich: ders. 2001b, 58-61).

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Hamburger Senat gebilligten Empfehlungen der Kommission stellten die Grundlage dar für die weitere Entwicklung der Gedenkstätte bis zu ihrer Neueröffnung 2005. Eckpunkte waren eine neue Dauerausstellung in einer der beiden erhaltenen Häftlingsunterkünfte aus Stein (nicht, wie zuvor vorgesehen, im Klinkerwerk15), der weitgehende Verzicht auf Rekonstruktionen von historischen Gebäuden auf dem Lagergelände zugunsten einer Sichtbarmachung der überbauten Barackengrundrisse und des Appellplatzes, die Dokumentation der Nachkriegsgeschichte des Geländes sowie eine räumliche Trennung des Dokumentationsvom Gedenkbereich (vgl. Bürgerschaft 1993, 2; Garbe 2001b, 61f.). Wie zu zeigen sein wird, sind diese Eckpunkte mit der heutigen Gedenkstättenkonzeption realisiert worden.16 Nicht zuletzt aufgrund der gewählten personalisierenden Präsentationsform der heutigen Hauptausstellung, weiter unten komme ich darauf zurück, ist jedoch die Trennung von Dokumentations- und Gedenkbereich in der Praxis weniger klar, als konzeptionell vorgesehen. Ein neuer Ausstellungsbereich wurde zunächst 1995 in den ehemaligen Walther-Werken eingerichtet. Die Gefängniswerkstätten waren geräumt, und die neue Hauptausstellung der Gedenkstätte ‚Über-Lebens-Kämpfe. Häftlinge unter der SS-Herrschaft‘ eröffnete zu den Befreiungsfeiern am 4. Mai. Zusammen mit dem Mahnmal im Gedenkbereich erfuhr das Dokumentenhaus eine Umgestaltung zum Haus des Gedenkens, während der Gefängnisbetrieb verlegt und 2003

15 1987, als eine Gefängnisverlagerung noch nicht absehbar war, zog man das ehemalige Klinkerwerk als neues Ausstellungsgebäude in Betracht, um das Dokumentenhaus zu ersetzen (vgl. NG 1987, 22-27). Zur Ausstellungskonzeption des Dokumentenhauses siehe Kap. 4.2.1. Bereits 1997 eröffnete eine im restaurierten Klinkerwerk untergebrachte Ausstellung über die Arbeitsbedingungen der KZ-Häftlinge (vgl. AGN 2008, 166). 16 Zwei Eckpunkte wurden nicht realisiert: Der Hauptzugang zur Gedenkstätte sollte in die Nähe des ehemaligen Lagerbahnhofs verlegt werden, auf dem die Häftlingstransporte angekommen waren (vgl. Bürgerschaft 1993, 2). Als Eingangsbereich der Gedenkstätte war ein Flügel der ehemaligen Walther-Werke vorgesehen, von dem aus der Weg in das frühere Häftlingslager hineingeführt und sich an folgenden Stationen orientiert hätte: Lagerbahnhof (Ankunft der Häftlinge), Häftlingslager, SS-Lager (Täteraspekt), Arbeitsstätten (Rüstungsbetriebe und Klinkerwerk), Gedenkstätte (vgl. Garbe 1992, 4-6). Heute befindet sich der Gedenkstätteneingang auf der gegenüberliegenden, der Straße zugewandten Seite, und der frühere Lagerbahnhof liegt am Rande des Besucherleitsystems. Ebenfalls nicht realisiert wurde der Vorschlag, in den früheren Walther-Werken ein didaktisches Zentrum einzurichten. Das Studienzentrum der Gedenkstätte befindet sich heute im ‚Steinhaus I‘.

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das frühere Häftlingslager in eine Gedenkstätte umgebaut wurde. Die Tongruben des Konzentrationslagers sind 2007 freigelegt worden, nachdem ein zweites, in den 1960er Jahren errichtetes Gefängnis geschlossen worden war. Das Gefängnis selbst wurde musealisiert. Ein Teil der Gefängnismauer zeigt heute die OpenAir-Ausstellung ‚Gefängnisse und Gedenkstätte. Dokumentation eines Widerspruchs‘ (vgl. Garbe 2011, 62 u. 66). Während der Konzeptionsphase der aktuellen Präsentation war die Gedenkstätte erneut Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Vor dem Hintergrund der erstmals seit 1945 erfolgten Kriegseinsätze der Bundeswehr wurde auch der Umgang mit Bundeswehrgruppen, die zu den festen Besuchergruppen der Gedenkstätte zählten, diskutiert.17 Anlass war die Veranstaltung ‚Leben mit dem Massengrab – werden Bundeswehrsoldaten auf psychische Belastungen bei Auslandseinsätzen vorbereitet?‘, die das Studienzentrum der Gedenkstätte im Februar 2004 im Rahmen der Ausstellung ‚Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944‘ (zweite ‚Wehrmachtsausstellung‘) organisiert hatte. Die Veranstaltung wurde von Hamburger Antifagruppen verhindert. Die freien Guides der Gedenkstätte forderten zusammen mit Überlebendenverbänden eine Diskussion über das Verhältnis der Gedenkstätte zur Bundeswehr. Eingefordert wurde von der Kritik zudem ein Nachdenken über die ‚Lernzwecke‘ der Gedenkstätte, die durch den expliziten Einbezug der Bundeswehr in Widerspruch zum Vermächtnis vieler Überlebender ‚gegen Krieg und Faschismus‘ geraten seien. Dass Neuengamme wie andere Gedenkstätten auch ein politisch umkämpfter Ort ist, zeigte sich 2008 erneut, als ein langjähriger Guide der Gedenkstätte Einspruch dagegen erhob, mit einem Bundeswehrangehörigen als Kollegen in der Gedenkstätte zusammenzuarbeiten.

4.2 D IE KZ-G EDENKSTÄTTE UND DIE H AUPTAUSSTELLUNG HEUTE Die 2005 eröffnete Hauptausstellung der Gedenkstätte ist konzeptionell stark an ihrer 1995 als Zwischenlösung eingerichteten Vorgängerausstellung orientiert und unterscheidet sich wie diese deutlich von der ersten, 1981 eröffneten Neuengammer Hauptausstellung. Die Entscheidung der oben erwähnten Expertenkommission, im Anschluss an die Gefängnisverlagerung die gesamte Gedenkstätte neu zu gestalten und ein historisches KZ-Gebäude, eine ehemalige gemau-

17 Im folgenden Abschnitt beziehe ich mich auf Haug/Geißler-Jagodzinski (2009), 299; bad weather (2004); v. Wrochem (2008).

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erte Häftlingsunterkunft, als Ausstellungsgebäude zu nutzen, ist zentral für die Ausrichtung der jetzigen Hauptausstellung. Mit dem aktuellen Ausstellungsgebäude steht nicht nur erheblich mehr Ausstellungsfläche zur Verfügung. In seiner Wahl spiegelt sich vor allem die starke Fokussierung der Gedenkstätte auf den historischen Ort, während die strukturgeschichtliche Einordnung des Konzentrationslagers zurückgewichen ist. Die aktuelle sowie die beiden vorherigen Hauptausstellungen charakterisiert Garbe im Interview wie folgt: „Die 1981er Ausstellung war die politische, die 1995er war die didaktische und die jetzige ist stark biografisch und kleinteiliger, vielschichtiger.“ (Garbe 2009) In Abgrenzung zur ersten Hauptausstellung haben Exponate und Zeugnisse der Häftlinge eine wesentlich stärkere Berücksichtigung gefunden. 4.2.1 Von den Vorgängerausstellungen zur aktuellen Ausstellungskonzeption Die erste Neuengammer Hauptausstellung ‚Vernichtung und Arbeit‘ war von 1981 bis 1995 im Dokumentenhaus auf knapp 250 qm Ausstellungsfläche zu sehen. Die Ausstellung konzentrierte sich auf Neuengamme als Ort von Zwangsarbeit und damit auf die ökonomische Verwertung sowie auf Arbeit als einem gezielten Tötungsinstrument. Viel Raum nahm die strukturgeschichtliche Einordnung des Konzentrationslagers in die Entstehung und Entwicklung des NSRegimes, den Kriegsverlauf und das KZ-System ein (vgl. Garbe 2001b, 56f.). Die Informationen über Neuengamme bezogen sich vor allem auf den politisch organisierten Widerstand der Häftlinge und auf das Engagement der AIN gegen die Gefängnisnutzung des Konzentrationslagergeländes (vgl. Bauche et al. 1986). Auf der Ausstellungsfläche des Gebäudes wurden, von kleineren Gegenständen abgesehen, überwiegend zweidimensionale Exponate in Vitrinen präsentiert. Dicht gedrängt wurde kommentiertes kleinformatiges Text- und Bildmaterial gezeigt, darunter allerdings damals schon ungewöhnlich viele Berichte und Zeichnungen von Häftlingen (vgl. Brink 1990, 40).18 Im Eingangsbereich waren eine Rekonstruktion des Lagerzauns, ein Prügelbock und ein Modell des Konzentrationslagers gruppiert. Ein auf den Eingang gerichtetes Maschinengewehr sollte den Besuchenden die lebensbedrohliche Situation, in der sich die Häftlinge

18 In der Ausstellung im Dokumentenhaus wurde die Tätersicht mit Zeichnungen von Häftlingen konfrontiert. So stellte man beispielsweise unter dem Thema ‚Ernährung‘ das Bild eines hungrigen Häftlings (gezeichnet von Harry Bugge) einer Zeichnung von einem SS-Mann zum gleichen Thema gegenüber (vgl. Bauche et al. 1986, 139). Neben den Häftlingsberichten gehören Zeichnungen zu den zentralen Exponaten, die bis heute in den Ausstellungen der Gedenkstätte präsentiert werden.

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befunden hatten, nachempfinden lassen, wurde aber kurz nach Ausstellungseröffnung abgebaut. Heute wird das Ziel der 1981er Ausstellung darin gesehen, „die Faktizität des historischen Geschehens“ (Garbe 2001b, 57) zu dokumentieren, womit die gegenwärtige Ausstellungspraxis, nicht nur in Neuengamme, sich (vielleicht ungewollt) von der Funktion des Beweisens distanziert (vgl. Knigge 2005b, 403). Die Ausstellung stand der Hamburger ‚Schlussstrichpolitik‘ entgegen und belegte, dass es trotz Verwischung fast aller Beweise bei Auflösung des Lagers Zeugen und Zeugnisse gab, die nach Kriegsende von Häftlingskomitees und Überlebendenverbänden zusammengetragen (vgl. Bringmann 2008)19 oder als Zeugenaussagen in Strafprozessen bis Ende der 1940er Jahre aufgenommen worden waren (vgl. Rahe 2001, 38f.). Die Ausstellung hatte ein überraschend hohes Besuchsaufkommen, und das ehemalige Konzentrationslager wurde stärker als zuvor wahrgenommen (vgl. Garbe 2001b, 57). Kritisiert wurde jedoch die Gebäudearchitektur. Als störend wurde vor allem empfunden, dass ein quadratisches und fensterloses Gebäude die Wahrnehmung des Nationalsozialismus als abgeschlossene Epoche suggeriere (vgl. Bringmann/Roder 1995, 101f.; Brink 1991a, 39). Die Ausstellung selbst empfand man als zu wenig anschaulich oder emotional (vgl. Garbe 2001b, 57; Hötte 1994, 1), wofür teilweise der den Konzentrationslagerkomplex unzugänglich machende Gefängnisbetrieb verantwortlich gemacht wurde (vgl. NG 1987, 4).20 Als sich die Gefängnisverlagerung und damit eine neue Hauptausstellung abzeichneten, forderte ein von der Gedenkstätte or-

19 Fritz Bringmann würdigt im Interview die „glänzende Vorarbeit“ (Bringmann 2008) des im Mai 1945 gegründeten Komitees der politischen Gefangenen in Hamburg beim Zusammentragen von Häftlingsberichten. Er selbst ließ sich nach seiner Befreiung am 17.5.1945 bei dem Komitee registrieren und bekam dort seinen Ausweis als politischer Häftling ausgestellt (vgl. Bringmann 2004, 121-123). Dieser Fall zeigt, wie wichtig das Engagement der befreiten Menschen gewesen ist: Die Anfänge der Konzentrationslagerforschung sind ohne sie kaum denkbar (vgl. Dieckmann/Herbert/Orth 1998, 19). Bis heute werden der Gedenkstätte Teile von Nachlässen, Veröffentlichungen und Materialsammlungen von überlebenden Häftlingen bzw. von deren Angehörigen übergeben (vgl. Garbe 2011, 70). Außerdem hat die Gedenkstätte seit den 1980er Jahren selbst Oral-History-Projekte initiiert. 20 Die damalige Gedenkstättenleitung forderte zudem den Ausbau der Infrastruktur, um die Forschungsmöglichkeiten und die Betreuung von Angehörigen ehemaliger Häftlinge sowie anderer Besuchergruppen, insbesondere Schulklassen, zu verbessern (vgl. NG 1987, 4).

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ganisiertes Symposium eine veränderte Präsentation.21 Angemahnt wurde unter anderem, großformatige Fotos, Gegenstände und biografische Zugänge stärker zu berücksichtigen.22 Damit sollten Verfolgung und KZ-Alltag „konkreter“ beschrieben und „komplexere Zusammenhänge veranschaulicht“ (ebd., 26) werden. Von besonderem Interesse ist, dass die Teilnehmenden des Symposiums bekräftigten, „die Opferperspektive durch die Veranschaulichung von Biographien darzustellen […]. Die Betrachtung der Opfer in ihrer Individualität, in der Vielschichtigkeit ihres biographischen Werdegangs ist nicht nur geboten, um ihrer Anonymisierung in den Todesstatistiken zu wehren, sie verhindert auch deren Stilisierung und damit, daß sie den Gedenkstättenbesuchern gänzlich unnahbar bleiben.“ (ebd., 10)

Diese konzeptionellen Überlegungen flossen in die zweite Neuengammer Hauptausstellung ‚Über-Lebens-Kämpfe. Häftlinge unter der SS-Herrschaft‘ ein, die Modell für die aktuelle Hauptausstellung stand. Durch die stärkere Berücksichtigung individueller Lebensläufe sollte der einzelne Häftling nicht mehr als Nummer in der Mordstatistik behandelt werden, sondern den Besuchenden als Person nahegebracht werden. Die im Zeitraum 1995 bis 2005 auf knapp 1.000 qm präsentierte zweite Hauptausstellung verschob bereits mit ihrem Titel den Fokus der Darstellung. Eine stilisierte Eingangsinszenierung, die zwei Häftlinge beim Tragen einer Leichenbahre darstellte, bot den Besuchenden als Häftlingsperspektive nicht Widerstand, sondern Leiden und Tod an (vgl. Garbe 2009). Die Ausstellung behandelte den historischen Kontext weniger ausführlich und stellte stattdessen zentrale Aspekte des Häftlingsalltags auf insgesamt 23 Themeninseln in den Mittelpunkt. Die moderne Ausstellungsgestaltung mit klar strukturierten Rezeptionsebenen (Haupt- und Hintergrundinformationen) schloss ein neues Trägersystem für die Exponate ein. Durch seine offene Metallrohrkonstruktion bildete es einen deutlichen Kontrast zu den Wandabwicklungen und

21 Das Symposium wurde im Sommer 1987 in der Gedenkstätte abgehalten und beschäftigte sich mit der zukünftigen Gestaltung der KZ-Gedenkstätte (vgl. NG 1987). Weitere Foren, in denen Kritikpunkte formuliert wurden, waren die Arbeitssitzungen und das Hearing der 1991 eingesetzten Expertenkommission zur Neugestaltung der Gedenkstätte (vgl. Garbe 1992). 22 Anke Griesbach kritisiert an der ersten Ausstellung die dichotome Gegenüberstellung von Tätern und Opfern. So seien die SS und die Hauptverantwortlichen zum Synonym für die Täter avanciert, während die Opfer anonym geblieben seien – entweder zu Helden stilisiert oder in der Masse untergehend (vgl. Griesbach 2003, 68f.).

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Vitrinen der ersten Ausstellung. Infolge der fortgeschrittenen Sammel- und Forschungstätigkeit der Gedenkstätte konnten deutlich mehr Gegenstände und Häftlingsberichte ausgestellt werden, die durch multimediale Elemente und großformatige Fotografien ergänzt wurden. Im Zentrum der Präsentation standen nun hauptsächlich Lebensläufe und Erfahrungsberichte ehemaliger Häftlinge. Der biografische Ansatz der Ausstellung wurde durch eine Hörkuppel unterstrichen, die den Mittelpunkt der Präsentation bildete und in der die Besuchenden Häftlingserinnerungen anhören konnten. Diese wurden automatisch und ohne biografische Kommentierungen abgespielt (vgl. ders. 2001b, 64f.). Bei der Konzeption der aktuellen Hauptausstellung, die seit 2005 schließlich auf ungefähr 2.500 qm gezeigt wird, wurde auf die thematische Ausrichtung der Vorgängerausstellung zurückgegriffen, diese jedoch der veränderten räumlichen Situation angepasst (vgl. ders. 2007b). Die jetzige Ausstellung setzt den biografischen Ansatz ihrer Vorgängerin verändert fort: Die Erinnerungsberichte ehemaliger Häftlinge, die in der 1995er Ausstellung in einer Hörkuppel automatisch abgespielt wurden, sind heute, biografisch kommentiert, in Monitoren und Hörstationen abrufbar und zudem in Biografiemappen dokumentiert, die im gesamten Ausstellungsbereich präsentiert werden. Da heute die Erinnerungen möglichst vieler unterschiedlicher Häftlinge präsentiert werden, um unterschiedliche Lagerrealitäten abzubilden (ebd.), prägen nicht mehr die Berichte deutscher politischer Häftlinge die Darstellung des Lageralltags. Die übersichtliche Gliederung verschiedener Rezeptionsebenen und das Trägersystem für die gezeigten Exponate sind stark an die vorherige Ausstellung angelehnt. Die aktuelle Hauptausstellung unterscheidet sich jedoch von der Vorgängerin durch eine höhere Materialdichte, die aus dem Anspruch resultiert, die Vielschichtigkeit des Lagerlebens darzustellen, unterschiedliche Perspektiven zu kontrastieren und die Ausstellungsexponate zu kontextualisieren. Die Komplexität der jetzigen Ausstellung ergibt sich zudem daraus, dass der Umgang mit dem Konzentrationslagergelände nach 1945 auf unterschiedlichen Ebenen der Präsentation berücksichtigt wird. 4.2.2 Das Vermittlungskonzept Bereits der Titel der aktuellen Hauptausstellung ‚Zeitspuren. Das Konzentrationslager Neuengamme 1938-1945 und seine Nachgeschichte‘ bringt den Vermittlungsansatz der Gedenkstätte paradigmatisch zum Ausdruck. Historischer Bezugspunkt ist das Konzentrationslager Neuengamme, der gesellschaftspolitische Umgang mit den Lagergebäuden nach Kriegsende und, auf der individuellen Ebene, insbesondere die Verfolgungserfahrungen der Häftlinge. Wie bei anderen KZ-Gedenkstätten rückt auch die Neuengammer Ausstellung den historischen Ort ins Zentrum ihres Vermittlungs- und Präsentationskonzeptes. Damit

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ist, wie im Folgenden gezeigt werden soll, eine heute zwar übliche, aber nicht unproblematische (Re-)Präsentationsweise gewählt worden: Zum einen wird stellenweise die Besuchserwartung an ein authentisches Nacherleben des Konzentrationslagers bedient, auch wenn dies, wie weiter unten deutlich wird, konzeptionell verhindert werden soll, zum anderen wird das Verständnis vom Ort ausgeweitet auf historische Ereignisse nach 1945. Den thematischen Schwerpunkt der Hauptausstellung bildet die „Geschichte des Konzentrationslagers Neuengamme und seiner Außenlager von 1938 bis 1945“ (NG 2005, 12f.). Im Vordergrund, so heißt es im Katalog, steht „die Dokumentation der an diesem Ort begangenen Verbrechen, die Veranschaulichung des Prozesses der Dehumanisierung und die Darstellung des Leidens der Häftlinge, das für die Überlebenden mit der Befreiung im Mai 1945 oftmals nicht endete“ (ebd.). Ein großer Teil des Ausstellungsbereichs dokumentiert den Zeitraum nach 1945. Behandelt werden die Folgen des KZ-Terrors, aber auch die Nutzung des Ausstellungsgebäudes und des Geländes sowie das Engagement der Überlebenden für die Gedenkstätte sowie zivilgesellschaftliche Initiativen. Die Geschichte des Orts ist jedoch im gesamten Ausstellungsbereich präsent. Das Konzentrationslager als „ein Instrument der nationalsozialistischen Verfolgungsund Vernichtungspolitik gegenüber politischen Gegnern und Menschen in den besetzten Gebieten“ (NG 2003a, 8) ist als Selbstverständnis der Gedenkstätte leitend. Als wichtige Orientierungspunkte während des Konzeptionsprozesses der Hauptausstellung nennt die Gedenkstätte: „‚Vernichtung durch Arbeit‘, Internationalität der Häftlinge, vollständige Räumung bei Kriegsende und die Nachnutzung des Lagers als Haftstätte.“ (ebd.) In der ‚Konzeptskizze für die neue Hauptausstellung‘ stellen sich die „AusstellungsmacherInnen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ (ebd.) mit einem hohen Anspruch vor: als letzte Generation, die das ‚Nachleben der Erinnerung‘ in der Ausstellungskonzeption umsetzen möchte und sich an den Erinnerungen der Überlebenden orientiere (ebd., 9). Laut Gedenkstättenkatalog halten Ton- und Videoaufzeichnungen die Möglichkeit bereit, „sich in das Schicksal Einzelner hineinzudenken“ (NG 2005, 13). Die Erinnerungen der Überlebenden seien „ein unverzichtbarer Grundstein für die Rekonstruktion der Lagergeschichte“ (Garbe 2011, 72). Viele der Häftlingsberichte werden heute in mit rotem Stoff bezogenen Mappen präsentiert, die zu den auffälligsten Gestaltungselementen der Hauptausstellung zählen. Neben Biografien werden Erinnerungen ganz unterschiedlicher Akteure in der Ausstellung präsentiert – von Überlebenden, Angehörigen der britischen Armee, Inhaftierten des Internierungslagers, Politikerinnen und Politikern und Angehörigen der jüngeren Generation. Damit will die Gedenkstätte vermitteln, „dass Geschichte nicht aus einer einzigen großen Er-

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zählung besteht, sondern aus einer Vielzahl unterschiedlicher, manchmal widersprüchlicher Geschichten“. Dieser „multiperspektivische Ansatz“ (ebd.), so heißt es weiter, sei vor allem dort besonders sinnvoll, „wo Bilder, Dokumente und Texte eindeutig den ‚Täterblick‘ auf die Ereignisse verdeutlichen“. Die Kontrastierung dieser Quellen mit der Gefangenenperspektive, so der Gedanke, relativiere die Aussagekraft der Ersteren. Der Ansatz ist ein wichtiges Gestaltungselement, um anhand der Opferperspektive die in offiziellen NS-Dokumenten zum Tragen kommende Sicht der Täter ins rechte Licht zu rücken. Die ausgeprägte Multiperspektivität der Präsentation führt in ihrer Differenziertheit jedoch stellenweise zur Unübersichtlichkeit von klaren Aussagen. Die Gedenkstätte hat den Anspruch, „das System der Konzentrationslager zu veranschaulichen“ (NG 2005, 13). Deswegen fragt sie nicht nur nach den „Tätern […], die dieses System trugen und seine menschenunwürdigen Rahmenbedingungen bis hin zum kaltblütigen Mord an Häftlingen“, sondern auch nach der „juristische[n] Verfolgung nach Kriegsende“, dem „Umgang der Gesellschaft mit den Folgen dieses Terrorregimes“, dem Umgang der Stadt Hamburg „mit dem Gelände“ des Konzentrationslagers, und sie fragt nach den „sich im Laufe der Jahrzehnte stark verändernden Erinnerungsformen und ihre[n] geschichtspolitischen Implikationen“. Und weil „90 Prozent der Häftlinge im KZ Neuengamme nicht aus Deutschland kamen“, soll es auch um die Erinnerungen der „Überlebenden in den verschiedenen Staaten Europas an das KZ Neuengamme“ gehen (ebd.). Nach den vom Hamburger Senat beschlossenen ‚Leitlinien der Neugestaltung‘ sollte die aktuelle Gedenkstättenkonzeption die „Veränderungen für die Erinnerungskultur und die historisch-politische Bildung durch die zunehmende zeitliche Distanz zu den nationalsozialistischen Verbrechen und insbesondere den voraussehbaren Verlust der Zeitzeugen“ (Bürgerschaft 2001, 2) berücksichtigen. Dabei müsse sich die Vermittlung der Geschichte des Konzentrationslagers orientieren an „aktuellen Fragestellungen, die für die Auseinandersetzung mit der Shoah, mit Menschenrechtsverletzungen in Vergangenheit und Zukunft, für die Entwicklung demokratischen Denkens und Handelns, für die Herausbildung einer europäischen Identität und für das Miteinander verschiedener Kulturen wegweisend sind“ (ebd.).

Holocaust-Gedenken, Menschenrechte und Europa – seitens der Politik werden hier aktuelle innen- und außenpolitische Interessen ganz deutlich mit ‚Lehren‘ aus der Vergangenheit in Verbindung gebracht. Die Gedenkstätte sollte nach ihrer Neugestaltung aber auch „noch stärker Funktionen eines zeitgeschichtlichen

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Museums wahrnehmen“. Die museale Geschichtsvermittlung, so die Absicht, sollte dabei „im Wesentlichen durch die Kenntlichmachung des historischen Ortes und durch Ausstellungen“ erfolgen (ebd.). Wie andere Gedenkstätten auch übernimmt Neuengamme inzwischen museale Aufgaben wie Forschung, Deponieren, Sammeln und Ausstellen, wie sie vom International Council of Museums (ICOM) festgelegt wurden.23 Die Musealisierung der Vergangenheit ist nicht unproblematisch. So fragt sich auch bei der Neuengammer Ausstellung, die sich in Gestaltung und Besucherinteresse kaum noch von anderen (Geschichts-)Museen unterscheidet, inwiefern sie es schafft, in der Präsentation des Geschichtlichen Bezüge zur Gegenwart herzustellen und so bei den Besuchenden Beunruhigung darüber auszulösen, dass die Möglichkeit einer Wiederholung des Geschehenen nach wie vor besteht. Während der gesellschaftliche und individuelle Umgang mit den Folgen der Konzentrationslagerhaft und mit dem Konzentrationslagergelände ausführlich in der Hauptausstellung dokumentiert werden, setzt sich die Gedenkstätte mit Rücksicht auf die Überlebenden mit den Tätern von Neuengamme und ihrer Strafverfolgung vor allem in ergänzenden Ausstellungsbereichen auseinander. Zu nennen ist hier insbesondere die Sonderausstellung ‚Dienststelle KZ Neuengamme. Die Lager-SS‘. Drei weitere Studienausstellungen behandeln schwerpunktmäßig Neuengamme als Ort von Zwangsarbeit und das Thema ‚Vernichtung durch Arbeit‘. Die Sonderausstellungen werden als Ergänzung zu bestimmten Themen der Hauptausstellung verstanden (vgl. NG 2005, 12).24

23 Auf die ICOM (International Council of Museums) und die Gründung des IC Memo (International Committee of Memorial Museums of Remembrance for the Victims of Public Crimes) bin ich in der Einleitung eingegangen. 24 Die in den Studienausstellungen behandelten Themen sind auch in die Hauptausstellung integriert, eine ausführliche Darstellung hätte der Gedenkstätte zufolge aber deren dokumentarische Schrittfolge gestört (vgl. NG 2003a, 15). Das Prinzip der Studienausstellungen wird von der Gedenkstätte flexibel verstanden, da neue Fragestellungen und Forschungsergebnisse immer wieder Eingang finden könnten (vgl. ebd.). In den ehemaligen SS-Garagen ist die Studienausstellung ‚Dienststelle des KZ Neuengamme. Die Lager-SS‘ eingerichtet. Hier können sich die Gedenkstättenbesuchenden über die Karrieren der Täter informieren. (vgl. Lutz 2009, 206-213; Eckel 2007; NG 2005, 12). Rücksicht auf Überlebende des Konzentrationslagers und ihre Angehörigen hat die Gedenkstätte dazu bewogen, eine ausführliche Darstellung der Täter von der Darstellung der Geschichte des Konzentrationslagers in der Hauptausstellung zu trennen (vgl. NG 2003a, 15). Siehe auch die ausführliche Konzeptionsskizze der Gedenkstätte zur SS-Ausstellung (vgl. NG 2003b). Mit den Ausstellungen ‚Mobilisie-

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Seit der Gefängnisverlagerung sind der Gedenk- und Dokumentationsbereich inhaltlich und räumlich voneinander getrennt. Die Mahnmalanlage, mit der 1965 der Grundstein für die Gedenkstätte gelegt worden war, gestaltete man zusammen mit dem heutigen Haus des Gedenkens, dem ersten Ausstellungsgebäude der Gedenkstätte, kontinuierlich zu einem Gedenkbereich aus. In dem in roter Farbe gehaltenen Innenraum des Hauses des Gedenkens sind die Namen der Toten, sofern bekannt, zu lesen. Das Gebäude beherbergt die Totenbücher25, und hier wird der namenlosen Opfer des Konzentrationslagers gedacht.26 Der Gedenkbereich ist der an Personen gebundenen Trauer und dem kollektiven Gedenken und Mahnen gewidmet und soll gemäß dem Anspruch der Gedenkstätte „weitgehend frei von didaktischen Eingriffen“ gehalten werden (Garbe 2011, 65). Das historische Häftlingslager als „Kernbereich des früheren KZ-Geländes“ (ebd., 67) bildet nach der Gefängnisverlagerung den „dokumentarischen Geländekern der KZ-Gedenkstätte“ (Ehresmann 2003a, 4). Hier befindet sich heute der Haupteingang der Gedenkstätte. Die in diesem Bereich gezeigte Dokumentation der KZ-Verbrechen hat andere Funktionen als der Gedenkbereich. Die Hauptausstellung diene ebenso wie das ‚Offene Archiv‘ und das Studienzent-

rung für die Kriegswirtschaft. KZ-Zwangsarbeit in der Rüstungsproduktion‘, die in dem ehemaligen KZ-Rüstungsbetrieb der Walther-Werke gezeigt wird, und ‚Arbeit und Vernichtung. KZ-Zwangsarbeit in der Ziegelproduktion‘, die seit dem 1. Juni 1997 im ehemaligen Klinkerwerk gezeigt wird, werden die Arbeitsbedingungen der im Konzentrationslager gefangenen Menschen dokumentiert (vgl. AGN 2008, 166). 25 Eine Reproduktion eines Totenbuchs ist auch in der Hauptausstellung zu sehen; ein Auszug daraus ist in der Biografiemappe von Johann Trollmann abgebildet. Zum Mord an Trollmann siehe Kap. 4.3.2. 26 An den Wänden der Gebäudegalerie sind vier Meter lange Stoffbahnen mit den Namen von toten Häftlingen befestigt. Die über 22.000 Namen sind chronologisch nach dem Todesdatum zwischen 1940 und 1945 aufgelistet, sodass sich die gegen Kriegsende ansteigenden Todesfälle spiegeln. Die handschriftlich geführten Totenbücher werden in sieben hölzernen Pultvitrinen in einem Seitenraum im Erdgeschoss aufbewahrt. Ein weiterer Raum ist den toten Häftlingen gewidmet, deren Namen nicht bekannt sind; hier befinden sich nichtbedruckte, eingerollte Stoffbahnen gleich denen auf der Galerie. Ebenfalls im Erdgeschoss zeigen zwei Modelle den Gebäudebestand des ehemaligen Konzentrationslagers kurz nach 1945 und den des Jahres 1995; durch ihre Gegenüberstellung wird die Nachnutzung des Lagergeländes verdeutlicht (vgl. NG 2005, 228-233).

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rum27 „ausschließlich der Information“ (Garbe 2011, 65). „Frei von memorialen Funktionen“, so die Gedenkstättenleitung weiter, seien hier „Räume kognitiven Lernens geschaffen“ worden (ebd.). Die räumliche Trennung des Dokumentations- von dem Gedenkbereich und die Weitläufigkeit des Geländes führen dazu, dass der Gedenkbereich bei einem Besuch der Hauptausstellung nicht wahrgenommen werden muss. Andererseits befinden sich mit dem Krematorium und dem Arrestbunker, aber auch mit dem Appellplatz und der ehemaligen Häftlingsunterkunft Tatorte und Orte des Gedenkens im Dokumentationsbereich. Insofern ist die Trennung der Bereiche nicht so klar wie konzeptionell vorgesehen. Zudem wurde für die Ausstellung selbst eine Dokumentationsform gewählt, die aufgrund der hier zahlreich gezeigten Selbstzeugnisse und Biografien Gedenken und Informieren vereint. Mit der nüchternen Gestaltung des Außengeländes der Gedenkstätte, die das historische Lagergelände als in der Gegenwart bearbeiteten Ort kenntlich machen möchte, haben die Verantwortlichen auf Besuchserwartungen bezüglich Echtheit und Anschaulichkeit reagiert. Dazu Detlev Garbe im Interview: „Wir wollten radikal brechen mit der Vorstellung, dass eine unmittelbare Anmutung gewonnen werden kann, von dem, was vor über 60 Jahren an diesen Orten passiert ist. Wir präsentieren hier nicht das einstige Konzentrationslager, sondern einen Erinnerungsort, der darüber informiert, und die Sachzeugen, die es gibt, Gebäude und so weiter, präsentiert. Der Druck ist ja immer da. Erst wollen sie alle keine Gedenkstätte, und dann wollen sie aber unbedingt, dass die Besucher auch mitnehmen, wie es im Konzentrationslager gewesen ist. Das ist ein Druck, der bis heute nicht raus ist, dass man auch die Grausamkeit atmet und spürt und so weiter. Damit wollten wir stark brechen, also keine Rekonstruktionen, keine Inszenierungen, keine Geräusche, keine Effekte.“ (Garbe 2007a)

Mit der Neugestaltung des Lagergeländes soll in der Architektur die Nutzung des Konzentrationslagergeländes nach 1945 zum Ausdruck kommen: Das Außengelände sowie der Appellplatz sind geprägt von der „Kenntlichmachung der Bara-

27 Das Studienzentrum bietet für Einzelbesuchende sowie Schul- und Bundeswehrgruppen ein breites Spektrum pädagogischer Angebote; es reicht von Überblicksführungen über Studientage und mehrtätige Projekte bis zur eigenständigen Erkundung der Ausstellungen mit Arbeitsbögen. Berufsspezifische Studientage, internationale Jugendbegegnungen, Schulaustauschprogramme und Lehrerfortbildungen werden ebenfalls angeboten (vgl. Garbe 2011, 73f.; NG 2003a, 9f.). Ein Überblick über die Pädagogik in Neuengamme findet sich auch auf der Webpage: http://www.kz-gedenkstaette-neuen gamme.de/bildung (30.4.2015).

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ckengrundrisse durch sogenannte ‚Gabionen‘ – einem Gestaltungselement aus dem Landschaftsbau – und die stilisierte Kenntlichmachung der Zaunverläufe durch schlichte Stahlstelen“ (Ehresmann 2003b, 4). Auch der Haupteingang der Gedenkstätte, da, wo sich das ehemalige Lagertor befand, ist ein gestalterischer Versuch, im Außengelände auf Rekonstruktionen zu verzichten und stattdessen vorhandene ‚Spuren‘ freizulegen (vgl. Garbe 2011, 65). Die Gedenkstätte spricht überhaupt viel von ‚Zeitschnitten‘, ‚Zeitschichten‘ oder auch ‚Zeitspuren‘, was auch im Titel der Hauptausstellung zum Ausdruck kommt. So soll die zeitliche Überlagerung der historischen Stätte transparent werden: Das Außengelände und die Ausstellungen sind der Gedenkstätte zufolge „Versuche, die Geschichte des in seiner Authentizität durch die Überformungen geprägten Ortes wenigstens in Teilen sichtbar zu machen“ (NG 2005, 12). Museal vermittelte Geschichte wird in Neuengamme zu einem „Ausdruck einer Suchbewegung ohne Hoffnung auf Vollständigkeit“ (ebd., 13), und Entscheidungen wie die, in der Hauptausstellung „Nutzungsbereiche der Justizvollzugsanstalt […] zu konservieren“ (NG 2003a, 11), sollen auf „Kontinuitäten“ (ebd.) in der Ortsgeschichte aufmerksam machen. Den Besuchenden soll das Konzentrationslager nicht ungebrochen präsentiert werden. Aufgrund ihres ausgeprägten Ortsbezugs ist die Gedenkstätte um die Sichtbarmachung der Vergangenheit bemüht. Auch wenn man beispielsweise keine Häftlingsbaracken nachträglich aufgebaut oder auf das Aufstellen des Lagertors auf dem Außengelände verzichtet hat, wurden an den ehemaligen Tongruben und auf dem Appellplatz Rekonstruktionen vorgenommen; Gebäudereste wurden freigelegt und stellenweise nachgebildet (vgl. Ehresmann 2003b, 4; Eschebach/Ehresmann 2005, 115-119). Durch die Freilegung des ehemaligen Häftlingsbereichs kommt die Gedenkstätte heute weitaus angemessener ihrem Auftrag nach, der dort gefangenen und gequälten Personen zu gedenken und die Verbrechen an diesem historischen Ort zu vermitteln. Dabei zeichnet sich das Vermittlungskonzept gegenüber den vorherigen durch ein hohes Maß an Reflexion auf die Historizität des Geländes aus. Dem Dilemma jedoch, Authentizitätserwartungen nicht bedienen zu wollen, aber dennoch den historischen Ortsbezug ins Zentrum des Selbstverständnisses zu rücken, kann sich Neuengamme nicht völlig entziehen. Und auch Neuengamme folgt, zumindest stellenweise, dem Trend, den Terror der Konzentrationslager als eine von heute abgetrennte Geschichte zu musealisieren.28

28 Den Mitarbeitenden der Gedenkstätte ist das bewusst. Andreas Ehresmann hat auf das Problem der Auratisierung und Historisierung des ehemaligen Lagergeländes hingewiesen (vgl. Ehresmann 2003b, 4).

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4.2.3 Die Ausstellung im Überblick Das Vermittlungs- und das Präsentationskonzept sind stark von der Entscheidung geprägt, die Hauptausstellung nach der Gefängnisverlagerung in einer der Steinunterkünfte des ehemaligen Häftlingsbereichs zu zeigen. Das Ausstellungsgebäude ‚Steinhaus II‘ ist selbst ein Exponat der Gedenkstätte, und seine Geschichte ist sowohl in der Gestaltung als auch in der Themenwahl der Hauptausstellung durchgehend präsent. Die Gebäudewahl hat sich an den „historischen Räumlichkeiten“ (NG 2005, 13) orientiert, und die Ausstellung hat die „Funktion einer ausführlichen Kommentierung des nicht unmittelbar für sich sprechenden Areals“ (ebd.). Die Fenster des Ausstellungsgebäudes geben den Blick auf das ehemalige ‚Schutzhaftlager‘ und das Konzentrationslagergelände frei. Ein wichtiges Besuchsmotiv berücksichtigend – „zu erfahren, wo sich das KZ befand und welche Spuren heute noch existieren“ (NG 2003a, 10) – wurde bei der Gestaltung des Ausstellungsgebäudes zudem angestrebt, „den authentischen Charakter der aus der NS-Zeit erhaltenen Gebäude weitestgehend zu bewahren“ (ebd.). Darüber hinaus greifen sogenannte ‚Zeitfenster‘ und ‚Zeitschichten‘ die Nutzung des Steinhauses über 1945 hinaus auf; in der Ausstellung wird die Gebäudenutzung als Gefängnis sowie als britisches Internierungslager bis 1948 dokumentiert. Im Eingangsbereich der Hauptausstellung macht ein ‚Zeitschnitt JVAHäftlingskantine‘ auf die Nachnutzung des KZ-Gebäudes als Gefängnis aufmerksam.29 Ebenfalls im Eingangsbereich wird – allerdings sehr zurückhaltend – die Frage nach der Bedeutung des Konzentrationslagers in der Gegenwart gestellt: An einer Mediensäule werden Interviewsequenzen abgespielt; Ansichten von Besuchenden, Anwohnenden, Angehörigen von Opfern oder Tätern und von ehemaligen Häftlingen setzen sich zu einem Potpourri heutiger Erwartungen an den historischen Ort zusammen (vgl. Eschebach/Ehresmann 2005, 112). Bei meinen Forschungsaufenthalten in der Gedenkstätte war der Ton allerdings entweder aus oder sehr leise gestellt – die wenigsten Gedenkstättenbesuchenden werden die Aussagen als Reflexion ihrer Besuchsmotivation wahrgenommen haben oder als Anregung, um über die Bedeutung der Vergangenheit für ihre Gegenwart nachzudenken.

29 In der aktuellen Ausstellung ist auf einigen Metern des Foyers der Boden- und Wandbelag aus dem Gefängnis so belassen, wie er bei der Übergabe des Gebäudes an die Gedenkstätte im Jahr 2003 vorgefunden wurde, und es wurden Stühle und Tische aus der Häftlingskantine des Gefängnisses aufgestellt. Der zweite Zeitschnitt befindet sich am Ende des Ausstellungsrundgangs (siehe Kap. 4.3.4).

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Raumplan Hauptausstellung

Quelle: KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Ein ‚Prolog‘ in der unteren Etage stellt den Übergang zum Ausstellungsbereich dar; hierbei handelt es sich um eine Visualisierung der Ankunft im Konzentrationslager aus Gefangenenperspektive, zusammen mit einer knappen strukturgeschichtlichen Einordnung des Konzentrationslagers. Daran anschließend dokumentiert die Hauptausstellung die Geschichte des Konzentrationslagers in sieben Themenbereichen: Der Themenbereich ‚KZ-Standort Hamburg-Neuengamme‘ (1) informiert über die Entstehung des Konzentrationslagers und die Stadt Hamburg, die Organisationsstrukturen des Lagers und dessen Einbindung in die örtliche Umgebung. ‚Die Häftlingsgruppen‘ (2) veranschaulicht die Internationalität und die Entwicklungsphasen des Konzentrationslagers und wird vom Leiter der Gedenkstätte als „Herzstückraum“ (Garbe 2007a) bezeichnet. ‚Alltag und Arbeit‘ (3) verdeutlicht das tägliche Leiden der Häftlinge. Diesem Bereich sind unterschiedliche Formen von ‚Selbstbehauptung, Kultur, Widerstand‘ (4) gegenübergestellt. Die Themenbereiche ‚Vernichtung und Tod‘ (5), ‚Die Außenlager‘30 (6) und ‚Das Ende…‘ (7) über die Auflösung und Räumung des Konzentrationslagers schließen sich an. Die erste Etage schließt mit der Befreiung des Konzentrationslagers. In der unteren Etage folgen drei Themenbereiche, die den

30 In zwei ihrer drei Außenstellen informiert die Gedenkstätte über die ehemaligen Außenlager Sasel und Fuhlsbüttel (vgl. Garbe 2011, 67). Die dritte Außenstelle ist die Gedenkstätte Bullenhuser Damm.

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Zeitraum zwischen 1945 und 2003 behandeln. Ein kleinerer Teil der Ausstellungsfläche ist dem ‚Weiterleben nach der Befreiung‘ (8) gewidmet. Die ‚Nachnutzung des Geländes‘ (9) behandelt das Internierungslager und das Gefängnis. Der letzte Themenbereich ‚Formen des Erinnerns‘ (10) beschäftigt sich schließlich mit der neu gestalteten Gedenkstätte und dem ihr vorausgegangenen langjährigen Engagement. Die Themenbereiche werden durch einen Kellerbereich ergänzt, in dem Häftlinge bei Fliegeralarm eingepfercht wurden oder in dem sie zwangsarbeiteten. Der Ausstellungsrundgang verläuft durch offene und langgestreckte Räume auf zwei Etagen. Der Raumeindruck ist hell: Die Ausstellungsräume sind weiß gestrichen, durch Neonlicht beleuchtet und mit Tageslicht durchflutet. Unterstützt von der Ausstellungsarchitektur werden die Themenbereiche und Raumabschnitte zu einer chronologischen Geschichtsdarstellung verbunden. Die Anordnung der Themenbereiche, teilweise mehrere in einem Raum, gibt zwar einen Rundweg vor, ein Treppenaufgang, der sich in der Mitte des Gebäudes befindet, ermöglicht aber eine Auswahl von Themenbereichen. Die Offenheit und Linearität des Ausstellungsbereichs sowie das an die Vorgängerausstellung angelehnte System der Informationsträger wirken sich auf die Akustik aus. Die Ausstellung ist auffällig geräuschempfindlich und wird in ihrem weitläufigen Aufbau von einigen Besuchenden als ermüdend empfunden. Die Ausstellung ist mit Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch viersprachig; die deutschen Texte sind in schwarz, die englischen in blau, die französischen in rot und die russischen in grün gehalten.31 Die Sammlung der Gedenkstätte besteht im Wesentlichen aus den bis Ende der 1940er Jahre gesammelten Häftlingsberichten und einer großen Anzahl Interviews aus einem in den 1990er Jahren durchgeführten Oral-History-Projekt der Gedenkstätte (vgl. Jureit/Orth, 1994). Zudem werden der Gedenkstätte Teile von Nachlässen, Veröffentlichungen und Materialsammlungen von überlebenden

31 Die Internationalität der Neuengammer Häftlinge ist der Hauptgrund für die Viersprachigkeit der Ausstellung, die sich auf Raumtafeln, Raumabschnittstafeln und Bildsowie Objekttitel erstreckt. Der Gedenkstättenleitung zufolge trägt die französische Sprache dem Umstand Rechnung, dass die Amicale International Neuengamme weitgehend französischsprachig ist, die russische Ausstellungssprache berücksichtigt, dass 60 Prozent der Häftlinge aus Osteuropa kamen, wobei auf Polnisch als fünfte Ausstellungssprache aus Platzgründen verzichtet worden ist (vgl. Garbe 2007, 351f). Ein Audioguide bietet seit 2008 eine Unterstützung bei Erschließung des Außengeländes an; während meiner Datenerhebung in fünf Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Dänisch, Niederländisch).

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Häftlingen oder Angehörigen übergeben (vgl. Garbe 2011, 70). Die Ausstellungsräume stellen viele unterschiedliche Häftlinge und ihre Berichte vor und zeigen als historische Quellen auch Täterdokumente, dreidimensionale Exponate und Fotografien. Zum Teil handelt es sich dabei um Leihgaben anderer Gedenkstätten. Die zentralen Exponate der Hauptausstellung sind Erinnerungsberichte und andere Selbstzeugnisse wie beispielsweise Zeichnungen.32 Dem Problem der Unübersichtlichkeit großer Ausstellungsflächen begegnete man mit einer überschaubaren Gliederung, die für den Besuch als „roter Faden“ (NG 2003a, 16) dient. So werden im Ausstellungsbereich verschiedene Exponate auf drei unterschiedlichen Rezeptionsebenen präsentiert. Die erste Rezeptionsebene fasst die Hauptaussage des jeweiligen Raumthemas zusammen und zeigt ein zentrales großformatiges Exponat – in der Regel eine Fotografie, Häftlingszeichnung oder ein Täterdokument. Auf der zweiten Ebene befinden sich die Raumabschnitte, die verschiedene Exponate mit ausführlichen Kommentierungen zeigen. Eine dritte Rezeptionsebene hat „Archivcharakter“ (ebd., 18) und setzt sich aus Lesemappen, Schubladen, Hörstationen, Bildprojektionen und Ton- und Bildeinspielungen in Computerterminals zusammen. „Transparenz“, „Methodenvielfalt“ sowie „Quellenkritik und Überlieferungsgeschichte“ gehören zu den ausstellungsdidaktischen Grundsätzen (ebd., 16f.). Die Hose eines Häftlings oder andere Gegenstände werden heute – anders als in der Vorgängerausstellung – mit Angaben zu ihrer Herkunft und Überlieferungsgeschichte quellenkritisch eingeordnet.

4.3 C LOSE -U PS

DER

P RÄSENTATION

Um zur Hauptausstellung im ‚Steinhaus II‘ zu gelangen, müssen die Besuchenden, wenn sie nicht zuerst das Mahnmal aufgesucht haben, den ehemaligen Appellplatz überqueren und entlang der aufgeschütteten Barackengrundrisse zum Eingang der Präsentation gehen.

32 Zu Zeichnungen von Neuengammer Häftlingen siehe Heß 2010.

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‚Kultur entdecken. Kultur erleben!‘ – Schild vor ‚Steinhaus I‘ ‚Steinhaus II‘ am Appellplatz mit Barackengrundrissen

Quelle: Cornelia Geißler

Der neue Haupteingang der Gedenkstätte befindet sich neben dem ‚Steinhaus I‘, das der Straße zugewandt ist. An der Bushaltestelle am Haupteingang, die den Namen ‚KZ-Gedenkstätte (Ausstellung)‘ trägt, verwandelt ein Informationsschild der Stadt Hamburg die Gedenkstätte zum touristischen Teil von ‚Kultur entdecken. Kultur erleben!‘ (so der Schriftzug des Schilds) und damit die an diesem Ort begangenen NS-Verbrechen zum Kulturgenuss. Das steigende öffentliche Interesse, KZ-Gedenkstätten aufzusuchen und sich mit den dort begangenen Verbrechen zu beschäftigen, erfolgt in einem gesellschaftspolitischen Setting, das die museale Inszenierung der Massenverbrechen als kulturelles Phänomen erlebbar werden lässt. Nachfolgend untersuche ich vier ausgewählte Ausstellungsbereiche im Close-Up, in denen Personalisierungen besonders zum Tragen kommen. So kann ein möglichst breites Spektrum an personalisierenden Präsentationsformen der KZGedenkstätte in den Blick genommen werden. Wie bei den vorangegangenen Ausstellungsanalysen (Kap. 2.3 u. 3.3) führe ich im Folgenden nicht systematisch durch die Präsentation. Um jedoch fragen zu können, welche Aufgaben und Funktionen personalisierende Elemente in der Neuengammer Hauptausstellung übernehmen, werden auch in den vorliegenden Kapiteln der in die Präsentation einführende Ausstellungsbeginn und in den Ausstellungsrundgang eingefügte Gegenwartsbezüge berücksichtigt.

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4.3.1 Der Eintritt ins Konzentrationslager und das KZ-System Der ‚Prolog‘ der Ausstellung ist in den Beginn des ersten Themenbereichs ‚KZ Standort Hamburg-Neuengamme‘ (1) integriert. Der Ausstellungsrundgang beginnt mit einer Holz-Stacheldraht-Konstruktion, die den Eintritt in das Konzentrationslager symbolisieren soll: ein „Flügeltor des Lagertors (Original)“, so der Objektkommentar.33 An dem Tor befindet sich eine SS-Aufnahme des historischen Lagereingangs zusammen mit einem Zitat von Georges Jidkoff, der als französischer Häftling von Mai 1944 bis April 1945 in Neuengamme gefangen war, wo er den Tod seines Freundes erleben musste: „Es kam mir vor, als wären wir auf einem anderen Planeten gelandet. Es herrschte offener Terror“, so ein Ausschnitt aus dem Erinnerungsbericht. Lagertorflügel am Ausstellungsbeginn

Quelle: Cornelia Geißler

Um den Besuchenden nicht zu suggerieren, sie beträten ein Konzentrationslager, hat man es unterlassen, den originalen Torflügel am Gedenkstätteneingang, im Außengelände, zu präsentieren. Stattdessen, und hier wird die lenkende Hand der

33 Es handelt sich um den linken Torflügel des ehemaligen Häftlingslagers, der 1952 von der Stadt Hamburg der französischen Regierung übergeben und 2003 durch die Vermittlung des französischen Häftlingsverbands Amicale de Neuengamme der Gedenkstätte überlassen wurde.

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Ausstellungskuratorinnen und -kuratoren sichtbar, wurde der Torflügel in den Ausstellungsrundgang im Gebäude integriert, in dem es nie stand. In diesem Kontext erhält es eine nicht unsinnige symbolische Vermittlungsfunktion, die Detlev Garbe im Interview wie folgt schildert: „Das originale Tor begegnet einem in der Ausstellung als erstes Großexponat, um zu zeigen, man tritt aus einer anderen Welt in die Welt des Lagers hinein, in dem andere Normen galten, als sie außerhalb gegolten haben.“ (Garbe 2009) In der so bereitgestellten Perspektive schieben sich der Ausstellungsbesuch und der Eintritt in das Konzentrationslager ineinander. Der historische Ortsbezug jedoch, der im Außengelände gebrochen werden soll, gleichwohl der Konzeption der Gedenkstättenausstellung immanent ist, wurde in die Ausstellung übernommen und fällt an dieser Stelle besonders auf. In der Eingangssequenz kommt zudem wiederum der multiperspektivische Ansatz zum Ausdruck: Gegen das Foto und die ihm eingeschriebene SSPerspektive eines leeren und aufgeräumten Konzentrationslagers steht die Erinnerung von Georges Jidkoff, die die Gedenkstättenbesuchenden auffordert, die Sicht der Häftlinge auf das Lager einzunehmen. Der mögliche Fehlschluss, das Konzentrationslager Neuengamme, das für die Häftlinge ein „abgeriegelter Kosmos“ war (Sofsky 2004, 24), sei auch völlig abgeschottet und losgelöst von der jenseits des Lagereingangs bestehenden Gesellschaft gewesen, wird mehrfach im Ausstellungsbereich gebrochen. Vielmehr wird versucht, die Geschichte des Konzentrationslagers in einen breiteren gesellschaftspolitischen Kontext zu stellen. In diesem Sinne gibt der dem Lagertor folgende ‚Prolog‘ anhand einer Wandkarte und eines schlaglichtartigen historischen Überblicks Informationen über die Entstehung und Funktion von Neuengamme innerhalb des KZ-Systems. Der strukturgeschichtliche Überblick behandelt sechs Themen und ist in Inhalt und Form stark reduziert.34 Die Themen werden von

34 ‚Auf dem Weg zur Macht‘ visualisiert mit Fotos den Zusammenbruch der Weimarer Republik mit den Wahlergebnissen von 1919 bis 1932, darunter werden Hitler und eine öffentliche Massenkundgebung in Hamburg-Lokstedt 1932 gezeigt. Auf die ‚Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat‘, mit der am 28. Februar 1933 der offene Terror gegen Kommunisten und andere Teile der Zivilbevölkerung ausgeweitet wurde, folgt ein Foto, das diesen Terror des NS-Regimes verbildlicht: „SA-Mann mit Festgenommenen, März 1933“ lautet der unpersönliche Bildkommentar. Die frühen Konzentrationslager werden in ‚Entstehung des KZ Systems‘ als Orte von politischer Macht gezeigt. Die ‚Verfolgung der jüdischen Bevölkerung und anderer Minderheiten 1933-1939‘ deutet den öffentlichen und gewalttätigen Antisemitismus sowie die Verdrängung der Jüdinnen und Juden aus der deutschen Gesellschaft an. ‚Stabilisierung der NS-Herrschaft‘ betont die juristische und wirtschaftliche Gleichschaltung, und un-

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Detlev Garbe als „Impulse“ für eine historische Einordnung des Konzentrationslagers bezeichnet (Garbe 2010). Die schriftlichen, mehr noch die bildlichen Quellen des Überblicks orientieren sich am Kriegsverlauf, stellen Ortsbezüge her, veranschaulichen die Konsolidierung des NS-Regimes in Hamburg und deuten die Zustimmung der Gesellschaft an. Im Gegensatz zur restlichen Ausstellung orientiert sich die am Ausstellungsbeginn gewählte Darstellungsweise des historischen Überblicks nicht an der Opferperspektive. Präsentiert werden Grafiken, Dokumente des NS-Regimes, ein Zitat Heinrich Himmlers sowie SchwarzWeiß-Aufnahmen der nationalsozialistischen Führungsebene, von besiegten deutschen Soldaten und KZ-Häftlingen, von Massenerschießungen und gedemütigten Juden. Die Abbildungen zeigen namenlose Opfer, und bis auf die bekannten Nazigrößen bleiben auch die Namen der Tatorte überwiegend unbenannt. Während die Guides bei ihren Führungen durch die Ausstellung in der Regel auf das NS-Terrorsystem anhand der Überblickskarte ‚Konzentrationslager und ihre Außenlager im Zweiten Weltkrieg‘ eingehen, ziehen die sechs Schlaglichter des thematischen Überblicks in der Mitte des Raumabschnitts deutlich weniger Aufmerksamkeit auf sich. Zudem werden wichtige Informationen, die der erste Themenbereich auch bietet, wie die ökonomischen Verflechtungen oder die Sichtbarkeit des Konzentrationslagers und der hierhin verschleppten Männer und Frauen für Anwohnende, leicht übersehen, da sie abseits des Rundgangs in einer abgelegenen Raumecke eingerichtet sind. Die für den Ausstellungsbeginn gewählte nichtpersonalisierende Einordnung von Neuengamme in die nationalsozialistische Verfolgungspolitik wird im anschließenden Ausstellungsbereich nicht wiederholt. Das in den folgenden Themenräumen stattdessen umgesetzte neue Präsentationskonzept der Gedenkstätte kündigt der Prolog an: Dieses setzt auf eine stark reduzierte historische Kontextualisierung und auf persönliche Häft-

ter ‚Krieg‘ werden die von Deutschland angegriffenen bzw. besetzten Länder vor Augen geführt, wobei mit den beiden Abbildungen ‚Kriegszerstörungen in der Sowjetunion‘ und ‚Deutsche Soldaten beim Rückzug aus der Sowjetunion‘ der Krieg gegen die Sowjetunion und deutsche Soldaten als Opfer ihrer eigenen Untaten hervorgehoben werden. Unter ‚Massentötungen und Konzentrationslager 1939 bis 1945‘ sind eine Massenerschießung in Winnyzja (Ukraine) 1942 und eine Selektion in AuschwitzBirkenau abgebildet, ergänzt durch eine Luftaufnahme, die den SS-Militär- und Wirtschaftskomplex beim Konzentrationslager Dachau zeigt. Das abschließende Foto ist eine Aufnahme von einem namenlosen halbtoten Häftling des Neuengammer Außenlagers Wöbbelin, das in den letzten Kriegsmonaten in ein Sterbelager verwandelt wurde.

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lingsberichte und einzelne Lebensläufe, die über die Verbrechen an dem historischen Ort informieren. 4.3.2 Häftlingsbiografien und Raumstruktur Im zweiten Themenbereich werden Häftlingsbiografien in roten Stoffmappen präsentiert und verdichten sich zur Raumstruktur. Dieser Ausstellungsbereich ist mit ‚Die Häftlingsgruppen‘ (2) betitelt; auf den ursprünglich geplanten Zusatz ‚Europa in Neuengamme‘35 wurde verzichtet. Daneben informiert eine ‚Zeitschicht‘ über die Raumnutzung im Konzentrationslager, im Internierungslager und im Gefängnis.36 Die Problematik des Nebeneinanders verschiedener historischer Epochen wird insofern entschärft, als sich die museale Vermittlung im Raum selbst auf das Konzentrationslager beschränkt. Mit der Anordnung und Anzahl der Biografiemappen im Ausstellungsraum sollen die unterschiedlichen Häftlingsgruppen möglichst repräsentativ und nach Nationalität, Gruppenstärke, Haftgründen, Geschlecht und Chronologie der Einlieferung vergegenwärtigt werden (vgl. Garbe 2007a). Um die Häftlinge aus Europa vorzustellen, sollten, so die konzeptionellen Überlegungen, aus allen Häftlingsgruppen „individuelle Beispiele“ ausgewählt und „Hintergründe der Verhaftung bzw. die politische Lage in den Heimatländern thematisiert werden“ (ebd.). Die Häftlingserinnerungen in den roten Klappbüchern prägen die Raumstruktur, denn das Konzentrationslager wird anhand der unterschiedlichen Häftlingsgruppen vorgestellt. In der Regel machen die Guides die von ihnen betreuten Schulgruppen auf die roten Mappen aufmerksam. Ihre Anordnung im Raum sowie die Kombination mit dazu passenden Fotografien und Zitaten ermöglichen den Be-

35 Der ursprüngliche Titelzusatz sollte anzeigen, dass die Mehrheit der Häftlinge nicht aus Deutschland, sondern aus verschiedenen europäischen Ländern in das Konzentrationslager verschleppt worden war. Der Zusatz hätte auch die pädagogische Funktion der „Herausbildung einer gemeinsamen europäischen Identität“ unterstrichen, die mit der Neugestaltung festgelegt wurde (Bürgerschaft 2001, 2). Da dieser Titelzusatz im Ausstellungskatalog noch enthalten ist, bietet der Band eine gedanklich-politische Brücke von den Häftlingen aus Europa zum europäischen Gedenken an. Der aktuelle Raumplan, den die Webpage der Gedenkstätte zeigt, verzichtet ebenfalls auf den Zusatz (siehe Kap. 4.2.3). 36 Die ‚Zeitschicht‘ trägt den Titel ‚Ehemaliger Schlafsaal‘ und macht auf den „Schlafsaal für 250-350 KZ-Häftlinge des Blocks 24 (späterer Block 28)“ aufmerksam sowie darauf, dass der Raum von 1945 bis 1948 als „Unterkunft für Internierte und bis 1950 als Unterkunft für Gefangene“ genutzt wurde. Nach mehreren Jahren Leerstand befanden sich hier die Kleiderkammer und das Magazin der Jugendvollzugsanstalt.

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suchenden eine schnelle Auswahl an Lebensläufen, die sie interessieren. Mit der konzeptionellen Überlegung, als „Gliederungsprinzip“ (NG 2003a, 28) des Themenbereichs „die Chronologie der Erstankunft der jeweiligen Häftlingsgruppen“ (ebd.) zu wählen, sollte vermieden werden, dass die von der SS geschaffene Rangordnung der Häftlingsgruppen und die Hierarchien im Selbstbild der Häftlinge in der Rezeption wiederholt werden (vgl. ebd., 19). Die Biografien sind heute auf die Raumhälften verteilt: Auf der linken Seite werden die deutschen Häftlingsgruppen vorgestellt, das heißt die politischen Häftlinge, Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, sogenannte Asoziale und Kriminelle. Die andere Raumhälfte stellt Biografien nichtdeutscher Häftlinge vor.37 Biografien als Strukturprinzip, Themenraum ‚Die Häftlingsgruppen‘

Sulejka Klein (Monitor), Johann Trollmann (Foto und Mappe)

Quelle: Cornelia Geißler

Einen Blickfang des Raums bildet die Schwarz-Weiß-Aufnahme eines jungen Mannes beim Boxsport. Das Foto zeigt Johann Trollmann, einen Sinto aus Deutschland, dem eine der Biografiemappen gewidmet ist. Darin erfahren Besuchende, dass Trollmann 1928 deutscher Boxmeister war und den Spitznamen ‚Rukeli‘ trug. Die biografischen Informationen stellen Trollmann als Person mit einem Leben vor der Verfolgung vor. Eine Kurzbiografie enthält seine Lebensdaten während der Verfolgung:

37 Einige Biografien im hinteren Teil des Raums sind Themen zugeordnet, die nicht eigenständig in der Ausstellung vorkommen: ‚Verständnisprobleme und Lagersprache‘, ‚Lagerhierarchie‘, ‚Transportbedingungen‘ und ‚Kinder und Jugendliche‘.

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„*27.12.1907 (Wilsche/Kr. Gifhorn), †9.2.1943 (KZ Neuengamme) Boxer; 1933 Deutscher Meister im Halbschwergewicht; 1935 Verbandsausschluss; 1938 Verhaftung wegen ‚Herumtreibens‘; Arbeitslager Hannover-Ahlem; 1939 Soldat; 1941 Verwundung an der Ostfront; 1942 erneute Verhaftung; KZ Neuengamme.“

Auf den folgenden Seiten der Mappe werden die biografischen Angaben weiter ausgeführt. Trollmanns Ausschluss aus der deutschen Gesellschaft wird anhand seiner verhinderten Boxerkarriere verdeutlicht und durch allgemeine Informationen zur Verfolgung der Sinti und Roma ergänzt. Es folgen weitere Fotos sowie eine Seite des Neuengammer Totenbuchs, das verschleiernd als Todesursache 38 Herzversagen angibt. Zeitungsartikel aus der Nachkriegszeit schließen sich an. Durch diese erfahren Besuchende, dass Trollmann 2003 vom deutschen Boxverband rehabilitiert und 2004 eine Straße in Hannover nach ihm benannt wurde. Auf der Rückseite der Stellwand mit Trollmanns Biografie werden Geschichte und Hintergründe der Verfolgung der Sinti und Roma beschrieben. Auf einem dazugehörigen Tisch sind drei Dokumente ausgestellt: Zunächst der Runderlass des Reichsministeriums des Inneren „zur Bekämpfung der Zigeunerplage“ vom 8.12.1938.39 Kontrastiert wird der Erlass zum einen durch eine Fotografie, die Sulejka Klein40 zeigt, sowie zum anderen durch ein Zitat Wanda Edelmanns, in dem diese von ihrer Verhaftung berichtet. In der Schublade des Informationsträgers befinden sich weitere Täterdokumente, und an einem Monitor informiert eine Bild- und Toneinspielung mit dem Titel ‚Nicht zugehörig‘ über die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma sowie über Sulejka Klein und Wanda Edelmann. Insgesamt befinden sich knapp zwei Drittel der in der Ausstellung gezeigten Biografiemappen in diesem Ausstellungsraum. In den Mappen, auf den Tischen und in den Schubladen werden Fotos, schriftliche Dokumente, Auszüge aus Er-

38 Zum Zeitpunkt der vorliegenden Untersuchung waren die Todesumstände von Trollmann in der Mappe nicht ausgeführt. Die Forschung geht davon aus, dass er in dem Neuengammer Außenlager Wittenberge durch den Kapo Emil Cornelius erschlagen wurde. Vgl. Möller 2012; Repplinger 2012; siehe auch: http://www.johann-troll mann.de/roger-repplinger.html (17.12.2014). 39 Der Objektkommentar zum Erlass erklärt, dass die „Feststellung einer angeblichen ‚rassischen Minderwertigkeit‘ der Sinti und Roma als Begründung […] für ihre Verfolgung“ diente. 40 Sulejka Klein wurde am 17.10.1929 geboren und kam im Jahr 1944 nach einer leidvollen Zeit im ‚Zigeunerlager‘ in Auschwitz-Birkenau über Ravensbrück in das Außenlager Sasel des KZ Neuengamme, wo sie mit 18 Jahren an Erschöpfung starb.

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innerungsberichten, Zeichnungen und manchmal auch persönliche Gegenstände gezeigt. Audiovisuelle Medienstationen zwischen den Tischreihen bieten auf Knopfdruck Informationen zu den biografisch vorgestellten Häftlingen oder Häftlingsgruppen, teilweise mit Interviewsequenzen, Montagen aus historischem Foto- oder Filmmaterial und eingeblendeten Zeichnungen. Zusammen mit den Sitzhockern scheinen die Monitore besonders attraktiv für Jugendliche zu sein. Die Biografiemappen und die auf den Tischen abgebildeten Dokumente geben einen leseintensiven Raum vor. Die meisten persönlichen Gegenstände der Häftlinge – z. B. Schmuck, Uhren oder Taschenmesser, die ihnen bei Ankunft im Konzentrationslager abgenommen wurden – werden in Vitrinen an der hinteren Raumwand ausgestellt und sind kaum in die Raumgestaltung eingebunden. Wichtigstes Medium für die Erinnerung an die Häftlinge bleiben somit ihre schriftlichen Biografien. Den Eindruck von diesem Raum dominieren die vielen Personen mit ihren Biografien. Das ist eine Möglichkeit, die Häftlinge nicht auf die Zuschreibungen der SS zu reduzieren. Die Biografien beschreiben das Konzentrationslager in seinen individuell unterschiedlichen Bedeutungen. Auf diese Weise gelingt es etwa, das besondere Schicksal der Sinti und Roma sowie der Jüdinnen und Juden in deutschen Konzentrationslagern aufzuzeigen. Die Häftlingsgruppen sind heute nicht mehr wie noch in der früheren Ausstellung um den roten Winkel gruppiert, sondern werden nach ihren verschiedenen Haftgründen differenziert. Der politische Hintergrund vieler deutscher Häftlinge tritt in der Präsentation dadurch allerdings zurück. Für die Biografien wurden von über 100.000 Personen, die nach Neuengamme deportiert worden waren und deren Namen nur zur Hälfte bekannt sind, ca. 80 Lebensläufe ausgewählt. Biografien von NS-Opfern zu erstellen bedeutet immer, auf wenige Zeugnisse zur Veranschaulichung bestimmter thematischer Aspekte angewiesen zu sein. Der im Konzentrationslager ermordete Trollmann ist insofern eine Ausnahme, als die hohe Sterblichkeit in Neuengamme und seinen Außenlagern sich sonst kaum in den präsentierten Biografien spiegelt. Dazu der ehemalige Neuengammer Häftling Bringmann im Interview: „Die Biografien, die es da in der Ausstellung gibt, das ist ja nur eine kleine Darstellung gegenüber den vielen Toten, die es in Neuengamme gegeben hat. Die dann nicht überlebt haben. Das ist eine bescheidene Sache“ (Bringmann 2008). Das Individuelle ist in dem von Häftlingsbiografien geprägten Raum überall präsent. Die porträtierten Personen verdeutlichen die unterschiedlichen Hafterfahrungen und fordern dazu auf, die eingesperrten bzw. ermordeten Menschen nicht zu vergessen. Die Einzelnen werden in der Masse der Häftlinge sichtbar, doch stehen sie nicht für sich. In der Raumkonzeption erhalten sie vielmehr die

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Funktion, die Häftlingsgruppen und andere gruppierende Aspekte exemplarisch zu verbildlichen – und so drohen sie, in der Fülle der Lebensläufe wieder unterzugehen. 4.3.3 Selbstzeugnisse und Gegenstände Der dritte Themenbereich informiert in mehreren Raumabschnitten über ‚Alltag und Arbeit‘ (3) im Konzentrationslager und ist fester Bestandteil der Ausstellungsführungen. Der Raum ist besonders anschaulich gestaltet. So werden auf einem Großteil der Fläche Gegenstände präsentiert: Barackenmodelle, Häftlingskleidung, Arbeitsgeräte etc., daneben Fotografien, die in der Regel die Sicht der SS auf die Häftlinge wiedergeben, und viele Zeichnungen und Erinnerungsberichte von Häftlingen. Auch hier gibt es Biografiemappen, die bestimmten Themen zugeordnet sind, ebenso wie Monitore und Hörstationen, die die Möglichkeit bieten, sich mit Lebens- bzw. Überlebensbedingungen in Neuengamme auseinanderzusetzen. Gleich zu Beginn ist ein dreistöckiges Häftlingsbett aufgestellt, das mit seinen strohbedeckten Holzpritschen einen Eindruck von den Bedingungen im Konzentrationslager vermitteln soll. Das für das KZ-System typische Etagenbett ist als Leihgabe der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme ausgewiesen. Ein Zitat eines Häftlings berichtet auf einer am Bett angebrachten Tafel von der Enge, die zwischen den Häftlingspritschen herrschte. Informationen über die in den letzten Kriegsjahren zunehmende Überfüllung der Schlafsäle finden sich in einer Tischvitrine. Diese enthält zudem ein weiteres Zitat aus einem Häftlingsbericht sowie eine Häftlingszeichnung. Durch die so vorgenommene Veranschaulichung der unterschiedlichen Phasen des Konzentrationslagers wird den Besuchenden vermittelt, dass zunehmend weniger Pritschen zur Verfügung standen und die Häftlinge eng gedrängt auf dem Boden schlafen mussten.41 Das Trägersystem in der

41 Die Situation, bevor die Häftlingsblöcke 1941 mit Pritschen, Spinden, Tischen und Bänken ausgestattet wurden, veranschaulicht ein Zitat von Edgar Kupfer-Koberwitz, einem deutschen Häftling, der von Januar bis Ende April 1941 in Neuengamme gefangen war: „Nirgends war ein Bett oder ein Schrank. Auf dem Boden lagen Strohsäcke, einer neben dem anderen, in langen Reihen.“ Neben diesem Auszug aus dem Häftlingsbericht ist eine Zeichnung abgebildet, auf der auf dem Boden liegende Häftlinge zu sehen sind. Erst aus dem Objektkommentar wird deutlich, dass die Zeichnung der Überschrift ‚Liegende Häftlinge‘ zugeordnet ist und sich nicht auf die von KupferKoberwitz beschriebene Phase des Konzentrationslagers bezieht. Die Federzeichnung von Ragnar Sørensen, einem norwegischen Häftling, der im März/April 1945 in Neu-

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gesamten Ausstellung zitiert gestalterisch die Bettstruktur, was jedoch den wenigsten Besuchenden auffallen wird. Die moderne Ausstellungsarchitektur ist hingegen auffällig und auch die Versuche, einen Eindruck von Unmittelbarkeit herzustellen, mit diesem aber zugleich brechen zu wollen. Das Ziel der Ausstellung jedoch, den Alltag im Konzentrationslager sichtbar zu machen, dabei die Gestaltung des Themas gleichsam mit auszuweisen, hat stellenweise unklare Ergebnisse. So wird auch den Wenigsten auffallen, dass mit dem Licht-SchienenGestell an der Raumdecke die Höhe des Schlafraums und somit die Enge auf der oberen Pritsche angedeutet werden soll. Auffälliger sind die engen Gänge zwischen den Informationsträgern, die die beengten Verhältnisse in dem Schlafsaal verdeutlichen sollen. Die Besuchenden drängeln sich um die Tischvitrinen, und an manchen Tagen finden die Guides kaum eine Stelle, wo sie ungestört mit ihren Schulgruppen sprechen können. Da eine ausführliche Auseinandersetzung mit Zwangsarbeit in den Sonderausstellungen und auf dem Außengelände stattfindet, vermittelt die Hauptausstellung vor allem einen gegenständlichen Eindruck der (Über-)Lebens- und Arbeitsbedingungen. So sind in der Raummitte, im Abschnitt ‚Die Arbeit der Häftlinge im Hauptlager‘, unterschiedliche Arbeitsgeräte aus dem Konzentrationslager zu einem Ensemble arrangiert. Die mörderische Schinderei im Häftlingslager oder im SS-Bereich wird durch eine grüne Kartoffeltrage, eine blaue Ziegelkarre, eine Lore sowie eine Schubkarre symbolisiert. Ein Karteischrank, der allerdings aus der Nachkriegszeit stammt, steht für die Registrierung als KZHäftling. Die Objektkommentare sind um Transparenz, wissenschaftliche Korrektheit und Sachlichkeit bemüht.42 Auf dem Trägersystem werden unterschiedliche Aspekte von Arbeit im Konzentrationslager anhand von offiziellen Dokumenten, Häftlingszeichnungen und Fotografien gezeigt. Auch hier kommt die Multiperspektivität der Ausstellung zur Geltung. So wird etwa dem Dokument ‚Befehl Arbeitszeiten‘ die Häftlingszeichnung ‚Ausmarsch der Arbeitskommandos‘ von W. Petrow gegenübergestellt.

engamme gefangen war, trägt den Titel: ‚Häftlinge im Sonderlager der Skandinavier, auf den Betten liegend März/April 1945.‘ 42 Wie in Kap. 6.1 gezeigt wird, sind ‚Versachlichung‘ und ‚Verwissenschaftlichung‘ (vgl. Marcuse 1993, 87) nicht nur Charakteristika der Gedenkstätte Neuengamme, die die Ausstellungsbereiche von frühen NS-Ausstellungen unterscheiden.

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Sex-Zwangsarbeit. ‚Die Sicht der Frauen‘

Quelle: Cornelia Geißler

Zwischen den Gegenständen werden Selbstzeugnisse präsentiert. Insbesondere Erinnerungsberichte und Zeichnungen der Häftlinge fallen in der Exponatdichte auf. So etwa an dem Thementisch ‚Zwangsprostitution‘, der dem Bereich ‚Zwangsarbeit‘ zugeordnet ist und in einer Weise präsentiert wird, die das besonders Erniedrigende dieser Form von Zwangsarbeit nicht verfehlt. An einer Tischseite informieren Mappen über das Kalkül der SS, die andere Seite des Tischs ist der Sicht der Frauen gewidmet. Eine Zeichnung, die von Felix Lazare Bertrand stammt, zeigt eine junge Frau, die neben einem KZ-Aufseher am Lagerzaun entlanggeht. An einer Hörstation auf dieser Tischseite können Besuchende einen nachgesprochenen Auszug aus einem Erinnerungsbericht von Frau X43 über ihre Sex-Zwangsarbeit hören. Auch in den weiteren Mappen zu diesem Thema sticht der Gegensatz zwischen Gefangenenperspektive und SS-Sicht deutlich hervor. Durch die spezifische Gestaltung des Ausstellungstischs wurde versucht, einen Aspekt des Konzentrationslagers zu beleuchten, über den kaum persönliche Zeugnisse vorliegen. Die Verwendung von Zeichnungen zur Veranschaulichung besonders grausamer Ereignisse im Konzentrationslager wird besonders deutlich in dem Raum-

43 Biografische Angaben entfallen in diesem Fall auf Wunsch der Überlebenden (vgl. Jensen 2012).

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abschnitt ‚Die Behandlung der Kranken und Geschwächten‘. Hier werden zudem private Fotos von Jacqueline Morgenstern, Sergio de Simone sowie Eduard und Alexander Hornemann gezeigt – vier der zwanzig jüdischen Kinder, die für Tuberkuloseexperimente des SS-Arztes Kurt Heißmeyer von Auschwitz nach Neuengamme gebracht worden waren und anschließend in der Schule am Bullenhuser Damm erhängt wurden. Die Häftlingszeichnungen sind tragende Elemente der Ausstellung. Dies unterstreicht auch der im selben Ausstellungsraum eingerichtete vierte Themenbereich ‚Selbstbehauptung, Kultur, Widerstand‘ (4): Auf einem großen Tisch werden Zeichenmappen präsentiert, die gestalterisch an den Biografiemappen orientiert und den Häftlingen gewidmet sind, deren Werke in der gesamten Ausstellung gezeigt werden. 4.3.4 Von 1945 bis zur Neugestaltung der Gedenkstätte Ein Monitor im Themenbereich ‚Nachnutzung des Geländes‘ (9) zeigt britische Filmaufnahmen vom Mai und Juni 1945, die Einblicke in das befreite Konzentrationslager Neuengamme geben. Die Aufnahmen fallen jenen Besuchenden auf, die das Erdgeschoss über die Treppe am Gebäudeende betreten. Ergänzend werden vier Fotos kommentiert: Auf einer Aufnahme ist der politische Häftling Arthur Lange zu sehen, wie er den britischen Soldaten ein Radio vorführt, mit dem die Häftlinge BBC hörten; die Fotografie wird im Kommentar als Widerstandssymbol von Neuengamme ausgewiesen. Auf dem zweiten Foto ist zu sehen, wie einem Filmteam von französischen Häftlingen das Krematorium des Lagers gezeigt wird; es ist dem ‚Bildgedächtnis Neuengammes‘ zugeordnet. Auf einem weiteren Foto ist ein großer Schuhberg zu sehen,44 und das vierte Foto zeigt schließlich eine Aufnahme des Appellplatzes mit dem Lagereingang des Konzentrationslagers und mit lettischen und dänischen SS-Einheiten, die nach 1945 in Neuengamme interniert wurden. Bevor internierte Täter vorgestellt werden, greift diese Eingangssequenz, mit der die Dokumentation der Nachkriegszeit beginnt, zentrale Motive der Erinnerung an Neuengamme auf. Der sich rechterhand anschließende Themenbereich ‚Weiterleben nach der Befreiung‘ (8) zeigt die Sicht Überlebender des Konzentrationslagers. An einer Hörstation werden unter den Titeln ‚Genesung‘, ‚Rückkehr und Emigration‘, ‚Nachkriegsschicksale‘ und ‚Entschädigung‘ gesprochene Berichte präsentiert. Diese Ausschnitte aus einzelnen Lebensgeschichten nach der Konzentrationslagerhaft werden ergänzt durch allgemeine Informationen zu Displaced Persons, Zwangsarbeit und Entschädigungszahlungen, die die Situation der Überlebenden von Neuengamme in eine breitere Perspektive rücken.

44 Zum ‚Schuhberg im KZ Neuengamme‘ siehe: Heß 2007.

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Internierungslager (li.) und Verfolgtenverbände (re.)

Quelle: Cornelia Geißler

Das linkerhand in diesem Ausstellungsbereich vorgestellte Internierungslager wird von einem schwarzen Strich auf dem Boden angekündigt, der den langgestreckten Raum in zwei Hälften teilen soll. Der Blick wird auf einen Raumpfeiler in der Raummitte gelenkt, der die in diesem Raum vorgestellten, denkbar ungleichen Gruppen nebeneinander vorstellt. Hier taucht die dänische SS wieder auf, die zuvor auf der Abbildung des Appellplatzes zu sehen war: Neben dem mit ‚Verfolgtenverbände‘ betitelten Porträt einer AIN-Delegation in Dänemark auf der rechten Informationstafel befindet sich auf der linken Informationstafel unter dem Titel ‚Die Internierungslager‘ ein Foto dänischer SS-Soldaten. In der rechten Raumhälfte (Themenbereich ‚Weiterleben nach der Befreiung‘ [8]) wird gezeigt, wie persönliche Erfahrungen der Konzentrationslagerhäftlinge in die Gründung der AGN und anderer Lagergemeinschaften übergingen, in denen viele Überlebende der Konzentrationslager sich organisierten. In der gegenüberliegenden linken Raumhälfte (Themenbereich ‚Nachnutzung des Geländes‘ [9]) wird neben der Schilderung der Ankunft der britischen Armee im geräumten Konzentrationslager das von der Militärverwaltung bis August 1948 auf dem Lagergelände betriebene Civil Internment Camp No. 6 thematisiert. Die Kurzporträts von Internierten, die in der Mehrheit SS-Angehörige und Funktionsträger des NS-Staatsapparates waren, setzen sich in ihrer Gestaltung

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deutlich von den roten Biografiemappen ab.45 Im Unterschied zu den Häftlingsbiografien sind die Interniertenporträts in grauen Plastikordnern zusammengestellt, die im Ausstellungsbereich sonst als Themenmappen genutzt werden. Die Porträts stellen zusammen mit kommentierten ‚Texten von Internierten‘46, ‚Detention Reports‘, in denen die Internierungsgründe genannt werden, und Filmen (z. B. ‚Rückblicke auf das Internierungslager‘) die Entstehung, Verwaltung und den Alltag des Internierungslagers dar. In den Kurzporträts werden Tatbeteiligung, strafrechtliche Verfolgung und Nachkriegskarrieren vorgestellt. Zwischen ‚Obersturmbannführer SS‘, ‚SD Official at RSHA‘, ‚Employee at KL Neuengamme‘ und ‚War Criminal‘ taucht überraschend der Antifaschist und Kommunist Josef (Jupp) Bergmann auf – wie zum Beweis einer fehlerhaften Internierungspraxis. Der Ausstellungsbereich thematisiert ferner die Beteiligung der internierten Nationalsozialisten an der Verwaltung des Lagers, ihre Möglichkeiten, freiwillige Arbeit zu leisten, die großzügige Freizeit der Internierten, Re-Education-Vorträge, Weiterbildungsmaßnahmen sowie die über dem Durchschnitt der Bevölkerung liegende Essensverpflegung. Zwar werden in diesem Ausstellungsbereich Unterschiede zwischen Internierungslager und Konzentrationslager verdeutlicht, doch problematisch bleibt die Raumgestaltung, die die unterschiedlichen Gefangenen nebeneinander stellt. Die schwarze Linie auf dem Boden, die nach Protesten von Häftlingen des Konzentrationslagers gegen eine Präsentation der Internierten in der Ausstellung angebracht wurde (vgl. Jensen 2009), zeigt, wie umstritten das Thema ‚Internierungslager‘ in der Ausstellungskonzeption ist. Die Raumgestaltung hat trotz des Bodenstrichs zur Folge, dass sich die Opfer des Konzentrationslagers den Ausstellungsraum mit den Tätern von Neuengamme teilen müssen. Die persönliche Bezeichnung ‚Verfolgtenverbände‘ gegenüber der Funktionsnennung ‚Internierungslager‘ ist ebenso wenig wie der die beiden Tafeln tragende Raumpfeiler ausreichend für eine notwendige Trennung der beiden Gruppen in der musealen (Re-)Präsentation. So ist die Kehrseite der Würdigung der Überlebenden und ihres Engagements für die Gedenkstätte ihre Musealisierung zu Lebzeiten. Ihr Wirken wird in diesem Themenbereich zwar ausdrücklich anerkannt, gleichzeitig wird mit der parallelen Thematisierung von internierten Tätern vor Augen geführt, wie sehr die faktischen Einflussmöglichkeiten der ehemaligen Konzentrationslagerhäft-

45 Die Biografien von Angehörigen der Lager-SS werden auch in der Studienausstellung in der ‚SS-Garage‘ in grauen Ordnern präsentiert; hier wie dort sollen sie an Gerichtsakten erinnern. 46 Sie werden als ‚Selbstverständnis der Verfasser‘ ausgewiesen.

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linge heute bereits abgeschwächt werden. Durch die gewählte Raumgestaltung werden die Täter zu Nachbarn der überlebenden Häftlinge. Der Fokus des Ausstellungskonzepts liegt auf dem Gelände des Konzentrationslagers und dessen weiterer Nutzung, entsprechend werden – und hier gerät das Präsentationskonzept an seine Grenzen – sämtliche Gruppen präsentiert, die nacheinander auf dem Gelände untergebracht waren.47 Ein großer Teil der Ausstellungsfläche behandelt die Geschichte des Orts nach 1945. Die intensive Nachnutzung des Lagergeländes wäre an sich kein zwingender Grund, sie so umfangreich darzustellen, erklärt sich indes durch den Gefängnisbetrieb, der lange Zeit der Gedenkstätte im Wege stand und mit dessen Thematisierung der Themenbereich ‚Nachnutzung des KZ-Geländes‘ (9) endet. Der den Ausstellungsrundgang abschließende Themenbereich ‚Formen des Erinnerns‘ (10) informiert über die Kämpfe ehemaliger Häftlinge und einer kleinen engagierten Öffentlichkeit für die Gefängnisverlegung und den Erhalt des historischen Terrororts als Gedenkstätte. Der Abschnitt ‚Gesellschaftliches Engagement‘ zeigt Aufnahmen des durch die Gefängnisnutzung verdeckten historischen Lagergeländes und seinen allmählichen Verfall. Zeitungsartikel, bunte Flyer und Filmausschnitte dokumentieren das gesellschaftliche Engagement für die Gedenkstätte. Weitere in einer Lesemappe einsehbare Dokumente stellen das KZ-Gelände als Ort von Protestaktionen in den Mittelpunkt. Die Darstellung eines Hungerstreiks und der Besetzung eines Teils des Geländes durch Sinti und Roma, die 1989 gegen geplante Abschiebungen protestierten, legt zugleich den fortdauernden gesellschaftlichen Antiziganismus offen. Im Vordergrund steht dabei aber das ehemalige Konzentrationslager als Ort des gesellschaftlichen Engagements: Protest, Räumung durch die Polizei und das erkämpfte Bleiberecht

47 Dan Diner hat als einer der Wenigen auf die Problematik eines über den Nationalsozialismus hinausgehenden Ortsbezugs – „Ungleichzeitigkeit einerseits und Ortsgleichheit andererseits“ (Diner 1992, 151) – aufmerksam gemacht. Diner bezieht sich dabei auf die gedenkstättenpolitische Praxis in Brandenburg zu Beginn der 1990er Jahre, also auf Konzentrations- und Speziallager an einem Ort. In Neuengamme erfahren nicht, wie seit dem umfangreichen Umbau der ehemaligen Mahn- und Gedenkstätten der DDR, „der kommunistische und der antikommunistische Diskurs in ihrer erinnerungsträchtigen Bedeutung“ (ebd.) eine Belebung. Gleichwohl wird auch an der Neugestaltung von Neuengamme deutlich, wie problematisch die parallele Thematisierung von Opfern (Konzentrationslagerhäftlinge) und Tätern (Internierungslagergefangene) an einem Ort ist, die durch die Raumgestaltung und den Fokus auf Einzelschicksale zusätzlich verstärkt wird.

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für einige Roma.48 Der Ausstellungstisch behandelt schließlich auch die durch die Verlegung des Gefängnisses ermöglichte Umgestaltung des Geländes nach 2003. Durch die chronologisch-thematische Raumfolge werden die Kämpfe um eine Gedenkstätte am Ausstellungsende musealisiert: Die Gedenkstätte ist mit ihrer Hauptausstellung selbst ein Museum geworden; ein Museum, das zum Nachdenken über die Vergangenheit und über individuelle Folgen der KZ-Haft anregt. Problematisch bleibt, dass die Gedenkstätte sich im Ausstellungsnarrativ positiv von der zuvor kritisch beleuchteten Gedenkpolitik abgrenzt und sich dabei als Beginn einer hellen Gegenwart präsentiert. Dieser Eindruck einer Musealisierung wird durch den zweiten ‚Zeitschnitt‘ der historischen Präsentation verstärkt, auf den die Besuchenden beim Verlassen des Ausstellungsbereichs stoßen. Wie im Foyer der Hauptausstellung wurde auch hier der Wand- und Bodenbelag aus der Zeit des Gefängnisses in seinem Zustand von 2003 konserviert. ‚Zeitschnitt: Und hier war einst ein KZ‘

Quelle: Cornelia Geißler

48 Zu den Protesten von Sinti und Roma in der Gedenkstätte Neuengamme und fortdauerndem Antiziganismus siehe: Herold 2009 und 2010.

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Den Mittelpunkt des ‚Zeitschnitts‘ bildet ein Tresen des im Gefängnis betriebenen Einkaufsladens. An der Wand angebracht sind ein Abbild des Graffitis ‚Und hier war einst ein KZ‘, das vermutlich 1995 an der Gefängnismauer auf dem Lagergelände sichtbar war, und ein kleineres Foto, auf dem der an die Mauer gesprühte Schriftzug zu sehen ist. Das Gefängnis, gegen das sich dieses Memento gerichtet hat, ist heute im Außengelände musealisiert, und das ‚einst‘ wandelt auch das Konzentrationslager in bloße Geschichte. Mit dem Gefühl, eine abgeschlossene und ‚bewältigte‘ Vergangenheit kennengelernt zu haben, werden die Besuchenden in die Gegenwart entlassen. Die Faktizität des Konzentrationslagers wird den Besuchenden in der gesamten Dokumentation wie auch in der Ausstellungsarchitektur stets zusammen mit der Reflexion auf den historischen Ort als Gedenkstätte nahegebracht. Individuelle Lebensgeschichten, die Empathie erzeugen sollen, werden vor allem über Zitate und Medienstationen transportiert. Das Medium des Erinnerungsberichts schließt andere Akteure um den historischen Ort herum ein und soll auf diese Weise die Pluralität von Geschichte vermitteln. Wie problematisch diese ‚Ungleichzeitigkeit am gleichen Ort‘ (Diner) mitunter sein kann, wird in diesem abschließenden Ausstellungsbereich besonders deutlich.

4.4 Z WISCHENRESÜMEE : D IE G EFANGENENPERSPEKTIVE AM HISTORISCHEN O RT

DER

P RÄSENTATION

Der Hauptausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme kommt im Wesentlichen die Aufgabe zu, den historischen Ort – das Außengelände, aber auch das Ausstellungsgebäude selbst – als zentrales Exponat der Gedenkstätte zu erläutern. Dabei folgt die historisch-dokumentarische Präsentation einem multiperspektivischen Ansatz, der die Geschichte des Konzentrationslagers anhand unterschiedlicher Quellen aus Täter-, Opfer- und Zuschauerperspektive vermitteln möchte. Sowohl in Inhalt als auch in Gestaltung wird in dieser Gedenkstätte bei der Präsentation der Ereignisgeschichte großer Wert darauf gelegt, den vermittelten Charakter der Geschichte des Orts zu betonen. Darüber hinaus sind Transparenz, Methodenvielfalt, Quellenkritik und Überlieferungsgeschichte ausstellungsdidaktische Grundsätze. Die Ausstellungsgestaltung ist – in bewusster Abgrenzung zum ehemaligen Konzentrationslager – betont modern gehalten und ähnelt stark der Präsentation in zeitgeschichtlichen Museen. Die Informationsträger sind hell, filigran und betont sachlich gestaltet. Auf diese Weise gelingt es, den Charakter der Ausstel-

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lung als nachträglich aufbereiteter Erinnerungsort herauszustellen. So wird den Besuchenden, die häufig mit Authentizitätserwartungen in die Gedenkstätte kommen, deutlich gemacht, dass das, was sie heute sehen, mitnichten das einstmalige Konzentrationslager ist. Gleichzeitig stellt sich durch das konzeptionelle Bemühen um eine gebrochene, weil trügerische Echtheit ein weiterer Effekt ein. Was James E. Young Ende der 1980er Jahre über die KZ-Gedenkstätte Dachau schrieb, trifft heute auch auf Neuengamme zu: „[...] dort, wo die ‚Erinnerung‘ an Schmutz und Chaos wachgehalten werden soll“, herrschen „Sauberkeit und Ordnung“ (Young 1997a, 283). Die betont schlichte Gestaltung der Gedenkstätte ermöglicht ungewollt eine Betrachtungsweise des historischen Tatorts, die sich auch in den historischen Lageraufnahmen der SS findet und den Mythos des sauberen Konzentrationslagers reproduziert. Neben ihrer gestalterischen Sachlichkeit und ihrem modernen Präsentationskonzept zeichnet sich die Ausstellung durch Größe und Materialfülle aus. Sie ist die bei Weitem größte der drei vorliegend untersuchten Ausstellungen, und bei einem einzigen Besuch ist es kaum möglich, sie in Gänze zu erfassen. Ihre übersichtliche Gestaltung erleichtert jedoch die Rezeption. Die Ausstellungsräume sind chronologisch-thematisch angeordnet. Der chronologische Aufbau wiederholt sich in den durch hohe Exponatdichte geprägten Themenräumen. Auffällig sind vor allem die umfangreichen schriftlichen Exponatkommentare, die um eine genaue Quellenbestimmung und Transparenz der Überlieferungsgeschichte bemüht sind. Zudem tritt die Form der Präsentation der Exponate hervor: Dokumente werden fast ausschließlich als Reproduktionen gezeigt. Häufig sind sie – gemeinsam mit dem sie erläuternden Text – auf waagerechte, tischförmige Tafeln aufgedruckt. Auch ein Großteil der Exponate – Neuengamme ist die einzige der untersuchten Ausstellungen, die dreidimensionale Objekte sowie Originale zeigt – wird in waagerechten Tischvitrinen oder Schubladen gezeigt. Diese Anordnung zwingt die Besuchenden über weite Strecken in eine gebeugte Haltung. Das mag vielleicht kurzzeitig die Konzentration erhöhen, ist auf Dauer aber unbequem und ermüdend. Kleinere Objekte sind zum Teil leider mehr versteckt, als dass sie durch eine offene Präsentation im Raum Interesse wecken. Besonders auffällig sind dagegen große Objekte, die einen möglichst ‚echten‘ Eindruck von den Lebens- und Arbeitsbedingungen im Konzentrationslager vermitteln sollen. Das steht jedoch dem profilierten Anspruch der Gedenkstätte, auf Authentizitätseffekte verzichten zu wollen, entgegen. Hieran zeigt sich, dass sich Neuengamme, wie auch andere historische, insbesondere KZ-Gedenkstätten, dem Widerspruch nicht entziehen kann, einerseits den historischen Ortsbezug zum Ausgangs- und Mittelpunkt der Präsentation zu haben, andererseits aber den Wunsch nach Authentizität der Besuchenden nicht bedienen zu wollen.

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Da durch die Formgebung des Außengeländes und der Hauptausstellung eine Unmittelbarkeit des Erlebens explizit vermieden werden soll, kommt den Selbstzeugnissen und Biografien ehemaliger Häftlinge eine umso größere Bedeutung im Vermittlungskonzept zu. Die Gedenkstätte folgt hier dem im Zuge der Alltagsgeschichte in den 1980er Jahren aufkommenden Oral-History-Ansatz, der in der Geschichtswissenschaft auch personalisierende Zugänge populär gemacht hat. Dies ging mit einer stärkeren gesellschaftlichen Akzeptanz von Gedenkstätten einher. Je weniger die Erinnerungsorte gegen den Willen der Mehrheitsgesellschaft durchgesetzt zu werden brauchten, desto mehr wurden einzelne Häftlinge in der Mordstatistik des Konzentrationslagers sichtbar. Entsprechend wurden in der Gedenkstätte Neuengamme bereits in Ausstellungen der 1980er und 1990er Jahre Erinnerungsberichte von Häftlingen zitiert und Zeichnungen präsentiert. Die aktuelle Ausstellung übernimmt den Ansatz, möglichst viele Individuen in der Masse der Verfolgten sichtbar zu machen, modifiziert ihn jedoch und weitet ihn aus: Heute stellt der personalisierende Zugang zu den historischen Ereignissen das bedeutendste Vermittlungsprinzip dar. Die Perspektive der Häftlinge wird nicht bloß additiv, sondern integrativ als entscheidende Perspektive auf die Geschichte des Konzentrationslagers verstanden und deutlich gemacht. Zudem ist ihre Präsentation ‚interaktiv‘ und spricht die Betrachtenden unmittelbar an. Auszüge aus Erinnerungsberichten, Zeichnungen, private Fotos und persönliche Gegenstände zählen in Neuengamme heute zu den wichtigsten Exponaten. Sie finden sich in allen Themenbereichen und sind wesentliche Präsentationsmittel, um die Lagerrealität bzw. die unterschiedlich erfahrenen Lagerrealitäten darzustellen. Sie ermöglichen den Besuchenden eine Orientierung an der Perspektive der Gefangenen und bieten ein notwendiges Korrektiv zur Tätersicht auf das Lager und die dort terrorisierten Personen. So werden fast allen Täterdokumenten solche Quellen gegenübergestellt, die die Häftlingsperspektive und damit die Schrecken des Konzentrationslagers verdeutlichen. Während persönliche Gegenstände aus der KZ-Haft im gesamten Ausstellungsbereich gezeigt werden, finden sich Objekte und Dokumente aus der Zeit vor der Haft jedoch nur sehr selten. Oft werden die Ausstellungsstücke durch Aussagen ehemaliger Häftlinge kommentiert, die ihre Funktion und Bedeutung im Lageralltag veranschaulichen. Eindrücklich sind etwa die Häftlingszeichnungen als tragende Exponate vor allem dort, wo sie besonders grausame Ereignisse aus der Perspektive der Opfer visualisieren. Der personalisierende Ansatz der Gedenkstätte wird beim Umgang mit bzw. dem Einsatz von Biografien besonders deutlich. Unter den Ausstellungsstücken stechen die roten und im gesamten Ausstellungbereich verteilten Mappen mit Lebensläufen einzelner Häftlinge stark heraus. Im zweiten Themenbereich der

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Ausstellung, wo die Biografiemappen als Medium zur Vorstellung der Häftlingsgruppen dienen, verdichten sich die Porträts zum Strukturprinzip des Raums. Bereits am Titel dieses Themenbereichs, ‚Die Häftlingsgruppen‘, zeigt sich der wohl größte Widerspruch und das Dilemma bei der Präsentation von Biografien: die Häftlinge gleichzeitig in ihrer Individualität und in ihrer Exemplarität darstellen zu wollen. Biografien bieten die Möglichkeit, in der Masse einzelne Personen sichtbar zu machen, die durch das Konzentrationslagersystem in eine ihre Individualität negierende Nummer verwandelt werden sollten. In der Ausstellung stehen die Biografien, ähnlich wie am Denkmal und am Wannsee, jedoch nicht primär für sich, vielmehr werden die ausgewählten Schicksale zu Trägern der Raumstruktur und des Ausstellungsthemas: Einzelne Häftlinge repräsentieren Häftlingsgruppen. Anhand der Häftlingsbiografien werden das Ordnungssystem der SS mit seiner Hierarchisierung von KZ-Häftlingen sowie die Entwicklungsphasen des Konzentrationslagers Neuengamme vorgestellt. In der gewählten Präsentationsform erschließt sich das Lagersystem aus einem umfangreichen Mosaik von Lebensgeschichten. Die persönlichen Geschichten in den Biografien sind Ausgangspunkt für eine größere Erzählung. Entsprechend wurden die hier gezeigten Lebensläufe nach Kriterien der Repräsentativität ausgewählt – ausgeschlossen bleibt, wer diesen nicht entspricht. Die Häftlingsgesellschaft soll auf diese Weise in ihrer soziografischen Vielschichtigkeit sichtbar werden. Ein Effekt dieser detaillierten Vermittlung ist, dass die unterschiedlichen Verfolgungsgründe, aber auch die gemäß der Lagerhierarchie unterschiedlichen Überlebenschancen – etwa der vom NS-Regime als ‚volksdeutsch‘ klassifizierten Häftlinge einerseits und der aus der rassistischen ‚Volksgemeinschaft‘ ausgeschlossenen andererseits – deutlich werden. Gleichzeitig sind die Gefangenen nicht mehr, wie noch in der alten Ausstellung, um den roten Winkel gruppiert, womit politische Widerstandsformen in den Hintergrund und die leidvollen Erfahrungen der in dem Konzentrationslager und seinen Außenlagern gefangenen Personen in den Vordergrund treten. Allerdings finden Biografien von ermordeten Häftlingen, von denen häufig keine dokumentarischen Zeugnisse erhalten sind, nur selten Eingang in die Ausstellung. Da jedoch individuelles Erleben und Geschehen nicht verallgemeinerbar sind und weil die für das KZ-System Verantwortlichen umso mehr Haftgründe aufstellten, je unsinniger sie definiert waren, treffen die Ausstellungsbesuchenden auf eine beinahe unübersichtliche Anzahl von Personen, die in dem Raum verschiedenen Haftkategorien zugeordnet werden. Die Biografien liegen zahlreich aus und fordern zum Auswählen auf. Dies ermutigt die Besuchenden, je nach Interesse selbst zu entscheiden, was sie sich anschauen

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möchten. Gleichzeitig besteht auch hier wieder die Gefahr, dass die einzeln porträtierte Person in einem Meer aus roten Klappbüchern untergeht. In der Hauptausstellung werden das Außengelände und die ehemalige Häftlingsunterkunft in ihrer Bedeutung für die dort gefangenen Männer und Frauen erläutert. Ausstellung und Ort sind hier somit eng verzahnt. Entsprechend dem Konzept der ‚Geschichte des Orts‘ setzt die Gedenkstätte auf die Sichtbarmachung der Nutzung des Geländes und seiner Gebäude nach 1945. In Form von ‚Zeitschichten‘ werden auch das nach der Befreiung des Konzentrationslagers eingerichtete Internierungslager, insbesondere aber der jahrzehntelange Gefängnisbetrieb auf dem historischen Lagergelände als Ausdruck des Nachkriegsumgangs mit dem historischen Tatort aufgezeigt. Auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, dass große Teile des Konzentrationslagergeländes erst nach lang andauerndem Engagement von Überlebenden zum Gedenk- und Dokumentationsbereich umgestaltet wurden. Der personalisierende Ansatz ist in ein Gesamtkonzept der Gedenkstätte eingebettet, das die Geschichte ausgehend vom Ort erzählt und wiederum auf den Umgang mit Personalisierung zurückwirkt. Der gewählte Modus, der die Darstellung des Konzentrationslagers mit Hinweisen auf die Nutzung des Orts als Internierungslager und als Gefängnis anreichert, fördert jedoch ungewollt eine Wahrnehmung des Konzentrationslagers als vergangene und überlagerte Geschichte: Das Historische wird auf alle ‚Zeitschichten‘ ausgedehnt und erfüllt ausgerechnet darin Erwartungen nach Echtheit: Da sich die Präsentation nicht auf das Konzentrationslager beschränkt, sondern die Nutzungsgeschichte über das Jahr 1945 hinaus einschließt, stehen den Besuchenden gleich mehrere Vergangenheiten zum Einfühlen bereit. Wird ausgehend vom Ort gedacht, treten gesellschaftliche Kontexte der Vergangenheit und Gegenwart in den Hintergrund. Indem Menschen vorgestellt werden, die zeitverschoben und unter völlig verschiedenen Bedingungen auf ein und demselben Gelände festgehalten wurden, schafft die Personalisierung eine Erweiterung der Fokussierung auf den Ort. Während die historischen Unterschiede zwischen Tätern und Opfern an diesem Ort heute zu verwischen drohen, erscheint dieser beinahe als das eigentliche Opfer der Geschichte. Der Problematik, grundsätzlich verschiedene Gruppen in einer Gedenkstätte, in einem Ausstellungsbereich vorzustellen, funktioniert nicht, ohne Ähnlichkeit zu suggerieren, wo diese so nicht besteht. Dem versucht die Ausstellung dadurch Rechnung zu tragen, dass ein schwarzer Strich auf dem Fußboden Opfer und Täter voneinander abgrenzen soll und dass der Raumtext die überlebenden Häftlinge personalisiert, während dies bei den internierten SS-Soldaten unterbleibt. Dennoch wird durch diese parallele Thematisierung auch Raum für eine Rezeption geschaffen, die vom Kontext der

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Inhaftierung abstrahiert und das Schicksal der NS-Opfer historisch unspezifisch macht. Entsprechend ihrem chronologisch-thematischen Konzept endet die Ausstellung mit der Räumung des Gefängnisses. Das seinen Gegner verlorene ‚einst‘ des abschließend gezeigten Graffitis wandelt das Konzentrationslager, weil dessen historisches Gelände heute nicht mehr wie zur Zeit des Graffiti-Protests versperrt ist, letztlich in tote Geschichte; eine Vergangenheit, die von der Stadt Hamburg heute unter ‚Kultur entdecken, Kultur erleben!‘ beworben wird und so das Konzentrationslager als kulturelles Phänomen erlebbar macht. Die einst erkämpfte und heute realisierte Gedenkstätte erscheint als ein Happy End der hamburgischen und deutschen Geschichtspolitik. Damit reiht sich die Gedenkstätte Neuengamme in den bundesweiten Trend von Musealisierung, Nationalisierung und Pädagogisierung ein: Die Geschichte wird von verstörenden Gegenwartsbezügen befreit, die Nachkriegsgeschichte der Lager wird in Ausstellungen kritisch beleuchtet, die aktuelle Gedenkpolitik von dieser positiv abgegrenzt und auf diese Weise die eigene Gedenkstätte als staatsaffirmierender ‚Lernort‘ präsentiert.

5. Die Sicht von Schülerinnen und Schülern auf Ausstellung und Gedenkstätte

Im Folgenden wird empirisch rekonstruiert, wie Jugendliche im Klassenverband ihren Besuch in den im Vorstehenden untersuchten Gedenkstätten und ihren Ausstellungen wahrnehmen. Schule als Rahmenbedingung der Gedenkstättenbesuche findet daher eine besondere Berücksichtigung im vorliegenden Kapitel. Anhand von Interviews und Gruppendiskussionen wird der Frage nachgegangen, wie sich die jungen Frauen und Männer während einer schulischen Exkursion die NS-Verbrechen vergegenwärtigen.1 Auf welche Orientierungen greifen sie in ihrer Auseinandersetzung mit Holocaust und Nationalsozialismus zurück, und welche Bedeutung geben sie dabei dem Vermittlungsmodus der Personalisierung? Nehmen sie die Verfolgten und Ermordeten als Persönlichkeiten mit individueller Geschichte wahr, oder nehmen sie den leichteren Weg und subsumieren die Individuen unter die Masse der Opfer? Selbstzeugnisse und Biografien werden in allen drei untersuchten Ausstellungen als Präsentationsmittel eingesetzt: im Ort der Information, dessen Präsentation von der Absicht geleitet wird, den Holocaust aus der Perspektive der jüdischen Opfer darzustellen, am historischen Täterort Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, wo die Auseinandersetzung mit den Dokumenten der Täter im Vordergrund steht, diesen aber Quellen der Opferseite gegenübergestellt werden, sowie in der Hauptausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuen-

1

Anzahl der Gruppendiskussionen je untersuchter Gedenkstätte: 2; Anzahl der Interviews: Denkmal für die ermordeten Juden Europas: 4, Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und KZ-Gedenkstätte Neuengamme: jeweils 6. Die Namen der Interviewten wurden anonymisiert, die Diskussionsgruppen tragen folgende Bezeichnungen: am Denkmal: DeI, DeII; am Wannsee: WaI, WaII; in Neuengamme: NeI, NeII. Die Zusammensetzung der Stichprobe findet sich in Anhang 3.

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gamme, in der Häftlingsberichte und Biografien die Präsentation tragende Quellen sind. Die Grundlage für die Analyse der Besuchswahrnehmung sind die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung zum räumlichen und thematischen Kontext der Gedenkstätten. Diese werden in Kap. 5.2 den Rezeptionsuntersuchungen der jeweiligen Gedenkstätte zusammenfassend vorangestellt. Bei der Analyse der Eindrücke, die Schülerinnen und Schüler nach ihrem Besuch der drei unterschiedlichen Erinnerungsorte schilderten, konzentriere ich mich in erster Linie auf solche, die sich auf personalisierende Präsentationsformen beziehen. Andere Besuchseindrücke, die zur Sprache kamen, werden zugunsten dieser Themenauswahl größtenteils unberücksichtigt gelassen. Um Aussagen darüber treffen zu können, inwiefern Personalisierungen in der Darstellung der NS-Verbrechen die Rezeption prägen, wurden die Interviews und Diskussionen von folgenden Fragen geleitet: Inwieweit orientiert sich die Rezeption der NS-Verbrechen an der durch den Modus der Personalisierung vorgegebenen Perspektive der Opfer? Wieviel Raum nehmen die präsentierten Schicksale und Erinnerungen der Verfolgten und Ermordeten in den Redebeiträgen ein? Werden Personalisierungen facettenreich beschrieben, oder verbleibt die artikulierte Annäherung eher im Allgemeinen? Knüpfen die Jugendlichen an Selbstzeugnisse und Biografien mit Fragen nach dem ‚Wie‘ und dem ‚Warum‘ der NS-Verbrechen an? Wie thematisieren sie die Dimensionen von Verfolgung und Vernichtung, die über Personalisierungen und ihre Anordnung im Raum transportiert werden? Beziehen sie die Ebene der Repräsentation der NS-Verbrechen in ihre Schilderungen ein? Fließen Aussagen über die Gestaltung in die Beschreibung der Ausstellung ein? Um der Spezifik von Personalisierungen in der Ausstellungswahrnehmung näherzukommen, werden sie in ein Verhältnis zum (historischen) Ort der Präsentation gesetzt, zudem werden kontrastierend solche Aussagen berücksichtigt, die sich auf ‚nichtpersonalisierende‘ Ausstellungsmomente beziehen. Diesen an die Rezeption gerichteten Fragen wird in den nachfolgenden Unterkapiteln zunächst in Bezug auf die museale Präsentation, dann auf den Ausstellungsort sowie schließlich auf die Geschichtsvermittlung in Gedenkmuseen gegenüber dem Schulunterricht nachgegangen.2

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Die jeweilige Interview- oder Diskussionssituation stelle ich, wenn nicht anders vermerkt, bei der ersten Nennung der im Folgenden zu Wort kommenden Schülerinnen und Schüler vor.

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5.1 B EDINGUNGEN DES AUSSTELLUNGSBESUCHS In den in Interviews und Gruppendiskussionen wiedergegebenen Besuchseindrücken kommen gesellschaftlich vermittelte und individuell geformte Bedeutungen zum Ausdruck, die Schülerinnen und Schüler den Gedenkstätten beimessen. Die Wahrnehmung der Ausstellung ist nicht unabhängig davon, wie sich die Jugendlichen außerhalb ihres Gedenkstättenbesuchs mit den NS-Verbrechen auseinandersetzen und welche Einstellung sie gegenüber Gedenkstätten pflegen. Ebenso ist die Ausstellungswahrnehmung von der besonderen Form des Besuchs im Klassenverband beeinflusst. Diese Faktoren, so meine Annahme, bedingen ganz wesentlich die Rezeption der Ausstellung. Um diese These zu überprüfen, werden nachfolgend zunächst Befragungsergebnisse vorgestellt und diskutiert, die den Besuchsmodus ‚Klassenfahrt‘ – vor allem die thematische Vielfalt und das enge Zeitbudget eines schulischen Gedenkstättenbesuchs – sowie die Ansichten der Jugendlichen über die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus betreffen. Der Schüler Daniel3 betont in seinem Interviewstatement den sozialen Aspekt von Schulausflügen. Nach seinen Erwartungen an den Denkmalbesuch gefragt, spricht er auch über die Einbettung des Besuchs in die Klassenfahrt nach Berlin: D:

Ist eine gute Frage. @(.)@4 wir sind mit der Klasse hier, das heißt, wir haben uns

und beschäftigen uns mehr oder weniger mit uns, und dann sagt der Lehrer, so jetzt fahren wir ins Museum, und dann fährt man da unvorbereitet hin. Klar, vom Unterricht hat man das noch so ein bisschen, oder nicht nur ein bisschen, in Erinnerung, aber insofern, bis ich hier auf dem Platz stand, habe ich mir mehr Gedanken über, weiß ich nicht, mein Frühstück oder so gemacht, und wurde dann so mehr oder weniger reingerissen. Das bringen solche Schülerveranstaltungen meiner Erfahrung nach immer mit, weil man mit seinen Freunden unterwegs ist und sich nicht so intensiv drauf vorbereitet. Also wir haben nicht

3

Daniel ist 18 Jahre alt, besucht im Verband mit seiner 13. Klasse einer Beruflichen Schule das Denkmal und nimmt an einer Überblicksführung teil. Sein Lehrer hatte im Vorfeld bereits auf meine Anfrage reagiert und in einem Gespräch in Berlin signalisiert, dass zwei bis drei Schülerinnen bzw. Schüler Interesse an einem Interview geäußert hätten. Wie vereinbart habe ich die Schulklasse nach ihrem Ausstellungsbesuch angesprochen. Daniel erklärte sich bereit, an einem Interview teilzunehmen. Das Gespräch fand in einem Café in der Nähe des Denkmals statt.

4

Die vorliegend verwendeten Transkriptionszeichen sind im Anhang 2 angeführt.

214 | I NDIVIDUUM UND M ASSE gestern Abend zusammengesessen und unseren Museumsbesuch vorbereitet, sondern waren in der Kneipe und haben nett beisammengesessen.

Klassenfahrt – das gilt für alle Schülerinnen und Schüler – ist immer auch Freizeit, da sind Daniel und seine Klasse keine Ausnahme, und das ist auch gut so. Der Blick auf den sozialen Aspekt schulischer Exkursionen fördert viel über mögliche Stimmungen zutage, mit denen Schülerinnen und Schüler die Gedenkstätten und ihre Ausstellungen besuchen. So dürfen beispielsweise Müdigkeit und Unaufmerksamkeit nicht mit Desinteresse gleichgesetzt werden (vgl. Knigge 2004, 28-31). Der Mehrheit der pädagogischen Mitarbeitenden der Gedenkstätten wird dies bewusst sein, wenn sie ihre Führungen konzipieren, und letztlich stehen die Lehrkräfte in der Pflicht, den Besuchsrahmen so zu gestalten, dass die von Gedenkstätten vermittelten Inhalte auf offene Ohren und Augen treffen. Dem von Schulen wie Gedenkstätten gewünschten Besuchsmodus scheint die von Daniel als „unvorbereitet […] hineingerissen“ beschriebene Besuchsrealität zumindest entgegenzustehen. Einem aufmerksamen Gedenkstättenbesuch steht aber noch etwas anderes entgegen. So unterhalten sich die Schülerinnen und Schüler der Gruppe WaII5, die bereits das Denkmal für die ermordeten Juden Europas besucht haben und nun am Ende ihrer Klassenfahrt das Haus am Wannsee aufsuchen, in ihrer Diskussion u. a. über das Thema Zeit. Der Schüler Dm spricht für die gesamte Gruppe, wenn er die Textdichte der Dokumentation sowie den vorangegangenen, vom Lehrer aus Zeitmangel frühzeitig abgebrochenen Besuch im Ort der Information deutlich herausstellt: Dm: Wir sind ja Schüler, und wir sind erstens unter Zeitdruck, wir müssen um diese und diese Uhrzeit da sein, wir können nicht sagen, wir bleiben jetzt hier, ich lese mir das wirklich durch. Ich würde das auch nicht machen, weil es viel zu viel Text ist, aber man kann sich nicht Zeit nehmen, das haben wir schon gestern gemerkt, ich habe es bei einem Klassenkameraden gesehen, der war stinksauer, der war noch nicht fertig, mit dem Holocaust Denk- Mahnmal, der war im vorletzten Raum, und der Lehrer hat gesagt, wir müssen wei-

5

Die vier Schülerinnen und zwei Schüler, aus denen sich die Gruppe WaII zusammensetzt, sind 17 bzw. 18 Jahre alt und besuchen eine 12. Gymnasialklasse. Bei einem Telefongespräch im Vorfeld des Gedenkstättenbesuchs war der Lehrer sehr kooperativ. Vor Beginn der Führung signalisierte er, dass sich schon Interessenten für eine Diskussion gefunden hätten, die ich aber erst nach der Überblicksführung getroffen habe. Dabei stellte sich heraus, dass diese in der Mehrzahl gar nicht an der Führung teilgenommen hatten. Das Gespräch fand in einem Seminarraum der Gedenkstätte statt.

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ter, zum Bendlerblock. Ich war im letzten Raum und war auch noch nicht fertig, also es ging mir viel zu schnell, es war so eine ergreifende Situation, also da würde ich lieber noch bleiben, um das noch mal, ein zweites Mal anzuschauen, anstatt das huschhusch zu machen.

Ihre Kritik an den knapp bemessenen Besuchszeiten, auf die diese Schülerinnen und Schüler keinen Einfluss zu haben scheinen, betonen sie mehrmals. Schüler seien unter Zeitdruck – schließen diese Diskutierenden von sich auf das Kollektiv ‚Schüler‘. Vor dem Hintergrund der gesamten Diskussion lässt sich allerdings auch vermuten, dass diese Jugendlichen, die mehrheitlich nicht an der Führung ihrer Schulklasse durch die Präsentation der Wannsee-Villa teilgenommen haben, über die Kritik am „huschhusch“-Zeitrahmen und an der überwältigenden Textdichte der Ausstellung einer Auseinandersetzung mit den Inhalten der Gedenkstätte als solcher aus dem Weg gehen. Auffällig ist: Während diese Gruppe im Ort der Information, wo das Leiden der Opfer im Vordergrund steht, bereit ist, sich länger in die Selbstzeugnisse der Verfolgten zu vertiefen, geht sie, wie ihre gesamte Diskussion zeigt, am historischen Ort der Täter, im Haus der Wannsee-Konferenz, auf Distanz zur Präsentation. Die Gruppe NeI6 hat die KZ-Gedenkstätte Neuengamme besucht. Die Jugendlichen tauschen sich in einer selbstläufigen und längeren Diskussionseinheit ebenfalls über den knappen Zeitrahmen ihres Gedenkstättenbesuchs aus. Angestoßen wird die Debatte von der Verwirrung eines Schülers über die im Außengelände ausgestellten Mauerreste des hier nach 1945 errichteten Gefängnisses, einem Gestaltungselement, das auf die Nachnutzung des Lagergeländes verweist und sich deutlich von der übrigen memorialen Landschaft Neuengammes absetzt. Der folgende Ausschnitt zum Thema ‚Zeit‘ schließt ihre Diskussionseinheit:

6

Bei den fünf Teilnehmenden der Gruppendiskussion NeI handelt es sich um drei Schülerinnen und zwei Schüler, die 15 Jahre alt sind und eine 10. Gymnasialklasse besuchen. Der Lehrer, mit dem ich im Vorfeld Kontakt aufnehmen konnte, trug mein Anliegen an seine Schulklasse heran und signalisierte mir zu Beginn der Überblicksführung, an der ich teilnahm, dass sich bereits Teilnehmende für eine Diskussion bereit erklärt hätten. Wir vereinbarten, dass ich die Diskussionsgruppe am Nachmittag in ihrer Jugendherberge treffen würde. Die Schülerinnen und Schüler waren mir gegenüber aufgeschlossen und schienen daran interessiert, die wenige Zeit, die ihnen bis zum anschließenden Musicalbesuch zur Verfügung stand, für die rund einstündige Diskussion zu nutzen.

216 | I NDIVIDUUM UND M ASSE Aw: Ja, wie gesagt, die Zeit war ein Problem. Wenn man jetzt tatsächlich noch zwei Stunden mehr Zeit hätte, wenn man da wirklich noch hingehen könnte und sich das durchlesen könnte, dann hätte man das vielleicht auch persönlich für sich, └ja.

Em:

Aw: besser trennen können, aber wie gesagt, für mich ist das ein Ort, wo man wirklich einen Tag verbringen muss, dass man einmal sich halbwegs alles durchlesen kann, sonst kann man das nicht auseinanderhalten. Em: ja, der Meinung bin ich auch. Meiner Meinung nach hätte man ruhig noch eine oder anderthalb Stunden ranhängen können, auf jeden Fall. Aw: mindestens. Em: auch wenn man uns vielleicht nicht mehr geführt hätte, sondern wenn man noch mal hätte rumgehen können, aber man hätte auf jeden Fall noch mal was ranhängen können. Ich meine, so wie Aw schon sagt, man hätte auch einen ganzen Tag drauf aufhalten können. Aw: ja.

Das Thema Zeitknappheit bildet in dieser Diskussionseinheit den Orientierungsrahmen für die Frage der Jugendlichen nach verschiedenen ‚Zeitspuren‘, die sie im weitläufigen Außengelände der Gedenkstätte entdeckt haben. Mit mehr Zeit, schlägt Aw vor, hätten sie diese vielleicht „besser trennen können“. Über diese Problematik zweier ausgestellter historischer Epochen an einem Erinnerungsort hinausgehend lässt sich ferner formulieren, dass ihnen mehr Zeit auch ermöglichen würde, ihrem in der gesamten Diskussion gezeigten Besuchsinteresse vertiefend nachzugehen. Deutlich artikulieren diese Jugendlichen auch den Wunsch nach selbstständigen Besuchselementen in der Gedenkstätte. Wie umfangreich das Gesamtprogramm einer Klassenfahrt nach Berlin sein kann, beschreibt die Schülerin Johanna7 zu Beginn des Interviews: J:

Ich habe Geschichte Neigungskurs, oder Leistungskurs, wie das hier heißt, und wir

sind nach Berlin gefahren, also wir haben jetzt gerade Abi geschrieben, und wenn man in Geschichte Abi macht, sollte man @vielleicht mal in seiner Hauptstadt gewesen sein@, weil ja in Berlin so ganz viele verschiedene Epochen aus der Geschichte zusammenkommen, und da haben wir uns Sachen überlegt, was wir gerne sehen würden, was wichtig ist in Berlin, zum einen natürlich das politische Leben, und dann auch die Geschichte, und da

7

Johanna ist 19 Jahre alt, hat soeben ihr Abitur gemacht und besucht mit ihrem Geschichtsleistungskurs Berlin. Als ich sie am Denkmal treffe, wo sie an einer Überblicksführung teilnimmt, hat ihre Kursfahrt gerade erst begonnen. Das Interview findet nach dem Ausstellungsbesuch in einem Seminarraum im Ort der Information statt.

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gehört der Nationalsozialismus auch dazu. Wir werden auf jeden Fall Bundestag, dann bestimmt noch einen Stadtrundgang, dass man so alles ein bisschen sieht, dann gehen wir nach Potsdam, DDR-Museum, Checkpoint Charlie, Hohenschönhausen, und dann hat man ja wirklich DDR und auch Kaiserreich und ganz viele verschiedene Sachen mit drin.

Johannas Klassenfahrt ist als kurze Rundreise durch die deutsche Geschichte angelegt. In seiner Dichte und thematischen Heterogenität unterscheidet sich das Programm nicht wesentlich von dem anderer Klassenfahrten. Auffällig bei Berlinbesuchen von Schulgruppen gleich welchem Schultypus ist, dass sich die Gedenkstättenbesuche nicht auf Holocaust und Nationalsozialismus beschränken, sondern auch solche Einrichtungen einschließen, die das SED-Regime behandeln. Dieses Phänomen ist weniger erstaunlich, wenn man die heute nicht mehr nur auf den Holocaust bezogene Gedenkpolitik berücksichtigt sowie die Tatsache, dass der schulische Lehrplan heute beide Bereiche als fast gleichwertig nebeneinanderstellt.8 Die jungen Ausstellungsbesuchenden, mit denen ich sprechen konnte, kennen den Nationalsozialismus und die DDR aus ihrem Schulunterricht und behandeln im Rahmen ihrer Schulexkursionen die beiden grundsätzlich unterschiedlichen Systeme unter dem Unterschiede einebnenden Begriff der Diktatur. Eine Schülerin der Gruppe WaII erläutert das fünftägige historisch-politische Besuchsprogramm in Berlin wie folgt: „Das ist bei uns immer so an der Schule, dass der gesamte zwölfte Jahrgang fünf Tage nach Berlin fährt, und sich mit Holocaust und Stasi auseinandersetzt, deswegen haben wir auch Hohenschönhausen, Holocaust-Mahnmal, Bendlerblock, Mielke-Museum (2)“. Diese Gruppen-

8

So sieht der von der Berliner Senatsverwaltung herausgegebene Rahmenlehrplan für das Fach Geschichte bis zur zehnten Klasse eine Behandlung von Nationalsozialismus und Holocaust unter dem Oberthema ‚Demokratie und Diktatur‘ vor, wobei es um „totalitäre Ideologien von rechts und von links“ gehen soll (Senatsverwaltung 2006a, 38). In anderen Bundesländern scheint die Situation ähnlich zu sein (vgl. Rauch 2007a und 2007b). Wenn es unter dem Oberthema ‚Demokratie und Diktatur‘ um Inhalte geht, lesen sich diese so: „Die Gegner der Demokratie sind nicht zu vernachlässigen, dies erkennen die Schülerinnen und Schüler besonders an den Nationalsozialisten und an den Bolschewiki – später den Stalinisten – in der UdSSR“ (Senatsverwaltung 2006a, 38). Die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und DDR ist (nicht nur in den Lehrplänen) hochproblematisch, weil sie ideologiegeleitet spezifische Unterschiede verwischt (vgl. etwa Wippermann 2009; Diner 1992) Die inhaltliche Ausrichtung des Geschichtsunterrichts in den schulinternen Curricula orientiert sich an den kultusministeriellen Vorgaben, hängt aber auch von der Schwerpunktsetzung der jeweiligen Lehrkraft ab.

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diskussion, das wird schnell deutlich, ist besonders stark von der parallelen Thematisierung von ‚Holocaust‘ und ‚Stasi‘ geprägt. Zu Beginn des Gesprächs, als sich die Teilnehmenden über die Ausstellung am Wannsee austauschen, kommt es zu einer kurzen, aber aussagekräftigen Verwirrung: Bw: Na ich fand die Tonbandaufnahme gut. Weil wir war’n ja jetzt schon in so vielen Sachen, in Hohenschönhausen, ach nee, das war ja auch Stasi, allen möglichen Führungskrams, aber da waren wir so Cm:

└Holocaust

Bw: ((…)) ja, Cm: Holocaust Gedenkstätte.

Die Schülerin Bw setzt an, eine Tonbandaufnahme von Adolf Eichmann in der Ausstellung am Wannsee zu beschreiben, bezieht sich dabei auf den zuvor besuchten Ort der Information und landet mit ihrer Aussage bei der Präsentation in Hohenschönhausen. In diesem Ausschnitt kommt ein wiederkehrender Modus dieser Gruppendiskussion zum Vorschein. Diese Rezeptionsweise der Ausstellung wirft die Frage auf, inwieweit die Jugendlichen den Unterschied von NSMassenvernichtung und Stasi-Gefängnis überhaupt erkennen. Die für den Gedenkstättenbesuch zur Verfügung stehende Zeit, so lässt sich an dieser Stelle zusammenfassen, ist bei den meisten Schülerinnen und Schülern ein relevantes Thema. Knappe Besuchszeiten prägten die Gedenkstättenbesuche aller von mir Befragten, insbesondere bei Überblicksführungen, der am häufigsten in Anspruch genommenen Besuchsform der Jugendlichen in der Stichprobe. Dies gilt unabhängig davon, ob die Dokumentation, wie am Wannsee, eine vergleichsweise hohe Textdichte aufweist, ob Lehrkräfte, wie es am Denkmal scheinbar der Fall gewesen ist, aufgrund des eng getakteten Programms den Besuch der stark komprimierten Ausstellung vorzeitig abbrachen oder ob das Außengelände, wie in Neuengamme, große räumliche Ausmaße annimmt. Das knappe Zeitbudget der Jugendlichen, das sich im Durchschnitt auf zwei Stunden beläuft, ist vermutlich ein wesentlicher Grund dafür, dass Schulgruppen in der Regel das Format Überblicksführung in Anspruch nehmen. Diese Form des Gedenkstättenbesuchs jedoch lässt vergleichsweise wenig Raum für eine (selbstständige) Auseinandersetzung mit den vermittelten Inhalten. Knappe Zeit ist aber auch eine Begründung, um die eigene Nichtbeschäftigung mit der Ausstellung in Interviews und Gruppendiskussionen plausibel zu machen oder die Verwirrung über eine KZ-Gedenkstätte zum Ausdruck zu bringen, die im Außengelände auch die Nutzung des Orts nach 1945 thematisiert. Während es bei der

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Gruppe WaII die Beschäftigung mit ‚Holocaust und Stasi‘ ist, die ihre Eindrücke von der Ausstellung am Wannsee prägt, ist es bei der Gruppe NeI, die in Neuengamme zu Besuch war, die Einbeziehung der Nachnutzung des Konzentrationslagergeländes als Gefängnisareal in die heutige Gedenkstätte. Die pädagogisch-politische Brisanz liegt dabei nicht so sehr im Ausstellen der baulichen Reste des Gefängnisses, die jahrelang den Zugang zum ehemaligen Häftlingslager versperrt haben, sondern vielmehr darin, dass es für Jugendliche nicht besonders erkenntnisfördernd zu sein scheint, mit verschiedenen Geschichtsepochen auf einer Klassenfahrt bzw. an einem Gedenkort konfrontiert zu werden. Zwar finden Gedenkstättenbesuche oft als Tagesexkursion statt, vielfach, vor allem in Berlin, ist der Besuch aber in den Kontext einer mehrtägigen Klassenfahrt eingebunden. Während eines thematisch heterogen ausgerichteten Schulausflugs beschäftigen sich Jugendliche in schneller zeitlicher Abfolge mit unterschiedlichen Themen. Die Art und Weise, wie sie die einzelnen Programmpunkte wahrnehmen, ist von dieser Rahmenbedingung geprägt. Wie eng bei den an der Studie teilnehmenden Jugendlichen häufig das Gesamtprogramm getaktet war, wurde offensichtlich, wenn kein Raum für einen selbstständigen Besuch der Gedenkstätte vorgesehen war oder wenn Teile der Führung ausgelassen wurden, um an einer Gruppendiskussion oder einem Interview teilzunehmen. Wenn sich keine Schülerinnen oder Schüler für Interviews oder Gruppendiskussionen finden ließen, lag das meistens am engen Rahmenprogramm der Klassenfahrt. Die folgenden Beispiele zeigen die zeitknappen und thematisch heterogenen Rahmenbedingungen des Gedenkstättenbesuchs auf: Eine Schulgruppe am Denkmal kam gerade von ihrem Besuch des Jüdischen Museums; ein anderer Schüler hat mich mehrmals versetzt, da er einem Interview über die Ausstellung am Wannsee verständlicherweise andere Freizeitprogrammpunkte vorgezogen hat. Meistens fanden die Gespräche direkt im Anschluss an den Gedenkstättenbesuch statt, in Ausnahmefällen wurden sie zeitversetzt in der Schule geführt. In Hamburg habe ich eine Schulklasse zur Diskussion in der Jugendherberge getroffen; dieser Termin lag für die Jugendlichen zwischen Abendessen und einem Musicalbesuch. In Berlin habe ich eine Gruppe ebenfalls am frühen Abend in der Jugendherberge getroffen, da sie nach dem Denkmalbesuch keine Zeit für eine Diskussion hatte, sondern noch die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen aufsuchen musste. Diese Beispiele für die Umstände, unter denen die Interviews und Gruppendiskussionen mitunter zustande kamen, erlauben wiederum Rückschlüsse auf die hohe Motivation der Schülerinnen und Schüler, an der Studie teilzunehmen und Eindrücke von ihrem Besuch einer Gedenkstätte mitzuteilen.

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Auch die politischen Einstellungen der Jugendlichen beeinflussen ihre Rezeption der Gedenkstätten und der dort von ihnen besuchten Ausstellungsbereiche. Für die befragten Schülerinnen und Schüler scheinen die Gendenkstätten zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dazuzugehören. Dieser Befund bestätigt sich in scheinbar unbefangenen Äußerungen wie: „ist gut gemacht, ich würde jedem empfehlen, der hier in der Gegend ist, da mal hinzugehen“, wie ein Schüler der Gruppe NeI von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme sagt. Eine weitere politische Einstellung kommt bei der Gruppe WaI9 zum Ausdruck, die die Gedenkstätte am Wannsee besucht. Sie teilt die Überzeugung, Gedenkstätten seien gegen rechtsextreme Einstellungen wirksam: Em: Kommen eigentlich viele Neonazis hierher? Dw: die trauen sich wahrscheinlich gar nicht. Fw: ich würde mich auch nicht hier rein trauen als Nazi. Cm: die wollen nicht hier rein, weil sie sonst ihre Einstellung verlieren, ihre Einstellung verändern.

Diese Jugendlichen tauschen sich über eine mögliche Wirkung der Gedenkstätte gegen Nazis aus, wobei sie sich an ihrer im Diskussionsverlauf deutlich zum Ausdruck kommenden geteilten Einstellung gegen Rechts orientieren. Dabei greifen die jungen Frauen und Männer auch die doppelte Funktion von Gedenkstätten als Vermittler sowohl von historischem Wissen als auch von Moral auf, von der sie sich offenbar eine Immunisierung gegen rechtsextreme Einstellungen erhoffen. Ähnlich argumentiert die Abiturientin Johanna, die nach ihrem Besuch des Denkmals erklärt: „Wenn man das ganze Grauen kennt und sieht, wie schrecklich das war, dass man dann zusehen muss, dass es heute nicht mehr passiert.“ Johanna verbleibt in ihrem Appell allerdings eher floskelhaft im Allgemeinen. Auch im Rest des Interviews bezieht sie sich kaum auf von ihr wahrgenommene konkrete Ausstellungsinhalte. Das kann so interpretiert werden, dass

9

Die drei Schülerinnen und drei Schüler einer 10. Realschulklasse (15 und 16 Jahre alt), aus denen sich die Gruppe WaI zusammensetzt, haben an einer ‚gegenseitigen Führung‘ teilgenommen, dem von der Gedenkstätte angebotenen Führungsformat, bei dem Teilnehmende sich gegenseitig Ausschnitte aus der Ausstellung vorstellen (vgl. Kap. 3). Ich hatte im Vorfeld bereits Kontakt mit ihrer Lehrerin aufgenommen und bin bei der ‚gegenseitigen Führung‘ mitgegangen. Im Anschluss an den Ausstellungsbesuch fanden sich sechs Schülerinnen bzw. Schüler zur Diskussion bereit, die in einem der Seminarräume der Gedenkstätte stattgefunden hat. Die Gruppe war sehr gesprächig, sodass die Diskussion über weite Strecken selbstläufig verlief.

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sie auch schon vor ihrem Besuch am Denkmal den gesellschaftlich-politischen ‚Aufarbeitungsdiskurs‘ verinnerlicht hatte, welcher sich in Gedenkstätten materialisieren soll: Gedenken und Geschichtsvermittlung mit dem (in der Praxis eher unbestimmten) Zweck, eine Wiederholung von Auschwitz zu verhindern. Die Gruppe DeII10 diskutiert angeregt und selbstläufig, welche Funktion dem Denkmal zukomme, wobei der Schüler Dm den Aufruf von Primo Levi aufgreift („Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen. Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“), der einen Auftakt der personalisierenden Präsentation bildet (vgl. Kap. 2.3): Am: Aber ich glaube, dass das Denkmal gebaut wurde, weil man soll sich ja erinnern, kann man sich ja so denken, ja ist passiert, und man soll’s nicht vergessen, damit es nicht noch mal passiert, ich glaube, das ist ein gutes Zeichen, dass es gebaut worden ist, dass man nachdenkt, dass so was halt nicht mehr vorkommt. Cm:

└dass man es vor allem nicht vergisst, nicht in

den Hintergrund stellt, kann ja heute auch wieder aktuell werden, Dm:

└ja der Spruch da auch.

Cm:

└ja.

Dm:

└an

der

Lein-

wand. man soll’s nicht vergessen, aber es kann auch jedes Mal wieder passieren. °sowas°. Em: ich will auch wissen, was passiert ist, was ist das denn jetzt, was da so steht. Bw:

└die nächste Generation. °meinst du so?°

Em: °ja° (2) CG: was meint ihr damit, also was soll denn nicht vergessen werden? Cm: allgemein, der Krieg, der Krieg und die Anzahl der Aw:

└Opfer

Cm:

└die grob geschätzte Anzahl der Op-

fer, und wie die vor allem ermordet wurden, in welchen (.) ähm Dm:

└Zuständen die warn

10 Die Schülerin und ihre vier Mitschüler der Gruppe DeII besuchen eine 10. Hauptschulklasse, sind zwischen 16 und 18 Jahren alt und nehmen an einer Überblicksführung am Denkmal teil. Nach einer Kontaktaufnahme im Vorfeld habe ich die Lehrerin und ihre Schulklasse am Denkmal getroffen, um sie bei ihrer Führung zu begleiten. Da die Schulklasse nach dem Denkmal die DDR-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen besucht, treffen wir uns abends zur Diskussion in ihrer Unterkunft. Die Jugendlichen sind mir gegenüber aufgeschlossen und diskutieren sichtlich angeregt ihre Besuchseindrücke.

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Cm:

└nein. Vor allem

in welchen, also wieviel, die Anzahl auf einmal. Dass es Massengräber gab, also dass es eine Menge gab, zum Beispiel die Steine, sind ja auch, also ein Stein für eine einzelne Person, und dass das halt eine Menge ist, von der Fläche her, und das soll dann auch zeigen, dass eine große Menge ermordet wurde. Bw: man sollte das auch nie vergessen, dass die Menschen damals so blöd war’n und mitgezogen sind. Das sollte man auch nicht vergessen, weil ich denke, äh die Welle zum Beispiel, die stellt das sehr gut dar.11

Die Teilnehmenden diskutieren den Zweck des Denkmals und formulieren nacheinander ein ‚Nie wieder‘. Geht es den Jugendlichen zunächst um Dimensionen des Holocaust wie die Anzahl der Ermordeten, Massengräber und das Stelenfeld als Verkörperung der einzelnen Opfer des monströsen Verbrechens, bewegen sie sich zu Beginn und Ende dieser Sequenz von den jüdischen Opfern weg und führen allgemein Krieg und autoritäres Verhalten (Die Welle) an. Damit steht die Gruppe DeII nicht alleine. Wenn Schülerinnen und Schüler den Imperativ näher ausführen und beschreiben, was sich nicht wiederholen solle, dann kommen sie allgemein auf Rassismus, Neonazismus, Krieg und Gewalt zu sprechen. Ein Begriff wie Antisemitismus fällt seltener, was jedoch nicht ausschließt, dass mitunter – so etwa von der Gruppe WaI am Wannsee – die historisch spezifische Frage gestellt wird: ‚Warum die Juden?‘ Auch wenn die politischen Einstellungen der befragten Jugendlichen divergieren und durchaus Kritik an Gedenkstätten geübt wird, scheinen sie die Existenz von Gedenkstätten an sich für sinnvoll zu halten. So ist beispielsweise die Gruppenmeinung von WaI stark von einer Ablehnung von Alltagsrassismus und Nazis in ihrem Wohnort geprägt, und ihr Ausstellungsbesuch bzw. die Situation der Gruppendiskussion gibt offensichtlich Anlass für einen ausgiebigen Aus-

11 Ähnlich die Argumentation der Schülerin Bw der Gruppe DeI, die ebenfalls auf die ‚Besuchereinweisung‘ in den Ort der Information anhand des Aufrufs von Primo Levi zu sprechen kommt: „ganz am Anfang, in dem Raum, wo wir auf dich gewartet haben, wo auch die Rezeption ist, da steht an der Wand ein Satz, man hat gesehen, dass es passieren konnte, also kann es auch jederzeit wieder passieren. Das ist sehr beängstigend, finde ich, wenn man überlegt, was passiert ist und wie viel passiert ist, und wenn man bedenkt, dass es theoretisch immer wieder passieren kann. Ich denke, dass überhaupt nicht genug Leute darüber aufgeklärt sind, was damals passiert ist, und die das gar nicht mitbekommen würden, wenn so was noch mal passieren würde, am Anfang war’s ja auch so unter Hitler, dass die das am Anfang nicht mitgekriegt haben, was alles passiert, ist beängstigend.“

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tausch über die Motivation, sich einer rechtsextremen Vereinigung (damals und heute) anzuschließen. Demgegenüber beharrt die Gruppe WaII fast ausnahmslos auf der Legitimität eines positiv besetzten Nationalstolzes und distanziert sich in ihrer Ausstellungskritik von der Präsentation am Wannsee als Ganzer. Beide Gruppen artikulieren aber ihre Verurteilung der NS-Verbrechen und betonen, dass Gedenkstätten als Orte der Würdigung der Opfer und der Aufklärung sehr wichtig seien. In einem Fall gab ein Jugendlicher an, sich schuldig zu fühlen. Der Schüler der Gruppe WaII rief mit dieser Einstellung allerdings den heftigen Widerspruch seiner Mitschülerin hervor: Dm: Ich fühl’ mich zum Teil auch selbst betroffen, als ich im Holocaust-Mahnmal war, da ist plötzlich so ein Jude (1) vorbeigelaufen, und ich hatte irgendwie so Schuldgefühle, weil ich wusste, dass im Grunde genommen Aw:

└nee

Dm: dass wir dran schuld war’n. Oder meine Vorfahren beziehungsweise, Aw:

└das find’ ich wieder voll

falsch, so was zu sagen, weil weil Dm: ja nein Aw: weil voll viele Ausländer in ---, da bist du immer, also ich nicht, aber man wird wegen Sachen verantwortlich, warum werden wir dafür verantwortlich gemacht, dafür sind wir längst nicht mehr verantwortlich.

Die sich an der Begegnung mit einem als Juden wahrgenommenen Besucher im Ort der Information entzündenden Gefühle, die Dm offensichtlich beschäftigen, werden von seiner Mitschülerin heftig zurückgewiesen. Dabei greift Aw auf ein klassisches Argumentationsmuster zurück: Zwar nicht sie persönlich, aber „man“ werde von anderen, namentlich „Ausländern“, verantwortlich gemacht. Die meisten Jugendlichen der Stichprobe teilen die Ansicht, nicht persönlich schuldig zu sein. Im Gegensatz zu Aw unterscheiden sie dabei zwischen Verantwortung und Schuld und lehnen Ersteres nicht ab. Diese Einstellung formuliert Daniel exemplarisch: Er empfinde es „langsam als Last […], es immer wieder aufzurollen und sich immer wieder schuldig zu bekennen“. Er führt dann aus, er habe „manchmal das Gefühl, dass Deutschland so gar nicht mehr sagt, okay, also hier das bin ich“, und es gebe ein „inneres Sehnen danach, dass man das endlich hinter sich lassen kann, dass man’s noch weiß und dass man’s noch berücksichtigt, irgendwie respektiert […], aber auch wieder sagen kann, okay, wir sind aber nicht mehr die, die wir damals waren“. ‚Generation‘, das zeigt sich hier, ist bei den Schülerinnen und Schülern, und das teilen sie mit dem allgemeinen Gedenk-

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diskurs, eine ausgeprägte Orientierung in der Rezeption der NS-Verbrechen. Dabei wird offensichtlich, dass das Thema ‚Schuld‘ virulent ist, auch wenn sie es zumeist mit dem Hinweis ablehnen, die Zeit nicht selbst erlebt zu haben.12 Wie ‚gegenwärtig‘ die Vergangenheit für die Jugendlichen ist, wird auch in ihrer fast unisono geteilten Abneigung deutlich, ihre Großeltern auf den Nationalsozialismus anzusprechen. Ein Schüler der Gruppe DeI13 formuliert das so: Cm: […] mit den Großeltern redet man, vermeidet man, vermeide ich das möglichst, weil die meisten haben schreckliche Erfahrungen gemacht, die Großväter waren meistens Soldaten, und die wollen wahrscheinlich nicht so daran erinnert werden. Mich interessiert zwar, wie das war, aber da ist eine gewisse Hemmschwelle nachzufragen.

An dieser Stelle ist aufschlussreich, wie Nationalstolz vom Schüler Daniel im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft 2006 beschrieben wird: D:

[…] bei mir kam das auf, wie bei ganz vielen wahrscheinlich, mit der WM. Dass

man gejubelt hat, dass man sich gefreut hat, wenn sein Land jetzt im Fußball oder sonst wie eben nach vorne kommt, […] dass ich mich freue, wenn’s unserem Land gut geht. Flagge zeigen ist ein Stichwort.

Nicht alle Schülerinnen und Schüler sprechen so unbefangen wie Daniel über Nationalstolz. Wie er setzen aber auch die meisten anderen ihre Zugehörigkeit zu einem nationalen ‚Wir‘ schlicht voraus. ‚Generation‘ erhält also eine nationale Komponente, wenn die Jugendlichen sich über ihr Verhältnis zu Deutschland austauschen und sich fragen, wie positiv sie sich auf Deutschland beziehen möchten oder könnten. Die Fußballweltmeisterschaft 2006 und die zu diesem Anlass plötzlich sichtbaren Deutschlandfahnen sowie der Verweis auf andere Länder dienen dabei der Veranschaulichung.14 In den aktuellen Bezügen, die die Jugendlichen herstellen, reproduzieren sie die gesellschaftliche Stimmung dieser Zeit, in der Nationalstolz besonders sichtbar war und gefeiert wurde (vgl. Becker/Wagner/Christ 2007, 131). Einen nationalen Bezug artikuliert deutlich auch die Gruppe WaII in einer weiteren selbstläufigen Diskussionssequenz:

12 Ich greife diesen Aspekt in Kap. 6 erneut auf. 13 Die Gruppe DeI stelle ich in Kap. 5.2.1 vor. 14 So die Schülerin Aw in der Gruppe DeI: „Aber ich würd’ trotzdem nicht mit einer Deutschlandfahne irgendwo rumlaufen, nur weil ich jetzt in Deutschland lebe.“ Bw: „@zur WM@“ Aw: „nee, würde ich auch nicht.“ Bw: „würdest du auch nicht? Ich hab’ das schon gemacht.“

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Aw: Im Gegensatz zu Ländern wie ---, ---, wo alles so korrupt ist, läuft unser Land wirklich gut. Dm: ja. Aw: hier hast du die Möglichkeit Cm:

└wobei man muss aufpassen, stolz auf das eigene Land zu

sein, das kann manchmal Ew: warum? Cm: in die falsche Richtung gehen, wenn man jetzt zum Beispiel die WM nimmt, alle schwenken die deutschen Fahnen und sagen, ja Deutschland super, aber das ist ein falscher Nationalstolz. […] Aw: warum darf man denn nicht stolz sein, wir leben hier, wir sollten das Land auch unterstützen, warum sollten wir das alles schlecht machen? Ew: jedes Land hat Sachen, auf die’s nicht stolz ist, in der Geschichte ist genug passiert […] Dm: ich find’s schade, dass wir zum Beispiel keine Nationalhymne in der Schule singen. Aw: nein.

Die Jugendlichen geraten offensichtlich in den Konflikt, sich einerseits einem nationalen ‚Wir‘ zugehörig zu fühlen oder fühlen zu wollen, in dieser Bezugnahme aber andererseits von der deutschen NS-Vergangenheit irritiert zu werden. Cm, der auf „falsche[n] Nationalstolz“ aufmerksam macht, teilt die dominierende Gruppenmeinung offenbar nicht und wird von den anderen übertönt. Die meisten Jugendlichen der Stichprobe positionieren sich jedoch gegen Rechtsextremismus (Nazis), Ausländerfeindlichkeit und Krieg. Gleichzeitig werden Gedenkstätten zusammen mit Bildungschancen, Arbeitsplätzen, der Garantie von Meinungsfreiheit und Menschrechten als gesellschaftlich-politische Errungenschaften gewürdigt, durch die sich Deutschland gegenüber anderen Ländern auszeichne. Dabei erscheint in den Einstellungen vieler Schülerinnen und Schüler der Nationalsozialismus als Negativfolie, wenn sie über die von ihnen umso positiver wahrgenommene Gegenwart sprechen. Der Berufsschüler Tom15 zum

15 Tom ist 19 Jahre alt und besucht mit seiner Berufsschulklasse – er absolviert gerade das dritte Lehrjahr einer Maurerausbildung – die Gedenkstätte Neuengamme, wo er an einer ‚berufsspezifischen Führung‘ teilnimmt. Ich treffe die Gruppe vor Beginn ihrer Führung. Nachdem ich mein Anliegen vorgestellt habe, ist sofort entschieden, dass der Klassensprecher Tom das Interview übernehmen wird. Ich konnte die Führung begleiten und nachvollziehen, wie eng sich die Vermittlung insbesondere der Arbeitsbedingungen der KZ-Häftlinge an den Interessen und dem beruflichen Hintergrund

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Beispiel formuliert diesen Aspekt nach seinem Besuch der Gedenkstätte Neuengamme so: T:

Mir ist einfach nur wichtig, dass das weiterhin gefördert wird hier, das ganze Ge-

schehen, und dass auch weiterhin viel da drüber gesprochen wird, ich finde, dass alle das sehen sollten und mitkriegen sollten, wie die Zeit damals gewesen ist und wie es heute ist, dass sich mehr Menschen Gedanken da drüber machen und anfangen, das mal wirklich zu schätzen, es gibt so viele Jugendliche, die haben zwar eine Ausbildung, aber schätzen das nicht wirklich, und das sind so Sachen, die kann ich nicht verstehen.

Im Hinblick auf die von den Jugendlichen artikulierte Akzeptanz von Gedenkstätten ist die Befragung vielleicht nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung. Gleichwohl darf angenommen werden, dass sich in ihren Einstellungen auch der öffentliche Aufarbeitungsdiskurs widerspiegelt, demnach Gedenkstätten der materiale Beweis dafür sind, dass das heutige Deutschland sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt. Auch diese Funktion der Gedenkstätten wird von den Schülerinnen und Schülern positiv gewertet.

5.2 D IE R EZEPTION DER G EDENKSTÄTTENAUSSTELLUNGEN Nachfolgend werden die Eindrücke der Schülerinnen und Schüler von ihren Besuchen der Gedenkstättenausstellungen rekonstruiert. Bei der Frage nach unterschiedlichen Rezeptionsweisen der Präsentationen werden die jeweiligen zum Ausdruck kommenden inhaltlichen und gestalterischen Besonderheiten der Ausstellungen, aber auch ihrer Gebäude sowie ihres Außengeländes berücksichtigt. Die in den Kapiteln 2 bis 4 untersuchten Ausstellungen zeigen schriftliche und bildliche Täterquellen, Filmaufnahmen und geografische Karten – ein Präsentationsmittel, an dem die Befragten besonders häufig Wissenszuwachs festmachen16 – sowie Selbstzeugnisse und Lebensläufe der Opfer. In der Gedenkstätte

der Lehrlinge orientiert hat. Nach der Führung interviewe ich Tom in einem Raum der Gedenkstätte. Er besucht die Gedenkstätte bereits zum dritten Mal und scheint äußerst interessiert an dem Interview, das mit einer knappen Stunde deutlich länger als die anderen Einzelgespräche dauert. 16 Um nur einige Beispiele zu nennen: Am Denkmal scheint eine Karte dazu anzuregen, über die geografischen Ausmaße der Vernichtung nachzudenken („dass es auch in Nordafrika und so war, das wusste ich einfach davor nicht, und das hat mich dann

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Neuengamme werden auch Gegenstände gezeigt. Um Aussagen über Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Rezeption der jeweiligen Gedenkstättenausstellung treffen zu können, stellen die folgenden drei Unterkapitel die Rezeption von Personalisierungen, von Ausstellungsarchitekturen und von der musealen Geschichtsvermittlung gegenüber dem Schulunterricht in den jeweiligen Gedenkstätten vor. 5.2.1 Eindrücke von den Personalisierungen Medien der Personalisierung sind in erster Linie die schriftlichen, vertonten und fotografischen Selbstzeugnisse der Opfer des Holocaust und des Nationalsozialismus sowie dokumentierte Lebensläufe. Die Erinnerungsberichte, Zeugnisse und biografischen Porträts werden in den Ausstellungen jeweils unterschiedlich gewichtet und variieren in Inhalt und Gestaltung. Um die Rezeptionsweisen vergleichend betrachten zu können, werden die drei Gedenkstättenausstellungen nacheinander vorgestellt. Der Ort der Information am Denkmal für die ermordeten Juden Europas Der Ort der Information ist diejenige der drei analysierten Ausstellungen, die sich am konsequentesten einem individualisierenden und personalisierenden Zugang verschrieben hat. Die persönlichen Quellen, die eine Annäherung an die jüdische Perspektive auf den Holocaust ermöglichen, tragen die Präsentation am Denkmal und werden nur stellenweise von zurückhaltend in die Ausstellung eingefügten Täterdokumenten ergänzt. Viele der Selbstzeugnisse und biografischen Elemente werden von den Schülerinnen und Schülern bei ihren Besuchen wahrgenommen. Welche der über die personalisierenden Ausstellungselemente vermittelten Inhalte die Jugendlichen auch tatsächlich aufnehmen, ist damit allerdings noch nicht gesagt. Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen. Der Schüler Daniel hat sich im Anschluss an eine Überblicksführung (die zum Zeitpunkt der Erhebung prinzipiell nur am Stelenfeld und im Foyer des Orts der Information angeboten wurde, nicht aber durch die Themenräume selbst) die

schon baff gemacht“, Maja), in Neuengamme lenkt eine Karte den Blick auf Deutschland („wie viele KZs und wie viele Außenlager es doch in Deutschland und Umgebung gegeben hat, was ich mir anfangs nicht hätte vorstellen können“, Jonas), und am Wannsee klärt eine geografische Präsentation über die Zeit vor 1933 auf und regt Fragen nach dem ‚Warum‘ an („dass der Anteil von deutschen Juden so gering war, das hat dann auch eine Frage aufgeworfen, worüber ich mir im Unterricht nie Gedanken gemacht hab’, was Hitler eigentlich gegen Juden hatte“, Chris).

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Ausstellung des Denkmals angesehen. Nach den Eindrücken seines Besuchs gefragt, thematisiert er die Ausstellungsgestaltung und die personalisierende Ausstellungskonzeption des Orts der Information („sehr modern, sehr (3) ja schon auf die einzelnen Individuen bezogen“), um sich dann wie folgt zu charakterisieren: „Ich bin nicht so ein Ausstellungstyp, der ganz emotional da reingeht oder sich mitreißen lassen kann, deswegen war ich eher so ganz objektiv da unten drin, eher kühl.“ Auf die Nachfrage, was er mit „Ausstellungstyp“ meine, spricht Daniel über eine zufällige Begegnung mit einem Auschwitz-Überlebenden im Ort der Information: Ich bin eher jemand, der es interessant findet, wenn er sich mit Menschen auseinan-

D:

dersetzt. Ich fand’s zum Beispiel sehr interessant, dass da in einem Raum, wo ich drin war, da war zufällig ein Zeitzeuge, der interviewt wurde, im Rollstuhl, und (.) das war für mich so oh, jetzt, jetzt kommt was. Da konnte ich zuhören. Solange nur Bilder sprechen oder irgendwelche, also nur Bilder sprechen ja auch schon viel, aber (.) nur Texte oder so geschichtliche Sachen oder wenn mir jemand so was über Lautsprecher erzählt, ist es bei mir eher so, dass ich das zwar alles höre und auch irgendwie mehr oder weniger aufnehme, aber das nicht so richtig in mich eindringt, sag’ ich mal. Also es kommt nicht so an, unsere Führerin sagte zum Anfang, dass es sehr emotional aufgemacht ist, und diese Emotionalität, die ist bei mir nicht angekommen. Die kam da an, wo er erzählt hat, dass er tätowiert wurde in Auschwitz und dass das seine schrecklichste Lebenszeit war, und wo wirklich ein Mensch geredet hat. Deswegen sage ich, Ausstellungstyp bin ich nicht so, weil da reden meistens Bilder oder irgendwelche Texte, und die sind nicht so mein Zugang.

Der Schüler argumentiert in der Sequenz gegen die Erwartungen, welche ihm die Guide des Denkmals suggeriert zu haben scheint. Vor dem Hintergrund des gesamten Interviews nehme ich an, dass er diese vorgeprägte Erwartungshaltung aus der Schule oder seinem Alltag kennt. Die emotionale Wirkung des Ausstellungsbereichs, die an ihn herangetragen wurde, bevor er diesen selbst besucht hat,17 weist er von sich und geht zunächst auch nicht auf die Selbstzeugnisse ein, die er in seinem Eingangsstatement als herausragendes Charakteristikum der Präsentation bestimmt hat. Gegen die Ausstellungskonzeption, die die Geschich-

17 Auch in Bezug auf das Stelenfeld spricht Daniel über seine Guide: „als sie dann den Hintergrund erzählt hat und auch Bilder gezeigt hat, wie das ganze Teil von oben aussieht, und man einen Überblick gekriegt hat, wie Auschwitz mit diesen Stelen, wie das auch so gegliedert war, mit den einzelnen Baracken, hat sie auch gesagt, dass es da vielleicht einen Zusammenhang geben könnte.“

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te anhand vieler persönlicher Quellen vermitteln möchte, setzt der Schüler die persönliche Begegnung mit einer realen Person, einem Zeitzeugen. Die an ihn durch die Ausstellungskonzeption herangetragene Emotionalität habe sich erst eingestellt, als ein Mensch geredet hat. Emotionalität setzt der Schüler mit Unmittelbarkeit gleich, und möglichst unmittelbar möchte er sich auch die historischen Ereignisse in der Ausstellung aneignen. Unter dieser Prämisse – und mit dieser Meinung steht Daniel im Kreis der Jugendlichen nicht allein – kann weder ein Ausstellungsbesuch noch eine individualisierende Dokumentation eine Zeitzeugenbegegnung ersetzen.18 Die Begegnung mit einem Menschen, der über eine vergangene Zeit berichten kann, welche Jugendliche nur aus Büchern, Filmen oder der Schule kennen, wirkt beeindruckend. Dabei bleibt die Faszination aber nicht auf Überlebende des Holocaust und des Nationalsozialismus beschränkt. Veranschaulicht wird das durch die in der Diskussion der Gruppe DeII spontan gegebene Antwort einer Schülerin, die mit ihrer Klasse nicht nur den Ort der Information, sondern auch, wie sie offensichtlich beeindruckt schildert, die Gedenkstätte Hohenschönhausen besucht hat. Auf meine Nachfrage, „ging’s euch da anders als in der Ausstellung am Denkmal?“, antwortet sie: Bw: Da war’s noch schlimmer, weil uns hat da einer, Dm:

└ein Häftling,

Bw: @ein ehemaliger Häftling@ hat uns da rumgeführt, der hat eben alles erzählt. Dm: auch von seinen eigenen Gefühlen.

Gerade daran, dass die Gruppe den personalisierenden Ansatz im Ort der Information positiv rezipiert, zeigt sich die hohe Bedeutung, die sie einer Begegnung mit Zeitzeuginnen oder Zeitzeugen beimisst. Die Schülerin sieht dabei in ihrem Statement vom konkreten historischen Gegenstand ab; ihr geht es ganz allgemein um das Erzählen und das Erleben eines damit verbundenen Gefühls, wel-

18 Die Schülerin Aw der Gruppe WaII beschreibt ebenfalls aussagekräftig, warum sie die persönliche Begegnung mit einem Zeitzeugen dem Geschichtsbuch oder Museum vorziehe: „Ich finde es interessant, was von Leuten erzählt zu bekommen, die es selbst erlebt haben, und nicht wie es in Geschichtsbüchern steht oder in Museen, weil in Museen sind das ja auch Leute, die es vielleicht selbst erlebt haben, aber die reden ja nicht persönlich mit dir, die reden ja in eine Kamera, oder die haben es geschrieben, aber die unterhalten sich nicht mit dir, ich finde so was besser.“

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ches durch den historischen Ort verstärkt zu werden scheint.19 Anschließend entspannt sich in der Gruppe eine Diskussion darüber, inwiefern Unterschiede zu machen seien zwischen nationalsozialistischem Massenmord und Stasi-Knast. Situativ und auf meine Frage bezogen sehen die Jugendlichen jedoch zunächst vom konkreten historischen Gegenstand und der Spezifik des Holocaust gegenüber dem in der DDR geschehenen Unrecht ab. Maßstab zur Bewertung des Gedenkstättenbesuchs ist zunächst die Präsenz (oder Abwesenheit) des erzählenden Menschen. Wenn die Schülerin Bw spontan mit „da war’s noch schlimmer“ antwortet, bezieht sie sich auf ein Führungsformat, das im Ort der Information nicht und in anderen NS-Gedenkstätten zunehmend seltener in Anspruch genommen werden kann: die Zeitzeugenführung. Daniel, der ebenfalls die Präsenz einer Zeitzeugin oder eines Zeitzeugen als wirkungsvolle Art der Geschichtsvermittlung schätzt, thematisiert die Unmöglichkeit, immer wieder betroffen zu sein. Dies erfolgt vor dem Hintergrund eines im gesamten Interview artikulierten Überdrusses an der schulischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Holocaust in, wie er sagt, „unserem Land“. Als das Thema für ihn erschöpft zu sein scheint, knüpfe ich an seinen zu Beginn des Interviews wiedergegebenen Eindruck des individualisierenden Charakters der Ausstellung an. Der Schüler greift daraufhin das Thema ‚Einzelschicksale‘ auf, anhand derer seiner Ansicht nach die Ausstellung beabsichtige, „diese Emotionalität und diesen Bezug zum Besucher herzustellen“.20 Als Daniel

19 Christian Saehrendt hat in einer Besucherbefragung „der Wirkung der Zeitzeugenführungen nachgespürt“ (Saehrendt 2009, 76), die in der Gedenkstätte Hohenschönhausen zu den festen Besuchsformaten zählen. Er verweist darauf, dass die Gedenkstätte damit „auf eine Strategie der Emotionalisierung und Überwältigung der Besucher“ (ebd.) setze, und kommt zu dem Ergebnis, dass die „Gefahr eines ‚Gruseltourismus‘ […] nicht von der Hand zu weisen“ (ebd.) sei. Die emotionale Manipulation der Gedenkstätte Hohenschönhausen ist auf die Art und Weise der dort angewandten Erzählungen zurückzuführen. Durch Zeugenschaft an sich werden Besuche von Gedenkstätten nicht gruselig, und in NS-Gedenkstätten sind Zeitzeugenführungen alles andere als ungeeignet, um sich mit den historischen Ereignissen auseinanderzusetzen. Problematisch sind die Auswirkungen von Besuchen in Hohenschönhausen auf die Besuchswahrnehmung von NS-Gedenkstätten, die ich während meiner Datenerhebung beobachten konnte. 20 Das Persönliche und Emotionale der Ausstellungskonzeption im Ort der Information vergleicht der Schüler Daniel mit Ballinstadt. Das Auswanderermuseum Hamburg: „und das war ja auch so aufgebaut, man ist da durchgegangen, (.) also jetzt so persönlich meine ich. Man ist da durchgegangen und hatte dann, also das waren so

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sich erneut von der Ausstellung abgrenzt („Ich komm’ da rein und denke schon im Vorneherein, okay, kennst du schon“), frage ich, ob es für ihn persönliche Aussagen im Ort der Information gebe. Daraufhin kommt er auf ein Zeugnis im ‚Raum der Dimensionen‘ zu sprechen: D:

Was ich ganz gut fand, war in dem einen Raum, wo diese Briefe auf dem Boden wa-

ren, das war so das Persönlichste, was ich da rausziehen kann, weil so ein Brief ist ja schon, (.) der dann ‚lieber Vater‘ oder so was betitelt war, und man dann gelesen hat, (.) ja genau, ein Mädchen hat glaube ich erzählt, ‚ich möchte nicht sterben, aber das muss ich jetzt doch und ich habe so eine Angst vor dem Tod, die Kinder werden (.) lebendig in die Gräber geworfen‘ oder irgendwie so °was°. Das hat bei mir, also trotz all dem, was ich schon gehört habe und auch schon kannte, so was Bewegendes, wenn ich das so nennen mag, hervorgerufen. Dass ich dachte, die weiß sogar, das war total neu für mich, weil ich dachte, klar, die wissen schon, da ist was faul, wenn sie in so ein Lager kommen, aber dass sie direkt wusste, dass sie demnächst sterben wird und dass sie auch den Vorgang und wie das Ganze passiert, dass sie das schon ihrem Vater schreiben konnte und sich darüber Gedanken gemacht hat, das fand ich schon, °ja° (.) heftig, weil ich dachte, die kommen in eine Gaskammer und denken, das ist eine Dusche, und merken dann in den letzten zwanzig Sekunden, was mit ihnen passiert, oder werden irgendwo hingeführt, denken, sie sollen arbeiten und werden dann erschossen, was sie aber vorher nicht wissen. Und dass sie das wusste, das fand ich schon heftig.

Der Schüler ruft sich die Abschiedszeilen von Judith Wischnjatskaja an ihren Vater21 als das „Persönlichste“ ins Gedächtnis, was er aus der Ausstellung mitgenommen habe. Dabei erwähnt er auch die Präsentationsform („auf dem Boden“). Daniel betont, dass die im Brief artikulierte Todesangst etwas „Bewegendes“ bei ihm hervorgerufen habe, womit er sich einerseits von seiner vorherigen Ablehnung der Repräsentationsform der Ausstellung distanziert und andererseits den Anspruch der Ausstellungskonzeption antizipiert. Von seinem Wissensstand ausgehend hebt er das Neue hervor, das er aus dem Brief erfahren habe. Entgegen seiner bisherigen Vorstellung, die verfolgten Menschen hätten von ihrer bevorstehenden Ermordung nichts gewusst, hat er im Ort der Information erfahren,

@Schaufensterpuppen@, die ein bisschen angezogen waren, so nach dem Motto, die hatten dann alle so einen Telefonhörer, so einen altmodischen, wo man dann deren Schicksal irgendwie hören konnte […]. Einzelne Leute werden dargestellt, einzelne Schicksale, verknüpft natürlich mit Informationen, die ja klar da sein müssen, aber der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den einzelnen Menschen.“ 21 Siehe Kap. 2.3.2.

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dass das Mädchen seine lebensbedrohliche Situation klar verstanden hat. Daniel unterscheidet nicht zwischen Massenerschießung und Vernichtungslager, revidiert jedoch sein Wissen über den Holocaust, das durch anonyme Bilder der Vernichtung geprägt zu sein scheint. Die neue Information, die das Selbstzeugnis für ihn bereithält, lässt Daniel die Sicht von Opfern einnehmen („was sie aber vorher nicht wissen. Und dass sie das wusste, das fand ich schon heftig“).22 Ob der Schüler über dieses Zeugnis auch dazu angeregt wird, darüber nachzudenken, was die Nichtverfolgten, die Zuschauer und Täter, wussten oder hätten wissen können, erschließt sich aus seinem Beitrag nicht. Auch die Schülerinnen und Schüler der Gruppe DeII rezipieren im Verlauf der Diskussion die Überlieferungen der vorgestellten Familien sowie Briefe und andere präsentierte Selbstzeugnisse: Am: Aber es gab auch reichlich viel Information, also in diesem Keller oder Bunker oder was das war. Als wir da runtergegangen sind, fand ich sehr gut, und man konnte sich dann, also ich finde, man sollte erst in den Informationsraum gehen, bevor man richtig das Holo- also das Denkmal anschaut, weil da sind wirklich sehr viel Informationen, sehr sinnvoll gemacht worden, halt Familien, wie sie drunter gelitten haben, stand viel über einzelne Personen auch drin. (2) Cm: ja da waren auch echte Briefe von den (.) also da wurden echte Briefe, also die lagen auf dem Boden in dem Raum, waren beleuchtet und war auch ziemliche Ruhe in dem Raum, weil war alles dunkel, ja und die waren beleuchtet, und da stand ein bisschen was zu, die Übersetzung auf Deutsch und Englisch, dass jeder das selbst sehen konnte, und die Briefe, die waren glaub’ ich auf Russisch geschrieben, also unterschiedlich, und als man so gelesen hat, hat man sich auch seinen Teil so dabei gedacht, ne? Dm: wo man das anhören konnte, da waren verschiedene Themen, so wie Auschwitz zum Beispiel, Cm: └ja, so wie Telefone. Dm:

└das war interessant.

Am: als wir in den Raum gekommen sind mit den, mit den Briefen, ne? Da ist mir das aber auch kalt über den Rücken gegangen, so. Da hab’ ich auch gedacht, nee. Ich hab’ mir zwei, drei Briefe durchgelesen und, ‚sag deiner Tante Bescheid, wir sind da und da, wir konnten fliehen‘, und da stockt dir auch erst mal der Atem (.) Atem, @man@ @(1)@.

22 Auch ein Schüler der Gruppe DeI bezieht sich darauf, dass die Autoren der im ‚Raum der Dimensionen‘ gezeigten Briefe wussten, dass sie ermordet werden: „Viele dieser Briefe waren einfach nichts anderes als Abschiedsbriefe. Die waren sich ja bewusst, dass sie sich gar nicht mehr wiedersehen.“

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Dm: oder wie der eine geschrieben hat, dass er seinen Vater nicht mehr sehen kann, so was. Das war ganz schön heftig, dass er sterben muss, obwohl er gar nicht will, und so (.) Cm: sehr persönliche Sachen.

Die Gruppe artikuliert deutlich, was allen Diskussionsteilnehmenden beim Besuch des Orts der Information (von ihnen bezeichnet als „Keller“, „Bunker“, „Informationsraum“) aufgefallen zu sein scheint: Das Wissen über den Holocaust wird hier anhand des Schicksals von Familien und einzelnen Personen vermittelt. Die Ausstellungsinhalte, von denen die Jugendlichen sich stark beeindruckt zeigen, würden ihnen eine Annäherung an das Stelenfeld erleichtern. Besonders auffällig ist zudem, dass ihre Ausstellungseindrücke, die sich vor allem auf den ‚Raum der Dimensionen‘ beziehen, deutlich von der Echtheit der Zeugnisse und von der Gestaltung des Ausstellungsraums geprägt sind. Letzteres verstärkt offensichtlich das Gefühl von Echtheit in der Rezeption. Die persönlichen Berichte und der Schrecken, den diese ausdrücken, werden als stark emotionalisierend wahrgenommen, wobei auch bei der Schilderung der Selbstzeugnisse von den Schülerinnen und Schülern Gefühle offen artikuliert werden. Sie erwähnen zwar auch die im ‚Raum der Orte‘ präsentierten Hörstationen als wichtige Elemente. In ausführlichen Diskussionseinheiten zeigen sie aber vor allem Interesse an den schriftlichen Berichten, die von Abschied und Massenmord handeln und verdichtet im ‚Raum der Dimensionen‘ wahrgenommen werden.23 Im Laufe der Diskussion kommt die Gruppe DeII erneut auf Familien und persönliche Zeugnisse zu sprechen. Als die Schülerin Bw über den ‚Raum der Familien‘ spricht („das war neu, sonst hört man immer nur, so viele Juden wurden verschleppt, aber man hat nie so einzelne Geschichten von den Familien erfahren“), frage ich, ob die Gruppe beim Besuch der Ausstellung etwas erfahren habe, was im Schulunterricht bislang nicht Thema gewesen sei. Die Diskutierenden bestimmen als neu erworbenes Wissen: Bw: […] die Familien, Dm: wie die Familien damals Bw:

└gelitten haben.

Cm: ja, das waren nicht allgemeine Themen, das war Dm:

└einzelne Menschen so

Cm: von einzelnen Personen, da war nicht eine gewisse Oberflächlichkeit, sondern das war schon detailliert.

23 Ich nehme an, dass sich der Schüler Dm der Gruppe DeII, wie Daniel auch, auf die Abschiedszeilen der Briefschreiberin Judith Wischnjatskaja bezieht.

234 | I NDIVIDUUM UND M ASSE Bw: weil wir im Unterricht immer nur so die Oberflächen, also wir nehmen uns ja keine Familien vor oder so, wir machen dann ein Land zum Beispiel. Cm: wir machen jetzt alle Menschen, und hier waren es einzelne Personen, einzelne Fälle, die auch wahr sind, Am: das sind ja Gefühle. Bw: klar konnten wir uns vorstellen, wie die Familien gelitten haben, aber wenn man die Briefe gelesen hat oder auch die Bilder, dann ist das ja alles noch schlimmer, also für mich war das, ich hab’ da ganz schön.

Die Diskutierenden heben Familien und einzelne Personen hervor, die ihnen im Schulunterricht anscheinend nicht begegnen. Deren Zeugnisse seien „detailliert“ und „wahr“. Im Klassenzimmer, so betonen sie, behandelten sie lediglich „Oberflächen“ – und das offensichtlich anhand anderer Quellen. Die durch die Auseinandersetzung mit dem Persönlichen erzeugten Gefühle, die der Schüler Am anspricht, werden von seiner Mitschülerin ausformuliert: „Briefe […] Bilder, dann ist das ja alles noch schlimmer.“ Daraus indes abzuleiten, dass Schülerinnen und Schüler generell vom Persönlichen in der Ausstellung des Denkmals stark beeindruckt seien, weil sie es als neue bzw. besondere Form der Wissensvermittlung erfahren, wäre verfrüht. Ganz anders nämlich als Daniel oder auch die Gruppe DeII rezipiert die Schülerin Johanna die ‚Familienschicksale‘ und ‚Tagebücher‘: J:

Ich habe mir jetzt nicht alle Familienschicksale durchgelesen, weil das war mir dann

auch zu langweilig, ich habe mir die Tagebücher durchgelesen, dann habe ich die Familien so überflogen. Was mich interessiert hat, habe ich überflogen, aber ich hatte nicht die Zeit, mir alle Bilder anzugucken. Da muss man sich ja richtig reindenken, weil wenn da teilweise zehn Familienmitglieder sind und wo jetzt jeder Einzelne wie hingekommen ist, und dann später diese Konzentrationslager, wo dann auch gesagt wurde, okay, da sind so viele Menschen umgekommen und die sind so da hingekommen und dann ist das und das passiert und so wurden sie umgebracht.

Die Schülerin spricht in ihrem Statement über die Ausstellungskonzeption im Ganzen, zuvorderst von dem ‚Raum der Familien‘. Auf eines der von ihr erwähnten Selbstzeugnisse oder auf eine der von ihr „überflogenen“ Lebensgeschichten geht sie nicht ein, anders als andere Jugendliche, die Inhalte aus bestimmten Briefen diskutieren. Johannas Ablehnung der Familienbiografien als „langweilig“ sowie ihre oberflächliche Rezeption der von ihr als komplexe Präsentationsform beschriebenen Gruppendarstellungen lässt sich vor dem Hintergrund ihrer das Interview prägenden Einstellung interpretieren, sie wisse schon

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alles.24 Schon vorher spricht Johanna sehr allgemein über die Ausstellungskonzeption: „Es ist was ganz anderes, ob man sich das Schicksal einer kleinen Lea oder so anguckt oder eben eine Million Juden pauschal hört.“ Die Schülerin rezipiert Personalisierungen durchaus positiv, geht dabei aber nicht auf eine bestimmte in der Ausstellung vorgestellte Person ein, sondern verwendet stereotyp den Namen „Lea“ für ein jüdisches Mädchen. Mangelnde Zeit, aber auch die Abwehrhaltung ‚Ich weiß schon alles über den Holocaust‘ sind eben nicht immer durch die Faszination persönlicher Quellen aufzubrechen. Die Diskutierenden der Gruppe DeI25 orientieren sich in ihrer Ausstellungsrezeption an ihrem schulischen Alltag. Im Verlauf der Diskussion thematisieren sie erneut Schulunterricht und Besuch des Orts der Information als unterschiedliche Formen der Wissensvermittlung, wobei der Unterschied im Gegensatz von ‚Zahlen‘ (Schulwissen) und ‚Menschen‘ (Ausstellungsinhalte) auf den Punkt gebracht wird. Mit „Fakten und nicht so konkrete[n] Beispiele[n]“ fassen die Jugendlichen historische Bildung in der Schule zusammen. Daraufhin frage ich: „und in der Ausstellung war’s konkret?“ Aw: Ja. Dm: es hat einem das Ausmaß mehr verdeutlicht, find’ ich, weil man da nicht, also sechs Millionen ist natürlich eine gewaltige Zahl, aber wenn man da zum Beispiel auch im letzten Raum, diese Kommentare Aw: Dm: Aw:

└fand ich auch gut └von Überlebenden, also └beeindruckend.

24 Johanna: „Ich glaube, wenn man zu viele Einzelschicksale, wir wissen ja alles im Nachhinein. Ich glaube für die Familien, da zählt jede Familie einzeln, und da ist halt jeder Verwandte wichtig, aber ich glaube, wenn man als Außenstehender so was immer halt über jede Familie eine Dokumentation, da würde das niemand mehr gucken, weil’s immer das Gleiche ist, ja der wird dann deportiert und ja, ist ja klar, dann kommt vielleicht der Arzt, der sagt, ‚ja du stirbst‘, und dann stirbt er halt.“ 25 Die Gruppe DeI setzt sich aus drei Schülerinnen und drei Schülern einer 10. Gymnasialklasse zusammen, die an einer Überblicksführung am Denkmal teilnehmen. Sie sind 15 bis 17 Jahre alt. Es ist der letzte Tag ihrer Klassenfahrt. Vor dem Besuch des Orts der Information haben sie im Jüdischen Museum an einer Führung teilgenommen. Vier Personen haben sich freiwillig gemeldet. Da die Seminarräume des Denkmals belegt sind, weichen wir in ein nahegelegenes Café aus, in dem es allerdings sehr laut ist.

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In der Diskussion um ‚Fakten‘ versus ‚konkrete Beispiele‘ betont die Gruppe immer wieder, wie wichtig es sei, um die Dimensionen des Verbrechens zu wissen. Die „Kommentare […] von Überlebenden“, die als „beeindruckend“ erlebt werden, stellt der Schüler Dm der „gewaltigen Zahl“ der „sechs Millionen“ gegenüber. Beeindruckend finden die Diskutierenden auch den ‚Raum der Orte‘: „da waren diese Nischen, wo man sich die Kommentare anhören konnte. Erinnerungen.“ Auf meine Nachfrage „weswegen eindrucksvoll?“ entwickelt sich folgender Austausch: Ew: Ich hab’ mir da mehrere Kommentare angehört, und (2) es hat mir auch noch mal klargemacht, diese Geschichte von einzelnen Personen, eine Frau ist zum Beispiel auch lebendig bei diesen Erschießungen, einfach umgesprungen, umgefallen, um so zu tun, als wär’ sie tot, und hat dann überlebt, und das macht mir noch mal deutlich, wie schlimm das war, also es wird, (.) also ich fand das dann dadurch noch viel extremer als soundso viel Leute sind da und da umgekommen, Bw: Ew: Bw:

└kann man sich gar nicht vorstellen, also auch └ja └überhaupt die ganze Situ-

ation, wie das damals war, kann man sich gar nicht vorstellen, und durch Bilder und Kommentare und persönliche Briefe oder (.) kommt einem das dann mehr nahe, °find ich°.

Im Unterschied zum Schulunterricht sind die Schülerinnen und Schüler in der Ausstellung – hier konkret an den Hörstationen – mit der Erfahrungsrealität der verfolgten Jüdinnen und Juden konfrontiert. Im Vergleich zu ihrem bisherigen Wissen oder ihren an die Präsentation herangetragenen Vorstellungen ist diese Konfrontation für sie neu. Die Schülerin Ew beschreibt, wie sie in einem Erinnerungsbericht an der Hörstation ‚Babi Yar‘ von einer Frau erfährt, die die Massenerschießung überlebt hat. Gegenüber allgemeinen Informationen – hier scheint die Schülerin sich einig mit Dm – habe ihr dieser individuelle Überlebensbericht deutlich gemacht, „wie schlimm das war“. Bw spricht auch die Schwierigkeit an, sich den Holocaust vorzustellen, und bezieht sich auf „Bilder“, „Kommentare“ und „persönliche Briefe“, die ihr in der Ausstellung die historischen Ereignisse nähergebracht hätten. Als Ergebnis der Interviews und Diskussionen lässt sich festhalten, dass die personalisierenden Präsentationsmittel, die den Ort der Information prägen, von den befragten Schülerinnen und Schülern durchgehend wahrgenommen und in ihren Beiträgen thematisiert werden. Wenn die Jugendlichen das erlittene Leid der ver-

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folgten Personen, den Massenmord und das seltene Überleben thematisieren, rezipieren sie auffallend häufig die persönlichen Quellen und ihr Arrangement im ersten Ausstellungsraum, dem ‚Raum der Dimensionen‘. Ihre Schilderungen knüpfen aber auch an die biografischen Familienporträts im ‚Raum der Familien‘ und an den ‚Raum der Orte‘ an. Der ‚Raum der Namen‘ hingegen ist seltener Bezugspunkt. Er wird von der Schülerin Maja26 in seiner Gestaltung als „dunkler Raum“ erwähnt, und ihr Mitschüler Denis wünscht sich in dem Raum „Bilder von den Opfern“. Die Dimensionen des Holocaust benennen die Jugendlichen deutlich, wenn sie sich auf Selbstzeugnisse beziehen. Das in ihren Schilderungen artikulierte Verständnis von ‚Dimension‘ bezieht sich dabei nicht nur auf die Anzahl der Opfer oder die geografischen Ausmaße der Verfolgung. Die Schülerinnen und Schüler der Gruppe DeI, deren Ausstellungsrezeption deutlich an der Gegenüberstellung von ‚Zahlen‘ und ‚Menschen‘ orientiert ist, teilen die Einstellung, dass ihnen die persönlichen Berichte der Verfolgten und Ermordeten „das Ausmaß mehr verdeutlicht“ hätten. Durch die über die Hörstationen im ‚Raum der Orte‘ rezipierten Augenzeugenberichte sowie durch andere Selbstzeugnisse sei ihnen das Ausmaß der Vernichtung klarer geworden als über die Todesstatistik. Aber mehr noch, die Jugendlichen, und nicht nur dieser Gruppe am Denkmal, greifen in der Rezeption auch das Spannungsverhältnis von Individuum und Masse im Museumsraum auf. Denjenigen, die wiedergeben, was den Einzelnen in der Masse der Verfolgten widerfuhr, scheint sich zu vermitteln, was der Holocaust für die Männer, Frauen und Kinder bedeutet haben mag. So zeigen sich die Teilnehmenden der Gruppendiskussion DeI angesichts der Einzelschicksale empathisch und geben an, erst die Augenzeugenberichte hätten ihnen eindringlich die persönliche Bedeutung der Verfolgung verdeutlicht. Anders als bei zusammenfassenden Informationen ermöglichten ihnen Selbstzeugnisse, sich eine Vorstellung von den historischen Ereignissen zu machen, die Verbrechen und ihre Auswirkungen rückten über diese zeithistorischen Quellen näher an sie heran. Ähnlich werden von der Gruppe DeII „allgemeine Themen“ als „Oberflächlichkeit“ bezeichnet und „einzelnen Menschen“ gegenübergestellt. Sie hätten sich das Leid der Familien zwar abstrakt vorstellen können, aber „Briefe“ oder „Bilder“, Präsentationsmittel, die von dieser Gruppe teilweise facettenreich wiedergegeben werden, bewirkten ein Bewusstsein, dass „alles noch schlimmer“ als in der bisherigen Vorstellung gewesen sei. Wie viel Raum die rezipierten Selbstzeugnisse und Biografien in den Schilderungen der Jugendlichen einnehmen, variiert. So nimmt auch die Schülerin

26 Maja und Denis sowie die jeweilige Interviewsituation stelle ich in Kap. 5.2.2 vor.

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Johanna unterschiedliche Vermittlungsmodi anhand verschiedener Quellensorten wahr, wenn sie den Gegensatz von persönlichem Schicksal und der Gesamtdimension des Judenmords benennt. Aber auch wenn die junge Frau sich positiv auf eine individualisierende Vermittlung des Holocaust am Beispiel Einzelner bezieht, verbleibt sie in ihrer Beschreibung und im Gegensatz zu anderen Schülerinnen und Schülern dabei im Allgemeinen, ohne eine der Personen zu nennen oder deren Schicksal gar zu schildern, die in der Ausstellung mit ihren Zeugnissen vorgestellt werden. Diese Schülerin geht auf bestimmte Selbstzeugnisse, deren Präsentation an sich sie für ein Verständnis des Holocaust aber als wichtig anerkennt, ebenso wenig ein wie auf den Inhalt der präsentierten Biografien, die sie erwähnt („dann habe ich die Familien so überflogen“). Der Schüler Daniel hingegen gibt ausführlich den Inhalt eines Briefs im ‚Raum der Dimensionen‘ wieder. Auch die Schülerinnen und Schüler der Gruppe DeI schildern Auszüge aus Augenzeugenberichten ausführlich und facettenreich. Die Biografien in dieser Ausstellung scheinen interview- und diskussionsübergreifend zuvorderst in ihrer Funktion wahrgenommen werden, die Totalität des Genozids an den europäischen Jüdinnen und Juden zu verdeutlichen, während es in deren Rezeption selten um bestimmte Familien oder von ihnen stammende Quellen geht, aus denen die Familienporträts überwiegend zusammengesetzt sind. Die hingegen über Selbstzeugnisse nahegebrachte Perspektive der jüdischen Opfer scheint sich den Jugendlichen, freilich unterschiedlich intensiv, zu vermitteln. Dieses Ergebnis wird auch zunächst nicht davon berührt, dass einige der Jugendlichen mitunter historische Ereignisse durcheinanderbringen, wenn sie über das sprechen, was sie in der Ausstellung gesehen, gehört oder gelesen haben.27 Kommen Emotionen bei den Schilderungen von Selbstzeugnissen deutlich zur Sprache, werden diese noch expliziter, wenn die Ausstellungsgestaltung Bestandteil der Rezeption ist. So beispielsweise bei der Gruppe DeII, die über den ‚Raum der Dimensionen‘ diskutiert: Nachdem die Jugendlichen das Ausstellungsgebäude mit unterschiedlichen Bezeichnungen belegt haben („Keller“, „Bunker“, „Informationsraum“), deutet einer der Schüler den Inhalt eines von ihm wahrgenommenen Briefes an, wobei jedoch seine Gefühlsbeschreibungen besonders ausgeprägt sind („Da ist mir das aber auch kalt über den Rücken gegangen“, „da stockt dir auch erstmal der Atem“). Die Gruppe betont den authentischen Charakter der in dem Raum gezeigten Zeugnisse („echte Briefe“), besonders ausschlaggebend für ihre Rezeption ist ebenfalls die Art der Präsentation

27 Das ist eine Auffälligkeit, die sich auch bei Beschreibungen von Fotos von Massenerschießungen findet, die an der ‚Zeitleiste‘ gezeigt werden, und die ich weiter unten vorstelle.

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(„lagen auf dem Boden“, „waren beleuchtet“, „war auch ziemliche Ruhe in dem Raum, weil war alles dunkel“). Wenn Schülerinnen oder Schüler die Gestaltung des Orts der Information ansprechen, geschieht dies in der Regel, und zwar interview- und diskussionsübergreifend, unter Bezugnahme auf ein bestimmtes Selbstzeugnis im Kontext seiner musealen Inszenierung: Briefe werden als „auf dem Boden“ liegend wahrgenommen. „Kommentare“ oder „Telefone“, d. h. an Hörstationen abrufbare Augenzeugenberichte von Massenerschießungen und Vernichtungsstätten, werden „in Nischen“ lokalisiert, und die Ausstellungsräume erscheinen als „dunkel“. Das von den Inhalten der Selbstzeugnisse einerseits und von der Präsentation des Ausstellungsgegenstands andererseits hervorgerufene Interesse erfährt im Ort der Information durch die Ausstellungsarchitektur als Ganzer eine emotionale Verstärkung. Der emotionale Charakter der Ausstellung scheint mitunter aber auch vom Gedenkstättenpersonal an die Jugendlichen herangetragen zu werden. So kommt der rezeptionsprägende Einfluss von Führungen auch in Nebensätzen zum Ausdruck („unsere Führerin sagte zum Anfang, dass es sehr emotional aufgemacht ist“). Sowohl die Präsentationsform ‚Personalisierung‘ als auch das historische Wissen, das die Selbstzeugnisse bereithalten, wird von den Schülerinnen und Schülern als für sie neu in der Geschichtsvermittlung angeführt. Die Diskutierenden der Gruppe DeII beispielsweise greifen die Familienbiografien als ein neues Element der Holocaust-Vermittlung auf, das sie aus dem bisherigen Schulunterricht nicht zu kennen scheinen. Deutlich drückt das auch der Schüler Daniel aus, der, obwohl er doch schon alles wisse, Neues aus einem ausgestellten Abschiedsbrief erfahren zu haben scheint. Obwohl die Jugendlichen fast durchweg schriftliche Selbstzeugnisse ansprechen, problematisiert keine(r) der Befragten am Denkmal den Modus des Lesens, obwohl viele der von ihnen thematisierten Selbstzeugnisse in schriftlicher Form vorliegen. Im Ort der Information ausgestellte Fotografien werden zwar von einigen genannt, aber nicht weiter beschrieben. Ausnahmen sind Schilderungen, die sich auf Fotos beziehen, die an der ‚Zeitleiste‘ im Eingangsfoyer gezeigt werden. Im Vordergrund dieser Ausstellungsrezeption stehen jedoch deutlich die schriftlichen und vertonten Berichte der jüdischen Opfer. Auffällig ist auch die Regelmäßigkeit, mit der Schülerinnen und Schüler Zeitzeugenbegegnungen anführen, wenn sie über das Persönliche in der Vermittlung der historischen Ereignisse sprechen. Die Begegnung mit Überlebenden des Holocaust zeigt sich als ausgeprägter Orientierungsrahmen in ihrer Rezeption der personalisierenden Ausstellung. Der Schüler Daniel schildert beispielsweise, wie er einen Auschwitz-Überlebenden im Ort der Information beobachtet habe. Die an ihn während seines Denkmal-Besuchs herangetragene Emotionalität habe

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sich erst eingestellt, als „wirklich ein Mensch geredet“ habe. Auch die Jugendlichen der Gruppe DeII beziehen sich positiv auf Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, wenn sie ihren Besuch der Gedenkstätte Hohenschönhausen dem im Ort der Information gegenüberstellen. Dass jemand von „eigenen Gefühle[n]“ erzähle und nicht eine bestimmte historische Epoche, ist für das Urteil aus den Reihen dieser Gruppe ausschlaggebend, der von einem ehemaligen Häftling geführte Besuch der DDR-Gedenkstätte sei „noch schlimmer“ als ihr Besuch des HolocaustMuseums gewesen. Obwohl die Befragten fast ausnahmslos schildern, wie nahe ihnen die im Museum am Denkmal präsentierten persönlichen Schicksale gegangen seien, scheinen die Begegnungen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen doch um ein Vielfaches einprägsamer gewesen zu sein. Das Persönliche, so zusammenfassend, das insbesondere in einer direkten Begegnung fasziniert und dabei nicht auf das historische Ereignis Holocaust beschränkt ist, wird von den Jugendlichen am Ort der Information in Form von personalisierenden Präsentationsformen äußerst positiv rezipiert. ‚Schreckensbilder‘ im Ort der Information Der historische Überblick ‚Zeitleiste‘, der einführend im Foyer der Ausstellung präsentiert wird, unterscheidet sich von den Themenräumen im Ort der Information vor allem dadurch, dass hier Aufnahmen gezeigt werden, die unter dem Stichwort ‚Schockfotografien‘ (vgl. Brink 1998, 208) in die gedenkstättenpädagogische Kritik geraten sind. Zwar ist die Präsentation als Ganze alles andere als von Täterdokumenten geprägt, doch werden am Ausstellungsbeginn – und im Vergleich zu Wannsee und Neuengamme deutlich mehr – von Tätern aufgenommene Fotos gezeigt, die den Massenmord direkt abbilden (vgl. Kap. 2.3.1). Während die biografischen Kommentierungen dieser Fotos von den Jugendlichen ebenso selten aufgegriffen werden wie die Texttafeln an der ‚Zeitleiste‘, haben sich einige dezidiert auf die ‚Schreckensbilder‘ bezogen. Als der Schüler Daniel im Verlauf des Interviews ein weiteres Mal die Ausstellungskonzeption reflektiert, spricht er auch die ‚Zeitleiste‘ an. Diese stehe im Gegensatz zu den anderen Ausstellungsbereichen: D:

Ich denke nicht, dass die Ausstellung reine Informationsvermittlung bezweckt, jetzt

so was Lehrendes, (.) was ist da passiert, wie ist es passiert, was war wie, wann, wo Vertrag. Klar gab es am Anfang diese Zeitleiste, wo die wesentlichen Schritte kamen, aber das war von dem, was ich mitbekommen habe, das Einzige, was wirklich auf Daten und Fakten hinzeigte.

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Der Schüler trennt hier klar zwischen der ‚Zeitleiste‘ und den Ausstellungsräumen.28 Die in der Ausstellung vermittelten „Daten und Fakten“ bezieht er nicht auf den kurz zuvor von ihm angesprochenen Abschiedsbrief, der ihm offensichtlich neue Informationen vermittelt hat, sondern ausschließlich auf die ‚Zeitleiste‘. Daniel kommt auch auf Täter zu sprechen: „Was waren diese Wärter für Menschen, die solche Grausamkeiten durchführen konnten? Warum kommt so was zustande, wieso ist der Mensch zu so was in der Lage?“ Auf die Täterseite angesprochen verweist er sodann auf eine an der ‚Zeitleiste‘ gezeigte Aufnahme einer Massenerschießung, die ihm zum Nachdenken angeregt habe: CG: Und warum, also (.) das hat dir die Ausstellung vermittelt? D:

Nee, ich denke nicht, dass sie den Grund vermittelt, sondern sie hat dazu geführt,

dass ich darüber nachgedacht habe. Ich habe ein Foto in Erinnerung, da stand (.) ‚Frauenerschießung‘, in, ich weiß nicht, Ukraine oder so. Und das Bild war einfach nur, die Frauen standen in dem Graben und oben im Halbkreis standen (.) lass es zehn Soldaten gewesen sein, mit angelegtem Gewehr. Und als ich dieses Bild gesehen habe, (1) da habe ich überlegt, (2) wenn ich jetzt dieser Soldat gewesen wäre, was hätte ich dann, also was wäre dann in mir vorgegangen? Dann dachte ich, okay, also klar, die waren eingeimpft [klopft auf den Tisch], die hatten in der Schule nur, hier ‚Juden sind schlecht‘, und das kam von überall, und die ganze Gesellschaft hat es gesagt, dann glaubt man das ja auch irgendwie. Aber wieso konnten die das so einfach? Wieso haben die einfach den Abzug gedrückt, und haben (.), also das waren nicht irgendwie Männer, wo man noch sagen könnte, die haben vielleicht mal gekämpft, oder wo man denen sonst wie Mist erzählen könnte, sondern wirklich Frauen, die einfach nur, (.) ja eigentlich nichts gemacht haben, auch für die offensichtlich nichts gemacht haben. Und trotzdem waren sie dazu in der Lage. Da war jetzt nicht Ausstellung dazu da, um mir die Antwort zu liefern, das sind wieder so Fakten, die man halt in der Schule lernt. Propaganda, und wie das alles abgelaufen ist, sondern einfach dieses Bild, was in mir wieder diesen Prozess hervorgerufen, warum (.) warum macht man so was, wie kommt man dazu, dass man solche Taten °eben ausführt°?

Seine Frage nach Tätermotiven führt Daniel anhand einer Aufnahme aus, die Angehörige der Einsatzgruppe D bei einer Massenerschießung in Dubăsari (heute in Moldawien) zeigt. Die Täter mit den Waffen im Anschlag sind auf dieser Aufnahme deutlich zu sehen. Die Personen, auf die sie zielen, lassen sich auf dem unscharfen Bild dagegen nur schwer ausmachen und noch weniger als Frauen identifizieren. Lediglich verschwommen sind nackte Körper in einer

28 Wie in Kap. 5.2.3 gezeigt wird, unterscheidet auch die Gruppe DeI zwischen ‚Zeitleiste‘ einerseits und der Präsentation in den Themenräumen andererseits.

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Grube zu erkennen. Wer die Opfer des Massakers sind, erschließt sich nur über den Bildkommentar. Die Aufnahme regt Daniel offensichtlich an, über die mordenden Männer nachzudenken. Dabei scheint er die Täter als Soldaten zu identifizieren, womit er den Holocaust tendenziell im allgemeinen Kriegsgeschehen auflöst. Der Rahmen Krieg, in dem der Schüler die Massenerschießung wahrnimmt, lässt ihn auch nach dem Verhalten der Opfer fragen, dabei passt jedoch die Unschuld der Frauen nicht in sein Bild von Krieg. Die Schülerin Johanna kommt ebenfalls auf die ‚Zeitleiste‘, auf die, wie sie sagt, „Vorgeschichte“ zu sprechen. Dort habe sie sich neue „Bilder, die wir halt nicht haben“, angeschaut. Angesprochen auf die Fotos führt sie aus: J:

Es waren schon ähnliche Sachverhalte, also wie Juden halt bloßgestellt wurden auf

der Straße, (3) aber wo zum Beispiel (2), in dem einen Dorf war’s, °in Polen oder so?° Wo ein Dorf rekrutiert wurde von der Polizei, und sie sollten dann die Verräter aus ihrem eigenen Dorf rausleiten, und dann haben sie sie halt erschossen, irgendwie so ein Bild, da sieht man die ganzen Dorfleute und dann eben einen Graben, und da liegen dann mehrere Leute drin. Oder was ich auch krass fand, dass eben manchmal deutsche Soldaten die Bilder gemacht haben, ich weiß nicht, wie die später aufgetaucht sind, aber wie Leute einfach so kalt sein können, dass sie sich da hinstellen, wie so ein Touri dann eben fotografieren, wie da eine jüdische Frau vergewaltigt wird oder so, also, das war jetzt nicht dabei, aber halt solche Bilder. Dass Leute einfach sich da so hinstellen, als würden sie ein Schloss oder so was fotografieren.

Auch Johanna spricht Aufnahmen an, die Verfolgung und Vernichtung dokumentieren. Im ersten Teil ihres Beitrags zählt sie verschiedene Fotos unter dem Thema „ähnliche Sachverhalte“ auf. In ihrer Beschreibung des ‚Neuen‘ kommt sie auf Abbildungen einer Repressionsmaßnahme der Wehrmacht in der polnischen Stadt Częstochowa zu sprechen. Dabei erklärt sie sich die Mordaktion deutscher Soldaten, indem sie die unschuldigen Opfer – Juden und andere polnische Zivilisten – als „Verräter“ aus dem Dorf identifiziert. Vielleicht kennt Johanna Täterberichte, in denen Partisanen als Verräter bezeichnet wurden. Wenn sie von einem „Graben“, in dem „dann mehre Leute drin“ liegen, spricht, bezieht sie sich sehr wahrscheinlich auf zwei Fotos, die eine Massenerschießung von Frauen in Zdołbunów (Ostpolen, heute Ukraine) zeigen. Das Gesehene weckt bei Johanna Fragen nach dem Verhalten der Fotografen. Nicht das, was auf den Bildern abgebildet ist, sondern was die Personen antrieb, die sie aufgenommen haben, interessiert sie. Anders als Daniel zeigt Johanna kein Bedürfnis, sich mit möglichen Tatmotiven der von ihr zu Recht als (deutsche) Soldaten identifizierten Täter zu beschäftigen oder zu reflektieren, wie sie selbst an ihrer Stelle ge-

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handelt oder gedacht hätte. Johanna fragt vielmehr schlicht, „wie Leute einfach so kalt sein können“, solche grausamen Szenen zu dokumentieren. Ein solches Verhalten erinnere sie an einen „Touri […], als würden sie ein Schloss […] fotografieren“. Bemerkenswerterweise bringt die junge Ausstellungsbesucherin ihre Irritation und Empörung über die Skrupellosigkeit des Fotografen zum Ausdruck, indem sie ein Motiv zitiert, das weder an der ‚Zeitleiste‘ noch an einer anderen Stelle der Ausstellung abgebildet ist, aber offenbar Bestandteil ihres Bildgedächtnisses ist („wie da eine jüdische Frau vergewaltigt wird oder so, also das war jetzt nicht dabei, aber halt solche Bilder“). Diese Rezeptionsweise lässt sich mit dem oberflächlichen Blick auf die Ausstellung und der Einstellung der jungen Frau (‚kenne ich schon‘) erklären, aber auch als Versuch einer (unbewussten) Distanzierung von den vor Augen geführten Grausamkeiten deuten. Bei dieser Schülerin ist überhaupt auffällig, dass sie sich am Ende ihres Redebeitrags von den konkreten Bildinhalten wegbewegt und verallgemeinernd ihre Gefühle zum Ausdruck bringt. Sowohl Johanna als auch Daniel fragen anhand der Aufnahmen nach den Tätern, bringen aber Bildinhalte offensichtlich durcheinander. Die Diskutierenden der Gruppe WaII, die in der Gedenkstätte am Wannsee lieber über ihre Eindrücke vom Ort der Information sprechen als über die Täterdokumentation, zu der ich sie befrage, kommen in einer ihrer Ausführungen ebenfalls auf die ‚Zeitleiste‘ der Präsentation am Denkmal zu sprechen: Dm: Was mich berührt hat, war am Anfang diese (.) Zeitleiste, also wo man Jahr für Jahr sehen konnte, wie es sich entwickelt hat, (1) und das hat mich in dem Moment wirklich gepackt, weil ich gesehen habe, da und da, so und so viele gestorben und immer wieder Juden tot, Krieg. Einmarsch nach Polen, Einmarsch nach Osten, und dann in den Westen, ach, ich hab’ da geweint mehrmals, also ich fand’s heftig. Dass man da auf der kurzen Zeile oder auf einer Wand wirklich alle wichtigen Sachen drinnen hat. Bw: also 75 Prozent von dem Mahnmal waren so persönliche Beispiele. Aw: hm Bw: und das war so Cm:

└du kannst dich reinversetzen, probieren, dich reinzuversetzen.

Bw: ja wenn dann wie Ew erzählt hat, so Geschichten, die vergisst man nicht, Aw: mich haben die Bilder auch bewegt, die waren einfach grauenvoll, wie du die Menschen siehst, Ew: dieses Massenmordgrab da, Aw: Leichenstapel, einfach in dieser Grube, Cm: ja.

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Die Gruppe führt aus, was sie bewegt hat, wobei die diskutierenden Jugendlichen deutlich Emotionen artikulieren. Sie beziehen sich auf die Informationen an der ‚Zeitleiste‘ und greifen das ihre Diskussion prägende Thema ‚Einzelschicksale im Ort der Information‘ und schließlich die ‚Schreckensbilder‘ an der ‚Zeitleiste‘ auf. Ihre Assoziationen bleiben dabei nicht auf die jüdischen Opfer beschränkt, zumindest legen die Gedankenkette von Dm – „Juden, Krieg, Einmarsch“ – sowie der gesamte Diskussionsverlauf dies nahe. Diejenigen Aussagen der Interviewten und Diskutierenden, die die ‚Zeitleiste‘ behandeln, so lässt sich als Ergebnis zusammenfassen, beschreiben die wahrgenommenen Fotos und gehen kaum auf die sie ergänzenden Texttafeln ein. Dabei fällt auf, dass sich die Besuchseindrücke besonders an solche Aufnahmen heften, die Demütigungen und Massenerschießungen abbilden. Im Gegensatz zu den Selbstzeugnissen in den Themenräumen, die die Jugendlichen dazu auffordern, die jüdische Perspektive einzunehmen, scheint sich an der ‚Zeitleiste‘ im Ausstellungsfoyer eher die Sicht der Täter zu vermitteln, was sich auch daran zeigt, dass die personalisierenden Fotokommentare am historischen Überblick im Grunde keinen Raum in den Redebeiträgen einnehmen. Während sich die Rezeption der ‚Zeitleiste‘ seitens der Gruppe WaII auf Gefühlsäußerungen beschränkt, die eine Erweiterung des Opferbegriffs auf die Wehrmachtssoldaten im Holocaust nahelegen, haben die hier gezeigten Fotodokumente zwei der Interviewten, Daniel und Johanna, offensichtlich dazu angeregt, über Verhalten und Motivation der Täter nachzudenken. Dabei sind ihre Interpretationen des Abgebildeten nicht immer unproblematisch. So identifiziert Johanna die zivilen Opfer als „Verräter“ und übernimmt damit unwillkürlich den ideologischen Referenzrahmen, mit dem die Verbrechen der Wehrmacht legitimiert wurden. Solche Deutungen laufen der Intention der Ausstellungskonzeption direkt zuwider. Mangelndes historisches Wissen wird auch bei der Identifikation der Täter deutlich, die von Daniel nicht als der SS angehörig, sondern als „Soldaten“ benannt werden. Krieg, der nicht als Vernichtungskrieg expliziert wird, scheint die übergeordnete Deutungsebene beider Jugendlichen zu sein. Krieg wird an der ‚Zeitleiste‘ zwar zu Recht als Rahmenbedingung der sich über Europa ausweitenden Judenverfolgung, aber nicht als deren bestimmender Interpretationsrahmen vorgegeben. In der Rezeption jedoch wird von der Spezifik des Judenmords abstrahiert, wodurch auch die Massenerschießung unschuldiger Frauen letztlich unerklärlich bleibt. Obwohl die ‚Schreckensbilder‘ von den Jugendlichen als dokumentarische Beweise für den Holocaust anerkannt werden und ihr Betrachten offensichtlich zum Nachdenken anregt, treten in den Beschreibungen der Schülerinnen und Schüler nicht nur Wissenslücken, sondern

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auch Distanzierungsstrategien wie die Abstraktion von konkreten Bildinhalten oder die Erweiterung des Opferbegriffs auf die mordenden Männer hervor, die es den Jugendlichen erlauben, Abstand von Bildinhalten und damit von den abgebildeten historischen Ereignissen zu nehmen. Abgrenzung und Distanz vom historischen Gegenstand als Rezeptionsverhalten ist nicht auf ‚Schreckensbilder‘ begrenzt, sondern lässt sich auch in Bezug auf Selbstzeugnisse und Biografien beobachten. Dennoch sind die persönlichen Darstellungen offensichtlich eher dazu geeignet, den Jugendlichen eine empathische Annäherung an die verfolgten Jüdinnen und Juden zu ermöglichen, als die zum Ausstellungsbeginn gezeigten Abbildungen von anonym verbleibenden Opfern, deren menschliches Antlitz nur zu erahnen ist. Die hier wiedergegebenen Besuchseindrücke der Jugendlichen bestätigen die in der Forschung geteilte Annahme, dass ‚Schreckensbilder‘ es nicht vermögen, die Einzelnen in der Masse der Verfolgten sichtbar werden zu lassen. Und doch sind die Abbildungen des Massenmords, auch das zeigt ihre hier vorgestellte Rezeption, wichtige Quellen zur Dokumentation des Holocaust, die die Perspektive der Täter, die ebenfalls zur Auseinandersetzung mit dem Judenmord gehört, vor Augen zu führen scheinen. Die ständige Ausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz Die ständige Ausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz behandelt wie die Präsentation am Denkmal die historischen Ereignisse des Holocaust, ist gegenüber dieser aber von unterschiedlichen Täterdokumenten geprägt. Die Gedenkstätte am Wannsee weist zwar eine kleinere Fläche auf als der Ort der Information, zeichnet sich demgegenüber aber durch eine große Materialfülle aus. Den die Präsentation prägenden Täterquellen in Schrift- und Bildform sind zurückhaltend, aber durchgehend Quellen der Opferseite gegenübergestellt. Auch wenn diese Gedenkstätte auf eine Täterauseinandersetzung zielt, lässt sich hier fragen, wie die vier am Ausstellungsbeginn porträtierten Überlebenden des Holocaust, ihre in der Ausstellung verstreuten Selbstzeugnisse und andere Personalisierungen von Schülerinnen und Schülern in ihren Redebeiträgen aufgegriffen werden. Die im Folgenden vorgestellten Zitate der interviewten oder diskutierenden Jugendlichen wurden ausgewählt, weil sich an ihnen deuten lässt, welche Präsentationsinhalte anhand der in den Ausstellungen vorgestellten persönlichen Berichte, die den Tatkomplex in seinen Auswirkungen auf die Verfolgten verdeutlichen, wahrgenommen werden und auf welche Weise dies geschieht. In ihrem Einstiegsbeitrag in der Diskussion der Gruppe WaI thematisiert die Schülerin Aw „Lebensgeschichten“, die ihr in der Ausstellung aufgefallen sind:

246 | I NDIVIDUUM UND M ASSE Aw: […] ich fand’s gut, dass da Lebensgeschichten von manchen Leuten erklärt waren, erzählt waren, und ich fand das hart, wie die das gemacht haben, also die Nationalsozialisten, wie die die Leute umgebracht haben, Dw: ich muss ganz ehrlich sagen, ich hab’ im Moment eine Wahnsinnswut im Bauch. wenn man sich das alles anguckt und teilweise die Sachen durchliest, die da gemacht wurden, da denkt man sich, dass die Leute absolut den Bezug zur Realität verloren haben und dass es wahrscheinlich total die Monster gewesen sind, und dann wiederum muss man sich diese Zeugenaussagen anhören oder liest diese Lebensgeschichten, von denen Aw gerade erzählt hat, dann empfinde ich nur so eine Wut, und da würde ich am liebsten durch die Gegend laufen und jedem Nazi einmal ins Gesicht schlagen, weil die Idioten wahrscheinlich gar nicht wissen, was wirklich abgelaufen ist damals.

Die Schülerin Aw thematisiert „Lebensgeschichten“ von Opfern des Holocaust, die in der Ausstellung gezeigt werden, und verbindet ihre Empathie mit den verfolgten und ermordeten Jüdinnen und Juden mit der Verurteilung des Massenmords. Ihre Mitschülerin Dw zeigt sich sichtlich erregt und bringt ihre Wut verbal zum Ausdruck. Sie rezipiert „Zeugenaussagen“, die in der Ausstellung auch als Täter- oder Zuschaueraussagen dokumentiert werden, und knüpft an die von ihrer Vorrednerin angesprochenen „Lebensgeschichten“ an, die zu Beginn des Ausstellungsrundgangs präsentiert werden (vgl. Kap. 3.3.1). Ihr Bemühen, sich die historische Realität und die Motive und Handlungen der Täter in ihrer eigenen Sprache zu vergegenwärtigen, äußert sich spontan in dem Ausdruck „Monster“. Das emotionale Fazit, mit dem sie ihren Beitrag abschließt, bezieht sich nicht auf die präsentierten Täter, sondern auf Rechtsextreme heute, über die sie informiert zu sein scheint. In ihrer Aussage spiegelt sich eine Überzeugung, die auch von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern in der Diskussion geteilt wird: Die Gründe, sich dem rechtsextremen Milieu anzuschließen, lägen weniger in der bewussten Überzeugung der Akteure als vielmehr in einer mangelnden Aufklärung über die deutschen Massenverbrechen; ein Gedenkstättenbesuch könne demnach ein wirksames Mittel der Immunisierung gegen rechtes Gedankengut sein. Im weiteren Verlauf der Diskussion kommt die Gruppe WaI auf die Frage zu sprechen, ob und in welchem Maße die Täter ihre Verbrechen unter Zwang ausgeübt hätten. Ausgelöst wird diese Debatte durch ein in der Ausstellung prominent präsentiertes Foto, das SS-Männer und Krankenschwestern in der ‚Euthanasie‘-Anstalt Hartheim akkordeonspielend in ihrer Freizeit zeigt. In einer längeren Diskussionseinheit versuchen die Jugendlichen zunächst, sich in die Situation der Täter („diese Leute, die da in diesem KZ gearbeitet haben“) hineinzuversetzen („Ich könnte so was gar nicht aushalten“). Sie fragen nach ihren Motiven,

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wobei sie entweder das „Monster“-Attribut aufgreifen („Psycho sind die“) oder davon ausgehen, die Wärter seien zu Misshandlungen und Tötungen gezwungen worden („das war die totale Gehirnwäsche“, „Ich glaube nicht, dass das da Freiwillige waren, weil das hat ja auch dieser Mann gesagt, die wurden, das waren Leute aus den umliegenden Dörfern, die dazu gezwungen wurden“). Die Etikettierung der Täter als „Psychos“ steht dem Anspruch der Ausstellungskonzeption direkt entgegen, gerade die Normalität des Massenmords aufzuzeigen. Anschließend diskutiert die Gruppe in einer weiteren selbstläufigen Sequenz grundsätzlich die Problematik von Befehl und Gehorsam und kommt dabei auch auf Sprengstoffattentate, Soldaten im Irak und Video-Killerspiele zu sprechen. In diesem Kontext führt Aw plötzlich ihren Großvater an („mein Opa der war doch auch da im Krieg, und der wurde auch gefangen genommen, und der hat auch Leute erschossen, ich glaub’, mein Opa war kein kranker Psycho“) und versucht, ihre Vorstellungen über Befehl und Gehorsam mit ihrer eigenen Familiengeschichte während des Nationalsozialismus in Übereinstimmung zu bringen. Als „kranken Psycho“ möchte sie ihren Großvater indes nicht charakterisiert wissen, weshalb sie nach Erklärungen dafür sucht, warum er Wehrmachtssoldat war und Menschen erschossen hat. Das Motiv des ‚Befehlsnotstands‘ scheint hier eine Möglichkeit zu sein, den eigenen Großvater von NS-Tätern abzugrenzen.29 So kommt Aw anschließend auf einen Auszug aus dem Interview mit Esther Reiss zu sprechen, die als Einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt hat und die in der Ausstellung vorgestellt wird. Der Diskussionsbeitrag der Schülerin bezieht sich auf einen Interviewausschnitt im Themenraum ‚Die Ghettos‘: Aw: Die mussten das machen, die kranken Psychos das waren die Chefs, Hitler und so, die Soldaten wurden dazu gezwungen. Die wussten doch nicht mal, was sie gemacht haben, denen wurde gesagt, ‚ja bring die Juden jetzt mal in ein Viertel‘. Und die Juden, die wussten auch nicht, was da passiert. Die haben da die Lebensgeschichte von dieser einen, wie hieß die? Esther Reiss. Die hat auch gesagt, die wurden ins Ghetto gebracht, und die wollten einen Tisch mitnehmen, und Deutsche sind gekommen und haben diesen Tisch aus dem Laster geworfen, und der ist kaputt gegangen, und dann haben wir uns aufgeregt, weil der Tisch von meiner Tante, und meine Tante wird sich nach dem Krieg aufregen, weil der Tisch kaputtgegangen ist. Die haben gar nicht gewusst, dass sie sterben würden im Ghetto, die haben sich aufgeregt, weil der Tisch kaputtgegangen ist. Das muss man sich vorstellen, die wussten gar nicht, was sie gemacht haben, die Leute.

29 Diese Abwehrhaltung wird erforscht von Welzer/Moller/Tschuggnall 2002: ‚Opa war kein Nazi‘. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis.

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Wie viele Jugendliche der Stichprobe verengt diese Schülerin die Verantwortung für den Holocaust auf die bekannten Nazigrößen30 und vertritt die bereits geäußerte Meinung, die Soldaten seien entweder gezwungen worden oder hätten nicht gewusst, was sie taten. Auch hier zeigt sich ein Misslingen der guten Absicht der Gedenkstätte, die mit ihrer Ausstellungskonzeption ja gerade die Handlungs- und Entscheidungsspielräume der Täter ausloten und verdeutlichen möchte. Den größten Raum im Beitrag von Aw nimmt ihre Schilderung eines Einzelschicksals ein. Sie geht ausführlich auf den Zwangsumzug von Esther Reiss in das Ghetto Lodz (Łódź, Litzmannstadt) ein, gibt die Perspektive der jüdischen Überlebenden wieder und nimmt diese im Sprechen sogar explizit ein. Die Schülerin gibt die Situation wieder, in der die Jüdin von Deutschen gedemütigt wurde, und wundert sich, dass die Verfolgte ihre furchtbare Situation nicht richtig einschätzen konnte. In der Gruppendiskussion versucht Aw dann, sich die Handlungen und Einstellungen der Mörder mit der Erfahrung des Holocaust-Opfers zu erklären. Sie überträgt das Persönliche aus dem Zeitzeugeninterview auf die Täter, was in ihrem abschließenden Satz deutlich wird, wenn beide Seiten in „die Leute“ zusammenfallen. In dem Moment, in dem das Individuelle zum Maßstab und übertragen wird, verschwimmen die Unterschiede zwischen Tätern und Opfern. Diese Rezeptionsweise legt die Ausstellungssequenz selbst nicht nahe, an ihrer Rezeption wird aber ein problematischer Aspekt von Personalisierungen deutlich: Präsentationsmittel, die das subjektive Leiden verdeutlichen, ermöglichen immer Empathie, einerlei, ob sich diese auf Opfer oder Täter bezieht. Ganz anders als die Gruppe WaI rezipiert die Gruppe WaII die in die Ausstellung integrierten Biografien und Lebensgeschichten. Während die Gruppe WaI von sich aus die individuellen Lebensgeschichten thematisiert und ausführlich diskutiert, kommt die Gruppe WaII erst auf Nachfrage auf das Schicksal von Esther Reiss zu sprechen. Dabei zeigt sich zunächst nur an beiläufigen Bemerkungen, dass die Jugendlichen diese Verfolgungsgeschichte wahrgenommen haben. In einer langen und selbstläufigen Diskussionseinheit tauscht sich die Gruppe zunächst angeregt über die Fußballweltmeisterschaft 2006, über Nationalstolz und das Singen der Nationalhymne in der Schule aus. Darüber hinaus wird mehrfach der Unterrichtsschwerpunkt ‚Nationalsozialismus und Stasi‘ angesprochen (vgl. weiter oben). Nachdem die Schülerin Bw ein Zeitzeugengespräch beschrieben hat, lenkt ihr Mitschüler Cm die Diskussion erneut vom Judenmord ab. Nun wird das Format der Zeitzeugenbegegnung im Allgemeinen thematisiert:

30 Die Fokussierung der Jugendlichen auf die Person Hitler ist auffällig. Mit Meik Zülsdorf-Kersting lässt sich vermuten, dass es sich bei dieser Form von Personalisierung um einen kollektiven Wissensbestand handelt (vgl. Zülsdorf-Kersting 2007, 160-162).

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Dm: […] Und das fand ich auch gut, dass wir da eine Person hatten, die uns davon live berichten konnte, so wie auch die Führung durch den Stasi└eben. Es kommt viel viel aufregen-

Aw:

der rüber, wenn jemand selbst da war und eine persönliche Beziehung dazu hat, als wenn dir irgendjemand aus dem Buch, Dm:

└das liest oder

Aw: ((…)) erlebt haben. CG: und habt ihr hier in der Ausstellung Sachen gesehen, von Personen, die berichtet haben? Ew: ja, mit der Frau Reiss, Bw: ja genau, die hat, da war ziemlich viel Ew:

└mhm

Bw: auch so Video- und Tonaufnahmen, und ihre Geschichte war auch noch mal mit Bildern an einem Plakat, das war interessant, ziemlich gut.

Auf meine Nachfrage nach dem Lernen durch Erzähltes und danach, was die Jugendlichen mit Zeitzeugenführungen in der Ausstellung verbinden, werden zwar Esther Reiss, Video- und Tondokumente sowie ein Plakat angeführt und als „interessant, ziemlich gut“ beurteilt, die Gruppe greift den Themenvorschlag darüber hinaus aber nicht weiter auf.31 Kurze Zeit später, als sich die Diskussion um

31 Auch der Schüler Timon kommt nur auf Nachfrage auf ein privates Foto (von Richard Stern) zu sprechen, das ihm in der Ausstellung begegnet ist. Zunächst spricht Timon über seinen vorangegangenen Besuch der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Da er diesen zuvor schon angeführt hatte, frage ich ihn, wie er diesen Besuch im Vergleich zum Besuch der Wannsee-Villa empfunden habe: „Das fand ich noch spannender, noch besser, weil die Führung, die wir gemacht haben mit einem ehemaligen Häftling, da kamen dann Emotionen mit, das war ein Erlebnis, also für mich unfassbar und unvorstellbar.“ Da die meisten Schülerinnen und Schüler, die in Berlin auf Klassenfahrt sind, Hohenschönhausen besuchen und die dort üblichen Zeitzeugenbegegnungen erwähnen, wenn es um Personalisierungen geht, frage ich Timon anschließend, ob ihm in der Ausstellung am Wannsee Einzelschicksale begegnet seien. Daraufhin erwähnt er Richard Stern, der nicht zu den am Ausstellungsbeginn vorgestellten Überlebenden gehört, aber im Themenraum ‚Integration und Antisemitismus in der Weimarer Republik‘ mit einem Foto vorgestellt wird, das ihn als Soldat im Ersten Weltkrieg zeigt. Timon: „Ja, von dem, nee, jetzt fällt mir der Name nicht ein, von dem jüdischen Mann, der in die NSDAP eingetreten ist, Erich Stein oder so? So ein Soldat, der ist dann als Jude, als Soldat an die Front gegangen und wurde erstmal so auch akzeptiert und hatte dann hinterher trotzdem keine Chancen, die Juden haben versucht,

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den Themenkomplex ‚anschauliche Darstellung versus abstrakter Text‘ dreht, hebt die Schülerin Bw die Tatsache hervor, dass die Jüdin Reiss als Einzige ihrer Angehörigen überlebt hat („auch mit dieser Esther Reiss, hat man auch irgendwie, das war ja die Einzige, die überlebt hat.“). Hauptsächlich geht es in ihrem Redebeitrag allerdings um ihren vorherigen Besuch im Ort der Information, den sie mit der Ausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz vergleicht. Einer Diskussionseinheit, in der es um die Konferenzteilnehmenden geht, folgt ein längerer Austausch über den Besuch der Gruppe am Denkmal. Ich frage sie nun direkt danach, welchen Eindruck sie von den persönlichen Geschichten in der Ausstellung am Wannsee haben: CG: Ihr wart am Mahnmal und ihr wart hier, die persönlichen Geschichten, welchen Eindruck habt ihr denn hier, oder ähm? Bw: hier hatte ich das Gefühl, die persönlichen Geschichten gehen unter, Aw: genau. Bw: unter den ganzen Texten, meistens habe ich das nur überflogen, dann kamen ganz viele Sachtexte, und irgendwo zwischendrin in der Mitte da waren dann kleine, so was Persönliches, aber manchmal hat man das auch übersehen, weil man gedacht hat, nee, das ist jetzt auch uninteressant, das Cm:

└zu viel Text.

Bw: das war halt, das hat nicht so herausgestochen.

Die „persönlichen Geschichten“, so die von der Gruppe geteilte Aussage, gingen unter den Texten der Ausstellung unter. Zudem seien Sachtexte „uninteressant“, während das, was die Jugendlichen als interessant empfinden, nämlich das „Kleine“ und „Persönliche“, nicht so sehr vermittelt werde. Trotz meiner Nachfragen spricht die Gruppe das Persönliche am Wannsee nicht weiter an. Die Textdichte der Ausstellung wird auch in den Besuchseindrücken anderer Schülerinnen und Schüler als beschwerlich und störend beschrieben.32 Zugespitzt lässt

sich hier zu integrieren, aber hatten natürlich letztendlich keine Chance, was dann umso trauriger ist.“ 32 Danach gefragt, ob es in einer Ausstellung etwas gebe, was sie „blöd“ fänden, antwortet die Schülerin Fw der Gruppe WaI: „ich fand aber, doch, dass manche Texte zu lange war’n, dass man die hätte kürzen sollen, dass man die schneller lesen kann, weil wenn man wirklich nur so wenig Zeit hat, dann schafft man das alles gar nicht, die ganzen Texte durchzulesen, ich hab auch nur das, was neben den Bildern stand, gelesen, also die Texte, das hätte ich gar nicht geschafft.“ Darauf Dw: „also ich hab die einfach nur so überflogen, so Stichworte liest man dann so“. Auf die Frage nach dem

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sich sagen, dass sich die Gruppe WaII durch die Abwertung von Sachtexten im Vergleich zu dem zwar zurückhaltend gezeigten, aber umso eindringlicher empfundenen „Persönlichen“ von der Ausstellung distanziert. Im Gegensatz zum bereitwilligen Einnehmen der Opferperspektive im Ort der Information, die am Wannsee fast gar nicht aufgegriffen wird, fällt den Schülerinnen und Schülern die Auseinandersetzung mit den Motiven und Handlungsspielräumen der Täter offenkundig schwer. Gegen Ende der Diskussion führt die Schülerin Bw aus, weswegen sie die letzten beiden Ausstellungsräume „persönlicher“ als die anderen wahrgenommen habe: Bw: […] die letzten beiden Räume, weil da hatte ich das Gefühl, dass es persönlicher wird, dass man das nicht auf die Allgemeinheit, das wurde so allgemein gesagt, das ist dann da mit den Juden passiert, und da ist dann das und das passiert, und das war mal spezifiziert. Ungarn oder sonst wo in verschiedenen Ländern, das mit dem Arzt und mit der Esther Reiss, und da hatte ich das Gefühl, es wird jetzt persönlicher, und diese Zitate am Ende, die fand ich auch sehr gut. Weil diese verschiedenen Sichtweisen, weil die waren von Enkeln von welchen, die eben auch in den Lagern waren, von der Großnichte von Himmler, das war so aus allen verschiedenen Sichten, aus allen Anschauungen, die man da haben kann.

Auf hier gezeigte Selbstzeugnisse, beispielsweise Zeichnungen von KZHäftlingen, kommt die Schülerin nicht zu sprechen. Um zu verdeutlichen, was sie als persönlich empfunden hat, verweist sie auf Zitate aus dem letzten Ausstellungsraum. Hier wird die familiäre Auseinandersetzung mit dem Holocaust sowohl auf der Opfer- als auch auf der Täterseite thematisiert (vgl. Kap. 3.3.4). Die Schülerin stellt dem Allgemeinen das Individuelle gegenüber, das sie deutlich positiv bestimmt, weil es „spezifiziert“ sei. Sie gibt Fragmente aus Erinnerungen Holocaust-Überlebender und ihrer Angehörigen wieder und bezeichnet das Nebeneinander der Aussagen von Opfer- und Täternachkommen als „verschiedene Sichten“ und „Anschauungen“. Allerdings setzt sie diese beiden Perspektiven,

„Eindruck von der Ausstellung“ nennt auch Anika die Dichte der Präsentationsmittel: „und wenn man dann in den Raum reinkommt, also ich fand, dass das schon viele Informationen waren. Diese ganzen Tafeln, die da standen, mit sehr viel Text und Bildern, (1) das hat einen etwas erschlagen. @(.)@ (1) das hat einem auch den Elan genommen, was zu lernen oder zuzuhören, weil das einfach direkt so viel Informationen waren.“

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und damit befindet sie sich im Einklang mit der Raumpräsentation, nicht weiter miteinander in Bezug. Für die Rezeption von Selbstzeugnissen und Biografien, die in der Ausstellung der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz gezeigt werden, lässt sich zusammenfassend festhalten: Die Schülerinnen und Schüler haben sich in den Interviews und Diskussionen kaum auf personalisierende Präsentationsformen in der Ausstellung bezogen. Noch seltener haben sie die zu Beginn der Präsentation biografisch vorgestellten Überlebenden und ihre Familien angesprochen. Während die Jugendlichen der Gruppe WaI von selbst die Verfolgungsgeschichte von Esther Reiss aufgegriffen haben und eine Schülerin dieser Gruppe den persönlichen Bericht der verfolgten Jüdin so facettenreich wiedergegeben hat, wie es bei Schilderungen des Persönlichen von anderen Befragten kaum zu beobachten war, wurde ihr Schicksal von der Gruppe WaII lediglich auf Nachfrage erwähnt; eine Schülerin kam ergänzend auf die Zitate im letzten Ausstellungsraum zu sprechen. Dass die erste Gruppe den Erinnerungsbericht von Esther Reiss, der als verfilmtes Zeitzeugeninterview prominent in der Ausstellung platziert ist, bewusster wahrgenommen hat, mag daran liegen, dass sich die Jugendlichen im Verlauf ihrer ‚wechselseitigen Führung‘ diesem Präsentationsmittel selbstständig und intensiv widmen konnten. Insgesamt gesehen aber scheinen die Erfahrungen der jüdischen Opfer, die bewusst in die Ausstellungskonzeption eingearbeitet wurden und deren Vermittlung den Gedenkstättenmitarbeitenden ein wichtiges Anliegen ist, von den jungen Besuchenden fast gar nicht wahrgenommen zu werden. Dies liegt, so ist anzunehmen, an der thematischen Ausrichtung der Gedenkstätte, vor allem aber an der unauffälligen Platzierung der biografischen Elemente im Ausstellungsbereich. Zwar zeigen sich die Jugendlichen am Wannsee wie diejenigen am Denkmal vom Subjektiven in der Geschichtsvermittlung angesprochen. Während aber die im gesamten Ort der Information präsenten Selbstzeugnisse und biografischen Elemente in der Ausstellungsrezeption durchgehend wahrgenommen werden, fließen die am Täterort Wannsee-Villa zurückhaltend in die Dokumentation integrierten Personalisierungen nur selten in die Wiedergabe der Besuchseindrücke ein. Während sich keine Interviews und Gruppendiskussionen finden, in deren Verlauf die in der Präsentation vorgestellten Kurzlebensläufe der Konferenzteilnehmer angesprochen werden, obwohl in allen Beiträgen der historische Konferenzraum selbst, in dem diese ausgestellt sind, zur Sprache kommt, stellt die Rezeption des Persönlichen in der Ausstellung am Wannsee durch die Gruppen WaI und WaII eine Ausnahme in der Stichprobe dar, in der ansonsten eher allgemein zum Ausdruck gebracht wird, was der Masse der verfolgten Jüdinnen und Juden widerfuhr.

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Viele Schülerinnen und Schüler verurteilen die Täter – auch über den engen Kreis der Konferenzteilnehmenden hinaus. Dabei scheint in ihren Schilderungen Empathie mit den Opfern der deutschen Gewaltverbrechen auf. Wenn die Jugendlichen über die Mörder sprechen, verbleiben einige im Allgemeinen, andere beziehen sich auf wahrgenommene Ausstellungsinhalte, wie beispielsweise das in der Präsentation prominent abgebildete Personal der ‚Euthanasie‘-Anstalt Hartheim. Beobachten ließ sich aber auch die problematische Interpretation diametral entgegengesetzter Erfahrungswelten von Opfern und Tätern. So gab eine Schülerin der Gruppe WaI, die als Einzige aus der Stichprobe der Lebensgeschichte von Esther Reiss auffällig viel Raum gewidmet hatte, einen ihrer Interviewausschnitte detailreich und empathisch wieder. Das anfängliche Unwissen der Jüdin Reiss über die Folgen ihrer Zwangsumsiedlung ins Ghetto überträgt die Schülerin in einem zweiten Schritt jedoch auf die Täter: „Die [die Täter] wussten doch nicht mal, was sie gemacht haben […] Und die Juden, die wussten auch nicht, was da passiert.“ Individuelle Handlungsspielräume, Verantwortung und Reaktionen von Verfolgten einerseits und Verfolgern andererseits fallen am Ende ihres Diskussionsbeitrags in „die Leute“ zusammen („die wussten gar nicht, was sie gemacht haben, die Leute“) – was offen lässt, wer gemeint ist. Die Gruppe WaII wiederum gibt im Gespräch die persönlichen Schilderungen von Angehörigen verfolgter Familien einerseits und von Täternachfahren andererseits wieder, die zusammen am Ausstellungsende Thema sind. Die problematische Analogie unterschiedlicher Erfahrungswelten, die die Gruppe WaI explizit formuliert, wird von WaII als beliebiges und historisch nicht weiter zueinander in Bezug stehendes Nebeneinander artikuliert. Einige der befragten Jugendlichen reagieren emotional auf die Gedenkstättenausstellung und ihren Inhalt. So beschreibt eine Schülerin der Gruppe WaI gleich zu Beginn der Diskussion ihre Wut, die sie gegenüber den Tätern empfinde. In der Gruppe WaII hingegen werden die den Selbstzeugnissen zugeschriebenen Gefühle ex negativo an Sachtexten („abstrakter Text“) bestimmt, die keine Emotionen hervorbringen würden. Der Modus ‚Lesen‘ wird aber nicht nur von den in dieser Gruppe diskutierenden Jugendlichen problematisiert. „Zu viel Text“ heißt es vielmehr unisono über die dokumentenreiche und leseintensive Präsentation. Auch am Wannsee orientieren sich die Schülerinnen und Schüler an Zeitzeugenbegegnungen, wenn sie das Persönliche in der musealen Vermittlung der historischen Ereignisse rezipieren. Unter Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden dabei auch hier nicht nur die Überlebenden der deutschen Massenverbrechen verstanden. Die Gruppe WaII bezieht sich vor allem auf eigene Begegnungen mit Personen, die im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen eingesperrt waren und in

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der dortigen Gedenkstätte heute Führungen geben. Sie berichteten „live“, was die Geschichte „noch spannender“ mache. Das Persönliche, das bestätigt auch die Rezeption am Wannsee, spricht viele Jugendliche also auch auf andere Geschichtsepochen an. Dass das Persönliche für Schülerinnen und Schüler attraktiv sein kann, wird in den seltenen Diskussionsbeiträgen zur Ausstellung am Wannsee deutlich, die von den dort präsentierten Biografien und Selbstzeugnissen handeln. Obzwar das Persönliche keinen großen Raum in den Interviews und Gruppendiskussionen über die Präsentation in der Gedenkstätte Haus der WannseeKonferenz einnimmt, ist doch ausdrücklich hervorzuheben, dass gegenüber der Vorgängerausstellung an diesem Täterort nun überhaupt Raum für eine Wahrnehmung der Einzelnen in der Masse der verfolgten Jüdinnen und Juden geschaffen wurde. Dass diese am Wannsee neue Vermittlungsform von einzelnen Jugendlichen in ihrer Rezeption aufgegriffen wird, zeigen die zwar seltenen, aber durchaus detailreichen Beschreibungen von Personalisierungen. Die Hauptausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Die Hauptausstellung in Neuengamme, die über die größte Ausstellungsfläche der drei untersuchten Gedenkmuseen verfügt, zeichnet sich ähnlich wie Wannsee und anders als der Ort der Information durch eine hohe Materialfülle aus. Die Häftlingsperspektive ist in der Präsentation anhand von unterschiedlichen Selbstzeugnissen und biografischen Informationen durchgehend wahrnehmbar. Struktur- und Individualgeschichte werden so, ähnlich wie in der Ausstellung der Wannsee-Villa und anders als am Denkmal, konsequent aufeinander bezogen. Besonders auffällig sind die an mehreren Stellen des Ausstellungsrundgangs integrierten und in einem Themenraum konzentrierten, in roten Stoffmappen präsentierten Lebensläufe von einzelnen Häftlingen. Wie werden die in der Raumkonzeption stark aufeinander bezogenen Antagonismen ‚Individuum‘ und ‚Masse‘ bzw. ‚Person‘ und ‚Struktur‘ rezipiert? Ich habe empirisch rekonstruiert, welche Bedeutung die Jugendlichen den Häftlingsporträts und anderen Personalisierungen geben. Auch nachfolgend wurden die vorgestellten Zitate der jugendlichen Rezipientinnen und Rezipienten also ausgewählt, um an ihnen zu deuten, welche Präsentationsinhalte anhand von personalisierenden Präsentationsformen wie wahrgenommen werden. Die vier Gymnasialschülerinnen der Gruppe NeII33 sind am Diskussionsbeginn sichtbar aufgewühlt. Auf die Frage nach ihrem ersten Besuchseindruck äu-

33 Ich stelle der Schulklasse zu Beginn ihrer Überblicksführung mein Anliegen vor. Die vier 15- bis 17-jährigen Schülerinnen der 10. Gymnasialklasse, die an der Diskussion

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ßern sie sich zur Situation der Häftlinge im Konzentrationslager, mit der sie sich bei ihrem Besuch des Außengeländes beschäftigt zu haben scheinen. Eine der jungen Frauen beginnt zu weinen, woraufhin ihre Mitschülerinnen sie beruhigen, bevor die Diskussion weitergeht. Nachdem sich der Austausch über das Außengelände erschöpft hat, äußern sich die Schülerinnen zu ihren Erinnerungen an die Ausstellung: Dw: Die Einzelschicksale. Ich hab’ oben über verschiedene einzelne Personen gelesen, und das berührt mich persönlich immer noch stärker, wenn ich über eine einzelne Person was lese, weil da kann man sich viel stärker damit identifizieren, als wenn man einfach hört, dass viele Menschen gestorben sind aus verschiedenen Gründen, dass man eine Person sozusagen begleitet. Bw: ich finde das in der Kombination schlimm, wenn man von einer Person den Lebenslauf liest, was der so erlebt hat, und sich dann vorstellt, da sind eine halbe Million Menschen umgekommen oder noch mehr, so viele Einzelschicksale, man kann sich nicht mit jedem richtig beschäftigen, weil’s eben so viele sind. Cw: mir persönlich gefallen immer die Sachen am besten, die man so richtig anfassen kann, sehen kann, also das Bett, der Schrank, der Spind, weil da kann man sich das besser vorstellen, als wenn jetzt einer erzählt, ja ich musste zu dritt in dem Bett mit einer Strohdecke oder so schlafen, dann stellt man sich das schon breiter vor, als es dann letztendlich ist, und ich find’ das ist dann so schockierend, dass man sich das dann merkt. Aw: bei mir war’s vor allem das Gefühl, was ich mir gemerkt habe und wahrscheinlich auch mitnehmen werde, vielleicht nicht unbedingt mein ganzes Leben, aber die nächsten Wochen, ich hab’ mir, als wir da draußen waren und uns die verschiedenen Sachen angeguckt haben, mit der Tongrube und auch mit der Ziegelei, hab’ ich mir sozusagen vorgestellt, wie das wäre, wenn man jetzt in einer Situation ist, wie sie bei den damaligen Menschen war. Also, das konnte ich mir natürlich nicht so @gut vorstellen@, aber da ist dieses Gefühl der Hoffnungslosigkeit geblieben und so eine große Leere und dann das Gefühl, dass man nie wieder glücklich werden würde, und das ist erschreckend.

Alle Teilnehmerinnen der Diskussion orientieren sich deutlich am Wunsch, die Situation der Gefangenen nachzuvollziehen. Dabei sind es einzelne Lebensgeschichten, KZ-Gegenstände oder der Besuch des Außengeländes, die ihnen die Gefangenenperspektive veranschaulichen. Die Bedeutung des Konzentrationsla-

teilnehmen, treffe ich nach ihrem Ausstellungsbesuch. Die Diskussion findet in einem der Seminarräume des Studienzentrums der Gedenkstätte statt. Für die jungen Frauen verkürzt sich durch ihre Teilnahme an der Befragung der Ausstellungsbesuch bzw. die verbleibende Zeit in der Gedenkstätte.

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gers als Mordstätte erschließt sich den Schülerinnen ebenfalls anhand von Einzelschicksalen, wobei sich ihnen über die Selbstzeugnisse oder Biografien die hohe Häftlingszahl zu vermitteln scheint. Der Rezeptionsmodus ‚Lesen‘ wird in den Schilderungen nicht als Problem benannt. Auch andere Jugendliche kommen auf die in der Ausstellung präsentierten Häftlingsbiografien zu sprechen, wenn sie nach ihren Besuchseindrücken gefragt werden. Meistens beziehen sie sich dabei auf den zweiten Themenbereich der Ausstellung, in dem die Häftlingsgesellschaft anhand einzelner Biografien vorgestellt wird, die zusammen mit Informationen über die Herkunftsländer den Raum strukturieren (vgl. Kap. 4.3.2). Die Lebensgeschichten werden durchaus unterschiedlich rezipiert. So beschreibt der Schüler Lars34 die „Bücher“, wie er die Biografiemappen nennt, als „sehr interessant, weil man einen direkten Einblick hatte“. Er betont den neuartigen Charakter des Mediums Biografiemappe („weil das andere kennt man irgendwie doch schon, aber so was sieht man nicht so oft“) sowie die große „Auswahlmöglichkeit“. Auf meine Frage, welche „Bücher“ er sich angeguckt habe, wiederholt der Schüler das Motiv des ‚Neuen‘ und kommt auf einen bestimmten Lebenslauf zu sprechen: „Ich hab mir von einem, wie hieß der? Waldemar Kappo glaub’ ich, das war einer der wenigen Schwarzen, das war für mich was Neues, weil ich sonst nie groß sah, dass Schwarze da waren, fand ich interessant, wie das für ihn hier war.“35 Die Schülerin Irina36 hingegen verknüpft ihr Interesse an den biografischen Porträts mit ihrem biografischen Hintergrund: „da ich selber polnischer Abstammung bin, gab’s da auch ein paar Lebensläufe von polnischen Häftlingen, und die hab’ ich mir durchgelesen beziehungsweise ich hab’ mir auch den Film dazu angeguckt.“ Anschließend beschreibt Irina ausführlich und detailreich Biografien und Filmausschnitte polnischer Häftlinge. Nach seinen In-

34 Den 17-jährigen Lars, der eine 10. Gymnasialklasse besucht, treffe ich nach seinem Ausstellungsbesuch und der Überblicksführung ebenfalls in der Gedenkstätte zum Interview. Der Kontakt zu seiner Schulklasse kam erst in der Gedenkstätte zustande. Die Lehrerin war meinem Projekt gegenüber aufgeschlossen, und Lars hat sofort sein Interesse an einem Interview geäußert, als ich der Schulklasse mein Projekt vorgestellt habe. 35 Gemeint ist Waldemar Nods. 36 Die 18-jährige Irina, die mit ihrer 12. Fachoberschulklasse an einem ganztägigen Workshop teilnimmt, ist mir bereits während der Führung aufgefallen, weil sie als eine der wenigen Schülerinnen intensiv einige der Biografien zu studieren schien. Das Interview findet in den Räumlichkeiten der Gedenkstätte statt, als der Workshop sich dem Ende neigt.

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teressen gefragt, denen der Schüler Jonas37 während der Führung nachgehen konnte, wie er sagt, kommt er auf den Informationsträger über ‚Häftlinge aus Griechenland und anderen Ländern‘ zu sprechen: „Mich hat interessiert, wie die hier überhaupt ins KZ gekommen sind, zum Beispiel die aus Griechenland hab’ ich mir durchgelesen, dass viele auf dem Weg schon ums Leben gekommen sind, weil’s so schlechte Bedingungen gab in diesen Viehzügen, das hat mich interessiert.“38 Der Schüler Dm der Gruppe NeI thematisiert die Biografien im Zusammenhang mit den Herkunftsländern der Häftlinge, die in der Raumkonzeption vermittelt werden sollen: „Aus diesen Ländern, dass man praktisch von jedem Menschen, fast jedem Menschen eine Biografie da liegen hatte.“ Der Schülerin Anne39 sind „ganz viele von diesen Büchern über die einzelnen Personen“ – gemeint sind wieder die Biografiemappen – aufgefallen. Nachdem sie die „Bücher“ beschrieben hat, frage ich, ob sie sich an eine der „Geschichten“ erinnere. A:

So genau hab ich mir die nicht durchgelesen, aber ich weiß, dass ein paar von denen

freigekommen sind, und dementsprechend (.) haben sie sich gefreut, ja super, wir sind frei und andere (.) sind dementsprechend gestorben, und dann sind die in einem Zwiespalt, so was bekommt man dann so mit.

Die Schülerin geht nicht auf eine bestimmte persönliche Geschichte ein, sondern knüpft an allgemeine Vorstellungen über die Situation der Häftlinge an. Dabei thematisiert sie insbesondere Sterben und Überleben.

37 Jonas ist 15 Jahre alt und besucht die 10. Klasse einer Gesamtschule. Seine Lehrerin, mit der ich im Vorfeld des Besuchs Kontakt aufnehmen konnte, ist meinem Projekt gegenüber sehr aufgeschlossen. Während der Überblicksführung, die ich begleite, fordert sie ihre Schülerinnen und Schüler auf, an einem Interview mit mir teilzunehmen. Jonas meldet sich recht schnell, möchte einen Freund als Begleitung mitnehmen, worauf er letztlich aber verzichtet. Jonas war einer derjenigen Schüler, der aufgrund seiner Teilnahme am Interview weniger Zeit für den Besuch des Außengeländes der Gedenkstätte zur Verfügung hatte. 38 Jonas’ Interesse ist wohl zum Teil von seinem familiären Hintergrund beeinflusst, den er an einer anderen Stelle im Interview anführt, als es darum geht, ob er im Ausland persönlich als Nazi beschimpft werde: „Ich bin zur Hälfte Grieche, mein Vater ist Grieche.“ 39 Die 15-jährige Anne besucht mit ihrer 10. Gymnasialklasse die Gedenkstätte. Ich treffe sie nach ihrem Ausstellungsbesuch. Bei ihrer Überblicksführung war ich auf Wunsch der Guide nicht dabei. Anne hat wenig Zeit, möchte aber sehr gerne an einem Interview teilnehmen, das wir dann im Studienzentrum führen.

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Allgemein ist zu beobachten, dass sich fast alle Jugendlichen in ihren Ausstellungseindrücken auf die im zweiten Themenraum der Ausstellung präsentierten Biografien beziehen. Ob und welche Lebensgeschichten von ihnen wahrgenommen werden und warum sie sich bestimmten Häftlingsgeschichten unterschiedlich intensiv annähern, hängt von ganz unterschiedlichen Besuchsmotiven ab. Ihre Erwartungen und Interessen lassen sich nicht auf die von der Institution Schule vorgegebenen reduzieren. Wenn in den Interview- und Diskussionsbeiträgen, die sich auf den ‚Herzstückraum‘ der Ausstellung beziehen, die einzelnen Häftlinge als Repräsentanten und Repräsentantinnen einer sozialen oder nationalen Gruppe wahrgenommen werden, folgen die Schülerinnen und Schüler der Ausstellungskonzeption, die anhand einzelner Personen exemplarisch die Häftlingsgesellschaft in ihrer Heterogenität zu vergegenwärtigen sucht. Letztlich liegt es am Interesse der Ausstellungsbesuchenden, inwiefern sie sich auf die individuellen Details der Lebensläufe einlassen. Auch die Gruppe NeI versucht, sich der Situation der im Konzentrationslager gefangenen Menschen anzunähern. Dabei greifen die Jugendlichen immer wieder die Häftlingsbiografien auf. Die Schülerin Aw thematisiert sie in ihrem Einstiegsbeitrag: Aw: Ich persönlich fand den Eindruck ziemlich bedrückend, also ich meine, die Stimmung war ziemlich bedrückend, und auch so wie die das aufgebaut haben, da waren ja auch Sachen aus der Zeit, und das so alleine, das hat einen schon so in die Zeit zurückversetzt. Man konnte sich richtig in die Zeit reindenken, auch so die ganzen Biografien, die da standen, wenn man sich die durchliest, hat man schon gedacht, oh nein, wie war früher das Leben da?

Im Verlauf des Interviews kommt die Schülerin erneut auf die Biografien zu sprechen: „Die Biografien waren, glaube ich, komplett verteilt, also ich habe überall diese roten Bücher gesehen.“ Wie aus der nachfolgend wiedergegebenen Diskussionseinheit deutlich wird, nehmen die Teilnehmenden die Biografiebücher als unpersönlich wahr, womit sie sich deutlich von der Wahrnehmung der Gruppe NeII unterscheiden. „Reindenken“ und „Verstehen“ sind für die Gruppe NeI leitende Kategorien: Em: […] man konnte sich nicht, wie Dm das sagte, so wirklich reindenken, man wollte sich vielleicht gerne reindenken, einfach um diese Menschen noch ein wenig besser zu verstehen, vor allen Dingen, wenn die Dame uns auch sagte, wir sollen uns mit den Einzelschicksalen befassen, dadurch dass man sich alles gar nicht durchlesen konnte, was da

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stand, auch in den Biografien nicht, hätte man sich vielleicht gewünscht, sich da noch ein bisschen besser reindenken zu können. Aw: bei den Biografien, weil du das gerade ansprichst, da hätte ich mir persönlich mehr Zitate gewünscht, da waren zwar einzelne Zitate drin, und so allein, wie die das erzählen, kann man schon merken, wie die da drunter gelitten haben. Aber da waren nur wenige Zitate. Aber es gab ja noch diesen Raum, wo Tod und so weiter behandelt wurde, und da standen neben einzelnen Informationen noch ein paar Zitate oder ein paar Geschichten, und da fand ich eins ganz heftig. Da meinte einer ja von wegen ‚sag meiner Mutter, dass ich sie liebe, falls du hier lebend rauskommst und nicht ich‘, und dann ist er zwei Schritte gegangen, und dann wurde er erschossen, und Cw: ja aber ich glaube, er wollte, dass er umgebracht └er ist aus der Formation herausgetre-

Dm:

ten, und sobald man das gemacht hat, wurde man automatisch abgeschossen, weil man dachte, weil die SS-Leute dachten, man hätte irgendwas vor. Aw: ja, ich fand die Zitate schon ganz gut, aber wie gesagt, bei den Biografien hätte ich mir echt mehr Zitate gewünscht. Cw: ja war unpersönlich, ne? Aw: ja das war zu außenstehend geschrieben, da konnte man jetzt nicht wirklich was rausCw: Gefühle und so, ja ja Dm: ja aber die Idee, Biografien da auszustellen, fand ich ziemlich gut. Aw, Bw, Cw:

mhm.

Angestoßen durch den Schüler Em tauscht die Gruppe sich über ihren Wunsch aus, sich dem Schicksal der Häftlinge anzunähern, und darüber, dass dieser Wunsch an der Fülle der Informationen und ihrer Gestaltung abprallt. Für die junge Besucherin Aw scheinen die in der Ausstellung zitierten Erinnerungen die Auswirkungen der KZ-Haft auf die Gefangenen zu vermitteln, was deutlich wird, wenn sie beschreibt, wie „Tod“ in der Ausstellung behandelt wird. Ein von der Schülerin angeführtes Zitat handelt von Abschied und Selbstmord. Auch ihre Mitschülerinnen Bw und Cw nehmen in ihren Schilderungen die Sicht der Häftlinge ein. Den Blick der Lager-SS auf die Häftlinge erwähnt Dm ergänzend. Mit der tragischen Geschichte setzen sich die Schülerinnen und Schüler schließlich nicht weiter auseinander und einigen sich, angestoßen durch Aw, auf ihre Kritik an den Biografien. Diese lehnen sie als Medium zur Geschichtsvermittlung an sich nicht ab. Aufgrund der in den Biografiemappen nicht genügend enthaltenen Zitate werden diese allerdings als „unpersönlich“ (Cw) und „zu außenstehend“

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(Aw) beschrieben, und der Ausdruck von „Gefühlen“ (Cw) wird vermisst.40 Bei dieser Gruppe wird ein Verlangen nach Unmittelbarkeit in der Geschichtsvermittlung deutlich. Nachdem die Diskutierenden der Gruppe NeI übereingekommen sind, dass die Biografien aufgrund fehlender Zitate nicht anschaulich genug seien, stellen sie ihnen andere Präsentationsmittel gegenüber, die die Situation der Häftlinge besser auszudrücken scheinen. So werden Zeichnungen und Gespräche unter dem Aspekt ‚reinversetzen‘ genannt: Aw: Was ich persönlich fand, wodurch man sich nur reinversetzen konnte, war, was wir zu Anfang hatten, die einzelnen Zeichnungen. Bw: ja. Aw: von Leuten, die es überlebt haben. Bw: ja. Cw: ja, und auch die Gespräche, von denen fand ich, das fand ich auch so die Art, wie sie, die Art, wie sie (.) Aw: die Art, wie die das gemalt haben, da kann man viel reininterpretieren, und das war einfach gezeichnet und dann auch mit diesen toten Menschen, diese dünnen Gestrüppe. Cw: ja.

Die hier von Cw ergänzend angeführten Gespräche greift die Mitschülerin Bw kurze Zeit später auf, indem sie diese von den Biografien abgrenzt: „Aw hat ja auch gesagt, dass man sich bei diesen einzelnen Biografien nicht so reinfühlen konnte, aber bei diesen Filmen schon.“ Cw stimmt ihr zu, und Aw kommt auf eine Hörstation zu sprechen: Aw: Ich hab mir das mit der Prostituierten angehört, da sind mir fast die Tränen gekommen. Aber sie hat das alles ziemlich steril erzählt, ich glaub’, das war einfach zu schrecklich, noch mal sich da reinzudenken.

40 Die Schülerin Bw der Gruppe NeI kommt während einer Diskussionssequenz über andere Museen und Gedenkstätten, die sie besucht haben, auf den Ort der Information zu sprechen: „In Berlin ist ja auch das mit den Stelen, da waren wir auch drin, und das fand ich auch, das war irgendwie mehr, so emotionaler. das war auch eher so, dass man richtig traurig war und nicht nur so Informationen hatte, sondern auch so wirklich. Da waren die Biografien auch besser. Fand ich irgendwie, (.)“ CG: „wie? kannst du?“ Bw: „ja, persönlicher eigentlich, weil da waren auch mehr so Zeitzeugen und so Berichte. Und das fand ich irgendwie dann halt auch besser.“

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Die Schülerin ist offensichtlich berührt von den Erinnerungen einer Frau, die im Konzentrationslager Neuengamme für Sex-Zwangsarbeit missbraucht wurde (vgl. Kap. 4.3.3). Gleichzeitig empfindet sie die Erzählweise des Berichts als „ziemlich steril“ – eine Sterilität, die sie sich aus dem traumatischen Charakter des Erlebten zu erklären versucht. Die Schülerin orientiert sich bei ihrem Verständnis der Hörstation an der von ihr und ihren Mitdiskutierenden geteilten Annahme, Selbstzeugnisse würden die Echtheit des Vermittelten ausdrücken und damit die Geschichtsvermittlung glaubwürdig und anschaulich machen. Vor diesem Hintergrund findet sie eine plausible Erklärung für den als distanziert wahrgenommenen Bericht. Was die Schülerin jedoch irritiert, liegt in der Ausstellungskonzeption mitbegründet: Dass Aw die Tonbandaufnahme als „steril“ empfindet – ein Ausdruck, der zu Beginn der Gruppendiskussion auftaucht, als die Schülerinnen und Schüler ihre Eindrücke des Gedenkstätten- und Ausstellungsbesuchs schildern –, mag auch daran liegen, dass es sich um einen nachgesprochenen Bericht handelt, er also nicht von der Zeitzeugin selbst eingesprochen wurde. Die Fehlannahme von Aw, sie folge der Stimme einer Überlebenden, resultiert nicht zuletzt daraus, dass die Hörstation den Bericht nicht als nachgesprochen ausweist.41 Die Emotionen der Schülerin, die sich mit Sex-Zwangsarbeit im Konzentrationslager beschäftigt, werden hier unnötig angekurbelt. Indem sie den weiblichen Häftling als Überlebende identifiziert, die sich von der eigenen „schrecklichen“ Erfahrung nur distanzieren kann, löst die Jugendliche das Dilemma, einerseits mit einer verstörenden persönlichen Gewalterfahrung konfrontiert zu sein, wofür der neutrale Ton des Erzählten ihr andererseits kein emotionales Ventil bietet. Sie versucht, sich in die Zeugnis ablegende Frau hineinzuversetzen, womit sie sich in ihrer Deutung der Quellenüberlieferung schließlich an der Ebene der Repräsentation der Verbrechen im Konzentrationslager orientiert. Tom, der eine Maurerlehre macht und zum dritten Mal die Gedenkstätte Neuengamme besucht, spricht „die ganzen Geschichten von den einzelnen Personen, die überlebt haben“, an. Sie seien in der Ausstellung „auch zu sehen, kann man ja auch lesen, wie sie das empfunden haben, das ist dann schon so, dass man da sich ein bisschen reinversetzen kann.“ Später frage ich ihn nach den von ihm erwähnten ‚(Überlebens-)Geschichten‘. Er kommt daraufhin auf ein Ausstellungselement zu sprechen, das er „Tagesabläufe“ nennt. Ich gehe davon aus, dass sich der Beginn von Toms Redebeitrag auf die Häftlingsbiografien bezieht, seine anschließende Beschreibung aber auf eine Informationstafel:

41 Im Ort der Information hingegen wird den vertonten Erinnerungsberichten vorangestellt, dass ein nachgesprochener Bericht folgt.

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T:

Sie liegen ja relativ offen da, um zu zeigen, wie die Häftlinge gelebt haben. Man

geht durch diese Gänge, und das Erste, was man sieht, sind diese geöffneten Tagesabläufe. Man kann mal versuchen, sich da reinzuversetzen, wie das sein könnte, wenn man selber so einen Tagesablauf hätte. Wir arbeiten acht Stunden am Tag, also haben eine 40Stunden-Woche, aber es ist so, wir haben auch Mittagspausen, Frühstückspausen, können zwischendurch mal eine rauchen oder einen Schnack halten oder irgendwas, (.) wie soll man das sagen? Und wenn man sich das von denen durchliest, die müssen morgens antanzen hier auf dem Platz, in Reih und Glied stehen, da muss man zugucken, wie ein Freund von dir, mit dem du dich hier angefreundet hast, wie der da vor deinen Augen verprügelt wird, das ist nicht lustig.

Der Berufsschüler nähert sich dem Thema ‚Arbeit im Konzentrationslager‘ vom Tagesablauf der Häftlinge her. Diesen Zugang expliziert er anhand seiner Maurerausbildung, eine persönliche Erfahrungsebene, die seinen Referenzrahmen während des gesamten Interviews bildet.42 Obwohl bei der musealen Vermittlung der Tagesabläufe nicht auf das Darstellungsmittel ‚Personalisierung‘ zurückgegriffen wurde, bezieht sich Tom individualisierend auf den Einzelnen („Man kann mal versuchen, sich da reinzuversetzen, wie das sein könnte, wenn man selbst so einen Tagesablauf hätte“). Hier zeigt sich exemplarisch, dass die Rezeption nicht nur vom Objekt (Ausstellungsgegenstand), sondern auch von den Subjekten (Ausstellungsbesuchende) geprägt wird. Der personalisierende Ausstellungskontext ist dabei der Rahmen für die faktische Aneignung des selbst nicht personalisierenden Ausstellungselements. Die Diskutierenden der Gruppe NeI kommen im Verlauf der Diskussion auf Audiobeiträge zu sprechen, die an Medienstationen abgespielt werden können: Dw: Bei manchen gab’s ja auch so Interviewausschnitte, wo sie das alles noch mal geschildert haben, und wenn einzelne Personen ihre Gefühle schildern und was sie sehen, dann finde ich ziemlich einfach, sich da hineinzuversetzen, weil, Aw hat das vorhin schon gesagt, dass man kommt und überlegt, was wäre denn, wenn ich hier jetzt wäre. Ich finde dieses Gefühl oder diese Frage, das schwingt die ganze Zeit mit, wenn man hier geht, ich hab’ das die ganze Zeit im Hinterkopf gehabt, was wäre, wenn ich hier früher hätte arbeiten müssen. Und wenn man dann diese einzelnen Sachen liest und so Kleinigkeiten mitkriegt, in einem Bericht hat jemand gesagt hat, dass ein Freund erhängt wurde, weil er ein Stück Weißbrot geklaut hat und sonst verhungert wäre, und dann war die Begründung für den Tod,

42 Die Rezeption Toms deute ich auch vor dem Hintergrund der berufsspezifischen Führung, an der er teilgenommen hat.

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Aw: das stellt die Kaltblütigkeit dar. Dw: ja, da sieht man, wie schlimm es war, was die Einzelnen erlebt haben.

In ihrer Rezeption der „Interviewausschnitte“ beschreibt die Schülerin Dw das Konzentrationslager aus der Perspektive der Gefangenen. Für sie sei es einfacher, sich in Personen hineinzuversetzen, wenn diese ihre Gefühle offen schilderten. Die mündlichen oder schriftlichen Erinnerungen einzelner Häftlinge werden als Möglichkeit wahrgenommen, sich in die Situation der Menschen „einzufühlen“: in Arbeit, Hunger und Tod. Während Aw sich anhand des Selbstzeugnisses die „Kaltblütigkeit“ der Täter vergegenwärtigt, stellt ihre Mitschülerin Dw sich vor, wie „schlimm“ die Erlebnisse einzelner Häftlinge gewesen sein müssen. Ähnlich positiv äußert sich auch die Schülerin Tatjana43 zu den vertonten Erinnerungsberichten der Überlebenden: T:

[…] weil die Menschen selber ihre Geschichte erzählen, es wird nicht nacherzählt,

sie erzählen es so, wie sie es empfinden. Wenn einer jetzt die Geschichte hört und das einem anderen erzählt, dann kommt das ganz anders rüber, und so kriegt man ein richtiges Gefühl dafür, weil das von der Person selber erzählt wird.

Abschließend komme ich noch einmal auf die Gruppe NeI zurück, die sich deutlich kritischer zu den Biografien äußert und die sie von Selbstzeugnissen wie Erinnerungsberichten und Zeichnungen unterscheidet. Auf meine Frage, was ein Sich-Reinversetzen in die persönlichen Geschichten der Häftlinge bedinge und wie dies funktioniere, entspinnt sich folgende Diskussion: Bw: Das kommt direkt von den Leuten, bei den anderen Sachen da ist noch jemand zwischen, der sucht die wichtigsten Informationen aus dem Erzählten, oder was die zusammengesucht haben, und schreibt dann daraus diese Biografie, und bei dem anderen ist es ja einfach genau das, was die Leute gesagt haben, das kommt dann auch an, und das ist dann vielleicht das Wichtigste. Cw: es ist einfach gefühlvoller, find’ ich auch. [alle Teilnehmenden stimmen zu] Cw: durch die Stimmlage und so weiter Em: im Gegensatz zu diesen Stellwänden, wo wirklich nur Informationen draufstanden, wusstest du von diesen Leuten garantiert, die waren da drinnen, und die Leute, die diese

43 Tatjana besucht eine 10. Gymnasialklasse und ist 16 Jahre alt. Ich treffe sie im Anschluss an ihren Ausstellungsbesuch mit Überblicksführung. Die Schülerin hat sich sofort zum Interview bereit erklärt, welches wir in der Gedenkstätte führen.

264 | I NDIVIDUUM UND M ASSE Tafeln zusammengestellt haben, die waren da ja niemals wirklich, die haben ja nur Informationen erhalten und aus Informationen einen Sachtext geschrieben. So ein Sachtext wird das nie so rüberbringen wie die Erzählung eines richtigen Menschen. Cw: ich finde, in Bilder kann man selbst auch viel reininterpretieren, das kann auch gut Gefühle ausdrücken, und deswegen fand ich die Bilder auch recht gut. Aw: ich find’, die Informationen bestanden aus geschichtlichen Daten, aus Massen sozusagen, was die Massen erlebt haben, die bestanden nicht aus einem persönlichen Schicksal, bis auf diese Biografien, aber die, haben wir ja schon gesagt, die waren nicht so gut. Und bei diesen Interviews hat man so ein persönliches Schicksal live erzählt von der Person, und da fühlt man sich dieser Person auch näher, Cw: ja. ja.

Der Vorteil der Selbstzeugnisse gegenüber den Biografiemappen resultiert Bw zufolge aus deren Unmittelbarkeit („Das kommt direkt von den Leuten, bei den anderen Sachen da ist noch jemand zwischen“). Davon unterscheidet sie allgemeine Informationen. Die anderen Diskutierenden schließen sich diesem Urteil an: Die gesamte Gruppe NeII scheint sich einig, dass die rezipierten Selbstzeugnisse „gefühlvoller“ sind als die Biografiemappen. Dabei deuten alle Teilnehmenden die individuellen Erinnerungsberichte, die sie von allgemeinen Informationen unterscheiden – persönliches Schicksal versus Schicksal der Masse –, als Ausdruck des Persönlichen und als Garanten von Echtheit – eine Echtheit, die den Inhalt verbürgt. Der Schüler Em fasst die Gruppenmeinung über nachträglich verfasste Informationstexte einerseits und Selbstzeugnisse andererseits prägnant zusammen: „So ein Sachtext wird das nie so rüberbringen wie die Erzählung eines richtigen Menschen.“ Als Ergebnis der Interviews und Diskussionen zur Hauptausstellung in Neuengamme lässt sich festhalten, dass sich die Schülerinnen und Schüler in ihrer Rezeption größtenteils an der Perspektive der Häftlinge orientieren. Diese Rezeption der Ausstellung ist dann besonders ausgeprägt, wenn sich die Jugendlichen auf die dort gezeigten Selbstzeugnisse und Biografien beziehen. Es sind vor allem die personalisierenden Präsentationsmittel, die sie dazu anzuregen scheinen, mehr über die Bedingungen erfahren zu wollen, unter denen die Häftlinge im Lager gefangen waren. Arbeit, Hunger, Leiden, Mord und Überleben sind dominierende Themen bei der Rezeption der Ausstellung sowie der hier präsentierten persönlichen Dokumente. Beziehen sich die meisten Interviewten und Diskutierenden auf die Opfer der Verbrechen, schließen manche auch mit täterbezogenen Aussagen an. Beide Rezeptionsweisen bringt insbesondere die Gruppe NeII besonders facettenreich zum Ausdruck.

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Wenn sich die Schülerinnen und Schüler auf personalisierende Präsentationsformen beziehen und dies als „identifizieren“, „begleiten“, „reindenken“, „verstehen“, „interpretieren“, „reinversetzen“ oder „Gefühl kriegen“ umschreiben, kommt ihr Wunsch nach Nähe zu den historischen Ereignissen und einer lebendigen Geschichtsvermittlung besonders deutlich zum Ausdruck. Die außergewöhnliche Qualität, die die Jugendlichen den Personalisierungen in Neuengamme zusprechen, wird in der Gegenüberstellung von Selbstzeugnissen und Biografien deutlich. Das Präsentationsmittel ‚Biografiemappe‘ scheint nicht immer zu vermitteln, was das Konzentrationslager für die Gefangenen bedeutet haben mag. So kritisiert die Gruppe NeI an den präsentierten Lebensläufen eine fehlende unmittelbare Adressierung. Diese Gruppe vermisst „Zitate“ und „Gefühle“ und beurteilt die Biografien als „unpersönlich“ und als „zu außenstehend.“ Was hier vermisst wird, scheinen die schriftlichen und mündlichen Erinnerungsberichte oder Zeichnungen bereitzuhalten, die die Befragten gegenüber allgemeinen Informationen als besonders anschaulich und echt beschreiben. Wie stark der Wunsch nach einer möglichst direkten Geschichtsvermittlung ist und was auf ein Exponat projiziert werden kann, zeigt sich gerade da, wo diese fehlt und die Präsentation dann als „steril“ empfunden wird. Mitunter werden Erlebnisse einzelner Häftlinge auch individualisierend rezipiert, wenn die Schülerinnen und Schüler das erzählte Leben auf sich selbst beziehen und überlegen, wie sie sich anstelle eines Häftlings gefühlt hätten. Der Maurerlehrling Tom stellt sich diese Frage, wie ich annehme, nicht angesichts eines persönlichen Erinnerungsberichts, sondern ausgehend von einer allgemeinen Information, einem „Tagesablauf“, wenn er sich vor dem Hintergrund seiner eigenen Berufserfahrung Arbeit im Konzentrationslager zu verdeutlichen versucht. Die Individualisierungsform ‚Was hätte ich gemacht?‘ ist also nicht zwingend auf die Rezeption von Selbstzeugnissen beschränkt. Die Dimension der Konzentrationslagerverbrechen wird von den Schülerinnen und Schülern manchmal explizit betont. So stellt die Gruppe NeII im Verlauf der Diskussion einen persönlichen Lebenslauf der Gesamtzahl der Häftlinge gegenüber und drückt ihr Bedauern aus, sich nicht mit jedem Einzelschicksal bzw. dessen Repräsentation in der Ausstellung beschäftigen zu können. Wenn das Besondere der Selbstzeugnisse und Lebensläufe betont wird, kontrastieren einige der Jugendlichen auch exemplarisch Individuum und Masse. Der Aspekt der Dimension bleibt dann nicht auf die hohe Anzahl der verfolgten Personen und das geografische Ausmaß der Verfolgung beschränkt, sondern das konzeptionelle Anliegen der Gedenkstätte, die Einzelnen in der Masse der Verfolgten sichtbar zu machen, scheint, ähnlich wie am Denkmal, aufzugehen. Man könne sich mit Einzelschicksalen stärker identifizieren, so eine Schülerin der Gruppe NeII; an-

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hand eines „live“ erzählten persönlichen Schicksals, so eine Schülerin der Gruppe NeI, fühle man sich der Person und dem von ihr Erlebten näher. Wie viel Raum die Lebensgeschichten in den Schilderungen der Jugendlichen einnehmen, ist in der Rezeption der Hauptausstellung in Neuengamme, wie an den beiden anderen Erinnerungsorten, unterschiedlich. Bei der Rezeption der Häftlingsbiografien, deren rote Gestaltung fast allen Befragten aufgefallen ist, wird dieser Unterschied in der Rezeption besonders deutlich. So wird der Inhalt der Biografiemappen von einigen Schülerinnen und Schülern lediglich erwähnt, andere schildern sie facettenreich, und wieder andere knüpfen allgemeine Fragen an sie. Die Frage nach dem ‚Wie‘ der Verbrechen stellt sich beispielsweise der Schüler Jonas. Dabei rekurriert er nicht auf einen bestimmten Lebenslauf, sondern auf im gleichen Ausstellungsraum präsentierte Informationen über eine bestimmte Häftlingsgruppe, deren Weg in das Konzentrationslager von ihm geschildert wird. 5.2.2 Eindrücke von den Ausstellungsarchitekturen Der Ausstellungsbesuch im Denkmal für die ermordeten Juden Europas, in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und in der KZGedenkstätte Neuengamme ist von der Wahrnehmung des jeweiligen Erinnerungsorts als räumlicher Gesamtkontext der Präsentation nicht zu trennen. Das trifft nicht nur auf die beiden historischen Tat- bzw. Täterorte zu, sondern auch auf das Denkmal, dessen Präsentationskonzept nicht an einen historischen Tatort gebunden ist. Im Folgenden werden daher Besuchseindrücke vorgestellt und analysiert, die sich auf das jeweilige Ausstellungsgebäude beziehen, das die Geschichte des (historischen) Orts präsentiert. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas Der Ort der Information, in dem die Ausstellung des Denkmals untergebracht ist, liegt unterhalb des Stelenfelds, das den räumlichen Kontext eines Besuchs vorgibt. Auch in seiner Gestaltung ist der Ort der Information an das Stelenfeld angebunden, da das Ausstellungsgebäude und die Informationsträger gestalterisch die Formsprache des Denkmals zitieren. Bevor ich die Besuchseindrücke analysiere, die sich auf die Erwartungen an den Ort der Information beziehen, wird auf die Rezeption des Stelenfelds eingegangen, da es in der Regel vor dem Gang durch die Ausstellung erkundet wird und deshalb die Rezeption der Ausstellung prägt.44

44 Empirische Studien, die sich auf das Stelenfeld konzentrieren, liegen u. a. vor von: Dekel (2013), Steinberg (2012) und Klein (2011).

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Die Schülerinnen und Schüler konnten mehr oder weniger viel mit der Stelenform anfangen („Ich hab’ das öfters gesehen, aber ich weiß nicht, was das mit den Opfern damals zu haben soll“, Denis). Die Eindrücke und Assoziationen, die sie nach dem Gang durch das ‚Field of Memory‘ artikulieren, beziehen sich vor allem auf die Größe des Denkmals („Es ist ziemlich groß, nicht alle Denkmäler sind so, und das hat damit zu tun, dass auch die Zahl der Opfer ziemlich groß war“, DeI). Andere nehmen Individualisierungen der einzelnen Stelen vor („Da waren ja auch ziemlich große und kleine Blöcke dabei, und ich glaube, das steht für die toten Kinder, kleine Steine, und für die Älteren, also dass verschiedene Opfer dabei waren“, DeII) oder verbinden mit den Betonquadern Gefühlsqualitäten wie Enge, Beklommenheit, Kälte, Tristesse (etwa: Maja, Johanna, DeII). In der Regel verbinden sich die individuellen Bedeutungszuschreibungen mit den Opfern des Holocaust. Nur zwei Beiträge haben auch die Täter mit dem Stelenfeld assoziiert. So bemerkt ein Schüler der Gruppe DeII, „dass die Kälte der Steine irgendwie was mit der Kälte der Menschen“ damals zu tun haben müsse. Und die Schülerin Johanna vermutet unter dem Stelenfeld den „Führerbunker“. Werden die Besuchseindrücke miteinander in Beziehung gesetzt, so unterscheiden die Jugendlichen das Stelenfeld als ein in der Gegenwart errichtetes Erinnerungszeichen deutlich vom historischen Ort ‚KZ-Gedenkstätte‘. Die Schülerin Maja45 beschreibt das Stelenfeld beispielsweise vor dem Hintergrund ihres Besuchs der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau: „Der Unterschied ist einfach, dass es da viel realer ist.“ Dagegen sei das Denkmal „natürlich was anderes, weil das jetzt was Nachgebautes oder jetzt in der Zeit Entstandenes ist.“ In diesem Zusammenhang spielen auch Gefühlsqualitäten eine Rolle: „das Denkmal das drückt’s schon aus, also die Enge mit den Stelen, und wenn man dann unter den großen Stelen stand, das Erdrückende, das ist schon alles gut nachempfunden.“ Das Stelenfeld ist für die Jugendlichen kein Friedhof und kein historischer Tatort. Sowohl das Feld als Ganzes als auch die einzelnen Stelen werden als Repräsentation des Holocaust begriffen. Leicht werden historische Bezüge hergestellt

45 Maja ist 15 Jahre alt und hat mit ihrer 10. Gymnasialklasse aus Berlin an einem Workshop zu Familien im Ort der Information am Denkmal teilgenommen. Sie hat sich freiwillig für ein Interview gemeldet. Das Gespräch führen wir am nächsten Tag in ihrer Schule. Es ist nicht leicht, einen ruhigen Raum zu finden, und Maja ist sichtlich erschöpft nach einem vollen Schultag, spricht aber ausführlich über ihre Besuchseindrücke. Sie ist eine Mitschülerin von Denis.

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und eigene Besuchseindrücke vergegenwärtigt.46 Die Ebene der Repräsentation schließt bei der Schülerin Johanna auch den Gegensatz von ‚Person‘ und ‚Film‘ ein, wenn sie das Denkmal vom ehemaligen Konzentrationslager NatzweilerStruthof abgrenzt: „Es ist wie mit den Personen, im Film da wirkt’s lang nicht so, wie wenn die Person zum Anfassen da ist […], und hier ist eben dieser Ort zum KZ anders.“ Die Schülerin schreibt einem historischen Tatort eine stärkere Wirkung zu als dem Denkmal und zieht eine Analogie zur Wirkung einer realen Person gegenüber einem Film. Die Eindrücke der befragten Jugendlichen von der Räumlichkeit des Ausstellungsbereichs, der Architektur des Orts der Information, beschränken sich auf die überraschte Feststellung, dass dieser sich unterhalb des Stelenfelds befindet. Dass die Formsprache des Stelenfelds hier ganz bewusst aufgegriffen und zu einem dominierenden Gestaltungsmerkmal der Ausstellung wird, finden sie nicht weiter kommentierungswürdig. Der Schüler Denis47 aus Berlin wusste vor seinem Besuch zwar von der Existenz des Stelenfelds, der Ort der Information war hingegen neu für ihn:

46 Der Einzelbesucher Kampner (Name wurde geändert), dessen Besuchsmotivation in Kap. 5.2.3 angeführt ist, beschreibt den Unterschied zwischen dem Ort der Information und der KZ-Gedenkstätte Buchenwald ganz ähnlich: „Da liegen Welten dazwischen. Das fängt schon mit dem Tor an, mit dem Spruch da drüber, ich glaube in Weimar steht ‚Arbeit macht frei‘ […]. Weimar ist ganz anders, da haben Sie diese Aktualität, dass Sie die Orte sehen, die Zellen und die Verbrennungsöfen und so. Das hier ist eine Gedenkstätte, die neu geschaffen worden ist, aber Weimar ist ein historischer Ort, die Unmittelbarkeit ist da, das ist ganz was anderes. Das Grauen überfällt einen, jedenfalls mich, jetzt in dem Maße nicht. Jedenfalls nicht wie in Weimar. Das ist ein anderer Grad des Grauens. […] Das kann man nicht vergleichen mit einer doch eher cleanen Gedenkstätte. Hier ist alles sauber, frisch gemacht, alles angebracht. Da hat man an vorhandene Dinge dann Bilder drangeklebt und Erklärungen, bei den Öfen, bei den Zellen, gut, man hat auch aktuelles Material gesammelt, aber das hat eine andere Dimension als so ein Museum. Das hier ist wie ein Museum, ein Ausstellungsort, Weimar würde ich nie wagen, als Ausstellungsort zu bezeichnen, das passt nicht.“ 47 Denis ist 16 Jahre alt und besucht, zusammen mit Maja, eine 10. Gymnasialklasse in Berlin. Er nimmt mit seinem Klassenverband an einem vom Denkmal angebotenen Workshop zum Thema ‚Familien‘ teil. Denis hat sich freiwillig für ein Interview gemeldet. Während des Gesprächs, das wir im Anschluss an seinen Besuch in einem zu lauten Café in der Nähe des Denkmals führen, wirkt er etwas eingeschüchtert; das Interview gestaltet sich recht kurz.

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Ich bin hier schon öfters vorbeigelaufen, ich wusste gar nicht, dass man da runter

kann und sich da die Sachen angucken kann, ich dachte nur, dass man hier die Steinklötze sieht und dann an die Leute denkt, die ermordet wurden, aber als wir da runter gegangen sind, fand ich’s schon interessant, wie man zu dieser Zeit da vorgegangen ist, auch ein bisschen überrascht, ich wusste gar nicht, dass es da überhaupt einen Eingang gibt.

Während die „Steinklötze“, die der Schüler als das eigentliche Denkmal versteht, ihm ein vertrautes Bild zu sein scheinen, zeigt er sich von der neu entdeckten Ausstellung überrascht. Ähnlich äußert sich auch seine Mitschülerin Maja, als sie nach ihren Erwartungen an den Besuch gefragt wird: M: Ich hatte es mir ein bisschen kleiner vorgestellt @(.)@ @ehrlich gesagt@, weil es ist ein Keller irgendwie, und dann dachte ich, ja okay, im Keller, das kann ja @eigentlich nicht so@ groß sein, ist ja auch nicht so groß, aber richtige Vorstellungen hatte ich davon nicht, weil ich nicht direkt wusste, dass da unten eine Ausstellung drinnen ist, ich dachte, da wäre nur so ein Informationspunkt, aber dass da eine richtige Ausstellung ist, wusste ich gar nicht.

Die Schülerin wusste wie Denis vor ihrem Besuch nichts von der Existenz einer „richtigen Ausstellung“, die sie dann dort vorgefunden hat, wo sie im „Keller“ einen „Informationspunkt“ erwartet hatte. Auch Johanna wusste vom Stelenfeld und greift ihre Kritik daran auf, die sie im Verlauf des Interviews mehrmals äußert: J:

Ich war vor allem gespannt auf die Ausstellung, weil ich das Stelenfeld schon öfter

gesehen habe, und da wusste ich, dass es abstrakt ist, wobei ich habe gedacht, vielleicht hat sich ja dieser Künstler irgendwas dabei gedacht, war im Endeffekt nicht so, denkt man sich ja meistens bei solchen abstrakten Dingern, und da habe ich halt gedacht, okay, bin ich eben gespannt, was jetzt unten kommt. CG: und hattest du eine Vorstellung, was hier in der Ausstellung ist? J:

ich hätte gedacht, es wäre weniger, dass es nur ein Raum wäre, wo irgendwie Opfer-

namen oder so was sind, also ich hätte nicht gedacht, dass es so viel ist.

Auch Johanna ist überrascht, im Ort der Information eine Ausstellung vorzufinden und nicht nur, wie von ihr erwartet, einen Gedenkraum. Es ist deutlich geworden, dass sich die vielfältigen Assoziationen und Gefühlsqualitäten, die die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Besuch des Stelenfelds verbinden, in der Regel auf die Opfer des Holocaust und nur selten auf die Täter

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beziehen. Mitunter sind sie von der Offenheit des Denkmals aufgrund seiner nichtgegenständlichen Form irritiert oder sehen die Verfolgungssituation der ermordeten Jüdinnen und Juden nicht in den Stelen repräsentiert. Die Orientierung der Jugendlichen scheint vorgeprägt von dem aus der Schule bekannten Modus der Wissensvermittlung, der eindeutige Antworten fordert. Zudem, das Stelenfeld wird zwar individuell erfahren, dennoch findet ein kollektiver Austauschprozess im Rahmen der Führungen statt. Und auch die Deutungen der Guides sind für viele ein situatives Element der Wissensvermittlung. Wenn Schülerinnen und Schüler das Denkmal mit KZ-Gedenkstätten in Beziehung setzen, sind ihre Schilderungen durch einen starken Ortsbezug geprägt. Dabei wird, wie beispielsweise von Johanna, das Stelenfeld als künstlerische Repräsentation des Historischen bestimmt. Ob die Jugendlichen das Denkmal als Denkmal, Mahnmal oder Gedenkstätte bezeichnen, in jedem Fall grenzen sie es von historischen Tatorten ab.48 Die Gefühlsqualitäten, die sie einer KZ-Gedenkstätte und dem Stelenfeld zuschreiben, so beispielsweise von Maja, beziehen sich fast ausnahmslos auf die Opfer der Verbrechen. Die Überraschung, eine Ausstellung unter dem Denkmal vorzufinden, teilen die meisten der Befragten. Die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz Die ständige Ausstellung der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz ist in der Villa eingerichtet, in der sich Vertreter des Staats- und NS-Apparats am 20. Januar 1942 zu einer Arbeitsbesprechung über die systematische Verfolgungs- und Mordpolitik gegenüber den europäischen Jüdinnen und Juden getroffen haben. Die Art und Weise, wie Schülerinnen und Schüler heute die Ausstellung wahrnehmen, ist stark von diesem historischen Täterort geprägt. Die Wahrnehmung des historischen Orts ist besonders intensiv, wenn die Befragten über den Raum der Ausstellung zur Wannsee-Konferenz sprechen. Wie im Folgenden gezeigt wird, findet sich der Bezugspunkt ‚Täterort‘ aber auch in den Redebeiträgen, in denen die Jugendlichen die Wannsee-Villa gegenüber KZ-Gedenkstätten thematisieren.

48 Meik Zülsdorf-Kersting kommt in seiner empirischen Studie zu dem Ergebnis, dass die Jugendlichen in Gruppendiskussionen das Denkmal auch als Mahnmal oder Gedenkstätte bezeichnen, was ihm zufolge „einen terminologisch zwar unsicheren, in der Sache aber differenzierten Umgang mit Geschichtskultur“ demonstriere (ZülsdorfKersting 2007, 298). Dem ist hinzuzufügen, dass die Bezeichnung Gedenkstätte für das Denkmal terminologisch gar nicht so verkehrt ist, da es mit seinem Ausstellungsbereich einer Gedenkstätte gleicht und als solche auch öffentlich wahrgenommen wird.

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Fast alle Schülerinnen und Schüler thematisieren den Ausstellungsraum ‚Die Wannsee-Konferenz‘, wenn sie ihre Besuchseindrücke schildern. Die Rezeption dieses Raums, der fester Bestandteil der Führungen ist, unterscheidet sich deutlich von der Rezeption anderer Ausstellungsbereiche. So äußert sich etwa die Schülerin Laura49: „In dem Raum, da hab ich mich dann gefühlt wie, also das hat mir mehr was rübergebracht.“ Die Wahrnehmung dieses Raums erfolgt in der Regel aus dem Bemühen heraus, sich ein möglichst genaues Bild von der Konferenz zu machen. Dabei werden sowohl der Raum selbst als auch die hier gezeigten Dokumente als authentische Objekte erkannt. So äußert sich etwa die Schülerin Anika50 über ihren Eindruck beim Anblick des Ausstellungsmobiliars ‚Tisch‘ in der Raummitte: „da fühlt man sich schon, als würde man irgendwie dabeisitzen.“ Die Gruppe WaII fasst ihre Impressionen am Ende der Diskussionseinheit folgendermaßen zusammen: „Du stehst im Raum und siehst ein Foto, und das war schon bewegend.“ Bei anderen Jugendlichen taucht auch die Aufnahme des früheren Speisezimmers auf, ohne dass dabei bemerkt wird, dass das Foto aus den 1920er Jahren stammt. Teilweise diffuse Vorstellungen über die Konferenzteilnehmenden, die Vergegenwärtigung eines angeblichen ‚Beschlusses‘ zur Judenvernichtung, der auf der Besprechung getroffen worden sein soll, und eine dem Raum zugeschriebene Anschaulichkeit, die konträr zur Rezeption der gesamten Ausstellung steht – so lassen sich die Eindrücke zusammenfassen. Wenn die Jugendlichen über diesen Ausstellungsraum sprechen, geht es zumeist darum, sich das Konferenzgeschehen und die Teilnehmenden plastisch vorzustellen. Nachdem die Teilnehmenden der Gruppe WaI mehrere Minuten angeregt über ihre unterschiedlichen Besuchseindrücke von KZ-Gedenkstätten einerseits und dem Haus der Wannsee-Konferenz andererseits gesprochen haben („im KZ kann man selber richtig miterleben und sich vorstellen, wie das da war. Hier in dem Haus kann man sich nur auf Bildern ansehen, was hier passiert ist“), ver-

49 Die 15-jährige Laura, die eine 10. Realschulklasse besucht und zur Vorbereitung auf eine Schulexkursion in die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau an einem Projekttag im Haus der Wannsee-Konferenz teilnimmt, treffe ich zum Interview in ihrer Schule. Mit ihrem Lehrer Herrn Grün (Name geändert), mit dem ich ein Interview geführt habe (siehe Kap. 5.2.3), hatte ich schon im Vorfeld Kontakt; über ihn ist auch der Kontakt zu Laura zustande gekommen. 50 Anika ist 17 Jahre alt und besucht eine 12. Fachoberschulklasse. Sie hat an einer Überblicksführung teilgenommen und trifft sich anschließend mit mir zum Interview in einem Raum des Studienzentrums der Gedenkstätte.

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schiebt sich die Debatte auf das historische Ausstellungsgebäude der WannseeVilla: Dw: Es gibt ja dieses Sprichwort, ein Bild sagt mehr als tausend Worte, und ich bin aber ganz ehrlich auch der Meinung, dass wenn man sich diesen Ort noch mal ganz genau anguckt, dann ist es auch noch mal eine Spur heftiger, weil └ja, genau.

Aw:

Dw: weil es ist wirklich so, dass man an dem Ort steht, wo es passiert ist, und wenn man drüber nachdenkt, hier haben jetzt die Leute, die waren hier, und die anderen sind jetzt alle tot, zu 99,9 Prozent oder so, es haben ja nur ein paar Hundert überlebt, da überlegt man schon, wie diese Leute da, also (.) das war schon krass.

Wie den Jugendlichen, die die KZ-Gedenkstätte Neuengamme besuchen, geht es auch den Schülerinnen und Schülern im Haus der Wannsee-Konferenz darum, sich selbst physisch „an dem Ort“ zu befinden, der einen direkten historischen Bezug zum Holocaust hat. Mache man sich diese Bedeutung bewusst, empfinde man den Besuch als „heftiger“, so die Gruppe WaI. Das Wissen um die Bedeutung des historischen Täterorts regt die Schülerin Dw offensichtlich dazu an, die ermordeten Jüdinnen und Juden zu thematisieren („die Leute, die waren hier, und die anderen sind jetzt alle tot“). Die Frage, welchen Aufschluss die Konferenz über die Motive der Täter gibt, prägt auch die Diskussion dieser Gruppe, wie die folgende Sequenz zeigt: Bm: Ja, der hat ja auch gesagt, es waren eigentlich alle dafür, dass die Juden ermordet werden, also musste darüber ja überhaupt nicht mehr diskutiert werden, ob die die jetzt ermorden wollen oder nicht, weil ja eh schon alle dafür war’n, sondern sie haben dann sozusagen nur das wie. Aw: °ja bloß° Fw: ja aber das ist ja grad das Krasse. Cm:

└°ja°

Fw: da muss man sich sagen, keiner ist dagegen, ich meine, elf Millionen Menschen, das ist sauviel. Dw: die haben diese Juden, das waren ja keine Menschen, das waren ja für die wie Tiere.

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Auch der Schüler Timon51 spricht im Interview über seinen Eindruck von dem Ort und der Ausstellung. Dabei betont er wie andere Befragte den Gegensatz zwischen idyllischem Ambiente (Villa mit Seeblick) und Konferenzgegenstand: T:

Das ist ein Ort, wo ich eigentlich nicht gedacht hätte, dass man so eine Entschei-

dung, die die hier getroffen haben, hätte treffen können, das ist ein Ort, damit verbindet man Schönes, am See. Und die entscheiden über Millionen Menschenleben, das ist suspekt, paradox sozusagen. Das hätte auch ein Bürogebäude sein können, wo man das mal kurz, ich mein kurz war’s hier ja auch, aber wir stellen uns das so grauenhaft vor, die haben’s in der Theorie gemacht und kurz danach in die Praxis umgesetzt, und dann hier in so einer entspannten Atmosphäre, das ist natürlich merkwürdig.

Welche Bedeutung Timon der Konferenz zuschreibt, ob er, wie die meisten der anderen Jugendlichen, davon ausgeht, auf der Besprechung sei der Holocaust beschlossen worden, geht aus dem von ihm gewählten Ausdruck „Entscheidung“ nicht eindeutig hervor. Die Aussage, die Konferenz hätte auch in einem Bürogebäude stattfinden können, kann als Reaktion auf den in der Ausstellung zentralen Aspekt der Verflechtung von Bürokratie und Vernichtung verstanden werden.52

51 Timon ist 20 Jahre alt und besucht eine 13. Gymnasialklasse, mit der er an einer Überblicksführung teilnimmt. Nach der Führung erklärt sich zunächst keiner der Jugendlichen bereit, an einem Interview teilzunehmen. Als ich Timon zufällig im Ausstellungsfoyer treffe, spreche ich ihn direkt auf eine Teilnahme an. Er wirkt etwas eingeschüchtert und möchte von mir wissen, welche Fragen ich denn stellen werde. Ich kann ihn offensichtlich beruhigen, denn kurz darauf führen wir ein recht langes Gespräch in einem der Seminarräume. 52 Die Bilderbuchkulisse am Großen Wannsee einerseits und die in der Villa besprochene ‚Endlösung‘ andererseits werden auch von der Gruppe WaII als Gegensatz wahrgenommen: Cm: „es kommt einfach dieses Kranke bei raus, weil wenn man sich das mal hier anguckt [wendet sich zum Fenster], mal so runterschaut auf den See hier, der Garten.“ Aw: „diese Gegensätze.“ Am: „es ist einfach wunderschön, das ist so eine Idylle, und wenn man dann guckt, was hier beschlossen wurde, und dass die wahrscheinlich auch dabei auf den See geguckt haben und keine Ahnung was gemacht haben.“ Bw: „die haben danach gefeiert, Cognac getrunken.“ Cm: „ja, das kommt dabei ziemlich gut raus, dieses Unverständnis.“ Die Normalität des Massenmords verschwindet hinter den Ausdrücken „dieses Kranke“ sowie „Unverständnis“, die es der Gruppe erlauben, sich von den Tätern und der Tat zu distanzieren.

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Der Schüler Chris53 ist insofern eine Ausnahme, als er auf die Frage nach seinem ersten Eindruck von dem Haus und der Ausstellung Enttäuschung äußert: C:

War ziemlich klein das Haus. Das hat mich überrascht, ich dachte, das wäre schloss-

ähnlich, vielleicht ist das übertrieben, aber eher villenähnlich, mindestens zweistöckig, also zweistöckig war’s ja, aber ich dachte, das wär’ viel prunk- und prachtvoller (3). CG: prachtvoller? C:

man stellt sich ja Hitler immer so als eitel und sehr so ein Machthaber vor, die spie-

len ja gern ihre Macht aus, also wenn sie Macht haben, dann wollen sie sie ja nicht unbedingt in so einer kleinen abgedroschenen Hütte da verbringen, war jetzt auch nichts Kleines, aber ich dachte, um den Status zu symbolisieren, dass der dann was richtig Großes holt, deswegen dachte ich, es wär’ größer.

Die Erwartung an das Ausstellungsgebäude speist sich bei Chris, so ist zu vermuten, aus der Vorstellung, Hitler persönlich sei bei der Besprechung anwesend gewesen. Mit dieser Fehlannahme steht der Schüler nicht alleine da. Dass auch andere Jugendliche diese Ansicht äußern, zeigt, wie sehr hier Vermittlungsabsicht und Rezeption auseinanderklaffen.54

53 Chris ist 14 Jahre alt und besucht ein Berliner Gymnasium. Mit seiner 10. Klasse nimmt er an einer ‚gegenseitigen Führung‘ in der Gedenkstätte teil. Mit seiner Lehrerin Frau Rot (Name wurde geändert) habe ich ein Interview geführt (siehe Kap. 5.2.3), und ihrer schulischen Nachbereitung des Ausstellungsbesuchs beigewohnt. Mit Chris vereinbare ich, dass wir das Interview am nächsten Tag in der Schule führen (eine weitere Schülerin werde ich dort später ebenfalls interviewen). Chris ist sehr aufgeweckt und interessiert daran, mit mir über den Ausstellungsbesuch zu sprechen. 54 In diesem Sinne ganz ähnlich äußert sich die Schülerin Lena, die die Gedenkstätte am Wannsee mit ihrer 10. Gymnasialklasse im Rahmen einer Exkursion zum Zweiten Weltkrieg besucht und dort an einer Überblicksführung teilnimmt. Ihr Versuch, sich in die Zeit der Konferenz zu versetzen, bringt Empfindungen hervor, die sie als „überwältigend, aber auch irgendwie beängstigend“ umschreibt. Ihre Gefühle führt sie nach ihrem Ausstellungsbesuch auch auf die Annahme zurück, Hitler habe an der Wannseebesprechung teilgenommen. In dem Paarinterview gibt Ol (17 Jahre) an, er hätte „mehr was Uriges erwartet, mehr was zum Anfassen, zum Nacherleben“, und An (16 Jahre) ergänzt mit Blick auf Konferenzraum und Ausstellung zustimmend, dass ihr die „Atmosphäre“ fehle. An und Ol nehmen im Rahmen einer Studienfahrt der 11. Gymnasialklasse an einer Überblicksführung teil.

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Die Interviews und Gruppengespräche haben gezeigt, dass das Haus der Wannsee-Konferenz von den Schülerinnen und Schülern zweifellos als historischer Täterort wahrgenommen wird. Wenn sie über die Ausstellung sprechen, dann sind Vergegenwärtigungen des Konferenzgeschehens fester Bestandteil ihrer Schilderungen. Dabei beziehen sich einige explizit auf das Schicksal der europäischen Jüdinnen und Juden, andere verbleiben im Allgemeinen. Wie stark die Wahrnehmung des Ausstellungsgebäudes von Vorstellungen über das historische Schlüsselereignis ‚Wannsee-Konferenz‘ geprägt ist, zeigt sich, wenn – entgegen dem in der Ausstellung vermittelten Wissen – von der persönlichen Anwesenheit Hitlers ausgegangen wird. Angesichts von Vorstellungen über einen ‚geltungssüchtigen‘ Hitler erscheint der Konferenzort ‚Villa‘ dann als vergleichsweise beschaulich. In der Fixierung auf die Person Hitler kommt zudem zum Ausdruck, mit welch übersteigerten Erwartungshaltungen NS-Gedenkstätten oft konfrontiert sind. Mit Christian Gudehus ließe sich von einer „nichtintendierten Vermittlung“ (Gudehus 2003) sprechen, in der die Wirkungsmächtigkeit von diffusen Vorstellungen gegenüber tatsächlich erlerntem Wissen zum Tragen kommt (vgl. ebd., 23). Das Außengelände der Gedenkstätte ist – abgesehen vom starken Kontrast zwischen Ausstellungsinhalten und pittoresker Kulisse – nicht weiter in die Gedenkstättenkonzeption einbezogen. Der (verstörende) Blick aus dem Fenster fließt aber in die Beschreibungen einiger Schülerinnen und Schüler ein. Das systematisch-durchorganisierte Element in der Verfolgung und Vernichtung des europäischen Judentums, für das die Besprechung am Wannsee steht, kommt in den Redebeiträgen der Jugendlichen mitunter zum Ausdruck. Vor allem aber scheint ihnen der Massenmord in seiner gewaltigen und gewaltsamen Dimension gerade über den Kontrast zum schönen, beschaulich-ruhigen Anwesen bewusst zu werden. Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme Die Hauptausstellung der Gedenkstätte Neuengamme ist in einer ehemaligen Häftlingsunterkunft eingerichtet. Sie behandelt die Geschichte des Konzentrationslagers, kommentiert das Außengelände der Gedenkstätte und thematisiert die gestalterischen Repräsentationen des Historischen. Diese Repräsentationen finden sich auf dem gesamten Gelände, dessen historische wie erinnerungskulturelle Topografie bei den meisten Schülerinnen und Schülern, die in Neuengamme an Interviews und Gruppendiskussionen teilgenommen haben, im Mittelpunkt des Interesses steht. Daher wird, bevor diejenigen Besuchseindrücke vorgestellt werden, die sich auf das Ausstellungsgebäude beziehen, eine Rezeptionsweise des Außengeländes hervorgehoben, die exemplarisch für die Stichprobe ist:

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T:

Man sieht nicht, dass hier früher ein Konzentrationslager war, weil alles neu aus-

sieht, wenn man zuerst guckt, denkt man, ist einfach ein Gelände, ganz normal irgendwie ein Park, und das stellt man sich erst gar nicht so vor, ich dachte mir erst, dass hier Ruinen stehen, weil dann kriegt man das Gefühl richtig, dann sieht alles alt aus.

In ihrer Schilderung des ehemaligen Lagergeländes spricht die Schülerin Tatjana ihre auf den ersten Blick enttäuschten Erwartungen an eine KZ-Gedenkstätte an. Entgegen ihrer Vorstellung von der Anschaulichkeit des historischen Orts erinnert sie das Gelände zunächst an einen „Park“, an dessen Topografie sich nicht festmachen lasse, „dass hier früher ein Konzentrationslager war“. Damit artikuliert die junge Frau eine Irritation, die sich bei den meisten Jugendlichen einstellt, wenn ihre Erwartungen an den Besuch einer KZ-Gedenkstätte auf Neuengamme treffen und damit auf ein durch langjährige Gefängnisnutzung stark überzeichnetes und modern aufbereitetes Memorialgelände. Andere Jugendliche reflektieren die Funktion des Ausstellungsgebäudes in der Gesamtchoreografie der Gedenkstätte. Auf die Frage, was sie erwartet haben vorzufinden, antwortet eine Teilnehmerin der Gruppe NeII: Cw: […] dass man mehr Gebäude hat, durch die man durchgeht, und irgendwie ein bisschen mehr das Gefühl davon bekommt. Ich hatte mir das jetzt nicht so ausstellungsmäßig vorgestellt, anders hatte ich mir das vorgestellt.

Unter „ausstellungsmäßig“ versteht die junge Frau offenkundig einen hohen Grad der Vermittlung, durch den ihre Annäherung an das ‚Authentische‘ des Orts irritiert wird. Ihre Erwartung, Geschichte erschließe sich durch das schiere Begehen der historischen Lagerarchitektur quasi von selbst, also unvermittelt, wird enttäuscht. Die unterschiedliche Wahrnehmung von Ausstellung und historischem Ort wird im weiteren Verlauf der Gesprächsrunde auch von vier weiteren Schülerinnen der Gruppe diskutiert. Aw betont zunächst den authentischen Charakter des Orts („durch diesen historischen Ort wirkt das alles so ein bisschen hautnah“), während es über die Ausstellung heißt, sie verhindere ein wahres Einfühlen und Nachvollziehen („man erlebt es nicht so richtig, weil Ausstellung ist einfach, da stehen ein paar Sachen rum, man kann was lesen, aber es ist nicht so, man fühlt es nicht“). Als ihre Mitschülerinnen ihr zustimmen, führt sie weiter aus, dass der historische Ort dennoch auf die Ausstellung angewiesen sei, denn „wenn nur dieser Ort da wäre ohne die Ausstellung, dann fehlt teilweise auch Hintergrundwissen“. Während sie dem historischen Ort die Eigenschaft zuspricht, ein Erleben oder Gefühl vermitteln zu können, grenzt sie die Ausstellung davon ab und

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schreibt ihr die Funktion der kognitiven Wissensvermittlung zu. Schließlich lenkt die Schülerin Cw das Thema auf das Ausstellungsgebäude selbst: Cw: Also ich fände es schöner, wenn das beides ein bisschen mehr verbunden wäre. Weil ich finde, das Gelände ist Ausstellung, und dann geht man in ein Haus rein, was renoviert ist und ein bisschen krankenhausmäßig, Aw, Bw: @(.)@ Cw: ja, das ist wie in einem modernen Krankenhaus da drin, und dann ist dieses Feeling so verflogen. Aw: das fand ich auch schade, dass die das Haus so renoviert haben, war wahrscheinlich notwendig, man hat zwar gesehen auf irgendwelchen Fotos, wie sie gelebt haben, aber man konnte nicht mehr sehen, wie es in den Baracken und in den anderen Sachen aussah. Cw: ja, die hätten das alles so ein bisschen älter und naturgetreuer lassen können, nicht so moderne Fenster rein und heller Boden, alles ganz steril. Aw: mhm Cw: und eckig. Sondern mehr, wie es früher war, dann überträgt sich das Feeling mehr auf die Ausstellung. Dw: aber das wurde alles abgerissen, weil die da ein Gefängnis hingebaut haben. Cw: ja gut, aber man kann es immer nachstellen, es gibt bestimmt auch Quellen, wo ungefähr beschrieben ist, wie das damals in solchen Konzentrationslagern war. Bw: außerdem gab es ja Fotos, aber in diesem Waschraum, fand ich └ja, da stand zwar Wasch-

Dw: raum, ich hab’ die ganze Zeit auch irgendwas gesucht und Aw: @ja@

Dw: dann Steckdosen gefunden, huch was ist das denn, moderne Steckdosen. Bw: ja so Steckdosen gab’s damals nicht wirklich in diesen Konzentrationslagern, Cw: nö. Bw: außerdem hab’ ich auch gar kein Waschbecken gesehen. Cw: nee, ich auch nicht, Aw:

└man hat nicht gesehen, was da mal war. Da war noch nicht mal ein Modell,

man hat einfach nur so eine Zeichnung, und dann steht da, das ist der Waschraum. Dw: um noch mal zur Raumkonzeption zurückzukommen, also ich persönlich fand das gar nicht schlecht, also ich fand nicht, dass das Gebäude aufwendig gewirkt hat, weil das ja einfach alles in Weiß und Grau gehalten ist, und dadurch, find’ ich, hat das irgendwie für mich dieses Bedrückende noch unterstrichen. Außerdem war oben ja auch so ein Teil aufgebaut, ich glaube so eine Baracke von außen. Aw: ja stimmt. Das hab ich auch gesehen. Bw: ich glaub’, das war sogar wirklich so,

278 | I NDIVIDUUM UND M ASSE Dw: das war sogar noch grün bemalt @(.)@ @ich find’@ das andere war irgendwie noch schlimmer und bedrückender, weil die ganzen Sachen da so ganz schlicht gehalten sind, und die Bilder, die sind ja alle so schwarz und weiß.

In dieser Diskussionseinheit über die architektonische Gestaltung der Hauptausstellung und das sie beherbergende Gebäude bringen die Schülerinnen die Historizität der früheren Häftlingsunterkunft mit ihrem Wunsch nach Anschaulichkeit in Verbindung. Mit Umschreibungen wie „renoviert“, „krankenhausmäßig“, „Feeling verflogen“ wird die betont sachliche Gestaltung des Ausstellungsgebäudes von Cw kritisiert. Die Schülerin sucht in der Ausstellung das Alte, sprich die Spuren des Lebens und Sterbens im Konzentrationslager Neuengamme, und findet das Moderne („moderne Fenster“, „heller Boden“, „steril“, „eckig“).55 Ihre Mitschülerinnen versuchen, die Gestaltung des Ausstellungsgebäudes mit der Nachnutzung des früheren Konzentrationslagergeländes als Gefängnis zu erklären. Dabei nehmen sie die Ebene der Repräsentation der NS-Verbrechen ein, die ein fester Bestandteil von Führungen in Neuengamme ist.56 Im Anschluss diskutiert die Gruppe das Moderne, also die Inszenierung des historischen Raums in der Ausstellung, anhand ihrer Eindrücke eines früheren Waschraums. Dort finden sie „moderne Steckdosen“ vor, aber weder ein „Waschbecken“ noch ein „Modell“, sondern „nur so eine Zeichnung“, die ihnen – anders als den Jugendlichen der Gruppe NeI – keine Vorstellung der historischen Situation zu vermitteln scheint. Am Ende der Diskussionseinheit greift Dw erneut die von Cw geäußerte Kritik an der Gestaltung des Ausstellungsgebäudes auf und stellt dieser ihren gegenteiligen Eindruck gegenüber. Während Cw in der modernen Ausstellungsar-

55 Auch die Schülerin Anne formuliert als ersten Eindruck von dem Ausstellungsgebäude: „kahl, es sieht kahl aus durch die ganzen weißen Wände, wenn man das dunkler machen würde, dass man ein Gefühl dafür kriegt, wie die Menschen sich da drin gefühlt haben, weil es war dunkel und kalt.“ 56 Später im Interview greift die Gruppe NeI erneut die Ebene der Repräsentation auf, um sich das heutige Aussehen des Außengeländes der Gedenkstätte zu erklären: Aw: „Die ganzen Bedingungen, worunter die leben mussten, so dass man da vielleicht so ein bisschen mehr Originale sehen könnte. Aber durch den Krieg wurde viel zerstört, das kann man, (.) ja okay, man hätte es nachbauen können, aber es wäre vielleicht immer noch nicht so gut rübergekommen.“ Dm: „Ich hätte mir wirklich eher vorgestellt, dass man da hinkommt und man da fast noch so ein komplettes Lager findet, aber das kann natürlich nicht sein, weil das wurde ja auch verformt und so weiter.“ Die Nachnutzung des Geländes prägt die Erklärungsversuche der Gruppe in der gesamten Diskussion.

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chitektur das Historische vermisst, unterstreicht für Dw die als „schlicht“ wahrgenommene Ausstellungsgestaltung gerade das „Bedrückende“ des Orts. Resümierend ist hervorzuheben, dass sich die Schülerinnen und Schüler in ihren Fragen nach Leben und Sterben im Konzentrationslager Neuengamme nicht nur auf die Ausstellung, sondern auch auf das Außengelände beziehen. Beide Bereiche der Gedenkstätte sind fester Bestandteil der Führungen. Wenn sie das Ausstellungsgebäude in dessen heutiger Repräsentation diskutieren, ziehen sie Vergleiche zu dessen ursprünglicher Funktion als Häftlingsunterkunft. So werden das Haus oder einzelne Räume, die für die Ausstellung entsprechend umgestaltet wurden, von den Jugendlichen ebenso auf ihre Historizität und Authentizität befragt wie das historische Lagergelände selbst. Die Jugendlichen suchen in der Gedenkstätte Anhaltspunkte für das Leiden der Häftlinge, wobei die Topografie auf den ersten Blick jedoch, wie es die Schülerin Tatjana formuliert, eher an einen „Park“ erinnere oder, so die Gruppe NeI, „ausstellungsmäßig“ wirke. Die jungen Besucherinnen und Besucher erwarten, die Gruppe NeI hat das beispielhaft formuliert, mehr „Gebäude“, die sich auch physisch-sensorisch erleben lassen. Sie sind auf der Suche nach den architektonischen Relikten des Konzentrationslagers („durch die man durchgeht“), die den Häftlingsalltag gegenständlich vermitteln sollen. Die Jugendlichen erwarten von dem Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers vor allem eine bestimmte „Atmosphäre“ und die damit verbundenen Gefühlsqualitäten. Während das Außengelände auch in seiner heutigen Form „hautnah“ auf sie wirke, wie es in der Gruppe NeII heißt, gilt dies für die Ausstellung anscheinend nicht. Dieser wird vielmehr der Zweck der nüchternen Wissensvermittlung zugesprochen, eine Funktion, die von den Jugendlichen im Klassenverband allerdings durchaus als wichtig erkannt wird. 5.2.3 Geschichtsvermittlung im Vergleich: Ausstellung und Klassenzimmer Die Befragung von Schülerinnen und Schülern in allen drei Gedenkstätten hat ergeben, dass die Jugendlichen den Ausstellungsbesuch als deutliches Kontrastprogramm zum herkömmlichen Geschichtsunterricht im Klassenzimmer wahrnehmen. Immer wieder kommen sie auf die Unterschiede zwischen den Formen der Geschichtsvermittlung zu sprechen. Um den Besuch in der Gedenkstätte vom vermeintlich rein faktualen Schulunterricht abzugrenzen, wird oft auf Ausdrücke wie ‚Atmosphäre‘ und ‚Anschaulichkeit‘ zurückgegriffen. Im Folgenden wird diese Gegenüberstellung anhand exemplarischer Gesprächssequenzen verdeutlicht.

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Die Rezeption eines Gedenkstättenbesuchs unterscheidet sich bei den Teilnehmenden der Gruppendiskussion DeI am Denkmal ganz deutlich von der Rezeption ihres Schulunterrichts. Zu Beginn der Diskussion bringt der Schüler Cm den Gegensatz zwischen im musealen Raum präsentierten Quellen, die während des Besuchs des Orts der Information entdeckt und erfahren wurden, und der Aneignung von Geschichte im schulischen Rahmen auf die Formel ‚Menschen und Zahlen‘: Cm: Diese Zeitleiste am Anfang, die wirkte schon irgendwie wie aus dem Geschichtsbuch, es wirkte nicht so real, die Beispiele mit den Personen, das hat dann irgendwie mehr so einen Realitätsbezug. Man fühlt sich dann eher auch irgendwie verbunden mit denen. Man merkt, dass es auch echte Menschen sind und nicht einfach sture Zahlen.

In der Beschreibung seines Besuchseindrucks von der Ausstellung am Denkmal setzt der Schüler die ‚Zeitleiste‘ im einführenden Foyer mit einem „Geschichtsbuch“ gleich und grenzt davon die Präsentation in den Themenräumen ab, in denen er „Beispiele mit den Personen“ wahrgenommen habe. Den Realitätsbezug, den er als emotionale und kognitive Qualität für die Ausstellungsräume beschreibt und den er in dem Satz „Man merkt, dass es auch echte Menschen sind und nicht einfach sture Zahlen“ prägnant zusammenfasst, gesteht er der ‚Zeitleiste‘ und damit dem Geschichtsbuch nicht zu. Auch wenn der Schüler zweifellos schon vor seinem Besuch – eben aus dem Schulunterricht – wusste, dass es sich bei den ermordeten Jüdinnen und Juden um „echte Menschen“ handelt, gesteht er die Vermittlung dieser Einsicht nicht der Institution Schule, sondern einzig dem Ort der Information zu. Im weiteren Verlauf der Gruppendiskussion schließt die Schülerin Aw an die Beschreibung von Cm an und kontrastiert das ‚Schulbuch‘ als Symbol für nüchtern-distanzierten Geschichtsunterricht im Klassenzimmer mit dem Begriff ‚Menschen‘ als Symbol für in der Gedenkstätte geleistete lebendige Vermittlung der Vergangenheit: Aw: Was mich an dem Schulbuch so stört, die Quellentexte sind ja auch dazu da, zu verdeutlichen, was da so passiert ist in der Zeit, und bei uns sind die Quellentexte, die beziehen sich immer nur auf die Regierungssachen und nicht auf die Menschen und wie die darunter leiden, es geht immer nur darum, die Ansprache von Hitler (.) und das ist ja auch alles ganz wichtig, will ich auch nicht schlechtreden, aber es ist nichts dabei, wo man von Menschen Kommentare erhält, wie die das so sehen, es sind immer nur bedeutende Menschen, die man kennen sollte, oder?

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Cm: man bekommt nicht das Gefühl, wie es wirklich in der Zeit war zu leben, sondern nur was passiert ist und nicht wie das subjektiv empfunden wurde.

Weder das „Schulbuch“ noch die darin abgedruckten „Quellentexte“ scheinen der Schülerin Aw eine subjektive und für sie attraktive Annäherung an historische Ereignisse zu ermöglichen. Diese konventionellen Mittel der Geschichtsvermittlung bezögen sich, so die Schülerin, auf die politische Struktur und nicht auf die darunter leidenden Menschen. Die Auswirkungen der historischen Ereignisse auf den Einzelnen würden ihr dagegen beim Besuch der Präsentation im Ort der Information deutlich werden.57 Auch die anderen Teilnehmenden der Gruppe DeI beziehen sich positiv auf die Ausstellung, in der das Schicksal einzelner Holocaust-Opfer sichtbar gemacht wird, während die Täter nur im Hintergrund vorkommen. Die Erfahrungen ‚ganz normaler‘ Menschen und ihre individuellen Perspektiven auf Verfolgung und Vernichtung werden in der Schule vermisst und am Denkmal anscheinend gefunden. Am Ende der Diskussionseinheit unterstreicht Cm, es sei die Aufgabe der Schule, historische Fakten zu vermitteln, während Ausstellungen zu vermitteln hätten, „wie das wirklich in der Zeit war zu leben“. Auf diese Weise erfüllt der von den Jugendlichen positiv besetzte Ort der Information also nicht zuletzt auch die Funktion eines wirkungsvollen Kritikmittels am schulischen Alltag. Die meisten Jugendlichen, die die KZ-Gedenkstätte Neuengamme besuchen, unterscheiden weniger zwischen Schulunterricht und den in der Ausstellung vermittelten Inhalten als vielmehr zwischen Schule und dem Charakter der Gedenkstätte als authentischer Ort. Über ihr Gesamterlebnis der KZ-Gedenkstätte Neuengamme sagen Schülerinnen der Gruppe NeII: Aw: Ich finde dieses Thema sowieso immer interessant, letztendlich egal, welchen Lehrer man hat, aber es ist, also Frau Blau [Name geändert] macht das schon ganz gut, sie hat auch verschiedene Materialien, wir haben uns neulich einen Film angeguckt, von Hitler, bei der Rede im Berliner Sportpalast oder so war das, glaube ich Dw:

└@Olympia@

Aw: das fand ich interessant, solche verschiedenen Medien und Dokumente verdeutlichen einfach noch mal das, was man bespricht. Aber teilweise ist es auch relativ langweilig, weil man einfach einen Text bekommt und den zusammenfasst oder so, dann wird so

57 Denis formuliert seine gegensätzliche Wahrnehmung von Schulunterricht und Denkmalbesuch ähnlich: „In der Schule sprechen wir meistens über die Kriege, über die politische Situation damals, das langweilt mich eher schon. Wie es damals war, wie sich die Opfer gefühlt haben, das fand ich schon viel interessanter.“

282 | I NDIVIDUUM UND M ASSE das Eigentliche, finde ich, also das Wichtigste an dem Thema, was man daraus mitnimmt, so was wie die Atmosphäre von damals und wie schrecklich das hier war, wird dadurch nicht richtig dargestellt, sondern einfach so objektiv die geschichtlichen Hintergründe. Bw: deswegen finde ich auch wichtig, dass man hierher fährt und sich das dann richtig anschaut.

Diese Diskussionseinheit, die von der Schülerin Aw getragen wird, betont, wie wichtig in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ein Nachempfinden von Atmosphäre sei. Während der Besuch der KZ-Gedenkstätte eine solche vermittle, stünden in der Schule nicht die Lebensbedingungen der Häftlinge im Vordergrund, sondern allgemeine Informationen. Der Unterrichtsstil der Lehrerin wird zwar nicht abgelehnt, sondern als interessant beurteilt. Die schulische Textarbeit sei jedoch zu objektiv, was als Gegensatz zu ihrem eigenen subjektiven Erleben der KZ-Gedenkstätte gelesen werden kann. Die besondere Atmosphäre des historischen Geschichtsorts im Unterschied zum Schulunterricht betont auch Timon, der die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz besucht: T:

Ja, dass das deutlich wird, dass man sich das besser vorstellen kann. Auszüge aus

dem Protokoll hatten wir zum Thema und Texte aus Geschichtsbüchern, und jetzt ist man mal hier drin, jetzt hat man gesehen, was die für eine Atmosphäre hatten, wie das alles aussah, was die besprochen haben, noch mal genau, wer alles mit dabei war, mit welchem Hintergrund und wie es zu der Konferenz gekommen ist. Das ist immer was anderes, das trocken mit Zetteln und Büchern zu behandeln oder selbst mal da gewesen zu sein, wo so was besprochen wurde. […] Vor allem die Atmosphäre im Unterricht ist natürlich eine ganz andere. Hier kann man sich zum Teil als stiller Beobachter in die Zeit zurückversetzen, und man weiß, wie es aussieht, als ob man schon fast dabei steht und zuguckt, wie die das besprochen haben, und im Unterricht hat man den Klassenraum, man sitzt neben den Leuten, hört vielleicht mal grade nicht zu oder so, das ist anders.

Seine Erwartungen an den Besuch der Gedenkstätte schildert Timon im Kontrast zum Schulunterricht, in dessen Rahmen er die Wannsee-Konferenz bereits behandelt hat. Dabei spürt er der „Atmosphäre“ des historischen Täterorts nach, von der er annimmt, dass die Konferenzteilnehmenden diese in ähnlicher Weise erlebt hätten. Anders als die historische Wannsee-Villa wird das Klassenzimmer als ein Ort wahrgenommen, an dem Aufmerksamkeit und Interesse an der Geschichte nicht besonders angesprochen werden. Die Wirkung der Gedenkstätte als Originalschauplatz der Geschichte und die Anschaulichkeit des historischen Konferenzraums hingegen erlauben es dem Schüler, sich hier „als stiller Be-

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obachter“ des Ereignisses zu fühlen und sich „in die Zeit zurück[zu]versetzen“. Timon findet einen emotionalen Zugang zu dem, was der Schulunterricht ihm nur kognitiv zu vermitteln scheint. In der Gedenkstätte ‚erlebt‘ er die Geschichte. In den Interviews und Gruppendiskussionen wird deutlich, dass der Gedenkstättenbesuch gegenüber dem Schulunterricht als besonders anschaulich erlebt wird. In der Kontrastierung der Rezeptionen der drei unterschiedlichen Gedenkorte zeigt sich zudem, dass sowohl in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme als auch in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz die Anschaulichkeit am historischen Ort selbst festgemacht wird. Beim Denkmal für die ermordeten Juden Europas hingegen ermöglichen zuvorderst die Erinnerungsberichte der Verfolgten, also die in der Ausstellung präsentierten persönlichen Quellen, den Jugendlichen eine anschauliche Geschichtsvermittlung und vermitteln jenes Gefühl, das sie in der schulischen Behandlung von Nationalsozialismus und Holocaust vermissen. Im Rahmen der Untersuchung des Rezeptionsverhaltens von Schülerinnen und Schülern konnten auch zwei Lehrkräfte für Geschichte für ein Interview gewonnen werden, in dem sie jeweils über ihre Motive für die von ihnen initiierten Gedenkstättenexkursionen zur Wannsee-Villa Auskunft gaben. Zunächst fällt auf, dass auch die beiden Lehrkräfte Frau Rot58 und Herr Grün59 die Gedenkstättenausstellung für eine besonders anschauliche Alternative zum Geschichtsunterricht im Klassenzimmer halten. Die Lehrerin Rot spricht über ihre guten Erfahrungen mit den Tagesexkursionen in die Gedenkstätte am Berliner Wannsee. Für viele Schülerinnen und Schüler sei es etwas Neues, eine Ausstellung zu besuchen („Viele Schüler kennen das gar nicht, in eine Ausstellung zu gehen“). Sie betont die besondere Form der Wissensvermittlung an dem Gedenkort („dass sie sich auch so geehrt fühlen, so in einer Ausstellung zu sitzen und da so halbwissenschaftlich zu arbeiten und in Ruhe sich in diesen Räumlichkeiten zu bewegen“). Und schließt an:

58 Frau Rot (Name geändert) unterrichtet an einem Berliner Gymnasium und organisiert seit ihrer Referendariatszeit Exkursionen in das Haus der Wannsee-Konferenz. Ich treffe die Lehrerin am 23.11.2009 zum Interview in ihrer Schule. 59 Herr Grün (Name geändert) unterrichtet an einer Berliner Realschule und organisiert seit 1991 jährlich für Schülerinnen und Schüler der zehnten Jahrgangsstufe eine einwöchige Studienfahrt in die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Die Vorbereitung auf die Fahrt schließt den Besuch des Hauses der Wannsee-Konferenz ein, wo die Schülerinnen und Schüler an einem Workshop teilnehmen. Das Interview mit dem Lehrer führe ich am 19.11.2009 in seiner Schule.

284 | I NDIVIDUUM UND M ASSE Rot: Ich mache das regelmäßig mit jeder Gruppe, was da vermittelt wird, kann ich so im Unterricht niemals vermitteln. Erstmal ist es so dieses Gefühl, sich in den OriginalRäumlichkeiten zu bewegen und zu wissen, das ist hier wirklich beschlossen worden, das gibt dieser Geschichte eine ganz andere Dimension. […] Im Unterricht ist das ein Thema von vielen, während wenn ich rausgehe aus der Schule, hat das eine andere Qualität und ist was Besonderes. Das bleibt anders im Kopf hängen, als wenn ich Bücher zeige. […] Ich schließe von mir auf andere, wenn ich mich in bestimmten Räumen befinde und mir klar mache, hier hat was stattgefunden, dann ist das was anderes, als wenn ich das vor die Nase gehalten bekomme durch ein Foto. Das wird nicht allen Schülern so gehen, aber dass man vielleicht so einen Ansatz davon vermittelt.

Frau Rot bewertet den Besuch der Gedenkstätte unter dem Aspekt der Effektivität und Wissensvermittlung. Dabei betont sie, wie die Schülerinnen und Schüler auch, eine durch das historische Gebäude evozierte, besondere Gefühle ansprechende Vermittlungssituation.60 In den Unterricht Abwechslung zu bringen und das Schulgebäude zu verlassen, wandle den Holocaust, in der Schulrealität „ein Thema unter vielen“, in etwas „Besonderes“, das sich durch den Besuch der Gedenkstätte eher einpräge. Auch der Geschichtslehrer Grün erlebt seine Schülerinnen und Schüler im Haus der Wannsee-Konferenz anders als in der Schule: Sie seien „zurückhaltender“, und auch die im Unterricht „Unruhigen“ oder „Unkonzentrierten“ zeigten in der Gedenkstätte eine „ganz erstaunlich hohe Bereitschaft, „ernsthaft über einen für sie ungewohnt langen Zeitraum […] zu arbeiten. Das ist schon ein ganz deutlicher Unterschied.“ Wie seine Kollegin Rot ist auch Herr Grün auf die Anschaulichkeit und die mit einem Gedenkstättenbesuch verbundenen Gefühlsqualitäten zu sprechen gekommen. Dabei ist die Abgrenzung von der Wissensvermittlung im Schulunterricht bewusst intendiert und wird nicht mit einer Wertung verbunden. In der folgenden Ausführung bezieht sich Grün auf die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau: Grün:

Betroffenheit und Emotionalität, das ist eben ein Effekt, den man in der Schule,

im normalen Geschichtsunterricht nicht haben kann, ich kann denen zwar alles Mögliche erzählen, was da passiert ist, das finden sie auch schockierend, aber das ist doch eben eine

60 Möglicherweise geht Frau Rot trotz ihrer langjährigen Besuche der Wannsee-Villa davon aus, am Wannsee sei die Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden „beschlossen“ worden. Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, falsche Geschichtsannahmen nicht nur in den Gedenkstätten und in der Schule zu dekonstruieren, sondern auch in der Ausbildung der Lehrkräfte selbst.

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deutlich distanziertere Ebene als das eigene Erleben, die eigene Anschaulichkeit. Auch im Hinblick auf etwas längerfristige Wirkungen, das erreicht man eben durch die Emotionalität.

Auch Herr Grün betont besondere Gefühlsqualitäten, „Betroffenheit und Emotionalität“, die er Gedenkstätten im Gegensatz zum Schulunterricht zuspricht. Durch Anschaulichkeit und dadurch evozierte Emotionen, diese Ansicht teilt er mit Lehrerin Rot, präge sich der Themenkomplex Nationalsozialismus eher ein. Gedenkstätten und ihre Ausstellungsbereiche, so lässt sich zusammenfassen, werden von Schulgruppen in erster Linie in ihrer Funktion als Bildungsorte aufgesucht – Bildungseinrichtungen, denen zugleich die Funktion zugesprochen wird, das Gedenken an die Opfer der deutschen Massenverbrechen lebendig zu halten. Dabei erwarten aber sowohl die Jugendlichen als auch ihre Lehrkräfte von den Gedenkstätten, dass sie ihre Bildungs- und Aufklärungsfunktion durch eine besonders anschauliche und affektive Geschichtsvermittlung erfüllen und auf diese Weise etwas anderes als die Institution Schule leisten. Die oftmals dichotome öffentliche Wahrnehmung von Schule einerseits und Gedenkstätte andererseits kann mit Verena Haug als die Dichotomie von kognitivem und affektivem Lernen (vgl. Haug 2004, 254) zusammengefasst werden. Gedenkstätten liegen außerhalb der Schule; ihr Besuch stellt zunächst eine willkommene Abwechslung für die meisten Jugendlichen und Lehrkräfte dar. Darüber hinaus scheint es aber die als besonders empfundene Qualität der Wissensvermittlung von Gedenkstätten und ihren Ausstellungsbereichen zu sein, die den Schulunterricht als Gegensatz begründet. Da sich Lehrkräfte und Jugendliche in ihrer Wahrnehmung der Gedenkstätte als authentischer Ort nicht stark unterscheiden, drängt sich die Frage auf, inwiefern die gegensätzliche Wahrnehmung von Klassenzimmer einerseits und Ausstellung andererseits von den Lehrkräften selbst beeinflusst ist. Vermuten lässt sich, dass Schülerinnen und Schüler bereits im Vorfeld ihres Gedenkstättenbesuchs vermittelt bekommen, in den Gedenkstätten und ihren Ausstellungsbereichen auf eine besondere Form der Wissensvermittlung – anschaulich und gedenkend – zu treffen.

5.3 S CHULE

ALS

B EDINGUNG

DER

R EZEPTION

Da sich die vorliegende Rezeptionsuntersuchung auf Jugendliche konzentriert, die die Ausstellungen im Rahmen des Schulunterrichts besuchen, wird an dieser Stelle ein Schlaglicht auf die Institution Schule als Ort der Auseinandersetzung

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mit Nationalsozialismus und Holocaust geworfen. Gefragt wird, inwiefern der Schulunterricht ein wesentlicher Faktor ist, der die Wahrnehmung von Gedenkstätten und ihren Ausstellungen bedingt. Heute gibt es einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens darüber, dass Schule „die Aufgabe übertragen wird, zentraler gesellschaftlicher Erinnerungsund Lernort zu sein“ (Meseth/Proske/Radke 2004, 11; vgl. Heyl/Abram 1996, 7). Woran aber, so ließe sich etwas polemisch fragen, sollen sich heutige Schülerinnen und Schüler überhaupt „erinnern“ – und mehr noch, wie soll das im Modus der Wissensvermittlung gelingen? Im Berliner Schulgesetz heißt es, Ziel solle „die Heranbildung von Persönlichkeiten sein, welche fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten“ (Senatsverwaltung 2010, 9).61 Was heute als selbstverständlicher Erziehungsauftrag gilt, wurde nicht immer als solcher akzeptiert. Angestoßen durch die Re-Education-Politik der Alliierten, auf die die Anfänge der bundesdeutschen Bildungspolitik nach 1945 zurückgehen (vgl. Ehmann/Rathenow 2000, 26-28), stießen die wenigen engagierten Pädagoginnen und Pädagogen in den ersten Jahren der Bundesrepublik noch auf erheblichen Widerstand bei Eltern und Jugendlichen, wenn sie den Nationalsozialismus thematisierten (vgl. Dudek 1996, 477). Der erste grundlegende Beschluss zur „Behandlung der jüngsten Vergangenheit im Geschichts- und gemeinschaftskundlichen Unterricht in den Schulen“ wurde im Februar 1960 erlassen, motiviert durch ein aktuelles Ereignis: die Synagogenschändung in Köln am 24. Dezember 1959 (vgl. Heyl 1996, 108f.). Der Beschluss – ebenso wie die nachfolgenden kultusministeriellen Erlasse über die Behandlung von Nationalsozialismus und Holocaust in der Schule62 – spiegelt eine gesellschaftliche Prämisse wider, die sich in dem memorialen Imperativ des ‚Nie wieder‘ in nuce ausdrückt: Eine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit wird dabei an gegenwartsund zukunftsbezogene Handlungsaufforderungen geknüpft (vgl. Hollstein et al. 2002, 12f.). So werden zum Beispiel im Berliner Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I „Gegenwarts- und Zukunftsbezüge“ als Lernziele des Geschichtsunterrichts herausgestellt (Senatsverwaltung 2006a, 38). ‚Lernen aus der Geschichte‘ wird nicht nur als Wissensvermittlung verstanden, sondern zielt auf eine moralische Positionierung gegenüber den Massenverbrechen, wobei die konkreten

61 Siehe Kap. 5.1. 62 Erlass über die ‚Behandlung des Nationalsozialismus im Unterricht‘ von 1978, Erlass über die ‚Behandlung des Widerstandes in der NS-Zeit‘ von 1980 und Erlass des Sekretariats der Ständigen Konferenz der Kultusminister ‚Zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der Schule‘ aus dem Jahr 1997 (vgl. Kenkmann 2008, 5).

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Schlussfolgerungen allerdings häufig diffus und gesellschaftlich umstritten sind (vgl. Hollstein et al. 2002, 13f.). Auch die interviewten Lehrkräfte Grün und Rot geben dem ‚Nie wieder‘ ganz unterschiedliche Bedeutungen. Herr Grün beschreibt die Lernziele seines Geschichtsunterrichts wie folgt: Grün: Einmal natürlich ein Wissen und die Hoffnung, dass durch das Bearbeiten des Themas Nationalsozialismus unser Gesellschaftssystem den Schülern näher ins Bewusstsein rückt, nicht alles einfach so gottgegeben hinzunehmen, sondern eben auch eventuell sich zu überlegen: Wo lebe ich denn heute, welche anderen Bedingungen habe ich und warum habe ich andere Bedingungen? Aber das sind Dinge, die wünsche ich mir, und da arbeite ich auch hinzu, aber ich kann es nicht überprüfen, das sind langfristige Einstellungsänderungen.

Der Lehrer verbindet also die schulische Wissensvermittlung über Nationalsozialismus und Holocaust mit dem Wunsch nach einer moralischen Positionierung seiner ‚Zöglinge‘ in der Gegenwart. Auffällig ist, dass dabei die nationalsozialistische Vergangenheit als das ‚Andere‘ des bundesdeutschen Gesellschaftssystems erscheint. Während Herr Grün sich am Nationalsozialismus im Sinne einer Negativfolie für die Gegenwart orientiert, führt Lehrerin Rot in diesem Zusammenhang andere Unterrichtsziele an: Rot: Unterrichtsziel ist letztendlich das kritische Hinterfragen von sämtlichen Vorurteilen, Rassismen, um eben für die Zukunft eine bessere Gesellschaft zu gewinnen, wenn man das so global sagen darf, empfindlicher zu werden gegenüber Ausgrenzung und Rassismen. Die Mechanismen von damals sind ja im Prinzip dieselben wie heute. Also wodurch entstehen Vorurteile und welche Funktion haben sie? Das ist ja damals wie heute nicht anders, und das eben zu erkennen, zu reflektieren, wohin das führen könnte theoretisch und dem etwas entgegenzusetzen.

Frau Rot möchte mit ihrem Geschichtsunterricht ebenfalls in die Gegenwart und Zukunft hineinwirken. Sie setzt die Gegenwart aber nicht wie ihr Kollege im Interview einfach als positiven Kontrast zur NS-Vergangenheit, sondern betont, dass Ausgrenzung und Rassismen als Mechanismen in der heutigen Gesellschaft weiter wirksam seien und dass es diese zu erkennen gelte. Der Imperativ ‚Nie wieder‘ ist heute fester Bestandteil der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Das manifestiert sich nicht nur in einer Vielzahl von Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, sondern zeigt sich auch darin, „dass die Behandlung des Nationalsozialismus seit Jahr-

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zehnten in den Lehrplänen aller Bundesländer festgeschrieben ist“ (Knigge 2002, 36). Die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen in Deutschland sei, so Knigge weiter, „Teil der nationalen Erziehung geworden“. Der Wunsch, Jugendliche mögen ans Heute anknüpfen, müsse jedoch mit richtigen Lerninhalten unterfüttert werden, nicht mit Appellen. Für jüngere Menschen bedeute die Akzeptanzverschiebung – vom Widerstand gegen die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit hin zur breiten gesellschaftlichen Akzeptanz derselben –, dass die Beschäftigung mit Nationalsozialismus und Holocaust „mehr oder weniger konventionell“ geworden sei. Die Geschichte des Nationalsozialismus habe „nicht mehr den Status eines dem Verschweigen entrissenen Themas“, für das es eine „entschiedene Haltung“ brauche, es werde vielmehr „obligatorisch behandelt, d. h. mit mehr oder weniger großem – oder auch gar keinem – Engagement“ (ebd.). Die vorliegende Rezeptionsuntersuchung bestätigt diesen Befund über die gegenwärtige Aneignung des Holocaust weitgehend (siehe insb. Kap. 5.1). Auch die Herausgeber des Sammelbandes Schule und Nationalsozialismus verweisen auf die Selbstverständlichkeit, die die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Gesellschaft mittlerweile erfahre. Für den Geschichtsunterricht bedeute dies, dass ihm heute die Aufgabe zukomme, „den spezifischen Inhalt nationalen Selbstverständnisses der Bundesrepublik in den nachwachsenden Generationen zu verankern“ (Meseth/Proske/Radke 2004, 95). Die wachsende Bedeutung, die der Institution Schule bei der Aneignung der nationalsozialistischen Vergangenheit zugeschrieben wird, resultiert hauptsächlich aus dem zunehmenden zeitlichen Abstand vom historischen Geschehen und aus der Tatsache, dass mit der „Erfahrungsgeneration […] nicht nur die lebendige Vetoinstanz gegen rein historiografische Formen der Darstellung und Deutung dieser Vergangenheit, sondern auch das letzte Element ihrer unmittelbaren Präsenz“ (Knigge 2002, 37) verschwindet. Da weder die Jugendlichen noch ihre Eltern die Zeitspanne 1933 bis 1945 persönlich erlebt haben, erscheinen Nationalsozialismus und Holocaust „den heutigen Jugendlichen der Enkelgeneration bereits als ein historisches Thema, zu dem sie nur noch einen abgeschwächten biografischen Bezug haben. Ihnen begegnet die NS-Geschichte als didaktisch aufbereiteter Lerngegenstand in der Schule, als private Erzählung in der Familie und massenmedial inszeniert im Kino oder im Fernsehen.“ (Meseth/Proske/Radke 2004, 10)

Neben Ausstellungen, Filmen und Literatur ist also auch die Institution Schule ein Medium, dessen Bedeutung für die Vermittlung von Nationalsozialismus und

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Holocaust wächst. So prägt der schulische Rahmen die Wahrnehmung der Gedenkstättenbesuche von Jugendlichen im Klassenverband ganz entscheidend mit (vgl. Haug 2004). Schule verstanden als struktureller Rahmen der Vermittlung von Nationalsozialismus und Holocaust hat zwei zentrale gesellschaftliche Aufgaben: Wissensvermittlung und Auswahl für den Arbeitsmarkt (vgl. Hollstein et al. 2002, 19). Die Nachdrücklichkeit, mit der die Schülerinnen und Schüler in den Interviews und Gruppendiskussionen ihre Besuchseindrücke in den Zusammenhang von Wissensvermittlung stellen, gibt einen Hinweis darauf, dass sie ihren Besuch immer auch als schulische Unterrichtsveranstaltung erleben. Die Jugendlichen werden klassenweise an die Gedenkstätten herangeführt und dieses Heranführen ist ein integrativer Teil des Unterrichts. Im Unterricht erfolgt die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust entlang den Vorgaben der Institution Schule: „Im 45-Minuten-Takt soll abprüf- und benotbares Wissen vermittelt werden. Der Lehrplan diktiert den Stoff, und die Frage, was vermittelt werden soll, bleibt oft genug den Lehrplangestaltern vorbehalten. In der Regel dürfen die Lehrer froh sein, wenn sie den vorgeschriebenen Stoff ‚schaffen‘, und wenn es ihnen – im günstigsten Fall – gelingt, eine größere Zahl von Schülern zur Aneignung dieses Stoffes zu motivieren.“ (Heyl 1996, 72)

Den Faktor Zeit heben auch die beiden Lehrkräfte Grün und Rot hervor. So hält Herr Grün eine Bearbeitung des zu vermittelnden Lehrstoffs in der vorgegebenen Zeit „für so gut wie überhaupt nicht erfüllbar“. Für Geschichte seien zwei Stunden in der Woche vorgesehen, wovon ein Drittel Sozialkunde unterrichtet werden solle, was „überhaupt nicht machbar“ sei. Er verweist im Zusammenhang mit dem Abbau der Stundenanzahl auf die zur Zeit des Interviews umgesetzte Berliner Schulstrukturreform. Auch Frau Rot kommt auf Rahmenlehrpläne und den Faktor Zeit zu sprechen. Für sie seien „zwei Stündchen“ Geschichtsunterricht pro Woche eine „sehr missliche und unbefriedigende Situation“, insbesondere wenn sie merke, „dass die Schüler gerne mehr wissen wollen“. Diese von Frau Rot angeführte schulische Rahmenbedingung ist unabhängig davon, wie engagiert die Lehrerin ist. Beide Lehrkräfte formulieren deutlich, dass das, was vermittelt werden soll, im zur Verfügung stehenden Zeitrahmen nicht vermittelt werden kann. In seinem Aufsatz Unterricht über den Holocaust stellt Falk Pingel (2007) eine Verbindung her zwischen der geringen Stundenzahl, die in europäischen Geschichtscurricula für die Zeit des Nationalsozialismus vorgesehen ist, und der häufigen Nichtthematisierung jüdischen Lebens vor der Verfolgung und Ermordung. Da die Geschichtscurricula in der Regel chronologisch aufgebaut seien

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und das 20. Jahrhundert in der achten, neunten oder zehnten Klasse erreicht werde, stünden für den Nationalsozialismus „im Höchstfall 10 bis 20 Stunden zur Verfügung, von denen wiederum nur ein Anteil – oft der geringere – auf die Behandlung des Holocaust“ (Pingel 2007, 18) entfalle. Die Schulbücher, aber auch der Unterricht selbst, konzentrierten sich aufgrund der knappen Unterrichtszeit, die für die Behandlung der Verfolgung und Ermordung des europäischen Judentums zur Verfügung stehe, auf die „schlimmsten Abschnitte dieser Geschichte“. In der Unterrichtspraxis bestehe kaum Möglichkeit, so Pingel weiter, „die einzelnen Schritte von Diskriminierung und Ausgrenzung bis hin zur Vernichtung darzustellen. Von vorneherein stehen Juden und nationalsozialistische Gesellschaft sich feindlich gegenüber“. Deutsche wie auch österreichische und italienische Lehrbücher bildeten hier eine Ausnahme, da sie auch die Vorgeschichte der Emanzipation und des Antisemitismus behandelten; diese Themen würden im Unterricht aber oft übergangen, da die Lehrenden häufig der Ansicht seien, auf die Verfolgung der Jüdinnen und Juden werde man „hinreichend ausführlich beim Thema ‚Nationalsozialismus‘ zu sprechen“ kommen: „So wird die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung oft eingeführt, ohne an Vorkenntnisse zur Geschichte der Juden in Europa anknüpfen zu können“ (ebd.). Folgt man Pingel – und die im Untersuchungsverlauf eingesammelten Äußerungen von Lehrkräften und ihren ‚Zöglingen‘ unterstreichen seine Einschätzung größtenteils –, ist es durchaus zu begrüßen, wenn Gedenkstättenausstellungen anhand von personalisierenden Präsentationsformen versuchen, einen Eindruck jüdischen Lebens in Europa vor Verfolgung und Mord zu vermitteln. Auch wenn Exkursionen zu Gedenkstätten den Geschichtsunterricht nicht ersetzen können, stellen sie doch eine Möglichkeit dar, den Jugendlichen wichtige Aspekte näherzubringen, die ihr Verständnis über den Holocaust ergänzen können. Engagierte Lehrkräfte mögen in der Lage sein, Vorurteile als Ein- und Ausschlussmechanismen und den Vernichtungsantisemitismus als ‚Zuspitzung‘ vermitteln zu können, doch angesichts der formalen und inhaltlichen Anpassung der Geschichte des Nationalsozialismus an das curriculare Gefüge der Institution Schule ist es nicht erstaunlich, wenn nur wenige Schulgruppen die Gedenkstätten inhaltlich gut vorbereitet besuchen. Ein weiterer Grund ist aber auch darin zu sehen, dass viele Lehrkräfte den Gedenkstättenbesuch offenkundig als Unterrichtsersatz begreifen – eine Einstellung, die sich auch bei Frau Rot findet: „Wir haben die NS-Zeit im Unterricht durchgenommen […]. Aber was ich dann auslasse, ist die Geschichte des Holocaust. Das lasse ich im Unterricht weg, weil ich finde, dass die Ausstellung so gut ist, dass ich es überflüssig finde, irgendwelche Dinge doppelt zu machen.“ Hier ließe sich mithin davon sprechen, dass die

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Vermittlung bestimmter Unterrichtsinhalte an ‚Gedenkstättenexperten‘ übertragen wird. Die inhaltliche Vor- und Nachbereitung des Gedenkstättenbesuchs fällt in den Klassen der hier vorliegenden Stichprobe unterschiedlich aus, wobei Schulform und Klassenstufe keine Rolle zu spielen scheinen. Selten ist der Gedenkstättenbesuch der Einstieg in die schulische Behandlung von Nationalsozialismus und Holocaust. Weit häufiger berichten die Jugendlichen, dass sie das Thema zwar in der Schule durchgenommen hätten, den besonderen Gegenstand der jeweiligen Gedenkstätte hingegen nicht. Der Befund trifft besonders auf diejenigen zu, die an einer regulären Überblicksführung teilgenommen haben – dem am häufigsten absolvierten Besuchsmodus. Bei Schulgruppen, die in der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz an einer ‚wechselseitigen Führung‘ partizipierten, fand zwar eine inhaltliche Vorbereitung statt, in der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler führte dies aber nicht zwangsläufig zu einem besseren Verständnis der Ausstellungsinhalte.63 Eine inhaltliche Vor- und Nachbereitung von Gedenkstättenbesuchen wird in der Fachliteratur aber als wichtige Voraussetzung für eine gelungene Exkursion angemahnt. So kommen Klaus Ahlheim und Bardo Heger in ihrer Studie Die unbequeme Vergangenheit zu dem Ergebnis, „dass die Wirkung eines Gedenkstättenbesuchs wesentlich von seiner Vorbereitung“ abhänge (Ahlheim/Heger 2002, 89; siehe auch Ahlheim 2008, 12). Die Autoren argumentieren, „dass Gedenkstättenbesuche – von stets möglichen ‚Aha-Erlebnissen‘ abgesehen – nur im Kontext pädagogischer Interventionen, vor allem längerfristig angelegter historisch-politischer Bildung, sinnvoll“ seien und „nachhaltig“ wirkten (Ahlheim/Heger 2002, 90). Darüber hinaus kommt Ahlheim zu dem Schluss, „dass eine solide Exkursionsvorbereitung in der Schule für die Bedeutung, die die Schülerinnen und Schüler dem Gedenkstättenbesuch beimessen, wichtig“ sei (Ahlheim, 2008, 12). Ein schulischer Gedenkstättenbesuch ist in der Regel obligatorisch und mitunter sogar mit Notengebungen verbunden. Dies steht im deutlichen Gegensatz zu den Besuchsmotivationen von Einzelpersonen, mit denen ich Interviews führen konnte.64 Auch wenn sich die Jugendlichen für die deutsche NS-Vergangen-

63 Zum Zeitpunkt der empirischen Erhebung war das Haus der Wannsee-Konferenz die einzige der untersuchten Gedenkstätten, die im Vorfeld des Besuchs Materialien an die Schulen ausgeteilt hatte. 64 Die folgende Zusammenfassung gibt einen Überblick über das breite Spektrum an unterschiedlichen Besuchsmotivationen (die Namen wurden geändert): In Neuengamme gab der 53-jährige Henrik Larson aus Norwegen als Motivation seinen Vater an, der als Häftling in Neuengamme gewesen war, sowie sein allgemeines Geschichtsinteres-

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heit interessieren, haben sie weder auf die Auswahl der zu besuchenden Gedenkstätten und Museen noch auf die Programmgestaltung ihrer Klassenfahrten einen nennenswerten Einfluss. Schule und schulische Exkursionen sind Pflichtveranstaltungen, wobei, was den Einfluss der Jugendlichen angeht, die Klassenstufe bzw. Schulform mitunter ausschlaggebend ist: Während in der gymnasialen Oberstufe manchmal über die zu besuchenden Gedenkstätten abgestimmt wird, scheint das bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I nicht der Fall zu sein. Ein Pflichttermin aber, so der Befund, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Jugendlichen dem Gedenkstättenbesuch desinteressiert folgen. Allerdings ist zu vermuten, dass die Schülerinnen und Schüler, wenn sie über die Exkursionsplanung mitbestimmen könnten, interessierter und motivierter wären und ihrem Gedenkstättenbesuch eine höhere Bedeutung beimessen würden.

5.4 R EZEPTIONSWEISEN VON P ERSONALISIERUNGEN Im Vorstehenden sind die Ergebnisse der Rezeptionsuntersuchung für die Präsentationen im Ort der Information, im Haus der Wannsee-Konferenz und in Neuengamme vor- und gegenübergestellt worden. Dabei haben sich unterschiedliche Orientierungen in den Rezeptionsweisen gezeigt – sowohl gedenkstätten-

se. Die 59-jährige Annette Müller hingegen wurde von einem Bekannten zum Besuch gedrängt; sie habe zwar schon viel über den Nationalsozialismus gelesen, sei aber noch nicht in einer KZ-Gedenkstätte gewesen, und das müsse man, so Frau Müller, einfach mal gesehen haben. Im Haus der Wannsee-Konferenz gab der 44-jährige Bernd Karfski an, mit seiner Frau ein schönes Wochenende zum Valentinstag in Potsdam zu verbringen und die Villa zu besuchen, die er aus seiner Zeit als Student von Weitem immer gesehen habe. Die 59-jährige Emma Curran, ehemalige Religions- und Geschichtslehrerin aus England, hingegen begleitete als Guide eines pädagogischen Unternehmens Schülerinnen und Schüler in die Gedenkstätte. Das Denkmal gehöre zu den Museen in Berlin, die der 67-jährige Stefan Kampner mit seiner Frau schon lange besuchen wollte, da er die öffentliche Diskussion um dessen Entstehung verfolgt habe und architekturinteressiert sei. Die 58-jährige Christa Telba aus Finnland gab an, den Ort der Information mit ihrer Bibelschule zu besuchen, da sie das Denkmal schon mehrmals von außen gesehen habe und es zu den Sightseeing-Punkten in Berlin gehöre; diesmal habe sie sich angestellt, um die Ausstellung zu besuchen. Auf eine weitere Auswertung der Besuchseindrücke von Einzelbesuchern und -besucherinnen wurde zugunsten der Zielgruppe ‚Schüler und Schülerinnen‘ verzichtet.

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übergreifend als auch auf die jeweilige Gedenkstätte bezogen. Diese geben auch Aufschluss darüber, inwieweit die Bedeutungen, die Schülerinnen und Schüler den Ausstellungen zuschreiben, mit den konzeptionellen Ansprüchen der Ausstellungen übereinstimmen. Im Wissen darum, auf welche Ausstellungsarrangements sich die Jugendlichen in ihren Beiträgen beziehen, ließen sich drei zusammenhängende Rezeptionsweisen von Selbstzeugnissen und Biografien der Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen empirisch rekonstruieren, die auf den folgenden Seiten genauer in den Blick genommen werden: Zum einen werden solche Berichte als ‚Ausdruck des Persönlichen‘ rezipiert, ferner als ‚Garanten historischer Echtheit‘ und schließlich als ‚neuartige Informationsquellen‘. Neben diesen drei Aspekten geht das vorliegende Kapitel auch noch einmal zusammenfassend auf das Thema ‚Schule als Bedingung der Wahrnehmung‘ ein, und ein abschließender Abschnitt widmet sich der ‚Zeitzeugenbegegnung‘ als einem weiteren wichtigen Faktor, der auf die Rezeption der Jugendlichen Einfluss nimmt. Ausdruck des Persönlichen Von den Augenzeugen- und Erinnerungsberichten in den Gedenkstättenausstellungen erwarten die Jugendlichen eine lebendige und emotionale Vermittlung der historischen Ereignisse. In der Bezugnahme auf die Opfer von Massenvernichtung und KZ-Terror soll diese möglichst unmittelbar sein. Schilderungen des Persönlichen, die sich an Selbstzeugnissen orientieren, werden häufig mit der Artikulation von Gefühlen verbunden, mitunter auch von Anteilnahme. „Heftig“, „krass“, „schlimm“ oder „traurig“ sind wiederkehrende Adjektive, mit denen Schülerinnen oder Schüler ihre Ausstellungseindrücke umschreiben und dabei Emotionen ausdrücken. In dieser Rezeptionsweise von Personalisierung artikuliert sich der Wunsch nach einer möglichst direkten Überlieferung der historischen Ereignisse und insbesondere der Situation der verfolgten Personen. Wie sehr sich der Wunsch nach Nähe und Unmittelbarkeit an die ausgestellten persönlichen Berichte knüpft, wird dort deutlich, wo diese Erwartung enttäuscht wird, so etwa bei den Jugendlichen, die Selbstzeugnisse in den Ausstellungsbereichen vermisst haben. Kritisiert wurde ein Mangel an Selbstzeugnissen auch am Präsentationsmittel ‚Biografiemappe‘, die in Neuengamme die Häftlinge individuell und in Gruppen vorstellt. So hat sich die Gruppe NeI beklagt, die ausgestellten Lebensläufe seien zu unpersönlich, da diese zu wenig „Zitate“ von den porträtierten Personen auswiesen. Die Schülerinnen und Schüler schließen die individualisierenden Ausstellungsarrangements in ihre Besuchseindrücke ein. Dies geschieht nicht nur von Gedenkstätte zu Gedenkstätte unterschiedlich stark, auch schildern die Jugendli-

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chen die historischen Ereignisse, auf deren Darstellung sie in den Gedenkstätten getroffen sind, unterschiedlich facettenreich und ausführlich. Sie knüpfen an die persönlichen Quellen, die die Geschichte(n) im musealen Raum vermitteln, mit allgemeinen Vorstellungen über die NS-Verbrechen an oder abstrahieren von bestimmten in der Ausstellung vorgestellten Personen und vergegenwärtigen sich deren Schicksal eher stereotyp. Im Interview diskutieren sie dann die Ausstellungskonzeption und die ‚Wirkung‘ von Geschichtsvermittlung als Gegensatz von Einzelschicksal und Masse. Wie das Persönliche in den präsentierten Selbstzeugnissen und biografischen Porträts wahrgenommen wird, ist ausstellungsübergreifend abhängig davon, welche Perspektive die Schülerinnen und Schüler dem Ausstellungsgegenstand gegenüber einnehmen. Die Rezeption von Personalisierungen ist aber auch von der Präsentationsweise und von der inhaltlichen Ausrichtung der jeweiligen Gedenkstätte geprägt. So beziehen sich die Schülerinnen und Schüler, die den Ort der Information am Denkmal für die ermordeten Juden Europas besuchen, ausnahmslos und deutlich auf Einzel- und Familienschicksale, die die Präsentation tragen, und sie orientieren sich an der hier hervorgehobenen Perspektive der jüdischen Opfer. Selbstzeugnisse wie Briefe und Postkarten sowie vertonte Augenzeugenberichte sind fester Bezugspunkt ihrer Rezeption; von den Fotos werden nur diejenigen näher besprochen, die an der ‚Zeitleiste‘, dem historischen Überblick 1933-1945, gezeigt werden. Das historische Ereignis, das die Jugendlichen unter der Bezeichnung ‚Holocaust‘ kennen, wird ihnen in dieser Ausstellung aus der jüdischen Perspektive nahegebracht, und es verbleibt in der Rezeption nicht im abstrakten Sprechen über ‚sechs Millionen‘. Die Jugendlichen schließen, wenn auch manchmal eher episodenhaft, in ihre Ausstellungsrezeption persönliche Berichte von Verfolgung und Massenmord in unterschiedlichen Ländern ein. Sie nehmen die Ausrichtung dieses Denkmals, die sowohl am Stelenfeld als auch in der Ausstellung an den Opfern des Holocaust orientiert ist, ausnahmslos wahr. Allerdings variiert dabei, wie bestimmt oder unbestimmt die präsentierten Lebensgeschichten rezipiert werden und wie viel Raum die Einzelgeschichten in den Besuchseindrücken einnehmen. Auffällig am Denkmal ist die unterschiedliche Rezeption von präsentierten Selbstzeugnissen einerseits und Biografien andererseits. So werden die biografischen Darstellungen im ‚Raum der Familien‘ zuvorderst als beispielhafter sozialer Mikrokosmos rezipiert, an dem das Ausmaß und die Totalität der Vernichtung vermittelt werden. Die anhand der Familien dargestellten länderspezifischen Verfolgungssituationen scheinen weniger von Interesse, auch die persönlichen Quellen, aus denen sich die Familienbiografien zusammensetzen, werden kaum erwähnt, noch seltener wird in den Diskussionen und Interviews näher da-

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rauf eingegangen. Zwar tauchen die jüdischen Opfer oftmals auch dann in Form von auseinandergerissenen Familien auf, wenn die Jugendlichen die in anderen Ausstellungssegmenten gezeigten persönlichen Zeugnisse rezipieren. Allerdings vergegenwärtigen sie sich hier die Massenverbrechen – mehr oder weniger facettenreich – entlang einzelner persönlicher Schicksale, die ihre Neugier geweckt haben. Die Ausstellungsthemen, die die Schülerinnen und Schüler dabei beschäftigen, sind in erster Linie ‚Abschied‘, ‚Vernichtung‘ und ‚Überleben‘. Der ‚Weg dahin‘ wird hingegen selten von ihnen thematisiert. Auffällig im Ort der Information ist auch, dass die wiedergegebenen Ausstellungseindrücke deutlich von der eigenen Betroffenheit über die dokumentierten Grausamkeiten geprägt sind. Die Schülerinnen und Schüler, die die ständige Ausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz besucht haben, gehen in ihren Beiträgen mitunter auffallend selten auf personalisierende Repräsentationen der jüdischen Opfer ein, obzwar diese, wenn auch eher zurückhaltend, durchaus in der Ausstellung zu finden sind. Die wenigen Jugendlichen, die Selbstzeugnisse oder Biografien in ihre Rezeption einbeziehen, zeigen sich vom Individuellen jedoch angesprochen. Das wird in längeren Redebeiträgen über personalisierende Sequenzen deutlich, aber auch in der Kritik daran, dass die Präsentation dieser Vermittlungsformen so stark zurückgenommen ist gegenüber den ausgestellten Täterdokumenten. Allerdings ist die Rezeption des Persönlichen zuvorderst davon geprägt, was der Masse der Verfolgten widerfuhr. Den Genozid an den europäischen Jüdinnen und Juden bringen die Schülerinnen und Schüler in ihren Ausführungen mit den Handlungen und Motiven der Täter in Verbindung. Dies geschieht an diesem Täterort zwar vergleichsweise häufig, aber weniger ausgeprägt als in den beiden anderen Gedenkstätten anhand der hier präsentierten Exponate. Das Verbleiben im Allgemeinen in der Auseinandersetzung mit dem Massenmord und den Mördern zeigt sich auch in der seltenen Thematisierung der unterschiedlichen Tätergruppen. Die Jugendlichen beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit den Nazis und ihrer Tat, dem Judenmord. Dagegen gehören die Hörtexte, Zeichnungen, in Deportationslisten hervorgehobenen Namen, Postkarten oder privaten Fotos der verfolgten Jüdinnen und Juden selten zu den Ausstellungseindrücken, die diskutiert werden. In dieser Perspektive ist es eher die Ausnahme, wenn die Jugendlichen einzelne (Überlebens-)Geschichten ansprechen, sich auf die in der Ausstellung gezeigten persönlichen Quellen oder die vier exemplarisch vorgestellten Porträts von verfolgten Personen und ihren Familien beziehen. Es kommt vor, dass Momente einer persönlichen Lebensgeschichte geschildert werden; dazu aufzufordern schienen die an Monitorstationen gezeigten Interviewauszüge der Holocaust-Überlebenden Esther Reiss und, im letzten Ausstellungsraum, die Aussa-

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gen von verfolgten Jüdinnen und Juden und ihren Nachkommen einerseits sowie nichtjüdischen Deutschen andererseits. Häufiger besprechen die Jugendlichen die Verbrechen und ihre Auswirkung auf die Verfolgten jedoch auf allgemeiner Ebene. Sie führen sich die in der Wannsee-Villa besprochenen Massenverbrechen vor Augen, wobei die Individualisierung des Holocaust eher eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint. Die Befragten, die die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und ihre Hauptausstellung besucht haben, orientieren sich deutlich an der Perspektive der Gefangenen. Sie beziehen sich regelmäßig auf hier präsentierte Selbstzeugnisse wie schriftliche und vertonte Erinnerungsberichte sowie Häftlingsbiografien, schließen aber auch andere Exponate in ihre Schilderungen ein, insbesondere historische Gegenstände aus dem Lageralltag. Sie artikulieren ein deutliches Interesse daran, mehr über die Bedingungen zu erfahren, unter denen die Häftlinge gelitten haben und gestorben sind. Die Täter des Konzentrationslagers werden in den Auswirkungen ihrer Handlungen angesprochen, sind aber kaum – und im Vergleich mit den beiden anderen Ausstellungen am wenigsten – explizites Thema. Die Jugendlichen beschäftigen sich anhand von Personalisierungen vor allem mit Unterbringung, Arbeit, Mord und Sterben im Konzentrationslager. Das Konzentrationslager in seiner heutigen Repräsentation als Gedenkstätte wird ebenfalls von vielen explizit angesprochen. Darin artikuliert sich der Wunsch, eigene Vorstellungen von Geschichte mit Hilfe der heutigen Gestalt der Gedenkstätte zu entwickeln, diese zu bestätigen oder zu korrigieren. Wenn sich die Jugendlichen anhand von Selbstzeugnissen und Biografien die historischen Ereignisse vergegenwärtigen, thematisieren sie besonders ausführlich die Haftbedingungen im Konzentrationslager. Der ‚Weg‘ in das Konzentrationslager Neuengamme wurde dagegen, ausgehend von den Herkunftsländern der Häftlinge und ihren Haftgründen, nur vereinzelt angesprochen. Über die Rekonstruktion der Situation der Häftlinge versuchen einige, sich die Ausmaße der Verbrechen zu verdeutlichen. Die am historischen Tatort begangenen Verbrechen werden über einzelne Schicksale erschlossen, die in der Ausstellung zahlreich präsentiert werden. Die Jugendlichen beziehen in die Schilderungen ihrer Eindrücke vor allem Auszüge aus Erinnerungsberichten und verfilmte Interviewausschnitte Überlebender ein. Aber auch die häufige Nennung von Biografien ist in Neuengamme gegenüber den anderen Ausstellungen auffällig. Wie viel Raum die in den Biografiebüchern vorgestellten Personen in den Erinnerungen der Jugendlichen einnehmen, ist jedoch auch in dieser Gedenkstätte unterschiedlich. Sofern sie sich der personalisierenden Präsentationsform ‚rotes Buch‘ zuwenden, sind es in erster Linie die in die Porträts eingefügten zeithistorischen Quellen, die ihr Interesse an den persönlichen Erfahrungen wecken. Bei der An-

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näherung an die in der Ausstellung behandelten Themen und die personalisierenden Darstellungen – das ließ sich auch an den beiden anderen Gedenkorten beobachten – haben einige der Jugendlichen von selbst ihre berufsspezifischen Interessen und den Migrationshintergrund ihrer Familien als ausschlaggebend angeführt. Das Spannungsverhältnis von Individuum und Masse lösen die Jugendlichen, ganz gleich, welche der Gedenkstätten sie besucht haben, in ihrer Ausstellungsrezeption unterschiedlich auf. Zeitgeschichte anhand von biografischen Zugängen erscheint ihnen nicht zwangsläufig lediglich als Summe individueller Geschichten. Denn auch wenn die Schülerinnen und Schüler die Einzelnen im Gegensatz zur Vielzahl der Opfer betonen, greifen sie bisweilen die Dimension der Massenverbrechen auf, die sich ihnen über die Präsentation von individuellen Geschichten im Museumsraum zu verdeutlichen scheint. Das Ausmaß des Holocaust, das am Wannsee am wenigsten personalisiert wahrgenommen wird, erschließt sich den Schülerinnen und Schülern insbesondere in Neuengamme und am Denkmal über persönliche Quellen. Die NS-Verbrechen werden an diesen beiden Erinnerungsorten besonders deutlich in ihren Auswirkungen auf einzelne Menschen und in ihren geografischen Ausmaßen rezipiert. Dabei artikulieren die Befragten Mitgefühl mit den einzelnen Personen, die ihnen in den Ausstellungen begegnen, wobei sie auch an sie herangetragene Erwartungen an Betroffenheit antizipieren. Übergreifende Entwicklungen und die Organisation des NSSystems, welche diese Verbrechen bedingten, spielen in den Beiträgen hingegen kaum eine Rolle, auch nicht in der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz. Wo das Massenhafte anhand individueller Geschichten bemerkt wird, nehmen viele Ausstellungsbesuchende das einzelne Exemplarische nur undeutlich wahr. Je weniger ausführlich oder konkret eine Lebensgeschichte angesprochen wird, desto deutlicher tritt in der Rezeption das Dilemma von Personalisierungen im Museumsraum hervor: Die historischen Ereignisse sollen vom Individuellen ausgehend vermittelt werden, im gleichen Moment wird den individuellen Schicksalen aber eine nur exemplarische Funktion in der Rezeption zugewiesen. Die jungen Frauen und Männer nehmen die präsentierten Einzel- oder Familienschicksale dann in der repräsentativen Funktion wahr, die ihnen in der Ausstellungsgestaltung auch zukommt. Inwieweit das Persönliche in der Rezeption durch seine beispielhafte Funktion bestimmt ist, hängt aber auch davon ab, welche persönlich-biografische Beziehung die Schülerinnen und Schüler zu (den porträtierten) Opfern der Verbrechen haben und inwiefern diese im historischgesellschaftlichen Kontext sichtbar werden. Das Ziel der personalisierenden Darstellung, Empathie zu wecken und die Schicksale zu verdeutlichen, die hinter der Zahl ‚sechs Millionen‘ stehen, wird in

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der Praxis nur bedingt erreicht. Zwar erschließen sich zahlreiche Schülerinnen und Schüler, insbesondere am Denkmal und in Neuengamme, die historischen Ereignisse anhand des präsentierten Persönlichen, wobei sich auch Momente von Anteilnahme finden. Diese Aneignung der Vergangenheit hat jedoch eine Kehrseite: Da in den Ausstellungen anhand von individuellen Lebensgeschichten allgemeine Aspekte von Verfolgung und Vernichtung vermittelt werden, bleibt das veranschaulichte Leiden oft abstrakt. In der Rezeption geht es selten um die einzelne Person, sondern um ihre Beispielhaftigkeit, denn es kommt anhand von Personalisierungen in den Gedenkstättenausstellungen über die Illusion einer persönlichen Bekanntschaft zu einer anderen Form der De-Personalisierung: Die exemplarisch rezipierten Einzelnen stehen im Museumsraum für etwas anderes als sich selbst, nämlich für die Veranschaulichung bestimmter Aspekte der historischen Ereignisse, und in eben dieser konzeptionellen Funktion werden sie von den Jugendlichen zumeist wahrgenommen. Die exemplarische Funktion einzelner Verfolgungsgeschichten ist dann problematisch, wenn die übergreifenden Rahmenbedingungen in der Rezeption unbedacht bleiben, innerhalb derer ein Einzelschicksal erst historisch-gesellschaftlich verstanden werden kann. Eine solche Rezeption des Subjektiven war auch in der vorliegenden Stichprobe vereinzelt zu beobachten. Garanten historischer Echtheit Wie persönlich oder unmittelbar die ausgestellte Geschichte erscheint, wird von den Jugendlichen auch mit der Echtheit der präsentierten Quellen verbunden. Die teilweise digital aufbereiteten Verfolgtenberichte sowie andere von den Opfern der Verbrechen stammende Zeugnisse scheinen sich auch deshalb einer so großen Beliebtheit unter den Jugendlichen zu erfreuen, weil sie als authentische Überlieferungen des Geschehenen rezipiert werden. Die Schülerinnen und Schüler wünschen sich nicht nur eine möglichst unmittelbare Ansprache in Form von Personalisierungen, sondern auch eine Beglaubigung historischer Fakten durch die Autorität einer tatsächlichen Zeugin, eines tatsächlichen Zeugen. Während Selbstzeugnissen ein hoher Wert an Authentizität zugeschrieben wird, sind die von den Ausstellungsmachenden verfassten Texte und Informationstafeln für die Jugendlichen weniger ‚echt‘. Sie treffen völlig zu Recht die Unterscheidung zwischen einerseits einem historischen Dokument, das auch als Kopie als echt im Sinne von wahr betrachtet werden muss, und andererseits kommentierenden Texten. Während aber die „Gesten des Zeigens“ (Muttenthaler/Wonisch 2006), also die lenkende Hand der Kuratorinnen und Kuratoren, als solche erkannt werden, wenn es sich um erläuternde Präsentationsmittel handelt, bleiben ihnen diese Gesten verschlossen, wenn sie auf arrangierte Selbstzeugnisse treffen.

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Die durch die Echtheit der Selbstzeugnisse hervorgerufenen Gefühle scheinen in einem zweiten Rezeptionsschritt durch die Ausstellungsgestaltung und -architektur eine Verstärkung zu erfahren. Besonders deutlich wird das bei der Rezeption des Orts der Information, wo Schilderungen von Exponatinhalten immer wieder in Beschreibungen ihrer Gestaltung im Ausstellungsraum eingeschlossen werden. Wenngleich die Stiftung Denkmal behauptet, Authentizität spiele an diesem historischen Nicht-Ort keine Rolle (vgl. Kap. 2.2.2), so wird eine solche doch durch die Ausstellungsgestaltung und -architektur suggeriert – es ließe sich also von nicht intendierten Authentizitätseffekten sprechen, die von den Jugendlichen aufgegriffen werden. Am historischen Tatort Neuengamme, wo durch den weitgehenden Verzicht auf Rekonstruktion von Gebäuden und Relikten Erwartungen an den Besuch eines Konzentrationslagers gedämpft werden sollen, ist die Rezeption der Ausstellungsinhalte ebenfalls klar durch Bezüge auf die Gestaltung des Ausstellungsgebäudes geprägt. Erwartungen an ein Gefühl für die historische Realität, die das Außengelände mitunter doch zu bedienen scheint, prallen in der Regel an der betont schlichten Ausstellungsgestaltung ab. Der artikulierte Wunsch nach Unmittelbarkeit oder Echtheit von Personalisierungen heftet sich auch an die (historischen) Orte selbst. Das Bedürfnis, durch die eigene physische Anwesenheit ‚hautnah‘ an die Geschichte des Orts heranzukommen, ist bei der KZ-Gedenkstätte Neuengamme besonders ausgeprägt. Jugendliche, die über das Außengelände des Erinnerungsorts sprechen, verbinden die Frage nach der damaligen Situation der Häftlinge mit der eigenen körperlichen Aktivität. Die Jugendlichen erkunden das ehemalige Lagergelände im Laufen und sind dabei mit historischen Relikten konfrontiert (vgl. Hoffmann 1998, 10). Das Bedürfnis des ‚Nacherlebens‘ wird aber auch an den anderen Gedenkstätten immer wieder geäußert. So regt der Hauptausstellungsraum der WannseeVilla zum Konferenzgeschehen fast alle Schülerinnen und Schüler an, sich in die historische Situation hineinzuversetzen. Ungeachtet der in der Forschung diskutierten Frage, ob die historische Besprechung in genau diesem Raum stattgefunden hat oder nicht, zeigt sich hier der Illusionscharakter von Authentizitätseffekten besonders deutlich. Diese kommen bei einigen der Jugendlichen als Faszination über die Verbrecher zum Tragen, die kein Korrektiv zu finden scheint, da in dem Ausstellungsraum Selbstzeugnisse der jüdischen Opfer fehlen. Der Versuch, das eigene Besuchserleben räumlich-atmosphärisch mit Vorstellungen über die Verbrechen in Übereinstimmung zu bringen, findet sich aber auch beim Stelenfeld des Denkmals, hier jedoch deutlich auf der Ebene der Repräsentation des Holocaust. Das Feld wird von den Jugendlichen auf sein Potenzial befragt, die Situation der jüdischen Männer, Frauen und Kinder im Holocaust zu simulieren.

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Bei allen drei untersuchten Gedenkstätten scheint das ‚physische Erleben‘ der Orte wichtig zu sein: Während in Neuengamme und am Wannsee ausschlaggebend ist, dass die Schülerinnen und Schüler sich an einem historischen Ort aufhalten, an dem die Massenverbrechen begangen bzw. geplant wurden, ist auch die Wahrnehmung des Stelenfelds am Denkmal nicht von dessen Begehung zu trennen. Das Besuchserlebnis, zwischen den Stelen, auf dem ehemaligen KZGelände oder in der Tätervilla zu wandeln, bleibt aber dennoch vergleichbar mit einem ‚normalen‘ Museumsbesuch. Auch dieser ist von einer körperlichen Aktivität nicht zu trennen und geht über die „intellektuelle und emotionale Beteiligung hinaus“ (Muttenthaler/Wonisch 2006, 41). Als Projektionsflächen für von Schülerinnen und Schülern mitgebrachtes Wissen und für ihre Vorstellungen von der Vergangenheit ziehen die historischen Orte Neuengamme und Wannsee durch ihre besondere Geschichte und Topografie vielfach vermittelte und mitunter diffuse Vorstellungen auf sich. Eine Projektionsfläche ist das Stelenfeld am Denkmal aber auch – aufgrund seiner offenen Form gibt es, nicht weniger bestimmt oder unbestimmt, dem Ausdruck, was die Jugendlichen in ihrem Kopf mitbringen und während des Besuchs entwickeln. Während sie ihre Erwartungen an die historischen Orte mit deren heutigem Aussehen abgleichen und vor diesem Hintergrund auch die Ausstellungsgebäude auf symbolische Anschaulichkeit befragen, steht beim Stelenfeld die Frage im Vordergrund, welches Bild der Vergangenheit dieses Denkmal vermittelt und inwiefern es an Eindrücke von besuchten ehemaligen Konzentrations- und Todeslagern erinnert. Mit der Befragung der Schülerinnen und Schüler konnte empirisch rekonstruiert werden, wie sich ihre Schilderungen der Perspektive der Opfer an der räumlichen und gestalterischen Präsentation orientieren. Wenn Jugendliche über Selbstzeugnisse und Biografien sprechen, formulieren sie in der Regel den Wunsch, den verfolgten Männern, Frauen und Kindern und ihren Erfahrungen nahezukommen. Diese Rezeptionsweise erfährt durch die formulierte Erwartung, der historische Ort stünde für die Echtheit der Übermittlung, eine deutliche Verstärkung, eine Art der Rezeption, die sich aber auch im Ort der Information beobachten lässt. Den Wunsch nach Unmittelbarkeit und Authentizität, den Knigge in Bezug auf KZ-Gedenkstätten festgestellt hat (vgl. Knigge 2005b, 406), können die vorliegenden Ergebnisse sowohl für den Ausstellungsort als auch für die Selbstzeugnisse bestätigen, in denen die ‚Anwesenheit‘ von Personen gesucht wird, die die Verbrechen erlebt haben. Eine weitere Annahme der Gedenkstättenpädagogik – Selbstzeugnisse verstärkten Erwartungen an den historischen Ort (vgl. Geißler-Jagodzinski/Haug 2009, 315) – kann meine Arbeit in der Gegenbewegung ergänzen: Der Wunsch, den nicht persönlich anwesenden Personen und ih-

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ren Verfolgungserfahrungen nahezukommen, sowie die Erwartungen an Echtheit der Übermittlung erfahren durch den historischen Ort eine Verstärkung. Das von Personalisierungen angesprochene Gefühl von Echtheit wird jedoch auch von Ausstellungsgestaltungen an ‚nichthistorischen‘ Orten hervorgerufen, auch diese können Authentizitätseffekte durchaus hervorrufen. Von den Jugendlichen mitgebrachte und von den Gedenkstätten bediente Vorstellungen von Authentizität heften sich an Selbstzeugnisse und Lebensläufe ebenso wie an historische Tatorte und ihre Gebäude – diese sind aber aufbereitet und insbesondere in Gedenkstättenausstellungen arrangiert. Insofern sind die persönlichen Berichte um ein gutes Stück Authentizität reduziert, was problematisch ist, weil dieser Aspekt des Ausstellens von Historischem in den Ausstellungsbereichen in der Regel wenig transparent gemacht wird. In der Präsentation der Gedenkstätte Neuengamme wird am besten mit dieser Problematik umgegangen, da hier, wenn auch nicht durchgehend, durch Objektkommentierungen und eine schlichte Gebäudearchitektur der historische Ort und die dort gezeigten Quellen als nachträglich bearbeitete sichtbar werden. Kritisch bleibt aber bei allen drei Gedenkstättenausstellungen: Ob diffuse Gefühle im präsentierten Objekt vorgegeben sind oder durch an es herangetragene Vorstellungen hergestellt werden – beides beschränkt das eigene Nachdenken und Fühlen. Neuartige Informationsquellen An der Rezeption von personalisierenden Präsentationsformen in allen der vorliegend untersuchten Gedenkstättenausstellungen fiel ferner auf, wie stark sich die Schülerinnen und Schüler an dem Aspekt Wissensvermittlung orientierten. Die ausgewerteten Besuchseindrücke zeigen deutlich, dass die Vermittlung historischen Wissens mit Hilfe von Personalisierungen als besonders beeindruckend und lebendig empfunden wird und dass Selbstzeugnisse ein Wissen vermitteln können, das offizielle Dokumente der Nationalsozialisten so nicht bereithalten. In Bezug auf alle drei untersuchten Gedenkstättenausstellungen sind Aussagen, die einen Wissenszuwachs bezeugen, ein festes Element der Beschreibungen. Während im Klassenzimmer historisches Wissen eher kognitiv und objektiv vermittelt werde, so die von den Jugendlichen geteilte Ansicht, zeigen ihre Statements, dass Selbstzeugnisse und biografische Elemente in den Gedenkmuseen nicht nur Gefühle vermitteln können, sondern dass durch sie auch etwas Neues gelernt werden kann. Dass die persönlichen Quellen auch als Informationsmittel rezipiert werden, zeigt zudem, dass persönliche Quellen nicht nur gedenkend bzw. als Gedenkelement wahrgenommen werden. In der (gedenkstätten-)pädagogischen Praxis sind also die beiden in der Forschung häufig konstatierten Paare ‚Gedenken = Emotion‘ und ‚Informationen = Kognition‘ nicht einander aus-

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schließende oder störende Gegensätze, sondern vielmehr einander ergänzende oder sich sogar gegenseitig stimulierende Modi. In der Rezeption von Selbstzeugnissen und Biografien als neuartige Informationsquellen reproduziert sich nicht nur der schulische Modus der Wissensvermittlung, der den Befragten in der Annäherung an die Gedenkstätten eine wesentliche Orientierung bietet. Die auffallend häufige Betonung von Wissenszuwachs zeigt darüber hinaus, auf welche historischen Wissenslücken die museale Vermittlung von Nationalsozialismus und Holocaust trifft. Nicht zuletzt wird in der Untersuchung deutlich, dass es sich bei Personalisierungen um eine Form der Wissensvermittlung handelt, die in der Schule weitgehend unbekannt ist. Um mehr über den Prozess der Wissensvermittlung zu erfahren, ist eine Gegenüberstellung der Rezeption personalisierender Selbstzeugnisse einerseits und Fotos nicht näher zu identifizierender Leichenberge andererseits aufschlussreich – dies ist allerdings nur bei den Jugendlichen möglich, die den Ort der Information besucht haben, denn nur hier kamen die ‚Schreckensbilder‘ in Interviews und Gruppendiskussionen zur Sprache. Das Museum am Denkmal mit der hier getroffenen Quellenauswahl beherbergt die am konsequentesten an der Perspektive der Opfer ausgerichtete Präsentation, zeigt aber auch fotografische Quellen der Täterseite prominent am Ausstellungsbeginn. Der Einsatz von ‚Schreckensbildern‘ als Präsentationsmittel wird heute innerhalb der Gedenkstättenszene kaum noch erwogen, sondern mehrheitlich infrage gestellt, da die Abbildungen, so die geteilte Meinung, häufig Abwehrreaktionen und Sensationserwartungen evozierten. Auch wenn die vorliegende Rezeptionsuntersuchung eine deutliche Orientierung der Schülerinnen und Schüler am Denkmal an personalisierenden Präsentationsmitteln aufzeigen kann, haben die Jugendlichen ein explizites Zurückweisen der Fotos, wie es etwa Peter Koch an Reaktionen von Besuchenden der KZGedenkstätte Dachau beobachtet hat (vgl. Koch 2008, 224), nicht formuliert. Mehr noch, die Aufnahmen haben sie mitunter zum Nachdenken über die Motive oder das Verhalten der Täter angeregt, deren Blick sich in den Aufnahmen findet. Was von dem Wahrgenommenen verarbeitet oder in ein vorhandenes Geschichtsbild eingeordnet wird, muss sich aber nicht notwendig mit dem in der Ausstellung faktisch Dargestellten decken. So brachten einige Schülerinnen und Schüler Bildinhalte durcheinander. Die teilweise falschen Zuschreibungen von Bedeutung und Orten, die sich in den Beiträgen finden, lassen sich zunächst als Nichtvorhandensein von Wissen deuten, an dem der Gedenkstättenbesuch nur bedingt etwas ändern kann – Schule und andere Sozialisationsagenturen haben nicht vermocht oder gar nicht erst versucht, eine kognitiv-emotionale historische Struktur zu vermitteln, in die einzelne Informationen richtig eingeordnet werden

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könnten. Die Diffusität in der Rezeption lässt sich aber auch als Distanzierungsversuch von Bildinhalten interpretieren, ein Befund, der sich mit Gudehus als „Vermischungen von Wissensbeständen“ (Gudehus 2006, 176; H. i. O.) beschreiben lässt. Die mitunter auffällige Vermischung von vermittelten Fakten bei den Schülerinnen und Schülern deute ich vor dem Hintergrund des emotionalen Vermittlungsgegenstands und dessen musealer Aufbereitung in den (historischen) Gedenkstätten. Die Strategie, nicht hinsehen zu wollen, so lässt sich ein vorläufiges Ergebnis formulieren, unterscheidet sich dabei nicht grundsätzlich von jener, die sich in Beschreibungen von Selbstzeugnissen findet. So wurden sowohl an den persönlichen als auch an den unpersönlichen Quellen Inhalte durcheinandergebracht, und ihre Wiedergabe verblieb mitunter im Allgemeinen. Die Ergebnisse der Rezeptionsuntersuchung lassen vermuten, dass persönliche Zeugnisse eher zum Hingucken und Zuhören auffordern als unpersönliche Fotos. Andererseits ist es bei den befragten Schülerinnen und Schülern aber auch nicht zu der in der Gedenkstättenpädagogik häufig konstatierten Reaktion gekommen, die abgelichtete Realität werde von den Besuchenden als so schrecklich empfunden, dass diese sich weigerten, die schockierende Realität überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Die ‚Schockfotos‘ wurden stattdessen als eine – möglicherweise in hohem Maße emotionalisierte – Zusatzinformation rezipiert. Ausstellungsbesuch als Ergänzung zum Schulunterricht Wenn Lernende und Lehrkräfte Gedenkstätte und Schule miteinander vergleichen, dann zeigt sich, dass sie den Gedenkstätten Anschaulichkeit und ‚Atmosphäre‘ zusprechen, während Schule als ‚objektiv‘ oder ‚trocken‘ beurteilt wird. Auch im Ort der Information des Denkmals artikulieren die Jugendlichen das Atmosphärische, dessen Wirkung aber deutlich geringer sei als die Wirkung der von ihnen bereits besuchten KZ-Gedenkstätten. In den Interviews und Diskussionen wurde deutlich, dass der im Eingangsfoyer der Ausstellung des Denkmals in Form einer ‚Zeitleiste‘ gegebene historische Überblick – im Gegensatz zu den Selbstzeugnissen und Biografien, die sich mehrheitlich in den Themenräumen finden – mit Schule identifiziert wird. Dabei ist es im Grunde irrelevant, ob in der Gegenüberstellung von ‚Zeitleiste‘ und Themenräumen die Präferenz des Persönlichen ausgedrückt oder der historische Überblick als Faktenvermittlung bevorzugt wird. Egal ob Abstraktes oder Konkretes bevorzugt wird, in den Diskussionen und Interviews über das Museum des Denkmals werden aus Zahlen individuelle Schicksale. Die konzeptionelle Absicht, in der Präsentation die Einzelnen in der Masse sichtbar zu machen, geht am Denkmal also offenbar auf. Von den Jugendlichen, gleich welche Gedenkstättenausstellung sie besucht haben, werden Schulbücher als ‚trocken‘ beschrieben, wohingegen die Zitate,

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Berichte, Bilder und Gegenstände anschaulich, greifbar und spannend wirkten. Die Schülerinnen und Schüler rezipieren den Vermittlungsmodus ‚Personalisierung‘, den sie aus dem Schulunterricht kaum zu kennen scheinen, in der Regel positiv. Der Modus des ‚Lesens‘, den die Jugendlichen mit Schule assoziieren, wird dabei unterschiedlich beurteilt. Während er in Neuengamme lediglich angesprochen und am Wannsee überwiegend negativ rezipiert wird, hat am Denkmal niemand Unmut darüber zum Ausdruck gebracht, dass die meisten der hier gezeigten Selbstzeugnisse gelesen werden müssen. Dass die Texte in dieser Ausstellung wenige und dabei kurz sind, trägt sicher dazu bei, dass ihre Rezeption nicht als störend, zeitraubend oder lästig empfunden wird. Die Ausstellungsrezeption ist deutlich vom schulischen Rahmen des Gedenkstättenbesuchs geprägt. So zeigen sich die meisten befragten Jugendlichen zwar interessiert an einer Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust – ein Ergebnis, zu dem auch andere Studien gelangt sind (vgl. Kühner/Langer/Sigel 2008). Doch falls bei einem Gedenkstättenbesuch Wissen und Erkenntnis über die nationalsozialistische Herrschaft und ihre Verbrechen aufgenommen werden sollen, dann sind Zeitmangel und Termindruck, die aus dem schulischen Rahmen resultieren, objektive Hindernisse. Diese beiden Bedingungen waren bei der überwiegenden Mehrheit der Befragten deutlich gegeben. Mit dem Verweis auf zu wenig Zeit für eine Auseinandersetzung mit den Gedenkstättenausstellungen drücken einige Jugendliche zwar auch ihr Desinteresse an den Präsentationen aus, ‚Zeit‘ ist aber in erster Linie Thema, wenn sie beschreiben, wie knapp bemessen ihr Ausstellungsbesuch faktisch war. So äußern sich Schülerinnen und Schüler, die in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme an der ausgestellten Nachkriegsepoche interessiert sind, oder andere, die allgemein ihr Interesse an den Ausstellungsthemen und den Gedenkstätten artikulieren und dabei die für den Besuch angesetzte, aber nicht ausreichende Zeit thematisieren. Deutlich wurde ferner, dass die Schülerinnen und Schüler sowohl den Nationalsozialismus als auch die DDR unter dem abstrakten Begriff ‚Diktatur‘ aus dem Schulunterricht kennen. Im Rahmen der Klassenfahrt werden dann beide ‚Diktaturen‘ behandelt und entsprechende Gedenkstätten besucht. Bisweilen waren die Gruppendiskussionen, besonders deutlich die von WaII, stark von der parallelen Thematisierung von Nationalsozialismus und DDR geprägt. In einigen Fällen kam im die Personalisierungen erläuternden Rückgriff auf die Figur ‚Zeitzeuge‘ ein Opferbegriff zum Tragen, der vom Holocaust auf die DDR erweitert wurde. Es ist fraglich, ob Unterschiede zwischen den grundsätzlich verschiedenen Gesellschaftssystemen wahrgenommen werden, zudem in von Zeitdruck geprägten Vermittlungssituationen.

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Wie unterschiedlich die diskutierten politischen Einstellungen auch sind, die Jugendlichen betonen, dass Gedenkstätten dazu geeignet sind, über die Vergangenheit aufzuklären. Die jungen Frauen und Männer kennen den gesellschaftspolitischen Diskurs über den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Deutschland und greifen ihn in ihren Beiträgen auf. Die über den Nationalsozialismus diskutierenden Jugendlichen gehen aber noch weiter und nehmen an, Gedenkstätten könnten rechtsextreme Einstellungen verändern. Es gab Redebeiträge, in denen die Massenverbrechen der Vergangenheit als Negativfolie für die umso heller wahrgenommene Gegenwart auftauchten, und nicht selten wurde die bundesdeutsche Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen gelobt. Sich positiv auf das nationale Kollektiv beziehen zu wollen, scheint ein ausgeprägter Wunsch vieler Jugendlicher zu sein. Wenn Nationalsozialismus, Gedenkstätten oder das gegenwärtige Deutschland Thema waren, dann zeigte sich ein fast selbstverständlicher Bezug auf ein nationales ‚Wir‘. Diesen Bezug stellten fast alle Schülerinnen und Schüler her, einerlei ob sie sich kritisch gegenüber Deutschland positionierten (das kam nur selten vor) oder ob sie ein positives Bild von Deutschland zeichneten. Die im aktuellen Gedenkdiskurs vorgegebene Figur ‚Schuld nein, Verantwortung ja‘ wurde von auffällig vielen reproduziert, und auch im Zurückweisen von persönlicher Schuld ist die Vergangenheit offensichtlich virulent. Gedenkstättenausstellungen sind gegenständliche ‚Lernorte‘, die in ihrer anschaulichen Quellenauswahl und mit der ihnen eigenen Atmosphäre den Schulunterricht sinnvoll ergänzen können. Sie stellen den Jugendlichen zeithistorische Dokumente und Aspekte des historischen Geschehens vor, die sie so aus der Schule nicht zu kennen scheinen. Die gelegentlich anzutreffende schulische Praxis, den Gedenkstättenbesuch nicht als Ergänzung zum Geschichtsunterricht, sondern als Geschichtsunterricht selbst zu begreifen, ist jedoch nachdrücklich zu kritisieren. Denn dadurch werden nicht nur viel zu hohe Erwartungen an die Gedenkstätten herangetragen, auch das vergleichsweise nüchterne Lernsetting in der Schule, das eine kritische Einordnung der an den Erinnerungsorten angeeigneten Eindrücke ermöglicht, wird so unnötig vernachlässigt. H und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen? Ein auffälliges Untersuchungsergebnis ist schließlich auch die ausgeprägte Orientierung der Jugendlichen an Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, wenn sie über Personalisierungen in den Ausstellungen sprechen. Die Schülerinnen und Schüler, gleich welcher Schulform und gleich welche Gedenkstätte sie besucht haben, teilen die Ansicht, dass sich Emotionalität und zeitlich entrückte Ereignisse erst dann ‚wirklich‘ vermittelten, wenn ein realer Mensch spricht. Die überwiegende

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Mehrheit der Befragten rezipiert die Personalisierungen in den Gedenkstättenausstellungen zwar deutlich positiv, doch in der auffälligen Gegenüberstellung der personalisierenden Präsentationsmittel einerseits mit ‚Zeitzeugenbegegnungen‘ andererseits zeigt sich: Während Zeugenschaft im Museum anhand von Tagebüchern, Briefen, Fotos sowie schriftlichen oder vertonten Erinnerungsberichten das Interesse und die Neugier der Jugendlichen weckt, scheinen die nicht in die Ausstellungskonzeption eingebundenen Begegnungen mit Überlebenden der nationalsozialistischen Verbrechen noch um ein Vielfaches einprägsamer zu sein. Die Schülerinnen und Schüler messen den Begegnungen mit den Opfern der Massenverbrechen eine große Bedeutung bei und trauen ihnen zu, die historischen Ereignisse besonders anschaulich vermitteln zu können.65 Die empirische Rekonstruktion von den Besuchseindrücken der Jugendlichen zeigt, dass die offensichtliche Faszination für das Persönliche durch den positiven Bezug auf Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gestützt wird. Im mündlichen Bericht ‚mitzuerleben‘, was der oder die Berichtende Schreckliches erlebt hat, prägt auch die Schilderungen des Holocaust und des Nationalsozialismus, wenn die Jugendlichen die in den Gedenkstättenausstellungen präsentierten Selbstzeugnisse der Opfer aufgreifen. Die Orientierung an Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zeigt die Faszination für das Persönliche, die in ähnlicher Weise in der Rezeption von Selbstzeugnissen und Biografien zum Tragen kommt. Das Urteil, ob eine Gedenkstättenausstellung spannend oder interessant ist, fällen die Jugendlichen mitunter unabhängig davon, welche historische Epoche diese behandelt. Ausschlaggebend scheint dabei vielmehr, welche Gedenkstätten Zeitzeugenbegegnungen anbieten, also den möglichst direkten Bericht ‚aus erster Hand‘, der von den Jugendlichen geschätzt und nachgefragt wird. Der Begriff ‚Zeitzeuge‘, über den ein persönliches Geschichtsbild vermittelt wird, ragt dann in den Statements der Jugendlichen über den Holocaust hinaus. Dass mitunter der persönliche Bericht und weniger dessen Bezug auf eine bestimmte Zeitepoche anspricht, macht einerseits deutlich, dass Personalisierungen vom Publikum gut aufgenommen werden, andererseits, wie wichtig es ist, Zeitzeugenberichte, aber auch Selbstzeugnisse und biografische Elemente in den Gedenkstättenausstellungen historisch zu kontextualisieren. Denn nur so kann die Situation der während des Nationalsozialismus verfolgten Personen historisch-gesellschaftlich verstanden werden, und nur so können die übergreifenden Rahmenbedingungen des persönlichen Schicksals von anderen Geschichtsepochen unterschieden werden. In den vorliegend untersuchten Präsentationen werden Personalisierungen mit allgemeinen Informationen kontextualisiert, und dies ist weiterhin angezeigt ange-

65 Zu Zeitzeugenbegegnungen siehe: Geißler-Jagodzinski/Obens 2009; Kaiser 2009.

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sichts der gegenwärtigen Gedenk(stätten)politik, die nicht mehr nur auf Nationalsozialismus und Holocaust beschränkt ist. Die ‚Aura der Echtheit‘, so lassen sich die Einsichten zu den Rezeptionsweisen von Personalsierungen zusammenfassen, ermöglicht es dem technisch konservierten ‚Zeitzeugen‘, dessen persönliches Erleben in Gedenkstättenausstellungen an Hörstationen und Monitoren abgespielt oder in verschriftlichter Form gelesen werden kann, bei den Rezipierenden eine Erkenntnis vermittelnde Emotion hervorzurufen. Insofern wird der ‚Lernort‘ Gedenkstättenausstellung von den Jugendlichen im deutlichen Gegensatz zum schulischen Lernmodus gesehen, und die Absicht der Gedenkstätten, insbesondere den jungen Besuchenden über Empathie die NS-Verbrechen und ihre Opfer nahezubringen, wird somit erreicht. Die Interviews und Gruppendiskussionen haben allerdings gezeigt, dass eine solche Emotionalität mitunter auch problematisch sein kann, nämlich dann, wenn sie nicht kritisch reflektiert wird. Ohne eine Einordnung des durch den Ausstellungsbesuch evozierten Gefühls einer authentischen Erfahrung in die Historizität der besuchten Orte und der dort gezeigten Selbstzeugnisse kann dieses ins Leere laufen. Historisches Wissen ohne Emotionen ist undenkbar und ebenso wenig verbürgt allein eine emotionale Annäherung an den historischen Gegenstand dessen Verstehen.

6. Gedenkstätten und ihre Ausstellungen heute

Am Ausgangspunkt meiner Studie standen Fragen nach der Vermittlung von Holocaust und Nationalsozialismus in Gedenkstättenausstellungen heute. Es wurde untersucht, wie und warum sie sich gegenüber früheren Darstellungsformen geändert haben und wie Schülerinnern und Schüler diese Ausstellungen im Rahmen ihres Gedenkstättenbesuchs wahrnehmen. Die Analyse der drei Fallbeispiele – des Denkmals für die ermordeten Juden Europas, der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme – hat mir ermöglicht, die Spezifika der musealen Präsentationen in den jeweiligen Gedenkstätten herauszustellen und zu ermitteln, welche Funktion dabei Personalisierungen zukommt, die in allen Ausstellungen als neues Vermittlungsprinzip angewandt werden. Im Folgenden werden die Untersuchungsergebnisse zunächst zusammengefasst. In der anschließenden Diskussion liegt dann der Schwerpunkt auf der Angemessenheit der (Re-)Präsentation von Massenmord und auf den in deutschen Gedenkstätten unbeliebt gewordenen ‚Schreckensbildern‘. Die Studie schließt ausblickend, indem personalisierende Präsentationsformen und die sie ausstellenden Erinnerungsorte vor dem Hintergrund von Ambivalenzen des heute gesellschaftlich akzeptierten Gedenkens diskutiert werden.

6.1 M USEALE D ARSTELLUNGEN DES H OLOCAUST UND IHRE R EZEPTION DURCH S CHÜLERINNEN UND S CHÜLER Personalisierungen der im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Personen sind ein relativ neues Element in den Ausstellungsbereichen von deutschen Gedenkstätten. Zu den auffälligsten Charakteristika der drei untersuchten

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Gedenkstättenausstellungen gehören in die Dokumentationen integrierte Selbstzeugnisse und biografische Darstellungen der Opfer der deutschen Massenverbrechen. Dabei setzen die Präsentationen jeweils unterschiedliche Schwerpunkte: Im Ort der Information wird der Holocaust fast ausschließlich anhand schriftlicher, vertonter oder fotografischer Zeugnisse sowie anhand von Biografien derjenigen vermittelt, denen das Denkmal für die ermordeten Juden Europas gewidmet ist. Die Präsentation, die den Judenmord in Osteuropa zwischen 1941 und 1945 zum Schwerpunkt hat, wird deutlich von der Perspektive der verfolgten Jüdinnen und Juden auf die historischen Ereignisse getragen. In der Gedenkund Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz sind fotografische, vertonte, zeichnerische und schriftliche Zeugnisse der jüdischen Opfer sowie biografische Kurzporträts in die ständige Ausstellung integriert, die sich ansonsten aber vor allem aus Täterdokumenten zusammensetzt, anhand derer der Holocaust und die Konferenz zur ‚Endlösung der Judenfrage‘ dokumentiert werden. In der Hauptausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme hingegen tragen neben Gegenständen aus dem Konzentrationslager im Wesentlichen schriftliche oder vertonte Erinnerungsberichte, Zeichnungen von Häftlingen sowie Häftlingsbiografien die Präsentation, die schwerpunktmäßig den Häftlingsalltag innerhalb der Entwicklungsgeschichte des Konzentrationslagers zwischen 1938 und 1945 behandelt. In der Gegenüberstellung der drei Ausstellungen zeigt sich, dass die Verfolgtenperspektive in der jeweiligen Dokumentation unterschiedlich wahrnehmbar ist und dass die Präsentationsmittel, die sie transportieren, divergieren. Während im Ort der Information die jüdische Perspektive auf den Holocaust im Vordergrund der Vermittlung steht und in der Neuengammer Ausstellung die Häftlingsperspektive ein wesentliches Element in der Geschichtsdokumentation darstellt, sind in der Präsentation am Wannsee die Stimmen und Gesichter der jüdischen Opfer ein zwar wichtiges, aber zurückhaltend in die Präsentation integriertes Moment. In allen Gedenkstättenausstellungen jedoch sind Selbstzeugnisse und biografische Darstellungen wichtige Präsentationsmittel, um den jeweiligen historischen Gegenstand zu vermitteln. In den untersuchten Präsentationen werden, wenngleich unterschiedlich gewichtet, auch Täterquellen gezeigt, diese stehen jedoch selten für sich, sondern werden in der Regel mit persönlichen Dokumenten oder Angaben zur Opferseite kontrastiert. Die Kuratorinnen und Kuratoren, die an Interviews teilgenommen haben, distanzieren sich bewusst von früheren Ansätzen in der Ausstellungsdidaktik, in denen Täterdokumente die museale Vermittlung der Massenverbrechen dominierten. Insbesondere die seit Mitte der 1990er Jahre vernehmbare Kritik an fotografischen Quellen von in den Tod getriebenen Menschen oder von nicht identifizierbaren Leichen ist in die aktuellen Ausstellungskonzeptionen al-

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ler untersuchten Gedenkmuseen eingeflossen. Diese sogenannten ‚Schreckensbilder‘, auf denen Menschen kaum als Menschen zu erkennen sind, erscheinen in den konzeptionellen Überlegungen als das ‚Andere‘ von Personalisierungen – als ein mit den Selbstzeugnissen und biografischen Porträts der verfolgten und ermordeten Personen kaum zu vereinbarender Gegensatz. Bis in die 1990er Jahre wurden in Gedenkstättenausstellungen in hohem Maße schockierende Abbildungen mit der aufrichtigen Emphase ausgestellt, das Schicksal der Opfer zu verdeutlichen. Heute wird ihre Wirkung bezweifelt, und die Abbildungen von Terror und Gewalt werden in allen untersuchten Ausstellungen in einer anderen Weise als früher präsentiert. Das reicht von der Platzierung und Größe der Bilder im Ausstellungsraum über ihr In-Beziehung-Setzen zu anderen Präsentationsmitteln bis zu detaillierten Erläuterungen des Abgebildeten. In der ständigen Ausstellung am Wannsee, die zuvorderst auf eine Auseinandersetzung mit den Tätern zielt, konnte ich die veränderte Ausstellungspraxis besonders deutlich als Revision der Vorgängerausstellung herausarbeiten. Hier werden ‚Schreckensbilder‘, häufig von den Tätern aufgenommen, von denen die historische Dokumentation handelt, kaum noch gezeigt. Sie wurden durch solche ersetzt, die das Grausamste nicht direkt abbilden. Auch der Ausstellungsbereich von Neuengamme wird nicht durch solche Aufnahmen geprägt, und im Ort der Information, der nicht einer Auseinandersetzung mit den Tätern dient, sind Fotos von Massenerschießungen oder andere von Tätern stammende Quellen ebenfalls die Ausnahme, allerdings sind sie hier am Beginn des Ausstellungsrundgangs im Kleinformat prominent platziert. In der veränderten Ausstellungspraxis, besonders profiliert im Ort der Information, benennen Selbstzeugnisse das Verbrechen, ohne es zu beschönigen. Das Zeigen von ‚Schreckensbildern‘ hingegen ist in deutschen Gedenkstätten unbeliebt geworden – dies scheint ein allgemeiner gedenkstättenübergreifender Trend zu sein. Die in die Ausstellungsbereiche integrierten personalisierenden Präsentationsformen unterstreichen, dass die Gedenkstätten zuallererst Orte zum Gedenken an die Opfer der Massenverbrechen sind. Sie sind den verfolgten und ermordeten Personen gewidmet, das trifft auf alle drei Einrichtungen zu, auch auf den historischen Täterort Haus der Wannsee-Konferenz. Dementsprechend ergreifen die Ausstellungen heute an prominenter Stelle Partei für die Ermordeten, wozu sie Selbstzeugnisse und biografische Porträts verwenden. So konfrontiert der Ort der Information die Besuchenden zunächst mit der Mahnung von Primo Levi vor einer Wiederholung des Geschehenen. Die Ausstellung wird dann von sechs großformatigen Fotos von jüdischen Männern, Frauen und Kindern eröffnet, die zugleich den Hintergrund des den personalisierenden Themenräumen vorangestellten historischen Überblicks über die Verfolgung und Ermordung in Europa

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bilden. Beim Betreten der Neuengammer Ausstellung wird den Besuchenden mit einer Inszenierung des originalen Lagertorflügels und einem Häftlingszitat die Gefangenenperspektive auf das Konzentrationslager nahegelegt, und im einführenden Ausstellungsraum am Wannsee werden vier Familien porträtiert, die den aufmerksamen Besuchenden im Ausstellungsbereich wiederbegegnen. Auf diese Weise werden die vielen Einzelnen, die im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden, mit ihren Namen, Gesichtern und Stimmen im Museumsraum wahrnehmbar. Mit Personalisierungen als Präsentationsform, so ließ sich zeigen, verschränken sich in den neuen Gedenkstättenausstellungen beide Funktionen, die in der Bezeichnung ‚Gedenk- und Bildungsstätte‘ zum Ausdruck kommen. Angesichts dessen kann die analytische Trennung von Gedenken einerseits und Informationsvermittlung andererseits, die die Erinnerungsorte in ihrer Gestaltung anstreben, als Illusion bezeichnet werden. Im Haus der Wannsee-Konferenz ist aufgrund des historischen Charakters als ausschließlicher Täterort kein ritueller Gedenkbereich eingerichtet, in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme dagegen sind eigens ausgewiesene Gedenk- und Lernbereiche gestaltet worden, und auch am Denkmal wurde mit den beiden Elementen Stelenfeld und Ort der Information eine Aufgabenteilung von Gedenken und Informieren vorgenommen. In den Ausstellungsbereichen der Gedenkstätten jedoch, die jenes Wissen vermitteln sollen, das ein Gedenken an die Toten begründet – am Denkmal mit dem ihm hinzugefügten Informationsort besonders deutlich –, und in denen Selbstzeugnisse und Biografien wichtige Präsentationsmittel mit memorialer Funktion sind, fallen beide Sphären praktisch zusammen. Damit gelangt die vorliegende Studie zu einem Ergebnis, das die Selbstwahrnehmung von Gedenkstätten bezüglich ihrer Ausstellungen hinterfragt, die diese als Bereiche der kognitiven Wissensvermittlung verstehen und von affektivem Gedenken abgrenzen – ein Anspruch, der nicht nur in der Gestaltung der Gedenkstätten Neuengamme und Denkmal selbst zum Ausdruck kommt, sondern auch in den Publikationen der Erinnerungsorte hervorgehoben wird (für Neuengamme: Garbe 2001b, 61f.; für das Denkmal: Stiftung Denkmal 2000). Allen hier untersuchten Gedenkstätten ist es ein Anliegen, die Perspektive der verfolgten und ermordeten Menschen in ihren Präsentationen zu berücksichtigen. In den Experteninterviews, die ich mit Mitarbeitenden der Gedenkstätten geführt habe, sowie in den Publikationen der Einrichtungen wird dieses Ziel offensichtlich. Die gewachsene Bedeutung von Personalisierung zeigt schließlich auch ein Vergleich mit den Vorgängerausstellungen der Gedenkstätten Wannsee und Neuengamme. Die Perspektive der Opfer ist heute viel präsenter als noch in den 1990er Jahren, als persönliche Quellen lediglich additiv hinzugefügt wurden

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und nicht als integrativer Bestandteil der Geschichte des Holocaust und des Nationalsozialismus verstanden wurden. Wenn beide Erinnerungsorte auch früher schon Selbstzeugnisse und biografische Darstellungen in ihren Ausstellungsbereichen präsentierten, insbesondere die Gedenkstätte Neuengamme, so nehmen diese heute wesentlich mehr Raum ein. Auch die Art und Weise, wie die von den Verantwortlichen als ‚Herzstücke‘ ihrer Gedenkstätten verstandenen Quellen in die musealen (Re-)Präsentationen integriert sind, als selbstverständliche und die Tätersicht korrigierende Dokumente, lässt die vielen Einzelnen gegenüber den vorherigen Präsentationen wahrnehmbarer werden. Die Einbeziehung der Opferperspektive war schließlich auch ein zentrales Thema der offiziellen Reden anlässlich der Ausstellungseröffnungen sowie der entsprechenden Presseberichterstattung, die die Personalisierungen in ihrer heutigen Form begrüßte. Der Wandel in den Präsentationsformen steht in engem Zusammenhang mit gedenkpolitischen Transformationen in Form von Pädagogisierung, Nationalisierung und Musealisierung des Holocaust. So findet das öffentliche Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik heute unter erheblich veränderten Vorzeichen statt: Die Erinnerung an die Ermordeten steht dem staatlichen Selbstverständnis nicht mehr entgegen, sondern ist vielmehr ein fester Bestandteil offizieller Geschichtspolitik. Aktuelle Gedenkstättenausstellungen, die die Perspektive der Opfer in den Vordergrund rücken und sie als Subjekte der Geschichte wahrnehmbar werden lassen, sind ein Ausdruck davon. Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte der Gedenkstätten Wannsee und Neuengamme ließ sich jener gedenkpolitische Wandel, für den das Denkmal zum Sinnbild geworden ist, besonders gut nachzeichnen. Die neu entstandenen Präsentationen mussten nicht mehr gegen den gesellschaftlichen und politischen Widerstand durchgesetzt werden, mit dem die Überlebenden der deutschen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik noch bis in die 1980er Jahre konfrontiert waren. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik hatten vor allem Verfolgtenverbände für eine Sichtbarmachung der historischen Tatorte gekämpft. Die damals entstandenen Ausstellungen waren in einer gesellschaftlichen Stimmung konzipiert worden, die vom Widerstand gegen die Erinnerung an die deutschen Massenverbrechen geprägt war. Die von mir analysierten aktuellen Dauerausstellungen wenden sich mit ihren neuen Präsentationsformen gegen diese frühen Ausstellungen. Auffälligster Indikator dafür ist die verstärkte Vermittlung des Holocaust anhand von Personalisierungen. Die untersuchten Ausstellungsbereiche sind in einer Zeit entstanden, in der der offizielle Umgang mit der Vergangenheit davon bestimmt war, historische Tatorte, aber auch Denkmale als Gedenk- und Bildungsorte für ein großes Publikum aufzubereiten. Gedenkstätten in Deutschland haben sich von Einrichtungen, die von der Mehrheit der Bevölke-

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rung ignoriert oder angefeindet wurden, zu bildungspolitischen und touristischen Attraktionen entwickelt, die von großen Teilen der Bevölkerung sowie von Schulverbänden zahlreich besucht werden. Dass Nationalisierung, Pädagogisierung und Musealisierung den offiziellen Umgang mit dem Nationalsozialismus in der deutschen Gedenkkultur prägen und in Beziehung stehen zur verstärkten Vermittlung des Holocaust anhand personalisierender Präsentationsformen, wird besonders deutlich am Denkmal und an der für den Ort der Information gewählten Dokumentationsperspektive. An dem neu errichteten Gedenkort zeigt sich besonders ausgeprägt, dass Täterauseinandersetzungen nach wie vor unbeliebt sind (vgl. Jensen 2005, 116; Jureit/ Schneider 2010).1 Auch wenn in vielen deutschen Gedenkstätten, das bringen Neuengamme und Wannsee zum Ausdruck, eine Auseinandersetzung mit Tätern stattfindet, kann dennoch ein sich durch die Geschichte der Bundesrepublik ziehender Trend ausgemacht werden, demnach das Verhalten der Deutschen und ihre nationalsozialistisch geformten staatlichen Institutionen zwischen 1933 und 1945 im offiziellen Gedenken lieber nicht thematisiert werden. Auf diese Weise wurde jedoch überhaupt erst der Raum dafür geschaffen, der Ermordeten in der heutigen Form zu gedenken. Hinzu kommt, dass immer weniger Überlebende für sich selbst sprechen und über ihre persönlichen Verfolgungserfahrungen berichten können; an den Gedenkstätten, deren Bildungsfunktion zunehmend betont wird, wird dies als großer Verlust in der Vermittlungsarbeit erfahren. In dem Maße, in dem immer weniger Überlebende eine reale Stimme haben, ergibt sich der Raum, für sie zu sprechen, und in dem Maße, in dem die Tätergeneration abtritt, erübrigt sich die Verlegenheit, sich mit ihr auseinandersetzen zu müssen, sodass die Enkelgeneration sich stärker den Opfern zuwenden kann. Im Hinblick auf die Pädagogisierung des Gedenkens kommt Personalisierungen auch eine museumsdidaktisch wichtige Funktion zu. Individualisierende Darstellungen in der musealen Vermittlung der historischen Ereignisse werden von der Überlegung getragen, für Personen, die die historischen Ereignisse selbst nicht erlebt haben, sei der Lernprozess einfacher, wenn sie sich zunächst persönlichen Schicksalen näherten und von diesen ausgehend allgemeine Aspekte der

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Ich greife den Aspekt des generationell begründeten Gedenkens (vgl. Jureit 2010, 7785) weiter unten auf. An dieser Stelle sei jedoch schon angemerkt, dass vorliegend nicht Jureits Einschätzung geteilt wird, ein an den Opfern orientiertes Gedenken sei an und für sich problematisch. Auch denke ich nicht, dass sich dieses, so die Annahme Jureits, von einer zu starken Identifizierung der Nachkriegsgeneration mit den Vertretern der kritischen Theorie ableiten ließe; vielmehr dürfte das Gegenteil der Fall sein.

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Massenverbrechen kennenlernten. Grafiken, Statistiken, Zahlenangaben oder Abbildungen der Tat seien zu abstrakt, sie sprächen die Gefühle nicht an, heißt es. Personalisierungen hingegen gelten als besonders konkret und weckten Gefühle, worüber eine Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust angeregt werden könne. Die derzeit zu beobachtende Popularität von personalisierenden Zugängen wird dabei durch die bereits in den 1980er Jahren in den Geschichtswissenschaften aufkommenden Ansätze von Oral History und Alltagsgeschichte gestützt, die die Subjekte und nicht die sie prägenden übergreifenden historischen Strukturen zum Ausgangspunkt haben. Individualisierende Zugänge zu den historischen Ereignissen, wie sie sich in der HolocaustEducation, aber auch im United States Holocaust Memorial Museum oder verstärkt im Museum zur Geschichte des Holocaust der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem finden, werden immer häufiger auch in Deutschland aufgegriffen. Vor diesem Hintergrund lassen sich aktuelle Präsentationsformen in Gedenkstättenausstellungen auch als Strategie im globalen Rahmen2 verstehen, die in der Bildungsarbeit zunehmend wegfallende persönliche Zeugenschaft durch eine musealisierte Form zu ersetzen. Die Selbstzeugnisse der Ermordeten werden im Zuge der Musealisierung der Vergangenheit vor dem Vergessen ‚gerettet‘, Gedenkstättenausstellungen bewahren sie auf und präsentieren sie der Öffentlichkeit. Sie sollen den Besuchenden ermöglichen, sich der Perspektive der Verfolgten anzunähern, die diese selbst immer seltener und bald gar nicht mehr persönlich vermitteln können. Was Saul Friedländer in seinen Arbeiten überzeugend umsetzt, nämlich die Stimmen der Opfer in die historische Dokumentation zu integrieren, und was von Gedenkstättenausstellungen heute verstärkt und im Ort der Information besonders gelungen aufgegriffen wird, hat sich außerhalb von Gedenkstätten jedoch bereits in eine populäre Medienstrategie verwandelt, die auf Emotionalisierung und Identifikation setzt und tendenziell gegen die Erkenntnis der gesellschaftlichen Bedingungen und Auswirkungen des in den Ausstellungen Dokumentierten steht. Andererseits konnte eine TV-Serie wie Holocaust die in den 1980er Jahren beginnende Institutionalisierung der Gedenkstätten fördern. Mit der breiten Rezeption dieser Fernsehproduktion, die anhand von fiktiven Familienschicksalen die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden erzählt, verbanden Überlebende des Konzentrationslagers Neuengamme die Hoffnung, in ihrem Kampf um eine Gedenkstätte eine größere Unterstützung zu erfahren

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Zur Globalisierung der Erinnerung, vor deren Hintergrund ich die internationale Angleichung von Präsentationsformen in Gedenkstätten auch verstehe, siehe: Levy/Sznaider 2001, auch: Beier-de-Haan 2005.

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(vgl. Kap. 4.1.2). So ist anzunehmen, dass die Ausstrahlung von Holocaust generell die Einrichtung von Erinnerungsorten begünstigt hat (vgl. Claussen 1994, 10; Dudek 1981, 651f.). Kulturindustrielle Medien könnten also ein Grund dafür gewesen sein, dass sich das Gedenken an die Opfer der Massenverbrechen überhaupt in der deutschen Öffentlichkeit hat durchsetzen können. Die in den Ausstellungsbereichen medial aufbereiteten Überlebendenberichte und Verfolgtenporträts bedienen aber ungewollt auch die durch die Massenmedien geprägten Rezeptionsmuster. Problematisch an populären Erzählformaten des Nationalsozialismus und Holocaust ist, dass sie „weitgehend ins Affektive verlagert sind und einen passiven Rezipienten hervorbringen. Geliefert wird nicht nur Information, sondern gleichsam ihre Verarbeitung in Form hochemotionalisierender Bilder und Toneffekte.“ (Elm 2008, 162) Wissensvermittlung über die NS-Verbrechen kommt nicht ohne Gefühle aus, aber diese werden in massenmedialen Produkten über den Holocaust gegen das Kognitive ausgespielt. Nicht nur das reflexive Denken wird den Betrachtenden auf diese Weise weitgehend abgenommen, sondern auch das damit verbundene Fühlen. Die spezifische Distanz, die zwischen dem Betrachteten und den Betrachtenden notwendig wäre, um eine subjektive Reaktion herstellen zu können, bleibt aus; Identifikation tritt an ihre Stelle. Man braucht, wie Michael Elm weiter schreibt, „keine eigenen Gefühle zu haben, weil sie im Produkt mitgeliefert werden“ (ebd.). Die ästhetisch-gestalterische Aufbereitung des Orts der Information zumindest scheint diese Rezeptionsweise eher zu fördern als zu korrigieren. Die ‚Verlagerung ins Affektive‘ zeigt sich an einer betonten Ausstellungsästhetik, die im Ort der Information durch die starke Reduktion der Informationen gestützt wird und die den Holocaust als Gegenstand der Dokumentation in ein künstlerisch-architektonisches Objekt verwandelt. Die komprimierte Präsentation des Denkmals hält dem Publikum das Wissen bereit, das das Stelenfeld historisch konkretisiert. Die Besuchenden begegnen in der Ausstellung den Ermordeten, die mit dem Stelenfeld symbolische Grabsteine erhalten haben. Abgeschlossen vom Tageslicht werden in der unterirdischen Präsentation die Opfer und ihre Zeugnisse mit Lichtregie und Ausstellungsarchitektur in Szene gesetzt. Der Ausstellungsbereich ist so durchchoreografiert wie in keiner der anderen untersuchten Gedenkstätten. Das betrifft nicht nur das durchgehende Aufgreifen der Stelenform im Ausstellungsgebäude mit den Informationsträgern, sondern auch die Raumfolge, das Licht und die Akustik. Die Ausstellungsgestaltung appelliert ans Gefühl und ist ein permanentes Anhängsel der über die Exponate vermittelten Inhalte. Die Ästhetisierung in Neuengamme geht ebenfalls in Richtung ‚modernes Museum‘, wobei sie hier auch dem Zweck dient, die Authentizitätserwartungen

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der Besuchenden zu brechen, was im Ort der Information als nichthistorischer Einrichtung nicht notwendig ist. Die Neuengammer Ausstellung ist betont sachlich gestaltet; ‚steril‘ und ‚clean‘ sind Attribute, die Schülerinnen und Schüler der Präsentation zugeschrieben haben. Bei der Ausstellungsgestaltung ebenso wie bei der Gestaltung des Außengeländes haben die Verantwortlichen darauf geachtet, dass bei den Besuchenden nicht der Eindruck entsteht, sie würden ‚authentische‘ Stätten betreten. Ergebnis ist eine moderne Präsentation, die exemplarisch dafür steht, wie sehr sich KZ-Gedenkstätten anderen zeitgeschichtlichen Museen angeglichen haben, mit deren Präsentation professionelle Gestaltungsagenturen beauftragt sind. Die Präsentation des Hauses der Wannsee-Konferenz orientiert sich von allen drei untersuchten Ausstellungen am wenigsten an einer Museumsästhetik. Hier soll vielmehr der historische Charakter der Villa betont werden. Dies gilt insbesondere für den plastisch gestalteten Raum, in dem die Wannsee-Konferenz repräsentiert ist und in dem sich der Ortsbezug der Gedenkstätte verdichtet; Authentizitätserwartungen werden hier weniger gebrochen als bedient. Den historischen Charakter betont aber auch fast die gesamte Präsentationsfläche, indem auf eine die holzgetäfelten Räume dominierende Ausstellungsarchitektur verzichtet wurde. Gegenläufig zu einer ‚Verlagerung ins Affektive‘ lässt sich bei allen drei Gedenkstättenausstellungen aber auch eine gleichzeitige Versachlichung und Verwissenschaftlichung (vgl. Marcuse 1993, 85) feststellen, die sich in der nüchternen Neuengammer Ausstellungsarchitektur andeutet und beispielsweise an der veränderten Präsentation des ‚Zeitfensters‘ zum Vernichtungskrieg in der Wannsee-Ausstellung zum Ausdruck kommt. So werden heute zur Vermittlung von Judenmord und KZ-Terror beispielsweise andere Exponate gezeigt als in alten Ausstellungen. Nicht nur sind Leichenbilder weitgehend anderem Fotomaterial gewichen, auch auf gegenständliche Inszenierungen von Folterinstrumenten wird heute verzichtet. Schautafeln sowie Grafiken, die die Verfolgung in den notwendigen historischen Kontext rücken und eine nüchterne Vermittlungssituation herstellen, werden nach wie vor, jedoch selten ohne Beifügung personalisierender Quellen eingesetzt. Der in den neuen Gedenkstättenausstellungen auffällige Bedeutungszuwachs von Objektkommentaren gehört ebenfalls in diesen Zusammenhang. Die Kommentierungen geben genaue Auskunft über die Provenienz der ausgestellten schriftlichen, bildlichen und gegenständlichen Quellen. Das schließt nicht nur Orts- und Zeitangaben ein, sondern auch vermehrt biografische Angaben über diejenigen, die die Quellen verfasst haben, oder – und das sticht im Ort der Information besonders hervor – über die Opfer, die auf von Tätern und Zuschauern stammenden fotografischen Quellen abgebildet sind. In allen

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drei Gedenkstättenausstellungen ist die Informationsvermittlung ausgeweitet und um Genauigkeit bemüht, womit verhindert werden soll, dass die dargestellten Verbrechen losgelöst von Orten, Zeiten und zu benennenden Mördern vermittelt werden. Auch stehen die Kommentare gegen eine Leugnung des Geschehenen. Durch die konzeptionell stark berücksichtigte Überlieferungsgeschichte der ausgestellten Quellen, und das ist in Neuengamme besonders ausgeprägt, verschiebt sich gleichwohl tendenziell der Fokus vom historischen Gegenstand auf dessen Rezeption. Auch die inzwischen selbstverständliche Behandlung der Zeitspanne nach 1945 bestätigt den allgemein zu beobachtenden Trend, der Rezeptionsgeschichte im Verhältnis zur Ereignisgeschichte immer größeren Raum zu geben. Insbesondere KZ-Gedenkstätten integrieren in ihre Präsentationen heutzutage stark die Nachnutzung der Tatorte, was selten gut gelingt. So wird in Neuengamme mit einem schwarzen Strich auf dem Boden erfolglos versucht, überlebende Opfer des Konzentrationslagers von den dort nach 1945 internierten Tätern zu trennen. Dies zeigt besonders eindringlich, wie problematisch ein Ortsbezug sein kann, der sich nicht auf den Nationalsozialismus beschränkt, sondern themen- und zeitenübergreifend situiert ist. Hinsichtlich der Thematisierung des Zeitraums nach 1945 fällt die affirmative Sicht auf die gedenkende Gegenwart auf, die alle untersuchten Ausstellungsbereiche nahelegen. In der chronologischen Abfolge der Raumthemen erscheint die bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte als Erfolgsgeschichte von Aufarbeitungsbemühungen, die ihren materiellen Ausdruck in den Gedenkstätten findet. Besonders deutlich zeigt sich diese Form der Selbstinszenierung am Ort der Information. Hier endet der Ausstellungsrundgang mit Informationen über Gedenkstätten und verwandte Einrichtungen, während die Opfer des Holocaust in der Präsentation abrupt in den Hintergrund treten. Ihre Kämpfe um Entschädigung oder um die Sichtbarmachung ihrer Leidensorte werden hier nicht weiter thematisiert. Zwar behandelt die Präsentation in Neuengamme das Leben nach dem Überleben ebenso wie den Kampf von Häftlingen um eine Gedenkstätte, dennoch affirmiert auch dieser ‚Lernort‘ mit der Ausstellung aktuelle Gedenkpolitik: Die Nachkriegsgeschichte wird kritisch beleuchtet, während die Gedenkstätte in ihrer heutigen Präsentation als Telos der Ausstellung gesetzt ist. Auch die kursorischen Einblicke in die Nachkriegszeit, die in die Präsentation am Wannsee integriert sind, richten selten kritische Fragen an die Gegenwart. Dies trifft insbesondere auf das Ausstellungsende zu. Hier drängt sich der Eindruck auf, auf der Täterseite solle die gesellschaftliche Auseinandersetzung auf eine Familienangelegenheit reduziert werden, wobei allerdings das anhaltende innerfamiliäre Schweigen über die NS-Verbrechen überhaupt nicht angesprochen wird. Durch Reflexion auf den Umgang mit dem Holocaust nach 1945 wird

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letztlich auch am Wannsee die aktuelle Gedenkpolitik affirmiert. Problematisch ist nicht das Anliegen, bei den Besuchenden Fragen zu ihrer Familiengeschichte aufwerfen zu wollen oder über Tatorte, Gedenkstätten und vergleichbare Museen zu informieren, schließlich sind eine Sichtbarmachung der deutschen Massenverbrechen und die Existenz von Gedenkstätten in Deutschland nach wie vor alles andere als selbstverständlich. Zu kritisieren ist jedoch, dass im Porträt der Gegenwart die Nachkriegsgeschichte als kaum gebrochene Fortschrittsgeschichte vermittelt wird. In den Gedenkmuseen wird die Vergangenheit als Negativfolie der Gegenwart gesetzt, die dadurch umso heller scheint. Würden die Gedenkstättenausstellungen hingegen gegenwärtige Schändungen der historischen Tatorte, den anhaltenden Antisemitismus und Rassismus oder den individuell demütigenden Kampf um Entschädigung in ihre museale Geschichtsdokumentation einfügen, erschiene diese weniger museal, und die Vergangenheit wäre weniger abgeschnitten von der Gegenwart, sodass sich den Besuchenden dann ein weniger bruchloses Bild böte. In Gedenkstätten wird das Leid der Opfer der deutschen Verbrechen so ausdrücklich wie sonst nirgendwo anerkannt. Das Einlassen auf die Perspektive der Verfolgten und Ermordeten in Deutschland, wie es an den Ausstellungen heute zu beobachten ist, bedeutet aber nicht notwendig deren Einflussnahme auf die in den Ausstellungen vermittelten Inhalte. Zwar konnten an der Ausstellungskonzeption der Gedenkstätte Neuengamme Vertreter der Neuengammer Häftlingsverbände mitwirken, womit auch ihr langjähriges Engagement für eine Gedenkstätte anerkannt wurde, und am Wannsee wurde das Kuratorium des Hauses, in dem auch Überlebende des Holocaust mitarbeiten, regelmäßig in die konzeptionelle Erarbeitung der Ausstellung einbezogen. An der inhaltlichen Konzeption der Ausstellung im Ort der Information hingegen, die vergleichsweise viel Material aus dem persönlichen Besitz von verfolgten Jüdinnen und Juden zeigt, waren Überlebende, und das scheint auch für ihre Interessenvertretung, den Beirat der Stiftung Denkmal, zu gelten, nicht beteiligt. Dass in der Gegenwart nicht gegen Gedenkstätten sondern mit ihnen – und das heißt auch mit den Opfern der deutschen Verbrechen – Politik gemacht wird, zeigt sich an allen drei hier untersuchten Fallbeispielen. So lassen sich die Ausstellungseröffnungen im Zuge der offiziellen Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Befreiung als politische Ereignisse nationaler Selbstvergewisserung deuten. Während die Verfolgten von der offiziellen Politik an diesen Orten in der Vergangenheit selten wahrgenommen wurden, sind sie in den Eröffnungsreden im ‚Gedenkjahr 2005‘ umso stärker hervorgehoben worden. Sie dienen dazu, die ‚abgeschlossene Aufarbeitung‘ der Vergangenheit zu belegen und den ‚korrekten‘ und vorbildlichen Umgang mit der Vergangenheit in der Gegenwart hervor-

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zuheben. So präsentiert sich die neugestaltete KZ-Gedenkstätte Neuengamme in deutlicher Abgrenzung zum hanseatischen Umgang mit dem Konzentrationslager in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Das Gefängnis war 2003 – maßgeblich aufgrund des Engagements Überlebender – schließlich geräumt. Im selben Jahr wurde die neue Hauptausstellung in einer ehemaligen Häftlingsunterkunft eingerichtet. Bei der Eröffnung der neuen ständigen Ausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz wurde die in der Dokumentation nun stärker berücksichtigte Geschichte der Jüdinnen und Juden betont, von der nach 1945 kaum jemand etwas hören wollte, als sich der Historiker und Auschwitz-Überlebende Joseph Wulf vergeblich für eine dokumentarische Nutzung des Täterortes einsetzte. Mit der Einweihung des nationalen und zentralen Denkmals für die ermordeten Juden Europas konnte das heutige Deutschland schließlich seinen Bruch mit der nationalsozialistischen Herrschaft wirkungsvoll demonstrieren. Im Zuge der Wiedervereinigung und der damit einsetzenden Konsolidierung der deutschen Gedenkstättenlandschaft wurde hier eine Kombination aus symbolischem Friedhof und einer Instanz der Wissensvermittlung in Form eines kleinen Museums realisiert, die mit den Stimmen der Opfer die Massenvernichtung dokumentiert. Die Überlebenden mit ihren Perspektiven werden von den politisch Verantwortlichen und den staatlich getragenen Gedenkstätten aber möglicherweise auch deshalb so ausdrücklich umarmt, weil sie das eigene Tun und Konzipieren politisch bestätigen und gutheißen. Sie beglaubigen die historischen Ereignisse und sie verleihen den Gedenkstätten Glaubwürdigkeit. Wenn Gedenkstätten und ihre Ausstellungen im Rahmen politischer Veranstaltungen eingeweiht werden, bei denen die über Fördergelder entscheidenden Politikerinnen und Politiker, die Gedenkstätten sowie die Besuchenden sich selbst, den anwesenden Überlebenden und dem Rest der Welt versichern, ein anderes Deutschland zu repräsentieren, dann weist dies über bloßes Gedenken hinaus und auf Gedenkpolitik hin. Zwar haben die Ausstellungsbereiche den Anspruch und den Auftrag, Besuchende in ihrem kritischen Erkenntnisvermögen anzusprechen, doch wenn sich die Vermittlungsabsicht – und das ist von der Qualität der Ausstellung selbst zunächst ganz unabhängig – von vornherein mit der Aufforderung verbindet, sich positiv auf das nationale Kollektiv zu beziehen, wird die Möglichkeit limitiert, das ‚Ich‘ gegen das ‚Wir‘, also das Individuum gegen die Masse zu stärken. Wenn es, wie Wolf-Dieter Narr schreibt, „eine Botschaft gibt, die klar und eindeutig mit Auschwitz als dauernd präsente Realität sich verbindet, dann besteht sie darin, sich mit keinem politischen Abstraktum mehr zu identifizieren“ (Narr 1989, 70). Gerade angesichts des zu vermittelnden Gegenstandes und der brisanten Frage, warum die deutschen Massen sich so wi-

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derstandslos ins nationalsozialistische Kollektiv gefügt haben, macht diese Verschiebung in der Bedeutung und Funktion von Gedenkstätten nachdenklich. Personalisierungen in deutschen Gedenkstätten sind also einerseits problematisch, weil der Fokus auf die Opferperspektive es erlaubt, den Blick von den Tätern zu wenden, womit sie sich in die gedenkpolitischen Transformationen optimal einfügen. Andererseits handelt es sich bei Personalisierungen aber durchaus um ein sinnvolles Konzept, nicht nur, weil sie dem Gedenken als Selbstzweck gerechter werden, als dies aus offiziellen Quellen zusammengesetzte Präsentationen erlauben, sondern auch, weil die Selbstzeugnisse und biografischen Elemente in den Ausstellungen eine Vermittlungsfunktion erfüllen. Mit ihren aktuellen Präsentationsformen, die die Stimmen und Gesichter der Ermordeten wahrnehmbar werden lassen, wurde in den Gedenkstätten ein Zugang zu den historischen Ereignissen gefunden, der die Besuchenden in unterschiedlicher Art und Weise anspricht. Wo das Persönliche im Museumsraum bemerkt wird, artikulieren viele der Jugendlichen meiner Rezeptionsstudie Empathie mit den Opfern der Massenverbrechen. Sie drücken ihr Interesse an den individuellen Schicksalen aus und formulieren an Personalisierungen den Wunsch, mehr über die Verfolgten und Ermordeten zu erfahren. Ganz gleich, welchen Stellenwert die Jugendlichen den Selbstzeugnissen und Biografien in der Vermittlung des Holocaust und Nationalsozialismus zusprechen, sie heben an ihnen Emotionen und die Nähe hervor, die sie sich in der Vermittlung der nicht selbst erlebten historischen Ereignisse zu wünschen scheinen. Die von den verfolgten Personen selbst verfassten Dokumente sowie ihre individuellen Verfolgungsgeschichten greifen die Schülerinnen und Schüler als Ausdruck des Persönlichen auf, als Garanten historischer Echtheit und als neuartige Informationsquellen. In der Rezeption kommt zum Ausdruck, wie vielfältig sich die Jugendlichen an der Opferperspektive orientieren. Ihre Suche nach dem Persönlichen, historischer Echtheit und Informationen in den Gedenkstättenausstellungen ist nicht, wie ich zeigen konnte, auf Personalisierungen beschränkt, scheint von diesem musealen Dokumentationsmodus aber besonders angeregt zu werden. Als wesentlicher Befund meiner Rezeptionsstudie lässt sich zusammenfassen: Der konzeptionelle Anspruch der Verantwortlichen, in den Gedenkstättenausstellungen anhand von personalisierenden Präsentationsformen eine empathische Annäherung an die Opfer von Holocaust und Nationalsozialismus zu ermöglichen, wird in der Vermittlung größtenteils eingelöst. In der Darstellung und Rezeption von Judenmord und KZ-Terror werden die Einzelnen, wenn auch je nach Ausstellung in unterschiedlichem Maße, in der Masse der Verfolgten sichtbar.

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Die Bedeutung, die Selbstzeugnissen und Biografien in der Rezeption zukommt, variiert. Auffällig war – und das verdeutlicht die Lücke zwischen konzeptioneller Absicht und rezipierender Bedeutung – wie sehr sich die museale Präsenz von Selbstzeugnissen und Biografien in der Häufigkeit und Intensivität spiegelt, in der diese Quellen der Dokumentation von den Jugendlichen thematisiert wurden. Während die Besuchseindrücke insbesondere vom Ort der Information unter dem Denkmal, aber auch von der Hauptausstellung der KZGedenkstätte Neuengamme ausnahmslos persönliche Berichte und Lebensläufe beinhaltet haben und das in einer Form, die die Zeugnis Ablegenden nicht auf eine Fußnote beschränkt, war ein detailreiches und ausführliches Aufgreifen des Persönlichen bei der ständigen Ausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz die Ausnahme. Hier standen Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit offiziellen NS-Dokumenten klar im Vordergrund. Der Anspruch der Gedenkstätte, mit der neuen Ausstellung die Perspektive der verfolgten und ermordeten Juden stärker zu vermitteln und dafür zahlreiche, häufig aber unauffällig platzierte Selbstzeugnisse oder biografische Motive in die Dokumentation zu integrieren, wurde von den Jugendlichen, dies zeigen die Gruppendiskussionen und Interviews, nur bedingt erkannt. Den individuellen Darstellungen, die die Jugendlichen im Museumsraum gleich welcher Gedenkstätte bemerken, räumen sie in ihren Ausführungen unterschiedlich viel Raum ein: Während einige die Lebensgeschichten der porträtierten Personen facettenreich wiedergaben, erwähnten oder kommentierten andere die personalisierenden Präsentationsformen nur knapp und dann meistens, um einen bestimmten allgemeinen historischen Aspekt zu verdeutlichen. Die Jugendlichen verstehen die Dokumente und Zeugnisse der Opfer als eine besonders persönliche Begegnung mit Einzelschicksalen, artikulieren und betonen Gefühle, die sie bei der Rezeption der Personalisierungen und biografischen Elemente hatten, und formulieren Enttäuschung, wenn diese sich nicht einstellten. Die Empfindung, wie persönlich oder unmittelbar ein Exponat erscheint, verknüpfen viele, egal welche der untersuchten Gedenkstätten sie besuchen, mit der Frage nach dessen Echtheit. Einige der Schülerinnen und Schüler unterscheiden explizit zwischen historischen – von ihnen als echt verstandenen – Dokumenten und Zeugnissen einerseits und nachträglich verfassten Texten andererseits. An Selbstzeugnissen scheint mitunter, und dies im Gegensatz zu kommentierenden Texttafeln im Museumsraum, gerade deren Authentizität anzusprechen. Während jedoch an Informationstexten die lenkende Hand der Ausstellungsmachenden erkannt wird, bleibt ihnen diese verschlossen, wenn sie im Museumsraum auf arrangierte Zeugnisse treffen.

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Wie hoch die Erwartungen an das Persönliche als das Gefühlvolle mitunter sein können, wurde deutlich, wenn Schülerinnen und Schüler ihre Enttäuschung über sich nicht einstellende Emotionen in der Vermittlung des Holocaust artikulierten. Dabei zeigten sich Unterschiede in der Rezeption von Selbstzeugnissen einerseits und Biografien andererseits: Während die persönlichen Berichte fast ausschließlich und selbst dort, wo ihre nachträgliche Bearbeitung durch die Verantwortlichen offensichtlich ist, als direkte Ansprache der Überlebenden aufgefasst wurden und den Wunsch der Jugendlichen nach einer möglichst direkten Vermittlung der Geschichte zu erfüllen schienen, wurde an biografischen Porträts das Persönliche vermisst – das war besonders auffällig an den Biografiebüchern in Neuengamme, weniger an den Familienbiografien im Ort der Information. Nicht alle Personalisierungsformen wurden also gleichermaßen rezipiert. Selbstzeugnisse, egal ob schriftlich oder als Interview verfasst, schienen sich in meiner Stichprobe größerer Beliebtheit zu erfreuen als Biografien. In dem Zusammenhang war auffällig, dass einige derjenigen, die zu Neuengamme und Wannsee befragt wurden, die (von ihnen bereits besuchte) Präsentation im Ort der Information als Vergleichsmaßstab heranzogen, um zu beschreiben, was für sie eine persönliche und gefühlvolle Präsentation ist. Die in den Gedenkstättenausstellungen mit Personalisierungen verfolgte Vermittlungsstrategie scheint aufzugehen. Die jungen Ausstellungsbesuchenden sprechen das Persönliche an, wozu ihnen in frühen Präsentationen von Gedenkstätten in dieser Form gar keine Gelegenheit gegeben wurde. Auch wenn, wie die Jugendlichen betonen, personalisierende Präsentationen eine persönliche Begegnung mit den Verbrechenszeugen und -zeuginnen nicht ersetzen können, scheinen diese für sie doch eine Möglichkeit zu sein, wichtige Informationen über die historischen Ereignisse zu erfahren. Die Schülerinnen und Schüler greifen in ihren Interview- oder Diskussionsbeiträgen die Gefühlsebene auf, die von den Präsentationen selbst, aber auch – so ist einschränkend anzumerken – von Lehrkräften und Guides an sie herangetragen wird. Personalisierungen, so das übergreifende Ergebnis, scheinen jene Empathie zu ermöglichen, die sich die Gedenkstätten von der Integration von Selbstzeugnissen in die Dokumentation des historischen Geschehens erhoffen. Der Befund einer ausgeprägten Orientierung am Persönlichen in der Ausstellungsrezeption wird durch eine weitere Beobachtung gestützt: Auffallend viele der Befragten sprechen im Zusammenhang mit der musealen Zeugenschaft in Form von Personalisierungen auch persönlich erlebte Zeitzeugenbegegnungen an. Auch wenn für valide Aussagen über den Referenzrahmen ‚Zeitzeuge‘ in der Rezeption von Personalisierungen im Museumsraum eine umfassendere Untersuchung angezeigt ist, deuten bereits die vorliegenden Ergebnisse eine ausge-

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sprochene Orientierung der Jugendlichen an jenen Menschen an, die die historischen Ereignisse selbst erlebt haben. Von welcher zeitlichen Epoche die Person berichtet, scheint dabei zunächst unerheblich. Sobald ein Mensch von seinen Gefühlen und persönlichen Erfahrungen spricht, so lassen sich die unterschiedlichen Aussagen zusammenfassen, wird ihr Interesse geweckt. Die gestalterische Aufbereitung des Präsentationsortes verstärkt die Wahrnehmungsweisen von Selbstzeugnissen. Der Wunsch nach einer möglichst ‚direkten‘ Vermittlung der historischen Ereignisse wird an den beiden Gedenkstätten, die sich an ehemaligen Tatorten befinden, Neuengamme und Wannsee, klar durch Vorstellungen und Wissensvorräte über die historischen Orte verstärkt. Das Historische der Gedenkstätten und ihrer Ausstellungsgebäude war bei Schülerinnen und Schülern ein häufiger Bezugspunkt in Gesprächen und Diskussionen. In Neuengamme sind die Besuchseindrücke aller Befragten ganz wesentlich von dem Bewusstsein geformt, sich dort zu befinden, wo Menschen gequält wurden, gelitten haben und gestorben sind, und hier befragen sie die Selbstzeugnisse und biografischen Porträts ebenso klar auf Echtheit und Unmittelbarkeit wie das Außengelände und das Gebäude der Ausstellung. In der Täter-Villa am Berliner Wannsee ist die Rezeption deutlich von der – allerdings stark diffusen – Kenntnis um die hier stattgefundene historische Besprechung geprägt. Am Denkmal indes, das als ‚nichthistorischer‘ Ort untersucht wurde, wird das Gefühl von Unmittelbarkeit durch die Ausstellungsarchitektur und -gestaltung im Ort der Information künstlich hervorgerufen. Die Befragten schließen deutlich die Präsentationsform in ihre Beschreibungen der vermittelten Inhalte ein. Die Art und Weise, wie Selbstzeugnisse und biografische Porträts ausgestellt werden, bildet einen markanten Orientierungsrahmen für die Wahrnehmung des über sie vermittelten historischen Gegenstands. In allen drei Ausstellungen, so lässt sich zusammenfassen, wird der Mythos von Authentizität sowohl gesucht als auch bedient. Dieser erlaubt nicht nur eine besonders gefühlsbetonte Rezeption der Selbstzeugnisse und individuellen Schicksale. Die Vorstellung von ‚Hier ist es geschehen‘ bestätigt darüber hinaus auch die Autorität der Gedenkstätten, die die historischen Dokumente und Zeugnisse ausstellen. In positiver Abgrenzung zum Schulunterricht werden allen Ausstellungen die Attribute Anschaulichkeit und Atmosphäre zugeschrieben. Darin unterscheiden sich Schülerinnen und Schüler nicht von ihren Lehrkräften. Dieser Befund zeigt auch, wie hoch die Erwartungen von Schulgruppen an einen Gedenkstättenbesuch sind: Es geht um ein möglichst unmittelbares Erleben von Geschichte. Wenn die zu Neuengamme befragten Jugendlichen allerdings der Ausstellung das Außengelände gegenüberstellen, wird eben jenem die atmosphärische Vermittlung und der Ausstellung die Funktion der Wissensvermittlung zugeschrie-

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ben. Jugendliche am Wannsee trennen indes klar zwischen dem als historischem Konferenzraum ausgezeichneten Themenraum, an den sich ihre Imaginationen zu heften scheinen, und den anderen Ausstellungsbereichen, die sie aufgrund der hohen Lesedichte eher mit Wissensvermittlung gleichsetzen. Auch die Schülerinnen und Schüler, die ihre Eindrücke von dem Ort der Information schildern, empfinden den Ausstellungsbesuch gegenüber der Routine im Klassenzimmer als anschaulich und abwechslungsreich. Hier ist es der im einführenden Foyer gezeigte Überblick in Form einer ‚Zeitleiste‘, den sie deutlich von den nachgestellten Themenräumen abgrenzen. Während sie die ‚Zeitleiste‘ mit Schule identifizieren, zeigen ihre Aussagen über die Selbstzeugnisse und Biografien, dass sie eine personalisierende Vermittlung aus dem Schulunterricht nicht gewohnt zu sein scheinen. In dieser Hinsicht ergänzen Gedenkstätten und ihre Ausstellungsbereiche die Institution Schule, können sogar Vorbild in der Quellenwahl zur Geschichtsvermittlung sein. Die Jugendlichen trennen deutlich schulische Wissensvermittlung als kognitiv einerseits und personalisierende Gedenkstättenausstellung als emotional andererseits. Allerdings stehen sich in ihrer Ausstellungsrezeption Fühlen und Denken nicht unversöhnlich gegenüber. Es ist nicht so, dass die Vermittlung von Wissen über die NS-Verbrechen gefühllos aufgenommen wird oder Gedenken ohne Wissen möglich ist. Nach ihrem Ausstellungsbesuch gefragt, sprechen die Jugendlichen das Emotionale häufig mit Bezug auf die personalisierenden (Re-)Präsentationen an, ebenso verdeutlichen sie sich aber anhand von Selbstzeugnissen und (Über-)Lebensgeschichten bestimmte historische Ereignisse. Dieser Befund bestätigt die Annahme, dass Selbstzeugnisse sich, was die Rezeption angeht, nicht auf Gefühl und Empathie reduzieren lassen und auch auf der Faktenebene Einsichten ermöglichen, die aus offiziellen Dokumenten so nicht zu gewinnen sind: Sie berichten – aus der Perspektive der Opfer – von den Terrorund Vernichtungsstätten und veranschaulichen ungeschminkt das Verhalten der Mörder, denen sich die Verfolgten gegenübersahen. Die Statements der Schülerinnen und Schüler zeigen, dass Selbstzeugnisse und biografische Porträts nicht nur Gefühle vermitteln, sondern dass über sie auch neues Wissen transportiert wird. Die Artikulation von Wissenszuwachs in der Interview- oder Diskussionssituation lässt ferner jedoch auf bestehende Wissenslücken schließen. Im Alltag permanent mit den Themen Nationalsozialismus und Holocaust konfrontiert zu werden, eine auch in meiner Stichprobe geäußerte Einschätzung, schlägt sich also nicht zwangsläufig in vermehrtem Wissen über die historischen Ereignisse nieder (vgl. Ahlheim/Heger 2002, 64). Nicht zuletzt ist die auffällige Betonung von Wissenszuwachs vor dem Hintergrund der ausgeprägten Orientierung der Befragten an Wissensvermittlung zu deuten, einem Modus, mit dem die Jugend-

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lichen aus der Schule vertraut sind und der ihre Ausstellungsrezeption beeinflusst. Einige wenige Aussagen von Schülerinnen und Schülern über den Ort der Information haben mir ermöglicht, eine Gegenüberstellung in der Rezeption von personalisierten Selbstzeugnissen der Opfer einerseits und andererseits von anonymisierenden Fotos, die von den Tätern stammen, vorzunehmen. Die Befragten beziehen sich in ihren Redebeiträgen zweifellos stärker auf die von den jüdischen Opfern verfassten Berichte als auf die von den Tätern überlieferten Dokumente, dennoch ähneln sich die Rezeptionsweisen dieser so unterschiedlichen Quellentypen. In der Rezeption beider Präsentationsmittel kommen Wissenslücken ebenso zum Vorschein wie eine hohe Emotionalität. Inhalte werden durcheinandergebracht, Beschreibungen verbleiben im Allgemeinen, und an Selbstzeugnisse schließen sich mitunter keine weitergehenden Fragen an – insbesondere nicht an jene, die vom Massenmord selbst berichten und die häufig im Vordergrund der Schilderungen stehen. Eine offene Hinwendung der Jugendlichen an den zu vermittelnden Gegenstand wird in der Gedenkstättenpädagogik schockierenden Aufnahmen ab- und Personalisierungen zugesprochen (vgl. Köhr 2008, 175). Diese Annahme wird von der vorliegenden Studie nur bedingt bestätigt. Ich konnte zeigen, dass der Vermittlungsgegenstand ‚Judenmord und KZTerror‘ ohne Affekte nicht zu haben ist. Dabei ist die Artikulation von Entsetzen aber nicht auf besonders grausame Aufnahmen beschränkt, sondern findet sich auch bei besonders grausamen Erinnerungsberichten. Während es bei Selbstzeugnissen jedoch eine Ausnahme war, wenn von den Jugendlichen die Täter explizit angesprochen wurden, schienen sie von den Aufnahmen von Massenerschießungen dazu angeregt zu werden, sich über das Verhalten oder die Motive der Mörder zu äußern. So überwältigend und abschreckend, wie gemeinhin angenommen, scheinen die Abbildungen also nicht zu wirken. Allerdings handelt es sich hier, wie gesagt, nicht um repräsentative Ergebnisse, sondern um einen Befund, den ich aus der Gegenüberstellung weniger Interview- und Diskussionsbeiträge gewinnen konnte. Möglicherweise hängt das hier beobachtete Nichteinlassen auf Exponatinhalte auch mit dem mitunter oberflächlichen Ausstellungsblick zusammen, der angesichts des Besuchsmodus der überwiegenden Mehrheit der Schulgruppen kaum verwundert. Dieser Besuchsmodus ist vor allem dadurch charakterisiert, dass das Programm von Klassenfahrten in der Regel heterogen ausgerichtet und in einen engen Zeitrahmen gezwängt ist, sodass hier ein objektives Hindernis für eine auf Erkenntnis angelegte Auseinandersetzung mit Holocaust und Nationalsozialismus im schulischen Rahmen ausgemacht werden kann. Im zeitknappen Besuchsprogramm mit Eventcharakter ergeben sich für die Schülerinnen und Schü-

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ler kaum Gelegenheiten, sich mit den Inhalten der Gedenkstättenausstellungen auseinanderzusetzen. Das curriculare Gefüge, in das der Schulbesuch eingepasst ist, sieht eine 45-Minuten-Taktung vor, die auch die übliche Taktung für Gedenkstättenexkursionen vorgibt. Darüber hinaus nehmen Zehntklässlerinnen und Zehntklässler unterschiedlicher Schultypen sowie Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschüler die Ausstellungen im Rahmen von Gedenkstättenbesuchen wahr, deren Verlauf einen stark ritualisierten Charakter hat. So wie es ihnen an den meisten Schulen an Mitbestimmung mangelt, können auch nur wenige Schülerinnen und Schüler über den Gedenkstättenbesuch selbst bestimmen. Auch wenn Lehrkräfte engagiert sind, die Vermittlung von Judenmord und KZ-Terror als ‚Lerngegenstand‘ ist eingebunden in die Institution Schule, die durch kultusministerielle Vorgaben bestimmt ist. In Schule setzt sich schließlich auch ein bedeutsamer gesellschaftlicher Widerspruch fort, der darin besteht, dass Mündigkeit gefordert wird, während die gesellschaftlichen Strukturen selbst diese Mündigkeit permanent verhindern (vgl. Adorno 1972, 144). Als formierende Institution begrenzt Schule, wozu sie befähigen sollte: Selbstbewusstsein und Urteilsfähigkeit – eben Mündigkeit. Stattdessen herrschen Noten- und Kompetenzfixierungen vor, die letztlich arbeitsmarktbestimmt sind und schon frühzeitig Hierarchien zwischen Menschen anlegen. Das Setting ‚Schule‘ in der aktuellen Form scheint insgesamt eher schlecht dazu geeignet zu sein, an die Gegenwart eine Kritik zu richten, die sich (auch) aus dem Wissen um die Vergangenheit speist. Als besonders problematisch hat sich das in meiner Studie dargestellt, wenn Jugendliche die beiden Regime Nationalsozialismus und DDR unter dem gleichmachenden Begriff der Diktatur kennenlernten. Das Lehren der Totalitarismustheorie räumt den grundlegenden Unterschieden zwischen den Systemen zu wenig Platz ein und vereinfacht den Geschichtsverlauf auf unzulässige Weise. Heutige Rahmen- und Lehrpläne rücken die zu vermittelnden Inhalte in eine Form, die eine einseitige Sichtweise befördert, was sich dann in Programmen von Klassenfahrten, die den Besuch von Gedenkstätten beider Themenfelder vorsehen, fortsetzt. ‚Schule‘ scheint es unmöglich zu machen, das mit der Vergangenheit verbundene Lernziel nicht darauf zu beschränken, ich bleibe dabei und spitze zu, dass Diktaturen ‚schlimm‘ und ‚wir‘ in Deutschland keine sind. Anstatt Jugendlichen zu vermitteln, wie gut sie es heute im Vergleich zu einem doppelt unbestimmten ‚Damals‘ haben, müsste auch in Schule viel stärker der Anspruch von historisch-politischer Bildung verfolgt werden: ein kritisches Bewusstsein zu fördern, das sich an der Gegenwart schärft (vgl. Ahlheim 2010, 45-47). Diese Aufgabe stellt sich umso mehr, als Schuld oder ihre Zurückweisung, so schließlich ein weiterer Befund meiner Studie, als selbstständig gesetztes

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Thema in vielen Gesprächen der Jugendlichen auffällig anwesend ist. Das Leben ihrer Groß- und Urgroßeltern während des Nationalsozialismus beschäftigt die 14- bis 20-jährigen Frauen und Männer offensichtlich. Sie thematisieren auch eigene Schuldgefühle, die sie jedoch bis auf wenige Ausnahmen mit dem Verweis auf die Nichtbeteiligung ihrer Generation an den Verbrechen von sich weisen. Doch diese von Simone Lässig als „Generation der ‚Unbeteiligten‘ und ‚Distanzierten‘“ (Lässig 2006, 191) bezeichneten Jahrgänge sind vielleicht nicht so distanziert, wie in der Forschungsliteratur mitunter angenommen. Das evidente Faktum, dass die heutige Generation nicht persönlich an den Verbrechen beteiligt war, ist eine feststehende Grundlage des öffentlichen Erinnerungsdiskurses und wirkt gemeinschaftsstiftend. Das kollektive Gedenken an die NS-Verbrechen heute wird „generationell legitimiert“, wie Ulrike Jureit im Rückgriff auf Karl Mannheims „Formierungstendenz“ (Mannheim 1964, 545) von Generation und mit Blick auf die Aussprache des Bundestags über das Denkmal für die ermordeten Juden Europas am 25. Juni 1999 geschrieben hat (Jureit 2010, 83). Im Gedenken biete diese „Generationengemeinschaft“ den „Kriegs- und Nachkriegsgeborenen im Unterschied zur nationalen Verortung die Möglichkeit, sich als Kollektiv zu definieren, ohne die im Nationalsozialismus sozialen Akteure – Täter, Mitläufer und Zuschauer – mit einbeziehen zu müssen“, schreibt Jureit weiter (ebd.). Ich konnte in meiner Studie diese Tendenz in dem von nicht wenigen Jugendlichen artikulierten Wunsch aufzeigen, sich positiv auf Deutschland zu beziehen – ein Wunsch, dem die Gedenkstätten nicht nur nichts entgegensetzen, sondern dem sie vielmehr entgegenkommen, wenn sie sich im Rahmen einer Nationalisierung des Gedenkens rezipieren lassen als notwendige Bausteine einer kollektiven Identität, zu der die Auseinandersetzung mit Holocaust und Nationalsozialismus eben dazugehört. Die Vergangenheit ist virulent in meiner Stichprobe, und ‚Generation‘ kommt dabei als ausgeprägte Orientierung zum Vorschein, mit der auf die persönliche Nicht-Schuld an den Massenverbrechen hingewiesen wird. Insgesamt bestätigt die Befragung der Jugendlichen zwar Jureits Annahme eines konstitutiven Ausschlusses der vorhergehenden Generationen, im Wunsch um einen positiven Bezug auf Deutschland wird jedoch eine nationale Komponente sichtbar, die sich eben aus diesem Ausschluss ergibt. So steht die Beschäftigung der Enkelgeneration mit Holocaust und Nationalsozialismus heute dem herrschenden Realitätsprinzip nicht mehr entgegen, sondern wird von diesem vielmehr bestätigt. Dabei zeigt die von den Schülerinnen und Schülern vielfach betont emotionale Rezeption von Personalisierungen, dass der Holocaust nicht unbeteiligt wahrgenommen wird, sondern „auch für die Nachkommen der Täter und die Deutschen insgesamt zu einer ‚heißen‘, emotional nach wie vor af-

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fizierenden virulenten Erinnerung geworden“ ist (Assmann/Brauer 2011, 74). Kollektive nationale Identität, so ließe sich akuminös formulieren, besteht bei jungen Menschen heute häufig sowohl aus einem empathischen Bezug auf die Opfer der Deutschen als auch aus einem unkritisch-emotionalen Bezug auf ein Deutschland, das sich selbstbewusst und verantwortungsvoll gibt und sich nichts vorzuwerfen hat.

6.2 Ü BER DIE ANGEMESSENHEIT DER (R E -)P RÄSENTATION VON M ASSENMORD Auf ihrer Deutschlandreise 1949/50 beschrieb Hannah Arendt die Bevölkerung als „Gespenster, die man mit den Worten, mit Argumenten, mit dem Blick menschlicher Augen und der Trauer menschlicher Herzen nicht mehr rühren kann“ (Arendt 1993, 35f.). Heute, nach über 60 Jahren, ist diese Diagnose – jedenfalls was die meisten Schülerinnen und Schüler angeht, die an meiner Studie teilgenommen haben – nicht mehr zutreffend. Wenn die Jugendlichen in Gruppendiskussionen und Interviews über die von ihnen besuchten Gedenkstättenausstellungen sprechen, in denen die Augen anderer sie von Fotos anblicken und vertonte und schriftliche Selbstzeugnisse von den leidvollen Erfahrungen der verfolgten und ermordeten Menschen berichten, betonen sie vielmehr eine mitfühlende Bezugnahme auf die Opfer der hier dargestellten deutschen Massenverbrechen. Ausgehend von der emotionalen Vermittlung und Aneignung von Judenmord und KZ-Terror, die als aktueller Trend in deutschen Gedenkstätten und ihrer Rezeption ausgemacht werden konnten, zeige ich nachfolgend Dilemmata der (Re-)Präsentation von Massenmord anhand von Personalisierungen und anhand von Limitierungen des (Nicht-)Ausstellens von ‚Schreckensbildern‘ in deutschen Gedenkstätten auf. Ich diskutiere die gegenwärtige Präsentationspraxis und ihre konzeptionellen Begründungen. In diesen erscheinen Selbstzeugnisse und Biografien einzelner Ermordeter, die von ihnen transportierte Perspektive sowie ihr Potenzial, die Zeugnis Ablegenden in der Darstellung nicht erneut zu entwürdigen, als kaum zu vereinbarender Widerspruch zu anonymisierenden Abbildungen der Opfermassen. Dilemmata von personalisierenden Gedenkstättenausstellungen oder die Unmöglichkeit, nicht exemplarisch auszustellen Nazi-Deutschland hatte die Auslöschung des Individuums institutionalisiert. Der nationalsozialistische Staat war, wie Herbert Marcuse Anfang der 1940er Jahre

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schrieb, „ein ‚Staat der Massen‘, aber die Massen sind nur insoweit Massen, wie sie sich aus atomisierten Individuen zusammensetzen“ (Marcuse 1998, 103). Eine Subjektwerdung, die durch abstrakte gesellschaftliche Strukturprinzipien geprägt ist und eine Befriedigung narzisstischer Bedürfnisse im kollektiven Narzissmus verspricht, ist nicht auf den Nationalsozialismus beschränkt. Auch vor und nach Auschwitz, das hat die kritische Theorie in Anknüpfung an Karl Marx und Sigmund Freud gezeigt, wurde und wird von den Subjekten die Identifikation mit einer nationalstaatlich strukturierten Welt gefordert, eine individuelle Spezifik jedoch kaum zugelassen (vgl. Schweppenhäuser 1996, 90f.). Aber auch wenn die permanente Einschränkung von Individualität ein Charakteristikum entfalteter kapitalistischer Vergesellschaftung schlechthin ist – auch im heutigen Spätkapitalismus, in dem doch permanent von Individualität die Rede ist (vgl. Behrens 2004, 47-50) –, zum Prinzip erhoben hatte die Eliminierung des Einzelnen erst Nazi-Deutschland. Nicht nur gingen die einzelnen ‚Volksdeutschen‘ in der faschistischen Masse auf und damit unter, sondern der NS-Vernichtungsapparat zielte auch auf die systematische Entpersonalisierung der Opfer dieser Gesellschaft. Dazu Adorno: „Mit dem Mord an Millionen durch Verwaltung ist der Tod zu etwas geworden, was so noch nie zu fürchten war. Keine Möglichkeit mehr, daß er in das erfahrene Leben der Einzelnen als ein irgend mit dessen Verlauf übereinstimmendes eintrete. Enteignet wird das Individuum des Letzen und Ärmsten, was ihm geblieben war. Daß in den Lagern nicht mehr das Individuum starb, sondern das Exemplar, muß das Sterben auch derer affizieren, die der Maßnahme entgingen. Der Völkermord ist die absolute Integration, die überall sich vorbereitet, wo Menschen gleichgemacht werden, geschliffen, wie man beim Militär es nannte, bis man sie, Abweichungen vom Begriff ihrer vollkommenen Nichtigkeit, buchstäblich austilgt.“ (Adorno 1997c, 355)

Die Opfer des Holocaust waren mit einer Realität konfrontiert, die ihnen selbst noch ihren individuellen Tod nahm. Die Mörder sprachen den Männern, Frauen und Kindern das Menschsein ab und verstellten die Authentifizierung einer subjektiven Narration. Das bedeutet nicht, dass die Mordenden ihren Opfern tatsächlich die Personalität nachträglich weggenommen hätten, und auch ohne personalisierende Gedenkmuseen träfe die Allmacht-Fantasie der Nazis, die von ihnen Gejagten und Verschleppten seien keine Menschen gewesen, nicht zu. Verfolgung und Massenmord waren keine anonymen Vorgänge, sondern schlossen die direkte Begegnung zwischen zu benennenden Tätern und Opfern ein (vgl. Langer 1998, xii; Berg 1996, 46), sie waren aber ein kollektiver Prozess, in dem die Selbsterfahrung gekappt wurde und der, wie Adorno hier schreibt, auf

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die Zerstörung von Individualität zielte sowie die Anonymisierung des Todes zur Folge hatte. Der verfolgte Einzelmensch wandelte sich im Täterblick in ein Exemplar einer zu vernichtenden Gattung. Zuckermann hat im Anschluss an Adorno auf die Konsequenzen dieses Grundverhältnisses für die Repräsentation des Holocaust aufmerksam gemacht: Individualisierende Darstellungen von Geschichte seien nicht unproblematisch, denn „gerade das Einzelschicksal begibt sich seines Individuellen, wenn es beispielhaft wird, also Exemplarisches intendiert“ (Zuckermann 2003, 4). Werde aber, so Zuckermann weiter, „das Einzelne in seiner spezifischen Eigentümlichkeit bewahrt, verfehlt man Wesentliches – namentlich das Entindividualisierende, die in der kruden Industrialisierung der Mordmaschinerie sich ausprägende Anonymisierung alles Einzelmenschlichen“ (ebd.). Diesen Gedanken aufnehmend lässt sich ein Dilemma von Gedenkstättenausstellungen aufzeigen, die auf Personalisierungen als Dokumentationsmodus zurückgreifen: In dem Versuch, die Einzelnen sichtbar zu machen und eine Abstraktion vom Individuellen nicht zu wiederholen, ihnen aber gleichzeitig aufgrund des Vermittlungsauftrags die Rolle eines ‚Exemplars‘ zuzuschreiben, erfahren die porträtierten Personen im Museumsraum notwendig eine erneute De-Personalisierung. So sehr heute das Persönliche in Gedenkstätten betont wird – ob durch ausgestellte Privatfotografien (vgl. Brink 1998, 217), durch um biografische Angaben erweiterte Namensverlesungen oder andere Formen des Gedenkens –, Personalisierungen ist nicht zu entnehmen, was für ein Mensch eine Person ‚wirklich‘ gewesen ist. In der musealen Verschränkung von Gedenken und Bildung wandelt sich das Persönliche dann in eine arrangierte Beispielhaftigkeit: Wenn anhand von individuellen Lebensgeschichten allgemeine Aspekte der Verfolgung vermittelt werden sollen, kommt es über die den Besuchenden suggerierte Illusion einer persönlichen Bekanntschaft zu einer anderen Form der Anonymisierung des Individuellen. Die persönlichen Berichte der ‚herausgegriffenen‘ Einzelnen stehen bestenfalls exemplarisch für etwas, weil sie mit einem bestimmten Zweck ausgestellt und betrachtet werden, nämlich bestimmte Aspekte des Geschehenen zu repräsentieren bzw. zu verstehen. Im Ort der Information und in der Hauptausstellung in Neuengamme kommt den porträtierten Familien bzw. Häftlingen der ausstellungsdidaktische Zweck zu, die Dimension der NS-Verbrechen sowie geografisch unterschiedliche Verfolgungs-, Haft- oder Mordumstände am Beispiel von Familien oder Einzelnen zu verdeutlichen. In der ständigen Ausstellung am Wannsee ist der Fall ähnlich gelagert, doch tritt am Ausstellungsbeginn der pädagogische Zweck der vier Familienporträts deutlich hinter dem Aspekt des Gedenkens zurück. Zwar stehen die Familien symbolisch für die ‚Sechs Millionen‘ und geben einer im gleichen Raum präsentierten Karte mit Zahlenangaben zu jü-

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dischem Leben vor der Verfolgung exemplarisch ein Gesicht, werden ansonsten aber für sich vorgestellt. Das ermöglicht vor dem Gang durch die Ausstellung eine anteilnehmende Parteilichkeit mit den Verfolgten, ohne im gleichen Moment an einen Lerneffekt gebunden zu sein. Mittel zum Zweck zu sein, das ist Präsentationsmitteln immanent. Die untersuchten Gedenkstättenausstellungen arbeiten, wie jedes andere Museum auch, exemplarisch. Ausstellungsmachende möchten bestimmte historische Sachverhalte vermitteln, für die im Ausstellungsbereich nur ein begrenzter Raum zur Verfügung steht (vgl. Scholze 2004, 119). In Gedenkstätten werden ‚passende‘ Lebens- und Leidensgeschichten ausgewählt, von denen biografische Materialien überliefert sind, um sie an bestimmten Stellen in die historische Dokumentation zu integrieren. Im Ausstellungsakt wandeln sich die Opfer in ein Mittel für einen bestimmten pädagogischen Zweck, während diejenigen, die keinem bestimmten Typus zugeordnet werden, aus der Darstellung und damit aus dem kollektiven Gedächtnis ausgeschlossen bleiben. Dieses Problem einer erneuten De-Personalisierung über Exemplarität scheint nicht lösbar, wenn daran festgehalten werden soll, historische Ereignisse über das Individuelle zu vermitteln. Erschwerend kommt hinzu, dass das Einzelschicksal ohne Vorwissen bzw. ohne die Vermittlung von Hintergrundwissen in der Regel nicht hinreichend verständlich wird. Aus der Hinwendung zum Einzelnen ergibt sich also nicht notwendig der Schluss auf das Ganze. Die Kuratorinnen und Kuratoren der untersuchten Ausstellungen wünschen sich dennoch, ausgehend von individuellen Beispielen die Dimension der Verfolgung und Vernichtung begreifbar machen zu können. Dabei setzen sie auf eine Verzahnung von Individual- und Strukturgeschichte, bei der die übergreifenden Rahmenbedingungen nicht zu weit in den Hintergrund der Rezeption des individuellen Schicksals treten sollen, damit die spezifische Lebensgeschichte nachvollziehbar bleibt. Die Notwendigkeit, in der Vermittlung des Holocaust das Individuelle und den historischen Kontext miteinander zu verbinden, hat auch Doron Avraham, der ehemalige Leiter des European Desk der Internationalen Schule für Holocaust-Studien von Yad Vashem, im Interview betont: „The idea is that you bring the students closer to the individual stories. I think it is essential if we want them to understand. However, at the same time, you cannot understand the historical processes appropriately only from the individual story. You also have to have the historical Überblick.“ (Avraham 2008)

Auch wenn Auschwitz als Ganzes nicht ‚erklärbar‘ ist, wird durch die historische Kontextualisierung doch erreicht, dass die Massenvernichtung nicht von

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vornherein der Unerklärbarkeit anheimgegeben, sondern in ihren Etappen, Faktoren und Folgen verstehbar wird. Die untersuchten Ausstellungsbereiche verdeutlichen darum historische Zusammenhänge als Bedingung für das millionenfache Leid, das dem Gedenkstättenpublikum als individuell erfahrenes vorgestellt wird. In der Ausstellung am Wannsee ist die Verzahnung von Individualund Strukturgeschichte besonders gut gelungen, da hier der Geschichte von Judenhass und der Situation von Jüdinnen und Juden in der Weimarer Republik eine große Ausstellungsfläche gewidmet ist, aber Selbstzeugnisse auch fast durchgehend in die Dokumentation des Holocaust integriert sind. Ähnlich in Neuengamme: Am Beginn der Hauptausstellung wird das Konzentrationslager zwar in einen stark verkürzten historischen Überblick eingeordnet, in den folgenden Ausstellungsbereichen sind die persönlichen Häftlingserfahrungen dann aber durchgehend in die Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Konzentrationslagers eingefügt. Im Ort der Information hingegen sind die allgemeinen Informationen über die Rahmenbedingungen hauptsächlich auf den historischen Überblick am Ausstellungsbeginn konzentriert, und es ist fraglich, inwieweit dieser dann in den anschließenden Themenräumen beim Betrachten und Hören des Grausamen des Judenmords noch präsent ist. Personalisierungen. Das ‚Andere‘ von ‚Schreckensbildern‘? Matthias Heyl, dem Leiter der pädagogischen Dienste der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück, ist zuzustimmen, wenn er mit dem Begriff ‚Schockpädagogik‘ Präsentationsformen in Gedenkstätten kritisiert, die Aufnahmen von Leichenbergen „zur illustrativen Evozierung eines Schocks“ bei Besuchenden gezielt nutzten, womit im gleichen Moment „die Würde der auf den Bildern Abgebildeten […] in den Hintergrund“ trete (Heyl 2004, 126). Das Zeigen von ‚Schreckensbildern‘ bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, diejenigen, die keines würdevollen Todes gestorben sind, erneut zu entwürdigen, wenn davon ausgegangen wird, dass die Entwürdigung nicht in dem Bild an sich steckt, sondern in der Art und Weise, wie und mit welcher Absicht es präsentiert und in welchem Kontext es gezeigt wird. Mit der Frage, wie Bilder der Massenvernichtung heute gezeigt werden können, hat sich auch der Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman in seinem Buch Bilder trotz allem auseinandergesetzt, das sich mit den wenigen von Opfern selbst aufgenommenen Fotos beschäftigt. Auch diese Bilder zeigen Jüdinnen und Juden im Angesicht ihrer Ermordung in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau, hier jedoch wurden die Individuierungsmerkmale, die Gesichter, von den Fotografierenden selbst geschwärzt, um die Individuen vor ihrer faktischen De-Personalisierung im Lager zu bewahren, ohne doch die Abbildbarkeit ganz aufgeben zu können (vgl. Didi-Huberman 2007, 58f.).

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Ferner teile ich auch nicht die Annahme, der bloße Blick auf ein Foto, das vom fotografierenden Täter entwürdigend gemeint war, könne den fotografierten Menschen, der keines würdevollen Todes gestorben ist, erneut entwürdigen (vgl. Brink 1998, 209). Es spricht alles dafür, die Opfer der Verbrechen ‚würdevoll‘ im Sinne von ‚anerkennend‘ darzustellen (vgl. Lutz 2009, 190). Daraus folgt aber nicht, dass das Zeigen von Leichenbildern oder von in den Tod getriebenen Personen per se einem würdelosen Umgang mit den Ermordeten gleichkäme. Wenn Gedenkstättenausstellungen die entwürdigenden oder gar die in der Gedenkstättenliteratur betonten ‚voyeuristischen‘ Blicke (vgl. Brink 1998, 204) verhindern wollten, dann wäre die Konsequenz das Nichtzeigen dessen, was den Entwürdigten angetan worden ist, denn nur dann, so die Logik der Argumentation, werde deren Entwürdigung vermindert. Das Nichtzeigen des Schlimmsten ist aber nicht die beste Medizin gegen eine anhaltende Entwürdigung der Opfer in der musealen Historiografie. Und wer Gedenkstätten mit welchen Motiven besucht, das wird sich kaum kontrollieren lassen. Es geht also vielmehr um den instrumentellen Umgang mit schockierenden Abbildungen, um die Frage, wie zumeist von Tätern oder Befreiern aufgenommene Schreckensszenen in Gedenkmuseen ausgestellt werden. Ob eine Sitzecke am Ausstellungsende, und auf ein solches Arrangement beziehen sich Heyls Ausführungen, das passende Setting ist, um Bilder von Toten zu zeigen, kann bezweifelt werden. Gegen ein kommentiertes Einfügen solcher Aufnahmen in die historische Dokumentation spricht aber nichts. Um das Menschsein der Verfolgten in der Wahrnehmung der historischen Ereignisse nicht auszulöschen, sind ihre persönlichen Berichte unverzichtbare Quellen. Da Gedenkstättenausstellungen aber gleichermaßen den Anspruch haben, die faktische De-Personalisierung der Opfer während der Verfolgung und Vernichtung zu vermitteln, stellt sich ihnen die Aufgabe, die Degradierung des Individuums in ein verfolgtes Objekt ebenso zu vermitteln wie die Persönlichkeit, die den Vielen dabei abgesprochen wurde. Heyl schreibt weiter, dass es „eine ganz normale psychische Reaktion und Abwehrhaltung [sei], schockierende Fotografien eigentlich nicht sehen zu wollen“ (ebd., 127; H. i. O). Es stimmt, die Abbildungen können – und nicht nur bei Holocaust-Leugnerinnen und -Leugnern – den Wunsch auslösen, nicht hinsehen zu müssen. Sie erfordern von den Betrachtenden vielleicht sogar die Indifferenz, die nach Adorno das Morden vorausgesetzt hat. Diesen Gedanken aufgreifend hat Moshe Zuckermann auf einer Diskussionsveranstaltung 1999 kurz vor der Bundestagsentscheidung über das Denkmal für die ermordeten Juden Europas anlässlich der Reaktion eines jungen Israeli auf die TV-Produktion Holocaust kritisch hinterfragt, „einen emotionalen Bezug zum Holocaust“ (Zuckermann

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1999c, 48; H. i. O) konstituieren zu wollen. Einen solchen hatte der junge Mann dem kulturindustriellen TV-Produkt zugesprochen – dieses habe ihm die historischen Ereignisse endlich nähergebracht –, während ihn dokumentarische Bilder von Leichenbergen paralysierten und eine Bezugnahme auf das Geschehene verhinderten. Die Aussage erstaunt besonders, weil Israel eine Gesellschaft ist, in der der Holocaust im Alltag äußerst präsent ist und Familienschicksale ähnlich der fiktiven Filmfamilie Weiß im Film Holocaust den meisten Israelis auch ohne TV ganz real bekannt sind. Die von Zuckermann aufgeworfene Frage nach der Angemessenheit einer emotionalen Annäherung an die Massenvernichtung ist aber auch für deutsche Gedenkstätten und ihr Publikum relevant. Wie ich in den Ausstellungsanalysen gezeigt habe (Kap. 2-4), betonen die Ausstellungsmachenden, wie wichtig es sei, Besuchenden einen empathischen Zugang zu den Opfern des Massenmords zu ermöglichen. Dazu seien Selbstzeugnisse und personalisierende Darstellungen von Einzelfällen der Millionen Toten besonders geeignet. Darstellungen von individuellen Schicksalen seien konkret und ermöglichten eine mitfühlende Hinwendung, Darstellungen der Masse der Toten hingegen seien zu abstrakt und abschreckend – so die wiederholte Überzeugung. Angesichts dieses wenig hinterfragten, gedenkstättenübergreifenden Trends in Deutschland lässt sich zu bedenken geben, ob nicht vielleicht „die Verkrampftheit, die Paralyse im Angesicht dieser totalen Anonymisierung des Todes, die Entfremdung gegenüber dem anonymen Massenmord noch die adäquateste Form“ (Zuckermann 1999c, 48) in der Auseinandersetzung mit den Verbrechen ist. Eine dem Vermittlungsgegenstand ‚angemessene‘ Reaktion kann mit dem Bedürfnis nach einem emotionalen Bezug auf das Geschehene in Widerspruch treten. Die Frage ist demnach die nach der ‚Angemessenheit‘ selbst. Darauf hat auch Detlev Claussen aufmerksam gemacht und zugleich betont, dass es der intellektuellen Anstrengung bedürfe und nicht des Appells ans Gefühl, um sich mit den Massenverbrechen auseinanderzusetzen: „Die Taten in den Konzentrationslagern konfrontieren den Zuschauer mit einer Wirklichkeit, die er spontan nicht zu erfassen mag. Die Indifferenz, die das Anschauen von Knochenbergen erzeugt, lässt sich nur aufheben durch intellektuelle Aneignung der Wirklichkeit, nicht durch den Appell ans Gefühl.“ (Claussen 1994, 180)

Folgt man Claussen und Zuckermann, ist vielleicht gerade die Indifferenz oder Paralyse in der Auseinandersetzung mit dem Holocaust der Anknüpfungspunkt historisch-politischer Bildungsarbeit, um die Vergangenheit in der Gegenwart überhaupt erkennen zu können. Dazu gehört, insbesondere in Deutschland, auch das Nachdenken über die Täter. So problematisch ‚Schreckensbilder‘ für die Ge-

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denkstättenpädagogik mitunter sind, sie können, wie Claussen über Fotos aus Bergen-Belsen schreibt, Fragen nach den Tätern auslösen: „Wer war das? Wer hat das getan? Wer waren die Täter?“ (ebd., 177). Die schriftlichen und vertonten Augenzeugenberichte, die in den untersuchten Gedenkstättenausstellungen gezeigt werden und die auf einer nichtbildlichen Ebene die Massenvernichtung beschreiben, lassen Fragen nach den Tätern zwar ebenfalls zu, empirisch ließ sich diese Rezeptionsweise von Selbstzeugnissen aber kaum beobachten. Abwehrende Reaktionen von Besuchenden auf die Fotos können unterschiedlich motiviert sein. Der spontane Wunsch, nicht hinsehen zu müssen, ist ein Motiv, das gemessen am Gegenstand – denn die Judenvernichtung selbst ist der Schock – gar nicht so erstaunt. Die Aufnahmen nicht sehen zu wollen kann aber auch den Wunsch ausdrücken, sich am liebsten gar nicht mit der historischen Realität auseinandersetzen zu wollen. In Deutschland, hat Claussen gegen die Revision im Gedenken geschrieben, „ist die Flucht vor der Vergangenheit illegitim, weil sie die Flucht vor dem Anblick der Tat ist“ (ebd., 182). Darum sollte das Zeigen von erschreckenden Fotos nicht in Frage gestellt werden mit dem Verweis auf ‚Schockpädagogik‘, ‚Betroffenheitspädagogik‘ oder gar ‚Leichenbergpädagogik‘ (vgl. Brink 1998, 204), die der Kinder-, Enkel- oder Urenkelgeneration eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aufbürde, die ihre Eltern unzureichend geleistet haben (vgl. Kaiser 2001, 107). Anstatt das alte Ausstellen als Angriff auf die gedenkende Gegenwart zu verstehen, wäre die Frage eher, wie überhaupt Bilder und Dokumentationszusammenhänge herstellbar sind, deren kulturindustrielle Einordnung ihrer individuellen Erfahrung nicht ohnehin schon vorausgeht. Eine Kritik an von Tätern oder Zuschauern aufgenommene Fotos, die neben dem Argument der entwürdigenden Darstellung ausschlaggebend war für die veränderte Ausstellungspraxis in Deutschland, lautet, dass sie „den Blick der Täter auf ihre Opfer reproduzieren“ (Brink 1998, 218). Das wiederholte Zeigen von Fotos, mit denen die Täter, wie Frank Stern schreibt, „ihren Blick auf die Ermordeten oder bereits Getöteten verewigen wollten“, lasse uns „eben diese Perspektive der Täter, wenn auch passiv, einnehmen“ (Stern 2006, 56). Die ungewollte Einnahme der Tätersicht beim Betrachten ihrer Aufnahmen werde zudem „immer problematischer, da diese Bilder sich vom Wissen um die Hintergründe, Ursachen und Verantwortungen trennen, sich verselbstständigen, zum europäischen Panoptikum toter Juden und anderer KZ-Insassen werden“ (ebd.). Stern fordert aber nicht, solche Aufnahmen nicht zu zeigen, sondern schlägt eine Umkehrung der Sichtachsen vor: Man müsse „die Blicke und Perspektiven der Opfer rekonstruieren, also unseren Blick von der Kamerarichtung weg auf die Menschen hinter der Kamera, die SS- und Wehrmachtssoldaten, richten“ (ebd., 57).

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Inwiefern reproduziert sich aber der Täterblick notwendig beim Betrachten von ‚Schreckensbildern‘? Sofern die Täter auf den Aufnahmen überhaupt zu sehen sind, aber nicht ausgewiesen werden, geben die Fotos sicherlich keine ermächtigte Perspektive der Opfer wieder. Und wie wichtig diese in Gedenkstättenausstellungen ist, um die Sicht der Täter zu korrigieren, habe ich mit meiner Studie begründet. Ob es sich in der (musealen) Geschichtsschreibung um Täterdokumente handelt, in denen die Opfer lediglich als Verfügungsmasse und Statistik erscheinen, oder um Aufnahmen, die sie als Teil eines Leichenbergs oder in Massengräbern zeigen – sie sind, wie Selbstzeugnisse, Beweise der Tat. Denkbar ist, dass diejenigen, die heute eine Gedenkstättenausstellung besuchen, auf den Fotos zwar das Gleiche sehen wie die Täter, aber etwas ganz anderes denken und fühlen, nicht zuletzt, weil die gesamte Ausstellung mit Text- und Dokumentenbeispielen gegen diese Bilder steht. In der Museumsforschung wird heute die aktive Rolle von Besuchenden betont und ein einfaches Sender-Empfänger-Modell verworfen, demnach klare Botschaften gesendet und unverändert aufgenommen werden (vgl. Baur 2009, 76f.). Dies ist allerdings umgekehrt auch nicht so zu verstehen, als würden die Empfänger – also die Subjekte – allein über die Rezeption entscheiden und als hielten die Sender – also die Objekte – beliebige Erkenntnis bereit: „Zwischen dem wahrhaften Gegenstand und dem unbezweifelbaren Sinnesdatum, zwischen innen und außen, klafft ein Abgrund, den das Subjekt, auf eigene Gefahr, überbrücken muss. Um das Ding zu spiegeln, wie es ist, muß das Subjekt ihm mehr zurückgeben als es von ihm erhält.“ (Horkheimer/Adorno 1997a, 213)

Zwischen Subjekt und Objekt besteht also eine Spannung, die weder die Rezeption völlig reglementiert noch das zu Rezipierende völlig determiniert. Vielmehr ist die Aneignung des Ausstellungsinhalts ein dynamischer Prozess, in dessen Verlauf Bedeutung erst hergestellt wird. Je nach Vorwissen, Kontext des Besuchs und weiteren Faktoren werden unterschiedliche Besucherinnen und Besucher das in der Ausstellung Präsentierte unterschiedlich ‚lesen‘ und interpretieren. Als Personen sind die Einzelnen in Leichenbergen kaum wahrzunehmen. Vergewaltigte, in den Tod getriebene Frauen sehen auf den Bildern nicht ‚würdevoll‘ aus, weil Deutsche und ihre Gehilfen sie nicht ‚würdevoll‘ gequält und ermordet haben. Die Fotos bilden die entmenschlichende und entindividualisierende Tat ab, die sich noch im Bild wiederfindet. Besuchende sehen, was die Täter visuell festgehalten haben, und denken möglicherweise gegen diejenigen, deren Motive sichtbar werden. Vielleicht erkennen sie auch, dass das Fotografie-

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ren von Ermordeten oder noch zu Ermordenden selbst ein „bewußt eingesetztes Instrument der Entmenschlichung und Entindividualisierung war“ (Stern 2006, 51), mit dem die Täter ihre ‚Heldentaten‘ in Szene gesetzt haben. Nur wer eine Gedenkstätte mit der Erwartung betritt, er oder sie werde nun tatsächliche Heldentaten zu sehen bekommen, wird diese auch sehen. Das lässt sich allerdings nicht verhindern. Gedenkstätten sind aber auch keine Orte, um alte und neue Nazis umzuerziehen. Eher schon solche, in denen der Holocaust als ein kulturelles Phänomen erlebbar gemacht wird, was im Falle rechtsextremer Besuchender eben nicht ausreicht, um einer Positivierung des Gesehenen entgegenzuwirken. Erfolgt das steigende Interesse, Gedenkstätten aufzusuchen und sich mit dem Holocaust zu beschäftigen, doch in einem gesellschaftspolitischen Setting, in dem die museale Präsentation der Massenverbrechen als Kultur vermittelt wird. So verwandelt das von der Stadt Hamburg an der Neuengammer Bushaltestelle ‚KZ-Gedenkstätte (Ausstellung)‘ aufgestellte Schild, das den Erinnerungsort mit dem Motiv der Häftlingsbiografien vorstellt, die NS-Verbrechen zum Kulturgenuss und die Gedenkstätte zum touristischen Teil von ‚Kultur entdecken, Kultur erleben!‘. Das Stelenfeld des Denkmals in Berlin, Postkartenmotiv und Schauplatz für Werbekampagnen, ist wohl die bekannteste Manifestation einer Erinnerungskultur, innerhalb derer sich eine Kombination aus Individualisierung und Täterblick gegen heutige Rechtsextreme kaum sperrt. Die Alliierten haben bei der Befreiung der deutschen Lager Ähnliches wie die Mörder gesehen, waren bei dem unmittelbaren Anblick der Tatorte und ihrer Opfer aber so geschockt, dass sie annahmen, diese Reaktion würde sich im Rahmen der Re-Education-Politik auch bei der deutschen Bevölkerung einstellen (vgl. Marcuse 1993, 82). Die veröffentlichten Aufnahmen von den Terrororten sollten den verbrecherischen Charakter des NS-Regimes vor Augen führen und bei den Deutschen eben jenen Schock auslösen, den die Alliierten bei ihrer Ankunft in den Lagern selbst erfahren hatten. Wie Brink ausführt, bezweifelte kaum jemand, „der damals diese Bilder veröffentlichte, um über die Verbrechen aufzuklären – auch nicht die Überlebenden der Lager – […], daß ihr Anblick spontan Entsetzen über die Tat, Abscheu gegenüber den Tätern und Mitleid mit den Opfern wecken würde“ (Brink 1998, 203). Diese frühen Darstellungen der Lagerrealität beruhten noch nicht auf theoretischen und expliziten ausstellungsdidaktischen Überlegungen. Sie zeigen zudem, dass weder den Überlebenden noch ihren Befreiern Vorbilder für die Repräsentation des systematischen Massenmords zur Verfügung standen und dass das historische Geschehen selbst als Vorbild seiner Darstellung diente (vgl. Knigge 2005b, 399). Die Erwartungen erfüllten sich jedoch nicht, stattdessen wehrte die deutsche Bevölkerung die von den Alliierten veranlasste Konfrontation mit den Verbrechen unter dem Stich-

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wort ‚Kollektivschuldvorwurf‘ ab (vgl. Frei 1996, 17; ders. 2000). „Seit diesem April 1945“ höre man, so Claussen, „bei der Konfrontation mit den Tatsachen den Aufschrei in Deutschland: ‚Müssen wir uns das immer von neuem ansehen? Könnt ihr nicht endlich aufhören? Einmal muss doch Schluß sein!‘“ (Claussen 1994, 181). Die fast schon zur Selbstverständlichkeit gewordene Vehemenz, mit der sich heute in deutschen Gedenkstätten unter dem Stichwort ‚Schockpädagogik‘ gegen das Zeigen von Leichenbildern gewandt wird, erinnert mitunter an die von Claussen zitierten Äußerungen von Schlussstrichvertretenden – auch wenn die Intention eine ganz andere sein mag. Aufnahmen, die die Opfer in den furchtbarsten Momenten zeigen, werden im Museumsraum heute entweder durch schriftliche Kommentare ergänzt, die ihren Kontext erläutern, oder mit Quellen konfrontiert, die die Perspektive der Verfolgten verdeutlichen. Die veränderte Ausstellungspraxis mag nicht zuletzt an der massenmedialen Wiederholung dieser Bilder in historischen Dokumentationen, in der Kunst und in Filmen liegen, die diese Aufnahmen in eine Gesamtkultur einordnen und so effektiv aus ihrem Sonderstatus lösen. Für die Rezeption derjenigen Besuchenden, die nicht über die Kompetenz verfügen, die an die Stelle von ‚Schockfotos‘ getretenen Aufnahmen einzuordnen, ist das ‚neue‘ Ausstellen jedoch nicht unproblematisch, da die eingewechselten Fotos, ein Befund, der vor allem für das Haus der Wannsee-Konferenz gilt, die Betrachtenden mindestens ebenso sehr auf ihr mitgebrachtes Vorwissen, auf die Bildkommentare oder auch auf die Erläuterungen der Guides zurückwerfen. Auch wenn das Dokumentierte personalisiert wird, ist die Personalisierung nicht notwendig Teil der visuellen Wahrnehmung. Möglicherweise verstärkt dieser Gegensatz das Auftreten der Einzelschicksale als Schicksale noch zusätzlich. Das in Gedenkstättenausstellungen vermittelte Bild der „dreckigen KZs“ (Marcuse 1993, 80) ist, so lässt sich mit Harold Marcuse zusammenfassen, ‚sauberer‘ geworden. Der gegenwärtig zu beobachtende Umgang mit historischen Tatorten folgt nicht mehr dem Anliegen, die Vorstellung von ‚sauberen KZs‘ durch die „Beseitigung von Zeugnissen und den Abbau von anschaulichen Überresten“ durchzusetzen (ebd., 81). Im Gegenteil, bauliche Relikte und andere Zeugnisse werden heute restauriert, konserviert, ausgestellt und rege rezipiert. Die sachliche Vermittlung ist zwar nicht mehr „eindimensional“, sondern ermöglicht vielmehr ein „‚mehrdimensionales‘ Verständnis vom ‚dreckigen‘ KZSystem, das zeitliche und räumliche Unterschiede kennt und nach den betroffenen Gruppen differenziert“ (ebd., 80), sie hat aber auch eine Kehrseite. Die Berge von Toten, die, nicht zuletzt massenmedial vermittelt, das Bild der ‚dreckigen KZs‘ geprägt haben, weichen Abbildungen, die den Betrachtenden mitunter das Schlimmste ersparen. Betont wird das Subjektive der Opfer, das ihnen während

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Verfolgung, Deportation und Vernichtung abgesprochen wurde. Unverletzte Gesichter blicken stattdessen den Besuchenden entgegen. Die in Deutschland (späte) Einsicht, dass die Verfolgten nicht bloß passiv waren, bevor sie zu Opfern wurden, sondern ‚normale‘ Lebensläufe hatten, kann in die Vorstellung von Opfern als aktiv Handelnde umkippen – gehandelt aber haben die Deutschen und andere Täter, ihren Opfern blieb angesichts der Vernichtungsmaschinerie allein die Möglichkeit zu reagieren – und selbst das blieb ihnen bisweilen verwehrt. Auch wenn diese skizzierte Tendenz eine notwendige und wichtige Verschiebung von bloßer Passivität auf aktive Momente der Verfolgten beinhaltet, verkennt eine Fokussierung auf das Handeln der Verfolgten den begrenzten Rahmen, in dem dieses Handeln möglich war. Hier soll nicht ‚eindimensionalen‘ Präsentationsformen das Wort geredet werden. Dennoch empfiehlt es sich, in der Konzeption von Gedenkstättenausstellungen den Aspekt der limitierten Handlungsmöglichkeiten der verfolgten Personen zu betonen, um sie nicht ungewollt zu überhöhen und um zu verhindern, dass in der Rezeption der Ausgang ihrer Verfolgung indirekt auf ihr eigenes Handeln bzw. Nicht-Handeln bezogen wird. Aufnahmen der Tat sind nicht zuletzt auch Bestandteil des kollektiven Bildgedächtnisses (vgl. Brink 1998). Wären sie das bei den nachfolgenden Generationen nicht, fragt sich, ob sie sich noch ein ausreichend konturiertes Bild vom Holocaust bzw. von der Auseinandersetzung mit den Massenverbrechen im Nachkriegsdeutschland machen könnten. Auch wenn sich Gedenkstättenpädagoginnen und -pädagogen heute dagegen entscheiden, zur Vermittlung der Massenverbrechen auf schockierende Fotos zu setzen, könnten sie diese dennoch in die Ausstellungsbereiche integrieren, um die abgelehnte Ausstellungspraxis der gegenwärtigen gegenüberzustellen und diese so transparent zu machen. Damit wäre eingelöst, was Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch von Ausstellungsmachenden fordern – dass diese als „sprechende Subjekte“ selbst sichtbar werden: „Je mehr das sprechende Subjekt erkennbar wird, umso mehr ist es dem Publikum möglich, Stellung zu beziehen“ (Muttenthaler/Wonisch 2006, 40). Würde mit einer solchen Integration von ‚Schreckensbildern‘ die eigene Ausstellungsdidaktik transparent gemacht, könnte auch den Besuchenden gegenüber begründet werden, weswegen die Aufnahmen zunehmend anderen Präsentationsmitteln weichen. So hätten die Besuchenden die Chance zu einer kritischen Stellungnahme. Gegen den Verzicht auf schockierende Fotos spricht aber auch noch ein weiterer Aspekt, der sich auf das Identifikationsangebot bezieht, das von Personalisierungen ausgeht. Mit personalisierenden Darstellungen von Geschichte im Museumsraum treffen die Besuchenden immer auch auf eine universale, weil allgemeinmenschliche Perspektive. Je weniger historischer Kontext einem Ausstel-

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lungssegment beigefügt ist, desto deutlicher tritt diese hervor. So hat Heidemarie Uhl ausgehend von den sechs großformatigen Porträts im Ort der Information über die Ausstellungskonzeption am Denkmal geschrieben: „Durch die Konzentration auf Individuum und Familie und damit auf anthropologische Grundkonstanten kann sich der Betrachter, die Betrachterin wiedererkennen – jeder ist Sohn oder Tochter, vielleicht auch Vater oder Mutter.“ (Uhl 2008, 7) Uhl spricht einen Identifikationsmechanismus an, an dem sich biografische Präsentationen orientieren. Das Motiv des Direkt-in-die-Kamera-Blickens lässt sich mit Gertrud Koch als ästhetische „Strategie der Adressierung des Zuschauers“ verstehen (Koch 2006, 69): Indem dem „fotografierten Objekt ein Blick zurück gegeben wird, werde ich als Zuschauer angeblickt“. Diese bereitgestellte „Austauschrelation“ sei aber nicht unproblematisch, so Koch weiter, denn sie gebe „[…] den Tätern die psychische Entlastung kathartischer Affekte“ (ebd.). Aber nicht nur den Tätern, auch den Jugendlichen, die in den von mit untersuchten Gedenkmuseen in unverletzte Gesichter vor der Verfolgung schauen, ermöglicht diese ästhetische Strategie, sich den sie anblickenden Personen empathisch zu nähern. Diese Empathie kann im besten Fall dazu anregen, mehr erfahren zu wollen, und das empfundene Mitgefühl mit den Opfern der deutschen Verbrechen ist möglicherweise für viele der notwendige Anlass weiterzudenken, zumal moralische Positionierungen ohne Emotionen nur schwer vorstellbar sind. Doch kann eine über diese ästhetische Strategie entstandene Emotionalisierung auch der Anlass sein, gerade nicht weiterdenken zu wollen, nämlich dann, wenn die Ausstellungsbesuchenden sich mit sich selbst begnügen, es ihnen um die Bereinigung des eigenen Affekthaushalts geht und nicht mehr um diejenigen, denen das Mitgefühl gehört. In personalisierende Gedenkstättenausstellungen eingefügte ‚Schreckensbilder‘ haben das Potenzial, diesen Prozess der bloßen Identifizierung zu konterkarieren, da das Publikum sich in ihnen gerade nicht ‚wiedererkennen‘ kann, während es familienweise Ermordete betrachtet, sondern ihr Blick geradewegs auf die Tat gelenkt wird. Zudem, zeigte man keine Aufnahmen der Massenvernichtung, fiele ein Dokument weg, das das Spezifische des Genozids deutscher Herkunft an den Jüdinnen und Juden Europas vermittelt. Koch hat im Zusammenhang von individualisierenden Präsentationsformen auf die Problematik der deutschen Gedenkpolitik aufmerksam gemacht, „die einmal an die Opfer gerichtet war, sich inzwischen in einer Verallgemeinerung des Opferstatus auf alle richtet“ (ebd., 70). Diese Zeitdiagnose wird dadurch gestützt, dass Oral-History-Ansätze, die das Subjektive zum Ausgangspunkt haben, nicht auf die Perspektive der Opfer beschränkt sind, vielmehr auch die Täterauseinandersetzung inzwischen auf diesen Vermittlungsmodus zurückgreift (vgl. Elm 2008, 104). In Deutschland wird Leid

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schnell beliebig, werden laut andere Opfer thematisiert: die des Kriegs, der Bombenangriffe, der Speziallager oder des SED-Regimes. Diesen bundesdeutschen Trend im Gedenken hat Dan Diner als „Anthropologisierung von Leid“ (Diner 2007, 38) bezeichnet und damit vor einer Reduktion historischer Ereignisse auf menschliches Leiden in der Geschichtsschreibung gewarnt. Angesichts des Unterschiede nivellierenden deutschen Gedenkens ist es Gedenkstätten und ihren Ausstellungen zu empfehlen, einen Kontrapunkt zu setzen, indem die konkrete historische und gesellschaftliche Bedingtheit des individuellen Leids hervorgehoben wird, sodass nicht Leid an sich, sondern das spezifische Leid des Holocaust im Mittelpunkt steht. In diesem Zusammenhang ist auch Katja Köhr zu widersprechen, die in ihrer Studie zu der Schlussfolgerung kommt, in Gedenkstättenausstellungen müsse die „Konzentration auf Opfer und Überlebende […] noch in stärkerem Maße aufgebrochen werden“ (Köhr 2012, 248). Ihrem Vorschlag, dass „ein ausgewogenes und universalisierendes Narrativ […] ebenso die Perspektive der Täter, Mitläufer und Zuschauer“ benötige (ebd.), ist nur insoweit zuzustimmen, als zu begrüßen ist, wenn Gedenkstätten in Zukunft das Verhalten der die Opfer umgebenden Gesellschaft noch stärker in die Präsentationen einbeziehen. Eine multiperspektivische Präsentationsweise gehört in den hier untersuchten Gedenkstätten aber bereits zur Ausstellungspraxis, kaum im Ort der Information, hingegen besonders ausgeprägt in der Neuengammer Präsentation sowie der Ausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz. Daher scheint vielmehr angezeigt, den von den für die Gedenkstättenausstellungen Verantwortlichen bereits eingeschlagenen Weg weiterzugehen: bei Opfer-, Täter- sowie Zuschauerdarstellungen unterschiedliche Schwerpunkte sowohl im Inhalt als auch in der Gestaltung zu setzen, um eine Auseinandersetzung mit Holocaust und Nationalsozialismus zu ermöglichen, die im Ergebnis nicht zu Beliebigkeit führt. Einer enthistorisierenden Tendenz ist in Gedenkstättenausstellungen nur zu begegnen, indem Selbstzeugnisse und biografische Elemente im historischen Kontext deutlich werden. Das Aufzeigen struktureller Bedingungen ist schließlich auch deshalb wichtig, weil Leiden – immer subjektiv und deswegen nicht vergleichbar – objektiv vermittelt ist. Nur durch die Kontextualisierung von Selbstzeugnissen und biografischen Elementen werden historische Ereignisse in ihren Unterschieden deutlich, die aber eben nicht im Leiden der Einzelnen liegen, sondern in ideologisch-materiellen Faktoren, die das Leiden hervorbringen. Wenn die historische Struktur in den Hintergrund tritt, ist das nicht zuletzt auch deshalb bedenklich, weil damit die staatlich-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausgeblendet werden, die maßgeblich das Verhalten der sich in ihnen bewegenden Individuen bestimmen – das war auch vor Auschwitz so, das ist nach Auschwitz so, und das zeitigt Konsequenzen, die eine historisch-politische Bil-

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dung nicht ausblenden sollte: Der Rahmen ist veränderbar. Und da der von Deutschen verübte und/oder gebilligte Massenmord deutschem Leid vorausgegangen ist, ist die mit Selbstzeugnissen konfrontierte Tätersicht in Gedenkstättenausstellungen eine Möglichkeit, die Verbrechen und ihre Opfer, von denen die Präsentationen berichten, nicht in einen beliebigen und damit beschaulichen Vermittlungsgegenstand zu verwandeln. Die Frage, ob die Opfer des Holocaust in der musealen (Re-)Präsentation als entpersonalisierte Masse oder als Individuen wahrnehmbar werden, hat im Interview auch Shulamit Imber von der Internationalen Schule für Holocaust-Studien in Yad Vashem angesprochen und dabei den individualisierenden Ansatz des 2005 eröffneten Museums zur Geschichte des Holocaust wie folgt zusammengefasst: „We call it to rescue the individual out of the pile of bodies, to rescue them out because you don’t find them when you talk about six million and you have these pictures of the bodies, it is like dealing with them without giving them faces, and this is really the goal of the museum, to give them back their faces.“ (Imber 2008)

Die Eröffnungssequenz der Yad Vashemer Präsentation über das Konzentrationslager Klooga (Estland) lässt sich als gelungene Umsetzung des von Imber formulierten Anspruchs verstehen, die ermordeten Personen in ihrer Repräsentation aus den Leichenbergen zu ‚retten‘, das Individuum in der Masse der Ermordeten also sichtbar zu machen. Kurz bevor die sowjetische Armee am 19. September 1944 das Konzentrationslager erreichte, ermordeten Deutsche und ihre estländischen Helfer über 2.000 Juden, die zu diesem Zeitpunkt in Klooga noch gefangen waren. Die Ausstellungssequenz setzt sich aus einer großformatigen Schwarz-Weiß-Aufnahme und einer davor platzierten Vitrine zusammen. Das Foto zeigt zwischen Holzscheiten verbrannte Leichen. Im Bildhintergrund sind Offiziere der Roten Armee und Journalisten zu sehen. Auf der Plexiglastafel, die auf dem Bild angebracht ist, sind Porträtaufnahmen abgebildet, die einige Jüdinnen und Juden vor ihrer Verfolgung zeigen und zugleich die grausamsten Bildausschnitte verdecken. Die in der Vitrine vor dem ‚Schreckensbild‘ ausgestellten privaten Fotos, persönlichen Dokumente und Gegenstände aus dem Leben vor dem Holocaust trugen die Ermordeten bei sich, die in der gewählten Präsentationsform des Museums mit ihren Namen und Gesichtern wahrnehmbar werden. Die skizzierte Sequenz aus Yad Vashem ist ein Beispiel für eine Darstellung im Museumsraum, die beides miteinander verbindet und die auch in deutschen Gedenkstättenausstellungen anzustreben ist: kommentierte Ausschnitte der Massenvernichtung und einzelne Personen, die Opfer der Verfolgung wurden.

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6.3 P ERSONALISIERUNGEN IM GEWANDELTEN G EDENKEN Die vorliegende Studie konnte zeigen, dass in aktuellen Gedenkstättenausstellungen die Stimme der Verfolgten wahrnehmbar ist und dass die sie vermittelnden Personalisierungen Ausdruck des gewandelten Gedenkens sind. So treffen Gedenkstätten und ihre Ausstellungsbereiche heute auf ein anderes Publikum als noch in den Nachkriegsjahren, und ihre veränderten Präsentationsformen zeigen die Wandelbarkeit emotionaler Erschütterungen. Die Darstellung von Judenmord und KZ-Terror anhand von Selbstzeugnissen und Biografien der Verfolgten wird dabei von einer weithin akzeptierten Gedenkpolitik getragen, die darauf zielt, die Besuchenden von Gedenkstätten mit den Opfern von Nazi-Deutschland zu konfrontieren. Präsentationen in Gedenkstätten, mit denen Einzelne in der anonymen Masse der Gepeinigten sichtbar werden, ermöglichen es, der Opfer des Nationalsozialismus in ihrem Menschsein zu gedenken. Der geänderte und an Gedenkstätten besonders einsichtig werdende Umgang mit der Vergangenheit bedeutet, dass die Verfolgten und Ermordeten ins öffentliche Gedächtnis rücken können; ihre Erinnerungen und Erfahrungen werden in den Ausstellungsbereichen zunehmend sichtbar. Die Verbrechenszeuginnen und -zeugen kommen in der musealen Repräsentation jetzt wohl mit Selbstzeugnissen und Lebensläufen gewissermaßen zu ihrem Recht – auf anderen Ebenen wird ihnen Gleiches allerdings immer noch verwehrt. So wurden zwar einige wenige Haupttäter während der Nürnberger Prozesse von den Alliierten verurteilt, die breite Masse der Täter blieb aber auch nach der spät einsetzenden Aufarbeitung durch die (west-)deutsche Justiz unbehelligt. Auch die ‚Wiedergutmachungsabkommen‘ zwischen Deutschland und Israel trugen bereits Anfang der 1950er Jahre dazu bei, dass AdenauerDeutschland in die westliche Staatengemeinschaft aufgenommen wurde. Weiterhin werden aber Reparationsforderungen, wie zuletzt im Frühjahr 2015 seitens Griechenlands, abgelehnt, und individuelle Entschädigungszahlungen sind bis heute mit erneuten Demütigungen verbunden und gleichen häufig Almosen, wenn sie überhaupt geleistet werden. So positiv die Entwicklung hin zu mehr Personalisierung auch zu bewerten ist, die Repräsentation der verfolgten und ermordeten Personen in Gedenkstättenausstellungen ist nicht ohne ihre Instrumentalisierung zu nationalstaatlichen Zwecken der Gegenwart zu haben. Werden Gedenkstätten im Rahmen des Bundesgedenkstättengesetzes gefördert – und das trifft auf die drei hier untersuchten zu –, legitimieren sie den Staat nach innen und außen: Wer sie aufsucht, kann

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sich seiner Zugehörigkeit zum gedenkenden Kollektiv versichern, und nach außen stützen sie das Ansehen Deutschlands. „Ohne lohnende Funktion im Zweckzusammenhang der Gegenwart hat Vergangenheit, private wie historisch relevante, wenig Aussicht, im Bewußtsein zu erscheinen, sie ist ‚past history‘, totes Kapital. Um Zinsen zu tragen, müsste es als Element sozialer Integration, als Instrument der Ausrichtung brauchbar, zumindest für einen Augenblick politisch passend sein. Das ist die Aussicht der Ermordeten, im Bewußtsein wieder aufzuerstehen […].“ (Adorno/Horkheimer 1997b, 650f.)

Diese Einschätzung verfassten Adorno und Horkheimer in Deutschland im Jahr 1959 und fügten hinzu, dass seit den ersten Nachkriegsjahren die Chance der Opfer auf Erinnerung abgenommen habe (vgl. ebd., 651). Seit diesem Befund ist eine deutliche Zunahme an öffentlichem Gedenken zu beobachten. Mit wachsendem zeitlichem Abstand zum Nationalsozialismus und dem (physischen) Entschwinden der Tätergeneration allein lässt sich diese Gedenkkonjunktur aber kaum erklären. Zwar war Mitleid mit den Opfern schon immer populärer als eine Auseinandersetzung mit den Tätern oder mit eigener Schuld. Doch die gesellschaftliche Gleichzeitigkeit von mahnendem Gedenken einerseits sowie anhaltendem Antisemitismus und Rassismus andererseits lässt vermuten, dass es bei dem Gedenken mitunter gar nicht um die Einzelnen bzw. um die Opfer der Vergangenheit und Gegenwart geht. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass das öffentliche Gedenken und mit ihm die Chance der Ermordeten, nicht vergessen zu werden – die von Adorno und Horkheimer gestellte Diagnose kann auch heute noch bestätigt werden –, an gegenwärtige politische Zwecke gebunden ist. Die symbolische Anerkennung der Verfolgten, die ihren aktuellen Ausdruck in personalisierenden Gedenkstättenausstellungen findet, ist nicht von dem gedenkpolitischen Prozess zu trennen, in dem sie sich vollzieht. Aus dem offenen, geradezu lauten Beschweigen der Verbrechen in den 1950er Jahren ist, angeschoben durch die deutsch-deutsche Vereinigung, die sichtbare institutionelle Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus geworden. Auschwitz wurde so zu einem ‚positiven‘ Bezugspunkt staatlicher Politik – heute wird mit dem Gedenken und damit auch mit der Vergangenheit und ihren Opfern symbolische Politik gemacht. So soll das Stelenfeld des Denkmals nicht nur zur Erinnerung anhalten, sondern auch das Bild eines besseren, weil der ermordeten Jüdinnen und Juden gedenkenden Deutschlands vermitteln. Zahlreiche deutsche Gedenkstätten, so lässt sich zugespitzt formulieren, sind heute so ‚staatstragend‘, wie es den DDR-

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Gedenkstätten von der Bundesrepublik immer vorgeworfen wurde.3 Ihre Ausstellungen sind Bestandteil einer nationalen Selbstvergewisserung, mit ihnen wird das Eigenbild, das Deutschland von sich als vorbildlicher ‚Gedenkstättenlandschaft‘ hat, bestätigt. Beglaubigt wird diese ‚Nabelschau‘ durch das ostentative Ausstellen und Verwalten der Opferperspektive, die aber schon lange durch die Perspektive der Ausstellungsproduzierenden ersetzt worden ist, die die persönliche Zeugenschaft interpretieren, medial aufbereiten und arrangieren (vgl. Stern 2006, 46). Als sich Gedenkstätten in Deutschland in den 1980er Jahren zu etablieren begannen, wurden gleichzeitig Forderungen laut, man solle jetzt doch endlich mal die Vergangenheit ruhen lassen. Zwar werden derzeit wieder verstärkt Stimmen laut, die einen solchen Schlussstrich fordern, denn Deutschland habe seine dunkle Geschichte nun ausreichend aufgearbeitet, auf politischer Ebene aber gestaltet sich der Schlussstrich heute nach vorne gewandt: Die Massenverbrechen werden mit Blick auf die Zukunft offensiv eingeräumt, womit aber subtilerweise zugleich von ihrer Ungeheuerlichkeit und Einzigartigkeit abgelenkt und sogar an Ansehen in der internationalen Staatengemeinschaft gewonnen wird. Die historischen Tatorte und nachträglich errichteten Denkmale sind heute ein gewichtiges Kapitel im globalen Wettbewerb. Mit dem im Oktober 2012

3

Gedenkstätten sind kein Verfassungsorgan, und Staaten existieren auch ohne sie ideologisch stützende oder affirmierende Gedenkstätten, insofern ist der Ausdruck ‚staatstragend‘ nicht ganz zutreffend. Um den gravierenden Bedeutungs- und Funktionswandel von bundesdeutschen Gedenkstätten zu verdeutlichen, ist der Begriff in Bezugnahme auf den an die DDR gerichteten Vorwurf jedoch gerechtfertigt. Detlef Garbe diskutiert in seinem Text „Von den ‚vergessenen KZs‘ zu den ‚staatstragenden Gedenkstätten‘?“ (Garbe 2001) die im Titel aufgeworfene Frage, verneint diese aber letztlich: „Zwar stehen die Gedenkstätten heute längst nicht mehr am Rande der Gesellschaft, haben an gesellschaftlicher Akzeptanz gewonnen und befinden sich in einem Prozess der Institutionalisierung und Professionalisierung, aber sie sind – glücklicherweise – auch keine Instrumente staatlicher Geschichtspolitik und nationaler Identitätsstiftung“ (ebd., 82). Dem ist zu widersprechen. Gedenkstätten, so der Befund der vorliegenden Studie, setzen staatsoffizielle Geschichtspolitik durchaus um, und sie können dazu beitragen, nationale Identität zu stiften. Ein Text, der die aktuelle Gedenkpolitik kritisch skizziert und mit dem Begriff ‚staatstragend‘ auf das staatsaffirmierende Moment von Gedenkstätten verweist, liegt von Verena Haug vor: Staatstragende Lernorte. Zur gesellschaftlichen Rolle der NS-Gedenkstätten heute (Haug 2010).

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eingeweihten Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma wird das Leid dieser Verfolgtengruppe, viel zu spät, anerkannt. In ihrer Rede zur Einweihung des Denkmals betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel, Deutschland werde innerhalb der Europäischen Union und im Rahmen der Beitrittsprozesse der Diskriminierung von Sinti und Roma entgegenwirken (vgl. Bundesregierung 2012). Angesichts des anhaltenden Antiziganismus drängt sich allerdings der Verdacht auf, solche gutklingenden Reden seien nichts als Lippenbekenntnisse. Dies umso mehr, als die Realität und Kontinuität von Ausgrenzung und Unmenschlichkeit innerhalb der EU nicht zuletzt Ausdruck und Folge des ökonomischen Konkurrenzkampfs innerhalb Europas ist, zu dessen größter Wirtschaftsmacht sich der ‚Aufarbeitungsweltmeister‘4 mittlerweile wieder gemausert hat. Im demonstrativen Trauerzeremoniell wird dieser Zusammenhang verschleiert. Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge sowie Strukturreformen zur Profitabilitätssteigerung, mit denen Deutschland sich als Modell der Eurozone empfiehlt, sprechen der Selbstbeweihräucherung als Menschenrechtshort und Menschenrechte-Lehrmeister für den Rest der Welt Hohn. Die anhaltende und bei Fertigstellung der Studie (um den 70. Jahrestag der Befreiung) in erschreckendem Maße ansteigende Gewalt gegen Personen, die als nicht zugehörig zur deutschen Gesellschaft wahrgenommen werden, zeigt, dass nicht vermittelt worden ist, aber vermittelt werden müsste, was im Nationalsozialismus passiert ist. Und wie es dazu kommen konnte. Denn angesichts des millionenfachen Mords ergibt sich für die deutsche Auseinandersetzung auch die Frage, welche sozialen und ökonomischen Konstellationen dazu geführt haben – nicht etwa, weil die Vergangenheit wie ein ‚musealer Kronschatz‘ zu hüten wäre, sondern weil sich das Problem von Antisemitismus und Rassismus in der Gegenwart permanent neu stellt.5 In der deutschen Gedenkkultur gelten Gedenkstätten und die dortige Repräsentation der Verfolgten und Ermordeten als materieller Ausdruck dafür, dass der Nationalsozialismus das ‚ganz Andere‘ Deutschlands gewesen sei. Gedenkstätten sind jene Orte, an die der Imperativ Adornos, dass Auschwitz und Ähnliches sich nicht wiederholen möge, delegiert wurde. Zwischen diesem symbo-

4

So titelte eine Zeitung zum ‚Gedenkjahr 2005‘ (Shukov 2005).

5

„[D]ie Vergangenheit [ist] kein musealer Kronschatz […], sondern etwas, das immer von der Gegenwart betroffen ist.“ (Benjamin 1999 [1923], 149) Walter Benjamin wendet sich in seinen Schriften gegen eine kontemplative Rezeption von Geschichte. Vielmehr ginge es darum, Momente der Vergangenheit kritisch gegen die Gegenwart zu aktualisieren. Siehe hierzu eine von ihm verfasste Ausstellungsrezeption: Benjamin 1999 (1930) sowie ders. 1999 (1934), 698.

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lisch großen Stellenwert der hergerichteten Gedenkstätten und der bundesdeutschen Wirklichkeit klafft jedoch ein Riss, den Gedenkstättenausstellungen nicht zudecken können: Der offizielle Umgang mit der nationalsozialistischen Herrschaft betont die ‚Lehren‘, die aus der Vergangenheit zu ziehen sind, während die Gegenwart ausrichten lässt, dass dies halbherzig und lückenhaft geschieht. Gegenwärtige Gedenkstättenpolitik und gleichzeitig gedeihender Neonazismus zumindest stören noch gar behindern sich gegenseitig. Aber wird die negative Beurteilung der heutigen deutschen Gedenkstättenlandschaft nicht aufgehoben oder zumindest relativiert durch das im Grunde Positive, das sich aus der Sichtbarmachung und dem Zuwortkommenlassen der Verfolgten ergibt? Auch hier ist Skepsis angesagt: Die Chance auf Erinnerung, die das gewandelte Gedenken für die Opfer des Nationalsozialismus bereithält, wird heute bereits eingeschränkt. Das Gedenken an sie ist formal durchgesetzt, und das internationale Ansehen von Deutschland könnte besser fast nicht sein, aus offizieller Sicht besteht hier also kein Handlungsbedarf mehr. In den Ausstellungsbereichen der Gedenkstätten sind Einzelschicksale zwar präsenter als zuvor. Aber infolge des Zusammenbruchs des Ostblocks sind andere Opfer immer prominenter geworden, die die Opfer des Holocaust in den Hintergrund zu drängen drohen. Dabei zeigt die heute in deutschen Erinnerungsorten schon fast fieberhaft betriebene Gleichsetzung von NS-Staat und DDR, dass Gedenkstätten immer auch den geschichtspolitischen Zielen der ‚neuen‘ Bundesrepublik dienen, die sich heute gegen ihre, so die Bundesgedenkstättenförderung, „Diktaturenvergangenheit“ versichert (Deutscher Bundestag 2008, 2; eigene Hervorhebung). Gedenkstätten, die wie Berlin-Hohenschönhausen die Unterdrückung durch das SBZ/SED-Regime behandeln, ziehen bereits die Aufmerksamkeit vom Holocaust-Gedenken ab. Schüler- und Finanzströme sowie das Bundesgedenkstättengesetz – allesamt auf ein ‚doppeltes Gedenken‘ ausgerichtet – bestätigen diesen Befund. Hinzu kommt, dass die schon vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs integrative Denkfigur ‚Deutsche als Opfer‘ sich seit 1989/90 zunehmend mit der Einstellung verbindet, der Nationalsozialismus sei auch nicht schlimmer als der ‚Kommunismus‘ gewesen. Versatzstücke der Totalitarismustheorie dienen zur Entlastung des nationalen Selbstbildes: Kann man als Nation selbst auf Opfer zurückblicken, muss man sich auch nicht mehr so viel mit der eigenen Täterposition auseinandersetzen – eine Entlastungsstrategie, die auch mit dem Hinweis auf den ‚Bombenterror‘ der Alliierten im Zweiten Weltkrieg funktioniert. Eine solche Geschichtsvergessenheit in Deutschland findet verstärkte Unterstützung aus den osteuropäischen EU-Beitrittsländern; zuletzt im Juni 2008 mit der Prague Declaration on European Conscience and Communism. Die auch von Joachim Gauck, heute Bundespräsident, damals Vorsitzender des Vereins Gegen

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Vergessen – Für Demokratie, unterzeichnete Deklaration fordert, „Communism and Nazism as a common legacy“ anzuerkennen, und möchte dem internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar einen ‚Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus‘ zur Seite stellen – den 23. August, an dem 1939 der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion geschlossen wurde (Declaration 2008). In einem Brief an das Europäische Parlament hat sich das Internationale Ravensbrück-Komitee (IRK), der Zusammenschluss der nationalen Lagergemeinschaften, in denen die ehemaligen Häftlinge des Konzentrationslagers Ravensbrück und ihre Angehörigen organisiert sind, gegen die Schaffung eines solchen Gedenktags eingesetzt, der einer „Relativierung und Banalisierung des Nationalsozialismus“ diene, weil so „im Namen des europäischen Einigungsprozesses Geschichtsklitterung betrieben“ werde (IRK 2010, 10). Zu befürchten ist, dass der derzeitige Trend einer ‚nach vorne blickenden‘ Geschichtsrevision zunimmt, wenn nämlich die Überlebenden des Holocaust nicht mehr in eine Gesellschaft intervenieren können, die ihre Geschichte verwaltet und (um-)schreibt. Gedenkstättenmitarbeitende, denen es um die Opfer um ihrer selbst willen geht, sowie die neuen von Personalisierungen geprägten Präsentationen allein werden es kaum vermögen, gesellschaftlich und staatlich erwünschte Vergangenheitsund Gegenwartswahrnehmung zu verändern und das Bewusstsein von Besuchenden umfassender als vorgesehen zu erhellen. Die hier abschließend aufgezeigten immanenten Limitierungen von Gedenkstätten und ihren Ausstellungen verdeutlichen das Gesamturteil der Studie: Befund und Prognose sind skeptisch. Doch sind Aufgaben und Funktionen von Gedenkstätten sowie ihren Präsentationen nicht festgelegt, die Entwicklungen der Erinnerungsorte, auch das ist deutlich geworden, verliefen nicht vorgezeichnet, sondern in Brüchen und mit unvorhersehbaren Dynamiken. Angesichts dessen bleibt zu hoffen, dass die aktuelle Popularität des Mediums ‚Gedenkstättenausstellung‘ genutzt wird, um ein Vergessen der Ermordeten zu verhindern und eine anhaltende Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust anzuregen. Personalisierungen können mehr leisten als einen gelassen gedenkenden Blick in die Vergangenheit. Und es ist zu wünschen, dass ihr Potenzial, eine Beunruhigung angesichts von Auschwitz aufrechtzuerhalten und weiterzugeben, in Gedenkstätten in der Zukunft noch stärker umgesetzt wird und Präsentationen entstehen, die weniger passives Mitleid auslösen, als die Besuchenden vielmehr dazu auffordern, sich in ein soziales Verhältnis zur Gegenwart zu setzen.

Anhang

ANHANG 1: V ERWENDETE ABKÜRZUNGEN AGN

Arbeitsgemeinschaft Neuengamme e.V.

AIN

Amicale International Neuengamme

Arbeitsgemeinschaft

Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten

Bericht

Bericht zur inhaltlichen Konzeption des Orts der Information für das Kuratorium der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas

Bürgerschaft

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg

Declaration

Prague Declaration on European Conscience and Communism

Denkmal

Denkmal für die ermordeten Juden Europas

Drehbuchenwurf

Drehbuchentwurf der Geschäftsstelle der Stiftung Denkmal zur historischen Präsentation am Ort der Information

Förderkreis

Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas

GHWK

Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz

Grundkonzeption

Grundkonzeption für den Ort der Information

352 | I NDIVIDUUM UND M ASSE

ING

Initiative Dokumentationszentrum KZGedenkstätte Neuengamme e.V.

IRK

Internationales Ravensbrück-Komitee

NG

KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Senatsverwaltung

Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Berlin bzw. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin

Stiftung Denkmal

Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas

A NHANG

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ANHANG 2: V ERWENDETE T RANSKRIPTIONSZEICHEN Denk-

abgebrochenes Wort

---

Anonymisierung von Ortsangaben

@(.)@

Lachen

@Text@

lachende Aussprache

(.)

Pause 1 Sek.

(2)

Pause mit Angabe der Sekunden

(Text)

nichtverbale Beobachtungen

°Text°

sehr leise Aussprache

Text

starke Betonung



überlappender Redebeitrag

((…))

unverständliche Aussprache; die Punkte geben die ungefähre Länge an

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ANHANG 3: Ü BERBLICK ÜBER DIE S TICHPROBE 1 Denkmal für die ermordeten Juden Europas: Interviews Anonym

Schultyp3

Besuchsformat2

Klassenstufe

Alter

Daniel

ÜF

13

18

BS

Denis

WS

10

16

Gym

Johanna

ÜF

13

19

Gym

Maja

WS

10

15

Gym

Denkmal für die ermordeten Juden Europas: Gruppendiskussionen

1

Anonym

Besuchsformat

Klassenstufe

Alter

Schultyp

Tn. w/m

DeI

ÜF

10

15-17

Gym

3w/3m

DeII

ÜF

10

16-18

HS

1w/4m

Gender- sowie bildungsspezifische Daten werden an dieser Stelle zwar ausgewiesen, in die Auswertung in Kap. 5 fließen sie allerdings nur punktuell ein. Auch migrationsspezifische Angaben bleiben u. a. aufgrund der mit ihnen verbundenen, oftmals problematischen Zuschreibungen überwiegend unberücksichtigt – es sei denn, sie werden von den Jugendlichen selbst expliziert. Eine kritische Auseinandersetzung mit gedenk(stätten)pädagogischen Ansätzen zum Nationalsozialismus als ‚Lerngegenstand‘ in der Einwanderungsgesellschaft (beispielsweise von: Gryglewski 2013, Georgi 2003) liegt vor von Fava 2014.

2

BS = Berufsspezifische Führung, GF = Gegenseitige Führung, PT = Projekttag , ÜF =

3

BS = Berufliche Schule, BU = Berufsschule, FO = Fachoberschule, GS = Gesamt-

Übersichtsführung, WS = Workshop Familien. schule, Gym = Gymnasium, HS = Hauptschule, RS = Realschule.

A NHANG

Haus der Wannsee-Konferenz: Interviews Anonym

Besuchsformat

Klassenstufe

Alter

Schultyp

Anika

ÜF

12

17

FO

4

An/Ol

ÜF

11

16-17

Gym

Chris

GF

10

14

Gym

Laura

PT

10

15

Gym

Lena

ÜF

10

15

Gym

Timon

ÜF

13

20

Gym

Haus der Wannsee-Konferenz: Gruppendiskussionen Anonym

Besuchsformat

Klassenstufe

Alter

Schultyp

Tn. w/m

WaI

GF

10

15-16

RS

3w/3m

WaII

ÜF

12

17-18

Gym

4w/2m

KZ-Gedenkstätte Neuengamme: Interviews Anonym

Besuchsformat

Klassenstufe

Alter

Schultyp

Anne

ÜF

10

15

Gym

Irina

PT

12

18

FO

Jonas

ÜF

10

15

GS

Lars

ÜF

10

17

Gym

Tatjana

ÜF

10

16

Gym

Tom

BS

3. Lehrjahr

19

BU

KZ-Gedenkstätte Neuengamme: Gruppendiskussionen

4

Anonym

Besuchsformat

Klassenstufe

NeI

ÜF

10

NeII

ÜF

10

Paarinterview.

Alter

Schultyp

Tn. w/m

15

Gym

3w/2m

15-17

Gym

4w

| 355

Quellen und Literatur

Q UELLEN : I NTERVIEWS

MIT

E XPERTINNEN UND E XPERTEN

zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas Baumann, Ulrich (Berlin, 30.10.2009) Brücker, Eva (Ferch, 20.11.2009a) König, Adam (Berlin, 8.1.2009) Neumärker, Uwe (Berlin, 3.6.2010) zur Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz Kampe, Norbert (Berlin, 8.4.2008) ders. (Berlin, 21.6.2010) Reiss, Esther (Jerusalem, 1.6.2008) Schikorra, Christa (Berlin, 6.11.2009) Turski, Marian (Warschau, 18.10.2008) zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme Bringmann, Fritz (Aukrug, 27.9.2008) Eschebach, Insa (Fürstenberg/Havel, 16.12.2009) Garbe, Detlev (Hamburg, 6.9.2007a) ders. (Hamburg, 12.11.2009) zu Yad Vashem Avraham, Doron (Jerusalem, 11.6.2008) Imber, Shulamit (Jerusalem, 16.6.2008) Inbar, Yehudit (Jerusalem, 4.6.2008) Mkayton, Noa (Jerusalem, 10.6.2008) Zuckermann, Moshe (Tel Aviv, 25.6.2008)

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L ITERATUR Abram, Ido/ Heyl, Matthias (1996): Einleitung. In: dies. (Hg.): Thema Holocaust. Ein Buch für die Schule. Reinbek b. Hamburg, S. 7-10. Adorno, Theodor W. (1999): Studien zum autoritären Charakter. 3. Aufl. Berlin. ders. (1997a): Erziehung nach Auschwitz. In: Tiedemann, Rolf (Hg.): Gesammelte Schriften (GS 10.2), S. 674-690. ders. (1997b): Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit. In: ebd. (GS 10.2), S. 555-572. ders. (1997c): Negative Dialektik. In: ebd. (GS 6). ders. (1997d): Valéry Proust Museum. In: ebd. (GS 10.1), S. 181-194. ders. (1997e): Schuld und Abwehr. In: ebd. (GS 9.2), S. 121-324. ders./ Horkheimer, Max (1997a): Dialektik der Aufklärung. In: ebd. (GS 3). dies. (1997b): Vorwort zu Paul W. Massing (1959): Vorgeschichte des politischen Antisemitismus. Frankfurt/M. In: ebd. (GS 20.2), S. 650-653. Adorno, Theodor W. (1972): Erziehung zur Mündigkeit. In: Kadelbach, Gerd (Hg.): Theodor. W. Adorno. Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959-1969. Frankfurt/M., S. 133-147. ders. (1959): Diskussion zum Referat Professor Adornos. In: Deutscher Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (Hg.): Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit? Bericht über die Erzieherkonferenz am 6. und 7. November 1959 in Wiesbaden. Frankfurt/M., S. 24-33. ders./ Dirks, Walter (1955) (Hg.): Gruppenexperiment. Ein Studienbericht (Frankfurter Beiträge zur Soziologie, Bd. 2). Frankfurt/M. Ahlheim, Klaus (2010): Theodor W. Adornos ‚Erziehung nach Auschwitz‘. Rezeption und Aktualität. In: ders./ Heyl, Matthias (Hg.): Adorno revisited. Erziehung nach Auschwitz und Erziehung zur Mündigkeit heute (Kritische Beiträge zur Bildungswissenschaft, Bd.3). Hannover, S. 38-55. ders. (2008): Wissen und Empathie in der historisch-politischen Bildung. GedenkstättenRundbrief, Nr. 144, S. 3-14. ders./ Heger, Bardo (2002): Die unbequeme Vergangenheit. NS-Vergangenheit, Holocaust und die Schwierigkeit des Erinnerns. Schwalbach/Ts. Anders, Günther (1979): Besuch im Hades. Auschwitz in Breslau 1966. München. Anderson, Benedict (1996): Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreiches Konzepts. Erw. Neuaufl. Frankfurt/M.; New York. Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Mittelbau-Dora, Neuengamme, Ravensbrück, Sachsenhausen (1999): Er-

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klärung zum Vorschlag des Staatministers für Kultur, Michael Naumann, statt eines Holocaust-Denkmals in Berlin ein Haus der Erinnerung zu errichten. In: Heimrod, Ute/ Schlusche, Günter/ Seferens, Horst (Hg.): Der Denkmalsstreit. Das Denkmal? Die Debatte um das ‚Denkmal für die ermordeten Juden Europas‘. Eine Dokumentation. Berlin, S. 1249-1251. Arbeitsgemeinschaft Neuengamme e.V. (2008) (Hg.): ‚… das war ja kein Spaziergang im Sommer!‘ Die Geschichte eines Überlebendenverbandes. Erarbeitet von Michael Grill und Sabine Homann-Engel. Hamburg. Arbeitsgruppe des Kuratoriums der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (2002): Grundkonzeption für den ‚Ort der Information‘. Vorlage für TOP 5 der Kuratoriumssitzung am 6.7.2000. In: Quack, Sibylle (Hg.): Auf dem Weg zur Realisierung. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Ort der Information. Architektur und historisches Konzept. Schriftenreihe der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Bd. 1. Stuttgart; München, S. 249-252. Arendt, Hannah (2001): Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. 11. Aufl. München. dies. (1993): Besuch in Deutschland. Berlin. Assmann, Aleida/ Brauer, Juliane (2011): Bilder, Erwartungen, Gefühle. Über die emotionale Dimension von Gedenkstätten und den Umgang von Jugendlichen mit dem Holocaust. In: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 37, H. 1, S. 72-103. AutorInnenkollektiv Loukanikos (2015) (Hg.): History is unwritten. Linke Geschichtspolitik und kritische Wissenschaft. Ein Lesebuch. Münster. Bach, Gabriel (2007): Er war keinesfalls nur ein kleiner Untergebener. Gabriel Bach über Adolf Eichmann, die Organisation des Holocaust und den Prozess in Jerusalem, http://www.hagalil.com/01/de/Juden.php?itemid=431. Bad weather (2004): Presseerklärung zur Verhinderung einer Veranstaltung aus dem Begleitprogramm der Ausstellung ‚Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944‘. In: Konkret, H. 3, S. 33. Bankier, David (2002): Namen und Individuen. In: Quack, Sibylle (Hg.): Auf dem Weg zur Realisierung. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Ort der Information. Architektur und historisches Konzept. Schriftenreihe der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Bd. 1. Stuttgart; München, S. 221-225. ders. (2000): Reflections on the Victims’ Perspectives (Manuskript, Vortrag Freiburg). Baranowski, Daniel (2009) (Hg.): ‚Ich bin die Stimme der sechs Millionen‘. Das Videoarchiv im Ort der Information. Stiftung Denkmal für die ermordeten

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Danksagung

Eine Doktorarbeit entsteht immer auch mit der Unterstützung anderer, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Mein ausgesprochener Dank gilt zuallererst meinem Erstbetreuer WolfDieter Narr in Berlin, der in jeder Phase des Promovierens unterstützend an meiner Seite stand und die Arbeit mit seinem unvergleichlich engagierten wie kritischen Blick bereichert hat. Zu großem Dank bin ich auch meinem Zweitbetreuer Moshe Zuckermann in Tel Aviv verpflichtet, der in unverzichtbaren Gesprächen über meine Texte und mit unermüdlichem Vertrauen die Arbeit entscheidend gefördert und keinerlei Aufwand in der Betreuung gescheut hat. Die Studie wurde erst von den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, die in Gruppendiskussionen und Interviews über ihre Eindrücke von den Gedenkstätten und deren Ausstellungen gesprochen haben. Dafür danke ich ihnen. Auch den Lehrenden, die in Gesprächen und Interviews ihren Schulalltag schilderten, sowie den von mir befragten Einzelbesucherinnen und -besuchern danke ich. Mein besonderer Dank gilt Fritz Bringmann in Aukrug und Adam König in Berlin, die beide inzwischen verstorben sind, sowie Esther Reiss in Jerusalem und Marian Turski in Warschau. Sie haben trotz ihres hohen Alters sowie vielfältigen Engagements als Zeitzeugen und Zeitzeugin in Gesprächen und Interviews ihre Sicht auf die Gedenkstätten mit mir geteilt. Ich danke auch den (anderen) in den Gedenkstättenausstellungen porträtierten Personen, deren Verfolgungserfahrungen den Ausgangs- und den Mittelpunkt meiner Studie bilden. Für ihre Bereitschaft, an Gesprächen und Interviews teilzunehmen, für ihre Unterstützung mit Interviewkontakten, fachlichem Wissen und vielerlei Materialien danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gedenkstätten. Eva Brücker, Detlev Garbe, Iris Groschek, Georg Erdelbrock, Barbara Köster, Noa Mkayton, Christa Schikorra und Susanne Urban sind hier zuvorderst zu nennen.

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Im Laufe der Jahre, von der Konzeption der Studie über den Schreib- und Prüfungsprozess bis hin zur Publikation, habe ich von zahlreichen Personen bedeutende Unterstützung erfahren: Ulf Balmer, Yuval Berg, Anna Dost, Gisela Eberhardt, Rosa F ava, Tommy Hammer, Christiane Ketteler, Erika Krech, Arnd-Michael Nohl, Anne-Christin Schondelmayer, Kerstin Stakemeier, Mark Waisblay, Felix Wiedemann und Joel Zisenwine. Danke! Ganz besonders danke ich Andrea Adams, Insa Breyer, Claas und Irene Fock, Sabine Kritter und Kim Wünschmann, die mich auch über weite Entfernungen hinweg mit Rat und Tat unterstützt haben und ohne die es diese Arbeit (so) nicht gäbe. Eleonore Lossen-Geißler und Hartmut Geißler halfen, wo sie konnten, wofür ich ihnen sehr danke. Moshe Shati hat meine Promotion nicht nur geduldig und aufmunternd begleitet, ich danke ihm von ganzem Herzen auch für seinen klaren Blick auf die Studie und auf das Leben nach ihrem Erscheinen. Cornelia Geißler Jerusalem im Mai 2015

Histoire Dietmar Hüser (Hg.) Populärkultur transnational Lesen, Hören, Sehen, Erleben im Europa der langen 1960er Jahre März 2016, ca. 320 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3133-3

Simon Hofmann Umstrittene Körperteile Eine Geschichte der Organspende in der Schweiz Februar 2016, ca. 340 Seiten, kart., ca. 37,99 €, ISBN 978-3-8376-3232-3

Debora Gerstenberger, Joël Glasman (Hg.) Techniken der Globalisierung Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie Dezember 2015, ca. 310 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3021-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Histoire Pascal Eitler, Jens Elberfeld (Hg.) Zeitgeschichte des Selbst Therapeutisierung – Politisierung – Emotionalisierung Oktober 2015, ca. 394 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3084-8

Sebastian Klinge 1989 und wir Geschichtspolitik und Erinnerungskultur nach dem Mauerfall September 2015, 438 Seiten, kart., z.T. farb. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2741-1

Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.) Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 (3., überarbeitete und erweiterte Auflage) September 2015, 498 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2366-6

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Histoire Ulrike Kändler Entdeckung des Urbanen Die Sozialforschungsstelle Dortmund und die soziologische Stadtforschung in Deutschland, 1930 bis 1960 Dezember 2015, ca. 420 Seiten, kart., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2676-6

Susanne Grunwald, Dirk Mahsarski, Karin Reichenbach (Hg.) Die Spur des Geldes in der Prähistorischen Archäologie Mäzene – Förderer – Förderstrukturen November 2015, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3113-5

Christian Peters Nationalsozialistische Machtdurchsetzung in Kleinstädten Eine vergleichende Studie zu Quakenbrück und Heide/Holstein Juni 2015, 492 Seiten, kart., zahlr. Abb., 49,99 €, ISBN 978-3-8376-3091-6

Stefan Brakensiek, Claudia Claridge (Hg.) Fiasko – Scheitern in der Frühen Neuzeit Beiträge zur Kulturgeschichte des Misserfolgs Juni 2015, 224 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2782-4

Jonathan Kohlrausch Beobachtbare Sprachen Gehörlose in der französischen Spätaufklärung. Eine Wissensgeschichte

Nino Kühnis Anarchisten! Von Vorläufern und Erleuchteten, von Ungeziefer und Läusen – zur kollektiven Identität einer radikalen Gemeinschaft in der Schweiz, 1885-1914 März 2015, 568 Seiten, kart., zahlr. Abb., 42,99 €, ISBN 978-3-8376-2928-6

Felix Krämer Moral Leaders Medien, Gender und Glaube in den USA der 1970er und 1980er Jahre März 2015, 418 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2645-2

Sibylle Klemm Eine Amerikanerin in Ostberlin Edith Anderson und der andere deutsch-amerikanische Kulturaustausch Februar 2015, 458 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2677-3

Mathias Heigl Rom in Aufruhr Soziale Bewegungen im Italien der 1970er Jahre Februar 2015, 542 Seiten, kart., zahlr. Abb., 49,99 €, ISBN 978-3-8376-2895-1

Carsten Gräbel Die Erforschung der Kolonien Expeditionen und koloniale Wissenskultur deutscher Geographen, 1884-1919 Februar 2015, 406 Seiten, kart., 44,99 €, ISBN 978-3-8376-2924-8

April 2015, 322 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2847-0

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