,Via Media': Spiritualistische Lebenswelten und Konfessionalisierung: Das süddeutsche Schwenckfeldertum im 16. und 17. Jahrhundert [1 Karte ed.] 9783050055862, 9783050041964

Der Spiritualismus im 16. und 17. Jahrhundert ist in der Forschungsdiskussion um Reformation und Konfessionalisierung bi

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,Via Media': Spiritualistische Lebenswelten und Konfessionalisierung: Das süddeutsche Schwenckfeldertum im 16. und 17. Jahrhundert [1 Karte ed.]
 9783050055862, 9783050041964

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Caroline Gritschke ,Via Media': Spiritualistische Lebenswelten und Konfessionalisierung

Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg Colloquia Augustana Herausgegeben von Johannes Burkhardt, Theo Stammen und Wolfgang E. J. Weber

Band 22

Caroline Gritschke

4

,Via Media : Spiritualistische Lebenswelten und Konfessionalisierung Das süddeutsche Schwenckfeldertum im 16. und 17. Jahrhundert

Akademie Verlag

Gedruckt mit Unterstützung des Bezirks Schwaben und der Stadt Augsburg. Einbandabbildung: Epistolar Des Edlen von Gott hochbegnadetefn] theuwren Man[n]s Caspar Schwenckfeldts von Ossing, Theil 2, Buch 1,1570, Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Theol.fol. 1498-2, 2 , 1 .

ISBN-13: 978-3-05-004196-4 ISBN-10: 3-05-004196-X ISSN 0946-9044 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2006 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Jochen Baltzer, Berlin Druck: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Bindung: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany

Vorwort Seit sich die bisher unterstellte Säkularität der Moderne zunehmend als Illusion erweist, kann sich auch die Geschichte von Glauben und Frömmigkeit neuer Beachtung erfreuen. Daß dabei die Reformationsepoche besonderes Interesse auf sich zieht, liegt auf der Hand. Im Unterschied zur älteren Reformationsgeschichte, die von den Perspektiven der konfessionellen Großkirchen geprägt war, nimmt sich die jüngere jedoch verstärkt auch der Entstehung und Entwicklung der kleineren' Alternativen an. In diesem Rahmen siedelt sich die vorliegende Arbeit an, die im Wintersemester 2003/04 an der Universität Kassel im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften als Dissertation angenommen wurde. Mein besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. Heide Wunder, die die Arbeit betreut hat. Immer bereit zu ausführlichen Diskussionen in allen Stadien der Arbeit, hat sie mich gelehrt, Fragestellungen genau und bis zum Ende zu durchdenken. Oft gab sie mir Hinweise, deren Tragweite und weiterführende Bedeutung ich erst viel später im Untersuchungsgang erkannt habe. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Paul Münch, der das zweite Gutachten erstellte, für seine weiterführenden Hinweise. Die Recherchen für die Arbeit haben mich in eine Vielzahl von Archiven insbesondere des süddeutschen Raums geführt. Für die freundliche Unterstützung danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der städtischen und kirchlichen Archive in Augsburg und Ulm, in Kaufbeuren, Lindau, Kempten, Memmingen, Landau sowie den Landes- und Staatsarchiven in Augsburg, Innsbruck, Ludwigsburg, Karlsruhe und Stuttgart, dem Archiv der Franckeschen Stiftungen in Halle sowie den Bibliotheken in Berlin und Wolfenbüttel. Den Herren Prof. Dr. Wolfgang Ε J . Weber, Prof. Dr. Johannes Burkhardt und Prof. Dr. Theo Stammen bin ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die von ihnen herausgegebene Reihe der Colloquia Augustana zu Dank verpflichtet. Den Mitarbeitern der Abteilung Publikationen am Institut für Europäische Kulturgeschichte in Augsburg schulde ich ebenfalls Dank für die Druckvorlagenerarbeitung. Ferner danke ich der Stadt Augsburg sowie dem Bezirk Schwaben für die großzügige finanzielle Unterstützung der Drucklegung. Mein Dank gilt auch Herrn Manfred Karras vom Akademie Verlag in Berlin für die unkomplizierte, freundliche Zusammenarbeit. Ganz besonders möchte ich Prof. Dr. R. Emmet McLaughlin für seine eingehende Lektüre aller Kapitel der Arbeit und seine kenntnisreiche und weiterführende Kommentierung danken.

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1:

Einleitung

13

Kapitel 2:

Dramatis Personae - zur Prosopographie des süddeutschen Schwenckfeldertums

23

2.1

Stand der Forschung

24

2.2

Rekonstruktionswege

26

2.3

Schwenckfelder in Augsburg, Ulm und den Besitzungen der Familie von Freyberg

27

2.4

Zur Entwicklung der schwenckfeldischen Gemeinden in Süddeutschland

62

Kapitel 3:

„Schüler Christi" - Wege zum Schwenckfeldertum

65

3.1

Soziale Erfahrungen: Lebensverläufe

Schwenckfeldische 67

3.1.1

Ständische und berufliche Erfahrungen

68

3.1.2

Familie und Haushalt

72

3.1.3

Erfahrungen von Frauen und Männern

74

3.2

Die Suche nach der Erkenntnis Christi und das Angebot des Schwenckfeldertums

76

Unzufriedenheit mit den bestehenden religiösen Angeboten

77

3.2.1

3.2.2

3.2.3

Das „Anklopfen Gottes " - Religiöse Erfahrung und spiritueller Außruch

79

Christus im Herzen - die schwenckfeldische Alternative

83

3.2.4

Laienreligiosität

90

3.3

In der „Schule Christi"

97

3.3.1

Christwerden durch emotionales und intellektuelles Lernen

97

„ Pruffet alles vnd was gutt ist behaltet": Christliche Freiheit und das „ Scheiden der Geister "

105

3.3.3

Bildung und Wissen

110

3.3.4

Lektüre

115

3.3.4.1

Nicht-Schwenckfeldische

3.3.4.2

Schriften von Schwenckfeldern

118

3.3.5

Der Leserkreis und die Verbreitung schwenckfeldischer Schriften

123

3.4

Schwenckfeldische Briefkultur

128

3.4.1

Briefsammlungen und Traditionsbildung

131

3.4.2

Themen des Austausches

135

3.4.3

Funktion des Briefwechsels

139

3.4.4

Organisation der Briefgemeinschaft

144

Kapitel 4:

Schwenckfeldische Lebenswelten

4.1

Organisationsformen der Gruppen

152

4.1.1

Formen des Zusammenkommens

153

3.3.2

Werke

115

149

4.1.2

Organisation und Ablauf der Konventikel

157

4.1.3

Religion als Teil des Alltagslebens

159

4.2

Binnenstruktur

und Aufgabenteilung

164

4.2.1

Das Werben für die Gemeinschaft der „ Gutherzigen "

165

4.2.2

Leitung und Koordination

169

4.2.3

Verfassen und Drucken von theologischen Schriften

175

4.2.4

Früchte des Glaubens

183

4.3

Familiale Netzwerke

186

4.3.1

Heirat und Ehe im süddeutschen Schwenckf eider tum

187

4.3.1.1

Standesgemäße und unstandesgemäße

190

4.3.1.2

Glaubensverschiedene

4.3.2

Religiöse Erziehung

208

4.3.3

Rechtliche Beziehungen

211

4.4

Die überregionale Gemeinschaft

214

4.4.1

Schriftliche Verknüpfung

215

4.4.2

Persönliche Begegnungen

217

4.4.3

Praktische Hilfe: Patronageähnliche und gleichberechtigte

Glaubensehen

Ehen

200

Beziehungen

Fürsorge

220

4.4.4

Vernetzung der lokalen Gemeinden

225

4.4.5

Selbstverständnis Gemeinschaft

230

Kapitel 5:

,Via Media' - Schwenckfeldertum und nicht dissidentische Umwelt

der Schwenckf eider als

235

5.1

Leben ohne Verfolgung

241

5.1.1

Schwenckfeldisch beeinflußte Reformation

242

5.1.2

Weltliche Tolerierung und kirchliche Ablehnung

250

5.1.3

Vermittlungsversuche durch Religionsgespräche und Konkordien

253

5.2

Schwenckfeldertum und lutherische Konfessionalisierung in den süddeutschen Reichsstädten

5.2.1

258

Einflußnahme von außen: Nachbarstädte und fremde Pfarrer

259

5.2.2

Umorientierung der schwenckfeldischen Obrigkeit

265

5.2.3

Häretisierung in intrakonfessionellen Konflikten

268

5.3

Der Umgang der kirchlichen Obrigkeit mit den Schwenckfeldern

274

5.3.1

Die schwenckfeldische Herausforderung

274

5.3.2

Kirchliche Ermittlungstätigkeit

275

5.3.3

Einschalten der weltlichen Amtsgewalt

278

5.3.4

Kirchliche Sanktionen

280

5.4

Das Vorgehen der weltlichen Obrigkeit gegen die Schwenckfelder

284

5.4.1

Normative Grundlagen der Verfolgung

285

5.4.2

Die Praxis: Mindeststandards der Konformität

287

5.4.2.1

Integration in die offizielle Kirche

288

5.4.2.2

Kontrolle der Kommunikation

293

5.4.3

Lokale und übergeordnete Obrigkeit

301

5.4.4

Obrigkeitliche Sanktionen

305

5.5

Schwenckfeldischer

309

5.5.1

Religiosität und Herrschaftskonflikte

310

5.5.2

Dienstverhältnisse

316

5.5.3

Schwenckfeldische

5.5.4

Schwenckfeldisches

5.5.5

Auswirkungen auf die Untertanen

Adel

Obrigkeit

319

Kirchenwesen

321

nichtschwenckfeldischen 324

5.6

Schwenckfeldische

(Über-)Lebensstrategien

329

5.6.1

Der Weg neben den Konfessionen

330

5.6.2

Glaubenskern und Adiaphora

333

5.6.3

Argumentations- und Handlungsstrategien: und Dissimulieren

Bekennen 338

5.6.4

Gemäßigte und Radikale

Kapitel 6:

Das süddeutsche Schwenckfeldertum im Feld dissidentischer Gruppen des 17. Jahrhunderts

363

Spätschwenckfeldische Beziehungen am Beispiel des ,νοη Freyberg-Netzwerks'

365

Die Schwenckfelder und die neuen Frömmigkeitsbewegungen: Einheit und Abgrenzung

371

Zum Ende des Schwenckfeldertums Süddeutschland

377

6.1

6.2

6.3

Kapitel 7:

Ergebnisse und Ausblick

354

in

383

Anhang

389

I.

Karte

390

II.

Prosopographischer Überblick über das süddeutsche Schwenckfeldertum

391

1.

Allgäu

391

1.1

Kaufbeuren

391

1.2

Memmingen

395

1.3

Isny

398

1.4

Lindau

400

1.5

Mindelheim

402

1.6

Kempten

404

1.7

Wagegg und die Familie von Laubenberg

405

1.8

Ravensburg

408

2.

Herzogtum Württemberg

409

3.

Oberrhein

416

3.1

Landau

416

3.2

Speyer

420

3.3

Markgrafschaft Baden

421

3.4

Pfalz

423

4.

Nürnberg

425

III.

Quellen- und Literaturverzeichnis

431

Index der Personennamen

465

Index der Ortsnamen

477

Kapitel 1: Einleitung Als der Augsburger Kürschner Martin Küenle 1598 nach seiner Festnahme befragt wurde, zu welchem Glauben er sich bekenne, gab er an, daß er zwar bisweilen die Predigten sowohl der katholischen wie der lutherischen Kirchen höre, Schwenckfelds Bücher, Schriften und Glaube ihm aber besser gefielen. Darauf hingewiesen, daß in der Stadt allein zwei Religionen zugelassen seien, wurde er aufgefordert, sich nun eindeutig zu einer dieser Konfessionen zu bekennen. Küenle antwortete jedoch erneut: der Schwenckfeldisch glaub gefall Jme am besten Auch der mit ihm verhaftete Goldschmied Altenstetter meinte, seine Glaubenszugehörigkeit frei wählen zu können. Er sej der Religion halb biß hero frej gewesen und habe, anstatt sich einem der beiden offiziellen Bekenntnisse anzuschließen, 2 dahaim zu hauß aller hand Christliche Bücher gelesen. Die Aussagen der beiden Handwerker erstaunen zunächst: In einer Zeit, in der die Menschen nach gängiger Forschungsmeinung im Rahmen des Konfessionalisierungsprozesses auf feste obrigkeitlich sanktionierte Glaubensbekenntnisse eingeschworen und religiöse Minderheiten beseitigt worden sein sollen, um konfessionelle Homogenität in der eigenen konfessionellen „Großgruppe" herzustellen, 3 glaubten Küenle und Altenstetter frei, nur für sich allein und ohne Beschränkungen oder gar Sanktionen von außen, ihre religiöse Zugehörigkeit, ihre Lektüre und ihre Teilnahme an bzw. ihr Fernbleiben von den Riten der offiziellen Kirchen wählen zu können. Sie waren der Überzeugung, ohne feste konfessionelle Standortbestimmung leben zu dürfen. Das entsprach ganz den theologischen Vorstellungen einer via media 4 zwischen den entstehenden Konfessionen, die Caspar Schwenckfeld (1489-1561) entwikkelt hatte. Schwenckfeld entstammte einer im niederschlesischen Ossig ansässigen Adelsfamilie. 5 Er trat nach einem Studium nicht-theologischer Fächer an mehreren Universitäten in die Dienste verschiedener schlesischer Fürsten (zuletzt bei Herzog Friedrich II. von Liegnitz). Dort kam er mit den Gedanken Luthers in Kontakt und beteiligte sich maßgeblich an der frühen Reformation des Herzogtums Liegnitz. 1526 brach er mit Luther wegen unvereinbarer Auffassungen über die Präsenz Christi im Abendmahl. Für den sowohl unter katholischen wie luthe' 2

3

4

5

Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1598 d, 7.12.1598, 2. Verhör Altenstetter/Küenle, fol. 2r. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1598 d, 4.12.1598, 1. Verhör Altenstätter/Küenle/Kneulin, fol. lr; 7.12.1598, 2. Verhör Altenstetter/Küenle, fol. lr. Siehe W o l f g a n g Reinhards ,Sieben-Punkte-Programm' zur Herstellung von geschlossenen konfessionellen Großgruppen, zusammengefaßt in: W. Reinhard, Z w a n g zur Konfessionalisierung, S. 263-267. Die Bezeichnung „Mittel"- oder „ K ö n i g s w e g " wählte Schwenckfeld selbst für seinen theologischen Kurs, siehe G. H. Williams, Royal Way, S. 11-26. Zu den biographischen Angaben im folgenden siehe R. E. McLaughlin, Reluctant Radical.

14 rischen Druck geratenen Friedrich II. von Liegnitz war Schwenckfeld nicht mehr tragbar - der Edelmann mußte 1529 seine Heimat verlassen. Schwenckfeld wandte sich nach Straßburg zunächst wohl in der Hoffnung, bald in seine Heimat zurückkehren zu können. Dieser Wunsch erfüllte sich jedoch nicht, sondern die nun begonnene Zeit des Wanderlebens mit wechselnden Aufenthaltsorten in Süddeutschland dauerte bis zu seinem Tod in Ulm 1561. Die beiden oben vorgestellten Augsburger gehörten zu einer Gruppe von Anhängern Schwenckfelds, die auch noch fast 50 Jahre nach dem Tod ihres Begründers in der Stadt existierte. Die Reichsstadt bildete keineswegs eine Ausnahme auch in anderen süddeutschen Städten und Territorien bestanden schwenckfeldische Gemeinden oftmals ein ganzes Jahrhundert lang. Das Beispiel der beiden Handwerker zeigt, daß Spiritualisten wie Schwenckfeld keineswegs alle „mehr für sich allein als für eine Anhängerschaft stehen".6 Der Eindruck des einsamen spiritualistischen Meisterdenkers entsteht wohl vor allem durch eine Rezeption, die die individualistischen Teile von Schwenckfelds Theologie betont.7 Gerade die süddeutsche Anhängerschaft ist nach dem Tod Schwenckfelds nur schwer als solche erkennbar und als Gruppe faßbar. Bei genauerer Analyse der von den lokalen Obrigkeiten produzierten Quellen und der erhaltenen Briefe der Spiritualisten wird sichtbar, daß Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder Spuren hinterlassen haben, teilweise aber auch bemüht waren, die Spuren zu verwischen, oder aber daß andere versucht hatten, Anhaltspunkte für ihre Existenz als Schwenckfelder zum Verschwinden zu bringen. Das erste Ziel dieser Arbeit ist es somit, die verdeckten Hinweise auf schwenckfeldische Religiosität in Süddeutschland zu ermitteln8 und herauszuarbeiten, wie die einige hundert Personen zählende Gemeinschaft der Liebhaber Christi in Süddeutschland Schwenckfelds Theologie und Frömmigkeit weitertrug und sie gemäß ihren eigenen Vorstellungen, religiösen Erfahrungen und Bedürfnissen veränderte. Dazu ist ein „mikroskopischer Blick" (Hans Medick) hilfreich, der das Einzelne zunächst ohne interpretierende Kategorisierung genau durchleuchtet und ohne die Akteure vorschnell als deviant am Rande der Gesellschaft zu positionieren - ein komplexes Netzwerk von Verbindungen zwischen den einzelnen Personen herstellt.9 Das so entstehende Personengeflecht setze ich in Beziehung zu den Strukturen der Gesellschaft, in die es eingebunden ist. Durch einen mehrfachen 6

7 8

9

So ordnet Hans-Jürgen Goertz spiritualistische Protagonisten wie Schwenckfeld oder Sebastian Franck ein, H.-J. Goertz, Religiöse Bewegungen, S. 93. Zum Beispiel G. Maron, Individualismus. Vgl. Carlo Ginzburgs wissenschaftsgeschichtliche Ausführungen zum Verfahren, aus scheinbar „nebensächlichen" Details eine komplexe Realität zusammenzusetzen, C. Ginzburg, Spurensicherung, S. 78-125. Dieser Blick und weniger ein kleinräumiges Untersuchungsgebiet ist für Hans Medick das Charakteristikum der mikro-historischen Methode, H. Medick, Laichingen, S. 21f.; ders., Entlegene Geschichte, S. 170f.

15 Perspektivenwechsel 10 wird erkennbar, wie Akteure, die in der historischen Forschung strukturell gemeinhin dem ,Rand' der Geschichte zugeordnet werden, den gesellschaftlichen Ort ihres Handelns selbst mitgestalteten, aber auch durch ihn verändert wurden." Ich werde nicht mit Konzepten wie ,Rand' und ,Zentrum' arbeiten, die hierarchisch und starr die Standorte der Akteure festlegen. Die Positionen der Schwenckfelder wie die ihrer Gegner in Kirche und Staat werden dagegen als flexibel und immer wieder neu hergestellt verstanden. Mit Michel Foucault sehe ich die „machtgeladenen Beziehungen" von Dissidenten und weltlicher wie kirchlicher Obrigkeit als Wechselspiel, das beide Seiten zur „SelbstBewußtwerdung" nötigte.12 Die Arbeit behandelt die Theologie und Lebenspraxis einer religiösen Gruppe in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Religion und Konfession werden als Dimensionen von Gesellschaft aufgefaßt, Religiosität in ihrer Verbindung zu sozialen Beziehungen untersucht, aus denen sie jedoch nicht ohne weiteres ableitbar ist. Religion wird dagegen durchgängig als kulturelles Phänomen verstanden.

10

11

12

Gianna Pomata nennt diesen Wechsel zwischen Mikro- und Makrogeschichte in Anlehnung an eine aus dem Filmgenre entlehnte Formulierung von Siegfried Kracauer „a judicious mixture of long shots and close-ups", ein im Prinzip endloser Wechsel der „Kameraperpektive": „In history the learning process goes from the particular to the general, and back to the particular - endlessly." G. Pomata, Close-Ups and Long Shots, S. 115f. Anstelle des Bildes von dem endlosen Perspektivenwechsel wäre auch das einer mittleren Ebene denkbar, die Michel Foucault andeutet, M. Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 23f. Thomas Höhne stellt dazu fest, daß die Vorstellung einer Mesoebene zwischen Mikro- und Makrodimension es ermöglicht, in der Darstellung der subjektiven Seite von Konstruktionsbeschreibungen die sozialen Konstitutionsbedingungen stärker zu berücksichtigen, die soziale Rückgebundenheit von Diskursen und Praktiken bzw. „das Soziale im Subjekt" und das „Subjektive am Sozialen" zusammenzusehen, T. Höhne, „Alles konstruiert, oder was?", S. 25f. Martin Dinges warnt vor einer Einbeziehung sozialhistorischer Konzepte wie „Zivilisierung" oder „Konfessionalisierung", die er für theoretisch inkonsequent hält. Selbst wenn man das teilweise Scheitern derartiger makrohistorisch-strukturgeschichtlicher Konzepte beschreibe, nehme man doch wieder eine zentristische Perspektive ein bzw. verdoppele den historischen Diskurs durch die Einnahme der Sichtweise der Eliten. Diesem Problem will Dinges durch eine Reihung mikrohistorischer Netzwerke entgehen, M. Dinges, Lebensstilkonzept, S. 189. Mir scheint eine kritische Auseinandersetzung mit den strukturgeschichtlichen Konzepten dagegen in einem zweiten Schritt der Untersuchung durchaus sinnvoll, um aus dem Bezug auf sozialgeschichtliche Strukturen wiederum neue Perspektiven auf das schwenckfeldische Netzwerk zu gewinnen. Dabei soll selbstverständlich darauf geachtet werden, daß die Strukturen sich hinter dem Rücken der Akteure nicht verselbständigen, siehe dazu auch den Ansatz von K. von Greyerz, Religion und Kultur, S. 19. Zur Verknüpfung von Mikro- und Makrogeschichte und ihren Parallelen in anderen Wissenschaftsdiziplinen: J. Schlumbohm, Mikrogeschichte - Makrogeschichte, S. 7-32, der konstatiert, daß auch über zwanzig Jahre nach den ersten mikrohistorischen Arbeiten das Verhältnis zwischen Mikro- und Makrohistorie weitgehend ungeklärt sei (S. 28). M. Foucault, Sexualität und Wahrheit, Bd. 1, S. 114-117. Zur Verwendung des Machtbegriffs von Foucault siehe die Einleitung zu Kap. 5.

16 Die Begriffe ,Kultur' und Gesellschaft' sollen hier allerdings nicht synonym verwendet werden,13 sondern mit Sidney Mintz verstehe ich beide weder als in sich kohärent noch als kongruent im Verhältnis zueinander.14 In Beiträgen zur sog. Neuen Kulturgeschichte wird immer wieder betont, daß es zwar eine Vielzahl von Begriffsbestimmungen zum Terminus ,Kultur' gebe, daß eine allgemein konsensfähige Definition allerdings nicht in Sicht sei.15 Ute Daniel stellt eine Engfuhrung und Abgrenzung des Begriffs generell in Frage, sieht sie doch den Gegenstandsbereich einer Kulturgeschichte als identisch mit dem der Geschichtsschreibung insgesamt.16 Es soll hier also nicht der fruchtlose Versuch unternommen werden, ,Kultur' zu definieren. Ich will erläutern, in welcher Weise ich mit ,Kultur' in Beziehung zum gewählten Religionsverständnis arbeite. Religion sehe ich als „Sinnformation", die sich in Prozessen von langer Dauer nur allmählich verändert. Das Konzept der ,Sinnformation' verwende ich im von Bernhard Jussen und Craig Koslovsky entwickelten Konzept der „kulturellen Reformation", wonach die gleichzeitigen begrifflichen Konstruktionsweisen des Religiösen wie des Sozialen zeichenorientiert analysiert werden. Wandel wird in diesem Ansatz als Umdeutung und Neudefinition von symbolischen Formen, Darstellungen und kulturellen Distinktionen faßbar. Die Strukturierungsleistung der Akteure, ihre Handlungsmuster stehen dabei im Vordergrund, die „Prozeduren des Wiederholens und Veränderns", die dann zu umfassenden kulturellen Transformationen führten.17 Die hier zugrundegelegte Vorstellung von Religion wird nicht auf Institutionen oder Theologien beschränkt. Der Religionsbegriff soll vielmehr in der Lage sein, die Veränderungen des Stellenwerts der Religion in der Gesellschaft nach der Reformation zu erfassen. Dabei ist weder ein funktionalistischer Religionsbegriff hilfreich, der Religion auf die Rolle reduziert, die sie zur Legitimierung der Interessen bestimmter sozialer Schichten hatte,18 noch ein Verständnis, das eine Trennung oder gar einen Gegensatz zwischen Religion und Kultur voraussetzt und 13

14

15

16 17 18

Richard van Dülmen konstatiert, daß ,Kultur' den Begriff .Gesellschaft' aus dem Sprachgebrauch fast verdrängt habe, R. van Dülmen, Historische Anthropologie, S. 36. Nach Sidney Mintz werden kulturelle Formen historisch hergestellt. Sie stehen dann den Akteuren zur Verfügung, die sie im gesellschaftlichen Handlungsfeld nutzen können. Auf der Basis derselben kulturellen Formen können sozial verschieden situierte Menschen dasselbe tun, dennoch hat ihr Handeln unterschiedliche Konsequenzen. Aber auch die kulturellen Formen verändern sich nicht nur in der Zeit, sondern sie sind niemals ganz kohärent. Obwohl die Akteure in den meisten Situationen gemäß den kulturell kodierten Verhaltensmustern handeln, gibt es immer Wahlmöglichkeiten und Alternativen, darunter die Möglichkeit, nicht zu handeln, S. Mintz, Culture, S. 505-511. Vergleiche etwa K. von Greyerz, Religion und Kultur, S. 21f.; M. Dinges, Neue Kulturgeschichte, S. 180f. U. Daniel, Kompendium Kulturgeschichte, S. 8. B. Jussen/C. Koslovsky, Kulturelle Reformation, S. 13-27. So etwa Dürkheim, Weber, aber auch Malinowski und Bourdieu in seiner an Weber angelehnten Arbeit über das religiöse Feld, P. Bourdieu, Das religiöse Feld.

17

Religion von der Warte ihres neuzeitlichen Glaubwürdigkeitsverlustes - dem Phänomen der Säkularisierung - her bewertet bzw. Religion mit diesen Inhaltsverlusten gleichsetzt.19 Der offenere Ansatz von Thomas Luckmann dagegen, der Religion allgemein mit Sinngebung verbindet und sozial eingebettet als kulturelles Phänomen deutet,20 trägt eher dazu bei, den Verlust der gesamtgesellschaftlichen Integrationsfähigkeit der Religion als umfassenden ,way of life' zu verstehen. Die vorliegende Arbeit untersucht, wie die schwenckfeldische Religiosität Teil hatte an dieser Entwicklung, in der Religion zunehmend weniger als zentrale, alle Bereiche des Lebens umfassende „Identifikationsinstanz" 21 diente. Schwenckfeldische Vorstellungen von der Heiligung des eigenen Lebens als Dokumentation der inneren Glaubensentwicklung läßt die Handlungsorientierung von Religion deutlich werden, die nach Max Webers Verständnis bei der historischen Analyse wesentlich ist.22 In der Bezugnahme auf die Lebensführung als Wahrheitserweis religiöser Erfahrungen sah er ein Charakteristikum, das schon im Urchristentum zu erkennen gewesen sei. Weber betonte die ethische Handlungsorientierung der christlichen Religion, die er verbunden mit den Individualisierungstendenzen im Protestantismus besonders der puritanisch-calvinistischen Ausprägung bekanntlich in einem Zusammenhang mit der Entstehung des bürgerlich-kapitalistischen Lebensstils der Moderne sah. Die mystischen Richtungen des Christentums dagegen, die durch erfahrene Einsicht in letzte Glaubensgeheimnisse Wissen und Handeln zusammenbrachten, machte er als wenig charakteristisch für die Entwicklung der modernen Gesellschaft aus.23 In der Sichtweise Webers wäre das Schwenckfeldertum mit seinem Konzept des „mittleren Weges" als Übergangsphänomen einzuordnen, das die mystische Frömmigkeitspraxis des Mittelalters in die Erfahrung der Zerstörung von Religion als einheitlichem Sinnhorizont integrierte. Diese These werde ich durch die Untersuchung der Rolle und Position der schwenckfeldischen Bewegung innerhalb einer Periode der Veränderungen von „Sinnformationen" vom Spätmittelalter bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts überprüfen. Die Schwenckfelder nutzten für die Entwicklung ihrer Religiosität konsequent die vielfältigen neuen reformatorischen Denk- und Handlungsspielräume. Von 19

20

21 22

23

Zur Kritik dieses Religionsverständnisses, das besonders für die Frühe Neuzeit wenig passend erscheint und u.a. von Habermas vertreten wird, siehe A. Hahn, Religion, Säkularisierung und Kultur, S. 19. T. Luckmann definiert alle Religionen als „sozial geformte, mehr oder minder verfestigte, mehr oder minder obligate Symbolsysteme [...], die Weltorientierung, Legitimierung natürlicher und gesellschaftlicher Ordnungen und den Einzelnen transzendierende (z.B. familienoder sippenbezogene) Sinngebungen mit praktischen Anleitungen zur Lebensführung und biographischen Verpflichtungen verbanden", T. Luckmann, Einleitung, S. XI. A. Hahn, Religion, Säkularisierung und Kultur, S. 21. „Denn der Effekt im Handeln ist es, der uns angeht." So erläutert er sein Programm in der Untersuchung des Zusammenhangs von Soteriologie und Alltagshandeln, M. Weber, Religiöse Gemeinschaften, S. 333. Siehe M. Weber, Die protestantische Ethik, S. 17-236.

18 Anfang an standen sich hier vorsichtigere und radikalere religiöse und gesellschaftliche Umgestaltungsmöglichkeiten gegenüber.24 Die Schwenckfelder beriefen sich auf das von Luther propagierte Laienpriestertum und bestanden gemäß der Regel Pauli25 darauf, alle theologischen Angebote selbst zu prüfen. Den Weg von der offenen reformatorischen Debattenkultur zur Reduktion der religiösen Denk- und Lebensmöglichkeiten durch die Verpflichtung auf nur wenige Bekenntnisse wollten sie nicht mitgehen. Das Forschungskonzept der ,Konfessionalisierung', das diesen Prozeß untersucht, soll hier genutzt werden, um den schwenckfeldischen Widerstand dagegen wie die durch den interaktiv gedachten Vorgang der Grenzziehung innerhalb des Protestantismus erzwungene „Selbstidentifikation" (Alois Hahn) der Schwenckfelder zu untersuchen. Das von Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling entwickelte und von ihnen als „Paradigma" resp. „Fundamentalvorgang" (Schilling) gedachte Konzept der Konfessionalisierung soll anknüpfend an die Arbeiten von Ernst Walter Zeeden zur Konfessionsbildung26 den Aufbau von mehreren religiös und räumlich begrenzten „Totalsystemen" mit je eigenem universalem Wahrheitsanspruch darlegen. Der Prozeß der Konfessionalisierung durchdrang nach Schilling und Reinhard alle Bereiche des Lebens, wirkte disziplinierend auf die Untertanen und war eng verknüpft mit der modernen Staatsbildung.27 Besonders die Verbindung von Konfessionalisierung mit der Sozialdisziplinierung der Subjekte und der frühmodernen Staatsbildung ist in der Forschung häufig kritisiert worden.28 Das Forschungskonzept wurde aber auch generell in Frage gestellt29 bzw. es wurden Differenzierungen gefordert und Desiderate festgestellt. So sei bislang der Widerstand gegen die Konfessionalisierung ebenso wenig berücksichtigt worden wie die Eigenarten der verschiedenen Konfessionen oder solche Aspekte des religiösen Lebens, die nicht konfessionalisierbar waren.30 Zudem müssten nicht nur die

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25 26 27

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James M. Stayer betont in seinem Forschungsüberblick zur radikalen Reformation und zur Bedeutung des Dissidententums im 16. Jahrhundert mit Goertz, daß radikalere Ansätze von Beginn an zur Reformation dazugehörten, J. M. Stayer, Radicalism and Dissent, S. 13. 1 Th 5,21. E. W. Zeeden, Grundlagen, S. 249-299; ders., Konfessionsbildung. Siehe dazu vor allem Η. Schilling, Konfessionalisierung im Reich, 1-45; ders., Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft, S. 1-49; W. Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung, S. 257-277; ders., Was ist katholische Konfessionalisierung, S. 419-452. Siehe u.a. H.R. Schmidt, Sozialdisziplinierung, S. 639-682; O. Mörke, Strukturprinzip, S. 31-60. L. Schorn-Schütte, Konfessionalisierung, S. 61-77. Hartmut Lehmann stellt wegen der Eigenheiten und Unterschiede zwischen den drei Konfessionen und des Widerstandes gegen von oben verordnete konfessionelle Vorgaben sowie der Vehemenz der innerlutherischen Auseinandersetzungen die gängigen Forschungsbegrifflichkeiten in Frage: Zwar könne man von einem „Konfessionellem Zeitalter", nicht aber von einem „Zeitalter der Konfessionalisierung" sprechen, H. Lehmann, Grenzen, S. 247-249. A. Schindling, Konfessionalisierung und Grenzen der Konfessionalisierbarkeit, S. 9-44.

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gegenseitige Abgrenzung, sondern auch die inter- und transkonfessionellen Austauschprozesse in den Blick genommen werden. 31 Mit der Untersuchung der Reaktion der Schwenckfelder auf die Konfessionalisierung, die beide Seiten - die lutherische Obrigkeit wie die Schwenckfelder - zu Selbstdefinitionen nötigte und die Schwenckfelder zur Entwicklung einer flexiblen Strategie von Anpassung und Widerstand brachte, leistet die Arbeit einen Beitrag zu einer weiteren inhaltlichen wie regionalen Differenzierung des als Analyseinstrument hilfreichen Forschungskonzepts der Konfessionalisierung. Um schwenckfeldischer Theologie und Frömmigkeitspraxis auf die Spur zu kommen, ihre Spuren rekonstruieren und erkennen zu können, was sie als religiöse und soziale Gemeinschaft ausmachte, ist ein multiperspektivisches Vorgehen erforderlich. In jedem Kapitel wird ein anderer Blickwinkel auf das süddeutsche Schwenckfeldertum erprobt, der damit verbundene Wechsel der theoretischen Konzepte und Untersuchungsmethoden wird an der entsprechenden Stelle expliziert. Neuere methodische Ansätze werden hier genutzt, um Religionsgeschichte in eine nicht-zentristische „allgemeine Geschichte" zu integrieren, in der Religion ein Feld, einen sozialen Raum darstellt, aber eben nicht im Sinne eines abgeschlossenen partikularen Bereichs, sondern als konstitutiver Teil der Gesellschaft der Frühen Neuzeit. Abgegrenzte ,Spezialgeschichten' existieren - wie Karin Hausen festgestellt hat - nur, wenn man eine allgemeine Geschichte' als Einheit konstruiert, andere Bereiche davon abtrennt und auf diese Weise als weniger relevant bewertet.32 Michael Weinzierl konstatierte 1997, daß die deutschsprachige Religionsgeschichte die neueren methodischen Ansätze der Kulturanthropologie, der Psychohistorie und sogar der Sozialgeschichte nicht berücksichtige, sondern immer noch auf Institutionen- und Theologiegeschichte fixiert sei.33 Hier wird dieser Kritik insofern Rechnung getragen, als versucht wird, Religionsgeschichte mit unterschiedlichen Methoden und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betreiben, ohne kirchliche Institutionen oder akademische Theologien als zentralen Bezugspunkt zu nehmen. Schwenckfeldische Theologie und religiöse Praxis werden nicht als Variation oder Abweichung von den Konfessionskirchen her definiert. Für die hier unternommene ,Spurensuche', die Suche danach, wer Schwenckfelder sind, wie und wo sie sich finden lassen, wie sie sich selbst beschreiben oder von anderen in soziale Positionen eingeschrieben werden, soll nicht mit einer festen sozialen Zuordnung begonnen werden. Die Erörterung der Frage, inwieweit die süddeutschen Schwenckfelder überhaupt eine Gruppe im Sinne soziolo-

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Das betont Thomas K a u f m a n n in der Einleitung zu einem Sammelband, der die Grenzen des Konfessionalisierungsparadigmas zum Thema macht, T. K a u f m a n n , Einleitung: Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität, S. 9-15. K. Hausen, Nicht-Einheit, S. 36. M. Weinzierl, Individualisierung, S. 7f.

20 gischer Kategorien darstellten oder in ihrem Zusammenleben flüchtiger waren und zu einer festen sozialen Entität von einer sie ausgrenzenden Obrigkeit erst gemacht wurden, steht daher am Ende und nicht am Anfang des Untersuchungsganges. Soziale Kategorien werden als flexible Analyseinstrumente eingesetzt, die voneinander abhängen und aufeinander bezogen sind. ,Schicht', ,Alter', ,Beruf, ,Zivilstand', ,Stadt- oder Landbewohner' und ,Geschlecht'34 werden als durch soziale Interaktion veränderbare Status in einem Netzwerk von Personen im sozialen Raum gesehen.35 Diese Konstellationen konstituieren soziale Erfahrungen, die dazu fuhren, daß sich Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Positionen dem Schwenckfeldertum anschlossen, es sich auch in unterschiedlicher Weise aneigneten. Schwenckfeldische Religiosität soll nicht - wie bei Bourdieu - allein aus diesen sozialen Bedingungen abgeleitet werden.36 In die religiösen Symbolsysteme sind zwar soziale Bedeutungen eingetragen, eine eindeutige Zuordnung ist aber nicht möglich, da die Symbole immer als „polysemisch" zu verstehen sind.37 Die süddeutschen Schwenckfelder gewinnen durch den mehrfachen Wechsel der Untersuchungsperspektiven Kontur als „Chretiens sans Eglise".38 Die unterschiedlichen Blickwinkel ermöglichen es darzustellen, was Menschen als Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder ausmachte. Zunächst werden prosopographisch die Menschen vorgestellt, die sich dem Schwenckfeldertum in Süddeutschland anschlossen (Kapitel 2). Bei der folgenden Analyse der religiösen Vorstellungswelt der Schwenckfelder ist der Begriff der ,Erfahrung' erkenntnis34

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.Geschlecht' war in der Frühen Neuzeit nur einer von mehreren Faktoren, die die Handlungsmöglichkeiten von Frauen in unterschiedlicher Weise bestimmten, siehe H. Wunder, Sonn, S. 264. Zum Verhältnis der Kategorie ,Geschlecht' zu anderen Kategorisierungen in der Frühen Neuzeit siehe auch M. Hohkamp, Im Gestrüpp der Kategorien, S. 6f. Zur Arbeit mit sozialen Kategorien als „Plätze im sozialen Raum" im Sinne Bourdieus siehe u.a. M. Meier, Standesbewußte Stiftsdamen; A. Griesebner, Konkurrierende Wahrheiten. Diese eher schematische, funktionalistische Sicht nimmt Bourdieu ein: „Die fast schon wundersame Harmonie, die sich zwischen der Form, welche die religiösen Praktiken und Glaubensinhalte in einer gegebenen Gesellschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt annehmen, und den spezifisch religiösen Interessen ihrer bevorzugten Klientel beobachten läßt, ist das Ergebnis einer selektiven Rezeption, mit der notwendigerweise eine Umdeutung einhergeht, deren Ursache nichts anderes als die innerhalb der Sozialstruktur eingenommene Position ist." Die religiösen Vorstellungen und Verhaltensweisen, „die sich auf ein und dieselbe Ursprungsbotschaft berufen, [verdanken] ihre Verbreitung im sozialen Raum einzig der Tatsache, daß sie fur die verschiedenen Gruppen völlig unterschiedliche Bedeutungen haben." P. Bourdieu, Das religiöse Feld, S. 73, 75. Caroline Walker Bynum legt in Anlehnung an Paul Ricoeur dar, daß religiöse Symbole nicht etwas „bedeuten" in dem Sinne, daß sie eine Aussage über eine soziale Struktur machen oder einen sozialen Status voraussetzen, sondern religiöse Symbole sind vieldeutige Bilder und bedingen einen aktiven Prozeß der Aneignung, C. Walker Bynum, Complexity of Symbols, S. 1-20. Der Ausdruck stammt von Leszek Kolakowski, der damit konfessionelle Indifferenz im 17. Jahrhundert beschreibt, siehe L. Kolakowski, Chretiens.

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leitend. Soziale Erfahrungen und Positionierungen im sozialen Raum werden verbunden mit religiöser Erfahrung, ihrer Kommunikation und der davon abhängigen Gestaltung von Theologie durch die Anhänger Schwenckfelds (Kapitel 3). Anschließend richte ich den Blick auf die sozialen Verbindungen der Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder, auf die Struktur der einzelnen lokalen Schwenckfelder-Zirkel sowie ihre Verknüpfung zu einem überregionalen Netzwerk. Zudem wird gezeigt, wie Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder ihren Glauben in ihren Alltagsbeziehungen lebten, ohne sich aus der Welt, in die sie hineingeboren wurden, zurückzuziehen (Kapitel 4). Nach der Untersuchung der Binnenstruktur des süddeutschen Schwenckfeldertums wird die Perspektive von außen auf das Schwenckfeldertum eingenommen und das Verhalten der Menschen gegenüber den Schwenckfeldern thematisiert, die den spiritualistischen Glauben nicht teilten - Untertanen schwenckfeldischer reichsritterlicher Familien werden ebenso berücksichtigt wie die lutherischen und katholischen Obrigkeiten in den Städten. Dabei wird Konfessionalisierung als Prozeß der Grenzziehung verstanden, in dem die Schwenckfelder durch Häretisierung zu einer Gruppe mit identifizierbaren Merkmalen zusammengefugt und ausgegrenzt wurden. Dargestellt wird schließlich, wie sie selbst sich mit den Zuschreibungen von außen und den damit verbundenen Verfolgungsgefahren auseinandersetzten (Kapitel 5). In einem kurzen letzten Kapitel stehen die Entwicklungen des Schwenckfeldertums im Verlauf des (späteren) 17. Jahrhunderts im Vordergrund. Ausgehend von einem ausgewählten schwenckfeldischen Netzwerk werden vor allem die Veränderungen gezeigt, die die Kontakte zu anderen dissidentischen religiösen Gruppierungen mit sich brachten (Kapitel 6).

Kapitel 2: Dramatis Personae - zur Prosopographie des süddeutschen Schwenckfeldertums Um den Schwenckfelderinnen und Schwenckfeldern in Süddeutschland auf die Spur zu kommen, sind komplexe Rechercheverfahren notwendig. Anders als etwa bei den Täufern 1 gibt es weder obrigkeitliche Listen noch freiwillig-demonstrative oder erzwungene Bekenntnisse zum Schwenckfeldertum. Im Gegenteil: Schwenckfelder waren zumindest seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bemüht, ihre Religiosität zu verschleiern. 2 War diese Strategie erfolgreich, hinterließen sie keine Spuren in den überkommenen amtlichen Dokumenten. Daher ist zunächst eine prosopographische Rekonstruktion nötig, die die verschiedenen Quellenhinweise miteinander kombiniert und die Grundlage für die vorliegende Arbeit bildet. Die Analyse von Verwandtschaftsbeziehungen, Paten-, Pfleg- und Zeugenschaften sowie geschäftlichen Beziehungen verbunden mit den personenbezogenen Angaben in Briefwechseln und den Hinweisen auf Distanz zur offiziellen Kirche in obrigkeitlichen Quellen (Abendmahlsverweigerungen und unregelmäßiger Predigtbesuch) führen zu den Spiritualisten, deren religiöses Zentrum verborgen im Innern, im Herzen der einzelnen Gläubigen lag. Die Hinweise lassen sich zu einem Bild des süddeutschen Schwenckfeldertums zusammenfügen und Entwicklungen der Bewegungen von ihrem Beginn in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts bis weit ins 17. Jahrhundert erkennen. Im folgenden sollen also Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder sichtbar gemacht und damit ein Überblick gegeben werden: über die bisherige Forschungslage zum Schwenckfeldertum (2.1), die Quellenlage im süddeutschen Raum und die sich daraus und aus dem Ziel, unterschiedliche Gruppenbildungsverläufe und verschiedene Reaktionsmuster der Obrigkeit zu dokumentieren, ergebende geographische Schwerpunktsetzung der Arbeit (2.2.). Am Beispiel der Gemeinschaften in den Reichsstädten Augsburg und Ulm sowie dem Gebiet der Freiherrn von Freyberg werden Menschen vorgestellt, die sich dem Schwenckfeldertum anschlossen (2.3). Als Ergebnis werden die Strukturen des süddeutschen Schwenckfeldertums zusammenfassend dargestellt (2.4.).

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Über Wiedergetaufte wurden von den städtischen Obrigkeiten Verzeichnisse angelegt, siehe z.B. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, „Täufer-Selekt", März/April 1528; Ratsbücher, Nr. 15 (1520-1529), fol. 144-166. Siehe Kap. 5.

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2.1

Stand der Forschung

In der theologischen und der historischen Forschung wurde das Schwenckfeldertum unterschiedlich intensiv bearbeitet. Die Anhängerschaft Caspar Schwenckfelds konzentrierte sich auf die beiden Regionen, in denen er sein Leben verbracht hatte, Schlesien und Süddeutschland. Gemeinsam war beiden Gebieten, daß Schwenckfeld das Interesse an seinen religiösen Vorstellungen überwiegend in persönlichen Begegnungen weckte und so die Gemeinschaftsbildung initiierte, danach entwickelte sich das Schwenckfeldertum in Schlesien und Süddeutschland sehr verschieden - sowohl im Hinblick auf die Größenordnung und die soziale Zusammensetzung als auch in Theologie und Lebenspraxis. Die Forschung zum Schwenckfeldertum befaßte sich mit den theologie- und kirchengeschichtlichen Aspekten, sozialgeschichtlich ausgerichtet sind nur sehr wenige Arbeiten. Das Hauptinteresse lag auf den Lehren Schwenckfelds und seiner Einordnung in die protestantische Theologiegeschichte.3 Zu den Anhängern Schwenckfelds gibt es weit weniger Arbeiten als zu Schwenckfeld selbst. Für die schlesischen Schwenckfelder maßgebend ist die umfassende kirchenhistorische Arbeit von Weigelt.4 Daneben existieren auch Forschungen zu regionalen Teilbereichen der schlesischen Bewegung.5 Schwenckfelds Theologie und ihren Einflüssen auf zeitgenössische und spätere theologische Richtungen im Protestantismus ebenso gewidmet wie seinen Gefolgsleuten in verschiedenen Teilen Europas ist der von Peter Erb herausgegebene Tagungs-Sammelband.6 Er enthält eine der wenigen Arbeiten, die einen Überblick über die süddeutsche Bewegung gibt. R. Emmet McLaughlin beschäftigt sich vor allem mit den Spiritualisten bis zu Schwenckfelds Tod und gibt für die Zeit danach nur einige Hinweise.7 Noch stärker auf die erste Periode des süddeutschen Schwenckfeldertums konzentriert ist die ebenfalls den gesamten süddeutschen Raum umfassende Darstellung von Claus-Peter Clasen.8 Beiden Arbeiten ist gemeinsam, daß sie überwiegend auf der Grundlage der Literatur und der gedruck3

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Siehe vor allem die Arbeiten von K. Ecke, Schwenckfeld, Luther und der Gedanke; ders., Schau. Er betont die Nähe Schwenckfelds zu Luther. Gottfried Maron bestreitet dagegen die Gemeinsamkeiten mit Luther, G. Maron, Individualismus. Neuere Arbeiten zu verschiedenen Aspekten von Schwenckfelds Theologie, zum spiritualistischen Bibelverständnis ebenso wie zur Abendmahlstheologie, zum Dualismus wie zur Ekklesiologie mit dem Bezugspunkt der reformiert-oberdeutschen Theologie enthält der Aufsatz-Sammelband von R. E. McLaughlin, The Freedom of Spirit, der im Anhang auch eine Bibliographie bietet. H. Weigelt, Spiritualistische Tradition. Arno Herzig untersucht beispielsweise das Schwenckfeldertum in der Grafschaft Glatz, indem er den schwenckfeldischen Reformationsbeginn in die reformatorische Bewegung und die gegenreformatorische Politik in der Grafschaft einordnet, A. Herzig, Reformatorische Bewegungen, S. 48-53. P. C. Erb, Schwenckfeld and Early Schwenkfeldianism. R. E. McLaughlin, Schwenkfelders in South Germany, S. 145-180. C.-P. Clasen, Schwenckfeld's Friends, S. 58-69.

25 ten Quellen verfaßt wurden. Zum Teil auf archivalischen Quellen fußt der Beitrag von Heinz-Peter Mielke, der wie McLaughlin und Clasen eine Zusammenschau des süddeutschen Schwenckfeldertums zum Ziel hat, sich dabei aber vor allem auf den Adel und die alchemistischen Ärzte konzentriert. Er beschäftigte sich auch stärker mit der Zeit nach Schwenckfelds Tod. 9 Neben diesen drei Überblicksdarstellungen gibt es eine Reihe zumeist kleinere Arbeiten zu einzelnen Gebieten oder Personen aus dem süddeutschen Schwenckfeldertum. 10 Am umfangreichsten sind die personen- und theologiegeschichtlichen Untersuchungen von Husser zum Straßburger Schwenckfeldertum" sowie von Weber zum Schwenckfeldertum in den Gebieten der Herren von Freyberg mit dem Schwerpunkt auf der Religiosität der freiherrlichen Familie.12 Biographisch wurde zu einigen der männlichen Protagonisten der Bewegung geforscht: So liegen eine ältere Arbeit zu dem Landauer Reformator und Schwenckfelder Johannes Bader vor13 sowie zwei Darstellungen zu den Schwenckfeldern der zweiten Generation, den Straßburger Freunden Daniel Friedrich14 und Daniel Sudermann. 15 Die Biographen sehen ihre Forschungsobjekte dabei gar nicht hauptsächlich als Anhänger des Schwenckfeldertums, sondern schreiben Schwenckfelds Schriften nur einen gewissen Einfluß auf ihr Denken zu. Das liegt wohl vor allem daran, daß viele Forscher den Subjektivismus der Spiritualisten stark betonen. Eine mehrere Personen umfassende spiritualistische Bewegung ist für sie demnach gar nicht denkbar. 16 Zu den beiden neben Straßburg größten schwenckfeldischen Gemeinden, Ulm und Augsburg, wurde bislang dagegen kaum geforscht. Für Ulm existiert lediglich eine auf Schwenckfelds Aufenthalte in der Reichsstadt orientierte ältere Untersuchung. 17 Zu Augsburg fehlen Arbeiten ganz, die schwenckfeldische Gemein-

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Die archivalischen Quellen gibt er allerdings nur sehr selten an und verweist stattdessen auf einen zukünftigen weiteren Beitrag, H.-P. Mielke, Das süddeutsche Schwenkfeldertum, S. 63-77. Interessant wäre auch eine genauere Untersuchung der Verhältnisse in der Schweiz. Wie das Beispiel des bikonfessionellen Ortes Altstätten (mit der Gruppe von Johann Martt und Gall Keel) zeigt, gab es auch hier schwenckfeldische Gemeinschaften, die bislang noch gar nicht von der Forschung in den Blick genommen wurden, was auch im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens". F. M. Weber, Justingen. J. P. Gelbert, Baders Leben. E. Eylenstein, Daniel Friedrich. M. Pieper, Sudermann. Siehe auch die in Kapitel 1 referierte Einschätzung von Hans-Jürgen Goertz. J. Endriß, Schwenckfelds Ulmer Kämpfe. Der gedruckte, in Ulm gehaltene Vortrag von Mielke beschäftigt sich dagegen trotz des anderslautenden Titels mit der gesamten süddeutschen Schwenckfelderbewegung, wobei der Bischof von Speyer, Marquard von Hattstein, und sein Hof im Vordergrund stehen, H.-P. Mielke, Von Schwenkfeld zum Rosenkreuz. Mielke vertritt darin die These, der Bischof habe nach Schwenckfelds Tod die Führung über

26 de wird aber in der umfangreichen älteren Reformationsgeschichte von Roth mehrfach ausfuhrlicher behandelt.18 Auch zu den kleineren Gemeinden im Allgäu und den schwenckfeldischen Reichsrittern, die in ihren Besitzungen schwenckfeldische Gemeinden ansiedelten und unterstützten, sind bislang keine eingehenden Forschungen vorhanden.

2.2

Rekonstruktionswege

Die vorliegende Arbeit soll zwar einen Beitrag zur Rekonstruktion und Sichtbarmachung süddeutscher Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder liefern, versteht sich aber dennoch nicht als flächendeckende Erfassung der Bewegung, sondern konzentriert sich auf einige der Gemeinschaften im Untersuchungsraum, die verschiedene gruppeninterne Entwicklungen und unterschiedliche Konfessionalisierungsverläufe repräsentieren: Reichsstädte mit lutherischer Konfessionalisierung und bikonfessionelle Orte, aber auch Reichsstädte mit starkem katholischen Umland; ritterschaftliche Orte und ihre Loyalitätskonflikte mit katholischen, protestantischen Nachbarn und dem Kaiser sowie Württemberg als Territorium in seinen Beziehungen zu den benachbarten Städten und reichsfreien Gebieten, auf die man gerade bei der Beseitigung religiöser Abweichler Einfluß zu nehmen suchte. Da mit der erwähnten Dissertation von Husser eine umfangreiche theologiegeschichtlich und prosopographisch ausgerichtete Arbeit zu Straßburg bereits vorliegt, konzentriere ich mich auf die Versuche der Einflußnahme Straßburgs auf andere Orte bei der Bekämpfung der Schwenckfelder sowie die Beziehungen der Straßburger Schwenckfelder zu anderen Ortsgemeinden und ihre Position im überregionalen süddeutschen Netzwerk. Ausgangspunkt für prosopographische Untersuchungen ist die umfangreiche gedruckte Sammlung von Briefen Schwenckfelds an seine Anhänger.19 Über die Adressaten der Schreiben führen die Spuren weiter zu den Ortsgemeinden. Weitere Schwenckfelder in den einzelnen Reichsstädten und Territorien lassen sich über die von der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit verfaßten Zeugnisse ermitteln. Neben Ratsprotokollen, Urfehdensammlungen und Verhörprotokollen sind hier vor allem die Synodus- und Konventsprotokolle sowie die kirchlichen Visitationsakten von Bedeutung, aber auch die Korrespondenzen der Schwenckfelder mit den amtlichen Stellen und die der obrigkeitlichen Behörden untereinander. Zusätzlich Aufschluß über die soziale Situierung der ermittelten Schwenckfelder und die verschiedenen, sich zum Teil überlagernden sozialen und religiösen Netzwerke liefern Steuerlisten, Inventare, Pflegschaftsbücher, Testamente und Kirchenbücher. Viele Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder wurden aber

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die gesamte süddeutsche Schwenckfelderbewegung übernommen, siehe dazu auch ders., Schwenkfeldianer, S. 77-82. F. Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte. Corpus Schwenckfeldianorum, hg. von Chester David Hartranft (im folgenden zitiert als C.S.).

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aufgrund ihres vorsichtigen, ihren Glauben verbergenden religiösen Handelns nie obrigkeitlich aktenkundig. Sie lassen sich nur über die Briefwechsel mit den Glaubensbrüdern und -schwestern ausfindig machen. Dabei sind Einzelbriefe selten überliefert, sondern die Briefe finden sich in Sammlungen, die von den Adressaten angelegt und später an Glaubensfreunde weitergegeben wurden. Daher ist in der Regel nur die eine Seite des Schriftverkehrs erhalten, der Inhalt der Briefe des Korrespondenzpartners läßt sich nur erschließen. Ein Vergleich der Spurenfunde in den einzelnen Orten wird dadurch erschwert, daß der Quellenbestand zu den Schwenckfeldern in den lokalen Gemeinschaften sehr unterschiedlich ist. Zum Teil existieren relevante Ratsprotokollbestände nicht mehr - wie in Landau - oder die Obrigkeit beschäftigte sich wenig mit den Schwenckfeldern - wie in einigen Allgäuer Orten. Die Briefsammlungen geben detaillierte Einblicke in einige wenige Ortsgemeinden, die Briefe aus den anderen schwenckfeldischen Gemeinden wurden dagegen nicht gesammelt, so daß sich hier keine Aussagen über das schwenckfeldische Leben aus der Sicht der Schwenckfelder selbst machen lassen. Auf eine vergleichende und quantifizierende Darstellung muß daher verzichtet werden. Trotz dieser Schwierigkeiten werden im folgenden erst exemplarisch und dann in einem zusammenfassenden Überblick die Entwicklungen des Schwenckfeldertums in Süddeutschland in den Bereichen dargestellt, in denen überregional gültige strukturelle Ähnlichkeiten aufgezeigt werden können, wie in der Entwicklung der sozialen Zusammensetzung und in der Reaktion der Obrigkeiten auf das religiöse Handeln der Schwenckfelder.

2.3

Schwenckfelder in Augsburg, Ulm und den Besitzungen der Familie von Freyberg

Als Beispiele für die personengeschichtliche Rekonstruktion wurden die bikonfessionelle Reichsstadt Augsburg, die zusammen mit Straßburg die zahlenmäßig größte schwenckfeldische Gemeinde beherbergte, ausgewählt sowie Ulm als zunächst oberdeutsch-reformierte, dann entschieden lutherische Reichsstadt, in der ebenfalls eine für schwenckfeldische Verhältnisse große Gemeinde lebte, gegen die man aber anders als in Augsburg am Ende des 16. Jahrhunderts rigoros vorging. Zudem wurde das wichtigste ritterschaftliche Gebiet, das bei Ulm gelegene kleine Territorium der Freiherrn von Freyberg berücksichtigt, das hier weniger mit dem Schwerpunkt auf die Adelsfamilie als auf die dort ansässige schwenckfeldische Gemeinschaft untersucht werden soll.20 An den drei Beispielorten läßt sich auch die Verschiedenheit der Quellensituation erläutern: In Augsburg existieren kaum Ermittlungsakten oder theologische Gutachten von kirchlicher Seite, lediglich einige wenige Briefe, die das 20

Die Ergebnisse der personengeschichtlichen Rekonstruktionen der übrigen schwenckfeldischen Gemeinschaften in Süddeutschland finden sich im Anhang.

28 Schwenckfeldertum zum Inhalt haben, sind überliefert. Die Hauptquellen zum Augsburger Schwenckfeldertum sind neben den Briefen Schwenckfelds an einige seiner dortigen Anhänger die zum Teil sehr ausführlichen Verhörprotokolle. In Ulm war dagegen die kirchliche Seite die treibende Kraft der Verfolgungen. Zahlreiche Akten, die von kirchlichen wie weltlichen Amtleuten verfasst wurden, geben Aufschluß über die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder in Stadt und Umland, allerdings ist hier keine Wiedergabe der Verhöre erhalten. Für das Gebiet der von Freyberg finden sich für einen kurzen Zeitraum in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts zahlreiche Briefe des ehemaligen katholischen Priesters Martt, die über das Gemeindeleben in den Dörfern der Freiherrn berichten. Ein kleiner Ausschnitt schwenckfeldischer Lebensformen in Süddeutschland wird somit detailreich beleuchtet. Daneben sind Beschwerdeschriften, Eingaben und Berichte von verschiedenen katholischen Nachbarn an die oberösterreichische Regierung erhalten, die Angaben zu den häretischen Reichsrittern und ihren Glaubensgenossen machen.

Augsburg Die Augsburger Gruppe von Anhängern und Sympathisanten Schwenckfelds entwickelte sich zur zahlenmäßig größten in Süddeutschland. Den Grundstein für die Entstehung der Gemeinschaft legten wohl Schwenckfelds frühe Schriften, die schon vor dem persönlichen Kennenlernen Interesse an seinen spiritualistischen Lehren erweckten,21 der entscheidende Impuls für die Bildung eines festeren Kreises von Anhängern lieferte jedoch Schwenckfelds erster Besuch in der Stadt im Oktober 1533.22 Er war auf Einladung des protestantischen Pfarrers Bonifatius Wolfhart,23 den er von seinem Straßburger Aufenthalt kannte, in die Stadt gekommen. Über Wolfharts Verbindungen zu den führenden Familien knüpfte Schwenckfeld Kontakte zur Augsburger Führungsschicht, aus der die Mitglieder des frühesten Kreises von Anhängern kamen. In der noch unentschiedenen Reformationssituation24 sympathisierten Augsburger Geistliche ebenso wie wirtschaftliche und politische Entscheidungsträger mit den Lehren des Schlesiers. Neben Wolfhart neigten die Pfarrer Johann Heinrich Held von Tieffenau,25 Bar21 22 23 24

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R. E. McLaughlin, Schwenkfelders in South Germany, S. 171, A.40. C.S. 4, S. 847. Zur Person Wolfharts s. H. Ehmer, Bonifatius Wolfhart; K. Wolfart, Beiträge. Zur Reformationsgeschichte Augsburgs immer noch maßgebend Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte. Siehe auch P. Warmbrunn, Zwei Konfessionen, S. 49-54; H. Immenkötter, Kirche, S. 391-412; R. Kießling, Augsburg, S. 61-74. Sein Bruder Jakob war der engste Mitarbeiter Schwenckfelds, der ihn auch oft auf Reisen und zu Religionsgesprächen begleitete. Diese Tätigkeit führte zu Konflikten mit Jakob Heids Frau Sophie von Kalcken, wodurch auch die Straßburger Obrigkeit auf seine Aktivitäten aufmerksam wurde. Sie trennte sich 1548/1549 von ihrem Mann, siehe Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, S. 234, 245-247, 251f„ 255f„ 258, 260263, 290f.; D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenkfeldiens", S. 142. Johann Heinrich

29 tholomäus Fontius,26 Michael Keller, Johann Baumgartner und Jakob Dachser Schwenckfeld zu,27 außer Wolfhart und Dachser gehörten sie aber nicht zum engeren Kreis der Anhänger. Dachser war in den zwanziger Jahren Täufer gewesen, nach Haft und Ausweisung widerrief er jedoch. In Augsburg fanden einige ehemalige Täufer, besonders solche, die höherstehenden Schichten entstammten, ihren Weg zum Schwenckfeldertum. 28 Der in Donauwörth geborene Patrizier Georg Regel und vor allem seine zweite Frau Anna Manlich 29 zählten ebenso dazu wie fünf Frauen der Familie Kraffter 30 und der mit der Familie verschwägerte Lukas Müller. Neben diesen gehörten zu der ab den dreißiger Jahren sich bildenden Gruppe überzeugter Anhänger die vielfach wirtschaftlich und durch Heirat verbundenen Oberschichtfamilien der Rehlinger, Schweigger und Hillenson sowie der sehr wohlhabende Ulrich Welser. Zur Gemeinschaft zählten aber auch Gelehrte wie die Juristen Markus Zimmermann und sein gleichnamiger Sohn sowie Georg Tradel, die Ärzte Wolfgang Thalhauser, 31 später Tobias Kneulin und mit Ein-

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Held interessierte sich sicher nur in der Frühzeit für die spiritualistische Lehre. Als das gesamte Pfarrkonvent Mitte September 1553 eine ausfuhrliche Stellungnahme zu den in einem Brief des Schwenckfelders Hans Wilhelm von Laubenberg enthaltenen Vorwürfen, Schwenckfeld und seine Lehren ungerechtfertigt zu verketzern, an den Rat gab, die im Ton scharf antischwenckfeldisch war, unterschrieb auch Held, ebenso wie der von den Lutherern als Schwenckfelder-Sympathisant geschmähte zwinglische Pfarrer Melhorn, Augsburg, Stadtarchiv, Personenselekte Honold bis Manlich, Akten Laubenberg, Pfarrkonvent an Rat, 28.9.1553. Fontius sympathisierte 1534 mit Schwenckfeld, wohl beeinflußt von Wolfhart, siehe T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 1, S. 468, 471, 475f„ 492; Bd. 2, S. 803. Diese Sympathien zwinglisch orientierter Pfarrer wurde nach dem Schmalkaldischen Krieg von den jungen, aus Sachsen stammenden Pfarrern zur Häretisierung ihrer innerprotestantischen Gegner genutzt, siehe Kap. 5.2.1. Zu Ex-Täufern als Objekten schwenckfeldischer Missionierung siehe auch Kap. 4.2. Georg Regel hatte durch die unstandesgemäße Heirat mit Anna Manlich seinen Status als Patrizier verloren und verließ daher zeitweilig die Stadt. Er kehrte 1525 wieder zurück, floh aber 1528 erneut für einige Zeit wegen der Täuferverfolgungen nach Konstanz, wo Anna eine Affäre mit dem Täuferführer Ludwig Hätzer hatte, die zur Begründung für dessen Hinrichtung diente. 1531 wurden Anna und Georg Regel nach abgelegtem Widerruf wieder in Augsburg aufgenommen. Anna begann sich zu Beginn der vierziger Jahre für das Schwenckfeldertum zu interessieren und wurde zu einer engen Vertrauten Schwenckfelds (C.S. 12, S. 38f.), die ihn auch besuchte und während einer Krankheit pflegte (C.S. 9, S. 921, 923; C.S. 10, S.583). Biographisch-genealogische Angaben, wenn auch mit unzutreffender religiöser Einschätzung siehe Η. H. von Bittenfeld, Geschlechterkunde, S. 87-102. Die Söhne des Lorenz Kraffter waren sehr erfolgreiche Großkaufleute, die Töchter, Magdalena, Maria, Euphrosina, Susanna, Helena, Sibilla und Regina heirateten in angesehene Familien ein und waren fast alle überzeugte Schwenckfelderinnen. Maria heiratete den Bürgermeister Jakob Herbrot. Zu den wirtschaftlichen Aktivitäten der Kraffters siehe H. Kellenbenz, Konkurs; zu Herbrot: M. Häberlein, Jakob Herbrot. E. Hönncher, Auf des Paracelsus Spuren; J. Teile, Wolfgang Thalhauser.

30 schränkungen auch Karl Widemann,32 zudem der längere Zeit in Augsburg lebende Grammatiker Valentin Ickelsamer33 und der Notar, Übersetzer und Meistersänger Johann Spreng.34 Das Zentrum des Schwenckfeldertums in Augsburg bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts bildeten die Schwestern Sibilla, Regina und Helena Kraffter zusammen mit Anna Manlich-Regel. Besonders vielseitig aktiv war Sibilla, die Stephan Eiselin, einen engagierten Protestanten, Zunftmeister der Krämer und Ratsmitglied, heiratete. Auch er neigte gegen Ende seines Lebens den Lehren des Schlesiers zu.35 1543 trat Sibilla Eiselin erstmals in brieflichen Kontakt zu Schwenckfeld und wurde schnell eine seiner engsten Vertrauten.36 Sie korrespondierte auch mit vielen Gegnern und Sympathisanten, missionierte auf schriftlichem wie mündlichem Wege, lud protestantische Pfarrer zu Religionsgesprächen in ihr Haus ein37 und organisierte Druck und Verteilung schwenckfeldischer Schriften. Der Kreis derjenigen, die schwenckfeldische Schriften lasen und - meist über Sibilla Eiselin - mit Fragen oder Kritik an Schwenckfeld herantraten, war aber bedeutend größer, was im Zuge des Vorgehens gegen Leonhard Hieber, Bernhard Unsinn und Balthasar Marquardt 1553 offenbar wird. Über ein Jahrzehnt hatten die Spiritualisten unbehelligt ihren Glauben in der Stadt leben können. Ende der vierziger Jahre nahmen jedoch die antischwenckfeldischen Predigten der protestantischen Pfarrer zu, zunächst ohne daß sich die weltliche Obrigkeit einmischte. Besonders der zwinglisch gesonnene Pfarrer Meckhart wetterte von der Kanzel gegen Schwenckfeld und die kirchenzersetzende Wirkung seiner Lehren. Dabei stellte er Schwenckfeld als Verfuhrer dar, auch in sexueller Hinsicht, und spielte damit auf die starke Präsenz unverheirateter Frauen in den Spiritualistenkreisen an.38 Zwei schwenckfeldische Handwerker, der Seiler und Krankenpfleger Leonhard Hieber und der Schneider Bernhard Unsinn, stellten Meckhart mehrfach zur Rede und verlangten für seine Häresieverdächtigungen Beweise aus Schwenckfelds Schriften.39 Die Situation eskalierte aber erst nach der Ankunft von vier jungen sächsischen Lutherern 1552, die das Augsburger Kirchenwesen auf einen lutherischen Kurs bringen sollten.40 Sie predigten gegen den Zwinglianismus ihrer 32

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G. Hoppe, Zwischen Augsburg und Anhalt. Widemann war mit einer Tochter des Schwenckfelders Markus Zimmermann verheiratet, siehe W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 961. S. Looß, Valentin Ickelsamer. G. Grünsteudel (Hg.), Augsburger Stadtlexikon, S. 827. Sein Notariatsarchiv, das einige Testamente von Schwenckfeldern enthält, ist im Augsburger Stadtarchiv erhalten. C.-P. Clasen, Schwenckfeld's Friends, S. 62 A.14; W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 102f. Es sind 155 Briefe von Schwenckfeld an Sibilla Eiselin erhalten. C.S. 11, S. 628; 16, S. 305. C.S. 13, S. 240. Ein erstes Gespräch zwischen Hieber und Meckhart fand schon 1549 statt, C.S. 11, S. 895864, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten betr. Leonhard Hieber 1553, Nr. 15, 2. Bekenntnis von Hieber, 26.9.1553. Siehe Kap. 5.2.

31 eigenen Kollegen ebenso wie gegen Täufer und Schwenckfelder. Hieber suchte auch mit ihnen das Gespräch, was sich aber als schwierig erwies. Daher ging er noch stärker an die Öffentlichkeit und erhob in einem (nicht erhaltenen) Rundschreiben an die Augsburger Schwenckfelder den Vorwurf, die Pfarrer hielten sich trotz ihrer falschen Lehren für so auserwählt, daß von ihnen keine Antwort und Gerechtigkeit zu erwarten sei. Peter Ketzmann reagierte im Namen des Konvents darauf, indem er Hieber zu einem Gespräch einlud, um ihm die Möglichkeit zu geben, seine Lehrkritik zu äußern.41 Hieber ging auf Anraten Schwenckfelds nicht darauf ein, sondern bestand auf schriftlichen Verhandlungen - sicher um nicht auf sich allein gestellt zu sein - und schickte ein nach Schwenckfelds Entwurf verfaßtes Glaubensbekenntnis und eine Schrift des schlesischen Schwenckfelders Johann Werner an die Pfarrer. Schwenckfelds Beratung geschah fast ausschließlich durch Briefe an Sibilla Eiselin, die auch in dieser Krise eine zentrale Rolle als Kontaktperson einnahm, die jederzeit wußte, wo sich der ab 1540 im Untergrund lebende Schlesier aufhielt (zur Zeit der Verfolgungen war er im Hause der Familie Streicher in Ulm), die sich aber auch selbst über das strategisch geschickteste Vorgehen mit Hieber austauschte. 42 Am 15.9.1553 verfaßten die Pfarrer eine umfangreiche Stellungnahme an den Rat als Antwort auf ein erstes Schreiben von Hans Wilhelm von Laubenberg (siehe unten) an die weltliche Obrigkeit der Stadt, in dem er sich über die antischwenckfeldischen Schmähungen beschwerte. Darin erwähnten sie auch Unsinn und Hieber. Unsinn solle verlangt haben, von der Kanzel aus öffentlich aus Schwenckfelds Schriften vorlesen zu dürfen als Gegengewicht zu den Predigten der Pfarrer. Hieber habe dagegen seinen Glauben nicht nur mündlich, sondern auch mit gotteslästerlichen Schriften an etliche Gutherzige (gemeint war das schon erwähnte Rundschreiben) auszubreiten versucht und stelle eine besondere Gefahr dar, da er unter den reichen und ansehnlichen Leuten erfolgreich missioniere.43 Der Rat ließ daraufhin noch im September Hieber und Unsinn als vermeintliche schwenckfeldische Rädelsführer verhaften. 44 Nach der Lektüre der bei ihnen beschlagnahmten Korrespondenz wurde auch der Uhrmacher Balthasar Marquardt, der in einem Brief von Schwenckfeld erwähnt worden war, inhaftiert.45 Während Marquardt, der sicher nicht zum engeren Kreis der Spiritualisten in der Stadt gehörte, seine Kontaktpersonen freimütig anzeigte und schnell zu

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Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 2/3, 3.8.1553. C.S. 13, S. 247f., Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 7, 21.8.1553; Nr. 11, 28.8.1553, Abdruck in: C.S. 13, S. 250f„ 268-271. Augsburg, Stadtarchiv, Personenselekte Honold bis Manlich, Akten Laubenberg, Pfarrkonvent an Rat, 28.9.1553, fol. 4. C.S. 13, S. 273f., Haftbefehl für Unsinn und Hieber vom 19.9.1553 und Erwähnung der von Laubenberg-Briefe: Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher, Nr. 27, 1553, 19.9.1553, fol. 15v. Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher, Nr. 27, 1553, 26.9.1553, fol. 17v; aufgefundener Schwenckfeld-Brief abgedruckt in: C.S. 13, S. 177-180.

32 einem Widerruf bereit war, bereits am 30.9.1553 wieder entlassen wurde, dauerten die Verhandlungen mit den anderen beiden länger. Aus den Verhören, in denen Hieber und Unsinn vorsichtig agierten,46 ging hervor, daß viele Handwerker mit den Lehren Schwenckfelds sympathisierten, die ihre beruflichen Kontakte zu religiösen Gesprächen nutzten. In allen gesellschaftlichen Schichten gab es aber Personen, die sich für schwenckfeldische Bücher interessierten, Hieber nannte nach einigen Verhören mehr als 50 Personen, denen er die Schriften verkauft oder geliehen hatte oder von denen er wußte, daß sie welche besaßen.47 Er gab auch ein schriftliches Glaubensbekenntnis ab, das der Rat zusammen mit einem Teil der beschlagnahmten Schriften und den Aussagen der drei Gefangenen Anfang Oktober 1553 an Melanchthon zur Begutachtung schickte. Trotz mehrfacher Nachfragen erhielt der Rat aber keine Stellungnahme aus Wittenberg.48 In Augsburg bemühte sich der Rat, auch Hieber und Unsinn zu einem Widerruf zu bringen, mehrfach wurden die Pfarrer zu Bekehrungsversuchen ins Gefängnis geschickt, was bei Hieber dann auch Erfolg hatte. Er bekannte, sich geirrt zu haben und versprach, Schwenckfeld und seine Lehre zu meiden, womit er seine Freilassung erreichte. Unsinn dagegen blieb bei seinem Glauben und wurde im Oktober 1553 gezwungen, die Stadt zu verlassen, die beschlagnahmten schwenckfeldischen Bücher wurden verbrannt.49 Diese Ausweisung ist die einzige, die gegen augsburgische Schwenckfelder verhängt wurde. Die von Hieber angezeigten Personen, die nicht nur dissidentische Bücher besaßen, sondern verdächtigt wurden, auch anderweitig für das Schwenckfeldertum aktiv zu sein, wurden am 9.11. vorgeladen und vom Ratsdiener vermahnt, keine Konventikel mehr zu halten und keine Fremden zu beherbergen. Neben den drei Kraffter-Schwestern hatten Ulrich Welser und die Handwerker Andreas Braun, Mathis Waltz, Hans und Michel Kaufmann und der Spittelschmied Asam zu erscheinen. In einer Notiz ist die Reaktion von einigen vermerkt: Während die Schwestern Kraffter, Sibilla Eiselin, Regina Schweigger und Helena Putschlin, sofort ihren Gehorsam erklärten,50 bestritt Welser offensiv die Vorwürfe hinsichtlich der geheimen dissidentischen Versammlungen und der Beherbergung und stellte ansonsten Gehorsam vage in Aussicht, wenn Gott es wolle.51

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Zum strategischen Verhalten von Schwenckfeldern in obrigkeitlichen Verhörsituationen siehe Kap. 5.6.3. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 27, Bekenntnis Hiebers zu den schwenckfeldischen Büchern, o. Datum. F. Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte, Bd. 4, S. 638f. 647, A. 69. Augsburg, Stadtarchiv, Strafbücher des Rats, 1543-1553, 14.10.1553, fol. 64v; Ratsbücher, Nr. 27, 1553, 21.10.1553, 28r. Natürlich machten sie weiter wie vorher (siehe auch Kap. 5.6), aber zumindest Eiselin war von der Vorladung sehr beeindruckt und befürchtete ebenfalls, ausgewiesen zu werden, C.S. 13, S. 358-360. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 22, 9.11.1553, fol. 2v.

33 Charakteristisch fur die milde Behandlung der Spiritualisten war es, daß der Rat im Verlauf des Jahres 1554 mehrfach versuchte, Unsinn den Weg für die Rückkehr nach Augsburg zu ebnen. Der Schneider begab sich wohl einer Einladung52 folgend zu Georg Ludwig von Freyberg nach Justingen, wo er bis zu seinem Tod blieb,53 da ihm trotz vielfacher Bemühungen die Rückkehr zu Frau und Eltern, die zunächst in Augsburg geblieben waren, nicht erlaubt wurde. Der Rat machte eine theologische Einigung mit den protestantischen Pfarrern zur Voraussetzung für die Aufhebung der Ausweisungsstrafe. Unsinn schickte mehrere Versionen eines Glaubensbekenntnisses, 54 das aber trotz zunehmend vagerer und kompromißbereiterer Formulierungen von den Theologen abgelehnt wurde. Unsinn wandte sich daraufhin sogar an den katholischen Domprediger Johannes Fabri, dem er seinen Glauben bekannte. Der Inhalt des Bekenntnisses ist nicht erhalten, aus katholischer Sicht scheint es nichts Kritikwürdiges enthalten zu haben. Fabri verfaßte für Unsinn ein Schreiben an den Augsburger Rat, indem er den Schneider als gutherzigen Christen beurteilte, dessen Wiederaufnahme in die Stadt zu befürworten sei, was tatsächlich zunächst eine Begnadigung bewirkte.3" Die evangelischen Pfarrer protestierten vehement gegen diese katholische Einmischung in einen Fall, mit dem sie bislang allein befaßt waren. Sie bestanden darauf, Unsinn auf Hiebers Widerrufsformel zu verpflichten. Damit konnte sich der Schneider nicht in allen Teilen einverstanden erklären, so daß die weltliche Obrigkeit abschließend am 11.12.1554 verkündete, es bei der Ausweisungsverfügung zu belassen.36 Das für Augsburger Verhältnisse harte Vorgehen gegen Unsinn sollte wohl auch abschreckende Wirkung haben, wie aus den Verhörsfragen fur den aus Hall im Inntal stammenden Stoffel Platter hervorgeht, der in Augsburg schwenckfeldische Bücher verkauft hatte. Die Haft, die Verbrennung schwenckfeldischer Bücher und die Ausweisung von 1553 wurden ihm warnend vor Augen gestellt. Da 52

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Schwenckfeld ließ ihm über Eiselin ausrichten, von Freyberg wollte ihm wegen seiner Standhaftigkeit Gutes tun, C.S. 13, S. 302. Unsinn lebte zuletzt in Obergriesingen, w o er seit 1592 den eigentlich vertraglich einem katholischen Pfarrer zugesicherten Pfarrhof im Auftrag der Familie von Freyberg versah, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4469, fol. 33. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Akten Unsinn, Nr. 5, 28.9.1554; Nr. 6, 4.10.1554; Nr. 9, o. Datum. Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher, Nr. 28, 1554, 6.12.1554, fol. 40r. Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher, Nr. 28, 1554, 11.12.1554, fol. 42r. Man hatte Unsinn mehrfach signalisiert, daß man ihn wieder einlassen wolle, und ihm auch Korrekturhinweise für sein Bekenntnis gegeben, siehe auch Kap. 5. 1556 ließ er ein Bekenntnis seines Glaubens drucken, um auch öffentlich seine religiösen Überzeugungen darzulegen, nachdem die Verhandlungen mit dem Rat dauerhaft gescheitert waren. In dem Vorwort zu der Schrift erklärte Unsinn, daß die Veröffentlichung so spät geschehen sei, weil er immer noch darauf gehofft habe, daß ihm Gerechtigkeit widerfahren würde. Erst nachdem der W e g der direkten Verhandlung mit den Obrigkeiten zu nichts geführt hatte, trug er die Kontroverse in die allgemeine Öffentlichkeit. Der Inhalt ähnelt dem seines Bekenntnisses in vier Punkten von 1554, stimmt aber nicht ganz mit diesem im Wortlaut überein, C.S. 14, S. 952-956.

34 er aber kaum Angaben zu den Käufern machen konnte, wurde er drei Tage nach seiner Verhaftung als Fremder ausgewiesen.57 Unnachgiebig zeigte sich der Rat dagegen bei dem nicht durch die Zensurbehörde genehmigten Druck und Verkauf von Schmähschriften oder dissidentischen Werken, darunter fielen auch die Bücher der Schwenckfelder.58 In Augsburg wurden über die dortige Gemeinde viele Werke Schwenckfelds in der Regel von Druckern gedruckt, die häufig dissidentische Werke an der Zensur vorbei herausgaben oder selbst Schwenckfelder waren, wie der mit Schwenckfeld korrespondierende Hans Gegler,59 der 1559 in Ingolstadt verhaftet und in München unter Folter unter anderem nach seinen schwenckfeldischen Drucken beiragt worden war. Er gab zu, im Auftrag von Abel, dem Sohn von Johann Werner, schwenckfeldische Werke gedruckt zu haben.60 Die bayerischen Behörden schickten die Protokolle nach Augsburg, wo dann Geglers Frau Agatha, die die Druckerei ihres Mannes weitergeführt hatte, und der Drucker Valentin Othmar sowie der Buchfuhrer Georg Willer verhaftet wurden.61 Vier Jahre später wurde der Rat wieder aktiv aufgrund einer Denunziation. Der Schneider Sixt Schilling und ein Kürschnergeselle wurden beschuldigt, schwenckfeldische Schriften zu verbreiten. Am 10.8.1563 ließ man Schilling und den Drucker Philipp Ulhart, der zuvor Werke von Täufern und Sebastian Franck hatte drucken lassen, in Eisen legen.62 Die Verhöre ergaben, daß Schilling von einem Johannes Haid, der früher bei der Witwe Ulrich Rehlingers, Ursula Gossembrot, gedient hatte und nun als Student im Bistum Trier lebte, zwei schwenckfeldische Manuskripte und einen Zettel mit Anweisungen für den Drucker Ulhart erhalten habe, die er dann auch an diesen weitergegeben habe.63 Die Verhörer interessierten sich im Unterschied zu 1553/1554 weniger fur die Lehre als für die Fragen nach der Verbreitung der Schriften und nach geheimen religiösen Versammlungen. Ulhart stritt ab, inhaltlich irgendetwas mit den Texten zu schaffen zu haben, er habe sich überreden lassen, weil Schilling ihm versichert habe, daß die Schriften nicht verbreitet würden, sondern allein dem privaten Gebrauch seiner Glaubensgenossen dienen sollten, was bei 500 Exemplaren pro Schrift allerdings fragwürdig erscheint.64 Schilling bestritt, sich zu religiösen Zwecken mit 57

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Augsburg, Stadtarchiv, Strafbücher des Rats 1554-62, 21.3.1555; Strafamt Urgichten, 1555 III, 18. Siehe H.-J. Künast, „Getruckt zu Augspurg". Umfassend zu Geglers schwenckfeldischen Drucken, die anhand der Drucktypen identifiziert werden: K. Schottenloher, Hans Gegler. Augsburg, Stadtarchiv, Censuramt XVI, Nr. 6, 1. Verhör Gegler. Ihnen wurde allgemein unerlaubtes Drucken und Verkaufen vorgeworfen, von explizit schwenckfeldischen Werken ist hier nicht die Rede, Augsburg, Stadtarchiv, Strafbücher des Rats 1554-62, 7.10., 14.10. 1559, fol. 118r, 119r. Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher 1563-1564, Nr. 33, 10.8.1563, fol. 74r. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1563 b, 11.8.1563, 2. Verhör von Schilling, fol.

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Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1563 b, 11.8.1563 Verhör Ulhart.

35 irgend jemandem getroffen zu haben, benannte aber offen seine Glaubensgenossen: Sibilla Eiselin, Regina Schweigger, Andreas Braun, Asam und Hans Katzinger, 65 mit dessen Frau er ein Verhältnis gehabt haben soll. 66 Er machte auch Angaben zu seinem Glaubensweg: Als er 1555 im Auftrag von Frau Unsinn die Schneiderwerkstatt ihres ausgewiesenen Mannes versah, entdeckte er diverse Schriften Schwenckfelds, die er las und so zu dessen Lehre konvertierte. 67 Da die Bücher Unsinns 1554 verbrannt worden waren, muß auch Frau Unsinn in der schwenckfeldischen Gemeinde aktiv gewesen sein und sich neue Schriften beschafft haben. Besonders enge, von ihm als beruflich motiviert beschriebene Beziehungen (er ist ihr Schneider), hatte er zu Regina Schweigger: In ihrem Haus hatte er Haid kennengelernt, und ihr gab er die Restexemplare der Drucke. 68 Obwohl die Kraffter-Schwestern auch nach Schwenckfelds Tod noch im Zentrum der Augsburger Gemeinschaft gestanden hatten, wurden sie diesmal ebensowenig wie die anderen von Schilling Genannten vorgeladen oder gar in Haft genommen. Auch von Schilling erzwang man keinen Widerruf, sondern bestrafte alle 69 mit 14 Tagen Haft wegen illegalen Druckens bzw. Druckenlassens. Der einzige wirkliche Schwenckfelder der Gruppe, Schilling, wurde sogar auf Bitten seiner Frau zwei Tage früher entlassen. In der Folgezeit lebten die Schwenckfelder in der Stadt unbehelligt, nur einmal noch wurde gegen drei von ihnen vorgegangen. 1598 wurden der bekannte Goldschmied und Emailleur David Altenstetter, 70 der Glaser Putiphar Kneulin und der Kürschner Martin Küenle 71 wohl aufgrund einer Anzeige, wonach sich verschie65

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Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1563 b, 11.8.1563, 2. Verhör von Schilling, fol. 2. Später nennt er noch Caspar Glaner, Wolfgang Harheuptlin und Lorenz Drescher als Besitzer schwenckfeldischer Bücher, die ihm aber nicht persönlich bekannt seien, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1563 b, 13.8.1563, 3. Verhör von Schilling, fol.2. Hans Katzinger hatte seine Frau in der Obhut seines Glaubensgenossen Schilling gelassen, als er das Markgrafenbad aufsuchte. Schilling soll die Situation ausgenutzt haben. Während Schilling den Ehebruch grundsätzlich zugab (allerdings für die Zeit nach Katzingers Rückkehr), stritt Margarethe Katzinger den Vorwurf vehement ab, Augsburg, Stadtarchiv, Strafbücher des Rats 1563-71, 24.7.1563, fol. lOv; 21.8.1563, fol. 12r; Strafamt Urgichten 1563b, 21.7.1563, 1. Verhör Schilling; 13.8.1563, Fragstücke Nr. 2 2 f „ 13.8.1563, 3. Verhör Schilling, fol. 2. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1563b, 13.8.1563, 3. Verhör Schilling, fol. 2. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1563b, 11.8.1563, 2. Verhör Schilling. Mit ihnen wurde ein weiterer Drucker, Mathäus Franck, inhaftiert, ebenfalls wegen Druckens ohne Erlaubnis. E s bestand wohl anfangs der Verdacht, daß auch er in den Druck schwenckfeldischer Bücher verwickelt gewesen sein könnte, was sich aber nicht bestätigte, er hatte nur einige Lieder und kleine Traktate in Druck gesetzt, Augsburg, Stadtarchiv, Strafbücher des Rats 1563-71, 14.8.1563, fol. l l v ; Strafamt Urgichten 1563b, 13.8.1563, Verhör Franck. Er war besonders als Emailleur führend und wurde von Kaiser Rudolf II. zum Kammergoldschmied ernannt, G. Grünsteudel (Hg.), Augsburger Stadtlexikon, S. 231. Bernd Roeck gibt an, daß Kneulin und Küenle Brüder gewesen seien (so auch P. Warmbrunn, S. 199, A. 33) und daß sich auch Kneulin explizit im Verhör zum Schwenckfeldertum bekannt habe, beides ist aus den Quellen aber nicht ersichtlich, B. Roeck, Stadt, S. 120.

36 dene Personen regelmäßig in Altenstetters Garten trafen, verhaftet. 72 Der Vorwurf, dem Schwenckfeldertum anzugehören, wurde nicht explizit erwähnt, wichtig war der Obrigkeit vielmehr, daß sie sich einer der beiden in der bikonfessionellen Stadt erlaubten Glaubensrichtungen zuordneten. Damit taten sich alle drei schwer: Altenstetter meinte, er sei bisher konfessionell frei gewesen. Katholisch geboren sei er zwinglianisch aufgewachsen und besuche nun in Augsburg gelegentlich die Gottesdienste beider Konfessionen, wobei ihm derzeit der Domprediger73 am besten gefalle, an dessen Gottesdiensten er zusammen mit Johannes Spreng, der ja ebenfalls Schwenckfelder war, gelegentlich teilnahm. Kneulin wies alle Anschuldigungen von sich, bekannte sich mit Nachdruck zur Augsburgischen Konfession und behauptete, häufig in die Predigten zu gehen. Küenle gab offen zu, schwenckfeldischen Glaubens zu sein, Hochzeiten und Bestattungen besuche er jedoch, gelegentlich auch die Predigten der katholischen wie der protestantischen Konfession. 74 Alle drei gaben an, als Alternative zum Gottesdienstbesuch allein zu Hause schwenckfeldische bzw. mystische Texte, die Schwenckfelder häufig konsultierten, zu lesen, sie bestritten aber, irgendetwas mit geheimen religiösen Versammlungen zu tun zu haben. Der unbekannte Denunziant hatte wohl auch Namen der im Garten zusammenkommenden Personen genannt, mit denen die Inhaftierten konfrontiert wurden. Darunter fanden sich neben den dreien selbst die Schwenckfelder Johann Spreng, Dr. Tobias Kneulin, der Bruder des Puthiphar, 75 und Dr. Karl Widemann. 76 Die Gefangenen gaben zu, alle Genannten gut zu kennen, sie hätten sich aber nie aus religiösen Gründen getroffen. 77 Die Obrigkeit sah keinen Anhaltspunkt für dissidentisches Verhalten und entließ die drei, die zusagten, sich besser belehren lassen zu wollen, ohne weitere Bestrafung. Sie hatten aber alle vielfältige Beziehungen zu anderen Schwenckfeldern in Augsburg und Leeder. Altenstetter hatte auch Kontakt zum Kreis von Johann Martt in Griesingen und besuchte die Familie von Freyberg in Opfingen. 78 Als er 72 73

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Augsburg, Strafbücher des Rats 1596-1605, 8.12.1598, fol. 65r. Domprediger war zu der Zeit der Jesuit Gregor Rosephius. Zu Rosephius in Augsburg siehe W. Wallenta, Katholische Konfessionalisierung in Augsburg, S. 187. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1598d, 4.12.1598, 1. Verhör von Altenstetter, Kneulin und Küenle. Der Arzt war Scheinpfleger von Margarethe Maier, der Witwe von Hans Katzinger, ebenda, Kleine Pflegschaftsbücher Nr. 6 (1577-1582), 22.2.1582, S. 323. Sibilla Eiselin setzte ihn in ihrem Testament von 1578 als Vollstrecker ein, Augsburg, Stadtarchiv, Notariatsarchiv Spreng Nr. XVIII, 8.5.1578, fol. 7r. 1588 nahm Spreng in seinem Haus das Testament der in Leeder lebenden Schwenckfelderin Susanna Hornung auf, Augsburg, Stadtarchiv, Notariatsarchiv Spreng, Nr. XXXVIII, 22.2.1588, fol. lr. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1598d, 7.12.1598, Fragstücke zum 2. Verhör, Nr. 6. Altenstetter gab an, daß sie sich wegen des Testaments von Johann Spreng mehrmals getroffen hätten, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1598d, 7.12.1598, 2. Verhör Altenstetter, fol. 1. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, 25.1.1584, fol. 29v.

37 1609 wieder vorgeladen wurde, damit er sich endlich eindeutig zu einer Konfession bekenne, hatte er aber keine Schwierigkeiten, sich als zur Augsburgischen Konfession gehörig darzustellen. 79 Nach 1600 finden sich keine Nachrichten mehr über Augsburger Schwenckfelder, mit Ausnahme des Lindauer Buchdruckers Gabriel Lay, der schwenckfeldische und andere dissidentische Bücher vertrieb.80

Leeder Wie viele Augsburger Patrizier und wohlhabende Kaufleute hatte auch die Familie Rehlinger Landbesitz außerhalb der Reichsstadt. Dazu gehörte das Dorf Leeder bei Landsberg, ein Lehen des Hochstifts Augsburg, das der Augsburger Bürgermeister Ulrich Rehlinger 1509 erwarb und 1527 zu reformieren versuchte, indem er den Augsburger Pfarrer Michael Keller berief, der jedoch auf Druck des bayerischen Herzogs fliehen mußte. Ulrich gelang es dennoch, die Reformation durchzusetzen. 81 1543 kaufte der überzeugte Schwenckfelder Jakob Rehlinger das Dorf von seinem Vater82 und machte es zum Zufluchtsort fur Flüchtlinge seines Glaubens, nachdem er 1552 seinen Wohnsitz dauerhaft bis zu seinem Tod (1571) von Augsburg nach Leeder verlegt hatte.83 Auch seine Nachkommen, die das Dorf bis 1595 innehatten, beherbergten weiterhin die religiösen Dissidenten. 84 Der schwenckfeldische Augsburger Jurist Georg Tradel besaß seit 1587 ebenfalls einige von den Rehlingern erkaufte Güter.85 Jakob Rehlinger stellte mit Georg Mayer einen Pfarrer seines Glaubens an, der 1558 die erste schwenckfeldische Verteidigungsschrift gegen katholische Polemiken schrieb.86 Mayer war zuvor Helfer in Kempten gewesen, mußte die Stadt aber

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Augsburg, Strafbücher des Rats 1596-1604, fol. 65v. Siehe unten, Kap. 2.2.4. J. Strobl, Dorfchronik, S. 125. Staatsarchiv Augsburg, Hochstift Augsburg Urkunden, Nr. 3084. F. Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte, Bd. 3, S. 274. Seine Tochter Concordia heiratete zunächst den Schwenckfelder Hans Leopold von Laubenberg (siehe unten), nach seinem Tod ging sie eine Ehe mit dem Katholiken Hans Gaisberg ein, der fürstlich-kölnischer Rat und Hofmeister von Freising war, A. von Steichele/A. Schröder, Das Bistum Augsburg, Bd. 6, S. 532; W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 661. Er hat die Güter schon 1584 gekauft, es gab aber sich lange hinziehende Rechtsstreitigkeiten mit dem Augsburger Bischof wegen der Belehnung, Augsburg, Staatsarchiv, Hochstift Augsburg, Lehenakten Nr. 1473, Lehengüter Leeder 1497-1665, Nr. 54, Nr. 57-59, Nr. 6164, Nr. 68f. Entschuldigung für herren Caspar Schwenckfeldt, auff Friedrich Staphyli und Wilhelmi Lindani zugemessne Calumnien unnd unwarheit, mit gründlicher erklärung unnd bericht, dass sie nicht können beybringen, was sie in beschuldigen. Was auch CS. glaubenbekandtnus und halten ist von den zweyen naturen in christo, abgedruckt in: C.S. 16, S. 223-266; zum Inhalt und Anlaß der Schrift siehe P. J. A. Nissen, Catholic Opponents, S. 259-269.

38 wegen seiner dissidentischen Überzeugung 1557 verlassen87 und begab sich in den Dienst Rehlingers. Auf einem Exemplar der von ihm verfaßten Entschuldigung ist notiert, daß er noch 1572 Pfarrer in Leeder war. Er war vermutlich der calvinische Pfarrherr und Schulmaister, über den sich der Bischof von Augsburg 1573 in einem Brief an den bayerischen Herzog beschwerte mit der Bitte, der Herzog möge den protestantischen Pfarrer entlassen.88 Schwenckfeld selbst hielt sich in den Jahren 1556 und 1557 eine Zeit lang bei der Familie Rehlinger in Leeder auf, wo ihn Mitglieder der Augsburger Gemeinde besuchten.89 Das Dorf und die benachbarten Höfe waren Zufluchtsorte für vertriebene Schwenckfelder aus dem süddeutschen Raum. Auch der ehemalige katholische Priester und Schwenckfelder Martt, seine Familie und einige seiner nahen Gefolgsleute wurden dort aufgenommen. Die in Leeder lebenden Schwenckfelder und Freunde Gall Keel und Hans Müller waren zusammen mit Martt aus dem schweizerischen Altstätten geflohen.90 Eine weitere Vertraute Martts war Susanna Hornung, die Magd der schwenckfeldischen Ärztin Agatha Streicher aus Ulm, mit der Martt schon 1577 in Ulm in brieflichem Kontakt stand.91 Sie wurde nach ihrer Ausweisung in Leeder aufgenommen, wo sie bis zu ihrem Tode blieb. Wie die anderen Schwenckfelder des Dorfes stand sie mit den Augsburger Glaubensgenossen in enger Verbindung.92 Hans Jakob Rehlinger verkaufte Leeder aus finanziellen Gründen 1595 an Jakob Fugger, der sofort die Rekatholisierung des Ortes einleitete. Im Juli des Jahres stellte er den Priester Christian Specklin ein, der durch Predigt und Katechese alle Einwohner wieder zum katholischen Glauben bringen sollte.93 Im September verlieh er diesem Bemühen Nachdruck, indem er alle nicht-katholischen Bücher beschlagnahmen und verbrennen ließ. Für den Augsburger Bischof fertigte er ein Verzeichnis dieser Bücher an, aus dem ersichtlich ist, daß zwei der als lutherisch 87 88 89 90 91

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Siehe Anhang. C.S.14, S. 957f. C.S.14, S. 957f.; C.S.15, S. 42-44. Zu Johann Martt und Gall Keel siehe unten. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 108r-113r. Er schenkte ihr als Neujahrsgabe auch Schwenckfelds Bekanntnus und Rechenschafft von den Hauptpunkten des christlichen Glaubens. Die Schrift gelangte später nach Kaufbeuren. Sie enthält Martts Widmung: Deß büchlin gehört Susannen Hornungin gab ihr J. Mart zum guten Jare A. 1577 Sich nicht fiirchten vnd wol getrost sein ist der Christen hämisch, Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Β 58. Sie verfaßte 1588 ihr Testament im Haus des Augsburger Arztes Tobias Kneulin, als Zeugen fungierten neben Tobias und seinem Bruder Putiphar die Glaubensgenossen Martin Küenle, Christoph Gültlinger, Ulrich Meges und Lukas Seützer, Augsburg, Stadtarchiv, Notariatsarchiv Spreng, Nr. XXXVIII, 22.2.1588. Johann Martt und Gall Keel unterhielten vor allem Verbindungen zu Markus Zimmermann, David Altenstetter und Sibilla Eiselin und zu Felicitas von Freyberg während ihres Augsburger Aufenthalts, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 28r, 29v, 92v. Augsburg, Staatsarchiv, Hochstift Augsburg, Neuburger Abgabe 2473, Bestallungsbrief für Christian Specklin und Befehl zur Firmung aller Untertanen, 25.7.1595.

39 bezeichneten Untertanen schwenckfeldische Bücher besaßen: Der Richter Paul Dreer las u.a. die Postille Johann Werners, auch der Bäcker Michael Essendeir, der die meisten religiösen Kontroversschriften besaß, hatte darunter ein frühschwenckfeldisches Werk.94 Das Dorf wurde dauerhaft katholisch, aber noch 1623 wurde im Kirchenbuch der Tod einer Ursula Blesin gemeldet, die ohne Beichte starb und die man für lutherisch oder schwenckfeldisch hielt.95

Ulm In der Reichsstadt Ulm und dem umliegenden Landgebiet bildete sich eine der größten schwenckfeldischen Gemeinden im süddeutschen Raum. Schwenckfeld kam 1533 zusammen mit dem zeitweilig in Ulm lebenden Dissidenten Sebastian Franck erstmals in die Donaustadt, wo er mit seinem später erbitterten Gegner, dem Pfarrer Martin Frecht, zusammentraf. 96 Nicht lange danach lernte er in Augsburg den Ulmer Bürgermeister Bernhard Besserer kennen, der Schwenckfeld im Juni 1534 von den Gesprächen beeindruckt nach Ulm einlud, eine Einladung, die dieser annahm. Da der Bürgermeister verreist war, nahm sein Sohn Georg den Schlesier in sein Haus auf. Die beiden Besserer wie auch Bernhards Schwiegersohn Hans Walther Ehinger, der Ratsmitglied und während des Interims Bürgermeister in Ulm war,97 blieben Schwenckfeld in Sympathie verbunden, wenn sie auch nicht zum engeren Kreis der Schwenckfelder in Ulm zu zählen sind. Trotz häufiger Kontroversen mit Frecht hatte Schwenckfeld seinen Wohnsitz ab 1535 vor allem (er war allerdings viel auf Reisen) in Ulm bei der Familie Besserer. Zu den frühen patrizischen Anhängern zählte der Ratsherr Peter Low.98 Neben dem Schutz und der Gastfreundschaft, die Besserer Schwenckfeld bot, versuchte der Ulmer Bürgermeister, Verbindungen für seine Glaubensgenossen anzubahnen: In den dreißiger Jahren ermöglichte er dem später in Stetten und Kaufbeuren als Pfarrer tätigen Burkhard Schilling eine Probepredigt in Ulm. 94

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Der Wirt Caspar Lehenherr besaß die meisten beschlagnahmten Bücher. Wie bei den anderen untersuchten protestantischen Untertanen fanden sich bei ihm vor allem lutherische Bibeln und Gebetbücher, er las aber auch die ,Nachfolgung Christi', die er ebenfalls abgeben mußte, obwohl es sich um ein spätmittelalterliches Werk handelte. Es wurde von Schwenckfeldem sehr häufig rezipiert. Die Zahl schwenckfeldischer Bücher ist unter Umständen höher gewesen. Nach dem Einleiten rekatholisierender Maßnahmen bis zu den Hausdurchsuchungen war reichlich Zeit, die Werke in Sicherheit zu bringen, ebenda, Hochstift Augsburg, Neuburger Abgabe 2473a, Verzeichnis der beschlagnahmten Bücher vom 9. und 10.10.1595. Augsburg, Bistumsarchiv, Kirchenbücher Leeder (1597-1632), S. 195. T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 1, S. 447; C.S. 4. S. 845; zu Schwenckfelds Anwesenheit in Ulm siehe ausfuhrlich: C. Th. Keim, Die Reformation der Reichsstadt Ulm, S. 282-303. F. Fritz, Ulmische Kirchengeschichte, S. 138. Er trat 1547 sogar vor der kaiserlichen Kommission offen für Schwenckfeld ein und verteidigte ihn, was aus einem Dankesbrief von Schwenckfeld hervorgeht, C.S. 6, S. 65-69. Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Kirchenvisitation, Sonderlinge 1542-1545, fol. 540r.

40 Frecht erkannte allerdings die Nähe zu Schwenckfeld und verhinderte seine Anstellung," es gelang ihm aber nicht, die Ausbreitung der schwenckfeldischen Lehre innerhalb der Stadt zu unterbinden. Auf einem seiner beiden ersten Besuche hatte Schwenckfeld die Familie der aus der städtischen Mittelschicht stammenden Kaufmannswitwe Helena Streicher kennengelernt. Sie und ihre sechs Kinder'00 bildeten von den vierziger bis zu den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts das Zentrum des Schwenckfeldertums in Ulm und nahmen zugleich eine wichtige koordinierende Stellung in der überregionalen süddeutschen Gemeinschaft ein. Aufgrund ihrer engen persönlichen Verbindung zu Schwenckfeld, der sie ständig über seinen Aufenthaltsort informierte, waren sie die zentrale Anlaufstation für Briefe und Anfragen an ihn. Ein von württembergischen Adeligen arrangiertes Religionsgespräch zwischen protestantischen Pfarrern und Schwenckfeld in Tübingen 1535, an dem auch Frecht teilnahm, brachte nur kurzzeitig Entspannung. Schon bald entspann sich neuer Streit um Schwenckfelds Christologie, die Frage, ob Christus eine Kreatur sei, wurde nicht nur in Schwenckfelds Schriften, sondern auch auf der Kanzel und intensiv von den protestantischen Laien diskutiert.101 Der Rat versuchte vergeblich, mit Hilfe von Gesprächen zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln und erlegte beiden Teilen Stillschweigen auf. Erst mit einer Kündigungsdrohung gelang es den Prädikanten, den Rat zu einem Vorgehen gegen Schwenckfeld zu bewegen: Es wurde ihm die Ausreise nahegelegt. Er verließ die Stadt im September 1539 und kehrte lediglich heimlich zurück, um die Streichers zu besuchen.102 Obwohl Ulm die Wittenberger Konkordie angenommen hatte, gab es lange Zeit keine einheitliche lutherische Entwicklung in Stadt und Landgebiet. In den Abendmahlsauseinandersetzungen zeigte sich, daß nicht wenige Pfarrer mit schwenckfeldischen Lehren sympathisierten.103 Besonders der Pfarrer im zum 99 100

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C.S. 6, S. 306f. Helena Streicher hatte einen Sohn, den Arzt Hans Augustin, und fünf Töchter: Katharina, Anna, Agatha, Margaretha und Helena. Eine weitere Helena, eventuell eine Tochter von Hans Augustin, war in den 80er Jahren überzeugte Schwenckfelderin. Über Anna ist nichts weiter bekannt; Margaretha, die wie ihre Schwestern ledig blieb, fiel nach außen nie als Schwenckfelderin auf, hatte aber Kontakte zu der Martt-Gruppe im Gebiet der Familie von Freyberg, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 37v, 81v und zu Aggaeus von Albada, einem niederländischen Schwenckfelder, siehe W. Bergsma, Aggaeus van Albada, S. 34; zu den übrigen Streicher-Kindern siehe unten. Nach J. Endriß, Schwenckfelds Ulmer Kämpfe, S. 34 war das Thema Tagesgespräch in Ulm, wobei viele Ulmer Bürger Schwenckfelds Auffassung, wonach Christus nach seiner menschlichen Natur keine Kreatur sei, einleuchtender fanden. C.S. 6, S. 531, 544-548 (Abschiedsbrief von Schwenckfeld an den Ulmer Rat). Allerdings schickte er noch 1542 eine christologische Schrift an den Rat. Dieser gab sie zwar zur Kenntnis an die Pfarrer weiter, schärfte ihnen aber ein, darüber Stillschweigen zu bewahren und sich um für die Gemeinde wichtigere Dinge zu kümmern, Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle A 3530, Bd. 6, fol. 204r, 216. Zur Rolle protestantischer Pfarrer in der schwenckfeldischen Bewegung siehe Kap. 4.1.2 und 5.2.1.

41 Landgebiet gehörenden Pfuhl, Johannes Liebmann, und der Pfarrer in Opfingen, Georg Keller, der aber auch in Ulm tätig war, fielen als Schwenckfelder auf und wurden 1544 vom Rat mit Predigtverbot belegt.104 Liebmann war in seiner Gemeinde wohl sehr beliebt, was eine Visitation von 1543 ergab. Alle Befragten gaben an, Liebmanns Abendmahlslehre und Christologie mehr zu schätzen als die seiner lutherischen Gegner; die Pfarrkinder hatten auch dagegen nichts einzuwenden, daß der Pfarrer Kindertaufen nur auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern vornahm und fast nie das Nachtmahl hielt.105 Schwenckfeld hatte 1539 in Ulm eine Gruppe von Anhängern und Sympathisanten zurückgelassen, die bis zur Mitte der vierziger Jahre unbehelligt in der Stadt ihren Glauben leben konnten. Erst 1544/45 entschloß sich die weltliche Obrigkeit auf Drängen der Pfarrerschaft, die sich schon geraume Zeit öffentlich gegen die Spiritualisten geäußert hatte,106 einige Verdächtige vorzuladen. Zwei Männer und fünf Frauen wurden nach ihrem Glauben und den Gründen für das Fernbleiben von der offiziellen Kirche befragt, darunter auch drei Mitglieder der Familie Streicher. Die damalige Führerin der Ulmer Schwenckfelder, Katharina Streicher, antwortete auch für ihren Bruder Hans Augustin und ihre Tante Juliana Roggenburger. Sie äußerte sich offen und selbstsicher kritisch gegen das protestantische Kirchenwesen und betonte die schwenckfeldische Christologie.107 Obwohl sie ihren Glauben keineswegs verbargen, wurde ihnen lediglich Stillschweigen und ein Versammlungsverbot auferlegt, zum Kirchenbesuch wurden sie nicht aufgefordert. 108 Frecht meldete den Religionsverordneten noch weitere Schwenckfelder, aber die weltliche Obrigkeit lud diese nicht vor.109 Die Gemeinschaft blieb wieder lange Zeit völlig ungestört, wobei Katharina Streicher (ca. 1515-1564), die älteste der Streicher-Kinder, sich am aktivsten für ihren Glauben einsetzte und eine führende Rolle auch innerhalb des überregionalen Netzwerks schwenckfeldischer Gruppen einnahm. Sie besuchte andere Gemeinden in Augsburg und dem Allgäu und führte ausgedehnte Briefwechsel mit ihren Glaubensschwestern. Theologisch sehr interessiert korrespondierte sie während der Zeit der Entwick104

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Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotkolle, A 3530, Bd. 17, fol. 312r, 393r; Bd. 18, 31r, 44v. Keller war noch stärker als Liebmann zwinglianisch eingestellt, stand aber mit Schwenckfeld in schriftlichem Kontakt und besuchte ihn. In der ersten Jahrhunderthälfte gab es allerdings auch keine strikte Trennung der beiden Glaubensrichtungen, siehe dazu Kap. 5. Ulm, Stadtarchiv, A [1745], fol. 30. Helena Streicher hatte schon in ihrem ersten Brief an Schwenckfeld berichtet, daß die Pfarrer sie öffentlich ausschrieen, C.S. 5, S. 483. Ulm, Stadtarchiv, [A 8984/11], Nr. 237, fol. 533-538, Aussage Katharina Streicher: fol. 535r. Nur zwei älteren Frauen, die ihren Glauben nach der Beurteilung der Religionsverordneten nicht begründen konnten, aber Konventikel in ihren Häusern abhielten, erlegte man den Predigtbesuch auf. Als sie sich weigerten, wurden sie verpflichtet, im Haus zu bleiben, Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 18, 13.4.1545, fol. 161v. Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Kirchenvisitation, Sonderlinge 1542-1545, fol. 540r.

42 lung der schwenckfeldischen Christologie mit dem schlesischen Theologen Valentin Crautwald. Schwenckfeld verwies häufig andere Anhänger bei theologischen Fragen an sie und diskutierte auch selbst mit ihr exegetische Fragen.110 1561 begab sich der schwache und kranke Schwenckfeld ins Haus der Familie Streicher, wo er im Dezember verstarb. Die Ärztin Agatha Streicher, die ihn während dieser Zeit behandelte, verfaßte einen ausfuhrlichen Bericht über seine letzten Lebenstage.111 Agatha Streicher war in Ulm sehr erfolgreich medizinisch tätig, wie sie ihre Kenntnisse erlangte, bleibt unklar, vermutlich über ihren Bruder, den in Ulm und später in Geislingen praktizierenden Arzt Hans Augustin. Beide hatten wiederholt Schwierigkeiten mit Apothekern, da sie ihre Medikamente selbst herstellten, und mit den Berufskollegen, die sich darüber beschwerten, daß beide praktizierten, ohne den Ärzteeid geschworen zu haben.112 Wurde ihnen zunächst daher die Behandlung untersagt, fand der Rat 1561/63 Kompromisse, die beiden ihre Tätigkeit erlaubte, obwohl Ärzte und Apotheker weiter dagegen opponierten: Agatha schwor 1563 den offiziellen Ärzteeid der Stadt,113 wer sie konsultieren wollte, mußte allerdings zuvor den Rat um Erlaubnis bitten. Hans Augustin wurde erlaubt, in Geislingen auch eigene Medizin anzuwenden, nur in Ulm mußte er sich an die Ärzteordung halten.114 Agatha Streichers medizinische Fähigkeiten waren bald weit über die Grenzen ihrer Stadt bekannt. Sie behandelte Adelige und Bischöfe aus dem gesamten süddeutschen Raum, sogar Mitglieder des Kaiserhofes, die sie 1576 an das Sterbebett des Kaisers Maximilian II. riefen. Der zunächst abwesende Leibarzt Julius Alexandrinus gestattete die Anwesenheit der Jungfrau, die sich trotz Spott und Kritik aus den Reihen der Hofärzte selbstsicher an die Behandlung des Kaisers machte. Ihre Kur brachte wohl eine leichte Besserung, konnte aber den Tod des Kaisers nicht abwenden." 5 Nach dem Tod ihrer Schwester Katharina 1564 übernahm Agatha Streicher die fuhrende Position der schwenckfeldischen Gemeinde in Ulm. Sie wurde von weltlicher und geistlicher Obrigkeit so sehr als die treibende Kraft der Bewegung 110

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Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 37.27.2.Aug.20, fol. 33-52, 89-103; C.S. 11, S. 565-73; C.S. 16, S. 64. C.S. 17, S. 1019-1027. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 27, fol. 268r, 386r, 435r. Ausführlich zum biographischen Hintergrund von Agatha Streicher siehe L. Sporhan-Krempel, Agatha Streicher. Ulm, Stadtarchiv, Ordnungs- und Eidbücher, A [6542], fol. 84v. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 27, fol. 493v, 565, 510v. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 34, fol. 624, 641r, 683v; Th. Schön, Die Aerztin Magdalena [=Agatha] Streicher. Mielke hält Maximilian II. in seiner „inneren Religiosität wie in seinem nach außen artikulierten Toleranzdenken und -handeln" von Schwenckfelds Theologie beeinflußt, H.-P. Mielke, Maximilian II. Ob der Kaiser, dessen religiöse Orientierung in der Forschung oft diskutiert wurde, sich selbst mit dem Schwenckfeldertum beschäftigte oder gar mit dem Spiritualismus sympathisierte, läßt sich m.E. nicht abschließend klären und mit Sicherheit nicht aus der Anwesenheit von Agatha Streicher folgern, die sowohl katholische und lutherische als auch schwenckfeldische Patienten hatte.

43 angesehen, daß gelegentlich gar nicht vom Schwenckfeldertum die Rede war, sondern nur von der Streicherin Sect.u([ Trotz wiederholter Forderungen der Pfarrerschaft, gegen sie vorzugehen, schützte sie ihr Ruf als ,Prominentenärztin' vor Verfolgungen. Auch die übrigen Schwenckfelder blieben zu ihren Lebzeiten weitgehend ungestört. Zu den Schwenckfeldern aus der Ober- und Mittelschicht waren inzwischen auch Mägde dazu gekommen, die ihren Glauben stärker nach außen trugen und aktiver missionierten. Nach einer Anzeige des angesehenen Kaufmanns Jörg Hartbronner entdeckte man, daß Susanna Hornung, eine Magd der Agatha Streicher, die früher bei Hartbronner gedient hatte, versuchte, Bedienstete und Verwandte Hartbronners für den schwenckfeldischen Glauben zu gewinnen." 7 Daneben war sie aber auch bei anderen Frauen unterschiedlichen gesellschaftlichen Ranges erfolgreich: Sie zog Rosina Pfitzenmaier ebenso auf ihre Seite wie die beiden ledigen Schwestern Löschenbrandt und die Frau des Wolf Unseldt, bei der eine der beiden Schwestern Löschenbrandt diente. Die vom Rat für die Religion Verordneten wurden nun aktiv, zogen auch die Visitationsberichte heran, die von weiteren Schwenckfeldern berichteten. Einen Teil der Verdächtigen lud man zum Verhör, ohne sie jedoch in Haft zu nehmen.118 Agatha Streicher war zwar nicht unter den Verhörten, ihr wurde aber im März 1578 ein Ratsbeschluß vorgelesen, wonach sie die Versammlungen in ihrem Haus einstellen sollte, und anderen wurde auferlegt, die Konventikel im Streicherschen Haus nicht mehr zu besuchen. Die Ärztin verlangte eine Abschrift des Beschlusses und antwortete schriftlich darauf.119 Ihre Magd Susanna Hornung mußte als einzige die Stadt verlassen. Ihre Herrin setzte sich wiederholt beim Rat für ihren Verbleib ein, wandte sich zu diesem Zweck auch an die Bischöfe von Speyer und Straßburg, die ihre Patienten gewesen waren.120 Der Rat ließ sich in diesem Fall aber nicht erweichen: Susanna Hornung verließ die Stadt und ging nach Leeder bei Augsburg (siehe oben). 1581 starb Agatha Streicher ledigen Standes. Einen großen Teil ihres Vermögens hinterließ sie als Stiftung zur Versorgung von vertriebenen Glaubensgenossen, die von den Schwenckfeldern Michael Ludwig und Ferdinand von Freyberg und Markus Schweigger aus Augsburg verwaltet wurde.121 116

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Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Religionsprotokolle 1570-1587, A [6875], fol. 97b, 106b. Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Religionsprotokolle 1570-1587, A [6875], fol. 195; Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, A [6844], I. Teil, fol. 92f. Es handelte sich neben der Base Hartbronners um seine Köchin, die Untermagd, die Kramjungfrau, die schon ein Jahr vorher als schwenckfeldisch aufgefallen war (Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, A [6844], I. Teil, fol. 36), und den kaufmännischen Angestellten Daniel Pflaum sowie seine Frau Anna Hermann. Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, A [6875], fol. 195, 199b. Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, A [6875], fol. 200b. Ulm Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 35, fol. 83r, 201v, 295r. Der Speyrer Bischof Marquard von Hattstein war ebenfalls Schwenckfelder, siehe Anhang. Ulm, Stadtarchiv, Repertorium von 1692, A Rep. 2, Bd. 10, fol. 1290.

44 Nach ihrem Tod und nachdem man sich unter dem Superintendenten Ludwig Rabus zu einem schärferen Vorgehen gegen nichtlutherische protestantische Strömungen entschlossen hatte,122 wurden noch im gleichen Jahr die drei Schwenckfelder Alexi Theiring, Martin Kaihart und Matthäus Stürzel verhaftet und ihre Bücher beschlagnahmt.123 Sie widerriefen schnell und nannten auch einige Namen von Glaubensgenossen, die 1582 im Januar sofort verhaftet wurden, darunter weitere Mägde der Streicher-Familie.124 Der Schwager Kalharts, Bartholomäus Hotz, und der Schuhmacher Samuel Reitz widerriefen ebenfalls nach kurzer Zeit, Reitz mußte einige Tage nach seiner Haftentlassung erneut beschickt werden, weil er heimlich schwenckfeldische Bücher zurückbehalten hatte. Die zusammen mit ihnen verhaftete alte Magd Anna Steter blieb dagegen äußerst hartnäckig bei ihrem Glauben und wurde nach kurzer Zeit ausgewiesen.125 Dominoartig ermittelten die Verhörenden von den Verhafteten weitere Namen von Mitgliedern der Gruppe, die zwar in Freiheit blieben, aber ausführlich verhört wurden.126 Die meisten antworteten ausweichend und hinhaltend. Die Verhandlungen mit den Dissidenten zogen sich über ein Jahr hin, der Rat bot denen, die nicht sofort widerriefen, die Möglichkeit, sich von auswärtigen Pfarrern unterweisen zu lassen und befahl den Ulmer Pfarrern, sie häufig aufzusuchen und mit allen Mitteln zu bekehren.127 Erst im Dezember 1582 wurden die Schwenckfelder, die immer noch nicht widerrufen hatten, per Ratsbeschluß ausgewiesen. Man ließ 122 123

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Siehe Kap. 5. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, fol. 522v, 541v, 547r, 556r. Anlaß für die Verhaftungen waren Gerüchte über Versammlungen bei Kaihart gewesen. Theiring und Stürzel waren schon im Januar 1581 im Zusammenhang mit angeblich täuferischen Zusammenkünften im Haus des Torwarts Rößlin verhört worden, F. Fritz, Ulmische Kirchengeschichte, S. 136. Vier Monate nach seinem Widerruf wurde bekannt, daß Stürzel auch Kontakte zu den Leipheimer Schwenckfeldern hatte und sie mit einschlägigen Büchern versorgte, woraufhin er erneut inhaftiert wurde, Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, fol. 714r. Er ging danach freiwillig ins Exil, Ulm Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, fol. 945v. Ulm Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, fol. 558r. Ulm Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, fol. 561v, 563r, 565r. Reitz floh aus der Stadt und stellte sein verlassenes Haus der schwenckfeldischen Gemeinde als Versammlungsraum zur Verfügung, Ulm Stadtarchiv, Ratsprotokolle A 3530, Bd. 37, fol. 118v, 119r. Die Vorgeladenen waren: Helena Streicher, eine Nichte von Agatha, und ihre Mägde Anna Erhart und Elisabeth Breinin; Anna Hermann, die Frau von Daniel Pflaum, und ihre Magd; Rosina Pfitzenmaier, verheiratete Beck, und ihre Mutter, die drei ledigen Schwestern Maria, Rosina und Katharina Altenstaig und ihre Magd Maria Hegin; Christina Altmann; Hans Claus; Hans Adin; die Kramjungfrau von Hartbronner; Barbara Heugin und ihre Magd Anna Kiblin und der Torwart Gilg Rößlin, Ulm Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, fol. 585, 660r; Bd. 37, fol. 38v, 88v; Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, A [6844], I. Teil, fol. 203b, 210a, 212a. Am Ende des Jahres 1582 entdeckte man drei weitere schwenckfeldische Frauen, die Witwe Bitterlin, die Witwe Thalfinger und ihre ledige Tochter, gegen die aber nicht weiter vorgegangen wurde, Ulm Stadtarchiv, Akten über die Ausweisung von Schwenckfeldanhängern aus Ulm 1582/83, Ve Urk. 1582/83, fol. 653/717. Ulm Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, fol. 738.

45 ihnen allerdings Zeit bis zum 23.4.1583 (St. Georgii).128 Danach war trotz mehrerer Petitionen der Betroffenen und ihrer Angehörigen die Geduld des Rates erschöpft. Anna Hermann, die drei ledigen Schwestern Altenstaig und ihre Magd Maria Hegin, die Magd von Eitelhans Besserer und Barbara Heugin, Anna Kiblin sowie Agathas Nichte Helena Streicher und ihre beiden Mägde Anna Erhart und Elisabeth Breinin mußten die Stadt räumen.129 Die meisten von ihnen gingen in das nahe Gebiet der schwenckfeldischen Adelsfamilie von Freyberg. Zwischen der dortigen Gemeinde und den Ulmer Spiritualisten bestand schon vorher enger Kontakt, der sich durch die Ausweisungen vertiefte, denn auch viele derer, die bleiben durften, lebten ihren Glauben weiter im Verborgenen und hielten Verbindung zu ihren vertriebenen Glaubensgenossen (siehe unten). Helena Streicher130 heiratete kurz vor ihrer Ausweisung den aus Thüringen stammenden badischen Hofmeister Friedrich von Watzdorf.131 Dieser versuchte noch, verschiedene Steuererleichterungen für seine Braut zu erreichen und einen weiteren Ausreiseaufschub zu erwirken, was gewährt wurde mit der Auflage, daß sie in der Zeit keine Kontakte zu anderen Schwenckfeldern unterhielt. Das Ehepaar von Watzdorf verließ die Reichsstadt und zog in das zum Ulmer Landgebiet gehörige, von einem reformierten Frauenkloster verwaltete Söflingen. Helena von Watzdorf be-

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Ulm Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, fol. 93v. Ulm Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, fol. lOlr. Streicher und Kiblin wurde auf ihr Bitten hin noch einmal ein Aufschub bis Pfingsten gewährt, Ulm Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, fol. 23Or, 243v. F. M. Weber, Justingen, S. 123 gibt eine Liste der 1582/83 aus Ulm ausgewiesenen Schwenckfelder wieder nach einer Abschrift von Veesenmeyer aus dem 19. Jh. Diese Liste umfaßt die zu der Zeit vorgeladenen Personen, die aber keineswegs alle ausgewiesen wurden. Die genaue Beziehung von Helena zur übrigen Familie Streicher ist schwer zu ermitteln. Sie ist sicher nicht identisch mit der Schwester von Agatha gleichen Namens, die 1549 als j u n ges Mädchen zu Sibilla Eiselin nach Ulm ging, C . S . I I , S. 499f., 761. Vermutlich war die Ausgewiesene die Tochter Hans Augustins, die nach dem Tod des Vaters bei Agatha Streicher wohnte. Agatha hatte 1565 beim Rat um die Erlaubnis gebeten, das Kind ihres verstorbenen Bruders zu sich nehmen zu dürfen, Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 29, fol. 314v. Helena erbte auch das Streicher-Haus in der Langen Strasse. Das Haus stand 1612 im Zentrum eines Erbschaftsstreits. Helenas Sohn hatte das Haus an den Ulmer Schwenckfelder Thomas Ziegler verkauft, den Mann ihrer ehemaligen Magd Gertrud Stotzin, Ulm Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 62, fol. 491v, 492r, 497, 512r. Ulm Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, fol. 284r. Friedrich von Watzdort (15531608) war ebenso wie sein Bruder Christoph Schwenckfelder. Beide dienten am Hof des schwenckfeldischen Speyrer Bischofs Marquard von Hattstein und auch noch kurze Zeit unter dessen Nachfolger Bischof Eberhard von Dienheim, M. Krebs (Hg.), Dienerbücher Speyer, S. 165. 1583 trat Friedrich von Watzdorf als Hofmeister und fürstlicher Rat in die Dienste des badischen Hofes, siehe Kapitel Anhang. 1592 erwarb Friedrich Besitz in Syrau und Kauschwitz im Vogtland und diente als Geheimer Rat beim Kurfürsten von Brandenburg. Das einzige Kind aus dieser Ehe, Sohn Georg Friedrich, wurde in Straßburg geboren, siehe A. von Watzdorf, Geschichte, S. 69.

46 herbergte dort schwenckfeldische Flüchtlinge, was ihr 1584 vom Rat untersagt wurde.132 Mit den Ausweisungen in den 1580er Jahren meinte die weltliche Obrigkeit, die Gemeinschaft zerschlagen zu haben. Schwenckfelder wurden nur noch vereinzelt im Zusammenhang mit in den Visitationen ermittelten Abendmahlsverweigerern erwähnt.133 Die Geistlichen bemühten sich zunächst, sie in Privatermahnungen zu bekehren, gaben die Namensliste dann doch an den Rat weiter, der aber wenig unternahm. Als der Buchbinder Wilhelm Knoll sich allerdings nicht nur dem Besuch des Nachtmahls entzog, sondern 1619 zugab, schwenckfeldische Bücher für Georg Ludwig von Freyberg einzubinden und selbst darin zu lesen, wurde ihm das untersagt; da er immer wieder Gehorsam für die Zukunft in Aussicht stellte, ließ man es dabei bewenden.134 1634 wurde bekannt, daß die Witwe Georg Ludwigs von Freyberg, Barbara von Eberstein, die als Beisitzerin Wohnrecht in Ulm hatte, in der Stadt missionierte: Sie hatte Schwenckfelds Vom dreierlei Leben des Menschen135 in mehreren Exemplaren an die Sammlung, ein protestantisches Damenstift, verschenkt und der Frau des Wachtmeisters einen Psalter mit ihren handschriftlichen Anmerkungen überreicht. Der Rat wies sie an, ihren Schwärm für sich zu behalten und drohte sogar mit der Aufkündigung des Beisitzes.136 Selbst danach muß es noch einzelne Schwenckfelder in der Stadt gegeben haben. Der Straßburger Schwenckfelder Johann Ludwig Münster erwähnte in einem Brief 1646 viele seiner schwenckfeldischen Freunde namentlich und ließ Grüße an sie, darunter auch an eine Frau von Gnu aus Ulm, ausrichten.137

Das Ulmer Landgebiet Im Ulmer Landgebiet hielten sich nichtlutherische Strömungen viel stärker und länger als in der Stadt. Schwenckfelder waren besonders in Leipheim und Geislingen aktiv.

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Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, fol. 809r. Sie beherbergten u.a. die Frau des Johann Martt, Agnes von Remchingen, siehe unten. F. Fritz, Ulmische Kirchengeschichte, S. 141; Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Religionsprotokolle 1587-1623, A [6876], fol. 97f„ 103, 107f„ 121. Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Religionsprotokolle 1587-1623, A [6876], fol. 466b f., 607f. C.S. 9, S. 831-940. Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Religionsprotokolle 1623-1643, A [6877], fol. 413a, 415f., 416a; Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, A [6849], fol. 250a. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, 4.8.1646, fol. 233.

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Leipheim Zur Leipheimer Schwenckfelder-Gemeinde gehörten einige ehemalige Täufer, die in dem Ort stark vertreten gewesen waren.138 Vorgegangen wurde gegen die Gruppe, die in engem Kontakt zur Ulmer Gemeinde stand, erst in den 1580er Jahren (wie in der Reichsstadt selbst). Die Kirchenvisitation von 1581 ergab, daß Zebedäus und Heinrich Müller, Hans Kyringer und Lienhard Iedelhauser, die vor kurzer Zeit noch Täufer gewesen waren, sich schwenckfeldisch orientiert hatten und nach der Predigt Konventikel veranstalteten. Der zuständige Vogt verlangte zügiges Einschreiten, um die Ausbreitung der Sekte zu verhindern. Der Rat beschloß, zunächst die Verdächtigen vorzuladen und ihre Bücher beschlagnahmen zu lassen.139 Die Maßnahmen wurden von den lokalen Behörden aber nur zögerlich umgesetzt, der Ulmer Rat mußte mehrmals mahnen. Erst ein dreiviertel Jahr später schickte man die beschlagnahmten Bücher nach Ulm und berichtete über die Verhöre. Das lag vielleicht daran, daß der Bürgermeister Schuster selbst Schwenckfelder war, weswegen der Rat seine Wiederwahl, die zudem nicht den formalen Regeln entsprochen hatte, nicht anerkennen wollte.140 Der Rat reagierte schnell auf die Berichte und ordnete im Mai/Juni 1582 die Verhaftung von Zebedäus Müller, Matthäus Stürzel und Lienhart Iedelhauser an. Die anderen Verdächtigen wurden nur vorgeladen und verhört.141 Die Gefangenen wurden noch im Juni entlassen, allen Schwenckfeldern wurde zwar die Möglichkeit eröffnet, sich belehren zu lassen, aber gleichzeitig wurde ihnen ein Ultimatum gesetzt: Wenn sie nicht widerriefen (die Männer mußten auch ihre Frauen zur Konformität bringen), sollten sie bis Ende September das Ulmer Gebiet verlassen, die rechtgläubigen Familienteile durften bleiben.142 Nach diesen deutlich schärferen Maßnahmen als in der Reichsstadt selbst entschlossen sich viele Schwenckfelder-Familien, die entweder Handwerker waren oder zu den lokal führenden Familien gehörten, zum Verlassen Leipheims.143

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Die Obrigkeit war sich der personellen Zusammenhänge durchaus bewußt und ließ 1581 sofort nachforschen, ob alle gemeldeten Schwenckfelder ehemalige Täufer seien, Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Religionsprotokolle 1570-1587, A [6875], fol. 257b. Ulm, Stadtarchiv, Kirchenvisitation Herrschaft, A [9063], fol. 54v, 55r.; Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, 8.9.1581, fol. 421v. Ludwigsburg, Staatsarchiv, Ulm, Herrschaftspflegamt, Β 209a, Bd. 23b, fol. 78v, 79. Ludwigsburg, Staatsarchiv, Ulm, Herrschaftspflegamt, Β 209a, Bd. 23b, fol. 79r. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, 3.8.1582, fol. 787v. Die Stadt verließen 1582: Zebedäus Müller d. J. und seine Frau Elisabeth Iedelhauser, Heinrich Müller und seine Frau; Hans Kyringer, Lienhart Iedelhauser und seine Frau Anna Batzer; Martin Getz (er war mit der schwenckfeldischen Bürgermeisterfamilie Schuster verschwägert) und seine Frau; Hans Schlecht, Anna Schlecht, Barbara Schlecht, Hans Barthenschlag und seine Frau Ursula Schlecht; Hans Jakob Farenschon, Ulm, Stadtarchiv, Akten über die Ausweisung von Schwenckfeldanhängem aus Ulm 1582/83, Ve Urk. 1582/83, 646/710.

48 Nach 1582 wurde nur mehr wenig über Schwenckfelder berichtet, das vereinzelte Auftauchen in den Quellen zeigt aber, daß zum Ende des Jahrhunderts noch Anhänger des Schlesiers vorhanden waren. In der Kirchenvisitation von 1585 wurde ermittelt, daß der alte Zebedäus Müller nicht zur Kirche gehe, sich schwenckfeldisch äußere und die Pfarrer dafür verantwortlich mache, daß sein Sohn vertrieben worden war. Nach der Ausweisungswelle war die Obrigkeit nun nachsichtiger: Man versuchte, ihm das Vorgehen gegen seinen Sohn zu erklären.144 Als 1597 bekannt wurde, daß nicht allein der Loderer Michael Müller, sondern auch seine Tochter und seine zwei Söhne schwenckfeldisch waren, entsprechende Bücher lasen und das offen zugaben, wurden sie keineswegs verhaftet, sondern ihre Zusage, sich zu bekehren, genügte.145

Geislingen Geislingen war ebenfalls schwer auf den lutherischen Kurs zu bringen und hatte lange Zeit eine sehr aktive katholische Minderheit. Auch Täufer und Schwenckfelder fanden hier für einige Zeit ihren Platz. Im Rahmen der Konflikte mit der Ulmer Ärzteschaft 1563 war vorgebracht worden, daß Hans Augustin Streicher und seine Frau schwenckfeldisch sein sollten, weswegen sich die Ulmer Religionsverordneten an die Geislinger Pfarrer wandten, die davon aber nichts gehört haben wollten.146 Damit ließ man die Sache auf sich beruhen. Erst als man in Ulm 1578 im Rahmen der Recherchen über die missionarischen Aktivitäten der Susanna Hornung Schwenckfelder vorlud, wurde auch der Geislinger Schuhmacher Samuel Michsel erwähnt, der früher Täufer gewesen war, jetzt aber die schwenckfeldische Lehre verteidigte und schwenckfeldische Bücher besitzen sollte. Bei Hartnäckigkeit sollte er gleich ausgewiesen werden.147 Obwohl Michsel seinen Glauben nie verborgen hatte, geschah bis 1581 nichts. In diesem Jahr ließ man dann zunächst seine schwenckfeldischen Bücher beschlagnahmen.148 Am 15.6.1582 erging der Ausweisungsbeschluß gegen ihn.149 Der Befehl wurde unverzüglich ausgeführt, nicht einmal einen zeitlichen Aufschub, den seine Frau zu erwirken versuchte, gewährte man ihm.150 1612 wurde erneut ein Schwenckfelder gemeldet, mit dem man anfangs moderater umging: Der Spitalpfründner Hans Miller, der kein Geislinger Bürger war, wurde des Schwenckfeldertums verdächtigt. Man hielt es sogar für möglich, daß 144 145

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Ulm, Stadtarchiv, Kirchenvisitation Herrschaft 1586, A [9062], fol. 25v; A [9063], fol. 72. Ulm, Stadtarchiv, Kirchenvisitation Herrschaft 1586, A [9063], fol. 31v; Pfarrkirchenbaupflegamt, Religionsprotokolle 1587-1623, A [6876], fol. 93a. Ulm, Stadtarchiv, Nachlaß des Prälaten Johann Christoph Schmid, Η Schmid Nr. 27, 132. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 35, fol. 4v. Ulm, Stadtarchiv, Kirchenvisitation Herrschaft 1581, A [9063], fol. 58v. Ludwigsburg, Staatsarchiv, Β 209a, Bd. 23b, fol. 80v; Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, fol. 738. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, fol. 5r.

49 er, der einschlägige Bücher las, gar nicht wußte, auf was für eine theologische Richtung er sich da eingelassen hatte. Es sollte ihm daher deutlich gemacht werden, in welchen Irrtum er sich begeben habe, und daß er sich bekehren solle. Miller hatte ein schriftliches Glaubensbekenntnis übergeben, das wohl eindeutig war, und wollte auch von seiner Überzeugung nicht abgehen. Dennoch wurde zunächst angeordnet, daß die Pfarrer ein- bis viermal in der Woche zu ihm gingen und ihn zu bekehren versuchten. Als alle Bemühungen nichts ausrichteten, wurden ihm im Januar 1613 die Spitalpfründe und das Aufenthaltsrecht entzogen. 131 Einzelne Schwenckfelder gab es auch in weiteren Orten des Landgebietes, so in Altenstadt, Böringen, Langenau, Stainheim, Jungingen und Albeck, gegen die aber selten Sanktionen verhängt wurden, offenbar hielt man diese Einzelfälle nicht für gefährlich.

Das Herrschaftsgebiet der Reichsritter von Freyberg Das Herrschaftsgebiet der Reichsritter von Freyberg mit den beiden Hauptorten Justingen und Opfingen grenzte sowohl an die katholische Stadt Ehingen als auch an das lutherische Herzogtum Württemberg. Ebenfalls in der Nähe lag die evangelische Reichsstadt Ulm, in der die von Freybergs ein Haus besaßen und das Beisitzerrecht innehatten.' 52 Ludwig von Freyberg (1469-1545) führte in seiner Herrschaft schon 1536 die Reformation ein153 und stellte in Opfingen den Ulmer Helfer Georg Keller ein, der zwinglianisch-schwenckfeldische Ansichten vertrat und darüber mit dem Ulmer Rat in Konflikt geriet.' 54 War sein Vater vor allem zwinglisch geprägt, hatten sein Sohn Georg Ludwig (1507-1562) und dessen Gemahlin Katharina von Laubenberg, eine Schwester des Schwenckfelders Hans Wilhelm von Laubenberg, engere Beziehungen zu Schwenckfeld. Georg Ludwig ging auch energischer gegen die katholische Kirche vor, was in dem Ort Griesingen, der dem Freiherrn nicht vollständig gehörte, sondern in dem das Kloster Salem das Pfarrbesetzungsrecht hatte, zu Konflikten führte. Der Abt von Salem beschwerte sich 1537 in Innsbruck, daß Georg Ludwig mit einem sektischen Pfarrer155 erschienen sei und die Bilder und Heiligen aus der Kirche entfernt habe. Die oberösterreichische Regierung war allerdings nicht übermäßig beunruhigt. Anders als im 17. Jahrhundert, als über die Rechte an der Griesinger Kirche heftig gestrit151

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Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, A [6846], fol. 167a, 168b; Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 62, fol. 826v, 827r; Bd. 63, fol. 64v, 69v. Eine topographische Karte des Herrschaftsgebiets findet sich bei F. M. Weber, Justingen, S. 130. Weber stellt die Geschichte der schwenckfeldischen Mitglieder der Familie von Freyberg detailliert dar. Daher konzentriert sich der Überblick hier auf die im Gebiet der Junker lebenden Mitglieder des schwenckfeldischen Netzwerks. F. M. Weber, Justingen, S. 25. C.S. 7, S. 463f.; C.S. 8, S. 311. Es bleibt unklar, ob hier tatsächlich ein schwenckfeldischer Geistlicher gemeint war oder ob mit dem Ausdruck sektisch - was wahrscheinlicher ist - einfach ein neugläubiger Pfarrer bezeichnet wurde.

50 ten wurde (siehe unten), focht die katholische Obrigkeit das Besetzungsrecht der von Freybergs im 16. Jahrhundert nicht grundsätzlich an: Da der von Freyberg (gemeint war hier der Vater Ludwig, dem das Dorf Griesingen gehörte), kein Untertan des römischen Königs sei, könne man allenfalls als Patron des Lehens sein Mißfallen äußern.156 Während des Schmalkaldischen Krieges wurde die Familie von Freyberg durch kaiserliche Truppen von ihrem Besitz vertrieben und mußte in Ulm Zuflucht suchen. Nach Schwenckfelds Auffassung, der häufiger Gast bei Georg Ludwig gewesen war, wurde der Freiherr für seine schwenckfeldische Religion und seine Beherbergung des schlesischen Ketzers bestraft.157 Dies ist aber aus den darauffolgenden Verhandlungen um die Rückerstattung des Besitzes nirgends zu erweisen. Ausschlaggebend wird eher die Zugehörigkeit der von Freybergs zum evangelischen Lager gewesen sein.158 Schon um die Jahrhundertmitte wurde das Herrschaftsgebiet der Freiherrn von Freyberg zum Zufluchtsort für Menschen, die wegen ihres Glaubens andernorts verfolgt wurden - besonders für die schwenckfeldischen Brüder und Schwestern aus dem Ulmer Gebiet. Die Flüchtlinge bildeten die Hauptsäule der schwenckfeldischen Gemeinden in Justingen, Opfingen und Griesingen. Hinzu kam 1554 der aus Augsburg ausgewiesene Bernhard Unsinn auf Einladung des Freiherrn Georg Ludwig.159 Schwenckfeld selbst nahm Einfluß auf die Erziehung der Söhne Georg Ludwigs d.Ä. von Freyberg. Michael Ludwig und Ferdinand studierten beide in Tübingen.160 Nach dem Tod des Vaters wurde die Herrschaft zwischen den beiden Söhnen geteilt. Ferdinand (f 1583) erhielt Opfingen. Er hatte zwar wie seine Gemahlin, Veronika von Pappenheim, schwenckfeldische Neigungen,161 lebte aber seinen Glauben nach außen sehr zurückhaltend und versuchte auf seinen Bruder mäßigend einzuwirken, indem er ihn beispielsweise dazu brachte, seinen schwenckfeldischen Pfarrer162 in Gundershofen zu entlassen.163 Der in Glaubens156 157 158 159 160

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Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4469, Griesingen Lib. I, fol. 7-10. C.S. 10, S. 872-877. Siehe F. M. Weber, Justingen, S. 38-41. F. Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte, Bd. 4, S. 637. A. Schilling, Die Reichsherrschaft Justingen, S. 48f. Schilling benutzte für seine Arbeit noch Quellen aus dem Familienarchiv der Freiherrn von Freyberg, die heute nicht mehr vorhanden sind. Er gehörte zu den überregionalen schwenckfeldischen Führungsfiguren, was daraus ersichtlich ist, daß die Ulmer Ärztin Agatha Streicher Ferdinand zusammen mit seinem Bruder und dem Augsburger Juristen Markus Schweigger zu Verwaltern ihrer Stiftung für schwenckfeldische Flüchtlinge einsetzte, Ulm, Stadtarchiv, A Rep. 2, Bd. 10, fol. 1290. Der Name des Pfarrers wird in den Quellen namentlich nicht genannt. A. Schilling, Die Reichsherrschaft Justingen, S. 54 vermutet, daß Daniel Friedrich gemeint war. Da der schwenckfeldische Pfarrer erst 1575 abgesetzt wurde, Friedrich aber schon seit 1573 Pfarrer in Justingen ist (F. M. Weber, Justingen, S. 52f.), handelt es sich wohl eher um zwei verschiedene Personen. G. Bossert (Hg.), Visitationsprotokolle, S. 13.

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Sachen erheblich konfliktfreudigere Michael Ludwig (f 1582) hatte in besagtem Dorf 1571 einen schwenckfeldischen Geistlichen an die Stelle des katholischen Amtsinhabers gesetzt, was seinen katholischen Vetter Pankraz von Freyberg auf den Plan gerufen hatte.164 Zwar mußte Michael Ludwig seinen schwenckfeldischen Gemeindeleiter hier abziehen, dafür berief er aber 1573 den Straßburger Schwenckfelder-Führer Daniel Friedrich als Pfarrer und Schulmeister nach Justingen.165 Über die Person Friedrichs ist wenig bekannt.166 Er stammte wahrscheinlich aus Straßburg,167 genauere Erwähnung fand er erst nach seiner Anstellung durch Michael Ludwig in Justingen. Er unterrichtete nicht nur Jungen aus Justingen, sondern auch auswärtige schwenckfeldische Schüler.168 Der Sohn seines Dienstherrn, Hans Pleickhart, war wohl sein Schüler. Hier zeigt sich, daß Friedrich hauptsächlich eine religiöse Unterweisung bot und keine höhere Schulausbildung. Friedrich war für den jungen Freiherrn eher eine Art Hofmeister, denn er begleitete Hans Pleickhart 1584 nach Straßburg, wo der Junge auf die Schule gegeben wurde.169 Friedrich ließ die Kinder aus dem Neuen Testament ebenso lernen wie aus schwenckfeldischen Büchern, die er für sie anschaffte. 170 Daneben war er als regulärer Ortspfarrer anstelle des katholischen Priesters in Justingen tätig. Das führte schnell zu Beschwerden des benachbarten Herzogtum Württemberg. Friedrich wurde anfänglich nicht als schwenckfeldisch, sondern allgemein als sektisch bezeichnet, man beschuldigte ihn, Täufer oder Zwinglianer 164 165 166

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F. M. Weber, Justingen, S. 51. F. M. Weber, Justingen, S. 53. Emst Eylenstein vermutet wegen der spärlichen biographischen Nachrichten zu Friedrich sogar, daß es sich bei dem N a m e n um ein Pseudonym handelt, E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 27. Zwar benutzten Schwenckfeld selbst und auch einige seiner Anhänger durchaus Pseudonyme, der schwenckfeldische Pfarrer Johann Martt tat dies jedoch nicht. Er verwendete in den Briefen an seine Frau 1584-1585 allenfalls Abkürzungen. Er erwähnte Friedrich mehrmals zwar in Kurzform, beide Namensteile sind aber deutlich erkennbar. Das würde dafür sprechen, daß es sich b e i , D a n i e l Friedrich' um seinen vollständigen N a m e n handelte, siehe Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, 17r, 28r, 38r, 48r, 49r. Das geht aus einem Eintrag im von Freybergschen Familienarchiv hervor, wonach er eine Wegzehrung erhielt, als er zu seiner im Sterben liegenden Mutter nach Straßburg reiste, A. Schilling, Die Reichsherrschaft Justingen, S. 57. Verbürgt ist das zumindest für Jakob Weiß aus Memmingen, der 1582 in den Stiftsrechnungen als Schüler erwähnt wurde, F. M. Weber, Justingen, S. 55. Dabei handelte es sich wohl nicht um den gleichnamigen schwenckfeldischen Buchhändler, der schon 1568 als Vertreiber schwenckfeldischer Schriften in M e m m i n g e n genannt wurde (siehe oben). Dieser hatte regen Kontakt zu den Schwenckfeldern im freybergischen Gebiet; der genannte Schüler war also vielleicht ein durch seine Vermittlung dort aufgenommener Verwandter. Darüber berichtete Johann Martt im Januar 1584 in einem Brief an seine Frau, Berlin, Ms.germ.fol. 427, fol. 28r. 1584 bestellte Friedrich ausweislich der Stiftsrechnung zwölf Neue Testament-Bücher und zwölf Exemplare von Schwenckfelds Vom christlichen Streit, das ein Jahr zuvor in neuer Auflage wieder im Druck erschienen war, A. Schilling, Die Reichsherrschaft Justingen, S. 56.

52 zu sein, was Friedrich die Verteidigung leicht machte. Er bestritt selbstverständlich, täuferische oder zwinglische Lehren zu vertreten, er habe sie niemals auch nur erwähnt. Friedrich betonte gegenüber dem lutherischen Württemberg geschickt, welche Mühe er sich damit gebe, die durch ^den vorherigen katholischen Pfarrer und dessen schlechtes moralisches Leben verwilderten Untertanen wieder zum Glauben an Christus zurückzuführen.171 Sein Dienstherr Michael Ludwig schlug eine ähnlich Strategie ein: Auch er wies ausdrücklich auf die Mängel des Vorgängers hin und auf die Verdienste seines jetzigen Pfarrers um die Rechristianisierung der Untertanen. Er bestritt auch den Vorwurf, Friedrich predige ausschließlich aus der schwenckfeldischen Postille des Schlesiers Johann Werner.172 Auf die württembergischen Klagen über den Sakramentsgebrauch des Justinger Pfarrers gingen die beiden Schwenckfelder nicht ein. Friedrich hielt nämlich gar kein Abendmahl und taufte nur widerwillig173 mit seltsamen Ritualen, in denen er ausdrückte, daß er die Taufe für ungültig und irrelevant hielt.174 Die Beschwerden Württembergs blieben ohne konkrete Auswirkungen: Friedrich blieb bis zum Tod Michael Ludwigs von Freyberg und auch noch einige Zeit darüber hinaus als Pfarrer in Justingen.175 Dort lernte er auch den Straßburger Lehrer, Liederdichter und bedeutendsten Sammler und Publizisten schwenckfeldischer Schriften kennen, Daniel Sudermann, der 1583 ganz in der Nähe bei den Grafen von Helfenstein weilte.176 Ein Straßburger Kollege von Friedrich, Hans Georg Schid, hielt sich ebenfalls zu der Zeit bei den von Freybergs auf und verfaßte fur Justingen die einzige süd-

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Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 9f. In diesem Punkt argumentierte Michael Ludwig gut schwenckfeldisch, indem er auf Paulus und die Pflicht, alles zu prüfen und das Gute zu behalten, verwies, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 20f. Nach der Darstellung des württembergischen Pfarrers Auberlin hatte ihn Michael Ludwig zur Spendung der Säuglingstaufe zwingen müssen, weil seine Untertanen ihn dazu drängten, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 3r. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 3r, 14, 25r. Friedrich heiratete spät in seinem Leben zweimal und hielt sich in nach seiner Justinger Zeit zumeist in der Nähe von Straßburg auf. Vor 1607 war er in Kirchhardt in der Pfalz, 1607 in Eberstein auf dem Besitz der gleichnamigen Familie, die auch schwenckfeldische Mitglieder hatte, später in Gerstein, siehe Ernst Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 28-31. In Straßburg selbst konnte er sich dauerhaft nicht aufhalten. Er konnte das Bürgerrecht nicht erwerben, weil er sich weigerte, den erforderlichen Eid zu schwören, wie er in einem Brief an die Danziger Schwenckfelder-Gemeinde ausführte, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 65r. E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 27. Zu Person und Werk von Sudermann siehe H. Hornung, Sudermann als Handschriftensammler; M. Pieper, Sudermann. Die beiden verband zeitlebens eine enge Freundschaft. In seinem Testament vertraute Friedrich Frau und Kind sowie seinen gesamten literarischen Nachlaß Daniel Sudermann an, s. Auszug des Testaments in: Th. Wotschke, Johann Ludwig und Johann Friedrich Münster, S. 102, Α. 1.

53 deutsche schwenckfeldische Kirchenordnung, die leider nicht mehr auffindbar ist.177 Nach dem Tod von Michael Ludwig und dem kinderlos gebliebenen Ferdinand von Freyberg regierte Michael Ludwigs Sohn, Georg Ludwig der Jüngere, zunächst beide Herrschaftsteile, da sein ebenfalls erbberechtigter Bruder Hans Pleickhart noch minderjährig war.178 Er nahm viele schwenckfeldische Flüchtlinge auf, in den 1580er Jahren besonders aus Ulm. Er gewährte den zumeist als Handwerker tätigen Schwenckfeldern Darlehen und unterstützte sie beim Hausbau bzw. ließ Häuser für sie errichten, in denen sie ihre Gewerbe betreiben konnten. Das machte die zugezogenen Schwenckfelder zu einer Konkurrenz für die württembergischen Handwerker, wie einer Stellungnahme zu dem Antrag Georg Ludwigs auf zwei neue Jahrmärkte zu entnehmen ist, die die Amtleute in Blaubeuren 1584 an den Herzog schickten.179 Weitere Nachforschungen im Juni desselben Jahres von württembergischer Seite ergaben, daß Daniel Pflaum, ein ehemaliger Diener eines Ulmer Patriziers, in Hütten sogar ein ganz neues Haus erbaut hatte, das der Freiherr mitfinanziert hatte und in dem Pflaum sein Gewerbe ausübte.180 In Hütten hatte sich auch der aus Ulm vertriebene Schuhmacher Samuel Reitz niedergelassen. 181 Trotz intensiver Recherchen konnten die württembergischen Amtleute, die vermuteten, daß sich noch weit mehr Ulmer Schwenckfelder im Gebiet der Adelsfamilie aufhielten, niemanden sonst namhaft machen. Aus den Briefen der Schwenckfelder untereinander geht in der Tat hervor, daß sich die meisten der aus Ulm 1582-1585 ausgewiesenen oder geflohenen Spiritualisten in dem benachbarten Territorium der Glaubensgenossen versteckt hielten. Die Mägde der Familie Streicher, Anna Ehrhard und Anna Steter, fanden sich hier ebenso wie die drei Schwestern Altensteig mit ihrer Magd Maria Hegin, die verschwägerten Familien Kifhaber und Arnoldt und die Familie von Jörg Pfit-

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A. F. H. Schneider, Liederdichter, S. 10. Sowohl Schid als auch Friedrich waren vor bzw. nach ihrem Aufenthalt im von-Freyberg-Gebiet an führender Stelle in der schwenckfeldischen Gemeinde in Straßburg tätig. Schid bekleidete vor der Justinger Zeit das Pfarramt in Lampertheim, w o er wegen seiner missionarischen Aktivitäten für das Schwenckfeldertum entlassen wurde. Seine Frau, die aus der Familie Landschad von Steinach stammte, vermittelte ihm 1576 noch eine Pfarrstelle in Bußweiler, für die er aber vor Amtsantritt dem Schwenckfeldertum explizit hätte abschwören müssen, was er ablehnte, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.qt.440, fol. 100-112. F. M. Weber, Justingen, S. 65. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv A 153/154, Bü 59, fol. 44f. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv A 153/154, Bü 59, Bericht des Vogts von Neuensteußlingen, fol. 50. Auch Johann Martt erwähnte das Gebäude von Daniel Pflaum und seiner Frau Anna Hermann, in dem er einige Zeit Zuflucht gefunden hatte, 1583 in einem Brief an seine Frau. Es muß sich wohl um ein stattliches Haus gehandelt haben, Berlin, Ms.germ.fol. 427, fol. 2v. Der Schuhmacher wird nicht namentlich genannt, es handelte sich aber sicher um den 1582 geflohenen Reitz, s. Bericht des Ober- und Untervogts von Urach an Herzog Ludwig, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv A 153/154, Bü 59, fol. 48r.

54 zenmaier.182 Auch schwenckfeldische Flüchtlinge aus anderen Gegenden unterstützte der Freiherr schon seit der Übernahme der Regentschaft großzügig: Der Sohn des aus Lindau geflohenen Buchhändlers Michael Lay studierte auf Georg Ludwigs Kosten in Tübingen.183 Der selbstbewußte Junker Georg Ludwig geriet häufig in Konflikt mit den katholischen und protestantischen Nachbarn, dabei spielten neben Streitigkeiten um Herrschaftsrechte und daraus resultierende Einkünfte immer auch religiöse Meinungsverschiedenheiten eine Rolle. So griff Georg Ludwig den von Württemberg besoldeten Pfarrer in dem kleinen Dorf Sondernach an, weil er den Zehnten beanspruchte und weil der Pfarrer Schwenckfeld auf der Kanzel kritisiert hatte.184 Gut dokumentiert und besonders heftig waren die Streitigkeiten um die Pfarreirechte in Griesingen, das von Freyberg nur zum Teil gehörte und ansonsten katholisch war.185 Nach dem Tod eines der beiden katholischen Priester hatte Georg Ludwig sich geweigert, den vom Abt des Klosters Salem präsentierten Pfarrer zu akzeptieren, stattdessen hatte er die Einkünfte beider Pfarreien an sich gezogen und in das verlassene Pfarrhaus den schwenckfeldischen Schneider und Augsburger Flüchtling Bernhard Unsinn gesetzt.186 Anstelle eines ordentlichen katholischen Pfarrers stellte Georg Ludwig einen vagierenden katholischen Schulmeister an, der die Missionierung durch die schwenckfeldische Gruppe um Unsinn nicht behinderte.187 1591 wurde die Herrschaft aufgeteilt, da Hans Pleickhart nun für mündig erklärt worden war. Das Los bestimmte Georg Ludwig zum Herrn von Opfingen, sein Bruder, ebenfalls ein überzeugter Schwenckfelder, erhielt Justingen. Ein Jahr 182

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Martt erwähnte sie alle als Gäste und/oder Angestellte der von Freybergs, Berlin, Ms.germ. fol. 427, 7r, 11 v, 16r, 28r, 37r, 43v. Das geht aus einem württembergischen Visitationsbericht von 1590 hervor, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 651 f. Lay verließ mit der Promotion die Universität und ging als Jurist nach Augsburg, wo er in die Kaufleutestube aufgenommen wurde, H. Hermelink (Hg.), Matrikel Tübingen, Bd. 1, S. 69, 74; W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 464. Er starb 1610. 1646 erwähnte der schwenckfeldische Arzt Johann Ludwig Münster einen Dr. Lay aus Augsburg als seinen Glaubensgenossen. Dabei handelte es sich vermutlich um den Sohn des Andreas, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 233. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 637. Zu den rechtlichen Details des Streits um die beiden halben Pfarrstellen siehe F.M. Weber, Justingen, S. 71-75, 77-80. Der noch amtierende katholische Priester Seeler berichtete, daß Unsinn die Schlüsselgewalt über den Pfarrhof habe. Die von den Anwälten des Klosters Salem für eine kaiserliche Kommission zusammengestellten Gravamina gegen von Freyberg erwähnten 1589 ebenfalls den Schneider Unsinn und deuteten an, daß nicht nur Unsinn allein den Pfarrhof nutze, sondern auch seine Glaubensgenossen, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4469, fol. 33, 94. Nach den Angaben der katholischen Gegenpartei war der Schulmeister ungelehrt und unterrichtete herumziehend, weil er die priesterlichen Weihen nicht geschafft hatte. Er sei aber für des Freiherrn Zwecke geeignet, weil er sich je nach Erfordernis einmal katholisch, dann wieder schwenckfeldisch gebe, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4469, fol. 246v; No. 4470, fol. 199f.

55 später wurden die Streitigkeiten um die Pfarrei in Griesingen vorläufig im Meersburger Vertrag beigelegt. Georg Ludwig verpflichtete sich zur Erhaltung der katholischen Religion, woran er sich faktisch jedoch nie hielt.188 Die Auseinandersetzungen in Griesingen konzentrierten sich nach dem Vertragsabschluß zwar nicht mehr auf die Pfarrei, berührten aber weiterhin die schwenckfeldischen Aktivitäten im Ort. Im Herbst 1599 berichteten die katholischen Amtleute in Ehingen über die schwenckfeldische Druckerei in Griesingen: Druckarbeiten, die dort begonnen worden seien, habe der Konstanzer Drucker Leonhard Straub vollendet. Die österreichische Regierung wies daraufhin den Landvogt von Schwaben an, nach Exemplaren aus dieser Offizin zu suchen und sie zu verbrennen. 189 Dem ging man aber zunächst nicht nach, sondern der Statthalter in Ehingen, Johann Christoph Schenk von Stauffenberg, verhaftete am 30.11.1599 den Schwenckfelder Johann Martt und seinen gleichnamigen Sohn. Der Statthalter überfiel mit einer Gruppe Ehinger Bürger Georg Ludwigs Schlößchen in Obergriesingen, 190 wo Martt etwa seit 1590 Zuflucht gefunden hatte. Johann Martt, der aus Bregenz stammte und in Freiburg studiert hatte,191 war zuvor von 1549-1563 als katholischer Priester im bikonfessionellen schweizerischen Altstätten bei St. Gallen tätig gewesen. 192 Vermutlich fand er über die Altstättener SchwenckfelderGruppe um Gall Keel, 193 mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband, vor 1560 zum Schwenckfeldertum. Er kannte Schwenckfeld persönlich und war vermutlich auch in Ulm an Schwenckfelds Sterbebett.194 Seinen Pfarrdienst gab er

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F. M. Weber, Justingen, S. 77f.

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Karlsruhe, Generallandesarchiv, 79/P12, Bd. 23 (Schwabenbücher, Lib. 9), fol. 557. Die zu dieser Zeit entstandenen schwenckfeldischen Drucke waren von Daniel Sudermann neu ediert worden bzw. von ihm als Handschriften gesammelt und erstmalig herausgegeben worden. Karlsruhe, Generallandesarchiv, 7 9 / P 1 2 , Bd. 23 (Schwabenbücher, Lib. 9), fol. 619v. Martt ist 1546 in Freiburg eingeschrieben, H. Mayer (Hg.), Matrikel Freiburg, Bd. 1, S. 3 5 5 . Sein Geburtsdatum ist unbekannt, nach Angaben Georg Ludwigs von Freiberg war er 1599 ca. 80 Jahre alt, nach Angaben der Landvogtei etwa 70 Jahre, siehe F. M. Weber, Justingen, S. 81 f. Anstellungsvertrag für Martt siehe Stiftsarchiv St. Gallen, Rubrik 124, Faszikel 2. Zum Verfahren gegen die Schwenckfelder in Altstätten, insbesondere gegen Gall Keel und Hans Schönenbühler siehe Geschichte des Rheintals, hg. v. W. Vogler, S. 116; A. Vetter (Hg.), Altstätten, S. 1 5 1 - 1 5 5 . Der zuständige Landvogt zog 1566 bei beiden Konfessionen Erkundigungen über Keel ein, der sich offen schwenckfeldisch bekannte. Während Bullinger fur die evangelische Seite von dem einwandfreien Lebenswandel von Keel beeindruckt war und zur Milde riet, forderte die katholische Kirche seine Ausweisung. Es ist nicht dokumentiert, wie das Verfahren ausging und ob Keel formell ausgewiesen wurde.

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Schwenckfeld erwähnte Martt als missionarisch tätigen Glaubensgenossen in einem B r i e f von Anfang 1560, C . S . 17, S. 5 0 - 5 3 . Martt besuchte Schwenckfeld auch kurz vor dessen Tod in Memmingen bei Jakob Moretzgi (C.S. 17, S. 6 3 3 ) und verfaßte in Anlehnung an den Bericht von Agatha Streicher eine eigene Version der letzten Tage Schwenckfelds, C . S . 17, S. 1027.

56 vor 1563 auf,195 von einer Absetzung ist nicht die Rede, seine neue Glaubensorientierung konnte er den Behörden in Altstätten demnach verheimlichen. Martt lebte dann wie sein verstorbener Meister im Verborgenen an verschiedenen Orten - im Gebiet der Freiherrn ebenso wie in Ulm.196 In der Reichsstadt oder in dem benachbarten Gebiet der Freiherrn lernte er wohl seine Frau, Agnes von Remchingen, deren Familie mit den von Freybergs entfernt verschwägert war, kennen.197 Sie heirateten etwa 1581 und zogen nach Leeder bei Augsburg.198 Schon kurze Zeit später wurde Martt wegen seiner Absonderung von der offiziellen Kirche auf Betreiben der Augsburger Familie Imhof veranlaßt, seine Familie zu verlassen.199 Er hielt sich an verschiedenen Orten verborgen und bemühte sich, für seinen Sohn und seine schwangere Frau, die ebenfalls von der Vertreibung bedroht waren, eine neue dauerhafte Bleibe zu finden. 1584 wurde unter größter Geheimhaltung und mit falschen Identitäten Agnes' Flucht aus Leeder geplant und durchgeführt.200 Die Familie fand zunächst im zum Ulmer Landgebiet gehörigen Söflingen Zuflucht auf der Besitzung der Helena Streicher und des Friedrich von Watzdorf.201 Eine neue Unterkunft für seine Familie bis zu seinem Tod fand Martt schließlich bei Georg Ludwig von Freyberg in dessen Schlößchen in Obergriesingen. Es ist nicht sicher, seit wann die Familie dort lebte, möglicherweise

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Anfang Februar 1563 wurde ein neuer Priester in Altstätten eingestellt, A. Vetter (Hg.), Altstätten, S. 149. Martt selbst gab an, im Dezember 1560 von Babell oder Sodoma ausgezogen zu sein, allerdings datierte er im selben Brief Schwenckfelds Tod ein Jahr zu früh, so daß er unter Umständen die Daten verwechselt und schon Ende 1559 seine Pfarrstelle verlassen hatte, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 13v. Martt gab zwar seinen Aufenthaltsort in seinen Briefen nicht an, er hielt sich aber 1576/77 am selben Ort auf wie Anna Erhart, Anna Bernhardt und Susanna Hornung, die Mägde der Familie Streicher, die damals noch nicht ausgewiesen worden waren (siehe oben), Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 58. Im August 1577 schrieb er an die Ulmerin Anna Hermann-Pflaum und ließ die Schwestern Altenstaig grüßen, d.h. er hatte Ulm wieder verlassen, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, 66v-68v. 1578 zog er endgültig aus Ulm fort - freiwillig, wie sich aus der Formulierung ergibt, die er in einem Brief an Anna Erhart ein Jahr später wählte, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. lOOr. Der Brief macht auch die Annahme von Mielke, wonach Martt 1576 aus Ulm ausgewiesen wurde, unwahrscheinlich, H.-P. Mielke, Das süddeutsche Schwenckfeldertum, S. 73. Zu der Ehe siehe ausführlich Kap. 4. Aus dem Mai 1582 ist ein Haustausch zwischen dem Ehepaar Martt und einem Caspar Fischer in Leeder beurkundet, Augsburg, Staatsarchiv, Hochstift Augsburg, Urkunden, Nr. 3800. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 14v. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 32r - 37v. Zumindest bis 1585 fand die Familie dort Obdach, Martt war aber wohl weiterhin häufig auf Reisen und bemühte sich weiterhin um eine dauerhafte Unterkunftslösung, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 38r - 44v.

57 zog man schon 1585 dort ein.202 Fest steht, daß Martt dort ab den 1590er Jahren im Auftrag Georg Ludwigs als Gemeindeleiter tätig war. Nach katholischen Angaben nutzten die Schwenckfelder das Schloß als Versammlungsraum und nannten es Synagoge. An den religiösen Treffen und den gemeinsamen Lektürezusammenkünften nahm nicht nur die Griesinger Gruppe teil, sondern auch Georg Ludwig und Hans Pleikhart von Freyberg sowie andere Schwenckfelder ihres Herrschaftsgebietes. 203 Wohl nicht nur um diesem schwenckfeldischen Treiben ein Ende zu setzen, sondern auch um ein deutliches Zeichen gegen die fortgesetzten vermeintlichen Rechtsverstöße und Übergriffe des Freiherrn auf die österreichischen Untertanen zu setzen, gingen die Ehinger nun gegen Martt vor. Nach Angaben Georg Ludwigs, der sofort ein Beschwerdeschreiben an den Kaiser verfaßte, 204 ließen die Ehinger dabei zahlreiche Gegenstände aus dem Schlößchen mitgehen und verhielten sich geradezu gewalttätig gegenüber dem hochbetagten Martt und seiner Familie.205 Die österreichische Regierung erachtete das Vorgehen der untergeordneten Behörden zunächst als rechtmäßig, verlangte aber einen ausfuhrlichen Bericht über die Ereignisse.206 Der zuständige Landvogt führte in seiner Stellungnahme die Gefahren an, die von den Schwenckfeldern für das Seelenheil der österreichischen Untertanen ausgingen, und betonte, daß die Inhaftierung als Zeichen der Abschreckung für die Schwenckfelder und als Symbol der Hilfe für die bedrängten katholischen Untertanen dienen sollte.207 Nur kurze Zeit später dominierte allerdings die Kritik an dem eigenmächtigen Vorgehen der lokalen Amtleute. Der Kaiser wertete die gesamte Aktion als Rechtsbruch gegen den reichsfreien Adeli202

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In den letzten erhaltenen Briefen an seine Frau, die aus dem Sommer 1585 stammen, sprach Martt über konkrete Umzugsplanungen, allerdings ohne Nennung eines Ortsnamens, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 48f. Bericht des Klosters Salem von 1608, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4470, fol. 318. Aus einem Schreiben der österreichischen Regierung geht hervor, daß Georg Ludwig schon drei Tage nach der Festnahme beim Kaiser protestiert hatte, Karlsruhe, Generallandesarchiv, 79/P 12 (Schwabenbücher Lib. 9), 604v. Georg Ludwig faßte in einer umfassenden Beschwerdeschrift an eine mit der Schlichtung der Konflikte beauftragte kaiserliche Kommission im Juli 1600 die Vorgänge noch einmal detailliert zusammen: Die bewaffneten Ehinger und Schelklinger hätten nach ihrem gewaltsamen Eindringen in das Schlößchen viel büecher, Silber, Zinn, Kupffergeschür, Klaider vnnd allerlay Haußradt heimgenommen, die Kästen, Öfen vnd anders zerschlagen, Folgendts meinen alten diener Johann Marthen, nach dem Sie zuuor desselben Hausfraw, ein geborne von Remchingen mit fließen getretten, vnnd mit Büchßen vf die Brüst gantz blaugestoßen, sampt seinem Sohn, auch Johann Marth genandt, in dem Beth vfgehept, denselben händt vnnd fließ gebunden, die Stiegen hinab mit vielem stoßen, fretten vnd reißen, Jämerlich geschlept, v f f einem Karren allein mit bloßem hembdt, in grimmiger Kältte vmb=geben, werffen, die händt ahn die Laittern anbunden, vnd also fortt vnnd biß gehn Weingartten füehren laßen, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4470, fol. 193r. Karlsruhe, Generallandesarchiv, 79/P12 (Schwabenbücher Lib. 9), fol. 612, 619. Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, oö. Regierung, Kopialbuch, An die röm. kayserl. Majestät 1600 [=Regierungskopialbuch 86], fol. 69-76.

58 gen, und man verlangte neben der Rückerstattung der geraubten Güter die sofortige, unentgeltliche Freilassung der Gefangenen. Mit ihren Beschwerden gegen von Freyberg wurden die lokalen Beamten an eine neu eingesetzte kaiserliche Kommission verwiesen.208 Die Freilassung zog sich trotz mehrerer Ermahnungen noch fast fünf Monate hin,209 nicht zuletzt weil die Übernahme der Unterbringungskosten für die beiden Gefangenen und für die Ehefrau Agnes von Remchingen nebst Dienerin unklar war, denn die Familie Martt weigerte sich ebenso zu zahlen wie Georg Ludwig von Freyberg.210 Kurze Zeit später wurden die Behörden in Konstanz angewiesen, gegen den Drucker Straub vorzugehen, der mit von Freyberg zusammengearbeitet hatte. Straub wurde in Haft genommen, vor allem um den Verteilerkreis der schwenckfeldischen Drucke zu ermitteln. Als sich jedoch herausstellte, daß Straub die schwenckfeldischen Werke gedruckt hatte, als er weder katholisch noch Konstanzer Bürger war, wurde er ohne weitere Bestrafung entlassen.211 Die Streitereien zwischen Georg Ludwig von Freyberg und seinen katholischen Nachbarn setzten sich inzwischen fort, obwohl man zwischendurch Vergleichsverträge Schloß, die aber selten lange Bestand hatten. Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen recherchierten die katholischen Pfarrer in Griesingen 1603 im Auftrag des Klosters Salem, welche schwenckfeldischen Untertanen des von Freyberg in Griesingen lebten.212 Fast alle von den Priestern ermittelten Schwenckfelder waren Bedienstete des Freiherrn, unter ihnen immer noch viele Ulmer Flüchtlinge, die hier offensichtlich dauerhaft Zuflucht und Anstellung gefunden hatten und schon fast zwanzig Jahre in Griesingen lebten. Dazu gehörten Anna Steter, eine ursprünglich katholische, in Ulm tätige Magd,213 die mit dem inzwischen verstorbenen Griesinger Thomas Seyfferdt verheiratet gewesen war. Johann Martt d.Ä. war offenbar inzwischen verstorben, seine Frau lebte aber noch dort (zusammen mit einer Tochter), auch der junge Hans Martt kam noch ab und zu vorbei. Zwei der drei Schwestern Altenstaig wohnten ebenfalls in Ober208 209

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Ebenda, Von derröm. Majestät 1600 [=Regierungskopialbuch 87], 18.3.1600, fol. 44f. Die schon im April angeordnete Freilassung war am 31.7. vom Kaiser erneut eingeschärft worden, Karlsruhe, Generallandesarchiv, 79/P12, Bd. 24 (Schwabenbücher, Lib. 10), fol. 57, 117v. Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, oö. Regierung, Kopialbuch, A n die röm. kaiserliche Majestät [=Regierungskopialbuch 86], fol. 177r-178v. Da auch die Kosten für die Verpflegung der Ehefrau erwähnt sind, meint Weber, daß auch sie inhaftiert gewesen sei, F. M . Weber, Justingen, S. 82, A . 22. Eine Verhaftung von Agnes von Remchingen wurde aber sonst nirgends erwähnt, nicht einmal in dem Bericht von Georg Ludwig. Karlsruhe, Generallandesarchiv, 79/P12, Bd. 24 (Schwabenbücher, Lib. 10), fol. 181, 191r. Karlsruhe, Generallandesarchiv Abt. 98 (Salem), N o . 4470, fol. 138f. Den katholischen Behörden war offenbar nur bekannt, daß sie aus dem katholischen Achstetten stammte. Man meinte, sie sei erst von ihrem schwenckfeldischen Ehemann zum Schwenckfeldertum verfuhrt worden, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 3829, 40v. Schwenckfelderin wurde sie aber schon vorher in Ulm, als sie noch als Magd bei Agatha Streicher diente. Sie wurde 1582 aus Ulm ausgewiesen, siehe Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, fol. 563v.

59 griesingen und besaßen dort ein neues Haus. Regina, Schwester von Gottfried Arnoldt, einem engen Vertrauten des alten Martt, lebte ebenfalls in Obergriesingen, während Arnoldt eine Anstellung als Sekretär bei Georg Ludwig gefunden hatte. Daneben wurde ein Adam Reißner aus Augsburg erwähnt, der ebenfalls als Sekretär fungierte. 214 Um die Unterbringung der schwenckfeldischen Flüchtlinge kümmerte sich der in Opfingen lebende Sägmüller und Buchdrucker Hans Othmar, der deshalb von den Schwenckfeldern Spitalmeister genannt wurde.215 Unter den übrigen Genannten befanden sich keine aus anderen Orten bekannten Flüchtlinge, es ist daher möglich, daß sie aus Griesingen und Opfingen stammten. Unter ihnen wurden keine Bauern genannt, sondern sie waren Gärtner, Schneider, Sekretäre, Beschließerin oder sonstige Diener Georg Ludwigs. Die Untertanen - auch diejenigen, die nicht erkennbar schwenckfeldisch waren - vernachlässigten offenbar den katholischen Gottesdienst, indem sie an Sonnund Feiertagen arbeiteten.216 In einem 1608 verfaßten Bericht des Klosters Salem wurde die Sonntagsentheiligung noch detaillierter beschrieben: Georg Ludwig zwinge seine Untertanen sonn- und feiertags zu Frondiensten. Insbesondere die Schwenckfelder wie der Sekretär Arnoldt arbeiteten an diesen Tagen; die inzwischen schwenckfeldische zweite Gemahlin von Freybergs, Barbara von Eberstein, bearbeitete sogar demonstrativ sonntags gemeinsam mit einigen Bäuerinnen Flachs.217 Offiziell stellte Georg Ludwig den Untertanen die Wahl der Religion frei, er erschwerte die katholische Religionsausübung dennoch durch Maßnahmen wie die Sonntagsarbeit. 218 In seinen Diensten duldete der Baron offenbar nur Männer und Frauen schwenckfeldischen Glaubens. Selbst als ein auswärtiger Arzt konsultiert werden mußte, um den erkrankten katholischen Pfarrer in Griesingen, Seeler, behandeln zu lassen, beauftragte Georg Ludwig eine Glaubensgenossin, die Tochter von Johann Martt, die als Barbiers-Witwe heilkundlich in Günzburg mit der Behandlung tätig war.219 Georg Ludwig kümmerte sich auch um die Kinder der Witwe

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Vielleicht war er mit dem schwenckfeldischen Mindelheimer Stadtschreiber Adam Reißner verwandt, der ca. 1582 verstorben war und eine Zeit lang in Augsburg gelebt hatte. Möglicherweise war auch er ein Augsburger Flüchtling, verwandt mit der Augsburger Drucker-Familie Othmar. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4470, fol. 140. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4470, fol. 316f. Georg Ludwig war in erster Ehe mit der Katholikin Barbara von Pfirt verheiratet, die bei ihrem Glauben blieb. Nach ihrem Tod heiratete er die aus lutherischem Elternhaus stammende Barbara von Eberstein, deren Eltem wegen des schwenckfeldischen Glaubens von Georg Ludwig lange Bedenken gegen die Eheschließung hatten. Sie erwirkten eine rechtliche Absicherung im Ehevertrag, wonach Georg Ludwig seiner Gemahlin einen eigenen lutherischen Pfarrer anstellen mußte, sie nicht mit Büchern beeinflussen durfte und die Kinder im lutherischen Glauben zu erziehen verpflichtet war. Trotz all dieser Vorkehrungen konvertierte Barbara noch vor der Geburt des ersten Kindes zum Schwenckfeldertum, siehe Kap. 4. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4470, fol. 317f. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4470, fol. 133 (Randbemerkung).

60 Anna Steter, schickte sie in Opfingen auf die Schule und ließ beide ein Handwerk lernen.220 In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts war trotz der Vermittlungsbemühungen der immer wieder eingesetzten kaiserlichen Kommissionen an eine Beilegung der Auseinandersetzungen zwischen dem Freiherrn einerseits und Ehingen sowie den Klöstern Urspring und Salem nicht zu denken. Die Streitigkeiten kulminierten 1620/21 in der Gefangennahme Georg Ludwigs von Freyberg durch Erzherzog Leopold von Österreich und die Ehinger Amtleute. Das rief die evangelischen Nachbarn Württemberg und Brandenburg-Ansbach auf den Plan, die in den lange währenden Herrschaftskontroversen einen konfessionellen Konflikt sahen und dem Freiherrn, den sie trotz seines schwenckfeldischen Glaubens offenbar als Protestanten sahen, zur Seite stehen wollten. Georg Ludwig nahm in einer ausführlichen Verteidigungsschrift im September 1621 zu allen Punkten Stellung, von denen er meinte, daß sie zu seiner Festnahme geführt hätten. In der Frage der Religion, die in der Verteidigungsschrift nicht die zentrale Rolle spielte, betonte er erneut, daß er seinen Untertanen die freie Wahl der Religion zubillige. Er bestritt nachdrücklich, schwenckfeldische Bücher zu verbreiten und über die Ausstreuung derselben die katholischen österreichischen Untertanen zu missionieren.221 Tatsächlich war Georg Ludwig zeit seines Lebens sehr aktiv im Druck und in der Verbreitung schwenckfeldischer Bücher. Er beauftragte nicht nur seine eigene Druckerei mit den Arbeiten zur Buchherstellung, sondern vergab auch anderweitig Aufträge: Neben dem schon erwähnten Konstanzer Drucker Straub wurde 1615 der Ulmer Wilhelm Knoll (siehe oben) mit dem Buchbinden betraut, ebenso der Tübinger Buchdrucker Eberhard Wild.222 Bis an sein Lebensende nahm Georg Ludwig Glaubensflüchtlinge bei sich auf - so z.B. 1624 eine Gruppe von Kaufbeurer Schwenckfeldern, für die er schon zuvor jährlich Unterstützungszahlen geleistet hatte.223 Seine Kontakte und seine Gastfreundschaft beschränkten sich aber nicht auf die eigenen Glaubensgenossen, sondern erstreckten sich auch auf ein Geflecht von Personen, die sich zum Teil verfolgt, zum Teil geduldet abseits des großkonfessionellen Lebens bewegten. Darunter waren der an Alchemie interessierte Fürst August von Anhalt-Plötzgau, der hessische Weigelianer und Antitrinitarier Philipp Homagius, der Arndt-

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In Ulm, wo der Junge das Schneiderhandwerk erlernte, verlangte man, daß er sich taufen ließe, selbstverständlich in der Annahme, er werde einen lutherischen Pfarrer aufsuchen. Er wählte aber die Religion der Familie seiner Mutter und ließ sich zusammen mit seiner Schwester katholisch taufen. Die katholische Seite stellte den Ehinger Statthalter und ein Mitglied der Familie von Hohenschwangau zu Paten, die die Kinder auch gleich zu sich nahmen und für ihre weitere Ausbildung sorgten, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 3829, fol. 40f. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 56, fol. 224-287. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26/728b, Nr. 2a, Schriftstück Nr. 10, 10.6.1622 (Bericht der Universität Tübingen an den Herzog), fol. 3v. Ecke, Karl, Schwenckfeld, Luther und der Gedanke, S. 254.

61 Anhänger Paul Matth aus Linz und der Weigelianer und Schwenckfelder Georg Zimmermann. 224 Georg Ludwigs Bruder Hans Pleickhart lag ebenso wie dieser dauernd in herrschaftsrechtlichen Konflikten mit seinen katholischen Nachbarn. 225 Die Auseinandersetzungen mit dem lutherischen Württemberg betrafen weniger rechtliche Aspekte als vielmehr religiöse Fragen. 1594 berichtete man anläßlich einer Visitation im benachbarten württembergischen Mehrstetten, daß der Freiherr von Justingen Vertriebene verschiedener Glaubensrichtungen beherberge, besonders aktiv seien ein Schuhmacher 226 und ein studierter alter Vorsteher, gemeint war wohl Schid, der 1590-1595 Senior in Justingen war.227 Resigniert stellte der Synodus aber fest, daß man dagegen nichts tun könne, da Württemberg hier keine Einflußmöglichkeiten habe, obwohl die Sekten im Reich verboten seien. Ähnlich lagen die Verhältnisse im Fall des württembergischen Pfarrers Isaak Ströhn, der erfolgreich um Beurlaubung gebeten hatte, um als Pfarrer in Justingen zu wirken. Er berichtete Württemberg 1608 über seine Tätigkeit, die er resigniert wieder aufzugeben wünschte. Aus seinem Bericht geht hervor, daß Hans Pleickhart wie sein Bruder konfessionelle Predigten, die die anderen Glaubensrichtungen erwähnten, nicht zuließ.228 In seinem ersten Testament formulierte Hans Pleickhart eine längere schwenckfeldische theologische Einleitung und verfügte dann, daß seine Kinder in seiner Religion erzogen werden sollten und ihre Lehrer und Hofmeister nur nach Konsultation der vier schwenckfeldischen Ältesten bestimmt werden dürften.229 Nach seinem Tod 1612 bemühte sich seine Witwe, Rosamunde von Ottenburg, dagegen, die Söhne Ludwig und Froben in ihrem, dem katholischen Glauben, zu erziehen. Georg Ludwig von Freyberg nahm seinen Neffen Ludwig zu sich und sorgte für eine schwenckfeldische Erziehung.230 Das väterliche Vermögen verwaltete er für beide, allerdings sehr zu Ungunsten des katholischen Froben. 1617 erwog die Mutter sogar, militärisch gegen Georg Ludwig vorzugehen, weil er ihr

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Siehe Kap. 6. A. Schilling, Die Reichsherrschaft Justingen, S. 80-84. Gemeint war möglicherweise der 1582 aus Ulm ausgewiesene Schuhmacher Samuel Reitz. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 672. Schid kehrte nach seiner Justinger Zeit wieder nach Straßburg zurück. Er war einer der aktivsten SchwenckfelderFührer in der Reichsstadt Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 137f. J. N. Vanotti, Ein Beitrag. Ludwig heiratete 1630 Salome von Bubenhofen. Er wollte sich lutherisch einsegnen lassen. In Justingen gab es aber nur katholische Geistliche, daher wandte er sich mit dem Wunsch an Württemberg, von seinem ehemaligem Pfarrer im württembergischen Sontheim getraut zu werden. In Württemberg war man vorsichtig und wollte keinesfalls dem Schwenckfeldertum Ludwigs Vorschub leisten. Daher ließ man nur eine Trauung durch den regulären Pfarrer von Sontheim zu, Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 717, 6b, Nr. l-3a.

62 den Sohn entzogen und schwenckfeldisch aufgezogen hatte.231 1630 wurde durch eine kaiserliche Untersuchungskommission die Teilung des Justinger Herrschaftsteils bestimmt. Ludwig gestattete seinen Untertanen zunächst die freie Wahl der Religion, längerfristig wurde Justingen allerdings wieder katholisch.232 Auch der Öpfinger Herrschafitsteil kehrte nach Georg Ludwigs Tod (1631) wieder zum katholischen Glauben zurück.233 Nachrichten über Schwenckfelder gab es nicht mehr, allerdings auch nicht über Ausweisungen.

2.4

Zur Entwicklung der schwenckfeldischen Gemeinden in Süddeutschland

Die Entwicklungen des Schwenckfeldertums in Augsburg, Ulm und dem Herrschaftsgebiet der Familie von Freyberg lassen bei aller Verschiedenheit doch einige gemeinsame Züge erkennen.234 Caspar Schwenckfeld legte auf seinen ausgedehnten Reisen, die er von Straßburg aus 1533-1536 unternahm, den Grundstein für das spätere Netzwerk in Süddeutschland. Schwenckfeldische Gemeinschaften bildeten sich vor allem in den protestantischen Reichsstädten und in ritterschaftlichen Besitzungen, weniger in den süddeutschen Territorien, wo es zwar einzelne Schwenckfelder gab, sich aber mit Ausnahme von Württemberg kaum schwenckfeldische Zirkel bildeten. Die erste Generation von Schwenckfeldern entwickelte sich also weniger aus der Rezeption von Schwenckfelds Schriften als aus dem persönlichen Kontakt zu ihm. Er sprach vor allem Standesgenossen sowie die Eliten in den Städten an. In der Anfangszeit des Schwenckfeldertums fühlten sich auch protestantische Pfarrer seinem Glaubensweg, insbesondere seiner Betonung der Notwendigkeit einer christlichen Lebensführung verbunden. In Landau und Kaufbeuren besetzten Schwenckfelder die entscheidenden kirchlichen und weltlichen Positionen, so daß es zu einer schwenckfeldisch geprägten Reformation kam, die erst um die Jahrhundertmitte zunächst in ein reformiertes, dann in ein lutherisches Kirchenwesen überfuhrt wurde.235

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Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Nr. 1142, 5.7.1617 (Ehingen an Erzherzog Maximilian). F. M. Weber, Justingen, S. 109-111. Georg Ludwigs Sohn Michael war protestantisch und schlug sich im Dreißigjährigen Krieg auf die Seite der Schweden. Er starb 1649 kinderlos kurz nach der Rückerstattung seiner Herrschaft. Diese fiel an die katholisch erzogenen Söhne seines früh verstorbenen Bruders Wilhelm Ludwig. Die Rekatholisierung begann schon, als die Neffen Michaels noch minderjährig waren, unter der Vormundschaftsregierung des Bischofs von Augsburg. Ab 1660 ist wieder ein ständiger katholischer Priester in Opfingen nachweisbar, F. M. Weber, Justingen, S. 114-117. Die personengeschichtlichen Details sowie die einzelnen Quellennachweise finden sich in den Ortsgeschichten im Anhang. Siehe unten Kap. 5.

63 Die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder knüpften - zumeist auf schriftlichem Wege - überregionale Kontakte und gaben über die Verbreitung schwenckfeldischer Schriften, deren Druck sie ebenfalls zunächst offen, später im Untergrund organisierten, ihren Glauben weiter. Die theologischen Angebote fanden nun auch bei Angehörigen der städtischen Mittelschichten, bei Handwerksmeistern und Kaufleuten Zuspruch und gelangten über das religiöse Leben im Haus an Knechte und Mägde. Bündnispolitische Notwendigkeiten führten zu einer klareren Hinwendung der zunächst theologisch offeneren oberdeutschen Reichsstädte zum Luthertum, die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder ins Abseits stellte, sie als sichtbare religiöse Bewegung zurückdrängte. Schwenckfelder, die städtische oder kirchliche Ämter innehatten, bekannten sich nicht mehr offen zu ihrer Religiosität, auch die übrigen wurden vorsichtiger, allein Mägde wagten noch das Auftreten in der Öffentlichkeit und nahmen dafür nicht selten die Ausweisung in Kauf, während Haft- und Ausweisungsstrafen gegenüber den Spiritualisten ansonsten selten verhängt wurden. Gerade im Ulmer Raum entzogen sich Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder drohenden Sanktionen durch die Flucht ins nahegelegene Herrschaftsgebiet ihrer adeligen Glaubensgenossen, der Freiherrn von Freyberg, die ihnen auch wirtschaftlich gute Perspektiven boten. In den ritterschaftlichen Gebieten war der zunehmende Druck durch die katholische und lutherische Konfessionalisierung ebenfalls zu spüren. Gerade Ritter, die sich nicht eindeutig einer Seite zuschlagen lassen wollten, sondern auch in religiösen Fragen nach Unabhängigkeit trachteten, gerieten in Auseinandersetzungen mit ihren Nachbarn, die häufig über Kontroversen um kirchliche und weltliche Herrschaftsrechte ausgetragen wurden. Die Reichsritter bekannten sich dabei nur selten offen zum Schwenckfeldertum, sondern wichen konfessionellen Zuordnungen aus, indem sie sich allgemein auf das ius reformandi beriefen und sich auf die juristische Ebene der Konflikte konzentrierten, ohne ein Bekenntnis zur eigenen Religiosität abzugeben. In Württemberg, dem einzigen Territorium mit einer nennenswerten Anzahl von Schwenckfeldern, gerieten diese erst in der zweiten Generation stärker unter Verfolgungsdruck. Zunächst gab es eine einflußreiche Fraktion von zumindest mit Schwenckfeld sympathisierenden Beamten am württembergischen Hof um den Erbmarschall Hans Konrad Thumb von Neuburg. Nach seiner Absetzung wurden die Schwenckfelder eindeutiger als häretisch klassifiziert und in einem abgestuften, vom Stuttgarter Konsistorium entwickelten Verfahren sanktioniert, wobei Bekehrungsversuche im Vordergrund standen. Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder reagierten auf die überall in der süddeutschen Region zu verspürende konfessionalisierungsbedingte Häretisierung mit einer noch stärkeren Verinnerlichung ihrer ohnehin im Herzen des einzelnen Gläubigen konzentrierten Religiosität, die sich nach außen unter dem Deckmantel vermeintlicher Konformität gegenüber obrigkeitlichen Gehorsamsforderungen verbarg. Diese Technik des Verbergens und die im fortschreitenden 17. Jahrhun-

64 dert vielfältigen Kontakte zu verwandten Frömmigkeitsbewegungen, die nicht ganz außerhalb der offiziellen Kirchen standen, führten dazu, daß süddeutsche Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder nach dem Dreißigjährigen Krieg in obrigkeitlichen Quellen und in der erhaltenen Korrespondenz kaum mehr aufzuspüren sind.

Kapitel 3: „Schüler Christi" - Wege zum Schwenckfeldertum Frauen und Männer, die Schwenckfelds theologische Angebote annahmen, vollzogen weder einen radikalen Bruch mit ihrer Umwelt noch begaben sie sich in eine durch sichtbare Aufnahmeriten abgegrenzte neue Gemeinschaft. Anders war das bei anderen dissidentischen Gruppen wie z.B. den Täufern, bei denen sich die Konversion durch den Ritus der Erwachsenentaufe sichtbar und definitiv dokumentierte. Dennoch setzten die Schwenckfelder sich spätestens nach der Verurteilung der schwenckfeldischen Lehren in Schmalkalden der Gefahr der Ausgrenzung und Verfolgung aus.1 Im folgenden wird dargelegt, wie Stadtbürgerinnen und Landadelige dazu kamen, sich dem Schwenckfeldertum anzuschließen. Dabei werden nicht allein die theologischen Konzepte Caspar Schwenckfelds eine Rolle spielen. Im Vordergrund der Untersuchung sollen vielmehr die Rezeption und die Veränderung der schwenckfeldischen Lehre durch seine Anhänger stehen. Eine aktive Mitgestaltung oder zumindest Ausgestaltung der Theologie lag insofern nahe, als Schwenckfeld Christwerdung als einen lebenslangen Prozeß ansah, den er als Schule Christi beschrieb. Sein Schulkonzept Schloß ihn selbst als Schüler ein.2 Schwenckfelds Theologie ermöglichte - so meine These - durch ihre prinzipielle Offenheit (es gab keine Systematisierung, kein geschlossenes System mit Kanon oder Dogmen) gemeinsames Denken, insofern kann man von theologischen Konzepten der Anhänger und von Variationen schwenckfeldischer Theologie sprechen. Dagegen sah man bislang in der theologie- und geistesgeschichtlichen Forschung Schwenckfeld vor allem als spiritualistischen Einzelgänger. Für Gottfried Maron ist es sogar fraglich, ob Schwenckfeld eine Gruppenbildung überhaupt intendierte oder ob sie sich nicht eher gegen seinen Willen formierte. Er sieht bei Schwenckfeld ein radikales Zurückgeworfensein auf das Individuum, das in einem inneren Erfahrungsprozeß zur von ihm mystisch gedeuteten Einheit mit Gott findet. 3 Eine andere Sicht vertritt Robert Emmet McLaughlin, der die selektive Rezeption und die theologischen Modifikationen durch die Anhänger Schwenckfelds in Süddeutschland zwar nicht explizit in seine Überlegungen mit einbezieht, aber für den im Unterschied zu Maron Schwenckfelds Theologie auf eine Gemeinschaft hin konzipiert ist. Der Weg der Christwerdung im Innern des

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Siehe Kap. 5. Siehe unten Kap. 3.3. G. Maron, Individualismus, S. 141, 146f. Selbst in Konventikeln sieht er keine Dokumentation schwenckfeldischen Gruppenlebens: „In diesen Kreisen herrscht gleichsam ein erweiterter Individualismus."

66 Gläubigen wurde nach seiner Auffassung von Schwenckfeld als kommunizierbar gedacht.4 Diese unterschiedlichen Einschätzungen fuhren zu den Kernpunkten der theologischen Konzeption des Spiritualisten Schwenckfeld. Im Zentrum des Glaubens stand die Erkenntnis Christi. Ausgehend von der inneren Erfahrung der vorausgehenden Gnade Gottes führte der Weg des Glaubens in der Schule Christi, in der intellektuelles wie emotionales Lernen gleichermaßen Unterrichtsmethoden waren, zur Erkenntnis des vergotteten Fleisches Christi. Der als Prozeß entworfene Weg wurde bestimmt durch ständige Selbstprüfung und durch das (Mit-)Teilen des jeweiligen Wissenstandes mit anderen Glaubensgenossen. Kommunikation konstruierte und strukturierte den religiösen Vorgang, verknüpfte Innen und Außen. Religionsphänomenologische und religionsphilosophische Ansätze beziehen Kommunikation zwar in ihre Überlegungen mit ein. Sie beschreiben religiöse Erfahrung aber zumeist als etwas vorgängig Gegebenes, das nachgehend nur mitgeteilt wird.5 Auch in Luckmanns allgemein als kommunikative Wende' angesehenem Nachwort zu ,Die unsichtbare Religion' wird religiöse Erfahrung als nicht sozial konstituiert („vorgesellschaftlich") betrachtet, nur die Erinnerung an sie ist kommunizierbar, nicht aber die Erfahrung selbst.6 Arbeiten mit systemtheoretischem Hintergrund trennen ebenfalls eine im individuellen Bewußtsein verankerte religiöse Wahrnehmung des „Unsagbaren" ab von der genuin sozialen, durch Kommunikation hergestellten eigentlichen religiösen Erfahrung.7 Im Unterschied zu diesen Auffassungen soll religiöse Erfahrung hier mit dem Religionsphilosophen Matthias Jung nicht als etwas Vorgefundenes aufgefaßt werden. Jung benutzt als zentralen Begriff seiner hermeneutisch-pragmatischen Interpretation religiöser Erfahrung den Terminus „Artikulation".8 Artikulation gilt ihm als interpretierendes Bindeglied zwischen der religiösen Erfahrung und den kulturell codierten symbolischen Formen der Religion, wobei Erfahrung kein Primärerlebnis sei, sondern eine reziproke Beziehung zwischen der Erfahrung und den Bedeutungshorizonten sozialer Wirklichkeit bestehe.9 4

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9

Gerade darin liegt für R. Emmet McLaughlin der entscheidende Unterschied zu dem spiritualistischen Zeitgenossen Sebastian Franck, R. E. McLaughlin, Sebastian Franck and Caspar Schwenckfeld, S. 74-77. Für Maron sind dagegen beide Laientheologen radikale Individualisten. Den einzigen Unterschied sieht Maron darin, daß Schwenckfeld seine Schriften an bestimmte Adressaten richtete, Maron, Individualismus und Gemeinschaft, S. 169. Diese Differenz betont auch R. E. McLaughlin, Sebastian Franck and Caspar Schwenckfeld, S. 74. Vgl. zusammenfassend V. Krech, Religiöse Erfahrung, S. 475f. T. Luckmann, Die unsichtbare Religion, S. 171. V. Krech, Religiöse Erfahrung, S. 477f. Matthias Jung faßt dabei den Begriff „Artikulation" so weit, daß er auch „prädiskursives Bildbwußtsein" einschließt, M. Jung, Erfahrung, S. 273f. M. Jung, Erfahrung, S. 349: „Durch Artikulation werden subjektives Erleben und soziale Symbolismen aufeinander bezogen und miteinander vermittelt. Die so bestimmte Form des Selbst- und Weltverhältnisses kann nicht nach dem Schema eines deskriptiven Wissens von

67

Im folgenden wird der Zusammenhang von sozialen Interessen, theologischen Deutungen und ihrer kommunikativen Vermittlung im süddeutschen Schwenckfeldertum untersucht. Dabei werden zunächst die sozialen Erfahrungen dargestellt, die Menschen zum Schwenckfeldertum führten und die sie in die schwenckfeldische Theologie einbrachten (3.1). Anschließend wird die aus den lebensweltlichen Voraussetzungen resultierende Unzufriedenheit mit den offiziellen Kirchen dem alternativen Angebot des Schwenckfeldertums gegenübergestellt (3.2). Darauf aufbauend wird die Verbindung zwischen der religiösen Erfahrung und der schwenckfeldischen Auffassung von der Heilsnotwendigkeit des Wissens und Lernens dargelegt (3.3). Am Ende des Kapitels wird die Rolle des Briefes als wichtigstes Kommunikationsmedium der süddeutschen Schwenckfelder und seine Bedeutung für die spiritualistische Gruppenbildung analysiert (3.4).

3.1

Soziale Erfahrungen: Schwenckfeldische Lebensverläufe

McLaughlin betont in seinen Arbeiten über Caspar Schwenckfeld die Bedeutung sozialer Erfahrungen als prägende Grundlage für die Entwicklung theologischer Konzepte, die eben nicht aus dem Nichts entstünden, sondern auf der Basis lebensweltlicher Erfahrung in einem umfassenden Sinne.10 In seiner Biographie Caspar Schwenckfelds gibt McLaughlin einige Hinweise auf den Zusammenhang zwischen sozialer Erfahrung und theologischer Konzeption. Die zentrale, seinen starken Dualismus und den Gedanken der Absonderung von Kirche und Welt begründende Erfahrung war die des Exils. Aus der ländlichen Gesellschaft seines heimatlichen Gutes in Schlesien war der Landadelige in die Lebenswelt süddeutscher Reichsstädte getrieben worden, in denen er nie heimisch wurde." Die Erfahrung der Fremdheit, des Ausgegrenztseins, die sein Bewußtsein der Erwählung stärkte und seine Theologie prägte, teilte er aber gerade nicht mit der Mehrheit seiner süddeutschen Anhänger. Diese lebten zumeist gut integriert als Juristen, Ärzte oder Handwerksmeister in den kleinen und großen Reichsstädten oder als Reichsritter in der unmittelbaren Umgebung der Städte. Trotz ihrer anders gestalteten lebensweltlichen Erfahrungen schlossen sie sich den Lehren des schlesischen Adeligen an. Die Verschiedenheit der sozialen Standorte und Lebensverläu-

psychischen Fakten expliziert werden, sie hat vielmehr stets den Charakter einer durch interpretative Wahlen ermöglichten Bildung von symbolischer Prägnanz, die Möglichkeitsspielräume vereindeutigend in Wirklichkeit überfuhrt." 10 R. E. McLaughlin, Sebastian Franck and Caspar Schwenckfeld, S. 79f., 84-86. " R. E. McLaughlin, Reluctant Radical, S. 123f.: „He had given up his homeland, his own house and castle, his social position and status in order to become a pilgrim. He was a foreigner on earth; his true homeland was heaven." Schwenckfeld verweigerte auch zu Zeiten der Tolerierung seiner Lehren die Integration in die neue süddeutsche Umgebung: Er erwarb keinen Grundbesitz in den Städten und versuchte nie, Bürger- oder Beisitzer-Rechte zu erlangen.

68 fe führten zu einer differenzierten, selektiven Rezeption der religiösen Konzepte Schwenckfelds. Aufbauend auf Max Weber konstatiert Bourdieu, daß die Aufrechterhaltung der Einheit religiöser Repräsentationssysteme nur dadurch gelingt, daß die Unterschiedlichkeit, ja sogar Gegensätzlichkeit der Interpretationen verschleiert wird. Die Umdeutungen der religiösen Botschaft in dem Sinne, daß die soziale Position der Laien-Rezipienten und ihr religiöser Wahrnehmungsfilter exakt miteinander korrespondieren, nehmen dann die religiösen Spezialisten, die Theologen und Pfarrer, vor.12 Im Schwenckfeldertum gab es dafür keine zwischengeschalteten Vermittler, die die unterschiedlichen sozialen Erfahrungen harmonisierten. Hier waren die Rezipienten gleichzeitig selbst die religiösen Experten, die sich die schwenckfeldische Theologie aktiv aneigneten, indem sie sie ihren Lebensverhältnissen einpaßten. Daraus entstanden unterschiedliche theologische Schwerpunktsetzungen, die untereinander diskutiert und kritisiert wurden. Zum Nachdenken über eindeutige theologische Festlegungen im Sinne einer Kanonbildung wurden die süddeutschen Schwenckfelder erst durch den Druck von außen im Rahmen der Konfessionalisierung gezwungen.13 Im folgenden werden einleitend die unterschiedlichen sozialen Erfahrungen der Schwenckfelder dargestellt, um sie später in Beziehung zur religiösen Botschaft Schwenckfelds setzen zu können.

3.1.1 Ständische und berufliche Erfahrungen Besonders in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gehörten zu Schwenckfelds süddeutschen Anhängern seine Standesgenossen, ritterschaftliche Adelige sowie ihr städtisches Pendant, die ratsfähigen Familien der Oberschicht.14 Für die reichsunmittelbaren Adeligen mit ihren kleinen Herrschaftsgebieten und vielfältigen Abhängigkeiten von größeren katholischen wie evangelischen Nachbarn war die Behauptung ihres Rechtsstatus, wonach sie nur dem Kaiser Untertan waren, genauso schwierig wie die Etablierung einer eigenen Religiosität. Das Schwenckfeldertum bot ihnen die Möglichkeit, protestantisch zu sein, ohne das katholische Kirchenwesen nach außen augenfällig umgestalten zu müssen. Der schwenckfeldische Mittelweg eröffnete hier Handlungsspielräume. Die schwenckfeldischen Adeligen betonten gegenüber ihren Nachbarn besonders die ihrem Glauben entsprechende Gewissensfreiheit, die sie ihren Untertanen und Familienmitgliedern ließen, um so externe Kritik zum Schweigen zu bringen.15 12 13 14

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P. Bourdieu, Das religiöse Feld, S. 73-76. Siehe unten. Zu den Abgrenzungsschwierigkeiten der städtischen sozialen Schichten und den Verbindungen der städtischen Eliten mit dem Landadel siehe u.a. B. Hamm, Humanistische Ethik, S. 73-85; vgl. Kap. 4. Philipp Ruprecht von Remchingen und Georg Ludwig sowie Hans Pleickhardt von Freyberg wehrten sich besonders deutlich gegen den Vorwurf von Württemberg und Österreich, ein

69 Die Angehörigen der etablierten Führungsschicht der Reichsstädte wehrten sich ebenfalls aus politischen Gründen gegen eine konfessionelle Engführung des Protestantismus und waren oftmals zunächst vorsichtig mit der sichtbaren Umgestaltung des Kirchenwesens. Auch für sie war der schwenckfeldische Mittelweg attraktiv, bei welchem katholische Riten bestehen bleiben konnten, weil sie nicht zum Kern des Glaubens gehörten. Die schwenckfeldische Betonung der Ethik und die Zurückweisung der Ansprüche der protestantischen Pfarrerschaft, die die Leitung der Kirche für sich beanspruchte, obwohl die Städteregierungen seit dem Spätmittelalter das Kirchenwesen behutsam unter ihre Kontrolle zu bringen versuchten, entsprach den Interessen patrizischer Familien. Nach der Ausgrenzung des Schwenckfeldertums als häretisch um die Mitte des Jahrhunderts zog sich diese soziale Gruppe allerdings schnell zurück und wandte sich dem lutherischen Lager zu.16 Anders verhielten sich die Schwenckfelder, die der neuen städtischen und territorialen Elite entstammten. Sie blieben, wenn auch vorsichtig - ohne offenes Bekenntnis - bis ins 17. Jahrhundert hinein dem Spiritualismus verbunden. Mitglieder der aufstrebenden Verwaltungselite - Ärzte, Armenpfleger, Schulmeister, Stadtschreiber und Juristen - stellten zusammen mit Handwerksmeistern und kleineren Kaufleuten die größte soziale Gruppe, die dem süddeutschen Schwenckfeldertum zuzurechnen ist. Erstere waren akademisch gebildet und dienten als städtische und landesherrliche Beamte. Ihr sozialer Stand war noch nicht starr festgelegt, der soziale Ort, in den sie hineingeboren waren, entsprach nicht ihrem beruflichen Status.17 Sie suchten den Zugang zu den politischen Funktionen und dem sozialen Stand der traditionell adeligen und patrizischen Eliten in der Stadt und bei Hof. 18 Der schwenckfeldische Gedanke der Auserwähltheit als Liebhaber Christi kombiniert mit einer nach innen gewandten, äußerlich nicht oder kaum sichtbaren Religiosität war attraktiv besonders fur diese Angehörigen der neuen Funktionseliten. Von den sozialen Unsicherheiten entlastete das

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häretisches Kirchenwesen zu planen, mit der Behauptung, völlige Glaubensfreiheit zu gewähren, siehe Kap. 5.5. Siehe Kap. 5.1 und 5.2. Zur sozialen Mobilität in der ständischen Gesellschaft, die sich gegen die geltenden statischen Normen vom durch Geburt festgelegten sozialen Status durchzusetzen hatte, siehe W. Schulze, Die ständische Gesellschaft. Die Datierung der Öffnung der traditionellen Schicht der Herren für andere soziale Gruppen wird in der Forschung für die süddeutschen Reichsstädte verschieden vorgenommen. Frieß meint, schon vor der Reformation, am Ende des Spätmittelalters, sei der Prozeß des Zulassung neuer Familien zum Kreis der städtischen Eliten und ihrer Gremien abgeschlossen gewesen, P. Frieß, Lutherische Konfessionalisierung, S. 94, A. 93. Dagegen schreibt Pfundner für Kaufbeuren die soziale Umstrukturierung, die den Wegzug eines Teils des Patriziats und die Öffnung der Herrenzunft für Angehörige der neuen Verwaltungselite zur Folge hatte, erst dem schwenckfeldischen Bürgermeister Lauber ab 1543 zu, T. Pfundner, Reformation, S. 276f. Der Prozeß der Öffnung war offenbar von unterschiedlicher Dauer an den einzelnen Orten. Es dauerte relativ lange, bis die nachdrängenden neuen Eliten auch sozial, durch familiäre Verbindungen in die führende Schicht aufgenommen waren, siehe auch Kap. 4.

70 schwenckfeldische Erwähltheitsbewußtsein, das nach innen wirkte, mit dem äußeren Leben also nicht in allen Facetten in Einklang gebracht werden mußte. Man konnte im Beruf verbleiben, mußte seine Ambitionen nicht zugunsten religiöser Ziele zurücknehmen und konnte auch nach der Jahrhundertmitte, als das Schwenckfeldertum nicht mehr zum legalen Protestantismus gehörte, seinen Glauben in den wesentlichen Punkten weiter leben. Eine Gruppe, die ebenfalls ihre soziale Position innerhalb der ständischen Gesellschaft neu finden mußte, waren die protestantischen Pfarrer. Sie schlossen sich dem Schwenckfeldertum aus unterschiedlichen Lebenssituationen heraus an. Vor der Jahrhundertmitte zeigten sich die Theologen besonders aufgeschlossen gegenüber den religiösen Angeboten des schlesischen Laien Schwenckfeld. Zu dieser Zeit war das Schwenckfeldertum noch nicht aus dem Protestantismus ausgegrenzt. Katholische Priester, die sich mit protestantischer Theologie und Frömmigkeit beschäftigten, nutzten die von der Reformation geschaffenen Freiräume, eigene theologische Wege zu gehen. Der Priester Johann Martt stellt dabei insofern einen Sonderfall dar, als er erst um die Jahrhundertmitte zum Schwenckfeldertum wechselte, offenbar ohne sich zuvor anderen offiziell zugelassenen protestantischen Richtungen angeschlossen zu haben. Anders als die meisten der anderen Pfarrer, die sich innerhalb des Protestantismus verorteten, stellte er sich außerhalb jeder institutionalisierten Gemeinschaft und betrachtete Katholiken wie Lutheraner, Zwinglianer und selbst Täufer gleichermaßen als Bestandteile des antichristlichen Reichs.19 Mit Schwenckfeld teilte er die Exilerfahrung, in der Fremde keinen neuen stabilen Lebensort zu finden. Beide zogen daraus aber unterschiedliche theologische Konsequenzen: Während Schwenckfeld aus seinen Erfahrungen ableitete, daß man keine sichtbare Gemeinschaft von Gläubigen benötige, kam Martt zu der Auffassung, daß man besonders häufig zusammenkommen und sich der Gegenwart der Glaubensgenossen auch äußerlich versichern müsse, allerdings in strikt abgesonderten kleinen Konventikeln. Für die erste Generation protestantischer Stadtpfarrer war es zunächst nicht nötig, sich von der institutionalisierten Kirche zu trennen, um Schwenckfelder sein zu können. Viele dieser süddeutschen Pfarrer griffen sich verschiedene theologische Konzepte aus Zwingiis Abendmahlstheologie und dem Schwenckfeldertum heraus und kombinierten sie miteinander.20 Sie brachten ihre Erfahrungen als studierte Theologen in die Bewegung mit ein und hatten die Neigung, die schwenckfeldischen Gemeinden theologisch zu dominieren, was gelegentlich zu Konflikten führte.21 Die nächsten Generationen evangelischer Pfarrer mit 19 20

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 100v. Siehe R. E. McLaughlin, South German Eucharistie Controversy. Die Augsburger Pfarrer Bonifatius Wolfhart oder Johann Heinrich Held von Tieffenau, die beide Sympathien für Schwenckfelds Theologie hegten, sahen sich dennoch als ebenso zur evangelischen Kirche der Reichsstadt gehörig wie ihre Pfarrkollegen, wobei nur Wolfhart auch engen Kontakt zur schwenckfeldischen Gemeinde in Augsburg hatte, siehe K. Wolfart, Beiträge, S. 97-114. Siehe unten.

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schwenckfeldischen Sympathien waren schon im Protestantismus aufgewachsen und suchten enttäuscht von den Entwicklungen innerhalb ihrer Kirche nach alternativen religiösen Lebenskonzepten. Mit der Aufrichtung neuerlicher theologischer Denkverbote im Rahmen der konfessionellen Engführung des Protestantismus in weiten Teilen Süddeutschlands auf das Luthertum wollten sie sich nicht abfinden. 22 Auch mit der Entwicklung des christlichen Lebens waren sie unzufrieden und drangen auf einen christlicheren Lebensstil der Gemeinde wie auch der Pfarrkollegen und der Obrigkeit. Im 17. Jahrhundert konzentrierte sich die Kritik schwenckfeldischer Pfarrer immer stärker auf ethische Fragen, auf die Dokumentation des Glaubens in einem gottgefälligen Leben.23 Der Lebensvollzug des Glaubens und die Anknüpfung an mittelalterliche Frömmigkeitsformen im Schwenckfeldertum waren auch für die Handwerksmeister und die kleineren Kaufleute von Bedeutung. Je niedriger sie auf der Leiter der sozialen Hierarchie standen, umso eher waren sie bereit, ihren Glauben nach außen zu vertreten. Sie verbargen nicht immer ihre Gesinnung, sondern flohen oder erduldeten zum Teil sogar Gefängnis und Ausweisung. Die meisten von ihnen waren aber nicht arm, sondern verfügten über die Zeit und die Bildung, die sie für die eingehenden theologischen Studien benötigten, die im Schwenckfeldertum erwartet wurden. Aufgrund ihrer beruflich-wirtschaftlichen Beziehungen hatten sie sowohl Kontakt zu den Großkaufleuten, die der Oberschicht angehörten, als auch zu Handwerksmeistern und Gesellen. Sie brachten aus ihrer korporativ organisierten Lebenswelt die Betonung der Ethik, des vor allem aus dem Glauben resultierenden christlichen Lebens mit ein. In Verhören erläuterten sie, daß sie sich von der schwenckfeldischen Hervorhebung der Früchte des Glaubens angesprochen fühlten. 24 Schließlich fanden sich unter den Mägden und Knechten in den Reichsstädten, den städtischen Gemeinden in den Territorien und den reichsritterlichen Besitzungen ebenfalls Gefolgsleute Schwenckfelds. Sie engagierten sich am stärksten öffentlich für ihren Glauben, als dieser ausgegrenzt und verfolgt wurde. Damit nötigten sie andere Gemeindemitglieder zu einem mehr nach außen orientierten Bekenntnis, denn die sozial Höhergestellten fühlten sich auf der Grundlage 22

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Conrad führt unter Verweis auf Zimmermanns Untersuchungen zur Reformation in Konstanz aus, daß viele der süddeutschen evangelischen Pfarrer zunächst nicht bereit waren, sich innerprotestantisch theologisch festzulegen, was zumindest in Konstanz auf die vorreformatorische humanistisch-irenische Prägung des Klerus zurückzufuhren sei, A. Conrad, „Bald papistisch, bald lutherisch, bald schwenckfeldisch.", S. 14. Der von Schwenckfeld angestrebte .Mittelweg' harmonierte sehr gut mit dieser Einstellung. Gerade gegenüber dem Lebenswandel der Pfarrer und der laschen Kirchenzucht in Württemberg äußerte sich der unter Schwenckfelder-Verdacht in den 1620er Jahren mehrfach verhörte Ditzinger Pfarrer Theodor Kantz kritisch, Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 2b, Schriftstück Nr. 1, 15.3.1625. Noch am Ende des 16. Jahrhunderts erklärte der Augsburger Schwenckfelder Martin Küenle, daß Schwenckfelds Theologie ihm am besten gefalle, weil sie auf ein christliches Leben dringe, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt, Urgichten 1598 d, 4.12.1598 (1. Verhör), fol. 3.

72 schwenckfeldischer Vorstellungen von ,Caritas' gedrängt, in Form von Petitionen und Aufnahmeangeboten für das von Sanktionen bedrohte Gesinde einzutreten.25 Süddeutsche Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder entstammten also mehreren sozialen Schichten der Gesellschaft des 16. Jahrhunderts, der größten Bevölkerungsgruppe, den bäuerlichen Landbewohnern gehörte jedoch kaum einer von ihnen an.26 Anders als Schwenckfeld selbst und anders als die Mehrheit der schlesischen Schwenckfelder waren die süddeutschen Schwenckfelder in ihrer Mehrzahl Städter. Reichsstädte mit Zunftverfassung und oberdeutsch-reformierter Ausrichtung spielten hier vor allem eine Rolle.27 Die Bürgerinnen und Bürger brachten aus dieser in institutionalisierten Gruppen und Netzwerken organisierten engen städtischen Lebenswelt den Wunsch nach gemeinsamer Erbauung in der Ortsgemeinde in die schwenckfeldische Bewegung ein und rezipierten besonders die Aspekte schwenckfeldischer Theologie, die sich mit den Früchten des Glaubens, den ethischen Aspekten, beschäftigten. Ansonsten hatten die unterschiedlichen sozialen Schichten verschiedene Interessen an der schwenckfeldischen Theologie, ihre sozialen Erfahrungen ließen unterschiedliche Teile attraktiv erscheinen. Dennoch sah man sich als Gemeinschaft auf der Grundlage des gemeinsamen Glaubenswegs als Schüler Christi.

3.1.2 Familie und Haushalt Neben der sozialen Herkunft prägte das Aufwachsen und Leben in der häuslichen Umgebung die religiöse Vorstellungswelt der süddeutschen Schwenckfelder. In der ersten Generation von Schwenckfelderinnen und Schwenckfeldern gab es keine Vorbilder für das Leben dieser Form von Religiosität, während in den folgenden Generationen gerade schwenckfeldische Frauen - selbst wenn sie nichtschwenckfeldische Ehepartner hatten - darauf achteten, ihre Kinder in ihrem Glauben zu unterweisen.28 Ort schwenckfeldischer Frömmigkeit und Gemeinschaft war bereits vor der ausgrenzenden Häretisierung um die Mitte des 16. Jahrhunderts das Haus. Hier traf man sich mit der Familie und den Glaubensgenossen aus der Ortsgemeinde sowie den Besuchern aus anderen Städten zu theologischen Gesprächen, zu Lektüre und Gebet. Versammlungen außerhalb des Hauses etwa im Freien (wie bei den Täufern) oder in der Pfarrkirche in den Orten

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So engagierte sich die Familie Streicher sehr für ihre von Ausweisung bedrohten Mägde und versuchte, diese bei sich zu behalten, siehe Kap. 4. Lediglich im Umfeld schwenckfeldischer Reichsritter gab es einige schwenckfeldische Bauern, siehe Kap. 5.5. Eine Ausnahme stellt Nürnberg dar. Die von Anfang an lutherisch und eher vom Patriziat geprägte Reichsstadt hatte im 16. wie im 17. Jahrhundert eine schwenckfeldische Gemeinde. Die lange Geschichte des Schwenckfeldertums in der Stadt hängt eng mit der Toleranzpolitik des Rates zusammen, die religiösen Minderheiten einen vergleichsweise großen Spielraum ließ, siehe Kap. 6 und Anhang. Siehe Kap. 4.3.2.

73

mit schwenckfeldisch geprägter Reformation gab es nicht.29 Das Haus wurde also zum einzigen Raum der Religionsausübung. Im Gegensatz zum sonstigen Geschehen sollte das Haus in dieser Funktion der öffentlichen Kontrolle nicht zugänglich sein.30 Innerhalb des Hauses wurde der Glaube nicht nur an die Kinder weitergegeben, sondern auch an das Gesinde. Es fällt auf, daß schwenckfeldische Knechte und Mägde selten bei Andersgläubigen dienten - was bei Täufern häufig vorkam. Das schwenckfeldische Gesinde fand sich vor allem bei Glaubensgenossen im Dienst, so daß die Vermutung naheliegt, daß sie sich während ihres Dienstes im Haus ihrer Herren dem Schwenckfeldertum anschlossen. Die schwenckfeldischen Mägde heirateten zumeist nicht, ihnen diente die Anstellung also nicht als vorübergehende Vorbereitungszeit auf die Ehe.31 Dabei fanden sie für diese Lebensform nicht selten ein Vorbild in ihren ebenfalls unverheirateten schwenckfeldischen Herrinnen. Im Schwenckfeldertum wurden unverheiratete Frauen und Männer nicht diskriminiert oder mißtrauisch beäugt, wie es für das Luthertum charakteristisch war. Die Präferenz für ein lediges Leben, das Schwenckfeld für sich selbst wie für seine Anhänger propagierte, ermöglichte gerade ehemals katholischen ledigen Frauen den Übergang zum Protestantismus, ohne daß sie ihr Leben grundlegend ändern mußten. Besonders Frauen, die schon vor der Reformation keinen strengen Ordensregeln unterworfen waren, sondern versucht hatten, ohne strikte Absonderung von der Welt ihren Glauben außerhalb der Ehe zu leben, Beginen und Franziskaner-Tertiarinnen, fanden den Weg zum Schwenckfeldertum. 32 Trotz der

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Die schwenckfeldischen Pfarrer in Landau, Kaufbeuren, Stetten oder Justingen/Öpfingen verstanden ihre regulären Gottesdienste nicht als Versammlungen von schwenckfeldischen Glaubensgenossen, sondern als Dienst für alle protestantischen Christen. In den eigentlichen Gebetstreffen waren sie selbst lediglich Teilnehmer wie die Laien auch. So nahm der schwenckfeldische Pfarrer Daniel Friedrich an den schwenckfeldischen Konventikeln von Martt teil und predigte gleichzeitig in der Pfarrkirche, wo er auch die Sakramente spendete, siehe Kap. 5.5. Zur eigenständigen Aneignung und Umwidmung von Räumen, die somit Bestandteile einer Gegenkultur werden siehe M. Low, Raumsoziologie, S. 227. Die Nutzung des Hauses als Ort religiöser Versammlungen vor allem für die christliche Familie entsprach der allgemeinen Glaubenspraxis des Protestantismus. Von Luthers Konzeption unterschied sich die schwenckfeldische aber dadurch, daß die christliche Gemeinschaft an keinem anderen äußerlich sichtbaren Ort stattfand, also gerade nicht in der Pfarrkirche, und daß das Haus in seiner religiösen Funktion ,privat' war, den Blicken von Obrigkeit und Nachbarn entzogen, siehe Kap. 5. Zu Stellung und Funktion der städtischen Magd siehe R. Dürr, Mägde. Schwenckfelderin war die ehemalige Begine Margaretha Burgecker im württembergischen Cannstatt, auch die Tertiarinnen in Klosterbeuren bei Ulm, und die verbliebenen Mitglieder der reformierten Sammlung in Ulm interessierten sich für die Lehren Schwenckfelds, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 88-90; C.S. 10, S. 840-848; C.S. 11, S. 701-713, 746-748, 750f.; Ulm, Stadtarchiv, A [6877], fol. 413, 415f.; A [6849], fol. 250.

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schwenckfeldischen Wertschätzung für ledige Lebensformen, in denen man sich ohne familiäre Rücksichten den religiösen Aufgaben zuwenden konnte, waren die meisten süddeutschen Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder verheiratet und blieben in ihren Familienverband eingebunden. Sie hatten also in diesem Bereich der persönlichen Beziehungen ganz andere Erfahrungen gemacht als Schwenckfeld selbst. Sie waren und blieben stärker als dieser in den sozialen Strukturen, in die sie als Bürgerinnen und Bürger der Städte oder Mitglieder niederadeliger Familien hineingeboren waren, verhaftet. Zu einer räumlichen wie innerlichen Trennung von diesen Beziehungen zugunsten eines offenen Bekenntnisses zu ihrem Glauben und zu einem Wanderleben im Exil, wie Schwenckfeld es lebte, waren nur die wenigsten bereit.

3.1.3 Erfahrungen von Frauen und Männern Die süddeutschen Schwenckfelder brachten neben den durch die ständische Situierung und das familiale Netzwerk geprägten Lebenserfahrungen auch ihre geschlechtsspezifischen Wahrnehmungen in die Gemeinschaft ein. Das Schwenckfeldertum war an sozialen Veränderungen in keiner Weise interessiert - auch nicht an einer Veränderung der gesellschaftlichen Machtbeziehungen zwischen den Geschlechtern. In Schwenckfelds zahlreichen erhaltenen Briefen, die vornehmlich an weibliche Anhänger gerichtet waren, wird die soziale oder rechtliche Stellung von Frauen kaum thematisiert. Soweit man aus den Antworten Schwenckfelds die Themen der nicht erhaltenen Briefe der Schwenckfelderinnen zu rekonstruieren vermag, wurde auch von den Frauen selbst ihre weibliche Lebenssituation nicht angesprochen. Dabei waren die Erfahrungen, die Frauen und Männer als Christinnen und Christen im Verlauf der Reformation machten, zunächst unterschiedlich. Während Frauen der Kirchenraum für ein aktives Handeln auch nach der Reformation verschlossen blieb, hatten einige Männer zumindest prinzipiell die Möglichkeit, als Pfarrer handelnd religiöses Leben zu gestalten. Das Schwenckfeldertum bot demgegenüber grundsätzlich Anderes. Weder wurden separate Handlungsräume fur Frauen eröffnet, noch entwickelte sich eine geschlechtsspezifische Frömmigkeit, sondern Frauen und Männer hatten prinzipiell die gleichen Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Möglichkeiten. Als sich die innerhalb der offiziellen evangelischen Kirche Straßburgs wie der schwenckfeldischen Gemeinschaft der Stadt gleichermaßen engagierte Katharina Zell zur Verteidigung ihrer religiösen Lebenserfahrungen und theologischen Überzeugungen an die Öffentlichkeit wandte, verfocht sie zwar keine weibliche Theologie; sie fühlte sich aber genötigt, vor dem Hintergrund der geschlechtsspezifischen religiösen Norm, wonach Frauen sich in öffentlichen Räumen nicht religiös äußern durften, diese Regelverletzung, ihr Reden und Schreiben als Frau,

75 zu rechtfertigen." Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder untereinander hatten das nicht nötig. Im Schwenckfeldertum war es für jeden - Mann oder Frau, Pfarrer oder Laie - zwingend geboten, eigenständig den Glaubensweg zu gehen und alle religiösen Angebote zu prüfen. 34 Als Schüler Christi nahmen sie das Handeln Christi aktiv auf als einzelne Christen und gaben die Erfahrung von Gottes Handeln in erster Linie an die Glaubensfreunde weiter. Innerreligiös hatten Frauen und Männer also die gleichen Handlungsmöglichkeiten. Außer den Werken von Katharina Zell gibt es kaum Schriften von Schwenckfelderinnen, die die Grenzen der eigenen Gemeinschaft überschritten und sich an eine breite Öffentlichkeit wandten. Eine der wenigen Ausnahmen ist eine einige Jahrzehnte später entstandene Rechtfertigungsschrift, die zeigt, wie sehr Schwenckfelderinnen ihre Rolle als theologisch aktive Christen nun als selbstverständlich annahmen. Barbara von Eberstein, die Gattin des schwenckfeldischen Reichsritters Georg Ludwig von Freyberg, verfaßte 1592 ein Glaubensbekenntnis, das sich an 17 theologischen Fragen orientierte, die ihr eine lutherische Person gestellt hatte. Glaubens- und selbstsicher nimmt sie zu den einzelnen Punkten Stellung, ihre Rolle als theologisch schreibende Frau reflektiert sie dabei in keiner Weise. Ihr Tun als theologische Autorin erwähnte sie lediglich am Ende, als sie sich dafür entschuldigte, ihrer Schrift keinen herkömmlichen wissenschaftlichen Aufbau gegeben zu haben, weil sie sich an die Fragen als strukturierendes Moment ihres Textes gehalten habe.35 Frauen konnten und sollten im Schwenckfeldertum weder passive Rollen übernehmen wie in den offiziellen Kirchen, noch waren sie auf das auch in der Forschung weiblichen religiösen Erfahrungen zugeordnete Feld des MystischVisionären beschränkt. 36 Zwar war der im Einzelnen stattfindende innere Vorgang im Herzen des anhebenden Christen entscheidend für den Weg zum Heil, aber diese Erfahrung war weder eindeutig männlich noch weiblich konnotiert 37 und sollte mit der Lektüre der Bibel und theologischer Werke begleitet werden, wobei Frauen und Männer gemeinsam um die rechten theologischen Auslegungen rangen. 33

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Conrad betont zu Recht, daß Zell nicht als Frau schrieb, sondern sich mit denselben theologischen Streitthemen wie die männlichen Theologen beschäftigte, aber ihr öffentliches Schreiben bedurfte eben einer besonderen Rechtfertigung, die sie auch bietet, in dem sie ihre Rolle als theologische Autorin reflektiert, A. Conrad, „Ein männisch Abrahamisch gemuet", S. 130f; zur Rolle von Zell als theologischer Autorin siehe auch R. Albrecht, Wer war Katharina Zell?, S. 138. Siehe unten. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Libri.impr.c.n.oct.617, Nr. 12, bes. fol. 26 r . Das Visionäre als einzige religiös aktiv zu nutzende Domäne der Frau betont Witt noch für den Pietismus im 18. Jahrhundert. Selbst dieses schmale Gebiet der Religiosität lag aber im Bereich des ausgegrenzten und sich ausgrenzenden radikalen Pietismus, siehe U. Witt, „Wahres Christentum" und weibliche Erfahrung. Siehe unten.

76 Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder in Süddeutschland teilten nicht die Erfahrung des Verstoßenseins und der Heimatlosigkeit mit ihrem Meister, aber viele von ihnen nutzten wie er den religiösen Aufbruch der Reformation, den die schwenckfeldische Religion in ihrer Offenheit weiter zu tragen suchte, um Handlungsspielräume zu gewinnen, soziale Räume neu zu betreten bzw. zu konstituieren38 als religiös aktive Frauen oder als Angehörige einer neuen Bildungs- und Verwaltungselite in den Städten.

3.2

Die Suche nach der Erkenntnis Christi und das Angebot des Schwenckfeldertums

Die Reformation hatte die weltliche Macht der einen Kirche in Frage gestellt. Sie hatte religiöse Denk- und Handlungsspielräume eröffnet, die zunächst alle Christen nutzen konnten und sollten, um allein mit dem Evangelium als dem einen Wort Gottes religiöse Wahrheit zu entdecken. Damit war aber auch der Weg frei für verschiedene Lektüren des Wortes, die anfangs auf protestantischer Seite nicht durch bindende Bekenntnisse kanalisiert wurden. Mit dem Aufbrechen der Einheit der Kirche in der Reformation hatte sie ihre theologische und soziale Funktion als integrierende Kraft verloren. Allein die faktische Existenz mehrerer konkurrierender Bekenntnisse mit verschiedenen Heilsangeboten führte dazu, daß Religion keine umfassende Geltung besaß, obwohl jede Seite weiterhin einen absoluten Wahrheitsanspruch für sich reklamierte.39 So errichtete auch der Protestantismus zügig wieder Beschränkungen für die Diskussion um das rechte Verständnis von Gottes Wort und die Ausgestaltung eines gottgefälligen religiösen Lebens. Damit wollten sich nicht alle protestantischen Christen abfinden. Sie formulierten Kritik und suchten nach religiösen Alternativen. Im folgenden wird dargelegt werden, auf welche Weise sich das Schwenckfeldertum nach dem Aufbrechen eines einheitlichen christlichen Sinnhorizonts als Gegenentwurf zu den begrenzenden und ausgrenzenden religiösen Bekenntnissen präsentierte.

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Raum wird hier nicht nur im Sinne Bourdieus als Metapher für soziale Prozesse gebraucht, sondern auch physisch gedacht als „relationale (An-)Ordnung sozialer Güter und Menschen (Lebewesen) an Orten". Damit wäre die gegenkulturelle Konstituierung des Hauses als religiösem Raum ebenso wie die soziale Selbstzuordnung zur Elite in ihren bestehenden Räumen zu erfassen, somit Handeln im Sinne eines Ordnungs- und Positionierungsvorgangs ebenso einzubeziehen wie die damit verbundenen sozialen Prozesse, s. M. Low, Raumsoziologie, S. 224, zur Bourdieu-Kritik, S. 182. Zur Entwicklung der Religion zum nur noch Teilidentität stiftendenden Subsystem im Sinne der Systemtheorie siehe A. Hahn, Religion, Säkularisierung und Kultur, S. 17-31.

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3.2.1 Unzufriedenheit mit den bestehenden religiösen Angeboten Die reformatorische Infragestellung der universellen Geltung eines einzigen religiösen Sinndeutungssystems hatte den Laien, die sich später schwenckfeldisch orientierten, die Möglichkeit einer individuellen Wahl suggeriert. Sie nahmen für sich in Anspruch, auch die Angebote der neuen, protestantischen Kirche kritisch prüfen und sich von ihr distanzieren zu können, wenn sie ihren Ansprüchen nicht genügte. Die Führerin der Ulmer Schwenckfelder, Katharina Streicher, gab 1544 vor den Religionsverordneten der Stadt zu den Gründen für die Absonderung ihrer Gruppe von der Kirche an, daß das religiöse Angebot der Pfarrer unzureichend gewesen sei: Dann sie [die Pfarrer] Jnen nit bösserlich sonnder nur an Jrer seel hail verhinderlich gewesst wern / [...] derhalben sie anhaims pliben / vnnd sich vff Christum / nach Biblischer vnd Euangelischer schrifft ainig verlassen / vnnd hoffen sie hetten sich damit ganntz onergerlich sonnder christenlich und wesenlich gehallten,40 Zumindest in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nahmen Laien für sich in Anspruch, ungehindert und gleichrangig am eigentlich den theologischen Experten vorbehaltenen Diskurs über die richtige Lehre teilnehmen zu können. Der Ulmer Schwenckfelder Hans Kifhaber zeigte sich empört und verständnislos darüber, daß die Obrigkeit ihn wegen seiner religiösen Positionen vorladen wolle. Kifhaber Redt daruff die predicanten vnd sonderlich den frechten wider an / vnd nämlich das er wol mit so grossen herrn zu Nürnberg vnd anderswo auch von dieser Sachen [der schwenckfeldischen Christologie ] geredt als sie weren / Es wer Jm aber nie begögnet / das er allso beschickt were worden / welchs er dann pillich vom frechten vnd den andern predicanten auch vertragen pliben wer / Dann er dieser Jm nit volgen / noch Jnn dieser Sachen weichen,41 Die Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der Reformation umfaßte eine Reihe von Bereichen. Vor allem fanden sich die Menschen, die sich dem Schwenckfeldertum anschlossen, nicht damit ab, daß die beherrschende, ein direktes Gottesverhältnis ausschließende Macht des katholischen Klerus zwar gebrochen war, aber sich schnell neue religiöse Experten an ihre Stelle gesetzt hatten, die wieder alle Zugänge zum Heil kontrollierten, also ein ,neues Papsttum' 42 errichteten, indem sie die Menschen wieder an äußere Dinge banden, die pfarrherrliche Predigt sakramentalen Charakter annahm. Laien, besonders die Frauen unter ihnen, bekamen hinreichend deutlich gesagt, daß sie sich auf ihre passive Rezipienten40

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Ulm, Stadtarchiv, A [8984 / II], Pfarrkirchenbaupflegamt, Kirchenvisitation, Sonderlinge 1542-1545, Nr. 237, fol. 535 r . Ulm, Stadtarchiv, A [8984 / II], Pfarrkirchenbaupflegamt, Kirchenvisitation, Sonderlinge 1542-1545, Nr. 237, fol. 534 v . Die Rede von der protestantischen Pfarrerschaft als neuem Papsttum oder auch der Vorwurf, zur Gesetzlichkeit des Judentums zurückzukehren, wurde von Schwenckfeldern häufig genutzt, siehe z.B. C.S. 4, S. 245f.; 751, 754, 804f.

78 rolle zu beschränken hätten. Sowohl die Augsburger Schwenckfelder-Führerin Sibilla Eiselin als auch die aus Isny stammende Anhängerin Katharina Ebertz waren eindringlich darauf hingewiesen worden, daß sie nicht über die hohen Dinge nachgrübeln sollten, sondern das einfältig glauben, was in der Predigt gesagt wurde.43 Aber auch nicht wenige protestantische Pfarrer, die ja Teil der neuen Gruppe professioneller Heilsvermittler waren, schlossen sich mit dem Hinweis auf reformatorische Mängel dem Schwenckfeldertum an. Sie vermißten eine intensivere Spiritualisierung des Glaubens und die sichtbaren Resultate in Form einer Besserung des Lebens. Burkhard Schilling, der zunächst in den Diensten der ritterschaftlichen Familie Thumb von Neuburg in Württemberg stand, bevor er in Kaufbeuren als Stadtpfarrer angestellt wurde, kritisierte 1544 in seiner dem Kaufbeurer Rat gewidmeten Schrift Von der waren und der falschen Kirche das theologische Deutungsmonopol Luthers, die Bindung der Heilswirksamkeit an äußere Zeichen wie Predigt und Sakramente sowie das Ausbleiben der Früchte des Glaubens im Leben. Besonders letzteres erwies seiner Ansicht nach klar die Falschheit des Glaubens.44 Diese Aspekte antiklerikaler Kritik45 einten die schwenckfeldisch orientierten Pfarrer und Laien. Dabei wiesen sie auch auf die Widersprüchlichkeit der neuen klerikalen Ansprüche hin: Während die Pfarrer den religiösen Kommunikationsraum wieder allein beherrschten und ein theologisches Wahrheitsmonopol fur sich beanspruchten, konnten sie sich dennoch auf keine Wahrheit einigen. Katharina Streicher nannte als einen wesentlichen Grund dafür, daß die pfarrherrliche Predigt ihrem Seelenheil entgegenstünde, daß sie heut das morgen ain annders gepredigt hetten / vnnd allso gar onbestenndig vnnd Jrm glauben vnd halltung gar zuwider / Jnn der Sachen vmbgangen wern.46 43 44

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C.S. 8, S. 888;C.S. 10, S. 853, 856. Die Seitenangaben erfolgen hier nach der 1582 von Daniel Sudermann angefertigten Abschrift, Berlin, Staatsbibliothek, Ms.germ.fol. 429, fol. 4V-8V. Hier ist der Adressat der Schrift nicht zu entnehmen. Es existiert aber ein entsprechendes Anschreiben an den Kaufbeurer Rat in München, Staatsbibliothek, Cod.germ.981, fol. 1-9V, das der Müncher Abschrift vorangestellt ist (siehe Kap. 5). Antiklerikalismus endete keineswegs mit der Reformation, sondern wandte sich auch gegen die neuen Pfarrer, die sich bald wieder als abgegrenzte Gruppe formierten. Vgl. den Antiklerikalismus-Begriff im Tagungsband zum Thema: P. A. Dykema/Heiko A. Oberman (Hg.), Anticlericalism, S. X. Die Verfasser machen dabei vor allem die Bestrebungen des protestantischen Klerus, die Laien zu disziplinieren, als Quelle für einen neuen, nachreformatorischen Antiklerikalismus aus. Ulm, Stadtarchiv, A [8984 / II], Nr. 237, fol. 535r. Ähnlich äußerte sich auch die gleichermaßen vorgeladene alte Iedelhauserin, die vor allem auf die innerprotestantischen Differenzen in der Abendmahlslehre hinwies, ebenda, fol. 54 l r . In den im süddeutschen Raum heftig geführten Abendmahlsstreitigkeiten zwischen Zwinglianern und Lutheranern hatte die schwenckfeldische Position eine starke theologische Nähe zu der alsbald unterlegenen oberdeutsch-zwinglianischen Auffassung, siehe R. E. McLaughlin, South German Eucharistie Controversy.

79 Im späteren Schwenckfeldertum dehnte sich die Ablehnung der innerprotestantischen Kontroversen aus auf die antiklerikale Kritik am interkonfessionellen Streit, der bis zum Krieg geführt hatte. Die Kleriker aller religiösen Parteien seien die Hauptschuldigen an den Miseren der Zeit, denn sie hätten sich an die Stelle Christi gesetzt, so schrieb der Straßburger Arzt Johann Ludwig Münster 1646 an seinen Bruder Friedrich. 47 Die Angehörigen der kirchlichen Hierarchie unterbanden die direkte, unvermittelte Beziehung zwischen den Gläubigen und Gott. Sie verhinderten, daß Christus direkt mit dem Menschen kommunizierte, in seinem Herzen wirkte. Auch die Schwenckfelder nach der Jahrhundertmitte bemängelten Zustände der institutionalisierten Kirchen, den Mangel an der Besserung des Lebens artikulierten sie weiterhin48, dennoch gab es Unterschiede. Mit der Unzufriedenheit gegenüber den religiösen Angeboten verband sich keine Hoffnung mehr auf eine umfassende, gesamtgesellschaftliche Reformation oder Wiederherstellung einer konfessionellen Einheit,49 die für Schwenckfeld und seine Zeitgenossen durchaus noch denkbar war. Die Enttäuschung über die Ergebnisse der Reformation war kein Hauptmotiv mehr für die Hinwendung zum Schwenckfeldertum, die Rekrutierungswege hatten sich verändert. Das Schwenckfeldertum hatte gegen Ende des 16. Jahrhunderts vielleicht keine Institutionalisierung erlebt, aber es gab eine gemeinsame gelebte Geschichte. Missionierung und die Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation spielten eine größere Rolle.50

3.2.2 Das „Anklopfen Gottes" - Religiöse Erfahrung und spiritueller Aufbruch Nach schwenckfeldischer Auffassung hatten die Reformatoren den Bogen überspannt, indem sie viele Aspekte des Katholizismus abgeschafft hatten, die dem

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Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 23 l r : Münster führt aus, daß die Ursachen der Plagen aber eygentlich vnd vornemlich die lehrer oder Priester des Volcks vnter allen heutigen Partheyen seindt, die da Christo dem Liecht der Warheyt den Rücken gekehret, sich selbsten an seine Statt zum liecht dargestellet, vnd also den Abfall vom Liecht vnd Warheyt, oder eine geystliche ßnsternus vber die andere eingeführet habe. Auch der Augsburger Goldschmied David Altenstetter kritisierte die Spannungen zwischen den Konfessionen. Er gab 1598 an, daß er sich nicht für eine der zugelassenen Konfessionen habe entscheiden können, da sie einander auf das heftigste bekämpften, Augsburg, Strafamt Urgichten 1598 d, 7.12.1598, 2. Verhör, fol. 1. Der Memminger Hafner Jakob Zimmermann machte in der Öffentlichkeit, vor Nachbarn, in Gärten und Läden, verschiedentlich antiklerikale Äußerungen, in denen er Leben und Lehre der Pfarrer kritisierte und die in der Aussage gipfelten, daß es besser sei, man bete vor einem Steinhaufen das Vaterunser, als daß man in die Kirche gehe, Memmingen, Stadtarchiv, A 344-8b, 31.5.1599, 2. Urgicht Zimmermann, fol. Γ. Das zeigt sich besonders in der Abgrenzung der Schwenckfelder gegenüber den Chiliasten Johann Permeier und Wilhelm Eo, die genau diesen Gedanken vertraten, siehe Kap. 6. Siehe Kap. 4.

80 Seelenheil durchaus dienlich waren.51 Dazu zählte auch die Unterdrückung religiöser Emotionen. 52 Affektive Frömmigkeit hatte bei den Schwenckfeldern allerdings anders als im Katholizismus keinen äußerlich sichtbaren Ort, weder einen sakralen Raum noch sichtbare Rituale, aber sie war durchaus körperlich vermittelt. Religiöse Erfahrungen standen nach schwenckfeldischer Auffassung am Anfang des Glaubensweges eines wahren Christen als Wahrnehmungen der vorausgehenden Gnade Gottes und der Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit. 53 Die Verbindung zwischen Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis war dabei dialektisch konzipiert: Der Mensch konnte seine Sündhaftigkeit nur wahrnehmen, wenn er Christus bereits in seinem Herzen trug. Zugleich zeigte das Bemerken der Verworfenheit des eigenen sündhaften Fleisches an, daß Christus mittels des Heiligen Geistes bereits im Menschen zu wirken begonnen hatte.54 Der Vorgang selbst wurde dabei von den schwenckfeldischen Neulingen mit leichten Variationen geschildert. Während die Augsburgerin Sibilla Eiselin 1544 in ihrem ersten Brief an Schwenckfeld ihren spirituellen Aufbruch als Anklopfen Gottes beschrieb,55 also als religiöses Angebot, das ihre Antwort und Zustimmung erforderte, wohnte Christus bei Barbara von Eberstein immer schon in ihrem Herzen. Sie versuchte, so ihren Glaubensweg gegenüber ihrer lutherischen Mutter nicht als Konversion zum Schwenckfeldertum darzustellen, sondern als Kontinuum, als konsequentes Weiterleben des Glaubens, der schon immer in ihrem Inneren vorhanden gewesen war: ich lese ihtz in schwenckfeldischen büchern vndfinde darin nichts dz heyliger schrijft allen articulen vnsers christlichen glaubens vnd der Reinen göttlichen warheitt die Christus selbst ist / auch deme was ich allzeytt ihn meinem hertzen gehabt zu wieder seye.56 Die Unterschiede zeigen deutlich den kommunikativen Charakter schwenckfeldischer religiöser Erfahrung und die Abhängigkeit der Schilderung von der Selbstpositionierung in der Kommunikation, den strategischen Zielen der Äußerungen.

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Darunter fiel die Lehre vom freien Willen, die Bedeutung der Werke und die Wertschätzung lediger Lebensformen. Schwenckfelder sahen daher ihren Weg selbst häufig als via media zwischen den Konfessionen, siehe Kap. 5. Vgl. dazu S. Karant-Nunn, „Gedanken, Herz und Sinn". Sie bezieht das vor allem auf die Veränderung im Zeichensystem in den Kirchenräumen und im Ritual, die auch dazu dienten, die Körperlichkeit des Göttlichen zu bannen und Gott nur geistig erreichbar zu machen in ruhiger Dankbarkeit und im Gehorsam, im Hören der nun zum Ritualgegenstand gewordenen Predigt. C.S. 6, S. 431-434. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod Guelf.37.27. Aug.2°, Brief von Johann Martt an Felicitas von Freyberg 1576, fol. 408. C.S. 8, S. 826. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 717 (Nr. 6), Brief der Barbara von Freyberg, geb. von Eberstein an ihre Mutter Margaretha, 3.10.1591, fol. 1.

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Selbst die innere Wahrnehmung der Anwesenheit Gottes im Menschen, das ,Unsagbare' mystischer Erfahrung ist ohne Artikulation nicht realisierbar, da schon die Kennzeichnung bestimmter Erlebnisse als außerhalb der Alltagserfahrung nur möglich ist, weil die kulturelle Form mystischer Tradition als Deutungskategorie zur Verfügung steht.57 Der Beginn der Hinwendung zum Schwenckfeldertum als Erfahrung Christi im Herzen wurde von den Anhängern nicht als seelisch-körperliche Vereinigung beschrieben, knüpfte also nicht explizit an die Schilderungen mittelalterlicher Mystik an.58 Es ging ihnen weniger um das Erlebnis einer ,unio' an sich als um die Konsequenzen des Erlebnisses für den Heilsweg. Dabei wurden aber auch materielle und körperliche Bilder zur Beschreibung dieses Glaubensanfangs genutzt. Das von Schwenckfeld oft benutzte Bild von der Einwohnung Christi im Menschen aufgreifend, 59 stellte Sibilla Eiselin ihr Erleben als Hausumzug dar, die damit verbundene Unordnung der Einrichtungsgegenstände bildete ihre Verwirrung ab angesichts dieser inneren Wahrnehmung, was Schwenckfeld als Zeichen des Glaubensbeginns wertete.60 Bilder körperlicher Reinigung und Wandlung beschrieben die vorgängige Gnade, die der Gläubige wahrnahm: Der Novize mußte durch Gott zum Glauben deponiert werden, Herz und Nieren durchliefen eine Beschneidung, 61 die Sinnesorgane wurden durch neue ersetzt, die fähig waren zur wahren Erkenntnis Christi.62 57 58

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M. Jung, Erfahrung, S. 283f. Zur Körperlichkeit spätmittelalterlicher Frömmigkeit, siehe C. Walker Bynum, Fragmentierung, S. 148ff. Maron sieht dagegen eine starke inhaltliche Nähe Schwenckfelds zur spätmittelalterlichen Mystik, obwohl erst zu einem späten Zeitpunkt der Entwicklung seiner theologischen Konzepte eine Rezeption dieser Texte nachweisbar ist, G. Maron, Individualismus, S. 154-159. Allerdings gehörten Tauler und andere Texte spätmittelalterlicher Frömmigkeit zum allgemeinen intellektuellen Erbe des 16. Jahrhunderts, waren somit nach McLaughlin zumindest in literaten Schichten allgemein bekannt, R. E. McLaughlin, Reluctant Radical, S. 102 Α. 48. Zur Leküre dieser Texte bei seinen Anhängern siehe unten. Eph 3, 17. Das Bild vom Herzen als Behausung korrespondierte mit der galenschen Vorstellung von vier Hauptblutgefäßen als „ K a m m e r n " des Herzens, R. A. Erickson, The Language of the Heart, S. 15f. C.S. 8, S. 826: Schwenckfeld antwortet ihr: Es soll auch euch auch nicht bekomern noch mat machen / ob ir gleich zerstrewets verwirrets gemuets ahnfenglich darbev seit vnd wie ir schreibt / das es Jn eurem gewißen stehet / wie Jn einem hauß da man aus will ziehen / da keins an seinem orte stehet / Weichs ich sonderlich gern geleßen vnd es fur ein gewiß zeichen bein euch der barmhertzigen Heymsuchunge gottes halte. Die Metapher der geistlichen Beschneidung des Herzens bezog sich vor allem auf Rom 2, 29 und war als Bild der Reinigung, das auch in der Ordensbewegung im Mittelalter lebendig war, Voraussetzung für den Glaubensbeginn, für den E m p f a n g Christi im Herzen, vgl. dazu die Ausführungen von S. B. Spitzlei, Erfahrungsraum Herz, S. 109f. So beschrieb Schwenckfeld die göttliche Vorbereitung des Schulanfängers in seiner Schrift Von der Schul Christi, C.S. 16, S. 485. Auch Martt sprach von Reinigung durch Beschneidung als Beginn des Glaubensweges: Die Wiedergeburt als erste Stufe des Glaubensweges geschah, wenn wir in der forcht Gottes stehen / vnd vnnser hertz durch die vorgehenden gnad zuberaittet / gereiniget vnd durch die beschneidung Christi geöffnet / beschnitten vnd

82 Schwenckfelder benutzten zwar körperbezogene Sprachbilder, um die Funktion der religiösen Erfahrung symbolisch deutlich zu machen, sie beschrieben die Erfahrung selbst aber nicht als eine leibliche. Zudem sind andere Bilder zu finden, die auf kommunikative Dimensionen hindeuten wie Einsprechung oder Einschreibung Christi in die Herzen. 63 Daß religiöse Erfahrung im Schwenckfeldertum nichts vorgängig Gegebenes war, das eine unbedingte aus Gott gegebene Wahrheit für sich in Anspruch nehmen konnte, zeigte sich nicht zuletzt daran, daß die Erfahrung hinterfragt wurde, ob sie auch wirklich von Gott sei. Der Gläubige selbst war verpflichtet, seine Erfahrung einer Überprüfung zu unterziehen. 64 War der Beginn des Glaubens, die Wohnungsnahme Gottes, im Schwenckfeldertum bis zur Jahrhundertmitte eindeutig ein dem Individuum unmittelbar zugänglicher Vorgang, 65 leuchtete Christus bei dem Straßburger SchwenckfelderFührer Daniel Friedrich keineswegs mehr direkt in jedes Herz. Friedrich beschrieb das Handeln Gottes als verborgene Erfahrung, die nicht sofort von jedem erkannt wurde. Anstelle der unmittelbaren Gottesbeziehung trat hier ein menschlicher Erwecker, ein Diener der Offenbarung, der den anhebenden Christen aus seinem Schlaf holte.66 Friedrich unterschied verschiedene Gaben Gottes, für ihn gab es Glaubensgenossen, die nur passive Rezipienten waren, in denen Gott zwar handelte, die ihre Erfahrung aber nicht mitteilen konnten, auch die Wahrnehmung war ihnen nur im Anderen, im vollkommenen Gläubigen, möglich: dannen auch offt die kleinsten im / christenthumb zu den grösten geheimnussen des glaubens (.wan sie die volkomnere dauon hören reden vnd dieselben außsprechen.) lieblich Amen sagen können /[...] vnd die stimm ihres hürtten nemlich christi in ihnen hören vnd kennen / sie glauben in einem geist christi in ihnen / welcher sie zustimmend machet einem dem andern / ob sie gleich mit eignen zungen nicht alle dauon reden können / aber im hören vnd lesen lieblich vnd mitt freyden zustimmen/ deme nemlich waß von christo ist in andern glaubigen,67 Dieser Dienst des Erweckers benötigte der Neuling nach Friedrich gerade am Beginn des Glaubensweges, bis er geübteren Sinnes war.68 Mit der Verfestigung der Gruppenstruktur im späteren Schwenckfeldertum entstand somit eine stärkere Aufgabenteilung - jedenfalls in den theologischen Konzepten Friedrichs. Wie das

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angericht wirt. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf.l6.2.Aug.2°, Brief von Martt an Sibilla Eiselin 1576. C.S. 4, S. 757; C.S. 5, S. 692. Siehe Kap. 3.3. Das wird auch deutlich am Bild von der Einleuchtung Christi, das Martt genauso benutzte wie Schwenckfeld, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 53r. Dieses Licht leuchtete in alle Winkel des Herzens, um die Neulinge selbst ihre Sünden erkennen zu lassen, es vertrieb die Finsternis, C.S. 17, S. 33-35. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20 (Briefe Daniel Friedrichs in einer Abschrift seines Glaubens- und Zeitgenossen Daniel Sudermann), Brief an einen Augsburger Schwenckfelder, o. Datum (zu Beginn des 17. Jahrhunderts), fol. 50 r . Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 49 r . Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 49 v .

83 Beispiel des Glaubenswechsels der Barbara von Eberstein zeigt, nahmen auch Schwenckfelderinnen der Spätzeit das Recht für sich in Anspruch, ohne die Hilfe eines vollkommeneren schwenckfeldischen Führers selbst Christi Stimme zu hören. Die Anhängerinnen handelten dabei ganz im Sinne Schwenckfelds, für den jeder Gläubige eine aktive, nicht delegierbare Rolle innehatte bei der Wahrnehmung der Gegenwart Christi im Herzen, d.h. sich selbst erweckte.

3.2.3 Christus im Herzen - die schwenckfeldische Alternative Schwenckfeldische Theologie 69 war attraktiv für so disparate soziale Gruppen wie Reichsritter und Handwerker, für Patrizier und Pfarrer ebenso wie für Ärzte oder Mägde. Gerade die Tatsache, daß Schwenckfeld kein geschlossenes theologisches System im Sinne der zeitgenössischen theologischen Erwartungen konzipierte, 70 ermöglichte es seinen Anhängern, seine Lehren selektiv zu rezipieren und ihren Bedürfnissen gegebenenfalls anzupassen, ohne von den übrigen Liebhabern Christi ausgegrenzt zu werden. Schwenckfelds Denken bot alternative Glaubens- und Lebensmöglichkeiten in mehrerlei Hinsicht. Der strikte Dualismus schwenckfeldischen Denkens verlegte den entscheidenden Vorgang des Glaubens nach innen.71 Die Trennung zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, Fleisch und Geist, Welt und Glaube bildete die theologische Grundlage für die von den Schwenckfeldern gelebte weitgehende Teilnahme am Alltagsleben und ihrem von der Umwelt abweichenden Glauben.72 Ausgehend von seiner die Realpräsenz Christi ablehnenden Abendmahlslehre entwickelte Schwenckfeld in enger Zusammenarbeit mit dem schlesischen Theologen Valentin Crautwald das Kernstück seiner Theologie, die Lehre vom vergotteten Fleisch Christi. Schwenckfelds Christologie, die er erst 1538 in eine endgültige Fassung brachte, konzentrierte sich auf die Frage, wie der einzelne Mensch durch Christus gerettet werden könne. Nicht so sehr das Sühneopfer Christi an 69

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Zur Entwicklung der Theologie Schwenckfelds siehe vor allem R. E. McLaughlin, Reluctant Radical, sowie sein Verzeichnis der theologiegeschichtlichen Literatur in: ders., Freedom of Spirit, S. 255-271. Z u ergänzen wäre diese Bibliographie noch um A. Seguenny, Les spirituels, der den Spiritualismus des 16. Jahrhunderts nicht harmonisiert, sondern die einzelnen Protagonisten in ihrer Eigenart darstellt, aber auch geistesgeschichtliche Verbindungen herstellt (Schwenckfeld behandelt er in Kapitel V eingehend, S. 239-276). Das warfen ihm die Reformatoren wiederholt vor, weil sie Schwierigkeiten hatten, mit den erlernten Techniken des theologischen Streitens den Schlesier zu widerlegen. Anders urteilt Andre Seguenny, der Schwenckfeld für den ersten und wohl einzigen Spiritualisten hält, der eine kohärente und vollständige Theologie formuliert hat, A. Seguenny, Les spirituels, S. 241. Z u den Wurzeln des dualistischen Denkens im Neuplatonismus, siehe R. E. McLaughlin, Reformation Spiritualism, S. 131-133; R. Pietz, Der Mensch ohne Christus, S. 57, 154. Spiritualistischer Dualismus bildete auch die Grundlage für die schwenckfeldische Strategie der dissimulatio, des Verbergens der dissidentischen Glaubensüberzeugung, siehe Kap. 5.

84 sich stand im Vordergrund schwenckfeldischen Denkens, sondern seine Bedeutung für das Individuum.73 Diese christozentrische Lehre bildete die Alternative, den positiven Inhalt zu der ansonsten negativ formulierten Ablehnung und Kritik an den bestehenden religiösen Angeboten. Vor allem Schwenckfeld selbst, aber auch seine süddeutschen Anhänger sahen sich als Verfechter der Glorie Christi gegen ihre Umwelt, die seiner Person und Heilstat nicht gerecht wurde.74 Schwenckfeldische Christologie versuchte in einem schwierigen Balanceakt, einerseits die Einheit der Person Christi mit ihren beiden Naturen, der menschlichen und der göttlichen, zu erhalten, andererseits warf das strikt dualistische Denken die Frage auf, wie die als sündhaft bewertete menschliche Natur in der Lage sein sollte, die Welt zu erretten. Schwenckfelds Lösung lag darin, daß die Geschöpflichkeit für ihn kein konstitutiver Bestandteil der menschlichen Natur war. Christus war keine Kreatur in seinem Menschsein, das Schwenckfeld im Gegensatz zu dem Täufer Melchior Hoffmann nicht ganz beseitigen wollte, war die menschliche Natur Christi für ihn doch das entscheidende Bindeglied zwischen Gott und Mensch. Sie ermöglichte als verklärtes göttliches Fleisch die Wiedergeburt der wahrhaft Gläubigen in Christus, in dem Sinne, daß nicht Christus als Bruder, als Leidender, im Sakrament herabkam vom Himmel, sondern der Gläubige emporgehoben wurde und der Natur Christi teilhaftig werden konnte. Die Entwicklung der Lehre geschah im Rahmen eines kommunikativen Prozesses, bei dem die Fragen und Mißverständnisse der Anhängerinnen für Crautwald und Schwenckfeld den Anstoß gaben, ihre Konzepte weiterzuentwickeln und rezipierbar zu machen. Die Straßburgerin Margaretha Engelmann, bis zu ihrem Tode 1547 eine der engsten Vertrauten Schwenckfelds, regte zu intensiverem Nachdenken über das Verhältnis der Naturen in Christus an, indem sie ihre Zweifel darüber äußerte, daß Gott in Christus gelitten haben sollte.75 Die Briefe, die Valentin Crautwald 1539 an die Schwenckfelderführerin Katharina Streicher schrieb,76 zeigen, wie sehr das Nachdenken über theologische Konzepte an Kommunikation gebunden war. Um der Ulmerin die Einheit der Naturen und sein Festhalten an dem Begriff neue Kreatur zu verdeutlichen, unternahm Crautwald zwei Anläufe. Er faßte seinen ersten Brief in einem zweiten Schreiben erneut zusammen, da der erste ihm in der Länge nicht strukturiert genug erschien, 73

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R. E. McLaughlin, Reluctant Radical, S. 204. Zur Entwicklung von Schwenckfelds Christologie in Auseinandersetzung mit den christologischen Konzepten Zwingiis, Luthers und der Straßburger Dissidenten verschiedenster Prägung siehe R. E. McLaughlin, Reluctant Radical, S. 200-224. R. Ε. McLaughlin, Reluctant Radical, S. 220. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf. 45.9.Aug.2°, fol. 147-189 (Brief von Crautwald an Engelmann 1538); C.S. 4, S. 847; D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 74f. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf. 37.27.Aug.2°, fol. 33-45, 46-52. Katharina Streichers Briefe sind nicht erhalten.

85 denn er hatte den Prozeß des Nachdenkens direkt zu Papier gebracht und im Prozeß des Schreibens gedacht und konzipiert, eine Methode, die er stets anwandte. 77 Streicher hatte sich ursprünglich an Schwenckfeld gewandt und ihm ihre theologischen Überlegungen zur Trinität mitgeteilt. Schwenckfeld leitete den Brief an Crautwald weiter, der ihren Ansatz zu einer noch stärkeren Überhöhung der zweiten Person der Trinität durch Vermischung von Vater und Sohn kritisierte. Er unterstellte ihr im falschen Verständnis der Begriffe natur und naturlich eine Nähe zum Hoffmanschen Monophysitismus, der bezweifelte, daß Christus Fleisch von Maria angenommen habe. Crautwald zitierte dafür aus ihrem Brief: wen man saget / Christus ist nach seinem menschen / auch der naturliche Sohn Gottes / solte sich alles schicken / als wan ich spreche / diser mensch ist ein naturlicher mensch / aber Christi menschliche natur ist gantz gott / so doch zuuor der verstand gesaget ist / wie naturlich zweyerlej weiss genommen wirt / nach deme mehr den einerlei natur funden wirt.™ Die erneute dualistische Aufspaltung der menschlichen Natur Christi, die Rede von der Nichtkreatürlichkeit und der Vergottung des Fleisches war offensichtlich nur schwer eindeutig formulierbar und damit auch nicht mühelos aktiv anzueignen. Aber Katharina Streicher folgte nicht einfach den theologischen Konzepten, sondern kritisierte den Gebrauch des Wortes ,Kreatur' generell im Zusammenhang mit Christus. Crautwald verteidigte seine Begriffswahl von der neuen Kreatürlichkeit Christi als Sprachbild, wobei er vor allem gestützt auf Hilarius von Poitiers die qualitative Änderung in der Neuschaffung Christi betonte.79 Er hatte aber schon in dem früheren Brief zugegeben, daß seine Formulierung zu Mißverständnissen führen könne. In seinem gut einen Monat später verfaßten Schreiben korrigierte er sein Verständnis und verwandte den Kreaturenbegriff nicht mehr, um Christus nicht doch noch in die Nähe der menschlichen Geschöpflichkeit zu rücken.80 Zur Begründung für seine ursprüngliche Verwendung des Begriffs neue Kreatur hatte Crautwald angegeben, daß er eben mehr auf den Verstand als auf die Worte sehe, denn Gott spreche nicht in Buchstaben, sondern gebe den geistlichen Verstand direkt, ohne den Textverständnis gar nicht möglich sei: Vnser Herr vnd Gott Jesus Christus gebe vns einen geistlichen verstand vnd ge=rad vrtheil in seinem geiste / So werden wir beide recht glauben / vnd recht reden mit worten / die dem h: Geiste gefallen / vnd zu der Ehren Christi sich in allweg wol schicken.

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In einem Brief an Jakob Held von Tieffenau drückte er den Zusammenhang zwischen dem, was Gott ihm ins Herz gibt, und dem Schreiben explizit aus: Ich hab Jetzund vnsrer lieben vnd besonder günstigen freündin [= Margaretha Engelmann] be\> eüch / wi=der einen langen brieff geschrieben / nach meiner weise / dz ist mit eyle / vnd wie eß in meinem hertzen stehet. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf. 37.27.Aug.2°, fol. 10. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 37.27.Aug 2°, fol. 41. Auch die beiden späteren Briefe kritisierten, daß Katharina Streicher die Einheit der Person nicht richtig erfasse. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf. 37.27.Aug.2°, fol. 42f. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf. 37.27.Aug.2°, fol. 50f.

86 Wir werden auch krafft vnd gewissenschafft haben fur Gott in allem zanck / der sich liederlich vberall auss den Worten / mag erhaben / dann man rede wie man wolle / so kan die rede mit klefferey tadlen / welches / wa eß geschieht / vnd wir lassen vns vom verstände / von dem werden / von den dingen / auff die wort füren / vns armen baldt einen anstoss gibet / als solte das vnser rhum sein / wir wüsten vntadenlich vnd yederman zugefallen zu reden / ver=gessen aber in deß glaubens vnd Gottes / der nicht im reden Sonder in der Crafft regieret / fasset man dann ein wörtlen äussern buche / ist der verstand nicht gesundt / so stehet ess auch in gefehrlicheit.81 Diese für alle Schwenckfelder bezeichnende Trennung zwischen dem Buchstaben (der Bibel, der theologischen Werke und der eigenen schriftlichen Kommunikation), und dem Geist führte zu Widersprüchlichkeiten und Vermittlungsschwierigkeiten. Zum Verstehen und Deuten von Texten, zum Entwickeln theologischer Konzepte war die religiöse Erfahrung, die unvermittelte geistliche Erkenntnis, die Gott direkt in die Herzen gab, absolute Voraussetzung, damit war sie aber der Kommunikation, dem intersubjektiven Verstehen eigentlich entzogen.82 Kommunizierbar und wie gezeigt auch kommunikativ hergestellt war religiöse Erfahrung und Erkenntnis damit zwar, aber sie war nicht länger Bestandteil eines religiösen Wahrheitsdiskurses. Absolute religiöse Wahrheit war mit dem Entstehen mehrerer Konfessionen objektiv nicht mehr vorhanden, aber die verschiedenen konfessionellen Parteien beanspruchten je die Wahrheit absolut. Da das nicht widerspruchsfrei lebbar war, konnte der Einzelne auch auf der anderen konfessionellen Seite das Christliche entdecken. So jedenfalls erklärt Mennecke-Haustein die häufigen Konversionen im konfessionellen Zeitalter.83 Schwenckfeld zerlegte den geteilten religiösen Wahrheitsanspruch konsequent noch weiter bis er nur noch individuelle Geltung hatte.84 Gleichzeitig blieb der Absolutheitsanspruch bestehen, religiöse Wahrheit und exegetische Korrektheit wurden weiterhin diskutiert, eine Bestreitung des individuellen Anspruchs, Wahrheit durch Gott erkannt und erfahren zu haben, war aber eigentlich nicht mehr möglich. Während Crautwald seine Mahnungen, sich in der rechten Erkenntnis zu üben, in der Regel in der ersten Person Plural formulierte, d.h. sich selbst als der Belehrung und Selbstprüfung bedürftig mit einschloß, war sein eigentliches Ziel, seine Briefpartnerin auf ihre exegetischen Fehler hinzuweisen. Seiner sozialen Erfah81 82

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Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf. 37.27.Aug.2°, fol. 43. Alois Hahn beschreibt die Kommunikation des Unkommunizierbaren als Charakteristikum des „Mysteriums", bei dem Geheimnis und Kommunikation zusammenwirken, das Geheimnis kommuniziert wird und sich der Kommunikation gleichzeitig entzieht: „[...] dadurch, daß etwas zum Thema von Kommunikation wird, ist noch keinesfalls gewährleistet, daß es den Charakter des Geheimnisvollen verliert. Es kann gerade in ihr als ihr anderes behandelt werden, jedenfalls als etwas, das sich der Kommunikation entzieht, obwohl es real nur in ihr vorkommt.", A. Hahn, Soziologische Aspekte von Geheimnissen, S. 25. U. Mennecke-Haustein, Konversionen, S. 242. G. Maron, Individualismus, S. 113.

87 rung als Theologen, als religiösem Experten entsprechend waren seine Ausführungen belehrend und keineswegs an gleichberechtigte Partner gerichtet, die die Vorschläge für theologische Konzepte mit dem verglichen, was Gott ihnen offenbart hatte. Katharina Streicher hatte seine Kritik an ihrem christologischen Verständnis und ihrer Exegese energisch zurückgewiesen und sich auf die nur individuell ermittelbare Wahrheit im Herzen bezogen, die keiner äußeren Kontrolle bedurfte. So hatte sie sich über sein Schreiben verwundert, wie Crautwald zitierte: Jr habt darzu selbs geschrieben / ir kennet vnsern Meister woll / höret wol wz andre sagen / holet aber dz vrteil bey Jhme / hett ir diss behalten dörffet ir euch vber mich nicht verwundern. Liebe Catharina / Jch habe euch frey macht gegeben / zu vrtheilen vnd verwundern / dabey bleibteß / Waß ir fur Schuld vff mich wollet legen/ das soll ich tragen /denn sie ist euch zum besten / Jm herren gedyehen.85 Obwohl Crautwald die individuelle Prüfungsfreiheit zugesteht, fährt er fort, ihre christologischen Irrtümer auf die gleiche Weise wie in den vorigen Briefen zu kritisieren, da ihre Auffassungen ohne guten Bedacht seien. Die schwenckfeldische Christologie konzentrierte sich in der Rezeption der Anhänger in Süddeutschland auf die Frage der Kreatürlichkeit. Die Heilstat Christi wurde minimiert, eine Partizipation an seiner Natur unmöglich gemacht, wenn man Christus als Kreatur, als Geschöpf betrachtete. Dieser Aspekt wurde von Schwenckfeldern in Gesprächen mit Nachbarn und Bekannten, aber auch in Verhören vertreten als Begründung fur die Absonderung von der offiziellen Kirche. Die Bestreitung der Kreatürlichkeit Christi wurde zum schwenckfeldischen Erkennungszeichen - vor allem in Ulm, wo es den Schwenckfeldern in den dreißiger und vierziger Jahren gelungen war, einen öffentlichen, Laien wie Pfarrer involvierenden Diskurs über diese christologische Frage zu initiieren.86 Nicht nur von der Kanzel wurde über das Thema gepredigt, sondern auch in Privathäusern diskutierten Männer und Frauen darüber. Im Haus der Katharina Warmesserin hatte sich 1543 eine hitzige Debatte über die Frage der Geschöpflichkeit des Heilands entwickelt, in deren Verlauf der Schwenckfelder Hans Kifhaber seine Christologie provozierend auf den Punkt brachte mit der Frage, wann er [Christus] ein Creatur sey welcher schwänz Jne dann gemacht habf1 Der bei dem Gespräch anwesende Stadtschreiber hinterbrachte diese Äußerung Pfarrer Martin Frecht, was Kifhaber und anderen Schwenckfeldern 1544 eine obrigkeitliche Vorladung eintrug, bei der sie alle als einen der Gründe für ihre Absonderung von der Kirche angaben, daß die Pfarrer Christus zu einer Kreatur machen wollten. Fast vierzig Jahre später sahen sich die von der Ausweisung bedrohten Schwenckfelder eben-

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Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 37.27.Aug 2°, fol. 95. Vgl. J. Endriß, Schwenckfelds Ulmer Kämpfe, S. 34. Dem schwenckfeldischen Pfarrer von der Ulmer Landgemeinde Pfuhl, Johann Liebmann, verbot man 1544, über das Thema zu predigen, Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 18, 17.10.1544, fol. 44 v . Ulm, Stadtarchiv, A [8984 / II], Nr. 237, fol. 533.

88 falls vor allem als Verkünder der Ehre Christi. Wegen der Verteidigung seiner Nichtgeschöpflichkeit mußten sie ihrer Auffassung nach die Stadt verlassen.88 Da der Schwerpunkt des christologischen Denkens der Schwenckfelder auf dem Aspekt des Göttlichen lag, war die Rolle Marias weniger bedeutsam. Nur selten thematisierte Schwenckfeld die Frage, wie es möglich war, daß Christus nichtkreatürliches Fleisch von dem Geschöpf Maria angenommen hatte. Der aristotelischen Auffassung folgend, wonach die Frau nur eine passive Rolle bei der Empfängnis innehatte, kam von Gottvater der aktive, entscheidende Anteil an der Menschennatur Christi.89 Der Augsburger Seiler und Krankenpfleger Leonhard Hieber betonte dagegen stärker die Rolle Marias bei der Empfängnis. Für ihn begründete sich in ihr wesentlich die Nichtkreatürlichkeit Christi. In einem schriftlichen Glaubensbekenntnis, das er einige Tage nach seiner Verhaftung im September 1553 im Gefängnis für den Rat verfaßte, stellte er Maria als schon vor dem Kreuzestod Christi Wiedergeborene dar.90 Die Wiedergeburt belegte er damit, daß Maria im Gegensatz zu anderen Frauen keine sexuellen Begierden verspürte. Auf diese Weise ontologisch verändert konnte Maria Christus das Fleisch, die menschliche Natur, geben. Sie wurde hier zur aktiv Handelnden, der Vater wurde dagegen im Zusammenhang mit der Menschennatur Christi kaum erwähnt: Bekhenn auch das er [Christus] nach seiner heiligen menscheit darumb kain Creatur sey von des wegen / das er sein heilig flaisch von Maria an sich hat ge88

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In einer Petition gaben die ledigen Schwestern Maria, Katharina und Rosina Altenstaig 1582 ein kurzes Glaubensbekenntnis ab, das deutlich machte, daß für sie die unvermittelte Gottesbeziehung und die Heilstat Christi auf der Vorstellung der Nichtkreatürlichkeit beruhte. Das war das Herzstück ihres Glaubens, andere theologische oder ethische Aspekte sprachen sie nicht an: wir glauben is gewiß das Jesus Chrs der Sohn Gottes allain / einig vnd gantz one aller creatur gehelffen vnser hailand helffer gerecht vnd seligmacher ist / ihm allain / on aller creature gehelffen vns Erlößet / vnd die ewige Seligkeit / durch sein creütz vnd blut hat Erworben / das Er der gründ / anfang / vnd volender vnsers glaubens / vnd ain außspender der himlische gütter ist. Ulm, Stadtarchiv, Akten über die Ausweisung von Schwenckfeldanhängern aus Ulm 1582/83, Ve.Urk. 1582/83, fol. 647 r . Diese Auffassung von der Empfängnis paßte besser zu Schwenckfelds Betonung des Göttlichen auch in der menschlichen Natur Christi als die konkurrierende galenische Empfängnislehre, bei der beide Elternteile aktiv etwas beisteuern, siehe R. E. McLauchlin, Reluctant Radical, S. 212 Α. 74. Maria war zuvor durch den Heiligen Geist gereinigt worden, um Christus passiv empfangen zu können. Sie war aber nicht ein bloßes Gefäß wie in der Lehre des Täufers Melchior Hoffmann, mit dessen monophysitischen Ansichten sich Schwenckfeld in seiner nichtgedruckten Schrift Von der Menschwerdung Christi ain kurtz Bedenckhen auseinandersetzte, C.S. 6, S. 234-249; zur Empfängnis S. 237f. Auch Johann Martt konstruierte Marias Rolle passiv. Er wählte in einem Brief an seinen Freund Gall Keel das Bild vom Tempelbau. In Maria errichtete der Heilige Geist den Tempel für Christus als das Wort Gottes, dieser komme allerdings nicht fertig vom Himmel herab (das wäre Hoffmanns Auffassung), sondern der Heilige Geist finde in Maria das Baumaterial für den Tempel, der erst in der Empfängnis erbaut werde, Berlin, Staatsbibliothek, Ms.germ.fol. 427, fol. 63 v -64 v . Für Schwenckfelder war der Heilsweg nicht chronologisch-historisch gebunden, siehe G. Maron, Individualismus, S. 66f. Daher spielten eschatologische Aspekte auch keine Rolle in ihrem Denken.

89 nomen. Dan vrsach die Jungfreulicht mutter Maria ist nach der verhaisung der heiligen gleubigen Vetter ein heilige tochter Abrahams / nicht von der magt / sonder von der freigebern / Galattas 4. Das ist sie die Jungfraw Maria ist auß wunderbarem Rath gottes / vnd auß seinem heiligen wiln / darzu versehen neu / vnd widergeborenn / von welcher christy ist mensch worden. Vnnd das beweiset sich Jn dem / da Jn der zeit der engel / zu Jr kham / vnd grusset sie / da antwortet sie / vnd sprach / wilch ein grüß ist das / wie soll das zugehen / dieweil Jch von keinem man weiß / Weichs Jch also verstandt das die geheiligte Jungfrawe / kein natturliche naiglichait / oder annmuth mehr / Jn Jr zu einem man hab gehabt wie sonst andere waiber haben / diweil sie neu / vnd widergeborn war / vnd gebenedeiet / vnder allen weibern.91 Im späteren Schwenckfeldertum wurden christologische Fragen seltener thematisiert, obwohl Christologie um 1600 das zentrale Thema der innerprotestantischen Auseinandersetzungen war.92 Es ging nun weniger um die gemeinsame Theologieentwicklung, als vielmehr um lebenspraktische, ethische Fragen, um den Umgang von nun schon länger bestehenden Gruppen mit ihrer Umwelt oder die Abgrenzung zu konkurrierenden dissidentischen Zusammenschlüssen. Dabei stand weniger die Christologie als die Ekklesiologie bzw. der Spiritualismus im Vordergrund.93 Der theologische Schwerpunkt verschob sich aber nicht nur zwischen Frühund Spätschwenckfeldertum, sondern es gab auch verschiedene Gewichtungen bei den einzelnen sozialen Gruppen von Anhänger, die je nach ihren Erfahrungen und Interessen andere Aspekte der schwenckfeldischer Glaubenslehre betonten.

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Augsburg, Stadtarchiv, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 17. Weder F. Roth, Augsburger Reformationsgeschichte noch C.S. 12, die die meisten der Schwenckfelderprozeßakten wörtlich oder paraphrasiert wiedergeben, erwähnen dieses sehr eigenständige Bekenntnis Hiebers. Vgl. J. Baur, Lutherische Christologie, S. 83-124. Zur Auseinandersetzung von Friedrich, Münster und dem Nürnberger Kreis mit den Verfechtern einer äußerlich sichtbaren Reformation siehe Kap. 6.

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3.2.4 Laienreligiosität94 Schon im Spätmittelalter gab es unter Laien und nichtordinierten Ordensmitgliedern einen wachsenden Bedarf nicht nur an frömmigkeitstheologischer95 Unterweisung, die sich auf die praktische christliche Lebensführung von Laien in der Welt konzentrierte, sondern auch an theologischer Information, dem zum Teil Rechnung getragen wurde, allerdings mit starken sozialen Restriktionen.96 Während die Laien im Spätmittelalter von kirchlicher Seite nach Bildungsstand, d.h. auch nach sozialer Gruppenzugehörigkeit in die ,einfaltigen' (Analphabeten) und die ,vernünftigen' Laien untergliedert wurden, denen man durchaus auch Glaubenswissen zugänglich machen konnte, blieb der Zugang zum Heil, sowohl was das Wissen wie auch die Praxis in Gottesdienst und Sakrament anbelangte, den Laien versperrt.97 Die Reformation eröffnete zunächst größere theologische wie handlungspraktische Spielräume für Laien im religiösen Feld, letztendlich dominierten aber auch hier die Spezialisten, die den wirklich unvermittelten Kontakt zur Sphäre des Göttlichen, zum Heil wieder verschlossen. Schwenckfeld machte dagegen radikal ernst mit Luthers Priestertum aller Gläubigen. Hier gab es die Rolle des religiösen Spezialisten nicht, der das Heilige exklusiv verwaltete oder qua Amt eine größere Nähe zum Heil hatte. Alle Schwenckfelder waren prinzipiell religiöse Experten (wenn auch unterschiedlich weit in der Schule Christi), die gemeinsam nach der Erkenntnis Christi strebten. Die schwenckfeldische Konzeption einer Kirche Christi als einer ,virtuellen' Gemeinschaft von Männern und Frauen, die Gott auserwählt hatte unter allen 94

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Im folgenden wird gezeigt werden, daß es für Schwenckfelder keine dichothomische Gegenüberstellung von Laien und Klerikern gab, keine hierarchischen Unterschiede, die den Zugang zu religiösem Wissen und zu den Heilsmitteln regelten; zur begrifflichen Unterscheidung von Laien und Klerus mit der Funktion der Festschreibung von Wert- und Sozialhierarchien, siehe K. Schreiner, Laienfrömmigkeit, S. 14f. Gerade diese Abgrenzung weniger eine Unterscheidung nach dem Bildungsstand, wie sie seit dem Spätmittelalter auch üblich war - einer herausgehobenen Gruppe religiöser Experten, die das alleinige Exegeseund Verkündigungsrecht hatten, zeichnete sich auch im Protestantismus schnell wieder ab. Im Schwenckfeldertum gab es dagegen keine formalen Kriterien der Zulassung zu theologischem Denken und religiösem Handeln. Ich behalte die Bezeichnung ,Laie' in ihrer ausgrenzenden Funktion gegenüber der des ,Theologen' resp. ,Pfarrers' als zeitgenössische Klassifizierung aus der Außensicht der Nichtschwenckfelder bei. Schwenckfelder selbst bezeichneten sich nur in der Konfrontation mit den ordinierten Theologen selbst dissimulierend als „Laien", nutzten also das Vokabular und die damit verbundenen Kategorisierungen ihrer Gegner zum Verbergen ihrer Glaubensüberzeugungen (siehe Kap. 5). Die Umwertung des Laien-Begriffs als positive Abgrenzung zum universitär-gelehrten Theologen, der jedoch im religiösen Lebensvollzug versagte, wurde auf protestantischer Seite auch außerhalb des Schwenckfeldertums genutzt. Der Konstanzer Stadtschreiber Jörg Vögeli bezeichnete sich bewußt als ,Laie', B. Hamm, Laientheologie, S. 223-225. Zum ,Frömmigkeitstheologie'-Konzept siehe B. Hamm, Frömmigkeit, S. 464-497. K. Schreiner, Laienbildung, S. 327-332. Ch. Burger, Theologie und Laienfrömmigkeit, S. 404.

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Menschen (auch unter den Heiden) und die Christus im Herzen trugen, aber zerstreut lebten in der Welt, sich untereinander nicht alle kannten und noch nicht durch Gottes Wirken äußerlich versammelt worden waren,98 hatte sich erst allmählich entwickelt. Zunächst dachten Schwenckfelder sehr wohl an die Möglichkeit einer umfassenden äußerlich sichtbaren Reformation der Kirche, in der das rechte Verständnis Christi herrschte, Predigt und Sakramente im richtigen Glauben zur Übung des äußeren Menschen gebraucht wurden. Diese Hoffnung ist spürbar in der erwähnten Kirchenschrift von Burkhard Schilling. Er orientierte sich an dem Vorbild der Urkirche, das alle gegenwärtigen Kirchen nicht ausfüllten, das aber prinzipiell erreichbar wäre. Für den Pfarrer Schilling ist das Vorgehen der Täufer, ihre eigenmächtige Absonderung, die Gründung einer neuen Laienkirche an sich legitim. Unter Berufung auf den Kolosserbrief betonte Schilling, daß jeder Christ das Recht habe, andere zu lehren und zu ermahnen. 99 Wie die katholische und die lutherische Kirche begingen die Täufer allerdings den Fehler, das Heil wieder an Äußerliches zu binden, somit seien sie ebenfalls nicht die wahre Kirche Jesu Christi, sondern hätten auch als kritische Laien, die sich zu recht von denen trennten, die das himmelreich zu schließen vor den menschen,100 nur den toten Buchstaben in der Hand: Dieweil sie [die Täufer] aber auch (wie andere) deß Erzhirten nit erwartet / ohn sein befelch süch des tauffs vnd der kirchen schlüssel angenommen / vnd für sich selbß ein kirchen auszurichten vnderstanden haben / so ists ihnen auch dermaßen / gleich wie dem andren vor Jhnen / mit Jhrem bawen geraten / vnnd ist also nüchts anders dann ein newer Pharisiasmus vnd Menachismus darauß worden / Summa Eß ist ihnen allen nichts anders dan der tod buchstab Jn die hend pliebe / mit dem wehret süch ein Jedlicher vor seiner thur so lang er mag / darumb hatts weder der Bapst / noch Luther noch teuffer troffen / dann es Jst nit mit worten außgericht / noch mit dem blossen buchstaben genug / Sed in uirtute regnum Dej est. Cor: 4 / man würdt auch nit sagen / sihe hie oder dort / ist das Reich gottes / dann sehet das reich Gottes ist Jnwendig Jnn eüch.m Hier klingt schon an, daß die Kirche mit ihrer äußerlichen Versammlung und Auferbauung zu warten hatte, bis Christus den Befehl dazu gab. Diese Tat Christi erwarteten Schiilling und zunächst auch Schwenckfeld noch zu ihren Lebzeiten, verlegten sie aber dann zeitlich immer weiter in die Zukunft. Zugleich verlor der Vorgang der sichtbaren Versammlung immer mehr an Bedeutung und fiel schließlich mit der Wiederkunft Christi zusammen. 102 Entscheidend wurde der individuelle innere Vorgang, das Wirken Christi als dem inneren Wort in den

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G. Maron, Individualismus, S. 123f. Kol 3, 16. Berlin, Staatsbibliothek, Ms.germ. fol. 429, fol. T . Berlin, Staatsbibliothek, Ms.germ. fol. 429, fol. T. Berlin, Staatsbibliothek, Ms.germ. fol. 429, fol. T . Maron, Individualismus, S. 129.

92 Herzen der Auserwählten. Diese Beziehung war unmittelbar, nicht durch religiöse Experten vermittelt. Trotz dieser laikalen Ausrichtung sympathisierten im 16. wie im 17. Jahrhundert nicht wenige Pfarrer mit den Lehren Schwenckfelds, die meisten von ihnen blieben in ihren Pfarrämtern und bemühten sich von der Kanzel aus, auf das innere Wort Christi hinzuweisen. Sie spendeten keine Sakramente oder taten es nur widerwillig,103 innerhalb der schwenckfeldischen Gemeinde hatten sie keine herausgehobene Stellung. Erheblich seltener als das Interesse protestantischer Pfarrer waren die Fälle von katholischen Geistlichen, die die lutherische bzw. oberdeutsche Reformation quasi übersprangen und sich gleich der radikalen schwenckfeldischen Richtung anschlossen. Schwenckfeld korrespondierte mit einigen Interessierten, darunter vor allem mit dem Abt von Kempten, Wolfgang von Grünenstein.104 Herausragendes und ungewöhnlichstes Konversionsbeispiel ist Johann Martt, der sein katholisches Pfarramt im schweizerischen Altstätten zu Beginn der 1560er Jahre aufgab, um sich wie einst Schwenckfeld als Glaubensflüchtling ganz der Sache Christi zu verschreiben.105 Aufgrund ihrer Erfahrung als Gemeindeleiter sahen sich die Theologen unter den Schwenckfeldern stärker als Experten, die zwar das Heil, die innere Wiedergeburt nicht vermitteln konnten, aber ihre geistlichen Brüder und Schwestern aus dem Laienstand als der Unterweisung bedürftig ansahen. Zwar verwiesen auch sie darauf, daß Christus selbst der Lehrmeister war, gleichzeitig vermittelten sie aber theologische Kenntnisse in autoritativer Form, die keinen Widerspruch duldete. So beschwerte sich Crautwald in dem oben erwähnten Briefwechsel mit Katharina Streicher, daß sie den Inhalt seiner Schreiben nicht genügend verinnerlicht habe.106 Anders agierte der Laie Schwenckfeld, der in Katharina eine seiner begabtesten Theologinnen sah, an die er andere Anhänger in exegetischen Fragen verwies und die er selbst gelegentlich konsultierte, um sich gleichrangig mit ihr auszutauschen und so in der schriftlichen Kommunikation um die richtige Bibelauslegung zu ringen.107 Der ehemalige Priester Martt stellte zwar auch Fragen zum rechten theologischen Verständnis in seinen Briefen an Glaubensgenossen, aber weniger in der Absicht, kommunikativ theologische Positionen herzustellen als vielmehr, um die Laien einem an den Katechismusunterricht erinnernden Examen zu unterziehen und die Korrektheit des Glaubensverständnisses zu überprüfen. 1577 erwähnte er in einem Brief an drei schwenckfeldische Mägde in Ulm, daß er eine von ihnen, Anna Bernhardt, zuvor zu einer theologischen Selbstauskunft veranlasst habe. Dabei bewertete er ihre Antwort und stellte nun Fragen an alle drei: nach dem ich

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Siehe Kap. 5.1. C.S. 10, S. 100-124. Zur Biographie Martts siehe Kap. 2. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 37.27. Aug. 2°, S. 95. C.S. 11, S. 563-573; C.S. 13, S. 115.

93 an Anna Bemhartin ettliche fragen gethan / nemlich das sie ier welle ercleren was vnd wer gott ittem was vnd wer der vatter der sun vnd der h geyst sey / vnd sie mier darauff zimlich wol geanttwurttett hatt / so ist nun ferner ain frag an eych alle die schwestern: was die h dreyfaltigkayt im grundt nach ihrem selbstendigen wessen sey.m Auch in einem Brief an Sibilla Eiselin109 betonte Martt 1576 die herausgehobene Rolle der auserwählten Diener, durch die der Gläubige das Wort Gottes ebenso aufnehmen könne wie durch den Herrn selbst.110 Hier war er allerdings vorsichtiger in der Konstruktion seiner Rolle als dominante Führungspersönlichkeit und gab sie am Ende des Briefes sogar ganz auf, verwies Eiselin an Schwenckfelds Schriften und betonte, daß ihm wohl klar sei, daß sie die Antworten auf ihre Fragen eigentlich selbst wisse." 1 In diesem unterschiedlichen Umgang mit der altgedienten Schwenckfelderin und wohlhabenden Witwe eines Ratsmitglieds, Sibilla Eiselin und den Mägden, zeigen sich soziale Distinktionen, die zwischen schwenckfeldischen Glaubensgenossen nicht vollständig aufgehoben waren.112 Der Pfarrer und Schulmeister Daniel Friedrich beschäftigte sich am ausführlichsten mit den Aufgaben der religiösen Experten, die er Diener nannte. In seiner Schrift über die Notwendigkeit äußerlicher Zusammenkünfte113 unterschied er die Menschen mit geringeren geistlichen Gaben von denen, die von Gott dazu berufen waren, den weniger Geistbegabten zu helfen. Allerdings konnten die Diener auch seiner Ansicht nach die unmittelbare Gottesbeziehung nicht ersetzen, ihre Aufgabe beschrieb er mit Bildern von Schwangerschaft114 und Geburt: Es kan sich nicht in iedem beschnittenen hertzen weder der geist des gebetts der gnaden / vndt des glaubens so baldt offenbaren / noch nach willen erregen vnd vben / Er begeret des äußeren menschens halber einen Dienst / Heb= oder Pflegammen. 108 109

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 427, fol. 108v. Nach Salig, Christian August, Vollständige Historie der Auspurgischen Confession und derselben Apologie, Bd. 3, Halle 1735, S. 1180 war Ferraria die Adressatin des Schreibens, Schwenckfeld hatte dieses Pseudonym für Sibilla Eiselin verwandt. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 36.2. Aug. 2°, fol. 429. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 36.2. Aug. 2°, fol. 439. Das gilt ganz besonders für Martt, der aufgrund seiner Ehe über Stand Schwierigkeiten mit seiner eigenen Positionsbestimmung innerhalb des Sozialgefüges hatte und deshalb ständig zwischen scharfer sozialer Kritik an adeligen und städtischen Oberschichten und devoter, von Minderwertigkeitsgefühlen durchdrungener Rede gegenüber diesen sozialen Gruppen schwankte, siehe Kap. 4. Die Schrift wurde 1643 in Nürnberg gedruckt. Ein Exemplar davon befindet sich in der Staatsbibliothek Hannover, siehe E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 15. Eine spätere handschriftliche Version, die die zahlreichen Druckfehler korrigierte und offenbar eine erneute Abschrift des Originals darstellte, ist in der handschriftlichen Gesamtausgabe der Werke Friedrichs Sacrarium philosophiae coelestis enthalten, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Ε 19, fol. 618-644. Das Bild von der verborgenen Erfahrung im Herzen, dem Samen Gottes, mit dem der Mensch schwanger gehe, benutzte Friedrich in einem Brief an einen neubekehrten Schwenckfelder, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, Bl. 5 r .

94 Ein iedes hat sein zeit sagt der Prediger Salomonis: ein iedes glied sein maas / vnd es gehören mancherley gaben zur Offenbarung vnd Samblung der kinder Gottes ins gemein aber zur Offenbarung eines ieden insonderheit ein gewechse vnd brauchet o f f t einen Dienst.115 Obwohl schwenckfeldische Pfarrer, besonders die der spätschwenckfeldischen Zeit, also eine stärkere Aufgabenteilung sahen, blieb das Schwenckfeldertum eine spiritualistische Laiengemeinschaft. Formelle Hierarchien oder Ämter, die zu einer festen Gruppenstruktur bzw. zur Institutionalisierung gehörten, gab es nicht. Denn die Diener waren wie Propheten direkt von Gott berufen. Allein durch Selbstprüfung erkannten sie ihren Stand vor Gott und ihre Berufung. Nach Daniel Friedrichs Überzeugung war zudem allein in der unwichtigeren Sphäre des äußeren Menschen ein helfender Dienst eines religiösen Experten denkbar. Der entscheidende innere Mensch hatte den Geist Christi direkt im Herzen." 6 Da es nicht zu einer formellen Institutionalisierung kam, kümmerten sich die Laien wenig um die Vorstellungen schwenckfeldischer Pfarrer. Wie am Beispiel Katharina Streichers dargestellt, lehnten sie theologische Deutungsmonopole religiöser Experten innerhalb ihrer Gemeinschaft ab und beharrten darauf, allein von Christus gelehrt zu werden. Das paulinische Schweigegebot betraf die Frauen unter ihnen nicht, da es keinen geschiedenen Ort religiöser Handlungen, keine Kirche, gab. Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder predigten nicht, auch nicht innerhalb ihrer Konventikel, sie spendeten keine Sakramente. Niemand verwaltete religiöse Symbole. Das Schweigegebot für Frauen wurde daher nicht thematisiert.117 Daß sie nicht nur in den Versammlungen und in organisatorischen Belangen aktiv handelten, sondern selbstverständlich auch an der gemeinsamen, in Gesprächen oder Briefen vermittelten Suche nach Lösungen fur theologische wie strategische Problemstellungen beteiligt waren, eröffnete Frauen eine Reihe neuer Handlungsmöglichkeiten. Ihre religiöse Erfahrung hatte nicht im intellektuell und theologisch unreflektierten Bereich zu verbleiben, der allein von männlichen Theologen gedeutet werden konnte.118 Für Frauen war dieser Aspekt der Abschaffung der Gruppe religiöser Spezialisten von größerer Relevanz als für schwenckfeldische Männer. Frauen waren immer Laiinnen und blieben in den Konfessionskirchen aus dem Bereich der religiö-

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Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Ε 19, fol. 637. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Ε 19, fol. 640. Schwenckfelderinnen nutzten allerdings den hegemonialen Geschlechterdiskurs, wenn es darum ging, sich obrigkeitlicher Kontrolle zu entziehen und beschrieben sich selbst dann als schlecht weibsbild, benutzten also die Kategorien ,Laie' und ,Frau', um sich weiteren Verhören zu entziehen, siehe Kap. 5.6. So interpretierte vor allem die ältere Forschung religiöse Erfahrungen von Frauen in der Mystik und im visionären Bereich als für sich genommen theologisch unreflektiert, abhängig von der Auslegung der männlichen geistlichen Betreuer im Gegensatz zur theologisch ernstzunehmenden mystischen Erfahrung von Männern, siehe U. Peters, Religiöse Erfahrung, S. 3f., 105f.

95 sen Experten dauerhaft ausgeschlossen, im Protestantismus war ihnen auch ein Leben als ledige religiöse Virtuosin in einem Frauenkonvent nicht mehr möglich.119 In der schwenckfeldischen Gemeinschaft konnten sich Frauen nicht nur aktiv religiös betätigen, selbst eine Entscheidung gegen die Ehe, das Verbleiben im Jungfrauen- oder Witwenstand wurde dort unterstützt. Schwenckfeld selbst blieb zeitlebens unverheiratet und schätzte diese Entscheidung auch bei seinen Anhängern, besonders bei Frauen. Die Ehe empfand er ausschließlich als schweres Kreuz, das nur negativ nützlich sein konnte in dem Sinne, daß Kreuzigung und Leiden des äußeren Menschen Teil des Heilsweges war. Er sah eine Eheschließung fur sich selbst als Sünde an, da ihn der Herr zu anderem berufen habe. An die Stelle der äußerlichen Ehe setzte er die spirituelle Beziehung gerade zu seinen Anhängerinnen: Gott habe ihm vil weiber mit gutem verstände / für eins gegeben.120 Viele seiner Anhängerinnen aus allen sozialen Schichten wählten ein Leben ohne männlichen Haushaltsvorstand als Jungfrauen oder als Witwen in Gemeinschaft mit weiblichen Verwandten oder Berufsgenossinnen, aber auch allein. In der Ulmer Schwenckfelder-Gruppe stellten Ledige sogar die Mehrheit der weiblichen Mitglieder. Typisch ist in dieser Beziehung die Familie Streicher, zu der Schwenckfeld enge Kontakte hatte. Die Witwe Helena Streicher, die nach dem Tod ihres Mannes als Krämerin tätig war,121 lernte Schwenckfeld ca. 1535 kennen und Schloß sich mit ihren sechs Kindern seiner Lehre an. Mindestens vier ihrer Töchter blieben im Jungfrauen-Stand, einzig der Sohn heiratete.122 Schwenckfeldische Religiosität bot hier wie auf anderen Gebieten des religiösen Lebens und der Theologie123 eine via media zwischen dem Zölibat in einem

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Die Ehe wurde das Ordnungsmodell der Laiengesellschaft und damit „nicht nur zur ersten Ordnung Gottes, sondern - nach dem Wegfall des Zölibats - zur einzigen Ordnung der Geschlechter", H. Wunder, Normen, S. 70. „Frömmigkeit als christliche Lebenspraxis" spielte sich allein innerhalb der Ehe ab und wurde so als internalisierte Kontrollinstanz Teil bürgerlicher Weiblichkeit, siehe H. Wunder, Von der frumkeit zur Frömmigkeit, S. 174-188. C.S. 10, S. 26. Sie handelte mit Waren aller Art, vor allem aber mit Stoffen, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 87, 96f. Ihre Tochter Katharina führte ihr Handwerk nach ihrem Tod weiter und bereiste zu diesem Zweck allein auch andere Reichsstädte, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, 19.9.1553, 1. Aussage von Unsinn, fol. 2. Den Schwenckfelderinnen aus der städtischen Mittel- und Oberschicht mit eigenem Vermögen sowie den adeligen Mitgliedern fiel es weniger schwer, ohne männlichen Beistand ein Auskommen zu finden, aber auch viele Mägde blieben bis ins hohe Alter ledig und ernährten sich durch Dienste. Sicher ledig waren die älteste Tochter Katharina, ihre Schwester Agatha, die als Ärztin nach dem Tod von Schwestern und Mutter mit ihrer verbliebenen Schwester Margaretha zusammenlebte, Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 31, fol. 597 v . Helena ging 1549 nach Augsburg und trat in die Dienste der Schwenckfelderin Sibilla Eiselin, die nach dem Tod ihres Mannes ebenfalls allein lebte, C.S. 11, S. 499f. Über die fünfte Schwester Anna ist nichts weiter bekannt, sie wird in Schwenckfelds Briefen zum letzten Mal 1536 erwähnt, vermutlich ist sie früh gestorben, C.S. 5, S. 478-483. Siehe unten Kap. 5.

96 katholischen Kloster und der Heirat als einziger Lebensperspektive im Protestantismus. Im Alltagsleben konnten Frauen sich ihren religiösen Lebensvorstellungen widmen, ohne sich in die zeitraubenden Arbeits- und Herrschaftsstrukturen der Ehe einfügen zu müssen.124 In der Forschung ist häufig darauf hingewiesen worden, daß die Beseitigung des Ordenslebens mit der Reformation Nachteile für Handlungsspielräume von Frauen, besonders für ihre aktive Beteiligung am religiösen Leben bewirkt habe.125 Die Auswirkungen der Auflösung der Klöster und der Abschaffung des priesterlichen Zölibats auf Männer wurde dagegen weniger thematisiert. Männer hatten zwar als religiöse Spezialisten Zugang zum exklusiven Bereich der kirchlichen Heilsvermittlung, aber der verheiratete Pfarrer und seine Familie wurden zum Leitbild protestantischen Lebens.126 Ein Leben, das sich allein Gott zuwandte, war nun nicht mehr möglich, was durchaus nicht überall Beifall fand. Im Schwenckfeldertum konnten Männer wie Frauen, die religiöses Virtuosentum anstrebten, diese Lebensmöglichkeit finden als fromme ledige Laien. Daniel Friedrich, der zwar zweimal heiratete - aus Schwäche, wie er selbst angab -, 127 befürwortete dennoch ein Leben außerhalb der Ehe. In einem 1608 an seinen Nürnberger Glaubensgenossen Johann Jakob Janin gerichteten Brief beschäftigt er sich u.a. mit der von Janin gestellten Frage, auß was vrsachen die gab der reinigkeit vnd Jungfrawschafft heutigs tag so wenig gefonden / die doch bey C.S. zeiten sich erzeigtt,128 Friedrich ging nicht auf mögliche historische Gründe für diese Veränderung ein, sondern führte den Mangel auf die Unvollkommenheit des äußeren Menschen zurück. Der ledige Stand war für ihn eindeutig dem Ehestand überlegen, selbst wenn die Ehe fromm geführt wurde.129 Keuschheit war seines

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Ähnliche Versuche eines religiösen Lebens zwischen zölibatärem Klosterleben und der Ehe versuchten einige gegenreformatorische Frauengemeinschaften auf katholischer Seite in Anknüpfung an die Tradition der Beginen. Ohne Habit, ohne männliche Aufsicht direkt dem Papst unterstellt und zum Teil sogar ohne gemeinschaftliches Leben versuchten sie, besonders karitativ - fur Arme und Kranke - tätig zu sein. Der anfängliche religiöse Spielraum, der solche Gemeinschaftsgründungen durch Frauen wie Angela Merici, Maria Ward oder Louise de Marillac zuließ, wurde aber schnell wieder verengt. Die Gemeinschaften zerbrachen oder wurden in reguläre Orden umgewandelt, siehe R. P. Liebowitz, Virgins in the Servic of Christ. Siehe z.B. L. Roper, The Holy Household. Siehe L. Schorn-Schütte, Die evangelische Geistlichkeit. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 44". Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Ε 20, fol. 38 r . Den Begriff Jungfrawschafft bezieht Friedrich auf beide Geschlechter, vgl. J. H. Zedier, Universal-Lexikon, Bd. 14, I, Sp. 1610, der für ledige Männer den Begriff Jung-Gesell benutzt und .Jungfer/Jungfrawschafft nur in seiner uneigentlichen Bedeutung auf Männer bezieht, dafür ist der Begriff Jungfrawschafft im Gegensatz zu Jung-Gesell mit besonderer Reinheit und Unvermischtheit verknüpft, die offenbar eher Frauen zugeschrieben wurde. Eine solche geschlechterspezifische Unterscheidung kennt Friedrich nicht. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 46 v .

97 Erachtens Ausdruck von Reinheit als Frucht des Glaubens,130 zudem konnte sich der ledige Mann intensiver mit dem Glauben beschäftigen, da die Arbeit für und die Sorge um Frau und Kinder entfielen, die Körper und Geist von Gott abzogen.131

3.3

In der „Schule Christi"

Nach schwenckfeldischen Vorstellungen war der Heilsweg des Menschen ein lebenslanger Prozeß, ein Weg mit mehreren Stufen, den Schwenckfelder mit dem Bild der Schule beschrieben. Lehrmeister war allein Christus, der sich selbst und seine Heilstat zum Unterrichtsgegenstand machte. In der Schule schritten die gläubigen Schüler je nach Kenntnisstand voran. Christus war Lehrmeister und Lehrstoff zugleich, das Ziel war die imitatio, das Einswerden mit dem vergotteten Fleisch Christi nach der Auferstehung. Das Lehrkonzept war dabei nicht allein auf den Intellekt ausgerichtet, obwohl Bildung und Lektüre eine wichtige Rolle spielten. Das Wesentliche, die Erkenntnis Christi, wurde mit dem Herzen emotional erfaßt. Schwenckfeldische Bildungskonzepte versuchten einen Mittelweg zwischen dem elitären, humanistischen Gelehrtenideal, das sich von der laikalen muttersprachlichen Kultur schon durch die lateinische Sprache abgrenzte und dem oft bildungsfeindlichen Ansatz der radikalen Reformation, die auf christliche simplicitas setzte.132 Zur Erkenntnis Christi und der für jeden Christen notwendigen eigenständigen Prüfung der religiösen Angebote war die Lektüre theologischer Werke aller Art (darunter an erster Stelle der Bibel) zwingend geboten, aber sie allein reichte nicht aus zum Erfolg in der Schule Christi. Ohne die emotionale Aufnahme und die Einschreibung in die Herzen geriet das Lernen zum bloßen Erfassen des toten Buchstabens.

3.3.1 Christwerden als emotionales und intellektuelles Lernen In seiner 1558 abgefaßten Schrift Von der Schul Christim beschrieb Schwenckfeld den Weg der Christwerdung in seinen einzelnen Stufen. Schwenckfelds Werk war kein religionspädagogisches Lehrbuch, sondern Schule diente als Metapher fur den Glaubensweg, denn das Ziel des Glaubens ließ sich gerade nicht über den

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Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 44 r . Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 46 v . Zu den Bildungskonzepten in der Frühneuzeit siehe W. Kühlmann, Pädagogische Konzeptionen, S. 154. C.S. 16, S. 485-492.

98 menschlichen Verstand erreichen.134 Nachdem der Schüler durch das vorausgehende Handeln Gottes vorbereitend deponiert worden war, trat er in die Schule Christi ein, eine Art Elementarschule, in der Gott der alleinige Schulmeister war, der den Schülern die Heilstat Christi behutsam näher brachte. Schwenckfeld verband das Bild von der Schule mit dem der Tafel, an der den Anfängern zunächst nur die Milchspeise der Kinder gereicht wurde. Wichtig war in dieser Lernphase vor allem der Kampf gegen die Sünde, den der Schulmeister durch die Rute, die Erfahrung des Leidens, unterstützte und der im Leben sichtbar werden mußte. Schwenckfeld beschrieb den geforderten frommen Lebenswandel mit Bildern des Studentenlebens, von dem sich der geistliche Schüler distanzieren sollte: Um seine Reinheit und Keuschheit zu erhalten, sollte er sich von Bordellen und dem Saitenspiel fleischlicher Lüste fernhalten. Er sollte sich auch nicht unnötig in rhetorische Streitigkeiten verwickeln lassen, sich nicht in die Fechtschule oder sich in philosophischen Zank begeben.135 Wenn diese ersten Lektionen erfolgreich verliefen, erhob der Schulmeister den Schüler in eine höhere Schule, wo die lebendige Erkenntnis Christi gelehrt wurde. Hier wurde Christus selbst zum Herrn der Schule durch die Wandlung seines Fleisches nach der Auferstehung. Gottvater lehrte nunmehr nur noch durch den Sohn. Diese Beziehung zu Christus ließ den Schüler die eigentliche Wiedergeburt erleben, die als ontologische Veränderung des inneren Menschen verstanden wurde: Der Schüler zog den neuen Menschen an unter Ablegung des sündigen Leibes. Dieser Vorgang brachte ihn zur Fähigkeit, sein Gewissen zu erforschen und schenkte ihm die christliche Freiheit durch die Abwaschung der Sünden, die Christi Heilstat ermöglicht hatte. Wieder bemühte Schwenckfeld parallel dazu das Bild von der Tafel, an der dem Christen nun die starke Speise gereicht wurde, nachdem er zuvor im Bad der Wiedergeburt gewaschen, mit dem Wort des Kreuzes gesalzen und sein Nabel mit dem scharfen Messer des Wortes Gottes beschnitten worden war. Die Speise war Christus selbst: Der Gläubige aß das vergottete Fleisch Christi und trank sein Blut. Er nahm die Stärke und Kraft für seine innere Menschengestalt aus den Eingeweiden Christi.'36 Durch diese Einverleibung, in der der Schüler der Natur Christi teilhaftig wurde, veränderte sich auch der geistliche Körper des Christen. Seine Sinne wurden verbessert, seine „Zehen" wurden stark gemacht, damit er das erhöhte Fleisch Christi angreifen durfte. Er erhielt einen goldenen Mund, mit dem er Christus, den Bräutigam küssen mochte, und eine holdselige Sprache, um gut und nicht zu viel zu reden. Seine Arme wurden geheiligt, damit er den Bräutigam umfassen konnte. Der Bauch wurde gereinigt, um gute Frucht zu empfangen, die

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Schwenckfeld setzte sich aber auch für den katechetischen Unterricht in Schlesien ein. Schwenckfeldische Pfarrer legten ebenfalls Wert auf den religiösen Unterricht von Kindern und Erwachsenen, siehe unten. C.S. 16, S. 485-488. C.S. 16, S. 488f.

99 Nieren wurden von Begierden gesäubert. Seine Füße wurden Pilger auf Erden, um die neue Erde des Himmels betreten zu können.137 Der fortgeschrittene Schüler hielt sich nicht fern von der Welt, sondern lebte unsträflich und erbarlich in ihr. Er dankte im Gebet nicht nur dem Schulmeister, sondern bat auch für die Kirchen und die Obrigkeit, die Nichtgläubigen und die Feinde. Er würde leiden in der Welt, wie Christus es getan hatte.138 Den einzelnen Lektionen innerhalb der Schule Christ entsprechen andere Stufenmodelle des Christwerdens, die nicht nur mit der Vorstellung von der Schule arbeiten, sondern nach dem biblischen Bild der Jakobsleiter gestaltet sind. Für die Schwenckfelder bildete der Glaubensweg immer einen mehrere Etappen umfassenden Prozeß, der den inneren und den äußeren Menschen betraf und dialogisch konzipiert war: Das Handeln Gottes war vorgängig und maßgebend, der Mensch konnte seine Angebote annehmen und mußte dann - auch äußerlich für andere erkennbar - darauf antworten. Die Anzahl der Stufen war dabei variabel, Schwenckfeld selbst beschrieb den Weg mehrfach mit unterschiedlich vielen Stadien.' 39 Johann Martt schilderte einen sieben Grade umfassenden Prozeß der Christwerdung. Anders als bei Schwenckfeld 140 war für ihn ab der fünften Stufe, der geistlichen Auferstehung, in der Christus die Regentschaft in den Herzen der Gläubigen übernahm, kein Rückfall in die vorherigen Stadien des Prozesses mehr möglich.141 Martt konstruierte die Christwerdung parallel zum biblischen Heilsgeschehen, zu Passion, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Christi. Christus lebte in den Gläubigen, die ihn nur erkennen mußten. In ihren Körpern, in den Herzen der Menschen vollzog sich noch einmal der Heilsprozeß. Christus wirkte im Innern, bewegte sich in dem Maße und mit der Geschwindigkeit auf dem Weg fort, mit der der Gläubige in der Erkenntnis Christi, in der Entdeckung des Wirkens Christi in ihm, zunahm. Gemeinsam ist allen Wegen der Zusammenhang zwischen dem inneren Vorgang und der äußerlich sichtbaren Dokumentation des Glaubensfortschritts im 137

C.S. 16, S. 490. C.S. 16, S. 490f. 139 C.S. 6, 431-440, siehe G. Maron, Individualismus, S. 69f. 140 G. Maron, Individualismus, S. 76f. 141 Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 36.2. Aug. 2.°, Brief an Sibilla Eiselin, 5.9.1579, fol. 427-434. Im 1. Grad der Christwerdung miesten wir Christum [...] in vnns seeligclich erkhennen lernen, d.h. erfassen, daß Christus sein Wesen in den Gläubigen angefangen hat und sie in Buße und Besserung des Lebens darauf antworten (427), im 2. Grad wachsen sie in Christus, werden ihm gleichförmiger (428), der 3. Grad umfaßt das Creütz Marter vnd leyden Christi [...], da wir vmb Christi willen gecreütziget werden (429f.), im 4. Grad wird Christus in den Gläubigen begraben und durch die innere Taufe in den Tod gegeben (431), in der 5. Stufe folgt, daß Christus auch in vns miesse aufferstehen [...], da khönnen wir denn nicht ausfallen / wie bey den vorigen graden / den der herr held seine hend ob vns (432), im 6. Grad fert auch Christus in vns geistlich gehen himel (432), das geschieht, wenn er vns volkhomenlich thailhafftig macht deß Hay: Gaists, so daß vnser wandel im himel ist (433), in der letzten Stufe sitzet auch Christus in vnns zuer rechten seines himblischen vatters [...] /da offenbart er vns seine götliche gehaimnuß (433). 138

100 gelebten Leben, in den Früchten des Glaubens, in einer Verbesserung des sittlichen Lebenswandels.142 Das Verhältnis zwischen Handeln und rechter Erkenntnis war aber ein hierarchisches. Der Lebenswandel verwies nur auf den inneren Vorgang. Das Ziel des Weges war immer die Vereinigung mit Christus, die Teilhabe an seinem verklärten Fleisch, die Vergottung des Menschen: Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch Gott wird, so faßte Martt in Anlehnung an die Worte des Kirchenvaters Athanasius die schwenckfeldische Essenz der Christwerdung zusammen.143 Schwenckfelder schilderten den Prozeß der Christwerdung - wie gezeigt - in Körperbildern, die zum Teil an die mittelalterliche Mystik erinnern, wie das Bild der Hochzeit mit dem himmlischen Bräutigam. Maron sieht das Glaubensziel des Schwenckfeldertums sogar in gänzlicher Übereinstimmung mit der aus dem Mittelalter stammenden Vorstellung einer unio mystica mit Christus.'44 Diese Bilder wurden zwar aufgegriffen und die Vereinigung als eine onotologische verstanden, aber der ekstatische Aspekt einer körperlichen unio fehlte. Weder Schwenckfeld selbst noch die süddeutschen Schwenckfelder (mit Ausnahme von Martt, auf den gesondert einzugehen ist) erlebten in Träumen oder Visionen leibhaftig den Vorgang der Einwohnung Christi oder der Vereinigung mit dem göttlichen Fleisch. Wie in anderen Aspekten von Theologie und Lebenspraxis fanden sie auch im Hinblick auf die Körperlichkeit und die Emotionalität religiösen Erlebens einen Weg zwischen katholischer Tradition und protestantischer Erneuerung. Religiosität konzentrierte sich auf Christus als das Wort Gottes, ging aber nicht auf in den äußerlichen toten Buchstaben protestantischer Predigt. Das Wort wurde dem Körper des Gläubigen einverleibt. Zentraler Ort dieses Geschehens war das menschliche Herz. Die Bilder, die die Schwenckfelder im Zusammenhang mit dem Begriff des .Herzens' gebrauchten, hatten alle einen biblischen Bezug verbunden mit den Vorstellungen und Gebrauchsweisen des Begriffs im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit, die durch die Rezeption von Aristoteles und Galen geprägt waren. Das Herz wurde als Raum, als Behältnis vorgestellt, in dem die Sünden verborgen waren, aber im Herzen nahm auch Christus Wohnung durch den Heiligen Geist. Nach schwenckfeldischer Vorstellung, die sich vorwiegend auf die paulinischen Briefe bezog, war das Herz sowohl bewohnbarer Raum als auch mit Sinnesorganen ausgestattetes Lebewesen.145 Das Herz galt bis ins 17./18. Jahrhundert als Lebenszentrum. Es wurde weniger als Ort des Intellekts betrachtet denn als Ort der Lebenskräfte, der Seele, der Emotionen und der Religion, aber auch der inneren Gedanken und Gefühle.146 Der Begriff des ,Herzens' war also vieldeutig in der Medizin wie in 142 143 144 145 146

Siehe Kap. 4. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 427, 67 r . G. Maron, Individualismus, 37f. Siehe vor allem Rö 5,5; 2 Ko 1, 22; Gal 4, 6; Eph 1, 18; 3, 17; 5, 19; 2 Th 3,5. Vgl. Robert A. Erickson, der in seiner Studie zum 17. und 18. Jahrhundert einleitend eingehend das medizinische Verständnis des Herzens von der Antike bis zu William Harvey, der

101 der Metaphorik der Bibel, vor allem aber war er sowohl auf den Körper wie auf den Geist bezogen.147 Wenn die Ulmer Schwestern Altenstaig und ihre Glaubensgenossin Anna Hermann 1581 angaben, deß Schwenckfelds Lehr sei ihnen ein Zeugnus ihres Herzens148 oder die neukonvertierte Barbara von Eberstein mitteilte, daß Schwenckfelds Theologie nicht im Widerspruch zu den Vorgängen in ihrem Herzen stehe, verwiesen sie sowohl auf einen körperlichen wie auf einen spirituellen Ort, an dem sich Glauben ereignete. Das Wirken Christi im Herzen wurde von den Schwenckfeldern vor allem ,empfunden', d.h. sinnlich wahrgenommen, es erzeigte sich aber auch in der Veränderung des Lebens, in einer Abkehr von der Sünde, und der Fortgang der Vergottung des Menschen wurde intellektuell unterstützt durch das Streben nach der rechten Erkenntnis des Wesens und der Heilstat Christi. Der durchgängige Dualismus von Geist und Fleisch verhinderte eine einfache positive Einbeziehung des Körpers in den Weg der Christwerdung. Erst in gewandelter Form konnte ein geistlicher Leib, der neue Mensch, dem verklärten, vergotteten Fleisch Christi nahekommen. Der Vorgang der Einverleibung Christi, der Verwandlung des Gläubigen auf dem Weg der Vergottung selbst war nicht kommunizierbar, er wurde nur in allgemeiner Form wie oben beschrieben mit Bildern des Körpers dargestellt, aber nicht als eigene leibhaftige Erfahrung geschildert. Schwenckfeldische Theologie bezog so den Körper nicht wirklich ein, sondern ,entkörperte' ihn gleichsam, deutete körperliche Vorgänge spiritualistisch in Metaphern um. Schwenckfeld mochte noch so sehr das Gegenteil behaupten das verklärte Fleisch Christi war kein Fleisch mehr, die menschliche Natur Christi war aufgelöst. Caroline Walker Bynum hat gezeigt, daß weibliche Religiosität des Mittelalters den Körper und somit die Menschheit Christi, sein Leiden, in das Zentrum stellte.149 Protestantische Theologie machte derlei körperlich vorgestellte Beziehungen zunichte in der Konzentration auf das Wort. Schwenckfeldischer Spiritualismus ließ von den weiblich konnotierten Verkörperungen des Nährens und Essens zumindest die Hülle übrig. Die Sprachbilder, die Schwenckfeld, Martt und Friedrich zur Beschreibung der Christwerdung verwandten, waren Bilder von Schwangerschaft, Geburt und Ernährung.150 Bei Johann Martt, dem aus Bregenz stammenden ehemaligen Priester, waren katholische Glaubensvorstellungen noch mehr präsent. Er betonte den Aspekt des Leidens stärker, der allerdings spiritualistisch nach innen gewandelt und nicht primär körperlich gedacht wurde. Leiden mit Christus bedeutete vor allem Leiden unter den inneren Anfechtungen, was er in den Briefen an seine Frau häufig the-

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durch die Entdeckung des Blutkreislaufs die Vorstellungen von Aufbau und Funktion des Herzens entscheidend veränderte, darstellt, R. A. Erickson, Language of the Heart, S. 1-24. R. A. Erickson, Language of the Heart, S. 11. Ulm, Stadtarchiv, Ve. Urk. 1582/83, fol. 648. C. Walker Bynum, Holy Feast, S. 260f. C.S. 10, S. 856; C.S.I 1, S. 746, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 5.

102 matisierte.151 Als einziger unter den süddeutschen Schwenckfeldern hatte Martt Träume und Visionen, die er anderen mitteilte. Seine Träume waren oft konkret handlungsleitend: So träumte er den Ort der Niederkunft seiner Frau oder den Verlauf ihrer Flucht.152 Häufig handelten seine Gesichte von Glaubensgenossen und seiner Beziehung zu ihnen. Auf diese Weise konnte er anders als nur auf dem Weg der schriftlichen Kommunikation die Verbindung zu seinen fernen Glaubensgeschwistern und seiner von ihm zeitweilig getrennt lebenden Familie aufrechterhalten, aber auch ungelöste Konflikte bewältigen. Die Sprache und die Bilder, in denen er seine Träume vermittelte, waren der mittelalterlichen Mystik nachgebildet. In einem Brief, den er 1583 von Griesingen aus an seine in Leeder bei Augsburg lebende Frau Agnes schrieb, gedachte er der Unterstützung der in Augsburg im Exil weilenden Glaubensgenossin Susanna Hornung und schilderte, was er von ihr geträumt hatte: Ich hörs gern daß sich Susanna [Hornung] so viel guts erbotten / auch guts erzeuget hat Der herr Chrs sei ihr einiger lohn vnd heile ihr verwundts aug / darumb ich ihn bitte / am verschinen montag sähe ich sie im morgen schlafe wie sieh mich küssete.]S3 Träume waren für Martt Mittel der Daseinsbewältigung und der Legitimierung seines Führungsanspruchs.154 Der Weg der Christwerdung im Herzen wurde aber auch von Martt nicht mittels Visionen kommuniziert. Dieser Vorgang blieb bei allen Schwenckfeldern eigentümlich unkonkret. Der Fortschritt auf dem Heilsweg war zwar emotional erfahrbar, anderen mitteilbar war er aber vor allem über die Darstellung intellektueller Lernergebnisse; die Zunahme in der Erkenntnis Christi dokumentierte sich in einem besseren Verständnis schwenckfeldischer Theologie und Exegese. Schwenckfeld zählte seine Augsburger Vertraute Eiselin wegen ihrer Erkenntnisfortschritte zu den Studenten in der Hohen Schule Christi und begrüßte ihren eigenständigen Briefwechsel mit dem protestantischen Pfarrer

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 2r, 5r, 17v, 20r, 44',

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms germ.fol. 427, fol. 30r, 44v. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 8. Diese Träume, die künftige Ereignisse vorhersagten, waren in der zeitgenössischen Traumdeutung umstritten. In der Rezeption von Aristoteles standen mittelalterliche und frühneuzeitliche Traumdeuter dem göttlichen Ursprung solcher Visionen skeptisch gegenüber, wenn sie auch die generelle Möglichkeit dieser Kategorie von Träumen zuließen, siehe den knappen Überblick zur Geschichte der Traumdeutung von R. L. Kagan, Lucretia's Dreams, S. 36-40. Peter Burke interessiert sich in seinem Entwurf einer Kulturgeschichte der Träume weniger für die zeitgenössische Traumtheorie als vielmehr für die Träume selbst, die er mit den Kategorien der Psychoanalyse untersucht, die von ihm jeweils um eine kollektive kulturelle Dimension erweitert werden, P. Burke, Eleganz und Haltung, S. 37-62. Diesem Ansatz folgend wäre der manifeste Inhalt der Sehnsucht nach Nähe zu Familie und Glaubensgenossen sowie nach Sicherheit und Stabilität der äußeren Lebensverhältnisse bei Johann Martt in den kulturell vorgeprägten Bildern mystischer Vereinigung ge- bzw. erträumt worden.

103 Flinner.155 Auch Crautwald bewertete den Lernfortschritt in der Schule Christi als eine Zunahme an theologischem Wissen.156 Für den Gläubigen war neben dieser dialogischen Überprüfung des Fortkommens in der Schule Christi das eigene Gewissen, die Erkenntnis seins selbst (Martt), die entscheidende Instanz. Das spielte schon bei Schwenckfeld eine wichtige Rolle, der 1539 konkrete Hinweise gab, wie die notwendige Prüfung, ob die theologische Erkenntnis aus dem Herzen oder bloß aus fleischlichem Verstand und Vernunft komme, vorgenommen werden sollte. Er empfahl die Anlage eines religiösen Tagebuchs, in das der Schüler Christi seine Offenbarungen, seine von Gott inspirierten theologischen Auslegungen eintragen sollte.157 Der Aspekt der Selbstprüfung spielte im späten Schwenckfeldertum eine noch größere Rolle. Selbsterkenntnis stand am Beginn des Glaubensweges in der Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit 158 und begleitete notwendig den gesamten Glaubensweg. Bei Daniel Friedrich stellte diese permanente Selbstprüfung das Zentrum der Aktivitäten des Gläubigen dar,159 auch der Straßburger Arzt und Freund Friedrichs, Ludwig Münster betonte die Überprüfung des eigenen Stands vor Gott in allen seinen erhaltenen Briefen. 160 Die Selbstprüfung diente nicht primär dem Sündenbekenntnis, sondern der Kontrolle des Lernfortschritts in der Schule Christi. Folgerichtig vermochte kein Mensch Glauben und Leben anderer zu beurteilen oder Schuld zu vergeben. Auch hier handelte der göttliche Lehrmeister allein in der unvermittelten Beziehung zu dem einzelnen Christen. Das Selbstzeugnis wurde nicht in ein leeres Inneres verlegt, sondern im inneren Menschen wohnte Gott, der als allein Handelnder die Überprüfungsinstanz bildete. Gott selbst entlastete den schwachen Gläubigen und spendete Trost. Diese Form der Selbstthematisierung wurde wohl zumeist, da sie nicht Bestandteil der religiösen Kommunikation und der sozialen Kontrolle der Gruppe sein sollte, nicht schriftlich festgehalten, jeden155

C.S. 10, S. 82f. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 37.2. Aug. 2.°, fol. 92. Crautwald kritisierte Streicher für die Qualität ihrer theologischen Überlegungen mit der Bemerkung, er dachte, sie habe schon mehr in der Schule Christi gelernt. 157 C.S. 11, S. 665; C.S. 6, S. 563. Das Thema eines religiösen Tagebuchs taucht allerdings sonst nirgends auf, es sind auch keinerlei Hinweise auf die tatsächliche Existenz solcher Glaubenszettel bei den süddeutschen Schwenckfeldern vorhanden. 158 Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf. 36.2.Aug.2.°, fol. 426f. 159 Die Prüfung allein zeigte, wie und ob man selbst oder ein anderer im Glauben und Christo stehe oder nicht. Mit ihrer Hilfe kam der Christ auch den ( S e l b s t t ä u s c h u n g e n auf die Spur: Der Mensch fühlte, daß Seel, Herz, Geist, Gemüt und alle Kräfte des äußeren Menschen [...] still werden und der Mensch nichts denn göttliche Liebe, Leben, Licht, Gnade und Kraft empfindet, also daß er meinen möchte, es sei alles Böse ausgelöscht und getötet in ihm [...] Aber es zeucht sich wieder ein. Doch je öfter solches geschieht, auch je fleißiger wir solches wahrnehmen, und auf der Hut stehen nach innerlichem Aufmerken und hineingekehrten Sinnen, je lautrer die Sinne und erfahrner wir werden, [...] also daß der Mensch je länger je gläubiger wird, Das vierdte Teil von der Kirchen, zitiert nach E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 42, Α. 1. 160 Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 230, 232, 233. 156

104 falls sind keine derartigen Bekenntnisse erhalten.161 Anders als die katholische Beichte hatte die schwenckfeldische Selbstprüfung keine soziale kontrollierende Bedeutung. Da Schwenckfelder die protestantischen Vorstellungen der Prädestination ablehnten, hatte die Prüfung auch nicht deren selbstdisziplinierende Funktion.162 Es gab hier ebenfalls Unterschiede zwischen frühem und spätem Schwenckfeldertum. Für Schwenckfeld und Crautwald war die Überprüfung des Standes vor Gott ein notwendiges, aber vor allem tröstendes Innehalten auf dem langen Glaubensweg. Crautwald ermahnte Katharina Streicher nicht zu schnell voranzugehen, sondern er sehe es fur gut an ir ruwet auch offte auff ewrem wege / stündet ein weile stille / beschweret euch nit selber / gienget im Hechte so weit der glauben reichet / Nemet euch auch guten frist /wolvmb zusehen / gebet Gott räum / dz Er ewer vermögen mit seiner crafft erstatte vnd befestiget,163 Schwenckfeld betonte häufig, daß Gott den tröste, der auf dem Glaubensweg zurückfalle oder nicht recht vorankomme. Die Selbstprüfung hatte den positiven Charakter eines Ansporns.164 Für die Schwenckfelder des 17. Jahrhunderts wie Friedrich war der Weg des Glaubens ebenso ein langsamer, der ein behutsames Voranschreiten und häufiges Pausieren erforderte,165 aber die Gewissensprüfung war nun zwingender Bestandteil der täglichen Glaubensübungen. Ludwig Münster schrieb an seinen Bruder, worauf es vor allem ankomme im Glauben: Nach der Erneuerung und Wiedergeburt im Herzen durch Christus müssten die Christen das Wachsen des Glaubens 161

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Im religiösen Tagebuch der Puritaner sieht Hahn eine parallel zur katholischen Beichte konzipierte Insitutionalisierungsform des Bekenntnisses, die sich nun nicht mehr wie in der Beichte mit einzelnen Taten beschäftigte, sondern eine gesamtbiopraphische Perspektive hatte, A. Hahn, Zur Soziologie der Beichte, S. 420-434. In den Tagebüchern versuchten die puritanischen Laien die Präsenz Gottes im eigenen Lebensverlauf sowie in der kollektiven Geschichte nachzuweisen, siehe K. von Greyerz, Vorsehungsglaube, S. 95-118; ders., Der alltägliche Gott. Die Korrespondenz mit Schwenckfeld nahm wohl oft die Form einer Beichte an, zumindest die eines seelsorgerlichen Gesprächs, siehe Kap. 3.4.3. Zur protestantischen Selbstdisziplinierungsfunktion des Bekenntnisses, besonders bei Puritanern und Calvinisten, siehe M. Weber, Max, Die protestantische Ethik , S. 123f. Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 37.27. Aug. 2.°, fol. 89. Schwenckfeld empfahl Sibilla Eiselin 1545 eine individuelle Glaubensjahresbilanz, die motivierende und tröstende Funktion haben sollte. Auch wenn die Affektkontrolle als eines der Ziele des Glaubens angesprochen wurde, stand sie doch nicht im Zentrum der Selbstprüfung: Bedenckt ietzt / wie vil ihr diss Jahr im erkantnus habt zugenommen / Was ihr in der Schule dess Herren studiert habt wie vil ihr auch Jnn ewrem hertzen frommer worden / Vnd tragets dem herren und Einigen seligmacher Christo heim / mit lob vnd Dancksagung. Seit ir aber noch die Alte Sibilla / vnd last ewr Affect / vber euch noch herrschen / So hebt ietzt vffs new wider ahn / mit gantzem fleiss / Ernst vnd fiirsatz / wider alle Sünd zu streiften. Darzu beiit euch Christus sein hulffe ahn / Ja Er will in euch / durch seinen geist / wider denn Teüffel / wider die Welt / vnd wider ewr fleisch selbs streiften / las ihm nur räum / vnd thut ihm auff die Thür ewres hertzens / mitt gehorsamer demütiger auffopferung vnd ergebung ewr selbst vnter sein Creütz auff / So will Er gern zu herberge bey euch einkehren, C.S. 9, S. 647. E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 44.

105 ständig kontrollieren: inn Täglicher Prüffunge vnserer Selbsten inn Christo vnd Christi inn Wes: wel=ches wir dann gar wol mercken können am Gewächse des Newen Menschens inn Vns oder an seinem Geyst, den Er vns gegeben hat.m Trotz dieser Intensivierung der Selbstprüfung war im Spätschwenckfeldertum damit keine das ganze Leben umfassende selbstdisziplinierende Intention verbunden wie in anderen protestantischen Glaubensrichtungen des 17. und 18. Jahrhunderts oder auch in der französischen Gegenreformation. 167 Die Kontrolle, in der sich der Mensch Gott anvertraute und überantwortete, führte nicht zu einer Verwerfung bei mangelnden Fortschritten oder Rückfällen, wichtiger war, daß man nicht aufgab und sich erneut bemühte. Das galt auf dem Gebiet der rechten Erkenntnis Christi genauso wie auf dem des sittlichen Lebens. Theologischer oder ethischer Rigorismus war den Schwenckfeldern fremd.

3.3.2 „Pruffet alles vnd was gutt ist behaltet"168: Christliche Freiheit und das „Scheiden der Geister" Christus schenkte nach schwenckfeldischer Auffassung mit seiner Einwohnung im Herzen der Gläubigen das frey vrtell, mit dem Schwenckfelder alles religiös Relevante zu prüfen hatten. In einem Brief an Anna, die erste Frau des Memminger Schwenckfelders Jakob Moretzgi, die sich kurz zuvor dem Schwenckfeldertum angeschlossen hatte, beschrieb Schwenckfeld den Glaubensweg und forderte sie am Ende auf, den Inhalt seines Briefes im freien Urteil zu bewerten, indem sie ihn betend vor Christus stellte.169 Wissen und Urteilen waren zentral im schwenckfeldischen Denken. Die rechte Erkenntnis Christi war absolut vorrangig, ohne sie war auch kein christliches Leben möglich. 1549 hatte der württembergische Obervogt Klaus von Grafeneck Schwenckfeld berichtet, daß zwinglische und lutherische Theologen am württembergischen Hof seine Lehren vor allem deswegen kritisierten, weil sie für Laien zu kompliziert seien. Diese sollten lieber einfältig und fromm leben. Schwenckfeld verwies darauf, daß Wissen eine unverzichtbare Voraussetzung des Glaubens sei und frommes Leben ohne den rechten, bewußten, reflektierten Glauben nicht möglich sei.170

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Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 230 v . Zur Gegenreformation siehe A. Hahn, Zur Soziologie der Beichte. 1 T h 5 , 21. C.S. 17, S. 15 C.S. 11, S. 965: [so] soll ein jeder Christ des Liechts seligklich gebrauchen, ja wissen / vnd nicht Wehnen / erkennen vnd nicht also einfaltig mit vnuerstand allein gleuben / auff daß wir mit dem heiligen Petro mögen sagen: Wir haben gegleubt vnd erkennet / merck vnd erkant / [...] Wenn sie sagen / man sol nicht viel wissen / sonder nur fromlich leben / ist ein grosse verfurung / weil ein from Christlich leben allein auß dem wissen Gottes vnd erkantnus Christi herkompt.

106 Schwenckfeld forderte seine Anhänger daher auf, sich mit den Auffassungen der theologischen Gegner aktiv auseinanderzusetzen. So empfahl er der Augsburgerin Anna Regel, ein von Vadianus171 gegen Schwenckfelds Confession gerichtetes Buch zu erwerben und es zu studieren.172 Die Frau des inhaftierten Cannstatter Buchhändlers Andreas Neff, die umfassend gebildete ehemalige Begine Margaretha Burgecker, setzte sich ebenfalls inhaltlich mit nichtschwenckfeldischem theologischem Schrifttum auseinander.173 Die Prüfung der Argumente und Lehre der anderen umfaßte nicht nur eine Lektüre der Schriften, sondern Schwenckfelder besuchten zu Informationszwecken auch protestantische Predigten. Sie berichteten Schwenckfeld von den Inhalten und stellten ergänzende Fragen.174 Umgekehrt sollten sich Menschen, die keine Schwenckfelder waren, selbst mit den Auffassungen ihrer spiritualistischen Gegner auseinandersetzen. Sich ein eigenes Urteil zu bilden und nicht auf die Einschätzung anderer, auch nicht der Pfarrer, zu vertrauen, war nach schwenckfeldischer Auffassung Pflicht. Jakob Moretzgi bestritt 1571 entschieden, schwenckfeldische Schriften aus missionarischem Antrieb verteilt zu haben, er sah die Motivation für sein Handeln in der Bereitstellung von Informationen aus erster Hand. Gegen die pfarrherrliche Schmähung Schwenckfelds von der Kanzel herab habe er interessierten Laien durch die Weitergabe schwenckfeldischer Schriften unparteiisch Auskunft erteilen wollen.175 Die süddeutschen Schwenckfelder und Schwenckfelderinnen nahmen die individuelle Freiheit und Verpflichtung zum eigenen Urteil auf verschiedenen Ebenen für sich in Anspruch. Sie richtete sich, wie oben am Beispiel der Katharina Streicher gezeigt, gegen die Beanspruchung geistlicher Führungspositionen mit Exegesemonopol in den eigenen Reihen. Selbst Schwenckfelds Schriften wurden einer individuellen Prüfung unterworfen und mit dem verglichen, was in der Bibel und im eigenen Herzen stand, wie Barbara von Eberstein im zitierten Brief an ihre Mutter ausführte.176 Der schwenckfeldische Pfarrer Hans Georg Schid stellte in 171 172 173

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Eigentlich Joachim von Watt (1484-1555), Reformator und Bürgermeister von St. Gallen. C.S. 8, S. 438. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 106-108. Bittschrift an einen vornehmen Herrn wegen ihres Mannes, in der sie sich mit einem antilutherischen zwinglischen Werk auseinandersetzt und die Polemik innerprotestantischer theologischer Kontroversen kritisierte. C.S. 11, S. 30f. Hier ging es um die Predigten des Johann Haller. Schwenckfeld gab einige theologische Fragen an Eiselin weiter, die die Augsburger Schwenckfelder ihm stellen sollten, um seine Abendmahlslehre zu ergründen. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, o. Seitenzählung, Bericht über das 1. Verhör des Jakob Moretzgi von Jägerndorf 9.2.1571. Schwenckfeld forderte ausdrücklich zu freier gegenseitiger Ermahnung und Beurteilung auf, die auch die Kritik an seinen eigenen theologischen Äußerungen einschloß. So lobte er 1547 in einer Replik auf Sibilla Eiselins Bemerkung, Schwenckfeld müsse mit besseren Argumenten ausgerüstet sein, wenn er Luther angreifen wolle, seine Augsburger Freundin dafür, daß sie ihn als einzige unter seinen Anhängern offen kritisierte, C.S. 11, S. 547.

107 einer 1576 an den Straßburger Rat gerichteten Verteidigungsschrift dar, daß die Pflicht zur individuellen Überprüfung umfassend für alle theologischen Lehren gelte - für Schwenckfelds Schriften wie für die Schriften und Predigten der offiziellen protestantischen Kirche Straßburgs. Er gab an, das ich mich vnd ein Jeder Christ zu kheiner lehr also verbinde / dz ich deselbig / als baldt vnd ohn probiert für recht erkene oder anneme / sonder solle wie billich nach der Regel Pauli vnd Johannes zuuor probieren vnd allein was guth ist behalten. Er gehe gelegentlich in die lutherische Predigt, um dort das mündliche Wort zu prüfen: wan ich gleich in die kirch gehen / so nim ich an wz gut ist / dz widerig aber laß ich faren wie ich den auch nit gedenck / dz einig prediger alhie sein solt / der begehr / dz ich oder andere sein lehr durch auss ohn einich prob / ob das warheit sey oder nit annemen solten wie es auch D. Luther selbs nit begert / vnd eben vff solche weys aller vätter schrifften / wie auch Schwenckfeldes sollen gelesen vnd probiert werden /.177 Bei diesen Angaben sind die Verhörsituation zu berücksichtigen und die damit verbundenen Argumentationsstrategien. Das Beispiel des Andreas Neff, der 1544 verhaftet worden war, erweist aber, daß Kritik an den Positionen Schwenckfelds nicht nur aus Angst vor Verfolgung geschah. Neff hatte standfest eine lange Haftzeit auf sich genommen und Kompromißangebote der Obrigkeit immer wieder abgelehnt.' 78 1 551 wurde er erneut vorgeladen. Die Pfarrer versuchten, Widersprüche zwischen ihm und Schwenckfeld zu konstruieren. Neff verteidigte schwenckfeldische Auffassungen offen, gab aber bei der Frage der Wassertaufe zu, anderer Meinung zu sein als sein Mentor.179 Aus dem eigenständigen Prüfungsgebot und dem notwendigen theologischen Wissenserwerb leiteten die Schwenckfelder gegenüber der Obrigkeit den Anspruch auf freien Buchbesitz und Lektüre ab. Sie weigerten sich, dissidentische Bücher herauszugeben, und pochten gegenüber der Zensur auf den freien Zugang zum geschriebenen und gedruckten Wort, um dem paulinischen Gebot, alles selbst zu prüfen, nachkommen zu können. Der Straßburger Zuckerbäcker Windschlich bestand 1622 darauf, daß jeder lesen dürfe, was er wolle.180 In einer Bittschrift fur den schwenckfeldischen Tübinger Drucker Eberhard Wild, dessen Druckerei geschlossen worden war, ging Graf Georg Ludwig von Löwenstein noch einen Schritt weiter. Er nutzte einerseits das typische Argument schwenckfeldischer Drucker, wonach die Werke des Schlesiers schon lange unbeanstandet

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.qt. 440, fol. 110 v , 11Γ. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 103-106. Man legte ihm Verschreibungstexte vor, die er aber ablehnte, wenn sie nicht in allen Details mit seinem Glauben übereinstimmten. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 125. Auch der 1622 verhörte Drucker Wild gab an, daß er Schwenckfelds Schriften kritisch geprüft habe und darin auch Kritikwürdiges gefunden habe, das Gute aber habe er behalten, Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A26, 728a, Schriftstück Nr. 14, fol. 4V, 5r. D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 105f.

108 gedruckt worden seien und auch kein Reichsgesetz ihren Druck verboten habe.181 Daneben bemühte er sich, das Vorhandensein dissidentischer Werke in Wilds Offizin und Wohnung dessen Privatbereich zuzuordnen, die Druckerzeugnisse hätten nur seiner eigenen Erlustigung gedient und sollten daher dem obrigkeitlichen Zugriff nicht zugänglich sein. Der Junker beschwerte sich mit dem gleichen Argument sogar über die Beschlagnahmung von Wilds Korrespondenz.182 Seiner Auffassung nach galt nicht nur eine individuelle Informations- und Prüfungsfreiheit, sondern es existierte zudem ein Raum, der Wohn- und Arbeitsbereich, in den die Obrigkeit weder beurteilend noch handelnd eingreifen durfte. Da hier offenbar die kirchlichen und weltlichen Behörden fehlerhaft gehandelt hatten, bat er den Herzog Johann Friedrich von Württemberg erfolgreich um die Erlaubnis zur Wiedereröffnung der Wildschen Druckerei.183 Für Jakob Moretzgi umfaßte das individuelle biblische Prüfungsgebot selbst die Confessio Augustana, wie er 1571 vor der Memminger Obrigkeit angab: bestand khains wegs / das Jch mitt wissen die augspurgisch Confession / Jn ainichem artickel Jr wider=sprechen oder angefochten / als ob der sollte Recht / oder vnrecht sein / Nymb mich aber dessen an / was mir Jn Göttlicher hayliger schrijft zur lehr vnd vnderweisung furgeschriben / derhalb was Jnn der augspurgischen Confession mit den artickeln vnnsers allgemeinen Christlichen glaubens stymbt / das laß Jch bleyben /.184 Aus der Freiheit, die Christus schenkt, leitete sich für die süddeutschen Schwenckfelder aber nicht nur das frey vrtell ab, sondern sie beanspruchten auch Glaubensfreiheit im Sinne einer umfassenden Tolerierung ihres religiösen Lebens. Die Argumentationsfigur, man solle sie doch unbehelligt bei ihrer christlichen Freiheit belassen, fand sich vor allem im reichsstädtischen Milieu, wo die Schwenckfelder Glaubens- und Gewissensfreiheit in einen Zusammenhang mit reichsstädtischen Freiheiten brachten. Schwenckfeld wies Sibilla Eiselin 1553 während der Prozesse gegen die Augsburger Schwenckfelder Hieber, Unsinn und Marquardt sogar an, sich im Falle einer Vorladung auf die ökonomisch gebotene Freiheit des Handels zu berufen, die individuelle Glaubensfreiheit notwendig bedinge.185 Aus der Erfahrung reichsstädtischer Freiheit, aus den damit verbundenen juristischen und ökonomischen Privilegien leiteten einzelne Untertanen religiöse Entscheidungsrechte ab. Darauf beruhte die Argumentation in der ersten Supplikation der Maria Altenstaig für sich und ihre Schwestern, mit der sie die 181 182 183

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So verteidigten sich auch die Drucker in Augsburg und Straßburg, siehe Kap. 3.3.5. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728a, Schriftstück Nr. 9. Zu ,Privatheit' und Öffentlichkeit' und deren Räumen aus Sicht der Schwenckfelder und der städtischen Obrigkeit siehe Kap. 5. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, fol. l v , Bericht über das 1. Verhör des Jakob Moretzgi von Jägerndorf, 9.2.1571. Sonderlich in einer so freyen Statt wie Augspurg ist / da man niemande zwingt / auch der kauffleuten halber / nicht zwingen kann. [... ] Ess ist eüch frey zu glauben / so wol alss anndern, C.S. 13, S. 270f.

109 Ulmer Obrigkeit von der gegen sie verhängten Ausweisungsverfügung abbringen wollte: wir wellen auch wie ich dan hoff allweg bei vns beschehen / jederman seines sines vnd glaubens walten lassen.m Während Schwenckfeld Absonderung von den offiziellen Kirchen zur Erlangung von Gewissensfreiheit vor allem aus seiner Erfahrung als Exilierter, als Flüchtling propagierte, war es bei seinen stadtbürgerlichen Anhängern mehr die Erfahrung reichsstädtischer Freiheitstradition, die sie mit der Gewissensfreiheit verbanden. Das erklärt vielleicht die erstaunliche Selbstverständlichkeit, mit der die schwenckfeldischen Bewohner der süddeutschen Reichsstädte es für sich in Anspruch nahmen, ihrem Gewissen entsprechend ihren Glauben frei wählen zu können, und wie verwundert sie waren, dafür vorgeladen zu werden. Der Nürnberger Handwerker Georg Schechner, dem 1566 die Ausweisung angedroht worden war, behauptete sogar, er habe noch nie davon gehört, daß jemand allein wegen seines Glaubens ausgewiesen worden sei.187 Neben dem bereits erwähnten Hans Kifhaber zeigte sich der Arzt Hans Augustin Streicher 1544 ebenfalls entrüstet über die Vorladung und den Vorwurf der nicht erlaubten Abtrennung von der protestantischen Kirche Ulms: Daneben so sagt hans Streicher [...] / das er sich nie zu den predicanten in gemainschafft / oder sonnst auch Jnn kain sect begeben / derhalben so könnt er sich auch von Jnen nit abgesondert haben /.188 Streicher verstand sich nicht als Mitglied der offiziellen Kirche der Reichsstadt, er gehörte keiner offiziellen Kirche an. Das schwenckfeldische Verständnis von christlicher Freiheit und von Toleranz gegenüber jeder Glaubenszugehörigkeit 189 hing eng zusammen mit den Vorstellungen von Gemeinschaft, von der wahren Kirche Christi. Gott berief die Seinen, wo er wollte, er schenkte die individuelle Freiheit, sein Angebot abzulehnen oder anzunehmen, denn er wollte ein freiwilliges Gottesvolk. Bislang hatte er aber sein Volk noch nicht sichtbar versammelt, daher war es weder möglich, einer Kirche anzugehören oder eine institutionalisierte Gruppe zu gründen noch alle zu kennen, die Gott berufen haben mag.190 Die Befreiung und Individualisierung des Glaubens, die Hierarchien und Institutionen in Glaubenssachen ausschloß, wollten sich die süddeutschen Anhänger nicht mehr nehmen lassen - nicht einmal von Schwenckfeld selbst. Der verhaftete Augsburger Leonhard Hieber lobte zwar

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Ulm, Stadtarchiv, Ve.Urk. 1582/83, fol. 647/711. Auch in ihrer zweiten Petition beriefen sie sich mehrfach auf die Freiheit des Gewissens und die allgemeine christliche Freiheit, in der man sie weiterhin leben lassen solle, ebenda, fol. 656/720. H.-D. Schmid, Nürnberg, S. 240. Ulm, Stadtarchiv, A [8984/11, Nr. 237], fol. 535. Schwenckfelder engagierten sich gegen die Verfolgung von Täufern und Antitrinitariern, obwohl sie deren theologische Auffassungen für falsch und schädlich hielten, im Sinne einer „non modern tolerance", die nicht zu verwechseln ist mit einem säkularisierten Toleranzdenken, wie es seit der Aufklärung formuliert wurde, vgl. R. E. McLaughlin, The Freedom of Spirit, S. 187-198; siehe auch Kap. 5. C.S. 5, S. 139.

110 offen den Inhalt schwenckfeldischer Bücher, wollte aber eher die schwenckfeldische Lektüregemeinschaft verlassen als sich einer Institutionalisierung zu beugen: die weyl mir Noch selb alle armer schuller vnd leren junger als wie junge kinder die Erst lernen ahn den bencken gehn darzu so lertt vns solchs schwenckfeld nit sagt also vir mich selb / wan mich schwenckfeld yber seiner Reinen lehr / vnd biecher halb / Noch darzu wahr ahn waysen sein guttbeduncken mir oder andern dran hencken / als das ich miest also thon vnd leren vnd dz mir also zw samen komen miesen Ebeen so v/7 als ein zal / das kainer auf bestimpte zeytt ausen blyb vnd der gleychen (.wie ettwan sonst in Secten geschieht.) so sage ich das (.bey meiner seilen hail.) vnd bey dem gethanen ayd den ich ermer einer loblichen ober=kait geschworen bin / wan mir schwenclrfeld noch so lieb vnd aller sol lieb were (.so wolt ich.) Ee ichs ohn Nennen wolt /Ee all seine gutte biecher alle verläse.) dan die wayl ich (gott lob.) aus gotts genaden / in meiner seel / hertz / vnd gewissen / von allen menschlichen /guttbeduncken /gefreytt vnd ledig worden bin das ich nur das selbig von kainem menschen (.Er sey were Er wol vnd heysse wie Er wol.) nitt mer gefangen Nemen /.191

3.3.3 Bildung und Wissen Die Verpflichtung zur eigenen Prüfung theologischer Wahrheit, indem man sie im Gebet verglich mit dem, was Christus in das Herz gegeben hatte, erforderte auch die Lektüre theologischer Werke. Es stellt sich daher im folgenden die Frage, ob Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder überdurchschnittlich gebildet waren und wo sie ihre Bildung erwarben. Der Bildungsstand der süddeutschen Anhängerinnen und Anhänger Schwenckfelds ist dabei in zweifacher Weise von Interesse. Über die Ermittlung des Ausbildungsweges ließe sich zum einen klären, ob die religiöse Botschaft des Schlesien vor allem bei überdurchschnittlich Gebildeten der jeweiligen sozialen Schicht auf fruchtbaren Boden fiel und ob schwenckfeldische Eltern ihren Kindern eher Zugang zu einer höheren Bildung eröffneten, als dies andersgläubige Eltern taten. Zum anderen geben die Hinweise in den Brief- und Verhörquellen und der Bücherbesitz192 Aufschluß über Art und Umfang des Wissens, das Schwenckfelder besaßen und das von ihnen als notwendig erachtet wurde. Angaben zum formalen Bildungsweg, zu Schul- und Universitätsbesuch von Schwenckfeldern sind aufgrund der Quellenlage aber nur sehr lückenhaft zu machen. Für Frauen lassen sich über institutionalisierte Ausbildungsverläufe gar keine Feststellungen treffen, da ihnen höhere Bildungsanstalten nicht zugänglich waren. Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder gaben in ihren Briefen oder in

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Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 27, fol. 2. Allerdings war Hieber hier schon auf dem Rückzug. Einige Tage später fand er sich zu einem vollständigen Widerruf bereit. Siehe unten.

Ill obrigkeitlichen Verhören selten an, wo sie die Techniken des Lesens und Schreibens erlernt und ihre philologischen und theologischen Kenntnisse erworben hatten. Trotz dieser Einschränkungen, die keinen quantifizierbaren Überblick erlauben, lassen sich exemplarisch einige Aussagen zum Bildungsstand der süddeutschen Schwenckfelder machen. In der neueren Forschung geht man davon aus, daß im 16. Jahrhundert etwa 30% der Stadtbewohner lesen und schreiben konnten.193 Der literate Teil der Bürgerschaft bestand zum größten Teil aus Kaufleuten und Handwerkern, die in Pfarrschulen und ab dem 15. Jahrhundert in städtischen Elementarschulen lesen, schreiben und zum Teil auch rechnen (gelegentlich zusätzlich Grundkenntnisse in Latein) gelernt hatten. Der Bildungsinhalt konzentrierte sich auf die im wirtschaftlichen Alltag erforderlichen Fähigkeiten, die aus der zunehmenden Verschriftlichung von geschäftlichen Abläufen in Handel und Handwerk resultierten.194 Patrizier und wohlhabende Kaufleute schickten ihre Kinder oft nicht in die Schulen, sondern stellten Privatlehrer an, die anders als die Elementarschulmeister195 häufig über eine akademische Ausbildung verfügten. 196 Das entsprach der Praxis der süddeutschen Schwenckfelder, die der städtischen Elite angehörten. In Augsburg engagierte die aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie stammende verwitwete Schwenckfelderin Regina Schweigger den schwenckfeldischen Studenten Johannes Haid als Hauslehrer. 197 Ihr Sohn Markus absolvierte später ein Studium in Ingolstadt, das er mit der Promotion abschloß.198 Schwenckfelder, die der alten und neuen Führungsschicht der Reichsstädte angehörten, schickten ihre Söhne auch dann auf die Universität, wenn diese die kaufmännischen Geschäfte übernehmen und nicht als Juristen, Ärzte oder Theologen in städtische Dienste treten sollten.199 Dabei wurde neben Tübingen besonders unter schwenckfeldischen Theologen bzw. badischen Amtsfamilien Heidelberg als Studienort ausgewählt, auch Basel wurde von mehreren Schwenckfeldern besucht, die Augsburger Schwenckfelder studierten daneben im bayerischen Ingolstadt und in 193 194 195

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M. Kintzinger, Eruditus in arte, S. 160f. M. Kintzinger, Eruditus in arte, S. 162-164, 180-184. Zum Bildungsgrad der Schulleiter und ihrer Helfer siehe M. Kintzinger, Scholaster und Schulmeister, S. 349-374. M. Kintzinger, Scholaster und Schulmeister, S. 370. Augsburg, Strafamt Urgichten 1563 b, 11.8.1563, 2. Verhör von Sixt Schilling, fol. 1. Der schwenckfeldische Schneider Schilling hatte Haid bei Regina Schweigger nach eigenen Angaben um 1558 als Lehrer der Söhne kennengelernt. Es bleibt unklar, ob er nicht auch die einzige Tochter unterrichtete, die erst zehn Jahre später heiratete und damals vermutlich noch im Haus lebte. Der älteste Sohn Markus war der einzige, der studierte; die beiden anderen Söhne Paul und Christoph waren ohne Universitätsaufenthalt als Kaufleute tätig, siehe W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 763, 765-767. Ein Beispiel dafür ist der Sohn des mit Schwenckfeld sympathisierenden Augsburger Patriziers Georg von Stetten. Dieser absolvierte auf Geheiß seines Vaters eine Lehre in Tournay und unternahm eine Universitätsreise, die ihn nach Basel, Tübingen, Wittenberg und Orleans und Padua führte, W. Reinhard, Eliten, S. 874.

112 Altdorf.200 Diejenigen, die ihre Studien mit einem akademischen Grad abschlossen, entschieden sich vor allem für juristische und medizinische Fächer. Über die Bildungsverläufe der Handwerkermeister und der kleineren Kaufleute unter den Schwenckfeldern ist nichts weiter bekannt. Eindeutig feststellbar ist aber, daß sie wie auch die schwenckfeldischen Frauen aller sozialen Schichten lesen und schreiben konnten. Das läßt sich anhand der erhaltenen Briefwechsel mit Schwenckfeld und der süddeutschen Schwenckfelder untereinander nachweisen. Die schwenckfeldischen Mägde hatten Anteil an diesem Briefhetzwerk.201 Sie waren damit im Vergleich zu ihren Standesgenossen überdurchschnittlich gebildet. Vermutlich hatten sie ihre Kenntnisse vermittelt durch ihre schwenckfeldische Herrschaft erworben. Auch die adeligen Schwenckfelder förderten diejenigen, die bei ihnen in Diensten standen. Die schwenckfeldischen Mitglieder der Familie von Freyberg beschäftigten nur Glaubensgenossen in Schloß und Verwaltung. Georg Ludwig von Freyberg ließ Andreas Lay, dessen Familie als schwenckfeldische Flüchtlinge bei Georg Ludwigs Schwester Katharina in Leinstetten lebte und die mit Georg Ludwigs Verwalter Gabriel Lay verwandt war, auf seine Kosten in Tübingen studieren, offenbar ohne ihn sich als Gegenleistung für Dienste zu verpflichten.202 Andererseits sind keine Bemühungen der Familie zu erkennen, die Alphabetisierung der Untertanen generell voranzutreiben. Zwar wurde unter Michael Ludwig von Freyberg 1573 die erste Schule in Justingen gegründet und von dem schwenckfeldischen Pfarrer Daniel Friedrich geleitet, der auch Michael Ludwigs Sohn Hans Pleickhard Elementarunterricht erteilte, bis dieser nach dem Tod des Vaters im Alter von ca. acht Jahren auf eine Schule nach Straßburg geschickt 200

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Schwenckfeldische Mitglieder der Familien Besserer, Ehinger, Eisenmenger, Held, Lay, Münster, Reißner, Röslin und Zimmermann studierten in Tübingen (H. Hermelink (Hg.), Matrikel Tübingen, Bd. 1, Nr.134/26; 210/41; 148/30; 16/27; 130/37; 208/74170/112; 155/25; 121/21), Söhne der Familien Bader, Kröttlin, Mayer, Münster und Spreng waren in Heidelberg immatrikuliert (G. Toepke (Hg.), Matrikel Heidelberg, Bd. 1, 514, 470, 582; Bd. 2, 433, 536, 283, 477, 26). In Ingolstadt studierten Mitglieder der Familien Kraffter, Schweigger und Tradel (G. von Pölnitz (Hg.), Matrikel Ingolstadt, Bd. 1, Sp. 763, 995) und in Altdorf waren die Brüder Georg und Caspar Tradel an der juristischen Fakultät eingeschrieben (E. von Steinmeyer (Hg.), Matrikel Altdorf, Bd. 1, S. 50). Der Arzt Johann Ludwig Münster promovierte an der neugegründeten Universität von Straßburg, wo auch sein Bruder, der Chiliast Johann Friedrich (siehe Kap. 6) eingeschrieben war (G. C. Knod (Hg.), Matrikel Strassburg, Bd. 1, S. 280; Bd. 2, S. 7, 9, 125). Die Mägde Anna Erhart, Anna Bernhard und Susanna Hornung korrespondierten mit dem schwenckfeldischen Theologen Johann Martt, der eine Zeit lang in Ulm bei ihnen gewohnt hatte. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß ihre Briefe an Martt von anderen aufgeschrieben wurden bzw. daß sie sich die Briefe Martts vorlesen ließen, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 100r-113r. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer 1, S. 651 f.; H. Hermelink (Hg.), Matrikel Tübingen, Bd. 1, Nr. 208/74. Andreas Lay ging nach seiner Promotion als Jurist nach Augsburg, wo er in die Kaufleutestube aufgenommen wurde und somit der Führungsgruppe der Stadt angehörte, W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 464.

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wurde.203 Die Justinger Schule war wohl keine Schreib- und Leseschule, die eine größere Anzahl von Kindern der Herrschaft besuchten. 1584 unterrichtete Friedrich lediglich zwölf Jungen, darunter war mindestens ein auswärtiger Schüler, der aus einer schwenckfeldischen Familie stammte.204 Es handelte sich um eine Einrichtung für Knaben aus schwenckfeldischen Familien. Die Ausbildung von Mädchen scheinen die Freiherrn selbst dann nicht gefördert zu haben, wenn es sich um solche aus schwenckfeldischen Familien handelte. Zwar versuchte Georg Ludwig von Freyberg zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die beiden Kinder der zum Katholizismus rekonvertierten Witwe Anna Seyfferdt im schwenckfeldischen Glauben zu erziehen, aber nur der Junge wurde auf die Schule in Opfingen und anschließend in die Lehre geschickt, während das Mädchen allein in der geschlechtsspezifischen Tätigkeit des Nähens unterwiesen werden sollte.205 Die männlichen Mitglieder der schwenckfeldischen Adelsfamilien absolvierten in der Regel ein Universitätsstudium. 206 Dabei wählten sowohl im 16. wie im 17. Jahrhundert die meisten der untersuchten Familien aus Schwaben und Bayern Tübingen als Studienort.207 Die ermittelbaren formalen Bildungsverläufe von Schwenckfeldern liefern mit Ausnahme der Mägde keine signifikanten Abweichungen von den schichten- und geschlechtsspezifischen Standards Andersgläubiger. Auch hier gab es im süddeutschen Schwenckfeldertum keine Bestrebungen, aus dem Glaubensverständnis heraus, in dem Wissen einen hohen Stellenwert hatte, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Wie das Beispiel der Familie von Freyberg zeigt, engagierten sich die Schwenckfelder nicht für eine allgemeine Hebung des Bildungsstandards für Mädchen oder illiterate Bauern. Wichtig war allein, daß alle Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder lesen und schreiben konnten. Diese Fähigkeiten waren weniger wegen der überwiegend schriftlichen Kommunikationsform innerhalb des ortsübergreifenden schwenckfeldischen Netzwerks unabdingbar (Briefe von Glaubensgenossen wurden ohne203 204 205 206

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 28 r . A. Schilling, Die Reichsherrschaft Justingen, S. 56. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98, Salem No. 3829, fol. 40f. Dies unterschied sie nicht von ihren nichtschwenckfeldischen Standesgenossen. Seit dem 16. Jahrhundert waren in der adeligen Erziehung arma und litterae keine Gegensätze mehr und der Universitätsbesuch wurde fester Bestandteil auch der ritteradeligen Erziehung, siehe G. Fouquet, „beger nit doctor zu werden und habs Gott seys gedanckht, nit im Sünn"; N. Conrads, Tradition und Modernität. In Tübingen studierten die schwenckfeldischen Mitglieder der Familien von Eberstein, von Freyberg, von Grafeneck, von Laubenberg, Landschad von Steinach, von Nippenburg, von Rammingen, von Rechberg, von Remchingen, von Sperberseck und Thumb von Neuburg, H. Hermelink (Hg.), Matrikel Tübingen, Bd. 1, Nr. 87/2; 117/29f.; 120/40f„ 137/12f.; 161/1; 101/24, 154/8; 69/51, 117/34, 126/2, 134/11, 138/21; 207/4, 152/28; 176/12; 177/84; 205/15; 189/29, 210/30, 212, 52, 220/19f.; 162/69ff.; 100/13; 114/32; 224/49. Lediglich Mitglieder der Familie Landschad von Steinach und von Remchingen studierten im 16. und 17. Jahrhundert in Heidelberg, allerdings sind diese nicht als Schwenckfelder in Erscheinung getreten.

114 hin innerhalb der Ortsgemeinde vorgelesen), als vielmehr zentral für das religiöse Leben der Schwenckfelder, für die Erkenntnis Christi™ Die eigenständige, prüfende Lektüre theologischer Werke, vor allem der Bibel, die den inneren Prozeß des Glaubens im Herzen abbildete,209 und der Bücher schwenckfeldischer Autoren stand im Mittelpunkt schwenckfeldischen Glaubenslebens, was Analphabeten aus der Bewegung ausschloß. Die Bibel und andere religiöse Bücher wurden in der Regel in der Muttersprache gelesen.210 Bei strittigen exegetischen Fragen holte man sich Rat bei Schwenckfeldern, die die Originalsprachen der Bibel beherrschten. So wandte sich der Augsburger Schneider Bernhard Unsinn, der Zweifel an der korrekten Übersetzung von Gal 4,4 durch den protestantischen Pfarrer Meckhart hatte, zur Überprüfung an den Mindelheimer Stadtschreiber Adam Reißner, der ihm eine Übersetzung aus dem Griechischen lieferte, die mit schwenckfeldischem Denken besser in Einklang zu bringen war.211 In den Briefen der süddeutschen Schwenckfelder, die ganz überwiegend in deutscher Sprache abgefaßt sind, finden sich allerdings gelegentlich nicht übersetzte lateinische und griechische Zitate, vor allem aus der Kirchenväterliteratur auch in Schreiben an Frauen.212 Die Witwe Elisabeth Kifhaber, deren gesamter Bücherbestand zur Besichtigung durch die zuständigen Behörden 1578 beschlagnahmt worden war, besaß lateinische Bücher, mit denen sich die obrigkeitlichen Ermittler nicht weiter beschäftigten.213 Auch im Hause der Streichers in Ulm waren lateinische theologische Werke vorhanden. Die ältere Helena Streicher berichtete 1541 in einem Brief an ihren Glaubensfreund Bartel Binder in Cannstatt, daß 208

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McLaughlin sieht die Erkenntnis, das Wissen im Zentrum von Schwenckfelds Vorstellung vom christlichen Glauben: „To be a Christian was to know", R. Ε. McLaughlin, Sebastian Franck and Caspar Schwenckfeld, S. 75. McLaughlin benutzt das Bild der Bibel als Spiegel des Inneren Worts und als Arena, in der der Christ sein Wissen und seinen Glauben überprüfen konnte, R. E. McLaughlin, Sebastian Franck and Caspar Schwenckfeld, S. 76. Die lateinischen Werke Crautwalds wurden in der Regel von Adam Reißner übersetzt, der auch ein Werk des Johann Cassianus über die Menschwerdung Christi ins Deutsche übertrug, C.S. 11, S. 449-484. Allerdings gab es ab der Mitte des 16. Jahrhunderts auch einige Übersetzungen ursprünglich umgangssprachlicher Werke Schwenckfelds ins Lateinische. Sie waren vor allem für die Auseinandersetzungen mit den theologischen Gegnern gemacht, an deren Diskursregeln sich die Schwenckfelder auf diese Weise halten wollten, während die deutschen Auflagen für die eigenen Anhänger gemacht worden waren, wie z.B. an den Ausgaben der 1547 verfaßten Schrift Bericht von Caspar Schwenckfelds Leere / Summarium seu Compendiolum doctrinae Chasparis Schuenckfeldij (1558) deutlich wird, C.S. 11, S. 390-407. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, 1. Verhör, 19.9.1553, fol. 2'. Zum Beispiel im Brief des ehemaligen Priesters Johann Martt an eine Schwenckfelderin, vermutlich Christine von Grafeneck, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 50r-51v, Briefe von Crautwald an Katharina Streicher, Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 37.27.Aug.2°, fol. 50, 53, 96. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3550, Bd. 35, fol. 91v.

115 ihr Sohn Hans Augustin leihweise eine mittelalterliche Handschrift eschatologischen Inhalts mitgebracht habe.214 Aus diesen Angaben ist nicht sicher zu folgern, daß schwenckfeldische Bürgerstöchter das Lateinische beherrschten, auszuschließen ist es aber nicht.

3.3.4 Lektüre Angaben darüber, welche Bücher Schwenckfelder und Schwenckfelderinnen besaßen und lasen, geben Aufschluß über den Stellenwert, den sie literarischen Kenntnissen beimaßen, und auch über ihren Bildungsstand, soweit er über formale Ausbildungsgänge nicht ermittelbar ist. Der Bücherbesitz von in Handel und Handwerk situierten Schwenckfelderinnen ging über den ihrer Standesgenossinnen sowohl qualitativ wie quantitativ hinaus,215 indem er nicht nur erbauliche theologische Werke umfaßte, sondern auch kontroverstheologische und mystischphilosophische. Über den Besitz weltlicher Lektüre kann nur wenig ausgesagt werden, weil er weder in der schwenckfeldischen Korrespondenz noch in den Verhören eine Rolle spielte. Aus den wenigen erhaltenen Inventaren von Frauen ist nichts ersichtlich.

3.3.4.1 Nicht-Schwenckfeldische Werke Die wichtigste Lektüre der Schwenckfelder war die Bibel. Sie war die Richtschnur, an der sich schwenckfeldische Theologie orientierte. Gerade den Anfängern im Glauben empfahl Schwenckfeld die tägliche Lektüre der Bibel (besonders des Neuen Testaments) mit vorausgehendem Gebet, in dem die Gläubigen um das rechte, nicht buchstabische Verständnis der Schrift im Herzen bitten sollten. 2 ' 6 Bei der Lektüre seiner Briefe sollten die Anhänger ebenfalls die Bibel konsultieren: 1545 wies Schwenckfeld Sibilla Eiselin an, während des Lesens seiner Schreiben immer das Neue Testament neben sich liegen zu haben und die erwähnten Textstellen dort nachzuschlagen. Auf diese Weise sollte sie mit der Bibel vertraut werden, das Geschriebene aktiv mitdenkend aufnehmen. 2 ' 7 Die Anhänger beherzigten diese Ratschläge. Aus den Verhören und Briefen ist ersichtlich, daß Männer und Frauen, gleich welcher sozialen Gruppe sie angehörten, über sehr gute Bibelkenntnisse verfügten. Sie glossierten auch ihre Bibelausgaben - entwe-

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, Herzogtum Württemberg, S. 76. A. Kammeier-Nebel, Frauenbildung, S. 89f.; nach ihrer Auswertung von Inventaren Straßburger Bürger aus verschiedenen sozialen Schichten kommt Chrisman zu dem Schluß, daß die meisten Bürger, die Bücher besaßen, zwischen zwei und fünf Druckschriften ihr Eigen nannten, M. U. Chrisman, Lay Culture, S. 70-74. Schwenckfelderinnen besaßen weit mehr, vor allem die Druckwerke des Schlesiers. C.S. 6, S. 563; C.S. 10, S. 856; C.S. 16, S. 605. C.S. 9, S. 362.

116 der, indem sie sie aus Schwenckfelds Exemplaren abschrieben218 oder sie selbständig mit Randbemerkungen versahen wie Barbara von Eberstein, die 1634 einen von ihr handschriftlich kommentierten Psalter der Frau des obersten Wachtmeisters Groner in Ulm schenkte.219 Schwenckfelder besaßen in der Regel mehrere Bibelausgaben bzw. teilausgaben. Am häufigsten vertreten war wohl die Luther-Bibel, die in den Briefen immer wieder erwähnt wird, aber sie wurde kritisch gegengelesen und mit vorreformatorischen Bibelübersetzungen verglichen. Das galt nicht nur für zwischen Schwenckfeldern und Lutheranern umstrittene Textteile, die von Abendmahl oder Christologie handelten, sondern man konsultierte die vorreformatorischen Ausgaben auch, wenn etwas im lutherischen Text unverständlich war. Schwenckfeld lobte Eiselin dafür, daß sie in der alten Bibel nachschlage, wenn ihr etwas an der lutherischen unverständlich vorkam, so solle sie immer vorgehen.220 Crautwald verwies Katharina Streicher ebenfalls auf die alte Bibel als die korrekte Lesart. Ohne die Luther-Übersetzung explizit zu kritisieren, war er wohl der Auffassung, daß Streicher durch den von ihr verwendeten Bibeltext zu einer falschen Auslegung gekommen sei, daher wies er sie auf die ältere Verdeutschung hin, daneben einmal auch auf den Text der ,Vulgata'-Übersetzung.221 Welche Bibelübersetzung die Schwenckfelder genau benutzt haben, ist unklar, nur der Augsburger Goldschmied David Altenstetter gab 1598 exakt an, neben einer Erasmus-Ausgabe eine alte Nürnberger Bibel zu besitzen.222 Auf die Zürcher Bibel, deren theologische Ausrichtung (vor allem in abendmahlsrelevanten Textstellen) dem Schwenckfeldertum näher stand, wurde in der Korrespondenz zwar weniger verwiesen, aber zumindest die Ulmer Schwenckfelder besaßen diese Ausgabe.223 218 219 220

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Siehe z.B. C.S. 11, S. 572. Ulm, Stadtarchiv, A [6877], Pfarrkirchenbaupflegamt, Religionsprotokolle, fol. 415. In diesem Fall ging es um eine Kontroverse mit den Täufern, die mit dem lutherischen Text eher ihre (falsche) Auffassung begründen konnten als mit der alten Bibel, C.S. 13, S. 358. Die umstrittenen Textstellen waren Jes 66, 9 und 1. Joh 4, 3. Die NT-Textstelle zitierte er einmal im Text der vorreformatorischen deutschen Bibel und nach Hieronymus' ,Vulgata\ wobei es ihm um die Einheit der Person Christi ging, die Streicher nicht genügend berücksichtige und die sich in dem soluit bzw. uffläst besser ersehen ließ als im lutherischen bekennt, Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf. 37.27. Aug.2°, fol. 92, 96. Dabei handelte es sich sicher um die 1483 in Nürnberg bei Anton Koberger gedruckte, am weitesten verbreitete deutsche Bibel vor der Luther-Übersetzung, siehe P. H. Vogel, Die deutschen Bibeldrucke, S. 251-256. Die Herausgeber des C.S. geben - allerdings ohne Beleg - an, daß Eiselin die 1477 von Anton Sorg gedruckte Augsburger Ausgabe besessen habe, siehe C.S. 13, S. 358, A. 2. Für diese Annahme gibt es keine Hinweise. Es ist nicht einmal eindeutig zu klären, ob die Schwenckfelder gedruckte Versionen oder noch ältere handschriftliche Übersetzungen nutzten. Im Zusammenhang mit den Verhaftungen von 1581/82 waren die Bücher der Schwenckfelder beschlagnahmt worden. Im Januar 1582 ist vermerkt, daß der Schuhmacher Samuel Reitz seine Zürcher Bibel, die nicht als dissidentisches Werk eingestuft wurde, zurückerhielt, Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, fol. 203. Ebenso wurde ein

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Zusätzlich zu Bibel und den Schriften der Glaubensgenossen lasen die süddeutschen Schwenckfelder vor allem Schriften der mittelalterlichen Mystiker. Dabei konzentrierten sie sich auf wenige Werke - neben den Schriften des Johannes Tauler waren das die ,Theologia Deutsch' und die ,Nachfolge Christi' des Thomas a Kempis, vor allem in der von Schwenckfeld neu herausgegebenen und mit einer Vorrede versehenen deutschen Ausgabe.224 Während Schwenckfeld besonders die Jmitatio Christi' vorbehaltlos zur Lektüre empfahl, 225 kritisierte er das Lesen der ,Theologia Deutsch' als unnütz. Sibilla Eiselin las 1545 in ihrem beständigen Bemühen, ihren Schwager Lukas Müller von den Täufern abzubringen und auf die schwenckfeldische Seite zu ziehen, mit ihm zusammen die ,Theologia'. Schwenckfeld meinte offenbar, daß sie zumindest für diese Zwecke nicht geeignet war. Er fügte aber hinzu, daß jeder lesen möge, was er wolle, solange er Christus dabei nicht aus den Augen verliere. Schädliche Lektüre gab es für ihn offensichtlich nicht.226 Obwohl die Schwenckfelder großen Wert auf religiöse Emotionen legten und die Körperbilder der Vereinigung mit Christus zum Teil denen der mittelalterlichen Frauenmystik ähnelten, wurde dieser Literatur kein größerer Wert beigemessen und wohl auch wenig gelesen. Die Lektüre der oben erwähnten Werke der deutschen Mystik des 14. Jahrhunderts läßt sich dagegen auch für die Schwenckfelder des 17. Jahrhunderts nachweisen. 227 Die Spätschwenckfelder teilten dieses Interesse mit anderen dissidentischen Gruppen dieser Zeit wie dem Kreis um Johann Permeier oder auch mit Spener und den radikalen Pietisten.228 Andere theologische oder philosophisch-spekulative Werke wurden nicht von allen gleichermaßen rezipiert, sondern einzelne Gruppen innerhalb des Schwenckfeldertums hatten aufgrund ihrer sozialen Situierung und ihres Berufes andere Lesegewohnheiten als die übrigen Glaubensgenossen. Schwenckfeldische

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Vierteljahr später mit der Schweizer Ausgabe des Torwarts Gilg Rößlin verfahren, Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, fol. 210. C.S. 4, S. 278-413. Diese Ausgabe besaß sehr wahrscheinlich auch der Wirt von Leeder, Caspar Lehenherr. Als der Ort 1595 an die Fugger verkauft wurde, ließ man alle protestantischen und sektischen Bücher beschlagnahmen und verbrennen. Darunter war auch diese Ausgabe des eigentlich mittelalterlichen und somit unverdächtigen Textes. Vermutlich wegen des dissidentischen Herausgebers war aber auch sie zur Verbrennung vorgesehen, falls der Wirt nicht freiwillig wegziehen wollte, Augsburg, Staatsarchiv, Hochstift Augsburg/NA, Akten 2473a, fol. 2. Anna Regel hatte das Werk von sich aus gelesen, was Schwenckfeld lobte, C.S. 8, S. 437; Sibilla Eiselin riet er ausdrücklich dazu, das Buch zu lesen, und schickte ihr sogar sein Exemplar, damit sie seine handschriftlichen Kommentare dazu in ihr Exemplar eintragen konnte, C.S. 9, S. 447. C.S. 9, S. 362f. Daniel Friedrichs theologische Werke sind davon beeinflußt, siehe E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 78. David Altenstetter gab 1598 im Verhör an, besonders Tauler und die .Nachfolge Christi' gelesen zu haben, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1598 d, 7.12.1598, 2. Verhör, fol. 1. Siehe Kap. 6.

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Ärzte waren überwiegend Anhänger der medizinischen Lehren des Paracelsus. Die Straßburger Ärzte Michael Toxites, Johann Winther von Andernach229 und Helisäus Röslin,230 die im Kontakt mit den schwenckfeldischen Gruppen standen und zumindest Sympathisanten waren, lasen nicht nur seine Werke, Toxites gab sie auch heraus. Der Augsburger Schwenckfelder und Arzt am württembergischen Hof, Wolfgang Thalhauser, hatte Paracelsus auch persönlich kennengelernt. Der nicht eindeutig einer bestimmten religiösen Richtung zuzuordnende Augsburger Mediziner Karl Widemann war ebenfalls paracelsisch geprägt und stand mit den schwenckfeldischen Netzwerken in Süddeutschland nicht zuletzt über familiäre Bindungen in Kontakt.231 Er besaß eine große Bibliothek, die kabbalistische Werke enthielt. Dieses Interesse an Kosmologie, Astrologie, kabbalistischer Bibelauslegung und die entsprechende Lektüre sieht Otto Bucher ebenfalls bei dem Stadtschreiber Adam Reißner, der nach seiner Ansicht über die Kabbala Interesse am schwenckfeldischen Spiritualismus entwickelt habe.232 Trotz dieser weitgespannten Interessen einiger Schwenckfelder lag der Schwerpunkt bei der Lektüre nicht-schwenckfeldischer Schriften eindeutig auf den neoplatonistisch orientierten Werken des 14. Jahrhunderts und der ,Nachfolge Christi' aus dem Umkreis der Devotio Moderna.233

3.3.4.2 Schriften von Schwenckfeldern Am häufigsten und intensivsten lasen die süddeutschen Schwenckfelder die Werke des Mannes Gottes (Martt). Sie besaßen meist viele Ausgaben seines umfangreichen Schrifttums, wie sich aus den Hinweisen in Schwenckfelds Briefen und aus den Angaben zu beschlagnahmten schwenckfeldischen Büchern entnehmen läßt. In den Briefen des ehemaligen Priesters Johann Martt wird deutlich, daß der Besitz der Werke Schwenckfelds unter seinen Anhängern vorausgesetzt wurde. Martt zitierte nur aus den Briefsammlungen Schwenckfelds, auf die gedruckten Werke verwies er lediglich in der Annahme, daß seine schwenckfeldischen Korrespondenzpartner die entsprechenden Stellen in ihren Ausgaben nachschlagen konnten.234 Die zahlreichen im Besitz der Anhänger befindlichen schwenckfeldi-

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Ch. Schmidt, Michael Schütz, genannt Toxites; K.-H. Weinmann, Der Renaissance-Arzt Johann Winther von Andernach. P. Diesner, Helisäus Röslin; S. Akermann, Heliaeus Roeslin. Sein Vater soll zu den fuhrenden Schwenckfeldern in Augsburg gehört haben. Er selbst korrespondierte mit Anhängern diverser religiöser Gruppierungen, J. Paulus, Alchemie. O. Bucher, Reissner, S. 66. Mit der Reformbewegung der Devotio Moderna hatten Schwenckfelder auch einige Bildungsvorstellungen gemein, so etwa die Ablehnung reiner wissenschaftlicher Gelehrsamkeit zugunsten einer Betonung von Ethik, Selbstprüfung, Meditation, Freiheit mit dem Ziel der Wiederherstellung der Einheit mit Christus durch Erfahrung und Übung in der Nachfolge, so G. Epiney-Burgard, Devotio Moderna. Siehe z.B. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 68v.

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sehen Bücher waren nicht nur für den Eigengebrauch, sondern auch für den heimlichen Vertrieb bestimmt.235 Nach Schwenckfelds Tod wurden seine Schriften zu autoritativen Quellen des theologischen Denkens seiner Anhänger. Martt belegte seine theologischen Ausführungen mit Verweisen auf Schwenckfelds Schriften, die die Richtigkeit seiner Äußerungen unwiderlegbar dokumentieren sollten. Er stellte Schwenckfelds Bücher sogar ohne den Autor überhaupt zu nennen neben Zitatstellen aus der Bibel, so daß Bibel und Schwenckfelds Werke als gleichrangig erschienen.236 Schwenckfelds Werke wurden bei den Spätschwenckfeldern wie die Bibel oder die Bücher der Kirchenväter zum Gegenstand der Exegese.237 Valentin Crautwalds Schriften wurden ebenfalls gelesen, wohl zumeist in der deutschen Übersetzung, aber sie waren auch im lateinischen Original verbreitet, wie beispielsweise die Büchersammlung des Juristen und Straßburger Ratsmitglieds Michael Theurer zeigte. Man hatte seine Bibliothek nach seinem Tod 1603 beschlagnahmen und inventarisieren lassen. Es zeigte sich, daß er fast ausschließlich schwenckfeldische Bücher besaß, darunter als einzige lateinische Werke ,De Verbo Die' und ,De Coena Dominica' von Crautwald. Ansonsten besaß er Werke von Autoren, die sich allgemein bei den Schwenckfeldern im 16. und 17. Jahr-

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Siehe unten. In einem Brief an Felicitas von Freyberg beschrieb Martt den Status und die Beschaffenheit des alten, sündigen und des neuen, wiedergeborenen Menschen. Seine Ausführungen zum alten Menschen belegte er mit mehreren Bibelstellen und Schwenckfelds Werk Von der sünd und der gnad sowie dessen Edition der ,Nachfolge Christi', ohne den Autor bzw. den Herausgeber zu nennen: in suma der altte mensch ist in allen dingen vnbestendig vnd wanckelmiettig solches ist des altten adams nattur vnd wessen / damit er zum ewigen tod frucht bringett / so lang er nit bekertt wirdt vnd zu christo kumot vnd durch den glauben in seinem bluotte gereinigett von sinden abgeweschen vnd in den namen (. I. in der krafft / macht nattur vnd gotthaytt) christi wider geboren / gerecht heylig vnd ain anderer neyer mensch würdt / so vil sey in der kurtze vom altten menschen vnd seiner nattur / ortt vnd aigenschafft angezeygtt / davon mag man in den episteln pauli als am: 1.5.8. 1. Cor.5.6. ioh. 4. ittem im biechlin von sindt vnd gnadt adam vnd christo dritten buoch der nachfolgung cap. 59. weytter lessen, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 85v. Dabei veränderten die Schwenckfelder den Inhalt der Äußerungen des Schlesiers so, daß er mit ihren veränderten Lebenssituationen und theologischen Auffassungen zusammenstimmte. Der Straßburger Daniel Sudermann bemühte sich, seine Forderung nach einem offeneren Bekenntnis zum Schwenckfeldertum mit Schwenckfelds Hinweisen zum Verbergen der eigenen Glaubensüberzeugung in Einklang zu bringen (siehe Kap. 5). Johann Martt legte Äußerungen Schwenckfelds zum Dualismus von Fleisch und Geist so aus, daß sie seine Auffassung von der Notwendigkeit, Ehen nur mit schwenckfeldischen Partnern einzugehen, stützte, obwohl Schwenckfeld glaubensverschiedene Ehen eindeutig tolerierte (zum Eheverständnis siehe Kap. 4), Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 112.

120 hundert größerer Beliebtheit erfreuten (abgesehen von Büchern Friedrichs, dessen Schriften mit einer Ausnahme erst nach Theurers Tod gedruckt wurden).238 Angesehen waren vor allem die Werke des schlesischen Pfarrers und Schwenckfelders Johann Sigismund Werner, sein vor 1534 verfaßter Katechismus und seine 1558 gedruckte Postille, die von Schwenckfeld zur Lektüre empfohlen wurden.239 Die Postille, die alle sonntäglichen, altkirchlichen Evangelien auslegte und die vor allem die unvermittelte Gottesbeziehung betonte, gehörte nicht nur in Schlesien zu den meistbenutzten Büchern der Schwenckfelder.240 Die Landauer Schwenckfelder diskutierten ihren Inhalt 1558 mit einer Delegation Straßburger Theologen und städtischer Delegierter. Dabei benutzten sie Auszüge aus einer handschriftlichen Version.241 Noch im gleichen Jahr wurde die Postille von dem Pforzheimer Georg Rab gedruckt, der sie u.a. auf der Frankfurter Buchmesse verkaufte.242 Wegen ihres erbaulichen Charakters hielt die im Verhör ansonsten vorsichtige Ulmer Schwenckfelderin Pfitzenmaier ihren Inhalt sogar für so wenig kontrovers, daß sie meinte, die Lektüre des Werks zugeben und gleichzeitig ihr religiöses Dissidententum bestreiten zu können.243 Das Werk gehörte zu den nichtkatholischen Büchern, die 1595 in Leeder bei dem Richter Paul Dreer von den Amtleuten der Fugger beschlagnahmt wurden.244 Viele Schriften anderer Schwenckfelder blieben ungedruckt und kursierten nur handschriftlich, einige von ihnen hatten wohl vor allem Bedeutung für die lokalen Gemeinden wie etwa die christologischen und ekklesiologischen Werke des Kaufbeurer Pfarrers Burkhard Schilling245 und die Schriften des Landauer Pfarrers Johannes Bader.246 Das in Landau sehr populäre Buch Fastnacht küchlin oder

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D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 126f. Er hatte Schriften von Johann Werner, Bernhard Herxheimer, Katharina Zell, Simon Martin, einem preußischen Schwenckfelder, und Barbara von Freyberg geb. von Eberstein. Zu Werner, siehe H. Weigelt, Spiritualistische Tradition, S. 9f„ 22, 144-147, 172f., 184186. Schwenckfelds Edition des Catechismus, der 1546 zum ersten Mal gedruckt wurde, erlebte danach zahlreiche weitere Auflagen, C.S. 9, S. 737-756. Schwenckfelds Edition der Postille, siehe C.S. 15, S. 407-1031. H. Weigelt, Spiritualistische Tradition, S. 186. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 437f. K. Schottenloher, Georg Rab. Ulm, Stadtarchiv, Ve. Urk. 1582/83, fol. 649. Augsburg, Staatsarchiv, Hochstift Augsburg/NA, Akten 2473a, 9.10.1595, Nr. 1, fol. 1. Seine 1544 verfaßte Schrift Von der waren und der falschen Kirchen wurde handschriftlich weiterverbreitet, siehe die Abschriften in Berlin und München (siehe oben). Im Kirchenarchiv von Kaufbeuren befindet sich auch die Abschrift einer im gleichen Jahr abgefaßten Schilling-Schrift Das Jesus Christus der einige Son Gottes / Gott vnd mensch / ein Herr vber alles sey, Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Β 20. J. P. Gelbert, Baders Leben und Schriften; Th. Kaul/H. Kimmel, Landau, S. 288. Bader verfaßte katechetische Schriften, eine in Landau beliebte Haustafel, auch Schriften zu den Sakramenten.

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Warnung büchlin seines Amtskollegen Bernhard Herxheimer, das zu dessen Amtsenthebung führte, erlangte dagegen überregionale Bedeutung.247 Es sind auch einige Lieder von Schwenckfeldern erhalten, besonders von dem Mindelheimer Stadtschreiber Adam Reißner und Daniel Sudermann, der u.a. Lieder nachdichtete, die er dem mittelalterlichen Mystiker Johannes Tauler zuschrieb.248 Inwieweit diese z.T. gedruckt verfügbaren Lieder in den Konventikeln tatsächlich verwendet wurden, ist unklar. Nach den erhaltenen schwenckfeldischen Briefen, die über die Versammlungspraxis Auskunft geben, spielte der Gesang sicher keine bedeutende Rolle. Andererseits war die älteste schwenckfeldische Liedersammlung, die von Adam Reißner stammte, zumindest in den Gemeinden in Ulm249 und Straßburg vorhanden und wurde von Daniel Sudermann abgeschrieben und weiterverbreitet. 250 Im späten Schwenckfeldertum wurden viele schwenckfeldische Werke gesammelt und abgeschrieben, besonders von dem Kreis um den Straßburger Sudermann.251 Es fand nun eine eigene Traditionsbildung statt, die auf die Verfestigung der Gruppe verweist. Der Arzt Ludwig Münster führte 1643 in einem Brief an seinen andersgläubigen Bruder Friedrich an, welche schwenckfeldischen Schriftsteller ihm am wichtigsten waren, und nannte Schwenckfeld selbst, Crautwald und Daniel Friedrich, wobei er letzteren später noch stärker hervorhob als hilfreichsten Autor, da Friedrichs Schriften ihn am stärksten zur Selbstprüfung anhielten: Vnd nachdeme vns Gott der Herr aus sonderlicher Gnade vnd Güte, zu nechstgemeldtem dieser zeit hochnothwen=digem Wercke, durch seine getrewe Diener vnd zeugen. C.S. [Caspar Schwenckfeld] Val.Cr. [Valentin Crautwald] vnd Dan. Fridr. [Daniel Friedrich] einen so reynen gesunden Dienst für das vergeßliche fleisch vnd den Eußeren Menschen inn Teutsche sprach hat herfür kommen lassen, inn welchem nicht allein die principal vrsachen der heutigen Plagen Här=lich angedeutet seindt, 247

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Es befand sich in großer Stückzahl (68 Exemplare) in der beschlagnahmten TheurerBibliothek, in der gleichen Anzahl von Exemplaren war dort auch Herxheimers Bekenntnis des Christlichen Glaubens vorhanden, D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens"', S. 127. A. F. H. Schneider, Liederdichter, S. 30-34. Er druckt im Anhang einige dieser Lieder ab, u.a. das Tauler von Sudermann zugeschriebene Es kommt ein Schiff geladen. Schneider gibt - allerdings ohne weitere Belege - an, daß die Ulmer Schwenckfelder die Reißner-Sammlung in ihren Versammlungen benutzten, A. F. H. Schneider, Liederdichter, S. 8. Die Cannstatter Schwenckfelder Bartel Binder und Margaretha Burgecker hatten zwei schwenckfeldische Lieder abgeschrieben, ob sie sie in ihren Konventikeln verwendeten, sie weitervertrieben oder nur sammelten, bleibt unklar, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 93, A. 2. Nicht alle Lieder waren überhaupt mit Melodieangaben oder gar Hinweisen zur Gesangspraxis versehen. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, daß die Reißner-Lieder für den privaten Lektüregebrauch gedacht waren. Vgl. die kommentierte Faksimile-Ausgabe der von Adam Reißner verfassten bzw. zusammengestellten Liedersammlung, J. Janota (Hg.), Adam Reißner. Gesangbuch, Bd. 2, 8f., 63f. Siehe H. Hornung, Sudermann als Handschriftensammler.

122 sondern auch der Grundt der Warheyt, von welchem der Abfall geschehen, herrlich bezeuget vnd wieder entdecket würdt, nach dem zeugnuß Jesu inn vorigen Heyligen, altes vnd Newes Testaments, so last vns dieselben mit danckbaren Hertzen annehmen [...] Jch für meine Person bekenne vnd schreibe solches aus Erfahrunge [...], daß, jemehr Jch mit gedachten Schrifften, sonderlich aber Dan: Frid: S: [Daniel Friedrichs Schriften] vmbgehe, je reichen Verstandt des Geheymnus der wahren Gottseligkeit, oder des Geheymnus des Vatters vnd Christi, im Geyst der liebe, Jch darinnen befinde, (nach dem Eusseren zeugnus) vnd dardurch vnd zu fleissiger Prüffunge Christi inn Mir vnd Meiner Selbsten inn Christo gereitzet vnd angetrieben werde.252 Indem Münster betonte, daß die Lektüre allein dem äußeren Menschen diene, denn die innere Wahrheit hatte allein Jhren Sitz im Himmel oder inn denen inn den Himmel versetzten Herzten,253 zeigt sich, daß der Dualismus von innerer und äußerer Welt auch im Spätschwenckfeldertum noch seinen festen Platz hatte, ja gerade gegenüber den anderen dissidentischen Gruppen, die eine äußerlich sichtbare Veränderung der Welt wünschten, noch stärker herausgestellt werden mußt e 254 F r i e ( j r i c h w a r für Münster offensichtlich der aktuelle Orientierungspunkt, während Crautwald und Schwenckfeld schon zum Korpus der klassischen Texte schwenckfeldischer Buchrezeption gehörten. Die Werke der beiden, die den späten Schwenckfeldern oftmals gar nicht mehr persönlich oder nur durch Briefe bekannt waren und die von ihnen als Mann Gottes, heiliger Mann, gottseliger Zeuge der Wahrheit oder treuer Zeuge Jesu Christi bezeichnet und damit als Propheten konstruiert wurden,255 gehörten selbstverständlich zum Bücherstandard aller Schwenckfelder. Sie waren Bestandteil einer schriftlichen Traditionsbildung, die Schwenckfelder anstelle einer Institutionalisierung betrieben, sie dienten der Stiftung von Gruppenidentität. Es waren Texte, auf die man sich gemeinsam bezog, sichtbare und überdauernde Zeichen der Gemeinsamkeit. Sie wurden herangezogen zur Begründung eigener Auslegungen als autoritative Texte, aber sie waren keine heiligen, keine verbindlichen Texte, sondern wurden im 17. Jahrhundert weiteren kritischen Prüfungen unterzogen, wie oben dargelegt. In diesem Sinne gab es keine Kanonisierungen, keine verbindlichen Textkorpora.

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Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 23 Γ. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 23 Γ. Siehe unten Kap. 6. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf. 36.2.Aug.2°, fol. 439; Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, fol. l l r , 13v, 40r, 46r, 112r; Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 66v.

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3.3.5 Der Leserkreis und die Verbreitung schwenckfeldischer Schriften Schwenckfeldische Druckerzeugnisse waren keineswegs für die heimliche Lektüre des kleinen Anhängerkreises bestimmt, sondern waren Bestandteil des öffentlichen Buchmarktes. Drucker und Buchhändler, denen schwenckfeldische Werke beschlagnahmt wurden, beriefen sich häufig darauf, daß Schwenckfelds Lehre und Bücher auf reichsrechtlicher Ebene nicht verboten worden waren und in weiten Teilen des Reichs in Läden offen feilgehalten wurden.256 Sie pochten also auf eine Art Gewohnheitsrecht und auf die über den konkreten Ort hinausgehende Autorität des Reiches, denn in den meisten Reichsstädten und Territorien gab es sehr wohl allgemeine Mandate gegen die Verbreitung polemischer und sektiererischer Werke, zudem war das Drucken ohne obrigkeitliche Genehmigung in der Regel verboten. Der Augsburger Schwenckfelder Hieber, der heimlich in großem Stil schwenckfeldische Literatur vertrieb, brachte zu seiner Verteidigung vor, diese Bücher würden nun schon seit mehr als 25 Jahren frei verkauft, da sy auf keinem Reichstag / Noch sonnst da man in Relegions Sachen gehandlett hat / nie / seind verpotten worden wie Ettwan sonst anderer schribgentten schmach biecher da hab ich gedacht das es nit schaden pringen sol vnd hab sy aus geben wer sij ahn mich begertt.251 Der schwenckfeldische Memminger Buchhändler Jakob Weiß versuchte 1568 nicht nur auf diese Weise den Verkauf der Schriften zu erklären oder zu entschuldigen wie die Augsburger, sondern er weigerte sich sogar zunächst, ein Verkaufsverbot zu akzeptieren: er protestier sich / dz dise buecher Jnn Reichsabschid / vnd vff dem Concilio zu Trient nit verworffen worden / auch Jn andern Stetten vnd Jetzt zu Franckfurtt vfffreyer meß verkhaufft werden.2™ Der Rat war aber nicht bereit, sich mit derartigen rechtlichen Finessen auseinanderzusetzen, und bedrohte den Buchhändler stattdessen: daruff Jst Jm wider angezaigt worden / Er solle gedenckhen aines Raths beuelch nachkhommen / oder Man werd Jm denn Reychsabschid änderst zuuerstehen gebend Auf der von Weiß erwähnten Frankfurter Buchmesse wurden schwenckfeldische und andere dissidentische Bücher bis ins späte 16. Jahrhundert problemlos

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Sibilla Eiselin berichtete Schwenckfeld, daß seine Bücher sogar während des Interims öffentlich verkauft und gelesen wurden, C.S. 10, S. 924; C.S. 11, S. 809. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 27, o. Datum, „Schwenckfeldische Bücher", fol. Γ. Mit dem Fehlen eines offiziellen Verbots, das speziell den Vertrieb schwenckfeldischer Werke untersagte, argumentierte auch der zusammen mit Hieber verhaftete Bernhard Unsinn, ebenda, Akten Unsinn, Nr. 2, 26.9.1553, 2. Verhör, fol. 3V. Memmingen, Stadtarchiv, Ratsbücher 1568/1569, fol. 66'. Faktisch standen alle Bücher Schwenckfelds auf dem Tridentinischen Index Librorum Prohibitorum von 1559. Memmingen, Stadtarchiv, Ratsbücher 1568/1569, fol. 66.

124 angeboten und verkauft.260 Dort beschafften sich schwenckfeldische und nichtschwenckfeldische Buchhändler entsprechende Exemplare, wenn sie sie nicht über die geheimen dissidentischen Vertriebsnetzwerke261 beziehen konnten, was den lokalen Obrigkeiten ein Dorn im Auge war, da der Nachschub an unerwünschter Literatur so leicht erhältlich war. Der Cannstatter Buchfuhrer und Schwenckfelder Andreas Neff hatte sich angeblich entsprechende Werke auf der Messe besorgt, um sie in verschiedenen Reichsstädten weiter zu vertreiben.262 Frankfurt diente auch als Lagerort fur Schriften in der messelosen Zeit.263 Der 1563 im Zusammenhang mit Druck und Vertrieb schwenckfeldischer Schriften verhörte Augsburger Schneider Sixt Schilling gab an, daß der Drucker Philip Ulhart fast die gesamte Auflage des von ihm gefertigten Werkes nach Frankfurt schicken sollte.264 Auch der Pforzheimer Drucker Georg Rab hatte Werners Postille 1558 nicht nur ohne Erlaubnis gedruckt, sondern sie auch selbst auf der Buchmesse vertrieben.265 Die Buchmesse diente aber weniger dem Buchverkehr der Schwenckfelder untereinander als der Sicherung des Angebots für die interessierte Öffentlichkeit. Als die Situation aufgrund obrigkeitlicher Pressionen für die Augsburger Schwenckfelder 1553 schwieriger wurde, war es Schwenckfeld vor allem daran gelegen, nicht das ganze interne Vertriebsnetzwerk auffliegen zu lassen. Daher ließ er über Sibilla Eiselin die Augsburger Gemeinde instruieren, Buchinteressenten nicht mehr selbst zu versorgen, sondern an die Frankfurter Messe oder an Nürnberg zu verweisen.266 Nürnberg war im 16. Jahrhundert bedeutender Druckort und Umschlagplatz schwenckfeldischer Schriften. Darauf lag auch das Hauptaugenmerk des Rates bei der Verfolgung der dissidentischen Bewegung in der Stadt. Man wurde immer dann aktiv, wenn entsprechende Drucke in der Stadt auftauchten, und bemühte sich sofort, aller Exemplare habhaft zu werden, die vor allem von dem schwenckfeldischen Buchhändler Bernhard Fischer vertrieben wurden.267 260

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Die Aufsichtsrechte des Kaisers über das Buchwesen wurden spürbar und rigoros erst seit Anfang des 17. Jahrhunderts ausgeübt, siehe D. Skala, Vom neuen Athen, S. 199. Aber auch im 17. Jahrhundert war es dem Drucker Matthäus Merian noch möglich, den Druck dissidentischer Bücher im Auftrag des Kreises um Johann Permeier (siehe Kap. 6) auf der Messe zu verabreden und die Bücher dort anzubieten, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 214v, 215V. Siehe Kap. 4. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 95. Alle größeren Verleger hielten sich ein ständiges Lager im Buchhändlerviertel in Frankfurt. Frankfurt war nicht nur wegen seiner Messe fur die Schwenckfelder bedeutsam, auch hier wurden schwenckfeldische Werke gedruckt, besonders in der großen Verlagsgemeinschaft von Feyerabendt und Rab, D. Skala, Vom neuen Athen, S. 196. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1563 b, 11.8.1563, 2. Verhör Schilling, Bl. 1, Nr. 9. K. Schottenloher, Georg Rab. C.S. 13, S. 255. H.-D. Schmid, Nürnberg, S. 218f„ 238f.

125 Der wichtigste schwenckfeldische Druckort im 16. Jahrhundert war Augsburg, wo man mit Glaubensgenossen arbeiten konnte oder mit Druckern, die auf die illegale, geheime Herstellung polemischer und dissidentischer Erzeugnisse spezialisiert waren.268 Hier erschienen die meisten Drucke von Werken Schwenckfelds zu dessen Lebzeiten. Das Druckzentrum des späten Schwenckfeldertums war Straßburg, was vor allem an der unermüdlichen Sammel- und Herausgebertätigkeit des Straßburger Bürgers Daniel Sudermann lag.269 Die Auflagenzahlen schwenckfeldischer Bücher sind zum Teil ermittelbar aus den Angaben oder schriftlichen Unterlagen der Drucker. Der in Bayern gefangengenommene Augsburger Drucker und Schwenckfelder Hans Gegler gab 1559 an, daß er jeweils 300 bis 400 Exemplare von sechs kontroverstheologischen Schriften Schwenckfelds gedruckt habe.270 1563 bezifferte der schwenckfeldische Schneider Sixt Schilling, der zwei Jahre zuvor zwei Schriften Schwenckfelds bei dem Augsburger Drucker Philipp Ulhart in Auftrag gegeben hatte, die Auflagenhöhe auf 400 bis 550 Exemplare.271 Die Angaben belegen, daß die Werke mindestens bis etwa zur Mitte des 16. Jahrhunderts von vielen Menschen gelesen wurden. Der Leserkreis überstieg bei weitem die Gruppe der eigenen Anhänger. 1543 berichtete Schwenckfeld an Wilhelm Zell, daß man innerhalb eines Monats 500 Exemplare seiner Schrift Von der Anbettunge Christi verkauft habe, die Schwenckfeld als Antwort auf ein Werk des St. Gallener Bürgermeisters und Schwenckfeld-Gegners Joachim von Watt verfaßt hatte.272 Kurz danach erschien ein Teildruck von Schwenckfelds bedeutendster christologischer Schrift Confession unter dem Titel Vonn der Mittelung: Hohenpriesterthumb vnnd ewige Königreiche Christi, von dem noch 40 Exemplare in über 20 verschiedenen Bibliotheken erhalten sind, was ebenfalls auf eine hohe Auflage schließen läßt.273 In einem Brief an Sibilla Eiselin 1552 gab Schwenckfeld an, daß von dem gut ein Jahr zuvor gedruckten Werk Vonn der Himmlischen Arzney bislang 1.000 Exemplare veräußert worden seien.274 Besonders die beiden erstgenannten Werke waren nicht erbaulicher, sondern eindeutig kontroverstheologischer Natur und setzten sich mit christologischen Themen auseinander. Offenbar hat es zumindest bis zur Jahrhundertmitte, als der innerprotestantische Richtungsstreit zwischen Oberdeutschen und Lutheranern 268

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Zur Gruppe der auf illegalen Druck Spezialisierten siehe H.-J. Künast, „Getruckt zu Augspurg", S. 83f„ 181-184. M. Pieper, Daniel Sudermann, S. 72-80. Augsburg, Stadtarchiv, Censuramt XVI, Nr. 6, Abschrift des 1. Verhörs von Gegler durch Amtleute des Herzog Albrechts von Bayern, Nr. 1, fol. 1. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt, Urgichten, 1563 b, 11.8.1563, 2. Verhör von Schilling, Nr. 1, fol. 1. Er gab an, sich nicht mehr genau an den Umfang seines Druckauftrags erinnern zu können. Der ebenfalls inhaftierte und verhörte Drucker Ulhart nannte 500 Exemplare, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt, Urgichten, 1. Verhör von Philipp Ulhart, fol. 1; Nr. 11. C.S. 8, S. 319. C.S. 8, S. 721 f. C.S. 9, S. 514f.

126 noch nicht entschieden war und eindeutige konfessionelle Bekenntnisse noch nicht rigoros verpflichtend waren, im süddeutschen Raum ein starkes Interesse von Laien an theologischen Auseinandersetzungen gegeben. Christologie war wie auch die oben erwähnten auf Kanzel und Straße ausgetragenen Ulmer Kontroversen über die Kreatürlichkeit Christi zeigen - noch nicht allein Sache der theologischen Spezialisten. Vielleicht ergriffen Laien einfach die Gelegenheit, den Prozeß der theologischen Entwicklungen der verschiedenen protestantischen Richtungen mitverfolgen zu können - wenn auch von einer dissidentischen Seite her - durch die Lektüre des deutsch schreibenden Schwenckfeld. Hier wurden sie nicht von vorneherein (schon über die lateinische Sprache) vom theologischen Diskurs ausgeschlossen. Chrisman hat für Straßburg festgestellt, daß Laien sich nicht mit der präzisen Definition von Doktrinen der neuen Kirche beschäftigten, weil die entsprechenden theologischen Werke nicht für sie bestimmt waren. Daher lasen sie - nach ihrer Untersuchung - keine entsprechenden theologischen Bücher, sondern beschränkten sich bei der religiösen Lektüre auf erbauliche und katechetische Werke.275 Schwenckfelder versuchten nicht, über die Sprache andere auszugrenzen. Der Laie Schwenckfeld verfaßte die meisten seiner Briefe sowie die religiösen Streitschriften, die sich mit protestantischen Theologen, seinen Hauptgegnern, auseinandersetzten, in deutscher Sprache. Er veranlaßte die Übersetzung vieler lateinischer Werke des schwenckfeldischen Theologen Valentin Crautwald ins Deutsche und hielt andere Anhänger an, in der Muttersprache zu schreiben.276 Er durchbrach so die Grenzen des gelehrten innertheologischen Diskurses und machte theologische und kirchenpolitische Streitfragen allen interessierten Laien zugänglich, indem er die Konflikte in seinen gedruckten Schriften in deutscher Sprache ausführlich darstellte.277 275

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„The precise definition of the doctrines of the new church, however, remained the responsibility of the theologians.[...] The arguments for each point [of the confessional statements] were written for and by theologians, although the final confession was often circulated in German as well as in Latin." M. U. Chrisman, Lay Culture, S. 281. Wie Chrisman betont auch Ehlich, daß die Reformation zwar gravierende Veränderungen für die Laien brachte, eine „Transformation des Wissenssystems", da religiöses Wissen in den Handlungsbereich des Einzelnen trat und nicht mehr den Klerikern vorbehalten war. Allerdings beschränkten sich die Interessen und das, was ihnen tatsächlich zugänglich sein sollte nach Auffassung der neuen, protestantischen Kirchen, auf erbauliche Literatur und praktische Frömmigkeit, K. Ehlich, Der Katechismus, S. 20-22. Schwenckfelder sahen das radikal anders, nicht nur Erbauung, sondern der gesamte Bereich religiösen Wissens sollte jedem Christen zur Verfugung stehen und von ihm genutzt werden. C.S. 7, S. 461 f. Schwenckfeld bemühte sich, seine Ansichten zu verteidigen, indem er sie veröffentlichte. Der Ulmer Rat versuchte 1534 dem gerade entgegenzuwirken, der Konflikt Schwenckfelds mit den Ulmer Pfarrern um Ekklesiologie und Christologie sollte unter den Experten bleiben und das Kirchenvolk nicht beunruhigen. Daher wurde den Pfarrern verboten, über die Auseinandersetzungen zu predigen oder ihre Ansichten drucken zu lassen. Schwenckfeld

127 Diesen alle Christen ansprechenden Ansatz führten auch die Schwenckfelder des 17. Jahrhunderts fort. Ludwig Münster hob im Brief an seinen Bruder hervor, daß die ihm wichtigsten Werke von Schwenckfeld, Crautwald und Daniel Friedrich in der Umgangssprache erhältlich waren,278 obwohl er selbst als akademisch gebildeter Mediziner Latein verstand und Crautwald die meisten seiner Werke im Original ja auf Latein verfaßt hatte. Trotz des überdurchschnittlichen Anteils von universitär Ausgebildeten im Schwenckfeldertum versuchten Schwenckfelder nie, sich über die Wahl der Sprache von anderen zu distanzieren und ihre Auserwähltheit durch diese Art von Ausgrenzung deutlich zu machen. Daß die von Schwenckfeldern angebotene Alternative für interessierte Laien, Frauen wie Männer, auch angenommen wurde, zeigt das Augsburger Beispiel. Im Schwenckfelder-Prozeß von 1553 wurde von den Augsburger Amtleuten ermittelt, daß es einen großen Kreis von Lesern gegeben hatte, der schwenckfeldische Bücher über informelle Vertriebsnetzwerke erwarb und offenbar genau wußte, wen man ansprechen mußte, um an entsprechende Lektüre zu kommen, obwohl man sie zum Teil in normalen Buchläden erwerben konnte.279 Die Augsburger Schwenckfelder verliehen Bücher, verkauften sie, ohne einen Buchladen zu besitzen, und betrieben eine Art Versandhandel, d.h. sie beschafften Bücher auf Bestellung von der Frankfurter Messe oder über die Hauptlagerorte des geheimen internen Vertriebsnetzwerks. 280 Leonhard Hieber und Bernhard Unsinn verkauften und verliehen schwenckfeldische Bücher an Menschen aller sozialen Gruppen, an Patrizier ebenso wie an Pfarrer, städtische Angestellte sowie an Handwerker und Tagelöhner. Unter den Lesern waren auch katholische Familien wie die der Fugger.281 Hieber gab 1553 an, daß er einem Tagwerker vor Jahren schon Schwenckfeld-Werke gegeben habe, die er an Mitglieder der Oberschicht verkauft habe, und daß derselbe vor kurzem Nachschub begehrte, weil viele Menschen sie gern lesen würden.282 Auch ein Augsburger Buchbinder, der keinen offenen Laden hatte, wollte Bücher von Hieber in größerer Stückzahl ankaufen, weil die Nach-

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nutzte seine Unabhängigkeit und ließ seine Werke außerhalb der Stadt drucken, Ulm, Stadtarchiv, A 3530, Bd. 16, fol. 216; C.S. 6, S. 403-427; J. Endriß, Schwenckfelds Ulmer Kämpfe, S. 36. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 23 Γ. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 27, fol. lr, Sp. 2. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 13, 19.9.1553, 1. Verhör; Nr. 15, 26.9.1553, 2. Verhör. Zur Funktionsweise des schwenckfeldischen Büchervertriebs siehe Kap. 4. Hans Jakob Fugger sowie Jörg und Regina Fugger, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 2, 26.9.1553, 2. Verhör; C.S. 12, S. 92. Jtem Jerg apprion ein tagwercker hab ich auch vor Jaren geben die hat er hie bey Reychen barschonen verkafft waiß aber nil wem der hat mich ytz newlich wider gepetten vm biechly des schwenckfelds dan Es seyen leutt die lesen geren so die predig kentt alß darunder prediger, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 27, fol. Γ , Sp. 2.

128 frage danach im Moment vorhanden sei, was dann doch unterblieb, da er keine entsprechende Lagerkapazität hatte.283 Da die Obrigkeit vor allem ein Interesse an der Ermittlung der Leser hatte und weniger daran, den Inhalt der Lektüre genau zu bestimmen, sind die beschlagnahmten Werke nicht aufgezählt. Aus Hiebers und Unsinns Andeutungen geht aber hervor, daß es sich nicht überwiegend um erbauliche Werke handelte, die Schwenckfeld in den Zeiten des Interims vornehmlich verfaßt hatte, sondern um Schriften über Christologie und Sakramentslehre.284

3.4

Schwenckfeldische Briefkultur

Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder im süddeutschen Raum unterhielten ausgedehnte Briefwechsel. Allein Schwenckfeld verfaßte Hunderte von Briefen an einen großen Adressatenkreis, die meisten davon waren an seine Anhänger gerichtet. Trotz des großen Umfangs dieser Sammlungen religiöser Privatbriefe, die zum Teil auch gedruckt vorliegen, wird die schwenckfeldische Korrespondenz in den einschlägigen Überblickswerken zur Geschichte des deutschen Briefes nirgends erwähnt, ebensowenig wie in den literaturwissenschaftlichen Untersuchungen zu dieser Textsorte oder den theologischen Forschungen zum religiösen Brief.285 Für das 16. und 17. Jahrhundert wird allgemein die quantitative Zunahme des BriefVerkehrs konstatiert, die auf die zunehmende Alphabetisierung der Stadtbewohner und die Bedürfnisse des Handels sowie das stärkere Selbstbewußtsein der kaufmännisch tätigen Städter zurückgeführt wird.286 Wegen dieser funktionalen Ausrichtung dominiere der Kanzleistil. Daneben existierten die nur fur einen kleinen Kreis Gleichgesinnter konzipierten lateinischen humanistischen Gelehrtenbriefe. Lediglich Luther habe neben seiner lateinischen Korrespondenz 283

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Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 27, fol. Γ , Sp. 2. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 13, 15, 27; Akten betr. Bernhard Unsinn, Nr. 2; Akten betr. Balthasar Marquardt, Nr. 1, 27.9.1553. G. Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes; K. Ermert, Briefsorten. Die neuere Überblicksdarstellung zur Briefgeschichte von Nickisch erwähnt die schwenckfeldische Korrespondenz ebensowenig. In einem dem 16. und 17. Jahrhundert gewidmeten Abschnitt wird allein Luthers Leistung für die Briefsorte des „Offenen Briefes" und die Entwicklung des „persönlichen Briefes", der häufig in deutscher Sprache abgefaßt gewesen sei und die Adressaten individuell (im Gegensatz zur Formelhaftigkeit der „mittelalterlichen Briefform") angesprochen habe, gewürdigt. Diese „freiere Form" des Briefschreibens sei im späteren 16. und im 17. Jahrhundert wieder „verschüttet" worden, R. M. G. Nickisch, Brief, S. 35-39. Dabei werden die religiösen Briefe der Schwenckfelder, die funktional wie stilistisch ähnlich sind, nicht berücksichtigt. Die Korrespondenzen anderer dissidentischer Gruppen werden genauso wenig erwähnt, obwohl muttersprachliche Briefe gerade unter überregional verbreiteten religiösen Dissidenten im 16. und 17. Jahrhundert das zentrale Kommunikationsmittel darstellten (siehe Kap. 6). R. M. G. Nickisch, Brief, S. 34.

129 auch deutsche Briefe geschrieben und sei vor allem Begründer und Meister der Untergattung des ,Offenen Briefes' gewesen.287 Im 17. und vor allem im 18. Jahrhundert habe sich der private, deutschsprachige Brief erst entwickelt und die „Kommunikation unter Anwesenden sozial [...] schrittweise an Bedeutung verloren."288 Der Austausch von Briefen gehörte allerdings schon seit dem Frühchristentum (Paulus-Briefe) zur Praxis religiöser Gemeinschaften. 289 Seit dem 14. Jahrhundert war briefliche Kommunikation häufiger Bestandteil religiösen Lebens, besonders unter den Mystikern und ihren Zirkeln.290 Religiöse Privatbriefe wurden schon im Mittelalter veröffentlicht, zum Teil unter Weglassung einzelner persönlicher, auf den Adressaten bezogener Passagen, zum Teil waren sie ohnehin fiktiv und nutzten nur die Aussagemöglichkeiten der Textsorte zur Verstärkung ihrer religiöserbaulichen Ziele.291 Das Hauptmerkmal der Textsorte sieht die Forschung im personalen Bezug: Ein Absender schreibt an einen oder mehrere konkrete Adressaten, wobei im Brief sowohl das Ich des Schreibers wie auch die Beziehung der beiden in irgendeiner Weise ausgedrückt wird. Charakteristisch für die Briefform ist zudem der in der Regel formalisierte Anfangs- und Schlußteil, der die Eröffnung und Beendigung des kommunikativen Aktes anzeigt.292 Briefe simulieren Gespräche, sie ermöglichen den Kontakt über räumliche Distanzen hinweg. Sie sind zumeist eine dialogische Kommunikation, bei der die Richtung wechseln kann: Der Absender wird zum Adressaten und umgekehrt. Um die Beziehungsfunktion der Briefwechsel genauer zu untersuchen, die schriftliche Kommunikation zur Gewinnung von Erkenntnissen über die sozialen Beziehungen der Schwenckfelder untereinander zu nutzen, müßte man die Briefwechsel in ihrer Gesamtheit verfolgen können, was aufgrund der Quellenlage nur eingeschränkt möglich ist. Die erhaltenen Briefe machen zwar deutlich, daß es ausgedehnte Briefwechsel zwischen den einzelnen schwenckfeldischen Gemeinden gab, aber es ist immer nur die eine Seite des Briefverkehrs erhalten. Antworten oder Vorgängerbriefe der Adressaten existieren nicht. Die überlieferten Briefe sind zumeist Bestandteile umfangreicher Sammlungen der Schreiben männlicher schwenckfeldischer Protagonisten wie Schwenckfeld selbst, Valentin Crautwald, Daniel Friedrich und Johann Martt. Daneben existieren Einzelbriefe, darunter auch einige von Frauen,

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Zur Geschichte und Funktion des .Offenen Briefes' siehe Weyrauch, Erdmann, „ O f f e n e Briefe". A. Hahn, Soziologische Aspekte von Geheimnissen, S. 36. Darauf wird in der neueren Forschungsliteratur zur Geschichte des Briefes selten eingegangen. Robert Vellusig, der seine Darstellung zur Briefkultur des 18. Jahrhunderts mit einem historischen Überblick beginnt, läßt religiöse Briefe fast völlig unberücksichtigt, siehe R. Vellusig, Schriftliche Gespräche. Ch. Wand-Wittkowski, Briefe im Mittelalter, S. 283. Ch. Wand-Wittkowski, Briefe im Mittelalter, S. 285f. Ch. Wand-Wittkowski, Briefe im Mittelalter, S. 23.

130 vor allem aus der spätschwenckfeldischen Zeit. Über die Gründe für diese ungleiche Überlieferungssituation kann nur spekuliert werden. Zwar mag der Sammelschwerpunkt darauf hinweisen, daß den brieflichen Aussagen des Bewegungsgründers Schwenckfeld und der hauptberuflichen Theologen ein größeres Gewicht beigemessen wurde als denen der Laien, der Überlieferungsstand ist aber sicher auch ein Resultat der Praxis des Sammeins: Gesammelt wurde vor allem von Frauen, und sie bewahrten die Briefe auf, derer sie habhaft wurden, d.h. die an sie gerichteten und ihnen zugeschickten Schreiben. Dafür spricht auch die Tatsache, daß in den Fällen, in denen Frauenbriefe - wie in einigen Fällen von Pietistinnen - erhalten sind, die andere, männliche Seite des Briefwechsels ebenfalls als verloren gilt.293 Angaben über Inhalt, Funktion und in den Briefen ausgedrückte Beziehungen der involvierten Personen müssen diesen Umstand berücksichtigen, dennoch läßt sich einiges über die nicht überlieferte andere Seite der Briefwechsel aussagen. Daß Frauenbriefe in der Regel nicht erhalten sind, betrifft keineswegs nur das Schwenckfeldertum. Gabriela Signori konstatiert dies für die mittelalterlichen Briefwechsel zwischen Männern und Frauen und vertritt die These, daß die Briefpartnerinnen lediglich „Konstruktionen am Kreuzweg von Erinnerung und Imagination" geblieben seien.294 Meines Erachtens lassen sich trotz der nur indirekt vernehmbaren Stimmen der Briefpartnerinnen einige Aussagen über ihren Anteil am Briefwechsel machen. Die erhaltenen männlichen Schwenckfelder-Briefe zitierten zum Teil wörtlich aus den vorangegangenen Briefen ihrer überwiegend weiblichen Schreibpartnerinnen, oder sie gaben Briefteile wieder bzw. paraphrasierten einige der Aussagen, auf die sie dann Bezug nahmen. Die männlichen Schreiber trafen damit eine Auswahl und interpretierten oder verzerrten gar die Aussagen der Briefpartnerinnen, ordneten sie ein in ihre eigenen Aussageabsichten, aber dennoch lassen sich mittelbar Angaben zur Selbstthematisierung dieser Autorinnen und Autoren der nichterhaltenen Briefe aus den Antworten entnehmen, wie es etwa bei Gerichtsprotokollen als Selbstzeugnissen versucht wird. Auch hier meint man durchaus, Erkenntnisse über die Mentalität, die Wissensund Vorstellungswelt der Verhörten gewinnen zu können, wenn man die im Text gegebenen und außerhalb der Texte liegenden Kontexte einbezieht und kritisch reflektiert.295 Schwenckfeldische Briefe sollen im folgenden in ihrer Bedeutung für die Vernetzung der zerstreuten Einzelnen zu einer religiösen Gruppe dargestellt werden. In den Briefen wurde oft eine face-to-face Situation imaginiert, die Nähe und Zusammenhalt schuf, man hielt Gesprech miteinander. Wenn den Briefen tatsäch293

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Siehe z.B. die von Ulrike Witt untersuchten Briefe aus dem Umfeld des Halleschen Pietismus, U. Witt, Bekehrung. G. Signori, Freundschaften, S. 13f. Zu Verhörprotokollen als Selbstzeugnissen siehe W. Behringer, Gegenreformation; H. Schnabel-Schüle, Ego-Dokumente; W. Schulze, Zur Ergiebigkeit von Zeugenbefragungen und Verhören.

131 lieh eine derart große Bedeutung bei der Konstituierung der Gruppe zukommt, ist zu fragen, ob die Schwenckfelder nicht überhaupt im wesentlichen eine .virtuelle' religiöse Gruppe gewesen sind, deren äußerliche Rituale sich in dem Austausch von Briefen erschöpften, Briefwechsel somit im Schwenckfeldertum den Charakter ritueller Handlungen annahmen. Neben diesem Bedeutungsaspekt für die schwenckfeldische Gemeinschaft sollen die Briefe auch als Selbstzeugnisse betrachtet werden, in denen die Schreiber ihre religiöse Identität schreibend entwikkeln, eingebunden in ihre sozialen Beziehungen. Themen und Funktion der Briefe lassen sich dabei nie auf den Aspekt der Belehrung oder religiösen Erbauung reduzieren. Schwenckfeldische Briefe dienten sehr verschiedenen Zwecken, die gleichrangig nebeneinander standen. Eine Unterscheidung zwischen Alltags- und Geschäftsbriefen einerseits und literarischreligiösen andererseits, wie sie etwa Nickisch oder Wand-Wittkowski vornehmen, erscheint bei den hier vorliegenden Schreiben daher nicht sinnvoll.

3.4.1 Briefsammlungen und Traditionsbildung Die süddeutschen Schwenckfelder sammelten Briefe, die an sie gerichtet waren, im Original und oft zusätzlich als Abschrift. Diese Sammlungen begannen zu Schwenckfelds Lebzeiten, wobei sie sich auf seine Briefe konzentrierten. Vor allem die Frauen unter Schwenckfelds Anhängern hoben die an sie gerichteten Briefe sorgfältig auf, sammelten aber offensichtlich auch andere SchwenckfeldSchreiben, derer sie habhaft werden konnten. Aus Gründen des Verfolgungsschutzes für seine Gefolgsleute äußerte sich Schwenckfeld gelegentlich gegen solche Sammlungen, oder er wies die Adressatinnen an, die persönlichen Teile der Briefe zu entfernen. 296 Später ging er dazu über, nicht-erbauliche persönliche Mitteilungen auf gesonderte Zettel, die nicht aufbewahrt oder weitergegeben werden sollten, zu schreiben und den Briefen beizulegen.297 Das geschah nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch, weil die an ein oder zwei Personen gerichteten Briefe in der Regel von weiteren Schwenckfeldern gelesen wurden.298 Nach dem Tod der Sammlerinnen der ersten Generation, Sibilla Eiselin sowie der Schwestern Baumgartner aus Isny, wurden diese Schwenckfeld-Briefe anderen Glaubensgenossen hinterlassen, vor allem der Familie von Freyberg, aber auch 296

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Zum Beispiel C.S. 11, S. 726: Katharina Baumgartner-Ebertz hatte Schwenckfeld berichtet, daß sie seine Briefe für die Nachwelt kopiere. Schwenckfeld wies sie daraufhin an, nur die allgemein relevanten, erbaulichen Teile aufzuheben. Ähnlich verfuhr auch Johann Martt, der wie Schwenckfeld davon ausging, daß man seine Briefe aufbewahrte. 1584 erteilte er seiner Frau den Auftrag, alle nicht-lehrhaften Teile seiner Briefe wegzuwerfen oder durchzustreichen, was diese zumindest nicht durchgängig tat, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 26 r . Siehe beispielsweise die eingelegten, persönlichen Zettel an Katharina Ebertz und Cecilia von Kirchen in Isny, die Familiennachrichten, Fragen zum Gesundheitszustand und seelsorgerliche Passagen enthielten, C.S. 11, S. 661f., 728f. Siehe unten.

132 Johann Martt und der Augsburger Arzt Karl Widemann besaßen einige seiner Briefe.299 Die Korrespondenz Johann Martts wurde von seiner Frau Agnes von Remchingen und seiner Tochter aufbewahrt.300 Sie versuchten, eine vollständige Sammlung der Briefe des Gatten bzw. des Vaters zusammenzubringen und bewahrten nicht nur die an sie gerichteten Briefe auf, sondern auch die an andere Schwenckfelderinnen adressierten Schreiben.301 Die andere Seite der Briefwechsel fehlt aber auch hier. Es ging ihnen also deutlich um die Bewahrung der von Martt selbst verfaßten Schreiben. Die für Martt bestimmten Schreiben seiner schwenckfeldischen Korrespondenzpartnerinnen waren nicht Objekt ihrer Sammeltätigkeit. Die beiden Frauen übergaben ihre Sammlung nach Martts Tod Daniel Sudermann.302 Daniel Sudermann war der bedeutendste Sammler schwenckfeldischer Manuskripte und Briefe. Er fand das meiste Material bei den von Freybergs. Sudermann ging einen Schritt weiter als die Sammlerinnen vor ihm und begnügte sich nicht mit der handschriftlichen Abschrift und Weitergabe an einen kleinen Kreis interessierter Glaubensgenossen, sondern er machte die Briefe allgemein zugänglich, indem er einige von ihnen drucken ließ. Die Drucklegung schwenckfeldischer Briefe in mehreren ,Epistolaren' hatte schon kurz nach Schwenckfelds Tod begonnen, dabei wurde Sudermann von Nikolaus Haid, Hans-Georg Schid und Johann Martt unterstützt.303 Da Schwenckfeld und seine Anhänger auch sehr viele theologische Traktate verfaßt hatten, die eindeutig der Belehrung und Erbauung dienten, stellt sich die Frage, warum seine Anhänger die an einige wenige konkrete Adressaten gerichteten Briefe für bewahrenswert hielten und sogar drucken ließen. Die gesammelten Briefe waren zumeist in ihrem Textsortencharakter erhalten worden, d.h. sie enthielten nicht nur die theologischen Teile, sondern auch die dialogischen Anschlußteile, die konkrete Ansprache des Adressaten, dessen Name allerdings oft anonymisiert wurde, und die Hinweise auf die vorangegangenen Schreiben des 299

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Hinweise auf den Brief-Besitz siehe z.B. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. l l r ; Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 36.2. Aug. 2° (Sammlung von schwenckfeldischen Briefen, die Widemann an Sudermann weitergab). Martt ging davon aus, daß seine Briefe von den Adressaten über längere Zeit aufbewahrt wurden. In einem Brief an Felicitas von Freyberg wies er sie 1577 daraufhin, daß er ihr schon vor Jahren zum selben theologischen Thema, der Auferstehung, geschrieben habe, diesen Brief solle sie nun wieder zur Hand nehmen, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 62 r . Die Familie lebte zeitweilig getrennt, daher ist der Großteil der erhaltenen Martt-Briefe an seine Frau gerichtet. Die übrigen erhaltenen Martt-Briefe waren alle an Frauen adressiert. Aus den Schreiben geht hervor, daß Martt aber auch in intensivem schriftlichen Austausch mit männlichen Glaubensgenossen stand, die die Briefe aber wohl nicht aufbewahrten. Sudermann vermerkt die Übergabe der Martt-Briefe und anderer schwenckfeldischer Briefe durch Agnes von Remchingen persönlich in einer Vorbemerkung zur Sammlung, s. Berlin, Staatsbibliothek Ms.germ.fol. 427, fol. l r , 123r. C.S. 17, S. 844.

133 Empfangers. Sudermann erklärte zwar in seinen Vorreden zu den Briefausgaben, daß der christliche Leser die weltlichen Teile der Briefe übergehen und sich auf die erbaulichen lehrhaften Passagen konzentrieren solle, auch gab Sudermann an, daß die Briefe den Vorteil hätten, schwenckfeldische Lehren auffs kürtzest zusammenzufassen, getilgt hatte er die nicht-theologischen Stellen dennoch nicht, er hatte sie nicht einfach zum Traktat zusammengekürzt. 304 Das Spezifische der Textsorte, personaler Bezug und dialogischer Charakter, waren offensichtlich von Bedeutung. Christine Wand-Wittkowski sieht die Funktion von religiösen Briefsammlungen u.a. darin, eine größere Aufmerksamkeit für den theologischen Gehalt durch die persönlichere Einbeziehung des Lesers und das Wecken von Emotionen zu schaffen. 305 Das mag auch bei schwenckfeldischen Sammlungen eine Rolle gespielt haben, indem die Briefform die Aufmerksamkeit der Leser intensivierte. Die gedruckten Sammlungen waren Nichtschwenckfeldern prinzipiell zugänglich, obwohl sie selten auf dem offenen Buchmarkt frei erhältlich waren.306 Gerade der interessierten nichtschwenckfeldischen Leserschaft sollten sie wohl vor allem einer hagiographisch anmuteten Personendarstellung des Mannes Gottes dienen, denn die ausgewählten Briefe gaben Einblick in Schwenckfelds seelsorgerliches Tun, in seinen einfühlsamen Umgang mit den einzelnen Anhängerinnen, ihren Ängsten und Zweifeln. Die Hauptfunktion der Sammlungen liegt aber m.E. in der Schaffung einer Gruppenidentität. Die Briefsammlungen waren nicht in erster Linie für die allgemeine, sondern für die schwenckfeldische Öffentlichkeit bestimmt, das galt vor allem für die Mehrzahl der Sammlungen, die nicht gedruckt wurden, sondern nur in handschriftlichen Abschriften kursierten, also nur über das interne Untergrundvertriebsnetzwerk zugänglich waren. Insofern unterschieden sie sich von der Form des .Offenen Briefs' oder Sendschreibens, der von vorneherein auf Publizität angelegt und auf eine breite Öffentlichkeit hin konzipiert war.307 Dennoch kann man von einer Öffentlichmachung der Briefe durch die Anlegung der Sammlungen sprechen, die eine Funktionsverschiebung gegenüber der primären Verwendung zur Folge hatte. Die Briefschreiber hatten ihre Worte ursprünglich an eine begrenzte Gruppe von Adressaten gerichtet, die höchstens die lokale Gemeinde umfaßte, während sich die Sammlungen mindestens an die gesamte süddeutsche Schwenckfelderschaft richteten, ein weiterer Leserkreis von NichtSchwenckfeldern wurde zudem nicht ausgeschlossen, der Kreis der Rezipienten

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Vgl. Sudermanns Vorrede zu Berlin, Staatsbibliothek Preuß. Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 898, abgedruckt in: C.S. 9, S. 116f. Ch. Wand-Wittkowski, Briefe im Mittelalter, S. 202. Siehe unten. E. Weyrauch, „Offene Briefe", S. 199, 202.

134 hatte sich also in der sekundären Verwendung innerhalb der Sammlung verändert.308 Geschlossene, mit kurzen Vorreden versehene Sammlungen von Briefen wurden erst von den späteren Schwenckfeldern angelegt und weitergegeben.309 Zuvor hatten die einzelnen Anhängerinnen und Anhänger die Schreiben in ihren Häusern verwahrt bzw. an geheimen Orten deponiert.310 Mit der Herausgabe als Sammlung wurden die Briefe Teil der Tradition, der Geschichte der schwenckfeldischen Bewegung, und konstruierten damit die Gutherzigen erst als Gruppe, als eine abgrenzbare Gemeinschaft, die gemeinsame erinnerbare Texte hatte, in denen sie als Gruppe sichtbar wurde. Die Briefform zeigt anders als der theologische Traktat neben den erbaulichen Teilen, die Beziehungen der Schwenckfelder zu Schwenckfeld und zueinander und stiftete dadurch ein Bewußtsein von Zeiten überdauernder Gemeinschaft und ermöglichte Selbstthematisierung. Das erschließt sich in einem von Sudermann verfaßten Vorwort zu einer Sammlung von Schwenckfeld-Briefen. Sudermann grenzte einige Passagen der Briefe als vergangen ab, aktualisierte und veränderte Standpunkte und Handlungsanweisungen Schwenckfelds, indem er sie in ihrem historischen Kontext erläuterte und für die Gegenwart als nicht mehr relevant aussortierte.311 Schwenckfeldische Briefe waren durch ihre Veröffentlichung Bestandteil der identitätsstifitenden Tradition geworden.312 Es ist nicht ermittelbar, wie intensiv 308

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Erdmann Weyrauch vergleicht die »Offenen Briefe' zur Abgrenzung mit den Humanistenbriefen, die nur für den eigenen Zirkel konzipiert waren, daher könne man bei ihnen nicht wirklich von Öffentlichkeit sprechen, E. Weyrauch, „Offene Briefe", S. 200. Christine Wand-Wittkowski sieht dagegen bei publizierten Brief-Sammlungen, auch wenn sie nur fur einen begrenzten Kreis zugänglich waren, grundsätzlich eine Veröffentlichung, weil der Brief personengebunden und jede Einbeziehung von nicht als Absender oder Adressat genannten Dritten schon ein Schritt in Richtung Öffentlichkeit sei, Ch. Wand-Wittkowski, Briefe im Mittelalter, S. 292, A 710. Die hier untersuchten Briefwechsel waren zwar nicht auf eine Massenkommunikation hin konzipiert, aber sie waren als Sammlungen nicht nur brieftypisch dialogisch gedacht, sondern „polylogisch" für einen größeren Leserkreis (Weyrauch). Sowohl die in Halle befindliche Sammlung der Briefe Friedrichs (Signatur B20) als auch die in Berlin aufbewahrte Johann Martts und die verschiedenen handschriftlichen Sammlungen diverser Schwenckfeld-Briefe, die auch vereinzelt Schreiben anderer Autoren enthalten und sich vor allem in Wolfenbüttel und Berlin befinden, waren von Daniel Sudermann angelegt worden, wie aus den Vorreden hervorgeht. Von der Aufbewahrung der Briefe an geheimen Orten, womit mit Sicherheit die Besitzungen der Familie von Freyberg gemeint waren, schrieb Sudermann in seinem Vorwort zur Eiselin-Baumgartner-Sammlung, C.S. 9, S. 116. C.S. 9, S. 117. Sudermann hielt eine Anpassung an die offiziellen Kirchen aus Gründen der ,dissimulatio', wie sie Schwenckfeld in den Briefen befürwortete, nicht mehr für nötig, da die Zeiten der Verfolgung vorbei seien. Von einer Kanonbildung kann hier aber nicht die Rede sein, da es im Schwenckfeldertum außer der Bibel keinerlei verbindlichen Texte gab, auch die Briefe sollten in christlicher Freiheit geprüft werden, vgl. C.S. 9, S. 117 und die Vorrede zur Friedrich-Ausgabe, Halle Β 20. Zum Vorgang der Kanonisierung siehe A. Hahn, Kanonisierungsstile.

135 die Sammlungen tatsächlich von Schwenckfeldern gelesen wurden, allein Martt zitiert gelegentlich aus Schwenckfeld-Briefen, wobei unklar ist, ob sie aus einer Sammlung stammten oder er Einzelabschriften besaß.

3.4.2 Themen des Austausches Schwenckfeldische Briefe behandelten eine Vielzahl von Themen - organisatorische ebenso wie wirtschaftliche und politische, aber auch Familiennachrichten daneben enthielten alle erhaltenen Schreiben religiöse Passagen, die Anteile der einzelnen Themen waren aber sehr unterschiedlich. 313 In einigen Briefen nahmen die theologischen oder erbaulichen Teile nur einen sehr geringen Raum ein. Eine klassifikatorische Eingrenzung als ,religiöser Brief im Gegensatz zu ,weltlichen', geschäftlichen' oder ,verwandtschaftlich-privaten' Briefen erscheint nicht sinnvoll. Themen, Stil und Ton der Briefe variierten vor allem aufgrund der sozialen Beziehungen, die Schreiber und Empfänger zueinander hatten, und aufgrund der Aufgaben und der Stellung, die sie innerhalb der schwenckfeldischen Gemeinschaft einnahmen. Die Vielzahl der erhaltenen Briefe und die inhaltliche Verschiedenheit erlaubten keine Quantifizierung der einzelnen Themenanteile, es soll hier nur ein Einblick in die Bandbreite der Inhalte und die Gründe für den unterschiedlichen Raum der Anteile gegeben werden. Schwenckfelds Briefe sind in ihren theologischen Passagen geprägt von dem Ringen um die Glaubenswahrheit. Sie sind Teil des religiösen Wahrheitsdiskurses im 16. Jahrhundert, als eine umfassende, äußerlich sichtbare Reformation von Kirche und Gesellschaft auch von den Spiritualisten um Schwenckfeld noch gedacht werden konnte. Gleichwohl werden hier Unterschiede in den Briefen deutlich. An der Art, wie Schwenckfeld theologische Themen mit den Korrespondenzpartnern besprach, kann man die Stellung des Adressaten innerhalb der schwenckfeldischen Gemeinschaft ablesen. Briefe schufen nicht nur Gemeinschaft, sie strukturierten sie auch. Das zeigt beispielhaft ein Vergleich zwischen den Schreiben, die Schwenckfeld an die in Isny lebenden Schwestern Baumgartner, Eva verh. Honold und Cecilia verh. von Kirchen, richtete, und denen, die er fur Sibilla Eiselin in Augsburg und an Katharina Streicher in Ulm verfaßte. Die Schwestern aus Isny waren für ihn keineswegs gleichberechtigte Partnerinnen in der Suche nach theologischer Wahrheit und korrekter Exegese, sondern sie waren in religiöser Hinsicht - ansonsten waren sie vor allem Geldgeberinnen - Objekte paternalistischer Seelsorge. 3 ' 4 Auch ließ er ihre Briefe oft lange unbeantwortet (bis zu einem halben Jahr), so daß die Schwestern sich schriftlich darüber be-

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Im folgenden soll nur von Briefwechseln die Rede sein, die Schwenckfelder untereinander oder mit Sympathisanten führten. Daneben gab es noch diverse apologetische Schreiben, in denen sich die Schwenckfelder mit ihren Gegnern schriftlich auseinandersetzten, die aber zumeist alsbald von den Nichtschwenckfeldern abgebrochen wurden. Siehe z.B. C.S. 10, S. 855f, C.S. 11, S. 799-803.

136 schwerten.315 Sibilla Eiselin und Katharina Streicher dagegen gehörten zu seinen engen Vertrauten, die leitende Aufgaben in ihren Ortsgemeinden übernommen hatten und mit denen er erheblich häufiger korrespondierte.316 Während er mit Streicher partnerschaftlich über exegetische Fragen beriet,317 unterstützte er Eiselin beratend im eigenen Nachdenken über theologische Fragen. Im Dialog mit ihr nahmen strategische, gemeindeorganisatorische Fragen einen mindestens genauso breiten Raum ein wie Diskussionen über die rechte Lehre. Im späten Schwenckfeldertum spielten religiöse Wahrheitsdiskurse eine weit geringere Rolle in den Briefwechseln. Eine allgemeine äußerlich erkennbare Reformation war nun nicht mehr denkbar. Die religiösen Themen der Schreiben konzentrierten sich daher auf die Abgrenzung von solchen Vorstellungen (besonders bei Friedrich, Sudermann und Münster) und praktische Fragen des Lebens schwenckfeldischer Glaubensüberzeugungen, d.h. um Integration oder Abgrenzung von der nichtdissidentischen Umwelt und die Selbstprüfling als Weg zum rechten Glauben. Die religiösen Teile der Briefe Johann Martts beschäftigten sich ganz überwiegend mit Trinitätstheologie und hatten immer belehrenden Charakter. Andere Themen traten fast ganz zurück, beinhalteten zumeist Dank für finanzielle Unterstützung des nahezu mittellosen Ex-Priesters. Anders in den Briefen an seine Frau Agnes, die aus einer für die Familie schweren Zeit der Trennung und Verfolgung stammten. Hier nahmen Passagen über Anfechtungen, eheliche Konflikte, finanzielle Fragen, die Planung der Flucht, aber auch Nachrichten über Glaubensgenossen und ihr Verhalten (das Martt meist danach beurteilte, ob sie ihn materiell unterstützten oder nicht) einen breiten Raum ein. Welchen Anteil bestimmte Themen in der Korrespondenz hatten, hing also von den Beziehungen der Beteiligten zueinander ab, Religiöses und Profanes vermischten sich unauflöslich. Die nicht erhaltenen Briefe der zumeist weiblichen Korrespondenzpartnerinnen enthielten, wie sich aus den Antworten klar entnehmen läßt, neben exegetischen Fragen vor allem eine Darstellung ihrer Position auf dem Glaubensweg. Sie nahmen eine kritische Selbstprüfüng vor, zumeist ohne daß sie dazu von ihren Briefpartnern explizit aufgefordert worden waren, berichteten von ihrer theologischen Lektüre und ihren Fortschritten und Rückschlägen auf dem Weg der Einswerdung mit Christus.

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So beispielsweise im ersten Halbjahr 1547; Anfang 1548 mußten sie sich erneut über sein langes Schweigen beschweren. Er entschuldigte sich mit Alltagsgeschäften, C.S. 11, S. 71, 647. Bei Streicher läßt sich das nur durch seine Hinweise in anderen Briefen erschließen. Der größte Teil des Briefwechsels ist nicht erhalten. Mit Eiselin hatte er 1553 während der schwierigen Zeit der Augsburger Prozesse vereinbart, wöchentlich zu korrespondieren, in einem der Briefe an sie entschuldigte er sich dafür, daß er ihr sogar noch öfter schrieb, C.S. 13, S. 271. Siehe unten.

137 Schwenckfelder korrespondierten standesübergreifend, die unterschiedliche soziale Situierung war dabei immer ein implizites Thema. Es gab eindeutig Ansätze zu einem standesübergreifenden Gemeinschaftsgefühl, das sich in Anreden und Schlußformeln dokumentierte. Schwenckfeld nutzte zwar in Verfolgungssituationen seinen Stand, um sich zu schützen, in der Korrespondenz mit seinen Anhängern wollte er sich aber ganz auf seine Rolle als religiöser Führer konzentriert sehen. So lehnte er es explizit ab, sich in den Briefen mit seinem Adelstitel anreden zu lassen.318 Schwenckfelder sprachen einander mit Bruder und Schwester an, das galt auch für Verwandte und sogar für die Ehepartner.319 Hierin zeigt sich die identitätsstiftende Funktion der Briefe: Die geschwisterliche Anrede suggeriert, daß die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Gutherzigen Vorrang hatte vor verwandtschaftlichen Beziehungen oder der Standeszugehörigkeit. Martt redete seine adeligen Korrespondenzpartnerinnen selten mit ihren Titeln an und verzichtete auf die übliche Dienstversicherung in der Schlußformel, was bei ihm sicher mit seiner scharfen Adelskritik und seinen Minderwertigkeitsgefühlen angesichts seiner Eheschließung über Stand zu tun hatte.320 Zwar korrespondierten Schwenckfelder ganz selbstverständlich standesübergreifend, bei den Unterschichtsangehörigen aus dem Bereich des Hausgesindes ist jedoch allgemein feststellbar, daß der Ton Schwenckfelds oder auch Martts eindeutig paternalistisch - wenn auch freundlich - war: Sie wurden geduzt, und ihre Glaubensüberzeugungen waren Gegenstand kritischer Prüfung. Umgekehrt hielten sie die Standesgrenzen ein. Die Magd Susanna Hornung achtete sich zu gering, den Gruß der adeligen Glaubensschwester Felicitas von Freyberg persönlich zu erwidern. Sie sah in Felicitas zuerst die Adelige und nicht die Glaubensgenossin und positionierte sich selbst in einer solchen sozialen Ferne, daß direkte Kontakte nicht möglich waren.321 Zusätzlich zur geschwisterlichen Anrede benutzte Schwenckfeld in seinen Briefen z.T. Namenskürzel oder Decknamen. 322 Dies diente vor allem dem Ver-

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C.S. 9, S. 271. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 2 r , 5 r , 10r, 12r, 24 r , 3Γ, 34 r , 37r, 42 r . Siehe Kap. 4. Sie benutzte stattdessen Martt zur untertänigen Erwiderung der Grüße, ließ also eine Art von vermitteltem Kontakt bestehen: susanna [Hornung] hatt eywern gruos auch zu grossem sondern danck empfangen vnd achttett sich nit wertt / die edlen frawen zu griessen / dennoch bittet sie mich eych ihren gantz vnderdienstlichen gruosse zu schreyben, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 58r. Später, als Felicitas von Freyberg für einige Zeit in Augsburg lebte, während sich Hornung im benachbarten Leeder aufhielt, hatten sie wohl direkten Kontakt zueinander, denn Martt läßt Hornung nun seinerseits über Felicitas von Freyberg Grüße bestellen, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 95 r . Schwenckfeld nannte die Augsburger Sibilla Eiselin Ferraria und Caspar Glaner Tacitus (siehe z.B. C.S. 11, S. 975), Jakob Held von Tieffenau wurde von ihm mit dem Namen Calabria belegt. Alexander Höldt nannte Schwenckfeld in seinen Briefen an die Cannstatter

138 folgungsschutz, falls die Briefe anderen in die Hände fielen, aber es hatte auch seine Funktion für die Bildung einer Gruppenidentität. Geheimnamen kannten nur Eingeweihte, das Geheimnis Schloß die Gruppe von anderen ab, zog eine innere Grenze.323 Neben religiösen Themen nahmen lebenspraktische Fragen der schwenckfeldischen Gemeinschaft den größten Raum ein. Es wurden Besuche schriftlich organisiert und Missionsstrategien beratschlagt. Man nahm regen Anteil an gesundheitlichen Problemen der Glaubensgenossen, schilderte eigene Krankheiten, berichtete von den Gebrechen der Brüder und Schwestern und erteilte medizinische Ratschläge. Finanzielle Unterstützung wurde genauso organisiert wie Zufluchtsorte fur vertriebene Schwenckfelder.324 Auch wirtschaftliche Beziehungen wurden thematisiert, das galt besonders fur Briefe der Kaufmannsfamilie Streicher. In einem der wenigen erhaltenen Briefe von Frauen, einem Schreiben der Sibilla Thumb von Neuburg verh. von Sperberseck an Helena Streicher von 1544, ging es vor allem um die Bestellung von Stoffen. Daneben erkundigte sich Sibilla nach der Erkrankung ihrer etwa gleichaltrigen Freundin Katharina Streicher. Dabei verknüpfte sie die Sorge um die Glaubensschwester mit Berichten über eigene gesundheitliche Probleme und theologischen Betrachtungen über die Notwendigkeiten des Leidens zur Kreuzigung des sündigen Fleisches.325 Religiöse Themen durchzogen den Brief, begleiteten die weltlichen Themen und ordneten sie in den Glaubensweg ein. Briefe dienten zudem der Übermittlung externer Nachrichten. Schwenckfeld, der sich im süddeutschen Exil in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens immer versteckt hielt, nutzte den Briefwechsel mit Sibilla Eiselin dazu, Informationen über die politischen Entwicklungen zu erhalten. Sie recherchierte regelrecht für ihn und informierte ihn über die militärischen Geschehnisse während des Schmalkaldischen Krieges ebenso wie über die Situation protestantischer Gefangener in Italien.326 Die Themen schwenckfeldischer Briefe lassen sich also nicht auf religiöse Erbauung reduzieren. Sie folgten auch nicht den Vorlagen von Briefbüchern und enthielten keine Stereotypien, sondern waren sehr individuell formuliert. Aufgrund der Vielzahl der Themen läßt sich keine inhaltliche Typologie erstellen. Anlässe für erste briefliche Kontaktaufnahmen waren im Falle Schwenckfelds zumeist theologische Fragen, die Interessenten, die seine Bücher gelesen hatten, ihm persönlich stellen wollten. Ansonsten waren die Briefanlässe so vielfältig wie die Themen selbst, wobei theologische oder das religiöse Leben betreffende Fragestellungen dominierten, was besonders für das Spätschwenckfeldertum galt. In

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Schwenckfelder den alten Ette, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 77. A. Hahn, Soziologische Aspekte von Geheimnissen, S. 23, 29 (siehe unten). Siehe Kap. 4. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 96f. C.S. 10, S. 924f„ C.S. 11, S. 213, 670.

139 die herkömmliche pragmatische Briefsorteneinteilung lassen sie sich in ihrer Multifunktionalität aber nicht einbinden.327 Auch die von Shimbo für pietistische Briefe vorgenommene Typologisierung nach Inhalt und Anlaß328 ist nicht anwendbar, da schwenckfeldische Briefe in aller Regel mehr als ein Gegenstand und einen Anlaß hatten und man oftmals nicht einmal von einem dominierenden Thema sprechen kann. Es stellt sich bei Briefen, in denen verwandtschaftsbezogene oder geschäftliche Inhalte einen größeren Raum einnehmen, natürlich die Frage, ob man sie überhaupt als religiöse Briefe bezeichnen kann, ob es sich um schwenckfeldische Briefe handelt oder um Briefe zwischen Geschäftspartnern und Verwandten, die zufällig auch Schwenckfelder waren. Meines Erachtens zeigt sich aber in der Themenmischung gerade ein charakteristischer Aspekt schwenckfeldischer Religiosität. Selbst wenn der Anlaß, wie im Fall des Briefes der Sibilla von Sperberseck ein geschäftlicher war, wird das Alltagsgeschehen eingebunden in einen religiösen Gesamtbezug. Schwenckfelder zogen sich nicht aus dem Leben in der Welt zurück, im Alltag aktualisierten sie jeweils die Anknüpfungspunkte an ihre religiösen Überzeugungen, die aber auch eine Zeit lang ganz im Hintergrund bleiben konnten, in der Gewißheit, daß Christus in den Herzen wohnte, daß es die beteiligten Briefpartner einte, Liebhaber Christi zu sein.329

3.4.3 Funktion des Briefwechsels Die Briefe der süddeutschen Schwenckfelder hatten vor allem drei Funktionen: Sie dienten der religiösen Selbstdarstellung der einzelnen Briefschreiber, der Belehrung und der Identitätsbildung der Glaubensgemeinschaft. Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder konstituierten sich in unterschiedlicher Weise als religiöse Subjekte. Schwenckfeld und Martt mit ihren Erfahrungen von Ausweisung und Exil betonten häufig den Aspekt des Leidens als Beleg für die Wahrheit ihrer religiösen Botschaft und konstruierten ihre religiöse Existenz parallel zu Christus selbst und seinem Leidensweg. 330 Schwenckfeld wie Daniel Friedrich stellten sich gleichzeitig als lernbedürftige Schüler dar und schilderten

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Reinhard Nickisch unterscheidet Briefe mit informativem Charakter, die primär Nachrichten übermitteln, Schreiben mit appellativ-belehrender Funktion, worunter er auch alle religiöserbaulichen Briefe versteht und Briefe mit Ausdrucksfunktion, die der Selbstdarstellung dienen, R. M. G. Nickisch, Brief, S. 13. Shimbo unterscheidet ähnlich wie Nickisch Informationsbriefe und apologetische offene Briefe der pietistischen Protagonisten, Sammlungen zu Erbauungszwecken sowie private Briefe zur Selbstbekundung, d.h. er kombiniert in seiner Typologie Inhalte und Funktionen der Briefe sowie primäre und sekundäre Verwendungsweisen, S. Shimbo, Säkularisation. Siehe Kap. 4. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 27 r .; C.S. 11, S. 522.

140 ihre Rückschläge auf dem Weg zum Christsein.331 Diese kritische Selbstprüfung unternahmen daneben vor allem die Anhängerinnen in ihren nicht erhaltenen Briefen. Es ist den Antworten zu entnehmen, daß sie nicht nur Fragen stellten, sondern Schwenckfeld auch über den Stand ihres Glaubens berichteten,332 über Anfechtungen ebenso wie über das Wirken Christi in ihnen. Sie positionierten sich auf der schwenckfeldischen Jakobsleiter, ordneten sich so ein in den Prozeß der Christwerdung. Schwenckfeld bewertete diese religiösen Selbstdarstellungen selten, allenfalls tröstete er gelegentlich, ermahnte, nicht zu viel von sich selbst zu verlangen. Er übernahm eine seelsorgerliche Rolle, strafte aber selten. Seine Erkenntnisse zu exegetischen Fragen und zum Weg der Christwerdung mußte er notwendig mit anderen teilen. Somit war das Briefeschreiben wichtiger Teil der Glaubenspraxis.333 Schwenckfeld gab immer wieder Ratschläge für eine Selbstprüfung, die der Gläubige allein mit sich ausmachte, die nicht kommuniziert wurde. Dennoch berichteten die Anhängerinnen weiterhin von ihrem religiösen Gemütszustand, was er auch nicht aktiv verhinderte.334 Die freiwillige Beichte in der schriftlichen Kommunikation mit Schwenckfeld hatte sich schon deutlich verändert gegenüber der vorreformatorischen katholischen und der frühen lutherischen mündlichen Beichtpraxis, auf die Sanktionen folgten, die den Beichtenden aber auch entlasteten. Den Schwenckfeldern ging es weniger darum, Schwenckfeld als geistlichem Mittler gegenüber Rechenschaft abzulegen, als vielmehr Trost zu suchen in einem seelsorgerlichen Gespräch, in einen Dialog mit einem Menschen zu treten, obwohl die schwenckfeldische Lehre eigentlich den Dialog mit Christus allein vorsah. Die Selbstprüfung war ein innerer Vorgang, über den Schwenckfelder dennoch eine Kommunikation zu wünschen schienen. Ob sie untereinander ihren Glaubensstand besprachen, ist nicht ermittelbar, da diese Briefe nicht überliefert sind. Die Darstellungen des Standes im Glauben kann man vielleicht als eine Art Zwischenstufe auf dem Weg von der äußerlichen mündlichen Beichte zur Tage331

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Zum Beispiel: Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, B20, 44 v . Schwenckfeld schilderte 1548 in einem Brief an Sibilla Eiselin seine eigenen Mängel auf dem Weg des Glaubens: kein rechtes Beten, keine Mäßigung, keine Kreuzigung des Fleisches, C.S. 11, S. 651 f. Für Friedrich, Martt oder Crautwald gilt das nicht so sehr. Die Briefe ihrer Korrespondenzpartner enthielten wohl keine derartigen religiösen Selbstthematisierungen, sondern theologische Fragen und Berichte über Glaubensgenossen oder von Martt abgefragte theologische Bekenntnisse. Nicht alle Mitglieder der Augsburger Gemeinschaft konnten offenbar Schwenckfelds Verständnis von der Korrespondenz als gemeinschaftsstiftender Glaubenspraxis nachvollziehen. Sibilla Eiselin berichtete Schwenckfeld, daß einige Augsburger Glaubensgenossen sie ermahnt hatten, Schwenckfeld nicht so viel zu schreiben, da das unhöflich sei. In seiner Antwort erläuterte Schwenckfeld daher noch einmal die Bedeutung des Briefeschreibens: Sie solle ihm nur weiterhin häufig und ausführlich schreiben. Er sehe sich verpflichtet, anderen auf dem Weg des Glaubens behilflich zu sein, und müsse die Erkenntnisse, die Gott ihm gegeben habe, mit anderen teilen, C.S. 11, S. 795. C.S. 9, S. 447, 648.

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buch-Selbstkontrolle, wie sie von Pietisten und Puritanern praktiziert wurde,335 sehen, als eine zwar schriftliche, aber doch mit anderen geteilte Selbsterforschung, eine Beichte ohne Lossprechung. Neben der individuellen Beziehung zwischen dem Adressaten und dem Schreiber des Briefes und der Funktion der religiösen Selbstdarstellung waren schwenckfeldische Briefe bereits in ihrer primären Verwendung - also bevor sie in Sammlungen öffentlich gemacht wurden - für die schwenckfeldische Gemeinschaft relevant. Die meisten der Briefe wurden nicht nur von den ein oder zwei genannten eigentlichen Adressaten gelesen, sondern an andere Mitglieder der Ortsgemeinde weitergegeben, wobei die Schreiber der Briefe dies zumeist ausdrücklich wünschten. In den Briefen Schwenckfelds wie auch Friedrichs und Martts sind solche Angaben vorhanden, die oft den ganzen Brief betrafen, gelegentlich aber auch nur die lehrhaften theologischen Teile.336 In einem Brief an seinen in Leeder lebenden Freund Gall Keel berichtete Martt, daß er der für einige Zeit in Augsburg lebenden Felicitas von Freyberg einen Brief geschrieben habe, der ein kurzes Bedenken von der Beschaffenheit des Fleisches Christi enthalte und daß er von Freyberg gebeten habe, den Brief an Keel und seinen Glaubensbruder Müller weiterzuleiten, damit diese sich den theologischen Teil abschreiben konnten.337 Martt legte sogar detailliert fest, in welcher Reihenfolge seine Briefe an Dritte weitergeleitet und bei wem sie letztendlich verbleiben und aufbewahrt werden sollten.338 Schwenckfeld diskutierte viele theologische und strategische Fragen nur mit seinen engsten Augsburger Vertrauten, Sibilla Eiselin und Anna Regel. In Briefen an Eiselin bat er sie oft, das Schreiben auch Regel zu zeigen und sich mit ihr darüber zu besprechen. 339 Andere Augsburger wurden manchmal sogar ausdrücklich von der Kommunikation ausgeschlossen, 340 manche Briefe sollten aber auch von der gesamten Augsburger Gemeinde gelesen werden.341 Hier zeigt sich die Indivi-

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K. von Greyerz, Religion und Kultur, S. 133f„ 152f. C.S. 9, S. 167, 208, 640; C.S. 11, S. 829; für die Briefe Daniel Friedrichs s. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, 4 7 \ Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 63'. In einem 1577 an die drei Ulmer Mägde Anna Bernhardt, Anna Erhart und Susanna Hornung gerichteten Brief bestimmte Martt, daß sie das Schreiben an die Schwestern Altensteig und die Magd Anna Steirin zum Lesen oder Abschreiben weitergeben sollten und daß es dann bei Susanna Hornung verbleiben solle, weil sie die jüngste der drei Adressatinnen war, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 112v. C.S. 11, S. 769. Wenn Jakob Held in der Stadt war, gehörte auch er dazu. 1 5 47 diskutierte Schwenckfeld mit Eiselin die theologischen Vorstellungen von Bernhard Ochino, der auch gegen die schwenckfeldische Christologie publiziert hatte. Er bat Eiselin, den Brief Anna Regel und Hans Braun zu zeigen und gemeinsam zu bedenken, ihn aber nicht an Annas Mann Georg Regel weiterzugeben, der zwar mit Schwenckfeld sympathisierte, aber auch Ochino nahestand, C.S. 11, S. 26. 1549 schickte Schwenckfeld ein ganzes Bündel Briefe nach Augsburg, neue an verschiedene Anhänger und ältere, die Augsburger Gemeindemitglieder an ihn geschrieben hatten. Al-

142 dualität der Briefe und die Strukturiertheit der Gemeinschaft, ein Netzwerk, das nahe und fernstehende Beziehungen kannte und Wissen brieflich zuließ oder vorenthielt. Auch Schwenckfeld las die Korrespondenz, die seine Anhänger untereinander führten, beispielsweise die Briefe, die süddeutsche Schwenckfelderinnen an Katharina Streicher richteten. Die Briefe, die die Streicherin verfaßte, gab er ebenfalls weiter zur Lektüre oder zur Weiterbeantwortung. Aus den Briefen Crautwalds an sie geht hervor, daß Streicher auf ihr Schreiben an Schwenckfeld Antwort von dem Angeschriebenen wie auch von Crautwald erhielt.342 Agnes von Remchingen schickte an ihren Gatten Johann Martt ebenfalls Briefe weiter, die ursprünglich nicht für die beiden bestimmt waren. 1584 sandte sie Martt den Brief eines schwenckfeldischen Glaubensgenossen an seine Mutter zu.343 Sogar der schwenckfeldische Briefwechsel zwischen engsten Verwandten war nicht allein Eigentum von Schreiber und Empfänger. Es wurden also nicht nur die Briefe der schwenckfeldischen Führer als ,Sendschreiben' weiterverteilt und abgeschrieben, sondern die Briefe aller Schwenckfelder waren Gemeingut der Gemeindemitglieder, somit keine ,Privatbriefe'. 1545 schickte Schwenckfeld beispielsweise Abschriften eines an ihn gerichteten Briefes von Valentin Crautwald an zwei Mitglieder der Augsburger Gemeinde, Hans Braun und Valentin Ickelsamer, das Original gab er zur Aufbewahrung an Hans Wilhelm von Laubenberg. In einem Schreiben an den Augsburger Arzt Wolfgang Thalhauser riet er ihm, sich an Braun und Ickelsamer zu wenden, um den Brief ebenfalls lesen zu können.344 Schwenckfeldische Briefe wurden selbst ohne das Wissen der Schreiber weitergegeben, was darauf schließen läßt, daß das Verfahren, die Briefe Dritten mitzuteilen, allen geläufig war, ein Bestandteil schwenckfeldischen Lebens.345 Die Weiterleitung der Briefe wurde dann gelegentlich problematisch, wenn es sich um die Korrespondenz von zwei Schwenckfeldern handelte, die nicht nur durch die religiöse Gemeinschaft verbunden waren. Agnes von Remchingen sah sich nicht allein als Glaubensschwester von Johann Martt, sondern als Ehefrau, die in ihren Briefen das besondere, Dritte ausschließende Vertrauensverhältnis zu ihrem Gatten nutzte, um ihm von ihren alltäglichen Sorgen und ihren Glaubensschwierigkeiten zu berichten. Sie hatte Martt deutlich angewiesen, ihre an ihn gerichteten Briefe weder weiterzugeben noch den Inhalt mündlich weiterzuberichten. Martt reagierte darauf mit

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le diese Schreiben sollten von allen gelesen, gemeinsam besprochen und dann an ihn zurückgesandt werden, C.S. 11, S. 829. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf. 37.27.Aug.2°, fol. 33. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 34r. C.S. 9, S. 506. Martt leitete an ihn gerichtete Briefe an seine Frau weiter und gab sogar die seiner Frau an andere weiter, selbst die Briefe der Ehepartner waren kein privates Zwiegespräch, sondern in erster Linie schwenckfeldische Briefe und somit geistiger Besitz der Gemeinschaft, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 10, 30r.

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Unverständnis, nahm aber auf ihre Angst Rücksicht und bat sie, künftig anzugeben, welche Passagen ihrer Briefe anderen mitgeteilt werden dürften.346 Die Briefe stifteten und vertieften Gemeinschaft. Die Weitergabe brachte Schwenckfelder miteinander in Kontakt, die sich schon wegen der räumlichen Entfernung selten oder gar nicht sehen und Gespräche miteinander fuhren konnten. Aber die Schriftlichkeit der Briefe war nicht nur die Simulation von Gesprächen, sie wurden durch die Art der Produktion und der Rezeption zu Instrumenten der Lehre, der Katechese und sogar zu Heiligen Texten, denn Gott selbst war an der Kommunikation beteiligt. Husser vertritt in seiner Arbeit zum Straßburger Schwenckfeldertum die Ansicht, daß zumindest in der Zeit nach Schwenckfelds Verurteilung in Schmalkalden 1540 die Drucklegung schwenckfeldischer Werke erschwert war, weswegen die Briefe zum hauptsächlichen Transportmittel' schwenckfeldischer Theologie wurden.347 Demnach hätten sie die Traktatliteratur nur ersetzt und wären handschriftliche theologische Abhandlungen gewesen. Die Briefform leistete aber mehr, sie ermöglichte Schwenckfeld eine auf die Adressaten und ihre Lernfortschritte in der Schule Christi abgestimmte Katechese. In einem Brief an Sibilla Eiselin, die sich darüber beschwert hatte, daß er ihr seine Christologie nicht schon früher einleuchtender nahegebracht habe, erklärte ihr Schwenckfeld, daß er Anfängern seine Lehre nie vollständig unterbreite, sie sogar aus didaktischen Gründen bei dem Gedanken lasse, Christus sei vor der Verklärung eine Kreatur gewesen. Erst allmählich enthülle er seine, wie er selbst zugab, schwer verständliche Christologie vollständig.348 Zu heiligen Texten entwickelten sich die Briefe, indem Gott direkt zum Kommunikationspartner wurde und ohne ihn Schreiben wie Verstehen gar nicht möglich war. Schwenckfeld bat Christus um seine Mithilfe, damit er 1544 mit Katharina Zell schriftlich Gesprech halten konnte.349 Auch zum Lesen und rechten Verstehen der Briefe brauchte es die Hilfe Gottes und die Vorbereitung des Gläubigen durch ein Gebet vor der Lektüre des Briefes, das empfahlen Schwenckfeld und Crautwald genauso wie über fünfzig Jahre später Daniel Friedrich.350 Schwenckfeldische Briefe waren nicht für die einmalige Lektüre bestimmt und sollten nicht wie gewöhnliche Post überflogen und beiseite gelegt, sondern wiederholt gelesen und bedacht werden.351 Diese wiederholte Rezeption machte einen ganz anderen Reflexionsgrad möglich als ein mündliches Gespräch, insoweit waren Briefe auch in dieser Hinsicht mehr als Imitationen des Gesprächs.

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 34. D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 125. C.S. 11, S. 779f. C.S. 9, S. 86. C.S. 8, S. 872; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf. 37.27.Aug.2°, fol. 52.; Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol.47 v . C.S. 10, S. 40.

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3.4.4 Organisation der Briefgemeinschaft Die Übermittlung der zahlreichen Briefe offenbart ein kompliziertes Netzwerk mit einem differenzierten Botensystem. Die Briefe liefen häufig über mehrere Boten, der Absender kannte aus Sicherheitsgründen oftmals nur die nächste Station. Schaltzentrale und letzte Station für Briefe an Schwenckfeld war zu dessen Lebzeiten die Familie Streicher in Ulm. Sie wußte jederzeit darüber Bescheid, wo Schwenckfeld sich aufhielt und konnten die Schreiben an ihn weiterleiten. Der im württembergischen Mühlhausen lebende Alexander Höldt ließ seine Briefe an Schwenckfeld über die Cannstatter Gemeinde ebenso an die Familie Streicher weiterleiten wie die Augsburger Schwenckfelder.352 Der Augsburger Leonhard Hieber gab in einem Verhör 1553 an, daß er Briefe an Schwenckfeld über Sibilla Eiselin nach Ulm weiterschicken würde und behauptete, die Ulmer Kontaktpersonen nicht zu kennen, was vermutlich nicht zutraf und von ihm aus Sicherheitsgründen geäußert worden war. Schwenckfeld lebte zu dieser Zeit sogar im Streicherschen Hause.353 Besonders bei neuen Interessenten, Unbekannten oder nur peripheren Sympathisanten war der briefliche Kontakt zu Schwenckfeld nur über seine Vertrauten möglich. Dieser abgestufte Zugang zur Kommunikation mit Schwenckfeld strukturierte die Gemeinschaft und war geradezu geheimbündisch organisiert, indem er Wissen vorenthielt, Abstand schuf und Kontaktgrenzen zog.354 Auf diese Weise konstituierte sich die überregionale Gemeinde der Schwenckfelder als Briefgemeinschaft, in der es zwar keine hierarchischen Strukturen gab, die auf Ämtern beruhten, wohl aber Differenzierungen im Verhältnis zu Schwenckfeld, die sich in der Nähe und Ferne, im direkten oder nur indirekten schriftlichen Zugang zu ihm ausdrückten. Das geschah primär unter dem Aspekt des Verfolgungsschutzes, zeigte sich aber auch in der Auswahl der Themen, die man schriftlich miteinander besprach. Taktische Aspekte im Umgang mit den theologischen Gegnern oder gruppenorganisatorische Fragen wurden nur mit den engeren Vertrauten erörtert. Die Briefbeförderung geschah auf unterschiedlichen Wegen, gelegentlich sogar ohne Wissen des Transporteurs: 1541 schickten die Cannstatter Schwenckfelder über einen ortsansässigen Fuhrmann zwei Briefe an Helena Streicher, die sie in einem Sack Weinbeeren versteckten, somit also die geschäftlichen Beziehungen für eine Briefübermittelung nutzten.355 Der Regelfall war aber die Versendung über eigens damit betraute Boten, wobei auf die Vertrauenswürdigkeit der Übermittler umso mehr Wert gelegt wurde, wenn sie sich dem Zentrum des Netzwerks näherten. Alexander Höldt hatte beispielsweise zwei Briefe zunächst ohne große 352 353

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 79. Augsburg, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 13, 19.9.1553, fol. Γ. So wird das Wesen von Geheimbünden beschrieben in: A. Assmann/J. Assmann, Geheimnis, S. 7. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 76.

145 Sicherungsmaßnahmen an Bartel Binder in Cannstatt weitergeleitet und bat diesen ausdrücklich, sie mit sicheren Boten zu den beiden Adressaten Hans Konrad Thumb von Neuburg und Schwenckfeld weiterzuleiten. 356 Die Wohlhabenden unter den Schwenckfeldern hatten eigene Boten, über die sie die Schreiben sicher befördern konnten.357 Diese waren auch für Glaubensgenossen tätig.358 Überregionale Besuche von Glaubensgenossen wurden selbstverständlich zur Briefbeförderung und zur mündlichen Übermittlung von Nachrichten genutzt.359 Man gab den Heimkehrenden bei der Abreise Schreiben für die Mitglieder seiner Ortsgemeinde mit. Daß die Briefbeförderung Vertrauenssache war, bei der man selbst bei Menschen, die nicht dem Schwenckfeldertum angehörten und die man weniger gut kannte, redliche Übergabe und die Wahrung des Briefgeheimnisses erwartete, zeigt der in dieser Beziehung fehlgeschlagene Versuch, den Augsburger Juristen Konrad Heel mit der Aufgabe des Brieftransports zu betrauen. Während Schwenckfelds Aufenthalts bei der Familie von Freyberg 1546 weilte auch Heel dort. Bei seiner Rückreise vertraute man ihm einige Briefe für die Augsburger Gemeinde an, die er aber nicht aushändigte, sondern an den protestantischen Pfarrer Musculus weitergab. Darüber beschwerte sich von Freyberg massiv und erreichte wenigstens eine Zusage, daß den Adressaten nichts geschehen würde.360 Nichtschwenckfeldische und nichtangestellte Boten waren aber - sicher nicht zuletzt aufgrund derartiger schlechter Erfahrungen - eher die Ausnahme. Zur Dauer der Briefubermittlung ist aus den Quellen relativ wenig zu ersehen. Da Schwenckfeld und Eiselin einander wie erwähnt innerhalb einer Woche mehrere Briefe zuschickten, kann man daraus schließen, daß zumindest die Verbindung im geographisch nahen Umfeld (hier zwischen Ulm und Augsburg) sehr schnell herzustellen war. Aus Abfassungs- und Empfangsdatum eines Briefes von Johann Friedrich Münster in Hamburg an den Nürnberger Schwenckfelder Nikolaus Pfaff ergibt sich, daß der während des Dreißigjährigen Krieges geschriebene Brief höchstens 16 Tage unterwegs war.361 Nürnberg fungierte im 17. Jahrhundert als eine Art Schaltzentrale für schwenckfeldische Briefe, insbesondere für Sendungen zu den schlesischen Glaubensgenossen. 362

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 75. Siehe z.B. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 98. Martt nutzte die Boten der Familie von Freyberg, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 10v. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 1 Γ. C.S. 10, S. 79f. Münster hatte den Brief am 5.2.1638 in Hamburg verfaßt, und Pfaff hatte den Empfang in Nürnberg am 21.2. quittiert, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 237 v . R. van Dülmen, Schwärmer, S. 228.

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Ergebnisse Der Weg des Glaubens war für die süddeutschen Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder ein innerer Vorgang. Alles äußerlich Sichtbare und Wahrnehmbare hatte nur Zeugnischarakter für das Glaubensgeschehen im Innern des anhebenden Christen. Eine Außenseite des Christenlebens, die sich in Institutionen und Ritualen organisierte, war aus schwenckfeldischer Sicht nicht nötig. Äußerlich erkennbar war der Fortschritt in der Schule Christi allenfalls in den frommen Werken, in der Caritas.363 Auch eine abgegrenzte Gruppe religiöser Virtuosen existierte innerhalb des süddeutschen Schwenckfeldertums nicht, sondern es waren prinzipiell alle Christen religiöse Experten, die am Ringen um die theologische Wahrheit, um die rechte Erkenntnis Christi teilhaben konnten. Das ermöglichte Frauen neue religiöse Handlungsspielräume zwischen den Konfessionen. Neben dem katholischen, streng abgeschlossenen Klosterdasein364 und der protestantischen Existenz als christlicher Ehefrau eröffnete sich Schwenckfelderinnen ein religiöses Leben in der Welt, aber außerhalb der Ehe. Selbständig und durch intensive Lektüre der Bibel und theologischer Schriften geschult, prüften weibliche und männliche Laien die religiösen Angebote und machten sich auf die Suche nach der religiösen Wahrheit. Der Weg der Christwerdung, die sich im Herzen, im inneren Zentrum des Menschen abspielte, begann nach schwenckfeldischer Auffassung mit dem religiösen Erlebnis, mit dem Handeln Gottes im Menschen, das nicht als spektakuläres Ereignis im Sinne eines einmaligen Erweckungserlebnisses erfahren wurde, sondern allmählich nahm der Schüler Christi das Wirken Gottes in seinem Innern wahr. Der kommunikationstranszendente Vorgang wurde zur religiösen Erfahrung und damit wahrnehmbar auf dem Weg der Kommunikation. Vor allem durch die schriftlichen Beschreibungen gegenüber den Glaubensgenossen wurde das Unbeschreibbare geformt und daher erst als Erfahrung hergestellt. Briefe waren für Schwenckfelder der zentrale Lebensvollzug ihres Glaubens. Die Mitteilung der Erfahrung, des Standes auf dem Glaubensweg und die kommunikativ hergestellte Theologie konstituierten die schwenckfeldische Gemeinschaft. Gott selbst wurde von den Schwenckfeldern als Kommunikationsteilnehmer gesehen, nicht nur durch sein Wirken in den Herzen der Christen, sondern auch durch seine Beteiligung an der Abfassung und Rezeption der schwenckfeldischen Briefe.

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Siehe Kap. 4. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde die katholische Reformbewegung zwar vor allem von Laien - besonders von Frauen - getragen, die sich für ein semireligioses Leben engagierten. Nach dem Trienter Konzil fand dann aber eine Klerikalisierung der Reform statt. Es setzte sich auch in den reformorientierten Frauenorden, bei den Ursulinnen oder den Jesuitinnen, eine strenge Klausur durch, so daß seit der Mitte des 17. Jahrhunderts ein religiöses Leben in einer Frauengemeinschaft mit gleichzeitigen Aktivitäten „in der Welt" nicht mehr möglich war, siehe dazu die Arbeit von A. Conrad, Zwischen Kloster und Welt.

147 Gott konnte handeln, ohne daß man ihn wahrnahm, die Gesamtheit der Liebhaber Christi war also nach schwenckfeldischer Überzeugung so lange nicht bekannt, wie Gott sie nicht sichtbar und äußerlich versammelt hatte. Der Zusammenhalt der süddeutschen Schwenckfelder als religiöse Gemeinschaft dokumentierte sich bis dahin wesentlich in der Kommunikation. Der Mensch mochte auserwählt sein, ohne es selbst wahrzunehmen, aber man konnte kein Schwenckfelder sein, ohne die religiöse Erfahrung, das Anklopfen Gottes, im Dialog anderen mitzuteilen. Die Briefform war wegen ihres dialogischen Charakters dabei von besonderer Bedeutung; auf diese Weise wurde ein Netz von Gleichgesinnten geknüpft. Die Mitteilung von Erkenntnissen und die Kommunikation der Selbstprüfung waren dabei für die begrenzte Öffentlichkeit der schwenckfeldischen Gruppe bestimmt, gingen also über die eigentlichen Adressaten hinaus, hatten aber ein begrenztes Lesepublikum. Das galt auch für die Sammlungen der Briefe. So strukturierte die briefliche Kommunikation die Gesamtgruppe und schuf Außengrenzen.

Kapitel 4: Schwenckfeldische Lebenswelten Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder zogen sich nicht aus ihrer andersgläubigen Umwelt zurück. Gleichzeitig fühlten sie sich der Welt enthoben als Auserwählte Gottes, die das Handeln Christi in ihren Herzen wahrgenommen und sich auf den Weg zum Heil, zum Einswerden mit Christus, begeben hatten. Dieses Bewußtsein verband sie mit den anderen Liebhabern Christi im süddeutschen Raum. Die Stärke der Beziehungen zum Schwenckfeldertum war jedoch sehr unterschiedlich: Neben überzeugten schwenckfeldischen Parteigängern gab es Interessierte, die lediglich eine Zeit lang mit Sympathie Schwenckfelds Schriften lasen. Eine Definition der Zugehörigkeit zum Schwenckfeldertum, die mit einer Grenzziehung verbunden wäre und somit eine Beschreibung der süddeutschen Schwenckfelder als Gruppe erst ermöglichte, kann nicht gegeben werden. Denn keinerlei äußerliche, rituelle Erkennungszeichen einten die Spiritualisten. Nicht einmal Versammlungen wurden in allen Ortsgemeinden abgehalten; fanden Konventikel statt, bestand keinerlei Verpflichtung, sie zu besuchen. Es gab demnach keinen äußeren Rahmen, um als Gruppe handeln zu können. Schwenckfelder und Schwenckfelderinnen regelten die Zugehörigkeit nicht über Riten und Bekenntnisse, sondern über verschiedene Medien und Formen nicht institutionalisierter Beziehungen. Die im Bereich der Soziologie und Anthropologie entwickelte Netzwerkanalyse1 kann hier ein Instrumentarium zur Verfügung stellen, das neue Möglichkeiten zur Beschreibung schwenckfeldischer Verbindungen eröffnet. Die Netzwerkanalyse ermöglicht es, Menschen nicht nur über bestimmte konstitutive Merkmale sozialen Gruppen zuzuordnen, sondern allgemeine Beziehungen zwischen einzelnen Akteuren sichtbar zu machen, auch wenn die Bindungen nur schwach oder indirekt ausgeprägt sind. Eine Abgrenzung von Sympathisanten und Anhängern, die praktisch kaum möglich ist, wird somit auch theoretisch unnötig. Im Sinne soziologischer Definition ist die Art des Zusammenhalts der schwenckfeldischen Gemeinschaft eher als Netzwerk denn als Gruppe zu charakterisieren. 2 Mit der Netzwerkanalyse läßt sich die unterschiedliche Strukturiertheit der einzelnen Ortsgemeinden darstellen. Die Intensität von Beziehungen, die Bildung von eng miteinander verbundenen „Cliquen" innerhalb des Netzwerks und die für das

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Siehe z.B. D. Jansen, Netzwerkanalyse; S. Wasserman/K. Faust, Social Network Analysis. Schenk sieht keinen grundsätzlichen Gegensatz zwischen Gruppen im soziologischen Sinn und Netzwerken. Dichte und kohäsive Strukturen (in der Netzwerktheorie „Cliquen" genannt) fuhren meist zur Gruppenbildung. Aber es gibt Unterschiede: Längere Beziehungsdauer, große Intensität der Beziehungen und direkte Kontakte sind für Gruppen charakteristisch, für Netzwerke sind sie keine Bedingung, M. Schenk, Konzept, S. 92-96. Bei den späten Schwenckfeldern um Johann Martt gab es allerdings Tendenzen zu Absonderung und Gruppenabschluß, siehe unten.

150 Ansehen von Personen und für die Verfügungsgewalt über nichtredundante Informationen wichtigen schwachen Verbindungen3 können ebenso analysiert werden wie die Funktion von Personen als „cutpoint", als Bindeglied zwischen zwei verschiedenen Netzwerken oder Teilen von ihnen. Der Analyseansatz hat aber auch Kritik erfahren: Die rein strukturell ausgerichtete Netzwerkforschung, die das Handeln und Denken der Akteure als vollständig durch die Beziehungsstrukturen determiniert sieht, vernachlässigt den Einfluß von kulturellen und politischen Diskursen auf die sozialen Strukturen und die individuellen Handlungsdispositionen der Akteure.4 Damit bleibt unklar, auf welche Weise und auf welcher Grundlage sich soziale Strukturen herausbilden und wie mit den Handlungsspielräumen der Akteure umgegangen werden soll. Im Gegensatz zum Problem des Strukturdeterminismus in der Soziologie hat die neuere Ethnologie nach der Ansicht von Thomas Schweizer das umgekehrte Problem mit einer Theoriebildung, die keine Welt außerhalb des Textes kennt und die soziale Einbettung und Strukturiertheit vergißt.5 Die Integration beider Aspekte, die Schweizer vorschlägt, wäre den hier untersuchten Fragestellungen angemessener. Sie würde das Eingebettetsein der Schwenckfelder in die sozialen Strukturen ihrer Umwelt ebenso analysieren können wie die Nutzung individueller Handlungsspielräume für ihre dissidentische Glaubenspraxis. Zudem würde dem Gesichtspunkt zeitlicher Veränderungen in den sozialen Beziehungsstrukturen stärker Rechnung getragen. In der Geschichtswissenschaft wird das Konzept des Netzwerks vor allem im Bereich der Familien-6 und der Elitenforschung angewandt. In der deutschen Frühneuzeitforschung, die mit diesem methodisch-theoretischen Instrumentarium arbeitet, dominieren die Arbeiten zu historischen Führungsgruppen, die das von Wolfgang Reinhard aus der Netzwerkanalyse entwickelte Konzept der „Verflechtung" nutzen.7 Reinhard benennt fünf für die Frühe Neuzeit zentrale Verflechtungskategorien - Verwandtschaft, Nachbarschaft, Landsmannschaft, Freundschaft und Patronage - mit denen die Beziehungen, die die Eliten verbinden, untersucht werden können.8 Daneben existieren auch Arbeiten, die den Netzwerkan3 4 5 6

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Zur Bedeutung der „weak ties" siehe vor allem M. Granovetter, The strength of weak ties. Μ. Emirbayer/J. Goodwin, Network Analysis, S. 1436-1446. Th. Schweizer, Muster sozialer Ordnung, S. 55-71, 134-152. Siehe exemplarisch: A. Plakans, Kinship in the Past. In der älteren genealogischen Forschung wurden methodisch ähnliche Untersuchungen mittels der Analyse von ,Heiratskreisen' durchgeführt, siehe zum Beispiel Κ. E. Demandt, Amt und Familie. Siehe u.a. W. Reinhard (Hg.), Power Elites and State Buildung; ders., Oligarchische Verflechtung; M. Häberlein, Brüder, Freunde und Betrüger; N. Reinhardt, Macht und Ohnmacht der Verflechtung; K. Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik; I. Stader, Herrschaft durch Verflechtung,. W. Reinhard, Freunde und Kreaturen, S. 24-32. Teuscher kritisiert in seiner Arbeit den quantitativen Ansatz von Reinhard, weil er seiner Ansicht nach keine Erklärungen zu Fragen nach Formen und Qualitäten persönlicher Beziehungen liefert. Daher bevorzugt er eine qualitative Analyse, „Probebohrungen" bei verschiedenen Formen von Beziehungen, die er

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satz fur Fragestellungen nutzen, die sich nicht mit den Mechanismen von Staatsbildung und -führung beschäftigen. So macht Barbara Rajkay in ihrer Analyse von Patenschaften in (Dettingen deutlich, daß sich das Netzwerkkonzept zur Untersuchung der Beziehungsgeflechte mittlerer und unterer sozialer Schichten ebenso nutzen läßt.9 Was diese Forschungen erschwert und den Elitenschwerpunkt nach Reinhards Ansicht vor allem begründet, ist die meist spärlichere Quellenlage für Unter- und Mittelschichten. 10 Der quantitativen Anwendung des Netzwerkansatzes steht im Bereich des süddeutschen Schwenckfeldertums weniger eine zu geringe als vielmehr eine schwer vergleichbare Quellenlage entgegen." Eine Darstellung des schwenckfeldischen Gesamtnetzwerkes verbietet sich schon wegen der Größe und der daraus resultierenden Unübersichtlichkeit. Auch eine vergleichende Untersuchung der lokalen schwenckfeldischen Gemeinden ist kaum möglich, weil es nicht einmal zu zwei Orten ähnliche Quellenbestände gibt. Daher sollen im folgenden die quantitativen Analysemechanismen der Netzwerktheorie nur beispielhaft herangezogen werden, wenn die Quellendichte es erlaubt. Das ist neben der sehr guten Datenlage für die Augsburger Gruppe12 vor allem für einzelne Personen möglich. Im Rahmen eines „ego-zentrierten Netzwerks" kann dann die jeweilige Position eines Akteurs in Beziehung zu seinen Kontaktpersonen („set") untersucht werden.13 Überwiegend wird der Netzwerkansatz in der vorliegenden Arbeit aber als Instrumentarium zur Analyse von sozialen Beziehungen genutzt und weniger seine

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„Soziabilitätsformen" nennt und die Selbstsicht und Handlungsspielräume von Akteuren beschreiben und deuten sollen, S. Teuscher, Bekannte - Klienten - Verwandte, S. 10-21. Die soziologische Netzwerkforschung rezipiert Teuscher nicht. Der von ihm konstruierte Gegensatz von quantitativer und qualitativer Untersuchung von Beziehungen kann so nicht aufrechterhalten werden. Wie z.B. die Untersuchung des Aufstiegs der Medici zeigt, können Netzwerkanalysen sehr wohl dazu beitragen, politisches Handeln von Akteuren aufzuzeigen und zu deuten, J. F. Padgett/Ch. K. Ansell, Robust Action. Teuschers Ansatz vernachlässigt dagegen die Einbindungen seiner Akteure in die sozialen Strukturen. Rajkay, Barbara, Verflechtung und Entflechtung. W. Reinhard, Oligarchische Verflechtung, S. 34. Für die Familienforschung, die demographische Daten nutzen kann, trifft das so nicht zu, siehe z.B. R. M. Smith, Kin and neighbours. Siehe Kap. 2. Neben der schwenckfeldischen Korrespondenz sind hier prosopographische Daten über Pflegschaftsbücher, Notariate, Steuerlisten etc. zu erheben, die für die Führungsgruppen auch schon gedruckt vorliegen, in: W. Reinhard (Hg.), Eliten. Zu ego-zentrierten Netzwerken, die Reinhard als allein relevant betrachtet (W. Reinhard, Oligarchische Verflechtung, S. 24), siehe D. Jansen, Netzwerkanalyse, S. 99-104; S. Wasserman/K. Faust, Social Network Analysis, S. 731. Sie sehen ego-zentrierte Netzwerke als besonders zukunftsträchtig für die Soziologie an; auch im Bereich der Politologie wird vor allem mit der Untersuchung eines Egos und seiner Beziehungspartner gearbeitet, z.B. M. Schenk, Die ego-zentrierten Netzwerke, der mit dem Ansatz Kommunikationsprozesse in der politischen Meinungsbildung erfaßt.

152 mathematisch-statistische Anwendung betrieben.14 Dabei wird versucht, soziale Interaktionen und Positionen in prosopographischer Analyse beispielhaft zu erfassen und sie in Beziehung zu setzen zu den individuellen Handlungsspielräumen und zur Selbstdeutung der Akteure im Netzwerk. Im folgenden soll herausgearbeitet werden, in welchem Maß der methodische Ansatz der Netzwerkanalyse bei der Beschreibung schwenckfeldischer Lebenswelten nutzbar gemacht werden kann und in welchen Aspekten der spiritualistischen Glaubenspraxis andere Analysemechanismen herangezogen werden müssen. Es wird dargelegt, wie Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder ihren Glauben praktizierten, welche Organisationsformen sie wählten und welchen Stellenwert das religiöse Leben zeitlich und organisatorisch in ihrem Alltagsleben einnahm (4.1). Obwohl es keine Hierarchie und keine formellen Ämter gab, agierten Schwenckfelder in der Praxis arbeitsteilig für ihren Glauben. Es wird dargestellt, welche Aufgaben die schwenckfeldische Gemeinschaft als wichtig für ihren Glaubensvollzug ansah und aufgrund welcher Kriterien die ,Ämter' übernommen wurden (4.2). Zudem wird der Frage nachgegangen, ob und in welcher Weise schwenckfeldische Religiosität in den familiären Beziehungen bedeutsam war. Die Rolle des Glaubens bei der Wahl des Ehepartners, der Erziehung der Kinder und in rituellen und rechtlichen Beziehungshandlungen wird ebenso erläutert wie der Umgang der Schwenckfelder mit den Normen und gesellschaftlichen Erwartungen, die sich mit den etablierten sozialen Netzwerken wie Familie oder Patronage verbanden (4.3). Am Ende des Kapitels wird anhand von Beispielen darauf eingegangen, wie schwenckfeldische Gemeinschaft lokal als Netzwerk funktionierte, wie das überregionale Netz geknüpft wurde und mit welchen Kommunikationsmitteln und Personen diese Vernetzung stattfand. Abschließend wird danach gefragt werden, ob und wie die Schwenckfelder sich selbst als eine religiöse und soziale Gemeinschaft sahen (4.4).

4.1

Organisationsformen der Gruppen

Die Frauen und Männer, die Schwenckfelds religiösen Ideen zuneigten, besuchten die offiziellen Predigtgottesdienste der Ortsgemeinden allenfalls zu Informationszwecken oder um ihren wahren Glauben zu verschleiern. An Abendmahlszeremonien nahmen sie gar nicht teil, an Taufen nur gelegentlich, um sich von den Täufern abzugrenzen. Im Gegensatz zu anderen dissidentischen religiösen Gruppen wie den Täufern, englischen Separatisten oder niederländischen religiösen Minderheiten setzten sie der offiziellen Kirche keine eigene Struktur gemeinschaftlichen Lebens entgegen. Sich regelmäßig zu treffen, um den gemeinsamen

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Nach D. Jansen, Netzwerkanalyse, S. 11, ist die Netzwerkanalyse beides, „gleichzeitig ein statistisches Instrumentarium zur Analyse eben dieser Netzwerke und eine Theorieperspektive", die „die Bedeutsamkeit der Netzwerke, des Eingebettetseins von individuellen oder korporativen Akteuren für deren Handlungsmöglichkeiten" behauptet.

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Glauben zu leben, wurde anfangs wegen der geringen Bedeutung, die man dem äußeren Wort und den Bedürfnissen des äußeren Menschen zumaß, nicht als notwendig erachtet. Zudem war man bemüht, sich vor Verfolgung zu schützen und sich demgemäß still zu verhalten. 1545 riet Schwenckfeld der in Isny lebenden Katharina Ebertz zu Vorsicht im Austausch mit anderen über religiöse Themen: Eine Unterredung mit anderen und die gemeinsame Lektüre der Bibel würden zwar Trost schaffen und seien zu begrüßen, aber sie solle zuvor genau prüfen, ob die potentiellen Gesprächspartner auch wirklich in der Lehre Gottes gefestigt seien und einen frommen Lebenswandel führten. Ansonsten solle sie sich niemandes annehmen und allein bleiben.15 Die Straßburger Schwenckfelder vertraten im 17. Jahrhundert eine andere Auffassung. Bei ihnen hatten sich die Gruppenstrukturen verfestigt, sie sahen daher auch äußere Versammlungen als notwendig an, allerdings nur als Zugeständnis an den schwachen äußeren Menschen. 16 Im allgemeinen gingen Schwenckfelder nicht vollständig in einer neuen Gemeinschaft auf, sondern verblieben in ihren angestammten sozialen Beziehungen der Familie, Nachbarschaft und von Berufskollegen.

4.1.1 Formen des Zusammenkommens Schwenckfeldische Zusammenkünfte waren sehr vielfältig. Sie differierten in der Zahl der Teilnehmer: Häufig traf man sich nur zu zweit, immer in einer kleinen Gruppe, alle Schwenckfelder eines Ortes kamen nie gleichzeitig zu heimlichen Treffen zusammen. Anders als die Täufer, deren Versammlungen oft im Freien stattfanden, 17 fanden sich die Schwenckfelder in den Häusern der Glaubensgenossen ein. Selten wird von gesonderten Räumen berichtet. In Isny hatten die Schwestern Baumgartner, Katharina Ebertz und Cecilia von Kirchen 1550 wohl ein gesondertes gebett heüsslen, in das sie sich mit einigen Mitstreitern zurückzogen.18 Die Treffen im Familienkreis oder mit einigen wenigen Glaubensfreunden dienten unterschiedlichen Zwecken. Neben der Selbstvergewisserung, dem Erleben einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die sich gegenseitig erbauten, standen missionarisch-katechetische und apologetische Ziele im Vordergrund. Die ,Lernkreise' dienten der Bekehrung oder der Festigung des schwenckfeldischen

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C.S. 9, S. 276. Daniel Friedrich betonte die Notwendigkeit äußerer Versammlung und Lehre zur Übung des Fleisches, das in seiner Schwäche ständig in der Gefahr der Sünde schwebe, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Ε 19, fol. 644. Nicht nur aus Geheimhaltungsgründen und um viele Leute beteiligen zu können, sondern auch weil ihnen die christliche Versammlung in der Natur gottgefälliger erschien, siehe M. Mattern, Leben im Abseits, S. 41 f. Schwenckfeld wies die beiden an, den nach seiner Heirat mit einer Frau lutherischer Konfession im schwenckfeldischen Glauben unsicher gewordenen Jakob Raminger in ihren Gebetszirkel zu integrieren, C.S. 12, S. 25.

154 Glaubens bei Menschen, die religiös unsicher geworden waren. Sie fanden in sehr kleiner Runde statt, oft waren es Gespräche unter vier Augen, die einem LehrerSchüler-Dialog entsprachen. Sibilla Eiselin traf sich einige Jahre lang regelmäßig mit ihrem Schwager Lukas Müller, der zunächst den Täufern zugeneigt und dann von antitrinitarischen Lehren beeinflußt war, um ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen. Gelegentlich beraten von Schwenckfeld, aber weitgehend eigenständig, las sie mit ihm gemeinsam schwenckfeldische und mystische Werke und erläuterte ihren Inhalt, um ihn zu überzeugen. Dabei machte sich die Lehrerin Eiselin auch didaktische Gedanken und diskutierte mit Schwenckfeld die Frage, wie man den dreigeteilten Gott in der Trinitätslehre benennen könne, um es dem Schüler Laux verständlich zu machen.19 Sie wählte Gleichnisse und Bilder zur Erläuterung, ein dauerhafter Erfolg war ihr jedoch nicht beschieden. Müller blieb schwankend. Ihr Augsburger Glaubensgenosse Leonhard Hieber war erfolgreicher bei der Bekehrung eines ehemaligen Täufers, des Schneiders Sylvester Berchtold, den er auf die gleiche Weise zu missionieren versuchte wie Eiselin ihren Schwager. Er traf sich ebenfalls mit ihm allein und las mit ihm gemeinsam schwenckfeldische Bücher, die er dann erläuterte.20 Diese kleinen ,Lehrschulen' waren allerdings keineswegs eine feste Einrichtung schwenckfeldischer Gemeinschaften. Es gab keine institutionalisierte Unterweisung schwenckfeldischer Neulinge; Zusammenkünfte, die der Belehrung dienten, stellten lediglich eine Variante des Gruppenlebens dar. Die Ortsgemeinde wurde auch einberufen, um sich gemeinsam gegenüber Kritikern zu verteidigen. Ein Beispiel dafür ist die Aufnahme des schlesischen Täufers Daniel Graff, der eine Zeit lang in Augsburg lebte. Dort wurde er von dem Schwenckfelder Caspar Glaner beherbergt und von der schwenckfeldischen Gemeinde unterstützt. Schon am ersten Abend brachte ihn Glaner zu einer wohl eigens zu diesem Zweck einberufenen Versammlung, auf der die Schwenckfelder ihre Glaubensauffassungen gegenüber der kritischen Haltung des Täufers überzeugend darzustellen versuchten.21 In großen Gemeinden wie der Augsburgischen kamen die Schwenckfelder in kleineren Untergruppen zusammen. In den vierziger Jahren bildeten Sibilla Eiselin und ihre beiden Schwestern, Helena Putschlin und Regina Schweigger, sowie Anna Regel einen solchen Zirkel. Schwenckfeld richtete in seinen Briefen an Eiselin immer Grüße an alle aus und ermutigte die vier, seine Briefe gemeinsam zu lesen.22 Die geringe Anzahl der Teilnehmer solcher Zusammenkünfte oder Konventikel, wie die Obrigkeit sie nannte, machte ein konspiratives Vorgehen weitgehend 19 20

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C.S. 11, S. 785f. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 13, 19.9.1553, fol. 2V. Daniel Graff berichtete von dem Treffen, denen noch einige folgten, die aber auch nicht zu seiner Bekehrung führten, in einem Brief an Schwenckfeld, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 343, fol. 96f. C.S. 9, S. 442-447, 632-640, 821-825.

155 unnötig. Es trafen sich Familienangehörige, Nachbarn oder Geschäftspartner. Typisch für die schwenckfeldische Art des religiösen Austausche waren Tischgespräche. 1533 gab Schwenckfeld bei einem Verhör vor der Straßburger Synode an, daß er keineswegs einen festen Kreis von religiösen Anhängern um sich zu sammeln gedenke, sondern er spreche nur gelegentlich beim Mahl mit guten Straßburger Freunden über Christus.23 Theologische Gespräche bei Tisch, während einer Abendeinladung, waren auch noch im 17. Jahrhundert übliche Praxis schwenckfeldischen Gemeinschaftslebens. Sie fanden vor allem im Hause der Familie von Freyberg in Opfingen statt oder auf Einladung der schwenckfeldischen Gemahlin des Johann Philipp von Nippenburg in Grundsheim. Dabei waren nicht nur Glaubensgenossen anwesend, sondern auch Standesgenossen, die nicht dem Schwenckfeldertum anhingen.24 Neben diesen Mischformen aus religiöser Versammlung und gesellschaftlicher Einladung wurde bei der Arbeit oder bei geschäftlichen Verabredungen über den gemeinsamen Glauben gesprochen. Der Augsburger Schneider Bernhard Unsinn hatte eine Reihe von Glaubensgeschwistern als Kunden. Aus beruflichen Gründen suchte er sie daher in ihren Häusern auf und besprach bei der Arbeit religiöse Themen und Gemeindeanliegen mit ihnen. Dabei las man auch gemeinsam in der Bibel und tauschte schwenckfeldische Bücher und Briefe aus.25 Die Aussagen zu den Treffen bei Tisch und Arbeit entstammen zum Großteil Verhörprotokollen. Zum Teil diente diese Darstellung dem Schutz vor Verfolgung in obrigkeitlichen Verhören, der Abwehr des Vorwurfs, eine sektische Gegenkirche etablieren zu wollen. Die Art des Zusammenkommens entsprach der religiösen Kultur der süddeutschen Schwenckfelder, ihrem Bemühen, ihre von der Mehrheit der Mitbürger und Nachbarn verschiedene Glaubensüberzeugung in den Alltag zu integrieren. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und im 17. Jahrhundert hatten sich die Gruppenstrukturen zumindest in einigen Ortsgemeinden verfestigt, so daß 23 24

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C.S. 4, S. 788. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 2b, Schriftstück Nr. 1, 15.3.1625, fol. 1. Bei beiden Treffen im Jahre 1624 war der Ditzinger Pfarrer und Schwenckfelder Theodor Kantz anwesend, der sich bei den Gesprächen mit Kritik an der lutherischen Kirche hervortat. Siehe z.B. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 2, 26.9.1553, fol. 2. Leonhard Hieber berichtete in seinem ersten Verhör 1553 von den Verabredungen mit seinem Schneider Unsinn und den geschäftlichen Treffen in seiner Eigenschaft als Seiler und Krankenpfleger mit Sibilla Eiselin: Er sej auch zu niemand gangen / dan zu Zeiten etwa zu Bernharten Vnsinn der sein Schneider sej / aber doch annderer gestalt nit /dann dz si etwa ain Euangelium oder zwaj miteinandern gelesen / [...] er sej auch etwa zu der fraw Eisenlerin witib ganngen / aber doch annderer gestalt nit / dann der kranckhen vnnd etwa ander geschefft halb / vnnd sej allererst heut bej Jr der Eiselerin gewest / vnnd Jr ain Buechlin so sie Jme gelihen gehabt wider gebracht / welches buechlin nichts anders vermag / dann was fur beschwerungen noch sollen vor dem Jüngsten tag für geen /. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 13, 19.9.1553, fol. 1.

156 regelmäßige Versammlungen üblich geworden waren. Bei einer Kirchenvisitation von 1581 fand man heraus, daß die Schwenckfelder des zum Ulmer Landgebiet gehörigen Ortes Leipheim jeden Sonntag nach dem lutherischen Gottesdienst in den Häusern verschiedener Glaubensfreunde Konventikel abhielten.26 Auch der schwenckfeldische Pfarrer Hans Georg Schid berichtete 1576 von wöchentlichen Versammlungen in Form von Hausgottesdiensten in Straßburg, an denen die Familie, das Gesinde und einige wenige schwenckfeldische Freunde teilnahmen.27 Der mehrfach vertriebene ehemalige katholische Priester Johann Martt hielt ebenfalls regelmäßig Gebetskreise und Gottesdienste ab, seit er im Schlößchen in Obergriesingen eine feste Bleibe gefunden hatte.28 Ihren Versammlungsort in dem kleinen Schloß nannten die Schwenckfelder Synagoge. Nach einem Bericht des Abtes des Klosters Salem, das in der Nähe des Freybergischen Gebiets Besitzungen hatte, von 1608 wurden in Obergriesingen täglich Konventikel abgehalten, die auch der Freiherr häufig besuchte. War Martt verhindert, soll Freiherr Georg Ludwig selbst Schriftlesung und Predigt übernommen haben.29 In der religiösen Praxis der Schwenckfelder fanden im 16. wie auch im 17. Jahrhundert Konventikel statt. In der theologischen Literatur wird ihre Funktion und Notwendigkeit dagegen unterschiedlich beurteilt. Daniel Friedrich betonte anders als Schwenckfeld - die Bedeutung äußerer Versammlungen für den wahrhaft Gläubigen. Schwenckfeld verwarf zwar Zusammenkünfte nicht generell, sah aber so sehr die Gefahr, der innere Vorgang des Gelehrtwerden durch Christus, der sich im Herzen abspielte, könne entwertet werden, daß er von äußeren Zeremonien jeder Art eher abriet. Man dürfe auf keinen Fall die Seligkeit daran binden.30 Friedrich legte ebenfalls Wert darauf, daß Versammlungen nur dem äußeren Menschen dienlich seien, aber es gab Unterschiede in der Akzentsetzung. Friedrich fürchtete weniger um die Vernachlässigung des inneren als um die Verwahrlosung des äußeren Menschen, wenn er nicht in Zusammenkünften durch geeignete Lehrer in die Zucht genommen werde.31

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Ulm, Stadtarchiv, Kirchenvisitation Herrschaft, A [9063], fol. 55 r . Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 440, fol. 111. Vierzig Jahre vorher hatte Jakob Held in einem Rechtfertigungsbrief an den Straßburger Stettmeister Jakob Sturm von ähnlichen Hausgottesdiensten für das Gesinde unter Beteiligung von Nachbarn, Verwandten und Freunden berichtet, C.S. 18, S. 205. Schon in den achtziger Jahren hielt er an seinen wechselnden Wohnorten im von-FreybergGebiet Gebetstreffen ab, die allerdings unregelmäßig und zumeist nur unter Beteiligung der engsten Vertrauten stattfanden, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 12r, 38 v , 108v. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), Nr. 4470, Griesingen II, fol. 318-320. Brief an den Abt von Kempten 1546, C.S. 10, S. 1 lOf. Vnser fleisch muß ein stete vbung haben sonsten verwildert es gar vnd kombt der mensch o f f t durch ein Selbst verwharlosung oder verseumnus von allen gaben, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Ε 19, „Sacrarium Philosophiae coelestis", fol. 644.

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4.1.2 Organisation und Ablauf der Konventikel Der organisatorische Ablauf der schwenckfeldischen Versammlungen ist aus den Quellen nicht ersichtlich. Während die Täufer ihre unregelmäßigen Treffen an oft wechselnden einsam gelegenen Orten oder im Freien meist über Botenkinder bei den Anhängern bekannt machten, ist das bei Schwenckfeldern kaum anzunehmen. Bei der geringen Anzahl der Teilnehmenden mußte vermutlich kein großer Aufwand zur Einberufung eines Zirkels betrieben werden. Später, als die Konventikel zu festen Zeiten stattfanden, bedurfte es keiner gesonderten Benachrichtigung. Die Versammlungsorte blieben gleich oder wechselten turnusmäßig. Gelegentlich wurden verlassene Wohnungen als Treffpunkte gewählt: 1583 wurde entdeckt, daß die Ulmer Schwenckfelder die verwaiste Behausung des im Vorjahr geflohenen schwenckfeldischen Schuhmachers Samuel Reitz regelmäßig für ihre Zusammenkünfte nutzten.32 Meistens fand man sich aber in den Häusern der anwesenden Glaubensgenossen zusammen. Gebetstreffen und Hausgottesdienste hatten keinen festen Ablauf, Liturgie und Sakramente wurden nicht zelebriert. Im Mittelpunkt standen das gemeinsame Gebet und die Lektüre der Bibel, schwenckfeldischer Briefe und Traktate sowie die gemeinschaftliche Diskussion über das Gehörte. 33 Hans Georg Schid gab 1576 an, daß bei den sonntäglichen Hausgottesdiensten, die er in Straßburg besuchte, aus Johann Werners Postille oder der Bibel vorgelesen würde, danach verweise man auf Christus und bete miteinander. 34 Neben theologischen Inhalten wurden auch Nachrichten über andere schwenckfeldische Gemeinden ausgetauscht, die man per Brief erhalten hatte. Zudem beriet man sich in Krisensituationen, wenn Verfolgung drohte, über strategische Fragen des Umgangs mit der nichtdissidentischen Welt. Als sich in Augsburg 1553 die Konflikte zwischen den Schwenckfeldern und den protestantischen Pfarrern verschärften und Vorladungen oder gar Verhaftungen zu befürchten waren, traf sich der Kern der Gemeinde um Sibilla Eiselin häufiger, um das

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Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, 4.1.1583, fol. 118 v . Zur Frage, ob, in welchem Umfang und mit welchen Intentionen in den Versammlungen auch gesungen wurde, siehe Kap. 3. Eine herausragende Funktion hatte der gemeinschaftliche Gesang im süddeutschen Schwenckfeldertum nicht. Schid bemühte sich, den Ablauf als normale christliche Handlung eines Hausvaters darzustellen, wie sie den gängigen Vorstellungen entsprach, einschließlich der Ermahnung zu Zucht und Gehorsam für das Gesinde. Die Lektüre der schwenckfeldischen Postille und die Abhaltung des Hausgottesdienstes nicht als Ergänzung zum lutherischen Dienst, sondern an Stelle des regulären Gottesdienstbesuchs, zeigt aber eindeutig den dissidentischen Charakter der Veranstaltungen, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 440, fol. 111. Zum Ablauf der Versammlungen der Straßburger Gemeinde siehe auch D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 120f.

158 Vorgehen, den mündlichen und schriftlichen Umgang mit den Pfarrern zu besprechen.35 Anders strukturiert als die übrigen schwenckfeldischen Gruppentreffen waren die Versammlungen des ehemaligen Priesters Martt. Er beanspruchte eindeutig eine absolute Leitungsfunktion in den Zusammenkünften, der sich auch Daniel Friedrich unterzuordnen hatte, obwohl dieser selbst in Justingen eine schwenckfeldische Pfarr- und Lehrerstelle innehatte.36 Friedrich nahm gelegentlich an den von Martt regelmäßig veranstalteten Gebetsversammlungen teil. Martt agierte dort wie ein Pfarrer und hielt seinem völcklin lange Predigten, die er meist Meditationen nannte, über Bibeltexte oder den Weg der Christwerdung.37 Für seine Auslegungen beanspruchte er absolute Geltung. Die Regelmäßigkeit dieser Versammlungen hing damit zusammen, daß der Martt-Kreis enger zusammenlebte und mehr aufeinander bezogen war. Die meisten seiner leutlin waren wie Martt selbst Vertriebene (aus Ulm), die im Gebiet der schwenckfeldischen Freiherrn von Freyberg eine neue Bleibe gefunden hatten. Martt hatte dagegen lange Zeit keine feste Unterkunft und lebte bei verschiedenen Glaubensgenossen, die ihn versorgten. Der Zusammenhalt war durch die geteilte Exilerfahrung, durch die existentielle äußerliche Bedrohung größer als in anderen Gemeinden, was sich in dem Wunsch, häufig zusammenzukommen, dokumentierte. Es ergab sich eine Gemeinschaft von Glaubensgenossen, die die durch die Ausweisung gekappten Beziehungen zum weiteren Familienverband (Ehepartner und Kinder waren zumeist mitgezogen) ersetzte. Deutlich wurde das beispielsweise im Bericht des Kether Brüni, der Martts Frau, die zu der Zeit mit dem Sohn weit entfernt von ihrem Mann in Leeder lebte, 1583 besucht hatte und nach seiner Rückkehr dem Martt-Kreis bei einem Treffen von der Familie Martts erzählte, was dieser seiner Frau in einem Brief wiederum mitteilte: Kether kan nicht gnug vom kind vnd vnserm henßlin rhümen. Sie [=der Kreis um Martt] grussen euch vnd des Annelin alte. Die Hügin bit wann ihr widerherab soltet ziehen / daß ihr sie wollt besuchen Jch hab heut den gantzen tag mit brieff schreiben wie ihr hie seht / zubracht / Theilen die brieff auß vnd seind von vns allen zuuiel viel viel viel malen gegrüsset beuorab der jung hensler den jeder man gern sehen wolt / so hat ihn Kether verschrien?%

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Schwenckfeld zog dabei die Fäden im Hintergrund, indem er z.T. detaillierte Hinweise für Antwortschreiben an die Pfarrer formulierte oder auch zu weiteren Beratungen der Augsburger untereinander riet, C.S. 13, S. 247f., 250f., 253-255, 268-271. Anfang 1585 berichtete Martt seiner Frau, daß er sich wieder einmal mit Daniel Friedrich versöhnt habe. Der Friedensschluß bestand für Martt darin, daß Friedrich sich seiner Führung beugte und sich von Martt maßregeln ließ: Heut donstag ist Daniel aber beim gebet gewest Er ist etwas geendert vnd guthertziger worden. Mein straff hat überal etwas erschossen der Herr Chrs hilffe weiter. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 38v. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol,12r, 60r Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 1 l v .

159 Schwenckfeldische Pfarrer wie Johannes Bader, Burkhard Schilling oder Hans Georg Schid hatten als protestantische Ortsgeistliche ebenso ihre regulären gemeindlichen Zusammenkünfte in Gottesdiensten oder Katechismusunterricht. An schwenckfeldischen Konventikeln nahmen sie zusätzlich teil. Dieses Nebeneinander von religiösem Leben für die (nichtschwenckfeldische) Gesamtgemeinde und den Zirkeln für die wahren, ernsthaften Christen hatte eine längere Tradition in der Geschichte des Protestantismus - allerdings ohne dissidentische Vorzeichen. Luther wie auch Martin Bucer hegten Pläne für ein Christentum der zwei Geschwindigkeiten', das aber innerhalb des Luthertums erst im Pietismus tatsächlich realisiert wurde. 39

4.1.3 Religion als Teil des Alltagslebens Die süddeutschen Schwenckfelder legten auf äußere Abgrenzung, auf religiöse Absonderung, keinen Wert, da der wesentliche Teil ihrer Religiosität sich von außen gleichsam unsichtbar in den Herzen der Gläubigen abspielte. So wenig Bedeutung sie eigenen religiösen Zusammenkünften beimaßen und die Gründung einer alternativen Gegenkirche ablehnten, so gering war auch ihre Neigung, sich im Alltagsleben, im Zusammenleben mit den Nachbarn, in Beruf und Geschäftsleben, in Kleidung und Gebärden, von ihrer Umwelt zu unterscheiden. Für Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder berührte der Glaube weite Teile des Alltags nicht. Dennoch lebte der Gläubige sein gesamtes Leben im Bewußtsein, daß es eine absolute religiöse Wahrheit gab, die Christus brachte, indem er allein handelte in dem Herzen des einzelnen Christen, und die der Gläubige nur für sich selbst wahrnehmen konnte. So hatten die Schwenckfelder zwar Anteil an der mit der Reformation entstandenen Entwicklung, wonach Religion an gesellschaftlicher Integrationskraft verlor und nach Alois Hahn zum Subsystem wurde, „das für den Einzelnen nur noch für die Definition einer Teilidentität in Frage kommt. [...] Religion wird dann zunehmend ein ausdifferenzierter Funktionsbereich, nicht mehr eine alle Lebensbereiche umfassende Zugehörigkeit." 40 Andererseits war für die Schwenckfelder der unbedingt und für alle gültige, wenn auch nur individuell erfahrbare Wahrheitsanspruch von Religion noch nicht erloschen. Wie beide Aspekte, die Relativierung der Geltung der Religion im Alltag auf der einen und der Absolutheitsanspruch auf dem Gebiet der theologischen Wahrheit auf der anderen Seite, zusammengingen, soll im folgenden dargestellt werden. Daß Christus in ihnen Wohnung genommen hatte, war für die Schwenckfelder immer gegenwärtig, auch wenn die Zeit, die für bewußte erbaulich-theologische Reflexion aufgewandt wurde, sich pragmatisch danach richtete, wie viel Spielraum die Alltagsbeschäftigungen dafür ließen. 1547 entschuldigte sich die in

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Diese Kontinuität betont auch Fritz und zeichnet sie für Württemberg nach in: F. Fritz, Konventikel. A. Hahn, Religion, Säkularisierung und Kultur, S. 20f.

160 Lindau lebende Cecilia von Kirchen fur ihr seltenes Schreiben bei Schwenckfeld damit, daß ihre Alltagsgeschäfte häufigere briefliche Antworten nicht zuließen. Obwohl - wie im vorigen Kapitel gezeigt - schriftliche Kommunikation für die schwenckfeldische Gemeinschaft von zentraler Bedeutung war, kritisierte Schwenckfeld das beschäftigte Alltagsleben seiner Anhängerin nicht, sondern ermahnte sie lediglich, in all ihren Geschäften Christus nicht aus den Augen zu verlieren. Daneben gab er praktische Ratschläge für Gebete morgens und abends, die sich auch mit wenig Zeit realisieren ließen, und riet ihr zu Erholungspausen, in denen sie sich der religiösen Andacht widmen solle.41 Der Umgang mit den Nachbarn und Mitbürgern wurde keineswegs gemieden.42 Die süddeutschen Schwenckfelder erachteten zumindest zu Schwenckfelds Lebzeiten aktive Missionierung für wenig wichtig43, daher waren die Nachbarn auch kein bevorzugtes Objekt schwenckfeldischer Werbetätigkeit. Andererseits hielten die Schwenckfelder ihre religiöse Überzeugung nicht vor ihnen geheim.44 Die nichtschwenckfeldischen Bürger wußten, wer Schwenckfelder war und an wen sie sich wenden mußten, wenn sie Fragen oder Bücherwünsche hatten.45 Auch religiösen Gesprächen wich man nicht aus. Religion war offensichtlich Thema nachbarschaftlicher Kommunikation. Man diskutierte religiöse Belange an öffentlichen Orten, auf der Straße oder in Läden, wie das Beispiel des Hafners Jakob Zimmermann aus Memmingen zeigt, der sich 1599 mit seinem Kind auf dem Arm an einem Gespräch über den gefangenen schwenckfeldischen Buchhändler Weiß beteiligte, das in einem Laden stattfand. Er verteidigte Weiß vorsichtig, indem er dessen bürgerliche Ehrbarkeit herausstellte, zur Frage von Abendmahl und Christologie äußerte er sich dagegen ganz offen schwenckfeldisch.46 Die anwesenden Nachbarn verhöhnten ihn zwar dafür, angezeigt hat ihn aber niemand. Selbst nachdem Zimmermann aufgrund der Denunziation eines anderen Bürgers verhaftet worden war und man sie als Zeugen verhörte, antworteten die meisten Nachbarn ausweichend, bemüht Zimmermann nicht zu schaden und ga-

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C.S. 10, S. 858. Die Frau des später verhafteten Cannstatter Buchhändlers Andreas Neff, Margaretha Burgecker, schilderte in einem Brief, wie sehr sich das Ehepaar sogar um den lutherischen Pfarrer Martin Cleß und seine Gattin bemüht hätte, als sie ihren Dienst in der Gemeinde antraten. Sie hätten ihnen ein lutherisches Buch und einen Schleier geschenkt, da sie sich fremd gefühlt hätten und traurig gewesen seien; auch ihre weiteren Dienste hätten sie angeboten. Sie sah darin keinen Widerspruch zu ihrem Glauben und war um so mehr enttäuscht, als sich Cleß der Freilassung von Neff widersetzte, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 107. Siehe unten. Gegenüber Nachbarn, Freunden und Mitbürgern verhielten sich die Schwenckfelder offener als im Umgang mit weltlicher und kirchlicher Obrigkeit, obwohl Schwenckfeld auch hier aus Gründen des Verfolgungsschutzes zu Vorsicht riet. Man sollte prüfen, mit wem man sich über religiöse Dinge austausche, C.S. 9, S. 276. Siehe Kap. 3. Stadtarchiv Memmingen, A 344/8b, Schriftstück Nr. 3, 1. Aussage Zimmermanns.

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ben weniger seiner antiklerikalen und schwenckfeldischen Äußerungen an als dieser selbst in seinen Urgichten.47 Trotz aller inhaltlichen Kontroversen mit den Nachbarn, die ihn provozierten und verhöhnten, brach Zimmermann den Kontakt zu ihnen nicht ab, sondern lebte weiter in ihrer Mitte und nutzte bis zu seiner Verhaftung jede Möglichkeit, in Häusern und Gärten, auf der Straße und in Läden andere von den Irrtümern lutherischer Theologie und Glaubenspraxis zu überzeugen. Als Zimmermann ihnen seine Abendmahlslehre darlegte, verdächtigten ihn die Nachbarn, ein Wiedertäufer zu sein, da hab er Jnen geantwortt / wie er könde ein widerteüffer sein / trinckhe er sich doch voll vnd schwer zu Zeiten / dz nit guet seye / das thüen die widerteüffer nicht,48 Unmäßiges Trinken wurde auch von den Schwenckfeldern nicht gut geheißen, die Wert legten auf einen gottgefälligen Lebenswandel, aber die Teilnahme an Geselligkeiten war ihnen selbstverständlicher Bestandteil des Alltagslebens. Die Distanzierung von den Täufern war ihnen wichtig, um sich vor Verfolgung zu schützen, vor allem aber wollten sie sich inhaltlich von ihnen abgrenzen. Sie teilten nicht die täuferische Vorstellungen von einer Absonderung von der andersgläubigen Umwelt, die sich sogar in Kleidung und Gebärden äußerte. Schwenckfeld machte diese Ansicht 1547 sehr deutlich in der Kommentierung eines Briefes von einem Augsburger Schwenckfelder, der den Täufern zuneigte. Weder das Tragen von Waffen noch die Kleidung, die nach täuferischer Auffassung sehr schlicht sein sollte, seien Artikel des Glaubens. Eiselin solle dem Täufersympathisanten sagen, Das Er sich vmb nützere ding bekümmere / vnd nicht den leüthen da gewissen mache / Da Gott keine macht.49 Eine täuferische Magd der Katharina Ebertz, die anderen nicht dankte und sie nicht grüßte, kritisierte Schwenckfeld deutlich, denn auch die Bibel mahne zum Dank gegen menschliche Wohltäter, zudem solle man darauf achten, niemandem Anstoß zu geben.50 Sich nicht anstößig zu verhalten, war für Schwenckfelder im Umgang mit den Mitmenschen wichtiger als ein äußerlich sündloses Leben, das den Menschen im Diesseits ohnehin nicht möglich war. 1596 stellte Daniel Sudermann einen Brief für seine Glaubensgenossin Maria Zyäderin, die von ihrer täuferischen Freundin Elisabeth aufgefordert worden war, ihr nach Mähren zu folgen, um sich von der sündhaften Welt abzusondern. Die Täuferin hatte der Schwenckfelderin vorgeworfen, zu sehr mit der Welt zu laufen. Diese verteidigte sich damit, daß sie sich innerhalb der Welt von ihr absondere, indem sie im richtigen Glauben, d.h. bei Christus lebe und dennoch in dem Beruf und an dem Ort bei ihrer Mutter - verbleibe, an den Gott sie gestellt habe.31 Zum Verbleiben in der Welt gehörte es auch, seinem weltlichen Beruf weiter nachzugehen, Geschäfte mit Gewinn zu tätigen, sogar Reichtum zu besitzen. An-

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Stadtarchiv Memmingen, A 344/8b, Schriftstück Nr. 1, 7, Zeugenaussagen. Stadtarchiv Memmingen, A 344/8b, Schriftstück Nr. 5, 2. Aussage von Zimmermann. C.S. 10, S. 927. C.S. 12, S. 24. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 430, Bd. 2, fol. 5-7.

162 ders als die Täufer oder auch die Reformatoren, die bestimmte Handels- und Geschäftsformen kritisierten, bewerteten die Schwenckfelder zumeist Berufe und Geschäftsarten nicht. Schwenckfeld und seine frühen Anhänger übten keine Kritik an den sozioökonomischen Verhältnissen. In einem Brief, den Schwenckfeld 1560 für den Nürnberger Georg Schechner stellte, der den Vorwürfen eines täuferischen Verwandten antworten wollte, forderte er lediglich, daß man sein Herz nicht an die zeitlichen Güter hängen dürfe.52 Selbst den biblischen Vergleich vom Kamel und dem Nadelöhr (Mt 19,24) deutete Schwenckfeld so, daß es eben für die Reichen ein schwerer Weg sei, in den Himmel zu gelangen, aber keineswegs unmöglich.53 Geschäftliche Beziehungen pflegten die süddeutschen Schwenckfelder auch untereinander,54 allerdings ohne Glaubensgenossen zu bevorzugen. Schwenckfeld riet niemals dazu, sich aus den weltlichen Verpflichtungen seines Berufes zurückzuziehen, auch wenn die beruflichen Pflichten es notwendig machten, sich auf die sündige Welt einzulassen. Der Augsburger Arzt Wolfgang Thalhauser, der nach seiner Tätigkeit am württembergischen Hof 1543/44 in die Reichsstadt zurückgekehrt war, wollte sich stärker von seiner Umwelt absondern, er war der beruflich motivierten gesellschaftlichen Verpflichtungen überdrüssig und dachte daher darüber nach, wohlhabende Patienten gar nicht mehr zu behandeln. Schwenckfeld warnte ihn vor diesem Rückzug aus der Welt und führte ihm den praktisch-karitativen Nutzen vor Augen: Um an den Armen Gutes tun und sie umsonst behandeln, also schwenckfeldisch geforderte Caritas üben zu können, müsse er sich um die wohlhabenden Patienten bemühen, d.h. sich auch an ihren sozialen Ritualen beteiligen.55 Selbst für das Verbergen der schwenckfeldischen Glaubensüberzeugung wegen der Nahrung, wie der Augsburger Glaner es praktizierte, zeigte Schwenckfeld Verständnis. Allerdings durfte man sich bei aller Integration in die nichtschwenckfeldische Welt nicht auf ihr sündhaftes Leben einlassen.56 Schwenckfeldische Pfarrer im lutherischen Kirchendienst mußten ihr Amt ebenfalls nicht aus Glaubensgründen verlassen, solange sie sich darüber klar seien, daß sie nur äußere Buchstabendiener in ihrem Beruf seien und sich der wahre, innere Glauben eben außerhalb ihrer Dienstverpflichtungen abspielte.57 Schwenckfelder bemühten sich hier, die sozialen Wertvorstellungen im ständischen und beruflichen Bereich in die handlungsleitenden Normen ihres Glaubens 52

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C.S. 17, S. 242f. Auch Crautwald kritisierte das zeitliche Engagement in Alltagsbeschäftigungen und den Reichtum nicht, so lange man Christus darüber nicht vergesse, Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf.45.9., Aug.2°, fol. 799. C.S. 11, S. 769. Die im kaufmännischen Bereich tätige Helena Streicher verkaufte beispielsweise Stoffe an württembergische Schwenckfelder, die Cannstatter Schwenckfelder besorgten fur sie Wein und Trauben. Man tätigte auch Geldgeschäfte untereinander. Der Augsburger Spitalmeister Hans Braun ließ sich ebenfalls über die Cannstatter württembergischen Wein besorgen, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 76, 87, 96f., 98. C.S. 9, S. 402. C.S. 13, S. 571f. C.S. 8, S. 468f.

163 zu integrieren oder sie voneinander getrennten Teilen ihres Lebens zuzuordnen und in beiden Bereichen entsprechend den jeweiligen normativen Erwartungen agierend zu leben. Die späteren Schwenckfelder trennten Glaube und Leben in der Welt weniger stark bzw. gewichteten das Verhältnis anders. Der schwenckfeldische Glaube dominierte das Alltagsleben, alles mußte dahingehend beurteilt werden, ob es den Inhalten und Lebensmöglichkeiten des Glaubens entgegenstand oder nicht. Zwar bewertete auch Daniel Friedrich einzelne berufliche Tätigkeiten nicht, zog also nicht etwa wie die Täufer die Handarbeit geistiger oder kaufmännischer Tätigkeit vor,58 aber er riet entschieden dazu, seinen Beruf zu verlassen, wenn er hinderlich oder ärgerlich sei für das Reich Gottes. Einen lutherischen Pfarrer hätte er mit Sicherheit nicht in den Reihen der Gutherzigen akzeptiert.59 Johann Martt vollzog die Absonderung von der ungläubigen Welt noch rigoroser und verlangte das auch von anderen Glaubensgenossen. Wer diese Ansicht nicht teilte und lebte, war für ihn ein hinckender Schwenckfelder oder Libertiner, von dem sich die Gemeinde fernhalten sollte.60 So kritisierte er lutherischen Predigtbesuch ebenso wie Heiraten mit Nichtschwenckfeldern, beides wurde von der Mehrheit der Schwenckfelder praktiziert.61 Martt betonte die Notwendigkeit des Leidens, auch der äußeren Kreuzigung durch Verfolgung stärker als die meisten anderen Schwenckfelder. 62 Seiner eigenen Erfahrung des Ausgestoßenseins aufgrund seiner unstandesgemäßen Heirat und mehrfachen Ausweisungen - im hohen Greisenalter von etwa 80 Jahren kam auch noch eine längere Haftzeit hinzu63 - entsprechend, machte er das entschiedene, kompromißlose Bekenntnis und die Isolierung von den Nichtgläubigen, die bei ihm ja durch die äußeren Umstände des Exils erzwungen war, zur Bedingung für die wahre Wiedergeburt des (schwenckfeldischen) Christen. Dagegen war er in seinen Ansichten zum Beschäftigtsein im Alltag und zum Reichtum zumindest seinen adeligen Unterstüt58 59 60

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Siehe M. Mattern, Leben im Abseits, S. 90f. E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 44f. Martt benannte mit Libertiner nicht etwa religiöse .Freidenker' oder ,Epikuräer', wie sie in der zeitgenössischen Häresietypologie vorkamen, sondern Glaubensgenossen, die seine rigoristische Auffassung der Absonderung nicht teilten. So nannte Martt den Sohn der aus Ulm stammenden Helena Kifhaber-Arnoldt einen Libertiner, weil er in die Antichristische predig ging, ohne daß er sein Gewissen beschwert sah. Dieses weite Gewissen habe ihm der Augsburger Markus Schweigger, der Neffe von Sibilla Eiselin, gemacht, und ihn so auf) der Libertiner Meinung gefurt, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 44 v . Siehe unten. In einem Brief an Sibilla Eiselin von 1576 beschrieb er die ,Grade der Gleichförmigkeit Christi'. Am höchsten schätzte er die Kreuzigung des Fleisches, die sich u.a. in der Verfolgung der wahren Christen äußerte: darumb verfolgeten sy Christusm nach heut / wenn sie [einen] der seinen vmbs glaubens vnd erkhantnuß Christi willen martert plagt Creütziget / tödtet / vnd inen allerlay schmach / schantz vnd triebsam zufliegt, Wolfenbüttel, HerzogAugust-Bibliothek, Cod.Guelf.36.2 Aug. 2°, fol. 430. Zur Biographie Martts siehe Kap. 2.

164 zerinnen gegenüber vorsichtiger in der Beurteilung. Zwar solle man das zeyttliche / so vil es vns am himmlischen wil irren verschmehen vnd verachtten,64 aber er tadelte Felicitas von Freyberg dann doch nur milde und ermahnte sie, sich nicht völlig von den zeitlichen Geschäften in Anspruch nehmen zu lassen, damit sie nicht das Seelenheil versäume, zudem müsse sie mit ihrem zeitlichen Tod ohnehin die Welt und alles, was darinnen sei, verlassen.65 Die Reichtümer der schwenckfeldischen Junker tadelte Martt ebensowenig, so lange sie gottgefällig verwandt wurden, d.h. ihm und den anderen schwenckfeldischen Armen und Vertriebenen zur Unterstützung dienten. So schrieb er an ein weibliches Mitglied der wohlhabenden Familie Landschad von Steinach, daß der Reichtum einigen zwar aus Gottes milder Hand zufalle, man aber sein Herz nicht darauf legen, sondern ein liebreiches / Miltes / auß gebraites / mitleidens hertz gegen die armen vnd notdurfftigen Menschen / beuorab gegen den armen gelaubens genossen / vmb der liebe Christ] willen haben solle.66 Obwohl es im späteren Schwenckfeldertum einen stärkeren Trend zum Abschluß der eigenen religiösen Gruppe gab, verblieben die meisten süddeutschen Schwenckfelder in ihrem sozialen Umfeld, da das Schwenckfeldertum innerhalb der Alltagsbeziehungen lebbar war. Die Bewegung hatte keine soziale Agenda und beließ jeden, wo er war. Die Anhänger konnten ledig sein oder verheiratet, arm oder reich, Klosterinsassin oder Geschäftsfrau. Das waren keine Aspekte des Glaubens. Andererseits sollte das erfahrene Wissen um das Handeln Christi im Innern des Menschen immer wieder erinnert werden, ebenso wie sich der Glaube jederzeit im Lebenswandel dokumentieren mußte. In der Welt, aber nicht von der Welt lebten die Schwenckfelder auch im Bereich der Glaubenspraxis eine via media. Hans-Christoph Rublacks systemtheoretische Charakterisierung des Jahrhunderts der Reformation als „Vor-Schub" auf dem Weg zur Religion als Subsystem, das sich vollständig erst zweihundert Jahre später durchsetzte,67 trifft hier zu. Die religiöse Praxis der süddeutschen Schwenckfelder dokumentiert, daß die Tendenz zur Individualisierung der Religion schon weit vor der Aufklärung einsetzte.68

4.2

Binnenstruktur und Aufgabenteilung

Obwohl es im süddeutschen Schwenckfeldertum keine institutionalisierte Gruppenstruktur gab mit festen Ämtern, die durch Wahl oder Kooptation besetzt wur64 65 66 67 68

Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 62 v . Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 60 v . Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 73 v . H.-Ch. Rublack, Reformation und Moderne, S. 26f. Daß die Aufklärung einerseits nicht ausschließlich kirchenkritisch war und säkularisierend wirkte und andererseits die Trennung von Alltag und Religion sowie die Individualisierung religiöser Erfahrung nicht erst mit der Aufklärung einsetzte, betont K. von Greyerz, Religion und Kultur, S. 10.

165 den, entwickelte sich eine Aufgabenteilung, die sich an den individuellen Fähigkeiten und Neigungen, an den verfügbaren Ressourcen, an Zeit und finanziellen Mitteln orientierte. Die Aufgaben wurden nicht offiziell vergeben, sondern man übernahm sie meist aus eigenem Antrieb. Zu Schwenckfelds Lebzeiten steuerte er gelegentlich die Aktivitäten seiner Anhänger auf schriftlichem Wege. Diese Zuweisungen hatten aber keinen verbindlichen Charakter, in der Regel beurteilten die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder selbständig, welche Tätigkeiten sie für das schwenckfeldische Glaubensleben als notwendig erachteten. Darunter fielen Missionierung, Gemeindeleitung bzw. -koordination, die schriftliche Verbreitung der schwenckfeldischen Theologie und die Finanzierung von Druckvorhaben ebenso wie die Unterstützung von notleidenden Glaubensgenossen.

4.2.1 Das Werben für die Gemeinschaft der „Gutherzigen" Missionierung war kein Hauptanliegen des Schwenckfeldertums. Es galt nicht, möglichst viele Menschen in die Lehrschule Christi zu bringen. 1547 wollte Schwenckfeld von Sibilla Eiselin über den Stand der Mission in Augsburg informiert werden, indem er nachfragte, ob seine Werke jemandem nützlich seien, ob sie jemandes in die Schule Christi bringend Ein Erfolg, der sich quasi von selbst durch die Lektüre schwenckfeldischer Schriften einstellte, war also durchaus willkommen, nicht aber eine aktive Massenbekehrung. 70 Adressaten missionarischer Bemühungen waren vor allem enge und weitere Verwandte. Schon kurze Zeit nach ihrer eigenen Bekehrung zum Schwenckfeldertum begann Sibilla Eiselin, ihre Schwestern auf den rechten Glaubensweg zu bringen, damit auch sie Christus lieb gewönnen. 71 Zumindest bei zwei von ihnen war sie sehr erfolgreich: Helena Putschlin und Regina Schweigger wurden ebenfalls überzeugte Schwenckfelderinnen. Auch das Gesinde trat häufig zum Schwenckfeldertum über, ein Ausdruck des engen Zusammenlebens im Ganzen Haus.12 Alle Mägde und ein Knecht der Familie Streicher in Ulm waren aktive Gemeindemitglieder, die sogar selbst missionierten. Aber es gab auch andere Fälle: Die württembergische Frühjahrsvisitation 1576 ergab, daß die Schwenckfelder Dorothea Wall und Hans Leirer zwar die Predigten bzw. das Abendmahl mieden, aber ihr Gesinde die lutherischen Gottesdienste besuchte, und zwar mit 69 70

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C.S. 11, S. 61. Bei den Täufern hatte jedes Mitglied nach dem Glaubensübertritt die Pflicht zur Missionierung. Bei den Hutterern mit institutionalisierter Gruppenorganisation wurde die Missionierung später weitgehend von professionellen „Sendboten" übernommen, M. Mattern, Leben im Abseits, S. 198ff. Sie hatte Schwenckfeld von ihren Bemühungen berichtet, der ihr Vorgehen ausdrücklich gut hieß, C.S. 9, S. 108. Zum Konzept des „Ganzen Hauses" sowohl als normatives Konzept als auch als Sozial- und Lebensform siehe R. Dürr, Mägde, S. 15-22.

166 Erlaubnis und Billigung der Herrschaft.73 Generell stellte das Zusammenleben im Haus mit Personen, die den schwenckfeldischen Glauben nicht teilten, für die Dissidenten kein Problem dar - das galt für die Ehepartner74 und Kinder ebenso wie für das Gesinde. Die Ehehalten wurden keineswegs unter Druck gesetzt, ihren Glauben zu ändern und waren auch kein Objekt zielgerichteter Missionierung. Hier machten die Schwenckfelder klare soziale Unterschiede. Hans Georg Schid berichtete, daß in den Hausgottesdiensten, an denen das Gesinde freiwillig teilnahm, das Hauspersonal vom Hausvater neben der Bibellesung zu Zucht und Gehorsam gewiesen wurde.75 Schwenckfeld machte die sozialen Distinktionen noch deutlicher. In einem Brief an den Nürnberger Schechner, der ihn 1544 wegen seiner häuslichen Probleme um Hilfe angegangen war, machte er einen klaren Unterschied zwischen der religiösen Erziehung von Schechners rebellischer Tochter und dem ungläubigen Gesinde. Gott habe alle Eltern dazu verordnet, ihre Kinder im Glauben zu erziehen, aber bei Knechten und Mägden erschöpften sich die Verpflichtungen des Hausherrn darin, daß er sie lediglich zu äußerer Ehrbarkeit anzuhalten habe. Man solle nicht das Heiligthumb den Hunden fürwerffen, denn das Evangelium sei nur propter electos, wozu das Gesinde offenbar nicht zählte.76 Sie mochten glauben oder nicht, entscheidend war ihre Arbeitskraft. Zumindest die Ulmer Kaufleute und Patrizier sahen das wohl anders, hier wurde ein engerer Zusammenhalt über Standesgrenzen hinweg sichtbar. Schlossen sich die Ehehalten dem Schwenckfeldertum an, wurden aus Knechten und Mägden Glaubensgenossen, iur die man sich engagiert einsetzte. Agatha Streicher nutzte ihren ganzen Einfluß und ihr Ansehen als Ärztin, um ihre Magd Susanna Hornung vor der Ausweisung als Schwenckfelderin zu bewahren. Sie supplizierte mehrfach und bediente sich sogar ihrer Kontakte zu den Bischöfen von Speyer und Straßburg, die ihre Patienten waren, um Susanna Hornung zu schützen.77 Für einen längeren Verbleib der fremden Magd Anna Kiblin aus Isny in Ulm setzte sich die Schwenckfelderin Barbara Haug ebenso ein wie der Patrizier Eitelhans Besserer.78 Ihre Interventionen waren aber letztlich vergebens und konnten nur einen Aufschub der Ausweisung der beiden Schwenckfelderinnen bewirken. Ein besonderes Feld der Missionierung bildeten neben Verwandten und Gesinde die Täufer. Schwenckfelder, die jede Gewaltanwendung in Glaubensfragen

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 472f. Siehe unten. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 440, fol. 11 l v . C.S. 9, S. 203f. Das entspricht dem im 16. und noch stärker im 17. und 18. Jahrhundert verbreiteten schlechten Ansehen des Gesindestandes. Die Konflikte innerhalb des „Ganzen Hauses" spiegelten sich auch in der normativen Literatur der Geistlichen zum Thema, die die standesübergreifende prinzipielle Gleichheit vor Gott nur noch nebenbei erwähnte und ansonsten dem Mißtrauen gegenüber dem Gesinde Ausdruck verlieh, R. Dürr, Mägde, S. 75f. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 35, fol. 83Γ, 201 v , 295r. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, fol. 88v, 112r; Ve Urk. 1582/83, fol. 650.

167 ablehnten, traten häufig für die verfolgten Täufer ein, waren aber gleichzeitig der festen Überzeugung, daß ihre Glaubenslehre ganz und gar falsch sei. Zwar wurden die Spiritualisten auch hier selten von sich aus aktiv, bei Fragen oder Interesse versuchten sie aber in teilweise mehrere Jahre andauernden Gesprächen und Korrespondenzen, die Täufer auf den rechten Kurs zu bringen. Das Vorgehen bei der Missionierung hatte nach Auffassung Schwenckfelds behutsam zu sein. Insbesondere solle man nicht die Initiative ergreifen, sondern warten, bis jemand Interesse an schwenckfeldischen Schriften zeige, Gedanken oder Fragen besprechen wolle. Seine Anhängerinnen und Anhänger bevorzugten dennoch eine aktivere Werbung für die Sache der Gutherzigen. Hans Georg Schid sprach in Straßburg 1607 Menschen offen bei der Arbeit an, die sich keineswegs zuvor aus einem Anfangsinteresse heraus an ihn gewandt hatten - im Gegenteil: Der Seiler Hans Jakob Schneyder fühlte sich belästigt und meldete den Vorgang seinem Pfarrer. 79 Auch schon zu Schwenckfelds Lebzeiten wurden seine Anhänger von sich aus aktiv. 1549 war Eiselin an ihren Schneider Bernhard Unsinn herangetreten, um ihn zum rechten Glauben zu bringen, was sie auch Schwenckfeld berichtete.80 Dieser riet ihr dringend, Unsinn nicht zu bedrängen und behutsam Kontakt zu halten.81 Schwenckfelds Ratschläge im Fall Unsinn lassen einen Blick auf die Methoden der Missionierung zu. Befanden sich Werber und Missionsobjekte am gleichen Ort, versuchte man in der Regel eine mediale Mischung aus Gesprächen und Lektüreempfehlungen. Schwenckfeld riet Eiselin, Unsinn einige Briefe zu geben, die er ihr am Anfang ihres Glaubensweges geschrieben habe, zudem verfaßte er eine Stellungnahme zu einem Brief von Unsinn an sie, über die Eiselin mit dem Neuling sprechen sollte, und empfahl einige seiner Bücher.82 Gespräche in der Öffentlichkeit, die nicht nur einem allgemeinen nachbarschaftlichen Austausch über religiöse Themen dienten, wie am Beispiel von Zimmermann gezeigt, sondern gezielt der Missionierung, waren selten. Diese fast aggressive Werbetechnik wurde von der Magd der Ärztin Agatha Streicher, Susanna Hornung, in Ulm betrieben, die 1577 die junge Base des wohlhabenden Kaufmanns Jörg Hartbronner auf offener Straße ansprach und ihr versprach, sie wolt Jr wol ain bessern Catechismus geben. Hornung nutzte anders als die anderen Schwenckfelder jede Gelegenheit zur Mission und war damit sehr erfolgreich. Sie kam häufig vor den Laden von Hartbronner, ihrem früheren Arbeitgeber, und gewann dort diverse Bediente des Kaufmanns für ihren Glauben: die Untermagd ebenso wie die Kramjungfrau und die Frau des Angestellten Daniel Pflaum, Anna Hermann. Auch in anderen Ulmer Familien waren ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt, sie warb Rosina 79 80 81 82

Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 440, fol. 103r. C.S. 11, S. 824. C.S. 11, S. 950. C.S. 11, S. 824f. Diese kombinierte Technik von Gesprächen, Briefen und Schriftenverteilung wandte Eiselin auch bei dem Augsburger Kaufmann Philipp Walther an, siehe u.a. C.S. 11, S. 487-506, 534, 628-632, 636-639, 642, 653, 784, 887-881, 915-917.

168 Pfitzenmaier, eine Frau Unseldt und ihre Magd sowie zwei Töchter von Codentz Löschenbrandt.83 Hornung machte also von ihren Kontakten zu sozial Gleichgestellten, zum Gesinde und anderen Dienern, ebenso Gebrauch wie von den aus ihren beruflichen Beziehungen resultierenden Verbindungen zu den jeweiligen Herrschaften. Schwenckfelder aus höheren sozialen Schichten gingen nicht so offen vor, sondern sollten nach Schwenckfelds Vorstellungen andere eher dadurch überzeugen, daß sie ein ihrem Glauben entsprechendes vorbildliches Leben führten. Den Schwestern Baumgartner aus dem Allgäu riet er, durch ihren eigenen Lebenswandel ihre jungen Ehemänner, die den weltlichen Vergnügungen mehr Aufmerksamkeit zuwandten als religiösen Themen, mit der Zeit auch für Christus zu gewinnen.84 Die wichtigste schwenckfeldische Missionierungsstrategie war aber die begleitete Lektüre schwenckfeldischer Schriften. Schwenckfeld half seinen Anhängerinnen und Anhängern bei der Auswahl der Werke, riet zu bestimmten für Anfänger geeigneten Schriften und warnte vor zu viel ,Theologischem' für die darin Ungeübten. Auch Daniel Friedrich legte Wert auf eine abgestufte Lektüre und riet sogar zu Vorsicht und Behutsamkeit im Gebrauch der Bibel, um niemanden zu überfordern und damit nicht eher von der schwenckfeldischen Botschaft abzuschrecken,85 die ohnehin als kompliziert und schwerverständlich verschrien war.86 Das Gelesene wurde dann mit den erfahrenen Mitgliedern in Einzelgesprächen erörtert, die Interessenten stellten brieflich Fragen an andere Gemeindemitglieder und an Schwenckfeld selbst oder gaben eigene Kommentare ab, die ihre durch die Lektüre geleitete innere religiöse Entwicklung dokumentierten. Schwenckfeld kontrollierte oft schriftlich die Lektüre der neuen Interessenten, indem er sich Listen der gelesenen Bücher schicken ließ.87 Der Integration der Missionierten in die Gemeinschaft wurde einige Aufmerksamkeit zugewandt, da sie auch dem Schutz vor Verfolgung durch Unterwanderung diente, wovor sich insbesondere Schwenckfeld selbst fürchtete. Man zog Erkundigungen über die ,Neuen' ein88 und ließ sie erst allmählich Einblick in die Ortsgemeinden und die übergeordnete Netzwerkstruktur des süddeutschen Schwenckfeldertums gewin-

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Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, A [6844], 1. Teil, fol. 92f. Gott kann es wo! schicken / dass die / so nicht an das wort Christi gleuben / noch vnsern grund verstehen mögen / ohne wort vnnd lehre / durch ewren guten wandelt gewonnen werden, C.S. 9, S. 629. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 50. Der württembergische Obervogt Klaus von Grafeneck berichtete Schwenckfeld in einem Brief, daß seine Lehre allgemein als schwierig galt, C.S. 11, S. 958. Zum Beispiel C.S. 9, S. 147. C.S. 11, S. 761. Nicht einmal die Vertriebsnetzwerke der Schriften wurden Interessenten sofort zugänglich gemacht, auch die Namen von anderen Mitgliedern nannte man den Neulingen zunächst nicht, siehe Kap. 3. Schwenckfeld täuschte anfangs den neubekehrten Bernhard Unsinn, in-

169 Einen anderen Stellenwert bekam die Mission bei der Verknüpfung mit einer eschatologischen Weltdeutung. Das war erst im späten Schwenckfeldertum des 17. Jahrhunderts, besonders im Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg und den zunehmenden Spannungen in der Vorkriegszeit, gelegentlich der Fall.90 Zwar lehnten die Schwenckfelder gerade in Abgrenzung zu Gruppen wie dem „Regnum Christi"91 chiliastische Spekulationen ab, dennoch betonte der Arzt Ludwig Münster 1643 in einem Brief an seinen Bruder, daß jetzt, in dieser letzten Zeit, behutsame Missionierung zum Glaubensleben dazu gehöre, um den Menschen die Ursachen der letzten Plagen sichtbar zu machen.92 Anders als Münster begründete Friedrich die Notwendigkeit zur behutsamen Missionierung nicht mit dem Weltende, sondern mit den verschiedenen geistlichen Talenten der Menschen. Zumindest die Schwachen im Geist müssten von anderen erweckt werden, von allein seien sie nicht fähig, sich zum Schwenckfeldertum zu bekennen und Christi Stimme zu vernehmen. 93 Zu allen Zeiten der schwenckfeldischen Bewegung ging man nie aggressiv vor, machte keine Versprechungen über irdische oder himmlische Belohnungen - wie es gelegentlich die täuferischen Sendboten taten - , sondern legte Wert auf eine behutsame Ansprache. Die Gewichtung hatte sich im Laufe der Zeit allerdings verschoben: In der Frühzeit des süddeutschen Schwenckfeldertums war Missionierung nicht wichtig, aktives erstes Ansprechen wurde sogar abgelehnt. Gott handelte im wesentlichen allein in den Herzen der Gläubigen. Im späteren Schwenckfeldertum wurde die menschliche Hebammenfunktion stärker betont, zudem mußte den Menschen die Möglichkeit gegeben werden, sich noch vor dem Weltende zu Christus zu bekehren, beides rechtfertigte eine aktive Missionierung.

4.2.2 Leitung und Koordination Während die Mission von allen Schwenckfeldern betrieben wurde, waren Führungsaufgaben die Angelegenheit von wenigen. Eindeutiger Leiter der schwenckfeldischen Bewegung war der Gründer selbst. Ansonsten gab es keine ,Vorsteher' wie in anderen dissidentischen Gruppen, 94 die durch Wahl, Ernennung oder Selbsteinsetzung als von Gott Berufene Versammlungen und Gemeindeleben

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dem er ihm erst mit langer Zeitverzögerung antwortete, um zu suggerieren, daß er in großer Entfernung von Augsburg lebe, obwohl er sich zu der Zeit in Ulm aufhielt, C.S. 11, S. 824. Eine Ausnahme bildete Adam Reißner. Der Mindelheimer wollte durch seine theologischen Werke missionieren, da es in der Endzeit die notwendige Aufgabe eines Christen sei, andere zu bekehren, siehe O. Bucher, Adam Reissner, S. 50. Siehe Kap. 6. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 23 Γ. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 50r. Täuferische Ortsgemeindeleiter waren oft nicht gewählt, sondern ernannten sich selbst, wenn sie sich von Gott berufen fühlten. Ihre Kompetenz erwies sich durch ihren tadellosen Lebenswandel, nicht durch Bildung oder Standeszugehörigkeit, siehe M. Mattern, Leben im Abseits, S. 192-198.

170 leiteten. Die wachsende Zahl der Schwenckfeld-Anhänger in einigen Städten, die Verfolgungssituation und eine gewisse Verfestigung der Gruppenstrukturen führten aber faktisch zur Entstehung von Leitungs- und Koordinationsfunktionen. Führungsaufgaben übernahmen einige Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder in den größeren Ortsgemeinden, indem sie die Gruppe organisierten, sie nach außen und gruppenübergreifend im gesamtsüddeutschen Netzwerk als theologische Spezialisten vertraten. Dabei agierten sie keineswegs mit unumstößlicher Autorität. Selbst Schwenckfeld legte großen Wert auf gegenseitige Kritik und Belehrung und bat seine Anhänger stets, ihm mitzuteilen, wenn Gott ihnen etwas Besseres eingebe.95 In kleineren schwenckfeldischen Gemeinschaften wie in den meisten Reichsstädten des Allgäus bedurfte es keinerlei Aufgabenteilung innerhalb der Ortsgemeinschaft. Schwenckfeld führte und koordinierte hier allein bzw. schuf eine direkte Anbindung an das überregionale Netzwerk, indem er seine Allgäuer Anhänger bei praktischen Fragen und theologischen Zweifeln an die entsprechenden Spezialisten verwies.96 In den Orten mit größerer schwenckfeldischer Anhängerschaft nahmen Einzelne oder eine kleine Gruppe die Leitung in die Hand. In Ulm übernahmen diese Aufgabe bis 1581 die weiblichen Mitglieder der Familie Streicher, vor allem Katharina und ihre jüngere Schwester, die Ärztin Agatha Streicher. Katharina vertrat die Gruppe auch nach außen gegenüber der weltlichen Obrigkeit, was angesichts des Verhörs von sieben Schwenckfeldern 1544/45 deutlich wird. Zusammen vorgeladen mit ihrer Tante Juliana Roggenburger und ihrem Bruder, dem Arzt Hans Augustin Streicher, antwortete sie für alle, obwohl sich die Verhörsfuhrer mit ihren Fragen an Hans Augustin als einzigen Mann in der Runde gewandt hatten.97 Nach ihrem Tod um 1564 übernahm ihre Schwester Agatha die Leitung der Ulmer Gemeinde. Sie wurde von der Obrigkeit so sehr als Hauptantriebskraft der Bewegung gesehen, daß manchmal gar nicht vom Schwenckfeldertum die Rede war, sondern nur von der Streicherin Sect.9* Ihr Haus war zumeist Veranstaltungsort schwenckfeldischer Versammlungen und Besprechungen,99 dennoch schützte ihre überregionale Bekanntheit als Ärztin die Ulmer Gemeinde bis zu ihrem Tod weitgehend vor Verfolgung.

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C.S. 11, S. 547, 549, siehe auch Kap. 3. Eva Honold aus Kempten und Katharina Ebertz aus Isny verband er allgemein für alle theologischen Fragen mit Katharina Streicher: Ess sol euch Jhre [=Helena Streichers] eltste tochter Junckfraw Catharina / deren vbung Jnn der schule dess Herren Christo / vnnd Jnn der h: Schrifft ist / auch künfftig schreiben / Vnnd sich mit euch beeden bekant machen / welche euch mit ihren gaben / Jm Herren Christo auch kann dienen / vnnd furderlich sein mag/, C.S. 9, S. 271. In anderen theologischen Fragen verwies er die Allgäuer Anhänger auch an Jakob Held von Tieffenau und Sibilla Eiselin. Stadtarchiv Ulm, A [8984/11] „Sonderlinge" 1542-45, fol. 535. Ebenda, Pfarrkirchenbaupflegamt, Religionsprotokolle, A [6875], fol. 97b, 106b. Ebenda, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 35, fol. 80r.

171 Ähnlich zentral, aber weit weniger nach außen sichtbar und der Obrigkeit bekannt, war die Stellung von Sibilla Eiselin in Augsburg.100 Die kinderlose Ratsherrenwitwe übernahm eine Vielzahl von organisatorischen Aufgaben innerhalb der Augsburger Gemeinde. Sie vertrieb schwenckfeldische Schriften, vermittelte die Briefkontakte zu Schwenckfeld, 101 integrierte neue Mitglieder, bemühte sich, Zweifelnde beim rechten Glauben zu halten102 und verteidigte das Schwenckfeldertum in Religionsgesprächen mit Andersgläubigen, die sie in ihr Haus einlud.103 Ihre Leitungsfunktion für die Augsburger Gruppe wird besonders während der Prozesse gegen die drei Schwenckfelder Unsinn, Hieber und Marquart 1553/54 sichtbar, als sie sich immer wieder mit Schwenckfeld über das weitere Vorgehen beriet. Sie gab Schwenckfelds Ratschläge für die Gespräche mit den Pfarrern an die Gemeinde weiter und besprach nach der Verhaftung von Hieber, Unsinn und Marquardt mit den übrigen Gemeindemitgliedern das richtige Verhalten im Fall von weiteren Verhören und Strafandrohungen. Nur zu ihr hatte Schwenckfeld wöchentlichen Briefkontakt.' 04 Dabei fielen ihre Aktivitäten kaum auf bzw. wurden nicht wahrgenommen, obwohl ihr Name in den Verhören der drei Gefangenen mehrfach genannt wurde.105 Auch später war es für Schwenckfeld selbstverständlich, sie anzusprechen, wenn er anderen Augsburger Gemeindemitgliedern Anweisungen erteilen wollte. Anfang 1557 hatte sich beispielsweise der Augsburger Schwenckfelder Johann Spreng an ihn gewandt. Er missionierte zusammen mit Caspar Glaner einen Ulrich Holzmann, der wie er selbst Meistersänger war. Während eines Besuches bei Schwenckfeld in Leeder lobte er Holzmanns Talente sehr. Schwenckfeld war zurückhaltend, sah die Missionierung mehr als theologische Schulung fiir die Missionare und wies nach Sprengs Rückkehr Eiselin an, zu verhindern, daß Glaner Holzmann zu schwierige schwenckfeldische Bücher gab. Schwenckfeld richtete sich also weder direkt an Glaner noch gab er eine Nachricht an ihn über Eiselin weiter, sondern die große Mehrzahl seiner an Augsburg gerichteten Briefe ging an Eiselin mit Handlungsanweisungen, die sie kraft ihrer Autorität als Gemeindeleiterin umsetzen sollte.106 Wie ihre Rolle innerhalb der

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Zu den Kontakten der Sibilla Eiselin siehe das Ego-Netzwerk in Kap. 4.4.4. So gibt z.B. Hieber an, alle seine Briefe an Schwenckfeld über Eiselin versandt zu haben, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 13, fol. Γ . Als die Augsburger Caspar Glaner und Veit Silber 1553 mit Schwenckfelds Lehren unzufrieden geworden waren, war es Eiselins Aufgabe, sie bei der Gemeinde zu halten bzw. zum Schwenckfeldertum zurückzuführen, C.S. 13, S. 571-573. So lud sie 1548 neben Philipp Walther auch den protestantischen Pfarrer Hans Heinrich Held und andere Nichtschwenckfelder zu einem religiösen Gespräch ein, C.S. 11, S. 628. C.S. 13, S. 247f; 253-255; 268-271; 301-317. Sie kam wie die anderen von den Festgenommenen genannten Schwenckfelder mit einer Vermahnung davon, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 22, abgedruckt in C.S. 13, S. 354f. C.S. 15, S. 43.

172 Gemeinde sich nach Schwenckfelds Tod 1561 gestaltete, ist unklar, da für diese Zeit kaum noch Quellen erhalten sind.107 In Memmingen koordinierte Jakob Moretzgi die schwenckfeldische Gemeinde, die wohl erst durch seine Bemühungen in den 1570er Jahren entstand. Er missionierte auch im Landgebiet und besorgte die Verteilung schwenckfeldischer Schriften an die Gemeindeglieder und andere Interessierte.108 In der großen Straßburger Schwenckfelder-Gruppe gab es ebenfalls Gemeindeleiterinnen und -leiter, die die Gruppenaktivitäten zusammenführten.109 Neben den lokalen Gemeindekoordinatoren wurden theologische Spezialisten als Autoritäten auf bestimmten fur Schwenckfelder relevanten Wissensgebieten von Mitgliedern aus dem gesamten süddeutschen Netzwerk schriftlich um Beratung angegangen. Für den Bereich der Bibelexegese waren das neben Schwenckfeld selbst (und in der Frühzeit auch Valentin Crautwald) Jakob Held von Tieffenau und Katharina Streicher. Held war Schwenckfelds rechte Hand, ein Helfer und Stellvertreter, an den er Anhänger verwies, damit er sich in seinen theologischen Fähigkeiten weiter übte und so zum Experten für schwenckfeldische Bibelauslegung werden konnte.110 Andere Anhängerinnen konsultierten vor allem Katharina Streicher in exegetischen Fragen. Schwenckfeld leitete theologische Fragen, die an ihn gerichtet waren, häufig an sie weiter und konsultierte sie auch selbst. 1552 verwies er die Augsburger Gemeinde, die sich der theologischen Angriffe von Glaubensabtrünnigen nicht meinte erwehren zu können, an Katharina Streicher.111 Sibilla Eiselin wurde als Sachverständige in Fragen des Täufertums konsultiert. Sie hatte früher selbst dieser dissidentischen Richtung zugeneigt und kümmerte sich in Augsburg missionarisch um Täufer. Sie bemühte sich darüber hinaus im gesamten süddeutschen Raum um Schwenckfelderinnen, die sich für täuferische Lehren interessierten und in der Gefahr waren, von den Täufern abgeworben zu werden.112 Daneben gab es noch Experten wie Adam Reißner, der wegen seiner guten Kenntnisse in den biblisch relevanten Sprachen Griechisch und Hebräisch in Übersetzungsfragen konsultiert wurde." 3 Diese theologischen Spezialisten hatten eine führende Rolle inne, insofern sich andere an sie um Rat wandten. Sie besa107

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Sie wird lediglich in zwei Briefen an Johann Martt erwähnt und in einem weiteren von ihm gegrüßt, Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 36.2. Aug.2°, fol. 426-439; Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 92v, 97r-99v. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Brief der Pfarrerschaft an den Rat 1571. Dazu ausfuhrlich D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 141. 1548/49 ermutigte Schwenckfeld Eiselin mehrfach, Held theologische Fragen zu stellen, damit er sich übe, schon einige Zeit vorher hatte er ihn ihr anläßlich eines Besuchs von Held in Augsburg als seinen besten Mann und auch mündlich versierten Theologen empfohlen, C.S. 11, S. 172,673, 760. C.S. 13, S. 115. Siehe auch Kap. 3. C.S. 11, S. 728; C.S. 12, S. 106. Siehe Kap. 3.

173 ßen aber keineswegs eine absolute Lehrautorität, die es im Schwenckfeldertum nicht gab,114 sondern waren lediglich in bestimmten Fragen einige Schritte weiter in der Schule Christi. Johann Martt stellte wieder eine Besonderheit dar. Er lebte seine Führungsrolle mit einem ganz anderen Selbstverständnis. Er verstand sich sowohl als theologischer Fachmann wie auch als unumschränkter Gemeindeleiter. Während er in theologischen Fragen mögliche Auslegungsschwächen nur gegenüber Eiselin zugab, die er als gleichrangig bzw. eines geistlichen Rates eigentlich nicht bedürftig ansah," 3 war er in organisatorisch-taktischen Maßnahmen unsicherer. Er fragte beispielsweise häufig bei seiner Frau oder anderen Anhängern nach, ob er in seinen Bittbriefen den richtigen Ton getroffen habe." 6 Anders als die übrigen schwenckfeldischen Gemeindekoordinatoren bemühte er sich, Leben und Lehre seiner Gruppe zu kontrollieren. Er verlangte schriftliche Glaubensbekenntnisse und führte im Gebiet der Freiherrn von Freyberg Visitationen durch." 7 Seine führende Position scheint auch von einem Teil der Schwenckfelder, die in seiner Nähe lebten, so akzeptiert worden zu sein. Andere, die wie Daniel Friedrich und Nikolaus Haid mit seinem kompromißlosen Radikalismus nicht zurecht kamen, zerstritten sich häufig mit ihm und erkannten seinen Leitungsanspruch nicht in der Absolutheit an, mit der Martt ihn geltend machte." 8 Martt wurde in theologischen, aber auch in praktischen Fragen häufig um Rat gebeten. So bat ihn Georg Ludwig von Freyberg, Gott um Rat zu fragen bei der Wahl einer künftigen Ehefrau. Der Junker akzeptierte Martt also eindeutig als Mittler zwischen den Menschen und Gott, was eigentlich nicht den Vorstellungen Schwenckfelds entsprach.119 Das ist vermutlich in Verbindung mit der sozialen Position von Freybergs zu sehen. Die Freiherren hatten auf ihrem Gebiet ein schwenckfeldisches Gemeinwesen etabliert, sie herrschten als Schwenckfelder über ihre Untertanen im weltlichen Bereich, ansonsten agierten sie arbeitsteilig und überließen Seelsorge und Gemeindeorganisation der schwenckfeldischen Untertanen den eigens dafür angestellten schwenckfeldischen Schulmeistern'. Martt bekleidete zwar 114 115

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Siehe oben. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf.36.2.Aug.2°, fol. 439; Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 9T. Er war immer dann besonders unsicher, wenn er auf die Unterstützung der Adressaten angewiesen war, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 28 r ; 29 v . 1577 verlangte er von den drei Mägden Anna Erhart, Anna Bernhardt und Susanna Hornung, daß sie ihm theologische Fragen beantworteten, ebenda, fol. 108. 1585 schrieb er seiner inzwischen nach Söflingen im Ulmer Landgebiet geflohenen Frau, daß er die schwenckfeldische Gemeinde, die momentan vom Freiherrn von Freyberg nicht im rechten schwenckfeldischen Glauben gehalten würde, einer Visitation unterzogen habe: Ο wie hat es so not gethan daß ich einmal visitirt habe. Die armen leut sind gar verfiltert worden, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 39v. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 17\ 28r, 38 r . Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 45'-46'.

174 kein offizielles Amt, leitete aber im Hintergrund zumindest einen Teil der schwenckfeldischen Gemeinde, für Georg Ludwig von Freyberg war er maßgeblicher Ratgeber. Adelige Schwenckfelderinnen handelten ebenfalls nicht an der Spitze einer Gemeinde oder vertraten sie in irgendeiner Weise. So mutig sie für ihren Glauben eintraten, sie taten es nur für sich selbst und manchmal für ihre Kinder. Sie wurden an keiner Stelle koordinierend für eine Ortsgemeinde tätig. Anders die Frauen der oberen und mittleren Schichten der Städte, wie die obigen Beispiele zeigen: Sie waren oft ledig (Streichers) oder verwitwet bzw. kinderlos (Eiselin) und hatten daher die Möglichkeit, einen Großteil ihrer Zeit ihrem Glauben zu widmen, Schwenckfeld und benachbarte schwenckfeldische Gemeinden zu besuchen. Daß Frauen eine führende Rolle übernahmen, war für städtische Bürgersfrauen weniger befremdlich, waren sie arbeitsteiliges, weniger untergeordnetes Leben innerhalb ihrer Familien eher gewohnt.120 Anders als in anderen mehr oder weniger dissidentischen religiösen Bewegungen,121 in denen Frauen, die mündlich oder schriftlich das Wort ergriffen, sich ausdrücklich rechtfertigen mußten, thematisierten Schwenckfelderinnen ihre eigene Position als Frau und Autorin bzw. Gemeindeleiterin nicht.122 Weder in ihren wenigen erhaltenen Schriften noch in Briefen wurde das paulinische Schweigegebot oder die untergeordnete, passive Rolle der Frauen in religiösen Angelegenheiten thematisiert, allenfalls jonglierten sie mit den an sie gerichteten Rollenerwartungen in Verhörssituationen.'23 Im Schwenckfeldertum existierten keine nominellen Ämter, keine Predigten in den Versammlungen, dafür aber eine starke individuelle Verantwortung für den richtigen Glauben, die Männer und Frauen gleichermaßen oblag. Es gab daher auch nicht die Notwendigkeit, sich mit der Frage der Geschlechterrollen im religiösen Leben zu beschäftigen. Beide Geschlechter waren hier vollkommen gleichgestellt.124 In anderen religiösen Bewegungen, die Frauen zunächst Zugang zu vielen religiösen Feldern erlaubt hatten, brachte die Institutionalisierung eine

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M. Mitterauer, Europäische Familienformen, S. 38; H. Wunder, Sonn, S. 96-109. Siehe beispielhaft die Entwicklung bei den Quäkern: Ph. Mack, Visionary Women, S. 234, 406-412; Β. Ritter Dailey, The Husbands of Margaret Fell, S. 55-57, 66-68; R. Foxton, .Hear the Word of the Lord', S. 6-14. Eine Ausnahme ist hier Katharina Zell, die ihre weibliche Rolle mehrfach erwähnte und sich mit dem Verstoß gegen das Schweigegebot auseinandersetzte. Sie tat das aber nicht als schwenckfeldische Gemeindeleiterin, sondern in ihrer Rolle als protestantische Pfarrfrau und Kirchenmutter (siehe Kap. 3). Siehe Kap. 5. Schwenckfeld betonte nicht nur explizit die Gleichstellung der Geschlechter in Glaubensfragen, da es in Christus weder Mann noch Frau gebe. Er hob sogar die Rolle von Frauen hervor: Sie förderten eher als Männer die christliche Wahrheit und seien im Bekenntnis ihres Glaubens oft mutiger als ihre Männer, was für ihn gut mit der Tatsache korrespondierte, daß Christus den Frauen nach der Auferstehung zuerst erschienen war, C.S. 11, S. 175f.

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Verdrängung der Frauen mit sich.'25 Da es eine solche Entwicklung trotz einer gewissen Verfestigung der Gruppenstrukturen nach Schwenckfelds Tod nicht gegeben hat, blieben Frauen hier die Handlungsoptionen auf allen Ebenen des religiösen Lebens erhalten. Das hatte aber keineswegs Konsequenzen für das weltliche Leben.126 So wenig wie das Schwenckfeldertum eine soziale Agenda hatte, so wenig stellte man sich gegen den dominierenden Geschlechterdiskurs im säkularen Bereich. Veränderungen der gesellschaftlichen Positionen von Frauen im weltlichen Alltag waren im Schwenckfeldertum irrelevant.

4.2.3 Verfassen und Drucken von theologischen Schriften Die süddeutschen Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder verfaßten zahlreiche theologische Schriften, die unterschiedliche Funktionen und Anlässe hatten. Sie dienten der Verteidigung ihres Glaubens, der Erbauung und Belehrung der interessierten Christgläubigen oder erinnerten hagiographisch an Caspar Schwenckfeld. Ebenso wie ihr Zweck war auch die Form der Schriften verschieden: Neben apologetischen Bekenntnissen für die kirchliche und weltliche Obrigkeit127 waren theologische Traktate in Briefe an Glaubensgenossen integriert.128 Selbständige, abgeschlossene Schriften wurden entweder abgeschrieben oder sie erschienen im Druck. Zur Erinnerung an den Begründer ihrer religiösen Bewegung zeichnete Anna Elisabeth Landschad von Steinach, eine pfälzische Adelige, 1558/59 die Tischreden Schwenckfelds, die er anläßlich seines Aufenthaltes auf der Burg Neckarsteinach gehalten hatte, auf.129 Ebenfalls dem Gedenken an Caspar Schwenckfeld

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So z.B. in den Täuferbewegungen, siehe M. Kobelt-Groch, Aufsässige Töchter Gottes, S. 161; N. Grochowina, Gleichheit, S. 111-113. Siehe unten. So reichte z.B. Helena Streicher nach einem Verhör 1582 ein Glaubensbekenntnis ein, Ulm, Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, A [6844], I. Teil, fol. 236a. Bernhard Unsinn bat im Gefängnis um Schreibzeug und übersandte dem Rat anschließend ein ausführliches christologisches Bekenntnis, Augsburg, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 5. Diese Form der theologischen Abhandlung wählte neben Schwenckfeld vor allem Johann Martt, der in seinen Briefen nicht nur auf die theologischen Fragen der Adressaten einging, sondern ihnen seine Predigten oder seine im Traum erlebten theologischen Gedanken in Traktatform - oft ohne Anschluß an den Rest des Briefes - mitteilte, s. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427. Abgedruckt in: C.S. 14, S. 671-724. Sudermann schrieb sie 1594 ab; Anna Elisabeths Schwiegersohn, der Schwenckfelder-Pfarrer Hans Georg Schid, versah die Abschrift mit Marginalien (C.S. 16, S. 670). In seinem Vorwort begründete Sudermann die Bewahrung dieser Schrift für die Gutherzigen damit, daß andere Schwenckfelder daraus lernen können, wie ein christliches Tischgespräch zu führen sei, und daß die Aussprüche Schwenckfelds

176 gewidmet war der von Agatha Streicher 1561 verfaßte Bericht über das Sterben Schwenckfelds in ihrem Haus. Alle darin vorkommenden Namen waren von Streicher anonymisiert worden, vermutlich um die erwähnten Personen bei einer Veröffentlichung zu schützen. Demnach war der Bericht nicht nur für den gruppeninternen Gebrauch bestimmt, sondern sollte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.130 Johann Martt, der ebenfalls genaue Informationen über den Vorgang hatte, besaß eine Abschrift des Berichts, in die er für sich die Namen der Beteiligten nachträglich eintrug. Dieses Exemplar wie auch eine eigene, auf Streichers Angaben basierende Schilderung wurden dann von Martts Witwe und Tochter zusammen mit seinem übrigen literarischen Nachlaß an Daniel Sudermann übergeben.131 Primär dem innerschwenckfeldischen Gebrauch diente eine Schrift der Sibilla Eiselin, die einen konkreten Anlaß hatte. Schwenckfeld hatte 1549 dreißig Fragen zu den täuferischen Irrtümern formuliert, die Eiselin als Täuferexpertin dann auslegen sollte. Diese nicht gedruckte Schrift wurde im gesamten süddeutschen Raum abgeschrieben, verteilt und gelesen, und besonders den Glaubensfreunden empfohlen, die zum Täufertum abzufallen drohten.132 An ein über das Schwenckfeldertum hinausgehendes Publikum wandte sich Barbara von Eberstein, deren Schrift im Druck erschien. Es handelte sich um ein Glaubensbekenntnis, also eine apologetische Schrift, mit der die kurz zuvor zum Schwenckfeldertum konvertierte ursprünglich lutherische Ehefrau des Schwenckfelders Georg Ludwig von Freyberg ihren Glaubenswechsel erklärte. Ihre Konversion hatte Aufsehen und Unmut in ihrer Familie ebenso wie am württembergischen Hof erregt, daher richtete sie sich mit ihrem Bekenntnis 1592 wohl an eine größere Öffentlichkeit. Das Werk ist als Antwort auf siebzehn (wahrscheinlich fiktive) Fragen, so ein Lutherische Person gestelt, aufgebaut, schildert ihren inneren Glaubensweg und begründet die Überlegenheit der schwenckfeldischen theologischen Positionen.133 Es fand weite Verbreitung bei den Glaubensgenossen, bei Tisch auch theologisch bewahrenswert seien, weil dieser nie etwas Unnützes geäußert habe, C.S. 16, S. 672. 130 Gedruckt wurde der Bericht allerdings erst um 1700, C.S. 17, S. 1015f. 131 Diese Handschriften befinden sich in der Staatsbibliothek zu Berlin und sind abgedruckt in C.S. 17, S. 1019-1032. 132 Die Schrift ist nicht erhalten, wohl aber Schwenckfelds Fragen (C.S. 11, S. 931) und die Hinweise auf ihre Verbreitung bzw. Schwenckfelds Empfehlung, sie zu lesen, C.S. 11, S. 728f., 839f„ 850. 133 Nach F. M. Weber, Justingen, S. 70, A. 15 ist das Werk verschollen. Die Schrift findet sich jedoch in einem von Sudermann veranlassten Sammeldruck, Berlin, Staatsbibliothek, Libri impr. c.n. oct. 617, Nr. 12: Kürzte Summarische Antwort vnd gründlicher Gegenbericht der Wolgebornen Frawen Barbara von Freyberg / Freyfrawen zu Justingen vnnd Öpffln=gen / geborner Gräuin zu Eberstein / Auff die Sibenzehen Puncten so ein Lu=therische Person gestelt / Sampt Jhres Christlichen / Catholischen / Euan=gelischen Glaubens Rechen=schafft vnnd Be=kantnis. (28 Bl.) Der Sammeldruck wird nach dem ersten darin verzeichneten Werk Schwenckfeld zugeordnet und als Ausgabe seiner Schrift Von der Sünd vnnd der gnad, Adam vnd Christo verzeichnet. Das ist aber nicht zutreffend, da die

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war auch der österreichischen Regierung bekannt und wurde zur Information an den Kaiser weitergeschickt. 134 Die beschriebenen Werke sind die einzigen erhaltenen, selbständig erschienenen theologischen Werke von Frauen.135 Obwohl sie auf allen Feldern des religiösen Lebens den schwenckfeldischen Männern gleichgestellt waren, nutzten die Frauen diese Möglichkeit öffentlichen Handelns weniger. Sie bevorzugten die dialogische Variante des theologischen Nachdenkens und nutzten eher die Briefform. Theologie stand im Zentrum ihrer Schreiben, allerdings nicht wie bei Martt oder Friedrich in der Form eines traktathaften Selbstgesprächs, sondern sie war als Frage, Antwort oder Diskussionsbeitrag direkt auf den Adressaten bezogen. Schwenckfeldische Pfarrer mit universitärer Theologie-Ausbildung produzierten erheblich mehr selbständiges theologisches Schrifttum als die schwenckfeldischen Laien. Die Form des abgeschlossenen religiösen Traktats war ihnen offenbar vertrauter.136 Einzig der ehemalige katholische Priester Martt wählte fast ausschließlich die Form des Briefes, um seine exegetischen Erkenntnisse und religiösen Erfahrungen in zum Teil sehr langen Traktatteilen seinen Glaubensgenossen mitzuteilen.137 Der schwenckfeldische Pfarrer und Schulmeister Daniel Friedrich verfaßte neben vielen Briefen auch zahlreiche theologische Schriften. Die Anweisungen, die er für ihre Verwendung gab, gewähren einen beispielhaften Einblick in die Zielgruppe, den Zweck und die Vertriebswege theologischer Schriften im süddeutschen Schwenckfeldertum. In seinem Testament verfügte er genau die Verbreitung seiner ungedruckten Schriften nach seinem Ableben: Sein theologischer Nachlaß sollte von Daniel Sudermann zusammen mit zwei oder drei anderen Schwenckfeldern, die nicht namentlich genannt wurden, verwaltet werden. Er sah nicht vor, die Schriften durch Drucklegung weiter zu verbreiten,138 sie sollten aber auch nicht geheim gehalten werden: Nach der Gab des h. Geistes ist Erkenntnis in ihnen, und wolle man sie nicht hinter die Tür tun oder unter die Bank legen.

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Druckschrift neben Barbara von Freybergs Werk auch noch Schriften anderer Autoren wie des Schwenckfelders Bernhard Herxheimer enthält. Ein Druckort wird nicht genannt; der 132 Seiten umfassende Band erschien 1593. Bericht der oberösterreichischen Regierung an den Kaiser von 1600, Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, Regierungskopialbuch 86, fol. 7 Γ ; Bericht der Pfleger von Ehingen an das Kloster Salem 1603, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), Nr. 4470, fol. 499. Zu erwähnen wären noch die theologischen Schriften von Katharina Zell, die aber nicht ausschließlich schwenckfeldische Theologie zum Inhalt hatten, siehe Kap. 3. Zu den einzelnen Theologen und ihren Werken siehe Kap. 3.3.4.2. In seinem religiösen Nachlaß, den Sudermann verwaltete, finden sich nur einige kurze, meist fragmentarische Stücke zum Gebet, zur Trinitität und zu den Auserwählten, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, S. 118-125. Etwa 1561 hat er eine verschollene Schrift über die Inkarnation verfaßt, die der kaiserliche Rat und Schwenckfelder-Sympathisant Johann Lange in einem Brief an Schwenckfeld lobend erwähnt, C.S. 17, S. 628, 631. Es wird in dem abgedruckten Testamentsauszug nicht deutlich, ob Friedrich den Druck nicht vorsieht aus Angst vor der Zensur oder ob er ihn für zu kostspielig hält.

178 Vielmehr sollten sie interessierten Glaubensgenossen - namentlich nannte er die Gemeinde in Danzig, mit der er auch ausgiebig korrespondiert hatte - zugesandt, dort handschriftlich vervielfältigt und anschließend wieder an die literarischen Nachlaßverwalter zurückgesandt werden.139 Noch stärker arbeitsteilig war das überregionale geheime schwenckfeldische Netzwerk, das in Gang gesetzt wurde, wenn schwenckfeldische Manuskripte140 in Süddeutschland in Druck gehen sollten. Einige Glaubensgenossen bereiteten die Manuskripte fur den Druck vor. Bis zu seinem Tod (1563) übernahm das vorwiegend Hans Wilhelm von Laubenberg auf seinem Schloß Wagegg. Er hatte dort eigens Männer für die Druckvorlagenherstellung eingestellt.141 Er lagerte auf seiner Besitzung wohl auch nach dem Druck Teile der Auflagen, denn Schwenckfeld wies ihn immer wieder an, Schriften aus seinem Vorrat zu verschicken.142 Nach der Erstellung der Vorlagen gingen die Werke an verschiedene vertrauenswürdige Drucker, die entweder selbst Schwenckfelder waren oder erfahren im Drucken dissidentischer Werke ohne die erforderliche obrigkeitliche Genehmigung.143 In Augsburg lief die Weitergabe der Manuskripte entweder über Sibilla Eiselin144 oder über einen Boten, der den Auftrag direkt an den Drucker weitergab. Dabei ging man sehr konspirativ vor. In seinen Verhören gab der in Bayern verhaftete Augsburger Drucker und Schwenckfelder Hans Gegler an,145 daß Abel Werner, der schlesische Kürschner und Sohn des schwenckfeldischen Pfarrers Johann Werner, ihm mehrere Manuskripte Schwenckfelds zum Druck gegeben habe, u.a. eines, das er gegen den damals in Magdeburg lehrenden lutherischen

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Das Testament ist unter der Signatur Β 16 im Archiv der Franckeschen Stiftungen in Halle verzeichnet, konnte aber nicht vorgelegt werden. Ein Auszug des Testaments ist abgedruckt in: Th. Wotschke, Johann Ludwig und Johann Friedrich Münster, S. 102, Α. 1. Konkret nachvollziehbar ist das nur für die Schriften Schwenckfelds, Crautwalds und Werners. Da der Druck der dissidentischen Werke immer ohne Genehmigung stattfinden mußte, ist es aber sehr wahrscheinlich, daß die übrigen schwenckfeldischen Druckerzeugnisse auf die gleiche Weise entstanden. C.S. 4, S. 663f. Zum Beispiel 1548 an den Schwenckfeld-Gegner und Pfarrer von Isny, Benedikt Bugauer, C.S. 11, S. 509. Gerade in Augsburg (wie auch in Straßburg) gab es eine Reihe von Druckern, Formschneidern und Händlern, die immer wieder wegen illegalen Druckens von Schmähschriften und vor allem von dissidentischen Schriften in Haft waren. Darunter waren einige, die Anhänger der schwenckfeldischen Lehre waren oder mit ihr sympathisierten: Georg Willer, Philipp Ulhart, Hans und Agatha Gegler, Leonhard Nickel, Sylvanus und Valentin Othmar und der aus Lindau stammende Buchhändler Gabriel Lay. C.S. 4, S. 664. Das zweite Verhör von Gegler wurde unter Folter erzwungen. Dabei ging es vor allem um von ihm gedruckte Schmähschriften, die schwenckfeldischen Werke wurden nur am Rande erwähnt. Gegler gab den Inhalt der Schriften an. Die Verhörsakten wurden von Herzog Albrecht von Bayern zur Kenntnis an den Augsburger Rat weitergeleitet, Augsburg, Stadtarchiv, Censuramt XVI, Nr. 6.

179 Theologen Matthias Flacius verfaßt hatte.146 Werner hatte die Druckvorlagen und das Papier zu Gegler gebracht, nach dem Druck bezahlt und alle Exemplare sofort wieder an sich genommen. Während der Druckphase hatte Gegler auch mehrmals mit Schwenckfeld korrespondiert, der seinen Aufenthaltsort vor dem Drucker geheimgehalten hatte.147 Während Abel Werner die Drucke nicht vor Ort vertrieb, blieben die im Auftrag des Schneiders Sixt Schilling gedruckten Bücher 1563 wohl weitgehend in Augsburg. Schilling hatte von Johannes Haid, der zeitweilig bei einigen Augsburgern in Diensten stand, die Vorlagen für zwei schwenckfeldische Werke und einen Zettel mit genauen Anweisungen für den Drucker erhalten. Den Druck gab er dann bei Philipp Ulhart in Auftrag, der nach Schillings Angaben über 500 Exemplare anfertigen sollte. Sie wurden in ein Faß geschlagen und nach Frankfurt gesandt, wo sie vermutlich auf der Messe verkauft werden sollten. Schilling kümmerte sich selbst um den Versand des Fäßchens. Den Rest, der nicht mehr ins Faß paßte, übergab er Regina Schweigger, der Schwester von Sibilla Eiselin, deren Schneider er war und in deren Haus er auch sonst verkehrte.148 Die Schwestern Kraffter, Sibilla Eiselin, Regina Schweigger und Helena Putschlin, alle drei seit den vierziger Jahren verwitwet,149 bildeten in Augsburg den Vertriebsknotenpunkt für schwenckfeldische Schriften. 150 Leonhard Hieber gab die Bücher, die er von Eiselin erhalten hatte, dann an die Augsburger Interessenten weiter. Unklar bleibt, wo die Witwen die Exemplare zwischenlagerten, ob sie spezielle Räume dafür anmieteten, sie im eigenen Haus unterbrachten oder sie auf die Häuser Hiebers und anderer Schwenckfelder in Augsburg weiterverteilten, wobei sie die 146

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Schwenckfeld hatte mehrere Schriften als Verteidigung gegen Flacius Angriffe geschrieben. Gegler druckte davon mindestens eine, die unter dem Titel Defension auf Flacii Ulyrici Büchlin Contradiction genannt 1556 erschien, C.S. 14, S. 985-1031, siehe Geglers Angaben im 2. Verhör, Augsburg, Stadtarchiv, Censuramt XVI, Nr. 6. Als letzte vor der Verhaftung gedruckte schwenckfeldische Schrift nannte Gegler das Christlich bedengkhen. Gemeint war ein 1558 verfaßtes Werk (Ein Christlich Bedencken: Von dem Gemeynen Geschrey / so man yetzt außgibt: Das man nyemandts soll leyden vnnd gedulden / der nit in allem / ohne ale widerred / Bäpstisch oder Lutherisch ist) gegen die Vereinbarungen des Augsburger Religionsfriedens, wonach nur das lutherische und das katholische Bekenntnis geschützt wurden. Aus einer Manuskript-Notiz geht hervor, daß der Autor der anonymen Schrift sehr wahrscheinlich nicht Schwenckfeld selbst, sondern der Pfarrer von Leeder, Georg Mayer, war, C.S. 16, S. 282f„ 286-345. Augsburg, Stadtarchiv, Censuramt XVI, Nr. 6 ( 1 . Verhör von Gegler). Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1563b, 11.8., 2. Verhör Schilling. Ulhart bestritt, mit dem Versand irgendetwas zu tun zu haben, um sich vor dem Verdacht, Schwenckfelder zu sein, zu schützen. Er behauptete, Schilling habe den Druckauftrag vollständig allein abgewickelt und die Bücher seien nur zum Eigengebrauch Schillings bestimmt gewesen. Die Existenz von Haid unterschlug er ganz, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1563b, 13.8., 2. Verhör Ulhart. W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 102, 642, 765. Eiselin erhielt von Schwenckfeld auch handschriftliche Kopien, die sie in Augsburg weiterverteilte. Sie trug zusammen mit Anna Regel den Hauptteil der Druckkosten, C.S. 11, S. 175,207,550.

180 Kontrolle über die Versandstrukturen behielten. Da die Aktivitäten der Frauen der Obrigkeit nicht weiter auffielen und ihre Häuser daher niemals durchsucht wurden, gibt es keine Hinweise auf den genauen Lagerort. Es existierten mehrere Verteilungszentralen für schwenckfeldische Druckschriften in Süddeutschland: die Familie Streicher in Ulm, besonders Katharina Streicher, die von Laubenbergs in Wagegg und nach der Jahrhundertmitte die Familie von Freyberg in Justingen und Opfingen. Die fertiggestellten Drucke wurden an diese lokalen Zentren geliefert (wenn sie nicht für die Frankfurter Messe bestimmt waren, wo sie offen verkauft wurden)151 und von dort aus in den Ortsgemeinden weiterverteilt oder auf Anfrage auch überregional versandt. So gaben sowohl Leonhard Hieber als auch Bernhard Unsinn 1553 im Verhör in Augsburg an, daß sie Bücher auf Bestellung an Glaubensgenossen in Kaufbeuren weitergeleitet hatten. Unsinn übergab sie den Kaufbeurer Freunden Staudach und Schnitzer persönlich, wenn sie in der Stadt waren, während Hieber sie an den Bürgermeister Anton Honold und an die Frau des Stadtammanns, Anna Heel, auf schriftliche Anfrage hin schickte.152 An Buchläden wurden die Bücher seltener weitergegeben, weil der öffentliche Verkauf zu gefährlich war, aber Buchführer ohne Laden, wie der Cannstatter Andreas Neff oder der aus Österreich stammende Stoffel Platter, erhielten schwenckfeldische Schriften zum Verkauf. Der Schwenckfelder Neff bezog seine Exemplare nach Meinung der berichtenden lokalen Obrigkeit über die Messe in Frankfurt. Er verkaufe sie dann in Worms, Mainz und an anderen Orten und bringe sie auch seinen Glaubensgenossen in Cannstatt mit.153 Stoffel Platter, der aus Hall stammte, mit seinen Büchern aber auch in Süddeutschland herumzog und 1555 in Augsburg verhaftet wurde, hatte seine schwenckfeldischen Bücher nach eigenen Angaben erst unterwegs in Lauingen erworben und veräußerte sie nun an Augsburger Interessenten.154 Auch der Uhrmacher Balthasar Marquardt gedachte sich als Buchfuhrer zu betätigen und wollte vier schwenckfeldische Bücher, die er von Eiselin, Hieber und Unsinn erhalten hatte, zu einem Goldschmied nach Berlin transportieren.155 Die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder in den Ortsgemeinden verkauften die Exemplare an Glaubensgenossen und interessierte Nichtschwenckfelder, aber sie verschenkten sie auch. Im Rahmen der Missionierung wurden schwenckfeldische Werke gelegentlich kostenfrei abgegeben, besonders, wenn es sich um 151 152

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Siehe Kap. 3. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 2, Bl. 2v; ebenda, Akten Hieber, Nr. 27, fol. l r , 2. Sp. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 95. Namentlich nannte er den Papierer und Schwenckfelder Hans, der ebenfalls aus dem regulären dissidentischen Augsburger Vertriebsnetz der Schwenckfelder seine Bücher bezog, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1555, 18.3; ebenda, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 27. Er wurde allerdings vorher verhaftet, ebenda, Akten Marquardt, Nr. 1, fol. 4V.

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kleinere Bücher für den Gebrauch eines Glaubensanfängers handelte. So wies Schwenckfeld Eiselin 1557 an, dem Meistersänger Holzmann eines seiner kleinen Bücher zu schenken.156 Ansonsten mußten Interessierte wie Anhänger die Druckerzeugnisse bezahlen, um die Kosten wieder einzubringen. Es gab aber noch eine dritte von Schwenckfeldern wie Interessenten häufig genutzte Möglichkeit, die des Ausleihens. Manche Schwenckfelder besaßen eine umfangreiche Leihbücherei. Die Bibliothek des Straßburger Schwenckfelders Michael Theurer bietet dafür ein gutes Beispiel, da sie nach seinem Tod inventarisiert wurde.157 Auffällig ist, daß Theurer von vielen schwenckfeldischen Werken eine hohe Stückzahl besaß, die er in seinem Hause lagerte.158 Darunter waren sehr viele ungebundene Exemplare, aber wenige Manuskripte, was die Aufgabenteilung der späten Straßburger zeigt. Die Handschriften besaß vor allem Sudermann, der sie dann in den Druck gab, während Theurer einige seiner Schriften verkaufte und andere kostenlos zur Verfugung stellte. Diese Mischung aus dissidentischem häuslichen Buchladen und Leihbücherei betrieb auch Leonhard Hieber in Augsburg. Während er selbst sich Bücher über Eiselin für seinen privaten Gebrauch borgte,159 bezog er die Werke, die er anderen lieh, größtenteils über den zusammen mit ihm inhaftierten Unsinn.160 Er selbst lagerte sechzig Exemplare schwenckfeldischer Bücher zur Zeit der Verhaftung in seiner Stube hinter einem Vorhang.161 Hieber machte detaillierte Angaben über die von ihm und anderen belieferten Personen, insgesamt 56 Männer und Frauen erhielten schwenckfeldische Werke.' 62 Allein Abraham Strasser hatte sich 60 Bücher über Hieber beschaffen lassen, die er sicher weiter vertrieb, vielleicht für Wolf und Ott Herwart, bei denen er diente und die ebenfalls Schwenckfelder waren.163 Da die Entleiher die Bücher häufig wiederum an andere Schwenckfelder weitergaben, 164 durchliefen sie von dem ursprünglichen 156

C.S. 15, S. 43. D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 125-127. 158 Von Schwenckfelds Vom Fleische Christi in der von Sudermann organisierten und weit verbreiteten Ausgabe von 1584 besaß er allein fast 100 Exemplare sowie jeweils 68 von zwei Herxheimer-Schriften, D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 127. 159 In seinem ersten Verhör vom 19.9.1553 gab er an, von Eiselin Bücher geliehen zu haben, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelderiana, Akten Hieber, Nr. 13. 160 Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelderiana, Akten Hieber, Nr. 13, fol 2r. 161 Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelderiana, Akten Hieber, Nr. 15, fol. Γ. 162 Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelderiana, Akten Hieber, Nr. 27. 163 Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelderiana, Akten Hieber, Nr. 15, fol. P . Zu Wolf und Ott Herwart siehe C.S. 11, S. 761; Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelderiana, Akten Hieber, Nr. 27, fol. Γ, 1. Sp. 164 Auch Unsinn berichtete von der Weitergabe der von ihm ausgeliehenen Bücher: Er [=Unsinn] hab / Endrißen Wilden / Melchiorn Seckhler vnd Veiten Plabharten schwenckhfeldische puechlin geliehen / aber gemelter Melchior Seckhler habs nach uolgends auch dem Bartholome Trost (Ί) zugesteh, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelderiana, Akten Unsinn, Nr. 1, fol. 3 r . 157

182 Vertriebszentrum, wo die für die Stadt bestimmten Drucke zunächst ankamen, bis zu den Lesern oft viele Stationen, an denen sie zeitweilig aufbewahrt, selbst gelesen und dann weitergegeben wurden. Augsburg blieb auch nach Schwenckfelds Tod wichtig für die Verteilung schwenckfeldischer Werke. Der aus Lindau stammende Buchdrucker Gabriel Lay hatte sich dort niedergelassen und sich auf den Druck und den Handel mit schwenckfeldischer Literatur spezialisiert. Seinem ehemaligen Lehrherrn, dem Tübinger Drucker Eberhard Wild, hatte er Anfang des 17. Jahrhunderts schwenckfeldische und andere radikalreligiöse Werke in einem Faß zum weiteren Versand zugeschickt.165 Auch am Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts waren in der süddeutschen schwenckfeldischen Bewegung Druck und Verkauf arbeitsteilig organisiert. Der Straßburger Daniel Sudermann sammelte zahlreiche Manuskripte von schwenckfeldischen Werken und Briefen,166 die sich zum Großteil bei den von Freybergs fanden oder dort von ihm gelagert wurden. Die Familie von Freyberg betrieb zwar auch eine eigene Druckerei, die sie aber vor allem für den schwenckfeldischen Schul- und Katechismusgebrauch nutzte.167 Die meisten der spätschwenckfeldischen Drucke, die die Familie von Freyberg finanzierte und Sudermann realisierte, wurden in Straßburg, Augsburg und bei dem im schweizerischen Rohrschach arbeitenden Drucker Straub in Auftrag gegeben.168 Die noch nicht gedruckten Manuskripte gab Sudermann einige Zeit vor seinem Tod als literarischen Nachlaß an die drei Nürnberger Schwenckfelder Nikolaus Pfaff, Maria Janin und Johann Khuefuß weiter. Darüber hinaus beauftragte er den Arzt Ludwig Münster damit, die in Nürnberg gelagerten Handschriften in den Druck gelangen zu lassen.169

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Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 2a, Schriftstück Nr. 10, fol. 4V. Vgl. H. Hornung, Sudermann als Handschriftensammler; M. Pieper, Sudermann. 167 1599 wurde sie anläßlich der Verhaftung von Johann Martt in Obergriesingen entdeckt und beschlagnahmt, wie das Kloster Salem 1608 berichtete: Er Herr Georg Ludwig von Freyberg hat auch zue solchem end, sonder, die Jugendt vnd schuolkhinder anzueschüeren, ain truckherey zue Obergriesingen, vnd etliche Schwenckhfeldische büecher zuetrucken angefangen, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), Nr. 4470, fol. 318. 168 Leonhard Straub wurde erst 1600 in Konstanz verhaftet und behauptete, die schwenckfeldischen Werke nicht in seiner neuen Druckerei in Konstanz, sondern nur in seiner Offizin in der Schweiz gedruckt zu haben, da er in Konstanz zum Katholizismus konvertiert sei. Für seine Rohrschacher Zeit sind tatsächlich zahlreiche schwenckfeldische Drucke nachweisbar, von denen er zumindest einen Teil der Auflagen auch noch in Konstanz bei sich hatte, Karlsruhe, Generallandesarchiv, 79/P 12, 24 (Schwabenbücher, Lib. 10 (1600-1603)), fol. 110Γ, 19Γ. 169 Die Verfügungen Sudermanns wiederholte Münster noch einmal 1627 in einem Brief an Khuefuß: Juncker Dan Sudermann, hatt nun alle seine manuscripta, euch dreyen herrn Niclauß [Pfaff], Khuefuß vnd Fraw Maria [Janin] vbergeben welche gewiß thewer vnd whert zu halten, wegen der autographen der Newen zeu=gen Christi C.S. [Schwenckfeld] vnd anderer frommen menner, mich hat er darzu geordnet, alß einen, der mit der zeit zupublicirung derselben, auch ein wenig köndte verhelffen, welchen dienst ich meinem herrn Christo 166

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4.2.4 Früchte des Glaubens Der entscheidende innere Vorgang der Christwerdung mußte nach schwenckfeldischer Auffassung nach außen, im veränderten Lebenswandel sichtbar werden. Es gab einen engen Zusammenhang zwischen Glauben und Leben. Schwenckfelder hielten sich auch hier an eine mittlere Position zwischen Katholizismus und Luthertum: Gute Werke und ein sittlicher, frommer Lebenswandel bewirkten zwar nicht Heil und Erwählung, aber sie waren unabdingbare Folgen des rechten Glaubens, ohne den er nur Heuchelei blieb. Im Leben drückte sich der Glaube aus, andere Anhänger als die, die in Frömmigkeit und Ehrbarkeit lebten, wollte Schwenckfeld nicht.170 Die sichtbaren Früchte deuteten auch auf den rechten Glauben, sie ließen die inneren Glaubensfortschritte nach außen erkennen. Umgekehrt galt, daß ein falscher Glauben auch schlechte Früchte hervorbrachte,171 dieser Zusammenhang wurde am stärksten im 17. Jahrhundert von Daniel Friedrich betont, die Selbstprüfung und die Überprüfung durch andere somit unabdingbar gemacht.172 Mit diesen Vorstellungen war in der Praxis aber keineswegs ein moralischer Rigorismus verbunden. Schwenckfelder praktizierten in Süddeutschland keinen strikten Bann, sondern ließen bei ernsthaftem Bemühen um Besserung auch Menschen zu, deren Lebenswandel keineswegs als untadelig gelten konnte. Schwenckfeld selbst hatte langjährigen engen Kontakt zu Anna Regel, obwohl er von ihrem Ehebruch mit dem Täuferführer Ludwig Hätzer wußte und gelegentlich auch darauf anspielte.173 Auch das Verhältnis des Augsburger Schneiders Sixt

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zu leisten ohne daß auß der pflicht meiner widergeburt schuldig bin, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 232 v . In einem Brief an Sibilla Eiselin von 1545 lehnte er Menschen, die sich der Buße und den Mühen einer Änderung des Lebens nicht unterziehen wollten, als Glaubensgenossen ab: Sonst begere ich keines brüder oder Schwestern / die nicht sich beßeissen Christlich vnd Gott selig zuleben / noch sich in die buse wellen begeben / Sonder allein solche / die die leere Christi vnsers heylands in allen stucken / Sonderlichen aber mit erbarkeit vnd Frommkeit zu eren vnd gutt exempel fürtragen, C.S. 9, S. 634. So begründete auch der schwenckfeldische Kaufbeurer Pfarrer Burkhard Schilling 1544 in seiner Kirchenschrift sein geringschätziges Urteil über die beiden offiziellen Kirchen mit dem Bild von den Früchten, auf die es ankommt: Was darff es aber viel bewerens / man stelle nur bede kirchen deß pabst vnnd des Luthers / sampt allem Jrem glauben vnnd guten wercken / daß ist beede bäum sampt Jren wurtzelen / asten / blätteren vnnd fruchten an die sonne vnd laße nuhr den halben tag dran scheinen so würdt man an Jren fruchten heütt wol sehen wie gutt sie beede seindt / das Ja die eine ist / wie vberdunckteß grab / wölches außwendig hipsch scheinet / aber Jnwendig ist doten bein vnnd alleß vnlust voll, Berlin, Staatsbibliothek Preußische Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 429, fol. 5V. Pfui des Rühmens eines Glaubens bei einem ungerechten Wandel [...] Bilde ihm keiner die Wahrheit ein, wo er keine Liebe hat noch beweiset, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Ε 19 „Sacrarium Philosophiae coelestis", fol. 28, abgedruckt in: E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 41, A. 4. Er sprach mit ihr lediglich auffallend viel über Sünde, Gewissen und Vergebung, siehe vor allem C.S. 8, S. 434-440.

184 Schilling mit Margarethe Katzinger, der Frau eines Glaubensgenossen, führte wohl nicht zum Ausschluß aus der Gemeinde.174 Schwenckfelder hießen ein derartiges Versagen im Kampf gegen das schwache Fleisch zwar nicht gut, aber bei ernsthafter Umkehr und der aufrichtigen Suche nach Vergebung und Erneuerung gab es einen neuen Anfang.175 Bei schwenckfeldischen Junkern stand eine Änderung des Lebenswandels noch weniger zur Diskussion. Die Familie von Freyberg verhielt sich gemäß den Normen und Traditionen landadeligen Lebens - dazu gehörten Jagden, ausgedehnte Feste und immer neue Konflikte mit den zum Teil katholischen Untertanen über Abgaben und Rechte.176 Von einer Kritik an seinem Lebensstil findet sich weder etwas in Briefen von Schwenckfeld noch in denen des sehr viel strengeren Martt, der ebenfalls bei der Familie von Freyberg untergekommen war. Sicher spielte die Rücksicht auf den großzügigen Finanzier und Gastgeber, dessen Schutz man nicht verlieren wollte, eine wichtige Rolle bei der kritiklosen Hinnahme dieses Lebensstils.177 Wo sich die Möglichkeit zu einer Änderung des Lebens bot, ergriffen die Schwenckfelder die Chance, Glauben und Leben in Einklang zu bringen. Sichtbar wird das in Kaufbeuren, wo der schwenckfeldisch beeinflußte Rat178 versuchte, die ethischen Vorstellungen Schwenckfelds mit Mandaten für die gesamte Bürgerschaft in die Tat umzusetzen. In den Jahren 1543 bis 1545 wurde das Bordell geschlossen, bei Trinkgelagen Gäste wie Wirt verhaftet, auch Fastnacht und Gunkelhäuser wurden verboten.179 Der Rat untersagte sich sogar selbst die Feierlichkeiten anläßlich der Steuereinhebung.180 Zudem wurde eine Almosenordnung erlassen.181

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Zum Ehebruch, der auch von der weltlichen Obrigkeit zusammen mit Schillings schwenckfeldischem Glauben verhandelt wurde, s. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1563 b, 21.7., 13.8. (1. und 3. Verhör von Sixt Schilling). 175 C.S. 9, S. 647. 176 F. M. Weber, Justingen; siehe auch Kap. 5. 177 Auch Schwenckfeld lebte einige Zeit bei den von Freybergs bis zur Vertreibung Georg Ludwigs d. Ä. im Rahmen des schmalkaldischen Krieges, siehe F. M. Weber, Justingen, S. 14-20. 178 Zur Frage einer schwenckfeldischen Reformation in Kaufbeuren siehe Kap. 5. 179 Verboten wurden am 9.2.1545 allein die öffentlichen Fastnachtsfeierlichkeiten unter direkter Bezugnahme auf den Glauben und die notwendige Besserung des Lebens, häusliche Feierlichkeiten blieben erlaubt: Jst durch ein Erbern Rathe einhelligklich beschlossen worden dieweil es laider so vbel vnd kümmerlich in der weit stee / auch noch zum tayl zerspaldung in diser Stat sey / vnd doch teglich das worth gottes gepredigt vnd gehört wirdet / derhalb man billich vom bösen abtretten vnd das gut thun soll / dem=nach gar khein offne fasnacht weder mit tantzen noch anderer leichtuerttigkheit als vermummen verklaiden vnd dergleichen gestat. Sonder gentzlich aufgehebt / doch yeden in seinem haus ein zimliche Eerliche freid zehaben vnuerwerdt sein, Kaufbeuren, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Β 4, 1543/62, fol. 43 r . 180 K. Alt, Reformation, S. 64. 181 Kaufbeuren, Stadtarchiv, Hörmann, Stadtchronik, Β 102 I, fol. 478.

185 Almosen zu geben war für jeden einzelnen nach schwenckfeldischer Auffassung Verpflichtung. 182 Schwenckfeldische Früchte des Glaubens umfaßten nicht nur den täglichen Streit gegen das schwache Fleisch, sondern beinhalteten auch Caritas, das Gebot zum Handeln für andere. Die Haupttätigkeitsfelder in diesem Bereich waren die finanzielle Unterstützung von wegen ihres Glaubens in Not geratenen Christen und die Aufnahme von Glaubensflüchtlingen. Gemäß der schwenckfeldischen Auffassung, daß es unmöglich sei, Glauben zu erzwingen, und daher absolute Toleranz im Sinne von Straffreiheit in Glaubensdingen zu fordern sei, unterstützten sie Menschen aller theologischen Richtungen, die wegen ihres Glaubens verfolgt wurden. Die Hilfe für die Gutherzigen, die eigenen Glaubensgenossen, stand allerdings immer im Vordergrund, war erstes Gebot schwenckfeldischer Caritas. Diese Aufgaben wurden nicht von allen Schwenckfeldern übernommen, sondern richteten sich nach den finanziellen und logistischen Möglichkeiten der Anhänger. Besonders Katharina Ebertz und ihre Schwester Cecilia von Kirchen in Isny waren als Geldgeberinnen tätig. Schwenckfeld ermahnte sie nicht nur zum Geben von Almosen an die Armen, sondern bat sie häufig um finanzielle Unterstützung von Verfolgten aller Glaubensrichtungen. 183 Er ging sie auch um Hilfe an, als der Mindelheimer Stadtschreiber Adam Reißner von den in der Stadt regierenden katholischen Herren von Frundsberg 1548 im Zuge des Schmalkaldischen Krieges entlassen worden war und nun Schwierigkeiten hatte, seine Familie zu ernähren. Sie sollten ihm Schreibaufträge zukommen lassen als selbstverständliche Hilfe von Christen untereinander, die nicht erbeten werden muß.184 Die in finanzielle Bedrängnis geratene Familie des 1544 verhafteten Cannstatter Buchführers Neff erhielt von verschiedenen Personen der schwenckfeldischen Gemeinschaft (sogar aus Schlesien) Unterstützungszahlungen 185 ebenso wie der

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C.S. 11, S. 639. Entsprechend engagierte sich Katharina Zell nicht nur passiv im Geben von Almosen, sondern auch aktiv für die Armenfürsorge in Straßburg, siehe D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 136f. C.S. 11, S. 545. Die beiden Schwestern wie auch die Augsburgerinnen Eiselin und Regel spendeten Geld zur Unterstützung protestantischer, nichtschwenckfeldischer religiöser Gefangener in Venedig. Über den schwenckfeldischen K a u f m a n n Philipp Walther hatte Schwenckfeld von den Fällen erfahren und ließ sich auch von Sibilla Eiselin über die Lage der Venezianer auf dem laufenden halten, C.S. 12, S. 14f. Ein vermögender Chris! / wartet nicht biss man von ihm ettwass begeret / So wenig α Iss ein Notturfftiger Christ ettwas von Dem andern heischet / Die Hebe auff gott / ist selbst fürbetrechtig Jnn allem / vnnd kompt zuuor mit Handreichungen / vmbs Herren Christi willen / zuuorab den seinen / vnnd den glaubensgenossen / wa die mangel leiden / oder ettwas bedürffen, C.S. 11, S. 661. Der Augsburger Spitalmeister Braun unterstützte ihn (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 98) ebenso wie der greise schlesische Theologe Valentin Crautwald (C.S. 9, S. 437) und Sibilla Eiselin, die auch eine Supplikation für ihn verfaßte und bei der er sich später durch einen Besuch in Augsburg bedankte (C.S. 11, S. 56).

186 immer wieder vertriebene Johann Martt, dem Hilfe zumeist in Form von Naturalien zukam.186 Stadtbürger und vor allem Junker mit eigenem Territorium, die zumeist weniger den Gefahren einer Bestrafung ausgesetzt waren, nahmen vertriebene oder von Verhaftung bedrohte Dissidenten bei sich auf. Reichsstädtische Bürger bekamen dagegen Probleme mit ihrer Obrigkeit. So wurden Blasius Honold und seine Frau Eva von den Kemptener Behörden 1543 streng und bei Strafe ermahnt, keine Täufer mehr zu beherbergen.187 Auch die Familie von Freyberg half nicht nur den aus dem nahen Ulm und Söfflingen ausgewiesenen schwenckfeldischen Familien, sondern im 17. Jahrhundert auch vertriebenen Chiliasten.188 Im württembergischen Raum nahmen zahlreiche reichsunmittelbare Adelige flüchtende Glaubensgenossen auf,189 die sie oftmals als Verwalter oder Schreiber bei sich anstellten. Die Werte des engen Zusammenhalts, der Unterstützung und des Schutzes, die mit der Zugehörigkeit zu einer Familie, einem Stand oder einer Zunft verbunden waren, wurden von den Schwenckfeldern nicht abgeschafft, sondern auf die Glaubensgenossen ausgedehnt, auch wenn sie aus all diesen gemeinsamen Netzwerken herausfielen und weder der eigenen Familie noch dem eigenen Stand angehörten beziehungsweise nicht einmal Mitbürger und Landsleute waren.

4.3

Familiale Netzwerke

Dissidentische Gruppen, die von ihrer Umwelt verfolgt wurden, neigten dazu, ihre Isolation durch die Stärkung des inneren Zusammenhalts der Gruppe zu kompensieren, indem sie die wichtigsten sozialen Beziehungen in der Frühen Neuzeit190 zu Verwandten, Nachbarn, Freunden oder zu Landsleuten durch Glaubensgenossen ersetzten. Quäker schufen sich beispielsweise eine neue Familie unter den Glaubensverwandten und heirateten dafür sogar unstandesgemäß.191 Täufer gingen noch einen Schritt weiter: Einige verließen ihren andersgläubigen 186

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Er erhielt vor allem von reichsritterlichen Familien aus dem verwandtschaftlichen Umkreis der Familie seiner Frau Zuwendungen in Form von Lebensmitteln, direkt von der Familie von Remchingen aber nur vor der Eheschließung, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 5r, 53r, 56r. Schwenckfeldische Ulmer Handwerker und Mägde boten ihm immer wieder Zuflucht in ihren Häusern, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 2V, 7, 58. Sie waren auch wegen ihres schwenckfeldischen Glaubens vorgeladen worden, Kempten, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 2, 1541-1548, fol. 62 v , 63r. Herausragendes Beispiel für die Aufnahme zahlreicher Flüchtlinge aus allen protestantischen Lagern ist Katharina Zell, siehe D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", fol. 135. Siehe Kap. 6. Siehe Kap. 5. Nach W. Reinhard, Freunde und Kreaturen, S. 35. Prominentestes Beispiel dafür ist die Ehe von Margaret Fell und George Fox, s. B. Ritter Dailey, The Husband of Margaret Fell.

187 Ehepartner, um eine neue geistliche' Verbindung mit einem Glaubensgetauften eingehen zu können.192 Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder distanzierten sich dagegen nicht von ihrer Umwelt. Es stellt sich die Frage, wie es ihnen gelang, die Beziehungen zu den Glaubensfreunden in ihr Leben in der Welt zu integrieren.

4.3.1 Heirat und Ehe im süddeutschen Schwenckfeldertum Mit der Reformation waren die Auffassungen von dem Wert der Ehe gegenüber dem ledigen Leben ebenso ins Wanken geraten wie die theologischen und rechtlichen Implikationen der Eheschließung, also Fragen des Sakramentscharakters, der Gültigkeit oder der Öffentlichkeit der Heirat, umstritten waren.193 Im Gegensatz zu den Täufern, die zum Teil auch die protestantischen Formen der Eheschließung ablehnten und sich somit einer offiziellen Sanktionierung der ehelichen Verbindung entzogen,194 bemühten sich Schwenckfelder durchaus darum, sich in der lutherischen Kirche einsegnen zu lassen und ihre Eheschließung damit zu legitimieren. Sie hatten dabei gelegentlich mit Widerstand von Seiten der kirchlichen Obrigkeit zu rechnen, wie das Beispiel von Jakob Moretzgi aus Memmingen und der Katharina Trautwein verwitwete Hillenson zeigt. Moretzgi bemühte sich an mehreren Orten vergeblich, seine Braut zur Kirche zu fuhren. In Memmingen war der Rat zunächst gewillt, die Eheschließung zuzulassen, zog dann aber nach Protesten der Pfarrer die Genehmigung zurück. Die Pfarrer hatten sich darauf berufen, daß keiner der beiden der lutherischen Konfession angehöre, sie somit nicht zu einer entsprechenden Amtshandlung verpflichtet seien.195 Die Schwenckfelder, die ja keine eigene Kirche zu gründen beabsichtigten, versuchten hier anders als bei der Kindertaufe, die man möglichst umging - mit den andersgläubigen kirchlichen und obrigkeitlichen Behörden zu kooperieren. Eheschließungen ohne Einsegnung lehnten sie ab, das hätte sie zu weit außerhalb der Mehrheit der Gesellschaft gestellt und ein Leben in der Welt erschwert. Eine überdurchschnittliche Zahl von süddeutschen Schwenckfeldern bevorzugte zwar ein lediges Leben, was auch theologisch erwünscht war,196 die Mehrheit war jedoch verheiratet, da sie ja auch in Stand und Beruf verblieben, für die die Eheschließung Voraussetzung war. Schwenckfeld selbst kritisierte solche Entscheidungen bei seinen Anhängern nicht. Angesichts der Wiederverheiratungspläne von Blasius Honold aus Kempten spekulierte er in einem Brief an Eiselin 192 193 194 195

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M. Mattem, Leben im Abseits, S. 34, 105-116, 132. Β. Henze, Kontinuität. M. Mattem, Leben im Abseits, S. 114f. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Beschwerden und Bedenken der Herren Prädikanten, 14.1.1577, fol. Γ. Zum Eheschließungsverbot als obrigkeitliches Straf- und Disziplinierungsmittel siehe Kap. 5. Siehe Kap. 3.

188 1547 verständnisvoll über die Gründe (vielleicht seiner hausshaltung halben). Er sähe es lediglich gern, wenn die Zukünftige gottesfürchtig und nicht zu weltlich wäre. Er ging auch auf Eiselins Betrübnis angesichts des bevorstehenden Todes ihres betagten Ehemanns ein. In spöttischem Ton kritisierte er ihre Trauer und ging selbstverständlich davon aus, daß sie eine neue Ehe schließen würde.197 Verheiratete Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder hatten verschiedene Verhaltensoptionen: Bestand die Ehe schon vor der Konversion zum Schwenckfeldertum, konnten sie ihren andersgläubigen Partner verlassen, ihn zu bekehren versuchen oder die glaubensverschiedene Ehe so weiterleben. Gingen sie schon als Schwenckfelder eine Ehe ein, konnten sie sich einen Ehepartner suchen, der ihren Glauben teilte, oder die Ehe nach anderen Gesichtspunkten schließen und eine unterschiedliche religiöse Überzeugung hinnehmen. Sollten in einer Glaubensehe oder einer glaubensverschiedenen Verbindung Kinder geboren werden, bestand die Möglichkeit, diese an schwenckfeldische Partner zu verheiraten oder die Religion bei der Auswahl der Ehepartner hintanzustellen. Schwenckfelder nutzten fast alle Optionen in unterschiedlicher Häufigkeit, lediglich eine Ehescheidung oder -meidung kam für sie nicht in Frage. Trotz aller Wertschätzung für das ledige Leben war es für sie nicht denkbar, ihren andersgläubigen Partner zu verlassen, wie es etwa die Täufer taten.198 Schwenckfeld äußerte sich deutlich gegen eine Ehemeidung auch in schwierigen Ehen, die wegen der Glaubensfrage zerstritten waren.199 Eine Ausnahme bildete der Fall des Jakob Held. Held arbeitete nahezu ausschließlich für seinen Glauben, begleitete Schwenckfeld auf seinen Reisen oder übernahm diplomatische Missionen in schwenckfeldischer Sache. In Straßburg, wo seine Frau, die aus Düsseldorf stammende Sophie von Kalcken, lebte, war er nur selten. Das Ehepaar hatte sich über Heids schwenckfeldische Glaubensüberzeugung heftig gestritten. Die Gattin interpretierte die häufige Abwesenheit als böswilliges Verlassen aus religiösen Gründen, während sich Held weiter als verheiratet ansah, wenn er auch häufig seine schwierige Ehe beklagte. Sophie von Kalcken versuchte 1547/48 in Straßburg, einen Teil ihres gemeinsamen Vermögens an sich zu bringen mit dem Argument, daß ihr Mann ihr keine Beiwohnung tue, sie heimlich verlassen habe, um den Schwenckfeldern nachzuziehen, und sich seit eineinhalb Jahren bei ihr nicht gemeldet habe. Obwohl Held Hans Wilhelm von Laubenberg und Georg Ludwig von Freyberg als adelige Fürsprecher beizog, erhielt von Kalcken Zugriff auf ihr 197

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Der spöttische Ton ist typisch für die sehr vertraute, intensive Briefbeziehung zwischen Eiselin und Schwenckfeld: Ewers haüsswirts halben / das er bawfellig ist / ist dess alters schuldt / Wie lange wollet ihr ihn denn haben? [...] ir schreibt / Es würde euch denn / nicht mehr lüsten v f f erden zu sein / Da sehet woll auff / wenn er stirbet / vnnd ir euch denn mit ettwa einen Jungen gesellen verheirät / das ich euch nit daran erinnere, etc. Aber der Herre Jesus / wöll allweg ewr rattgebe sein / vnnd euch ie lenger ie mehr zu ihm Jnn sein Reich ziehen, C.S. 11.S.211. M. Kobelt, Aufsässige Töchter Gottes, S. 133-146. C.S. 11, S. 566, 569.

189 Vermögen und zog zu Verwandten nach Köln. Held versuchte 1549 erneut, an seinen Besitz zu kommen und verlangte, daß Sophie zumindest ein offizielles Scheidungsbegehren einreiche, damit er sich dagegen wehren könne.200 Faktisch hatte er seine Frau aus Glaubensgründen also verlassen, indem er nur selten in Straßburg lebte. Einer offiziellen Trennung wollte er aber nie zustimmen, sondern wünschte sich inständig eine bessere Beziehung zu seiner Gattin. Schwenckfeld kritisierte Held 1548, also während des Streits um das Vermögen, dafür, daß er sich bei anderen über seine Ehe beklage, sogar Todessehnsucht ausdrücke und verlangte, daß Held die Ehe als Teil des fur die Christwerdung notwendigen Leidens, als Kreuz interpretierte, um daran im Glauben zu wachsen. Held solle Geduld haben mit seiner Gattin und Nächstenliebe üben.201 Wichtiger war es für Schwenckfeld in glaubensverschiedenen Ehen, daß der andersdenkende Partner dem schwenckfeldischen Gewissensfreiheit ließ und ihn in seiner Religionsausübung nicht behindere.202 Toleranz war das einzige, was Schwenckfeld für wirklich unentbehrlich hielt. Nicht einmal eine konsequente Missionierung, um somit eine Beziehung zu erreichen, in der beide Partner wahre Christen sind, schien ihm so notwendig, daß er in seinen Briefen deutlich dazu riet.203 Zu erklären ist das vielleicht auch dadurch, daß er vor allem mit Frauen korrespondierte, von denen er einen aktiven missionarischen Einfluß auf den Gatten nicht erwartete. So gleichrangig - vielleicht sogar bevorzugt - Schwenckfeld die Rolle von Frauen in der Religion sah, so wenig Interesse zeigte er an einer Veränderung der Geschlechterverhältnisse in der Ehe. In allen weltlichen Dingen hatte die Frau dem Mann Untertan und gehorsam zu sein. So war es für ihn auch unmöglich, Katharina Ebertz ohne die Erlaubnis ihres nichtschwenckfeldischen Mannes zu besuchen.204 Johann Martt hatte im Hinblick auf die Ehe eine andere Auffassung als Schwenckfeld. Er favorisierte das ledige Leben nicht, sondern hielt die Ehe ebenso fur einen von Gott gewollten Stand, allerdings nur die Glaubensehe. Das gemeinsame Bekenntnis war für ihn der entscheidende Aspekt bei der Partnerwahl, dem alles andere nachgeordnet werden sollte. So kritisierte er bei anderen Schwenckfeldern die Wahl eines nichtschwenckfeldischen Partners. 1577 erfuhr er von der Eheschließung der Haiderin mit einem nichtschwenckfeldischen Partner und teilt in einem Brief an Susanna Hornung, Anna Bernhard und Anna Erhart in Ulm mit, daß er eine Eheschließung dieser Art nach der Konversion für einen Abfall vom Glauben und eine Gefährdung der Gemeinde (für die Schwach200

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, S. 234, 245-247, 251 f., 155f„ 258, 260-263, 290. C.S. 11, S. 517-519. Zur Ablehnung der Ehescheidung und der Interpretation der Ehe als Kreuz siehe auch C.S. 6, S. 587. C.S. 9, S. 20, 175,277. Ganz anders dachte Martt, für den eine Ehe von Gott geschlossen und somit nur unter Glaubensgenossen möglich war, siehe unten. C.S. 9, S. 270.

190 gläubigen und fur das Ansehen nach außen) halte, denn ain ieglicher / wie in der her beruoffen hatt / also wandle er / das ist so vil gesagtt / wirdtt ainer oder aine / ain christ oder gläubig im ledigen standi / so soll er im ledigen standi also vnverheyratt wandlen vnd bleyben / wa aber iemandt vnder den gläubigen sich ie verheiyratten woltt / so soll das heyratten im herren / merckhett im herren iesu christo / nach seinem willen mit ainer gläubigen gottferchtigen person geschehen/ dan kain gläubiger hatt machtt vnd erlaubnus sich mit ainer vngläubigen person zuuerheyratten /.20S Er hielt seine Ausführungen zur Ehe sogar für so bedeutsam für die Ulmer Gemeinde, daß er die Adressatinnen anwies, sie an andere ledige Schwenckfelderinnen in Ulm weiterzuleiten.206 Die meisten Schwenckfelder entschieden sich für eine standesgemäße Ehe, die ihrem sozialen und ökonomischen Rang entsprach. Der Glaube war für die Mehrheit von ihnen eher nebensächlich in so zentralen Lebensfragen wie der Eheschließung, bei der sie sich den Erwartungen und Strategien der Verwandtschaft beugten.207 Die befriedigenste Lösung fur eine Eheschließung war jedoch, einen Partner zu finden, der sowohl standesgemäß wie auch schwenckfeldisch war. Andere Wahlen gefährdeten entweder die Glaubensausübung oder führten zu Konflikten mit der ,Freundschafit', zu Besitzverlust oder gar zum Ausschluß aus dem Familienverband.

4.3.1.1 Standesgemäße und unstandesgemäße Glaubensehen Schwenckfeldische Eltern, gleich welcher sozialen Schicht sie angehörten, bemühten sich oft, ihre Kinder zumindest in Familien zu verheiraten, die mit dem Schwenckfeldertum sympathisierten. Gelegentlich gelang das auch dann, wenn nur ein Elternteil zu den Anhängern Schwenckfelds zählte. Das zeigte sich beispielsweise bei den ritterschaftlichen Adelsfamilien in Württemberg. Der württembergische Obervogt Klaus von Grafeneck, selbst allenfalls wohlwollend an Schwenckfelds Lehren interessiert, und seine schwenckfeldische Frau Margaretha Scher von Schwarzenburg verheirateten ihre Kinder standesgemäß und nur zum Teil ihrem dissidentischen Glauben entsprechend. Allein Christine heiratete den Glaubensgenossen Heinrich von Gaisberg.208 Ihre Schwester Susanne ehelichte den herzoglichen Kammermeister und württembergischen Obervogt Wolf von 205

Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. lll v -113 r , Zitat:

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Er kritisierte auch die luxuriöse, nichtschwenckfeldische Hochzeit des Nikolaus Haid, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 28r. Zur Bedeutung der arrangierten, standesgemäßen Eheschließung der Oberschicht in Augsburg, K. Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik, S. 48f. Martt sprach von ihm als einem Christliebenden Junckherrn, der sich mit schwenckfeldischer Psalmauslegung beschäftigte, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ. fol. 427, fol. 54r.

191 Zillenhart, der sich gegenüber religiösen Abweichlern tolerant zeigte, aber kein ausgesprochener Schwenckfelder war.209 Die dritte Tochter Juliane wurde mit dem sich zumindest gegenüber den Behörden überzeugt lutherisch gebenden Carl von Remchingen verheiratet. Sie erzog ihre Kinder in ihrem Glauben und verheiratete auch ihren Sohn Philipp Ruprecht in die schwenckfeldische Familie von Gaisberg, Sohn Gideon ehelichte seine Cousine Margarethe von Zillenhart, während die Tochter Margarete mit Wolfgang von Gemmingen die Ehe einging und die schwenckfeldische Tochter Anne mit einem westfälischen Adeligen verbunden wurde.210 Auch die schwenckfeldischen Mitglieder der württembergischen Familien von Freyberg, von Nippenburg, von Rechberg und von Bubenhofen waren mehrfach durch Heirat miteinander verbunden. 211 Die Beispiele dokumentieren, daß sich Schwenckfelder, wenn es möglich war, zu Glaubensehen zusammenfanden, ausschlaggebend waren aber andere Faktoren. Selbst in der Familie von Freyberg, in der über hundert Jahre lang engagiert schwenckfeldische Religiosität gelebt wurde, war die Ebenbürtigkeit der Ehepartner wichtiger als die Einigkeit in Fragen des Glaubens. So beauftragte Georg Ludwig seinen schwenckfeldischen Gemeindeleiter Martt, Gott zu befragen, aus welcher Konfession (katholische, lutherische, zwinglianische oder täuferische) er seine Ehefrau wählen solle, wie Martt an seine Frau schrieb: Ein schwere bürde ist mir gestern aufferlegt worden von dem von fr. [= Georg Ludwig von Freyberg] für Gott den Herr Jesu Chro soll erkündigen Ob Er ein haußfrawen ausserm Bapstumb / Luth. Zw. od. Teuf, solle nemen / weil Er keine vnsers Bekantnis wisse/ die Ihm vnd seinem stände gemeß sein möchte,212 Es war fur den überzeugten, später für seinen Glauben kämpfenden von Freyberg also völlig undenkbar, wegen der Religion eine unstandesgemäße Ehe einzugehen. Anhand der Augsburger Schwenckfelder, deren Familien zu den Eliten der Stadt zählten,213 läßt sich zeigen, daß man bei den Eheschließungen zwar häufig 209 210

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Er beherbergte Täufer und Schwenckfelder in seinem Gebiet, siehe Kap. 5. Die Schwiegermutter der Schwenckfelderin Sibylle von Freyberg entstammte ebenfalls der Familie von Gemmingen. Inwieweit die von Gemmingen schwenckfeldische Sympathien hegten, ist aber nicht ermittelbar, zu den Eheschließungen s. den Stammbaum der Familie von Remchingen von 1697, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, Β 580, Bü 1378. Dabei handelte es sich um überwiegend protestantische Familien, allein die Familie von Bubenhofen hatte vorwiegend katholische Mitglieder. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 45 v , 46 r . Interessanterweise kritisierte Martt von Freybergs Entschluß nicht, eine standesgemäße Ehe mit einer Nichtschwenckfelderin eingehen zu wollen, obwohl er sonst vehement für die Glaubensehe eintrat. Er fühlte sich vielmehr geschmeichelt, von seinem Gönner als geistliche Führungspersönlichkeit anerkannt und um Rat gefragt zu werden. Die hier zur Oberschicht gezählten Familien gehörten entweder dem Patriziat, den Mehrern oder der Kaufleutestube an, vgl. zur Definition der Augsburger Führungsschichten, W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. XIII f. Die ebenfalls zahlreichen Handwerkerfamilien wurden hier nicht einbezogen, weil in den meisten Fällen weder aus den obrigkeitlichen Quellen noch aus der spärlichen erhaltenen Korrespondenz zu entnehmen ist, welche religiöse Orientierung die Ehepartner hatten. Die obrigkeitlichen Verfolgungen konzentrieren sich eindeutig

192 Glaubensgenossen berücksichtigte, dabei aber in den geschlossenen Heiratskreisen der Oberschicht verblieb. 214 Katharina Sieh hat in ihrer Untersuchung der Augsburger Oberschicht vier Netzwerke ausgemacht, 215 die sie nach der j e w e i l s prominentesten Familie im N e t z benannt hat, mit j e verschiedenen Kriterien: das katholische Fugger-Netz, das sich vor allem aus alten Patrizier-Familien rekrutierte, Verbindungen zum Landadel suchte und erst spät im 16. Jahrhundert als eigenständiges Netzwerk existierte; das der protestantischen Seitz, das nur bis zur Jahrhundertmitte bestand und Zunftmeister aus alteingesessenen Handwerkerfamilien in seinen Reihen hatte; das ebenfalls evangelische Herbrot-Netz der jungen, risikobereiten wirtschaftlichen Aufsteiger, das sehr enge Kontakte untereinander hatte, aber nur w e n i g e Personen umfaßte und nur in den dreißiger und vierziger Jahren bestand, wurde danach v o m vierten Netz, dem größten, offensten und einflußreichsten bikonfessionellen Welser-Netz absorbiert, 216 das auch die neue Bildungselite der akademisch gebildeten städtischen Angestellten zu integrieren vermochte. 217 Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder finden sich in allen vier Netzen, 2 1 8 allerdings mit unterschiedlicher Häufigkeit. Im Seitz-Netz gab es fast keine

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auf männliche Handwerker, nach der Religiosität der Ehefrau wurde selten gefragt. Da auch nur wenige Briefe erhalten sind, ergibt sich hier möglicherweise ein verzerrtes Bild. Der in Kap. 3 geschilderte Fall der Frau des Bernhard Unsinn, die auch nach der Ausweisung ihres Mannes und der Verbrennung seines Bücherbesitzes sich neue schwenckfeldische Lektüre beschaffte, d.h. mit Sicherheit Schwenckfelderin war, weist darauf hin, daß schwenckfeldische Handwerkerfrauen vermutlich in größerem Ausmaß in Augsburg aktiv waren, als ermittelbar ist. Zudem existieren hier keine prosopographischen Vorarbeiten, so daß eine vergleichende Untersuchung der Heiratskreise schwenckfeldischer und nichtschwenckfeldischer Handwerker nicht möglich ist. Mitgau beschreibt anhand von Beispielen aus dem nord- und westdeutschen spätmittelalterlichen Patriziat, wie die Mitglieder der städtischen Oberschicht sich durch abgeschlossene „Heiratskreise sozialer Inzucht" von anderen, insbesondere von den mit ihnen um die politische Macht konkurrierenden Zunfthandwerkern abschotteten und sich erst im 17. Jahrhundert gegenüber den neuen Führungsschichten akademischer Amtsträger der Stadt oder des Territoriums öffneten, H. Mitgau, Geschlossene Heiratskreise. Für Augsburg hat Katharina Sieh festgestellt, daß sich die soziale Zusammensetzung der Eliten zumindest bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts kaum änderte, nur die Macht und Bedeutung innerhalb der vier Führungsnetzwerke verschob sich in den Phasen der konfessionellen Umbrüche zwischen der Reformation, den Verfassungsänderungen nach dem Schmalkaldischen Krieg und der Parität, K. Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik, S. 215f. Sie untersuchte dabei nicht nur die verwandtschaftlichen Beziehungen, sondern auch die Verflechtungskategorien Nachbarschaft',,Wirtschaftsbeziehungen' und .rechtliche Interaktionen'. Die Familienbeziehungen sah sie aber als Gerüst der sozialen Netze, insofern können ihre Ergebnisse zu schwenckfeldischen Heiratsverbindungen in Beziehung gesetzt werden, K. Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik, S. 123. Zum Problem der Anwendbarkeit der Reinhardschen Verflechtungskriterien auf schwenckfeldische Netzwerke siehe unten. K. Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik, S. 123-132. K. Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik, S. 79. Siehe Abb. 1.

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Abb.l

schwenckfeldischen Familien,219 obwohl die Augsburger Gemeinde sehr viele Handwerker in ihren Reihen zählte. Das lag vermutlich daran, daß sich in der Frühzeit der schwenckfeldischen Bewegung, in der das Seitz-Netzwerk hauptsächlich aktiv war, überwiegend Kaufleute und andere Angehörige der Elite für die Lehren Schwenckfelds interessierten, während die Handwerker häufig erst nach der Jahrhundertmitte dazukamen. Ebenfalls nur wenige Schwenckfelder waren im Fugger-Netzwerk vertreten, was vor allem auf dessen rein katholische Ausrichtung zurückzuführen ist. Am stärksten vertreten waren die Schwenckfelder im Herbrot- und im Welser-Netz. Sie fanden sich in starkem Maße bei den wirtschaftlich und bildungsmäßig aufstrebenden Familien, die sich in diesen Netzen mit alteingesessenen Oberschichtfamilien verbanden. In beiden Netzen bildeten aber aus schwenckfeldischer Sicht andere Familien den Mittelpunkt als die von Sieh ermittelten führenden politischen Amtsträger Herbrot und Welser. Für das Knüpfen schwenckfeldischer Netze waren die Familien Kraffter im Herbrot-Netz (über die Eheschließung mit Maria Kraffter, einer Schwester von Sibilla Eiselin, gelangte der Handwerker Herbrot erst in die Kreise der Augsburger Oberschicht) und Haug im Welser-Netzwerk maßgebend zustän-

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Der schwenckfeldische Scheffler Hans Egglhof war möglicheweise verwandt mit der ersten Frau des Mang Seitz, Maria Egelhof.

194 dig. Beide Familien gehören zwar seit der Zeit vor der Reformation der Elite der Stadt an, hatten aber zugleich eine starke Neigung, sich mit Aufsteiger-Familien (wie den Herbrot oder den Eiselin) zu verbinden. Einen Sonderfall stellt schon bei Sieh die Familie Rehlinger dar. Ihr kommt die entscheidende Integrationsfunktion für das Gesamtnetz zu, indem sie als „cutpoint" fungiert. Ohne sie würde das gesamte Verflechtungsnetz der Oligarchie so nicht bestehen, das Herbrot-Netz wäre ohne Verbindung zu den übrigen Teilgruppen des Netzes.220 Wegen der starken Verflechtung der Amtsinhaber der beiden Familien ordnet Sieh die Rehlingers dem Fugger-Netz zu.221 Die schwenckfeldischen Mitglieder der Familie verbinden aber engere Beziehungen zum Welser-Netz (mit Mehrfachverschwägerungen). Betrachtet man die Rehlingers als „cutpoint", ist eine Zuordnung zu einem Teilnetz gar nicht nötig, denn diese Netzwerkakteure agieren als machtvolle Verknüpfer des Gesamtnetzes und der einzelnen Cliquen des Netzes und können Ideen und Beziehungen aus verschiedenen sozialen Kontexten zusammenführen.222 Die schwenckfeldischen Mitglieder nutzten den Handlungsspielraum, den die Familie als Brückenbauer zwischen den Netzen hatte, dazu, relativ offen ihren dissidentischen Glauben zu leben, im Bürgermeisteramt vor der Jahrhundertmitte und in der späteren Zeit, als der konfessionelle Konformitätsdruck viele Mitglieder der Oberschicht zu dissimilierendem Verhalten zwang oder sie sich ganz aus dem Schwenckfeldertum zurückzogen. Die schwenckfeldischen Familienmitglieder verheirateten sich auch auffallend häufig mit adeligen und patrizischen Glaubensgenossen, die nicht aus Augsburg stammten, und öffneten damit das Netz nach außen, was allerdings auch für das Welser-Netz charakteristisch war. Auswärtige Beziehungen knüpfte vor allem der politisch in Augsburg nicht mehr so aktive Teil der Familie, der in dem zum schwenckfeldischen Zufluchtsort umfunktionierten kleinen Weiler Leeder lebte.223 Bei der Verheiratung der Kinder aus Augsburger Familien mit schwenckfeldischen Mitgliedern stand der Glaube eindeutig nicht im Vordergrund. Wie gezeigt, heiratete man im wesentlichen innerhalb der bestehenden Cliquen des Augsburger Gesamtnetzes. Das galt - unabhängig vom Geschlecht - besonders dann, wenn nur ein Ehepartner dem dissidentischen Glauben angehörte. Die Kinder dieser

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Siehe Graphik bei Sieh, Oligarchie, S. 131. Siehe Sieh, Oligarchie, S. 132. Zur Definition und Macht der „cutpoints" in Netzwerken, s. Jansen, Einführung, 91 f. und bes. 100: „Ein Cutpoint-Akteur entzieht sich jedoch der starken Vernetzung mit nur einer Clique. Er steht im Schnittpunkt mehrerer sozialer Kreise, gehört aber keinem so richtig an. Er kann sich den Erwartungen der verschiedenen Gruppen entziehen und eine individualisierte Identität ausbilden. Er ist der typische Abweichler, Modernisierer und Innovateur, der Ideen aus mehreren voneinander getrennten Kontexten zusammenfügt." Dorthin hatte sich Jakob Rehlinger 1552 zurückgezogen. Seine Tochter Concordia heiratete 1560 den Sohn des schwenckfeldischen Adeligen Hans Leopold von Laubenberg, W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 661.

195 Oberschichtfamilien wurden nicht schwenckfeldisch verheiratet. Waren dagegen beide Eltern Anhänger, wurden sowohl Ehen mit standesgemäßen Nichtschwenckfeldern als auch solche mit Schwenckfeldern geschlossen.224 In den kleineren städtischen Schwenckfelder-Gemeinden waren die Mitglieder meistens durch Heirat miteinander verbunden - die Missionierung verlief fast ausschließlich entlang der Linien der Verwandtschaft - , aber auch hier wurde zuerst die Wahrung des Standes betrieben. Die schwenckfeldischen Familien Baumgartner, Ebertz, Erlinger, Büffler und Zolligkoffer aus Isny beispielsweise waren alle miteinander verschwägert und gehörten alle der Oberschicht der Reichsstadt an, sie waren wohlhabende Kaufleute und Inhaber städtischer Ämter. Auffallend häufig waren bei den Glaubensehen Verbindungen über die räumlichen Grenzen einer Stadt oder eines Ritterkreises hinweg: Die Junker der Familie von Laubenberg aus Wagegg bei Kempten heirateten sowohl in die bayerische Familie von Pappenheim als auch in die württembergische Familie von Freyberg sowie in die Augsburger Oberschicht-Familie Rehlinger (die später geadelt wurde).225 Die aus Ulm stammende Helena Streicher ehelichte den in Thüringen beheimateten und am speyerischen und badischen Hof dienenden Glaubensgenossen Friedrich von Watzdorf.226 Der Memminger Bürger Jakob Moretzgi verband sich wie schon erwähnt mit der Ravensburgerin Katharina Trautwein-Hillenson. Diese geographisch ausgreifenden Beziehungen machen deutlich, daß nicht wenige Schwenckfelder die durch ihren Glauben entstandenen bzw. vertieften ganz Süddeutschland umgreifenden Kontakte nutzten, um Ehepartner mit der gleichen religiösen Ausrichtung zu finden. Problematisch waren nämlich unstandesgemäße Beziehungen schwenckfeldischer Eheleute, die dem Glauben eindeutig Vorrang vor den Verpflichtungen des sozialen Standes einräumten. Sie waren sehr selten und wurden nicht nur von den eigenen Familien, sondern auch von den schwenckfeldischen Brüdern und Schwestern kritisch gesehen.227 Das herausragende Beispiel für eine solche Mesalliance ist die Ehe zwischen Agnes von Remchingen 228 und dem ehemaligen 224

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Ein Beispiel dafür sind der Bürgermeister Ulrich Rehlinger und seine Frau Ursula Gossembrot, die ihre Kinder zwar einem schwenckfeldischen Erzieher überließen (siehe unten), sie dann aber nur zum Teil mit Glaubensgenossen verheirateten. Sie verbanden ihre Nachkommen mit den schwenckfeldischen Mitgliedern der Familien Walther, Lauginger und Welser, aber auch mit rechtgläubig-protestantischen Partnern aus den Familien Ehem, Rem und Scheidler, W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 671. Stammbaum nach Gabelkover von Th. Schön, Reutlinger Patrizier- und Bürgergeschlechter, S. 91-93; J. B. Haggenmüller, Geschichte Kempten, Bd. 2, S. 83. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, fol. 233 v . Nach den von mir untersuchten Beispielen ist Mielkes These nicht zuzustimmen, wonach es überdurchschnittlich viele unebenbürtige Beziehungen in schwenckfeldisch gesinnten Adelskreisen gab, H.-P. Mielke, Das süddeutsche Schwenckfeldertum, S. 72. Er gibt - ohne das näher auszuführen oder zu belegen - nur zwei Hinweise auf solche Verbindungen. Die Familie von Remchingen hatte ihre gleichnamige Stammburg im durlachschen Wilferdingen. Die männlichen Familienmitglieder dieses badischen Zweigs waren in badischen

196 katholischen Priester Johann Martt. Wie die beiden sich kennenlernten, ist unklar, vielleicht über die Familie von Freyberg, zu der beide Kontakt hatten. Agnes Bruder Carl unterstützte Martt, der nach dem Verlassen seiner Pfarrei in Altstätten mehrmals vertrieben wurde, vor der Eheschließung materiell.229 Nach der Eheschließung wurde Agnes aus den genealogischen Verzeichnissen der Familie entfernt.230 Wie sehr diese Ehe den geltenden Normen widersprach, zeigen die Schwierigkeiten, die die beiden gesellschaftlichen Außenseiter selbst mit ihrer ehelichen Situation hatten. Agnes artikulierte in ihren Briefen231 häufig ihre Trauer und Einsamkeit angesichts der Tatsache, daß sie nicht nur von ihrer Familie verstoßen worden war, sondern auch noch über ein Jahr von ihrem Mann getrennt lebte. Sie äußerte oft das Gefühl, den Belastungen ihrer Ehe nicht gewachsen und für den standfest und leidensbereit glaubenden Martt keine würdige Gemahlin zu sein. Wegen der Konflikte um ihr Haus in Leeder, das Agnes verlassen, Martt aber verkaufen wollte, machte sie sich Vorwürfe, nicht mit dem Willen ihres Mannes übereinzustimmen. Ende des Jahres 1583 faßte sie ihre Emotionen zusammen: Jch empfind aber in mir keinen fried freud / noch trostP2 Martt deutete diese Gefühle als Anfechtungen des Satans, die sie um so heftiger befielen, da Martt sie aus dem sündigen Stand des Adels befreit habe. Das Motiv des gottlosen Adelsstandes und Agnes' Befreiung durch Gott bzw. durch Martt als Werkzeug des Höchsten benutzte er immer wieder, um ihr und sich selbst die Richtigkeit der von der Umwelt kritisierten unstandesgemäßen Verbindung deutlich zu machen.233 Seine Kritik am adeligen Stand bleibt widersprüchlich vor dem Hin-

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und württembergischen Diensten. Agnes Vater, Daniel von Remchingen, war Obervogt im württembergischen Wildbad und badischer Rat in Pforzheim, wo er sich bis zu seinem Lebensende aufhielt. Agnes Mutter, Katharina Schenk von Winterstetten, starb 1562. Der Vater heiratete daraufhin Maria Grempp von Freudenstein, mit der sich Agnes nicht verstand, was vermutlich mit ihrer Eheschließung zu tun hatte, O. Bickel, Remchingen, S. 56-59. Daß Carl und seine schwenckfeldische Ehefrau Juliane von Grafeneck Martt mit Naturalien in seinem Versteck unterstützten, geht aus einem undatierten Schreiben des noch ledigen Martt an Agnes von Remchingen hervor. Zu diesem Zeitpunkt kannten sie sich wohl schon einige Zeit, denn Agnes besuchte Martt offenbar regelmäßig, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 56 r . Obwohl der Stammbaum der Familie aus dem 17. Jahrhundert auch weibliche Mitglieder enthält, ist Agnes hier nicht verzeichnet, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, Β 580, Bü 1378. Die Eheschließung muß zwischen 1579 (im Januar schrieb er noch als lediger Mann an Anna Erhart, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. lOOf.) und 1581 (im Januar 1582 schenkte Martt Agnes einen kommentierten Psalter und bezeichnete sie in der Widmung als seine Hausfrau, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 117f.) erfolgt sein. Die Briefe von Agnes von Remchingen sind nicht erhalten, Johann Martt gibt aber in seinen Schreiben Teile der Briefe seiner Frau wörtlich wieder, oder er paraphrasiert sie. Martt zitierte hier wörtlich aus einem ihrer Briefe, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 20 r , siehe auch fol. 17v, 24 r . Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol.427, fol. 5V, l l r , 35r.

197 tergrund, daß viele seiner Gönner und Glaubensgenossen, deren Hilfe er immer wieder in Anspruch nahm, und natürlich Schwenckfeld selbst, von Adel waren. Die Nichtebenbürtigkeit der Ehe, wobei die Frau den höheren Rang besaß, hatte Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis. Das wird besonders deutlich in einem Brief, den Martt am 18.7.1583 an seine Frau schrieb. Agnes hatte ihn kurz zuvor besucht, war aber dann nach Leeder zurückgekehrt, wo sie mit Magd und Sohn Hans lebte. Martt fühlte sich allein gelassen und wünschte sich besser betreut untergebracht zu werden, da seine Wirtsleute alle ernst erkrankt und bettlägerig waren. Zudem wollte er seine Frau zu häufigeren und längeren Besuchen veranlassen. Um diese Ziele zu erreichen, stellte er ihr seine Vorstellungen zum Verhältnis der Eheleute vor Augen. Zunächst betonte er, daß der Herr ihm seine Gemahlin als einem mitgehülffen [...] auff mein alter geschenckt.2'4 Diese angedeutete Überlegenheit wich dann der Distanz und hilflosen Unterlegenheit. Martt artikulierte zwar seinen Wunsch, sie wäre länger bei ihm geblieben, betonte aber mehrfach, ihr allein die Entscheidung überlassen zu haben: Ο wie vngern hab ich euch gesehen von hinnen scheiden / Aber ich hab euch ewers Sinnes lassen walten /.235 Er hatte erwartet, daß sie von ihren Standesgenossen, den von Freybergs, vor ihrer Abreise noch eine bessere Unterbringung für Martt beschafft hätte. Hier schien sie die Entscheidungshoheit zu haben, er selbst beschrieb sich als machtlos. Später betonte er eher den Paarstatus, formulierte eine Einladung, die Handlungsmacht lag aber noch ganz bei ihr: Nu wil ichs aber in ewern willen stellen / Ob es sich nicht wolle gebüren daß ihr mich in kurtzem widerbesüchet vnd mit mir rhätig werdet wie wir die herrschaft zu Opfingen widerumb ersuchen wollen.236 Der Ärger über diese verpaßte Gelegenheit brachte ihn während des Briefschreibens dazu, seinen Ton zu verschärfen und sich wieder als dominantpatriarchalisch zu konstituieren, eine Rolle, die er zuvor wegen seiner sozial minderen Stellung nicht mehr für sich beansprucht hatte: sehet euch wol für daß ihr meinem rhat vnd willen nicht widerstrebet Euch selbs oder andern folget. Vnrecht habt ihr gethan daß Ihr von hinnen zogen seit wie vorgemelt.231 Er beschrieb dann, wie er sie im Wachtraum vor sich gesehen habe traurig und weinbar. Daran knüpfte er eine Meditation von christlichen Eheleuten an, die zunächst das Einssein in Gott - an Leib und Seele - zum Gegenstand hatte, aber dann zügig unter Berufung auf die Bibel auf die Herrschaftsverhältnisse in der christlichen Ehe zu sprechen kam, wonach die Frau dem Mann Untertan zu sein habe. Der Kernpunkt seiner Aussagen war die Gefahr der nicht sichtbaren Treuelosigkeit: Ach herre Gott wie tieff hab ich heut dennen Sachen nachgedacht vnd wie schwerlich man sich kann verschulden nicht allein mit eusserlichen wercken handen auch mit denn gedancken des hertzens / da vnder zweien eheleutlin / eins das ander vbel-

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Berlin, Berlin, Berlin, Berlin,

Staatsbibliothek Staatsbibliothek Staatsbibliothek Staatsbibliothek

Preußischer Preußischer Preußischer Preußischer

Kulturbesitz, Kulturbesitz, Kulturbesitz, Kulturbesitz,

Ms.germ.fol. Ms.germ.fol. Ms.germ.fol. Ms.germ.fol.

427, 427, 427, 427,

fol. fol. fol. fol.

7r. T. T. 8r.

198 uerdenckt sich im gemüt von ihm scheidet / sein gern ledig wär / oder war daß eins das ander nie gesehen vnd erkant het.23S Die hier deutlich werdenden Verlustängste, die sowohl von dem Altersunterschied, seine Frau war wesentlich jünger als er,239 als auch von ihrem höheren Stand herrührten, steigerten sich durch die Abwesenheit der Gemahlin, die dadurch seiner Kontrolle entzogen war. Diese Ängste drückte er auch in späteren Schreiben aus, indem er ihr unterstellte, sie sehne sich nach der Ruhe, die sie bei einer Heirat mit einem Adeligen, einem Weltmenschen oder einem anderen Glaubensgenossen, hätte haben können,240 auch ihre Verwandtschaft hätte sie sicher gerne wieder aufgenommen, wenn nur er nicht dabei gewesen wäre.241 Im Anschluß an die Erinnerung an ihre Gehorsamspflicht und die Gefahren der unsichtbaren Herzenssünden betonte er, daß er selbst es noch nie bereut habe, sich mit ihr verbunden zu haben, womit er seiner Unsicherheit im Hinblick auf ihre Haltung erneut Ausdruck verlieh.242 Hatte Martt hier versucht, seine eheliche Autorität wiederherzustellen und ihren Gehorsam zu erreichen, akzeptierte er aber eine aus dem Standesunterschied resultierende Umkehrung der Geschlechterrollen auf dem Gebiet der materiellen Versorgung. Wie schon geschildert, erwartete er, daß sie ihre Herkunft nutzte, um ihnen einen gemeinsamen neuen Zufluchtsort zu sichern. Sie sollte gleichzeitig den Hausverkauf in Leeder und die Verhandlungen mit der dortigen Herrschaft allein regeln, als 1583 auch sie selbst wie zuvor schon Martt von der Ausweisung bedroht war. Ganz explizit erklärte er sie zur Ernährerin und Versorgerin: Zu dem hat euch der Herr Chrs mir armen zugefügt / daß ihr in zeitlichen sachen für mich sollet sorgen / wie Er euch denn auch darzu gnad gibt,243 Seine Gemahlin fühlte sich überfordert. Sie akzeptierte seine Rollenzuweisung nicht und beschwerte sich, alle weltlichen Geschäfte blieben an ihr hängen.244 Sie wertete zudem den Standesunterschied unter umgekehrten Vorzeichen, indem sie nicht ihren Vermögens- und Familienverlust sah, sondern Martts Vertreibung und elende Unterbringung auf ihre Person zurückführte, wie Martt aus einem ihrer Briefe wörtlich zitierte: Mir ist immerdar/ Ich sei ewer trewe nicht werdt / vnd müsset ihr etwo also vmb meinet willen im eilend sein vnd viel leiden.24S Martt deutete auch das wieder als satanische Anfechtung und belehrte sie darüber, daß 238 239

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 8V. Am Ende des Briefes führte er die beiderseitigen Mißverständnisse auch auf den Altersunterschied zurück, darauf daß sie in ihrer Jugend nicht verstehen könne, daß er nicht mehr so belastbar sei wie früher und der Hilfe mehr bedürfe, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 9V. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 34r. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 23r. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 9r. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 29r. Martt wies das zurück: Jhr thut mir in deme vnrecht / daß ihr mich beschuldiget Ich lasse alles auff euch Ilgen, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 28 v . Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 45r.

199 Gott ihre Ehe verordnet habe, entzog sie somit der menschlichen Verfügungsgewalt und Bewertungsmöglichkeit. Dennoch fühlte sich Agnes ihm gegenüber, obwohl im Geburtstand überlegen, in der Leidensfähigkeit und auf dem Weg der Christwerdung nicht ebenbürtig. Sie unterschied also schwenckfeldisch dualistisch zwischen dem äußeren Stand und dem inneren Glaubensvorgang und legte den Schwerpunkt der Ehepartnerschaft auf den inneren Aspekt.246 Selbstverständlich machte die unstandesgemäße Verbindung nicht nur Schwierigkeiten im Verhältnis der Eheleute untereinander, sondern isolierte sie auch sozial, zusätzlich zu der Verfolgung, die sie ohnehin wegen ihres dissidentischen Glaubens zu gewärtigen hatten. Wie schon erwähnt, hatte die Familie von Remchingen Martt vor der Heirat durchaus wohlwollend unterstützt. Nach der Hochzeit brach die Verbindung zu den Brüdern zunächst ganz ab. Carl weigerte sich entschieden, mit seiner Schwester Kontakt aufzunehmen, wollte weder etwas von ihr sehen noch wissen und ihr natürlich auch keinen Teil ihres Vermögens zukommen lassen.247 Sogar seine Frau Juliane von Grafeneck, selbst eine überaus standfeste Schwenckfelderin, kritisierte die Eheschließung. 248 Hier endete die schwenckfeldische Caritas, das Gebot, in Not geratenen Glaubensgenossen zu helfen. Schwenckfeldische Normen wurden hier von den Standesnormen überlagert. Aber nicht nur adelige Verwandte, sondern auch nicht verwandte Schwenckfelder niedrigeren Standes hießen die Verbindung wegen der sozialen Ungleichheit nicht gut. Die Frau des Ulmer Handwerkers Pfitzenmayer hatte die Heirat zunächst nicht nach Christlicher liebe art gedeuttet, sondern kritisiert.249 Einige Zeit nach der Eheschließung besuchte sie Martt jedoch, woraufhin dieser sich für seinen Schritt erneut rechtfertigte und ihr noch einmal seine Sicht des Unterschieds zwischen einer weltlichen Ehe und einer Glaubensehe erklärte, für die verunsicherte Gemahlin legte er seine Argumentation gegenüber der Pfitzenmayerin noch einmal brieflich detailliert dar: Jch hab mich meines heurats halb gnugsam erclert / daß ich allein für Gott vnd nicht für der weit geheiratet hab / vnd bekenne / daß ich für der weit gar vnrecht gethan habe / Aber Got lob nicht für meinen Herren Chro / der sei mein vnd ich sein / vnd ich frage gar nichts darnach wie vns die weit richte /.25° Die Pfitzenmayerin entschuldigte sich daraufhin damit, daß sie diese Unterscheidung anfangs nicht recht habe treffen können und akzeptierte Martts Sicht. Die ebenfalls in Ulm lebende Barbara Haug hatte sogar kritisiert, daß aus der Verbindung der beiden sozial Ungleichen ein Kind hervor-

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Zeitweilig war sie sogar so unzufrieden mit ihrer Glaubensschwachheit, daß sie von Martt verlangte, daß er ihr nicht mehr schreibe und seine Fürbitten für sie einstelle, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 47. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 5r. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 28 r . Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 28'. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 28 r .

200 gegangen war,251 weswegen die Martts die zweite Schwangerschaft zunächst verschwiegen.252 Aber auch dieser Dissens konnte beigelegt werden. Selbst die Schwägerin Juliane nahm trotz aller Kritik den Kontakt wieder auf. Ihr Mann bewahrte wohl zumindest die schwenckfeldischen Schriften seiner Schwester auf, denn Sudermann berichtete, daß ihm ein Werk, das Agnes gehört hatte, über den von Remchingen zugekommen sei.253 Die Schwenckfelder tolerierten nach einer Gewöhnungszeit offenbar die Entscheidung ihrer Glaubensschwester. Martt verlegte weltliche Dinge, die nach Ansicht anderer Schwenckfelder in den säkularen, glaubensirrelevanten Teil des Lebens gehörten und daher mit den dort geltenden Normen der Ständegesellschaft zu beurteilen waren, wie die Eheschließung, nach innen, in den glaubensrelevanten Bereich. Gott handelte, indem er Glaubensgenossen zusammenführte und nur das war die einzig mögliche Form der Verbindung von Mann und Frau. Ansonsten hatte man ledig zu bleiben. Standesunterschiede waren dagegen äußerliche Aspekte des Lebens, hier also irrelevant. Obwohl er die Ehe in den Bereich des Glaubens integrierte, um seine Verbindung zu Agnes für sie beide lebbar zu machen, kamen die Eheleute damit nur schwer zurecht.

4.3.1.2 Glaubensverschiedene Ehen Eheschließungen zwischen Partnern der gleichen sozialen Zugehörigkeit, die aber nicht beide Anhänger Schwenckfelds waren, kamen häufiger vor als die unstandesgemäße Glaubensehe. Wie schon dargestellt, waren sie zwar fur schwenckfeldische Lebens- und Glaubensvorstellungen nicht problematisch, Schwierigkeiten machte aber die nichtschwenckfeldische Umwelt. Schließlich handelte es sich nicht um bikonfessionelle Ehen zwischen Katholiken und Protestanten, wie sie im 16. Jahrhundert häufiger vorkamen, sondern ein Partner gehörte einer nicht tolerierten häretischen Glaubensrichtung an. In den Erwartungen, die die Familien der nichtschwenckfeldischen Gatten wie auch die Obrigkeit an den orthodoxen Eheteil hatten, machten sie Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Zwei Beispiele von glaubensverschiedenen Eheschließungen innerhalb der Reichsritterschaft sollen die Differenz in der Beurteilung der Handlungsmöglichkeiten von Männern und Frauen im folgenden demonstrieren. Der Lutheraner Carl von Remchingen heiratete die Schwenckfelderin Juliane von Grafeneck. Beide stammten aus angesehenen ritterschaftlichen Familien, die Väter hatten Ämter im Herzogtum Württemberg inne.254 Carl wurde 1577 Ober251 252

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ. fol.427, fol. 10r. Das trug ihnen allerdings wieder die Kritik der Ulmer und Freyberger Schwenckfelder ein, die meinten, die Martts mißtrauten ihnen, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 25r. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.qt. 343, fol. 343r. Daniel von Remchingen war Obervogt im württembergischen Blaubeuren, in Göppingen und Neuenbürg, W. Pfeilsticker, Neues Württembergisches Dienerbuch, Bd. 2, §2210,

201 vogt in Blaubeuren. 255 Dem Ortspfarrer fiel selbstverständlich auf, daß seine Frau nicht zur Kirche ging. Obwohl sie nicht missionierte, war wegen ihrer Herkunft (als Tochter der Margaretha Scher von Schwarzenburg) auch ohne Verhör schnell klar, daß sie Schwenckfelderin war. Die Angelegenheit wurde mehrfach im gesamtwürttembergischen Synodus behandelt. Am 13.2.1580 erging ein Schreiben des württembergischen Herzogs an Carl, in dem man ihn für die religiöse Überzeugung seiner Frau ebenso wie für das Fernbleiben des Gesindes von der Predigt verantwortlich machte - Juliane teilte angeblich dem Gesinde für die Gottesdienstzeit Arbeiten zu, weswegen sie nicht kommen konnten. Sein Dienstherr verlangte von ihm, solche Religion bey Jr Eintweders abzuschaffen / oder im fhall nitt / andere ineuentum / gleich auch angedeütten verEnderung zu gewartten.256 Die angedeutete Konsequenz war seine Entlassung aus dem Obervogtamt, die mit einem weiteren herzoglichen Schreiben vom 22.3.1580 tatsächlich für den Juni ausgesprochen wurde.257 Von Remchingen versuchte sich mit verschiedenen Argumenten zu verteidigen, ein Scheitern seiner Autorität als Ehemann formulierte er nicht, sondern es wird deutlich, daß er die Herrschaft über die innere religiöse Überzeugung seiner Gemahlin nicht zu seinen eheherrlichen Aufgaben zählte. Er habe sich zwar bemüht, sie vom rechten Glauben zu überzeugen, Solchs aber [...] stehett in meiner wilcur vnd gerechtt / allein nitt / sonder fürnamlich in gottes gnediger guette vnd Barmhertzigkaitt.25S Er hoffe weiterhin, daß sie bekehrt werde, aber es stehe eben allein in Gottes Macht. Das war eigentlich eine schwenckfeldische Grundüberzeugung: Den Glauben kann niemand erzwingen, da Gott allein im Menschen handelt. In Carls Formulierungen ist eine gewisse Nähe zu schwenckfeldischem Denken spürbar, die sich aus der schon erwähnten Sammeltätigkeit schwenckfeldischer Werke ergibt. Die Weigerung bzw. das Eingeständnis, nicht in das Gewissen eines anderen hineinregieren zu können und es auch nicht als seine eheherrliche Aufgabe zu begreifen, kann jedoch ebenso lutherisch gedeutet werden, als Internalisierung reformatorischer Theologie mit ihrer individualisierten Gottesbeziehung. Die Vorwürfe, die sich nicht gegen die innere, religiöse Haltung seiner Gemahlin richteten, sondern ihre Handlungen betrafen, wies Carl von Remchingen als Verleumdungen und Mißverständnisse zurück. Die Predigt versäume sie nur, weil

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2344, 2655. Er befand sich später auch in badischen Diensten; Klaus von Grafeneck bekleidete mehrere württembergische Obervogtämter (zwanzig Jahre vor Daniel von Remchingen in Blaubeuren, dann in Kirchheim und Schorndorf), W. Pfeilsticker, Neues Württembergisches Dienerbuch, Bd. 2, §2208, 2482, 2759. W. Pfeilsticker, Neues Württembergisches Dienerbuch, Bd. 2, §2210. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146, Akten zur Entlassung Carls von Remchingen, Nr. 1, fol. 1. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146, Akten zur Entlassung Carls von Remchingen, Nr. 2. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146, Akten zur Entlassung Carls von Remchingen, Nr. 1, fol. T .

202 sie häufig krank sei, auch ihr Gesinde halte sie keineswegs von der Predigt ab, sondern beide Ehepartner ermunterten es zum Kirchgang.259 Wegen seiner Fähigkeiten als Obervogt setzten sich verschiedene Vertreter der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit für sein Verbleiben im Amt ein, der Herzog ließ sich aber nicht umstimmen. Erst einige Jahre später erhielt Carl einen neuen Dienst als Obervogt, die erneute Bestallung war wieder an das Verhalten von Juliane geknüpft. Kanzler und Vizekanzler waren der Meinung, daß man Juliane am ehesten aus dem Irrtum fuhren könne, wenn man Carl wieder einen Dienst geben und mit bestimmten Auflagen fur seine Gemahlin verbinden würde. Hofprediger Lukas Oslander schlug in einer Notiz für den Herzog vor, zur Bedingung zu erheben, daß sein von Remchingen hausfr[au] wurde zuesagen oder sich zum wenigsten dahin erclären / dz sie ohne ergernuß Jm land / vnd bey künfftig seinen diensten wollte leben / nitt allein Niemanden zu ihrem ihrthumb vrsachen geben / besonders die Predigten des wortts gottes besuchen / vnd dadurch allso ihr zue rechtem Christlichen verstand verhellffen zue lassen /.260 Der Herzog ließ entsprechend an Carl schreiben, wobei er aber deutlich darauf hinwies, daß er es sehr wohl als Carls Pflicht und in seinen Möglichkeiten als Ehemann stehend betrachtete, seine Frau zum rechten Glauben zu bringen. Für den Herzog stand offenbar die Gehorsams- und Konformitätspflicht des Amtmannes mehr im Vordergrund als die individuelle, unbeeinflußbare Gottesbeziehung. Hätte er recht gehandelt - im Sinne des Herzogs —, wäre ihm seine Stellung zuvor erhalten geblieben: Wann wir dir dann mitt allen gnaden wolgewogen / vnd vor der zeit liebers mecht wol leiden mögen/ daß du durch abschaffung der bewusten Verhinderung / deiner hausj[rau] widerwerttigen vnd ärgerlichen erzeigung / auch steiff behartten Jrrsaals / in vnserm damahlen gehapten diensten verbliben /.261 Religiöse Zugeständnisse des Ehepaares sind nicht erhalten, Carl wurde aber wieder in württembergische Dienste aufgenommen, obwohl seine Frau weiter ihren schwenckfeldischen Glauben lebte. 1590 als Obervogt von Wildberg erneut wegen des Schwenckfeldertums seiner Gemahlin zur Rede gestellt, bot er lediglich als eine Art Kompensation an, selbst mit den Kindern umso häufiger die Predigten besuchen zu wollen.262 Juliane agierte vorsichtig. Schon in Blaubeuren war sie nie offen für ihre religiöse Überzeugung aktiv geworden. Sie hatte weder missioniert noch mit den Bewohnern des Orts über religiöse Themen gesprochen oder gar Konventikel 259

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Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146, Akten zur Entlassung Carls von Remchingen, fol. 1-3. Am Rand wollte Oslander noch einfügen, daß sie die Predigten besuchen solle, soviel es ihr möglich sei. Dieser Teil wurde aber gestrichen, vermutlich erkannte er selbst, daß die Formulierung Juliane diverse Ausfluchtsmöglichkeiten eröffnet hätte, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 145b, Lukas Oslanders Notiz vom 24.12.1583. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 145b, Konzept des herzoglichen Schreibens vom 24.12.1583. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 647.

203 abgehalten, was sowohl ihr Mann als auch der Abt und der örtliche protestantische Pfarrer, die sich für den Verbleib von Remchingens eingesetzt hatten, betonten.263 Nach der Entlassung ihres Mannes wurde sie noch vorsichtiger und kompromißbereiter und besuchte sogar gelegentlich die lutherischen Predigten im neuen Dienstort Wildberg, womit sich die württembergische Obrigkeit zufrieden gab.264 Kontakte zu Glaubensgenossen unterhielt sie nur außerhalb der Dienstorte ihres Mannes, insbesondere zu Schwenckfeldern in Ulm und im Gebiet der Familie von Freyberg, mit der die von Remchingen verschwägert waren. Ferdinand von Freyberg hatte die Familie auch eingeladen, nach Carls Entlassung aus dem Blaubeurener Amt in einem seiner Häuser in Obergriesingen zu wohnen. So geschützt im Herrschaftsbereich des schwenckfeldischen Freiherrn konnte Juliane ihren Glauben offener leben.265 In glaubensverschiedenen Ehen wurden Frauen und Männern gemäß dem von ihnen erwarteten Rollenverhalten von der nichtdissidentischen Umwelt unterschiedlich bewertet. Von den rechtgläubigen Ehemännern wurde verlangt, daß sie ihre schwenckfeldischen Frauen zur Abkehr von ihrer dissidentischen Überzeugung brachten, nicht heterodoxe Ehefrauen sah man dagegen als potentielle Opfer und ihre Männer als häretische Verführer. Wegen des Machtgefälles in der Ehe nahm man an, daß die Ehefrauen ihren eigenen konformen Glauben kaum würden bewahren können. Das traf aber keineswegs das Selbstverständnis schwenckfeldischer Ehepartner, die ihren Gatten allenfalls schwenckfeldische Lektüre und 263

So führt Carl in seinem ersten Verteidigungsschreiben an den Herzog aus: Also kan sie auch hierinnen ander Leutten / der vrsachen vmb so vil desto weniger Ergerlich sein / weil sie vff E.f.g. haus zu Blaubeüren von meniglichen abgesündertt / (ohne Jren Rhum zu vermelden) still vnd Eingezogen / nitt ander leütten schlechtte kundtt / vnd gemainschafft halttet / sonder daheimen merertails Jrer hausge-schefften vswartten thutt / vnd waißßirwhar das kein mensch in gantzem Blaubeüren zufinden / deß mitt grundt vnd warhaitt sagen werd künden / sie mein L[iebe] hausfraw / die vier Jar her so ich bej dem amptt gewesen / des glaubens halb Jemalen dz wenigst wortt gerett hette. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146, Akten zur Entlassung Carls v o n Remchingen, Nr. 1, fol. Γ . Abt und Pfarrer hatten sogar Nachforschungen angestellt, aber auch sie fanden keine Hinweise auf schwenckfeldische Zirkel, die von Juliane geleitet worden wären: So Jst auch sie sein hausfraw vff dem Schlößlin Ruckh in solitudine / vnnd künden nit Jn gewüsse erfarung kommen / daß sie mit ainigem mentschen Mann oder Weibspersonen ausser dem Stättlin oder der ganntzen Vogtey / Jrer opinion Halber einiger Conuenticulum oder gesprech hallte / , Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146, Akten zur Entlassung Carls von Remchingen, Nr. 6, Abt und Pfarrer an Herzog, 13.9.1580, fol. l v .

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Man kann ihm [=Carl von Remchingen] nicht tun, muß also zugesehen werden, und weil sie in die kirchen get, auch keinen Zugang hat, möchte unser lieber herr und gott noch gnade geben, daß sie gewonnen werde. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 647. Der württembergische Synodus teilte hier also Carls Auffassung, daß man nur äußere Konformität erzwingen könne, in das Innere von Juliane aber nicht hineinzuregieren vermöge. Das Verhältnis zu Carls Schwester A g n e s und dem nicht standesgemäßen Schwager Johann Martt entspannte sich in dieser Zeit. Man korrespondierte wieder miteinander, siehe z.B. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, 22 v .

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204 Glaubensgespräche anboten, mit durchaus wechselndem Erfolg. Georg Ludwig von Freyberg heiratete zunächst die katholische Barbara von Pfirdt, die zeitlebens bei ihrem Glauben blieb und ihn auch ausübte. Offenbar lebte jeder Partner in seinem Bekenntnis, ohne daß es zu Konflikten kam. Barbara von Pfirdt stand in Justingen ein katholischer Priester zur Verfügung.266 Dieser wurde entlassen und durch einen lutherischen ersetzt, nachdem die katholische Gemahlin verstorben war und Georg Ludwig 1589 Barbara von Eberstein ehelichte. Sie war die (Stief-)Tochter des lutherischen Obervogts von Urach, Stephan von Eberstein, und der Margaretha, Gräfin von Dietz. Die Eltern der Braut waren zunächst sehr zurückhaltend gegenüber dem Werben des dissidentischen Barons, da sie fürchteten, Georg Ludwig werde die Tochter nach einer Eheschließung zu seiner Sekte bringen.267 Das württembergische Konsistorium, dem der Fall vorgelegt worden war, befand unterschiedlich über die Verbindung. Der Hofprediger Oslander befürwortete die Heirat, da er eine Konversion Georg Ludwigs für möglich hielt und konfessionsverschiedenen Ehen im allgemeinen nicht ablehnend gegenüberstand. Mit biblischen Beispielen begründete er seine Ansicht, daß Gott sogar Ehen zwischen Heiden und Christen nicht verboten habe. In diesem Fall sei eine Gefährdung des Seelenheils des orthodoxen Ehepartners noch weniger zu erwarten, da Georg Ludwig sich von Anfang an erboten habe, Barbara einen eigenen lutherischen Pfarrer zuzugestehen und für seine Besoldung zu sorgen.268 Sein Kollege Johannes Magirus war anderer Auffassung, hielt er doch konfessionsverschiedene Ehen generell für gefährlich. Ausgehend von einem ihm persönlich bekannten Fall, in dem eine protestantische Frau nach der Eheschließung mit einem Katholiken nach kurzer Zeit durch katholische Bücher und Bilder dazu gebracht worden war, die Messe zu besuchen, riet er dazu, Georg Ludwig zumindest dazu zu verpflichten, seiner Gemahlin keine schwenckfeldischen Bücher zuzuschieben,269 Als sich die Eltern der Erwählten zunächst standhaft weigerten, ihn als künftigen Schwiegersohn zu akzeptieren,270 wandte sich Georg Ludwig an den würt266 267

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Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), Nr. 4470, fol. 499. Mielke meint, daß die Eheschließung nur so zu erklären sei, daß von Eberstein in seiner Zeit als Kammergerichtspräsident (seit 1571) in Speyer unter den Einfluß des schwenckfeldischen Bischofs von Speyer, Marquard von Hattstein, geraten sei. Daher habe er seine Tochter an die Hand des Schwenckfelders gegeben, H.-P. Mielke, Das süddeutsche Schwenckfeldertum, S. 68f. Angesichts der anfänglichen deutlichen Ablehnung der Ehe durch beide Eltern (siehe unten), die nur durch die Intervention des Herzogs besänftigt werden konnte, und ihrer Bemühungen, die Orthodoxie der Tochter zu sichern, scheint mir ein schwenckfeldischer Hintergrund bei den Brauteltern unwahrscheinlich. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, Nr. 3: Georg Ludwig von Freibergs Heirat mit Barbara von Eberstein 1588/1589, hier: Brief von Lukas Oslander an Herzog Ludwig, 9.11.1588, fol. 57-59. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, Brief von Johannes Magirus an Lukas Oslander, 29.11.1588, fol. 60f. Der Bücher-Passus wurde tatsächlich in die schriftliche religiöse Selbstverpflichtung Georg Ludwigs aufgenommen. Die Haltung der Eltern ergibt sich aus dem Briefwechel zwischen Oslander und Graf Stephan, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 62-65.

205 tembergischen Herzog Ludwig und bat ihn, ihm bei der Werbung behilflich zu sein. Diesem Wunsch kam der Herzog nach, aber erst im Februar 1589 konnte eine Einigung erzielt werden, die sich in zwei religiösen Selbstverpflichtungserklärungen der Brautleute niederschlug, die sie am 21.2.1589 eigenhändig niederschrieben. 27 ' Barbara gelobte darin, das ich bey solcher religion / ihn welcher ich erbohren vnd aufferzogen ihn deren allein ich auch selig zu werden verhoff / die tag meines lebens / ihn lieb vnd laidt / bestendiglich zuuerharren / mich auch daruon durch Niemanden / auff ein andern religion oder glauben / bewegen oder absuchen zuelaßen / endtlich gedenckh.212 Georg Ludwig versprach im Gegenzug, seiner künftigen Gemahlin einen lutherischen, vom Konsistorium examinierten Pfarrer anzustellen, sie nicht mit einschlaichung widriger büecher / weder heimblich noch öffentlich zu beschweren oder ihrem Glauben sonst hinderung zu tun.273 Der Glaube seiner Gemahlin wurde juristisch präzise mit augspurgischen Anno 1530 über=raichten Confession angegeben. 274 Georg Ludwig achtete darauf, daß positiv wertende Ausdrücke im Zusammenhang mit dem Bekenntnis seiner Verlobten gestrichen wurden: So wurden aus der Erklärung Wörter wie rein, unverfälscht, christlich und gottselig als Adjektive zur Religion der Confessio Augustana wieder entfernt. Während die Toleranz gegenüber dem Glauben des Ehepartners für den Schwenckfelder kein Problem darstellte, war die Frage der religiösen Kindererziehung bis zuletzt umstritten. Georg Ludwig ließ seine Auffassung, daß die Kinder im Glauben des Vaters, also schwenckfeldisch, erzogen werden müßten, mit in seine Erklärung aufnehmen, verschwieg aber auch den Widerstand von Barbaras Mutter nicht. Beide Seiten hatten sich entschlossen, den Herzog um Rat zu fragen und seinen Entschluß als verbindlich anzuerkennen. Dieser drang auf eine lutherische Taufe und Erziehung, was Georg Ludwig in seiner Erklärung ausdrücklich als verbindlich anerkannte und an Eides statt zu halten gelobte.275 Der Schwenckfelder hatte also für diese Eheschließung weitrei271

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Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 74 (Erklärung der Barbara von Eberstein), fol. 77-85 (Erklärung des Georg Ludwig von Freyberg). Weber gibt für die Erklärung Georg Ludwigs falschlich den 2.2. als Datum an, F. M. Weber, Justingen, S. 68. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 74r. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 78 r . Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 78 r . Später im Text wurde dann noch das Konkordienbuch miteinbezogen: die auspurgische Confession / wie sie Anno dreissig Keyser Carlin ybergeben / auch Jn dem Concordj buoch begriffen Vnd widerholtt alß vnder beeden der einen Jm heiligen Rom: Reich zugelaßnen Religion, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 80v. Nicht einmal spätere geistliche und weltliche Rechtsänderungen, Entscheidungen von Konzilien oder gar kaiserliche Dispensationen sollten ihn von seinen gelobten Verpflichtungen befreien können, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 84. Die Erklärung Schloß mit der feierlichen Versicherung: Dass zu wahrem vnnd vestem vrkhundt mich vnnd Meine Erben damit zubesagen / habe hochgedachtem Meinen gnedigen Fürsten vnnd herrn zuo Württemberg Jch mit handtgegebner trew an eines geschwornen aidts statt zugesagt vnnd versprochen / disem allem / so oben geschriben stehet / vest vnnd ohnuerbrüchlich nachzukommen. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 85 r .

206 chende Zugeständnisse gemacht, und die Brauteltern fühlten sich nun endlich genügend versichert, der Eheschließung zuzustimmen. Die Hochzeit fand Anfang April in Justingen statt. Oslander selbst nahm die Einsegnung vor. Er hielt am Hochzeitsabend eine Eheermahnung, die die weltlichen Rollen in der Ehe betraf und in der Fragen des Glaubens nicht berührt wurden.276 Am darauffolgenden 6.4.1589 folgte die eigentliche Hochzeitspredigt, die von dem Bräutigam Christo und seiner Braut, der Gemeinde, handelte. Oslander nutzte die Gelegenheit, die Kernpunkte schwenckfeldischen Glaubens anzugreifen, ohne das Schwenckfeldertum explizit zu erwähnen. So äußerte er sich ausführlich gegen die schwenckfeldische Christologie und betonte demgegenüber die wahre Menschennatur Christi, die auch nach der Auferstehung erhalten geblieben sei.277 Die Gemeinde als Braut könne, so Oslander, nur durch einen ordinierten Pfarrer zum Bräutigam Christus geführt werden. Ausführlich legte er die Notwendigkeit einer verfaßten Kirche dar und verteidigte sie gegen die von Schwenckfeldern häufig geäußerte antiklerikale Kritik vom schlechten Lebenswandel der Kleriker, die ihre Botschaft damit selbst entwerteten und somit dem Seelenheil hinderlich seien.278 Oslander betonte auch die Bedeutung der von den Schwenckfeldern als nicht notwendig betrachteten Wassertaufe (allerdings ohne auf die Frage der Kindertaufe einzugehen)279 und begründete, warum sich die frommen Christen nicht von der Ortsgemeinde, obwohl sie auch hartnäckige Sünder enthalte, absondern und eine andere Versammlung besuchen dürften.280 Schon vor der Eheschließung bemühte sich das Konsistorium sehr engagiert, einen geeigneten Pfarrer für Barbara von Freyberg in Justingen zu finden. Die Kandidaten mußten vor dem Konsistorium und zum Teil vor dem Herzog selbst eine Probepredigt halten, ihre Gelehrsamkeit und ihr Lebenswandel wurden untersucht.281 Schließlich wurde der aus Nördlingen stammende Pfarrer Kaspar Lutz mit dem Amt betraut, der nach dem erhaltenen Briefwechsel zu urteilen nicht vom Konsistorium vorgeschlagen worden war. Georg Ludwig hatte ihn wohl selbst ausfindig gemacht und für geeignet befunden.282 Alle vertraglichen und personellen Absicherungen halfen jedoch nichts. Spätestens zwei Jahre nach der Eheschließung bekannte sich Barbara zum Schwenck-

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Stuttgart, Landesbibliothek, Fam.Pr. 20738, Β 1-B 4. Stuttgart, Landesbibliothek, Fam.Pr. 20738, C 3-D 1. Schwenckfelder gingen von der Vergottung des Fleisches Christi aus. Stuttgart, Landesbibliothek, Fam.Pr. 20738, D 2-D 4. Stuttgart, Landesbibliothek, Fam.Pr. 20738, D 4-E 1. Stuttgart, Landesbibliothek, Fam.Pr. 20738, Ε 1-E 4. Es sind einige Briefe zwischen den Kandidaten, dem Konsistorium und dem württtembergischen Hof erhalten, in denen die Vor- und Nachteile der verschiedenen Pfarrer diskutiert wurden, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/54, Bü 59, fol. 86-100. Nach Weber wollte Georg Ludwig vermutlich einen Geistlichen anstellen, der eine gewisse Toleranz gegenüber dem Schwenckfeldertum mitbrachte, F. M. Weber, Justingen, S. 69f.

207 feldertum. 283 Das geht aus einem Brief vom 3.10.1591 hervor, den sie an ihre Mutter aus Anlaß der Geburt und Taufe der Tochter Johanna Felicitas schrieb. Margaretha von Eberstein hatte nicht nur selbst auf Besuche bei der Tochter verzichtet aus Argwohn über Barbaras religiöse Orientierung, sondern auch ihren anderen Kindern jeden Kontakt zu ihrer schwenckfeldischen Schwester untersagt, was Barbara kritisierte. Sie nahm ihren Mann gegenüber dem Vorwurf der Missionierung in Schutz in der Annahme, daß man ihm vorwerfen würde, seine Versprechungen gebrochen zu haben. Stattdessen stellte sie sich selbst als Handelnde dar, die den Inhalt schwenckfeldischer Bücher und die mündlichen Reden der Gutherzigen geprüft habe und nichts darin habe finden können, was gegen die reine göttliche Lehre sei.284 Die Mutter unterstellte dennoch, daß allein der Gemahl die Schuld an der religiösen Abtrünnigkeit der Tochter trage und seine eidesstattlichen Versprechung nicht gehalten habe.283 Letzteres traf zumindest in Bezug auf die Kindertaufe zu. Georg Ludwig und Barbara ließen alle ihre Kinder von einem schwenckfeldischen Pfarrer taufen, auch der erste, 1590 geborene Sohn Wilhelm Ludwig wurde schon durch Hans Georg Schid getauft. 286 Barbara ließ sich nicht beirren und blieb zeitlebens aktive Schwenckfelderin an der Seite ihres Mannes. Die Mutter stellte nach dem Brief vom Oktober 1591 jeden Kontakt zur Tochter ein.287 Die Herkunftsfamilie brach hier mit der schwenckfeldischen Tochter nicht wie im Falle von Remchingen wegen sozialer Unterschiede, sondern allein wegen der Glaubensfrage. Daß Georg Ludwig seine Frau mit seinem Glaubensverständnis bedrängte, ist extrem unwahrscheinlich, da er seine erste Frau mit eigenem Geistlichen bei ihrer Religion belassen hatte und vor der Eheschließung mit Barbara weitreichende rechtliche Verpflichtungen einzugehen bereit gewesen war. Auch die schwenckfeldische Vorstellung vom Handeln Gottes im Menschen, das einen religiösen Zwang ausschloß, macht ein aktives Missionieren Georg Ludwigs unwahrscheinlich. Schwenckfelder lebten mehrheitlich in glaubensverschiedenen Ehen und erwarteten und erhofften von ihren Partnern lediglich, ihnen die Freiheit zu lassen, 283

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Exakt läßt sich ihre Konversion nicht angeben. Es war wie im Schwenckfeldertum üblich wohl eher ein langsames Hineinwachsen in den Glauben ihres Gemahls. Ihre Mutter verwies in einem Schreiben an Oslander vom Oktober 1591 darauf, daß Barbara ihr in einem früheren Brief noch orthodox erschienen sei, in dem die Tochter ihr von den Kirchen- und Abendmahlsbesuchen sowie ihrer Treue zur lutherischen Religion berichtet habe, Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 717 Nr. 6a, Schriftstück Nr. 3. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 717 Nr. 6a, Schriftstück Nr. 1. Siehe auch Kap. 3. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 717 Nr. 6a, Schriftstück Nr. 3. Das hatte der von Herzog Ludwig mit Erkundigungen über die Taufe der Tochter Johanna betraute Vogt Abraham Volmar von dem Hofmeister der von Freybergs erfahren, Ebenda, Schriftstück Nr. 2. Der lutherische Pfarrer in Justingen wurde dabei einfach übergangen. Schid gebrauchte nach dem Bericht des lutherischen Paten Hans Ulrich von Remchingen ein abweichendes Ritual, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 651. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 717, Nr. 6a, Schriftstück Nr. 3.

208 ihre eigene Glaubensüberzeugung leben zu können. Dieselbe Toleranz, die sie einforderten, gewährten sie auch. Ein extremes Beispiel religiöser Zugeständnisse ist das Verhalten der Straßburger Schwenckfelder Urban Kleiber und Veit von Helffenstein. Sie erlaubten ihren lutherischen Ehefrauen sogar, die gemeinsamen Kinder lutherisch taufen zu lassen. Sie blieben während der Zeremonie allerdings zu Hause.288

4.3.2 Religiöse Erziehung Nicht alle Schwenckfelder waren mit der rituellen und inhaltlichen Einbindung ihrer Kinder in eine andere Konfession so widerstandslos einverstanden wie Kleiber und von Helffenstein. Wie gezeigt war eine Taufe durch einen Schwenckfelder und eine dementsprechende Erziehung für den Baron von Freyberg sehr wichtig. Auffallig ist, daß viele Kinder aus gemischtreligiösen Ehen den Glauben des dissidentischen Ehepartners annahmen. Dabei hatten die Frauen einen besonders starken Einfluß auf die religiöse Entwicklung der Kinder beiderlei Geschlechts. Obwohl Carl von Remchingen mit seinen Kindern regelmäßig den lutherischen Gottesdienst an seinen Dienstorten besuchte, gelang es der Mutter, zumindest den Sohn Philipp Ruprecht und die Tochter Anne im schwenckfeldischen Glauben zu erziehen.289 Auch die Schwenckfelderin Margaretha Scher von Schwarzenburg bemühte sich erfolgreich um eine schwenckfeldische Erziehung, ihr Gemahl stand ihrem Glauben allerdings zumindest wohlwollend gegenüber. Der prägende Einfluß der Mutter auf die religiöse Bildung der Kinder war nicht auf den ritterschaftlichen Adel beschränkt. Auch die Frau des protestantischen Augsburgers Markus Schweigger, Regina Kraffter, sorgte für die schwenckfeldische Erziehung ihrer Kinder. Dafür wurde eigens der Schwenckfelder Johannes Haid als Lehrer eingestellt.290 Weitgehend unklar bleibt, wie eine religiöse Unterweisung und Erziehung der Kinder zu Schwenckfeldern im einzelnen aussah. Es existieren keine Kinderlehren von Schwenckfeldern mit Ausnahme der Schriften des Landauer Pfarrers Johannes Bader (1470-1545), der die Kinder möglichst früh zum rechten Glauben bringen wollte.291 Es gibt aber keinen Hinweis darauf, daß Schwenckfelder Baders Schriften benutzten. 288 289

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D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 105. Beide hatten Kontakte zum Martt-Kreis. Philipp Ruprecht fiel den württembergischen Behörden auf, weil er die Gottesdienste nicht besuchte, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146, Schriftstücke Nr. 1-6. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1563 b, 11.8. (2. Verhör Sixt Schilling). Bader verfaßte den ersten protestantischen Katechismus, das „Gesprächbüchlein" 1526, J. P. Gelbert, Baders Leben und Schriften, S. 122f. 1544 ließ er eine zweite Kinderlehre in Druck gehen, die nun deutlich schwenckfeldische Züge trug (besonders in der Erläuterung von Taufe und Abendmahl), J. P. Gelbert, Baders Leben und Schriften, S. 255-258. Zwar ist im Titel der Schrift erwähnt, daß sie sich an die Landauer Jugend richtete, im Vorwort ist aber allgemeiner von einer Anleitung zum Glauben die Rede, die auch einen erwachsenen Adres-

209 Schwenckfeld selbst gab wenig Hinweise zur religiösen Unterweisung der Jüngsten. Wie Kinder zu den theologischen Besonderheiten des schwenckfeldischen Glaubens hingeführt werden sollten, darüber machte Schwenckfeld sich offenbar keine Gedanken. Theologie war für Schwenckfeld eher der Lernstoff der Erwachsenen, die die Lehrschule Christi besuchten, die nicht für Kinder konzipiert war. Seine wenigen Bemerkungen zur Kindererziehung galten mehr dem Lebenswandel, der von den weltlichen Vergnügungen abgewandt sein sollte, und einer allgemeinen Erziehung zur Gottesfurcht. Denn die Kinder waren nicht den Eltern und der Welt, sondern Gott geboren, der den Eltern sogar mit Strafen drohe, wenn sie den Kindern die Ehrfurcht vor dem Höchsten nicht vermittelten.292 Es war Schwenckfeld aber wichtig daraufhinzuweisen, daß die Lehrer der Kinder nicht nur gelehrt, sondern rechtgläubig im schwenckfeldischen Sinne sein sollten. Denn die Lehre Christi sei leichter zu erlernen für die jungen Gottförchtigen hertzen, wenn sie noch nicht so viel mit falscher Lehre befleckt worden seien.293 Genauer äußerte sich Martt zur Kindererziehung, schließlich hatte er selbst Kinder und seine Frau lebte mit dem erstgeborenen Sohn Hans längere Zeit von ihm getrennt. Sie berichtete ihm wohl davon, wie sie und ihre schwenckfeldische Magd ihn erzogen und lehrten. Martt riet dazu, den Jungen intellektuell nicht zu überlasten: Vnser liebes henselin übertreibet nicht mit lernen / denn es ihme mercklichen schaden am gewechse des gedechtnis kan bringen vnd würdet hernach wenn Er scheid sein sollte recht thoricht.29A Wie Schwenckfeld betonte Martt, daß man die Kinder mit Gebeten zur Furcht des Herrn erziehen solle, nicht

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satenkreis angesprochen haben konnte: Es hat der fromme Patriarch Abraham sonderlichen großen Lobe von Gott dem Herrn in heiliger Schrift [...] erlangt, daß er seine Kinder und Samen nach ihm in wahrer Gottseligkeit anzuhalten, und zu fördern ernsthaftig und getreu gewesen ist. Auf daß nun solch holdselig Exempel und lobenswürdiger Handel auch bei uns ins Werk bracht werden mächt, wie dann die göttlichen Ermahnungen ernstlich druf drängen und die frommen gutwilligen Christen, die sonst nichts Bessers wissen, doch ein Form und Anleitung in der Hand hätten, wie es angegriffen werden muß; so sein diese christliche Schulerstücklin zusammengelesen und in gegenwärtige Ordnung gestellt worden, mit demüthiger Bitte zu allen gottesfürchtigen Menschen, es wolle sich ein jeglicher nothdürftiger Christ dieses kleinen Werklins nicht anders dann zu Lobe Gottes und zu seinem eigenen Heile und des Nächsten Besserung gebrauchen. J. P. Gelbert, Baders Leben und Schriften, S. 255f. Der Form nach ist es ein Katechismus für den Schulgebrauch, Gelbert vermutet, er sei für die älteren Kinder bestimmt und setzte die Kenntnis des Lehrwerks von 1526 voraus, J.P. Gelbert, Baders Leben und Schriften, S. 257. Die von Schwenckfeld selbst verfaßten Schriften, die er „Catechismus" nannte, sind dagegen eindeutig für erwachsene Lernende konzipiert worden und haben mit Kinderlehren auch der Form nach nichts gemein, C.S. 4, S. 216-38 (Catechismus von etlichen Hauptartikeln des Glaubens), C.S. 9, S. 451-493 (Catechismus vom Wort des Creützes). Auch die 1546 erstmalig von Schwenckfeld gedruckte Katechismus-Schrift von Werner (Ain neuwer recht christlicher Catechismus für die Kinder Gottes) wurde wohl nicht von Heranwachsenden genutzt, C.S. 9, S. 737-757. C.S. 9, S. 203; C.S. 10, S. 26. C.S. 5, S. 529; 548. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 22 r .

210 mit Strenge, sondern mit Sanftmut und Geduld.295 Dem Neffen seiner Frau, Philipp Ruprecht von Remchingen, schickte Martt 1584 als Neujahrsgabe ein schwenckfeldisches Passional. Er hielt den Jungen für besonders geistlich begabt, ein kind des gebets, der durch die Lektüre zur Erneuerung der Seele und zur Wiedergeburt zum ewigen Leben geführt werden sollte.296 Bei Martt konnten sich also auch schon Kinder auf den schwenckfeldischen Weg der Christwerdung, in die Lehrschule Christi begeben. Einen weiteren Hinweis auf den Inhalt religiöser Erziehung und die dazu benutzten Materialien liefert die erste schwenckfeldische Schule im Herrschaftsgebiet der Familie von Freyberg, die Daniel Friedrich 1573 in Justingen gründete. In der Druckerei des Barons wurden dafür eigens Exemplare von Schwenckfelds Schrift „Vom christlichen Streit" angefertigt, die Friedrich in seinem Unterricht neben ebenfalls dort gedruckten Neuen Testaments-Büchlein benutzte.297 Friedrich erzog auch den jüngeren Sohn Michaels von Freyberg, Hans Pleickhart, der nach einer Elementarausbildung allerdings in Straßburg in eine städtische Schule gegeben wurde.298 Einige Schwenckfelder gaben ihre Kinder in die Obhut von Glaubensgenossen. Der schwenckfeldische Pfarrer Alexander Höldt hatte immer private Schüler, die bei ihm im Haus lernten und lebten. So hatte sein schwenckfeldischer Berufskollege Burkhard Schilling zwei seiner Söhne zu ihm in den Unterricht gegeben. 1541 nahm er sie wieder zu sich. An Höldts religiöser Unterweisung hatte er zwar nichts auszusetzen, wohl aber an der Fürsorge. Da die Kinder Läuse hatten, schloß Schilling auf Vernachlässigung. Höldt, der um seinen Ruf als Privatlehrer fürchtete, versuchte sich schriftlich vor den Cannstatter Glaubensgenossen zu verteidigen.299 Nicht als Schülerin, sondern wohl eher, um ihrer Glaubensschwester zu helfen und beizustehen, kam Helena Streicher300 1541 nach dem Tod ihrer Mutter in das Haus der Sibilla Eiselin nach Augsburg, die sich ihre Anwesenheit gewünscht hatte, da ihr Mann im Sterben lag. Zu dieser Zeit war Helena dem Kindesalter schon entwachsen. Sie lebte viele Jahre im Hause der Witwe Eiselin, somit ist nicht von einem herkömmlichen, auf die Ehe vorbereitenden Dienst auszugehen, wie er in der Mädchenerziehung der mittleren sozialen Schichten üblich war.301

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 26 r . Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 54 v . E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 28f. A. 4. Die Bücherangaben gehen aus den Stiftsrechnungen von 1584 hervor, F. M. Weber, Justingen, S. 55. Auf welche Schule man ihn brachte, ist nicht überliefert. Friedrich war aber an dieser Entscheidung mit Sicherheit beteiligt. Er brachte ihn selbst 1584 zusammen mit seinem Vater und seinem Onkel nach Straßburg, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 28 r . Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 76f. Helena war eine Schwester der Ulmer Ärztin Agatha Streicher. R. Dürr, Ausbildung, S. 198.

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Helena unterstützte Sibilla eher bei ihren religiösen Verpflichtungen für die schwenckfeldische Gemeinschaft, wie aus den Briefen Schwenckfelds an die beiden ledig lebenden Frauen hervorgeht.302 Daneben war Sibilla, Mündel des schwenckfeldischen Augsburger Juristen Markus Zimmermann, bei der Eiselin in Diensten. Sibilla Zimmermann wurde im Testament ihrer Dienstherrin - wie bei Mägden üblich - mit einem Legat bedacht.303 Sie war vermutlich als junges Mädchen eine Zeit lang bei der Witwe in Stellung, um die Haushaltsführung bei ihr zu erlernen. Inwieweit sie dort auch religiös erzogen wurde, ist nicht ersichtlich.304

4.3.3 Rechtliche Beziehungen Für die Untersuchung von sozialen Beziehungen im Schwenckfeldertum müssen nicht nur verwandtschaftliche Verbindungen in Betracht gezogen werden, auch Interaktionen auf dem Gebiet des Privatrechts sind hier aufschlußreich. 305 Hingegen spielen Patenschaftsbeziehungen bei den süddeutschen Schwenckfeldern keine Rolle. Sie standen der Wassertaufe im allgemeinen und der Säuglingstaufe im besonderen distanziert gegenüber und lehnten es daher in der Regel ab, Patenämter zu übernehmen. Zudem stehen die entsprechenden Quellen meist nicht zur Verfügung, da die erhaltenen Kirchenbücher größtenteils erst nach dem Untersuchungszeitraum beginnen. Relevant sind vielmehr Pflegschaften, Alters- und Geschlechtsvormundschaften, Testamentsvollstreckungen und Zeugenschaften bei Rechtsgeschäften. Die Quellenlage ist sehr unterschiedlich. Soziale Beziehungen über Rechtsgeschäfte lassen sich nur für Augsburg und in einigen Einzelfällen für andere Orte ermitteln. Vormundschaften und Pflegschaften wurden gewöhnlich von Verwandten ausgeübt und sind daher „stets ein Indikator für aktuelle interne Familienbeziehungen. Sie können als besonderes Indiz für enge Sozialkontakte angesehen werden."306 Als Vollstrecker eines Testaments wurden oft Verwandte eingesetzt, aber Ausnahmen waren nicht so selten wie bei den Pflegschaften. Bei den Zeugen war es hingegen üblich, nicht verwandte Personen zu beauftragen, da es rechtlich Bedingung war, daß die Zeugen nicht im Testament bedacht worden waren oder in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Erblasser standen.307 Dominierten in den Rechtsbeziehungen mit Ausnahme der Testamentszeugenschaft familiäre Bezie-

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C.S. 11, S. 499f.; 761; 944f.; 948-952.; noch 1554 war sie in Ausburg, C.S. 13, S. 969. Augsburg, Stadtarchiv, Notariatsarchiv Spreng Nr. XVIII, 8.5.1578, fol. 5V. Im Testament wurde auch erwähnt, daß sie Eiselin gedient hatte. Städtische Oberschichtsangehörige als Mägde waren nach der Untersuchung von Dürr eher selten, R. Dürr, M ä g d e in der Stadt, S. 154f. Daher erscheint eine Kombination aus hauswirtschaftlicher und religiöser Arbeits- und Lernzeit nicht ganz unwahrscheinlich. K. Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik, S. 56-64. K. Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik, S. 59. K. Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik, S. 61 ff..

212 hungen, galt bei Schwenckfeldern das Primat der sozialen Verbindungen zu Glaubensgenossen. Es wurden gelegentlich auch verwandte oder verschwägerte Personen mit den Aufgaben betraut, aber auch sie waren meist Schwenckfelder. Dabei wurden vertrauenswürdige Glaubensbrüder oft mehrfach von verschiedenen Gemeindemitgliedern im Rahmen von Rechtsgeschäften herangezogen. In Augsburg fungierten der schwenckfeldische Arzt Tobias Kneulin und sein Glaubensgenosse, der Gärtner Melchior Bader, 1582 als Scheinpfleger der Witwe des Feilenhauers Hans Katzinger bei einem Gartenkauf.308 Margarethe Katzinger wählte also einen Handwerker und einen Akademiker, die keinen verwandtschaftlichen Bezug zu ihrer Familie hatten. Die beiden Pfleger wurden von Glaubensgenossen bei weiteren Rechtsgeschäften um Mitwirkung gebeten. Bader war 1580 Zeuge des zweiten Testaments der Sibilla Eiselin,309 während Kneulin in ihren beiden Vermächtnissen als Vollstrecker fungierte310 und auch Testamentszeuge der aus Ulm stammenden und in Leeder lebenden Magd Susanna Hornung war. Er stellte ihr für die Testamentsabfassung in Anwesenheit des Notars und Schwenckfelders Johann Spreng auch sein Haus in der Reichsstadt zur Verfugung.311 Mehrfach als Testamentszeugen fungierten zudem der Kürschner Martin Küenle und der Lodweber Ulrich Meges.312 Wiederholt in rechtlichen Interaktionen für die Augsburger Gemeinde tätig war der zweite Testamentarier von Sibilla Eiselin, der aus Ravensburg übergesiedelte, mit Sibilla verschwägerte Kaufmann Burkhard Hillenson. Er übernahm auch die Pflege der Kinder von Karl Widemann.313 Für seine eigenen Kinder wurden dagegen ausschließlich verwandte und verschwägerte Familienmitglieder eingesetzt, sowohl schwenckfeldische als auch lutherische.314 Der Straßburger Daniel Friedrich bestimmte die Personen, die für Frau und Kind sorgen sollten, selbst im Testament und wählte eine Mischung aus Verwandten und Glaubensgenossen. Neben seinem Bruder Samuel sind einige Glaubensfreunde erwähnt, die nicht nur aus der Straßburger Gemeinde stammten. Der pfälzische Schwenckfelder Daniel Herxheimer und der niederländische Jurist Aggaeus von Albada sollten Friedrichs Witwe beraten. Die wichtigsten Aufgaben kamen seinem Freund und Landsmann Daniel Sudermann zu. Er wurde mit der Pflege von Frau und Kind ebenso betraut wie mit der Verwaltung von Friedrichs literarischem Nachlaß.315 Eine Ausnahme von diesem Muster stellte der Augsbur-

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Augsburg, Stadtarchiv, Kleine Pflegschaftsbücher Nr. 6 (1577-1582), S. 323. Augsburg, Stadtarchiv, Notariatsarchiv Spreng, Nr. XXIII, 31.8.1580, fol. 2 r . (Reinhard berücksichtigt nur dieses zweite Testament von Eiselin, W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 103). Augsburg, Stadtarchiv, Notariatsarchiv Spreng, Nr. XVIII, 8.5.1578, fol. 7 r ; Nr. XXIII, 31.8.1580, fol. 8 r . Augsburg, Stadtarchiv, Notariatsarchiv Spreng, Nr. XXXVIII, 22.2.1588, fol. l r , 2V. Beide bezeugten die beiden Eiselin-Testamente und die Verfugung von Hornung, Augsburg, Stadtarchiv, Notariatsarchiv Spreng, Nr. XVIII, XXIII, XXXVIII. W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 961. W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 294. E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 31.

213 ger Kaufmann und Mehrer Anton Haug dar. Obwohl seine Frau Schwenckfelderin war, setzte sich hier wohl die rechtgläubige Verwandtschaft durch und betraute mit der Pflege seiner Kinder nur nicht dissidentische Verwandte. 316 Bei den Geschlechtsvormundschaften hatten die betroffenen Frauen wohl mehr eigene Mitwirkungsrechte als bei der Auswahl der Pfleger ihrer Kinder.317 So ist bei der Witwe Katzinger ausdrücklich vermerkt, daß sie ihre Scheinpfleger, die Schwenckfelder Tobias Kneulin und Melchior Bader, selbst gestellt habe.318 Auch die 1582 ausgewiesene Ulmer Magd der Agatha Streicher, Anna Steter, hatte einen Glaubensgenossen als Pfleger, den Marner Jörg Pfitzenmayer. 319 Auch außerhalb Augsburgs wurde gerade bei Testamenten darauf geachtet, Glaubensgenossen mit der Ausführung des letzten Willens zu betrauen und als Zeugen einzusetzen. Der Memminger Buchhändler Jakob Weiß bezeugte das Testament der bis zu ihrem Tod in der Reichsstadt lebenden Magdalena von Laubenberg. Die Ärztin Agatha Streicher machte drei Ortsfremde zu Ausführenden ihres Willens, die Brüder Michael Ludwig und Ferdinand von Freyberg und den Augsburger Juristen Markus Schweigger, einen Neffen der Sibilla Eiselin. Hier war es unabdingbar, Schwenckfelder zu wählen, da sie einen von Agatha eingesetzten Fonds für notleidende Glaubensgenossen nach eigenem Ermessen verwalten sollten.320 Auffallend ist nicht nur die Einsetzung von nichtverwandten Glaubensbrüdern in Rechtsgeschäften, sondern auch die Tatsache, daß hier standesübergreifende soziale Beziehungen manifest wurden. Die Ratsherrenwitwe Sibilla Eiselin setzte als Testamentierer einen Arzt und einen Kaufmann ein, als Zeugen aber ausschließlich Handwerker. Die Magd Susanna Hornung engagierte als Zeugen sowohl den Arzt Kneulin als auch einige Handwerker. Der Gärtner Bader agierte als Testamentszeuge für die Oberschichtangehörige Eiselin und zugleich als Scheinpfleger der Standesgenossin Katzinger. Anders als bei den Eheschließungen, bei denen die soziale Zugehörigkeit Vorrang vor der Religionsbindung hatte, stand bei den rechtlichen Beziehungen entgegen den sonst üblichen Gepflogenheiten die Übereinstimmung im Glauben im Vordergrund. Die natürliche Verwandtschaft wurde erweitert um die Religions-

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W. Reinhard (Hg.), Eliten, S. 246. Das war nicht immer der Fall. Der aus Straßburg stammende Arzt Johann Ludwig Münster bestimmte in seinem Abschiedsbrief 1646, der allerdings kein formelles Testament war, den Nürnberger Glaubensbruder Peter N e e f zum Pflegevater und Kurator seiner Kinder für den Fall, daß nach ihm selbst auch seine Frau starb. Offenbar sollte sie ansonsten für die Vormundschaft Sorge tragen, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 233 r . Augsburg, Stadtarchiv, Kleine Pflegschaftsbücher Bd. 6, 22.2.1582, S. 323. Ulm, Stadtarchiv, A 3530 (Ratsprotokolle), Bd. 37, fol. 333 v . Ulm, Stadtarchiv, A Rep. 2, Bd. 10, fol. 1290. Agatha Streicher war nach den überlieferten Testamenten von süddeutschen Schwenckfeldern die einzige, die den Hauptteil ihres Besitzes nicht an verwandte oder verschwägerte Personen vererbte.

214 verwandten, und es wurden Netzwerkbeziehungen zwischen Schwenckfeldern der Oberschicht und der mittleren Handwerkerschicht geknüpft. Die Unterschiede zwischen Eheschließungen und rechtlichen Beziehungen bei schwenckfeldischen Netzen bedingen, daß die Reinhardschen Verflechtungskategorien nicht nur wegen der Datenlage, sondern auch aus inhaltlichen Gründen nur eingeschränkt angewandt werden können. Während Sieh bei ihrer Untersuchung der sozialen Beziehungen der Augsburger Oberschicht postulieren kann, daß sich „für die Gruppenzugehörigkeit die Kategorien Familie und Verwandtschaft, rechtliche Interaktionen, Wirtschaftsbeziehungen und Nachbarschaft als konstitutiv" erweisen, gilt das für die Schwenckfelder nicht in gleichem Maße. Die Augsburger Schwenckfelder bildeten ein eigenes standesübergreifendes Netzwerk der Brüder und Schwestern im Glauben. Daneben stellten sie Verbindungen zu verschiedenen weiteren Netzwerken her. Rechtliche Beziehungen und Heiratsverbindungen verweisen gerade nicht auf die gleichen Netzwerke, wie das in Siehs Analyse der Fall ist. Das Verhalten der Schwenckfelder im Knüpfen sozialer Beziehungen zeigt auch einen Unterschied in der Wertigkeit der Verflechtungskriterien, die Sieh schon andeutet, wenn sie Verwandtschaft als „Fundament" der Netze bezeichnet:321 Bei den verwandtschaftlichen Beziehungen verbleiben Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder in ihren angestammten sozialen Netzwerken, die rechtlichen Interaktionen weisen aus diesen Kreisen hinaus und suchen auf diesem sozial weniger beachteten und daher weniger riskanten Feld der Zeugen- und Pflegschaften den Kontakt zu standesverschiedenen Glaubensgenossen.

4.4

Die überregionale Gemeinschaft

Das gesamte süddeutsche Schwenckfelder-Netzwerk läßt sich wegen seiner Größe im Detail hier nicht darstellen. Es soll daher beispielhaft Einblick in die Struktur des Netzes gegeben werden, wobei der Vorgang des Netzknüpfens, also die Frage, wie Schwenckfelder eine überregionale soziale Beziehungsstruktur aufbauten, beispielhaft geschildert werden soll. Rechtlich-formale Beziehungen stehen hier nicht im Vordergrund, sondern konkrete Handlungen einzelner Akteure und ihre Kommunikationsverbindungen untereinander. Das süddeutsche Schwenckfeldertum bestand aus einer Reihe von Ortsgemeinden, die durch face-to-face Kontakte verbunden waren. Diese Cliquen waren aber auch miteinander verbunden über Brückenbeziehungen von kleinen zentralen Gruppen von Personen (Cutpoints) aus den jeweiligen Ortsgemeinden. Es hatten also nicht alle Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder gleichen Zugang zu allen anderen Mitgliedern des süddeutschen Netzwerks, sondern viele der über die Ortsgemeinde hinausreichenden Beziehungen verliefen über diese zentralen Akteure.

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K. Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik, S. 123.

215 Bis zu seinem Tode 1561 übernahmen Schwenckfeld - als eindeutige Hauptfigur der Gemeinschaft - und der in seinem Auftrag ausgesandte Jakob Held von Tieffenau die Aufgabe des Verknüpfens der einzelnen Schüler Christi in einem überregionalen Glaubensnetz. Dabei fungierten Einzelpersonen und kleine Gruppen als Subzentren. Sie überbrückten die „strukturelle Löcher" 322 des Netzes, verknüpften die Ortsgemeinden in Schwenckfelds Auftrag und hielten vor allem Kontakt zur zentralen Figur, zu Schwenckfeld selbst. In Augsburg waren solche ,Subzentren' vor allem Sibilla Eiselin und in geringerem Maße ihre Schwestern, in Ulm die Frauen der Familie Streicher, im Allgäu die Schwestern Baumgartner sowie besonders Jakob Weiß und Jakob Moretzgi in Memmingen und in Straßburg die Pfarrfrau Katharina Zell, der Armenpfleger Alexander Berner und die Mitglieder der Familie Scher von Schwarzenburg. 323 Nach Schwenckfelds Tod sind die Strukturen aufgrund der geringeren Quellendichte schwerer zu erfassen. Die zentrale Position nahm spätestens ab dem Ende des 16. Jahrhunderts die Familie von Freyberg ein, die schwenckfeldische Glaubensgenossen aus verschiedenen Ortsgemeinden aufnahm und damit Beziehungen zu den einzelnen lokalen Netzen knüpfte. Die Pflege der so entstandenen Kontakte überließ die Familie zumeist geistlichen Dienern wie Martt und Friedrich.324 Die Vernetzung der einzelnen Gemeinden geschah auf unterschiedlichen Wegen: schriftlich durch Briefe (4.4.1), mündlich durch Besuche (4.4.2) und durch konkrete Hilfeleistungen für die räumlich getrennten bedürftigen Glaubensgeschwister (4.4.3). Die Wahl mündlicher oder schriftlicher Beziehungsanbahnung hing von den Handlungsmöglichkeiten und -zielen der Akteure ab. Häufig gab es eine Aufgabenteilung: Während Schwenckfeld beispielsweise meist schriftlich tätig wurde, schickte er Held zu Gemeindebesuchen aus. Auch Sibilla Eiselin reiste selten, ihre ebenfalls verwitwete Schwester Helena Putschlin besuchte alleinreisend Schwenckfeld selbst und andere Glaubensgenossinnen (siehe unten).

4.4.1 Schriftliche Verknüpfung Im Unterschied zur Missionierung innerhalb der Ortsgemeinde, die meist auf mündlichem Wege geschah, fand die überregionale Kontaktanbahnung oft auf schriftlichem Wege statt. Schwenckfeld selbst machte ganz überwiegend neue Glaubensgenossen in Briefen mit dem überregionalen Netzwerk vertraut. Er beschrieb die Persönlichkeiten der Mittelsleute anderer Ortsgemeinden (der „cutpoints", die für die Verbindungen von ihrer Ortsgemeinde zu anderen Gemeinden zuständig waren) und schilderte ihre spirituellen Fähigkeiten. Sodann berichtete er den Neulingen, daß er die vertrauenswürdigen Glaubensbrüder und -schwestern angewiesen habe, zu ihnen durch Besuche oder Briefe Kontakt aufzunehmen. So 322 323 324

D. Jansen, Netzwerkanalyse, S. 129. D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 71, 118f„ 139-141. Siehe auch Kap. 6.

216 ging er beispielsweise bei den Schwestern Baumgartner, Katharina Ebertz und Cecilia von Kirchen, aus Isny vor. Sie hatten Schwenckfelds Lehren 1544 zusammen mit ihrer Freundin Eva Honold aus Kempten durch die zeitweilig in Kaufbeuren lebende Ulmerin Barbara Kürenbach kennengelernt, die ihnen anfänglich auch als Briefbotin für Schreiben an Schwenckfeld diente.325 Als diese schwer erkrankte, machte Schwenckfeld die Allgäuerinnen mit der Witwe Helena Streicher bekannt, die sie von nun an als Botin nutzen sollten. Bei dieser Gelegenheit stellte er ihnen auch Helenas Tochter Katharina vor, die er anwies, selbst in briefliche Verbindung mit den Schwestern zu treten.326 Kurz danach bewegte er den im nahen Mindelheim lebenden Adam Reißner dazu, den beiden zu schreiben, so daß sie im Allgäu eine weitere Kontaktperson hatten.327 Mit Sibilla Eiselin machte er die Schwestern Baumgartner allmählich vertraut. Schwenckfeld erinnerte 1546 an die Begegnung der Baumgartners mit Helena Putschlin im Zellerbad und nutzte die Gelegenheit, ihnen Helenas Schwester Sibilla Eiselin kurz vorzustellen.328 Einen schriftlichen Austausch vermittelte er erst 1548.329 Für das gleiche Jahr sind auch Kontakte zu dem Straßburger Armenpfleger Alexander Berner belegt.330 Durch Schwenckfelds geschickte Vermittlung wurden die Schwestern Baumgartner schrittweise in das überregionale Netzwerk eingebunden und hatten nun Verbindungen zu Gemeinden in Ulm, Augsburg, Mindelheim und Straßburg. Briefe dienten neben der Kontaktanbahnung zu schwenckfeldischen Glaubensgenossen auch der theologischen Diskussion und Erbauung und ermöglichten die dauerhafte, regelmäßige Aufrechterhaltung der Kontakte über größere Entfernungen hinweg.331 Ein weiterer Weg, bestehende Beziehungen zu Glaubensgenossen wieder abzurufen, zu aktualisieren, ohne mit ihnen direkt zu kommunizieren, bestand darin, Grüße zu übermitteln. Während gelegentlich nur pauschal alle Gutherzigen gegrüßt wurden, nannten Schwenckfelder zumeist konkrete Personen als zu Grü325 326

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C.S. 9, S. 120. C.S. 9, S. 271. Katharina Ebertz verlangte vor der Aufnahme eines theologischen Dialogs aber erst, Genaueres über die Familie Streicher und besonders Katharina zu erfahren, C.S. 9, S. 278. Dabei verwies er erneut auf Katharina Streicher, offenbar nahm die briefliche Vernetzung hier nur zögerlich Gestalt an: Dass ihr mitt Adam dem Stattschreiber von M [=Mindelheim] bekant seit worden / Jch hab ihn ermanet / dass er euch nur vil schreibe / Er ist trew / vnnd ein frommer Christ / alss ich hoffe / Stehet mir mit seinen Diensten zur hand in vilen Sachen Christi vnsers Herren / So sol Jungf: Catharina [Streicher] von Vlm / euch beeden auch schreiben / fVass ich also nicht / wie Jch gern wolt / könt selbst erfüllen / wil ich andre vnssrer bekantnüs seind ahnhalten, C.S. 9, S. 412. C.S. 9, S. 760. C.S. 11, S. 662, 728f. Ebertz und von Kirchen nahmen Anteil an seiner Rückkehr nach Straßburg, wo er seinen Glauben eine Zeit lang frei ausüben konnte, C.S. 11, S. 720. Siehe Kap. 3.

217 ßende und knüpfte damit an konkrete Beziehungen an, gelegentlich wurden die Grüße auch mit kurzen persönlichen Mitteilungen oder Wünschen verbunden. 332 Das auffälligste Beispiel für diese Art von Vergegenwärtigung sozialer, auf der gemeinsamen Religion beruhender Beziehungen ist der Abschiedsbrief des schwenckfeldischen Arztes Johann Ludwig Münster kurz vor seinem Tod in Bensheim. Adressiert war das 1646 verfaßte Schreiben an die Nürnberger Glaubensfreundin Lydia Merian (in der Anrede wurde zusätzlich noch der Schwenckfelder de Sendt genannt). Er bedauerte darin, daß er sich nicht persönlich von seinen Freunden verabschieden könne. Daher zählte er sie auf und ließ sie grüßen mit wünschung viel tausent guter nächt. Er erwähnte alle ihm wichtigen Glaubensgenossen namentlich, auch solche, die weit entfernt von dem Wohnort der Adressatin, in Augsburg, den Niederlanden, Ulm, Rechberg oder Stuttgart lebten und die von Merian nicht problemlos erreicht werden konnten. Die Erwähnung mit zum Teil direkter Anrede an die zu Grüßenden läßt vielmehr das Netz der engsten Glaubensbrüder und -schwestern noch einmal vor ihm, vor Merian und den übrigen Genannten auferstehen, um die Verbundenheit im Glauben über den Tod hinaus zu befestigen. 333

4.4.2 Persönliche Begegnungen Interaktionen von Angesicht zu Angesicht waren noch mehr als Briefe geeignet, Beziehungen zu aktualisieren und enge Verbindungen zu knüpfen. So bestand in den 1540er Jahren ein enger schriftlicher und auch wirtschaftlicher Kontakt zwischen den Gemeinden in Cannstatt und Ulm. Zur gegenseitigen Erbauung traf man sich persönlich - jeweils mit den ganzen Familien.334 Diese Besuche schufen besonders enge Beziehungen, auf die man in Zeiten der Verfolgung zurückgreifen konnte. Schwieriger als für Männer war es für Frauen, andere Gemeinden zu besuchen, da alleinreisende Frauen mehr Aufsehen erregten. Daher waren sie genötigt, ihre

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Während Schwenckfeld zumeist mit den Adressaten verwandte und verschwägerte Schwenckfelder grüßen ließ, richtete Martt Grüße an ausgewählte Mitglieder der Ortsgemeinden, so z.B. über Felicitas von Freyberg während ihres Augsburg-Aufenthalts an Gemeindemitglieder in der Reichsstadt, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 92 v oder 1577 ebenfalls über sie anläßlich ihres Besuchs im Hause Streicher an einige der Ulmer Glaubensgenossen, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 11 Γ . Am Ende der Namensaufzählung fugte er sie noch einmal als Gruppe der Gläubigen vor Gott zusammen: die liebe tringet auch zu solcher künheit, daß ich sie noch einmahl mit arhmen neme: Jch wünsche daß Ewre Nahmen im buch des lebens aufgeschoben, ich bait im klaren wort des vaters hell Sehen möge. amen. [...] den kuß des Fridens anbiete ich Ewren liebreichen herzten, zur einigkeit, vnd gemeinschaft vnserer liebe vnd Wahrheit in X°: Jesu, die sich in endlicher samblung der kinder Gotes wird offenbahren, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 233 v . Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 76, 87.

218 Besuche in den Nachbargemeinden besser zu tarnen. Die Witwe Helena Putschlin nutzte eine Badekur, um Schwenckfeld und die Schwestern Baumgartner aufzusuchen.335 Die ledige Katharina Streicher kam aus beruflichen Gründen nach Augsburg, um als Krämerin ihre Waren anzubieten. Da alleinreisende Handelsirauen nichts Unübliches waren,336 konnte der Schneider Bernhard Unsinn bedenkenlos zugeben, daß seine Frau und er sie während ihres Aufenthaltes bei sich aufgenommen hatten.337 Katharina Streicher machte häufiger als andere schwenckfeldische Städterinnen von der Möglichkeit des Reisens zu anderen Gemeindemitgliedern und zu Schwenckfeld selbst Gebrauch, um mit den Glaubensgenossen Nachrichten persönlich auszutauschen, den Vertrieb schwenckfeldischer Schriften zu organisieren oder theologisch-erbauliche Gespräche zu fuhren.338 Adelige Frauen traten öfter als die Bürgerinnen der Reichsstädte Reisen zu Schwenckfeld und anderen Glaubensgenossen an. So besuchte Margarethe von Vellberg den kranken Schwenckfeld 1548 eine Woche lang.339 Auch Ursula von Laubenberg suchte ihn zusammen mit ihrer Tochter auf.340 Die ledige Magdalena von Laubenberg reiste häufig zu der verschwägerten Familie von Freyberg und fungierte dabei auch als Botin und Informantin. Sie sammelte Nachrichten bei den von Freybergs, die sie an die Schwenckfelder in Ulm und an den Martt-Kreis weitergab.341 Martt mußte sich häufig versteckt halten und erhielt bei den Besuchen anderer Informationen über den Zustand der schwenckfeldischen Gemeinden in Leeder, Augsburg, Ulm und im von-Freyberg-Gebiet. Auf diesem Weg der Nachrichtensammlung über Dritte knüpfte er überregionale Verbindungen bzw. erhielt sie auch da aufrecht, wo ein häufiger direkter mündlicher und schriftlicher Kontakt aufgrund der bedrohten Exilsituation nicht möglich war. Zudem schuf er bei seinen Mitflüchtlingen, denen er die erhaltenen Nachrichten mitteilte, den Eindruck der Zugehörigkeit zu einer größeren Gemeinschaft. Besucher aus anderen Gemeinden erwartete man gelegentlich auch zu religiösen Versammlungen. Zur Christnacht 1574 beteten der bei der Familie von Freyberg angestellte Nikolaus Haid und die adeligen Damen Felicitas von Freyberg 335

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Sie besuchte im Frühsommer 1546 Schwenckfeld im Wildbad (C.S. 10, 36) und die Schwestern Katharina Ebertz und Cecilia von Kirchen im Zellerbad, C.S. 9, S. 760. H. Wunder, Sonn, S. 126; M. Wensky, Stellung der Frau, S. 293-299. Sonnst hab Er auch ain khauflerin von Vlm Catherina genant wann sie alher khomen beherbrigt / [...] die [...] hab allmal kromen alher pracht vnd verkhaufft, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 1, fol. 2r. C.S. 9, S.430f„ 822; C.S. 11, S. 583. C.S. 9, S. 430. C.S. 11, S. 922f. Zusammen mit Sohn und Tochter statteten sie auch Sibilla Eiselin in Augsburg einen Besuch ab, C.S. 13, S. 360. 1584 gab sie Informationen über die gesundheitliche Situation von Veronika von Pappenheim, der Herrin von Opfingen, schriftlich an die Ulmer Schwenckfelderin Barbara Haug, die die Nachrichten dann im Gespräch an Martt weiterleitete, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 27v.

219 von Justingen sowie ihre Schwägerin Veronika von Freyberg von Opfingen zusammen mit Magdalena von Laubenberg gemeinsam bei Martt. Dazu hatten sie die Glaubensgenossen und Martts Landsleute aus dem schweizerischen Altstätten, die zu der Zeit in Leeder lebten, erwartet, die aber durch das schlechte Winterwetter an der Reise gehindert worden waren.342 Waren face-to-face Kontakte zum Zwecke der religiösen Erbauung wegen der Entfernung nicht möglich, versuchte Martt durch einen Wechsel des Mediums, Schwenckfelder aus anderen Ortsgemeinden und die religiöse Versammlung überlokal auszudehnen. So berichtete er den drei Mägden der Familie Streicher in Ulm, Anna Erhart, Anna Bernhardt und Susanna Hornung, 1577 von seinen theologischen Gesprächen über die Trinität mit dem Augsburger Goldschmied David Altenstetter und der Familie der Felicitas von Freyberg zu Justingen.343 Der Wechsel zwischen schriftlichen und mündlichen Medien, zwischen Briefen und Besuchen komplizierte gelegentlich den Austausch von Nachrichten: Als 1584 seiner Frau die Ausweisung aus Leeder drohte, erfuhr Johann Martt auf mündlichem Weg - wohl über die Ulmerin Barbara Haug - , daß der Augsburger David Altenstetter nach Opfingen gereist war. Dort hatte er von einem Besuch des in Leeder lebenden Schwenckfelders Hans Müller bei ihm in Augsburg berichtet. Müller habe ihm erzählt, daß der ebenfalls in Leeder weilende Gall Keel der Auffassung sei, alle Schwenckfelder des Martt-Kreises müßten den Ort bald verlassen. Altenstetter hielt diese Ängste für stark übertrieben und sah keine Gefahren. Diese vorwiegend auf indirekte Kommunikationsbeziehungen über mehrere Stationen beruhende Mitteilung gab Martt nun schriftlich an seine Frau Agnes weiter und beschwerte sich darüber, daß ihn die Nachricht nicht direkter erreicht habe, obwohl es doch um seine Familie ging. Altenstetter aber zog die Kommunikation mit Martts Beschützern dem direkten Austausch offenbar vor bzw. hielt letzteres fur unnötig, was Martt als Ausgrenzung seiner Person wertete.344

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 8 Γ . Die Darstellung diente ihm hier als Anknüpfungspunkt fur ein Glaubensexamen. Die drei Adressatinnen sollen ihm ihr Verständnis der Trinität darlegen, ebenda, fol. 108v-109v. Ähnlich ging er auch in einem Brief an Christine von Grafeneck vor, die ihn gefragt hatte, was für ein Psalmgebet er anläßlich des Besuchs ihrer Base, Barbara Scher von Schwartzenburg, mit dieser gebetet hatte. Auch hier verwies er nicht nur kurz auf den Inhalt, sondern gab das Gebet in leicht gekürzter Form aus der Erinnerung wieder, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 52 v , 54 r . Öp. [= Opfingen] weist besser wie sichs mit Leder helt weder wir arme, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 29 v . Martt fühlte sich hier wie so oft ungerecht und zurückgesetzt behandelt, was er als Reaktion des Satans auf seine Eheschließung mit Agnes von Remchingen deutete (siehe oben).

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4.4.3 Praktische Hilfe: Patronageähnliche Beziehungen und gleichberechtigte Fürsorge Die überlokalen Hilfsbeziehungen der süddeutschen Schwenckfelder wurden ebenfalls über Vermittler indirekt kommuniziert. Besonders zwischen schwenckfeldischen Bürgern und Untertanen zu reichsfreien Adeligen beruhten die Verbindungen auf patronageähnlichen Beziehungen. Das soziale Gefalle wurde durch ebenfalls schwenckfeldische - Vermittler345 überbrückt. Man ließ andere für sich bitten. Nicht nur bei der nichtschwenckfeldischen Obrigkeit,346 sondern auch im Fall von Glaubensgenossen wurde diese Praxis oft dann angewandt, wenn man sich Bleibe- und Schutzrechte erwartete. Während religiöse Versammlungen und Briefkontakte über Standesgrenzen hinweg durchaus möglich waren, hielt sich zumindest der wegen seiner Heirat ohnehin umstrittene Martt bei dem Bestreben, Schutz zu erlangen, an das mit der traditionellen Patronagebeziehung verbundene Prozedere der untertänigen Bitte bzw. ließ andere als Mittelsleute für seine Anliegen eintreten. Nach seiner Eheschließung mit Agnes von Remchingen und nach seiner Vertreibung aus Leeder hielt er sich zwar im Ulmer Raum auf, auch auf dem Gebiet der von Freyberg, kam aber 1583 bis 1585, also zu der Zeit, aus der die erhaltenen Briefe an seine Frau stammten, niemals selbst nach Opfingen oder Justingen. Als Vermittler für ein längerfristiges offizielles Bleiberecht mit eigenem, von den von Freybergs gestellten Haus, schickt er dagegen seinen Freund, den Buchhändler Jakob Weiß, 1583 nach Opfingen, der aber nichts Entscheidendes ausrichten kann.347 Da seine Frau selbst von Adel war, also nach der Eheschließung seiner Auffassung nach sozial ebenbürtig, hatte er von ihr erwartet, daß sie sich in Opfingen dafür einsetzte, eine sichere Bleibe für die ganze bislang getrennte Familie zu erlangen.348 Auch bei der drohenden Ausweisung seiner Frau 345

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Diese Kommunikationsmittler entsprechen in ihrer Position und ihren Handlungen nicht ganz den „brokern", wie sie Boissevain im allgemeinen oder Pfister für die frühneuzeitliche Schweiz ausgemacht hat. Die von ihm analysierten „broker" standen in der Regel selbst in Klientelbeziehungen zu dem gemeinsamen Patron und kontrollierten für ihn die Kontakte zu seinen Klienten, U. Pfister, Politischer Klientelismus, S. 36-40. Bei Martt ging der Kontakt zum Mittler von ihm selbst aus. Der Mittler war einer seiner Vertrauten, der lediglich durch seinen sozialen Rang, durch Verwandtschaft oder frühere Bekanntschaft mutmaßlich erfolgreicher mit dem „Patron" in Verbindung treten konnte und nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Adressaten der Bitte stand. Auch zog der schwenckfeldische Vermittler keinen expliziten Nutzen aus seiner Tätigkeit, wie Boissevain das für den „broker", der immer auch „Entrepreneur" ist, postuliert, J. Boissevain, Friends of Friends, S. 147-169. Die Vermittlungstätigkeit wurde im Rahmen des schwenckfeldischen Gebots zur Hilfe gegenüber Glaubensgenossen übernommen. Man entsprach damit den religiösen Normen. 1 545 entwarf Schwenckfeld eine Petition an den Herzog von Württemberg für die Freilassung des gefangenen Neff, die Sibilla Eiselin in ihrem Namen verschicken sollte, C.S. 9, S. 43 3f. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 2V, 4 r , T . Sie war aber lieber nach Leeder zurückgekehrt: Wäret ihr bei mit bliben / daß es die fraw zu Opfingen het erfaren / So wär güts drauß erfolget Denn sie het vns nicht lassen auff der ar-

221 und seiner Glaubensgenossen aus Leeder suchte Martt nach Vermittlern zwischen ihnen und der lokalen Obrigkeit.349 Er schlug im Dezember 1583 vor, daß Gall Keel heimlich zu dem schwenckfeldischen Juristen Georg Tradel nach Augsburg reiten und ihn bitten solle, daß Er bei der herrschafft von vnsert wegen wolt suppliciren,350 Unklar bleibt mangels vergleichbarer Quellen, ob die zahlreichen Flüchtlinge, die auf den Besitzungen schwenckfeldischer Reichsritter Unterschlupf fanden, sich Glaubensgenossen als Vermittler bedienten oder ob sie sich mit der Bitte um Zuflucht direkt an die Junker wandten. Martt hatte wegen seiner sozialen Situation als ehemaliger katholischer Priester, der eine Adelige geheiratet hatte, eine Sonderstellung inne, die ihn zwang, soziale Unterschiede unter Glaubensgenossen und die daraus resultierenden sozialen Erwartungen von Distanz zu wahren. Martts Gegenleistung als ,Klient' der von Freybergs bestand darin, seine spirituellen Dienste anzubieten, lange bevor er wirklich als Diener Georg Ludwigs von Freyberg angestellt war. Dazu gehörte die Fürbitte für seine Schutzherrschaften. Als Veronika von Freyberg Anfang 1584 schwer erkrankte, betete er für seine Wohltäterin um Genesung und zeigte sich enttäuscht darüber, daß die Familie seine Fürbitte nicht explizit verlangt hatte.351 Fürbitte in Fällen von Krankheit gehörte bei den meisten Schwenckfeldern nicht zu den sozial ungleichrangigen patronageähnlichen Interaktionen, sondern zu den Kommunikationsformen auf gleichberechtigter Ebene, die wie Briefe, Gespräche und materielle Hilfe352 dazu genutzt wurden, überregionale Netzwerkverbindungen aufzubauen und zu erhalten. Hier war Gott der Adressat der Kommunikation. Mit den mündlichen oder schriftlichen Mitteilungen, daß man für den anderen bete, aktualisierten die Schwenckfelder zugleich die Beziehung zum räumlich entfernten Objekt der Fürbitte.353 Die Gebete waren Teil schwenckfeldi-

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men witfrawen [= Frau Kifhaber, die 1582 aus Ulm ausgewiesen worden war] ligen / [...] Ich werd nichts außrichten können wenn ihr nicht gegenwertig seit / Jhr habt den handeil zu Opf angefangen / drumb mußt ihr ihn helffen außfiiren /, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 7. Leeder wurde zu der Zeit von den Erben Emanuel Rehlingers, dem Sohn Jakob Rehlingers, und seiner Frau Anna Dom verwaltet, 1586 kaufte Emanuels Sohn Hans Jakob den Ort zu seinem alleinigen Besitz, Augsburg, Staatsarchiv, Hochstift Augsburg, Urkunden, Nr. 3856. Probleme wegen der schwenckfeldischen Flüchtlinge in Leeder gab es vor allem mit den protestantischen, verschwägerten Familienzweigen, so mit Hans Jakobs Schwiegerfamilie Rem, siehe ebenda, fol. 14r. Anteil an ihrem Hausbesitz und der Vertreibung hatte auch die Augsburger Familie Imhof, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 2 Γ . Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 14r. Die arme fraw erbarmet mir von hertzen /für die ich nach all meinem ver=mögen trewlich bitt / vnd hoff der Herr Chrs solle sie vns zur woltheterin wider schencken der will des Herren Chri geschehe. [...] Vns arme spricht man nicht vmb fürbit ahn /, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, 2T. Zu materieller Hilfe als Teil schwenckfeldischer Caritas siehe oben. Siehe z.B. 1549 im Trost-Brief von Schwenckfeld an die todkranke Witwe Helena Streicher, C.S. 11, S. 754f.

222 scher Fürsorge, indem sie Anteilnahme am Befinden ausdrückten und der Beförderung des körperlichen Wohlergehens der entfernten Glaubensgenossen dienten. Obwohl der schwenckfeldische Leib-Seele-Dualismus dem Körper als Teil des auswendigen Lebens keine Heilsbedeutung beimaß, leiteten die Schwenckfelder daraus keine asketischen Lebensregeln ab, sondern man war an der körperlichen Befindlichkeit der Mitchristen interessiert und versuchte, durch Ratschläge und Medizin dem anderen zur Gesundung oder Linderung zu verhelfen. Eingehend beschrieben Schwenckfeld und seine Anhänger ihre eigenen körperlichen Gebrechen und die ihrer Brüder und Schwestern. Die Ratschläge schwenckfeldischer Ärzte und Ärztinnen wurden schriftlich weitervermittelt oder sogar Arzneimittel über mehrere Zwischenstationen an die leidenden Glaubensgenossen versandt. Im Fall von Katharina Ebertz' langwierigem Augenleiden empfahl Schwenckfeld sogar, daß sie weder schreiben und lesen, d.h. auf zentrale Medien schwenckfeldischer Glaubensausübung verzichten solle, um ihren Körper zu schonen.354 Ebertz' Gesundheitszustand war Gesprächsthema bei Schwenckfelds Besuchern aus dem süddeutschen Raum. Die gemeinsame Sorge um erkrankte Glaubensgenossen, die mit konkreten medizinischen Ratschlägen verbunden wurde, stiftete überregional Gemeinschaft, verband sowohl die Gemahlin des schwenckfeldischen württembergischen Obervogts Hans Friedrich Thumb von Neuburg, Margaretha von Vellberg wie auch Katharina Streicher aus Ulm - beide besuchten Schwenckfeld 1545 - über sorgendes Gedenken, Gebete und Vermittlung von Medikamenten mit der im Allgäu lebenden Glaubensschwester. Schwenckfeld berichtete der Erkrankten brieflich davon und machte sie auf diesem Weg gleichzeitig mit Margarethe von Vellberg bekannt, mit der sie später korrespondierte:355 Dweill denn eine liebe Gottförchtige Schwester die Oberuögtin von Kirchen ein Edelfrawe [=Margareth von Vellberg] / bey vnns nun mer den acht tage sampt andern Christliebenden / auch samt der Junckfrawen Catharina von Vlm gewest / Vnnd wir ewr Jm besten gedacht / hatt sie mir von Augen wassern gesagt / die gar gut sein sollen zum gesicht / Drauff ich sie euch selbst zu schreiben ermanet habe, etc. Dass wasser hiebey selbst zu empfahen. Vnn schreibt wider wass ewr mangell sey / so wollen wir euch solch wasser schicken,356 Die Sorge um den Körper, die Schilderungen des eigenen physischen Zustandes, der eigenen Krankheit oder der Beschwerden von Glaubensgenossen, mit denen man in direktem Kontakt stand, waren fast immer Bestandteil schwenckfeldischer Briefwechsel.357 Detailliert beschrieb der an Ruhr erkrankte Arzt Jo354 355 356

357

C.S. 9, S. 411. C.S. 9, S. 626. C.S. 9, S. 431. Ebertz genas zwar einige Zeit danach, erkrankte 1548 aber erneut, Schwenckfeld erkundigte sich weiterhin besorgt nach ihrem Wohlergehen, C.S. 11, S. 544, 662. Auch in Martts Briefen an seine Frau sind seine eigenen körperlichen Befindlichkeiten und die Krankheiten seiner Beherberger oder anderer nahestehender Glaubensgenossen in jedem Brief zu finden. In den Briefen an nichtverwandte Schwenckfelder spielten die Themen

223 hann Ludwig Münster in seinem Abschiedsbrief an seine schwenckfeldischen Freunde die Austrocknung seines dahinsiechenden Körpers. Zwar thematisierte er den Trost durch Christus und den Tod als Übergang zum besseren jenseitigen Leben, ordnete den körperlichen Vorgang des Sterbens also religiös ein. Er betonte den positiven Wert des Sterbens für den inneren Geist und neuen Menschen in ihm, der nun in die Ewigkeit versetzt werde, die sich im Innern des Menschen, unter der Haut verbarg. Der Tod eröffnete den bislang verborgenen Blick nach innen, unter das, was vnder der haiten des Fleisches verborgen vnd gleichsam als nur in einem tunckeln Spigel gesehen vnd empfunden worden: jtzt aber eroffnen Sich die pforten der Ewigkeit, vnd gehet auf die thür zum gewünschten himlischen Vaterlandt,358 Der sterbliche äußere Mensch Münster war aber nicht nur voll freudiger Erwartung auf die Ewigkeit, sondern er gab auch seiner Traurigkeit darüber Ausdruck, seine Glaubensgenossen nicht mehr sehen zu können.359 Die Sorge um den eigenen Körper und den fremden Leib des im Glauben Vertrauten zeigt, daß körperliche Leiden und Befindlichkeiten von den Schwenckfeldern nicht ausschließlich religiös gedeutet wurden. Das sündige Fleisch, der alte Adam bezeichneten nicht einen von der Seele getrennten, von der Erbsünde verdorbenen Leib, sondern den Menschen in seiner Gesamtheit. Schwenckfelder gebrauchten zwar körperbezogene Metaphern, um Vorgänge der Wiedergeburt und Christwerdung zu beschreiben, aber sie ordneten den Körper nicht explizit in das religiöse Geschehen ein. Ein moderates Kümmern um körperliche Belange enthebt den Leib eher der Sphäre religiöser Bedeutsamkeit als strenge Askese. Der Leib war den Schwenckfeldern daher Objekt der Fürsorge, Krankheiten wurde mit Gebeten und medizinischen Kuren begegnet. Das entsprach dem graduellen Einstellungswandel im Körperbewußtsein des 16. Jahrhundert, den Christoph Lumme in seiner Untersuchung von autobiographischen Texten konstatiert: „Zwar hatte prinzipiell die religiöse Sinngebung von Krankheit nicht ihre Funktion eingebüßt, doch stand diese nur noch dann im Mittelpunkt, wenn das Leben sich dem Tod zuneigte und weltliche Mittel keinen Erfolg mehr zu versprechen schienen." Den übrigen körperlichen Defekten begegnete man mit eigenverantwortlichem medizinischem Handeln. 360 In schwenckfeldischen Lebenswelten hatte die Sorge um den Körper des anderen aber noch eine weitere Dimension: Sie wirkte überregional einheits- und gemeinschaftsstiftend und demonstrierte, daß man nicht nur am inneren, nicht körperlich gedachten spirituellen Fortschritt des Glaubensgenossen Anteil nahm, sondern die Begleitung und das Mitleiden dem offenbar als körperlich-seelische Einheit gedachten ganzen Menschen galt.

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.Körper' und ,Krankheit' weniger eine Rolle, siehe Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 233 r . Siehe oben. Ch. Lumme, Höllenfleisch, S. 127. Lumme hebt besonders den hohen Stellenwert hervor, den die Gesundheitshygiene im Bewußtsein der Oberschicht hatte, und deutet das als Verzahnung von Fremd- und Selbstdisziplinierung.

224 Die konkrete Funktionsweise des überregionalen Netzes läßt sich am Beispiel der Flucht der Agnes von Remchingen aus dem augsburgischen Leeder nach Söflingen im Ulmer Landgebiet 1584 dokumentieren. Dabei zeigt sich, wie Hilfe unter konspirativen Bedingungen über längere Strecken hinweg aufgrund der zuvor geknüpften Beziehungen aktiviert werden konnte und wie die verschiedenen lokalen Schwenckfelder-Zirkel dabei zusammenwirkten. Martt schilderte die Vorbereitungen und Verabredungen mit verschiedenen Kontaktpersonen zu diesem Unternehmen in seinen Briefen. Nachdem die Situation in Leeder wegen der konstanten Weigerung von Agnes, ihren Sohn Hans taufen zu lassen und mit ihm den offiziellen Gottesdienst zu besuchen, dazu gefuhrt hatte, daß eine gewaltsame Ausweisung aus dem Dorf bevorstand, und nachdem die Familie Martt mit der Rückerstattung der Kaufsumme für ihr dort erworbenes Haus von den Ortsherren nicht weitergekommen war, entschloß sich das Ehepaar Martt zu Beginn des Jahres 1584, Agnes' Flucht vorzubereiten. Helena Streicher, die selbst ein Jahr zuvor aus Ulm ausgewiesen worden war, nun aber sicher auf der von ihrem Mann, dem badischen Hofmeister Friedrich von Watzdorff, erkauften Besitzung in Söflingen lebte (wenn das Ehepaar sich nicht an von Watzdorffs Dienstort in Durlach aufhielt), hatte Agnes von Remchingen ihr Haus als vorübergehende Zufluchtsstätte angeboten. Den Schwenckfeldern in Leeder war der größte Teil ihrer Habe zur vorübergehenden Verwahrung anvertraut worden.361 Sohn Hans sollte mit der Magd Barbara auf einem von der Ulmerin Barbara Haug geliehenen Pferdekarren vorausgeschickt werden. Sie sollten zunächst nach Holtzen reisen, um bei Glaubensgenossen eine Rast einzulegen. Danach war geplant, daß sich die beiden unter falscher Identität zu Barbara Haug begeben sollten. Hans wurde als verlassene Waise eines aus Kärnten stammenden Organisten ausgegeben, die Magd sollte vorgeben, aus Landsberg zu stammen. Haug sollte nach einiger Zeit angeben, sie wolle den Waisenknaben bei der vertriebenen Ulmer Schwenckfelderin Helena Kiffhaber-Arnold nach Söflingen in die Kost geben. Agnes von Remchingen sollte mit ihrer Magd Anna Bernhardt nach Holtzen folgen. Nur der Magd, die aus Altstätten stammte und selbst früher in Ulm gelebt hatte, war es möglich, offen Besuche bei Barbara Haug abzustatten. Die beiden Frauen wollten dann heimlich nach Söflingen kommen, Bernhardt wurde angewiesen, sich einige Tage später unauffällig wieder zu Haug nach Ulm zu begeben, damit diese sie dann offiziell im Namen von Helena Streicher von Watzdorf, deren Magd sie vor der Ausweisung gewesen war, nach Söflingen schicken konnte. Sie sollte dort bei Anna Erhart leben, wie es schon Agatha Streicher angeblich verfügt habe. Dann war nach Martts Auffassung alles fürs Erste geregelt, und Agnes von Remchingen 361

Martt plante ursprünglich, ihren beweglichen Besitz bei Magdalena von Laubenberg unterzubringen, die sich nach einer anfänglichen Zusage aber dann doch weigerte. Hier funktionierte das standes- und räumlich übergreifende Netzwerk nicht. Martt gab Veronika von Freyberg die Schuld an von Laubenbergs Meinungsumschwung, die es seiner Ansicht nach häufig an der erforderlichen Unterstützung für seine Familie fehlen ließ, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ. fol. 427, 30r.

225 und ihre Magd Anna könnten in Begleitung von Glaubensgenossen abends nach Ulm wandern, um Martt dort zu treffen. 362 Genauso oder ähnlich muß sich die Flucht abgespielt haben, denn im Juni 1584 bat Barbara Haug den Ulmer Rat, zwei Augsburger Frauen eine Zeit lang bei sich wohnen zu lassen. Der Rat wollte dies zugestehen, wenn die Recherchen ergeben würden, daß sie keine Schwenckfelderinnen seien.363 Zur gleichen Zeit bemühten sich Helena von Watzdorf und Agnes' Schwägerin Juliane von Remchingen, einen Teil von Agnes' Vermögen von ihrer Stiefmutter, die in Pforzheim lebte, zu erhalten, um dem Ehepaar finanziell einen Neuanfang zu ermöglichen. 364

4.4.4 Vernetzung der lokalen Gemeinden Die konkrete überregionale Vernetzung, das Zusammensetzen der Netzteile auf der Grundlage von Besuchen, Briefen, Hilfe und Fürsorge, soll nun am Beispiel von Johann Martt und Sibilla Eiselin gezeigt werden, die beide Verbindungen über ihre jeweilige Ortsgemeinde hinaus hatten und so entscheidend dazu beitrugen, das süddeutsche Schwenckfeldertum als Gesamtnetzwerk zusammenzufügen, also als „cutpoints" wirkten. Die Ego-Netzwerke der beiden weisen aber Unterschiede auf in Art und Anzahl der Verbindungen, die sie knüpften. Grundlage der dargestellten Interaktionen sind Briefe - im Fall von Martt die von ihm an andere verfaßten, bei Eiselin die an sie gerichtete Briefe ergänzt durch die Angaben aus den Augsburger Schwenckfelder-Verhören. 365 Das Netz des ehemaligen katholischen Priesters Martt366 ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß es viele „strong ties" aufweist. Eine eng verbundene Clique, die sich aus Mitgliedern verschiedener Ortsgruppen zusammensetzte, bildete den Kern seines Geflechts von Glaubensgenossen. Martt verknüpfte diese räumlich entfernten Gefolgsleute miteinander, die „Alteri" hatten vor allem innerhalb der eigenen Ortsgemeinden untereinander Kontakt. Martts weitreichende Beziehungen waren Resultat seiner Exilsituation. Geflohen von seiner Priesterstelle im schweizerischen Altstätten hielt er sich im Ulmer Gebiet und kurzzeitig in Memmingen auf, um sich dann mit seiner Frau in Leeder bei Augsburg niederzulassen, von wo er 1583 vertrieben wurde. In der Folgezeit wohnte er heimlich bei Glaubensgenossen in Ulm, Söflingen und im Gebiet der Familie von Freyberg. Dort bot man ihm in Obergriesingen eine dauer-

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 35. Daß Barbara Haug Schwenckfelderin war, wußte die Ulmer Obrigkeit. Aufgrund ihres Alters, ihrer Gebrechlichkeit und ihres geschickten Verhaltens während der Verhöre war sie aber 1583 nicht zusammen mit ihren Glaubensgenossen ausgewiesen worden, Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, fol. 75 f . Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 32 v , 33 r . Auch die erfaßten Zeiträume, in denen sich die Kontakte abspielten, differieren: Das MarttNetz erfaßt Beziehungen aus d e r Z e i t von 1561-1585, das von Eiselin reicht von 1544-1580. Siehe Abb. 2.

226 E G O - N E T Z W E R K JOHANN MARTT (1. Kontaktzone) ca.1561-1585 WÜRTTEMBERG MEMMINGEN Scher v. Schwarzenburg,

Lauben berg,

Freyberg,

Schweigger,

Zimmermann, Magdalena

Karlini JUSTINGEN/ OPFINGEN

Widenmann, Regina Berbelin N.

ALTSTÄTTEN

ULM/ SÖFLINGEN

Abb. 2

hafte Zuflucht.367 Es gelang Martt, die Schwenckfelder, die er an den Orten seiner Reisen und Wohnaufenthalte traf, längerfristig an sich zu binden. Die face-to-face Kontakte wurden - von späteren gelegentlichen Besuchen abgesehen - ersetzt durch Briefwechsel und vertieft durch weitgehend einseitige Hilfsbeziehungen der Glaubensgenossen zu Martt. Über den Kreis der Schwenckfelder im Umfeld der Familie von Freyberg hatte er einige Schwenckfelder aus Orten kennengelernt, die er selbst nicht aufgesucht hatte: Speyer, Köln und Straßburg. Über die von Freybergs und die Familie seiner Frau erhielt er auch Zugang zu württembergischen Adeligen. Martts schwenckfeldische Freundinnen und Freunde entstammten den unterschiedlichsten sozialen Schichten. Er wohnte in Ulm bei den Mägden der Streichers, später bei den von den von Freybergs aufgenommenen aus Ulm vertriebenen Handwerkerfamilien. Er hatte aber auch viele Beziehungen zu ritterschaftlichen Adeligen. Die Verschiedenartigkeit der Alteri ist in der Regel ein Indikator fur die Stärke des Ego im Netzwerk und eröffnet eine große Bandbreite unterschiedlicher Informationen und sozialer Zugänge.368 Dieser Nutzen wird jedoch im vorliegenden Fall konterkariert von der Tatsache, daß Martts Netzwerk vor allem über starke

367 368

Siehe Kap. 2. D. Jansen, Netzwerkanalyse, S. 101.

227 direkte Verbindungen verfügte, weniger über die indirekten „weak ties".369 Viele „strong ties" fuhren in einem Netz häufig zu sozialer Schließung, zur Bildung einer abgegrenzten Gruppe. 370 Ein Zeichen dieser Abschließung war die größere Radikalität Martts, die er prinzipiell von allen schwenckfeldischen Glaubensgenossen verlangte. So kritisierte er mangelnden Bekennermut 37 ' ebenso wie glaubensverschiedene Eheschließungen 372 und brach die Kontakte zu den betreffenden Personen zumindest eine Zeit lang ab. Die Kontaktdichte und hohe Intensität hatten aber auch Vorteile: Wie die Schilderung der Flucht seiner Frau exemplarisch gezeigt hat, konnte er auf ein exzellent funktionierendes Hilfenetz zurückgreifen. Martt hatte unter Ausnutzung verschiedener Medien der Kontaktanbahnung und -erhaltung eine überregionale, sozial weitgehend geschlossene Gruppe innerhalb des späten Schwenckfeldertums konstituiert. Die Netzwerkverbindungen, die Sibilla Eiselin knüpfte, waren von anderer Natur.373 Im Gegensatz zu Martt reiste Eiselin selten, ihr bürgerliches Leben in Augsburg war - abgesehen von einer Ratsverwarnung 15 5 3374 - nie bedroht gewesen. Ebenfalls im Unterschied zu Martt, der hauptsächlich nach Schwenckfelds Tod aktiv war, handelte sie zumindest bis zum Tod Schwenckfelds oft in seinem Auftrag, wenn sie den Kontakt zu anderen Glaubensgenossen außerhalb ihrer Gemeinde suchte. Über die von ihr selbst angebahnten Beziehungen berichtete sie Schwenckfeld und ließ sie von ihm kommentieren. Erheblich häufiger als ihr Glaubensbruder Martt stand sie zum Zwecke der Verteidigung ihres Glaubens oder der Missionierung in Kontakt mit Nichtschwenckfeldern. Eine Einbindung dieser Personen in das Schwenckfeldertum gelang im wesentlichen in der Augsburger Gemeinde selbst, da hier ein intensiverer, auch mündlicher Austausch möglich war. Zu denen, die sie nicht bekehren konnte oder wollte, hielt sie weiterhin - allerdings zumeist sporadisch oder indirekt - Verbindung. Diese zahlreichen „weak ties" verschafften ihr Zugang zu einer Fülle von religiös-politischen

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Auch zu den adeligen Familien, die er nicht direkt, sondern wie oben dargelegt nur über schwenckfeldische Mittler ansprach, hatte er direkte „strong ties" auf dem religiösen Gebiet als Ratgeber, Exeget und Seelsorger (siehe oben). Die vermittelten, indirekten „weak ties" bestanden nur im Rahmen der Hilfe bei den zeitlichen Dingen, der Unterstützung und Beherbergung. Zwar zählte diese Unterstützung zum religiös relevanten Gebiet der Caritas, es galt hier aber nach Martts Auffassung, die sozialen Normen der nichtschwenckfeldischen Welt einzuhalten und sozial Höherstehende nicht direkt anzusprechen. „Norm und Identität werden immer wieder bestätigt. Abweichler und Neuartiges werden ausgeschlossen. Das wird aber mit Informationsdefiziten bezahlt." D. Jansen, Netzwerkanalyse, S. lOOf. Hinkende Schwenckfelder, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 44 v , 78r. Dabei war dissimulierendes Verhalten gegenüber den Obrigkeiten geradezu ein Charakteristikum schwenckfeldischen Lebens, siehe Kap. 5. Siehe oben. Siehe Abb. 3. Siehe Kap. 2.

228 Informationen.375 Eiselins Verbindungen waren selbst innerhalb Augsburgs weniger eng und direkt als das bei Martt der Fall war. Neben den Informationsvorteilen schützte dieses Vorgehen vor Nachforschungen und Sanktionen, weshalb sie sehr erfolgreich missionieren, Interessenten integrieren und für die Verbreitung schwenckfeldischer Schriften sorgen konnte. Ihr Vorgehen entsprach sicher ihrer sozialen Situierung, als gut integrierte Angehörige der Augsburger Oberschicht hatte sie bei Bekanntwerden ihres Dissidententums weit mehr zu verlieren als Martt. Schon zu Schwenckfelds Lebzeiten und in der Zeit nach seinem Tod übernahmen es andere Augsburger Glaubensgenossen, die süddeutschen Anhänger und Gemeinden zu besuchen.376 Die überregionalen Verbindungen, die Eiselin, Martt und andere hergestellt hatten, führten aber im Gesamtnetzwerk nur zu partiellen Verdichtungen („cluster") und nicht zur Abschließung des Netzes. Die Beziehungen des gesamten Glaubensnetzwerks konnten in gravierenden Fällen, in denen das Funktionieren des Netzwerks gefährdet war, so aktiviert werden, daß die miteinander lose verbundenen Glaubensgeschwister solidarisch und konform handelten wie eine festgefügte Gruppe. Das wird sichtbar am Fall des Ausschlusses von Bartholomäus Nüssel. Der Schlesier war 1552 nach Süddeutschland gekommen und hatte sich zunächst als eloquenter Exeget und Schwenckfelder präsentiert. Schwenckfeld selbst stellte den Kontakt zu den von Freybergs und zu einigen Ortsgemeinden (Ulm, Memmingen) her.377 Längere Zeit blieb Nüssel in Augsburg, wo er kurze Zeit bei Balthasar Marquardt wohnte, ansonsten beherbergte ihn Helena Putschlin.378 Schon im Sommer 1552 wurde Eiselin mißtrauisch und beauftrage Bernhard Unsinn damit, ihn genau zu beobachten.379 Im Oktober des Jahres zog Nüssel Schwenckfelds Führungsanspruch in Zweifel und versuchte sich in Augsburg (und anderen Gemeinden) an dessen Stelle zu positionieren. Schwenckfeld und die zuverlässigen Anhänger in Augsburg befürchteten eine Spaltung der Gemeinde, da Nüssel viele Bewunderer gefunden hatte. Schwenckfeld rügte Eiselin und Helena Streicher dafür, daß sie ihm theologisch nicht genügend Paroli boten und verwies sie an die theologisch kompetentere Katharina Streicher in Ulm.380

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Das galt vor allem für ihre vermutlich zum Teil über ihre Brüder angebahnten Kontakte zu Kaufleuten wie dem häufig in Venedig weilenden Philipp Walther, ein mit Schwenckfelds Theologie sympathisierender Lutheraner, der im Glauben stark schwankte und Eiselin mit diversen politisch-religiösen Nachrichten versorgte, C.S. 11, S. 490-492, 637f., 915f. Die Quellenlage ist hier weniger dicht. Aus den erhaltenen Briefen geht hervor, daß ihre Schwester Helena Putschlin, die Juristen Markus Schweigger und Markus Zimmermann sowie der Goldschmied David Altenstetter schwenckfeldischen Gemeindemitgliedern an anderen Orten Besuche abstatteten (siehe oben und Abb. 3). C.S. 13, S. 117f. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Marquardt, fol. 2V, 3 r . Schwenckfeld lobte ihre vorausschauende Umsicht, C.S. 13, S. 50-53. C.S. 13, S. 114-116.

229 EGO - NETZWERK SIBILLA KRAFFTER - EISELIN (1. Kontaktzone) 1544-ca.l580 Schilling,

Marquardt

Zimmermann. Μ Dr Neff immermann

Martt.J.

AW-QftWj

Küenle, M.

Ebertz,

Stainbrunner Honold, g

,, . von Kirchen, Cecilia

Vamier, H,

HAI»

Streicher, Helena d.J.

Königsberger

unterstrichen = nicht schwenckfeldisch verheiratete Frauen sind mit ihren Ehenamen aufgeführt

Abb. 3

Am Ende des Jahres gelang es, die Augsburger Gemeinde wieder zu einen, indem man Nüssel aus der Gemeinde ausschloß. Dieser besuchte nun Margaretha von Grafeneck in Württemberg und machte weiterhin Stimmung gegen Schwenckfeld, 38 ' verschickte sogar von Memmingen aus noch Briefe an Mitglieder der Augsburger Gemeinde, in denen er versuchte, sie theologisch auf seine Seite zu ziehen und Schwenckfeld auch menschlich zu diskreditieren.382 Das süddeutsche Netzwerk agierte hier geschlossen aufgrund seiner einheitlichen religiösen Überzeugung und Anerkennung von Schwenckfeld als Führer der gesamten Bewegung, indem man Schwenckfeld über alle Schritte und Äußerungen Nüsseis informierte. Nüsseis Auffassungen und Vorgehen wurden von den süddeutschen Schwenckfeldern offenbar einhellig derart deutlich abgelehnt, daß dieser wohl zu Beginn 1553 nach Schlesien zurückkehrte. Schwenckfeld und in seinem Auftrag Hieber warnten nun ihre schlesischen Verwandten und spiritualistischen Freunde vor dem jungen Studenten.383 Die Verbindungen zu Schlesien, der anderen großen schwenckfeldischen Bewegung, waren zwar nur schwach ausgeprägt, konnten 381 382

383

C.S. 13, S. 154. In einem Schreiben an Leonhard Hieber kritisierte er Schwenckfelds Leben im Verborgenen, C.S. 13, S. 277f. C.S. 13, S. 201.

230 aber dennoch zuverlässig aktiviert werden, weil sie auf einer starken gemeinsamen religiösen Grundlage standen.

4.4.5 Selbstverständnis der Schwenckfelder als Gemeinschaft Das süddeutsche Netz der Schwenckfelder war - wie dargestellt - abgesehen von einigen sehr eng verbundenen Cliquen lose und durchlässig geknüpft. Es ermöglichte, eine große Bandbreite von Mitgliedern zuzulassen, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammten, und Menschen zu integrieren, die verschiedene Vorstellungen darüber hatten, wie der als wahr erkannte Glauben gelebt werden sollte. Zwar gab es wegen der unterschiedlichen lebenspraktischen Umsetzung Konflikte innerhalb des Schwenckfeldertums, aber man brach den Kontakt zueinander nicht ab. Auch theologisch war das religiöse Netzwerk offen.384 So einte die Anhänger zu Schwenckfelds Lebzeiten vor allem die gemeinsame Suche nach der theologischen Wahrheit, nach dem Wirken Christi im Herzen und die geteilte Überzeugung des Erwähltseins von Gott. Die Offenheit des Gruppenlebens und das Fehlen von Agenden und Ritualen führten dazu, daß Schwenckfelder sich zwar untereinander verbunden fühlten, ein Gruppenlabel jedoch vehement ablehnten. Schwenckfeld fühlte sich sogar genötigt, gegenzusteuern und darauf zu dringen, daß man mit der vehementen Ablehnung der Bezeichnung „Schwenckfelder" sich nicht auch von der rechten Lehre distanziere. Schwenckfeld führte also eine theologische Diskussion um die Annahme oder Leugnung des Bestehens einer Gruppe mit entsprechendem Namen. Demzufolge ist anzunehmen, daß die Anhänger das Label „Schwenckfelder" nicht nur aus Gründen des Verfolgungsschutzes ablehnten, obwohl das sicher ein wichtiger Beweggrund war. Die Akzeptanz eines Namens ordnet und kategorisiert die Beziehungen zu den Glaubensgenossen und beschreibt eine geschlossene Gruppe, was offenbar nicht der Selbsteinschätzung der religiösen Verbindungen im Schwenckfeldertum entsprach. 1558 waren in Landau neun Männer und Frauen vorgeladen worden, die der Straßburger Pfarrer Johann Marbach in Anwesenheit der Obrigkeit vom Schwenckfeldertum abzubringen suchte. Sie verteidigten zwar Schwenckfelds Christologie, lehnten aber die Zugehörigkeit zu einer häretischen Gruppe vehement ab: dass man die Schwenckfelder nennte täte man inen unrecht, dann Schwenckfelder nicht für sie gestorben, sonder Christus. Derwegen si nicht Schwenckfelder, aber gute christen weren. Erkannten aber, dass Schwenckfelder Christum bass herausstrich und daß si seine bücher lesen und lieb hetten etc.3*5 Schwenckfelder wollten zumindest bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts

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Siehe Kap. 3. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 437.

231 Christen sein wie andere auch,386 sie verlangten eine aktive Beteiligung im Ringen um den richtigen Glaubensweg. Wie dargestellt387 hofften sie sehr wohl noch darauf, weite Teile der offiziellen Kirchen (zumindest der protestantischen) mit Gottes Hilfe von ihrer Sichtweise überzeugen zu können. Die späteren Schwenckfelder hatten dagegen die Hoffnung auf eine allgemeine Reformation nach ihren Vorstellungen aufgegeben, die gemeinsame gelebte Geschichte als Schwenckfelder ließ es sie nun akzeptieren, als identifizierbare, abgetrennte Gruppe zu gelten, die einen Namen zugewiesen bekam oder ihn sich sogar selbst gab. Die Veränderungen im Selbstverständnis werden an der Gegenüberstellung der Äußerungen von Unsinn und Schid deutlich, die beide vor ihren jeweiligen Obrigkeiten in Augsburg und Straßburg während eines Verhörs machten. Bernhard Unsinn wies 1554 noch vehement die Unterstellung zurück, er habe an konspirativen Versammlungen teilgenommen oder gehöre einer Sekte an: Es sei khain versamblung der secten halb Jnn seiner Behausung nie ge=halten worden / sei auch zu khainer dergleichen versamblung an anndere ort ganngen. dann Er ainmal khain secterier sej/?%i Hans Georg Schid akzeptierte dagegen dreiundzwanzig Jahre später die Bezeichnung „Schwenckfelder" für sich und wies den Sektenzugehörigkeitsvorwurf nicht zurück. Er nahm die Kategorisierung als Ketzer an, indem er Schwenckfeld und seine religiöse Gruppe mit Christus und den frühen Christen, ihrer Marginalisierung und Verfolgung gleichsetzte: haist man nuhn die / so Jhr heyl alein bey Christo dem einigen herrn suchen / vnd herr Caspar Schwenclrfelden zeugnus von Christo zustimen / Schwenckfeldische Sectierer / so muß ich gestehen das ich auch deren einer seyge [...] vnd soll mich der Namen nit beschweren weyl auch die Juden Christum den herren selber einen verfürer / vnd paulus ein Sectierer genandt vnd geheissen das ich geringer gleich auch vmb vnschuldt ein Sectierer genandt werde / dan ich weiß vorhin das wehr Christo nachuolgen will / das er sein creütz tragen muß.3"9 Noch deutlicher wird die veränderte Selbstsicht bei Daniel Friedrich. Er verwendete die Bezeichnung ,Schwenckfelder' selbst in seinen Briefen und differenzierte sogar zwischen warhafften Schwenckfeldern und solchen, die nur dem Namen nach dazu gehörten, ohne das jedoch mit ihrem Leben adäquat zu bezeugen (das entsprach Martts

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Sie nannten einander Christen, Brüder und Schwestern, belegten einander aber auch mit den aus dem Verwandtschaftkontext stammenden Worten Freunde und Freundinnen, was die enge Verbundenheit dokumentiert, ohne ein Gruppenlabel zu vergeben, siehe z.B. den Brief von Martt an Keel 1576, in dem ihn Martt Bruder nannte und Segenswünsche und Grüße an die lieben fraind vnd fraindin in Leeder und Augsburg ausrichten ließ, Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf.36.2.Aug.2°, fol. 440, 450. Siehe Kap. 3. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 1, fol. 2r. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.qt. 440, fol. 106.

232 Liber tinern).390 Gerade die Tatsache, daß man nach Friedrich nur zum Schein Schwenckfelder sein konnte, dokumentiert, daß es seiner Auffassung nach eine feste Vorstellung davon gegeben haben muß, woraus eine schwenckfeldische Gruppe bestand und welche Bedingungen in Denken und Handeln erfüllt sein mußten, um ihr anzugehören. Für Friedrich hießen die wahrhaffte Schwenckfelder BEKANTE.391 Damit bezeichnete er nicht nur die Vorstellung, daß sie als Erwählte Gott bekannt seien, sondern auch ihre Bekanntheit untereinander. Sie erkannten einander als Bekannte und hatten dann gegenüber den Glaubensgeschwistern als Gruppe, als Kinder des Lichts seelsorgerliche Pflichten: die wachenden vnd mundern glaubigen aber / als kinder des Hechts / vnd Offenbarung / [...] so sie ein ander bekant / da halten sie zusamen / vnd ob der warheit / so gut sie vermögen / warnen auch ein ander / da sie vermercken das eß angelegt sey / leiden darumb waß ihnen gott zu=schickt / vnd weil die zeit schwer ist /so grüblen sie nit zu hart ob dem vnnötigen / sondern fürnemlich ob dem nötigen / erhalten den grund / der zum anfang gelegt / vnd sich demselben nach in warhafftiger / gottseligkeit / vnnd wass ihnen dann die Salbung lehr zu erkennen gibt?92 Die Selbstbeschreibung als Gruppe änderte sich also im Übergang zum 17. Jahrhundert zumindest bei einigen schwenckfeldischen Protagonisten. Die Spätschwenckfelder waren durchaus der Meinung, einer abgrenzbaren Einheit anzugehören, das entspricht den zahlreichen „strong ties" der spätschwenckfeldischen Martt-Gruppe und der damit verbundenen Tendenz zur sozialen Schließung. Dennoch war die Struktur des Netzes keineswegs so verfestigt, daß sie die Einbindung von Fernerstehenden ausschloß oder sich scharf nach außen abgrenzte, wie der Dialog mit Lutheranern und frühpietistischen Gruppierungen im 17. Jahrhundert zeigt.393

Ergebnisse Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder in Süddeutschland lebten in der Welt, ohne ein substantieller Teil von ihr zu sein.394 Sie gründeten keine abgesonderte dissidentische Gemeinschaft. Sie verblieben in ihren familiären, ständischen und beruflichen Bindungen und übernahmen die dort relevanten Verhaltensnormen und Werte. Diese versuchten sie mit den handlungsleitenden Vorstellungen ihres

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Siehe z.B. den Brief Friedrichs an einen Augsburger Freund, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 48r-51v; Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, 44v, 48r. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 49r. Brief von Friedrich an den Nürnberger Schwenckfelder Johann Jakob Janin 1608, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 42v, 43r. Siehe Kap. 6. Siehe McLaughlins zusammenfassende Formulierung zu Schwenckfelds nicht-modernem Toleranzverständnis. Für Schwenckfeld galt: „Christians were in the world but not of it.", R. Ε. McLaughlin, Religious Freedom, S. 197.

233 Glaubens in Einklang zu bringen, was nicht widerspruchsfrei gelang. Ständischfamiliale Verpflichtungen waren im Bereich der Heiratsstrategien den Glaubensnormen gegenüber zumeist vorrangig. Das dokumentiert auch der Stellenwert, den verwandtschaftliche Beziehungen für Menschen aller sozialen Schichten, Adelige wie Patrizier oder Handwerker, hatten.395 Die Überlagerung der Glaubensbeziehungen durch die etablierten sozialen Netzwerke und die Hintanstellung einer schwenckfeldischen Deutung des gesamten sozialen Lebens der Akteure zeigten die schwenckfeldische Differenzierung des Alltagslebens in unterschiedliche Segmente, in denen je verschiedene Normen galten, die nicht unbedingt zur schwenckfeldischen Religion in Beziehung gesetzt werden mußten. War eine Integration konkurrierender sozialer Nonnen, die als zentral für das eigene Leben eingeschätzt wurden, nicht möglich, schloß die Mehrheit der süddeutschen Schwenckfelder diese Aspekte aus dem religiös gedeuteten und gebundenen Bereich aus, sie waren dann keine Artickell des glaubens mehr.396 Standesübergreifende Kontakte zu Glaubensgenossen wurden nicht über Ehepolitik betrieben, sondern - gegen die sozial übliche Praxis, die auch hier Verwandtschaft und soziale Gleichrangigkeit in den Vordergrund stellte - dort praktiziert, wo sie nicht zum Ausschluß aus den verwandtschaftlichen Netzwerken führten, im Bereich der rechtlichen Interaktionen sowie der nicht institutionalisierten Kommunikations- und Hilfebeziehungen. Dort dienten Verbindungen von Menschen mit verschiedener sozialer Zugehörigkeit dem Gesamtzusammenhalt des Glaubensnetzes. Die überregionale Verknüpfung geschah überwiegend über Mittelsleute, die für die Integration der einzelnen Personen in den Ortsgemeinden in das überregionale Netzwerk verschiedene Kommunikationsmittel nutzten. In der Regel ergab sich so ein Wechselspiel zwischen starken und schwachen Verbindungen, an dessen Beginn nahe starke Kontakte über gegenseitige Besuche standen, bei denen der Kommunikationspartner also körperlich präsent war. Die so geknüpfte oder aktualisierte persönliche Beziehung wurde nach der Abreise des Besuchers in weniger intensiver Form aufrechterhalten durch den Übergang zu schriftlicher Kommunikation. Die Verbindung blieb so auch bei längeren Kommunikationspausen bestehen, so daß man im Fall der Hilfebedürftigkeit auf sie zurückgreifen konnte. Die Analyse schwenckfeldischer Lebenswelten mit dem Instrumentarium der Netzwerktheorie hat sich als weiterführend, aber nicht als hinreichend erwiesen. Die Umsetzung der Inhalte schwenckfeldischer Theologie in die religiöse Praxis war auf diese Weise nicht darzulegen, sondern nur mit einer zusätzlichen Darstellung der arbeitsteilig versehenen religiösen Aufgaben und Handlungen, die den

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Die Struktur der Beziehungen muß jedoch für die einzelnen gesellschaftlichen Schichten differenziert untersucht werden, siehe H. Medick/D. Sabean, Emotionen, S. 27-54. Mit dem systemtheoretischen Ansatz kann man Religion hier als Subsystem deuten, das nicht mehr den gesamten Lebensbereich determiniert, siehe A. Hahn, Religion, Säkularisierung und Kultur, S. 19-21.

234 Stellenwert der verschiedenen religiösen Praktiken deutlich machte. Von der theologischen Konzeption Schwenckfelds her gesehen, wonach allein die innere religiöse Erfahrung im Herzen des Einzelnen zählte, waren Versammlung und Organisation zwar nebensächlich, sie machten aber das Schwenckfeldertum im Alltag erst lebbar. Das widersprüchliche Zusammenspiel von Glaubenspraxis und Leben in der andersgläubigen Umwelt konnte dagegen mit Hilfe der Netzwerkanalyse dargestellt werden. Sie ermöglichte einen Blick auf die Interdependenz verschiedener Beziehungsgeflechte, in die die süddeutschen Schwenckfelder eingebunden waren. Die Beschreibung des süddeutschen Schwenckfeldertums als Netzwerk mit Zonen unterschiedlicher Dichte, das insgesamt nur lose verbunden war, entspricht auch der Selbstbeschreibung der Schwenckfelder. Trotz einzelner Tendenzen zur sozialen Schließung im späten 16. und 17. Jahrhundert sahen sich die Spiritualisten als lediglich durch ihre gemeinsame Erwählung vor Gott miteinander Verbundene. Sie wollten sich nicht aus der weltlichen Gemeinschaft zurückziehen und lehnten es daher zumeist ab, als Gruppe benannt zu werden. In der Spätzeit aber ließen sie die Bezeichnung als ,Schwenckfelder' gelten, weniger weil sie sich nun doch als geschlossene Gemeinschaft verstanden, sondern vielmehr als Ausdruck ihrer gemeinsam gelebten Geschichte.

Kapitel 5: ,Via Media' - Schwenckfeldertum und nichtdissidentische Umwelt Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder sahen ihren Glauben als via media, als Weg zwischen den und jenseits der sich ausbildenden Konfessionen. Das war ihnen theologisches Programm und Lebenspraxis, die sich angesichts der Versuche der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit, das jeweilige Bekenntnis (bzw. in bikonfessionellen Reichsstädten die beiden rechtlich zugelassenen Konfessionen) einheitlich zu formen und durchzusetzen, immer schwerer realisieren ließen. Trotz des von ihnen angestrebten .Mittelwegs' galten die Schwenckfelder bei denen, die ihren Glauben nicht teilten, als eine Variante innerhalb des Protestantismus und gerieten erheblich seltener mit der katholischen Kirche in Konflikt mit Ausnahme der schwenckfeldischen Reichsritter, die oft katholische Nachbarn hatten, mit denen sie sich auseinandersetzten. 1 Schwenckfeldische Theologie und Religiosität galten spätestens nach der Verurteilung von Schwenckfelds Lehren durch die Pfarrerschaft in Schmalkalden 1540 innerhalb des Protestantismus als „häretisch". 2 Menschen, die man verdächtigte, Schwenckfelder zu sein, wurden ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunehmend Ziel von ausgrenzenden Maßnahmen seitens der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit. So wurden sie auch von außen als Gruppe geschaffen, als Minderheit, die von dem Glauben und Leben einer rechtgläubigen Mehrheit abwich. Der Vorgang der Häretisierung, der im Rahmen der ,Lutheranisierung' der oberdeutschen Reichsstädte nicht nur Schwenckfelder, sondern auch Täufer und Anhänger Zwingiis betraf, war ein interaktiver Prozeß der Abgrenzung, der die religiöse Mehrheitsmeinung überhaupt erst konstituierte. 3 Dabei waren die definitorischen Kriterien und die dahinterliegenden Interessen von kirchlicher und weltlicher, lokaler und übergeordneter Obrigkeit durchaus verschieden. Es geht im folgenden also nicht um eine Sichtweise auf das Schwenckfeldertum als ,Randgruppe' oder ,deviante' Formation von Außenseitern, sondern indem die später als marginal angesehene Gruppe ,häretisiert' wurde, trug sie dazu bei, ein konfessionelles, lutherisches Zentrum überhaupt erst zu schaffen und wurde so selbst als Minderheit erzeugt. So gesehen lösen sich die Grenzen von Rand und Mitte auf. Das Anderssein war nicht der Grund der Verfolgung, sondern ihr Resultat. Dies konstatiert Moore schon für die Prozesse des „Aussortierens" im Mit-

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Siehe unten. R. E. McLaughlin, Reluctant Radical, S. 222. In dieselbe Richtung gehen auch Dieter Simons Überlegungen für die mittelalterliche Gesellschaft. Er dreht die Blickrichtung um und betrachtet die Norm von der Seite der Normabweichung. Eine Untersuchung des Abweichenden, Unerwarteten könne über „das Panorama der Normalitätserwartungen der mittelalterlichen Gesellschaft" belehren, D. Simon, S. VIII.

236 telalter. 4 Er unterscheidet zwischen Häresie und Heterodoxie. Letztere hat seiner Meinung nach immer existiert als Menge v o n Glaubensvariationen, die ohne große Beeinträchtigungen nebeneinander bestehen konnten. Erst die Schaffung einer abgegrenzten, als dissidentisch markierten Minderheit läßt Häresie entstehen, die immer eine Zuschreibung v o n außen ist und die es ohne die Verfolgung gar nicht gäbe. 5 Während Moore Häretisierung im wesentlichen unter dem Aspekt des Handelns der Verfolger - der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit - beschreibt, als Versuch der Disziplinierung und als Zeichen der Machtkonzentration deutet, betrachtet Natalie Zemon Davis den Prozeß der Marginalisierung fur das 17. Jahrhundert von der anderen Seite her, aus der Sicht der „Randständigen". Die drei Frauen, die im Zentrum ihrer Darstellung stehen, waren für sie Menschen, die am Rand eines Zentrums bzw. einer hierarchisch geordneten Gesellschaft standen, die „ex-zentrisch" lebten. Sie nahmen die ihnen zugedachte Rolle der Randständigkeit bereitwillig an und schufen etwas Neues, gründeten ihrerseits lokale Zentren. 6 N i m m t man beide Sichtweisen zusammen, wird Macht als Interaktion, als Verhältnis sichtbar, an dem beide Seiten aktiv mitwirken. Hier ist das Konzept von Michel Foucault hilfreich, für den Macht immer nur als Beziehung denkbar ist, in 4

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Die Verfolgung von Häretikern, Aussätzigen und Juden setzte im 11. und 12. Jahrhundert etwa zeitgleich ein, was es unwahrscheinlich macht, daß die drei Gruppen plötzlich alle eine Gefahr für die Gesellschaft darstellten, die eine Reaktion provozierte. Daher muß man nach Robert Ian Moore das Verhalten der Repäsentanten der Mehrheitsgesellschaft analysieren und weniger das der Opfer, R. I. Moore, Formation, S. 67. Moores Ansatz hat aber auch Kritik erfahren und wurde als zu generalisierend und homogenisierend gesehen, siehe F. Rexroth, Milieu der Nacht, S. 24f. Zur Selbstdefinition der Christenheit durch die Schaffung eines „Anderen" siehe auch C. Walker Bynum, Fragmentierung und Erlösung, S. 227. „[...] heresy exists only in so far as authority chooses to declare its existence. Heretics are those who refuse to subscribe to the doctrines and acknowledge the disciplines which the Church requires: no requirement, no heresy. Heresy [...] can only arise in the context of the assertion of authority, which the heretic resists, and is therefore by definition a political matter. Heterodox belief, however, is not. Variety of religious opinion exists at many times and places, and becomes heresy when authority declares it intolerable", R. I. Moore, Formation, S. 68f. Die Jüdin Glikl bas Judah Leib, die Katholikin Marie Guyart de l'Incarnation und die protestantische Dissidentin Maria Sibylla Merian gestalteten ihre schriftlichen Werke zwar aus einer Randposition heraus, aber dieser Ort ihrer Existenz ermöglichte ihnen die Schaffung eines neuen, eigenen Grenzlandes, das ihnen Gestaltungsspielräume schuf: „Auf je eigene Weise schätzte jede der Frauen diese Randposition oder nahm sie bereitwillig an: sie begründeten die ex-zentrische Lage neu als ein lokal definiertes Zentrum. Für Glikl zählten die Verbindungen zwischen den Juden und die Gemeinde am meisten. Für Marie war dieser Mittelpunkt das Ursulinenhaus und der Klosterhof voller Indianer und Franzosen im kanadischen Waldland, fern von der politesse Frankreichs. Für Maria Sibylla war dieses Zentrum zunächst eine Labadistensiedlung im niederländischen Friesland, später wurden es die Flüsse und Regenwälder Surinams - kein fester Wohnsitz, sondern ein bewegliches Zentrum inmitten der Veränderungen ihres Lebens. Alle drei Frauen konnten den Zwängen europäischer Machthierarchien teilweise dadurch entgehen, daß sie auf einen Seitenweg auswichen." N. Zemon Davis, Drei Frauenleben, S. 255.

237 der es auch für den dominierten Teil Handlungsmöglichkeiten gibt. „Regieren" meint hier nicht „herrschen" im Sinne einer starren Relation von oben und unten, sondern strukturiert allenfalls das Feld eventuellen Agierens anderer vor. Macht ist in einem Bereich situiert, der immer auch die Möglichkeit der Veränderung oder gar der Umkehrbarkeit enthält.7 Der interaktive Charakter von Macht ermöglicht es Foucault, Macht als etwas zu denken, das kein Zentrum hat, sondern von überall herkommt. 8 Ohne einen festen Ort, eine starre Mitte, gibt es auch keinen Rand von Widerständigen, keine ,Außenseiter', denn es gibt nichts außerhalb der Macht. „Widerstandspunkte" sind immer schon präsent im Netzwerk der Macht.9 Diese relationale Sichtweise von Macht als Technologie oder Strategie erscheint mir zum Verständnis der Beziehungen von nichtschwenckfeldischer Obrigkeit und schwenckfeldischen Gläubigen hilfreicher als der Ansatz der soziologischen Devianzforschung, deren Konzept vor allem in der historischen Außenseiter- und Randgruppenforschung genutzt,10 aber auch zur Analyse religiöser Minderheiten unter Einbeziehung der Schwenckfelder herangezogen wird." Das Konzept der Devianz geht auf die Soziologie von Dürkheim zurück, der Abweichung als gesamtgesellschaftlich nützlich beschreibt, weil das deviante Verhalten die Menschen in Zorn und Entrüstung zusammenführe. 12 Der Abweichler wird mit Stigmata, Zeichen sozialer Schuld, belegt, die ihm fortan anhaften und ihn als Außenseiter markieren.13 Den verschiedenen sich daraus entwickelnden soziolo7 8

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M. Foucault, Was ist Kritik?, S. 40. „Die Möglichkeitsbedingung der Bedingung der Macht oder zumindest der Gesichtspunkt, der ihr Wirken bis in die ,periphersten' Verzweigungen erkennbar macht und in ihren Mechanismen ein Erkenntnisraster für das gesellschaftliche Feld liefert, liegt nicht in der ursprünglichen Existenz eines Mittelpunktes, nicht in einer Sonne der Souveränität, von der abgeleitete oder niedere Formen ausstrahlen; sondern in dem bebenden Sockel der Kraftverhältnisse, die durch die Ungleichheit unablässig Machtzustände erzeugen, die immer lokal und instabil sind. Allgegenwart der Macht: nicht weil sie das Privileg hat, unter ihrer unerschütterlichen Einheit alles zu versammmein, sondern weil sie sich in j e d e m Augenblick und an j e d e m Punkt - oder vielmehr in jeder Beziehung zwischen Punkt und Punkt erzeugt. Nicht weil sie alles umfaßt, sondern weil sie von überall kommt, ist die Macht überall. Und ,die' Macht mit ihrer Beständigkeit, Wiederholung, Trägheit und Selbsterzeugung ist nur der Gesamteffekt all dieser Beweglichkeiten, die Verkettung, die sich auf die Beweglichkeiten stützt und sie wiederum festzumachen sucht." M. Foucault, Sexualität und Wahrheit, S. 114. M. Foucault, Sexualität und Wahrheit, S. 117. Siehe vor allem: B.-U. Hergemöller, Randgruppen; W. Härtung, Gesellschaftliche Randgruppen; F. Graus, Randgruppen der städtischen Gesellschaft. Zur religiösen Devianzforschung siehe D. Fauth/D. Müller (Hg.), Religiöse Devianz: A m Ende des Bandes versuchen Fauth/Müller die Überlegungen des Devianz-Soziologen Wolfgang Lipp auf die einzelnen Beiträge des Sammelbandes zu beziehen und sie einheitlich mit Hilfe der Devianz-Theorie einzuordnen, darunter fällt auch der im Band enthaltene Aufsatz von Ulrich Bubenheimer zum Schwenckfelder-Kreis um den Tübinger Drucker Eberhard Wild, siehe U. Bubenheimer, Rezeption. E. Dürkheim, Regeln; siehe auch Κ. T. Erikson, Die widerspenstigen Puritaner, S. 14-37. E. G o f f m a n , Stigma.

238 gischen Richtungen zur Erforschung von abweichendem Verhalten ist trotz aller Unterschiede gemeinsam, daß sie die Qualität von Handlungen bewerten.14 Auf den religiösen Bereich angewendet wird der Außenseiter aus der Sicht der Devianz-Forschung aber erst dann zum „Häretiker", wenn er sich selbst als Abweichler begreift, „Selbststigmatisierung" betreibt, d.h. die aktive „Übernahme von Schuld" und die „Inkaufnahme von Ächtung, Verketzerung und Verfolgung".15 Scribner hält den Ansatz der Devianz-Soziologie sowohl für theoretisch unklar als auch für wenig hilfreich für die historische Forschung, da nicht alle Außenseiter auch als randständig zu beschreiben seien. Das Konzept sei zu eindimensional, um das Außenseitertum in seinem zeitlichen Verlauf zu fassen.16 Die Schwierigkeiten mit einem Konzept, das von einer festen Gegenüberstellung von Rand und Zentrum ausgeht, zeigen sich gerade bei einer Anwendung auf religiöse Dissidenten, wie sie Fauth und Müller versuchen. Sie deuten den Schwenckfelderkreis, der im Rahmen des Prozesses um den Tübinger Drucker Eberhard Wild im 17. Jahrhundert17 von der Obrigkeit in Teilen entdeckt wurde, als Geheimbund, dessen „Gruppenidentität vor allem durch die gemeinsame deviante Lage hergestellt wurde". Ihre angebliche Position am Rand der Gesamtgesellschaft führte dazu, daß sie eine universalistische Irenik entwickelten: „Aus der Randposition lässt sich besser ein Verständnis für den Konsens aller Zentralposition entwickeln als aus einer bestimmten Zentralposition."18 Gerade der hier angesprochene Schwenckfelder-Zirkel läßt sich aber m.E. nicht als gesellschaftlich „randständig" deuten. Zum Kreis gehörten Drucker und Studenten ebenso wie amtierende lutherische Pfarrer und Universitätsprofessoren, die einflußreich genug waren, um sich einer dauerhaften „Stigmatisierung" und ernsthaften Sanktionierung zu entziehen.19 14

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Einen Überblick über die neueren Entwicklungen in der Devianz-Forschung bieten H. Peters, Devianz und soziale Kontrolle; S. Lamnek, Neue Theorien abweichenden Verhaltens. Inhaltlich maßgebend für die soziologische Devianz-Forschung ist H. S. Becker, Outsiders. W. Lipp, Außenseiter, S. 23. R. Scribner, Wie wird man Außenseiter?. Ähnlich stellt Andrea Griesebner unter Berufung auf Monika Mommertz die Brauchbarkeit des Devianz-Konzepts - hier bezogen auf die Kriminalitätsforschung - generell in Frage, da der Devianz-Ansatz davon ausgehe, daß zu einem gegebenen Zeitpunkt eindeutig bestimmbar sei, welche sozialen Praktiken erlaubt und verboten seien. Dabei käme ähnlichen Verhaltensweisen in unterschiedlichen Kontexten ein je anderer sozialer Sinn zu, A. Griesebner, Konkurrierende Wahrheiten, S. 292. Siehe dazu auch den Beitrag von A. Griesebner/M. Mommertz, Fragile Liebschaften?, S. 208210. Kritik an der Theorie des abweichenden Verhaltens übt auch Rexroth, der vor allem betont, daß sich die Devianz-Forschung zu sehr auf die Stigmatisierten konzentriert und die Bedeutung des Vorgangs der Kennzeichnung (als abweichend) für die ,Mehrheitsgesellschaft' weitgehend außer Acht läßt, sich also nicht mit dem Agens, den Umständen und den Zielen des labelling-Prozesses beschäftigt, F. Rexroth, Milieu der Nacht, S. 22-24. Siehe Kap. 6. D. Fauth/D. Müller, Phänomene religiöser Devianz - Schluss, S. 134. Von Seiten der Universität ging es eher um eine Auseinandersetzung mit dem einflußreichen Jura-Professor Christoph Besold. Das hat gerade Ulrich Bubenheimer dargelegt, der

239 Betrachtet man die Beziehungen zwischen Obrigkeit und schwenckfeldischen Dissidenten hingegen als ein flexibles Verhältnis, in dem beide Seiten eigene Handlungsziele zu erreichen versuchen, ergeben sich immer neue und andere Machtkonstellationen. 20 Das Machtverhältnis eröffnet so für die Seite der ,anderen', auf die Macht einwirkt, „ein ganzes Feld von möglichen Antworten, Reaktionen, Wirkungen, Erfindungen." 21 Die Reaktionen der Schwenckfelder auf die religiöse Ausgrenzung, die dann zum Teil auch ihre soziale Existenz bedrohte, waren dem jeweiligen Druck und der eigenen sozialen Stellung angepaßt und zeigen somit auch innerhalb des Schwenckfeldertums eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten. Ihre Handlungsstrategien waren nicht nur darauf ausgerichtet, Verfolgung zu entgehen, sondern ihr kreativer Umgang mit den Verfolgungsgefahren wurde konstitutiver Bestandteil ihres religiösen Lebens als Gruppe. Das Bestreben, unter allen Umständen, selbst durch gezielte Lügen, seine wahre religiöse Identität zu verbergen, gab es in verschiedenen Ausprägungen auch bei anderen religiösen Minderheiten, bei Protestanten in katholischen Gebieten, bei Katholiken in protestantischen Territorien ebenso wie bei Juden oder Täufern. Die wenigen zu dem meist als „Kryptoheterodoxie" bezeichneten Phänomen erschienen Forschungen 22 nennen diese Handlungs- und Argumentationsstrategien in der Regel „Nikodemismus". Der Name bezieht sich auf die biblische Gestalt des Nikodemus (Joh 3, 1-21) und wurde vor allem von Calvin verwendet, der sich in mehreren Schriften mit Protestanten beschäftigte, die versuchten, durch Anpassung an die katholische Umwelt persönliche Nachteile zu vermeiden. 23 Die Engführung auf Calvin und seine Begriffsverwendung verdecken die Tatsache, daß das Ausweichen oder Lügen als Verfolgungsschutz im Bereich religiöser Minder-

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auch den Beitrag zu Wild im Sammelband von Fauth/Müller verfaßte, siehe dazu vor allem: U. Bubenheimer, Von der Heterodoxie, S. 330-333. Vergleichbares meint Achim Landwehr, wenn er davon spricht, daß frühneuzeitliche Herrschaft asymmetrisch, aber nicht statisch gewesen sei, und den zirkulär-prozessualen Ablauf betont, A. Landwehr, Policey im Alltag, S. 5-8. M. Foucault, Das Subjekt und die Macht, S. 254. C. Μ. N. Eire, Calvin and Nicodemism; ders., Prelude to Sedition?; J. Kristof, Michelangelo as Nicodemus; P. Matheson, Martyrdom or Mission?; H. A. Oberman, The Impact of the Reformation, S. 15-20. Carlo Ginzburg hat die Meinung vertreten, es gäbe einen ,Erfinder' des Nikodemismus, und sah ihn in dem Arzt und Botaniker Otto Brunfels, C. Ginzburg, II Nicodemismo. Da es sich bei dem von ihm und anderen beschriebenen Verhalten um eine allgemeine, wenn auch wenig untersuchte menschliche Handlungsstrategie handelt, die zeitlich nicht nur mit dem Reformationsjahrhundert verbunden ist, erscheint diese Zuordnung unwahrscheinlich, siehe auch die Kritik von P. Zagorin, Ways of Lying, S. 68-70. Neben diesen Beispielen aus dem Bereich des lutherischen bzw. reformierten Glaubens gab es „Nikodemiten" auch unter den Dissidenten, selbst unter den glaubensgewissen Täufern, die eigentlich den Märtyrertod propagierten, G. H. Williams, The Radical Reformation, S. 724731 (Niclaes u. Joris); 892-896 (Italien); 904-912 (Calvin, Frankreich, Coonhert); J. S. Oyer, Nicodemites. Corpus Reformatorum, Bd. 33, Ioannis Calvini Opera 5, Sp. 239-279; Bd. 34 / 6, Sp.537588, 589-614, 617-644; Bd. 36 / 8, Sp. 369-452; Bd. 37 / 9, Sp. 581-628.

240 heiten eine lange Tradition hatte und die theologisch gestützte Verstellung bis ins 20. Jahrhundert hinein propagiert und praktiziert wurde.24 Im folgenden werde ich daher anstelle von „Nikodemismus" oder „Heuchelei"25 für die von Schwenckfeldern praktizierte Handlungsstrategie den Begriff ,dissimulieren' verwenden. Der im englischen, französischen und besonders im italienischen Sprachgebrauch häufig verwendete Ausdruck enthält anders als der im Bereich der Untersuchung (religiöser) Minderheiten häufig gebrauchte Terminus „Kryptoheterodoxie", „Kryptodissidentismus" oder „versteckte religiöse Devianz"26 weniger wertende Aspekte und umfaßt mehr Bedeutungsnuancen. Der vom lateinischen ,dissimulare' stammende Begriff bezeichnet eine Form des Verhaltens, die sowohl das physische Verkleiden und Unkenntlichmachen als auch das sprachliche Verbergen, Verleugnen, zudem das eher passive Verschweigen sowie das Übersehen und Ignorieren umfaßt, also einen weiten Handlungsspielraum, der den differenzierten Strategien schwenckfeldischen Verhaltens gegenüber der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit am ehesten gerecht wird. Da .dissimulieren' ursprünglich auch eine nichtsprachliche Dimension hatte, eignet es sich besonders gut zur Beschreibung der spezifisch schwenckfeldischen Techniken des Verbergens, die sowohl sprachliche Äußerungen und gezielt eingesetztes (Verschweigen in Verhören als auch die Teilnahme an bzw. das Fernbleiben von kirchlichen Veranstaltungen beinhalteten. Nach Zagorins Untersuchungen gab es im 16. Jahrhundert bereits eine vollentwickelte Doktrin des Dissimulierens, die sich auf theologische Autoritäten, vor allem aber auf die Bibel stützte.27 Die Schwenckfelder beriefen sich nie explizit auf diese Vorstellungen. Ihre Argumentation vor den obrigkeitlichen Gremien und ihr Handeln im gottesdienstlichen Raum korrespondierte mit ihrem eigenen theologischen Selbstverständnis, so daß es keiner weiteren Rechtfertigung bedurfte. Schwenckfelder behaupteten sich mit ihrem Konzept der ,via media' zwischen den Konfessionen im „diskursiven Babel", das sich im Zuge der Konfessionalisierung entwickelt hatte und in dem die Theologen und obrigkeitlichen Amtsträger

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Perez Zagorin nennt dafür diverse Beispiele: von dem System des Ketman zur islamisch begründeten Anpassung an kommunistische Ideologien im 20. Jahrhundert bis zurück zu den Waldensern und den jüdischen Minderheiten im Mittelalter, P. Zagorin, The Historical Significance. Auch Gerhild Scholz Williams beschreibt in ihrer Untersuchung über die Zusammenhänge der drei Diskurse über Magie, Entdeckung der neuen Welt und Häresie die Strategien der Verstellung. Neben dem Begriff „Nicodemism" benutzt sie dabei den Begriff „dissimulation", der in der deutschen Übersetzung ihres Buches ausschließlich mit „Heuchelei" übersetzt wird und damit auf einen Aspekt der englischen Wortbedeutung unzutreffend engeführt wird, G. Scholz Williams, Defining Dominon, S. 121-145; deutsche Übersetzung von Christiane Bohnert: Hexen und Herrschaft, S. 137-162. Siehe u.a. U. Bubenheimer, Heterodoxie; D. Fauth, Dissidentismus. P. Zagorin, Ways of Lying, S. 5f.; ders., Significance of Lying, S. 869f.

241 mit immer größerer Mühe und zunehmendem Eifer versuchten, konfessionelle Orthodoxie in der Vielzahl der verschiedenen Stimmen überhaupt zu definieren. 28 Das Wechselspiel der Macht, in dem die eine Seite in repressiver Weise religiöse Orthodoxie durch die Ausgrenzung anderer Stimmen zu definieren und durchzusetzen suchte und der Umgang der Schwenckfelder mit den aus dem Prozeß der Häretisierung resultierenden Gefahren, denen sie dadurch zu begegnen suchten, daß sie sich auf den Diskurs der Macht dissimulierend einließen, sind also Thema dieses Kapitels. Dabei wird zunächst der Prozeß der Häretisierung, der Verdrängung schwenckfeldischer Religiosität aus der Mitte der Reformation an den dissidentischen Rand der Gesellschaft im Zuge der Bekenntnisbildung analysiert (5.1 und 5.2). Es werden die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten im Handeln kirchlicher und weltlicher Stellen, ihre zum Teil unterschiedlichen Ziele und Methoden, aber auch ihr Zusammenwirken in der Bekämpfung der Schwenckfelder dargestellt (5.3 und 5.4). Anschließend werden die schwenckfeldische Reaktion auf die Ausgrenzungsversuche der nicht-dissidentischen Umwelt und ihr Umgang der Schwenckfelder damit - einmal als Personen, die selbst als Reichsritter Herrschaft über andere ausübten und andererseits als Vorgeladende und Verfolgte vor den städtischen und territorialen Obrigkeiten in einer flexiblen Handlungsstrategie des Dissimulierens - gezeigt (5.5 und 5.6). Am Ende werden die Ergebnisse der Untersuchung des Ausgrenzungsprozesses der Schwenckfelder im Rahmen der Bekenntnisbildung mit den Forschungen zur Konfessionalisierung in Beziehung gesetzt.

5.1

Leben ohne Verfolgung

In den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts fand Schwenckfeld in Süddeutschland vor allem Anhänger in den Reichsstädten, in denen es schon früh eine starke reformatorische Bewegung gab, ein offizielles, rein protestantisches Kirchenwesen aber erst relativ spät eingeführt wurde. Diese oberdeutschen Städte29 entwi-

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G. Scholz Williams, Hexen, S. 139f., 143, bes. S. 160f. Williams nimmt hier geschlechtsspezifische Unterschiede wahr: Während es Männern häufig gelang, durch effizientes und ausweichendes Diskutieren den Verfolgungen durch die Verwalter des hegemonialen Diskurses zu entgehen, hatten Frauen - gemeint sind hier die als Hexen angeklagten - keine Möglichkeit, sich im gelehrten theologischen Diskurs zu behaupten, dessen Regeln sie nicht kannten, d.h. sie hatten keine Verteidigungsstrategie auf dem kulturellen Markt. Die Unterscheidung gebildete dissimulierend dissidentische Männer (sie betrachtet vor allem Libertiner und Atheisten) und Frauen aus dem ländlichen Milieu, die weitgehend von formaler Bildung ausgeschlossen waren, läßt sich wie in Kap. 3 gezeigt, auf das Schwenckfeldertum nicht übertragen. Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder verstanden es gleichermaßen, sich oftmals durch dissimulierendes Verhalten der Verfolgung zu entziehen (siehe Kap. 5.6.). Die Bezeichnung „oberdeutsch" wird nicht konsistent verwendet, sondern bezeichnet entweder alle Orte südlich des Mains oder aber im engeren Sinne die drei großen Zunftstädte Ulm, Augsburg und Straßburg und die zwischen ihnen liegenden kleineren Reichsstädte,

242 ekelten eine eher an Zwingli orientierte, in vielen Punkten aber eigenständige Theologie30 und teilten einige politische und soziale Charakteristika wie die kommunalistischen Zunftverfassungen, die Zunahme von wirtschaftlichen und sozialen Konflikten, die geographische wie politische Nähe zur Schweiz bei gleichzeitiger Abhängigkeit von Kaiser und Reich sowie die Spannungen mit den umliegenden (katholischen) Territorien.31 Im folgenden soll die schwenckfeldische Einflußnahme auf die Reformationspolitik dieser Reichsstädte untersucht werden. Der schwenckfeldische Weg zwischen den Konfessionen bot hier gerade für reformatorisch gesonnene Angehörige der städtischen Eliten eine Reihe von zusätzlichen Handlungsspielräumen. Schwenckfeldische Einflüsse wurden besonders dort sichtbar, wo auch die protestantischen Prediger den Lehren des Schlesiers nahestanden und mit Ratsangehörigen, Bürgermeistern oder den einflußreichen Stadtschreibern zusammenwirkten. Hier kann man m.E. von einer schwenckfeldisch beeinflußten Reformation sprechen. Das war besonders in Kaufbeuren und Landau der Fall. Andernorts stieß die Lehre Schwenckfelds nur auf Seiten der weltlichen Obrigkeit auf einiges Interesse, wurde aber von den protestantischen Theologen abgelehnt. Hier wurden Schwenckfelder zwar bei der Einführung und Umsetzung der Reformation tätig, aber ihr Einfluß war geringer, da die evangelischen Pfarrer von Anfang an gegensteuerten. Zur Lösung der zwischen Schwenckfeldern und oberdeutschen Theologen bestehenden Konflikte arrangierten Anhänger Schwenckfelds und nichtschwenckfeldische, aber um theologische Einigung bemühte Angehörige der weltlichen Obrigkeit Religionsgespräche zwischen den streitenden Parteien.

5.1.1 Schwenckfeldisch beeinflußte Reformation Die Frage nach einer schwenckfeldischen Prägung protestantischer Reformationen im süddeutschen Raum wurde bislang von der Forschung kaum gestellt. Das liegt vor allem daran, daß das Schwenckfeldertum in der Regel als „Sekte", als Minderheit eingestuft wird. Ihre religiöse Lebensweise erweckt dann natürlich nicht den Eindruck, als sei sie dazu geeignet, größere Bevölkerungsgruppen an sich zu binden. Zudem bildete das Schwenckfeldertum keine klare Ekklesiologie heraus und erscheint damit auch nicht in der Lage, ein Kirchenwesen prägend

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wobei Esslingen und Konstanz als nord-südliche Begrenzungen dienen, siehe R. Freudenberger, Der oberdeutsche Weg, S. 45. B. Moeller, Kirche; R. Freudenberger, Der oberdeutsche Weg, S. 46-57. Heinrich Richard Schmidt fuhrt das auf die Verfassungsstruktur der Städte zurück. Demnach hätten Orte mit einer Zunftverfassung sich zunächst zur zwinglischen Ausrichtung der Reformation bekannt, während das Luthertum in den Patrizierstädten dominiert habe, siehe H. R. Schmidt, Reichstädte, S. 262, 337. R. Freudenberger, Der oberdeutsche Weg, S. 58. Einen knappen Überblick über die Vorgänge in den südwestdeutschen Reichsstädten geben auch W. Enderle, Ulm und die evangelischen Reichsstädte und P. Eitel, Auswirkungen.

243 umzugestalten. Diese Sichtweise legt das Schwenckfeldertum auf den Rand der Gesellschaft fest, was zumindest bis zur Jahrhundertmitte nicht zutreffend ist, als es noch eine größere tolerierte Bandbreite an theologischen Konzepten und religiösen Lebensformen gab. Feste konfessionelle Bekenntnisse hatten sich gerade noch nicht herausgebildet. In den Städten des oberdeutschen Raums war die frühe reformatorische Bewegung nicht lutherisch geprägt, sondern entwickelte eigenständige Vorstellungen in Lehre und religiösem Leben, die denen Zwingiis nahestanden. 32 Zwar hatte Schwenckfeld andere Vorstellungen von der Bedeutung der äußeren Gestalt der Kirche und von der Anwendung von Zwangsmaßnahmen in Glaubensdingen als der Schweizer Reformator, in der Abendmahlslehre gab es aber sehr viele Gemeinsamkeiten. 33 Auch stimmten die Schwenckfelder mit den Oberdeutschen in der Betonung eines frommen Lebenswandels als Ausweis des Glaubens überein, aber ohne den politisch-sozialen Radikalismus der zwinglischen Kirchenkonzeption. Das war besonders für die weltlichen Eliten der Städte attraktiv: „Here one could be a good Zwinglian without paying the political "34

price. Am Beispiel der Stadt Kaufbeuren läßt sich besonders gut zeigen, wie die schwenckfeldische Theologie mit den politischen Erfordernissen eine Zeit lang korrespondierte. Als sie ihren politischen Zweck nicht mehr erfüllte, änderte die weltliche Führung ihren religionspolitischen Kurs.35 Obwohl die reformatorische Bewegung in Kaufbeuren früh in Erscheinung trat, man 1525 sogar ein Religionsgespräch abhielt, aus dem die zwinglisch orientierten protestantischen Geistlichen als ,Sieger' hervorgingen, scheute der Rat vor einer Reformationseinflihrung zurück und ordnete nur einige vorsichtige Neuerungen an. Das lag vor allem an der geographischen Lage der kleinen Reichsstadt zwischen den mächtigen katholischen Regionalmächten Bayern und den geistlichen Territorien von Augsburg und Kempten, aber auch an dem Vorgehen des Schwäbischen Bundes gegen die protestantischen Geistlichen in der Stadt im Zusammenhang mit dem Bauernkrieg.36 Erst die beiden 1543 gewählten schwenckfeldischen Bürgermeister Anton Honold und Matthias Lauber brachten die entscheidende Wende zur Reformation. Die außenpolitisch gebotene Vorsicht korrespondierte mit der schwenckfeldischen Abneigung gegen Zwangsmaßnahmen in Glaubensfragen und gegen ein 32 33

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B. Moeller, Kirche. In der ersten Jahrhunderthälfte, besonders in der Zeit vor 1540, erschienen zudem nur Arbeiten von Schwenckfeld, die nicht polemischer Natur waren oder die sich gegen Katholizismus bzw. Luthertum, nicht aber gegen den reformierten Protestantismus richteten. McLaughlin k o m m t daher zu dem Schluß: Schwenckfeld „was therefore undistinguishable from the rest of the South German theologians", R. E. McLaughlin, Schwenckfelders of South Germany, S. 64. Z u den Ähnlichkeiten in der Abendmahlslehre siehe R. Ε. M c L a u g h lin, South German Eucharistie Controversy. R. E. McLaughlin, Reluctant Radical, S. 167. Siehe Kap. 5.2. Κ. Alt, Reformation; S. Dieter, Reformation in Kaufbeuren (1. Teil), S. 303-306; ders., Von den Ereignissen, S. 64-67.

244 äußerlich durch Verordnungen fixiertes Kirchenwesen. Die Bürgermeister gingen behutsam und schrittweise vor. Sie ließen die katholische Messe bestehen, beauftragten aber den einzigen in der Stadt verbliebenen protestantischen Geistlichen, den schwenckfeldischen Glaubensbruder Matthias Espenmüller, der eine von der Familie Honold gestiftete Prädikatur innehatte, damit, nach der Messe Predigten abzuhalten.37 Den katholischen Stadtschreiber ersetzten sie ebenfalls durch einen Schwenckfelder, durch Matthäus Windisch.38 1544 stellte der Rat erstmalig offiziell einen protestantischen Pfarrer an. Die Bürgermeister wandten sich dafür ratsuchend nicht etwa wie so viele andere süddeutsche Städte an die führenden oberdeutschen Orte Augsburg bzw. Straßburg, sondern an Schwenckfeld.39 Dieser empfahl ihnen den bis dahin unter großen Schwierigkeiten im württembergischen Stetten, einer reichsritterschaftlichen Besitzung, amtierenden Burkhard Schilling. Der Rat akzeptierte und stellte Schilling am 4.7.1544 als Pfarrer an.40 Somit waren sowohl auf Seiten der kirchlichen wie der weltlichen Obrigkeit die Schlüsselpositionen mit Schwenckfeldern besetzt. Die Auswirkungen auf das Kirchenwesen der Stadt bestanden vor allem darin, daß man mittels obrigkeitlicher Verordnungen versuchte, auf eine christliche Lebensführung, eine Besserung des Lebens, hinzuwirken.41 Zu Beginn des Jahres 1545 wurde eine Almosenordnung erlassen, Fastnacht und Gunkelhäuser verboten und das Bordell geschlossen.42 Der Rat nahm sich von diesen Maßnahmen nicht aus und verbot sich sogar selbst die traditionellen Feierlichkeiten anläßlich der Steuereinhebung.43 Auffallender als diese Bemühungen auf dem Gebiet der Sittenzucht ist das, was die schwenckfeldischen Obrigkeiten nicht taten: Es wurde weder eine offizielle evangelische Kirchenordnung erlassen noch Bilder oder Messe abgeschafft. Die üblicherweise als Kennzeichen für die Reformationseinführung geltenden Maßnahmen fehlten also.44 Es gab kein offizielles Bekenntnis, 37 38

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Stadtarchiv Kaufbeuren, Β 4, 1543/62, fol. 15r. Stadtarchiv Kaufbeuren, Hörmann, Stadtchronik, fol. 473. Diese Entscheidung fiel noch im ersten Regierungsjahr von Honold und Lauber und unterstreicht die Bedeutung des Stadtschreiberamtes für die Reformation, siehe dazu P. Frieß, Stadtschreiber, der Windisch allerdings nicht explizit erwähnt. Im Oktober schrieb Schwenckfeld an seinen Bruder Hans, daß er die Anstellung des Pfarrers habe helffenfördern, C.S. 9, S. 134. Kaufbeuren, Stadtarchiv, Β 4, 1543/62, fol. 33r. Auf den engen Zusammenhang von unsittlicher Lebenspraxis und unchristlichem Kirchenwesen wies Schilling die Kaufbeurer Obrigkeit eindringlich hin in dem an Bürgermeister und Rat von Kaufbeuren gerichteten Widmungsschreiben seiner Kirchenschrift vom Dezember 1544, München, Staatsbibliothek, Cod.germ.981, fol. 2f. Das Schreiben ist im Münchener Exemplar der Schrift enthalten, fol. 1-10. Die in Berlin befindliche SudermannAbschrift enthält den Text nur gekürzt und anonymisiert, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 429, fol. 1-3. Kaufbeuren, Stadtarchiv, Β 4, 1543/62, fol. 43r. Kaufbeuren, Stadtarchiv, Hörmann, Stadtchronik, fol. 339. K. Alt, Reformation, S. 69; A. von Steichele/A. Schröder, Das Bistum Augsburg, Bd. 6, S. 374f. Aus dem Bericht einer Kaufbeurer Franziskanerin über die Geschichte ihres Klosters

245 a u f das alle Bürger verpflichtet waren. D i e katholischen E i n w o h n e r konnten w e i terhin ihren G l a u b e n ausüben. 4 5 D i e R e f o r m a t i o n war nach a u ß e n nicht sichtbar: R e l i g i ö s e S y m b o l e und Z e i c h e n in Gestalt v o n sakramentalen H a n d l u n g e n wurden nicht e v a n g e l i s c h umgestaltet, sondern die Sakramentsausteilung selbst wurde einfach g a n z unterlassen: S c h i l l i n g taufte nicht und teilte auch das A b e n d m a h l nicht aus. 4 6 A l l e r d i n g s war ihm keine lange A m t s z e i t in Kaufbeuren vergönnt. Er starb nur w e n i g e M o n a t e nach s e i n e m Amtsantritt im März 1545. Im d a r a u f f o l g e n d e n M o n a t b e s u c h t e S c h w e n c k f e l d im R a h m e n einer A l l g ä u R e i s e auf Einladung der Bürgermeister auch Kaufbeuren. Er lehnte es z w a r ab, d i e ihm a n g e b o t e n e K a n z e l zu besteigen, hielt aber t h e o l o g i s c h e Ermahnungen und Erläuterungen vor ettlich

hundert

menner

und weiter

ab. 47 D i e rege B e t e i l i -

g u n g der Bürger deutet z u m i n d e s t a u f ein breites Interesse an S c h w e n c k f e l d s Person und an seiner T h e o l o g i e hin. 4 8 D i e g e n a u e Zahl der A n h ä n g e r läßt sich aus den Q u e l l e n w e d e r für die geschilderte frühe Zeit der reformatorischen B e w e g u n g n o c h für das spätere 16. oder das 17. Jahrhundert b e s t i m m e n . D i e E n t w i c k l u n g d e s reformatorischen G e s c h e h e n s in K a u f b e u r e n v o r der Jahrhundertmitte wird in den e i n s c h l ä g i g e n kirchen- und Arbeiten als sektische „Wirrnisse"

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stadtgeschichtlichen

oder als „ u n v o l l e n d e t e R e f o r m a t i o n " be-

geht hervor, daß Schilling zwar in der Pfarrkirche predigte, katholische Bilder und Figuren aber erst nach dem Tod des Pfarrers entfernt wurden. Einige Monate nach Schillings Ableben weigerte sich der Sohn des Bürgermeisters Lauber, sich in der Kirche trauen zu lassen, bevor die Heiligen aus dem Gotteshaus entfernt worden waren. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde auch den verbliebenen katholischen Priestern das Messehalten untersagt, Augsburg, Staatsarchiv, Kloster Kaufbeuren (Franziskanerinnen), MüB 14 (Aufzeichnungen zur Geschichte des Klosters 2), fol. 3-5. Auch der Altar und die katholischen Kultgegenstände wurden erst nach der schwenckfeldischen Phase verändert, um protestantischer Sakramentsgestaltung zu genügen, Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten Nr. 541, Keller an Rat 3.9.1545, fol. Γ . Das galt allerdings nicht für die Täufer. Gegen sie wurde im Juli 1544 ein Mandat verfugt, das auf die reichsrechtlichen Verordnungen gegen die Täufer Bezug nahm, aber wohl vorwiegend aus außenpolitischen Rücksichten erlassen worden war. In der Praxis wurde wenig gegen sie unternommen. Täufern, die nach Mähren auswandern wollten, wurde das sogar offiziell unter Aushändigung ihres Besitzes gestattet. Die evangelischen Reichsstände beschwerten sich im März 1545 daher über die Duldung der Täufer in Kaufbeuren, Kaufbeuren, Stadtarchiv, Β 4 1543/62, fol. 34, K. Alt, Reformation, S. 66f. Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Hörmann, Kirchenchronik, fol. 32; Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten 541, Bericht Keller, 27.8.1545; 3.9.1545. Schwenckfeld schilderte den Aufenthalt in der Stadt in einem Brief an Katharina Ebertz, C.S. 9, S. 303, 308-310. Auch der Kaufbeurer Ludwig Hörmann berichtete am 5.5.1545 in einem Brief an seinen Vater Jörg von Schwenckfelds Besuch in der Stadt und erwähnte, daß er nicht nur bei den Bürgermeistern, sondern auch in anderen Häusern zu Gast war, Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Anlage 065, fol. 82r. Nach der von Hörmann im 18. Jahrhundert verfaßten Kirchenchronik fand das Schwenckfeldertum auch unter den Einwohnern 1544/45 eine so große Verbreitung, daß sich Schwenckfelds Bücher bis in das 17. Jahrhundert in den Häusern der meisten Einwohner fanden, Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Anlage 133, fol. 35. K. Alt, Reformation, S. 43-62.

246 schrieben,50 der die reformatorische Predigerpersönlichkeit gefehlt habe, weshalb sich Täufer und Schwenckfelder haben etablieren können - selbst in obrigkeitlichen Ämtern. Diese Bewertungen setzen eine eindeutige theologische und kirchenpolitische Orientierung, eine protestantische Konfessionalisierung, offensichtlich schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt an und verkennen die Parallelen zu den reformatorischen Abläufen in den anderen oberdeutschen Reichsstädten. Auch dort ist eine lutherische Orientierung zunächst nicht zu finden, nicht einmal nach einer Verpflichtung auf die Confessio Augustana. In den Hauptkontroverspunkten Abendmahl und Kirchenorganisation waren sich Schwenckfelder und oberdeutsche Reformatoren zunächst ähnlicher als Zwinglianer und Lutheraner. Insofern ist auch die Formulierung, es sei den Anhängern Schwenckfelds seit den 1530er Jahren sogar gelungen, politische Ämter zu bekleiden, m.E. nicht zutreffend, da in Kaufbeuren zu dieser Zeit die Bezeichnung ,Schwenckfelder' für eine auszugrenzende sektische Minderheit nicht existierte (,Schwenckfelder' sind daher auch in den obrigkeitlichen Quellen der Zeit nicht erwähnt). Die Anhänger Schwenckfelds befanden sich in der kleinen Reichsstadt zu dieser Zeit in der Mitte der reformatorischen Bewegung. Die religiösen Praktiken der Schwenckfelder, Sakramentsstillstand51 und Toleranz gegenüber Andersgläubigen, die nur wenige nach außen sichtbare Veränderungen nötig machten, entsprachen mehr als andere protestantische Strömungen den außenpolitischen Erfordernissen. Die kleine Reichsstadt war umgeben von mächtigen katholischen Gebieten und hatte im Zusammenhang mit dem Bauernkrieg das harte antiprotestantische Vorgehen des Schwäbischen Bundes einschließlich der Vertreibung der evangelisch gesonnenen Geistlichen zu spüren bekommen. Der daraus resultierende vorsichtige obrigkeitliche Kurs wurde vom schwenckfeldischen Konzept der „via media" zwischen den Konfessionen und einem inneren Christentum, das von auffalligen Veränderungen absehen konnte, theologisch unterstützt. Etwas anders war die Situation in der kleinen pfälzischen Reichsstadt Landau, wo ebenfalls ein schwenckfeldischer Pfarrer als einziger protestantischer Prediger agierte und die Abkehr der Stadt vom Katholizismus in die Wege leitete. Wie in Kaufbeuren galt es aber auch hier, außenpolitisch Rücksicht zu nehmen - vor allem auf das Bistum Speyer. Der Pfarrer war nicht wie in Kaufbeuren eigens von der Stadt berufen worden, sondern der vom Bistum als Stiftsherr in Landau eingesetzte Johannes Bader wandte sich der Reformation zu. Er unterhielt zunächst enge Kontakte zu den benachbarten oberdeutschen Theologen in Straßburg und kam dann ab 1529 mit schwenckfeldischen Lehren in Kontakt. Nach dem Tod

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S. Dieter, Kaufbeuren in der frühen Neuzeit, S. 97-100. Der Stillstand bei Abendmahl und Taufe war ursprünglich als zeitlich begrenzt gedacht, bis die daran Teilnehmenden wahre Christen geworden waren, die die Sakramente im rechten theologischen Verständnis gebrauchen konnten. Zur schwenckfeldischen Sakramentstheologie siehe Kap. 3.2.3.

247 seines Helfers Wacker und wegen seines schlechten Gesundheitszustands wurde Bader 1543 vom Rat aufgefordert, sich einen neuen Helfer zu nehmen. 52 Nach Rücksprache mit Schwenckfeld berief er den schwenckfeldischen Pfarrer Johann Liebmann, der ohnehin mit der Kirchenleitung im Ulmer Landgebiet Schwierigkeiten hatte. Liebmann übernahm auch nach Baders Tod 1545 dessen Amtsgeschäfte. Die spärlichen reichsstädtischen Quellen geben wenig über die Art der Umgestaltung des Kirchenwesens in Landau bekannt. Deutlich wird nur, daß auch Bader den schwenckfeldischen ,Abendmahlsstillstand' praktizierte und kaum Kindertaufen durchführte." Bei den wenigen Taufen und bei Hochzeiten wurden keine Glocken geläutet, im Gottesdienst gab es keine Kollekte.54 Die kleine katholische Minderheit durfte weiter in der Stadt existieren. Der Rat ging strikt gegen antikatholische Gewalttaten vor und ließ sogar im 17. Jahrhundert noch Augustiner-Eremiten in der Stadt leben.55 Auch in Landau korrespondierten die außenpolitischen Erfordernisse einer kleinen Reichsstadt zwischen dem katholischen Bistum, dessen Herrn man auch nach dem Loskauf als ,Obrigkeit' anredete,36 und der mächtigen protestantischen Reichsstadt Straßburg, die man als protestantische Verbündete sah, mit den schwenckfeldischen Vorstellungen eines ,Königswegs' zwischen den Konfessionen, der religiöse Minderheiten tolerierte.57 Das Schwenckfeldertum bot hier also Handlungsmöglichkeiten für kleine reichsfreie Gemeinwesen mit protestantischer Bevölkerungsmehrheit, die, um als evangelisch gesonnene Reichsstädte überleben zu können, außenpolitisch zunächst gegenüber altgläubigen Nachbarn und dem Kaiser einen vorsichtigen Kurs steuern mußten. Dieser kirchenpolitische Schwebezustand' ließ sich aber nicht lange durchhalten und erforderte spätestens ab der Jahrhundertmitte starke Bündnispartner und damit eine konfessionelle Engführung des Kirchenwesens, was eine durchgreifende religiöse Umorientierung der schwenckfeldisch geprägten Orte notwendig machte.58

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Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 6, 1541-1547, fol. 90 v . J. P. Gelbert, Baders Leben und Schriften, S. 260. Der lutherische Pfarrer Brunner führte diese Bräuche mit der Umgestaltung des Kirchenwesens erst in den 1550er Jahren wieder ein, Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 8, 15531562, fol. 3 f . F. Haffher, Die katholische Pfarrei, S. 249f. In Landau sah man noch 1556 den Bischof von Speyer als übergeordnete Autorität an, F. Haffner, Die katholische Pfarrei, S. 246. Diese Duldsamkeit galt auch hier wie in Kaufbeuren nicht gegenüber den Täufern. Anders als in Kaufbeuren vertrat in Landau auch der schwenckfeldische Pfarrer einen harten Kurs ihnen gegenüber, was zu Kontroversen zwischen Bader und Schwenckfeld führte, der sich deutlich gegen jede Verfolgung der täuferischen Minderheit aussprach, C.S. 4, S. 241-161. Trotz des von ihm unterstützten harten Kurses gegen die Wiedertäufer stand Bader der Säuglingstaufe selbst kritisch gegenüber, aber eben aus spritualistisch-schwenckfeldischen Motiven: Er übte allgemein Kritik am Gebrauch äußerer Sakramente ohne den rechten Glauben. Siehe Kap. 5.2.

248 Nicht nur in Städten, auch in den bäuerlichen Gemeinden betrieben offiziell angestellte Pfarrer den schwenckfeldischen Stillstand beim Abendmahl und gelegentlich auch bei der Säuglingstaufe im Einklang mit oder zumindest geduldet von der lokalen Obrigkeit. Sie initiierten hier die reformatorische Bewegung zwar nicht, beeinflußten bis zur Jahrhundertmitte jedoch Ausprägung und Verlauf. Dabei stießen sie auf breite Akzeptanz der ortsansässigen Bevölkerung, wie sich beispielhaft anhand des Ulmer Landgebiets zeigen läßt. In Pfuhl amtierte der schwenckfeldische Pfarrer Johann Liebmann, der weder gegen einen in seinem Pfarrort bekannten Täufer, einen Kunstschmied, vorging noch das Abendmahl hielt. Säuglingstaufen, die er persönlich ablehnte, erteilte er nur auf dezidiertes Ersuchen der Eltern des Täuflings.59 Seine abweichenden religiösen Praktiken waren den Ulmer Behörden erst anläßlich einer Visitation im Jahre 1543 bekannt geworden, offenbar hatten sich weder die weltlichen Amtleute in Pfuhl noch andere Dorfbewohner über ihn beschwert. Im Gegenteil - in der Visitation berichteten sie freimütig über die Unterlassungen des Pfarrers, verglichen ihn mit dem vorherigen lutherischen Prediger und kamen einhellig zu dem Urteil, daß ihnen Liebmann besser gefalle - besonders in seiner Lehre vom Nachtmahl. Dabei hoben die Befragten die für sie wichtigen Aspekte von Liebmanns schwenckfeldischer Sakramentstheologie einhellig hervor: Lert er [Liebmann] daß ainer soll on sünd hin zu gen sonst empfahe er die verdamung, auch soll ainer den leib Jm glauben empfahen.60 Die hier betonten Aspekte des rechten Glaubens, der dem Mahl vorausgehen müsse und der sich in einer sichtbaren Veränderung des Lebens, einem moralischen Fortschritt, zu äußern habe, stand auch am Anfang schwenckfeldischer Überlegungen zum Abendmahl.61 Schwenckfeld und seine Anhänger blieben jedoch bei diesen Aspekten nicht stehen, sondern legten den Schwerpunkt ihres Denkens auf den inneren spirituellen Vorgang, die Teilhabe am glorifizierten Fleisch Christi, die man nur empfangen konnte, wenn man zuvor im Glauben unterrichtet worden war.62 Diese mangelnde Unterweisung der Kommunikanten führte zum Zustand der ,UnWürdigkeit' und war für Schwenckfeld und seinen Kreis schon in Schlesien der Grund gewesen, einen Stillstand beim Abendmahl zu praktizieren.63 Denselben Grund nannte auch Liebmann mündlich in der Visitation. Er halte kein Nachtmahl, die weil kain Liebe vnder Jnen Sej / [...] darumb auch daß die gemain nit zuuor wellend zusamen kommen / vnd sich mitteinander vnderreden von der bruderlichen liebe vnd ande=ren christenlichen tugentden,64 59

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Ulm, Stadtarchiv, A [1745a], fol. 30. Liebmann gab selbst an, daß die Kindertaufe nicht aus Gott sei. Ein befragtes Gemeindemitglied meinte, daß er aber teufft -wann mans haben wyll. Ulm, Stadtarchiv, A [1745a], fol. 30. R. E. McLaughlin, Genesis, erneut abgedruckt in: ders., The Freedom of Spirit, S. 95-124. R. E. McLaughlin, South German Eucharistie Controversy, S. 185. R. E. McLaughlin, Reluctant Radical, S. 75f. Ulm, Stadarchiv, A [1745a], fol. 30 r . Neben seinem mündlichen Bekenntnis hatte er auch eine schriftliche Rechtfertigung seiner Abendmahlslehre und Christologie eingereicht, in der

249 David Warren Sabean hat für das lutherische Württemberg darauf hingewiesen, daß die Bauern den Aspekt des ,Würdigseins' einseitig betonten. Während die Obrigkeit über die Teilnahme am Abendmahl Gemeinschaft konstituierte und das Sakrament sozialdisziplinierend nutzte, gebrauchten die Dorfbewohner das gleiche Ritual zur innerdörflichen Konfliktregulierung und zum Widerstand gegen obrigkeitliche Herrschaftsansprüche. Im Zustand des ,Unwürdigseins' beispielsweise bei einem nachbarlichen Konflikt weigerten sich die Betroffenen kategorisch, am Abendmahl teilzunehmen. 65 Während in Württemberg nur Einzelne nicht kommunizierten, schafften die Schwenckfelder in Pfuhl und anderen Orten des Landgebiets 66 das Abendmahl für alle ab, mit dem Argument, daß die Gemeinde im Ganzen nicht im biblischen Sinne würdig sei, am äußeren Sakrament teilzunehmen. Grenzen fur die Zugehörigkeit zur Gemeinde und Ortsgemeinschaft konstituierten sich hier offenbar anders als über die Zugehörigkeit zur sakramentalen Gemeinschaft und boten in diesen Ulmer Dörfern die Möglichkeit fur ein spirituelles Verständnis der Christengemeinschaft. Ein Verständnis von (christlicher) Gemeinde, das sich nicht auf die sakramentalen Rituale konzentrierte, war nicht auf bäuerliche Welten beschränkt. 67 Auch in den in den 1540er Jahren schwenckfeldisch orientierten Reichsstädten Kaufbeuren und Landau wurde das Abendmahl nicht gehalten, christliche Gemeinde kam hier zustande ohne abgrenzende Rituale. Offenbar hat sich niemand an der Abschaffung der beiden den Protestanten verbliebenen Sakramente gestört. Für die reichsstädtische Gesellschaft blieb hier nur das weltliche Zugehörigkeitsritual des Eides, dem auf geistlicher Seite durch die faktische Abschaffung der christlichen Rituale im schwenckfeldischen Stillstand nichts mehr entsprach.

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er die zentrale Bedeutung des geistlichen Essens, des inneren Vorgangs, betonte, der dem äußeren Mahl unbedingt vorausgehen müsse. Das Sakramentsritual war demgegenüber vernachlässigbar: Darumb so steht das geystlich essen vnnd trincken deß Leibs vnnd bluts Christj / f i r sich selbst Jm glauben / vnnd Jst nit an das brotbrechen / Oder widergedechtnus gebunden / Sonder es Jst vil mehr dagegen / das widergedechtnus an das essen gebunden / Also /Das kein widergedechtnus / brot=brechen / Oder Sacramentlich essen / On das vorgende gevst =liche essen vnnd trincken / deß Leibs vnnd bluts christj / rechtwerdig / Oder on schuldt /gericht / vnnd schaden /geschehen / noch gehallten könnde werden / Gleich wie auch keiner mag ein recht Gracias sprechen / Er habe dann zuuor geessen / Sei gespeiset / vnnd satt worden / Darumb so muß das geystliche essen / Jm Glauben / beim rechten verstandt der wort / Daas Jst mein Leib / allweg vorahn gehn, Ulm, Stadtarchiv, A [8984 / II], fol. 396 r . D. W. Sabean, Kommunion und Gemeinschaft, S. 51-76. So saßen auch in Mähringen, Altheim und Böhringen schwenckfeldische Pfarrer, siehe F. Fritz, Ulmische Kirchengeschichte, S. 193f. Sabean deutet die Teilnahmeverweigerung als bäuerliche Umdeutung des Rituals zum Zwecke des Widerstands gegen die Herrschaftsansprüche der Territorialgewalt, die Einblicke in den Prozeß der „Strukturierung der bäuerlichen Symbolwelt" ermögliche, D. W. Sabean, Kommunion und Gemeinschaft, S. 76.

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5.1.2 Weltliche Tolerierung und kirchliche Ablehnung Kaufbeuren, Landau oder auch Pfuhl waren insofern Ausnahmen, als hier sowohl Angehörige der weltlichen Obrigkeit als auch die protestantischen Pfarrer schwenckfeldische Lehren vertraten. In anderen süddeutschen Orten waren die Prediger schon früh auf Distanz zu den Schwenckfeldern gegangen. Noch bevor Schwenckfeld Straßburg 1534 auf Betreiben der Mehrheit der dortigen Pfarrer endgültig verlassen mußte,68 begannen diese - vor allem Martin Bucer - , ihre Kollegen im süddeutschen Raum vor Schwenckfelds Theologie zu warnen, die sie als Gefahr für das Kirchenwesen einstuften.69 Schwenckfeld und seine Anhänger versuchten dem zu begegnen, indem sie sich an die Vertreter der weltlichen Obrigkeit hielten, die sich zum Teil für die schwenckfeldische Theologie interessierten oder zumindest aus verschiedenen Motiven bereit waren, deren Vertreter zu tolerieren. Schwenckfeld unternahm in den 1530er und 1540er Jahren mehrere Reisen ins Allgäu sowie nach Augsburg, in Ulm wohnte er sogar längere Zeit. In diesen Gebieten trat er öffentlich auf und traf mit Bürgermeistern und Ratsmitgliedern zusammen. So wurde er in Memmingen 1534 von den beiden Bürgermeistern Hans Ehinger und Eberhard Zangmeister offiziell empfangen. Sie - wie auch der Stadtschreiber Georg Maurer - verteidigten Schwenckfeld und seine Lehren auch gegenüber seinen pfarrherrlichen Gegnern.70 Die Bürgermeister von Kaufbeuren ließen Schwenckfeld 1544 sogar aus Wagegg holen, wo er bei seinem Freund und Anhänger Hans Wilhelm von Laubenberg zu Besuch weilte, nahmen ihn in ihre Häuser auf und baten ihn, ganz offen von der Kanzel der Stadtkirche zu predi71

gen. In Augsburg gelang es Schwenckfeld 1534, die Bekanntschaft des Ulmer Bürgermeisters Bernhard Besserer zu machen und ihn für seine theologischen Vorstellungen zu interessieren.72 Der Bürgermeister unterstützte ihn dauerhaft ebenso wie sein Sohn, der spätere Bürgermeister Georg Besserer, und Bernhards Schwiegersohn Hans Ehinger. Schwenckfeld besuchte Ulm kurze Zeit später auf Einladung der Besserers, wo er vermittelt durch die Familie auch den Stadtschreiber 68 69 70

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R. E. McLaughlin, Reluctant Radical, S. 172-177. Τ. Schieß, Briefwechsel, Bd. 1, S. 436f., 471. Das geht aus einem Brief des Konstanzer Reformators Ambrosius Blarer an Heinrich Bullinger hervor. Blarer schrieb dem Schweizer aufgebracht, daß Schwenckfeld bei den Bürgermeistern die beste Aufnahme gefunden habe und ihnen gleich einer Gottheit gelte. Vor den Pfarrern Schuler und Schenk hatte sich Schwenckfeld wegen der Warnungen Blarers verteidigt. Die beiden rieten Blarer sogar von Reisen in die Stadt ab, da man wegen seiner negativen Äußerungen über Schwenckfeld sehr aufgebracht sei. T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 1, S. 477. C.S. 9 , S . 309. Der Ulmer Pfarrer Martin Frecht berichtete Ambrosius Blarer von der Begegnung in Augsburg, T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 1, S. 462f.

251 Sebastian Aitinger für sich gewinnen konnte.73 Er nahm von 1535 bis 1538 dauerhaft Wohnung im Hause der Besserers mit ungehindertem Aus- und Wiedereinreiserecht. Die Familie verteidigte Schwenckfeld und seine Anhänger 74 gegen die Angriffe der Ulmer Pfarrerschaft. So gelang es ihnen, das von den protestantischen Theologen in der Stadt geforderte Ausweisungsverfahren gegen Schwenckfeld immer wieder zu verzögern. Auch die nichtschwenckfeldischen Ratsmitglieder forderten die Pfarrer häufiger zur Mäßigung gegenüber dem schlesischen Gast a u f 5 und untersagten ihnen auch nach Schwenckfelds Abzug 1542 noch, sich überhaupt mit Schwenckfelds Christologie zu beschäftigen. 76 Besserer und Schwenckfeld einte das tiefe Mißtrauen gegenüber den politischen Ambitionen des neuen protestantischen Klerus.77 Neben den Versuchen Schwenckfelds, durch die persönliche Begegnung mit Angehörigen der weltlichen Obrigkeit auf seinen Reisen und durch brieflichen Verkehr das negative Bild, das die protestantischen Pfarrer von ihm entworfen hatten, zu korrigieren, bemühte sich später auch der Junker von Laubenberg schriftlich (in Lindau 1546,78 Isny 154879 und Augsburg 155380) und direkt mündlich vor den Ratsgremien (in Memmingen 15458' und in Konstanz 154682), der ablehnenden Haltung der Pfarrer entgegenzuarbeiten. Dabei argumentierte er mit Schwenckfelds adeligem Stand und stellte es als besonders verwerflich dar, einen Ritter zu verunglimpfen und zu verurteilen - wie es die protestantischen Pfarrer in den protestantischen Reichsstädten getan hätten - , ohne ihn selbst gehört zu haben.83 Zudem wies er Bürgermeister und Rat darauf hin, daß es ihnen im Rahmen 73

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Bernhard Besserer hatte die Einladung in Augsburg ausgesprochen. Als Schwenckfeld in Ulm eintraf, war Bernhard zwar nicht anwesend, sein Sohn Georg bot ihm aber sofort sein Haus als Herberge an, T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 1, S. 504f. Bernhard Besserer erreichte sogar, daß der Schwenckfelder-Pfarrer Burkhard Schilling in Ulm eine Probepredigt halten konnte, Frecht gelang es aber, ihm eine Anstellung zu verwehren, C.S. 6, S. 360f.; T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 2, S. 266. Ulm, Stadtarchiv A 3530, Bd. 14, fol. 329f. Die Pfarrer wurden angewiesen, sich weder auf der Kanzel noch sonst zu Schwenckfelds neuesten christologischen Publikationen zu äußem, sondern sich um Wichtigeres zu kümmern dann diser zanck vnd Spaltung nit vil furcht pracht / vnnd wurden auch sie die predicanten / dardurch verhindert / das sie vil notwendigere Sachen / daran mer gelegen / vnnd wölche dem gmainen man täglich fur zu=halten / Jn Jrn predigen vnderwegen Hessen, Ulm, Stadtarchiv, A 3530, Bd. 16, fol. 216'. R. E. McLaughlin, Reluctant Radical, S. 192f. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, fol. 33 r . C.S. 11, S. 509. Augsburg, Stadtarchiv, Personenselekte Honold - Manlich (Laubenberg). Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, fol. 25 v . Ambrosius Blarer mußte sich mit ihm im April 1546 auseinandersetzen, wie er Heinrich Bullinger schrieb. Wieder nach Wagegg zurückgekehrt, schickte er Blarer im November schwenckfeldische Schriften und erbat einen Bericht über die kirchlichen Entwicklungen in Konstanz, T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 2, S. 434, 439, 536. Mit dem Argument des Standes arbeitete von Laubenberg sowohl in seinem mündlichen Vorbringen in Memmingen als auch im Schreiben an den Augsburger Rat, Memmingen,

252 ihrer Pflichten als christlicher Obrigkeit zukomme, die Ehre Christi zu befördern und sich daher mit Schwenckfelds Sache eigenständig zu beschäftigen.84 Indem er ihnen die Zuständigkeit in Fragen des Glaubens zuwies, versuchte von Laubenberg eine von den Pfarrern der Städte unabhängige Stellungnahme des Rates zu erhalten, kirchliche und weltliche Obrigkeit in ihrer Stellung zu Schwenckfelds Lehre zu entzweien. Die Aufgabenzuweisung steht natürlich in einem gewissen Widerspruch zu der ansonsten von den Schwenckfeldern vehement verfochtenen Trennung von Kirche und Staat. Die Initiative von Laubenbergs kam ohnehin zu spät. Einzig in Lindau reagierte man positiv. Hier gab es allerdings keine unterschiedliche Bewertung von kirchlicher und weltlicher Seite, sondern sowohl die Pfarrer als auch der Rat bedankten sich ausdrücklich für die Zusendung einer Schrift Schwenckfelds durch von Laubenberg. Sie gaben in ihrem Schreiben im September 1546 zu, von Schwenckfelds häretischem Ruf gehört, aber selbst zuvor noch keine seiner Schriften gelesen zu haben. Die Theologen bewerteten die erbauliche Schrift als hailiger / götlicher / Euangelischer Schrifft / vnnd vnserer vngezweifelt wahren / Religion gemes / vnnd gleich / vnnd deren khains wegs zuewider / Auch dem volck/ Sondern zue disen Erschrockhenlichen / vnnd gefärlichen leisten Zeiten / gantz Tröstlich / vnnd Nutzlich,85 Die Begeisterung für schwenckfeldische Schriften war nur von kurzer Dauer. In den 1550er Jahren ging Lindau deutlich gegen die schwenckfeldischen Neigungen seiner Bürger vor.86 Andernorts reagierte man sofort höflich, aber deutlich ablehnend auf von Laubenbergs Verteidigungsfeldzug. Um die Jahrhundertmitte ließ sich die politische Elite in den meisten der süddeutschen Reichsstädte zumindest öffentlich nicht mehr zu einer schwenckfeldfreundlichen Äußerung bewegen. Schwenckfelds Lehren waren inzwischen eindeutig als häretisch markiert. Auch ließen sich kirchliche und weltliche Obrigkeit nicht wie gewünscht separieren, sondern alle angesprochenen Amtsträger in den Städten befahlen zuerst ihren Pfarrern, ihre Ansichten über Schwenckfelds Theologie darzulegen. Den Antwortentwürfen der Theologen folgten sie aber in der Regel nicht, sondern behielten sich eine eigenständige Entscheidung darüber vor, in welcher Form man von Laubenberg antworten wollte. Dabei wurde vor allem auf den sozialen Status des Junkers Rücksicht genommen. So hatte Memmingen den scharfen Ton aus dem Entwurf des Pfarrers Schuler nicht übernommen, sondern sich sogar verpflichtet, Schuler künftig von Polemiken gegen die Person Schwenckfelds abhalten zu wollen.87 In der Sache blieb man jedoch ablehnend und verteidigte die antischwenckfeldi-

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Stadtarchiv, A 344-7, fol. 25 r -26 v ; Augsburg, Stadtarchiv, Personenselekte Honold-Manlich (Laubenberg), Schriftstück Nr. 1, Brief von Laubenberg an Augsburg, 30.8.1553. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, fol. 19. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, fol. 33r. J. Heider, Genealogia Lindaviensis, Lindau ca. 1650, Abschrift von Stolze, 1, S. 316, siehe Anhang. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, fol. 29 r -32 r .

253 sehen Predigten und Warnungen der Pfarrer. Augsburg ließ sich gut sieben Jahre später gar nicht erst auf detaillierte Auseinandersetzungen ein, sondern beschied nur knapp, daß ihre Prediger beteuert hätten, sie lehrten nichts Falsches, sondern hielten sich an die Confessio Augustana. Dabei wollten sie es bewenden lassen, auf ein erneutes, schärferes Schreiben von Laubenbergs 88 antworteten sie nicht mehr.89 Hier war das Schwenckfeldertum schon eindeutig auf der Seite der Dissidenten positioniert, gegen die im Rahmen der lutherischen Konfessionalisierung vorzugehen war.90 In der Zeit vor der Jahrhundertmitte dagegen gelang es Schwenckfeld und seinen Anhängern nicht nur eine Reihe von Ratsmitgliedern und Stadtschreibern in den Reichsstädten, sondern auch Mitglieder des württembergischen Hofs für sich zu gewinnen. Zu den überzeugten Gefolgsleuten zählten vor allem die Brüder Hans Friedrich (der nicht direkt am Hof weilte, sondern verschiedene Obervogtämter bekleidete) und Hans Konrad Thumb von Neuburg, der bis zu seiner Absetzung 1544 als Erbhofmarschall eine mächtige Stellung am Hof Herzog Ulrichs innehatte. Nachdem Bucer und Blarer in den 1530er Jahren mehrfach versucht hatten, Schwenckfeld beim Herzog zu diskreditieren und zu häretisieren, indem sie ihn in die Nähe der Täufer rückten,91 startete auch Hans Konrad Thumb 1535 eine schriftliche Verteidigungsinitiative. Er wandte sich aber nicht an die weltlichen Machthaber, den herzoglichen Hof, sondern direkt an die geistlichen Initiatoren der antischwenckfeldischen Kampagne, an die Pfarrer in Straßburg und an Blarer in Tübingen. 92 In die Kontroverse zwischen den Thumbs und Schwenckfeld einerseits und den führenden oberdeutschen Theologen auf der anderen Seite wurde auch der Tübinger Theologe Simon Grynäus einbezogen, der Blarer mitteilte, daß er Schwenckfeld mündlich hören wollte.93 Dieses Vorhaben mündete in ein Religionsgespräch, das am 28.5.1535 in Tübingen abgehalten wurde.

5.1.3 Vermittlungsversuche durch Religionsgespräche und Konkordien Sowohl Schwenckfeld selbst als auch seine Anhänger hatten immer wieder verlangt, daß man sie nicht ungehört verurteile, sondern ihnen die Gelegenheit gebe, sich persönlich schriftlich oder mündlich zu verantworten, wobei in einer direkten Konfrontation mit den Pfarrern allein die Bibel als Richtschnur gelten solle. Die

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Augsburg, Stadtarchiv, Personenselekte Honold-Manlich (Laubenberg), Schriftstück Nr. 5. Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher, Nr. 27, 1553, fol. 18r. Siehe Kap. 5.2. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 990-993 (Brief von Capito an den hzgl. Rat von Rheinfelden); 994 (Mandat gegen Täufer im Streitmarshof, an deren Versammlungen auch Schwenckfeld teilnehmen soll). T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 1, S. 683, 686f. T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 1, S. 695.

254 Schwenckfelder verlangten also ein protestantisches Religionsgespräch.94 Bei der oben erwähnten Unterredung in Tübingen handelte es sich auch tatsächlich um ein gleichrangiges Gespräch zwischen den Theologen Ambrosius Blarer, Martin Frecht und Martin Bucer einerseits und Schwenckfeld, der von Jakob Held von Tieffenau begleitet wurde, auf der anderen Seite. Geleitet wurde das Gespräch von einem gemischten Präsidium aus Laien und Theologen,95 die aber keinerlei Richterfunktion innehatten, da die Unterhandlungen auf einen Ausgleich zwischen beiden Seiten ausgerichtet waren. Angestrebt war weniger eine wirkliche ,Konkordie', in der man theologische Kontroversen auflöste und zu allgemein akzeptierten inhaltlichen Kompromissen kam, als vielmehr eine Art Stillhalteabkommen', das gegenseitige Angriffe in Wort und Schrift künftig verhindern sollte. Das wurde dadurch erreicht, daß man zentrale Fragen wie die Christologie einfach ausklammerte und festschrieb, daß jede Partei dazu ihre eigene Auffassung beibehalten konnte, ohne von der anderen dafür kritisiert zu werden.96 Sowohl Schwenckfeld als auch die anwesenden Theologen waren wohl auch anfangs gewillt, sich an das Übereinkommen zu halten. In Ulm, wo Schwenckfeld in den 1530er Jahren zumeist wohnte, entspannten sich aber bald neue Konflikte mit dem dortigen Pfarrer Frecht, die sich vor allem um eine andere innerprotestantisch ausgehandelte Übereinkunft, die Wittenberger Konkordie,97 drehten. Den Inhalt der Konkordie, die eine starke Annäherung an lutherische Positionen bedeutete, wagte der Rat der überwiegend oberdeutsch reformiert gesonnenen Stadt zunächst nicht einmal zu veröffentlichen. Schwenckfeld war die Vereinbarung dennoch bekannt, und er kritisierte sie deutlich, was ihm polemische Angriffe der Pfarrer eintrug. Schwenckfeld wertete das als Bruch des Tübinger Stillhalteabkommens. Darüber kam es 1536 erneut zu einem Religionsgespräch zwischen Schwenckfeld - begleitet von dem mit der Familie Besserer verschwägerten Jakob von Rammingen - und den Ulmer Pfarrern, diesmal vor dem Rat der Stadt. Schwenckfeld hatte selbst auf eine mündliche Anhörung ge-

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Der Typ des protestantischen Religionsgesprächs hatte sich aus der institutionalisierten akademischen Disputation entwickelt. Im Gegensatz zu dieser diente das Religionsgespräch, aus dem sich später die protestantische Synode entwickelte, der Abklärung theologischer Streitfragen, die in einen Konsens münden sollte, T. Fuchs, Konfession und Gespräch, S. 69. Dem Kolloquium saßen der Tübinger Theologe Simon Grynäus sowie die Obervögte Hans Härter von Gärtringen und Hans Friedrich Thumb von Neuburg vor. Der einzige erhaltene Bericht des Gesprächs stammt von Jakob Held von Tieffenau, C.S. 5, S. 326-342; siehe auch: R. L. Harrison, Tübingen Colloquy. Der Text der Tübinger Konkordie ist in fünf Versionen erhalten, die leicht voneinander abweichen. Das Original fehlt, siehe C.S. 5, S. 328f., 341f. Zur Konkordie siehe E. Bizer, Martin Butzer; W. Köhler, Zwingli und Luther, Bd. 2, S. 432-55; T. Kaufmann, Abendmahlstheologie.

255 drangen und eine schriftliche Rechtfertigungsschrift zur Grundlage des Gesprächs gemacht.98 Diese mündliche Unterhandlung verlief formal so wie die Religionsgespräche, die von der weltlichen Obrigkeit einberufen und geleitet zwischen katholischen und protestantischen Theologen vor der Reformationseinführung stattfanden und bei denen die obrigkeitlichen Laien über den Ausgang des Gesprächs entschieden, also eine Art Richterfunktion innehatten." Die fünf Geheimen Räte,100 die dem Gespräch vorsaßen, entschieden am Ende auch theologisch: Ihrer Auffassung nach waren Schwenckfelds Ansichten und die der Pfarrer nicht so weit voneinander entfernt. Daher sollten beide Seiten sich nun zufrieden geben und künftig auftretende Konflikte freundlich lösen.101 Daran hielt man sich jedoch nicht, so daß drei Jahre später ein weiteres Religionsgespräch nötig wurde, bei dem es vor allem um Fragen der Christologie ging. Die Obrigkeit nahm sich hier für kein theologisches Richteramt mehr in Anspruch. Man hatte sich bemüht, die beiden Parteien zu einem theologischen Kompromiß zu bringen, was nicht möglich war, daher stellte der Rat in Aussicht, die Verbündeten des Schmalkaldischen Bundes zu befragen. Einstweilen sollten die Parteien sich in keiner Form öffentlich zu den Streitfragen äußern.102 Die Gespräche endeten letztendlich wie die vier Jahre zuvor in Straßburg mit Schwenckfelds erzwungenem Abzug. In Straßburg war dem ebenfalls 1533 ein Religionsgespräch vorausgegangen, allerdings kein Verhör vor dem Rat, sondern eine Diskussion mit Vorladung auf einer Synode, auf der kein theologischer ,Vergleich' angestrebt wurde, auch verhandelten hier nicht gleichrangige Partner, sondern es ging darum, die schon als häretisch markierten religiösen Außenseiter - neben Schwenckfeld waren auch Täufer vorgeladen worden theologisch niederzuringen, indem man sie öffentlich vorführte. 103 Auch diese 98

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Die Akten des Gesprächs sind erhalten in Ulm, Stadtarchiv, A 1208 / II, fol. 783-788; paraphrasiert gedruckt in J. Endriß, Schwenckfelds Ulmer Kämpfe, S. 20-26, fehlerhaft auch inC.S. 5, S. 534-544. Für Marion Hollerbach war die Hauptfunktion dieser Art von Religionsgesprächen die Wiederherstellung des städtischen Friedens durch die Überwindung des Gegners, M. Hollerbach, Religionsgespräch, S. 31, 103f. Diese Gespräche waren weniger dazu bestimmt, inhaltliche Kompromisse auszuhandeln, der Ausgang stand zumeist im Vorhinein fest. Die Veranstaltungen sind daher wohl eher als Rituale der Reformationsannahme zu verstehen. Unter ihnen auch Georg Besserer und ein Mitglied der ebenfalls sympathisierenden Ehinger-Familie, J. Endris, Schwenckfelds Ulmer Kämpfe, S. 20. J. Endris, Schwenckfelds Ulmer Kämpfe, S. 26. Ulm, Stadtarchiv, A 1208 / II, fol. 893-902, abgedruckt in: J. Endriß, Schwenckfelds Ulmer Kämpfe, S. 34-36 und C.S. 6, S. 403-427. Es folgten mehrere für die Pfarrer hinhaltende Ratsentscheide (Ulm, Stadtarchiv, A 1208 / II, fol. 905, 911), bis die Pfarrer im August 1539 ihre Kündigung androhten (Ulm, Stadtarchiv, A 1208 / II, fol. 916). Derart genötigt ersuchte der Rat Schwenckfeld, die Stadt zu verlassen (Ulm, Stadtarchiv, A 1208 / II, fol. 918). R. E. McLaughlin, Reluctant Radical, S. 153. Protokoll der Verhandlungen vor der Synode siehe Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 8, S. 80-89; C.S. 4, S. 788799.

256 Unterredung wurde von vier Mitgliedern des Rats geleitet, es agierten aber vor allem die protestantischen Theologen. Die Straßburger Religionsgespräche mit den Dissidenten hatten daher eher den Charakter eines Verhörs.'04 Der Verhörcharakter der Religionsgespräche zwischen Schwenckfeldern und protestantischen Theologen bzw. der protestantischen Obrigkeit stand stärker im Vordergrund, nachdem das Schwenckfeldertum aus der Mitte der Reformation an den Rand gedrängt worden war. Stritt man in Straßburg noch darum, ob Schwenckfeld überhaupt vorgeladen worden war,105 zitierte man später die Anhänger Schwenckfelds vor die kirchliche oder weltliche Obrigkeit, um sie von ihrem Irrtum abzubringen. Die Schwenckfelder verlangten jedoch weiterhin Religionsgespräche von gleich zu gleich über theologische Streitfragen und legten häufig schriftliche Bekenntnisse als Grundlage der Diskussionen vor. Die im November 1544 vorgeladenen Ulmer Schwenckfelder erboten sich nicht nur, ihre eigenen religiösen Bekenntnisse schriftlich zu formulieren, um darüber mit den Pfarrern disputieren zu können, sondern sie wollten auch Schwenckfelds gedruckte Schriften zur Grundlage des weiteren theologischen Austauschs machen.106 Ihrem Wunsch nach einer gleichrangigen, ergebnisoffenen Debatte wurde aber nun nicht mehr entsprochen.107 Während das Tübinger Religionsgespräch dazu diente, für alle Beteiligten Kompromisse zu finden, die zumindest eine Tolerierung der religiösen Auffas104

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Der Terminus „Religionsgespräch" ist ohnehin eher ein Begriff der Forschung, der in den Quellen allgemein kaum vorkommt, siehe T. Fuchs, Konfession und Gespräch, S. 7. Nach den Quellenbegrifflichkeiten sind Verhör und Religionsgespräch nicht voneinander zu unterscheiden. So werden auch die Religionsgespräche zwischen den Pfarrern und Schwenckfeld 1535 und 1539 als Verhör bezeichnet, Ulm, Stadtarchiv A 1208 / II, fol. 783, 833, 893. Darüber entspann sich nach der Synode ein Streit zwischen Bucer und Schwenckfeld. Während Schwenckfeld behauptet, wie die Täufer vorgeladen worden zu sein, meinte Bucer, er sei ungebeten erschienen und hätte die protestantischen Pfarrer in der Öffentlichkeit der Synode polemisch attackiert, siehe R. E. McLaughlin, Reluctant Radical, S. 154f. Sowohl Hans Kifhaber als auch Katharina Streicher und die Öttin boten schriftliche Bekenntnisse an bzw. verwiesen auf Schwenckfelds Schriften und strebten weitere theologische Gespräche an, Ulm, Stadtarchiv, A [8984 / II], Nr. 237, fol. 534, 535 v , 536 v , 537. Nach T. Fuchs, Konfession und Gespräch, S. 13, sind Religionsgespräche und Verhöre auch typologisch nicht voneinander abzugrenzen. Da es im Gegensatz zur akademischen Disputation keine rechtlichen Normen für den Gesprächsablauf gebe, könne man zwischen diesen beiden Formen nicht differenzieren. Gerade typologisch lassen sich anhand der hier untersuchten Religionsgespräche m.E. Unterschiede zwischen den Formen feststellen. Wenn es sich bei den eigentlichen Religionsgesprächen um Unterhandlungen von gleichrangigen Parteien mit dem Ziel des theologisch-kirchenpolitischen Kompromisses handelte (zu dieser Definition siehe H. Jedin, An welchen Gegensätzen, S. 51), hatten Verhöre asymmetrische Machtrelationen zur Grundlage. Sie waren dazu gedacht, die religiöse Haltung einer Person oder Partei zu ermitteln, um sie argumentativ zu überwinden und auf den Kurs der Verhörenden zu bringen. Die Gespräche zwischen den beiden religiösen Richtungen hatten also schon vor Beginn der Unterredung einen unterlegenen Partner. Es exisitierte bereits ein festes Korpus orthodoxer theologischer Lehrsätze, Verhandlungen im eigentlichen Sinne waren hier nicht mehr möglich.

257 sungen der jeweils anderen Seite ermöglichten, gingen die Auffassungen über die Ziele dieser Veranstaltungen später immer weiter auseinander. Die Schwenckfelder versprachen sich von den Unterredungen, die sie immer als gleichrangige Verhandlungen über strittige religiöse Themen ansahen, zumindest Tolerierung und Straffreiheit für ihre Form der Religionsausübung. Dabei standen ihre Bemühungen, die weltliche Obrigkeit auf ihre Seite zu ziehen, in einem gewissen Widerspruch zu der von ihnen sonst vehement verfochtenen Zwei-Reiche-Lehre. 108 Obwohl Schwenckfelder aus der Überzeugung heraus, daß Gott allein den Glauben ins Herz gab, eigentlich ablehnten, daß die Obrigkeit in Sachen des Glaubens richtete, schoben sie Bürgermeistern, Räten und Religionsverordneten durch ihr Begehren, obrigkeitlich angehört zu werden, eine Art theologisches Wächteramt zu. Daß sie von der weltlichen Obrigkeit eine Beurteilung ihrer Lehren verlangten, stimmte andererseits mit ihrem individualistisch-laikalen Ansatz überein, wonach jeder Christ in der Lage und verpflichtet ist, sich ein theologisches Urteil zu bilden. Die Theologen handelten in den Religionsgesprächen dagegen nicht auf gleicher Ebene mit den Schwenckfeldern, sondern bemühten sich, die als hinderlich für ihren religionspolitischen Kurs empfundenen Spiritualisten zu überwinden und als häretisch zu markieren. Die weltliche Obrigkeit versuchte zumindest in den 1530er Jahren, einen Ausgleich zwischen den beiden Parteien herbeizuführen. Um den städtischen Frieden wiederherzustellen, bemühte sie sich, die beiden Gruppen dazu zu bewegen, sich in Abendmahlslehre und Christologie miteinander zu vergleichen. Dabei betonte sie ihre überlegene Richterfunktion gerade gegenüber den kirchlichen Amtsträgern, ohne dezidiert über theologische Inhalte zu urteilen. Ein Leben ohne Verfolgung war für die süddeutschen Schwenckfelder in den 1530er und 1540er Jahren selbstverständlich. In der Zeit vor der lutherischen Konfessionalisierung schloß die große theologische und frömmigkeitspraktische Bandbreite der reformatorischen Bewegung das Schwenckfeldertum ein. Eine protestantische Kanonbildung war noch nicht abgeschlossen. Somit stellte die schwenckfeldische Theologie eine von mehreren Optionen im Protestantismus dar. Sie hob sich noch nicht scharf von einer konfessionspolitisch erwünschten Hauptströmung ab. Daher gelang es dem Schwenckfeldertum in einigen Städten eine Zeit lang, den Gang der Reformation zu beeinflussen. Nach der Auffassung von Frieß war ein wesentliches Motiv obrigkeitlichen Handelns in südwestdeutschen Reichsstädten, die Machtambitionen der Pfarrerschaft zurückzudrängen; 109 hier bot das Schwenckfeldertum eine Alternative: Ein Christentum, das sich weit-

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Schwenckfeld schrieb der weltlichen Obrigkeit die Verantwortung dafür zu, gegenseitige Verfolgungen der religiösen Gruppen zu verhindern. Es bleibt unklar, inwieweit diese Position den weltlichen Amtsträgern theologische Entscheidungskompetenz zumaß, siehe C.S. 4, S. 750-771. P. Frieß, Lutherische Konfessionalisierung, S. 94.

258 gehend im Innern des Menschen abspielte und ohne eine kirchliche Organisation auskam, harmonierte mit den kirchenpolitischen Vorstellungen von Bernhard Besserer und vielen seiner Ratskollegen. Die innenpolitische Schwerpunktsetzung auf den Aufbau eines obrigkeitlichen Kirchenwesens und die außenpolitisch gebotenen Rücksichten gegenüber dem katholischen Umland und dem Kaiser ließen die südwestdeutschen Stadtoberen nach einem „Mittleren Weg" zwischen Luthertum und Katholizismus suchen.110 Auch hier bot Schwenckfelds via mediaGedanke," 1 der auch die Ablehnung religiös motivierter Verfolgung beinhaltete, ein passendes religiöses Konzept. Zudem zeigte die weltliche Obrigkeit mit der Tolerierung von Schwenckfeldern und gelegentlich sogar den von allen Seiten als abweichend markierten Täufern ihre Unabhängigkeit und Macht gegenüber der protestantischen Geistlichkeit, die die Verfolgung und Verdrängung der andersdenkenden Protestanten forderte." 2

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Schwenckfeldertum und lutherische Konfessionalisierung in den süddeutschen Reichsstädten

Im vorangegangenen Abschnitt wurde gezeigt, daß das Schwenckfeldertum bis etwa zur Jahrhundertmitte nicht häretisch markiert war, sondern mitten in der reformatorischen Bewegung seinen Platz hatte. Es war Teil eines oberdeutschen Theologie- und Frömmigkeitskonsenses, während die lutherischen Theologen bzw. die auf Ausgleich mit ihnen bedachten Pfarrer wie Bucer oder Frecht die Außenseiterrolle innehatten. Nach Abschluß des Augsburger Religionsfriedens 1555 verschoben sich diese Positionen. Die oberdeutschen Reichsstädte mußten zur Festigung ihrer Position im nahezu vollständig katholischen Umland (mit der Ausnahme von Württemberg) außen- und bündnispolitische Beziehungen mit den lutherischen Territorien und Städten anknüpfen, um ihren vorsichtigen reformatorischen Kurs sichern zu können. Daher wechselten sie von der eher an Zwingli

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Zur Suche nach einem ,dritten Weg' in den oberdeutschen Städten, siehe P. Frieß, Lutherische Konfessionalisierung. Ähnliches gilt auch für Augsburg zu Beginn der Reformation, siehe Ph. Broadhead, Popular Pressure, S. 80-87. Zum schwenckfeldischen Konzept der via media siehe Kap. 5.6.1. McLaughlin weist daraufhin, daß die Angehörigen der weltlichen Obrigkeit, die mit Schwenckfeld sympathisierten, keine wirklichen Anhänger waren, sondern sich Unabhängigkeit von allen religiösen Richtungen bewahrt hätten. Auch hätten sie keineswegs das Kirchenwesen im schwenckfeldischen Sinne umgestalten können oder wollen, R. E. McLaughlin, Schwenkfelders of South Germany, S. 165. Wie das Beispiel Kaufbeurens zeigt, gab es auch den Versuch, die Kirche zu reformieren. Die andernorts praktizierte Tolerierung oder die von McLaughlin als „independent" bezeichnete Haltung von Besserer und seinen Amtskollegen markierte m.E. weniger den geringeren Grad ihrer Anhängerschaft, sondern korrespondierte gut mit der Praxis schwenckfeldischen Dissimulierens, siehe unten.

259 orientierten theologischen Ausrichtung auf den lutherischen Kurs.113 Eine Ausnahme stellte dabei das schwenckfeldische Kaufbeuren dar. Hier fand - schon vor dem Schmalkaldischen Krieg - zunächst eine zwinglische Neuorientierung in enger Anlehnung an das zu der Zeit noch nicht lutherische (später bikonfessionelle) Augsburg statt, dem eine bikonfessionelle Entwicklung folgte, wobei die protestantische Mehrheit sich dann lutherisch orientierte." 4 Die lutherische Konfessionalisierung erforderte einen Prozeß der Veränderung im religiösen Leben, ein Umdenken, das sowohl von den alteingesessenen zwinglianischen Pfarrern als auch von den Stadtbewohnern geleistet werden mußte. Welche Rolle das Schwenckfeldertum dabei spielte und was die Lutheranisierung für den Standort des Schwenckfeldertums bedeutete, soll im folgenden aufgezeigt werden.115

5.2.1 Einflußnahme von außen: Nachbarstädte und fremde Pfarrer Der Vorgang der Häretisierung des Schwenckfeldertums begann 1540 mit der ersten offiziellen Verurteilung der schwenckfeldischen Theologie auf einem protestantischen Theologenkonvent in Schmalkalden. 116 Die formelle Ablehnung hatte zunächst keine praktischen Auswirkungen, verstieß das Schwenckfeldertum aber zumindest aus protestantisch-kirchlicher Sicht aus der reformatorischen Bewegung. Diese Brandmarkung als ,häretisch' wirft auch ein Licht auf die lutherische Kanonbildung. Es fanden nun Abgrenzungen statt, die der Selbstidentifikation dienten.117 Schwenckfelder an der Spitze eines protestantischen Kirchenwesens in Süddeutschland konnten nun nicht mehr unwidersprochen hingenommen werden. Sowohl in Landau wie in Kaufbeuren nutzten die benachbarten evangelischen Orte die Gelegenheit zum Eingreifen nach dem Tod der führenden schwenckfeldischen Pfarrer. Auf Betreiben von Augsburg beschäftigten sich auf dem Reichstag in Worms im März 1545 die evangelischen Reichsstände mit der Situation in 113

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Für P. Frieß, Lutherische Konfessionalisierung, S. 97, ähnelt die Entwicklung dem lutherisch-calvinistischen Konfessionswechsel, der sog. Zweiten Reformation, vgl. H. Schilling, Die „Zweite Reformation", in: ders. (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland, S. 387-437 und die Schlußdiskussion, in der Kritik an der Begriffsbildung formuliert wird, S. 440-455. S. Dieter, Von den Ereignissen, S. 68-71; K. Alt, Reformation, S. 86-99. Dabei wird das Schwenckfeldertum trotz seines konfessionelle Ausrichtung vermeidenden .Mittelwegs' als Teil des Protestantismus gesehen. Es soll der Einfluß auf die lutherische Konfessionalisierung untersucht werden - auch in bikonfessionellen Städten wie Augsburg. Es ist nicht ersichtlich, daß das Schwenckfeldertum einen Beitrag zur katholischen Konfessionalisierung leistete, obwohl es vereinzelt auch katholische Sympathisanten gab (siehe Anhang). Corpus Reformatorum, Bd. 3, Halle 1836, Sp. 983-986; C.S. 7, S. 455-460. Zum Prozeß der Kanonbildung siehe A. Hahn, Kanonisierungsstile, S. 28-37.

260 Kaufbeuren. Sie beschlossen, eine schriftliche christliche Warnung an die Stadt ergehen zu lassen mit der Aufforderung, den schwenckfeldischen Pfarrer, Burkhard Schilling, zu entlassen. Ohne das Schwenckfeldertum beim Namen zu nennen, erklärte man seine Lehre für abweichend, wobei die Confessio Augustana als Richtschnur für die Beurteilung diente. Erstmalig wurde hier auf einen Bekenntniskanon Bezug genommen, während vorher die Bibel die Richtschnur für die Lehrbeurteilung gewesen war.1'8 Schilling verachte zudem die Sakramente und lehre dem göttlichen Wort zuwider von ihnen. Um die Gefährdung der Stadt durch den schwenckfeldischen Pfarrer vor Augen zu stellen, konstruieren sie einen Zusammenhang mit den Ereignissen von Münster. Auch dort hätte die Obrigkeit zu lange zugesehen.119 Diese Ausführungen zeigen, daß man sich in Augsburg und an den anderen evangelischen Orten offenbar über die Verhältnisse in Kaufbeuren und die Tatsache, daß die schwenckfeldische Obrigkeit Schilling ja bewußt berufen hatte, nicht im klaren war. Schilling war zum Zeitpunkt des Schreibens gerade gestorben, was die Bemühungen der Stände zu vereinfachen schien. Die Antwort der Stadt fiel aber aus Sicht der evangelischen Stände erschreckend schwenckfeldisch aus. In Augsburg vermutete man sogar, daß Schwenckfeld selbst die Antwort verfaßt hätte, da er sich zu der Zeit gerade in Kaufbeuren aufhielt.120 In dem Brief verteidigte die Kaufbeurer Obrigkeit Schilling und seinen Abendmahlsstillstand in typisch schwenckfeldischer Manier damit, daß das Sakrament andernorts zu Mißbrauch geführt habe und daß Schilling sie auf die Gefahren des Nachtmahlsbesuchs im unbußfertigen, gottlosen Zustand hingewiesen habe.121 Alle übrigen Anschuldigungen, sektisch zu sein und Sekten zu dulden, stritten sie ab und betonten, nur Christen werden zu wollen. Sie berichteten auch vom Tod Schillings und daß sie 118

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Reinhard erläutert die Ziele der Confessio Augustana als multifunktional: Die Konfession sollte zugleich Norm für die Predigt und die akademische Lehre sein, der Ausgrenzung der protestantischen Radikalen ebenso dienen wie der Annäherung an die Katholiken. Die Konkordienformel war als Fortschreibung der CA angelegt, die Irenik des frühen Luthertums und der Augsburgischen Konfession war nun allerdings verschwunden; es dominierte stattdessen die lehrgesetzliche Verbindlichkeit, W. Reinhard, Konfession und Konfessionalisierung, S. 166f, 173. Dieweil Jr euch dann /zuerJnnern wißt / was das zu=sehen der oberkait / vnnd die eingerissen secten / vergangner Jar/jn der Stat Münster /fur erschrockelichen grewel vnnd Jnen selbs vnwiderbringlichen Verderb / vervr=sacht hat / vnnd wir vnns dann / zu furderung der Reinen Leer / schuldig erkennen / So haben wir / nit kön=nen vnnderlassen / an euch zuschreiben / vnnd Christe=liche warnung zuthun / Vnnd Jst demnach vnser freuntlich bit / das jr solchen ewren predicanten / da derselb dem reinen verstand / götlichs worts / vnnd vnnserer zu Augsburg vbergebnen Confession zuwider lerete / oder predigte / abzuschaffen, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung 1545, 17.3. In dem Begleitbrief für den Augsburger Gesandten, der den Ständen Kaufbeurens Antwort überbrachte, wurde diese Vermutung geäußert, sie wurde im Schreiben aber wieder gestrichen und durch die vorsichtigere und vagere Formulierung ersetzt, Kaufbeuren neige zu einer besonderen Religion, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung 1545, 12.5. Zum Abendmahlsstillstand siehe oben Kap. 3.2.3; 5.1.1.

261 auf einen ebenso christlichen Nachfolger hofften, den ihnen der Herr Christus schicken möge.122 Sie baten hier also ihre evangelischen Nachbarn und Freunde noch nicht um Hilfe bei der Suche nach einem geeigneten Pfarrer, sondern bestanden auf ihrem eigenen Weg. Augsburg sah nach dem Tod Schillings dagegen die Chance gekommen, auf die religiösen Verhältnisse in Kaufbeuren Einfluß zu nehmen, und wandte sich daher an Ulm, Kempten und Memmingen, um mit ihnen gemeinsam eine Gesandtschaft nach Kaufbeuren zu schicken. Als Ziel der diplomatischen Initiative gab Augsburg den Nachbarstädten gegenüber an, Kaufbeuren im Interesse aller im Reich vertretenen evangelischen Stände vor einem Abfall von ihren protestantischen Nachbarn warnen zu wollen. Augsburg wollte dem kleinen Nachbarn mit dem Entzug der politischen Unterstützung drohen.123 Die angesprochenen Städte stimmten dem Unternehmen zu.124 Aus der von Augsburg verfaßten Instruktion für die Gesandten geht hervor, daß man vor dem Rat von Kaufbeuren die Bedeutung der einheitlichen evangelischen Lehre herausstellen wollte. Das Schwenckfeldertum, das hier nicht namentlich genannt, sondern allgemein als sect oder verweisliche lehre bezeichnet wurde, gehörte nun nicht mehr zum Korpus der heilsamen Lehre des Evangeliums, dessen Richtschnur die Augsburgische Konfession war.125 Diese allein garantierte den außenpolitischen Schutz der evangelischen Stände. Sollte sich Kaufbeuren dem nicht anpassen, hätte es nicht nur den Kaiser, sondern alle Reichsstände gegen sich.126 Neben dieser offenen Drohung verlangte man weiterhin, daß sich Kaufbeuren das Kirchenwesen von außen, von den Nachbarstädten umstrukturieren ließ, da sich die Stadt offenbar nicht mehr selbst helfen könne.127 Die Augsburgischen Gesandten berichteten am 11.8.1545 gegenüber dem Rat, daß sich Kaufbeuren bereit erklärt habe, allein der Augsbur-

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Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, 1545 o. Datum. Das Schreiben ist im Mai verfaßt worden und liegt als Abschrift dem Brief der evangelischen Stände bei. Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten Nr. 583, 21.7.1545. Kempten verhielt sich dabei am zurückhaltendsten. In einem ersten Brief vom 25.7. entschuldigten sie die Tatsache, daß sie als nächste Nachbarn nicht zuvor schon etwas gegen die schwenckfeldischen Umtriebe in Kaufbeuren unternommen hatten, mit dem Hinweis, sie seien die kleinste der evangelischen oberdeutschen Reichsstädte. In einem zweiten Brief erklären sie sich zwar zur Teilnahme an der Gesandtschaft bereit, erachteten Instruktionen für die Boten aber für unnötig, da sie die Initiative hauptsächlich Augsburg überlassen wollten, Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Nr. 14, 1545, 25.7., 30.7. Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Nr. 541 / 1 1 , o. Dat., fol. 3V, 4 r . Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Nr. 541 / 1 1 , o. Dat, fol. 6V. Die Gesandten sollten zur Verdeutlichung das Bild des Arztes wählen, der sich auch nicht selbst kurieren könne: Wie auch die verstenndigiste Artzet / an Jrem selbst anligen inen selbst alein nit vertraueten sonnder ann.derer gelerten erfaren Artzeten wolmainung auch einemen vnnd darnach hanndleten / also selten auch sy die von Kauffpeu:ren Jn Jerem anligen thon / vnnd der Yennigen sonnderlich der erberen Stet / Rhat suechen vnd volgen, Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Nr. 541 / 11, o. Dat, fol. 5.

262 gischen Konfession gemäß in der Stadt lehren zu lassen.128 Diese Zusage war wenig konkret. Unter dem Druck der vier Städte hatte man die Confessio Augustana offiziell angenommen, aber der erste Versuch, die Memminger Pfarrer Schuler und Schalheimer129 leihweise in Kaufbeuren zu etablieren, schlug jedenfalls fehl. Der verbliebene schwenckfeldische Pfarrer Espenmüller polemisierte von der Kanzel gegen sie, so daß sie sich gezwungen sahen, die Stadt Anfang August, kurz nach der Abreise der Gesandten, wieder zu verlassen.130 Die Städte reagierten darauf im Ton unterschiedlich. Während Memmingen, indem sie einen ähnlichen Fall aus ihrer Vergangenheit schilderten, nur vorsichtig andeutete, daß der schwenckfeldische Pfarrer entlassen werden könne, aber man dem Kaufbeurer Rat natürlich kain Maß geben wolle,131 wurde Augsburg deutlicher. Sie verstanden ihre Beratungsverpflichtung für Kaufbeuren weitergehend, indem sie Kaufbeuren geradezu vorschrieben, daß sie Espenmüller seines Amtes entheben und aus der Stadt jagen sollten. Sogar die Argumentation gegenüber Espenmüllers Lehnsherr Honold (der Pfarrer saß schließlich auf einer privat gestifteten Prädikatur) wurde Kaufbeuren von den Augsburger Nachbarn detailliert vorgegeben. Anstelle des schwenckfeldischen Pfarrers - so beschloß Augsburg - solle Kaufbeuren einen der ihren leihen.132 Auch Ulm reagierte auf den Vorfall mit den Memminger Predigern. Sie erwähnten als einzige das Schwenckfeldertum namentlich und gaben anders als Memmingen, die Kaufbeuren ihr Mitleid versicherten, der Stadt eine Mitschuld an dem Geschehen. Der Ulmer Rat ermahnte die Kaufbeurer Obrigkeit deutlich, daß es ihre Aufgabe sei, derlei Sekten abzustellen.133 Zudem bot Ulm als konkrete Hilfe ihre Pfarrer als Berater und eine Abschrift ihrer Kirchenordnung an. 128 129

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Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher, 1545,11.8. Einen Pfarrer hatte der Kaufbeurer Rat von Memmingen erbeten, den anderen hatten die vier Städte eigenmächtig zu schicken beschlossen, Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Memmingen, Nr. 20, 1545, 13.8., fol. l v , 2r. Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Ulm, Nr. 583; Memmingen, Stadtarchiv, Ratsprotokolle 1542-1550, fol. 102v. Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Memmingen, Nr. 20, 1545, 13.8., fol. 2V. Memmingen war zwar noch vorsichtiger in der direkten Ansprache, schrieb aber am 14.8. besorgt an Augsburg. Sie befürchteten eine nachhaltige Gefahrdung durch Espenmüller, weil sie vermuteten, daß er Anhänger in der Stadt habe und weil er die Pfarrer nicht nur persönlich angegriffen habe, sondern auch die Confessio Augustana, die Kaufbeuren ja gerade erst angenommen habe. Daher meinte auch der Memminger Rat, man solle direkter in Kaufbeuren intervenieren; sie wollten das aber nicht selbst ohne Augsburgs Rückendeckung tun, Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Memmingen, Nr. 20, 1545, 14.8. Kopien des Briefes sind sowohl in Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Kaufbeuren, Nr. 541, / I I , 1545, 13.8., erhalten als auch in Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Anlage 084. Ulm erklärte vernommen zu haben, das solche der angezaigten Erbarn Stött vnnd vnnserer gesanndten / guthertzige vnnd freuntliche vnnderhandlung / nit lenger beharrt / dann das sich Jn E. W. Statt gleich bald nach Jrem abraisen / Widermals allerlay Spaltungen vnnd zwitrechtigkait mit einreisung deß Schwenckfeldischen vnnd annderer mehr gefahrlicher

263 Die oberdeutschen Nachbarstädte informierten sich zwar gegenseitig über ihr Vorgehen, wirkten aber getrennt auf den Kaufbeurer Rat ein. Die taktischen Mittel variierten dabei wie gezeigt von Mitleidsbekundungen über Bevormundung bis hin zur kaum verhüllten Drohung. Der Druck hatte zunächst den Erfolg, daß Kaufbeuren den von Augsburg angebotenen Pfarrer Michael Keller akzeptierte. Dieser war sogleich im August 1545 nach Kaufbeuren gereist und agierte in enger Abstimmung mit dem Augsburger Rat, an den er regelmäßig Berichte über den Fortgang der Umgestaltung des Kaufbeurer Kirchenwesens verfaßte. 134 Schon Anfang September 1545 drückte Augsburg seine Zufriedenheit mit der Entwicklung aus.135 Nach Kellers Darstellungen war die Umstellung vom schwenckfeldisch toleranten Kurs auf ein oberdeutsch-reformiertes Kirchenwesen gelungen.136 Kaufbeurens Haltung erschien den engagierten Städten Augsburg und Ulm aber wohl noch nicht gefestigt genug, um die Allgäuer Reichsstadt nun allein zu lassen, auch scheute Kaufbeuren vor einem öffentlichen Bekenntnis zur Confessio Augustana noch zurück. Anläßlich der Ankündigung des Trienter Konzils versuchten Augsburg und Ulm, Kaufbeuren zu einem offiziellen Anschluß an die evangelischen Stände zu bewegen, was Kaufbeuren aber noch zu weit ging.137 Auch im pfälzischen Landau wurde der Tod des schwenckfeldischen Pfarrers zum Anlaß genommen, nachbarlichen Einfluß auf die Entwicklung der kleinen Reichsstadt zu nehmen. Dort versuchten sowohl die protestantischen wie auch die katholischen Nachbarn, den Tod des schwenckfeldischen Pfarrers Johannes Bader 1545 zu nutzen, um in ihrem Sinn Einfluß auf Landau auszuüben. Das katholische Stift in Speyer besaß das offizielle Besetzungsrecht der von Bader innegehabten Pfarrstelle in Landau. Daher erschienen am 18.8.1545 Vertreter des Stifts, präsentierten einen katholischen Priester und verlangten von der Stadt, ihn als neuen Pfarrherrn zu akzeptieren.138 Nur drei Tage später suchten Martin Bucer und der

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vnnd schädlicher Jrrthumben / erzeugt vnnd zu=getragen. [...] So wölten wir E. W.t. dessen hiemit auch /freuntlicher vnnd Christenlicher mainung / erJnnert haben / Das sie zuuerhuetung allerlay gfahr vnnd besorglichen vnraths / die angezaigten Secten vnnd Jrrthumben bey Jne / on allen vertzug souil möglich abstöllen. sich daneben befleissen / zu warer erkannt=nus Götlichs worts / vnnd recht / Christen=lichem verstannd desselben / zu komen / vnd die haushaltung der Kirchen / Jn Jrer Statt Nach Jnnhalt der Augspurgischen Confession vnnd Apologj / Souil die Leer beruert / anzurichten. Ulm sandte Augsburg eine Kopie dieses Briefes an Kaufbeuren, Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Nr. 583, 1545, 17.8. Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Nr. 541, 1545, 27.8.; 29.8; 3.9. Keller blieb aus gesundheitlichen Gründen nur bis zum Dezember des Jahres. Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Anlage 101, Brief von Augsburg an Kaufbeuren, 1545,8.9. 1 5 4 5 ging es noch nicht um eine lutherische Konfessionalisierung, die setzte wie bei allen oberdeutschen evangelischen Reichsstädten erst nach dem Interim ein, s.a. Frieß, Lutherische Konfessionalisierung, 87 A. 59. Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Anlage 101, Brief von Augsburg und Ulm an Kaufbeuren, 1545, 26.9. Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 6, 1541-1547, fol. 138v.

264 frühere Landauer Stadtschreiber und jetzige Redner beim Großen Rat in Straßburg Jakob Hermann die Pfalzer Nachbarstadt auf. Bucer hatte schon zu Beginn des Monats beim Straßburger Rat wegen Landau vorgesprochen. Dabei machte er Unterschiede zwischen den beiden Landauer Pfarrern: Baders schwenckfeldische Orientierung erwähnte er nicht, obwohl Bader ihm als ausgesprochener Parteigänger des Schlesiers galt, wie Bucer selbst gegenüber seinen Pfarrerskollegen bemerkte.139 Vor dem Straßburger Rat wurde dieser Reformator der ersten Generation nicht kritisiert, wohl aber sein jüngerer Kollege, der als Baders Nachfolger designierte Liebmann, den Bucer als ungelehrt und schwenckfeldisch beschrieb. Da er nicht einmal rechtmäßig lehre, sei zu befürchten, daß der evangelische Glaube ganz aus der Stadt vertrieben werde. Bucer Schloß seinen Vortrag mit der Bitte, in Landau Einfluß zu nehmen.140 Dem kam der Rat nach und verfaßte ein Schreiben an Landau, in dem die Stadt ermahnt wurde, beim Evangelium zu bleiben, und die Gefahren des Aussetzens von Taufe und Nachtmahl vor Augen geführt wurden. Zudem schlug Straßburg vor - ohne Liebmann überhaupt zu erwähnen einen von ihren Pfarrern als Nachfolger von Bader auszuleihen.141 Hermann wurde als Überbringer des Briefes eingesetzt, und Bucer sollte ihn wegen möglichen Widerstands des schwenckfeldischen Prädikanten begleiten.142 Die beiden Gesandten führten dem Landauer Rat die Gefahren vor Augen, ein sowohl von katholischen wie evangelischen Reichsständen abweichendes Kirchenwesen ohne Sakramente zu etablieren. Dabei nannten sie Liebmann als Verantwortlichen fur die religiöse Fehlentwicklung, erwähnten aber nicht seine schwenckfeldische Orientierung. Da ihnen die Gefahr katholischer Übergriffe aus Speyer am größten erschien, empfahlen sie dennoch, Liebmann zunächst zügig ins Pfarrhaus zu setzen, damit Speyer ihnen nicht zuvorkommen und einen katholischen Priester dorthin berufen konnte. Um zusätzlich dem Landauer Schwenckfeldertum entgegensteuern zu können, hielt Bucer mehrere Predigten über die Bedeutung des Abendmahls.143 Die beiden Gesandten wurden zwar freundlich aufgenommen, auch war ihre Hilfe gegen das katholische Stift willkommen,144 wegen der Nachfolge Baders unternahm der Landauer Rat jedoch ein halbes Jahr lang nichts. Man ließ Liebmann einfach weiter die Amtsgeschäfte versehen, ohne ihn offiziell zu berufen. Erst als Liebmann vorstellig wurde und erklärte, daß er der vorgesehene Nachfolger Baders sei und daher auf eine Erhöhung seiner Besoldung drang, stellte der Rat ihn offiziell als evangelischen Pfarrer ein.145 Zudem 139

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T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 2, S. 272; Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, S. 118. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, S. 148. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, S. 149f. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, S. 151. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, Bericht von Hermann an den Straßburger Rat, S. 158-160. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, S. 159. Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 6, 1541-1547, fol. 16Γ, 162r.

265 wurde ihm mit Bernhard Herxheimer ein schwenckfeldischer Helfer zur Seite gestellt. Eine wirkliche Neuorientierung fand somit erst nach Beendigung des Interims statt. Die Bemühungen der protestantischen Nachbarn, das schwenckfeldische Kirchenwesen in ihrem Sinne umzugestalten, waren also nur teilweise erfolgreich. Es fand nach dem Tod der ersten schwenckfeldischen Reformatorengeneration nur eine oberflächliche, von außenpolitischen Überlegungen getragene Annäherung an die evangelischen Reichsstände statt.

5.2.2 Umorientierung der schwenckfeldischen Obrigkeit Die Innensicht der schwenckfeldisch geprägten Städte zeigt, daß man keineswegs gewillt war, das Schwenckfeldertum nach 1540 als häretisch zu betrachten und zu verfolgen. Die Anpassung an die religiösen Bekenntnisse der evangelischen Verbündeten und letztlich die lutherische Konfessionalisierung nahmen einen längeren Zeitraum in Anspruch. In seinem Bericht an den Straßburger Rat war der nach Landau gesandte Prokurator Hermann davon überzeugt gewesen, daß Rat und Gemeinde in Landau an Bucers Abendmahlspredigten Gefallen gehabt hätten und man den protestantisch konformen Eifer für das Evangelium wieder habe entfachen können.146 Tatsächlich hatten die Straßburger nichts dergleichen erreicht, außer daß der Landauer Rat darüber nachdachte, ob das Abendmahlsritual nicht zu den Dingen gehörte, die man aus Gründen der außenpolitisch motivierten Anpassung an die übrigen evangelischen Stände öffentlich zu demonstrieren gezwungen sei. Nachdem der Rat wie dargestellt lange Zeit gar keine Entscheidung über eine dauerhafte Pfarreranstellung getroffen hatte, wurde Liebmann selbst vorstellig. Der Rat versuchte, ihn bei den Verhandlungen um die Besoldungserhöhung zunächst dazu zu bewegen, das Abendmahl zu halten. Liebmann weigerte sich aber und gab eine schriftliche Begründung für den Stillstand ab. Der Rat beschloß daraufhin, ihn als ordentlichen Pfarrherrn zu behalten und seine Besoldung zu erhöhen. Wegen des Abendmahls wollte man ihn ebenfalls unbehelligt lassen: nachdem er [= Liebmann] sich daß nachtmal zuhalten weigert / wollen meine hern Jnen ditz Jar deßhalben frey stellen / vnd vnbezwungen bleiben lassen Yedoch wo meine hern Jn Rath befinden würden daß man nichts gegen den stiefftherrn Jn Recht oder sonnst erhalten mochten Es were do daß man daß nachtmall by vns auch hilten / so versehen sich meine hern es werde Jme nit beschwerlich seyn ob man schon eynen anderenn ein zeit lang bestellt daß der das nachtmal halten solte / yedoch wollte man solichs nit thon man wurde dan dass man solichs thun müste /.147 In den Reihen der Obrigkeit war man offensichtlich keineswegs inhaltlich von der Notwendigkeit des evangelischen Abendmahlsritus überzeugt, sah aber die Möglichkeit, 146 147

Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, S. 159. Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 6, 1541-1547, fol. 162r.

266 zur äußerlichen Konformität gezwungen zu werden. Für den Schritt wollte der Rat nicht nur eigens einen anderen Prediger berufen, sondern meinte sich deswegen sogar vor Liebmann rechtfertigen zu müssen. Eine wirkliche Neuorientierung erfolgte erst nach dem Interim.148 Wie in anderen Orten ging man nun gegen die Schwenckfelder vor. Der neue Pfarrer Leonhard Brunner war dabei die treibende Kraft. Er entledigte sich zunächst des schwenckfeldischen Helfers Bernhard Herxheimer, indem er ihn 1554 beim Rat wegen des ungenehmigten Drucks seine in schwenckfeldischen Kreisen sehr beliebten und überregional bekannten Werkes Fastnachtküchlein anzeigte.'49 Der Rat griff nun zügig durch und wies Herxheimer ohne weitere inhaltliche Diskussion seiner Schrift aus der Stadt,150 allerdings noch ohne weiter gegen die schwenckfeldischen Laien in der Stadt vorzugehen. Man bekämpfte lediglich den illegalen schwenckfeldischen Büchervertrieb.151 Erst mit dem strikt lutherisch agierenden Pfarrer Doccander, der sich auch der Hilfe des Straßburger Pfarrers Marbach bediente, wurde den Führern der schwenckfeldischen Gemeinde 1558 die Ausweisung angedroht.152 Beschäftigte man sich zu dieser Zeit noch intensiv mit der Bekehrung der als Häretiker eingestuften Schwenckfelder, wurden sie schon fünf Jahre später sofort bei Bekanntwerden ihres Glaubens ausgewiesen.153 In Kaufbeuren setzte die weltliche Obrigkeit ebenfalls zunächst auf äußere Anpassung an die Forderungen der Bündnispartner und hielt die religiöse Situation in der Stadt ansonsten eine Zeit lang offen. Der Augsburger Pfarrer Keller beklagte sich gegenüber dem Augsburger Stadtschreiber Georg Fröhlich darüber, daß die Bürgermeister immer noch schwenckfeldisch seien, obwohl sie ihn ja mit der Leitung des Kaufbeurer Kirchenwesens betraut hatten.154 Am deutlichsten sichtbar wird der schwankende Kurs der Kaufbeurer Obrigkeit in der Behandlung des verbliebenen schwenckfeldischen Pfarrers Matthias Espenmüller. Espenmüller leistete zunächst aktiven, öffentlichen Widerstand gegen die Einmischung der evangelischen Nachbarstädte in das Kaufbeurer Kirchenwesen. Er kritisierte auf der Kanzel und vor allem Volckh die aus seiner Sicht unrechtmäßigen Übergriffe durch die nach Kaufbeuren entsandten Memminger Pfarrer Schuler und Schalheimer. Er nannte sie eingedrungne wölff und die an der Confessio Augustana 148 149

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Für die Zeit des Interim sind keine Ratsprotokolle erhalten. Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 8, 1553-1562, fol. 27f., abgedruckt in: Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 433f. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 434. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 435. Am gleichen Tag ergingen dieselben Ausweisungsandrohungen auch an vier Täufer. Während man mit den Schwenckfeldern noch zurückhaltend umging und es bei der Drohung beließ, wurden die Täufer zügig ausgewiesen, Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle Bd. 8, 1553-1562, fol. 66r, 87v, 10Γ. Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle Bd. 8, 1553-1562, fol. 107v, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 436-439. Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 9, 1562-1576, fol. 39r. Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Nr. 11, Kaufbeuren 1467-1569, 1545, 23.8., 27.8.

267 ausgerichtete Religion ain blinde brawt}Si Die so angegriffenen Pfarrer kehrten erbost nach Memmingen zurück, was den Schluß zuläßt, daß sie keinen Rückhalt in der Kaufbeurer Bevölkerung zu haben meinten. Die Sympathien schienen auf Espenmüllers Seite zu sein. Der Kaufbeurer Rat unternahm zunächst nichts gegen Espenmüller, versuchte aber den außenpolitischen Schaden in Grenzen zu halten, indem man eine Gesandtschaft nach Memmingen schickte. Dort betonte man, den Beistand der Städte nicht verlieren zu wollen und bat vage um Rat, ohne konkrete antischwenckfeldische Maßnahmen in Aussicht zu stellen.156 Die Städte drangen auf eine Beseitigung des renitenten schwenckfeldischen Pfarrers,157 Kaufbeuren entließ ihn jedoch nicht, sondern verhängte im August 1545 zunächst ein vorläufiges Predigtverbot. 158 Im Februar 1546 versuchte der Rat eine Einigung zwischen Espenmüller und den beiden inzwischen offiziell ausgeliehenen protestantischen Pfarrern, Ulrich Lederle aus Augsburg und Johann Schalheimer aus Memmingen, herbeizuführen. Beide Seiten wurden gleichberechtigt aufgefordert, einen Vergleich in der Lehre zu schließen. Danach sollte Espenmüller die Amtsausübung wieder gestattet werden.159 Ein solcher religiöser Kompromiß war aber wohl nicht möglich (die Quellen geben darüber keine Auskunft). Espenmüller wurde aber immer noch nicht entlassen, sondern man schickte ihn - mit finanzieller Unterstützung der Stadt - für zwei Jahre zu einem weiterbildenden Studium nach Basel.160 Nach seiner Rückkehr 1548 wurde er vom Rat wieder zum Predigtamt zugelassen161 und war bis zur Intervention des Kaisers 1551 als Pfarrer tätig.162 Kaufbeuren hatte zwar den offiziellen Anschluß an die evangelischen Reichsstädte vollzogen, gegen die weiterhin aktiven Schwenckfelder in der Stadt wurde

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Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten Nr. 20, Memmingen 1500-1549, 1545, 13.8., fol. Γ. Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten Nr. 20, Memmingen 1500-1549, 1545, 13.8., fol. Γ. Siehe oben. Kaufbeuren, Stadtarchiv, Ratsbücher, 28.8.1545, fol. 47 r . Herr Matheisen Eßpenmüller halben ist auf disen tag beschlossen / das man Jme herr Matheisen durch den Herrn Honold vnd wurm sagen lassen will das er sich mit baiden predicanten der leer halben vergleiche dergleichen solle auch baiden predicanten durch den zunfftmeister hussen vnd bachman /gesagt werden / das sie sich mit herr matheisen vergleichen / vnd so die vergleichung geschieht alsdan soll herr matheis wider in sein ambt stan. Kaufbeuren, Stadtarchiv, Ratsbücher, 1546, 11.2. Das geht aus der von Hörmann im 18. Jahrhundert verfaßten Biographie Espenmüllers hervor, Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Anlage 134, Hörmann, Wolfgang Ludwig von und zu Gutenberg, Gesammelte Nachrichten von gelehrten Kaufbeurern, fol. 83r. Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Anlage 134, Hörmann, Wolfgang Ludwig von und zu Gutenberg, Gesammelte Nachrichten von gelehrten Kaufbeurern, fol. 83r. K. Alt, Reformation, S. 91. Trotz seiner Entlassung wurden ihm noch weiterhin seine Prädikatureinkünfte gereicht, Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Anlage 134, Hörmann, Wolfgang Ludwig von und zu Gutenberg, Gesammelte Nachrichten von gelehrten Kaufbeurern, fol. 83 r .

268 aber erst im 17. Jahrhundert mit Ausweisung vorgegangen.163 Im Kirchenwesen machte sich die Abkehr vom Schwenckfeldertum u.a. in einer Lockerung der sittenstrengen Mandate deutlich.164 Die Veränderungen nach dem Tod der schwenckfeldischen Pfarrer in Kaufbeuren und Landau waren zunächst also nur ein oberflächlicher, außenpolitisch motivierter Akt, der vor allem in der Annahme der Confessio Augustana bzw. im Anschluß an die evangelischen Bündnisse bestand. Erst mit der Zeit kam es zu einer Veränderung der sozialen Trägerschaft des Schwenckfeldertums, zu einer Abkehr der obrigkeitlichen Amtsträger vom schwenckfeldischen Glauben - zumindest offiziell (zur schwenckfeldischen Strategie des Dissimulierens siehe unten). Die von auswärtigen Pfarrern angestrebte ,Umerziehung' trug erst im Rahmen der lutherischen Konfessionalisierung, in der ein Bekenntnis mit festen Rändern die erlaubten von den häretischen Glaubenssätzen abgrenzte, ihre Früchte.

5.2.3 Häretisierung in intrakonfessionellen Konflikten Der Prozess der Isolierung betraf nicht nur die Schwenckfelder, sondern im Rahmen der Lutheranisierung nach der Jahrhundertmitte auch Zwinglianer, wie das Augsburger Beispiel verdeutlicht. Nach Abschluß des Passauer Vertrages war es Augsburg wieder möglich, Ersatz für die im Zuge des Interim vertriebenen protestantischen Pfarrer zu beschaffen, die sich aber dem Vertrag gemäß strikt an die Confessio Augustana halten sollten. Der Rat benötigte starke protestantische Partner, richtete sich daher nach den Wünschen Sachsens und bat Melanchthon um Vorschläge für die zu besetzenden Ämter. Es wurden 1552 sechs größtenteils junge lutherische Sachsen (zum Teil auf Probe) eingestellt.165 Diese machten sich zunächst daran, neben den immer schon als häretisch eingestuften Täufern auch die Schwenckfelder in ihren Predigten auszugrenzen und sogar bei Hartnäckigkeit aus der Stadt zu verweisen.166 Dabei wurden sie von den alten, auch während des Interims zum größten Teil in der Stadt verbliebenen zwinglisch orientierten Pfarrern unterstützt, die die Zusammenhänge zwischen der Häretisierung der Schwenckfelder und dem Versuch, sich auch ihrer zu entledigen, zunächst nicht wahrnahmen.167 163 164

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Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Anlage 133, Hörmann, Kirchenchronik, fol. 110. Die Wirtshäuser hatten zwar noch die Sperrstunden einzuhalten, aber tagsüber war das Glücksspiel um geringe Beiträge wieder erlaubt. Bei illegalen Trinkgelagen verzichtete man künftig darauf, Gast und Wirt zu verhaften, Kaufbeuren, Stadtarchiv, Ratsbücher, Β 4 1543/62, 1545, fol. 49r. Zu dem Konflikt zwischen den alten und den neuen evangelischen Pfarrern siehe ausführlich Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte, Bd. 4, S. 569-591. Siehe Kap. 2. Die Vorgeschichte der Verhaftung der drei Schwenckfelder begann schon mit den Gesprächen zwischen Hieber und dem zwinglianischen Pfarrer Meckhart 1549, drei Jahre später beschwerte sich auch Unsinn bei Meckhart über die antischwenckfeldischen Predigten (C.S. 13, S. 231-233). Meckhart kam es allerdings in der Zeit nicht in den Sinn, die Obrigkeit in

269 Bald kam es dann aber auch zu Konflikten zwischen den neuen Pfarrern und den alten Predigern, als erstere versuchten, das Augsburger Kirchenwesen auf einen lutherischen Kurs zu bringen. Die auf Ausgleich zwischen den beiden protestantischen Parteien bedachte weltliche Obrigkeit, die ja eigentlich ebenso wie die Mehrheit der protestantischen Einwohner eindeutig reformierte Sympathien hegte168 und zunächst nur nach außen hin auf eine lutherische Konfessionalisierung bedacht war, hatte jeweils einen jungen und einen alten Pfarrer auf die Pfarrstellen gesetzt. Der Rat bemühte sich auch sonst um die Schlichtung der von den lutherischen Theologen geschürten Streitigkeiten, indem er nur Predigten gegen die eindeutig als Sektierer eingeordneten Gartenbrüder und Schwenckfelder zuließ, nicht aber gegen Zwingli und Ökolampad.' 69 Diejenigen Jungpfarrer, die mit ihren Polemiken gegen die Zwinglianer nicht nachlassen wollten und nachhaltig Unruhe in die Stadtgemeinde brachten, wurden schon nach kurzer Zeit wieder entlassen.' 70 Als letzter Verfechter einer brachialen Lutheranisierung verwickelte Georg Melhorn seinen alteingesessenen Helfer Leonhard Bächlin 1555 in eine überwiegend schriftlich ausgetragene Kontroverse. Melhorn forderte Bächlin zunächst anhand von vier Fragen auf, seine Abendmahlsauffassung und seine Stellung zu Zwingli darzulegen.171 Bächlin gab zwar eine Antwort und hielt auch öffentlich Verteidigungspredigten, in denen er seine Erfahrung und sein Alter betonte;172 Melhorn war aber nicht zufrieden. Die Sache die theologischen A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n mit einem protestantischen Laien einzubeziehen. Die V e r h a f t u n g geschah erst, n a c h d e m die lutherischen Pfarrer berufen w o r d e n w a r e n und sich der Lutheraner Peter K e t z m a n n eingeschaltet hatte. 168 Der W i d e r s t a n d der S t a d t b e w o h n e r gegen den lutherischen Kurs wird u.a. daran deutlich, daß m a n dem lutherischen A b e n d m a h l f e m blieb, siehe Roth, A u g s b u r g s R e f o r m a t i o n s g e schichte, Bd. 4, S. 579f. 169 Die Kirchenpfleger taktierten vorsichtig: Einerseits bezeichneten sie in ihrem Schreiben an die Pfarrer den Z w i n g l i a n i s m u s als erloschen, andererseits warnten sie aber vor der G e f a h r , daß diese irrtümliche Lehre bei antizwinglischen Predigten wieder a u f k o m m e n könne, w a s außenpolitisch einen schlechten Eindruck m a c h e n würde: das sy [die Prädikanten] aber den zwingli / Oecolampadj öffentlich nennen wollen / darfür wollen wir gebetten haben / vnruw in diser statt / faßt nit zuerwecken So doch von den gnaden gots die selbig teer / in diser statt / faßt erloschen / vnd aber so die widerum be=nennt / so sey zu besorgen / das man erst wider bewegen wurde newe Spaltung.Es wurde auch wider ain Erbarn rath diser statt sein / dann solt man alhie dise lender vnd stett / von der kirchen / als ketzer außschließen / wurde dise statt zu großem nachtail raichen /. So verhinderte die weltliche Obrigkeit faktisch die weitere B e k ä m p f u n g der oberdeutsch-schweizerischen Theologie in der Stadt, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, R e f o r m a t i o n s a k t e n , 29.9.1554. 170 F. Roth, A u g s b u r g s Reformationsgeschichte, Bd. 4, S. 582-584. 171 Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Melhorn-Selekt, 27.1.1555. 17 ~ Melhorn kritisierte diese Verteidigungsstrategie, die w i e d e r nur verschweigen würde, was denn nun der Inhalt seiner A b e n d m a h l s t h e o l o g i e sei. M e l h o r n erinnere sich genau an diese Predigten, daran wie freidig vnd trotzig Jr auff der Canzel redett / Jr hettet vom Nachtmal vber die dreyssig Jhar recht eine zeit wie die ander gelerett / vorschwiegett aber doselbst eür meinung / gleich wie Jr Jetzund auch nicht klerlich herauß wolt., A u g s b u r g , Stadtarchiv, Literaliensammlung, Melhorn-Selekt, 8.3.1555, fol. 2 r .

270 kam vor den Kirchenkonvent, wo Bächlin aufgefordert wurde, sich klarer zu äußern und man ihm auch Formulierungshinweise gab.173 Sowohl für den Konvent wie auch für Bächlin war die Sache damit erledigt, nicht so für Melhorn, der sich durch Bächlins Beschwerden vor dem Konvent in Anwesenheit von Ratsvertretern brüskiert und zu unrecht angegriffen sah. Der Ton des nächsten Schreibens an Bächlin wurde eindeutig schärfer. Er beschuldigte ihn, sich dissimulierend geäußert zu haben und in Wahrheit häretische Auffassungen zu vertreten. Um den Vorwurf der Sektiererei zu untermauern, genügte der Zwinglianismusvorwurf in Augsburg offenbar noch nicht, denn Melhorn unterstellte Bächlin Nähe zum Schwenckfeldertum, um ihn als häretisch zu brandmarken. Melhorn meinte bei Bächlin dasselbe spiritualistisch-dualistische Abendmahlsverständnis zu finden wie bei dem Schwenckfelder Bernhard Unsinn. Melhorn verwies dabei auf einen Brief Unsinns,174 den dieser am 25.11.1554 an den Pfarrkonvent gerichtet hatte. Die Pfarrer hatten sich mit seinen Angaben das Nachtmahl betreffend unzufrieden gezeigt und aus diesem Grund die Aufhebung der gegen Unsinn verhängten Ausweisungsverfügung blockiert. Unsinn nutzte den innerprotestantischen Disput hier für seine Zwecke, indem er sich in der Abendmahlslehre auf die Seite der Zwinglianer schlug und behauptete, ihre Abendmahlstheologie zu teilen. Zugleich ließ er anklingen, daß die Lehre des Konvents wohl in sich selbst nicht eindeutig war bzw. vom früheren Verständnis abwich, und führte damit das Ansinnen des Konvents, ihn wegen seines Abendmahlsverständnisses belehren zu wollen, ad absurdum.175 Außer diesem direkten Hinweis auf inkorrekte Lehren Bächlins war es eher das, was er nicht tat, die Unterlassung, das Schweigen, was ihn in Melhorns Augen verdächtig machte: Indem Bächlin die Sektierer in seinen Predigten nicht benannte, ermutigte und unterstützte er sie und wurde damit zu einem der ihren.176 Genauso galt für Melhorn umgekehrt die Tatsache, daß die Sektierer nicht gegen Bächlins Predigten protestierten, als Nachweis dafür, daß Bächlins Lehren mit

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Das geht aus der zweiten schriftlichen Erklärung Bächlins hervor, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Melhorn-Selekt, o. Datum. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Melhorn-Selekt, 8.3.1555, fol. 3 r . Strittig sei zwischen ihm und den Pfarrern allein der Artikel vom Nachtmahl von wölchem artickel Jch nicht änderst Halt vnd glaub / dann wie der Herr Chrs dauon geleeret vnd beuohlen Hat / vnd die .H. Ewangölistj vnd paulus dauon zeiget vnnd gleüch wie Bonifatius [Wolfahrt] vnd Maister michel [Keller] säliger gedächtnus / Auch Meüsslin [Wolfgang Musculus] vnd Herr Hans Heinrich Hälden [Held von Tieffenau] Jm anfang deß auffgehenden Ewangölj / mit guotem grund vnd vnderschaid geleeret Haben / Nemlich das zum begencknus deß .H. Sacraments deß Leibs vnd bluets Chrj zwaierlaj brot wollen geheren / wie auch zwaierlaj tranck / Jch glaub nicht das es Sich diser zeit Jm grund änderst Halte / Wa es aber Jetzund änderst were / So bit Jch ein Erwirdig Conuent Sie wollen mir anzaigen/ wie Jch Jetzt dauon miesse Halten / oder sej zuhalten /. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 7, 25.11.1554. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Melhorn-Selekt, 8.3.1555, fol. 4V.

271 den ihren übereinstimmten. 177 Melhorn sah in dem Verhalten seines Helfers also stets einen verborgenen, anderen, häretischen Sinn. So führte er auch am Ende seines Schreibens aus, Bächlins Predigten gegen innerprotestantische Parteiungen und Abgrenzungen, in denen er forderte, man solle allein ,christlich' sein und es komme nicht darauf an, auf welcher Hochschule man studiert habe, dienten wieder nur der Verschleierung der abweichenden Gesinnung. Für Melhorn war der Bildungsweg der Ausweis lutherischer Rechtgläubigkeit und schützte allein vor laienhafter Beliebigkeit und Falschheit. Denn wenn es auf das rechte Examen der richtigen Lehrer nicht ankomme, da wollten wir schwetzhafftige Ebenteürer Seiler vnd Schneider die freuel genung weren / finden / vnd predigten als rechte ohrn kraucher was wir gerne höreten,178 Die beispielhafte Auswahl der Handwerker war sicher kein Zufall, war doch der im Brief schon erwähnte Schwenckfelder Unsinn Schneider und sein mitinhaftierter Glaubensgenosse Hieber Seiler. Der Brief Melhorns mit der Androhung, nicht mehr mit Bächlin am Abendmahl teilnehmen zu wollen, und die dort wiedergegebenen Äußerungen Bächlins zeigen einen ganz unterschiedlichen Standort in den intraprotestantischen Konflikten. Für Bächlin hatten noch alle protestantischen Strömungen ihr Recht und ihren Platz in der Bewegung - vorausgesetzt ihre Lehren waren mit der Bibel in Einklang zu bringen. Melhorn ging dagegen von einer schon abgeschlossenen Kanonbildung innerhalb der protestantischen Kirche aus, die allein die lutherische Theologie als rechtgläubig anerkannte und alle anderen Richtungen ausschloß. Bächlins Ansatz war dagegen ein vorkonfessionalisierter, der auch von Schwenckfeldern vertreten wurde, die sich ebenfalls als ,christlich' bezeichneten und sich ausschließlich mit dem Wort Gottes belehren lassen wollten. Melhorns auf scharfe Abgrenzung von allen anderen theologischen Richtungen angelegtes Verständnis von Lutheranisierung konnte sich im immer noch oberdeutsch-reformiert geprägten Augsburg um die Jahrhundertmitte nicht durchsetzen. Wie zwei seiner Kollegen vor ihm wurde auch er entlassen.179 Er verfaßte daraufhin einen letzten ungehaltenen Brief, in dem er nun die gesamte alte Augsburger Pfarrerschaft der Häresie bezichtigte. Dabei benutzte er wieder das Schwenckfeldertum als Argumentationsfigur, um das Häretische deutlicher herauszustreichen. Er bezog sich erneut auf den Unsinn-Brief und die dort aufgeführten Pfarrer, die sich nie dagegen gewehrt hätten, von Unsinn als Gewährsleute fur dessen Abendmahlslehre genannt zu werden.180 Nach dem explizit genann177 178 179 180

Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Melhorn-Selekt, 8.3.1555, fol. 3 r . Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Melhom-Selekt, 8.3.1555, fol. 7f. F. Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte, Bd. 4, S. 587. Jch hallte er [=Johann Heinrich Held von Tieffenau] Lasse es Jm gefallen / das er nicht allein Zwinglisch sonnder auch Schwennckfeldische färb / Jnn seinem Titul fueren Soll / dise Mumende Zwingeis Schueler Jetz zu Augspurg Predicannten / Habenn vonn Jrem Maister gelernent / das sie verhören vnnd versehen könnden / Jer Bachannaterey vnnd Schwermerey zuuerdeckhen / kaine Bekanntnus noch Rechenschafft / heren Mainung von sich geben /, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Mehlhorn-Selekt, 6.8.1555, fol. 24.

272 ten Schlußverfahren qui tacet consentit ließ Melhorn Schwenckfeldertum und Zwinglianismus zusammenfallen und bezeichnete am Ende die alten Augsburgischen Pfarrer als Zwinglianer und Schwenckfelder.181 Ganz ähnlich wurde auch in Ulm nach dem Amtsantritt des aus Straßburg berufenen neuen Superintendenten Ludwig Rabus 1556 die lutherische Konfessionalisierung betrieben.182 Auch hier ging man fast gleichzeitig gegen Zwinglianer und Schwenckfelder vor. Wie in Augsburg wurden die Zwinglianer in die Nähe des Schwenckfeldertums gerückt, um die häretische Gesinnung eindeutig werden zu lassen.183 Anders als in Augsburg waren die Schwenckfelder in Ulm aber durch ihre prominente Führungsfigur, die Ärztin Agatha Streicher, vor direkter Verfolgung bis zu deren Tod 1581 geschützt.184 Die intrakonfessionellen Konflikte in oberdeutschen Reichsstädten im Rahmen des Prozesses der Lutheranisierung dokumentieren verschiedene Stadien der Konfessionsbildung und zum Teil auch einen Generationenkonflikt. Auf der einen Seite standen die zumeist älteren zwinglisch orientierten Theologen, die eine protestantische Bewegung repräsentierten, die theologisch und von der Sozialisation her einen weiteren Raum an religiösen Lebensmöglichkeiten als orthodox zuließ. So berief sich Bächlin auf das alte Herkommen seines Lehrverständnisses und stellte dem antithetisch die lutherische Interpretation der jungen Sachsen als nicht durch die Tradition abgesicherte Neuerung gegenüber.185 In diese Linie der noch nicht kanonisierten Tradition reihten sich auch die Schwenckfelder ein. Wie gesehen argumentierte Unsinn mit den gemeinsamen Traditionslinien, aber auch 181

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Ja sie [= die Augsburger Pfarrer] nemen vnnd erkennen / Öffentlich fur Jres Preceporrs [sie!] denn Wollffganng Meuslin Bonifatium Michl Keller Johann Helld / wellchs zwinglische vnnd Schwennckfeldische Müntlich vnnd Schrifftlich / das sie Jer Mainung sein bekennen, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Melhorn-Selekt, fol. 37 r . W. Enderle, Ulm und die evangelischen Reichsstädte, S. 205. Einige Pfarrer wurden beschuldigt, Zwinglianer und Schwenckfelder zu sein. So erging es z.B. Martin Karter aus Altheim im Ulmer Landgebiet und Johann Willing, siehe F. Fritz, Ulmische Kirchengeschichte, S. 127. Auch der Ratsherr Daniel Schad wurde des Schwenckfeldertums beschuldigt, um ihn, der ein scharfer Gegner von Rabus war, zu diskreditieren, F. Fritz, Ulmische Kirchengeschichte, S. 126 A. 38. Siehe Anhang bzw. Kap. 2. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Melhorn-Selekt, 8.3.1555, fol. 2 r . Melhorn begegnete der Unterstellung, Neuerungen einfuhren zu wollen damit, daß er den Spieß umdrehte und meinte, die wahre, lutherische Lehre sei den Augsburgern so lange abhanden gekommen, daß sie sie nicht wiedererkennen könnten: Bächlin würde vns die wir dieselbige [= die Confessio Augustana] / als fur die bestendige gründliche warhait / wie dann ist vnd wol bleiben wird / antzihen / vnder einen heuchlerischen schein vordechtig machetten / vnd wollen ir gleichwol nhun zum dekel gebrauchen / daher dann das geschrey / vnd nicht vnbillich/ kompt / wir bringen eine andere newe lehre / so wir der Augspurgi=schen Confession / welche den Augspurgern gantz vnbe=kant ist / vielleicht darumb dieweil sie inn Jren Jungen vnmundigen Jharen von dannen kommen vnd nhun eine lange zeit in Sachssen vnd andern lendern ist herumb gewandert vnd viel erlidden / das sie nhun fur alter schier gar grow ist worden / vnd Jre gefreundte sie nicht mehr kennen wollen / gedencken /, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Melhorn-Selekt, 8.3.1555, fol. 6V, 7 r .

273 die Schwenckfelderin und Pfarrersgattin Katharina Zell in Straßburg beschwor in ihren Auseinandersetzungen mit dem jüngeren lutherischen Pfarrer Ludwig Rabus die Wurzeln ihrer Auffassungen in den Anfängen der Reformation, in der eine Einheit bestanden habe, die Rabus nun auseinanderreiße. 186 Selbst der entschiedene Schwenckfeld-Gegner Martin Bucer nahm, wie am Beispiel Baders gezeigt, auf die erste Reformatorengeneration Rücksicht, selbst wenn sie sich schwenckfeldisch orientierte. Anders sahen die zumeist jüngeren Lutheraner Lehre und Kirchenwesen. Für sie war die protestantische Kanonbildung schon abgeschlossen, das Korpus zulässiger Theologien und die Sozialisation des rechten Lehrers, die Institutionen, die die verbindlichen Glaubenssätze weitergaben, aus ihrer Sicht vorgegeben, die Außengrenzen festgelegt. Mit diesem Ansatz war eine innerprotestantische Häretisierung und Verfolgung nichtlutherischer Ansichten überhaupt erst möglich. Das Schwenckfeldertum diente dabei als Argumentationsfigur zur eindeutigen Stigmatisierung der in Süddeutschland noch um die Jahrhundertmitte vorherrschenden oberdeutsch-reformierten Glaubensrichtung. Nach den Erfahrungen der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg und den katholischen Bedrückungen durch das Interim konnten die oberdeutschen Reichsstädte nach Abschluß des Passauer Vertrags 1552 ihr evangelisches Kirchenwesen nicht einfach unverändert wieder aufbauen. Sie waren dazu gezwungen, sich machtvolle protestantische Partner zu suchen, was allein aus außenpolitischen Gründen eine Orientierung zum Luthertum notwendig machte. Im Zuge dieser lutherischen Konfessionalisierung der oberdeutschen Reichsstädte wurden schwenckfeldische Lehren und die Personen, die sie vertraten, immer mehr an den Rand gedrängt. Das in Schmalkalden als abweichend benannte Schwenckfeldertum diente dann als Mittel zur Häretisierung der zwinglischen Pfarrer, die sich der Lutheranisierung widersetzten. Es kam also gleichsam zu einer doppelten Häretisierung. Selbst in Orten, wo man mit der zwinglischen Bevölkerung und den alten Pfarrern vorsichtiger umzugehen gewillt war, kam es immer zur Ausgrenzung und Verfolgung der Schwenckfelder, die damit geradezu ein Kennzeichen lutherischer Konfessionalisierung in den oberdeutschen Reichsstädten war. 187 Kießling vertritt die Ansicht, daß die oberdeutschen Städte gar keine Konfessionalisierung im eigentlichen Sinne erlebt hätten, sondern faktisch alle gemischtkonfessionell geblieben seien, auch wenn sie nicht offiziell paritätisch waren. 188 186 187

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Ε. A. McK.ee, Katharina Schütz Zell, Bd. 2, S. 167-303. Ein Beispiel dafür ist Kempten. Hier ging Pfarrer Primus Trüber bei der lutherischen Konfessionalisierung einen behutsameren Weg. Er nahm auf die zwinglische Bevölkerung gerade im konfliktbehafteten Bereich des Abendmahls Rücksicht, indem er den gesamten Vorgang weitgehend zum Geheimnis Gottes erklärte und einen einfachen Ritus einführte. Gleichzeitig bekämpfte er aber das Schwenckfeldertum und entließ zügig seinen schwenckfeldischen Helfer, Georg Mayer, siehe T. Elze, Primus Trubers Briefe, S. 24f.; W. Petz, Zwischen Beharrung und Wandel, S. 32. R. Kießling, Konfessionalisierung als alltägliche Grenze, S. 48-66.

274 Selbst wenn diese Einschätzung zutreffend ist, war es mit einer allgemeinen Toleranz zu Beginn der Lutheranisierung vorbei. Die Konstellationen hatten sich verschoben, das Korpus der im religiösen Diskurs erlaubten Äußerungen war verändert und eingeschränkt, auch bestimmte religiöse Praktiken wie der Abendmahlsstillstand waren nun nicht mehr erlaubt. Das Schwenckfeldertum war als häretisch markiert und wurde nun zunächst von kirchlicher, später auch von weltlicher Seite verfolgt.

5.3

Der Umgang der kirchlichen Obrigkeit mit den Schwenckfeldern

Die Mehrheit der protestantischen Pfarrer sah das Schwenckfeldertum schon früh als Gefahr für das evangelische Kirchenwesen und drang auf Bekehrung bzw. auf Beseitigung der Anhänger mit Hilfe der weltlichen Obrigkeit. Wo das nicht möglich war, setzte man im Rahmen der Möglichkeiten eigene Strafmaßnahmen ein.

5.3.1 Die schwenckfeldische Herausforderung Aus der Sicht der Kirche bestand die Gefahr des Schwenckfeldertums anfangs, in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts, vor allem darin, daß die Lehre, die sich in einer Reihe von Punkten von der oberdeutsch-reformierten Theologie unterschied, auch für viele Pfarrer attraktiv war.189 Damit war das gesamte noch junge und in den meisten süddeutschen Reichsstädten noch kaum gefestigte protestantische Kirchenwesen bedroht. Später sah man sich vor allem durch den schwenckfeldischen Spiritualismus herausgefordert, durch die Vorstellung eines wahren inneren Glaubens, der der Riten und Sakramente, ja des gesamten äußeren Kirchenwesen nicht bedurfte. Damit stellte das Schwenckfeldertum die christliche Gemeinde als rituelle Gemeinschaft insgesamt in Frage. Durch das Ernstnehmen des ,Priestertums aller Gläubigen' gefährdete das Schwenckfeldertum auch noch die Distanz zwischen den gläubigen Laien und der protestantischen Pfarrerschaft.190 Entsprechend faßten die Pfarrer das Bedrohungspotential zusammen: Die Memminger Pfarrer meinten in einer 1571 an den Rat gemachten Eingabe wegen der Verhältnisse in den Landgemeinden und der Sekten in der Stadt, daß 189

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So tauschten sich der Straßburger Pfarrer Martin Bucer und der zu der Zeit in Konstanz wirkende Ambrosius Blarer darüber aus, daß 1534 sowohl zwei Pfarrer der Esslinger Kirche (Ringlin und Otter) als auch zwei Theologen in Augsburg (Wolfhart und Fontius) schwenckfeldischen Lehren zuneigten und Schwenckfeld gegen Angriffe verteidigten, T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 1, S. 434, 468. Nach Weber gefährdeten gerade die Angriffe von persönlich Berufenen („Propheten") - als solcher sah sich Schwenckfeld - und ihren Anhängern die Herrschaft der Pfarrer, die sich vor die Aufgabe gestellt sahen, durch Kanonisierung und Dogmatisierung ihres Wissens ihre eigene Stellung gegenüber der Mehrheit der Laien, die keinen Zugriff auf das Heilige Wissen hatten, zu sichern, M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 203f.

275 der Schwenckfelder Moretzgi und seine Lehre Predigt und Sakramente angreife und damit die ganze Ordnung der Kirche zerrütte, individuell die Seelen der Menschen verderbe und die protestantische Kirche auch nach außen gefährde, indem man wegen der Duldung schwenckfeldischer Lehren nachteilig ins Gerede komme.191 Verstärkt wurde die Gefährlichkeit der Schwenckfelder durch ihre Strategie, im Verborgenen zu wirken, ihre wahre religiöse Gesinnung zu verschleiern. Das Dissimulieren mit seiner kompromißbereiten Anpassung an die rechtgläubige Umwelt ängstigte mehr als die offene Häresie, wie sie etwa die Täufer vertraten.192 Das unentdeckte Wirken im Verborgenen gefährdete die Reinheit der ganzen Gemeinde. Hier konnte man sich nur mit Hilfe der weltlichen Obrigkeit wehren, wie die Memminger Geistlichen 1568 in einer ersten Supplikation Moretzgi betreffend dem Rat vor Augen führten: Die Irrigen wollten sie gern sanftmütig unterweisen, den heimlich sich einschleichenden Sekten aber dürfe man nicht ihren Gang lassen, hier solle der Rat eingreifen. 193 Auf dem von Schwenckfeldern ebenfalls immer wieder betonten und auch gelebten Gebiet der Besserung des Lebens, die den rechten Glauben dokumentiere,194 sahen einige protestantische Geistliche dagegen eine positive Herausforderung. Die Superattendenten in der Kurpfalz stellten beispielsweise 1556 einen Zusammenhang zwischen mangelhafter Kirchenzucht und dem Aufkommen der Schwenckfelder und Täufer her. Das Auftauchen der Dissidenten nahm man hier zunächst zum Anlaß, die Pfarrer aufzufordern, die Sünden energisch zu strafen, gegen die Sekten aber sanftmütig zu predigen.195

5.3.2 Kirchliche Ermittlungstätigkeit Da der Kirche auch an der Bekehrung der Schwenckfelder gelegen war, die ihren Glauben nicht offen auslebten, kam dem Aufspüren der Dissidenten besondere Bedeutung zu. Die kirchlichen Behörden übernahmen zum größten Teil die Re191

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Nach deem aber des gemeldteen vonn Jagersdorff [= Jakob Moretzgi] vnze-vnwissender eyfer / so Jnn treibeet / sein gefasste Jrrige lehr außzubreytteen / gewißlicheen vnnd furnämlich / wo er nit darvon gewieseen / zuovorderst gottcs wort vnnd Sycramcntcn zuo schmelerung göttlichen wortts vnd Sacramenten / zerruettung vnser ruewigen vnnd wolahngeordneten kircheen / der seelen verderben / zuo beschwärlicher nachred [...] geraychen thette. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a. Ähnlich sah das 1534 auch Ambrosius Blarer: Schwenckfelds Lehre nehme ihnen das Evangelium und die Sakramente und damit die Kirche selbst, T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 1, S. 471. Gleiches galt nach Scholz Williams auch für Abweichler, die des Atheismus oder Epikuräertums bezichtigt wurden, weil man sie nicht einzuordnen vermochte. Ihre verborgene Devianz schaffe Vagheit und Relativismus mit Verhaltensweisen, bei denen kaum zu definieren sei, inwieweit sie noch akzeptiert werden könnten, G. H. Williams, Hexen und Herrschaft, S. 156. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, fol. 104v. Siehe Kap. 3. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 148f.

276 cherchen auch in den Fällen, in denen die weltliche Obrigkeit gegen die Schwenckfelder vorging. Dabei wurden verschiedene Erkenntnisquellen genutzt. Über die Grenzen der einzelnen Pfarrei hinaus lieferten die ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zumeist regelmäßig von kirchlichen Vertretern im Auftrag der weltlichen Obrigkeit durchgeführten Visitationen196 Informationen über Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder. Die Pfarrer wurden nach Sektierern in der Gemeinde befragt, die den lokalen Geistlichen zum Teil bekannt waren, weil sie öffentlich agierten. Die dissimulierenden Schwenckfelder entdeckte man eher, wenn man die Sakramentsverweigerer als Anhaltspunkt nahm. In der Württembergischen Kirchenordnung von 1559 wurden Ermittlungen bei den Abendmahlsverweigerern im Rahmen der Visitationen ausdrücklich vorgeschrieben.197 Gelegentlich recherchierten Kirchenleute auch aus eigenem Antrieb, weil sie die permanente Suche nach religiösen Abweichlern als zu ihren Amtspflichten gehörig verstanden. Der Spezial von Blaubeuren hatte 1625 seiner verpflichtten schuldigkait nach sich an diversen Stellen, aber in aller Stille, da er ohne expliziten Untersuchungsauftrag war, nach den schwenckfeldischen Kontakten des Ditzinger Pfarrers Theodor Kantz erkundigt.198 Er handelte aber nicht selbst, lud den Verdächtigen nicht vor, sondern sammelte die Gerüchte, die er auf diese Weise zu hören bekam, und gab sie an die weltliche Obrigkeit weiter. Gemeindepfarrer wurden auch außerhalb der Visitationen von ihren Vorgesetzten dazu angehalten, in konkreten Verdachtsfallen Erkundigungen einzuziehen. 1574 hatte der Spezial im württembergischen Dettingen den Pfarrer von Mehrstetten beauftragt herauszufinden, was der Justinger Pfarrer, der Schwenckfelder Daniel Friedrich, von den Sakramenten halte und was er predige. Der Pfarrer sollte sogar aus dem Predigtbuch des Justinger Geistlichen heimlich / etliche Locus so wider vnser leer seyend / von wort zw wort abschreiben, was in diesem Fall aber unterbleiben mußte, da Friedrich gewarnt worden war, das Buch nun nur noch zu Hause hatte und mit handschriftlichen Zetteln zur Predigt erschien, die er niemanden sehen ließ.199 Eine andere Möglichkeit, gleichsam passiv an Hinweise auf Schwenckfelder zu gelangen, waren Denunziationen aus der nächsten Umgebung der Dissidenten. Diese waren jedoch keine sehr zuverlässige Erkenntnisquelle, da es vor allem dann zu Anzeigen kam, wenn die Nachbarn sich in einer Konfliktsituation befan-

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Zur Bedeutung der Visitationen, dem Funktionswandel der protestantischen Visitation und zur Kirchenvisitationsforschung siehe H. Schnabel-Schüle, Kirchenleitung, S. 15-33. Dabei wurde zwischen Nachtmahlsverweigerung aus sektischen und aus anderen Gründen unterschieden, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 195. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv A 26, 728, Nr. 2b, 3.3.1625, Schreiben des Spezial von Blaubeuren an den Herzog. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, 22.8.1574, fol. 25v.

277 den, die sie ohne die Hilfe der Obrigkeit nicht meinten lösen zu können.200 Die religiöse Abweichung des Kontrahenten diente dabei lediglich als Mittel, dem eigentlichen Anliegen Nachdruck und Öffentlichkeit zu verschaffen. 201 Sichtbar wird das am Beispiel des schwenckfeldischen Hafners Jakob Zimmermann aus Memmingen. Er war schon 1597 wegen des Besitzes schwenckfeldischer Bücher vor seinen Pfarrer geladen worden. Man hatte es damals aber bei Ermahnungen belassen.202 Zwei Jahre später hatte ihn sein Nachbar Daniel Rhem angezeigt. Er hatte Zimmermanns abfällige Bemerkungen über den verstorbenen lutherischen Pfarrer David Kienlin wiedergegeben und damit seine Verhaftung verursacht. Hintergrund war aber ein Konflikt um einen goldenen Ring, der nach Ansicht Zimmermanns zwischen den Parteien direkt hätte geregelt werden sollen. In seinem zweiten Verhör griff er Rhems Konfliktlösungsstrategie scharf an, zumal er schließlich auch nicht Rhems moralisches Fehlverhalten (gemeint waren Rhems Gewalttätigkeiten gegen seine Ehefrau) als strategisches Mittel eingesetzt und ihn seinerseits bei der Obrigkeit verklagt hatte.203 Zimmermanns vehemente Kritik am Denunziationsverhalten seines Nachbarn und die zurückhaltenden Aussagen der übrigen geladenen Zeugen legen den Schluß nahe, daß derlei Anzeigen (religiös) abweichenden Verhaltens von Nachbarn nicht die Regel waren.204 War der Verdächtige einmal identifiziert, wurde er vor den Pfarrer bzw. die vorgesetzte Kirchenbehörde zitiert und zu seiner Religion befragt. Dabei zeigt sich, daß die kirchlichen Stellen zumindest bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ein auch theologisch eingehendes Verhör vornahmen, da sie an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Schwenckfeldern interessiert waren. Danach wurde es für die Kirchenvertreter zunehmend unwichtiger, die einzelnen als dissiden-

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Vgl. U. Rublacks Ausführungen zu defensiven Strategien des Widerstands gegen Herrschaft, die u.a. in einer geringen Anzeigebereitschaft bestanden, Rublack, Frühneuzeitliche Staatlichkeit, 1997, S. 354-358. Zur Vielfalt der Konfliktlösungsstrategien der Untertanen, die die Einschaltung der weltlichen Obrigkeit als eine aktive, von den Konfliktparteien bewußt gewählte Möglichkeit beinhaltete, siehe M. Dinges, Justiznutzungen. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8b, 30.5.1599, Pfarrkonvent an Rat, fol. 1. Zimmermann unterstellte, Rhem wolle sein Laster mit dem seinen zudeckhen / er habe nicht lautt daruon geschrihen / was er für ein Regiment Jn seinem haus führe / das er nicht alle tag gewüst wan er sein weib vmbbringe, Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8b, 31.5.1599, 2. Verantwortung Zimmermanns. Ein ähnlich gelagerter Fall aus Augsburg war die Anzeige gegen den Rindmetzger Hans Mang, dessen religiöse Haltung unklar blieb. Er wurde 1645 beschuldigt, keiner Religion anzugehören, da er geäußert haben sollte, er habe sein Auskommen von seiner Hände Arbeit und nicht von Gott. Es stellte sich heraus, daß Mang von einem anderen Metzger, Martin Lutz, denunziert worden war, mit dem er seit 1644 wegen einer unbezahlten Rechnung im Streit lag. Der Schuldner Lutz hatte sich durch Einschaltung der weltlichen Behörden gewehrt. Die Religion diente dabei nur als Mittel zu einem ganz anderen Zweck, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, Nr. 328, 1645-1646, 20.1.1645; 24.1.1645.

278 tisch markierten Gruppen voneinander zu unterscheiden, was auch daran sichtbar wird, daß man sie unter Sammelbegriffen wie ,Epikuräer' zusammenfaßte.205

5.3.3 Einschalten der weltlichen Amtsgewalt Nach der Ermittlung und gelegentlich auch einer ersten Befragung der ,Sektierer' schalteten die kirchlichen Stellen zumeist die weltlichen Behörden ein. Die protestantischen Kirchenvertreter waren etwa ab der Jahrhundertmitte überwiegend der Meinung, daß die Schwenckfelder bei Hartnäckigkeit zu bestrafen seien. Die Strafkompetenz gegen religiöse Abweichler aber lag auch aus der Sicht der lutherischen Kirchenleitung in den Händen der weltlichen Gewalt. Die Memminger Pfarrer verlangten 1599 ein scharfes Vorgehen vom Rat gegen Jakob Zimmermann vor allem wegen seiner erwähnten antiklerikalen Äußerungen, ansonsten bliebe ihnen nur der Weg einer Beleidigungsklage gegen den Hafner. Die weltlichen Behörden hatten die Schwenckfelder wieder auf den rechten Kurs zu bringen, dabei ließen die Amtsträger es nach Ansicht der Kirchenvertreter oft an dem gebührlichen Eifer mangeln. Die Zurückhaltung der weltlichen Seite lag vor allem darin begründet, daß sie die Prioritäten ihres Handelns anders setzte. Ein Beispiel ist die Behandlung der Ulmer Schwenckfelder: Während die Pfarrer, besonders der neue Superintendent Ludwig Rabus immer wieder beim Rat anmahnten, gegen Agatha Streicher und ihre schwenckfeldische Sekte vorzugehen, sahen die Ratsherrn den Prestigegewinn, den die berühmte Ärztin der Stadt brachte, im Vordergrund.206 Sie speisten Rabus mit dem vagen Versprechen ab, Erkundigungen einzuziehen und sie künftig vorzuladen.207 Faktisch blieb sie aber bis zu ihrem Tod unbehelligt und schützte durch ihre Prominenz auch die übrigen Schwenckfelder in der Stadt. Inhaltliche Auseinandersetzungen mit den Schwenckfeldern umging die weltliche Obrigkeit in der Regel. Die Kirchenvertreter verlangten dagegen nach einer auch theologischen Auseinandersetzung, um ihrem primären Ziel der Bekehrung des Einzelnen, der wieder in die dann gereinigte Gemeinschaft der Gläubigen eingegliedert werden sollte, näherzukommen. Im Verfahren gegen Jakob Moretzgi schlugen die Memminger Pfarrer deshalb der bislang säumigen Obrigkeit, die den Schwenckfelder noch nicht einmal vorgeladen hatte, vor, ihn zu sich zu 205 206

207

Siehe Kap. 6. Die Anwesenheit der berühmten Patienten wurde im Ratsbuch vermerkt. Man stellte ihnen auf Stadtkosten Fuhrwerke zur Verfugung und versah die Agatha Streicher mit einem kleinen Ofen für die Bootsreise, als die Ärztin an das Sterbebett des Kaisers gerufen wurde, Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 29, fol. 314v; Bd. 33, fol. 535v, 536r; Bd. 34, fol. 204; 624. Rabus drang im Juni 1572 auf ein Vorgehen des Rats gegen die Sekte der Streicherin. Der Rat wollte das in Erwägung ziehen, aber selbstverständlich erst, nachdem der Bischof von Speyer, der sich bei Agatha Streicher in Behandlung befand, wieder abgereist war. Auch im Dezember des Jahres machte der Rat dieselben hinhaltenden Bemerkungen, Ulm, Stadtarchiv, Religionsprotokolle 1570-1587, A [6875], fol. 97, 106.

279 bestellen, damit die Pfarrer im Gespräch seine häretische Gesinnung herausarbeiten konnten.208 Sie übergaben zudem für weitere obrigkeitliche Verhöre Fragenkataloge, die auch theologische Aspekte betrafen. 209 Die weltliche Obrigkeit in den Reichsstädten ging auf diese Wünsche keineswegs immer ein, insbesondere ließ sie die Pfarrerschaft nicht gern eigenständig agieren. Es war ihnen wichtig, die Kontrolle über die Handlungen der Kirche zu behalten. Das erweist sich besonders deutlich in Ulm. Hier kontrollierte die Obrigkeit das Kirchenwesen vollständig durch die Gremien der Religionsherren und der Pfarrkirchenbaupflegherren, die rein weltlich besetzt waren. Auch der höchste geistliche Vertreter, der Superintendent, hatte dort nur beratende Funktion.210 Entsprechend eingeschränkt war der Handlungsspielraum der Pfarrer bei der Verfolgung der Schwenckfelder. Selbst nachdem sie erreicht hatten, daß überhaupt gegen die Dissidenten vorgegangen wurde, achtete der Rat darauf, in dem langwierigen Verfahren in allen Aspekten die Oberhand zu behalten. Sogar in das Gebiet der Bekehrung der Schwenckfelder regierte man hinein. Kurz vor der Ausweisung der Hartnäckigen unter den Schwenckfeldern sollten die Bemühungen um Bekehrung intensiviert werden, aber nur unter Aufsicht der weltlichen Baupfleger.211 Auch der Fall des Schwenckfelders Alexander Theiring offenbart die geringe Einbeziehung der Kirchenvertreter in das Vorgehen gegen die Dissidenten in Ulm. Die Pfarrer hatten Theirings Fall schon 1581 in der Visitation ermittelt, der Rat ging aber erst Jahre später gegen ihn vor. Der Verhaftung Theirings waren keine gezielten Ermittlungen der Ulmer Kirche vorausgegangen, sondern es gab wohl Denunziationen, die auf schwenckfeldische Versammlungen hindeuteten, an denen Theiring teilnahm. Seine Bücher wurden beschlagnahmt und den Pfarrern befohlen, sie durchzusehen. Theiring wurde mehrfach verhört und in Haft belassen. Erst einen Monat nach seiner Verhaftung schaltete die weltliche Obrigkeit einen Pfarrer ein, der zusammen mit den weltlichen Vertretern ermitteln sollte, welche religiöse Orientierung er überhaupt habe.212 In den meisten Fällen gab es jedoch keine tiefgreifenden Konflikte im Vorgehen gegen die Schwenckfelder. Man arbeitete auf verschiedenen Aufgabengebie208

209 2,0 211

212

Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Schreiben der Pfarrer von Stadt und Land an den Rat von Memmingen, 1571. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Fragen für Moretzgi, 9.2.1571. W. Enderle, Ulm und die evangelischen Reichsstädte, S. 201, 206. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, 15.6.1582, fol. 738. Noch deutlicher strich der Rat 1601 die Kompetenzen des Pfarrkirchenbaupflegamtes heraus. Schon 1598 hatten die Pfarrer einige Fälle von Abendmahlsverweigerern recherchiert, von denen sie vermuteten, daß sie zum Teil zwinglisch oder schwenckfeldisch waren. Der Rat erließ zunächst längere Zeit gar keine Bescheide, so daß man gegen die Verdächtigen nicht vorgehen konnte. 1601 schalteten sich dann die Pflegherren ein, ermahnten die Pfarrer jedoch sofort ausdrücklich, sie sollten die Verdächtigen nicht selbst beschicken, sondern Anzeige beim Baupflegamt erstatten, das dann nach seinen Vorstellungen entscheiden werde, Ulm, Stadtarchiv, Religionsprotokolle, Pfarrkirchenbaupflegamt, A [6876], 4.8.1601, fol. 119. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 36, fol. 522 v , 5 3 7 \ 5 4 Γ , 544 r .

280 ten Hand in Hand. Während die kirchliche Seite recherchierte, theologische Gutachten zur religiösen Einordnung von Verhörsäußerungen und beschlagnahmten schwenckfeldischen Büchern abgab und sich vor allem der Bekehrung widmete, übernahm die weltliche Obrigkeit die Verhaftung, das Verhör und die Bestrafung der Schwenckfelder. Beispielhaft dafür ist der Augsburger Schwenckfelderprozeß von 1553/54. Nach längeren Kontroversen zwischen den Schwenckfeldern Hieber und Unsinn einerseits und den Pfarrern Meckhart und Ketzmann andererseits entschieden sich die Theologen 1553 dafür, die Obrigkeit einzuschalten.213 Der Rat beschloß aufgrund ihrer Angaben, die beiden und kurze Zeit später auch den in einem beschlagnahmten Brief erwähnten Marquart zu verhaften. Die weltliche Seite führte in Abstimmung mit den Pfarrern die Verhöre durch und veranlaßte die Pfarrer mehrfach, die Gefangenen aufzusuchen, um sie in der Haft zu bekehren.214 Zuletzt setzte der Rat die Strafen durch, die in Widerruf oder Ausweisung bestanden.215

5.3.4 Kirchliche Sanktionen Bevor die Pfarrerschaft sich den weltlichen Arm bei der Verfolgung von religiösen Abweichlern zunutze machte oder in den Fällen, in denen die weltliche Seite nichts gegen die Schwenckfelder unternahm, und gelegentlich auch als Ergänzung zu obrigkeitlichen Maßnahmen, nutzte die Kirche ein abgestuftes Instrumentarium eigener Druckmittel und Strafen. Die Ermahnung durch den Pfarrer und ein erster Versuch der Bekehrung geschahen ohnehin meist gemeindeintern, ohne daß gleich eine Meldung an die weltliche Obrigkeit erfolgte.216 Das eigenmächtige Vorgehen gegen die Dissidenten wurde aber auch als Drohung eingesetzt, wenn die Kirche den Eindruck hatte, daß sonst nichts geschah und die Gemeinde dadurch gefährdet würde. Die Memminger Pfarrer hatten den Rat schon mehrfach auf das Treiben der Schwenckfelder und insbesondere Jakob Moretzgis von Jägersdorf aufmerksam gemacht, ohne daß etwas geschehen war. 213

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216

Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 24, abgedruckt in C.S. 13, S. 273. Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher, Bd. 27, fol. 17, 18r, 22 v . Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher, Bd. 27, 19r; Strafbücher des Rats 1543-1553, fol. 63 v , 64 v . So war der Memminger Schwenckfelder Zimmermann zunächst auch nur von seinem Gemeindepfarrer ermähnt worden, erst als sein schwenckfeldisches Verhalten erneut gemeldet wurde, kam es zu einem obrigkeitlichen Verfahren, Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8b, Schreiben der Pfarrerschaft an den Rat, 1. Aussage von Jakob Zimmermann 1599. Bekehrungsversuche wurden gelegentlich dadurch unterstützt, daß die Pfarrer den Verdächtigen auferlegten, bestimmte Bücher zu kaufen und zu lesen. 1590 hatte man im württembergischen Dornstetten dem als Täufer verdächtigten Matthäus Weiß den Kauf einiger orthodoxer Schriften auferlegt. Dem war Weiß aber nicht nachgekommen, sondern hatte sich stattdessen schwenckfeldische Bücher beschafft, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 651 f.

281 Nun erinnerten sie den Rat erneut an seine Aufgabe, als christliche Obrigkeit gegen die Dissidenten vorzugehen, und stellen widrigenfalls eigene Maßnahmen drohend in Aussicht.217 Die Kirchenvertreter sahen ein eigenes disziplinierendes Verfahren also selbst als Kompetenzüberschreitung, die nur durch den Notfall zu rechtfertigen war, eben durch die Pflichtvergessenheit der weltlichen Obrigkeit. Neben dem Bekehrungsgespräch konnte die Kirche weitere Maßnahmen beschließen, die die Schwenckfelder durch den Ausschluß von kirchlichen Ritualen aus der christlichen Gemeinschaft verbannte. In Württemberg wurde häufig mit der Verweigerung eines christlichen Begräbnisses gedroht. Man versuchte, hartnäckige Schwenckfelder dadurch unter Druck zu setzen, daß man ihnen eine Beerdigung ohne Geläut und Leichenpredigt ankündigte, wenn sie dem Schwenckfeldertum nicht zu Lebzeiten abschworen. 218 Während Württemberg diese Regelung offiziell in seiner Kirchengesetzgebung vorsah,219 dieses Vorgehen also obrigkeitlich sanktioniert war (die Kirchenvertreter konnten es aber offenbar eigenmächtig - ohne Rücksprache mit weltlichen Vertretern - einsetzen), kam es in Ulm über die Begräbnisfrage zu Konflikten mit dem Rat. Superintendent Rabus weigerte sich sogar, die Menschen, die am lutherischen Abendmahl nicht teilnahmen, also neben Schwenckfeldern auch Zwinglianer und Katholiken, im Todesfall von der Kanzel abzukündigen. Als seine Kollegen sich dieser Praxis anschlossen, schritt die Obrigkeit ein und zwang Rabus zur Abkündigung. Die Pfarrer unterliefen das behördliche Gebot jedoch, indem sie die Todesfälle der Nichtlutheraner in abweichender, spöttischer Form verkündigten. 220 Beide Beispiele machen die Bedeutung des Abendmahlssakraments fur die rituelle Markierung

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Solltee aber vilgedachter vonn Jagersdorff Jnn außstrewung seiner vnbewießnen vnnd vngegruendten lehre ohne abstellung fortschreytteen / werdeen wir gegen Jme gebuerlichee weeg / die vnns gottes wortt vnnd anderer getreween lehrer exemplen oder fuoßstapffeen weysen zuo retlung vnsers gewissen / ampts vnnd Leumbdens vnseumig ahnn die Hanndt nehmen / welchee wir bißheer vmgangen, Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Schreiben der Pfarrer von Stadt und Land an den Rat 1571. Beispiele für diese Strafandrohung in Württemberg s. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 450, 553, 563. Gegen eine der Schwenckfelderinnen, Margarete Lang, wurde ein zusätzliches Druckmittel eingesetzt: Sie besaß eine kirchliche Pfründe, deren Entzug man ihr androhte. Die lutherischen Pfarrer in der schlesischen Grafschaft Glatz wandten gegen die Schwenckfelder ebenfalls das Mittel der Beerdigung ohne Zeremonien und Kirchenbräuche an, um ihre spiritualistischen Gegner vor dem Ableben zur Bekehrung zu zwingen, siehe A. Herzig, Reformatorische Bewegungen, S. 66. Die württembergischen Kirchengesetze sahen das Begräbnis ohne Predigt und Geleit ausdrücklich bei Verächtern des Worts und Separatisten sowie totgeborenen und unmündigen Kindern, die nicht zur sakramentalen Gemeinschaft gehörten, vor, s. J. G. Hartmann, Kirchen-Geseze des Herzogthums Wirtemberg, Bd. 3, S. XXXI. Auch die Superattendenten der Kurpfalz schlugen die Bestattung ohne Geläut und Predigt am Ende einer abgestuften Reihe von Maßnahmen, die vor allem in Ermahnungen und Belehrungen durch Kirchenvertreter bestanden, gegen Sektierer vor, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 148-151. F. Fritz, Ulmische Kirchengeschichte, S. 134.

282 der Grenzen der christlichen Gemeinde deutlich. Wer sich vom Sakrament fernhielt - aus welchen Gründen auch immer sonderte sich von der Gemeinschaft ab und wurde von ihr ausgeschlossen.221 Umgekehrt war es für die sonst in äußeren Dingen des Glaubens so kompromißbereiten Schwenckfelder von zentraler Bedeutung, nicht am lutherischen Abendmahl teilzunehmen.222 Die Drohung mit dem rituellen Ausschluß nach dem Tod traf die Schwenckfelder offensichtlich wenig. Es ist kein Fall überliefert, der eine Abkehr vom Schwenckfeldertum nach der Androhung des Begräbnisses ohne Geläut dokumentiert. Äußere Riten spielten für Schwenckfelder nach dem Tod offensichtlich noch weniger eine Rolle als im irdischen Leben. Sie wußten sich spirituell mit den wahren Christen verbunden. Offensichtlich interpretierten die Schwenckfelder diese Maßnahme nicht als soziale Sanktion, die sie aus der weltlichen Gemeinschaft ausschloß. Anders lagen die Dinge bei der Verweigerung der kirchlichen Einsegnung schwenckfeldischer Paare bzw. dem Versuch, die Bereitschaft zur Trauung mit Auflagen zu versehen, die ein wirksameres Druckmittel darstellte. Da in den protestantischen Gebieten nur der öffentliche Kirchgang eine Eheschließung gültig besiegeln konnte,223 waren auch Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder darauf angewiesen, zu dieser Zeremonie in einer Kirche zugelassen zu werden. Das gab der Kirche ein brauchbares Disziplinierungsmittel an die Hand. In Straßburg versuchte man - erfolgreich - , die Schwenckfelder wenigstens zur Taufe zu bewegen, indem man Ungetaufte nicht zur Eheschließung zuließ.224 In Memmingen ging man noch einen Schritt weiter und weigerte sich einfach, den Kirchgang zuzulassen. Der Schwenckfelder Jakob Moretzgi erschien im Januar 1577 vor dem Rat und erbat einen Verkündigungszettel, um sich und seine Braut, die Ravensburger Schwenckfelderin Katharina Trautwein, verwitwete Hillenson, in der Kirche einsegnen zu lassen.225 Der Rat erteilte zunächst den Zettel, da Mo221

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Sabean sieht das Verweigern des Begräbnisrituals für Abendmahlsverächter auch als Disziplinierungsinstrument der weltlichen Obrigkeit. Die geistlichen Vertreter hätten lediglich die Ideologie dazu geliefert. Wenn diese Überlegungen zutreffend sind, sah zumindest die weltliche Obrigkeit in Ulm Abendmahlsverweigerer aus religiösen Gründen nicht immer als ausschlußwürdig an. Entgegen den Bestrebungen der Pfarrer setzte sie sich ja mit dem Abkündigungszwang dafür ein, die Nichtlutheraner nicht vollständig aus der Gemeinschaft der Christen auszuschließen, D. W. Sabean, Kommunion, S. 75f. Wie oben dargestellt hatte das Fernbleiben für die Schwenckfelder einen vorläufigen Charakter und war Abgrenzung von einer ihrer Ansicht nach falschen Lehre und Praxis im lutherischen Abendmahl, weniger eine Selbstausgrenzung aus der auch das weltliche Leben umschließenden christlichen Gemeinschaft. Zur Abendmahlsverweigerung als Stillstand siehe Kap. 5.1. und allgemein Kap. 3.2.3. Siehe B. Rajkay, Verflechtung, S. 139-148. D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 101. Die Straßburger Schwenckfelder der zweiten Generation waren zum Teil nicht getauft worden, wenn beide Elternteile dem schwenckfeldischen Glauben anhingen. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Verzeichnis der Handlung zwischen dem Rat und den Prädikanten wegen Moretzgis Eheschließung, fol. 1.

283 retzgi der kirchlichen Ordnung gemäß gehandelt zu haben schien. Moretzgi wandte sich nun an den zuständigen Pfarrer Kienlin, der sich mit seinen Kollegen beriet und dem Rat am 14.1. schriftlich darlegte, warum er eine Einsegnung der schwenckfeldischen Brautleute ablehnte. Zunächst beriefen sich die Pfarrer auf ihr Gewissen, das es ihnen nicht erlaube, die beiden Schwenckfelder einzusegnen.226 Danach führten sie ausführlich zwei Argumente an, die gegen die Einführung sprächen. Zum einen stellten sie dem Rat vor Augen, daß die Brautleute sich nicht einfach nur von der evangelischen Kirche abgesondert hätten, sondern Rädelsführer der Schwenckfelder seien, die die Memminger Kirche öffentlich lästerten, missionierten, ihre Anhänger in ihren Häusern beherbergten und schwenckfeldische Schriften verbreiteten. Durch eine eheliche Zusammenfuhrung der beiden Rädelsführer würde der Ausbreitung des Schwenckfeldertums in Memmingen Vorschub geleistet.227 Zum anderen argumentierten die Pfarrer mit der schädlichen Außenwirkung einer solchen Einsegnung. Sie wiesen den Rat darauf hin, daß die Brautleute schon an zwei anderen Orten abgewiesen worden seien und daß sie auch bei katholischen Stellen vergeblich vorgesprochen hätten. Würde nun gerade Memmingen die Einsegnung von Schwenckfeldern vornehmen, wäre es um das Ansehen bei den anderen evangelischen Orten schlecht bestellt. Die Prädikanten nutzten die Gelegenheit, den Rat zugleich indirekt auf seine bisherigen Versäumnisse in der Bekämpfung der Schwenckfelder hinzuweisen. Der Religionsfrieden dulde schließlich keine anderen Bekenntnisse und andernorts, in Württemberg und erst jüngst in Lindau (hier nahmen sie auf den Kampf gegen die Flaccianer Bezug), hätte man sich auch zu einem entschlossenen Vorgehen gegen die Sektierer durchgerungen. 228 Sie schlossen ihre Ausführung mit der Bemerkung, daß die Brautleute sich in allem nach der Memminger Kirche zu richten und von ihrem Irrtum abzugehen hätten, wenn sie das Ministerium und Amt der Kirche in Anspruch zu nehmen gedächten.229 Der Rat respektierte diese Weigerung und teilte Moretzgi mit, daß er, weil er der evangelischen Kirche in Memmingen nicht angehöre, sondern sich von ihr selbst abgesondert habe, auf anderem Weg sehen möge, wo er sich einführen lasse.230 Moretzgi reagierte darauf verständnislos und ungehalten. Für ihn war die einzige Voraussetzung für die Einsegnung sein konformes Verhalten als Bürger, sein ehrlicher und redlicher Wandel. Er sah den Kirchgang als formalen, weltlichen Akt, der die Ehe offiziell machte, zwar von der Kirche durchgeführt wurde, aber nichts mit dem Glauben zu tun hatte. Auf die Forderung, sich zunächst zur Kirche Memmingens zu bekennen, damit er und seine Braut sich einführen lassen könnten, erwidert er: er h o f f / dz er sich zu der Cristenlichen Kierchen bekhenn / auch ein glid derselbi226 227 228 229 230

Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Bedenken der Pfarrer, 14.1.1577, fol. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Bedenken der Pfarrer, 14.1.1577, fol. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Bedenken der Pfarrer, 14.1.1577, fol. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Bedenken der Pfarrer, 14.1.1577, fol. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Verzeichnis der Handlung zwischen Prädikanten wegen Moretzgis Eheschließung, fol. 1.

1. 1. 2. 3. dem Rat und den

284 gen seye / vnnd weyl aber diß sein begern ein politische sach seye / hoff er sich darumben der Religion halb / in disputation einzulassen nit schuldig sein.2il Seine Ansicht überzeugte den Rat jedoch nicht. Die Memminger Kirche hatte die Eheschließung erfolgreich verhindert, allerdings keine Bekehrung erreicht.232 Die auf sakramentaler Ebene situierten Disziplinierungsmittel der Kirche waren also unterschiedlich erfolgreich. Nur selten erreichte man damit eine vollständige Bekehrung von Schwenckfelderinnen und Schwenckfeldern. Das aber war bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hinein erklärtes Ziel kirchlicher Maßnahmen gegen die Dissidenten. Später beschränkte sich die Kirche, wie die weltliche Obrigkeit das ohnehin schon tat, auf gewisse Mindeststandards äußerer Konformität. Sichtbar wird die Veränderung beispielsweise am Verhalten gegenüber der schwenckfeldischen Frau des württembergischen Obervogts Carl von Remchingen, Juliane von Grafeneck. Wie schon dargestellt, bekam das Ehepaar anfangs massive Schwierigkeiten wegen Julianes Schwenckfeldertum. Man versuchte sie zu Kirchgang und Widerruf zu zwingen. Zehn Jahre später bemühte man sich nicht mehr, sie mit Zwangsmaßnahmen zur vollständigen Bekehrung zu nötigen. Da sie sporadisch die Predigten besuchte und vor allem nicht missionierte, entschied die Kirchenleitung, der Sache weiter zuzusehen und die Bekehrung Gott zu überlassen.233

5.4

Das Vorgehen der weltlichen Obrigkeit gegen die Schwenckfelder

Obrigkeitliches Handeln gegen die Schwenckfelder zielte in der Praxis selten auf vollständige Konformität und war im Gegensatz zu kirchlichen Zielen weniger auf die hundertprozentige Bekehrung zur Rettung des Seelenheils der Dissidenten ausgerichtet. Dabei schwächten sich die Erwartungen der weltlichen Obrigkeit an die Bereitschaft der Schwenckfelder zum Widerruf im Laufe des 16. Jahrhunderts weiter ab. Man erwartete schließlich nur noch äußerlich sichtbare Konformität in bestimmten zentralen Punkten, die symbolisch Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft der Stadt oder des Territoriums demonstrierten. Schwenckfelder gefährdeten den Prozeß der Konfessionalisierung, indem sie sich absonderten und Teile der politischen Elite von der offiziellen Kirche abzogen. Dabei war es für das Vorgehen gegen die Schwenckfelder unerheblich, ob es sich um ein rein evangelisches oder bikonfessionelles Gebiet handelte. Die Dissi231

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Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Verzeichnis der Handlung zwischen dem Rat und den Prädikanten wegen Moretzgis Eheschließung, fol. 2. Wo die Eheschließung letztendlich erfolgte, ist nicht bekannt. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 647. Ähnlich verfuhr die württembergische Kirche 1614 mit dem schwenckfeldischen Handwerker Georg Laur. Da er die Predigten meist besuchte und nicht missionierte, sah man von Strafmaßnahmen oder auch nur Drohungen ab und befahl ihn Gott, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 848.

285 denten wurden auch in Reichsstädten mit zwei offiziell zugelassenen Konfessionen der evangelischen Seite zugerechnet. Man versuchte, sie wieder in die protestantische Kirche zu integrieren und schickte evangelische Geistliche zu ihrer Bekehrung in die Gefängniszellen. 234 Die katholische Partei spielte lediglich in dem Gebiet der Freiherrn von Freyberg eine Rolle, das von katholischen wie von evangelischen Orten umgeben war, hier bemühte sich die katholische Seite ungleich intensiver um ein Eindämmen des schwenckfeldischen Einflusses auf ihre Untertanen und auch um eine Bekehrung der Schwenckfelder in dem Gebiet der Familie von Freyberg selbst.235

5.4.1 Normative Grundlagen der Verfolgung Die mit den Schwenckfeldern befaßten Behörden verstanden sich als christliche Obrigkeit, die sich fur das Seelenheil des einzelnen Untertanen verantwortlich wähnte. Das wird in den Erlassen und Präambeln zu den jeweiligen Kirchenordnungen deutlich.236 Von diesem Selbstverständnis ausgehend gingen sie gegen die ,Sektierer' vor, um diese durch ein abgestuftes Strafsystem zum ,allein seligmachenden' Glauben zurückzufuhren und den Übergriff des Schwenckfeldertums auf andere Untertanen zu verhindern. Spätestens seit dem Augsburger Religionsfrieden galt „Eintracht im Bekenntnis [...] als wichtigste Voraussetzung politischer und gesellschaftlicher Stabilität".237 Auf Reichsebene war das Schwenckfeldertum im Gegensatz zum Täufertum nicht explizit verboten worden. Die Lehre Caspar Schwenckfelds wurde namentlich niemals erwähnt. Die Kirchenordnungen der Territorien und Städte benannten dagegen ausdrücklich auch Schwenckfelder als eine der Personengruppen, gegen die weltliche und geistliche Behörden vorzugehen hätten. Gegen

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237

Gemeint sind hier bikonfessionelle Reichsstädte im Sinne der Definition von P. Warmbrunn, Zwei Konfessionen, S. 1 lf. Für die Untersuchung der süddeutschen Schwenckfelder relevant sind die bikonfessionellen Orte Ulm, Kaufbeuren, Augsburg und Ravensburg. Während Ulm und Kaufbeuren nach dem Ende des Interims im Stadtregiment wieder evangelisch dominiert waren, blieb in Augsburg und Ravensburg die katholische Vorherrschaft im Rat bestehen, P. Warmbrunn, Zwei Konfessionen, S. 14. Für die Behandlung der Schwenckfelder und ihre Zurechnung zur evangelischen Seite machten diese Unterschiede in der konfessionellen Ausrichtung des Rats keinen Unterschied. Siehe unten. Für Herzog Christoph von Württemberg war die Sicherung des Seelenheils der Untertanen die erste Regentenpflicht, erst in zweiter Linie sollte die Obrigkeit auch für die zeitliche Wohlfahrt durch gutes Regiment und Ordnung sorgen. Das Seelenheil wurde durch die Versorgung mit der rechten Lehre und den Schutz vor Sekten sichergestellt, siehe den Mandatsentwurf gegen die Sektierer von 1556 mit Anmerkungen des Herzogs, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 138. P. Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit, S. 43.

286 Schwenckfeld selbst lagen in Württemberg und Augsburg sogar Haftbefehle vor.238 Am eingehendsten beschäftigten sich württembergische Verordnungen mit den Schwenckfeldern. Da die württembergischen Mandate und Kirchenordnungen von anderen süddeutschen Reichsstädten übernommen wurden, soll näher auf sie eingegangen werden. Besonders unter Herzog Christoph gab es detaillierte Regelungen darüber, wie mit den verschiedenen Gruppen von .Sektierern' umgegangen werden sollte. In der „Wiedertäuferordnung" von 1558 wurde zwischen Täufern, Schwenckfeldern und Sakramentierern unterschieden. Die Täufer wurden weitaus strenger bestraft als die beiden anderen Gruppen. Auch wurden unterschiedliche Fragenkataloge entworfen. Da die Schwenckfelder mit irem leben in politia gemeinlich nit ein bösen schein fiteren,239 wurden sie im Gegensatz zu den Täufern nicht zu ihrem Verhältnis zur Obrigkeit und den bürgerlichen Pflichten befragt.240 Das Vorgehen gegen die Schwenckfelder war differenziert und richtete sich nach der Bekehrungswilligkeit des Delinquenten. Für eine Verhaftung mußten verschiedene Faktoren zusammenkommen. Der zunächst nur vorgeladene und gütlich befragte Schwenckfeld-Anhänger mußte hartnäckig auf seinem Glauben beharren und in irgendeiner Form öffentlichkeitswirksam tätig gewesen sein. War der oder die Betreffende erst einmal in Haft, genügte ein einfaches Abschwören nicht mehr, sondern es wurde ein öffentlicher Widerruf vor der versammelten Kirchengemeinde verlangt. Blieb der Schwenckfelder dagegen auch in Haft bei seiner Überzeugung, sollte er ausgewiesen werden.241 Bei der ein Jahr später erschienenen herzoglichen Verordnung gegen Schwenckfelder, Täufer und andere Sekten wurde dagegen nicht mehr zwischen den einzelnen dissidentischen Gruppen unterschieden.242 Gegen alle wurde das gleiche nach Grad der Hartnäckigkeit abgestufte Verfahren angewandt. Dabei sollten alle Standhaften zunächst durch ein-, später zweiwöchige Haftstrafen zum Predigtbesuch gezwungen werden. Führte auch das nicht zum Einlenken, drohte die Ausweisung - den identifizierten Führern sogar eine Bestrafung als Aufrührer nach den Reichsgesetzen.243

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 130. In Augsburg hatte man auch schon einen Fragenkatalog erstellt, mit dem Schwenckfeld nach seiner Gefangennahme konfrontiert werden sollte, wenn nötig sogar unter Anwendung der Folter, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, o. Datum (vermutlich 1553 im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen die drei Augsburger Schwenckfelder entstanden), Nr. 29. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 1034. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 1040. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 1035f. Es wurde aber nach den Geschlechtern unterschieden bei der vorgesehenen Bestrafung. Während ein sektiererischer Mann ausgewiesen werden sollte, wurde eine glaubensabtrünnige Frau bei geringer Verpflegung in Dauergewahrsam genommen, um so ihren Gehorsam zu erzwingen, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 190f. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 188-193.

287 Diese Verordnungen gegen die Schwenckfelder blieben auch bestehen, als die Wiedertäuferordnung 1570/71 erneut beraten wurde. Gegen die Täufer sah man dagegen Strafverschärfungen wie die Anwendung der Folter vor.244 Ziel der obrigkeitlichen Maßnahmen in Württemberg war es nach Maßgabe der normativen Texte, die Schwenckfelder in einem strukturierten Verfahren zum Abschwören von ihren Glaubensüberzeugungen und zur vollständigen öffentlich demonstrierten Wiedereingliederung in die offizielle Kirche zu bringen.

5.4.2 Die Praxis: Mindeststandards der Konformität Die Verhörquellen und Berichte über die tatsächlich verhängten Maßnahmen lassen erkennen, daß die aus dem Selbstverständnis als christliche Obrigkeit entwickelten Zielvorstellungen in der Praxis nur modifiziert umgesetzt wurden. Faktisch spielten vor allem in den Reichsstädten konkurrierende Wertvorstellungen eine Rolle. So bewirkte die aus wirtschaftlichen Gründen gewährte Freizügigkeit eine gewisse Toleranz in Religionsfragen. Das sah auch Schwenckfeld und argumentierte 1553 entsprechend gegenüber der furchtsam ihre Verhaftung erwartenden Sibilla Eiselin. In Augsburg, erklärte Schwenckfeld, habe schon immer individuelle Glaubensfreiheit geherrscht, religiös motivierte Verfolgungen könne man sich schon wegen der Kaufleute nicht leisten.243 Andererseits war religiöse Konformität wichtig, da der soziale und politische Frieden des Gemeinwesens durch ein einheitliches Bekenntnis gewahrt werden mußte.246 Die Reformation brachte es jedoch mit sich, daß in den oberdeutschen Reichsstädten oftmals beide Großkonfessionen nebeneinander existierten. Im Spannungsverhältnis zwischen Offenheit und Disziplinierung entwickelten die Obrigkeiten in den Städten und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunehmend auch in den süddeutschen Territorien Mindestanforderungen an die Konformität der Schwenckfelder, die äußerlich und öffentlich die Einordnung in die reichsstädtische bzw. territoriale Gemeinschaft der Untertanen bewirken sollten. Dieses eingeschränkte Gehorsamsgebot ließ Raum für die Ausübung schwenckfeldischer Religiosität.

244 245

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 295-334. Schwenckfeld meinte, seine Anhänger hätten wegen ihres Glaubens nichts zu fürchten. Sonderlich in einer so freyen Statt wie Augspurg ist / da man niemande zwingt / auch der kaufßeuten halber / nicht zwingen kann. Jhr gebt ewre stewr / Jhr seit gefreündet / vnnd ein Ehrliche Wittwen / Wer hatt macht allein / euch dess glaubens halber / einzureden vnnd nicht auch allen andern / Es ist euch frey / zu glauben / so wol alss anndern /, C.S. 13, S. 270f. Nach Olaf Mörkes Untersuchung der Religionspolitik in der adeligen Besitzung Mindelheim zeigte gerade das Vorgehen gegen den Schwenckfelder Adam Reißner, daß die Religionsfrage unter die herrschaftliche Ordnungspolitik subsumiert wurde. Erst die Abwesenheit von Dissens schuf die Voraussetzung für die Bewahrung des politischen Friedens in der Stadt, O. Mörke, Die Ruhe im Sturm, 160.

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5.4.2.1 Integration in die offizielle Kirche In den evangelischen oder bikonfessionellen Reichsstädten ging es in der Auseinandersetzung mit den Schwenckfeldern in erster Linie um die öffentliche Demonstration von Anpassung und Gehorsam und weniger um eine theologische Auseinandersetzung und wirkliche Bekehrung der Dissidenten, wie sie von den Pfarrern immer wieder gefordert wurde. Das Desinteresse an einer inhaltlichen Beschäftigung mit der schwenckfeldischen Theologie wird besonders in Memmingen deutlich.247 1571 wurde der umtriebige Schwenckfelder Jakob Moretzgi zum ersten Mal zum Verhör vor den Rat geladen. Den von den Pfarrern ausgearbeiteten Fragenkatalog legte man Moretzgi zwar vor, die obrigkeitlichen Verhörer ignorierten jedoch das Angebot der Pfarrer, sich mit Moretzgi in einem religiösen Gespräch eingehend auseinanderzusetzen.248 Man ließ ihn nach dem ersten Verhör einfach wieder gehen. Erst auf Druck der Pfarrerschaft war der Rat überhaupt bereit, ihn für den 21.2.1571 erneut vorzuladen, um die Sache schnell zu beenden.249 Die weltliche Obrigkeit machte hier deutlich, daß sie gegen Moretzgi nicht wegen seiner religiösen Überzeugung ermittelte, sondern allein wegen Übertretungen von Ratsmandaten wie etwa dem Verbot, Fremde zu beherbergen.250 Im zweiten Verhör wollte sich nun der Schwenckfelder eingehender inhaltlich verantworten. Moretzgi wehrte sich auch dagegen, daß man Schwenckfeld als Person und seine Lehre schmähe, ohne ihn gehört zu haben.251 Der Rat reagierte auf diesen Wunsch, angehört zu werden, überhaupt nicht. Der Schreiber vermerkte nur lapidar, der Rat habe Moretzgis Reden vernommen und laß diselben / Jn Jrem 247

In Memmingen wurden nicht einmal die theologisch stark abweichenden antitrinitarischen Grautucher ernsthaft belangt. Nur aus Gründen der außenpolitischen Demonstration verlangte man in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Einstellung des nichtlutherischen Gottesdienstbesuches, siehe P. Frieß, Lutherische Konfessionalisierung, S. 76, 82-84. 248 Der Fragenkatalog umfaßte vier Abschnitte. Als letzter Punkt war eigentlich das Religionsgespräch vorgesehen: zum vierdten. Ein ersamer rhatt were bedacht Jre kirchendienern geegen euch zuostellen / vnnd euch blatz zu geeben ewer lehre vnnd bekantnuß weitleuffer darzuothun / vnnd zuobestättigeen / Wirdeen Jr dieselbige auß h: schriefft beweysen: will ein Ersamer rhatt zuo aller gebuer gesinnet sein. Jm fall aber Jr euer vnrechten meynung vberzeugt / wer ein Ersa=mer rhtatt der hoffnung Jr wurdeen der warheit statt geeben / euch forthin zuo vnser kirchen halten. Am Rand ist dazu jedoch vermerkt: diß Jst Jm nie furgehalten worden, Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, 9.2.1571, Fragen an Jakob Moretzgi. 249 Der Bericht über das Verhör vermerkte ausdrücklich, daß die Herrn Prädikanten ains anndern bedenckhens gewesen seien als der Rat, indem sie die vollständige Bekehrung durch eingehende inhaltliche Widerlegung Moretzgis verlangten, die Obrigkeit aber hatte zu verhuetung beschwerlicher weittleuffigka.it /furs böst angesehen / denn Kurtzern weg gegen Jme dem vonn Jägersdorff [Moretzgi] zugehen vnd furzunemmen, Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, 9.2.1571, Handlung des Rats gegen Moretzgi, o. Datum, fol. 1. 250 Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, 9.2.1571, Handlung des Rats gegen Moretzgi, o. Datum, fol. 1. 251 Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, 9.2.1571, Handlung des Rats gegen Moretzgi, o. Datum, fol. 2f.

289 werd vnd vnwerd sein252 und habe ihn erneut auf den nach dem ersten Verhör ergangenen Ratsbescheid verwiesen, der gar keine Glaubensinhalte erwähnte und aus dem nicht einmal hervorging, daß Moretzgi Schwenckfelder war. Die Memminger Obrigkeit argumentierte gegenüber den vorgeladenen Schwenckfeldern weniger theologisch, sondern bewegte sich stattdessen auf dem sicheren Terrain der rechtlichen Beweisführung. Moretzgis Vergehen beruhten für sie allein auf Verstößen gegen den Text der Confessio Augustana, die Memmingen als für alle Bürger verbindlich angenommen hatte, und gegen den Religionsfrieden, weswegen man ihm sogar eine formelle Verurteilung nach dem Reichsrecht in Aussicht stellte.253 Fast dreißig Jahre später agierte der Memminger Rat ganz ähnlich. Obwohl der Schwenckfelder Jakob Zimmermann zuvor schon mehrfach wegen seiner abweichenden Glaubensauffassung von den Pfarrern verhört worden war, griff der Rat erst 1599 ein, als ihm antiklerikale Schmähungen vorgeworfen wurden. Im Verhör wurde sein Schwenckfeldertum zunächst überhaupt nicht thematisiert. 2 ' 4 Erst die beigezogenen Pfarrer, die das Verhörsprotokoll studierten, machten darauf aufmerksam, daß Zimmermann die christologischen Anschauungen der Schwenckfelder vertrat.255 Während sowohl die Pfarrerschaft als auch die schwenckfeldische Seite die zwischen ihnen bestehenden Meinungsverschiedenheiten zu diskutieren wünschten, lehnte die weltliche Obrigkeit dieses Ansinnen kategorisch ab. Nur in den seltensten Fällen verlangten Räte oder Amtleute einen vollständigen inhaltlichen Widerruf. Das war zumeist nur bei Schwenckfeldern der Fall, die längere Zeit inhaftiert waren. Der schriftlich niedergelegte Widerruf sah auch in den religiös toleranten Städten wie Memmingen den vollständigen Gehorsam und die Anpassung an alle Riten und Glaubenssätze der offiziellen Kirche vor. Der inhaftierte Hafner Zimmermann mußte sich in seiner im Juni 1599 geschworenen Urfehde nicht nur verpflichten, antiklerikale Äußerungen fortan zu unterlassen, sondern er wurde zum Kirchenbesuch, zur öffentlichen Beichte und Bereuung seiner Irrtümer in der Kirche und sogar zum regelmäßigen Abendmahlsbesuch ausdrücklich verpflichtet. 256 Ähnlich sah der geforderte Widerruf in Ulm 1582 die 252

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Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, 9.2.1571, Handlung des Rats gegen Moretzgi, o. Datum, fol. 3 r . Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Ratsbescheid für Moretzgi, 21.2.1571. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8b, Zimmermann-Akten, Nr. 2, Fürhalt Jakob Zimmermanns. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8b, Zimmermann-Akten Nr. 4, Antwort des Kirchenkonvents auf Jakob Zimmermanns Verantwortung, fol. 2'. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8b, Zimmermann-Akten, Nr. 8, Urfehde Zimmermanns, 20.6.1599. Form und Inhalt der Urfehde sind typisch für die Haftentlassungsschwüre, die Schwenckfelder im süddeutschen Raum leisten mußten. Darin waren neben dem Versprechen, auf Rache für die Haft zu verzichten, die Distanzierung von der schwenckfeldischen Lehre und der Schwur, das beanstandete Verhalten (Versäumnis des Predigtbesuchs, Konventikel, antiklerikale Schmähungen) künftig zu unterlassen, gefordert. In der Regel wurde

290 vollständige Integration in die sakramentale Gemeinschaft der offiziellen evangelische Kirche vor.257 Auch in Württemberg legte das Widerrufsformular von 1559 fest, daß der zu entlassende Dissident künftig sowohl die Predigt stets besuchte als auch das Abendmahl gebrauchte und sich von anderen Schwenckfeldern fernhielt.258 Diese tatsächlich auch abgelegten formellen Versprechen standen im Widerspruch zur weitgehenden Duldung und Toleranz, wie sie zumindest in den meisten Reichsstädten geübt wurde. Die Bekenntnisse wurden aber eben nicht häufig verlangt, in der Regel genügte es, Gehorsam in einigen Punkten vage in Aussicht zu stellen, um zumindest eine Weile in Ruhe gelassen zu werden.259 Auch Übertretungen des geschworenen Widerrufs hatten für Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder zumeist nicht die Konsequenz als Eidbrüchige nun härter bestraft zu werden, wie es in den Urfehde-Formularen angedroht wurde. Faktisch eingefordert wurden nur die Verhaltensweisen, die von der Obrigkeit als öffentliche Zeichen der Konformität, als Demonstrationen der Zugehörigkeit zur Kirche angesehen wurden. Dazu gehörte fast überall im süddeutschen Raum der zumindest gelegentliche Besuch der Predigt in der Pfarrkirche. Die Teilnahme an den Sakramenten, an Taufe und Abendmahl, wurde dagegen von der weltlichen Obrigkeit in der Regel nicht erzwungen. So wurde dem schwenckfeldischen Buchhändler Jakob Weiß 1585 zwar der Kirchgang mit Nachdruck auferlegt, von den Sakramenten ist dagegen gar nicht erst die Rede.260 Ähnlich verfuhr man 1582 in Landau mit den vorgeladenen Schwenckfeldern, Calvinisten und Täufern. Auch sie wurden nicht zur vollständigen Wiedereingliederung in die lutherische Kirche der Stadt gedrängt, sondern allein zum Predigtbesuch verpflichtet.261 In Württemberg veränderte sich dagegen mit der Zeit die Konformitätserwartung, wurde die Meßlatte für den Erweis der Rechtgläubigkeit niedriger gehängt. Der Abendmahlsbesuch wurde von den Schwenckfeldern in der Regel am Ende des 16. Jahrhunderts nicht mehr erwartet, so lange sie sich zum Predigtbesuch bereit fanden.262 Die Teilnahme am Ritual der Wortverkündigung war aus der

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der Widerruf nicht mit einer Ausweisung verbunden, sondern war gerade die Bedingung für das Verbleiben in der Stadt oder dem Territorium. Blauerts Untersuchungen ergeben dagegen, daß sich die Urfehde von dem ursprünglichen eidlichen Versprechen, auf eine Rache der Haft zu verzichten, zum „Aufenthaltsverbotsschwur" entwickelt habe, daß also die Urfehde seit dem 16. Jahrhundert immer mit dem Landesverweis kombiniert gewesen sei, A. Blauert, Das Urfehdewesen, S. 79. Die Schwenckfelder Theiring, Stürtzel, Kaihart, Hotz und Reitz mußten Anfang Januar 1582 den Besuch von Predigt und Abendmahl versprechen sowie Gehorsam gegenüber allen Ordnungen des Rats und durften schwenckfeldische Bücher weder vertreiben noch besitzen, Ulm, Stadtarchiv, A 3530, Ratsbücher, Bd. 36, fol. 558v, 561v. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 189f. Siehe unten. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, 24.3.1585. Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 10 (1576-1585), 7.12.1582, fol. 172r. Nach Sabean diente der Zwang zum Abendmahl der Obrigkeit als Disziplinierungs- und Herrschaftsinstrument gerade im späteren 16. Jahrhundert. Offenbar wurde hier jedoch differenziert zwischen Bauern, die das Ritual für ihre Zwecke umzufunktionieren suchten, aber

291 Sicht der protestantischen weltlichen Obrigkeit das zentrale Kriterium fur den Nachweis der Kirchenzugehörigkeit. Das wird in den Visitationsberichten deutlich: Nur bei Fernbleiben von der Predigt wurden die Schwenckfelder vorgeladen, besuchten sie die Wortverkündigung dagegen zumindest sporadisch, ging man nicht gegen sie vor, auch wenn sie sich beharrlich weigerten, dem Abendmahl beizuwohnen und der dissidentische Hintergrund ihrer Abwesenheit bekannt war: Der alte Schultheiß von Heiningen im Amt Göppingen verweigerte seit vielen Jahren konsequent das Abendmahl, besuchte aber ganz regelmäßig die Predigten. 1558 war er wegen seiner Absonderung vom Abendmahlsritual erstmalig vorgeladen worden, damals noch unter dem Verdacht, Täufer zu sein.263 Er änderte sein Verhalten auch nicht, nachdem man ihn eingehend in Stuttgart verhört und herausgefunden hatte, daß er Schwenckfelder war.264 In den folgenden Jahren wurde er zwar jedesmal erwähnt, die Visitatoren sprachen wohl auch mit ihm, aber die weltliche Obrigkeit ließ ihn in Ruhe, weil er sich lediglich dem Sakramentsritual entzog.265 Eine vollständige Bekehrung interessierte offensichtlich gar nicht mehr. Für eine Reichsstadt wenig tolerant agierten dagegen die Behörden im ehemals schwenckfeldischen Landau um die Jahrhundertmitte, also wenige Jahre nach dem Umbau ihres Kirchenwesens in Orientierung an Straßburg. Sie verlangten von den 1558 vorgeladenen Schwenckfeldern nicht nur ein Abschwören von ihren Irrlehren, sondern neben dem Predigt- auch den Abendmahlsbesuch. Nachdem das von schwenckfeldischer Seite verweigert wurde, erging gegen die betroffenen Bürger ein rigoroser Ausweisungsbeschluß. 266 Hier zeigte sich einerseits die noch unsichere, wenig gelassene Haltung eines Rates, der sich erst vor kurzem vom Schwenckfeldertum distanziert hatte. Allerdings hatten auch die Schwenckfelder keinerlei Kompromißbereitschaft gezeigt. Anders war die Situation in den übrigen süddeutschen Orten, in denen Schwenckfelder aktiv waren: Dort hatten sie sich bereit gefunden, die Predigt zu besuchen, ohne in irgendeiner Weise ihre Glau-

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keinen religiös-dissidentischen Hintergrund hatten (s. D. W. Sabean, Kommunion und Gemeinschaft) und schwenckfeldischen, täuferischen oder zwinglischen Verweigerern des Nachtmahls. Diese Unterscheidung wurde schon in der Großen Kirchenordnung getroffen und auch so praktiziert: Für die religiösen Abweichler ging es vor allem um eine demonstrative Wiedereingliederung in die offizielle Kirche, die durch den Predigtbesuch dokumentiert wurde, während die Kirchentreue bei der Mehrheit der bäuerlichen Nachtmahlsverweigerer ja gar nicht in Frage stand. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 175. Im Visitationsbericht von 1574 ist kommentierend zu der ergebnislosen Vorladung in die Kanzlei vermerkt: Es ist mit diesem schwenckfelder so stattlich bei der canzlei gehandelt worden, als mit keinem sectario nie beschehen. Dann dazumal, mit dem obern rat etliche vom adel, auch doctores juris darzu geordnet, da mit ime bis in den dritten oder vierten tag gehandelt, aber alles vergebens. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 399. Man betonte 1582, daß sein Dogma, das Schwenckfeldertum, bei der Kanzlei bekannt sei, aber weil er keinen Anhang habe und die Predigten besuche, müsse man Geduld mit ihm tragen, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 546. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 436-439.

292 bensüberzeugung zu ändern.267 Sie hatten beschlossen, der Obrigkeit gerade in dem Punkt entgegenzukommen, den diese als symbolischen Ausweis des Gehorsams festgelegt hatte. Im Prozeß des Aushandelns hatten beide Seiten die Grenzen möglicher Zugeständnisse und einen Kern an nichtverhandelbaren Überzeugungen festgelegt. Die Räte in den Städten und Kanzleien in den Territorien trugen mit ihren reduzierten Anforderungen an die religiöse Einheit ihrer Untertanen auch den politischen Realitäten Rechnung. Sie erkannten die Realität der Spaltung des religiösen Bekenntnisses und den damit verbundenen reduzierten Wahrheitsanspruch faktisch an. Besonders in den protestantischen und bikonfessionellen Reichsstädten wird das deutlich. Am Ende des 16. Jahrhunderts verlangte man von den Schwenckfeldern vor allem eine eindeutige konfessionelle Selbsteinschätzung. Die Vorgeladenen sollten sich selbst einer erlaubten Religion verbal zuordnen. In Ulm erwartete man von den verhörten Schwenckfeldern 1582, daß sie sich von dem schwenckfeldischen Irrtum lossagten und erklärten, welcher Religion sie anhängig sein wollten.268 Auch an Helena Streichers kurz zuvor eingereichtem schriftlichen religiösen Bekenntnis kritisierte man vor allem, man könne auß solchem schreiben / was Religion sie endtlich sein welle / kain lauter erclerung befinden?69 Drei Jahre später wurde im lutherischen Memmingen der schwenckfeldische Buchhändler Jakob Weiß ebenfalls eindringlich aufgefordert, sich zu der einen oder der anderen Kirche zu bekennen.270 Am deutlichsten aber wurde die Aufforderung zum Bekenntnis zu einer der großen Konfessionskirchen im Verfahren gegen die drei Schwenckfelder Altenstetter, Kneulin und Küenle 1598 im bikonfessionellen Augsburg. Alle drei wurden im Verhör gleich nach Beginn danach befragt, welcher Religion sie seien und zu welcher Konfession sie sich bekannten.271 Martin Küenle bekannte sich ganz offen zum Schwenckfeldertum, das ihm am besten gefalle, David Altenstetter ordnete sich gar nicht zu, sondern fand in allen Bekenntnissen interessante Aspekte.272 Diese Selbsteinstufung war aber natürlich nicht vorgesehen und stiftete eher Verwirrung als Besorgnis.273 Im zweiten Verhör wurden die beiden darüber belehrt, daß es nur zwei erlaubte Konfessionen gebe und dann erneut befragt, zu was religion Er sich dann bekhennel11A Nachdem sie auch bei der zweiten Befragung sich weder zur einen noch zur anderen erlaubten Konfession bekennen wollten, wurden sie wegen ihres vagen Versprechens, sich besser informieren lassen zu wollen auf Wiedervorladung entlassen. Elf Jahre später erinnerte man sich an diese Auflage. Küenle war in267 268 269 270 271 272 273 274

Siehe unten. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, fol. 82r. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, fol. 70r. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, 24.3.1585. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1598 d, 4.12.1598. Siehe unten. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1598 d, 4.12.1598, fol. 2V, 3r. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1598 d, 4.12.1598, 7.12.1598.

293 z w i s c h e n verstorben. Altenstetter aber w u r d e w i e d e r seiner kantnuß

[...] zu red gesielt.

Religion

vnnd

be-

D i e s m a l erklärte der S c h w e n c k f e l d e r eindeutig, sich

zur E v a n g e l i s c h e n K o n f e s s i o n zu b e k e n n e n und die Predigten dort zu b e s u c h e n . D e r Rat gab sich mit dieser m ü n d l i c h e n Erklärung sofort und o h n e w e i t e r e Überprüfung und A u f l a g e n zufrieden. 2 7 5 D i e Obrigkeit hatte damit die Mindestanforderung für die D e m o n s t r a t i o n der W i e d e r e i n g l i e d e r u n g in eine o f f i z i e l l e Kirche w e i t e r reduziert. E s g e n ü g t e das Bekenntnis, z u einer der b e i d e n im A u g s b u r g e r R e l i g i o n s f r i e d e n erlaubten Kirc h e n zu gehören. D a m i t war d e m B e d ü r f n i s der reichsstädtischen Obrigkeiten nach einer äußerlichen V o r f ü h r u n g der R e c h t g l ä u b i g k e i t ihrer Untertanen G e n ü g e getan.

5.4.2.2 Kontrolle der Kommunikation Obrigkeitliches H a n d e l n g e g e n die S c h w e n c k f e l d e r war auch v o n der Furcht vor U n r u h e n und A u f s t ä n d e n geprägt. Durch die w e i t g e h e n d e Kontrolle der m ü n d l i c h e n ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g und die A u f d e c k u n g g e h e i m e r Aktivitäten in den Häusern

und

Gärten

der

Dissidenten

versuchten

die

Räte

der

Städte

das

S c h w e n c k f e l d e r t u m e i n z u d ä m m e n . D a b e i bilden Ö f f e n t l i c h k e i t und gruppeninternes G e h e i m n i s nur a u f den ersten B l i c k e i n e n Gegensatz. 2 7 6 D e r V e r s u c h , die m ü n d l i c h e ö f f e n t l i c h e K o m m u n i k a t i o n zu kontrollieren, war nach den Untersuc h u n g e n Scribners ein Charakteristikum obrigkeitlichen H a n d e l n s in den Städten

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Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1598 d, 4.12.1598, Strafbücher des Rats 15961605, fol. 65 r . Es gibt in der Frühneuzeitforschung keinen Konsens darüber, was unter „Öffentlichkeit" zu verstehen ist, siehe zur Begriffsdiskussion C. A. Hoffmann, „Öffentlichkeit", S. 69-82. Oftmals wird zwischen mehreren „Öffentlichkeiten" differenziert: Sie werden zum Teil inhaltlich voneinander abgegrenzt (wie bei B. Körber, Öffentlichkeiten, die zwischen der Öffentlichkeit der Macht, der Öffentlickeit der Bildung und der Öffentlichkeit der Informationen unterscheidet) oder als Teilöffentlichkeiten, die an verschiedenen Orten kommuniziert werden, gesehen (siehe R. Scribner, Mündliche Kommunikation, S. 183-198). Es wird auch allgemein nach Kommunikationsorten und -kreisen unterschieden (C. A. Hofftnann, „Öffentlichkeit", S. 71). Andere Forschungen bestehen dagegen auf der definitorischen Engführung von Öffentlichkeit auf die politische Sphäre (in Orientierung an Habermas) oder überhaupt auf eine Gesamtöffentlichkeit (etwa wie sie Wohlfeil fur die Reformationszeit anführt, siehe R. Wohlfeil, „Reformatorische Öffentlickeit", S. 41). Hoffmann wählt für das 16. Jahrhundert ebenfalls eine einheitliche Definition der begrifflichen Opposition „öffentlich" und „privat". Demnach ist „öffentlich" nur das, was über die gruppeninteme Kommunikation hinaus wirkt. (C. A. Hoffmann, „Öffentlichkeit", S. 95). Bei dieser Bestimmung des Öffentlichkeitsbegriffs bleibt unklar, was als „Gruppe" und somit als Sphäre des Privaten fungieren soll. Für den hier untersuchten Zusammenhang ist eine definitorische Festlegung auf einen Öffentlichkeitsbegriff nicht wesentlich. Wichtig ist es dagegen zu ermitteln, was aus Sicht der Obrigkeit kontrolliert und diszipliniert werden sollte und welche Bereiche religiösen Lebens von der Kontrolle ausgenommen waren. Daraus ergibt sich dann ein Bereich des,Nicht-Öffentlichen'.

294 im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit.277 Zur mündlichen öffentlichen Meinung kamen im 16. Jahrhundert die schriftlichen Medien hinzu und bewirkten somit eine „mediale Intensivierung und Verbreiterung".278 Auf diese Medien, das Gespräch an öffentlichen Orten und die Verbreitung von Hand- und Druckschriften, richtete sich auch das Augenmerk der weltlichen Obrigkeit bei der Verfolgung der Schwenckfelder. Hier traten Schwenckfelder in Kontakt mit Menschen außerhalb ihres Glaubensnetzwerks. Als genauso gefährlich erachtete die weltliche Obrigkeit die gruppeninterne Kommunikation, die unterstellten religiösen Versammlungen in den Häusern der Schwenckfelder und die Beherbergung von Fremden. Im Geheimen fanden Konventikel statt, die weniger durch die Wahl des Ortes geheim und privat zu bleiben suchten als vielmehr durch die Auswahl der Personen, die zu der Versammlung zugelassen waren.279 Das Haus als öffentlicher Ort konnte dabei auch der über die Gruppe hinausgehenden Kommunikation und Missionierung dienen wie beispielsweise beim Gastmahl.280 Der Spezial im württembergischen Blaubeuren berichtete 1625 nach Stuttgart über allerlei Gerüchte, die ihm bei seinen Recherchen zu den schwenckfeldischen Neigungen des Ditzinger Pfarrers Theodor Kantz zu Ohren gekommen waren. Dabei hatte man ihm auch Äußerungen gegen die württembergische Kirche und die lutherische Ekklesiologie hinterbracht, die Kantz bei den schwenckfeldischen Freiherrn von Freyberg in Opfingen, wo er sich um die Pfarrstelle beworben hatte, während eines Mahls publice geäußert hatte. Diese Reden wogen umso schwerer, als hochgestellte Persönlichkeiten aus dem Adel der Gastlichkeit beigewohnt hatten.281

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R. Scribner, Mündliche Kommunikation, S. 191f. Hoffmann sieht in dem Ansinnen, verbale Kommunikation obrigkeitlich kontrollieren zu wollen, gerade den charakteristischen Unterschied zwischen dem Spätmittelalter und dem 16. Jahrhundert, C. A. Hoffmann, „Öffentlichkeit", S. 94f. C. A. Hoffmann, „Öffentlichkeit", S. 95. Rublack nennt diese dem Zugriff obrigkeitlicher Kontrolle durch die Personenkonstellation entzogene Sphäre, wie sie etwa in Wirtshäusern zu finden war, in Anlehnung an Scribner „private Öffentlichkeit", U. Rublack, Frühneuzeitliche Staatlichkeit, S. 351. Zur kommunikativen Bedeutung des Mahls in der mittelalterlichen Öffentlichkeit siehe G. Althoff, Spielregeln, S. 231; ders., Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftsstiftende Charakter des Mahles, S. 13-25; ders., Verwandte, Freunde, Getreue. Hoffmann meint, das Mahl habe in der späteren Zeit an öffentlicher Bedeutung verloren, C. A. Hoffmann, „Öffentlichkeit", S. 83. Wie das Beispiel des Pfarrers Kantz zeigt, gehörte das Gastmahl aber auch im 17. Jahrhundert noch zu den als öffentlich markierten Bereichen, die der obrigkeitlichen Kontrolle unterlagen. vmb den Advent [des Jahres 1624] / ist diser M. Kantz widrumb nache Opfingen kommen / vnd sich Neun tag alda vfgehaltten / inner deren weilen er über der Tafel vnnd Mahlzeitten / wie auch sonsten / Contra sanam Formula Concordiae doctrinam / in beysein ansehenlichen Hehren stands: auch Adels: vnnd andern personen publice allerley moviert / in specie aber das Ministerium verb/ / et potestatem Clavium allso ex:temuiert / daß er gesagtt: was die schriftt für eine Crafft woltt haben / daß ein heilloser Sündiger Mensch Sünd wolt vergeben kenden / wie die Lutherani Lehren / dessen seye er nimmer zueüberreden. Wie er auch nit weniger gegen einer hohen Standtperson in specie sich ver=nemen lassen / Wan

295 Kantz machten die öffentlichen Äußerungen genauso verdächtig wie seine mysteriösen Besuche auf schwenckfeldischen Adelssitzen, die keinen erkennbaren dienstlichen Anlaß hatten.282 Das Vorgehen des Ulmer Rats gegen die Schwenckfelder zeigt, daß die Unterbindung von Kommunikation das Hauptziel obrigkeitlichen Handelns war. Dabei ging es einerseits um die Verhinderung von öffentlicher Kommunikation, um eine Ausbreitung des Schwenckfeldertums zu verhindern. Auf der anderen Seite wollte man aber auch die gruppeninterne Kommunikation der Schwenckfelder möglichst verhindern, um unkontrollierbare und damit potentiell gefährliche Kontakte im Verborgenen unmöglich zu machen. Diese Handlungsziele wurden von Anfang an sichtbar. Bei den ersten Verhören von Schwenckfeldern 1545 kam es zwar zu keinerlei Sanktionen; es wurde aber eine Auflage gemacht: Den Vorgeladenen wurde stillschweigen vfferlegt vnnd weitere versamblung zuhalten verbotten.2>' Vor dem Tod der Ärztin Agatha Streicher 1581 blieben die Schwenckfelder zwar im wesentlichen unbehelligt, nicht jedoch Streichers schwenckfeldische Magd Susanna Hornung. Gegen sie ging man 1578 sehr energisch vor, weil sie ihren Glauben anders als die anderen Schwenckfelder massiv nach außen in die Öffentlichkeit trug, indem sie missionierte. Selbst auf offener Straße sprach sie die Menschen an, wie ihr früherer Dienstherr Hartbronner dem Rat anzeigte. Er berichtete, daß Hornung ihm seine neue Untermagd und seine Kramjungfer, deßgleichen auch sein Bäßlin mit der Schwenckfeldischen Sect zuuerfuren begere/ dann sie Fur vnd fur / fur sein Laden kome / vnnd kurtz verschiner zeit zu seinem Bäßlin auff offner gassen gesagt sie wolt Jr wol ain bessern Catechismus geben.2*4 Er zählte sogar noch andere Personen verschiedener Standeszugehörigkeit auf, von denen er meinte, daß sie ebenfalls Opfer der religiösen Verfuhrungskünste seiner ehemaligen Magd geworden seien. Die Betreffenden wurden alle vor den Rat zitiert, nur die aktive Magd wurde jedoch ausgewiesen, die übrigen wurden auch nicht dazu angehalten, sich vom Schwenckfeldertum loszusagen und sich wieder der Ulmer Kirche zuzuwenden, sondern es wurde Ihnen gesagt das Sie nit allain / kaine versamblungen halten Sonnder auch / niemant / Jn Jrer Sect ainiche vnnderweisung oder lehr gebend Nachdem Agatha Streicher für ihre Magd beim Rat suppliziert hatte, erging vier Tage später wiederum ein Bescheid, der Streichers Anliegen abwies und den Schwenckfeldern erneut einschärfte, Versammlungen, Gespräche untereinander, Missionierung und die Verbreitung schwenckfeldischer Schriften zu unterlassen. Wieder ist von einer Absage an den

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man nicht mit dem incarcerieren so miltt were / wolt er langst von Württemberg haben. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728 Nr. 2b, 15.3.1624. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728 Nr. 2b, 15.3.1624. Ulm, Stadtarchiv, A 3530, Ratsprotokolle, 13.4.1545, 1 6 Γ . Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, A [6844], I. Teil, fol. 92b. Ulm, Stadtarchiv, A 3530, Ratsprotokolle, 14.3.1578, fol. 80r.

vßgesetzt

296 schwenckfeldischen Glauben nicht die Rede, sondern vom Stillschweigen: Sie sollten sich eingezogen / vnnd vnergerlich verhalten.286 Im Fall des Dissidenten Anthon Mayer interessierte es den Rat 1584 nicht einmal, ob er Schwenckfelder oder Zwinglianer war,287 relevant war nur, daß er trotz mehrfacher Ermahnungen weiterhin missionierte. Daher sollte dem im Landgebiet lebenden Mayer über den Vogt von Geißlingen sogar die Ausweisung angedroht und auferlegt werden, daß er Jn glaubenssachen / mit nie=mand nichtzit handien / noch reden wolle/.™ In Memmingen war das öffentlichkeitswirksame, nach außen gerichtete Handeln wesentliches Kriterium dafür, daß überhaupt Sanktionen eingeleitet wurden. Wie erwähnt war der Schwenckfelder Zimmermann schon von den Pfarrern wegen seines Glaubens vorgeladen worden; bei ihm wie bei Moretzgi und Weiß drängten die Geistlichen die Obrigkeit zwar zum Handeln, es kam aber erst zur Aufnahme von Untersuchungen durch die weltliche Seite, wenn sich die Dissidenten deutlich in öffentlichen Kommunikationsräumen nicht konform artikulierten. So wurde Zimmermann verhaftet, weil er sich in verschiedenen Bürgerhäusern, Gärten und in einem Laden der Stadt antiklerikal und schwenckfeldisch geäußert hatte.289 Moretzgi wurde erst 1571 Objekt obrigkeitlicher Aufmerksamkeit, als bekannt wurde, daß er sogar im Memminger Landgebiet für seinen Glauben warb und dort wie auch in der Stadt schwenckfeldische Druckerzeugnisse verteilte.290 Auch den Buchhändler Weiß belangte man nicht, weil er Schwenckfelder war, sondern weil er seine Überzeugung durch entsprechende Schriften missionierend unter der Stadtbevölkerung ausstreute.291 Der Aspekt der Ausbreitung von Drucken schwenckfeldischen Inhalts in der Stadt war noch deutlicher in Nürnberg Kriterium für das Vorgehen gegen die Schwenckfelder. Das Auftauchen von entsprechenden Büchern bewirkte im 16. wie im 17. Jahrhundert die sofortige Einleitung von Untersuchungen nach Herkunft, Besitzern, Druckern und allen anderen beteiligten Personen. In Nürnberg drehte sich die Verfolgung der Schwenckfelder allein um das Medium Buch: Es war Anlaß zur Recherche und Grund für Bestrafung. Im 16. wie im 17. Jahrhundert ließ der Rat entweder gezielt die Nürnberger Buchhandlungen nach schwenckfeldischen Schriften durchsuchen, oder man beschlagnahmte die dissidentischen Druckerzeugnisse mehr oder weniger zufallig bei den Käufern und Lesern.292 Zweimal waren auch Anfragen von außen Anlaß für eingehende Re286 287

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Ulm, Stadtarchiv, A 3530, Ratsprotokolle, 18.3.1578, fol. 83v. Ulm, Stadtarchiv, Kirchenvisitation Herrschaft, A [9063], fol. 64v. In dem Ratsentscheid anläßlich der Visitation ist vermerkt, daß Mayer vff seinem Zwinglischen oder vil mehr Schwenckfeldischen Jrrthumb verharre. Ulm, Stadtarchiv, Kirchenvisitation Herrschaft, A [9063], fol. 64v. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8b, 21.5.1599 (Zeugenaussagen). Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a. Memmingen, Stadtarchiv, Ratsbücher 1568/1569, 18.10.1568, fol. 66. H.-D. Schmid, Nürnberg, S. 183-198; R. von Dülmen, Schwärmer, S. 108, 122, 126.

297 cherchen bei den Druckern und Händlern.293 Die Berichte der Pfarrer über die Zunahme der Schwenckfelder führten dagegen nicht zum Eingreifen des Rates. Maßstab für das Handeln war auch hier allein die von der Obrigkeit befürchtete Gefahr, die von der öffentlichkeitswirksamen Verbreitung schwenckfeldischer Lehren ausging. In Augsburg lag der Schwerpunkt für Recherchen und Befragungen nicht nur auf den nach außen, in die Öffentlichkeit der Straßen, Läden und Kirchen getragenen Glaubensaktivitäten, sondern man bemühte sich mit der gleichen Intensität, das Verborgene, die geheimen Zusammenkünfte, ans Licht zu bringen und zu kontrollieren. Der Hintergrund war hier sehr deutlich die Furcht vor herrschaftsgefährdenden religiös motivierten Aufständen und Unruhen, die sich aus der komplizierten konfliktträchtigen konfessionellen Lage der Stadt ergaben und die die Stadt im 16. Jahrhundert tatsächlich mehrfach erschütterten.29,4 Die meiste Zeit lebten die Spiritualisten in einer der größten Schwenckfeldergemeinden gänzlich unbehelligt von obrigkeitlichen Nachforschungen. Recherchen und Strafmaßnahmen hatten sie dann zu gewärtigen, wenn ihr Handeln ihren Glauben nach außen trug. Das wird schon im ersten Verfahren gegen Augsburger Schwenckfelder deutlich: Die wegen ihrer öffentlich ausgetragenen Kontroverse mit den Pfarrern verhafteten Schwenckfelder Hieber, Unsinn und Marquardt 295 wurden nicht zu den Inhalten ihrer religiösen Überzeugung befragt, sondern an die gesetzlichen Verbote auf Reichs- und Stadtebene erinnert, Fremde zu beherbergen oder heimliche Konventikel abzuhalten.296 Wie aus den Verhörsfragen hervorgeht, sah man weniger den theologischen Gehalt bzw. das Fernbleiben der Schwenckfelder von den offiziellen Kirchen als bedrohlich oder strafwürdig an.297 Vielmehr wurden 293 294

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Siehe dazu auch G. Bossert, Hans Ungnads Stellung, S. 157-161. Tatsächlich waren die Hintergründe der Unruhen nicht nur religiös-konfessioneller, sondern auch politischer und wirtschaftlicher Natur. Am heftigsten und längsten beunruhigten der Kalenderstreit 1584-1591, der in Augsburg mit größter Heftigkeit geführt wurde und der daran anschließende Verfassungsstreit um das Recht der Besetzung der protestantischen Pfarrstellen die Stadt. Die mehrheitlich katholische Ratsobrigkeit war durch die Unruhen regelrecht traumatisiert. Ihr Handeln wurde auf Jahrzehnte hinaus maßgeblich dadurch geprägt. Viele protestantische Bürger boykottierten die anstelle der wenig kompromißbereiten Pfarrer eingesetzten, dem Rat gegenüber willfahrigeren Geistlichen und gründeten kleine Konventikel, in denen sie ihren protestantischen Glauben ausübten. Daher war die Obrigkeit bei jedem Verdacht einer Zusammenkunft auch nur weniger Bürger extrem mißtrauisch, B. Roeck, Eine Stadt, Bd. I, S. 125-189; Warmbrunn, Zwei Konfessionen, S. 360-375. Der Uhrmacher Marquardt war nur deswegen verhaftet worden, weil man bei einer Durchsuchung von Hiebers Haus Briefe gefunden hat, die ihn erwähnen bzw., die er geschrieben hatte, siehe Fragen an Hieber und seine Aussage dazu, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 1 (Fragen); Akten Hieber, Nr. 13, 19.9.1553. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 1. Inhaltlich wurde nur summarisch nach der Stellung der Verhafteten zur Wiedertaufe und zu der antiken, monophysitischen Lehre des Arius gefragt. Täufertum war offenbar gleichbedeutend mit religiöser Abweichung, an einer genaueren inhaltlichen Untersuchung war man

298 die Gefangenen detailliert nach den verborgenen Aktivitäten innerhalb ihrer Häuser befragt. Sie sollten Orte, Zeiten und Teilnehmer der Versammlungen angeben und wurden gesondert aufgefordert anzuzeigen, ob auch Frauen an ihren Versammlungen teilnähmen, was die Konventikel offensichtlich besonders verwerflich machte.298 Man fragte sie zudem ganz unverhohlen, was sy wider dj oberkhait anze richten vorgehabt haben.2" Ebenso interessierten sich die verhörenden Ratsmitglieder fur ihre Aktivitäten außerhalb der Häuser, besonders für den Kreis derer, an die sie schwenckfeldische Schriften verteilt hatten.300 Der Schwerpunkt des obrigkeitlichen Kontrollbedürfnisses wurde auch bei der Entlassung des Uhrmachers Marquardt nach seiner viertägigen Haft deutlich. Marquardt mußte sich nicht zum Kirchenbesuch verpflichten, sondern zum Gehorsam und zum Verzicht auf heimliche Konventikel: Balthuß vrmachcr Marquart vrmacher soll auff ain verpurgte vrphed das Er der oberkait alle geburende gehorsam laisten / auch kain Rot.tung noch samlung haben oder gestatten aus fron. uest gelassen werden.301 Die in den Befragungen ermittelten Aspekte wurden auch in den geforderten Gehorsamsbezeigungen der neun am 9.11.1553 vorgeladenen schwenckfeldischen Buchbesitzer wieder aufgegriffen. Auch hier ging es nicht um ein Abschwören vom falschen Glauben, sondern die vermahnten drei Frauen und sechs Männer wurden dazu angehalten, keine heimlichen Versammlungen mehr abzuhalten oder Fremde zu beherbergen. Unter Androhung weiterer Strafen, wenn sie dem zuwiderhandelten, wurden die neun wieder entlassen.302 Im Vorgehen gegen zwei Augsburger Drucker 1563 demonstrierte der Rat, daß es ihm darauf ankam, über die Zensur die Verbreitung schriftlicher Botschaften an die lesekundige Öffentlichkeit der Reichsstadt zu kontrollieren. Die beiden

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nicht interessiert. Die Fragen waren die beiden letzten des 21 Punkte umfassenden Katalogs. Sie wurden im ersten Verhör gestellt. In einer zweiten Befragung arbeitete man mit den gleichen Fragen unter Auslassung der letzten beiden, die sich offenbar als irrelevant herausgestellt hatten. Stattdessen wurden zusätzlich gezielte Fragen nach dem Schwenckfeldertum gestellt, die jedoch ebenfalls kaum theologischer Natur waren. Sie betrafen vielmehr den Umfang schwenckfeldischer Lektüre und Nachfragen zu Funden bei der Durchsuchung von Hiebers Wohnung, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 1. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 1, Frage Nr. 11. Aus der Vermahnung von neun Schwenckfelderinnen und Schwenckfeldern im November geht hervor, daß man ihnen Unzuchtsvergehen unterstellte. Dort heißt es bei der Aufzählung der Vergehen unter anderem: das es Eur der weibs vnnd verwittibten per: sonen halb / allerley böß Verdachts vnnd ergerlichs nachdenkens verursachen möcht. Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher, Nr. 27, 9.11.1553, fol. 38r. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 1, Frage Nr. 10. Darum kreisten die Fragen in den folgenden Verhören. Hieber gab 56 Namen von Personen an, die schwenckfeldische Schriften besaßen, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 27. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Ratsbücher Nr. 27, 1553, fol. 19r. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Ratsbücher Nr. 27, 1553, fol. 38.

299 Drucker Philipp Ulhart und Matthäus Franck wurden wegen Druckens ohne Erlaubnis zusammen mit dem schwenckfeldischen Schneider Sixt Schilling als mutmaßlichem Auftraggeber verhaftet. Die Augsburger Obrigkeit konzentrierte sich diesmal noch stärker unter völliger Vernachlässigung des Inhalts der Schriften auf die Verbreitungswege der Drucke und fragte wieder nach geheimen religiösen Versammlungen und deren Teilnehmern sowie nach den Kontaktpersonen für die Bücher.303 Bestraft wurden die drei schließlich einheitlich mit 14 Tagen Turm wegen illegalen Druckens bzw. Druckenlassens schwenckfeldischer Bücher.304 Eine Distanzierung von der abweichenden religiösen Gruppe wurde in keiner Weise verlangt. Schilling, der seinen schwenckfeldischen Glauben relativ offen zugegeben hatte, wurde auf Bitten seiner Frau sogar noch zwei Tage früher als die anderen entlassen.305 Das Motiv der Furcht vor Unruhen tritt auch im Fall der Verhaftung des Goldschmieds David Altenstetter und seiner beiden Freunde Putiphar Kneulin und Martin Küenle zu Tage. Die verdächtigen Zusammenkünfte hatten sich offenbar im von den Nachbarn gut einsehbaren Garten Altenstetters abgespielt und waren an die Obrigkeit weiter gemeldet worden. Diese befragte die drei eingehend nach dem Hintergrund und den Teilnehmern der Zusammenkünfte. Zwar wurden hier in vier der 26 Fragen auch theologische Stellungnahmen erfragt, hauptsächlich beschäftigte man sich aber mit Umfang, Teilnehmern, 306 formalen Abläufen und aufrührerischen Inhalten der Konventikel. Zudem suchte man nach NetzwerkVerbindungen zu Personen und Gruppen außerhalb der Stadt.307 In einem zweiten Verhör ging es (neben der Frage nach der Zuordnung zu einer der Konfessionen) ausschließlich um die geheimen Versammlungen. 308 Martin Küenle gab als einziger offen zu, Schwenckfelder zu sein und machte auch Aussagen zu seinen Glaubenspraktiken. Kneulin wurde sofort wieder freigelassen, Altenstetter und Küenle blieben wenige Tage in Haft. Man entließ sie nicht, weil sie sich bekehrt hatten,

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Franck hatte keine religiösen Werke illegal gedruckt und wurde daher nicht nach Konventikeln befragt, wohl aber Schilling und Ulhart, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt, Urgichten 1563 b (Fragen zum 2. Verhör Schillings vom 11.8.1563); Urgichten 1563 b (Fragen zum 2. Verhör von Ulhart vom 13.8.1563). Das Desinteresse an inhaltlichen Aspekten zeigte sich besonders deutlich daran, daß auch Franck hier aufgezählt wurde, obwohl er gar nicht verdächtigt wurde, schwenckfeldische Schriften gedruckt zu haben, sondern wegen des Druckens einiger polemischer Schriften ohne Ratserlaubnis ins Gefängnis gekommen war, siehe Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt, Urgichten, 1563 b (Akten Franck). Augsburg, Stadtarchiv, Strafbücher des Rats 1563-1571, fol. 1 Γ. Auch hier wurde wieder gesondert nach der Teilnahme von Frauen gefragt, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1598 d (1. Fragenkatalog vom 4.12.1598, Frage Nr. 14). Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1598 d (1. Fragenkatalog vom 4.12.1598, Fragen Nr. 8-20). Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1598 d (2. Fragenkatalog vom 7.12.1598).

300 sondern weil sie - neben ihrer Bereitschaft, sich belehren zu lassen - die Teilnahme an Konventikeln einfach bestritten.309 Die Räume, die die weltliche Obrigkeit zu überwachen für notwendig erachtete und in denen Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder nur durch den Filter der Ratskontrolle schriftlich und mündlich kommunizieren durften, lassen sich mit einem modernen Verständnis der Opposition öffentlich' und .privat' nicht fassen. Die zu kontrollierenden Räume umfaßten Bäder und Märkte, Straßen und Läden genauso wie die Gärten und Häuser der Stadtbewohner, die Gesamtheit der Einwohner ebenso wie kleine Gruppen von Glaubensgenossen, Nachbarn, Freunden und Hausbewohnern. Daraus ergibt sich umgekehrt der Raum, in dem eine schwenckfeldische Religionsausübung möglich war und toleriert wurde: Innerhalb des Hauses blieb die individuelle schwenckfeldische Lektüre unbeanstandet. Martin Küenle hatte diesen Aspekt daher in seiner Aussage auch ganz deutlich betont. Er ging zwar nicht in die offiziellen Gottesdienste, las schwenckfeldische Schriften und bekannte sich dazu, aber er hielt sein Gesinde zur Teilnahme an den Riten der offiziell erlaubten Kirchen an und missionierte nach seinen Beteuerungen nicht einmal in der Familie: was er Jn den Schwenckfeldischen Büechern vnd schrifften gelesen / das hab er allain vnd Jn der stille für sich selbst verricht / vnd so gar auch sein gesindt nit dazu gewisen / mit vermelden das seine leut vnd ehehalten tails Jn die Catholisch / (wie dann darunder sein Baß sej.) vnd tails Jn die lutherisch Kirchen gehen / vnd halt er sie vom selben so gar nit ab / dz er sie auch fleissig dazu vermane. wie sie dann Jme dessen zeugnus geben müessen,310 Für dieses Bekenntnis zur individuellen Hauslektüre wurde Küenle nicht bestraft, sondern, da er eben nicht darüber hinaus wirkte, keine Konventikel besuchte und damit nicht in den Verdacht der so gefürchteten Aufstandsplanung geriet, aus der Haft entlassen. Küenle zog sich also auf die individuelle, dem Gewissen folgende Religionsausübung im Haus zurück, die Roeck bezogen auf konfessionelle Minderheiten generell als „innere Freiheit des Hauses" bezeichnet.3" ,Privat', im Sinne von 309

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Weil sie aber nit gestendig gewesen / das sie conventiculis beygewohnt / vnd sich darbey anerboten / sich besser informieren zulas=sen / Hat ein E: Rhat heüt dato erkannt / das si auf ir erbie=ten / vnd widerStellung erlassen werden sollen, Ausburg, Stadtarchiv, Strafbücher des Rats 1596-1605, fol. 65 v . Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1598 d (2. Aussage Küenle, 7.12.1598). B. Roeck, Eine Stadt, Bd. 1, S. 175. Roeck sieht darin einen Widerstand gegen das von der Obrigkeit beanspruchte Öffentlichkeitsmonopol. Bei den Fällen, in denen Schwenckfelder die „innere Freiheit des Hauses" für sich beanspruchten, scheinen sie aber gerade nicht mit der Obrigkeit in Konflikt zu geraten zu sein, sondern genau den Bereich auszunutzen, den die Augsburger Obrigkeit zuließ. So wurde Küenle weder bestraft, noch wurden ihm seine schwenckfeldischen Bücher abgenommen, wie das andernorts sehr wohl geschah, wenn an einer tatsächlichen Bekehrung der Dissidenten gearbeitet wurde. Bei der Rekatholisierung in Leeder konfiszierte man alle schwenckfeldischen und anderen protestantischen Werke, verbrannte sie und ersetzte sie durch katholische, Augsburg, Staatsarchiv, Hochstift Augsburg/NA, Akten Nr. 2473a. Auch in Württemberg wurden die schwenckfeldischen Bücher

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,dem Zugriff der Obrigkeit entzogen' war hier nicht das Haus, sondern die Konstellation der Personen im Haus: Lediglich der Einzelne konnte hier für sich seinen abweichenden Glauben praktizieren. Die weltliche Obrigkeit entwickelte in der Praxis Mindestanforderungen an die religiöse Konformität der Schwenckfelder, die besonders in den Reichsstädten mit ihrer schwierigen und konfliktreichen konfessionellen Entwicklung unter den normativen Ansprüchen der Gesetze und Verordnungen lagen. Theologische Auseinandersetzungen mit den Lehren der Schwenckfelder wie sie die Theologen forderten, um die Schwenckfelder tatsächlich bekehren zu können, spielten dabei keine Rolle. Vielmehr ging es zumeist nur um den Gottesdienstbesuch als ein rituelles Zeichen der Wiedereingliederung in die offiziell zugelassenen Bekenntnisse. Bis zum Jahrhundertende - besonders gut sichtbar im offiziell bikonfessionellen Augsburg - wurde häufig nicht einmal mehr der Predigtbesuch gefordert. Durchgehend wichtig war aber die alle Medien umfassende Kontrolle der Öffentlichkeit. An der Wende zum 17. Jahrhundert entwickelte sich dabei ein Raum für die abweichende Religionsausübung, in dem der Einzelne nach seinem Gewissen seinen Glauben relativ ungestört leben konnte.

5.4.3 Lokale und übergeordnete Obrigkeit In den Territorien oder den reichsritterschaftlichen Gebieten gab es im Unterschied zu den Reichsstädten 312 zusätzliche Durchsetzungsschwierigkeiten bei der intendierten Behandlung der Schwenckfelder durch die verschiedenen Hierarchieebenen.313 Die Auswirkungen auf die Praxis der Schwenckfelderverfolgung sollen hier am Beispiel der österreichischen Zentralbehörden in Tirol und den lokalen Beamten der katholischen Städte Ehingen und Griesingen sowie des Klosters Salem in Auseinandersetzung mit den schwenckfeldischen Reichsrittern von Freyberg sowie den lutherischen Zentralbehörden des Herzogtums Württemberg in Stuttgart und den Beamten in den Ämtern des Herzogtums aufgezeigt werden.

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beschlagnahmt und durch geeignete lutherische Lektüre ersetzt. Der Schwenckfelder Matthäus Weiß hatte aber anstelle der Buchtitel, die ihm zu kaufen und zu lesen befohlen worden waren, sich wieder schwenckfeldische Schriften beschafft, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 651 f. In den Reichsstädten gab es gelegentlich Konflikte zwischen dem städtischen Rat und den Amtleuten im Landgebiet, die sich anfangs als nicht sehr erfolgreich bei der Reformierung erwiesen, wie das Ulmer Beispiel zeigt. So hielten viele Orte im Landgebiet der Stadt lange Zeit am Katholizismus fest, auch die lokalen Vögte wurden verdächtigt, hier nicht energisch durchzugreifen. Geislingen und andere Orte mit nachhaltigem, katholischen Widerstand waren gleichzeitig die Hochburgen der schwenckfeldischen Dissidenten. Religiöser und politischer Widerstand verbanden sich hier gegen die Ulmer Herrschaft, siehe auch W. Enderle, Ulm und die evangelischen Reichsstädte, S. 202f. Zu den Intentionen territorialer Herrschaft und ihrer lokalen Durchsetzung über die als „middlemen" immer wieder in ihrer Legitimation angegriffenen lokalen Amtsträger am Beispiel Württembergs siehe U. Rublack, Frühneuzeitliche Staatlichkeit.

302 1599 verhafteten die lokalen Amtleute der österreichischen Stadt Ehingen angeführt vom österreichischen Statthalter Hans Christoph Schenk von Stauffenberg in Zusammenwirkung mit der Landvogtei Schwaben den schwenckfeldischen Gemeindeleiter Johann Martt auf dem Schlößchen in Obergriesingen, das den Freiherrn von Freyberg gehörte. Bei dem Zugriff zerstörten sie Türen und Fenster, beschlagnahmten diverse Bücher, ließen aber auch andere Besitztümer der Bewohner mitgehen, stießen den betagten Martt und seinen gleichnamigen Sohn grob und gewaltsam aus dem Schloß und brachten sie nach Weingarten.314 Das Vorgehen war nicht mit der vorgesetzten Behörde in Tirol abgesprochen, sondern die Reaktion der Landvogtei Schwaben und der Statthalter in Ehingen auf die bislang nicht zu lösenden Konflikte zwischen Georg Ludwig von Freyberg und den katholischen Nachbargebieten, insbesondere den langen Streit um das Pfarrbesetzungsrecht in Griesingen.315 Das dokumentiert der Bericht des Landvogts an den Kaiser:316 Martt als Person wurde nur am Rande erwähnt, man verstand die Verhaftungsaktion vielmehr als symbolische Maßnahme zum Schutz der katholischen Untertanen. Dabei kritisierte man deutlich die bisherige rein rechtliche Argumentation der übergeordneten Behörden, die auf Schlichtungskommissionen setzte und die Reichsunmittelbarkeit des von Freyberg und seiner Besitzrechte respektierte. Diesem Verhalten wurde positiv das Handeln Karls V. gegen die Familie von Freyberg gegenübergestellt, der die katholische Religion verteidigt und von Freyberg bestraft hätte, indem er ihn wegen seines Sektentums aus seinen Besitzungen vertrieben habe.317 Die übergeordnete Regierung in Innsbruck war andererseits auch nicht zufrieden mit dem Verhalten der Amtleute vor Ort. Sie kritisierte nach anfänglichem Lob für den gelungenen Beifang318 die Eigenmächtigkeit der Landvogtei und der Stadt Ehingen. In einem Schreiben an die Landvogtei vom 18.3.1600 rügte die österreichische Regierung das Handeln ohne Befehl, den Rechtsbruch und die Reihenfolge des Vorgehens gegen die Schwenckfelder, denn gegen den Konstanzer Schwenckfeld-Drucker Straub hätte die Landvogtei ganz legal und innerhalb ihres Kompetenzbereichs handeln kön314

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Siehe den zusammenfassenden Bericht von Georg Ludwig von Freyberg, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 3370, fol. 193r. Georg Ludwig hatte bislang erfolgreich die Besetzung der einen Pfarreihälfte mit einem katholischen Geistlichen verhindert und die Einkünfte beider Stellen einbehalten, obwohl ihm nach katholischer Auffassung das Kollaturrecht gar nicht zustand, siehe F. M. Weber, Justingen, S. 70-75, 77-80. Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, oö. Regierung, Kopialbuch, An die röm. kayserl. Majestät 1600 [=Regierungskopialbuch 86], fol. 69-76. Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, oö. Regierung, Kopialbuch, An die röm. kayserl. Majestät 1600 [=Regierungskopialbuch 86], fol. 74v. Tatsächlich war die Familie während des Schmalkaldischen Krieges wegen ihrer Zugehörigkeit zum evangelischen Bündnis vertrieben worden, das Schwenckfeldertum der Freiherrn war nicht ausschlaggebend gewesen. In einem ersten Schreiben an die Landvogtei vom 16.12.1599 wurde das Vorgehen noch als rechtmäßig eingeschätzt und eine sichere Verwahrung für Martt angeordnet, Karlsruhe, Generallandesarchiv, 79/P12, Bd. 23 (Schwabenbücher Lib. 9), fol. 612.

303 nen.319 Die Innsbrucker Regierung gab im selben Schreiben den Befehl zur unverzüglichen Haftentlassung der Martts. Der Kaiser hatte sich schnell von Georg Ludwigs Position, wonach die Festnahme einen rechtswidrigen Angriff auf einen direkten Untertan des Kaisers darstellte, angeschlossen und die sofortige unentgeltliche Freilassung sowie die Rückerstattung der geraubten Gegenstände mit Ausnahme der dissidentischen Bücher angeordnet.320 In dem Schreiben wurden auch noch an anderer Stelle Konflikte zwischen den verschiedenen Hierarchiestufen deutlich: Einige Ehinger Amtleute hatten die zur Schlichtung der Konflikte zwischen von Freyberg und den katholischen Nachbarn eingesetzte kaiserliche Kommission beschimpft und damit den Boden für die unbefugte Verhaftungsaktion bereitet, die ihnen selbst schließlich zum Nachteil gereicht habe.321 Der Landvogt wehrte sich in einem Antwortschreiben vom 28.4.1600 gegen die Vorwürfe und machte deutlich, daß er eine Kommission für unnötig hielt, stattdessen solle man Martt behandeln wie einen Wiedertäufer und von Freyberg zur Entlassung desselben und zur Rückerstattung der Güter, die er der katholischen Kirche entwendete hätte, zwingen.322 Er gab auch die Ansichten von Bürgermeister und Rat der Stadt Ehingen sowie des Pfarrers von Nasgenstatt wieder, wonach die kaiserliche Kommission parteiisch sei zugunsten des Freiherrn. Sie forderten unverblümt die Auflösung der Kommission bzw. zumindest die Ablösung des Vorsitzenden. 323 Dem Befehl zur Freilassung kamen die lokalen Behörden noch längere Zeit trotz mehrfacher Ermahnungen nicht nach, mußten sich aber schließlich fügen.324 Auch die Kommission erreichte keine längerfristige Einigung zwi319

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Nun befinden wir aus Euren schreiben gleichwol souil / das diser einfall fiirnemblich der ange=regten Schwenckhfeldischen Sect halben fiir=genomen worden / es hette aber änderst/ vnd nit solicher gestalt / sonnder zuuorderist mit vnnserm vorwissen vnnd beuelch geschehen sollen / seinte=mals das orth gethonnen einfals / wie auß denen bißhero furkhommennen Documentis erscheindt / immediate im heiligen Reich gelegen / vnd wie desselben iurisdiction zuerhalten in alwel schuldig / derwegen Jr die Sachen mit Jren vmbstennden billichen vnns gelangen lassen / Euch zuuorderist beschaidts erhollen / vnnd disen eyfer vülmehr in der euch anuertrauten Re=giments Verwaltung / gegen Leonhardten Strauben / so die Schwenckhfeldischen Biecher zu Costentz / alß Österreichischer iurisdiction gedruckhtßirnemen vnnd nit an verbottnen ortten / den anfanng machen sollen. Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, oö. Regierung, Kopialbuch Von der röm. Majestät 1600 [Regierungskopialbuch 87], fol. 44 v , 45 r . Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, oö. Regierung, Kopialbuch Von der röm. Majestät 1600 [Regierungskopialbuch 87], fol. 45; Karlsruhe, Generallandesarchiv, 79/P 12, 24 (Schwabenbücher, Lib. 10), fol. 56f. Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, oö. Regierung, Kopialbuch Von der röm. Majestät 1600 [Regierungskopialbuch 87], fol. 45 f. Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, oö. Regierung, Kopialbuch An die röm. kaiserl. Majestät 1600 [=Regierungskopialbuch 86], fol. 94 v . Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, oö. Regierung, Kopialbuch An die röm. kaiserl. Majestät 1600 [=Regierungskopialbuch 86], 94 v , 95 r . Die beiden Martts wurden erst über drei Monate, nachdem der kaiserliche Befehl erlassen worden war, im Juli 1600 freigelassen, Karlsruhe Generallandesarchiv, 79/P 12, 24 (Schwabenbücher, Lib. 10), fol. 117 r . Sogar die erheblichen Unterhaltskosten für die Martts und die

304 sehen den beiden Parteien. Die Reaktionen der österreichischen Regierung auf das Handeln der lokalen Amtleute im Falle Martt verunsicherten auch die untergeordneten Behörden in Konstanz, die sich um Straub, den Drucker schwenckfeldischer Schriften im Auftrag der von Freybergs, kümmern sollten. Der Hauptmann von Konstanz, der Straub im September 1600 vor Gericht stellen sollte, hatte den Rechtstag aber wieder abgesagt, nachdem er von der Freilassung der Martts hörte, weil er verunsichert erst weitere Befehle abwarten wollte.325 Die Meinungen darüber, welches das richtige Vorgehen gegen die sektischen Schwenckfelder sei, gingen so weit auseinander, daß die untergeordneten Stellen sich genötigt sahen, ohne Absprache mit der österreichischen Regierung zu handeln. Letztendlich mußten sie ihre Maßnahmen jedoch wieder zurücknehmen. Georg Ludwig von Freyberg und seine schwenckfeldischen Untertanen gingen aus dem Disput zwischen den Hierarchieebenen eher gestärkt hervor. Im Herzogtum Württemberg gab es ebenfalls Unstimmigkeiten zwischen lokalen und territorialen Amtsträgern im Vorgehen gegen Schwenckfelder. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit dem Cannstatter Schwenckfelderkreis 1544. Die sehr aktive Gruppe um das Ehepaar Burgecker-Neff blieb lange Zeit unentdeckt, weil Bürgermeister und Amtsträger des Ortes vorgaben, nichts von der Gruppe gewußt zu haben. Da nicht wenige der Amtleute selbst schwenckfeldisch waren, ist das Schweigen nicht weiter erstaunlich. Erst der für Cannstatt zuständige Vogt Bernhard Fries und der neue Pfarrer Martin Cleß entdeckten das dissidentische Nest. Der Vogt wurde weniger wegen der von ihm vorgenommenen Maßnahmen als vielmehr wegen seiner Eigenmächtigkeit kritisiert. Er hatte die schwenckfeldischen Amtsträger sofort entlassen. Die Kanzlei bemängelte das Vorgehen: Der Vogt hätte zunächst einen Bericht schicken und weitere Befehle abwarten sollen.326 Anders gelagert war der schon erwähnte Fall des Obervogts von Blaubeuren, Carl von Remchingen. Hier handelten die übergeordneten Gremien rasch: Auf Betreiben des Herzogs wurde der Obervogt wegen der schwenckfeldischen Aktivitäten seiner Gemahlin 1580 zügig entlassen. Die weltlichen und sogar die geistlichen Amtsträger auf lokaler Ebene, die Carls Amtsführung direkt wahrnahmen und beurteilten, setzten sich für einen Verbleib Carls im Obervogtamt ein. So richteten Pfarrer und Abt von Blaubeuren eine Bittschrift an den Herzog mit der Bitte, Carl im Amt zu belassen. Sie lobten seine aufrichtige und gerechte Amtsführung und meinten, daß durch seine Entlassung Schaden für die Untertanen

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hinterhergereiste Gattin nebst Dienerin hatte die Landvogtei zu tragen, siehe Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, oö. Regierung, Kopialbuch An die röm. kaiserliche Majestät [=Regierungskopialbuch 86], fol. 177v. Das geht aus einem Schreiben des Kanzlers an den Hauptmann von Konstanz hervor, Karlsruhe, Generallandesarchiv, 79/P12, Bd. 24 (Schwabenbücher Lib. 10), fol. 190v. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, fol. 90f.

305 entstünde.327 Die Blaubeurer Geistlichen als direkt von dem sektischen Wesen der Gemahlin Carls Betroffene meinten den Obervogt bei sich dulden zu können, da er selbst in die Kirche gehe. Sie machten ihn also nicht verantwortlich für die Religiosität seiner Frau. Auch Juliane von Remchingen wurde von den Petenten in Schutz genommen, indem man sie als ungefährlich einstufte. Nach seiner Entlassung wandte sich Carl am 21.12.1580 erneut an den Herzog mit der Bitte um Wiedereinstellung bzw. Betrauung mit einem anderen Dienst. Dabei vermerkte er auch, daß er von vilen von der Erbarkaitt und auch durch den herrn prelaten vnd pfarhern gebeten worden sei, den Herzog um eine Wiederanstellung in Blaubeuren anzugehen, da die Untertanen ein sondere zu Naigung und gut hertz zu ihm hätten und ihn zurückgewinnen wollten.328 Anders als der Herzog, der bei seiner prinzipiellen Auffassung blieb, daß er kein Sektierertum bei seinen Amtleuten dulden wollte und daß Carl für das religiöse Verhalten seiner Ehefrau verantwortlich sei, wogen die lokalen Obrigkeitsvertreter die Vorteile einer kompetenten Obervogtsamtsführung gegen die religiösen Gefahren für das örtliche Gemeinwesen ab. Selbst den Kirchenvertretern war letztendlich an einem tauglichen Vogt mehr gelegen als an einer religiös homogenen, dissidentenfreien Gemeinschaft. Die Kriterien der Einschätzung der Gefährlichkeit der Schwenckfelder und der notwendigen Maßnahmen gegen sie auf den verschiedenen Hierarchieebenen differierten also erheblich. Auf der lokalen Ebene wurde weniger nach übergeordneten Normen geurteilt als vielmehr je nach dem Nutzen für die örtliche Gemeinschaft entschieden. Dabei spielten die Schwenckfelder als religiöse Gruppe eine untergeordnete Rolle. Im Fall von Freyberg ging es primär um Einkünfte und Herrschaftsrechte, bei von Remchingen um administrative Fähigkeiten. Die lokalen Vertreter konnten sich mit ihren abweichenden Vorstellungen aber in keinem Fall durchsetzen. Eigenmächtiges Handeln der untergeordneten Behörden im Umgang mit den Schwenckfeldern wurde nicht geduldet.

5.4.4 Obrigkeitliche Sanktionen Wurden die Kriterien, die die weltliche Obrigkeit für die Grenzziehung zwischen konformem und dissidentischem Verhalten festgelegt hatte, verletzt, belegte die 327

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Dieweil dann genannter von Remchingen sich Jnn seiner ambtung Vnnd Verrichtungen / biß anhero also gebürlich beschaiden Vnnd auffrichtig erwisen meniglich hoch Vnnd niders stanndts seine von Gott gegebne Gaaben gesehen / Vnnd gespürt hat / auch zu deß allmechigen vnnd E.F.G. lob vnnd preyß Vnnd zu deß gemeinen nutzen fürderung nit wenig außgericht / Dero=halben auch zubesorgen / daß auß seinem abkommen bev E.F.G. armen Vnderthanen daselbsten nit wenig leid Vnnd schaden eruolgen mechte / haben E.f. wir auß erzölten Vr=sachen für Vnns selber Jn schuldiger pflicht dise vnnser Jnterpellation vnndertheniglich wellen zu schreiben / Ob E.F.G. Jnn Enderung mit Jme Remchingen noch ein zeittlang verlenngert hetten, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146 (Adel II), Schriftstück Nr. 6, fol. 1. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146 (Adel II), Schriftstück Nr. 9,21.12.1580.

306 weltliche Obrigkeit die Schwenckfelder mit Sanktionen. Die eingangs geschilderten Strafnormen wurden dabei aber keineswegs immer angewandt, sondern die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder wurden differenziert bestraft. Gleiches Verhalten zog keineswegs die gleichen Sanktionen nach sich, sondern es flössen neben der religiösen Abweichung mehrere andere Kategorien in die Beurteilung der Strafwürdigkeit mit ein, die in verschiedenen Konstellationen zusammenwirkten und Art und Ausmaß der Bestrafung beeinflußten.329 Relevant waren die Faktoren ,Stand' und ,Geschlecht', die Position im sozialen Netzwerk bei Hof oder in der Stadt sowie der rechtliche Aufenthaltsstatus (Inhaber des Bürgerrechts vs. Fremde). Mitglieder des Patriziats und der regierenden Oberschichten in den protestantischen Reichsstädten hatten selten mit einer Bestrafung zu rechnen.330 Das prägnanteste Beispiel für die schichtenspezifische Tolerierung von Schwenckfeldern ist der Fall des im württembergischen Pferrenberg geborenen Juristen Michael Theurer in Straßburg. Obwohl Theurer zu den führenden Organisatoren der schwenckfeldischen Gemeinde in der Stadt gehörte und als einer der wenigen Straßburger Schwenckfelder seinen Glauben ganz offen lebte und sogar missionierte, blieb er bis zu seinem Tod vollkommen unbehelligt. Er war wohlhabend und bekleidete zeitlebens hohe Ratsämter. Er war sowohl Ratsmitglied als auch Berater des Kleinen Rats. Der stets gegen ihn agierende Kirchenkonvent konnte erst nach seinem Tod in der Leichenpredigt offen Kritik an ihm üben.331 Auch in Augsburg wurden soziale Unterschiede in der Sanktionierung deutlich. Inhaftiert, eingehend verhört und bei mangelndem Anpassungswillen bestraft wurden ausschließlich schwenckfeldische Handwerker.332 Die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder, die aus den Familien der städtischen Elite stammten wie Jakob Rehlinger, Ulrich Welser, Anna Regel oder die drei Schwestern Kraffter, Helena Putschlin, Regina Schweigger und Sibilla Eiselin, wurden allenfalls milde ermahnt.333 Man verhörte sie nicht einmal, obwohl die inhaftierten Glaubensgenossen zum Teil freimütig über ihre Aktivitäten berichteten und vor allem die Schwestern Kraffter auch nach der obrigkeitlichen Vermahnung weiterhin als

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Ähnliche „interagierende Differenzen" bei der Wahrnehmung und Bewertung abweichenden Verhaltens hat Griesebner in ihrer Untersuchung von Malfizprozessen in einem ländlichen Gebiet nahe Wien ausgemacht, A. Griesebner, Geschlecht als mehrfach relationale Kategorie, S. 132. Rücksichtnahme gegenüber dem Stand und der ökonomischen Nützlichkeit für die Stadt macht Kießling auch im Umgang mit der katholischen Minderheit aus, R. Kießling, Konfessionalisierung als alltägliche Grenze, S. 56f. D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 144-146. Siehe Kap. 2. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten betr. Hieber 1553, Nr. 22.

307 besonders aktive, führend tätige Mitglieder der Schwenckfelder-Gruppe darstellten.334 Umgekehrt wurden schwenckfeldische Dienstboten oftmals umgehend aus der Stadt gewiesen, was sich vor allem bei den Mägden der Familie Streicher zeigt. Während die mindestens genauso engagierten Streicherinnen lange Zeit straflos blieben, mußten Susanna Hornung und Anna Steter, später auch Anna Erhart, Anna Bernhardt und Elisabeth Breinin die Stadt zügig verlassen.335 Neben der Schichtenzugehörigkeit spielte die Stellung eine Rolle, die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder im sozialen Netzwerk des jeweiligen Gemeinwesen innehatten. Die schwenckfeldischen Protagonisten Agatha Streicher in Ulm und Daniel Sudermann in Straßburg entstammten selber keiner Oberschichtfamilie, aber sie waren Bindeglieder zwischen verschiedenen Netzwerken, die über die Stadt hinauswiesen, und waren somit für die städtische Obrigkeit von Nutzen. Streicher zog - wie oben dargestellt - durch ihre Tätigkeit als Ärztin sozial hochstehende Prominenz in die Stadt. Sudermann war Erzieher am Straßburger Bruderhof; zu seinen Zöglingen zählten auch auswärtige Prinzen. Er wurde 1622 und 1623 zusammen mit dem Glaubensgenossen Philipp Geiger wegen ihrer schwenckfeldischen Aktivitäten vorgeladen. Während Geiger jedoch ausgewiesen wurde, blieb Sudermann völlig unbehelligt.336 Das Geschlecht der Dissidenten war für die Art der Bestrafung ebenfalls relevant. Bei Frauen war auch der Familienstand wichtig. In Ulm galt generell, daß der rechtgläubige Ehepartner nach einer Vermögensabteilung in der Stadt bleiben durfte - unabhängig vom Geschlecht. Faktisch wurden aber Unterschiede gemacht. So wurden im zum Landgebiet gehörigen Leipheim überhaupt nur schwenckfeldische Männer inhaftiert. Man erlegte ihnen aber als Bedingung für einen Verbleib im Herrschaftsgebiet der Stadt auf, nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Frauen zu bekehren.337 Umgekehrt galt das natürlich nicht. Schwenckfeldische Ehefrauen wurden in der Regel zusammen mit ihren Ehegatten vorgeladen und verhört. Von verheirateten Frauen erwartete die städtische Obrigkeit nicht einmal, daß sie für sich selbst entschieden, ob sie dem Schwenckfeldertum abschwören und widerrufen wollten oder nicht. Anders als den anderen vorgeladenen ledigen Schwenckfelderinnen gewährte der Rat 1583 Anna Pflaum einen Aufschub für die abschließende Erklärung, ob sie sich gehorsam erzeigen wolle,

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Der Schneider Sixt Schilling berichtete zehn Jahre nach der Ratsvorladung der KraffterSchwestern über seine Glaubensgenossinnen Helena Kraffter-Putschlin und Regina Kraffter-Schweigger, was aber nicht einmal zu weiteren Nachfragen des Rates führte. Dabei hatte er angegeben, daß Schweigger maßgeblich die Organisation für die Verbreitung schwenckfeldischer Drucke übernommen hatte, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1563b, 2. Verhör des Sixt Schilling, 11.8.1563. Siehe Kap. 2. D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldien", S. 147. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, 15.6.1582, fol. 738 v .

308 bis ihr Mann von einer Reise zurückkehre.338 Bei den ledigen Frauen wurden dagegen keine männlichen Verwandten in die Gewissens- und Glaubensentscheidungen mit eingebunden. Ihnen mutete man eine eigenständige Entscheidung zu. Generell wurden im süddeutschen Raum - anders als gegen die Täufer - nur wenige Ausweisungsstrafen verhängt. Differenziert wurde bei den Verweisungen in den Reichsstädten danach, ob die Schwenckfelder das Bürgerrecht besaßen oder Fremde waren. So räumte die Ulmer Obrigkeit den hartnäckigen Schwenckfeldern bei ihrer großangelegten Verfolgungsaktion 1582-84 lange Bedenkzeiten ein, bevor sie sie tatsächlich auswies, die fremde Magd der Frau Heugin, Anna Kiblin, die aus Isny stammte, sollte dagegen umgehend der Stadt verwiesen werden.339 Nicht nur zwischen Fremden und Bürgern wurde unterschieden, sondern auch zwischen Stadt- und Landgebiet. In Leipheim und Geißlingen ging man energischer gegen die Schwenckfelder vor als in Ulm selbst. Es gab im Landgebiet keine langwierigen Bekehrungsversuche, sondern man setzte schon im August 1582 ein Ultimatum von einem Monat, woraufhin viele schwenckfeldische Familien das Gebiet der Stadt verließen.340 Die schwenckfeldischen Einwohner der Reichsstadt durften dagegen bis 1583 bleiben.341 Inhaftierung und Ausweisung waren die härtesten Strafmaßnahmen, die Territorien und Städte in Süddeutschland gegen die Schwenckfelder verhängten. Anders als bei den Täufern kam es nie zu Leib- oder gar Todesstrafen. Das eingangs dargestellte stufenweise Vorgehen, das in Württemberg für die Schwenckfelder vorgesehen war, wurde in der Praxis deutlich abgemildert. Es kam fast nie zu längeren Haftzeiten, zumeist wurden die Verdächtigen nur im Rahmen der Visitationen vorgeladen, gelegentlich hatten sie auch vor den Zentralbehörden in Stuttgart zu erscheinen. Die einzige überlieferte Ausnahme war der Cannstatter Buchdrucker Andreas Neff, der 1544 in Haft genommen wurde. Er blieb insgesamt zwei Jahre lang im Gefängnis, weil er nur zu wenigen Zugeständnissen bereit war. Die lange Haftzeit ohne eine offizielle Verurteilung ist aber auch darauf zurückzuführen, daß man in Württemberg unsicher darüber war, was mit dem hartnäckigen Schwenckfelder, den der diensteifrige Vogt sofort in Haft genommen hatte, geschehen sollte. Diese Unentschlossenheit zeigte sich u.a. in einem Gutachten der Stuttgarter Räte zu Neff vom 9.12.1544, in dem sie die verschiedenen weltlichen Strafmaßnahmen wie Langzeithaft, Haft mit oder ohne Prozeß und

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Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamtsprotokolle, A [6844], I. Teil, 3.7.1582, fol. 217a. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, 26.11.1582, fol. 82r. Hier bewirkten die wohlhabende Heugin und der Patrizier Besserer als sozial hochstehende Bittsteller einen Aufschub (siehe Kap. 4). Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, 3.8.1582, fol. 787 v . Erst am 7.12.1582 erging ein endgültiger Ausweisungsbeschluß fur April 1583, der dann noch einmal auf Pfingsten verlängert wurde, Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, 7.12.1582, fol. 93 v ; 10.4.1583, fol. 230 r .

309 Ausweisung als untauglich verwarfen. 342 Der Herzog entschied daraufhin, sich erst einmal auf dem Reichstag zu erkundigen, wie andere Fürsten mit den Dissidenten verfuhren, Neff blieb unterdessen weiter in Haft. 343 Kurz danach wollten die Stuttgarter Behörden ihn zwar entlassen, aber es gab noch Schwierigkeiten von Seiten der lutherischen Kirche, die mit Neffs Verschreibungstext nicht einverstanden war und den Fall an die Universität Tübingen weiterleitete, wo die Theologen sich ebenfalls über die Frage der Freilassung uneinig waren. 344 Milde verfuhr man ebenfalls in Nürnberg mit den Schwenckfeldern. Hier gab es nur zwei Verhaftungen. Auch in Augsburg gab es nur einen wirklichen Prozeß gegen die Schwenckfelder 1553/54, ansonsten kamen nur Drucker in Haft - weniger wegen ihrer schwenckfeldischen Überzeugung als vielmehr wegen Drukkens ohne Erlaubnis. 345 In Reichsstadt wie im Territorium legte man dagegen größten Wert auf die Beschlagnahmung schwenckfeldischer Schriften. 346 Obwohl die Schwenckfelder durch den Augsburger Religionsfrieden ebensowenig geschützt waren wie die Täufer, ging man gegen erstere sehr viel nachsichtiger vor. Anders als für die Kirche, die im Schwenckfeldertum eine Gefahr für das gesamte Kirchenwesen sah, stellten die Spiritualisten für die weltliche Obrigkeit keine so große Bedrohung dar, zumal die Mehrheit der Schwenckfelder anders als die Täufer Eid schwor, Waffendienst tat und obrigkeitliche Ämter nicht nur als christlich betrachtete, sondern sie zum Teil selbst bekleidete.

5.5

Schwenckfeldischer Adel

Neben den kleinen verfolgten schwenckfeldischen Gruppen in den Territorien und den großen, relativ unbehelligt lebenden Gemeinden in den Reichsstädten gab es die Besitzungen des schwenckfeldischen Adels, die immer auch Zufluchtsorte für Flüchtlinge waren. Diese Schwenckfelderfamilien gehörten durchgängig dem reichsritterschaftlichen Adel an.347 Die Adelsfamilien, die entweder

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 98-101. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 101. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 106-108. Siehe oben. In Rahmen des Prozesses gegen Hiber wurde 1553 sogar verfügt, die zahlreichen beschlagnahmten Schriften zu verbrennen, Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher 1553, Nr. 27, 21.10.1553, fol. 28 v . Zum süddeutschen Adel und der Entwicklung seiner Reichsunmittelbarkeit siehe V. Press, Reichsritterschaft; V. Press, Die Reichsritterschaft im Reich der Frühen Neuzeit; D. Hellstern, Der Ritterkanton Neckar-Schwarzwald. Zu dieser sozialen Gruppe ist auch der Augsburger Patrizier Jakob Rehlinger zu zählen, dessen N a c h k o m m e n später auch offiziell in den Adelsstand erhoben wurden. Er hatte Landbesitz in der N ä h e von Augsburg. In seinem Dorf Leeder, in das er sich ab 1552 dauerhaft zurückzog, um dort wie ein Landjunker zu leben, beherbergte er schwenckfeldische Flüchtlinge und stellte einen schwenckfeldischen Pfarrer ein (siehe Kap. 2).

310 ganz oder nur mit einigen Familienmitgliedern dem Schwenckfeldertum anhingen, hatten schon vor dem Religionsfrieden Interesse an der Reformation gezeigt bzw. das evangelische Bekenntnis in ihrem Gebiet eingeführt. Nach den Untersuchungen von Press richteten sich die Reichsritter in ihrer Konfessionsentscheidung trotz ihrer Reichsfreiheit in der Regel nach dem benachbarten Fürstentum, dem sie häufig durch Dienste oder Lehnsverpflichtungen verbunden waren.348 Rupprecht spricht den Junkern sogar ganz das eigenständige theologische Interesse und Verständnis ab und betont, daß sie allein in politisch-rechtlichen und wirtschaftlichen Kategorien dachten und daher in Fragen der Religion kaum Eigeninitiative gezeigt hätten.349 Auf schwenckfeldische Rittersfamilien treffen diese Beobachtungen so nicht zu. Sie waren zwar ebenfalls in ein Geflecht von für sie lebensnotwendigen Beziehungen zu benachbarten Fürstenhöfen und geistlichen Institutionen eingebunden, aber sie suchten einen eigenständigen religiösen Weg, indem sie sich den Lehren des nicht durch den Religionsfrieden geschützten Schwenckfeld anschlossen. Im folgenden sollen diese Glaubensentscheidung und die damit verbundenen Konsequenzen untersucht werden. Einerseits sollen die Auswirkungen des religiösen Entschlusses auf die Bemühungen um die Herrschaftswahrung analysiert werden, auf der anderen Seite wird dargestellt, wie sich das Handeln der Reichsritter als schwenckfeldische Obrigkeit in einem kleinen ländlichen Herrschaftsgebiet auswirkte. Dabei steht wegen der ungewöhnlich guten Quellenlage die schwenckfeldische Familie von Freyberg im Vordergrund, deren Herrschaftsgebiet sowohl an katholisches (die Klöster Urspring und Salem sowie die vorderösterreichische Stadt Ehingen) als auch an evangelisches Gebiet (Herzogtum Württemberg, Ulmer Landgebiet) grenzte.

5.5.1 Religiosität und Herrschaftskonflikte Für die auf vielfaltige Weise in Lehns- und Dienstverpflichtungen eingebundenen Reichsritter, die sich zum Teil die Herrschaftsrechte mit den umliegenden Territorien teilten, war es nicht leicht möglich, eine eigenständige, reichsrechtlich nicht geschützte Religiosität zu entwickeln, für sich persönlich zu behaupten oder gar in ihren Dörfern zu etablieren.350 Es war ohnehin umstritten, ob die Reichsritter 348

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V. Press, Adel, Reich und Reformation. Riedenauer sieht dagegen die „Bezugshöfe" nicht als maßgebend für die Religionsentscheidung der reichsfreien Adeligen an, da viele Ritter an mehrere Lehnsherrn gebunden gewesen seien mit zum Teil unterschiedlicher konfessioneller Ausrichtung. Er hält daher die Orientierung an der Entscheidung von Freunden und Verwandten für relevanter, siehe E. Riedenauer, Reichsritterschaft und Konfession, S. 9f., 15. K. Rupprecht, Ritterschaftliche Herrschaftswahrung in Franken, S. 274. Auch ein protestantischer Ritter vermochte daher nicht immer die Reformation in seinen Orten durchzusetzen, wenn sie in katholischem Gebiet lagen. Um nicht mit den mächtigen

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das ius reformandi für sich in Anspruch nehmen konnten oder nicht.351 Zumindest versuchten die geistlichen und weltlichen Fürsten hier Einfluß zu nehmen, so daß schon ein Wechsel vom Katholizismus zum Protestantismus oder umgekehrt nicht leicht war. Eine Abschaffung der katholischen Religion zugunsten des Schwenckfeldertums war folglich noch schwerer durchzusetzen. Die reichsritterlichen Adelsfamilien sahen sich zu einem Balanceakt genötigt, da sie nur in der Bindung zu einem oder mehreren Fürstenhöfen existieren konnten, sich aber andererseits nicht so eng anschließen mochten, daß daraus Abhängigkeiten entstanden, die die Reichsfreiheit der Ritter gefährdeten. 352 Die Entscheidung für das Schwenckfeldertum erleichterte und erschwerte die ritterschaftliche Herrschaftssicherung gleichermaßen: Das Schwenckfeldertum wurde sowohl von katholischen wie protestantischen Höfen als häretisch und nicht akzeptabel eingestuft, andererseits ermöglichte die schwenckfeldische Theologie konfessionelle Toleranz, d.h. die Duldung mehrerer Bekenntnisse war möglich. Evangelische wie katholische Nachbarn meinten im Fall der Familie von Freyberg, in die Pfarrbesetzungsfragen eingreifen zu können. Während Württemberg versuchte, Michael Ludwig von Freyberg in Justingen einen lutherischen Pfarrer aufzunötigen, 353 wollte die österreichische Regierung Michaels Bruder Georg Ludwig dazu bringen, auf der geteilten Pfarrstelle in Griesingen zwei katholische Priester zu akzeptieren. Hier schufen unklare Rechtsverhältnisse zusätzlich Probleme: Sowohl der Junker als auch der Abt von Salem beanspruchten das Pfarrbesetzungsrecht für sich.354 Nachdem 1587 der eine der beiden Pfarrer gestorben war, behielt Georg Ludwig von Freyberg die Einkünfte der Pfarrstelle ein (später

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Fürstenhöfen in Konflikt zu geraten, führte Götz von Berlichingen beispielsweise die Reformation nur in den Orten seines Herrschaftsgebietes ein, die im Einflußbereich von Württemberg und der Kurpfalz lagen, aber nicht in dem Gebiet, das in der Reichweite von Würzburg und Mainz lag, siehe V. Press, Reichsritterschaft, S. 799. E. Riedenauer, Reichsritterschaft und Konfession, S. 51. Zu den Schwierigkeiten des richtigen Verhältnisses von Distanz und Nähe zum Fürstenhof, siehe K. Rupprecht, Ritterschaftliche Herrschaftswahrung, S. 288. Herzog Ludwig forderte Michael Ludwig 1574 mehrfach auf, den schwenckfeldischen Pfarrer Daniel Friedrich zu entlassen und in Justingen einen tauglichen evangelischen Pfarrer einzustellen, d.h. jemanden, der der Confessio Augustana gemäß lehre, A 153/154, Bü 59 (Adel I), besondes fol. 7. Die Rechtslage war hier kompliziert. Offenbar hatte Georg Ludwig nur Rechte an dem einen Teil der Pfarrei, während das Patronatsrecht für Untergriesingen schon seit dem 15. Jahrhundert Salem zustand, A. Schilling, Die Reichsherrschaft Justingen, S. 71 f. Selbst im 18. Jahrhundert, als die Freiherrn von Freyberg schon lange wieder katholisch waren, entspannten sich noch Konflikte um die Rechte an der Pfarrei: Als diese dem Kloster Salem inkorporiert werden sollte, protestierte Hieronymus Christoph von Freyberg bei der oberösterreichischen Regierung und pochte auf seine Rechte an den Einkünften des einen Pfarreiteils. In diesem Zusammenhang wurde die gesamte Geschichte der Konflikte um das Besetzungsrecht rekonstruiert, wobei auch das Schwenckfeldertum der damaligen Barone von Freyberg zur Sprache kam, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, Β 573, Bü 65, fol. 1-101; siehe auch Β 60, Bü 727.

312 beanspruchte er auch die Einkünfte des zweiten Pfarreiteils für sich) und weigerte sich, den vom Abt ausgewählten neuen Priester auf seine Stelle zu lassen.355 Der Freiherr rechtfertigte sein Vorgehen mit dem schlechten sittlichen Lebenswandel der katholischen Priester und mit seinem obrigkeitlichen Recht auf Reformation. Er behauptete, einen lutherischen Pfarrer anstellen zu wollen.356 Die katholische Seite bestritt zwar nicht allgemein das Reformationsrecht für reichsfreie Adelige, pochte aber in diesem Fall darauf, daß eine Religionsänderung nicht zulässig sei, da dem Freiherrn nur ein Teil der Pfarrei zustehe (während die Familie von Freyberg beide Teile immer als zwei selbständige Pfarrstellen betrachtete).357 Im Verlauf des langwierigen Streits verlagerte sich aber die Argumentation. Die katholische Seite bezweifelte später, daß Georg Ludwig vorhatte, einen lutherischen Pfarrer anzustellen, vermutete stattdessen die dauerhafte Einsetzung eines schwenckfeldischen Predigers und betonte, daß das nach dem Religionsfrieden nicht zulässig sei. Wegen seiner schwenckfeldischen Religiosität habe der Freiherr sein Reformationsrecht ohnehin verwirkt.358 Dieser Verdacht wurde dadurch genährt, daß Georg Ludwig von Freyberg den aus Augsburg vertriebenen Schneider Bernhard Unsinn in den Pfarrhof gesetzt und ihm die Schlüsselgewalt anvertraut hatte, damit dieser die Räumlichkeiten für schwenckfeldische Versammlungen nutzen konnte.359 Einen schwenckfeldischen Pfarrer stellte Georg Ludwig jedoch weder in Griesingen noch in Opfingen ein. Stattdessen war er auf konfessionellen Ausgleich bedacht. Er stellte seinen Untertanen nicht nur wie alle schwenckfeldischen Oberen den Kirchenbesuch in der Konfession ihrer Wahl frei, sondern berief katholische wie evangelische Geistliche ein, um die auf seinen Besitzungen Lebenden ebenso wie die Nachbarn zu beruhigen. So beschäftigte er in Griesingen zwar keinen katholischen Pfarrer, wohl aber einen (kostengünstigeren) katholischen Schulmeister, der die religiösen Bedürfnisse der katholischen Untertanen befriedigen sollte.360 Für seine zweite, zunächst lutherische Gattin Barbara von Eber-

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Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 98 (Salem), Nr. 4470, fol. 501. Der Abt von Salem berichtete im November 1588 über seine Verhandlungen mit dem Gesandten Georg Ludwigs, dem Ulmer Notar Lamprecht Baumgartner. Darin referierte er den Standpunkt von Freybergs, wonach Georg Ludwig auch den noch amtierenden Priester Seeler nicht mehr in Griesingen dulden wollte: dieweil gedachter Pfarrer alß obangeregt so ain ergerlich / vnnd vnehrlich leben füere / könde er [=Georg Ludwig von Freyberg] denselbigen in seiner hochen vnd nidern Obrigkait auff gedachter Pfarr nicht mer lassen / Sonder seye dahin endtlich endtschlossen / denselben außze=schaffen / vnnd an dessen statt / nach zue=gebung deß Religion fridens / auch seiner der endts habenden hohen vnnd nidern Obrig=kait / ainen Euangelischen Pfarrer / der Augspurgischen Confession verwandt / zubenemen /. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4469, fol. 51'. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, Β 573, Bü 65, fol. 18r. Bericht des Abtes von Salem an den Kardinalbischof von Konstanz, 16.7.1591, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4469, fol. 323 v . Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4469, fol. 33, 94. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4469, fol. 233f.

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stein stellte er auf eigene Kosten einen lutherischen Hausgeistlichen ein.361 Sein Vorgehen gegen die ungeliebten Pfarrer der beiden großen Konfessionen versuchte Provokationen der Bezugshöfe zu vermeiden und erfolgte unterschwelliger auf der Ebene der Einkünfte und Rechte. So beschlagnahmte er nicht nur wie erwähnt den Zehnten der Pfarrei in Griesingen. Den neuen katholischen Priester auf der einen der Griesinger Pfarrstellen ließ er provokativ nicht von der Kanzel proklamieren, sondern durch seinen Büttel im Wirtshaus verkündigen. 362 Auch sein jüngerer Bruder Johann Pleickhart nahm konfessionelle Rücksichten auf den mächtigen Nachbarn Württemberg und verpflichtete in seinem Herrschaftsteil Justingen den lutherischen Pfarrer Isaac Ströhn, den er sich von Württemberg auslieh, obwohl seine beiden Gemahlinnen katholisch waren. Ganz im Sinne des schwenckfeldischen konfessionellen Mittelwegs erlegte er Ströhn auf, religiöse Schmähungen oder auch nur die negative Erwähnung anderer Bekenntnisse zu unterlassen. Neben dieser Verpflichtung zum Verzicht auf konfessionelle Polemik bemühte sich Hans Pleickhart gleichzeitig, den Pfarrer dem direkten Zugriff des großen benachbarten Herzogtums zu entziehen, indem er in seinen Bestallungsvertrag aufnehmen ließ, daß Ströhn den Freiherrn als seinen alleinigen Herrn anerkennen sollte.363 War der Freiherr einerseits gewillt, Württemberg mit der Anstellung eines lutherischen Pfarrers entgegenzukommen, pochte er gleichzeitig auf seine Reichsunmittelbarkeit, die eine formelle Abhängigkeit seiner Diener von anderen Herrn nicht zuließ.364 Unabhängigkeit von der Territorialmacht zu demonstrieren, war eines der wichtigsten Ziele, die die Reichsritter - gleichgültig ob sie schwenckfeldischen Glaubens waren oder nicht - mit der Aufnahme von Glaubensflüchtlingen verfolgten.365 Die Aufnahme von Menschen, die wegen ihrer religiösen Überzeugung verfolgt wurden, war für schwenckfeldische Adelige allerdings mehr als die Behauptung der Reichsfreiheit, sie war ein Gebot der ,caritas'. Reichsunmittelbare

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Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/54, Bü 59, fol. 86-100. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4470, fol. 315. Ströhn gefielen beide Passagen seines Vertrags nicht. Er meldete diese Zumutungen an das württembergische Konsistorium, w o man ihm riet, den Vertrag so nicht zu unterschreiben, vgl. die Darstellung in seinem undatierten Brief an das Konsistorium, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 153-158. Nach den Angaben Ströhns hatte ihm der Freiherr deutlich erklärt, weder der herzog zu Württemberg Noch andere haben Jhme Jn seiner herrschafft Ordnung vnnd maß für zu schreyben, dann er allein Jus patronatus, vnd solche freyheit von dem kaiser hab, [...] so lang Jch [= Ströhn] vnder Jhm, miess Jch Jhm einig vnd allein Jn allen dingen gehorsam Leisten, Jhn allein für seinen Obherrn vnd sonsten keinen andern erkennen., Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 157 r . Auf der selben Linie der symbolhaften Inszenierung ihrer Freiheit lagen auch die zeitweilige A u f n a h m e von Straftätern (Verweigerung des Rechts der Nacheile), die Beherbergung von Juden und die Abhaltung von andernorts verbotenen Eheschließungen, T. Knapp, Der schwäbische Adel und die Reichsritterschaft, S. 157-160.

314 Junker konnten dieses schwenckfeldische Selbstverpflichtung am ungefährdetsten realisieren. Waren die adeligen Familien nicht vollständig schwenckfeldisch, versuchten die spiritualistischen Mitglieder ihre andersgläubigen Verwandten zumindest dahingehend zu beeinflussen, daß sie Glaubensfreiheit ermöglichten. In den württembergischen gemischtreligiösen Adelsfamilien waren vor allem Frauen Anhängerinnen Schwenckfelds. Sie unterhielten häufig enge Beziehungen zu der auch im protestantischen Württemberg entschieden bekämpften täuferischen Minderheit. So bewegten Susanne von Grafeneck, die mit Wolf von Zillenhart verheiratet war, ihre Schwester Christine von Grafeneck, die Heinrich von Gaisberg geehelicht hatte, und Maria Ursula von Talheim, die Gemahlin von Sebastian von Wittershausen, ihre Ehemänner dazu, Täufern Schutz in ihren Besitzungen zu gewähren.366 Gelegentlich kollidierten Dienstpflichten und die Fürsorge für die Glaubensflüchtlinge. Aber selbst wenn es nicht möglich war, Täuferführer aufzunehmen, sondern die Obervogtpflichten es geboten, die verurteilten Delinquenten in Gewahrsam zu halten, suchten die Schwenckfelder Kontakt zu den Inhaftierten. Der Hutterer Paul Glock war um die Mitte des 16. Jahrhunderts einige Jahre auf der Feste Hohenwittlingen gefangen.367 Der zuständige Obervogt, Täuferbeherberger368 und Schwenckfeld-Sympathisant Klaus von Grafeneck gewährte ihm nicht nur diverse Freiheiten, sondern riet ihm sogar unverbindlich zur Flucht, was Glock zunächst ablehnte, weil er Schwierigkeiten für die Familie von Grafeneck und andere Täuferschützer befürchtete.369 Besonders intensiven Kontakt hatte Glock zur Gemahlin des Obervogts, der Schwenckfelderin Margaretha Scher von Schwarzenburg, und ihrer ebenfalls schwenckfeldischen Tochter Christine. Margaretha transportierte Briefe und Botschaften für Glock und sorgte dafür, daß er die Verbindung zu seiner Gemeinde in Mähren nicht verlor.370 Christine besuchte ihn häufig und moderierte sogar eine täuferische Disputation zwischen Glock und zwei Schweizer Brüdern. Sie regte an, daß beide Seiten die Gespräche ihren Gemeinden schriftlich mitteilten und sie um ein Urteil über die theologischen Streitpunkte ersuchten.371

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 428f., 438-440. Nach sieben Jahren Haft wurde er 1566 wieder entlassen, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 497. Sogar während der Zeit, in der er Glock in Haft hielt, ließ er auf dem Schloß hutterische Täufer übernachten und berichtete Glock anschließend von dem Besuch, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 1098. Als seine Haft auf herzoglichen Befehl hin wegen der Fluchtgefahren wieder verschärft werden sollte, wollte Glock doch fliehen, aber diesmal schreckte von Grafeneck vor diesem Schritt zurück. Glock mußte sich mit der Arrestverschärfung abfinden, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 348-350. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 342. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 350, A. 5, 367.

315 Der lutherische Wolf von Zillenhart beherbergte in seinem Dorf Geradstetten immer wieder Täufer und Schwenckfelder. Nach Ansicht der württembergischen Behörden trieb ihn seine schwenckfeldische Gemahlin, Susanne von Grafeneck, dazu an.372 In dem Ort war die Obrigkeit zwischen Zillenhart und Württemberg geteilt, die Einwohner hatten also verschiedene Herren, weswegen sich Württemberg seit 1573 immer wieder zum Eingreifen genötigt sah.373 Zudem war Zillenhart als Obervogt und Kammermeister in herzoglichen Diensten, was die kirchlichen Visitatoren ihm gegenüber immer wieder geltend machten. So luden sie die Flüchtlinge mehrfach vor, um die Sache dann wieder erfolglos einzustellen, da man wegen der Reichsfreiheit des Junkers keine Handhabe sah. Die weltliche territoriale Obrigkeit - Hofrichter und Visitationsräte - argumentierte noch nicht einmal mit dem Dienstverhältnis, sondern respektierte Zillenharts Obrigkeitsrechte, die auch die Flüchtlingsbeherbergung möglich machten.374 Zwar sah die württembergische Täuferordnung von 1588 vor, die Adeligen, die ihre Besitzungen auf württembergischen Gebiet hatten, unabhängig davon, ob sie in einem Dienstoder Lehensverhältnis zum Herzog standen, zu ermahnen, die Beherbergung von Dissidenten zu beenden, weil dies den Pflichten einer christlichen Obrigkeit entsprach,375 aber die Amtleute erkannten schnell, daß ihre Eingriffsmöglichkeiten hier beschränkt waren. Erst als man auch württembergische Untertanen indirekt betroffen wähnte, trat man bestimmter auf. Der zillenhartsche Vogt Michael Wächteler besuchte nicht nur selten die Gottesdienste und hatte eine schwenckfeldische Frau, die die Kirche ganz mied, er hielt auch selten Ruggerichte ab, was eine Ungleichbehandlung gegenüber den württembergischen Untertanen bedeutete. Württemberg drang nun energisch auch unter Berufung auf das Dienstverhältnis, das zwischen Wolf von Zillenhart und dem württembergischen Herzog bestand, auf die Abschaffung Wächtelers bzw. auf die Abstellung der Mißstände, zu denen man auch die wenig kompromißbereite Haltung von Wächtelers Gattin Sophie zählte.376 Susanne von Grafeneck versprach 1584 nach langem Zögern auch die Abschaffung ihres Dieners, setzte die Zusage aber wohl nicht in die Tat um.377 Die Beherbergung der Glaubensflüchtlinge brachte den Junkern zudem wirtschaftliche Vorteile. Die neuen Untertanen waren zumeist besonders loyal, da der

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 428f. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 384. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 552. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 1024f. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 502, 566. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 590. Es wird nicht erwähnt, warum Susanne hier an Stelle ihres Mannes herrschaftliche Aufgaben erfüllte. Sie schaffte das Haushalterehepaar zwar nicht ab, zwang Wächteler aber zu einer besseren Amtsführung, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 619.

316 Schutz ihrer Herren fur sie lebensnotwendig und ein Wegzug gefährlich war.378 Daher wurden sie, wie das Beispiel Wächteler zeigt, gern in die Dienste ihrer adeligen Beschützer berufen. Georg Ludwig von Freyberg beschäftigte ausschließlich schwenckfeldische Flüchtlinge als Amtleute.379 Die schwenckfeldischen Flüchtlinge auf dem Gebiet der von Freybergs entstammten in der Regel nicht der Unterschicht, sondern gehörten zur Mittelschicht städtischer Handwerker. Georg Ludwig von Freyberg ließ ihnen eigens Häuser mit integrierten Werkstätten bauen, wodurch sie zu ernsthaften Konkurrenten der benachbarten württembergischen Handwerker wurden. Um ihre Produkte auch selbst vermarkten zu können, bat Georg Ludwig 1584 um die kaiserliche Erlaubnis, zwei weitere Jahrmärkte in Justingen und Hütten errichten zu dürfen, wogegen Württemberg entschieden, aber vergeblich protestierte.380 Die toleranten Zugeständnisse an die anderen Konfessionen brachten aber nicht nur Vorteile, sondern auch Schwierigkeiten mit sich. Die Flüchtlingsaufnahme ermöglichte es den Reichsrittern zwar, ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren, andererseits entzogen sich die Junker so selbst dem Schutz, den sie durch die enge Bindung an einen Fürsten, dessen Konfession sie teilten, hätten erlangen können. Das Fehlen eines starken territorialen Bündnispartners gefährdete die Herrschaft und das Leben der schwenckfeldischen Reichsritter und ihrer Diener sogar physisch: Die Freiherrn von Freyberg hatten mehrfach Übergriffe auf ihr Gebiet von katholischer Seite zu erdulden, so wurde wie schon geschildert 1599 das Schloß in Obergriesingen überfallen. Dreißig Jahre später war der Freiherr selbst betroffen: 1620 wurde nach langen Jahren des Streits vor allem um das Dorf Griesingen Georg Ludwig von Freyberg durch Erzherzog Leopold von Österreich gefangen gesetzt.381 Die protestantischen Fürsten von Baden und Württemberg intervenierten allerdings und setzten sich für die Freilassung des Junkers ein - unter Umständen mit dem Ziel, ihn stärker an sich zu binden. Eine klare bekenntnis- und bündnismäßige Zuordnung zur lutherischen Seite hätte das Eindringen des Erzherzogs aber vermutlich von vorneherein unmöglich gemacht.

5.5.2 Dienstverhältnisse Im Gegensatz zu den Freiherrn von Freyberg standen die meisten reichsritterschaftlichen Familien mit schwenckfeldischen Mitgliedern in württembergischen Diensten. Die Dienste sicherten zwar die eigene Existenz, denn sie boten Schutz und waren wirtschaftlich lukrativ, zudem boten sie die Chance, politisch Einfluß 378

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Auch nichtschwenckfeldische Adelige wie Friedrich von Nippenburg benutzten Religionsflüchtlinge, die aufgrund ihrer stets gefährdeten Lebenssituation stark von ihren adeligen Beschützern abhängig waren, dazu, die eigenen Untertanen zu kontrollieren, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 445. Siehe unten. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154, Bü 59, fol. 44f. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, Bü 56, fol. 224-287.

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zu nehmen und nachgeborene Söhne zu versorgen, aber sie schufen auch Abhängigkeiten.382 Das Dienstverhältnis verschaffte umgekehrt dem Landesherrn die Möglichkeit, den reichsfreien Adel zu kontrollieren und die nicht erwünschte Religiosität der schwenckfeldischen Reichsritter sowie die noch weniger tolerierbare Faszination, die die offen schwenckfeldischen Predigten und Versammlungen auf die eigenen Untertanen ausübten, zu bekämpfen. Andererseits benötigten die Höfe die Dienste adeliger Verwaltungsfachleute, die erst allmählich im 17. Jahrhundert von nichtadeligen Juristen verdrängt wurden.383 Gerade die schwenckfeldischen Reichsritter waren in der Regel an der Universität ausgebildet worden und galten als gute Amtleute. Sie waren allerdings mitunter eigenwillig in ihrer Amtsführung, wie das Beispiel des mit Schwenckfeld persönlich bekannten und sympathisierenden - überzeugte Schwenckfelderin war nur seine Frau - Obervogts Klaus von Grafeneck zeigt. 1555 wurde er dafür kritisiert, daß er seinen Dienst nicht gut versehe und auch Mängel in der eigenen Lebensführung an den Tag lege. Den Hintergrund der Affäre bildeten wohl Auseinandersetzungen zwischen von Grafeneck einerseits und den Schultheißen und anderen lokalen Amtleuten auf der anderen Seite, die ihn auch bei Hof angezeigt hatten. Auch die Religion spielte dabei eine Rolle. Man warf ihm einerseits vor, selbst die Gottesdienste nicht regelmäßig zu besuchen und zudem den Kirchenbesuch seiner Untertanen nicht genügend zu überwachen und einzuschärfen. In seinem Verteidigungsschreiben vertrat von Grafeneck eindeutig die schwenckfeldische Position der Freiwilligkeitskirche Christi, die keine erzwungene Gefolgschaft kannte.384 Auf diese selbstbewußte Rechtfertigung des Reichsritters hin erfolgte keinerlei Sanktion, von Grafeneck blieb zeitlebens in württembergischen Diensten auf verschiedenen Obervogtstellen. Ebenfalls ohne Sanktionen blieb das Fernbleiben vom lutherischen Gottesdienst für Philipp Ruprecht von Remchingen, dem schwenckfeldischen Enkel Klaus von Grafenecks. Er war nicht nur als Forstmeister in württembergischen Diensten,383 sondern stand auch in Lehensbeziehungen zum Hof. In seinen Dörfern lebten sogar württembergische Untertanen. 1608 ergab eine Visitation im Amt Wildberg, daß weder von Remchingen selbst noch sein ganzes Haus Predigten oder Abendmahl besuchten. Als ihn der zuständige Spezial deswegen zur

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K. Rupprecht, Ritterschaftliche Herrschaftswahrung, S. 288, 314; V. Press, Reichsritterschaft im Reich, S. 105. V. Press, Reichsritterschaft im Reich der Frühen Neuzeit, S. 105; V. Press, Reichsritterschaft, S. 789. Von Grafeneck meinte offenbar, daß auch dem Hof an religiösem Zwang nicht gelegen sei, denn zu dem mier nie befolhen worden Jenen [=Untertanen] zu der predig / oder Cathechismo / wider sein gutten willen zu zwingen / got welt das der hailig geyst ain mal selbs Jns werckh kerne / als dan wurde / ain Rechtschaffne besserlich vnd Cristliche khirchen / ane allen weltlichen vnd menschlichen zwang erbaut werden /, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 33, Grafeneck an Herzog vom 4.5.1555, fol. Γ . W. Pfeilsticker, Neues Württembergisches Dienerbuch, Bd. 2, § 2213.

318 Rede stellte, weigerte sich von Remchingen ungeachtet seiner Dienst- und Lehensbindungen an Württemberg, sich vor dem Kirchenvertreter überhaupt zu äußern, was er mit seiner Reichsfreiheit begründete: Er seye ein ge=freyter vom Adel vnd der Superat=tendentz nit vnderworffen / wisse wol was Er glauben solle}*6 Daraufhin wandte sich die Synode an den Oberrat, der von Remchingen zu einer Stellungnahme aufforderte. Philipp Ruprecht stellte eine schriftliche Erklärung in Aussicht, verlegte sich aber von nun an aufs Hinhalten. Der Herzog ließ weiter recherchieren und erfuhr, daß sein Lehns- und Amtmann sich auch noch mit der Alchemie beschäftigte, seine Kinder in aller Stille zu Hause taufen lasse und noch nie in der zuständigen Pfarrkirche erschienen sei. Von der Synode wurde er nun explizit als Schwenckfelder bezeichnet.387 Erst nach mehrfachen weiteren, zuletzt ultimativen Ermahnungen durch Herzog Johann Friedrich reagierte er überhaupt, allerdings äußerte er sich nicht wie verlangt inhaltlich zu den Vorwürfen, sondern betonte, daß er hier nur die ,weltlichen' Aspekte der Vorwürfe beantworten wolle. So verteidigte er seine Weigerung, sein Gesinde in den lutherischen Gottesdienst zu schicken wie vor ihm sein Großvater mit der schwenckfeldischen Ablehnung jeglichen Zwangs in Glaubensfragen und der Betonung der Gewissensfreiheit: Er hätte Jnen Jnn die kürch zu gehen / oder der Sacramenten sich zu geprauchen / weder zu gepietten / noch zu wehren / nicht gepürt / Jnn ansehung das ich mich keinen herscher / über Jhren glauben vnd gewissen / erkennt / sie mir auch nicht vmbs glaubens willen / sondern als arme Ehehalten / vmb Jhren lidlohn gedient würden haben,388 Seine eigene Religiosität betreffend stellte er ein weiteres Schreiben in Aussicht. Wieder spielte der Schwenckfelder auf Zeit. Mehr als ein Vierteljahr später mahnte der Herzog das angekündigte zweite Schreiben von Remchingens an. Da keine weiteren Akten zu dem Vorgang überliefert sind, bleibt unklar, ob Philipp Ruprecht jemals seinen Glauben schriftlich erläuterte oder ob er einfach weiter hartnäckig schwieg. Auch für Sanktionen irgendwelcher Art fehlt jeder Beleg. So wie Großvater und Enkel erging es allerdings nicht allen adeligen schwenckfeldischen Dienern. Die Reaktion auf die schwenckfeldische Glaubensüberzeugung der adeligen Amtleute fiel sehr verschieden aus und reichte von der konsequenzenlosen Befragung bis zur Entlassung aus dem Dienst. Im Prozeß gegen den ehemals am württembergischen Hof sehr einflußreichen schwenckfeldischen Erbmarschall Hans Konrad Thumb spielte die Religion nur am Rande eine Rolle. Die Beherbergung von Religionsflüchtlingen wurde ihm als Dienstvergehen angerechnet, obwohl Thumb natürlich in seinen Dörfern nur dem

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Siehe den Protokollauszug des Synodus an den Oberrat vom Juli 1608, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146, Schriftstück Nr. 1. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146, Nr. 3. Bericht von Pfarrer und Keller von Wildberg an Herzog, 5.11.1608; Nr. 5, Extrakt des Synodus vom 11.11.1608. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146, Nr. 4, Schreiben Philipp Ruprechts von Remchingen an Herzog, 14.11.1608.

319 Kaiser Untertan war.389 Nach württembergischer Auffassung hatte das Dienstrecht, wonach es seit einem Erlaß von 1538 allen württembergischen Dienern verboten war, religiöse Dissidenten zu beherbergen, hier Vorrang.390 Auch bei Hans Wilhelm von Laubenbergs Resignation spielten sowohl religiöse wie auch politische Gründe eine Rolle. Zwar sind keine Konflikte mit seinem katholischen Lehnsherrn, dem Abt von Kempten, Wolfgang von Grünenstein, überliefert, zunehmende Schwierigkeiten hatte von Laubenberg aber in seiner Position als Landvogt von Schwaben in Ravensburg. Seine katholischen Dienstherren in Österreich interessierten sich dabei weniger für seine schwenckfeldische Glaubensüberzeugung, sondern ihnen war allgemein seine protestantische Gesinnung und die damit verbundene aktive Förderung der Reformation in Ravensburg ein Dorn im Auge. Deswegen setzte man ihn zunehmend unter Druck. Da der bislang seinen Glauben nicht offen auslebende von Laubenberg zudem aktiver für das Schwenckfeldertum tätig werden wollte, gab er seinen Dienst 1545 auf.391 Als reichsfreier Adeliger ohne weitere Dienstverpflichtungen konnte er nun persönlich unbehelligt seine religiöse Überzeugung offensiv nach außen vertreten. Im Fall von Carl von Remchingen dagegen war allein die religiöse Überzeugung das Kriterium für eine Entlassung. Obwohl nicht einmal ihm selbst eine Zugehörigkeit zum Schwenckfeldertum vorgeworfen werden konnte, überwogen in den Augen des Herzogs die durch das Dissidententum entstehenden Nachteile die Vorteile, die die kompetente Amtsführung Carls von Remchingen dem Land erbrachte.392

5.5.3 Schwenckfeldische Obrigkeit Gleichgültig ob die Reichsritter sich für die Reformation entschieden oder beim alten Glauben blieben, ihre persönliche Glaubensentscheidung führte fast nie zu konfessionellem Engagement. 393 Die schwenckfeldischen Adeligen dagegen versuchten ihren Glauben auch als Obrigkeit in ihren Dörfern umzusetzen. Allerdings nicht im Sinne einer zwangsweisen konfessionellen Verdichtung, sondern sie realisierten in ihren Herrschaftsgebieten den schwenckfeldischen Mittelweg. Dazu gehörte immer die Erlaubnis für die Untertanen, frei zwischen den Bekenntnissen wählen zu dürfen. Georg Ludwig von Freyberg hatte zwar nicht zu allen Zeiten seiner Regentschaft für die beiden rechtlich zulässigen Konfessionen eigens einen Pfarrer eingestellt, aber er trug die Kosten, wenn seine Untertanen die Gottesdienste ihrer Glaubensrichtung in anderen Herrschaftsgebieten besuchten. Für die eigene Familie und seine direkten Bedienten, die sich freiwillig, d.h. 389 390 391

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. lOlOf. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146, S. 998 f. Zu seinem Entlassungsgesuch siehe H.-P. Mielke, Das süddeutsche Schwenckfeldertum, S. 75f. Zur Entlassung Carls von Remchingen siehe ausführlich Kap. 4. V. Press, Adel, Reich und Reformation, S. 364f.

320 ohne einigen beuelch, dazu bereitfanden, hielt er auch schwenckfeldische Hausgottesdienste ab.394 Abgesehen von der allen gemeinsamen Ablehnung von Zwang in Glaubensfragen war die schwenckfeldische Ausgestaltung des weltlichen Regiments und des Kirchenwesens durchaus unterschiedlich. Das zeigt sich selbst innerhalb der Familie von Freyberg: Georg Ludwig von Freyberg war in der Frage offizieller, nach außen sichtbarer schwenckfeldischer Maßnahmen erheblich zurückhaltender als sein Vater Michael Ludwig. Michael Ludwig von Freyberg erließ einige strenge Sittenmandate, die in ihrer Zielrichtung an die Maßnahmen Kaufbeurens zur Besserung des Lebenswandels der Untertanen erinnern und die schärfer gefaßt waren als vergleichbare Erlasse in den lutherischen Nachbarstädten und territorien. In der Dorfordnung fur Justingen aus dem Jahr 1577 wurden generell alle Kunkelstuben verboten, auch Tanz und Spiel waren gänzlich untersagt ebenso wie laute Gefühlsäußerungen (Schreien und Jauchzen) in der Öffentlichkeit. Dazu versuchte der Junker das Trinken zu begrenzen und verbot zu üppige Hochzeitsfeierlichkeiten, indem er den Umfang des Mahls für alle, Arme und Reiche gleichermaßen, gesetzlich beschränkte.395 Georg Ludwig von Freyberg übte schwenckfeldische Herrschaft auf andere Weise aus. Er achtete darauf, daß seine Amtleute seinen Glauben teilten. Sie versahen zum Teil mehrere Aufgaben im Dienste des Schwenckfeldertums. So war Hans Othmar sowohl als Drucker schwenckfeldischer Schriften tätig wie auch als Spitalmeister, d.h. er war als Quartiermeister für die Unterbringung der schwenckfeldischen Flüchtlinge zuständig.396 Bei seinen schwenckfeldischen Dienern ließ er offenbar wenig religiöse Toleranz walten. Er nahm den Sohn und die Tochter von Thomas Seyfferdt und Anna Steter zu sich, um sie schwenckfeldisch zu erziehen, nachdem die verwitwete Mutter erneut geheiratet hatte und zum katholischen Glauben ihres zweiten Gatten zurückgekehrt war.397

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Das berichtete von Freyberg in seinem Verteidigungsschreiben gegenüber der österreichischen Regierung 1621, Stuttgart, A 153, Bü 56, fol. 270r. Württembergische ländliche Rechtsquellen, Bd. 2, S. 565-578, bes. S. 569, Nr. 3, 4, 5, 7; 572, Nr. 33. 1614 wurde ein neues Vogtbuch für Justingen in Kraft gesetzt, das von den Vormündern des verstorbenen Johann Pleickhart von Freyberg, d.h. von seiner Witwe Rosamunde von Ortenburg, dem katholischen Frobenius von Helfenstein und Georg Ludwig von Freyberg verfaßt worden war. Einige der alten Bestimmungen waren hier abgemildert worden, so galt beispielsweise nicht mehr das völlige Spielverbot, auch Tänze und Feiern an katholischen Festen wie Fastnacht und Kirchweih waren grundsätzlich wieder erlaubt, sofern sie ohne überflüssiges Zehren und Prassen gehalten wurden, Württembergische ländliche Rechtsquellen, Bd. 2, S. 579-605, bes. S. 587f„ Nr. 26; S. 594, Nr. 76. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), Nr. 4470, fol. 139. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), Nr. 3829, fol. 40f. Die beiden Kinder kehrten später dennoch zum katholischen Glauben zurück und ließen sich taufen, dazu siehe Kap. 2.

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5.5.4 Schwenckfeldisches Kirchenwesen Auswirkungen auf das gesamte Kirchenwesen des adeligen Herrschaftsgebiets sind selten zu erkennen, zumal oft nicht die ganze Familie dem schwenckfeldischen Glauben anhing, es also selten eine ,schwenckfeldische Reformation' gab. Offizielle schwenckfeldische Pfarrer und eine spiritualistische Agenda paßten zudem wenig zu den ekklesiologischen Konzepten der Schwenckfelder. Dennoch gab es solche gesamtreformatorischen Versuche auf reichritterlichem Gebiet anders als in den oben genannten Reichsstädten auch nach der Jahrhundertmitte. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stellte die Familie Thumb von Neuburg auf ihrer Besitzung in Stetten im Remstal den schwenckfeldischen Pfarrer Burkhard Schilling ein, dessen Predigten auch zahlreiche württembergische Untertanen anzogen. 398 Die herzogliche Regierung versuchte wiederum über das Dienstverhältnis, Druck auf den Reichshofmarschall auszuüben. Schilling konnte sich nicht lange halten. Nach 1544 ist von einem offiziellen schwenckfeldischen Pfarrer in Stetten nicht mehr die Rede. Fast dreißig Jahre später versuchte Michael Ludwig von Freyberg ein schwenckfeldisches Kirchenregiment zu etablieren, indem er Schule und Kanzel schwenckfeldisch besetzte. In Gundershofen scheiterte er zwar damit, 399 aber in Justingen konnte er Pfarrer Daniel Friedrich 1573 fest etablieren 400 und hielt trotz der katholischen Proteste an ihm fest. Sein Kollege Hans Georg Schid verfaßte sogar eine eigene Kirchenordnung fur Justingen. 401 Friedrich hielt schwenckfeldischen Vorstellungen gemäß natürlich keine äußeren Sakramente, verweigerte zunächst konsequent Taufe und Abendmahl. Nach Protesten der Untertanen zwang der Baron ihn jedoch dazu, wenigstens bei Gemeindemitgliedern, die dies wünschten, Säuglingstaufen abzuhalten. 402 Dem beugte sich Friedrich zwar, er kritisierte aber weiterhin die Taufen und verkündete von der Kanzel, daß er seine eigenen Kinder nicht taufen lasse. Er taufte ohne Paten nur in Gegenwart der Hebamme. Schon zu Beginn der Taufe sprach er spöttisch über den Vorgang, indem er die Anwesenden fragte, ob die [=Täuflinge] nit gnug=sam von der hebammen gewaschen seyen.403 Während des Aktes stellte er sein eigenes sakramentales Handeln verbal gleichzeitig in Frage: als dann spricht er / Jch begieß dich mit wasser / das dich Gott wolle zu eim Christen annemen / hat auch ettlichmal nach dem tauff gesagt / das kind sey darumb noch kein Christ / ob ers schon getaufft habe. Vorhin hat er ettlichmal dise wortt gebraucht / Jch tauff dich Jm na-

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 88-90, 95f. Siehe Kap. 2. F. M. Weber, Justingen, S. 53. Die Agende ist leider nicht erhalten, siehe A. F. H. Schneider, Liederdichter, S. 10. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), Nr. 4470, fol. 138. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol. 14r.

322 men Gottes Vatters / Sohns vnd hailigen Gaist / Jetzt aber last ers auch.404 Bei Kindern über sieben Jahren, die schon etwas vom Glauben verstehen konnten, war er eher bereit, seiner Verpflichtung nachzukommen.405 Das Abendmahl aber hielt er gar nicht. Der im Schloß beschäftigte württembergische Schreiner berichtete, daß Friedrich einem Kranken, der das Abendmahl von sich aus erbeten hatte, das Sakrament verweigert und ihm Augustinus zitierend gesagt habe, Wan er glaube / so hab ers schon genossen.406 Grundsätzlich erklärte der Pfarrer, er erkenne an, daß das Abendmahl von Christus eingesetzt sei, der schwenckfeldischen Theologie entsprechend machte er die Frage der Würdigkeit des potentiellen Empfängers aber zum entscheidenden Kriterium für die Teilnahme am Mahl. So Jhemandt vnder seinen zuohörern wirdig seyhe / dz .h. Nacht=mal zu entpfahen / solle er zu Jm pfarrer komen / So wolle ers Jm raichen, verkündigte er von der Kanzel.407 Damit wollte er keineswegs das Sakrament nur einem kleinen Kreis wahrer Christen austeilen, sondern es hatte noch niemand diesen Zustand erreicht, wie er in einer anderen Predigt deutlich ausführte: es sey keiner der es wirdiglich kenne empfahen / darumb er auch dasselbig noch nie (. so lang er zw Justingen ist gewesen. ) öffentlich in gemainer versamlung gehaltten.m Es bleibt unklar, ob Michael Ludwig von Freyberg ihn zur Spendung des Abendmahls nicht zwingen wollte oder ob Friedrich in diesem für die Schwenckfelder erheblich wichtigeren Punkt als der Säuglingstaufe unnachgiebig blieb. Friedrichs Predigten stützten sich ebenfalls auf schwenckfeldische Schriften, vor allem auf Johann Werners Postillen und auf Schriften des von den Schwenckfeldern so hoch geschätzten Tauler.409 Die Bewohner der zum Herrschaftsteil Justingen gehörenden Ortschaften bekamen somit einen genauen Einblick in schwenckfeldische Lehren und religiöse Praktiken. Der Sohn von Michael Ludwig, Georg Ludwig von Freyberg, beließ dagegen das Schwenckfeldertum in seinem Herrschaftsteil Opfingen als kleine Freiwilligenkirche. Seine eigenen Kinder ließ er taufen, allerdings durch den schwenckfeldischen Pfarrer Schid, den er dazu kommen ließ. Die bei der Taufhandlung verwendeten Worte wichen von dem lutherischen Ritual ab, wie einer der Paten, Hans Ulrich von Remchingen, verwundert an die Stuttgarter Kirchenbehörden

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Bericht des Pfarrers von Laichingen, Albrecht Auberlin 1573, ebenda, Bl. 3r. Daß Friedrich die Taufe gleich wieder für eigentlich ungültig und unwesentlich erklärte, berichteten übereinstimmend verschiedene kirchliche Stellen in Württemberg, siehe auch Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol. 14, 25 r . So der ergänzende Bericht Auberlins nach den Aussagen eines württembergischen Schreiners, der im Justinger Schloß arbeitete, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol. 4r. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol. 4V. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol. 4V. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol. 25 r . Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol. 14r.

323 meldete.410 Georg Ludwig suchte hier somit einen mittleren Weg zwischen der schwenckfeldischen Idealvorstellung, wonach keine äußere Säuglingstaufe praktiziert werden sollte, und den Forderungen der nichtschwenckfeldischen Umwelt - besonders der lutherischen Familie seiner zweiten Frau 4 " - , die eine Neugeborenentaufe erwartete. Ein weiteres Kompromißfeld waren die Bestattungen. Das ritualarme Schwenckfeldertum hatte hier keine eigenen Praktiken entwickelt. Also ließ Georg Ludwig schwenckfeldische Tote mit vorgetragenem Kreuz unter katholischen Zeremonien auf dem Friedhof der katholischen Pfarrkirchen in Opfingen und Griesingen beerdigen.412 Neben den schwenckfeldischen Versammlungen, die der Freiherr selbst in seinem Schloß für Familie und Gesinde abhielt, waren vor allem die Konventikel in Obergriesingen, die der ehemalige Schweizer Priester Johann Martt im dortigen Schlößchen, der Synagog, veranstaltete, das Zentrum des Gemeindelebens der freybergischen Schwenckfelder, insbesondere der Flüchtlinge.413 Martt war im Gegensatz zu Friedrich aber keineswegs angestellter Pfarrer, Schulmeister oder Prediger und erhielt auch keine regelmäßigen finanziellen Zuwendungen von dem Baron, sondern er lebte von den gelegentlichen Spenden der freiherrlichen Familie und anderer wohlhabender Anhänger. 414

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 651. Nach der Vermutung von Remchingens handelte es sich um den in Justingen eingesetzten protestantischen Pfarrer. Der Freiherr wird hier nicht namentlich genannt. Bossert identifiziert ihn als Michael Ludwig von Freyberg. Beide Angaben sind nicht zutreffend. Michael Ludwig war schon zu Beginn der achtziger Jahre verstorben, es handelte sich bei dem erwähnten Freiherm zu Justingen also um Georg Ludwig, der zur Zeit des Berichts 1590 beide Herrschaftsteile verwaltete. Er ließ all seine Kinder durch Hans Georg Schid taufen, zu den Lebensdaten der von Freybergs siehe F. M. Weber, Justingen, S. 128; zu Schid siehe A. F. H. Schneider, Liederdichter, S. 24, A. 16. Die der Ehe ohnehin skeptisch gegenüberstehende Mutter, Gräfin Margaretha von Eberstein, hatte in einem Brief an ihre Tochter (der nicht erhalten ist, dessen Inhalt sich aber aus der Antwort der Tochter zum Teil erschließt) offensichtlich nachgefragt, ob die Kinder getauft seien, was die inzwischen zum Schwenckfeldertum konvertierte Tochter 1591 mit gutem Gewissen bejahen konnte, Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 717, Nr. 6a; 1. Den katholischen Behörden war das ein Dorn im Auge. Die schwenckfeldischen Leichen machten den ganzen Ort unheilig. So forderte man zu Beginn des 17. Jahrhunderts mehrfach, die schwenckfeldischen Toten zu exhumieren und die Kirche neu zu weihen, Karlsruhe, Abt. 98 (Salem), Nr. 4470, fol. 143, 315; Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, oö. Regierung, Kopialbuch An die fürstliche Durchlaucht 1615 [=Regierungskopialbuch 107], fol. 607f. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), Nr. 4470, fol. 318f. Das geht eindeutig aus den Briefen Martts an seine Frau hervor, obwohl die katholische Landvogtei vermutete, daß Georg Ludwig die Pfarreinkünfte der katholischen Geistlichen einzog, um Martt und andere sektische Bedienstete davon zu besolden, Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, oö. Regierung, Kopialbuch, An die röm. kayserl. Majestät 1600 [=Regierungskopialbuch 86], fol. 7 Γ .

324 Die kleinen schwenckfeldischen Zirkel blieben aber der Orientierungspunkt für die Kirchenpolitik. Da Georg Ludwig keinen schwenckfeldischen Pfarrer hatte, der sonntags auf der Kanzel der Pfarrkirche stand, hielt er die Sonntagsheiligung für unnötig. Er ließ seine Bauern arbeiten und seine schwenckfeldische Gemahlin, Barbara von Eberstein, faßte sogar demonstrativ selbst mit an.415 Auf diese subtilere Art behinderte der Baron faktisch doch den Besuch der Gottesdienste in den katholischen oder lutherischen Kirchen. Eine offizielle schwenckfeldische Reformation und damit einhergehende Umgestaltung des Kirchenwesens mit eigener Ordnung und schwenckfeldischen Geistlichen einerseits sowie kleine spiritualistische Konventikel andererseits waren für die Schwenckfelder ohne weiteres gleichzeitig möglich, wie das Beispiel der Familie von Freyberg und ihres Geistlichen Daniel Friedrich verdeutlicht. Friedrich war nach dem Tod Michael Ludwigs gleichzeitig offiziell in Justingen angestellter Schulmeister und Erzieher des künftig dort regierenden Barons Hans Pleickhard als auch Teilnehmer der kleinen Gebetstreffen, die Martt in Obergriesingen abhielt.416

5.5.5 Auswirkungen auf die nichtschwenckfeldischen Untertanen Das schwenckfeldische Kirchenwesen in den kleinen reichsritterschaftlichen Gebieten war charakterisiert durch das Nebeneinander von katholischer, lutherischer und schwenckfeldischer Religion. Diese Politik, die sich konfessionell nicht festlegte, sondern stattdessen eine Kirche der Freiwilligkeit zum Ziel hatte, eine individuelle Gewissensentscheidung und eigenständiges Handeln verlangte, beeinflußte auch die religiöse Einstellung der Untertanen. Die Quellen erlauben hierzu nur ein unvollständiges Bild, da keine Selbstzeugnisse und nicht einmal Verhörprotokolle überliefert sind, die Rückschlüsse auf die Religiosität der Bauern und Dorfhandwerker zulassen. Aus den Rechtfertigungsschreiben der Freiherrn von Freyberg und den Briefen Johann Martts läßt sich aber zumindest schließen, daß das Schwenckfeldertum in seiner aktiven Form eine kleine Gemeinschaft blieb. Der Minderheit der schwenckfeldischen Amtleute und Flüchtlinge, einer Gruppe von vorwiegend Fremden also, stand die überwältigende Mehrheit der nichtschwenckfeldischen Untertanen im Gebiet der Familie von Freyberg gegenüber. Dabei waren im Herrschaftsteil Opfingen unter Georg Ludwig die meisten Bauern wohl katholisch geblieben, sein Bruder Johann 415

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Das Kloster Salem hatte 1608 recherchiert, daß es auch alberaith so weit khomen ist, das sein [Georg Ludwigs von Freyberg] gemahel, so ain Gräfin von Eberstain, verschiner Jaren an ainem Sontag, neben vnd mit vilen darzue mit gebott aufgemhanten Fronweibern, in aigner Persohn flachs oder werckh auffgehaben: sein Secretarius aber, Gottfrid Arnoldt, garben auffladen vnnd haimbfltüeren hat laßen, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), Nr. 4470, fol. 316. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 38v.

325 Pleickhard förderte dagegen die Reformation unter anderem durch Anstellung von lutherischen Pfarrern in Justingen. 4 ' 7 Aber er betrieb keine Kirchenpolitik, die eine klare Abgrenzung der Bekenntnisse förderte. Die Untertanen konnten auch hier wählen zwischen dem protestantischen Pfarrer in Justingen und dem katholischen Priester außerhalb des Herrschaftsgebiets. Den Katholizismus im Justinger Herrschaftsteil unterstützten vor allem die beiden katholischen Gemahlinnen Hans Pleickhards, Anna Humpiß von Waldrams und Rosamunde von Ottenburg.418 Keiner der Freiherrn missionierte aktiv und offen für das Schwenckfeldertum. Die Barone untersagten auch stets ihren Pfarrern - gleich welcher Konfession sie angehörten, sich in irgendeiner Weise wertend zu anderen religiösen Bekenntnissen oder Richtungen zu äußern. So blieb die religiöse Situation offen. Gerade die mangelnde konfessionelle Engführung irritierte die katholischen und protestantischen Nachbarn der von Freybergs. Die Reaktion der Untertanen auf diese konfessionellen Freiheiten ist nur durch diesen Blickwinkel, durch die Berichte der betroffenen katholischen und protestantischen Pfarrer überliefert, deren negative Wertung der hier gewährten Glaubensfreiheit von vorneherein feststand. Dennoch geben sie einen Einblick in das religiöse Leben unter den Bedingungen der freien Bekenntniswahl. Am ausführlichsten sind die Angaben des württembergischen Pfarrers Isaac Ströhn, der 1606 für einige Jahre auf Bitten Hans Pleickhards nach Justingen ausgeliehen worden war. Schon nach relativ kurzer Zeit wollte Ströhn nach Württemberg zurückkehren, was ihm zunächst untersagt wurde. Er bemühte sich daher in seinen Bittschreiben, die Situation in Justingen extrem negativ zu zeichnen, um die Unerträglichkeit seiner Lage zu unterstreichen und so seinem Rückversetzungsgesuch Nachdruck zu verleihen. Seine kritische Beschreibung umfaßte im wesentlichen drei Punkte. Zum einen beklagte er, daß Justingen - obwohl offiziell einer lutherischen Reformation unterzogen und seit Generationen mit evangelischen Pfarrern versehen - mehrheitlich katholisch geblieben war. Die katholischen Gemahlinnen Hans Pleickharts förderten diese Entwicklung natürlich. Einige der katholisch interessierten Untertanen gingen nach Gundershofen, einen Ort, in dem der Freiherr ebenfalls Rechte hatte, in die katholische Messe. Mehr Anteilnahme aber riefen die Prozessionen und katholischen Riten hervor, die auf Initiative der zweiten Gemahlin, Rosamunde von Ottenburg, in Justingen selbst unter Beteiligung des Gundershofener Priesters veranstaltet wurden. Weniger die formelle und durch den Kirchgang demonstrierte offizielle Zugehörigkeit zur katholischen Kirche war den Justinger Bauern offensichtlich ein Anliegen als vielmehr die Beibehaltung der volksreligiösen Riten.419

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Siehe F. M. Weber, Justingen, S. 102f. F. M. Weber, Justingen, S. 103-109. In einer Petition aus dem Sommer 1608, die Ströhn für seine Frau gestellt hat, werden die Riten und die große Anteilnahme der Untertanen beschrieben: Die Freifrau sei vor der Be-

326 D e s weiteren stellte Strölin die konfessionellen Mischformen dar, die sich durch den mangelnden Konfessionszwang ergeben hatten. Der Freiherr trug selbst zur konfessionellen Vermischung bei, indem er in provokativer Weise Heiligenfiguren und -bilder in der evangelischen Pfarrkirche aufstellen ließ. 420 Seine Untertanen nutzten sowohl bei der Predigt als auch bei den Sakramenten die Angebote beider Konfessionen abwechselnd oder nacheinander. D i e v o m Freiherrn gewährte Freiheit der Konfessionswahl deutete Strölin als Verachtung gegenüber dem evangelischen Predigtamt, was zur Konsequenz habe, daß viele der Untertanen jede Woche in eine andere Kirche gingen. 421 Das Motiv für den Wechsel bei den Sakramenten war wohl eher eine allgemeine Skepsis gegenüber den beiden Konfessionen gemeinsamen Sakramenten Taufe und Abendmahl als eine gezielte Schmähung und Verspottung der evangelischen Ortskirche, w i e Strölin es vermutete. 422 Das wird besonders in Ströhns Schilderungen der Säuglingstaufe deutlich. In der Regel beträten die Väter nicht die Kirche, weil sie es für eine Schande hielten am Taufstein zu stehen, gelegentlich erschienen noch nicht einmal die Paten bzw. man taufe die Kinder außerhalb des Geburtsorts im katholischen Flecken. 423 B e i m Abendmahl entstanden ebenfalls hausung des evangelischen Pfarrers demonstrativ mit einem grossen hangenden, wie es die papisten Nennen, Pater Noster Jn dem pfarrhof hin vnd her gezogen, welches vormalen nie geschehen vnnd hernacher den 1. Maij an dem Fest philippi vnnd Jacobe des freyherrn gemahl vnnd Jhr priester mit dem Jahnen vnnd Creiz durch den Euangelischen Flecken mit großem gespänn durchgezogen, Jhnen das volck anhengig gemacht, welches mit großer andacht fast ein halb meil wegs mit gereist vor dem fahnen vnnd Creiz darnider gefallen, das himelisch heer angeruffen, helffen Creizliedt singen, dann der Meßner zu Jhrer ankunft mit allen glocken hatt miessen zu samen Leidten, also das schier das gantz volck zur abgötterey des Freyherrn gemahl zu Ehrn dahin gefallen gleich als sonst die äpfel mit hauffen durch einen starcken wind von dem bom fallen, also ist es damaln auch Jn disem Creizgang mit diser vermeinsten Euangelischen kürch geschehen [...] Als Newlich verschinene Carfreytag die schultheißin zu Justingen mit einem flegel vf dem schnee so dazumals gelegen, vnnder allen bömen Jn Jhrem garten vnnder dem Mittag geleut, mit allen glocken, welches die papisten die schidung Nennen, hett öffentlich gedroschen, [...] hatt doch Niemand derffen fragen oder sagen, was die fraw schultheissin vnnder dem geleut meine, warzu solche aberglaub diene oder guot seye vnnd ob sie gleich deß wegen Jn der kürch gestrafft werde, erscheinen sie doch nit, das sie es hören, geben auch nichts vff kein straffen, dann sie sich verlassen vf des Freyherrn gemahl, die [...] vil vf solche aber=glauben helt. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv A 153, Bü 59, fol. 160r-161r. 420 Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol. 155v. 421 Etliche Gemeindemitglieder wechseln [...] auch vmb mit besuchung der kirchen, Lauffen heut Jn diser, über acht tag Jn die andere kirchen, kommen nit Lernens halber, sonder die Lehr zu Calumniern das gespöt darauß zu treiben, daran der Freyherr schuldig, dann weil er nicht vf das predigampt helt, stell es dem ganzen volck frey, sie mögen hin lauffen wahin sie wollen. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol. 155. 422 Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol. 160r. 423 Ob gleich die kinder getaufft werden, erscheint doch kein Vatter Jn der kürchen, dann sie es für ein schand halten, wie sie selbsten öffentlich bekennen, das ein vatter Jn der kirchen bey seines kindts tauff sein, vnnd vor dem taufstein stehn solt, kinden auch dahin nit beredt werden, wie ernstlich man die auch vermant geben sie nichts vff kein vermanung, Ja biß weilen

327 konfessionelle Mischformen. Manche Untertanen besuchten direkt nacheinander beide Kirchen.424 Distanz und Skepsis gegenüber dem Sakrament wird aber vor allem darin deutlich, daß die überwiegende Mehrheit der Justinger Einwohner überhaupt nicht mehr zum Nachtmahl ging.425 Der dritte Punkt der Kritik am Verhalten der Gemeindeglieder war das Fernbleiben von der Kirche überhaupt. Sehr viele verweigerten nicht nur das Abendmahl, sondern besuchten die Kirche insgesamt nur noch sporadisch bzw. gar nicht mehr.426 Etliche kamen schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr zur Kirche.427 Nach Ströhns Auffassung war die Folge der schwenckfeldischen Toleranzpolitik die Unkirchlichkeit. Diesen Vorwurf erhob auch die katholische Seite, die die Untertanen der Familie von Freyberg ebenfalls als nicht ausreichend konfessionalisiert betrachtete, wenn auch aus dem umgekehrten Blickwinkel. Die österreichischen Behörden gingen bei den Untertanen Georg Ludwigs im Öpfinger Herrschaftsteil und insbesondere in Griesingen davon aus, daß sie katholisch waren, denn Georg Ludwig hatte keine protestantischen Pfarrer angestellt.428 Die Bevölkerung verhielt sich hier ganz ähnlich wie im offiziell evangelischen Justingen: Man arbeitete zum Teil an den Sonn- und Feiertagen, versäumte die Beichte und vor allem die Kommunion, waren die Gemeindeglieder bei dem Sakrament anwesend, so zeigten sie demonstrativ ihre distanzierte Einstellung.429 Die schwenckfeldischen Junker bemühten sich auch aktiv darum, Konfessionalisierung zu verhindern: Hatte Hans Pleickhart katholische Objekte, die den evangelischen Kirchenraum als altgläubig markierten, in seiner protestantischen Pfarrkirche installieren lassen, entfernte Georg Ludwig diese aus der katholischen Pfarrkirche in Griesingen, ließ die Ampel nicht brennen, erlaubte nur wenige zerschlissene

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erscheint weder vatter Noch geuatterman, vnnd eh sie sich einstellen, Lassen die Eh Jr kinder Jn das papstumb tragen. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol. 159v. Ettlich vnnd dryssig personen, so sich Jn der beicht dem Euangelischen prediger erzeygt, vermeint, sie werden Communiciert haben, sie doch vß Boßheit, zum spott Jhne Jn der kirchen lassen stehn, Nach empfangner Beicht vnnd absolution hernacher bey dem Meßpriester zu Gunderhouven [...] des Freyherrn Gemahel zu gefallen, das Nachtmal Jn einer gestaltempfangen, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol. 160r. Nach Strölins Bericht empfing bei seiner Ankunft 1606 niemand das Abendmahl, auch in den darauffolgenden Jahren waren es nur sehr wenige, ebenda. Hier spielte als Motiv sicher die zeitgenössische Debatte um die Frage der „Würdigkeit" eine Rolle, siehe oben. Ettliche vnd vil Jn dem Euangelischen Flecken komen gar nit Jn die kürchen empfahen das Nachtmal nit, weder Jm leben noch im absterben, sterben dahin wie das vieh, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, 155v. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153/154 (Adel I), Bü 59, fol,159 v . Dabei war die gesamte Herrschaft schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Ludwig und seinem Sohn Georg Ludwig d. Ä. reformiert worden. Eine Zeit lang hatte man sich auch politisch an den Schmalkaldischen Bund gehalten, siehe F. M. Weber, Justingen, S. 24-41, (siehe oben). Sie verbleiben bedeckts haubts vnd erweisen kain reverentz, Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4470, fol. 141.

328 Meßgewänder und ,profanierte' die Kirche damit aus der Sicht der katholischen Beobachter.430 Die schwenckfeldischen Brüder entfernten also gerade die Kultgegenstände bzw. machten sie unbrauchbar, die die Gotteshäuser eindeutig einer der beiden Konfessionen zuordneten. Über das religiöse Leben der Untertanen in anderen schwenckfeldischen reichsritterschaftlichen Herrschaften ist noch weniger bekannt. Allenfalls über Leeder, das Dorf des schwenckfeldischen Patriziers Jakob Rehlinger aus Augsburg, lassen sich einige Aussagen machen, die sich aus den Maßnahmen zur katholischen Gegenreformation durch die Familie Fugger ergeben. Rehlinger hatte ebenfalls alle christlichen Glaubensrichtungen geduldet. Neben der protestantischen Mehrheit hatte es eine tolerierte katholische Minderheit gegeben.431 Die Größe der schwenckfeldischen Gruppe läßt sich dagegen kaum abschätzen.432 Die schwenckfeldische Herrschaftsausübung legte großen Wert auf die Wahrung der reichsunmittelbaren Eigenständigkeit und auf die Verwirklichung der ,via media' zwischen den großen Konfessionen. Die Toleranzpolitik dieser Adeligen ermöglicht einen anderen Blick - wenn auch durch die polemisch verzerrte Perspektive der Schwenckfeld-Gegner - auf die Entwicklung des konfessionellen Bewußtseins der ,Konfessionalisierten', von denen ein konfessionskonformes Verhalten nicht erwartet wurde. Dabei zeigt sich zum einen, daß sowohl die nominell katholischen wie die protestantischen Untertanen dem Altarssakrament distanziert gegenüberstanden und es offensichtlich anders interpretierten als von den beiden Konfessionskirchen intendiert.433 Die Untertanen begegneten aber auch Predigt und Säuglingstaufe mit Skepsis, so daß hier eventuell doch eine inhaltlich-theologische Beeinflussung durch die schwenckfeldische Gruppe denkbar ist, die zwar nicht dazu führte, sich positiv dem Schwenckfeldertum anzuschließen, aber bestehende äußerliche Riten kritisch in Frage stellen ließ. Zum anderen erweist die Untersuchung schwenckfeldischer obrigkeitlicher Toleranz das Beharrungsvermögen katholischer volksreligiöser Bräuche auch in Orten, an denen schon vor über 50 Jahren reformatorische Maßnahmen durchgeführt worden waren. Segensrituale und Prozessionen waren den Leuten offenbar wichtiger als die kirchliche Messe, die sie nicht regelmäßig besuchten, obwohl es ihnen freistand.434 430

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Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), No. 4470, fol. 317, § 63 des Salemschen Berichts von 1608. Augsburg, Staatsarchiv, Hochstift Augsburg, NA, Akten 2473. Die lokale Elite besaß schwenckfeldische Bücher wie eine Beschlagnahmungsaktion der Fugger-Familie ergab, Augsburg, Hauptstaatsarchiv, Hochstift Augsburg, NA, Akten 2473a. Vielleicht hatte auch Jakob Rehlinger seine Amtsposten mit Glaubensgenossen besetzt. Siehe dazu Kap. 5.1 und 5.4, besonders die Ausführungen von Sabean, Kommunion und Gemeinschaft. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt Wiebe Bergsma auch für die nördlichen Niederlande, für Groningen und Umgebung am Ende des 16. Jahrhunderts. Dort existierte bis 1594 ein offener, konfessionell nicht enggeführter Katholizismus mit vielfältigen protestantischen

329 In den reichsritterschaftlichen Gebieten besonders der Familie von Freyberg existierte ein religiöser Eklektizismus ohne konfessionelles Bewußtsein, was von den Freiherrn bewußt gefördert wurde. Die Verhinderung von Glaubenszwang und der konfessionellen Engftihrung der Religiosität waren die Ziele schwenckfeldischer Religionspolitik, die auch verwirklicht wurden. Der einsame Versuch Johann Pleickharts, mittels der schwenckfeldischen Pfarrer Hans Georg Schid und Daniel Friedrich das Kirchenwesen offiziell schwenckfeldisch zu besetzen und zu prägen, war dagegen nicht dauerhaft von Erfolg geprägt und blieb Episode. Schwenckfelder wurden die meisten Untertanen auf jeden Fall nicht. Die Spiritualisten blieben auch in den reichsritterschaftlichen Gebieten mit den besten Entfaltungsmöglichkeiten eine kleine Minderheit von überwiegend fremden Flüchtlingen aus den Reichsstädten und Fürstentümern.

5.6

Schwenckfeldische (Über-)Lebensstrategien

Die Flucht in die sicheren Gebiete reichsritterschaftlicher Glaubensgenossen war nur eine Handlungsstrategie von vielen, die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder wählten, um nach dem Augsburger Religionsfrieden den Ausgrenzungen im Zuge der Konfessionalisierung zu begegnen. Die meisten Schwenckfelder versuchten durch flexible Anpassungstaktiken an die obrigkeitlichen Konformitätsforderungen, den Platz in ihrem sozialen Netzwerk zu behaupten und gleichzeitig weiter ihren Glauben zu leben. Wie sie dies bewerkstelligten, ohne - aus ihrer Sicht - ihre Religiosität zu leugnen, davon soll im folgenden die Rede sein. Dabei wird zunächst dargestellt, wie die Schwenckfelder den Konfessionalisierungsprozeß und die Rolle der weltlichen Obrigkeit bewerteten. Dann soll untersucht werden, wie die Schwenckfelder in Auseinandersetzung mit den Mindestanforderungen des Gehorsams, die kirchliche und weltliche Obrigkeit an sie stellten, einen eigenen unaufgebbaren religiösen Kern entwickelten. Daran anschließend wird thematisiert, wie die Schwenckfelder ihre Unterscheidung von zentralen Punkten des Glaubens und aufgebbaren Nebensächlichkeiten im Alltagsleben umsetzten, indem sie die Handlungsstrategie des Dissimulierens anwandten. Am Ende sollen die Auswirkungen auf das schwenckfeldische Netzwerk dargestellt werden. Es soll dargelegt werden, wie die Schwenckfelder in Auseinandersetzung mit der Taktik des Dissimulierens, die nicht von allen gutgeheißen wurde, als Gruppe lebten.

Einflüssen, der die Ansiedlung diverser spiritualistischer Gruppen ermöglichte. Auch hier Schloß sich die Bevölkerungsmehrheit weder den radikalen Gruppen oder dem ab 1594 dominierenden Calvinismus an noch besuchten sie regelmäßig die offiziellen Gottesdienste. Stattdessen überwogen nach Bergsmas Untersuchung konfessionelle Indifferenz, religiöse Ignoranz gepaart mit volksreligiösen magischen Elementen, W. Bergsma, Religious Diversity.

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5.6.1 Der Weg neben den Konfessionen Wenn Schwenckfeld seinen Glaubensweg als ,via media' beschrieb, meinte er damit neben einer Theologie und religiösen Praxis des Maßhaltens435 zuerst und vor allem den Weg zwischen den Konfessionen, zwischen Katholizismus und Luthertum. Schwenckfelder kritisierten schon vor der Herausbildung der Konfessionen in den 1520er Jahren, daß die Reformatoren viele gute Aspekte des alten Glaubens, wie die Bedeutung des Gewissens, die Nächstenliebe und die guten Werke, bedauerlicherweise abgeschafft hätten.436 Noch fast ein Jahrhundert später betonte Daniel Friedrich bezogen auf Keuschheit und Ehelosigkeit, das man nit alles im papstum in gemein verwerjfen solle.43? Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder verstanden sich dennoch als Bestandteil der reformatorischen Bewegung. Das erweist beispielsweise Schwenckfelds Korrespondenz mit dem Mönch Nikolaus Rosul, in der sich Schwenckfeld in die evangelische Bewegung einreiht. In seinem apologetischen zweiten Brief an Rosul 1541 schrieb er in allen von dem Mönch angegriffenen Belangen von wir Euangelischen und vnns Luterischen.m Im innerprotestantischen theologischen Gespräch, sei es mit den eigenen Anhängern oder gegenüber nichtschwenckfeldischen Evangelischen, äußerte er sich dagegen kritischer, besonders in der Frage des Abendmahls, wo er sich sogar zu der polemischen Bemerkung verstieg, das lutherische Nachtmahlverständnis sei in einigen Punkten schlimmer als das katholische.439 Daß Schwenckfeld die evangelische Seite stärker angriff als die katholische, dokumentiert wohl die Enttäuschung, die aus der religionspolitisch bedingten Kanonisierung erwuchs, die ihn und seine Anhänger ausgrenzte. 1545 bewertete er die Fehler der Protestanten schlimmer als die der Katholiken, weil Christus den Evangelischen schon das Licht eröffnet habe, sie also schon auf dem richtigen Weg gewesen seien, während die Päbstler ohnehin in der Finsternis lebten.440 Nach Schwenckfelds Tod schwand mit der zunehmenden Ausgrenzung von lutherischer Seite das Bewußtsein dafür, bei aller Kritik doch Bestandteil einer gemeinsamen Bewegung zu sein. Den lutherischen, reformierten oder katholischen Bekenntnissen fühlten sich Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder immer weniger verwandt, die Spiritualisten platzierten sich daher am Ende des 16. und im 17. Jahrhundert noch stärker außerhalb und über den großen Konfessionen. Johann Martt stellte 1579 Täufertum, Katholizismus sowie Luthertum und 435 436 437

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Vgl. die Hinweise bei G. Mühlpfordt, Schwenkfeld, S. 123-126. C.S. 10, S. 877. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, 16.4.1608, Daniel Friedrich an Johann Jakob Janin, fol. 43v. C.S. 7, S. 371-375. So in einem Brief an Cecilia von Kirchen, in dem er die Abendmahlstheologien beider Seiten verglich, C.S. 10, S. 862-865. Zur Bedeutung des Abendmahls für den schwenckfeldischen Glauben siehe Kap. 5.6.2. Schwenckfeld an Katharina Ebertz und Cecilia von Kirchen, C.S. 9, 628.

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Zwinglianismus auf eine Stufe und konstruierte sie analog zur göttlichen Dreifaltigkeit als höllische Trinität mit dem Teufel als ,Vater', dem Katholizismus als ,Sohn' und Luthertum, Zwinglianismus und Täufertum zusammen wie das Tier mit den zwei Hörnern (nach Offb 13, 11) als ,Heiligen Geist'.441 Für Friedrich gab es im 17. Jahrhundert mit den zunehmenden konfessionellen Spannungen gar keine Unterschiede mehr zwischen den religiösen Parteien, die er alle als Sekten bezeichnete. Die großen Bekenntnisse kämpften mit Worten und Waffen für ihre Partei, hätten weder den rechten Gottesdienst noch eine christliche Kirche, ihnen fehle die Selbstprüfung des Gewissens und sie fügten gewaltsam zusammen, was nach Gott nicht zusammengehöre.442 Der Hauptkritikpunkt der Schwenckfelder an der Lutheranisierung des evangelischen Lagers in Süddeutschland ist die mit der Konfessionalisierung verbundene Intoleranz, der Zwang, der nach ihrer Auffassung in Glaubensfragen wider Gott war. Christus allein berief und lehrte die Christen, ohne äußere Hilfe der Menschen.443 Nach Schwenckfelds Verständnis existierte eine von Gott berufene kleine geisterfullte Gemeinschaft der wahren Christen durch alle Zeiten hindurch. Sie war aber zerstreut und von Gott bis zu Schwenckfelds Lebzeiten nicht berufen worden.444 Daher war eine äußerlich sichtbare Kirche, die die Zugehörigkeit zu einem fest umrissenen Glaubensgebäude erzwang, für Schwenckfelder nicht zu akzeptieren. Denn - wie der in Hagenau bei Straßburg tätige schwenckfeldische Arzt Helisäus Röslin 1584 an Daniel Sudermann schrieb - die Zerstreuung der wahren Christen bedeute, daß die Auserwählten Gottes in allen großen Konfessionen und kleinen religiösen Gruppen zu finden seien.445 Die Ablehnung von Verfolgung aus Glaubensgründen, von jeder Art von religiösem Zwang, galt den Schwenckfeldern nicht nur für sich selbst, sondern auch für Täufer und Antitrinitarier, obwohl sie deren Lehren inhaltlich aufs schärfste ablehnten. Die Vertreter dieser religiösen Anschauungen versuchten sie jedoch zu 441

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 100 v , 7.1.1579, Brief an Anna Erhart. Die letzten drei Gruppen faßte Martt zusammen, weil sie alle drei zwei Sakramente kannten und gebrauchten, aber in vollkommen falschem Verständnis, ebenso ist ihnen eine falsche Christologie gemeinsam. Prinzipiell sah er hier also noch eine vom Katholizismus, als direktem Stellvertreter des Teufels, qualitativ zu unterscheidende protestantische Bewegung. Alle konstruierte er aber zusammen als antichristliches Gegenbild zur göttlichen Dreifaltigkeit, die keiner religiösen Gruppe zugeordnet wurde. Die Auseinandersetzung mit den Konfessionen findet sich vor allem in den beiden 1607 und 1608 verfaßten und auch gedruckten Schriften Ein nothwendig Bedencken / vber die Sechs erste Capitul der Offenbahrung Johannis und Nutzliche vnd Schöne Erklärung des Ersten Capittels Geneseos, siehe E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 51-53. McLaughlin betont, daß die schwenckfeldische Toleranzforderung nichts mit dem anthropozentrischen Weltbild des aufklärerischen Toleranzgedankens zu tun hatte. Er bezeichnet die christozentrische Sichtweise Schwenckfelds dementsprechend als non-modern tolerance, R. E. McLaughlin, Religious Freedom, S. 187-198. So Schwenckfeld in einem Brief an Bernhard Unsinn, C.S. 11, S. 848. Siehe ausfuhrlicher Kap. 3.2. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.qt. 440, fol. 371-440.

332 schützen. Das ist beispielhaft am Verhalten Schwenckfelds gegen Claudius von Savoyen, der täuferische und monophysitische Ansichten vertrat, und dessen Anhänger ersichtlich. 1546 schickte Schwenckfeld eine Schrift gegen die arianischen Lehren des Claudius an Sibilla Eiselin in Augsburg. Er bat sie, diese weiter zu verbreiten, ermahnte die Augsburgerin aber, darauf zu achten, daß sie Claudius, der sich gelegentlich in Augsburg aufhielt, nicht gefährdete. Schwenckfeld erwog auch, die Schrift über Eiselin drucken zu lassen, allerdings in anonymisierter Form, um dem Claudius-Anhänger und Schwager von Eiselin, Lukas Müller, nicht zu schaden.446 Schwenckfeld und seine Freunde lehnten nicht nur den kirchlichen Zwang zur theologischen Einheit im Rahmen der Lutheranisierung ab, sie bemängelten vor allem die Einschaltung der weltlichen Obrigkeit zur Ausgrenzung und Bestrafung religiös Andersdenkender. Zwar erkannten alle Schwenckfelder das Amt der weltlichen Obrigkeit als von Gott zur Strafe der Bösen und Schutz der Guten an, man hatte sogar um Schutz und Frieden fur die Obrigkeit, unter der man lebte, zu beten,447 aber innerhalb des Glaubens hatte sie kein Mandat, hier gab es für sie keine Herrschaft, insbesondere kein Strafrecht. Ein Christ konnte zwar ein obrigkeitliches Amt bekleiden, wie es nicht wenige Schwenckfelder taten, aber in Fragen des Christseins hatte er keine Vorteile gegenüber anderen, sondern war allein auf seine individuelle Gottesbeziehung geworfen wie alle anderen Schüler Christi auch.448 Da Druck, Zwang oder physische Gewalt in Belangen des Glaubens nach schwenckfeldischer Überzeugung nicht zu akzeptieren waren, lehnten sie die Religionskriege ab und interpretierten sowohl den Schmalkaldischen Krieg als auch den Dreißigjährigen Krieg als Strafe Gottes. Dabei lasteten sie die strafwürdigen Verfehlungen vor allem den kirchlichen Vertretern beider Konfessionen an und weniger der katholischen oder evangelischen Obrigkeit. Johann Ludwig Münster wertete den Krieg 1643 als Strafe für die Theologen, für ihre Sündhaftigkeit im Leben und ihren falschen Glaubensweg.449 Auch Schwenckfeld selbst hatte den Schmalkaldischen Krieg und die Niederlage der evangelischen Seite als Strafgericht für die protestantischen Kirchenvertreter gewertet, die nach ihrer Polemik und Verfolgung der Schwenckfelder nun ebenfalls Opfer von Gewalt wurden. Für sich selbst und seine Anhänger sah Schwenckfeld im Interim sogar Vorteile, da seine Lehren nicht explizit verboten worden waren.450 Die eigene Situierung über den Konfessionen führte dazu, daß einige Schwenckfelder und Schwenckfelderinnen sogar meinten, sich mühelos den Zwängen des Interims äußerlich dissimulierend anpassen zu können. Ebenso wie sie zuvor den protes-

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C.S. 10, S. 94. C.S. 10, S. 9f. C.S. 10, S. 86f.; 159-171; C.S. 11, S. 604-625. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 230r, 23Γ. C.S. 11, S. 733f.

333 tantischen Predigtgottesdienst besucht hatten, gedachten sie nun den Interimsgottesdienst zu besuchen. Schwenckfeld reagierte entsetzt auf entsprechende Pläne der Schwestern Baumgartner und von Sibilla Eiselin.45' Denn hier war für ihn ein Kernpunkt des schwenckfeldischen Glaubens berührt, nämlich das Abendmahl in Gestalt der Eucharistiefeier mit Wandlung, an der man auf keinen Fall Anteil haben durfte. Die Unterscheidung zwischen den unaufgebbaren Kernpunkten des Glaubens und den zur Anpassung freigegebenen Nebensächlichkeiten war offenbar nicht für alle eindeutig und leicht einsehbar.

5.6.2 Glaubenskern und Adiaphora Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder lehnten protestantische Kanonisierung ebenso ab wie die mit der konfessionellen Abgrenzung verbundenen Feindseligkeiten und Verfolgungen der Andersdenkenden. Dennoch mußten sie sich mit der neuen Situation ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auseinandersetzen. Sie waren gezwungen sich zu entscheiden, wie sie sich bei obrigkeitlichen Vorladungen verhalten sollten oder ob sie diese ganz umgehen wollten, indem sie ihren Glauben nicht mehr sichtbar praktizierten. Erst im Rahmen des durch die Konfessionalisierung bedingten Ausgrenzungsprozesses, in dem die Confessio Augustana und später die Konkordienformel die Grenze dessen markierte, was theologisch erlaubt war, sahen sich die Schwenckfelder genötigt darüber nachzudenken, bei welchem theologischen Lehrsatz und bei welcher religiösen Handlung sie zu Zugeständnissen bereit waren und wo sie das Zentrum ihres Glaubens berührt sahen, das sie nicht aufgeben wollten. Die Ausgrenzung aus dem süddeutschen Protestantismus führte somit auf schwenckfeldischer Seite zu einem Prozeß des Aussortierens von Glaubenssätzen und religiösen Handlungen als konstitutiv bzw. als nebensächlich und setzte damit eine Art schwenckfeldische Kanonbildung in Gang, die das süddeutsche Schwenckfeldertum als theologische Gruppe deutlicher erkennbar machte. Allerdings mündete diese Entwicklung nicht in ein formalisiertes Bekenntnis, das eine Grenze für die Zugehörigkeit zum oder den Ausschluß vom Schwenckfeldertum markiert hätte, denn die Verbindlichkeit einzelner religiöser Handlungen oder theologischer Vorstellungen blieb ebenso umstritten wie die Strategie des Dissimulierens selbst. Trotz des anhaltenden Ringens um die richtige Haltung zwischen Märtyrertum und Anpassung läßt sich eine Skala der Verbindlichkeit von Glaubenssätzen und Riten erkennen, eine Liste schwenckfeldischer theologischer Mindeststandards, die zumeist gut mit den obrigkeitlichen Konformitätserwartungen in Einklang zu bringen war. In einem über Eiselin 1553 an die Augsburger Gemeinde gerichteten Schreiben gab Schwenckfeld detaillierte Anweisungen für die drohenden Verhöre, die den Rahmen für die schwenckfeldischen Dissimulierungsstrategien klar angaben. Wichtig war allein die Verteidigung der Kernpunkte des Glaubens, 451

C.S. ll,S.638f.;799f.;835f.

334 nachgiebig sollte man sich in den Adiaphora zeigen und vor allem keine Kritik an der Lehre von anderen üben. Auch das gehörte zu den Nebensächlichkeiten. Insbesondere Kritik an den offiziellen Pfarrern solle vermieden werden, da die Obrigkeit dergleichen nicht gerne sehe. Für die zentralen Punkte schwenckfeldischen Glaubenslebens aber solle man die Ausweisung in Kauf nehmen, wenn die persönliche Lebenssituation das zulasse. Niemals jedoch solle die Verweisung aus der Stadt leichtfertig herbeigeführt werden.452 Als schwierig erwies sich insbesondere der selten geforderte vollständige inhaltliche Widerruf. Der Buchhändler Andreas Neff sollte nach langen Monaten der Inhaftierung Anfang 1545 als Bedingung für seine Freilassung eine von den Theologen der Universität Tübingen verfaßte Formel unterzeichnen, in der er dem Schwenckfeldertum abschwor. Neff wollte diese und auch spätere Widerrufsformulare nicht unterzeichnen, weil er im allgemeinen keinen Schwur in Glaubensdingen zu leisten bereit war. Inhaltlich lehnte er das lutherische Abendmahlsverständnis ab, das er anerkennen sollte, und das absolute Gesprächsverbot für theologische Themen.453 Die Widerrufsformeln hatten für die Schwenckfelder vor allem den Nachteil, daß es wenig Interpretationsspielräume gab. Hier war alles schon festgelegt, dissimulierende Formulierungen, die Anpassung signalisierten und die Ausübung schwenckfeldischer Religiosität dennoch ermöglichten, waren nicht leicht zu finden. In den Verhören sprachen die Schwenckfelder häufig von sich aus die theologischen Themen an, die ihnen unaufgebbar wichtig waren. Das waren im 16. wie im 17. Jahrhundert die Abendmahlslehre und die Christologie. So betonte der in Memmingen 1599 vorgeladene Jakob Zimmermann, daß er Christus nicht für eine Kreatur halte, daher könnten Christi Leib und Blut auch nicht in den Elementen des Abendmahls real gegenwärtig sein.454 Er machte also die schwenckfeldische Verknüpfung der Naturenlehre in der Christologie mit dem Abendmahlsverständnis explizit. Hier war er nicht bereit, sich in irgendeiner Form kompromißbereit zu zeigen. Über vierzig Jahre vorher hatte Schwenckfeld selbst als einzigen zent-

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C.S. 13, S. 268-271. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 103-106. In einem von Schwenckfeld gestellten und von Katharina Streicher 1546 geschriebenen Brief an Neffs Frau wird deutlich, daß Schwenckfeld vor allem Wert darauf legte, daß man sich weiterhin mit anderen über den Glauben austauschen könne, C.S. 11, S. 664-667. Neben dem gemeinsamen Nachdenken über religiöse Themen war die Erlaubnis, sich frei Bücher beschaffen und lesen zu dürfen, zentral für die schwenckfeldische Religionsausübung und damit unaufgebbar. Dementsprechend zeigte sich der schwenckfeldische Zuckerbäcker Windschlich 1627 damit einverstanden, obrigkeitlichen Forderungen in allem entgegenzukommen, pochte aber darauf, frei lesen zu dürfen, was er wolle, um sich selbst ein Urteil bilden und das theologisch Gute und Richtige bewahren zu können, D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 105f. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8b, Nr. 3, Antwort und Bekenntnis von Zimmermann, fol. 3.

335 ralen Glaubenssatz das Verständnis Christi angeführt. 455 Auch die drei Schwestern Altenstaig beharrten einzig auf diesem Hauptaspekt ihres Glaubens, auf einem Christus, der nur nichtkreatürlich gedacht der Erlöser zu sein vermochte, in allem anderen waren sie zu gehorsamer Konformität bereit.456 Die theologische Verknüpfung von Abendmahlssakrament und Christologie führte dazu, daß Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder die lutherische Lehre vom Nachtmahl in Verhören und Widerrufsentwürfen ablehnten und sich auch konsequent weigerten, an dem Ritual teilzunehmen. Der wahre Christ, so Schwenckfeld schon 1544 entschieden, werde freilich mit dem großen irrigen hauffen nicht hinzu gehen, sondern den grewll lern erkennen Sich fur der abgoterei huetten / vnd Christum in seiner glorien [...] gehallten ja ahnbeten und verEeren.A57 Die Ulmer Schwenckfelder strichen 1582/83 im Verhör nicht nur die irrigen theologischen Annahmen des nichtschwenckfeldischen Abendmahlsverständnisses heraus, sondern lehnten eine Teilnahme am Sakrament auch deswegen ab, weil sie die Funktionsbestimmung des Nachtmahls durch die Ulmer Theologen nicht teilten. Denn das äußerliche Abendmahl bahne nicht den Weg zu Christus. Selbst als sie akut von Ausweisung bedroht waren, blieben sie dabei: Sie gehe nicht zum Abendmahl, so formulierte es Maria Altenstaig, weil man die Seligkeit darann binden wolle.458 Auch die zur gleichen Zeit verhörte Rosina Pfitzenmayer erklärte kategorisch, sich zum Abendmahl nicht zwingen zu lassen. Gleichzeitig betonte sie aber die positive Bedeutung des anderen protestantischen Sakraments, der Taufe, wobei sie die Säuglingstaufe nicht negativ bewertete.439 Die unterschiedliche Beurteilung der beiden Sakramente ist typisch für die schwenckfeldische Position. Beide Sakramente betrachteten sie zwar als von Christus eingesetzt, das Abendmahl war ihnen aber so eng mit dem christologischen Kern ihrer Glaubenslehre verbunden, daß sie niemals bereit waren, an einem im aus ihrer Sicht falschen Verständnis zelebrierten Ritus teilzunehmen. Die Taufe gehörte dagegen zu den schwenckfeldischen Adiaphora. Das äußere Sakrament der Wassertaufe war für die Schwenckfelder irrelevant, denn es war nicht heilsgefahrdend, die Taufe in einer protestantischen Kirche zu empfangen. In seinen Ratschlägen an die Augsburger Anhänger, die 1553 befürchteten vorgeladen zu werden, riet Schwenckfeld zwar, die Bedeutung der inneren Taufe zu betonen, sich aber wegen der äußeren Kindertaufe nicht zu sehr zu engagieren, weil das von den wesentlichen theologischen Punkten ablenke und die Schwenckfelder zudem Gefahr liefen, für Wiedertäufer gehalten zu werden.460 Um nicht mit den 455 456 457 458 459 460

C.S. 13, S. 268-271. Ulm, Stadtarchiv, Ve Urk. 1582/1583, fol. 647. C.S. 9, S. 173. Ulm, Stadtarchiv, Ve Urk. 1582/83, fol. 648. Ulm, Stadtarchiv, Ve Urk. 1582/83, fol. 649. Fragt man vom kinder tauff / so sollen sie sich nicht desshalben einlegen / Sie würden dem herren Christo seine gute sache damit verderben / oder ie verdechtig machen / Durch die Widerteüfferey, C.S. 13, S. 269.

336 irrigen Taufbrüdern verwechselt zu werden, riet Schwenckfeld auch zur Teilnahme an Taufgottesdiensten von Verwandten, was Sibilla Eiselin dagegen rigoros abgelehnte. Schwenckfeld widersprach ihr und hielt eine passive Teilnahme für geboten, allerdings solle man nicht Pate werden und so die Andersgläubigen aktiv unterstützen.461 Die Distanzierung von den Wiedertäufern war das Hauptmotiv dafür, daß die überwiegende Mehrheit der Schwenckfelder bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ihre Kinder taufen ließ. Jakob Zimmermann gab im Mai 1599 zu Protokoll, daß man ihn gerade daran von den Täufern unterscheiden könne, daß er der Taufe ihr Recht lasse.462 Die Wassertaufe bewerteten die Schwenckfelder einfach als unwichtig: Maria Altenstaig bekannte 1582, daß sie zwar getauft worden sei, diese Taufe sie aber nun nicht mehr kümmere, da allein der innere Vorgang entscheidend sei.463 Charakteristisch war dabei, daß die Schwenckfelder die äußere Taufe nicht explizit anerkannten, sondern sie einfach als für ihren Glauben irrelevant abtaten, wie Unsinn in seinem Glaubensbekenntnis von 1554: Was denn den Artickel vom kindertauff belanget / bekomer Jch mich gar nichts vmb.4M Die Nebensächlichkeit der Wassertaufe führte dazu, daß sie nur selten Gegenstand der innerschwenckfeldischen Glaubensgespräche war. Das hatte zur Konsequenz, daß einige Schwenckfelder sie sogar als bedeutsamen Ritus zum sichtbaren Eintritt in die Christengemeinschaft einstuften. Der 1598 in Augsburg vorgeladene Martin Küenle, der sich ganz offen zum Schwenckfeldertum bekannte, war der Überzeugung, das der tauf ein Eingang des Christentumbs sei / das auch die Jungen Kinder getaufft werden sollen wie er dan seine Kinder alle auch hab tauffen laßen. Die Ulmer Schwenckfelderin Rosina Pfitzenmeyer gab 16 Jahre früher sogar an, die Kindertaufe sei von Christus zur Seligkeit der Seele eingesetzt worden.465 Schwenckfelder des 17. Jahrhunderts beurteilten die Wassertaufe nicht als so harmlos oder gar heilsfördernd. Daniel Friedrich sah in ihr reines Menschenwerk, das in keiner Weise hilfreich sei, denn ohne den rechten Glauben bewirke die Taufe nichts.466 Noch deutlicher befürwortete Johann Martt die Verweigerung der Kindertaufe und bezweifelte entschieden die Wirksamkeit der Säuglingstaufe, durch die kein Kind zum Christen werden könne, da es hier keine Wiedergeburt im Glauben geben könne.467 Er sah sogar das Hauptübel der protestantischen Kir-

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C.S. 9, S. 322; C.S. 11, S. 168f. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8b, Nr. 5, Fernere Urgicht Zimmermanns, fol. l v . Wörtlich gab der Schreiber Zimmermanns Einlassung so wieder, als beziehe sie sich auf beide Sakramente, denen er ihr Recht lasse, es war aber hier sicher nur die Taufe gemeint, da er sich schon im 1. Bekenntnis kritisch zur Realpräsenz geäußert hatte. Ulm, Stadtarchiv, Ve Urk. 1582/83, fol. 647. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 5, fol. Γ . Ulm, Stadtarchiv, Ve Urk. 1582/83, fol. 649. E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 47f. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 18v.

337 chen im falschen Sakramentsgebrauch. 468 Für ihn standen Säuglingswassertaufe und Abendmahl demnach gleichrangig nebeneinander. Friedrich beschrieb in einem Brief von 1606 eine weitere in der Straßburger Gemeinde vorzufindende Haltung: Einige schwenckfeldische Eltern, die Friedrich die ,Schwachen' nannte, ließen ihre Kinder taufen, um sie vor einer späteren Zwangstaufe zu bewahren. Sie sahen zudem die Notwendigkeit, sich von den Täufern abzugrenzen, um eine Verwechslung mit ihnen zu vermeiden. 469 In diesen unterschiedlichen Einschätzungen deuten sich schon Differenzen in der Definition eines Glaubenskanons an, die verschiedene Grade an Kompromißbereitschaft zur Folge hatten.470 Von allen als ungefährliche Anpassung an obrigkeitliche Forderungen gesehen und zum Teil sogar als notwendige Information über die theologische Denkungsart des religiösen Gegners eingeschätzt wurde der Besuch der Predigt in der Pfarrkirche. Nach schwenckfeldischer Auffassung sollte sich niemand deswegen vertreiben lassen, sondern an der Predigt teilnehmen und die Lehre der Prädikanten sorgfältig prüfen.471 An letzter Stelle der Adiaphora standen bei den Schwenckfeldern Eid, Waffendienst und die Beteiligung an obrigkeitlichen Ämtern. Die Schwenckfelder waren nicht einmal übereinstimmend der Meinung, daß diese für die Täufer so wichtigen Fragen der Umsetzung ihres Glaubens im Alltagsleben überhaupt unter religiösen Aspekten beurteilt werden konnten. Schwenckfeld verneinte das ausdrücklich. Für ihn war die Beteiligung an den Pflichten von Stadtbürgern, an Wach- und Schanzdiensten selbstverständlich. Er empfahl seinen Anhängern, sich um Dinge Gedanken zu machen, die für das Reich Gottes nützlicher seien. Man sehe, daß man nicht den leüthen da gewissen mache / Da Gott keine macht.472 Für Friedrich war das nicht so eindeutig zu beurteilen. Auch er war der Auffassung, daß es hier keine verbindliche schwenckfeldische Glaubensauffassung gebe. Er selbst betrachtete seine Einstellung zu Eid und Waffendienst aber durchaus als Bestandteil seiner Religion. Er lehnte jeden Eid ab, da die christliche Liebe das Schwören überflüssig mache. Die Straßburger Schwenckfelder, die Eid und Waffendienst ablehnten, waren zumeist ehemalige Täufer.473 Die verschiedenen Stellungnahmen der Schwenckfelder im 16. und 17. Jahrhundert zur Verbindlichkeit einzelner Gesichtspunkte ihres Glaubens zeigen, daß es keinen festumrissenen schwenckfeldischen Kanon gab. Die Ablehnung der Kreatürlichkeit Christi, also die typisch schwenckfeldische Christologie in Ver468 469 470 471 472 473

Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 100 v . Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 98 r . Siehe Kap. 5.6.4. C.S. 1 1 , S . 1 4 2 , 3 2 2 . C.S. 10, S. 926f.; ähnlich auch noch 1561, siehe C.S. 17, S. 243. Friedrich setzte sich mit diesen Fragen ausfuhrlich in einem Brief an die Danziger Schwenckfelder-Gemeinde auseinander, die ihn zu seiner Meinung zu Eid, obrigkeitlichen Ämtern und Waffendiensten befragt hatte, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 57-73.

338 bindung mit der Abendmahlslehre, stellte den wichtigsten Kern schwenckfeldischer Lehren dar, von dem kein Schwenckfelder abzuweichen bereit war. Dagegen waren die hierarchisch tiefer angesiedelten theologischen Themen in ihrer Geltung umstritten. Die Einstellungen hierzu wandelten sich im Übergang zum 17. Jahrhundert. Mit dem Abklingen der Verfolgungen erwartete man offenbar ein klareres Bekenntnis zu einer größeren Anzahl von schwenckfeldischen theologischen Glaubenssätzen.

5.6.3 Argumentations- und Handlungsstrategien: Bekennen und Dissimulieren Daniel Sudermann faßte 1603 in seinem Vorwort zu einer von ihm handschriftlich kopierten Sammlung von Briefen Schwenckfelds die differenzierte Haltung der Schwenckfelder zum bewußten, geplanten Dissimulieren zusammen. Angesichts der Tatsache, daß bei Schwenckfeld selbst keine konsistente und einheitliche Strategie zu finden war, meinte Sudermann, Schwenckfeld habe ganz ohne Rücksicht auf die theologischen und rituellen Inhalte in verschiedenen Situationen zu unterschiedlichen Haltungen geraten. Der Schutz vor Verfolgung habe nach Sudermanns Interpretation also immer die höchste Priorität besessen: Etliche der Briefe seien zurzeit der grossen verfolgunge / die andere / da noch gute rhu vnnd friede / wegen der Religion / nach gelegenheit der personen geschrieben worden / dann in ettlichen rathet er [Schwenckfeld] wie sich in gröste gefahr leibs vnnd lebens zuhalten / vnnd daß beste zuerwehlen / Weichs er zu anderer Zeit dess friedens / nicht zugelassen oder gerathen hätte.474 Die Schwenckfelder des 17. Jahrhunderts, Sudermann ebenso wie Daniel Friedrich oder der Nürnberger Johann Jakob Janin,475 konnten Schwenckfelds Einlassungen zum Verhalten gegenüber der nichtdissidentischen Außenwelt offenbar nur schwer folgen. Schwenckfeld vertrat in der Tat verschiedene Positionen zur Frage des Dissimu474

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Abgedruckt in C.S. 9, S. 117. Husser nimmt Sudermanns Kommentierung als Beleg für dessen Radikalität. Sudermann habe der Notwendigkeit eines größeren Bekennermuts das Wort reden wollen, indem er die zeitlich-inhaltliche Distanz zu Schwenckfelds Lebzeiten betonte. Der Fall des Straßburger Schwenckfelders Eitelhauser gilt Husser als Nachweis für den radikalisierenden Einfluß Sudermanns auf die Straßburger Gemeinde. Eitelhauser war zwar zum Predigtbesuch bereit gewesen, hatte aber den Abendmahlsbesuch auch nach der Verhaftung seiner Söhne konsequent verweigert, D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 99f. Eitelhausers Verhalten läßt sich m.E. eher als schwenckfeldische Strategie der flexiblen Anpassung deuten: Während der Predigtbesuch zugestanden werden konnte, gab es beim Abendmahl keine Kompromißmöglichkeit. Daß Sudermann als Lehrautorität nach Schwenckfelds Tod galt und die Straßburger Gemeinde in eine bestimmte Richtung gedrängt hätte, läßt sich m.E. genauso wenig belegen wie überhaupt eine radikale Position aus seiner Kommentierung der Anschauungen Schwenckfelds zum Dissimulieren. Sudermann versuchte lediglich, die unterschiedlichen Positionen Schwenckfelds zum Verhalten in Verfolgungssituationen zu harmonisieren. Siehe unten.

339 lierens. Seine Ratschläge waren nicht nur differenziert nach den Verfolgungsgefahren, sondern auch nach der sozialen und familiären Situation der von obrigkeitlicher Sanktionierung Bedrohten. Zur selben Zeit, während der Augsburger Schwenckfelder-Prozesse 1553/54, stellte er ganz unterschiedliche Anforderungen an das Verhalten der einzelnen Mitglieder der Augsburger Gemeinde. Während er der ängstlichen Witwe Eiselin zur Zurückhaltung bei der Beantwortung obrigkeitlicher Fragen im Falle einer Vorladung riet,476 ermutigte er Bernhard Unsinn zum offenen Bekenntnis unter Vermeidung aller Zugeständnisse, auch wenn das zu seiner Ausweisung fuhren sollte, da Unsinn eine gottesfürchtige Frau und keine Kinder habe.477 Caspar Glaner entschuldigte er sogar vor Eiselin dafür, daß dieser seine schwenckfeldische Überzeugung ganz verbarg und sich von der Gemeinde fernhielt, um seinen Broterwerb nicht zu gefährden. 478 Ganz anders hatte sich Schwenckfeld 1549, also nur wenige Jahre früher, geäußert. Er hatte eindeutig gegen ein Verhalten Stellung genommen, das von Humanisten des 17. Jahrhunderts wie in der historischen Forschung als „Heuchelei", „Nikodemismus" oder „dissimulatio" bezeichnet wird. Man könne, so führte Schwenckfeld aus, nicht mit dem Mund das Eine und mit dem Herzen ein Anderes bekennen.479 Offensichtlich war die schwenckfeldische dissimulierende Handlungsstrategie etwas anderes als die Verhaltensweisen mancher Humanisten, die sich selbst als über den Konfessionen stehend betrachteten und die von Calvin verächtlich als Nicodemites bezeichnet wurden.480 Schwenckfelds Position hatte gerade nichts mit dem von Zagorin für das 16. und 17. Jahrhundert beschriebenen Phänomen „dissimulation" zu tun, einer konsistenten, ausformulierten Lehre, die in Verfolgungsgefahr die Trennung von Herz und Mund für legitim hielt481 und die nach Auffassung von Luhmann und Fuchs unabhängig von der Gefahrensituation ab dem 17. Jahrhundert zur allgemein akzeptierten Lebenshaltung wurde.482 Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder entwickelten kein theologischphilosophisches Konzept, um ihre Anpassungen an obrigkeitliche Konformitätsforderungen zu begründen. 483 Auf den ersten Blick erscheinen ihre Handlungs476 477 478 479 480 481

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C.S. 13, S. 358-360. C.S. 13, S. 271. C.S. 13, S. 571. C.S. 11, S. 938. Zum ,Nikodemismus' der Humanisten siehe E. Rummel, Confessionalization, S. 102-149. Zagorin definiert „dissimulation and lying" als ausformulierte Doktrin, die aus Gründen des Selbstschutzes das bewußte Handeln gegen die eigene Überzeugung erlaubte: „These doctrines affirmed the legitimacy of a false appearance of conformity, in contradiction to o n e ' s genuine beliefs [...]", P. Zagorin, Lying and Dissimulation, S. 869. N. Luhmann/P. Fuchs, Reden und Schweigen, S. 126f. Oyer, der den U m g a n g der württembergischen Täufer mit obrigkeitlichem Druck untersucht hat, meint ebenfalls, daß die „Nicodemites" unter ihnen weder ein theologisches Konzept dazu entwickelten noch die Schriften von Brenz oder Schwenckfelds Briefe rezipierten. Die meisten von ihnen waren ohnehin illiterat. Nach Oyers Erkenntnisssen entstand ihr „nikodemitisches" Verhalten ad hoc aus der Notwendigkeit mit Strafandrohungen wie Auswei-

340 weisen als ebenso vielfältig und widersprüchlich wie Schwenckfelds Ratschläge, was besonders eindrücklich am Beispiel des Verhaltens der Ulmer Schwenckfelder 1582-1584 gezeigt werden kann: Die Schwenckfelder wurden derselben religiösen Abweichung bezichtigt, mit denselben Strafen bedroht und reagierten doch ganz unterschiedlich. Einige Vorgeladene logen und verschwiegen, täuschten und wichen aus, andere bekannten sich offen zu ihrem Glauben und weigerten sich, zu gehorchen, nahmen Exil und Gefängnis unbeirrt auf sich.484 Die Strategien, mit denen Schwenckfelder auf Vorladungen, Verbote und Inhaftierungen reagierten, veränderten sich also nicht nur mit der Lutheranisierung, sondern sie differierten auch nach den Positionen, die die Spiritualisten im sozialen Netzwerk ihrer Umwelt und innerhalb des Schwenckfeldertums einnahmen. Neben dem Familienstand spielte es ebenso eine Rolle, ob es möglich war, bei Glaubensgenossen in der Nähe Zuflucht im Fall einer Vertreibung zu finden. Die schwenckfeldischen Strategien im Umgang mit den Gefahren obrigkeitlicher Verfolgung sollen daher im folgenden als sprachliche und nichtsprachliche Handlungen in ihrer Vielfalt eingehend analysiert werden, um so darzustellen, wie sich schwenckfeldische ,dissimulatio' darstellte, wie die Strategien in die Konstituierung als Gruppe eingingen und wie erfolgreich sie waren in der Vermeidung obrigkeitlicher Sanktionen. Zur dezidierten verbalen Lüge,485 zum deutlichen voneinander Abweichen von Herz und Mund, das Schwenckfeld so vehement kritisierte, griffen die Schwenckfelder tatsächlich selten. Ein Beispiel dafür sind die Aussagen des Ditzinger Pfarrers Theodor Kantz, der neben den Taktiken des Ausweichens und der Verschleierung bei seinen Befragungen auch bewußt unwahre Behauptungen aufstellte. Nachdem die Dissidenten-Druckerei des Schwenckfelders Eberhard Wild in Tübingen 1622 aufgeflogen war, hatte die Durchsuchung in Wilds Haus ergeben, daß Kantz nicht nur häretische Schriften von Wild bezogen, sondern sogar selbst in den Druck gegeben hatte. Daher suchten ihn württembergische Kirchenvertreter auf, um sein Haus nach weiteren dissidentischen Schriften zu durchkämmen. Sie fanden jedoch nichts und Kantz behauptete auf Befragen, er habe nie Schriften von Wild erworben und dieser habe ihn nach seiner Flucht nicht besucht. Er wisse auch nichts über Wilds Verschwinden, sondern habe nur das Gerücht gehört, Wild halte sich in Stuttgart auf.486 Nach seiner freiwilligen Rückkehr nach Tübingen erklärte Wild dagegen in einem gütlichen Verhör, er sei während seiner

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sung, Haft oder Todesstrafe umzugehen. Eine Gruppe der Täufer entschied sich für die Anpassung ohne theologische Fundierung, obwohl von ihren Führern klar das Märtyrertum gefordert war, J. S. Oyer, Nicodemites, S. 512. Zu der Verfolgungsphase nach dem Tod von Agatha Streicher siehe Kap. 2. Unter ,Lügen' soll hier mit Heinrich Weinrichs „Linguistik der Lüge" die bewußte Behauptung eines gegenteiligen Sachverhalts verstanden werden. Demnach gibt es zu jedem gesagten Lügensatz einen (ungesagten) Wahrheitssatz, der zu diesem in kontradiktorischer Beziehung steht, zu dieser Definition siehe H.-J. Bachorski, Lügende Wörter, S. 345f. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, 2a, Nr. 6, 26.3.1622, fol. 1-3.

341 Abwesenheit, die er als Reise und nicht als Flucht darzustellen bemüht war, zweimal mit Kantz in Stuttgart zusammengetroffen und sei einmal über Nacht in seinem Pfarrhaus in Ditzingen geblieben.487 Wild hatte Kantz bei den Treffen geraten, seine dissidentischen Bücher verschwinden zu lassen. Kantz Lüge war durchaus erfolgreich. Er blieb mangels Beweisen zwei Jahre lang unbehelligt, bis sich neue Hinweise auf seine schwenckfeldischen Aktivitäten ergaben.488 In Fällen von nonverbalen Täuschungen kamen Lügen bei Schwenckfeldern weit weniger vor als etwa bei den württembergischen Täufern, die des öfteren einen formalen Widerruf ablegten, Predigt- und Abendmahlsbesuch versprachen und zum Teil noch am selben Tag wieder täuferische Versammlungen aufsuchten und so weitermachten wie bisher.489 Unter den Schwenckfeldern finden sich dagegen kaum Versprechens- und Eidbrüche. Die einzigen ermittelbaren Fälle sind die der Ulmer Matthäus Stürzel und Samuel Reitz, die 1581/82 verhaftet wurden. Sie erklärten sich zu einem formellen Widerruf bereit, in dem sie u.a. die Abgabe sämtlicher schwenckfeldischer Bücher und die Meidung von Kontakten zu anderen Schwenckfeldern zusagen mußten.490 Der Rat stellte aber schon nach wenigen Tagen fest, daß Reitz versuchte, seine schwenckfeldischen Bücher beiseite zu schaffen. 491 Er hatte also von Anfang an keineswegs vorgehabt, sie abzuliefern. Stürzel engagierte sich nach seiner Freilassung sofort wieder für die Ulmer Gemeinde und fungierte als Kontaktperson zu den Schwenckfeldern im Ulmer Landgebiet, insbesondere in Leipheim. Das wurde bei seiner erneuten Festnahme vier Monate nach seiner ersten Freilassung bekannt.492 Stürzel wie auch der Schuhmacher Reitz entschlossen sich nach ihrer erfolglosen Täuschungsstrategie dazu, anstatt Gehorsamsbereitschaft vorzuspiegeln freiwillig die Stadt zu verlassen.493 Ohne die explizite Lüge wurde die Täuschung durch nicht exaktes Einhalten einer Zusage schon eher angewandt. Als im November 1553 im Rahmen der Ermittlungen gegen Unsinn, Marquardt und Hieber neun von diesen als Glaubensgenossen genannte Männer und Frauen vorgeladen wurden, mußten sie alle ohne eidliche Bindung versprechen, keine Fremden mehr zu beherbergen und keine Konventikel mehr abzuhalten. Acht der vor den Rat Zitierten sagten pauschal zu, sich darauf aller gehorsam befleißen zu wollen. Nur Ulrich Welser bestritt die

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Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, 2a, Nr. 10, Bericht der Universität Tübingen, 10.6.1622, fol. 4 r . Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, 2b, Nr. 1, 2. J. S. Oyer, Nicodemites, S. 499f. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, 5.1.1582, fol. 558 r (Widerruf Stürzel); 8.1.1582, fol. 5 6 Γ (Widerruf Reitz). Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, 10.1.1582, fol. 563 v . Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 36, 11.5.1582, fol. 692 v ; 30.5.1582, fol. 714 r . Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 37, 4.1.1583, fol. 118 v (Reitz); 9.11.1584, fol. 945 v (Stürzel).

342 Rechtmäßigkeit der obrigkeitlichen Forderung.494 Sibilla Eiselin, ihre Schwestern und die übrigen Schwenckfelder trafen sich weiterhin mit ihren Glaubensgenossen und nahmen auswärtige schwenckfeldische Besucher auf - auch für längere Zeit, wie das Beispiel der Helena Streicher zeigte, die über Jahre bei Eiselin im Haushalt lebte.495 Die täuferisch-schwenckfeldische Familie Greiner aus Walkersbach in Württemberg hielt formell sogar ihre Zusage genau ein. Sie hatten versprochen, die Predigt in der Pfarrkirche auf obrigkeitliche Anordnung hin zu besuchen (die Teilnahme am Abendmahl verweigerten sie allerdings konsequent), und ließen sich auch regelmäßig in der Kirche sehen. Jakob Greiner, seine Frau Margarethe und sein Bruder Melchior lasen allerdings während der Predigt deutlich sichtbar schwenckfeldische Bücher, wie der Pfarrer 1577 angab.496 Sie funktionierten ihre Konformitätsbereitschaft also in eine öffentliche Demonstration ihres Glaubens um. Weniger provozierend, aber auch deutlich sichtbar war der Entschluß, nur an Teilen der offiziellen religiösen Riten teilzunehmen, die wie Taufen oder Hochzeitsfeiern zu den schwenckfeldischen Adiaphora gehörten. Sibilla von Gossenbrod, die Gemahlin Ludwigs von Freyberg, wohnte zwar der Hochzeit ihrer Tochter Sibilla mit dem katholischen Hans Adam von Stein bei, erschien aber nicht zum Kirchgang, sondern erst zum Festmahl.497 Ähnlich agierte 1568 auch der Memminger Schwenckfelder Karter: Er führte die Braut zur Kirche, verschwand aber während der Hochzeitspredigt aus dem Gotteshaus.498 Sein Glaubensgenosse Fröschlin verließ bei der Taufe seines Kindes einfach die Reichsstadt, um das Ritual der Säuglingstaufe wie gefordert zulassen zu können, ohne persönlich daran teilnehmen zu müssen.499 Diese Strategie war wie schon erwähnt500 auch bei den Straßburger Schwenckfeldern im Falle von glaubensverschiedenen Ehen anzutreffen. Den schwächsten Grad des lügenden oder täuschenden Verhaltens stellte die vage, besonders in ihrer zeitlichen Dimension auslegbare Zusage zukünftigen Gehorsams dar, die von Schwenckfeldern vor allem im 16. Jahrhundert sehr häufig angewandt wurde, um Handlungsspielräume zu gewinnen. Der Memminger 494

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Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Hieber-Akten, Nr. 22, 9.11.1553. Siehe Kap. 4. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 504. Das berichtete Schwenckfeld 1548 Sibilla Eiselin, um ihr deutlich zu machen, daß man mit einer differenzierten Strategie der teilweisen Kompromißbereitschaft auch das Interim unbehelligt überstehen könne, ohne der Interimsmesse beiwohnen zu müssen, C.S. 11, S. 638f. Moritz Karter hatt newlich ahnn einem Sontag ein brautt Jnn vnser Frawen kirchen gefieret/ wiederum zuo ruck gangen / vnnd biß zuo eendt der predigt Jnn des Meßners stuoben geschwetzet. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, fol. 104r. Dauid Fröschlin hatt newlich ein kindt zur touffe tragen lassen / domit er aber dieser Sachen nit beywohne / ohne nott vber Lanndt gerayset. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, fol. 104r. Siehe Kap. 4.3.1.

343 Buchhändler Jakob Weiß bemühte sich, seine Hinhaltetaktik wie eine Konformitätszusage erscheinen zu lassen, indem er einerseits die Vorwürfe herunterspielte, andererseits sehr vage Besserung gelobte. Nachdem ihm im März 1585 vor dem Rat eindringlich auferlegt worden war, künftig mit den Seinen die Kirche regelmäßig zu besuchen und die Verbreitung schwenckfeldischer Bücher zu unterlassen, gestand er sofort zu, diesen Forderungen nachzukommen und führte dann aus, was er darunter verstand: Er welle sich ains Ersamen Raths beuelch gemäß verhalten / vnd gleich so Mehr Jn die Kierchen gehn / als Jnns wiertzhauß Seinem gsind / habe er bißher nitt Ordnung geben / so hab er auch die Schwenckhfeldische buecher alhie nitt vil verschennckht aber wol ausserhalb / well sich aber furtterhin verhoffenlich vnuerweißlich halten,501 Damit kehrte er nach Hause zurück und hatte bei genauerem Hinsehen keinen der geforderten Punkte ganz zugestanden - weder den regelmäßigen Predigtbesuch von ihm selbst, seiner Familie nebst Gesinde noch die Einstellung des schwenckfeldischen Büchervertriebs. 502 Andere Schwenckfelder sagten zu, die obrigkeitlichen Forderungen in vollem Umfang zu akzeptieren und dementsprechend zu handeln, fügten dann aber den Zusatz hinzu wo Jnen Got gnad verleih503 oder wenn ihn Gott ermahne.504 Hier ging es um den Besuch des Abendmahls, den im ersten Fall Eva und Blasius Honold 1545 gegenüber dem Rat in Kempten in Aussicht stellten. Auf Gottes Handeln als Richtschnur verließ sich auch siebzig Jahre später der württembergische Schwenckfelder Georg Laur. In beiden Fällen führte die Zusage ungeachtet der Einschränkung zur Entlassung der Verdächtigen aus dem Verhör vor dem Rat resp. der Visitation. Die Teilnahme am reformierten bzw. lutherischen Abendmahl unterblieb selbstverständlich. Selbst noch inhaltsleerere Konformitätszusagen hatten zumindest die Beendigung des Verhörs und damit einen Zeitgewinn zur Folge. Die Ulmer Kramjungfrau Anna Steirin vermied 1576 eine direkte Ablehnung der obrigkeitlichen Forderungen, indem sie zusagte, sich weiter gedanklich mit den Aussagen des Pfarrers beschäftigen zu wollen.505 Der Erfolg lügender und täuschender dissimulierender Strategien stellte sich nicht immer ein. Er hing entscheidend von dem obrigkeitlichen Druck ab. Wurden die Zusagen der Häresie-Verdächtigen mißtrauisch überwacht, waren die Täuschungsmanöver erschwert. Vagheiten in der Zusage bzw. im Widerruf waren zumindest auf Zeit sehr erfolgversprechend. Man schuf sich durch die Entlassung aus der Haft oder der Beendigung des Verhörs einen größeren Handlungsspielraum, indem man in Freiheit entweder seine Flucht vorbereiten, sich zu weiteren Zugeständnissen gegenüber obrigkeitlichen Forderungen bereitfinden oder schlicht hoffen konnte, nicht noch einmal aufzufallen. 501 502

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Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, fol. 33v. Tatsächlich war er weiterhin für seinen Glauben aktiv, siehe Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8b, Nr. 3, 1. Urgicht Zimmermann 1599, fol. 2V. Kempten, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. II (1541-1548), 14.9.1545, fol. 62 v . Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 848. Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, A [6844], I. Teil, fol. 36.

344 Eine andere verbale Argumentationsstrategie in Verhören ab dem späteren 16. Jahrhundert, die der Verschleierung der eigenen religiösen Anschauungen diente, war die Bezugnahme auf Bekenntnisgrundlagen des konfessionalisierten Luthertums, die Confessio Augustana und die Konkordienformel. Allerdings war nur der württembergische Pfarrer Kantz gewillt, sich auch inhaltlich auf sie zu berufen. In einer 1622 verfaßten Verteidigungsschrift an Herzog Johann Friedrich behauptete er sogar, daß er bereit sei, allen Ketzern zu widersprechen, die gegen Gottes Wort, die Confessio Augustana invariata und die Formula Concordiae seien.506 Von Zeugen wurde allerdings drei Jahre später berichtet, daß Kantz im vermeintlich geschützten Gesprächsraum während seines Aufenthalts bei den Freiherrn von Freyberg die Konkordienformel, das Predigtamt und die Geringschätzung der Werke in der lutherischen Kirche vehement angegriffen habe.507 Georg Ludwig von Freyberg nutzte die Confessio Augustana, um seine religionsverändernden Maßnahmen, die eigentlich schwenckfeldisch waren, gegenüber den katholischen Nachbarn als reichsrechtlich zulässig hinzustellen. Er behauptete, einen der Augsburger Konfession gemäß amtierenden Pfarrer einstellen zu wollen, wozu ihn seine eigene Augspurgische Confession verwandtnus berechtige.508 Die katholischen Pfleger in der Stadt Ehingen ließen sich davon allerdings wenig beeindrucken und bemerkten in ihrem Bericht an das Kloster Salem 1603, daß die Confessio Augustana aller ketzer deckhmantel sei.509 Andere Schwenckfelder beriefen sich nicht ausdrücklich und von sich aus auf lutherische Bekenntnisschriften, bemühten sich aber den Eindruck zu erwecken, daß sie sich nicht von ihnen distanzierten. Der in Memmingen lebende Jakob Moretzgi verteidigte durchaus offen Schwenckfelds Person und Lehren, bestritt aber ebenso deutlich, auch nur einem Artikel der Augsburgischen Konfession widersprochen zu haben. Er nutzte das Herzstück des lutherischen Bekenntniskanons, um darzustellen, daß er keiner Sekte oder Sonderkirche angehörte, die der Confessio Augustana widersprach, ohne sich jedoch ausdrücklich zu ihr zu bekennen: Er nehme nur das an, was durch die Bibel vorgeschrieben sei.510

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Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, 2a, Nr. 8, fol. 3V. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, 2b, Nr. 1, Bericht des Spezial von Blaubeuren an den Herzog, 15.3.1625, fol. 1. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), Nr. 4469, fol. 24l v . Karlsruhe, Generallandesarchiv, Abt. 98 (Salem), Nr. 4470, fol. 499. Er bestand darauf, daß er keineswegs die auspurgisch Confession / Jn ainichem artickelJhr wider=sprechen oder angefochten / als ob der sollte Recht / oder vnrecht sein / Nymb mich aber dessen an / was mir Jn Göttlicher hayliger schrifft zur lehr vnd vnderweisung furgeschriben / derhalb was Jnn der augspurgischen Confession mit den artickeln vnnsers allgemeinen Christlichen glaubens stymbt / das laß Jch bleyben / Bin nitt der / der dieselbig welle Cassieren / oder widerfechten /, Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Nr. 2, 9.2.1571, fol. Γ ,

345 Noch häufiger als bewußte Täuschungen wurde die Taktik des Verschweigens bestimmter Sachverhalte, die die Obrigkeit zu ermitteln trachtete, gewählt. 5 " Um das Verschweigen zu kaschieren und damit diese dissimulierende Strategie wirksam zu machen, bedienten sich die Schwenckfelder verschiedener Ausweichmanöver. So verweigerten sie die Beantwortung von Fragen zu ihrem Glauben, indem sie auf Rollenstereotypen verwiesen, deren Erfüllung den Erwartungen der obrigkeitlichen Verhörer entsprach."2 Das galt insbesondere für Geschlechterrollen.513 Im Rahmen des Verhörs von sieben Schwenckfeldern in Ulm 1544/45 gab die alte Öttin zunächst offen die Gründe fur ihr Fernbleiben von der Predigt an und kritisierte, daß die Pfarrer aus Christus eine Kreatur machen wollten. Dann aber versuchte sie jede weitere Diskussion zu beenden, indem sie das Autoritätsund Kompetenzgefälle zwischen sich und den männlichen Theologen betonte.514 Auch schwenckfeldische Männer hofften ihre Glaubensabweichung entschuldbarer zu machen, wenn sie die von der Obrigkeit positiv bewertete Rolle des Unkundigen, des Laien einnahmen. Martin Küenle, der sich ebenso wie die Öttin zu seinem schwenckfeldischen Glauben bekannte, stellte sich dann auf die Frage, ob er zum Widerruf seines Glaubensirrtums bereit sei, als einfältiger Laie dar, der

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Simon-Muscheid, die ,Reden' und ,Schweigen' in Gerichtsverfahren untersucht hat, k o m m t zu dem Schluß, daß ,Schweigen' ein gängiges bewußt eingesetztes taktisches Mittel in frühneuzeitlichen Prozessen war. Unter ,Schweigen' scheint sie dabei weniger die totale Verweigerung verbaler Kommunikation zu verstehen, als vielmehr das ,Verschweigen' bestimmter prozeßrelevanter Sachverhalte, K. Simon-Muscheid, Reden und Schweigen vor Gericht. In Verhörssituationen verhielten sich Menschen auch im Z u s a m m e n h a n g mit nichtreligiösen Delikten, wie die Untersuchungen von Gleixner zeigen, dergestalt strategisch, daß sie die in sie gesetzten normativen Erwartungen erfüllten, um geringer bestraft zu werden, Recht zu bekommen oder um außergerichtlicher Vorteile willen, siehe U. Gleixner, „Das Mensch", S. 69-117. Durch Rückgriffe auf die kollektiv gespeicherten Bilder, Motive und Rollen, mit deren Hilfe die Verdächtigen ihre Aussagen gestalten, weisen Verhörquellen somit immer ein stark fiktionales Element auf. Simon-Muscheid sieht in der Quellengattung allerdings keine rein fiktive Erzählung, die von den Beteiligten konstruiert wird, sondern meint, daß textimmanent ein nachprüfbares Tatgeschehen, ein wahrer K e m , zu isolieren sei, die Texte also somit lediglich „semifiktional" seien, K. Simon-Muscheid, Täter, Opfer und Komplizinnen, S. 654, 666. Für schwenckfeldische Strategien der ,dissimulatio' ist das so in den meisten Fällen nicht zutreffend. Schwenckfelder konstruierten ihre Aussagen zwar, um Bestrafungen zu entgehen. Dem entsprach aber in den meisten Fällen keine z w e i t e , , w a h r e ' Erzählung, die es zu rekonstruieren gilt, sondern das ausweichend Behauptete war Teil ihrer Lebensrealität, siehe unten. Geschlechterrollen und somit die Geschlechterordnung selbst wurden im obrigkeitlichen Strafverfahren erst hergestellt, rollenkonformes Verhalten wurde dementsprechend belohnt, seihe U. Gleixner, „Das Mensch"; H. Wunder, „Weibliche Kriminalität", S. 42f., 55. Der Schreiber vermerkte resigniert, daß die Bekehrungsversuche der Pfarrer nicht vil oder gar nichts wollen verfahen Sonnder all Jr hanndlung vnnd beschluß dahin gelautet / das sie alls ain schlecht weibsbild mit Jnen den predicanten nicht disputieren könnd, Ulm, Stadtarchiv, A [8984/11], fol. 536 v .

346 den theologischen Gehalt seiner Religiosität nicht selbst beurteilen könne.515 Durch Herausstreichen seines unschuldigen Laienstatus versuchte der Memminger Zimmermann ebenfalls, weitere theologische Gespräche oder Widerlegungsversuche zu beenden.516 Eine andere Form des Ausweichens betrieben die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder, die eine Stellungnahme zu den gegen sie erhobenen Verdächtigungen zu vermeiden suchten, indem sie andere beschuldigten, sie entweder fälschlicherweise und aus unlauteren Motiven angezeigt zu haben oder dafür verantwortlich zu sein, daß ihr Verhalten als abweichend erschien. Michael Ludwig von Freyberg, der 1574 seinen schwenckfeldischen Pfarrer Friedrich gegenüber dem lutherischen Herzogtum Württemberg in Schutz zu nehmen suchte, führte an, Friedrichs Äußerungen von der Kanzel seien nicht dissidentisch, sondern allenfalls theologisch etwas grob. Daran seien die katholischen Vorgänger schuld, unter deren schlechtem Lebenswandel und falscher Lehre die Untertanen religiös verwahrlost seien. Die Beschuldigung gerade der katholischen Priester erschien von Freyberg offenbar als adäquate Taktik gegenüber dem lutherischen Württemberg.517 Auch der 1599 in Memmingen inhaftierte Jakob Zimmermann schob die Schuld auf andere. In einer minutiösen Schilderung der Vorgeschichte und Begleitumstände, die zu den vor allem von der kirchlichen Obrigkeit als sektisch eingestuften religiösen Einlassungen Zimmermanns geführt hatten, stellte er dar, wie er von seinen Nachbarn im Laden des Heinrich Schieß im Gesprächsverlauf zu öffentlichen religiösen Bekenntnissen genötigt worden sei, die er sonst nicht getan hätte. 518 Er berichtete, eines Tages mit seinem kleinen Kind auf dem Arm arglos in den Laden gegangen zu sein, in dem etliche Nachbarn in ein Gespräch vertieft gewesen seien, dessen Anfang und Ende er nicht gekannt habe. Als die Rede darauf kam, man solle den schwenckfeldischen Buchhändler Jakob Weiß aus der Stadt treiben, habe Zimmermann sich als Bürger zu seiner Verteidigung genötigt gesehen, obwohl er Weiß nicht weiter kenne (er machte dann allerdings eine Reihe von Angaben zu Weiß). Im weiteren Verlauf der Unterhaltung hätten die Nachbarn behauptet, er sei auch ein Anhänger von Weiß' Religion. Obwohl er nicht wisse, zu welchen Lehren sich der Buchhändler bekenne, sei er gezwungen gewesen, sein theologisches Verständnis darzulegen (es ging hier vor allem um Christologie und Abendmahlstheologie). Selbst als er schon gehen und sein junges Kind habe nach Hause tragen wollen, haben sy Jme wider nachgeschrihen vnd Jne außgelachet / vnd begert er soll Jnen antwurtt geben / was er

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Er sei ein einfeltiger lay vnd verhof er sei Jn kainem Jrtumb, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten 1598 d, 4.12.1598, zu Frage Nr. 25, fol. 3V. Was aber glaubens sachen belangen thüe / bitte er seine herren dienst: vnd höchlich / Sy wollen Jne bey demselben beruhen vnd bleiben laßen / dan er ein Lay seye, Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8b, Nr. 3, fol. 4V. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153, Bü 59, fol. 20. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8b, Nr. 3, fol. 2r-4r.

347 vom Sacrament halte,519 wozu er wieder habe Stellung nehmen müssen. Zimmermann versuchte also den Eindruck zu erwecken, daß er sich eigentlich vor anderen über seine religiöse Einstellung ungefragt gar nicht geäußert hätte. Die theologischen Aussagen selbst, die die Zeugen über ihn gemacht hatten, bestritt er nicht. Zimmermann unterstellte damit, daß die weltliche Obrigkeit lediglich an der Kontrolle der Öffentlichkeit interessiert war und seine religiöse Einstellung an sich für irrelevant befinden würde. Eine weitere Technik des Verschweigens war die Ablenkung auf Nebensächlichkeiten oder ganz andere, gar nicht angesprochene Themen, um von dem eigentlichen strafwürdigen Verhalten abzulenken. Philipp Ruprecht von Remchingen entschloß sich 1608 eine Zeit lang sogar dazu, ganz zu schweigen und die herzoglichen Briefe, die ihm eine abweichende Religiosität vorwarfen, nicht zu beantworten. 520 Als diese Strategie wegen des massiver werdenden herzoglichen Drucks nicht mehr erfolgversprechend war, verlegte sich der Reichsritter auf die Taktik des Verschweigens. In einem ersten Schreiben ging er hauptsächlich auf die weltlichen Streitpunkte, die lehnsrechtliche Konflikte und Auseinandersetzungen um Untertanenrechte betrafen, ein. Über seine eigene Religiosität verlor er kein Wort, fühlte sich aber genötigt, zu dem Vorwurf Stellung zu nehmen, er halte sein Gesinde vom Besuch des Gottesdienstes in der Pfarrkirche ab. Er wich der Frage nach einer dissidentischen Beeinflussung aus, in dem er behauptete, daß es aus verschiedenen nichtreligiösen Gründen gar nicht möglich sei, sein Dienstpersonal in der Kirche anzutreffen. Sein Gesinde betreffend hats dise bschaffenheitt / das leider meine gelegenheit dißmals so gutt / oder stattlich sich nicht befunden / das ich vil gsündt hette halten künden / wie sich dan auch Jn höchster warheitt keine megt nicht / son=dern allein einen knecht / so ain Franzoß wahr gehabt / der teitsche sprach so vil als nichts verstanden.321 Direkt im Anschluß an diese Aussage legte er dann aber offen dar, daß er sein Gesinde auch nicht zum Kirchgang gezwungen hätte, wenn er mehr Bediente gehabt hätte, denn die Obrigkeit dürfe kein Herrscher über ihren Glauben und ihr Gewissen sein. 3 " Damit hatte er gleichzeitig das Ansinnen des Herzogs, über seine eigene Religiosität richten zu dürfen, zurückgewiesen, ohne Johann Friedrich von Württemberg direkt zu kritisieren. Andererseits hatte er den Fall klar als hypothetisch markiert, die möglicherweise strafwürdigen Fakten des Fernhaltens von der Predigt aber bestritten, schließlich hatte er kein Personal, das dem Gottesdienst hätte beiwohnen können. Um den Vorwurf des Missionierens ging es auch 1598 bei dem Augsburger Schwenckfelder Martin Küenle. Er gab durchaus seinem schwenckfeldischen Glauben entsprechende offene Bekenntnisse ab, aber wie Philipp Ruprecht ver5,9 520 521 522

Memmingen, Stadtarchiv, A Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv,

344/8b, Nr. 3, fol. 3V. A 155, Bü 146, Nr. 1. A 155, Bü 146, Nr. 4, 14. 12.1608, fol. Γ . A 155, Bü 146, Nr. 4, 14. 12.1608, fol. Γ .

348 suchte er die Aspekte seines religiösen Lebens, in denen die weltliche Obrigkeit Konformität erwartete, durch Ablenken zu umgehen, um sich vor Verfolgung zu schützen. Als man ihm im Verhör u.a. unterstellte, daß er sein Gesinde und seine Familienmitglieder missioniere und vom Kirchenbesuch abhalte, antwortete er pauschal, daß seine Leute zum Teil in die lutherische, zum Teil in die katholische Kirche gingen, darunter auch seine Base.523 Durch die konkrete Benennung einer entfernteren Verwandten legte er nahe, daß er sich tatsächlich konkret auf seine Familie und Ehehalten bezog, ohne daß er das wirklich gesagt hatte. Seine Kinder und andere nähere Verwandte oder sein Gesinde erwähnte er nicht explizit. Sein Sohn David wie auch der schwenckfeldische Bruder des Mitgefangenen Putiphar Kneulin, der Arzt Tobias Kneulin, sowie die Ehefrau des David Altenstetter, Catharina, wählten in ihren Petitionen für die Freilassung ihrer Verwandten die gleiche Strategie des Ausweichens auf andere thematische Bereiche, um von der dissidentischen Religiosität der Inhaftierten abzulenken und die religiösen Abweichungen als weniger bedeutsam erscheinen zu lassen. Alle drei Petenten behaupteten, den Grund für die Inhaftierung ihrer Familienmitglieder nicht einmal erahnen zu können. Alle betonten ausfuhrlich die Konformität, die die drei Schwenckfelder in weltlichen Belangen gezeigt hätten: In den städtischen Unruhen im Zusammenhang mit dem Kalenderstreit und dem sich anschließenden Konflikt um die Ausweisung der protestantischen Pfarrer hätten sich die drei gehorsam erzeigt.524 Geschickt verlegten sie sich gerade auf den Aspekt, der die Augsburger Führung regelrecht traumatisiert hatte - die Herrschaftsgefährdung durch Aufstände der eigenen Bürger.525 Die Formulierungen der undatierten Supplikationen sind einander so ähnlich, daß die Vermutung nahe liegt, die schwenckfeldischen Familien der Festgenommenen hätten ihr Vorgehen und ihre Argumentation aufeinander abgestimmt.526 523

Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt, Urgichten 1598 d, 7.12.1598, fol. 2r. Die Schwenckfelder hatten sich aus den konfessionell und ökonomisch motivierten Unruhen wohl weitgehend herausgehalten oder auch hier den Mittelweg zwischen den katholischen und den protestantischen Positionen gesucht. Eine vermittelnde Stellung nahm beispielsweise der schwenckfeldische Ratsadvokat Dr. Georg Tradel ein, der sich für die Einführung des neuen Kalenders einsetzte und im Pfarrbesetzungsstreit ebenfalls zu vermitteln versuchte, was ihn zur Zielscheibe von Schmähschriften seitens der radikaleren Protestanten machte, siehe B. Roeck, Eine Stadt, Bd. 1, S. 136, 170; zu den Schmähungen siehe z.B. das Spottgedicht von 1584, Augsburg, Stadtarchiv, Personenselekte, Roth bis Zapf, Akten „Tradel". Von den dokumentierten Nachrichten über die Teilnehmer an den Unruhen läßt sich allerdings auch ein Sympathisant und Leser schwenckfeldischer Schriften namhaft machen, der sich nicht heraushielt. Der Glaser Sigmund Ost äußerte sogar öffentlich die Vermutung, die katholische Ratsmehrheit wolle den Konflikt zu einem „Staatsstreich" nutzen, was ihm eine Gefängnisstrafe eintrug, siehe B. Roeck, Eine Stadt, Bd. 1, S. 128. 525 Siehe Kap. 5.4.2.2. 526 Catharina Altenstetter schrieb, ihr Mann habe sich auch Jnn fürgeloffnen Jnnerlichen auffstend aller Bürgerlichen schuldigem vnnd gehorsamenn pflichten / gegen seiner geliebten Obrigkhait / wie auch Sunst allenthalben Erzaigt. Tobias Kneulin betonte ebenfalls, daß sein Bruder sich die zeit seiner burgerrecht / Jn weltlichen vnd geistlichen Sachen / gegen 524

349 Gerade in der Zeit bis zum Ende des 16. Jahrhunderts bestritten Schwenckfelder die ihnen gemachten Vorwürfe, ohne aus ihrer Sicht die Unwahrheit zu sagen. Sie logen also nicht, sondern wiesen die in den Fragen der Verhörer gemachten Zuordnungen zurück. Sie bekannten sich einerseits zu ihrem Glauben, zu ihrem Abendmahlsverständnis oder zur Ablehnung der Kreatürlichkeit der Menschennatur Christi, andererseits widersprachen sie entschieden dem Vorwurf, ,Schwenckfelder' oder allgemein ,sektisch' zu sein bzw. eine besondere, andere Kirche gründen zu wollen527 oder auch nur religiöse Versammlungen abzuhalten, die heimlich und damit nicht zulässig waren. Gerade das Leugnen der Schwenckfelder, Konventikel einzuberufen oder ihnen beizuwohnen, stellt ein besonders gutes Beispiel dafür dar, wie ,bekennen' und ,verbergen' in der Verteidigungsstrategie der Schwenckfelder zusammenwirkten. Die Augsburger Schwenckfelder bestritten die Beteiligung an religiösen Versammlungen sowohl 1553/54 also auch zehn Jahre später, und selbst zwei Jahre vor der Jahrhundertwende änderte sich daran nichts. In den Fragstücken zum ersten Verhör der drei inhaftierten Schwenckfelder 1553 drehten sich die meisten der vorzulegenden Fragen ausschließlich um verbotene Versammlungen und Kontakte. Es wurde zunächst ein Zusammenhang hergestellt zwischen den Zusammentreffen, die man den drei Männern unterstellte, und den auf Reichsebene bei ernstlicher straff verbotenen Rottungen und heimlichen Versammlungen. Dann wurden die Festgenommenen eingehend nach Teilnehmern und Inhalten dieser gefährlichen sektischen Konventikel befragt. 328 Marquardt, Hieber und Unsinn bestritten vehement, an solchen Treffen teilgenommen oder sie gar veranstaltet zu haben und betonten, niemals dabei gewesen zu sein, wenn solche Rottierungen stattgefunden hätten. Sie leugneten hier nicht allein, um Verfolgungen zu entgehen, sondern sie wiesen die Kategorisierung ihrer Religiosität als ,sektisch' und die Zuordnung ihrer religiösen Gespräche als heimliche, verbotene Konventikel zurück. Unsinn erklärte den für ihn so einfachen Sachverhalt: Da er kein Sektierer sei, könne er auch nicht an sektischen Versammlungen beteiligt gewesen sein.529 Gleichzeitig bekannte er sich aber offen dazu, die schwenckfeldische Lehre für sich selbst und ohne jemanden dazu bekehren zu

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die Löblichen Oberkeit / auch sonderliche Jn dem leydigen aufflauff / aller schuldigen Pflicht vnd gehorsams beflissen. Auch David Küenle stellte den Gehorsam in weltlichen Dingen ins Zentrum seiner Supplikation. Sein Vater habe sich yederzeit gegen einer Loblichen Obrig=keit diser Statt / vermög gelaister Bürgerlicher pflicht / vnder=thenig vnd gehorsam/ auch verschiener Jaren / in dem entstandnen aufflauff bei vnd für Ehrnbemeldte Obrig=keit gehalten, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt, Urgichten, 1598 d. Beispiele hierzu und die Bedeutung für das Selbstverständnis als Gruppe siehe Kap. 4.4.5. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 1, 19.9.1553. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 1, 19.9.1553, 1. Urgicht von Unsinn, Antwort zu Frage 2.

350 wollen, als wahr anzusehen.530 Als er zu dem nur leicht geänderten zweiten Fragenkatalog gehört wurde, änderte er seine Aussagen nicht, gestand aber nun zu, gelegentlich mit anderen Augsburgern gemeinsam schwenckfeldische Bücher gelesen zu haben, die er aus beruflichen Gründen, d.h. um ihnen zu schneidern, aufgesucht hatte.531 Derlei Unterredungen meinte er offenbar zugeben zu können, sie fielen für ihn keinesfalls unter die verbotenen Konventikel. Leonhard Hieber bestritt ebenfalls, von geheimen religiösen Dissidententreffen auch nur etwas gehört zu haben.532 Anders als Unsinn versuchte er die Kontakte zu seinen Glaubensgenossen aber nicht dissimulierend als hauptsächlich beruflicher Natur hinzustellen. Er beschrieb relativ offen die schwenckfeldische Art religiösen Gemeinschaftslebens, die eben mit der obrigkeitlich beschriebenen Kategorisierung häretischer Konventikel seines Erachtens nichts zu tun hatte. Er habe sich mit Unsinn und anderen getroffen, um in der Bibel und in schwenckfeldischen Büchern zu lesen oder beim Spaziergang über theologische Inhalte zu diskutieren.533 Hieber verfiel auf die Strategie, freiwillig genau das zu bekennen, von dem anzunehmen war, daß die Obrigkeit es über Hausdurchsuchungen und Zeugenbefragungen ohnehin ermitteln würde. So machte er einen Tag nach seinem ersten dissimulierend-zurückhaltenden Bekenntnis freiwillig eine ergänzende Aussage, da Jme seidther eingefallen, daß er noch weitere Briefwechsel mit Schwenckfeldern geführt habe (deren Antwortschreiben er zu Hause hatte) und auch der Spittelschmied Asam schwenckfeldische Bücher lese (die hatte er selbst an ihn verliehen).534 Indem er bekannte, was ohnehin recherchiert werden würde, machte er seine anderen Aussagen, die das volle Ausmaß seines dissidentischen Engagements zu verbergen trachteten, glaubwürdiger. Selbst das Bekenntnis wurde hier also zur Dissimulation genutzt. Als Gespräche - im Haus oder während eines Spaziergangs - mit guten Freunden, bei denen es neben der Religion auch um andere Dinge gegangen sei, bezeichnete der Uhrmacher Marquardt seine schwenckfeldischen Zusammenkünfte. Zudem leugnete er, etwas von Konventikeln im von der Obrigkeit unterstellten Sinn zu wissen.535 530

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Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 1, 19.9.1553, zu Frage 10. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 2 (2. Urgicht von Unsinn). Er wisse ainmal von khainer versamlung nit zesagen / die deß glaubens Sachen halben Jemals gehalten worden, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, SchwenckfelderSelekt, Akten Hieber, Nr. 13(1. Urgicht von Hieber), zu Frage 8. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 13 (1. Urgicht von Hieber), zu Frage 6. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, 20.9.1553, Nr. 14. Er hab khain ver=samblung / oder rotterej gehabt Jn seinem hauß / noch zu andern samblungen ganngen. Änderst / dann wie gute freund / zusamen khomen / Α Ida man ettwo vom khrieg / ettwan von Glauben / vnd andern dingen / wie es dj zeit geben / geredt. Im An-

351 Zehn Jahre später handelte der Schneider Sixt Schilling nicht wesentlich anders. Da er vornehmlich inhaftiert worden war, weil man herausgefunden hatte, daß er in das illegale Drucken schwenckfeldischer Bücher als Auftraggeber bzw. Mittelsmann verwickelt war, befragte man ihn zunächst vor allem nach dem schwenckfeldischen Netzwerk der Bücherverbreitung. In den beiden Verhören wurden aber auch Fragen nach seinen Glaubensgenossen und ihren geheimen dissidentischen Versammlungen gestellt.536 Schilling nannte zwar ohne zu zögern einige seiner Glaubensgenossen, behauptete aber, daß sie die von ihm und anderen verteilten schwenckfeldischen Bücher hauptsächlich für sich selbst lesen würden, bei einer Versammlung sei er dagegen nie gewesen.537 Am Ende des Jahrhunderts ging es der Obrigkeit neben der konfessionellen Zuordnung vor allem um die verdächtigen in privaten Gärten von Zeugen beobachteten Treffen von Personen, die nicht regelmäßig die offiziellen Gottesdienste besuchten. Die heimlichen Konventikel regten die obrigkeitlichen Verhörer zu weitreichenden Fantasien darüber an, was in den sektischen Sondertreffen passierte. Man fragte nach besonderen Zeremonien, Predigten und Lesungen sowie nach Halbjahrestreffen außerhalb der Stadt, in denen von Bäumen herab gepredigt werde.538 Die 1598 inhaftierten Altenstetter, Küenle und Kneulin standen unterschiedlich offen zu ihrer schwenckfeldischen Religiosität. Während Küenle meinte bekennen zu können, das Jm die Schwenckfeidisch lehr am besten gefallen, wich Altenstetter einer klaren Zuordnung aus, indem er behauptete, er sej biß hero der Religion halben frei gewesen vnd hab sich weder zu der ainen noch andern Religion allerdings bekent, und Kneulin berief sich sogar darauf, lutherisch zu sein.539 Allen gemeinsam war jedoch, daß sie die unterstellten Geheimversammlungen zurückwiesen und ihre Zusammenkünfte als eindeutig nicht religiös charakterisierten. Dies geschah sicher in dissimulierender Absicht, denn es fällt auf, daß alle drei ganz unterschiedliche Anlässe für dieselben Treffen angaben.540

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schluß daran zählte er dann offen die schwenckfeldischen Freundinnen und Freunde auf, mit denen er sich theologisch und anderweitig unterhalten hatte, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Marquardt, Nr. 1(1. Urgicht von Marquardt), zu Frage 4. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt, Urgichten, 1563 b, Fragstücke zu den Verhören vom 11.8. und 13.8.1563. Diese Verhöre beschäftigten sich eingehender mit Schillings Schwenckfeldertum. Im Juli ging es zunächst um den Ehebruch, den er mit einer Glaubensgenossin begangen hatte. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1563 b, 3. Urgicht vom 13.8.1563, zu Frage 11, 12.

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Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt, Urgichten, 1598 d, Fragstücke zum 1. Verhör 4.12.1598. Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt, Urgichten, 1598 d, 1. Verhör 4.12.1598. Altenstetter behauptete zunächst, der Anlaß der Treffen mit dem schwenckfeldischen Notar Spreng und den anderen Gefangenen in seinem Garten sei allein die Aufrichtung eines Testamtents gewesen, dann gab er an, man habe auch zusammen gespielt und gezecht. Kneulin führte dagegen als Zweck des Zusammenkommens mit Altenstetter berufliche Gründe an und behauptete, er habe als Glaser für ihn gearbeitet. Küenle nannte auch Sprengs Testa-

352 Die hier untersuchten Augsburger Schwenckfelder leugneten demnach nicht, schwenckfeldische Bücher zu lesen oder die schwenckfeldische Lehre für wahr und besser als die anderen religiösen Angebote zu halten. Sie verwahrten sich aber gegen die über Konventikel und Rituale unterstellte Klassifikation als Sektenmitglieder, als Angehörige einer abgesonderten, ausgegrenzten Gruppe. Sie bekannten sich zu Christologie und Abendmahlslehre sowie zu schwenckfeldischer Lektüre, also zu den Kernpunkten ihres Glaubens. Bei den eher nebensächlichen Aspekten, die aber gerade für die weltliche Obrigkeit von größter Bedeutung waren, konnten sie Zugeständnisse machen.541 Korrespondierten die schwenckfeldischen Adiaphora nicht mit den geforderten obrigkeitlichen Mindeststandards für die gebotene Anpassung, verlegten sich die Schwenckfelder auf andere Handlungsstrategien, auf verschiedene Techniken des Verbergens, um Sanktionen zu entgehen. Gerade die Betonung weltlichen Gehorsams - wie hier anhand des Verhaltens während des Augsburger Kalenderstreits dargestellt - und das Bestreiten, irgendetwas mit konspirativen Versammlungen zu tun zu haben, zeigt, daß die Schwenckfelder sehr wohl um die geforderten Maßstäbe für die Demonstration der Konformität wußten. Doch benötigten sie für ihre komplexe Verhaltensstrategie im Umgang mit der andersgläubigen Obrigkeit keine ausformulierte Theorie des Dissmulierens. Ihre Techniken korrespondierten hervorragend mit den dualistischen Anschauungen, die ihre Theologie durchzogen. Danach war das Wesentliche unsichtbar, im Innern des Menschen, in seinem Herzen verborgen. Hier handelte Gott, hier spielten sich die entscheidenden, ohnehin nur unzureichend kommunizierbaren Vorgänge ab.542 Das äußere Bekenntnis war demgegenüber zweitrangig. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in einer Phase mit geringer Verfolgungsintensität führte dies Daniel Friedrich in einem Brief dem Nürnberger Glaubensgenossen Johann Jakob Janin vor Augen. Janin hatte Friedrich gefragt, warum es zum gegenwärtigen Zeitpunkt so wenig Märtyrer für den wahren Glauben gäbe. Friedrich erläuterte, daß es darauf nicht ankäme. Märtyrertum sei kein Zeugnis des Glaubens, sondern es komme allein auf den rechten Glauben im Innern des Menschen an.543 Die schwenckfeldische (Über-)Lebenstechnik ist daher nur unzureichend mit „Ways of Lying" (Zagorin) beschrieben. Auch die von Ossa gegebene Beschreibung von „Lüge" und „Täuschung" ist nicht differenziert genug, das Verhalten der Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder genau zu beschreiben. Ossa meint,

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ment als Grund für eine Begegnung in Altenstetters Garten, daneben sei er wegen des Weitertransports eines Briefes zu Altenstetter gegangen, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt, Urgichten, 1598 d, 1. Verhör 4.12.1598. Diese Strategie der Zugeständnisse bei den Adiaphora und die Kompromißlosigkeit bei den entscheidenden Punkten des Glaubens praktizierten die Nürnberger Schwenckfelder auch noch in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Sie wollten die Predigt, aber nicht das Abendmahl besuchen, siehe R. van Dülmen, Schwärmer, S. 129. Siehe Kap. 3. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, 16.4.1608, fol. 38r-48r.

353 bei Lüge und Täuschung gehe es darum, jemanden etwas glauben zu machen, das man selbst für falsch hält. Es komme entscheidend auf das Fürwahrhalten des Lügners und auf seine Einschätzung des Fürwahrhaltens der belogenen Person an.544 Schwenckfelder logen selten in dem Sinne, daß sie bewußt etwas nicht Wahres erzählten, gleichzeitig wußten sie aber genau, was ihr Gegenüber, die weltliche Obrigkeit, für wahr und zentral wichtig halten würde, und versuchten diese Stellen zu umgehen, ohne direkt ihren Glauben zu verleugnen. Um Wahrhaftigkeit zum Kriterium der Verhaltenskategorisierung als ,Lüge' machen zu können, müssen Lügner und Belogener dieselben Begriffe benutzen und dasselbe damit bezeichnen. Das war hier gerade nicht der Fall. Für die kirchliche und weltliche Obrigkeit in den hier untersuchten Orten begann der lutherische Konfessionalisierungsprozeß u.a. damit, Abgrenzungen vorzunehmen, nichtlutherische Protestanten an den Rand zu drängen und auszugrenzen. Der Vorgang der Kanonisierung war für sie spätestens mit der Konkordienformel abgeschlossen. Schwenckfelder waren aus der nun auf ein Bekenntnis enggeführten protestantischen Bewegung ausgegrenzt und wurden verfolgt mit dem Ziel, sie zumindest als nach außen erkennbare Abweichler zu beseitigen. Die potentiellen Opfer reagierten auf diesen Prozeß, indem sie sich diesem neuen konfessionellen Diskurs verweigerten. Sie lehnten die Existenz der Bezeichnung (im Falle des Labels ,Schwenckfelder') und auch das Bezeichnete (ihre Religiosität als abgrenzbare häretische Gruppe) ab. Indem sie sich weigerten, ihr Gemeinschaftsleben als strafwürdiges Zusammenkommen in häretisch-aufrührerischen Konventikeln kategorisieren zu lassen, versuchten sie verändernd auf den Diskurs einzuwirken. Ebenso lehnten sie zumeist die Bezeichnung ,schwenckfeldisch' oder ,sektisch' ab mit der Begründung, keine Sonderkirche gegründet zu haben." 4 ' Sie setzten somit dem Versuch Widerstand entgegen, ihr religiöses Leben definierend einzugrenzen, um es aus der protestantischen Bewegung ausgrenzen zu können. Das war insgesamt wenig erfolgreich; sie konnten ihre begrifflichen Umdeutungen letztendlich nicht durchsetzen. Das Handeln gegen den durch Macht erzeugten Diskurs346 führte hier nicht mehr zu Veränderungen. 347 Doch das Bestreiten der Gültigkeit der obrigkeitlich definierten Begriffe für ihr Handeln führte zur Entwicklung der flexiblen Widerstandsstrategie der ,dissimulatio'. Als individuelle Akteure konnten sie durch die abweichende Besetzung von Begriffen und die Umdeutung von den dahinterliegenden Intentionen ihren Glauben weitgehend unbehelligt leben.

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M. Ossa, Lügen, S. 10. Siehe auch Kap. 4. Zum Diskurs als machtgeladen siehe M. Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S. 7-12. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen eines letztlich erfolglosen Widerstandes gegen die (Re-)Organisation des Diskurses während der lutherischen Konfessionalisierung in Württemberg und Hessen kommt Haag in seiner Analyse des Handelns von Landgraf Wilhelm IV. von Hessen, N. Haag, Zum Verhältnis von Religion und Politik, S. 194-196.

354 Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder entwickelten dabei zumeist nur individuell gültige Strategien. Es gab zwar briefliche ad-hoc Ratschläge, das Verhalten war aber in der Praxis sehr unterschiedlich, auch wenn man sich meistens daran hielt, keine Zugeständnisse im Zentralbereich schwenckfeldischen Glaubens zu machen. Protagonisten wie Schwenckfeld, Johann Martt und Daniel Friedrich gaben sehr unterschiedliche Verhaltensmaßgaben an ihre Glaubensgenossen, die ihre eigenen ungleichen Erfahrungen mit Verfolgung und Ausgrenzung dokumentierten. Während Schwenckfeld je nach sozialer Situation und Verfolgungsdruck zu mehr oder weniger Anpassung und Bekennermut riet, betonte der dauerexilierte und auch sozial isolierte Martt die Notwendigkeit der Verfolgung als Beweis für die Richtigkeit des Glaubens, ein Zusammenhang, den der nur gelegentlich mit harmloseren Sanktionen belegte Friedrich strikt ablehnte.

5.6.4 Gemäßigte und Radikale Dissimulieren als schwenckfeldische Lebenspraxis schuf wie gesehen eine Fülle von Handlungsmöglichkeiten, die hier noch einmal in ihren Extremen dargestellt werden soll, um der Frage nachzugehen, ob es im Verhalten der Schwenckfelder gegenüber der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit Veränderungen gab bzw. welche Auswirkungen die Unterschiede in den Verhaltensstrategien auf die Gruppenstruktur und das Zusammengehörigkeitsgefühl des süddeutschen Netzwerks hatten. Sibilla Eiselin, die im Netzwerk der Augsburger Oberschicht fest verankerte Kaufmannswitwe, hatte besonders während der Verfahren gegen ihre drei Glaubensgenossen in den fünfziger Jahren ständig Angst vor obrigkeitlicher Verfolgung, die sie in den Briefen an Schwenckfeld immer wieder thematisierte. Das wichtigste Ziel ihres Handelns in diesem Zusammenhang war es, obrigkeitliche Befragungen und Sanktionen zu vermeiden. Ihre Kompromißbereitschaft ging daher so weit, daß sie bereit war, sogar die katholische Interimsmesse zu besuchen und damit Kernbereiche des schwenckfeldischen Glaubens aufzugeben.548 Das kritisierte Schwenckfeld zwar, aber er reagierte ansonsten verständnisvoll ihrer Lage und ihren Sorgen angemessen. Keinem anderen Glaubensgenossen hatte er so sehr zu dissimulierender Vorsicht und zu den verschiedensten Taktiken der Verschleierung geraten wie ihr. Er betonte vor allem, daß man sich wegen des Bekenntnisses zu seiner Lehre keineswegs aus der Stadt treiben lassen solle, nicht einmal wegen des Abendmahls. Obwohl er gleichzeitig deutlich davon abriet, das Abendmahl zu besuchen und die Teilnahme für sehr gefährlich hielt,549 nahm er ihr so die Sorge, daß sie in diesem Punkt zum Märtyrertum gezwungen sein sollte, während er anderen Glaubensgenossen wie Unsinn oder Neff zu mehr Beken-

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C.S. 11, S. 666. C.S. 9, S. 322.

355 nermut riet. 550 Selbst bei der Verteilung schwenckfeldischer Schriften, für die sie verantwortlich war, bestärkte er sie in ihrer Vorsicht, um ihren Ängsten zu begegnen: Sie müsse j a nicht jedesmal eine Predigt halten, wenn sie ein schwenckfeldisches Buch ausgebe. 551 Ihre Strategie der Zurückhaltung ging auf, obwohl sie von anderen Schwenckfeldern mehrfach in Verhören als Glaubensgenossin genannt wurde, lud man sie nur ein einziges Mal vor und ließ sie gegen ein vages Gehorsamsversprechen wieder gehen. 552 Ganz anders agierte dagegen Johann Martt, der aus dem schweizerischen Altstätten geflohene, bei Ulm lebende ehemalige katholische Priester. Er hatte durch die beständigen Verfolgungen und seine nichtstandesmäßige Eheschließung, die sogar unter Schwenckfeldern kritisiert wurde, sein vertrautes soziales Umfeld eingebüßt. Für ihn war das Bekenntnis zum Glauben ohne jede Einschränkung gerade wegen des damit verbundenen Leidens heilsnotwendig. 533 Er kritisierte scharf jede Kompromißbereitschaft auch auf dem Gebiet der Adiaphora:" 4 Weder dürfte man seine Kinder zur Taufe tragen noch an der protestantischen Predigt teilnehmen. 555 Er verurteilte auch konkret die Personen, die das taten und nannte sie Libertiner,356 Das führte allerdings nie dazu, daß er den Kontakt zu ihnen einschränkte oder aufgab oder sie nicht mehr als seine Glaubensgeschwister ansah. Mit der stets ihre Religiosität verbergenden Sibilla Eiselin korrespondierte er beispielsweise überaus respektvoll. 557 Gall Keel, der Schweizer Landsmann, der sich bei Verhören in Altstätten strategisch und seine wahre Auffassung verschleiernd verhalten hatte, um der Ausweisung zu entgehen, war einer seiner engsten Vertrauten. 558 Martt hatte auch engen Kontakt zu Friedrich, den er wegen seiner toleranteren Haltung zwar häufig kritisierte, mit dem er aber dennoch gemeinsam Gebetstreffen veranstaltete. Friedrich lebte persönlich in vielen Aspekten ähnlich radikal wie Martt 559 und war nicht einmal bereit, einen Eid zu leisten, weswegen ihm das

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Siehe oben. C.S. 11, S. 506. Siehe Kap. 4.2.2. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 74 v -76 r ; 78. Allerdings riet auch er seiner von der Ausweisung bedrohten Frau zu dissimulierendem Verhalten, um das Verfahren so lange in die Länge zu ziehen, bis eine gemeinsame Zufluchtsstätte organisiert war, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 24 v , 25 r . Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 18v, 44 v . Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 44 v , 48 v . Ebenda, 92v, 97r-99v; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.Guelf. 36.2 Aug.2°, fol. 426-439. Zu den Verhören in der Schweiz siehe A. Vetter, Chronik von Altstätten, S. 151-155. Er war allerdings vorsichtiger, wenn es um gravierende persönliche Einschnitte ging. Wie oben gezeigt, entging er Entlassung oder gar Ausweisung, indem er der Anordnung seines Junkers nachkam und die Säuglingstaufe praktizierte. Gleichzeitig versuchte er sie aber durch ein abweichendes Ritual wieder zu entwerten.

356 Straßburger Bürgerrecht verwehrt blieb.560 Er erwartete und verlangte aber im Gegensatz zu Martt nicht, daß andere Schwenckfelder seine strikten Auffassungen teilten. Jedoch riet er allen, sich von der äußerlich sichtbaren, offiziellen protestantischen Kirche fernzuhalten. Wie die meisten der Nürnberger Schwenckfelder wollte er mit einer Kirche, die sich nach seiner Ansicht nicht um die Früchte des Glaubens kümmerte, nichts zu tun haben.561 Gleichzeitig war er aber der Auffassung, daß man sich nicht leichtfertig verdächtig machen sollte, um nicht mit den Täufern verwechselt zu werden, die zwar litten, aber für den falschen Glauben. Friedrich grenzte sich also weniger auf dem Gebiet der Säuglingstaufe als vielmehr durch die Vermeidung der von den meisten Täufern propagierten und gelebten Märtyrerhaltung von den ,sektischen' Taufbrüdern ab.562 1606 fragte die schwenckfeldische Gemeinde in Danzig Friedrich um Rat, weil die dortige Gruppe verschiedene Auffassungen zu Eid, Waffentragen und der Bekleidung obrigkeitlicher Ämter praktizierte. Friedrich sah keine Gefahr und berichtete, daß in Straßburg hierzu ebenfalls verschiedene Ansichten bestünden und gelebt würden. Er referierte die Gründe sowohl der radikaleren Schwenckfelder, die wie er selbst Eid und Krieg ablehnten, als auch der kompromißbereiteren Glaubensgenossen, die Eid, Waffendienst und die Beteiligung an obrigkeitlichen Aufgaben als christlich ansahen, und äußerte für beide Seiten Verständnis.563 Diese gleichzeitige Praxis verschiedener Glaubens- und Lebensstrategien im Umgang mit drohender obrigkeitlicher Sanktionierung dokumentiert, daß es keine allgemeine Radikalisierung des Schwenckfeldertums im 17. Jahrhundert gab.564 Auch lassen sich keine voneinander getrennten Entwicklungswege nach Schwenckfelds Tod beobachten, keine Aufspaltung der religiösen Bewegung in ,Gemäßigte' und ,Radikale'.565 Die schwenckfeldische ,dissimulatio' ließ Raum für unterschiedliche Haltungen zu obrigkeitlicher Verfolgung. Während manche nur wenige Aspekte ihres Glaubens verbargen, paßten sich andere den obrigkeitlichen Erwartungen so stark an, daß sie gar nicht mehr als Schwenckfelder auffielen. Das Verborgene als geteiltes Geheimnis wurde bei den Schwenckfeldern schon wegen der unterschiedlichen Praktiken der einzelnen Anhänger nicht zum

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Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, 13. Brief an die Gutherzigen in Danzig, 30.7.1606, fol. 65 r . E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 54f. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, 11. Sendbrief, 16.4.1608, 41 v -43 r . Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, 13. Sendbrief, 30.7.1606, fol. 64 v -67 r . Diese These stellte Husser gerade für Straßburg auf. Er sah Friedrich und Sudermann als Protagonisten des radikalen Schwenckfeldertums an, D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 99f. Eine solche Klassifizierung nimmt Mielke vor, er macht sogar noch eine dritte Fraktion aus, die stärker zu alchimistischen und kabbalistischen Kreisen Kontakt gehabt habe, allgemein aber zu den „Liberalen" zu zählen sei, H.-P. Mielke, Von Schwenkfeld zum Rosenkreuz, S. 10.

357 zentralen Merkmal ihrer Religiosität566 und konstituierte auch nicht als geteiltes geheimes Wissen die Gruppe.567 Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder lebten trotz aller Kritik, die sie untereinander äußerten, im überregionalen Netzwerk und sogar in derselben Ortsgemeinde zusammen. Schwenckfelder, die sich im 17. Jahrhundert, als es schon eine sich verfestigende schwenckfeldische Tradition und Geschichte gab, radikaler absonderten und selbst in den Bereichen nicht mehr zu Zugeständnissen bereit waren, die Schwenckfeld gar nicht als glaubensrelevant angesehen hatte, sprachen ihren Brüdern und Schwestern, die kompromißbereiter waren und eher in der Welt lebten, niemals die Zugehörigkeit zu den Liebhabern Christi ab. Radikale und Gemäßigte gehörten weiterhin zusammen. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt Oyer in seiner Untersuchung der württembergischen Täufer. Auch sie, bei denen die Verhaltensgegensätze noch stärker aufeinanderprallten und für die das Märtyrertum eine noch größere Rolle spielte, lebten friedlich in einer Gemeinde zusammen. ,Nikodemiten' und unerschrockene Bekenner besuchten einträchtig dieselben täuferischen Konventikel. 568 Dissimulierende Handlungsstrategien schotteten also weder die schwenckfeldische Gemeinschaft von ihrer Umwelt ab, noch spalteten die flexiblen Techniken das Netzwerk. Sie ermöglichten verschiedene Verhaltensweisen, die individuell an die jeweilige Lebenssituation und den obrigkeitlichen Druck angepaßt genutzt werden konnten, ohne daß man seinen Glauben aufgab oder von den schwenckfeldischen Brüdern und Schwestern als nicht mehr zugehörig angesehen wurde. Die süddeutschen Schwenckfelder widerstanden dem konfessionell enggefuhrten, kanonisierten Glaubensleben nicht auf spektakuläre Weise, sondern in vorsichtiger Distanzierung. Indem sie die Punkte selbst auswählten, in denen sie sich den obrigkeitlich geforderten Mindeststandards der Konformität anpaßten (oder nicht), entwickelten sie „Eigen-Sinn". 569

Ergebnisse Die Veränderung der Perspektive auf die Ausgrenzung im Rahmen der Konfessionalisierung, die den Prozeßcharakter in den Vordergrund stellt, hat gezeigt, wie 566

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Fauth/Müller vertreten die Ansicht, daß bei allen „Kryptoheterodoxen", worunter sie auch die Schwenckfelder subsumieren, das Verborgene zum Programm wurde: „Nur der Verzicht auf möglichst alles ,Normale' sollte Eingeweihten zu dieser Form der Frömmigkeit Zugang verschaffen." D. Fauth/D. Müller, Phänomene religiöser Devianz, S. 133. A. Hahn, Soziologische Aspekte von Geheimnissen, S. 27. Oyer, Nicodemites, S. 514. U. Rublack, Frühneuzeitliche Staatlichkeit, S. 150. Lüdtke sieht ebenfalls eine dritte Dimension von Handeln jenseits der Dichotomie Herrschaft - Widerstand, die die Herrschaft unterlief ohne sie generell in Frage zu stellen und sich damit der zweiwertigen Sichtweise von Gehorsam oder Widerstand als Reaktion auf Herrschaft entzieht, A. Lüdtke, Einleitung: Herrschaft als soziale Praxis, S. 50f.

358 sich in Süddeutschland ganz allmählich feste religiöse Trennlinien herausbildeten, die beide Seiten erst entstehen ließen: das lutherische Bekenntnis als einzige erlaubte Variante des Protestantismus in den oberdeutschen Reichsstädten und das Schwenckfeldertum als eine dissidentische religiöse Gemeinschaft. Die gängigen Kategorisierungen des Schwenckfeldertums als ,deviant' oder ,radikal' verstellen den Blick auf die Entwicklung, deren Ergebnis nicht von vorneherein gegeben war. Mindestens bis zum Augsburger Religionsfrieden waren die Schwenckfelder eine Glaubensrichtung neben anderen inmitten der Reformation. Erst im Rahmen der Lutheranisierung der reformiert-oberdeutsch geprägten süddeutschen Städte sahen sich kirchliche und weltliche Obrigkeit genötigt, eine Grenze zu ziehen und zu definieren, welche religiösen Bekenntnis- und Lebensformen erlaubt und welche strafrechtlich sanktioniert werden sollten. Dieser Vorgang führte auf beiden Seiten zur ,Selbst-Bewußtwerdung', denn auch die Schwenckfelder wurden durch die einsetzende Verfolgung gezwungen darüber nachzudenken, was die unaufgebbaren Praktiken ihres Glaubenslebens waren.570 Die Grenzen, die dieser Prozeß schuf, waren aber keineswegs undurchlässig, sondern ermöglichten beiden Seiten Handlungsspielräume im Umgang miteinander. Die weltliche Obrigkeit Schloß sich zunächst nur vordergründig aus außenpolitischen Notwendigkeiten der lutherischen konfessionellen Partei an, was unmittelbar kaum Konsequenzen für die nichtlutherischen Bürger hatte, und erzwang auch später selten die gewaltsame Unterwerfung der Dissidenten, noch war sie an der Veränderung der inneren Überzeugung der Schwenckfelder interessiert. Sie verlangte vielmehr die Änderung bestimmter religiöser Handlungen und verbaler Zuordnungen, die für sie symbolisch die Zugehörigkeit zum Luthertum konstituierten.571 Die Schwenckfelder auf der anderen Seite entwickelten in der Auseinandersetzung mit diesen Konformitätsforderungen keinen festen theologisch-rituellen Kanon, sondern die flexible Handlungsstrategie des ,Dissimulierens', die es ihnen ermöglichte, auf Veränderungen in den obrigkeitlichen Konformitätserwartungen einzugehen. Mit dem Dissimulieren gelang es zwar nicht mehr, die Stigmatisierung rückgängig zu machen, aber es machte als individuell angepaßte (Über-)Lebenstechnik die schwenckfeldische Religionsausübung weiterhin möglich - in der Regel ohne dafür bestraft oder auch nur sozial ausgegrenzt zu wer-

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Hahn nennt den Vorgang der Ausschließung im Rahmen der Kanonbildung „doppelte Selbstidentifikation", da sich zwei verschiedene Gruppen etablieren mit verschiedenen konkurrierenden Normsystemen. Beiden Seiten, den Auschließern wie den Ausgeschlossenen, dient der Prozeß der Ausgrenzung zur Selbstidentifikation, A . Hahn, Kanonisierungsstile, S. 31 f. Dies betraf wohl nicht nur die hier untersuchten süddeutschen Führungsschichten. In ihrer Arbeit über die Gegenreformation in der Steiermark kommt Regina Pörtner zu dem Ergebnis, daß man zwar an der Bekehrung der Eliten interessiert war, bei der Mehrheit des Volkes hingegen gab man sich mit äußerlicher Konformität zufrieden, „manifested by the performance of a prescribed minimum of obligatory religious acts", R. Pörtner, CounterReformation, S. 8.

359 den. Gerade solche Schwenckfelder, die sozial viel zu verlieren hatten, die Angehörigen der städtischen Oberschichten und die Reichsritter, bevorzugten die Techniken des Verschleierns. Die genaue Untersuchung des Ausgrenzungsprozesses hat auch gezeigt, daß kirchliche und weltliche Obrigkeit bei der Aufspürung und Beseitigung von Dissidenten zwar zusammenwirkten, aber durchaus unterschiedliche Ziele verfolgten. Das Ringen um Entscheidungskompetenzen, um die Machtaufteilung zwischen Kirche und Staat im Kampf gegen religiös nicht konformes Verhalten war noch nicht entschieden. Der kirchlichen Seite war zumindest noch im 16. Jahrhundert daran gelegen, die Schwenckfelder zu bekehren, auf ihr Gewissen, ihr Inneres einzuwirken. So wiesen sie die weltliche Obrigkeit darauf hin, wenn innen und außen nicht übereinstimmten, wenn Schwenckfelder also ihren wahren Glauben zu verbergen suchten. Auch im obrigkeitlich kontrollierten und dominierten Visitationswesen im lutherischen Württemberg fiel auf, daß die kirchliche Seite sich eigene Handlungsoptionen bewahrte. Man entschied zunächst intern, welche der ermittelten Informationen über nicht konformes Verhalten man an die herzoglichen Behörden weitergeben wollte. Die weltliche Obrigkeit im lutherischen Ulm wollte dagegen oftmals nicht einmal die Bekehrung ganz in kirchliche Hände legen. So von ihrer Aufgabe der Seelsorge und Reinerhaltung der Gemeinde ausgegrenzt und im Machtkampf unterlegen, entwickelte die kirchliche Seite eigene Maßnahmen gegen die abtrünnigen Schwenckfelder wie die gemeindliche Ermahnung oder den Ausschluß von kirchlichen Ritualen. Diese zwischen kirchlicher und weltlicher Obrigkeit bestehenden Interessensunterschiede einerseits und die Zusammenarbeit bei dem Aufspüren und der Bestrafung andererseits zeigen notwendige Differenzierungen in der Diskussion um Konfessionalisierung und Disziplinierung auch in lutherischen Territorien auf. Ebensowenig wie in reformierten Gebieten ist im Rahmen lutherischer Konfessionalisierung von einem gänzlich übereinstimmenden Vorgehen weltlicher und geistlicher Obrigkeit auszugehen. Die Änderung des Blickwinkels, die eine harmonisierende Sichtweise vom Ergebnis des „Fundamentalvorgangs" der Konfessionalisierung auf seinen Anfang vermeidet, zeigt die langanhaltende konfessionelle Indifferenz, die besonders die süddeutschen Reichsstädte prägte. Hier blieben verschiedenste religiöse Gruppen, katholische, täuferische, schwenckfeldische und antitrinitarische Minderheiten bestehen, was wohl vor allem darauf zurückzuführen ist, daß die Lutheranisierung einer überwiegend reformierten Bevölkerung erst sehr allmählich Erfolge zeitigte.572 Die Vernachlässigung des Widerstands gegen die obrigkeitlichen Bemühungen um die Glaubenseinheit wird von den Kritikern des Forschungskonzepts der Konfessionalisierung ins Feld geführt. Luise Schorn-Schütte hält wegen der mangelnden Durchschlagskraft der von oben verordneten Konfessionalisierung nach 572

Siehe dazu für die Konfessionalisierung des bikonfessionellen Augsburg, E. Franfois, Die unsichtbare Grenze.

360 unten das ganze Forschungskonzept für gescheitert.573 Dagegen hat Marc Forster in seiner Studie über die Gegenreformation im Speyrer Landgebiet herausgefunden, daß Konfessionalisierung von unten sogar dann stattfand, wenn diese gar nicht Ziel obrigkeitlichen Handelns war.574 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Olaf Mörke in seiner Untersuchung der gesamtniederländischen Verhältnisse,575 während Wiebe Bergsma, wie oben angedeutet, zu dem gegenteiligen Resultat für die nördlichen Niederlande gelangt, wonach mangelnder Konfessionalisierungswille von oben bei den Untertanen zu konfessioneller Indifferenz führte. Meine Untersuchungen unterstützen die These von Bergsma. Es lassen sich keine Selbstkonfessionalisierungstendenzen erkennen. Wird die bekenntnismäßige Abschließung vermieden und der konfessionelle Eklektizismus gefördert, reagieren die Untertanen darauf mehrheitlich mit konfessioneller Indifferenz. Die für das Schwenckfeldertum ermittelten Ergebnisse, wonach es Widerstand von verschiedenen sozialen Gruppen, auch von Pfarrern und Angehörigen der weltlichen Obrigkeit in den Reichsstädten - also nicht nur der Untertanen - gegen eine lutherische Konfessionalisierung gab, liefern über die Untersuchung einer zahlenmäßig kleinen, immer stärker an den Rand gedrängten Gruppe Hinweise darauf, daß das Konfessionalisierungskonzept in beide Richtungen zu differenzieren wäre. Die lokalen Obrigkeiten waren ebensowenig wie die Untertanen von vorneherein an einer wirklichen konfessionellen Durchdringung ihres Gemeinwesens interessiert. Die alte Generation zwinglischer Ortspfarrer sperrte sich ebenfalls gegen eine bekenntnismäßige Engführung.576 Die Lutheranisierung in Süddeutschland war mithin kein kurzfristiger, auf wenige Jahrzehnte beschränkter Vorgang.577 Auch hier wären Unterscheidungen nach Herrschaftsformen, Regionen und auch Konfessionen angebracht. Vor allem waren die Übergänge von der reformatorischen Phase zur Periode der Konfessionalisierung fließender. Es fand ein Prozeß der allmählichen Abgrenzungsversuche gegenüber mißliebigen religiösen Optionen statt. Der Vorgang der „Selbstidentifikation" vollzog sich interaktiv zwischen den dann konkurrierenden religiösen Gruppen, den Häretikern und

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L. Schorn-Schütte, Konfessionalisierung als wissenschaftliches Paradigma?, S. 67. M. Forster, The Counter-Reformation in the Villages, S. 4. Die Multikonfessionalität der Niederlande bewirkte die Konfessionalisierung der Gemeinden von innen und die Parallelität mehrerer Konfessionalisierungen, O. Mörke, Die politische Bedeutung, S. 144f. Ehrenpreis/Lotz-Heumann schlagen in ihrem Forschungsüberblick vor, Konfessionalisierung nicht von vorneherein eine Richtung zu geben, sondern den Prozeß von oben und von unten zu betrachten, um auch den Widerstand miteinzubeziehen, S. Ehrenpreis/U. LotzHeumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter, S. 70f. Eine Verknüpfung von Konfessionalisierung und dem Prozeß der Staatsbildung wäre dann allerdings hinfällig. Schilling hat einen detaillierten zeitlichen Ablaufplan der Konfessionalisierung entwickelt, wonach die eigentliche Phase der Konfessionalisierung in der Zeit zwischen 1580 und 1620 liegt. Die regionalen Unterschiede erfordern hier wohl eine vorsichtigere Datierung, H. Schilling, Konfessionalisierung im Reich, S. 14-30.

361 den Orthodoxen. 578 Die Reformation hatte die Vorstellung, es gebe nur eine einzige religiöse Wahrheit, aufgebrochen und damit Alternativen von theologischen und lebenspraktischen Konzepten überhaupt denkbar gemacht. Menschen wie den Schwenckfeldern, die das allgemeine Priestertum und die Verpflichtung zur individuellen Gewissensprüfung sehr ernst nahmen, stellte die Reformation das Instrumentarium zur Verfügung, das es ihnen erlaubte, der Reduktion von Glaubens· und Lebensmöglichkeiten durch die Konfessionalisierung Widerstand entgegenzusetzen. 579 Die vorgeschlagene Differenzierung des insgesamt fruchtbaren Forschungskonzepts der ,Konfessionalisierung' im Hinblick auf die davon betroffenen sozialen Gruppen und des zeitlichen Ablaufs kann u.a. im Zuge einer regionalen Gliederung geschehen.580 Die theologischen und verfassungsmäßigen Besonderheiten oberdeutscher Zunftstädte generierten andere Wege und Ergebnisse der Konfessionalisierung als die Kursachsens, aber sie stehen nicht unverbunden nebeneinander. Innerhalb des außenpolitischen Bündnissystems versuchte die evangelische Seite auf die Lutheranisierung des protestantischen Südens Einfluß zu nehmen, wie das Beispiel Kaufbeurens zeigt. Dabei blieb in den süddeutschen Reichsstädten nach den Untersuchungen von Kiessling auch nach der Lutheranisierung ein Rest von Verweigerung, von mangelnder Abgrenzungsbereitschaft und nicht zu kontrollierender Glaubensaneignung, mithin ein Rest von Nichtkonfessionalisierbarem und Disziplinierbarem bestehen. 58 ' Indem die Schwenckfelder sich ,eigen-sinnig' anpaßten und doch ihren Glauben lebten, unterliefen sie die obrigkeitlichen normativen Forderungen von Konformität. Sie entwarfen und lebten damit das Alternativmodell eines nichtkonfessionalisierten Christentums.

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H.-Ch. Rublack bezieht beide Konzepte stärker aufeinander und betont das Prozeßhafte, indem er ausfuhrt, daß die Reformation das Potential für den langen Konfessonalisierungsprozeß der Restabilisierung bereitstellte und zugleich Widerstand und Anpassung miteinschloß: „Konfession als Stabilisierungsverfahren rief sowohl Unterwerfung und Steigerung der Innerlichkeit hervor als auch Widerspruch", H.-Ch. Rublack, Reformation und Moderne, S. 38. Die Engführung des Glaubens durch die Bekenntnisbildung, die theologische Vielfalt reduzierte und mit der Ziehung einer Grenze auch deren Einhaltung forderte, trug den Keim zum Widerspruch schon in sich. Diesen Zusammenhang stellte Conrad her in ihrer Zusammenstellung von Beispielen für konfessionelle Indifferenz und Eklektizismus: „Die Forderung einer ,confessio' enthielt auch die Möglichkeit, diese abzulehnen", A. Conrad, „Bald papistisch, bald lutherisch, bald Schwenckfeldisch", S. 24. Auch Ehrenpreis wirbt für eine Rückkehr zur Beschäftigung mit der Region als sozioökonomischer und politisch-konfessioneller Einheit und fordert eine „Regionalisierung der Konfessionalisierungsforschung", S. Ehrenpreis, Konfessionalisierung von unten, S. 7. R. Kießling, Konfessionalisierung als alltägliche Grenze, S. 64.

Kapitel 6: Das süddeutsche Schwenckfeldertum im Feld dissidentischer Gruppen des 17. Jahrhunderts Das süddeutsche Schwenckfeldertum trat im Laufe des 17. Jahrhunderts stärker mit anderen häretisierten religiösen Bewegungen in Kontakt. In der Forschung, die sich mit einzelnen Personen oder Gruppen aus diesem Bereich beschäftigt eine vergleichende Übersichtsdarstellung fehlt bislang - , wird durchgängig eine Einheit bzw. zumindest ein über die untersuchten Personen hinausgehender Zusammenhang der religiösen Strömungen gesehen. Umstritten ist allerdings, worin diese Verbindung genau bestand. Martin Brecht weist in seinen Beiträgen zur Vorgeschichte des Pietismus auf die Beziehungen zueinander bei gleichzeitiger theologischer Vielgestaltigkeit hin und betont die Schwierigkeiten einer Zuordnung. Er unterscheidet zunächst zwischen Kirchenkritikern wie Johann Arndt und Johann Valentin Andreae, die versuchten, der Frömmigkeitskrise innerhalb der Orthodoxie zu begegnen, und den radikaleren, außerhalb der Kirche stehenden Spiritualisten, die er wiederum in zwei Gruppen unterteilt, in Anhänger Jacob Böhmes und radikale „Arndtianer". 1 Der Ausgangspunkt einer Traditionslinie, die bis weit ins 17. Jahrhundert reicht, wird dabei oft in der radikalen Frühreformation des 16. Jahrhunderts gesehen. 2 Für Wilhelm Kühlmann besteht ein „ungebrochener Vermittlungs- und Diskurszusammenhang" in der Untergrund- und Protestliteratur der Frühen Neuzeit, der von der radikalen Reformation bis zu Gottfried Arnold reiche. Das Gemeinsame sieht er dabei in der Erfahrung der Ohnmacht und Verfolgung, die den Protagonisten der Bewegung als Ausweis theologisch-philosophischer Wahrheit gelte.3 Andrew Fix konstatiert in seiner Untersuchung der niederländischen ,Collegianten' einen historischen Zusammenhang zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert, der in der radikalen Reformation seinen Anfang nahm und über Schwenckfeld und Franck zum Sozinianismus und den Collegianten führte, damit zum philosophischen Rationalismus und letztlich zur Aufklärung. 4 Dabei stützt er sich auf die Untersuchung „Chretiens sans Eglise" von Leszek Kolakowski, der im 17. Jahrhundert eine „seconde Reforme" ausmacht, die ihren Sitz innerhalb des reformierten wie des lutherischen Protestantismus hatte und anknüpfend an die radikale Reformation die mangelhafte Umsetzung der Lehren Luthers, Calvins und Zwingiis, die Reformation des Lebens, vehement kritisierte und eine neuerliche, einheitliche, nichtkonfessionelle

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M. Brecht, Die deutschen Spiritualisten, S. 205; zu Arndt und Andreae siehe zusammenfassend ders., Das Aufkommen der neuen Frömmigkeitsbewegung, S. 130-151. Zur radikalen Reformation und ihrer Häretisierung im 16. Jahrhundert, siehe die Beiträge in dem Sammelband von H.-J. Goertz/J. M. Stayer (Hg.), Radikalität und Dissent, S. 29-120; J. M. Stayer, The Radical Reformation. W. Kühlmann, Frühaufklärung, S. 179, 183. A. C. Fix, Radical Religion, S. 47f.

364 Generalreformation einforderte.5 Paul Münch datiert die Wurzeln der „neuen Frömmigkeitsbewegungen" des 17. Jahrhunderts noch weiter zurück und zieht eine Verbindungslinie bis zur Mystik des Spätmittelalters. Die neuen nebenkirchlichen Bewegungen hätten spätmittelalterliche Frömmigkeitstraditionen aufgegriffen, sie mit frühreformatorischen Anregungen zur Forderung nach einer umfassenden „reformatio vitae" verbunden.6 Als „gegenkulturelle Utopie" zur Konfessionalisierung der Gesellschaft beschreibt Dülmen die „Nonkonformisten" des 17. Jahrhunderts, die zumeist Einzelgänger geblieben seien und deren Vorstellungswelt chiliastische, alchemistische, astrologische und spiritualistische Elemente enthalten habe. Sie einte - so Dülmen - das Ziel eines überkonfessionellen neuen Reichs, verschieden war der Ort der Realisierung, den die Spiritualisten und Sozinianer sich im Herzen dachten, während die chiliastischen Propheten an eine weltlich-politische Umsetzung glaubten.7 Die Utopien, die die Frömmigkeitsbewegungen entwickelten, entsprangen nicht nur einer Unzufriedenheit mit dem religiösen Leben, sondern auch mit der Wissenschaft, ein Zusammenhang, der bei den Paracelsisten und Rosenkreuzern besonders deutlich wird. Mit dem Wunsch nach einer „Zweiten Reformation" opponierten sie zugleich gegen das erstarrte, konfessionalisierte Staatskirchentum und gegen eine Wissenschaftspolitik, die Naturforschung und -philosophie an den Rand drängte.8 Die meisten Arbeiten zu den utopischen Denkern des 17. Jahrhunderts konstatieren vage eine geistesgeschichtliche Verwandtschaft dieser Dissidenten.9 Die Einheit wird häufig auf eine postulierte gemeinsame geistige Abhängigkeit von einem „Meisterdenker" zurückgeführt - je nach eigenem Forschungsschwerpunkt zumeist auf Paracelsus oder Valentin Weigel.10 Dülmen vermeidet sogar ganz eine theologische Einordnung der „Schwärmer" des 17. Jahrhundert, da die Be-

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L. Kolakowski, Chretiens sans Eglise, S. 9. P. Münch, Das Jahrhundert des Zwiespalts, S. 121. R. van Dülmen, Prophetie und Politik, S. 417-419. W. Kühlmann, Sozietät als Tagtraum, S. 1125. Siehe u.a. G. Hoppe, Zwischen Augsburg und Anhalt, S. 127, 131; E. Eylenstein, Ludwig Friedrich Gifftheil. Gilly konstatiert die planvolle Entwicklung einer „neuen Religion" der ParacelsusAnhänger (insbesondere gefordert durch den Tiroler Alchemiker Adam Haslmayr), der sog. „Theophrastia sancta", siehe C. Gilly, „Theophrastia sancta", S. 449-467. Bosch sieht das einigende Band „ähnlicher Geistesströmungen" im 17. Jahrhundert, die die bestehenden Kirchen kritisierten, in der Berührung mit (pseudo-)weigelianischen Gedanken, siehe G. Bosch, Reformatorisches Denken, S. 286. Dabei stützt sie sich auf Zellers Bemerkung, daß gerade die Vielgestaltigkeit in Weigels Denken eine gemeinsame Folie für die Entwicklung von Mystikern, Spiritualisten, Paracelsisten, Rosenkreuzern und Theosophen bieten konnte, W. Zeller, Der frühe Weigelianismus, in: Ders., Theologie und Frömmigkeit, Bd. 1, Marburg 1978, S. 84.

365 wegung aufgrund des Laienstatus der beteiligten Männer und Frauen theologisch nicht zu definieren sei." Von den meisten Forschern wird auch Schwenckfeld und seiner Lehre ein ideengeschichtlicher Einfluß auf die neuen Frömmigkeitsbewegungen eingeräumt,12 die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder als Gruppe oder Netzwerk werden dagegen selten in die Überlegungen mit einbezogen. Nachfolgend sollen daher weniger die ideengeschichtlichen gegenseitigen Beeinflussungen als vielmehr die personengeschichtlichen Verbindungen der Schwenckfelder untereinander und zu anderen religiösen Gruppen am Beispiel des Netzwerks um den schwenckfeldischen Reichsritter Georg Ludwig von Freyberg aufgezeigt werden. Dabei sollen die Kontakte untereinander und zu anderen über die konkreten Personenverbindungen untersucht und die Rolle der Schwenckfelder im überregionalen Dissidentennetzwerk thematisiert werden (Kap. 6.1). Es wird die Frage im Vordergrund stehen, ob und in welcher Beziehung sich die süddeutschen Schwenckfelder und ihre „Kontaktpersonen" selbst gegenseitig als Teile einer größeren religiösen Bewegung sahen (Kap. 6.2). Die Außensicht von kirchlicher und weltlicher Obrigkeit, die von neuem unter den Bedingungen des Dreißigjährigen Krieges religiöses Dissidententum definierten und sanktionierten, soll am Ende dargestellt werden. Es wird untersucht, ob und in welcher Form die schwenckfeldischen „Chretiens sans Eglise" in Süddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg ihren Glauben weiter lebten (Kap. 6.3).

6.1

Spätschwenckfeldische Beziehungen am Beispiel des ,νοη Freyberg-Netzwerks'

Georg Ludwig von Freyberg (t 1631) stand im 17. Jahrhundert im Mittelpunkt eines weitverzweigten Netzwerks von Schwenckfelderinnen und Schwenckfeldem sowie einer größeren Anzahl von anderen Kritikern der großen Konfessionskirchen, mit denen er korrespondierte, die ihn und die dort dauerhaft ansässigen Schwenckfelder besuchten oder denen er eine Zeit lang Zuflucht bot.13 Die Verbindungen der Schwenckfelder untereinander im 17. Jahrhundert zeigen örtliche Verschiebungen 14 (siehe Abb. 415): Während sich im 16. Jahrhundert

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R. van Dülmen, Schwärmer, S. 115. Fritz sieht den Einfluß schwenckfeldischer Theologie sogar als Hauptquelle für die theologische Entwicklung des Rosenkreuzertums, des mystischen Spiritualismus und anderer Richtungen eines überkonfessionellen, antiklerikalen und antiintellektualistischen Christentums sowie des Pietismus (vermittelt über Andreae auch auf Spener und Francke wirkend), Fritz, Konventikel, S. 115-150; Bd. 50, 1950, S. 85, lOlf. F.-M. Weber läßt in seiner Arbeit über das Schwenckfeldertum im Herrschaftsgebiet der Familie von Freyberg diese Verbindungen völlig unerwähnt, wie auch schon Dülmen anmerkte, R. van Dülmen, Schwärmer, S. 112, A. 24. Die soziale Zusammensetzung änderte sich dagegen nicht: Die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, wonach politische Verantwortungsträger sich aus der Bewe-

366 die Schwenckfelder in Ulm und Augsburg hervortaten, trat nach der Jahrhundertwende die Gemeinde in Nürnberg in den Vordergrund, die Straßburger Schwenckfelder waren in beiden Jahrhunderten gleichermaßen aktiv. Zuverlässig lassen sich diese Veränderungen allerdings nicht erheben, da die Quellen wenig vergleichbar sind. Im 17. Jahrhundert existieren kaum noch Nachrichten über die Schwenckfelder aus obrigkeitlicher Sicht, es dominieren die überlieferten Briefe aus der Hand weniger Schwenckfelder, die aber deutlich die weitverzweigten Verbindungen zu den neuen und alten Zentren schwenckfeldischer Religiosität erkennen lassen. Die Briefe des schwenckfeldischen Arztes Johann Ludwig Münster, der sich 1625 zu Besuch bei Georg Ludwig von Freyberg aufhielt,16 an die Nürnberger Schwenckfelder weisen auf die vielfältigen überörtlichen Kontakte der süddeutschen Schwenckfelder hin. In dem kurz vor seinem Tod verfaßten Abschiedsbrief von 1646 versammelte er die ihm besonders nahestehenden Glaubensgenossen noch einmal in der Erinnerung vor sich. Dabei sind aus den ehemaligen Schwenckfelder-Hochburgen nur der Jurist Lay in Augsburg, dessen Familie aus Lindau stammte, und eine Frau von Gnu in Ulm genannt. Aus Frankfurt hob er Matthäus Merian hervor, der sich selbst nicht zu den Schwenckfeldern zählte.17 Daneben gedachte Münster vor allem Nürnberger Glaubensgenossen.18 Im Zentrum des Nürnberger Netzwerkteils standen die Kaufleute Nikolaus Pfaff, sein Schwager Johann Khuefuß und dessen Haushälterin, die Witwe Maria Janin. Pfaff war geschäftlich in das Gebiet des Freiherrn von Freyberg gereist, kannte ihn also persönlich.'9 Von Daniel Sudermann waren die drei Nürnberger beauftragt worden, seinen literarischen Nachlaß zu verwalten, d.h. die von ihm gesammelten und selbst verfaßten Handschriften im Druck herauszugeben, wobei ihnen Münster helfen sollte.20 In wieweit die Druckvorhaben realisiert wurden, ist

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gung zurückzogen, verstärkte sich. Es dominierten auch im 17. Jahrhundert Handwerker und Kaufleute (vor allem in Nürnberg, siehe R. van Dülmen, Schwärmer, S. 107f.) sowie Juristen und Ärzte. Nur noch vereinzelt waren protestantische Pfarrer unter den Schwenckfeldern. Die Netzwerkdarstellung unterscheidet graphisch zwischen Schwenckfeldern, Sympathisanten und Nichtschwenckfeldern, was eigentlich nicht zutreffend ist. Wie die Analyse unten zeigen wird, waren die Grenzen zwischen den Gruppen fließend bzw. bestanden gar nicht. Man verstand sich lebenspraktisch als Einheit. Die Unterscheidung wurde dennoch beibehalten, um in übersichtlicher Weise zwischen religiös näherstehenden und ferneren Personen aus der Sicht der Familie von Freyberg differenzieren zu können. Münster korrespondierte von dort 1625 mit dem Nürnberger Schwenckfelder Nikolaus Pfaff, siehe unten. Siehe unten. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, Brief von Münster an Lydia Merian, 4.8.1646, fol. 233". Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, Brief von Münster an Lydia Merian, fol. 228.

20

Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, Brief von Münster an Khuefuß, 12.1.1627, fol. 232v.

367

SPÄTSCHWENCKFELDISCHE VERNETZUNG : E G O - N E T Z W E R K VON FREYBERG NIEDERLANDE

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unterstrichen = Nicht-Schwenckfelder kursiv ™ unklare Zugehörigkeit

Abb. 4

nicht zu ermitteln. Eine zentrale Rolle bei dieser wie bei anderen Publikationen schwenckfeldischer Schriften spielte aber sicher Georg Ludwig von Freyberg. Er hatte Beziehungen zu verschiedenen Buchhändlern und Druckern, die ihm halfen, schwenckfeldische Schriften, die er nur zum Teil in seiner eigenen Druckerei herstellte, in Umlauf zu bringen.21 Hilfreich war für ihn dabei der aus einer Lindauer Schwenckfelder-Familie stammende Gabriel Lay. Georg Ludwig hatte ihn in Justingen, das er für seine unmündigen Neffen als Vormund mitregierte, seit 1623 als Verwalter eingesetzt.22 Zuvor war Lay als Buchdruckergeselle bei Eberhard Wild in Tübingen angestellt.23 Über Lay und den Straßburger Daniel Sudermann, der den Druck zahlreicher schwenckfeldischer Werke initiierte und in dieser Eigenschaft häufig mit Georg Ludwig von Freyberg als Geldgeber dieser Vorhaben in Verbindung stand, hatte der Freiherr wohl Kontakt zu dem

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So arbeitete er neben Wild und Lay auch mit dem Konstanzer Drucker Leonhard Straub zusammen, Karlsruhe, Generallandesarchiv, 79/P12, Bd. 23 (Schwabenbücher, Lib. 9), fol. 557. F. Fritz, Konventikel, Bd. 49, 1949, S. 110. H. Hermelink, Matrikel Tübingen, I, S. 669.

368 schwenckfeldisch interessierten Tübinger Drucker Wild bekommen und nutzte seine Offizin.24 Georg Ludwig knüpfte aber nicht nur Beziehungen zu seinen eigenen Glaubensgenossen, sondern zeigte sich auch interessiert an Personen, die sich mit Alchemie, Astrologie und den Lehren des Paracelsus beschäftigten. Er korrespondierte darüber mit Fürst August von Anhalt-Plötzkau.25 Das Interesse an diesen Themen teilte Georg Ludwig mit den meisten der schwenckfeldischen Ärzte des 16. und 17. Jahrhunderts. Mit August von Anhalt stand auch der Augsburger Arzt, Handschriften- und Büchersammler Karl Widemann in intensivem brieflichen Austausch. Widemann war wie der ebenfalls aus Augsburg stammende Jurist Caspar Tradel, Sohn des Schwenckfelders Georg Tradel, der schwenckfeldische Verbindungsmann zu den Kreisen der Rosenkreuzer und Alchemisten.26 In der Aufnahme von Glaubensflüchtlingen ging Georg Ludwig ebenfalls über die Grenzen seines eigenen religiösen Netzwerks hinaus. Zwar nahm die Familie von Freyberg anders als viele ihrer Standesgenossen wohl keine Täufer bei sich auf, wohl aber andere Querdenker des 17. Jahrhunderts. Der in Marburg als Schulmeister tätige Georg Zimmermann, der sich sowohl mit schwenckfeldischer als auch mit weigelianischer Theologie beschäftigte, war 1620 wegen seiner Religion aus Hessen ausgewiesen worden27 und fand nach einer Tätigkeit als Erzieher der Kinder des Tübinger Druckers Eberhard Wild28 für mindestens ein Jahr Zuflucht bei Georg Ludwig von Freyberg.29 Über Johann Ludwig Münster und vermutlich durch diesen veranlaßt, ließ von Freyberg 1625 dem von den Protestanten aus Linz vertriebenen schwenckfeldischen Schulmeister Paul Matth, den Münster sehr schätzte, das Angebot machen, ein Haus in Justingen zu beziehen.30 Münster gab diese Nachricht an Pfaff in Nürnberg weiter, der Kontakt zu Matth hatte. Matth schlug das Angebot jedoch aus und blieb drei Jahre lang bei Verwandten in Nürnberg,31 bis er von dort vertrieben wurde und sich in Brunn als Eremit nieder24

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Zum Prozeß gegen Wild und den Ergebnissen der Recherchen der Universität Tübingen und des württembergischen Konsistoriums siehe im Detail: U. Bubenheimer, Rezeption; ders., Heterodoxie sowie D. Fauth, Dissidentismus; ders., Die Typusentwicklung. J. Paulus, Alchemie, S. 343. Siehe R. van Dülmen, Caspar Tradel; für Widemann: Hoppe, Zwischen Augsburg und Anhalt. Widemann besaß auch Manuskripte des schwenckfeldischen Astronomen und Arztes (Schüler des schwenckfeldischen Mediziners Samuel Eisenmenger) Helisäus Röslin (siehe Kap. 3). Siehe C. Gilly, Theophrastia sancta, S. 470-473. Wild hatte den mittellosen Zimmermann in Frankfurt kennengelernt, wie er im Verhör 1622 angab, Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 2a, Schriftstücke Nr. 10, 14. F. Fritz, Konventikel, S. 110. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, Münster an Pfaff, 13.5.1625, fol. 228. Während seiner Nürnberger Zeit lebte er wohl nicht so zurückgezogen wie in Brunn: In der Reichsstadt war er Bestandteil der schwenckfeldischen Gemeinde, wie die Grüße belegen, die Münster in seinem Brief an Johann Khuefuß an ihn wie an andere Nürnberger Schwenckfelder ausrichten ließ, siehe Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 233 r .

369 ließ.32 Anders als Matth nahm der von Verfolgung bedrohte Antitrinitarier Philipp Homagius die Einladung Georg Ludwigs von Freyberg an. Johann Ludwig Münster berichtete während seines Aufenthalts in Opfingen von der Anwesenheit des Homagius. 33 Münster hielt ihn fur gefährlich, weil er in einem für die Schwenckfelder zentralen theologischen Punkt, der Trinitätslehre, anders dachte als der Arzt. Er berichtete in einem Brief an seinen Bruder über die ungereimten Äußerungen, die Homagius in Gegenwart von Georg Ludwig von Freyberg ihm und der offenbar gerade auf Besuch in Opfingen weilenden Nürnberger Glaubensfreundin Maria Janin gegenüber gemacht habe. In seinem Schreiben an Pfaff schilderte Münster sogar, daß es Homagius fast gelungen sei, den Sohn des schwenckfeldischen Verwalters Lay auf seine Seite zu bringen.34 Münster, Pfaff, Khuefuß und Janin unterhielten die meisten Kontakte zu anderen theologischen Denkern außerhalb ihres eigenen schwenckfeldischen Umfelds. Die Nürnberger begegneten vielen ihrer Korrespondenzpartner wohl auch persönlich auf ihren Geschäftsreisen, die sie als Kaufleute unternahmen. Münster hingegen hatte direkten Zugang zu den Kreisen von Chiliasten verschiedenster Prägung über seinen Bruder Johann Friedrich Münster. Dieser hatte sich eng an den selbsternannten Propheten Johann Friedrich Gifftheil 35 angeschlossen, begleitete diesen häufig auf seinen Reisen und fungierte als dessen rechte Hand. Nach Gifftheils Tod nahm ihn der Vorpietist Friedrich Breckling,36 dem Johann Friedrich Münster seinen eigenen und Gifftheils Nachlaß hinterließ, bei sich auf.37 Über seinen schwenckfeldischen Bruder Johann Ludwig hatte Johann Friedrich auch Kontakt zu den Nürnberger Schwenckfeldern, die er für die endzeitlichen Pläne Gifftheils zu gewinnen suchte und über die er Gifftheils Briefe und Schriften weitergeleitet haben wollte.38 Die Art der Verbindung von Gifftheils Helfern zu den Nürnberger Schwenckfeldern gibt Hinweise auf die Rolle, die den Schwenckfeldern in dem ihre eigenen Gemeinden überschreitenden dissidentischen Netzwerk zukam. Selbstverständlich unterstützten sich Schwenckfelder weiterhin überregional, indem sie einander Zuflucht und materielle Hilfe angedeihen ließen.39 Gegenüber anderen von Ver32 33 34 35

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Biographische Angaben zu Matth siehe R. van Dülmen, Schwärmer, S. 111-115. Zu Homagius siehe C. Gilly, Theophrastia sancta, S. 470f. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 228. E. Eylenstein, Ludwig Friedrich Gifftheil; F. Fritz, Friedrich Gifftheil; H. Weigelt, Ludwig Friedrich Gifftheil. T. Wotschke, Zwei Schwärmer, S. 149f.; F. Fritz, Konventikel, Bd. 49, S. 144-154, zu schwenckfeldischen Einflüssen auf Breckling S. 144f. T. Wotschke, Zwei Schwärmer, S. 150. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, Johann Friedrich Münster an Pfaff und die Nürnberger Schwenckfelder 1638, fol. 235-237. Der in Stuttgart wegen seines Glaubens bedrängte Matthäus Felber bedankte sich 1643 überschwenglich bei Nikolaus Pfaff für dessen finanzielle Unterstützung, die der Nürnberger nicht nur für das Ehepaar Felber und die ebenfalls in Stuttgart lebenden adeligen Witwen von Nippenburg und von Freyberg, geb. von Bubenhofen, sondern auch schon zuvor

370 treibung und Armut bedrohten Dissidenten galt es zwischen ihren falschen Lehren und ihrer Bedürftigkeit, der mit karitativer Hilfe begegnet werden sollte, zu unterscheiden. So betonte Johann Ludwig Münster im Brief an seinen Bruder, daß Philipp Homagius zwar irrige Lehren verbreitet habe, die man zurückzuweisen gezwungen war, die Nürnberger Schwenckfelder ihn aber dennoch dem Gebot der Nächstenliebe entsprechend unterstützt und geschützt hätten, als er in Frankfurt in Schwierigkeiten geraten war.40 Von der Seite der anderen, insbesondere der chiliastischen Propheten, bestand die Attraktivität der Kontakte zu Schwenckfeldern in den nun schon über Jahrzehnte gewachsenen Netzwerkstrukturen zur sicheren Verbreitung von Drucken, Handschriften und Briefen. Die in der Regel ohne große Gefolgschaft agierenden Kirchenkritiker, von denen viele häufig ihren Wohnort wechseln mußten, konnten hier auf schwenckfeldische Erfahrungen des dissimulierenden (Über-)Lebens, auf ein Netzwerk mit Geschichte zurückgreifen. Am nächstliegenden war es, sich über die Kontaktleute schwenckfeldische Werke zu beschaffen, die im 17. Jahrhundert in Dissidentenkreisen eine rege Verbreitung fanden. Der märkische Pfarrer und Lehrer Brecklings, Johann Sarnow, sammelte und verbreitete die Schriften Daniel Friedrichs und vor allem Daniel Sudermanns41 ebenso wie Gifftheil, Johann Permeier42 und ihre Anhänger. 1634 bedankte sich der Berliner Jurist Lorenz Grammendorf im Namen von Permeier bei Johann Khuefiiß für die Übersendung von Schriften Friedrichs und erbat weitere Exemplare.43 Permeier rühmte sich selbst, mit Hilfe von Friedrichs Schriften den theologisch gefährdeten Joachim Betke44 vom Sozinianismus abgebracht zu haben.45 Das sichere schwenckfeldische Botennetzwerk nutzte Johann Friedrich Münster. 1638 übersandte er mit einem Brief an Pfaff eine Schrift des zum GifftheilKreis gehörenden Havelberger Bürgermeisters Pantaleon Trappe, die Pfaff lesen und weiterverteilen sollte, ohne sie vorschnell zu verurteilen.46 Gleichzeitig hatte Münster offenbar einen Gifftheil-Brief an den Herzog von Bayern mitgeschickt,

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für Felbers Mutter geleistet hatte, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, Johann Friedrich Münster an Pfaff und die Nürnberger Schwenckfelder 1638, fol. 238f. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 23 l v . T. Wotschke, Der polnischen Brüder Briefwechsel, S. 15. Piepers Einschätzung, wonach Sudermann außer auf Arnold keine Nachwirkungen in Deutschland gehabt habe, ist daher zu korrigieren, M. Pieper, Daniel Sudermann, S. 193. Die Werke der beiden Straßburger Freunde wurden in vorpietistischen, konfessionskritischen Kreisen durchaus rezipiert. Zu Permeier siehe E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 59-63: Die von Eylenstein beschriebene Permeier-Gemeinschaft „Regnum Christi" existierte allerdings nur als Konzeption ihres Protagonisten. Die von Eylenstein als Mitglieder der Vereinigung angegebenen Personen lehnten Permeiers Ideen zum größten Teil ab, vgl. R. van Dülmen, Prophetie und Politik, S. 420f. T. Wotschke, Der Polnischen Brüder Briefwechsel, S. 8f. Der Linumer Pfarrer und Mentor Brecklings las auch Sudermanns Schriften, T. Wotschke, Johann Ludwig und Johann Friedrich Münster, S. 96, Α. 1. T. Wotschke, Der Polnischen Brüder Briefwechsel, S. 16-18. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 235.

371 den Pfaff an diesen weiterleiten sollte, nach dem er sich in einem zweiten Brief besorgt erkundigte, weil er von Pfaff auf den ersten keine Antwort erhalten hatte. Diesem zweiten Schreiben legte er Kopien weiterer Sendschreiben Gifftheils an die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg über den Untergang der Welt bei ebenfalls zur weiteren Verbreitung. 47 Münsters Wunsch nach einer Verbreitung der nichtschwenckfeldischen chiliastischen Schriften kamen die Nürnberger allerdings nicht nach. Sie weigerten sich, ihr Netzwerk für die Missionierung durch andere vereinnahmen zu lassen, deren Ansichten sie nicht teilten. Sie schickten die Gifftheil-Schriften zurück, was dieser erbost in einer Randbemerkung dem Einfluß des Teufels und der Vernunft zuschrieb.48

6.2

Die Schwenckfelder und die neuen Frömmigkeitsbewegungen: Einheit und Abgrenzung

Die Kontakte der Schwenckfelder zu den anderen nachreformatorischen religiösen Gruppen und Personen wurden überwiegend auf schriftlichem Wege angebahnt. Die Beziehungen zu Sozinianera und Chiliasten kamen oft dadurch zustande, daß man über theologische Fragen oder die Bitte um Zusendung der eigenen Schriften den Austausch mit den anderen suchte. Die Beziehungen waren zwar durchaus zweiseitig, aber es fällt auf, daß die Schwenckfelder eher das Trennende betonten, während die anderen Kirchenkritiker die Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt stellten. Dieser Eindruck entsteht allerdings auch durch die Quellensituation: Es sind relativ viele Schreiben von den nichtschwenckfeldischen Dissidenten an Münster und die Nürnberger Schwenckfelder erhalten, dagegen ist die schwenckfeldische Seite der Korrespondenz nicht überliefert. Die vorhandenen schwenckfeldischen Briefe sind fast ausschließlich an Glaubensgenossen im engeren Sinne gerichtet, denen man in einer detaillierten Analyse die Unterschiede zu den anderen Dissidenten vor Augen führte. Während also der erwähnte Permeier-Freund Grammendorf 1634 den inzwischen verstorbenen Daniel Friedrich in den höchsten Tönen lobte, ihn einen Diener Gottes nannte, der die wahre Erkenntnis Gottes und Christi gehabt habe,49 war der so Gelobte zu seinen Lebzeiten erheblich distanzierter. Daniel Friedrich nannte die schwenckfeldischen Glaubensgenossen wie schon erwähnt 50 Bekannte. Damit bezeichnete er den Ausschnitt der Gemeinde Jesu Christi, die einander erkannt hatten, eine sichtbare vollständige Versammlung der 47

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Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 237 r . Gifftheil verfaßte diverse Sendschreiben an Vertreter der weltlichen Obrigkeit, um sie für seinen Plan der Errichtung einer Theokratie zu gewinnen, siehe F. Fritz, Friedrich Gifftheil. T. Wotschke, Johann Ludwig und Johann Friedrich Münster, S. 105 f. T. Wotschke, Der Polnischen Brüder Briefwechsel, S. 9, A. 10. Siehe Kap. 4.

372

Auserwählten durch Christus gab es für ihn jedoch nicht,51 sondern diese existierten nach schwenckfeldischer Glaubensüberzeugung zum Teil noch unerkannt in allen möglichen religiösen Gruppierungen. Ihr Netzwerk hatte also weiterhin keine festen Ränder, aber die Schwenckfelder maßen der rechten Lehre nach wie vor so viel Bedeutung zu, daß sie keine übergreifende aus der historischen Erinnerung evozierte Gemeinschaft der seit Beginn des Christentums um der Wahrheit willen Verfolgten konstruieren konnten, wie das Breckling gegenüber dem Frühaufklärer Christian Thomasius tat.52 Gemeinschaft mit den anderen wurde allenfalls in der brüderlichen Anrede, im Ausrichten von Grüßen sichtbar oder in der Besorgnis wegen drohender Verfolgung und gesundheitlicher Probleme.53 Inhaltlich dominierte die Kritik, die genaue Betrachtung des Trennenden. In einem Brief an seinen Bruder Johann Friedrich, in dem Johann Ludwig zum wiederholten Mal versuchte, ihn vom falschen Glaubensweg abzubringen, beurteilte Johann Ludwig Münster nicht nur den Mentor des Bruders, Gifftheil, sondern ging auch andere radikale Protestanten durch und beschrieb Gutes wie Kritikwürdiges. Die inhaltliche Gemeinsamkeit lag allein in der Kritik an den protestantischen Kirchen, insbesondere an den Pfarrern. Gifftheil und die Seinen machten ebenso wie die Schwenckfelder die evangelischen Geistlichen, die sie einhellig antiklerikal als ,Schriftgelehrte' bezeichneten,54 für Krieg und ethischen Verfall verantwortlich.55 Verschieden waren hingegen die Konzepte für ein anderes, wahrhaft christliches Leben. Hier kritisierte Münster scharf jeden Chiliasmus: Für Schwenckfelder gab es kein irdisches Zwischenreich Christi, und es wurde schon gar nicht - wie es Gifftheils Vorstellungen entsprach - mit Hilfe der weltlichen Obrigkeit herbeigeführt. Weltliches und Geistliches mußte streng getrennt bleiben und das Reich Christi allein spirituell-innerlich, gleichsam zeitlos gedeutet werden. Auf dieser Grundlage stellte Münster die um die Jahrhundertmitte kursierende Untergrundliteratur einander gegenüber. Auf der positiv bewerteten Seite stan51 52 53

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Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, Friedrich an Johann Jakob Janin, fol. 42". W. Kühlmann, Frühaufklärung, S. 183. So drückte Münster beispielsweise in seinem Brief an Pfaff seine Besorgnis über Crusius' schlechten Gesundheitszustand aus, von dem ihm der Nürnberger Glaubensbruder berichtet hatte, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 228. Parallel zu der neutestamentlichen Gegenüberstellung der allein auf die äußeren Buchstaben des mosaischen Gesetzes fixierten jüdischen Pharisäer und Schriftgelehrten und dem das Alte Testament erfüllenden und es damit aufhebenden Christus (siehe Mt 23; Mk 12, 38-40; Lk 7, 30-35, 11,37-54) konstruierten Schwenckfelder ebenso wie die übrigen Dissidenten des 17. Jahrhunderts ihre eigene Lebenssituation. Die protestantischen Pfarrer hätten die reformatorische Botschaft erneut zum Gesetz erhoben und seien damit zu „Schriftgelehrten" geworden; die häretisierten Gruppen nahmen dagegen in ihrer Sichtweise die Rolle der wahrhaften Christen ein. Das lobte Johann Ludwig ausdrücklich: Mir hat inn deinem letzten Schreiben sehr wolgefallen, Preyse auch noch deßhalben vnsern Gott vnd Vatter vber solcher deiner Hoffnungen, daß du nebem deinem Herrn gegen den Schrifftgelehrten ein so gut Zeugnus gezeuget, vnd Jhnen die rechte Schuld vnd Vrsach dieses heutigen Geyst- vnd Leiblichen Verderbens, fein Rundt vnter Augen gesagt, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 230 r .

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den ausschließlich Schwenckfelder: Caspar Schwenckfeld selbst und sein schlesischer Freund Valentin Crautwald sowie die beiden Vertreter der jüngeren Schwenckfelder-Generation, Daniel Friedrich und Daniel Sudermann. 56 Die andere, negativ eingeschätzte Seite faßte er als Einheit zusammen und schrieb sie der Glaubensfraktion seines Bruders zu (ewere Schrifften). Darunter fielen Jakob Böhme ebenso wie Sebastian Franck, der Chiliast Paul Felgenhauer, 57 Valentin Weigel und Johann Arndt. Sie alle seien zu sehr auf das Äußerliche bedacht, auf das Menschliche, in sich widersprüchlich und zu vernünftig. Innerhalb dieser negativ besetzten Autorengruppe differenzierte Münster allerdings: Während Franck, Felgenhauer und Weigel gegen die Lehre Christi verstoßen würden, hielt er Arndt für einen zwar nicht fehlerlosen, aber doch guten Autoris und lobte seine Person als fromm.™ Auch hier kommt Gemeinschaft zum Ausdruck, die darin besteht, daß man sich um einen frommen Lebenswandel bemühte, was der schwenckfeldische Arzt an Grammendorf ebenfalls lobte. Trotz aller theologischen Fehler erwähnte er den Juristen als einen, den Jch sonsten im Vbrigen für einen lieben frommen Mann vnd einen Freundt Gottes halte.59 Die theologischen Auseinandersetzungen, die dennoch die um eine Ethisierung des Christentums bemühten Kirchenkritiker trennten, drehten sich immer wieder um die Frage des Weltendes und eines daran anschließenden Tausendjährigen Reichs unter der Herrschaft der Auserwählten Christi, also einer sichtbaren Versammlung der wahren Christen. Münster versuchte seinem Bruder eindringlich klar zu machen, daß das Reich Gottes allein im Geist und im Glauben bestehe, die Pläne Gifftheils und anderer Chiliasten, es sogar mit äußerlichen Waffen gegen die derzeitigen großen Kriegsparteien herbeiführen zu wollen, seien dagegen alttestamentarisch und somit überholt. In seinem missionarischen Brief an den Bruder versucht Johann Ludwig Münster Gifftheils Gruppe auszugrenzen, indem er sie in die Nähe des gemeinsamen Feindbildes, der ,Schriftgelehrten' und ihrer Intoleranz, rückte. Wie die Pfarrer wollten die Chiliasten mit ihren Umsturzplänen Andersdenkende verfolgen und handelten damit ganz gegen den Willen Gottes, gegen den Sinn und Geist Christi und das Gebot der Liebe. Da in dem Ertragen von Stigmatisierung und Verfolgung ja gerade eine gemeinsame Erfahrung lag, wog dieser Vorwurf besonders schwer.60 Das Tausendjährige Reich deutete Münster rein spiritualistisch. Kreuz und Leiden im äußeren Leben hörten keineswegs auf, das Reich Gottes aber breche in

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Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 23 Γ. Siehe E. G. Wolters, Paul Felgenhauers Leben und Wirken. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 23 Γ. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 23 Γ . Vnd scheinet dieses nicht weyt zu seyn von der falschen Opinion der heutigen Phariseer vnd Schrifftgelehrten, welche [...] wann sie die Leute anderster nicht zu Jhrer Sect vnd Opinion bringen können, endlich allen Jhren Fleiß auf die Mördliche Kriegs=Consilia vnd Waffen legen vnd anwenden, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 230 r .

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den Christen an und werde äußerlich offenbar im Leben der Gläubigen.61 Zum Beleg seiner inwendigen Deutung der Apokalypse berief sich Münster an dieser Stelle auf den Inhalt von Daniel Friedrichs 1607 verfaßtem Brief an Daniel Sudermann, in dem Friedrich einen Traktat des Straßburger Chiliasten Wilhelm Eo über den Consensus decern regem (Dan 7, 24) besprach. Auch für Friedrich spielte sich das Zwischenreich Christi allein in den Gläubigen selbst ab.62 Die einzige äußerlich sichtbare Veränderung werde in der Trennung vom Tier der Apokalypse und dem Auszug aus Babel bestehen, das heißt in der konsequenten Absonderung von den verfaßten Konfessionskirchen.63 Die von Eo erträumte konkrete concordia, die er äußerlich, im Leben erreichen wollte zur Herbeiführung des Reiches Gottes, verwarf Friedrich mit einem Blick auf die äußere historische Entwicklung. Die Kirchengeschichte stellte er hier im Hinblick auf das Weltende und den Anbruch des Reichs Christi nicht als positive Historie des immer wieder aufscheinenden wahren Christentums dar, sondern als negative Machtgeschichte. Zunächst habe die concordia der päpstlichen Kirche geherrscht, nach einer Phase der discordia durch Luther mündeten die Ereignisse wieder in die concordia des Augsburger Religionsfriedens, einer Zwangseinheit, die andere verdrängte, aus der Einheit herausnahm und bekämpfte. Der Blick in die Kirchengeschichte erwies fur Friedrich die Falschheit der Idee einer Concordia in toto mundo terra, wie Eo sie anstrebte. In Friedrichs historischer Reflexion entstand nicht die Gemeinschaft aller religiös Verfolgten aufgrund ihrer Ausgrenzung mit dem Ziel, als wahrhafte Christen im Tausendjährigen Reich selbst die Macht zu erlangen, sondern er erteilte den Verfechtern einer Generalreformation eine Absage, indem er den Blick auf die Verfolger richtete, unter deren Beteiligung und in deren Handlungssphäre, dem äußerlichen Leben, niemals das Reich Christi zustande zu bringen sei.64 Nach dem Referat des Friedrich-Textes brach Münster die Diskussion über Eschatologie und alle Spekulationen über die Beschaffenheit der Welt zur Zeit ihres künftigen Endes ab. Hier zeigt sich deutlich, wie wenig die meisten Schwenckfelder im 17. Jahrhundert mit den Offenbarungstexten der Bibel anfangen konnten. Münster wies vielmehr den Bruder auf die Notwendigkeit hin, nicht in der Zukunft, sondern in der Gegenwart auf dem Weg des Glaubens fortzuschreiten, d.h. auf eine Wiedergeburt des Herzens hinzuwirken und den wachsenden Glauben im Innern in täglicher Selbstprüfung zu kontrollieren und ihn im Lebenswandel nach außen sichtbar werden zu lassen.65 Das war das maßgebende Glaubensprogramm, für das er den Bruder - vergebens - zu gewinnen suchte.66 61 62

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Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, 230 v . Wa bleibet Christi Reich interim ? In den Seinen / die freid in Ihm haben / in der Welt aber angst. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 108r. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 108. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 20, fol. 108f. Aber mein lieber Bruder, was wollen wie vns viel mit solchen Gedancken vnd vngleichen Meynungen aufhalten, wie nemblich es inn künfftigen Zeiten der letzteren reichen Bewey-

375 Die Weigerung, sich mit dem Tausendjährigen Reich zu beschäftigen, konstatierte auch Matthäus Merian bei den Schwenckfeldem. In einem Brief an die Nürnberger Schwenckfelderin Maria Janin erinnerte er 1637 daran, daß Schwenckfeld selbst, den er ansonsten sehr schätzte, den Gedanken an ein solches Reich abgetan habe. Das sei aber unbiblisch, denn das Wort Gottes enthalte nun einmal Angaben dazu, zudem mehrten sich seiner Auffassung nach die eindeutigen Zeichen für ein bevorstehendes Weltende, für das es sich zu rüsten galt. Dennoch gestand Merian zu, daß es in diesem Punkt viele irrige Auffassungen und mißbräuchliche Anmaßungen gäbe. Ähnlich skeptisch gegenüber schwenckfeldischen Positionen war Merian in Fragen der Christologie. Da er seiner eigenen Haltung auf diesem Gebiet unsicher war, ging er auf vorsichtige Distanz. Janin hatte ihm eine Täuferschrift zugeschickt, die sie wohl kritisch kommentiert und dabei besonders die enthaltenen monophysitischen Anschauungen, die die Menschennatur Christi leugneten, abgelehnt hatte. Merian kündigte an, er werde ihr ein anderes Büchlein, das die täuferische Christologie verteidigte, zuschicken, worauß sie vnd ander Liebhaber des hern mehr verstehen werden / als sie vieleicht vermeinet haben?1 Hier grenzte er sich also von der Gemeinschaft der Liebhaber des Herrn ab. Merian war aber auch mit anderen eher chiliastisch orientierten Dissidenten des 17. Jahrhunderts nicht vollkommen einverstanden und nahm eine mittlere Position zwischen den Schwenckfeldem und den Chiliasten ein. Johann Ludwig Münster betraute ihn vor seinem Tod damit, seinem Bruder Friedrich zu gegebener Zeit die Nachricht von seinem Ableben zukommen zu

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sung vnd zukunfft Christi halber im Geyst der Offenbahrunge inn seinen Heyligen, werde her ergehen, welches doch der allweyse Gott seiner Macht vnd Weyßheit in Christo Jesu seinem Wort alleine vorbehalten, auch vns mit gewisser Maas, jetzunder vnd vor diesen seinen dienern dar=von zu zeigen gibt oder gegeben hat, vnd solches zeugnus nicht eher noch volkomner verstanden werden kan, dann biß die Warheyt des=selbigen inn vollem Schwang daher gehet? Lasset vns vielmehr auf vnsere zeit [...] mit fleiß Achtung geben, vnsern Lauff vnd Beruff inn Christo mit allem Ernst bedencken, vnd zusehen, daß wir vnsere Seelen [...] durch die Ernewerung vnd Wiedergeburth vnserer Hertzen im Wort vnd Wasser des lebens, durch die Beschneidunge im Geyst, vnd fleissigen Wandel nach demselben, inn Täglicher Prüffunge vnserer Selbsten inn Christo vnd Christi in Wes: wel=ches wir dann gar wol mercken können am Gewächse des Newen Menschens inn Vns oder an seinem Geyst, den Er vns gegeben hat, auch im Gehorsam der Warheyt oder ßeissiger Haltunge seiner Worten vnd Gebotten; vnder welchen die liebe gegen Jhne vnd vns vnter=eineinander, auch gegen den Heiden selbsten (mit seiner Maas:) das aller Gröste vnd furnembste ist. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 230 v . Auf ähnliche Wese kritisierte auch der Sozinianer Florian Crusius die Chiliasten: Er lobte den persönlichen Lebenswandel, die Wahrheitssuche, die Kritik an den bestehenden Zuständen und den Ruf zur Buße, aber die Selbstanmaßung als Prophet und die konkrete Vorausberechnung des Weltendes kritisierte er bei Permeier und vielen anderen Chiliasten, die er in einem Brief an Johann Permeier 1633 aufzählte, abgedruckt in T. Wotschke, Der Polnischen Brüder Briefwechsel, S. 26-28; siehe auch das Schreiben an Permeier 1634: S. 2831. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, Brief von Merian an Maria Janin, 10.12.1637, fol. 21 l r .

376 lassen. Merian kam dem nach, wie ein Brief von Johann Friedrich belegt, in dem der Gifftheil-Anhänger Merian seinen sehr lieben vertrauten Freund nannte.68 Merian genoß demnach das Vertrauen beider Seiten - sowohl der Chiliasten als auch der Schwenckfelder. Die inhaltliche Gemeinsamkeit der religiösen Dissidenten des 17. Jahrhunderts bestand also vor allem in der Kritik an den bestehenden Zuständen. Man lehnte die kriegerischen Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges ab und kritisierte die Konfessionskirchen, insbesondere die protestantischen. Alle forderten ein Ende des Konfessionalismus und eine neue Religionspolitik, die die Reformation des Lebens' beförderte. Dem evangelischen Pfarrerstand, den Schriftgelehrten und Pharisäern, gab man die Hauptschuld an der unchristlichen Gewalt und dem schlechten Zustand des Christentums in der Welt, dem sündhaften Lebenswandel, der Verweltlichung. Alle einte auch die Suche nach einem anderen Weg, dabei nahmen sie alle Gedanken - gleich welcher Provenienz - auf, die der antiklerikalen Kritik Ausdruck verliehen.69 Verschieden und daher Distanz zueinander schaffend waren dagegen die Konzepte zur Änderung der desolaten Zustände sowie die theologischen Vorstellungen, die jeweils hinter den Lösungsvorschlägen standen. Hier gab es eine Vielzahl von Positionen oder wie es der alchemistisch interessierte Fürst August von Anhalt-Plötzkau ausdrückte: so viel Köpfe, so viele Meinungen.70 Unterschiede sind in der Bewertung der theologischen Abweichungen zu erkennen. Für süddeutsche Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder im 17. Jahrhundert war vor allem die Frage des Chiliasmus entscheidend für Nähe oder Distanz zu den anderen. Das wird deutlich am Verhalten gegenüber Crusius und dessen Schwager Wolzogen, die als sozinianische Antitrinitarier in Fragen der Christologie und Trinität zwar nicht mit den Schwenckfeldern übereinstimmten, wohl aber in der Ablehnung der 68 69

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Abdruck des Briefes siehe T. Wotschke, Zwei Schwärmer, S. 161. Die süddeutschen Schwenckfelder bestanden sowohl darauf, alle theologische Lehre selbst mit der Richtschnur der Bibel zu prüfen, als auch nicht Schwenckfeld, sondern Christus ohne einen menschlichen Mittler anzuhängen. Dies war die Grundlage für die prinzipielle Aufgeschlossenheit gegenüber den Schriften der anderen, faktisch ließ man - wie aus der Korrespondenz ersichtlich ist - jedoch nur die Werke und Gedanken der eigenen Protagonisten wie Friedrich und Sudermann gelten. Nicht nur im methodischen Ansatz eklektizistisch, sondern auch in der faktischen positiven Aufnahme von Gedanken verschiedenster theologischer Herkunft war Crusius. In einem 1634 verfaßten Brief an Permeier, den er wegen seiner chiliastischen Überzeugungen kritisierte und zum Maßhalten ermahnte, erläuterte er sein Verständnis von Eklektizismus: Denn was ist Lutherus, was ist Calvinus, was ist Schwenckfeld, was Socinus? Menschen sind sie, die auch wie wir um die Wahrheit sich bekümmert haben. Sie haben viel gesehen, aber nicht einer alles. Wollte Gott, ihre Nachkommen hätten nach Anleitung des Geistes Christi, welcher ist ein Geist der Liebe und der Sanftmut und der Einigkeit, einer dem anderen mit Liebe und Geduld gehört, sich an Gottes Wort und nicht an Menschen mit einem freien und unparteiischen Herzen und Verstand gebunden, so wäre viel Unheitl und Zerrüttung in der Welt verhütet worden, T. Wotschke, Der Polnischen Brüder Briefwechsel, S. 31. G. Hoppe, Zwischen Augsburg und Anhalt, S. 131.

377 selbsternannten Propheten und der Beschäftigung mit konkreten Planungen für ein vermeintlich nahes Weltende. Wie erwähnt sorgten sich Münster und Pfaff um Crusius Wohlergehen und Genesung, Florian Krause selbst nannte Maria Janin und Khuefuß in einem Brief an Permeier seine guten Freunde und ließ Grüße an sie ausrichten. In dem gleichen Brief kritisierte er den Adressaten, Permeier, wegen seiner Anmaßung, der oberste Direktor des letzten göttlichen Werkes, des endzeitlichen Reiches, sein zu wollen. Gleichzeitig lobte er aber Permeiers Ruf zu Buße und Umkehr und ließ Grammendorf grüßen, obwohl er ihn gar nicht kannte, weil auch er um die Wahrheit ringe. Zu dem höflich im Ton, aber inhaltlich heftig gerügten Permeier blieb der Kontakt genauso bestehen wie zu den Nürnberger Schwenckfelder-Freunden. Demnach hatte Permeier, der die beiden Nürnberger Janin und Khuefuß 1634 grüßen sollte, persönlichen Kontakt zu den Schwenckfeldern. 71 Die lebenspraktische Gemeinschaft zwischen den süddeutschen Schwenckfeldern und den Chiliasten, Rosenkreuzern, Sozinianern und anderen nichtkirchlichen Christen bestand also trotz der unterschiedlichen Theologien weiter - man schrieb und traf einander. Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder hatten eindeutig häufigeren und intensiveren Kontakt zu dem Personenkreis, der wie sie verfolgt und bedroht am Rande oder abseits der Konfessionskirchen lebte als zu kirchenkonformen Protestanten. Sie alle einte der Wunsch und die Suche nach der Veränderung der bisherigen Zustände, nach einem christlicheren Leben.

6.3

Zum Ende des Schwenckfeldertums in Süddeutschland

Als Einheit wurden diese religiösen Bewegungen von der anderen Seite, der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit, gesehen. Diese faßte die verschiedensten Formen religiös nicht konformen Verhaltens unter wenigen Begriffen zusammen. Menschen, die gegen die dargestellten, im 17. Jahrhundert geltenden Mindestanforderungen an religiöse Anpassung verstießen, die ohne Erlaubnis Druckschriften verbreiteten, Konventikel besuchten oder Abendmahl und Predigt versäumten, wurden einer (oder höchstens zwei) Kategorie(n) zugewiesen, eine genaue theologische Einordnung interessierte nicht mehr. In Württemberg fungierten der Begriff des ,Schwenckfelders' ebenso wie der des ,Weigelianers' als Prototypen fur als häretisch eingestuftes Verhalten. Abendmahlsverweigerer, deren Motive für die Nichtteilnahme am Sakrament nicht weiter recherchiert wurden, bezeichnete man im Herzogtum ebenso wie in Ulm durchweg als ,schwenckfeldisch'. 72 Selbst Johann Arndts Schriften wurden 71 72

T. Wotschke, Der Polnischen Brüder Briefwechsel, S. 30. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 848, 904; Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Religionsprotokolle, A [6876], 1587-1623, fol. 98; 107; 117f.; 121; 466.

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1621 in Württemberg als dissidentisch markiert, indem man sie als ,schwenckfeldisch' beurteilte.73 Auch Gifftheils Lehren zählte man in Württemberg und Ulm offenbar zum Schwenckfeldertum. Der jüngere Bruder des aus Württemberg stammenden Chiliasten, Joseph Gifftheil, befand sich 1624 in Ulm bei einem Maler zur Ausbildung. Vor Ludwig Friedrichs Gifftheils Lehren durch die Universität Tübingen gewarnt, unterstellte man dem Bruder Joseph einen schwenckfeldischen Geist, weil im Briefwechsel der beiden Brüder die Formulierung Pharisäer und Schriftgelehrte aufgetaucht war, die wie oben dargestellt auch die Schwenckfelder verwendeten. Joseph bestritt jedoch letztendlich erfolgreich jede religiöse Abweichung. Als Ludwig Friedrich acht Monate später selbst in Ulm vorsprach, um die weltliche Obrigkeit für seine Endzeitpläne zu gewinnen, hielt man auch seine vorgetragenen Lehren für vergaisterten schwenckhfeldischen schwärm,74 Kategorisierte man also einerseits verschiedene Formen nicht konformen Denkens und Verhaltens als ,schwenckfeldisch',75 wurden auf der anderen Seite Schwenckfelder unter anderen Begriffen subsumiert, am weitesten verbreitet war die Zuschreibung ,Weigelianer'. Wegen der weit verbreiteten weigelianischen Literatur, die selbst schon eine große inhaltliche Bandbreite enthielt, da viele der unter Weigels Namen kursierenden Schriften gar nicht von ihm stammten,76 bot sich hier eine zusammenfassende Bezeichnung für Kritiker und Dissidenten. So galten alle Nürnberger Schwenckfelder der Obrigkeit als ,Weigelianer', obwohl bei den meisten von ihnen nicht einmal Weigels Schriften gefunden wurden und sie sich in den Verhören schwenckfeldisch äußerten oder dissimulierend zurückhielten.77 In Württemberg vermutete man hinter den Aktivitäten des Druckers Eberhard Wild und dem Kreis seiner Kunden und Auftraggeber die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Weigel-Anhängern. Die württembergischen Theologen hielten Weigel und seine Lehre für die schlimmste Anfang des 17. Jahrhunderts kursierende Ketzerei. In einer Stellungnahme zur Wild-Gruppe erwähnten sie zwar auch Schwenckfeld, hielten seine Irrtümer aber fur erledigt. Unter den als häre-

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 903f. Ulm, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 74, fol. 22f, 29v; Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, fol. 129f., 131, 196f. Der Schwenckfelder-Vorwurf diente noch im 18. Jahrhundert in Wittenberg, Nord- und Mitteldeutschland der Häretisierung von Kirchenkritikern, besonders radikalere Pietisten wurden mit diesem Schimpfnamen belegt. Das zeigt auch, daß Schwenckfeld und seine Lehren noch im 18. Jahrhundert bekannt waren, man zumindest mit seinem Namen etwas verband, siehe G. Mühlpfordt, Schwenckfeld, S. 145 f. S. Zeller, Der frühe Weigelianismus. Dülmen greift diese Kategorisierung zunächst auf, meint aber dann, die Verhörten seien „allenfalls Schwenckfelder gewesen", R. van Dülmen, Schwärmer, S. 108, 115. Aus der erhaltenen Korrespondenz insbesondere von Pfaff, Janin und Khuefuß ergibt sich eindeutig der Befund, daß sie sich selbst allein schwenckfeldischen Lehren verbunden fühlten.

379 tisch eingestuften angeblich weigelianischen Lehren findet sich der Schwenckfeld ebenfalls standardmäßig gemachte Vorwurf der monophysitischen Christologie. 78 Entsprechend dieser Klassifizierung religiöser Abweichung wurde der WildKunde Pfarrer Theodor Kantz danach befragt, was er von den Schriften Weigels halte. Der dem Schwenckfeldertum zuneigende, sehr vorsichtige Kantz antwortete dissimulierend, indem er die vielen pseudoweigelianschen Schriften beklagte.79 Er verwies also auf die Überlieferungsgeschichte und umging so eine Stellungnahme zu den theologischen Inhalten. Die katholische Seite bezeichnete die Schwenckfelder im 17. Jahrhundert einfach als Atheisten oder rückte sie in die Nähe der Täufer, um den häretischen Charakter ihrer Religiosität zu verstärken. 80 Die im Gegensatz zum 16. Jahrhundert theologisch wenig differenzierte Kategorisierung aller religiösen Abweichler unter wenige Oberbegriffe analysiert Horst Weigelt als „Ketzertopik", die in der Kirchengeschichte immer wieder vorkomme. 81 Weigelts Feststellung beantwortet aber nicht die Frage, wessen Lehren dazu geeignet waren, jeweils als Topos zu fungieren. Valentin Weigel bot den Vorteil, daß er selbst studierter Theologe war, mit dessen Konzeptionen sich seine Standesgenossen sicher leichter taten als mit den Prophezeiungen von Gifftheil oder Felgenhauer. Schwenckfelds Lehren waren aufgrund des langwierigen Prozesses der Häretisierung ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vielen protestantischen Theologen noch gut in Erinnerung. So eigneten sich der Zschopauer Pfarrer wie der schlesische Adelige für die Bildung von dissidentischen Prototypen. In der Kategorisierung und somit der Ordnung der vielfältigen Abweichler des 17. Jahrhunderts dokumentiert sich der Wunsch nach Bannung. Die diffusen, mit der Schultheologie nicht erfaßbaren Störungen des konfessionell geordneten Protestantismus sollten derart eingegrenzt und benannt ihren Schrecken verlieren. Die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder reagierten - wie das Beispiel der Nürnberger Gemeinde zeigt - auf die obrigkeitlichen Konformitätsanforderungen mit noch stärker dissimulierendem Verhalten. Wie Daniel Friedrichs Schriften und ihre intensive Rezeption belegen, trennten sich die süddeutschen Schwenckfelder stärker von den offiziellen Kirchen bei gleichzeitig intensivierter Spiritualisierung. Der Weg ging nicht in einen bekennenden äußeren Separatis78

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Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 7. Auch den österreichischen Schwenckfelder und Wild-Kunden Michael Zeller ordnete man den Weigelianern zu, Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 10. Kantz argumentierte in seinem 1622 verfaßten Verteidigungsschreiben, es seien viele Schriften in Umlauf, von denen Weigel nie gedacht habe, daß er sie gemacht habe, denn jeder Narr hätte vnder frembden Namen sein quack verkaufet, Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 8, fol. 2. In zwei Berichten um die Jahrhundertwende waren die schwenckfeldischen Flüchtlinge zunächst als neue Schwenckfelder bezeichnet worden, was dann aber in Atheisten korrigiert worden war. Martts Kreis bezeichnete man als gartenbrüderisch, Karlsruhe, Generallandesarchiv Stuttgart, Abt. 98 (Salem), Nr. 4469, fol. 246 r ; Nr. 4470, fol. 138. H. Weigelt, Georg Gellmann, S. 109.

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mus, sondern führte zu einer inneren Abkehr von der von den verhaßten ,Schriftgelehrten' angeführten sündigen Gemeinschaft. Diese Entwicklung machte die Liebhaber Christi noch schwerer von außen erkennbar. McLaughlin kommt demgemäß zu dem Schluß, daß es bei den späten süddeutschen Schwenckfeldern wegen der fehlenden Ekklesiologie und äußeren Ordnung einer separaten Gemeinde seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts zu einem Niedergang gekommen sei. Die Schwenckfelder seien zunehmend im Pietismus aufgegangen, da dieser ihre Anliegen aufgegriffen habe, ohne daß sie dafür die offizielle Kirche verlassen mußten.82 Diese Einschätzung muß zumindest, was den zeitlichen Ablauf angeht m.E. revidiert werden. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind die süddeutschen Schwenckfelder sowohl in Briefen als auch in obrigkeitlichen Protokollen nur noch vereinzelt wahrzunehmen. Die Herrschaften Justingen und Opfingen waren bis zur Jahrhundertmitte offiziell rekatholisiert.83 Auch die stets bestehenden - wenn auch lange Zeit nur sporadischen - Kontakte zu den schlesischen Glaubensgenossen waren offenbar nicht mehr vorhanden. So klagte Ende der sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts der schlesische Schwenckfelder Martin John gegenüber Christian Hoburg, er wisse außerhalb von Schlesien keine Glaubensgenossen.84 Er hatte allerdings Kontakt zu dem Nürnberger Schwenckfelder Georg Gellmann, der später in Bamberg lebte,85 und wollte 1669 auf seiner Hochzeitsreise ursprünglich auch Nürnberg besuchen, was vermuten läßt, daß die Nürnberger Gruppe dort - unbehelligt von der Obrigkeit86 - weiterhin Bestand hatte.87 Die Schriften Friedrichs wurden auch am Ende des 17. Jahrhunderts noch in Amsterdam nachgedruckt.88 Es gab also nach wie vor Nachrichten über genuin schwenckfeldische Personen und ihre Handlungen, aber im Vergleich zu früheren Zeiten nur sehr vereinzelt. 82 83 84

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R. E. McLaughlin, Schwenkfelders of South Germany, S. 168. F. M. Weber, Schwenckfeld, S. 109-117. In seinem ersten undatierten Brief an Hoburg drückte John seine Freude darüber aus, einen glaubensverwandten Geist außerhalb Schlesiens gefunden zu haben, da er und seine Glaubensgenossen sonst keine Gleichgesinnten kennen würden: Haben aber in der gantzen Welt weiter Niemanden gewust, der so auf diesen Grund, welcher Jesus Christus ist, einig und allein in Einfalt bauete, bisz unsz Eure Schrijften zu kommen seyn, ediert in: P. C. Erb, Christian Hoburg, S. 99. Gellmann schrieb John 1671, Abdruck in: H. Weigelt, Georg Gellmann, S. 110-112. Den verhörten Schwenckfeldern war 1648 definitiv die Ausweisung angedroht worden, aber nicht alle hatten die Stadt verlassen, siehe R. van Dülmen, Schwärmer, S. 132-134. Die gar nicht erst vorgeladene Maria Janin lebte auch nach der letzten Ausreiseaufforderung für die Schwenckfelder noch in Nürnberg und war für ihren Glauben aktiv tätig: So versuchte sie dem 1649 aus Stuttgart ausgewiesenen Glaubensgenossen Matthäus Felber zu helfen, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 242. Zu den Reiseplänen nach Nürnberg, siehe H. Weigelt, Georg Gellmann, S. 107, A. 22. Die erstmals 1623 gedruckte Schrift Von der Nothwenigkeit der lang verborgenen Prüfung erschien 1699 als unveränderter Nachdruck unter dem Titel Geheimnis der Prüfung, siehe E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S . U .

381 Im 18. Jahrhundert ist nichts mehr von schwenckfeldischer Religiosität zu vernehmen, lediglich Schwenckfelds Schriften kursierten weiterhin in pietistischen Kreisen. Es stellt sich demnach die Frage, wohin die süddeutschen Schwenckfelder verschwanden. Eine mögliche Antwort kann hier nur angedeutet werden, es wären räumlich umfassendere Untersuchungen zu den lebenspraktischen Beziehungen der verschiedenen Dissidenten-Bewegungen notwendig - so etwa zu dem Kreis um Anna Ovena Hoyers 89 und den konkreten Verbindungen der Separatisten untereinander in Amsterdam, einer ihrer Hochburgen. Die süddeutschen Schwenckfelder und Schwenckfelderinnen trafen im 17. Jahrhundert anders als in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf ein loses Netzwerk von Menschen, die die bei den Schwenckfeldern schon länger vorhandene Kritik an der Konfessionalisierung, an der Verfolgung aus Glaubensgründen und an der mangelnden Umsetzung des Glaubens im täglichen Leben teilten. Während sich die Schwenckfelder in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts noch stark inhaltlich von anderen abgrenzten und den Vorrang der rechten Lehre vor dem Zeugnis des Glaubens im Leben betonten,90 war die völlige Glaubensübereinstimmung später nicht mehr maßgebend, wie die Kontakte zu Crusius gezeigt haben. Das spezifisch Schwenckfeldische ihrer Theologie schien nun nicht mehr so wichtig zu sein, allein die mit der Handlungsstrategie des Dissimulierens korrespondierende radikale Inwendigkeit des Glaubens blieb unentbehrlich und distanzierte die Schwenckfelder von den Chiliasten mit ihren Hoffnungen auf greifbare, äußerlich sichtbare Veränderungen. Die antiklerikale Konfessionskritik und die Forderung nach einer radikalen ethischen Wende machten die Schwenckfelder offen für Denkpositionen und die Menschen, die sie vertraten, die letztlich zu Pietismus und Aufklärung führten. Die konkreten Kontakte der Schwenckfelder zu den ,anderen' differierten nach den jeweiligen Lebensumständen: Während beispielsweise die Nürnberger Kaufleute eher mit Vorläufern des Pietismus in Kontakt kamen, gerieten die alchemistisch interessierten schwenckfeldischen Ärzte und auch einige Juristen in die Kreise von Paracelsisten, Pansophen und Rosenkreuzern, die zum Teil in die frühe Aufklärungsbewegung mündeten. Es existierten aber, wie das Netzwerk der Familie von Freyberg be-

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Zu Hoyers, Teting und ihrem Kreis siehe die Arbeiten von C. Niekus Moore: Anna Ovena Hoyers; dies., Posaunenschall; dies., „Mein Kindt, nimm diß in acht". Der zeitliche Vorrang und inhaltliche Schwerpunkt auf der rechten Theologie, der richtigen Erkenntnis Christi, aber auch der enge Zusammenhang zwischen Glauben und Leben, wird in Friedrichs Schriften ebenso deutlich wie in Johann Ludwig Münsters Brief an seinen Bruder, in dem er dem Bruder gleich im einleitenden Gruß wünscht in Christo recta sapere ex secundum Christum in spiritu recte vivere, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 230 r .

382 legt,91 vielfach Verbindungen zu beiden Seiten. Allen gemeinsam war die Konzentration auf die Besserung des Lebens.92 Zudem einte alle zunächst die Position außerhalb des definierten, kanonisierten Protestantismus, erst im 18. Jahrhundert wurde dann wieder neu festgelegt, welche kritischen Reformbewegungen von der Kirche akzeptiert und welche abgelehnt wurden oder sich selbst ausschlossen - ein neuer Prozeß der Kanonisierung einerseits und Häretisierung andererseits, allerdings unter anderen Voraussetzungen, die der individuellen Wahrheitssuche und der subjektiven Gewissensprüfung mehr Raum ließen.93 Von einem „Ende" des Schwenckfeldertums in Süddeutschland im eigentlichen Sinne kann also nicht die Rede sein. Die über einhundert Jahre währende Bewegung der Schwenckfelder hatte weder ein festes Bekenntnis noch war ihre Religion an einen sichtbaren Ort gebunden. Ein Netzwerk von Personen ohne festen Rand und Grenzen kann in diesem Sinne auch keinen raum-zeitlichen Abschluß haben. Da es nie zu einer institutionalisierten Verfestigung der kleinen schwenckfeldischen Zirkel kam, ging durch die inhaltlichen Verschiebungen und die anderen religiösen Angebote allenfalls das Bewußtsein verloren, zu einer Bewegung zu gehören, die einen bestimmten Heilsweg suchte, den Weg der Vergottung in Christus.

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Siehe oben, Abb. 4. Nach Kühlmann und Maurer besteht zwischen beiden Bewegungen trotz der gegenseitigen Kritik ein enger Zusammenhang. Kühlmann sieht geistesgeschichtliche wie personelle Verbindungen besonders zwischen Aufklärung und radikalem Pietismus, W. Kühlmann, Frühaufklärung, S. 204. Maurer betrachtet Pietismus und Aufklärung als „zwar verschiedene, aber gleichgerichtete Ausprägungen ein und derselben Tendenz". Beide waren Erneuerungsbewegungen, beide verstanden sich in erster Linie moralisch und waren reduktionistisch, indem sie Simplizität predigten. Vor allem aber stellten sie das Leben in den Mittelpunkt und reduzierten die Lehre. Beide waren Erscheinungen eines „pädagogischen Jahrhunderts", M. Maurer, Biographie des Bürgers, S. 164f. Vgl. K. Schreiner/G. Besier, Toleranz, S. 537-547.

Kapitel 7: Ergebnisse und Ausblick Der Blick aus unterschiedlichen Richtungen auf das schwenckfeldische Netzwerk in Süddeutschland, auf die verschiedenen Aspekte des religiösen Denkens und Handelns hat sich als fruchtbar erwiesen, um den Prozeß der Transformation von Elementen mittelalterlicher Theologie, ihrem Körperbezug und der Frömmigkeitspraxis zu einer individualisierten, immer stärker nur im Innern erfahrenen Religiosität darzustellen. Die schwenckfeldische Haltung zwischen der der mittelalterlichen Mystik verwandten Absonderung und der Betonung des inneren Erlebens im Herzen als „Erfahrungsraum" (Spitzlei) einerseits und dem Leben in der Welt andererseits, die ich als ,dissimulatio' beschrieben habe, kommt dem nahe, was Weber als charakteristisch für Laotses religiöse Haltung schildert: „eine Art von religiösem Inkognito in der Welt, [...] er bewährt sich gegen die Welt, gegen sein Handeln in ihr". Laotse dient ihm als Beispiel für einen innerweltlichen Mystiker, der bewußt in der Welt lebt, sich äußerlich in ihre Ordnungen schickt, um sich gerade darin zu beweisen, daß er ihr Treiben nicht wichtig nimmt.' Mit ihrem Lebensweg, der via media, gelang es den Schwenckfeldern wie dem Weberschen Typus des innerweltlichen Mystikers, gegensätzliche und widersprüchliche Aspekte ihres Daseins miteinander in Beziehung zu setzen. Das Leben in der Welt einerseits und die schwenckfeldische Religiosität auf der anderen Seite, mittelalterliche Frömmigkeit und ,moderner', nur noch individuell erfahrbarer Glaube wurden auf diese Weise ebenso lebbar wie die Existenz zwischen den entstehenden Konfessionen. Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder gehörten zunächst zur reformatorischen Bewegung, innerhalb derer sie Veränderungen im Sinne einer innerweltlichen Besserung des religiösen Lebens anstrebten. Dabei sahen sie sich in der Kontinuität spätmittelalterlicher Theologie und Frömmigkeit, in der Nachfolge von Thomas ä Kempis und Johannes Tauler. Ihre Vorstellungen einer via media zwischen den Konfessionen verstand sich nicht als radikaler Bruch mit traditionellen Formen religiösen Lebens, sondern sie trugen gerade den Aspekt der Früchte des Glaubens, der guten Werke und des gottgefälligen Lebenswandels bis in das 17. Jahrhundert weiter, wo er von neuen protestantischen Bewegungen wie dem Pietismus übernommen wurde. Es blieb aber auch nicht bei der bloßen Tradierung mittelalterlicher religiöser Vorstellungen und Praktiken. Mit dem Konzept der „kulturellen Reformation" läßt sich die Übernahme von Aspekten mittelalterlicher Frömmigkeitstradition unter allmähliWeber unterscheidet in seiner Untersuchung des Verhältnisses der verschiedenen Religionsformen zur Alltagswelt zwischen innerweltlicher Askese, die sich durch das Handeln in der Welt bewährt, und weitabgewandter Mystik, die sich radikal von der Welt zurückzieht. Dabei betont er, daß man es in der Regel mit Mischformen zu tun habe, die beide Elemente in verschiedenen Anteilen miteinander kombinieren, M. Weber, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, 538f.

384 eher Veränderung und Einpassung in neue Lebenssituationen darstellen. Im Zuge der innerprotestantischen Konfessionalisierung und der Abgrenzung von der katholischen Seite wurde das Schwenckfeldertum aus der Breite der reformatorischen Bewegung verdrängt und begann, das eigene religiöse Leben und Denken der neuen Situation anzupassen. Der aus neuplatonischen Denktraditionen des Spätmittelalters stammende Dualismus verschärfte sich; relevant war im 17. Jahrhundert zunehmend nur noch die innere religiöse Erfahrung, an eine äußerlich sichtbare, gesellschaftliche Veränderung glaubten die Schwenckfelder im Gegensatz zu ihren chiliastisch-vorpietistischen Glaubensverwandten nicht mehr. Entstanden im frühreformatorischen Aufbruch, bot das Schwenckfeldertum in Süddeutschland all jenen religiöse Perspektiven, die das ,Priestertum der Gläubigen' ernst nahmen und die sich nicht mit dem passiven Predigthören zufrieden geben wollten, auf das man die Laien in der offiziellen protestantischen Kirche schnell wieder beschränkte. Anders als andere Laienbewegungen wie die Täufer standen im süddeutschen Schwenckfeldertum Frauen und Männer immer gleichrangig nebeneinander. Alle Menschen waren nach schwenckfeldischer Auffassung prinzipiell religiöse Experten, die am Ringen um die theologische Wahrheit teilhaben konnten. Damit waren besonders Frauen neue Handlungsspielräume eröffnet: ein religiöses Leben in der Welt, aber auch außerhalb oder nach der Ehe. Die rechte Erkenntnis Gottes galt es individuell in der Lehrschule Christi zu erlernen. Der zentrale im Herzen des Menschen gedachte Vorgang war die religiöse Erfahrung des göttlichen Handelns im Gläubigen, das kommunikationstranszendent gedacht, aber erst kommunikativ wahrnehmbar wurde, und zwar zumeist auf dem Weg der schriftlichen Kommunikation. Briefe waren für die Schwenckfelder die wichtigste Glaubenspraxis. Die Mitteilung der Erfahrung, des Standes auf dem Glaubensweg und die kommunikativ hergestellte Theologie waren konstitutiv für die schwenckfeldische Gemeinschaft. Eine Fülle von religiösen Briefen mit der eigentümlichen Mischung von Privat- und Sendschreiben, die in der Forschung zur Mediengeschichte und insbesondere zur Briefgeschichte bislang nicht berücksichtig wurden, dokumentiert die Bedeutung, die Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder diesem Kommunikationsmittel zumaßen. Die dualistische Theologie, die sich auf den inneren Vorgang im Herzen des Einzelnen konzentrierte und alles Äußere als verzichtbar oder gar schädlich ansah, war hervorragend geeignet, ein Überleben der als abweichend ausgegrenzten Religiosität zu garantieren. Die schwenckfeldische Theologie bot die Möglichkeit, intensives eigenständiges religiöses Engagement zu leben, ohne sich von der andersgläubigen Umwelt distanzieren zu müssen. Die süddeutschen Schwenckfelderinnen und Schwenckfelder behielten ihre familialen, ständischen und beruflichen Beziehungen ebenso bei wie die in diesen Lebensfeldern relevanten Verhaltensnormen. Diese versuchten sie zwar mit den handlungsleitenden Vorstellungen ihres Glaubens in Einklang zu bringen, die weltlichen Werte und ständisch-familialen Verpflichtungen, auch die Nonnen der Geschlechterordnung überlagerten aber häufig den schwenckfeldischen Glauben, was sich insbesondere

385 im Bereich der Heiratsstrategien zeigte. Die schwenckfeldische Theologie schuf somit keinen umfassenden Lebensentwurf, sondern die Schwenckfelder differenzierten das Alltagsleben in unterschiedliche Segmente, in denen je verschiedene Normen galten. Hier wird das gleichzeitige Nebeneinander und Ineinandergreifen verschiedener uneinheitlicher, nicht zu harmonisierender sozialer Erfahrungen, Handlungen und Normensysteme innerhalb des historischen Subjekts deutlich, wie es Karin Hausen in ihrem Konzept von der „Nicht-Einheit" der Geschichte skizziert und eingefordert hat.2 Gelang die Integration konkurrierender sozialer Normen, die als zentral fur das eigene Leben eingeschätzt wurden, nicht, schlossen die meisten der süddeutschen Schwenckfelder diese Aspekte aus dem religiös gebundenen Bereich aus, sie waren dann keine Artickell des Glaubens mehr. Beziehungen entstanden zu den Glaubensgenossen auch gegen oder jenseits der ständischen Schranken. Das Schwenckfeldertum hatte keine soziale Agenda, aber es bestanden Verbindungen zwischen den Bekannten, für die die religiöse Kommunikation von so großer Bedeutung war. Die Verknüpfung des losen, sich überregional nicht zu einer Gruppe verfestigenden Netzwerks geschah im lokalen Bereich auf dem ständisch-sozial weniger normierten und überwachten Gebiet der rechtlichen Interaktion und der informellen Kommunikations- und Unterstützungsbeziehungen. Überregional waren oft einzelne Mittelsleute für die Vernetzung zuständig, wobei sie verschiedene Kommunikationsmittel nutzten. Die Konzentration auf den inneren Vorgang des Glaubens bot nach außen nicht nur die Möglichkeit, in den angestammten sozialen Beziehungen zu verbleiben, sondern sicherte auch das Überleben im Fall obrigkeitlicher Bedrohung. Zu Beginn der schwenckfeldischen Bewegung in Süddeutschland war von obrigkeitlichem Druck allerdings nichts zu merken. Mindestens bis zum Augsburger Religionsfrieden waren die süddeutschen Schwenckfelder eine von mehreren Glaubensrichtungen inmitten der Reformation, die an der sichtbaren, äußeren religiösen Umgestaltung aktiv beteiligt waren und bei aller Kritik an eine umfassende Reformation von Lehre und Leben glaubten. Erst allmählich bildeten sich feste religiöse Trennlinien heraus. Die gängige Beschreibung des Schwenckfeldertums als „radikal", „deviant" oder „marginal" verstellt den Blick auf den Prozeß der Ausgrenzung, deren Ergebnis nicht schon von vorneherein feststand. Die Lutheranisierung der reformiert-oberdeutschen Städte als innerprotestantische Konfessionalisierung bewirkte eine Grenzziehung, die beide Seiten zur ,SelbstBewußtwerdung' nötigte. Die protestantische Seite mußte festlegen, welche religiösen Bekenntnis- und Lebensformen sie als legitim zulassen wollte, die Schwenckfelder waren gezwungen darüber nachzudenken, was die nicht aufgebbaren Teile ihres Glaubens waren. Die Häretisierung hat das Schwenckfeldertum in Süddeutschland eigentlich erst geschaffen. Dennoch blieb beiden Seiten, der konfessionalisierten weltlichen Obrigkeit wie den Schwenckfeldern, eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten. 2

Hausen, Nicht-Einheit.

386 Man verlangte in der Regel von den Dissidenten nur eine Konformitätszusage bei bestimmten religiösen Handlungen, die symbolisch die Zugehörigkeit zur offiziellen Konfession konstituierte. Der schwenckfeldische Spiritualismus entwickelte andererseits keinen festen theologischen oder rituellen Kanon, kein Bekenntnis, sondern die flexible Handlungsstrategie des ,Dissimulierens', die in nicht zentralen Glaubensfragen Zugeständnisse erlaubte, um Gehorsam zu signalisieren und von weitergehenden Abweichungen abzulenken. Der Versuch, auf den theologischen Diskurs verändernd einzuwirken und die Stigmatisierung rückgängig zu machen, indem man die obrigkeitliche Devianz-Zuschreibung zurückwies, blieb zwar erfolglos, aber die individuell einsetzbare Überlebenstechnik des Dissimulierens ermöglichte es, schwenckfeldische Religiosität zumeist ohne soziale oder strafrechtliche Sanktionen leben zu können. In der Analyse des Prozesses der Ausgrenzung schwenckfeldischer Religiosität hat sich das Konzept der ,Konfessionalisierung' insgesamt als hilfreich erwiesen. Hier wurde der Schwerpunkt auf die bislang wenig beachtete innerprotestantische Konfessionalisierung gelegt. Es hat sich gezeigt, daß der Aspekt des Widerstandes von verschiedenen sozialen Gruppen gegen den Zwang zur Bekenntniseinheit auf der Grundlage des Luthertums, der nicht vollständig zu beseitigen war und einen Rest von Nichtkonfessionalisierbarem bestehen ließ, stärker zu berücksichtigen ist. Im 17. Jahrhundert - in der Auseinandersetzung mit Menschen und religiösen Bewegungen, die ähnliche Ziele vertraten wie die Schwenckfelder, den Konfessionalismus und Gewissenszwang ablehnten und für die ethische Besserung der Christen eintraten - verstärkten sich die spiritualistischen Aspekte schwenckfeldischer Religiosität. Selbst die von vielen Zeitgenossen während des Dreißigjährigen Krieges stark empfundene Nähe des Weltendes interpretierten die Schwenckfelder nicht chiliastisch, sondern als auf den Einzelnen bezogenen inneren Vorgang, in dem allein Gott handelte. Die einzig sichtbare lebenspraktische Konsequenz des Glaubens war eine ethisch einwandfreie christliche Lebensführung und die stärkere Absonderung von den bestehenden Konfessionskirchen. Das süddeutsche Schwenckfeldertum fand kein benennbares raum-zeitliches Ende. Obwohl keine institutionelle Verfestigung feststellbar ist und sich auch keine Gruppenidentität auf der Grundlage des geteilten Geheimnisses oder des gemeinsamen Märtyrertums herausbildete, blieben die Schwenckfelder als erkennbarer Zusammenschluß der Liebhaber und Schüler Christi über ein Jahrhundert lang bestehen. Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren die Schwenckfelder in Süddeutschland durch die inhaltlichen Verschiebungen, die eine noch stärkere Individualisierung und Verinnerlichung religiöser Erfahrung bei gleichzeitiger Verstärkung der Absonderung von den Konfessionskirchen beinhalteten, als eigenständige Bewegung nicht mehr wahrnehmbar. Durch die Vielzahl anderer, ihrem Anliegen verwandter religiöser Angebote war vielleicht auch bei den süddeutschen Schwenckfeldern selbst das Bewußtsein verloren gegangen, zu einer eigenständigen Bewegung zu gehören.

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Mit der hier genutzten Sichtweise von Macht als Beziehung, mit der Konzentration auf den Prozeß von Grenzziehung und daraus resultierender „Selbstidentifikation" (Hahn) auf beiden Seiten könnten die Forschungen auf die vielen vermeintlichen religiösen Nebenströmungen' des 17. Jahrhunderts ausgedehnt werden. Die bislang in ihrer Gesamtheit und in ihren Beziehungen zueinander sowie zu den verschiedenen territorialen und städtischen Obrigkeiten kaum untersuchten religiösen Bewegungen könnten so in ihrer Transformations- und Strukturierungsleistung für die Veränderungen in dem von der Forschung als Krisen- und Übergangszeit gedeuteten Jahrhundert 3 in den Blick genommen werden, ohne sie vorschnell vom ,Ergebnis' des 18. Jahrhunderts her als ,Vorläufer' von Pietismus und Aufklärung zu marginalisieren.

3

Paul Münch beschreibt die das 17. Jahrhundert kennzeichnende Umbruchssituation vom Mittelalter zur Neuzeit mit dem Bild des Januskopfes, der sowohl in die Vergangenheit wie auch in die Zukunft blickt, Münch, Jahrhundert des Zwiespalts, bes. S. 163-166. Die schwenckfeldische Religiosität mit ihrer Wertschätzung der spätmittelalterlichen Mystik einerseits und ihrem neuzeitlich-„bürgerlichen" Konzept einer nur innerlich sichtbaren, lediglich individuell gültigen Religiosität auf der anderen Seite paßte somit sehr gut in das „zwiespältige Jahrhundert".

Anhang

390

I. Karte

Schwenckfelder in Sttddeutschland

Isny

= Reichsstadt

Stetten

= Adelsbesitzung

ULM

= schw. Hauptort

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II.

Prosopographischer Überblick über das süddeutsche Schwenckfeldertum1

1.

Allgäu

Die kleinen Reichsstädte und adeligen Besitzungen des Allgäus boten Schwenckfeld und seinen Anhängern lange Zeit die Möglichkeit, ihren Glauben relativ ungestört auszuleben. Mit Ausnahme von Kaufbeuren und Memmingen schlossen sich in den protestantischen Städten mit katholischem Umland meist nur wenige, fast ausschließlich aus der Oberschicht stammende Familien der spiritualistischen Lehre an.

1.1

Kaufbeuren

Im Unterschied zu den anderen kleinen Allgäuer Reichsstädten, wo Schwenckfelds Lehren anfänglich zwar vielen sympathisch waren, aber nicht entscheidend die Entwicklung des protestantischen Kirchenwesens mitprägen konnten, kann man für Kaufbeuren von einer schwenckfeldischen Reformation sprechen. Nach zögerlichen Anfängen 2 kam die Reformation erst nach den Ratswahlen 1543 in Gang, als Anton Honold und Matthias Lauber zu Bürgermeistern gewählt wurden. Sie setzten schrittweise die Reformation durch und gaben ihr ein schwenckfeldisches Gepräge: Im gleichen Jahr tauschten sie den katholischen Stadtschreiber gegen den Schwenckfelder Matthäus Windisch aus.3 Der Inhaber der Honoldschen Prädikaturstiftung, 4 Matthias Espenmüller, wurde aufgefordert, mehrmals in der Woche nach der Messe zu predigen. 5 Er war früh reformatorisch gesonnen und wandte sich in den 1540er Jahren schwenckfeldischen Lehren zu. 1544 wagten die Bürgermeister und der Rat den nächsten Schritt und machten sich auf die Suche nach einem geeigneten protestantischen Pfarrer. Die Bürgermeister wandten sich dabei an Schwenckfeld, 6 der ihnen den damals im württem-

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Zum Verlauf der schwenckfeldischen Bewegung und ihren Akteuren in Augsburg, Ulm und dem von-Freyberg-Gebiet siehe Kap. 2.3. Zur Reformation in Kaufbeuren siehe K. Alt, Reformation; S. Dieter, Reformation in Kaufbeuren, S. 303-306; Ders., Von den Ereignissen der Reformation, S. 64-67. Stadtarchiv Kaufbeuren, Hörmann, Stadtchronik, S. 473. Burkhard Schilling schickte ihm ein Sendschreiben und eine Kurzfassung seiner Kirchenschrift, München, Staatsbibliothek, Cod.germ. 981, fol. 104 v -106 r ; 107 r -115 r . Die Prädikatur war 1540 von Sebastian Honold gestiftet worden und wurde dann von Anton weitergeführt, s. Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Hörmann, Gelehrte, Anlage 134, fol. 82r, 83r. Kaufbeuren, Stadtarchiv, Ratsbücher, Β 4, 1543/62, fol. 15r. C.S. 9 , S . 134.

392 bergischen Stetten tätigen Glaubensgenossen Burkhard Schilling7 empfahl. Schilling hatte wegen seiner schwenckfeldischen Predigten, die viele württembergische Zuhörer anzogen, Schwierigkeiten mit der württembergischen Obrigkeit. Der Kaufbeurer Rat akzeptierte Schwenckfelds Vorschlag und stellte Schilling am 4.7.1544 als ersten offiziellen protestantischen Pfarrer ein.8 Im Rahmen seiner Allgäu-Reise kam Schwenckfeld 1545 auf persönliche Einladung des Bürgermeisters Honold nach Kaufbeuren. Er wurde von ihm in seinem Haus aufgenommen, wo er nach der Sonntagspredigt vor interessierten Bürgern und Ratsmitgliedern theologische Lektionen {Ermahnungen) abhielt. Einen Tag später lud ihn auch Bürgermeister Lauber ein. Vor ettlich hundert menner vnnd weiter legte Schwenckfeld in einer fast den ganzen Tag andauernden Versammlung seine Vorstellungen von Christologie und Ekklesiologie dar.9 Diese große Akzeptanz schwenckfeldischer Lehren hielt zumindest als öffentlich demonstrierte, äußerlich sichtbar gelebte Glaubensüberzeugung nur bis kurz nach dem Tod Burkhard Schillings an. Er starb gut acht Monate nach seinem Amtsantritt (noch vor Schwenckfelds Besuch), seine Witwe zog mit ihren Söhnen (der jüngere blieb zur Schulausbildung noch ein Jahr lang in Kaufbeuren) finanziell unterstützt vom Rat in die badische Heimat ihres Mannes.10 Als protestantischer Pfarrer blieb nun allein Matthias Espenmüller übrig, der weiter schwenckfeldisch lehrte und keine Sakramente spendete." Der Rat wandte sich an benachbarte evangelische Reichsstädte mit der Bitte um einen geeigneten Pfarrer als Nachfolger Schillings. Die Städte, denen der schwenckfeldische Kurs Kaufbeurens nicht entgangen war, sahen hierin eine Chance einzugreifen und Kaufbeuren auf den lutherischen Kurs zu fuhren. Der erste Versuch einer Umorientierung des Kirchenwesens in der Stadt durch die Entsendung der Memminger Pfarrer Schuler und Schalheimer scheiterte allerdings am erbitterten Widerstand Espenmüllers, der heftig gegen die beiden polemisierte und erreichte, daß sie die

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Schilling stammte aus dem badischen Ellmendingen. Er studierte in Heidelberg und wandte sich schon in den 30er Jahren dem Schwenckfeldertum zu, weshalb ihm eine Anstellung als Pfarrer in Ulm verwehrt wurde. 1539 berief ihn der württembergische Erbmarschall Hans Konrad Thumb von Neuburg als Pfarrer in seine Besitzung Stetten im Remstal, wo er bis zu seinem Wegzug nach Kaufbeuren blieb. Seine Söhne gab er zeitweilig zur Schulausbildung zu dem in Mühlhausen lebenden Glaubensgenossen Alexander Höldt, C.S. 6, S. 130f.; Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 75-77; G. Bossert, Die Schwenckfelder in Cannstatt, Sp. 1. Er verfaßte einige theologische Schriften (siehe oben Kap. 3). Die wichtigste Von der wahren und falschen Kirche widmete er dem Kaufbeurer Rat, München, Staatsbibliothek, Cod.germ. 981, fol. l r -9 v . Kaufbeuren, Stadtarchiv, Ratsbücher, Β 4, 1543/62, fol.33r. C.S. 9, S. 303, 308-310. Kaufbeuren, Stadtarchiv, Ratsbücher, Β 4 1543/62, fol. 45r. Das geht aus einer Stellungnahme Augsburgs zur Frage der Entsendung eines Pfarrers für Kaufbeuren hervor, die der Kaufbeurer Chronist Wolfgang Ludwig Hörmann von und zu Guttenberg aufbewahrt hat, Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Anlage 084.

393 Stadt wieder verließen. 12 Der Druck der Nachbarstädte und die Tätigkeit des Augsburger Pfarrers Keller führten nach kurzer Zeit zum gewünschten Ergebnis, der Annahme der Confessio Augustana im August 1545.13 Das Schwenckfeldertum war nun nicht mehr das Bekenntnis der weltlichen Obrigkeit und der Mehrheit der Bevölkerung, die den lutherischen Neuerungen keinen nennenswerten aktiven Widerstand entgegensetzte. Einzig mit dem beliebten Espenmüller mußte man wohl aus Rücksicht auf seine zahlreichen Anhänger vorsichtig umgehen. Die Städte, allen voran Augsburg, verlangten seine Abschaffung. Der Kaufbeurer Rat beschränkte sich zunächst auf ein Predigtverbot und gebot dann, daß sich Espenmüller mit den lutherischen Pfarrern vergleiche. 14 Als das nicht gelang, ging der Prediger, offiziell vom Rat beurlaubt, für einige Jahre zum Studium nach Basel. Nach seiner Rückkehr 1548 wurde ihm die Predigt wieder gestattet bis zum Interim. Nun mußte er zwar entlassen werden, behielt aber bis zu seinem Tod trotz kaiserlicher Intervention die Einkünfte aus seiner Stelle.15 Damit war die Geschichte des Schwenckfeldertums in der Stadt keineswegs beendet, denn es hatte sich inzwischen ein Kreis aktiver Laien gebildet, die nach außen zwar kaum in Erscheinung traten, aber weiterhin ihren Glauben lebten. Dazu gehörten Handwerker ebenso wie der Stadtschreiber und die ehemaligen Bürgermeister-Ehepaare Honold und Lauber sowie Mitglieder der angesehenen Familien Hörmann und Heel. 16 Besonders engagiert verteidigte die Witwe des Stadtammanns Johann Baptista Heel, Anna Hörmann, ihren schwenckfeldischen Glauben.17 Sie war eine Zeit lang von der Frömmigkeit der Täufer beeindruckt

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Es bleibt unklar, ob Kaufbeuren sie sogar selbst angefordert hatte, wie Memmigen in einem Brief an Kaufbeuren andeutete, Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Nr. 20, Memmingen 1500-1549, 13.8.1545. Eine explizite Bitte um einen Memminger Pfarrer scheint es aber nicht gegeben zu haben. Kaufbeuren hatte erst später allgemein um Unterstützung bei der Suche nach einem geeigneten Bader-Nachfolger gebeten, Augsburg, Stadtarchiv, Reichsstadtakten, Nr. 541/11, Kaufbeuren 1467-1549, 14.9.1545. Offenbar zogen die beiden Pfarrer sofort nach den Schmähungen Espenmüllers wieder ab, Ausburg, Reichsstadtakten Nr. 583, Ulm 1545. Siehe Kap. 5.2.2. Kaufbeuren, Stadtarchiv, Ratsbücher, Β 4 1543/62, fol. 47f„ 52r. Die Angaben beruhen auf einer handschriftlichen Biographie von Hörmann, die sich z.T. auf inzwischen verlorenes Archivmaterial stützt, Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Gelehrte, Anlage 134. Zum Begehren des Kaisers 1551, Espenmüller das Prädikatureinkommen zu entziehen und die Stiftung mit einem katholischen Pfarrer zu besetzen, siehe K. Alt, Reformation, 91; Brieftext in: K. Alt, Kaufbeurer Kaiserbriefe, S. 14f. Einige davon nennt Ludwig Hörmann in einem Brief an seinen Vater Jörg vom 5.5.1545, Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Anlage 065, fol. 82. Zu der katholischen Familie Hörmann siehe G. Weiss, Jörg Hörmann (1491-1552), S. 265269, 309-314. In dem Briefwechsel zwischen Jörg Hörmann, seinem Sohn Ludwig und Jörgs Schwester Anna Heel wird das Mißfallen deutlich, daß die Glaubensorientierung der Verwandten bei der katholischen Familie erregte, Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Privatsammlung Hörmann, Anlage 065.

394 gewesen, Schloß sich aber dann den spiritualistischen Lehren an. Schwenckfeld war 1545 auch bei ihr im Haus zu Gast.18 Später bezog sie schwenckfeldische Bücher von den Glaubensgenossen in Augsburg,19 zu denen die Kaufbeurer Gruppe enge Beziehungen hatte. Anton Honold bestellte ebenso wie Anna Hörmann schriftlich Bücher bei dem Augsburger Schwenckfelder Leonhart Hieber. Die Kaufbeurer Christoph Schnitzer, später seine Witwe und der aus einer Täuferfamilie stammende Bäcker Franz Staudach20 besuchten die Augsburger Gemeinde unter dem Vorwand geschäftlicher Notwendigkeiten.21 Im Kaufbeurer Landgebiet fand das Schwenckfeldertum ebenfalls Anklang. Im Evangelischen Kirchenarchiv, das eine umfangreiche Sammlung schwenckfeldischer Drucke besitzt, findet sich ein Exemplar von Schwenckfelds 1584 gedruckter Schrift Vom Fleische Christi, das Apolonia Meier aus dem Dorf Oberbeuren gehörte, das Teil des Kaufbeurer Landgebiets war.22 Das Schwenckfeldertum hielt sich noch lange in der Stadt: 1624 beschwerte sich Pfarrer Löschenbrandt in einer Eingabe an den Rat darüber, daß das Schwenckfeldertum in der Stadt stark zugenommen habe. Er bat gegen diese Lehren predigen zu dürfen. Der Rat lud die Schwenckfelder vor und stellte sie vor die Alternative, sich entweder wieder der lutherischen Kirche anzuschließen oder die Stadt zu verlassen. Viele wählten zusammen mit ihren Familien den Wegzug und begaben sich vermutlich in das Gebiet der Familie von Freyberg.23

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Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, fol. 82r. Augsburg, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 27, Bl. Γ. Anna Heels Tochter Barbara war in Augsburg mit dem Patrizier Anton Haug verheiratet. Beide waren Schwenckfelder, wobei Barbara sich zum Mißfallen Schwenckfelds auch für das Täufertum interessierte, ebenda, Nr. 15, Bl. l v ; C.S. 12, S. 668-679. Die Herausgeber des Corpus Schwenckfeldianorum vermerken hier irrtümlich Ursula Haug statt Barbara als Adressatin des Briefes und machen unzutreffende prosopographische Angaben. Die beiden Frauen waren miteinander verschwägert. Barbaras Mann Anton Haug war ein Bruder von Ursula, siehe W. Reinhard, Eliten, S. 456, 460, 518, 521. Zu den Täufern Hans, Ursula und Blasius Staudach siehe K. Alt, Wiedertäufer, S. 10-15, 26f. Augsburg, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 1, fol. 2 r ; Nr. 2, fol. 2V. Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, A 29; zu der 1540 abgefaßten Schrift, die erst 23 Jahre nach Schwenckfelds Tod durch Daniel Sudermann veröffentlicht wurde, siehe C.S. 7, S. 281 f. Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv, Hörmann von und zu Gutenberg, Wolfgang Ludwig, Sammlung der merckwürdigsten Geschichten das Kirchen=und Religions=Wesen in der H.R. Reichsfreyen Statt Kauffbeuren betreffend von den ältesten Zeiten biß auf das Jahr 1756 mit möglichstem Fleiß zusammengetragen, Kaufbeuren 1770, Anlage 133, S. 110.

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1.2

Memmingen

Stärker als andere süddeutsche Reichsstädte suchte Memmingen einen Weg zwischen den Konfessionen. Auch nach der Jahrhundertmitte, als die städtische Kirchenpolitik eindeutig lutherisch ausgerichtet war, wurde eine katholische Minderheit in der Stadt geduldet.24 Andere religiöse Gruppen lebten ebenfalls weitgehend unbehelligt. 25 Das Schwenckfeldertum fand anfangs Anhänger selbst bei führenden Vertretern der weltlichen Obrigkeit. Auf seiner ersten Allgäureise wurde Schwenckfeld 1534 von den beiden Bürgermeistern Hans Ehinger und Eberhard Zangmeister freundlich empfangen. Der einflußreiche Stadtschreiber Georg Maurer, 26 ein früher Anhänger Schwenckfelds, der schon seit 1533 mit dem Schlesier korrespondierte, bahnte die Kontakte zu den führenden Kreisen der Stadt an. Er hatte Schwenckfeld wohl über den Berufskollegen Sebastian Aitinger kennengelernt und blieb einer der treuesten Anhänger.27 Schwenckfeld wurde von dem Mindelheimer Wilhelm von Zell begleitet und fand viele interessierte Zuhörer. Er predigte im Hause von Maurer, Ehinger und anderen und disputierte auch mit dem protestantischen Pfarrer Gervasius Schuler.28 Die zahlreichen Sympathisanten und Anhänger lebten unbehelligt in der Stadt bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hinein. Die polemischen Predigten gegen Schwenckfeld und seine Lehren nahmen jedoch zu. Im November 1545 erschienen daher die beiden engen Vertrauten Schwenckfelds, Hans Wilhelm von Laubenberg und Jakob Held von Tieffenau, vor dem Rat, um sich mündlich wie schriftlich auch im Namen anderer Schwenckfelder über die antischwenckfeldischen Predigten zu beschweren. Der Rat vertagte sich zunächst, um die Sache an den kritisierten Pfarrer Schuler weiterzugeben, der einen harschen Antwortentwurf fur den Rat verfaßte. Der Rat milderte das Schreiben im Ton und sagte von Laubenberg zu, Schuler von übertriebenen Polemiken abzuhalten. 29 Zwar grenzte sich die weltliche Obrigkeit nun deutlich von Schwenckfeld ab, die Lehre hatte aber inzwischen einen festen Kreis von Anhängern gefunden, die besonders den

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P. Frieß, Ratsreformation, S. 419f.; Ph. Kintner, Memmingen, S. 489f. Das galt sogar für die Täufer, siehe P. Frieß, Außenpolitik, S. 122. Angaben zu Biographie und Tätigkeit, s. P. Frieß, Stadtschreiber, S. 118. In den in der Stadtbibliothek Memmingen erhaltenen Drucken schwenckfeldischer Werke finden sich z.T. Marginalien von Maurers Hand, Memmingen, Stadtbibliothek, 9.6.25a-c; 9.6.59; 9.6.62; s. a. Frieß, Stadtschreiber, S. 114. C.S. 5, S. 12; T. Schieß, Briefwechsel Blaurer, Bd. 1, S. 477f„ 484. Ambrosius Blarer schrieb erbost an Bullinger, daß Schwenckfeld den Memmingern gleich einer Gottheit gilt. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, fol. 19r-26v, 29 r -32 v . Trotz der abschlägigen Antwort schickte von Laubenberg ein halbes Jahr später erneut eine Schwenckfeld-Schrift an Memmingen und berief sich auf die positive Aufnahme des ersten übersandten Katechismus, Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, fol. 27 r -28 v .

396 protestantischen Pfarrern ein Dorn im Auge waren. 1568 entschloß sich der Rat, auf Drängen der Pfarrer wenigstens Erkundigungen einzuziehen.30 Im Zentrum des Schwenckfeldertums in der Stadt stand der aus dem mährischen Jägerndorf stammende Memminger Bürger Jakob Moretzgi. Er korrespondierte seit den 1550er Jahren mit Schwenckfeld und beherbergte fremde Schwenckfelder. Im Sommer 1561 besuchte ihn Schwenckfeld in Memmingen. Dort erkrankte er so schwer, daß er sich nicht mehr erholte und von Agatha Streicher nach Ulm geholt wurde, wo er starb.31 Moretzgis Aktivitäten waren weitgehend bekannt, es wurde aber 1568 trotz dringender Appelle der Pfarrer nicht gegen ihn vorgegangen. Die übrigen von den Pfarrern gemeldeten Personen, die zu Moretzgis Kreis gehörten, häufig bei ihm waren und sich auch sonst verdächtig verhielten, blieben ebenfalls völlig unbehelligt: So ging David Bartenschlager sonntags statt zur Kirche zu Moretzgi, Moritz Karter unterhielt sich mit dem Mesner in dessen Stube, anstatt der Predigt auf seiner eigenen Hochzeit beizuwohnen, und David Fröschlin verreiste plötzlich und ohne nott, als sein Kind getauft wurde.32 Die Pfarrer versuchten weiterhin, die Obrigkeit von der Gefährlichkeit Moretzgis zu überzeugen, besonders da er auch im Landgebiet missionierte33 und kirchenkritische Auffassungen verbreitete. Im Februar 1571 wurde er dann tatsächlich vorgeladen und kurz zu seiner Einstellung zur Confessio Augustana sowie zu seinen missionarischen Aktivitäten befragt. Moretzgi äußerte sich vorsichtig, gab aber zu, auf Anfrage schwenckfeldische Schriften verteilt zu haben. Er stellte die Schriftenverbreitung als Gegenmaßnahme zu den antischwenckfeldischen Polemiken der Pfarrer dar. Man lud ihn am 21.2.1571 erneut vor und verlas ihm einen Bescheid, in dem ihm verboten wurde, fremde Buchführer und andere Schwenckfelder zu beherbergen, zu missionieren oder schwenckfeldische Schriften auszustreuen. Ausdrücklich wandte sich der Rat gegen jeden Versuch der Pfarrer und Moretzgis, eine inhaltliche Auseinandersetzung über theologische Fragen zu fuhren.34 Der Fall war damit für den Rat erledigt, bis Moretzgi im Januar 1577 selbst vor dem Rat erschien, um die Erlaubnis zu erhalten, seine Frau, die Ravensburger Schwenckfelderin Katharina Trautwein,35 Witwe des Jakob Hillenson, zur Kirche 30 31

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Memmingen, Stadtarchiv, Ratsbücher 1568/1569, fol. 58v. C.S. 17, S. 1027, Sterbebericht von Martt. Johann Martt, der damals noch als katholischer Priester in Altstätten lebte, hatte Schwenckfeld im Hause Moretzgis getroffen, wie er selbst angab. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, Anbringen der Pfarrer, 30.8.1568, fol. 104r; Ratsentscheid über die Eingabe: Memmingen, Stadtarchiv, Ratsbücher 1568/69, fol. 58v. Zu dem Kreis gehörte auch der Buchhändler Hans Weibel, der 1561 mit Schwenckfeld korrespondierte. Er fiel der Obrigkeit nie als Schwenckfelder auf, C.S. 17, S. 508f. Besonders der reformierte Ort Herbishofen, der den von Pappenheim gehörte, war ein Zentrum nichtlutherischer Protestanten, Ph. Kintner, Memmingen, S. 491. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, Nr. 1, 1. Verhör von Moretzgi, 9.2.1571; Nr. 2, 2. Verhör 1571; Nr. 3, Ratsentscheid, 21.2.1571; Ratsbücher 1569-1572, fol. 93r. Zur Familie Trautwein-Hillenson siehe unten.

397 zu fuhren. 36 Der Rat hatte dagegen zunächst keine Einwände, der zuständige Pfarrer Kienlin - unterstützt von seinen Amtskollegen - weigerte sich jedoch strikt, die Einsegnung durchzufuhren, da Moretzgi und seine Frau sich von der Kirche abgesondert hätten und nicht ihres Glaubens seien. Der Rat machte sich diese Argumentation zu eigen und verweigerte die Erlaubnis zur kirchlichen Trauung. 37 Weniger duldsam war man gegenüber dem schwenckfeldischen Buchführer Jakob Weiß. Gegen ihn ging man schon 1568 mit einem Verkaufsverbot für schwenckfeldische Bücher vor und drohte weitere Strafmaßnahmen an, da Weiß sich erkühnt hatte, dem Bescheid zu widersprechen: Er hatte darauf hingewiesen, daß Schwenckfelds Werke auf Reichsebene nicht verboten worden seien und auch andernorts öffentlich verkauft werden dürften. Man ließ es diesmal bei einem einfachen Verbot bewenden. 38 Weiß hatte auch Kontakt zu Johann Martt,39 der ihn 1583 in Memmingen besuchte und den Weiß nach Griesingen zurück begleitete, um sich bei dem Freiherrn von Freyberg für das Ehepaar Martt einzusetzen, die ein dauerhaftes Bleiberecht zu erlangen suchten.40 Weiß vertrieb weiterhin schwenckfeldische Schriften und wurde daher 1585 erneut vom Rat vorgeladen. Man verlangte von ihm, daß er die Predigten besuchte und das Verkaufen und Verschenken schwenckfeldischer Bücher unterlasse, was er in Aussicht stellte.41 Er hielt sich aber nicht an seine Zusage, sondern war auch in der Öffentlichkeit für seinen Glauben tätig. Seine missionarischen Aktivitäten waren 1599 Gegenstand nachbarschaftlicher Gespräche, wobei sich der Hafner Jakob Zimmermann als engagierter Fürsprecher des von den anderen kritisierten und geschmähten Weiß hervortat. 42 Zimmermann war schon zuvor von der kirchlichen Obrigkeit vorgeladen worden, weil er nicht zur Kirche ging. Es blieb jedoch nicht bei freundlichen Gesprächen. Im Mai 1599 wurde Zimmermann nach Denunziationen verhaftet, weil er die Pfarrer, besonders den verstorbenen Geistlichen Kienlin, gelästert und geschmäht hatte. Die Befragungen konzentrierten sich ausschließlich auf die Beleidigung des Pfarrers. Zimmermann äußerte sich zwar ganz im Sinne der schwenckfeldischen Christologie und Abendmahlslehre, das wurde aber von den Befragern genauso wenig aufgegriffen wie seine schwenckfeldischen 36

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In erster Ehe war Jakob mit einer Anna, einer Memminger Bürgerin, verheiratet gewesen. Auch sie war Schwenckfelderin und korrespondierte mit dem Schlesier, C.S. 17, S. 603f, 612f. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, 14.1.1577; Ratsbücher 1577-1578, fol. 78r. Die Trauung war ihnen auch an anderen Orten - wohl auch an katholischen - schon verweigert worden. Nach Dollinger war das Schwenckfeldertum mit dem Weggang der Führungsfigur Moretzgi in den 80er Jahren beendet, was aber wohl nicht zutrifft, die Gruppe blieb mindestens bis zur Jahrhundertwende bestehen, Dolllinger, Memminger Sektenbewegungen, S. 147. Stadtarchiv Memmingen, Ratsbücher 1568/1569, fol. 66 r . Zu Martt siehe Kap. 2. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, 13.6.1583, fol. 4. Weiß versprach, daß er künftig häufiger in die Kirche als ins Wirtshaus gehen werde, Memmingen, Stadtarchiv, A 344/8a, 24.3.1585. Memmingen Stadtarchiv, A 344/8b, Nr. 3, 1. Verhör 1599, fol. T .

398 Kontakte. Zimmermann mußte eidlich volle Konformität versprechen: Er verpflichtete sich zu Predigt- und Abendmahlsbesuch und zur öffentlichen Beichte in der Kirche.43 Gegen Ende des Jahrhunderts hielt sich Magdalena von Laubenberg in Memmingen auf, wo sie auch starb. Sie entstammte der schwenckfeldischen Familie von Laubenberg, die im Allgäu begütert war.44 Ihre Mutter, Elisabeth von Pappenheim, war ebenfalls Schwenckfelderin und korrespondierte mit Caspar Schwenckfeld.45 Magdalena selbst hatte Kontakte zum Kreis um den ehemaligen Priester Johann Martt und hielt sich häufig bei ihm und auf den Besitzungen der von Freybergs auf.46 Zu den Memminger Schwenckfeldern hatte sie gleichfalls Verbindungen: Jakob Weiß wird als Zeuge in ihrem Testament genannt.47 Ihre Glaubensüberzeugung war aber niemals Gegenstand obrigkeitlichen Handelns. Die Familie ihrer Mutter Elisabeth von Pappenheim hatte in der Umgebung von Memmingen Besitzungen. Ihr Bruder Joachim hatte sich mit der Familie von Laubenberg verbunden und Anna, eine Schwester des Schwenckfelders Hans Wilhelm von Laubenberg, geheiratet. Veronika von Pappenheim ehelichte den Schwenckfelder Ferdinand von Freyberg und trat wie ihr Mann für ihre dissidentische Überzeugung ein. Die übrigen Mitglieder der Familie waren zum Teil protestantisch-reformiert, zum Teil katholisch, was gelegentlich zu Spannungen führte.48 In den reformierten Orten der Pappenheimer, Grönenbach und Herbishofen, trafen sich Zwinglianer, Calvinisten und Schwenckfelder aus Memmingen, die dort ihren Glauben aber nicht offen leben durften.49 Im 17. Jahrhundert gibt es keine Hinweise auf Schwenckfelder in der Reichsstadt, auch andere Dissidenten werden nicht aktenkundig.

1.3

Isny

In der protestantischen Reichsstadt waren die fünf maßgeblichen schwenckfeldischen Familien alle miteinander verwandtschaftlich verbunden. Sie hatten sich zumeist schon früh der Reformation angeschlossen und förderten die Entwicklung des Protestantismus in der Stadt. Im Zentrum des Schwenckfeldertums in Isny stand die Familie des Münzmeisters Albrecht Baumgartner. Seine Töchter Katharina und Cecilia waren seit 1544 Anhängerinnen Schwenckfelds, mit dem sie 43 44 45

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Memmingen Stadtarchiv, A 344/8b, Nr. 3, 1. Verhör 1599, fol. 2V. Siehe unten. C.S. 7, S. 36-39; C.S. 8, S. 224-230. Auch sie hatte Wohnrecht in Memmingen, Memmingen, Stadtarchiv, A 46/8, Urkunde, 15.11.1545. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 27 v , 30Γ, 81 v . Memmingen, Stadtarchiv, A 46/8. Walpurga von Pappenheim und ihre Tante Magdalena sympathisierten mit dem Täufertum. Magdalena war - ebenso wie auf der schwenckfeldischen Seite Helena Streicher aus Ulm eingebunden in die theologische Kontroverse zwischen dem Täufer Pilgram Marpeck und Caspar Schwenckfeld, J. Loserth (Hg.), Pilgram Marbecks Antwort, S. 49f., S. 179-188. Ph. Kintner, Memmingen, S. 491.

399 häufig korrespondierten, 30 meist über die mit ihnen ebenfalls in regem Austausch stehende Katharina Streicher aus Ulm. Auch der Vater, Albrecht Baumgartner, schrieb an Schwenckfeld; dieser organisierte Reisen über Baumgartner. 1545 besuchte er die Schwestern zum Auftakt einer Allgäu-Reise." Cecilia heiratete den Lindauer Patrizier Markus von Kirchen und wohnte mit ihm erst nach 1548 in der Stadt, hielt sich aber schon vorher häufig besuchsweise und 1545 wegen der Erkrankung von Vater und Schwester auch längere Zeit in Isny auf.52 Katharinas Mann, der Patrizier Hans Ebertz,33 stand der religiösen Orientierung seiner Frau nahe. Er besuchte in Ulm die im Sterben liegende Glaubensgenossin Barbara Kürenbach und war nach den Angaben seiner Frau ab 1548 ebenfalls überzeugter Anhänger Schwenckfelds. 34 Im gleichen Jahr hatte sich der wohlhabende Bürger und spätere Spitalpfleger Georg Erlinger endgültig für die spiritualistische Lehre entschieden, die ihn schon mindestens seit 1545 interessierte. Er hatte den Schwestern Baumgartner bei der Missionierung seines ebenfalls zum Patriziat gehörenden Onkels Peter Büffler und dessen Frau Anna geholfen. 55 Der Kaufmann Büffler sympathisierte eher vorsichtig mit dem Schwenckfeldertum. Zusammen mit dem Stadtschreiber war der frühe Luther-Anhänger der stärkste Förderer der Reformation in Lindau.36 Über die Verbindungen zu den Familien Büffler und Ebertz begann ein Mitglied der Familie Zolligkoffer, sich für das Schwenckfeldertum zu interessieren. Er las schwenckfeldische Bücher und traf sich mit dem schlesischen Schwenckfelder Bartholomäus Nüssel, 57 als dieser 1552 die Gemeinde in Isny besuchte. 38 Die Schwenckfelder-Familien konnten ihren Glauben in der zwinglianischoberdeutsch geprägten Stadt ungehindert ausleben bis zum Eintreffen des lutherischen Pfarrers Benedikt Burgauer 1545. Dieser hielt polemische Predigten gegen Schwenckfeld, wie die Schwestern Baumgartner 1546 berichteten.39 In Abstimmung mit Schwenckfeld diskutierten die beiden mit dem Pfarrer über theologische Fragen, besonders über das Verständnis des Abendmahls, was aber nur dazu 50

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8 5 Briefe Schwenckfelds an sie sind erhalten. Auch eine weitere Schwester interessierte sich für das Schwenckfeldertum, C.S. 9, S. 676, 758. C.S. 9, S. 306f. C.S. 9, S. 414-418, 431; C.S. 10, S. 859-866. Seine Familie gehörte zu den bedeutendsten in der Stadt, siehe I. Kammerer/G. Nebinger, Patriziergeschlechter. C.S. 9, S. 118, 270, 277; C.S. 11, S. 544. C.S. 10, S. 97; C.S. 11, S. 543. Er half Pfarrer und Schulmeister Paul Fagius bei der Einrichtung eines Druckhauses für hebräische und chaldäische Schriften, Kammerer, Reformation in Isny, S. 36. Nüssel kam 1552 nach Augsburg, wo man von seiner Bildung und Eloquenz zunächst sehr beeindruckt war. Später versuchte er jedoch, die Gemeinschaft zu spalten, indem er gegen Schwenckfeld intrigierte. Er wurde daher von den süddeutschen Schwenckfeldern ausgeschlossen und kehrte 1553 nach Schlesien zurück, C.S. 13, S. 107f„ 114-123, 125, 150, 154, 201, 165 (siehe Kap. 4). In C.S. „Tolkofer" genannt, C.S. 12, S. 798, 802. C.S. 10, S. 86.

400 führte, daß Burgauer die Schwestern persönlich in den Predigten angriff und verspottete. In einem Brief von 1548 erwähnte Schwenckfeld sogar, daß der Lutheraner seine Klagen gegen die Schwenckfelder in Isny an den Rat weitergegeben hatte.60 Es findet sich aber keine weitere Information darüber,61 auch in den Briefen wird der Vorgang nicht weiter erwähnt. Der Rat hatte wohl nicht die Absicht, gegen die Dissidenten vorzugehen.

1.4

Lindau

Aus Lindau sind nur wenige eindeutig schwenckfeldische Familien bekannt. Es gab bis zur Mitte des Jahrhunderts offenbar keine deutliche Abwehrhaltung gegenüber Schwenckfelds Lehren im Rat oder in der protestantischen Pfarrerschaft. Schon 1534 hatte der Theologe und Schwenckfeld-Gegner Ambrosius Blarer an sieben Allgäuer Städte geschrieben, um sie vor dem Schlesier und seinen gefährlichen Lehren zu warnen, darunter auch an Lindau.62 Über eine direkte Reaktion ist nichts bekannt. 1546 schickte Hans Wilhelm von Laubenberg im Rahmen seiner ,Verteidigungskampagne' für Schwenckfeld ein Schreiben an den Lindauer Rat zusammen mit mehreren Exemplaren zweier eher erbaulicher Werke von Schwenckfeld, die er kurz zuvor hatte drucken lassen.63 Er bat die Stadt, diese Texte durch ihre Theologen begutachten zu lassen. In seiner Antwort vom 24.9.1546 gestand der Rat ein, daß man bislang nur die Einschätzung vieler Gelehrter gekannt habe, die Schwenckfelds Schriften für schädlich hielten, sie aber nicht gewußt hätten, was diese Werke tatsächlich beinhalteten. Die zugeschickten Schriften hätten sie durch ihre Pfarrer (Jakob Lepus und Matthias Rot64) prüfen lassen, die sie nicht nur als mit der Bibel übereinstimmend befunden hätten, sondern auch als dem Volke nützlich und tröstlich, weswegen sich Bürgermeister und Rat bei von Laubenberg ausdrücklich bedankten.65 Bei dieser positiven Reaktion hat u.U. die persönliche Einstellung der Bürgermeister eine Rolle gespielt. Neben Hans Bodmer bekleidete 1546 Lukas von Kirchen das Amt des Bürgermeisters.66 Sein Sohn Markus heiratete 1538 die schon erwähnte, aus Isny stammende Schwenckfelderin Cecilia Baumgartner. Um 1548 zog er mit seiner Frau in ihre Heimatstadt und erwarb dort das Bürgerrecht.67 60 61

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C.S. 10, S. 853f., 865; C.S. 11, S. 73f., 542. Sowohl im Stadtarchiv wie auch im Evangelischen Kirchenarchiv von Isny finden sich nach Auskünften der Archivbetreuer keine obrigkeitlichen Nachrichten über schwenckfeldische Aktivitäten in der Stadt. Die Prädikantenbibliothek der Nikolaikirche besitzt drei schwenckfeldische Drucke (wohl die von Laubenberg geschickten, siehe C.S. 11, S. 509). T. Schieß, Briefwechsel Blaurer, Bd. 1, S. 471 f. C.S. 10, S. 46-73. Angaben nach A. Schulze, Bekenntnisbildung, S. 108-113; C.S. 10, S. 86 A. 4 macht allerdings andere Angaben und nennt neben Rot Georg Necker und N. Rupp als Pfarrer. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, 24.4.1546, fol. 33. C.S. 10, S. 42; Lindau, Stadtarchiv, Stolze, Bd. 2, S. 172f. Lindau, Stadtarchiv, Heider/Stolze, Bd. 2, S. 173.

401 1559 hatte sich die Situation offensichtlich geändert, und die schwenckfeldische Lehre wurde nicht mehr als hilfreich empfunden. Als der Patrizier Wilhelm Barbarossa, der zu dieser Zeit nicht das Bürgerrecht der Stadt besaß, den Rat ersuchte, bei seiner Schwiegermutter auf dem Gut Schwesterberg zu Schachen wohnen zu dürfen, wurde ihm das nur unter der Voraussetzung gestattet, daß er sich vom Schwenckfeldertum distanzierte und auch seine Schwiegermutter davon abbrachte. 68 ι In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts war die Familie Lay für den schwenckfeldischen Glauben sehr aktiv, auch außerhalb ihrer Heimatstadt. Der Rat ging Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre im Rahmen der innerprotestantischen Konflikte um die richtige Auslegung der Erbsündenlehre nicht nur gegen Flacchianer, sondern auch gegen Schwenckfelder vor. Der Prädikant Michael Lay wurde mehrfach verhört unter dem Verdacht schwenckfeldisch zu sein. Er bekannte sich zu der in Lindau favorisierten Erbsündenauslegung und leugnete, Kontakte zu Schwenckfeldern zu haben oder schwenckfeldische Bücher zu lesen. Man glaubte ihm jedoch nicht.69 Die obrigkeitliche Einschätzung war durchaus zutreffend: Michael Lay zog von Lindau nach Leinstetten, einer Besitzung des Hans Marx von Bubenhofen. 70 Er verbreitete von dort aus schwenckfeldische Bücher und unterhielt Beziehungen zu württembergischen Schwenckfeldern. 71 Sein Sohn Andreas studierte seit 1588 in Tübingen 72 auf Kosten von Georg Ludwig von Freyberg. Ein weiteres Mitglied der Familie, Gabriel Lay, war 1592 Buchbindergeselle bei dem schwenckfeldischen Drucker Eberhard Wild in Tübingen. 73 Gabriel Lay ging dann nach Augsburg, wo er sich auf Druck und Vertrieb dissidentischer Literatur spezialisierte. Er hatte weiterhin Kontakt zu seinem ehemaligen Lehrherm, mit dem er während der Zeit der Frankfurter Buchmesse zusammenwohnte und dem er ein Faß mit schwenckfeldischen und anderen radikalreligiösen Schriften zur weiteren Verteilung zuschickte, wie Wild 1622 angab.74 Ab 1623 wirkte Lay als Amtmann im freybergschen Justingen, wo er sich um schwenckfeldische Flüchtlinge kümmerte. 75 68 69 70

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Lindau, Stadtarchiv, Heider/Stolze, Bd. 1, S. 316. R. Burbach, Reformation, S. 94. Hans Marx von Bubenhofen war mit der Schwenckfelderin Katharina von Freyberg verheiratet. Sie erwähnte Lay 1631 in ihrem Testament. Er hatte wohl Besitz auf dem Bubenhof in Rottenburg, A. Gaier, Bubenhofen, S. 82, A. 23. Er besuchte 1590 Matthäus Weiß im württembergischen Dornstetten, der wie sein Vater Juvenalis schwenckfeldisch war, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 377, 651 f. H. Hermelink, Matrikel Tübingen, Bd. 1, S. 659 H. Hermelink, Matrikel Tübingen, Bd. 1, S. 669. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 2a, Schriftstück Nr. 10, fol. 4V. F. Fritz, Konventikel, S. 110. Der 1625 bei Georg Ludwig von Freyberg lebende schwenckfeldische Arzt Johann Ludwig Münster schrieb an den Nürnberger Glaubensbruder Pfaff, er möge dem aus Österreich vertriebenen Paul Matth mitteilen, daß von Freyberg ihn aufnehmen wolle in Justingen, wobei ihn der dortige Verwalter Lay und seine Familie unterstützen

402

1.5

Mindelheim

Mindelheim war im Gegensatz zu den übrigen hier dargestellten Städten katholisch geblieben und gehörte bis 1586 den reichsunmittelbaren Herren von Frundsberg. Hier existierte keine schwenckfeldische Gemeinde, aber zwei für das süddeutsche Schwenckfeldertum bedeutende Männer hatten dort ihren Wohnsitz, Adam Reißner 76 und Wilhelm von Zell. Reißner studierte zunächst in Ingolstadt und ging 1523 als Begleiter des jungen Melchior von Frundsberg zum Sprachenstudium nach Wittenberg, wo er mit der neuen Lehre in Kontakt kam.77 1532 trat Reißner sein Amt als Stadtschreiber von Mindelheim an, eine mächtige, aber auch schwierige Position mit doppelten Loyalitätsverpflichtungen gegenüber dem Stadtrat und dem Stadtherrn von Frundsberg.78 Ein Jahr zuvor hatte Reißner in Straßburg Schwenckfeld kennengelernt und zählte später zu seinen engsten Mitarbeitern. 79 Er übersetzte lateinische Schriften des schlesischen Schwenckfelders Valentin Crautwald, wirkte als Schreiber für Schwenckfeld, kümmerte sich um die Drucklegung und Verbreitung schwenckfeldischer Werke und arbeitete selbst schriftstellerisch. 80 1548 wurde Reißner verhaftet und aus seinem Amt als Stadtschreiber entlassen, wohl weniger wegen seiner schwenckfeldischen Religiosität als vielmehr wegen seiner Kontakte zur protestantischen Seite im Schmalkaldischen Krieg, die die von Frundsbergs als Gefährdung ihrer Herrschaft werteten. 81 Nach seiner Freilassung schloß sich Reißner noch enger an Schwenckfeld an und ernährte sich fortan von Schreib-

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könnten, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 228, abgedruckt in: Th. Wotschke, Johann Ludwig und Johann Friedrich Münster, S. 99. Erb geht davon aus, daß Reißner Schwenckfeld theologisch beeinflußte, zumindest aber in der Rezeption patristischer Literatur für den Schlesier wichtig war, siehe P. C. Erb, Reissner, S. 32-41. O. Mörke, Ruhe im Sturm, S. 135 f. Nach Mörke gibt es keinen Beleg für eine durch Reißner vermittelte protestantische Gesinnung von Melchiors Vater Georg von Frundsberg. Georg war religiös eher vielseitig interessiert in einer Zeit, als es noch keine konfessionellen Verfestigungen gab. Als das religiöse Verhalten herrschaftspolitisch relevant wurde, entschied sich Georg für das katholische Lager. O. Mörke, Ruhe im Sturm, S. 94. Zur Bedeutung und Macht des Stadtschreiberamtes siehe auch F. Zoepfl, Mindelheim, S. 143. Seinen religiösen Werdegang beschrieb Reißner 1557 in einem Brief an Nikolaus Rhediger, C.S. 15, S. 29-38. Er verfaßte etwa 30 Erbauungsschriften und einige geistliche Lieder, in denen er sich theologisch vorsichtig äußerte, die aber in ihrem neuplatonisch beeinflußten Spiritualismus eindeutig schwenckfeldisch waren. Daneben schrieb er auch einige historische Werke, u.a. eine Geschichte der Familie von Frundsberg. In den historischen Werken wird schwenckfeldische Geschichtsdeutung sichtbar, siehe O. Bucher, Reissner, S. 34-41, 65-78. So die Interpretation von O. Mörke, Ruhe im Sturm, S. 159f. O. Bucher, Reissner, S. 26f. nennt dagegen Reißners religiöse Gesinnung als Haftgrund. Dafür gibt es aber keine Hinweise: Neben Reißner waren auch andere inhaftiert worden, denen Kontakte zu den Schmalkaldenern nachgesagt wurden.

403 diensten und Privatunterricht, zusätzlich wurde er von wohlhabenden Schwenckfelderinnen finanziell unterstützt. 82 Reißner hatte vielfältige Kontakte zur Augsburger Schwenckfeldergemeinde, die er häufig besuchte, aber auch zu dem katholischen kaiserlichen Rat Hans Jakob Fugger in Augsburg, in dessen Auftrag er ein zeitgeschichtliches Werk verfaßte und dem er weitere religionsgeschichtliche Bücher widmete. 83 Fugger war, vielleicht angeregt von Reißner, an schwenckfeldischen Werken interessiert: Der gefangene Augsburger Bernhard Unsinn gab 1553 an, ihm ein schwenckfeldisches Buch gegeben zu haben. 84 Fugger setzte sich 1548 bei den von Frundsberg für Reißners Haftentlassung ein. Reißners enge Verbindung zu den Augsburger Glaubensgenossen war auch der dortigen Obrigkeit bekannt. Zusammen mit dem Haftbefehl für Unsinn und Hieber 1553 erging die Anweisung, Reißner in Gewahrsam zu nehmen, wenn man seiner in Augsburg habhaft werden konnte. 8 " Hintergrund dieser Anordnung war der Bericht der Pfarrerschaft, wonach Reißner unter falschem Namen in Augsburg gewesen sei und Predigten in St. Anna mitgeschrieben habe. Er sei bei dem Augsburger Pfarrer Ketzmann erschienen und habe unter anderem öffentlich geäußert, die protestantischen Prediger hätten einen solchen Jammer in der Stadt angerichtet, daß er nicht zu stillen sei, und es würden bald gegen die Pfarrer gerichtete Schriften erscheinen. 86 Reißners Verhältnis zu der Familie von Frundsberg besserte sich schnell wieder, 1572 veröffentlichte er eine zweite Ausgabe der Familienbiographie, die er ihnen widmete. Er blieb seinem schwenckfeldischen Glauben treu. 87 Vermutlich hatte er den Mindelheimer Wilhelm von Zell mit Schwenckfeld bekannt gemacht. Dieser hatte sich früh der reformatorischen Bewegung angeschlossen und unterhielt Kontakte zu zahlreichen süddeutschen Reformatoren, aber auch zu dem Täuferfuhrer Ludwig Hätzer, der ihm eine Schrift widmete. 88 Schwenckfeld wohnte während seiner Allgäu-Reise 1534 einige Zeit bei von Zell, der ihn auf seinen Reisen nach Augsburg, Ulm und in andere Allgäuer Städte begleitete. 89

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U.a. unterstützten ihn die Schwestern Baumgartner aus Isny, C.S. 11, S. 661. Gegen die in dem Auftragswerk enthaltene antikatholische Polemik kam es zu Konflikten zwischen den beiden, der Kontakt blieb aber weiterhin bestehen, O. Bucher, Reissner, S. 3436. Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Unsinn, Nr. 2. Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher 1553, Nr. 27, fol. 1 5 \ Reißner befand sich jedoch zu dieser Zeit wohl in Lauingen in der Pfalz, der Augsburger Hieber gab im Verhör an, daß er ihm dorthin geschrieben habe. Augsburg, Stadtarchiv, Personenselekte Honold bis Manlich, Akten Laubenberg, 15.9.1553, fol. 3 r , 6 \ Er hatte auch behauptet, Schwenckfeld sei 1539 in Schmalkalden von den versammelten Protestanten nicht als Person verurteilt worden, sondern nur Teile seiner Lehre. Sein Tod läßt sich nicht genau datieren, nach Bucher, starb er wahrscheinlich 1582 in Mindelheim, O. Bucher Reissner, S. 33. F. Zoepfl, Mindelheim, S. 316. C.S. 4, S. 884; C.S. 5, S. 4f. 111.

404

1.6

Kempten

Die weltlichen und geistlichen Obrigkeiten der Stadt waren Schwenckfeld gegenüber zunächst durchaus wohlgesonnen. Als der erwähnte Warnbrief Blarers von 1534 sie erreicht hatte, sandten sie ihn sofort an Schwenckfeld weiter, damit er zu den Vorwürfen selbst Stellung nehmen konnte.90 Die Lage änderte sich jedoch zehn Jahre später, als man Schwenckfeld nicht mehr in der Stadt dulden wollte und seine Anhänger verwarnte. Zusammen mit ihren Freundinnen Katharina und Cecilia Baumgartner war Eva, die Frau des Ratsherrn Blasius Honold, vermittelt durch die Ulmer Schwenckfelderin Barbara Kürenbach, die sich zur Kur im Allgäu aufhielt, mit den Schriften des Schlesiers vertraut geworden. Seit 1544 korrespondierte sie mit ihm und gewann auch ihren Mann für ihren Glauben. Schon zu dieser Zeit ist ihre religiöse Einstellung offenbar bekannt, denn sie berichtete Schwenckfeld, daß sie dafür in Kempten verspottet wurde.91 Ein Jahr später nahmen Eva und Blasius Honold Schwenckfeld für eine Weile in ihr Haus auf. Der lutherische Schwiegervater der Katharina Baumgartner erfuhr von dem Aufenthaltsort des Dissidenten und meldete ihn der Kemptener Obrigkeit.92 Am 14.9.1545 wurde das Ehepaar vor den Rat geladen und in Anwesenheit des Pfarrers Johann Jung verhört. Da sie vage in Aussicht stellten, in Zukunft das Abendmahl vielleicht zu besuchen, kamen sie mit der Ermahnung davon, keine fremden Dissidenten mehr aufzunehmen. An einem inhaltlichen Widerruf war man nicht interessiert.93 Ein halbes Jahr später wurde eine Gruppe von neun Personen genannt, die als Schwenckfelder in der Stadt dem Rat bekannt geworden waren, gegen die man aber nicht weiter tätig wurde.94 1553 kam Primus Trüber als Pfarrer nach Kempten, der die evangelische Kirche der Stadt neu ordnete und lutherisch ausrichtete.95 Ihm waren zwei Helfer zur Seite gestellt, wovon der eine, Georg Mayer, sich als entschiedener Schwenckfelder präsentierte.96 In einem Brief an Heinrich Bullinger vom 13.3.1557 beklagte sich Trüber über den streitlustigen Mann, der schwenckfeldisch predige und seinen Meister vehement verteidige. Wegen seiner Hartnäckigkeit solle er Ostern entlassen werden, allerdings habe er inzwischen einige Anhänger gewonnen, die 90 91 92 93

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C.S. 5, S. 2; T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 1, S. 484. C.S. 9, S. 139. C.S. 9, S. 1020. Stadtarchiv Kempten, Ratsprotokolle 1541-1548, fol. 62f. Die Vorladung stand wohl im Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen Bürger, die Täufer bei sich versteckten, fol. 63v. Es handelte sich um: Hans und Jörg Frei, Blasius und Eva Honold, Hans Kuen, Hans Schibl, Lienhard Schmid, Paulin Stenzel und Jakob Torer, Stadtarchiv Kempten, Ratsprotokolle 1541-1548, 17.5.1546, fol. 74r. P. Warmbrunn, Evangelische Kirche, S. 278-281. Trüber nennt den schwenckfeldischen Helfer nicht namentlich, es muß sich aber um Mayer gehandelt haben, denn der zweite Helfer, Seeger, kam erst 1560 nach Kempten, siehe das Pfarrerverzeichnis in: Ph. J. Karrer, Reformationsgeschichte, S. 45f.

405 beim Rat erreichen wollten, daß er noch länger geduldet würde. 97 Mayer konnte sich wohl tatsächlich noch eine Weile halten, kündigte aber im August des Jahres, um seine Stellung bei den Rehlingern in Leeder anzutreten. 98 Es muß weiterhin zumindest an schwenckfeldischen Büchern Interessierte in Kempten gegeben haben: 1602 besaß ein Heinrich Beschmaller ein Buch Schwenckfelds."

1.7

Wagegg und die Familie von Laubenberg

Beide Familienzweige der von Laubenbergs hatten schwenckfeldische Mitglieder. Neben den schon erwähnten Frauen, Magdalena und Elisabeth von Laubenberg, die den von Laubenberg vom Laubenbergerstein angehörten, war es vor allem der Wagegger Zweig, der sich dem Schwenckfeldertum anschloß. Sophie von Mandach, die Witwe des Hans Caspar von Laubenberg, und ihr Sohn Hans Wilhelm wurden über ihren Schwiegersohn bzw. Schwager Georg Ludwig von Freyberg, den Gemahl der Katharina von Laubenberg, für den spiritualistischen Glauben gewonnen. 100 Hans Wilhelm von Laubenberg war kaiserlicher Rat und von 1541 bis 1545 Landvogt von Schwaben mit Sitz in Ravensburg. Er galt als herausragender Verwaltungsmann, die Landvogtei erhielt er - nicht zuletzt aufgrund seiner beträchtlichen Geldzahlungen - als erster nach der Auslösung aus der Pfandschaft durch Österreich. Von Laubenberg lebte seinen Glauben zunächst nicht offen aus, sondern versuchte ganz im Sinne der schwenckfeldischen via media, konfessionelle Konflikte zu vermeiden, aber dennoch behutsam Veränderungen zu erreichen. So bemühte er sich, Heiligenwallfahrten und Bilder zu beseitigen, was Innsbruck keineswegs als Zeichen häretischer Gesinnung abwehrte, sondern sich tatsächlich bemühte, einige damit verbundene Mißbräuche abzustellen.' 01 Der Landvogt nahm auch Einfluß auf die Reformation an seinem Amtssitz Ravensburg.102 Direkte religiös motivierte Konflikte gab es während seiner Amtszeit zunächst nicht, obwohl es schon vor seinem Amtsantritt in katholischen Kreisen Gerüchte gab, von Laubenberg sei etwas lutrisch und interessiere sich auffallend stark für Philosophie und Theologie.103 Von seinem Familiensitz in Wagegg aus engagierte er sich deutlicher für seinen Glauben und war einer der wichtigsten Geldgeber. Er hatte fünf Männer eingestellt, die die Drucklegung von Büchern 97 98 99 100

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Th. Elze, Primus Trubers Briefe, S. 25f. Ph. J. Karrer, Reformationsgeschichte, S. 45. C.S. 11, S. 517. Calwer Verlagsverein, Württembergische Kirchengeschichte, S. 359; C.S. 8, S. 260f., Schwenckfeld schrieb ihm erstmalig 1542. G. Bossert, Oberschwaben, S. 42f. Siehe unten. H. Günter, Gerwig Blarer, S. 393, 413.

406 Schwenckfelds vorbereiteten.104 1545 begann von Laubenberg, offensiver mit seinem Glauben an die Öffentlichkeit zu treten, was ihm zunehmende Schwierigkeiten mit seinem Landvogtamt einbrachte. Im April hielt Schwenckfeld auf seiner Allgäu-Reise mehrere Tage lang öffentliche religiöse Gespräche in Wagegg ab, zu denen viele Kemptener Bürger kamen, auch interessierte LutherAnhänger.105 Im Juli des Jahres reichte von Laubenberg seine Kündigung in Innsbruck ein, er gab dafür wirtschaftliche und familiäre Gründe an.106 Schwenckfeld sprach in einem Brief vom August allerdings von einer Entlassung, die auch religiöse Gründe gehabt hätte. Vermutlich wird weniger seine schwenckfeldische Religiosität eine Rolle gespielt haben als seine Unterstützung der Reformation in Ravensburg.107 Die Verhandlungen über die gegenseitigen finanziellen Verpflichtungen zwischen von Laubenberg und der oberösterreichischen Regierung zogen sich noch bis 1546 hin.108 Hans Wilhelm von Laubenberg konnte sich nun ungestörter seiner religiösen Mission widmen, was sicher eines der Motive für die Amtsaufgabe war.109 Im gleichen Jahr begann er damit, eine Reihe von Verteidigungsschreiben für Schwenckfeld an süddeutsche Reichsstädte zu schicken. 1545 und 1546 wandte er sich gegen antischwenckfeldische Polemiken der protestantischen Pfarrer und übersandte schwenckfeldische Schriften nach Memmingen und Lindau.110 Er nutzte dabei seine soziale Stellung als Adeliger und kaiserlicher Rat und wies auch auf Schwenckfelds sozialen Status hin. Er stellte es als besonders verwerflich dar, einen Ritter von Adel zu verunglimpfen und zu verurteilen, ohne ihn selbst gehört zu haben.111 1548 schickte er auf Schwenckfelds Bitten hin dessen Schriften an den Pfarrer von Isny, Benedikt Burgauer.112 Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen der Augsburger Schwenckfelder Hieber und Unsinn mit den Pfarrern schrieb von Laubenberg am 30.8.1553, kurz vor der Verhaftung von Hieber, Unsinn und Marqardt, an den Augsburger Rat. Er bestand darauf, daß man Schwenckfeld seine Irrtümer schriftlich aus seinen Büchern nachweise und ihm Gelegenheit gebe, sich zu verantworten.113 Nachdem er aus Augsburg nur

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C.S. 4, S. 663f. C.S. 9, S. 309. Siehe H.-P. Mielke, Das süddeutsche Schwenkfeldertum, S. 75f. T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 2, 370. Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, Oberösterreichische Kammer-Kopial-Bücher 1545, Bd. 193, Reihe: Geschäfte vom Hof, fol. 112, 129f„ 162-164, 182f„ 293v. 1548 schrieb von Laubenberg an Schwenckfeld, daß er seinen Glauben nie mehr verleugnen wolle, C.S. 11, S. 769. Siehe oben. Memmingen, Stadtarchiv, A 344/7, fol. 25r-26v. C.S. 11, S. 509. Augsburg, Stadtarchiv, Personenselekte Honold bis Manlich, Akten Laubenberg, 30.8.1553. Der Brief war mit Schwenckfeld abgestimmt, dieser informierte kurz darauf auch Unsinn über von Laubenbergs Initiative. Fälschlich bemerken die Herausgeber des C.S. dazu, daß

407 eine knappe Antwort erhalten hatte, die auf den Inhalt seines ausführlichen Schreibens kaum einging,' 14 sandte von Laubenberg kurze Zeit später einen weiteren Brief an den Rat, der noch ausführlicher und schärfer im Ton war, zudem die inzwischen inhaftierten Schwenckfelder Hieber und Unsinn verteidigte und ihre sofortige Freilassung forderte. Von Laubenberg bestritt vorsorglich jede persönliche Verbindung zu ihnen, um ihnen nicht zu schaden. Er verlangte erneut, der Rat möge zumindest erwirken, daß die Pfarrer ihre Schmähungen einstellten.'" Der Augsburger Rat beschloß, auf dieses Schreiben nicht mehr zu antworten." 6 Hans Wilhelm von Laubenberg trug sich mit seinem öffentlichen Eintreten für Schwenckfeld zwar Schwierigkeiten mit den protestantischen Reichsstädten ein, blieb aber von katholischer Seite erstaunlicherweise weitgehend unbehelligt. Sein Besitz Wagegg war ein Lehen des Fürststifts Kempten. Er unterhielt gute Beziehungen zum Fürstabt Wolfgang von Grünenstein (1535-1557), der protestantischen Glaubensrichtungen, auch dem Schwenckfeldertum, durchaus interessiert gegenüberstand," 7 was unter Umständen erklärt, warum von Kemptener Seite nie gegen von Laubenberg vorgegangen wurde. Schwenckfeld verfaßte vermutlich in der Bibliothek der Benediktinerabtei in Kempten 1541 eine seiner Schriften." 8 Die Kontakte zwischen dem Abt und Schwenckfeld liefen in der Regel über Hans Wilhelm von Laubenberg, der sich häufiger mit von Grünenstein traf. 1546 diskutierte der Abt mit dem Schlesier über den geistlichen Stand, drei Jahre später erkundigte er sich über von Laubenberg nach Schwenckfelds Einschätzung der Interimsmesse." 9 1554 soll er nach Schwenckfelds Angaben zu von Laubenberg gesagt haben, Schwenckfelds Lehre müsse schon wegen der vielen Anfeindungen wahr sein, die das Evangelium immer habe erfahren müssen. 120 Hans Wilhelm von Laubenberg starb etwa 1564 als überzeugter Schwenckfelder. Auch seine Familie teilte seine religiöse Überzeugung: Hans Wilhelms Frau, Ursula Schürff von Schoenenwerth, beteiligte sich an dem Vertrieb schwenckfel-

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der Briefwechsel nicht erhalten sei, er liegt aber vollständig einschließlich der Stellungnahmen der Pfarrer im Augsburger Stadtarchiv vor. Augsburg, Stadtarchiv, Personenselekte Honold bis Manlich, Akten Laubenberg, 19.9.1553. Die Pfarrerschaft hatte zuvor eine ausführliche Stellungnahme an den Rat verfaßt (28.9.1553), in dem sie alle von Laubenbergischen Unterstellungen zurückwies und auch betonte, daß man die weltliche Stellung Schwenckfelds und von Laubenbergs als Adelige niemals angetastet habe. Es wurde allerdings spöttisch vermerkt, daß von Laubenberg, der seine Position als kaiserlicher Rat betont hatte, doch eher seiner A u f g a b e gemäß zu Friede und Einigkeit in der Reichsstadt zu raten schuldig sei als dieselbe zu stören, zu betrüben und zu belästigen (fol. 2 r ). Sie stellten in dem Schreiben detailliert die Auseinandersetzungen mit den Augsburger Schwenckfeldern dar, was zur Verhaftung von Hieber und Unsinn führte. Kurz erläuterten sie zudem die schwenckfeldische Christologie aus ihrer Sicht. Augsburg, Stadtarchiv, Personenselekte Honold bis Manlich, Akten Laubenberg, o. Datum. Augsburg, Stadtarchiv, Ratsbücher 1553, Nr. 27, fol. 18r. J. B. Haggenmüller, Kempten, Bd. 2, S. 10. C.S. 7, S. 463. C.S. 10, S. 100-124; C.S. 11, S. 998-1000. Siehe C.S. 7, S. 463.

408 discher Schriften.121 1549 besuchte sie zusammen mit Tochter Helena122 Schwenckfeld für mehrere Tage in Esslingen. Auf dem Rückweg suchten sie Sibilla Eiselin in Augsburg auf.123 Der Sohn Hans Leopold hatte ebenfalls Kontakt zur Augsburger Gruppe, besonders zu Eiselin.124 Er heiratete die Augsburger Schwenckfelderin Concordia Rehlinger, eine Tochter von Jakob Rehlinger. Sein Bruder, der Jurist Carl von Laubenberg, geriet in finanzielle Schwierigkeiten und versuchte zunächst vergeblich, den verschuldeten Besitz Wagegg an das Fürststift zu verkaufen. Zwei Jahre nach seinem Tod (1576) wurde die verschuldete Herrschaft einem seiner Gläubiger übertragen.125 Nach diversen Rechtsstreitigkeiten der übrigen Erben und Gläubiger, die alle abgefunden wurden, ging Wagegg 1584 endgültig in den Besitz des Stifts Kempten über.126 Mit dem Tod Carls starb die Linie Laubenberg-Wagegg aus.

1.8

Ravensburg

Die vor der Reformation patrizisch geprägte Reichsstadt Ravensburg tat sich anfangs schwer mit der Reformation, was auch an notwendigen außenpolitischen Rücksichten lag, denn die Stadt war von katholischem Territorium umgeben.127 Hans Wilhelm von Laubenberg leistete einen wichtigen Beitrag zum Durchbruch der Reformation in der Stadt. Durch seinen Amtsantritt sahen sich die Katholiken in der Stadt ihres religiösen Rückhaltes in der Landvogtei beraubt. Von Laubenberg verbarg seine Religiosität immer weniger und ließ kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt 1545 den protestantischen Ravensburger Helfer Konrad Konstanzer auf der Burg, seinem Amtssitz, predigen.128 Einen wichtigen Impuls für die Reformation stellte der Machtgewinn der meist protestantisch gesonnenen wohlhabenden Zunftbürger dar. Sie waren zum Teil schon im Humanismus engagiert gewesen, auch die schwenckfeldischen Familien der Stadt stammten aus dieser aufstrebenden sozialen Gruppe, die 1544 die Bürgermeisterwahlen gewinnen konnte.129 121 122

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C.S. 11, S. 648f. Helena von Laubenberg heiratete später in nicht-schwenckfeldische Familien ein: Zunächst ehelichte sie Engelhard Adelmann von Adelmannsfelden; nach dessen Tod verband sie sich mit Balthasar Friedrich Hauer von Hauersberg, siehe Th. Schön, Reutlinger Patrizier- und Bürgergeschlechter, S. 91-93. C.S. 11, S. 922. C.S. 13, S. 360. Der Großteil der Schulden, die auf Wagegg lasteten, stammten noch aus der Zeit von Hans Wilhelm, für Carl kamen weitere hinzu, die vor allem aus familiären Verpflichtungen herrührten, Augsburg, Staatsarchiv, Fürststift Kempten, Archiv, Urk. 3913, 3928, 3930, 3937 (Versicherung des Heiratsguts seiner verw. Schwägerin), 4198, 4199, 4211; Lehenhof A 198. J. B. Haggenmüller, Kempten, Bd. 2, S. 97. H.-G. Hofacker, Reformation, S. 80-87, 105f., 112. H.-G. Hofacker, Reformation, S. 93. P. Warmbrunn, Zwei Konfessionen, S. 59.

409 Die zentrale Figur der Reformationsbewegung war der Stadtschreiber Gabriel Kröttlin, der auch mit dem Schwenckfeldertum sympathisierte und mit Caspar Schwenckfeld korrespondierte. Der Kontakt war durch von Laubenberg vermittelt worden.130 Die in der bikonfessionellen Reichsstadt bekanntgewordenen Schwenckfelder gehörten wie Kröttlin den humanistisch gesonnenen Familien an.131 Es handelte sich dabei um die miteinander verschwägerten Familien Hillenson und Haidenhofer. Die Hillenson hatten katholische wie lutherische Familienmitglieder, vor allem aber schwenckfeldische. Jakob Hillenson, der sich früh der Reformation angeschlossen hatte, heiratete die Schwenckfelderin Katharina Trautwein.132 Ihren Sohn Burkhart erzog sie in ihrem Glauben. Er ging nach Augsburg, wo er sehr erfolgreich als Kaufmann tätig war und die Glaubensschwester Helena Schweigger heiratete.133 Seine Cousine Dorothea verband sich mit dem bekennenden Ravensburger Schwenckfelder Martin Haidenhofer. 134 Sie wurde 1566 zusammen mit Katharina Trautwein-Hillenson als Schwenckfelderin im evangelischen Taufbuch genannt.135 Ihre Aktivitäten waren also durchaus bekannt, ein Vorgehen von kirchlicher oder weltlicher Seite gegen die Schwenckfelderinnen in der Stadt wird jedoch nicht erwähnt.

2.

Herzogtum Württemberg

Im Herzogtum Württemberg hatte Schwenckfeld vor allem unter den ritterschaftlichen Adeligen Anhänger. Sie beherbergten schwenckfeldische und täuferische Flüchtlinge und stellten zum Teil schwenckfeldische Geistliche in ihren Besitzungen an, deren Predigttätigkeit auch württembergische Untertanen aus den umliegenden Gebieten anzog, so daß sich in benachbarten württembergischen Orten ebenfalls schwenckfeldische Gemeinden bildeten. Eine erste Generation von Anhängern bestand aus Adeligen am Hof Herzog Ulrichs um den Erbhofmarschall Hans Konrad Thumb von Neuburg und seinen

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C.S. 11, S. 350-353. Hinweise auf weitere briefliche Kontakte gibt es nicht. Hofacker bezweifelt, daß Kröttlin Schwenckfelder war, er hält ihn eher für einen Zwinglianer, H.-G. Hofacker, Reformation, S. 91. H.-G. Hofacker, Reformation, S. 75. Sie heiratete in zweiter Ehe den schlesischen Glaubensgenossen Moretzgi, der in Memmingen lebte, siehe oben. W. Reinhard, Eliten, S. 294. Helena war die Tochter von Regina Kraffter und Markus Schweigger, die beide zum Zentrum der Augsburger Schwenckfeldertums gehörten. P. Warmbrunn, Zwei Konfessionen, S. 352. H.-G. Hofacker, Reformation, S. 119f.

410 Bruder Hans Friedrich.136 Sie hatten Schwenckfeld 1533 in Esslingen kennengelernt und blieben zeitlebens seine Freunde, Gastgeber und Verteidiger.137 Hans Konrad Thumb arrangierte 1535 für Schwenckfeld, der von Jakob Held von Tieffenau begleitet wurde, ein Religionsgespräch mit den protestantischen Theologen Ambrosius Blarer, Martin Bucer und Martin Frecht in Tübingen, das aber nur kurzzeitig eine Pause in den Auseinandersetzungen der beiden Parteien brachte.138 Neben Thumb waren am württembergischen Hof auch der Kanzler Nikolaus Maier und der Landhofmeister Hans Balthasar von Gültlingen Schwenckfeld und seinen Lehren gegenüber aufgeschlossen.139 Stärker und längerfristig hatte sich der Augsburger Arzt Wolfgang Thalhauser dem Schwenckfeldertum angeschlossen, der von 1538 bis 1543 neben seiner Tübinger Professur Leibarzt Herzog Ulrichs war. Diese schwenckfeldische Gruppe am Hof existierte allerdings nur bis zur Mitte der vierziger Jahre.140 Daneben gab es aber bis ins 17. Jahrhundert adelige Anhänger in Württemberg; diese Familien waren häufig durch Eheschließungen miteinander verbunden. Die Schwestern Ursula und Sophie Thumb teilten den Glauben ihrer Brüder. Ursula lebte nach der Ermordung ihres Gemahls, des herzoglichen Stallmeisters Johann von Hutten, durch Herzog Ulrich und dem Tod ihres Vaters auf dem Besitz ihres Bruders Hans Konrad in Stetten.141 Sie korrespondierte mit Valentin Crautwald und Schwenckfeld, mit dem sie auch persönlich zusammentraf, da er sich des öfteren in Stetten aufhielt.142 1540 erwarb sie Neuburg am Bodensee in der Schweiz und verließ Württemberg. Unklar ist, ob sie dort Glaubensflüchtlinge aufnahm.143 Ihre Schwester Sophie, die mit dem Obervogt von Heidenheim, Chri136

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Zu den Brüdern siehe vor allem E. Boger, Thumb von Neuburg, allerdings ohne Hinweise auf ihre dissidentische Religiosität. G. Bossert, Aus der nebenkirchlichen religiösen Bewegung, S. 18; Briefwechsel mit Schwenckfeld erhalten ab 1535, C.S. 5, S. 296-301. Zum Tübinger Religionsgespräch siehe Kap. 5.1.3. Clasen betont, sie seien weniger Anhänger als persönliche Freunde Schwenckfelds gewesen, C.-P. Clasen, Schwenckfeld's Friends, S. 61. Eine solche Unterscheidung ist im frühen Schwenckfeldertum m.E. nur bedingt sinnvoll, vgl. Kap. 5. Hans Konrad Thumb und Nikolaus Maier wurden 1544 bzw. 1545 entlassen - weniger aus religiösen Gründen als vielmehr aus politischen und finanziellen, siehe Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 1009-1013; Clasen, Schwenckfeld's Friends, S. 59. Thalhauser ging als Arzt nach Augsburg zurück, um sich intensiver seinen religiösen Studien zu widmen, wie er Schwenckfeld mitteilte, C.S. 9, S. 402. Zur Biographie siehe R. Bütterlin, Ursula Thumb von Neuburg, S. 327-333. C.S. 5, S. 712-718; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 45.9.Aug.2°, fol. 420-423. H.-P. Mielke nimmt das an. Er sieht in der Ansiedelung württembergischer Adeliger am Bodensee, von denen allerdings höchstens drei (Thumb, Freyberg, Wambold ist fragwürdig) eindeutig schwenckfeldisch sind, eine planmäßige Strategie zur Gründung eines schwenckfeldischen „Gottesstaates". Direkte Quellenbelege gibt es für diese These jedoch nicht, H.P. Mielke, Gottesstaat, S. 372-381. Hans Konrad Thumb folgte seiner Schwester nach Neuburg 1545 und übernahm den Besitz nach ihrem Tod 1551. Nach seinem Ableben ging Neuburg in den Besitz von Hans Konrads lutherischem Sohn Konrad über.

411 stoph von Axleben, verheiratet war, stand mit der Familie Streicher in Ulm ebenso in Kontakt wie mit den Cannstatter Schwenckfeldern. 144 Auch die Gemahlin Hans Friedrichs, Margarethe von Vellberg, unterhielt Verbindungen zu Schwenckfeldern außerhalb des Herzogtums: Sie korrespondierte mit den Schwestern Baumgartner in Isny und besuchte 1545 zusammen mit Katharina Streicher Schwenckfeld im Freybergischen Justingen. 145 Das Schwenckfeldertum wurde in der Familie Thumb auch an die nächsten Generationen weitergegeben, allerdings nicht an alle Kinder: Der Sohn Hans Konrads, Konrad Thumb von Neuburg, war lutherisch und ging gegen die Dissidenten, die sein Vater auf seinen Besitzungen geduldet hatte, mit Ausweisung vor, soweit ihm das möglich war. In Köngen, wo die Obrigkeit zwischen ihm und seiner Schwägerin Margarethe von Liebenstein, der Witwe Albrecht Thumbs, geteilt war, konnte er nichts gegen die Aufnahme von Täufern ausrichten, wie er 1582 dem württembergischen Hof resigniert berichtete. 146 Seine Schwester Sibilla dagegen gehörte wie ihr Vater den Schwenckfeldern an. Auch sie korrespondierte mit der Familie Streicher, mit der etwa gleichaltrigen Katharina scheint sie befreundet gewesen zu sein. 147 Sie heiratete in erster Ehe den Glaubensgenossen Hans von Sperberseck, der das Schwenckfeldertum offen nach außen vertrat: Er überbrachte Briefe Schwenckfelds an den Landgrafen von Hessen und an den Markgrafen von Baden und begleitete den Schlesier zu Gesprächen mit dem Rat und den Theologen in Ulm.' 48 Die Enkelin Hans Friedrichs, die mit Johann Philipp von Nippenburg verheiratet war, unterhielt Verbindungen zu württembergischen Schwenckfeldern in der nippenburgischen Besitzung Grundsheim und hatte schwenckfeldische Diener. 149 Die Familie von Nippenburg beherbergte seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ebenfalls Täufer auf ihren Besitzungen. 130 Die von Nippenburg gingen Hei-

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 114. C.S. 9, S. 4 3 1 , 6 2 6 . Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 538. Es ist unklar, ob Margarethe von Liebenstein selbst täuferisch oder schwenckfeldisch war oder ob die Täuferbeherbergung wie in einigen anderen Fällen katholischer und protestantischer Adeliger der Demonstration ihrer Reichsunmittelbarkeit diente, siehe Kap. 5. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 96f. C.S. 6, S. 403-427; C.S. 8, S. 9. Nach dem Tod ihres ersten Gemahls 1556 heiratete Sibilla den Schultheiß von Großheppach Wendel Siglin, den sie zuvor wegen Vergewaltigung (nach der sie schwanger wurde) verklagt hatte. Siglin ehelichte sie, nachdem er eine Haftstrafe wegen des Notzuchtdeliktes abgesessen hatte. Sibillas Vater soll sich für Siglin schon früher eingesetzt haben, als er wegen anderer Unzuchtsdelikte in Haft gekommen war, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 1011 f., 1021. 1625/26 wird im Z u s a m m e n h a n g mit Nachforschungen im Umfeld des schwenckfeldischen Tübinger Druckers Eberhard Wild von der schwenckfeldischen Adeligen in Grundsheim berichtet, die einen von Nippenburg geheiratet hatte. Der verdächtige Pfarrer Theodor Kantz aus Ditzingen hielt sich bei ihr auf. Seine schwenckfeldische Base war mit dem dortigen Diener Brunn verheiratet, Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 2b. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 251, 395, 445, 636, 1112.

412 ratsverbindungen mit der überwiegend katholischen Familie von Bubenhofen ein, die einige schwenckfeldische Mitglieder hatte. Ludwig von Nippenburg heiratete 1601 Maria Jakobe von Bubenhofen, eine Tochter des Hans Marx von Bubenhofen und der Katharina von Freyberg.151 Ihre Tochter Maria Salome starb ledig 1689 als virgo, secta Schwenkfeidiana}52 Sie war nach ihrer Tante benannt worden, die ihren Cousin Ludwig von Freyberg geehelicht hatte.153 Die schwenckfeldischen Mitglieder der Familien Nippenburg, Bubenhofen, Freyberg und auch die von Rechberg154 waren verwandtschaftlich eng miteinander verbunden. Die aus der in Straßburg ansässigen Schwenckfelderfamilie Scher von Schwarzenburg stammende Margaretha Scher kam wohl über ihre Familie schon in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts zum Schwenckfeldertum. Ihr Mann Klaus von Grafeneck, der verschiedene Obervogtämter in Württemberg bekleidete, korrespondierte zwar mit Schwenckfeld, war aber wohl kein wirklicher Anhänger.155 Margaretha war umso überzeugter: Nach Meinung des Ulmer Pfarrers Frecht würde sie eher ihren Mann verlassen als Schwenckfeld.156 Sie erzog ihre Töchter entsprechend, so daß sie gegen alle Widerstände an ihrem schwenckfeldischen Glauben festhielten. Susanna von Grafeneck, die Frau des Obervogtes von Blaubeuren und herzoglichen Kammermeisters, Wolf von Zillenhart, setzte sich wie ihre Schwestern und ihre Mutter für Täufer ein. Die herzoglichen Behörden führten es vor allem auf ihre durch den schwenckfeldischen Glauben motivierte Initiative zurück, daß auf der Zillenhartschen Besitzung in Geradstetten Täufer beschäftigt wurden. Mehrere Jahre währte ein Konflikt zwischen der Familie und der württembergischen Obrigkeit um das täuferisch-schwenckfeldische Schult-

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A. Gaier, Bubenhofen, S. 23. Katharina stammte aus der schwenckfeldischen von FreybergFamilie und war die Schwester des Georg Ludwig von Freyberg. A. Gaier, Bubenhofen, S. 81, A. 22. Maria Salomes Mutter, Katharina von Freyberg, und der Vater ihres Gemahl, Hans Pleickhart, waren Geschwister, F. M. Weber, Justingen, S. 129, macht diese Verbindung im Stammbaum nicht deutlich, siehe aber A. Gaier, Bubenhofen, S. 81, A. 22. Auch die Familie von Rechberg hatte schwenckfeldische Mitglieder: 1616 wurde der Bader aus Böhringen von den Ulmer Behörden vor allem deswegen verdächtigt, Schwenckfelder zu sein, weil er in das rechbergische Donzdorf ging, Ulm, Pfarrkirchenbaupflegamt, Protokolle, A [6847], Bl. 139b. 1646 nannte der Schwenckfelder Ludwig Münster in seinem Abschiedsbrief seine Glaubensgenossen, darunter eine Gräfin Rechen-Rechberg, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 233v. C.S. 11, S. 958-969. Er war Obervogt in Kirchheim, Blaubeuren und Urach. Seine Amtsführung war nicht unumstritten. Es wurde 1555 bemängelt, daß er die erwünschte Sittenzucht nicht durchsetze und die säumigen Untertanen nicht zum Predigtbesuch bringe. Seine Loyalität während des Schmalkaldischen Krieges war ebenfalls Gegenstand kritischer Untersuchungen. Seine eigene Religiosität oder die seiner Frau waren aber nie Gegenstand von Nachforschungen, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 33. T. Schieß, Briefwechsel, Bd. 2, S. 273. Katharina Streicher aus Ulm hatte sie missioniert, T. Schieß, 266.

413 heiß-Ehepaar Wächteler.157 Christine von Grafeneck, die mit Heinrich von Gaisberg verheiratet war, unterstützte zusammen mit ihrer Mutter den gefangenen Täufer Paul Glock.158 Vermutlich über die Familie ihrer Schwester Juliane hatte Christine Verbindungen zur schwenckfeldischen Gruppe um Johann Martt, mit dem sie sich brieflich austauschte, der ihr eine Psalmauslegung schickte und den sie gemeinsam mit ihrem Mann finanziell unterstützte.159 Materielle Hilfe erhielt Martt auch von der dritten Schwester Juliane, seiner Schwägerin. Ihr Gemahl Carl von Remchingen, der nach einer Dienstzeit bei Markgraf Karl von Baden160 mehrere Obervogtämter in Württemberg bekleidete, teilte ihren Glauben nach eigenen Angaben nicht, aber auch er beteiligte sich an der Unterstützung Martts.161 Wegen des dissidentischen Glaubens seiner Frau verlor er 1580 seine Anstellung als Obervogt von Blaubeuren und wurde erst fünf Jahre später wieder in herzoglichen Diensten beschäftigt. An der Religiosität seiner Frau hatte sich nichts geändert.162 Carl besuchte zwar mit seinen Kindern eifrig den lutherischen Gottesdienst, die schwenckfeldische Religiosität der Mutter spielte aber in der Erziehung ebenfalls eine Rolle. Schon im Kindesalter, als die Familie nach der Entlassung des Vaters auf Einladung der mit ihnen verschwägerten von Freybergs in Obergriesingen lebte, wurden Anna und Philipp Ruprecht von Remchingen von Johann Martt mit schwenckfeldischer Lektüre versorgt.163 Philipp Ruprecht war später württembergischer Forstmeister und lebte in der Familienbesitzung Altbulach.164 Er fiel 1608 den württembergischen Behörden auf, weil weder er noch seine Familie oder das Gesinde die lutherische Kirche besuchten und als schwenckfeldisch eingestuft wurden. Zwar wurde er mehrfach deswegen angesprochen, Sanktionen ergriff man aber nicht.165

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 384, 428f„ 450, 457, 502, 552,566, 590, 594,619, 1087. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 350 Α. 1, 367. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 52-55. Die Familie von Remchingen hatte ihren Stammsitz in Baden, ganz in der Nähe von Durlach, und die männlichen Familienmitglieder waren am dortigen Hof in Diensten. Die Beteuerung der Rechtgläubigkeit geschah unter Druck und war vermutlich eher Teil einer dissimulierenden Strategie Carls. Zumindest hatte er Kontakt zu seiner Schwester Agnes' und ihrem Mann Johann Martt. Nach ihrem Tod vernichtete er auch nicht ihre schwenckfeldischen Schriften, sondern gab sie zusammen mit seiner Tochter Anna an Agnes Glaubensgenossen Daniel Sudermann, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ. fol. 427, fol. 56. Sudermanns Exemplar des Berichts von Agatha Streicher über Schwenckfelds Sterben hatte Agnes von Remchingen-Martt gehört. Sudermann vermerkt auf dem handschriftlichen Exemplar, er habe es von dem von Remchingen vnd seiner Tochter her, Ms.germ.qt. 343, fol. 343 r . Siehe Kap. 5. Das berichtete Martt in einem Brief an ihre Tante Christine von Grafeneck, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 5 4 \ W. Pfeilsticker, Neues Württembergisches Dienerbuch, Bd. 2, § 2213. Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 155, Bü 146, Akten Philipp Ruprecht von Remchingen, Nr. 1-6. Er war in erster Ehe mit einer Cousine, der Tochter Christines von Grafeneck, verheira-

414 Außerhalb der Adelssitze kam es kaum zu größeren Gemeindebildungen im Herzogtum, obwohl erst unter Herzog Christoph planmäßig gegen die Dissidenten vorgegangen wurde. Eine Ausnahme bildete Cannstatt, die schwenckfeldische Gruppe dort entstand in engem Zusammenhang mit dem schwenckfeldischen Pfarrer der Thumbschen Besitzung Stetten, Burkhard Schilling. Wie aus der erhaltenen Korrespondenz hervorgeht, existierte schon mindestens seit 1539 ein schwenckfeldischer Zirkel in dem Ort, der aber nicht weiter auffiel. Erst der neue Cannstatter Vogt Fries hatte bei seinem Amtsantritt 1544 bemerkt, daß viele Untertanen nicht zur Kirche kamen. Ihre religiöse Orientierung konnte man anfangs nicht genau feststellen, die Nachforschungen ergaben dann, daß es sich um Schwenckfelder handelte, die in großer Zahl (über 50 Personen) in die Stettener Predigt liefen, darunter auch Richter und ein Ratsmitglied. Die schwenckfeldischen Amtspersonen wurden entlassen, ansonsten blieb es bei Ermahnungen. Nur der ehemalige Mönch und Buchhändler Andreas Neff, den man als Anfuhrer sah und der dissidentische Bücher vertrieb, wurde festgenommen und, da er wenig kompromißbereit war, zwei Jahre lang in Haft gehalten. 1551 wurde er erneut vorgeladen im Zusammenhang mit einem Brief seiner Frau, der ehemaligen Begine Margarethe Burgecker. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung beschlagnahmte man wieder zahlreiche schwenckfeldische Bücher.166 Damals erschien auch der Bürgermeister von Cannstatt verdächtig.'67 Danach kam es zwar nicht mehr zu größeren Konventikelbildungen, aber unterstützt durch die schwenckfeldischen Adeligen hielten sich die Spiritualisten einzeln oder in kleinen Gruppen bis weit in das 17. Jahrhundert. Sie rekrutierten sich vor allem aus Mitgliedern der lokalen Obrigkeit und Handwerkern in den kleinen Städten. Diese auf den ersten Blick vereinzelten Dissidenten lebten aber keineswegs isoliert, sondern viele hielten Kontakt zu den Schwenckfeldern in anderen Städten und Territorien. Einen Blick auf ein solches überregionales Netzwerk bietet der Fall des Tübinger Druckers Eberhard Wild 1622.168 Hier wird gleichzeitig deutlich, daß viele

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tet, auch sein Bruder Gideon ehelichte eine Nichte seiner Mutter, die Tochter Susannas von Grafeneck, Margarethe von Zillenhart, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, Ritterkanton NeckarSchwarzwald, Β 580, Bü 1378; O. Bickel, Remchingen, S. 56-59. 1544 hatte man diverse schwenckfeldische Werke gefunden, die von Theologen begutachtet wurden, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 91-94; 1551 beschlagnahmte man offenbar den gesamten Bücherbestand des Händlers und schickte ihn in zwei Säcken an den Herzog weiter. Die Werke selbst sind verloren, für den ersten Sack gibt es jedoch eine Titelliste, die nur ein einziges schwenckfeldisches Buch enthält, die übrigen dissidentischen Druckschriften befanden sich wohl in dem zweiten Sack, A. MenzelReuters, Tübinger Quellen, S. 317f. Zum Vorgehen gegen die Cannstatter Gruppe insgesamt siehe Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 88-126. Zu den Details des Prozesses und der Bewertung aus theologischer und kirchengeschichtlicher Sicht siehe die Arbeiten von U. Bubenheimer, Rezeption; ders., Von der Orthodoxie und D. Fauth, Typusentwicklung; ders., Dissidentismus, siehe Kap. 6.

415 Schwenckfelder lange Zeit unbehelligt lebten, weil sie ihre wirkliche religiöse Überzeugung verbargen. 169 Als die Tübinger Behörden durch eine Denunziation entdeckten, daß Wild im großen Stil dissidentische (darunter vor allem schwenckfeldische) Schriften druckte und vertrieb, bemühten sie sich, die Auftraggeber und Käufer dieser Werke zu ermitteln. Man fand schließlich heraus, daß sich in Tübingen ein fester dissidentischer Kreis gebildet hatte, zu dem sogar Universitätsangehörige zählten. Weitere Abnehmer und Auftraggeber fanden sich in Österreich, in Leipzig, Rostock und Stettin, 170 aber auch unter der württembergischen Pfarrerschaft. Besonders aktiv war hier der Ditzinger Pfarrer Theodor Kantz, der einige schwenckfeldische Manuskripte besaß, darunter drei Schriften von Jakob Held von Tieffenau, Schwenckfelds engstem Mitarbeiter. Von Wild rechtzeitig gewarnt, konnte er die diskreditierenden Werke beiseite schaffen, so daß bei einer Hausdurchsuchung nichts gefunden wurde. Zwar wurde bekannt, daß Kantz sich um die Pfarrstelle in Opfingen bei dem schwenckfeldischen Georg Ludwig von Freyberg beworben hatte, dort oft mit dem Justinger Sekretär verkehrte und sich in Opfingen öffentlich beim Mahle gegen die württembergische Kirche geäußert hatte. Dennoch gelang es ihm, sich bei den Verhören so geschickt herauszureden, daß man ihm letztendlich keine Häresie nachweisen konnte. 171 Wild erging es weniger gut, er wurde inhaftiert, seine Druckerei vorübergehend geschlossen. 172 Graf Georg Ludwig von Löwenstein setzte sich mit einer Bittschrift für die Wiedereröffnung der Offizin ein, die sehr detailliertes Wissen über die Vorgänge offenbart und in der er Argumente benutzt, wie sie unter Schwenckfeldern üblich waren. 173 Der Graf vertrat ansonsten in der Öffentlichkeit jedoch keine Ansichten, die auf eine Zugehörigkeit des Grafen zur schwenckfeldischen Gemeinschaft schließen ließe. Obwohl seit der Regierungszeit Herzog Christophs immer wieder Mandate gegen die Schwenckfelder erlassen wurden, die ein abgestuftes Vorgehen anordneten, das nach Belehrungen, Drohungen und Inhaftierung auch die Ausweisung als letztes Mittel vorsah, wurde diese Sanktion kaum angewandt. Einer der wenigen Fälle war der Stuttgarter Schwenckfelder Matthäus Felber, der 1649 das Herzogtum verlassen mußte, da er offen zu seiner Religion stand. 174 Er versuchte bei 169 170 171

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Siehe Kap. 5. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 2a, Nr. 10. Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 2b, Schriftstück Nr. 1, 15.3.1625; Schriftstück Nr. 2, 10.5.1625 (Berichte des Speziais von Blaubeuren an den Herzog). Wild erreichte die Erlaubnis, wieder drucken zu dürfen. 1629 wurde erneut wegen Druckens ohne Genehmigung gegen ihn ermittelt, Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 2a. Er betonte, daß viele der Werke schon zuvor gedruckt worden seien, daß einige davon nur Wilds privatem Gebrauch dienten und vor allem daß die Schriften nicht öffentlich verboten seien, Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 728, Nr. 2a, Schriftstück Nr. 9, Beilage, 25.5.1622. So argumentierten auch die schwenckfeldischen Drucker in Augsburg, siehe oben. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 911.

416 verschiedenen Reichsrittern im süddeutschen Raum unterzukommen und hatte auch mehrere Angebote von Adeligen, die ihm zusagten, ihn in seiner Religion zu schützen. Mit Hilfe seiner Nürnberger Glaubensgenossen Nikolaus Pfaff und Maria Janin bemühte er sich, im Elsaß unterzukommen.175

3.

Oberrhein

3.1

Landau

Wie in Kaufbeuren kann man auch in Landau von einer schwenckfeldisch geprägten Reformation sprechen. Die kleine Reichsstadt war vom Kaiser an das Bistum Speyer verpfändet worden und hatte sich erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts freikaufen können. Das Bistum besetzte jedoch weiterhin die Stiftsherrenstelle an der Pfarrkirche in Landau.176 Dort hatte Speyer seit 1518 Pfarrer Johannes Bader (1470-1545)'77 angestellt, der sich früh der Reformation zuwandte. Er kam wohl bei seinen Studien 1518 bis 1520 in Heidelberg mit der Reformation in Berührung; schon 1529 nahm er Kontakt zu Schwenckfeld auf.178 Stand er den Lehren des Schlesiers anfangs kritisch gegenüber, wurde er bald dessen Anhänger und korrespondierte häufig mit ihm. Den Täufern gegenüber war er anders als andere Schwenckfelder keineswegs tolerant, sondern setzte sich erfolgreich fur ein obrigkeitliches Vorgehen gegen diese Dissidenten-Gruppe ein.179 Bader legte großen Wert auf die christliche Erziehung der Kinder, die der Säuglingstaufe zu folgen habe. Neben Erziehungsschriften verfaßte er auch Werke für Erwachsene, so eine Haustafel zur Verbesserung der christlichen Lebensführung. Ganz im schwenckfeldischen Sinne legte er Wert auf die Früchte des Glaubens und betonte bei den Sakramenten den inneren Vorgang. Seit 1541 praktizierte er den schwenckfeldischen Abendmahlsstillstand, d.h. er enthielt sich nicht nur selbst des Nachtmahls, sondern teilte es auch nicht mehr an seine Pfarrkinder aus. Mit der Säuglingstaufe wurde er ebenfalls zurückhaltend und machte sie von dem christlichen Lebenswandel der Eltern abhängig.180 Aus den sehr spärlichen Quellen des Landauer

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Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 238r-242v. Felber berichtete den beiden von seiner Odyssee. Was letztlich aus ihm und seiner betagten Frau, die sich einen weiten Umzug nicht mehr zutraute, wurde, bleibt unklar. Th. Kaul/H. Kimmel, Landau, S. 285. Eine moderne Stadt- und Kirchengeschichte Landaus fehlt bislang. Vor seiner Berufung nach Landau war er Erzieher des Pfalzgrafen Ludwig von Zweibrücken; zur Biographie Baders siehe J. P. Gelbert, Baders Leben und Schriften; J. M. Usteri, Beiträge, S. 610-616. C.S. 3, S. 579, 612, 711. Die frühe Korrespondenz mit Schwenckfeld gilt als verloren. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 429-432; Schwenckfeld kritisierte 1531 Baders Haltung; zwar grenzte auch er sich vehement von den Täufern ab, aber er ermahnte Bader dringend, sie nicht zu verfolgen, C.S. 4, S. 241-261. Th. Kaul/H. Kimmel, Landau, S. 288; J. P. Gelbert, Baders Leben und Schriften, S. 260.

417 Stadtarchivs für diese Zeit lassen sich keine Nachrichten über Widerstände gegen diese Praktiken Baders finden. 1543 forderte der Rat ihn aus gesundheitlichen Gründen und wegen seines hohen Alters auf, sich einen Helfer zu suchen.181 Bader wählte in Absprache mit Schwenckfeld den Glaubensgenossen Johann Liebmann, der nach seiner Entlassung aus Ulm nach Landau kam und nach dem Ableben des Pfarrers dessen Amtsgeschäfte übernahm. Nach Baders Tod 1545 ergriffen sowohl das Stift in Speyer, das offiziell das Besetzungsrecht für die Pfarrstelle innehatte, als auch die Stadt Straßburg die Gelegenheit und versuchten auf das Kirchenwesen Landaus Einfluß zu nehmen. Speyer strengte sogar einen - letztendlich aber vergeblichen - Prozeß an, um wieder einen katholischen Kandidaten in Landau zu platzieren.182 Dem Straßburger Rat war von den evangelischen Pfarrern der Stadt mitgeteilt worden, daß Liebmann nach Baders Tod offen schwenckfeldisch predigte und auch weite Teile des Rates seine Überzeugung teilten.183 Die Stadt entsandte daraufhin Martin Bucer und Jakob Hermann184 nach Landau. Sie führten dem Rat den außenpolitischen Schaden vor Augen, der ihm durch die Einsetzung Liebmanns und die Fortsetzung des bisherigen religiösen Kurses entstehen könnte. Sie sprachen mit Erlaubnis des Rats mit Liebmann über die Christologie, wo er sich wohl nachgiebig zeigte, und die Sakramentslehre, in der der Schwenckfelder auf seiner Meinung beharrte. Bucer erhielt die Erlaubnis zur Predigt vor der versammelten Landauer Bürgerschaft, wobei er über das Abendmahl sprach. Er wähnte die Mehrheit von Rat und Gemeinde hinter sich.185 Das war aber keineswegs der Fall: 1546 gestattete der Rat dem Übergangspfarrer Liebmann offiziell, kein Abendmahl in der Gemeinde zu reichen, behielt sich aber vor, einen anderen Pfarrer damit zu betrauen, wenn sie aus außenpolitischen Gründen dazu gezwungen würden.186 Nachdem Liebmann nun seit Baders Tod die Pfarrstelle innehatte, wurde die vakante Helferposition mit einem weiteren Schwenckfelder, Bernhard Herxheimer, besetzt, der Kontakte zu den Cannstatter Glaubensgenossen hatte.187 Trotz schwenckfeldischer Pfarrer blieben schwenckfeldische Laienversammlungen und eine aktive Ausübung des spiritualistischen Glaubens die Sache einer Minderheit. Der Straßburger Hermann berichtete nach Straßburg 1545, daß die Straßburger Schwenckfelder Jakob Held von Tieffenau und Johann Schweintzer

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Landau, Stadtarchiv, Ratsprotkolle, Bd. 6 (1541-1547 [1553]), fol. 90 v . Sein bisheriger Helfer Wacker war verstorben oder wegberufen worden, Gelbert, Baders Leben und Schriften, S. 251. Th. Kaul/H. Kimmel, Landau, S. 294. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, S. 148f. Hermann war früher Stadtschreiber in Landau gewesen und war nun Redner im Großen Rat von Straßburg, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, S. 149. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, S. 158f. Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 6 (1541-1547 [1553]), fol. 16Γ, 162v. D. Husser, Schwenckfeld et les „Schwenckfeldiens", S. 126f.

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die Gemeinde in Landau und deren Versammlungen besuchten.188 Auch der schwenckfeldische Prediger und Schulmeister Alexander Höldt kam 1548 von Mühlhausen nach Landau, um sich dort dauerhaft anzusiedeln.189 Erst nach Beendigung des Interims190 und nachdem der zwischenzeitlich dort amtierende katholische Priester wieder abgesetzt worden war, wandte sich die Stadt von ihrem schwenckfeldischen Kurs ab. Der neue Pfarrer Leonhard Brunner zeigte Herxheimer 1554 beim Rat an, weil er sein schwenckfeldisches Buch Fastnachtküchlein, das sich sowohl in Landau als auch bei den schwenckfeldischen Gemeinden außerhalb der Stadt außerordentlicher Beliebtheit erfreute, ohne Genehmigung hatte drucken lassen.191 Der Rat beschloß wegen der ungenehmigten Herausgabe und weil das Buch auch inhaltlich nicht zu loben sei, Herxheimer aufzufordern, die Stadt zu verlassen. Es wurde ihm noch ein Ausreiseaufschub und ein ordentlicher Abschied bewilligt, dann mußte er die Stadt aber endgültig räumen.192 Weder Rat noch Kirche fahndeten zu dem Zeitpunkt nach weiteren Schwenckfeldern. Zwei Jahre später war wieder die illegale Verbreitung von Büchern Ansatzpunkt für ein Vorgehen sowohl gegen Täufer wie gegen Schwenckfelder. Die drei Schwenckfelder Lorenz Hoffmann, Gall Wagner und Heinrich Fauth wurden bei Androhung des Entzugs ihrer Bürgerrechte ermahnt, keine dissidentischen Werke mehr zu kaufen oder zu verkaufen.193 Es blieb bei der Warnung; erst 1558 mit dem Amtsantritt des lutherischen Pfarrers Adam Doccander gingen kirchliche und weltliche Obrigkeit systematischer gegen die schwenckfeldische Gemeinde in der Stadt vor. Im September 1558 ließ man fünf Männer und vier Frauen vorladen,194

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Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 16, S. 159. G. Bossert, Aus der nebenkirchlichen religiösen Bewegung, S. 21; G. Bossert, Die Schwenckfelder in Cannstatt. Höldt schrieb von Landau aus dem Cannstatter Schwenckfelder Andreas Neff, der ebenfalls Kontakte zu anderen Landauer Schwenckfeldern hatte. Aus der Zeit des Interims sind keine Ratsprotokolle erhalten. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 433f. Die HerxheimerSchrift Fastnachtküchlein oder Warnungbüchlein findet sich in: C.S. 13, Nr. 884. Es handelte sich aber nicht um einen formellen Ausweisungsbeschluß, der erging erst im Zusammenhang mit den Ausweisungen weiterer Schwenckfelder 1558, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 439. Herxheimer verlegte seinen Wohnsitz nach Edenkoben in der Kurpfalz. 1559 wurde es ihm immer noch verwehrt, die Stadt auch nur zu betreten, Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 8 (1553-1562), fol. 118r. Herxheimer wurde 1559 aus seinen Diensten in Edenkoben wegen seines Glaubens ebenfalls wieder entlassen, siehe J. Franck, Herxheimer, S. 257f. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 435. Am gleichen Tag ergingen dieselben Warnungen an vier Täufer, Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 8 (15531562), fol. 66r. Die Täufer wurden zügiger mit Ausweisung belegt als die Schwenckfelder, Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 8 (1553-1562), fol. 87v, 101r. Es handelte sich dabei um die schon 1556 vorgeladenen Heinrich Fauth, Lorenz Hoffmann und Gall Wagner, zudem lud man Markus Heppelmann und Velten Geinßhert vor sowie Heinrich Fauths Frau, die Frau des Velten Hoffmann, eine Bogenschützin und die Frau des Markus Messerschmidt, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 436.

419 die für die Führer der Schwenckfelder in der Stadt gehalten wurden. Sie wurden durch den beigezogenen Straßburger Pfarrer Johann Marbach in einem öffentlichen Gespräch verhört, an dem zahlreiche Bürger als Zuhörer teilnahmen. Die Verhörten kritisierten vor allem die mangelnde Disziplin in der Kirchengemeinde, sie vermißten eine Besserung des Lebens. Die Pfarrer würden in der Predigt nicht auf Christus, sondern auf sich selbst weisen. Sie verteidigten ihre schwenckfeldische Lektüre und debattierten mit Marbach über den Inhalt von Werners Postille. Am nächsten Tag wurde weiter mit ihnen verhandelt, sie konnten aber nicht überzeugt werden, daher ermahnte man sie, von ihrem Irrtum abzustehen. Sie bedankten sich freundlich für die Unterredung, gaben aber in der Sache keineswegs nach. Nachdem Marbach vor der Gemeinde noch eine antischwenckfeldische Predigt gehalten hatte, reiste er wieder ab.195 Heinrich Fauth hatte versucht, ein schriftliches Glaubensbekenntnis einzureichen, was aber abgelehnt wurde. Auch hatte er die Öffentlichkeit der Verhandlungen kritisiert und Baders Verhalten positiv gegenüber gestellt, der nur private Ermahnungen der Gemeindeglieder praktiziert hätte. Da er zudem die weltliche Obrigkeit wegen ihrer religiösen Verfolgungen scharf kritisierte, wurde er für dieses Vergehen mit einer sofort zahlbaren Geldstrafe belegt.196 Nachdem man den Dissidenten eine Bedenkzeit gelassen hatte, wurden sie im Dezember 1558 erneut vor den Rat zitiert. Man stellte sie vor die Alternative, sich konform zu erzeigen oder die Stadt zu verlassen, was ihnen fünf Tage später noch einmal vorgehalten wurde. Der Vollzug von Ausweisungen gegen die neun Dissidenten wurde in den Ratsprotokollen aber nicht gemeldet. Es ist daher davon auszugehen, daß die Schwenckfelder sich den obrigkeitlichen Geboten zumindest äußerlich beugten.197 Der Rat richtete weiterhin sein Augenmerk vor allem auf die Ausbreitung schwenckfeldischer Schriften. Als der Buchhändler Eberhard 1560 aus Glaubensgründen Zuflucht in der Stadt begehrte, wurde ihm das zwar für ein Vierteljahr gewährt, aber unter der Auflage, daß er sich vom Schwenckfeldertum fernhalte, wenn er seinem Gewerbe nachgehen wolle.198 1563 zeigte sich, daß die Schwenckfelder in der Stadt immer noch aktiv waren und auch missionierten. Ein Vetter des schon 1556 vorgeladenen Gall Wagner, der auch zu den 1558 von Marbach Verhörten gehört hatte, machte heimlich Besuche bei kranken Landauer Bürgern und versuchte dabei, sie fiir seinen schwenckfeldischen Glauben zu gewinnen. Der Rat wies ihn ohne weitere Verhandlungen sofort aus.199

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Quellen Landau, Quellen Landau, Landau,

und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 436-438. Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 8 (1553-1562), fol. 107v. und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 438f. Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 8 (1553-1562), fol. 146v. Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 9 (1562-1576), fol. 39r.

420 Der Stadt machte in der Folgezeit vor allem ihr schwieriger Status als kleine lutherische Stadt zwischen größeren katholischen (Speyer) und calvinistischen (Kurpfalz) Nachbarterritorien zu schaffen, auf die die weltliche Obrigkeit einerseits Rücksicht nahm und konfessionelle Schmähungen untersagte, andererseits versuchte, ein Eindringen der anderen, nichtlutherischen Konfessionen zu verhindern. 1582 stellte der Rat fest, daß sich heimlich sowohl Calvinisten wie auch Täufer und Schwenckfelder in der Stadt ausbreiteten. Sie sollten alle vorgeladen werden und zumindest zum Predigtbesuch angehalten werden.200 Von konkreten Ergebnissen der Gespräche wird in den Ratsprotokollen nichts berichtet.

3.2

Speyer

Unter den Bürgern der Stadt Speyer sind kaum Schwenckfelder bekannt geworden,201 wohl aber unter den Richtern und Anwälten des Reichskammergerichts und am Hof des schwenckfeldischen Bischofs Marquard von Hattstein (15611581). 1533 war Schwenckfeld zu Besuch in Speyer und logierte bei dem Juristen am Reichskammergericht, Hieronymus zum Lamb, und seiner Frau, mit denen er danach auch korrespondierte.202 Zur Blütezeit des Schwenckfeldertums im Bistum Speyer lebte dort der friesische Jurist Aggaeus van Albada als Assessor am Reichskammergericht. Nachdem er sich zunächst mit dem Paracelsismus und der Kabbala beschäftigt hatte, wurde er bald ein Anhänger schwenckfeldischer Lehren; bei diesem Glauben blieb er trotz vielfältiger religiös bedingter Vertreibungen bis zu seinem Tode. 1570 mußte er Speyer verlassen. Er hielt Kontakt zu den süddeutschen Glaubensbrüdern und -schwestern während seines darauffolgenden Wanderlebens.203 Albada war mit Sicherheit über die schwenckfeldische Gruppe am Hof des Bischofs Marquard von Hattstein zum Spiritualismus gekommen. Das gilt auch für den Assessor Raphael Seiler, den der Bischof 1573 nach dessen Weggang vom Gericht in seine Kanzlei holte.204 200 201

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Landau, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, Bd. 10 (1576-1585), 7.12.1582, fol. 172r. Johann Martt erwähnt in einem Brief 1585 eine verwitwete Glaubensgenossin in Speyer als seine Freundin, die ihn auch materiell unterstützt hat, gibt aber nicht ihren Namen an, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 16r, 45v. C.S. 6, S. 430-444. Schwenckfeld besuchte die Stadt noch mehrfach in den dreißiger und vierziger Jahren. Zu Albada s. W. Bergsma, Aggaeus van Albada, zu Speyer vor allem: S. 10-17. Seine Beschäftigung mit Paracelsus und Okkultismus wurde sicher angeregt durch den Leibarzt des Bischofs Marquard, den schwenckfeldischen Arzt Samuel Eisenmenger, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. In Speyer hatte er Kontakt zu dem Straßburger Daniel Sudermann, der eine Schrift Schwenckfelds abschrieb, die Albada in Besitz hatte. Eine intensive briefliche Verbindung bestand zwischen Albada und Johann Martt, der dem Friesen auch theologische Schriften schickte, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 427, fol. 10v, 16r, 17v, 2Γ, 25Γ, 28r, 31v, 45v. H.-P. Mielke, Schwenkfeldianer, S. 81; ders., Die Niederadeligen von Hattstein, S. 307, 314, A.83. Mielke meint, auch die Berufungen Stephan Heinrichs von Eberstein, eines Gra-

421 Marquard von Hattstein hatte sich spätestens Anfang der siebziger Jahre über seinen Kontakt zur Familie Streicher dem Schwenckfeldertum angeschlossen. 205 Er beschäftigte an seinem Hof eine größere Anzahl von Glaubensgenossen, darunter den schwenckfeldischen Arzt und Mathematiker Samuel Eisenmenger. Der in Bretten geborene Eisenmenger war aus religiösen Gründen von der Universität Tübingen ausgeschlossen worden. In den siebziger Jahren kam er dann als Arzt an den Hof Marquards von Hattstein, der sich wie Eisenmenger für die Zusammenhänge zwischen Astrologie und Medizin interessierte.206 Hattstein besaß ein paracelsistisches Manuskript in seiner Bibliothek, das Eisenmenger 1585 herausgab.207 Die 1578 und 1580 als Kammerjunker bzw. Haushofmeister angestellten Brüder Friedrich und Christoph von Watzdorf waren ebenfalls Schwenckfelder. Christoph war Testamentszeuge bei von Hattstein. In seinem letzten Willen bedachte er die Schwenckfelderin Anna Elisabeth Landschad von Steinach, deren Sohn Friedrich ebenfalls bei ihm diente, mit einem größeren Geldbetrag, den sie offenbar für die schwenckfeldische Sache verwenden sollte.208 Der Bischof blieb offiziell bei der katholischen Kirche, obwohl er enge Beziehungen zur calvinistischen Kurpfalz hatte und wohl mehrfach eine Säkularisation des Bistums und eine Eheschließung erwog.209

3.3

Markgrafschaft Baden

Über die Schwenckfelder in Baden ist nur wenig bekannt. Markgraf Ernst von Baden, der religionspolitisch vorsichtig war und noch nicht offiziell die Reformation in seinem Gebiet einführte, interessierte sich für die Lehren des Schlesiers. Er hatte mit dem aus Baden gebürtigen schwenckfeldischen Pfarrer Burkhard Schilling und dem württembergischen Adeligen Hans von Sperberseck 1543 über Schwenckfeld geredet. Er ließ sich von Schwenckfeld einige seiner Schriften

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fen von Schwarzenburg und Karl Truchseß von Waldburg zu Kammerpräsidenten seien auf Hattstein zurückzuführen. Sie seien dann unter schwenckfeldischen Einfluß gekommen. Zumindest für Eberstein ist das sehr unwahrscheinlich. Er versuchte zusammen mit seiner Frau unter großem Aufwand und unter Einbeziehung des Herzogs von Württemberg, die lutherische Glaubenszugehörigkeit seiner Tochter Barbara bei ihrer Heirat mit dem Schwenckfelder Georg Ludwig von Freyberg zu erhalten, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 153, Bü 59, Nr. 3 u. 4; fol. 56-100. Er hatte sich von Agatha Streicher medizinisch behandeln lassen, Ulm, Stadtarchiv, Pfarrkirchenbaupflegamt, Religionsprotokolle, A [6875], Bl. 97b; Ratsprotokolle, A 3530, Bd. 34, fol. 204 v . H.-P. Mielke, Schwenkfeldianer, S. 79f. C. Gilly, „Theophrastis sancta", S. 440. H.-P. Mielke, Schwenkfeldianer, S. 80, 82. Die Testamentsstelle ist konspirativ gehalten, vermutlich sollte das Geld zur Unterstützung notleidender Glaubensgenossen verwendet werden. H.-P. Mielke, Hattstein, S. 316-324

422 zusenden und traf sich sogar mit ihm zu religiösen Gesprächen.210 1546 wurde er vom Herzog von Württemberg vor Schwenckfeld gewarnt, der im Badischen die Bäder besuchte. Markgraf Ernst beschloß aber, ihn weiterhin auf seinem Gebiet zu dulden.211 Von den schwenckfeldischen Untertanen gibt es aus dieser Zeit nur spärliche Nachrichten: Der Handwerker Nikolaus Braun aus Ettlingen hatte Kontakt zur Cannstatter Schwenckfeldergruppe und schickte seinen Sohn zu dem schwenckfeldischen Schulmeister Alexander Höldt nach Mühlhausen in den Unterricht.212 Höldt hatte auch Ende der dreißiger Jahre ein Abendmahlsgutachten für den badischen Ort Bretten verfaßt, in dem die Adelsfamilie von Eberstein Herrschaftsrechte hatte, ohne daß der schwenckfeldische Glauben des Gutachters aufgefallen 213

war. Markgraf Karl von Baden (1553-1577) verfocht ebenfalls keinen systematisch antischwenckfeldischen Kurs. Er stellte sogar den Schwenckfelder Samuel Eisenmenger als Leibarzt an.214 Markgräfin Anna reiste 1572 zusammen mit ihren Kindern und Eisenmenger, der ihr die Kur bei seiner Glaubensschwester sicher empfohlen hatte, zu Agatha Streicher nach Ulm, um ihren Sohn Albrecht dort behandeln zu lassen.215 Die ungenehmigte Verbreitung schwenckfeldischer Schriften wurde dagegen nicht geduldet. In Pforzheim hatte Georg Rab schwenckfeldische Manuskripte gedruckt. Gegen ihn wurde sofort vorgegangen, zumal Beschwerden von auswärts auf seine Tätigkeit erst hingewiesen hatten. Sowohl der Herzog von Württemberg als auch die Stadt Straßburg hatten sich über die schwenckfeldischen Werke aus seiner Offizin beschwert. 1558 wurde Rab daher sofort in den Turm geworfen. Er gab zu, die Postille Johann Werners nicht nur gedruckt, sondern auch auf der Frankfurter Messe offen verkauft zu haben.216 Im Verhör hatte er Verbindungen zu Nürnberger Buchfuhrern angegeben, eine Information, die der Markgraf sofort an die Stadt weitergab.217 Insgesamt ging Markgraf Karl aber milde mit ihm um, er wurde bald aus der Haft entlassen und lediglich ermahnt,

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C.S. 8, S. 480-494; C.S. 9, S. 26-28 C.S. 9, S. 1019. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 1, S. 78f. Siehe Oberrheinische Studien, Bd. 5. Teile der Familie von Eberstein, insbesondere Barbara von Eberstein, sympathisierten mit dem Schwenckfeldertum. 1607 hielt sich der Schwenckfelder Daniel Friedrich in Eberstein auf, E. Eylenstein, Daniel Friedrich, S. 30. C.S. 12, S. 351. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 54; Eisenmenger berichtete ausführlich darüber in seinem Tagebuch, das allerdings seit dem 2. Weltkrieg als verschollen gilt. Zum gesamten Vorgang und zur Biographie Rabs siehe K. Schottenloher, Georg Rab. H.-D. Schmid, Nürnberg, S. 218f.

423 nichts mehr ohne Erlaubnis zu drucken. Auf die württembergische Aufforderung, öffentlich vor der Postille zu warnen, ging der Markgraf wohl nicht ein.218 1561 wurde der schwenckfeldische Geistliche Sixt Friedrich sogar offiziell als Pfarrer in Bretten eingesetzt.219 Noch 1578 ergab eine Generalvisitation in Baden angeblich 200 Schwenckfelder im Land, die alle vorgeladen und examiniert werden sollten.220 Es bleibt aber unklar, ob es sich wirklich bei allen um religiöse Dissidenten handelte. Sicher ist, daß sie alle das Abendmahl verweigerten, woraus protestantische Obrigkeiten nach der Jahrhundertmitte häufig den Schluß zogen, daß es sich um Schwenckfelder handeln müsse, was aber sicher so pauschal nicht zutreffend ist. 1583 wurde der aus Thüringen stammende Schwenckfelder Friedrich von Watzdorf (1553-1608) offiziell mit dem Hofmeisteramt in der Markgrafschaft betraut von den Vormündern des minderjährigen Georg Friedrich von Baden. Ihm oblag die Aufsicht über den Knaben, den er zusammen mit seiner Frau, Helena Streicher, nach Straßburg begleitete, wo der einzige Sohn der von Watzdorffs geboren wurde. Von einem religiösen Einfluß, den Friedrich von Watzdorf auf den ihm anvertrauten Markgrafen gehabt haben könnte, findet sich nichts in den Quellen. 22 '

3.4

Pfalz

In den pfälzischen Herrschaftsgebieten (Pfalz-Neuburg, Kurpfalz, PfalzZweibrücken) wurden bei Visitationen zwar immer wieder Schwenckfelder entdeckt, es scheint aber kaum zu größeren Gruppenbildungen gekommen zu sein. Pfalzgraf Ottheinrich besaß selbst schwenckfeldische Bücher, u.a. von Adam Reißner, dem er wohl zugesichert hatte, ihn wegen seines Glaubens unbehelligt zu lassen.222 Reißner lebte vermutlich einige Jahre im pfälzisch-neuburgischen Lauingen, wo er 1558 bei einer Visitation als Schwenckfelder auffiel. 223 Er be218

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Rab ging vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen 1560 nach Frankfurt, w o er auch das Bürgerrecht erwarb. Seine dortige Druckerei, die er zusammen mit zwei anderen Druckern betrieb, war äußerst erfolgreich. Ohne Konflikte mit der Obrigkeit gaben sie auch schwenckfeldische Werke heraus, siehe K. Schottenloher, Georg Rab, S. 411. C.S. 13, S. 349; Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 24. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 64. Karlsruhe, Generallandesarchiv, Dienerakten, 76/8346, Bestallungsakten Friedrich von Watzdorf 1583-85; Watzdorf, Geschichte des Geschlechts von Watzdorf, Bd. 3, S. 69. Das behauptete Reißner zumindest während eines Verhörs 1558, M. Weigel, Schwenckfelder, S. 232. Ottheinrich war Büchersammler und besaß Schriften Schwenckfelds ebenso wie antischwenckfeldische Werke, K. Schottenloher, Pfalzgraf Ottheinrich, S. 1 lf., 36f. Zumindest hielt er sich 1553 dort auf, denn der Augsburger Schwenckfelder Hieber und andere Mitglieder der Augsburger Gemeinde schrieben ihm dorthin, Augsburg, Stadtarchiv, Literaliensammlung, Schwenckfelder-Selekt, Akten Hieber, Nr. 13, fol. 2r; Personenselekte Honold bis Manlich, Akten Laubenberg, 28.9.1553, ev. Pfr., fol. 6. Der 1558 entdeckte Schwenckfelder wird als Adam Reiser bezeichnet. O. Bucher, Reissner, S. 30, hat Zweifel daran, daß es sich um Reißner handelte, da nichts über eine Wohnsitzverlegung bekannt sei.

424

kannte sich offen dazu, schwenckfeldische Bücher zu lesen und gab an, er könne darin nichts Falsches entdecken. Weitere Stellungnahmen zu Ekklesiologie und Christologie wollte er nur schriftlich machen. Zudem verwies er auf Ottheinrichs Zusicherung. Die Visitatoren gaben sich mit der Bereitschaft zu einer schriftlichen Verantwortung zufrieden.224 Im kurpfälzischen Edenkoben fiel 1556 der von Landau vertriebene Bernhard Herxheimer auf, der dort als Schulmeister tätig war. Man hatte festgestellt, daß Wiedertäufer wie Schwenckfelder im Neustädter Amt zugenommen hatten und daß Herxheimer mit seinem sehr beliebten gereimten ,Faßnachtsküchlein' großen Schaden anrichtete. Er wurde zu einer öffentlichen Disputation über sein Buch aufs Rathaus geladen, wo man ihn widerlegt zu haben meinte. Von weiteren schwenckfeldischen Umtrieben ist hier nicht mehr die Rede.225 Es muß aber zu der Zeit einige Schwenckfelder in der Kurpfalz gegeben haben, denn im gleichen Jahr beschäftigten sich die Kirchenräte und Superattendenten allgemein mit dem Vorgehen gegen Glaubensabtrünnige. Sie setzten zu der Zeit ganz auf Belehrung und Abstellung der von den Sekten kritisierten kirchlichen Mißstände, weniger auf Sanktionen.226 Die pfälzische Adelsfamilie Landschad von Steinach war sehr aktiv für den schwenckfeldischen Glauben und nahm wohl auch Glaubensgenossen in ihre Burg Neckarsteinach auf. Besonders Anna Elisabeth von Helmstatt, die Frau des pfälzischen Hofmeisters Hans Pleikhard Landschad, engagierte sich für das Schwenckfeldertum. Sie beherbergte Schwenckfeld 1558/59 und zeichnete seine Tischreden auf.227 Sie hatte Kontakt zum Dienstherrn ihres Sohnes Friedrich, dem Bischof von Speyer, der ihr eine Geldsumme vererbte zur Versorgung notleidender Schwenckfelder.228 Ihr Mann war wohl ebenfalls Schwenckfelder,229 seine religiöse Überzeugung lebte er aber so zurückhaltend, daß es ihm gelang, unter vier Kurfürsten zu dienen - sowohl unter lutherischen wie unter reformierten.230 Die Kinder wurden zum Teil schwenckfeldisch verheiratet: Eine Tochter heiratete

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Die Augsburger Quellen und die Tolerierungszusage von Ottheinrich sprechen dafür, daß es sich bei dem Lauinger Schwenckfelder um Reißner handelte. M. Weigel, Schwenckfelder, S. 232. 1555 konnte man in Lauingen schwenckfeldische Bücher kaufen. Der Buchhändler Stoffel Platter erwarb dort diverse Exemplare, um sie in Augsburg weiterzuverkaufen, Augsburg, Stadtarchiv, Strafamt Urgichten, 1555, 18.3.1555, fol. Γ. Auch gegen Ende des Jahrhunderts wurde das Schwenckfeldertum noch als Gefahr gesehen, wie an der intensiven Auseinandersetzung mit schwenckfeldischen Lehren abzulesen ist: Der Pfarrer von Lauingen, Georg Codonius, hatte eine kostspielige Sammlung von schwenckfeldischen Schriften anlegen lassen, die sich heute in Tübingen befindet, A. Menzel-Reuters, Tübinger Quellen, S. 315. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 145. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 148-151. C.S. 16, S. 669-724. Siehe oben. Seine Grabinschrift legt das zumindest nahe, H.-P. Mielke, Von Schwenkfeld zum Rosenkreuz, S. 19. F. Langendörfer, Die Landschaden von Steinach, S. 49-51.

425 Michael Ludwig von Freyberg, während sich eine andere mit dem schwenckfeldischen Pfarrer Hans Georg Schid verband.231 Im 17. Jahrhundert war diese Duldsamkeit und auch die Differenzierung zwischen den einzelnen dissidentischen Gruppen in der Kurpfalz nicht mehr vorhanden: Der Schwenckfelder Hans Werner aus Bennhausen beschwerte sich 1605, daß man ihn und seine hochbetagte Frau wie Täufer behandle, obwohl er sich zur Lehre Schwenckfelds bekennen würde. So hatte man das Ehepaar kurzerhand ausgewiesen und auch ihren Besitz beschlagnahmt, eine Maßnahme, die gegen Schwenckfelder in Süddeutschland sonst nicht angewandt wurde.232 In Pfalz-Zweibrücken war der Einfluß des schwenckfeldischen Landauer Pfarrers Johannes Bader zu spüren. In Bergzabern war Baders Freund Nicolaus Thomae als Pfarrer tätig, der sich ebenfalls für die Lehren des Schlesiers interessierte. Dort hatte sich eine schwenckfeldische Gruppe gebildet, die Versammlungen abhielt.233 1559 wurden Schwenckfelder im Amt Neukastel gemeldet, besonders in Ilvesheim seien etliche Personen schwenckfeldisch. Die Gemeinde muß dort schon länger bestanden haben, denn die Entstehung des Schwenckfeldertums in dem Ort wurde Baders Einfluß zugeschrieben, der 1545 verstorben war. Man hoffte, sie durch einen tauglichen Pfarrer bekehren zu können, ergriff aber keine konkreten Maßnahmen gegen die dortigen Spiritualisten.234

4.

Nürnberg

Nürnberg war eine der wenigen Städte, in denen sich eine stabile schwenckfeldische Gruppe bildete, die aus wohlhabenderen und gebildeten Handwerkern und Buchhändlern bestand, obwohl Schwenckfeld die Stadt nie persönlich aufgesucht hatte und sie nicht oberdeutsch-reformiert, sondern lutherisch geprägt war.235 Bedeutsam war Nürnberg im 16. Jahrhundert für die gesamte süddeutsche Schwenckfelder-Bewegung vor allem als Druckort und Umschlagplatz schwenckfeldischer Schriften, darauf lag auch das Hauptaugenmerk des Rates, der die Drucklegung und den Verkauf der Bücher seit ihrem ersten Erscheinen in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts zu unterbinden versuchte. Eine frühe Gruppe von Anhängern bestand überwiegend aus ehemaligen Täufern, die sich nach Verfolgungen und dem Ausbleiben des prophezeiten Weltendes dem Schwenckfeldertum zugewandt hatten. Es handelte sich zunächst nur um

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H.-P. Mielke, Das süddeutsche Schwenckfeldertum, S. 72, C.S. 16, S. 669. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 237. Zu Thomae siehe J. P. Gelbert, Baders Leben und Schriften; 1545 gab der Straßburger Hermann in seinem Bericht an, daß ein schwenckfeldischer Pfarrer in einem Dorf in PfalzZweibrücken Versammlungen leite. Dabei handelte es sich vermutlich um Bergzabern, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 159f. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Täufer, Bd. 4, S. 270, 278. Zum Schwenckfeldertum in Nürnberg bis zur Mitte der sechziger Jahre des 16. Jahrhunderts siehe H.-D. Schmid, Nürnberg.

426 eine kleine Gemeinde: Schwenckfeld berichtete an Sibilla Eiselin 1548, daß er in Nürnberg nur vier Anhänger habe, drei Männer und eine Frau.236 Die Gemeinschaft wuchs langsam, vor allem durch die missionarische Tätigkeit des Handwerkers Georg Schechner. Erste Maßnahmen ergriff der Rat gegen einige Gemeindemitglieder 1558 im Zusammenhang mit Nachforschungen nach der Beteiligung von Nürnberger Schwenckfeldern an der Verbreitung der Postille von Johann Werner, die in Pforzheim gedruckt worden war. Als die sechs Vorgeladenen sich vage bereit erklärten, sich unterweisen lassen zu wollen, ließ der Rat es dabei bewenden.237 Dieses Verhalten war charakteristisch fur die Nürnberger Gruppe, die sehr wenig nach außen aktiv war und zumeist die Predigten besuchte. Länger beschäftigte sich der Rat mit dem Uhrmacher Paulus Graßmann, der seine beruflichen Kontakte zu einflußreichen Persönlichkeiten außerhalb der Stadt (er hatte auch Beziehungen zum kaiserlichen Hof) zur Missionierung nutzte. So hatte er dem württembergischen Rat Hans Ungnad schwenckfeldische Bücher zukommen lassen, worüber sich Herzog Christoph in Nürnberg 1563 beschwerte.238 Bei den langen Verhandlungen mit Graßmann schaltete dieser sogar den Kaiser ein, so daß der Rat seine Juristen mehrfach um Stellungnahmen zum Umgang mit dem Uhrmacher bemühen mußte. Die Angelegenheit zog sich mehr als zwei Jahre hin und endete damit, daß Graßmann eine theologisch einigermaßen konforme Erklärung abgab und ohne weitere Sanktionen in der Stadt leben konnte.239 Wirklich aktiv wurde der Rat gegen die schwenckfeldische Gemeinschaft erst 1565 nach einer Anzeige des Pfarrers Schelhamer, der angab, daß sehr viele Bürger schwenckfeldische Konventikel besuchten und die seiner Ansicht nach führenden Personen namentlich angab. Weitere Personen wurden vernommen, als 1566 wieder ein schwenckfeldischer Druck auftauchte. Dabei handelte es sich um den von Agatha Streicher verfaßten Bericht über Schwenckfelds letzte Tage. Der Rat zog zunächst die schwenckfeldischen Bücher der Vorgeladenen ein, setzte ansonsten vor allem auf Belehrung durch die Pfarrer, die die Schwenckfelder bereitwillig über sich ergehen ließen. Sie verhielten sich zumeist hinhaltend und ausweichend. Immer wieder gelang es ihnen, neue Bedenkzeiten auszuhandeln. Nur einmal wurde ein Schwenckfelder inhaftiert und drei Männer wurden ausge-

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C.S. 11, S. 733. Die Identifizierung ist nicht ganz einfach, die Gruppe war u.U. doch etwas größer, vermutlich handelte es sich um den Tuchmacher und Färber Georg Schechner, den Buchhändler Hans Weichsner, den Ortbandmacher Jörg Lang und die Frau des Veit Seng. Zu dieser Zeit waren aber auch der Kriegsschreiber Eukarius Ulrich, der mit Schwenckfeld korrespondierte und ihn besuchte, und vermutlich auch der Ulmer Kaufmann Sigmund Baldinger, der in Nürnberg lebte, schwenckfeldisch gesonnen, die beiden wurden aber der Obrigkeit nicht als Dissidenten bekannt. H.-D. Schmid, Nürnberg, S. 228. G. Bossert, Hans Ungnads Stellung. Ausführliche Darlegung des Falles Graßmann siehe H.-D. Schmid, Nürnberg, S. 228-236.

427 wiesen, allerdings nur für sehr kurze Zeit. Dann genügten erneut vage Konformitätszusagen, um wieder in die Stadt eingelassen zu werden.240 Weitere direkte Nachrichten über Schwenckfelder fehlen für das 16. Jahrhundert. Es ist aber wegen der vorsichtigen, dissimulierenden Verhaltenstaktik der Gruppe anzunehmen, daß es sie weiterhin in der Stadt gab. Erst im 17. Jahrhundert sind sie als Gruppe wieder greifbar und wurden von der Obrigkeit wahrgenommen, wenn auch unter der Bezeichnung Weigelianer. Gemeinsam ist den Schwenckfeldern des 16. und 17. Jahrhunderts die Verbindung zu den schlesischen Glaubensgenossen: Zu Lebzeiten Schwenckfelds war Nürnberg die Zwischenstation für Briefe nach Schlesien,241 und auch die späten Schwenckfelder des 17. Jahrhunderts hatten Verbindungen in das Land. Wie die Mitglieder der schwenckfeldischen Gemeinde des 16. Jahrhunderts entstammten ihre Nachfolger nicht dem Patriziat, sondern der Schicht der Kaufleute und Handwerker. 242 Wieder richtete der Rat sein Augenmerk auf schwenckfeldische Druckerzeugnisse. 1618 wurden bei drei Nürnberger Buchhändlern schwenckfeldische Schriften gefunden, die sofort beschlagnahmt wurden, allerdings ohne daß man nach den Käufern fragte. Einige Jahre später äußerten die Pfarrer Verdächtigungen gegen einzelne Bürgerinnen und Bürger, denen aber ebenfalls nicht weiter nachgegangen wurde. Erst in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts wurde deutlich, daß es eine faßbare dissidentische Gruppe in der Stadt gab, die Rat und Geistlichkeit Weigelianer nannten,243 die aber, wie in ihren Briefen244 und ihren Verbindungen zu den Gemeinden in Straßburg und Opfingen deutlich wird, Schwenckfelder waren. Sie lebten bis 1638 weitgehend ohne Störungen von außen in der Stadt, hielten sich von der lutherischen Kirche fern und trafen sich in eigenen Konventikeln. Hinweise auf die Größe der Gruppe liefert der Straßburger Schwenckfelder Ludwig Münster. In seinem Abschiedsbrief von 1646 ließ er viele seiner Glaubensgenossen grüßen, darunter über 30 Nürnberger Mitglieder der schwenckfeldischen Gemeinschaft. 245 Dabei handelte es sich vornehmlich um Ehepaare. Obrigkeitlich verhört wurden zunächst nur zwölf Männer. Anlaß war wieder ein dissidentisches Buch, das man bei Georg Schwanhart gefunden hatte. Den Verdächtigen wurden 32 Fragen vorgelegt, die die Befragten unerschrocken be240 241

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H.-D. Schmid, Nürnberg, S. 236-246. Schwenckfeld berichtete darüber in einem Brief an die Baumgartner-Schwestern in Isny 1549 anläßlich eines Raubüberfalls auf den Boten des nach Schlesien zu transportierenden Briefbündels, CS. 11, S. 927. Zu dieser Gruppe, die van Dülmen „Schwärmer" nennt siehe R. van Dülmen, Schwärmer. Für Weigelt ist diese Namensgebung ein „Ketzertopos", tatsächlich findet sich der Begriff als Sammelbezeichnung fur diverse häretische Gruppen auch andernorts. Zur obrigkeitlichen Kategorisierung und zur Frage, inwieweit es sich bei den Nürnbergern um Schwenckfelder handelte, was in der Literatur umstritten ist, siehe oben Kap. 6. Die Briefwechsel der Nürnberger Gruppe befindet sich vor allem in dem Archiv der Franckeschen Stiftungen in Halle Β 17b. Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 233v; Abdruck in Wotschke, Münster, S. 130-132.

428 antworteten, wobei sie sich obrigkeitstreu gaben, sich gleichzeitig deutlich pazifistisch äußerten und individuelle Glaubensfreiheit einforderten.246 Obwohl die Pfarrer auf die politische Gefährlichkeit solcher Äußerungen hinwiesen, ließ der Rat einige Zeit verstreichen, bevor es 1644 zu einer zweiten Befragungsrunde kam, die aber ebensowenig ergab wie die erste. 1646 wurden zwei Mitglieder der Gruppe dann doch in Haft genommen. Der Ausgangspunkt war erneut die Verbreitung dissidentischer Drucke: Johann von der Houven besaß eine Schrift Christian Hoburgs, die er sofort abgeben mußte. Hier wurde der Rat wieder unverzüglich aktiv und ließ die Buchläden durchsuchen, sandte auch Warnbriefe an Frankfurt und Hamburg. Der Besitzer des Buches wurde sogar kurzzeitig inhaftiert, weil er seinen Glauben offen lebte. Aus demselben Hintergrund verhaftete man auch das Ehepaar Gellmann: Der Wundarzt und seine Frau hatten die ihnen anvertrauten Pflegekinder von ihrem dissidentischen Glauben überzeugt.247 Der Rat ging ganz ähnlich vor wie gegen die Schwenckfelder im 16. Jahrhundert: Allen wurden lange Belehrungszeiten eingeräumt,248 dann wurden sie aufgefordert, sich zu erklären, ob sie Predigt und Abendmahl besuchen wollten. Zu letzterem fand sich niemand bereit, es erklärten aber die meisten prinzipiell und auf freiwilliger Basis, die Predigt hören zu wollen. Vor allem aber wollten sie von ihren Überzeugungen nicht abgehen und forderten für sich und andere völlige Gewissensfreiheit. Der Rat erließ noch im gleichen Jahr die Androhung der Ausweisung.249 Die Frauen der von der Strafe Bedrohten sollten befragt werden, wie sie sich zur Religion stellten und ob sie ihren Männern ins Exil folgen wollten.250 Vollzogen wurde die Ausweisung aber zunächst nicht. Wieder schaltete man neben den Pfarrern, die sich vehement für eine Ausschaffung einsetzten, die Ratskonsulenten ein. Die Juristen waren keineswegs alle für eine gewaltsame Entfernung der Dissidenten. Es gelang dem Kaufmann Nikolaus Pfaff, Johann von der Houven und der Witwe des Schwenckfelders Kaspar Werlin einen Aufschub zu erreichen, indem sie den Kirchgang zusagten, tatsächlich aber weiterhin zu Hause blieben. Anfang 1648 waren die meisten Mitglieder der Gruppe immer 246

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Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 243-246, auch erhalten im Nürnberger Stadtarchiv. Dülmen spricht im Text zunächst nur von der Verhaftung Gellmanns als Rädelsführer, R. van Dülmen, Schwärmer, S. 126. Aus einem Schreiben von der Houvens an den Rat geht aber hervor, daß auch Gellmanns Frau Magdalena in den Turm geworfen worden war, R. van Dülmen, Schwärmer, S. 128, A. 83. Anders als im 16. Jahrhundert weigerten sich nun aber Gellmann, Andreas Coster und der Organist Johann Benedikt Häßler überhaupt, sich von den Pfarrern unterweisen zu lassen, R. van Dülmen, Schwärmer, S. 129. Am 2.9.1646 erging zumindest an Gellmann, von der Houven und Heßler die definitive Aufforderung, in zwei Wochen ein für allemahl die Stadt zu verlassen. Der Ausweisungsbeschluß ist abgedruckt in H. Weigelt, Gellmann, S. 103, A. 4. Aus der erhaltenen Korrespondenz geht hervor, daß sie fast alle selbst Schwenckfelderinnen waren, was die Obrigkeit aber offenbar nicht wahrgenommen hatte.

429 n o c h in der Stadt. 251 D e r Rat scheint nicht w e i t e r g e g e n sie v o r g e g a n g e n z u 252

sein. N u r v o n G e o r g und M a g d a l e n a G e l l m a n n ist konkret bekannt, daß sie nach B a m b e r g g i n g e n , w o sie v o m B i s c h o f auch religiös geduldet wurden, w a s vor a l l e m a u f G e l l m a n n s R u f als Arzt zurückzufuhren ist, der v i e l e h o c h g e s t e l l t e G e i s t l i c h e behandelte. G e l l m a n n hatte dort V e r b i n d u n g e n z u d e m s c h l e s i s c h e n S c h w e n c k f e l d e r Matthias John geknüpft, mit d e m er korrespondierte. 2 5 3 A l s John 1 6 6 9 mit seiner V e r l o b t e n nach H o l l a n d reiste, besuchte er G l a u b e n s g e n o s s e n in Frankfurt und hatte die A b s i c h t , die s c h w e n c k f e l d i s c h e G e m e i n d e in Nürnberg a u f z u s u c h e n , w o z u e s dann aus organisatorischen Gründen nicht kam. S e i n R e i sebericht z e i g t aber, daß e s auch nach den M a ß n a h m e n v o n 1 6 4 6 / 4 8 über den Dreißigjährigen K r i e g hinaus Spiritualisten in der Stadt g e g e b e n haben muß, die den Kontakt zu ihren s c h l e s i s c h e n G l a u b e n s g e n o s s e n aufrechterhielten. 2 5 4

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R. van Dülmen, Schwärmer, S. 132-134. Maria Janin, die nach der erhaltenen Korrespondenz eine zentrale Rolle im Nürnberger Schwenckfeldertum spielte und auch viele Kontakte zu Schwenckfeldem in anderen Orten hatte, wurde gar nicht obrigkeitlich auffällig. Sudermann beauftragte sie, Pfaff und Khuefuß damit, in Zusammenarbeit mit dem Straßburger Arzt Münster 1627 seinen literarischen Nachlaß, die von ihm gesammelten schwenckfeldischen Manuskripte herauszugeben, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, Münster an Khuefuß, fol. 232. Sie war noch 1649 am Leben und für ihren Glauben aktiv. Sie versuchte zusammen mit anderen ein Quartier für das ausgewiesene Stuttgarter Ehepaar Felber zu finden, Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen, Β 17b, fol. 242. Der humanistisch geprägte Rat duldete auch katholische und calvinistische Minderheiten in der Stadt, selbst Sozinianer konnten hier Fuß fassen. Wichtig war, daß die Minderheiten nicht nach außen wirksam wurden und möglichst die Predigten besuchten, siehe R. van Dülmen, Schwärmer, S. 135f. Zu John siehe H. Weigelt, Martin John, S. 101-117; ders., Gellmann. Hier ist der erhaltene Brief zwischen Gellmann und John abgedruckt, der darauf schließen läßt, daß es weitere Korrespondenz zwischen den beiden gegeben haben muß. H. Weigelt, Gellmann, S. 107, A. 22.

III. Quellen- und Literaturverzeichnis 1.

Ungedruckte Quellen

Augsburg, Stadtarchiv Censuramt XVI Kleine Pflegschaftsbücher (1577-1582) Literaliensammlung Reformationsakten 1548-1555 Melhorn-Selekt Schwenckfelder-Selekt Notariatsarchiv Spreng

Personenselekte Honold bis Manlich Roth bis Zapf Ratsbücher, Bd. 15-48, 1520-1599 Reichsstadtakten Geheimer Rat, Rat und andere Reichsstädte, Kempten 1519-1549 Memmingen 1500-1549 Kaufbeuren 1467-1569 Ulm 1545 Ksl. Kommission, Georg Ludwig v. Freyberg, contra d. oö. Stadt Ehingen 1617-1619 Strafamt Urgichten (Urgichtensammlung) Strafbücher des Rats 1533-1605

Nr. 6 Nr. 6 1545

Nr.XVIII XXIII, XXXVIII

Nr. Nr. Nr. Nr.

14 20 541/11 583

Nr. 1142

Augsburg, Staatsarchiv Hochstift Augsburg Lehenakten Nr. 1473 (Lehengüter Leeder 1497-1665)

Urkunden

Nr. 54, 57-59, 61-64, 68f. Nr. 3800, 3859

432 Neuburger Abgabe, Akten

2473, 2473a MüB 13, 14

Kloster Kauft/euren, Franziskanerinnen Fürststift Kempten, Archiv Urkunden

3913,3928, 3930, 3937, 4198,4199, 4211 A 198

Lehenhof Augsburg,

Bistumsarchiv

Kirchenbücher Leeder

Berlin, Staatsbibliothek

Bd. 1 (1597-1632) Preußischer

Kulturbesitz

Ms. germ. fol. 343 Ms. germ. fol. 427 Ms. germ. fol. 429 Ms. germ. fol. 430, Bd. II Ms. germ. qt. 440 Halle, Archiv der Franckeschen

Stiftungen

Briefe, Traktate, Verhörakten Sendbriefe von Daniel Friedrich in Abschriften von Daniel Sudermann Innsbruck,

Tiroler

Β 20

Landesarchiv

Regierungskopialbücher oö. Kammerkopial-Bücher 1545, Reihe: Geschäfte vom Hof Karlsruhe,

Β 17b

Bd. 86, 87,107 Bd. 193

Generallandesarchiv

Schwabenbücher Lib. 9 (1596-1599) Lib. 10 (1600-1603) Abt. 98 (Salem)

79/P12, Bd. 23 Bd. 24

433 [Frankenhofen und Griesingen] [Griesingen I] [Griesingen II] Dienerakten

No. 38293831 No. 4469 No. 4470 76/8346

Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv Collectanea Religionsgeschichtliche Akten I., 1525-1547 Wolfgang Ludwig Hörmann von und zu Gutenberg, Sammlung der merckwürdigsten Geschichten das Kirchen- und Religions- Wesen in des H.R. Reichsfreyen Statt Kaufbeuren betreffend von den ältesten Zeiten bis auf das Jahr 1756, Kaufbeuren 1756 (Kirchenchronik) Wolfgang Ludwig Hörmann von und zu Gutenberg, Gesammelte Nachrichten von gelehrten Kaufbeurern

Anlage 084 Anlage 101

Anlage 133 Anlage 134

Kaufbeuren, Stadtarchiv Wolfgang Ludwig Hörmann von und zu Gutenberg, Sammlung der fürnehmsten Merkwürdigkeiten und Geschichten der H.R.R. freyen Statt Kauffbeuren, Kaufbeuren 1766, Τ. I (Stadtchronik) Ratsbücher 1543/62

Β101 /I Β4

Kempten, Stadtarchiv Ratsprotokolle, Bd. II (1541-1548)

Landau, Stadtarchiv Ratsprotokolle, Bd. 6-10, 1541-1585

Lindau, Stadtarchiv Die Genealogie Lindaviensis des Jacob Heider (ca. 1650). Abschrift mit Anmerkungen und Register von Dr. Alfred O. Stolze

Ludwigsburg, Staatsarchiv Ulm, Herrschaftspflegamt

(1580-1588)

Β 209a,

434 Bd. 23b

Memmingen, Stadtarchiv Ratsprotokolle 1542-1578 Schublade Nr. 344

Nachlaß Magdalena von Laubenberg

A A A A

344/7 344/8a 344/8b 46/8

München, Bayerische Staatsbibliothek Schriften von Burkhard Schilling

Cod. germ. 981

St. Gallen, Stiftsarchiv Rubrik 124, Faszikel 2

Stuttgart, Landeskirchliches Archiv Generalia, Religionslehrbücher. Buchdrucker und Buchhändler Eberhard Wild/Tübingen, 1622-1629 Theologische Gutachten. Schwenckfeldische Neigungen der Herrn von Justingen Theologische Bedenken. Copulation des Ludwig von Freyberg, Freiherr zu Justingen durch seinen früheren Pfarrer M. Leuchtlin zu Sontheim (bei Münsingen)

A 26/728 Nr. 2a, b A 26/717 Nr. 6a

A 26/717 Nr. 6b

Stuttgart, Hauptstaatsarchiv Adel I (von Freyberg) Adel II (von Remchingen, von Grafeneck)

Ritterkanton Donau (von Freyberg)

A 153/154, Bü 56, 59 A 155, Bü 33, 145b, 146 Β 573, Bü 65

435 Ritterkanton Neckar-Schwarzwald Landvogtei

(von Remchingen)

Schwaben

Β 580, Bü 1378 Β 60, Bü 727

Ulm, Stadtarchiv Akten des Schmalkaldischen Bundes Pfarrkirchenbaupflegamt: Kirchenvisitation, Sonderlinge 1542-1545 Religionsprotokolle 1570-1643 Protokolle Ratsprotokolle Bd. 10-98 Kirchenvisitation Herrschaft Kirchenvisitation auf dem Lande 1543 Repertorium von 1692 (Testament Agatha Streicher) Akten über die Ausweisung von aus Ulm 1582/83 (Veesenmeyer,

Schwenckfeldanhängern Urkunden)

Ordnungs- und Eidbücher Nachlaß des Prälaten Johann Christoph Schmid

Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek Cod. Guelf. 36. 2. Aug. 2° Cod. Guelf 37. 27. Aug. 2° Cod. Guelf. 45. 9. Aug. 2°

A 1208/11 A [8984/11] A [6875] A[6877] A [6844] A [6849] A 3530 A [9061] A[9063] A [1745a] A Rep. 2, Bd. 10 Ve Urk. 1582/83 A [6542] Η Schmid Nr. 27

436

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Index der Personennamen A Adin, Hans 44 Aitinger, Sebastian 251,395 Albada, Aggaeus von 212,420 Alexandrinus, Julius 42 Altenstaig, Katharina 44f., 56, 58, 88, 101,335 Altenstaig, Maria 44f., 56, 58, 88, 101, 108, 335f. Altenstaig, Rosina 44f., 56, 58, 88, 101,335 Altenstetter, Catharina 292, 348f. Altenstetter, David 13,35-38,79, 116,219, 228, 292f„ 299, 348, 351 f. Altmann, Christina 44 Andreae, Johann Valentin 363, 365 Anhalt-Plötzgau, August von 60 Arndt, Johann 60, 363, 373, 377 Arnold, Gottfried 363, 370 Arnoldt (Familie) 53 Arnoldt, Gottfried 59,324 Arnoldt, Helena (geb. Kifhaber) 163,224 Arnoldt, Regina 59 Arnoldt, Thomas 53, 59 Asam, N. 3 2 , 3 5 , 3 5 0 Auberlin, Albrecht 52, 322 Augustinus 322 Axleben, Christoph von 411 Axleben, Sophie von (geb. Thumb von Neuburg) 41 Of. Β Bächlin, Leonhard 269-272

Baden, Albrecht von (Markgraf) 422 Baden, Anna von (Markgräfin) 422 Baden, Ernst von (Markgraf) 411, 421 Baden, Georg Friedrich von (Markgraf) 423 Baden, Karl von (Markgraf) 413, 422f. Bader, Johannes 25, 112, 120, 159, 208, 246f„ 263f„ 273, 393, 412, 416f., 419, 425 Bader, Melchior 121, 212f. Baldinger, Sigmund 426 Barbarossa, Wilhelm 401 Bartenschlager, David 396 Barthenschlag, Hans 47 Barthenschlag, Ursula (geb. Schlecht) 47 Baumgartner (Familie) 195, 398f. Baumgartner, Albrecht 398f. Baumgartner, Johann 29 Baumgartner, Lamprecht 312 Beck, Rosina (geb. Pfitzenmaier) 43 f., 120, 167f„ 199,335 Berchtold, Sylvester 154 Berner, Alexander 215f. Bernhardt, Anna 56,92, 141, 173, 219, 224, 307 Besserer, Bernhard 39, 112, 250f., 254,258 Besserer, Eitelhans 39,45, 112, 166, 250f., 254, 308 Besserer, Georg 39, 112, 250f., 254f. Betke, Joachim 370 Binder, Bartel 114,121,145

466 Bitterlin, Ν. (Witwe) 44 Blarer, Ambrosius 250f., 253f., 274f., 395,400, 404,410 Blesin, Ursula 39 Bodmer, Hans 400 Böhme, Jacob 363, 373 Braun, Andreas 32, 35 Braun, Hans 141f., 162, 185 Braun, Nikolaus 422 Breckling, Friedrich 369f., 372 Breinin, Elisabeth 44f., 307 Brüni, Kether 158 Brunner, Leonhard 247,266,418 Bubenhofen von (Familie) 191,412 Bubenhofen, Hans Marx von 401, 412 Bubenhofen, Katharina von (geb. von Freyberg) 369f., 401, 412 Bucer, Martin 159, 250, 253f„ 256, 258, 263ff, 273f., 410, 417 Büffler, Anna 195,399 Büffler, Peter 195,399 Bullinger, Heinrich 55, 250f., 395, 404 Burgauer, Benedikt 399f., 406 C Calvin, Johannes 239, 339, 363, 376 Cassianus, Johann 114 Claus, Hans 44 Cleß, Martin 160,304 Coster, Andreas 428 Crautwald, Valentin 42, 83-87, 92, 103f., 114, 116, 119, 121f„ 126f„ 129, 140, 142f., 162, 172, 178, 185,373,402,410 Crusius, Florian (Krause) 372, 375ff, 381 D Dachser, Jakob 29

Dienheim, Eberhard von 45 Doccander, Adam 266,418 Dreer, Paul 39, 120 Drescher, Lorenz 35 Ε Eberstein, Margaretha von (geb. von Dietz) 113,207,323,422 Eberstein, Stephan von 113, 204, 420ff. Ebertz (Familie) 195,399 Ebertz, Hans 399 Ebertz, Katharina (geb. Baumgartner) 78, 131, 153, 161, 168, 170, 185, 189, 215f., 218, 222, 245, 333, 398f., 403f., 411, 427 Egglhof, Hans 193 Ehem (Familie) 195 Ehinger, Hans 112, 250, 255, 395 Ehinger, Hans Walther 39, 112, 255 Eiselin, Sibilla (geb. Kraffter) 3033, 35f„ 38, 45, 78, 80f„ 93, 95, 102, 104, 106, 108, 115ff„ 123ff., 131, 135-138, 140f., 143ff., 154f., 157, 161, 163, 165, 167, 170-174, 176, 178-181, 183, 185, 187f., 193f, 210-213, 215f., 218, 220, 225, 227f„ 287, 306, 332f.,336, 339, 342, 354f„ 408, 426 Eiselin, Stephan 30 Eisenmenger, Samuel 112,368, 420ff. Engelmann, Margaretha 84f. Eo, Wilhelm 79,374 Erhart, Anna 44f., 56, 112, 141, 173, 189, 196,219, 224,307, 331 Erlinger (Familie) 195 Erlinger, Georg 399 Espenmüller, Matthias 244, 262, 266f„ 39Iff.

467 Essendeir, Michael 39

F Fabri, Johannes 33 Farenschon, Jakob 47 Fauth, Heinrich 238,418f. Felber, Matthäus 369f., 380, 415f., 429 Felgenhauer, Paul 373, 379 Fischer Bernhard 124 Fischer, Caspar 56 Flacius, Matthias 179 Flinner, Johann 103 Fontius, Bartholomäus 29, 274 Franck, Matthäus 3 5 , 2 9 9 Franck, Sebastian 14, 34, 39, 66, 363, 373 Frecht, Martin 39ff., 87, 250f., 254, 258,410,412 Frei, Hans 404 Frei, Jörg 404 Freyberg von (Familie) 23, 25, 27f., 33, 36, 40, 45, 49f., 53f„ 56, 62f., 112f., 13 lf., 134, 145, 155f„ 158, 173, 180, 182, 184, 186, 191, 195f., 203, 210, 215, 218, 220f., 225f„ 2 8 5 , 2 9 4 , 301 f., 304, 31 Off., 316, 320, 324f„ 327, 329, 344, 365f„ 368, 381, 394, 397f„ 412f. Freyberg, Anna (geb. Humpiß von Waldrems) 325 Freyberg, Barbara von (geb. von Eberstein) 46, 59, 75, 80, 83, 101, 106, 113, 116, 120, 176f„ 204, 206f., 312f., 324, 422 Freyberg, Barbara von (geb. von Pfirdt) 204 Freyberg, Felicitas von 38, 80, 119, 132, 137, 141, 164,217ff. Freyberg, Ferdinand von 43, 50, 53, 203,213,398

Freyberg, Froben von 61 Freyberg, Georg Ludwig von 33, 46, 49f., 53f„ 56-61,75, 112f„ 173f., 176, 182, 188, 191,204, 221, 302ff., 31 lf., 316, 319f., 322ff„ 344, 365-369, 4 0 1 , 4 0 5 , 410, 412, 415, 420f. Freyberg, Hans Pleickhart von 57, 61, 68f., 112,210, 320, 324f„ 412 Freyberg, Hieronymus Christoph von 311 Freyberg, Johanna Felicitas von 207 Freyberg, Ludwig von 49f., 61, 173,342,412 Freyberg, Michael von 210 Freyberg, Michael Ludwig von 43, 50-53, 1 1 2 , 2 1 3 , 3 1 1 , 3 2 0 - 3 2 3 , 346, 425 Freyberg, Pankraz von 51 Freyberg, Rosamunde von (geb. von Ortenburg) 6 1 , 3 2 0 , 3 2 5 Freyberg, Salome von (geb. von Bubenhofen) 6 1 , 3 6 9 Freyberg, Sibilla von (geb. Gossenbrod) 191,342 Freyberg, Veronika von (geb. von Pappenheim) 50, 218f., 221, 224, 398 Freyberg, Wilhelm Ludwig von 207 Friedrich, Daniel 25, 50-53, 73, 82, 89, 93f„ 96, 101, 103f„ 112f„ 117, 120ff„ 127, 129, 134, 136, 139f., 141, 143, 153, 156, 158, 163, 168f„ 173, 177, 183,210, 212, 215, 231 f., 2 7 6 , 3 1 1,3213 2 4 , 3 2 9 f f , 336f„ 338, 346, 352, 354ff„ 370f„ 373f., 379ff„ 422, Friedrich, Samuel 212 Fröhlich, Georg 266 Fröschlin, David 342, 396 Frundsberg, Herren von 185, 402f.

468 Frundsberg, Georg von 402 Frundsberg, Melchior von 402 Fugger (Familie) 117,120,127, 328 Fugger, Hans Jakob 127,403 Fugger, Jakob 38 Fugger, Jörg 127 Fugger, Regina 127 G Gaisberg von (Familie) 191 Gaisberg, Christine von (geb. von Grafeneck) 114,190,219,314, 413 Gaisberg, Heinrich von 190, 314, 413 Gaisburg, Hans 37 Gegler, Agatha 34, 178 Gegler, Hans 34, 125, 178f. Geiger, Philipp 307 Geinßhert, Velten 418 Gellmann, Georg 380, 428f. Gellmann, Magdalena 428f. Gemmingen von (Familie) 191 Gemmingen, Margarethe von (geb. von Remchingen) 191 Gemmingen, Wolfgang von 191 Getz, Martin 47 Giffitheil, Johann Friedrich 369-373 Gifftheil, Joseph 378 Glaner, Caspar 35, 137f., 154, 162, 171,339 Glock, Paul 314,413 Gnu, N. von 46, 366 Graff, Daniel 154 Grafeneck, Klaus von 105,168, 190, 201,314,317,412 Grafeneck, Margaretha von (geb. Scher von Schwarzenburg) 190, 201,208, 229,314,412 Grammendorf, Lorenz 370f., 373, 377

Greiner (Familie) 342 Greiner, Jakob 342 Greiner, Margarethe 342 Greiner, Melchior 342 Groner, N. 116 Grynäus, Simon 253f. Gültlingen, Hans Balthasar von 410 Gültlinger, Christoph 38 Grünenstein, Wolfgang von 92, 319,407 Η Haid, Johannes 34f„ 111, 179, 208 Haid, Nikolaus 132,173,190,218 Haidenhofer, Dorothea 409 Haidenhofer, Martin 409 Haiderin, N. 189 Harheuptlin, Wolfgang 35 Hartbronner, Jörg 43f., 167, 295 Härter von Gärtringen, Hans 254 Häßler, Johann Benedikt 428 Hätzer, Ludwig 29, 183, 403 Haug, Anton 193,213,394 Haug, Barbara 166, 193, 199, 218f„ 224f., 394 Heel, Anna (geb. Hörmann) 393f. Heel, Barbara (verh. Lauginger/Haug) 3 93f. Heel, Johann Baptista 393 Heel, Konrad 145,393 Hegin, Maria 44f., 53 Held von Tieffenau, Jakob 28, 85, 137, 170, 172,215,254,395, 410,415,417 Held von Tieffenau, Johann Heinrich 28,70 Held von Tieffenau, Sophie (geb. von Kalcken) 28, 188 Helffenstein, Veit von 208 Heppelmann, Markus 418 Herbrot (Familie) 194 Herbrot, Jakob 29, 193

469 Herbrot, Maria (geb. Kraffter) 29, 193 Hermann, Jakob 264f., 417, 425 Herwart, Ott 181 Herwart, Wolf 181 Herxheimer, Bernhard 120f., 177, 181, 265f., 417f., 424 Herxheimer, Daniel 212 Hieber, Leonhard 30-33, 88f., 108f„ 123, 127f., 144, 154, 171, 179ff„ 229, 268, 280, 297f„ 341, 349f„ 394, 403, 406f„ 423 Hillenson, Burkhard 29,212,409 Hillenson, Helena (geb. Schweigger) 29,409 Hillenson, Jakob 29, 396, 409 Hoburg, Christian 380, 428 Hoffmann, Lorenz 418f. Hoffmann, Melchior 84,88 Hoffmann, Velten 418f. Höldt, Alexander 137f„ 144, 210, 392,418,422 Holzmann, Ulrich 171,181 Homagius, Philipp 60, 369f. Honold, Anton 180, 243f., 262, 267, 391-394 Honold, Blasius 186f., 244, 343, 404 Honold, Eva (geb. Baumgartner) 135, 168, 170, 186, 215f„ 218, 244, 333,343,393,404,411 Honold, Sebastian 244,391 Hörmann (Familie) 393 Hörmann, Jörg 245, 393 Hörmann, Ludwig 245, 392f. Hornung, Susanna 36, 38, 43, 48 56, 102, 112, 137, 141, 166ff., 173, 189, 212f., 219, 295, 307 Hotz, Bartholomäus 44, 290 Houven, Johann von der 428 Hoyers, Anna Ovena 381 Hutten, Ursula von (geb. Thumb von Neuburg) 410

Hutten, Johann von 410 I Ickelsamer, Valentin 30, 142 Iedelhauser, Anna (geb. Batzer) 47 Iedelhauser, Elisabeth 47 Iedelhauser, Lienhard 47 Iedelhauserin, N. (d.Ä.) 78 Imhof (Familie) 56,221 J Janin, Johannn Jakob 96,338,352, 369 Janin, Maria 182,366,369,375, 378,380,416, 429 John, Martin 380,429 John, Matthias 429 Jung,Johann 404 Jung, Matthias 66 Κ Kaihart, Martin 44,290 Kantz, Theodor 71, 155, 276, 294f., 340f., 344, 379,411,415 Karter, Martin 272 Karter, Moritz 342,396 Katzinger, Hans 35f., 212 Katzinger, Margarethe (geb. Maier) 35f., 184, 212f. Kaufmann, Hans 32 Kaufmann, Michel 32 Keel, Gall 2 5 , 3 8 , 5 5 , 8 8 , 141,219, 221,231,355 Keller, Georg 41,49 Keller, Michael 29, 37, 263, 266, 293 Ketzmann, Peter 31,269,280,403 Khuefiiß, Johann 182, 366, 368ff„ 377f., 429 Kiblin, Anna 44f„ 166,308 Kienlin, David 277, 283, 397

470 Kifhaber (Familie) 53f. Kifhaber, Elisabeth 114, 220f. Kifhaber, Hans 77, 87, 109,256 Kirchen, Cecilia von (geb. Baumgartner) 131, 135, 153, 160, 168, 185, 215f., 218, 330, 333, 398ff.,403f„ 411,427 Kirchen, Lukas von 400 Kirchen, Markus von 399 Kleiber, Urban 208 Konstanzer, Konrad 408 Kneulin, Tobias 29, 36, 38, 212f., 348 Kneulin, Putiphar 35f., 292, 299, 348,351 Knoll, Wilhelm 46, 60 Kraffter (Familie) 29, 112, 193 Kröttlin, Gabriel 112,409 Kuen, Hans 404 Küenle, David 349 Küenle, Martin 13, 35f., 38, 71, 212, 292, 299f., 336, 345, 347, 351 Kürenbach, Barbara 216, 399, 404 Kyringer, Hans 47 L Lamb, Hieronymus zum 420 Landschad von Steinach (Familie) 53,113, 164,424 Landschad von Steinach, Anna Elisabeth (geb. von Helmstatt) 175,421,424 Landschad von Steinach, Friedrich 421,424 Landschad von Steinach, Hans Pleickhard 424 Lang, Jörg 281,426 Laubenberg von (Familie) 113,180, 195, 398, 405, 408 Laubenberg, Carl von 408

Laubenberg, Concordia (geb. Rehlinger) 37, 194,408 Laubenberg, Elisabeth von 405 Laubenberg, Hans Caspar von 405 Laubenberg, Hans Leopold von 37, 194, 408 Laubenberg, Hans Wilhelm von 28f., 31,49, 142, 178, 188, 250ff., 319, 395, 398, 400, 405409 Laubenberg, Helena (verh. Adelmann v. Adelmannsfelden/Hauer v. Hauersberg) 408 Laubenberg, Katharina von 49, 405 Laubenberg, Magdalena von 213, 218f., 224, 398, 405 Laubenberg, Sophie von (geb. von Mandach) 405 Laubenberg, Ursula von (geb. Schürff von Schoenenwerth) 218,407 Lauber, Matthias 69, 243ff., 39Iff. Lauginger (Familie) 195 Laur, Georg 284, 343 Lay, Andreas 54, 112 Lay, Gabriel 37, 112, 178, 182, 367, 401 Lay, Michael 54, 112, 346, 366, 369, 401 Lehenherr, Caspar 39, 117 Leirer, Hans 165 Lepus, Jakob 400 Liebmann, Johann 41, 87, 247f., 264ff„ 417 Löschenbrandt (Familie) 43 Löschenbrandt, Codentz 168,394 Low, Peter 39 Löwenstein, Georg Ludwig von 107,415 Luther, Martin 13, 18, 24, 91, 106f., 128, 159,374 Lutz, Kaspar 206

471 Lutz, Martin 277 Μ Magirus, Johannes 204 Maier, Nikolaus 410 Mang, Hans 277 Marbach, Johann 230,266,419 Marillac, Louise de 96 Marpeck, Pilgram 398 Marquardt, Balthasar 30f., 108, 171, 180, 228,297, 341,349f. Martt, Agnes (geb. von Remchingen) 46, 51, 56, 58, 132, 142, 158, 195f., 200, 203,207, 209, 219f.,224f., 397,413 Martt, Johann 25, 28, 36, 38, 46, 51, 53-59, 70, 73, 80ff„ 88, 92f., 99-103, 112, 114, 118f., 129, 131 f., 135ff„ 139-142, 145, 149, 156, 158, 163f„ 172f„ 175ff„ 182, 184, 186, 189ff„ 196-200, 203, 209f., 215,217-221,224228, 231 f., 302ff., 323f., 330f„ 336, 354ff., 396ff., 413, 420 Matth, Paul 61, 368f., 401 Maurer, Georg 250, 395 Maximilian II. (Kaiser) 42 Mayer, Anthon 112,296 Mayer, Georg 37, 112, 179, 273, 404f. Meckhart, Johann 30, 114, 268f., 280 Meges, Ulrich 38,212 Meier, Apollonia 394 Melanchthon, Philipp 32, 268 Melhorn, Georg 29, 269-272 Merian, Lydia 217 Merian, Maria Sibylla 236 Merian, Matthäus 124,366,375f. Merici, Angela 96 Messerschmidt, Markus 418 Michsel, Samuel 48

Miller, Hans 48f. Moretzgi, Anna 105 Moretzgi, Jakob 55, 105f., 108, 172, 187, 195,215,275,278, 280, 282f, 288f„ 296, 344, 396f., 409 Müller, Elisabeth (geb. Iedelhauser) 47 Müller, Hans 38,219 Müller, Heinrich 47 Müller, Lukas 29, 117, 141, 154, 238,332 Müller, Michael 48 Müller, Zebedäus 47 Münster, Johann Friedrich 112, 145, 369f. Münster, Johann Ludwig 46, 54, 79, 89, 103f„ 112, 121f„ 127, 136, 145, 169, 182,213,217, 223,332, 366,368-375,377, 381,401,412,427,429 Musculus, Wolfgang 145, 270 Ν Neef, Peter 213 Neff, Andreas 106f., 124, 160, 180, 185,220,304, 308f„ 334,354, 414,418 Neff, Margaretha (geb. Burgecker) 160, 304,334 Nickel, Leonhard 178 Nippenburg von (Familie) 113,191, 411 f. Nippenburg, Friedrich von 316 Nippenburg, Johann Philipp von 155,411 Nippenburg, Ludwig von 412 Nippenburg, Maria Jakobe (geb. von Bubenhofen) 369, 411 f. Nippenburg, Maria Salome 412 Nüssel, Bartholomäus 228f., 399

472 Ο Ochino, Bernhard 141 Ökolampad, Johannes 269 Oslander, Lukas 202, 204, 206f. Österreich, Erzherzog Leopold von 60,316 Othmar, Hans 59,320 Othmar, Sylvanus 59, 178 Otmar, Valentin 34, 178 Otter, Jakob 274 Öttin, N. 256,345 Ρ Pappenheim von (Familie) 195, 396, 398 Pappenheim, Elisabeth von 398 Pappenheim, Joachim von 398 Pappenheim, Magdalena von 398 Pappenheim, Veronika von 50, 218, 398 Pappenheim, Walpurga von 398 Paracelsus (Theophrast von Hohenheim) 118, 364, 368, 420 Permeier, Johann 79, 117, 124, 370, 375ff. Pfaff, Nikolaus 145,182,366, 368f., 370ff., 377f„ 401f„ 416, 428f. Pflaum, Anna (geb. Hermann) 43ff., 53,56, 101, 167,307 Pflaum, Daniel 43f., 53, 167 Pfitzenmayer, Jörg 53f., 199, 213 Platter, Stoffel 33, 180,424 Putschlin, Helena (geb. Kraffter) 32, 154, 165, 179, 215f„ 218, 228, 306f. R Rab, Georg 120, 124, 422f. Rabus, Ludwig 44, 272f„ 278, 281 Rammingen, Jakob von 113,254

Rechberg von (Familie) 113, 191, 412 Regel, Anna (geb. Manlich) 29f., 117, 141, 154, 179, 183, 185, 306 Regel, Georg 29, 141 Rehlinger (Familie) 29, 37f., 194f., 405 Rehlinger, Anna (geb. Dorn) 221 Rehlinger, Concordia (verh. v. Laubenberg/Gaisburg) 194, 408 Rehlinger, Emanuel 221 Rehlinger, Hans Jakob 221 Rehlinger, Jakob 37f„ 194, 221, 306, 309, 328, 408 Rehlinger, Ulrich 34, 37, 195 Rehlinger, Ursula (geb. Gossembrot) 34, 195 Reißner, Adam 59, 112, 114, 118, 121, 169, 172, 185,216, 287, 402f„ 423f. Reitz, Samuel 44, 53, 61, 116, 157, 290,341 Rem (Familie) 195,221 Remchingen von (Familie) 113, 186, 191, 195, 199, 203,413 Remchingen, Carl von 191,200f., 203, 208, 284, 304f„ 319,413 Remchingen, Daniel von 196, 200f. Remchingen, Gideon von 191,414 Remchingen, Hans Ulrich von 207, 322 Remchingen, Juliane von (geb. von Grafeneck) 191, 196, 199-203, 225,284,305,413 Remchingen, Katharina von (geb. Schenk von Winterstetten) 196 Remchingen, Margarethe von (geb. von Zillenhart) 191,414 Remchingen, Maria von (geb. Grempp von Freudenstein) 196 Remchingen, Philipp Ruprecht von 68,210, 317f„ 347, 413 Rhem, Daniel 277

473 Ringlin, Jakob 274 Roggenburger, Juliana 41, 170 Rosephius, Gregor 36 Röslin, Helisäus 112, 118, 331, 368 Rößlin, Gilg 47, 117 Rosul, Nikolaus 330 Rot, Matthias 400

S Sarnow, Johann 370 Savoyen, Claudius von (Allobrox) 332 Schad, Daniel 272 Schalheimer, Hans 262, 266f„ 392 Schechner, Georg 109, 162, 166, 426 Scheidler (Familie) 195 Schenk von Stauffenberg, Johann Christoph 55,250,302 Scher von Schwarzenburg (Familie) 215,412 Scher von Schwarzenburg, Barbara 219,421 Schibl, Hans 404 Schid, Hans Georg 52f., 61, 106, 132, 156f„ 159, 166f„ 175,207, 231, 32Iff., 329, 425 Schieß, Heinrich 346 Schilling, Burkhard 39, 78, 91, 120, 159, 183,210, 244f„ 251, 260f., 321, 391 f.,414, 421 Schilling, Sixt 34f„ 111, 124f„ 179, 183f.,299, 307, 351 Schlecht, Anna 47 Schlecht, Barbara 47 Schlecht, Hans 47 Schmid, Lienhard 404 Schneyder, Hans Jakob 167 Schnitzer, Christoph 180,394 Schönenbühler, Hans 55

Schuler, Gervasius 250, 252, 262, 266, 392, 395 Schweigger (Familie) 29, 112 Schweigger, Markus 43, 50, 163, 208,213,228, 409 Schweigger, Regina (geb. Kraffter) 29f„ 32,35, 111, 154, 165, 179, 208, 306f„ 409 Schweintzer, Johann 417 Seckler, Melchior 181 Seeler, Bartholomäus 54,59,312 Seiler, Raphael 420 Seitz, Mang 192f. Seitz, Maria (geb. Egelhof) 193 Sendt de, N. 217 Seng, Veit 426 Seützer, Lukas 38 Seyfferdt, Anna (geb. Steter) 44, 53,58, 60, 113,213,307, 320 Seyfferdt, Thomas 58, 320 Silber, Veit 171 Specklin, Christian 38 Sperberseck (Familie) 113 Sperberseck, Hans von 411, 421 Spreng, Johann 30, 36, 38, 112, 171,212, 351f. Stotzin, Gertrud 45 Staudach, Blasius 394 Staudach, Franz 180,394 Staudach, Hans 394 Staudach, Ursula 394 Stenzel, Paulin 404 Strasser, Abraham 181 Straub, Leonhard 55, 58, 60, 182, 302, 304, 367 Streicher (Familie) 31, 40-45, 53, 56, 72,95, 114, 138, 144, 165, 170, 174, 180,215ff., 219, 226, 295,307,411,421 Streicher, Agatha 38, 40, 42f., 44f„ 50,55,58, 166f„ 170, 176,210, 213, 224f., 272, 278,295,307, 340, 396, 413, 421 f., 426

474

Streicher, Anna 40 Streicher, Hans Augustin 40f., 45, 48, 109, 170 Streicher, Helena (verh. von Watzdorf) 40f„ 44f., 56, 95, 114, 138, 144, 162, 170, 175, 195, 210f., 215, 221f., 224, 228, 292, 342, 398, 423 Streicher, Katharina 40f., 77f., 84f., 87, 92, 94, 103f., 106, 116, 135f., 138, 142, 170, 172, 180,216, 218, 222, 228, 256, 334,399, 41 lf. Streicher, Margaretha 40 Steirin, Anna 141,343 Stein, Hans Adam von 342 Ströhn, Isaak 61, 225ff., 313, 325f. Stürzel, Matthäus 44,47,341 Sudermann, Daniel 25, 52, 55, 78, 82, 119, 121, 125, 132ff., 136, 161, 175ff„ 181 ff., 200, 212, 244, 307,331,338,356, 366f., 370, 373f., 376, 394, 413, 420, 429 Τ Tauler, Johannes 81, 117, 121,322, 383 Thalfinger (Familie) 44 Thalhauser, Wolfgang 29, 118, 142, 162,410 Theiring, Alexi 44, 279, 290 Theurer, Michael 119,121,181, 306 Thomae, Nicolaus 425 Thomas ä Kempis 117, 383 Thomasius, Christian 372 Thumb von Neuburg (Familie) 78, 113, 253, 321, 410f., 414 Thumb von Neuburg, Albrecht 411

Thumb von Neuburg, Hans Konrad 63, 145,253,318,392, 409ff. Thumb von Neuburg, Hans Friedrich 222, 253f., 41 Of. Thumb von Neuburg, Konrad 410 Thumb von Neuburg, Margarethe (geb. von Liebenstein) 411 Thumb von Neuburg, Margarethe (geb. von Vellberg) 218,222, 411 Thumb von Neuburg, Sibilla (verh. von Sperberseck/Siglin) 138f. Torer, Jakob 404 Toxites, Michael 118 Tradel, Caspar 112,368 Tradel, Georg 29, 37, 221, 348, 368 Trappe, Pantaleon 370 Trautwein, Katharina (verh. Hillenson/Moretzgi) 187, 195, 282, 396, 409 Trost, Bartholomäus 181, 221 Trüber, Primus 273,404 U Ulhart, Philipp 34, 124f„ 178f.,299 Ulrich, Eukarius 426 Ungnad, Hans 426 Unseldt, N. 43, 168 Unseldt, Wolf 43 Unsinn, Bernhard 30-33, 35, 50, 54, 108, 114, 123, 127f„ 155, 167ff„ 171, 175, 180f., 192,218, 228, 231,268-273,280, 297,312, 331,336, 339, 341, 349f„ 354, 403, 406f. Unsinn, N. 35,218,239 V Volmar, Abraham 207 Vögeli, Jörg 90

475 W Wächteler, Michael 31Sf.,412f. Wächteler, Sophie 315f.,412f. Wagner, Gall 418f. Wall, Dorothea 165 Walther (Familie) 195 Walther, Philipp 167, 171, 185, 228 Waltz, Mathis 32 Ward, Maria 96 Watt, Joachim von (Vadianus) 106, 125 Watzdorf, Christoph von 421,423 Watzdorf, Friedrich von 45, 56, 195,224, 423 Weichsner, Hans 426 Weigel, Valentin 364, 373, 378f. Weiß, Jakob 51, 123, 160,213,215, 220, 290, 292, 343, 346, 397f. Weiß, Matthäus 280,301,401 Welser (Familie) 192-195 Welser, Ulrich 29, 32, 306, 342 Werlin, Kaspar 428 Werlin, N. 428 Werner, Abel 178f. Werner, Hans 425 Werner, Johann 124, 157, 178f., 209,322,419, 422, 426 Werner, Johann Sigismund 31,34, 39, 52, 120 Widemann, Karl 30, 36, 118, 132, 212,368 Wild, Eberhard 60, 107, 182, 237ff„ 340f„ 367f„ 378, 401, 411, 414f. Willer, Georg 34, 178 Windisch, Matthäus 244, 391 Windschlich, N. 107,334 Winther von Andernach, Johann 118 Wittershausen, Maria Ursula von (geb. v. Talheim) 314 Wittershausen, Sebastian von 314

Wolfhart, Bonifatius 28f„ 70, 274 Wolzogen, Ludwig 376 Württemberg, Herzog Christoph von 285 Württemberg, Herzog Johann Friedrich von 108,347 Württemberg, Herzog Ludwig von 204f„ 207,311 Württemberg, Herzog Ulrich von 253, 409f. Ζ Zangmeister, Eberhard 250, 395 Zell, Katharina (geb. Schütz) 74f., 120, 143, 174, 177, 185f„ 215, 273 Zell, Wilhelm 125, 395, 402 Zillenhart, Susanne von (geb. von Grafeneck) 190f., 314f., 414 Zillenhart, Wolf von 190f„ 314f„ 412 Zimmermann, Georg 61,368 Zimmermann, Jakob 79, 112, 160f., 167, 179, 277f„ 280, 289,296, 334, 336, 346f„ 397f. Zimmermann, Markus 29f., 38, 211,228 Zimmermann, Sibilla 211 Zolligkoffer (Familie) 195, 399 Zwingli, Ulrich 70, 242f„ 258, 269, 363 Zyäderin, Maria 161

Index der Ortsnamen

A Achstetten 58 Albeck 41,49 Allgäu 26, 41, 46f„ 168, 170, 2151, 222, 245, 250, 391f., 395, 398f„ 403f., 406 Altdorf 112 Altheim 249,272 Altenstadt 49 Altstätten 25, 38, 55f„ 92, 196, 219, 224f., 355, 396 Amsterdam 380f. Augsburg 23, 25, 27-30, 32ff., 363 9 , 4 1 , 4 3 , 5 0 , 56, 59, 62, 102, 111, 125, 135, 141, 145, 154, 157, 165, 171f„ 178-182, 194, 210-213,215-219, 221,225, 227f., 231, 243f., 250f., 253, 259-263, 267f„ 270ff., 286f„ 292, 297, 301,306,309,312, 328, 332, 336, 366, 368, 393f., 401,403,406, 408f. Β Baden (Markgrafschaft) 316,413, 421,423 Bamberg 380,429 Basel 111,267,393 Bennhausen 425 Bensheim 217 Bergzabern 425 Berlin 180 Blaubeuren 53, 200-203, 276, 294, 304f., 344, 412f., 415 Böringen 49

Bregenz 55, 101 Bretten 42Iff. Brunn 368 Bußweiler 53

C Cannstatt 73, 114, 144f„ 180,217, 304,414 D Danzig 178,356 Dettingen 276 Ditzingen 341 Donzdorf 412 Dornstetten 280,401 Durlach 224,413 Düsseldorf 188 Ε Eberstein 52, 421 f. Edenkoben 418,424 Ehingen 49, 55, 60, 30Iff., 310, 344 Ellmendingen 392 Esslingen 242,408,410 Ettlingen 422

F Frankfurt 124, 179, 366, 368, 370, 423, 428f. Freiburg 55

G Geradstetten 315,412 Gerstein 52

478 Glatz (Grafschaft) 24,281 Göppingen 200, 291 Griesingen 36, 49f., 54f., 58f., 102, 301f., 31 Iff., 316, 323, 327, 397 Grönenbach 398 Grundsheim 155,411 Gundershofen 50, 321, 325 Günzburg 59 Η Hagenau 331 Hall 33, 180 Hamburg 145,428 Heidelberg 11 Iff., 392, 416 Heiningen 291 Herbishofen 396, 398 Hohenwittlingen 314 Holtzen 224 Hütten 53,316 I Ilvesheim 425 Ingolstadt 34, U l f . , 402 Isny 78, 131, 135, 153, 166, 170, 178, 185, 195,216, 251,308, 398ff., 403, 406, 411,427 J Jägersdorf 280 Jungingen 49 Justingen 33, 49-52, 54, 61 f., 73, 112, 158, 176, 180, 204, 206f„ 210,219f., 311,313, 316, 320327, 367f„ 380, 401,411 Κ Kärnten 224 Kaufbeuren 38, 40, 62, 69, 73, 78, 120, 139, 180, 184,216, 242247, 249f„ 258-263, 266ff„ 285, 320, 361, 391 ff., 416

Kempten 37, 92, 170, 186f„ 195, 216, 243,261,273,319, 343, 404f., 407f. Kirchhardt 52 Kirchheim 201,412 Klosterbeuren 73 Köln 189,226 Köngen 411 Konstanz 29, 58, 71, 182, 242, 251, 274, 304 L Laichingen 322 Landau 27, 62, 73, 120, 230, 242, 246f., 249f., 259, 263ff„ 268, 290f., 416ff, 424 Landsberg 37, 224 Langenau 49 Lauingen 180, 403, 423f. Leeder 36ff, 43, 56, 102, 117, 120, 137, 141, 158, 171, 179, 194, 196ff., 212, 218-221, 224f., 231, 300, 309, 328, 405 Leinstetten 112,401 Leipheim 46f., 156, 307f., 341 Leipzig 415 Lindau 54, 160, 178, 182,251f„ 283, 366, 399, 400f., 406 Linz 61,368 Μ Magdeburg 178 Mähren 161,245,314 Marburg 368 Mehrstetten 61,276 Memmingen 51, 55, 160, 172, 187, 215, 225, 228f., 250ff, 261 f., 267, 277, 282f„ 288f., 292, 296, 334, 344,346,391,395-398, 406, 409 Mühlhausen 144,392,418,422

479 Ν Nasgenstatt 303 Neckarsteinach 175,424 Neuenbürg 200 Neuensteußlingen 53 Neukastel 425 Niederlande 217,328,360 Nürnberg 72,93,96, 116, 124, 145, 182, 296, 309,366,368, 379f„ 425ff„ 429 Ο Oberbeuren 394 Obergriesingen 33, 55f., 58f., 156, 182, 203, 225, 302, 316, 323f„ 413 Opfingen 36f„ 41, 49f„ 54, 59f„ 62, 73, 113, 155, 180,218ff„ 294,312, 322ff„ 369, 380,415, 427 Ρ Pfalz (Pfalz-Neuburg, Kurpfalz, Pfalz-Zweibrücken) 52, 275, 281, 311, 403, 418, 420f., 423ff. Pforzheim 196, 225, 422, 426 Pfuhl 41, 87, 248ff. R Rechberg 217 Rohrschach 182 Rostock 415 Rottenburg 401

Schmalkalden 65, 143, 235, 259, 273, 403 Schorndorf 201 Schwaben (Landvogtei) 55,113, 302,319, 405 Söflingen 45, 56, 173, 224f. Sondernach 54 Sontheim 61 Speyer 25, 43, 166, 204, 226, 246f., 263f., 278, 416f., 420, 424f. Stainheim 49 Stetten 3 9 , 7 3 , 2 4 4 , 3 2 1 , 3 9 2 , 4 1 0 , 414 Stettin 415 St. Gallen 55, 106, 125 Straßburg 14, 25-28, 43, 45, 5Iff., 6If., 74, 84, 108, 112, 115, 121, 125f„ 155ff„ 166f., 178, 181f., 185, 188f., 210, 213, 215f., 226, 230f„ 241, 244, 246f„ 250, 253, 255f„ 264, 272f„ 274,282, 291, 306f., 331,338,356, 370, 402, 412,417,419, 422f„ 427 Stuttgart 63,217,291,294,301, 308f., 322, 340f., 369, 380, 429 Τ Tirol 301 f. Tübingen 40, 50, 54, 11 Iff., 253, 309,334, 340, 367f, 378, 401, 410,415,421,424 U

S Salem (Kloster) 49, 54, 58ff., 156, 182, 301, 31 Off., 324, 344 Schachen 401 Schlesien 24, 67, 98, 120, 185, 229, 248, 380, 399, 427

Ulm 14, 23, 25, 27f„ 31,38-50, 53, 55-58, 60-63,73,87,92, 109, 112, 114, 116, 121, 126, 135, 144, 156ff., 163, 165ff., 169f., 173, 180, 186, 189f., 195, 199, 203, 212, 215ff., 218-222, 224ff„ 228, 241, 247-251, 254, 26Iff., 272, 279, 281f„ 285,289, 292, 295, 301,307f., 310, 335f., 341,

480 345, 355, 359, 366, 377f., 391f„ 396, 398f„ 403, 41 If., 417, 422 Untergriesingen 311 Urach 53, 204, 412 Urspring (Kloster) 60,310 W Wagegg 178, 180, 195, 250f., 405408 Walkersbach 342 Weingarten 302 Wildbad 196,218 Wildberg 202f.,317f. Wilferdingen 195 Wittenberg 32, 40, 111, 254, 378, 402 Württemberg (Herzogtum) 26, 49, 51 f., 54, 60-63, 68,71,78, 190, 200, 205, 229, 249, 258, 276, 281, 283, 286f„ 290, 295, 300f„ 304, 308, 310f„ 313-316, 3180, 325, 342, 346, 353, 359, 377f„ 409f., 412f. Ζ Zellerbad 216,218 Zschopau 379