Vertragsänderungen unter dem Blickwinkel des Vergaberechts: Eine Untersuchung der Umgehungsmöglichkeiten des Vergaberechts durch Vertragsgestaltung [1 ed.] 9783428531301, 9783428131303

Verena Poschmann widmet sich der Frage, ob öffentliche Auftraggeber und ihre Vertragspartner nach Beendigung des Vergabe

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Vertragsänderungen unter dem Blickwinkel des Vergaberechts: Eine Untersuchung der Umgehungsmöglichkeiten des Vergaberechts durch Vertragsgestaltung [1 ed.]
 9783428531301, 9783428131303

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1162

Vertragsänderungen unter dem Blickwinkel des Vergaberechts Eine Untersuchung der Umgehungsmöglichkeiten des Vergaberechts durch Vertragsgestaltung

Von Verena Poschmann

Duncker & Humblot · Berlin

VERENA P OSCHMANN

Vertragsänderungen unter dem Blickwinkel des Vergaberechts

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1162

Vertragsänderungen unter dem Blickwinkel des Vergaberechts Eine Untersuchung der Umgehungsmöglichkeiten des Vergaberechts durch Vertragsgestaltung

Von Verena Poschmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13130-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Clara Heleen

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der juristischen Fakultät der HumboldtUniversität zu Berlin im Februar 2008 als Dissertation angenommen. Das Ma­ nuskript wurde unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Änderungen der Rechtsgrundlagen sowie nachfolgend ergangener Rechtsprechung im November 2009 für die Veröffentlichung aktualisiert. Besonderer Dank gebührt in erster Linie Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Schwin­ towski für die Betreuung der Arbeit und die wertvollen Anregungen sowie für die zügige Erstellung des Erstgutachtens. Herrn Prof. Dr. Gunnar Folke Schuppert danke ich für die Übernahme der Zweitbegutachtung. Gedankt sei auch Herrn Rechtsanwalt Malte Müller-Wrede, der mir neben meiner beruflichen Tätigkeit die zeitlichen Freiräume gelassen hat, die zur An­ fertigung dieser Arbeit erforderlich waren. Durch seine vergaberechtliche Erfah­ rung hat er meine berufliche Ausbildung, die jahrelange Zusammenarbeit und damit nicht zuletzt auch diese Arbeit gefördert. Bei Herrn Dr. Hendrik Kaelble möchte ich mich ebenfalls bedanken. Seine Dissertation war mir Vorbild und Ermutigung während des langen und teils mühseligen Weges. Von Herzen danke ich meinen Eltern, Sybille und Dr. Wernfried Schade, für die Unterstützung während meines Studiums. Mit viel Engagement haben sie zu­ dem das Korrekturlesen übernommen und die Veröffentlichung der Dissertation großzügig unterstützt. Die Arbeit widme ich meiner Tochter Clara Heleen. Berlin, im Januar 2010

Verena Poschmann

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

A. Die Ziele des europäischen und nationalen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . .

25

B. Rechtstatsächliche Bedeutung des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

C. Fragestellung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

Teil 1

Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

37

Kapitel 1

Fallgestaltungen von Vertragsänderungen

37

A. Änderungen vertraglicher Vereinbarungen in zeitlicher Hinsicht . . . . . . . . . . .

38

B. Änderungen vertraglicher Vereinbarungen in inhaltlicher Hinsicht . . . . . . . . . .

44

C. Kombinationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

D. Ergebnis: Die zu untersuchenden Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

Kapitel 2

Vertragsänderungen unter dem Blickwinkel

der Privatautonomie

55

A. Vergaberecht als Teil des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

B. Inhalt und Herleitung der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

C. Das Meinungsbild in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

D. Stellungnahme und Untersuchung der Privatautonomie zugunsten öffentlicher

Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

10

Inhaltsübersicht Kapitel 3

Die Rechtsgrundlagen und Rechtsgrundsätze

des Vergaberechts

A. Rechtsgrundlagen des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

98

B. Grundsätze des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

Teil 2

Vergaberechtliche Würdigung

der Vertragsänderungen

116

Kapitel 4

Nachträgliche Vertragsänderungen

durch Parteivereinbarung

116

A. Vergaberechtliche Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

B. Vergaberechtliche Zulässigkeitsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Kapitel 5

Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung

178

A. Vergaberechtliche Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

B. Vergaberechtliche Zulässigkeitsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Kapitel 6

Vertragsänderungen auf der Grundlage

von Optionsrechten

215

A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

B. Vergaberechtliche Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

C. Vergaberechtliche Zulässigkeitsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

Inhaltsübersicht

11

Kapitel 7

Leistungserweiterungen auf der Grundlage

von Rahmenvereinbarungen

258

A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

B. Vergaberechtliche Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

C. Vergaberechtliche Zulässigkeitsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

Teil 3

Rechtsfolgen und Primärrechtsschutz bei

vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

307

Kapitel 8

Rechtsfolgen vergaberechtswidriger

Vertragsänderungen

307

A. Rechtsfolgen nach Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

B. Rechtsfolgen nach nationalem Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312

C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

Kapitel 9

Primärrechtsschutz gegen

vergaberechtswidrige Vertragsänderungen

329

A. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zum Primärrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . 330

B. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . 335

C. Primärrechtsschutz bezogen auf vergaberechtswidrige Vertragsänderungen . . . 344

D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

Teil 4

Ergebnisse der Untersuchung

375

A. Keine privatautonome Vertragsgestaltungsfreiheit öffentlicher Auftraggeber . . 375

B. Umgehung des Vergaberechts durch Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376

C. Nichtigkeit vergaberechtswidriger Vertragsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

D. Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige Vertragsänderungen . . . . . . . . 382

12

Inhaltsübersicht

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

A. Die Ziele des europäischen und nationalen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ziele des europäischen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ziele des deutschen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

25

27

B. Rechtstatsächliche Bedeutung des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

C. Fragestellung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

33

35

Teil 1

Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

37

Kapitel 1

Fallgestaltungen von Vertragsänderungen

37

A. Änderungen vertraglicher Vereinbarungen in zeitlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . I. Vertragsverlängerungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Optionale Verlängerungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Automatische Verlängerungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Langfristige Verträge mit Kündigungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vertragsverlängerungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

39

39

40

41

44

B. Änderungen vertraglicher Vereinbarungen in inhaltlicher Hinsicht . . . . . . . . . . I. Änderungen am Leistungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erweiterungen des Leistungsumfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reduzierungen des Leistungsumfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Austausch von Leistungsbestandteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Änderungen der Vergütung bzw. des Preises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Änderungen des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

45

45

48

48

49

50

C. Kombinationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

D. Ergebnis: Die zu untersuchenden Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

I. Nachträgliche Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung . . . . . . . . . . .

53

14

Inhaltsverzeichnis II. Vertragsverlängerungen durch Nichtausüben eines Kündigungsrechts . . . .

54

III. Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten . . . . . . . . . . . .

54

IV. Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen . .

55

Kapitel 2

Vertragsänderungen unter dem Blickwinkel

der Privatautonomie

55

A. Vergaberecht als Teil des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

B. Inhalt und Herleitung der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

C. Das Meinungsbild in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

D. Stellungnahme und Untersuchung der Privatautonomie zugunsten öffentlicher

Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

I. Staatliche öffentliche Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

1. Grundrechtsfähigkeit staatlicher öffentlicher Auftraggeber . . . . . . . . . .

67

a) Grundrechtsfähigkeit staatlicher Auftraggeber in Form von juristi­ schen Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

b) Grundrechtsfähigkeit staatlicher Auftraggeber in Form von juristi­ schen Personen des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

2. Fähigkeit zum selbstbestimmten Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

II. Nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

1. Grundrechtsfähigkeit nichtstaatlicher öffentlicher Auftraggeber . . . . . .

80

a) Grundrechtsfähigkeit nichtstaatlicher öffentlicher Auftraggeber ohne

staatliche Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

b) Grundrechtsfähigkeit nichtstaatlicher öffentlicher Auftraggeber mit

staatlicher Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

2. Fähigkeit zum selbstbestimmten Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

a) Nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber ohne staatliche Beteiligung

85

b) Nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber mit staatlicher Beteiligung

86

3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

4. Kollision von Vertragsfreiheit und Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

a) Vergaberecht als Schranke der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . .

89

b) Rechtfertigung der Einschränkung der Privatautonomie . . . . . . . . . .

90

Inhaltsverzeichnis

E.

15

aa) Öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB . . . . . . . . . . . . .

91

bb) Öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB . . . . . . . .

93

cc) Öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 5 und 6 GWB . . . . . . . .

95

5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

Kapitel 3

Die Rechtsgrundlagen und Rechtsgrundsätze

des Vergaberechts

98

A. Rechtsgrundlagen des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

I. Die europäischen Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

1. Die klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

2. Die Sektorenkoordinierungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

3. Die Rechtsmittelrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

II. Nationales Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

1. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

2. Die Vergabeverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

3. Die Vergabe- und Vertragsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

4. Vergaberecht als Umsetzungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

III. Zusammenfassung der geltenden Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

B. Grundsätze des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

I. Der Wettbewerbsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

II. Das Gebot der Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

III. Das Transparenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

Teil 2

Vergaberechtliche Würdigung

der Vertragsänderungen

116

Kapitel 4

Nachträgliche Vertragsänderungen

durch Parteivereinbarung

116

A. Vergaberechtliche Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

B. Vergaberechtliche Zulässigkeitsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

16

Inhaltsverzeichnis I. Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

1. Europarechtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

2. Nationale Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

3. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

4. Ergebnis: Die zu untersuchenden Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

II. Änderungsmöglichkeiten auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen

124

1. Änderungsklauseln nach VOB / B bzw. VOL / B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

a) Änderungen der Leistungen nach § 1 Nr. 3 VOB / B . . . . . . . . . . . . . 126

b) Beauftragung zusätzlicher Leistungen nach § 1 Nr. 4 VOB / B . . . . . 131

c) Änderungen der Leistungen nach § 2 VOL / B . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

2. Änderungsklauseln außerhalb der VOL / B bzw. VOB / B . . . . . . . . . . . . 136

a) Vertragliche Änderungsvorbehaltsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

b) Preisgleitklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

aa) Arten von Preisgleitklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

bb) Anforderungen an die Vereinbarung von Preisgleitklauseln . . . . 141

cc) Inhaltskontrolle von Preisgleitklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

III. Ausnahmetatbestände im Vergaberecht für Leistungsänderungen . . . . . . . . 146

1. Regelungen im europäischen und deutschen Vergaberecht . . . . . . . . . . . 146

2. Ausnahmetatbestände des Verhandlungsverfahrens ohne Vergabebe­ kanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

a) Auftrag nur vom Vertragspartner ausführbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

b) Beauftragung zusätzlicher Lieferleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

c) Beauftragung zusätzlicher Bau- und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . 152

d) Wiederholung gleichartiger Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

3. Keine analoge Anwendbarkeit der Ausnahmetatbestände . . . . . . . . . . . . 157

4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

IV. Vergaberechtliche Relevanz von Vertragsänderungen durch Parteivereinba­ rung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

1. Änderungen des Entgelts bzw. der Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

2. Änderungen des Leistungsumfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

3. Austausch einzelner Leistungskomponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

4. Verlängerungen der Vertragslaufzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

5. Änderungen des Vertragspartners des öffentlichen Auftraggebers . . . . . 169

C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Inhaltsverzeichnis

17

Kapitel 5

Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung

178

A. Vergaberechtliche Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

B. Vergaberechtliche Zulässigkeitsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungen im deutschen und europäischen Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . II. Langfristige Verträge und Kündigungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vergaberechtliche Anforderungen an den Abschluss langfristiger Verträge a) Erste Ansicht – Zulässigkeit von Verträgen mit unbestimmter Dauer b) Zweite Ansicht – Verletzung des Wettbewerbsgebots . . . . . . . . . . . . c) Eigene Auffassung und Herleitung eines Regel-Ausnahme-Prinzips aa) Keine Herleitung einer generellen Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . bb) Zulässigkeitsanforderungen an langfristige Verträge und Verträge

mit automatischen Verlängerungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Regelvertragslaufzeiten im Vergaberecht (Regel-Ausnahme-

Prinzip) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sachliche Rechtfertigung langer Vertragslaufzeiten . . . . . . (3) Begrenzung automatischer Verlängerungsklauseln . . . . . . . (4) Aufnahme von Kündigungsklauseln in langfristige Verträge d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergaberechtlicher Umgang mit Kündigungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . a) Herrschende Ansicht – Rechtliche Irrelevanz der Nichtkündigung . . b) EuGH – Zulässigkeit eines Kündigungsverzichts . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigene Auffassung – Vergaberechtliche Relevanz der Nichtkündigung aa) Nichtkündigung als Handeln durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . bb) Pflicht zur Prüfung der Kündigungsvoraussetzungen . . . . . . . . . cc) Pflicht zur Kündigung bei Ermessensreduzierung auf Null . . . . (1) Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Auftragsvergabe . . . . . . (2) „Kündigungspflicht“ wegen kollusiven Zusammenwirkens . (3) Pflicht zur Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen . . . . . (4) Pflicht zur Kündigung wegen Wegfalls der Rechtfertigung . (5) Ermessensreduzierung aus dem Wettbewerbsrecht . . . . . . . (6) Altverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Grundsatz des Bestandsschutzes von Altverträgen . . . . (b) Ausnahme bei Änderungen des Vertrages . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

18

Inhaltsverzeichnis Kapitel 6

Vertragsänderungen auf der Grundlage

von Optionsrechten

A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zivilrechtliche Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriffskonkretisierung im Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unverbindlicher Hinweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rahmenverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wahl- bzw. Alternativpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bedarfs- bzw. Eventualpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Vergaberechtliche Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

C. Vergaberechtliche Zulässigkeitsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungen im europäischen und deutschen Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . II. Rechtmäßigkeitsanforderungen an Optionsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vergaberechtliche Anforderungen an die Vereinbarung von Optionsklau­ seln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vergabewille des öffentlichen Auftraggebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beachtung des Wettbewerbsgebots – Vertragslaufzeit . . . . . . . . . . . . c) Bestimmung der wesentlichen Vertragsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . d) Anforderungen an die Gewichtung zwischen Haupt- und Optionsleis­ tung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anteil der optionalen Leistungen in der Ausschreibung . . . . . . . bb) Gewichtung der optionalen Leistungen im Rahmen der Wertung

der Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zumutbarkeit optionaler Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschrei­ bung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vergaberechtliche Bestimmungen und Grundlagen . . . . . . . (2) Begriffsdefinitionen „eindeutig“ und „erschöpfend“ . . . . . . (3) Grenzen des Gebots der eindeutigen Leistungsbeschreibung (4) Eindeutige Leistungsbeschreibung bei Optionsklauseln . . . bb) Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse . . . . . . . . . . . (1) Vergaberechtliche Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Begriff des ungewöhnlichen Wagnisses . . . . . . . . . . . . . . . .

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239

(3) Grenzen des Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Inhaltsverzeichnis

19

(a) Gewöhnliche Wagnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

(b) Kalkulierbare Wagnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

(c) Ausgleichsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

(4) Ungewöhnliche Wagnisse bei der Ausschreibung von Optio­ nen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

f) Inhaltskontrolle von Optionsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

aa) Unangemessen lange oder unbestimmte Fristen . . . . . . . . . . . . . 247

bb) Bindefristen im Rahmen von Optionsklauseln . . . . . . . . . . . . . . 248

g) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

2. Vergaberechtliche Anforderungen an die Ausübung von Optionsrechten 252

a) Die Optionsausübung als Vollzug des Ursprungsvertrages . . . . . . . . 252

b) Ermessen bezüglich der Wahrnehmung des Optionsrechts . . . . . . . . 253

c) Ermessensreduzierung auf Null . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

Kapitel 7

Leistungserweiterungen auf der Grundlage

von Rahmenvereinbarungen

258

A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

I. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

II. Sinn und Zweck von Rahmenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

III. Bindungswirkungen von Rahmenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

1. Einseitig verbindliche Rahmenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

2. Beidseitig verbindliche Rahmenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

3. Unverbindliche Rahmenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

B. Vergaberechtliche Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

C. Vergaberechtliche Zulässigkeitsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

I. Regelungen im europäischen und nationalen Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . 264

1. Regelungen im europäischen Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

a) Rahmenvereinbarungen im Bereich klassischer öffentlicher Aufträge 265

b) Rahmenvereinbarungen im Sektorenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

2. Regelungen im nationalen Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

a) Rechtslage vor Inkrafttreten der Vergabekoordinierungsrichtlinien . 266

b) Rahmenvereinbarungen im Sektorenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

c) Rahmenvereinbarungen im Bereich klassischer Liefer- und Dienst­ leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

20

Inhaltsverzeichnis d) Rahmenvereinbarungen im Bereich von Bauleistungen und freiberuf­ lichen Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

aa) Unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinienbestimmungen . . . 268

bb) Analoge Anwendung der Bestimmungen zu Rahmenvereinbarun­ gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

II. Vergaberechtliche Anforderungen an Inhalt und Abschluss von Rahmenver­ einbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

1. Anwendung der Vergabebestimmungen und der Vergabegrundsätze . . . 272

2. Inhalt der Rahmenvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

a) Der in Aussicht genommene Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

b) Das in Aussicht genommene Auftragsvolumen . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

c) Zeitraum der Einzelaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

d) Beschreibung des Leistungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

3. Laufzeitbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

4. Missbrauchsverbot und Wettbewerbsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

a) Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse . . . . . . . . . . . . . . 283

b) Verbot der Zusammenfassung unterschiedlicher Leistungen . . . . . . . 285

c) Verbot der Ausschreibung zu vergabefremden Zwecken . . . . . . . . . . 285

d) Verbot der Verfälschung des Wettbewerbsergebnisses . . . . . . . . . . . 285

e) Verbot der Mehrfachvergabe von Rahmenvereinbarungen . . . . . . . . 286

5. Die Anzahl der Vertragspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

III. Vergaberechtliche Anforderungen an die Vergabe der Einzelaufträge . . . . . 289

1. Grundsätze zur Vergabe der Einzelaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

a) Die Rahmenvereinbarung als Grundlage der Auftragsvergabe . . . . . 289

b) Auftragsvergabe an die Vertragspartner der Rahmenvereinbarung . . 290

c) Verbot grundlegender Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

2. Verfahren zur Vergabe der Einzelaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

a) Rahmenvereinbarungen mit einem Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . 293

b) Rahmenvereinbarungen mit mehreren Unternehmen . . . . . . . . . . . . 294

aa) Abschließende Festlegung der Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . 294

bb) Nichtabschließende Festlegung der Bedingungen . . . . . . . . . . . 295

(1) Konsultation der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

(2) Frist zur Angebotsabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

(3) Form der Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

(4) Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot . . . . . . . . . . . . . 298

3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

IV. Besonderheiten im Sektorenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300

Inhaltsverzeichnis

21

1. Vergaberechtlicher Wettbewerb um die Rahmenvereinbarung . . . . . . . . 300

2. Vergaberechtlicher Wettbewerb um die Einzelaufträge . . . . . . . . . . . . . 301

3. Missbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

Teil 3

Rechtsfolgen und Primärrechtsschutz bei

vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

307

Kapitel 8

Rechtsfolgen vergaberechtswidriger

Vertragsänderungen

307

A. Rechtsfolgen nach Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

I. Gemeinschaftsrechtswidrigkeit von De-facto-Vergaben . . . . . . . . . . . . . . . 309

II. Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310

III. Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertragsänderungen . . . . . . . . . . . . . . 311

B. Rechtsfolgen nach nationalem Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312

I. Rechtsfolgen für De-facto-Vergaben vor Inkrafttreten des GWB n. F. . . . . . 312

1. Streitstand zu den Rechtsfolgen von De-facto-Vergaben vor Inkrafttreten

des GWB n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

a) Herleitung einer Nichtigkeit des Vertragsschlusses . . . . . . . . . . . . . . 313

aa) Nichtigkeitsfolge aus § 13 Satz 6 VgV a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . 313

bb) Nichtigkeit gemäß § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

cc) Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit des Vertragsschlusses . . . . . 318

b) Keine Herleitung einer Nichtigkeitsfolge aus dem Vergaberecht . . . 319

2. Stellungnahme zu den Rechtsfolgen von De-facto-Vergaben vor Inkraft­ treten des GWB n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

II. Rechtsfolgen für De-facto-Vergaben nach Inkrafttreten des GWB n. F. . . . 326

C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

Kapitel 9

Primärrechtsschutz gegen

vergaberechtswidrige Vertragsänderungen

329

A. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zum Primärrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . 330

I. Rechtsschutzvorgaben nach der RMR a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

1. Maßgebliche Richtlinienvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

22

Inhaltsverzeichnis 2. Auslegung der Rechtsmittelrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

II. Rechtsschutzvorgaben unter Zugrundelegung der RMR-ÄnderungsRL . . . 333

III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

B. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . 335

I. Primärrechtschutz für De-facto-Vergaben vor Inkrafttreten des GWB n. F.

336

1. Statthaftigkeit von Nachprüfungsverfahren gegen De-facto-Vergaben . . 336

2. Antragsbefugnis und Rechtsschutzinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

3. Rügeobliegenheit bei unterlassenem Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . 339

4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

II. Primärrechtsschutz für De-facto-Vergaben nach Inkrafttreten des GWB n. F. 343

C. Primärrechtsschutz bezogen auf vergaberechtswidrige Vertragsänderungen . . . 344

I. Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung . 344

1. Rechtsschutz unter Zugrundelegung der RMR-ÄnderungsRL . . . . . . . . 345

2. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz vor Inkrafttreten des GWB n. F. 346

a) Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

b) Antragsbefugnis und Rügeobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

3. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz nach Inkrafttreten des GWB n. F. 348

4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

II. Rechtsschutz gegen Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung . . . . . 349

1. Rechtsschutz unter Zugrundelegung der RMR-ÄnderungsRL . . . . . . . . 350

2. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz vor Inkrafttreten des GWB n. F. 351

a) Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

b) Antragsbefugnis und Rügeobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

3. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz nach Inkrafttreten des GWB n. F. 354

4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

III. Rechtsschutz gegen Vertragsänderungen auf der Grundlage von Options­ rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

1. Rechtsschutz unter Zugrundelegung der RMR-ÄnderungsRL . . . . . . . . 356

a) Vergaberechtswidrige Ausgestaltung der Option . . . . . . . . . . . . . . . . 356

b) Vergaberechtswidrige Ausübung des Optionsrechts . . . . . . . . . . . . . 356

c) Nachträgliche Vereinbarung einer optionalen Leistung . . . . . . . . . . . 357

2. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz vor Inkrafttreten des GWB n. F. 357

a) Vergaberechtswidrige Ausgestaltung der Option . . . . . . . . . . . . . . . . 358

b) Vergaberechtswidrige Ausübung des Optionsrechts . . . . . . . . . . . . . 358

c) Nachträgliche Vereinbarung einer optionalen Leistung . . . . . . . . . . . 360

3. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz nach Inkrafttreten des GWB n. F. 360

a) Vergaberechtswidrige Ausgestaltung der Option . . . . . . . . . . . . . . . . 360

b) Vergaberechtswidrige Ausübung des Optionsrechts . . . . . . . . . . . . . 361

Inhaltsverzeichnis

23

c) Nachträgliche Vereinbarung einer optionalen Leistung . . . . . . . . . . . 362

4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362

IV. Rechtsschutz gegen Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rah­ menvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

1. Rechtsschutz unter Zugrundelegung der RMR-ÄnderungsRL . . . . . . . . 364

a) Verfahren zur Vergabe der Rahmenvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . 364

b) Vergabe der Einzelaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

2. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz vor Inkrafttreten des GWB n. F.

365

a) Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

aa) Vergabeverfahren zum Abschluss der Rahmenvereinbarung . . . 365

bb) Vergabe der Einzelaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366

b) Antragsbefugnis und Rügeobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367

3. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz nach Inkrafttreten des GWB n. F. 368

a) Verfahren zur Vergabe der Rahmenvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . 368

b) Vergabe der Einzelaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

Teil 4

Ergebnisse der Untersuchung

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A. Keine privatautonome Vertragsgestaltungsfreiheit öffentlicher Auftraggeber . . 375

B. Umgehung des Vergaberechts durch Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376

I. Nachträgliche Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung . . . . . . . . . . . 376

II. Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

III. Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten . . . . . . . . . . . . 379

IV. Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen . . 380

C. Nichtigkeit vergaberechtswidriger Vertragsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

D. Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige Vertragsänderungen . . . . . . . . 382

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

Einleitung Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit den Umgehungsmöglichkei­ ten des Vergaberechts durch Vertragsgestaltung in Form von Erweiterungen, Verlängerungen oder sonstigen Vertragsanpassungen der von den öffentlichen Auftraggebern abgeschlossenen Verträge. Die Untersuchung der Umgehung des Vergaberechts durch Vertragsänderun­ gen 1 ist insbesondere im Hinblick auf die enorme wirtschaftliche Bedeutung des öffentlichen Auftragswesens für die nationalen und europäischen Märkte erfor­ derlich. Die im Wege der Vertragsänderung vergebenen Aufträge werden diesen Märkten entzogen. Denn die Vertragsänderung erfolgt zwischen den Parteien des Vertrages unter Ausschluss jeglichen Wettbewerbs. Umgehungstatbestän­ de des Vergaberechts beeinträchtigen daher das Ziel des Gemeinschaftsrechts, die Schaffung eines gemeinsamen (Vergabe-) Binnenmarktes (hierzu A.). Auch rechtstatsächliche Untersuchungen belegen, dass dem Vergaberecht eine größere Wirkung verschafft werden muss (hierzu B.). Hieraus ergibt sich die Legitima­ tion der vorliegenden Arbeit, deren Fragestellung und Gang der Untersuchung unter C. dargestellt wird.

A. Die Ziele des europäischen und nationalen Vergaberechts I. Ziele des europäischen Vergaberechts Die wichtigste Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft ist die Herstellung eines gemeinsamen Binnenmarktes (Art. 2, 14 EG), 2 also eines Raumes ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistun­ gen und Kapital gewährleistet ist. 3 Das europäische Vergaberecht hat seinen Ursprung in diesem Ziel. 4 Die Abschottung der einzelstaatlichen Vergabemärkte 1 Der Oberbegriff der Vertragsänderungen umfasst sämtliche nachträglichen Änderun­ gen durch Vertragserweiterungen, Vertragsverlängerungen und sonstigen Vertragsanpas­ sungen. 2 Götz, Beschaffungsmärkte, S. 8; Ohler, Öffentliche Auftraggeber, S. 16. 3 Schwintowski, EWS 2001, 201 (203). 4 Erwägungsgründe 12, 13, 23, 29 VKR; Schwarze, EuZW 2000, 133 (135); Hail­ bronner / Kau, NZBau 2006, 16.

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war aufgrund der immensen wirtschaftlichen Bedeutung des öffentlichen Auf­ tragswesens eine der größten Schranken zur Vollendung des Binnenmarktes. 5 Die Ausdehnung des Wettbewerbs im Bereich des öffentlichen Auftragswesens über die Grenzen der einzelnen Mitgliedsstaaten hinaus soll die nationalen Märkte dem europaweiten Wettbewerb öffnen. 6 Zur Verwirklichung dieses Ziels müs­ sen Wettbewerbsverzerrungen aufgrund unterschiedlicher Rechtsordnungen über­ wunden werden. 7 Dies soll mithilfe der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge geschehen. 8 Ziel der Vergabekoordinierungsrichtlinien (VKR und SKR) ist die Förderung der grenzüberschreitenden Auftragsvergaben durch Abbau von Marktzutrittshemm­ nissen, die Schaffung eines echten Wettbewerbs und die Liberalisierung der nationalen Beschaffungsmärkte. 9 Neben der Ausweitung des Wettbewerbs ist auch die Effizienz des öffentlichen Beschaffungswesens ein Anliegen des europäischen Vergaberechts. 10 Angesichts der Haushaltsprobleme vieler Mitgliedsstaaten kommt nach Ansicht der Kom­ mission dem effizienten Einsatz öffentlicher Gelder eine ganz besondere Be­ deutung zu. 11 Die Kommission betont, dass durch die Öffnung der Märkte und durch Ausschreibungswettbewerbe die rationale Verwendung öffentlicher Gel­ der erreicht werden kann. 12 Die öffentlichen Verwaltungen sprechen mit offenen, wettbewerbsorientierten Vergabeverfahren eine größere Zahl potenzieller Bieter an und können damit wirtschaftlichere Angebote erzielen. Durch leistungsfähige Beschaffungssysteme wird daher dem Grundsatz „best value for public money“ Rechnung getragen. 13 Darüber hinaus hat sich die Durchführung transparenter Vergabeverfahren bei der Abwehr von Korruption und Günstlingswirtschaft be­ währt. 14

5 Erwägungsgrund 9 RL 92/50/EWG; Erwägungsgrund 23 VKR; Erwägungsgründe 10, 37, 41, 42 SKR; Ohler, Öffentliche Auftraggeber, S. 18; Neßler, EWS 1999, 89 (91). 6 KOM(1985) 310 endg., S. 23 f. 7 Dies ist möglich durch eine gegenseitige Anerkennung der in den Mitgliedsstaaten praktizierten Rechtsordnungen oder aber durch Angleichung der Rechtsordnungen im We­ ge der Harmonisierung (vgl. Schwintowski, EWS 2001, 201 (203); Kunert, Vergaberecht, S. 10). 8 So Erwägungsgrund 2 RL 93/37/EWG; Erwägungsgrund 3 RL 92/50/EWG; Erwä­ gungsgrund 5 RL 93/36/EWG. Zu den Rechtsgrundlagen des europäischen Vergaberechts Kapitel 3.A.I. 9 Kayser, Nationale Regelungsspielräume, S. 2, Kunert, Vergaberecht, S. 11. 10 Erwägungsgrund 20 SKR; Hailbronner / Kau, NZBau 2006, 16. 11 Mitteilung der Kommission, ABl. C 179 vom 01. 08. 2006, S. 2. 12 KOM(96) 583 endg., S. 5. 13 Schwarze, EuZW 2000, 133 (135). 14 Mitteilung der Kommission, ABl. C 179 vom 01. 08. 2006, S. 2.

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II. Ziele des deutschen Vergaberechts Während das europäische Anliegen aus der Perspektive einer Wirtschafts­ gemeinschaft, der Öffnung der nationalen Märkte für den europäischen Wettbe­ werb, blickt, war und ist Leitziel auf nationaler Ebene der kostengünstige Einkauf staatlicher Stellen. Die nationalen Regelungen zum öffentlichen Auftragswesen verfolgen seit jeher das Ziel einer sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung von Haushaltsmitteln. 15 Die Vergabe öffentlicher Aufträge unterlag daher lan­ ge Zeit allein den Bindungen des öffentlichen Finanz- und Haushaltsrechts. 16 Der Grundsatz der Beschaffung im Wettbewerb war nach dem nationalen Recht dem Grundsatz der wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung unterge­ ordnet. 17 Diesem traditionellen Verständnis entsprechend wurden auch die eu­ ropäischen Richtlinienvorgaben zunächst in das Haushaltsrecht, dort §§ 57a bis c HGrG, eingeordnet (sogenannte „haushaltsrechtliche Lösung“). 18 Ein Rechts­ schutz für Bieter war nicht vorgesehen. 19 Mit fortschreitender Europäisierung des Vergaberechts erfolgte jedoch auch in Deutschland eine „Verrechtlichung des Beschaffungswesens“ 20 und der „Wech­ sel vom Vergabewesen zum Vergaberecht“. 21 Der Gesetzgeber löste das deutsche Vergaberecht durch das Vergaberechtsänderungsgesetz (VgRÄG) mit Wirkung vom 01. 01. 1999 aus dem Haushaltsrecht heraus und fügte es als vierten Teil in das Wettbewerbsrecht ein (sogenanntes Kartellvergaberecht). 22 Anders als das Haushaltsvergaberecht ist das Kartellvergaberecht nicht allein an den Zielen der

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Neßler, EWS 1999, 89 (90). Bereits durch Reichstagsbeschluss Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Reichs­ regierung in der Reichshaushaltsordnung verpflichtet, öffentliche Ausschreibungen nach „einheitlichen Grundsätzen“ vorzunehmen (vgl. hierzu Thieme, in: Langen / Bunte, Kar­ tellrecht, Bd. I, 9. Aufl., Vor §§ 97 ff. GWB, Rn. 6; Burgi, in: Storr, Öffentliche Unterneh­ men, S. 97 f.; Boesen, Vergaberecht, § 97 GWB, Rn. 7). 17 BVerwG, Beschl. v. 02. 05. 2007 – BVerwG 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (392), Rn. 11; Boesen, Vergaberecht, § 97 GWB, Rn. 7; Neßler, EWS 1999, 89 (90). 18 Vgl. ausführliche Darstellung bei Boesen, Vergaberecht, Einleitung, Rn. 139 ff. so­ wie Portz, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, Einleitung, Rn. 25 ff. Durch die Integration der europarechtlichen Vorgaben in das Haushaltsrecht sollte ein Systembruch vermieden werden (vgl. Marx, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsvergabe, S. 6). 19 Maurer, Mitwirkungsverbot, S. 2. 20 So Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 69. 21 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 69. 22 BT-Drs. 13/9340; Puhl, VVDStRL 60, 456 (462). Am 01. 02. 2001 trat die Verga­ beverordnung in Kraft, welche den Verdingungsordnungen die erforderliche Rechtswirk­ samkeit verlieh (vgl. zur Entwicklung des nationalen Vergaberechts BVerfG, Beschl. v. 13. 06. 2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 (792), Rn. 3 –7; Maurer, Mitwirkungs­ verbot, S. 7). 16

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Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit orientiert. 23 Die Funktion des Kartellverga­ berechts liegt vielmehr einerseits in der Marktöffnung und der Gewährleistung des freien Marktzugangs. Andererseits wird der Vergabewettbewerb als Institu­ tion geschützt. Dies kommt maßgeblich durch die ausdrückliche Aufnahme der Prinzipien des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung in § 97 Abs. 1 und 2 GWB zum Ausdruck. 24 Die Grundsätze des Haushaltsrechts werden jedoch nicht durch die gelten­ den Vergaberegelungen verdrängt. Die sparsame Verwendung öffentlicher Mit­ tel muss dem Staat vielmehr weiterhin vorgegeben werden. 25 Beim staatlichen Einkauf besteht kein wettbewerblich bedingter Mechanismus zur wirtschaftli­ chen Beschaffung. Anders als in der privaten Wirtschaft muss der Staat bei unwirtschaftlichem Handeln keine Bedrohung der Existenz befürchten. Denn der Staat besorgt sich seine Finanzmittel nicht auf marktwirtschaftliche Weise. Das Geld wird ihm durch die Allgemeinheit zur Verfügung gestellt, er muss es nicht erwirtschaften. Es gibt somit keinen wirtschaftlichen Erfolg oder Misser­ folg des Beschaffungsaktes. Ein natürlicher Anreiz zum sparsamen Umgang mit öffentlichen Geldern fehlt. 26 Daher verpflichtet das deutsche Haushaltsrecht in § 6 HGrG, § 7 BHO weiterhin sämtliche juristischen Personen des öffentlichen Rechts zur Beachtung der Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. Dabei schließen sich das Ziel des europäischen Vergaberechts, die Liberalisie­ rung der öffentlichen Beschaffungsmärkte und die Herstellung eines fairen und offenen Wettbewerbs, und das Ziel des nationalen Vergaberechts, die sparsame und wirtschaftliche Beschaffung, nicht aus. 27 Vielmehr geht auch der gemein­ schaftsrechtliche Wettbewerbsgedanke davon aus, dass die Durchführung eines Wettbewerbs um die Aufträge zu günstigen Konditionen führt und damit dem Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung Rechnung trägt. 28 Nur in einem möglichst breiten Wettbewerb kann das wirtschaftlich günstigste Angebot er­ 23

Wagner / Steinkemper, NZBau 2006, 550 (551). Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 2. 25 Pietzker, Staatsauftrag, S. 250; Ohler, Öffentlicher Auftraggeber, S. 8; Burgi, in: Storr, Öffentliche Unternehmen, S. 97 f.; Boesen, Vergaberecht, § 97 GWB, Rn. 7; Marx, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsvergabe, S. 10. 26 Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, Vor § 97 ff., Rn. 4. Auch aus haushaltsrechtlichen Gründen besteht wenig Motivation zu einer sparsamen Mittelverwendung. So verfallen beispielsweise nicht übertragbare Mittel zum Ende des Haushaltsjahres, wenn sie nicht vorher ausgegeben werden. Darüber hinaus droht in diesem Falle im nächsten Haushaltsjahr eine Mittelkürzung. Dieses Prozedere verleitet staatliche Stellen gegen Ende des Haushaltsjahres ihre Mittel großzügig auszu­ geben. 27 Götz, Beschaffungsmärkte, S. 6. 28 Koenig / Haratsch, NJW 2003, 2637 (2638); Koenig / Kühling, NVwZ 2003, 779 (785). 24

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mittelt werden. 29 Das nationale und das europäische Anliegen bestehen daher nebeneinander. 30

B. Rechtstatsächliche Bedeutung des Vergaberechts Die Entwicklungen im nationalen und europäischen Bereich sowie die enorme wirtschaftliche Dimension des öffentlichen Auftragswesens belegen die zuneh­ mende Bedeutung des Vergaberechts. 31 Bezogen auf die EU betrug das Volumen öffentlicher Aufträge bis 1994 jährlich noch ca. 720 Mrd. ECU und entsprach damit einem Bruttoinlandsprodukt der damals 15 Mitgliedsstaaten von ca. 11 bis 12 %. 32 Ende des 20. Jahrhunderts wurde der Wert der jährlich vergebe­ nen öffentlichen Aufträge in der Europäischen Gemeinschaft bereits auf 1,054 Billionen Euro geschätzt. Dies entsprach ca. 14% der Gesamtwirtschaftsleis­ tung der EU. 33 Anfang des 20. Jahrhunderts erreichte der Wert der öffentlichen Aufträge in der EU ca. 1,42 Billionen Euro und damit etwa 16 % des Brut­ toinlandsprodukts der EU. 34 Mittlerweile wird das Gesamtvolumen gemäß der Pressemitteilung der Kommission auf über 1,5 Billionen Euro geschätzt. 35 Im Vergleich zu den veröffentlichten Zahlen von 1994 hat sich somit das Volumen öffentlicher Aufträge mehr als verdoppelt. 36 Auch aus den Rechtstatsachen im nationalen Bereich lässt sich die Bedeutungszunahme ablesen. In der Bundesre­ publik wurden Ende der 90er Jahre pro Jahr öffentliche Aufträge im Wert von

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Riese, Vergaberecht, S. 43; Neßler, EWS 1999, 89 (91). Pietzker, ZHR 162 (1998), 427 (430); Marx, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 97 GWB, Rn. 18. 31 Zuverlässige statistische Erhebungen im Bereich der öffentlichen Auftragsvergaben liegen nicht vor (Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 62). Le­ diglich ein kleiner Teil der jährlichen Beschaffungen wird im Rahmen offizieller EUStatistiken oder durch freiwillige Dokumentation in den Verwaltungen erfasst (Quelle: wegweiser, Statistische Analyse der öffentlichen Auftragsvergaben Deutschlands, S. 16). 32 KOM(96) 583 endg., S. 5; Kayser, Nationale Regelungsspielräume, S. 1; Schwarze, EuZW 2000, 133. 33 Pache, DVBl. 2001, 1781 (1782); Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 66. 34 Byok, NJW 2004, 198 (199). 35 Pressemitteilung der Kommission vom 03. 02. 2004, IP/04/149; Prieß, S. 1; Bun­ genberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, Vor § 97 ff., Rn. 2; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1696. 36 Zu diesem Ergebnis kommt auch die Kommission (vgl. Bericht der Kommission vom 03. 02. 2004, A report on the functioning of public procurement markets, S. 2). Die EU-Osterweiterung ist in diese Zahlen noch nicht vollständig berücksichtigt, so dass der absolute Auftragswert tatsächlich höher liegen dürfte. 30

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ca. 200 Mrd. ECU vergeben. 37 Hinzu kamen Beschaffungen anderer öffentlicher Auftraggeber, wie öffentlicher Unternehmen, Krankenhäuser, Sozialversicherun­ gen, Sektorenauftraggeber etc. 38 Im Jahr 2002 umfasste das Auftragsvolumen der öffentlichen Hand allein etwa 420 Mrd. Euro pro Jahr, also ca. 17 % des Bruttoinlandsprodukts. 39 Trotz der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung des Vergaberechts wird bezweifelt, dass die EU ihrem Ziel im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, der Vollendung eines gemeinsamen Vergabebinnenmarktes, tatsächlich näher kommt. 40 Zweifel hieran ergeben sich insbesondere aus dem Zahlenmaterial zu grenzüberschreitenden Auftragsvergaben. 41 Zunächst bewegt sich ein Großteil der öffentlichen Aufträge unterhalb der Schwellenwerte und fällt damit aus dem Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien heraus. 42 So werden vom Gesamtvolumen der öffentlichen Aufträge lediglich 16,2 % eu­ ropaweit veröffentlicht. 43 Hiervon werden wiederum nur ca. 3 % grenzüberschrei­ tend vergeben. 44 Die Kommission betont zwar, dass der Anteil an den indirekten grenzüberschreitenden Auftragsvergaben, also Vergaben an Tochterunternehmen oder Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen, auf ca. 30 % geschätzt wird. 45 Im Vergleich zur Privatwirtschaft, die einen Anteil an direkten Aus­ landsbeschaffungen von ca. 20% aufweisen kann, sind diese Zahlen aber eher unbefriedigend. 46 37

Kayser, Nationale Regelungsspielräume, S. 1. Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 62; Schwarze, EuZW 2000, 133; Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, Vor § 97 ff., Rn. 2; Pache, DVBl. 2001, 1781 (1782). 39 Gutachten Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie „Öffentliches Be­ schaffungswesen“ vom 12. 05. 2007, S. 3. Verlässliche Statistiken existieren allerdings nicht. Während die Kommission diesen mit 17 % beziffert (vgl. Bericht der Kommission vom 03. 02. 2004 (Fn. 36), S. 5), gehen andere Quellen von 10% bis 12% des Brutto­ inlandsprodukts aus (Quelle: Meyer, Redebeitrag zur Veranstaltung Deutsch-Nordische Juristen-Vereinigung am 14. 06. 2006). 40 Vgl. Analysen zur Erreichung der vergaberechtlichen Zielsetzungen in der Beschaf­ fungspraxis von Hailbronner / Kau, NZBau 2006, 16 ff. sowie Franke, Evaluierung Ver­ gaberechtsänderungsgesetz, S. 6 ff. 41 Steinberg, NZBau 2007, 150 (151). 42 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1696. 43 Dies entspricht einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Gemeinschaft von 2,6% (vgl. Bericht der Kommission vom 03. 02. 2004 (Fn. 36), S. 8; Hailbronner / Kau, NZBau 2006, 16 (19)). 44 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 67; Steinberg, NZBau 2007, 150 (151). 45 Bericht der Kommission vom 03. 02. 2004 (Fn. 36), S. 2 und 12; Steinberg, NZBau 2007, 150 (151); Hailbronner / Kau, NZBau 2006, 16 (19). 46 So Hailbronner / Kau, NZBau 2006, 16 (18); Bungenberg, in: Loewenheim / Mees­ sen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, Vor § 97 ff., Rn. 7. 38

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In Deutschland beträgt der durchschnittliche prozentuale Anteil der europa­ weiten Ausschreibungen bezogen auf das Gesamtauftragsvolumen sogar bloß 7%. 47 Der deutsche Vergabemarkt wird zudem von ausländischen Bewerbern im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich frequentiert. So liegt in Deutsch­ land der Anteil indirekter grenzüberschreitender Beschaffungen bei nur 6 % und damit weit unter dem europäischen Durchschnitt von ca. 30 %. 48 Auch aus den Statistiken zu den Nachprüfungsverfahren kann abgeleitet werden, dass der Aus­ landsbezug bei Auftragsvergaben eher gering ausfällt. Eine Liberalisierung des Vergabemarkts hätte in zunehmendem Umfang zu Streitigkeiten mit Auslands­ bezug führen müssen. Dies ist aber gerade nicht der Fall. 49 So kamen im Jahr 2006 beispielsweise auf insgesamt 1.152 Antragsteller lediglich sechs Antrag­ steller aus Mitgliedsstaaten der EU. 50 Als Ursache dieses geringen Anteils an grenzüberschreitenden Auftragsvergaben wird die Struktur des deutschen Ver­ gaberechts angeführt. 51 Vertreter der Europäischen Kommission haben insoweit das Kaskadenprinzip und die komplexen Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder hierfür verantwortlich gemacht. 52 Weitere Ursache ist die geringe Veröffentlichungsquote sowie die mangelhafte Markttransparenz. 53 Ergebnisse von Studien belegen zudem, dass öffentliche Auftraggeber in Deutschland die Freihändige Vergabe bzw. das Verhandlungsverfahren präferie­ ren und diese Verfahrensarten in der Praxis überwiegend Anwendung finden. 54 Laut einer Analyse des Bundesministeriums des Inneren aus dem Jahr 2002 fin­ 47 Bei Auftragsvergaben nach der VOB beträgt der durchschnittlich prozentuale Anteil oberhalb der Schwellenwerte sogar nur 1 % (Quelle: wegweiser (Fn. 31), S. 12). 48 Bericht der Kommission vom 03. 02. 2004 (Fn. 36), S. 11 f.; Hailbronner / Kau, NZBau 2006, 16 (20); ähnlich Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 67. 49 Hailbronner / Kau, NZBau 2006, 16 (18) unter Darstellung der Statistik der Nach­ prüfungsverfahren mit Auslandsbezug von 1999 – 2004. 50 Die Statistik über Nachprüfungsverfahren ist regelmäßig abrufbar auf der Homepage des Bundesministeriums für Wirtschaft. 51 Kau, EuZW 2005, 492 (495); Franke, Evaluierung Vergaberechtsänderungsgesetz, S. 9 und 42. 52 Bericht der Kommission vom 03. 02. 2004 (Fn. 36), S. 12, Tabelle 5; Kau, EuZW 2005, 492 (496). 53 Hailbronner / Kau, NZBau 2006, 16 (20, 23). Als weitere Gründe werden Sprach­ hindernisse, mangelnder Informationsfluss, aber auch infrastrukturelle Hindernisse (feh­ lende Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten) benannt (Mader, EuZW 1999, 331 (332)). 54 Quelle: wegweiser (Fn. 31), S. 16. Im Bereich von Auftragsvergaben, die ohne Durchführung eines vergaberechtlich gebotenen Vergabeverfahrens erfolgten (sogenann­ te De-facto-Vergaben), liegen keine statistischen Erhebungen vor. Grund hierfür dürfte sein, dass öffentliche Auftraggeber bei einer De-facto-Vergabe ihre Beschaffungsabsicht gerade nicht veröffentlichen und damit eine Datenerhebung offiziell nicht geführt werden kann. Auch etwaige Interessenten erfahren oftmals entweder gar nicht oder erst dann von

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den 65 % aller Beschaffungsverfahren im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens bzw. einer Freihändigen Vergabe statt. Dies, obwohl die vorgenannten Verfah­ rensarten nur in Ausnahmefällen Anwendung finden dürfen und die gesetzlich definierten Voraussetzungen eng sind. 55 Aus diesen Tatsachen kann geschlossen werden, dass ein Großteil der direkten Auftragsvergaben vergaberechtswidrig ist. So hat auch der Bundesrechnungshof 56 den generellen Verzicht auf öffentliche Ausschreibungen und die Tendenz zur unzulässigen Direktvergabe beanstandet. Nach den Wertungen des Bundesrechnungshofes würden Ausnahmeregelungen des Vergaberechts exzessiv und ohne ausreichende Begründung angewandt. Dies gelte insbesondere für die Ausnahmetatbestände zur Anwendung des Verhand­ lungsverfahrens ohne Vergabebekanntmachung, wie die vorgebliche „Eilbedürf­ tigkeit“, „mangelnde Beschreibbarkeit“, die Vergabe von „Anschlussaufträgen“ etc. Zwar hat der Bundesrechnungshof keine Zahlen hinsichtlich der unzulässi­ gen Direktvergaben veröffentlicht, jedoch eine klare Tendenz zu dieser Praxis festgestellt. 57 Aus den vorgenannten Zahlen und Fakten wird zum Teil als Fazit abgeleitet, dass die Herstellung eines einheitlichen Vergabebinnenmarktes erheblich mehr Zeit in Anspruch nehmen wird, als zunächst angenommen. 58 Die Regelungen zum Vergabewesen haben auf der anderen Seite jedoch bereits jetzt zu positi­ ven Entwicklungen hinsichtlich einer verstärkten innerstaatlichen Transparenz sowie eines grenzüberschreitenden Wettbewerbs geführt. 59 Weiterhin konnten er­ hebliche Preisreduzierungen verzeichnet werden. 60 So könne nach Aussage der Kommission durch die Anwendung der EU-Vergabevorschriften eine Ersparnis von bis zu 34 % der Gesamtkosten erzielt werden. 61 Auch andere Untersuchun­ gen zur Entlastung öffentlicher Haushalte durch Anwendung der EU-Richtlinien ergaben, dass in Fällen, in denen die EU-Vergaberichtlinien nicht angewandt wurden, die Preise (bereinigt) um ca. 40% über denen lagen, die nach einer öffentlichen Ausschreibung erzielt wurden. 62 der Auftragsvergabe, wenn der Vertrag bereits geschlossen ist (so Diercks, NZBau 2005, 295). 55 Byok, Verhandlungsverfahren, Rn. 1. 56 Empfehlungen zum Einsatz externer Berater in der Bundesverwaltung, S. 54 f.; ab­ rufbar unter www.bundesrechnungshof.de. 57 Bundesrechnungshof (Fn. 56), S. 54 f. 58 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 68. 59 Franke, Evaluierung Vergaberechtsänderungsgesetz, S. 44 ff. 60 Bericht der Kommission vom 03. 02. 2004 (Fn. 36), S. 2; Steinberg, NZBau 2007, 150 (151); Franke, Evaluierung Vergaberechtsänderungsgesetz, S. 8, konnte keine Steige­ rung der Wirtschaftlichkeit feststellen. 61 Bericht der Kommission vom 03. 02. 2004 (Fn. 36), S. 15; KOM(2004) 22 endg., S. 12. 62 Hailbronner / Kau, NZBau 2006, 16 (20); Bericht der Kommission vom 03. 02. 2004 (Fn. 36), S. 15 f.

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Das öffentliche Auftragswesen nimmt, wie die vorangehenden Zahlen und Fak­ ten belegen, einen bedeutenden Teil der Volkswirtschaft ein. 63 Die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts stärkt die europäischen Märkte und den Wettbewerb auf diesen Märkten. 64 Ein stärkerer Wettbewerb wiederum senkt die Kosten und trägt damit zu erheblichen Einsparpotenzialen bei. 65 Zur Verstär­ kung dieser positiven Effekte muss dem Vergaberecht daher auch in Zukunft eine größere Wirkung verschafft werden.

C. Fragestellung und

Gang der Untersuchung

Die vorangehende rechtstatsächliche Untersuchung hat gezeigt, dass zur Ver­ wirklichung der Ziele des Gemeinschafts- und Vergaberechts den vergaberecht­ lichen Vorschriften ein größerer Wirkungsbereich zukommen muss. Dies kann unter anderem durch eine Eindämmung von Umgehungstatbeständen erreicht werden. Hierfür ist eine gezielte Analyse der Umgehungsmöglichkeiten des Ver­ gaberechts erforderlich. Eine dieser Umgehungsmöglichkeiten, die nachträgli­ che Änderung und Verlängerung bestehender Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen, 66 ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. I. Fragestellung Als Vergaberecht wird die Gesamtheit der Normen bezeichnet, die ein öffent­ licher Auftraggeber bei der Beschaffung von sachlichen Mitteln und Leistungen, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, zu beachten hat. 67 Vom Anwen­ dungsbereich des Vergaberechts werden alle entgeltlichen Verträge zwischen ei­ nem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, erfasst. 68 Die Verträge dienen der Be­ darfsdeckung, es werden Güter und Leistungen erworben, die zur Befriedigung der Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers erforderlich sind. 69 63

Maurer, Mitwirkungsverbot, S. 1. So auch der Bericht der Kommission vom 03. 02. 2004 (Fn. 36), S. 3. 65 Bericht der Kommission vom 03. 02. 2004 (Fn. 36), S. 3; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1698. 66 Franke, Evaluierung Vergaberechtsänderungsgesetz, S. 17. 67 BVerfG, Beschl. v. 13. 06. 2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791, Rn. 2; Götz, Beschaffungsmärkte, S. 1; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1695; Knauff, NZBau 2005, 347 (348); Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, Vor § 97 ff., Rn. 1; Koenig / Haratsch, NJW 2003, 2637. 68 Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a VKR; § 99 Abs. 1 GWB. 69 Ohler, Öffentliche Auftraggeber, S. 7. 64

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Einleitung

Das materielle Vergaberecht regelt dabei allein die Rechtsbeziehungen der am Vergabeverfahren Beteiligen im vorvertraglichen Raum. 70 Der öffentliche Auftraggeber hat die Bestimmungen des Vergaberechts nur bis zum Abschluss des Vertrages einzuhalten. 71 Das Vergaberecht beschränkt sich somit auf den dem Vertragsschluss vorangehenden Zeitraum der Vertragsanbahnung. 72 Die öf­ fentlichen Auftraggeber schließen am Ende eines Vergabeverfahrens einen zi­ vilrechtlichen Vertrag mit dem Unternehmen, welches im Vergabeverfahren das wirtschaftlichste Angebot in Bezug auf die ausgeschriebene Leistung abgegeben hat. Nach Abschluss des Vertrages finden die vergaberechtlichen Bestimmungen auf das Vertragsverhältnis zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem aus­ gewählten Auftragnehmer keine Anwendung. Die Durchführung des Vertrages unterliegt vielmehr den Regelungen des Zivilrechts. Es stellt sich daher die Frage, ob es einem öffentlichen Auftraggeber rechtlich gestattet ist, sich der Pflicht zur Ausschreibung nach den vergaberechtlich geregelten Verfahren und Grundsätzen zu entziehen, indem er neue Aufträge als Vertragsänderungen deklariert und sie in bereits bestehende Verträge einbezieht. Öffentliche Auftraggeber könnten auf diese Weise ihren Bedarf durch Leistungs- und Vertragsänderungen mit den Ge­ staltungsmitteln des Zivilrechts befriedigen. Hierdurch entstünde eine Kollision zwischen vergaberechtlicher Ausschreibungspflicht und zivilrechtlich zulässiger Vertragsgestaltung. Die rechtliche Einordnung von Vertragsänderungen und Vertragsverlängerun­ gen gestaltet sich dabei oftmals schwierig. 73 Die vergaberechtliche Definition des Auftrags erfasst grundsätzlich nur den Abschluss neuer Verträge, also die Begründung neuer vertraglicher Verpflichtungen. 74 Im Rahmen der Änderung bestehender Verträge kommt es formal gesehen nicht zum Abschluss eines neu­ en Vertrages zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen. Gleichwohl kann die Änderung des bestehenden Vertrages neue vertragliche Verpflichtungen begründen. Die rechtliche Einordnung von Vertragsänderungen hängt daher maßgeblich davon ab, ob die zivilrechtlichen Gestaltungsmöglich­ keiten als gesonderte Vertragsabschlüsse oder aber als Bestandteil einer umfas­ senden, einheitlichen Vertragsbeziehung anzusehen sind. 75

70

Bär, ZfBR 2001, 375; Knauff, NZBau 2005, 347 (348). Knauff, NZBau 2005, 347 (348); Bär, ZfBR 2001, 375. 72 Aus diesem Grund wird das Vergaberecht zum Teil auch als „Vertragsverfahrens­ recht“ bezeichnet (vgl. Röhl, VerwArch 86 (1995), 531 (533); Regler, Vergaberecht zwi­ schen öffentlichem und privatem Recht, S. 142). 73 So auch Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2037; Prieß, S. 109; Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 67. 74 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2037; Prieß, S. 109. 75 Wagner, Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 99, Rn. 17. 71

Einleitung

35

II. Gang der Untersuchung Im Hinblick auf die vorangehend dargestellte Fragestellung nimmt die Un­ tersuchung der Umgehung des Vergaberechts durch Vertragsgestaltung daher folgenden Gang: Im ersten Teil werden der Untersuchungsgegenstand und die Rechtsgrundlagen der Untersuchung herausgearbeitet. In Teil 2 folgt die vergaberechtliche Würdigung der herausgearbeiteten Fallgruppen von Vertragsänderun­ gen anhand der maßgeblichen Rechtsgrundlagen. Teil 3 beschäftigt sich mit den Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertragsänderungen und den vergaberecht­ lichen Rechtsschutzmöglichkeiten. Teil 4 fasst die Ergebnisse der Untersuchung zusammen. Die Untersuchung wird eingegrenzt auf den Bereich der Auftrags­ vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte. 76 Teil 1 stellt zunächst die Änderungsvarianten anhand der in der Rechtspraxis auftretenden Fallgestaltungen dar. Aus diesen Änderungsvarianten werden die zu untersuchenden Fallgruppen entwickelt (Kapitel 1). Weiterhin werden die für die Untersuchung maßgeblichen Rechtsgrundlagen aufgezeigt. Dabei wird zunächst untersucht, ob die Änderungen der zivilrechtlichen Verträge des öffentlichen Auftraggebers Ausdruck einer Privatautonomie sind und somit der richterlichen Kontrolle entzogen werden können. In diesem Zusammenhang wird insbesonde­ re das Verhältnis von Vergaberecht und Privatautonomie und damit die Kollisi­ on zwischen vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten und privatautonomen Vertragsgestaltungsmöglichkeiten aufgeklärt (Kapitel 2). Letztlich sind die maß­ geblichen vergaberechtlichen Rechtsgrundlagen und Rechtsgrundsätze, die der Untersuchung zugrunde gelegt werden müssen, darzustellen (Kapitel 3). Im Rahmen des zweiten Teils werden die zuvor herausgearbeiteten Fallgrup­ pen von Vertragsänderungen im Einzelnen untersucht. Es werden vergaberechtli­ che Anforderungen unter Berücksichtigung der Vertragsinhalte herausgearbeitet. Im Rahmen von nachträglichen Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung (Kapitel 4) werden insbesondere vertragliche Änderungsklauseln und vergaberechtliche Ausnahmetatbestände, die jeweils nachträgliche Änderungen zulas­ sen, berücksichtigt. Hinsichtlich Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung (Kapitel 5) sind zunächst die vergaberechtlichen Anforderungen an langfristige Vertragsverhältnisse zu entwickeln. Dem sind insbesondere die Rechtsgrund­ sätze des EuGH 77 zugrunde zu legen. In einem weiteren Schritt werden die Nichtkündigung als vergaberechtlich relevantes Handeln sowie eventuelle Kündi­ 76 Der Bereich von Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte wird aufgrund seiner eigenständigen und umfassenden Thematik hinsichtlich Rechtsgrundlagen und Rechtsfolgen, insbesondere hinsichtlich des Rechtsschutzes, bei der Untersuchung außen vor gelassen und ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. 77 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I­ 2161, Rn. 45.

36

Einleitung

gungspflichten öffentlicher Auftraggeber untersucht. Auch Vertragsänderungen und Vertragsverlängerungen auf der Grundlage von Optionsklauseln (Kapitel 6) bedürfen im Hinblick auf die vergaberechtlichen Anforderungen an die Ver­ einbarung derartiger Klauseln einerseits und die Ausübung von Optionsrechten andererseits einer Untersuchung. Letztlich sind die Anforderungen an den Ab­ schluss von Rahmenvereinbarungen und dem Abruf hierauf beruhender Einzel­ aufträge (Kapitel 7) vergaberechtlich zu untersuchen. Seit der Novellierung der Vergabekoordinierungsrichtlinien kann öffentlichen Auftraggebern insbesondere auch außerhalb des Sektorenbereichs der Abschluss von Rahmenvereinbarungen gestattet werden. 78 In Teil 3 werden weiterhin die Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertrags­ änderungen aufgezeigt (Kapitel 8). Dabei sind insbesondere die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu De-facto-Vergaben einzubeziehen. Denn vergaberechtswidrige Vertragsänderungen stellen Auftragsvergaben unter Umgehung des Vergaberechts dar. Sie zählen somit zu den Fallgruppen unzulässi­ ger De-facto-Vergaben. Im Weiteren werden die primären Rechtsschutzmöglich­ keiten 79 gegen Auftragsvergaben unter Umgehung des Vergaberechts untersucht (Kapitel 9).

78

Vgl. Art. 32 VKR. Die Untersuchung sekundärer Ansprüche erübrigt sich, da die durch die Vertragsän­ derungen übergangenen Unternehmen in der Regel keinen Schaden nachweisen können. Insoweit kann auf die ständige Rechtsprechung des BGH verwiesen werden, wonach ins­ besondere an die Geltendmachung eines entgangenen Gewinns hohe Anforderungen zu stellen sind. Unter anderem muss der Anspruchsteller nachweisen können, dass er bei vergaberechtskonformen Verhalten des öffentlichen Auftraggebers den Auftrag hätte er­ halten müssen (vgl. BGH, Urt. v. 01. 08. 2006 – X ZR 115/04, NZBau 2006, 797 f. unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Senats). Einen solchen Nachweis kann der Anspruchsteller bei vergaberechtswidrigen De-facto-Vergaben in der Regel nicht führen, da er weder den Kreis der potentiellen Wettbewerber genau kennt, noch deren Ange­ bote im Falle einer Ausschreibung. Zudem besitzt der öffentliche Auftraggeber weite Ermessenspielräume bei der Auswahl seines Vertragspartners. In diese können weder die Gerichte noch die übergangenen Unternehmen eingreifen. 79

Teil 1

Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen In dem ersten Teil soll zunächst der Untersuchungsgegenstand herausgearbei­ tet werden. Zu diesem Zweck sind die in der Praxis auftretenden Fallgestaltungen zu betrachten. Hieraus können die im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchenden Fallgruppen entwickelt werden. Darüber hinaus sollen die Rechtsgrundlagen der Untersuchung dargestellt werden. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob die Ände­ rungen der zivilrechtlichen Verträge des öffentlichen Auftraggebers Ausdruck einer Privatautonomie sind und somit der richterlichen Kontrolle entzogen wer­ den können. In diesem Zusammenhang sind insbesondere das Verhältnis von Vergaberecht und Privatautonomie und damit die Kollision zwischen vergaberechtlichen Ausschreibungspflichten und privatautonomen Vertragsgestaltungs­ möglichkeiten aufzuklären. Letztlich sind die maßgeblichen vergaberechtlichen Rechtsgrundlagen und Rechtsgrundsätze, die der Untersuchung zugrunde gelegt werden müssen, darzustellen.

Kapitel 1

Fallgestaltungen von Vertragsänderungen In Kapitel 1 werden zunächst die zu untersuchenden Fallgruppen von Ver­ tragsänderungen anhand der in der Rechtspraxis auftretenden Fallgestaltungen herausgearbeitet. Der Oberbegriff der Vertragsänderungen umfasst dabei sämt­ liche nachträglichen Änderungen durch Vertragserweiterungen, Vertragsverlän­ gerungen und sonstige Vertragsanpassungen. 1 Die Änderungsvarianten lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: Änderungen in zeitlicher Hinsicht und Änderungen in inhaltlicher Hinsicht. Während die erste Konstellation die Frage der Verlängerung der ursprünglich vereinbarten Vertragslaufzeiten betrifft, geht es in der zweiten Variante um nachträgliche Modifikationen einzelner Vertrags­ 1

Ähnlich Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 34.

38

Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

elemente, wie z. B. des Leistungsgegenstandes, der Vergütung oder auch der Vertragspartner.

A. Änderungen vertraglicher Vereinbarungen in zeitlicher Hinsicht Ein in der Rechtspraxis gern genutztes Mittel zur Umgehung der vergaberecht­ lichen Ausschreibungspflicht ist die nachträgliche Verlängerung der Vertragslauf­ zeit, d. h. die Ausdehnung des zeitlichen Geltungsbereichs des Vertrages. Um ein simples Beispiel anzuführen: Die ursprünglich vereinbarte Vertragslaufzeit von fünf Jahren soll nachträglich um weitere fünf Jahre auf insgesamt 10 Jah­ re verlängert werden. 2 Hierin kann eine Umgehung des Vergaberechts liegen, denn der öffentliche Auftraggeber deckt seinen Bedarf an der Leistung für die folgenden fünf Jahre nicht durch eine vergaberechtlich gebotene Ausschreibung, sondern durch Verlängerung des bestehenden Vertrages. Eine Ausschreibung hätte jedoch die Leistung dem Markt und damit dem Wettbewerb zugeführt. Andere Unternehmen hätten eine Chance erhalten, die Leistungen für den öf­ fentlichen Auftraggeber zu erbringen. Auch der öffentliche Auftraggeber könnte von einer neuen Ausschreibung in der Weise profitieren, dass der Wettbewerb um die Leistung zu einer für ihn günstigeren Beschaffung führt. Aus diesem Grund sind öffentliche Auftraggeber auch grundsätzlich gehalten, Verträge zeit­ lich begrenzt abzuschließen und den Markt in regelmäßigen Abständen auf eine wirtschaftlichere Beschaffung hin zu überprüfen. 3 Der öffentliche Auftraggeber ist jedoch nicht immer daran interessiert, Leis­ tungen in regelmäßigen Abständen dem Wettbewerb zu unterstellen. Getreu dem Motto „bekannt und bewährt“ soll das Unternehmen, welches den Auftrag seit Jahr und Tag durchführt, auch weiterhin die Leistung erbringen. Im Falle ei­ nes Wettbewerbs um die Leistung wäre nicht gesichert, dass das bevorzugte Unternehmen auch tatsächlich das wirtschaftlichste Angebot abgibt und somit den Auftrag behält. Gerade im Bereich langfristiger Altverträge können die alteingesessenen Unternehmen in der Regel dem Druck der Konkurrenz nicht standhalten. Aufgrund der jahrelangen Vertragsbeziehungen zum Auftraggeber haben sie eine Marktanpassung versäumt. Aber auch der mit einer Ausschreibung verbundene zeitliche und finanzielle Aufwand sowie die rechtlichen Unsicherheiten aufgrund der stringenten verga­ berechtlichen Vorgaben lassen den öffentlichen Auftraggeber nach Wegen zur Umgehung des Vergaberechts, wie z. B. durch Verlängerung der aktuell lau­ 2 So im Fall der VK Bund, Beschl. v. 26. 05. 2000 – VK 2 –8/00, WuW 2000, 1052 (1053). 3 VK Sachsen, Beschl. v. 16. 06. 2000 – 1/SVK/50 – 00; Noch, NZBau 2002, 86.

Kap. 1: Fallgestaltungen von Vertragsänderungen

39

fenden Verträge, suchen. Dabei wird die Vertragsverlängerung zum Teil auf bereits vertraglich vereinbarte Verlängerungsklauseln gestützt (hierzu I.). Teil­ weise schließen öffentliche Auftraggeber aber auch von vornherein langfristige oder gar unbefristete Verträge und behalten sich lediglich das Recht zur Kündi­ gung vor (hierzu II.). Auch kommt es vor, dass die Vertragsverlängerung kurz vor Ablauf des Vertrages noch schnell mit dem Auftragnehmer vereinbart wird (hierzu III.). I. Vertragsverlängerungsklauseln Vertragsverlängerungsklauseln sind Klauseln, die dem öffentlichen Auftrag­ geber die einseitige rechtliche Möglichkeit zur Verlängerung des Vertrages ein­ räumen und bereits in der ursprünglichen vertraglichen Vereinbarung enthalten sind. Es werden zwei Formen von Vertragsverlängerungsklauseln unterschieden, und zwar die optionale Verlängerungsklausel und die automatische Verlänge­ rungsklausel. 1. Optionale Verlängerungsklauseln Eine Möglichkeit der Verlängerung von Verträgen stellt die Vereinbarung so­ genannter optionaler Vertragsverlängerungsklauseln bei Abschluss des ursprüng­ lichen Vertrages dar. Diese räumen dem öffentlichen Auftraggeber das Recht ein, durch einseitige Willenserklärung den bestehenden Vertrag um einen bestimm­ ten Zeitraum zu verlängern (Optionsrecht). Derartige Klauseln können wie folgt lauten: „Der Vertrag läuft bis zum 31. 12. 2009. Der Auftraggeber behält sich vor, den Ver­ trag zweimalig um maximal jeweils 2 Jahre zu verlängern. Eine entsprechende Ver­ tragsverlängerung muss mindestens 12 Monate vor Ablauf des bestehenden Vertrages erfolgen.“ 4

Die optionale Verlängerung kann aber auch einen wesentlich längeren Zeit­ raum umfassen. So hatte ein öffentlicher Auftraggeber ein Dauerschuldverhältnis zunächst für einen Leistungszeitraum von 5 Jahren ausgeschrieben, jedoch mit der Option, den Vertrag um weitere 5 Jahre zu verlängern. 5 Bei Ausübung der Option durch den öffentlichen Auftraggeber wäre die Leistung mithin für 10 Jahre dem Markt entzogen worden. 4 So im Fall der VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 11. 2001 – 203-VgK-19/2001; ähn­ lich VK Nordbayern, Beschl. v. 21. 08. 2007 – 21.VK-3194 –36/07, ZfBR 2007, 839: Option zur Verlängerung des Vertrages zur Schülerbeförderung um zwei Mal ein weite­ res Schuljahr; vgl. auch VK Bund, Beschl. v. 20. 07. 2005 – VK 1 –62/05: Der Vertrag verlängert sich einmalig um 12 Monate, wenn die Verlängerung 4 Monate vor Vertragsende erklärt wird. 5 VK Bund, Beschl. v. 26. 05. 2000 – VK 2 – 8/00, WuW 2000, 1052 (1053).

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

Nimmt der öffentliche Auftraggeber ein vertraglich vereinbartes Optionsrecht wahr und verlängert den Vertrag entsprechend, ist der Auftragnehmer zur Er­ bringung der Leistung um den verlängerten Zeitraum verpflichtet. Andererseits besitzt er keinen Anspruch gegenüber dem Auftraggeber, dass dieser die verein­ barte Option ausübt und den Vertrag verlängert. Hieraus können sich Kalkulati­ onsrisiken aufseiten des Auftragnehmers ergeben, da dieser zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht weiß, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang er die Leistung letztlich erbringen muss. 2. Automatische Verlängerungsklauseln Eine Verlängerung des Vertrages kann auch durch sogenannte automatische Verlängerungsklauseln bewirkt werden. Ebenso wie optionale Verlängerungs­ klauseln sind diese bereits im ursprünglichen Vertrag vereinbart. Automatische Verlängerungsklauseln führen jedoch im Unterschied zu optionalen Verlänge­ rungsklauseln zu einer Verlängerung des Vertrages, ohne dass der öffentliche Auftraggeber eine entsprechende Willenserklärung abgeben muss. Die Verlänge­ rung erfolgt vielmehr automatisch. Eine solche Klausel kann wie folgt lauten: „Die Laufzeit des Vertrages beginnt am 1. Januar 2002, wobei der Vertrag zunächst zeitbefristet bis zum Ablauf des 31. Dezember 2002 geschlossen wird. Der Vertrag verlängert sich automatisch um jeweils ein Jahr, sofern er nicht von den Parteien mit einer Frist von zwei Monaten zum Jahresende gekündigt wird.“ 6

Die Untätigkeit des öffentlichen Auftraggebers – hier im Sinne einer schlichten Nichtkündigung – bewirkt somit die Verlängerung des Vertrages. Insbesondere kann der Vertrag unbegrenzt oder aber zumindest sehr langfristig fortlaufen. Da­ mit wird die Leistung, die Gegenstand des Vertrages ist, für unbestimmte Dauer dem Markt entzogen. Die Vertragslaufzeit im vorgenannten Beispiel ist somit unbestimmt. Dies ist aber nicht zwingend. Vielmehr kann die Vertragslaufzeit auch bei automatischen Verlängerungsklauseln von vornherein begrenzt werden durch Aufnahme einer maximalen Vertragslaufzeit oder einer Begrenzung der Verlängerungsmöglichkeiten: „Der Vertrag wird zunächst für die Zeit vom 01. 08. 2001 – 31. 07. 2005 geschlos­ sen. Er verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn er nicht 6 Monate vor Ablauf der Laufzeit gekündigt wird. Die maximale Vertragslaufzeit beträgt 8 Jahre und endet am 31. 07. 2009.“ 7

Im Unterschied zu der ersten Klausel steht bereits bei Vertragsschluss fest, dass der Vertrag spätestens am 31. 07. 2009 endet. 6

So im Fall des Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 10. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004,

193. 7

So im Fall der VK Sachsen, Beschl. v. 24. 08. 2007 – 1/SVK/054 –07.

Kap. 1: Fallgestaltungen von Vertragsänderungen

41

II. Langfristige Verträge mit Kündigungsklauseln Eine weitere Möglichkeit, durch die der Auftraggeber die Vertragslaufzeit einseitig beeinflussen kann, stellt der Abschluss von Verträgen mit sehr langen oder gar unbefristeten Vertragslaufzeiten dar. Gleichzeitig behält sich der Auf­ traggeber das Recht vor, den Vertrag zu kündigen. Der öffentliche Auftraggeber entscheidet ebenso wie bei Verträgen mit automatischen Verlängerungsklauseln durch Wahrnehmung oder Nichtwahrnehmung des Kündigungsrechts über die Vertragslaufzeit. Langfristige Verträge mit Kündigungsmöglichkeiten kommen in der Praxis beispielsweise im Bereich der Öffentlichen-Privaten-Partnerschaften (ÖPP) vor. Wesen einer ÖPP ist es, dass der private Partner eigene Finanzmittel in das Projekt einbringt. Im Gegenzug wird ihm in der Regel ein Nutzungsrecht einge­ räumt, durch welches er seine Kosten amortisieren soll. Beispielhaft können hier die Finanzierung und der Bau einer Mehrzweckhalle genannt werden. Die das Projekt mitfinanzierenden Unternehmen erhalten im Gegenzug für die Bereit­ stellung von Finanzierungsmitteln das Recht zum Betrieb und zur Vermarktung der Halle. Da sich die Investitionen des privaten Partners in der Regel erst nach einem längeren Zeitraum amortisieren, wird die Vertragslaufzeit entsprechend lang gewählt. Zudem ist dem Vertragspartner eine angemessene Verzinsung sei­ nes eingesetzten Kapitals zuzugestehen. Andernfalls würde sich kein privater Partner finden, der sich finanziell an dem Projekt des öffentlichen Auftraggebers beteiligt. Daher sind beispielsweise Betreibermodelle, bei denen die öffentliche Hand dem privaten Partner den Betrieb der Einrichtung überlässt, regelmäßig auf eine Laufzeit von ca. 15 bis 30 Jahre angelegt. 8 Aber auch in Bereichen, die historisch gewachsene protektionistische Züge auf­ weisen, werden Dienstleistungsverträge über sehr lange Zeiträume abgeschlos­ sen. Hierzu zählen insbesondere Strom- oder Gasbezugsverträge. Grund hierfür ist die jahrelange Praxis unter dem alten Energiewirtschaftsgesetz aus dem Jahr 1935, welches einen brancheninternen Wettbewerb praktisch ausgeschlossen hat­ te. 9 Zentrales Element der dort geregelten Energiewirtschaftsordnung stellten die weitestgehend voneinander abgeschotteten und wettbewerbsresistenten ge­ schlossenen Versorgungsgebiete dar. 10 Auch die langfristigen, zum Teil auf eine Laufzeit von über 20 Jahren angelegten Bezugsverpflichtungen zugunsten markt­ 8 Vgl. die Beispiele bei Ziekow, VergabeR 2006, 702 (703 f.), Fn. 11: Betreibermodell für Schulsanierung Stadt Offenbach über 15 Jahre; Bau, Sanierung und Betrieb von Schulen über 25 Jahre; Betreibermodell für Autobahnausbau über 30 Jahre. 9 Kuxenko, DÖV 2001, 141 (142). 10 Derartige Gebietsabsprachen fanden ihren Rückhalt in den Sonderregelungen der §§ 103, 103a GWB a. F., welche die Energieunternehmen von den kartellrechtlichen Bestimmungen der §§ 1, 15 und 18 GWB a. F. ausnahmen.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

beherrschender Lieferanten behinderten den brancheninternen Wettbewerb. 11 Im deutschen Kartellrecht wurde diesen langfristigen Bezugsbindungen keine große Bedeutung beigemessen, da nach dem System geschlossener Versorgungsgebiete ohnehin ein Wettbewerb auf dem Energiemarkt ausgeschlossen war. 12 Erst die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie 13 (EBM-RL) ebnete als sekundäres Gemein­ schaftsrecht den Weg für eine Öffnung des Wettbewerbs im Energiesektor. 14 In Umsetzung der Richtlinie reformierte der deutsche Gesetzgeber das Energierecht mit dem am 19. 04. 1998 in Kraft getretenen Energiewirtschaftsgesetz. 15 Lange Zeit war den wenigsten öffentlichen Stellen bewusst, dass Verträge mit Energie­ versorgungsunternehmen nun der Ausschreibung bedürfen. 16 Verlängerungen der aus der Vorliberalisierungszeit stammenden Lieferverträge oder Neuabschlüsse ohne vorangehende Vergabeverfahren beherrschten die Praxis. 17 Ähnlich wie im Bereich der Energieversorgung haben kommunale Auftrag­ geber sich auch im Rahmen von Entsorgungsdienstleistungen langfristigen Bin­ dungen unterworfen. 18 Die Verträge stammen zum Teil aus den 70er oder 80er Jahren und wurden entweder unbefristet mit Kündigungsmöglichkeit oder auf lange Zeit befristet mit Verlängerungsklausel abgeschlossen. 19 Von der Kündi­ gungsmöglichkeit macht der öffentliche Auftraggeber jedoch selten Gebrauch. So schloss beispielsweise ein kommunaler Auftraggeber für einen Teil seines Kreisgebietes im Jahr 1977 einen Vertrag über die Abfallbeseitigung. Die Ver­ tragsdauer belief sich auf 20 Jahre. Vereinbart wurde eine automatische Ver­ tragsverlängerung um jeweils 5 Jahre, soweit der Vertrag zuvor nicht fristgerecht gekündigt wird. Eine Prüfung des Auftraggebers im Jahre 2002, also nach 25 Jahren, ergab, dass die Konditionen des Vertrages – was nicht überrascht – un­ wirtschaftlich sind und durch eine Ausschreibung deutlich geringere Entgelte erzielt würden. Statt den Vertrag jedoch vergaberechtskonform auszuschreiben, 11

Markert, EuZW 2000, 427. Aus diesem Grund blieben auch sehr langfristige, zum Teil mit Laufzeiten von 20 Jahren abgeschlossene Bezugsbindungen mit Ausschließlichkeitscharakter unbeanstandet (vgl. BGH, Urt. v. 27. 10. 1969 – KZR 5/67, WuW 1970, 235 f.). 13 Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 19. 12. 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, ABl. EG 1997, L 27/20. 14 Ziel der Richtlinie ist gemäß den Erwägungsgründen die Schaffung eines Binnen­ marktes im Energiesektor und die Verwirklichung eines wettbewerbsorientierten Energie­ marktes. 15 BGBl. I S. 730. 16 Siehe Müller, NZBau 2001, 416 (417). 17 Zur Ausschreibungspflicht von Strom- und Gaslieferverträgen vgl. Müller, NZBau 2001, 416; Jestadt / Philippeit, Auftragsvergabe in der Energie- und Wasserwirtschaft, S. 24 ff.; Prieß, DB 1998, 405. 18 Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5 Rn. 1 ff. 19 Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5 Rn. 7. 12

Kap. 1: Fallgestaltungen von Vertragsänderungen

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schloss der Auftraggeber mit dem Entsorgungsunternehmen einen „Änderungs­ vertrag“. 20 Ein anderer öffentlicher Auftraggeber hatte im Jahr 1977 mit einem örtlichen Abfallentsorgungsunternehmen einen Vertrag über die Abfallentsor­ gung über einen Zeitraum von 10 Jahren geschlossen. Dieser Vertrag wurde nach 10 Jahren auf unbestimmte Dauer mit Kündigungsmöglichkeit verlängert. Im Jahr 1994 wurde der Vertragspartner – ebenfalls ohne Ausschreibung – mit der Entsorgung einer weiteren Abfallstruktur beauftragt. 21 Da der Vertrag kei­ nen Endzeitpunkt bestimmt, könnte dieser theoretisch auch noch heute, 30 Jahre nach Vertragsschluss, fortlaufen. Aber auch in der heutigen Zeit werden in den Entsorgungsbereichen langfristi­ ge Verträge geschlossen. Hintergrund ist, dass öffentliche Auftraggeber aufgrund leerer Haushaltskassen mit den Entsorgungsunternehmen private Partnerschaften eingehen und die Entsorgungsdienstleistungen mit Betriebsführungs- und Finan­ zierungsleistungen kombinieren. Um den Auftragnehmer einerseits die Amorti­ sation seiner Kosten zu ermöglichen und andererseits günstige Konditionen zu erzielen, werden Vertragsstrukturen mit teilweise 25- bis 30-jährigen Laufzeiten gewählt. 22 Die vorangehend dargestellten langfristigen Vertragskonstellationen sind in vergaberechtlicher Hinsicht problematisch. Der Abschluss eines langfristigen oder gar unbefristeten Vertrages bedeutet, dass der Auftrag für einen langen Zeitraum dem Markt und damit dem (europaweiten) Wettbewerb entzogen wird. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob und unter welchen Vorausset­ zungen der öffentliche Auftraggeber zur Wahrnehmung seines Kündigungsrechts und damit zur Beendigung des Vertrages verpflichtet werden kann. 23 Gerade der Markt der Entsorgungsdienstleistungen ist wirtschaftlich sehr einträglich, sodass die Frage nach der Kündigungspflicht langfristiger Vertragsverhältnisse auch praktisch sehr bedeutsam ist. Zudem gehen, wie aufgezeigt, Vertragsver­ längerungen zum Teil mit sogenannten „Anpassungsverträgen“ einher, die den Leistungsinhalt (z. B. das Entgelt) modifizieren. Auch diesbezüglich stellt sich die Frage nach der unzulässigen Umgehung des Vergaberechts.

20 So im Fall des OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. 02. 2001 – Verg 13/00, NZBau 2002, 54 ff.; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 ff.; VK Arnsberg, Beschl. v. 18. 07. 2000 – VK 2 –07/2000. 21 So im Fall des OLG München, Urt. v. 28. 03. 1996 – U (K) 4720/95. 22 So im Fall der VK Arnsberg, Beschl. v. 21. 02. 2006 – VK 29/05, NZBau 2006, 332 f. 23 Es gilt zu klären, ob das Nichtkündigen überhaupt als ein rechtlich relevantes „Ver­ halten“ des öffentlichen Auftraggebers qualifiziert werden kann. Dies wird im Kapitel 5.B.II.2 im Einzelnen diskutiert.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

III. Vertragsverlängerungsvereinbarungen Den beiden vorgenannten Konstellationen von Verlängerungsklauseln und Ver­ trägen mit Kündigungsmöglichkeiten ist gemein, dass die Verlängerungen des Vertrages bereits im Ursprungsvertrag angelegt waren. Dies ist im Falle von Vertragsverlängerungsvereinbarungen anders. Die Vertragsparteien vereinbaren dort erst während der Durchführung des Vertrages oder auch erst nach dessen Ablauf eine Verlängerung des Vertrages um einen weiteren Zeitraum. 24 Anlass derartiger Vertragsverlängerungsvereinbarungen ist zum Teil das schlichte Versäumnis des öffentlichen Auftraggebers, die Leistung rechtzeitig vor Ablauf des aktuellen Vertrages erneut auszuschreiben. Der Aufwand, der mit einer Ausschreibung verbunden ist, wird oftmals zu knapp kalkuliert. Zeitliche Faktoren wie Verzögerungen aufgrund von Aufklärungsgesprächen, Nachprü­ fungsverfahren oder Aufhebungen der Ausschreibung werden nicht hinreichend berücksichtigt. Konsequenz der Fehlkalkulation ist, dass die aktuellen Verträge auslaufen, bevor die Neuverträge abschlussreif sind. Hierdurch können Versor­ gungs- oder Beschaffungslücken insbesondere in Bereichen der klassischen Da­ seinsvorsorge (z. B. Personenbeförderung, Abfallentsorgung, Betrieb von Kran­ kenhäusern, Schulen etc.) entstehen. Diese werden in der Regel kurzfristig durch Vertragsverlängerungen mit dem aktuellen Vertragspartner geschlossen. Auch in diesen Fällen stellt sich die Frage nach der unzulässigen Umgehung des Verga­ berechts, da der Auftraggeber durch stetige Vertragsverlängerungen den Auftrag im Prinzip auf Dauer dem Vergaberecht und damit dem gemeinsamen Markt entziehen könnte.

B. Änderungen vertraglicher Vereinbarungen in inhaltlicher Hinsicht Neben den vorangehend dargestellten Änderungen in zeitlicher Hinsicht treten Änderungen des Vertrages auch in inhaltlicher Hinsicht auf, indem einzelne Ver­ tragselemente durch Erweiterung oder Reduktion, Austausch oder Anpassung modifiziert werden. Derartige Modifizierungen können sich sowohl auf wesent­ liche Bestandteile des Vertrages (essentialia negotii) als auch auf unwesentliche, im Verhältnis zur Gesamtleistung vernachlässigenswerte Leistungsbestandteile beziehen. Von den Änderungen können sowohl der vereinbarte Leistungsgegen­ stand (hierzu I.), die Vergütung (hierzu II.) als auch die Vertragspartner (hierzu III.) betroffen sein.

24

Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 10. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (194); VK Bund, Beschl. v. 13. 07. 2001 – VK 1 – 19/01, NZBau 2002, 110 (111 ff.).

Kap. 1: Fallgestaltungen von Vertragsänderungen

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I. Änderungen am Leistungsgegenstand Der zunächst vereinbarte Leistungsgegenstand kann nachträglich in der Weise geändert werden, dass der Leistungsumfang erweitert oder reduziert wird, oder aber einzelne Leistungsbestandteile ausgetauscht werden. 1. Erweiterungen des Leistungsumfangs Auftragserweiterungen umfassen zunächst die Fälle, in denen ein bereits ver­ gebener öffentlicher Auftrag nachträglich einen größeren Umfang erhalten soll, der öffentliche Auftraggeber also über das vereinbarte Auftragsvolumen hinaus weiter gleichartige Leistungen nachfragt (mengenmäßige Leistungserweiterun­ gen). 25 Beispielsweise schrieb ein öffentlicher Auftraggeber die Lieferung von 3.000 Rollbehältern aus. Bereits in der Ausschreibung kündigte er eine Option zu seinen Gunsten an, dass noch im gleichen Jahr weitere 12.000 Stück von ihm nachgefragt werden können und im Jahr darauf nochmals 10.000 Stück. 26 Bei vollumfänglicher Ausübung dieses Optionsrechts wäre das Auftragsvolu­ men des ursprünglichen Vertrages (3.000 Stück) um mehr als das Siebenfache (22.000 Stück) erweitert worden. Macht der öffentliche Auftraggeber hingegen von seinem Optionsrecht keinen Gebrauch, bleibt der Auftragnehmer unter Um­ ständen auf 22.000 Rollbehältern sitzen. Das vergaberechtliche Problem liegt daher auch in der Frage der Zumutbarkeit derartiger Klauseln für die potenzi­ ellen Auftragnehmer. Diese sind bei Abruf der Leistung durch den öffentlichen Auftraggeber vertraglich verpflichtet, die zusätzlichen Mengen zu liefern. Der Auftragnehmer muss daher die optionalen Leistungen sowie Personalkapazitäten und sonstige Arbeitsmittel vorhalten, ohne dass aber der Leistungsabruf durch den Auftraggeber gewiss ist. 27 Nicht selten sind kleinere Unternehmen aufgrund ihrer nur begrenzten Arbeits- und Personalmittel gezwungen, andere Aufträge abzulehnen, ohne dass aber die Verwendung der von ihnen bereitgehaltenen Leistungen gesichert ist. Das wirtschaftliche Risiko solcher Optionen ist daher für den Auftragnehmer unter Umständen hoch. Neben rein mengenmäßigen Leistungserweiterungen ist eine Erhöhung des ursprünglich vereinbarten Auftragsvolumens auch durch die nachträgliche Be­ auftragung zusätzlicher Leistungen möglich. Die zusätzliche Leistung kann sich

25 Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 37. 26 VÜA Bund, Beschl. v. 02. 08. 1994 – 1 VÜ 1/94; ähnlich VK Bund, Beschl. v. 15. 07. 2003 – VK 1 – 53/03: Mindestabnahmemenge 10.000 Monitore, optional weiter 2.500 Monitore. 27 Dieblich, in: Sangenstedt, Rechtshandbuch für Ingenieure und Architekten, A VI, Rn. 20.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

dabei als eine Folgeleistung eines vorangegangenen Auftrags darstellen. 28 Auch kann sie die Aufwertung oder Anpassung der ursprünglichen Leistung an den neuesten Stand der Technik (z. B. aktuelle Softwareversionen) oder die Repara­ tur defekter Bestandteile (Lieferung von Ersatzteilen) bezwecken. 29 Zum Teil ist die zusätzliche Leistung aber auch für die Vollendung des beauftragten Werkes objektiv erforderlich, wenn beispielsweise aufgrund eines unvorhergesehenen Ereignisses der Einsatz bestimmter Spezialgeräte notwendig wird, ohne die die Leistung nicht fertig gestellt werden könnte (z. B. Spezialbohrer aufgrund unvor­ hersehbarer schwieriger Bodenverhältnisse). In den vorgenannten Fällen wendet sich der Auftraggeber regelmäßig an seinen Vertragspartner und fragt dort die zusätzliche Leistung nach. Eine besondere Form der Erweiterung des Leistungsumfangs ist die Anschluss­ beauftragung, welche sich vornehmlich im Bereich der Architekten- und Inge­ nieurleistungen findet. Nach dem Vertragsmuster der RBBau 30 wird beispiels­ weise ein Ingenieur zunächst nur mit den Leistungsphasen 1 bis 4 der Hono­ rarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) beauftragt. Der Ingenieur verpflichtet sich jedoch bereits im Vertrag auch weitere Leistungsphasen zu erbringen. Der öffentliche Auftraggeber kann zu einem späteren Zeitpunkt, bei­ spielsweise wenn er die Planung des Investitionsprogramms abgeschlossen hat, weitere Leistungsphasen der HOAI in Auftrag geben. 31 Die Anschlussbeauftra­ gung ist dabei typisch für den Bereich der Architekten- oder Ingenieurleistungen. Grund hierfür ist die phasenweise Ausgestaltung der einzelnen Leistungsbilder nach der HOAI. 32 Die einzelnen Leistungsphasen sind dabei in der Reihenfolge angeordnet, in der sie zeitlich nacheinander anfallen. 33 Sie knüpfen systematisch aneinander an bzw. bauen aufeinander auf. Jede Phase schließt mit einem ei­ 28 VK Bund, Beschl. v. 11. 04. 2003 – VK 2 – 10/03 zu Folgeaufträgen bei der Liefe­ rung von Pockenimpfstoffen. 29 Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 213; Müller, in: Daub / Eber­ stein, VOL / A, § 3a, Rn. 28. 30 Richtlinie für die Durchführung von Bauvorhaben des Bundes im Zuständigkeits­ bereich der Finanzbauverwaltung (RBBau, abgedruckt z. B. bei Osenbrück, Die RBBau, S. 135 ff.). 31 So im Falle des OLG Düsseldorf, Urt. v. 21. 05. 1996 – 12 U 116/95, BauR 1997, 370 ff. 32 Vgl. § 15 Abs. 2 HOAI für Leistungen bei Gebäuden, Freianlagen und raumbil­ denden Ausbauten oder § 55 Abs. 2 HOAI für Leistungen bei Ingenieurbauwerken und Verkehrsanlagen. Dort werden die Grundleistungen der Architekten und Ingenieure in 9 Leistungsphasen (LP) eingeteilt, und zwar Grundlagenermittlung (LP 1), Vorplanung (LP 2), Entwurfsplanung (LP 3), Genehmigungsplanung (LP 4), Ausführungsplanung (LP 5), Vorbereitung der Vergabe (LP 6), Mitwirkung bei der Vergabe (LP 7), Objektüberwa­ chung (Bauüberwachung) (LP 8), Objektbetreuung und Dokumentation (LP 9). 33 So die Amtliche Begründung, BR-Drs. 270/76, abgedruckt in: Depenbrock / Vogler, HOAI, S. 95.

Kap. 1: Fallgestaltungen von Vertragsänderungen

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genen Ergebnis ab. 34 Aus diesem Grund ist auch eine Beauftragung mit nur einzelnen Phasen möglich, soweit die Ergebnisse der vorangehenden Leistungs­ phase bekannt sind und zugrunde gelegt werden können. 35 Die vorhergehende Leistung bildet insoweit die Grundlage für die nächste Stufe der Beauftragung. Daher wird auch von einer stufenweisen Beauftragung gesprochen. 36 Rechtlich können diese Verträge als Optionen ausgestaltet sein, indem der öffentliche Auftraggeber zunächst einzelne Leistungsphasen verbindlich beauftragt, weitere Leistungsphasen hingegen als gestufte optionale Leistungen ausschreibt. 37 Hinter dieser Vorgehensweise stehen zumeist haushaltsrechtliche Gründe. Die Ausga­ ben und die Verpflichtungsermächtigung werden im Haushaltsplan nach den Vorschriften der Haushaltsordnungen grundsätzlich erst dann festgelegt, wenn die Kostenermittlung abgeschlossen ist. Daher stellt die Entwurfsplanung eine entscheidende Zäsur hinsichtlich der Realisierung des gesamten Projekts dar, so­ dass der Auftraggeber zunächst auch keine weitergehenden Bindungen eingehen will. 38 Rechtliche Grundlage von Leistungserweiterungen können, wie oben darge­ stellt, vertraglich vereinbarte Optionsrechte zugunsten öffentlicher Auftraggeber sein. Durch Ausübung des Optionsrechts kann der Auftraggeber weitere Leistun­ gen abrufen. Der Auftragnehmer ist in diesem Fall zur Erbringung der Leistung vertraglich verpflichtet, ohne dass ein hiermit korrespondierender Anspruch auf 34

Zur Systematik der Leistungsphasen und der Ergebnisorientierung: Locher / Koeble / Frik, Kommentar zur HOAI, § 15, Rn. 9 ff. 35 So sehen z. B. die Vertragsmuster der RBBau für die einzelnen Leistungsbereiche der Ingenieur- und Architektenleistungen (z. B. für Gebäude, technische Ausrüstung, Trag­ werksplanung, Ingenieurbauwerke etc) eine (planungs-) stufenweise Beauftragung der Ar­ chitekten bzw. Ingenieure vor. Die RBBau und die darin enthaltenen Vertragsmuster ver­ pflichten unmittelbar zwar nur die Behörden der Bundesverwaltung zur Anwendung bei Abschluss von Ingenieur- und Architektenverträgen. Die Bestimmungen werden jedoch von den Ländern aufgrund entsprechender Richtlinien – RLBau – ebenfalls angewandt. Die kommunalen Vertragsmuster (abgedruckt in: Architekten- und Ingenieurverträge für öffentliche Bauvorhaben, Hrsg.: Arbeitskreis Vergabewesen der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände) sehen ebenfalls eine stufen- bzw. abschnittsweise Beauf­ tragung von Architekten- und Ingenieurleistungen vor. 36 OLG Brandenburg, Beschl. v. 22. 05. 2007 – Verg W 13/06, IBR 2007, 390; MüllerWrede, in: Müller-Wrede, VOF, § 3, Rn. 47 ff. 37 So im Falle des OLG Brandenburg, Beschl. v. 22. 05. 2007 – Verg W 13/06, IBR 2007, 390: Der öffentliche Auftraggeber schrieb zunächst die Entwurfs- und Genehmi­ gungsplanung als Stufe 1 verbindlich aus. Die Ausführungsplanungen und die Vorberei­ tung der Vergabe auf der Stufe 2 sowie die Bau- und Objektüberwachung auf der dritten Stufe waren hingegen als optionale Leistungen (wiederum stufenweise) ausgestaltet. 38 Vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 21. 05. 1996 – 12 U 116/95, BauR 1997, 370 ff.; OLG Dresden, Urt. v. 15. 04. 1999 – 9 U 3211/98, IBR 2001, 26: Die Vertragsmuster der RBBau sollen den Besonderheiten bei Bauvorhaben der öffentlichen Hand Rechnung tragen. Nur bei Fortführung des Bauvorhabens besteht die Absicht zur weiteren Beauftragung. Ob das Bauvorhaben fortgeführt wird, hängt von der Mittelfreigabe ab.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

Beauftragung einhergeht. Möglich ist aber auch die rechtliche Konstruktion ei­ ner Rahmenvereinbarung, auf deren Grundlage der öffentliche Auftraggeber je nach Bedarf (Einzel-) Leistungen abruft. Der Abschluss von Rahmenvereinba­ rungen bietet sich insbesondere dann an, wenn über einen bestimmten Zeitraum Leistungen zu erbringen sind, deren konkreter Umfang vorab nicht abschlie­ ßend eingeschätzt werden kann, also zum Beispiel die Wartung und Pflege von IT-Systemen, 39 Transport- und Hausarbeiteraufgaben, 40 Postzustelldienstleistun­ gen 41 etc. Vorteil einer Rahmenvereinbarung ist insbesondere, dass der öffent­ liche Auftraggeber diese mit mehreren Unternehmen abschließen darf und er somit auf mehrere Vertragspartner bei der Ausführung der Leistung zurückgrei­ fen kann. Sowohl Optionsklauseln als auch Rahmenvereinbarungen bedingen je­ doch, dass sich der öffentliche Auftraggeber eventueller Leistungserweiterungen bei Ausschreibung der Leistung bewusst ist. Stellt er erst nach Vertragsschluss fest, dass sein Bedarf größer oder anders ist als ursprünglich geplant, findet in der Regel eine „Anpassung“ des Vertrages an die bei Vertragsschluss nicht vorhersehbaren Faktoren (z. B. durch zusätzliche Leistungen) statt. 2. Reduzierungen des Leistungsumfangs Konträr zur mengenmäßigen Vertragserweiterung steht die nachträgliche Re­ duzierung des vereinbarten Leistungsumfangs. Diese Konstellation ist allerdings sehr selten, da insoweit eine Teilkündigung des Auftraggebers erforderlich ist, die gegebenenfalls weitere Ansprüche des Auftragnehmers nach sich ziehen kann. Eine Reduzierung ist vor allem insoweit vergaberechtlich relevant als bei Ausschreibung eines geringeren Umfangs sich unter Umständen vermehrt kleine und mittelständische Unternehmen um den Auftrag beworben hätten. 42 Die erst nachträgliche Änderung der Leistung nimmt diesen Unternehmen die Chance auf Teilhabe am Auftrag. 3. Austausch von Leistungsbestandteilen Eine Änderung des Vertragsgegenstandes liegt auch dann vor, wenn einzelne Leistungsbestandteile nach Vertragsschluss ausgetauscht, also durch andere er­ setzt werden. Insoweit kommt es den Vertragsparteien nicht auf eine quantitative Erweiterung des Leistungssolls an, sondern vielmehr auf dessen qualitative Än­ 39 Saarländisches OLG, Beschl. v. 05. 07. 2006 – 1 Verg 1/06, IBR 2007, 1011; KG, Beschl. v. 15. 04. 2004 – 2 Verg 22/03, VergabeR 2004, 762 ff. 40 VK Bund, Beschl. v. 19. 09. 2001 – VK 1 – 33/01, VergabeR 2002, 72 ff. 41 Hierzu Goodarzi, NVwZ 2007, 396 (397). 42 Der Auftraggeber ist zur angemessenen Berücksichtigung der Interessen kleiner und mittelständischer Unternehmen im Vergabeverfahren verpflichtet (vgl. § 97 Abs. 3 GWB sowie Erwägungsgrund 32 VKR).

Kap. 1: Fallgestaltungen von Vertragsänderungen

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derung. Anlass eines Austauschs von Leistungsteilen können z. B. Kosteneinspa­ rungen sein (billig gegen teuer). Aber auch (technische) Neuentwicklungen oder Gründe der Effektivität können den Austausch einzelner Leistungsbestandteile bedingen. Beispielsweise schrieb ein öffentlicher Auftraggeber die Herstellung und Lieferung eines Forschungsschiffes aus. 43 Nach Auftragserteilung wurde der Leistungsgegenstand dahingehend geändert, dass statt des beauftragten Echolot­ systems ein technisch weiterentwickeltes System eingesetzt werden sollte. Dieses System befand sich zum Zeitpunkt der Ausschreibung noch in der Entwicklung und konnte somit bei Vertragsschluss nicht vereinbart werden. Vergaberechtlich stellte sich dem erkennenden Gericht die Frage, ob aufgrund des Austauschs des Leistungsbestandteils von einem neuen Vertragsgegenstand ausgegangen werden musste. Hierfür sprach, dass der Beschaffungswert des Echolotsystems den maßgeblichen Schwellenwert überstieg. Andererseits entsprach der Wert der Neubeschaffung nur ca. 5% der Gesamtauftragssumme und war daher im Vergleich zur Gesamtleistung eher unwesentlich. Auch war unklar, welcher Ge­ genstand der Ausschreibung unterliegen würde, nur das ausgetauschte Element (Echolotsystem) oder aber die gesamte Leistung (Forschungsschiff). 44 II. Änderungen der Vergütung bzw. des Preises Während der Laufzeit eines Vertrages, insbesondere bei langfristigen Verträ­ gen, können sich die Grundlagen der Vergütung ändern, z. B. aufgrund gestiege­ ner Rohstoffpreise. In diesen Fällen werden in der Regel Preisanpassungen über sogenannte Preisgleitklauseln, die bereits bei Vertragsschluss vereinbart wur­ den, vorgenommen. Diese stellen sicher, dass nicht allein das Unternehmen das Risiko steigender Beschaffungskosten trägt. Aber auch die vorangehend darge­ stellten Änderungen des Leistungsgegenstands (Erweiterungen, Reduzierungen, Austausch von Leistungsbestandteilen) erfordern regelmäßig eine entsprechende Anpassung der Vergütung. Insbesondere gehen qualitative Änderungen regel­ mäßig mit einer Vergütungsänderung einher, da nur selten Wertgleichheit der ausgetauschten Bestandteile besteht. In der Praxis werden in diesen Fällen soge­ nannte „Anpassungsverträge“ geschlossen, welche die entsprechenden Änderun­ gen des Leistungsgegenstandes einhergehend mit der Anpassung der Vergütung beinhalten. 45 Auch kann sich im Laufe des Vertragsverhältnisses herausstellen, dass die Leistung zwischenzeitlich am Markt günstiger zu beschaffen ist. Statt der Kündigung des Vertrages und Durchführung eines Wettbewerbs entschei­ 43

Vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 ff. Das OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 ff., vermochte die Fragen nicht zu beantworten und legte sie daher dem EuGH zur Entschei­ dung vor. Die Vorlagefrage wurde allerdings später gestrichen. 45 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08. 05. 2002 – Verg 8 – 15/01; VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 26. 03. 2002 – 1 VK 7/02. 44

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

den sich Auftraggeber zum Teil, mit dem Auftragnehmer über entsprechende Preiskorrekturen zu verhandeln. 46 Die Änderung des Preises bzw. der Vergütung bedeutet jedoch immer auch eine Änderung eines wesentlichen Vertragsbestand­ teils. Hieraus ergibt sich die Frage nach einer unzulässigen Umgehung des Vergaberechts. III. Änderungen des Vertragspartners Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Vertrages gehören auch die Vertrags­ partner. Eine nachträgliche Änderung der Vertragspartner durch Vertragsüber­ nahme oder Beitritt zum Vertrag ist nach dem Zivilrecht grundsätzlich mög­ lich und dort in den §§ 414 ff. BGB entsprechend geregelt. 47 Vergaberechtlich wirft dies jedoch dahingehend Probleme auf, dass ein Unternehmen nachträg­ lich Vertragspartner wird, welches nicht am Wettbewerb um die Auftragsvergabe beteiligt war und unter Umständen den Anforderungen an die Auftragsvergabe nicht genügt hätte. Aber auch durch Umstrukturierungsmaßnahmen innerhalb des Konzerns oder aufgrund Insolvenz eines Mitglieds der Arbeitsgemeinschaft kann sich rechtlich der Vertragspartner ändern. Die nachträgliche Änderung des Vertragspartners und damit eines wesentlichen Bestandteil des Vertrages kann somit dazu führen, dass der Auftrag an ein Unternehmen ohne Durchführung eines vergaberechtlichen Wettbewerbs übergeleitet wird.

C. Kombinationsmöglichkeiten Vertragsänderungen in zeitlicher und in inhaltlicher Hinsicht treten in der Pra­ xis selten separat auf. Häufig gehen einzelne Vertragsänderungsmöglichkeiten ineinander über. Die folgenden zwei Beispiele sollen die möglichen Verquickun­ gen veranschaulichen. Ein öffentlicher Auftraggeber beabsichtigte, seine gemeinsam mit dem Auftrag­ nehmer aufgelegte Stadtillustrierte durch ein wöchentlich erscheinendes Printme­ dium zu ersetzen. Zu diesem Zweck schlossen die Vertragsparteien einen Ver­ trag, der den bestehenden Vertrag abänderte. Hiernach wurde der Umfang der städtischen Illustrierten von 11 Seiten auf ca. 30 Seiten erhöht (mengenmäßi­ ge Leistungserweiterungen). Darüber hinaus wurde das Unternehmen mit Ver­ waltungs-, Organisations- und Gestaltungsaufgaben beauftragt, ohne dass diese Leistungen im ursprünglichen Vertrag angelegt waren (zusätzliche Leistungen). Format, Erscheinungsbild und Papierqualität der Illustrierten wurden ebenfalls geändert (Austausch von Leistungsbestandteilen). Das Entgelt erhöhte sich von 46 47

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. 02. 2001 – Verg 13/00, NZBau 2001, 54 (55). Hierzu Grüneberg, in: Palandt, BGB, Überbl v § 414, Rn. 1 f.

Kap. 1: Fallgestaltungen von Vertragsänderungen

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100.000 DM auf 490.000 DM pro Jahr (Änderung der Vergütung). Die Vertrags­ laufzeit wurde von zwei auf vier Jahre erweitert (Vertragsverlängerungsvereinba­ rung). Zudem enthielt der Vertrag nunmehr eine optionale Verlängerungsklausel. Die Vereinbarung verlängerte daher nicht nur den bestehenden Vertrag erheblich, sondern erweiterte diesen um wesentliche Aufgabenfelder, ohne dass dem eine Ausschreibung voranging. 48 In einem anderen Fall schloss der öffentliche Auftraggeber mit mehreren Auftragnehmern Verträge über die Erbringung von Personenbeförderungsleis­ tungen auf unbestimmte Zeit, wobei allseits die Möglichkeit der Kündigung zum jeweiligen Fahrplanwechsel bestand (unbefristeter Vertrag mit Kündigungs­ klausel). Ein Teil der Auftragnehmer kündigte vereinbarungsgemäß die Verträge, nahm aber im Einvernehmen mit dem öffentlichen Auftraggeber während der Kündigungsfrist diese zurück und setzte die Leistungsbeziehung über den Been­ digungszeitpunkt hinaus fort (Vertragsverlängerung durch Parteivereinbarung). Zeitgleich führte der Auftraggeber Gespräche über die Kürzung des Entgeltes (Änderung der Vergütung), aber auch über die Übernahme zusätzlicher Leistun­ gen (Vertragserweiterung durch Parteivereinbarung). 49

D. Ergebnis:

Die zu untersuchenden Fallgruppen

Vertragsänderungen öffentlicher Auftraggeber sind in vielfältiger Weise denk­ bar. Änderungsmöglichkeiten und rechtliche Gestaltungsvarianten können insbe­ sondere in kombinierten Formen auftreten. Zusammenfassend ist für den Bereich der Vertragsverlängerungen festzu­ halten, dass diese durch bereits im Vertrag enthaltene Verlängerungsklauseln bewirkt werden können. Grundlage einer Vertragsverlängerung kann ein Opti­ onsrecht zugunsten des öffentlichen Auftraggebers sein. Die Verlängerung des Vertrages wird im Falle einer optionalen Verlängerungsklausel durch Abgabe einer die Option auslösenden Willenserklärung bewirkt. Aber auch auf der Ba­ sis von automatischen Verlängerungsklauseln oder langfristigen Verträgen mit Kündigungsmöglichkeit kann der Auftraggeber die Laufzeit des Vertrages be­ einflussen. Die Verlängerung des Vertrages wird dabei durch Unterlassen einer Willenserklärung (Kündigung) bewirkt. Ist eine der vorgenannten Vertragsver­ längerungsklauseln nicht mit Abschluss des Vertrages vereinbart, ergibt sich für den Auftraggeber aber während der Durchführung des Vertrages die Notwen­ digkeit der Fortsetzung über den ursprünglich vereinbarten Zeitpunkt hinaus, so 48

Tatbestand im Fall der VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 26. 03. 2002 – 1 VK

7/02. 49

So im Fall des OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08. 05. 2002 – Verg 8 –15/01.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

kommt die Vertragsverlängerung regelmäßig durch eine nachträgliche Parteiver­ einbarung zustande. Für den Bereich der inhaltlichen Änderungen von Verträgen kann zusammen­ fassend festgehalten werden, dass diese in Form von mengenmäßigen Erweite­ rungen, zusätzlichen Leistungen sowie Reduzierungen oder Austausch einzelner Vertragselemente auftreten. Eine im Rahmen von Architekten- und Ingenieurver­ trägen häufig vorkommende Vertragserweiterungsform ist zudem die Anschluss­ beauftragung. Rechtliche Grundlage inhaltlicher Vertragsänderungen können Op­ tionsrechte sein, die bereits im ursprünglichen Vertrag zugunsten des öffentlichen Auftraggebers vereinbart wurden. Auch Rahmenvereinbarungen geben öffentli­ chen Auftraggebern die rechtliche Befugnis, eine Vielzahl von Einzelleistungen von den Vertragspartnern abzurufen. Optionsrechte und Rahmenvereinbarungen setzen voraus, dass sich der Auftraggeber bereits bei Ausschreibung der Leistung möglichen Vertragsänderungen bewusst ist. Soweit die Änderung des ursprüng­ lich ausgeschriebenen Bedarfs jedoch auf einem unvorhergesehenen Ereignis beruht, werden die Verträge regelmäßig durch nachträgliche Vereinbarung der Vertragsparteien angepasst. Inhaltliche und zeitliche Vertragsänderungen basieren damit zum Teil auf den­ selben rechtlichen Grundlagen. So kann durch nachträgliche Parteivereinbarung der Vertrag sowohl in zeitlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht modifiziert werden. Gleiches gilt für Optionsklauseln. Auch diese können Grundlage von Vertragsverlängerungen oder inhaltlichen Leistungserweiterungen sein. Von ei­ nem Optionsrecht, welches die Abgabe einer die Option auslösenden Willens­ erklärung voraussetzt, sind automatische Verlängerungsklauseln und Verträge mit Kündigungsklauseln zu unterscheiden. Diese bewirken die Verlängerung des Vertrages nur dann, wenn der öffentliche Auftraggeber die Abgabe einer Willenserklärung, nämlich die Kündigung des Vertrages, unterlässt. Leistungs­ erweiterungen inhaltlicher Art können aber auch auf der Grundlage von Rah­ menvereinbarungen basieren. Diese geben dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit, eine Vielzahl von Einzelaufträgen flexibel abzurufen. Aus den vorangehend dargestellten Möglichkeiten und Varianten von Vertrags­ änderungen ergeben sich für die vorliegende Untersuchung vier Fallgruppen, die auf ihre Vergaberechtskonformität hin im weiteren Verlauf überprüft werden sollen. Dies sind nachträgliche Vertragsänderungen durch Parteivereinbarungen (hierzu I.), Vertragsverlängerungen durch Nichtausüben eines Kündigungsrechts (hierzu II.), Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten (hierzu III.) sowie Vertragserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen (hierzu IV.).

Kap. 1: Fallgestaltungen von Vertragsänderungen

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I. Nachträgliche Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung Nachträglichen Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung liegt die recht­ liche Konstellation zugrunde, dass der öffentliche Auftraggeber und sein privat­ rechtlicher Vertragspartner im laufenden Vertragsverhältnis nach Zuschlagser­ teilung die ursprünglichen, der Ausschreibung zugrunde gelegten Vertragspara­ meter abändern, wie beispielsweise den Leistungsgegenstand oder -umfang, die Laufzeit des Vertrages oder die Vertragspartner. 50 Dabei kommt die Änderung entweder durch Ergänzung des Vertrages aufgrund übereinstimmender Willens­ erklärungen zustande oder aber der öffentliche Auftraggeber verlangt diese ein­ seitig, ohne dass die Änderung als Option im ursprünglichen Vertragsverhältnis angelegt war. Nachträgliche Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung sind oftmals dort zu finden, wo der Gegenstand des Vertrages starken Änderungen unterworfen ist, ohne dass diese zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses absehbar waren. So unterliegen beispielsweise Versicherungsverträge ständig variierenden Risiken. Gleichzeitig sind sie als Dauerschuldverhältnis ausgestaltet. Um den Vertrags­ zweck zu erfüllen, werden daher regelmäßig Anpassungen vorgenommen. 51 Auch wirtschaftliche Änderungen oder rasche technische Entwicklungen wie beispiels­ weise im IT- oder Abfallbereich können eine Anpassung des Vertragsverhältnis­ ses während der Vertragslaufzeit erfordern. 52 Nachträgliche Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung sind insbeson­ dere im Hinblick auf den Grundsatz, dass öffentliche Auftraggeber Leistungen nach Maßgabe der vergaberechtlichen Vorschriften im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren beschaffen sollen, problematisch. Der geänderte Auftrag wird nicht dem Markt zur Verfügung gestellt, eine wettbewerbliche Auf­ tragsvergabe findet nicht statt. Änderungen im bestehenden Vertragsverhältnis leisten vielmehr dem nationalen „Hoflieferantentum“ Vorschub und beeinträchti­ gen damit das Ziel des Gemeinschaftsrechts zur Herstellung eines gemeinsamen Binnenmarktes. Die Fallgruppe der nachträglichen Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung bedarf vor diesem Hintergrund einer vergaberechtlichen Un­ tersuchung, in deren Rahmen aber auch Änderungsklauseln und Ausnahme­ tatbestände des Vergaberechts, die nachträgliche Vertragsänderungen gestatten können, zu berücksichtigen sind.

50 Eine Änderung des Vertragspartners kommt zumeist bei Bieter- bzw. Arbeitsge­ meinschaften vor, indem nachträglich weitere Unternehmen in das ursprüngliche Bie­ terkonsortium aufgenommen, einzelne Mitglieder ausgetauscht werden oder aber wegen Insolvenz ausscheiden. 51 Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 100. 52 Vgl. Gruneberg, VergabeR 2005, 171.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

II. Vertragsverlängerungen durch Nichtausüben eines Kündigungsrechts Der Fallgruppe der Vertragsverlängerungen durch Nichtausüben eines Kündi­ gungsrechts liegen entweder Vertragsverhältnisse mit langen oder gar unbefris­ teten Laufzeiten zugrunde, in deren Rahmen sich der öffentliche Auftraggeber jedoch die vorzeitige Kündigung des Vertrages vorbehält. Unterlässt der öffent­ liche Auftraggeber die Kündigung, läuft der Vertrag ohne Änderungen weiter. Ähnlich verhält es sich mit automatischen Verlängerungsklauseln. Diese bewir­ ken, dass ein zunächst befristet abgeschlossenes Vertragsverhältnis sich automa­ tisch um einen weiteren Zeitraum verlängert, wenn der öffentliche Auftraggeber nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt kündigt. Den beiden Konstellationen ist somit gemein, dass die Verlängerung des Vertrages durch Nichtausüben des Gestaltungsrechts, nämlich der Kündigung, zustande kommt. Der Vertrag wird mithin durch bloßes „Nichtstun“ verlängert. Typischer Anwendungsbereich solcher vertraglichen Verlängerungskonstella­ tionen sind Dauerschuldverhältnisse wie beispielsweise (Abfall-) Entsorgungs­ leistungen, Reinigungsleistungen, Versicherungsverträge (vgl. § 8 VVG), 53 aber auch Lieferverträge beispielsweise über Energielieferungen. Der ständige und gleichförmige Bedarf des öffentlichen Auftraggebers zwingt diesen zu einer re­ gelmäßigen und lückenlosen Beschaffung. Diesem Bedürfnis tragen daher lange Vertragslaufzeiten oder automatische Verlängerungsklauseln Rechnung. Die stetige Verlängerung des Vertrages entzieht die Leistungen jedoch für lange und unbestimmte Zeit dem Markt und damit den Marktbedingungen. Das „Nichtstun“ des öffentlichen Auftraggebers suggeriert Rechtskonformität. Daher ist die Konstellation im Hinblick auf die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, Leistungen in regelmäßigen Abständen dem Wettbewerb zu unterstellen, auf ihre Vergaberechtskonformität hin zu untersuchen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Frage zu klären, unter welchen Voraussetzungen für den öffentlichen Auftraggeber eine Pflicht zur Kündigung des Vertragsverhältnisses entstehen kann. III. Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten Von den vorgenannten Vertragsverlängerungen durch Nichtausüben eines Kün­ digungsrechts zu unterscheiden sind Verträge mit optionalen, also „aktiven“ Verlängerungsklauseln. Diese ermöglichen es öffentlichen Auftraggebern, den zunächst befristeten Vertrag durch einseitige Willenserklärung und damit durch 53

Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 88.

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

55

aktives Tun um einen weiteren, im Vertrag festgelegten Zeitraum zu verlängern oder auch inhaltlich um weitere Leistungen zu erweitern. Die zeitliche oder inhaltliche Leistungserweiterung auf der Grundlage eines Optionsrechts erfolgt dabei ohne eine erneute Ausschreibung der Leistung. 54 Der sich hieraus ergeben­ de Widerspruch zum Grundsatz der Vergabe im Wettbewerb erfordert es mithin, die Verwendung von Optionsklauseln einzuschränken und die Anforderungen an diese in Einklang mit den vergaberechtlichen Bestimmungen zu entwickeln. IV. Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen Rahmenvereinbarungen sind Vereinbarungen öffentlicher Auftraggeber mit ei­ nem oder mehreren Unternehmen, in der die Bedingungen für die Einzelaufträge festgelegt werden, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, insbesondere über den in Aussicht genommenen Preis und gegebenenfalls über die in Aussicht genommene Menge. 55 Auf der Grundlage von Rahmenver­ einbarungen ruft der Auftraggeber daher von seinen Vertragspartnern je nach Bedarf Einzelleistungen ab, ohne dass der Vergabe der Einzelleistung eine Aus­ schreibung vorangeht. Auch hier gilt, dass dem Umfang des Leistungsabrufs Grenzen gesetzt werden müssen, da andernfalls eine Umgehung des Vergaberechts zu befürchten ist. Daher sind Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen auf ihre rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen hin zu untersuchen. Hierbei ist die Vergabekoordinierungsrichtlinie zu berück­ sichtigen, welche öffentlichen Auftraggebern auch außerhalb des Sektorenbe­ reichs grundsätzlich gestattet, Rahmenvereinbarungen abzuschließen. 56

Kapitel 2

Vertragsänderungen unter dem Blickwinkel der Privatautonomie Im vorangegangenen Kapitel wurden die Fallgruppen herausgearbeitet, die im Rahmen dieser Arbeit vergaberechtlich daraufhin untersucht werden sollen, ob und unter welchen Voraussetzungen die nachträgliche Vertragsgestaltung als unzulässige Umgehung des Vergaberechts zu werten ist. Im Rahmen der Untersu­ chung ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Vergaberecht nach Abschluss des

54 55 56

Kemper, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 1a VOB / A, Rn. 57 ff.

Legaldefinition des Art. 1 Abs. 5 VKR.

Siehe zur Novellierung der Vergabekoordinierungsrichtlinien Kapitel 3.A.I.1.

56

Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

Vertrages grundsätzlich keine Anwendung findet. 57 Vielmehr richtet sich die Ver­ tragsdurchführung nach den Regelungen und Grundsätzen des Zivilrechts. Dort gilt jedoch der Grundsatz der Vertragsgestaltungsfreiheit als Ausfluss der Pri­ vatautonomie. Dieser gestattet den Parteien eines zivilrechtlichen Vertrages ihre Verträge auch nach Vertragsschluss frei zu ändern, zu erweitern oder veränderten Bedingungen anzupassen. Diese Kollision zwischen zivilrechtlicher Vertragsge­ staltungsfreiheit und vergaberechtlichen Umgehungsverbot muss daher zunächst aufgelöst werden. Ausgangspunkt dieser Fragestellung ist die allgemein anerkannte Formenwahl­ freiheit der öffentlichen Hand. Diese kann ihre öffentlichen Aufgaben, soweit keine öffentlich-rechtlichen Normen entgegenstehen, auch in den Formen und mit den Mitteln des Privatrechts erfüllen. 58 Davon macht sie im Vergaberecht Gebrauch. Der zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Unternehmen abgeschlossene Vertrag ist in der Regel zivilrechtlicher Natur (hierzu A.). Hieraus könnte aber weiter gefolgert werden, dass der öffentliche Auftrag­ geber sich nicht nur der Mittel und Formen, sondern darüber hinaus auch der Freiheiten des Privatrechts, insbesondere der Vertragsgestaltungsfreiheit als Aus­ prägung der Privatautonomie, bedienen darf. Ausgehend von Herleitung und Inhalt der Privatautonomie (hierzu B.) ist daher zu untersuchen, ob öffentliche Auftraggeber nach den Grundsätzen der Privatautonomie selbstbestimmt han­ deln und ihre Verträge frei gestalten können. Das Meinungsbild zu dieser Frage ist eher diffus (hierzu C). Die Reichweite der Privatautonomie für den Bereich der öffentlichen Auftrags­ vergabe, respektive für den privatrechtlich handelnden öffentlichen Auftraggeber, ist daher näher zu untersuchen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass hinter dem Begriff des öffentlichen Auftraggebers sowohl juristische Personen des öffentlichen Rechts als auch solche des privaten Rechts stehen können (hier­ zu D).

A. Vergaberecht als Teil des Privatrechts Nach mittlerweile herrschender Ansicht wird das Vergaberecht dem Privat­ recht unterstellt. 59 Dies entspricht nicht nur der Tradition, 60 sondern auch dem 57 Knauff, NZBau 2005, 347 (348); Bär, ZfBR 2001, 375; Röhl, VerwArch 86 (1995), 531 (533); Regler, Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 142. 58 BVerwG, Beschl. v. 02. 05. 2007 – 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (391), Rn. 8; Urt. v. 11. 02. 1993 – 4 C 18/91, E 92, 56 (64 f.); Urt. v. 19. 05. 1994 – 5 C 33/91, E 96, 71 (74); Beschl. v. 18. 10. 1993 – 5 B 26/93, E 94, 229 (231 f.); Röhl, VerwArch 86 (1995), 531 (536); Regler, Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 133. 59 BVerwG, Beschl. v. 02. 05. 2007 – 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (390), Rn. 6; Urt. v. 08. 03. 1962 – VIII C 160/60, E 14, 65 (68); Gemeinsamer Senat der obersten

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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Umstand, dass der Staat ähnlich wie ein privater Marktteilnehmer einkaufend tätig wird (Privatrechtsprinzip). 61 Öffentliche Auftraggeber begeben sich im Rah­ men ihrer Beschaffungen auf das Gebiet des Privatrechts und bedienen sich dessen Handlungsformen, indem sie zivilrechtliche Verträge abschließen. 62 Aus diesem Grund finden die Normen und Grundsätze des Zivilrechts auf die Ver­ tragsanbahnung, den Abschluss und die Durchführung des Vertrages Anwen­ dung. Die privatrechtliche Prägung des Vergaberechts betrifft nicht bloß den Vertrag selbst, sondern auch das vorangehende Vergabeverfahren bis hin zur Zuschlagserteilung. 63 Vereinzelt existieren Ansichten, welche das Vergaberecht dem öffentlichen Recht zuordnen 64 oder aber das Vergabeverfahren zweistufig 65 ausgestalten wolGerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 10. 04. 1986 – GmS-OGB 1/85, NJW 1986, 2356 f.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 03. 08. 1999 – 6 Verg 1/99, NVwZ 1999, 1142 (1146); OVG Niedersachsen, Beschl. v. 19. 01. 2006 – 7 OA 168/05, ZfBR 2006, 281; Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97, Rn. 76; Kokott, in: Byok / Jaeger, Kommentar Vergaberecht, Einführung, Rn. 58; Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kom­ mentar, Vorb. zu §§ 97 – 101 GWB, Rn. 6; Boesen, Vergaberecht, Einleitung, Rn. 3; Erdl, Vergaberechtsschutz, Rn. 67; Pache, DVBl. 2001, 1781 (1787); Pietzker, ZHR 162 (1998), 427 (457); Gusy, DÖV 1984, 872 (880); Burgi, NZBau 2001, 64 (65); Ziekow / Siegel, ZfBR 2004, 30 (32); Tomerius / Kiser, VergabeR 2005, 551 (556). 60 Vgl. hierzu Kunert, Vergaberecht, S. 8 ff.; Boesen, Vergaberecht, Einleitung, Rn. 126f.; Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., Vor §§ 97, Rn. 3 ff. 61 BVerwG, Beschl. v. 02. 05. 2007 – 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (390), Rn. 6; Pietz­ ker, ZHR 162 (1998), 427 (457); Marx, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsvergabe, S. 11. 62 Bitterich, NZBau 2006, 757; Ruthig, NZBau 2005, 497 (499); Tomerius / Kiser, VergabeR 2005, 551 (556 ff.); Marx, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auf­ tragsvergabe, S. 11; Ebert, Verhandlungsverfahren, S. 4; a. A. Prieß / Hölzl, NZBau 2005, 367 (370 f.). 63 BVerwG, Beschl. v. 02. 05. 2007 – 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (390), Rn. 6; Urt. v. 07. 11. 1957 – II C 109/55, E 5, 325 (327); Urt. v. 08. 03. 1962 – VIII C 160/ 60, E 14, 65 (72); Waldner, Bieterschutz, S. 33; Marx, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsvergabe, S. 144. 64 Regler, Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 146 ff., 186 ff.: „besonderes Verwaltungsverfahren“; Schlette, Verwaltung als Vertragspartner, S. 151 ff.; Pernice / Kadelbach, DVBl. 1996, 1100 (1106); Hermes, JZ 1997, 909 (915); v. Zez­ schwitz, NJW 1983, 1873 (1877); Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 22, Rn. 31 ff.; Gurlit, in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 28, Rn. 4 f.; wohl auch Hailbronner, DÖV 2003, 534, der Vergaberecht als öffentlich-rechtliches Sonder­ recht bezeichnet. 65 Grundlegend zur Zweistufentheorie Ipsen, DVBl. 1956, 602 (605). Zweistufige Rechtsverhältnisse sind dadurch gekennzeichnet, dass sie aus zwei getrennten Verfah­ rensabschnitten bestehen, von denen der erste Verfahrensabschnitt (die Frage des „ob“ der Begünstigung) stets dem öffentlichen Recht angehört und der zweite Verfahrensab­ schnitt (die Frage des „wie“ der Begünstigung) sowohl öffentlich-rechtlich als auch pri­ vatrechtlich ausgestaltet sein kann. Übertragen auf vergaberechtliche Rechtsverhältnisse soll die erste Stufe (Vergabeverfahren) öffentlich-rechtlich und die zweite Stufe (Vertrags­

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

len. 66 Diese Ansichten konnten sich – zu Recht – in Literatur 67 und Recht­ sprechung 68 nicht durchsetzen. Das Vergaberecht ist vielmehr dem Privatrecht zuzuordnen. 69 Das zivilrechtliche Verständnis kommt insbesondere durch die Eingliederung des Vergaberechts in das Wettbewerbsrecht zum Ausdruck. 70 Das Zusammenfallen von Vertragsschluss und Zuschlag kennzeichnet ebenfalls den Privatrechtscharakter des Vergaberechts. 71 Aufgrund der Einbeziehung auch pri­ vatrechtlich organisierter öffentlicher Auftraggeber kommt zudem von vornher­ ein nur eine privatrechtliche Einordnung des Vergaberechts in Betracht, da privat­ rechtlich organisierte Auftraggeber sich öffentlich-rechtlicher Betätigungsformen schluss) zivilrechtlich geprägt sein (vgl. zu Kritikpunkten und rechtlichen Problemen der Zweistufentheorie Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17, Rn. 14 ff.). 66 Pernice / Kadelbach, DVBl. 1996, 1100 (1106); Hermes, JZ 1997, 909 (915); Kopp, BayVBl. 1980, 609 (611); Zuleeg, VerwArch 73 (1982), 384 (401 f.); v. Zezschwitz, NJW 1983, 1873 (1877); Triantafyllou, NVwZ 1994, 946; Kopp, BayVBl. 1980, 609; Hu­ ber, JZ 2000, 877 (882). Die Diskussion um die Anwendung der Zweistufentheorie auf die Vergabe öffentlicher Aufträge lebte in jüngster Vergangenheit hinsichtlich der Frage des Rechtsschutzes unterhalb der Schwellenwerte wieder auf (vgl. hierzu OVG Koblenz, Beschl. v. 25. 05. 2005 – 7 B 10356/05, VergabeR 2005, 478 (479); OVG Sach­ sen, Beschl. v. 13. 04. 2006 – 2 E 270/05, NZBau 2006, 393 f.; OVG Münster, Beschl. v. 11. 08. 2006 – 15 E 880/06, NVwZ-RR 2006, 842 f.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 2 B 11024/06, DÖV 2007, 39; VG Neustadt, Beschl. v. 20. 02. 2006 – 4 L 210/06, NZBau 2006, 335 (336); Prieß / Hölzl, NZBau 2005, 367 (370 f.); Ruthig, NZBau 2005, 497 (499); Tomerius / Kiser, VergabeR 2005, 551 (557)). 67 Vgl. Pietzker, Zweiteilung des Vergaberechts, S. 17 ff.; ders., NVwZ 1983, 122; Waldner, Bieterschutz, S. 118 ff.; Reidt, BauR 2000, 22 (23 f.); Ziekow / Siegel, ZfBR 2004, 30 (32 f.); Kahl, FS für Zezschwitz, S. 153 f.; Kling, Zulässigkeit vergabefremder Regelungen, S. 85; Kunert, Vergaberecht, S. 15; Tomerius / Kiser, VergabeR 2005, 551 ff. 68 Ausführlich zur Ablehnung der Zweistufentheorie im Vergaberecht BVerwG, Beschl. v. 02. 05. 2007 – 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (392), Rn. 15. Zwar hatte das BVerwG die Zweistufentheorie in einer sehr frühen Entscheidung unter Berufung auf die Rechtsauffassung von Ipsen, DVBl. 1956, 605 übernommen (vgl. BVerwG, Urt. v. 06. 06. 1958 – VII C 227/57, E 7, 89 (91)). In der darauf folgenden Ent­ scheidung wurde die Rechtsauffassung jedoch ausdrücklich aufgegeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 08. 03. 1962 – VIII C 160/60, E 14, 65 (68)). 69 Die zivilrechtliche Konzeption des Vergaberechts findet ihre gesetzliche Ausgestal­ tung beispielsweise in der Eröffnung des Rechtswegs zu den Zivilgerichten. Dies gilt sowohl für den Primärrechtsschutz (vgl. §§ 116 ff. GWB), als auch für den Sekundär­ rechtsschutz (§ 104 Abs. 2 Satz 2 GWB) (vgl. Neßler, EWS 1999, 89 (92); Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 22 III 3, Rn. 35). Des Weiteren ist im Vergaberecht auch der zivilrechtliche Grundsatz der pacta sunt servanda festgeschrieben. Gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 GWB ist mit der Erteilung des Zuschlags das Vergabeverfahren grundsätz­ lich beendet. Ein wirksam erteilter Zuschlag kann nicht mehr aufgehoben werden. 70 Kunert, Vergaberecht, S. 12; Niebuhr, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, Einleitung, Rn. 47; Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97, Rn. 75 f.; Ziekow / Siegel, ZfBR 2004, 30 (32); Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungs­ recht I, § 22, Rn. 35; Kahl, FS für Zezschwitz, S. 153 f. 71 Pietzker, Zweiteilung des Vergaberechts, S. 17 ff.; Kling, Zulässigkeit vergabefrem­ der Regelungen, S. 85.

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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und Normen grundsätzlich nicht bedienen können. Das gilt selbst dann, wenn das Handeln der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben dient. 72 Des Weiteren spricht das Vergaberecht den öffentlichen Auftraggeber gerade in seiner Eigen­ schaft als Marktteilnehmer an. Dieser nimmt zum Zwecke der Bedarfsdeckung am Marktgeschehen teil und beeinflusst den Wettbewerb. 73 Rechtsnormen, die die Träger öffentlicher Gewalt als Teilnehmer am Privatrecht betreffen, sind jedoch privatrechtlicher Natur. 74 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Rechtsansichten ist für die vor­ liegende Untersuchung jedoch nicht erforderlich. Der Streit bezieht sich allein auf die rechtliche Qualifikation des Vergabeverfahrens bis zum Abschluss des Vertrages. Nachträgliche Vertragsänderungen finden jedoch zeitlich nach Zu­ schlagserteilung und damit nach Beendigung des Vergabeverfahrens statt. Der Vertragsschluss selbst sowie die anschließende Vertragsdurchführung werden einheitlich dem Zivilrecht zugeordnet. Die Normen und Grundsätze des Zivil­ rechts finden daher unstreitig auf das Vertragsverhältnis Anwendung. Im Weite­ ren ist daher zu untersuchen, ob dies in gleicher Weise für die Grundsätze der Privatautonomie gilt.

B. Inhalt und Herleitung der Privatautonomie Maßgebliches Strukturmerkmal des Zivilrechts ist die Privatautonomie, dessen Bestandteil die Vertragsfreiheit ist. Die Vertragsfreiheit beinhaltet die Befugnis, mit einem frei gewählten Vertragspartner eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung in „thematischer Universalität und prozedualer Beliebigkeit“ zu treffen. 75 Schlie­ ßen zwei Privatpersonen nach den Regeln des Zivilrechts einen Vertrag, so kön­ nen sie gemäß dem Grundsatz der Vertragsfreiheit ihre Leistungen und Gegen­ leistungen frei aushandeln und das vereinbaren, was ihnen jeweils zweckmäßig 72 BGH, Beschl. v. 07012.1999 – XI ZB 7/99, NJW 2000, 1042 f.; BVerwG, Beschl. v. 06. 03. 1990 – 7 B 120/89, NVwZ 1990, 754; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 20. 09. 2005 – 15 E 1188/05, NZBau 2006, 67 f. Von dem Vorliegen einer öffentlichen Aufgabe kann nicht ohne Weiteres auf den öffentlich-rechtlichen Charakter ihrer Aus­ führung geschlossen werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 06. 03. 1990 – 7 B 120/89, NVwZ 1990, 754). Maßgeblich für die Zuordnung ist nicht das Ziel, sondern die Rechtsform staatlichen Handelns (so BVerwG, Beschl. v. 02. 05. 2007 – 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (391), Rn. 8). 73 Boesen, Vergaberecht, Einleitung, Rn. 3; Kraft-Lehner, Subjektive Rechte und Rechtsschutz, S. 81. 74 Ehlers, in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3, Rn. 29. Zu den Abgrenzungstheorien im Einzelnen Regler, Vergaberecht zwischen öffentlichem und pri­ vatem Recht, S. 136 ff. 75 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 3; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 72.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

und nützlich erscheint. 76 Sie können jeden beliebigen Gegenstand zum Inhalt ih­ res Vertrages machen. 77 Allein der Wille der Parteien entscheidet über Abschluss und Inhalt des Vertrages. 78 Die Privatautonomie erfasst sowohl die Vertragsfrei­ heit, d. h. die Freiheit des Einzelnen seine Lebensverhältnisse durch Vertrag eigenverantwortlich zu gestalten, 79 als auch die Abschlussfreiheit, welche dem Einzelnen das Recht gibt frei zu entscheiden, ob, mit wem und worüber er einen Vertrag schließen möchte. 80 Sie beinhaltet weiterhin, dass die Vertragsparteien den Vertragsinhalt jederzeit abändern oder veränderten Umständen anpassen, mithin nachträgliche Vertragsänderungen vornehmen können. 81 Die Privatautonomie ist ein Teil der Selbstbestimmung des Menschen und ein durch die Rechtsordnung vorgegebener und in ihr zu verwirklichender Wert, welcher in Art. 2 Abs. 1 GG seine verfassungsrechtliche Grundlage findet. 82 Das Prinzip der eigenen Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen ist nach der Rechtsprechung des BVerfG eine spezifische Ausdrucksform der allgemeinen Handlungsfreiheit. 83 Die grundrechtliche Her­ leitung der Vertragsfreiheit ist heute allgemein anerkannt. 84 Vertragsfreiheit und Privatautonomie garantieren und schützen die freie Selbstbestimmung des Ein­ 76

Maurer, DVBl. 1989, 798 (805); Henneke, in: Knack, VwVfG, Vor § 54, Rn. 33. Schwintowski, EWS 2001, 201. 78 Schwintowski, EWS 2001, 201. 79 Heinrichs, in: Palandt, BGB, Einf v § 145, Rn. 7. 80 Kramer, in: Münchener Kommentar, BGB, Vor § 145, Rn. 8; Henneke, in: Knack, VwVfG, Vor § 54, Rn. 33; Larenz / Wolf, Allgemeiner Teil, § 34, Rn. 24. 81 Kramer, in: Münchener Kommentar, BGB, Vor § 145, Rn. 18; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 101. Zu den einzelnen Ausübungsformen der Privatautono­ mie siehe auch Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 67 ff. 82 So schon BVerwG, Urt. v. 18. 02. 1955 – BverwG V C 75/54, E 1, 321 (323), wel­ ches auf die historische verfassungsrechtliche Verankerung der Privatautonomie hingewie­ sen hat. Vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 11. 07. 2006 – 1 BvL 4/00, NZBau 2007, 53 (55); Urt. v. 03. 04. 2001 – 1 BvR 2014/95, NJW 2001, 1709; Beschl. v. 04. 06. 1985 – 1 BvL 12/84, E 70, 115 (123); Beschl. v. 19. 10. 1983 – 2 BvR 298/81, E 65, 196 (210); Beschl. v. 16. 05. 1961 – 2 BvF 1/60, E 12, 341 (347); Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 101; Flume, FS DJT, S. 136; Hillgruber, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 2 I, Rn. 98; Röhl, VerwArch 86 (1995), 531 (537). 83 BVerfG, Beschl. v. 13. 05. 1986 – 1 BvR 1542/84, E 72, 155 (170); Beschl. v. 06. 02. 2001 – 1 BvR 12/92, E 103, 89 (100) sowie Nachweise in Fn. 162. Die Her­ leitung aus Art. 2 Abs. 1 GG gilt nur subsidiär. Soweit einzelne Freiheitsrechte spezi­ fische Formen einvernehmlichen rechtsgeschäftlichen Handelns unter ihren besonderen Schutz stellen, verdrängen sie die Norm des Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11. 07. 2006 – 1 BvL 4/00, NZBau 2007, 53 (55); Höfling, Vertragsfreiheit, S. 11 f., zu den Spezialgrundrechten und spezifischen Vertragsfreiheiten S. 14 ff.; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 103; Knobel, Verständnis Vertragsfreiheit, S. 120). 84 BVerfG, Beschl. v. 11. 07. 2006 – 1 BvL 4/00, NZBau 2007, 53 (55); Urt. v. 03. 04. 2001 – 1 BvR 2014/95, NJW 2001, 1709; Beschl. v. 06. 02. 2001 – 1 BvR 12/92, E 103, 89 (100); Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 101 m.w. N.; Knobel, Ver­ 77

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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zelnen zur Regelung seiner Rechtsverhältnisse. 85 Privatautonomie ist somit die grundrechtlich geschützte „Freiheit nach Belieben“. 86 Die Freiheit zur Selbstbestimmung gebietet vor allem, dass der Einzelne in Ausgestaltung seiner Beziehungen zu anderen grundsätzlich nicht durch Drit­ te, insbesondere nicht durch staatliche Stellen, bevormundet wird. 87 Die dem grundrechtlich geschützten Bereich zugeordnete Vertragsfreiheit vermittelt dem Einzelnen insoweit eine abwehrrechtliche Schutzposition. Diese beinhaltet insbe­ sondere einen Schutz vor hoheitlichen Eingriffen in abgeschlossene Verträge. 88 Als grundrechtlich verbürgtes Freiheitsrecht und Abwehrrecht gegen den Staat gewährleistet sie einen Freiraum vor richterlicher (Inhalts-) Kontrolle. Wich­ tigste Folge der Schutzposition ist somit, dass das rechtsgeschäftliche Handeln einer gerichtlichen Überprüfung weitestgehend entzogen bleibt. 89 Nur eine in diesem Sinne verstandene Vertragsfreiheit kann eine echte Rechtsposition auf ein vertraglich selbstbestimmtes Handeln begründen. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses der Privatautonomie, insbesonde­ re ihrer grundrechtlichen Herleitung, ist zu untersuchen, ob öffentliche Auftrag­ geber ihre zivilrechtlichen Verträge selbstbestimmt gestalten und auch ändern dürfen. In diesem Fall würde die grundrechtliche Schutzposition der Privatauto­ nomie Verträge des öffentlichen Auftraggebers, insbesondere auch Vertragsän­ derungen, der richterlichen Kontrolle weitestgehend entziehen.

ständnis Vertragsfreiheit, S. 111 ff.; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 53 ff.; Cornils, NJW 2001, 3758; Kaelble, ZfBR 2003, 657 (667); Höfling, Vertragsfrei­ heit, S. 8; Canaris, FS für Lerche, S. 873 (875, 878); Kling, Zulässigkeit vergabefremder Regelungen, S. 49. 85 Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 107; Knobel, Verständnis Ver­ tragsfreiheit, S. 129 a. E. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 14, weist zutreffend darauf hin, dass die Fähigkeit der Selbstbestimmung nicht gleichbedeutend mit derjenigen zur Willensäußerung ist. 86 Hillgruber, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 2 I, Rn. 122. Als Prinzip der Selbstge­ staltung der Rechtsverhältnisse bedarf sie keine über den Willen des Einzelnen hinaus­ gehende Rechtfertigung. Sie ist gekennzeichnet durch ein subjektives Belieben bzw. eine Willkür ihrer Rechtsinhaber (Kaiser, BauR 1980, 99 (104); Picker, AnwBl. 2003, 198 (199)). 87 Larenz / Wolf, Allgemeiner Teil, § 1, Rn. 2; Knobel, Verständnis Vertragsfreiheit, S. 129. 88 BVerfG, Beschl. v. 07. 02. 1990 – 1 BvR 26/84, E 81, 242 (254); Hillgruber, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 2 I, Rn. 95 f. 89 Hillgruber, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 2 I, Rn. 95 f.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

C. Das Meinungsbild

in Literatur und Rechtsprechung

Die Rechtsprechung der Vergabekammern und Vergabesenate schweigt wei­ testgehend zu dem Problem der privatautonomen Handlungsfreiheit öffentlicher Auftraggeber. Nur vereinzelt wird unreflektiert und ohne nähere Begründung auf eine Privatautonomie des öffentlichen Auftraggebers abgestellt. 90 Die Literatur und verwaltungsrechtliche Rechtsprechung ergibt hingegen ein sehr differenzier­ tes Meinungsbild. Die überwiegende Ansicht versagt den öffentlichen Auftraggebern eine – und sei es auch bloß abgeschwächte – Privatautonomie. 91 Zur Begründung wird auf den hinter dem öffentlichen Auftraggeber stehenden Staat verwiesen, der sich lediglich der Mittel des Privatrechts bediene. Dieses sei nur als „technisches, ausgeformtes Recht“ anwendbar. 92 Die Inanspruchnahme des Privatrechts ma­ che die Verwaltung nicht zum Privaten. 93 Der privatrechtlich handelnde Staat werde zudem nicht in Wahrnehmung unabgeleiteter ursprünglicher Freiheiten tätig, sondern allein in Ausübung von Kompetenzen, die ihm vom positiven Recht zugeordnet und inhaltlich bemessen und begrenzt sind. 94 Weiterhin bin­ de Art. 1 Abs. 3 GG den Staat einschließlich der vollziehenden Gewalt in all seinen Handlungsformen. 95 Das privatrechtliche Handeln der Verwaltung müsse sich daher am Rechtsstaatsprinzip messen lassen und bedürfe stets der Recht­ 90 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. 04. 2005 – VII-Verg 93/04, VergabeR 2005, 513 (516); VK Bund, Beschl. v. 13. 07. 2000 – VK 1 – 19/01, NZBau 2002, 110 (112). 91 Reidt, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, Vorb. zu § 97 –101 GWB, Rn. 9; Pache, DVBl. 2001, 1781 (1787); Kunert, Vergaberecht, S. 19; Meckies, Persönliche Haftung von Geschäftsleitern, S. 74; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 83 f., 275; Pietzker, Staatsauftrag, S. 364; Ehlers, DVBl. 1983, 422 (424); ders., Verwal­ tung in Privatrechtsform, S. 88; Ehlers, in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungs­ recht, § 3, Rn. 82; Erichsen, Staatsrecht, S. 114; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 1 III, Rn. 66; Rittner, ZHR 152 (1988), 318 (322, 327); Krebs, VVDStRL 52 (1993), 248 (256 f.); Maurer, DVBl. 1989, 789 (805); Henneke, in: Knack, VwVfG, Vor § 54, Rn. 33; Rüfner, Handbuch Staatsrecht, Bd. V, § 117, Rn. 41. 92 Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 275. 93 So Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 275; Ehlers, DVBl. 1983, 422 (423); Kunert, Vergaberecht, S. 19. 94 BVerfG, Beschl. v. 08. 07. 1982 – 2 BvR 1187/80, E 61, 82 (101) (Sasbach); Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19, Rn. 22; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 87; Maurer, DVBl. 1989, 789 (805); Henneke, in: Knack, VwVfG, Vor § 54, Rn. 33; Selmer, in: Stober / Vogel, Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, S. 78. 95 Reidt, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, Vorb. zu §§ 97 – 101 GWB, Rn. 9; Dreher, in Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 113 f.; Wal­ lerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 318; Ehlers, DVBl. 1983, 422 (424 f.); ders.; Ver­ waltung in Privatrechtsform, S. 216; Pache, DVBl. 2001, 1781 (1787); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 1 III, Rn. 65 f.; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1, Rn. 95.

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fertigung durch einen sachlichen Grund. 96 Eine Privatautonomie des Staates im Sinne eines Beliebens könne es daher nicht geben. 97 Eine andere Ansicht verwehrt sich gegen den generellen Ausschluss einer Pri­ vatautonomie zugunsten der auftragsvergebenden Verwaltung. 98 Begibt sich die öffentliche Hand in den Privatrechtsverkehr, so gebe sie ihre spezifisch hoheit­ liche Macht auf und handele selbst in Ausübung ihrer Privatautonomie. 99 Der rechtsgeschäftliche Handlungsrahmen unterliege lediglich gewissen Bindungen und Schranken, die sich aus der Grundrechtsbindung des Staates ergäben. Soweit diese aber einen Spielraum offen ließen, habe der Auftraggeber die Möglichkeit der freien Entscheidung. 100 Eine dritte Ansicht gesteht der beschaffenden Verwaltung eine Vertragsfreiheit in Form einer Dispositionsbefugnis zu. Der Begriff der Dispositionsbefugnis beschreibe das Recht der Verwaltung, die Rechtsform zu wählen und eine eigene Willensentscheidung zu treffen. 101 Jedoch sei die Befugnis der Verwaltung frei zu entscheiden, ob, mit wem und mit welchem Inhalt sie ein Rechtsverhältnis begründen will (Dispositionsbefugnis), nicht als Vertragsfreiheit im Sinne einer grundrechtlichen Freiheit anzusehen. Die Verwaltung sei insoweit an Recht und Gesetz gebunden und könne nur in diesem eng begrenzten Bereich frei agieren. 102 Eine weitere Ansicht konstruiert zugunsten des privatrechtlich handelnden Staates eine öffentlich-rechtliche Vertragsfreihei. 103 Auch hier wird an die Dis­ positionsfähigkeit der Verwaltung angeknüpft. 104 Diese bestehe zwar nur in den Grenzen, die für jedes Verwaltungshandeln gelten, wie den Verfassungs- und Ver­ 96 Ehlers, in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3, Rn. 82; ders., DVBl. 1983, 422 (424). 97 Rüfner, Handbuch Staatsrecht, Bd. V, § 117, Rn. 41. 98 Kaiser, BauR 1980, 99 (109 ff.); Waldner, Bieterschutz, S. 126 f.; wohl auch Regler, Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 135, der eine Privatautonomie des öffentlichen Auftraggebers annimmt, welche durch Bestimmungen des öffentlichen Rechts ergänzt, überlagert und modifiziert würde. 99 Kaiser, BauR 1980, 99 (109 ff.). 100 Waldner, Bieterschutz, S. 126 f. 101 Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns, S. 277. Ähnlich auch Kaelble, ZfBR 2003, 657 (668), der die Vertragsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers als eine gesetzlich zugestandene Flexibilität im Sinne des Vorliegens mehrerer Entscheidungsal­ ternativen umschreibt. 102 Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns, S. 273 f. 103 BVerwG, Urt. v. 19. 01. 1990 – 4 C 21/89, E 84, 257 (262); OVG Berlin, Urt. v. 15. 01. 1981 – OVG 6 B 27/80, NJW 1982, 954 (956); Kriebel, DÖV 1962, 766 (767); Göldner, JZ 1976, 352; wohl auch Lecheler, BayVBl. 1992, 545 ff., der eine mög­ lichst weitgehende Abschluss- und Inhaltsgestaltungsfreiheit bei Verträgen zwischen Staat und Bürger annimmt. 104 Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns, S. 276.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

waltungsprinzipien und dem Prinzip der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens. Die öffentlich-rechtliche Vertragsfreiheit unterscheide sich gleichwohl nicht von der privatrechtlichen Vertragsfreiheit, da auch dieser durch den Gesetzgeber Grenzen gezogen würden. 105 Allerdings führen die rechtsstaatlichen Bindungen zu einer gegenüber dem Privatrecht weitgehend eingeschränkteren Vertragsfrei­ heit. 106 Die öffentlich-rechtliche Vertragsfreiheit stelle sich für die Verwaltung daher als eine Erweiterung ihres – an pflichtgemäßes Ermessen gebundenen – ob­ jektiven Handlungsspielraums dar. 107

D. Stellungnahme und Untersuchung der Privatautonomie zugunsten öffentlicher Auftraggeber Den vorgenannten Ansichten ist zunächst gemein, dass öffentlichen Auftrag­ gebern keine solche Privatautonomie zugestanden wird, wie sie natürlichen Per­ sonen des Privatrechts zusteht. Allein die erste Ansicht lehnt jegliche Privatau­ tonomie zugunsten öffentlicher Auftraggeber ab. Zur Begründung wird jedoch allein auf den hinter dem öffentlichen Auftraggeber stehenden Staat verwiesen. Die Ansicht lässt unberücksichtigt, dass der vergaberechtliche Begriff des öffent­ lichen Auftraggebers auch natürliche und juristische Personen des Privatrechts erfasst. Die übrigen Ansichten bieten zwar unterschiedliche Lösungsansätze an, aus denen letztlich aber einheitlich eine eingeschränkte Vertragsfreiheit für öf­ fentliche Auftraggeber abgeleitet werden soll. Unklar bleibt, welchen Umfang und welche rechtlichen Wirkungen diese eingeschränkte Privatautonomie haben soll. Die Frage, ob öffentliche Auftraggeber auf der Grundlage ihrer zivilrecht­ lichen Verträge privatautonom agieren können, bedarf vor diesem Hintergrund einer näheren Untersuchung. Ausgehend von dem Inhalt und der Herleitung der Privatautonomie ist daher zu untersuchen, ob den öffentlichen Auftraggebern eine Befugnis zur selbstbe­ stimmten Verlängerung, Änderung und Anpassung ihrer zivilrechtlichen Verträ­ ge zukommt. Dies setzt voraus, dass dem handelnden Rechtssubjekt, vorliegend 105 Göldner, JZ 1976, 352 (358), betont, dass Wesenskern der Privatautonomie nicht das Handeln auf dem Gebiet des Privatrechts sei, sondern vielmehr das Handeln durch Private. 106 Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns, S. 272. 107 Göldner, JZ 1976, 352 (358) umschreibt das Verhältnis von zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Handlungsfreiheit als sich zwei schneidende Kreise: Wie es die Pri­ vatautonomie außerhalb der Vertragsfreiheit gebe, so existiere auch eine Vertragsfreiheit außerhalb einer Privatautonomie (behördliche Vertragsfreiheit) sowie ein Deckungsbe­ reich privatautonomer Vertragsfreiheit, nämlich der bürgerlich-rechtlichen Vertragsfrei­ heit und der öffentlich-rechtlichen Vertragsfreiheit des bürgerlichen Kontrahenten.

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dem öffentlichen Auftraggeber, in seiner jeweiligen rechtlichen Ausformung die Bedingungen der Selbstbestimmung und die rechtsgeschäftliche Entscheidungs­ autonomie von der Rechtsordnung tatsächlich zur Verfügung gestellt werden. 108 Dabei muss zunächst geklärt werden, welche Rechtssubjekte sich hinter dem allgemeinen Begriff des „öffentlichen Auftraggebers“ verbergen. In den vorge­ nannten Ansichten wurde überwiegend auf den „hinter dem öffentlichen Auftrag­ geber stehenden Staat“ abgestellt. Dies ist rechtsdogmatisch jedoch nur teilweise zutreffend. Ausgangspunkt der rechtlichen Einordnung muss der Begriff des öf­ fentlichen Auftraggebers in § 98 GWB sein. 109 Dogmatisch sind hiernach vier Rechtsformen öffentlicher Auftraggeber zu unterscheiden: • juristische Personen des öffentlichen Rechts gemäß § 98 Nr. 1 und 3 GWB (z. B. Gebietskörperschaften, Verbände, Anstalten des öffentlichen Rechts), • juristische Personen des Privatrechts in Form von öffentliche Unternehmen gemäß § 98 Nr. 2 und 4 Alt. 2 GWB, die sich zu 100 % im Eigentum des Staates befinden (sogenannte Eigengesellschaften), • juristische Personen des Privatrechts in Form von gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen gemäß § 98 Nr. 2 und 4 Alt. 2 GWB, die von der öffentlichen Hand überwiegend finanziert oder beherrscht werden, an denen aber eine private Beteiligung besteht und • natürliche und juristische Personen des Privatrechts ohne eine staatliche Be­ teiligung gemäß § 98 Nr. 4 Alt. 1, Nr. 5 und 6 GWB. Die ersten beiden Auftraggebergruppen werden im Folgenden aufgrund der engen staatlichen Bindungen dem Bereich der staatlichen öffentlichen Auftrag­ geber zugeordnet, die letzten beiden Gruppen wegen der Beteiligung Privater dem Bereich der nichtstaatlichen öffentlichen Auftraggeber. Damit steht nach der Legaldefinition des § 98 GWB nicht generell und allein der Staat hinter dem Begriff des öffentlichen Auftraggebers. Vielmehr werden auch natürliche und ju­ ristische Personen des Privatrechts mit und ohne staatliche Beteiligungen erfasst. Da die Rechtsordnung an die handelnden Rechtssubjekte je nach Rechtsform unterschiedliche Rechte und Pflichten knüpft, muss die Frage, ob öffentliche Auftraggeber unter Berufung auf die Grundsätze der Privatautonomie ihre zivilrechtlichen Verträge selbstbestimmt und ungebunden ändern können, getrennt 108 Die Vertragspartner müssen über den Abschluss und den Inhalt des Vertrages tatsächlich frei entscheiden können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06. 02. 2001 – 1 BvR 12/ 92, E 103, 89 (100); Beschl. v. 19. 10. 1993 – 1 BvR 567/89, E 89, 214 (231); Beschl. v. 07. 02. 1990 – 1 BvR 26/84, E 81, 242 (254 f.); Knobel, Verständnis Vertragsfreiheit, S. 145; Hillgruber, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 2 I, Rn. 104; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 45 f.: „grundgesetzlich formale Freiheit meint reale Freiheit“). 109 Der in § 98 GWB definierte Begriff des öffentlichen Auftraggebers entspricht im Wesentlichen der Definition der gemeinschaftsrechtlichen Vergabekoordinierungsrichtli­ nien (vgl. Art. 1 Abs. 9 VKR sowie Art. 2 SKR).

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für die staatlichen Auftraggeber (hierzu I.) und die nichtstaatlichen öffentlichen Auftraggeber (hierzu II.) untersucht werden. I. Staatliche öffentliche Auftraggeber Dem Auftraggeberbegriff des Vergaberechts unterliegen zunächst die „klassi­ schen“ öffentlichen Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 1 und 3 GWB. Dies sind der Staat, die Gebietskörperschaften, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts und die Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtun­ gen des öffentlichen Rechts bestehen. 110 Rechtsdogmatisch stellen sie juristische Personen des öffentlichen Rechts dar. Der persönliche Anwendungsbereich des § 98 GWB erfasst aber auch juristi­ sche Personen des Privatrechts, die vollständig im Eigentum des Staates stehen. Die privatrechtlich organisierten Unternehmen werden unter den Voraussetzun­ gen des § 98 Nr. 2 und Nr. 4 Alt. 2 GWB in den Anwendungsbereich des Ver­ gaberechts einbezogen. 111 Soweit die öffentliche Hand vollständiger Eigentümer des privatrechtlich organisierten Unternehmens ist (sogenannte Eigengesellschaft oder öffentliches Unternehmen), 112 sind diese aufgrund ihrer staatlichen Nähe als staatliche Auftraggeber zu qualifizieren. Der Staat hat sich bei der Erfül­ 110 Vgl. § 98 Nr. 1 und Nr. 3 GWB sowie § 98 Nr. 2 GWB, soweit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts die Rede ist. Letztere sind der mittelbaren Staatsver­ waltung hinzuzurechnen und somit ebenfalls Träger öffentlicher Gewalt (vgl. Mertens, Rügeobliegenheit, S. 144 m.w. N.). Hierzu zählen Körperschaften wie beispielsweise wissenschaftliche Hochschulen und verfasste Studentenschaften, berufsständische Ver­ einigungen (z. B. Rechtsanwalts-, Notar- oder Ärztekammern), Wirtschaftsvereinigun­ gen (insbesondere Handwerks-, Industrie- und Handelskammern), Sozialversicherungen (Krankenkassen, Unfall- und Rentenversicherungsträger), Kassenärztliche Vereinigungen, aber auch Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts wie z. B. rechtsfähige Bun­ desanstalten, Versorgungsanstalten und Studentenwerke, Kultur-, Wohlfahrts- und Hilfss­ tiftungen. 111 Gemäß § 98 Nr. 2 GWB sind öffentliche Auftraggeber juristische Personen des pri­ vaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, wenn Stellen nach § 98 Nr. 1 und 3 GWB sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwie­ gend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben. Gemäß § 98 Nr. 4 Alt. 2 GWB sind juristische Personen des privaten Rechts öffentliche Auftraggeber, die auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energiever­ sorgung oder des Verkehrs tätig sind, wenn Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 bis 3 GWB auf diese Personen einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss ausüben können. 112 Als Eigengesellschaften des Staates werden die in unmittelbarer oder mittelbarer Trägerschaft des Staates oder seiner Untergliederungen stehenden verselbständigten Or­ ganisationseinheiten bezeichnet, die in öffentlicher oder privater Rechtsform organisiert sind und sich wirtschaftlich betätigen (vgl. Spannowsky, ZHR 160 (1996), 560 (563)). Hierunter fallen z. B. Wohnungsbaugesellschaften, Krankenhäuser, Kultureinrichtungen

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lung seiner Aufgaben insoweit lediglich der Organisationsform des Privatrechts bedient. Für staatliche öffentliche Auftraggeber ist nunmehr zu untersuchen, ob diese sich bei der Änderung oder Verlängerung ihrer zivilrechtlichen Verträge auf die Freiheiten der Privatautonomie berufen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Privatautonomie eine aus den Grundrechten abgeleitete Freiheit ist. 113 Die staatlichen öffentlichen Auftraggeber müssen daher in die Schutzposition des die Privatautonomie vermittelnden Grundrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) einbezo­ gen sein. Dies setzt voraus, dass staatliche öffentliche Auftraggeber überhaupt Träger von Grundrechten sein können, also eine Grundrechtsfähigkeit besitzen (hierzu 1.). 114 Weiterhin fordert die Privatautonomie, dass die Rechtsordnung dem handelnden Rechtssubjekt die Fähigkeit zur freien und ungebundenen Wil­ lensäußerung zugesteht. 115 In diesem Zusammenhang sind rechtliche Bindungen des jeweiligen Rechtssubjekts zu untersuchen, die einer solchen Fähigkeit zum selbstbestimmten Handeln entgegenstehen können (hierzu 2.). 1. Grundrechtsfähigkeit staatlicher öffentlicher Auftraggeber Staatliche öffentliche Auftraggeber können sich nur dann auf die Schutzposi­ tion von Grundrechten berufen, wenn sie selbst Träger von Grundrechten sind. Hiermit wird die Frage nach der Grundrechtsfähigkeit des Staates gestellt. Im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung ist zwischen staatlichen öffentlichen Auftraggebern in Form von juristischen Personen des öffentlichen Rechts und solchen des Privatrechts zu trennen. Bei letzteren bedient sich der Staat nicht nur der privatrechtlichen Handlungsform, sondern auch der privatrechtlichen Organisationsform.

wie Museen, Theater etc., Schwimmbäder (Berliner Bäderbetriebe), sonstige Sport- und Freizeiteinrichtungen etc. 113 Hierzu Kapitel 2.B. 114 Die Ausdehnung des Grundrechtsschutzes auf staatliche Auftraggeber in Form von juristischen Personen des öffentlichen Rechts bedarf vor allem im Hinblick auf Art. 19 Abs. 3 GG einer näheren Untersuchung (Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 78). Hiernach gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Unter den Begriff der juristischen Person im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG fallen Personenvereinigungen oder Organisationseinheiten, denen die Rechtsordnung die Fähigkeit zuerkennt, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Dem Wortlaut nach unterscheidet Art. 19 Abs. 3 GG insbesondere nicht zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts und solchen des privaten Rechts. 115 Hierzu Kapitel 2.B.

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a) Grundrechtsfähigkeit staatlicher Auftraggeber in Form von juristischen Personen des öffentlichen Rechts Nach der Rechtsprechung des BVerfG finden Grundrechte auf juristische Per­ sonen des öffentlichen Rechts grundsätzlich keine Anwendung. 116 Grundrechte dienen vorrangig dem Schutz des Einzelnen gegen Eingriffe staatlicher Ge­ walt. 117 Hinter der juristischen Person des öffentlichen Rechts stünden jedoch keine natürlichen Personen, sondern allein der Staat (personales Substrat). 118 Dieser könne nicht gleichzeitig Verpflichteter und Berechtigter der Grundrechte sein. 119 Diese Grundsätze seien auch dann anzuwenden, wenn der Staat außerhalb des Bereichs der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben tätig werde. Zwischen der unmittelbaren und der mittelbaren Erfüllung öffentlicher Aufgaben besteht nach der Auffassung des BVerfG kein Unterschied. 120 Auch in dem Fall der mittelba­ ren Erfüllung öffentlicher Aufgaben sei ein Verwaltungsträger nicht in gleicher 116 BVerfG, Beschl. v. 02. 05. 1967 – 1 BvR 578/63, E 21, 362 (369 ff.) (Sozialver­ sicherungsträger); Beschl. v. 09. 04. 1975 – 2 BvR 879/73, E 39, 302 (312 f.) (AOK); Beschl. v. 07. 06. 1977 – 1 BvR 108, 424/73, 226/74, E 45, 63 (78 ff.) (Stadtwerke Hameln AG); Beschl. v. 08. 12. 1982 – 1 BvR 12/79, E 62, 354 (369) (Kassenärztli­ che Vereinigung); Beschl. v. 31. 10. 1984 – 1 BvR 35/82, E 68, 193 (205 ff.) (Innungs­ verband); Beschl. v. 14. 04. 1987 – 1 BvR 775/84, E 75, 192 (195 ff.) (Sparkassen); Beschl. v. 15. 08. 1994 – 1 BvR 1430/94, NJW 1995, 582 f. (Sparkassen); Beschl. v. 01. 09. 2000 – 1 BvR 178/00, NVwZ-RR 2001, 93 (Berufsgenossenschaft). Dem BVerfG folgend Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. III, Rn. 33 ff.; Badura, DÖV 1990, 353 (354); Krüger / Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19, Rn. 89 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. III/ 1, S. 1149 ff.; Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 311 f.; Starck, JuS 1977, 732 (734 f.); Bethge, AöR 104 (1979), 54 (86 ff.); 265 (297 f.); ders., NVwZ 1985, 402 (403). 117 BVerfG, Beschl. v. 08. 07. 1982 – 2 BvR 1187/80, E 61, 82 (100 f.) (Sas­ bach); Beschl. v. 31. 10. 1984 – 1 BvR 35/82, E 68, 193 (205) (Innungsverband); Beschl. v. 20. 02. 1986 – 1 BvR 859, 937/81, NJW 1987, 2501 f. (TÜV); Beschl. v. 01. 09. 2000 – 1 BvR 178/00, NVwZ-RR 2001, 93 (Berufsgenossenschaft). 118 Sogenanntes Durchgriffsargument bzw. Erfordernis eines personalen Substrats: Juristische Personen seien in den Anwendungsbereich der Grundrechte einbezogen, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen sind, besonders wenn der „Durchgriff“ auf die hinter den juristischen Personen stehenden Menschen als sinnvoll und erforderlich erscheint (BVerfG, Beschl. v. 02. 05. 1967 – 1 BvR 578/63, E 21, 362 (369) (Sozialversicherungsträger)). 119 Sogenanntes Konfusionsargument: Grundrechtsberechtigung und -bindung sollen nicht konfundiert, also verwechselt werden (BVerfG, Beschl. v. 02. 05. 1967 – 1 BvR 578/63, E 21, 362 (369 f.) (Sozialversicherungsträger)). 120 Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 08. 07. 1982 – 2 BvR 1187/80, E 61, 82 (103 f.) (Sasbach); Beschl. v. 14. 04. 1987 – 1 BvR 775/84, E 75, 192 (197) (Sparkassen). Es komme allein auf die Funktion der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und gere­ gelter öffentlicher Aufgaben an (vgl. BVerfG, Beschl. v. 31. 10. 1984 – 1 BvR 35/82, E 68, 193 (208) (Innungsverband); Beschl. v. 14. 04. 1987 – 1 BvR 775/84, E 75, 192 (197) (Sparkassen); Beschl. v. 20. 09. 1995 – 1 BvR 597/95, NJW 1996, 1588 f. (Kas­ senärztliche Vereinigung); Beschl. v. 23. 01. 1997 – 1 BvR 1317/86, NJW 1997, 1634 (Ärztekammer)).

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Weise gefährdet wie eine Privatperson, sodass eine Schutzbedürftigkeit nach den Grundrechten nicht anzunehmen sei. 121 Nach der im Schrifttum vertretenen herrschenden Auffassung 122 soll die Grund­ rechtsfähigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts danach be­ stimmt werden, ob sie sich gegenüber dem eingreifenden Hoheitsträger in ei­ nem Außenrechtsverhältnis und damit in einer grundrechtstypischen Gefähr­ dungslage befinde. 123 Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind demnach grundrechtsfähig, wenn sie dem Staat in Bezug auf ein konkretes Verhalten als rechtlich selbstständiges Rechtssubjekt gegenübertreten. 124 Dies ist dann nicht der Fall, wenn sie eine in die Staatsorganisation eingebundene weisungsabhän­ gige Verwaltungseinheit darstellen. Eine grundrechtstypische Gefährdungslage wäre dann ausgeschlossen. 125 Soweit die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts zu versagen sei, betreffe dies auch die privatrechtlichen Hilfsgeschäfte der Verwaltung. Dem Staat wachse allein durch die Teilnahme am Markt keine Grundrechtssubstanz zu. 126 Sowohl nach Ansicht des BVerfG als auch nach Ansicht des herrschenden Schrifttums sind im Ergebnis die Grundrechte ihrem Wesen nach grundsätzlich nicht auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar. 127 Dies gilt übereinstimmend auch dann, wenn der Staat sich privatrechtlicher Handlungs­ formen bedient, also zivilrechtliche Verträge abschließt. Auf die vorliegende Untersuchung übertragen bedeutet dies, dass sich öffentliche Auftraggeber in 121 BVerfG, Beschl. v. 08. 07. 1982 – 2 BvR 1187/80, E 61, 82 (105) (Sasbach); Beschl. v. 14. 04. 1987 – 1 BvR 775/84, E 75, 192 (197) (Sparkassen). 122 Vgl. auch die Übersichten bei Schoch, Jura 2001, 201 (204 ff.); Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rn. 154 ff.; Wirth, JA 1998, 820 ff.; v. Mutius, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 3, Rn. 82; Kröger, JuS 1981, 26 (29). 123 v. Mutius, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 3, Rn. 114; ders., Jura 1983, 30 (35, 40 f.); Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rn. 152, 160; Kröger, JuS 1981, 26 (29); Hornig, MMR 1998, 156 (158); Hartung, DÖV 1992, 393 (400). 124 Nach der Ansicht der Literatur wäre es beispielsweise möglich, dass eine Ge­ meinde sich zum Schutze ihres Eigentums gegenüber dem Staat auf Art. 14 GG berufen könnte (vgl. Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rn. 163). Anders jedoch BVerfG, Beschl. v. 08. 07. 1982 – 2 BvR 1187/80, E 61, 82 (103 ff.) (Sasbach), welches die Grundrechtsfä­ higkeit einer Gemeinde verneinte. 125 Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rn. 162; Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (88); Schoch, Jura 2001, 201 (205) unter Bezugnahme auf BayVerfGH, Entscheidung v. 23. 07. 1997 – Vf. 14-VII-95, NJWE-VHR 1997, 2 ff. 126 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19, Rn. 57; Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. III, Rn. 45; Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 19, Rn. 41; Bethge, AöR 104 (1979), 265 (273 f.); Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 83 f.; v. Mutius, in: Bonner Kom­ mentar, GG, Art. 19 Abs. 3, Rn. 127; Kröger, JuS 1981, 26 (29); Erichsen / Ebber, Jura 1999, 373 (375); Kaelble, ZfBR 2003, 657 (667). 127 Die Ansichten unterscheiden sich lediglich im Grundrechtsverständnis bzw. im Begründungsansatz (vgl. Roellecke, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 19 I-III, Rn. 130 ff.).

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

Form von juristischen Personen des Privatrechts bei ihrer Beschaffungstätigkeit nicht auf die Grundrechte berufen können. Allein die Wahl der zivilrechtlichen Handlungsform im Rahmen der fiskalischen Beschaffungstätigkeit eröffnet kei­ nerlei Grundrechtsberechtigung. 128 Auch eine grundrechtstypische Gefährdungs­ lage dieser Vergabestellen, wie sie das Schrifttum fordert, liegt nicht vor. Die Vergabestelle tritt bei ihrer Beschaffungstätigkeit nicht dem Staat als selbststän­ diges Rechtssubjekt gegenüber, sondern einem privaten Partner. Ein aus den Grundrechten abgeleitetes Schutzbedürfnis besteht daher nicht. Staatliche Auf­ traggeber in Form von juristischen Personen des öffentlichen Rechts können sich daher mangels Grundrechtsfähigkeit im Rahmen ihrer Beschaffungstätig­ keit nicht auf die Grundrechte und somit auch nicht auf die grundrechtliche Schutzposition der Vertragsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG berufen. b) Grundrechtsfähigkeit staatlicher Auftraggeber in Form von juristischen Personen des Privatrechts Nachdem die fehlende Grundrechtsfähigkeit staatlicher Auftraggeber in Form von juristischen Personen des öffentlichen Rechts festgestellt wurde, ist nun zu untersuchen, ob sich hieran etwas ändert, wenn der Staat sich nicht bloß der privatrechtlichen Handlungsform, sondern auch der privatrechtlichen Organisati­ onsform bedient und als privatrechtlich organisiertes öffentliches Unternehmen seine Beschaffungen vornimmt. Das BVerfG bezieht seine restriktive Rechtsprechung zur fehlenden Grund­ rechtsfähigkeit auch auf die Fälle, in denen sich juristische Personen des öf­ fentlichen Rechts zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben privatrechtlich or­ ganisieren. 129 Eine fehlende Grundrechtsfähigkeit des Staates solle nicht durch Gründung einer juristischen Person des Zivilrechts unterlaufen werden können. 130 Andernfalls wäre die Frage der Grundrechtsfähigkeit der öffentlichen Hand im nicht geringen Umfang abhängig von den durch den Staat wählbaren Organi­ sationsformen. 131 Öffentliche Unternehmen müssen sich daher hinsichtlich der Grundrechtsfähigkeit genauso behandeln lassen wie der dahinter stehende Ver­ waltungsträger selbst. 132 Auch im Schrifttum besteht weitgehend Einigkeit über die prinzipiell fehlende Grundrechtsberechtigung der öffentlichen Hand, wenn diese in der Organisati­ 128

Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 83 f.; Kaelble, ZfBR 2003, 657 (667). BVerfG, Beschl. v. 07. 06. 1977 – 1 BvR 108, 424/73, 226/74, E 45, 63 (78 ff.) (Stadtwerke Hameln AG); Beschl. v. 31. 10. 1984 – 1 BvR 35/82, E 68, 193 (212 f.) (Innungsverband); Beschl. v. 14. 04. 1987 – 1 BvR 775/84, E 75, 192 (200) (Sparkassen). 130 Beschl. v. 31. 10. 1984 – 1 BvR 35/82, E 68, 193 (212 f.) (Innungsverband). 131 BVerfG, Beschl. v. 07. 06. 1977 – 1 BvR 108, 424/73, 226/74, E 45, 63 (80) (Stadt­ werke Hameln AG). 132 BVerfG, Beschl. v. 16. 05. 1989 – 1 BvR 705/88, NJW 1990, 1783 (HEW). 129

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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onsform des Privatrechts auftritt. 133 Zur Begründung wird auf die Interessen­ identität zwischen der juristischen Person des Privatrechts und der dahinter stehenden öffentlichen Verwaltung verwiesen. 134 Privatrechtsvereinigungen, die sich in öffentlicher Hand befinden, seien nur eine besondere Erscheinungsform der öffentlichen Verwaltung. In konsequenter Weiterführung der Irrelevanz der Privatrechtsform gelte die Versagung der Grundrechtsfähigkeit daher auch für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben unter Inanspruchnahme privatrechtlicher Or­ ganisationsformen. 135 Auch diese öffentlichen Unternehmen können sich nicht auf die Individualgrundrechte berufen. 136 Rechtsprechung und herrschende Literatur stimmen mithin darin überein, dass Organisations- und Handlungsformen der öffentlichen Hand keinen Einfluss auf deren fehlende Grundrechtsberechtigung besitzen. Selbst wenn sich die Verwal­ tung bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben privatrechtlich organisierter Eigengesellschaften bedient, wird sie nicht zum Träger von Grundrechten. Staat­ lichen öffentlichen Auftraggebern in Form von Eigengesellschaften bleibt daher ebenfalls die Berufung auf die Grundrechte und deren Schutzfunktion versagt. Auch diese können sich somit nicht auf das in Art. 2 Abs. 1 GG enthaltene Recht zur Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse berufen. c) Zwischenergebnis Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass staatliche öffentliche Auf­ traggeber sich nicht auf den Schutz und die Gewährleistung der Grundrechte stützen können. Sie sind damit auch nicht in die Schutzposition des die Vertrags­ freiheit gewährleistenden Grundrechts einbezogen. Dies gilt unabhängig davon, ob der öffentliche Auftraggeber in Form der juristischen Person des öffentlichen Rechts oder aber als privatrechtliches Unternehmen des Staates organisiert ist. 133 Badura, DÖV 1990, 353 (354); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 III, Rn. 68; Krüger / Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19, Rn. 110 f.; Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 19, Rn. 42; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1156 f.; Roellecke, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 19 I­ III, Rn. 132. 134 Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3109); Wirth, JA 1998, 820 (822). 135 Starck, JuS 1977, 732 (736); Hartung, DÖV 1992, 393 (396 f.); Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 84 im Anschluss an BVerfG, Beschl. v. 07. 06. 1977 – 1 BvR 108, 424/73, 226/74, E 45, 63 (80) (Stadtwerke Hameln AG). 136 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 III, Rn. 70; Badura, DÖV 1990, 353 (354); Schoch, Jura 2001, 201 (205); Mögele, NJW 1983, 805; a. A. Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (87 f.); wohl auch Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 120 f., welcher den öffentlichen Unternehmen die Grundrechtsberechtigung zugesteht, zugleich aber alle Handlungen un­ tersagt, die das Muttergemeinwesen auch nicht vornehmen darf. Die Grundrechtsberech­ tigung schaffe hiernach keine gegenüber der öffentlichen Hand hinausgehende Rechtspo­ sition. Ähnlich v. Mutius, Jura 1983, 30 (41 f.); Wirth, JA 1998, 820 (für die Deutsche Post AG), der sich allerdings auf eine grundrechtstypische Gefährdungslage beruft.

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Da staatliche öffentliche Auftraggeber nicht Träger des die Privatautonomie und Vertragsfreiheit stützenden Grundrechts sind, lässt sich hieraus auch keine Frei­ heit zum Abschluss und zur inhaltlichen Gestaltung ihrer Verträge ableiten. 137 2. Fähigkeit zum selbstbestimmten Handeln Nach dem Inhalt der Privatautonomie könnte eine Vertragsgestaltungsfreiheit aber auch aus einer von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten tatsäch­ lichen Fähigkeit zur freien und ungebundenen Willensäußerung abgeleitet wer­ den. 138 Ob die Rechtsordnung staatlichen öffentlichen Auftraggebern eine solche Freiheit gewährt, ist im Folgenden zu untersuchen. Im Rahmen der Untersuchung ist zu berücksichtigen, dass der Staat bei der unmittelbaren Erfüllung seiner Aufgaben grundsätzlich öffentlich-rechtlichen Bindungen unterliegt, vor allem solche an die Grundrechte und die Struktur­ prinzipien der Verfassung. 139 Zu den wichtigsten Strukturprinzipien der Verfas­ sung gehören das Rechtsstaatsprinzip, die strikte Bindung staatlicher Gewalt an Recht und Gesetz und der Gleichheitssatz. Hieraus folgen wiederum materielle Gerechtigkeitsprinzipien wie das Übermaßgebot und das Willkürverbot. 140 Die­ se verbieten dem staatlich handelnden Subjekt ein Recht zur Gestaltung nach Belieben oder gar eine Willkür. Vielmehr fordert das Willkürverbot stets ein vernünftiges, aus sachlichen Gründen gerechtfertigtes Handeln sowie eine sach­ liche Begründung der Entscheidungen. 141 Grundprinzip der Vertragsfreiheit ist hingegen die Gestaltung der Rechtsverhältnisse nach dem Belieben ihrer Trä­ ger. Die Privatautonomie fragt nicht nach (sachlichen) Gründen oder gar der 137 Ehlers, DVBl. 1983, 422 (424); Röhl, VerwArch 86 (1995), 531 (537); Spannow­ sky, Grenzen des Verwaltungshandelns, S. 275. Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 311, Fn. 66, betont, dass die fehlende Privatautonomie in erster Linie auf der fehlenden Grundrechtsberechtigung des Staates beruht und erst in zweiter Linie auch Ergebnis der Grundrechtsbindung ist. 138 Hierzu Kapitel 2.B. 139 Die Fragen der Grundrechtsfähigkeit und der Grundrechtsbindung gehen nicht in der Weise einher, dass die Versagung der einen zugleich eine Bejahung der anderen zur Folge hätte. Vielmehr ist es möglich zugleich Träger und Verpflichteter der Grundrechte zu sein (vgl. Universitäten, Kirchen, Rundfunkanstalten). Die Grundrechtsverpflichtung beschreibt insoweit den status activus, also die Einflussmöglichkeiten auf staatliches Handeln. Die Grundrechtsberechtigung beinhaltet hingegen den status negativus, die Abwehr staatlicher Beeinträchtigungen, (so v. Arnauld, DÖV 1998, 450). 140 BGH, Urt. v. 17. 06. 2003 – XI ZR 195/02, NJW 2003, 2451 (2453); Ehlers, Ver­ waltung in Privatrechtsform, S. 86; ders., DVBl. 1983, 422 (425); Dörr, DÖV 2001, 1014 (1017); Waldner, Bieterschutz, S. 125. 141 Das Willkürverbot ist Ausfluss des Gleichheitssatzes und ein Strukturprinzip der Verfassung. Dabei gilt das Willkürverbot des Art. 20 Abs. 3 GG unabhängig vom Vorlie­ gen einer Ungleichbehandlung (vgl. Kaelble, ZfBR 2003, 657 (668) m.w. N.).

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Vernunft des Handelns. 142 Dies bedeutet aber, dass die verfassungsrechtlichen Prinzipien des Gleichheitssatzes, insbesondere das Willkürverbot, die „logische Negation“ der Privatautonomie darstellen. 143 Beide Prinzipien, Willkürverbot und Privatautonomie, sind „schlechthin unverträglich“. 144 Vor diesem Hintergrund ist daher nachfolgend zu untersuchen, ob staatliche öf­ fentliche Auftraggeber auch im Rahmen ihres privatrechtlichen Handelns an die Grundrechte bzw. an die Strukturprinzipien der Verfassung (Rechtsstaatsprinzip, Gleichheitssatz, Willkürverbot) gebunden bleiben. Eine solche Bindung würde mit der Annahme einer privatautonomen Vertragsgestaltungsfreiheit schlechthin unverträglich sein, diese somit ausschließen. Anderes würde aber dann gelten, wenn sich der Staat im Rahmen seines privatrechtlichen Handelns öffentlich­ rechtlicher Bindungen entledigen könnte. Mit dieser Frage wird allgemein der Problemkreis der „Fiskalgeltung der Grundrechte“ angesprochen. 145 a) Meinungsstand Das BVerfG hat die Geltung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG und das hieraus abgeleitete Willkürverbot für die privatrechtlich handelnde Verwal­ tung stets betont. 146 Für ihr Handeln bedarf es stets eines sachlichen Grundes. 147 Jede staatliche Stelle hat unabhängig von der Handlungsform und dem betrof­ fenen Lebensbereich die in dem Gleichheitssatz niedergelegte Gerechtigkeits­ vorstellung zu beachten. 148 Dieses Handeln ist anders als die in freiheitlicher Selbstbestimmung erfolgende Tätigkeit eines Privaten stets dem Gemeinwohl verpflichtet. 149 Denn Hoheitsträger handeln nicht in Ausübung ihrer Freiheits­

142 Zur Maxime„stat pro ratione voluntas“ – anstelle der Vernunft gilt der Wille – Flu­ me, FS DJT, S. 135 (141 ff.); Canaris, FS für Lerche, S. 873 (881); Picker, AnwBl. 2003, 198 (199). 143 Flume, FS DJT, S. 135, 140 (141); Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 (33). 144 Hillgruber, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 2 I, Rn. 122, i. d. S. auch Isensee, in: Kirchhof / Isensee, Handbuch Staatsrecht, Bd. V., § 111, Rn. 135. Flume, FS DJT, S. 135 (140 f.), weist darauf hin, dass die privatautonome Gestaltung einem rechtlichen Urteil über Richtigkeit und Unrichtigkeit nicht zugänglich ist. Ebenso Canaris, FS für Lerche, S. 873 (884, 887); Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 (33). Bezogen auf das Vergaberecht Kaelble, ZfBR 2003, 657 (668). 145 Vgl. die ausführliche Darstellung zur Entwicklung und zum Meinungsbild der „Fiskalgeltung der Grundrechte“ bei Kling, Zulässigkeit vergabefremder Regelungen, S. 41 ff. 146 BVerfG, Beschl. v. 13. 06. 2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 (794), Rn. 65. 147 BVerfG, Beschl. v. 13. 06. 2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 (796), Rn. 89. 148 BVerwG, Beschl. v. 02. 05. 2007 – BVerwG 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (391), Rn. 10; BGH, Urt. v. 17. 06. 2003 – XI ZR 195/02, NJW 2003, 2451 (2453). 149 BVerfG, Beschl. v. 13. 06. 2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 (794), Rn. 64.

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rechte, sondern allein in der Wahrnehmung ihnen zugewiesener Kompetenzen, die vom öffentlichen Recht inhaltlich begrenzt und bemessen sind. 150 Nach Auffassung des BGH und des BVerwG darf die öffentliche Hand bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht willkürlich handeln und soll zumindest an den Gleichheitssatz gebunden sein. 151 Das aus dem Gleichheitssatz folgen­ de Willkürverbot, das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Übermaßgebot und das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs binde jede Art von Verwaltung, auch solche in privatrechtlicher Form. 152 Diese Grundsätze seien insbesondere bei der Beurteilung heranzuziehen, ob die in privatrechtlicher Form handelnde Verwaltung ihren Ermessensspielraum fehlerfrei ausübt. 153 Die Grundrechtsgel­ tung würde nicht durch das Privatrecht verdrängt, sie ergänze, überlagere und modifiziere vielmehr ihrerseits das Privatrecht. 154 Andere Teile der Rechtsprechung, insbesondere die vergaberechtliche Recht­ sprechung, vertreten hingegen eine vollumfängliche unmittelbare Grundrechts­ bindung des fiskalisch sowie des erwerbswirtschaftlich tätigen Staates. 155 Art. 1 Abs. 3 GG binde die Verwaltung in all ihren Handlungsformen an Recht und Gesetz und knüpfe gerade nicht an eine bestimmte Handlungsform an. 156 Auch 150

BVerfG, Beschl. v. 08. 07. 1982 – 2 BvR 1187/80, E 61, 82 (101) (Sasbach); Beschl. v. 31. 10. 1984 – 1 BvR 35/82, E 68, 193 (206) (Innungsverband). 151 BGH, Urt. v. 14. 12. 1976 – VI ZR 251/73, NJW 1977, 628 (629 f.); Urt. v. 23. 09. 1969 – VI ZR 19/68, BGHZ 52, 325 (328); Urt. v. 26. 11. 1975 – VIII ZR 164/74, BGHZ 65, 284 (287); Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 10. 04. 1986 – GmS-OGB 1/85, BGHZ 97, 312 (317). Der BGH, Beschl. v. 18. 01. 2000 – KVR 23/98, NZBau 2000, 189 ff., setzt die Grundrechtsbindung kon­ kludent voraus, indem es in dem Verhalten des öffentlichen Auftraggebers eine Verlet­ zung der negativen Koalitionsfreiheit bejahte. Offengelassen hingegen BGH, Beschl. v. 19. 12. 2000 – X ZB 14/00, VergabeR 2001, 71 (75). 152 BGH, Urt. v. 17. 06. 2003 – XI ZR 195/02, NJW 2003, 2451 (2453); BVerwG, Beschl. v. 02. 05. 2007 – BVerwG 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (391), Rn. 10. 153 BGH, Urt. v. 17. 06. 2003 – XI ZR 195/02, NJW 2003, 2451 (2453). 154 BVerwG, Beschl. v. 02. 05. 2007 – 6 B 10.07, NZBau 2007, 389 (391), Rn. 9; BGH, Urt. v. 05. 07. 2005 – X ZR 60/04, NJW 2005, 2919 (2922); Urt. v. 17. 06. 2003 – XI ZR 195/02, NJW 2003, 2451 (2453); Urt. v. 17. 06. 2003 – XI ZR 195/02, BGHZ 155, 166 (175); Urt. v. 10. 10. 1991 – III ZR 100/90, BGHZ 115, 311 (318); Urt. v. 05. 04. 1984 – III ZR 12/83, BGHZ 91, 84 (96); Kling, Zulässigkeit vergabe­ fremder Regelungen, S. 53; Ehlers, DVBl. 1983, 422 (423). 155 VK Bund, Beschl. v. 29. 04. 1999 – VK 1 – 7/99, NJW 2000, 151 (153); OLG Brandenburg, Beschl. v. 03. 08. 1999 – 6 Verg 1/99, NVwZ 1999, 1142 (1146); OLG Stuttgart, Urt. v. 11. 04. 2002 – 2 U 240/01, ZfBR 2002, 517 (518). 156 VK Bund, Beschl. v. 29. 04. 1999 – VK 1 – 7/99, NJW 2000, 151 (153); OLG Bran­ denburg, Beschl. v. 03. 08. 1999 – 6 Verg 1/99, NVwZ 1999, 1142 (1146). Allerdings begibt sich die Rechtsprechung insoweit in Widerspruch als sie nach Zuschlagsentschei­ dung von der Geltung der Privatautonomie für den öffentlichen Auftraggeber ausgeht (vgl. VK Bund, Beschl. v. 13. 07. 2000 – VK 1 – 19/01, NZBau 2002, 110 (112)).

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im Rahmen dieser Ansicht wird betont, dass die Grenzen fiskalischen Handelns sich vor allem aus dem Gleichheitsgebot und dem Willkürverbot ergäben. 157 Die herrschende Auffassung in der Literatur befürwortet ebenfalls eine „Fis­ kalgeltung der Grundrechte“, insbesondere die Geltung des Gleichheitssatzes. 158 Art. 1 Abs. 3 GG binde den Staat in all seinen Handlungs- und Organisations­ formen. 159 Hiermit sei es unvereinbar, einen Teil der staatlichen Verwaltung aus dem Geltungsbereich der Grundrechte auszunehmen. 160 Eine Staatlichkeit außer­ halb des Grundgesetzes existiere nicht. 161 Auch bei der Auftragsvergabe und der 157 OLG Brandenburg, Beschl. v. 03. 08. 1999 – 6 Verg 1/99, NVwZ 1999, 1142 (1146). 158 Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1, Rn. 95 m.w. N.; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 1 III, Rn. 66; Puhl, VVDStRL 60 (2001), 456 (477 f.); Pietzker, Zweiteilung des Vergaberechts, S. 17; ders., NZBau 2003, 242 (243); ders., Staatsauftrag, S. 366 ff.; ders., NVwZ 1983, 121; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 214 ff.; ders., DVBl. 1983, 422 (424 f.); Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 309 ff.; Huber, Konkurrenzschutz, S. 315; ders., JZ 2000, 877 (878); Hermes, JZ 1997, 909 (912); Reidt, in: Reidt / Stick­ ler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, Vorb. zu §§ 97 – 101 GWB, Rn. 9, 12; Kunert, Ver­ gaberecht, S. 20 f.; Meckies, Persönliche Haftung von Geschäftsleitern, S. 73 f.; Waldner, Bieterschutz, S. 124 f.; Mertens, Rügeobliegenheit, S. 145; Dörr, DÖV 2001, 1014 (1015); Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97, Rn. 114; Niebuhr, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, § 97, Rn. 241; Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rn. 171; Stern, Staatrecht, Bd. III/1, S. 1416 f.; Eggers / Malmendier, NJW 2003, 780 (782); Grzeszick, DÖV 2003, 649 (653); Kaelble, ZfBR 2003, 657 (668); Burgi, in: Storr: Öffentliche Unternehmen, 97 (101 f.); ders., NZBau 2001, 64 (65); Pache, DVBl. 2001, 1781 (1787); Malmendier, DVBl. 2000, 963 (964 f.); Huber, JZ 2000, 877 (878); Reidt, BauR 2000, 22 (25); Erichsen / Ebber, Jura 1999, 373 (375); Schnapp, JuS 1989, 1 (6); Gusy, DÖV 1984, 872 (878); Löw, DÖV 1957, 879 (880); Ziekow / Siegel, ZfBR 2004, 30 (35); Kahl, FS für Zezschwitz, S. 158. 159 So schon Löw, DÖV 1957, 879 (880); aus der neueren Literatur Ehlers, in: Erich­ sen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3, Rn. 81; ders., DVBl. 1983, 422 (424 f).; Reidt, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, Vorb. zu §§ 97 –101 GWB, Rn. 9; Huber, Konkurrenzschutz, S. 442. Speziell zur Vergabe öffentlicher Aufträge Kael­ ble, ZfBR 2003, 657 (668) m.w. N.; Gusy, DÖV 1984, 872 (878); Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, Vor § 97 ff., Rn. 10 f. Zur Be­ gründung wird regelmäßig auf die Entstehungsgeschichte des Art. 1 Abs. 3 GG verwiesen, wonach der Begriff der „vollziehenden Gewalt“ anstelle des Begriffs „Verwaltung“ einge­ fügt wurde, um eine umfassende Geltung – z. B. auch für die Streitkräfte – zu bewirken (vgl. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. 03. 1956, BGBl. I, S. 111). 160 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 215 f.; ders., DVBl. 1983, 422 (425); Löw, DÖV 1957, 879 (880); Waldner, Bieterschutz, S. 124; Schnapp, JuS 1989, 1 (6). Huber, JZ 2000, 877 (878) sowie Grzeszick, DÖV 2003, 649 (653) weisen darauf hin, dass der Bürger auch im Bereich des privatrechtlichen Handelns des Staates vor Grund­ rechtsbeeinträchtigungen desselben geschützt werden müsse. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die dem Staat eröffnete Möglichkeit, die öffentliche Auftragsvergabe als Wirtschaftslenkung einzusetzen. 161 Hermes, JZ 1997, 909 (912); Dörr, DÖV 2001, 1014 (1015); Malmendier, DVBl. 2000, 963 (965).

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

Bedarfsdeckung handle der Staat nicht als grundrechtsgeschützter Privater. 162 Grundmotivation allen staatlichen Handelns sei vielmehr das öffentliche Interes­ se und nicht die Privatnützigkeit. 163 Dem Staat stehe nirgends wie ein Privater das Recht zur Beliebigkeit zu. 164 Dieser könne sich nicht durch Inanspruch­ nahme privatrechtlicher Handlungs- und Organisationsformen seiner öffentlich­ rechtlichen Bindungen entledigen, eine „Flucht in das Privatrecht“ sei ihm nicht möglich. 165 Die Bindung an Art. 1 Abs. 3 GG gilt nach der vorgenannten Ansicht auch für öffentliche Unternehmen, die im Alleinbesitz eines oder mehrerer öffent­ lich-rechtlicher Gesellschafter stehen. 166 Dem Staat sei es verwehrt, sich durch die Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform dem Geltungsbereich des Art. 1 Abs. 3 GG zu entziehen. 167 Die Eigengesellschaften würden nur rechts­ technisch abgesonderte Erscheinungsformen des Staates darstellen. Sie gehören ebenfalls zur vollziehenden Gewalt und unterliegen daher der Grundrechtsbin­ dung. 168 Das Privatrecht stelle dem Staat insoweit nur Handlungsinstrumente zur Verfügung. 169 Er würde durch die privatrechtliche Betätigung nicht zur pri­ vatautonomen oder wirtschaftlichen Einheit der ihn tragenden Individuen. Die Verwaltung – gleich ob öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert – sei insoweit an Recht und Gesetz gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG, 20 Abs. 3 GG). Ihre rechtlichen Befugnisse seien stets vom Gesetzgeber vorgegeben. 170 162 Dies belege schon ein Blick auf die Verdingungsordnungen, die EG-Vergabericht­ linien und das Preisrecht (so Pietzker, NVwZ 1983, 121). Zur Differenzierung zwischen dem „privatrechtlich-handelnden Staat“ und einem „Privaten“: Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 312 ff. 163 Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1, Rn. 95 m.w. N.; Kling, Zulässigkeit vergabefremder Regelungen, S. 48 und 65 unter Hinweis auf Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1404; Ehlers, DVBl. 1983, 422. 164 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, Vor §§ 97, Rn. 114; Pache, DVBl. 2001, 1781 (1787); i. d. S. auch Niebuhr, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, § 97, Rn. 241. 165 Ehlers, DVBl. 1983, 422. 166 Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1, Rn. 96 m.w. N.; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 1 III, Rn. 69 m.w. N.; Puhl, VVDStRL 60 (2001), 456 (478); Spannowsky, ZHR 160 (1996), 560 (572); ders., Grenzen des Verwaltungshandelns, S. 167; Dreher, in: Immenga / Mestmä­ cker, GWB, Vor §§ 97, Rn. 114; Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rn. 171; Erichsen / Ebber, Jura 1999, 373 (376); v. Arnauld, DÖV 1998, 437 (443 f.); Gusy, DÖV 1984, 872 (879); Meckies, Persönliche Haftung von Geschäftsleitern, S. 79 ff.; Huber, Konkurrenzschutz, S. 315; Regler, Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 230. 167 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 1 III, Rn. 69. 168 Ehlers, in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3, Rn. 85 unter Be­ zugnahme auf BGH, Urt. v. 23. 09. 1969 – VI ZR 19/68, BGHZ 52, 325 (328) und BVerwG, Beschl. v. 29. 05. 1990 – 7 B 30/90, NVwZ 1991, 59, welche ebenfalls die Grundrechtsbindung einer Eigengesellschaft angenommen haben; Röhl, VerwArch 86 (1995), 531 (574). 169 Röhl, VerwArch 86 (1995), 531 (536).

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b) Stellungnahme Die vorangehend dargestellten Ansichten stimmen darin überein, dass der Staat auch im Bereich seiner privatrechtlichen Betätigungen zumindest an die Strukturprinzipien der Verfassung, insbesondere an den Gleichheitssatz und das Willkürverbot, gebunden bleibt. Eine Entledigung seiner öffentlich-rechtlichen Bindungen durch privatrechtliche Handlungsformen ist ihm daher nicht möglich. Dies muss – entsprechend der Ansicht der herrschenden Literatur – gleicherma­ ßen gelten, wenn der Staat in Form eines öffentlichen Unternehmens handelt. Eine Entledigung von öffentlich-rechtlichen Bindungen durch Flucht in das Pri­ vatrecht kann es auch dann nicht geben, wenn der Staat eine privatrechtliche Organisationsform wählt. Die Bindung an die Grundrechte und die Struktur­ prinzipien der Verfassung 171 trifft daher nicht nur die „klassischen“ staatlichen Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 und 3 GWB, sondern auch solche im Sinne des § 98 Nr. 2 und 4 Alt. 2 GWB, soweit sie als Eigengesellschaften des Staates bestehen. 172 Aus der Bindung an den Gleichheitssatz und das Willkürverbot folgt weiter, dass staatliche öffentliche Auftraggeber bereits vom Grundsatz her nicht wie ein privates Unternehmen frei und ungebunden agieren können. 173 Das Privat­ recht ist für den öffentlichen Auftraggeber nicht Selbstzweck, sondern dient der Beschaffung der für die Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Mittel. 174 Auch wenn der Staat wie ein Privatmann am Markt auftritt und einkauft, be­ deutet dies mithin nicht, dass er als ein solcher zu behandeln wäre. 175 Aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) folgt vielmehr stets eine Begründungspflicht seines Handelns. 176 Jede unterschiedliche Behandlung muss sachlich gerechtfertigt werden können. 177 Diese öffentlich-rechtlichen Bin­ 170 Kaiser, NZBau 2005, 311 (315): Hieraus resultiere eine gesteigerte Prüfpflicht öffentlicher Auftraggeber hinsichtlich der rechtmäßigen Anwendung der Gesetze; Kling, Zulässigkeit vergabefremder Regelungen, S. 64, 66. 171 Vgl. hierzu Spannowsky, ZHR 160 (1996), 560 (572 f.); Kaelble, ZfBR 2003, 657 (668). 172 Ebenso Dörr, DÖV 2001, 1014 (1018); Mertens, Rügeobliegenheit, S. 145 f. 173 Losch, VergabeR 2006, 298 (300). 174 Bitterich, NZBau 2006, 757 (759). 175 Pietzker, NVwZ 1983, 121; Röhl, VerwArch 86 (1995), 531 (539); Kunert, Verga­ berecht, S. 20: Der Staat sei generell nicht „Quasi-Privater“. 176 Kahl, FS für Zezschwitz, S. 171 f. 177 Pietzker, NZBau 2003, 242 (243); Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 319. Eine auf sachfremden Erwägungen beruhende ungerechtfertigte Differenzierung liegt vor, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonstiger sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung nicht finden lässt (vgl. BVerfG, Urt. v. 23. 10. 1951 – 2 BVG 1/51, NJW 1951, 877 (878 f.).

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

dungen des staatlichen öffentlichen Auftraggebers negieren somit die Annahme einer privatautonomen Gestaltungsfreiheit zu seinen Gunsten. Zwar werden den öffentlichen Auftraggebern im Rahmen ihrer gesetzlichen Bindungen gewisse Spielräume belassen. Aber auch hieraus folgt keine Befug­ nis zum freien und ungebundenen Handeln. Den ihm überlassenen Spielraum muss der öffentliche Auftraggeber vielmehr stets rechtskonform unter Beach­ tung höherrangigen Rechts und sonstiger rechtlicher Bindungen, insbesondere des Gleichheitssatzes, des Willkürverbots und des Grundsatzes der Verhältnis­ mäßigkeit, ausfüllen. 178 Handlungsspielräume der Verwaltung werden daher aus einer Reihe von Restriktionen gebildet. 179 Während der Einzelne also innerhalb der Grenzen der Privatautonomie seine Ziele frei und ungebunden verfolgen kann, unabhängig davon, ob dies vernünftig oder unvernünftig, nützlich oder schädlich ist, sind die Handlungsspielräume der Verwaltung vorgegeben und die Betätigung innerhalb dieser Spielräume unterliegt dem Willkürverbot und dem Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung. 180 Der Staat darf die privatrechtli­ chen Rechtsgeschäfte somit nicht nach seinem Willen und Belieben gestalten, sondern nur aufgrund eines öffentlich-rechtlich geformten und determinierten Willens. 181 Es gibt daher auch im Hinblick auf Handlungsspielräume öffentlicher Auftraggeber keine Vertragsfreiheit, die zu einer Befreiung von den Bindungen der Gesetzmäßigkeit führt. 3. Ergebnis Trotz privatrechtlicher Einordnung des Vergaberechts und privatrechtlicher Ausgestaltung des Vergabeverfahrens und des Vertragsschlusses gilt der Grund­ satz der Vertragsfreiheit nicht zugunsten staatlicher öffentlicher Auftraggeber. Der Schluss von dem freiheitssichernden Instrument des zivilrechtlichen Ver­ trages auf die Freiheit des Handelnden ist nicht zulässig. 182 Die zivilrechtliche Vertragsfreiheit lässt sich nicht auf staatliches Handeln übertragen. 183 Dies folgt zum einen aus der grundrechtlichen Herleitung der Vertragsfreiheit und der feh­ 178 BGH, Urt. v. 17. 06. 2003 – XI ZR 195/02, NJW 2003, 2451 (2453); OLG Branden­ burg, Beschl. v. 13. 09. 2005 – VergW 8/05, VergabeR 2006, 261 (264); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. 04. 2005 – VII-Verg 93/04, VergabeR 2005, 513 (516), welches jedoch unzu­ treffend das Beurteilungsermessen aus der Privatautonomie ableitet; VK Bund, Beschl. v. 06. 07. 2006 – VK 1 – 52/06; Kling, Zulässigkeit vergabefremder Regelungen, S. 72; Höf­ ling / Krings, JuS 2000, 625 (628). 179 So Krebs, VVDStRL 52 (1993), 251 (264). 180 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 86 f.; Höfling / Krings, JuS 2000, 625 (628). 181 Röhl, VerwArch 86 (1995), 531 (538). 182 Röhl, VerwArch 86 (1995), 531 (538).

183 Höfling / Krings, JuS 2000, 625 (628); Röhl, VerwArch 86 (1995), 531 (543).

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lenden Grundrechtsberechtigung staatlicher öffentlicher Auftraggeber. 184 Diese können sich nicht auf die grundrechtliche Schutzposition der Privatautonomie be­ rufen. Zum anderen steht den staatlichen Auftraggebern das inhaltliche Element freien privatautonomen Beliebens nicht zur Verfügung. 185 Vielmehr sind diese auch im Rahmen ihres privatrechtlichen Handelns an den Gleichheitssatz und das Willkürverbot gebunden. Damit kann es im Ergebnis eine echte Privatautonomie für den privatrechtlich handelnden Staat nicht geben. 186 Vertragsänderungen und Vertragsverlängerungen durch staatliche öffentliche Auftraggeber können daher nicht auf eine privatautonome Gestaltungsfreiheit gestützt werden. 187 Eine Kol­ lision von Vergaberecht und Vertragsfreiheit besteht nicht. Die Vertragsfreiheit bildet daher keine Rechtsgrundlage der Untersuchung zivilrechtlicher Verträge staatlicher öffentlicher Auftraggeber. II. Nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber Von den staatlichen öffentlichen Auftraggebern abzugrenzen sind die nicht­ staatlichen öffentlichen Auftraggeber, welche aufgrund des europarechtlich ge­ prägten funktionalen Auftraggeberbegriffs ebenfalls in den Anwendungsbereich des Vergaberechts einbezogen werden. Hierzu zählen insbesondere die öffentli­ chen Auftraggeber in den Sektorenbereichen nach § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB (Ener­ gie- und Trinkwasserversorgung, Verkehr), aber auch Auftraggeber im Bereich subventionierter Tiefbaumaßnahmen (§ 98 Nr. 5 GWB) sowie Baukonzessionäre nach § 98 Nr. 6 GWB. Nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber können sich zu 100 % im Eigentum ei­ ner juristischen Person des Privatrechts befinden. Möglich ist aber auch die Aus­ gestaltung als gemischt-wirtschaftliches Unternehmen. Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen sind Unternehmen, die in den Formen des privaten Gesellschaftsrechts geführt werden und an denen mindestens eine öffentliche Institution und mindestens ein privater Gesellschafter beteiligt sind. Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen treten in der Rechtsform des Privatrechts auf, da den beteiligten Privaten die öffentlich-rechtliche Rechtsform grundsätzlich nicht zur Verfügung steht. 188 Erfüllen diese Unternehmen die Voraussetzungen des § 98 Nr. 2 oder Nr. 4 Alt. 2 GWB und werden sie von der öffentlichen Hand überwiegend finan­ 184

So explizit Höfling / Krings, JuS 2000, 625 (628), Fn. 36. Pietzker, Staatsauftrag, S. 364. 186 Dörr, DÖV 2001, 1014 (1015); Ehlers, DVBl. 1983, 422 (424). 187 Röhl, VerwArch 86 (1995), 531, (540) weist zutreffend darauf hin, dass das Pri­ vatrecht Rechtmäßigkeitsbedingungen für das Verwaltungshandeln nicht bereithält. 188 Th. Poschmann, Grundrechtsschutz, S. 312 ff.; Schmidt-Aßmann, FS für Niederlän­ der, S. 383 (384 f.); Meckies, Persönliche Haftung von Geschäftsleitern, S. 23; Spannow­ sky, ZHR 160 (1996), 560 (563). 185

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

ziert oder in sonstiger Weise beherrscht, so sind sie öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts. 189 Es gilt nun zu klären, inwieweit nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber in den Genuss der grundrechtlichen Schutzposition der Vertragsfreiheit bei der nachträglichen Änderung und Verlängerung ihrer Verträge kommen können. Das Zugeständnis einer Privatautonomie zugunsten nichtstaatlicher öffentlicher Auftraggeber setzt dabei voraus, dass diese Träger der die Privatautonomie ge­ währleistenden Grundrechte sind (hierzu 1.) und nach der Rechtsordnung die Fähigkeit zum uneingeschränkten selbstbestimmten Handeln besitzen (hierzu 2.). 1. Grundrechtsfähigkeit

nichtstaatlicher öffentlicher Auftraggeber

Im Rahmen der Untersuchung der Grundrechtsfähigkeit nichtstaatlicher öf­ fentlicher Auftraggeber ist zwischen denjenigen ohne staatlicher Beteiligung und solchen mit staatlicher Beteiligung zu differenzieren. Die Beteiligung der öffentlichen Hand an einem Unternehmen kann sich unter Umständen auf die rechtlichen Bindungen auswirken. a) Grundrechtsfähigkeit nichtstaatlicher öffentlicher Auftraggeber ohne staatliche Beteiligung Juristische Personen des Privatrechts sind nach der Auffassung des BVerfG grundsätzlich grundrechtsberechtigt, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach auf sie übertragen werden können. 190 Das zu fordernde personale Substrat 191 sei hierbei regelmäßig erfüllt. 192 Das BVerfG macht jedoch von diesem Grundsatz dann eine Ausnahme, wenn die juristische Person des Privatrechts gesetzlich zugewiesene öffentliche Aufgaben wahrnimmt. 193 Da der Rechtsform nach An­ 189 Hierunter fallen vor allem privatisierte Organisationseinheiten der öffentlichen Hand wie beispielsweise Lufthansa AG, Deutsche Bahn AG etc. Aber auch Energiever­ sorgungs- oder Abfallentsorgungsunternehmen sind häufig gemischt-wirtschaftlich orga­ nisiert. 190 BVerfG, Beschl. v. 09. 04. 1975 – 2 BvR 879/73, E 39, 302 (312); Beschl. v. 14. 04. 1987 – 1 BvR 775/84, E 75, 192 (196). 191 Vgl. hierzu Fn. 198. 192 BVerfG, Beschl. v. 09. 04. 1975 – 2 BvR 879/73, E 39, 302 (312); Beschl. v. 14. 04. 1987 – 1 BvR 775/84, E 75, 192 (196). 193 BVerfG, Beschl. v. 31. 10. 1984 – 1 BvR 35/82, E 68, 193 (208) (Innungsverband); Beschl. v. 14. 04. 1987 – 1 BvR 775/84, E 75, 192 (197) (Sparkassen); Beschl. v. 20. 09. 1995 – 1 BvR 597/95, NJW 1996, 1588 f. (Kassenärztliche Vereinigung); Beschl. v. 23. 01. 1997 – 1 BvR 1317/86, NJW 1997, 1634 (Ärztekammer).

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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sicht des BVerfG nur eine indizielle Bedeutung zukomme, müsse auch auf die Funktion der juristischen Person abgestellt werden. Bestehe die Funktion dem­ nach in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge, 194 so sei die juristische Person – gleich ob zivil­ rechtlich oder öffentlich-rechtlich organisiert – Teil der öffentlichen Verwaltung im materiellen Sinn und damit nicht grundrechtsfähig. 195 Nach der herrschenden Ansicht im Schrifttum müsse juristischen Personen des Privatrechts grundsätzlich eine Grundrechtsfähigkeit zuerkannt werden. 196 Allerdings wird nicht auf ein personales Substrat abgestellt, sondern auf eine grundrechtstypische Gefährdungslage, also ob die Lage der juristischen Person mit der Lage einer natürlichen Person vergleichbar sei. 197 Mehrheitlich abge­ lehnt wird dagegen die Auffassung des BVerfG bezüglich der Versagung der Grundrechtsberechtigung aufgrund der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge. 198 Entsprechend der vorgenannten Auffassung muss juristischen Personen des Privatrechts, die sich zu 100% im Eigentum Privater befinden, eine Grund­ rechtsfähigkeit zugestanden werden. Sowohl das vom BVerfG geforderte perso­ nale Substrat ist erfüllt, denn hinter der juristischen Person stehen ausschließlich Privatrechtssubjekte. Auch ist die Lage der juristischen Person im Hinblick auf den Abschluss und die Durchführung ihrer zivilrechtlichen Verträge vergleichbar mit derjenigen einer natürlichen Person. Entgegen der Auffassung des BVerfG än­ dert sich an der Grundrechtsfähigkeit aber auch dann nichts, wenn die juristische Person Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrnimmt. Die Anknüpfung an den Be­ griff der Daseinsvorsorge ist überholt, denn Aufgaben der Daseinsvorsorge sind 194 So vor allem BVerfG, Beschl. v. 16. 05. 1989 – 1 BvR 705/88, NJW 1990, 1783 (HEW). 195 BVerfG, Beschl. v. 07. 06. 1977 – 1 BvR 108, 424/73, 226/74, E 45, 63 (78 ff.) (Stadtwerke Hameln); Beschl. v. 31. 10. 1984 – 1 BvR 35/82, E 68, 193 (207, 212) (In­ nungsverband); Beschl. v. 14. 04. 1987 – 1 BvR 775/84, E 75, 192 (197) (Sparkassen); Beschl. v. 20. 02. 1986 – 1 BvR 859, 937/81, NJW 1987, 2501 (2502) (TÜV); Beschl. v. 16. 05. 1989 – 1 BvR 705/88, NJW 1990, 1783 (HEW); Beschl. v. 02. 10. 1995 – 1 BvR 1357/94, NJW 1996, 584; dem folgend Badura, Staatsrecht, S. 95. 196 Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1116. 197 v. Mutius, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 3, Rn. 114; ders., Jura 1983, 30 (35, 40 f.); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 III, Rn. 33; Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rn. 161 f.; Kröger, JuS 1981, 26 (29); Hornig, MMR 1998, 156, (158); Hartung, DÖV 1992, 393 (400); Wirth, JA 1998, 820 (821). 198 Zur Kritik an der Verwendung des Begriffs der Daseinsvorsorge: Schmidt-Aßmann, FS für Niederländer, S. 383 (385); Hailbronner, DÖV 2003, 534 (535); Hartung, DÖV 1992, 393 (398 f.); Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3108); Kühne, JZ 1990, 335 (336); Th. Poschmann, Grundrechtsschutz, S. 78 ff.; a. A. Ronellenfitsch, Öffentliche Dienstleis­ tungen, S. 201 f., der die Daseinsvorsorge als originär staatliche Aufgabe erachtet. Einen Überblick zu typischen öffentlichen Aufgaben bietet Th. Poschmann, Grundrechtsschutz, S. 40 ff.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

nicht mehr begriffsnotwendig Verwaltungsaufgaben. Vielmehr werden zahlrei­ che Daseinsvorsorgeaufgaben heute überwiegend von privaten Wirtschaftssub­ jekten wahrgenommen. 199 Diese müssen nicht zwangsläufig vom Staat delegiert sein, sondern können den Unternehmen auch originär zustehen. So handelt es sich beispielsweise bei der Tätigkeit im Bereich der Wasser- oder Energiever­ sorgung nicht um gesetzlich zugewiesene öffentliche Aufgaben. 200 Unternehmen, die Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrnehmen, sind daher nicht begriffsnotwen­ dig Instrumente staatlicher Aufgabenerfüllung. Die Verwendung des Begriffs der Daseinsvorsorge besitzt heute daher keine dogmatische, sondern nur noch eine deskriptiv-analytische Bedeutung und vermag daher die Versagung einer Grundrechtsfähigkeit nicht zu rechtfertigen. Auf die vorliegende Untersuchung übertragen bedeutet dies, dass öffentliche Auftraggeber in Form von juristischen Personen des Privatrechts ohne Beteili­ gungen der öffentlichen Hand sich insoweit auf die Grundrechte berufen können, als sie ihrem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG). Zu den Grundrechten, die ihrem Wesen nach auf juristische Personen an­ wendbar sind, zählt unter anderem die Berufsfreiheit, die jegliche nachhaltig aus­ geübte Erwerbstätigkeit schützt und damit auch die Unternehmensfreiheit erfasst. Soweit die unternehmerische Betätigung nicht von diesem spezielleren Grund­ recht erfasst wird, kommt ein Schutz über die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht. Letztere erfährt den Charakter einer allgemeinen Wirtschaftsfreiheit, welche vor allem auch die Vertragsfreiheit gewährleistet. 201 Nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber in der Gestalt juristischer Personen des Privatrechts – ohne staatliche Beteiligung – sind somit Träger der die Ver­ tragsfreiheit gewährleistenden Grundrechte. Sie können sich somit auf die grund­ rechtliche Schutzposition der Vertragsfreiheit berufen. b) Grundrechtsfähigkeit nichtstaatlicher öffentlicher Auftraggeber mit staatlicher Beteiligung Den nichtsstaatlichen öffentlichen Auftraggebern wurden neben den rein pri­ vatrechtlich organisierten Unternehmen auch solche zugeordnet, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist (gemischt-wirtschaftliche Unternehmen). Die Fra­ ge nach der Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen ist im Einzelnen umstritten.

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Scharpf, EuZW 2005, 295 (297). Th. Poschmann, Grundrechtsschutz, S. 59 ff., 63 ff.; Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3108). 201 Badura, DÖV 1990, 353 (355 f.) unter Bezugnahme auf BVerfG, Urt. v. 29.07.1959 – 1 BvR 394/58, E 10, 89 (99); Beschl. v. 19. 10. 1983 – 2 BvR 298/81, E 65, 196 (210). 200

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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Das BVerfG setzt seine restriktive Rechtsprechung auch im Hinblick auf die Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen fort. So lehnte das BVerfG in einem Kammerbeschluss die Verfassungsbeschwerde der Hambur­ ger Elektrizitätswerke (HEW), an denen eine Eigengesellschaft der öffentlichen Hand mit 72 % beteiligt war, unter Berufung auf eine mangelnde Grundrechts­ berechtigung ab. 202 Zur Begründung führte das BVerfG aus, dass die Funktion des Unternehmens in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener öffentlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge liege. Bei dem zugrunde liegenden Beteiligungs­ verhältnis sei davon auszugehen, dass die öffentliche Hand die Möglichkeit habe, auf die Geschäftsführung entscheidenden Einfluss zu nehmen. Des Weiteren un­ terliege das Unternehmen so starken Bindungen, dass von einer privatrechtlichen Selbstständigkeit nichts übrig bliebe. 203 Der Beschluss des BVerfG wird von der herrschenden Literatur stark kritisiert. Die Annahme, dass aufgrund der Mehrheitsbeteiligung öffentlicher Rechtsträ­ ger das privatrechtliche Unternehmen praktisch ein Bestandteil der öffentlichen Verwaltung sei, werde den Bindungen, denen der öffentliche Mehrheitsgesell­ schafter aufgrund gesellschaftsrechtlicher Vorgaben unterliege, nicht gerecht. 204 Insbesondere in dem vom BVerfG entschiedenen Fall einer Aktiengesellschaft gelte, dass deren Vorstand gerade nicht den Weisungen einer öffentlich-recht­ lichen Körperschaft unterworfen sei. Eine solche Bindung könne auch nicht im Wege der Satzungsregelung herbeigeführt werden. Zudem wird auf den ge­ sellschaftsrechtlich geregelten Minderheitenschutz hingewiesen, welcher einer uneingeschränkten Bestimmung durch die öffentliche Hand entgegenstehe. 205 Das Gleiche gelte hinsichtlich der grundrechtlichen Belange der Minderheits­ aktionäre, welche das BVerfG in keiner Weise berücksichtigt habe. 206 Soweit das BVerfG maßgeblich auf die Funktion der Wahrnehmung von Aufgaben der Daseinsvorsorge gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen abstellt, wird auch dies von der Literatur zurückgewiesen. 207 Letztlich wird auch der fehlende Einklang mit der sonstigen Rechtsprechung des BVerfG zur Grundrechtsfähigkeit juris­ tischer Personen, vor allem im Hinblick auf das stets geforderte „personelle Substrat“, moniert. 208 Das personale Substrat gebiete bei gemischt-wirtschaft­ 202

BVerfG, Beschl. v. 16. 05. 1989 – 1 BvR 705/88, NJW 1990, 1783 (HEW). BVerfG, Beschl. v. 16. 05. 1989 – 1 BvR 705/88, NJW 1990, 1783 (HEW). 204 Krüger / Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19, Rn. 112. 205 Zimmermann, JuS 1991, 294 (298 f.); Kühne, JZ 1990, 335 (336); Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3110 f.); Ehlers, JZ 1990, 1089 (1096); Schmidt-Aßmann, FS für Niederländer, 383 (396); Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (87). 206 Krüger / Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19, Rn. 112; Schmidt-Aßmann, FS für Nieder­ länder, S. 383 (396); Kühne, JZ 1990, 335 (336); Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1170. 207 Insoweit kann auf die dargestellte Kritik oben, Kapitel 2.D.II.1.a., verwiesen werden. 208 Zum Durchgriffsgedanken bzw. Erfordernis eines personalen Substrats Kapitel 2.D.I.1.a. sowie Fn. 198. 203

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

lichen Unternehmen gerade die Annahme einer Grundrechtsfähigkeit, da die Voraussetzung eines Durchgriffs auf die hinter der juristischen Person stehen­ den Menschen im Fall einer gewinnorientierten Gesellschaft des privaten Rechts erfüllt sei. 209 Die in der Literatur herrschende Ansicht befürwortet daher im Ergebnis eine Grundrechtsberechtigung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen im gleichen Umfang, wie sie Privatunternehmen zugestehe. 210 Im Hinblick auf die private Mitträgerschaft sei es erforderlich, gemischt-wirtschaftliche Unternehmen hin­ sichtlich der Grundrechtssubjektivität wie private Organisationen zu behandeln. Jedes gemischt-wirtschaftliche Unternehmen verkörpere gerade auch private In­ teressen. 211 Dieses Ergebnis sei auch im Hinblick auf die erforderliche Rechts­ klarheit geboten. 212 Der Auffassung des BVerfG kann zumindest dahingehend zugestimmt wer­ den, dass die Frage der Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unter­ nehmen im Außenverhältnis nur einheitlich zu beantworteten ist. Dies gebieten Gründe der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit. Die vom BVerfG angeführ­ ten Gründe zur Ablehnung einer Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen vermögen jedoch nicht zu überzeugen. Die Kritik der herrschen­ den Literatur ist im Ergebnis berechtigt. Die bloße Beteiligung der öffentlichen Hand kann nicht zur Grundrechtsunfähigkeit eines privatrechtlich organisierten Unternehmens mit privaten Anteilseignern führen. Die öffentliche Hand unter­ wirft sich einer gesellschaftsrechtlichen Ordnung. Ihre diesbezüglichen Rechte nimmt sie ebenso wie die privaten Mitgesellschafter ausschließlich über die gesellschaftsrechtlichen bzw. -vertraglichen Mitgliedsrechte wahr. Dieser allein gesellschaftsrechtlich mögliche Zugriff der öffentlichen Hand vermag nicht den Entzug der Grundrechtsfähigkeit zulasten des privaten Mitgesellschafters recht­ fertigen. Aufgrund der Beteiligung Privater kann anders als bei öffentlichen Unternehmen auch nicht mehr von einer Interessenidentität zwischen dem pri­ vatrechtlichen Unternehmen und der öffentlichen Hand gesprochen werden. 209

Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3109). Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19, Rn. 18; v. Mutius, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 3, Rn. 146; Schmidt-Aßmann, FS für Niederländer, S. 383 (393 ff.); Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 85; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 120; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1169 f.; Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (87 f.); Hartung, DÖV 1992, 393 (396 ff.); v. Arnauld, DÖV 1998, 437 (450 f.); Kühne, JZ 1990, 335 f.; Zimmermann, JuS 1991, 294 (297 ff.); ausführlich Th. Poschmann, Grundrechtsschutz, S. 21 ff.; Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3108 ff.); Starck, JuS 1977, 732 (736), Fn. 53; siehe auch Schoch, Jura 2001, 201 (206); a. A. Badura, DÖV 1990, 353 (354); Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 III, Rn. 45; Roellecke, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 19 I-III, Rn. 132. 211 v. Arnauld, DÖV 1998, 437 (450). 212 Schmidt-Aßmann, FS für Niederländer, S. 383 (392); Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 120; Pieroth, NWVBl. 1992, 85 (88). 210

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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Öffentliche Auftraggeber in Form von gemischt-wirtschaftlichen Unterneh­ men sind damit ebenso wie rein private öffentliche Auftraggeber ohne staatliche Beteiligung grundrechtsfähig. Die obigen Ausführungen unter D.II.1.a. gelten daher entsprechend mit dem Ergebnis, dass gemischt-wirtschaftliche Unterneh­ men gemäß Art. 19 Abs. 3 GG Träger der die Vertragsfreiheit gewährleistenden Grundrechte sind. Sie können sich somit auf die grundrechtliche Schutzposition der Vertragsfreiheit berufen. c) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber im Unterschied zu staatlichen öffentlichen Auftraggebern Träger von Grundrechten sein können. Die in Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich veran­ kerte Schutzposition der Privatautonomie ist gemäß Art. 19 Abs. 3 GG ihrem Wesen nach auf die nichtstaatlichen öffentlichen Auftraggeber anwendbar. 2. Fähigkeit zum selbstbestimmten Handeln Nachdem das Vorliegen der Grundrechtsfähigkeit bejaht werden konnte, ist des Weiteren zu prüfen, ob nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber die Fähigkeit zu einem ungebundenen selbstbestimmten Handeln besitzen oder ob, ähnlich wie bei den staatlichen öffentlichen Auftraggebern, Bindungen an die Grundrechte und Strukturprinzipien der Verfassung, insbesondere an den Gleichheitssatz und das Willkürverbot, einer solchen Annahme entgegen stehen. 213 a) Nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber ohne staatliche Beteiligung Rein private öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB sowie nach § 98 Nr. 5 und 6 GWB unterliegen den Bindungen des Grundgesetzes sowie dessen Strukturmerkmale grundsätzlich nicht. 214 Sie sind somit nicht an die verfassungsrechtlich verankerten Gebote der Gleichbehandlung und des Verbots der Willkür gebunden.

213 Vgl. zur Gegensätzlichkeit von Willkürverbot und Privatautonomie Kapitel 2.D.I.2. 214 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97, Rn. 114; Dörr, DÖV 2001, 1014 (1019); Reidt, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, Vorb. zu §§ 97 – 101 GWB, Rn. 13; Puhl, VVDStRL 60 (2001), 456 (478), Fn. 87 –89; Regler, Vergabe­ recht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 231 f.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

Eine andere Ansicht vertritt, soweit ersichtlich, allein Wittig, 215 der auch die rein privaten öffentlichen Auftraggeber zur öffentlichen Gewalt im Sinne der Art. 1 Abs. 3 GG bzw. Art. 19 Abs. 4 GG hinzurechnen will. Diese Ansicht wird im Wesentlichen auf eine Parallele zu beliehenen Unternehmen gestützt mit der Begründung, dass den privaten Auftraggebern besondere Rechte von Behörden für die Ausübung ihrer Tätigkeit gewährt würden. 216 Dem kann nicht gefolgt werden. Dieser Ansatz passt schon nicht auf die öffentlichen Auftraggeber nach § 98 Nr. 5 und 6 GWB, da diese keine besonderen oder ausschließlichen Rech­ te zur Ausübung ihrer Tätigkeit erhalten. Auch ist die Gleichsetzung mit einer Beleihung, also der Betrauung zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben mit den Mitteln des öffentlichen Rechts, verfehlt. Das beliehene Unternehmen wird allein aufgrund seiner Befugnis zur Verwendung öffentlich-rechtlicher Mittel und aufgrund der Übertragung von Hoheitsgewalt der öffentlichen Verwaltung zugerechnet. 217 Diese Voraussetzungen liegen bei den rein privaten öffentlichen Auftraggebern gerade nicht vor. Diesen stehen weder die öffentlich-rechtlichen Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, noch wurde ihnen Hoheitsgewalt über­ tragen. 218 Eine unmittelbare Grundrechtsbindung der rein privaten öffentlichen Auftrag­ geber besteht daher im Ergebnis nicht. Die verfassungsrechtlichen Grundsätze und Prinzipien bilden nicht den Maßstab ihres Handelns. Damit existieren keine öffentlich-rechtlichen Bindungen, die der Fähigkeit zu einem selbstbestimmten und privatautonomen Handeln grundlegend entgegenstehen. b) Nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber mit staatlicher Beteiligung Die Bindung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen an Grundrechte und Strukturprinzipien der Verfassung, insbesondere an das Willkürverbot, ist vor allem aufgrund der staatlichen Beteiligung umstritten. 215 Wittig, Probleme des Vergaberechts, S. 135 f. Skouris, EuR 1998, 111 (126), be­ zieht seine Ausführungen zur unmittelbaren Grundrechtsbindung von Privaten allein auf die Anbieter von Telekommunikationsleistungen an das Grundrecht des Kommunikati­ onsgeheimnisses. Eine Verallgemeinerung verbietet sich daher. 216 Dies passt freilich allein auf die Auftraggeber nach § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB. 217 Kopp / Schenke, VwGO, § 40, Rn. 14. 218 Darüber hinaus kann die Gewährung von Rechten im Sinne des § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB nicht mit einer Beleihung gleichgesetzt werden. Die Gewährung der nach § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB erfassten Rechte erfolgt im Regelfall durch die Erteilung einer Genehmigung. Hierin liegt aber keine Betrauung mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben, wie sie der Beleihung zugrunde liegt. Eine Gleichsetzung verbietet sich da­ her bereits nach dem Wortsinn (vgl. zur fehlenden Gleichsetzbarkeit von Betrauung und Genehmigung Senke, Elektrizitätslieferverträge, S. 36 f.).

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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Die Rechtsprechung und ein Teil der Literatur nimmt eine unmittelbare Grund­ rechtsbindung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen dann an, wenn diese vom staatlichen Mitgesellschafter beherrscht werden. 219 Die staatlich beherrschte Ge­ sellschaft müsse in diesem Fall als „verselbständigte Verwaltungseinheit in Pri­ vatrechtsform“ der staatlichen Verwaltung zugerechnet werden. 220 Keine Einig­ keit innerhalb dieser Ansicht besteht allerdings hinsichtlich der Frage, ab welcher Beteiligungshöhe eine Beherrschung des staatlichen Mitgesellschafters vorliegen soll. Teilweise wird in Anlehnung an die Vermutungsregelung des § 17 Abs. 2 AktG gefordert, dass die Mehrheit der Kapitalanteile oder der Stimmrechte bei der öffentlichen Hand liegen müsse. 221 Vereinzelt wird verlangt, dass zu der mehr­ heitlichen Beteiligung ein weiteres funktionales Kriterium hinzutreten müsse. 222 Andere sehen eine Beherrschung der öffentlichen Hand, die eine unmittelbare Grundrechtsbindung nach sich ziehen soll, erst ab einer Beteiligungshöhe von 75%. 223 Nach in der Literatur verbreiteter Ansicht sollen gemischt-wirtschaftliche Un­ ternehmen hingegen nicht unmittelbar an die Grundrechte oder die Strukturprin­ zipien der Verfassung gebunden sein. 224 Art. 1 Abs. 3 GG gelte auch dann nicht für das gemischt-wirtschaftliche Unternehmen, wenn der Staat Mehrheitsgesell­ schafter sei. 225 Denn durch die Beteiligung privatrechtlicher Subjekte ändere sich nicht bloß die äußere Form des Auftretens, sondern vielmehr auch die Träger­ schaft der Gesellschaft. 226 Allein der öffentlich-rechtliche Anteilseigner sei zur 219 BVerwG, Urt. v. 18. 03. 1998 – 1 D 88/97, NVwZ 1998, 1083 (1084); BGH, Urt. v. 05. 04. 1984 – III ZR 12/83, NJW 1985, 197 (200); Urt. v. 05. 04. 1984 – III ZR 12/ 83, BGHZ 91, 84 (97 f.); Dörr, DÖV 2001, 1014 (1018); differenzierend: v. Arnauld, DÖV 1998, 437 (445 f.), Meckies, Persönliche Haftung von Geschäftsleitern, S. 83; Det­ terbeck, JuS 2001, 1199 (1205); Erichsen / Ebber, Jura 1999, 373 (377); Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1421 f.; Regler, Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 230 f. 220 v. Arnauld, DÖV 1998, 437 (444); Dörr, DÖV 2001, 1014 (1018 f.). 221 Dörr, DÖV 2001, 1014 (1019); Meckies, Persönliche Haftung von Geschäftsleitern, S. 83; Regler, Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 230 f. 222 Dieses Kriterium könne beispielsweise in der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben liegen. 223 v. Arnauld, DÖV 1998, 437 (445), der bei einer Beteiligung zwischen 50% – 74,99 % lediglich eine mittelbare Grundrechtsbindung annehmen will. 224 Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1, Rn. 96 m.w. N.; ders., JA 1995, 431 (436); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 1 III, Rn. 70 m.w. N.; Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rn. 171; Gusy, DÖV 1984, 872 (878 f.); Rüfner, Handbuch Staatsrecht, Bd. V., § 117, Rn. 49; Spannow­ sky, ZHR 160 (1996), 560 (572, 574); Puhl, VVDStRL 60 (2001), 456 (478); Ehlers, in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3, Rn. 87; Gusy, DÖV 1984, 872 (879). 225 Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1, Rn. 96 m.w. N.; Gusy, DÖV 1984, 872 (878 f.); differenzierend Erichsen / Ebber, Jura 1999, 373 (377). 226 Ehlers, in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3, Rn. 87.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

Beachtung der Grundrechte verpflichtet. Dieser müsse seine Beteiligungsrechte grundrechtskonform zur Geltung bringen und dafür Sorge tragen, dass er die ihm obliegenden unmittelbaren verfassungsrechtlichen Bindungen erfüllen kann. 227 Der letztgenannten Ansicht ist zu folgen. Eine Grundrechtsbindung in Abhän­ gigkeit von der Beherrschung des Unternehmens durch den öffentlichen Anteils­ eigner ist aufgrund der aufgezeigten Rechtsunsicherheiten abzulehnen. 228 Ob eine Beherrschung vorliegt und damit der Grundrechtsschutz als Abwehrrecht gegen das gemischt-wirtschaftliche Unternehmen eröffnet ist, kann der Betroffe­ ne in der Regel nicht beurteilen. Unklar bleibt vor allem, ab wann eine solche Beherrschung vorliegen soll. Die Höhe der Beteiligung kann kein ausschlagge­ bendes Moment für eine Beherrschungsmöglichkeit sein, denn gesetzliche, ge­ sellschaftsvertragliche oder vertragliche Regelungen können bewirken, dass ein Gesellschafter trotz Mehrheitsbeteiligung kaum Einflussmöglichkeiten besitzt. 229 Der öffentliche Mehrheitsgesellschafter unterliegt vielmehr gesellschaftsrechtli­ chen Vorgaben, insbesondere dem gesellschaftsrechtlichen Minderheitenschutz. Dieser verhindert eine uneingeschränkte Bestimmung durch die öffentliche Hand auch dann, wenn der Staat Mehrheitsgesellschafter ist. Die Belange der Minder­ heitsaktionäre müssen Berücksichtigung finden. Die Mehrheitsbeteiligung öf­ fentlicher Rechtsträger macht daher die privaten Anteilseigner nicht zu einem Bestandteil der öffentlichen Verwaltung. 230 Nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber in Form von gemischt-wirtschaftli­ chen Unternehmen sind damit nicht an die Grundrechte und die verfassungs­ rechtlichen Prinzipien gebunden. Damit existieren nach der Rechtsordnung kei­ ne rechtsstaatlichen Bindungen, die der grundsätzlichen Fähigkeit zum selbstbe­ stimmten Handeln, wie es die Vertragsfreiheit fordert, entgegenstehen. 3. Zwischenergebnis Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber zum einen Träger von Grundrechten sind. Sie können sich ins­ besondere auf die grundrechtliche Schutzposition der Vertragsfreiheit berufen. Mangels Bindung an die verfassungsrechtlichen Prinzipien des Gleichheitssatzes 227 Vgl. zu den Einwirkungsmöglichkeiten und -obliegenheiten der öffentlichen Hand Spannowsky, DVBl. 1992, 1072 ff. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 119 f., sieht einen Anspruch des Betroffenen gegen die Gesellschafter-Körperschaft auf Verhinderung von Grundrechtsverletzungen mittels Einflussnahme auf die Gesellschaft bzw. Aufgabe der Beteiligung. 228 So ebenfalls Mertens, Rügeobliegenheit, S. 151 f., die eine Streitentscheidung je­ doch offen lässt. 229 So zu Recht Spannowsky, ZHR 160 (1996), 560 (571). 230 Siehe hierzu auch oben, Kapitel 2.D.II.1.b.

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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und Willkürverbots besitzen sie zum anderen die grundsätzliche Fähigkeit, ihre Rechtsverhältnisse selbstbestimmt zu regeln und ihre Verträge frei zu gestalten. Bezogen auf die vorliegende Untersuchung bedeutet dies, dass Vertragsänderun­ gen und Vertragsverlängerungen durch nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber grundsätzlich Ausdruck einer ihn zustehenden Privatautonomie sein können. Es besteht daher eine Kollision zwischen vergaberechtlichen Bindungen und zivil­ rechtlicher Vertragsgestaltungsfreiheit. 4. Kollision von Vertragsfreiheit und Vergaberecht Das vorangehend dargestellte Ergebnis wirft nun die Frage auf, in welchem Verhältnis Vertragsfreiheit und Vergaberecht zueinander stehen. Das Vergabe­ recht unterstellt sowohl staatliche als auch nichtstaatliche öffentliche Auftragge­ ber teilweise sehr strengen rechtlichen Bindungen bei der Vergabe eines Auftrags. Derartige enge Bindungen sind jedoch mit den Freiheiten der Privatautonomie grundsätzlich nicht vereinbar. Die Kollision zwischen den Freiheiten der Privat­ autonomie und den Bindungen des Vergaberechts ist daher aufzulösen. a) Vergaberecht als Schranke der Privatautonomie Die Vertragsfreiheit wird auch in ihrer grundrechtlichen Ableitung nicht schrankenlos gewährleistet. 231 Die (immanenten) Schranken der privatautono­ men Gestaltung können sich vor allem aus der Rechtsordnung ergeben. 232 Der Einzelne kann nur solche Rechtsverhältnisse privatautonom gestalten, die ihm von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellt wurden, er kann sie nur in ei­ ner solchen Weise gestalten, wie sie von der Rechtsordnung gebilligt ist. 233 Die Vorschriften des Vergaberechts sind Teil der Rechtsordnung, die zu einer Ein­ schränkung der Privatautonomie führen. Im Anwendungsbereich des Vergaberechts wird die Vertragsfreiheit der nicht­ staatlichen öffentlichen Auftraggeber stark begrenzt. Das Vergaberecht unter­ wirft die Auswahl des Vertragspartners einem formal geregelten Verfahren und verpflichtet zur Beachtung objektiv nachprüfbarer Kriterien. 234 Die Unterord­ nung nichtstaatlicher öffentlicher Auftraggeber unter die Vorschriften des Ver­ gaberechts hat darüber hinaus zur Folge, dass diesen sachlich unbegründete und willkürliche Entscheidungen untersagt werden. 235 § 97 Abs. 1 und 2 GWB bindet sämtliche öffentliche Auftraggeber an die Grundsätze der Gleichbehandlung, des 231 Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 147; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 104. 232 Flume, FS DJT, S. 136.; Larenz / Wolf, Allgemeiner Teil, § 34, Rn. 5. 233 Flume, FS DJT, S. 137. 234 OLG Köln, Urt. v. 15. 07. 2005 – 6 U 17/05, NZBau 2006, 69 (71).

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

Wettbewerbs und der Transparenz. 236 Insbesondere soll der Gleichbehandlungs­ grundsatz verhindern, dass die öffentlichen Auftraggeber im Privatrechtsverkehr ihre „Vertragsfreiheit“ in einer Weise ausnutzen, die mit den Grundsätzen des fairen und transparenten Wettbewerbs nicht zu vereinbaren sind. 237 Öffentliche Auftraggeber, unabhängig ob staatlich oder nichtstaatlich, unterliegen daher im­ mer einen Rechtfertigungszwang und einer Pflicht zur sachlichen Begründung ihrer Entscheidungen im Vergabeverfahren. 238 Die Überprüfbarkeit des Handelns und damit der Zwang zur Rechtfertigung führen zu einer Einschränkung der Ver­ tragsfreiheit der in den Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts einbezoge­ nen nichtstaatlichen öffentlichen Auftraggeber. Die Wertungen des Wettbewerbs­ und Kartellrechts wirken damit in das Privatrecht hinein und führen zu Beschrän­ kungen der Privatautonomie. 239 b) Rechtfertigung der Einschränkung der Privatautonomie Die vorangehend dargestellte Einschränkung der Privatautonomie als eine aus den Grundrechten abgeleitete Freiheit durch die Wertungen des Wettbewerbs­ und Kartellvergaberechts ist nur dann verfassungskonform möglich, wenn die Einschränkung gerechtfertigt werden kann. Im Rahmen der Untersuchung einer Rechtfertigung muss das hinter den Ver­ gaberegeln und der Einbeziehung nichtstaatlicher öffentlicher Auftraggeber ste­ hende gemeinschaftsrechtliche Ziel der Verwirklichung eines gemeinsamen eu­ ropäischen Binnenmarktes (Art. 2, 14 EG) einfließen. Aus dieser Zielsetzung ergibt sich die Notwendigkeit der Betrachtung des Marktes und des Wettbe­ werbs auf europäischer Ebene. Die Verwirklichung eines gemeinsamen euro­ päischen Binnenmarktes erfordert es, Wettbewerbsverzerrungen auf den Warenund Dienstleistungsmärkten und damit auch auf den Beschaffungsmärkten zu überwinden. 240 Aus diesem Grund erließ der Europäische Rat auf Vorschlag der 235 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. 02. 2005 – Verg 88/04, NZBau 2005, 535; Kaelble, ZfBR 2003, 657 (668); Marx, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsver­ gabe, S. 13. 236 Vgl. EuGH, Urt. v. 18. 06. 2002 – Rs. C-92/00 (Hospital Ingenieure), Slg. 2002, I­ 5553, Rn. 42 – 47. 237 Bitterich, NZBau 2006, 757 (759). 238 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. 04. 2005 – Verg 93/04, VergabeR 2005, 513 (516), welches den Beurteilungsspielraum einerseits aus der Privatautonomie ableitet, anderer­ seits aber eine sachliche Vertretbarkeit der Entscheidung fordert. 239 Kaelble, ZfBR 2003, 657 (668); Knobel, Verständnis Vertragsfreiheit, S. 131; Hopp, DB 2000, 29 (31). Den Vorrang des Wettbewerbsrechts gegenüber dem Privatrecht be­ gründen ebenfalls Schwintowski / Klaue, BB 2000, 1901 (1904); im Anschluss hieran Senke, Elektrizitätslieferverträge, S. 64 f. 240 EuGH, Urt. v. 27. 02. 2003 – Rs. C-373/00 (Truley), Slg. 2003, I-1931, Rn. 41; Urt. v. 03. 10. 2000 – Rs. C-380/98 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rn. 16;

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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Kommission verschiedene Vergaberichtlinien zur Koordinierung der Verfahren der Auftragsvergabe in den Mitgliedsstaaten. 241 Ziel dieser Richtlinien ist die Öffnung der Beschaffungsmärkte und damit die Herstellung eines freien und gleichen Wettbewerbs innerhalb der Gemeinschaft. 242 Die unterschiedliche Aus­ gestaltung der Rechtssysteme in den Mitgliedsstaaten erforderte es weiterhin, dem europäischen Vergaberecht einen funktionalen Auftraggeberbegriff zugrun­ de zu legen. 243 Hierdurch sollte verhindert werden, dass der Staat durch Aus­ gliederung von Aufgabengebieten aus Gebietskörperschaften, also durch Rechts­ formwandel oder Privatisierung, das Vergaberecht umgehen und damit mittelbar den Wettbewerb auf nationaler Ebene fördern kann. 244 Die Einschränkung der Privatautonomie der nichtstaatlichen öffentlichen Auftraggeber muss vor dem Hintergrund des dargestellten Zwecks daher gerechtfertigt sein. Dies ist im Fol­ genden bezogen auf die einzelnen nichtstaatlichen öffentlichen Auftraggeber zu untersuchen. aa) Öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB Das Vergaberecht verpflichtet in § 98 Nr. 2 GWB juristische Personen des Privatrechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im AllgemeinUrt. v. 18. 06. 2002 – Rs. C-92/00 (Hospital Ingenieure), Slg. 2002, I-5553, Rn. 43 f.; Urt. v. 12. 12. 2002 – Rs. C-470/99 (Universale Bau u. a.), Slg. 2002, I-11617, Rn. 51; siehe hierzu auch Rittner, NVwZ 1995, 313. 241 Die Richtlinien verpflichten die Mitgliedsstaaten ihre Beschaffungen im Rahmen eines auf Gleichbehandlung und Wettbewerb ausgerichteten europaweiten Verfahrens vorzunehmen. Die Richtlinien sollen auch vor Willkür öffentlicher Auftraggeber schützen (vgl. EuGH, Urt. v. 24. 06. 2004, Rs. C-212/02 (Kommission / Österreich), EuZW 2004, 606 (607), Rn. 20). Zu den Vergabekoordinierungsrichtlinien im Einzelnen Kapitel 3.A.I. 242 So Erwägungsgrund 2 VKR Zur Notwendigkeit der Öffnung der Beschaffungs­ märkte für die Verwirklichung des Binnenmarktes und den damit verbundenen wirt­ schaftlichen Vorteilen Ohler, Öffentliche Auftraggeber, S. 16 ff.; Prieß, S. 88; Neßler, EWS 1999, 89 (90 f.); Schwarze, EuZW 2000, 133 (135); Portz, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, Einleitung, Rn. 15 f.; Marx, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsvergabe, S. 10; Werner, in: Byok / Jaeger, Kommentar Vergaberecht, § 98 GWB, Rn. 240. 243 EuGH, Urt. v. 20. 09. 1988 – Rs. C-31/97 (Beentjes), Slg. 1998, I-6491, Rn. 11; Urt. v. 17. 12. 1998 – Rs. C-306/97 (Connemara Machine Turf), Slg. 1998, I-8783, Rn. 31; Urt. v. 10. 11. 1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rn. 62; Urt. v. 16. 10. 2003 – Rs. C-283/00 (Kommission / Spanien), Slg. 2003, I-11697, Rn. 73, 76; Urt. v. 15. 05. 2003 – Rs. C-214/00 (Kommission / Spanien), Slg. 2003, I-4667, Rn. 53; Urt. v. 01. 02. 2001 – Rs. C-237/99 (Kommission / Frankreich), Slg. 2001, I-939, Rn. 43; Urt. v. 12. 12. 2002 – Rs. C-470/99 (Universale Bau u. a.), Slg. 2002, I-11617, Rn. 20 f. Vgl. zur Wandlung des Auftraggeberbegriffs auch Seidel, ZfBR 1995, 227 ff. sowie Noch, DÖV 1998, 622 (623). 244 Boesen, Vergaberecht, § 98 GWB, 8 ff.; Schwarze, EuZW 2000, 133 (135 f.); Noch, DÖV 1998, 622 (623); Dreher, DB 1998, 2579 (2586); Prieß, S. 87; Ruthig, NZBau 2006, 137 (140).

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

interesse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, zur Anwendung der vergaberechtlichen Bestimmungen, wenn die öffentliche Hand diese über­ wiegend finanziert oder über ihre Leitung die Aufsicht ausübt oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt hat. Die Definition des § 98 Nr. 2 GWB knüpft zunächst an eine gewisse Staatsnähe des privaten Unternehmens durch überwiegende Finanzierung oder sons­ tige Beteiligung der öffentlichen Hand an. 245 Ein von § 98 Nr. 2 GWB erfass­ tes Unternehmen muss demnach seine Finanzmittel nicht vollumfänglich selbst erwirtschaften, sondern erhält einen überwiegenden Teil aus öffentlichen Gel­ dern. Es ist nicht in gleicher Weise wirtschaftlichen Risiken und damit einer Insolvenz ausgesetzt wie andere am Markt agierende Unternehmen. 246 Hieraus resultiert aber eine staatlich vermittelte bevorzugte Stellung der Unternehmen nach § 98 Nr. 2 GWB gegenüber anderen Marktteilnehmern. 247 Darüber hinaus müssen nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB im All­ gemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art wahrnehmen. Auch dieses Merkmal knüpft an eine marktbezogene Sonderstellung an, denn die Nichtgewerblichkeit der Tätigkeit impliziert, dass die vom Staat finanzierte ju­ ristische Person nicht umfassend den Kräften des Marktes unterworfen ist. 248 Ihre Aufgabenerfüllung bewegt sich außerhalb oder in Abweichung der Markt­ mechanismen. Dies erlaubt wiederum die Verfolgung (auch) unökonomischer Ziele – wie die politisch motivierte Bevorzugung inländischer Unternehmen bei der Auftragsvergabe – und damit einhergehend die Inkaufnahme eines un­ wirtschaftlichen Handelns. 249 Unternehmen nach § 98 Nr. 2 GWB handeln somit nicht vordergründig in Gewinnerzielungsabsicht und tragen auch nicht die mit

245

Ziekow, VergabeR 2003, 483 (497 ff.). Eine überwiegende Finanzierung ist nach der Rechtsprechung des EuGH anzunehmen, wenn mehr als die Hälfte der Finanzmittel von der öffentlichen Hand gewährt werden (vgl. EuGH, Urt. v. 03. 10. 2000 – Rs. C­ 380/98 (University Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rn. 30). 246 I. d. S. Schwintowski, FS für Raiser, 751 (755, 759 f.). 247 VK Bund, Beschl. v. 24. 10. 2007 – VK 2 – 102/07. 248 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. 04. 2003 – Verg 67/02, NZBau 2003, 400 (402); KG, Beschl. v. 06. 02. 2003 – 2 Verg 1/03, NZBau 2003, 346 (347); BayObLG, Beschl. v. 05. 11. 2002 – Verg 22/02, NZBau 2003, 342 (343); Dreher, WuW 1999, 244 (246); ders., DB 1998, 2579 (2582); ders., in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 98, Rn. 76 f.; Hailbronner, DÖV 2003, 534 (541 f.); ders., EWS 1995, 285 (288); Dietlein, NZBau 2002, 136 (139 f.); Prieß, S. 92 f.; Boesen, Vergaberecht, § 98 GWB, Rn. 55. 249 VK Bund, Beschl. v. 24. 10. 2007 – VK 2 – 102/07 unter Bezugnahme auf OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. 07. 2006 – Verg 13/06, IBR 2007, 1052; Klenk, Versicherungs­ dienstleistungen, S. 49; Marx, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsver­ gabe, S. 10; Ohler, Öffentliche Auftraggeber, S. 47 f.; Hailbronner, EWS 1995, 285 (288); Dreher, DB 1998, 2579 (2582 f.); Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Kommentar Verga­ berecht, § 98 GWB, Rn. 17b.

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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ihrer Tätigkeit verbundenen Risiken. 250 Anknüpfungspunkt des § 98 Nr. 2 GWB ist daher ein Handeln aufgrund eines Marktversagens bzw. einer Marktunvoll­ kommenheit. 251 Da der Staat mittelbar durch überwiegende Finanzierung oder sonstige Beteiligung an dieser marktbezogenen Sonderstellung teilhat, ist er in der Lage, in einem wettbewerbsfreien Raum zu agieren und seine Beschaffungen unter Umständen auf den inländischen Markt zu konzentrieren. Korruption und Hoflieferantentum drohen. 252 Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf das europäische Ziel der Verwirklichung eines unverfälschten Wettbewerbs auf den Beschaffungsmärkten ist die Bindung der Unternehmen an die Vorgaben des Vergaberechts unter den Voraussetzungen des § 98 Nr. 2 GWB geboten und die Einschränkung der Vertragsfreiheit in diesem Bereich gerechtfertigt. 253 bb) Öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB Nach § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB werden natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs (Sektorenbereiche) tätig sind, dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterworfen, wenn diese Tätigkeiten auf der Grundlage von beson­ deren oder ausschließlichen Rechten ausgeübt werden, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden. Die Gewährung von Sonderrechten oder ausschließli­ chen Rechten für die Versorgung, Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen hat dazu geführt, dass in diesem Bereich die nationalen Beschaffungsmärkte weitgehend abgeschottet sind. 254 Die Sektorenkoordinierungsrichtlinie definiert besondere und ausschließliche Rechte als solche, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedsstaats mit­ tels Rechts- oder Verwaltungsvorschriften gewährt wurden und dazu führen, dass die Ausübung der Sektorentätigkeiten einem oder mehreren Unternehmen vor­ behalten und die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird. 255 Durch Gewährung eines ausschließlichen Rechts 250

OLG Hamburg, Beschl. v. 25. 01. 2007 – 1 Verg 5/06, NZBau 2007, 801 (802). Schwintowski, FS für Raiser, 751 (755). 252 Schwintowski, FS für Raiser, 751 (759). 253 Ist das Unternehmen jedoch unter normalen Marktbedingungen tätig, verfolgt es eine Gewinnerzielungsabsicht und trägt es die mit seiner Tätigkeit verbundenen Verluste, so unterliegt es nicht dem Auftraggeberbegriff des § 98 Nr. 2 GWB und daher auch nicht den vergaberechtlichen Bindungen. 254 Vgl. Erwägungsgrund 11 SKR. 255 Art. 2 Abs. 3 SKR. Besondere oder ausschließliche Rechte können sein: Enteig­ nungsrechte (§ 22 AEG, § 11 EnWG), Gebrauchsrechte in Form von Wegenutzungsrech­ ten (§§ 50, 4 – 6 TKG; § 13 EnWG; StraßenG der Länder); Begründung eines gemeind­ lichen Anschluss- und Benutzungszwangs; strittig für Konzessionen (vgl. Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 98, Rn. 183). 251

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

erhält der Inhaber eine Alleinstellung in einem Marktsegment, welche den Mit­ bewerbern den Zugang zu diesem Bereich verwehrt. 256 Ein besonderes Recht gewährt mehreren Begünstigten eine bestimmte Rechtsposition, wobei die An­ zahl der begünstigen Unternehmen begrenzt ist und die Auswahl im Ermessen staatlicher Stellen liegt. 257 Aufgrund der Gewährung von besonderen oder ausschließlichen Rechten ver­ fügen die nichtstaatlichen öffentlichen Auftraggeber nach § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB über eine Marktposition, die vor Wettbewerb weitgehend geschützt ist und eine Wahrnehmung der Aufgaben außerhalb oder in Abweichung der Marktmecha­ nismen ermöglicht. 258 Die Verleihung ausschließlicher oder besonderer Rechte durch staatliche Stellen ist somit Ausdruck einer marktuntypischen Situation verbunden mit der Zurückdrängung konkurrierender Marktkräfte. 259 Die Gewäh­ rung besonderer oder ausschließlicher Rechte beeinträchtigt daher das Ziel der Verwirklichung eines gemeinsamen auf Gleichbehandlung und Transparenz ge­ richteten Binnenmarktes. Die Einbindung nichtstaatlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB in das Regime des Vergaberechts erfolgte mithin auf­ grund deren besonders geschützter und bevorzugter Stellung am Markt. 260 Eine Unterwerfung der Unternehmen im Sektorenbereich unter die Regelungen des Vergaberechts und damit eine Einschränkung ihrer Vertragsfreiheit ist daher gerechtfertigt. Sie ist des Weiteren auch verhältnismäßig. Sektorenauftraggeber sind nicht in gleicher Weise den strengen Regelungen des Vergaberechts unterworfen wie klassische öffentliche Auftraggeber. So hat der Sektorenauftraggeber die Wahl zwischen dem offenen Verfahren, dem nichtoffenen Verfahren und dem Verhand­ lungsverfahren. 261 Zudem gilt die Bindung an die Vorschriften des Vergaberechts nur für solche Aufträge, die der Durchführung der Sektorentätigkeiten dienen. Denn nur in diesem Bereich besteht eine vor dem Wettbewerb geschützte Positi­ on. 262 Darüber hinaus können Aufträge, die die Ausübung einer Sektorentätigkeit ermöglichen sollen, vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen werden, wenn die Tätigkeit Märkten mit freiem Zugang unmittelbar dem Wett­ bewerb ausgesetzt ist. 263 In den Sektoren, in denen mithin de facto und de jure 256 Ohler, Öffentliche Auftraggeber, S. 140 f., der darauf hinweist, dass die Gewährung eines ausschließlichen Rechts zu einer Monopolstellung führen kann. 257 Ohler, Öffentliche Auftraggeber, S. 141, 143, 149; Rittner, NVwZ 1995, 317, Fn. 35. 258 Dreher, DB 1998, 2579 (2585); Ohler, Öffentliche Auftraggeber, S. 129. 259 Pietzker, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, Syst II, Rn. 81. 260 VK Niedersachsen, Beschl. v. 08. 11. 2002 – 203-VgK-24/2002. 261 Vgl. Art. 40 Abs. 2 SKR; Pietzker, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, Syst II Rn. 82. 262 Boesen, Vergaberecht, § 98, Rn.108; Ohler, Öffentliche Auftraggeber, S. 130, 144. 263 Art. 30 SKR.

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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echter Wettbewerb herrscht, ist es nicht länger notwendig, die Beschaffungstä­ tigkeit von Auftraggebern dieses Sektors zu regeln. 264 cc) Öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 5 und 6 GWB Die Vorschrift des § 98 Nr. 5 GWB unterstellt natürliche oder juristische Perso­ nen des Privatrechts sowie die nicht unter § 98 Nr. 2 GWB fallenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts dem Anwendungsbereich des Vergaberechts, wenn sie für die Durchführung bestimmter (Tief-) Baumaßnahmen von der öf­ fentlichen Hand Mittel erhalten, mit denen das Vorhaben zu mehr als 50 % finanziert wird. 265 Hintergrund dieser Vorschrift ist das grundsätzliche Anlie­ gen des Vergaberechts, die Verwirklichung eines gemeinsamen europaweiten Beschaffungsmarktes. Dieses Ziel soll nicht dadurch behindert werden, dass der Staat sich der Verpflichtung zum europaweiten Wettbewerb entzieht, indem er Dritte bei der Auftragsvergabe dazwischen schaltet. Es kann rechtlich keinen Unterschied machen, ob staatliche öffentliche Auftraggeber Aufträge mit eige­ nen Mitteln vergeben oder die Mittel zunächst an Dritte leiten, die anschließend die Auftragsvergabe durchführen. 266 Die Bestimmung zielt somit darauf ab, die Umgehung des Vergaberechts durch sogenannte „Drittvergaben“ zu verhindern. Entsprechendes gilt für die Einbeziehung nichtstaatlicher öffentlicher Auf­ traggeber nach § 98 Nr. 6 GWB. Hiernach unterliegen solche natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts hinsichtlich der Aufträge an Dritte dem Anwendungsbereich des Vergaberechts, die mit staatlichen Stellen einen Vertrag über eine Baukonzession geschlossen haben. 267 Der europäische Richtlinienge­ ber hat mit dieser Regelung den Trend staatlicher Beschaffungsstellen erfasst, 264

So hat die Europäische Kommission am 03. 06. 1999 den deutschen Markt im Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen von der Anwendung des Vergaberechts freigestellt, da ein effektiver Wettbewerb auf diesem Markt besteht (ABl. C 156 vom 03. 06. 1999, S. 3). Es war daher nicht länger notwendig, die Beschaffungstätigkeit von Auftraggebern dieses Sektors zu regeln (vgl. Erwägungsgrund 5 SKR). 265 Sonstige Subventions- bzw. Zuwendungstatbestände außerhalb der genannten Be­ reiche führen mithin nicht dazu, dass die Subventions- bzw. Zuwendungsempfänger dem formalen Vergaberecht des GWB unterliegen. Die Aufzählung in § 98 Nr. 5 GWB ist abschließend. 266 VK Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 07. 10. 2002 – VK 24/02; Dreher, DB 1998, 2579 (2585); Werner, in: Byok / Jaeger, Kommentar Vergaberecht, § 98 GWB, Rn. 288; Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 98 GWB, Rn. 58; Boesen, Verga­ berecht, § 98 GWB, Rn. 113; Regler, Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 151 f. 267 Die Vorschrift wendet sich an den Konzessionär, also denjenigen, der die Konzes­ sion von der öffentlichen Hand erhalten hat. Die öffentliche Hand (§ 98 Nr. 1 bis 3 GWB) ist in der Regel selbst verpflichtet, die Vergabe der Konzession auszuschreiben (vgl. Dre­ her, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 98, Rn. 199 ff.; Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 98 GWB, Rn. 63).

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

die Durchführung von Bauvorhaben über sogenannte Baukonzessionsmodelle zu finanzieren. Ebenso wie die subventionierte Drittfinanzierung soll auch die Vergabe von Baukonzessionen nicht zu einer Umgehung des Vergaberechts füh­ ren. 268 Im Hinblick auf das Ziel der Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes sind Umgehungen des Vergaberechts entgegenzuwirken. Die Tatbestände des § 98 Nr. 5 und 6 GWB erfassen solche Umgehungstatbestände. Die Einbezie­ hung der Auftraggeber nach § 98 Nr. 5 und 6 GWB in den Anwendungsbereich des Vergaberechts und damit die Einschränkung der grundrechtlichen gewähr­ leisteten Privatautonomie ist daher sachlich gerechtfertigt. Sie ist insbesondere verhältnismäßig, da die Auftraggeber nach § 98 Nr. 5 und 6 GWB nur partiell in den jeweils definierten Tätigkeitsbereichen dem Vergaberecht unterliegen. 5. Ergebnis Den von § 98 GWB erfassten nichtstaatlichen öffentlichen Auftraggebern ist gemein, dass sie eine auf den europäischen Beschaffungsmarkt bezogene Son­ derstellung innehaben, die staatlich beeinflusst bzw. veranlasst ist. 269 Der Staat nimmt durch Gewährung von Finanzmitteln, besonderen Rechten, Subventio­ nen oder Konzessionen Einfluss auf den Wettbewerb. Er schafft oder verstärkt hierdurch marktbezogene Sonderstellungen und verringert den wirtschaftlichen Druck dieser privaten Unternehmen. Diese Einflussnahme kann zu einer Be­ schränkung des freien Warenverkehrs sowie der Niederlassungs- und Dienstleis­ tungsfreiheit führen. Die Einbeziehung der nichtstaatlichen öffentlichen Auftrag­ geber in den Anwendungsbereich des Vergaberechts und damit einhergehend die Einschränkung der Privatautonomie ist gerechtfertigt, da dies zur Beseitigung der vom Staat erzeugten Ungleichgewichtslagen bzw. Wettbewerbsbeschränkun­ gen erforderlich ist. Die Zwänge des Vergaberechts dienen im Ergebnis somit dazu, einen Wettbewerb auf dem europäischen Beschaffungsmarkt zu ermög­ lichen. 270 Hierzu gehört es auch Umgehungsmöglichkeiten des Vergaberechts entgegenzuwirken. Das Vergaberecht stellt im Ergebnis somit eine verfassungskonforme Schranke der Privatautonomie dar. Damit können nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber dann nicht privatautonom agieren, wenn für sie der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet ist. Hieraus folgt im Weiteren, dass auch nichtstaatliche

268 Werner, in: Byok / Jaeger, Kommentar Vergaberecht, § 98 GWB, Rn. 289; Dreher, DB 1998, 2579 (2585); Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 98 GWB, Rn. 63; Reidt / Stickler, BauR 1997, 241 (249). 269 Siehe zu diesem „roten Faden“ Dreher, DB 1998, 2579 (2586). 270 Dreher, WuW 1999, 244 (246).

Kap. 2: Vertragsänderungen und Privatautonomie

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öffentliche Auftraggeber in der Änderung ihrer Verträge nicht frei sind, wenn hierdurch der Anwendungsbereich des Vergaberechts berührt wird.

E. Ergebnis Verträge zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen stellen in aller Regel zivilrechtliche Verträge dar. Das Vergaberecht ist Teil des Wettbewerbsrechts und damit auch Teil des Privatrechts. Infolge der privatrecht­ lichen Einordnung finden die Normen und Grundsätze des Zivilrechts auf die Vertragsanbahnung, den Abschluss und die Durchführung vergaberechtlicher Verträge Anwendung. Dies gilt aber nicht in gleicher Weise für den Grundsatz der Privatautonomie, insbesondere der aus ihr abgeleiteten Vertragsgestaltungs­ freiheit. Eine Anwendung der grundrechtlich verbürgten Vertragsfreiheit mit der Folge eines Freiraums vor rechtlicher Kontrolle würde voraussetzen, dass öffent­ liche Auftraggeber sich auf die die Vertragsfreiheit schützenden Grundrechte berufen sowie selbstbestimmt und frei über das Schicksal ihrer Verträge ent­ scheiden könnten. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie die Untersuchung unter Zugrundelegung einer rechtsdogmatischen Einordnung öffentlicher Auftragge­ ber gezeigt hat. Staatliche öffentliche Auftraggeber, also Auftraggeber, an denen ausschließ­ lich juristische Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar betei­ ligt sind, können sich mangels Grundrechtsfähigkeit bereits nicht auf die die Ver­ tragsfreiheit gewährleistenden Grundrechte berufen. Vielmehr zwingt die Rechts­ ordnung die staatlichen öffentlichen Auftraggeber zur Beachtung der Grundrech­ te und Strukturprinzipien der Verfassung. Die Grundsätze der Gleichbehandlung und des Verbots der Willkür binden staatliche öffentliche Auftraggeber bei al­ len ihren Entscheidungen und zwingen sie stets zu einer Rechtfertigung und sachlichen Begründung ihres Handelns. Hieraus folgt, dass die Rechtsordnung staatlichen öffentlichen Auftraggebern keine ungebundene und selbstbestimmte Freiheit zur Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse zugesteht. Staatliche öffentliche Auftraggeber können sich daher nicht auf die Grundsätze der Privatautonomie bei der Änderung ihrer Verträge berufen. Nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber, also Auftraggeber an denen juristi­ sche Personen des Privatrechts ganz oder zum Teil beteiligt sind, können sich grundsätzlich auf die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit berufen, da sie grundrechtsfähig sind und keine öffentlich-rechtlichen Bindungen existieren, die ein selbstbestimmtes Handeln von vornherein ausschließen. Im Anwendungsbe­ reich des Vergaberechts ist ihre Vertragsfreiheit jedoch eingeschränkt. Die Vor­ schriften des Vergaberechts stellen insoweit eine verfassungskonforme Schranke der Privatautonomie dar. Daher können sich auch nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber bei der Änderung ihrer Verträge nicht auf eine Privatautonomie

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

berufen, wenn die Änderungen den Anwendungsbereich des Vergaberechts be­ rühren. Die Untersuchung hat im Ergebnis gezeigt, dass die privatrechtliche Einord­ nung des Vergaberechts und der Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrages durch öffentliche Auftraggeber nicht den Schluss zulassen, dass diese ihre Verträge ent­ sprechend dem Grundsatz der Vertragsfreiheit frei und unter Ausschluss jeglicher rechtlicher Kontrolle ändern und verlängern können. Die Privatautonomie bildet im Anwendungsbereich des Vergaberechts daher keinen Beurteilungsmaßstab für das Handeln öffentlicher Auftraggeber.

Kapitel 3

Die Rechtsgrundlagen und

Rechtsgrundsätze des Vergaberechts

Im Folgenden sollen die vergaberechtlichen Rechtsgrundlagen (hierzu A.) und Rechtsgrundsätze (hierzu B), die der Untersuchung der in Kapitel 1 herausgear­ beiteten Fallgruppen vergaberechtsrelevanter Vertragsänderungen zugrunde zu legen sind, dargestellt werden.

A. Rechtsgrundlagen des Vergaberechts Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge ergeben sich vornehm­ lich aus dem sekundären Gemeinschaftsrecht, den Vergaberichtlinien (hierzu I.). Deren Umsetzung prägt die Rechtsgrundlagen des nationalen Vergaberechts (hierzu II.). I. Die europäischen Vergaberichtlinien Die Vergaberichtlinien als europäisches Sekundärrecht enthalten die Bestim­ mungen, die den wesentlichen Grundlagen des EG-Vertrages, nämlich der Wa­ ren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit, im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe Wirkung verschaffen sollen. 271 Die europäischen Vergaberichtli­ nien wurden gemäß ihren Begründungserwägungen im Rahmen der Maßnahmen erlassen, die für die Verwirklichung des Binnenmarktes erforderlich sind. 272 Ziel 271 Knauff, Dispositionsfreiheiten, S. 20; Götz, Beschaffungsmärkte, S. 8; Otting, in: Bechthold, GWB, Vor § 97, Rn. 3. 272 Erwägungsgründe 1 und 2 RL 92/50/EWG; EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C­ 26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 23. Auch die Kommission sieht die Möglichkeiten

Kap. 3: Rechtsgrundlagen des Vergaberechts

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der Vergaberichtlinien ist die gemeinschaftsweite Öffnung des öffentlichen Auf­ tragswesens für den Wettbewerb. 273 Die europäischen Vergaberichtlinien gelten nur für Aufträge, die einen be­ stimmten Auftragswert erreichen. Die Richtlinien legen hierfür konkrete Schwel­ lenwerte fest. Hiermit ist eine Wertung des europäischen Normgebers verbunden, dass nur solche Aufträge, welche die festgelegten Schwellenwerte erreichen oder überschreiten, den Wettbewerb auf europäischer Ebene beeinflussen und daher den Formalien und Regularien des Vergaberechts zu unterziehen sind. 274 Unter­ halb dieser Schwellenwerte greifen die Richtlinien nicht ein. Dort gilt neben den nationalen Bestimmungen der Mitgliedsstaaten primäres Gemeinschaftsrecht. 275 Die Vergaberichtlinien regeln sowohl die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen durch die öffentlichen Auftraggeber (Koordinierungs­ richtlinien) als auch die Anforderungen an den zu gewährenden Rechtsschutz (Rechtsmittelrichtlinien). 1. Die klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie Die sogenannte klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, Richtlinie 2004/ 18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. 03. 2004, 276 regelt die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge (VKR). Die VKR enthält Verfahrensregelungen und Pu­ blizitätsvorschriften, die den Zugang zu den öffentlichen Aufträgen fördern und das Vergabeverfahren transparent gestalten. Sie dienen der Verwirklichung der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit und sind stets in deren Lichte aus­ zulegen. 277 Die durch die Richtlinien vorgegebenen Pflichten der öffentlichen Auftraggeber begründen zugleich durchsetzbare Rechte der Bieter. 278 Das europäische Vergaberecht hat mit dem Legislativpaket 2004 eine um­ fassende Reform erfahren. Die bestehenden klassischen Vergabekoordinierungs­ richtlinien wurden in einer Richtlinie, der VKR, zusammengefasst. Die VKR hat somit die Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie, 279 die Lieferkoordinierungs­ des Vergabewesens als einen maßgeblichen Faktor zur Verwirklichung des Binnenmarktes an (vgl. KOM(2004) 22 endg., S. 12). 273 Maurer, Mitwirkungsverbot, S. 3. 274 Ohler, Öffentliche Auftraggeber, S. 20. 275 Knauff, Dispositionsfreiheiten, S. 20. 276 ABl. L 134, S. 114, berichtigt durch ABl. L 351, S. 44, zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 2083/2005, ABl. L 333, S. 28. 277 Ähnlich Bitterich, EWS 2005, 162 (165). 278 Knauff, Dispositionsfreiheiten, S. 21; Götz, Beschaffungsmärkte, S. 52. 279 Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. 06. 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209 vom 24. 07. 1992,

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

richtlinie 280 sowie die Baukoordinierungsrichtlinie 281 ersetzt. Mit der Zusammen­ fassung der ehemals drei Koordinierungsrichtlinien gingen zahlreiche inhaltliche Änderungen einher. Insbesondere wurde die Rechtsprechung des EuGH und des EuG, z. B. zu Dienstleistungskonzession oder zur Gewichtung der Kriterien, in der VKR umgesetzt. Wichtigste Neuerungen waren zudem die Nutzung elektro­ nischer Medien (Auktionen, dynamisches Beschaffungssystem), die Einführung des wettbewerblichen Dialogs sowie die Regelungen zu Rahmenvereinbarungen und zu Sekundärzwecken. 282 Ziel der Reform war eine Vereinfachung, Moder­ nisierung und Flexibilisierung des Vergaberechts. 283 Eine Vereinfachung des Vergaberechts sollte über die Zusammenfassung der drei Koordinierungsrichtli­ nien in einer gemeinsamen Richtlinie erreicht werden. Die Förderung und der Ausbau der elektronischen Medien dienen der Modernisierung der Richtlinien und sollten zu einer schnelleren und effektiveren Durchführung der Vergabever­ fahren führen. 284 Mit den Bestimmungen zum wettbewerblichen Dialog und zu den Rahmenvereinbarungen war eine Flexibilisierung des Vergaberechts ange­ strebt. 285

S. 1 ff.), zuletzt geändert durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 10. 1997 zur Änderung der Richtlinien 92/50/EWG, 93/36/EWG und 93/37/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleis­ tungs-, Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 328 vom 28. 11. 1997, S. 1 ff.) und die Richtlinie 2001/78/EG der Kommission vom 13. 09. 2001 (ABl. L 285 vom 29. 10. 2001, berichtigt ABl. L 214 vom 9. 8. 2002, S. 1 ff.). 280 Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. 06. 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199 vom 09. 08. 1993, S. 1 ff.), zuletzt geändert durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 10. 1997 zur Änderung der Richtlinien 92/50/EWG, 93/36/EWG und 93/ 37/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 328 vom 28. 11. 1997, S. 1 ff.) und die Richtlinie 2001/ 78/EG der Kommission vom 13. 10. 2001 (ABl. L 285 vom 29. 10. 2001, berichtigt ABl. L 214 vom 09. 08. 2002, S. 1 ff.). 281 Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. 06. 1993 zur Koordinierung der Verfah­ ren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199 vom 09. 08. 1993, S. 54 ff.), zuletzt geändert durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 10. 1997 zur Änderung der Richtlinien 92/50/EWG, 93/36/EWG und 93/37/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungs-, Liefer­ und Bauaufträge (ABl. L 328 vom 28. 11. 1997, S. 1 ff.) und die Richtlinie 2001/78/EG der Kommission vom 13. 09. 2001 (ABl. L 285 vom 29. 10. 2001, berichtigt ABl. L 214 vom 09. 08. 2002, S. 1 ff.). 282 Vgl. zu den Änderungen der europäischen Vergaberichtlinien überblicksartig Knauff, EuZW 2004, 141 ff.; Kullack / Terner, ZfBR 2004, 244 ff. und 346 ff.; Mader, EuZW 2004, 425 ff. 283 KOM(2003) 503 endg., S. 3; Prieß, S. 91.

284 Erwägungsgründe 37 f. VKR.

285 Prieß, S. 91.

Kap. 3: Rechtsgrundlagen des Vergaberechts

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2. Die Sektorenkoordinierungsrichtlinie Die Sektorenkoordinierungsrichtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parla­ ments und des Rates vom 31. 03. 2004 (SKR) regelt die Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste. 286 Die SKR ersetzt die Richtlinie 93/ 38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Telekommunikation (Sektorenbereiche). 287 Der traditionell vom Vergaberecht ausgenommene Bereich der Sektoren wur­ de einer gesonderten Richtlinie zugeführt. Diese etabliert ein abgeschwächtes spezielles Vergaberecht für die Sektorenbereiche. Die Lockerungen gegenüber den Bindungen staatlicher Auftraggeber sollten der bereits „aufkeimenden Wett­ bewerbsöffnung“ in diesen Bereichen Rechnung tragen. 288 Die Sektorenauftrag­ geber unterliegen zudem in den jeweiligen Mitgliedsstaaten im unterschiedlichen Maße Einflüssen des Marktes und des Staates. 289 Auch die rechtliche Einordnung als private oder öffentliche Unternehmen erforderte eine diesen Besonderheiten Rechnung tragende eigene Regelung. 290 Sektorenbereiche, in denen in Folge der Koordinierung der Vergabe öffentlicher Aufträge ein echter Wettbewerb herge­ stellt werden konnte (so im Telekommunikationsbereich), wurden aus dem An­ wendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen, da es nicht weiter notwendig war, die Beschaffungstätigkeit dieser Auftraggeber zu regeln. 291 3. Die Rechtsmittelrichtlinien Die Rechtsmittelrichtlinien 89/665/EWG 292 und 92/13/EWG 293 (RMR) geben den Rahmen für das „Vergabeprozessrecht“ vor. 294 Ziel der Rechtsmittelrichtli­ 286

ABl. L 134 vom 30. 04. 2004, S. 1, berichtigt durch ABl. L 358 vom 03. 12. 2004, zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 2083/2005 der Kommission vom 19. 12. 2005, ABl. L 333, S. 28. 287 ABl. Nr. L 199, S. 84 ff., zuletzt geändert durch Richtlinie 98/4/EG des Europäi­ schen Parlaments und des Rates vom 16. 02. 1998 (ABl. L 101 vom 01. 04. 1998, S. 1 ff.). 288 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1914. 289 Prieß, S. 87. 290 Prieß, S. 87. 291 Vgl. Erwägungsgrund 5 SKR. 292 Richtlinie des Rates vom 21. 12. 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Ver­ waltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl. L 395 vom 30. 12. 1989, S. 33 ff., ge­ ändert durch Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 12. 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (ABl. L 335 vom 20. 12. 2007, S. 31 ff.).

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

nien ist es, ein europaweit einheitliches prozessrechtliches Verfahren für das öf­ fentliche Auftragswesen zu schaffen und subjektive Rechtsschutzansprüche der Bieter zu statuieren. 295 Gegenseitige Kontrolle und die Einhaltung von Wettbe­ werbsregeln, welche gerichtlich erzwungen werden kann, sind Kernprinzipien funktionierenden Wettbewerbs. 296 In dem Anwendungsbereich der Rechtsmittel­ richtlinien sind die Mitgliedsstaaten daher verpflichtet, effektiven Rechtsschutz der Bieter sicherzustellen. 297 Von diesen wird eine „wirksame und vor allem möglichst rasch[e]“ Nachprüfung von Auftragsvergaben „auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften“ verlangt. 298 Ohne wirksame Kontrollmecha­ nismen wären die vergaberechtlichen Vorschriften nicht mehr als „ein zahnloser Tiger“. 299 Das europäische Vergaberecht gibt daher ein subjektives Recht auf Einhaltung der Vergaberegeln, um so Bieter vor willkürlichen Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber zu schützen. 300 Mit der Richtlinie 2007/66/EG vom 11. 12. 2007 (RMR-ÄnderungsRL) wur­ den die vorgenannten Richtlinien zwecks Verbesserung der Wirksamkeit der Nach­ prüfungsverfahren im Bereich des öffentlichen Auftragswesens reformiert. 301 Ziel der Novellierung war insbesondere, die Effektivität des Rechtsschutzes gegen ge­ meinschaftsrechtswidrige Direktvergaben öffentlicher Auftraggeber zu steigern. Die RMR-ÄnderungsRL gibt diesbezüglich die Einführung von Informationspflichten und Mindest-Stillhaltefristen vor der Vergabe eines öffentlichen Auf­ 293 Richtlinie des Rates vom 25. 02. 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwal­ tungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsver­ gabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 076 vom 23. 03. 1992, S. 14 ff.), geändert durch Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 12. 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (ABl. L 335 vom 20. 12. 2007, S. 31 ff.). 294 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1916. 295 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1917. 296 Neßler, EWS 1999, 89 (91); i. d. S. auch Bungenberg, Loewenstein / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 97, Rn. 2 und 3 unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 11. 08. 1995 – Rs. C-433/93 (Kommission / Deutschland), Slg. 1995, I-2302, Rn. 19. 297 Knauff, Dispositionsfreiheiten, S. 21. 298 So Art. 1 Abs. 1 UAbs. 3 RMR n. F. 299 So Dreher, EuZW 1998, 197. 300 EuGH, Urt. v. 11. 08. 1995 – Rs. C-433/93 (Kommission / Deutschland), Slg. 1995, I-2302, Rn. 19; Dreher, EuZW 1998, 197 (199). 301 Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 12. 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (ABl. L 335 vom 20. 12. 2007, S. 31 ff.).

Kap. 3: Rechtsgrundlagen des Vergaberechts

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trags vor. 302 Hierdurch soll die Wahrnehmung von Rechtsschutz ermöglicht wer­ den, bevor durch Vertragsschluss endgültige und irreversible Tatsachen geschaf­ fen werden. An die Missachtung der Informationspflichten und Mindest-Stillhal­ tefristen wird die Rechtsfolge der Nichtigkeit des Vertragsschlusses geknüpft. 303 Die Mitgliedsstaaten mussten die Änderungen der RMR-ÄnderungsRL bis zum 20. 09. 2009 umsetzen. II. Nationales Vergaberecht Die wichtigsten Rechtsquellen des nationalen Vergaberechts für Aufträge ober­ halb der Schwellenwerte sind das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), 304 die Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV) 305 so­ wie die Vergabe- und Vertragsordnungen (VOB / A, VOL / A und VOF). 306 Kenn­ zeichnend für das deutsche Vergaberecht ist das sogenannte „Kaskadenprinzip“: Das GWB bildet die gesetzliche Basis für die VgV (§§ 97 Abs. 6, 127 GWB), die VgV wiederum verweist auf die Anwendbarkeit der Vergabe- und Vertragsord­ nungen (§§ 4 – 6 VgV), welche aufgrund der Verweisung den Rang einer Rechts­ verordnung erhalten. 307 Dies gilt jedoch ausschließlich im Anwendungsbereich des Vergaberechts oberhalb der Schwellenwerte. 308 Das traditionelle Kaskadenprinzip stand mit dem geplanten Legislativpaket 2004, welches die novellierten Vergabekoordinierungsrichtlinien in nationales Recht umsetzen und das bisherige System vereinfachen sollte, auf den Prüfstand. Bereits im Jahr 2003 wurde eine Arbeitsgruppe zur „Verschlankung des Verga­ berechts“ eingesetzt. 309 Die Bundesregierung beschloss noch am 12. 05. 2004 302

Vgl. Art. 2a RMR n. F. Vgl. Art. 2d Abs. 1 lit. b RMR n. F. 304 Bekanntmachung vom 15. 07. 2005 (BGBl. I S. 2114), zuletzt geändert durch Arti­ kel 13 Absatz 21 des Gesetzes vom 25. 05. 2009 (BGBl. I S. 1102). 305 Bekanntmachung vom 11. 02. 2003 (BGBl. I S. 169), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 23. 09. 2009 (BGBl. I S. 3110). 306 Vgl. zu den Rechtsgrundlagen des nationalen Vergaberechts überblicksartig BVerfG, Beschl. v. 13. 06. 2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 (792), Rn. 8 –14. 307 Pache, DVBl 2001, 1781 (1786). 308 Unterhalb der Schwellenwerte finden die Vergabe- und Vertragsordnung lediglich über das Haushaltsrecht Anwendung. Das Haushaltsrecht entfaltet weder Außenwirkung noch vermittelt es Rechtsschutz. Das deutsche Vergaberecht hat damit eine Zweiteilung erfahren in den Bereich oberhalb der Schwellenwerte und den Bereich unterhalb der Schwellenwerte. Die Verfassungskonformität der Zweiteilung wurde lange Zeit bezwei­ felt (vgl. nur Pache, DVBl 2001, 1781 (1791)). Das BVerfG hat diese jedoch als ver­ fassungskonform eingestuft (BVerfG, Beschl. v. 13. 06. 2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 ff.). 309 Ergebnisbericht vom 05. 12. 2003 – IB3 – 26 05 00/05 (abrufbar unter www.ibr­ online.de); Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., Vor §§ 97 ff., Rn. 62. 303

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

entsprechende „Eckpunkte zur Verschlankung des Vergaberechts“. 310 Geplant war demnach eine „große Lösung“, welche über die europarechtlichen Vorgaben deutlich hinausgehen sollte. Wichtigstes Ziel war die Integration der materiel­ len Vergabevorschriften in eine gemeinsame Vergabeverordnung. 311 Aufgrund der vorzeitigen Auflösung und der Neuwahlen für den Bundestag im Jahr 2005 wurde das Gesetzgebungsverfahren jedoch vorzeitig beendet. Dies führte dazu, dass die novellierten Vergabekoordinierungsrichtlinien nicht fristgemäß umge­ setzt und ab dem 01. 02. 2006 teilweise unmittelbar geltendes Recht wurden. 312 Der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) legte in der Folge ein „Sofortpaket“ zur Anpassung der Vergabe- und Vertragsord­ nung für Bauleistungen (VOB / A) an zwingende Änderungen der novellierten Vergabekoordinierungsrichtlinien (VKR und SKR) sowie das Gesetz zur Be­ schleunigung der Umsetzung von Öffentlichen Privaten Partnerschaften (ÖPPBeschleunigungsgesetz) vor. 313 Das „Sofortpaket“ ist mit der VOB / A 2006 umge­ setzt worden. 314 Auch die Verdingungsordnung für Leistungen (VOL / A) 315 und die Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) wurden teilweise an geänderte Richtlinienbestimmungen angepasst. Die weitere Novellierung der Vergabevorschriften im Jahr 2009 setzt die europäischen Vorgaben insbesondere zum Rechtsschutz um und soll zu einer Vereinfachung und Verschlankung des Vergaberechts führen. Jedoch erfolgte die Umsetzung der gemeinschaftsrechtli­ chen Bestimmungen im bestehenden System der „Kaskade“. Dies ist auf Kritik gestoßen. 316 Vor allem wird die komplexe Struktur der Rechtsvorschriften bean­

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Hierzu Kratzenberg, NZBau 2004, 141 ff. Vgl. „Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit einer Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge“ vom 18. 03. 2005 (abrufbar unter www.ibr-online.de). 312 Vgl. zur „Vergaberechtsnovelle ohne Gesetzgeber“ Ruthig, NZBau 2006, 137 ff. und 208 ff. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hatte mit Rund­ schreiben vom 26. 01. 2006 sowie vom 31. 01. 2006 die unmittelbare Geltung – auch für die Sektorenrichtlinie – vorgegeben. Die Rechtsprechung ist ebenfalls von der un­ mittelbaren Wirkung der Vergabekoordinierungsrichtlinie ausgegangen (vgl. OLG Mün­ chen, Beschl. v. 06. 11. 2006 – Verg 17|:|06, VergabeR 2007, 225 (226); OLG Ko­ blenz, Beschl. v. 31. 05. 2006 – 1 Verg 3|:|06, ZfBR 2006, 813 (815); VK Niedersachsen, Beschl. v. 21. 08. 2006 – VgK-18/2006; VK Bund, Beschl. v. 20. 04. 2006 – VK 1 –19/06; VK Arnsberg, Beschl. v. 21. 02. 2006 – VK 29|:|05, NZBau 2006, 332). 313 Siehe zum „Sofortpaket“ Gabriel, LKV 2007, 262 ff. 314 Vgl. zu den Neuerungen im Rahmen der VOB 2006 Kratzenberg, NZBau 2006, 601 ff.; Steinberg, NVwZ 2006, 1349 ff. 315 Vgl. zu den Neuerungen im Rahmen der VOL / A 2006 Bischoff, NZBau 2006, 13 ff. 316 Ollmann, VergabeR 2008, 447 (448); Franke, Evaluierung Vergaberechtsände­ rungsgesetz, S. 52 ff. 311

Kap. 3: Rechtsgrundlagen des Vergaberechts

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standet, 317 welche ein Hemmnis für den grenzüberschreitenden Wettbewerb auf dem öffentlichen Vergabemarkt darstellt. 318 1. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) enthält in seinem vier­ ten Teil die Grundsätze des Vergabeverfahrens (§ 97 GWB), insbesondere des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung, und definiert den Anwendungsbereich des Vergaberechts oberhalb der Schwellenwerte (§§ 98 – 100 GWB) sowie die vergaberechtlichen Verfahrensarten (§ 101 GWB). Weiter­ hin wird in den §§ 102 ff. GWB das Rechtsschutzverfahren vor den Vergabe­ kammern und Oberlandesgerichten geregelt. Eine der wichtigsten Normen des Vergaberechts ist § 97 Abs. 7 GWB. Hiernach erhalten Unternehmen einen An­ spruch auf Einhaltung der Bestimmungen des Vergaberechts, soweit diese sub­ jektive Rechte verleihen. 319 Hervorzuheben sind weiterhin die Bestimmungen der §§ 101a und 101b GWB, welche eine Informations- und Wartepflicht des öf­ fentlichen Auftraggebers gegenüber den nicht berücksichtigten Teilnehmern vor Erteilung des Zuschlags festlegen und einen Verstoß gegen diese Pflichten mit der Nichtigkeit des Vertrages sanktionieren. Hierdurch soll in Umsetzung der Vorgaben der RMR-ÄnderungsRL der effektive Rechtsschutz der Bieter gegen Entscheidungen des Auftraggebers gewährleistet werden. 2. Die Vergabeverordnung Gemäß §§ 97 Abs. 6, 127 GWB ist die Bundesregierung ermächtigt, nähere Bestimmungen über das Vergabeverfahren durch Rechtsverordnung zu treffen. Dies geschah mit der Vergabeverordnung, welche am 01. 02. 2001 in Kraft trat. Die VgV enthält nähere Bestimmungen über das bei der Vergabe öffentlicher 317 Kau, EuZW 2005, 492 ff.: Das deutsche Kaskadenprinzip verstoße gegen das ge­ meinschaftsrechtliche Effektivitätsgebot (Art. 249 Abs. 3 EG), da die Mitgliedsstaaten einen eindeutigen rechtlichen Rahmen bei der Umsetzung der Gemeinschaftsrichtlinien schaffen müssten. Weiterhin verletze das Kaskadenprinzip die Grundfreiheiten des EGVertrages, da sie eine Marktöffnung verhinderten. Rechtstatsächliche Untersuchungen der Kommission hätten gezeigt, dass die Struktur des deutschen Vergaberechts aufgrund sei­ ner komplexen Rechtsvorschriften zu einer geringen Beteiligung ausländischer Bieter auf dem deutschen Vergabemarkt geführt habe. 318 Bericht der Kommission vom 03. 02. 2004 (Fn. 36), S. 12. Das Gutachten des Bun­ desministeriums für Wirtschaft und Technologie „Öffentliches Beschaffungswesen“ vom 12. 05. 2007, S. 26 (abrufbar auf der Homepage des Ministeriums), sieht ebenfalls einen Reformbedarf und schlägt eine Vereinfachung des Vergaberechts durch Reduzierung der Regelungen auf Grundprinzipien und allgemeine Kriterien vor. Die derzeit hohe Rege­ lungsdichte verhindere eine sachgerechte wirtschaftliche Vergabe. 319 Knauff, Dispositionsfreiheiten, S. 23.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

Aufträge einzuhaltende Verfahren sowie über die Zuständigkeit und das Verfah­ ren bei der Durchführung von Nachprüfungsverfahren (§ 1 VgV). Die Vergabeverordnung vermittelt den Vergabe- und Vertragsordnungen das erforderliche Maß an Rechtsverbindlichkeit. 320 Sie enthält eine statische Verwei­ sung auf diese, welche hierdurch die Rechtsqualität einer Rechtsverordnung er­ halten. 321 Sie weist den verschiedenen öffentlichen Auftraggebern entsprechend der zugrunde liegenden Auftragsart eines Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauf­ trags, einer freiberuflichen Leistung oder einer Tätigkeit im Sektorenbereich die jeweils anzuwendenden Abschnitte der Vergabe- und Vertragsordnungen zu. Die VgV ist damit das maßgebliche Bindeglied zwischen den Vergabevorschriften des GWB und denen der Vergabe- und Vertragsordnungen. 322 Die Vergabever­ ordnung findet lediglich auf europaweite Auftragsvergaben oberhalb der maß­ geblichen Schwellenwerte Anwendung. Die Höhe der einzelnen Schwellenwerte ist in § 2 VgV festgelegt und orientiert sich an den Vorgaben der Vergabekoor­ dinierungsrichtlinien. 323 3. Die Vergabe- und Vertragsordnungen Das materielle Vergaberecht ist in den Vergabe- und Vertragsordnungen, und zwar in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), 324 der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen – ausgenommen Bauleistun­ gen – (VOL) 325 sowie der Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) 326 320

Maurer, Mitwirkungsverbot, S. 7. Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkamp, Kartellrecht, Bd. 2, Vor §§ 97 ff., Rn. 24. 322 Maurer, Mitwirkungsverbot, S. 9; Ebert, Verhandlungsverfahren, S. 41; kritisch zur Kaskadenlösung Otting, in: Bechthold, GWB, Vor § 97, Rn. 13; Pache, DVBl. 2001, 1781 (1790 f.) sieht hierin einen Verstoß gegen das Transparenzgebot; Kau, EuZW 2005, 492 ff. sieht den Effektivitätsgrundsatz verletzt (vgl. Fn. 398). 323 Die Schwellenwerte betragen aktuell gemäß § 2 VgV: 137.000 Euro bzw. 211.000 Euro für Liefer- bzw. Dienstleistungsaufträge, 5.278.000 Euro für Bauleistungen und 422.000 Euro für Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Sektorenbereich. Die Schwel­ lenwerte liegen damit unter denjenigen der VKR (vgl. Art. 7 VKR: 249.000 Euro für Liefer- und Dienstleistungen, 6.242.000 Euro für Bauleistungen). Dies ist jedoch ge­ meinschaftsrechtskonform, da dem Vergaberecht hierdurch ein größerer Wirkungsbereich verschafft wird. 324 In der Fassung vom 18. 05. 2009, Bundesanzeiger Nr. 155 vom 15. 10. 2009. Der Abschnitt 1 des Teils A der VOB und Teil B der Ausgabe 2009 sollen gemeinsam erst mit der VgV, die den Abschnitt 2 des Teils A der VOB in Bezug nimmt, in Kraft treten. Hierfür ist die Zustimmung des Bundesrates erforderlich, sodass mit einem Inkrafttreten erst im Frühjahr 2010 zu rechnen ist. Quelle: www.bmvbs.de/Bauwesen/Bauauftragsvergabe­ ,1536/Vergabe-und-Vertragsordnung-fu.htm. 325 In der Fassung der Bekanntmachung vom 06. 04. 2006, Bundesanzeiger Nr. 100a vom 30. 05. 2006. Der Deutsche Verdingungsausschuss für Leistungen – ausgenommen 321

Kap. 3: Rechtsgrundlagen des Vergaberechts

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geregelt. Die Vergabe- und Vertragsordnungen haben den Charakter von Allge­ meinen Geschäftsbedingungen. 327 Sie erhalten erst durch die statische Verwei­ sung in den §§ 4 bis 7 VgV Außenwirkung mit dem Rechtsnormcharakter einer Verordnung. 328 Die VOB / A und VOL / A sind in Abschnitte gegliedert, welche die Anwen­ dungsbereiche der jeweils einschlägigen Vergabevorschriften voneinander ab­ grenzen (sog. „Schubladenprinzip“). Den einzelnen öffentlichen Auftraggebern nach § 98 Nr. 1 bis 4 GWB wird über die §§ 4 bis 6 VgV der jeweils anzuwen­ dende Abschnitt zugewiesen. 4. Vergaberecht als Umsetzungsrecht Das nationale Vergaberecht ist „Umsetzungsrecht“. Aufgrund dessen sind bei der Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des nationalen Vergaberechts stets die Vergabekoordinierungsrichtlinien heranzuziehen. Darüber hinaus ist die hinter den Koordinierungsrichtlinien stehende Zielsetzung, die Schaffung eines gemeinsamen Vergabebinnenmarktes auf europäischer Ebene, zu beachten. 329 Auch nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss sich die Auslegung natio­ nalen Vergaberechts soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie orientieren, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen. 330 Von den Vorgaben der europäischen Vergabekoordinierungsrichtlinien kann nur dann ab­ gewichen werden, wenn diese Mindestcharakter besitzen. In diesem Fall sind die Mitgliedsstaaten grundsätzlich befugt, strengere Regelungen im Hinblick auf die

Bauleistungen (DVAL) – unter Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie hat einen Entwurf der VOL / A 2009 erarbeitet, über dessen endgül­ tige Fassung bis Ende 2009 entschieden werden soll. Die Arbeit legt den Entwurf der VOL / A 2009 zugrunde. Quelle: http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Wirtschaft /Wirtschaftspolitik/oeffentliche-auftraege.html. 326 In der Fassung der Bekanntmachung vom 16. 03. 2006, Bundesanzeiger Nr. 91a vom 13. 05. 2006. Ein Entwurf zur Novellierung der VOF, Stand 04. 05. 2009, liegt vor und wird der Arbeit zugrunde gelegt. Quelle: http://www.ibr-online.de/IBRMaterialien /pdf/vof_final_04_05_2009.pdf. 327 Ebert, Verhandlungsverfahren, S. 42; Vygen, in: Ingenstau / Korbion, VOB, Einlei­ tung, Rn. 37 f. 328 Ebert, Verhandlungsverfahren, S. 42; Knauff, Dispositionsfreiheiten, S. 24; Vetter, NVwZ 2001, 745 (747) unter Bezugnahme auf OLG Düsseldorf, Urt. v. 29. 07. 1998 – U (Kart) 24/98, NJWE-WettbR 1999, 68 (71 f.). 329 OLG Bremen, Beschl. v. 03. 04. 2007 – Verg 2/07, VergabeR 2007, 517; Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 97; Ohler, Öffentliche Auftraggeber, S. 23 f.; Otting, in: Bechthold, GWB, Vor § 97, Rn. 16. 330 EuGH, Urt. v. 17. 09. 1997 – Rs. C-54/96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; Urt. v. 24. 09. 1998 – Rs. C-76/97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; Beschl. v. 24. 09. 1998 – Rs. C-111/97 (Austria), Slg. 1998, I-5411, Rn. 18.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

Zielsetzung des Vergaberechts zu erlassen. 331 Darüber hinaus kommt auch der Rechtsprechung des EuGH zum europäischen Primär- und Sekundärrecht des Vergaberechts maßgebliche Bedeutung bei der Auslegung und Rechtsfortbildung vergaberechtlicher Vorschriften zu. 332 III. Zusammenfassung der geltenden Rechtsgrundlagen Das Vergaberecht basiert maßgeblich auf den europäischen Vergaberichtli­ nien, der Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR), der Sektorenkoordinierungs­ richtlinie (SKR) sowie den Rechtsmittelrichtlinien (RMR). Diese verwirklichen das Grundanliegen des Europarechts zur Herstellung eines gemeinsamen Bin­ nenmarktes sowie die Grundfreiheiten und deren Konkretisierungen durch den EuGH im öffentlichen Auftragswesen. Das deutsche Vergaberecht ist Umset­ zungsrecht. Die europäischen Vorgaben werden in den vergaberechtlichen Vor­ schriften des GWB, der VgV sowie der Vergabe- und Vertragsordnungen umge­ setzt. Die Anwendung und Auslegung nationalen Vergaberechts muss sich soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der europäischen Vorgaben orientieren.

B. Grundsätze des Vergaberechts Das Vergaberecht ist stark geprägt durch Prinzipien und Grundsätze, die in allen Phasen des Vergabeverfahrens Anwendung finden und den Auslegungs­ maßstab für vergaberechtliche Normen bilden. Art. 2 VKR benennt explizit als Grundprinzipien des Vergaberechts die Grundsätze der Gleichbehandlung, Nicht­ diskriminierung und Transparenz. Diese Grundsätze konkretisieren die primär­ rechtlichen Vorgaben des EG-Vertrages, insbesondere das Diskriminierungsver­ bot sowie die Freiheiten des Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehrs. 333 Auf nationaler Ebene finden die wesentlichen Prinzipien des Vergaberechts ihre gesetzliche Verankerung in § 97 GWB und ihre konkrete Ausgestaltung in den Vergabe- und Vertragsordnungen. 334 Wesentliche Prinzipien sind hiernach der 331 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 98 ff.: Die Frage, ob die Vergaberichtlinie Mindestcharakter besitzt, ist im Einzelfall für die jeweils betroffene Bestimmung zu beantworten. 332 Mader, EuZW 1999, 331 (332). 333 Erwägungsgrund 2 VKR sowie Erwägungsgrund 9 SKR. Aus diesem Grund gelten die Prinzipien des Vergaberechts auch bei Auftragsvergaben außerhalb des Anwendungs­ bereichs des Vergaberechts und können bestimmte Anforderungen, wie zum Beispiel Publikationspflichten, begründen (vgl. EuGH, Urt. v. 21. 07. 2005 – Rs. C-231/03 (Co­ name), Slg. 2005, I-7287, Rn. 21; Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8585, Rn. 49). 334 Vgl. bspw. § 2 VOL / A bzw. VOB / A, § 4 VOF.

Kap. 3: Rechtsgrundlagen des Vergaberechts

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Wettbewerbsgrundsatz, das Gleichbehandlungsgebot sowie der Grundsatz der Transparenz. Die Einzelbestimmungen des Vergaberechts sind stets im Lichte der vorgenannten Regeln und Grundsätze auszulegen und anzuwenden. 335 I. Der Wettbewerbsgrundsatz Tragender Grundsatz und zentrales Element des nationalen Vergaberechts ist der Wettbewerbsgrundsatz. 336 Er ist gesetzlich in § 97 Abs. 1 GWB festgeschrie­ ben und findet seine individuelle Ausgestaltung in den Vergabe- und Vertragsord­ nungen. 337 Der Wettbewerbsgrundsatz verpflichtet die öffentlichen Auftraggeber, Leistungen im Wege eines wettbewerblichen Verfahrens zu beschaffen. Der Be­ griff des Wettbewerbs beinhaltet, dass sich möglichst viele Unternehmen im Rahmen einer Konkurrenzsituation um die Vergabe des Auftrages bewerben. 338 Die Beschaffung im Wettbewerb, das Gebot des wettbewerblichen Verfah­ rens sowie die Herstellung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem europäischen Markt werden auch in den Erwägungsgründen der Vergabekoordinierungsricht­ linien stets hervorgehoben. 339 Der Wettbewerbsgrundsatz wird aus den europa­ rechtlichen Marktfreiheiten (Warenverkehrsfreiheit, Niederlassungsfreiheit, Frei­ heit des Dienstleistungsverkehrs) und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG abgeleitet. 340 Leitziel des Vergaberechts auf europäischer Ebene ist die Errichtung und Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes. 341 Essen­ 335 Erwägungsgrund 2 VKR; Otting, in: Bechthold, GWB, Vor § 97, Rn. 2; Knauff, Dispositionsfreiheiten, S. 14 f. 336 Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 2, Rn. 7. 337 Vgl. z. B. § 2 Nr. 1 VOB / A, § 2 Nr. 1 VOL / A, § 4 Abs. 1 VOF. 338 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17. 06. 2002 – Verg 18/01, NZBau 2002, 626 (629); VK Sachsen, Beschl. v. 05. 01. 2001 – 1/SVK/111 – 00; Ebert, Verhandlungsverfahren, S. 53; Prieß, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 2 VOB / A, Rn. 49; Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 2, Rn. 7; Schranner, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 2 VOB / A, Rn. 39 betont das weite Verständnis des Begriffs des Wettbewerbs; ebenso Byok, NJW 2004, 198 (199). 339 Vgl. Erwägungsgründe 2, 11 – 13, 15, 21, 29, 31, 36, 41 VKR; Erwägungsgründe 4 f., 9, 41 f. SKR. 340 Boesen, Vergaberecht, § 97 GWB, Rn. 6 ff., Ebert, Verhandlungsverfahren, S. 52; Brauer, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 97, Rn. 3. 341 Hieraus folgt als zentrales Prinzip das Wettbewerbsprinzip (vgl. Ziekow, VergabeR 2006, 702 (707)). Zwar argumentiert der EuGH nur selten mit dem Wettbewerbsprinzip, da dieses auf europäischer Ebene mehr ein Ziel als ein Grundsatz ist (vgl. Burgi, NZBau 2008, 29 (31). Er prüft vielmehr Beeinträchtigungen des Wettbewerbs am Maßstab der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz. Jedoch lässt sich der nationale Grundsatz des Wettbewerbs und dessen Ausformung insbesondere in der Rechtsprechung auch im Rückgriff auf die Gebote der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Trans­ parenz systematisieren (so zutreffend Ziekow, VergabeR 2006, 702 (708 f.); Burgi, NZBau 2008, 29 (33).

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

zielle Voraussetzung hierfür ist die Gewährleistung eines freien und gleichen Marktzugangs für alle potenziellen Bewerber. 342 Aus dem Wettbewerbsgrundsatz werden Handlungs- und Unterlassungspflich­ ten des öffentlichen Auftraggebers abgeleitet. Die Handlungspflichten sind auf die Herbeiführungen eines uneingeschränkten Wettbewerbs gerichtet, die Unter­ lassungspflichten auf die Vermeidung aller Beschränkungen und Beeinträchti­ gungen. 343 Hieraus folgt, dass kein Verhalten eines öffentlichen Auftraggebers gerechtfertigt sein kann, welches die Ausschreibung ihrer Funktion als Auswahlverfahren beraubt und die Mitbewerber um ihre Chance bringt, im Leistungs­ wettbewerb um den Auftrag zu konkurrieren. 344 Die öffentlichen Auftraggeber haben daher sicherzustellen, dass der Wettbewerb ungestört und unbeeinflusst von wettbewerbsfremden, wettbewerbsbeschränkenden oder unlauteren Zielset­ zungen und Verhaltensweisen sowie unter Beachtung der Rechtsvorschriften durchgeführt wird. 345 Dem Wettbewerbsgebot wohnt zudem der Wille des Gesetzgebers inne, die Vergabe von Leistungen einer regelmäßigen Kontrolle durch den Wettbewerb zu unterwerfen. 346 Vor Vergabe eines Auftrages hat der Auftraggeber ein geregeltes Vergabeverfahren einzuleiten. 347 Nur so besitzen alle interessierten Unternehmen die Möglichkeit zur Teilnahme am Vergabeverfahren. Teilnahme- und Angebotsfristen müssen so bemessen sein, dass nicht schon hierdurch eine faktische Behinderung einzelner Bewerber eintritt. Ein offener und transparenter Wett­ bewerb, wie ihn § 97 Abs. 1 GWB fordert, gibt den am Auftrag interessierten Unternehmen ein Recht auf Teilhabe am Auftragsmarkt und unterbindet damit zugleich die Entstehung eines „Hoflieferantentums“. 348 Dabei schützt der Wett­ bewerbsgrundsatz nicht nur das einzelne Beschaffungsvorhaben, sondern auch den potenziellen Wettbewerb um künftige Auftragsvergaben der öffentlichen Hand. 349 Auf die Einhaltung dieser Grundsätze haben die Unternehmen einen Anspruch gemäß § 97 Abs. 7 GWB.

342 VK Sachsen, Beschl. v. 05. 01. 2001 – 1/SVK/111 –00; Riese, Vergaberecht, S. 43; Niebuhr, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, § 97, Rn. 8; Marx, in Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsvergabe, S. 12; Bungenberg, Loe­ wenstein / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 97, Rn. 8. 343 Prieß, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 2 VOB / A, Rn. 50. 344 Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, § 2 VOB / A, Rn. 21. 345 Prieß, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 2 VOB / A, Rn. 2. 346 Ähnlich Noch, NZBau 2002, 86; Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 2, Rn. 11. 347 Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 97, Rn. 4 unter Bezug­ nahme auf BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 ff. 348 Marx, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsvergabe, S. 12; Prieß, in Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 2 VOB / A, Rn. 2; Noch, NZBau 2002, 86. 349 Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 97, Rn. 5.

Kap. 3: Rechtsgrundlagen des Vergaberechts

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Die Forderung nach freiem Wettbewerb zwischen den Bietern und die Ein­ haltung des Wettbewerbsgebots durch öffentliche Auftraggeber gelten für den gesamten Beschaffungsvorgang, welcher erst mit der endgültigen Abwicklung des kompletten Auftrages abgeschlossen ist. Der Grundsatz der Gewährleistung eines transparenten Wettbewerbs ist mithin nicht auf das Vergabeverfahren be­ schränkt, sondern gilt darüber hinaus auch im Rahmen der Vertragsdurchfüh­ rung. 350 Der freie Marktzugang und der Grundsatz des Wettbewerbs werden daher auch dann beeinträchtigt, wenn eine einmal begründete Beschaffungsbe­ ziehung durch wiederholte Vertragsverlängerung unter Ausschluss des Wettbe­ werbs fortgesetzt wird. 351 II. Das Gebot der Gleichbehandlung Das Gleichbehandlungsgebot ist ein grundlegendes Prinzip des Gemeinschafts­ rechts und des deutschen Verfassungsrechts. 352 Es findet seine Wurzeln in den Grundfreiheiten des EG-Vertrages (Art. 12 EG) 353 sowie in Art. 3 GG. 354 Verga­ berechtlich ist das Gebot der Gleichbehandlung in Art. 2 VKR, Art. 10 SKR und § 97 Abs. 2 GWB normiert und erfährt in den materiellen Vergabevorschriften seine spezielle Ausgestaltung. Anliegen des europäischen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist das Verbot von direkten und mittelbaren Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit. 355 Im Vergaberecht beinhaltet das Prinzip die Garantie gleicher Bedingungen und die Neutralität des öffentlichen Auftraggebers gegenüber den Bietern. So schreibt Art. 2 VKR vor, dass die öffentlichen Auftraggeber alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nicht diskriminierend behandeln und in transparenter Weise vorge­ hen. Gemäß § 97 Abs. 2 GWB sind alle Teilnehmer am Wettbewerb gleich zu behandeln, es sei denn, eine Benachteiligung ist aufgrund dieses Gesetzes aus­ drücklich geboten oder gestattet. Ungleichbehandlungen sind somit nur dann zulässig, wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen. Eine Rechtfertigung ist stets ausgeschlossen, wenn die Ungleichbehandlung auf einem Verstoß gegen gesetzli­ che Vorschriften beruht. 356 Das vergaberechtliche Gleichbehandlungsgebot geht über das in den Grundfreiheiten enthaltene Diskriminierungsverbot hinaus und verbietet unterschiedslos jegliche sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehand­ 350

Niebuhr, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, § 97, Rn. 13. Prieß, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 2 VOB / A, Rn. 49. 352 BR-Drs. 13/9340, S. 14. 353 EuGH Urt. v. 18. 10. 2001 – Rs. C-19/00 (SIAC), Slg. 2001, I-7725, Rn. 32 f.; Urt. v. 03. 10. 2000 – Rs. C-380/98 (University Cambridge), Slg 2000, I-8035, Rn. 16 f. 354 Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 97, Rn. 25. 355 Mader, EuZW 1999, 331 (337 f.). 356 OLG Stuttgart, Beschl. v. 24. 03. 2000 – 2 Verg 2/99, NZBau 2000, 301 (303 f.). 351

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

lung. 357 Es beinhaltet zugleich ein Willkürverbot und die Verpflichtung, dass die Vergabe von Aufträgen nach transparenten und objektiven Kriterien zu erfolgen hat. 358 Der öffentliche Auftraggeber muss seine Entscheidungen hieran messen lassen mit der Folge, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz einen Anspruch auf sachliche Rechtfertigung der Entscheidungen und Ausübung pflichtgemäßen Er­ messens begründet. 359 Das Gebot der Gleichbehandlung und das Verbot von Diskriminierungen ste­ hen in einem engen Zusammenhang mit dem Wettbewerbsprinzip. Gleichbe­ handlung ist Grundvoraussetzung eines fairen Wettbewerbs. 360 Ein solcher ist wiederum nur möglich, wenn alle Bewerber die gleiche Chance auf ein faires Verfahren besitzen und nicht ohne sachlichen Grund bevorzugt oder benach­ teiligt werden. 361 Das Gleichbehandlungsgebot vermittelt dementsprechend ein subjektives Recht auf gleiche Chance beim Zugang zum Wettbewerb um den öffentlichen Auftrag. 362 Dieses subjektive Recht können auch potenzielle Bieter in Anspruch nehmen, die durch gezielte oder benachteiligende Aktionen von der Teilnahme am Vergabeverfahren abgehalten wurden. 363 Ebenso wie das Wettbewerbsprinzip gilt das Gebot der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung in sämtlichen Phasen des Vergabeverfahrens. 364 Das Gleichbehandlungsgebot ist betroffen, wenn erstmals eine Benachteiligung denk­ bar ist, also bereits dann, wenn der öffentliche Auftraggeber trotz Eröffnung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts kein geregeltes Vergabeverfahren durch­ zuführen beabsichtigt. 365

357 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1800; Ebert, Verhandlungsverfahren, S. 53; Ziekow, VergabeR 2006, 702 (707). 358 Die Bindung öffentlicher Auftraggeber an das Willkürverbot betonen BGH, Urt. v. 17. 02. 1999 – X ZR 101/97, NJW 2000, 137 (139); OLG Brandenburg, Beschl. v. 03. 08. 1999 – 6 Verg 1/99, NVwZ 1999, 1142 (1146); Marx, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsvergabe, S. 13; Regler, Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 174. 359 Triantafyllou, NVwZ 1994, 943 (945). 360 Marx, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 97 GWB, Rn. 20; Niebuhr, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, § 97, Rn. 102; Riese, Vergabe­ recht, S. 44; Kayser, Nationale Regelungsspielräume, S. 13. 361 Koenig / Kühling, NVwZ 2003, 779 (781); Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Verga­ berecht Kommentar, § 97 GWB, Rn. 6a; Ebert, Verhandlungsverfahren, S. 54; Schranner, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 2 VOB / A, Rn. 52. 362 Bungenberg, Loewenstein / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 97, Rn. 22; Niebuhr, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, § 97, Rn. 110. 363 Triantafyllou, NVwZ 1994, 943 (945); Riese, Vergaberecht, S. 44. 364 Voppel / Osenbrück / Bubert, VOF, § 4, Rn. 18; Marx, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 97 GWB, Rn. 23.

Kap. 3: Rechtsgrundlagen des Vergaberechts

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III. Das Transparenzgebot Die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung bedin­ gen zugleich eine Verpflichtung öffentlicher Auftraggeber zur Transparenz. 366 Der Grundsatz der Transparenz ist ebenfalls in Art. 2 VKR, Art. 10 SKR sowie in § 97 Abs. 1 GWB normiert. Auf europarechtlicher Ebene wird das Transpa­ renzgebot aus dem primärrechtlichen Diskriminierungsverbot (Art. 12 EG) ab­ geleitet. 367 Auf nationaler Ebene folgt es zudem aus den Grundrechten. 368 Es ist Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips, zu welchem die Vorhersehbarkeit und Mess­ barkeit staatlichen Handelns gehören. 369 Der Transparenzgrundsatz begründet daher einen verfassungsrechtlichen Schutzanspruch gegen staatliche Willkür. 370 Das Transparenzgebot dient der Gewährleistung der Prinzipien des Wettbe­ werbs und der Gleichbehandlung. 371 Es ist eine wichtige Voraussetzung für ein chancengleiches Vergabeverfahren sowie einen funktionierenden Wettbewerb. 372 Die Verpflichtung zur Transparenz im Vergaberecht beinhaltet, dass die öffentli­ chen Auftraggeber einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherstellen. 373 Der öffentliche Auftraggeber muss daher seine Absicht, einen Auftrag zu ver­

365

EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 31 f; GA Stix-Hackl, Schlussanträge v. 23. 09. 2004 Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 23; Kus, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 97, Rn. 31. 366 EuGH, Urt. v. 06. 04. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 21 ff.; Urt. v. 21. 07. 2005 – Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 21; Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8585, Rn. 49; Urt. v. 07. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Teleaustria), Slg. 2000, I-10745, Rn. 62; Ziekow, VergabeR 2006, 702 (707). 367 EuGH, Urt. v. 06. 04. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 21 ff.; Urt. v. 21. 07. 2005 – Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 21; Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8585, Rn. 49; Urt. v. 07. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Teleaustria), Slg. 2000, I-10745, Rn. 60 ff. 368 BVerwG, Urt. v. 02. 07. 2003 – BVerwG 3 C 46/02, E 118, 270 (271 ff.). 369 BGH, Urt. v. 06. 02. 2002 – X ZR 185/99, NZBau 2002, 344 (345); Urt. v. 17. 02. 1999 – X ZR 101/97, NJW 2000, 137 (139). 370 Bungenberg, Loewenstein / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 97, Rn. 12. 371 Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 97, Rn. 12; Brauer, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 97, Rn. 17. 372 Ebert, Verhandlungsverfahren, S. 55; Waldner, Bieterschutz, S. 95; Hailbronner, in: Byok / Jaeger, Kommentar Vergaberecht, § 97 GWB, Rn. 190; Boesen, Vergaberecht, § 97 GWB, Rn. 16. 373 EuGH, Urt. v. 06. 04. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 21 ff.; Urt. v. 21. 07. 2005 – Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rn. 21; Urt. v. 13. 10. 2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8585, Rn. 49; Urt. v. 07. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Teleaustria), Slg. 2000, I-10745, Rn. 62; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1801.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Rechtsgrundlagen

geben, in geeigneter Weise bekannt machen. 374 Die Bekanntmachung ist ein wesentliches Element zur Schaffung transparenter Marktstrukturen, da nur so die Kenntnisnahme- und Teilnahmemöglichkeit von potenziellen Anbietern ge­ währleistet werden kann. 375 Daher gilt das Unterlassen eines Ausschreibungsver­ fahrens als eines der schwersten Verstöße gegen das Vergaberecht. 376 Das Diskriminierungsverbot und das Transparenzgebot gelten auch außerhalb des Anwendungsbereichs der vergaberechtlichen Richtlinien. 377 Transparenz-, Teilnahme- und Publizitätsvorschriften vermitteln den Bietern ein subjektives Recht auf Einhaltung dieser Bestimmungen im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB. 378

C. Zusammenfassung Erklärtes Ziel des Gemeinschaftsrechts ist die Ausdehnung des Wettbewerbs auch im Bereich des öffentlichen Auftragswesens über die Grenzen der einzelnen Mitgliedsstaaten hinaus. Hierdurch sollen die nationalen Märkte geöffnet und ein einheitlicher Binnenmarkt, also ein Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist, realisiert werden. Die Vergaberichtlinien enthalten als europäisches Sekundär­ recht die Bestimmungen, die diesen Grundlagen des EG-Vertrages im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe Wirkung verschaffen sollen. Sie spiegeln das primäre Anliegen des europäischen Normgebers wider. Ziel der Koordinierungs­ richtlinien ist die Förderung der grenzüberschreitenden Auftragsvergaben durch Abbau von Marktzutrittshemmnissen sowie die Stärkung des freien, grenzüber­ schreitenden Wettbewerbs um öffentliche Aufträge. Die europäischen Vorgaben zum Vergaberecht werden in den Vorschriften des GWB, der VgV und der Verga­ be- und Vertragsordnungen im nationalen Recht umgesetzt. Bei der Anwendung und Auslegung der nationalen Vorschriften des Vergaberechts sind die Ziele und Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und deren Konkretisierungen in den Vergabekoordinierungsrichtlinien stets zu beachten. Die wesentlichen Prinzipien des Vergaberechts, der Wettbewerbsgrundsatz, das Gleichbehandlungsgebot sowie der Grundsatz der Transparenz tragen maß­ 374 Mitteilung der Kommission, ABl. C 179 vom 01. 08. 2006, S. 3 ff.; Ebert, Verhand­ lungsverfahren, S. 56. 375 Ohler, Öffentliche Auftraggeber, S. 21 f. 376 Erwägungsgrund 13 RMR-ÄnderungsRL; EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/ 03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 37; Frenz, EuZW 2006, 748 (749); ders.; Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1801. 377 EuGH, Urt. v. 06. 04. 2006 – Rs. C-410/04 (ANAV), Slg. 2006, I-3303, Rn. 21 ff.; Braun, VergabeR 2005, 586 (589). 378 Bungenberg, Loewenstein / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 97, Rn. 21.

Kap. 3: Rechtsgrundlagen des Vergaberechts

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geblich zur Verwirklichung des gemeinschaftsrechtlichen Anliegens bei. Das Wettbewerbsgebot gewährleistet einen freien und gleichen Marktzugang für al­ le potenziellen Bewerber. Er gibt dem am Auftrag interessierten Unternehmen ein Recht auf Teilhabe am Auftragsmarkt. Dem Wettbewerbsgebot wohnt der Wille des Gesetzgebers inne, die Vergabe von Leistungen einer regelmäßigen Kontrolle durch den Wettbewerb zu unterwerfen. Der freie Marktzugang und der Grundsatz des Wettbewerbs werden daher beeinträchtigt, wenn eine einmal be­ gründete Beschaffungsbeziehung durch wiederholte Vertragsverlängerung unter Ausschluss des Wettbewerbs fortgesetzt wird. Das vergaberechtliche Gleichbehandlungsgebot verbietet unterschiedslos jeg­ liche sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung. Es beinhaltet zugleich ein Willkürverbot und die Verpflichtung, dass die Vergabe von Aufträgen nach transparenten und objektiven Kriterien erfolgt. Das Gleichbehandlungsgebot ver­ mittelt ein subjektives Recht auf Zugang zum Wettbewerb um den öffentlichen Auftrag. Es wird daher verletzt, wenn der öffentliche Auftraggeber trotz Eröff­ nung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts kein geregeltes Vergabeverfah­ ren durchführt. Der Grundsatz der Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung für die Ge­ währleistung eines chancengleichen Vergabeverfahrens sowie eines funktionie­ renden Wettbewerbs. Die Verpflichtung zur Transparenz im Vergaberecht bein­ haltet, dass die öffentlichen Auftraggeber einen angemessenen Grad an Öffent­ lichkeit sicherstellen, der den Markt dem Wettbewerb öffnet. Der öffentliche Auftraggeber muss daher seine Absicht, einen Auftrag zu vergeben, in geeigne­ ter Weise bekannt geben. In schwerster Weise wird daher gegen die Grundsätze und Regeln des Gemeinschaftsrechts verstoßen, wenn überhaupt kein Ausschrei­ bungsverfahren und damit kein Wettbewerb um den Auftrag durchgeführt wird.

Teil 2

Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen Die in dem Kapitel 1 herausgearbeiteten Fallgruppen von Vertragsänderun­ gen und Vertragsverlängerungen sollen im Folgenden unter Zugrundelegung der vergaberechtlichen Regelungen und Ziele sowie der allgemeinen Grundsätze des Vergaberechts, wie sie in Kapitel 3 herausgearbeitet wurden, auf ihre ver­ gaberechtliche Relevanz hin untersucht werden. Im Rahmen der Untersuchung sollen Zulässigkeitsvoraussetzungen erarbeitet und zulässige von unzulässigen Vertragsänderungen abgegrenzt werden.

Kapitel 4

Nachträgliche Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung Nachträglichen Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung liegt die rechtli­ che Konstellation zugrunde, dass der öffentliche Auftraggeber und sein privater Vertragspartner nach Zuschlagserteilung im laufenden Vertragsverhältnis die ur­ sprünglichen, der Ausschreibung zugrunde gelegten Vertragsparameter, wie bei­ spielsweise den Leistungsgegenstand oder den Leistungsumfang, die Laufzeit des Vertrages oder die Vertragspartner, abändern.

A. Vergaberechtliche Problemstellung Nachträgliche Vertragsänderungen sind Aufträge, die im Prinzip auf den Ein­ kauf einer Leistung gerichtet sind. 1 Denn der öffentliche Auftraggeber hat einen Bedarf bzw. einen geänderten Bedarf, welchen er durch Anpassung eines be­ stehenden Vertragsverhältnisses statt durch Ausschreibung deckt. Derartige An­ passungsverträge können das Vergaberecht und das in diesem verankerte Prin­ 1

Müller, NZBau 2001, 416 (422); Marx, NZBau 2002, 311 (313).

Kap. 4: Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung

117

zip, der Beschaffung im Wettbewerb, unterlaufen. Die Bedarfsdeckung durch Änderung, Ergänzung oder Erweiterung der bestehenden Verträge entzieht die geänderte Leistung dem Markt und kann bei ungehindertem Fortgang zu einer Abschottung der Märkte führen. Weiterhin ist auch das Gleichbehandlungsgebot betroffen, wenn der Auftraggeber beschließt, einen bestimmten Auftrag trotz eröffneten Anwendungsbereichs des Vergaberechts nicht dem Wettbewerb zu unterstellen. 2 Wäre es dem öffentlichen Auftraggeber möglich, seinen Bedarf durch stetige Vertragsänderungen zu befriedigen, so hätte er es in der Hand, eine einmal be­ gründete Beschaffungsbeziehung am Wettbewerb vorbei unendlich fortzusetzen. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Zweck des Vergaberechts, wonach öf­ fentliche Auftraggeber Waren, Bau- und Dienstleistungen im Wettbewerb mittels transparenter, das Gleichbehandlungsgebot wahrender Vergabeverfahren beschaf­ fen müssen. 3

B. Vergaberechtliche Zulässigkeitsanforderungen Vor dem Hintergrund der vergaberechtlichen Problematik sollen im Folgenden die vergaberechtlichen Zulässigkeitsanforderungen für nachträgliche Vertragsän­ derungen durch Parteivereinbarung entwickelt werden. Hierfür ist zunächst das Meinungsbild in Literatur und Rechtsprechung zu untersuchen, um Tatbestände zulässiger und unzulässiger nachträglicher Vertragsänderungen herauszuarbei­ ten (hierzu I.). Diese Tatbestände werden anschließend im Einzelnen näher zu untersuchen sein (hierzu II. bis IV.). I. Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur 1. Europarechtliche Rechtsprechung Der EuGH befasste sich in der Rechtssache „pressetext“ 4 mit der Frage der ver­ gaberechtlichen Relevanz von Vertragsänderungen nach Zuschlagserteilung. Als Grundsatz hielt der EuGH zunächst fest, dass Änderungen der Bestimmungen eines öffentlichen Auftrags während seiner Geltungsdauer als Neuvergabe des Auftrags im Sinne der Vergabekoordinierungsrichtlinie anzusehen sind, wenn sie wesentlich andere Merkmale aufweisen als der ursprüngliche Auftrag und damit 2 EuGH, Urt. v. 10. 04. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01 (Kommission / Deutschland), Slg. 2003, I-3609, Rn. 38 f. 3 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (700) sowie Beschl. v. 14. 02. 2001 – Verg 13/00, NZBau 2002, 54 (55); VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 12. 2000 – 203-VgK-16/2000; Prieß, S. 112; Ziekow, VergabeR 2004, 430 (432). 4 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401.

118

Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

den Willen der Parteien zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen des Vertrages erkennen lassen. 5 Änderungen eines öffentlichen Auftrags während seiner Laufzeit können als wesentlich angesehen werden, wenn Bedingungen eingeführt werden, die die Zulassung anderer als der ursprünglich zugelassenen Bieter oder die Annahme eines anderen als das ursprüngliche Angebot erlaubt hätten, wenn sie Gegenstand des Vergabeverfahrens gewesen wären. Eine Ände­ rung könne auch dann als wesentlich angesehen werden, wenn der Auftrag im großen Umfang auf ursprünglich nicht vorgesehene Leistungen erweitert oder das wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrages in einer im ursprünglichen Auf­ trag nicht vorgesehenen Weise zugunsten des Auftragnehmers geändert wird. 6 Bereits in einer älteren Entscheidung hatte der EuGH betont, dass der Auftrag­ geber nicht befugt sei, die allgemeine Systematik der Ausschreibung durch eine einseitige Änderung der wesentlichen Vertragsbedingungen abzuändern. 7 Möch­ te der Auftraggeber die Möglichkeit besitzen Ausschreibungsbedingungen nach Zuschlagserteilung abzuändern, müsse er eine solche Änderungsmöglichkeit ebenso wie die Modalitäten ihrer Durchführung in der Ausschreibungsbekannt­ machung ausdrücklich vorsehen, so dass sämtliche am Auftrag interessierten Unternehmen hiervon von Anfang an Kenntnis haben und daher bei der Ab­ fassung ihres Angebots gleichgestellt sind. 8 Wenn eine solche Möglichkeit nicht ausdrücklich vorgesehen ist, der Auftraggeber aber nach der Auftragsvergabe von einer der festgelegten Modalitäten abweichen will, kann er das Verfahren unter anderen Bedingungen als den ursprünglich festgelegten nicht rechtmäßig fort­ führen. 9 Hieraus folgt wiederum, dass solche Vertragsänderungen, die bereits in den ursprünglichen Ausschreibungsbedingungen angelegt waren, grundsätzlich wettbewerbsneutral und damit vergaberechtsfrei sind. 10 2. Nationale Rechtsprechung Hinsichtlich der vergaberechtlichen Bedeutung von Vertragsänderungen nach Zuschlagserteilung hat sich in der nationalen Rechtsprechung einheitlich die Grundregel herausgebildet, dass immer dann von einem neuen Auftrag und somit von der Erforderlichkeit eines neuen Vergabeverfahrens auszugehen ist, 5

EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 34. EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 35 f. 7 EuGH, Urt. v. 29. 04. 2004 – Rs. C-496/99 (Succhi di frutta), Slg. 2004, I-03801, Rn. 116. 8 EuGH, Urt. v. 29. 04. 2004 – Rs. C-496/99 (Succhi di frutta), Slg. 2004, I-03801, Rn. 118; GA Bot, Schlussanträge v. 27. 10. 2009 – Rs. C-91/08 (Wall AG), Rn. 65. 9 EuGH, Urt. v. 29. 04. 2004 – Rs. C-496/99 (Succhi di frutta), Slg. 2004, I-03801, Rn. 119. 10 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401; ebenso im Grundsatz GA Bot, Schlussanträge vom 27. 10. 2009 – Rs. C-91/08 (Wall AG), Rn. 63. 6

Kap. 4: Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung

119

wenn die die Vertragsverlängerung oder -umgestaltung ausmachende vertragli­ che Regelung in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen bei wertender Betrachtung dem Abschluss eines neuen Auftrages gleichkommt. 11 In diesem Fall unterliege die Vertragsänderung bzw. die Vertragsanpassung dem Anwendungsbereich des Vergaberechts. 12 Hinsichtlich der Frage, wann nach dieser Grundregel von einer Ausschreibungspflicht auszugehen ist, existieren verschiedene Ansatzpunkte. Das OLG Düsseldorf verlangt zunächst, dass die Änderung des Vertrages nicht bloß unerheblicher Art sein darf, also wesentlich sein muss. 13 Dies sei dann anzunehmen, wenn der Vertrag nicht lediglich an veränderte Umstände angepasst würde, sondern vielmehr substanzielle Abänderungen erfahre, 14 bei­ spielsweise, wenn das Leistungsspektrum nicht unerheblich erweitert würde. 15 Gleiches gelte für die Übertragung völlig neuer Leistungsbestandteile, 16 der Än­ derung der Vergütung bzw. der Preisgestaltung 17 sowie der Einbeziehung neuer Vertragspartner. 18 Auch Reduzierungen des Entgeltes und des Auftragsvolumens können nach Auffassung des OLG Düsseldorf erheblich sein und eine Ausschrei­ bungspflicht begründen. 19 Die grundlegende Rechtsprechung des OLG Düsseldorf fand in der vergaberechtlichen Rechtsprechung weitestgehend Anklang. 20 Auch dort wurde darauf 11

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. 01. 2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344) sowie Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (700); OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 (458); VK Brandenburg, Beschl. v. 17. 06. 2008 – VK 13/08; VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 16. 11. 2004 – 1 VK 69/04, IBR 2005, 1095 und Beschl. v. 26. 03. 2002 – 1 VK 7/02; VK Bund, Beschl. v. 13. 07. 2001 – VK 1 – 19/01, NZBau 2002, 110 (111); VK Niedersach­ sen, Beschl. v. 12. 12. 2000 – 203-VgK-16/2000; a. A. LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 28. 01. 2008 – 2 – 4 LG 201/06, VergabeR 2008, 513 (520), welches die Grundregel als „wenig hilfreich“ erachtet und vielmehr die Auswirkungen der Vertragsänderungen auf den Bieterwettbewerb betrachtet und einen sachlichen Grund für die Vertragsänderung fordert. 12 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (700). 13 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. 01. 2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344); i. d. S. auch VK Brandenburg, Beschl. v. 03. 11. 2008 – VK 33/08. 14 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08. 05. 2002 – Verg 08 –15/01. 15 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. 01. 2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344). 16 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08. 05. 2002 – Verg 08 –15/01; Beschl. v. 12. 01. 2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344). 17 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08. 05. 2002 – Verg 08 –15/01; Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (702). 18 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (699). 19 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08. 05. 2002 – Verg 08 –15/01; Beschl. v. 14. 02. 2001 – Verg 13/00, NZBau 2002, 54 (55). Vgl. auch OLG Hamburg, Beschl. v. 24. 05. 2006 – 1 Verg 4/06 (Verzicht auf „Grünen Strom“). 20 Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 10. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (195 f.); OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 (458);

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

hingewiesen, dass unwesentliche Abweichungen gegenüber der ursprünglichen Leistungsbeschreibung nicht als eigenständiger Beschaffungsvorgang zu werten seien. 21 Vertragsänderungen könnten im bestimmten Umfang vom Auftragge­ ber sogar nachträglich verlangt werden (§ 2 VOL / B). Hieraus folge, dass nicht jede Vertragsänderung ein eigenständiger Vergabevorgang sei. 22 Vor dem Hin­ tergrund der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „pressetext“ wird neben der Wesentlichkeit der Vertragsänderung aber auch die Wettbewerbsrele­ vanz betont. 23 Weiterhin wird darauf abgestellt, ob die Änderung bereits in dem Ursprungs­ vertrag angelegt war. Sieht der Vertrag konkrete Voraussetzungen vor, unter denen eine Änderung vorgenommen werden kann, soll die Vertragsänderung vergaberechtlich irrelevant sein. 24 Der Vertrag bietet in diesem Fall die Grund­ lage für die Beauftragung zusätzlicher Leistungen. Er „sperre“ insoweit die Neuvergabe dieser Leistungen mit der Folge, dass der öffentliche Auftragge­ ber nicht verpflichtet sei, die geänderte Leistung nach den Vergabevorschriften auszuschreiben. 25 Allerdings müsse der Vertrag in Bezug auf die zusätzlichen Leistungen konkret formuliert sein, pauschale Ermächtigungen genügten nicht. 26 Eine vergaberechtliche Relevanz der Vertragsänderung soll auch dann ange­ nommen werden, wenn die Änderung nur durch eine beiderseitige Willenserklä­ rung zustande kommen kann. 27 Denn ein beidseitiges Einvernehmen sei regelmä­ ßig nur dann erforderlich, wenn sich die Verlängerung nicht bloß als Änderung eines Einzelaspekts im Gesamtrahmen der bisherigen Vertragsbeziehungen dar­ stelle. 28 Gleiches gelte im Falle einer Änderung der essentialia negotii. 29 Auch hier müsse von einer vergaberechtlich relevanten Vertragsänderung ausgegan­ gen werden, da es sich nicht nur um eine Anpassung eines im Übrigen im Kern VK Brandenburg, Beschl. v. 03. 11. 2008 – VK 33/08; VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 12. 2000 – 203-VgK-16/2000. 21 Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 10. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (194). 22 OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 (458); VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 12. 2000 – 203-VgK-16/2000. 23 VK Brandenburg, Beschl. v. 03. 11. 2008 – VK 33/08. 24 OLG Celle, Beschl. v. 29. 10. 2009 – 13 Verg 8/09; OLG Hamburg, Beschl. v. 25. 01. 2007 – 1 Verg 5/06 sowie Beschl. v. 24. 05. 2006 – 1 Verg 4/06; VG Frankfurt / Oder, Urt. v. 23. 02. 2000 – 1 L 826/99. 25 VK Bund, Beschl. v. 08. 06. 2006 – VK 2 – 114/05, ZfBR 2007, 194 (199). 26 VK Bund, Beschl. v. 08. 06. 2006 – VK 2 – 114/05, ZfBR 2007, 194 (199). 27 OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 (458); VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 12. 2000 – 203-VgK-16/2000. 28 VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 12. 2000 – 203-VgK-16/2000. 29 OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 (458); VK Brandenburg, Beschl. v. 17. 06. 2008 – VK 13/08; VK Münster, Beschl. v. 09. 03. 2001 – VK 1 – 8/01.

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unverändert gebliebenen Vertrages handele. 30 Derartige Änderungen seien als neue eigenständige Verträge zu betrachten, da sie neue Rechte und Pflichten begründeten. 31 3. Literatur Die Ansätze in der Literatur 32 unterscheiden sich nicht wesentlich von den­ jenigen in der Rechtsprechung. Auch hier wird zunächst von der Grundregel ausgegangen, dass immer dann von einem neuen vergaberechtlich relevanten Auftrag auszugehen sei, wenn die Änderung der Leistungsbestandteile bei wirt­ schaftlicher Betrachtung einer Neuvergabe gleichkommt. 33 Andernfalls wäre der Umgehung der Vergaberegeln „Tür und Tor geöffnet“, da Beschaffungsbezie­ hungen durch wiederholte einvernehmliche Vertragsverlängerungen unter Aus­ schluss des Vergabewettbewerbs fortgesetzt werden könnten. 34 Die herrschende Ansicht stellt dabei ebenfalls darauf ab, ob die Änderung des Vertrages we­ sentlich ist. 35 Denn nicht jede Vertragsänderung ist unzulässig. Sie könne im bestimmten Umfang sogar vom Auftraggeber verlangt werden (§ 2 VOL / B). 36 Insoweit wird zwischen bloßen Vertragsmodifizierungen, die nicht dem Ver­ gaberecht unterliegen, und Vertragsänderungen, die wirtschaftlich einen neuen Auftrag darstellen und damit vergaberechtlich relevant sind, unterschieden. Nur Letztere führen zu einer Ausschreibungspflicht. Eine wesentliche Änderung in diesem Sinne liege vor, wenn die Hauptleistungspflichten (essentialia negotii), wie der Preis, die vertragstypischen Leistungspflichten 37 oder die wesentlichen Vertragsbestandteile, also das Entgelt, der Leistungszuschnitt bzw. Leistungsin­ halt, die Laufzeit oder auch die Vertragspartner 38 geändert werden. 39 Der Aus­ 30 Im Fall der VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 26. 03. 2002 – 1 VK 7/02 wurde der Preis um das 5-fache erhöht. 31 Vgl. VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 26. 03. 2002 – 1 VK 7/02. 32 Vgl. zum Meinungsstand Gruneberg, VergabeR 2005, 171. 33 Thieme, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 9. Aufl., § 99, Rn. 13; Gruneberg, VergabeR 2005, 171; Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 47; Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 99 GWB, Rn. 4c; Noelle / Rogmans, Öffentliches Auftragwesen, S. 57; Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 104 ff.; Wag­ ner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 99, Rn. 19. 34 Prieß, S. 112. 35 Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 99 GWB, Rn. 4c; Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (174); Ziekow, VergabeR 2004, 430 (432); Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 34; Byok, NJW 2006, 2076 (2079); Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742. 36 Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 1a, Rn. 72; Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742. 37 Noelle / Rogmans, Öffentliches Auftragwesen, S. 57; Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 1a, Rn. 72; Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (202). 38 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2057.

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tausch einzelner Komponenten, welche lediglich Einzelaspekte der umfassenden rechtlichen Einheit darstellen, soll hingegen als unwesentlich zu betrachten sein. Insoweit würden keine wesentlichen Vertragselemente einer Neuregelung unter­ zogen. 40 Zum Teil wird auf das Überschreiten einer Relevanzschwelle abgestellt. 41 Sind die Vertragsmodifizierungen demnach so groß, dass sie für sich betrachtet bereits eine Ausschreibung nahe legen, dann sei die Wesentlichkeitsschwelle überschrit­ ten. 42 Auf der anderen Seite sollen bloße Reaktionen auf geänderte Verhältnisse, die das wirtschaftliche Gesamtgefüge, insbesondere die Hauptleistungspflichten des Vertrages nicht berühren, keine neuen Aufträge darstellen. Dies sind zum Beispiel bloße abwicklungsorientierte Änderungen, wie Rahmenbedingungen des Arbeitseinsatzes, Abwicklungen des Zahlungsverkehrs etc. 43 Änderungen, die bereits im Ursprungsvertrag angelegt waren oder mit dem bestehenden Vertrag in einem engen Zusammenhang stünden, seien ebenfalls als vergaberechtlich irrelevant anzusehen, da sie den Charakter des Vertrages nicht veränderten. 44 Dabei müsse die Formulierung in der Ausschreibung als Beurtei­ lungskriterium herangezogen werden. Je konkreter diese eine Änderung des Ver­ trages in Betracht ziehe, desto eher sei es zulässig, die Änderung als Bestandteil des vorhergehenden Auftrages aufzufassen. 45 Von einer erneuten Ausschreibung

39 Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (733); Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (173); Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 104 ff.; Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (202); Ziekow, VergabeR 2004, 430 (432); Byok, NJW 2006, 2076 (2080); Schröder, NJW 2002, 1831 (1833); a. A. Jaeger, EuZW 2008, 492 (493), der diese zivilrechtliche Sichtweise als nicht sachgerecht im Hinblick auf den Bieterschutz ansieht. 40 Ziekow, VergabeR 2004, 430 (432); Müller, NZBau 2001, 422; Thieme, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 9. Aufl., § 99, Rn. 11; Byok, NJW 2004, 198 (202). Ebenso GA Kokott, Schlussanträge v. 13. 03. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 98; VK Bund, Beschl. v. 12. 10. 2004 – VK 2 – 187/04; VK Brandenburg, Beschl. v. 17. 06. 2008 – VK 13/08. 41 Marx, NZBau 2002, 311 (313); Stemmer / Aschl, VergabeR 2005, 287 (293); Bun­ genberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 36; Höf­ ler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2743); Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 107, der bei quantitativen Änderungen eine Wesentlichkeitsschwelle von 20% annimmt. 42 Müller, NZBau 2001, 422; Byok, NJW 2006, 2076 (2080). 43 Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 79; Noelle / Rog­ mans, Öffentliches Auftragwesen, S. 57; Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (734). 44 Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (174); Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2745); Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (733); Niestedt / Hölzl, NJW 2008, 3321 (3323); a. A. Jaeger, EuZW 2008, 492 (493), der auch im Vertrag angelegte Änderungen als vergaberechtlich relevant erachtet, wenn sie intransparent, marktabschottend oder diskriminierend wirken. 45 Ein Indiz hierfür sei, ob der Auftragswert die Verlängerungszeit einbeziehe (so Prieß, S. 113; Müller, NZBau 2001, 422).

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ließe sich in diesem Fall absehen. 46 Die Parteien machten insoweit lediglich von ihren vertraglichen Rechten Gebrauch. 47 Des Weiteren wird auch in der Literatur von einigen Vertretern auf den Aspekt einer beidseitigen Willenserklärung abgestellt. Kommt demnach die Vertragsver­ längerung durch beidseitige Willenserklärungen zustande, sei von einem neuen Auftrag und einem neuen Vergabeverfahren auszugehen. 48 Denn ein beidseitiges Einvernehmen sei nur dann erforderlich, wenn die Änderung wirtschaftlich dem Neuabschluss gleichkommt. 49 Teilweise wird verlangt, dass der öffentliche Auftraggeber sich zur Rechtferti­ gung einer mengenmäßigen oder zeitlichen Vertragserweiterung ohne Durchfüh­ rung eines Vergabeverfahrens auf einen Ausnahmetatbestand bzw. vergaberecht­ liche Ausnahmeregelungen berufen kann. 50 Eine solche Rechtfertigung könne in den Tatbeständen des Verhandlungsverfahrens ohne Vergabebekanntmachung gesehen werden. So gestatte das Vergaberecht für zusätzliche bislang nicht vorge­ sehene Dienstleistungen sowie für neue Dienstleistungen, die eine Wiederholung des ersten Auftrags darstellen, unter bestimmten Voraussetzungen eine Auftrags­ vergabe im Wege des Verhandlungsverfahrens. 51 4. Ergebnis: Die zu untersuchenden Tatbestände Das Meinungsbild in Literatur und Rechtsprechung ist weitgehend einheit­ lich. Nur wesentliche Vertragsänderungen berühren den vergaberechtlich rele­ vanten Bereich. Hinsichtlich der Beurteilung der vergaberechtlichen Relevanz der Vertragsänderung soll es nach dem nationalen Meinungsbild darauf ankom­ men, ob die die Vertragsänderung ausmachenden vertraglichen Regelungen bei wirtschaftlicher Betrachtung einer Neuvergabe gleichkommen. Gemeinschaft­ lichrechtlich wird gefordert, dass eine Wille zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen erkennbar sein muss. In Bezug auf diese abstrakten Grundregeln

46 Thieme, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 9. Aufl., § 99, Rn. 11; i. d. S. auch Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (202); Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 80. 47 Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (202). 48 Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 34; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2053; Prieß, S. 112; Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (732 f.); Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2745). 49 Prieß, S. 112; Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2745). 50 Marx, NZBau 2002, 311 (313); Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesen­ kampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 37. 51 Ziekow, VergabeR 2004, 430 (433); Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 101; Boesen, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 47; Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kom­ mentar GWB, § 99, Rn. 78.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

wurden verschiedene Anhaltspunkte herausgearbeitet, wann eine Vertragsände­ rung als zulässig oder unzulässig zu qualifizieren sei. Vertragsänderungen, die bereits im Ursprungsvertrag angelegt waren oder aber im bestimmten Umfang vom Auftraggeber nachträglich verlangt werden können (z. B. nach § 2 VOL / B), stellen nach einheitlicher Auffassung keinen eigenstän­ digen Vergabevorgang dar. Für die Beurteilung, ob die Vertragsparteien lediglich von ihren vertraglichen Rechten Gebrauch machen, kommt es maßgeblich auf die inhaltliche Ausgestaltung des Vertrages an. Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Änderungen auf der Grundlage vertraglicher Vereinba­ rungen zulässig sind, wird nachfolgend unter Ziff. II. untersucht. Auch solche Änderungen, die von einem Ausnahmetatbestand des Vergaberechts erfasst werden, sind vergaberechtlich geregelt und damit legitimiert. Daher ist weiterhin zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen Vertragsänderun­ gen auf Ausnahmetatbestände des Vergaberechts gestützt werden können (hierzu III.). Kann die vertragliche Änderung oder Verlängerung weder auf eine vertrag­ liche Regelung noch auf einen Ausnahmetatbestand des Vergaberechts gestützt werden, kommt es auf eine Einzelfallbetrachtung an, unter welchen Voraussetzun­ gen die konkrete Änderung nach wirtschaftlicher Betrachtung dem Abschluss ei­ nes neuen Vertrages gleichkommt und damit ein neues Vergabeverfahren auslöst. Dabei sind Aspekte der Wesentlichkeit der Änderung, die betroffenen Bestandtei­ le (essentialia negotii) oder auch das Vorliegen beidseitiger Willenserklärungen zu berücksichtigen (hierzu IV.). II. Änderungsmöglichkeiten auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen Eine bereits von Anfang an im Vertrag vorgesehene, rechtlich zulässige Ände­ rungsmöglichkeit kann grundsätzlich ohne vorherige Ausschreibung vollzogen werden. 52 Die Parteien machen in diesem Fall lediglich von ihren vertraglich ver­ einbarten Rechten Gebrauch. 53 Die vertraglich vereinbarte Änderungsmöglich­ keit, beispielsweise in Form einer Preisanpassungsklausel oder auf der Grundla­ ge von Änderungsklauseln nach der VOB / B oder VOL / B, war zudem Gegen­ stand der Ausschreibung und unterlag damit der vergaberechtlichen Kontrolle. Die Grenze einer vertraglich zulässigen Änderung ist aber immer dort zu ziehen, 52 EuGH, Urt. v. 29. 04. 2004 – Rs. C-496/99 (Succhi di frutta), Slg. 2004, I-03801, Rn. 118; EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 68 f.; Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 99 GWB, Rn. 4c; Boesen, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 46; Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2743). 53 Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (202).

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wo der Vertrag in seinem Wesen verändert wird. Im Folgenden sollen daher die vertraglichen Änderungsklauseln, 54 die eine nachträgliche Änderung oder Anpassung der Leistung ermöglichen, ohne dass hierdurch der vergaberechtlich relevante Bereich berührt wird, näher dargestellt werden. 1. Änderungsklauseln nach VOB / B bzw. VOL / B Die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB / B) und die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen (VOL / B) sind vorformulierte Vertragsordnungen, die zur vielfachen Verwendung vorgesehene Vertragsbedingungen enthalten. 55 Im Unterschied zu sonstigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen berücksichtigen sie jedoch nicht nur einseitig die Interessen des Verwenders. Vielmehr enthalten sie einen auf die Besonderheiten des Bauvertrages (VOB / B) bzw. des Dienstleistungsvertra­ ges (VOL / B) abgestimmtes, im Hinblick auf die Interessen der Vertragsparteien ausgewogenes Regelwerk. 56 Öffentliche Auftraggeber sind nach den vergaberechtlichen Bestimmungen verpflichtet, die VOB / B bzw. die VOL / B in die von ihnen abzuschließenden Verträge einzubeziehen. 57 Die VOB / B und die VOL / B enthalten insbesondere Klauseln, die dem öffent­ lichen Auftraggeber ein Leistungsänderungsrecht während der Vertragsdurchfüh­ rung einräumen. Sie geben diesem die nötigen Instrumente an die Hand, um bei der Vertragsabwicklung auf mögliche, aber nicht sicher vorhersehbare Bedarfs­ änderungen zu reagieren und eine Preisanpassung unter Berücksichtigung der Mehr- und Minderkosten vorzunehmen. 58 Der öffentliche Auftraggeber kann mithilfe dieser Klauseln nach Vertragsschluss die nötigen Änderungen vorneh­ men, ohne den Auftrag einer erneuten Ausschreibung zuführen zu müssen. 59 Die Vorschriften der VOB / B und die VOL / B bieten insoweit ein geeigne­ tes Regelwerk, um die tatsächlichen und wirtschaftlichen Folgen notwendiger Änderungen wettbewerbsneutral auszugleichen. Anpassungen von Leistungszeit, Leistungsgegenstand und Vergütungen lassen sich hierüber regeln. 60 Die Rege­ 54 Ausgenommen werden Optionsklauseln. Auf diese soll wegen ihrer Komplexität in einem gesonderten Kapitel (Kapitel 6) eingegangen werden. 55 Kniffka, Bauvertragsrecht, Vor § 631, Rn. 12; Ganten, in: Ganten / Jagenburg / Motz­ ke, VOB Teil B, Einleitung II, Rn. 5. 56 KG, Urt. v. 15. 02. 2007 – 23 U 12/06, ZfBR 2007, 564 (566) m.w. N. 57 Vgl. § 9 Nr. 1 VOL / A-EG; § 8 Abs. 3 VOB / A. 58 OLG Celle, Beschl. v. 12. 05. 2005 – 13 Verg 6/05, ZfBR 2005, 611 (612 f.). 59 Der öffentliche Auftraggeber ist daher nicht gehalten, bei Änderungen, die sich im Rahmen dieser Tatbestände bewegen, das Vergabeverfahren aufzuheben, wenn der Vertrag noch nicht abgeschlossen wurde. Er kann die Änderung nach Vertragsschluss vergaberechtsfrei vornehmen (vgl. VK Niedersachsen, Beschl. v. 04. 09. 2003 – 203-VgK­ 16/2003; VK Sachsen, Beschl. v. 08. 11. 2001 – 1/SVK/104 –01, ZfBR 2002, 308 (Ls.)). 60 So BayObLG, Beschl. v. 15. 07. 2002 – Verg 15/02, NZBau 2002, 689 (691).

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lungen stehen dabei nicht im Widerspruch zum Vergaberecht. Die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen bzw. Bauleistungen (VOL / B bzw. VOB / B) sind Bestandteil der Verdingungsunterlagen. 61 Sie sind daher von Anfang an Grundlage des Vertragsverhältnisses. 62 Auf die nach der VOL / B und VOB / B möglichen Änderungen kann sich jeder Bieter bei Ange­ botserstellung einrichten und seine Kalkulation auch im Hinblick hierauf prüfen und ausrichten. Allerdings gelten diese vertraglich begründeten Änderungsrechte nicht un­ begrenzt. Allgemeine Grenzen der Änderungsmöglichkeiten sind zunächst der Vertragszweck sowie die Grundsätze von Treu und Glauben. 63 Weiterhin stellen die Klauseln selbst konkrete Anforderungen an das Änderungsrecht des Auftrag­ gebers. a) Änderungen der Leistungen nach § 1 Nr. 3 VOB / B Gemäß § 1 Nr. 3 VOB / B bleibt es dem Auftraggeber vorbehalten, durch ein­ seitige empfangsbedürftige Willenserklärung Änderungen des Bauentwurfs an­ zuordnen (einseitiges Leistungsbestimmungsrecht). 64 Der Auftraggeber kann auf der Grundlage des § 1 Nr. 3 VOB / B den Leistungsinhalt ändern oder erweitern. 65 Die Bestimmung soll dem Auftraggeber die für die Durchführung des Bauvorha­ bens erforderliche planerische und gestalterische Freiheit erhalten, da vor allem bei komplexeren Bauvorhaben nicht sämtliche Details voraussehbar und somit planbar sind. 66 Die Anordnungsbefugnis des Auftraggebers besteht dabei unab­ hängig von den Gründen des Änderungsverlangens. 67 61

Vgl. § 9 Nr. 1 VOL / A-EG; § 8 Abs. 3 VOB / A. VK Münster, Beschl. v. 17. 11. 2005 – VK 21/05, ZfBR 2006, 301 (Ls.); Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (736). 63 Pietzker, Staatsauftrag, S. 272. 64 BGH, Urt. v. 27. 11. 2003 – VII ZR 346/01, NZBau 2004, 207 (208); Urt. v. 24. 07. 2003 – VII ZR 79/02, NZBau 2004, 31 (32); Urt. v. 14. 07. 1994 – VII ZR 186/93, NJW­ RR 1995, 80 (81); Urt. v. 25. 01. 1996 – VII ZR 233/94, NJW 1996, 1346 (1347); Quack, ZfBR 2004, 107 (108); Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 1; Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631, Rn. 369. 65 Quack, ZfBR 2004, 107 (108); Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 1; Althaus, ZfBR 2007, 411. 66 OLG Düsseldorf, Urt. v. 08. 07. 1987 – 19 U 89/86, NJW-RR 1988, 278; Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 3, Rn. 3. 67 Es kommt auch nicht darauf an, wer das Änderungsbedürfnis verschuldet oder verursacht hat (vgl. Riedl, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, B § 1, Rn. 30). Der Än­ derungsbedarf kann sich beispielsweise aus Verfügungen oder Anordnungen der Baube­ hörde (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 21. 09. 1989 – 4 U 261/87, NJW-RR 1989, 529 f.), der Straßenbehörde (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 24. 10. 1995 – 21 U 8/95, BauR 1996, 267 f.) oder des Prüfstatikers ergeben. 62

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Nach herrschender Ansicht ist unter dem Begriff des Bauentwurfs die gesamte Leistungsbeschreibung zu subsumieren. 68 Gegenstand der Änderungsanordnung kann daher alles sein, was im konkreten Bauvertrag den Inhalt der Leistungs­ verpflichtung des Auftragnehmers ausmacht. 69 Daher unterliegen auch Ände­ rungen der Bauumstände, wie z. B. die Veränderung der Rahmenbedingungen oder einzelner Leistungsschritte, aber auch die Bauzeit, 70 dem Leistungsbestim­ mungsrecht des Auftraggebers, solange das Leistungsziel unverändert bleibt. 71 Dem Auftraggeber ist es daher gestattet, den zunächst zugrunde gelegten Leis­ tungsbeginn beispielsweise aufgrund von Verzögerungen durch ein Vergabenach­ prüfungsverfahren zu verschieben. 72 Sonstige Vertragsinhalte, insbesondere die rechtlichen Rahmenbedingungen (Gewährleistung, Abrechnungs- und Zahlungs­ modalitäten etc.), gelten einhellig nicht als Änderungen des Bauentwurfs und unterliegen daher nicht dem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht des Auf­ traggebers. 73 Gleiches gilt für Änderungen des Leistungsumfangs in Form von bloßen Massenänderungen. 74 Von den Änderungen des Bauentwurfs sind auch zusätzliche Leistungen abzugrenzen. Diese werden von § 1 Nr. 4 VOB / B erfasst. Der Auftraggeber darf demnach im Rahmen des § 1 Nr. 3 VOB / B die Leistung nicht erweitern. Zudem muss auch die Identität der Leistung gewahrt bleiben. 75

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Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 3; Kniffka, Bauver­ tragsrecht, § 631, Rn. 382. 69 Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 3; Anker / Klingenfuß, BauR 2005, 1377 (1378); Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631, Rn. 382. 70 Thüringer OLG, Urt. v. 22. 03. 2005 – 8 U 318/04, NZBau 2005, 341 (344); OLG Düsseldorf, Urt. v. 27. 06. 1995 – 21 U 219/94, NJW-RR 1996, 730 f.; Thode, ZfBR 2004, 214 ff.; Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 7. 71 Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631, Rn. 382; Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 7; einschränkend Zanner / Keller, NZBau 2004, 353 (354 ff.); a. A. Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 3, Rn. 9; Weick, in: Nicklisch / Weick, VOB, Teil B, § 1, Rn. 25; Kapellmann, in: Kapellmann / Messerschmidt, VOB Teile A und B, § 6 VOB / B, Rn. 57: Unter der Änderung des Bauentwurfs sollen nur solche Änderungen des Bauleistungsinhalts fallen, welche die technische Bauaus­ führung betreffen. Andere Leistungsinhalte, insbesondere die Bauzeit, sollen nicht vom einseitigen Änderungsrecht des § 1 Nr. 3 VOB / B erfasst sein. 72 Vgl. Thüringer OLG, Urt. v. 22. 03. 2005 – 8 U 318/04, NZBau 2005, 341 (345). Der Auftragnehmer hat in diesem Fall entsprechend § 2 Nr. 5 VOB / B einen Anspruch auf Anpassung der vereinbarten Preise in dem Umfang, in dem sich die der Angebotskal­ kulation zugrunde liegenden Preisgrundlagen durch die Bauzeitverschiebung verändern (so Thüringer OLG, Urt. v. 22. 03. 2005 – 8 U 318/04, NZBau 2005, 341 (345)). 73 Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 9; Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 3, Rn. 10; Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631, Rn. 388. 74 Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 3, Rn. 12. 75 Riedl, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, B § 1, Rn. 31a; Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 3, Rn. 13.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Dies bedeutet, dass die Auftraggeber keine Änderungen anordnen dürfen, die in ihrem Ausmaß einer Neuplanung gleichkommen. 76 Fraglich und umstritten ist, ob § 1 Nr. 3 VOB / B einer Inhaltskontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß §§ 305 ff. BGB stand­ hält. 77 Da der Gesetzgeber im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung nur die Privilegierung einzelner Vorschriften der VOB / B, 78 nicht jedoch die Gesamtpri­ vilegierung übernommen hat, kann § 1 Nr. 3 VOB / B einer isolierten Inhaltskon­ trolle unterzogen werden. 79 Dies gilt auch dann, wenn die VOB / B als Ganzes und ohne jede Änderung in den Vertrag einbezogen wurde. 80 Die Klausel des § 1 Nr. 3 VOB / B ist im Hinblick auf § 308 Nr. 4 BGB problematisch. Hiernach ist die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen unwirksam, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen des Ver­ wenders für den anderen Teil zumutbar ist. 81 Hieraus folgt, dass eine Klausel, die einem Verwender ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht einräumt, in 76 Die Abgrenzung zwischen „noch“ Änderung und „schon“ Neuplanung wird unter­ schiedlich gehandhabt. Teilweise wird auf das objektiv berechtigte Interesse des Auftrag­ nehmers als Leistungsschuldner abgestellt (so Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 11). Überwiegend wird jedoch verlangt, dass die Abgrenzung nach Treu und Glauben unter Abwägung der berechtigten Interessen beider Parteien zu erfolgen hat, da auch Interessen des Auftraggebers berührt sein können (vgl. Jagenburg, in: Gan­ ten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 3, Rn. 14, 20; Weick, in: Nicklisch / Weick, VOB, Teil B, § 1, Rn. 28). 77 Vgl. zur Streitübersicht ausführlich Bruns, ZfBR 2005, 525 (526); Anker / Klingen­ fuß, BauR 2005, 1377 (1378 ff.). Von der AGB-Konformität ist auszugehen, wenn der Vertrag vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes abgeschlossen und die VOB als „Ganzes“ einbezogen wurde. In diesem Fall ist nach der Rechtsprechung des BGH der Vertrag von der AGB-rechtlichen Prüfung freigestellt, da die VOB / B einen auf die Besonderheiten des Bauvertragsrechts abgestimmten, im Ganzen einigermaßen ausgewogenen Ausgleich der beiderseitigen Interessen enthält. Die Inhaltskontrolle ist jedoch eröffnet, wenn auch nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB / B vorliegen. Es kommt nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff besitzt und ob ein Ausgleich im Vertragswerk stattfindet (so BGH, Urt. v. 22. 01. 2004 – VII ZR 419/02, NZBau 2004, 267 (268)). 78 Vgl. §§ 308 Nr. 5, 309 Nr. 8 lit. b BGB. 79 Die Frage der Privilegierung ist offen (BGH, Urt. v. 22. 01. 2004 – VII ZR 419/02, NZBau 2004, 267 (268); BGH Urt. v. 24. – 07. 2008, NZBau 2008, 640; hierzu Kuffer, NZBau 2009, 73 ff.). 80 Bruns, ZfBR 2005, 525; a. A. KG, Urt. v. 15. 02. 2007 – 23 U 12/06, ZfBR 2007, 564 (566 f.) für Fälle des Werkvertragsrechts; Riedl, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, B § 1 Rn. 30 b. 81 § 308 Nr. 4 BGB ist Prüfungsmaßstab, obwohl VOB / B-Klauseln gegenüber einem Unternehmer verwendet werden. Die Wertungen des § 308 Nr. 4 BGB kommen aber über die §§ 307 Abs. 2 Nr. 1, 310 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB zur Geltung (so Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 308, Rn. 24; Kieninger, in: Münchener Kommentar, BGB, § 308, Rn. 13; Bruns, ZfBR 2005, 525 (526); Anker / Klingenfuß, BauR 2005, 1377 (1381); a. A.

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ihren Voraussetzungen und Folgen (Art, Grund und Ausmaß der Änderungen) erkennen lassen muss, dass die Interessen des Geschäftspartners angemessen berücksichtigt werden. 82 Die Klausel darf den Gesetzwortlaut nicht bloß wieder­ holen, sondern muss die Zumutbarkeitskriterien selbst benennen. 83 Insoweit ist die Klausel des § 1 Nr. 3 VOB / B problematisch, 84 denn sie benennt selbst kei­ ne Grenzen des Leistungsbestimmungsrechts. Hierin wird zum Teil ein Verstoß gegen das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gesehen. 85 Die Ansicht kann jedoch nicht überzeugen. Zum einen können Grenzen des Leistungsbestimmungsrechts des Auftraggebers aus anderen Normen übertragen werden. 86 So kann das Leistungsbestimmungsrecht nach § 1 Nr. 3 VOB / B wirk­ sam nur nach billigem Ermessen im Sinne des § 315 BGB ausgeübt werden. 87 § 315 Abs. 1 BGB ist insoweit Ausdruck des dem Vertragsrecht immanenten Grundsatzes von Treu und Glauben. Um den Grundsätzen des billigen Ermes­ sens zu genügen, müssen die verlangten Änderungen daher zweckmäßig sein. Willkürliche Änderungswünsche kann der Auftragnehmer als unbillig zurück­ weisen. 88 Gleiches gilt für verspätet vorgebrachte Änderungswünsche. 89 Zum Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631 Rn. 389, der den Maßstab des § 308 Nr. 4 BGB auch nicht über die Angemessenheitsprüfung des § 307 BGB anwenden will, da Gesichtspunkte des Verbraucherschutzes gegenüber einem Bauunternehmen keine Anwendung fänden). 82 BGH, Urt. v. 23. 06. 2005 – VII ZR 200/04, NZBau 2005, 511 (512 f.); Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631 Rn. 389; Anker / Klingenfuß, BauR 2005, 1377 (1381). 83 BGH, Urt. v. 17. 02. 2004 – XI ZR 140/03, NJW 2004, 1588 f.; Urt. v. 20. 01. 1983 – VII ZR 105/81, NJW 1983, 1322 (1325); Bruns, ZfBR 2005, 525 (526). 84 Der BGH hat bisher lediglich die Vorschrift des § 2 Nr. 5 Satz 1 VOB / B mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen als vereinbar anerkannt. Die Bestimmung enthalte nach Ansicht des BGH einen für die Parteien überschaubaren Modus zur Bildung eines neuen Preises und würde somit auftretenden Änderungen der Preisberechnungs­ grundlagen gerecht (vgl. BGH, Urt. v. 25. 01. 1996 – VII ZR 233/94, NJW 1996, 1346 (1349)). Aus dieser Entscheidung wird teilweise der Rückschluss auf die Wirksamkeit der Klausel des § 1 Nr. 3 VOB / B gezogen mit der Begründung, dass die Angemessenheit des § 2 Nr. 5 VOB / B zugleich das Vorliegen eines wirksames Leistungsbestimmungsrechts nach § 1 Nr. 3 VOB / B bedeute (so Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631 Rn. 390). 85 Bruns, ZfBR 2005, 525 (527). 86 Vgl. zum Meinungsstand Althaus, ZfBR 2007, 411; Weick, in: Nicklisch / Weick, VOB, Teil B, § 1, Rn. 23a; Quack, ZfBR 2004, 107 (108); Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 11 f. 87 Quack, ZfBR 2004, 107 (108); Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631 Rn. 384; Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 3, Rn. 21 ff.; Weick, in: Nicklisch / Weick, VOB, Teil B, § 1, Rn. 30; a. A. Bruns, ZfBR 2005, 525 (526); Anker / Klingenfuß, BauR 2005, 1377 (1382). 88 Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 13. Eine unbillige Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts liegt nach Ansicht von Kniffka vor, wenn der Auftraggeber seine einseitigen Interessen an der Änderung des Leistungssolls ungeach­ tet berechtigter Interessen des Auftragnehmers ausübt und dieser hierdurch unzumutbar beeinträchtig würde. Dementsprechend würde die Grenze der Zumutbarkeit überschrit­

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Teil wird auch die Zumutbarkeitsgrenze des § 1 Nr. 4 VOB / B auf die Vorschrift des § 1 Nr. 3 VOB / B übertragen. Demnach kann der Auftraggeber nur solche Änderungen nach § 1 Nr. 3 VOB / B anordnen, auf die der Betrieb des Auftrag­ nehmers ausgerichtet ist. 90 Zum anderen können auch die weiteren Argumente nicht überzeugen. So wird eine Unangemessenheit darauf gestützt, dass nach dem Wortlaut der Norm auch Planungsfehler des Auftraggebers zu einer Anordnungsbefugnis führen und die Vergütungsanpassung nur unter großem Aufwand stattfinden könne. Auch Kalkulationsirrtümer des Auftragnehmers würden aufgrund der Fortschreibung der Preise aus der Urkalkulation zu einer unangemessenen Benachteiligung füh­ ren. 91 Dem ist entgegenzusetzen, dass die Unternehmer um die Einbeziehung der VOB / B und der dortigen Vorschriften wissen. Das einseitige Leistungsbestim­ mungsrecht des Auftraggebers und die hieraus folgende Vergütungsanpassung sind den Unternehmen in der Regel bekannt. 92 Sie können ihre Kalkulation im­ mer auch im Hinblick auf Vergütungsanpassungen als Folge von Änderungen des Bauentwurfs oder sonstigen Anordnungen ausrichten. Der Auftragnehmer hat es insoweit selbst in der Hand, seine Preise gründlich und auskömmlich zu kalkulieren. 93 Hat er sein Hauptangebot unterkalkuliert, so liegt dies allein in seiner Risikosphäre und in seinem Verantwortungsbereich. 94 Es besteht daher im Ergebnis kein berechtigtes, der Änderungsbefugnis des Auftraggebers ent­ gegenstehendes Interesse des Unternehmens an der bisherigen Leistung festzu­ halten. Dieses ist über den Vergütungsausgleich des § 2 Nr. 5 VOB / B vielmehr hinreichend geschützt. § 1 Nr. 3 VOB / B ist daher unter Anwendung der zuvor genannten Grenzen AGB-konform. In der Rechtsfolge einer zulässigen und wirksamen Leistungsbestimmung nach § 1 Nr. 3 VOB / B ist der Auftragnehmer verpflichtet, die Leistung zu erbringen. Gemäß § 2 Nr. 5 VOB / B kann er jedoch einen neuen Preis unter Berücksich­ tigung der Mehr- und Minderkosten verlangen, wenn durch die Änderung des Bauentwurfs die Grundlagen des Preises für die im Vertrag vorgesehene Leistung ten, wenn die bauzeitändernde Anordnung derart in den Vertrag eingreift, dass dem Auftragnehmer ein Festhalten am Vertrag unter den neuen Bedingungen als nicht zu­ mutbar erscheint, so wenn die Bauzeitänderung ein solches Ausmaß erreicht, dass die Kalkulationsgrundlagen vollständig fortfallen (Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631 Rn. 386). 89 Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 3, Rn. 24 f. 90 Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 12, der dies aus den Grundsätzen von Treu und Glauben ableitet; Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 3, Rn. 27 f. 91 Bruns, ZfBR 2005, 525 (527 ff.); Anker / Klingenfuß, BauR 2005, 1377 ff. 92 I. d. S. BGH, Urt. v. 25. 01. 1996 – VII ZR 233/94, NJW 1996, 1346 (1348). 93 BGH, Urt. v. 25. 01. 1996 – VII ZR 233/94, NJW 1996, 1346 (1349). 94 Von einem Gerechtigkeitsdefizit kann daher nicht die Rede sein (so aber Anker / Klingenfuß, BauR 2005, 1377).

Kap. 4: Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung

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geändert wurden. Die Regelung des § 2 Nr. 5 VOB / B ist eine reine Rechtsfolge­ regelung. Der Vergütungsanspruch entsteht mit wirksamer Ausübung des Leis­ tungsbestimmungsrechts. 95 Dabei kann die Anpassung der Vergütung sowohl zu einer Vergütungsminderung als auch zu einer Vergütungserhöhung führen, da ei­ ne Leistungsänderung sowohl einen höheren als auch einen geringeren Aufwand erfordern kann. 96 Über § 1 Nr. 3 VOB / B hinausgehende Änderungen setzen eine beidseitig übereinstimmende Willenserklärung voraus. Verlangt der Auftraggeber nach Ab­ schluss des Vertrages neuartige, umgestaltete und den ursprünglichen Leistungs­ inhalt entscheidend verändernde Arbeiten, so ist dies nicht mehr vom einseitigen Leistungsbestimmungsrecht nach § 1 Nr. 3 VOB / B gedeckt. 97 Eine solche Ver­ einbarung kann vielmehr dazu führen, dass das ursprüngliche Vertragsverhältnis einverständlich aufgehoben und ein anderer, neu gestalteter Vertrag abgeschlos­ sen wird. 98 Vergaberechtlich stellt sich dieser Vorgang als Auftragsvergabe im Sinne des § 99 GWB dar. Die Neuvergabe kann daher rechtmäßig nur nach entsprechender Ausschreibung der Leistung und nach Durchführung eines Wett­ bewerbs erfolgen. b) Beauftragung zusätzlicher Leistungen nach § 1 Nr. 4 VOB / B Nicht vereinbarte Leistungen, die zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich werden, hat der Unternehmer auf Verlangen des Auftraggebers ge­ mäß § 1 Nr. 4 Satz 1 VOB / B auszuführen, es sei denn, sein Betrieb ist auf derarti­ ge Leistungen nicht eingerichtet. 99 Andere Leistungen können dem Unternehmer nur mit dessen Zustimmung übertragen werden (vgl. § 1 Nr. 4 Satz 2 VOB / B). Dem Auftraggeber steht daher auch hinsichtlich zusätzlicher Leistungen grund­ sätzlich ein Leistungsbestimmungsrecht zu, er kann durch einseitige Erklärung die vereinbarte Leistung erweitern. 100 Zusätzliche Leistungen sind dabei nur solche Leistungen, die nicht bereits Gegenstand des ursprünglichen Vertrages 95 BGH, Urt. v. 27. 11. 2003 – VII ZR 346/01, NZBau 2007, 207 (208); Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631, Rn. 405; Thode, ZfBR 2004, 214 (216). 96 Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 3, Rn. 15; ebenso Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631, Rn. 407. 97 Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 18. 98 Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 3 VOB / B, Rn. 18. 99 Die Abgrenzung zu § 1 Nr. 3 VOB / B ist im Einzelnen schwierig. Führt beispiels­ weise eine Änderung des Bauentwurfs zu erheblichen Mengenüberschreitungen, kann hierin eine nicht vereinbarte Leistung nach § 1 Nr. 4 Satz 1 VOB / B liegen (vgl. Althaus, ZfBR 2007, 411 (414)). Hingegen soll die Anordnung des Auftraggebers, statt des ver­ einbarten Aushubs von 22.000 cbm einen Mehraushub von 31.000 cbm und damit einen kompletten Bodenaustausch vorzunehmen, eine Leistungsänderung i. S. d. § 1 Nr. 3, § 2 Nr. 5 VOB / B darstellen (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 13. 04. 2005 – 1 U 530/04, BauR 2006, 852 (853)).

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

und damit nicht schon geschuldet sind. 101 Bloße Änderungen der vereinbarten Leistung fallen mithin nicht unter § 1 Nr. 4 VOB / B. 102 Der Auftraggeber kann jedoch nicht jede beliebige Erweiterung der Leistung anordnen. Vielmehr muss die Zusatzleistung für die Ausführung der vertragli­ chen Leistung erforderlich sein. Dies ist der Fall, wenn die zusätzliche Leistung dazu dient, die vertraglich vereinbarte Leistung überhaupt oder aber zumindest mangelfrei ausführen zu können. 103 Das vertraglich vereinbarte Leistungsziel darf hierbei nicht geändert werden, d. h. die Leistung muss in ihrer ursprüng­ lichen Konzeption erhalten bleiben. 104 Eine zulässige Anordnung erforderlicher, ursprünglich nicht vereinbarter Leistungen liegt zum Beispiel vor, wenn zusätz­ lich Pfähle gerammt werden müssen, da sich der Baugrund nicht als tragfest erwiesen hat oder das vertraglich vereinbarte Wärmedämmsystem sich nach­ träglich als ungeeignet erweist und durch ein anderes ersetzt werden muss. 105 Erweiterungen, die auch das Ziel der ursprünglich vereinbarten Leistung ausdeh­ nen bzw. die Konzeption ändern, werden hingegen nicht von § 1 Nr. 4 VOB / B erfasst (z. B. Erweiterung des Gebäudes um Garagen; Austausch einer Holzkon­ struktion durch eine Stahlkonstruktion). 106 Der Auftragnehmer muss die zusätzliche Leistung auf Verlangen des Auftrag­ gebers ausführen, es sei denn, sein Betrieb ist auf derartige Leistungen nicht eingerichtet. Diese Formulierung ist im Sinne einer Einrede zu verstehen, die der Auftragnehmer rechtzeitig vorbringen muss. 107 Erhebt der Auftragnehmer die Einrede, so ist die Anordnung der zusätzlichen Leistung nicht verbindlich. Für die Beurteilung der Frage, ob der Betrieb des Auftragnehmers auf die zusätz­ lichen Leistungen eingerichtet ist, kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse seines Betriebes an, also auf die personelle Ausstattung und Fachkunde sowie 100

BGH, Urt. v. 25. 01. 1996 – VII ZR 233/94, NJW 1996, 1346 (1347); Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 4 VOB / B, Rn. 2; Weick, in: Nicklisch / Weick, VOB, Teil B, § 1, Rn. 32a; Quack, ZfBR 2004, 107 ff.; Thode, ZfBR 2004, 214 (215); Althaus, ZfBR 2007, 411; a. A. Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 4, Rn. 3, der in § 1 Nr. 4 VOB / B einen Kontrahierungszwang sieht. 101 Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 4 VOB / B, Rn. 3; Riedl, in: Heier­ mann / Riedl / Rusam, VOB, B § 1, Rn. 40a; Althaus, ZfBR 2007, 411 (413). 102 Sie können aber unter § 1 Nr. 3 VOB / B fallen (vgl. Jagenburg, in: Ganten / Jagen­ burg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 4, Rn. 9). 103 Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 4, Rn. 11; Kel­ dungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 4 VOB / B, Rn. 3; Weick, in: Nicklisch / Weick, VOB, Teil B, § 1, Rn. 23a. 104 Riedl, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, B § 1, Rn. 40a. 105 Vgl. Althaus, ZfBR 2007, 411 (413) m.w. N. 106 Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 4, Rn. 13; Althaus, ZfBR 2007, 411 (414). 107 Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631, Rn. 423.

Kap. 4: Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung

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auf die technischen und sachlichen Mittel. 108 Eine Verpflichtung zum Einsatz von Nachunternehmen hinsichtlich der zusätzlich beauftragten Leistung besteht nicht. 109 Die Klausel des § 1 Nr. 4 VOB / B hält nach Ansicht des BGH einer Inhaltskon­ trolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß §§ 305 ff. BGB stand, da die Regelung dem Spannungsverhältnis zwischen Planung und Realität, aus der sich die Notwendigkeit der Anordnung zusätzlicher Leistun­ gen ergibt, angemessen Rechnung trägt. Sie beinhaltet zugleich die Grenzen, in denen der Auftraggeber sein Recht ausüben darf. 110 Auch bei der Anordnung zusätzlicher Leistungen entsteht in der Rechtsfolge ein Anspruch des Unternehmens auf besondere Vergütung nach § 2 Nr. 6 VOB / B. Der Auftragnehmer muss jedoch seinen Anspruch auf die zusätzliche Ver­ gütung ankündigen, bevor er mit der Ausführung der Leistung beginnt. 111 Die Vergütung bestimmt sich nach den Grundlagen der Preisermittlung für die ver­ tragliche Leistung und den besonderen Kosten der geforderten Leistung. Andere Zusatzleistungen, die nicht unter den Begriff des § 1 Nr. 4 Satz 1 VOB / B fallen, 112 können nur in Form von Anschlussaufträgen mit Zustimmung des Auftragnehmers vergeben werden (vgl. § 1 Nr. 4 Satz 2 VOB / B). Für die Vereinbarung solcher Leistungen bedarf es des Abschlusses eines neuen Ver­ trages. 113 Die vertraglich nicht erfasste Erweiterung ist in diesem Fall an den Vorschriften des Vergaberechts zu messen. 114 Im Bereich öffentlicher Aufträge wäre eine solche vertraglich vereinbarte Leistungserweiterung daher nur unter 108 Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 4 VOB / B, Rn. 5; Riedl, in: Heier­ mann / Riedl / Rusam, VOB, B § 1, Rn. 42. 109 Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 1 Nr. 4, Rn. 14 f.; Kel­ dungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 4 VOB / B, Rn. 5. 110 BGH, Urt. v. 25. 01. 1996 – VII ZR 233/94, NJW 1996, 1346 (1347); kritisch hierzu Bruns, ZfBR 2005, 525 (526). Ablehnend Anker / Klingenfuß, BauR 2005, 1377 (1383), die die Vergütungsregelungen des § 2 Nr. 6 VOB / B als unzureichend ansehen und hieraus die Unwirksamkeit des § 1 Nr. 4 VOB / B ableiten. 111 Dies ist eine echte Anspruchsvoraussetzung. Die Ankündigung unterliegt keinerlei Formvorschriften, sie kann daher auch mündlich erfolgen. Allerdings trifft den Auftrag­ nehmer die Darlegungs- und Beweislast. Ein Vergütungsanspruch ohne vorherige Ankün­ digung besteht nur dann, wenn die Ankündigung im konkreten Fall entbehrlich war, weil der Auftraggeber von der Entgeltlichkeit der Leistung ausging oder ausgehen musste, oder ihre Versäumung entschuldigt ist (vgl. BGH, Urt. v. 23. 05. 1996 – VII ZR 245/94, NJW 1996, 2158 (2159); Riedl, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, B § 1, Rn. 43 f.). Zu den möglichen Rechtsfolgen einer unterlassenen Ankündigung Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631, Rn. 428 ff. 112 Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn die zusätzliche Leistung für die Ausfüh­ rung der Hauptleistung nicht erforderlich ist. 113 Riedl, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, B § 1, Rn. 50. 114 Ebenso Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (736).

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den Voraussetzungen der Freihändigen Vergabe oder des Verhandlungsverfah­ rens ohne Vergabebekanntmachung möglich. 115 c) Änderungen der Leistungen nach § 2 VOL / B Auch bei Verträgen mit Leistungen, die keine Bauleistungen sind, kann der Auftraggeber nachträglich Änderungen in der Beschaffenheit der Leistung im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers verlangen, es sei denn, dies ist für den Auftragnehmer unzumutbar. Das Leistungsbestimmungsrecht nach § 2 Nr. 1 VOL / B erfasst ausschließlich nur Änderungen in der Beschaffenheit der Leistung. Ähnlich wie im Rahmen des § 1 Nr. 3 VOB / B ergibt sich die Beschaffenheit der Leistung aus der gesam­ ten Leistungsbeschreibung. Gegenstand der Änderungsanordnung kann daher alles sein, was im konkreten Vertrag den Inhalt der Leistungsverpflichtung des Auftragnehmers ausmacht. Die Beschaffenheit der Leistung beschreibt mithin deren Art und Qualität, nicht aber deren Umfang. 116 Daher können zusätzli­ che Leistungen, die das Leistungssoll erweitern, nicht auf die Bestimmung des § 2 Nr. 1 VOL / B gestützt werden. 117 Nicht erfasst werden zudem solche Leis­ tungsbestandteile, die lediglich die rechtlichen Rahmenbedingungen betreffen (Gewährleistung, Zahlungsmodalitäten etc.). 118 Änderungen in der Beschaffenheit der Leistung können auch nur insoweit verlangt werden, als diese sich im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Auftrag­ nehmers bewegen. Die Leistungsfähigkeit wird durch die zur ordnungsgemäßen Ausführung des erteilten Auftrags erforderlichen personellen, technischen und wirtschaftlichen Mittel des Auftragnehmers bestimmt. 119 Das Leistungsbestim­ mungsrecht kann des Weiteren nur soweit ausgeübt werden, wie es für den Auftragnehmer zumutbar ist. 120 Die Zumutbarkeit des Änderungsverlangens ist unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben mit Rücksicht 115 Hierauf weist Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 4 VOB / B, Rn. 7, zutreffend hin. 116 A. A. OLG Celle, Beschl. v. 12. 05. 2005 – 13 Verg 6/05, ZfBR 2005, 611 (612 f.), welches die Regelungen des § 2 Nr. 5 und Nr. 6 der VOB / B auf die VOL / B überträgt und eine Preisanpassung bei Veränderung des Leistungsumfangs durch zusätzliche, ur­ sprünglich nicht vorgesehene Leistungen gestattet. 117 Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / B, § 2, Rn. 20. 118 Ausweislich § 2 Nr. 3 Satz 2 VOL / B sind die Änderungen der Beschaffenheit der Leistung von Änderungen sonstiger Vertragsbedingungen als Auswirkung der Leistungs­ änderung, wie z. B. Änderungen der Ausführungsfristen, zu unterscheiden; a. A. Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / B, § 2, Rn. 21, der auch mit dem Leistungsgegenstand im Zu­ sammenhang stehende Rechte von der Änderungsbefugnis des Auftraggeber erfasst sieht. Hierzu soll insbesondere die Ausführungsfrist zählen. 119 Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / B, § 2, Rn. 25.

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auf die Verkehrssitte anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei sind der ursprüngliche Leistungsinhalt und das Änderungsverlangen gegenüber­ zustellen und zu vergleichen, in welchem Maße sich die geforderten Änderungen vom ursprünglichen Vertragsinhalt entfernen. 121 Im Falle eines Missbrauchs des Anordnungsrechts durch den Auftraggeber ist von einer Unzumutbarkeit aus­ zugehen, z. B. wenn die Anordnung gegen technische Vorschriften verstößt. 122 Eine bloße Störung der Äquivalenz, also des Gleichwertverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung, kann jedoch keine Unzumutbarkeit begründen, da der Auftragnehmer Anspruch auf Anpassung der Vergütung hat. 123 Werden durch die Änderungen in der Beschaffenheit der Leistung die Grund­ lagen des Preises für die im Vertrag vorgesehene Leistung geändert, so ist gemäß § 2 Nr. 3 Satz 1 VOL / B ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- und Minderkosten zu vereinbaren. Die Vereinbarung eines neuen Preises bezieht sich dabei ausschließlich auf die geänderte Leistung. Hinsichtlich der nicht be­ troffenen Leistungsteile ist am bestehenden Kostengefüge festzuhalten. 124 In der Vereinbarung sind zudem etwaige Auswirkungen der Leistungsänderung auf sonstige Vertragsbedingungen, insbesondere auf Ausführungsfristen, zu berück­ sichtigen (vgl. § 2 Nr. 3 Satz 2 VOL / B). Fraglich ist auch hier, ob die Regelung des § 2 Nr. 1 VOL / B einer Inhaltskon­ trolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen standhält. Der BGH hatte die Klausel des § 1 Nr. 4 VOB / B als wirksam erachtet mit der Be­ gründung, dass die Vorschrift die Grenzen des Ausübungsrechts selbst regele und für die zusätzlich geforderte Leistung einen Anspruch auf besondere Ver­ gütung nach § 2 Nr. 6 VOB / B vorsehe. 125 Mit dieser Argumentation muss auch die Klausel des § 2 Nr. 1 i.V. m. Nr. 3 VOL / B einer Inhaltskontrolle standhalten. Denn die Vorschrift benennt, ähnlich wie § 1 Nr. 4 VOB / B, die Grenze des Leis­ tungsbestimmungsrechts (Leistungsfähigkeit und Zumutbarkeit) selbst. Zudem räumt § 2 Nr. 3 VOL / B für die geänderte Leistung einen Vergütungsanspruch des Auftragnehmers ein. Damit enthält die Vorschrift die Kriterien, die nach Auffassung des BGH erforderlich sind, um einer Inhaltskontrolle standzuhal­ ten. Die Klausel ist daher AGB-konform. 126 Auf der Grundlage und unter den Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 VOL / B kann der öffentliche Auftraggeber daher 120

Die konkrete Formulierung der Zumutbarkeitsgrenze im Rahmen des § 2 Nr. 1 VOL / B („es sei denn, ...“) ist im Sinne einer Einrede zu verstehen, welche der Auftragnehmer rechtzeitig gegenüber dem Auftraggeber erheben muss. 121 Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / B, § 2, Rn. 31. 122 Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / B, § 2, Rn. 31. 123 Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / B, § 2, Rn. 28. 124 Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / B, § 2, Rn. 42. 125 BGH, Urt. v. 25. 01. 1996 – VII ZR 233/94, NJW 1996, 1346 (1347). 126 Im Ergebnis ebenso Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / B, § 2, Rn. 19a.

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Änderungen in der Beschaffenheit der Leistung anordnen, ohne dass hierdurch der vergaberechtlich relevante Bereich berührt wird. 2. Änderungsklauseln außerhalb der VOL / B bzw. VOB / B Neben den Änderungsmöglichkeiten, die die Klauseln der VOB / B und VOL / B bieten, werden in der Rechtspraxis durch die öffentlichen Auftraggeber zum Teil weitere Änderungsklauseln in die Verträge aufgenommen. Hierdurch will sich der Auftraggeber die Flexibilität erhalten, auf notwendige Leistungsände­ rungen oder -anpassungen reagieren zu können, ohne die Leistung erneut aus­ schreiben zu müssen. Praktisch relevant sind dabei vor allem Änderungsvorbe­ haltsklauseln (hierzu a.) sowie Preisgleitklauseln (hierzu b.). a) Vertragliche Änderungsvorbehaltsklauseln Gegenstand der Verdingungsunterlagen und damit des Vertrages können Än­ derungsvorbehaltsklauseln zugunsten öffentlicher Auftraggeber sein. Änderungs­ vorbehaltsklauseln sind Klauseln, die die Anpassung des Vertrages an nicht vor­ hersehbare, geänderte Umstände vorbehalten. Sie sollen bewirken, dass Vertrags­ änderungen auf vertraglicher Grundlage vollzogen und damit dem Vergaberecht entzogen werden können. Änderungsvorbehaltsklauseln werden zum Teil an die Formulierungen der VOB / B bzw. VOL / B angelehnt, modifizieren diese jedoch in einzelnen Punkten. 127 Es finden sich auch pauschale Ermächtigungen derge­ stalt, dass sich der öffentliche Auftraggeber „künftige Änderungen vorbehalte“. Teilweise werden auch Klauseln in den Vertrag aufgenommen, wonach Ver­ tragsbedingungen durch Verhandlungen der Parteien geändert werden können sollen. 128 Aus vergaberechtlicher Sicht kann es den Parteien grundsätzlich nicht ver­ wehrt sein, von vertraglich vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, wenn der Vertrag selbst Anpassungsmöglichkeiten enthält und sich die Änderung im Rahmen der vertraglich festgelegten Anpassungsmöglichkeiten bewegt. 129 Da die Änderungsklausel bereits Gegenstand des Vergabeverfahrens

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OLG Celle, Beschl. v. 12. 05. 2005 – 13 Verg 6/05, ZfBR 2005, 611 (612); VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005. Dort wurde eine Klausel in die Vertragsunterlagen aufgenommen, die einzelne Bestandteile der VOB / B in einen Dienst­ leistungsvertrag einbezog und eine Ergänzung dieser Bestimmungen enthielt, nach der Vertrages- und Preisanpassungen bei Mengenschwankungen entsprechend der Vorschrift des § 2 Nr. 3 VOB / B vorgenommen werden sollen. 128 VK Hamburg, Beschl. v. 27. 04. 2006 – VgK FB 2/06. 129 EuGH, Urt. v. 29. 04. 2004 – Rs. C-496/99 (Succhi di frutta), Slg. 2004, I-03801, Rn. 118; EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401,

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war, stellt sich eine auf der Grundlage dieser Klausel vorgenommene Änderung grundsätzlich nicht als neue oder zusätzliche Leistung dar. 130 Die Einräumung von einseitigen Leistungsbestimmungsrechten oder Ände­ rungsvorbehaltsklauseln zugunsten öffentlicher Auftraggeber unterliegt jedoch der Inhaltskontrolle nach § 308 Nr. 4 BGB, da sie spätere Änderungen der verein­ barten Leistung ermöglichen sollen. 131 Die Klausel findet insbesondere auch auf Verträge des öffentlichen Auftraggebers mit Unternehmen Anwendung. 132 Zwar bildet allein die Generalklausel des § 307 BGB den Maßstab der Rechtmäßigkeit, da die §§ 308, 309 BGB im Verhältnis zu Unternehmern grundsätzlich nicht gel­ ten. 133 Der Grundgedanke des § 308 Nr. 4 BGB findet jedoch über § 307 BGB im Verkehr mit Unternehmern im Sinne des § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB Anwen­ dung, da es um den Schutz des grundlegenden Prinzips der pacta sunt servanda geht. 134 Nach § 308 Nr. 4 BGB sind solche Klauseln grundsätzlich unwirksam, wel­ che die Vereinbarung des Rechts eines Verwenders vorsehen, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen. Gegen Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die zu Gunsten des Verwenders ein Recht zur Änderung der Leistung vorsehen, spricht daher zunächst die Vermutung der Unwirksam­ keit. 135 Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Klausel im Hinblick auf die Gebote der Klarheit und Verständlichkeit die triftigen Gründe für das einseitige Leis­ tungsbestimmungsrecht benennt und in ihren Voraussetzungen und Folgen er­ kennbar die Interessen des Vertragspartners berücksichtigt. 136 Da der Verwender durchaus ein berechtigtes Interesse an der Änderung der vereinbarten Leistung haben kann, schützt § 308 Nr. 4 BGB lediglich vor unzumutbaren Änderungen des Vertragsinhalts. 137 Die Frage der Zumutbarkeit ist anhand einer Abwägung Rn. 68 f.; Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5, Rn. 16, 20; i. d. S. auch Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2745). 130 EuGH, Urt. v. 29. 04. 2004 – Rs. C-496/99 (Succhi di frutta), Slg. 2004, I-03801, Rn. 118; EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 68 f.; Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 103; Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2745); Müller, NZBau 2001, 416 (422): Die Änderung bewegt sich im Rahmen des Vertrages und stellt eine rechtliche Einheit des wirtschaftlichen Geschäftes dar. 131 BGH, Urt. v. 17. 02. 2004 – XI ZR 140/03, NJW 2004, 1588. 132 BGH, Urt. v. 21. 12. 1983 – VIII ZR 195/82, NJW 1984, 1182 (1183); Urt. v. 26. 11. 1984 – VIII ZR 214/83, NJW 1985, 623 (626 f.). 133 BGH, Urt. v. 19. 11. 2002 – X ZR 243/01, NJW 2003, 507 (508). 134 Kiesinger, in: Münchener Kommentar, BGB, § 308 Nr. 4, Rn. 13; Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 308, Rn. 24. 135 BGH, Urt. v. 17. 02. 2004 – XI ZR 140/03, NJW 2004, 1588. 136 BGH, Urt. v. 23. 06. 2005 – VII ZR 200/04, BauR 2005, 1473 (1475); Höfler / NollEhlers, NJOZ 2007, 2742 (2745). 137 J. Becker, in: Bamberger / Roth, § 308 Nr. 4 BGB, Rn. 2.

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der Interessen des Klauselverwenders an der Änderungsmöglichkeit und denen des anderen Vertragsteils an der Unveränderlichkeit der vereinbarten Leistung zu beantworten. 138 So kann der Auftragnehmer ein typisches, das Interesse des Verwenders überwiegendes Interesse an der konkret vereinbarten Leistung besit­ zen, 139 wenn sein Betrieb nicht auf die geänderte Leistung eingerichtet ist. Aber auch aus der nachträglichen Störung des Äquivalenzinteresses oder der Intranspa­ renz der Klausel, also der Ungewissheit über Voraussetzung und Auswirkungen der Leistungsänderung, kann sich die Unzumutbarkeit ergeben. 140 Die Klausel muss die Anpassungsmöglichkeit so konkret wie möglich um­ schreiben. Dem Vertragspartner muss hierdurch ein gewisses Maß an Kalkulier­ barkeit der Leistungsänderung ermöglicht werden. 141 Diesen Anforderungen ge­ nügt beispielsweise eine Klausel nicht, welche Änderungen der Bauausführung, der Material- bzw. Baustoffauswahl „soweit gleichwertig“ vorbehält. 142 Dies gilt auch für eine Verpflichtung, auf Verlangen des Auftraggebers Zusatzleistungen auch dann zu erbringen, wenn der Betrieb des Auftragnehmers nicht darauf eingerichtet ist. 143 Eine pauschale Ermächtigung zu Änderungen während der Vertragsdurchführung ist ebenfalls ausgeschlossen. Gleiches gilt, wenn lediglich der Gesetzeswortlaut des § 308 Nr. 4 BGB übernommen wird, 144 der öffentliche Auftraggeber sich Leistungsänderungen „aus wichtigem Grund“ oder „soweit für den Auftragnehmer zumutbar“ vorbehält. 145 Eine Klausel, die lediglich Ver­ handlungen für den Fall der Änderung der Preisgrundlagen beinhaltet, genügt ebenfalls nicht den vorgenannten Anforderungen an die Gebote der Bestimmt­ heit und Klarheit. 146 In diesen Fällen beruht eine Preisänderung insbesondere

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I. d. S. BGH, Urt. v. 17. 02. 2004 – XI ZR 140/03, NJW 2004, 1588. Kieninger, in: Münchener Kommentar, BGB, § 308 Nr. 4, Rn. 7. 140 J. Becker, in: Bamberger / Roth, § 308 Nr. 4 BGB, Rn. 2; H. Schmidt, in: Ulmer / Brandner / Hensen, AGB-Recht, § 308 Nr. 4, Rn. 9. 141 EuGH, Urt. v. 29. 04. 2004 – Rs. C-496/99 (Succhi di frutta), Slg. 2004, I-03801, Rn. 118; BGH, Urt. v. 17. 02. 2004 – XI ZR 140/03, NJW 2004, 1588; Krohn, NZBau 2008, 619 (626); Niestedt / Hölzl, NJW 2008, 3321 (3324). 142 BGH, Urt. v. 23. 06. 2005 – VII ZR 200/04, BauR 2005, 1473 ff. 143 Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 1 Nr. 4 VOB / B, Rn. 7. 144 OLG Hamburg, Urt. v. 26. 03. 1986 – 5 U 119/85, NJW-RR 1986, 1440. 145 Kieninger, in: Münchener Kommentar, BGB, § 308 Nr. 4, Rn. 8. 146 Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2746 f.); a. A. VK Hamburg, Beschl. v. 27. 04. 2006 – VgK FB 2/06. Im Fall der VK Hamburg sollte der Preis auf der Grundlage zweier Gutachten neu verhandelt werden. Die Vergabekammer sah hierin eine vergaberechtsneutrale Optionsklausel. Dies ist jedoch unzutreffend. Denn die Klausel berechtigt weder den Auftraggeber noch den Auftragnehmer, durch einseitige Erklärung eine Prei­ sanpassung zu bewirken (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. 11. 2003 – Verg 63/03; Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2746 f). Zu Inhalt und Anforderungen an Opti­ onsklausel im Einzelnen Kapitel 6. 139

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nicht auf den Bedingungen des Ursprungsvertrages, sondern auf nachträglichen Verhandlungen, die als Neuabschluss des Vertrages zu werten sind. 147 Inhaltlich dürfen Änderungsvorbehaltsklauseln nur an die Anpassung verän­ derter Umstände anknüpfen. Die Änderungen dürfen darüber hinaus nicht we­ sentlich sein, den Vertrag mithin in seinem Wesen nicht verändern. 148 Formularmäßige Leistungsänderungsvorbehalte erfordern insbesondere bei langfristigen Verträgen auch die Wahrung des vertraglichen Äquivalenzinteresses. 149 Sie müs­ sen demnach eine adäquate Preisanpassungsmöglichkeit vorsehen. Genügt mithin eine vom öffentlichen Auftraggeber in den Vertrag einbezogene Änderungsvorbehaltsklausel nicht den vorgenannten Anforderungen, so ist sie nach den Wertungen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nichtig. Eine nachträgliche Vertragsänderung kann hierauf nicht gestützt werden. b) Preisgleitklauseln Grundsätzlich sind die zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer vereinbarten Preise für beide Vertragsparteien bindend und können nach Ver­ tragsschluss nicht einseitig geändert werden. Dies gilt auch dann, wenn sich bei Durchführung des Vertrages die Preisermittlungsgrundlagen wegen eines Kalkulationsirrtums des Auftragnehmers oder wegen unvorhergesehener Kos­ tensteigerungen als unzutreffend herausstellen. Nur in absoluten Ausnahmefäl­ len führen außergewöhnliche und unvorhersehbare Kostensteigerungen über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 242 BGB zu einer Vertrags­ anpassung. 150 Die Vertragsparteien im Vergaberecht können jedoch abweichend hiervon un­ ter sehr engen Voraussetzungen Preisgleitklauseln vereinbaren. Durch Preisgleit­ klauseln werden im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht überschaubare Marktrisiken auf beide Vertragspartner verteilt. 151 Insbesondere energiepreisab­ hängige Rohstoffe oder Stahlpreise unterliegen starken Schwankungen. Sie be­ deuten daher bei längerfristigen Verträgen ein nur schwer kalkulierbares Risiko. Die Zulässigkeit von Preisgleitklauseln im Vergaberecht geht auf den Grundsatz zurück, dass dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis für Umstände 147

Ebenso Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2747). Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 104 ff. 149 BGH, Urt. v. 17. 02. 2004 – XI ZR 140/03, NJW 2004, 1588 (1589). 150 Voraussetzung wäre, dass ein Festhalten am Vertrag zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht zu vereinbaren Ergebnis führen würde (vgl. Ru­ sam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 15, Rn. 2; Hertwig, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 15 VOB / A, Rn. 12). 151 Gabriel / Schulz, ZfBR 2007, 448 ff. 148

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und Preise aufgebürdet werden darf, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus abschätzen kann. 152 Preisgleitklauseln tragen mithin dem Umstand Rechnung, dass es nicht zumutbar ist, an Preisen festzuhalten, wenn sich die Kalkulationsgrundlagen wesentlich än­ dern. 153 Zudem liegt es nicht im Interesse des öffentlichen Auftraggebers, wenn sein Vertragspartner aufgrund von Preisänderungen in finanzielle Schwierigkei­ ten gerät und hierdurch die Ausführung der Leistung in Frage gestellt würde. Daher kann sich im Einzelfall auf beiden Seiten ein Bedürfnis ergeben, die Ver­ gütung anzupassen, auch wenn die Geschäftsgrundlage (noch) nicht weggefallen ist. Ziel einer Preisgleitklausel ist mithin die Wiederherstellung des Gleichge­ wichts zwischen Leistung und Gegenleistung. 154 aa) Arten von Preisgleitklauseln Preisgleitklauseln knüpfen an die jeweils relevanten Kalkulationspositionen an, wie zum Beispiel an Lohnkosten, Materialkosten, Sozialkosten, Transportkos­ ten oder auch die zu zahlende Umsatzsteuer. 155 Dementsprechend haben sich un­ terschiedliche Arten von Preisklauseln herausgebildet. 156 Durch eine Lohngleit­ klausel werden Lohn- und Gehaltsmehr- bzw. -minderaufwendungen erfasst. Dies geschieht in der Regel durch Vereinbarung sogenannter „Centklauseln“. Hiernach wird eine Lohnänderung von einem Cent je Stunde um einen im Vertrag enthaltenen Änderungssatz erhöht oder verringert. 157 Auch hinsichtlich der vereinbarten Materialien kann es im Verlaufe der Auftragsdurchführung zu einem Anpassungsbedarf bezüglich der Preise kommen. Diese wird über so­ genannte Stoffpreisgleitklauseln hergestellt. Stoffpreisgleitklauseln dürfen nur bei Materialien vereinbart werden, die ihrer Eigenart nach in einem besonders 152

Hertwig, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 15 VOB / A, Rn. 1. Preisgleitklauseln greifen daher nur bei Änderungen der Preisgrundlagen, nicht aber bei Änderungen des Leistungsinhalts. Letztere werden von den Regelungen des § 2 Nr. 5, 6 VOB / B bzw. § 2 Nr. 3 VOL / B erfasst. 154 Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 15 VOB / A, Rn. 24; Rusam, in: Heier­ mann / Riedl / Rusam, VOB, A § 15, Rn. 17. 155 Hertwig, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 15 VOB / A, Rn. 4; Gabriel / Schulz, ZfBR 2007, 448 (452). 156 Mustertexte der Vergabehandbücher (VHB, HVA B-StB). Ausführlich hierzu mit Abdruck der Mustertexte Hertwig, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 15 VOB / A, Rn. 9. 157 Lohngleitklauseln nehmen i. d. R. Bezug auf einen konkreten Tarifvertrag. Dabei ist es rechtlich nicht zu beanstanden, von mehreren im Inland existierenden Tarifverträgen einen bestimmten als Berechnungsmodell auszuwählen. Denn auch dann wird dem Sinn der Lohngleitklausel, einen einheitlichen Bezugspunkt für Lohnerhöhungen zu bilden, Rechnung getragen (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 29. 11. 2001 – 19 U 1833/01, NZA-RR 2003, 428 (429)). 153

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starken Maße Preisänderungen unterliegen und bei der Herstellung oder Durch­ führung der Leistung von besonderer Bedeutung sind. 158 Sie spielen in der Praxis vor allem bei energieabhängigen Rohstoffen (Zement, Stahl, bituminöses Misch­ gut, Benzin, Gas etc.) eine wichtige Rolle, da die Preise in diesen Bereichen starken Schwankungen unterliegen. 159 Gleiches gilt für Produkte, die einem ho­ hen Preisverfall unterworfen sind, wie zum Beispiel Computer. Diesbezüglich besteht ein Interesse des öffentlichen Auftraggebers an einer entsprechenden Preisanpassung während des Vertragszeitraums. 160 bb) Anforderungen an die Vereinbarung von Preisgleitklauseln Die Anforderungen an die Vereinbarung von Preisgleitklauseln in Verträ­ gen mit öffentlichen Auftraggebern ergeben sich aus § 15 Nr. 2 VOL / A a. F., § 15 VOB / A a. F. bzw. § 9 Abs. 9 VOB / A n. F. Hiernach kann der öffentliche Auftraggeber eine angemessene Änderung der Vergütung in den Verdingungsun­ terlagen vorsehen, wenn bei längerfristigen Verträgen 161 wesentliche Änderungen der Preisermittlungsgrundlagen, deren Eintritt oder Ausmaß ungewiss ist, zu er­ warten sind. 162 158

Das Material kann entweder wertmäßig einen hohen Anteil des Auftrags einneh­ men (so Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 15, Rn. 24) oder qualitativ für die Erfüllung des Auftrags eine entscheidende Rolle spielen. 159 So haben das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnwesen sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit unter dem 10. 04. 2005 einen entsprechen­ den Erlass herausgegeben, welches die Preisgrundsätze für die Lieferung von Stahl und Stahlerzeugnissen regelt (Erlass Stoffpreisgleitklausel Stahl BS 11 – 0 1082 – 115/22 vom 10. 05. 2004, abrufbar unter www.bmvbs.de). 160 BayObLG, Beschl. v. 21. 10. 2004 – Verg 17/04, NZBau 2005, 173 (175). 161 Als längerfristig ist ein Vertrag anzusehen, der sich über einen Zeitraum von mindestens 10 Monaten erstreckt (vgl. BayObLG, Beschl. v. 21. 10. 2004 – Verg 17/04, NZBau 2005, 173 (175)). Auch Nr. 1 VHB zu § 15 VOB / A sieht eine Beschränkung von Preisgleitklauseln auf Verträge mit mehr als 10 Monaten Laufzeit vor. Verträge mit kürzeren Laufzeiten sollen eine Preisgleitklausel nur dann enthalten, wenn das mit der Vereinbarung von festen Preisen verbundene Wagnis im Einzelfall besonders hoch ist und die Zeitspanne von dem für die Angebotsabgabe festgesetzten Zeitpunkt bis zur vereinbarten Lieferung bzw. Fertigstellung mindestens sechs Monate beträgt (vgl. Marx, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 15, Rn. 26). In der Neufassung der VOB / A ist das Erfordernis eines langfristigen Vertrages weggefallen. 162 Preisklauseln unterliegen nach der Preisklauselverordnung (PrKV) grundsätzlich einem Genehmigungsvorbehalt. Dieser gilt gemäß § 1 Nr. 2 und 3 PrKV nicht für Span­ nungsklauseln, also Klauseln, bei denen die in ein Verhältnis gesetzten Güter oder Leis­ tungen im Wesentlichen gleichartig oder vergleichbar sind, und Kostenelementeklauseln, also Klauseln, nach denen der geschuldete Betrag von der Entwicklung der Preise oder Werte für Güter oder Leistungen abhängig gemacht wird. Damit sind Lohngleitklauseln (Spannungsklausel) und Stoffpreisgleitklauseln (Kostenelementeklausel) genehmigungs­ frei (vgl. OLG München, Urt. v. 23. 05. 2000 – 13 U 5932/99; NZBau 2000, 515 f.;

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Voraussetzung ist zunächst, dass sich die erwartete Änderung auf eine oder mehrere Preisermittlungsgrundlagen bezieht. Hierzu gehören alle Faktoren, die für die Preisberechnung wesentlich sind, 163 z. B. Lohn- und Materialkosten, Frachtkosten, Lagerkosten, Zinskosten etc. 164 Für diese Preisermittlungsgrund­ lagen muss eine Änderung zu erwarten sein. Der öffentliche Auftraggeber hat daher eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit von Änderungen einzelner Prei­ sermittlungsgrundlagen aufzustellen. 165 Ist hiernach eine wesentliche Änderung der Preisermittlungsgrundlagen zu erwarten, kann er eine entsprechende Preis­ gleitklausel in den Vertrag aufnehmen. 166 Eine bloß marginale Änderung genügt jedoch nicht. Eine generalisierende Aussage, wann die Änderung als wesent­ lich prognostiziert werden kann, hat sich bisher nicht herausgebildet. Insoweit wird allgemein formuliert, dass der Unterschied zwischen den alten und neuen Preisen dann als wesentlich erachtet wird, wenn er das Maß überschreitet, wel­ ches üblicherweise als Wagnis in den Preisen der betreffenden Bauleistungen berücksichtigt wird. 167 Die Grundsätze zur Anwendung von Preisvorbehalten bei öffentlichen Aufträgen sehen diesbezüglich vor, dass Preisgleitklauseln „ab Überschreiten eines bestimmten Mindestbetrages (Bagatell- bzw. Selbstbehalts­ klauseln)“ wirksam werden. 168 Eine Klausel, welche die Erstattung der Mehrund Minderkosten von der Überschreitung einer Bagatellgrenze in Höhe von 0,5% der Abrechnungssumme abhängig machte, blieb vom BGH unbeanstan­ det. 169 Auch die Übernahme eines Risikos einer Preissteigerung von 3 % wurde in der Rechtsprechung als für den Bieter zumutbar und kalkulierbar anerkannt. 170 Das Wirksamwerden von Preisgleitklauseln ab einer Abweichung von „+/– 5 %“ soll ebenfalls vergaberechtskonform sein. 171 Aus diesen Einzelfällen kann keiHertwig, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 15 VOB / A, Rn. 29 ff.; Marx, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 15, Rn. 32). 163 Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 15 VOB / A, Rn. 16; Rusam, in: Heier­ mann / Riedl / Rusam, VOB, A § 15, Rn. 8. 164 Roth, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 15, Rn. 33; Marx, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 15, Rn. 27. 165 Roth, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 15, Rn. 33. 166 Marx, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 15, Rn. 28. 167 Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 15, Rn. 10; Marx, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 15, Rn. 28. Allerdings ist es nicht erforderlich, dass die strengen Voraussetzungen der Änderung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfüllt sein müssen (Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 15 VOB / A, Rn. 17). 168 Vgl. Nr. 2 lit. c der Grundsätze zur Anwendung von Preisvorbehalten bei öffent­ lichen Aufträgen. Gemäß VHB zu § 15 VOB / A Ziff. 3 müssen die Mehraufwendungen 0,5% der Auftragssumme überschreiten. Vgl. hierzu auch Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 15, Rn. 21; Gabriel / Schulz, ZfBR 2007, 448 (452). 169 BGH, Urt. v. 22. 11. 2001 – VII ZR 150/01, NZBau 2002, 89. 170 VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 11. 2001 – 203-VgK-19/2001. 171 So VK Niedersachsen, Beschl. v. 21. 01. 2003 – 203-VgK-30/2002.

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ne pauschale Grenze abgeleitet werden. Jedoch ist davon auszugehen, dass die Übernahme eines Risikos von mehr als 10% nicht mehr zumutbar ist. Weitere Voraussetzung für die zulässige Vereinbarung einer Preisgleitklausel ist, dass Eintritt oder Ausmaß der Änderung zum Zeitpunkt der Ausschreibung ungewiss sind. Dies bedeutet, dass einerseits hinreichend konkrete (objektive) Anhaltspunkte für eine wesentliche Preisänderung bestehen müssen, 172 ande­ rerseits aber hinsichtlich Eintritt oder Ausmaß keine Sicherheit besteht. Die Ungewissheit kann somit an zwei Kriterien anknüpfen, entweder den Eintritt, also den Zeitpunkt der Preisänderung, oder aber das Ausmaß, also die konkrete Höhe der Preisänderung. 173 Soweit die vorgenannten Voraussetzungen vorliegen, kann eine Preisgleitklau­ sel in die Verdingungsunterlagen aufgenommen werden. Die Vereinbarung einer Preisgleitklausel steht im Ermessen des Auftraggebers. Das Ermessen kann ins­ besondere bei langfristigen Verträgen und damit langfristigen Bindungen an die Preise aufgrund des Wettbewerbsgebots reduziert sein. Dieses würde verletzt, wenn die auszuführende Leistung mit unkalkulierbaren Risiken, wie einem un­ gewöhnlich hohen Preiswagnis, behaftet wäre. 174 Weiterhin sind die Einzelhei­ ten der Preisänderungsmöglichkeiten festzulegen, wie die einzelnen Bestandteile der Preisermittlungsgrundlagen, die eine Änderung erfahren sollen, sowie der Zeitpunkt, ab dem die Preisgleitklausel ihre Wirkung entfalten soll. 175 Bei Stoff­ preisgleitklauseln bedarf es der Angabe des marktüblichen Preises bei Vertrags­ schluss, um das Ausmaß der Änderung erfassen zu können. Der Auftraggeber hat die Materialien, die einer Preisgleitung unterliegen sollen, im Rahmen der Leistungsbeschreibung konkret zu benennen. 176

172

Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 15 VOB / A, Rn. 20. Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 15, Rn. 11; weitere Beispiele bei Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 15 VOB / A, Rn. 21 f. 174 Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 15, Rn. 4. 175 OLG Stuttgart, Urt. v. 13. 01. 2005 – 2 U 134/04, NJW-RR 2005, 858 ff.; Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 15, Rn. 18 f.; Marx, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 15, Rn. 31. In der Praxis werden Preisgleitklauseln regelmäßig in Form von mathematischen Formeln ausgedrückt, welche die allgemein feststehenden Indizes einbeziehen und der zu erwartenden Kostenentwicklung Rechnung tragen (vgl. Roth, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 15, Rn. 35). 176 Der Leistungsbeschreibung wird in der Regel ein Verzeichnis für Stoffpreisgleit­ klauseln beigefügt (abgedruckt bei Hertwig, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 15 VOB / A, Rn. 22). 173

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

cc) Inhaltskontrolle von Preisgleitklauseln Preisanpassungsklauseln unterliegen als Preisnebenabreden der Inhaltskontrol­ le durch das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. 177 Den Maßstab der Rechtmäßigkeit bildet die Generalklausel des § 307 BGB. Preisanpassungsklau­ seln dürfen demnach den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben nicht unangemessen benachteiligen. Zunächst kann bei Dauerschuld­ verhältnissen oder langfristigen Verträgen grundsätzlich von einem berechtigten Interesse der Vertragsparteien an einer Preisanpassung, das heißt an einer Auf­ rechterhaltung der bei Vertragsschluss zugrunde gelegten Relation von Leistung und Gegenleistung über die gesamte Vertragsdauer, ausgegangen werden. 178 Wei­ terhin müssen Preisanpassungsklauseln dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB genügen. 179 Sie sind daher so eindeutig und klar zu formulieren, dass der Vertragspartner des Verwenders schon bei Vertragsabschluss das Aus­ maß der Preissteigerung überblicken und im Falle einer Preiserhöhung deren Berechtigung an der Klausel messen kann. 180 Hierfür bedarf es einer möglichst konkreten Festlegung der Voraussetzungen, unter denen das Bestimmungsrecht entsteht, und der Richtlinien, nach denen es auszuüben ist, 181 sowie einer hinrei­ chend klaren Beschreibung der relevanten Bezugsgrößen. 182

177 OLG Stuttgart, Urt. v. 13. 01. 2005 – 2 U 134/04, NJW-RR 2005, 858. Klauseln, die nur eine Preisvereinbarung enthalten, unterliegen zwar nach ständiger Rechtsprechung des BGH keiner Inhaltskontrolle (vgl. BGH, Urt. v. 18. 04. 2002 – III ZR 199/01, NJW 2002, 2386; Beschl. v. 24. 09. 1998 – III ZR 219/97, NJW 1999, 864). Allerdings können Klau­ seln, die eine Preisberechnungsabrede für eine nach dem Vertrag möglicherweise später geschuldete zusätzliche Leistung enthalten, zu den kontrollierbaren Abreden über das vom Besteller zu zahlende Entgelt gehören (BGH, Urt. v. 25. 01. 1996 – VII ZR 233/94, NJW 1996, 1346 (1347) m.w. N). Denn der Begriff der Leistung steht nicht zur Disposition des Verwenders Allgemeiner Geschäftsbedingungen (BGH, Urt. v. 19. 10. 1999 – XI ZR 8/99, NJW 2000, 651). 178 Die „umgekehrte“ Klausel, dass eine Preiskorrektur gleich aus welchem Grund nicht anerkannt wird, hält einer Inhaltskontrolle nicht stand. Sie stellt eine unangemessene Benachteiligung zulasten des Auftragnehmers dar. Denn der Auftraggeber versucht durch einseitige Gestaltung des Vertrages missbräuchlich seine eigenen Interessen durchzuset­ zen, ohne die Belange seines Vertragspartners hinreichend zu berücksichtigen und diesem einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (VK Hessen, Beschl. v. 19. 09. 2002 – 69d VK-46/2002). 179 BGH, Urt. v. 19. 10. 1999 – XI ZR 8/99, NJW 2000, 651 (652); OLG Stuttgart, Urt. v. 13. 01. 2005 – 2 U 134/04, NJW-RR 2005, 858; LG Hamburg, Urt. v. 08. 03. 1996 – 309 S 264/95, BauR 1996, 553 f.. 180 BGH, Urt. v. 19. 11. 2002 – X ZR 243/01, NJW 2003, 507 (509); Urt. v. 19. 10. 1999 – XI ZR 8/99, NJW 2000, 651 (652); OLG Stuttgart, Urt. v. 13. 01. 2005 – 2 U 134/ 04, NJW-RR 2005, 858; Hertwig, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 15 VOB / A, Rn. 12. 181 Derartige Richtlinien können objektive Kriterien, z. B. die Bezugnahme auf einen prozentualen Umfang der Änderung, sein.

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Unzulässig ist es, die Preisanpassung in das Belieben eines Vertragsteils zu stellen, da der Umfang der Änderung in diesem Fall nicht überschaubar wä­ re. 183 Auch die bloße Feststellung, dass die Preise auf der Basis der aktuellen Lohn- bzw. Materialpreise kalkuliert sind, genügt nicht den Anforderungen einer Transparenz nach § 307 BGB. 184 Zweifelhaft ist auch, ob ein Hinweis, dass die Preise nur bei gleich bleibenden Lohn- und Materialkosten gelten sollen, eine wirksame Preisänderungsklausel bedeutet. Hiergegen spricht, dass der Preisände­ rungsvorbehalt nicht eindeutig formuliert ist und insbesondere die Grundlagen der Anpassung nicht klar benennt. 185 Auch im Falle von Festpreisabsprachen und kurzfristigen Verträgen, bei welchen die Preisentwicklung überschaubar ist, sind formularmäßige Preisänderungsklauseln grundsätzlich unzulässig. 186 Eine Preisgleitklausel, die der Inhaltskontrolle nicht standhält, ist nichtig und kann nicht Grundlage einer Preisänderung sein. 3. Ergebnis Anpassungen des Vertrages, insbesondere des Leistungsgegenstandes und der Vergütung, an geänderte Umstände sind unter engen Voraussetzungen auf der Grundlage vertraglich vereinbarter Anpassungsklauseln möglich. Anpassungen auf dieser Grundlage sind immer dann nicht vergaberechtlich relevant, wenn die Änderungsmöglichkeit in dem ursprünglichen, der Ausschreibung zugrunde lie­ genden Vertrag vorgesehen war, die rechtlichen Anforderungen an die jeweilige Klausel erfüllt sind und diese einer Inhaltskontrolle nach dem Recht der Allge­ meinen Geschäftsbedingungen standhält. Unter den vorgenannten Voraussetzun­ gen stellt eine Anpassung auf der Grundlage einer Änderungsklausel lediglich die Wahrnehmung eines vertraglichen Rechts dar, ohne dass der vergaberecht­ lich relevante Bereich berührt wird. So können Änderungen der Leistung von den §§ 1 Nr. 3, 4 VOB / B bzw. 2 VOL / B erfasst sein. Gleiches gilt für Klau­ 182 Auf der anderen Seite dürfen die Anforderungen an eine Regelung in den Allge­ meinen Geschäftsbedingungen nicht überspannt werden. Daher besteht die Verpflichtung, den Klauselinhalt klar und verständlich zu formulieren nur im Rahmen des möglichen (vgl. BGH, Urt. v. 19. 10. 1999 – XI ZR 8/99, NJW 2000, 651 (652); OLG Stuttgart, Urt. v. 13. 01. 2005 – 2 U 134/04, NJW-RR 2005, 858). 183 BGH, Urt. v. 19. 10. 1999 – XI ZR 8/99, NJW 2000, 651 (652); Hertwig, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 15 VOB / A, Rn. 13; Jagenburg, in: Ganten / Ja­ genburg / Motzke, VOB Teil B, § 2, Rn. 328 f. 184 Hertwig, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 15 VOB / A, Rn. 13. Hierdurch wird nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck gebracht (so zu Recht Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 15 VOB / A, Rn. 25). 185 A. A. Jagenburg, in: Ganten / Jagenburg / Motzke, VOB Teil B, § 2, Rn. 228 unter Hinweis auf OLG Hamm, Urteil vom 13. 02. 1975 – 17 U 278/74, BB 1975, 489 (490); Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 15 VOB / A, Rn. 25. 186 Keldungs, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 15 VOB / A, Rn. 23.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

seln, die einen Änderungsvorbehalt zugunsten des öffentlichen Auftraggebers vorsehen. In der Praxis häufig und im Hinblick auf das Wettbewerbsgebot regel­ mäßig geboten sind sogenannte Preisänderungs- bzw. Preisgleitklauseln. An die Zulässigkeit dieser Klauseln werden durch das Vergaberecht und durch das Zi­ vilrecht hohe Anforderungen gestellt. Zulässige Klauseln ermöglichen es jedoch, die Vergütung an geänderte Umstände anzupassen, ohne dass eine Kündigung des Vertrages oder eine Neuausschreibung erforderlich wird. III. Ausnahmetatbestände im Vergaberecht für Leistungsänderungen Wird die Änderung bzw. Anpassung des Vertragsinhalts nicht von den ur­ sprünglichen vertraglichen Vereinbarungen erfasst, muss diese unter dem Blick­ winkel des Vergaberechts beurteilt werden. Eine förmliche Ausschreibung der Vertragsänderung ist nach den vergaberechtlichen Vorschriften jedoch immer dann entbehrlich, wenn Ausnahmetatbestände des Vergaberechts einschlägig sind, die eine direkte Beauftragung des Auftragnehmers ermöglichen. Diese Ausnahmetatbestände sollen im Folgenden näher dargestellt werden. 1. Regelungen im europäischen und deutschen Vergaberecht Das Vergaberecht, gleich ob das europäische oder das deutsche, enthält keine Vorschriften, die explizit den Umgang mit Änderungen von Vertragsbestandtei­ len nach Zuschlagserteilung regeln. Das Vergaberecht sieht unter sehr engen Voraussetzungen lediglich die Möglichkeit eines Verhandlungsverfahrens oh­ ne öffentliche Vergabebekanntmachung bei der Beauftragung von zusätzlichen, wiederholenden oder erweiternden Leistungen an den aktuellen Vertragspartner vor. 187 Sind die Tatbestände des Verhandlungsverfahrens ohne Vergabebekannt­ machung einschlägig, so ist die Änderung des Vertrages durch Ergänzung oder Erweiterung der Leistung im Rahmen des bestehenden Vertragsverhältnisses mit dem Auftragnehmer vergaberechtlich legitimiert und eine förmliche Aus­ schreibung entbehrlich. Daher sollen im Folgenden Ausnahmetatbestände des Verhandlungsverfahrens ohne Vergabebekanntmachung auf ihre Voraussetzun­ gen hin näher untersucht werden.

187

Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 99 GWB, Rn. 4c; Boesen, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 47.

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2. Ausnahmetatbestände des Verhandlungsverfahrens ohne Vergabebekanntmachung Das Verhandlungsverfahren unterscheidet sich vom offenen und nichtoffenen Verfahren dadurch, dass der Auftraggeber direkt an von ihm ausgewählte Un­ ternehmen herantritt und mit einem oder mehreren über die Auftragsvergabe verhandelt (vgl. Art. 1 Abs. 11 lit. d VKR). 188 Eine vorherige Vergabebekanntma­ chung ist in den abschließend aufgezählten Fällen des Art. 31 Nr. 1 bis 4 VKR 189 entbehrlich. Das Vergaberecht knüpft sehr strenge Voraussetzungen an die An­ wendbarkeit dieser Tatbestände. Diese müssen objektiv vorliegen und sind wegen ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen. Die Aufzählung der Ausnahmetatbe­ stände ist zudem abschließend. 190 Im Hinblick auf Ergänzungen und Erweiterun­ gen der ursprünglichen Leistung im bestehenden Vertragsverhältnis kommen die Tatbestände des Art. 31 Nr. 1 lit. b VKR (Auftrag nur von dem Vertragspartner ausführbar), Art. 31 Nr. 2 lit. b VKR (Beauftragung zusätzlicher Lieferleistun­ gen), Art. 31 Nr. 4 lit. a VKR (Beauftragung zusätzlicher Bau- oder Dienstleis­ tungen) sowie Art. 31 Nr. 4 lit. b VKR (Wiederholung gleichartiger Leistungen) in Betracht. Bei Vorliegen der Voraussetzungen ermöglichen die vorgenannten Ausnahmetatbestände eine direkte Beauftragung des Vertragspartners mit der weiteren oder geänderten Leistung. a) Auftrag nur vom Vertragspartner ausführbar Als ein die direkte Beauftragung des aktuellen Vertragspartners mit (weiteren) Leistungen rechtfertigender Ausnahmetatbestand kommt zunächst Art. 31 Nr. 1 lit. b VKR in Betracht. 191 Hiernach können öffentliche Auftraggeber im Wege des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung Aufträge direkt an ein bestimmtes Unternehmen vergeben, wenn der Auftrag aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlich­ keitsrechten nur von diesem Unternehmen ausgeführt werden kann. An diesen Ausnahmetatbestand werden allerdings hohe Anforderungen gestellt. 192 Zunächst darf nur ein Unternehmen europaweit in der Lage sein, den Auf­ trag auszuführen. 193 Diese Annahme bedarf einer sorgfältigen Markterforschung 188

§ 3a Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 VOB / A n.F.; § 101 Abs. 5 GWB. Vgl. § 3a Abs. 6 Nr. 1 bis 7 VOB / A n.F.; § 3a Abs. 4 lit. a-j VOL / A-EG; § 3 Abs. 4 lit. a-f VOF n.F. 190 Jasper, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 3a VOB / A, Rn. 43 f.; MüllerWrede, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 3a VOB / A, Rn. 34. 191 Vgl. § 3a Abs. 6 Nr. 3 VOB / A n.F.; § 3 Abs. 4 lit. c VOL / A-EG; § 3 Abs. 4 lit. a VOF n.F. 192 KG, Beschl. v. 19. 04. 2000 – KartVerg 6/00, NZBau 2001, 161 (163). 189

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des Auftraggebers und einer europaweiten Marktübersicht. 194 Darüber hinaus muss der öffentliche Auftraggeber darlegen können, warum die technischen oder künstlerischen Gründe bzw. das Ausschließlichkeitsrecht die Auftragsvergabe an dieses konkrete Unternehmen erfordern. 195 Er trägt die Beweislast, dass allein dieser Anbieter europaweit in der Lage ist, die Leistung zu erbringen. 196 Technische Gründe, die zur alleinigen Auftragsdurchführung befähigen, kön­ nen sich aus dem Erfordernis einer speziellen Ausstattung oder spezieller Ge­ rätschaften für die Auftragsausführung ergeben. Beispielsweise können hoch­ komplexe Ingenieurbauwerke oder andere hochwertige Individualbeschaffungen spezifische technische Voraussetzungen erfordern, die die Auftragsausführung auf ein bestimmtes Unternehmen einschränken. Es darf aber nur ein Unter­ nehmen geben, welches aufgrund seiner technischen Ausstattung oder seines technischen Sachverstandes in der Lage ist, den Auftrag sachgerecht auszufüh­ ren oder die nachgefragte Leistung herzustellen. 197 Künstlerische Gründe können die Auftragsvergabe im Wege des Verhandlungsverfahrens rechtfertigen, wenn diese anhand objektiver Anhaltspunkte nachgewiesen werden können. 198 In der Regel wird bereits das Vorliegen von Ausschließlichkeitsrechten des Künstlers an seinem Kunstwerk die Auftragsvergabe an diesen aus rechtlichen Gründen bedingen. Soweit zugunsten eines Unternehmens an der vom Auftraggeber nachgefragten Leistung ein Ausschließlichkeitsrecht besteht, handelt es sich um ein absolutes rechtliches Hindernis, welches die Auftragsvergabe an andere Unternehmen aus­ schließt. Ausschließlichkeitsrechte sind neben Eigentumsrechten auch eigentums­ ähnliche Rechte zum Schutz immaterieller Rechtsgüter (z. B. Patente nach dem Patentgesetz, 199 Urheberrechte entsprechend dem Urhebergesetz, 200 (Vertriebs-) 193 Kulartz, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 89. Der Grund für die monopolartige Stellung des allein zur Leistungserbringung fähigen Unternehmens ist irrelevant. Dies gilt auch dann, wenn das Unternehmen seine einzigartige Fähigkeit aus der vorangegangenen Beauftragung zieht (Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 – 3, Rn. 179; a. A. VK Berlin, Beschl. v. 01. 10. 2003 – VK-B1 –21/03). 194 VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007; Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 177. 195 EuGH, Urt. v. 02. 06. 2005 – Rs. C-394/02 (Kommission / Griechenland), Slg. 2005, I-4713, Rn. 35; VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007; Müller-Wrede, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 3a VOB / A, Rn. 43. 196 EuGH, Urt. v. 03. 05. 1994 – Rs. C-328/92 (Kommission / Spanien), Slg. 1994, I­ 1569, Rn. 17; VK Bund, Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 –35/03. Es genügt nicht, dass der Auftraggeber der Auffassung ist, dass nur ein Bieter die wirtschaftlichste Leistungs­ erbringung erwarten lässt (vgl. VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007). 197 VK Bund, Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 – 35/03. 198 Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 181; Kulartz, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar zum Vergaberecht, § 3a, Rn. 90. 199 Das aus einem Patentrecht folgende Ausschließlichkeitsrecht setzt voraus, dass die Patentvoraussetzungen erfüllt sind und im konkreten Fall von der technischen Lehre des

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Lizenzen, 201 Warenzeichen nach dem Warenzeichengesetz oder auch gewerbli­ che Schutzrechte nach dem Geschmacksmuster- und Gebrauchsmustergesetz). 202 Aufgrund des Ausschließlichkeitsrechts ist es anderen Unternehmen rechtlich verwehrt, auf die Leistung oder das für die Leistung zwingend erforderliche Hilfsmittel zurückzugreifen. 203 Hat der Inhaber eines Ausschließlichkeitsrechts jedoch weiteren Unternehmen ein Verwertungsrecht eingeräumt, so greift der Tatbestand des Art. 31 Nr. 1 lit. b VKR nicht. In diesem Fall kommen rechtlich mehrere Unternehmen für die Auftragsdurchführung in Betracht. Der Ausnahme­ tatbestand greift auch dann nicht ein, wenn trotz eines Ausschließlichkeitsrechts bis zur geplanten Auftragsvergabe ein Wettbewerb entstehen kann, da die not­ wendigen Lizenzen oder Rechte bis dahin erworben werden können. 204 Liegen die vorgenannten Voraussetzungen in Bezug auf den Vertragspartner des öffentlichen Auftraggebers vor und kann nur dieser tatsächlich oder rechtlich die nachgefragte Leistung erbringen, so können Änderungen oder Erweiterungen der Leistung direkt mit diesem ohne vorherige Ausschreibung vereinbart werden. Das Vergaberecht legitimiert insoweit die direkte Beauftragung ohne vorherige Durchführung eines Vergabeverfahrens.

Patents Gebrauch gemacht wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28. 05. 2003 – Verg 10/03, NZBau 2004, 175 (176)). 200 Ausschließlichkeitsrechte in Form von Urheberrechten können an Bauplänen oder Bauwerken bestehen, da (technische) Zeichnungen, Pläne, aber auch Ausschreibungsun­ terlagen i. d. R. urheberrechtlich geschützt sind. Gleiches gilt für Softwareprogramme, sodass bei fehlender Kompatibilität nur ein Unternehmen Anpassungen etc. vornehmen kann (vgl. VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007). In der Praxis lässt sich der öffentliche Auftraggeber daher regelmäßig vom Urheber die entsprechenden Änderungs-, Nutzungs- und Veröffentlichungsrechte übertragen. 201 Siehe hierzu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. 04. 2005 – VII-Verg 93/04, VergabeR 2005, 513 (515 ff., 518), welches ein Ausschließlichkeitsrecht an dem Vertrieb des zu beschaffenden Informationssystems bejaht hat. Das Argument, der Auftraggeber hätte auch ein anderes Informationssystem zur Deckung seines Bedarfs beschaffen können, wurde zurückgewiesen mit der Begründung, dass dem öffentlichen Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich seiner konkreten Beschaffungsentscheidung zusteht. 202 Fett, in: Müller-Wrede, VOL / A, 1. Aufl., § 3a, Rn. 122. 203 Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 182. 204 Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 184. Dies gilt z. B. hin­ sichtlich des Erwerbs von Lizenzen zur Briefbeförderung. Die Lizenzen werden von der Bundesnetzagentur auf einen entsprechenden Antrag hin vergeben. Behördliche Ge­ nehmigungen können hingegen kein Ausschließlichkeitsrecht begründen, da sie von je­ dem Unternehmen beantragt werden können (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 14. 03. 2005 – 1 VK 5/05).

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b) Beauftragung zusätzlicher Lieferleistungen Die Beauftragung des aktuellen Vertragspartners mit zusätzlichen Lieferleis­ tungen wird gemäß Art. 31 Nr. 2 lit. b VKR 205 von der Durchführung eines förm­ lichen Vergabeverfahrens freigestellt, wenn die Lieferungen entweder zur teilwei­ sen Erneuerung von gelieferten marktüblichen Waren oder Einrichtungen oder zur Erweiterung von Lieferungen oder bestehenden Einrichtungen bestimmt sind, und wenn ein Wechsel des Unternehmens dazu führen würde, dass der öffentliche Auftraggeber Waren mit unterschiedlichen technischen Merkmalen beschaffen müsste und dies eine technische Unvereinbarkeit oder unverhältnismäßige tech­ nische Schwierigkeiten bei Gebrauch und Wartung mit sich bringen würde. Die Laufzeit dieser zusätzlichen Aufträge sowie der Daueraufträge darf in der Regel drei Jahre nicht überschreiten. Bereits aus diesen Richtlinienvorgaben ergeben sich hohe und vielschichtige Anforderungen an den Ausnahmetatbestand. Im Einzelnen: Die zusätzliche Lieferung muss sich zunächst als Folgeleistung eines vor­ angegangenen Auftrags darstellen. 206 Zwischen den einzelnen Beschaffungsvor­ gängen ist ein inhaltlicher, nicht notwendigerweise zeitlicher Zusammenhang erforderlich. 207 Dabei muss das ursprüngliche Vertragsverhältnis nicht zwingend ein Lieferauftrag sein. Die Qualifikation als Lieferleistung bezieht sich allein auf die zusätzliche Leistung. Die ursprüngliche Leistung kann ausweislich des Wortlauts der Vorschrift auch in der Errichtung eines Bauwerks bestehen. 208 Die zusätzliche Lieferleistung muss weiterhin einem festgelegten Zweck, näm­ lich der teilweisen Erneuerung oder Erweiterung der ursprünglichen Lieferung oder Einrichtung, dienen. Die erste Alternative der teilweisen „Erneuerung“ er­ fasst die Aufwertung oder Anpassung des Leistungsgegenstandes an den neues­ ten Stand der Technik, aber auch die Reparatur defekter Bestandteile durch Lie­ ferung von Ersatzteilen oder sonstigen Lieferungen, welche der Instandhaltung 205

Vgl. § 3a Abs. 6 Nr. 7 VOB / A n.F.; § 3 Abs. 4 lit. e VOL / A-EG. Der Begriff der zusätzlichen Leistung ist dabei nicht im Sinne von § 1 Nr. 4 VOB / B zu verstehen. Nach dem dortigen Verständnis sind zusätzliche Leistungen solche, die im Bereich desselben Auftrags vom Auftraggeber verlangt und vom Auftragnehmer er­ bracht werden können (vgl. hierzu Kapitel 4.B.II.1.b.). Zusätzliche Leistungen im Sinne des Art. 31 Nr. 2 lit. b VKR sind vielmehr Folgeaufträge, welche, sofern der Ausnahme­ tatbestand nicht greift, vollumfänglich den vergaberechtlichen Regelungen unterliegen (vgl. VK Bund, Beschl. v. 11. 04. 2003 – VK 2 – 10/03 zu Folgeaufträgen bei der Liefe­ rung von Pockenimpfstoffen; Müller-Wrede, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 3a VOB / A, Rn. 50). 207 VK Bund, Beschl. v. 11. 04. 2003 – VK 2 – 10/03; VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007. 208 So zutreffend Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 211; a. A. Jasper, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 3a VOB / A, Rn. 66. 206

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dienen. 209 Die zusätzliche Lieferung darf die ursprüngliche Leistung aber nicht als Ganzes ersetzen. Dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Einschränkung im Wortlaut des Ausnahmetatbestandes („zur teilweisen Erneuerung“). 210 Eine „Er­ weiterung“ gemäß der zweiten Alternative des Tatbestandes der ursprünglichen Leistung liegt sowohl in der quantitativen Erweiterung gleicher Leistungsbe­ standteile als auch in der qualitativen Erweiterung durch Hinzufügen weiterer Leistungsbestandteile, um die Zweckbestimmung oder die Gebrauchsmöglich­ keit auszudehnen. 211 Des Weiteren wird gefordert, dass dem Auftraggeber ein Wechsel des Auftrag­ nehmers unzumutbar sein muss. Dies ist gemäß dem Wortlaut des Ausnahme­ tatbestandes dann der Fall, wenn ein Auftragnehmerwechsel dazu führen würde, dass der Auftraggeber Waren mit unterschiedlichen technischen Merkmalen kau­ fen müsste und dies eine technische Unvereinbarkeit oder unverhältnismäßige technische Schwierigkeiten bei Gebrauch und Wartung mit sich bringen würde. Erforderlich ist demnach zunächst, dass der Auftraggeber bei anderen Unter­ nehmen ausschließlich Waren mit abweichenden technischen Merkmalen kaufen kann. Dies ist bereits dann nicht der Fall, wenn auch ein drittes Unternehmen rechtlich und tatsächlich in der Lage ist, Waren zu liefern, die mit denjenigen des ursprünglichen Auftrags in technischer Hinsicht identisch oder vergleichbar sind. 212 In diesen Fällen besteht eine Konkurrenzsituation um die nachgefragten Produkte. Die zusätzliche Lieferung ist daher im Wettbewerb zu beschaffen. Das gleiche gilt, wenn trotz abweichender technischer Spezifikationen die ur­ sprüngliche Leistung in keiner Weise beeinträchtigt würde. Der Tatbestand for­ dert diesbezüglich, dass die abweichenden technischen Merkmale zu einer tech­ nischen Unvereinbarkeit oder unverhältnismäßigen technischen Schwierigkeiten bei Gebrauch und Wartung führen. Der Auftragnehmerwechsel muss sich mit­ hin in technischer Hinsicht auf die Hauptleistung durchschlagen. Andere Gründe, wie wirtschaftliche oder ästhetische Nachteile, vermögen keine Unzumutbarkeit des Auftragnehmerwechsels zu begründen. Eine technische Unvereinbarkeit ist dabei absolut im Sinne einer Vereitelung des Gebrauchszwecks zu verstehen. 213 209 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10. 07. 2007 – 11 Verg 5/07, ZfBR 2008, 88; VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007; Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 – 3, Rn. 213; Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 3a, Rn. 28. 210 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10. 07. 2007 – 11 Verg 5/07, ZfBR 2008, 88; VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007. 211 Nicht erfasst werden Zusatzbeschaffungen, die das ursprüngliche Produkt in einem solchen Umfang ausdehnen, dass sie gewissermaßen einer Neubeschaffung gleichkommen (so aber im Fall der VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007). 212 Dies ist z. B. dann der Fall, wenn mehrere Unternehmen die benötigten Produkte des Herstellers vertreiben (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28. 05. 2003 – Verg 10/03, NZBau 2004, 175 (176); VK Bund, Beschl. v. 12. 02. 2003 – VK 1 –03/03). 213 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10. 07. 2007 – 11 Verg 5/07, ZfBR 2008, 88; Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 217.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Technische Schwierigkeiten bei Gebrauch und Wartung können nur dann den Ausnahmetatbestand rechtfertigen, wenn sie unverhältnismäßig sind oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand behoben werden können oder den Gebrauch nicht nur marginal beeinträchtigen würden. 214 Das Tatbestandsmerkmal der Un­ verhältnismäßigkeit ist restriktiv auszulegen. Hiervon kann beispielsweise dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn zwar der Nutzungskomfort eingeschränkt, dieser Umstand aber durch ein hohes Kosteneinsparungspotenzial kompensiert wird. 215 Andererseits können logistische Probleme eine Unverhältnismäßigkeit begründen. 216 Die Frage der Unverhältnismäßigkeit ist daher immer im Einzelfall und im Zusammenhang mit dem Zweck der Beschaffung zu beurteilen. 217 Sind die vorgenannten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, kann der öffentli­ che Auftraggeber die zusätzliche Lieferleistung im Wege des Verhandlungsver­ fahrens ohne Vergabebekanntmachung an den Auftragnehmer der ursprünglichen Leistung, also an seinen Vertragspartner vergeben. Die Laufzeit des zusätzlichen Lieferauftrags ist jedoch in der Regel auf drei Jahre zu begrenzen. Dies gilt ins­ besondere für Daueraufträge. Nur soweit sachliche Gründe angeführt werden können, darf die Laufzeit überschritten werden. c) Beauftragung zusätzlicher Bau- und Dienstleistungen Bei öffentlichen Bau- und Dienstleistungsaufträgen können zusätzliche Leis­ tungen im Wege des Verhandlungsverfahrens ohne Vergabebekanntmachung di­ rekt an das auftragsausführende Unternehmen vergeben werden, wenn gemäß Art. 31 Nr. 4 lit. a VKR 218 die zusätzlichen Leistungen weder in dem der Ver­ gabe zugrunde liegenden Entwurf noch im ursprünglichen Vertrag vorgesehen sind, aber wegen eines unvorhergesehenen Ereignisses zur Ausführung der Bauoder Dienstleistung erforderlich werden. Weitere Voraussetzung ist, dass sich die zusätzlichen Leistungen in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht nicht ohne wesentliche Nachteile vom ursprünglichen Auftrag trennen lassen oder aber für dessen Vollendung unbedingt erforderlich sind. Der Gesamtwert der Aufträge für die zusätzlichen Bau- oder Dienstleistungen darf jedoch 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags nicht überschreiten. 214 Eine relative Inkompatibilität von Softwareprodukten reicht hierfür nicht aus (so explizit OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10. 07. 2007 – 11 Verg 5/07, ZfBR 2008, 88). 215 KG, Beschl. v. 19. 04. 2000 – KartVerg 6/00, NZBau 2001, 161 (163); i. d. S. auch VK Bund, Beschl. v. 11. 04. 2003 – VK 2 – 10/03. 216 VK Bund, Beschl. v. 11. 04. 2003 – VK 2 – 10/03. 217 VK Bund, Beschl. v. 11. 04. 2003 – VK 2 – 10/03, welche die Unverhältnismäßig­ keit bei der Lieferung von Pockenimpfstoffen daran festmachte, dass eine flächendeckende Impfung innerhalb kürzester Zeit bereits für sich genommen eine technische Schwierig­ keit höchsten Grades darstellt und jede weitere Erschwerung unverhältnismäßig wäre. 218 Vgl. § 3a Abs. 6 Nr. 5 VOB / A n.F., § 3 Abs. 4 lit. f. VOL / A-EG; § 3 Abs. 2 lit. d VOF n.F.

Kap. 4: Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung

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Die zusätzlichen Leistungen müssen einen echten Zusatz zum Vertrag darstel­ len, denn die Leistung darf weder im ursprünglichen Vertrag noch im Entwurf desselben enthalten sein. Dies ist anhand der Leistungsbeschreibung und sämtli­ cher (allgemeiner, besonderer, zusätzlicher oder technischer) Vertragsbedingun­ gen zu prüfen. 219 Ergibt sich hieraus, dass der öffentliche Auftraggeber aufgrund der Einbeziehung der Vertragsbedingungen zusätzliche Leistungen vom Auftrag­ nehmer verlangen kann (beispielsweise nach § 2 VOL / B oder § 1 Nr. 4 VOB / B), so findet das Verhandlungsverfahren keine Anwendung. 220 In den Anwendungs­ bereich des Art. 31 Nr. 4 lit. a VKR fallen daher nur solche echten Zusätze, die den Leistungsbereich des Vertrages ergänzen. 221 Die zusätzlichen Leistungen müssen für die Ausführung des Hauptvertrages weiterhin erforderlich sein. 222 Das Merkmal der Erforderlichkeit bezieht sich dabei auf die Ausführbarkeit der Hauptleistung, d. h. ohne die zusätzlichen Leis­ tungen darf die Hauptleistung nicht wie geplant zu verwirklichen sein. Teilweise wird anknüpfend an die alte Rechtslage vertreten, dass es genüge, wenn die Leis­ tungen zur Verbesserung der ursprünglichen Leistung erforderlich werden. 223 Dem kann nicht gefolgt werden. Zugegebenermaßen ist die Formulierung im Hinblick auf die zweite Alternative des Art. 31 Nr. 4 lit. a VKR durchaus miss­ verständlich. Dort wird – vermeintlich doppelt – gefordert, dass die Leistungen für die Vollendung des ursprünglichen Auftrags unbedingt erforderlich sein müs­ sen. Hieraus kann aber keine Lockerung und damit verbunden eine Ausweitung des Tatbestandes auf bloße Verbesserungen gefolgert werden. Vielmehr ergibt sich die unterschiedliche Bedeutung aus der Anknüpfung des Merkmals der Er­ forderlichkeit einmal an die „Ausführung“ der Leistung und ein anderes Mal an die „Vollendung“ der Leistung. Das angestrebte Ergebnis einer Auftragsvergabe, also deren Vollendung 224, lässt sich oftmals mittels verschiedener Ausführungs­ varianten erreichen. Hieran anknüpfend müssen die zusätzlichen Leistungen nach der zweiten Alternative des Art. 31 Nr. 4 lit. a VKR nicht nur für die ur­ sprünglich geplante und dem Entwurf zugrunde gelegte Ausführungsvariante erforderlich sein, sondern darüber hinaus auch für die Vollendung des Werkes 219 Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 3a, Rn. 29; Jasper, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 3a VOB / A, Rn. 55; Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 – 3, Rn. 220. 220 Jasper, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 3°VOB / A, Rn. 55. 221 Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 220. 222 Insoweit kommt es allein auf die Erforderlichkeit für die ursprüngliche Leistung an wie sie dem Grundentwurf, also der Leistungsbeschreibung zugrunde lag. Eine An­ passung an einen geänderten Bedarf wird von dem Ausnahmetatbestand nicht gedeckt (vgl. VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 18. 12. 2002 – VK-SH 16/02). 223 Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 224. 224 Bezogen auf Dienstleistungen muss die Vollendung im Sinne von Beendigung verstanden werden.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

schlechterdings. 225 Die Erforderlichkeit knüpft mithin an zwei verschiedene Tat­ bestandsmerkmale an. 226 Des Weiteren muss sich die Notwendigkeit der zusätzlichen Leistungen aus einem unvorhergesehenen Ereignis ergeben. Bezüglich der Vorhersehbarkeit kommt es allein darauf an, ob der öffentliche Auftraggeber die Erforderlich­ keit der zusätzlichen Leistungen bei Anwendung der ihm obliegenden Sorgfalt zum Zeitpunkt der Ausschreibung hätte erkennen können. 227 Dabei sind die Um­ stände des Einzelfalls und die Erfahrungen des Auftraggebers zu berücksichtigen. Waren hiernach die zusätzlichen Leistungen vorhersehbar, wurden sie aber den­ noch nicht, auch nicht als Eventual- oder Wahlposition, 228 in den Hauptauftrag einbezogen, so findet die Ausnahmebestimmung keine Anwendung. 229 Weitere Voraussetzung des Ausnahmetatbestandes ist, dass die zusätzlichen Bau- oder Dienstleistungen sich nicht ohne wesentliche Nachteile vom ursprüng­ lichen Auftrag trennen lassen oder aber, wenn eine Trennung möglich ist, diese für die Vollendung des ursprünglichen Auftrags unbedingt erforderlich sind. Hinsichtlich der zweiten Alternative wurde bereits dargestellt, dass nicht bloß die geplante Ausführungsvariante in Frage stehen muss, sondern vielmehr die Vollendung der ursprünglichen Leistung schlechterdings. Der Anwendungsbe­ reich des Ausnahmetatbestandes ist aber nach der ersten Alternative auch dann eröffnet, wenn sich die zusätzlichen Leistungen in technischer und wirtschaft­ licher Hinsicht nicht ohne wesentlichen Nachteil vom ursprünglichen Vertrag trennen lassen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Beauftragung des aktu­ ellen Vertragspartners technische oder wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. Vielmehr hat der Auftraggeber zu prüfen, ob ihm durch die Beauftragung eines Dritten mit den zusätzlichen Leistungen wesentliche Nachteile entstehen. Die wesentlichen Nachteile müssen kumulativ in technischer „und“ wirtschaftlicher Hinsicht vorliegen. Technische Umstände können insbesondere aus der Bau­ technik, der Erforderlichkeit des Einsatzes gleicher Spezialgeräte oder auch aus der mangelnden Kompatibilität der Systeme folgen. 230 Wirtschaftliche Nachteile 225

Ebenso Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 3a, Rn. 29. Im Ergebnis ebenso Fett, in: Müller-Wrede, VOL / A, 1. Aufl., § 3a, Rn. 153. 227 Müller-Wrede, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 3a VOB / A, Rn. 46; Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 223. 228 Wahl- oder Alternativpositionen bezeichnen solche Positionen, die alternativ an die Stelle der im Leistungsverzeichnis aufgeführten Grundpositionen treten sollen. Sie sind üblich, wenn der Auftraggeber sich noch nicht im Klaren ist, ob eine bestimmte Leistung gemäß der Grundposition ausgeführt werden kann, oder ob an deren Stelle eine gleichwertige oder ähnliche Leistung in abgeänderter „alternativer“ Form treten soll, also beispielsweise alternative Materialien oder Ausführungsarten (vgl. Vygen, BauR 1992, 135 (136 ff.). 229 Jasper, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 3°VOB / A, Rn. 56. 230 Fett, in: Müller-Wrede, VOL / A, 1. Aufl., § 3a, Rn. 151; Jasper, in: Motzke / Pietz­ ker / Prieß, VOB Teil A, § 3a VOB / A, Rn. 57. 226

Kap. 4: Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung

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können sich ergeben, wenn durch den Auftragnehmerwechsel die Einhaltung zwingender Ausführungs- oder Bauzeiten nicht mehr gewährleistet werden kann oder sonstige Schnittstellen- und Gewährleistungsrisiken auftreten. 231 Letztlich darf der Gesamtwert der Aufträge für die zusätzlichen Bau- oder Dienstleistungen 50% des Wertes des ursprünglichen Auftrags nicht überschrei­ ten. Dem liegt die gesetzgeberische Wertung zugrunde, dass bei Überschrei­ ten dieser Wertgrenze das Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgebot Vorrang gegenüber den Nachteilen einer Beschaffung im Wege des Vergabeverfahrens genießt. Hinsichtlich der Wertbemessung kommt es auf die Gesamtheit der zu­ sätzlichen Leistungen und nicht auf jede einzelne Zusatzleistung an. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Bestimmung, der auf den „Gesamtwert der Aufträge“ abstellt. 232 Liegen sämtliche vorgenannten Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes vor, so kann der öffentliche Auftraggeber die zusätzlichen Bau- oder Dienstleis­ tungen direkt an seinen Vertragspartner ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens vergeben. d) Wiederholung gleichartiger Leistungen Auch bei neuen Bau- oder Dienstleistungen, die in der Wiederholung gleich­ artiger Bau- oder Dienstleistungen bestehen, kann das Verhandlungsverfahren ohne Vergabebekanntmachung gemäß Art. 31 Nr. 4 lit. b VKR 233 Anwendung finden, wenn die Leistungen an den Auftragnehmer vergeben werden, der den ursprünglichen Auftrag erhalten hat, sofern sie einem Grundentwurf entspre­ chen und dieser Entwurf Gegenstand des ursprünglichen Auftrags war, der nach einem offenen oder nichtoffenen Verfahren vergeben wurde. Weitere Vorausset­ zung ist, dass die „Möglichkeit“ der Anwendung dieses Verfahrens bereits beim Aufruf zum Wettbewerb für das erste Vorhaben angegeben wurde. Die weitere Beauftragung der sich wiederholenden Leistung muss daher bei der Berechnung des Schwellenwertes berücksichtigt worden sein. Das Verfahren darf zudem nur binnen drei Jahren nach Abschluss des ursprünglichen Auftrags angewandt werden. Zunächst erfasst dieser Tatbestand anders als die zuvor dargestellten Tatbe­ stände keine echten zusätzlichen Leistungen, deren Erforderlichkeit nicht erkannt wurde. Vielmehr beinhaltet er eine Wiederholung gleichartiger Leistungen, deren „mögliche“ Erforderlichkeit bereits im ursprünglichen Vergabeverfahren erkannt 231

Jasper, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 3° VOB / A, Rn. 57. Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 228. 233 Vgl. § 3a Abs. 6 Nr. 6 VOB / A n.F., § 3 Abs. 4 lit. g VOL / A-EG; § 3 Abs. 4 lit. f. VOF n.F. 232

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

und angekündigt wurde. Ausweislich der Wortwahl „gleichartig“ ist keine voll­ kommene Identität zwischen der ursprünglichen und der sich wiederholenden Leistung zu fordern. Geringfügige Modifizierungen, die den Charakter der Leis­ tung nicht verändern und damit dem Grundentwurf (Leistungsbeschreibung und Vertragsbedingungen) weiterhin entsprechen, sind daher zulässig. 234 Voraussetzung ist zunächst, dass die Leistungen des Grundentwurfs Gegen­ stand eines offenen oder nichtoffenen Verfahrens waren. Hiermit soll dem Wett­ bewerbsgebot Rechnung getragen werden. Wurde daher die ursprüngliche Leis­ tung auf der Grundlage eines Ausnahmetatbestandes des Vergaberechts außer­ halb eines förmlichen Vergabeverfahrens vergeben, so muss die Wiederholung der Leistung dem Wettbewerb unterworfen werden. 235 Darüber hinaus muss der öffentliche Auftraggeber den möglichen Wiederho­ lungsauftrag bereits in der ursprünglichen Ausschreibung ankündigen. Dieses Verfahren eignet sich mithin nur für solche Leistungen, bei denen bereits bei Ausschreibung der Leistung damit zu rechnen ist, dass weitere Leistungen glei­ cher Art benötigt werden. Eine Spontanvergabe ist ausgeschlossen. 236 Soweit die Erforderlichkeit der Leistung nicht erkannt wurde oder aber diese aufgrund eines unvorhergesehenen Ereignisses eingetreten ist, findet der Ausnahmetatbe­ stand des Art. 31 Nr. 4 lit. b VKR keine Anwendung. Letztlich wird der legalen Umgehungsmöglichkeit des Vergaberechts eine zeitliche Grenze gesetzt. Die wiederholende Beauftragung gleichartiger Leistun­ gen außerhalb eines förmlichen Verfahrens kann nur binnen drei Jahren nach Abschluss des ursprünglichen Auftrags erfolgen. „Abschluss“ ist dabei im Sin­ ne von Vertragsschluss bzw. Zuschlagserteilung 237 und nicht im Sinne einer Vollendung der ursprünglichen Leistung zu verstehen. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Fristbeginn ist somit der Vertragsschluss bezüglich der ursprünglichen Leistung. 238 Soweit die vorgenannten Voraussetzungen vorliegen, können seitens des öf­ fentlichen Auftraggebers gleichartige Bau- oder Dienstleistungen an den Ver­ tragspartner direkt und ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens

234 Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 230; Jasper, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 3a VOB / A, Rn. 61. 235 Ebenso Kaelble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 231. 236 Ähnlich Fett, in: Müller-Wrede, VOL / A, 1. Aufl., § 3a, Rn. 159; Jasper, in: Motz­ ke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 3a VOB / A, Rn. 62. 237 Vertragsschluss und Zuschlagserteilung fallen im deutschen Vergaberecht zusam­ men. Der Vertrag kommt daher bereits mit Erteilung des Zuschlags und nicht erst mit Anfertigung der Vertragsurkunde zustande. 238 Jasper, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 3a VOB / A, Rn. 63; a. A. Kael­ ble, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 3a Nr. 1 –3, Rn. 233.

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vergeben werden. Die direkte Beauftragung wird durch das Vergaberecht in diesen Fällen legitimiert. 3. Keine analoge Anwendbarkeit der Ausnahmetatbestände Die Tatbestände, die eine direkte Vergabe von zusätzlichen, erweiternden oder wiederholenden Leistungen an den Auftragnehmer im Wege des Verhandlungs­ verfahrens ohne Vergabebekanntmachung vorsehen, sind, wie aufgezeigt, eng gefasst und unterliegen strengen Anforderungen. Der Anwendungsbereich ist auf wenige Ausnahmefälle begrenzt. Es stellt sich daher die Frage, ob eine analoge Anwendung der Ausnahmetatbestände des Verhandlungsverfahrens ohne Verga­ bebekanntmachung, z. B. auf Fälle von Vertragsverlängerungen, zulässig ist. Eine analoge Anwendung der Ausnahmetatbestände wird zum Teil für beson­ ders gelagerte Einzelfälle bejaht. 239 Sie soll nach dieser Ansicht dann in Betracht gezogen werden, wenn die vielschichtigen Voraussetzungen der Ausnahmetatbe­ stände nicht vollständig erfüllt sind. 240 An die sachliche Begründung sollen auf­ grund des Ausnahmecharakters der Regelungen aber sehr hohe Anforderungen gestellt werden. Zudem dürfe in der analogen Anwendung der Ausnahmetatbe­ stände keine Umgehung der Schwellenwertregelungen liegen. 241 Der vorgenannten Ansicht kann nicht gefolgt werden. Eine analoge Anwen­ dung der Ausnahmetatbestände des Verhandlungsverfahrens ohne Vergabebe­ kanntmachung muss vielmehr abgelehnt werden. Eine Analogie ist schon des­ wegen problematisch, weil es sich um abschließend aufgezählte Tatbestände mit Ausnahmecharakter handelt, die als solche eng auszulegen sind, da eine Um­ gehung des Vergaberechts gerade vermieden werden soll. 242 Der EuGH betont in ständiger Rechtsprechung, dass das Verhandlungsverfahren Ausnahmecharak­ ter besitzt. Die Richtlinien bestimmen abschließend die Fälle, in denen das Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung an­ gewandt werden kann. 243 Die Mitgliedsstaaten können nach der Rechtsprechung 239 Thieme, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 9. Aufl., § 99, Rn. 11; Prieß, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsvergabe, S. 48 f.; Kullack, in: Heier­ mann / Riedl / Rusam, VOB, § 99 GWB, Rn. 20. 240 Prieß, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsvergabe, S. 48 f. 241 Thieme, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 9. Aufl., § 99, Rn. 11; Prieß, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsvergabe, S. 48 f.; Kullack, in: Heier­ mann / Riedl / Rusam, VOB, § 99 GWB, Rn. 20. 242 EuGH, Urt. v. 13. 01. 2005 – Rs. C-84/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2005, I­ 139, Rn. 48; Urt. v. 18. 11. 2004 – Rs. C-126/03 (Kommission / Deutschland), Slg. 2004, I-11197, Rn. 23; Urt. v. 10. 04. 2003, Rs. C-20/01 und C-28/01 (Kommission / Deutsch­ land), Slg. 2003, I-3609, Rn. 38 f. 243 EuGH, Urt. v. 13. 01. 2005 – Rs. C-84/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2005, I­ 139, Rn. 47.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

des EuGH daher weder eigene Tatbestände für die Anwendung des Verhand­ lungsverfahrens schaffen noch die ausdrücklich in den Richtlinien vorgesehenen Tatbestände um neue Bestimmungen, welche die Anwendung des Verhandlungs­ verfahrens erleichtern würden, ergänzen. Andernfalls würde die praktische Wirk­ samkeit der Vergaberichtlinien beseitigt. 244 Dies bedeutet aber auch, dass die abschließend aufgezählten und restriktiv zu handhabenden Ausnahmetatbestän­ de nicht analogiefähig sind und somit nicht auf ähnlich gelagerte Tatbestände übertragen werden können. Insbesondere können nicht neue Tatbestände kreiert werden, indem einzelne Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes wegge­ lassen werden. Hierin würde eine unzulässige Umgehung des Vergaberechts liegen. 4. Ergebnis Nach Zuschlagserteilung erfolgende Vertragsänderungen im Vertragsverhält­ nis zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und seinem Vertragspartner sind vergaberechtlich dann nicht zu beanstanden, wenn ein im Vergaberecht normier­ ter Ausnahmetatbestand die direkte Beauftragung ohne Ausschreibung rechtfer­ tigt. 245 Unter engen und vielschichtigen Voraussetzungen erlaubt das Vergabe­ recht eine direkte Auftragsvergabe von zusätzlichen, wiederholenden oder er­ weiternden Leistungen an den Auftragnehmer des Ursprungsvertrages im Wege des Verhandlungsverfahrens ohne Vergabebekanntmachung. Liegen die Voraus­ setzungen zugunsten des Vertragspartners des öffentlichen Auftraggebers vor, ist die direkte Beauftragung durch das Vergaberecht legitimiert. Eine analoge Anwendung der Bestimmungen auf weitere Fälle von Vertragsänderungen ist jedoch wegen des Ausnahmecharakters der Bestimmungen nicht möglich. IV. Vergaberechtliche Relevanz von Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung Soweit die Vertragsänderungen nach Vertragsschluss weder auf eine vertragli­ che Grundlage 246 noch auf einen Ausnahmetatbestand des Vergaberechts zurück­ geführt werden können, 247 ist zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen Ände­ rungen des Vertrages vergaberechtlich relevant sind und eine Ausschreibung der geänderten Leistung erfordern.

244 EuGH, Urt. v. 13. 01. 2005 – Rs. C-84/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2005, I­ 139, Rn. 48. 245 So auch Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 99, Rn. 21. 246 Vgl. hierzu Kapitel 4.B.II. 247 Vgl. hierzu Kapitel 4.B.III.

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Den Ansichten in Literatur und Rechtsprechung 248 ist die Grundformel ge­ mein, dass immer dann von einem neuen, dem Vergaberecht unterfallenden Be­ schaffungsvorgang auszugehen ist, wenn die Änderung in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen bei wertender Betrachtung einer Neuvergabe gleichkommt. 249 Die Änderung muss wesentlich sein. 250 Dabei wird überwiegend darauf abgestellt, ob die Vertragsänderung an die Änderung der wesentlichen Vertragsbestandteile anknüpft. 251 Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Änderungen des Vertrages in ihren Auswirkungen einer Neuvergabe gleichkommen, ist differenziert, je nach der von der Änderung betroffenen Leistungskomponente, zu beurteilen. Nur wenn die betroffene Vertragskomponente im konkreten Vertragsverhältnis eine wesentliche ist, kann deren Änderung zugleich den Charakter des Vertrages ändern. In diesen Fällen ist von einem neuen Leistungsgegenstand und damit einem neuen, vergaberechtlich gesondert zu beurteilenden Beschaffungsvorgang auszugehen. Zu den wesentlichen Vertragsbestandteilen zählen im Allgemeinen die Vergütung bzw. das Entgelt (hierzu 1.), Art und Umfang der Leistung (hierzu 2. und 3.), die Vertragslaufzeit (hierzu 4.) und die Vertragsparteien (hierzu 5.). 252

248

Vgl. hierzu Kapitel 4.B.I. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. 01. 2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344); Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (700); OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 (458); VK Bund, Beschl. v. 13. 07. 2001 – VK 1 – 19/01, NZBau 2002, 110 (111); VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 12. 2000 – 203-VgK-16/2000; VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 16. 11. 2004 – 1 VK 69/04, IBR 2005, 1095; Beschl. v. 26. 03. 2002 – 1 VK 7/02; Thieme, in: Langen / Bunte, 9. Aufl., § 99, Rn. 13; Gruneberg, VergabeR 2005, 171; Dreher, in: Immenga / Mest­ mäcker, GWB, § 99, Rn. 47; Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 99 GWB, Rn. 4c; Noelle / Rogmans, Öffentliches Auftragwesen, S. 57; Klenk, Versiche­ rungsdienstleistungen, S. 104 ff.; Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 99, Rn. 19. 250 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 34 ff.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. 01. 2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344); Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 10. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (194); Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 99 GWB, Rn. 4c; Gru­ neberg, VergabeR 2005, 171 (174); Ziekow, VergabeR 2004, 430 (432); Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 34; Byok, NJW 2006, 2076 (2079). 251 OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 (458); VK Münster, Beschl. v. 09. 03. 2001 – VK 1 – 8/01; Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (173) Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 104 ff.; Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (202); Ziekow, VergabeR 2004, 430 (432); Byok, NJW 2006, 2076 (2080); Schröder, NJW 2002, 1831 (1833). 252 Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (173). 249

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

1. Änderungen des Entgelts bzw. der Vergütung Änderungen der vertraglich vereinbarten Vergütung oder Anpassungen des Entgelts, die nicht auf einer vertraglichen Anpassungsklausel beruhen oder Fol­ ge einer zulässigen Änderung des Leistungsgegenstandes sind (z. B. nach § 2 Nr. 5, 6 VOB / B, § 2 Nr. 3 Satz 1 VOL / A), stellen grundsätzlich wesentliche Än­ derungen der Leistung dar und kommen damit einer ausschreibungspflichtigen Neuvergabe gleich. Denn der Preis ist eine wesentliche Bedingung des öffentli­ chen Auftrags. 253 Die Änderung der Vergütungshöhe während der Laufzeit des Vertrages bedeutet zudem eine Änderung des wirtschaftlichen Gleichgewichts des Vertrages und birgt die Gefahr eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz. 254 Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass der Preis ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots und somit des Vertragspart­ ners ist. Dieses objektive Kriterium kann nicht dadurch umgangen werden, dass nach Vertragsschluss die Vergütung nachträglich geändert wird und das einst wirtschaftlichste Angebot nunmehr unwirtschaftlicher ist als das der Wettbewer­ ber. Insoweit besteht die Gefahr der Manipulation des Wettbewerbs und der Förderung von „Hoflieferantentum“, wenn die angebotenen Preise nachträglich unter Umgehung des Vergaberechts den „realen“ Bedingungen des jeweiligen Auftragnehmers angepasst werden könnten. 255 Der EuGH hatte in der Rechtssache „succhi di frutta“ in der Änderung der Modalitäten über die Bezahlung eine wesentliche und damit vergaberechtlich un­ zulässige Änderung des Vertrages gesehen. 256 In der Entscheidung zur Rechtssa­ che „pressetext“ differenziert der EuGH jedoch seine Auffassung. Hiernach soll die Änderung der Vergütung bzw. Modalitäten der Vergütung dann nicht verga­ berechtlich relevant sein, wenn der „innere Wert“ des Preises nicht geändert wird (z. B. Umstellung der nationalen Währung auf Euro). 257 Auch eine Rundung des Preises nach Umstellung auf den Eurowert entsprechend der Regelungen der einschlägigen Vorschriften stellt nach Auffassung des EuGH eine unwesentliche Anpassung an geänderte äußere Bedingungen dar. Dem kann gefolgt werden, da die Änderung in diesen Fällen nicht das wirtschaftliche Gleichgewicht des 253 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 59; EuGH, Urt. v. 29. 04. 2004 – Rs. C-496/99 (succhi di frutta), Slg. 2006, I-03801, Rn. 117; Niestedt / Hölzl, NJW 2008, 3321 (3323). 254 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 60; EuGH, Urt. v. 29. 04. 2004 – Rs. C-496/99 (succhi di frutta), Slg. 2006, I-03801, Rn. 121; OLG Celle, Beschl. v. 29. 10. 2009 – 13 Verg 8/09. 255 Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (729). 256 EuGH, Urt. v. 29. 04. 2004 – Rs. C-496/99 (succhi di frutta), Slg. 2006, I-03801, Rn. 116 ff. 257 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 57.

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Vertrages verändert und daher auch nach wirtschaftlicher Betrachtung keiner Neuvergabe gleichkommt. Der EuGH geht jedoch über diese Ausnahme hinaus und hält auch Ände­ rungen der Vergütung für vergaberechtlich irrelevant, die geringfügig sind, sich objektiv erklären lassen und nicht zugunsten, sondern zum Nachteil des Auf­ tragnehmers wirken. 258 Zwar ist in diesem Fall die Gefahr einer Verfälschung des Wettbewerbs geringer, da die Wirtschaftlichkeit des ursprünglich wirtschaft­ lichsten Angebots verbessert wird. GA Kokott weist in ihren Schlussanträgen zur Rechtssache „pressetext“ aber zutreffend darauf hin, dass nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass auch die Vereinbarung über ein niedrigeres Entgelt wettbewerbsverfälschend wirken kann. 259 Für die Beurteilung der Wett­ bewerbsbeeinträchtigung muss maßgeblich sein, welche Konditionen der öffent­ liche Auftraggeber zum Zeitpunkt der Vertragsänderung auf dem Markt hätte er­ halten können. Sind die Preise für die nachgefragte Leistung seit Vertragsschluss allgemein gesunken, ist nicht gewährleistet, dass das vereinbarte niedrigere Ent­ gelt auch das wirtschaftlichste darstellt. 260 Andere Leistungserbringer könnten die Leistung unter Umständen noch günstiger anbieten. Dies kann letztlich nur im Wege eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens ermittelt werden. Bestehen mithin Anhaltspunkte, dass die Preise allgemein auf dem Markt gesunken sind, so kommt auch eine Verringerung des Preises wirtschaftlich betrachtet einer Neuvergabe gleich. Dies gilt auch dann, wenn die Preisreduzierung nur gering­ fügig ist. 261 Denn in diesem ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Auftraggeber auf dem Markt einen noch günstigeren Preis erzielt, sogar höher. Daher ist im Ergebnis festzuhalten, dass Änderungen der Vergütung grundsätz­ lich den vergaberechtlich relevanten Bereich berühren. Nur wenn die Änderung der Vergütung keine wirtschaftlichen Auswirkungen hat oder der Auftragge­ ber nachweisen kann, dass auf dem gesamten europäischen Markt die Leistung nicht günstiger angeboten werden kann, können geringfügige Preisreduzierun­ gen vergaberechtlich als neutral eingestuft werden. Ergibt sich darüber hinaus 258 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 61 ff. 259 GA Kokott, Schlussanträge v. 13. 03. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg 2008, I­ 04401, Rn. 90. Dem folgend Krohn, NZBau 2008, 619 (622); Niestedt / Hölzl, NJW 2008, 3321 (3323 f.). 260 Zutreffend GA Kokott, Schlussanträge v. 13. 03. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg 2008, I-04401, Rn. 91. 261 Die Grenze der Geringfügigkeit wird zum Teil bei 10% gezogen (vgl. Jaeger, EuZW 2008, 492 (494); Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (735). Eine starre Grenze ist indes nicht sachgerecht, sondern müsste – soweit der Rechtsprechung des EuGH gefolgt wird – im Zusammenhang mit dem objektiven Grund der Preisreduzierung betrachtet werden. Beispielsweise wäre, wie im Fall des EuGH, eine Preisreduzierung um 10% allein zu Rundungszwecken nicht sachgerecht und könnte daher auch nicht als (zulässig) geringfügig betrachtet werden, sondern vielmehr als großzügig gerundet.

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die Notwendigkeit einer Änderung oder Anpassung der Vergütung und kann diese nicht auf eine vertragliche Klausel gestützt oder auf die Wahrnehmung eines Ausnahmetatbestands des Vergaberechts zurückgeführt werden, so muss der Auftraggeber die Vertragsleistung neu ausschreiben. Eine ohne Ausschrei­ bung erfolgte Änderung der Vergütung im bestehenden Vertragsverhältnis ist als Abschluss eines neuen Vertrages über eine neue Leistung zu bewerten. In diesem Fall stellt der Vertragsschluss ohne vorherige Durchführung eines Ver­ gabeverfahrens eine vergaberechtswidrige Direktbeauftragung (sogenannte De­ facto-Vergabe) dar. 262 2. Änderungen des Leistungsumfangs Änderungen des Leistungsumfangs sind in Form von Erhöhungen des Auf­ tragsvolumens durch Anschlussbeauftragungen, Mehrmengen der gleichen Leis­ tung sowie zusätzlichen Leistungen, aber auch in Form von Reduzierungen des Leistungsumfangs durch Ausgliederung einzelner Leistungsbestandteile denk­ bar. Nach abgeschlossenem Vergabeverfahren bedeutet jede Erweiterung der Leis­ tung in Form von zusätzlichen Leistungen, Mengenmehrungen oder Anschlussbeauftragungen eine dem Vergaberegime unterfallende Auftragsvergabe, soweit diese nicht von einer vertraglichen Grundlage oder einem Ausnahmetatbestand des Vergaberechts erfasst wird. 263 Wären Vertragserweiterungen nicht dem Ver­ gaberegime unterworfen, so hätte es der öffentliche Auftraggeber in der Hand, eine einmal begründete Beschaffungsbeziehung am Wettbewerb vorbei stetig mit weiteren Leistungen zu beauftragen und damit unendlich fortzusetzen. Etwas an­ deres ergibt sich nicht aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „pressetext“. Der EuGH formuliert zwar, dass eine Änderung des ursprüngli­ chen Auftrags (nur) dann als wesentlich einzustufen ist, wenn sie den Auftrag „in großem Umfang“ auf ursprünglich nicht vorgesehene Dienstleistungen er­ weitert. 264 Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, dass geringfügige Auf­ tragserweiterungen grundsätzlich zulässig seien. 265 Denn zur Begründung seiner Auffassung verweist der EuGH auf die Ausnahmetatbestände des Verhandlungs­ verfahrens, welche die Beauftragung von weiteren Leistungen, die nicht Ge­ genstand des ursprünglichen Vertrages waren, zulassen. 266 Über diese in den 262

Zu den Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertragsänderungen Kapitel 8. Vgl. den Fall der VK Brandenburg, Beschl. v. 03. 11. 2008 – VK 33/08: Erweite­ rung des Leistungsgegenstandes von einer Veröffentlichungsplattform hin zu einer Ver­ gabeplattform. 264 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 36. 265 So aber Krohn, NZBau 2008, 619 (624). 266 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 36. 263

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Ausnahmetatbeständen zugelassenen Vertragserweiterungen hinausgehende Er­ weiterungen sieht der EuGH daher auch als wesentliche Änderung und damit vergaberechtlich relevante Neuvergaben des Auftrags an. Auch kommt es entgegen teilweise vertretener Ansicht nicht darauf an, ob die Leistungserweiterungen von der ursprünglichen Leistung abtrennbar sind. 267 Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss zu den Ausnahmetatbeständen des Ver­ handlungsverfahrens ohne Vergabebekanntmachung. Der Gesetzgeber hat dort abschließend Tatbestände geregelt, die eine direkte Vergabe von Leistungser­ weiterungen, zusätzlichen oder wiederholenden Leistungen an den Vertragspart­ ner ausschreibungsfrei ermöglichen. 268 Insbesondere knüpft Art. 31 Nr. 4 lit. a VKR 269 an die fehlende Abtrennbarkeit der Leistung als eines von mehreren Tatbestandsmerkmalen an. Nach der gesetzgeberischen Entscheidung sind aber Zusatzleistungen, die die engen Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes nicht vollständig erfüllen, den vergaberechtlichen Regelungen zu unterwerfen. Daher kann das Tatbestandsmerkmal der fehlenden Abtrennbarkeit nicht aus dem Ausnahmetatbestand des Art. 31 Nr. 4 lit. a VKR herausgegriffen und hieran allein die fehlende Ausschreibungspflicht geknüpft werden. Dies käme einer un­ zulässigen Analogie gleich. 270 Weiterhin spielt es keine Rolle, ob die Erweiterung des Leistungsumfangs für sich genommen die maßgeblichen Schwellenwerte überschreitet. 271 Dies hät­ te lediglich Auswirkungen auf das anzuwendende Recht (Ausschreibungspflicht nach Vergaberecht oder nach Haushaltsrecht) und den Rechtsschutz (nach GWB oder nach BGB). 272 Hiervon abgesehen kann die Leistungserweiterung nicht losgelöst von dem ursprünglichen Auftrag betrachtet werden. Ansonsten könn­ ten durch kleinteilige Vergaben und stetige Auftragserweiterungen die gemein­ schaftsrechtlichen Vergabevorschriften umgangen werden. Dies ist aber gemäß Art. 9 Abs. 3 VKR 273 unzulässig. Hiernach darf der Wert eines beabsichtigten 267

I. d. S. aber VK Arnsberg, Beschl. v. 18. 07. 2000 – VK 2 –07/2000; Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (734); Marx, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 99 GWB, Rn. 8, ders., NZBau 2002, 313; Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (173); Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 99, Rn. 19; Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 37; Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 78. 268 Vgl. hierzu Kapitel 4.B.III. 269 Vgl. § 3a Abs. 6 Nr. 5 VOB / A n.F., § 3 Abs. 4 lit. f. VOL / A-EG; § 3 Abs. 2 lit. d VOF n.F. 270 Vgl. zur fehlenden Analogiefähigkeit der Ausnahmetatbestände Kapitel 4.B.III.3. 271 So aber wohl OLG Celle, Beschl. v. 29. 10. 2009 – 13 Verg 8/09; Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (734); Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (202); Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (173); Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 78. 272 Zutreffend prüft daher die VK Brandenburg, Beschl. v. 03. 11. 2008 – VK 33/08, ob trotz Unterschreiten des Schwellenwertes eine Vertragsänderung vorliegt. 273 § 3 Abs. 2 VgV.

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Auftrags nicht in der Absicht aufgeteilt werden, den Auftrag der Anwendung der Bestimmungen des Vergaberechts zu entziehen. Wird daher mit den Auf­ tragserweiterungen eine Umgehung der Schwellenwerte beabsichtigt, muss der gesamte Auftrag der Berechnung der Schwellenwerte zugrunde gelegt und eine Ausschreibung durchgeführt werden. Dabei bedeuten nicht nur Erweiterungen des Leistungsumfangs, sondern auch Reduzierungen der Leistungspflichten eine vergaberechtsrelevante Änderung des Vertrages. 274 Dies ist der Fall, wenn nach Zuschlagserteilung wesentliche Teile der Leistung wegfallen, technische Standards gesenkt oder verändert werden. Der auf der Grundlage einer solchen zusätzlichen Vereinbarung veränderte Vertrag beinhaltet im Verhältnis zum ursprünglichen Vertrag ein aliud und damit einen neuen Auftragsgegenstand. 275 Es kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass bei einem von vornherein reduziert ausgeschriebenen Leistungsumfang oder ei­ nem anderen Leistungsgegenstand der Kreis der Bewerber verändert oder andere Preise angeboten worden wären. 276 Die Bieterrangfolge und damit die Auswahl des Vertragspartners wären möglicherweise anders ausgefallen. 277 Weiterhin hät­ ten sich bei von Anfang an verringerten Leistungspflichten unter Umständen verstärkt kleinere und mittlere Unternehmen um die Leistung beworben. Diese Chance wird ihnen durch nachträgliche Vertragsgestaltung genommen. 278 Änderungen des Leistungsumfangs, welche nicht auf eine vertragliche Grund­ lage oder einen vergaberechtlichen Ausnahmetatbestand zurückgeführt werden können, sind im Ergebnis als vergaberechtlich relevante Beschaffungsvorgän­ ge zu werten, unabhängig davon, ob der Leistungsumfang erhöht oder verrin­ gert wird. Sie erfordern eine europaweite Ausschreibungspflicht des öffentlichen Auftraggebers, soweit der Schwellenwert nach den Regelungen zur Berechnung selbiger überschritten wird.

274

A. A. VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 24. 07. 2007 – VK SH 16/07; Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (735). 275 VK Münster, Beschl. v. 09. 03. 2001 – VK 1 – 8/01; Klenk, Versicherungsdienstleis­ tungen, S. 101. Vgl. auch OLG Hamburg, Beschl. v. 24. 05. 2006 – 1 Verg 4/06 (Verzicht auf „Grünen Strom“). 276 OLG Hamburg, Beschl. v. 24. 05. 2006 – 1 Verg 4/06. Auch Dicks, Rahmenver­ einbarungen, S. 93 (107), weist daraufhin, dass ein verringerter Auftragsumfang den Bieterkreis erweitert. 277 VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 15. 08. 2005 – 1 VK 47/05. 278 Die VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 24. 07. 2007 – VK SH 16/07, stellt allein darauf ab, dass die Leistungsminderung denklogisch auch von der alten Leistungsverein­ barung umfasst ist und daher eine Minderung des Leistungsumfangs und der Vergütung vergaberechtlich irrelevant sei. Der Aspekt, dass ein anderer Leistungszuschnitt auch den potentiellen Bieterkreis verändern und somit Auswirkungen auf den Wettbewerb haben kann, beleuchtet die Vergabekammer hingegen nicht. Aber auch unter diesem Gesichts­ punkt muss ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz geprüft werden.

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3. Austausch einzelner Leistungskomponenten Im Gegensatz zu Leistungserweiterungen wird beim Austausch einzelner Leis­ tungskomponenten das Auftragsvolumen in der Regel nur unwesentlich berührt. Dem Auftraggeber geht es nicht um zusätzliche Leistungen oder mengenmäßige Leistungserweiterungen. Im Vordergrund eines nachträglichen Austauschs ein­ zelner Leistungsbestandteile steht vielmehr die Änderung der Beschaffenheit der ausgeschriebenen Leistung bzw. eines Leistungsteils. 279 Daher kommt es für die Beurteilung der Zulässigkeit nicht auf die Verände­ rung des Auftragsvolumens oder auf ein Überschreiten der Schwellenwerte an. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Austausch des Leistungsbestandteils wesentli­ chen Einfluss auf den Charakter der ursprünglichen Leistung besitzt. Bei einem Austausch einzelner Leistungsbestandteile ist mithin abzugrenzen, ob sich die Änderung so wesentlich auf den Charakter des Vertrages auswirkt, dass von einem neuen Beschaffungsvorgang auszugehen ist, oder aber der Auftraggeber lediglich von seinen vertraglichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht und eine im Verhältnis zur Gesamtleistung geringfügige Änderung in der Beschaffenheit der Leistung verlangt. 280 Die Änderung ist daher nicht isoliert zu betrachten, son­ dern im Zusammenhang mit der Gesamtleistung und in Gegenüberstellung der ausgetauschten Bestandteile. 281 Indizien für eine Charakteränderung können sich sowohl in qualitativer Hinsicht als auch in quantitativer Hinsicht ergeben. Wird der Beschaffungswert durch den ausgetauschten Leistungsbestandteil wesentlich erhöht, so kann dies auf eine Charakteränderung der ursprünglichen Leistung hindeuten. 282 In diesem Fall kann insbesondere nicht ausgeschlossen werden, dass möglicherweise ein anderer Bieter zum Zuge gekommen wäre, wenn die Änderung bereits Gegenstand des ursprünglichen Vergabeverfahrens gewesen wäre. 283 Gleiches gilt, wenn der ausgetauschte Leistungsgegenstand die Funktio­ nalität bzw. den Leistungszweck wesentlich ändert. 284 Entscheidend ist daher die Vertragsleistung im konkreten Einzelfall. Im Fall des OLG Rostock 285 bestand beispielsweise die Gesamtleistung in einem Forschungsschiff. Ein Bestandteil dieses Forschungsschiffes war das Echolotsystem. Dieses sollte nach Vertrags­ schluss gegen ein technisch neu entwickeltes System ausgetauscht werden. Der Beschaffungswert des Echolotsystems war im Vergleich zur Gesamtleistung un­ 279

OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 f. OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 (458). 281 Ebenso Krohn, NZBau 2008, 619 (623). 282 Ebenso OLG Celle, Beschl. v. 29. 10. 2009 – 13 Verg 8/09. 283 Krohn, NZBau 2008, 619 (623) unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 35. 284 Ähnlich Krohn, NZBau 2008, 619 (623), der auf ein Vergleich des jeweiligen Leistungsniveaus abstellt. 285 OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 f. 280

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wesentlich (5 % des Gesamtbeschaffungswertes). Das OLG Rostock hätte da­ her – gegebenenfalls durch Sachverständigengutachten – ermitteln müssen, ob durch den Austausch der Systeme die Funktionalität, also der Einsatzbereich oder auch der Einsatzzweck, wesentlich beeinflusst würde. Soweit dies nicht der Fall ist, kann nicht von einer wesentlichen Charakteränderung gesprochen werden. Die Identität der Leistung bleibt vielmehr gewahrt. Dass eine solche fachtechnische Beurteilung im Einzelfall schwierig sein kann, belegen Beispiele aus der Rechtsprechung. 286 Ändert der nachträgliche Austausch einzelner Leistungskomponenten nach den vorgenannten Grundsätzen den Charakter der Leistung, wird hierdurch eine neue, von der ursprünglichen Ausschreibung abweichende Leistung geschaffen. Die Neuvergabe einer Leistung fällt in den Anwendungsbereich des Vergaberechts. Die Beauftragung ohne vorherige Durchführung eines Vergabeverfahrens stellt eine vergaberechtswidrige De-facto-Vergabe dar. 4. Verlängerungen der Vertragslaufzeit Hinsichtlich der Frage, ob die Verlängerung der Vertragslaufzeit den verga­ berechtlich relevanten Bereich berührt, kommt es maßgeblich darauf an, ob die Vertragslaufzeit ein wesentlicher Bestandteil der konkreten Leistung ist oder nur eine untergeordnete Modalität darstellt. Stellt die Vertragslaufzeit eine bloß untergeordnete Modalität der Leistung dar, so kann diese nicht als wesentlich erachtet werden und somit auch den vergaberechtlich relevanten Bereich nicht berühren. Eine unwesentliche Änderung der Vertragslaufzeit ist beispielsweise bei der Durchführung einer Bauleistung an­ zunehmen, wenn trotz vertraglicher Befristung aus projektspezifischen Gründen (z. B. Schlechtwetter) die Leistungszeit nachträglich verlängert werden muss. 287 Gleiches gilt, wenn die Leistung aus ihrer Natur heraus zeitlich begrenzt ist, wie etwa bei der Herstellung oder Lieferung einer Sache. In solchen Fällen stellt der Zeitpunkt der Fertigstellung bzw. der Lieferung eine bloße Modalität der Leistung dar. 288 Verständigen sich die Parteien in einem solchen Fall darauf, 286 Vgl. die Entscheidungen OLG Celle, Beschl. v. 29. 10. 2009 – 13 Verg 8/09, und VK Brandenburg, Beschl. v. 17. 06. 2008 – VK 13/08. In beiden Fällen wurde der Auf­ tragnehmer nachträglich beauftragt, die Entsorgung von Altpapier (auch) über die soge­ nannten „Blaue Tonne“ vorzunehmen. Während die VK Brandenburg hierin lediglich eine Änderung der „Art der Sammelvorrichtung“ und damit keine vergaberechtliche Relevanz annahm, erblickte das OLG Celle hierin eine wesentliche Vertragsänderung, da neben er­ forderlichen technischen Anpassungen, Aufstockungen des Fuhrparks und des Personals auch eine Erhöhung des Entgelts um 12 % erfolgte. Diese quantitativen Indizien sprechen, wie dargestellt, in der Tat für eine wesentliche Vertragsänderung. 287 Ziekow, VergabeR 2004, 430 (433); Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kom­ mentar GWB, § 99, Rn. 71. 288 Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 10. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (194).

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den Vertrag den Umständen anzupassen und den Leistungszeitraum nachträglich zu verlängern, leiten sie damit nicht automatisch einen neuen, ausschreibungs­ pflichtigen Beschaffungsvorgang ein. 289 Die Leistungszeit ist in diesen Fällen kein wesentlicher Vertragsbestandteil. Eine Modifizierung ist somit nicht als ei­ genständiger Beschaffungsvorgang zu werten, der zur Durchführung eines neuen Ausschreibungsverfahrens zwingt. Anders ist dies jedoch, wenn das Zeitmoment ein wesentliches Element der geschuldeten Leistung im Sinne einer „Leistung auf Zeit“ ist. 290 Dies ist insbe­ sondere anzunehmen, wenn mit der Ausschreibung ein Dauerschuldverhältnis in Kraft gesetzt werden soll, in welchem eine ihrer Natur nach zeitlich nicht begrenz­ te Tätigkeit geschuldet wird. In diesem Fall stellt sich die zeitliche Begrenzung der Leistungserbringung als ein wesentlicher Aspekt des Vertragsverhältnisses dar. 291 Vertragsverlängerungen oder auch Änderungen der Befristungsregelun­ gen vor Ablauf der festgelegten Vertragslaufzeit sind in diesen Fällen stets als neue, ausschreibungspflichtige Beschaffungsvorgänge zu qualifizieren, die ein neues Vergabeverfahren auslösen. 292 Eine vergaberechtskonforme Verlängerung ohne Ausschreibungsverpflichtung kann allein dann in Betracht kommen, wenn diese über die im Vergaberecht verankerten Ausnahmetatbestände gerechtfertigt werden kann 293 oder aber die Verlängerung bereits in der ursprünglichen Aus­ schreibung und damit im Vertrag angelegt war. 294 Dies gilt aber dann nicht, wenn die Vertragsverlängerung nach Ablauf der Vertragslaufzeit erfolgte. 295 In diesen Fällen liegt die Vertragsverlängerung außerhalb der zeitlichen Reichweite des ehemals durchgeführten Vergabeverfahrens. 296 Ist eine Leistung für einen befristeten Zeitraum ausgeschrieben, so begründet eine nach Zuschlagserteilung aufgenommene optionale oder automatische Ver­ 289

Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 10. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (194). So zutreffend Ziekow, VergabeR 2004, 430 (433). 291 Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 10. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (194). 292 OLG Hamburg, Beschl. v. 07. 12. 2007 – 1 Verg 4/07; Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (738); Krohn, NZBau 2008, 619 (624); Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (738); Knauff, NZBau 2007, 347 (349); Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (175); Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 70. 293 Z. B. bei wiederholenden Leistungen (vgl. hierzu Kapitel 4.B.III.2.d.). 294 Soweit die Vertragsverlängerung bereits im Ursprungsvertrag angelegt war, zum Beispiel durch optionale oder automatische Verlängerungsklauseln oder Kündigungsver­ einbarungen, kann auf die Ausführungen in Kapitel 5 und 6 verwiesen werden. Dort wird die Vergaberechtskonformität dieser Klauseln beleuchtet. 295 Dementsprechend hat die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung zu Kon­ zessionen hervorgehoben, dass die Verlängerung einer ausgelaufenen Konzession der Erteilung einer neuen Konzession gleichsteht und die Pflicht zur Neuausschreibung be­ gründet (ABl. C 121 v. 29. 04. 2000, S. 5; so auch Marx, NZBau 2002, 311 (313); Noch, NZBau 2002, 86 m.w. N.). 296 Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 03. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (194). 290

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längerungsklausel ebenfalls einen neuen, dem Vergaberechtsregime unterliegen­ den Beschaffungsvorgang. Denn die erst nachträglich vereinbarte Verlängerungs­ möglichkeit fällt nicht unter die Bestandsgarantie des Zuschlags. 297 Wandeln die Vertragsparteien daher ein zunächst zeitlich befristetes Dauerschuldverhältnis in ein unbefristetes um, ändern sie wesentliche Teile der Leistung. 298 Ist nach der vorangehend dargestellten Abgrenzung die Leistungszeit ein we­ sentlicher Bestandteil der Leistung, so kommt es für die Beurteilung der ver­ gaberechtlichen Relevanz einer Vertragsverlängerung nicht darauf an, ob diese erheblich ist. 299 Die Verlängerung ersetzt stets einen neuen Vertragsschluss für den zusätzlichen Zeitraum. 300 Dies gilt auch dann, wenn der Umfang der Ver­ längerung im Bereich unterhalb der Schwellenwerte liegt. Dies hat lediglich Auswirkung auf die einschlägige Rechtsgrundlage, nach der die Vertragsverlän­ gerung zu beurteilen ist, 301 nicht aber auf die Eigenschaft als neuer Vertrag. Verlängerungen der Vertragslaufzeit sind mithin immer dann vergaberecht­ lich relevant, wenn sie nicht eine bloß untergeordnete Modalität, sondern ein wesentliches Element der geschuldeten Leistung darstellen. In diesen Fällen ist jede Verlängerung des Vertrages als neue Auftragsvergabe einzustufen, die den Vorschriften des Vergaberechts unterliegt. Das gilt nur dann nicht, wenn die Vertragsverlängerung auf eine vertragliche Grundlage oder einen Ausnahmetat­ bestand des Vergaberechts gestützt werden kann.

297 So ist die nach Zuschlagserteilung bei der Abfassung der Vertragsurkunde aufge­ nommene Regelung einer von Jahr zu Jahr automatisch eintretenden Verlängerung des Vertrages unter dem Vorbehalt eines außerordentlichen Kündigungsrechts als ein neuer Beschaffungsvorgang zu beurteilen (Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 03. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 ff.). 298 Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 10. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (194 f.). 299 So aber Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 35; Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 99, Rn. 19. 300 Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 70. 301 Oberhalb der Schwellenwerte beurteilt sich die Verlängerung nach den nationa­ len und gemeinschaftsrechtlichen Vergabebestimmungen, unterhalb der Schwellenwerte müssen staatliche öffentliche Auftraggeber das europäische Primärrecht, insbesondere die Grundfreiheiten, sowie haushaltsrechtliche Bestimmungen beachten. Zur Beachtung des Primärrechts kann auf die Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Be­ zug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen vom 23. 06. 2006, ABl. C 179, S. 2, verwiesen werden.

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5. Änderungen des Vertragspartners des öffentlichen Auftraggebers Weiterhin ist zu klären, ob auch die nachträgliche Änderung des Vertragspart­ ners des öffentlichen Auftraggebers eine den Anwendungsbereich des Vergaberechts berührende Vertragsänderung darstellt. Dem öffentlichen Auftraggeber ist das Verfahren zur Auswahl des Vertrags­ partners durch das Vergaberecht vorgegeben. Er ist nach den Regelungen des Vergaberechts verpflichtet, den Auftrag an ein Unternehmen zu erteilen, welches hinsichtlich der nachgefragten Leistung die erforderliche Fachkunde, Leistungs­ fähigkeit und Zuverlässigkeit besitzt. 302 Zudem muss er den Zuschlag entweder auf das preislich günstigste oder aber auf das wirtschaftlichste Angebot ertei­ len. 303 Nachträgliche Änderungen der Vertragspartner bergen die Gefahr, dass diese Vorgaben des Vergaberechts umgangen werden. 304 Der Auftraggeber könn­ te durch nachträgliche Änderung seines Vertragspartners, z. B. im Wege der Vertragsübernahme, den Auftrag einem ihm genehmen Unternehmen zukom­ men lassen. In Literatur und Rechtsprechung wird die Zulässigkeit von nachträg­ lichen Änderungen der Vertragspartner durch Vertragsübernahmen daher kon­ trovers diskutiert. Einigkeit besteht lediglich insoweit, als Vertragsüberleitungen nach Zuschlagserteilung immer dann unzulässig sind, wenn die Beteiligten unter Umgehung der Bestimmungen und der Ziele des Vergaberechts einem anderen Unternehmen den Auftrag zukommen lassen, 305 der ursprüngliche Bieter mithin gleichsam als Strohmann eines anderen Unternehmens handelt. 306 Im Übrigen ist die vergaberechtliche Beurteilung der nachträglichen Änderung des Vertrags­ partners umstritten. Zum Teil wird argumentiert, dass aus der Zwecksetzung des Vergaberechts kein Bedürfnis folge, die Übernahme eines bereits unter Beachtung des Vergaberechts vergebenen Auftrags als ausschreibungspflichtig einzustufen. 307 Denn der Vertragsinhalt bleibe unberührt und der Auftrag werde auch nach der Übernah­

302 303 304

Vgl. Art. 44 Abs. 1 VKR; § 97 Abs. 4 GWB. Vgl. Art. 53 Abs. 1 VKR; § 97 Abs. 5 GWB. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18. 10. 2006 – VII-Verg 30/06, VergabeR 2007, 92

(95). 305

EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 51. VK Bund, Beschl. v. 07. 04. 1999 – VK A-19/99, WuW 2000, 109 (110); Thieme, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 9. Aufl., § 99, Rn. 13; Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 99, Rn. 22; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2064; Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 81; Kulartz / Duikers, VergabeR 2008, 728 (738); Rittwage, NZBau 2007, 232 (234). 307 VK Bund, Beschl. v. 07. 04. 1999 – VK A-19/99, WuW 2000, 109 (110); ebenso Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 50. 306

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

me auf der Grundlage des wirtschaftlichsten Angebots durchgeführt. 308 Solange der ursprüngliche Vertragsschluss vergaberechtlichen Regelungen unterlag und die Auswahl des übernehmenden Unternehmens sich nach den ursprünglichen Eignungskriterien richte, sei die Vertragsübernahme in vergaberechtlicher Hin­ sicht als unproblematisch anzusehen. 309 Die Überleitung eines abgeschlossenen Auftrages auf einen neuen Vertragspartner gemäß § 415 BGB stelle daher grund­ sätzlich keine Auftragsvergabe im Sinne des Vergaberechts dar. 310 Grenze einer Vertragsüberleitung sei lediglich das Umgehungsverbot. 311 Auch in der obergerichtlichen vergaberechtlichen Rechtsprechung wird vom OLG Frankfurt die Ansicht vertreten, dass die Vertragsübernahme nach § 415 BGB, also eine vom Auftraggeber genehmigte vollständige Überleitung eines erteilten Auftrages auf einen neuen Auftragnehmer, grundsätzlich keine unzuläs­ sige De-facto-Vergabe darstelle und daher auch keiner erneuten Ausschreibung bedürfe. 312 Der dem Beschluss des OLG Frankfurt zugrunde liegende Sachver­ halt gebietet allerdings Anlass zur Differenzierung. Die dortige Vertragsübernah­ me resultierte aus einer Umstrukturierungsmaßnahme des beauftragten Bieters. Der Vertrag wurde auch nach der Umstrukturierung sowohl inhaltlich und preis­ lich unverändert als auch mit demselben sachlichen und personellen Know-how des Auftragnehmers fortgeführt. 313 Die Änderung des Auftragnehmers war da­ her rein formaler Natur. Aus der Entscheidung kann daher nicht die generelle Aussage abgeleitet werden, dass Vertragsübernahmen nach § 415 BGB nicht den Bestimmungen des Vergaberechts unterliegen. Auch die Vergabekammer des Bundes sieht die vergaberechtliche Relevanz von Vertragsübernahmen und damit die Änderung des Vertragspartners diffe­ renziert. 314 Im dortigen Fall war der ursprüngliche Auftragnehmer insolvent geworden. Im Rahmen des Übernahmevertrages wurde mit Zustimmung des öf­ 308

VK Bund, Beschl. v. 07. 04. 1999 – VK A-19/99, WuW 2000, 109 (110); Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 99 GWB, Rn. 4d; Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 1a, Rn. 71; Prieß, S. 117. 309 I. d. S. Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 99 GWB, Rn. 4d. 310 Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 1a, Rn. 71. 311 Prieß, S. 117. 312 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 05. 08. 2003 – 11 Verg 2/02, NZBau 2003, 633 f.; Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 1a, Rn. 71. Das OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15. 10. 2003 – Verg 50/03, NZBau 2004, 58 ff., sieht von Beginn an geplante Vertragsübernahmen zumindest dann als unproblematisch an, wenn die Vertragsübernahme ein In-house-Geschäft darstellt. In diesem Fall steht dem öffentlichen Auftraggeber aber auch ein vergaberechtlich zulässiger Ausnahmetatbestand zur Verfügung. 313 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 05. 08. 2003 – 11 Verg 2/02, NZBau 2003, 633 (634). 314 VK Bund, Beschl. v. 29. 06. 2005 – VK 3 – 52/05, IBR 2005, 1251.

Kap. 4: Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung

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fentlichen Auftraggebers der Auftrag an eine Arbeitsgemeinschaft bestehend aus der Auffanggesellschaft des ursprünglichen Auftragnehmers und dessen ehema­ ligem Nachunternehmer übertragen. 315 Hierin erblickte die erkennende Kammer zu Recht eine vergaberechtliche Auftragsvergabe, da die Vertragsübernahme den durch die Insolvenz entstandenen neuen Bedarf des öffentlichen Auftraggebers an der Leistung decken sollte. Die Regelungen des Vergaberechts können nicht dadurch umgangen werden, dass die Bedarfsdeckung nicht in der klassischen Form eines Vertragsschlusses im Sinne von Angebot und Zuschlag, sondern durch Vertragsübernahme erfolgte. 316 Aufgrund der Einbeziehung eines weite­ ren, bis dato nicht an der Vertragsausführung beteiligten Unternehmens kann zudem nicht von einer bloßen Fortführung des ursprünglichen Vertrages gespro­ chen werden. 317 Auch Teile der vergaberechtlichen Literatur schließen sich der vorgenannten Rechtsprechung an und unterstellen nachträgliche Auftragnehmerwechsel dem Vergaberecht. Es sei nicht einzusehen, dass die Überlagerung zivilrechtlicher Grundsätze durch das Vergaberecht ausgerechnet die Vertragsübernahme aus­ sparen sollte. 318 Die normative Ordnung des Vergaberechts setze ein Handlungs­ recht der Verwaltung, welches die zivilrechtlichen Grundsätze, insbesondere den Grundsatz der Privatautonomie überlagere. 319 So sei die freie Auswahl des Ver­ tragspartners ebenso wie die freie Änderung und Verlängerung von Verträgen durch die Vertragsparteien ein wesentliches Element der Privatautonomie. Diese Grundsätze gelten im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens jedoch nicht gleichermaßen, da sich der öffentliche Auftraggeber nicht auf die Grundsätze der Privatautonomie berufen könne. 320 Das Vergaberecht schreibe gerade das Verfahren zur Auswahl des Vertragspartners vor und stelle insoweit konkrete Anforderungen an die Eignung (vgl. § 97 Abs. 4 GWB). Auch lasse sich der Angebotsinhalt nicht ohne weiteres von der Person des Bieters trennen. 321 Im Rahmen der Rechtssache „pressetext“ hatte sich der EuGH auch mit der Frage der Änderung des Vertragspartners auseinanderzusetzen. Nach Auffassung des EuGH ist die Ersetzung des ursprünglichen Vertragspartners durch einen neu­ en im Allgemeinen als Änderung einer wesentlichen Vertragsbestimmung des betreffenden Dienstleistungsauftrags anzusehen, wenn diese Änderung nicht in der ursprünglichen Beauftragung vorgesehen war. 322 Ausgenommen von dieser 315 316 317 318 319 320 321 322

VK Bund, Beschl. v. 29. 06. 2005 – VK 3 – 52/05, IBR 2005, 1251.

So zutreffend VK Bund, Beschl. v. 29. 06. 2005 – VK 3 –52/05, IBR 2005, 1251.

VK Bund, Beschl. v. 29. 06. 2005 – VK 3 – 52/05, IBR 2005, 1251.

So Ziekow, VergabeR 2004, 430 (434).

So zutreffend Ziekow, VergabeR 2004, 430 (434).

Siehe hierzu auch Kapitel 2.D.

Roth, NZBau 2005, 316 (318).

EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 40.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Grundregel seien jedoch interne Neuorganisationen des Vertragspartners, die die Vertragsbedingungen des ursprünglichen Auftrags nicht wesentlich ändern. Eine solche interne Neuorganisation liege vor, wenn die Dienstleistungen auf einen anderen Dienstleistungserbringer übertragen werden, deren Alleingesellschafter der ursprüngliche Dienstleistungserbringer ist, dieser den neuen Dienstleistungs­ erbringer kontrolliert, ihm Weisungen erteilt und der ursprüngliche Dienstleis­ tungserbringer weiterhin die Haftung für die Einhaltung der vertraglichen Ver­ pflichtungen übernimmt. 323 Würden hingegen die Gesellschaftsanteile während der Laufzeit des Vertrages an einen Dritten veräußert, handele es sich nicht mehr um eine interne Neuorganisation, sondern um eine tatsächliche Änderung des ursprünglichen Vertragspartners und somit um eine grundsätzlich wesentliche Änderung der Vertragsbestimmungen. 324 Vor dem Hintergrund des dargestellten Meinungsbildes gilt es konkrete Recht­ mäßigkeitsanforderungen zu formulieren. Auch in diesem Bereich von Vertrags­ änderungen muss gelten, dass der Anwendungsbereich des Vergaberechts berührt wird, wenn die Änderung wesentlich ist. 325 Die Auswechslung einer Vertrags­ partei stellt dabei grundsätzlich eine tief greifende Vertragsänderung dar, da ein Kernelement des Vertragsverhältnisses – Parteien, Leistung, Gegenleistung – ver­ ändert wird. 326 Von einer wesentlichen Änderung des Vertragspartners ist auszu­ gehen, wenn die Vertragsübernahme nach erteiltem Zuschlag eine wettbewerbli­ che Relevanz aufweist, also wenn eine Beschaffungsmaßnahme des öffentlichen Auftraggebers unzulässig dem Wettbewerb entzogen wird. 327 Änderungen in der Person des Vertragspartners sind jedoch immer dann wettbewerbsneutral, wenn sie rein formaler Natur sind, sich also bloß die „rechtliche Hülle“, beispielsweise durch Umstrukturierungsmaßnahmen im Konzern o. ä. ändert. Der öffentliche Auftraggeber wird in derartige unternehmensinterne Vorgänge seines Vertrags­ partners in der Regel nicht einbezogen, er begründet daher auch kein neues wirtschaftliches Austauschverhältnis. 328

323

EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 45,

54. 324

EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 47. Gabriel / Benecke / Geldsetzer, Bietergemeinschaft, Rn. 97. 326 So das OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. 11. 2005 – Verg 56/05, VergabeR 2006, 411 (412 f.) für die Auswechslung einer Vertragspartei im laufenden Vergabeverfahren. Dies muss aber ebenso nach Zuschlagserteilung gelten, da die Kernelemente des Vertragsver­ hältnisses die gleichen sind. Ebenso Gabriel / Benecke / Geldsetzer, Bietergemeinschaft, Rn. 97; Rittwage, NZBau 2007, 232. 327 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18. 10. 2006 – VII-Verg 30/06, VergabeR 2007, 92 (95). 328 In diesem Sinne auch EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 45; Niestedt / Hölzl, NJW 2008, 3321 (3323); Rittwage, NZBau 2007, 232 (233). 325

Kap. 4: Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung

173

Aus diesem Grund ist die Änderung des Vertragspartners immer dann wettbe­ werbsneutral, wenn die Identität des Unternehmens gewahrt bleibt, insbesondere die personellen und sachlichen Mittel, mit denen der Auftrag ausgeführt werden soll, bestehen bleiben. 329 Dies ist zum Beispiel bei der Ausgliederung einer Einheit aus der Muttergesellschaft der Fall, wenn diese Einheit den Auftrag innerhalb der Gesellschaft ausgeführt hätte. 330 Auch umgekehrt, im Falle einer Eingliederung kann unter den vorgenannten Voraussetzungen von einer verga­ berechtlichen Irrelevanz ausgegangen werden. 331 Umstrukturierungsmaßnahmen, die sich lediglich formal auswirken, wie zum Beispiel die Änderung der Rechts­ form oder des Namens, die Herabsetzung des Stammkapitals oder auch der Austausch von Geschäftsführern oder Gesellschaftern, sind ebenfalls grundsätz­ lich wettbewerbsneutral. 332 Insoweit ändern sich weder der Rechtsträger noch die personellen und sachlichen Kapazitäten, die für die Auftragsausführungen erforderlich sind. 333 Wettbewerbsneutral können weiterhin auch die Fälle der Gesamtrechtsnach­ folge sein. Die Gesamtrechtsnachfolge soll in ihrer Funktion grundsätzlich die sachlich-unternehmerische Einheit des Unternehmens wahren. 334 Dies gilt zu­ mindest dann, wenn das Unternehmen als solches bestehen bleibt, also Sach­ vermögen, Kapital, Arbeitsverhältnisse und das hiermit verbundene Know-how erhalten bleiben. 335 Ob die sachlich-unternehmerische Identität des Unterneh­ mens gewahrt bleibt, ist in jedem Einzelfall zu prüfen. So kann im Falle einer formenwechselnden Umwandlung eines Unternehmens grundsätzlich von einer Wettbewerbsneutralität ausgegangen werden. 336 Kennzeichnend für eine formen­ wechselnde Umwandlung gemäß § 202 UmwG ist, dass an ihr nur ein Rechtsträ­ ger beteiligt ist, und es weder zu einer Gesamtrechtsnachfolge eines Rechtsträgers 329 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 05. 08. 2003 – 11 Verg 2/02, NZBau 2003, 633 (634); Thieme, in: Langen / Bunte, GWB, 9. Aufl., § 99, Rn. 13; Prieß, S. 117; Müller, in: Daub / Eberstein; VOL / A, § 1a, Rn. 71; Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 99, Rn. 22; Prieß / Sachs, NZBau 2007, 763 (765). 330 Ziekow, VergabeR 2004, 430 (435); Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kom­ mentar GWB, § 99, Rn. 83. 331 Rittwage, VergabeR 2006, 327 (335). 332 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 51; VK Münster, Beschl. v. 28. 08. 2007 – VK 14/07; VK Niedersachsen, Beschl. v. 08. 05. 2006 – VgK-07/2006, IBR 2006, 1464; VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 30. 03. 2007 – 1 VK 13/07, IBR 2007, 1239; Niestedt / Hölzl, NJW 2008, 3321 (3323); Prieß / Sachs, NZBau 2007, 763 (765 f.); Rittwage, VergabeR 2006, 327 (335); Gabriel / Benecke / Geldsetzer, Bietergemeinschaft, Rn. 91. 333 Prieß / Sachs, NZBau 2007, 763 (765 f.).

334 Hierzu Prieß / Sachs, NZBau 2007, 763 (765 f.); Rittwage, VergabeR 2006, 327 ff.

335 Prieß / Sachs, NZBau 2007, 763 (765).

336 VK Münster, Beschl. v. 28. 08. 2007 – VK 14/07; Rittwage, VergabeR 2006, 327

(335).

174

Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

in das Vermögen eines anderen kommt, noch dass es der Übertragung einzelner Vermögensgegenstände bedarf. Die Kontinuität der personellen und sachlichen Ausstattung ist damit grundsätzlich gewährleistet. 337 Auch bei einer Verschmel­ zung des ursprünglichen Vertragspartners mit einem anderen Unternehmen ist nicht zwingend von einer Änderung der Identität der personellen und sachlichen Mittel auszugehen. 338 Hier ist jedoch im Einzelfall zu prüfen, ob auftragsrelevan­ te Vermögensgegenstände aus dem Vermögen des übertragenden Rechtsträgers ausgeschieden wurden oder einzelne Vertragsverhältnisse nicht übergegangen sind. 339 Vergaberechtsrelevant sind hingegen die Fälle, in denen ein Mitglied aus einer Arbeitsgemeinschaft wegen Insolvenz ausscheidet. 340 Zwar treten die ver­ bleibenden Mitglieder die Gesamtrechtsnachfolge an. 341 Jedoch besteht keine tatsächliche und rechtliche Identität mehr in der Person des Auftragnehmers. 342 Aus diesem Grund ist auch das Hinzutreten eines neuen bzw. weiteren Vertrags­ partners einer Neuvergabe des Auftrags gleichzustellen. 343 Auch Vertragsübernahmen nach § 415 BGB sind grundsätzlich nicht wettbewerbsneutral, da durch

337

VK Münster, Beschl. v. 28. 08. 2007 – VK 14/07.

OLG Schleswig, Beschl. v. 13. 04. 2006 – 1 (6) Verg 10/05; VK Hessen, Beschl. v.

28. 02. 2006 – 69d-VK 01/2006; Niestedt / Hölzl, NJW 2008, 3321 (3323); Prieß / Sachs, NZBau 2007, 763 (765); Rittwage, VergabeR 2006, 327 (336 ff.); Gabriel / Benecke / Geld­ setzer, Bietergemeinschaft, Rn. 92. Das OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18. 10. 2006 – VIIVerg 30/06, VergabeR 2007, 92 (93 ff.), hatte zwar die Verschmelzung als vergaberecht­ lich unzulässige Änderung des Bieters angesehen, dies aber gerade nicht auf Verschmel­ zungen erstreckt, die nach Vertragsschluss vorgenommen werden. 339 In diesen Fällen kann die rechtliche Wertung ergeben, dass die Unternehmens­ änderung zu einem neuen Vertragspartner des öffentlichen Auftraggebers geführt hat (Rittwage, VergabeR 2006, 327 (336 ff.)). 340 Ausführlich zu dieser Fragestellung Kirch / Kues, VergabeR 2008, 32 ff., die aller­ dings für einen Fortbestand der Bietergemeinschaft plädieren. 341 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. 05. 2005 – VII-Verg 28/05, NZBau 2005, 710 (711) unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 16. 12. 1999 – VII ZR 53/97, NJW 2000, 1119 f.; a. A. Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 81. 342 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. 05. 2005 – VII-Verg 28/05, NZBau 2005, 710 (711); a. A. VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 23. 06. 2003 – 1 VK 28/03. 343 GA Kokott, Schlussanträge v. 13. 03. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 68; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. 01. 2005 – VII-Verg 45/04, NZBau 2005, 354 (355); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (699); Rittwage, VergabeR 2006, 327 (334). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Änderung der Zusammensetzung der Bietergemeinschaft rein formal ist und diese nach wie vor die im Angebot enthaltenen personellen und technischen Mittel einsetzt, der Inhalt des gesamten Angebots auch hinsichtlich der sachlichen und personellen Mittel mithin unverändert bleibt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. 01. 2005 – VII-Verg 45/04, NZBau 2005, 354 (355 f.); VK Hessen, Beschl. v. 28. 06. 2005 – 69d-VK-07/2005, ZfBR 2006, 99 (Ls.)). 338

Kap. 4: Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung

175

die Überleitung des Vertrages die Identität des Rechtsträgers und des sachlichen und personellen Know-hows geändert wird. 344 Vor dem Hintergrund der vorgenannten Grundsätze kann auch ein Wechsel des Unterauftragnehmers vergaberechtlich relevant sein, wenn der Auftragnehmer die personellen und sachlichen Mittel sowie das Know-how umfangreich und für die Zuschlagsentscheidung maßgebend in Bezug genommen hat. 345 Zwar liegt in diesem Fall kein förmlicher Wechsel des Vertragspartners vor. Jedoch kann in einer solchen Konstellation nicht ausgeschlossen werden, dass der Auftraggeber ein anderes als das bezuschlagte Angebot vorgezogen hätte. In diesem Fall hat die Änderung des Vertrages mithin Auswirkungen auf den Bieterwettbewerb. 346 Nach alledem ist festzuhalten, dass nachträgliche Änderungen des Vertrags­ partners durch Vertragsübernahme oder durch Änderungen in der Zusammenset­ zung des Unternehmens grundsätzlich den vergaberechtlich relevanten Bereich berühren und somit eine Pflicht zur Neuausschreibung begründen. Denn die Änderung des Vertragspartners bedeutet die Änderung eines Kernelements des Vertrages. Die Vorschriften des Vergaberechts, welche insbesondere konkrete Anforderungen an die Auswahl des Vertragspartners formulieren, können hier­ durch nicht umgangen werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Änderung rein formal-juristischer Natur ist, sich mithin als interne Neuorganisation dar­ stellt, und die Identität des Auftragnehmenden hinsichtlich der sachlichen und personellen Mittel sowie des Angebotsinhalts vollumfänglich gewahrt bleibt.

C. Ergebnis Der vorangehend untersuchten Fallgruppe von Vertragsänderungen lag die rechtliche Konstellation zugrunde, dass nach Zuschlagserteilung im laufenden Vertragsverhältnis die ursprünglichen, der Ausschreibung zugrunde gelegten Ver­ tragsparameter, wie z. B. den Leistungsgegenstand oder -umfang, die Laufzeit des Vertrages oder die Vertragspartner, abgeändert werden. In vergaberechtlicher Hinsicht ist eine solche Verfahrensweise problematisch, da der öffentliche Auf­ traggeber seine Beschaffungen dem Vergaberecht entzieht, indem er Verträge seinen gewandelten Bedürfnissen anpasst. Für die Frage der vergaberechtlichen Relevanz dieser Vertragsänderungen kommt es maßgeblich darauf an, ob die die Vertragsänderung ausmachenden vertraglichen Regelungen bei wirtschaftlicher Betrachtung einer Neuvergabe gleichkommen. Ausgehend von dieser abstrakten Grundregel hat die Untersuchung folgende Ergebnisse gebracht: 344 VK Bund, Beschl. v. 29. 06. 2005 – VK 3 – 52/05, IBR 2005, 1251; Rittwage, VergabeR 2006, 327 (329 ff.). 345 LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 28. 01. 2008 – 2 – 4 OLG 201/06, VergabeR 2008, 513 (519 f.). 346 GA Bot, Schlussanträge vom 27. 10. 2009 – Rs. C-91/08 (Wall AG), Rn. 69 f.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

I. Anpassungen des Vertrages, vor allem solche des Leistungsgegenstandes und der Vergütung, an geänderte Umstände sind unter engen Voraussetzungen auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen, insbesondere Allgemeiner Ge­ schäftsbedingungen, möglich. So können Änderungen der Leistung von den §§ 1 Nr. 3, 4 VOB / B bzw. 2 VOL / B erfasst sein. Gleiches gilt für Klauseln, die einen Änderungsvorbehalt zugunsten des öffentlichen Auftraggebers vorse­ hen sowie für Preisgleitklauseln. An die Zulässigkeit dieser Klauseln werden hohe Anforderungen gestellt. Änderungen auf dieser Grundlage sind dann nicht vergaberechtlich relevant, wenn die Änderungsmöglichkeit im ursprünglichen, der Ausschreibung zugrunde liegenden Vertrag vorgesehen war, die rechtlichen Anforderungen an die Änderungsklausel ihrerseits erfüllt ist und die Klausel nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen wirksam ist. Eine Än­ derung auf dieser Grundlage bedeutet die Wahrnehmung vertraglicher Rechte, ohne dass der vergaberechtlich relevante Bereich berührt wird. Vertragsänderun­ gen, die unter den vorgenannten Voraussetzungen bereits im Ursprungsvertrag angelegt waren, stellen daher keinen eigenständigen Vergabevorgang dar. II. Nach Zuschlagserteilung erfolgende Vertragsänderungen im Vertragsver­ hältnis zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und seinem privaten Auftrag­ nehmer sind vergaberechtlich auch dann nicht zu beanstanden, wenn ein im Vergaberecht normierter Ausnahmetatbestand die direkte Beauftragung des Ver­ tragspartners ohne Ausschreibung legitimiert. Unter engen und vielschichtigen Voraussetzungen erlaubt das Vergaberecht eine direkte Auftragsvergabe von zu­ sätzlichen, wiederholenden oder erweiternden Leistungen an den Auftragnehmer des Ursprungsvertrages im Wege des Verhandlungsverfahrens ohne Vergabebe­ kanntmachung. Eine analoge Anwendung der Bestimmungen auf weitere Fälle von Vertragsänderungen ist jedoch wegen des Ausnahmecharakters dieser Be­ stimmungen ausgeschlossen. III. Kann die vertragliche Änderung oder Verlängerung nach Zuschlagsertei­ lung weder auf eine vertragliche Regelung gestützt noch auf einen Ausnahme­ tatbestand des Vergaberechts zurückgeführt werden, kommt es auf eine Einzel­ fallbetrachtung an, unter welchen Voraussetzungen die konkrete Änderung nach wirtschaftlicher Betrachtung dem Abschluss eines neuen Vertrages gleichkommt und damit ein neues Vergabeverfahren auslöst. Änderungen der Preise bzw. der Vergütung berühren stets den vergaberecht­ lich relevanten Bereich. Dies folgt vor allem daraus, dass die Änderung des Preises zugleich die Änderung der Hauptleistungspflicht des öffentlichen Auf­ traggebers bedeutet. Etwas anderes ergibt sich nur dann, wenn die Preisanpas­ sung ihre Grundlage in einer zulässigen Änderung des Vertrages findet oder der wirtschaftliche Wert des Preises nicht verändert wird (z. B. bei Umstellung der nationalen Währung auf Euro). Gleiches gilt für Änderungen des Leistungsum­ fangs, unabhängig davon, ob dieser erhöht oder verringert wird. Auch insoweit ist grundsätzlich von einer vergaberechtlichen Relevanz auszugehen.

Kap. 4: Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung

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Werden nachträglich einzelne Komponenten der vertraglich vereinbarten Leis­ tung ausgetauscht und wird hierdurch der Charakter der Leistung geändert, so liegt ebenfalls eine neue, dem vergaberechtlichen Anwendungsbereich unter­ liegende Auftragsvergabe vor. Indizien einer Charakteränderung können sich sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht ergeben, also ob der Be­ schaffungswert durch den ausgetauschten Leistungsbestandteil wesentlich erhöht wird oder der ausgetauschte Leistungsgegenstand die Funktionalität bzw. den Leistungszweck ändert. Verlängerungen der Vertragslaufzeit sind immer dann vergaberechtlich rele­ vant, wenn sie nicht nur eine untergeordnete Modalität, sondern ein wesentli­ ches Element der geschuldeten Leistung darstellen. Letzteres ist insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen anzunehmen. In diesen Fällen ist jede Verlänge­ rung des Vertrages als Auftragsvergabe einzustufen, die den Vorschriften des Vergaberechts unterliegt. Nachträgliche Änderungen des Vertragspartners durch Vertragsübernahme oder Änderungen in der Zusammensetzung des Auftragnehmers durch Hinzu­ treten oder Ausscheiden eines Vertragspartners berühren ebenfalls den vergaberechtlich relevanten Bereich und begründen eine Pflicht zur Neuausschreibung der Leistung. Denn hierdurch wird ein Kernelement des Vertrages geändert. Etwas anderes kann nur dann angenommen werden, wenn die Änderung rein formal-juristischer Natur ist, eine interne Neuorganisation des Vertragspartners darstellt und die Identität des Auftragnehmenden hinsichtlich der sachlichen und personellen Mittel sowie des Angebotsinhalts vollumfänglich gewahrt bleibt, sich die Änderung des Vertragspartners also im rein internen Unternehmensbereich vollzieht. Aus den vorangehend festgestellten Untersuchungsergebnissen ergibt sich, dass nachträgliche Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung immer dann als eigenständige Beschaffungsvorgänge zu qualifizieren sind und dem Anwen­ dungsbereich des Vergaberechts unterliegen, wenn 1. die nachträgliche Änderung ihre Grundlage nicht in dem Ursprungsvertrag der Parteien unter Berücksichtigung sämtlicher allgemeiner und besonderer Vertragsbedingungen findet, 2. die in der Vertragsänderung liegende Auftragsvergabe nicht durch einen Aus­ nahmetatbestand des Vergaberechts, welcher eine direkte Beauftragung des Vertragspartners gestattet, legitimiert ist und 3. die Vertragsänderung unter dem Blickwinkel des Vergaberechts unter Berück­ sichtigung aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände als wesentlich erach­ tet werden muss. Dies ist in der Regel der Fall, wenn die Vertragsänderung Kernelemente des Vertrages, wie Vergütung, Art und Umfang der Leistung, Vertragslaufzeit oder Vertragspartner berührt.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Eine Auftragsvergabe im Rahmen des bestehenden Vertragsverhältnisses ist in diesen Fällen nicht zulässig. Der Auftraggeber ist verpflichtet, vor Auftragsverga­ be ein Vergabeverfahren unter Beachtung der Bestimmungen des Vergaberechts durchzuführen. Unterlässt er dies, so ist in der vergaberechtswidrigen Vertrags­ änderung eine Umgehung des Vergaberechts (sogenannte De-facto-Vergabe) zu sehen.

Kapitel 5

Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung Gegenstand der Untersuchung dieses Kapitels sind nachträgliche Vertragsver­ längerungen, welche dadurch bewirkt werden, dass der öffentliche Auftraggeber von dem vertraglich vereinbarten Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht. Die­ ser Konstellation liegen in der Regel Verträge mit langen, unbestimmten oder unbefristeten Laufzeiten zugrunde, die gleichzeitig ein Kündigungsrecht für den öffentlichen Auftraggeber vorsehen. Das Kündigungsrecht kann in Form einer Kündigungsklausel ausgestaltet sein, welche den öffentlichen Auftraggeber be­ rechtigt, nach Ablauf eines Zeitraumes oder zu einem bestimmten Termin das Vertragsverhältnis zu kündigen. Möglich ist aber auch die Vereinbarung einer sogenannten automatischen Verlängerungsklausel. Diese bewirkt, dass sich der zunächst befristete Vertrag stets um einen weiteren Zeitraum verlängert, wenn er nicht zuvor durch den öffentlichen Auftraggeber fristgerecht gekündigt wurde. Die Besonderheit der in diesem Kapitel zu untersuchenden Konstellation ist mithin, dass die Vertragsverlängerung nicht durch aktives Tun, also durch Verein­ barung der Parteien oder durch Ausüben eines Optionsrechts zustande kommt, sondern durch die Nichtabgabe einer Willenserklärung, also durch ein Unterlas­ sen. Das Unterlassen bewirkt rechtlich die Fortsetzung des Vertragsverhältnis­ ses. Typischer Anwendungsbereich solcher vertraglichen Verlängerungskonstel­ lationen sind Dauerschuldverhältnisse wie beispielsweise Versicherungsverträge (vgl. § 8 VVG) 347, (Abfall-) Entsorgungsleistungen, aber auch Lieferverträge über Energielieferungen. Der ständige und regelmäßige Bedarf des Auftraggebers an diesen Leistungen zwingt diesen zur regelmäßigen und lückenlosen Beschaffung und reizt somit zur Vereinbarung langer Vertragslaufzeiten oder automatischer Verlängerungsklauseln an.

347

Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 88.

Kap. 5: Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung

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A. Vergaberechtliche Problemstellung Vergaberechtlich sind die vorangehend dargestellten Vertragskonstellationen bereits aufgrund der unbestimmten oder langen Vertragslaufzeiten problema­ tisch. Der Leistungsgegenstand wird hierdurch auf unbestimmte Dauer oder aber für einen sehr langen Zeitraum dem Markt und damit dem Wettbewerb entzogen. Insbesondere bei Laufzeiten von über 20 oder 30 Jahren können monopolartige Strukturen entstehen oder sich verfestigen. Ziel des Vergaberechts ist es jedoch, durch einen breiten und regelmäßigen Wettbewerb Beschränkungen des freien Dienstleistungs- und Warenverkehrs abzubauen und die Herstellung eines einheit­ lichen Binnenmarktes zu fördern. 348 Die Praxis der Vergabe eines unbefristeten öffentlichen Auftrags ist an und für sich der Systematik und den Zielen der Gemeinschaftsvorschriften über öffentliche Aufträge fremd. Eine solche Praxis kann auf lange Sicht den Wettbewerb zwischen potenziellen Dienstleistungser­ bringern beeinträchtigen. Der Abschluss von Verträgen mit langen oder unbe­ stimmten Vertragslaufzeiten steht dem Anliegen des Vergaberechts grundlegend entgegen. Der Wettbewerb wird eingeschränkt statt gestärkt. 349 Aufgrund der ste­ tigen Verlängerungsmöglichkeiten besteht die Gefahr, dass die Regelungen des Vergaberechts leer laufen. 350 Durch den Abschluss langfristiger oder gar unbefristeter Verträge mit Kün­ digungsklauseln ist es dem öffentlichen Auftraggeber zudem möglich, von ihm bevorzugte Unternehmen zu protegieren und wirtschaftlich zu stärken. Öffent­ liche Auftraggeber neigen dazu, ortsansässige Unternehmer aus struktur- und wirtschaftspolitischen Gründen bei der Auftragsvergabe zu bevorzugen. Der Ab­ schluss langfristiger oder unbefristeter Verträge fördert die vergaberechtlich un­ erwünschte Konstellation des „Hoflieferantentums“, da die Auftragsausführung durch das bevorzugte Unternehmen für lange oder unbestimmte Zeit sicherge­ stellt wird. Andere Unternehmen erhalten keine Chance, sich um die Ausführung der Leistung zu bewerben. Ein solches Verhalten kann daher das vergaberechtli­ che Diskriminierungsverbot verletzen.

348

Zu den Zielen des Vergaberechts bereits die Einleitung, Ziff. A.I. EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 73; Müller-Wrede, in: Müller-Wrede, VOF, § 2, Rn. 43. Ziekow, VergabeR 2006, 702 (710), betont den Konflikt mit dem Effektivitätsgrundsatz. 350 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 36. 349

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

B. Vergaberechtliche Zulässigkeitsanforderungen I. Regelungen im deutschen und europäischen Vergaberecht Weder in den europäischen Richtlinien noch im deutschen Vergaberecht exis­ tieren Bestimmungen, die explizit den Abschluss oder den Umgang mit Kün­ digungs- oder Verlängerungsklauseln in Verträgen öffentlicher Auftraggeber re­ geln. Lediglich aus den Grundsätzen des Vergaberechts lassen sich Verpflichtun­ gen zur regelmäßigen Markterkundung und Ausschreibung herleiten. 351 Ebenso wenig existieren konkrete Vorgaben für öffentliche Auftraggeber hinsichtlich einer vergaberechtlichen Pflicht zur Kündigung des Vertragsverhältnisses. 352 Auch zu der Frage der Zulässigkeit von unbefristeten Vertragslaufzeiten ent­ hält das Vergaberecht keine explizite Aussage. Das Gemeinschaftsrecht verbietet nach seinem derzeitigen Stand nicht den Abschluss von öffentlichen Aufträgen auf unbestimmte Dauer. 353 Daher werden zum Teil aus den Bestimmungen, die Laufzeitvorgaben enthalten, Rückschlüsse auf die Zulässigkeit von unbefristeten Verträgen gezogen. So sehen die Vorschriften zur Berechnung der Schwellenwerte in Art. 9 Abs. 6 lit. b bzw. Abs. 8 lit. b ii) VKR 354 vor, dass bei öffentlichen Aufträgen mit unbegrenzter Laufzeit oder bei Aufträgen, deren Laufzeit nicht be­ stimmt werden kann, der geschätzte Auftragswert auf der Basis des Monatswerts multipliziert mit 48 berechnet wird. Die Vorschriften zu Rahmenvereinbarungen begrenzen in Art. 32 Abs. 2 UAbs. 4 VKR 355 die Laufzeit im Regelfall auf vier Jahre. Nur mit Ausnahme von Sonderfällen, in denen dies insbesondere auf­ grund des Vertragsgegenstands gerechtfertigt werden kann, darf die Laufzeit diesen Zeitraum überschreiten. II. Langfristige Verträge und Kündigungsklauseln Die Konstellation von langfristigen oder unbefristeten Verträgen mit Kündi­ gungsklauseln oder automatischen Verlängerungsklauseln bedarf vor dem Hin­ 351

Zu den Grundsätzen des Vergaberechts Kapitel 3.B. § 60 VwVfG, welcher eine Anpassung bzw. Kündigung von verwaltungsrechtli­ chen Verträgen in besonderen Fällen regelt, ist nicht auf privatrechtliche Verträge der Verwaltung im Bereich der Erfüllung öffentlicher Aufgaben entsprechend anwendbar. Vielmehr gelten hier die im allgemeinen Zivilrecht entwickelten Grundsätze zur Anpas­ sung und Kündigung von Verträgen, insbesondere zu Änderung oder Wegfall der Ge­ schäftsgrundlage (vgl. BGH, Urt. v. 09. 05. 1979 – VIII ZR 134/78, NJW 1979, 2614 ff.; Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 60, Rn. 5). 353 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 74. 354 Vgl. § 3 Abs. 3 Satz 3 VgV. 355 Vgl. § 3a Nr. 4 Abs. 6 VOL / A a. F.; § 4 Abs. 7 VOL / A-EG. 352

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tergrund der dargestellten vergaberechtlichen Problematik einer näheren Unter­ suchung unter zwei Gesichtspunkten. Zum einen sind die rechtlichen Anforde­ rungen an den Abschluss von Verträgen mit langen oder unbestimmten Ver­ tragslaufzeiten durch öffentliche Auftraggeber zu erarbeiten (hierzu 1.). Einer eingehenden Untersuchung bedarf des Weiteren die rechtliche Qualifikation der Nichtkündigung durch den öffentlichen Auftraggeber. In diesem Rahmen stellt sich weiterhin die Frage, unter welchen Voraussetzungen der öffentliche Auftrag­ geber von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen und den Vertrag beenden muss (hierzu 2.) 1. Vergaberechtliche Anforderungen

an den Abschluss langfristiger Verträge

Zunächst ist zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen der Abschluss von Verträgen mit langen, unbefristeten oder unbestimmten Laufzeiten verga­ berechtlich zulässig ist. Wie dargestellt, sind langfristige Vertragslaufzeiten im Hinblick auf das Wettbewerbsgebot und den Gleichbehandlungsgrundsatz pro­ blematisch. Die Frage nach der Zulässigkeit dieser Verträge wird in der verga­ berechtlichen Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. a) Erste Ansicht – Zulässigkeit von Verträgen mit unbestimmter Dauer Nach einer Auffassung sollen langfristige und auch unbefristete Verträge ge­ nerell zulässig sein, da das Vergaberecht lang andauernde Vertragsverhältnisse grundsätzlich anerkenne. 356 Dies wird aus den europarechtlichen und nationalen Regelungen zur Berechnung der Schwellenwerte bei öffentlichen Aufträgen mit unbestimmter Laufzeit 357, neuerdings aber auch aus der Entscheidung des EuGH zur Rechtssache „pressetext“ abgeleitet. Dort stellte der EuGH fest, dass das Ge­ meinschaftsrecht kein dahingehendes Verbot enthält. 358 Aus dieser schlichten Feststellung wird der Umkehrschluss herausgelesen, der EuGH erachte Verträge mit unbestimmter Dauer als vergaberechtlich zulässig. 359 Auch die Erwähnung von unbefristeten Verträgen im Vergaberecht belege, dass das europäische und nationale Vergaberecht den Abschluss unbefristeter Verträge als grundsätzlich zulässig erachte. 360 Sofern die unbegrenzte Laufzeit eines Vertrages nicht gezielt 356 VK Hamburg, Beschl. v. 27. 04. 2006 – VgK FB 2/06: unbefristete Verträge seien „per se zunächst einmal unbedenklich“; VK Arnsberg, Beschl. v. 18. 07. 2000 – VK 2 – 07/2000; Schröder, NJW 2002, 1831 (1833); Kulartz, NZBau 2001, 173 (178). 357 Art. 9 Abs. 6 lit. b VKR; § 3 Abs. 3 Satz 3 VgV. 358 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 74. 359 Jaeger, EuZW 2008, 492 (494 f.).

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zur Umgehung des Vergaberechts eingesetzt werde, sei eine Vergabe solcher Verträge möglich. 361 Zudem müssten in die vergaberechtliche Beurteilung auch die Marktverhältnisse einfließen. Entspricht ein Vertrag auch nach langjähriger Laufzeit den aktuell zu erzielenden Konditionen, bestehe kein Grund, einen Verstoß gegen das Wettbewerbsgebot anzunehmen. 362 Im Zusammenhang mit langfristigen oder unbefristeten Vertragsverhältnissen wird oftmals auf den Be­ reich der Entsorgungs- und Abfallwirtschaft verwiesen, in denen langfristige Vertragsverhältnisse von 10 Jahren und länger branchenüblich seien. 363 b) Zweite Ansicht – Verletzung des Wettbewerbsgebots Andere Teile der Literatur und Rechtsprechung sehen den Abschluss von un­ befristeten Verträgen vergaberechtlich im Hinblick auf das Wettbewerbsgebot als problematisch an, da entgegen der Intention des europäischen und deutschen Ge­ setzgebers wegen fortbestehender Vertragsbeziehungen die Vergaberegeln prak­ tisch leer liefen und damit der Wille des Gesetzgebers zu unterlaufen drohe. 364 Lange Vertragslaufzeiten schließen den Markzutritt anderer und damit den Wett­ bewerb aus. Dies verstoße gegen die primärrechtlichen Grundfreiheiten, insbe­ sondere gegen die Dienstleistungsfreiheit. 365 Denn die unbestimmte Ausdehnung eines Vertragsverhältnisses stelle eine Beschränkung des Wettbewerbs dar, da die Aufträge dem Markt für unbestimmte Zeit entzogen würden. 366 Eine vergaberechtliche Grenze für die Laufzeit eines Vertrages bilde nach die­ ser Ansicht das Wettbewerbsgebot. 367 Der Begriff des Wettbewerbs beruhe auf 360 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 01. 10. 2003 – VII-Verg 45/03; Thieme, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 99, Rn. 10; Kulartz, NZBau 2001, 173 (178); Klenk, Ver­ sicherungsdienstleistungen, S. 88; Noelle / Rogmans, Öffentliches Auftragwesen, S. 59; Stemmer / Aschl, VergabeR 2005, 287 (293); Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 99, Rn. 18; Ziekow, VergabeR 2006, 702 (705). 361 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 39. 362 Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 90. 363 Vgl. hierzu Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (175 ff.). 364 VK Sachsen, Beschl. v. 16. 06. 2000 – 1/SVK/50 –00; VK Bund, Beschl. v. 26. 05. 2000 – VK 2 – 8/00, WuW 2000, 1052 (1053); Prieß, S. 110; Niestedt / Hölzl, NJW 2008, 3321 (3324); Müller, NZBau 2001, 416 (422); Siegel, ZfBR 2006, 554 (555). 365 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I­ 2161, Rn. 44; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2046. 366 VK Niedersachsen, Beschl. v. 08. 01. 2001 – 203-VgK-17/2000; i. d. S. auch Dre­ her, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 36. 367 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 36; a. A. Burgi, Vergabegrund­ sätze, S. 63, der keine „Reservefunktion des Wettbewerbsgrundsatzes“ für die Begrenzung von Vertragslaufzeiten sieht. Dies begründet er damit, dass der EuGH die Begrenzung von Vertragslaufzeiten aus den europäischen Grundfreiheiten, nicht aber aus dem verga­ berechtlichen Wettbewerbsgrundsatz ableite. Das Argument verfängt jedoch nicht. Denn

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dem Postulat eines vollständigen freien Marktzugangs. Dieser sei beeinträchtigt, wenn eine einmal begründete Beschaffungsbeziehung durch wiederholte Ver­ tragsverlängerung unter Ausschluss des Wettbewerbs fortgesetzt würde. 368 Beste­ he auf dem ausgeschriebenen Segment Wettbewerb, dann sei der Abschluss eines unbefristeten Vertrages eine unzulässige Beschränkung dieses Wettbewerbs, mit der Folge, dass der Dienstleistungsauftrag auf den marktüblichen Zeitraum von in der Regel 3 bis 5 Jahre zu begrenzen sei. 369 In diesem Zusammenhang wird auch auf die Ausführungen der Kommissi­ on im Grünbuch zu öffentlich-privaten Partnerschaften verwiesen, wonach der freie Wettbewerb nur soweit eingeschränkt werden dürfe, wie es erforderlich sei, um die Amortisierung der Investitionen sowie eine angemessene Verzinsung sicherzustellen. Eine übermäßig lange Laufzeit stehe nach Ansicht der Kom­ mission den Grundsätzen des Binnenmarktes sowie den wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen des EG-Vertrages entgegen. 370 Die VK Arnsberg sah in der Ver­ einbarung einer Laufzeit von 25 Jahren mit der Option zur Verlängerung um weitere fünf Jahre ebenfalls einen Verstoß gegen das vergaberechtliche Wettbe­ werbsgebot. 371 Auch der EuGH hat eine Vertragslaufzeit von 20 Jahren mit der Option zur Verlängerung um weitere 10 Jahre als unzulässige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs eingestuft, da die Erbringung der Dienstleistung durch andere Unternehmen behindert oder sogar unmöglich gemacht würde. 372 In der Rechtssache „pressetext“ führte der EuGH ebenfalls aus, dass unbefristete Verträge den Zielen des Vergaberechts entgegenstehen, da der Wettbewerb auf lange Zeit beeinträchtigt sei. 373 Allerdings stellte er anschließend fest, dass das Gemeinschaftsrecht derzeit kein dahingehendes Verbot enthalte und setzte sich nicht weiter mit der Zulässigkeit lang- oder unbefristeter Verträge auseinander. 374 die vergaberechtlichen Regelungen und Grundsätze sind stets im Lichte der europäischen Grundfreiheiten auszulegen und anzuwenden. Hierzu schon Kapitel 3.A.II.4. 368 VK Bund, Beschl. v. 26. 05. 2000 – VK 2 – 8/00, WuW 2000, 1052 (1053); VK Sachsen, Beschl. v. 16. 06. 2000 – 1/SVK/50 – 00; Prieß, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 2 VOB / A, Rn. 2; Lampe-Helbig / Wörmann, Handbuch der Bauvergabe, Rn. 63; Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 76; Byok, NJW 2004, 198 (200) unter Berufung auf BGH, Urt. v. 08. 04. 2003 – KZR 39/99, NJW 2003, 2684 (2685): Bei marktbeherrschender Stellung betrage die maximal zulässige Vertrags­ laufzeit fünf Jahre. 369 VK Sachsen, Beschl. v. 16. 06. 2000 – 1/SVK/50 – 00; Dreher, in: Immenga / Mest­ mäcker, GWB, § 99, Rn. 38. 370 Vgl. KOM(2004) 327 endg., Rn. 46: Der freie Wettbewerb dürfe nur soweit einge­ schränkt werden, wie es erforderlich ist, um die Amortisierung der Investitionen und eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals sicherzustellen. 371 VK Arnsberg, Beschl. v. 21. 02. 2006 – VK 29/05, NZBau 2006, 332. 372 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I­ 2161, Rn. 44. 373 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 73. 374 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 74.

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c) Eigene Auffassung und Herleitung eines Regel-Ausnahme-Prinzips Zunächst ist zu dem vorangehend dargestellten Meinungsstreit Stellung zu nehmen und die Frage der vergaberechtlichen Zulässigkeit langfristiger und unbefristeter Verträge zu klären. Anschließend sollen die Zulässigkeitsanforde­ rungen an den Abschluss langfristiger Verträge und Verträge mit automatischen Verlängerungsklauseln hergeleitet werden. aa) Keine Herleitung einer generellen Zulässigkeit Entgegen der ersten Ansicht kann eine generelle Zulässigkeit von langfristigen und unbefristeten Verträgen nicht angenommen werden. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus den Regelungen zur Berechnung der Schwellenwerte in Art. 9 Abs. 6 lit. b, Abs. 8 lit. b ii) VKR. Diesen Bestimmungen kann nur ent­ nommen werden, dass Verträge mit langen oder unbestimmten Laufzeiten dem Vergaberecht grundsätzlich nicht fremd sind. Eine generelle oder gar unproble­ matische Zulässigkeit ergibt sich hieraus jedoch keineswegs. Gleiches gilt für die zutreffende Feststellung des EuGH, dass das Gemeinschaftsrecht derzeit kein Verbot für unbefristete Verträge enthalte. Hieraus kann nicht der Umkehrschluss einer vom EuGH bestätigten Zulässigkeit gezogen werden. Vielmehr hat der EuGH seine „Bauchschmerzen“ bezüglich der Praxis der Vergabe unbefristeter Verträge deutlich herausgestellt. Auch Siegel 375 führt zutreffend aus, dass die gebotene primärrechtliche Ausle­ gung der vergaberechtlichen Vorschriften den Schluss von den Schwellenwertre­ gelungen auf die Zulässigkeit unbefristeter Verträge nicht zulasse. 376 Dem kann nur zugestimmt werden. Die Erwägungsgründe der Vergabekoordinierungsricht­ linie legen den Vorrang des Primärrechts gegenüber dem Sekundärrecht fest, indem sie die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsätze, insbesondere die Grundsätze des freien Dienstleistungs- und Warenverkehrs, binden. 377 Die Bestimmungen der Vergabekoordinie­ rungsrichtlinie sollen nach Maßgabe dieser Regeln und Grundsätze sowie gemäß den anderen Bestimmungen des EG-Vertrages ausgelegt werden. 378 Dementspre­ chend muss auch die von öffentlichen Auftraggebern gewählte Vertragslaufzeit in Einklang mit dem Primärrecht, vor allem mit der Dienstleistungs- und Wa­ renverkehrsfreiheit stehen.

375

ZfBR 2006, 554 (555). Siegel, ZfBR 2006, 554 (555); ebenso Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 37. 377 Vgl. Erwägungsgrund 2 VKR. 378 So explizit Erwägungsgrund 2 VKR. 376

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Zu der Frage, welche Vertragslaufzeit das Primärrecht als zulässig erachtet, hat der EuGH konkrete Auslegungsmaßstäbe vorgegeben. 379 Dieser betonte zu­ nächst, dass eine 30-jährige Vertragslaufzeit eine unzulässige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstelle, da die Erbringung der Dienstleistung durch in anderen Mitgliedsstaaten ansässige Unternehmen aufgrund der langen Laufzeit behindert oder sogar unmöglich gemacht würde. 380 Der freie Dienstleis­ tungsverkehr als tragender Grundsatz des primären Gemeinschaftsrechts könne aber nur durch eine Regelung eingeschränkt werden, die durch zwingende Grün­ de des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und für alle im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats tätigen Unternehmen und Personen gilt. Ferner sei die fragliche Regelung nur dann gerechtfertigt, wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. 381 Da auch die Bestimmungen der Vergabekoordinierungsrichtlinie im Lichte des Primärrechts ausgelegt werden müssen, können die vorgenannten Grund­ sätze des EuGH übertragen werden. 382 Verträge mit unbestimmten oder sehr langen Laufzeiten stellen somit zunächst eine Beschränkung des Wettbewerbs­ prinzips dar. Nach primärrechtlicher Auslegung dürfen langfristige Verträge und Verträge mit unbestimmter Laufzeit daher nur in Ausnahmefällen und bei Vor­ liegen zwingender Gründe des Allgemeininteresses, die eine Einschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigen, abgeschlossen werden. Allein die Tatsache, dass im Vergaberecht Bestimmungen zu Verträgen mit unbestimmter Laufzeit existieren, vermag daher im Ergebnis eine grundsätzli­ che oder gar unproblematische Zulässigkeit dieser Verträge nicht zu begründen. Vielmehr kollidiert der Abschluss langfristiger und unbefristeter Verträge mit den primärrechtlichen Grundsätzen des freien Dienstleistungs- und Warenver­ kehrs, auf denen letztlich auch das vergaberechtliche Wettbewerbsgebot beruht. Daher ist entsprechend der zweiten Ansicht die Zulässigkeit der gewählten Ver­ tragslaufzeit anhand des Wettbewerbsprinzips zu ermitteln. Nur soweit der Wett­ bewerb selbst eine Langfristigkeit des Vertrages bedingt, besteht auch für den öffentlichen Auftraggeber die Notwendigkeit zum Abschluss langfristiger Ver­ tragsverhältnisse. Denn er wird die Leistung nicht auf dem Markt zu Konditionen 379

EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I­ 2161, Rn. 44 ff. 380 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I­ 2161, Rn. 44. 381 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I­ 2161, Rn. 45. 382 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 37. Dem steht nicht die Ent­ scheidung des EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 74, entgegen. Der EuGH hat sich dort weder zur Zulässigkeit noch zu den Anforde­ rungen an den Abschluss unbefristeter Verträge geäußert.

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beschaffen können, die ein unwirtschaftliches Handeln der Unternehmen erfor­ dern. Ein hierauf gerichteter Wettbewerb wäre von vornherein erfolglos. Ergibt der Wettbewerb mithin, dass die Leistung nur unter der Kondition der Langfris­ tigkeit beschafft werden kann, so wäre die lange Vertragslaufzeit gerechtfertigt. Für diesen Ausnahmefall hält das Vergaberecht eine Berechnung des Auftrags­ werts vor. bb) Zulässigkeitsanforderungen an langfristige Verträge und Verträge mit automatischen Verlängerungsklauseln Da langfristige Verträge oder Verträge mit unbestimmter Laufzeit, insbesonde­ re solche mit automatischen Verlängerungsklauseln, aufgrund des vorangehend gefundenen Ergebnisses nur ausnahmsweise zulässig sind, sollen im Folgenden die Anforderungen an die Zulässigkeit dieser Verträge herausgearbeitet werden. (1) Regelvertragslaufzeiten im Vergaberecht (Regel-Ausnahme-Prinzip) Die abstrakte Festlegung einer zulässigen Maximallaufzeit für Verträge öf­ fentlicher Auftraggeber ist – auch im Hinblick auf das Wettbewerbsgebot – nicht sachgerecht. 383 Vielmehr kommt es stets auf die jeweiligen Umstände des Ein­ zelfalls an. Aus der Vorgabe von Regellaufzeiten durch den europäischen Richt­ liniengeber kann jedoch die Intention hinsichtlich eines noch „gesunden Alters“ eines öffentlichen Auftrags abgeleitet werden. 384 In diesem Zusammenhang wird zum Teil eine Parallele zu Art. 32 Abs. 2 UAbs. 4 VKR 385 gezogen, wonach der europäische Normgeber für Rahmenver­ einbarungen eine grundsätzliche Höchstlaufzeit von vier Jahren angenommen hat. 386 Auch Art. 9 VKR 387 legt bei der Berechnung der Schwellenwerte einen Rechnungsansatz von 48 Monaten zugrunde. 388 Art. 31 Nr. 2 lit. b HS 2 VKR begrenzt die Laufzeit von Daueraufträgen „in der Regel“ auf drei Jahre. Hieraus kann abgeleitet werden, dass die vergaberechtliche Regellaufzeit bei maximal vier Jahren liegt. 389 383

So auch Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 37. Mader, EuZW 2004, 425 (426); ähnlich Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 38. 385 Vgl. § 3a Nr. 4 Abs. 8 VOL / A a. F.; § 4 Abs. 7 VOL / A-EG. 386 Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 76; Frenz, Hand­ buch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2047. 387 Vgl. § 3 Abs. 3 Satz 3 VgV. 388 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2048. 389 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2049; Müller-Wrede, in: Müller-Wrede, VOF, § 2, Rn. 43. Ähnlich Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 38, der eine besondere Rechtfertigung ab einer Vertragslaufzeit von 5 Jahren annimmt. 384

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Die Vorgabe einer Regellaufzeit ist vergleichbar mit den Grundsätzen inten­ dierten Ermessens. Intendierte Ermessensvorschriften ermächtigen die Verwal­ tung zu einer Ermessensentscheidung oder zu einem bestimmten Handeln, geben aber gleichzeitig ausdrücklich oder nach Sinn und Zweck zu erkennen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Entscheidung im Regelfall in einem bestimm­ ten Sinn ergehen soll. 390 In den Fällen, in denen der Intention des Gesetzgebers gefolgt und die Regelentscheidung umgesetzt wird, bedarf es keiner näheren Begründung der Entscheidung. Liegen jedoch besondere Umstände vor, die ei­ ne von dem Regelfall abweichende Beurteilung oder Entscheidung rechtfertigen können, so bedarf es konkreter Abwägungen und Begründungen. 391 Übertragen auf langfristige oder unbefristete Verträge bedeutet dies, dass eine Vertragslaufzeit, die über die Regellaufzeit von 48 Monaten hinausgeht, nur dann zulässig ist, wenn diese verhältnismäßig ist und sachlich begründet werden kann. 392 Es ist dem Auftraggeber nicht zu verwehren, die für den kon­ kreten Auftrag günstigste Vertragsgestaltung zu wählen, welche aus preislichen oder qualitativen Gründen durchaus auch einen langfristigen Vertrag bedingen können. 393 Auch sind berechtigte wirtschaftliche Überlegungen eines Auftrag­ nehmers zu berücksichtigen, nach denen das Geschäft für ihn auskömmlich sein muss. Vertragsverlängerungen, die über den im Einzelfall angemessenen Zeitraum jedoch hinausgehen, stellen vergaberechtlich einen neuen Beschaf­ fungsvorgang dar. 394 (2) Sachliche Rechtfertigung langer Vertragslaufzeiten Da der Abschluss langfristiger oder unbefristeter Verträge geeignet ist, die Grundsätze des freien Dienstleistungs- und Warenverkehrs sowie den Wettbe­ werb um die Leistung einzuschränken, bedarf es einer besonderen sachlichen Rechtfertigung einer langen Vertragslaufzeit. 395 Dabei gilt, je länger die Vertrags­ laufzeit, desto höhere Anforderungen sind an den Grund der Rechtfertigung und die Genauigkeit der Prognose des öffentlichen Auftraggebers zu stellen. 396 Die 390 BVerwG, Urt. v. 25. 09. 1992 – 8 C 68 u. 70/90, NJW 1993, 744 (746); Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 40, Rn. 45. 391 Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 40, Rn. 45. 392 VK Bund, Beschl. v. 26. 05. 2000 – VK 2 – 8/00, WuW 2000, 1052 (1054); Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2050; Noch, NZBau 2002, 86. 393 Prieß, S. 110. 394 Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 76. 395 Vgl. EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I-2161, Rn. 45; ebenso Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 76; Schröder, NJW 2002, 1831 (1833); Kulartz, NZBau 2001, 173 (179); Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 38. 396 So auch Siegel, ZfBR 2006, 554 (556); Müller-Wrede, in: Müller-Wrede, VOF, § 2, Rn. 43; a. A. Ziekow, VergabeR 2006, 702 (710), jedoch ohne Begründung.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Vorgabe einer Regellaufzeit bedeutet somit keine starre Regelung, sondern viel­ mehr, dass hiervon in sachlich begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Den Umständen des Einzelfalls wird hierdurch ausreichend Rechnung ge­ tragen. Das Rechtfertigungsbedürfnis ergibt sich auch aus der primärrechtlichen Recht­ sprechung des EuGH. Die Einschränkung der Grundfreiheiten durch die Wahl langer Vertragslaufzeiten kann hiernach nur durch zwingende Gründe des Allge­ meininteresses gerechtfertigt sein. 397 So forderte der EuGH von dem öffentlichen Auftraggeber, dass dieser die lange Vertragslaufzeit von 20 Jahren unter dem Ge­ sichtspunkt der Rentabilität der Leistung rechtfertigt. 398 Zusätzlich muss der Auf­ traggeber nachweisen können, dass die Leistung Schwierigkeiten mit sich bringt, die nicht anders vermieden werden können, als durch die fraglichen Konditio­ nen des Vertrages. Selbst wenn erhebliche Investitionen erforderlich sein sollten, um die Leistungserbringung aufrecht zu erhalten, müssen diese Investitionen nur über den konkret gewählten langen Zeitraum amortisiert werden können. 399 Aus der Rechtsprechung des EuGH kann die Faustformel abgeleitet werden, dass der öffentliche Auftraggeber konkret in dem Leistungsgegenstand liegende besondere Umstände darlegen muss, welche die Langfristigkeit bedingen und die konkret gewählte Dauer des Vertrages erforderlich ist, um diesen Umständen angemessen Rechnung zu tragen. Hieraus folgt auch, dass allein der Gegenstand der zu beschaffenden Leistung den Abschluss eines langfristigen Vertrages recht­ fertigen kann. Eine Rechtfertigung ist bei besonders hohen Investitionskosten des Auftragnehmers anzunehmen. 400 Sind beispielsweise im Bereich von Abfall- und Entsorgungsleistungen neue Technologien gefragt, die hohe Entwicklungskosten der Auftragnehmer mit sich bringen, so können Vertragslaufzeiten von bis zu 10 Jahren durchaus gerechtfertigt sein. 401 Für den Zeitraum der Amortisierung der Kosten sowie einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals besteht eine Rechtfertigung der Vertragslaufzeit. 402 Darüber hinausgehende Vertragslauf­ 397 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I­ 2161, Rn. 44. 398 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I­ 2161, Rn. 47. 399 So EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I-2161, Rn. 48. 400 VK Bund, Beschl. v. 26. 05. 2000 – VK 2 – 8/00, WuW 2000, 1052 (1054); Noch, NZBau 2002, 86; Müller-Wrede, in: Müller-Wrede, VOF, § 2, Rn. 43; Ziekow, VergabeR 2006, 702 (711). 401 VK Bund, Beschl. v. 26. 05. 2000 – VK 2 – 8/00, WuW 2000, 1052 (1054); Noch, NZBau 2002, 86; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2050 für den Fall, dass die Investitionskosten für eine Müllverbrennungsanlage sich erst nach diesem Zeitraum amor­ tisieren. 402 Zu wirtschaftlichen Aspekten der Amortisierung von Investitionen und dem Vor­ liegen einer „angemessenen Verzinsung“ im Einzelnen Ziekow, VergabeR 2006, 702 (711 ff.).

Kap. 5: Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung

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zeiten sind hingegen nicht erforderlich und damit nicht gerechtfertigt und wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsgebot vergaberechtswidrig. Aus dem vorangehend Gesagten folgt des Weiteren, dass zwar der Abschluss langfristiger Verträge durch den konkreten Gegenstand der Leistung im konkre­ ten Einzelfall gerechtfertigt werden kann. Jedoch wird es für den Abschluss von Verträgen mit unbefristeter Laufzeit eine solche Rechtfertigung in der Regel nicht geben. Es existiert grundsätzlich kein anerkennenswerter Grund, Verträge unbefristet abzuschließen. 403 Dies gilt auch dann, wenn die Amortisierungszeit bei Abschluss des Vertrages nicht abschließend eingeschätzt werden kann. Dem kann durch Aufnahme einer Verlängerungsklausel unter Beachtung des Wettbe­ werbsgebots Rechnung getragen werden. Von der Verlängerungsmöglichkeit darf der Auftraggeber nur dann Gebrauch machen, wenn eine Amortisierung der Kos­ ten zum Zeitpunkt des vereinbarten Vertragsendes (noch) nicht gegeben ist. Die Verlängerung wäre aber dann vergaberechtswidrig, wenn ein sachlicher Grund hierfür nicht dargelegt werden kann. Dabei sind die strengen Anforderungen des EuGH zu beachten, 404 also die Darlegung konkret in dem Leistungsgegenstand liegender Schwierigkeiten, welche hohe Investitionskosten hervorrufen und die gewählte Dauer des Vertrages für die Amortisierung dieser Kosten erforderlich ist. (3) Begrenzung automatischer Verlängerungsklauseln Im Hinblick auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrages und das Wettbewerbs­ gebot bedarf es des Weiteren einer Beschränkung der automatischen Verlänge­ rungsklauseln sowohl hinsichtlich der Anzahl der Verlängerungsmöglichkeiten als auch hinsichtlich des jeweiligen Verlängerungszeitraums. Die Vereinbarung automatischer Verlängerungsklauseln darf nicht zu einer unbegrenzten Verlänge­ rung und damit zu einem unzulässig unbefristeten oder aber einem ungerechtfer­ tigten langfristigen Vertrag führen. Die sich aus der Anzahl der Verlängerungs­ möglichkeiten und dem Verlängerungszeitraum ergebende maximal mögliche Laufzeit des Vertrages muss daher durch den konkreten Gegenstand der Leis­ tung gerechtfertigt sein. Die Gesamtlaufzeit des Vertrages ist so zu bemessen, wie es zur Amortisierung der Investitionen und Erzielung eines angemessenen Gewinns erforderlich ist. Darüber hinausgehende Laufzeiten schränken hingegen den Wettbewerb unverhältnismäßig ein. 405 403 Ähnlich Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 39, der aufgrund der Anforderungen an die Rechtfertigung die „extreme Ausnahme“ eines unbefristeten Ver­ trages als lediglich „theoretische Vorstellung“ ansieht. 404 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I­ 2161, Rn. 48. 405 KOM(2004) 327 endg., Rn. 46; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1849.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Automatische Verlängerungsklauseln müssen somit von vornherein begrenzt werden. 406 Die maximale Vertragsdauer muss dem Ursprungsvertrag entnommen werden können. 407 Dies kann durch Aufnahme eines Endtermins des Vertrages geschehen, nach welchem keine Verlängerungen mehr vorgenommen werden können. 408 Möglich ist auch, die Anzahl der automatischen Verlängerungen zu begrenzen, sodass sich hieraus mittelbar die maximale Vertragslaufzeit ermitteln lässt. 409 Zudem muss der Zeitraum, um den sich der Vertrag bei Nichtkündigung verlängert, so gewählt werden, dass die maximale Vertragslaufzeit durch den Vertragsgegenstand gerechtfertigt ist. 410 Da die Aufnahme automatischer Ver­ längerungsklauseln zum Teil Unsicherheiten in der Prognose der erforderlichen Laufzeit ausgleichen soll, darf der Verlängerungszeitraum nur relativ kurz, in der Regel nicht mehr als ein Jahr, gewählt werden. Denn der öffentliche Auftragge­ ber muss sicherstellen, dass der Vertrag im Falle des Wegfalls der Rechtfertigung wettbewerbskonform beendet werden kann. Er soll sich nicht in von ihm geschaf­ fene vertragliche Bindungen oder vertraglich fehlende Handlungsmöglichkeiten flüchten können, wenn das Vergaberecht eine Beschaffung im Wettbewerb for­ dert. (4) Aufnahme von Kündigungsklauseln in langfristige Verträge Aus den gleichen Erwägungen ist der öffentliche Auftraggeber gehalten, bei langfristigen Verträgen Kündigungsmöglichkeiten in Form einer ordentlichen Kündigung mit angemessenen Fristen vorzusehen. Dies folgt aus dem Verhält­ nismäßigkeitsgrundsatz in Abwägung mit dem Wettbewerbsgebot. Der öffent­ liche Auftraggeber muss die rechtlichen Möglichkeiten hinsichtlich vorzeitiger Beendigungsmöglichkeiten schaffen, wenn er sich schon langfristig bindet. 411 Die Kündigungsfrist muss jedoch angemessen sein. Sie darf den Auftragneh­ 406 So zutreffend Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 76. Ziekow, VergabeR 2006, 702 (708), leitet die Begrenzung der Vertragslaufzeit aus dem Transparenzgrundsatz ab. 407 Byok, NJW 2004, 198 (200). 408 Beispiel: Die Vertragslaufzeit beginnt am 01. 01. 2007 und endet am 31. 12. 2010. Sofern der Vertrag nicht bis drei Monate vor dem Vertragsende gekündigt wird, verlän­ gert er sich automatisch um ein weiteres Jahr. Der Vertrag endet jedoch spätestens am 31. 12. 2012. 409 Beispiel: Die Vertragslaufzeit beginnt am 01. 01. 2007 und endet am 31. 12. 2010. Sofern der Vertrag nicht bis drei Monate vor dem Vertragsende gekündigt wird, verlängert er sich automatisch jedoch höchstens zweimal um ein weiteres Jahr. 410 VK Sachsen, Beschl. v. 24. 08. 2007 – 1/SVK/054 –07; Byok, NJW 2004, 198 (200) unter Berufung auf BGH, Urt. v. 08. 04. 2003 – KZR 39/99, NJW 2003, 2684 (2685). 411 Ähnlich auch Lotze, VergabeR 2005, 278 (279 f.).

Kap. 5: Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung

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mer nicht unzumutbar benachteiligen. Dieser richtet sich grundsätzlich auf ein längeres Vertragsverhältnis ein und hält entsprechende sachliche und personelle Kapazitäten vor. Die Kündigungsfrist muss ihm die Möglichkeit geben, die Aus­ lastung seiner Kapazitäten gegebenenfalls umzudisponieren. Die Vergabekam­ mer Niedersachsen sah unter den vorgenannten Aspekten eine Kündigungsfrist von 18 Monaten als angemessen an. 412 Die Angemessenheit der Frist ist dabei eine Frage des Einzelfalles, in deren Rahmen insbesondere die Art der zu er­ bringenden Leistung eine Rolle spielt. 413 Gibt es für die nachgefragte Leistung einen großen Markt und kann der Auftragnehmer die vorgehaltenen Leistungen auch dort loswerden, sind kürzere Kündigungsfristen von 3 bis 6 Monaten ge­ rechtfertigt. Anders ist dies jedoch bei Spezialbeschaffungen oder Leistungen, die hauptsächlich oder ausschließlich von dem öffentlichen Auftraggeber nach­ gefragt werden (z. B. Ausstattung der Bundeswehr). In diesen Fällen müssen lange Kündigungsfristen festgelegt werden, da der Auftragnehmer andernfalls unzumutbar benachteiligt wird. d) Ergebnis Langfristige und unbefristete Verträge kollidieren einerseits mit den Grund­ freiheiten des EG-Vertrages und dem Grundanliegen des Vergaberechts, einen breiten und regelmäßigen Wettbewerb um die Vergabe öffentlicher Aufträge herzustellen. Auf der anderen Seite kann durchaus ein anerkennenswertes Be­ dürfnis nach einer längeren Vertragslaufzeit existieren, insbesondere dann, wenn die Leistung mit nicht unerheblichen Investitionen verbunden ist. In diesem Fall wird der öffentliche Auftraggeber die Leistung am Markt nur zu langfristigen Konditionen beschaffen können. Diesen divergierenden Interessen kann durch die Statuierung eines Regel-Ausnahme-Prinzips Rechnung getragen werden. Den vergaberechtlichen Regelungen zur Berechnung der Schwellenwerte, Rah­ menvereinbarungen, Daueraufträgen etc. kann entnommen werden, dass eine Vertragslaufzeit von bis zu 48 Monaten in der Regel vergaberechtskonform ist (Regellaufzeit). Darüber hinaus gehende Vertragslaufzeiten bedürfen der be­ sonderen Rechtfertigung, welche in dem konkreten Gegenstand der Leistung liegen muss (Ausnahme). Dabei sind die strengen Anforderungen des EuGH zu beachten. 414 Hiernach muss der öffentliche Auftraggeber konkret in dem Leistungsgegenstand liegende besondere Umstände darlegen können, welche die 412

VK Niedersachsen, Beschl. v. 26. 04. 2004 – 203-VgK 10/2004. Der EuGH, Urt. v. 17. 07. 2008 – Rs. C-347/06 (Anigas), Rn. 71, sah vor dem Hin­ tergrund des konkreten Verfahrens die vorzeitige Kündigung eines langfristigen Vertrages (45 Jahre) verbunden mit einem Übergangszeitraum von bis zu 4 Jahren als angemessen zur Ordnung der Vertragsbeziehungen an. 414 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I­ 2161, Rn. 48. 413

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Langfristigkeit bedingen und dass die konkret gewählte Dauer des Vertrages erforderlich ist, um diesen Umständen angemessen Rechnung zu tragen. Aus dem Erfordernis einer Rechtfertigung langer Vertragslaufzeiten folgt, dass der Abschluss unbefristeter Verträge grundsätzlich unzulässig ist, da hierdurch das Wettbewerbsgebot unverhältnismäßig beeinträchtigt wird und es hierfür in der Regel keine Rechtfertigung gibt. Auch die Aufnahme automatischer Ver­ längerungsklauseln bedarf vor diesem Hintergrund einer Begrenzung, da die stetige Verlängerung eines befristeten Vertrages faktisch zu einem unbefristeten Vertrag führen kann. Die konkreten Verlängerungszeiträume sowie die maxima­ le Vertragslaufzeit müssen von vornherein im Vertrag festgelegt werden. Bei langfristigen Verträgen ist zudem eine vertragliche Kündigungsmöglichkeit in Form einer ordentlichen Kündigung mit angemessenen Fristen vorzusehen. Der öffentliche Auftraggeber soll sich nicht in vertragliche Bindungen oder vertrag­ lich fehlende Handlungsmöglichkeiten flüchten können, wenn das Vergaberecht eine Beschaffung im Wettbewerb fordert. 2. Vergaberechtlicher Umgang mit Kündigungsklauseln Nachdem die Zulässigkeitsanforderungen an den Abschluss langfristiger Ver­ träge mit Kündigungs- bzw. automatischen Verlängerungsklauseln erarbeitet wur­ den, ist nunmehr der vergaberechtliche Umgang mit den Kündigungsklauseln zu untersuchen. Zunächst ist die rechtliche Qualifikation der Nichtausübung eines Kündigungsrechts seitens des öffentlichen Auftraggebers zu klären. Nach weit verbreiteter Ansicht wird die Verlängerung des Vertrages durch Nichtkündigung als rechtlich irrelevant eingestuft, da diesem kein außenwirksames Verhalten des öffentlichen Auftraggebers zugrunde läge. Diese Ansicht muss insbesondere vor dem Hintergrund der rechtlichen Bindungen öffentlicher Auftraggeber 415 und der Tatsache, dass grundsätzlich auch das Unterlassen einer gebotenen Handlung ein rechtlich erhebliches Verhalten darstellen kann, hinterfragt werden. Hieran schließt sich die Frage an, ob und unter welchen Voraussetzungen der öffentliche Auftraggeber von seinem Kündigungsrecht unter Umständen Gebrauch machen muss und den Vertrag beenden muss. a) Herrschende Ansicht – Rechtliche Irrelevanz der Nichtkündigung Die herrschende Ansicht in der vergaberechtlichen Literatur und Rechtspre­ chung misst den Kündigungsklauseln öffentlicher Auftraggeber keine vergaberechtliche Bedeutung zu. Denn die Nichtausübung eines Kündigungsrechts löse in vergaberechtlicher Hinsicht keine Folgen aus, die Entscheidung über die Nicht­ 415

Siehe hierzu insbesondere Kapitel 2.D.I.2.

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kündigung eines laufenden Vertrages sei daher vergaberechtlich irrelevant. 416 Das Nichtausüben eines nach dem Vertrag möglichen Gestaltungsrechts, hier das Unterlassen einer Kündigung, stelle weder einen neuen Beschaffungsakt noch einen neuen Vertragsschluss dar. 417 Daher würde in der weiteren Folge auch keine Ausschreibungspflicht des Auftraggebers ausgelöst. 418 Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass die Verlängerung der Laufzeit bereits im Vertrag angelegt war. 419 Die Verlängerung vollziehe sich auf der Grundlage des Ursprungsvertrages, ohne dass es eines Tätigwerdens der Par­ teien bedürfe. 420 Der ursprünglich aufgrund zweier Willenserklärungen zustande gekommene Vertrag würde fortgesetzt, der Auftraggeber entscheide sich ledig­ lich, keine neue Willenserklärung, nämlich die Kündigung, auszusprechen. 421 Unter der Vergabe eines öffentlichen Auftrages sei aber grundsätzlich nur die Begründung neuer vertraglicher Verpflichtungen zu verstehen, sodass das bloße Laufen lassen eines Vertrages durch Nichtstun nicht unter den Vergabebegriff subsumiert werden könne und daher nicht als separate Auftragsvergabe zu ver­ stehen sei. 422

416 OLG Celle, Beschl. v. 04. 05. 2001 – 13 Verg 5/00, NZBau 2002, 53 (54); VK Sachsen, Beschl. v. 24. 08. 2007 – 1/SVK/054 – 07; VK Hamburg, Beschl. v. 27. 04. 2006 – VgK FB 2/06; Hailbronner, in: Byok / Jaeger, Kommentar Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 450; Marx, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 99 GWB, Rn. 9; Kullack, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, § 99 GWB, Rn. 118; Ziekow, VergabeR 2004, 430 (432); Prieß, S. 110 f.; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2045; Wag­ ner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, 10. Aufl., § 99, Rn. 18; Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 38; Jaeger, EuZW 2008, 492 (495); Vetter, NVwZ 2001, 745 (749). 417 OLG Celle, Beschl. v. 04. 05. 2001 – 13 Verg 5/00, NZBau 2002, 53; VK Arnsberg, Beschl. v. 18. 07. 2000 – VK 2 – 07/2000; Eschenbruch, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, § 99, Rn. 28 f., 32; Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 1a, Rn. 73; Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (175); Noelle / Rogmans, Öffentliches Auftragwesen, S. 58; Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (201). 418 Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (175); Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (201); Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5, Rn. 3. 419 VK Hamburg, Beschl. v. 27. 04. 2006 – VgK FB 2/06; Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 99 GWB, Rn. 4b. 420 VK Hamburg, Beschl. v. 27. 04. 2006 – VgK FB 2/06; Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (175); Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2045. 421 OLG Celle, Beschl. v. 04. 05. 2001 – 13 Verg 5/00, NZBau 2002, 53 (54), allerdings zu Altverträgen. 422 VK Arnsberg, Beschl. v. 18. 07. 2000 – VK 2 – 07/2000; Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (175); Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 76; Kulartz, NZBau 2001, 173 (178) unter Bezugnahme auf die EuGH-Entscheidung zu Altverträgen (vgl. EuGH, Urt. v. 24. 09. 1998 – Rs. C-76/97 (Walter Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 48 ff. sowie Urt. v. 05. 10. 2000 – Rs. C-337/98 (Kommission / Frankreich), Slg. 2000, I-8377, Rn. 38 ff.).

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Darüber hinaus wird auch eine Verpflichtung zur Kündigung selbst langjähri­ ger Dienstleistungsverträge abgelehnt. 423 Das Vergaberecht kenne keine Kündi­ gungspflicht, sondern regele allein das Verfahren, welches bei der Neuvergabe von Aufträgen anzuwenden sei. Daher bestehe nach dem Vergaberecht grundsätz­ lich kein Zwang laufende Verträge zu beenden, nur um neue Vergabeverfahren durchzuführen. 424 Es liege zwar nahe, von Zeit zu Zeit die Wirtschaftlichkeit des Vertrages zu überprüfen, dies müsse jedoch nicht zwangsläufig in der Kündi­ gung des Vertrages oder Durchführung eines Wettbewerbs münden, da für den öffentlichen Auftraggeber kein zwingender Anlass bestünde, Dienstleistungen erneut auszuschreiben. Dies gelte auch für vergaberechtswidrige Verträge. 425 Es gehöre insoweit zur uneingeschränkten Entschließungsfreiheit eines jeden Ver­ tragspartners, ob er von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch mache oder versuche, mögliche Interessenkonflikte auf andere Weise (z. B. durch Vertragsanpassung) zu lösen. 426 b) EuGH – Zulässigkeit eines Kündigungsverzichts Der EuGH hatte in der Rechtssache „pressetext“ hinsichtlich einer Vereinba­ rung eines Kündigungsverzichts für einen Zeitraum von drei Jahren bei einem un­ befristet geschlossenen Vertrag zu entscheiden, ob eine solche Vereinbarung als wesentliche Änderung des ursprünglichen Vertrages anzusehen ist. Dies lehnte der EuGH ab mit der Begründung, es sei nicht ersichtlich, dass der Auftraggeber ohne eine solche Vereinbarung gekündigt hätte und zudem der Kündigungsver­ zicht von drei Jahren nicht so lang ist, dass sie den Auftraggeber für einen übermäßig langen Zeitraum bindet. 427 Jedenfalls sei nicht dargetan, dass eine solche Klausel, sofern sie nicht immer wieder in den Vertrag eingefügt wird, die Gefahr der Verfälschung des Wettbewerbs zum Nachteil potentieller neuer Bie­ 423

Ziekow, VergabeR 2004, 430 (432), ebenfalls unter Bezugnahme auf die EuGHEntscheidungen zu Altverträgen (vgl. Fn. 842). 424 Marx, NZBau 2002, 311 (312); Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Ka­ pitel 5, Rn. 3. 425 Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5, Rn. 30, empfehlen, den Vertrag zunächst zu verlängern und zeitlich davon versetzt die inhaltlichen Änderungen durchzuführen. Dies ist jedoch vergaberechtswidrig. Für die Beurteilung, ob ein Beschaf­ fungsvorgang vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich. Der Auftraggeber soll sich nicht durch geschickte Gestaltung der Verträge der Geltung des Vergaberechts ent­ ziehen können (so explizit OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13. 06. 2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (533) unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 10. 11. 2005 – Rs. C-29/04 (Mödling), Slg. 2005, I-9705, Rn. 41 f.). 426 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. 01. 2000 – Verg 4/99, NZBau 2000, 391 (395); VK Arnsberg, Beschl. v. 18. 07. 2000 – VK 2 – 07/2000; Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5, Rn. 22. 427 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 79.

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ter mit sich bringt. 428 Ähnlich argumentierte GA Kokott in den Schlussanträgen zur vorgenannten Rechtssache. Diese stellt zunächst klar, dass die Vereinba­ rung eines Kündigungsverzichts für einen längeren Zeitraum in einem zeitlich unbefristeten Dauerschuldverhältnis vergaberechtlich problematisch sei. 429 Ein nachträglicher Kündigungsverzicht, der sich nur auf wenige Jahre erstreckt, sei hingegen nur dann als wesentliche Vertragsänderung zu qualifizieren, wenn er geeignet ist, den Wettbewerb auf dem betroffenen Markt zu verfälschen und den Vertragspartner des öffentlichen Auftraggebers gegenüber anderen möglichen Dienstleistungserbringern zu bevorzugen. 430 Dies soll nur ausnahmsweise dann der Fall sein, wenn Anhaltspunkte für eine Kündigung des Vertrages seitens des Auftraggebers bestanden haben. 431 Denn dem öffentlichen Auftraggeber treffe keine Rechtspflicht, ein bestehendes, ohne Verstoß gegen geltendes Recht zustan­ de gekommenes Rechtsverhältnis vorzeitig zu beenden. 432 Der Auftraggeber habe auch annehmen dürfen, dass er keine gleichwertigen Angebote zu günstigeren Konditionen bekommen würde. 433 Mit dem Kündigungsverzicht erklärt der Auftraggeber gegenüber seinem Ver­ tragspartner, dass er von seinem Kündigungsrecht über den vereinbarten Zeit­ raum keinen Gebrauch machen wird, er also eine rechtlich mögliche Kündigung unterlassen wird. Daher muss auch im Falle einer Vereinbarung eines solchen Kündigungsverzichts die vergaberechtliche Relevanz einer Nichtkündigung ge­ klärt werden. c) Eigene Auffassung – Vergaberechtliche Relevanz der Nichtkündigung Der dargestellten Auffassung der herrschenden vergaberechtlichen Literatur und Rechtsprechung kann nicht gefolgt werden. Bereits die Grundthese dieser Ansicht, die Nichtkündigung sei als ein „Nichthandeln“ vergaberechtlich irrele­ vant, ist fragwürdig, da ein rechtlich erhebliches Verhalten immer auch in einem Unterlassen liegen kann und hieran Rechtsfolgen geknüpft werden. Auch die Aussage, in der Verlängerung des Vertrages liege kein Beschaffungsvorgang, ist 428

EuGH, Urt. v. 19. 06. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 79. GA Kokott, Schlussanträge v. 13. 03. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 74. 430 GA Kokott, Schlussanträge v. 13. 03. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 76. 431 GA Kokott, Schlussanträge v. 13. 03. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 77. 432 GA Kokott, Schlussanträge v. 13. 03. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 78. 433 GA Kokott, Schlussanträge v. 13. 03. 2008 – Rs. C-454/06 (pressetext), Slg. 2008, I-04401, Rn. 79. 429

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zweifelhaft. Im Folgenden ist daher die rechtliche Relevanz des Unterlassens einer Kündigung näher zu untersuchen (hierzu aa.). Anschließend sollen hieran anknüpfend Pflichten des öffentlichen Auftraggebers im Zusammenhang mit der Kündigung erörtert werden (hierzu bb. und cc.). aa) Nichtkündigung als Handeln durch Unterlassen Der Grundthese der herrschenden Auffassung, dass das Nichtausüben eines Kündigungsrechts vergaberechtlich irrelevant und insbesondere kein neuer Be­ schaffungsakt sei, kann nicht gefolgt werden. Bereits das Anknüpfen an ein Handeln oder ein Nichthandeln trägt nicht, da beide Alternativen grundsätzlich rechtlich relevant sind. 434 Die rechtliche Terminologie des Begriffes des „Handelns“ differenziert stets zwischen einem „Handeln durch Tun“ und einem „Handeln durch Unterlassen“. Der Handlungs­ begriff ist somit rechtsterminologisch gesehen kein naturwissenschaftlicher Be­ griff, sondern ein Rechtsbegriff. 435 Beide Alternativen des Handelns sind recht­ lich relevant und können Rechtsfolgen auslösen. 436 Im Rahmen des „Handelns durch Unterlassen“ gilt dies dann, wenn eine Pflicht zum aktiven Tun bestand. Eine solche Pflicht kann auf Gesetz, Vertrag, vorangegangenem Tun oder Auf­ nahme von Vertragsverhandlungen beruhen. Das rechtswidrige Unterlassen einer rechtlich gebotenen Handlung kann einklagbare Leistungspflichten sowie Scha­ densersatzansprüche hervorrufen. 437 Ein Unterlassen ist daher ebenso wie die Vornahme einer Handlung als ein rechtlich relevantes Verhalten zu qualifizieren. 438 Übertragen auf die vorliegende Untersuchung ist daher die Nichtkündigung eines laufenden Vertrages als ein rechtlich relevantes Verhalten des öffentlichen Auftraggebers zu qualifizieren und kann weitere Rechtsfolgen auslösen, wenn eine Pflicht zum Handeln, also zur Kündigung, bestand. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass in 434

Ebenso Knauff, NZBau 2007, 347 (349). So zum Unterlassenbegriffs im strafrechtlichen Sinne Tröndle / Fischer, StGB, Vor § 13, Rn. 4. Diese Aussage ist verallgemeinerungsfähig. 436 Zivilrechtlich kann beispielsweise das Unterlassen rechtlich gebotener Verkehrssi­ cherungspflichten Schadensersatzansprüche auslösen (vgl. Heinrichs, in: Palandt, BGB, Vorb v § 249, Rn. 84.). Strafrechtlich ist das Unterlassen einer rechtlich gebotenen Hand­ lung gemäß § 13 StGB relevant (vgl. Tröndle / Fischer, StGB, Vor § 13, Rn. 4). Das Nichtstun bzw. die Untätigkeit einer Behörde kann mit der Untätigkeits- oder Leistungs­ klage auf Vornahme der Handlung angegangen werden und ggf. Amtshaftungsansprüche auslösen (vgl. Kopp / Schenke, VwGO, § 75, Rn. 1 ff., 3). 437 Vgl. Heinrichs, in: Palandt, BGB, Vorb v § 249, Rn. 84 unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 25. 09. 1952 – III ZR 322/51, NJW 1953, 700 f.; Urt. v. 17. 10. 2002 – IX ZR 3/01, NJW 2003, 295 (296). 438 A. A. Jaeger, EuZW 2008, 492 (495). 435

Kap. 5: Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung

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der Entscheidung über die Nichtausübung eines Kündigungsrechts zugleich die Entscheidung über die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses und damit die Be­ schaffung der Leistungen aus diesem Vertragsverhältnis liegt. 439 Das Unterlassen einer Kündigung besitzt somit entgegen der herrschenden Ansicht grundsätzlich Beschaffungscharakter. 440 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass das Unterlassen der Kündigung eines laufenden Vertrages immer dann weitere rechtliche Folgen und Ansprüche auslösen kann, wenn eine Pflicht zu einem Handeln des öffentlichen Auftrag­ gebers bestand. Es gilt daher im Weiteren zu untersuchen, welche konkreten Handlungspflichten sich aus der Aufnahme von Kündigungs- und automatischen Verlängerungsklauseln für den öffentlichen Auftraggeber ergeben können. bb) Pflicht zur Prüfung der Kündigungsvoraussetzungen Der öffentliche Auftraggeber ist aus Gründen des Wettbewerbs und der Gleich­ behandlung verpflichtet, als Gegengewicht zu langfristigen vertraglichen Bindun­ gen Kündigungsklauseln in den Vertrag aufzunehmen oder aber automatische Verlängerungsklauseln zu begrenzen. 441 Kündigungsklauseln sind die gebotene Folge einer Abwägung zwischen den Vorteilen einer Vertragsverlängerung und dem Gebot der Vergabe im Wettbewerb. Sie dienen der Gewährleistung der Ver­ hältnismäßigkeit langfristiger Verträge, indem sie dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit eröffnen, aus sachlichen Gründen den Vertrag rechtskonform zu verlängern oder zu beenden. Auch die Aufnahme von automatischen Verlänge­ rungsklauseln, welche an das Unterlassen der Kündigung anknüpfen, sind Folge einer Abwägung zwischen Wettbewerbsgebot und Verhältnismäßigkeitsgrund­ satz. Sie sollen Unsicherheiten in der Prognose der maximal zu rechtfertigenden Laufzeit ausgleichen. An die Rechtfertigung der langen Laufzeit oder der wieder­ holten Vertragsverlängerung werden nach der Rechtsprechung des EuGH wegen der hiermit verbundenen Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs ho­ he Anforderungen gestellt. 442 Vor diesem Hintergrund würde die Aufnahme von Kündigungsklauseln zur reinen Makulatur, wenn der Auftraggeber den ihm eröffneten Handlungsspiel­ raum zur Beendigung des Vertrages durch schlichtes Nichthandeln „rechtsfrei“ übergehen könnte. Dem steht schon entgegen, dass der öffentliche Auftraggeber aufgrund seiner Bindungen an Recht und Gesetz sowie an das Verbot der Will­ 439

So auch Braun, VergabeR 2005, 586 (587); ähnlich Knauff, NZBau 2007, 347

(349). 440 Zutreffend Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 03. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (195); Erdl, VergabeR 2001, 213. 441 Siehe hierzu oben Kapitel 5.B.II.1.bb. 442 Hierzu Kapitel 5.B.II.1.c.bb.(2).

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

kür in seinen Entscheidungen niemals frei und ungebunden ist. 443 Zudem sind Verträge mit Verlängerungsklauseln oder Kündigungsmöglichkeiten nicht per se zeitlich unbestimmte oder unbefristete Verträge. Vielmehr eröffnen die Klauseln die Möglichkeit, den Vertrag zum vereinbarten Zeitpunkt zu beenden. 444 Da lang­ fristige Vertragsverhältnisse nicht zu einer ungerechtfertigten Beschränkung des freien Dienstleistungs- und Warenverkehrs führen dürfen, muss der öffentliche Auftraggeber stets die sachliche Rechtfertigung der Verlängerung überprüfen. Im Ergebnis dieser Prüfung stehen dem öffentlichen Auftraggeber grundsätz­ lich zwei rechtmäßige Entscheidungsalternativen zur Verfügung, nämlich die Fortführung des Vertrages einerseits oder aber die Kündigung und – bei fort­ bestehendem Bedarf – die Neuvergabe der Leistung nach Durchführung eines vergaberechtlichen Verfahrens andererseits. Diese Entscheidung zwischen den beiden Handlungsalternativen stellt sich als eine Ermessensentscheidung dar. Den mit der Ermessensentscheidung verbundenen Handlungsspielraum muss der Auftraggeber unter Beachtung gemeinschaftsrechtlicher und rechtsstaatlicher Grundsätze wahrnehmen. 445 Dem öffentlichen Auftraggeber obliegt es daher stets vor einer Vertragsverlän­ gerung zu prüfen, ob er aus Gründen des Diskriminierungsverbots und des aus der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit folgenden Wettbewerbsprinzips verpflichtet ist, anstelle der Verlängerung eine neue Vergabe einzuleiten. 446 cc) Pflicht zur Kündigung bei Ermessensreduzierung auf Null Öffentlichen Auftraggebern stehen teilweise weite Handlungsspielräume im Sinne von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen zur Verfügung. In deren Rahmen sind sie jedoch an Recht und Gesetz gebunden. 447 Eine Entscheidung 443

Vgl. hierzu Kapitel 2.D.I.2. Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 90. 445 Siehe zu den rechtlichen Bindungen im Rahmen von Handlungsspielräumen Kapi­ tel 2.D.I.2. 446 Eschenbruch, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, § 99, Rn. 29; Kulartz, NZBau 2001, 173 (179); Kaiser, NZBau 2005, 311 (315). I. d. S. auch VK Sachsen, Beschl. v. 24. 08. 2007 – 1/SVK/054 – 07, die jedoch widersprüchlich argu­ mentiert, da sie einerseits eine vergaberechtliche Irrelevanz der Nichtkündigung annimmt, andererseits aber eine Prüfung über die Beendigung des Vertragsverhältnisses seitens des Auftraggebers annimmt. 447 BGH, Urt. v. 17. 06. 2003 – XI ZR 195/02, NJW 2003, 2451 (2453); Kaiser, NZBau 2005, 311 (315); Prieß / Gabriel, NZBau 2006, 219 (221); Kaiser, NZBau 2005, 311 (315). Im Unterschied zum privatautonom agierenden Privaten bedürfen öffentliche Auf­ traggeber daher immer eines sachlichen Grundes für ihr Handeln, um dem Vorwurf der Willkür begegnen zu können. Dies folgt einerseits aus Art. 20 Abs. 3 GG, andererseits aus den vergaberechtlichen Bindungen, welche ein Willkürverbot für sämtliche öffent­ 444

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öffentlicher Auftraggeber muss daher stets im Einklang mit der Rechtsordnung und den allgemeingültigen Beurteilungsmaßstäben stehen. 448 Aus diesem Grund können öffentliche Auftraggeber bei der Ausübung ihres Ermessens nur zwi­ schen (mehreren) rechtlich zulässigen Entscheidungsalternativen wählen. 449 Kommt nach dem vorangehend Gesagten die Prüfung der Kündigungsvoraus­ setzungen zu dem Ergebnis, dass eine Fortsetzung des Vertrages durch Nichtkün­ digung rechtswidrig wäre, dann verbleibt als einzig rechtmäßige Handlungsalternative die Beendigung des Vertrages durch Wahrnehmung des Kündigungsrechts. Die Ermessensentscheidung hat sich mithin auf eine Entscheidungsalternative verdichtet. Die hierin liegende Ermessensreduzierung auf Null führt stets zu einer gebundenen Entscheidung und damit zu einer Pflicht des öffentlichen Auf­ traggebers. Mangels anderweitiger Entscheidungsalternativen ist der öffentliche Auftraggeber daher zur Kündigung des Vertragsverhältnisses verpflichtet. Bei fortbestehendem Bedarf muss er die Leistung neu ausschreiben. Im Folgenden sollen Gründe, die das Ermessen des Auftraggebers im Rahmen seiner Entscheidung über die Fortführung des Vertrages auf Null und damit zu einer Pflicht zur Kündigung reduzieren, herausgearbeitet werden. (1) Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Auftragsvergabe Eine Verdichtung des Ermessens auf eine Entscheidung ergibt sich immer dann, wenn andere Handlungsalternativen rechtswidrig sind oder aber zu ei­ nem rechtswidrigen Zustand führen würden. Denn im Rahmen von Ermessens­ entscheidung stehen nur rechtmäßige Entscheidungsalternativen zur Verfügung. Dies ergibt sich aus der Bindung öffentlicher Auftraggeber an Recht und Gesetz. Übertragen auf die vorliegende Untersuchung bedeutet dies, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses mit dem Auftragnehmer dem öffentlichen Auftragge­ ber dann nicht als Handlungsalternative zur Verfügung steht, wenn hierdurch ein rechtswidriger Zustand begründet oder vertieft würde. Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn der Vertrag, der zur Verlängerung ansteht, seinerseits unter Missachtung der Ausschreibungspflicht und damit (gemeinschafts-)rechtswidrig zustande gekommen ist. Zwar sind rechtswidrige Verträge nach deutschem Recht gleichwohl wirksam, soweit keine Nichtigkeitsgründe eingreifen. Der unter Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften zustande gekommene Vertrag kann daher grundsätzlich lichen Auftraggeber vorsehen (vgl. zur Erforderlichkeit einer sachlichen Rechtfertigung für das Festhalten am ursprünglichen Vertrag auch Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 92). 448 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. 02. 2005 – Verg 88/04, NZBau 2005, 535. 449 Sachs, in: Stelkens / Bonks / Sachs, VwVfG, § 40, Rn. 13 und 82 ff.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

durchgeführt werden. Der im deutschen Recht geltende Grundsatz der pacta sunt servanda verhindert, dass Dritte den rechtswidrigen, aber nicht nichtigen Vertrag mit dem Ziel der (Neu-) Ausschreibung angreifen können. Diese werden vielmehr auf den Sekundärrechtsschutz verwiesen. Dieses Recht wird den Mit­ gliedsstaaten insbesondere nach Art. 2 Abs. 6 RMR eingeräumt. Hiernach sind die Mitgliedsstaaten befugt, den Rechtsschutz nach Vertragsschluss auf Scha­ densersatz zu begrenzen. Trotz des Grundsatzes der Wirksamkeit vergaberechtswidrig zustande gekom­ mener Verträge besteht aber nach ständiger Rechtsprechung des EuGH die Ge­ meinschaftsrechtswidrigkeit dieser Verträge während der gesamten Dauer ihrer Erfüllung fort. 450 Insbesondere führt die nach Art. 2 Abs. 6 RMR zulässige Be­ grenzung des Rechtsschutzes auf Schadensersatzansprüche nicht dazu, dass das Verhalten des Auftraggebers nach Abschluss dieser Verträge als gemeinschafts­ rechtskonform anzuerkennen ist. 451 Eine solche Sichtweise würde zu einer Be­ schränkung der Bestimmungen des Vergaberechts führen und stünde damit dem Ziel der Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes entgegen. 452 Der EuGH hat wiederholt ausdrücklich klargestellt, dass vergaberechtswidrige Verträge nach europäischem Recht unter keinem Gesichtspunkt Bestandsschutz genießen, auch nicht im Hinblick auf den Grundsatz der pacta sunt servanda. 453 Hintergrund der Entscheidung war, dass die Bundesrepublik nicht die Maß­ nahmen im Sinne des Art. 228 Abs. 1 EG ergriffen hatte, die sich aus einem vorangegangenen Urteil des EuGH ergaben, in welchem dieser die Gemein­ schaftsrechtswidrigkeit der Verträge festgestellt hatte. Da diese Verträge nicht gekündigt worden waren, bestand die Beeinträchtigung des freien Dienstleis­ tungsverkehrs während der gesamten Dauer ihrer Erfüllung fort. 454 450 EuGH, Urt. v. 09. 09. 2004 – Rs. C-125/03 (Lüdinghausen), Rn. 13, NZBau 2004, 563; Urt. v. 10. 04. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01 (Kommission / Deutschland), Slg. 2003, I-3609, Rn. 36. 451 EuGH, Urt. v. 09. 09. 2004 – Rs. C-125/03 (Lüdinghausen), Rn. 15, NZBau 2004, 563; Urt. v. 10. 04. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01 (Kommission / Deutschland), Slg. 2003, I-3609, Rn. 38 f. 452 EuGH, Urt. v. 10. 04. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01 (Kommission / Deutsch­ land), Slg. 2003, I-3609, Rn. 39. 453 EuGH, Urt. v. 18. 07. 2007 – Rs. C-503/04 (Kommission / Deutschland), Slg. 2007, I-0, Rn. 33 ff. 454 EuGH, Urt. v. 18. 07. 2007 – Rs. C-503/04 (Kommission / Deutschland), Slg. 2007, I-0, Rn. 28 f. Aus der vorgenannten Entscheidung des EuGH oder auch aus Art. 228 EG kann jedoch unmittelbar keine generelle Pflicht des öffentlichen Auftraggebers zur Kündigung des gemeinschaftsrechtswidrig geschlossenen Vertrages abgeleitet werden. Denn sowohl die Entscheidung des EuGH, als auch die Vorschrift des Art. 228 EG knüpfen an ein vorausgehendes Vertragsverletzungsurteil an und die Verpflichtung zur Durchführung dieses Urteils. Die Verpflichtung zur Kündigung entsteht mithin erst mit Erlass des Urteils des EuGH nach Art. 226 EG (so zutreffend Bitterich, NJW 2006, 1845 (1849); i. d. S. wohl auch Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 3394 ff.).

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Ist der von einem öffentlichen Auftraggeber abgeschlossene Vertrag unter Verletzung des Gemeinschaftsrechts zustande gekommen 455 und besteht die Ge­ meinschaftsrechtswidrigkeit gemäß der Rechtsprechung des EuGH während der Erfüllung des Vertrages bis zu dessen Beendigung fort, so agiert der öffentliche Auftraggeber während der gesamten Dauer der Vertragsdurchführung in einem (gemeinschafts-) rechtswidrigen Raum. Eine Fortführung und Verlängerung die­ ses Vertrages, gleich ob durch Handeln oder durch Unterlassen, würde diesen (gemeinschafts-) rechtswidrigen Zustand perpetuieren. 456 Die Bindung an Recht und Gesetz ermächtigt öffentliche Auftraggeber jedoch allein zu rechtmäßigen Handlungen und verwehrt ihnen gleichzeitig ein Festhalten an gemeinschafts­ rechtswidrigen Zuständen. 457 Die Fortführung eines gemeinschaftsrechtswidri­ gen Vertrages durch Unterlassung der Kündigung würde sich als ein solches Festhalten an einem rechtswidrigen Zustand darstellen und steht daher als Hand­ lungsalternative im Rahmen des Ermessens nicht zur Verfügung. Damit verbleibt als einzig rechtmäßige Entscheidung die Beendigung des Vertrages durch Wahr­ nehmung des Kündigungsrechts. 458 Die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit eines zur Verlängerung anstehenden Ver­ trages schränkt im Ergebnis mithin den Entscheidungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers ein. Damit liegt eine Ermessensreduzierung auf Null vor, die für den öffentliche Auftraggeber zu einer Pflicht zur Kündigung des Vertrages führt. 459 455 Den Entscheidungen des EuGH lagen jeweils Fälle zugrunde, in denen eine euro­ paweite Bekanntmachung unterblieben ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist dies ein Fehler, der geeignet ist, den Auftrag faktisch dem gemeinschaftsweiten Wettbewerb zu entziehen und daher besonders schwer wiegt. Fraglich ist, ob dies auch im Hinblick auf Fehler gilt, die im Verlaufe eines ordnungsgemäß bekannt gemachten Vergabeverfah­ rens aufgetreten sind (hierfür wohl Bitterich, NJW 2006, 1845 (1849)). Es ist zu fordern, dass der Fehler so schwer wiegt, dass er den Auftrag faktisch dem gemeinschaftsweiten Wettbewerb entzieht. 456 Ebenso GA Trstenjak, Schlussanträge v. 28. 03. 2007 – Rs. C-503/04 (Kommissi­ on / Deutschland), Slg. 2007, I-0, Rn. 77. 457 LG München, Urt. v. 20. 12. 2005 – 33 O 16465/05, NZBau 2006, 269 (271); Prieß / Gabriel, NZBau 2006, 219 (221). 458 So wohl auch OLG Hamburg, Beschl. v. 24. 05. 2006 – 1 Verg 4/06; Teilweise wird eine Beendigungspflicht vergaberechtswidriger Vertragsverlängerungen aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitet (so Knauff, NZBau 2007, 347 (349)). Dies kann aber allein für staatliche öffentliche Auftraggeber gelten, die der Grundrechtsbindung unterliegen (siehe oben, Kapitel 2.D.I.2.). 459 In diesem Sinne auch Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 91; einschränkend Bitterich, EWS 2005, 162 (167). Diesem Ergebnis stehen auch nicht eventuelle Vertrau­ ensschutzaspekte des Vertragspartners des öffentlichen Auftraggebers entgegen. Diese Position wurde zum einen in rechtswidriger Weise erst durch den öffentlichen Auf­ traggeber geschaffen (so GA Trstenjak, Schlussanträge v. 28. 03. 2007 – Rs. C-503/04 (Kommission / Deutschland), Slg. 2007, I-0, Rn. 74.). Zum anderen fehlt es an einem

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

(2) „Kündigungspflicht“ wegen kollusiven Zusammenwirkens Teilweise wird eine Pflicht zur Kündigung des Vertrages seitens des öffent­ lichen Auftraggebers angenommen, wenn Auftraggeber und Auftragnehmer bei Vertragsschluss kollusiv, also bewusst zulasten eines Dritten oder der Allgemein­ heit, zusammengewirkt haben. Dabei wird das kollusive Zusammenwirken in dem Abschluss eines vergaberechtswidrigen Vertrages gesehen. 460 Das kollusive Zusammenwirken von Vertragsparteien begründe die Sittenwidrigkeit und da­ mit die Nichtigkeit des Vertrages gemäß § 138 Abs. 1 BGB. 461 Stillschweigende Vertragsverlängerungen würden vor diesem Hintergrund einer De-facto-Vergabe gleichkommen. Daher könne die Vergabekammer den öffentlichen Auftraggeber zur fristgerechten Kündigung zum erstmöglichen Termin verpflichten. 462 Dem kann nicht gefolgt werden. Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit eine Pflicht zur Kündigung kann nicht erst dann angenommen werden, wenn gegen den Vertrag Nichtigkeitsgründe eingreifen. Eine Kündigung des Vertrages kann schon aus rechtlichen Gründen seitens der Nachprüfungsinstan­ zen nicht angeordnet werden, da der Vertrag im Falle der Sittenwidrigkeit per Gesetz ex tunc unwirksam ist. Ein kündigungs- bzw. verlängerungsfähiges Ver­ tragsverhältnis existiert mithin nicht. Die Verlängerung eines nichtigen Vertrages stellt vielmehr stets eine dem Vergaberecht unterliegende neue Auftragsvergabe dar. (3) Pflicht zur Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen Eine Pflicht zur Kündigung wird teilweise angenommen, wenn sich die Nicht­ kündigung des Vertrages als ein „Verharren im unwirtschaftlichen Vertrag“ dar­ stellt. Dies folge aus dem Wettbewerbsgebot des § 97 Abs. 1 GWB sowie dem Diskriminierungsverbot des § 97 Abs. 2 GWB, da der freie Wettbewerb nicht durch Willkür oder vergabefremde Ziele beeinflusst werden soll. 463 EntsprechenVertrauenstatbestand zugunsten des Vertragspartners, da die Kündigungsmöglichkeit von Anfang an vertraglich vereinbart ist. Der Auftragnehmer besitzt daher kein schutzwürdi­ ges Vertrauen in den Fortbestand des Vertrages. 460 Prieß, S. 111. 461 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06. 02. 2007 – 17 Verg 7/06, ZfBR 2007, 511 (516); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03. 12. 2003 – Verg 37/03, NZBau 2004, 113 (116); Thüringer OLG, Beschl. v. 28. 01. 2004 – 6 Verg 11/03, IBR 2004, 265; KG, Beschl. v. 11. 11. 2004 – 2 Verg 16/04, NZBau 2005, 538 (543); OLG Brandenburg, Beschl. v. 29. 01. 2002 – Verg W 8/01, NZBau 2002, 625 (626); OLG Celle, Beschl. v. 25. 08. 2005 – 13 Verg 8/05, VergabeR 2005, 809 (811); VK Münster, Beschl. v. 26. 09. 2007 – VK 17/07, NZBau 2007, 736 (Ls.). 462 So VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 16. 11. 2004 – 1 VK 69/04, IBR 2005, 1095. 463 Vgl. hierzu Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 91 ff.

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des wird auch aus haushalts- 464 bzw. gebührenrechtlichen 465 Grundsätzen abge­ leitet. Die stete Verlängerung eines unwirtschaftlichen Vertrages sei mit den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht zu vereinbaren. 466 Der „Grad der Unwirtschaftlichkeit“ soll dabei durch einen Vergleich des bestehenden Vertrages mit den aktuell am Markt zu erzielenden Konditionen ermittelt werden. Betrage die Differenz mehr als 20 %, so folge aus dem Wettbewerbsgebot eine Verpflichtung zur Beschaffung im Wettbewerb. Die 20 %-Grenze wird den Vorschriften zur Vergabe von Losen entnommen. Dort sind solche Bestandteile eines Auftrags, die nur 20 % des Gesamtauftrags­ volumens betragen, nicht dem Vergaberecht unterworfen. Hieraus wird eine „Wesentlichkeitsgrenze“ abgeleitet. 467 Eine weitere Ansicht knüpft an die gebührenrechtliche Sichtweise an, wonach sich eine Pflicht, unbefristete Verträge zu kündigen und neu auszuschreiben, im­ mer dann ergebe, wenn der bestehende Vertrag nicht nach den vergaberechtlichen Regelungen zustande gekommen und das vereinbarte Entgelt nicht marktgerecht sei. 468 Allein aus dem vergaberechtswidrigen Zustandekommen ergebe sich je­ doch noch keine Pflicht zur Kündigung. Denn nicht jeder Verstoß gegen das Vergaberecht führe zu einem Fehler der Gebührenkalkulation. Eine Pflicht zur Kündigung bestünde daher nur dann, wenn kumulativ der Vertrag vergaberechts­ widrig und die vereinbarten Entgelte zusätzlich grob unangemessen hoch seien und deutlich über den Marktpreisen lägen. Erst dann sei der gebührenrechtliche Grundsatz der Erforderlichkeit verletzt. 469 Darüber hinaus dürfe auch der Vertrag keine entsprechende Anpassungsmöglichkeit vorsehen, sodass nur durch Kündi­ gung des Vertrages die Herstellung der Angemessenheit der Entgelte erreicht werden könne. 470 Den vorgenannten Ansichten kann nur eingeschränkt gefolgt werden. Die Tatsache, dass die Leistung im Laufe der Auftragsdurchführung günstiger am Markt zu beschaffen ist, führt grundsätzlich nicht zu einer Kündigungspflicht des Vertrages. Zwar muss der öffentliche Auftraggeber die Unwirtschaftlichkeit als sachlichen Grund im Rahmen seines Ermessensspielraums für eine Beendi­ gung des Vertrages berücksichtigen. Eine aus dem Wettbewerbsgebot abgeleitete 464 Stemmer / Aschl, VergabeR 2005, 287 (293); Marx, NZBau 2002, 311 (312); ableh­ nend Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 94. 465 Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5, Rn. 4 ff. 466 Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 94; Ax / Schneider / Nette, Handbuch Ver­ gaberecht, Kapitel 5, Rn. 8. 467 Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 93 f. 468 Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5, Rn. 4 und 6 am Beispiel des Entsorgungsvertrages. 469 Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5, Rn. 10 f. 470 Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5, Rn. 21.

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Ermessensreduzierung auf Null folgt hieraus jedoch nicht zwingend. 471 Es sind vielmehr sachliche Gründe vorstellbar, die das Festhalten an einem preislich ungünstigen Vertrag rechtfertigen können. So können beispielsweise Aspekte der Qualität der Leistung, des technischen Werts, der Betriebskosten und Äs­ thetik oder auch zulässige Sekundärzwecke (umwelt-, sozial-, arbeitspolitische Zwecke etc.) es rechtfertigen, dass nicht die preisgünstigste Leistung einge­ kauft wird. Weiterhin können Verträge mit erheblichen Anfangsinvestitionen des Auftragnehmers verbunden sein. Dies rechtfertigt insbesondere längere Ver­ tragslaufzeiten. 472 Dieser Rechtfertigungsgrund entfällt nicht deswegen, weil die Leistung irgendwann im Laufe des Vertragsverhältnisses am Markt günstiger zu beschaffen ist. Eine Kündigung des Vertrages aus diesem Grund würde das Ver­ trauen des Auftragnehmers in die Amortisierung seiner Investitionen zerstören und unter Umständen Schadensersatzansprüche auslösen. Damit stünde aber die Wirtschaftlichkeit einer Neubeschaffung in Frage. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist allein dann denkbar, wenn das vereinbarte Entgelt grob unange­ messen ist und es hierfür keinerlei sachliche Rechtfertigung gibt. 473 In diesem Fall stellt sich die Nichtkündigung als willkürliches und damit rechtswidriges „Verharren im unwirtschaftlichen Vertrag“ dar. Soweit daran angeknüpft wird, dass der Vertrag seinerseits (zusätzlich) unter Umgehung des Vergaberechts zustande gekommen sein müsse, ist anzumerken, dass allein schon hieraus eine Kündigungspflicht folgt. 474 (4) Pflicht zur Kündigung wegen Wegfalls der Rechtfertigung Aus dem vergaberechtlichen Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatz folgt eine Ermessensreduzierung auf Null und eine Pflicht zur Kündigung ei­ nes langfristigen Vertrages immer dann, wenn der die lange Vertragslaufzeit rechtfertigende Grund 475 nachträglich weggefallen oder die angemessene und er­ forderliche Vertragszeit erreicht ist. 476 In diesem Fall würde die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses durch Nichtkündigung eine unzulässige Beschränkung des 471

So aber Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 93 f. Siehe hierzu Kapitel 5.B.1.c.bb.(2). 473 Wann eine grobe Unwirtschaftlichkeit vorliegt, kann nicht anhand einer starren prozentualen Grenze festgelegt werden. Vielmehr sind auch die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere ob die Preise auf dem Markt repräsentativ sind oder ob es große Preisspannen gib. Existiert ein breiter Markt und daher auch ein repräsentativer Marktpreis, so kann als Indiz einer groben Unangemessenheit eine Abweichung von 20%, ausgehend vom obersten Wert der Preisspanne, herangezogen werden. 474 Hierzu oben, Kapitel 5.B.II.2.b.cc.(1). 475 Vgl. zur Erforderlichkeit einer Rechtfertigung langer Vertragslaufzeiten Kapitel 5.B.II.1.c.bb.(2). 476 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 18. 07. 2001 – 2 VK 06/01. 472

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freien Dienstleistungs- und Warenverkehrs bedeuten. Nach der Rechtsprechung des EuGH bestehen aber hohe Anforderungen an die Rechtfertigung einer sol­ chen Beschränkung. 477 Fällt diese weg, so ist grundsätzlich kein sachlicher Grund zur Fortsetzung des Vertragsverhältnisses ersichtlich. In diesem Sinne hat auch die Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern 478 den öffentlichen Auftraggeber darauf hingewiesen, dass er seine Entsorgungsver­ träge durch Nichtausspruch der Kündigung nicht auf „alle Ewigkeit“ aufrecht erhalten könne. Es sei nach Ansicht der Kammer vielmehr unzweifelhaft, dass derartige Verträge dem Vergaberegime unterliegen und nach Ablauf einer ange­ messenen Vertragszeit auch aus haushalts- und wettbewerbsrechtlichen Gründen neu auszuschreiben seien. Zwar können Entsorgungsverträge aufgrund der mit ihnen verbundenen Investitionen des Auftragnehmers eine gewisse Langfristig­ keit bedingen. Soweit jedoch ein Zeitpunkt erreicht sei, der die Belange des Auftragnehmers hinreichend wahre, würde auch eine Pflicht des öffentlichen Auftraggebers bestehen, die Leistung wieder auf den Markt zu stellen, um so den Wettbewerb zwischen den Anbietern zu gewährleisten. 479 Entziehe sich ein öffentlicher Auftraggeber dieser Pflicht, sei ein Anspruch potenzieller Bieter gegeben, die Vergabe eines Auftrages nach den Regeln des Vergaberechts durch­ zusetzen. 480 Die Rechtsprechung stimmt mit den Grundsätzen des Vergaberechts und des EuGH überein. Fällt mithin die Rechtfertigung für die lange Vertragslaufzeit weg oder ist die angemessene Vertragszeit erreicht, reduziert sich das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers auf eine Pflicht zur Beendigung des Vertrages durch Ausspruch der vertraglich vereinbarten Kündigung. Nur auf diese Weise lässt sich verhindern, dass langfristige Verträge ohne sachlichen Grund perpetuiert werden. 481 (5) Ermessensreduzierung aus dem Wettbewerbsrecht Weiterhin gilt es zu untersuchen, ob eine Ermessensreduzierung hinsichtlich der Kündigung eines laufenden Vertrages aus dem Wettbewerbsrecht, insbeson­ 477 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I­ 2161, Rn. 45; vgl. Kapitel 5.B.II.1.c.bb.(2). 478 Beschl. v. 18. 07. 2001 – 2 VK 06/01. 479 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 18. 07. 2001 – 2 VK 06/01. 480 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 18. 07. 2001 – 2 VK 06/01. Die Kam­ mer verweist die potenziellen Bieter jedoch auf den vorbeugenden Rechtsschutz bei den ordentlichen Gerichten. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Vergabekammer verkennt insoweit das materielle Begriffsverständnis des Vergabeverfahrens, welches den Rechts­ weg zu den Nachprüfungsinstanzen auch vor der Einleitung formeller Schritte durch den Auftraggeber eröffnet (siehe hierzu ausführlich im Kapitel 9.B.I. und 9.C.II.1.a.). 481 Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 76.

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dere aus § 33 GWB, gefolgert werden kann. 482 Die Frage stellt sich insbesondere dann, wenn öffentliche Auftraggeber eine marktbeherrschende Stellung inneha­ ben und durch langjährige Verträge den Wettbewerb behindern. Der Abschluss langfristiger Verträge und deren Auswirkungen auf den Wettbewerb werden vor allem im Bereich von Energielieferverträgen umfangreich diskutiert. Langfristi­ ge Vertragsbeziehungen können nach dort verbreiteter Ansicht Wettbewerbsbe­ schränkung darstellen. 483 Der Energiesektor ist geprägt durch fehlenden Wettbewerb aufgrund von Ge­ bietsschutzvereinbarungen und langfristigen Verträgen. 484 Daher werden langfris­ tige Bezugsbindungen unter dem Gesichtspunkt einer verbotenen missbräuchli­ chen Wettbewerbsbehinderung oder einer verbotenen unbilligen Behinderung des Wettbewerbs im Sinne des § 1 GWB sowie der §§ 19, 20 GWB diskutiert. 485 Die deutschen Gebietsversorger sind in ihren als räumlich relevante Märkte zu betrachtenden Versorgungsgebieten marktbeherrschend, da sie trotz des inzwi­ schen im Stromsektor entstandenen Wettbewerbs immer noch über sehr hohe Marktanteile von weit über 50% verfügen. 486 Unternehmen mit einer marktbe­ herrschenden Stellung haben eine besondere Verantwortung, durch ihr Verhal­ ten den bereits gestörten Wettbewerb auf dem von ihnen beherrschten Markt nicht noch zusätzlich zu beeinträchtigen. Für die Beurteilung langfristiger Be­ zugsverpflichtungen hat der EuGH daher den Grundsatz abgeleitet, dass markt­ beherrschende Unternehmen, die ihre Vertragspartner langfristig binden, ihre Marktstellung missbräuchlich ausnutzen. 487 Wird aber der Wettbewerb durch das Privatrecht und seinen privatrechtlichen Bindungen – insbesondere langjäh­ rigen Bezugsbindungen – beschränkt, muss das Privatrecht mithilfe des Wettbe­ werbsrechts korrigiert werden. 488 Das Wettbewerbsrecht gibt dementsprechend Verhaltsanforderungen an Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung vor und sanktioniert Verstöße gegen diese Vorgaben. Das Missbrauchsverbot des 482

So Müller, NZBau 2001, 416 (421). Schwintowski / Klaue, BB 2000, 1901 ff.; Senke, Elektrizitätslieferverträge, S. 64; Schnichels, EuZW 2003, 171 ff. 484 Siehe oben Kapitel 1.A.II. 485 Vgl. Markert, EuZW 2000, 427, der die langfristigen Bezugsverpflichtungen als zweitwichtigste Ursache für Behinderungen eines brancheninternen Wettbewerbs um Gasund Stromlieferleistungen sieht. 486 Markert, EuZW 2000, 427 (432). 487 Markert, EuZW 2000, 427 (432) unter Hinweis auf die einschlägige Rechtspre­ chung des EuGH. Zur Vereinbarkeit von langfristigen Bezugsverträgen mit Art. 81 EG Schnichels, EuZW 2003, 171 ff. 488 Andernfalls würde das Privatrecht sich selbst überwinden; es entstünden Monopo­ le, die die Grundprinzipien des Privatrechts, insbesondere die Vertragsfreiheit, ausschal­ ten. Dem Wettbewerbsrecht kommt daher eine das Privatrecht sichernde Funktion zu. Hieraus resultiere die verfassungs- und europarechtliche Legitimation des Kartellrechts (so Schwintowski / Klaue, BB 2000, 1901 (1904)). 483

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§ 19 Abs. 1 GWB sowie das Diskriminierungs- und Behinderungsverbot nach § 20 Abs. 1 und 2 GWB verbieten Unternehmen mit marktbeherrschenden Stel­ lungen ein wettbewerbswidriges Verhalten. Insbesondere können aus § 33 GWB Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche folgen. Die vorgenannten Grundsätze können auf das vergaberechtliche Verhalten öf­ fentlicher Auftraggeber übertragen werden. Diese können eine solche Stellung als Nachfrager am Markt einnehmen, die einem marktbeherrschenden Unternehmen gleichkommt. Die Abschottung nicht unwesentlicher Marktsegmente durch lang­ jährige Bezugsbindungen ist aus wettbewerbsrechtlicher Sicht problematisch. 489 Daher können aus dem Kartellrecht für die öffentlichen Auftraggeber Verhal­ tensmaßstäbe abgeleitet werden. 490 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Unternehmensbegriff im Wettbewerbsrecht funktional zu verstehen ist. Erfasst wird jedwede Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr 491 und damit auch die geschäftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand. 492 Die marktbeherrschende Position kann zudem auch auf Nachfragerseite bestehen. 493 Bei wettbewerbswidrigem Unterlassen einer Kündigungsmöglichkeit käme demnach ein Anspruch auf Kündigung als Beseitigung des wettbewerbswidrigen Zustandes in Betracht. 494 Ein solcher, aus § 33 GWB folgender Anspruch setzt das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung bzw. gemäß § 20 Abs. 2 GWB die Abhängigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen von einem starken Nach­ frager voraus. Ob eine derartige marktbeherrschende Stellung des öffentlichen Auftraggebers vorliegt, muss für jeden Einzelfall durch eine Abgrenzung des relevanten Marktes und eine Bewertung der Wettbewerbssituation auf diesem Markt beurteilt werden. 495 Eine marktbeherrschende Stellung käme beispiels­ weise bei (Liefer-)Aufträgen des Bundes für die Bundeswehr wie Kleidung oder sonstige spezifisch bundeswehrbezogene Ausrüstungsgegenstände in Betracht. Öffentlichen Auftraggebern mit marktbeherrschender Stellung ist es zudem gemäß den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts untersagt, diese zu missbrau­ chen sowie andere Unternehmen zu behindern oder zu diskriminieren. Ist der langfristige Auftrag einmal zustande gekommen, kann sich die Verpflichtung 489

Kalbe, EWS, 2005, 116.

Marx, NZBau 2002, 311 (312).

491 Vgl. BGH, Beschl. v. 14. 03. 1990 – KVR 4/88, NJW 1990, 2815 (2817).

492 Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 95.

493 Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 96.

494 Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 95.

495 Für den Markt der Versicherungsleistungen Klenk, Versicherungsdienstleistungen,

S. 95 f., der zutreffend die marktbeherrschende Stellung für diesen Bereich ablehnt. Denn der öffentliche Auftraggeber begibt sich auf einen Markt, der räumlich und zeitlich nicht begrenzt ist und zudem sowohl von einer größeren Gruppe öffentlicher Auftraggeber als auch von Privaten nachgefragt wird. 490

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

zur Kündigung und Neuausschreibung aus dem Diskriminierungsverbot des § 26 Abs. 2 GWB ergeben. 496 Das Verbot der Diskriminierung führt im Rah­ men der Ermessensausübung zu einer Ermessensreduzierung auf Null, da die Verlängerung aufgrund des Verstoßes gegen das Kartellrecht einen rechtswidri­ gen Zustand begründen würde. Die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses stellt in diesem Fall keine rechtmäßige Entscheidungsalternative dar und ist somit im Rahmen des Ermessens nicht verfügbar. (6) Altverträge Einer gesonderten Beurteilung bezüglich der Frage der Kündigungspflicht von Verträgen bedürfen Altverträge, also solche Verträge, die vor Inkrafttreten des Vergaberechts 497 abgeschlossen wurden. 498 Hinsichtlich solcher Verträge galten die restriktiven Vorgaben des europarechtlich geprägten Vergaberechts in Be­ zug auf Verfahren und Auswahl des Auftragnehmers noch nicht. Dabei wurden insbesondere Verträge der Daseinsvorsorge, wie beispielsweise Entsorgungsver­ träge, über einen langen Zeitraum von 20 Jahren und mehr abgeschlossen. 499 Derartige Altverträge können ein erhebliches Auftragsvolumen auf Dauer dem Wettbewerb entziehen. 500 (a) Grundsatz des Bestandsschutzes von Altverträgen Es besteht Einigkeit, dass es für die Beurteilung, ob der Vertrag vergaberechts­ konform zustande gekommen ist, auf das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Recht ankommt. Spätere Änderungen des Vergaberechts stellen die Wirksamkeit der Verträge nicht in Frage. Andernfalls würde der Bestand von Verträgen durch neue Rechtssetzungsakte auf der Ebene des Gemeinschafts­ rechts kontinuierlich in Frage gestellt. 501 Daher haben auch unbefristete Altver­ träge nach Inkrafttreten des Vergaberechts weiterhin Bestand. 502 Das Gemein­ 496 So Marx, NZBau 2002, 311 (312); Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kom­ mentar GWB, § 99, Rn. 76. 497 Die Umsetzungsfristen liefen für die ehemaligen drei Vergabekoordinierungsricht­ linien gesondert, und zwar gemäß Art. 44 Abs. 1 DKR bis 01. 07. 1993, gemäß Art. 31 Abs. 1 BKR bis 31. 12. 1992 sowie gemäß Art. 34 Abs. 1 bis 14. 06. 1994. 498 Vgl. Noch, NZBau 2002, 86. 499 Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5, Rn. 7. 500 VK Arnsberg, Beschl. v. 18. 07. 2000 – VK 2 – 07/2000. 501 VK Bund, Beschl. v. 08. 06. 2006 – VK 2 – 114/05, ZfBR 2007, 194 (199); Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5, Rn. 7. 502 OLG Celle, Beschl. v. 04. 05. 2001 – 13 Verg 5/00, NZBau 2002, 53 f.; VK Arns­ berg, Beschl. v. 18. 07. 2000 – VK 2 – 07/2000; Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 38; Vetter, NVwZ 2001, 745 (749).

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schaftsrecht verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber nicht, in bestehende, auf unbestimmte Zeit oder lange Jahre abgeschlossene Rechtsverhältnisse, die vor Ablauf der Umsetzungsfrist begründen worden sind, einzugreifen. 503 In diesem Sinne entschied auch der EuGH, dass die Vergaberichtlinien auf Rechtsbezie­ hungen, die vor Ablauf der Umsetzungsfristen zustande kamen, keinen Einfluss haben können. Diese genießen vielmehr Bestandskraft. Der EuGH folgerte dies aus einer praktischen Konkordanz mit dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Rechtssicherheit. 504 Unbefristete Verträge, die vor Inkrafttreten des europäischen Vergaberechts abgeschlossen wurden, müssten daher nicht vorzeitig beendet wer­ den. 505 (b) Ausnahme bei Änderungen des Vertrages Eine Verlängerung oder auch Fortsetzung bestehender Altverträge ist jedoch immer dann vergaberechtlich relevant, wenn Leistungsmengen oder -qualitäten geändert werden. In einem solchen Fall besteht eine Pflicht zur Neuausschrei­ bung, 506 da die Frage, ob ein neuer Auftrag vorliegt, sich nach dem Recht richtet, das zum Zeitpunkt der Änderung gilt. 507 Das gemeinschaftsrechtliche Rückwir­ kungsverbot schließt eine solche unechte Rückwirkung nicht ein. In diesem Fall wird nämlich an Umstände angeknüpft, die zeitlich im Geltungsbereich der Richtlinie liegen. 508 Wird mithin ein „Altvertrag“ im zeitlichen Geltungs­ bereich der Richtlinie inhaltlich umgestaltet oder stellt sich eine Verlängerung 503 VK Bund, Beschl. v. 08. 06. 2006 – VK 2 – 114/05, ZfBR 2007, 194 (199); Kulartz, NZBau 2001, 173 (178) unter Berufung auf die EuGH-Rechtsprechung zu Altverträgen; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2067. 504 EuGH, Urt. v. 24. 09. 1998 – Rs. C-76/97 (Walter Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 48 ff. sowie Urt. v. 05. 10. 2000 – Rs. C-337/98 (Kommission / Frankreich), Slg. 2000, I-8377, Rn. 38 ff. 505 VK Bund, Beschl. v. 08. 06. 2006 – VK 2 – 114/05, ZfBR 2007, 194 (199). 506 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. 02. 2001 – Verg 13/00, NZBau 2002, 54 (55 f.); Noch, NZBau 2002, 86. Vereinzelt wurde vertreten, dass selbst dann, wenn die Entgel­ te unter Verstoß gegen das Vergaberecht neu verhandelt werden, die Wirksamkeit der Altverträge nicht beeinträchtigt würde und eine Ausschreibung entsprechend den ver­ gaberechtlichen Regelungen nicht begründet werden könne (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 04. 05. 2001 – 13 Verg 5/00, NZBau 2002, 53 (54)). Diese Ansicht setzte sich zu Recht nicht durch. 507 Es ergeben sich insoweit keine Unterschiede zu der Konstellation der Änderung von Verträgen durch Parteivereinbarung. Hierzu ausführlich Kapitel 4. 508 So zutreffend Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 109 f. Dem steht die Ent­ scheidung des EuGH in Sachen Walter Tögel (Fn. 916) nicht entgegen. Zwar hatte der EuGH einen Eingriff in ein vor Ablauf der Umsetzungsfrist vergaberechtswidrig zu­ stande gekommenes Vertragsverhältnis ausdrücklich abgelehnt. Jedoch war im Falle des EuGH allein der Abschluss des Vertrages streitrelevant und damit ein vor Inkrafttreten der Richtlinien abgeschlossener Vorgang.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

des Vertrages, auch durch Nichtkündigung, als Verstoß gegen das Wettbewerbs­ und Gleichbehandlungsgebot dar, so steht das Rückwirkungsverbot einer Pflicht zur Beendigung des Vertrages und Durchführung eines Vergabeverfahrens nicht entgegen. 509 Dies gilt auch dann, wenn der Altvertrag selbst kein Kündigungsrecht des Auftraggebers vorsieht. Sind erhebliche Änderungen des Vertrages erforderlich und ist die Fortführung des Vertrages ohne diese Änderungen für den Auf­ traggeber unzumutbar, so kann dieser den Vertrag gemäß § 314 Abs. 1 BGB außerordentlich kündigen. Gemäß § 314 Abs. 1 BGB kann jeder Vertragsteil ein Dauerschuldverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kün­ digungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zu­ gemutet werden kann. Ein Verschulden der einen oder anderen Vertragspartei ist nicht erforderlich. 510 Das Kündigungsrecht gilt insbesondere auch für Alt­ verträge, welche vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 01. 01. 2002 abgeschlossen wurden. Dies folgt aus Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB. Hiernach finden auf Dauerschuldverhältnisse ab dem 01. 01. 2003 die Vorschrif­ ten des neuen BGB Anwendung, unabhängig vom Zeitpunkt der Begründung des Schuldverhältnisses. 511 Ein außerordentlicher Kündigungsgrund wird beispielsweise bei erheblichem Änderungsbedarf des bestehenden Vertrages anerkannt. 512 Eine Anpassung wä­ re aus vergaberechtlichen Gründen nicht zulässig, da wesentliche Änderungen des laufenden Leistungsvertrages als einvernehmliche Aufhebung des Altvertra­ ges und hiermit verbunden als Abschluss eines neuen Vertrages zu geänderten Konditionen zu bewerten sind. 513 Ein Festhalten am ursprünglichen Vertragsver­ hältnis unter Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften ist dem Auftraggeber aber nicht zuzumuten, sodass dieser sich gemäß § 314 Abs. 1 BGB durch außer­ ordentliche Kündigung aus wichtigem Grund lösen kann. 514 Ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages wird teilweise auch aus § 313 Abs. 3 BGB analog abgeleitet. 515 Hiernach darf der Auftraggeber den 509

Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 110. Ruthig, Vergaberechtswidrige Verträge, S. 77. 511 Horn, VergabeR 2006, 667 (676). 512 VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005. 513 VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005; Bitterich, NJW 2006, 1845 (1849). 514 VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005; Ruthig, Vergaberechts­ widrige Verträge, S. 77. 515 LG München, Urt. v. 20. 12. 2005 – 33 O 16465/05, NZBau 2006, 269 ff.; Byok, NJW 2006, 2076 (2080); Prieß / Gabriel, NZBau 2006, 219 (221); vgl. hierzu auch Ruthig, 510

Kap. 5: Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung

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Vertrag außerordentlich kündigen, wenn die Auftragsvergabe als rechtswidrig erkannt wurde. Denn öffentlichen Auftraggebern sei es aufgrund ihrer Bindung an den Grundsatz der Recht- und Gesetzesmäßigkeit nicht zuzumuten, an einem gemeinschaftsrechtswidrig festgestellten Zustand festzuhalten. 516 Benachteiligte Wettbewerber können hieraus unter Umständen die Neudurchführung eines Ver­ gabeverfahrens erzwingen. 517 Das Kündigungsrecht aus § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB ist gegenüber dem Kündigungsrecht aus § 314 Abs. 1 BGB jedoch subsidiär. Es kann aber beispielsweise dann zur Anwendung kommen, wenn die Vorausset­ zung der Unzumutbarkeit gemäß § 314 Abs. 1 BGB nicht erfüllt ist. 518 d) Ergebnis Als Zwischenergebnis der vergaberechtlichen Untersuchung des Umgangs mit Kündigungsklauseln ist zunächst festzuhalten, dass das Unterlassen der Kündi­ gung eines laufenden Vertrages immer dann vergaberechtlich relevant ist, wenn eine Pflicht zur Vornahme der Handlung, also zur Kündigung bestand. Der Hand­ lungsbegriff ist terminologisch kein naturwissenschaftlicher Begriff, sondern ein Rechtsbegriff. Das Unterlassen einer rechtlich gebotenen Handlung muss somit als rechtlich erhebliches Verhalten qualifiziert werden, welches in der weiteren Folge Ansprüche Dritter auslösen kann. Dem öffentlichen Auftraggeber obliegt es weiterhin, vor jeder Vertragsverlän­ gerung zu prüfen, ob er aus Gründen des Diskriminierungsverbots und des Wett­ bewerbsprinzips verpflichtet ist, anstelle der Verlängerung des Vertrages eine neue Vergabe einzuleiten. Andernfalls würde die Aufnahme von Kündigungs­ klauseln zur reinen Makulatur. Der öffentlichen Auftraggeber kann den ihm eröffneten Handlungsspielraum nicht durch schlichtes Nichthandeln „rechtsfrei“ übergehen. Denn öffentliche Auftraggeber sind aufgrund ihrer rechtlichen Bin­ dungen in ihren Entscheidungen niemals frei. Dies gilt auch für die Entscheidung über die Ausübung oder Nichtausübung eines Kündigungsrechts. Im Ergebnis dieser Prüfung stehen dem öffentlichen Auftraggeber grundsätz­ lich zwei rechtmäßige Entscheidungsalternativen zur Verfügung, nämlich die Fortführung des Vertrages einerseits oder aber die Kündigung und gegebenen­ falls die Neuvergabe der Leistung nach Durchführung eines vergaberechtlichen Verfahrens andererseits. Diese Entscheidung stellt sich als eine Ermessensent­ scheidung dar. Die Ermessensentscheidung reduziert sich jedoch auf eine EntVergaberechtswidrige Verträge, S. 76 f. Zur Abgrenzung der §§ 313, 314 BGB Bitterich, NJW 2006, 1845 (1848); Jennert / Räuchle, NZBau 2007, 555 (557). 516 LG München, Urt. v. 20. 12. 2005 – 33 O 16465/05, NZBau 2006, 269 (271); Prieß / Gabriel, NZBau 2006, 219 (221). 517 Byok, NJW 2006, 2076 (2080). 518 Horn, VergabeR 2006, 667 (676 ff.).

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

scheidungsalternative, wenn eine Fortsetzung des Vertrages durch Nichtkündi­ gung rechtswidrig wäre und die Beendigung des Vertrages durch Wahrnehmung des Kündigungsrechts als einzig rechtmäßige Handlungsalternative verbleibt. Eine solche Ermessensreduzierung auf Null und damit einer Pflicht zur Kün­ digung liegt immer dann vor, wenn der zur Verlängerung anstehende Vertrag gemeinschaftsrechtswidrig zustande gekommen ist. Die Gemeinschaftsrechts­ widrigkeit besteht gemäß der Rechtsprechung des EuGH während der Erfüllung des Vertrages bis zu dessen Beendigung fort. Der öffentliche Auftraggeber agiert daher während der gesamten Dauer der Vertragsdurchführung in einem (gemein­ schafts-) rechtswidrigen Raum. Eine Verlängerung dieses Vertrages, gleich ob durch Handeln oder durch Unterlassen, würde den (gemeinschafts-) rechtswidri­ gen Zustand unzulässig perpetuieren. Eine Ermessensreduzierung auf Null und hieraus folgend, eine Pflicht zur Kündigung, ist weiterhin auch dann gegeben, wenn sich die Nichtkündigung als willkürliches und damit rechtswidriges „Verharren im unwirtschaftlichen Ver­ trag“ darstellt. Dies ist der Fall, wenn das vereinbarte Entgelt grob unangemessen ist und es hierfür keine sachliche Rechtfertigung gibt. Eine grobe Unangemes­ senheit ist bei marktüblichen Leistungen zu vermuten, wenn die Vertragsleistung 20% über dem teuersten Konkurrenzpreis liegt. Eine Pflicht zur Beendigung eines langfristigen Vertrages ist weiterhin anzu­ nehmen, wenn der die lange Vertragslaufzeit rechtfertigende Grund nachträglich weggefallen ist oder eine angemessene Vertragszeit, welche die Belange des Auftragnehmers hinreichend berücksichtigt, erreicht ist. Denn in diesem Fall existiert kein sachlicher Grund für die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses. Öffentlichen Auftraggebern mit marktbeherrschender Stellung ist es zudem gemäß den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts untersagt, diese zu missbrau­ chen sowie andere Unternehmen zu behindern oder zu diskriminieren. Hieraus folgt eine Pflicht zur Beendigung des Vertrages, wenn die Verlängerung das Diskriminierungsverbot des § 26 Abs. 2 GWB verletzen würde. Von der Kündigungspflicht grundsätzlich ausgenommen sind Altverträge, die vor Ablauf der Umsetzungsfrist der gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien abgeschlossen wurden. Diese genießen Bestandsschutz. Eine Pflicht zur Been­ digung und Neuausschreibung ergibt sich jedoch dann, wenn der Vertrag im Laufe des Vertragsverhältnisses und im Wirkungsbereich des Vergaberechts ver­ gaberechtlich relevante Änderungen erfährt. Ist dem öffentlichen Auftraggeber die Fortführung des Vertrages ohne diese Änderungen unzumutbar, so kann er diese gemäß § 314 Abs. 1 BGB bzw. § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB außerordentlich kündigen.

Kap. 5: Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung

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C. Ergebnis Die Untersuchungen zu Vertragsverlängerungen durch Nichtausüben eines Kündigungsrechts haben gezeigt, dass der vergaberechtliche Bereich durch diese Form der Vertragsgestaltung in verschiedener Hinsicht berührt wird. I. Der Abschluss langfristiger oder unbefristeter Verträge mit Kündigungs­ oder automatischen Verlängerungsklauseln bedeutet zunächst eine Beschränkung des Wettbewerbs. Langfristige oder unbefristete Verträge kollidieren mit der gemeinschaftsrechtlichen Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit und dem Grundanliegen des Vergaberechts, einen breiten und regelmäßigen Wettbewerb hinsichtlich der Vergabe öffentlicher Aufträge herzustellen. Hieraus folgt, dass der Abschluss langfristiger Verträge einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Aus der Rechtsprechung des EuGH kann insoweit die Faustformel abgeleitet werden, dass der öffentliche Auftraggeber konkret in dem Leistungsgegenstand liegende besondere Umstände darlegen muss, welche die Langfristigkeit bedingen und die konkret gewählte Dauer des Vertrages erforderlich ist, um diesen Umständen angemessen Rechnung zu tragen. II. Im Hinblick auf unzulässige Beschränkungen des Wettbewerbs müssen automatische Verlängerungsklauseln begrenzt werden, da die stetige Verlänge­ rung eines befristeten Vertrages faktisch zu einem unbefristeten Vertrag führen würde. Weiterhin bedarf es in einem langfristigen Vertrag der Aufnahme ei­ ner ordentlichen Kündigungsmöglichkeit mit angemessenen Kündigungsfristen, da der Auftraggeber sich die Möglichkeit vorbehalten muss, den Vertrag zu beenden, sobald die die Vertragslaufzeit rechtfertigenden Umstände wegfallen oder andere besondere Umstände auftreten, die die Beendigung zugunsten des Wettbewerbs bedingen. III. Die Verlängerung von Verträgen durch Nichtausüben eines Kündigungs­ rechts ist des Weiteren als ein Unterlassen und damit als ein rechtlich relevantes Verhalten zu qualifizieren. Das Unterlassen einer Handlung einer rechtlich ge­ botenen Handlung löst immer dann Ansprüche Dritter aus, wenn eine Pflicht zum Handeln, also zur Ausübung des Kündigungsrechts durch den öffentlichen Auftraggeber bestand. IV. Aus der Aufnahme von Kündigungs- und automatischen Verlängerungs­ klauseln ergeben sich für den öffentlichen Auftraggeber konkrete Handlungs­ pflichten. Vor der Entscheidung zur Nichtkündigung des Vertrages ist der Auf­ traggeber verpflichtet, anhand des Wettbewerbsgrundsatzes und des Gebots der Gleichbehandlung die Rechtfertigung der Fortführung des Vertrages zu prüfen. Der Auftraggeber besitzt im Ergebnis dieser Prüfung grundsätzlich einen Ermes­ sensspielraum, ob er von seinem Kündigungsrecht Gebrauch macht oder aber den Vertrag mit dem Auftragnehmer fortsetzt.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

V. Die Prüfung der Kündigungsvoraussetzungen kann jedoch dazu führen, dass Gründe vorliegen, die die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers in der Weise verdichten, dass nur noch die Kündigung des Vertrages als rechtmä­ ßige Handlungsmöglichkeit verbleibt. In diesem Fall liegt eine Ermessensredu­ zierung auf Null vor. VI. Von einer Kündigungspflicht grundsätzlich ausgenommen sind Altverträ­ ge, die vor Ablauf der Umsetzungsfrist der gemeinschaftsrechtlichen Vergabe­ richtlinien abgeschlossen wurden. Diese genießen Bestandsschutz. Eine Pflicht zur Beendigung und Neuausschreibung ergibt sich jedoch dann, wenn der Vertrag im Laufe des Vertragsverhältnisses und im Wirkungsbereich des Vergaberechts vergaberechtlich relevante Änderungen erfährt. Unter Zugrundelegung des vorangehend dargestellten Untersuchungsergebnis­ ses ist die Verlängerung eines Vertrages durch Nichtausüben des Kündigungs­ rechts immer dann vergaberechtlich relevant, wenn sich die Nichtkündigung als Unterlassen einer rechtlich gebotenen Handlung darstellt. Dies ist der Fall, wenn eine Pflicht zur Kündigung und Beschaffung im Wettbewerb bestand. Eine Pflicht zur Kündigung des Vertrages besteht, wenn: 1. der zur Verlängerung anstehende Vertrag seinerseits gemeinschaftsrechtswid­ rig unter Umgehung des Vergaberechts zustande gekommen ist, 2. die Verlängerung sich als ein willkürliches, sachlich nicht gerechtfertigtes Verharren in einem grob unwirtschaftlichen Vertrag darstellt, wobei eine grobe Unwirtschaftlichkeit bei marktüblichen Leistungen zu vermuten ist, wenn die Vertragsleistung 20% über dem teuersten Konkurrenzpreis liegt, 3. im Falle eines langfristigen Vertrages, wenn der die lange Vertragslaufzeit rechtfertigende Grund nachträglich weggefallen ist oder eine angemessene Vertragszeit, welche die Belange des Auftragnehmers hinreichend berücksich­ tigt, erreicht ist oder 4. die Verlängerung des Vertrages durch einen marktbeherrschenden öffentli­ chen Auftraggeber gegen das Wettbewerbsrecht, insbesondere das wettbe­ werbsrechtliche Diskriminierungsverbot aus § 26 Abs. 2 GWB verstößt. Eine Fortsetzung des bestehenden Vertragsverhältnisses ist in diesen Fällen nicht zulässig. Der Auftraggeber ist verpflichtet, bei fortbestehendem Bedarf ein Vergabeverfahren unter Beachtung der Bestimmungen des Vergaberechts durchzuführen. Unterlässt er dies, so ist in der vergaberechtswidrigen Fortsetzung des Vertragsverhältnisses eine Umgehung des Vergaberechts (sogenannte De­ facto-Vergabe) zu sehen.

Kap. 6: Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten

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Kapitel 6

Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten A. Ausgangslage Als Ausgangspunkt der Untersuchung von Vertragsänderungen auf der Grund­ lage von Optionsrechten ist zunächst der Begriff der Option zu klären. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Optionsrechte, Optionsklauseln oder auch Options­ verträge Instrumente sind, die dem Zivilrecht entspringen (hierzu I.). 519 Darüber hinaus müssen Optionsrechte von ähnlichen rechtlichen Konstellationen abge­ grenzt werden (hierzu II.). Auf dieser Grundlage kann die vergaberechtliche Untersuchung vorgenommen werden. I. Begriffsbestimmung 1. Zivilrechtliche Grundsätze Das Optionsrecht ist das Recht, durch einseitige Erklärung des Optionsberech­ tigten einen Vertrag zustande zu bringen 520 oder zu verlängern. 521 Von einem Optionsrecht ist auch dann die Rede, wenn dem Berechtigten ein langfristig bindendes Angebot unterbreitet wird, welches der Berechtigte nach Belieben annehmen kann. 522 Es ist zu unterscheiden zwischen dem Optionsberechtigten, zu dessen Gunsten die Option besteht, und dem Optionsverpflichteten, der das Optionsrecht zugunsten des Optionsberechtigten einräumt und bei entsprechen­ der Willenserklärung zur Leistungserbringung verpflichtet ist. Rechtlich ist das Optionsrecht nach ganz herrschender Meinung ein einseitiges, vertraglich einge­ räumtes Gestaltungsrecht des Optionsberechtigten, 523 das von der Zustimmung 519

Ausführlich zum Optionsvertrag Henrich, S. 229 ff. BayObLG, Beschl. v. 18. 06. 2002 – Verg 8/02, VergabeR 2002, 657 (658); VK Arnsberg, Beschl. v. 15. 09. 1999 – VK 14/99; Heinrichs, in: Palandt, BGB, Einf v § 145, Rn. 23 m.w. N; Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (201); Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2039. 521 Bork, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 145 – 156, Rn. 69; Kramer, in: Münchener Kommentar, BGB, Vor § 145, Rn. 57; Weber, JuS 1990, 249 (250); Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2039; Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2747). 522 VK Arnsberg, Beschl. v. 15. 09. 1999 – VK 14/99; Heinrichs, in: Palandt, BGB, Einf v §145, Rn. 23 m.w. N.; Weber, JuS 1990, 249 (251); Henrich, S. 229. 523 BGH, Urt. v. 25. 02. 1985 – VIII ZR 116/84, NJW 1985, 2481; Henrich, S. 242; Heinrichs, in: Palandt, BGB, Einf v § 145, Rn. 23; Kramer, in: Münchener Kommentar, BGB, Vor § 145, Rn. 57; einschränkend Bork, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 145 – 520

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

des anderen Teils unabhängig ist. Die Ausübung des Optionsrechts wirkt unmit­ telbar auf das bestehende Vertragsverhältnis. Dieses wird mit der Abgabe der Optionserklärung durch den Optionsberechtigten ohne weitere Zwischenschritte um die optionale Leistung erweitert oder verlängert. 524 Ein Optionsrecht kann durch Optionsklausel, Festofferte oder Optionsvertrag zivilrechtlich begründet werden. Bei einer Optionsklausel wird das Options­ recht neben sonstigen vertraglichen Verpflichtungen in das Vertragsverhältnis eingebunden. Die Festofferte ist eine bindende Offerte, die dem Erklärungsemp­ fänger eine längere Annahmefrist einräumt. 525 Im Falle eines Optionsvertrages unterbreitet der Verpflichtete ein bindendes Vertragsangebot und räumt dem Be­ rechtigten das Recht ein, das Angebot zu konkret benannten Bedingungen oder Befristungen anzunehmen. 526 Vertragliche Optionsrechte unterscheiden sich von einseitigen Optionsrechten nur in ihrer Entstehung, nicht aber in ihrer Wirkung. In sämtlichen Varianten stellt das dem Empfänger erwachsende Recht ein ein­ seitiges Gestaltungsrecht dar. 527 2. Begriffskonkretisierung im Vergaberecht Das Optionsrecht gibt dem öffentlichen Auftraggeber eine einseitige rechtli­ che Gestaltungsmacht, bei deren Ausübung der Vertrag zu den im Voraus be­ stimmten Konditionen zustande kommt oder geändert wird. 528 Im Vergaberecht werden Optionsrechte regelmäßig nicht isoliert, sondern als Ergänzung einer Ba­ sisvereinbarung, als zeitliche Verlängerung eines Vertrages, als mengenmäßige Erweiterung oder in Form einer stufenweisen Beauftragung in Abhängigkeit von konkreten Leistungsphasen vereinbart. 529 Optionen können leistungserweiternd oder leistungsverlängernd wirken. Im Unterschied zu automatischen Verlänge­

156, Rn. 73; Osenbrück, RBBau, § 3 VM, Rn. 9; Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (201); Weber, JuS 1990, 249 (250); Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2747). 524 BGH, Urt. v. 25. 02. 1985 – VIII ZR 116/84, NJW 1985, 2481. 525 Kramer, in: Münchener Kommentar, BGB, Vor § 145, Rn. 59; Weber, JuS 1990, 249 (251). 526 Kramer, in: Münchener Kommentar, BGB, Vor § 145, Rn. 60. 527 Weber, JuS 1990, 249 (251). 528 OLG Düsseldorf, Urt. v. 21. 05. 1996 – 12 U 116/95, BauR 1997, 340; Osenbrück, RBBau, § 3 VM, Rn. 9; Locher / Koeble / Frik, § 103 HOAI, Rn. 15; Klenk, Versicherungs­ dienstleistungen, S. 145 m.w. N.; Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 39; Prieß, S. 113; Henrich, S. 229. 529 Vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 22. 05. 2007 – Verg W 13/06, IBR 2007, 390; VK Arnsberg, Beschl. v. 15. 09. 1999 – VK 14/99; Marx, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 99 GWB, Rn. 7; Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 39; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2039; Prieß, S. 113; Kullack, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, § 99 GWB, Rn. 16.

Kap. 6: Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten

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rungsklauseln bedarf es einer empfangsbedürftigen Willenserklärung, um die optionale Vertragsverlängerung zustande zu bringen. Auch im Vergaberecht sind die Vertragsparteien des Optionsvertrages an die vereinbarten Vertragsbedingungen gebunden. 530 Ebenso wie im Zivilrecht liegt ein echtes Optionsrecht nur dann vor, wenn der öffentliche Auftraggeber oh­ ne eine Mitwirkung seines Vertragspartners ein neues, hinreichend bestimmtes Rechtsverhältnis begründen oder das bestehende entsprechend der Vereinbarung abändern kann. 531 Sämtliche, auch die optional zu erbringenden Haupt- und Ne­ benleistungen werden bereits mit Vertragsschluss abschließend festgelegt. Offen bleibt lediglich der endgültige Umfang der Beauftragung. Durch die Abgabe eines Angebots über das Gesamtvorhaben wird der Auftragnehmer in der Weise gebunden, dass er bei Abruf der Leistungen durch den Auftraggeber den optio­ nalen Auftrag zu dem vertraglich bereits vereinbarten Preis erbringen muss. 532 Er besitzt keinen Entscheidungsspielraum mehr, ob er die Leistung erbringen will. 533 Optionsklauseln enthalten in der Regel lediglich eine Absichtserklärung des öf­ fentlichen Auftraggebers zur weiteren Beauftragung ohne entsprechenden Rechts­ bindungswillen. 534 Zwar muss in jedem Einzelfall durch Auslegung ermittelt wer­ den, ob dieser Absicht zur weiteren Beauftragung ein rechtsgeschäftlicher Bin­ dungswille zu entnehmen ist. 535 Dies richtet sich allein danach, ob der Auftrag­ nehmer unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen des öffentlichen Auftraggebers schließen durfte. Hierfür bedarf es objektiver Anhaltspunkte im Hinblick auf die Erklärungen oder das sonstige Verhalten des Auftraggebers, anhand derer der Wille, eine rechtsgeschäftliche Verbindung einzugehen, festgestellt werden kann. 536 Gegen die Annahme eines Rechtsbindungswillens des öffentlichen Auf­ traggebers spricht, wenn ein Rechtsanspruch auf Übertragung weiterer Leistungen gegenüber dem Auftragnehmer ausgeschlossen wurde. 537 Wird hingegen der Ab­ 530

Prieß, S. 114. Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (201). 532 OLG Stuttgart, Beschl. v. 09. 08. 2001 – 2 Verg 3/01, NZBau 2002, 292 (293); VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 09. 10. 2001 – 1 VK 27/01. 533 Osenbrück, RBBau, § 3 VM, Rn. 4 ff. 534 OLG Brandenburg, Beschl. v. 22. 05. 2007 – Verg W 13/06, IBR 2007, 390; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21. 05. 1996 – 12 U 116/95, BauR 1997, 340 f.; a. A. Löffelmann / Fleischmann, Architektenrecht, Rn. 874 f., die in der Absichtserklärung zur stufenweisen Beauftragung einen Vorvertrag sehen. 535 Bejahend für Auslobungen von Architektenwettbewerben nach GRW 1977 BGH, Urt. v. 03. 11. 1983 – III ZR 125/82, NJW 1984, 1533 (1536). 536 BGH, Urt. v. 03. 11. 1983 – III ZR 125/82, NJW 1984, 1533 (1536) m.w. N. 537 Müller-Wrede, in: Müller-Wrede, VOF, § 3, Rn. 25 unter Hinweis auf die Ver­ tragsmuster der RBBau. Hiermit wird zugleich eine korrespondierende Verpflichtung des 531

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ruf der Optionen an konkrete Bedingungen, beispielsweise an die Erteilung einer behördlichen Genehmigung, geknüpft, so ergibt sich hieraus nach entsprechen­ der Auslegung eine Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, bei Eintritt der Bedingung die optionalen Leistungen zu beauftragen. 538 II. Abgrenzungen In rechtlicher und begrifflicher Hinsicht gilt es Optionsrechte als einseiti­ ge Gestaltungsrechte des öffentlichen Auftraggebers von ähnlichen rechtlichen Konstellationen wie dem unverbindlichen Hinweis, dem Vorvertrag und dem Rahmenvertrag sowie hinsichtlich Alternativ- und Bedarfspositionen abzugren­ zen. 1. Unverbindlicher Hinweis Die Abgrenzung einer optionalen Leistung zu einem bloßen unverbindlichen Hinweis seitens des öffentlichen Auftraggebers im Rahmen der Ausschreibungs­ unterlagen erfolgt nach der Intensität und dem Grad der Konkretisierung der Anforderungen an die Bieter unter Berücksichtigung der Umstände des Einzel­ falls. Soweit die Auslegung ergibt, dass der Bieter ein verbindliches Angebot hinsichtlich der fraglichen Position abzugeben hatte, handelt es sich rechtlich um eine Option, die im Vergabeverfahren Berücksichtigung finden muss, insbe­ sondere bei der Berechnung der Schwellenwerte. 539 2. Vorverträge Vorverträge sind schuldrechtliche Vereinbarungen, durch welche für einen oder für beide Vertragspartner die Verpflichtung begründet wird, einen weiteren schuldrechtlichen Vertrag, den Hauptvertrag, abzuschließen. Eine rechtsgeschäft­ liche Bindung tritt erst dann ein, wenn der in Aussicht genommene Vertrag nach Einigung über alle Einzelheiten abschlussreif ist. 540 Auftraggebers zur weiteren Auftragserteilung ausgeschlossen. Denn der Ausschluss eines Rechtsanspruchs soll nach seinem erkennbaren Zweck gerade bewirken, dass aus der Ab­ sichtserklärung und dem Eintritt der dort aufgeführten Bedingungen eine Verpflichtung nicht abgeleitet werden kann (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 15. 04. 1999 – 9 U 3211/98, IBR 2001, 26; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21. 05. 1996 – 12 U 116/95, BauR 1997, 340 (341); Löffelmann, IBR 2001, 26). 538 VÜA Bayern, Beschl. v. 25. 09. 1998 – VÜA 25/98, IBR 1999, 147. 539 OLG Stuttgart, Beschl. v. 09. 08. 2001 – 2 Verg 3/01, NZBau 2002, 292 (293); Wagner, IBR 2002, 158. 540 BGH, Urt. v. 30. 04. 1992 – VII ZR 159/91, NJW-RR 1992, 977; Urt. v. 17. 12. 1987 – VII ZR 307/86, NJW 1988, 1261.

Kap. 6: Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten

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Der Vorvertrag unterscheidet sich vom Optionsvertrag hauptsächlich dadurch, dass bei Eintritt bestimmter Bedingungen lediglich der Abschluss des Haupt­ vertrages oder die Abgabe eines bindenden Vertragsangebots verlangt werden kann. 541 Der Vorvertrag führt damit zu einem vertraglich vereinbarten Kontra­ hierungszwang. 542 Ein Optionsvertrag verpflichtet hingegen nicht zum Vertrags­ schluss. 543 Er begründet vielmehr ein einseitiges Gestaltungsrecht, welches bei Ausübung die vertragliche Verpflichtung unmittelbar zustande bringt. 544 Ein An­ spruch des Auftragnehmers auf Beauftragung der optionalen Leistungen besteht grundsätzlich nicht. Vielmehr behält sich der öffentliche Auftraggeber die Ent­ scheidung, ob er weitere Leistungen auf den Vertragspartner übertragen möchte, vor. 545 Der aus dem Vorvertrag Berechtigte erlangt mithin einen klagbaren Anspruch auf Abschluss des Hauptvertrages, während bei einem Optionsrecht der Haupt­ vertrag allein durch die Erklärung des Berechtigten zustande kommt. 546 Hieraus folgt des Weiteren, dass das Angebot bei einem Optionsvertrag so bestimmt sein muss, dass es mit einem bloßen „Ja“ angenommen werden kann. Bei einem Vorvertrag genügt es hingegen, wenn dieser so bestimmt ist, dass Klage auf Abschluss des Hauptvertrages erhoben werden kann. 547 3. Rahmenverträge Bei einem Rahmenvertrag handelt es sich um eine Vereinbarung, welche die Bedingungen künftiger Einzelaufträge festlegt, ohne dass hierdurch unmittelbar Leistungspflichten begründet werden. Auf der Grundlage von Rahmenvereinba­ rungen werden die Einzelaufträge abgerufen. Der Rahmenvertrag nimmt mithin ein Stück Vertragsinhalt künftiger Verträge vorweg. Der Leistungsinhalt der künftigen Einzelaufträge muss bei Abschluss der Rahmenvereinbarung im Ge­ gensatz zu optionalen Leistungen nicht bereits derart konkret feststehen, dass der Auftraggeber diese nur noch mit einem bloßen „Ja“ annehmen kann. Vielmehr 541 Henrich, S. 233; Kramer, in: Münchener Kommentar, BGB, Vor § 145, Rn. 57 unter Bezugnahme auf OLG Düsseldorf, Urt. v. 15. 09. 1997 – 19 U 210/96, NJW-RR 1998, 809 (Ls.). 542 Weber, JuS 1990, 249 (252). 543 Henrich, S. 232. 544 Heinrichs, in: Palandt, BGB, Einf v §145, Rn. 23 m.w. N.; ähnlich Henrich, S. 233; VK Arnsberg, Beschl. v. 15. 09. 1999 – VK 14/99; Boesen, Vergaberecht, § 100 GWB, Rn. 29; Kramer, in: Münchener Kommentar, BGB, Vor § 145, Rn. 57 unter Bezugnahme auf OLG Düsseldorf, Urt. v. 15. 09. 1997 – 19 U 210/96, NJW-RR 1998, 809 (Ls.). 545 OLG Dresden, Urt. v. 15. 04. 1999 – 9 U 3211/98, IBR 2001, 26; Löffelmann, IBR 2001, 26. 546 Weber, JuS 1990, 249 (252). 547 Weber, JuS 1990, 249 (252).

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sind Einzelaufträge bei ihrem späteren Abruf konkretisierungsfähig hinsichtlich Leistungsumfang, -zeit, -ort sowie auch hinsichtlich des Vertragspartners. Denn ein Rahmenvertrag kann auch mit mehreren Unternehmen abgeschlossen wer­ den, von denen jedoch nur eines mit einer konkreten Einzelleistung beauftragt wird. Bei einer Option sind hingegen Haupt- und Gegenleistungen sowie Ver­ tragspartner bereits mit Abschluss des Hauptvertrages abschließend festgelegt. Hieraus ergeben sich unterschiedliche vergaberechtliche Anforderungen. 548 4. Wahl- bzw. Alternativpositionen Der Begriff der Option wird teilweise auch im Zusammenhang mit Wahl­ bzw. Alternativpositionen 549 gebraucht. 550 Diese haben jedoch im engeren rechtli­ chen Sinne nichts miteinander gemein. Wahl- bzw. Alternativpositionen bezeich­ nen solche Leistungen, die alternativ an die Stelle der im Leistungsverzeichnis aufgeführten Grundpositionen treten sollen. Sie sind üblich, wenn nicht feststeht, ob eine bestimmte Leistung gemäß der Grundposition ausgeführt werden kann, oder ob an deren Stelle eine gleichwertige oder ähnliche Leistung in abgeänder­ ter „alternativer“ Form treten soll, also beispielsweise alternative Materialien oder Ausführungsarten. 551 Die Entscheidung über die Beauftragung der Wahlpo­ sition trifft der Auftraggeber erst bei Auftragserteilung. 552 Anders als optionale Leistungen treten Wahlpositionen mithin an die Stelle der Grundposition und werden nicht zusätzlich (leistungserweiternd oder leistungsverlängernd) verlangt. Die vergaberechtliche Bewertung ist daher grundsätzlich verschieden. 5. Bedarfs- bzw. Eventualpositionen Auch Bedarfs- bzw. Eventualpositionen 553 werden teilweise unter den Begriff der Option gefasst. 554 Aber auch hier bestehen wesentliche Unterschiede zur Opti­ on im engeren Sinne. Bedarfsleistungen sind solche Leistungen, bei denen zum Zeitpunkt der Erstellung des Leistungsverzeichnisses trotz aller örtlichen und technischen Kenntnisse noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls in welchem 548 549

Vgl. ausführlich zu Rahmenvereinbarungen im Vergaberecht Kapitel 7. Wahlpositionen oder Alternativpositionen bezeichnen dieselbe rechtliche Konstel­

lation. 550

Vgl. Kratzenberg, in Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 17. Vgl. ausführlich zu Wahl- bzw. Alternativpositionen Vygen, BauR 1992, 135 (136 ff.). 552 Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (162); Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 55. 553 Bedarfspositionen und Eventualpositionen bezeichnen dieselbe rechtliche Konstel­ lation. 554 Vgl. z. B. Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 44 ff. 551

Kap. 6: Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten

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Umfang sie tatsächlich zur Ausführung gelangen. 555 Ihre Erforderlichkeit ist in der Regel von Faktoren abhängig, die erst während der Bauausführung erkenn­ bar werden oder auftreten (z. B. Winterbau- oder Wasserhaltungspositionen). Der Auftraggeber kann die Erforderlichkeit dieser Leistungen zum Zeitpunkt der Anfertigung der Ausschreibungsunterlagen noch nicht absehen. Die Leis­ tungen werden zudem nur dann ausgeführt, wenn sich der Bedarf bzw. deren objektive Erforderlichkeit während der Auftragsausführung tatsächlich ergibt. 556 Bedarfspositionen dienen somit dazu, Planungslücken, die erst zu einem späteren Zeitpunkt geschlossen werden können, zu überbrücken. 557 Anders als Wahlpositionen kommen Bedarfspositionen gegebenenfalls zusätz­ lich, nicht aber alternativ zur Ausführung. 558 Hierin besteht die Gemeinsamkeit mit optionalen Leistungen. Im Unterschied zu optionalen Leistungen hängt je­ doch die Beauftragung der Bedarfsleistungen von deren objektiver Erforderlich­ keit für die Vollendung der Hauptleistung ab. 559 Die objektive Erforderlichkeit ist nachprüfbare Bedingung für die Auftragserteilung. Optionale Leistungen wirken hingegen leistungserweiternd oder -verlängernd, ohne dass hieran eine objekti­ ve Erforderlichkeit in Bezug auf die Hauptleistung geknüpft werden muss. Sie hängen allein von einer entsprechenden Willenserklärung des öffentlichen Auf­ traggebers ab. Die Bedingung ist insoweit keine objektive, sondern eine – aus­ nahmsweise zulässige – Potestativbedingung. 560 Bedarfspositionen sind in der Ausschreibung nur in gewissen Grenzen und in Ausnahmefällen zulässig. Der öffentliche Auftraggeber ist grundsätzlich gehal­ ten, die Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben. Von dieser Pflicht soll er durch Aufnahme von Bedarfspositionen nicht entbunden werden. Daher dürfen als Bedarfspositionen nur solche Leistungen aufgenommen werden, die erfahrungsgemäß zur Ausführung der Leistung erforderlich werden können und deren Notwendigkeit zum Zeitpunkt der Aufstellung der Leistungsbeschreibung 555 BGH, Urt. v. 23. 01. 2003 – VII ZR 10/01, NZBau 2003, 376; OLG München, Beschl. v. 15. 07. 2005 – Verg 14/05, VergabeR 2005, 799 (801); Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 25, Rn. 47; Vygen, BauR 1992, 135 (140). 556 Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (162); Vygen, BauR 1992, 135 (136). 557 Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 50. 558 VK Düsseldorf, Beschl. v. 13. 05. 2002 – VK 7/2002-L. 559 Goede, VergabeR 2002, 660 (661). 560 Eine Potestativbedingung liegt vor, wenn die Rechtswirkung einer Erklärung vom Willen einer Vertragspartei abhängen soll. Ein Rechtsgeschäft unter einer Potestativbe­ dingung ist nur ausnahmsweise zulässig. Es ist dann möglich, wenn eine Partei ein maß­ gebliches objektives Ereignis eintreten lassen will oder aber der Eintritt der Bedingung vom Willen des Erklärungsempfängers abhängig ist (vgl. Heinrichs, in: Palandt, BGB, Einf v § 158, Rn. 10; Westermann, in: Münchener Kommentar, BGB, § 158, Rn. 18 ff.; Derleder / Zänker, NJW 2003, 2777 (2779) m.w. N.).

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

trotz aller örtlichen und technischen Kenntnisse nicht festzustellen ist. 561 Bedarfs­ positionen müssen von untergeordneter Bedeutung für die Gesamtleistung sein. Ihnen darf zusammengerechnet nur ein unerheblicher Anteil am Gesamtauftrag zukommen. 562 Andernfalls wäre eine zuverlässige Preiskalkulation durch die Bie­ ter nicht mehr gewährleistet. 563 Insoweit besitzen Eventualpositionen wiederum Gemeinsamkeiten mit optionalen Leistungsbestandteilen.

B. Vergaberechtliche Problemstellung Optionsklauseln können im Hinblick auf das vergaberechtliche Wettbewerbs­ gebot und den Grundsatz der Gleichbehandlung problematisch sein. So erfordert es das Gebot der Gleichbehandlung, auch anderen Unternehmen die Chance an der Teilhabe öffentlicher Aufträge zu gewähren. Die Auftragserteilung durch Ausübung eines vorab vereinbarten Optionsrechtes führt jedoch zu einer Auf­ tragsvergabe ohne ein Vergabeverfahren. Es wird das Unternehmen mit der optionalen Leistung beauftragt, welches bereits Vertragspartner des öffentlichen Auftraggebers ist. Je nach Umfang der Erweiterung oder Verlängerung des Ver­ trages kann die optionale Beauftragung wettbewerbsbeschränkenden Charakter besitzen. Der Auftraggeber ist jedoch verpflichtet, Aufträge grundsätzlich im Wettbewerb zu vergeben. Dem stünde der Abschluss eines Vertrages mit unbe­ grenzter Verlängerungsoption entgegen, da hierdurch der Auftrag auf Dauer dem Wettbewerb entzogen würde. 564 Aber auch aufseiten des Auftragnehmers ist die Gewährung von Optionsrech­ ten zugunsten des Auftraggebers mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Je nach konkreter Ausgestaltung eröffnen Optionen die Möglichkeit einer erheb­ lichen Erweiterung des Auftragsvolumens bzw. einer unter Umständen unbe­ grenzten Verlängerung des Vertrages. Der Auftragnehmer ist einerseits an sein Angebot bezüglich der optionalen Leistungen gebunden. Andererseits bleibt er im Ungewissen, ob die Leistung tatsächlich in Auftrag gegeben wird. Diese Un­ sicherheit kann zu erheblichen Kalkulationsschwierigkeiten, insbesondere hin­ sichtlich der Vorhaltekosten für Personal sowie sonstige sachliche und technische Mittel, führen. Unter Umständen muss der Auftragnehmer andere Aufträge ab­ lehnen, um für den Fall des Abrufs der optionalen Leistungen leistungsbereit zu

561

KG, Urt. v. 28. 10. 2003 – 7 U 191/03, IBR 2004, 482. Der Umfang soll in der Regel 10 % des Auftragswertes nicht überschreiten (vgl. Vy­ gen, BauR 1992, 135 (140); Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 53, der als Maximalanteil 15 % als zulässig erachtet). 563 Horn, IBR 2002, 558; ähnlich auch VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 11. 2001 – 203-VgK-19/2001. 564 Prieß, S. 114. 562

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sein. Die Auferlegung derartiger Kalkulationsrisiken könnte dem vergaberechtli­ chen Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse widersprechen. Letztlich können Optionsklauseln auch Risiken für den öffentlichen Auftrag­ geber bergen. Dieser muss den Zuschlag gemäß § 97 Abs. 5 GWB auf das wirt­ schaftlich günstigste Angebot erteilen. Optionsklauseln sind zwar einerseits Be­ standteil des Angebots und fließen in den Gesamtangebotspreis ein. Andererseits steht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht fest, ob die optionalen Leistungen überhaupt zur Ausführung gelangen. Hieraus können Bewertungs­ schwierigkeiten hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Angebote resultieren. Die Wertung der Wirtschaftlichkeit kann sich je nachdem verschieben, ob optionale Leistungen abgerufen werden oder nicht. Das wirtschaftlich günstigste Hauptan­ gebot könnte bei Abruf hoch bepreister Optionsleistungen unwirtschaftlicher als ein Konkurrenzangebot werden und anders herum.

C. Vergaberechtliche Zulässigkeitsanforderungen Da Optionsklauseln, wie vorangehend dargestellt, in verschiedener Hinsicht vergaberechtlich problematisch sein können, sollen im Folgenden die Zulässig­ keitsanforderungen an die Vereinbarung und Ausübung von Optionsrechten im Vergaberecht unter Beachtung der maßgeblichen Bestimmungen des europäi­ schen und deutschen Vergaberechts herausgearbeitet werden. I. Regelungen im europäischen und deutschen Vergaberecht Weder im europäischen noch im deutschen Vergaberecht existieren Normen, die die Anforderungen an die Vereinbarung und Ausübung von Optionsklauseln im Vergaberecht explizit regeln. Lediglich mittelbar kann aus den Bestimmungen zur Berechnung der Schwellenwerte geschlossen werden, dass dem Vergaberecht die Vereinbarung von Optionsklauseln nicht fremd ist. Gemäß Art. 9 Abs. 1 VKR ist der voraussichtliche Gesamtauftragswert aufgrund des größtmöglichen Auf­ tragswertes unter Einbeziehung sämtlicher Optionsrechte und der etwaigen Ver­ längerungen des Vertrages zu schätzen. 565 Durch die Einbeziehung optionaler Leistungsbestandteile in die Berechnung der Schwellenwerte soll eine bewusste Unterschreitung der Schwellenwerte durch Verlagerungen von Leistungen in op­ 565 § 3 Abs. 6 VgV beschränkt sich ausdrücklich auf Lieferungen und Dienstleistungen. Nach h. M. ist die Bestimmung des § 3 Abs. 6 VgV analog auf Optionsklauseln im Bereich von Bauleistungen anzuwenden, da es der Funktion der Schwellenwerte entspreche, grö­ ßere Aufträge den Anwendungsbereich der EG-Vergaberichtlinien zu unterwerfen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 09. 08. 2001 – 2 Verg 3/01, NZBau 2002, 292 (293); VK BadenWürttemberg, Beschl. v. 09. 10. 2001 – 1 VK 27/01).

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

tionale Leistungsteile verhindert werden. Dies entspricht dem Grundsatz, dass Aufträge nicht in der Absicht aufgeteilt werden dürfen, das Vergaberecht durch Unterschreitung der Schwellenwerte zu umgehen. 566 Darüber hinaus ist die Einbeziehung von optionalen Leistungsbestandteilen bereits in der Vergabebekanntmachung anzugeben. Die VKR enthält im Anhang VII Teil A konkrete Vorgaben zu Optionsleistungen, die in der Bekanntmachung für öffentliche Aufträge enthalten sein müssen vor. Hiernach ist in der Be­ kanntmachung ein Hinweis auf Optionen bezüglich zusätzlicher Leistungen und, sofern bekannt, auf den vorläufigen Zeitplan für die Inanspruchnahme dieser Optionen und gegebenenfalls auf die Anzahl der Verlängerungen der Verträge aufzunehmen. 567 Aus den Bestimmungen des europäischen und nationalen Vergaberechts lassen sich daher nur die Grundsätze ableiten, dass die optionale Leistung als Bestand­ teil der Gesamtleistung bei der Berechnung der Schwellenwerte zu berücksich­ tigen und von Anfang an in die Bekanntmachung aufzunehmen ist. Weitere Anforderungen hinsichtlich der Vereinbarung und Ausübung von Optionsrech­ ten bestehen nicht. Sie müssen daher unter Zugrundelegung der allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätze und Bestimmungen entwickelt werden. II. Rechtmäßigkeitsanforderungen an Optionsklauseln Nach einhelliger Ansicht in der vergaberechtlichen Literatur und Rechtspre­ chung ist zwischen der Ausschreibung von Optionsklauseln und der Ausübung von Optionsrechten zu differenzieren. Die Vereinbarung der Option ist grund­ sätzlich als öffentlicher Auftrag zu qualifizieren, die Ausübung der Option stellt sich als Vollzug des Ursprungsvertrages dar. 568 Damit begründet die Ausübung des Optionsrechts keine neue Ausschreibungspflicht des öffentlichen Auftrag­ 566

Vgl. Art. 9 Abs. 3 VKR; Art. 17 Abs. 2 SKR; § 3 Abs. 2 VgV; VK Arnsberg, Beschl. v. 15. 09. 1999 – VK 14/99. 567 Vgl. VKR, Anhang VII, Teil A, Bekanntmachung, Nr. 6 lit. a bis c. Die Bekannt­ machungsmuster sehen unter Ziff. II.2) dementsprechend vor, dass die Gesamtmenge bzw. -umfang einschließlich aller Lose und Optionen anzugeben ist. Des Weiteren sind Optionen zu beschreiben und, falls möglich, der Zeitpunkt, zu dem sie wahrgenommen werden, anzugeben (vgl. Muster Vergabebekanntmachung der Europäischen Union, Ab­ schnitt II (Auftragsgegenstand), dort Ziff. II.2.1) sowie II.2.2)). 568 Marx, NZBau 2002, 311 (312); ders., in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 99 GWB, Rn. 7; Boesen, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 49; Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, § 99, Rn. 74; Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 99 GWB, Rn. 4b; Kullack, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, § 99 GWB, Rn. 16; Prieß, S. 114; Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (174); Wag­ ner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 99, Rn. 20; Bungenberg, in: Loe­ wenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 39; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2040; Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2746).

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gebers. 569 Andernfalls würde die optionale Leistung doppelt dem Vergaberecht unterworfen, einmal bei der vertraglichen Einräumung des Optionsrechts und ein weiteres Mal bei der späteren Ausübung des Optionsrechts. 570 Optionen bilden vielmehr zusammen mit den übrigen Regelungsgegenständen einen einheitlichen Vertrag. 571 Sie sind vergaberechtlich wie eine Festbestellung zu beurteilen, da bei Ausübung des Optionsrechts der Vertrag zu den im Voraus festgelegten Bedin­ gungen zustande kommt. Diese erlangen unmittelbare Geltung, wenn die Bedin­ gung in Form der Ausübung des Optionsrechts eintritt. 572 Dieses Ergebnis der herrschenden Ansicht wird gestützt durch die vergaberechtlichen Vorschriften zur Berechnung der Schwellenwerte, wonach bei der Ermittlung des Schwellen­ wertes für die Hauptleistung sämtliche geplanten Optionen und Verlängerungen einzurechnen sind. 573 Die optionalen Leistungen und Vertragsverlängerungen werden daher bereits im Rahmen der Ausschreibung der Hauptleistung vergaberechtlich berücksichtigt. 574 Dies bedeutet im Ergebnis, dass bei der Untersuchung der Rechtmäßigkeitsan­ forderungen zwischen der Vereinbarung von Optionsrechten und der Ausübung von Optionsrechten zu unterscheiden ist. Hinsichtlich der Vereinbarung von Op­ tionsklauseln findet das Vergaberecht Anwendung, die vergaberechtlichen Re­ gelungen bilden mithin den Rechtmäßigkeitsmaßstab (hierzu 1.). Hingegen soll die Ausübung des Optionsrechts, welches als Potestativbedingung nur vom Wil­ len des öffentlichen Auftraggebers abhängig ist, grundsätzlich vergaberechtlich irrelevant sein (hierzu 2.). 1. Vergaberechtliche Anforderungen an die Vereinbarung von Optionsklauseln Bei der Vereinbarung von Optionsklauseln sind die Vorschriften des Verga­ berechts zu beachten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Besonderhei­ ten von Optionsklauseln. Mit deren Vereinbarung tritt lediglich eine einseitige Bindung des Auftragnehmers ein, welche dem Auftraggeber ein vertragliches Recht, aber keine Pflicht zur Auftragserteilung einräumt. Optionsrechte dürfen daher nicht dazu führen, dass Risiken in der Leistungsbeschreibung, Planung und Finanzierung, die grundsätzlich bei dem Auftraggeber liegen, dem Auftrag­ nehmer aufgebürdet werden. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Vergabe 569

Höfler / Bert, NVersZ 2001, 197 (201). Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2042. 571 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 34; Kullack, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, § 99 GWB, Rn. 16. 572 Prieß, S. 114. 573 Vgl. Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 VKR; § 3 Abs. 6 VgV. 574 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2041; Prieß, S. 114. 570

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im Wettbewerb gilt es, die vergaberechtlichen Anforderungen hinsichtlich der Vereinbarung von Optionsklauseln zu konkretisieren. a) Vergabewille des öffentlichen Auftraggebers Als subjektive Anforderung an die Zulässigkeit von Optionsklauseln ist zu­ nächst ein gegenwärtiger und wirklicher Vergabewille des öffentlichen Auftrag­ gebers im Sinne einer ernsthaften Durchführungsabsicht zu fordern. 575 Dem öf­ fentlichen Auftraggeber ist es grundsätzlich verwehrt, Leistungen – unabhängig davon, ob diese fest beauftragt oder nur optional vereinbart werden – zu ver­ gabefremden Zwecken auszuschreiben. Das Vergabeverfahren muss stets Mittel zum Zweck der Erteilung eines Auftrags sein. 576 Eine vergabefremde Ausschrei­ bung liegt demnach vor, wenn sich die Ausschreibung nicht unmittelbar auf die Vergabe einer Leistung richtet, der Auftraggeber also keine ernsthafte Ab­ sicht hat, den Auftrag zu vergeben, sondern die Ausschreibung durchführt, um beispielsweise den Marktpreis bzw. den Marktüberblick oder den potenziellen Bewerberkreis zu erforschen. 577 Die Einbindung von Markterkundungselemen­ ten in die Ausschreibung ist generell vergaberechtswidrig. 578 Ein entsprechen­ des ausdrückliches Verbot enthalten die nationalen Vergabevorschriften, wonach Ausschreibungen für vergabefremde Zwecke wie z. B. Ertragsberechnungen, Ver­ gleichsanschläge und Markterkundungen unzulässig sind. 579 Dieser Grundsatz folgt bereits aus dem Sinn und Zweck eines Vergabeverfahrens, nämlich einer Auftragsvergabe im wettbewerblichen Verfahren. 580 Zu einem fairen wettbewerb­ lichen Verfahren gehört es, dass die Vergabestelle die Ausschreibungsregularien nicht missbraucht. 581 Der sich an einem Ausschreibungsverfahren beteiligende Bieter ist in seinem Vertrauen auf einen ordnungsgemäßen Wettbewerb mit dem Ziel der Auftragserteilung geschützt. 582 In Erwartung dessen investiert er Zeit 575

Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (162); VK Düsseldorf, Beschl. v. 04. 08. 2000 – VK-14/2000-L; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 51. 576 Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 16 VOB / A, Rn. 20; i. d. S. auch Portz, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 16, Rn. 3. 577 OLG Celle, Beschl. v. 08. 11. 2001 – 13 Verg 9/01, NZBau 2002, 400 (401 f.); KG, Beschl. v. 15. 04. 2004 – 2 Verg 22/03, VergabeR 2004, 762 (765 f.); Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (162); Heiermann, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 16, Rn. 12; Noch, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 16, Rn. 30; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 51. 578 VK Düsseldorf, Beschl. v. 04. 08. 2000 – VK-14/2000-L. 579 Vgl. § 2 Abs. 3 VOL / A-EG; § 2 Abs. 4 VOB / A n.F. 580 Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 16 VOB / A, Rn. 20. 581 Noch, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 16, Rn. 1; i. d. S. auch Portz, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 16, Rn. 27. 582 Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 16 VOB / A, Rn. 22; Heiermann, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 16, Rn. 21.

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und Kosten zur Erstellung seines Angebots. 583 Eine Ausschreibung, die sich nicht auf die Vergabe eines Auftrags richtet, verletzt dieses Vertrauen und damit die Grundsätze des Vergaberechts. 584 Aus der Unzulässigkeit der Ausschreibung zu vergabefremden Zwecken folgt das Erfordernis eines tatsächlichen Vergabewillens des öffentlichen Auftragge­ bers. Die Ausschreibung von Optionen setzt daher voraus, dass der Auftraggeber hinsichtlich der Ausübung der Option eine ernsthafte Durchführungsabsicht be­ sitzt. 585 Dieser Wille muss transparent und für den Bieter erkennbar sein. 586 Die Erkennbarkeit richtet sich nach objektiven Anhaltspunkten, z. B. wenn die Ausübung der Option nur von den angebotenen Preisen abhängen soll 587 oder konkrete Verfahrensweisen bezüglich des Abrufs (Zeitpunkt, Fristen etc.) vor­ gegeben sind. Von einem fehlenden Vergabewillen ist hingegen immer dann auszugehen, wenn zum Zeitpunkt der Auftragserteilung für den Auftraggeber noch nicht feststeht, ob er die optional geforderte Leistung überhaupt vergeben darf. Dies ist der Fall, wenn bezüglich der optionalen Leistung die Ausschrei­ bungsreife fehlt, zu deren Grundlage auch die Schaffung aller tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Auftragsvergabe, insbesondere die Sicher­ stellung der Finanzierung oder der Durchführungserlaubnis, zählt. 588 Gleiches gilt, wenn die mit der Option zusammenhängenden Kosten vom zuständigen Haushaltsgremium aufgrund der angespannten Haushaltslage (noch) nicht ge­ nehmigt wurden. Auch in diesem Fall ist ungewiss, ob die optionale Leistung überhaupt verwirklicht werden kann. 589 Unzulässig wäre des Weiteren auch die Aufnahme von optionalen Leistungspositionen zu dem Zweck, Mängel einer unzureichenden Planung 590 oder Finanzierung auszugleichen 591 oder, wenn der Auftraggeber lediglich feststellen möchte, was ihn eine ganz bestimmte Maßnah­ me kosten würde. 592 In diesen Fällen muss eine ernsthafte Durchführungsabsicht des öffentlichen Auftraggebers abgelehnt werden. Das Erfordernis eines erkennbaren Vergabewillens des öffentlichen Auftrag­ gebers in Bezug auf die optionalen Leistungen steht nicht im Widerspruch zu 583 Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 16 VOB / A, Rn. 20; Portz, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 16, Rn. 27. 584 OLG Celle, Beschl. v. 08. 11. 2001 – 13 Verg 9/01, NZBau 2002, 400 (401 f.). 585 VK Bund, Beschl. v. 15. 07. 2003 – VK 1 – 53/03. 586 VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 11. 2001 – 203-VgK-19/2001. 587 VK Bund, Beschl. v. 15. 07. 2003 – VK 1 – 53/03. 588 Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (163); VK Bund, Beschl. v. 19. 04. 2004 – VK 3 – 44/04. 589 VK Münster, Beschl. v. 15. 11. 2006 – VK 13/06. 590 VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 11. 2001 – 203-VgK-19/2001. 591 VK Düsseldorf, Beschl. v. 04. 08. 2000 – VK-14/2000-L. 592 Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (162); Portz, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 16, Rn. 28.

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der Tatsache, dass der öffentliche Auftraggeber zur Beauftragung der optionalen Leistungen rechtlich nicht verpflichtet ist. Der Vergabewille bezieht sich allein auf die Zweckrichtung der Ausschreibung der optionalen Leistung, also ob hier­ mit ein Bedarf gedeckt oder aber andere Zwecke z. B. Markterforschung verfolgt werden sollen. Aus dem Umstand, dass der öffentliche Auftraggeber die optiona­ len Leistungen letztlich nicht beauftragt, folgt daher nicht, dass er zum Zeitpunkt der Ausschreibung über keinen entsprechenden Vergabewillen verfügt hätte. 593 Zeigt sich bei der Ausschreibung optionaler Leistungen aber ein Widerspruch zwischen dem vermeintlich geäußerten und dem tatsächlichen Beschaffungswil­ len, so liegt hierin ein Verstoß gegen vergaberechtliche Grundsätze. 594 b) Beachtung des Wettbewerbsgebots – Vertragslaufzeit Die Vereinbarung von Optionen bedarf im Hinblick auf das Wettbewerbsgebot einer vergaberechtlichen Begrenzung. Denn Optionen sind grundsätzlich geeig­ net den Willen des Gesetzgebers zu unterlaufen, wonach die Vergabe von Leis­ tungen einer regelmäßigen Kontrolle durch den Wettbewerb unterstellt werden soll. Eine einmal begründete Beschaffungsbeziehung könnte durch wiederholte Vertragsverlängerungen oder -erweiterungen unter Ausschluss des Wettbewerbs auf der Grundlage optionaler Klauseln endlos fortgesetzt werden. 595 Dies gilt ins­ besondere in Fällen, denen ein Dauerschuldverhältnis zugrunde liegt, welches bereits für einen längeren Zeitraum abgeschlossen wurde. Auch bei der Vereinbarung von Optionsklauseln müssen die Vergabe im Wett­ bewerb und eine Ausschreibung in regelmäßigen Abständen sichergestellt wer­ den. Das Optionsrecht darf nicht dazu führen, dass der Auftraggeber eine Leis­ tung auf Dauer dem Markt entzieht. Die Gesamtvertragsdauer und die in Frage stehenden Vertragsverlängerungen oder -erweiterungen müssen durch den kon­ kreten Auftrag gerechtfertigt und begrenzt sein. 596 Insbesondere darf es durch die Aufnahme von Verlängerungs- oder Erweiterungsoptionen nicht zur Begründung oder Ausnutzung einer marktbeherrschenden Position des öffentlichen Auftrag­ gebers kommen. 597 Das Wettbewerbsgebot bedingt daher im Rahmen der Vereinbarung von Op­ tionsklauseln eine zeitliche Begrenzung der Gesamtvertragslaufzeit. Die Grund­ 593

Der Auftraggeber ist daher gefordert, seinen sachlich gerechtfertigten Beweggrund für die Ausgestaltung als optionale Position zu dokumentieren (vgl. VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 11. 2001 – 203-VgK-19/2001). 594 VK Düsseldorf, Beschl. v. 04. 08. 2000 – VK-14/2000-L. 595 VK Bund, Beschl. v. 26. 05. 2000 – VK 2 – 8/00, WuW 2000, 1052 (1053); Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2043; Prieß, S. 114. 596 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2043. 597 Hailbronner, in: Byok / Jaeger, Kommentar Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 452; Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 76.

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sätze zu den vergaberechtlich zulässigen Vertragslaufzeiten, die im Rahmen der Untersuchung automatischer Verlängerungsklauseln entwickelt wurden, gelten entsprechend. 598 Denn es macht im Hinblick auf den Wettbewerb um die Leis­ tung keinen Unterschied, ob die Verlängerungen bzw. Erweiterungen durch ein Unterlassen oder aber durch Ausüben einer Willenserklärung bewirkt werden. Daher gilt auch bei der Vereinbarung von Optionsklauseln, dass eine (Regel-) Vertragslaufzeit von vier Jahren grundsätzlich als vergaberechtlich zulässig zu erachten ist. 599 Darüber hinausgehende Vertragslaufzeiten bedürfen einer beson­ deren sachlichen Rechtfertigung. 600 Eine solche Rechtfertigung muss in dem der Vergabe konkret zugrunde liegenden Leistungsgegenstand liegen. 601 Aus der Rechtsprechung des EuGH kann die Faustformel abgeleitet werden, dass der öffentliche Auftraggeber konkret in dem Leistungsgegenstand liegende beson­ dere Umstände darlegen muss, welche die Langfristigkeit bedingen und die konkret gewählte Dauer des Vertrages erforderlich ist, um diesen Umständen angemessen Rechnung zu tragen. 602 Ein Vertrag, der sich aufgrund der hohen Anfangsinvestitionskosten erst nach längerer Zeit amortisiert, vermag somit eine längere Laufzeit zu rechtfertigen. 603 Des Weiteren muss die Anzahl der mögli­ chen Verlängerungen bereits im Vertrag begrenzt werden, da die Vereinbarung optionaler Verlängerungs- oder Erweiterungsklauseln nicht zu einem unzulässig unbefristeten oder ungerechtfertigt langfristigen Vertrag führen darf. Auch inso­ weit können die Grenzen, die für automatische Verlängerungsklauseln gezogen wurden, auf Optionsklauseln übertragen werden. 604

598

Siehe hierzu Kapitel 5.B.II.1.c.bb.; ebenso Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 74. 599 Vgl. zur Herleitung der Regelvertragslaufzeit Kapitel 5.B.II.1.c.bb.(1); ebenso Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 74. 600 So sah der EuGH in einer Vertragslaufzeit von 20 Jahren mit der Option zur Ver­ längerung um weitere 10 Jahre mangels Vorliegen einer Rechtfertigung eine unzulässige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs (vgl. EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I-2161, Rn. 44). 601 Siehe Ausführlich zur Unzulässigkeit von unbefristeten Verträgen sowie Begren­ zung von Vertragslaufzeiten, Kapitel 5.B.II.1.c.bb. Auf die besondere Bedeutung der Vertragslaufzeit im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen weist auch das Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 10. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (194), hin. 602 So EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I-2161, Rn. 48. 603 Vgl. zu den Anforderungen einer Rechtfertigung langer Vertragslaufzeiten Kapitel 5.B.II.1.c.bb.(2) und EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-323/03 (Kommission / Spanien), Slg. 2006, I-2161, Rn. 44 ff. 604 Siehe hierzu Kapitel 5.B.II.1.c.bb.(3).

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c) Bestimmung der wesentlichen Vertragsgrundlagen Da die Bieter bezüglich der optionalen Leistungsbestandteile ein bindendes Angebot abgeben müssen, sind die wesentlichen Vertragsgrundlagen zum Zeit­ punkt der Ausschreibung bzw. des Vertragsschlusses 605 auch hinsichtlich der optionalen Leistungen festzulegen. Zu den wesentlichen Vertragsgrundlagen der optionalen Leistungen zählen die Beschreibung des Leistungsgegenstandes, der voraussichtliche Abruf- und Leistungszeitpunkt, der Umfang der optionalen Leis­ tung und der Preis bzw. die Vergütung für die optionalen Leistungen. Letzteres bestimmt der Auftragnehmer in seinem Angebot. Weiterhin muss eine eindeutige Begrenzung der (Gesamtvertrags-) Laufzeit und der Anzahl der Verlängerungs­ möglichkeiten erfolgen. 606 Der Bieter muss mithin erkennen können, welche Leistung zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang als Option beauftragt werden soll. 607 Um eine einwandfreie Preisermittlung auch hinsichtlich der op­ tionalen Leistungen zu ermöglichen, sind sämtliche, die Preisbildung beeinflus­ senden Faktoren in die Verdingungsunterlagen aufzunehmen. Ziel und Zweck der Option müssen deutlich zum Ausdruck kommen. Ein nachträgliches Verschieben von festen Leistungsteilen zu Optionsklauseln ist unzulässig. 608 Die nachträgliche Einräumung einer Option zugunsten des öf­ fentlichen Auftraggebers bedeutet grundsätzlich eine wesentliche Änderung der Verdingungs- und Vertragsgrundlagen, da der Auftraggeber seinen Rechtsbin­ dungswillen ändert. Die Möglichkeit einer nachträglichen Bildung von Options­ klauseln würde dazu führen, dass es ganz im Belieben des Auftraggebers stünde, ob dieser für einen Teil des Ausschreibungsgegenstandes mit der Zuschlagser­ teilung rechtliche Bindungen für sich herbeiführen will oder nicht. 609 Der Auf­ traggeber könnte sich hierdurch beliebig von den Bindungen des ursprünglichen Vergabeverfahrens befreien. Aus den gleichen Gründen ist auch ein nachträg­ liches Verhandeln über optionale Angebotsinhalte unstatthaft, z. B. wenn ein zunächst befristet abgeschlossener Vertrag nachträglich mit einer Verlängerungs­ option versehen wird. Eine solche Verfahrensweise wäre schon deswegen unzu­ 605 Der Zeitpunkt ist abhängig vom gewählten Verfahren. So müssen bei einem offenen Verfahren bereits zum Zeitpunkt der Ausschreibung alle wesentlichen Vertragsbestand­ teile, die Inhalt der optionalen Leistung sind, feststehen. Hingegen können bei einem Verhandlungsverfahren aufgrund der Möglichkeit zu Verhandlungen über den Angebots­ inhalt die wesentlichen Vertragsbestandteile erst zu einem späteren Zeitpunkt, spätestens bei Vertragsschluss feststehen. 606 VK Niedersachsen, Beschl. v. 26. 04. 2004 – 203-VgK-10/2004; Beschl. v. 12. 11. 2001 – 203-VgK-19/2001. 607 VK Düsseldorf, Beschl. v. 04. 08. 2000 – VK-14/2000-L; ähnlich auch Saarländi­ sches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (163). 608 OLG Dresden, Beschl. v. 03. 12. 2003 – WVerg 15/03, NZBau 2005, 118 (119 f.). 609 So zutreffend OLG Dresden, Beschl. v. 03. 12. 2003 – WVerg 15/03, NZBau 2005, 118 (120).

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lässig, weil der nachträglich verhandelte Angebotsinhalt zu keinem Zeitpunkt Gegenstand einer Ausschreibung gewesen ist. 610 Insoweit wird durch das Wett­ bewerbs- und Gleichbehandlungsgebot eine Grenze hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an optionale Leistungen gezogen. d) Anforderungen an die Gewichtung zwischen Haupt- und Optionsleistung Fraglich ist, ob und in welchem Umfang optionale Leistungen im Verhält­ nis zur Hauptleistung begrenzt werden müssen. Schließlich bedeuten optionale Leistungen immer auch Unwägbarkeiten sowohl aufseiten des Bieters bei der Kalkulation seines Angebots als auch auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers bei der Wertung der Angebote. aa) Anteil der optionalen Leistungen in der Ausschreibung Für die Frage, welchen Umfang optionale Leistungen im Rahmen der Aus­ schreibung einnehmen dürfen, bietet sich zunächst ein Vergleich mit der vergaberechtlichen Handhabung von Bedarfspositionen an. 611 Bei der Ausschreibung von Leistungen, die Bedarfspositionen enthalten, wird der zulässige Anteil der Be­ darfspositionen im Verhältnis zum Gesamtauftragsvolumen auf 10 % begrenzt. 612 Als absolute Obergrenze werden 15% des Auftragsvolumens angenommen. 613 Hintergrund der Begrenzung ist, dass Bedarfspositionen Planungslücken des öffentlichen Auftraggebers ausgleichen sollen. Dieser kann zum Zeitpunkt der Ausschreibung trotz aller örtlichen und technischen Kenntnisse noch nicht vor­ hersagen, ob die als Bedarfsposition aufgenommenen Leistungen für die Durch­ führung der Hauptleistung tatsächlich erforderlich werden. Eine Begrenzung von Bedarfspositionen ist daher angezeigt, damit der Auftraggeber ihm zure­ chenbare oder auch vermeidbare Lücken der Planung nicht in Bedarfspositionen abwälzen kann. Der Auftraggeber soll zu einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung angehalten werden und sich nicht in die Ausschreibung von Bedarfspositionen flüchten können. Die vorgenannten Erwägungen einer Begrenzung von Bedarfspositionen gel­ ten jedoch nicht in gleicher Weise für Optionsklauseln, die nicht auch Bedarfs­ 610

Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 10. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (194). Siehe zum Begriff und Abgrenzung von Bedarfspositionen, Kapitel 6.A.II.5. 612 So im VHB 2002 zu § 9 Ziff. 4.2.; hierzu auch Hertwig, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 9 VOB / A, Rn. 20; Kratzenberg, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 19. 613 VK Bund, Beschl. v. 14. 07. 2005 – VK 1 – 50/05; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 53. 611

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positionen sind. Hierbei handelt es sich regelmäßig um mengenmäßige Leis­ tungserweiterungen oder Verlängerungen, ohne dass diese für die Durchführung der Hauptleistung erforderlich werden. Sie dienen damit nicht dem Ziel, Pla­ nungslücken des Auftraggebers auszugleichen. Eine Begrenzung des Umfangs der optionalen Klauseln ähnlich wie bei Bedarfspositionen auf 10 % bis 15 % der Gesamtleistung ist daher nicht gerechtfertigt. 614 Dies gilt auch vor dem Hinter­ grund, dass ein höherer Anteil an optionalen Leistungen durchaus geboten und sachlich gerechtfertigt sein kann. So werden beispielsweise bei der stufenweisen Beauftragung von Architekten- und Ingenieurleistungen 615 orientiert an den Leis­ tungsphasen der HOAI zunächst nur Teile der Planung bis zur Entwurfsplanung, also die Leistungsphasen 1 bis 3, in Auftrag gegeben. Hinsichtlich der weiteren Leistungsphasen 4 bis 9 behält sich der Auftraggeber regelmäßig die optionale Beauftragung vor. Diese Aufteilung zwischen fest beauftragten und optionalen Leistungsphasen ist regelmäßig gerechtfertigt, da die Entwurfsplanung Grund­ lage der Finanzierung und der Einstellung der Haushaltsmittel ist. 616 Hiervon hängen nicht nur die weiteren Planungen, sondern das (Bau-)Projekt insgesamt ab. Würde sich der öffentliche Auftraggeber über die Leistungsphase 3 hinaus binden, jedoch auf der Grundlage der Entwurfsplanung die Finanzierung nicht bewilligt bekommen, so hätte er unter Umständen gemäß § 649 Satz 2 BGB die weiteren Leistungsphasen zu vergüten. Eine solche Vorgehensweise wäre daher im Hinblick auf die Grundsätze der wirtschaftlichen und sparsamen Haushalts­ führung nicht sachgerecht. Damit kann festgehalten werden, dass der Anteil optionaler Leistungen im Rahmen der Ausschreibung nicht pauschal prozentual begrenzt werden kann. Die Aufnahme von optionalen Leistungen muss aber durch den Vertragsgegen­ stand sachlich gerechtfertigt sein und den Anforderungen des Vergaberechts ge­ nügen. An die Rechtfertigung sind immer dann hohe Anforderungen zu stellen, wenn der ins Gewicht fallende oder überwiegende Teil des Auftrages optional ausgeschrieben wird. 617

614 A. A. Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2747), welche die 10%-Grenze auf Optionen anwenden wollen, allerdings nicht zwischen Bedarfspositionen und Optionen abgrenzen. 615 Siehe zur stufenweisen Beauftragung Kapitel 1.B.1. 616 Vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 21. 05. 1996 – 12 U 116/95, BauR 1997, 370 ff.; OLG Dresden, Urt. v. 15. 04. 1999 – 9 U 3211/98, IBR 2001, 26. 617 Ähnlich Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (162); Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 1, Rn. 47; Zdzieblo, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 8, Rn. 30.

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bb) Gewichtung der optionalen Leistungen im Rahmen der Wertung der Angebote Von der Frage des Umfangs oder des Anteils optionaler Leistungen im Rah­ men der Ausschreibung ist die Frage der Gewichtung der optionalen Leistungen im Rahmen der Wertung der Angebote zu unterscheiden. Zwar geben die Bieter auch hinsichtlich der optionalen Leistungen bindende Angebote ab, der Auf­ traggeber muss aber berücksichtigen, dass die optionalen Leistungsbestandteile unter Umständen gar nicht abgerufen werden. Es besteht daher die Gefahr, dass der Zuschlag unter Berücksichtigung der Optionen auf ein Angebot erteilt wird, welches im Falle des Nichtabrufs der optionalen Leistungen nicht das wirt­ schaftlichste wäre. Gleiches gilt anders herum für den Fall, dass die optionalen Leistungen im Rahmen der Wertung außen vor bleiben, dann aber seitens des Auftraggebers abgerufen werden. Auch insoweit kann sich die Wirtschaftlichkeit ändern, wenn nämlich die optionalen Bestandteile hoch bepreist wurden. Vor diesem Hintergrund wird nach allgemeiner Ansicht gefordert, dass Op­ tionen in der Wertung einerseits Berücksichtigung finden müssen, andererseits aber kein solches Gewicht erhalten dürfen, dass sie der Bedeutung von Hauptund Grundpositionen gleichkommen oder diese gar verdrängen. 618 Dies folgt aus dem Gebot, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. 619 Be­ sitzen Optionen, deren Ziehung ungewiss ist, im Verhältnis zu den bestimmt zu vergebenden Leistungen großes oder gar größeres Gewicht, so ist offen und ma­ nipulierbar, welches für den Kernbereich des Auftrags das preislich vorzugswür­ dige Angebot ist. 620 In der Ausschreibung muss daher erkennbar sein, in welcher Weise Optionen für die Bewertung der Angebote von Bedeutung sind. 621 Eine feste Grenze oder Gewichtung, ab der ein bestimmtes Verhältnis der Gewichtung von Haupt- und optionaler Leistung nicht mehr akzeptiert werden kann, hat sich bisher nicht herausgebildet. Jedoch ist davon auszugehen, dass eine anteilige Gewichtung der optionalen Leistung von 50 % und mehr vergaberechtswidrig ist, da sie hierdurch der Bedeutung der Hauptleistung mindestens 618 VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 11. 2001 – 203-VgK-19/2001; Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (162); Kratzenberg, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 17; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 54. 619 Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (162). 620 Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (162); OLG Celle, Beschl. v. 18. 12. 2003 – 13 Verg 22/03, NZBau 2004, 408 (Ls.); VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 11. 2001 – 203-VgK-19/2001; VK Düsseldorf, Beschl. v. 13. 05. 2002 – VK-7/2002-L; Beschl. v. 04. 08. 2000 – VK-14/2000-L; Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 1, Rn. 47; Zdzieblo, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 8, Rn. 30. 621 VK Düsseldorf, Beschl. v. 04. 08. 2000 – VK-14/2000-L.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

gleichgestellt würde. Aber auch eine Gewichtung der Optionsleistungen von 40% in der Gesamtwertung wurde als eine Relation beurteilt, die den optio­ nalen Leistungen eine solche Bedeutung beimisst, dass die Wirtschaftlichkeit des sicher auszuführenden Auftrages nicht verlässlich beurteilt werden kann. 622 Welche Relation letztlich vergaberechtskonform sein soll, kann hieraus nicht abgeleitet werden. Insoweit müssen aber die jeweiligen Umstände des Einzel­ falls, insbesondere Umfang und Inhalt der optionalen Leistung im Vergleich zu Umfang und Inhalt der Hauptleistung berücksichtigt werden. Zum anderen ist auch die Tatsache, dass die Leistung unter Umständen nicht ausgeführt wird, in die Ermittlung einer Wertgrenze einzubeziehen. Der öffentliche Auftraggeber muss daher eine auf objektiven Tatsachen oder Erkenntnissen beruhende Pro­ gnose hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Abrufs der Leistungen bei seinem Auftragnehmer erstellen. Hierbei hat er insbesondere die Gründe für die Ausge­ staltung des Leistungsteils als optionale Leistung zu berücksichtigen. Je höher im Ergebnis der Prognose die Wahrscheinlichkeit des Leistungsabrufs ist, de­ sto höheres Gewicht dürfen die optionalen Leistungen im Rahmen der Wertung einnehmen. Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass im Rahmen der Wertung der Angebote die optionalen Leistungsteile kein solches Gewicht erhalten dürfen, dass sie die Wertungsmaßstäbe der fest beauftragten Leistungen verschieben. Hiervon ist auszugehen, wenn die optionale Leistung mehr als 40 % im Rahmen der Wertung einnimmt. Im Übrigen kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. e) Zumutbarkeit optionaler Leistungen Im Vergaberecht trifft den Auftraggeber einerseits die Pflicht, Leistungen ein­ deutig und erschöpfend zu beschreiben, andererseits darf er dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufbürden. Der Auftraggeber trägt die Verantwor­ tung für die Erstellung einer eindeutigen Leistungsbeschreibung. 623 Auch die optionalen Leistungen bedürfen einer eindeutigen und erschöpfenden Beschrei­ bung, da die Bieter diesbezüglich ein verbindliches Angebot abgeben müssen. Die Leistungsbeschreibung muss den Bietern mithin eine zumutbare Kalkulati­ on der optionalen Leistungen ermöglichen. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die konkreten Anforderungen an die Beschreibung optionaler Leis­ tungsbestandteile einmal unter dem Blickwinkel des Gebots der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (hierzu aa.) und weiterhin im Hinblick 622

Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158

(162). 623

VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005; Beschl. v. 18. 06. 2004 – 203-VgK 29/2004.

Kap. 6: Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten

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auf das Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse (hierzu bb.) unter­ sucht werden. aa) Das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (1) Vergaberechtliche Bestimmungen und Grundlagen Gemäß Art. 23 Abs. 3 lit. b VKR hat der öffentliche Auftraggeber die Anfor­ derungen an die Leistung oder die Funktion so genau zu fassen, dass sie den Bietern ein klares Bild vom Auftragsgegenstand vermitteln und dem öffentli­ chen Auftraggeber die Erteilung des Zuschlags ermöglichen. Dies entspricht den Regelungen des nationalen Vergaberechts, welche den öffentliche Auftraggeber verpflichten, die Leistung so eindeutig und erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und die Angebo­ te miteinander verglichen werden können. 624 Die Vergleichbarkeit der Angebote ist notwendige Bedingung einer chancengleichen und wettbewerblichen Verga­ be. 625 Eine wettbewerbliche Vergabe wird nämlich nur dann gewährleistet, wenn sich ausreichend Unternehmen für die ausgeschriebene Leistung interessieren. Dies setzt voraus, dass die Leistungsbeschreibung ein klares und fest umrissenes Bild von der nachgefragten Leistung vermittelt. Der Wettbewerb ist zudem nur dann chancengleich, wenn alle Bewerber die gleiche Ausgangsposition besitzen, also die Leistungsbeschreibung in gleicher Weise verstehen können. 626 (2) Begriffsdefinitionen „eindeutig“ und „erschöpfend“ Eindeutig und erschöpfend bedeutet, dass die Leistungsbeschreibung klar und unmissverständlich, aber auch gründlich und vollständig sein muss. 627

624 § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL / A bzw. § 9 Nr. 1 Satz 1 VOB / A; vgl. VK Bund, Beschl. v. 07. 04. 2004 – VK 1 – 15/04; VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005; Heiermann, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 9, Rn. 8. 625 Brauer, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 97, Rn. 7, 19; Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 97, Rn. 10, 15; Zdzieblo, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 8, Rn. 32; Wagner, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, Bd. I, 10. Aufl., § 97, Rn. 14; Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 2, Rn. 22; Vetter, NVwZ 2001, 745 (750). 626 Kratzenberg, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 16, 21.; Noch, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 8, Rn. 50; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 9. 627 OLG Koblenz, Beschl. v. 05. 09. 2002 – 1 Verg 2/02, NZBau 2002, 699 (704): Je detaillierter, desto besser; VK Düsseldorf, Beschl. v. 22. 07. 2002 – VK 19/2002-L; Zdzieblo, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 8, Rn. 29; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 15.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

„Eindeutig“ heißt, dass aus der Perspektive eines fachkundigen Bieters 628 auch ohne intensive Auslegungsbemühungen klar ist, welche Leistung in wel­ cher Form gefordert wird. 629 Zur Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung gehört, dass sie Art und Umfang der geforderten Leistungen mit allen dafür maßgeben­ den Bedingungen hinsichtlich Qualität, Beanspruchungsgrad, technische Bedin­ gungen, besondere Bedingungen der Ausführung etc. zweifelsfrei erkennen lässt und keine Widersprüche in sich oder zu den Plänen bzw. anderen vertraglichen Regelungen aufweist. 630 Die Leistungsbeschreibung darf daher nicht bloß Anga­ ben allgemeiner Natur enthalten oder gar verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zulassen. 631 Den Bietern soll eine klare Kalkulationsgrundlage zur Verfügung gestellt werden. 632 Diese können den Preis für die Leistung nur dann einwandfrei und zuverlässig kalkulieren, wenn sie alle Umstände, die eine korrekte Preiser­ mittlung beeinflussen, kennen. 633 Vor allem muss die Leistungsbeschreibung ver­ kehrsüblich sein, also den einschlägigen technischen Regelwerken entsprechen und allgemein anerkannte Fachbegriffe verwenden. 634 „Erschöpfend“ bedeutet, dass keine Restbereiche verbleiben, die seitens der Vergabestelle klar umrissen werden könnten. 635 Die Leistungsbeschreibung ist vollständig, wenn sie Art und Zweck der Leistung, Art und Umfang aller erfor­ derlichen Teilleistungen sowie sämtliche für die Ausführung der Leistung spe­ zifischen Bedingungen und Anforderungen darstellt. 636 Die geforderte Leistung genügt diesen Bestimmtheitserfordernissen nicht, wenn wesentliche Merkmale zur Bestimmung der Gegenleistung oder der Vertragsdauer fehlen. 628

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02. 08. 2002 – Verg 25/02, IBR 2003, 116. Saarländisches OLG, Beschl. v. 29. 09. 2004 – 1 Verg 6/04, ZfBR 2004, 829 (Ls.); Zdzieblo, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 8, Rn. 29; Noch, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 8, Rn. 27; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 12. 630 VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005; so auch die Definition im VHB 2002 zu § 9 Nr. 1 Satz 1, abgedruckt bei: Kratzenberg, Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 22; Heiermann, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 9, Rn. 11; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 12. 631 VK Bund, Beschl. v. 11. 11. 2004 – VK 2 – 196/04; Zdzieblo, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 8, Rn. 29; Noch, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 8, Rn. 27. 632 Heiermann, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 9, Rn. 8. 633 Zdzieblo, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 8, Rn. 33; Noch, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 8, Rn. 34. Eine realistische Kalkulation liegt auch im Interesse des Auftraggebers, da hierdurch das Risiko von Nachträgen oder späteren Streitigkeiten bei der Leistungs­ durchführung minimiert werden kann. 634 Vgl. Art. 23 VKR; § 8 Nr. 3 Abs. 2, § 8a VOL / A; § 9 Nr. 4 –10 VOB / A. 635 Saarländisches OLG, Beschl. v. 29. 09. 2004 – 1 Verg 6/04, ZfBR 2004, 829 (Ls.); Noch, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 8, Rn. 34; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 12. 636 So die Definition des VHB 2002 zu § 9 Nr. 1 Satz 1, abgedruckt bei: Kratzenberg, Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 22; Heiermann, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 9, Rn. 11. 629

Kap. 6: Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten

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(3) Grenzen des Gebots der eindeutigen Leistungsbeschreibung Das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung findet dort seine Grenze, wo dieses in einem unverhältnismäßigen Aufwand für den Auftraggeber münden würde. Dieser ist lediglich verpflichtet, den ihm zumut­ baren (finanziellen) Aufwand zu betreiben, um die Grundlagen der Leistungs­ beschreibung zu ermitteln. 637 Weiterhin ist auf den Empfängerhorizont eines fachkundigen Unternehmens abzustellen. 638 Daher müssen nicht sämtliche tech­ nischen Details der Leistung beschrieben werden. Es genügt, wenn die notwen­ digen technischen Angaben enthalten sind, um die Beschaffenheit der Leistung ausreichend zu kennzeichnen. 639 Auch ist der Auftraggeber weitestgehend frei in der Definition dessen, was er beschaffen möchte. 640 Die Bieter haben keinen Anspruch auf Ausschreibung oder Formulierung einer ganz konkreten Leistung. Vielmehr obliegt die Entscheidung, welcher Gegenstand bzw. welche Leistung mit welchen Eigenschaften beschafft werden soll, allein dem öffentlichen Auftraggeber. 641 Der Beurteilungsspielraum des Auftraggebers wird jedoch begrenzt durch die Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung. Eine wettbewerbsbeschränkende oder diskriminierende Leistungsbeschreibung, beispielsweise durch die Festle­ gung auf Produkte eines Herstellers, wäre daher vergaberechtswidrig. 642 (4) Eindeutige Leistungsbeschreibung bei Optionsklauseln Die Ausschreibung von Optionsklauseln widerspricht zunächst den Grundsät­ zen der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung, da die Bieter nicht in die Lage versetzt werden, ihre Preise sicher zu berechnen. Es liegt im Wesen einer Option, dass eine Vorhersage, ob und wann die Leistung zur Ausführung kommt, zum Zeitpunkt der Ausschreibung noch nicht getroffen werden kann. Daher ist mit besonderer Sorgfalt darauf zu achten, dass die Leis­ tungsbeschreibung den Bietern trotz dieser Unwägbarkeiten eine Kalkulation ermöglicht. 643 637 Prieß, NZBau 2004, 87 (90 f.); ders., in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 65. 638 OLG Celle, Beschl. v. 12. 05. 2005 – 13 Verg 6/05, ZfBR 2005, 611 (612); Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 30. 639 Kratzenberg, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 13. 640 VK Bund, Beschl. v. 08. 01. 2004 – VK 1 – 117/03. 641 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. 04. 2005 – VII-Verg 93/04, VergabeR 2005, 513 (515); VK Münster, Beschl. v. 20. 04. 2005 – VK 6/05. 642 VK Niedersachsen, Beschl. v. 18. 12. 2003 – VgK-35/2003. 643 Ausführlich Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158, (162 ff.); Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 87 f.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Für den Bereich der Ausschreibung optionaler Leistungen bedeutet dies zu­ nächst einmal, dass der Auftraggeber die Optionen als solche im Leistungsver­ zeichnis kennzeichnen muss. 644 Eine nachträgliche Benennung eines Leistungs­ teils als optional ist nicht möglich, da der Bieter bei der Kalkulation seines Angebots wissen muss, welche Leistungen sicher und welche Leistungen nur optional, also unter Umständen auch gar nicht, zur Ausführung kommen. 645 Die Beschreibung optionaler Leistungen muss daher genau so eindeutig und erschöp­ fend erfolgen, wie die Leistung des Hauptauftrages. Art und Zweck der Leistung, Umfang, erforderliche Teilleistungen sowie sämtliche für die Ausführung der Leistung spezifischen Bedingungen und Anforderungen sind darzustellen. Auch die Leistungszeit ist eindeutig zu definieren. 646 Offenbleiben darf allein das „Ob“ des Leistungsabrufs. bb) Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse Ein weiterer im Vergaberecht geltender Grundsatz ist das Verbot der Auf­ bürdung ungewöhnlicher Wagnisse. Dieser bildet ebenfalls eine Grenze für die Ausschreibung optionaler Leistungen. (1) Vergaberechtliche Bestimmungen In den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften existiert kein explizites Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Risiken und Wagnisse auf die Auftragnehmer. Gleichwohl lässt sich dieses Verbot aus den Grundsätzen des Wettbewerbs und des Diskriminierungsverbots ableiten. Hintergrund des Verbots der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse auf Bieter ist nämlich, dass die öffentliche Hand als Nachfrager regelmäßig über weite Handlungsspielräume verfügt. Sie kann Ver­ tragsbedingungen diktieren und hierdurch den Auftragnehmern Wagnisse ver­ schiedener Art aufbürden. Hierdurch droht insbesondere eine Verletzung des vergaberechtlichen Wettbewerbsprinzips 647 sowie des allgemeinen kartellrechtli­ chen Diskriminierungs- und Missbrauchsverbots. 648 Dementsprechend enthalten die nationalen Vergabevorschriften eine explizite Regelung, die es dem Auftrag­ 644

Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2041. VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2003 – 203-VgK-01/2003 für den Bereich von Bedarfspositionen. 646 Dementsprechend verletzt die einem Auftraggeber eingeräumte Option, einseitig über die Verlängerung der Vertragszeit zu befinden, das Bestimmtheitsgebot, da die Vertragslaufzeit Einfluss auf die Kalkulation des Angebotspreises besitzt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05. 12. 2001 – Verg 32/01. 647 Saarländisches OLG, Beschl. v. 29. 09. 2004 – 1 Verg 6/04, ZfBR 2004, 829 (Ls.). 648 Noch, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 8, Rn. 126; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 74. 645

Kap. 6: Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten

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geber verbietet, dem Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis aufzubürden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwir­ kung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus abschätzen kann. 649 Aufgabe dieses Verbots ist es, angesichts des Ungleichgewichts der Vertragsparteien die Lauterkeit des Rechtsverkehrs zu wahren. 650 Dem öffentlichen Auftraggeber soll es durch die Ausgestaltung der Leistungsbeschreibung nicht gestattet werden, un­ typische Risiken auf den Auftragnehmer abzuwälzen, ohne aber auf der anderen Seite ein das Risiko begrenzendes Äquivalent zu gewähren. 651 (2) Begriff des ungewöhnlichen Wagnisses Ungewöhnliche Wagnisse sind solche, die nach der Art der Vertragsgestaltung und nach dem allgemein geplanten Ablauf nicht zu erwarten sind. 652 Dies ist immer dann der Fall, wenn dem Auftragnehmer Risiken aufgebürdet werden, die er nach der dem jeweiligen Vertragstyp zugrunde liegenden Wagnisverteilung an sich nicht zu tragen hätte. 653 Dabei kann das Ungewöhnliche sowohl in der technischen Komponente (Art der Leistung) als auch in der wirtschaftlichen Komponente (Art der Vertragsgestaltung) liegen. 654 Das Risiko muss darüber hinaus schwerwiegende wirtschaftliche Folgen mit sich bringen. 655 Die Frage, ob ein Wagnis ungewöhnlich und damit vergaberechtlich unzuläs­ sig ist, ist anhand jedes Einzelfalls zu entscheiden. Maßstab der Beurteilung ist, welche Risiken ein Auftragnehmer üblicherweise in der Branche zu tragen 649 Vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB / A n.F.; § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL / A a. F.; § 9 Nr. 2 VOB / A a. F.; § 8 Abs. 8 VOF a. F.. Dem Wortlaut nach handelt es sich jeweils um Sollvorschriften. Jedoch sind diese im Hinblick auf die vergaberechtlichen Grundsätze des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung sowie der Transparenz als Verbotsvorschriften zu verstehen (so zutreffend Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 73). 650 Saarländisches OLG, Beschl. v. Beschl. v. 29. 09. 2004 – 1 Verg 6/04, ZfBR 2004, 829 (Ls.); VK Bund, Beschl. v. 26. 03. 2003 – VK 2 – 06/03; Kratzenberg, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 28. 651 VK Niedersachsen, Beschl. v. 18. 06. 2004 – 203-VgK 29/2004. 652 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 10. 2006 – Verg 39/06; Zdzieblo, in: Daub / Eber­ stein, VOL / A, § 8, Rn. 40; Prieß, NZBau 2004, 87 (89). Ungewöhnliche Wagnisse sind beispielsweise: Übernahme der Haftung für Zufall und höhere Gewalt; Verzicht auf Verjährungseinrede hinsichtlich der Gewährleistung; unzumutbar lange Ausdehnung der Gewährleistung; Vereinbarung äußerst kurzer Herstellungsfristen (vgl. Kratzenberg, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 30). 653 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09. 07. 2003 – Verg 26/03; VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 76. 654 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 10. 2006 – Verg 39/06; Zdzieblo, in: Daub / Eber­ stein, VOL / A, § 8, Rn. 40. 655 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 10. 2006 – Verg 39/06.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

hat. 656 Es ist insoweit nicht Sinn und Zweck des Verbots, eine Besserstellung der Vertragspartner gegenüber dem zivilen Vertragsrecht zu erreichen. 657 Grundsätz­ lich lässt sich jedoch sagen, dass alle Risiken, die sich aus der dem Auftraggeber obliegenden Planung und Leistungsbeschreibung ergeben, für den Auftragneh­ mer ungewöhnlich sind. Denn die Planung ist grundsätzlich Sache des Auf­ traggebers, wohingegen die technische Ausführung dem Verantwortungsbereich des Auftragnehmers zuzuordnen ist. 658 Auch die Abwälzung des Verwendungs­ und Vorhalterisikos auf den Auftragnehmer, also ob und in welchem Umfang die vertraglich geschuldete Leistung in Anspruch genommen wird, ist grund­ sätzlich einem ungewöhnlichen Wagnis gleichzusetzen. 659 So liegt im Rahmen eines Dienstleistungsvertrages das Verwendungsrisiko grundsätzlich bei dem Auftraggeber. Verlagert er dieses Risiko wirtschaftlich auf den Auftragnehmer, ist zunächst indiziert, dass ein ungewöhnliches Wagnis vorliegt. 660 Auch der Aus­ schluss von Preisgleitklauseln bei Verträgen mit langer Laufzeit kann eine Über­ bürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses auf den Arbeitnehmer bedeuten, da einzelne Materialien starken Preisschwankungen unterliegen können. 661 Zu den ungewöhnlichen Wagnissen gehört es auch, wenn der Auftraggeber nicht sämt­ liche für die Angebotskalkulation erforderlichen Informationen vollständig und richtig zur Verfügung stellt und der Auftragnehmer sich selbst die notwendigen Kenntnisse nicht verschaffen kann und damit nicht in der Lage ist, verlässliche Vorstellungen zur Preisbildung zu entwickeln. 662 Insoweit geht die Verpflichtung zur eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung mit dem Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse auf die Bieter einher.

656 Saarländisches OLG, Beschl. v. Beschl. v. 29. 09. 2004 – 1 Verg 6/04, ZfBR 2004, 829 (Ls.); OLG Celle, Beschl. v. 02. 09. 2004 – 13 Verg 11/04, NZBau 2005, 52 (53); VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 01. 2007 – VgK-33/2006; VK Bund, Beschl. v. 06. 05. 2005 – VK 3 – 28/05, IBR 2005, 1237; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 75. 657 VK Bund, Beschl. v. 26. 03. 2003 – VK 2 – 06/03; Kratzenberg, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 29. 658 Heiermann, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 9, Rn. 14, 17, 20 mit ausführ­ lichen Beispielen zu unzulässigen Klauseln. Für den Bereich der Liefer- und Dienstleis­ tungsaufträge: Noch, in: Müller-Wrede, VOL / A, § 8, Rn. 130 ff. 659 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23. 03. 2005 – Verg 77/04, BauRB 2005, 237 (Ls.); Beschl. v. 09. 06. 2004 – Verg 18/04; Beschl. v. 19. 10. 2006 – Verg 39/06; VK Bund, Beschl. v. 07. 04. 2004 – VK 1 – 15/04; Beschl. v. 26. 08. 2004 – VK 1 –105/04. 660 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23. 03. 2005 – Verg 77/04, BauRB 2005, 237 (Ls.). Vgl. auch Saarländisches OLG, Beschl. v. 13. 11. 2002 – 5 Verg 1/02, NZBau 2003, 625 (627): Anschaffung und Vorhaltung eines Fahrzeugs, wobei unklar war, ob und wie oft das Fahrzeug zum Einsatz kommen soll. 661 Heiermann, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 9, Rn. 16; zu den Anforde­ rungen an Preisgleitklauseln Kapitel 4.B.II.2.b. 662 OLG Naumburg, Urt. v. 15. 12. 2005 – 1 U 5/05, VergabeR 2006, 278 (284).

Kap. 6: Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten

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(3) Grenzen des Verbots Das Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse gilt nicht unbegrenzt. Insbesondere ist nicht jede Übertragung eines Wagnisses unzulässig, sondern nur die eines ungewöhnlichen. Gewöhnliche Wagnisse sind daher vom Bieter hinzunehmen. Gleiches gilt für kalkulierbare Wagnisse. Das Verbot greift auch dann nicht, wenn der Bieter für die Aufbürdung des ungewöhnlichen Wagnisses einen wirtschaftlichen oder sonstigen Ausgleich erhält. (a) Gewöhnliche Wagnisse An sich wohnen jedem Vertrag gewisse Wagnisse inne, die den einen oder den anderen Vertragspartner oder auch beide Teile treffen. 663 Das Verbot der Aufbürdung von Wagnissen findet daher von vornherein auf solche Risiken kei­ ne Anwendung, die vertragstypisch ohnehin den Auftragnehmer treffen. 664 Es ist nicht Zielsetzung des Verbots, das unternehmerische Risiko auf das nied­ rigste Maß zu begrenzen. 665 Vielmehr ist nur die Auferlegung ungewöhnlicher Wagnisse untersagt. Die Aufbürdung leistungstypischer und damit gewöhnlicher Wagnisse ist hingegen gestattet. 666 Dies sind solche Wagnisse, die – wie die Beschaffenheit und Finanzierbarkeit von Materialien oder technische Schwie­ rigkeiten der Ausführung – zum typischen Risiko eines Unternehmers gehören und die grundsätzlich von ihm beherrschbar sind. 667 Aus diesem Grund stellt das Leistungs- und Erfüllungsrisiko kein ungewöhnliches Risiko für den Auf­ tragnehmer dar. Vielmehr ist diesem nach dem allgemeinen Vertragsrecht das Risiko zugewiesen, die versprochene Leistung über die gesamte Vertragslaufzeit zu dem vereinbarten Preis kostendeckend zu erbringen. Es fällt mithin in sei­ ne Risikosphäre, wenn bei einem unverändert bleibenden Leistungsgegenstand 663 Im Baubereich sind dies zum Beispiel Risiken, die sich aus einer unsicheren Witterung ergeben, technische Schwierigkeiten bei der Bauausführung, Belieferung von Materialien, Risiken aus Gewährleistung etc. (vgl. Heiermann, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 9, Rn. 14). 664 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09. 07. 2003 – Verg 26/03; i. d. S. auch OLG Naum­ burg, Urt. v. 22. 01. 2002 – 1 U (Kart) 2/01, BauR 2002, 833 (Ls.); VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005: Im Rahmen von Entsorgungsleistungen gehört die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Betriebs der Abfallanlage zu den üblichen Hauptleistungspflichten des (Fach-) Auftragnehmers. 665 VK Bund, Beschl. v. 26. 08. 2004 – VK 1 – 105/04; Beschl. v. 26. 03. 2003 – VK 2 –06/03; Kratzenberg, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 29. 666 Saarländisches OLG, Beschl. v. Beschl. v. 29. 09. 2004 – 1 Verg 6/04, ZfBR 2004, 829 (Ls.). 667 Saarländisches OLG, Beschl. v. 13. 11. 2002 – 5 Verg 1/02, NZBau 2003, 625 (627); Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (163); Heiermann, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 9, Rn. 14; Prieß, NZBau 2004, 87 (88 f.); ders., in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 76.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

seine Kosten aufgrund veränderter gesetzlicher oder wirtschaftlicher Rahmenbe­ dingungen steigen. Die Berücksichtigung dieser allgemeinen Risiken im Rahmen der Kalkulation und eine entsprechende Vorsorge liegen grundsätzlich in seiner Verantwortung. 668 Ein gewöhnliches Wagnis liegt darüber hinaus auch dann vor, wenn dieses zwar einerseits nicht beeinflusst werden kann, andererseits aber keine grundlegende Auswirkung auf das zwischen Leistung und Gegenleistung vorauszusetzende Äquivalent besitzt. 669 (b) Kalkulierbare Wagnisse Das Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse fordert nicht nur mit der Leistung verbundene Ungewissheiten, sondern auch, dass diese Ungewisshei­ ten eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation nicht möglich machen. 670 Auf­ grund der unternehmerischen Erfahrung der Auftragnehmer kann es aber im Einzelfall durchaus zumutbar sein, ungewöhnliche Risiken zu kalkulieren. 671 Hieraus ergibt sich, dass Wagnisse, die zwar nicht der Beeinflussbarkeit des Auftragnehmers unterliegen, aber dennoch kalkulierbar sind, keine unzulässigen ungewöhnlichen Risiken darstellen. 672 Wagnisse sind dann kalkulierbar, wenn die Einwirkung des Risikos auf die Preisbildung in gewissem Umfang im Voraus abgeschätzt werden kann. 673 Allein die Tatsache, dass sich die im ungünstigsten Fall drohenden Einbußen berechnen lassen, nimmt der Vertragsgestaltung jedoch nicht die Unangemes­ senheit. 674 Der Auftragnehmer muss vielmehr das Risiko selbst absehen und die Auswirkungen auf den Preis einschätzen können. Für diesen muss daher überschaubar sein, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich das Wagnis voraussicht­ lich realisieren und wirtschaftlich auswirken wird. 675 Hierfür genügt es nicht, 668 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09. 07. 2003 – Verg 26/03; VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005; Beschl. v. 18. 06. 2004 – 203-VgK 29/2004. 669 Kratzenberg, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 29. 670 VK Bund, Beschl. v. 09. 05. 2007 – VK 1 – 26/07, IBR 2007, 1337. 671 BGH, Urt. v. 08. 09. 1998 – X ZR 85/97, NJW 1998, 3634 (3635); VK Bund, Beschl. v. 07. 04. 2004 – VK 1 – 15/04. 672 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 10. 2006 – Verg 39/06; Schottke, BauR 1993, 565 (566). 673 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 10. 2006 – Verg 39/06. 674 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09. 06. 2004 – Verg 18/04; VK Bund, Beschl. v. 19. 04. 2004 – VK 3 – 44/04; Prieß, NZBau 2004, 87 (89). 675 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 10. 2006 – Verg 39/06; Beschl. v. 09. 06. 2004 – Verg 18/04; Beschl. v. 05. 12. 2001 – Verg 32/01; Beschl. v. 05. 10. 2001 – Verg 28/ 01; VK Bund, Beschl. v. 06. 05. 2005 – VK 3 – 28/05, IBR 2005, 1237; Beschl. v. 26. 08. 2004 – VK 1 – 105/04; Beschl. v. 19. 04. 2004 – VK 3 –44/04; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 84.

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wenn dem Auftragnehmer letztlich nur die Möglichkeit des Durchspielens einer Vielzahl spekulativer Varianten bleibt oder er nur das theoretisch ungünstigste bzw. im schlimmsten Fall drohende Risiko beziffern kann. 676 In diesen Fällen beruht die Kalkulation nicht auf einer zuverlässigen Grundlage, sondern auf einer reinen Spekulation. (c) Ausgleichsmöglichkeiten Die Übertragung eines Wagnisses verstößt letztlich auch nur dann gegen das Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse, wenn die Übertragung im Ein­ zelfall wirtschaftlich schwerwiegende Folgen für den Auftragnehmer mit sich bringt. 677 Dieser Annahme stünde es entgegen, wenn das übernommene Risiko durch eine besonders hohe Vergütung abgedeckt oder ein Ausgleich auf eine an­ dere Weise sichergestellt wird. 678 Die Unangemessenheit des Risikos kann daher durch Gewährung eines (wirtschaftlichen) Ausgleichs beseitigt werden. 679 Der Ausgleich kann beispielsweise durch Risikozuschläge 680 oder sonstige Gegen­ leistungen für die Optionsgewährung gesichert werden. 681 Auch eine dem Risiko entgegenwirkende Vertragsgestaltung, beispielsweise durch lange Vertrags- oder Vorlaufzeiten, Mindestabnahmemengen, 682 Preisgleitklauseln 683 etc., kann das übernommene Wagnis abmildern.

676 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09. 06. 2004 – Verg 18/04; VK Bund, Beschl. v. 19. 04. 2004 – VK 3 – 44/04; Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 84. 677 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 10. 2006 – Verg 39/06; VK Bund, Beschl. v. 26. 08. 2004 – VK 1 – 105/04; Beschl. v. 26. 03. 2003 – VK 2 –06/03; VK Niedersach­ sen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005; Beschl. v. 18. 06. 2004 – 203-VgK-29/2004; Zdzieblo, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 8, Rn. 40; Prieß, NZBau 2004, 87 (89). 678 OLG Naumburg, Urt. v. 22. 01. 2002 – 1 U (Kart) 2/01, BauR 2002, 833 (Ls.); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05. 10. 2001 – Verg 28/01; Beschl. v. 05. 12. 2001 – Verg 32/01; VK Bund, Beschl. v. 07. 04. 2004 – VK 1 – 15/04; Beschl. v. 26. 03. 2003 – VK 2 – 06/03; Zdzieblo, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 8, Rn. 40; Prieß, NZBau 2004, 87 (90); ders., in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 93; Kratzenberg, in: Ingenstau / Korbion, VOB, § 9 VOB / A, Rn. 32. 679 Das OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 10. 2006 – Verg 39/06 sowie Beschl. v. 05. 10. 2001 – Verg 28/01, prüft, ob das ungewöhnliche Wagnis auf andere Weise aus­ geglichen wird, lehnt die getroffene Regelung aber als ungeeignet ab. Auch in dem Beschl. v. 19. 10. 2006 – Verg 39/06 sowie Beschl. v. 23. 03. 2005 – Verg 77/04, BauRB 2005, 237 (Ls.), thematisiert der Senat, ob die dort getroffene Regelung – Möglichkeit einer Mischkalkulation – das überbürdete Risiko beseitigt. 680 OLG Naumburg, Urt. v. 15. 12. 2005 – 1 U 5/05, VergabeR 2006, 278 (283); Urt. v. 22. 01. 2002 – 1 U (Kart) 2/01, BauR 2002, 833 (Ls.); VK Bund, Beschl. v. 09. 05. 2007 – VK 1 – 26/07, IBR 2007, 1337. 681 VK Bund, Beschl. v. 19. 04. 2004 – VK 3 – 44/04. 682 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 10. 2006 – Verg 39/06.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

(4) Ungewöhnliche Wagnisse bei der Ausschreibung von Optionen Vor allem bei der Ausschreibung optionaler Leistungen besteht die Gefahr, dass dem Auftragnehmer ungewöhnliche Wagnisse aufgebürdet werden. 684 Die­ ser muss sich einerseits an sein Angebot unter Umständen für eine lange Zeit binden lassen, andererseits ist er der Ungewissheit über den Abruf der Leistun­ gen ausgesetzt. Da der Auftragnehmer bei Abruf der Leistung zur Erfüllung verpflichtet ist, muss er sich stets leistungsbereit halten. Hierzu gehört vor allem die Vorhaltung personeller, sachlicher und räumlicher Mittel. Dem Auftragneh­ mer entstehen hierdurch zusätzliche Vorhalte- und Vorsorgekosten, die auch dann anfallen, wenn der Auftraggeber die optionalen Leistungen nicht abruft. Das Verwendungsrisiko, welches grundsätzlich der Auftraggeber trägt, wird bei optionalen Leistungen somit grundsätzlich auf den Auftragnehmer verlagert. 685 Darüber hinaus räumt der Auftraggeber sich unter Umständen das Recht ein, die Leistung über einen sehr lang bemessenen Zeitraum abrufen zu können. So sehen beispielsweise die Vertragsmuster des Bundes nach der RBBau eine 24-monatige Bindung des Auftragnehmers an sein Angebot vor. 686 Diese zwingt den Auftragnehmer, für den langen Zeitraum von zwei Jahren entsprechende Ressourcen vorzuhalten. 687 Zwar können lange Bindungsfristen an die Angebo­ te durch den jeweiligen Gegenstand des Auftrags gerechtfertigt, teilweise sogar geboten sein, insbesondere wenn die Leistungserbringung entsprechende Vor­ laufzeiten erfordert, z. B. den Aufbau einer umfangreichen Logistik oder einer Müllaufbereitungsanlage. 688 Jedoch wurde der Angebotspreis zu einem wesent­ lich früheren Zeitpunkt kalkuliert, als die Leistung tatsächlich erbracht wird. Der Auftragnehmer ist aber an seinen ursprünglichen Angebotspreis teilweise 683

Ähnlich OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05. 10. 2001 – Verg 28/01; VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005. Siehe zu den Anforderungen an Preisgleitklauseln Kapitel 4.B.II.2.b. 684 KG, Urt. v. 28. 03. 2003 – 7 U 191/03, IBR 2004, 482; VK Bund, Beschl. v. 26. 08. 2004 – VK 1 – 105/04. 685 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05. 12. 2001 – Verg 32/01 m.w. N. 686 So heißt es in den Vertragsmustern der RBBau unter Ziff. 3.1: „Der Auftragnehmer ist verpflichtet, diese weiteren Leistungen zu erbringen, wenn ihm vom Auftraggeber innerhalb von 24 Monaten nach Fertigstellung der Leistungen nach 3.2 zumindest die Leistungen nach 3.3 übertragen werden. [...] Ein Rechtsanspruch auf Übertragung der Leistungen nach 3.3 bis 3.5 sowie 3.6 besteht nicht. ...“; abgedruckt in Osenbrück, RBBau, S. 270 ff. 687 Bedenken gegen diese Bindungsfrist äußert Osenbrück, RBBau, § 3 VM, Rn. 11 ff. 688 VK Bund, Beschl. v. 20. 07. 2005 – VK 1 – 62/05. Vgl. VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 11. 2001 – 203-VgK-19/2001, welche eine Bindefrist an die Angebote von 17 Monaten als durch den konkreten Auftragsgegenstand gerechtfertigt und für den Bieter zumutbar anerkannte; ebenso Beschl. v. 08. 05. 2006 – VgK-07/2006, IBR 2006, 1468 für eine 24-monatige Bindungsfrist mit der Begründung, dass der Bieter bis zum Vertragsbeginn eine umfangreiche Logistik aufbauen müsse.

Kap. 6: Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten

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über Jahre gebunden. Auch insoweit stellt sich die Frage, inwieweit die lange Bindung des Auftragnehmers an derartige Klauseln zumutbar ist. Teilweise wird vertreten, dass in den vorbenannten Risiken grundsätzlich kei­ ne ungewöhnlichen Wagnisse für den Auftragnehmer liegen, da die Faktoren der langen Bindung und Vorhaltekosten für den Ansatz der Kosten nicht allein entscheidend und auch nur nebensächlicher Natur seien. Ob der Auftragnehmer gewisse Vorhalte- und Vorsorgemaßnahmen trifft, sei allein seine unternehme­ rische Entscheidung. 689 Die gegenteilige Ansicht geht von einer Kalkulationser­ heblichkeit der benannten Faktoren aus. Räumt sich der Auftraggeber das Recht ein, die Leistung um einen von vornherein nicht feststehenden und unter Um­ ständen erheblichen Zeitraum durch einseitige Erklärung zu verlängern oder zu erweitern, so habe dies Einfluss auf die Kalkulation des Angebotspreises. Neben einem Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbe­ schreibung 690 würde in Fällen unbestimmter Mengenangaben oder unbestimmter Vertragsdauer auch ein Verstoß gegen das Verbot der Aufbürdung ungewöhn­ licher Wagnisse hinzukommen. Denn das Verwendungsrisiko liege bei einem Dienstleistungsauftrag grundsätzlich beim Auftraggeber und würde unzulässig auf den Auftragnehmer verlagert. 691 Dieser könne das Risiko der wirtschaftlichen Verwendung seiner Leistungsbereitschaft und Preiskalkulation aber nicht zuver­ lässig abschätzen. 692 Langfristige verbindliche Leistungspflichten (auch in Form von bloßen Vorhaltemaßnahmen) auf der einen Seite und unsichere Vergütungs­ ansprüche auf der anderen Seite führen daher zur Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse. 693 Der letztgenannten Ansicht ist zu folgen. Ist die Erweiterung des Vertrages in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht unbestimmt oder ist die Bindung an das Angebot unangemessen lang, können sich die Kalkulationsgrundlagen für die Preisermittlung wesentlich verschieben. Sowohl das Risiko der eindeutigen Leis­ tungsbeschreibung als auch das Verwendungsrisiko liegen aber grundsätzlich in der Sphäre des Auftraggebers. Es handelt sich daher um kein für den Auftrag­ nehmer gewöhnliches Risiko. Werden diesen Risiken durch etwaige (Options-) Klauseln von dem Auftraggeber auf den Auftragnehmer verlagert, so werden die­ sem ungewöhnliche Wagnisse aufgebürdet. Vor diesem Hintergrund sind weitere Anforderungen an die zeitliche und inhaltliche Bestimmtheit von Optionsklau­ seln zu stellen. 689

Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158

(164). 690 691

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05. 12. 2001 – Verg 32/01. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05. 12. 2001 – Verg 32/01; Prieß, NZBau 2004, 87

(90). 692

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05. 12. 2001 – Verg 32/01. Prieß, NZBau 2004, 87 (90) unter Bezugnahme auf VK Bund, Beschl. v. 19. 03. 2002 – VK 2 – 6/02. 693

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Die optionale Leistung muss zunächst hinsichtlich Art, Inhalt und Umfang der Leistung, dem Leistungszeitraum und (spätesten) Abrufzeitpunkt seitens des öffentlichen Auftraggebers klar definiert sein. 694 Es muss für den Auftragnehmer überschaubar sein, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich das Wagnis voraussicht­ lich realisieren wird und mit welchem Ergebnis sich dieses Risiko auf den Preis niederschlägt. 695 Kann der öffentliche Auftraggeber den Umfang der Leistung nicht absehen, so muss er den Bietern Zahlen und Daten an die Hand geben, die ihm aufgrund der jüngsten Entwicklung oder aus den vorangegangenen Jahren bekannt sind. 696 Dementsprechend kann als Kalkulationsbasis auch ei­ ne Hochrechnung eines Testgebiets vorgegeben werden, z. B. bei Beseitigung von Kontaminierungen. 697 Aus diesem Grund hat der Auftraggeber beispielswei­ se Prognosen über die Entwicklung von Abfallmengen abzugeben. In diesen Fällen ist es Aufgabe eines fachkundigen Unternehmens, dem der jeweiligen Dienstleistung typischerweise innewohnenden und nicht vermeidbaren Risiko ei­ ner fehlenden Vorhersehbarkeit durch eine entsprechend angepasste Kalkulation Rechnung zu tragen. Einem fachkundigen Unternehmen ist es zuzumuten, die diesbezüglichen Risiken einzuschätzen und im Rahmen der Kalkulation durch auskömmliche Zuschläge zu berücksichtigen. 698 Im Falle einer Verlängerungsoption sind Laufzeit und Anzahl der Verlänge­ rungen eindeutig zu begrenzen. 699 Bleibt unklar, ob und für welchen Zeitraum eine Verlängerungsoption während der Laufzeit des Vertrages in Anspruch ge­ nommen wird und kann der Auftragnehmer aufgrund dieser Unklarheiten keine verlässlichen Preise ermitteln, so genügt die Leistungsbeschreibung nicht den ver­ gaberechtlichen Anforderungen. 700 Daher gehört es auch zu den ungewöhnlichen Wagnissen, wenn sich der Auftraggeber vorbehält, die Vertragsdauer in einem unbestimmten Umfang zu verlängern. 701 Ist hingegen eine Verlängerungsoption in Bezug auf Laufzeit und Umfang hinreichend und eindeutig begrenzt, so wird dem Auftragnehmer grundsätzlich kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet. 702 694

VK Bund, Beschl. v. 20. 07. 2005 – VK 1 – 62/05. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05. 12. 2001 – Verg 32/01; Beschl. v. 05. 10. 2001 – Verg 28/01; Prieß, NZBau 2004, 87 (89). 696 VK Niedersachsen, Beschl. v. 04. 09. 2003 – 203-VgK-16/2003 für Entsorgungs­ leistungen; Prieß, NZBau 2004, 87 (91). 697 OLG Naumburg, Urt. v. 15. 12. 2005 – 1 U 5/05, VergabeR 2006, 278 (283); Urt. v. 22. 01. 2002 – 1 U (Kart) 2/01, BauR 2002, 833 (Ls.). 698 OLG Naumburg, Urt. v. 22. 01. 2002 – 1 U (Kart) 2/01, BauR 2002, 833 (Ls.). 699 Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 18 ff. unter Bezugnahme auf VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 18. 12. 2000 – VK-SH 13/00 sowie VK Nieder­ sachsen, Beschl. v. 26. 04. 2004 – VgK-10/2004. 700 Prieß, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 8, Rn. 88. 701 VK Bund, Beschl. v. 19. 04. 2004 – VK 3 – 44/04. 702 VK Niedersachsen, Beschl. v. 26. 04. 2004 – VgK-10/2004. 695

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Darüber hinaus ist im Bereich optionaler Leistungen zu fordern, dass der Auf­ traggeber dem Unternehmen eine ausreichend bemessene Frist zur Disposition der Kapazitäten gewährt. Dies wird durch eine Verpflichtung des Auftraggebers erreicht, die Vertragsverlängerung innerhalb einer angemessenen Frist von bei­ spielsweise 3 bis 4 Monaten vor Leistungsbeginn auszusprechen. Dies gibt dem Auftragnehmer die Möglichkeit, über Ressourcen wie Personal und technische Ausstattung zu disponieren. 703 Insbesondere wird dem Auftragnehmer die Kalku­ lation und Minimierung seiner Vorhaltekosten ermöglicht. 704 Ein fachkundiges Unternehmen ist durch eine ausreichend bemessene Vorlaufzeit insbesondere in der Lage, sich auf die weitere Leistungserbringung vorzubereiten. 705 f) Inhaltskontrolle von Optionsklauseln Die langen Bindungsfristen der Auftragnehmer an Optionsklauseln von 24 bis zu zum Teil 48 Monaten müssen weiterhin einer Inhaltskontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen standhalten. Eine Unwirksamkeit könn­ te aus §§ 307 Abs. 1 i.V. m. 308 Nr. 1 BGB hergeleitet werden. 706 Denn durch Optionsklauseln wird dem Auftragnehmer die nicht unbedeutende Nebenpflicht auferlegt, sich für die Dauer von mehreren Monaten (teilweise sogar Jahren) leistungsbereit zu halten. 707 aa) Unangemessen lange oder unbestimmte Fristen Gemäß § 308 Nr. 1 BGB ist eine Bestimmung unwirksam, durch die sich der Verwender unangemessen lange oder nicht hinreichend bestimmte Fristen für die Annahme oder Ablehnung eines Angebots vorbehält. Wann eine Frist als un­ angemessen lang anzusehen ist, wird nach dem Inhalt und der wirtschaftlichen Bedeutung des Vertrages unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen und der Verkehrsanschauung beurteilt. Die beiderseitigen Interessen sind zu er­ mitteln, zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. 708 Die Interessenabwägung orientiert sich grundsätzlich an den für den Vertragsgegenstand typischen Um­ 703

VK Bund, Beschl. v. 19. 04. 2004 – VK 3 – 44/04. Vgl. VK Bund, Beschl. v. 07. 04. 2004 – VK 1 – 15/04. 705 VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 11. 2001 – 203-VgK-19/2001. Nach der VK Bund, Beschl. v. 20. 07. 2005 – VK 1 – 62/05 soll eine Vorlaufzeit von vier Monaten angemessen sein. 706 Den Maßstab bildet die Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB, da die Bestim­ mungen des § 308 BGB im Verhältnis zu Unternehmern gemäß § 310 Abs. 1 BGB keine Anwendung finden. Die Klauselverbote des § 308 BGB können aber aufgrund ihres Wer­ tungsspielraums über die Generalklausel auch gegenüber Unternehmen Berücksichtigung finden (vgl. Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 307, Rn. 41). 707 OLG Dresden, Urt. v. 15. 04. 1999 – 9 U 3211/98, IBR 2001, 26. 704

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ständen, dem Inhalt des Rechtsgeschäfts, seiner wirtschaftlichen Bedeutung, der Art des zu liefernden Gegenstandes und nicht zuletzt an der Verkehrsanschau­ ung. 709 Diesbezüglich kann auf die in bestimmten Wirtschaftssparten typischen Umstände abgestellt werden. 710 Im Regelfall ergibt sich danach eine branchen­ spezifische Konkretisierung der angemessenen Fristdauer. 711 Dabei führt aber nicht schon das Verfehlen der Angemessenheit, sondern vielmehr erst die Unan­ gemessenheit zur Unwirksamkeit. 712 Auch eine unbestimmte Frist, also eine für den Vertragspartner nicht be­ rechenbare Frist, fällt unter den Verbotstatbestand des § 308 Nr. 1 BGB. Die Berechenbarkeit fehlt, wenn entweder der Fristbeginn, die Fristdauer oder das Fristende einschließlich etwaiger Verlängerungstatbestände nicht sicher oder nur unter Schwierigkeiten, also bei einem unzumutbaren zeitlichen oder kostenmä­ ßigen Aufwand oder einer rechtlichen Beratung, festgestellt werden können. 713 bb) Bindefristen im Rahmen von Optionsklauseln Fraglich ist, ob Optionsklauseln überhaupt einer Inhaltskontrolle nach den §§ 307 Abs. 1 i.V. m. 308 Nr. 1 BGB unterzogen werden können. 714 Im Falle einer Option werden die weiteren Leistungen nämlich nicht durch Annahme eines Vertragsangebots, sondern durch Ausübung eines vertraglich eingeräum­ ten einseitigen Gestaltungsrechts abgerufen. 715 Da diese Konstellation allerdings mit dem Vorbehalt langer Bindefristen vergleichbar ist und § 308 Nr. 1 BGB auch auf vergleichbare Konstellationen Anwendung findet, 716 muss im Rahmen von Optionsrechten die Vorschrift des § 308 Nr. 1 BGB zumindest entsprechend gelten. 717 708 Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 308, Rn. 4; Kiesinger, in: Münchener Kommentar, BGB, § 308 Nr. 1, Rn. 5; S. Roloff, in: Ermann, BGB, § 308, Rn. 3; Wolf, in: Wolf / Horn / Lindacher, AGBG Kommentar, § 10 Nr. 1, Rn. 10. 709 S. Roloff, in: Ermann, BGB, § 308, Rn. 4. 710 BGH, Urt. v. 06. 03. 1986 – III ZR 234/84, NJW 1986, 1807 (1808); Urt. v. 13. 9. 2000 – VIII ZR 34/00, NJW 2001, 303; Wolf, in: Wolf / Horn / Lindacher, AGBG Kom­ mentar, § 10 Nr. 1, Rn. 14; H. Schmidt, in: Ulmer / Brandner / Hensen, AGB-Recht, § 308 Nr. 1, Rn. 5. 711 Vgl. Kieninger, in: Münchener Kommentar, BGB, § 308 Nr. 1, Rn. 5 –7. 712 Wolf, in: Wolf / Horn / Lindacher, AGBG Kommentar, § 10 Nr. 1, Rn. 10; ähnlich S. Roloff, in: Ermann, BGB, § 308, Rn. 3. 713 S. Roloff, in: Ermann, BGB, § 308, Rn. 6; Wolf, in: Wolf / Horn / Lindacher, AGBG Kommentar, § 10 Nr. 1, Rn. 17 f.; Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 308, Rn. 5. 714 Zweifelnd, aber schlussendlich offen gelassen OLG Dresden, Urt. v. 15. 04. 1999 – 9 U 3211/98, IBR 2001, 26; Osenbrück, RBBau, § 3 VM, Rn. 13. 715 Hierzu oben Kapitel 6.A.I.1. 716 Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 308, Rn. 3. 717 Osenbrück, RBBau, § 3 VM, Rn. 13.

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Die zulässigen Bindefristen richten sich wie vorangehend dargestellt, im Rah­ men des § 308 Nr. 1 BGB nach den für den Vertragsgegenstand typischen Um­ ständen und einer diesbezüglich herausgebildeten Branchenüblichkeit. 718 Es gilt daher zu ermitteln, welche Bindefristen Optionsklauseln im Bereich der öffent­ lichen Auftragsvergabe üblicherweise zugrunde liegen. Anhaltspunkte hierfür können Vertragsmuster verschiedener Richtlinien bieten. So sehen beispielswei­ se die Vertragsmuster der RBBau unter § 3.1 Abs. 4 eine Bindefrist von 24 Monaten nach Fertigstellung der fest beauftragten Leistungen vor. Die RBBau und die darin enthaltenen Vertragsmuster verpflichten unmittelbar zwar nur die Behörden der Bundesverwaltung zur Anwendung. Die Bestimmungen werden jedoch von den Ländern aufgrund entsprechender Richtlinien – RLBau – ange­ wandt. Die kommunalen Vertragsmuster enthalten, ähnlich wie in der RBBau, ebenfalls derart lange Bindefristen für die Auftragnehmer an ihre Angebote, teil­ weise bis zu 48 Monate. 719 Hieraus könnte daher geschlossen werden, dass die branchenübliche Bindefrist bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bei maximal 24 bis 48 Monaten liegt. Allerdings werden in der vergaberechtlichen Literatur Bedenken gegen die Zulässigkeit derart langer Bindefristen in Optionsklauseln erhoben. Hierin wird insbesondere eine unangemessene Benachteiligung für den Auftragnehmer im Sinne der §§ 307, 308 Nr. 1 BGB gesehen. Denn der Auftragnehmer werde auf lange Zeit einseitig verpflichtet, sich leistungsbereit zu halten, obwohl für ihn offen ist, ob und wann es zu einer Weiterbeauftragung kommt. 720 Die lange Bin­ defrist zwinge den Auftragnehmer daher über einen langen, nicht näher bestimm­ ten und daher unzumutbaren Zeitraum hinweg Kapazitäten vorzuhalten, um bei Ausübung des Optionsrechts unmittelbar in der Lage zu sein, die Bearbeitung fortzusetzen. Hinzu käme, dass der Auftragnehmer keinen Anspruch auf Weiter­ beauftragung besitzt. 721 Eine Klausel, die den Auftragnehmer auf unbestimmte, von ihm nicht zu beeinflussende Zeit und zudem unangemessen lang bindet, verstoße aber gegen AGB-rechtliche Bestimmungen. Hierin liege zugleich eine entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers, da eine solche Bestimmung mit dem wesentlichen Grund­ gedanken der gesetzlichen Regelung (§§ 145 ff. BGB), von der abgewichen wird, nicht vereinbar sei. 722 Eine Bindefrist für optionale Leistungen von 24 Monaten 718

Osenbrück, RBBau, § 3 VM, Rn. 13. Vgl. Architekten- und Ingenieurverträge für öffentliche Bauvorhaben, Hrsg.: Ar­ beitskreis Vergabewesen der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände; Theis, Architekten- und Ingenieurverträge, Rn. 99 f. 720 So Löffelmann / Fleischmann, Architektenrecht, Rn. 881 f. 721 Osenbrück, RBBau, VM § 3, Rn. 13; Werner, BauR 1992, 695 (699); Löffelmann / Fleischmann, Architektenrecht, Rn. 881 f.; Dieblich, in: Sangenstedt, Rechtshandbuch für Ingenieure und Architekten, A VI, Rn. 20. 722 Vygen, BauR 1992, 135 (138 f.). 719

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

nach Fertigstellung der fest beauftragten Leistungen wird nach dieser Ansicht daher wegen Verstoßes gegen das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen als unwirksam angesehen. 723 Andere Teile der Literatur halten Bindefristen von 24 Monaten, teilweise sogar von 36 Monaten für angemessen bzw. tragen diesbezüglich keinerlei Bedenken vor. 724 Die Rechtsprechung hat sich, soweit ersichtlich, speziell mit dem Problem von Bindungsklauseln in Bezug auf Optionen nicht explizit auseinandergesetzt. Das OLG Dresden gab zwar zubedenken, dass die Klausel des § 3.1 RBBau im Hinblick auf die zweijährige Leistungsbindung unwirksam sein könnte, ließ die­ se Frage jedoch im Ergebnis offen. Es stellte zudem in Frage, ob Optionsverträge überhaupt einer Inhaltskontrolle unterlägen. 725 Das OLG Düsseldorf trug hinge­ gen in einem von ihm zu entscheidenden Fall keinerlei Bedenken hinsichtlich einer 36-monatigen Bindefrist vor. 726 Unter Berücksichtigung der vorgenannten Ansichten muss hinsichtlich der Fra­ ge der Angemessenheit von Bindefristen bei Optionsklauseln zunächst das im Rahmen der vergaberechtlichen Prüfung gefundene Ergebnis gelten. Demnach sind die allgemeinen vergaberechtlichen Anforderungen zu beachten, insbeson­ dere, dass die Vertragslaufzeit regelmäßig 48 Monate nicht überschreiten darf, es sei denn, eine längere Vertragslaufzeit kann sachlich gerechtfertigt werden. 727 Bereits vor diesem Hintergrund ist eine Bindefrist von 48 Monaten bis zur Aus­ übung der Option problematisch. Kann diese nicht sachlich begründet werden, so muss sie als unangemessen gelten. Weiterhin muss die Bindungsfrist so­ wohl gemäß §§ 307 Abs. 1, 308 Nr. 1 BGB als auch nach vergaberechtlicher Wertung eindeutig bestimmbar sein. 728 Der zukünftige Auftragnehmer muss Fristbeginn, Fristdauer und das Fristende der Bindefrist einschließlich etwai­ ger Verlängerungstatbestände absehen können. Der Auftraggeber muss zudem dem Auftragnehmer eine angemessene Vorlaufzeit zur Disposition seiner Ka­ pazitäten gewähren und daher die Optionsausübung bis zu einem im Vertrag festgelegten Zeitpunkt vor Ablauf des bestehenden Vertrages erklären. Für den Auftragnehmer muss klar erkennbar sein, zu welchem Zeitpunkt die Option tat­ sächlich ausgeübt wird. Letztlich kann die Unangemessenheit einseitiger langer Bindungen an die angebotene Option durch Gewährung wirtschaftlicher Vorteile, 723

Osenbrück, RBBau, VM § 3, Rn. 13; Werner, BauR 1992, 695 (699); Löffelmann / Fleischmann, Architektenrecht, Rn. 881 f.; Dieblich, in: Sangenstedt, Rechtshandbuch für Ingenieure und Architekten, A VI, Rn. 20. 724 Locher / Koeble / Frik, Kommentar zur HOAI, Einl., Rn. 27; Wirth; in: Korbion / Mantscheff / Vygen, HOAI, Einführung, Rn. 81. 725 OLG Dresden, Urt. v. 15. 04. 1999 – 9 U 3211/98, IBR 2001, 26. 726 OLG Düsseldorf, Urt. v. 21. 05. 1996 – 12 U 116/95, BauR 1997, 340 (341): Eine einseitige Bindung des Klägers für 36 Monate sei erforderlich, aber auch ausreichend. 727 Hierzu bereits Kapitel 5.B.II.1.c.bb. 728 Hierzu Kapitel 6.C.II.e.bb.(4).

Kap. 6: Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten

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z. B. einem angemessenen Risikoausgleich, Preisanpassungsklauseln oder einer Vergütung für die Optionsgewährung egalisiert werden. Entspricht die Optionsklausel den vorgenannten Anforderungen, so kann sie auch im Rahmen einer Gesamtwürdigung nach § 307 Abs. 1 BGB nicht als un­ angemessene Benachteiligung gelten. g) Ergebnis An die vergaberechtliche Zulässigkeit von Optionsklauseln müssen klare An­ forderungen gestellt werden, da diese grundsätzlich geeignet sind, das Vergabe­ recht zu umgehen und unzumutbare Vertragsbedingungen zu diktieren. Zunächst ist ein Vergabewille im Sinne eines gegenwärtigen und wirklichen Willens des öffentlichen Auftraggebers zur Beschaffung der optionalen Leistun­ gen zu fordern. Zweck der Ausschreibung muss die Vergabe eines Auftrags sein. Im Gegensatz hierzu liegt eine unzulässige vergabefremde Ausschreibung vor, wenn der Auftraggeber beispielsweise bloß den Marktpreis oder den potenziel­ len Bewerberkreis erforschen will. Gleiches gilt, wenn die Ausschreibungsreife fehlt, also die Voraussetzungen für eine Auftragsvergabe nicht geschaffen wur­ den (Genehmigungen, Finanzierung etc.). Im Hinblick auf das Wettbewerbsgebot darf die Vereinbarung von Optionen nicht dazu führen, eine einmal begründete Beschaffungsbeziehung durch wie­ derholte Vertragsverlängerung und unter Ausschluss des Wettbewerbs fortzuset­ zen. Das Wettbewerbsgebot bedingt, die Vertragslaufzeit auf eine Regellaufzeit von vier Jahren einschließlich sämtlicher Verlängerungs- und Erweiterungsop­ tionen zu begrenzen. Darüber hinausgehende Vertragslaufzeiten bedürfen einer besonderen sachlichen Rechtfertigung durch den konkret zugrunde liegenden Leistungsgegenstand. Der Anteil optionaler Leistungen im Rahmen der Ausschreibung muss ange­ messen sein. Eine an Bedarfspositionen angelehnte Begrenzung auf 10 % bis ma­ ximal 15 % ist jedoch nicht zwingend. Vielmehr kommt es auf die im Einzelfall vorliegende sachliche Rechtfertigung an. Im Rahmen der Wertung der Angebote dürfen die optionalen Leistungsteile zudem kein solches Gewicht erhalten, dass sie die Wertungsmaßstäbe der fest beauftragten Leistung verschieben. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn sie zu mehr als 40% in die Wertung einfließen. Da der Bieter auf die optionalen Leistungen ein bindendes Angebot abgibt, müssen die wesentlichen Vertragsgrundlagen auch bezüglich der optionalen Leis­ tungsbestandteile zum Zeitpunkt der Ausschreibung bzw. des Vertragsschlusses feststehen. Hierzu zählen der Leistungsgegenstand, der voraussichtliche Leis­ tungszeitpunkt, der Umfang der optionalen Leistung und der Preis bzw. die Vergütung. Der Bieter muss erkennen können, welche Leistung zu welchem

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Zeitpunkt und in welchem Umfang als Option beauftragt werden soll. Die Be­ schreibung der optionalen Leistung muss ebenso wie die Hauptleistung eindeutig und erschöpfend sein. Der Auftraggeber muss zudem die Option bis zu einem im Vertrag festgelegten Zeitpunkt vor Ablauf des bestehenden Vertrages ausüben, um dem Auftragnehmer ausreichend Vorlauf zur Disposition seiner Kapazitä­ ten zu gewähren. Weiterhin muss die Bindefrist an die Option hinsichtlich des Fristbeginns, der Fristdauer und des Fristendes eindeutig bestimmt sein. Unange­ messene, lange Bindungen an die angebotene Option können durch Gewährung wirtschaftlicher Vorteile, z. B. einem angemessenen Risikoausgleich, Preisanpas­ sungsklauseln oder einer Vergütung für die Optionsgewährung egalisiert werden. 2. Vergaberechtliche Anforderungen an die Ausübung von Optionsrechten Von der Vereinbarung eines Optionsrechts mit Abschluss des Hauptvertrages ist vergaberechtlich die Ausübung des Optionsrechts durch den öffentlichen Auftraggeber während der Vertragsdurchführung zu unterscheiden. a) Die Optionsausübung als Vollzug des Ursprungsvertrages Die Ausübung von Optionsrechten stellt sich als Vollzug des Ursprungsver­ trages dar. 729 Dort ist die Option als einseitiges Gestaltungsrecht zugunsten des öffentlichen Auftraggebers vereinbart. Sie unterlag den Bedingungen der Aus­ schreibung und damit dem Wettbewerb. War die Option daher vergaberechtmäßig Gegenstand der Ausschreibung und ist sie in deren Folge Inhalt des Vertrages geworden, so nimmt der öffentliche Auftraggeber bei Abruf der Option lediglich seine vertraglichen Rechte war. Daraus folgt der weitere Schluss, dass Änderun­ gen und Verlängerungen bestehender Verträge dann vergaberechtlich neutral sind, wenn es sich lediglich um eine unselbstständige Fortschreibung einer bereits im Ursprungsvertrag angelegten Option handelt. Voraussetzung ist jedoch, dass die optionalen Leistungen auf eine vertragli­ che Grundlage zurückgeführt werden können. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Abruf der Leistungen den Inhalt der vereinbarten Option abändert, also das Optionsrecht nicht zu den vereinbarten Bedingungen ausgeübt wird. 730 Gleiches gilt, wenn der öffentliche Auftraggeber das ihm zustehende Optionsrecht nicht fristgerecht wahrnimmt. Da die Option nach den Bedingungen des Vertrages mit Ablauf der Bindefrist erlischt, existiert nach Fristablauf auch das Gestal­ tungsrecht des Auftraggebers nicht mehr. In den vorgenannten Fällen stellt sich 729

Vgl. die Ausführungen oben, Kapitel 6.C.II.

Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 75; Henrich,

S. 272. 730

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die Ausübung des Optionsrechts jeweils nicht als Vollzug des Ursprungsvertra­ ges dar. 731 Vielmehr bedeutet die Leistungsbeauftragung eine Umgehung des Vergaberechts, da die geänderte Option zu keinem Zeitpunkt Gegenstand eines Wettbewerbs war. b) Ermessen bezüglich der Wahrnehmung des Optionsrechts Die vertragskonforme Ausübung des Optionsrechts ist grundsätzlich von ei­ ner Potestativbedingung des Optionsberechtigten abhängig. Eine Potestativbedin­ gung liegt nach den zivilrechtlichen Grundsätzen vor, wenn die Rechtswirkung einer Erklärung vom Willen einer Vertragspartei abhängen soll. Das Rechtsge­ schäft wird in das freie Belieben einer Partei gestellt. Ein Rechtsgeschäft unter einer Potestativbedingung ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn eine Partei ein maßgebliches objektives Ereignis eintreten lassen will oder aber der Eintritt der Bedingung vom Willen des Erklärungsempfängers abhängig gemacht wur­ de. 732 Im Rahmen von vergaberechtlichen Optionsklauseln wird der Eintritt der Bedingung, die Ausübung des Optionsrechts, vom Willen des öffentlichen Auf­ traggebers und damit des Erklärungsempfängers abhängig gemacht und ist damit grundsätzlich zulässig. Im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe bedarf dies jedoch insoweit ei­ ner Einschränkung als öffentliche Auftraggeber nicht nach freien Belieben oder Willen handeln können, sondern nur in Ausübung eines ihnen zustehenden Hand­ lungsspielraums, in dessen Rahmen sie an Recht und Gesetz gebunden sind. Der öffentliche Auftraggeber kann sich auch im Rahmen seiner zivilrechtlichen Ver­ träge nicht der rechtlichen Bindungen entledigen. 733 Daher steht die Ausübung des Optionsrechts nicht im freien Belieben, sondern im Ermessen des öffentli­ chen Auftraggebers. Ihm stehen grundsätzlich zwei rechtmäßige Entscheidungs­ alternativen zur Verfügung, einerseits die Erweiterung bzw. Verlängerung des Vertragsverhältnisses durch Abruf der Option, andererseits die Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Nichtabgabe der auf die Option gerichteten Willens­ erklärung. Im Rahmen der Ermessensausübung hat der öffentliche Auftraggeber das Wettbewerbsgebot und das Diskriminierungsverbot zu beachten. 734 Ihm ist hieraus folgend ein willkürliches Handeln versagt, sodass seine Entscheidung 731 Henrich, S. 272, weist für den Fall, dass das Optionsrecht nicht zu den vereinbarten Bedingungen ausgeübt wird, daraufhin, dass eine Verlängerung (oder Erweiterung) des Vertragsverhältnisses nicht herbeigeführt werden kann, weil Angebot und Annahme sich nicht decken. 732 Heinrichs, in: Palandt, BGB, Einf v § 158, Rn. 10; Westermann, in: Münchener Kommentar, BGB, § 158, Rn. 18 ff.; Derleder / Zänker, NJW 2003, 2777 (2779) m.w. N. 733 Siehe hierzu ausführlich Kapitel 2.D. 734 Eschenbruch, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, § 99, Rn. 34.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

stets eines sachlichen Grundes bedarf. 735 Der öffentliche Auftraggeber hat so­ mit sachliche Gründe zu prüfen, die für die Fortsetzung oder Beendigung des Vertragsverhältnisses relevant sein können. 736 c) Ermessensreduzierung auf Null Das dem öffentlichen Auftraggeber zustehende Ermessen bezüglich der Wahr­ nehmung seines Optionsrechts kann sich auf eine Entscheidung verdichten und damit auf Null reduzieren, wenn hierdurch ein rechtswidriger Zustand begrün­ det oder vertieft würde. In diesem Fall bleibt als einzig rechtmäßige Entschei­ dungsalternative die Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Nichtabruf der optionalen Leistungen. Gründe, die das Ermessen des Auftraggebers bei seiner Entscheidung über die Fortsetzung bzw. Erweiterung des Vertrages auf Null reduzieren, wurden bereits bei der Frage der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses durch Nichtkündigung erörtert. 737 Die dortigen Erwägungen können auf die Ausübung von Options­ rechten übertragen werden. In beiden Fällen muss der Auftraggeber im Rahmen seines Ermessens darüber entscheiden, ob er die Beschaffung aus dem Vertrags­ verhältnis fortsetzt oder aber dieses beendet und ein neues Vergabeverfahren einleitet. Dabei macht es rechtlich keinen Unterschied, ob die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses durch das Unterlassen einer Willenserklärung oder aber durch die Abgabe einer Willenserklärung bewirkt wird. Denn die Entscheidungs­ grundlagen und die Rechtsfolge der Entscheidung sind die gleichen. Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt daher vor, wenn das Optionsrecht unter Umgehung des Vergaberechts in den Vertrag aufgenommen oder der Ver­ trag selbst unter Umgehung des Vergaberechts geschlossen wurde. 738 Unterlag die Optionsklausel bzw. die in ihr enthaltene Leistung zu keinem Zeitpunkt dem Wettbewerb, kann auch der Abruf der optionalen Leistungen nicht wettbewerbs­ konform sein. Die Verlängerung oder Erweiterung des Vertrages durch Wahr­ nehmung des Optionsrechts würde vielmehr einen gemeinschaftsrechtswidrigen Zustand vertiefen. Sie stellt daher keine rechtmäßige Entscheidungsalternative dar und steht dem öffentlichen Auftraggeber bei der Ausübung seines Ermessens nicht zur Auswahl. Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt auch dann vor, wenn sich die Aus­ übung des Optionsrechts als willkürliches und damit rechtswidriges „Verharren 735 Siehe zu der Pflicht zur Prüfung der Beendigungsvoraussetzungen Kapitel 5.B.II.2.b.bb. 736 Eschenbruch, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar Vergaberecht, § 99, Rn. 34. 737 Vgl. Kapitel 5.B.II.2.b.cc. 738 Siehe hierzu Kapitel 5.B.II.2.b.cc.(1).

Kap. 6: Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten

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im unwirtschaftlichen Vertrag“ darstellt. Dies ist jedoch nur anzunehmen, wenn das vereinbarte Entgelt grob unangemessen ist und es hierfür keinerlei sachliche Rechtfertigung gibt. 739 Weiterhin ist auch die Verlängerung des Vertrages über die Regellaufzeit von vier Jahren hinaus durch Wahrnehmung einer optionalen Verlängerungsklausel vergaberechtswidrig, wenn bereits eine angemessene Vertragslaufzeit, die die Be­ lange des Auftragnehmers angemessen berücksichtigt, erreicht wurde. In diesem Fall existiert kein sachlicher Grund für die Fortsetzung des Vertragsverhältnis­ ses. 740 Das Ermessen kann letztlich auch aus wettbewerbsrechtlichen Gründen re­ duziert sein, wenn der öffentliche Auftraggeber im konkreten Einzelfall eine marktbeherrschende Stellung innehat. 741 Öffentlichen Auftraggebern mit markt­ beherrschender Stellung ist es untersagt, diese zu missbrauchen sowie andere Unternehmen zu behindern oder zu diskriminieren. Die Ausübung von Opti­ onsrechten kann wettbewerbsbeschränkend und diskriminierend wirken, da an­ dere Unternehmen von der Leistung ausgeschlossen werden. Das Verbot der Diskriminierung nach § 26 Abs. 2 GWB führt in diesem Fall zu einer Ermes­ sensreduzierung auf Null da die Verlängerung oder Erweiterung des Vertrages einen Verstoß gegen das Kartellrecht bedeuten und damit einen rechtswidrigen Zustand begründen würde. Die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses stellt in diesem Fall keine rechtmäßige Entscheidungsalternative dar. d) Ergebnis Ist die Option vergaberechtmäßig Gegenstand der Ausschreibung gewesen, so nimmt der öffentliche Auftraggeber bei Abruf der Option lediglich seine vertraglichen Rechte war. Daraus folgt der weitere Schluss, dass Änderungen und Verlängerungen bestehender Verträge vergaberechtlich neutral sind, wenn es sich lediglich um eine unselbstständige Fortschreibung einer bereits im Ur­ sprungsvertrag angelegten Option handelt. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Option nicht zu den vertraglich vereinbarten Bedingungen ausgeübt wird, weil sie beispielsweise inhaltlich geändert oder aber nicht fristgerecht abgerufen wird. In diesem Fall kann die Option nicht auf den Ursprungsvertrag zurückgeführt werden. Die Entscheidung über den Abruf optionaler Leistungen steht im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers. Diesen Ermessensspielraum muss er unter Be­ achtung der rechtlichen Bindungen, insbesondere im Hinblick auf das Willkür­ 739 740 741

Siehe hierzu oben Kapitel 5.B.II.2.b.cc.(3).

Siehe hierzu oben Kapitel 5.B.II.2.b.cc.(4).

Siehe hierzu oben Kapitel 5.B.II.2.b.cc.(5).

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

und Diskriminierungsverbot, rechtskonform ausüben. Das dem öffentlichen Auf­ traggeber insoweit zustehende Ermessen kann sich jedoch dann zu einer Ent­ scheidung verdichten, wenn die Alternative des Abrufs der optionalen Leistung nicht als rechtmäßige Handlungsalternative zur Verfügung steht. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Ausübung des Optionsrechts einen rechtswidrigen Zu­ stand begründet oder vertieft. Eine Ermessensreduzierung liegt demnach vor, wenn die Option selbst unter Umgehung des Vergaberechts vereinbart wurde, als willkürliches Verharren im unwirtschaftlichen Vertrag zu werten ist, eine sachlich nicht gerechtfertigte Vertragslaufzeit herbeiführt oder aber zu einem Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften führen würde. Insoweit erge­ ben sich keine Unterschiede im Hinblick auf die vergaberechtliche Bewertung der Nichtausübung von Kündigungsrechten.

D. Ergebnis Das Optionsrecht gibt dem öffentlichen Auftraggeber ein einseitiges Gestal­ tungsrecht, bei deren Ausübung der Auftragnehmer verpflichtet wird, die optio­ nale Leistung zu den im Vertrag bestimmten Konditionen zu erbringen. Inhaltlich können Optionsklauseln auf eine zeitliche Verlängerung der Vertragsbeziehung oder auf inhaltliche Leistungserweiterungen (Mehrmengen, zusätzliche Leistun­ gen) abzielen. Optionen stellen keinen eigenständigen öffentlichen Auftrag dar. Vielmehr bilden sie zusammen mit den übrigen Regelungsgegenständen einen einheitlichen Vertrag. Die Ausübung des Optionsrechts begründet daher grund­ sätzlich keine neue Ausschreibungspflicht. Im Rahmen der vergaberechtlichen Untersuchung war daher zwischen der Vereinbarung eines Optionsrechts und der Ausübung eines Optionsrechts zu differenzieren. I. An die Vereinbarung von Optionsklauseln müssen vergaberechtlich klare Anforderungen gestellt werden, da diese grundsätzlich geeignet sind, das Verga­ berecht zu umgehen und unzumutbare Vertragsbedingungen zu diktieren. • Zunächst ist ein Vergabewille im Sinne eines gegenwärtigen und wirklichen Willens des öffentlichen Auftraggebers zur Beschaffung der optionalen Leis­ tungen zu fordern. Dieser fehlt, wenn vergabefremde Zwecke verfolgt werden oder die Ausschreibungsreife fehlt. • Das Wettbewerbsgebot bedingt bei der Vereinbarung von Optionsklauseln, die Vertragslaufzeit unter Berücksichtigung sämtlicher Erweiterungs- und Verlän­ gerungsoptionen auf eine Regellaufzeit von vier Jahren zu begrenzen. Dar­ über hinausgehende Vertragslaufzeiten bedürfen einer besonderen sachlichen Rechtfertigung durch den der Vergabe zugrunde liegenden Leistungsgegen­ stand. • Der Anteil optionaler Leistungen im Rahmen der Ausschreibung darf nicht unangemessen hoch und muss sachlich gerechtfertigt sein. Optionsklauseln

Kap. 6: Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten

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dürfen im Rahmen der Wertung der Angebote zudem nicht zu mehr als 40 % Berücksichtigung finden. • Auch bezüglich der optionalen Leistungsbestandteile müssen die wesentli­ chen Vertragsgrundlagen zum Zeitpunkt der Ausschreibung bzw. des Ver­ tragsschlusses feststehen. Hierzu zählen der Leistungsgegenstand, der voraus­ sichtliche Leistungszeitpunkt, der Umfang der optionalen Leistung und der Preis bzw. die Vergütung. Die Beschreibung der optionalen Leistung muss eindeutig und erschöpfend sein. Der Auftraggeber muss angemessene Vor­ laufzeiten gewähren und die Vertragsverlängerung daher bis zu einem im Vertrag festgelegten Zeitpunkt vor Ablauf des bestehenden Vertrages ausspre­ chen. Die Bindefrist an die Option muss hinsichtlich Fristbeginn, Fristdauer und Fristende eindeutig bestimmt sein. Unangemessene, lange Bindungen an die angebotene Option können durch Gewährung wirtschaftlicher Vorteile ausgeglichen werden. II. Ist die Option nach den vorgenannten Grundsätzen vergaberechtmäßig Gegenstand der Ausschreibung gewesen und in den Vertrag aufgenommen, so nimmt der öffentliche Auftraggeber bei Ausübung des Optionsrechts lediglich seine vertraglichen Rechte wahr. Daraus folgt der weitere Schluss, dass Ände­ rungen und Verlängerungen bestehender Verträge dann vergaberechtlich neutral sind, wenn es sich lediglich um eine unselbstständige Fortschreibung einer be­ reits im Ursprungsvertrag angelegten Option handelt. Dies gilt aber dann nicht, wenn die Option nicht zu den Bedingungen des Vertrages abgerufen wird. In diesem Fall liegt vielmehr eine unzulässige Umgehung des Vergaberechts vor, da die geänderte Option zu keinem Zeitpunkt Gegenstand eines Wettbewerbs war. III. Die Entscheidung über den Abruf optionaler Leistungen steht weiter­ hin im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers. Diesen Ermessensspielraum muss er unter Beachtung der rechtlichen Bindungen rechtskonform ausüben. Das dem öffentlichen Auftraggeber zustehende Ermessen kann sich dann zu einer Entscheidung verdichten, wenn die Ausübung des Optionsrechts zu einem rechtswidrigen Zustand führen oder einen solchen vertiefen würde. Dem öffent­ lichen Auftraggeber steht in diesem Fall die Wahrnehmung der Option nicht als Handlungsalternative zur Verfügung. Er ist rechtlich gehindert, von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch zu machen. Unter Zugrundelegung des vorangehend dargestellten Untersuchungsergebnis­ ses sind Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten nur dann vergaberechtlich relevant, wenn: 1. die Option nicht zu den vertraglich vereinbarten Bedingungen ausgeübt wird oder 2. die Ausübung des Optionsrechts einen vergaberechtswidrigen Zustand begrün­ den oder vertiefen würde, weil

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

• die Option unter Umgehung des Vergaberechts vereinbart wurde, • die Ausübung der Option einem willkürlichen, sachlich nicht gerechtfertig­ tem Verharren in einem grob unwirtschaftlichen Vertrag gleichkäme, wobei eine grobe Unwirtschaftlichkeit bei marktüblichen Leistungen zu vermuten ist, wenn die Vertragsleistung 20% über dem teuersten Konkurrenzpreis liegt, • die Wahrnehmung einer optionalen Verlängerungsklausel zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Vertragslaufzeit führen würde oder • die Optionsausübung durch einen marktbeherrschenden öffentlichen Auf­ traggeber gegen das Wettbewerbsrecht, insbesondere das wettbewerbsrecht­ liche Diskriminierungsverbot aus § 26 Abs. 2 GWB verstößt. Eine Auftragsvergabe durch Wahrnehmung des Optionsrechts ist in diesen Fällen nicht zulässig. Der Auftraggeber ist verpflichtet, vor Auftragsvergabe ein Vergabeverfahren unter Beachtung der Bestimmungen des Vergaberechts durch­ zuführen. Unterlässt er dies, so ist in der vergaberechtswidrigen Ausübung des Optionsrechts eine Umgehung des Vergaberechts (sogenannte De-facto-Vergabe) zu sehen.

Kapitel 7

Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen Die Vergabe von zusätzlichen oder neuen Leistungen sowie Mehrmengen ist letztlich auch auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen möglich. Auf der Ba­ sis einer Rahmenvereinbarung kann eine unbestimmte Vielzahl von Einzelleistun­ gen ohne vorherige Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens vergeben werden. Die vergaberechtliche Konstruktion einer Rahmenvereinbarung und der Vergabe der Einzelaufträge bedarf daher einer näheren Untersuchung im Hinblick auf unzulässige Umgehungen des Vergaberechts durch Leistungserweiterungen.

A. Ausgangslage Als Ausgangspunkt der Untersuchung von Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen sind zunächst der Begriff (hierzu I.) und der Sinn und Zweck (hierzu II.) von Rahmenvereinbarungen zu klären. Darüber hinaus sind auch die hieraus resultierenden rechtlichen Bindungen zu prüfen (hierzu III.). Auf dieser Grundlage kann die weitere vergaberechtliche Untersu­ chung von Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarun­ gen erfolgen.

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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I. Begriffsbestimmung Rahmenvereinbarungen sind Vereinbarungen zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern und einem oder mehreren Unternehmen, mit dem Ziel, die Bedingungen für Einzelaufträge, die im Laufe eines bestimmten Zeit­ raums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge. 742 Rahmenvereinbarun­ gen eröffnen eine auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung und legen dabei zunächst nur bestimmte Einzelheiten künftig abzuschließender Verträge fest, oh­ ne dass sogleich Leistungspflichten begründet werden. 743 Erst bei Abruf der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelleistungen entstehen konkrete Leistungspflichten im Sinne von Leistung und Gegenleistung. Eine Rahmen­ vereinbarung bildet somit den vertraglichen Rahmen und damit die Grundlage, den Vertragspartner während eines vorab festgelegten Zeitraums mit einer Viel­ zahl von Leistungen ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens zu beauftragen. 744 II. Sinn und Zweck von Rahmenvereinbarungen Der maßgebliche Zweck einer Rahmenvereinbarung liegt in der mit ihr verbun­ denen Flexibilität der Auftragsvergabe. 745 Eine Rahmenvereinbarung ermöglicht dem öffentlichen Auftraggeber, eine Vielzahl von Einzelaufträgen in einer Ver­ einbarung zusammenzufassen, dort die wesentlichen Bedingungen dieser Auf­ träge festzulegen und später diese Einzelaufträge – weitestgehend formlos – ab­ zurufen. 746 Der öffentliche Auftraggeber muss sich vorab insbesondere nicht auf eine Gesamtmenge der Auftragsvergaben oder auf die konkrete Leistungszeit ab­ schließend festlegen. 747 Gleiches gilt für die Sicherstellung der Finanzierung der 742 Legaldefinition des Art. 1 Abs. 5 VKR; Art. 1 Abs. 4 SKR; § 3 Abs. 8 VgV; ähnlich § 4 Abs. 1 VOL / A-EG. 743 BGH, Urt. v. 30. 04. 1992 – VII ZR 159/91, NJW-RR 1992, 977 (978); VK Bran­ denburg, Beschl. v. 09. 04. 2001 – 2 VK 18/01; Graef, NZBau 2005, 561 (563). 744 VK Brandenburg, Beschl. v. 09. 04. 2001 – 2 VK 18/01. 745 VK Bund, Beschl. v. 20. 04. 2006 – VK 1 – 19/06; Kullack / Terner, ZfBR 2004, 244 (245); Prieß, S. 91; Steinberg, NZBau 2007, 150 (153); Dicks, Rahmenvereinbarungen, S. 93. 746 Ziekow, VergabeR 2006, 702 (705); Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 107; Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 1. 747 VK Bund, Beschl. v. 20. 04. 2006 – VK 1 – 19/06; VK Berlin, Beschl. v. 10. 02. 2005 – B 2 – 74/04; VK Münster, Beschl. v. 05. 04. 2006 – VK 05/06; Boesen, Ver­ gaberecht, § 99 GWB, Rn. 48; Franke / Mertens, in: Franke / Kemper / Zanner / Grünhagen, VOB, § 5 VOB / A, Rn. 15; Haak / Degen, VergabeR 2005, 164; Dicks, Rahmenvereinba­ rungen, S. 93.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Leistungen. 748 Die Einzelauftragsvergabe kann vielmehr von den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln abhängig gemacht werden. 749 Je nach Bedarf und Haushaltslage kann der öffentliche Auftraggeber mithin entscheiden, ob und in welchem Umfang er Leistungen aus der Rahmenvereinbarung abruft. Wieder­ kehrende Beschaffungen können auf diese Weise flexibel vergeben werden. 750 In den vergangenen Jahren hat der Abschluss von Rahmenvereinbarungen ins­ besondere im Zusammenhang mit Rabattverträgen von Krankenkasse praktische Bedeutung erfahren. 751 III. Bindungswirkungen von Rahmenvereinbarungen Der Grad der rechtlichen Bindung des öffentlichen Auftraggebers und des Unternehmens an die Rahmenvereinbarung ergibt sich aus deren rechtlicher Ausgestaltung. 752 Rahmenvereinbarungen können einseitig verbindlich, zweisei­ tig verbindlich oder unverbindlich sein. 1. Einseitig verbindliche Rahmenvereinbarungen Rahmenvereinbarungen zugunsten des öffentlichen Auftraggebers verpflichten die an ihr beteiligten Unternehmen einseitig, die im Rahmenvertrag definierten Leistungen auf Verlangen des Auftraggebers zu erbringen. 753 Eine Abnahme­ verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers und ein damit korrespondierender Anspruch der Unternehmen auf Beauftragung bestehen hingegen nicht. 754 Aus ei­ ner solchen Rahmenvereinbarung kann daher grundsätzlich nicht auf Abschluss 748 Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 5b, Rn. 1; Kullack / Terner, ZfBR 2004, 244 (349); Vogel, VergabeR 2003, 90 (91). 749 VÜA Hessen, Beschl. v. 19. 03. 1997 – VÜA 5/96. 750 Ziekow, VergabeR 2006, 702 (705); Kullack / Terner, ZfBR 2004, 244 (349); Knauff, VergabeR 2006, 24; Gröning, VergabeR 2005, 156 (157); Haak / Degen, VergabeR 2005, 164 (165); Goodarzi, NVwZ 2007, 396 (397) sowie Goodarzi / Kapischke, NVwZ 2009, 80 (81) für Postzustellungsdienstleistungen. 751 EuGH, Urteil v. 11. 06. 2009 – Rs. C-300/07 (Oymanns), Rn. 73; VK Bund, Beschluss v. 23. 01. 2009 – VK 3 – 194/08; LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 23. 01. 2009 – L 11 WB 5971/08; VK Schleswig-Holstein, Beschluss v. 17. 09. 2008 – VK-SH 10/08; VK Bund, Beschluss v. 15. 08. 2008 – VK 3 –107/08; VK Bund, Beschluss v. 08. 02. 2008 – VK 3 – 29/08; VK Bund, Beschluss v. 18. 12. 2007 – VK 3 –139/07; VK Bund, Beschluss v. 15. 11. 2007 – VK 2 – 102/07; Hölzl / Eichler, NVwZ 2009, 27; Burgi, NZBau 2008, 480; Goodarzi / Junker, NZS 2007, 632 (635 f.). 752 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 4; ebenso Knauff, VergabeR 2006, 24 (25). 753 Boesen, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 37; Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 5b, Rn. 3; Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 2, 15; Bungenberg, in: Loewenheim / Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, § 99, Rn. 39. 754 VK Bund, Beschl. v. 04. 04. 2007 – VK 1 – 23/07.

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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eines (Einzel-) Vertrages geklagt werden. 755 Damit ähnelt die Gestaltungsvari­ ante derjenigen eines Optionsrechts zugunsten des öffentlichen Auftraggebers. Allerdings kann von einem echten Optionsrecht nur dann gesprochen werden, wenn die Rahmenvereinbarung bereits sämtliche Bedingungen abschließend re­ gelt. Nur in diesem Fall bedeutet der Abruf aus der Rahmenvereinbarung die Wahrnehmung eines einseitigen Gestaltungsrechts, welches die vertragliche Ver­ pflichtung unmittelbar zustande bringt. 756 Einseitig verbindliche Rahmenvereinbarungen im vorangehend dargestellten Sinn sind vergaberechtlich grundsätzlich zulässig. 757 Allerdings bleibt der Auf­ traggeber auch bei Verwendung dieses Vertragsmodells zur sorgfältigen Er­ mittlung und Angabe seines Bedarfs verpflichtet. Zudem sind die allgemeinen Grundsätze der ordnungsgemäßen Leistungsbeschreibung und des Verbots der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse zu beachten. 758 Ein Nichtabruf der Ein­ zelleistungen aus der Rahmenvereinbarung kann unter Umständen Schadenser­ satzansprüche nach sich ziehen. 759 2. Beidseitig verbindliche Rahmenvereinbarungen Rahmenvereinbarungen können aber auch beidseitig verbindlich ausgestaltet werden. Der Auftraggeber verpflichtet sich hierbei im Unterschied zur einsei­ tig verbindlichen Rahmenvereinbarung, die Einzelaufträge bei seinem Vertrags­ partner abzurufen. 760 Beidseitig verbindlich ausgestaltete Rahmenvereinbarun­ gen nehmen diesen nicht den besonderen Charakter und die Flexibilität einer Rahmenvereinbarung. 761 So können mehrere Einzelaufträge zusammengefasst und dem Rahmenvertrag zugrunde gelegt werden, ohne dass sämtliche Bedin­ gungen der Auftragsvergabe feststehen müssen. Der öffentliche Auftraggeber muss weder die Gesamtmenge, noch sämtliche Auftragsbedingungen, noch die Leistungszeit zum Zeitpunkt des Abschlusses der Rahmenvereinbarung konkret 755 Jedoch kann das Nichtabschließen von Einzelverträgen eine positive Vertragsver­ letzung der Rahmenvereinbarung sein, die zum Schadensersatz verpflichtet. Insbesondere kann eine Verpflichtung zur Aufnahme von Vertragsverhandlungen bestehen (vgl. BGH, Urt. v. 30. 04. 1992 – VII ZR 159/91, NJW-RR 1992, 977 (978)). 756 Dicks, Rahmenvereinbarungen, S. 93 (110). 757 VK Bund, Beschluss v. 29. 07. 2009 – VK 2 –87/09; VK Bund, Beschl. v. 20. 04. 2006 – VK 1 – 19/06; VK Bund, Beschl. v. 28. 01. 2005 – VK 3 –221/04; VK Münster, Beschl. v. 05. 04. 2006 – VK 05/06; Graef, NZBau 2005, 561 (565); a. A. Vogel, VergabeR 2003, 90. 758 VK Bund, Beschluss v. 29. 07. 2009 – VK 2 – 87/09 m.w. N.

759 BGH, Urteil v. 30. 04. 1992 – VII ZR 159/91, NJW-RR, 1992, 978; Graef, NZBau

2005, 561 (565). 760 VK Bund, Beschl. v. 19. 06. 2000 – VK 2 – 10/00. 761 So aber Boesen, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 38.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

und verbindlich vorgeben. Auch in dieser Gestaltungsvariante werden daher noch keine konkreten Leistungspflichten bezüglich der Einzelaufträge begrün­ det. Auf der Grundlage von beidseitig verpflichtenden Rahmenvereinbarungen können die – gegebenenfalls konkretisierungsbedürftigen – Einzelaufträge ohne Ausschreibung und Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens bei dem Vertragspartner abgerufen werden. 762 Insoweit bleiben dem Auftraggeber die Flexibilität und die Vorteile der Rahmenvereinbarung erhalten. Er legt sich le­ diglich darauf fest, die Leistungen bei seinem Vertragspartner abzurufen, sobald und soweit ein entsprechender Bedarf entsteht. 763 3. Unverbindliche Rahmenvereinbarungen Rahmenvereinbarungen können rechtlich auch vollkommen unverbindlich so­ wohl für den Auftraggeber als auch für die an ihr beteiligten Unternehmen gestaltet werden. Beide Vertragsparteien sind hierdurch in ihrer wirtschaftlichen Entscheidung frei. 764 Insbesondere können die Unternehmen bei Abruf der Leis­ tungen aus der Rahmenvereinbarung die Ausführung ablehnen, beispielsweise weil sie durch andere Aufträge ausgelastet sind und keinerlei Kapazitäten vor­ gehalten haben. In diesem Fall wendet sich der Auftraggeber an ein anderes Unternehmen der Rahmenvereinbarung oder beschafft die Leistung in sonstiger Weise am Markt. 765 Aus diesem Grund empfiehlt sich der Abschluss von beidsei­ tig unverbindlichen Rahmenvereinbarungen nur bei Rahmenvereinbarungen mit mehreren – für die konkret in Frage stehenden Einzelleistungen – geeigneten Unternehmen. 766 Eine beidseitig unverbindliche Rahmenvereinbarung mit nur einem Unternehmen würde die Flexibilität der Leistungsbeschaffung verringern, da der Auftraggeber immer auch damit rechnen muss, dass das Unternehmen die Leistungserbringung ablehnt und er sich um andere Beschaffungsquellen bemühen und somit den Auftrag ausschreiben muss.

762

Im Ergebnis ebenso v. Baum, in: Müller-Wrede, VOL / A, 1. Aufl., § 5b, Rn. 6. Bei einer Verletzung der vertraglichen Verpflichtung seitens des Auftraggebers kön­ nen Schadensersatzansprüche des Vertragspartners entstehen. Diese umfassen jedoch nur dann das positive Interesse, wenn feststeht, dass es bei vereinbarungsgemäßem Verhalten des Auftraggebers zu einem Vertrag über die Erbringung der konkreten Einzelleistung gekommen wäre (BGH, Urteil v. 30. 04. 1992 – VII ZR 159/91, NJW-RR 1992, 977 (978)). 764 Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 3, 15. 765 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 8. 766 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 8. 763

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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B. Vergaberechtliche Problemstellung Vergaberechtliche Probleme bei der Vereinbarung und der Auftragsvergabe auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen können sich zunächst aus der Tatsache ergeben, dass Rahmenvereinbarungen für sich genommen keine öffent­ lichen Aufträge i. S. d. § 99 GWB darstellen. Sie zielen nicht unmittelbar auf die Vergabe der in § 99 Abs. 2 bis 4 GWB erfassten Liefer-, Dienst- oder Bauleistun­ gen ab. Vielmehr werden nur Bedingungen für die Einzelaufträge festgelegt, ohne dass unmittelbar Leistungspflichten begründet werden. 767 Ein verbindlicher Auf­ trag kommt mit dem Abschluss der Rahmenvereinbarung noch nicht zustande. 768 Gleichwohl können Einzelaufträge auf der Grundlage von Rahmenvereinbarung ohne erneute Ausschreibung und ohne Durchführung eines förmlichen Vergabe­ verfahrens vergeben werden. Hierin liegt ein möglicher Umgehungstatbestand des Vergaberechts. 769 Des Weiteren besitzen Rahmenvereinbarungen einen tendenziell wettbewerbs­ beschränkenden Charakter. 770 In der Regel werden unter dem Dach einer Rah­ menvereinbarung eine unbestimmte Vielzahl bzw. eine Bandbreite von Einzel­ aufträgen zusammengefasst. 771 Diese Einzelaufträge werden für die Dauer der Laufzeit der Rahmenvereinbarung dem Markt und damit dem Wettbewerb ent­ zogen. 772 Andere Unternehmen erhalten in der Regel keine Chance, sich um die Einzelaufträge zu bewerben. Darüber hinaus erlangen die an der Rahmenverein­ barung beteiligten Unternehmen eine bevorzugte Wettbewerbsstellung gegenüber anderen Konkurrenten. Denn sie sind grundsätzlich erster Ansprechpartner des Auftraggebers, wenn es um die Beschaffung der vorab in der Rahmenverein­ barung festgelegten Leistungen geht. Ein solcher Status verspricht vor allem Auftragskontinuität. 773 Öffentliche Auftraggeber könnten diese Vorteile einer Rahmenvereinbarung in der Weise missbrauchen, dass sie die Unternehmen über Gebühr binden oder diesen ungewöhnliche Risiken aufbürden. So werden die an der Rahmenvereinbarung beteiligten Unternehmen oftmals für eine lan­ ge Zeit einseitig an ihr Angebot gebunden und müssen sich für den Fall des Leistungsabrufs ständig leistungsbereit halten. Dementsprechend treffen sie Vor­ 767

Vgl. hierzu VK Münster, Beschl. v. 28. 05. 2004 – VK 10/04. Prieß, S. 114. 769 Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 73. 770 I. d. S. auch Knauff, VergabeR 2006, 24 (28); Ziekow, VergabeR 2006, 702 (706). 771 Besitzt ein öffentlicher Auftraggeber beispielsweise Fotokopierer verschiedener Hersteller, kann er Rahmenvereinbarungen mit mehreren Unternehmen schließen, um sicherzustellen, dass für jedes Kopiergerät mindestens ein Spezialist zur Verfügung steht (Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 8, Fn. 24). 772 Ziekow, VergabeR 2006, 702 (706). 773 Prieß, S. 115; Ziekow, VergabeR 2006, 702 (706); Kullack / Terner, ZfBR 2004, 244 (349); Haak / Degen, VergabeR 2005, 164. 768

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

haltemaßnahmen hinsichtlich Personal, Gerätschaften, Räumlichkeiten und Ma­ terialien. 774 Hieraus resultieren teilweise nicht unerhebliche Vorhaltekosten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit von Rahmenver­ einbarungen mit dem vergaberechtlichen Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse. Auftraggeber einer Rahmenvereinbarung müssen sich weiterhin nicht hinsicht­ lich Umfang, Leistungszeit und -ort verbindlich festlegen. 775 Dies kann zu einem erhöhten Risiko bei der Kalkulation der Angebote führen. 776 Denn der Umfang der Auftragsvergabe bildet einen wesentlichen Faktor bei der Kalkulation des Angebotspreises und ist damit maßgeblicher Bestandteil der Preisbildung. Fehlt diese Angabe, so entstehen aufseiten der Unternehmen nicht unerhebliche Kal­ kulationsschwierigkeiten. Hieraus ergibt sich die Frage der Vereinbarkeit von Rahmenvereinbarungen mit dem Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leis­ tungsbeschreibung.

C. Vergaberechtliche Zulässigkeitsanforderungen Vor dem Hintergrund der vergaberechtlichen Problematik sollen im Weiteren die vergaberechtlichen Zulässigkeitsanforderungen an den Abschluss der Rah­ menvereinbarung und der Vergabe der auf ihnen beruhenden Einzelaufträge untersucht werden. I. Regelungen im europäischen und nationalen Vergaberecht Das Bedürfnis öffentlicher Auftraggeber nach einer Flexibilisierung des Verga­ berechts durch den Abschluss von Rahmenvereinbarung und die hiermit verbun­ denen vergaberechtlichen Problematiken wurden von dem europäischen Norm­ geber weitestgehend erkannt und geregelt. So enthalten die Koordinierungsricht­ linien Vorgaben zum Abschluss von Rahmenvereinbarung und der Vergabe der Einzelaufträge. Die Vorschriften sollen die Transparenz bei der Vergabe von Rah­ menaufträgen sicherstellen sowie wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen verhindern. 1. Regelungen im europäischen Vergaberecht Die VKR und SKR setzen sich sowohl in den Vorschriften als auch in den Er­ wägungsgründen mit dem Abschluss von Rahmenvereinbarungen auseinander. 774 775 776

Kullack / Terner, ZfBR 2004, 244 (349). Siehe hierzu Kapitel 7.A.II. Kullack / Terner, ZfBR 2004, 244 (349).

Kap. 7: Leistungserweiterungen

265

Vor Inkrafttreten der VKR war es nur Sektorenauftraggebern gestattet, Rah­ menvereinbarungen abzuschließen und Einzelaufträge auf deren Grundlage zu erteilen. Dies wurde nunmehr geändert. Auch klassischen öffentlichen Auftrag­ gebern außerhalb des Sektorenbereichs kann es seitens der Mitgliedsstaaten gestattet werden. a) Rahmenvereinbarungen

im Bereich klassischer öffentlicher Aufträge

Art. 32 VKR gibt die Anforderungen an das Verfahren zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen und an die Vergabe der Einzelaufträge für öffentliche Aufträge außerhalb des Sektorenbereichs vor. Gemäß Art. 32 Abs. 1 VKR „kön­ nen“ die Mitgliedsstaaten für die öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit des Abschlusses von Rahmenvereinbarungen vorsehen. Soweit die Mitglieds­ staaten von ihrer Umsetzungsbefugnis Gebrauch machen, müssen öffentliche Auftraggeber gemäß Art. 32 Abs. 2 VKR für den Abschluss von Rahmenverein­ barungen die Verfahrensvorschriften der Richtlinie in sämtlichen Phasen bis zur Zuschlagserteilung der Aufträge, die auf der Rahmenvereinbarung beruhen, be­ achten. Die Rahmenvereinbarung wird mithin einem öffentlichen Auftrag im Sinne der Richtlinien gleichgestellt. Öffentliche Auftraggeber haben des Weiteren das konkret in Art. 32 VKR vorgeschriebene Verfahren zur Vergabe der Aufträge, die auf der Rahmenver­ einbarung beruhen, einzuhalten. Nach diesen Vorschriften kann ein öffentlicher Auftraggeber während der Laufzeit einer Rahmenvereinbarung hierauf basie­ rende Einzelaufträge entweder direkt an den Vertragspartner der Rahmenver­ einbarung oder aber nach erneuter Eröffnung des Wettbewerbs zwischen den Parteien der Rahmenvereinbarung vergeben. 777 Bei Wiedereröffnung des Wett­ bewerbs sind die in Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2 Spstr. 2 lit. a) bis d) VKR genannten Verfahrensanforderungen zu beachten. Die Laufzeit der Rahmenvereinbarung darf mit Ausnahme von Sonderfällen, in denen dies insbesondere aufgrund des Gegenstands der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt werden kann, vier Jahre nicht überschreiten. 778 Zudem dürfen Rahmenvereinbarungen nicht missbräuch­ lich oder in einer Weise angewandt werden, die den Wettbewerb behindert, einschränkt oder verfälscht. 779

777 778 779

Vgl. Erwägungsgrund 11 VKR.

Vgl. Art. 32 Abs. 2 UAbs. 4 VKR sowie Erwägungsgrund 11 VKR.

Vgl. Art. 32 Abs. 2 UAbs. 5 VKR.

266

Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

b) Rahmenvereinbarungen im Sektorenbereich Auch im Bereich der Sektorenauftragsvergaben ist der Abschluss von Rah­ menvereinbarungen gestattet. 780 Dort gelten jedoch weniger strenge Anforde­ rungen als im Bereich klassischer öffentlicher Aufträge. Art. 14 SKR regelt das Verfahren und den Abschluss von Rahmenvereinbarung sowie die Verga­ be der Einzelaufträge. Sektorenauftraggeber besitzen demnach ein Wahlrecht, ob sie entweder die Vergabe der Rahmenvereinbarung oder aber die Vergabe der Einzelaufträge einem Wettbewerb nach den vergaberechtlichen Vorschriften unterstellen. Nach Art. 14 Abs. 1 SKR können Sektorenauftraggeber Rahmen­ vereinbarungen als öffentliche Aufträge ansehen und gemäß den Bestimmungen Richtlinie abschließen. Soweit sie sich hierfür entscheiden, können sie die auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge direkt an den Vertragspartner der Rahmenvereinbarung vergeben. 781 Soweit jedoch die Rahmenvereinbarung nicht gemäß den Bestimmungen Richt­ linie geschlossen wurde, dürfen die Sektorenauftraggeber die Privilegierung einer direkten Beauftragung der Einzelleistungen nicht in Anspruch nehmen. Vielmehr muss der Vergabe der Einzelaufträge grundsätzlich ein Aufruf zum Wettbewerb vorausgehen. 782 Der Sektorenauftraggeber muss daher in jedem Fall ein wettbewerbliches Verfahren durchführen. Er kann jedoch wählen, ob er dies auf der ersten Stufe bei Abschluss der Rahmenvereinbarung oder aber erst auf der zweiten Stufe bei der Vergabe der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge tut. 2. Regelungen im nationalen Vergaberecht a) Rechtslage vor Inkrafttreten

der Vergabekoordinierungsrichtlinien

Das nationale Vergaberecht enthielt vor Inkrafttreten der VKR lediglich für Sektorenauftraggeber die Befugnis zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen. Gleichwohl wurde auch staatlichen Auftraggebern, die nicht in den Sektoren tätig waren, gestattet, Rahmenvereinbarungen unter den in den Sektorenbereichen for­ mulierten Bedingungen abzuschließen und auf deren Grundlage Einzelaufträge 780 Für die Einordnung als Sektorenauftraggeber kommt es im Wesentlichen auf die Tätigkeit des Auftraggebers an. So werden die in den Art. 3 bis 7 SKR konkret bezeich­ neten Tätigkeiten in den Bereichen Gas, Wärme und Elektrizität, Wasser, Verkehrsleis­ tungen, Postdienste sowie das Aufsuchen und die Förderung von Erdöl, Gas, Kohle und anderer fester Brennstoffe sowie Tätigkeiten in den Bereichen Häfen und Flughäfen der Sektorenrichtlinie unterstellt. 781 Vgl. Art. 40 Abs. 3 lit. i) SKR. 782 Vgl. Art. 40 Abs. 2 SKR.

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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zu erteilen. 783 Zur Begründung wurde auf die wettbewerbsrechtliche Zielsetzung der Rahmenvereinbarung verwiesen. 784 Rahmenverträge wurden daher bereits nach alter Rechtslage als öffentliche Aufträge gemäß § 99 GWB definiert und dem Vergaberecht unterstellt. 785 b) Rahmenvereinbarungen im Sektorenbereich Im Bereich der Sektoren können öffentliche Auftraggeber, wie schon nach alter Rechtslage, Rahmenvereinbarungen für die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen abschließen. 786 Die europarechtlichen Vorgaben der SKR ließen die Bestimmungen zu den Rahmenvereinbarungen unverändert. Daher erfolgte auch im nationalen Recht keine Änderung der Vorschriften. Die Bestimmungen gelten somit unverändert fort. c) Rahmenvereinbarungen im Bereich klassischer Liefer- und Dienstleistungen Der deutsche Gesetzgeber hatte im Bereich der Vergabe klassischer Liefer­ und Dienstleistungen die Richtlinienbestimmung des Art. 32 VKR zunächst in § 3a Nr. 4 VOL / A a. F. nahezu wörtlich umgesetzt. Damit war es den öffentli­ chen Auftraggebern bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen gestattet, Rahmenvereinbarungen abzuschließen. Gerade in diesem Bereich besteht das Be­ dürfnis einer flexiblen Vertragsgestaltung. Dort treten häufig wiederkehrende Be­ schaffungen, wie z. B. Reinigungsleistungen, Facility-Management-Leistungen oder auch Leistungen, die einer rasanten technischen Entwicklung unterliegen, wie IT-Leistungen, auf. 787 Dem hat der deutsche Gesetzgeber durch Umsetzung der Richtlinienvorgaben im Rahmen der VOL / A Rechnung getragen. 783 VK Bund, Beschl. v. 19. 09. 2001 – VK 1 – 33/01, VergabeR 2002, 72; Beschl. v. 19. 06. 2000 – VK 2 – 10/00; VÜA Hessen, Beschl. v. 19. 03. 1997 – VÜA 5/96; VÜA Bund, Beschl. v. 20. 11. 1995 – 1 VÜ 2/95; Beschl. v. 12. 12. 1994 – 1 VÜ 9/94, IBR 1995, 146; inzident auch EuGH, Urteil v. 04. 05. 1995 – Rs. C-79/94 (Kommission / Griechen­ land), Slg. 1995, I-1071; Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 8 ff.; Stickler, in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 99 GWB, Rn. 4e; Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 10 f.; Vogel, VergabeR 2003, 90; Thieme, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 99, Rn. 8; Marx, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 99 GWB, Rn. 9; einschränkend Boesen, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 42 ff., a. A. KG, Beschl. v. 19. 04. 2000 – KartVerg 6/00, NZBau 2001, 161 (162); zweifelnd KG, Beschl. v. 15. 04. 2004 – 2 Verg 22/03, VergabeR 2004, 762 (766). 784 VK Bund, Beschl. v. 19. 06. 2000 – VK 2 – 10/00; König / Haratsch, NJW 2003, 2637 (2639). 785 Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 11. 786 Vgl. § 9 SektVO; § 5b VOL / A a. F. bzw. VOB / A a. F. sowie § 4 VOL / A-SKR a. F. bzw. VOB / A-SKR a. F.. 787 Haak / Degen, VergabeR 2005, 164 (165).

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Im Zuge der Novellierung der VOL / A wurden auch die Bestimmungen zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen überarbeitet und als eigenständige Norm in § 4 VOL / A-EG eingefügt. Dem „Verschlankungswahn“ sind allerdings wichti­ ge gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zum Opfer gefallen, so dass Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität des § 4 VOL / A-EG bestehen. Dies gilt insbe­ sondere für die fehlende Gleichstellung von Rahmenvereinbarungen mit öffentli­ chen Aufträgen, 788 aber auch für den Wegfall des Missbrauchsverbots 789 und des Verbots von Änderungen an den Bedingungen der Rahmenvereinbarungen. 790 d) Rahmenvereinbarungen im Bereich von Bauleistungen und freiberuflichen Leistungen Der deutsche Gesetzgeber hat die Bestimmung des Art. 32 VKR zu Rahmen­ vereinbarungen allein für Liefer- und Dienstleistungen nach der VOL / A umge­ setzt. Eine entsprechende Umsetzung der Richtlinienvorgaben in der VOB / A und der VOF erfolgte nicht. Daher können öffentliche Auftraggeber außerhalb des Sektorenbereichs keine Einzelaufträge auf der Grundlage von Rahmenver­ einbarungen für Bauleistungen oder freiberufliche Leistungen vergeben. 791 Die Beschränkung klassischer öffentlicher Auftraggeber auf Rahmenvereinbarungen für Liefer- und Dienstleistungsaufträge findet keine Vorlage in den europäischen Bestimmungen. Vielmehr ergibt sich aus Art. 1 Abs. 10 Spstr. 2 VKR, dass auch die klassischen öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich berechtigt werden können, Rahmenvereinbarungen über Bauleistungen abzuschließen. Daher ist nachfolgend zu untersuchen, ob Rahmenvereinbarungen über eine unmittelbare oder analoge Anwendung der Richtlinienbestimmung auch im Bereich von Bauund freiberuflichen Leistungen abgeschlossen werden können. aa) Unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinienbestimmungen Da die Umsetzungsfrist am 31. 01. 2006 abgelaufen ist und eine Umsetzung der Bestimmungen zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen für den Bereich der VOB / A und VOF unterblieb, könnten die Richtlinienbestimmungen unmit­ telbare Wirkung entfalten mit der Folge, dass auch in diesem Bereich Rahmen­ 788

Vgl. Art. 32 Abs. 2 UAbs. 1 VKR; § 3a Nr. 4 Abs. 3 VOL / A a. F.. Vgl. Art. 32 Abs. 2 UAbs. 5 VKR; § 3a Nr. 4 Abs. 2 VOL / A a. F.. 790 Vgl. Art. 32 Abs. 2 UAbs. 3 VKR; § 3a Nr. 4 Abs. 3 Satz 3 VOL / A a. F.. 791 Siehe ausführlich hierzu mit umfassender Darstellung des Meinungsstandes VK Sachsen, Beschl. v. 25. 01. 2008 – 1/SVK/088 – 07. Die Beschränkung gilt nicht für Sek­ torenauftraggeber. Diese können auch bezogen auf Bauleistungen Rahmenverträge ab­ schließen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. 07. 2002 – Verg 28/02, VergabeR 2003, 87 (88); Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 5b, Rn. 1; Kapellmann, in: Kapellmann / Messerschmidt, VOB, A § 5b, Rn. 2). 789

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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vereinbarungen nach Art. 32 VKR abgeschlossen werden könnten. Hiervon wird zum Teil in der vergaberechtlichen Literatur und Rechtsprechung, allerdings ohne nähere Begründung, ausgegangen. 792 Es gilt jedoch zu beachten, dass Richtlini­ en des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich einer Transformation in das nationale Recht und damit eines Umsetzungsaktes durch die Mitgliedsstaaten bedürfen. 793 Nach Ablauf der Umsetzungsfrist und unterbliebener oder mangelhafter Um­ setzung durch die Mitgliedsstaaten kann eine unmittelbare Geltung einer Richt­ linienbestimmung nur dann in Betracht kommen, wenn diese hinreichend be­ stimmt und unbedingt ist und den Einzelnen begünstigt. 794 Eine Gemeinschafts­ bestimmung gilt dabei als unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung begründet, die weder an eine Bedingung geknüpft ist, noch zu ihrer Erfüllung und Wirksam­ keit einer Maßnahme der Gemeinschaftsorgane bedarf. 795 Diese Voraussetzung ist immer dann nicht erfüllt, wenn die Umsetzung der konkreten Richtlinienbe­ stimmung in das Ermessen der Mitgliedsstaaten gestellt ist. 796 Denn die vom Gemeinschaftsrecht eingeräumte Dispositionsfreiheit der Mitgliedsstaaten kann nicht dadurch umgangen werden, dass nach Ablauf der Umsetzungsfrist die Richtlinienbestimmung unmittelbare Wirkung entfaltet. 797 Die Voraussetzung der Unbedingtheit der Richtlinienbestimmung liegt in Be­ zug auf Art. 32 VKR nicht vor. Dieser stellt die Möglichkeit des Abschlusses von Rahmenvereinbarungen für die öffentlichen Auftraggeber vielmehr in das Ermessen der Mitgliedsstaaten. Hiernach „können“ die Mitgliedsstaaten für die öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit des Abschlusses von Rahmenverein­ barungen vorsehen. Aufgrund der unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mit­ gliedsstaaten sollen diese selbst entscheiden, ob ihre öffentlichen Auftraggeber Rahmenvereinbarungen abschließen dürfen. 798 Damit ist aber ein Umsetzungsakt 792

VK Arnsberg, Beschl. v. 21. 02. 2006 – VK 29/05, NZBau 2006, 332 (333); VK Hamburg, Beschl. v. 27. 04. 2006 – VgK FB 2/06; Goodarzi, NVwZ 2007, 396 (397); Müller-Wrede, VergabeR 2005, 693 (700). 793 Kayser, Nationale Regelungsspielräume, S. 47. 794 OLG Bremen, Beschl. v. 03. 04. 2007 – Verg 2/07, VergabeR 2007, 517; Kayser, Nationale Regelungsspielräume, S. 48; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1931; Siegel, ZfBR 2006, 554; Knauff, NZBau 2006, 334; Ax / Telian / Terschüren, ZfBR 2006, 123 unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 22. 06. 1989, Rs. C-103/88 (Fratelli Costanzo), Rn. 29; Müller-Wrede, VergabeR 2005, 693 (694). 795 EuGH, Urt. v. 23. 02. 1994, Rs. C-236/92 (Lombardia), Slg. 1994, I-483, Rn. 9; Urt. v. 04. 12. 1974 – Rs. C-41/74 (van Duyn), Slg. 1974, 1337, Rn. 13 f.; Kayser, Natio­ nale Regelungsspielräume, S. 48; Ax / Telian / Terschüren, ZfBR 2006, 123; Müller-Wrede, VergabeR 2005, 693 (694). 796 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1931; Ruthig, NZBau 2006, 208 (209); Kayser, Nationale Regelungsspielräume, S. 48; ausführlich Fischer, NVwZ 1992, 635 (637). 797 Ax / Telian / Terschüren, ZfBR 2006, 124. 798 Vgl. Erwägungsgrund 16 VKR.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

seitens der Mitgliedsstaaten erforderlich, um der Richtlinienbestimmung Wirk­ samkeit zu verschaffen. Fehlt es hieran, wie dies für öffentliche Auftragsvergaben im Bereich der VOB / A und VOF der Fall ist, 799 können die Bestimmungen über Rahmenvereinbarungen auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist nicht angewandt werden. 800 Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der nationale Gesetzgeber von seinem Ermessen zur Umsetzung der Richtlinienvorgabe für den Bereich von Liefer- und Dienstleistungen nach der VOL / A Gebrauch gemacht hat. Hieraus folgt keine fehler- oder lückenhafte Umsetzung, die zu einer unmittelbaren An­ wendbarkeit der Richtlinienbestimmung führt. Denn den Mitgliedsstaaten obliegt es nicht nur zu entscheiden, ob sie öffentlichen Auftraggebern den Abschluss von Rahmenvereinbarungen ermöglichen, sondern auch, in welchem Umfang sie diese Abschlüsse zulassen. 801 Insoweit gilt, dass das nationale Recht nicht hin­ ter den europarechtlichen Anforderungen zurückbleiben und den Anwendungs­ bereich des Vergaberechts abschwächen darf. Es ist aber gestattet, strengere Anforderungen zugunsten eines wettbewerblichen Verfahrens zu statuieren. Vor diesem Hintergrund ist die Einschränkung von Rahmenvereinbarungen für öf­ fentliche Auftraggeber auf den Bereich der VOL / A in europarechtlicher Hinsicht unbedenklich. 802 Eine Zulässigkeit von Rahmenvereinbarungen im Bereich der VOB / A und VOF folgt hieraus ebenfalls nicht.

799 Die Empfehlungen der Ausschüsse an den Bundesrat, Drs. 476/1/06, S. 2, hat­ ten sich zwar gegen die Streichung der Legaldefinition der Rahmenvereinbarung in § 3 Abs. 8 VgV mit der Begründung ausgesprochen, dass andernfalls eine Anwendung der Rahmenvereinbarungen in den Bereichen der VOB / A und VOF nicht möglich sei. Die bloße Übernahme der Legaldefinition der Rahmenvereinbarung in § 3 Abs. 8 VgV genügt nicht für eine europarechtskonforme Umsetzung. Sie begründet daher keine Anwendungs­ befugnis im Bereich von Bauleistungen und freiberuflichen Leistungen. 800 Siegel, ZfBR 2006, 554; Knauff, NZBau 2006, 334; Ruthig, NZBau 2006, 208 (209); Ziekow, VergabeR 2006, 702 (705); Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 1932; Ax / Telian / Terschüren, ZfBR 2006, 123; Müller-Wrede, in: Müller-Wrede, VOF, § 2, Rn. 41. Franke / Mertens, in: Franke / Kemper / Zanner / Grünhagen, VOB, § 5 VOB / A, Rn. 17 f. lehnen einerseits die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinienbestimmung ab. Im Widerspruch hierzu nehmen sie aber eine Bindung der Auftraggeber an die Be­ stimmungen des Art. 32 Abs. 2 bis 4 VKR an, wenn diese Rahmenvereinbarungen über Bauleistungen abschließen wollen. Dem kann nicht gefolgt werden. Vielmehr ist der Ab­ schluss von Rahmenvereinbarungen im Baubereich unzulässig bzw. auf dieser Grundlage können keine Einzelaufträge nach Art. 32 VKR beauftragt werden. 801 Ebenso Knauff, VergabeR 2006, 24 (26); a. A. Haak / Degen, VergabeR 2005, 164 (168 f.), die das Ermessen lediglich auf das „Ob“ der Entscheidung, nicht aber das „Wie“ beziehen. 802 Ebenso Knauff, VergabeR 2006, 24 (26); a. A. Haak / Degen, VergabeR 2005, 164 (168 f.), welche die gemeinschaftsrechtliche Konformität in Frage stellen.

Kap. 7: Leistungserweiterungen

271

bb) Analoge Anwendung der Bestimmungen zu Rahmenvereinbarungen Weiterhin könnte in Erwägung gezogen werden, dass der Abschluss von Rahmenvereinbarungen analog § 4 VOL / A-EG nach richtlinienkonformer Ausle­ gung allen öffentlichen Auftraggebern auch außerhalb des Anwendungsbereichs der VOL / A zur Verfügung steht. 803 Auch vor Inkrafttreten der Richtlinienbe­ stimmungen sowie der nationalen Umsetzung waren nach der überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung öffentliche Auftraggeber befugt, in analoger Anwendung der Regelungen im Sektorenbereich Rahmenvereinbarun­ gen abzuschließen. 804 Die vormalige Verwaltungspraxis könnte daher auf Rah­ menvereinbarungen im Bereich der VOB / A bzw. VOF übertragen werden. 805 Dies ist im Ergebnis aber abzulehnen. Anders als nach der alten Rechtslage existiert nunmehr eine Richtlinienbestimmung, die konkrete Anforderungen an Inhalt und Verfahren enthält und einen Umsetzungsakt seitens der Mitglieds­ staaten fordert. Ständige Verwaltungspraktiken stellen jedoch kein anerkanntes Mittel zur ordnungsgemäßen Richtlinienumsetzung dar und sind daher einer richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich. 806 Eine analoge Anwendung scheitert des Weiteren auch an dem Vorliegen einer Regelungslücke. 807 Ausweis­ lich der ersten Entwürfe zur Umsetzung der Richtlinienbestimmung war der Abschluss von Rahmenvereinbarungen ausdrücklich auf den Bereich der Liefer­ und Dienstleistungen beschränkt. 808 Der Gesetzgeber hatte den Anwendungsbe­ reich der Rahmenvereinbarungen daher bewusst eingegrenzt. Mangels Regelungslücke kommt daher auch eine analoge Anwendung der Bestimmungen zu Rahmenvereinbarungen im Bereich der VOB / A oder VOF nicht in Betracht. 809 Es bleibt bei dem Ergebnis, dass außerhalb der Sektoren Rahmenvereinbarungen nur im Anwendungsbereich der VOL / A abgeschlossen werden dürfen. 803

I. d. S. VK Bund, Beschl. v. 09. 05. 2007 – VK 1 – 26/07, IBR 2007, 1337. Siehe hierzu oben Kapitel 7.C.I.2.a. 805 So VK Bund, Beschl. v. 09. 05. 2007 – VK 1 – 26/07, IBR 2007, 1337; ähnlich auch Prieß, S. 115. Auch die VK Bund, Beschluss v. 29. 07. 2009 – VK 2 – 87/09 geht davon aus, dass der Rahmenvertrag als eine anerkannte Vertragsform allen Auftraggebern auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 4 VOL / A-EG zur Verfügung stehe. Unklar bleibt, welche Regelungen in diesem Fall gelten sollen, da das Europarecht konkrete Anforderungen enthält, die aber – zulässig – nicht umgesetzt wurden. 806 Siegel, ZfBR 2006, 554 (555); Ruthig, NZBau 2006, 208 (209). 807 Hierauf weist Knauff, VergabeR 2006, 24 (26) zutreffend hin. Ebenso VK Sachsen, Beschl. v. 25. 01. 2008 – 1/SVK/088 – 07. 808 Vgl. § 18 des Referentenentwurfes des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit für eine Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge vom 18. 03. 2005 (abrufbar unter www.ibr-online.de). 809 Im Ergebnis wohl auch Knauff, NZBau 2006, 334. 804

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

II. Vergaberechtliche Anforderungen an Inhalt und Abschluss von Rahmenvereinbarungen Die Auftragsvergabe auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen erfolgt in zwei Vergabestufen. Auf der ersten Stufe steht das Vergabeverfahren zum Abschluss der Rahmenvereinbarung, auf der zweiten Stufe die Vergabe der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge. Diese Stufung des Verfah­ rens ist für öffentliche Auftraggeber im klassischen Vergabebereich zwingend, sodass die Rahmenvereinbarung rechtlich die Vorstufe zu den später zu beauf­ tragenden Leistungen darstellt. 810 Diese werden grundsätzlich nicht nach den vergaberechtlichen Regeln, sondern nach den Festlegungen der Rahmenverein­ barung vergeben. 811 Im Folgenden sollen daher zunächst die Anforderungen an den Inhalt und Abschluss von Rahmenvereinbarungen (erste Vergabestufe) an­ hand der Bestimmungen der VKR dargestellt werden. 812 1. Anwendung der Vergabebestimmungen und der Vergabegrundsätze Die VKR enthält nur wenige spezielle Bestimmungen für das Verfahren zum Abschluss der Rahmenvereinbarung. 813 Hintergrund ist, dass der Abschluss der Rahmenvereinbarung der Vergabe eines öffentlichen Auftrags gleichgestellt wird. 814 Die öffentlichen Auftraggeber haben gemäß Art. 32 Abs. 2 UAbs. 1 VKR die Verfahrensvorschriften des Vergaberechts in allen Phasen bis zur Zuschlags­ erteilung der Einzelaufträge zu befolgen. 815 Die ausdrückliche Vorgabe der An­ wendung der Vergabevorschriften zum Abschluss der Rahmenvereinbarung ist erforderlich, da Rahmenvereinbarungen für sich genommen keine öffentlichen Aufträge darstellen. 816 Mit dem Abschluss der Rahmenvereinbarung werden le­ 810

Hailbronner, in: Byok / Jaeger, Kommentar Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 376; Arlt, VergabeR 2007, 280 (284); Franke, ZfBR 2006, 546; Knauff, VergabeR 2006, 24 (26). 811 Vgl. Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, § 99, Rn. 32. 812 Auf die Besonderheiten im Sektorenbereich wird unter Kapitel 7.C.IV. gesondert eingegangen. 813 Ausdrückliche Verfahrensbestimmungen in Bezug auf Rahmenvereinbarungen enthalten die Bestimmungen zu den Schwellenwerten (Art. 9 Abs. 9 VKR; Art. 17 Abs. 3 SKR; § 3 Abs. 8 VgV), die Regelungen zu den Anforderungen einer europaweiten Bekanntmachung (Art. 35 Abs. 1, 2 und 4 VKR; Art. 41 Abs. 1, Art. 43 Abs. 1 SKR), die Dokumentationspflichten (Art. 43 lit. a, e und h VKR), Unterrichtungspflichten (Art. 41 Abs. 1, 2 und 3 VKR; Art. 49 Abs. 1 und 2 SKR) sowie die Bestimmungen über die Zulässigkeit elektronischer Auktionen (Art. 54 Abs. 2 UAbs. 2 VKR). 814 Art. 32 Abs. 2 UAbs. 1 VKR. 815 Vgl. Art. 32 Abs. 2 UAbs. 1 VKR. 816 VK Bund, Beschl. v. 03. 08. 2009 – VK 3 – 145/09; VK Bund, Beschluss v. 18. 12. 2007 – VK 3 – 139/07; VK Bund, Beschl. v. 15. 08. 2008 – VK 3 –107/08; VK

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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diglich Bedingungen für zukünftige Einzelaufträge festgelegt. Konkrete Leis­ tungspflichten im Sinne von Hauptleistung (Dienst- oder Lieferleistung) und Gegenleistung (Zahlung der Vergütung) entstehen erst bei der Beauftragung der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge. 817 Eine entsprechende Regelung zur Gleichstellung von Rahmenvereinbarun­ gen mit öffentlichen Aufträgen im Sinne des § 99 GWB fehlt nunmehr in der Neufassung der VOL / A. Insbesondere spricht die Definition der Rahmenver­ einbarung in § 4 Abs. 1 VOL / A-EG nicht mehr von „öffentlichen Aufträgen“, sondern nur noch von „Aufträgen“. Auch eine Verpflichtung zur Anwendung der vergaberechtlichen Vorschriften bei Abschluss der Rahmenvereinbarungen, wie dies § 3a Nr. 4 Abs. 3 S. 1 VOL / A a. F. in Umsetzung von Art. 32 Abs. 2 UAbs. 1 VKR vorsah, wurde nicht in die Neuregelung der VOL / A aufgenom­ men. Dies ist insoweit problematisch als Rahmenvereinbarungen nicht unter den Begriff des öffentlichen Auftrags im Sinne des § 99 GWB subsumiert werden können. Vor diesem Hintergrund ist die Änderung bzw. Streichung der Gleich­ stellung von Rahmenvereinbarungen mit öffentlichen Aufträgen durch die Neu­ fassung der VOL / A gemeinschaftsrechtswidrig. Der nationale Gesetzgeber ge­ stattet hierdurch den Abschluss von Rahmenvereinbarung ohne Vorgabe eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens und die privilegierte Vergabe der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge. Damit würde aber zu keinem Zeitpunkt vor der Auftragsvergabe ein vergaberechtliches Verfahren stattfinden. Dies verstößt gegen die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen. Denn das Er­ messen der Mitgliedsstaaten nach Art. 32 Abs. 1 VKR bezieht sich lediglich dar­ auf, ob sie den öffentlichen Auftraggebern den Abschluss von Rahmenverein­ barungen gestatten. Machen die Mitgliedstaaten von diesem Ermessen positiv Gebrauch, so sind die weiteren Bestimmungen des Art. 32 VKR als Mindest­ vorgaben bindend. Die öffentlichen Auftraggeber müssen daher gemäß Art. 32 Abs. 2 UAbs. 1 VKR für den Abschluss der Rahmenvereinbarungen die Verfah­ rensvorschriften der VKR anwenden in allen Phasen bis zur Zuschlagserteilung der Aufträge, die auf diese Rahmenvereinbarung gestützt sind. Der Abschluss von Rahmenvereinbarung ist somit zwingend den vergaberechtlichen Vorschrif­ ten zu unterstellen.

Bund, Beschl. v. 09. 05. 2007 – VK 1 – 26/07, IBR 2007, 1337; VÜA Hessen, Beschl. v. 19. 03. 1997 – VÜA 5/96; Kullack / Terner, ZfBR 2004, 244 (349); Prieß, S. 114; Knauff, VergabeR 2006, 24 (27); Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 2029; Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 103; Marx, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 99 GWB, Rn. 9; a. A. VK Münster, Beschl. v. 02. 07. 2004 – VK 13/04; VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 05. 10. 2005 – VK-SH 23/05; Graef, NZBau 2005, 561 (563); Vogel, VergabeR 2003, 90 f.; Franke, ZfBR 2006, 546 (548), der die Entgeltlichkeit in dem wirtschaftlichen Wert der vertraglichen Bindung des öffentlichen Auftraggebers sieht. 817 VK Bund, Beschl. v. 03. 08. 2009 – VK 3 – 145/09.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Die Gleichstellung von Rahmenvereinbarungen mit sonstigen öffentlichen Auf­ trägen gemäß Art. 32 Abs. 2 UAbs. 1 VKR bewirkt, dass oberhalb der Schwel­ lenwerte die Vorschriften des Vergaberechts ohne Unterschied anzuwenden sind, soweit sich aufgrund der Besonderheit der Rahmenvereinbarung nicht etwas an­ deres ergibt. 818 Dies gilt insbesondere für Veröffentlichungsvorschriften, Fristen­ regelungen, Anforderungen an die Angebotsabgabe, 819 für die Wahl der Verfah­ rensart 820 sowie hinsichtlich der Vorschriften über Ausschluss-, Auswahl- und Zuschlagskriterien. 821 Der Auftraggeber hat zudem in sämtlichen Phasen des Abschlusses und der Durchführung der Rahmenvereinbarung, also auch bei der Vergabe der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge, die verga­ berechtlichen Grundsätze, insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung und des Wettbewerbs zu beachten. 822 Die Vorschriften des Vergaberechts finden jedoch erst ab Überschreiten der einschlägigen Schwellenwerte Anwendung. 823 Der Wert einer Rahmenvereinba­ rung wird dabei auf der Grundlage des geschätzten Höchstwertes aller für diesen Zeitraum geplanten Einzelaufträge berechnet. 824 Der anzusetzende Schwellen­ wert richtet sich nach dem Gegenstand der zukünftigen, den Einzelaufträgen zugrunde liegenden Leistungen. 825 Ist die zukünftige Leistung beispielsweise als einfache Lieferleistung zu qualifizieren, so gilt für die Ausschreibung der Rahmenvereinbarung der für Lieferleistungen maßgebliche Schwellenwert. 826

818

Im Sektorenbereich gilt dies nur dann, wenn der Sektorenauftraggeber gemäß des ihm zustehenden Ermessens (vgl. Art. 14 Abs. 2 SKR) entscheidet, die Rahmenvereinba­ rung einem öffentlichen Auftrag gleich zustellen. 819 Erwägungsgrund 11 VKR. 820 Insbesondere gibt es keine allgemeine Regel, dass bei Abschluss von Rahmen­ vereinbarungen wegen der (typischen) fehlenden abschließenden Beschreibbarkeit das Verhandlungsverfahren anwendbar sei (so auch VK Bund, Beschl. v. 19. 11. 2008 – VK 1 –135/08. 821 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 4 f. 822 Siehe Erwägungsgrund 11 VKR; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. 07. 2002 – Verg 28/02, VergabeR 2003, 87 (88 f.); VK Arnsberg, Beschl. v. 21. 05. 2002 – VK 1 –7-10/ 2002; VK Bund, Beschl. v. 19. 09. 2001 – VK 1 – 33/01, VergabeR 2002, 72 (73); Opitz, NZBau 2003, 183 (193); Franke, ZfBR 2006, 546 (547); Knauff, VergabeR 2006, 24 (25); Franke / Mertens, in: Franke / Kemper / Zanner / Grünhagen, VOB, § 5 VOB / A, Rn. 20. 823 Hailbronner, in: Byok / Jaeger, Kommentar Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 506. 824 Vgl. Art. 9 Abs. 9 VKR; § 3 Abs. 8 VgV. 825 VÜA Hessen, Beschl. v. 19. 03. 1997 – VÜA 5/96. 826 Hailbronner, in: Byok / Jaeger, Kommentar Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 505.

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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2. Inhalt der Rahmenvereinbarung Inhalt einer Rahmenvereinbarung ist die Festlegung der Bedingungen für die später zu erteilenden Einzelaufträge. 827 Dabei müssen nicht sämtliche Bedin­ gungen der Einzelaufträge geregelt werden, 828 sondern nur die wesentlichen. 829 Dies ergibt sich aus der Natur der Rahmenvereinbarung, wonach sich der Auf­ traggeber insbesondere hinsichtlich des Auftragsvolumens und der Leistungszeit nicht abschließend festlegen muss. Dementsprechend enthalten die Vorschriften zu den Rahmenvereinbarungen Bestimmungen, die eine Vervollständigung der Angebote vor Beauftragung der Einzelleistung zulassen. 830 Eine Unvollständig­ keit bewirkt daher nicht die Rechtswidrigkeit der Rahmenvereinbarung, sondern führt zur Konkretisierungs- und Angebotsüberarbeitungspflicht. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass die abschließende Festlegung sämtlicher Bedingungen der Einzelaufträge in der Rahmenvereinbarung kein Rechtmäßigkeitserfordernis ist. Auf der anderen Seite muss der Auftraggeber aber zumindest die wesent­ lichen Bedingungen der Aufträge vorgeben und hierdurch den Bietern eine ordnungsgemäße Kalkulation ermöglichen. Ausweislich der Legaldefinition in Art. 1 Abs. 5 VKR zählen zu den wesentlichen Bedingungen der Einzelaufträge der in Aussicht genommene Preis, die Beschreibung des Leistungsgegenstan­ des der Einzelaufträge, der Leistungszeitraum und das in Aussicht genommene Auftragsvolumen. 831 Im Übrigen ist es eine Frage des Einzelfalles, welche Ver­ tragsbedingungen konkret als wesentlich anzusehen sind. 832

827

Vgl. Art. 1 Abs. 5 VKR; Art. 1 Abs. 4 SKR; § 4 Abs. 1 VOL / A-EG; EuGH, Urteil v. 11. 06. 2009 – Rs. C-300/07 (Oymanns), Rn. 71. 828 So aber Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 5b, Rn. 2, der verlangt, dass alle vertraglichen Bedingungen, auch der Umfang der Leistung, für die Einzelauf­ träge festgelegt werden müssen. 829 VK Bund, Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 – 35/03; Beschl. v. 19. 06. 2000 – VK 2 – 10/00; Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 5b, Rn. 3; Franke, ZfBR 2006, 546 (547); Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 14, 18; Franke / Mertens, in: Franke / Kemper / Zanner / Grünhagen, VOB, § 5 VOB / A, Rn. 15. 830 Vgl. Art. 32 Abs. 3 UAbs. 2 VKR; § 4 Abs. 3 und Abs. 5 lit. b VOL / A-EG. 831 EuGH, Urteil v. 11. 06. 2009 – Rs. C-300/07 (Oymanns), Rn. 71; a. A. wohl Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 108, welche sämtliche Ver­ tragselemente als verhandelbar ansieht. Franke, ZfBR 2006, 546 (547) will hingegen auch die Leistungszeit und den Leistungsort als wesentliche Vertragselemente einer Rah­ menvereinbarung festlegen. Beide Ansichten widersprechen dem Charakter der Rahmen­ vereinbarung. 832 Bei einem Lieferauftrag gehört die Festlegung des Preises bzw. der entsprechen­ den Berechnungsgrundlagen zu den wesentlichen Vertragsbestandteilen (vgl. VK Bund, Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 – 35/03).

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

a) Der in Aussicht genommene Preis In der Rahmenvereinbarung ist der in Aussicht genommene Preis für die den Einzelaufträgen zugrunde liegenden Leistungen festzulegen. 833 Eine Vergütung allein für den Abschluss der Rahmenvereinbarung ist weder vorgesehen noch geboten, da aus der Rahmenvereinbarung selbst keine unmittelbaren Leistungs­ pflichten folgen. 834 Der Preis für die Leistungen der Einzelaufträge ergibt sich aus den Angeboten der Bieter. 835 Dabei ist es nicht erforderlich und zum Teil auch nicht möglich, einen verbindlichen Endpreis für die Leistung anzubieten. 836 In der Regel wird das Auftragsvolumen weder insgesamt noch hinsichtlich der jeweiligen Einzelaufträge zum Zeitpunkt des Abschlusses der Rahmenvereinba­ rung verbindlich feststehen, sodass die Angabe eines Endpreises nicht möglich ist. Andererseits genügt es nicht, ausschließlich die Berechnungsart (Einheits­ preis, Pauschalpreis, Stundenlohnvertrag etc.) oder bloße Richtpreise anzuge­ ben. 837 Anhand dieser Angaben kann der Auftraggeber nicht die Wirtschaftlich­ keit des Angebots prüfen. Erforderlich ist vielmehr, dass neben der Berechnungs­ art immer auch die jeweiligen Berechnungsparameter angegeben werden. 838 Bei einem Einheitspreisvertrag ist der Preis bezogen auf die konkrete Menge, also der Preis pro Meter Material, pro Stück, pro Gramm etc. festzulegen. Bei einem Stundenlohnvertrag gilt dies sinngemäß (Preis pro Stunde oder pro Manntag etc.). Auf diese Weise ist es dem Auftraggeber möglich, das für den Abschluss der Rahmenvereinbarung wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln. Auch den Un­ ternehmen kann eine Kalkulation dahingehend zugemutet werden, welchen Preis sie unter Berücksichtigung der Besonderheiten einer Rahmenvereinbarung, ins­ besondere der hiermit verbundenen Unwägbarkeiten hinsichtlich des konkreten Auftragsvolumens oder der Vorhaltekosten, für angemessen halten. Zwar können 833 VK Bund, Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 – 35/03; a. A. Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 111, die den Preis erst später, bei der Vergabe des Einzelauftrags, festlegen will. Dem kann nicht gefolgt werden, da der Preis für die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots unabdinglich ist. 834 Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 26. Denkbar wäre allenfalls eine Aufwandsentschädigung für das Vorhalten von Kapazitäten und Ma­ terialien. Allerdings wird dieser Kostenpunkt regelmäßig im Rahmen der Kalkulation der Preise für die Einzelaufträge berücksichtigt. 835 Knauff, VergabeR 2006, 24 (29). 836 Die Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 6, Fn. 18, führt unter Hinweis auf Art. 54 Abs. 2 UAbs. 2 VKR aus, dass der Preis nicht festgelegt werden muss. Die Erläuterung ist dahingehend zu verstehen, dass es keiner abschließenden Festlegung eines konkreten Preises bedarf, sondern dieser erneut dem Wettbewerb um die Einzelaufträge unterstellt werden kann. 837 So VK Bund, Beschl. v. 19. 06. 2000 – VK 2 – 10/00; Franke / Mertens, in: Franke / Kemper / Zanner / Grünhagen, VOB, § 5 VOB / A, Rn. 22; Keldungs, in: Ingenstau / Korbi­ on, VOB, A § 5b, Rn. 3; Franke, ZfBR 2006, 546 (547). 838 VK Bund, Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 – 35/03.

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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sich die preisbildenden Kriterien durch spätere Konkretisierung der Bedingun­ gen ändern. Gegen das Risiko von Preisänderungen kann sich der Auftraggeber aber durch die Aufnahme von Lohn- und Materialpreisklauseln 839 absichern. 840 b) Das in Aussicht genommene Auftragsvolumen Zu den wesentlichen Bedingungen für die Einzelaufträge zählt des Weiteren die Beschreibung des Auftragsvolumens. Den Bietern soll hierdurch der unge­ fähre Bedarf aufgezeigt werden, sodass sie rechtzeitig und sachgerecht Vorsorge für die gegebenenfalls erforderlichen Materialien, Arbeitskräfte und sonstigen Kapazitäten treffen können. 841 Die Anforderungen an den Auftraggeber zur Beschreibung des Auftragsvolu­ mens wurden vom deutschen Normgeber abweichend von den europarechtlichen Vorgaben der VKR formuliert. Während dort die Angabe des Auftragsvolumens in das Ermessen des Auftraggebers gestellt wird, 842 verpflichtet die deutsche Umsetzung den Auftraggeber zu einer Beschreibung des Auftragsvolumens. 843 Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 VOL / A-EG ist das in Aussicht genommene Auftrags­ volumen so genau wie möglich zu ermitteln und bekannt zu geben, braucht aber nicht abschließend festgelegt zu werden. 844 Der Auftraggeber hat somit kein Ermessen, ob er das ermittelte Auftragsvolumen in der Rahmenvereinba­ rung bekannt gibt, sondern nur dahingehend, ob die Beschreibung abschließend erfolgt. 845 Zur Angabe des Auftragsvolumens genügt es, wenn die Bieter sich aufgrund der Leistungsbeschreibung ein Bild von dem Umfang der Leistung bzw. vom Bedarf des Auftraggebers machen können. Der Auftraggeber muss die Bieter in die Lage versetzen, den Angebotspreis zu kalkulieren bzw. rechtzeitig und 839

Diese Klauseln enthalten komplexe mathematische Formeln, anhand derer die Anpassung errechnet wird. Zu den Anforderungen an Preisgleitklausel Kapitel 4.B.II.2.b. 840 Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 20. 841 Franke / Mertens, in: Franke / Kemper / Zanner / Grünhagen, VOB, § 5 VOB / A, Rn. 22; Keldungs. in: Ingenstau / Korbion, VOB, A § 5b, Rn. 3. 842 Art. 1 Abs. 5 VKR sowie Art. 1 Abs. 4 SKR: „...gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge“. 843 § 4 Abs. 1 Satz 2 VOL / A-EG: „ist ... zu ermitteln und bekannt zu geben“. 844 Die Verschärfung der Anforderungen gegenüber dem Auftraggeber ist gemein­ schaftsrechtskonform. Art. 1 Abs. 5 VKR enthält insoweit einen Ermessensspielraum („gegebenenfalls“). 845 Eine verbindliche Festlegung des Auftragsvolumens führt zu einer Selbstbindung des öffentlichen Auftraggebers. Bleibt der Bedarf des Auftraggebers hinter der verbindlich festgelegten Menge zurück, so verletzt er seine vertraglichen Pflichten. Übersteigt der Bedarf des Auftraggebers die vorab festgelegten Mengen, werden diese nicht mehr von der Rahmenvereinbarung erfasst und müssen neu ausgeschrieben werden.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

sachgerecht Vorsorge treffen zu können. Dabei kann die Angabe von Rahmenda­ ten (beispielsweise Grundstücksfläche, Größe des Dienstgebäudes, Anzahl der Mitarbeiter etc.), aus denen Rückschlüsse auf den Umfang der Arbeiten gezogen werden können, genügen. 846 Andererseits ist der ausschließliche Bezug auf den Höchstbedarf nicht ausreichend, um den Bietern eine seriöse Kalkulation zu ermöglichen. 847 Gegebenenfalls hat der Auftraggeber aussagekräftige Referenzmengen aus der Vergangenheit als Kalkulationsgrundlage anzugeben. 848 Zudem wird dem Auftraggeber gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 VOL / A-EG eine Sorgfaltspflicht bei der Ermittlung des Auftragsvolumens auferlegt. 849 Dieser ist gehalten, das Auftragsvolumen „so genau wie möglich“ zu ermitteln. Diese Pflicht wird verletzt, wenn die Bedarfsermittlung unsachgemäß oder fehlerhaft er­ folgte oder ganz unterblieben ist. Eine sorgfaltswidrige Bedarfsermittlung kann unter Umständen Schadensersatzansprüche der Auftragnehmer nach sich zie­ hen. Denn die Leistungsbeschreibung des Auftraggebers bildet die Grundlage ihrer Kalkulation, insbesondere auch im Hinblick auf die erforderlichen Vorhal­ temaßnahmen. Sofern den Auftragnehmern daher durch eine sorgfaltswidrige Bedarfsermittlung ein Schaden entsteht, etwa weil die abgerufenen Mengen erheblich hinter denen in den Verdingungsunterlagen beschriebenen zurückblei­ ben, können sie diesen als vorvertragliche Pflichtverletzung geltend machen. Der Auftraggeber muss in einem solchen Fall darlegen, dass er das Auftragsvolumen mit der gebotenen Sorgfalt ermittelt hat. Sich abzeichnende Bedarfsänderungen muss er zeitnah, gegebenenfalls noch während der Ausschreibung den Bietern bekannt geben. 850 Weitere rechtliche Folge des Gebots zur sorgfältigen Ermittlung des Auftrags­ volumens ist, dass bei einer erheblichen Überschreitung der Mengen der Abruf weiterer Einzelaufträge nicht auf die Rahmenvereinbarung gestützt werden kann. Ab welcher Größenordnung dies der Fall ist, orientiert sich an den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles. Teilweise wird als Grenze das erneute Erreichen des Schwellenwertes angesehen. 851 Andere werten eine Überschreitung von mehr als 20 % als regelmäßig unzulässig. 852 Beide Ansätze müssen als zu weitgehend abgelehnt werden. Denn die Vorschrift bezweckt, den Auftraggeber zu einer 846

VK Bund, Beschl. v. 19. 09. 2001 – VK 1 – 33/01, VergabeR 2002, 72 (74 f.). VK Bund, Beschl. v. 19. 09. 2001 – VK 1 – 33/01, VergabeR 2002, 72 (74). 848 VK Bund, Beschl. v. 15. 11. 2007 – VK 2 -102/07; Graef, NZBau 2005, 561 (564). 849 Ähnlich Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 112: Der Auf­ traggeber ist verpflichtet seinen voraussichtlichen Bedarf so sorgfältig zu ermitteln, wie es ihm möglich und zumutbar ist. 850 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08. 03. 2005 – VII-Verg 40/04, BauRB 2005, 238 f. (Ls.); Graef, NZBau 2005, 561 (564). 851 Vgl. Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 113; Graef, NZBau 2005, 561 (566). 852 Knauff, VergabeR 2006, 24 (28). 847

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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Sorgfalt bei der Ermittlung des Auftragsvolumens anzuhalten. Daher darf sich die Abweichung nur im Rahmen einer Bagatellgrenze bewegen. Bagatellgrenzen werden beispielsweise bei Preisanpassungsklauseln 853 oder bei der Aufnahme von Bedarfspositionen statuiert. Sie definieren, ab wann ein Sachverhalt als we­ sentlich im rechtlichen Sinn betrachtet werden muss. Die Bagatellgrenze wird dabei im Hinblick auf die jeweilige Bezugsgröße bei 10 % bis 15 % gezogen. Auch vorliegend kann dem Auftraggeber nur eine unwesentliche Abweichung gestattet werden, die sich im Rahmen einer von den Auftragnehmern hinzu­ nehmenden Unwägbarkeit bewegen muss. Die Übertragung dieser Grenze ist daher sachgerecht. 854 Auftragsvergaben, die das beschriebene Auftragsvolumen um mehr als 10 % bis 15% überschreiten, sind daher als eigenständige, vergaberechtlich relevante Aufträge anzusehen. c) Zeitraum der Einzelaufträge Die Begriffsdefinition der Rahmenvereinbarung beschränkt die Vergabe der Einzelaufträge des Weiteren auf einen „bestimmten Zeitraum“. 855 Hieraus folgt, dass der Zeitraum, in welchem Aufträge auf der Grundlage der Rahmenverein­ barung erteilt werden, vom Auftraggeber von Anfang festgelegt werden muss. 856 Der konkrete Zeitraum der Einzelauftragsvergaben stellt insbesondere einen kalkulationserheblichen Faktor dar, vor allem im Hinblick auf die Vorhaltekos­ ten, und besitzt somit Einfluss auf die Preisgestaltung. Nicht zuletzt gebietet auch das Wettbewerbsgebot, die Laufzeit einer Rahmenvereinbarung zeitlich zu begrenzen und nicht übermäßig lang festzulegen. 857 Denn durch den Abschluss einer Rahmenvereinbarung wird eine Vielzahl von Einzelaufträgen dem Markt entzogen. Zudem verpflichtet das Wettbewerbsgebot den Auftraggeber, seine Be­ schaffungen in regelmäßigen Abständen dem Wettbewerb zu unterwerfen und damit die Wirtschaftlichkeit sicherzustellen. 858 Aus diesem Grund kann auch 853 Zu den Anforderungen an die Vereinbarung von Preisgleitklauseln Kapitel 4.B.II.2.b. 854 A. A. NZBau 2005, 561 (565); Rosenkötter / Seidler, NZBau 2007, 684 (686), die hierin eine Beeinträchtigung der eigentlich gewollten Flexibilität der Rahmenvereinba­ rung und die Unterscheidung zu herkömmlichen Aufträgen beeinträchtigt sehen. Dem ist entgegen zu halten, dass der Gesetzgeber den Handlungsspielraum des Auftraggebers durch die gewählte Formulierung ganz bewusst eingeschränkt hat und diese Einschrän­ kung gemeinschaftsrechtskonform ist. 855 Art. 1 Abs. 5 VKR; Art. 1 Abs. 4 SKR; § 4 Abs. 1 Satz 1 VOL / A-EG. 856 KG, Beschl. v. 19. 04. 2000 – KartVerg 6/00, NZBau 2001, 161 (162); Kulartz, NZBau 2001, 173 (179); Franke / Mertens, in: Franke / Kemper / Zanner / Grünhagen, VOB, § 5b VOB / A, Rn. 3. 857 Ziekow. VergabeR 2006, 702 (706), Franke / Mertens, in: Franke / Kemper / Zanner / Grünhagen, VOB, § 5b VOB / A, Rn. 8. 858 Siehe zum Wettbewerbsgebot oben Kapitel 3.B.I.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

die Laufzeit von Rahmenvereinbarungen nicht unbegrenzt sein und den Auf­ traggeber dauerhaft legitimieren, ohne förmliches Vergabeverfahren Aufträge zu vergeben. Bei der Festlegung des Leistungszeitraums ist zu beachten, dass die Lauf­ zeit der Rahmenvereinbarung nach den Vorgaben der VKR vier Jahre nicht überschreiten darf. Ausgenommen sind Sonderfälle, in denen dies aufgrund des Gegenstandes der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt werden kann. 859 Eine nach­ trägliche Verlängerung der Laufzeit einer Rahmenvereinbarung ist vergaberecht­ lich unzulässig und als neuer, den vergaberechtlichen Vorschriften unterliegender Vertragsschluss zu werten. 860 d) Beschreibung des Leistungsgegenstandes Eine wesentliche, in der Rahmenvereinbarung festzulegende Bedingung ist auch der Leistungsgegenstand. 861 Die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Leis­ tungsbeschreibung 862 finden auf die Vergabe von Rahmenvereinbarungen diesbe­ züglich Anwendung. 863 Der Auftraggeber muss daher die Leistung so eindeutig und erschöpfend beschreiben, dass alle Bieter die Beschreibung im gleichen Sin­ ne verstehen und die Angebote miteinander verglichen werden können. 864 Den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Leistungsbeschreibung ist immer dann genüge getan, wenn sich die Bieter eine zutreffende Vorstellung von den ge­ forderten Leistungen machen können. 865 Allgemeine Formulierungen, wie „alle Dienstleistungen im Zusammenhang mit ...“ oder „im Bereich von ...“, versto­ 859 Art. 32 Abs. 2 UAbs. 4 VKR; § 4 Abs. 7 VOL / A-EG. Siehe zur Beschränkung der Laufzeit die Ausführungen unten Kapitel 7.C.II.3. 860 Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 25. Die Kon­ stellation entspricht derjenigen einer nachträglichen Änderung durch Parteivereinbarung, siehe hierzu Kapitel 4.B.IV.4. 861 KG, Beschl. v. 19. 04. 2000 – KartVerg 6/00, NZBau 2001, 161 (162); VK Bund, Beschl. v. 19. 06. 2000 – VK 2 – 10/00; Franke / Mertens, in: Franke / Kemper / Zanner / Grünhagen, VOB, § 5b VOB / A, Rn. 3. 862 Vgl. Art. 23 Abs. 3 lit. b VKR; § 8 Abs. 1 VOL / A-EG. 863 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08. 05. 2005 – VII-Verg 40/04, BauRB 2005, 238 f. (Ls.); VK Münster, Beschl. v. 05. 04. 2006 – VK 05/06; VK Bund, Beschl. v. 19. 09. 2001 – VK 1 – 33/01, VergabeR 2002, 72 (74 f.); Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 19; Kapellmann, in: Kapellmann / Messerschmidt, VOB, A § 5b, Rn. 4; Graef, NZBau 2005, 561 (564); Franke, ZfBR 2006, 546 (547); Rosenkötter / Seidler, NZBau 2007, 684 (686). 864 VK Bund, Beschl. v. 19. 09. 2001 – VK 1 – 33/01, VergabeR 2002, 72 (74 f.); Knauff, VergabeR 2006, 24 (29); Kulartz, NZBau 2001, 173 (179); Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 19; Kapellmann, in: Kapellmann / Mes­ serschmidt, VOB, A § 5b, Rn. 4; Haak / Degen, VergabeR 2005, 164 (167). 865 VK Bund, Beschl. v. 19. 09. 2001 – VK 1 – 33/01, VergabeR 2002, 72 (74); VÜA Bund, Beschl. v. 12. 12. 1994 – 1 VÜ 9/94, IBR 1995, 146; Graef, NZBau 2005, 561

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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ßen gegen die Pflicht zur eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung. Gleiches gilt für eine Öffnungsklausel zum Abruf weiterer, nicht näher bestimm­ ter Leistungen. 866 Auf der anderen Seite ist eine vollumfängliche und abschließende Leistungs­ beschreibung nicht erforderlich. Rahmenvereinbarungen wohnt es gerade inne, dass einzelne Vertragselemente, wie beispielsweise der Leistungszeitpunkt oder auch der Leistungsort, zum Zeitpunkt der Ausschreibung noch nicht feststehen. Dies verstößt jedoch nicht gegen die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Leis­ tungsbeschreibung. 867 Denn die Unternehmen müssen sich bei der Ausschrei­ bung von Rahmenvereinbarungen immer auch auf Kalkulationsschwierigkeiten einstellen. 868 Die bei einer Rahmenvereinbarung bestehende Ungewissheit über den genauen Zeitpunkt der Leistungserbringung und damit eventuell einherge­ hender Vorhaltepflichten müssen diese bei der Kalkulation berücksichtigen. Ein Unzumutbarkeit ist aber dann anzunehmen, wenn die Bieter Kostensteigerun­ gen nicht durch einen entsprechenden Wagniszuschlag in der Preiskalkulation berücksichtigen dürfen. 869 3. Laufzeitbeschränkungen Rahmenvereinbarungen sind grundsätzlich geeignet, den Wettbewerb um eine Vielzahl von Einzelaufträgen auszuschalten. Aus diesem Grund sind Rahmen­ vereinbarungen zeitlich zu begrenzen. Die Laufzeit einer Rahmenvereinbarung darf gemäß Art. 32 Abs. 2 UAbs. 4 VKR 870 vier Jahre nicht überschreiten. Aus­ genommen sind Sonderfälle, in denen dies aufgrund des Gegenstands der Rah­ menvereinbarung gerechtfertigt werden kann. 871 Dabei muss die Überschreitung (564). Siehe zur Definition der Begriffe „eindeutig“ und „erschöpfend“ die Ausführungen in Kapitel 6.C.II.1.e.aa.(2). 866 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (700); Knauff, VergabeR 2006, 24 (29); zustimmend Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 130; ähnlich Bischoff, NZBau 2007, 33. 867 VK Bund, Beschl. v. 09. 05. 2007 – VK 1 – 26/07, IBR 2007, 1337. Dort sah der Bieter in der Abrechnung nach Pauschalpreisen eine unzulässige Aufbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses. Die Vergabekammer lehnte dies jedoch ab, da das Risiko kalkulierbar war. Ähnlich VÜA Bund, Beschl. v. 12. 12. 1994 – 1 VÜ 9/94, IBR 1995, 146. In dem Fall der VÜA Bund hatten Lagerhalter erfolglos geltend gemacht, dass ihnen ein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet würde, weil sie die die genaue Lagermenge und Lagerdauer nicht kannten. 868 VK Bund, Beschl. v. 09. 05. 2007 – VK 1 – 26/07, IBR 2007, 1337; Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 22. 869 VK Bund, Beschl. v. 09. 05. 2007 – VK 1 – 26/07, IBR 2007, 1337. Vgl. zum Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse Kapitel 6.C.II.1.e.bb. 870 § 4 Abs. 7 VOL / A-EG. 871 Art. 32 Abs. 2 UAbs. 4 VKR, § 4 Abs. 7 VOL / A-EG.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

der vierjährigen Laufzeit immer vor dem Hintergrund des Wettbewerbsgebots und der unzulässigen Umgehung der vergaberechtlichen Vorschriften gesehen werden. Es darf zu keiner dauerhaften Marktabschottung kommen. 872 Eine Über­ schreitung der vierjährigen Laufzeit ist daher nur aus sachlich gerechtfertigten Gründen möglich. 873 Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn sich die Investitionen oder Entwicklungskosten des Auftragnehmers nur über einen längeren Zeitraum amortisieren. 874 Der bloße Verweis auf eine Branchenüblichkeit oder auf Finan­ zierungsvorteile genügt jedoch nicht zur Begründung einer langen, im konkreten Fall 30-jährigen Vertragslaufzeit. 875 Die Überschreitung der Regelfrist ist entsprechend der Erwägung 11 VKR ord­ nungsgemäß zu begründen. 876 Die Beweislast für das Vorliegen eines besonderen Umstandes trägt aufgrund des Regel-Ausnahme-Prinzips der Auftraggeber. Wird die Frist von vier Jahren nicht überschritten, bedarf es keiner besondere Recht­ fertigung oder Begründung. 877 Dies gilt auch dann, wenn die zulässige Spanne aufgrund des hohen Innovationspotenzials und des damit verbundenen schnellen Preisverfalls, wie zum Beispiel im IT-Bereich, nur ein bis zwei Jahre beträgt. 878 Das normierte Regel-Ausnahme-Prinzip legt in diesem Fall die Darlegung einer unverhältnismäßig langen Vertragslaufzeit den Unternehmen auf. Die Vorgabe einer vierjährigen Regellaufzeit gilt auch für die auf der Grund­ lage der Rahmenvereinbarung erteilten Einzelaufträge. 879 Es macht im Hinblick auf das Wettbewerbsgebot keinen Unterschied, ob eine Marktabschottung durch die Rahmenvereinbarung oder durch den Einzelauftrag erfolgt. Daher gelten die vorgenannten Erwägungen bei der Vergabe des Einzelauftrags entsprechend. Allerdings können aus der Rahmenvereinbarung bis zum Ende der Laufzeit Einzelaufträge abgerufen werden. 880

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Franke, ZfBR 2006, 546 (547). BayObLG, Beschl. v. 17. 02. 2005 – Verg 27/04, NZBau 2005, 595 (597). 874 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 6; Knauff, VergabeR 2006, 24 (30); Gröning, VergabeR 2005, 156 (159); Gabriel, LKV 2007, 262 (263); Eschenbruch, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 99, Rn. 73; Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 148. Mangels Investitionskosten hatte die VK Arnsberg, Beschl. v. 21. 02. 2006 – VK 29/05, NZBau 2006, 332 f., Zweifel an der Erforderlichkeit einer Vertragslaufzeit von 30 Jahren. 875 VK Arnsberg, Beschl. v. 21. 02. 2006 – VK 29/05, NZBau 2006, 332 f. 876 Hieran fehlte es im Fall der VK Arnsberg, Beschl. v. 21. 02. 2006 – VK 29/05, NZBau 2006, 332. 877 VK Bund, Beschl. v. 23. 01. 2009 – VK 3 – 194/08. 878 Franke, ZfBR 2006, 546 (547). 879 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 5.

880 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 5, Fn. 16.

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Kap. 7: Leistungserweiterungen

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4. Missbrauchsverbot und Wettbewerbsgebot Rahmenvereinbarungen dürfen nicht missbräuchlich oder in einer Weise an­ gewendet werden, die den Wettbewerb behindert, beschränkt oder verfälscht. 881 Die ausdrückliche Statuierung eines Missbrauchsverbots für den Abschluss von Rahmenvereinbarungen ist sinnvoll, da diese grundsätzlich geeignet sind, den Wettbewerb um eine Vielzahl von Einzelaufträgen auszuschalten sowie die Ver­ tragspartner über Gebühr und unter Übernahme unzumutbarer Risiken zu binden. Ein extensiver oder missbräuchlicher Abschluss von Rahmenvereinbarungen ist daher zu verhindern. 882 Die VOL / A 2006 statuierte in § 3a Nr. 4 Abs. 2 entsprechend der gemein­ schaftsrechtlichen Vorgabe ein ausdrückliches Missbrauchsverbot von Rahmen­ vereinbarungen. Die ausdrückliche Normierung eines Missbrauchsverbots ist in der Neuregelung der VOL / A 2009 nunmehr jedoch entfallen. Im Hinblick dar­ auf, dass auch eine Gleichstellung der Rahmenvereinbarung mit öffentlichen Aufträgen fehlt und entgegen den Vorgaben der VKR die Anwendung des Ver­ gaberechts auf den Abschluss von Rahmenvereinbarungen nicht vorgeschrieben wurde, ist auch diese „Verschlankungsmaßnahme“ problematisch. Denn man­ gels Anwendbarkeit des Vergaberechts könnte das Missbrauchsverbot auch nicht aus dem Wettbewerbsgebot des § 97 Abs. 1 GWB abgeleitet werden. Wie aber bereits ausgeführt, ist die Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber ge­ meinschaftsrechtswidrig. 883 Die öffentlichen Auftraggeber müssen gemäß Art. 32 Abs. 2 UAbs. 1 VKR für den Abschluss der Rahmenvereinbarungen die Verfah­ rensvorschriften der VKR anwenden in allen Phasen bis zur Zuschlagserteilung der Aufträge, die auf diese Rahmenvereinbarung gestützt sind. Der Abschluss von Rahmenvereinbarung ist zwingend den vergaberechtlichen Vorschriften zu unterstellen. Damit gilt auch das Wettbewerbgebot aus § 97 Abs. 1 GWB. Die­ ses ist im Bereich des Abschlusses von Rahmenvereinbarungen gemeinschafts­ rechtskonform um das Missbrauchsverbot aus Art. 32 Abs. 2 UAbs. 5 VKR zu erweitern. a) Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse Das Missbrauchsverbot verbietet die Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse zulasten der Unternehmen. 884 Eine Übertragung ungewöhnlicher Wagnisse liegt vor, wenn dem Auftragnehmer Risiken aufgebürdet werden, die er nach der in 881

Art. 32 Abs. 2 UAbs. 5 VKR; Art. 14 Abs. 4 SKR. VK Bund, Beschluss v. 29. 01. 2009 – VK 3 – 200/08. 883 Siehe Kap.7.C.II.1. 884 VK Bund, Beschl. v. 29. 07. 2009 – VK 2 – 87/09. Zu den Grundsätzen des Verbots der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse siehe Kapitel 6.C.II.1.e.bb. 882

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

dem jeweiligen Vertragstyp üblicherweise geltenden Wagnisverteilung an sich nicht zu tragen hat. 885 Die Frage, welches Wagnis ungewöhnlich und damit ver­ gaberechtlich unzulässig ist, ist anhand jedes Einzelfalls zu entscheiden. 886 Beim Abschluss von Rahmenvereinbarungen ist deren besondere Charakteristik zu be­ rücksichtigen, nämlich dass die Festlegung einzelner Vertragselemente nicht so konkret erfolgen muss wie bei Einzelauftragsvergaben. 887 Rahmenvereinbarun­ gen sind daher von Natur aus mit gewissen Unwägbarkeiten verbunden. 888 So sind Auftraggeber beispielsweise nicht verpflichtet, das Auftragsvolumen der be­ absichtigten Auftragsvergaben abschließend festzulegen. 889 Aus diesem Grund stellt eine unverbindliche Mengenangabe anders als bei sonstigen Auftragsver­ gaben kein unzumutbares Risiko dar. 890 Vielmehr werden hierauf beruhende Kalkulationsschwierigkeiten als Unsicherheiten eingestuft, mit denen sich die Bieter im Rahmen des Wettbewerbs um die Rahmenvereinbarung auseinander­ setzen müssen. 891 In den Verdingungsunterlagen muss jedoch klargestellt werden, welche konkreten Angaben hinsichtlich der zu erbringenden Leistung preisbe­ einflussend sein können, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt werden. Die Bieter müssen sich auf die Unsicherheiten in ihrer Kalkulation einstellen und eventuelle Risiken zur Grundlage ihrer Preisberechnung machen können. 892 Hohe unternehmerische Risiken können beispielsweise durch die Festlegung von Mindestabnahmemengen, Preisanpassungsklauseln, längeren Vorlaufzeiten etc. ausgeglichen werden. 893 885 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09. 07. 2003 – Verg 26/03; VK Niedersachsen, Beschl. v. 10. 03. 2005 – VgK-4/2005. 886 Zu den Grundsätzen des Verbots der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse kann auf die Ausführung in Kapitel 6.C.II.1.e.bb. verwiesen werden. 887 VÜA Bund, Beschl. v. 12. 12. 1994 – 1 VÜ 9/94, IBR 1995, 146. 888 EuGH, Urteil v. 11. 06. 2009 – Rs. C-300/07 (Oymanns), Rn. 74; GA Mazak, Schlussanträge v. 16. 12. 2008 – Rs. C-300/07; VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 12. 11. 2007 – 1 VK 6/07. 889 Vgl. die Formulierungen in den Begriffsdefinitionen: Art. 1 Abs. 5 VKR bzw. Art. 1 Abs. 4 SKR: „und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge“; hingegen § 4 Abs. 1 Satz 2 VOL / A-EG: „Das in Aussicht genommene Auftragsvolumen ist so genau wie möglich zu ermitteln und bekannt zu geben, braucht aber nicht abschließend festgelegt zu werden“. 890 VK Bund, Beschluss v. 03. 08. 2009 – VK 3 –145/09; VK Bund, Beschl. v. 19. 11. 2008 – VK 1 – 135/08; VK Bund, Beschl. v. 20. 04. 2006 – VK 1 –19/06; VÜA Hessen, Beschl. v. 19. 03. 1997 – VÜA 5/96; v. Baum, in: Müller-Wrede, VOL / A, 1. Aufl., § 5b, Rn. 8. 891 VK Bund, Beschl. v. 15. 11. 2007 – VK 2 -102/07; VÜA Hessen, Beschl. v. 19. 03. 1997 – VÜA 5/96; VÜA Bund, Beschl. v. 12. 12. 2994 – 1 VÜ 9/94, IBR 1995, 146. 892 VK Bund, Beschl. v. 15. 11. 2007 – VK 2 -102/07; VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 12. 11. 2007 – 1 VK 6/07; VÜA Bund, Beschl. v. 12. 12. 2994 – 1 VÜ 9/94, IBR 1995, 146; VÜA Hessen, Beschl. v. 19. 03. 1997 – VÜA 5/96.

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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b) Verbot der Zusammenfassung unterschiedlicher Leistungen Missbräuchlich und damit vergaberechtswidrig ist des Weiteren die Zusam­ menfassung und Aneinanderreihung von inhaltlich verschiedenen und voneinan­ der unabhängigen Leistungen zu dem Zweck, den Preiswettbewerb zu drücken. 894 Die Ausschreibung erfolgt in einem solchen Fall nicht, um auf einen konkreten Bedarf flexibel reagieren zu können, sondern allein, um durch die „Paketaus­ schreibung“ den Angebotspreis zu senken und bei der Einzelauftragsvergabe den strengen Bindungen des Vergaberechts zu entgehen. Rahmenvereinbarungen werden durch eine solche Verfahrensweise sinnentwendet. Kann die Aneinander­ reihung bzw. Zusammenfassung von Einzelleistungen in einer Rahmenvereinba­ rung daher nicht sachlich begründet werden, so ist sie missbräuchlich. 895 c) Verbot der Ausschreibung zu vergabefremden Zwecken Missbräuchlich ist des Weiteren die Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung zu vergabefremden Zwecken. Dies ist immer dann der Fall, wenn die mit der Rahmenvereinbarung zu beschaffenden Leistungen nicht auf einen tatsächlichen Bedarf des Auftraggebers oder auf eine ernsthafte Vergabeabsicht zurückgeführt werden können. 896 So sind insbesondere Ausschreibungen zur bloßen Markter­ kundung missbräuchlich. 897 Die Verfolgung unzulässiger vergabefremder Zwe­ cke liegt auch dann vor, wenn der Wettbewerb lediglich auf die Erstellung eines (Leistungs- oder Preis-) Katalogs zu Vergleichszwecken ausgerichtet ist. 898 Auch in diesen Fällen zielt die Ausschreibung nicht unmittelbar auf die Vergabe eines Auftrags. d) Verbot der Verfälschung des Wettbewerbsergebnisses Eine missbräuchliche Verwendung der Rahmenvereinbarungen liegt auch dar­ in, wenn der öffentliche Auftraggeber aus der Schnittmenge der eingegangenen 893 VK Bund, Beschluss v. 26. 03. 2009 – VK 3 –43/09; VK Bund, Beschluss v. 29. 01. 2009 – VK 3 – 200/08; Graef, NZBau 2005, 561 (566); Rosenkötter / Seidler, NZBau 2007, 684 (687 f.). 894 Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 34 f. 895 Kuß, VOB, A § 5b, Rn. 11; Eschenbruch, in: Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Ver­ gaberecht Kommentar, § 99, Rn. 37; v. Baum, in: Müller-Wrede, VOL / A, 1. Aufl., § 5b, Rn. 22. 896 Zum grundsätzlichen Erfordernis einer ernsthaften Vergabeabsicht Kapitel 6.C.II. 1.a. 897 BayObLG, Beschl. v. 17. 02. 2005 – Verg 27/04, NZBau 2005, 595 (597); Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 116; Franke, ZfBR 2006, 546 (549). 898 KG, Beschl. v. 15. 04. 2004 – 2 Verg 22/03, VergabeR 2004, 762 (765 f.); dem folgend BayObLG, Beschl. v. 17. 02. 2005 – Verg 27/04, NZBau 2005, 595 (597).

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Angebote ein einheitliches Angebot für alle Teilnehmer der Rahmenvereinbarung formuliert, um sich zum Beispiel die Abrechnung zu erleichtern, und dieses den Bietern zur Annahme vorlegt. 899 Eine solche Verfahrensweise widerspricht be­ reits im Ausgangspunkt den Regelungen eines korrekten Verfahrens, da eine Auftragsvergabe im Wettbewerb der Bieter, wie es § 97 Abs. 1 GWB verlangt, nicht stattfindet. 900 Die Bildung einer Schnittmenge verfälscht zudem das Wett­ bewerbsergebnis, da ein solches Angebot von keinem Bieter abgegeben wurde. e) Verbot der Mehrfachvergabe von Rahmenvereinbarungen Auftraggeber dürfen für dieselbe Leistung nicht mehrere Rahmenvereinbarun­ gen mit unterschiedlichen Bedingungen vergeben. 901 Dies folgt aus dem Wettbe­ werbsgrundsatz und dem Gleichbehandlungsgebot. Diese Grundsätze gebieten, die Bedingungen für die Einzelaufträge gleichmäßig für sämtliche Vertragspart­ ner der Rahmenvereinbarung festzulegen. 902 Das gilt auch dann, wenn die Rah­ menvereinbarung mit mehreren Unternehmen abgeschlossen wird. Bezüglich derselben Leistung dürfen nicht mehrere, inhaltlich unterschiedlich ausgestal­ tete Rahmenvereinbarungen abschlossen werden. Der Auftraggeber soll nicht die Bedingungen für die Vergabe der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge je nach Unternehmen und Gutdünken gestalten können. Auf der Grundlage inhaltlich unterschiedlicher Rahmenvereinbarungen erhält er insbe­ sondere keine vergleichbaren Angebote. 5. Die Anzahl der Vertragspartner Der Auftraggeber muss rechtzeitig, das heißt noch vor Ausschreibung der Rahmenvereinbarung, festlegen, ob er diese mit nur einem oder mit mehreren Unternehmen abschließen möchte. 903 Die Entscheidung über die Anzahl der Ver­ tragspartner bestimmt zugleich die Verfahrensweise bei der Vergabe der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge. Diese muss der Auftraggeber bereits in den Ausschreibungsunterlagen festlegen. Darüber hinaus ist es auch für die Bieter von Bedeutung zu wissen, ob sie im Falle der Zuschlagserteilung der einzige Vertragspartner sind oder aber um die Einzelaufträge erneut mit wei­

899 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. 07. 2002 – Verg 28/02, VergabeR 2003, 87 (90); Franke / Mertens, in: Franke / Kemper / Zanner / Grünhagen, VOB, § 5 VOB / A, Rn. 28. 900 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. 07. 2002 – Verg 28/02, VergabeR 2003, 87 (90). 901 Dies ist ausdrücklich in § 4 Abs. 1 Satz 3 VOL / A-EG geregelt, findet jedoch keine entsprechende Vorgabe in der VKR. 902 Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 114. 903 Gröning, VergabeR 2005, 156 (159); Knauff, VergabeR 2006, 24 (31); Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 123.

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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teren Unternehmen konkurrieren müssen. 904 Für den Fall, dass der öffentliche Auftraggeber die Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmen abschließen möchte, müssen mindest drei Unternehmen hieran beteiligt werden, sofern eine ausreichend große Zahl von Unternehmen die Eignungskriterien und eine aus­ reichend große Zahl von zulässigen Angeboten die Zuschlagskriterien erfüllt. 905 Die Beteiligung von mindestens drei Unternehmen soll ein wettbewerbliches Verfahren bei der Vergabe der Einzelaufträge gewährleisten. 906 Die Entscheidung über die Anzahl der an der Rahmenvereinbarung zu be­ teiligenden Unternehmen ist ausschließlich eine Frage der Zweckmäßigkeit, die sich nach den Umständen des Einzelfalles richtet. 907 So wird es beispielswei­ se bei gleichförmigen wiederkehrenden Wartungsarbeiten an einem konkreten Gerät zweckmäßig sein, die Rahmenvereinbarung mit nur einem Unternehmen abzuschließen. Werden hingegen eine Vielzahl von Einzelaufträgen unterschied­ lichen Inhalts und Umfangs unter dem Dach einer Rahmenvereinbarung gefasst, so empfiehlt es sich, mehrere Unternehmen an der Rahmenvereinbarung zu be­ teiligen. Auch bei einer beidseitig unverbindlichen Rahmenvereinbarung liegt es nahe, diese mit mehreren Unternehmen abzuschließen, da das jeweils ange­ sprochene Unternehmen die Auftragsausführung immer auch ablehnen kann. 908 Jedoch kann das Wettbewerbsgebot bei Auftraggebern mit marktbeherrschender Stellung im Sinne des § 19 Abs. 2 und 3 GWB den Abschluss der Rahmen­ vereinbarung mit mehreren Unternehmen bedingen. Würde ein Auftraggeber mit marktbeherrschender Stellung eine Rahmenvereinbarung mit nur einem Un­ ternehmen abschließen, so würden andere Unternehmen zwangsläufig von der Ausführung einer Vielzahl von Einzelaufträgen ausgeschlossen. 909 Dies führt zu einer unzulässigen Beschränkung des Wettbewerbs. Das Missbrauchsverbot reduziert daher das Ermessen von Auftraggebern mit marktbeherrschender Stel­ lung dahingehend, dass sie die Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmen abschließen müssen.

904

Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 123; Dicks, Rahmen­ vereinbarungen, S. 93 (103). 905 Art. 32 Abs. 4 UAbs. 1 VKR; § 4 Abs. 4 VOL / A-EG. Da die Bestimmungen ledig­ lich eine Mindestanzahl von Rahmenvertragspartnern vorgeben, sah es die VK Bund, Beschluss v. 18. 12. 2007 – VK 3 – 139/07, als zulässig an, dass der Auftraggeber die Rahmenvereinbarung mit allen Bietern geschlossen hat. 906 Gröning, VergabeR 2005, 156 (161). 907 Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 5b, Rn. 2. 908 Siehe hierzu Kapitel 7.A.III.3. 909 Dähne / Schelle, Rahmenvereinbarung, Nr. 3.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

6. Ergebnis Die Rahmenvereinbarung ist nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben aus Art. 1 Abs. 5 VKR sowie Art. 32 VKR einem öffentlichen Auftrag gleichgestellt. Auf den Abschluss von Rahmenvereinbarungen finden die Vorschriften und Grundsätze des Vergaberechts Anwendung. Rahmenvereinbarungen legen die wesentlichen Bedingungen für die zukünf­ tigen Aufträge fest. Zu den wesentlichen, in einer Rahmenvereinbarung enthal­ tenen Bedingungen zählt zunächst der in Aussicht genommene Preis. Dieser muss jedoch nicht im Sinne eines Endpreises in der Rahmenvereinbarung fest­ gelegt werden. Es genügt vielmehr die Festlegung der preisbildenden Kriteri­ en und Faktoren. Weiterhin hat der Auftraggeber auch das Auftragsvolumen so genau wie möglich zu beschreiben, ohne dass er sich jedoch verbindlich festlegen muss. Bei der Bedarfsermittlung hat er die ihm obliegende Sorgfalt anzuwenden. Dies führt dazu, dass eine wesentliche Überschreitung des vorab geschätzten Auftragsvolumens um mehr als 10% bis 15 % nicht mehr auf die Rahmenvereinbarung gestützt werden kann. Der Auftraggeber muss zudem in der Rahmenvereinbarung den Zeitraum, in welchem er die Einzelaufträge abruft, festlegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Laufzeit einer Rahmenvereinba­ rung in der Regel vier Jahre nicht überschreiten darf. Nur ausnahmsweise, wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen, darf diese Regellaufzeit auch überschritten werden. Die Regellaufzeit gilt dabei insbesondere auch für die Einzelaufträge. Zudem muss der Auftraggeber den künftigen Leistungsgegenstand eindeutig und erschöpfend beschreiben. In diesem Rahmen sind die Besonderheiten von Rah­ menvereinbarungen zu berücksichtigen, sodass Leistungszeit, Leistungsort oder auch Auftragsvolumen nicht verbindlich vorgegeben werden müssen. Derarti­ ge Unwägbarkeiten wohnen einer Rahmenvereinbarung typischerweise inne und sind von den Bietern hinzunehmen. Auftraggebern ist es des Weiteren untersagt, eine Rahmenvereinbarung miss­ bräuchlich oder in wettbewerbsbeschränkender Weise anzuwenden. Das Miss­ brauchsverbot verbietet insbesondere die Aufbürdung ungewöhnlicher, für eine Rahmenvereinbarung untypischer Risiken, Paketausschreibungen zu dem Zweck, den Angebotspreis zu drücken sowie eine Ausschreibung der Rahmenvereinba­ rung zu vergabefremden Zwecken, insbesondere zur bloßen Markterkundung vor­ zunehmen. Auch eine Verfälschung des Wettbewerbsergebnisses durch die Bil­ dung einer Schnittmenge aus allen Angeboten sowie die Vergabe einer Rahmen­ vereinbarung mit unterschiedlichen Bedingungen fallen unter das Missbrauchsverbot und sind daher unzulässig. Letztlich muss der Auftraggeber in der Rahmenvereinbarung die Anzahl der Unternehmen festlegen, mit denen er die Rahmenvereinbarung abschließen möchte. Entscheidet er sich für mehrere Vertragspartner, müssen mindestens drei an der Rahmenvereinbarung beteiligt werden.

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III. Vergaberechtliche Anforderungen an die Vergabe der Einzelaufträge Die Vorschriften zu den Rahmenvereinbarungen enthalten für die Vergabe der Einzelaufträge konkrete Anforderungen, da Auftragsvergaben auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen nicht zu einer Umgehung des Vergaberechts führen dürfen. 1. Grundsätze zur Vergabe der Einzelaufträge Die Vergabe von Einzelaufträgen, die auf einer Rahmenvereinbarung beru­ hen, wird durch das Vergaberecht privilegiert. Einzelaufträge können demnach grundsätzlich ohne förmliches Vergabeverfahren nach den Bedingungen der Rah­ menvereinbarung direkt an das oder eines der beteiligten Unternehmen vergeben werden. Die vergaberechtlichen Vorschriften enthalten zudem ein spezielles Ver­ fahren zur Vergabe der Einzelaufträge. Insoweit sind grundlegende Anforderun­ gen zu beachten, die eine unzulässige Umgehung des Vergaberechts verhindern sollen. a) Die Rahmenvereinbarung als Grundlage der Auftragsvergabe Die Privilegierung der Vergabe der Einzelaufträge greift nur, soweit die Rah­ menvereinbarung Gegenstand eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens war und der konkrete Einzelauftrag den festgelegten Bedingungen der Rahmenver­ einbarung entspricht. Nur unter diesen Voraussetzungen kann die Rahmenverein­ barung die Grundlage der Auftragsvergabe bilden. 910 Diese muss den konkret zu vergebenen Einzelauftrag zunächst inhaltlich erfassen. 911 Gegebenenfalls muss die inhaltliche Reichweite der Rahmenvereinbarung durch Auslegung ermittelt werden. Die Einzelaufträge können zudem nur innerhalb des festgelegten Zeit­ raums abgerufen werden. Ist die Rahmenvereinbarung zeitlich abgelaufen, kann sie ebenfalls nicht mehr Grundlage einer Auftragsvergabe sein. Werden die vorgenannten Anforderungen nicht erfüllt, dann stellt sich die Vergabe der Ein­ zelaufträge als eigenständiger vergaberechtlich relevanter Vorgang dar, der den Vorschriften des Vergaberechts zu unterstellen ist.

910 Saarländisches OLG, Urt. v. 21. 03. 2006 – 4 U 51/05 –79, NZBau 2006, 462 (463 f.); KG, Beschl. v. 19. 04. 2000 – KartVerg 6/00, NZBau 2001, 161 (162); VK Bund, Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 – 35/03. 911 Saarländisches OLG, Urt. v. 21. 03. 2006 – 4 U 51/05 –79, NZBau 2006, 462 (463 f.); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (700); VK Bund, Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 – 35/03.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

b) Auftragsvergabe an die Vertragspartner der Rahmenvereinbarung Die Privilegierung der Vergabe der Einzelaufträge greift zudem nur zwi­ schen den von Anbeginn an der Rahmenvereinbarung beteiligten Auftraggebern und Unternehmen. 912 Allein in diesem Vertragsverhältnis gelten die privilegie­ renden Verfahrensvorschriften. 913 Von Anbeginn an der Rahmenvereinbarung beteiligt gelten nur solche Unternehmen, die bereits an dem Vergabeverfahren zum Abschluss der Rahmenvereinbarung teilgenommen und den Zuschlag hier­ auf erhalten haben. Wechselt während der Laufzeit der Rahmenvereinbarungen der Auftragnehmer, etwa durch Vertragsübernahme, Umstrukturierungsmaßnah­ men 914 oder Insolvenz, so muss nach den Grundsätzen einer vergaberechtlich relevanten Vertragsänderung geprüft werden, ob die Rahmenvereinbarung neu auszuschreiben ist oder aber mit dem geänderten Vertragspartner fortgesetzt werden kann. 915 Eine Einbindung von Unternehmen nach Abschluss der Rah­ menvereinbarung bedeutet eine Umgehung des Wettbewerbsgebots. Auch nachträgliche Änderungen in der Person des Auftraggebers sind unzu­ lässig. Aus der Rahmenvereinbarung dürfen nur diejenigen Auftraggeber Leis­ tungen abrufen, die den Vertrag mit den Unternehmen abgeschlossen haben. 916 Diese müssen bereits in der Bekanntmachung klar angegeben werden, entweder durch ausdrückliche Bezeichnung oder mittels eines Verweises auf die Verdin­ gungsunterlagen oder einem einzusehenden (Auftraggeber-)Verzeichnis. 917 Teil­ weise wird auch eine Öffnungsklausel in der Rahmenvereinbarung für andere Auftraggeber als ausreichend erachtet. 918 Dies kann aber nur dann vergaberecht­ lich zulässig sein, wenn die hinter der Öffnungsklausel stehenden öffentlichen Auftraggeber eindeutig identifizierbar sind. Andernfalls bestünde die Gefahr un­ zulässiger Umgehungen des Vergaberechts. 919 Andere öffentliche Stellen, die nach den vorgenannten Grundsätzen nicht in den Geltungsbereich der Rahmen­ 912

Art. 32 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 2 VKR.

VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 30. 03. 2007 – 1 VK 13/07; Rosenkötter / Seid­ ler, NZBau 2007, 684 (686). 914 So im Falle der VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 30. 03. 2007 – 1 VK 13/07. 915 Es ergibt sich kein Unterschied zur rechtlichen Wertung in Kapitel 4.B.IV.5. 916 Nach der missglückten Formulierung des § 4 Abs. 2 VOL / A-EG dürfen nur solche Auftraggeber Einzelaufträge aus der Rahmenvereinbarung vergeben, die „ihren voraus­ sichtlichen Bedarf für das Vergabeverfahren gemeldet haben“. Unklar bleibt dabei, wann, wo und wem gegenüber die Auftraggeber Meldung erstatten müssen. 917 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 5; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 13. 11. 2002 – 6 Verg 5/2002; Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 125; Arlt, VergabeR 2007, 280 (285). Zur Problematik von Einkaufskooperationen von öffentlichen Auftraggebern Dicks, Rahmenvereinbarungen, S. 93 (97 ff.). 918 Vgl. Graef, NZBau 2005, 561 (567) m.w. N.

919 Ähnlich Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 126.

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Kap. 7: Leistungserweiterungen

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vereinbarung einbezogen wurden, sind nicht berechtigt, Forderungen aus der Rahmenvereinbarung abzuleiten. Denn bei der Rahmenvereinbarung handelt es sich um ein geschlossenes System, zu dem niemand nachträglich Zutritt erhält, weder aufseiten der Käufer noch aufseiten der Lieferanten. 920 c) Verbot grundlegender Änderungen Bei der Vergabe der auf einer Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträ­ ge dürfen gemäß Art. 32 Abs. 2 UAbs. 3 VKR keine grundlegenden Änderungen an den Bedingungen der Rahmenvereinbarung vorgenommen werden. 921 Eine entsprechende Regelung findet sich in der Neufassung des § 4 EG VOL / A nicht. Aber auch diese Mindestvorgabe des Gemeinschaftsrechts muss zwin­ gend Beachtung finden. 922 Denn eine grundlegende nachträgliche Änderung der Bedingungen der Rahmenvereinbarung bedeutet immer auch einen Verstoß ge­ gen den Wettbewerbsgrundsatz und das Gleichbehandlungsgebot. 923 Der Auftrag war in seiner geänderten Form zu keinem Zeitpunkt dem Wettbewerb unterstellt. Andere Bieter hatten somit nicht die Chance, sich um die zu den geänderten Bedingungen bestehende Rahmenvereinbarung zu bewerben. Änderungen liegen immer dann vor, wenn nachträglich bestimmte Teilbereiche aus der Rahmenvereinbarung herausgenommen oder auch zusätzliche Leistungs­ bereiche der Rahmenvereinbarung hinzugefügt werden. 924 Allerdings sind nicht sämtliche Änderungen verboten, sondern nur solche, die grundlegend sind. 925 Daher ist zu klären, wann eine Änderung der Bedingungen als grundlegend einzustufen ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Auftraggeber einerseits die Bedingungen der Rahmenvereinbarung nicht abschließend festlegen muss, sondern die Angebote vor Vergabe des Einzelauftrages konkretisiert und ergänzt werden dürfen. Andererseits kann eine nachträgliche Änderung der Bedingungen immer auch einen Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz und das Gleichbe­ handlungsgebot bedeuten. 926 Daher ist es geboten, eine Umgehung des Verga­ berechts durch nachträgliche Änderungen zu vermeiden. Insoweit entspricht die Rechtslage derjenigen, wie sie nach Abschluss des Vertrages erfolgten Ände­ 920

So explizit Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 5. Saarländisches OLG, Urt. v. 21. 03. 2006 – 4 U 51/05 –79, NZBau 2006, 462 (463 f.). 922 Siehe hierzu bereits Kapitel 7.C.II.1. 923 Saarländisches OLG, Urteil v. 21. 03. 2006 – 4 U 51/05 –79, NZBau 2006, 462 (463 f.); so auch Mader, EuZW 2004, 425 (426). 924 Gröning, VergabeR 2005, 156 (158), mit Verweis auf den Vertrauensschutz übrigen Marktteilnehmer; a. A. Kuß, VOB, § 5b VOB / A, Rn. 8, der zusätzliche Leistungen als Leistungen i. S.v. § 1 Nr. 4 VOB / B behandeln will. 925 Ebenso Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2743). 926 So auch Mader, EuZW 2004, 425 (426). 921

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

rungen der Leistung durch Parteivereinbarung zugrunde liegt. 927 Dort ist die Leistungsänderung als ein neuer Vergabevorgang zu bewerten, wenn wesentli­ che Änderungen vorgenommen werden, durch die der bisherige Vertragsbestand um völlig neue und bislang nicht übertragene Leistungen erweitert oder das Ver­ tragsverhältnis vollkommen umgestaltet wird oder auch die vertragstypischen Leistungspflichten (essentialia negotii) wesentlich geändert werden. 928 Diese Grundsätze können auf das Verbot grundlegender Änderungen an den Bedingungen der Rahmenvereinbarung übertragen werden, da die Zielrichtungen der Verbote, unzulässige Umgehungen des Vergaberechts zu vermeiden und die Grundsätze des Wettbewerbs und der Gleichbehandlung zu wahren, übereinstim­ men. 929 Wird mithin die Rahmenvereinbarung vollständig umgestaltet, also sind die Bedingungen für die Einzelaufträge vor und nach der Änderung nicht mehr vergleichbar, handelt es sich um neue, vergaberechtlich relevante Leistungen, die im Wettbewerb entsprechend den Anforderungen des Vergaberechts zu vergeben sind. 930 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Vergütungsgrundlagen oder die Vertragslaufzeit geändert werden. 931 Auch die Übertragung in der Leistungs­ beschreibung nicht angelegter Leistungsteile stellt eine grundlegende Änderung der Bedingungen der Rahmenvereinbarung dar. 932 Wird andererseits lediglich der Preis oder der Leistungsgegenstand an veränderte Umstände angepasst oder Leistungszeit, -ort oder -umfang konkretisiert, ohne dass sich der Charakter der Rahmenvereinbarung ändert, so fällt dies nicht unter das vergaberechtliche Än­ derungsverbot der Bedingungen der Rahmenvereinbarung. Die Änderung kann in diesen Fällen nicht als grundlegend bezeichnet werden. 933 Eine Auftragsvergabe unter grundlegender Änderung der Bedingungen der Rahmenvereinbarungen stellt einen eigenständigen, vergaberechtlich relevanten

927 Siehe hierzu Kapitel 4. So auch Franke, ZfBR 2006, 546 (551 f.); Dicks, Rahmen­ vereinbarungen, S. 93 (106). 928 Siehe hierzu Kapitel 4.B.IV. OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 (458); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08. 05. 2002 – Verg 08 – 15/01; Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (700 ff.); Beschl. v. 14. 02. 2001 – Verg 13/00, NZBau 2002, 54 (55); Thieme, in: Langen / Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 99, Rn. 13; Marx, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 99 GWB, Rn. 8; Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 1a Rn. 72; Prieß, S. 112; Müller, NZBau 2001, 416 (422). 929 So auch Dicks, Rahmenvereinbarungen, S. 93 (106 f.).

930 Ziekow, VergabeR 2006, 702 (706).

931 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (700 ff.);

Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 129; ähnlich Franke, ZfBR 2006, 546 (550); Haak / Degen, VergabeR 2005, 164 (167). 932 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (700 f.); so auch Franke, ZfBR 2006, 546 (551). 933 I. d. S. auch Franke, ZfBR 2006, 546 (550).

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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Beschaffungsvorgang dar, der grundsätzlich den Vorschriften des Vergaberechts unterliegt. 2. Verfahren zur Vergabe der Einzelaufträge Das konkrete Verfahren zur Vergabe der Einzelaufträge richtet sich danach, ob der öffentliche Auftraggeber die Rahmenvereinbarung mit nur einem oder aber mit mehreren Unternehmen abgeschlossen und ob er die Bedingungen für die Einzelaufträge in der Rahmenvereinbarung bereits abschließend festgelegt hat oder aber diese noch vervollständigt werden müssen. a) Rahmenvereinbarungen mit einem Unternehmen Wird die Rahmenvereinbarung mit nur einem Unternehmen geschlossen, so werden die auf dieser Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge entspre­ chend den vereinbarten Bedingungen der Rahmenvereinbarung vergeben. 934 Wur­ den bereits alle Bedingungen abschließend in der Rahmenvereinbarung festge­ legt, ruft der Auftraggeber die Einzelleistungen direkt bei seinem Vertragspartner ab. Voraussetzung für eine vergaberechtskonforme Auftragsvergabe ist lediglich, dass der Auftrag auf der Rahmenvereinbarung beruht, diese den Auftrag in inhaltlicher, zeitlicher und persönlicher Hinsicht erfasst. Weiterhin dürfen kei­ ne grundlegenden Änderungen an den Bedingungen der Rahmenvereinbarung vorgenommen werden. Der Leistungsabruf führt im Weiteren zu einer Leis­ tungspflicht des Unternehmens, wenn die Rahmenvereinbarung einseitig oder beidseitig verbindlich ausgestaltet wurde. 935 Enthält die Rahmenvereinbarung nicht abschließend sämtliche Bedingungen für die Einzelaufträge, so ist das Angebot zu konkretisieren. In diesem Fall konsultiert der Auftraggeber seinen Vertragspartner vor der Vergabe der Einzel­ aufträge in Textform und fordert ihn auf, das Angebot zu vervollständigen. 936 Eine erneute Durchführung eines Wettbewerbs um die konkretisierte Leistung ist nicht erforderlich. Es entspricht vielmehr der Charakteristik der Rahmen­ vereinbarung, dass bei deren Abschluss noch nicht sämtliche Bedingungen der 934

Vgl. Art. 32 Abs. 3 UAbs. 1 VKR; § 4 Abs. 3 Satz 1 VOL / A-EG. Vgl. Kapitel 7.A.III.1. und 2. A. A. Knauff, VergabeR 2006, 24 (33 f.); Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 133; Kuß, VOB, § 5b VOB / A, Rn. 2, die allein aus der Tatsache, dass die Rahmenvereinbarung mit einem Unternehmen ab­ geschlossen wurde und diese alle Bedingungen für die Einzelaufträge enthält, einen Abschlusszwang konstruieren. Dem steht entgegen, dass eine Rahmenvereinbarung grund­ sätzlich auch unverbindlich ausgestaltet werden kann, der Vertragspartner des öffentlichen Auftraggebers die Erbringung der Leistung also immer auch ablehnen kann, etwa, weil er gerade keine Kapazitäten frei hat. 936 Art. 32 Abs. 3 VKR; § 4 Abs. 3 Satz 2 VOL / A-EG. 935

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

Einzelaufträge abschließend feststehen müssen. Diese können vom Auftraggeber vielmehr vor Abruf der Einzelleistungen ergänzt werden. 937 Die Durchführung eines erneuten Wettbewerbs um die Leistung ist aber dann vergaberechtlich gebo­ ten, wenn durch die Konkretisierung die Bedingungen der Rahmenvereinbarung wesentlich geändert werden. 938 b) Rahmenvereinbarungen mit mehreren Unternehmen Das Verfahren zur Vergabe der Einzelaufträge bei Rahmenvereinbarungen mit mehreren Unternehmen richtet sich ebenfalls danach, ob die Bedingungen für die Auftragsvergabe bereits abschließend festgelegt sind oder aber einer Konkretisierung bedürfen. aa) Abschließende Festlegung der Bedingungen Sind die Bedingungen für die Einzelaufträge hinreichend bestimmt, so erfolgt die Vergabe ohne einen erneuten Aufruf zum Wettbewerb nach den Bedingungen der Rahmenvereinbarung. 939 Diese legt fest, welches Unternehmen für welchen konkreten Einzelauftrag vorgesehen ist bzw. nach welchen Verfahren die Auf­ tragsvergabe erfolgen soll. Der Auftraggeber muss einen Auswahlmechanismus für die Vergabe der Einzelaufträge bereits bei der Vergabe der Rahmenvereinba­ rung festlegen und bekannt machen. 940 Die Auswahl muss dabei nach objektiven, transparenten und diskriminierungsfreien Kriterien erfolgen. 941 Denn die allge­ meinen vergaberechtlichen Grundsätze gelten auch für die zweite Stufe von Rahmenverträgen, nämlich für den Einzelabruf. Der Einzelabruf muss daher transparent, willkürfrei und nicht diskriminierend erfolgen. 942

937 Dies gilt auch bei Rahmenvereinbarungen mit nur einem Unternehmen (a. A. Haak / Degen, VergabeR 2005, 164 (166), die in analoger Anwendung der Bestimmung des Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2 Spstr. 2 VKR den Wettbewerb neu eröffnen wollen. Unklar bleibt jedoch, wer Teilnehmer dieses Wettbewerbs sein soll). 938 Knauff, VergabeR 2006, 24 (33). 939 Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2 Spstr. 1 VKR; § 4 Abs. 5 lit. a VOL / A-EG. 940 VK Bund, Beschluss v. 03. 08. 2009 – VK 3 – 145/09 m.w. N.; VK Bund, Beschluss v. 26. 05. 2009 – VK 2 – 30/09. 941 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 8, Fn. 24; VK Bund, Beschluss v. 26. 05. 2009 – VK 2 – 30/09. 942 Es wäre nicht mit der Intention des Vergaberechts zu vereinbaren, wenn zwar das Verfahren bis zum Abschluss der Rahmenvereinbarung dem Vergaberegime unterstellt würde, dann aber auf der zweiten und wirtschaftlich maßgebenden Stufe des Einzela­ brufs dem Auftraggeber völlig freie Hand gegeben würde (vgl. VK Bund, Beschluss v. 03. 08. 2009 – VK 3 – 145/09 m.w. N.).

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Ist die Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmen über eine Bandbreite unterschiedlicher Einzelleistungen (Fachlose) 943 angelegt, kann das für die Er­ bringung der konkret anstehenden Leistung geeignetste Unternehmen ausgewählt werden. 944 Auch kann der Auftraggeber zunächst das Unternehmen kontaktieren, welches entsprechend den gewichteten Zuschlagskriterien das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat. 945 Lehnt dieses die Auftragsausführung ab, weil ihm beispielsweise die Kapazitäten fehlen, wendet sich der Auftraggeber an das nächstplatzierte Unternehmen usw. 946 Eine gleichmäßige Verteilung der Einzel­ aufträge auf die Unternehmen der Rahmenvereinbarung ist jedoch unzulässig. 947 Eine solche Verfahrensweise ist zum einen nicht objektiv, sondern liegt im in­ dividuellen Ermessen der zuständigen Sachbearbeiter. 948 Weiterhin wird durch eine gleichmäßige Verteilung (z. B. durch ein Rotationsprinzip) das Wettbew­ erbsergebnis verfälscht. Denn die Vergabe der Einzelaufträge erfolgt in diesem Fall ohne Rücksicht auf das wirtschaftlich günstigste Angebot. 949 Zudem wird das Gleichbehandlungsgebot verletzt, da der preisgünstigste Bieter gezwungen ist, die gleiche Leistung bzw. den gleichen Leistungsumfang zu einer wesent­ lich geringeren Vergütung im Vergleich zu anderen an der Rahmenvereinbarung beteiligten Unternehmen zu erbringen. 950 bb) Nichtabschließende Festlegung der Bedingungen Wurden nicht alle Bedingungen in der Rahmenvereinbarung bezüglich der Ein­ zelaufträge festgelegt, 951 so muss der Wettbewerb um die Einzelleistung wieder eröffnet werden. 952 Dieser beschränkt sich jedoch auf die Unternehmen, die an 943 Z. B. Reparatur und Wartung technischer Geräte unterschiedlicher Hersteller (Ko­ pierer, Drucker, Faxgeräte, Telefonanlagen, auch IT-Hard- und Software). 944 VK Bund, Beschl. v. 20. 04. 2006 – VK 1 – 19/06; Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 139; Franke, ZfBR 2006, 546 (548); Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b, Rn. 16; Dicks, Rahmenvereinbarungen, S. 93 (113). 945 VK Bund, Beschl. v. 20. 04. 2006 – VK 1 – 19/06. 946 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 8; Rosenkötter / Seidler, NZBau 2007, 684 (688). Dabei ist die Ablehnung der Leistungserbringung schadensersatzfrei nur dann möglich, wenn das Unternehmen vertraglich hierzu nicht verpflichtet war. 947 VK Berlin, Beschl. v. 10. 02. 2005 – B 2 –74/04; Opitz, NZBau 2003, 183 (193). 948 VK Berlin, Beschl. v. 10. 02. 2005 – B 2 – 74/04; Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 137 f.; Franke, ZfBR 2006, 546 (548). 949 So auch Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 140. 950 VK Berlin, Beschl. v. 10. 02. 2005 – B 2 –74/04. 951 So können die Mengen, Preise oder die Bandbreite der Leistungen zunächst unver­ bindlich bleiben. Im Fall der VK Bund, Beschl. v. 08. 02. 2008 – VK 2 –156/07, wurde der Preis lediglich als Maximalpreis ausgestaltet, so dass im Rahmen des wieder eröffneten Wettbewerbs ein erneuter Preiswettbewerb stattfand. 952 Vgl. Erwägungsgrund 11 VKR: Hierdurch soll insbesondere die Einhaltung der allgemeinen Grundsätze, insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung, sicherge­

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

der Rahmenvereinbarung beteiligt sind (sogenannter „Miniwettbewerb“). 953 Das Verfahren zur Vergabe der Einzelaufträge bei Wiedereröffnung des Wettbewerbs ist dabei in den vergaberechtlichen Vorschriften konkret geregelt. 954 (1) Konsultation der Unternehmen Der Auftraggeber hat zunächst die Unternehmen der Rahmenvereinbarung schriftlich zu konsultieren, die in der Lage sind, den Auftrag auszuführen. 955 Dem öffentlichen Auftraggeber wird mithin ein Beurteilungsspielraum zuge­ standen, welche Unternehmen er zur Erbringung der Leistung des konkret an­ stehenden Einzelauftrags als geeignet einstuft. 956 Er darf den Wettbewerb um den Einzelauftrag auf diese Unternehmen beschränken. 957 Dies ist vor allem bei Rahmenvereinbarungen sinnvoll, welche eine Bandbreite unterschiedlicher Leistungen erfassen, die nicht von sämtlichen Vertragspartnern der Rahmen­ vereinbarung erbracht werden können. 958 Die Entscheidung hat der öffentliche Auftraggeber anhand der vergaberechtlichen Bestimmungen und Grundsätze, insbesondere unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebots, zu treffen. Im Rahmen der schriftlichen Konsultation hat der Auftraggeber die noch offenen bzw. unvollständigen Bedingungen zu präzisieren und die Unternehmen aufzufordern, ihr Angebot zu vervollständigen. Allerdings gilt auch insoweit das

stellt werden. A. A. VK Berlin, Beschl. v. 10. 02. 2005 – B 2 –74/04 (allerdings auf der Grundlage der alten Rechtslage). 953 Erwägungsgrund 11 VKR stellt ausdrücklich klar, dass die Aufträge durch erneute Eröffnung des Wettbewerbs „zwischen den Parteien der Rahmenvereinbarung“ in Bezug auf die nicht festgelegten Bedingungen vergeben werden. 954 Vgl. Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2 Spstr. 2 lit. a bis d VKR; § 4 Abs. 6 lit. a bis d VOL / A­ EG. 955 Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2 Spstr. 2 lit. a VKR. 956 Die Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber weicht von der europarechtli­ chen Vorgabe ab. So haben gemäß § 4 Abs. 6 lit. a VOL / A-EG die Auftraggeber vor der Vergabe jedes Einzelauftrages die Unternehmen in Textform zu konsultieren, ob sie in der Lage sind, den Einzelauftrag auszuführen. Die Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber kann nur dahingehend verstanden werden, dass eine allgemeine Abfrage der Leistungsbereitschaft durch den Auftraggeber erfolgen soll. Nach richtlinienkonformer Auslegung muss es dem Auftraggeber aber auch möglich sein, den Wettbewerb auf die geeigneten Unternehmen einzuschränken. Ein generelles Abfragen der Leistungsbereit­ schaft bei den Unternehmen ist grundsätzlich entbehrlich, da sich diese regelmäßig durch die Rahmenvereinbarung zur Erbringung der Leistung verpflichtet haben (a. A. Rechten, NZBau 2004, 366 (372)). Auch in Fällen einer unverbindlichen Rahmenvereinbarung ist eine solche Abfrage zwar ratsam, aber keineswegs erforderlich, da das Unternehmen die Beauftragung immer auch ablehnen kann. 957 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 9. 958 Gröning, VergabeR 2005, 156 (162).

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Verbot grundlegender Änderungen. Die Konkretisierung darf daher nicht die in der Rahmenvereinbarung festgelegten Bedingungen ändern. 959 (2) Frist zur Angebotsabgabe Für die Abgabe der Angebote ist eine hinreichende Frist vorzusehen, wo­ bei insbesondere die Komplexität des Auftragsgegenstandes und die für die Übermittlung der Angebote erforderliche Zeit zu berücksichtigen sind. 960 Die Vorgabe einer angemessenen Frist zur Abgabe des Angebots dient vor allem der Chancengleichheit der Unternehmen. Auch im Rahmen des privilegierten Ver­ fahrens zur Vergabe der Einzelaufträge sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen. 961 Die Angemessenheit der Frist richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Anhaltspunkte können aber die allgemeinen Regelungen zu den Fristen für die Abgabe von Angeboten bieten. So enthält das Vergaberecht eine Fristenregelung für den Fall, dass der öffentliche Auftraggeber ein Beschaffer­ profil (Vorinformation) veröffentlicht hat. In diesem Fall muss die Angebotsfrist mindestens 22 Kalendertage betragen. 962 Diese Fristenregelung kann auf die Konstellation der Rahmenvereinbarung übertragen werden. 963 Die Unternehmen einer Rahmenvereinbarung können in gewisser Weise als vorinformiert angese­ hen werden. Sie sind bei der Vergabe von Einzelaufträgen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen mit dem Gegenstand der Leistung und den wesent­ lichen Bedingungen bereits weitestgehend vertraut. Schließlich haben sie am Vergabeverfahren zum Abschluss der Rahmenvereinbarung teilgenommen. Je nach Einzelfall kann aber auch eine kürzere oder wesentlich längere Frist ange­ messen sein. Eine Verkürzung der Frist ist beispielsweise bei der Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel möglich. Gleiches gilt, wenn für den Ein­ zelauftrag nur noch ein Element des Angebots, beispielsweise der endgültige Preis, festgelegt werden muss. 964

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Ebenso Dicks, Rahmenvereinbarungen, S. 93 (113 f.); a. A. Haak / Degen, VergabeR 2005, 164 (166). 960 Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2 Spstr. 2 lit. b VKR; § 4 Abs. 6 lit. b VOL / A-EG. 961 Erwägungsgrund 11 VKR weist ausdrücklich auf die Einhaltung der Grundsätze, insbesondere des Gleichheitsgrundsatzes, bei der Wiedereröffnung des Wettbewerbs zur Vergabe der Einzelaufträge hin. 962 Vgl. Art. 38 Abs. 4 VKR; § 12 Abs. 3 lit. a und b VOL / A-EG. 963 A. A. Knauff, VergabeR 2006, 24 (36); Franke, ZfBR 2006, 546 (550), die ange­ lehnt an die Fristen bei besonderer Dringlichkeit 10 Tage für angemessen erachten. 964 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 10.

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

(3) Form der Angebote Die Angebote sind schriftlich einzureichen. 965 Sie können ausweislich der Erwägung 12 VKR insbesondere in Form eines elektronischen Katalogs erfol­ gen. 966 Auch ist es möglich, eine elektronische Auktion durchzuführen. 967 Auf­ grund dieser unterschiedlichen Möglichkeiten haben die Auftraggeber den Unter­ nehmen die gewünschte Form der Angebotsabgabe mitzuteilen. 968 Des Weiteren ist der Inhalt der Angebote bis zum Ablauf der Angebotsfrist geheim zu hal­ ten. 969 Die Abgabe eines Angebots in Kenntnis des Angebots des Konkurrenten verzerrt nicht nur den Wettbewerb, sondern verstößt auch gegen den zwingend zu beachtenden Gleichbehandlungsgrundsatz. (4) Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot Der Zuschlag ist auf der Grundlage der in den Verdingungsunterlagen der Rahmenvereinbarung aufgestellten Zuschlagskriterien auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. 970 Dabei müssen die Zuschlagskriterien nicht mit denjeni­ gen identisch sein, die dem Abschluss der Rahmenvereinbarung zugrunde lagen. Vielmehr können für die Vergabe der Einzelaufträge auch andere objektive Krite­ rien festgelegt werden. 971 Jedoch ist es vergaberechtlich unzulässig, nachträglich, d. h. nach Abschluss der Rahmenvereinbarung, die Zuschlagskriterien für die Einzelaufträge zu ändern oder neu zu bestimmen. 972 Die Auftraggeber müssen daher bereits bei der Erstellung der Ausschreibung darauf achten, dass sie nicht 965

Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2 Spstr. 2 lit. c VKR. Art. 33 VKR. 967 Art. 54 Abs. 2 UAbs. 2 VKR. 968 So § 4 Abs. 6 lit. c VOL / A-EG in Konkretisierung der europarechtlichen Vorgaben. 969 Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2 Spstr. 2 lit. c VKR; § 4 Abs. 6 lit. c VOL / A-EG. 970 Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2 Spstr. 2 lit. d VKR. Die nationale Umsetzung in § 4 Abs. 6 lit. d VOL / A-EG weicht hiervon insofern ab, als die Zuschlagskriterien lediglich in der Rahmenvereinbarung, nicht in den Verdingungsunterlagen der Rahmenvereinbarung, ent­ halten sein müssen. Aus der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe folgt aber zwingend, dass die Zuschlagskriterien für die Einzelaufträge den Bewerbern vor Abgabe des Angebots für die Rahmenvereinbarung bekannt sein müssen. Hierauf haben die Bieter einen An­ spruch. Die Neuregelung im Rahmen der VOL / A ist somit nur dann unproblematisch, wenn den Verdingungsunterlagen zugleich die Rahmenvereinbarung beigefügt wird. 971 So können dem Abschluss der Rahmenvereinbarung bestimmte qualitative Zu­ schlagskriterien wie die Qualität, der technische Wert, Lieferfristen etc. maßgeblich zu­ grunde gelegt werden; die Vergabe des Einzelauftrags richtet sich dann (überwiegend oder allein) nach dem Preis (so Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 10; Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 111; Dicks, Rahmenvereinbarungen, S. 93 (115)). 972 Franke, ZfBR 2006, 546 (550); Korthals, in: Kulartz / Marx / Portz / Prieß, VOL / A, § 3a, Rn. 123. Die Konkretisierungsbedürftigkeit bezieht sich mithin ausschließlich 966

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nur die Zuschlagskriterien für den Abschluss der Rahmenvereinbarung, sondern auch diejenigen zur Vergabe der Einzelaufträge einschließlich deren Gewichtung bestimmen müssen. 973 Das vorangehend dargestellte Verfahren zur Vergabe der Einzelaufträge ist bei jeder anstehenden Auftragsvergabe, in der die Bedingungen nicht abschließend festgelegt wurden, erneut durchzuführen. 3. Ergebnis Die Vorschriften zu den Rahmenvereinbarungen enthalten für das Verfah­ ren zur Vergabe der Einzelaufträge konkrete Anforderungen. Die Vergabe von Einzelaufträgen, die auf einer Rahmenvereinbarung beruhen, wird durch das Vergaberecht privilegiert, da diese grundsätzlich ohne ein förmliches Verfahren direkt an den Vertragspartner vergeben werden können. Die Privilegierung der Vergabe der Einzelaufträge greift jedoch nur, soweit die Rahmenvereinbarung Gegenstand eines vergaberechtlich geregelten Verfah­ rens war und den konkret zur Vergabe anstehenden Einzelauftrag inhaltlich und zeitlich erfasst. Die Einzelauftragsvergabe wird auch nur dann privilegiert, wenn sie zwischen den an der Rahmenvereinbarung von Anfang an beteiligten Ver­ tragspartnern erfolgt. Weiterhin ist es ausdrücklich untersagt, nachträglich, d. h. nach Abschluss der Rahmenvereinbarung grundlegende Änderungen an dieser vorzunehmen. Die Änderung ist immer dann grundlegend, wenn die Rahmenvereinbarung derart umgestaltet wird, dass die Bedingungen für die Einzelaufträge vor und nach der Änderung nicht mehr vergleichbar sind. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Vergütungsgrundlagen oder die Vertragslaufzeit geändert wurden. Auch die Übertragung neuer Leistungsteile stellt eine grundlegende Änderung der Bedin­ gungen der Rahmenvereinbarung dar. Das konkrete Verfahren zur Vergabe der Einzelaufträge ist in den Vergabe­ vorschriften geregelt. Dieses ist weitgehend privilegiert. Einzelaufträge können demnach grundsätzlich ohne förmliches Vergabeverfahren nach den Bedingun­ gen der Rahmenvereinbarung direkt an das oder eines der beteiligten Unter­ nehmen vergeben werden. Nur soweit dort die Bedingungen nicht abschließend festgelegt sind, müssen die Angebote konkretisiert werden. Bei einer Rahmen­ vereinbarung mit mehreren Unternehmen erfolgt dies durch Wiedereröffnung des Wettbewerbs. Dieser beschränkt sich allerdings auf die Vertragspartner der auf die Bedingungen der Rahmenvereinbarung für die Einzelaufträge, nicht aber auf die Bedingungen für die Vergabe der Einzelaufträge, also auf die Zuschlagskriterien. Diese müssen stets unverändert bleiben. 973 Kommission, Dok. CC/2005/03, S. 7.

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Rahmenvereinbarung. Der Auftraggeber kann den Wettbewerberkreis weiterhin auf die konkret geeigneten Unternehmen einschränken. Der Einzelauftrag wird an das Unternehmen vergeben, welches im wiedereröffneten Wettbewerb das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat. IV. Besonderheiten im Sektorenbereich Die Besonderheit des Abschlusses von Rahmenvereinbarungen im Bereich der Sektoren besteht, wie eingangs dargestellt, in dem Wahlrecht der Sektoren­ auftraggeber. Diese können wählen, ob sie entweder die Rahmenvereinbarung oder aber die Einzelaufträge in einem wettbewerblichen Verfahren vergeben. 974 Sie sind nicht verpflichtet, den Wettbewerb zwingend auf der ersten Stufe bei der Vergabe der Rahmenvereinbarung durchzuführen. Der Sektorenauftraggeber kann jedoch nicht frei darüber disponieren, ob er überhaupt einen vergaberecht­ lichen Wettbewerb durchführt, sondern nur, auf welcher Stufe dieses geschehen soll. In jedem Fall muss entweder auf der ersten Stufe oder aber auf der zweiten Verfahrensstufe ein vergaberechtliches Verfahren stattgefunden haben. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die vergaberechtlichen Bestimmungen nicht durch den Abschluss von Rahmenvereinbarungen umgangen werden sollen. 975 1. Vergaberechtlicher Wettbewerb um die Rahmenvereinbarung Ist eine Rahmenvereinbarung von einem Sektorenauftraggeber nach Durchfüh­ rung eines offenen Verfahrens, nichtoffenen Verfahrens oder Verhandlungsver­ fahrens mit vorheriger Bekanntmachung abgeschlossen worden, 976 so können die hierauf beruhenden Einzelaufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb direkt an den oder die Unternehmen der Rahmenver­ einbarung vergeben werden. 977 Der Abschluss der Rahmenvereinbarung nach Durchführung eines vergaberechtlichen Verfahrens führt somit zu einer Privile­ gierung bei der Vergabe der Einzelaufträge. Im Unterschied zur Einzelauftragsvergabe im klassischen Bereich muss der Sektorenauftraggeber den Wettbewerb nicht neu eröffnen, wenn er die Rahmen­ vereinbarung mit mehreren Unternehmen abgeschlossen und nicht sämtliche Bedingungen abschließend festgelegt hat. Die Vergabe der Einzelaufträge er­ 974

Art. 14 Abs. 1 SKR; § 9 Abs. 2 SektVO. Prieß, S. 114 f. 976 Der Sektorenauftraggeber kann frei wählen, welche der genannten Verfahrensarten er dem Abschluss der Rahmenvereinbarung zugrunde legt. Eine Hierarchie der Verfah­ rensarten existiert im Sektorenbereich nicht (vgl. Art. 40 Abs. 2 SKR; § 6 Abs. 1 SektVO. 977 Art. 14 Abs. 2 SKR; § 6 Abs. 2 Nr. 9 SektVO. 975

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folgt aber auch nicht frei von jeglichen rechtlichen Bindungen. Vielmehr gelten die Grundsätze der Gleichbehandlung, des Wettbewerbs und der Transparenz. 978 Das aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz abgeleitete Willkürverbot gebietet es, das für den konkreten Einzelauftrag geeignetste oder wirtschaftlichste Unter­ nehmen mit Durchführung der Leistung zu betrauen. Sind mehrere geeignete Unternehmen vorhanden, so muss der Sektorenauftraggeber mit diesen das Ver­ handlungsverfahren durchführen. Weiterhin müssen die Einzelaufträge auf der Grundlage der Bedingungen der Rahmenvereinbarung vergeben werden. Dies bedeutet, dass die Rahmenver­ einbarung den konkret zur Vergabe anstehenden Einzelauftrag in inhaltlicher, zeitlicher und persönlicher Hinsicht erfassen muss. Andernfalls beruht die Auf­ tragsvergabe nicht auf der Grundlage der Rahmenvereinbarung, sondern stellt einen neuen, eigenständig zu bewertenden Beschaffungsvorgang dar. 2. Vergaberechtlicher Wettbewerb um die Einzelaufträge Entscheidet sich der Sektorenauftraggeber, die Rahmenvereinbarung ohne Durchführung eines vergaberechtlichen Verfahrens abzuschließen, 979 ist er grund­ sätzlich verpflichtet, der Vergabe der Einzelaufträge einen europaweiten Aufruf zum Wettbewerb voranzustellen. 980 Der Verzicht auf den Aufruf zum Wettbewerb vor Abschluss der Rahmenvereinbarung führt daher zum Verlust der Privilegie­ rung bei der Vergabe der Einzelaufträge. 981 Demnach ist für jeden zu vergebenen Auftrag grundsätzlich ein europaweiter Aufruf zum Wettbewerb durchzuführen. Dies gilt jedoch nur, soweit die entspre­ chenden Schwellenwerte überschritten werden. In diesem Zusammenhang ist umstritten, ob bei der Ermittlung des Schwellenwertes auf den Wert des jeweils zu vergebenen Einzelauftrags 982 oder aber auf den Wert der gesamten Rahmen­ vereinbarung 983 abzustellen ist. Würde bei der Ermittlung des Schwellenwerts 978 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. 07. 2002 – Verg 28/02, VergabeR 2003, 87 (88 f.); VK Bund, Beschl. v. 19. 09. 2001 – VK 1 – 33/01, VergabeR 2002, 72 (75); VK Arnsberg, Beschl. v. 21. 05. 2002 – VK 1 – 7-10/2002; Opitz, NZBau 2003, 183 (193); Knauff, VergabeR 2006, 24 (25). 979 In diesem Fall kann der Sektorenauftraggeber die Unternehmen frei wählen, mit denen er die Rahmenvereinbarung abschließt. Der Abschluss der Rahmenvereinbarung darf aber nicht missbräuchlich sein (Art. 14 Abs. 4 SKR) und muss den allgemeinen Anforderungen einer Rahmenvereinbarung genügen. 980 Art. 14 Abs. 3 SKR. 981 VK Arnsberg, Beschl. v. 21. 05. 2002 – VK1 – 7-10/2002. 982 Kemper, in: Jestaedt / Kemper / Marx / Prieß, Recht der Auftragsvergabe, S. 138 f.; v. Baum, in: Müller-Wrede, VOL / A, 1. Aufl., § 5b, Rn. 17. 983 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. 07. 2002 – Verg 28/02, VergabeR 2003, 87 (88); Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 12; Boesen, Ver­

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auf den Wert der Rahmenvereinbarung abgestellt, so könnte dies dazu führen, dass auch jeder noch so geringwertige Einzelauftrag dem Vergaberecht zu unter­ stellen wäre. Dies stünde im Widerspruch zur Wertung des Gemeinschaftsrechts, dass das Vergaberecht sich erst für Aufträge ab einem bestimmten Auftragswert interessiert. Zudem würde auch die Grundentscheidung des nationalen Gesetzge­ bers umgangen, dass Sektorenauftraggeber unterhalb der Schwellenwerte nicht den Bestimmungen des Vergaberechts unterliegen. Der Sektorenauftraggeber stünde in einem solchen Fall zudem schlechter als er ohne Rahmenvereinbarung bei direkter Vergabe der Einzelaufträge stehen würde. Auf der anderen Seite kann aber auch der Wert des jeweiligen Einzelauftrages nicht entscheidend sein. Die Sektorenauftraggeber könnten die Aufträge in der Absicht aufteilen, den Schwellenwert zu unterschreiten und das Vergaberecht zu umgehen. Eine solche Verfahrensweise untersagt das Vergaberecht jedoch explizit. 984 Der Ermittlung des Schwellenwertes müssen daher die Regelungen zur Schätzung der Auftrags­ werte 985 zugrunde gelegt werden. Es kommt mithin auf die geschätzte Gesamt­ vergütung für die vorgesehene Leistung an. 986 Können die Einzelaufträge daher einer einheitlichen Leistung zugeordnet werden, wird also die Gesamtleistung durch mehrere Teilleistungen (Einzelaufträge) erbracht, müssen die einzelnen Auftragswerte zusammengerechnet werden. 987 Ist nach den vorgenannten Grundsätzen vor der Vergabe des Einzelauftra­ ges ein europaweiter vergaberechtlicher Wettbewerb durchzuführen, so kann Ergebnis des auf der zweiten Stufe durchgeführten Wettbewerbs sein, dass statt des an der Rahmenvereinbarung beteiligten Unternehmens einem anderen der Zuschlag erteilt werden muss, wenn dessen Angebot wirtschaftlicher ist. Die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit dieses Verfahrens ist daher fraglich. 988 Der Sek­ torenauftraggeber gewinnt hierdurch gerade nicht die Flexibilität einer Rahmen­ vereinbarung, da die Privilegierung der Vergabe der Einzelaufträge nicht greift. Er verpasst mithin die Chance, mehrere Einzelaufträge mit der Durchführung nur eines Vergabeverfahrens vergeben zu können. Ist die Auftragsvergabe dem Vertragspartner der Rahmenvereinbarung zudem bindend zugesagt, so verletzt gaberecht, § 99 GWB, Rn. 40; Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 4 SKR, Rn. 4. 984 Art. 17 Abs. 2 SKR; § 2 Abs. 2 SektVO. 985 Art. 17 SKR, § 2 SektVO. So im Ergebnis wohl auch v. Baum, in: Müller-Wrede, VOL / A, 1. Aufl., § 5b, Rn. 21. 986 Vgl. Art. 17 Abs. 1 und 3 SKR; § 2 Abs. 6 Satz 1 SektVO. 987 Das Gegenargument, der Auftraggeber wisse bei Vertragsschluss noch gar nicht, in welchem Umfang er zu beauftragen gedenkt (so v. Baum, in: Müller-Wrede, VOL / A, 1. Aufl., § 5b, Rn. 17), trägt dabei nicht. Der Auftraggeber soll sich bei der Schätzung der Auftragswerte nicht verbindlich auf ein konkretes Auftragsvolumen festlegen, son­ dern lediglich eine Prognose hinsichtlich des geschätzten Höchstwertes aller für diesen Zeitraum geplanten Einzelaufträge anstellen (vgl. Art. 17 Abs. 3 SKR; § 2 Abs. 6 VgV). 988 I. d. S. auch Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 5b, Rn. 8.

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der Sektorenauftraggeber seine vertraglichen Pflichten, wenn er als Ergebnis des Wettbewerbs einem anderen Unternehmen den Zuschlag erteilen muss. 989 Der Sektorenauftraggeber macht sich daher schadensersatzpflichtig, wenn und soweit er die Vereinbarung aus dem Rahmenvertrag nicht einhalten kann. 990 3. Missbrauchsverbot Auch im Sektorenbereich findet sich ein ausdrückliches Missbrauchsverbot von Rahmenvereinbarungen, 991 welches unabhängig davon gilt, in welcher Weise der Sektorenauftraggeber von seinem Wahlrecht Gebrauch macht. 992 Das in der SKR statuierte Missbrauchsverbot entspricht inhaltlich demjenigen der VKR. Demnach dürfen auch im Sektorenbereich Rahmenvereinbarungen nicht dazu missbraucht werden, den Wettbewerb zu behindern, einzuschränken oder zu verfälschen. Die Ausführungen zum Inhalt des Missbrauchsverbots können daher übertragen werden. 993 Dem Sektorenauftraggeber ist es daher beispielsweise versagt, den Unterneh­ men ungewöhnliche Risiken aufzubürden, zu vergabefremden Zwecken auszu­ schreiben, Wettbewerbsergebnisse zu ändern etc. Darüber hinaus finden über das Missbrauchsverbot auch weitere Grundsätze Anwendung, die im Sektoren­ bereich keine ausdrückliche Normierung erfahren haben. Hierzu zählen insbe­ sondere die Beschränkung der Laufzeit von Rahmenvereinbarungen 994 sowie das Verbot von grundlegenden Änderungen der Bedingungen. 995 Hierbei handelt es 989 Vgl. Müller, in: Daub / Eberstein, VOL / A, § 5b, Rn. 8, v. Baum, in: Müller-Wrede, 1. Aufl., VOL / A, SKR § 4, Rn. 5, die hieraus jedoch die Vergaberechtswidrigkeit der Rahmenvereinbarung ableiten wollen. 990 Sterner, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 5b VOB / A, Rn. 32; Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, VOB, A § 5b, Rn. 4; Kuß, VOB, A § 5b, Rn. 7. 991 Vgl. Art. 14 Abs. 4 SKR. § 9 SektVO hat das Missbrauchsverbot nicht übernommen. Dennoch muss es, ebenso wie außerhalb des Sektorenbereichs, auch für Sektorenauftrag­ geber abgeleitet aus dem Wettbewerbsgebot gelten (vgl. hierzu Kapitel 7.C.II.4.). 992 Die unterschiedslose Geltung des Missbrauchsverbots ergibt sich aus dessen syste­ matischer Stellung. Dieses wurde gleichrangig zu den Handlungsalternativen normiert. 993 Hierzu Kapitel 7.C.II.4. 994 Franke / Mertens, in: Franke / Kemper / Zanner / Grünhagen, VOB, § 5b VOB / A, Rn. 8. 995 Das Verbot grundlegender Änderungen gilt auch für Auftragsvergaben im Sekto­ renbereich. Zwar fehlt es dort an einer ausdrücklichen Normierung. Das Verbot grundle­ gender Änderungen folgt jedoch aus dem Missbrauchsverbot. Denn es würde eine unzu­ lässige Umgehung der Verpflichtung zur Auftragsvergabe im Wettbewerb bedeuten, wenn abgeschlossene Rahmenvereinbarungen nachträglich grundlegende Änderungen erfahren dürften. In der Rechtsfolge einer unzulässigen Änderung der Bedingungen ist jedoch das Wahlrecht des Sektorenauftraggebers zu beachten. Dieser muss frei entscheiden können, ob er entweder die Rahmenvereinbarung zu den grundlegend geänderten Bedingungen

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

sich um allgemeine Grundsätze, die in sämtlichen Bereichen der öffentlichen Auftragsvergabe und damit auch im Sektorenbereich Anwendung finden.

D. Ergebnis In diesem Kapitel wurden Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rah­ menvereinbarungen untersucht. Eine Rahmenvereinbarung ermöglicht es dem öffentlichen Auftraggeber, eine Vielzahl von Einzelaufträgen zusammenzufas­ sen, die wesentlichen Bedingungen dieser Aufträge festzulegen und später diese Einzelaufträge – weitestgehend formlos – abzurufen. Die Auftragsvergabe auf der Grundlage einer Rahmenvereinbarung erfolgt in zwei Vergabestufen. Auf der ersten Stufe steht das Vergabeverfahren zum Abschluss der Rahmenvereinbarung, auf der zweiten Stufe die Vergabe der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge. Diese Stufung des Verfahrens ist für öffentliche Auftraggeber außerhalb des Sektorenbereichs zwingend. Im Rahmen der Untersuchung von Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen war da­ her zwischen dem Abschluss der Rahmenvereinbarung und der Beauftragung der Einzelaufträge auf der Grundlage der Rahmenvereinbarung zu unterscheiden. Weiterhin waren die europäischen und nationalen Regelungen zu Rahmenverein­ barungen zu berücksichtigen. I. Die Vergabe der Rahmenvereinbarung wird der Vergabe eines öffentlichen Auftrags gleichgestellt. Die öffentlichen Auftraggeber haben daher die Verfah­ rensvorschriften des Vergaberechts in allen Phasen des Verfahrens bis zur Zu­ schlagserteilung der Einzelaufträge zu befolgen. Inhaltlich muss die Rahmenver­ einbarung die wesentlichen Bedingungen der Aufträge enthalten. Ausweislich der Legaldefinition in Art. 1 Abs. 5 VKR zählen hierzu unter anderem der in Aussicht genommene Preis, die Beschreibung des Leistungsgegenstandes, der Leistungszeitraum und das in Aussicht genommene Auftragsvolumen. Der deut­ sche Gesetzgeber schränkt die Flexibilität der öffentlichen Auftraggeber bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen insoweit ein, als er eine sorgfältige Be­ darfsermittlung und eine Beschreibung des Auftragsvolumens verlangt. Diese Verpflichtung führt dazu, dass Auftragsvergaben, die über das vorab geschätzte Auftragsvolumen hinausgehen, nicht mehr auf die Rahmenvereinbarung gestützt werden können, wenn der Wert eine Bagatellgrenze von 10 % bis maximal 15 % des Gesamtvolumens überschreitet. Die Laufzeit einer Rahmenvereinbarung darf in der Regel nicht mehr als vier Jahre betragen. Ausgenommen sind Sonderfälle, in denen dies aufgrund des Gegenstands der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt werden kann. Des Weiteren dürfen Rahmenvereinbarungen nicht missbräuch­ dem Wettbewerb unterstellt oder aber die Einzelaufträge nach Aufruf zum Wettbewerb vergibt.

Kap. 7: Leistungserweiterungen

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lich oder in einer Weise angewendet werden, die den Wettbewerb behindert, beschränkt oder verfälscht. Das Missbrauchsverbot verbietet dem Auftraggeber insbesondere die Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse zulasten der Unterneh­ men sowie die Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung zu vergabefremden Zwecken. II. Das Verfahren zur Vergabe der Einzelaufträge ist in den Vorschriften zu Rahmenvereinbarungen geregelt. Hiernach vergibt der Auftraggeber in einem privilegierten Verfahren den Auftrag direkt an seinen Vertragspartner nach den Bedingungen der Rahmenvereinbarung. Nur soweit dort die Bedingungen nicht abschließend festgelegt wurden, müssen die Angebote vor Auftragsvergabe kon­ kretisiert werden. Bei einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmen erfolgt dies durch Wiedereröffnung des Wettbewerbs. Dieser beschränkt sich allerdings auf die Vertragspartner der Rahmenvereinbarung. Der Auftraggeber kann den Wettbewerberkreis weiterhin auf die für den konkret anstehenden Ein­ zelauftrag geeigneten Unternehmen einschränken. Der Einzelauftrag ist an das Unternehmen zu vergeben, welches im Rahmen des wiedereröffneten Wettbe­ werbs das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat. III. Bei der späteren Vergabe der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge ist grundsätzlich zu beachten, dass diese nur auf der Grundlage einer vergaberechtlich zustande gekommenen und den Einzelauftrag inhaltlich und zeitlich erfassenden Rahmenvereinbarung vergeben werden können. Die privilegierte Auftragsvergabe ist zudem nur im Verhältnis zwischen den an der Rahmenvereinbarung von Anfang an beteiligten Vertragspartnern möglich. Auch ist es untersagt, nachträglich, d. h. nach Abschluss der Rahmenvereinbarung, Änderungen an den Bedingungen der Rahmenvereinbarung vorzunehmen. Daher gilt auch bei der Vergabe der Einzelaufträge, dass das Vergaberecht nicht durch Vertragsgestaltung umgangen werden kann. IV. Im Sektorenbereich besteht die Besonderheit eines Wahlrechts des Auf­ traggebers. Dieser darf wählen, ob er entweder die Rahmenvereinbarung in einem wettbewerblichen Verfahren vergibt oder aber erst die auf der Rahmen­ vereinbarung beruhenden Einzelaufträge. Letztere Alternative führt jedoch zum Verlust der Privilegierung, da der Sektorenauftraggeber vor Vergabe der Einzel­ aufträge einen vergaberechtlichen Wettbewerb durchführen muss. Im Übrigen ist der Sektorenauftraggeber an die Grundsätze des Vergaberechts gebunden. Insbesondere wurde auch für diesen Bereich ein Missbrauchsverbot statuiert. Aus dem vorangehend dargestellten Untersuchungsergebnis ergibt sich, dass Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen durch Vergabe einer vorab nicht verbindlich festgelegten Anzahl von Einzelaufträgen nur dann als eigenständige, vergaberechtlich relevante Auftragsvergaben anzuse­ hen sind, wenn

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Teil 2: Vergaberechtliche Würdigung der Vertragsänderungen

1. die Vergabe der Rahmenvereinbarung als erste Verfahrensstufe nicht Gegen­ stand eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens war, 2. das vorab ermittelte und durch den öffentlichen Auftraggeber in der Rahmen­ vereinbarung beschriebene Auftragsvolumen der Einzelaufträge um mehr als 15 % überschritten wird, 3. mit der Einzelauftragsvergabe oder mit den Konkretisierungen grundlegende Änderungen der Bedingungen der Rahmenvereinbarung einhergehen, 4. die Rahmenvereinbarung den konkret zur Vergabe anstehenden Einzelauftrag in inhaltlicher, zeitlicher oder persönlicher Hinsicht nicht erfasst, d. h. • der dem Einzelauftrag zugrunde liegende Leistungsgegenstand nicht, auch nicht nach entsprechender Auslegung, in die Leistungsbeschreibung der Rahmenvereinbarung einbezogen wurde, • die Einzelauftragsvergabe außerhalb des in der Rahmenvereinbarung be­ stimmten Zeitraums für den Abruf der Einzelaufträge liegt oder • die Einzelauftragsvergabe nicht zwischen den an der Rahmenvereinbarung von Anfang an beteiligten Vertragspartnern erfolgt. Eine formlose Auftragsvergabe unter Berufung auf die Rahmenvereinbarung ist in diesen Fällen nicht zulässig. Der Auftraggeber ist verpflichtet, vor Auf­ tragsvergabe ein Vergabeverfahren unter Beachtung der Bestimmungen des Ver­ gaberechts durchzuführen. Unterlässt er dies, so ist in der vergaberechtswidrigen Auftragserteilung eine Umgehung des Vergaberechts (sogenannte De-facto-Ver­ gabe) zu sehen.

Teil 3

Rechtsfolgen und Primärrechtsschutz

bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

Wie die vorangehende Untersuchung gezeigt hat, können Vertragsänderungen oder Vertragsverlängerungen durch öffentliche Auftraggeber unter dem Blick­ winkel des Vergaberechts betrachtet den vergaberechtlich relevanten Bereich be­ rühren. In diesen Fällen sind sie als eigenständige Beschaffungsvorgänge des öf­ fentlichen Auftraggebers zu werten und begründen grundsätzlich eine Pflicht zur (Neu-)Ausschreibung. Diese Pflicht wird jedoch – bewusst oder unbewusst – nur selten von öffentlichen Auftraggebern erkannt. Eine Vertragsänderung findet vielmehr regelmäßig im bestehenden Vertragsverhältnis zwischen den Parteien statt. Auch potenzielle Bewerber erfahren in der Regel nicht, dass eine verga­ berechtlich relevante Vertragsänderung und damit ein Vergabeverfahren ohne Ausschreibung der Leistung stattgefunden hat. Daher ist zu untersuchen, welche rechtlichen Folgen eine Vertragsänderung unter Verstoß gegen das Vergaberecht hat (Kapitel 8) und welche vergaberechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten die an dem Auftrag interessierten Unternehmen besitzen, um eine Ausschreibung der Leistung zu erwirken und ihre Chance auf Teilhabe am öffentlichen Auftrag zu sichern (Kapitel 9).

Kapitel 8

Rechtsfolgen vergaberechtswidriger

Vertragsänderungen

Eine unter Verstoß gegen vergaberechtliche Bekanntmachungs- und Verfah­ rensanforderungen erfolgte direkte Beauftragung eines Unternehmens durch einen öffentlichen Auftraggeber wird auch als De-facto-Vergabe bezeichnet. 1 Der Begriff der De-facto-Vergabe beschreibt das Problem, dass trotz Eröff­ nung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts ein Auftrag rechtswidrig ohne

1

Burgi, NZBau 2003, 16 (17 f.); Müller-Wrede / Kaelble, VergabeR 2002, 1.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

Durchführung eines geregelten Vergabeverfahrens vergeben wird. 2 Die De-factoAuftragsvergabe umgeht mithin ein gesamtes Rechtsgebiet. Eine De-facto-Vergabe kann aufgrund unterschiedlicher Sachverhalte ausge­ löst werden. In der Regel werden die Voraussetzungen des Vorliegens eines ausschreibungspflichtigen Vergabevorgangs nicht erkannt, so z. B. wenn sich der Auftraggeber nicht für einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB hält 3 oder irrtümlich vom Vorliegen einer nichtausschreibungspflichtigen In-Hou­ se-Vergabe ausgeht 4 oder auch der Wert der Auftragsvergabe falsch berechnet wurde. 5 Eine De-facto-Vergabe liegt aber auch dann vor, wenn der öffentli­ che Auftraggeber unberechtigt annimmt, er dürfe die Leistung im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses, also ohne Durchführung eines vergaberechtli­ chen Verfahrens beauftragen. 6 Diese Annahme ist jedoch, wie die Untersuchung zeigte, oftmals unberechtigt. Vielmehr kann der Anwendungsbereich des Verga­ berechts bei der Verlängerung oder Änderung bestehender Verträge eröffnet und der Auftraggeber zur Durchführung eines Vergabeverfahrens vor Beauftragung der geänderten Leistung verpflichtet sein. 7 Erfolgt die Vertragsänderung trotz eröffnetem Anwendungsbereich des Vergaberechts im bestehenden Vertragsver­ hältnis und damit ohne Beachtung vergaberechtlicher Vorschriften, so umgeht auch hier der öffentliche Auftraggeber ein ganzes Rechtsgebiet. Unzulässige Ver­ tragsänderungen stellen somit einen Fall einer vergaberechtlich unzulässigen De­ facto-Vergabe dar. Kapitel 8 widmet sich der Fragestellung, welche Rechtsfolgen auf gemeinschaftsrechtlicher (hierzu A.) und nationaler Ebene (hierzu B.) an die Umgehung des Vergaberechts durch vergaberechtswidrige De-facto-Vergaben geknüpft wer­ den.

A. Rechtsfolgen nach Gemeinschaftsrecht Die gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien, insbesondere die Rechtsmit­ telrichtlinien, enthielten lange Zeit keine Bestimmungen zu Verträgen, die unter Verstoß gegen die Pflicht zur europaweiten Bekanntmachung und Durchführung 2 Vgl. zum Begriff der De-facto-Vergabe Burgi, NZBau 2003, 16 (17); Kus, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 97, Rn. 29; Franke, ZfBR 2006, 546 (553); Raabe, NJW 2004, 1284. 3 So im Fall des OLG Hamburg, Beschl. v. 25. 01. 2007 – 1 Verg 5/06, NZBau 2007, 801 ff. 4 Raabe, NJW 2004, 1284. 5 Burgi, NZBau 2003, 16 (17). 6 Diercks, NZBau 2005, 295; Burgi, NZBau 2003, 16 (17). 7 Siehe Kapitel 4 bis 7.

Kap. 8: Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertragsänderungen

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eines Vergabeverfahrens geschlossen wurden. Erst mit der Richtlinie 2007/66/ EG vom 11. 12. 2007 8 (RMR-ÄnderungsRL) wurden nunmehr Bestimmungen eingeführt, die den Bereich von unzulässigen direkten Auftragsvergaben erfas­ sen. Allerdings hatte der EuGH schon vor Bekanntgabe der RMR-ÄnderungsRL in ständiger Rechtsprechung Verstöße gegen die Pflicht zur Durchführung eines Vergabeverfahrens für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt. Auf dieser Grundlage hatte die Kommission das Problem von Auftragsvergaben unter Umgehung des Vergaberechts aufgegriffen und konkrete Vorschläge zur Änderung der Rechts­ mittelrichtlinien vorgelegt. I. Gemeinschaftsrechtswidrigkeit von De-facto-Vergaben Das Gemeinschaftsrecht enthielt noch bis vor kurzem keine Bestimmungen hinsichtlich des rechtlichen Umgangs mit Auftragsvergaben, die unter Umgehung der vergaberechtlichen Bekanntmachungs- und Verfahrensvorschriften erfolgten. Die Rechtsmittelrichtlinie definierte zwar das Ziel des effektiven Rechtsschut­ zes, nämlich die Möglichkeit zur Aufhebung von Vergabeentscheidungen. Die Umsetzung dieses Ziels, insbesondere die Wahl der Mittel, unterlag jedoch dem Umsetzungsspielraum der Mitgliedsstaaten. 9 So gestattete insbesondere Art. 2 Abs. 6 RMR den Mitgliedsstaaten, die Befugnisse der Nachprüfungsinstanzen nach Vertragsschluss auf die Zuerkennung von Schadensersatz zu beschrän­ ken. 10 Ein Durchwirken des Vergaberechts auf den Vertrag war somit nicht vorgeschrieben. 11 Hieraus wurde von einigen Mitgliedsstaaten – insbesondere von der Bundesrepublik Deutschland – abgeleitet, dass das Gemeinschaftsrecht von dem Fortbestand rechtswidriger Verträge ausgehe und einen Bestandsschutz zusichere. 12 Der EuGH betonte jedoch in ständiger Rechtsprechung, dass die Bestimmung des Art. 2 Abs. 6 RMR a. F. nicht dazu führe, dass das Verhalten eines Auftrag­ gebers, der vergaberechtswidrig Verträge abschließt, als gemeinschaftsrechtskon­ form zu bewerten sei. Eine solche Sichtweise würde zu einer Beschränkung der Bestimmungen des Vergaberechts führen und der Schaffung eines gemeinsamen

8 Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 12. 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (ABl. L 335 vom 20. 12. 2007, S. 31 ff.). 9 Müller-Wrede / Kaelble, VergabeR 2002, 1 (7). 10 EuGH, Urt. v. 09. 09. 2004 – Rs. C-125/03 (Lüdinghausen), Rn. 15, NZBau 2004, 563. 11 Müller-Wrede / Kaelble, VergabeR 2002, 1 (6). 12 EuGH, Urt. v. 10. 04. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01 (Kommission / Deutschland), Slg. 2003, I-3609, Rn. 24.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

Binnenmarktes entgegenstehen. 13 Der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dauere vielmehr so lange an, wie die unter Verletzung der Gemeinschaftsbe­ stimmungen über öffentliche Aufträge geschlossenen Verträge weiter fortwirken. Der Rechtsverstoß sei erst mit Ablauf dieser Verträge beendet, wenn mithin alle Wirkungen der vergaberechtswidrigen Auftragsvergabe erschöpft seien. 14 Soweit der EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren die Gemeinschafts­ rechtswidrigkeit der geschlossenen Verträge festgestellt hat, ergibt sich hieraus eine Pflicht des betroffenen Mitgliedsstaats zur Beendigung derselben gemäß Art. 228 Abs. 1 EG. Im Übrigen bleiben die Verträge trotz Gemeinschaftsrechts­ widrigkeit wirksam. Der EuGH hat damit zwar festgestellt, dass die rechtswidrige freihändige Vergabe von Aufträgen einen ganz beträchtlichen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstellt. Die Rechtsmittelrichtlinien erlaubten aber nicht, eine solche rechtswidrige Vergabe zu verhindern oder ihr Folgen wirksam zu korrigieren. Insbesondere sahen die Rechtsmittelrichtlinien keine Nichtigkeitsfol­ ge der unter Umgehung des Vergaberechts zustande gekommenen Verträge vor. Ein effektiver Rechtsschutz gegen gemeinschaftsrechtswidrige De-facto-Verga­ ben fehlte daher lange Zeit. II. Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien Die Kommission hatte unter dem 14. 06. 2006 einen Vorschlag für eine Richtli­ nie zur Änderung der Rechtsmittelrichtlinien zwecks Verbesserung der Wirksam­ keit der Nachprüfungsverfahren im Bereich des öffentlichen Auftragswesens vor­ gelegt. 15 Der Vorschlag der Kommission wurde mit der Richtlinie 2007/66/EG vom 11. 12. 2007 (RMR-ÄnderungsRL) mit einigen Änderungen angenommen. Die Mitgliedsstaaten mussten die Änderungen der RMR bis zum 20. 12. 2009 in nationales Recht transformieren. Ziel der Änderungen war in erster Linie, die rechtswidrige freihändige Vergabe von Aufträgen zu verhindern, d. h. ille­ gale Auftragsvergaben ohne vorherige Bekanntmachung und ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb zu unterbinden. 16 Denn in diesen Fällen haben die 13 EuGH, Urt. v. 09. 09. 2004 – Rs. C-125/03 (Lüdinghausen), Rn. 15, NZBau 2004, 563; Urt. v. 10. 04. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01 (Kommission / Deutschland), Slg. 2003, I-3609, Rn. 36, 38; Bitterich, EWS 2005, 162 (164). 14 EuGH, Urt. v. 18. 07. 2007 – Rs. C-503/04 (Kommission / Deutschland), Slg. 2007, I-0, Rn. 29; Urt. v. 09. 09. 2004 – Rs. C-125/03 (Lüdinghausen), Rn. 12 f., NZBau 2004, 563; Urt. v. 10. 04. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01 (Kommission / Deutschland), Slg. 2003, I-3609, Rn. 36; Bitterich, EWS 2005, 162 (164). 15 KOM(2006) 195 endg. / 2. S. 5: In Bezug auf die rechtswidrige freihändige Vergabe von Aufträgen plane die Mehrzahl der Mitgliedsstaaten gegenwärtig keine spezifischen Nachprüfungsverfahren. Das bedeute, dass potenzielle Bieter auch weiterhin allenfalls Schadenersatz erlangen könnten (so KOM(2006) 195 endg. / 2, S. 5). Aus diesem Grund lehnt die Kommission eine Beibehaltung der geltenden Regelungen ab. 16 KOM(2006) 195 endg. / 2, S. 2; Erwägungsgründe 4 und 13 RMR-ÄnderungsRL.

Kap. 8: Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertragsänderungen

311

Unternehmen de-facto nur die Möglichkeit, ein Verfahren auf Zuerkennung von Schadensersatz anzustrengen. Die Erzwingung eines erneuten, korrekten Aufrufs zum Wettbewerb war auf der Grundlage der RMR bisher nicht möglich. 17 Zur Verbesserung des effektiven Rechtsschutzes sollen nach Art. 2a Abs. 2 UAbs. 1 RMR Informationspflichten und Mindest-Stillhaltefristen zwischen Zu­ schlagsentscheidung und Vertragsschluss eingeführt werden. Der Vertrag darf erst nach Ablauf der Stillhaltefrist geschlossen werden. 18 Verstößt der öffentli­ che Auftraggeber gegen die Pflichten zu Information und Einhaltung der Still­ haltefrist, so kann der daraufhin geschlossene Vertrag gemäß Art. 2d Abs. 1 lit. b RMR durch die Nachprüfungsinstanzen für unwirksam erklärt werden. Im Hinblick auf gemeinschaftsrechtswidrige De-facto-Vergaben sieht die RMR in Art. 2d Abs. 1 lit. a vor, dass der Vertrag durch eine Nachprüfungsstelle für unwirksam erklärt wird, falls der öffentliche Auftraggeber einen Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben hat, ohne dass dies nach der VKR zulässig ist. Die Unwirksamkeit eines De-facto-Vertrages muss allerdings von den Nachprüfungsinstanzen festgestellt werden. Sie gilt nicht kraft Gesetzes. III. Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertragsänderungen Übertragen auf die vorliegende Untersuchung bedeutet dies, dass mit einer Vertragsänderung einhergehende Auftragsvergaben unter Verstoß gegen das Ver­ gaberecht nach den Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien künftig mit dem Ziel der Feststellung der Nichtigkeit angegriffen werden können. Unterlag die Vertragsänderung den vergaberechtlichen Vorschriften und hat der öffentliche Auftraggeber diese unter Verstoß gegen die Bekanntmachungs­ vorschriften direkt mit seinem Vertragspartner vereinbart, so kann die hierin liegende Auftragsvergabe gemäß Art. 2d Abs. 1 lit. a RMR durch die Nachprü­ fungsinstanzen für unwirksam erklärt werden. Allerdings kann nach den Vorga­ ben der RMR das Recht auf Nachprüfung und Geltendmachung der Nichtigkeit dahingehend begrenzt werden, dass die Nachprüfungsinstanzen innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten nach erfolgter Vertragsänderung angerufen werden müssen. Auch müssen die Nachprüfungsinstanzen die Vergabe der geänderten Leistung nicht zwingend für unwirksam erklären. Sie können beispielsweise im Falle einer Verlängerung des Vertrages gewisse zeitliche Wirkungen der Verlän­ gerung bis zum nächsten Kündigungszeitpunkt anerkennen. Aus den geänderten 17

KOM(2006) 195 endg. / 2, S. 2. Die Richtlinien sehen lediglich Mindest-Stillhaltefristen vor. Den Mitgliedsstaaten steht es frei, längere Fristen als diese Mindestfristen zu wählen (vgl. Erwägungsgrund 5 RMR-ÄnderungsRL). 18

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben folgt mithin nur eine relative Nichtigkeit von Vertragsänderungen und Vertragsverlängerungen, die unter Umgehung vergabe­ rechtlicher Vorschriften vorgenommen wurden. Die Mitgliedsstaaten müssen die Vorgaben der RMR-ÄnderungsRL jedoch in nationales Recht transformieren, damit diese Wirkung entfalten. Vor einer Umset­ zung gilt die alte Rechtslage, wonach ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht zwar so lange andauert, wie die unter Verletzung der Gemeinschaftsbestimmun­ gen geschlossenen Verträge weiter fortwirken. Im Übrigen bleiben die Verträge und damit die Vertragsänderungen jedoch trotz Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nach der RMR a. F. weiterhin wirksam.

B. Rechtsfolgen nach nationalem Vergaberecht Im nationalen Vergaberecht existierte lange Zeit keine Bestimmung, welche die Rechtsfolgen oder den Rechtsschutz gegen rechtswidrige De-facto-Auftrags­ vergaben regelte. Die Umsetzung der RMR-ÄnderungsRL zog sich hin. Vor dem Hintergrund fehlender Regelungen zu vergaberechtswidrigen De-facto-Ver­ gaben hatte sich daher im nationalen Vergaberecht ein breiter Meinungsstand entwickelt (hierzu I.). Erst mit der Novellierung des vierten Teils des GWB im Mai 2009 19 nahm der Gesetzgeber die von der RMR-ÄnderungsRL geforderten Anpassungen an den Vergaberechtsschutz vor (hierzu II.). I. Rechtsfolgen für De-facto-Vergaben vor Inkrafttreten des GWB n. F. Die Rechtsfolgen von vergaberechtswidrigen De-facto-Vergaben, die vor In­ krafttreten der GWB-Novelle am 23. 05. 2009 vorgenommen wurden, sind stark umstritten. Denn vor Umsetzung der RMR-ÄnderungsRL in das nationale Recht fehlten Bestimmungen, welche die Rechtsfolgen oder den Rechtsschutz gegen rechtswidrige De-facto-Auftragsvergaben regelten. Daher sind Herleitung und Umfang der Nichtigkeitsfolge von solchen De-facto-Vergaben, die vor Inkrafttre­ ten des GWB n. F. vorgenommen wurden, im Einzelnen umstritten (hierzu 1.). Die Rechtsfolge von Vertragsänderungen unter Umgehung des Vergaberechts bedarf somit einer näheren Untersuchung (hierzu 2.)

19 Bekanntmachung vom 15. 07. 2005 (BGBl. I S. 2114), zuletzt geändert durch Artikel 13 Absatz 21 des Gesetzes vom 25. 05. 2009 (BGBl. I S. 1102). Siehe hierzu Kapitel 3.A.II.1.

Kap. 8: Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertragsänderungen

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1. Streitstand zu den Rechtsfolgen von De-facto-Vergaben vor Inkrafttreten des GWB n. F. a) Herleitung einer Nichtigkeit des Vertragsschlusses Nach herrschender Ansicht in der vergaberechtlichen Literatur und Recht­ sprechung kann eine unter Verstoß gegen die vergaberechtliche Ausschreibungs­ pflicht erfolgte Auftragsvergabe die Nichtigkeit des Vertragsschlusses nach sich ziehen. Als Normen, die die Nichtigkeit des Vertrages begründen können, werden § 13 Satz 6 VgV a. F. – analog oder direkt –, § 134 BGB i.V. m. § 97 Abs. 1 GWB sowie § 138 BGB herangezogen. aa) Nichtigkeitsfolge aus § 13 Satz 6 VgV a. F. § 13 Satz 1 VgV a. F. enthielt die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, die Bieter eines Vergabeverfahrens 14 Tage vor Vertragsschluss über deren Nichtbe­ rücksichtigung zu informieren. Ein Vertrag durfte vor Ablauf dieser Frist oder ohne Erteilung dieser Information nicht geschlossen werden. § 13 Satz 6 VgV a. F. knüpfte an den Verstoß gegen diese Informationspflicht die Nichtigkeit des abgeschlossenen Vertrages. Die Nichtigkeitsvorschrift des § 13 Satz 6 VgV a. F. wird von der höchst- und obergerichtlichen vergaberechtlichen Rechtsprechung sowie der herrschenden Ansicht in der Literatur auf vergaberechtswidrige De-facto-Vergaben übertra­ gen. In dem grundsätzlichen Anliegen der Informationspflicht des § 13 VgV a. F. käme der Grundgedanke effektiven Rechtsschutzes zum Ausdruck, sodass die Regelung bei vergleichbaren Sachverhalten herangezogen werden müsse. 20 Insbesondere sei ein effektiver Rechtsschutz auch außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens zu gewährleisten. 21 Dies soll zumindest dann gelten, wenn die Beschaffungsmaßnahme zu einer Beteiligung mehrerer Unternehmen, zu verschiedenen Angeboten und schließ­ lich zur Auswahl durch den öffentlichen Auftraggeber geführt hat. In diesem 20 Vgl. BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (294); OLG Dresden, Beschl. v. 24. 01. 2008 – WVerg 10/07; OLG Naumburg, Beschl. v. 15. 03. 2007 – 1 Verg 14/06, VergabeR 2007, 512 (514); OLG Celle, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86 (89); OLG München, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (625); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. 02. 2005 – Verg 88/04, NZBau 2005, 535; VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d­ VK-11/2007; Knauff, NZBau 2007, 347 (349). 21 OLG Naumburg, Beschl. v. 15. 03. 2007 – 1 Verg 14/06, VergabeR 2007, 512 (514); OLG Celle, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86 (89) jeweils unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C- 26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 41.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

Fall existieren neben dem in Aussicht genommenen Unternehmen individua­ lisierbare andere Unternehmen. 22 Diese Gegebenheiten könne der öffentliche Auftraggeber wie bei einem geregelten Verfahren zum Anlass einer entspre­ chenden Information über die Absicht der Zuschlagserteilung nutzen. 23 Dabei sei nicht entscheidend, ob der Auftraggeber einem am Auftrag interessierten Unternehmen formell einem Bieter- oder Bewerberstatus eingeräumt hat. 24 Viel­ mehr entstünden für den öffentlichen Auftraggeber die Informationspflichten nach § 13 VgV a. F. bereits dann, wenn in Bezug auf eine konkrete Beschaffung mehrere Angebote eingegangen sind oder mehrere Unternehmen dem Auftragge­ ber gegenüber ein Interesse am Auftrag angezeigt haben. 25 Das Einreichen eines Angebots sei nicht notwendig. Gerade im Rahmen einer De-facto-Vergabe sei­ en die interessierten Unternehmen regelmäßig nicht in der Lage, ein konkretes Angebot abzugeben, da sie den Bedarf des öffentlichen Auftraggebers nicht im Detail kennen. 26 Gegenüber nur potenziellen Interessenten, die keinerlei Kontakt zum Auftrag­ geber hatten, sei § 13 VgV a. F. hingegen nicht anzuwenden. 27 Die Nichtigkeits­ folge des § 13 Satz 6 VgV a. F. sichere keinen allgemeinen Gerechtigkeitsgedan­ ken ab, sondern das entsprechend Art. 2 Abs. 1 RMR a. F. normierte Recht auf Nachprüfung. 28 Die Folge der Nichtigkeit soll daher dann nicht eintreten, wenn 22 BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (294); OLG Ham­ burg, Beschl. v. 25. 01. 2007 – 1 Verg 5/06, NZBau 2007, 801 (804); OLG Celle, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86 (89); OLG München, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (625); VK Bund, Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 – 35/03, IBR 2003, 491. 23 BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (294); OLG Mün­ chen, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (625); OLG Düssel­ dorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149; OLG Celle, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86 (89); OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10. 07. 2007 – 11 Verg 5/07, ZfBR 2008, 88; VK Münster, Beschl. v. 26. 09. 2007 – VK 17/07, NZBau 2007, 736 (Ls.). 24 So ausdrücklich OLG Hamburg, Beschl. v. 25. 01. 2007 – 1 Verg 5/06, NZBau 2007, 801 (804); OLG Naumburg, Beschl. v. 15. 03. 2007 – 1 Verg 14/06, VergabeR 2007, 512 (515); OLG Celle, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86 (89); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. 02. 2005 – Verg 88/04, NZBau 2005, 535; VK Bund, Beschl. v. 12. 12. 2002 – VK 1 – 83/02, NZBau 2003, 406. 25 OLG Hamburg, Beschl. v. 25. 01. 2007 – 1 Verg 5/06, NZBau 2007, 801 (804); OLG Celle, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86 (89); VK Düssel­ dorf, Beschl. v. 12. 03. 2008 – VK-3/2008-B; VK Münster, Beschl. v. 26. 09. 2007 – VK 17/07, NZBau 2007, 736 (Ls.); a. A. Raabe, NJW 2004, 1284 (1287), der die reine Interessenbekundung nicht genügen lässt. 26 OLG Celle, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86 (89). 27 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. 02. 2005 – Verg 88/04, NZBau 2005, 535; OLG Hamburg, Beschl. v. 25. 01. 2007 – 1 Verg 5/06, NZBau 2007, 801 (804); VK Düsseldorf, Beschl. v. 12. 03. 2008 – VK-3/2008-B; Byok, NJW 2006, 2076 (2080). 28 OLG Celle, Beschl. v. 25. 08. 2005 – 13 Verg 8/05, VergabeR 2005, 809 (810).

Kap. 8: Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertragsänderungen

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der öffentliche Auftraggeber nur ein Angebot eines Unternehmens einhole und nur mit diesem über die Auftragsvergabe verhandele. 29 In dem Fall der Beteili­ gung nur eines Unternehmens gäbe es keinen begrenzten Adressatenkreis, den der öffentliche Auftraggeber informieren könnte. Aus diesem Grund scheide eine Bieterinformation, an deren Unterbleiben sich nach der Systematik des § 13 VgV a. F. die Nichtigkeitsfolge knüpft, grundsätzlich aus. 30 Innerhalb der vorgenannten Rechtsansicht besteht keine Einigkeit, ob die Vor­ schrift des § 13 Satz 6 VgV a. F. in unmittelbarer Anwendung oder aber lediglich in analoger Anwendung zur Begründung der Nichtigkeit von De-facto-Verga­ ben herangezogen werden kann. Die unmittelbare Anwendbarkeit des § 13 VgV a. F. auf die Konstellation einer De-facto-Vergabe wird mit dem Schutzbereich der Norm begründet. 31 Wenn schon die Verletzung der bloß verfahrensrechtli­ chen Pflicht zur Vorabinformation die Nichtigkeit nach sich ziehe, so müsse dies erst recht in dem Fall der schwerwiegenderen Pflichtverletzung zur Durchfüh­ rung eines Vergabeverfahrens gelten. 32 Dem stünde nicht der Wortlaut der Norm entgegen. Das Tatbestandsmerkmal des „Bieters“ im Sinne des § 13 VgV a. F. sei bei einer De-facto-Vergabe vielmehr auch dann erfüllt, wenn ein Unternehmen durch ausdrückliche Erklärung gegenüber der Vergabestelle sein Interesse ange­ zeigt habe. 33 Diese Bieter seien in den Schutzbereich des § 13 VgV a. F. einzu­ beziehen. Der Auftraggeber habe den Bieterstatus im weiteren Vergabeverfahren zu beachten. 34 Die Vorschrift des § 13 VgV a. F. sei daher – gegebenenfalls nach richtlinienkonformer Auslegung – unterschiedslos anzuwenden. 35 Die Auffassung der unmittelbaren Anwendung des § 13 VgV a. F. auf De-factoVergaben konnte sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht durchset­ zen. Der BGH sah die Informationspflicht nach § 13 VgV a. F. und die hieran 29

Weise, NJW Spezial 2005, 213; a. A. VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK­ 11/2007; Raabe, NJW 2004, 1284 (1287); Bitterich, NJW 2006, 1845 (1847). 30 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03. 12. 2003 – Verg 37/03, NZBau 2004, 113 (116). 31 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. 02. 2005 – Verg 88/04, NZBau 2005, 535; Beschl. v. 03. 12. 2003 – Verg 37/03, NZBau 2004, 113 (115 f.) (zum Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke); Beschl. v. 30. 04. 2003 – Verg 67/02, NZBau 2003, 400 (405 f.); Thü­ ringer OLG, Beschl. v. 14. 10. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (195); VK Bund, Beschl. v. 12. 12. 2002 – VK 1 – 83/02, NZBau 2003, 406; Knauff, NZBau 2007, 347 (349). Burgi, NZBau 2003, 16 (21); Raabe, NJW 2004, 1284 (1287). 32 Hertwig, NZBau 2001, 242; Byok, NJW 2001, 2301; Prieß, EuZW 2001, 367; Otting, VergabeR 2002, 11 (18); ders. VergabeR 2002, 147; Bär, ZfBR 2001, 375 (379). 33 Thüringer OLG, Beschl. v. 14. 03. 2003 – 6 Verg 5/03, ZfBR 2004, 193 (195); OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 07. 09. 2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 (696). 34 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. 02. 2005 – Verg 88/04, NZBau 2005, 535; VK Bund, Beschl. v. 12. 12. 2002 – VK 1 – 83/02, NZBau 2003, 406; Burgi, NZBau 2003, 16 (21); Dreher, NZBau 2001, 244 (245); Stockmann, NZBau 2003, 591 (595). 35 VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 26. 03. 2002 – 1 VK 7 / 02, NJOZ 2004, 1385 (1389) unter Hinweis auf die Bestimmungen der RMR a. F.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

geknüpfte Nichtigkeitsfolge des § 13 Satz 6 VgV a. F. als Teil eines nach Maßga­ be des GWB a. F. geregelten Vergabeverfahrens. Dies habe zur Folge, dass die Bestimmung nicht unmittelbar anwendbar sei, wenn ein geregeltes Vergabever­ fahren nicht stattgefunden habe. 36 Die Nichtigkeit eines solchen Vertragsschlus­ ses folge aber aus einer gebotenen analogen Anwendung. In dem grundsätzlichen Anliegen der Informationspflicht des § 13 VgV a. F. komme der Grundgedanke effektiven Rechtsschutzes zum Ausdruck, sodass die Reglung bei vergleichba­ ren Sachverhalten herangezogen werden könne. 37 Die bestehende planwidrige Regelungslücke könne durch eine analoge Anwendung ausgefüllt werden. 38 Al­ lerdings folge aus § 13 Satz 6 VgV a. F. keine generelle Nichtigkeit eines verga­ berechtswidrig zustande gekommenen Vertrages. Vielmehr sei eine teleologische Reduktion geboten. Eine Nichtigkeit trete daher in der Regel nur dann ein, wenn ein in seinen Informationsrechten verletzter Bieter die Verletzung geltend macht und ein Nachprüfungsverfahren anträgt. 39 bb) Nichtigkeit gemäß § 134 BGB In einzelnen Teilen der vergaberechtlichen Literatur und Rechtsprechung wird die Nichtigkeitsfolge eines unter Verstoß gegen die Ausschreibungspflicht zu­ stande gekommenen Vertrages aus § 134 BGB i.V. m. § 97 Abs. 1 GWB wegen Verstoßes gegen das Gebot, Aufträge nur im Wege eines Vergabeverfahrens 36

BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (294); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149; OLG München, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (625); VK Bund, Beschl. v. 29. 06. 2005 – VK 3 – 52/05, IBR 2005, 1251; VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d­ VK-11/2007; VK Münster, Beschl. v. 26. 09. 2007 – VK 17/07, NZBau 2007, 736 (Ls.); Dietlein / Spießhofer, VergabeR 2003, 509 (513); Schimanek, ZfBR 2003, 39 (41); Hail­ bronner, NZBau 2002, 474 (479); Dieckmann, NZBau 2001, 481 (482). 37 BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (294); OLG Na­ umburg, Beschl. v. 15. 03. 2007 – 1 Verg 14/06, VergabeR 2007, 512 (514); OLG München, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (625); OLG Düs­ seldorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149; OLG Celle, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86 (89); Hertwig, NZBau 2001, 241 (242). 38 BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (294); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149; OLG München, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (625); VK Münster, Beschl. v. 26. 09. 2007 – VK 17/07, NZBau 2007, 736 (Ls.). 39 BGH, Urt. v. 22. 02. 2005 – KZR 36/03, NZBau 2005, 530 (531) mit dem Hinweis, dass das gefundene Auslegungsergebnis auch nicht allgemeinen zivilrechtlichen Grund­ sätzen widerspreche, da lediglich der materiell-rechtliche Geltungsumfang des Nichtig­ keitstatbestandes nach Sinn und Zweck der Vorschrift eingeschränkt sei, nicht aber die prozessuale Behandlung modifiziert werde. Auch füge sich das Auslegungsergebnis in die Systematik des Zivilrechts ein. Dieses kenne Einschränkungen der Nichtigkeitsfolgen durch das Gebot von Treu und Glauben oder durch Nichtigkeitsgründe, die nur bestimm­ ten Personen gegenüber gelten.

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zu vergeben, hergeleitet. 40 Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, welches ge­ gen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig. § 97 Abs. 1 GWB beinhaltet die Pflicht öffentlicher Auftraggeber, Leistungen nach Maßgabe der Vorschriften des Vergaberechts im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren zu beschaffen. Nach dieser Ansicht soll es unschädlich sein, dass sich ein Ver­ botscharakter nicht direkt aus § 97 Abs. 1 GWB ergibt, denn dieser könne nach Sinn und Zweck der Vorschrift durch Auslegung ermittelt werden. 41 So folge aus der Systematik sowie der gesetz- und verordnungsgeberischen Wertung, dass § 97 Abs. 1 i.V. m. § 101 Abs. 1 GWB a. F. eine Missbilligung der De-facto-Ver­ gabe beinhalte. 42 Denn § 97 Abs. 1 GWB gestatte eine Vergabe außerhalb der Vorschriften des Vergaberechts nur in den gesetzlich geregelten Fällen. Hieraus ließe sich das Verbot folgern, nicht im Wettbewerb zu vergeben, soweit diese Ausnahmen nicht einschlägig seien. 43 Diese Auslegung stimme insbesondere mit den europarechtlichen Vorgaben überein. Auch Art. 1 Abs. 1 RMR a. F. gehe von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Durchführung der Verfahren aus, soweit gesetzlich keine Ausnahmen geregelt seien. 44 Diese Literaturansicht fand bisher nur vereinzelt Anklang in der vergaberechtlichen Rechtsprechung. 45 So führte das Kammergericht Berlin – allerdings in einem obiter dictum – aus, dass die Herleitung der Nichtigkeitsfolge aus § 134 BGB i.V. m. §§ 97 Abs. 1, 101 GWB a. F., § 4 Abs. 1 VgV a. F. dem Wort­ laut dieser Normen nicht entgegenstünde, da die Auslegung nach dem Willen des historischen Gesetzgebers hinter der Wortlautauslegung zurücktreten müs­ se. 46 Dies gelte umso mehr, als in die vorrangig an ihrem objektiven Sinn und Zweck zu orientierende Auslegung die neuere Rechtsprechung des EuGH einzu­ fließen hätte, welche die unter Missachtung des Gemeinschaftsrechts zustande gekommenen Verträge während der gesamten Dauer ihrer Vertragserfüllung als gemeinschaftsrechtswidrig erachte. 47

40 Vgl. ausführlich Müller-Wrede / Kaelble, VergabeR 2002, 1 (7 ff.); Kaiser, NZBau 2005, 311 (312 ff.); Heuvels / Kaiser, NZBau 2001, 479; Byok, NJW 2006, 2076 (2080). 41 Kaiser, NZBau 2005, 311 (313); a. A. Burgi, NZBau 2003, 16 (20): § 97 Abs. 1 GWB beträfe nicht das Rechtsgeschäft als solches, sondern das Verfahren bis zu seinem Abschluss. 42 Müller-Wrede / Kaelble, VergabeR 2002, 1 (8). 43 Kaiser, NZBau 2005, 311 (313). 44 Kaiser, NZBau 2005, 311 (313). 45 KG, Beschl. v. 11. 11. 2004 – 2 Verg 16/04, NZBau 2005, 538 (542); VK Münster, Beschl. v. 26. 09. 2007 – VK 17/07, NZBau 2007, 736 (Ls.); a. A. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03. 12. 2003 – Verg 37/03, NZBau 2004, 113 (114); VK Bund, Beschl. v. 13. 07. 2001 – VK 1 – 19/01, NZBau 2002, 110 (111 f.). 46 KG, Beschl. v. 11. 11. 2004 – 2 Verg 16/04, NZBau 2005, 538 (542 f.). 47 KG, Beschl. v. 11. 11. 2004 – 2 Verg 16/04, NZBau 2005, 538 (542), unter Be­ zugnahme auf EuGH, Urt. v. 10. 04. 2003 – Rs. C-20/01 und C-28/01 (Kommission /

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

cc) Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit des Vertragsschlusses Nach einhelliger Ansicht kann sich die Nichtigkeit eines im Wege der De-factoVergabe zustande gekommenen Vertrages immer auch aus § 138 Abs. 1 BGB we­ gen Verstoßes gegen die guten Sitten ergeben. Der Vertragsschluss ohne Durch­ führung eines Vergabeverfahrens stelle die Umgehung eines gesamten Rechtsge­ bietes dar. Die Sittenwidrigkeit folge daher aus einem schwerwiegenden Geset­ zesverstoß unter Verletzung existenziell wichtiger Belange der Allgemeinheit. 48 Die Schwelle der Sittenwidrigkeit liege jedoch sehr hoch und sei nur in Aus­ nahmefällen überschritten. 49 Insbesondere müsse auch der subjektive Tatbestand vorliegen. 50 Handelt ein Vertragspartner nicht gegenüber seinem Vertragspartner, sondern gegenüber einem Dritten sittenwidrig, sei das Rechtsgeschäft nur dann nichtig, wenn alle am Rechtsgeschäft Beteiligten subjektiv sittenwidrig gehandelt haben. 51 Ein Unternehmen, welches die Sittenwidrigkeit des Vertragsschlusses geltend macht, müsse daher belegen können, dass sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer die subjektive Vorstellung hatten, einen sittenwidrigen Vertrag zu schließen. 52 Das Unterlassen einer Ausschreibung sei vor diesem Hintergrund dann als sittenwidrig zu qualifizieren und führe zur Nichtigkeit des abgeschlossenen Ver­ trages, wenn der öffentliche Auftraggeber in bewusster Missachtung des Verga­ berechts handele, er also entweder weiß, dass der betreffende Auftrag dem Ver­ gaberecht unterliegt oder er sich einer solchen Kenntnis mutwillig verschließt und er überdies kollusiv mit dem Auftragnehmer zusammenwirkt. 53 Von einem öffentlichen Auftraggeber wird dabei allgemein erwartet, dass er um die VergaDeutschland), Slg. 2003, I-3609, Rn. 37 – 39; EuGH, Urt. v. 09. 11. 2003 – Rs. C-125/ 03 (Lüdinghausen), Rn. 15, NZBau 2004, 563. Zustimmend VK Münster, Beschl. v. 26. 09. 2007 – VK 17/07, NZBau 2007, 736 (Ls.). 48 Müller-Wrede / Kaelble, VergabeR 2002, 1 (9). 49 So auch Burgi, NZBau 2003, 16 (20). 50 Müller-Wrede / Kaelble, VergabeR 2002, 1 (9). 51 BGH, Urt. v. 25. 01. 2006 – VIII ZR 398/03, NZBau 2006, 590 (591); OLG Bran­ denburg, Beschl. v. 29. 01. 2002 – Verg W 8/01, NZBau 2002, 625 (626); KG, Beschl. v. 11. 11. 2004 – 2 Verg 16/04, NZBau 2005, 538 (543); VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02. 02. 2005 – VK-SH 01/05, IBR 2005, 281. 52 Müller-Wrede / Kaelble, VergabeR 2002, 1 (9); VK Münster, Beschl. v. 26. 09. 2007 – VK 17/07, NZBau 2007, 736 (Ls.). 53 So explizit OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03. 12. 2003 – Verg 37/03, NZBau 2004, 113 (116); OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06. 02. 2007 – 17 Verg 7/06, ZfBR 2007, 511 (517); Thüringer OLG, Beschl. v. 28. 01. 2004 – 6 Verg 11/03, IBR 2004, 265; KG, Beschl. v. 11. 11. 2004 – 2 Verg 16/04, NZBau 2005, 538 (543); OLG Brandenburg, Beschl. v. 29. 01. 2002 – Verg W 8/01, NZBau 2002, 625 (626); OLG Celle, Beschl. v. 25. 08. 2005 – 13 Verg 8/05, VergabeR 2005, 809 (811); VK Münster, Beschl. v. 26. 09. 2007 – VK 17/07, NZBau 2007, 736 (Ls.).

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bepflichtigkeit der Aufträge weiß. Dieser könne sich insbesondere nicht darauf berufen, die rechtliche Einstufung als vergaberechtliches Verfahren verkannt zu haben. Die richtige rechtliche Einordnung gehöre vielmehr zum allgemei­ nen Risiko, welches jeder zu tragen hat, der am Rechtsleben teilnimmt. 54 Auch der Auftragnehmer müsse in Kenntnis der vergaberechtswidrigen Umstände am Vertragsschluss mitgewirkt haben. Ein kollusives Zusammenwirken wird insbe­ sondere bei Beteiligung eines erfahrenen Unternehmens angenommen, von dem grundsätzlich erwartet werden kann, dass es um die Ausschreibungspflichtigkeit des Auftrags weiß. 55 b) Keine Herleitung einer Nichtigkeitsfolge aus dem Vergaberecht Vereinzelte Stimmen 56 lehnen eine Nichtigkeit eines unter Verstoß gegen die Ausschreibungspflicht zustande gekommenen Vertrages grundsätzlich 57 ab. Ge­ gen eine Nichtigkeit werden vornehmlich Aspekte der Rechtssicherheit, 58 Investi­ tionssicherheit 59 sowie des Vertrauensschutzes angeführt. 60 Weiterhin fehle eine die Nichtigkeit der Verträge anordnende Norm und daher ein entsprechender Wille des Gesetzgebers. 61 Nach dem Willen des Gesetzgebers, welcher in § 115 Abs. 1 GWB a. F. zum Ausdruck käme, löse die Missachtung der Vergaberegeln als solche noch kein Zuschlagsverbot aus, sondern erst die Zustellung eines Nachprüfungsantrags. 62 In diesem Fall gelte das Zuschlagsverbot unabhängig davon, ob das Verfahren zur Auftragsvergabe vergaberechtlich zu beanstanden 54 BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (294); OLG Mün­ chen, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (626). 55 Vgl. KG, Beschl. v. 11. 11. 2004 – 2 Verg 16/04, NZBau 2005, 538 (542); ähn­ lich auf BGH, Urt. v. 25. 01. 2006 – VIII ZR 398/03, NZBau 2006, 590 (592); a. A. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06. 02. 2007 – 17 Verg 7/06, ZfBR 2007, 511 (517), welches trotz mehrfacher Teilnahmen an Ausschreibungen eine subjektive Kenntnis des Auftrag­ nehmers ablehnte. Dies, obwohl sich der Auftragnehmer bei dem Auftraggeber noch erkundigt hatte, ob nicht eine Ausschreibung notwendig sei. 56 Vgl. hierzu ausführlich VK Bund, Beschl. v. 13. 07. 2001 – VK 1 –19/01, NZBau 2002, 110 (111 f.); Hailbronner, NZBau 2002, 474 ff.; Schimanek, ZfBR 2002, 39 ff.; Lindenthal, VergabeR 2003, 630 ff. 57 Eine Nichtigkeit soll nur bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts angenommen werden. 58 Hailbronner, NZBau 2002, 474 (479). 59 Antweiler, DB 2001, 1975 (1979). 60 Lindenthal, VergabeR 2003, 630 (631, 637); Hailbronner, NZBau 2002, 474 (475). 61 Lindenthal, VergabeR 2003, 630 (635 f.). 62 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03. 12. 2003 – Verg 37/03, VergabeR 2004, 216 (219); VK Hamburg, Beschl. v. 27. 04. 2006 – VgK FB 2/06; VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02. 02. 2005 – VK-SH 01/05, IBR 2005, 281; Raabe, NJW 2004, 1284 (1285); Berg­ mann / Grittmann, NVwZ 2004, 946 (948); Bitterich, NJW 2006, 1845 (1846).

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

ist oder nicht. Diese gesetzgeberische Entscheidung sei zu respektieren. 63 Allein die Nichtbeachtung des Vergaberechts führe daher nicht zu einem Verbot der Zuschlagserteilung und zu einer Nichtigkeit des Vertrages. 64 § 13 VgV a. F. finde keinerlei Anwendung – weder direkt noch analog – auf die Konstellation einer De-facto-Vergabe. 65 Dies folge aus dem eindeutigen Wortlaut und dem Ausnahmecharakter der Vorschrift. 66 Insbesondere habe die Rechtsfol­ genanordnung der Nichtigkeit im System des deutschen Vergaberechts Ausnah­ mecharakter. Ausnahmeregelungen würden sich jedoch naturgemäß nicht für eine ihren Anwendungsbereich ausdehnende Interpretation eignen. 67 Darüber hinaus lägen auch die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 13 VgV a. F. nicht vor. Weder bestünde eine vergleichbare Interessenlage noch gäbe es eine planwidrige Regelungslücke. 68 Es gehe auch nicht um eine analoge Anwendung der Nichtigkeitsfolgen auf einen weiteren, vom Gesetzgeber bisher nicht geregelten Fall der Verletzung von Informationspflichten, sondern um die Ausdehnung der Nichtigkeitsfolge auf anders gelagerte Sachverhalte. 69 § 13 VgV a. F. würde damit aber systemwidrig und entgegen dem Willen des Gesetzgebers in eine allgemeine Informationspflicht verwandelt. 70 Der Gesetz­ 63 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03. 12. 2003 – Verg 37/03, VergabeR 2004, 216 (219); VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02. 02. 2005 – VK-SH 01/05, IBR 2005, 281; Raabe, NJW 2004, 1284 (1285); Bergmann / Grittmann, NVwZ 2004, 946 (948). 64 VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02. 02. 2005 – VK-SH 01/05, IBR 2005, 281. 65 Teilweise wurde in Frage gestellt, ob § 13 VgV a. F. mangels wirksamer Ermäch­ tigungsgrundlage im Sinne des Art. 80 Abs. 1 GG überhaupt verfassungskonform sei (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 02. 12. 2003 – Verg W 6/03, NZBau 2004, 169 f.; Hailbronner, NZBau 2002, 474 (478); Antweiler, DB 2001, 1975 (1979)). Jedenfalls würde eine extensive Auslegung der Norm nicht von der Verordnungsermächtigung des § 97 Abs. 6 GWB gedeckt (vgl. Dietlein / Spießhofer, VergabeR 2003, 509 (513, 517)). Die Verfassungskonformität des § 13 VgV a. F. wurde jedoch seitens des BGH, Beschl. v. 09. 02. 2004 – X ZB 44/03, NZBau 2004, 229 (230 ff.), bejaht. 66 Dietlein / Spießhofer, VergabeR 2003, 509 (513), die auch systematische und histori­ sche Erwägungen anführen. So besitze die Vergabeverordnung eine rein verfahrensrecht­ liche Ausrichtung, die eine Ausdehnung der Nichtigkeitssanktion verbiete. Auch vor dem Hintergrund der Historie verbiete sich die Ausdehnung des § 13 VgV a. F., da den die Normgebung veranlassenden Entscheidungen jeweils förmliche Vergabeverfahren zugrun­ de lagen; ebenso VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02. 02. 2005 – VK-SH 01/05, IBR 2005, 281; VK Hamburg, Beschl. v. 27. 04. 2006 – VgK FB 2/06; Lindenthal, VergabeR 2003, 630 (633 f.). 67 KG, Beschl. v. 11. 11. 2004 – 2 Verg 16/04, NZBau 2005, 538 (542); VK SchleswigHolstein, Beschl. v. 02. 02. 2005 – VK-SH 01/05, IBR 2005, 281; Dietlein / Spießhofer, VergabeR 2003, 509 (517). 68 VK Hamburg, Beschl. v. 27. 04. 2006 – VgK FB 2/06; Dietlein / Spießhofer, VergabeR 2003, 509 (516); Hailbronner, NZBau 2002, 474 (479); Antweiler, DB 2001, 1975 (1979 f.); Lindenthal, VergabeR 2003, 630 (633 f.). 69 Hailbronner, NZBau 2002, 474 (480). 70 Dietlein / Spießhofer, VergabeR 2003, 509 (516 f.).

Kap. 8: Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertragsänderungen

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geber habe das Vertrauen der Vertragsparteien auf den Bestand abgeschlossener Verträge jedoch höher bewertet als das Interesse unterlegener Bieter an der Rückabwicklung des Vertrages. 71 Für eine Nichtigkeitsfolge der rechtswidrig, ohne Ausschreibung abgeschlossenen Verträge bedürfe es daher einer klaren Entscheidung des Verordnungs- oder Gesetzgebers. 72 Eine Nichtigkeit könne auch nicht aus der in §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 GWB a. F. normierten Pflicht zur Beachtung der vergaberechtlichen Bestimmungen mit dem Hinweis auf ein gesetzliches Verbot hergeleitet werden. § 97 Abs. 1 GWB sei schon kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB. Denn ein Verbotsgesetz müsse sich gerade gegen die Vornahme des Rechtsgeschäftes als solches richten. Dies ist im Rahmen des § 97 Abs. 1 GWB jedoch nicht der Fall. Dort sei kein Verbotstatbestand, sondern ein Gebot enthalten. 73 Zudem sei zu differenzieren, ob sich das Verbot gegen den Inhalt des Rechtsgeschäfts richtet oder nur gegen die Art und Weise des Zustandekommens, wie es letztlich bei § 97 Abs. 1 GWB der Fall sei. 74 Auch könne nur ein Verbot, welches sich gegen beide Vertrags­ partner richte, die Vertragsnichtigkeit im Sinne des § 134 BGB zur Folge haben. Auch diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. 75 2. Stellungnahme zu den Rechtsfolgen von De-facto-Vergaben vor Inkrafttreten des GWB n. F. Die vorangehend dargestellten Ansichten divergieren sowohl hinsichtlich der Frage der Nichtigkeit von Verträgen, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. unter Umgehung des Vergaberechts zustande gekommen sind, als auch hinsichtlich der Herleitung einer Nichtigkeitsnorm und bedürfen daher einer genaueren Un­ tersuchung. Zunächst ist unstreitig, dass sich die Nichtigkeit eines im Wege der De-fac­ to-Vergabe abgeschlossenen Vertrages aus einer Sittenwidrigkeit des Vertrags­ schlusses ergeben kann. Umgehen beide Vertragspartner bei der Verlängerung oder Änderung ihres Vertrages bewusst und gewollt das Vergaberecht, so liegt hierin ein sittenwidriges kollusives Zusammenwirken der Parteien zum Nachteil Dritter und der Allgemeinheit. Allerdings sind die Anforderungen an die Sitten­ 71

VK Hamburg, Beschl. v. 27. 04. 2006 – VgK FB 2/06; Antweiler, DB 2001, 1975. Hailbronner, NZBau 2002, 474 (479); Dietlein / Spießhofer, VergabeR 2003, 509 (517); a. A. KG, Beschl. v. 11. 11. 2004 – 2 Verg 16/04, NZBau 2005, 538 (542); VK Bund, Beschl. v. 12. 12. 2002 – 1 VK 83/02; Stockmann, NZBau 2003, 591 (595). 73 Burgi, NZBau 2003, 16 (20). 74 Hailbronner, NZBau 2002, 474 (475); Burgi, NZBau 2003, 16 (20); Antweiler, DB 2001, 1975 (1976). 75 Hailbronner, NZBau 2002, 474 (475); Bergmann / Grittmann, NVwZ 2004, 946 (947). 72

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

widrigkeit eines Rechtsgeschäfts sowie an den Nachweis einer solchen sehr hoch. Daher bedarf die Frage, ob die Rechtsfolge der Nichtigkeit auch aus anderen Normen abgeleitet werden kann, einer Entscheidung. Soweit teilweise vertreten wird, dass eine Nichtigkeit des unter Umgehung des Vergaberechts geschlossenen Vertrages nicht hergeleitet werden könne, da der Vertrauensschutz der Vertragspartner höher zu bewerten sei, kann dem nicht gefolgt werden. Zweifelhaft ist bereits, ob ein Vertrauen in einen gemeinschafts­ rechtswidrigen Zustand überhaupt schützenswert ist. 76 Zudem beruft sich der Auftraggeber insoweit auf die Rechtsposition eines Dritten, die in rechtswidriger Weise durch ihn selbst geschaffen wurde. 77 Letztlich ist aber darauf hinzuwei­ sen, dass das Vergaberecht in erster Linie den Wettbewerb schützt. 78 Vertrau­ ensschutzaspekte, die ohnehin fragwürdig sind, haben dahinter zurückzutreten. Sie stehen der Annahme der Nichtigkeit des Vertrages aufgrund der Umgehung eines gesamten Rechtsgebietes daher nicht entgegen. Abzulehnen ist auch die Ansicht, welche die Nichtigkeit des Vertragsschlus­ ses aus § 134 BGB i.V. m. §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 GWB a. F. herleitet. Es fehlt insoweit an einem Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB. Verbotsgesetze sind Vorschriften, die eine rechtsgeschäftliche Regelung wegen ihres Inhalts oder wegen der Umstände ihres Zustandekommens untersagen, wobei sich Verbotsge­ setze gerade gegen die Vornahme des betreffenden Rechtsgeschäfts als solches richten müssen. 79 Die Verpflichtung zur Ausschreibung in § 97 Abs. 1 GWB stellt kein solches Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB dar. 80 § 97 Abs. 1 GWB ent­ hält vielmehr ein Gebot zu einem positiven Tun, welches in einer bestimmten Form der Vertragsanbahnung besteht. Die Bestimmung des § 97 Abs. 1 GWB statuiert Verhaltenspflichten des öffentlichen Auftraggebers, verbietet aber nicht den Vertragsschluss. Selbst wenn hieraus im Umkehrschluss das Verbot, ohne Vergabeverfahren zu beschaffen, abgeleitet würde, so würde sich dieses nicht ge­ gen die Vornahme eines Rechtsgeschäfts als solches richten, wie § 134 BGB dies 76 I. d. S. auch BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (294): Ein vorrangiges Interesse des in Aussicht genommenen Unternehmers sei nicht zu berück­ sichtigen, da es nicht zu den Aufgaben des Vergaberechts gehöre, dass die Beteiligten auf die Wirksamkeit eines Vertragsschlusses über die Beschaffung am Markt vertrauen könnten. Auch aus zivilrechtlicher Sicht stehe jede Einigung unter dem Vorbehalt der Anerkennung der rechtlichen Wirksamkeit. 77 So auch GA Trstenjak, Schlussanträge v. 28. 03. 2007 – Rs. C-503/04 (Kommissi­ on. / Deutschland), Slg. 2007, I-0000, Rn. 74. 78 Stockmann, NZBau 2003, 591 (595). 79 BGH, Beschl. v. 19. 12. 2000 – X ZB 14/00, VergabeR 2001, 71 (75 f.); OLG Karls­ ruhe, Beschl. v. 06. 02. 2007 – 17 Verg 7/06, ZfBR 2007, 511 (517); VK Bund, Beschl. v. 13. 07. 2001 – VK 1 –19/01, NZBau 2002, 110 (111 f.); Hailbronner, NZBau 2002, 474 (475); Burgi, NZBau 2003, 16 (20); Antweiler, DB 2001, 1975 (1976). 80 Burgi, NZBau 2003, 16 (20); Antweiler, DB 2001, 1975 (1976).

Kap. 8: Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertragsänderungen

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verlangt, sondern vielmehr gegen das Verfahren, mit dem der Vertragspartner ausgewählt wird. 81 Auch der Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH vermag kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. 82 Aus den europarechtlichen Vorgaben, die ihre Konkretisierung in der Rechtsprechung des EuGH gefunden haben, lässt sich kein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot ableiten. Der EuGH weist zwar zutreffend daraufhin, dass ein unter Umgehung des Vergaberechts geschlossenes Rechtsgeschäft gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt und dieser Verstoß wäh­ rend der gesamten Dauer der Durchführung des Vertrages fortbesteht. Auch be­ steht eine Pflicht der Mitgliedsstaaten zur Beendigung dieses Zustands. 83 Hieraus folgt aber kein normativer Verbotstatbestand im Sinne des § 134 BGB. Zwar kön­ nen Normen des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts grundsätzlich gesetzliche Verbotstatbestände im Sinne des § 134 BGB begründen. 84 Allein die Feststellung, dass ein Zustand gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt, genügt hierfür jedoch nicht. Die Nichtigkeit einer vergaberechtswidrigen De-facto-Vergabe kann aber aus der Bestimmung des § 13 Satz 6 VgV a. F. hergeleitet werden. Zweck der Vor­ schrift ist die Sicherung effektiven Rechtsschutzes. Streitig ist, ob die Vorschrift des § 13 Satz 6 VgV a. F. direkt oder nur analog auf vergaberechtswidrige De­ facto-Vergaben Anwendung findet. Die unmittelbare Anwendung wird insbeson­ dere mit der Begründung abgelehnt, dass kein geregeltes Vergabeverfahren statt­ gefunden habe. 85 Diese Begründung überzeugt nicht. Der Wortlaut des § 13 VgV a. F. setzt nicht die Einleitung eines förmlichen Vergabeverfahrens voraus. Zwar knüpfen Sinn und Zweck des § 13 VgV a. F. an ein Vergabeverfahren an, in wel­ chem es Bieter gegeben hat, die der öffentliche Auftraggeber informieren kann. Jedoch wird der Begriff des Vergabeverfahrens in ständiger Rechtsprechung, insbesondere im Hinblick auf die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, in einem materiellen Sinne verstanden. 86 Hierfür genügt es, dass überhaupt ein Vergabever­ fahren in Frage steht, an dem ein öffentlicher Auftraggeber und mindestens ein außenstehender Dritter beteiligt sind, um einen entgeltlichen Vertrag zu schlie­ ßen. 87 Die Einleitung eines förmlichen Vergabeverfahrens soll für die Eröffnung vergaberechtlichen Rechtsschutzes gerade nicht erforderlich sein. Vor diesem Hintergrund ist aber nicht einzusehen und es wird auch in keiner Weise begrün­ det, warum im Rahmen des § 13 VgV a. F. ein formelles Begriffsverständnis 81

VK Bund, Beschl. v. 13. 07. 2001 – VK 1 – 19/01, NZBau 2002, 110 (112). So aber KG, Beschl. v. 11. 11. 2004 – 2 Verg 16/04, NZBau 2005, 538 (542). 83 EuGH, Urt. v. 18. 07. 2007 – Rs. C-503/04 (Kommission / Deutschland), Slg. 2007, I-0000, Rn. 29. 84 Vgl. hierzu Armbrüster, in: Münchener Kommentar, BGB, § 134, Rn. 37. 85 BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (294); VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007. 86 Hierzu ausführlich unten Kapitel 9.B.I. 87 BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (291). 82

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

angelegt werden soll. Aus Gründen der Rechtssicherheit und auch zur Gewähr­ leistung eines effektiven Rechtsschutzes muss der Begriff des Vergabeverfahrens vielmehr einheitlich materiell ausgelegt werden. Gerade die Argumentation un­ ter Rückgriff auf „Förmlichkeiten“ ermöglicht öffentlichen Auftraggebern die Umgehung vergaberechtlicher Vorschriften. Der Hinweis auf die fehlende Ein­ leitung eines förmlichen Vergabeverfahrens stellt daher keinen Grund dar, der einer unmittelbaren Anwendung der Norm entgegensteht. Für die vorliegende Untersuchung kann jedoch letztlich offen bleiben, ob die Bestimmung des § 13 Satz 6 VgV a. F. in direkter oder analoger Anwendung auf vergaberechtswidrige De-facto-Vergaben Anwendung findet. Vorliegend kommt es vielmehr darauf an, ob die Nichtigkeitsregelung auch dann anzuwenden ist, wenn der öffentliche Auftraggeber mit nur einem Unternehmen verhandelt hat. Denn im Rahmen von Vertragsänderungen und Vertragsverlängerungen wendet sich der Auftraggeber ausschließlich an seinen Vertragspartner und verhandelt mit diesem über die Modalitäten des Vertrages. Die Differenzierung der derzeit herrschenden Meinung, wonach eine Nich­ tigkeit bei einer De-facto-Vergabe nur dann eintreten soll, wenn mehrere Un­ ternehmen an dem Verfahren beteiligt waren, nicht aber, wenn nur mit einem einzigen Unternehmen verhandelt wurde, 88 ist nur schwer nachvollziehbar. 89 Der Primärrechtsschutz kann nicht davon abhängen, ob das Verhalten des Auftragge­ bers zu keiner oder aber zu einer gewissen Wettbewerbssituation geführt hat. 90 Ansonsten hätte es der Auftraggeber durch Gestaltung der Förmlichkeiten in der Hand, vergaberechtlichen Rechtsschutz abzuwenden, indem er von Anfang an mit nur einem Unternehmen verhandelt. Der öffentliche Auftraggeber hat aber nicht die rechtliche Kompetenz, durch sein Verhalten über den Eintritt und die Reichweite der Nichtigkeitsfolge zu disponieren. 91 Selbst ein Irrtum über den Anwendungsbereich des Vergaberechts kann objektives Recht nicht beseitigen. 92 Dies wäre ihm aber dann möglich, wenn er durch Verhandlung mit nur einem 88 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03. 12. 2003 – Verg 37/03, NZBau 2004, 113 (116); Weise, NJW Spezial 2005, 213. 89 Gegen diese Differenzierung daher ebenfalls VK Sachsen, Beschl. v. 24. 08. 2007 – 1 / SVK/054 – 07; VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007; Frenz, Hand­ buch Europarecht, Bd. 3, Rn. 3391 ff.; VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK­ 11/2007; Raabe, NJW 2004, 1284 (1287); Bitterich, NJW 2006, 1845 (1847); Prieß, VergabeR 2003, 445 (447). 90 VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007. 91 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. 04. 2003 – Verg 67/02, NZBau 2003, 400 (405); ähnlich auch EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 37: Die Anwendung der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften könne nicht in das Belieben des Auftraggebers gestellt werden. Ebenso Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 3393. 92 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. 04. 2003 – Verg 67/02, NZBau 2003, 400 (405).

Kap. 8: Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertragsänderungen

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Unternehmen über die Eröffnung des Rechtsschutzes anderer Bieter entscheiden könnte. § 13 VgV a. F. ist jedoch eine Vorschrift, die vor allem dem effektiven Rechtsschutz der Bieter dient. Wird diesen der Rechtsschutz bewusst oder un­ bewusst durch den öffentlichen Auftraggeber genommen, indem er sie erst gar nicht zum Bieter „erhebt“, so kann dies nicht zum Nachteil desjenigen geraten, dem der Schutz dieser Norm gilt. 93 Nach Sinn und Zweck des § 13 VgV muss die Rechtsfolge daher auch dann an­ gewandt werden, wenn es für die nachgefragte Leistung einen Markt gibt, der bei ordnungsgemäßer Durchführung eines Vergabeverfahrens zu einer wettbewerb­ lichen Vergabe geführt hätte und der Auftraggeber Kenntnis von diesem Markt hat, etwa durch vorangegangene Ausschreibungen, bzw. sich dieser Kenntnis mutwillig verschließt. 94 Dieses Ergebnis ergibt sich insbesondere auch im Hin­ blick auf die europarechtlichen Vorgaben. Der Anwendungsbereich der Rechts­ mittelrichtlinien knüpft gerade nicht an die tatsächliche Anwendung materieller Vergabevorschriften, sondern daran, ob diese Vorschriften anwendbar gewesen wären bzw. anwendbar sind, also ob der zu überprüfende Vorgang unter die Vergabevorschriften gefallen wäre. 95 In gleicher Weise muss darauf abgestellt werden, ob der Auftraggeber bei vergaberechtskonformen Verhalten andere Un­ ternehmen hätte informieren müssen. Nur, wenn der Auftraggeber nachweisen kann, dass ein solcher Markt nicht existiert oder sein Handeln von einem Aus­ nahmetatbestand des Vergaberechts gedeckt ist, kommt eine Anwendung des § 13 VgV a. F. nicht in Betracht. Denn auch bei ordnungsgemäßer Durchfüh­ rung eines Vergabeverfahrens wäre in diesem Fall eine Informationspflicht nach § 13 VgV a. F. nicht entstanden. 93 Im Ergebnis ebenso VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007; Raabe, NJW 2004, 1284 (1287); Bitterich, NJW 2006, 1845 (1847); Prieß, VergabeR 2003, 445 (447), für eine analoge Anwendung des § 13 VgV a. F. bei De-facto-Vergaben mit nur einem Bieter. Denn es sei nicht ersichtlich, warum § 13 VgV a. F. nicht anwendbar sein solle, wenn der Auftraggeber andere Bieter von vornherein rechtswidrig ausschließe und mit nur einem Bieter Verhandlungen führe. 94 So auch VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007; Frenz, Hand­ buch Europarecht, Bd. 3, Rn. 3393. OLG Celle, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86 (89 f.), lässt es ebenfalls genügen, dass der öffentliche Auftragge­ ber – auf welche Weise auch immer – Kenntnis von dem Interesse eines Unternehmens und damit von dem Vorhandensein mindestens eines weiteren Bieters erlangt hat. Dabei ist nicht Voraussetzung, dass sich das interessierte Unternehmen direkt an den öffentli­ chen Auftraggeber gewandt hat. Es genüge, wenn dieser durch Dritte von diesem Kenntnis erlangt. OLG Dresden, Beschl. v. 24. 01. 2008 – WVerg 10/07; VK Sachsen, Beschl. v. 24. 08. 2007 – 1 / SVK/054 – 07; Knauff, NZBau 2007, 347 (350 f.) verweisen im Falle von vergaberechtswidrigen Vertragsverlängerungen ebenfalls auf die Kenntnis des Inter­ essentenkreises aus dem vorangegangenen Vergabeverfahren. 95 GA Stix-Hackl, Schlussanträge v. 26. 09. 2004 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 30. Europarechtliche Gründe führt auch Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 3393, an.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

Die Nichtigkeitsfolge nach § 13 VgV a. F. tritt jedoch nicht generell ein, son­ dern erst dann, wenn ein in seinen Rechten verletztes Unternehmen die Feststel­ lung der Nichtigkeit vor den Nachprüfungsinstanzen anträgt. 96 § 13 VgV a. F. soll keinen allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken absichern, sondern die Wahrneh­ mung effektiven Primärrechtsschutzes absichern. Eine generelle Nichtigkeit des durch den Zuschlag zustande gekommenen Verfahrens würde daher über dasjeni­ ge hinausgehen, was die Norm absichern will. 97 Die Zielrichtung des § 13 VgV a. F. macht somit eine teleologische Reduktion des Geltungsumfangs der Nich­ tigkeitsbestimmung dahingehend erforderlich, dass diese nur bei Wahrnehmung von Primärrechtsschutz eintritt. 98 Dies bedeutet im Ergebnis, dass ein durch die vergaberechtswidrige De-factoVertragsverlängerung bzw. Vertragsänderung, welche vor Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurde, verletztes Unternehmen die Nichtigkeit der hierin liegenden Auftragsvergabe vor den Nachprüfungsinstanzen im Wege des Primär­ rechtsschutzes geltend machen muss. Nur in diesem Fall tritt die Nichtigkeit des Vertragsschlusses ein. II. Rechtsfolgen für De-facto-Vergaben nach Inkrafttreten des GWB n. F. Im Zuge der Novellierung der vergaberechtlichen Vorschriften des GWB nahm der Gesetzgeber zugleich die erforderlichen Anpassungen im Vergaberechts­ schutz vor, welche sich aus der geänderten Rechtsmittelrichtlinie ergaben. Zen­ trale Neuregelungen stellen die §§ 101a und 101b GWB dar, welche § 13 VgV a. F. ersetzen. So regelt § 101a GWB die Informations- und Wartepflichten des Auftraggebers gegenüber den Bewerbern vor Zuschlagserteilung und Vertrags­ schluss. Die für die vorliegende Untersuchung maßgebliche Vorschrift zu De­ facto-Vergaben enthält § 101b Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 GWB. Hiernach ist ein Vertrag von Anfang an unwirksam, wenn der Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen 99 und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren nach § 101b Abs. 2 GWB 96

BGH, Urt. v. 22. 02. 2005 – KZR 36/03, NZBau 2005, 530 (531); OLG Celle, Beschl. v. 25. 08. 2005 – 13 Verg 8/05, VergabeR 2005, 809 (810). 97 BGH, Urt. v. 22. 02. 2005 – KZR 36/03, NZBau 2005, 530 (531); OLG Celle, Beschl. v. 25. 08. 2005 – 13 Verg 8/05, VergabeR 2005, 809 (810). 98 BGH, Urt. v. 22. 02. 2005 – KZR 36/03, NZBau 2005, 530 (531); OLG Celle, Beschl. v. 25. 08. 2005 – 13 Verg 8/05, VergabeR 2005, 809 (810). 99 Die Formulierung des Tatbestandes durch den deutschen Gesetzgeber ist allerdings missglückt, wenn nicht gar gemeinschaftsrechtswidrig. Denn der Tatbestand greift – para­ doxer Weise in Umkehr der alten Rechtslage – dann nicht, wenn der Auftraggeber mehrere Unternehmen an dem rechtswidrigen De-facto-Vergabeverfahren beteiligt hat. Insoweit

Kap. 8: Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Vertragsänderungen

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festgestellt worden ist. 100 Gemäß § 101b Abs. 2 GWB kann die Unwirksamkeit nur festgestellt werden, wenn sie im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden ist. 101 Hat der Auftraggeber die Auftragsvergabe im Amtsblatt der EU bekannt gemacht, endet die Frist zur Gel­ tendmachung der Unwirksamkeit gemäß § 101b Abs. 2 GWB 30 Kalendertage nach Veröffentlichung der Bekanntmachung. Der nationale Gesetzgeber bleibt (zulässigerweise) hinter den Möglichkeiten der RMR zurück. 102 Von den Ausnahmetatbeständen, insbesondere im Hinblick auf eine Nichtigkeit eines De-facto-Vertrages ex nunc oder das Absehen von einer Nichtigkeitsfolge, 103 macht er keinen Gebrauch. Die Nichtigkeitsfolge wird lediglich an die Geltendmachung vor den Nachprüfungsinstanzen sowie an eine Ausschlussfrist von maximal sechs Monaten geknüpft. § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB erfasst tatbestandlich den Bereich unzulässiger Ver­ tragsänderungen und Vertragsverlängerungen. Ist die Vertragsänderung nach den Ergebnissen der Untersuchung als neuer öffentlicher Auftrag zu werten, so erteilt der Auftraggeber diesen unmittelbar seinem Vertragspartner, ohne andere Unter­ nehmen zu beteiligen und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist. Dieser Verstoß muss vor den Nachprüfungsinstanzen geltend gemacht werden innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten nach erfolgter Vertragsänderung oder 30 Kalen­ dertagen nach Kenntniserlangung hiervon. Nach Ablauf dieser Ausschlussfrist und unterbliebener Anrufung der Vergabekammer ist die vergaberechtswidrige Vertragsänderung endgültig wirksam.

wäre die Anknüpfung an die erforderliche Bekanntmachung, wie die Richtlinie dies for­ muliert, sinniger gewesen. Eine Vertiefung dieser Rechtsfrage kann im Rahmen dieser Untersuchung offen bleiben, da jedenfalls der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung vom Tatbestand des § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB erfasst wird. 100 Das Erfordernis der Anfechtung gilt aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung auch für De-facto-Vergaben vor Inkrafttreten des GWB n. F. (vgl. Kapitel 8.B.I.1.a.aa). Eine Verschlechterung des Rechtsschutzes liegt daher in der Statuierung einer schweben­ den (Un-)Wirksamkeit nicht vor (so aber Dreher / Hoffmann, NZBau 2009, 216 (219)). Gegen die Statuierung eines Schwebezustands spricht auch nicht die fehlende Rechtssi­ cherheit für die Vertragsparteien (so aber Dreher / Hoffmann, NZBau 2009, 216 (219)). Denn diese sind im Falle rechtswidriger De-facto-Vergaben nicht schutzwürdig. 101 In dieser Regelung wird die Gefahr von „Geheimvergaben“ gesehen (vgl. Knauff / Streit, EuZW 2009, 37 (40)). 102 Knauff / Streit, EuZW 2009, 37 (38). 103 Siehe hierzu Kapitel 8.A.II.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

C. Ergebnis Die gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien enthielten lange Zeit keine Bestimmungen zu Verträgen, die unter Verstoß gegen die Pflicht zur europawei­ ten Bekanntmachung und Durchführung eines Vergabeverfahrens geschlossen wurden. Erst mit der RMR-ÄnderungsRL vom 11. 12. 2007 wurden Bestimmun­ gen eingeführt, die den Bereich von unzulässigen direkten Auftragsvergaben erfassen. Ziel der Änderungen war es, illegale Auftragsvergaben ohne vorherige Bekanntmachung und ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb zu unterbinden. Zu diesem Zweck mussten Informationspflichten der öffentlichen Auftraggeber sowie die Einhaltung von Mindest-Stillhaltefristen zwischen Zuschlagsentschei­ dung und Vertragsschluss eingeführt werden. Verstößt der öffentliche Auftragge­ ber gegen diese Pflichten, so kann der daraufhin geschlossene Vertrag durch die Nachprüfungsinstanzen für unwirksam erklärt werden. Gleiches gilt, wenn der öffentliche Auftraggeber einen Vertrag vergaberechtswidrig ohne vorherige Ver­ öffentlichung einer Bekanntmachung vergeben hat. Allerdings kann das Recht auf Nachprüfung und Geltendmachung der Nichtigkeit dahingehend begrenzt werden, dass die Nachprüfungsinstanzen innerhalb eines Zeitraums von 6 Mona­ ten nach Vertragsschluss angerufen werden müssen. Auch können die Nachprü­ fungsinstanzen in Ausnahmefällen gewisse oder alle zeitlichen Wirkungen des vergaberechtswidrigen Vertrages anerkennen. Die Feststellung der Nichtigkeit ist daher nicht zwingend. Gleichwohl können zukünftig die mit einer Vertrags­ änderung einhergehenden Auftragsvergaben angegriffen werden mit dem Ziel, die Nichtigkeit dieser Auftragsvergaben festzustellen. Im nationalen Recht existierte lange Zeit keine Bestimmung, welche die Rechtsfolgen vergaberechtswidriger De-facto-Vergaben regelt. Die Nichtigkeit ei­ ner vergaberechtswidrigen De-facto-Vergabe, welche vor Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurde, konnte aber aus der Bestimmung des § 13 Satz 6 VgV a. F. hergeleitet werden. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist die Sicherung effek­ tiven Rechtsschutzes, sodass § 13 VgV a. F. auch auf Fälle vergaberechtswidriger De-facto-Vergaben und damit auf vergaberechtswidrige Vertragsänderungen an­ gewandt werden musste. Die Nichtigkeit nach § 13 VgV a. F. galt dabei, wenn es für die nachgefragte Leistung einen Markt gab, der bei ordnungsgemäßer Durchführung eines Vergabeverfahrens zu einer wettbewerblichen Vergabe ge­ führt hätte und der Auftraggeber Kenntnis von diesem Markt hatte bzw. sich dieser Kenntnis mutwillig verschloss. Nur, wenn der Auftraggeber nachweisen konnte, dass ein solcher Markt nicht existiert oder sein Handeln von einem Ausnahmetatbestand des Vergaberechts gedeckt ist, kam eine Anwendung des § 13 VgV a. F. nicht in Betracht. Denn auch bei ordnungsgemäßer Durchführung eines Vergabeverfahrens wäre eine Informationspflicht nach § 13 VgV a. F. nicht entstanden. Dieses Ergebnis galt auch dann, wenn der Auftraggeber über die Auftragsvergabe mit nur einem Unternehmen, nämlich seinem Vertragspartner,

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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verhandelt hat. Die Nichtigkeitsfolge des § 13 Satz 6 VgV a. F. war nach ihrem Sinn und Zweck, der Gewährleistung effektiven Primärrechtsschutzes, jedoch keine generelle. Sie trat vielmehr nur ein, wenn das in seinen Rechten verletzte Unternehmen die Feststellung der Nichtigkeit vor den Nachprüfungsinstanzen im Wege des Primärrechtsschutzes anträgt. Übertragen auf die Untersuchung der Rechtsfolgen vergaberechtswidriger Ver­ tragsänderungen, welche vor Inkrafttreten des GWB n. F. im Mai 2009 vorgenom­ men wurden, bedeutet dies, dass mit Vertragsänderungen verbundene Auftrags­ vergaben – gleich in welcher Form – nichtig sind, wenn die Vertragsänderung unter Umgehung des Vergaberechts mit dem Vertragspartner vereinbart wurde und ein am Auftrag interessiertes Unternehmen die Feststellung der Nichtigkeit vor einer Nachprüfungsinstanz anträgt. Nach Umsetzung der Vorgaben der RMR-ÄnderungsRL hinsichtlich des Rechtsschutzes gegen unzulässige De-facto-Vergaben in § 101b Abs. 1 Nr. 2 i.V. m. Abs. 2 GWB besteht nunmehr Rechtssicherheit hinsichtlich des voran­ gehend gefundenen Ergebnisses. Denn nach der gesetzlichen Regelung können vergaberechtswidrige Vertragsänderungen und Vertragsänderungen mit dem Ziel der Nichtigkeit vor den Nachprüfungsinstanzen geltend gemacht werden. Eine Verschlechterung der Rechtslage tritt aber insofern ein, als die Nichtigkeit nur innerhalb einer Ausschlussfrist von maximal sechs Monaten nach Vornahme der Vertragsänderung geltend gemacht werden kann. Erfährt das am Auftrag interessierte Unternehmen erst nach Ablauf dieser Frist von der rechtswidrigen Vertragsänderung, so ist diese unanfechtbar rechtswirksam.

Kapitel 9

Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige Vertragsänderungen Nachdem die Rechtsfolge vergaberechtswidriger Vertragsänderungen im vor­ angehenden Kapitel erörtert wurde, sind nunmehr die primären Rechtsschutz­ möglichkeiten der potenziellen Interessenten zu untersuchen. Ziel des Primär­ rechtsschutzes ist zum einen feststellen zu lassen, dass die unter Umgehung des Vergaberechts vorgenommenen Vertragsänderungen nichtig sind. Gleichzeitig soll dem Auftraggeber im Wege des Primärrechtsschutzes untersagt werden, die geänderte Leistung ohne vorherige Durchführung eines vergaberechtlich gere­ gelten Verfahrens zu vergeben. Damit würde der Auftraggeber zur förmlichen Ausschreibung gezwungen, wenn er weiterhin einen Bedarf an der geänderten Leistung besitzt und er diese am Markt beschaffen muss. Aus der Untersagung ergibt sich daher mittelbar die Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, vor Beauftragung der geänderten Leistung ein vergaberechtlich geregeltes Verfahren

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

durchzuführen. Hierdurch erhalten die interessierten Unternehmen eine Chance auf Teilhabe am öffentlichen Auftrag. Daher sind im Folgenden die primären Rechtsschutzmöglichkeiten 104 unter Berücksichtigung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben (hierzu A.) sowie der nationalen Regelungen (hierzu B.) näher zu beleuchten. Im Anschluss hieran ist der Rechtsschutz bezogen auf die untersuchten Fallgruppen der Vertragsände­ rungen zu erörtern (hierzu C.).

A. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zum Primärrechtsschutz Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zum Rechtsschutz enthalten die Rechts­ mittelrichtlinien. Diese erfahren durch die Rechtsprechung des EuGH ihre Aus­ gestaltung und Auslegung. Insbesondere im Bereich vergaberechtswidriger De­ facto-Vergaben hat der EuGH die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinien vorgegeben. Sie sind den nationalen Vorschriften zugrunde zu legen. Da die Änderungen der RMR-ÄnderungsRL erst kürzlich umgesetzt wurden, sollen für die Fälle der „Alt-de-facto-Vergaben“ 105 im Folgenden auch die Vorgaben der RMR a. F. berücksichtigt werden. I. Rechtsschutzvorgaben nach der RMR a. F. 1. Maßgebliche Richtlinienvorschriften Europarechtliche Vorgaben für den Rechtsschutz bezüglich Verstöße gegen das Vergaberecht enthalten die Rechtsmittelrichtlinien. 106 Die RMR a. F. fordert

104 Die Untersuchung sekundärer Ansprüche erübrigt sich, da die durch die Vertrags­ änderungen übergangenen Unternehmen in der Regel keinen Schaden nachweisen können. An die Geltendmachung eines entgangenen Gewinns werden zudem hohe Anforderun­ gen gestellt. Unter anderem muss der Anspruchsteller nachweisen können, dass er bei vergaberechtskonformen Verhalten des öffentlichen Auftraggebers den Auftrag hätte er­ halten müssen (vgl. BGH, Urt. v. 01. 08. 2006 – X ZR 115/04, NZBau 2006, 797 f., unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Senats). Einen solchen Nachweis kann der Anspruchsteller bei vergaberechtswidrigen De-facto-Vergaben in der Regel nicht führen, da er weder den Kreis der potenziellen Wettbewerber genau kennt, noch deren Angebote im Falle einer Ausschreibung. 105 Alt-de-facto-Vergaben meint hier solche vergaberechtswidrigen Vertragsänderun­ gen, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. im Mai 2009 vorgenommen wurden. Denn im Hinblick auf die sich abzeichnenden Änderungen der Rechtslage haben einige Auftragge­ ber „noch schnell“ Vertragsverlängerungen und Vertragsänderungen vorgenommen. 106 Siehe hierzu bereits Kapitel 3.A.I.3.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

331

in den Erwägungsgründen 107 sowie in Art. 1 Abs. 1 RMR a. F. sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge die Entscheidungen der Vergabebehörden wirksam und vor allem möglichst rasch auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht oder gegen die einzelstaatlichen Vor­ schriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können. Die Mitglieds­ staaten müssen nach Art. 2 Abs. 1 RMR a. F. gewährleisten, dass so schnell wie möglich im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen ergriffen werden können, um den behaupteten Rechtsverstoß zu beseitigen und die Aufhe­ bung rechtswidriger Entscheidungen zu veranlassen. Gemäß Art. 2 Abs. 6 RMR a. F. kann ein Mitgliedsstaat jedoch vorsehen, dass im Anschluss an die Zu­ schlagserteilung die Befugnisse der Nachprüfungsinstanzen darauf beschränkt werden, einer durch einen Rechtsverstoß geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen. Dies bedeutet, dass nach Vertragsschluss grundsätzlich kein Pri­ märrechtsschutz mehr möglich sein soll. 2. Auslegung der Rechtsmittelrichtlinien Der EuGH hatte sich in einer Reihe von Vertragsverletzungsverfahren mit der Frage zu befassen, ob die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, den Auf­ trag nicht im Wege eines wettbewerblichen Verfahrens zu vergeben, eine solche im Sinne des Art. 1 Abs. 1 RMR a. F. darstellt und damit der vergaberechtlichen Nachprüfung zugänglich ist. Dabei hatte der bereits in älterer Rechtsprechung grundsätzlich entschieden, dass Art. 1 Abs. 1 RMR a. F. keine Beschränkung in Bezug auf Art und Inhalt der darin genannten Entscheidungen vorsehe. 108 Vielmehr unterliege jede Entscheidung einer Vergabestelle, die unter die Ge­ meinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen fällt und gegen sie verstoßen kann, der Kontrolle der Nachprüfungsinstanzen, unabhängig von In­ halt und Zeitpunkt des Erlasses. 109 In der Rechtssache „Stadt Halle“ 110 stellte der EuGH ausdrücklich klar, dass auch Entscheidungen außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens und im Vor­ feld einer förmlichen Ausschreibung einer wirksamen und raschen Nachprüfung zugänglich sein müssen, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob ein bestimm­

107

Siehe Erwägungsgrund 3 RMR a. F. EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 30 unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 28. 10. 1999 – Rs. C-81/98 (Alcatel), Slg. 1999, I-7671, Rn. 35. 109 EuGH, Urt. v. 18. 06. 2002 – Rs. C-92/00 (Hospital Ingenieure), Slg. 2002, I­ 5553, Rn. 37; Urt. v. 23. 01. 2003 – Rs. C-57/01 (Makedoniko), Slg. 2003, I-1091, Rn. 73; Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 27 ff. 110 EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1. 108

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

ter Auftrag in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt. 111 Beschließt der öffentliche Auftraggeber, kein Vergabeverfahren einzuleiten, weil der Auf­ trag seiner Auffassung nach nicht in den Anwendungsbereich der einschlägigen Gemeinschaftsrechtsvorschriften fällt, so handele es sich um die erste Entschei­ dung, die gerichtlich überprüfbar ist. Angesichts der Ziele, der Systematik und des Wortlauts sowie der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie stellt jede Maß­ nahme eines öffentlichen Auftraggebers, die Rechtswirkungen entfalten kann und im Zusammenhang mit einem öffentlichen Auftrag steht, eine nachprüfbare Entscheidung im Sinne des Art. 1 Abs. 1 RMR a. F. dar. Dies gelte unabhängig davon, ob diese Maßnahme außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens oder im Rahmen eines solchen getroffen wurde. 112 Das Unterlassen der Durchführung eines Vergabeverfahrens sei als eine der in den Rechtsmittelrichtlinien genann­ ten Entscheidungen anzusehen, die im Nachprüfungsverfahren überprüfbar sein müssen. 113 Nicht nachprüfbar sind nach Auffassung des EuGH hingegen Handlungen, die eine bloße Vorstudie des Marktes darstellen oder die rein vorbereitend sind und sich im Rahmen der internen Überlegungen des öffentlichen Auftraggebers ab­ spielen. 114 Eine Willensäußerung des öffentlichen Auftraggebers im Zusammen­ hang mit einem Auftrag, die in irgendeiner Weise den interessierten Personen zur Kenntnis gelangt, wird aber dann nachprüfbar, wenn sie über dieses Stadi­ um hinausgeht und Rechtswirkungen entfalten kann. Die Aufnahme konkreter Vertragsverhandlungen stellt eine solche nachprüfbare Willensäußerung dar. 115 Art. 1 Abs. 1 RMR a. F. erlaube nach alledem nicht, die Möglichkeit eines ge­ richtlichen Rechtsschutzes davon abhängig zu machen, dass das Vergabeverfah­ ren formal ein bestimmtes Stadium erreicht hat. 116 Ebenso wenig sei eine formale Bieter- und Bewerbereigenschaft für den Zugang zum Nachprüfungsverfahren erforderlich. 117 Wird ein Wettbewerber aufgrund diskriminierender Klauseln ge­ hindert, ein Angebot abzugeben, so könne er die streitigen Klauseln unmittelbar auf ihre Rechtsgültigkeit prüfen lassen, ohne sich vorher durch Abgabe eines Pro-forma-Angebots in das Vergabeverfahren einschalten zu müssen. 118 111

EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 34 und

41. 112

EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 34. EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 30; Burgi, NZBau 2003, 16 (19). 114 EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 35. 115 EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 39. 116 EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 38. 117 EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 40. 118 Kalbe, EWS 2005, 116 (117) unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 12. 02. 2004 – Rs. C-230/02 (Grossmann), Slg. 2004, I-1829, Rn. 28. 113

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

333

Zusammengefasst muss nach der maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „Stadt Halle“ die RMR a. F. so ausgelegt werden, dass auch Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber, einen Auftrag ohne Durchfüh­ rung eines Vergabeverfahrens zu vergeben, der vergaberechtlichen Nachprüfung unterliegen. Für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsverfahrens kommt es nicht darauf an, ob das rechtsschutzsuchende Unternehmen formal eine Bewerberstel­ lung erlangt oder das Vergabeverfahren formal ein bestimmtes Stadium erreicht hat. Es genügt jede nach außen gerichtete Entscheidung, die Rechtswirkungen entfalten kann. II. Rechtsschutzvorgaben unter Zugrundelegung der RMR-ÄnderungsRL Mit der RMR-ÄnderungsRL wurden die Rechtsmittelrichtlinien unter Berück­ sichtigung der vorangehend dargestellten Rechtsprechung des EuGH novelliert. Auftragsvergaben oberhalb der Schwellenwerte, die unter Verstoß gegen die Be­ kanntmachungsvorschriften der Richtlinien vorgenommen werden, können nach Art. 2d Abs. 1 lit. a RMR von den Nachprüfungsinstanzen für unwirksam erklärt werden. 119 Die bisherige Bestimmung des Art. 2 Abs. 6 RMR a. F., welche es den Mitgliedsstaaten gestattete, Ansprüche nach Vertragsschluss auf Schadensersatz zu begrenzen, wurde entsprechend angepasst. Nur soweit der Vertrag unter Be­ achtung der Neuerungen der RMR-ÄnderungsRL 120 zustande kommt, kann ein Mitgliedsstaat den Rechtsschutz nach Vertragsschluss auf Schadensersatz be­ grenzen. Damit wird der Grundsatz der pacta sunt servanda zwar eingeschränkt, jedoch nicht generell beseitigt. Allerdings können die Mitgliedsstaaten vorsehen, dass im Falle der Unwirk­ samkeit der Vertrag entweder rückwirkend annulliert wird (Nichtigkeit ex tunc) oder aber die Annullierung auf die Verpflichtungen beschränkt werden, die noch zu erfüllen sind (Nichtigkeit ex nunc), 121 wenn zusätzliche alternative Sanktionen angeordnet werden (vgl. Art. 2d Abs. 2 UAbs. 2 RMR). Als alternative Sanktio­ nen werden die Verhängung von Geldstrafen gegen den öffentlichen Auftragge­ ber sowie die Verkürzung der Laufzeit des Vertrages 122 vorgeschlagen (Art. 2e Abs. 2 UAbs. 1 Spstr. 1 und 2 RMR). Nur ausnahmsweise kann eine Annullie­ 119

Siehe zu den Änderungen der RMR bereits Kapitel 8.A.II. Siehe hierzu Kapitel 8.A.II. 121 Vgl. Erwägungsgrund 21 RMR-ÄnderungsRL. Es sind auch die Folgen und For­ men der Rückerstattung im Falle einer rückwirkenden Nichtigkeit durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften zu regeln. 122 Die Verkürzung der Vertragslaufzeit macht nur dann einen Sinn, wenn ausnahms­ weise gemäß Art. 2d Abs. 3 RMR n. F. die Annullierung des Vertrages unterbleibt. Die Möglichkeit zur Verkürzung der Vertragslaufzeit bewirkt, dass nur gewisse zeitliche Wir­ kungen anerkannt werden müssen (vgl. Erwägungsgrund 22 RMR-ÄnderungsRL). 120

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

rung des Vertrages unterbleiben, wenn zwingende Gründe des Allgemeininteres­ ses dies rechtfertigen. 123 Die Mitgliedsstaaten können weiterhin Fristen für die Einleitung von Nachprüfungsverfahren vorsehen. Demnach ist ein Nachprüfungs­ verfahren nach Ablauf von mindestens 30 Kalendertagen nach Information der Bieter bzw. Veröffentlichung der Bekanntmachung einzuleiten. Bei unterbliebe­ ner Information bzw. Bekanntmachung über den geplanten Vertragsschluss soll eine Nachprüfung nur innerhalb einer Frist von mindestens sechs Monaten nach Abschluss des Vertrages möglich sein (vgl. Art. 2f Abs. 1 lit. a und b RMR). Der grundsätzlich eröffnete Primärrechtsschutz gegen De-facto-Vergaben wurde daher in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt. Für den Bereich der Vertragsänderungen unter Umgehung des Vergaberechts würde dies bedeuten, dass – bei entsprechender Umsetzung durch die Mitglieds­ staaten – effektiver Primärrechtsschutz nur dann erlangt werden könnte, wenn die am Auftrag interessierten Unternehmen bis spätestens sechs Monaten nach Vornahme der Vertragsänderung ein Nachprüfungsverfahren einleiten. Dies setzt voraus, dass die Unternehmen von der sich im rein internen Bereich der Vertrags­ parteien vollziehenden Vertragsänderung rechtzeitig Kenntnis erlangen. Gelingt ihnen das nicht, so greift der Grundsatz der pacta sunt servanda und verweist die Unternehmen auf den Sekundärrechtsschutz. Ihr Recht auf Teilhabe am öf­ fentlichen Auftrag könnten sie dann nicht mehr durchsetzen. III. Zusammenfassung Die Bestimmungen zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes enthalten die Rechtsmittelrichtlinien. Hiernach haben die Mitgliedsstaaten die erforderli­ chen Maßnahmen zu ergreifen, um die Überprüfung der in den Anwendungs­ bereich der gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge sicherzustellen. Auch Entscheidungen außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens und im Vorfeld einer förmlichen Ausschrei­ bung müssen nach der Rechtsprechung des EuGH einer wirksamen und raschen Nachprüfung zugänglich sein. Beschließt der öffentliche Auftraggeber, kein Ver­ gabeverfahren einzuleiten, weil der Auftrag seiner Auffassung nach nicht dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterliegt, so ist diese Entscheidung ge­ richtlich überprüfbar. Zwecks Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungs­ verfahren im Bereich des öffentlichen Auftragswesens wurden die Rechtsmittel­ richtlinien mit der RMR-ÄnderungsRL novelliert. Insbesondere soll aufgrund der Rechtsprechung des EuGH die Effektivität des Rechtsschutzes im Rahmen von rechtswidrigen De-facto-Vergaben verbessert werden. Insoweit wird grund­ sätzlich eine Annullierung der Verträge vorgesehen. Die Richtlinienvorgaben

123

Vgl. Art. 2d Abs. 3 RMR n. F.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

335

bedürfen jedoch einer Transformation in das nationale Recht. Der Rechtsschutz der Bieter richtet sich letztlich hiernach.

B. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz nach nationalem Recht Nach dem nationalen Recht wird vergaberechtlicher Primärrechtsschutz nach den §§ 102 ff. GWB nur begleitend zu einem Vergabeverfahren gewährt, nicht aber nach dessen rechtswirksamen Abschluss durch Zuschlagserteilung und Ver­ tragsschluss. 124 Die Vergabekammer kann daher in zulässiger Weise nicht mehr angerufen werden, sobald das Vergabeverfahren durch wirksame Erteilung des Zuschlags abgeschlossen und der Vertrag wirksam zustande gekommen ist. 125 Der wirksame Zuschlag markiert damit das Ende des Primärrechtsschutzes. 126 Dies ist nur dann anders, wenn der abgeschlossene Vertrag nichtig ist. 127 In die­ sem Fall wird das Vergabeverfahren nicht rechtswirksam beendet. 128 Der Grund­ satz der pacta sunt servanda greift in diesem Fall nicht.

124 BGH, Beschl. v. 19. 12. 2000 – X ZB 14/00, VergabeR 2001, 71 (73); Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (292); OLG Hamburg, Beschl. v. 25. 01. 2007 – 1 Verg 5/06, NZBau 2007, 801 (803); OLG Celle, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86 (89); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149; Beschl. v. 14. 04. 2005 – VII-Verg 93/04, VergabeR 2005, 513 (515); OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06. 02. 2007 – 17 Verg 7/06, ZfBR 2007, 511 (516); Bergmann / Grittmann, NVwZ 2004, 946 (947). 125 BGH, Beschl. v. 19. 12. 2000 – X ZB 14/00, VergabeR 2001, 71 (73); Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (292); OLG Hamburg, Beschl. v. 25. 01. 2007 – 1 Verg 5/06, NZBau 2007, 801 (803); OLG Celle, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86 (89); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149; Beschl. v. 14. 04. 2005 – VII-Verg 93/04, VergabeR 2005, 513 (515); OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06. 02. 2007 – 17 Verg 7/06, ZfBR 2007, 511 (516); Bergmann / Grittmann, NVwZ 2004, 946 (947). 126 OLG München, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (623); Bergmann / Grittmann, NVwZ 2004, 946 (947). 127 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06. 02. 2007 – 17 Verg 7/06, ZfBR 2007, 511 (516); OLG Hamburg, Beschl. v. 25. 01. 2007 – 1 Verg 5/06, NZBau 2007, 801 (803); OLG Celle, Beschl. v. 14. 09. 2006 – 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86 (89); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149; Beschl. v. 14. 04. 2005 – VII-Verg 93/04, VergabeR 2005, 513 (515). 128 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. 02. 2005 – Verg 88/04, NZBau 2005, 535.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

I. Primärrechtschutz für De-facto-Vergaben vor Inkrafttreten des GWB n. F. Für Vertragsänderungen, die unter Umgehung des Vergaberechts vor Inkraft­ treten des GWB n. F. vereinbart wurden, kann eine Nichtigkeit aus § 13 Satz 6 VgV a. F. sowie § 138 BGB hergeleitet werden. 129 Der vergaberechtliche Primär­ rechtsschutz bleibt somit weiterhin eröffnet. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die allgemeinen Anforderungen an die Wahrnehmung von Primär­ rechtsschutz bei De-facto-Vergaben nach nationalem Recht dargestellt werden. 1. Statthaftigkeit von Nachprüfungsverfahren gegen De-facto-Vergaben Nach einheitlicher und zutreffender Auffassung in der vergaberechtlichen Lite­ ratur und Rechtsprechung muss auch gegen eine rechtswidrige De-facto-Vergabe vor Inkrafttreten des GWB n. F. grundsätzlich der Rechtsschutz eröffnet sein. Ein Nachprüfungsantrag, der beanstandet, dass ein nach Maßgabe des § 97 GWB geregeltes Vergabeverfahren nicht stattgefunden hat, ist daher statthaft. 130 Zur Begründung kann auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „Stadt Halle“ verwiesen werden. 131 Auch die Entscheidung des öffentlichen Auftragge­ bers, kein Vergabeverfahren einzuleiten, weil der zu erteilende Auftrag seiner Auffassung nach nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt, ist demnach der Nachprüfung zugänglich. 132 Das Ausschreibungsverfahren ist nur ein Teil eines umfassenden Beschaffungsvorgangs, innerhalb dessen eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen werden, die sich auf den Wettbewerb um den in Frage stehenden Auftrag auswirken. 133 Die bewusste Nichtentscheidung über die Durchführung einer Ausschreibung unterliegt daher der gerichtlichen Nachprüfung. 134 129

Siehe oben, Kapitel 8.B.II. BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (291); OLG Mün­ chen, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (622); BayObLG, Beschl. v. 28. 05. 2003 – Verg 7/03, VergabeR 2003, 563 (564); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11. 03. 2002 – Verg 43/01, NZBau 2003, 55 (57); Burgi, NZBau 2003, 16 (20); Prieß / Ga­ briel, VergabeR 2005, 707 (714); zweifelnd OLG Naumburg, Beschl. v. 08. 01. 2003 – 1 Verg 7/02, NZBau 2003, 224 (225 ff.), welches die Frage letztlich dem EuGH zur Vor­ abentscheidung vorlegte. 131 EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 33. 132 BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (291); OLG Mün­ chen, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (622), jeweils unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 33. 133 Kalbe, EWS 2005, 116 (117). 134 Braun, VergabeR 2005, 586 (589). 130

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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Grundvoraussetzung für die Zulässigkeit eines jeden Nachprüfungsverfahrens ist jedoch, dass sich der Nachprüfungsantrag auf ein im Zeitpunkt seiner Ein­ reichung schon oder noch laufendes Vergabeverfahren bezieht. 135 Nur vereinzelt wird in der Literatur vertreten, dass auch eine drohende De-facto-Vergabe noch vor Beginn von Vergabebemühungen durch die Vergabestelle im Wege des Ver­ gaberechtsschutzes angegriffen werden könne. 136 Die ganz herrschende Ansicht, insbesondere die vergaberechtliche Rechtsprechung, lehnt jedoch einen vorbeu­ genden vergaberechtlichen Rechtsschutz nach §§ 102 ff. GWB ab. 137 Denn der vergaberechtliche Rechtsschutz sei als Individualrechtsschutz gegen konkrete, bereits eingetretene Vergabeverstöße ausgestaltet. 138 Für die Zwecke des Primärrechtsschutzes ist jedoch nicht ein formelles, son­ dern ein materielles Verständnis des Vergabeverfahrens anzulegen. Es ist mithin nicht auf Förmlichkeiten, wie beispielsweise eine Ausschreibung, abzustellen. 139 Vielmehr genügt es, wenn ein öffentlicher Auftraggeber zur Deckung eines aktuellen oder zukünftigen Bedarfs organisatorische oder planerische Schritte unternimmt, um den Inhalt der Leistung und die Auswahl des Leistenden mit dem Ziel zu regeln, dass am Ende dieser organisatorischen Schritte ein Ver­ tragsschluss steht. 140 Es kommt somit nicht auf die Einleitung eines förmlichen Vergabeverfahrens durch den öffentlichen Auftraggeber an. 141 Ansonsten hätte es dieser in der Hand, durch Gestaltung der Förmlichkeiten des Vergabeverfah­ rens den Rechtsschutz auszuschließen. 142 Für die Statthaftigkeit der Nachprüfung reicht es vielmehr aus, wenn überhaupt ein Verfahren in Frage steht, an dem ein 135 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15. 03. 2000 – Verg 4/00, NZBau 2000, 306 (310); BayObLG, Beschl. v. 22. 01. 2002 – Verg 18/01, NZBau 2002, 397 (398); OLG Naum­ burg, Beschl. v. 03. 11. 2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (59); Kling, NZBau 2003, 23 (30). 136 Erdl, Vergaberechtsschutz, Rn. 486. 137 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 25. 09. 2000 – 11 Verg 2/99; Thüringer OLG, Beschl. v. 22. 11. 2000 – 6 Verg 8/00, VergabeR 2001, 52 (54); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (698); BayObLG, Beschl. v. 27. 02. 2003 – Verg 25/02; NZBau 2003, 634; Beschl. v. 22. 01. 2002 – Verg 18/01, NZBau 2002, 397 (398). 138 OLG Naumburg, Beschl. v. 02. 03. 2006 – 1 Verg 1/06, IBR 2007, 1011; VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 12. 2000 – 203-VgK-16/2000. 139 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (698). 140 So OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149; Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (698 f.); Beschl. v. 11. 03. 2002 – Verg 43/ 01, NZBau 2002, 55 (57); BayObLG, Beschl. v. 27. 02. 2003 – Verg 25/02, NZBau 2003, 634; Beschl. v. 22. 01. 2002 – Verg 18/01, NZBau 2002, 397 (398); VK Bund, Beschl. v. 29. 06. 2005 – VK 3 – 52/05, IBR 2005, 1251; Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 –35/03, IBR 2003, 491; bestätigt durch BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (291). 141 Kus, in: Kulartz / Kus / Portz, Kommentar GWB, § 97, Rn. 29.

142 VK Bund, Beschl. v. 29. 06. 2005 – VK 3 – 52/05, IBR 2005, 1251.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

öffentlicher Auftraggeber i. S. d. § 98 GWB und mindestens ein außenstehender Dritter beteiligt ist und das eingeleitet wurde, um einen entgeltlichen Vertrag i. S. d. § 99 GWB abzuschließen. 143 Der Auftraggeber muss jedoch den Bereich rein interner Vorüberlegungen verlassen haben. 144 Bloße Vorstudien des Marktes bzw. Markterkundungen oder rein vorbereitende Handlungen genügen demnach nicht für die Annahme eines „Vergabeverfahrens“. 145 In Abgrenzung zu bloßen Markterkundungen ist darauf abzustellen, ob und inwieweit der öffentliche Auftraggeber den Beschaffungs­ vorgang organisatorisch und planerisch bereits eingeleitet und mit potenziellen Anbietern Kontakt aufgenommen hat, um das Beschaffungsvorhaben mit einer rechtsgeschäftlichen Einigung abzuschließen. 146 Der Verfahrensbeginn ist mit­ hin in dem Zeitpunkt anzusiedeln, in dem der Auftraggeber vom Stadium der bloßen Planung in das Stadium der gezielten Kontaktaufnahme zu einem oder mehreren Unternehmen übergeht. 147 Dies ist immer dann der Fall, wenn der Auf­ traggeber mit Unternehmen verhandelt oder Verträge unterschriftsreif vorbereitet oder bereits abgeschlossen hat. 148 Hieraus ergibt sich jeweils die nach außen ge­ tretene Absicht des öffentlichen Auftraggebers zur Beauftragung des Dritten. 149 Die Aufnahme konkreter Vertragsverhandlungen mit einem Interessenten stellt somit eine vergaberechtlich anfechtbare Willensäußerung dar. 150

143 BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (291); Diercks, NZBau 2005, 295 (296). 144 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23. 02. 2005 – Verg 78/04, VergabeR 2005, 503 (505): Eine nachprüfbare Willensäußerung, die über das Stadium der Vorbereitung und Sondie­ rung hinausgehe, liege beispielsweise in der Entscheidung, Leistungen ohne Durchführun­ gen eines förmlichen Vergabeverfahrens aufgrund von Verhandlungen mit einem Bieter zu vergeben. Ebenso Byok, NJW 2006, 2076 (2080); Kalbe, EWS 2005, 116 (118): z. B. Beschl. des Stadtrats, die Abfallentsorgung einem bestimmten Partner zu übertragen. 145 EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 35; BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290, (291); OLG München, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (622); Burgi, NZBau 2003, 16 (20). 146 OLG München, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (622); OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 07. 09. 2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 (693); Burgi, NZBau 2003, 16 (20); Raabe, NJW 2004, 1284. 147 Burgi, NZBau 2003, 16 (20). 148 EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 39; OLG München, Beschl. v. 07. 06. 2005 – Verg 4/05, VergabeR 2005, 620 (622); VK Bund, Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 – 35/03, IBR 2003, 491. 149 VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 18. 12. 2002 – VK-SH 16/02. 150 EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 39; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23. 02. 2005 – Verg 78/04, VergabeR 2005, 503 (505); Kalbe, EWS 2005, 116 (118).

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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2. Antragsbefugnis und Rechtsschutzinteresse Der übergangene Bieter muss vor dem Hintergrund des subjektiv-bieterbe­ zogenen Charakters des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 107 Abs. 2 GWB ein besonderes Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit des ohne Vergabever­ fahren geschlossenen Vertrages sowie an der Untersagung, den Auftrag an den Dritten ohne vorangegangene öffentliche Ausschreibung zu vergeben, geltend machen können. 151 An die Antragsbefugnis sind jedoch keine hohen Anforderun­ gen zu stellen. Es genügt, wenn eine Verletzung der Rechte nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. 152 Zum Nachweis der Antragsbefugnis im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB wird teilweise gefordert, dass das rechtsschutzsuchende Unterneh­ men seine Eignung und konkrete Leistungsfähigkeit darlegen muss. 153 Diese Forderung kann aber nicht in einem formellen Sinne verstanden werden, da dem Unternehmen im Fall rechtswidriger De-facto-Vergaben die Anforderungen des Auftraggebers an die Eignung nicht bekannt sind. Es genügt somit die Darlegung einer generellen Eignung für Aufträge der jeweils streitgegenständlichen Art. Nicht erforderlich ist zudem eine formale Bieter- oder Bewerbereigenschaft. 154 Auch ein Unternehmen, welches kein Angebot abgegeben hat, kann somit an­ tragsbefugt sein, wenn es gerade aufgrund eines rechtswidrig ausgestalteten Verfahrens an der Angebotsabgabe gehindert war. 155 3. Rügeobliegenheit bei unterlassenem Vergabeverfahren Die Vorschrift des § 107 Abs. 3 GWB a. F. enthält eine weitere Zugangsvor­ aussetzung zum Vergabeverfahren. Hiernach ist der Antragsteller eines Nachprü­ fungsverfahrens verpflichtet, erkannte Vergaberechtsverstöße unverzüglich nach Kenntniserlangung gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zu rügen. 156 Sinn und Zweck der Rügepflicht ist die Vermeidung unnötiger Nachprüfungsverfah­ 151

Weise, NJW Spezial 2005, 213 (214). BVerfG, Beschl. v. 29. 07. 2004 – 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564 (566). 153 Prieß, VergabeR 2003, 445 (448). 154 EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 40; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23. 02. 2005 – Verg 78/04, VergabeR 2005, 503 (505); Kalbe, EWS 2005, 116 (118); Weise, NJW Spezial 2005, 213 (214). 155 Bär, ZfBR 2001, 375 (376); Burgi, NZBau 2003, 16 (21); Schimanek, ZfBR 2002, 39. 156 Eine Rüge ist nur bei Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes zulässig und erforder­ lich. Eine vorsorgliche Rüge ist nicht möglich und genügt daher nicht den Anforderungen des § 107 Abs. 3 GWB. Das Unternehmen muss daher abwarten, dass der Auftraggeber den Bereich rein interner Vorüberlegungen verlassen hat. Erst ab diesem Zeitpunkt liegt nach materiellem Verständnis ein Vergabeverfahren vor, welches mangels Ausschreibung beanstandet werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (292)). 152

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

ren, indem den öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit zur Korrektur vor Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gegeben wird. 157 Die Rügeobliegenheit entsteht, sobald der Bieter Kenntnis vom Vergaberechtsverstoß erhält. Dabei ge­ nügt nicht schon eine bloße Tatsachenkenntnis, gefordert wird darüber hinaus auch eine zumindest laienhafte Wertung der Rechtsfehlerhaftigkeit. 158 Streitig ist, ob eine Rügeobliegenheit auch dann besteht, wenn der öffentliche Auftraggeber vergaberechtswidrig kein Vergabeverfahren eingeleitet hat. Weite Teile der obergerichtlichen vergaberechtlichen Rechtsprechung gehen davon aus, dass eine Rügeobliegenheit entbehrlich ist, wenn kein förmliches Vergabeverfahren durchgeführt, das Verfahren namentlich durch keine Vergabe­ bekanntmachung und keinen Aufruf zum Wettbewerb eingeleitet und nur durch Zufall Kenntnis von der Auftragsvergabe erlangt wurde. 159 Nach seinem Wort­ laut sei § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB a. F. auf Verstöße in einem Vergabeverfahren bezogen und beschränkt. Dies schließe es aus, eine zur Präklusion führende Rü­ geobliegenheit anzunehmen, wenn der öffentliche Auftraggeber überhaupt kein Vergabeverfahren durchführt. 160 Im Anwendungsbereich des § 107 Abs. 3 GWB a. F. sei für ein materielles Verfahrensverständnis kein Raum, da nur in einer formalen Verfahrensbeziehung Pflichten der Unternehmen wurzeln können. 161 Auch könne letztlich Sinn und Zweck der Rügeobliegenheit nicht mehr erfüllt werden, da eine Korrekturmöglichkeit der Vergabestelle nach – wenn auch nich­ tigem – Vertragsschluss nicht mehr bestünde. 162 Das Verlangen einer Rüge in dieser Konstellation wäre reine Förmelei. 163 157 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10. 07. 2007 – 11 Verg 5/07, ZfBR 2008, 88; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149. 158 BGH, Beschl. v. 26. 09. 2006 – X ZB 14/06, Rn. 35, NZBau 2006, 800 (803), OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13. 06. 2007 – Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (534); OLG Bremen, Beschl. v. 03. 04. 2007 – Verg 2/07, VergabeR 2007, 517. 159 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13. 06. 2007 – Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (534); Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149; Beschl. v. 25. 01. 2005 – Verg 93/04, VergabeR 2005, 343 (344); Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (703); OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10. 07. 2007 – 11 Verg 5/07, ZfBR 2008, 88; Beschl. v. 07. 09. 2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 (693); OLG Naumburg, Beschl. v. 15. 03. 2007 – 1 Verg 14/06, VergabeR 2007, 512 (514); OLG Hamburg, Beschl. v. 25. 01. 2007 – 1 Verg 5/06, NZBau 2007, 801 (804); BayObLG, Beschl. v. 27. 02. 2003 – Verg 25/02, NZBau 2003, 634; Hausmann / Bultmann, ZfBR 2005, 309 (310). 160 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10. 07. 2007 – 11 Verg 5/07, ZfBR 2008, 88; Beschl. v. 07. 09. 2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 (693); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13. 06. 2007 – Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (534); BayObLG, Beschl. v. 22. 01. 2002 – Verg 18/01, NZBau 2002, 397 (398). 161 BayObLG, Beschl. v. 22. 01. 2002 – Verg 18/01, NZBau 2002, 397 (398); Burgi, NZBau 2003, 16 (21): Ohne ein formelles Vergabeverfahren verharren die Beteiligten im allgemeinen Staat-Bürger-Verhältnis, in dem die Obliegenheiten der Bürger keinen Platz haben.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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Nach anderer Ansicht soll ein genereller Verzicht auf eine vorherige Rüge bei De-facto-Vergaben systemfremd sein. Vielmehr werde der vergaberechtliche Rechtsschutz subjektiv durch das Erfordernis der Antragsbefugnis und objektiv durch die Erfüllung der Rügeobliegenheit ungeachtet der Schwere des vermeint­ lichen Vergaberechtsverstoßes eingeschränkt. 164 Auch ein erkannter Vergabever­ stoß eines rechtswidrig unterlassenen Vergabeverfahrens müsse grundsätzlich nach Kenntniserlangung unverzüglich gerügt werden. 165 Nach dem Prinzip von Treu und Glauben und vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der Rüge sei eine unverzügliche Rügepflicht zumindest dann zu fordern, wenn der Inter­ essent sichere positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des unterbliebenen Verfahrens habe. Verzögere dieser dennoch die Rüge, so sei sein Verhalten als treuwidrig und ein entsprechender Nachprüfungsantrag als unzulässig einzustu­ fen. 166 Gegen die erste Auffassung spricht bereits, dass sie im Rahmen des § 107 Abs. 3 GWB a. F. an ein formelles Verständnis des Begriffs des Vergabever­ fahrens anknüpft. Dieser muss jedoch in einem materiellen Sinne verstanden werden. 167 Es wäre widersprüchlich, bei der Eröffnung des Rechtswegs ein mate­ rielles Begriffsverständnis zugrunde zu legen, nach welchem es gerade nicht auf die Einleitung eines förmlichen Vergabeverfahrens im Sinne des GWB ankommt, im Rahmen einer anderen Zulässigkeitsfrage, nämlich der Rügeobliegenheit, je­ doch ein rein formelles Verständnis anzusetzen. Das Gebot der Rechtssicherheit erfordert die Zugrundelegung eines einheitlichen Begriffsverständnisses. Damit entsteht eine Rügeobliegenheit im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB a. F. grund­ sätzlich auch dann, wenn das am Auftrag interessierte Unternehmen Kenntnis von der Umgehung vergaberechtlicher Vorschriften erlangt und nach laienhafter Wertung zu dem Schluss kommen muss, das Verfahren als rechtsfehlerhaft zu beanstanden.

162 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10. 07. 2007 – 11 Verg 5/07, ZfBR 2008, 88; OLG Naumburg, Beschl. v. 15. 03. 2007 – 1 Verg 14/06, VergabeR 2007, 512 (514); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149. 163 OLG Naumburg, Beschl. v. 15. 03. 2007 – 1 Verg 14/06, VergabeR 2007, 512 (514). 164 OLG Naumburg, Beschl. v. 02. 03. 2006 – 1 Verg 1/06, NZBau 2006, 667; VK Sachsen, Beschl. v. 24. 08. 2007 – 1 / SVK/054 – 07. 165 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06. 02. 2007 – 17 Verg 7/06, ZfBR 2007, 511 (514); OLG Naumburg, Beschl. v. 02. 03. 2006 – 1 Verg 1/06, IBR 2007, 1011; VK Bund, Beschl. v. 28. 08. 2001 – VK 1 – 29/01; Bär, ZfBR 2001, 375 (377); Weise, NJW Spezial 2005, 213 (214); offengelassen: BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (292). 166 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06. 02. 2007 – 17 Verg 7/06, ZfBR 2007, 511 (514); KG, Beschl. v. 17. 10. 2002 – 2 KartVerg 13/02, VergabeR 2003, 50 (51). 167 Hierzu Kapitel 9.B.I.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

Allerdings sind bei Unterlassen eines Vergabeverfahrens an die Rügeobliegen­ heit sowie an die Darlegungslast des Antragstellers keine allzu hohen Anforde­ rungen zu stellen. Denn durch den Verzicht auf ein Vergabeverfahren entzieht sich der Auftraggeber weitestgehend einer Einwirkungsmöglichkeit. Daher ist zunächst der öffentliche Auftraggeber darlegungsbelastet hinsichtlich des Zeit­ punkts des Beginns des Vergabeverfahrens sowie hinsichtlich der Kenntniserlan­ gung durch den Antragsteller. 168 Eine Rügeobliegenheit kann zudem frühestens mit dem Begehen des Vergaberechtsverstoßes entstehen. Der Vergabeverstoß ist erst bekannt, wenn aus den bekannten Umständen geschlossen wurde, dass ein geregeltes Vergabeverfahren erforderlich war, es hierzu aber nicht kommen würde, oder das Unternehmen sich einer solchen Erkenntnis, obwohl sie sich auf­ drängte, mutwillig verschlossen oder entzogen hat. 169 Der Antragsteller muss die Handlungen des Auftraggebers jedoch als Vergabeverfahren identifizieren kön­ nen. Die Kenntnis von einem „anstehenden“ Vergabeverfahren bzw. ein bloßer Verdacht reichen nicht aus. 170 Eine Rüge ist ausnahmsweise jedoch immer dann entbehrlich, wenn der öffent­ liche Auftraggeber bereits im Vorfeld unmissverständlich zu verstehen gegeben hat, dass er dem Vergaberechtsverstoß nicht abhelfen wird. Dies ist anzunehmen, wenn der öffentliche Auftraggeber in der offenkundigen Absicht gehandelt hat, die Beschaffungsmaßnahme ohne förmliches Vergabeverfahren durchzuführen. Denn bei bewusster Nichtanwendung der Vergabevorschriften kann der Rüge­ zweck, die Abhilfe der Rechtsverletzung seitens der Vergabestelle, nicht erreicht werden. 171 Gleiches gilt, wenn ein Vertragsschluss unmittelbar bevorsteht oder aber der Vertrag bereits geschlossen wurde. In diesen Fällen würde die Forde­ rung nach einer vorherigen Rüge angesichts des entschlossenen Verhaltens der Vergabestelle als in der Sache zumindest nutzlose Förmelei angesehen werden müssen. 172 168

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. 04. 2003 – Verg 67/02, NZBau 2003, 400 (406); VK Bund, Beschl. v. 12. 12. 2002 – VK 1 – 83/02, NZBau 2003, 406. 169 BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (292). 170 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. 04. 2003 – Verg 67/02, NZBau 2003, 400 (406); VK Bund, Beschl. v. 12. 12. 2002 – VK 1 – 83/02, NZBau 2003, 406. Vorüberlegungen zu einer Beschaffung von Leistungen ohne Ausschreibung, interne alternative Konzepte oder vergleichende Betrachtungen und selbst die Tagesordnung einer Verbandsversammlung, nach der die Entscheidung über ein internes Vergabekonzept ansteht, stellen noch keinen nach außen wirkenden Vergabeverstoß dar (so OLG Naumburg, Beschl. v. 02. 03. 2006 – 1 Verg 1/06, IBR 2007, 1011). 171 VK Bund, Beschl. v. 12. 12. 2002 – VK 1 – 83/02, NZBau 2003, 406. 172 OLG Naumburg, Beschl. v. 15. 03. 2007 – 1 Verg 14/06, VergabeR 2007, 512 (514); VK Sachsen, Beschl. v. 24. 08. 2007 – 1 / SVK/054 – 07; a. A. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06. 02. 2007 – 17 Verg 7/06, ZfBR 2007, 511 (514), welches jedoch verkennt, dass eine unzulässige Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Vergabebekanntmachung einer De-facto-Vergabe rechtlich gleichzustellen ist.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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4. Zusammenfassung Ein Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige De-facto-Vergaben, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. vollzogen wurden, ist grundsätzlich statthaft. Insbesondere ist die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, kein Vergabeverfahren einzuleiten, einer Nachprüfung zugänglich. Nach dem maßgeblichen materiellen Begriffsverständnis eines Vergabeverfahrens kommt es für die Ge­ währung primären Rechtsschutzes nicht auf die Einleitung eines förmlichen Ver­ gabeverfahrens an. Für die Statthaftigkeit der Nachprüfung genügt es vielmehr, wenn überhaupt ein Verfahren in Frage steht, an dem ein öffentlicher Auftragge­ ber i. S. d. § 98 GWB und mindestens ein außenstehender Dritter beteiligt sind und das eingeleitet wurde, um einen entgeltlichen Vertrag i. S. d. § 99 GWB ab­ zuschließen. Der übergangene Bieter muss weiterhin ein besonderes Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit des ohne Vergabeverfahren geschlossenen Vertrages geltend machen können. Nicht erforderlich ist eine formale Bieteroder Bewerbereigenschaft. Weiterhin besteht auch im Rahmen von De-factoVergaben grundsätzlich eine Rügeobliegenheit gemäß § 107 Abs. 3 GWB a. F. Hieran sind allerdings bei Unterlassen eines Vergabeverfahrens keine allzu ho­ hen Anforderungen zu stellen. Eine Rüge ist insbesondere dann entbehrlich, wenn der öffentliche Auftraggeber in der offenkundigen Absicht gehandelt hat, die Beschaffungsmaßnahme ohne förmliches Vergabeverfahren durchzuführen. II. Primärrechtsschutz für De-facto-Vergaben nach Inkrafttreten des GWB n. F. Nach Inkrafttreten des GWB n. F. ist ein Primärrechtsschutz gegen verga­ berechtswidrige De-facto-Vergaben durch unzulässige Vertragsänderungen nun­ mehr gesetzlich in § 101b Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 GWB vorgesehen. 173 Hiernach muss ein Vergabeverfahren eingeleitet werden, um die Nichtigkeit der vergabe­ rechtswidrigen Vertragsänderung zu bewirken. Allerdings kann gemäß § 101b Abs. 2 GWB die Unwirksamkeit nur festgestellt werden, wenn sie im Nach­ prüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht wor­ den ist. 174 Nach Ablauf dieser Ausschlussfrist und unterbliebener Anrufung der Vergabekammer ist die vergaberechtswidrige Vertragsänderung grundsätzlich 175 wirksam. Ein Primärrechtsschutz ist ausgeschlossen. Da sich Vertragsänderun­ gen allerdings im rein internen Bereich zwischen den Vertragspartnern vollzie­ 173

Siehe zu der Problematik der missglückten Formulierung Kapitel 8.B.II. In dieser Regelung wird die Gefahr von „Geheimvergaben“ gesehen (vgl. Knauff / Streit, EuZW 2009, 37 (40)). 175 Zu den hohen Anforderungen einer Nichtigkeit nach § 134 BGB sowie § 138 BGB siehe Kapitel 8.B.I.1.a.bb.cc. 174

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

hen, erlangen andere Unternehmen hiervon nur selten oder sehr spät Kenntnis. 176 Die Statuierung einer Ausschlussfrist verkürzt daher den Rechtsschutz gegenüber der alten Rechtslage. Die erforderliche Antragsbefugnis ergibt sich unverändert aus § 107 Abs. 2 GWB. 177 Im Hinblick auf die grundsätzliche Rügepflicht enthält § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB nunmehr eine Ausnahmeregelung. Hiernach finden die Rügepflich­ ten keine Anwendung bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit nach § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB, also auch im Falle vergaberechtswidriger Ver­ tragsänderungen.

C. Primärrechtsschutz bezogen auf vergaberechtswidrige Vertragsänderungen Ziel des Primärrechtsschutzes gegen vergaberechtswidrige Vertragsänderun­ gen ist zunächst die Feststellung, dass die unter Umgehung des Vergaberechts vorgenommenen Vertragsänderungen nichtig sind. Die Voraussetzungen der müs­ sen vor einer Nachprüfungsinstanz geltend gemacht werden, da die Nichtigkeit nicht generell gilt. 178 Weiterhin soll dem Auftraggeber im Wege des Primär­ rechtsschutzes untersagt werden, die geänderte Leistung ohne vorherige Durch­ führung eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens zu vergeben. Damit würde der Auftraggeber zur förmlichen Ausschreibung gezwungen, wenn er weiterhin einen Bedarf an der geänderten Leistung besitzt und er diese am Markt beschaf­ fen muss. Aufgrund der sich hieraus ergebenden Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, vor Beauftragung der geänderten Leistung ein vergaberechtlich geregeltes Verfahren durchzuführen, können die am Auftrag interessierten Unter­ nehmen ihre Chance auf Teilhabe am öffentlichen Auftrag sichern. Im Folgenden soll daher der Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige Vertragsänderun­ gen jeweils bezogen auf die einzelnen Fallgruppen von Vertragsänderungen untersucht werden. I. Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung liegt die rechtliche Konstella­ tion zugrunde, dass der öffentliche Auftraggeber nach Zuschlagserteilung im 176 Ist zum Beispiel die ursprünglich ausgeschriebene Vertragslaufzeit abgelaufen und erfolgt keine neue Ausschreibung der Leistung, obwohl der Auftraggeber einen ständigen und lückenlosen Bedarf an diesen Leistungen besitzt (z. B. Krankenhausreinigungsleis­ tungen), kann dies auf eine unzulässige Vertragsverlängerung hindeuten. 177 Siehe hierzu Kapitel 9.B.I.2. 178 Siehe Kapitel 8.B.I.2. und 8.B.II.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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laufenden Vertragsverhältnis die ursprünglich der Ausschreibung zugrunde ge­ legten Vertragsparameter, wie z. B. den Leistungsgegenstand oder -umfang, die Vertragslaufzeit oder die Vertragspartner, abändert. Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung sind immer dann als vergaberechtlich eigenständige Beschaf­ fungsvorgänge zu werten, wenn die Leistungsänderungen nicht auf den ursprüng­ lichen Vertrag zurückgeführt werden können oder durch einen Ausnahmetatbe­ stand des Vergaberechts legitimiert sind und sie darüber hinaus nach wirtschaft­ licher Betrachtungsweise einer Neuvergabe gleichkommen. 179 Der öffentliche Auftraggeber ist in diesem Fall verpflichtet, den Auftrag über die geänderten Leistungen erst nach Durchführung eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens zu vergeben. Eine direkte Auftragsvergabe an den ursprünglichen Vertragspart­ ner stellt eine vergaberechtswidrige De-facto-Vergabe dar. 1. Rechtsschutz unter Zugrundelegung der RMR-ÄnderungsRL Nach den Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien können Aufträge, die unzu­ lässigerweise ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben wurden, von einer Nachprüfungsinstanz gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. a RMR für un­ wirksam erklärt werden. Im Falle einer vergaberechtswidrigen Vertragsänderung durch Parteivereinbarung ist der Tatbestand erfüllt. Denn die Vertragsänderung ist als vergaberechtlicher Neuauftrag zu werten und unterlag den Bestimmun­ gen über die Veröffentlichung einer Bekanntmachung, wenn die Vertragsände­ rung nicht nach dem ursprünglichen Vertrag vorgesehen oder der Verzicht auf ein Verfahren ohne Vergabebekanntmachung vergaberechtlich zulässig war. Ein am Auftrag über die Vertragsänderung interessiertes Unternehmen kann somit auch nach der Beauftragung der vergaberechtswidrigen Vertragsänderung Pri­ märrechtsschutz vor den Nachprüfungsinstanzen suchen und die Nichtigkeit der Auftragsvergabe geltend machen. Der Rechtsschutz gegen vergaberechtswidrige Vertragsänderungen wird durch die Neuerungen jedoch kaum verbessert. Zwar wird die bestehende unsichere Rechtslage bezüglich der Fragen der Nichtigkeit und der Rechtsschutzmöglich­ keiten gegen Verträge, die unter Umgehung des Vergaberechts zustande gekom­ men sind, beseitigt. 180 Allerdings hängt die Wahrnehmung des Rechtsschutzes bei nachträglichen Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung nach wie vor von einer zufälligen Kenntniserlangung ab. Dies ist insbesondere vor dem Hinter­ grund problematisch, dass die Mitgliedsstaaten aus Gründen der Rechtssicherheit die Nachprüfungsverfahren an Ausschlussfristen binden können. Machen sie von dieser Befugnis Gebrauch, müssen die Nachprüfungsinstanzen binnen eines Zeit­ raums von bis zu sechs Monaten ab Vertragsschluss, also ab Vereinbarung der 179 180

Hierzu Kapitel 4.B.IV.

Zum Streitstand Kapitel 8.B.I.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

Vertragsänderung, angerufen werden. 181 Erlangen die am Auftrag interessierten Unternehmen erst nach diesem Zeitraum Kenntnis von der De-facto-Vertrags­ änderung, so können sie ihr Recht auf Teilhabe am öffentlichen Auftrag nicht mehr durchsetzen. 2. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz vor Inkrafttreten des GWB n. F. a) Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens Nachprüfungsverfahren gegen eine vergaberechtswidrig unterlassene Durch­ führung eines Vergabeverfahrens waren auch vor Inkrafttreten des GWB n. F. grundsätzlich statthaft. 182 Insbesondere konnten vorgelagerte Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers über die Anwendung bzw. Nichtanwendung des Ver­ gaberechts einer Überprüfung unterzogen werden. 183 Dementsprechend war auch dessen Entscheidung, kein Vergabeverfahren vor Beauftragung der geänderten Leistung einzuleiten, der Nachprüfung zugänglich. 184 Entschloss sich der öffentliche Auftraggeber zu einer Vertragsänderung im bestehenden Vertragsverhältnis und waren die Voraussetzungen hinsichtlich ei­ ner vergaberechtlichen Relevanz erfüllt, so war nach dem materiellen Verständ­ nis vom Vorliegen eines Vergabeverfahrens bereits dann auszugehen, wenn der öffentliche Auftraggeber mit organisatorischen oder planerischen Schritten zur Umsetzung der Vertragsänderung beginnt. 185 Demnach war der Beginn eines der Nachprüfung zugänglichen Vergabeverfahrens in dem Zeitpunkt der Aufnahme von Vertragsverhandlungen mit dem Vertragspartner über die Leistungsänderung anzusiedeln. 186 Gleiches galt, wenn der öffentliche Auftraggeber hierfür bereits vertragliche Grundlagen, beispielsweise einen Anpassungsvertrag, vorbereitet hat. Indem sich der öffentliche Auftraggeber an seinen Vertragspartner wandte, gab er nach außen erkennbar seinen Willen kund, dass er den geänderten Bedarf 181 Vgl. Art. 2f Abs. 1 lit. b RMR n. F. Die Festlegung einer Verjährungsfrist dient der Rechtssicherheit (so Erwägungsgrund 25 RMR-ÄnderungsRL). Sie ist jedoch in das Ermessen der Mitgliedsstaaten gestellt. 182 Hierzu Kapitel 9.B.I. 183 EuGH, Urt. v. 11. 01. 2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-1, Rn. 31. 184 BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (291). 185 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149; Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (698 f.); Beschl. v. 11. 03. 2002 – Verg 43/ 01, NZBau 2002, 55 (57); BayObLG, Beschl. v. 27. 02. 2003 – Verg 25/02, NZBau 2003, 634; Beschl. v. 22. 01. 2002 – Verg 18/01, NZBau 2002, 397 (398); VK Bund, Beschl. v. 29. 06. 2005 – VK 3 – 52/05, IBR 2005, 1251; Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 –35/03, IBR 2003, 491; bestätigt durch BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (291). 186 Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2744).

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

347

von einem Dritten ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens beschaffen will. Mit der Kontaktierung seines Vertragspartners zum Zwecke der Vertragsände­ rung verließ er den rein internen Bereich organisatorischer Vorüberlegungen. Ab diesem Zeitpunkt lag somit ein Vergabeverfahren im materiellen Sinne vor, welches auch vor Inkrafttreten des GWB n. F. vor den Nachprüfungsinstanzen beanstandet werden konnte. Erlangte das interessierte Unternehmen von der Vertragsänderung Kenntnis, so konnte es die Nichtigkeit einer Vertragsänderung und den Anspruch auf Durchführung eines Vergabeverfahrens im Wege des vergaberechtlichen Primär­ rechtsschutzes geltend machen. 187 Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des GWB n. F. existierten auch keine Ausschlussfristen für die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Damit können vergaberechtswidrige Vertragsänderun­ gen, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurden, mit dem Ziel der Feststellung der Nichtigkeit während der gesamten Laufzeit des (geänderten) Vertrages angegriffen werden. b) Antragsbefugnis und Rügeobliegenheit Zugangsvoraussetzung zum Vergabenachprüfungsverfahren ist eine Antrags­ befugnis des rechtsschutzsuchenden Unternehmens. Hierzu ist die Darlegung eines Interesses am Auftrag sowie eines drohenden Schadens gemäß § 107 Abs. 2 GWB erforderlich. Der drohende Schaden liegt bei einer De-facto-Ver­ gabe in der Beeinträchtigung der Chance auf Teilnahme am Vergabeverfahren und Erhalt des Auftrags. Weiterhin muss das am Auftrag interessierte Unterneh­ men aufgrund des subjektiv-bieterbezogenen Charakters des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes darlegen, dass es für Aufträge über die geänderte Leistung generell fachkundig ist und bei ordnungsgemäßer Ausschreibung die erforderli­ chen personellen, sachlichen und technischen Kapazitäten für die Auftragsdurch­ führung zur Verfügung gehabt hätte. Die am Auftrag interessierten Unternehmen sind zwar zudem grundsätzlich verpflichtet, den erkannten Vergaberechtsverstoß gegenüber dem Auftraggeber zu rügen. Eine Rüge ist jedoch entbehrlich, wenn die De-facto-Vertragsänderung oder -verlängerung bereits vollzogen ist. In diesem Fall kann der Zweck der Rüge, die Abhilfe der Rechtsverletzung seitens des öffentlichen Auftraggebers, nicht mehr erreicht werden. 188 Die Rügepflicht entfällt daher prinzipiell (auch) für vergaberechtswidrige Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurden.

187 188

Zur Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens oben, Kapitel 9.B.I.

Zur Rügeobliegenheit Kapitel 9.B.III.

348

Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

3. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz nach Inkrafttreten des GWB n. F. Nach Inkrafttreten des GWB n. F. können Aufträge, die vergaberechtswidrig unmittelbar an ein Unternehmen vergeben wurden, von einer Nachprüfungsin­ stanz gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB für unwirksam erklärt werden. Im Falle einer vergaberechtswidrigen Vertragsänderung durch Parteivereinbarung ist der Tatbestand erfüllt. 189 Ein am Auftrag über die Vertragsänderung interessiertes Unternehmen kann somit auch nach der Beauftragung der vergaberechtswidrigen Vertragsänderung Primärrechtsschutz vor den Nachprüfungsinstanzen suchen und die Nichtigkeit der Auftragsvergabe geltend machen. Allerdings hängt die Wahrnehmung des Rechtsschutzes bei nachträglichen Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung von einer zufälligen und vor allem rechtzeitigen Kenntnis­ erlangung ab. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund problematisch, dass gemäß § 101b Abs. 2 GWB die Nachprüfungsinstanzen spätestens sechs Mona­ ten ab Vereinbarung der Vertragsänderung angerufen werden müssen. Erlangen die am Auftrag interessierten Unternehmen erst nach diesem Zeitraum Kenntnis von der De-facto-Vertragsänderung, so können sie ihr Recht auf Teilhabe am geänderten Auftrag nicht mehr durchsetzen, wenn die Vertragsänderung nach Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurde. Damit werden sie gegenüber der alten Rechtslage schlechter gestellt, da nach dieser die Nichtigkeit während der gesamten Laufzeit des geänderten Vertrages geltend gemacht werden kann. Eine Kenntniserlangung bei De-facto-Vergaben im internen Vertragsverhält­ nis gestaltet sich schwierig. Wird der Leistungsbeginn für die geänderte oder zusätzliche Leistung sogar erst ein halbes Jahr nach Vereinbarung der Vertrags­ änderung angesetzt, wird eine Kenntniserlangung quasi ausgeschlossen. Gerade im Bereich der bewussten Umgehung des Vergaberechts werden nach den Ände­ rungen des GWB mithin rechtlich unangreifbare Möglichkeiten zur bewussten Umgehung des Vergaberechts geschaffen. Soweit eine rechtzeitige Kenntniserlangung vorliegt und die Ausschlussfris­ ten nach § 101b Abs. 2 GWB beachtet wurden, muss ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden. Eine Pflicht zur vorherigen Rüge besteht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB nicht. Die Nachprüfungsinstanzen müssen, sofern die Vorausset­ zungen einer vergaberechtswidrigen Vertragsänderung vorliegen, den geänderten Vertrag für von Anfang an nichtig erklären. Der Gesetzgeber hat diesbezüglich keine Spielräume vorgesehen. Insoweit wurde der Rechtsschutz gegenüber der alten Rechtslage gesichert und verbessert.

189

Siehe oben Kapitel 8.B.II.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

349

4. Ergebnis Gegen eine vor Inkrafttreten des GWB n. F. vollzogene Vertragsänderung unter Umgehung des Vergaberechts können Nichtigkeitsgründe gemäß § 13 Satz 6 VgV a. F. oder § 138 BGB angeführt werden. Ziel ist es, dem Auftragge­ ber die Vergabe der geänderten Leistungen ohne vorherige Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens zu untersagen. Die übergangenen Bieter können jedoch nur dann ihre Rechte im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens wahrneh­ men, wenn sie Kenntnis von der anstehenden Vertragsänderung erlangen und die Nachprüfungsinstanz sich ihrer Rechtsansicht anschließt. Gesetzliche Normen existieren insoweit nicht. Daher ist der Rechtsschutz gegen vergaberechtswidrige Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurden, nicht effektiv. Allerdings können vor Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommene vergaberechtswidrige Vertragsänderungen durch Parteivereinbarungen während der gesamten Laufzeit des geänderten Vertrages mit dem Ziel der Feststellung der Nichtigkeit und Neuausschreibung angegriffen werden. Die Unsicherheiten bezüglich der Erlangung von Rechtsschutz gegen verga­ berechtswidrige Vertragsänderungen sind durch das GWB n. F. zwar beseitigt. Gemäß § 101b Abs. 2 GWB können die Nachprüfungsinstanzen auch nach Vor­ nahme der Vertragsänderung angerufen werden werden. Allerdings gilt hierfür eine Ausschlussfrist von 30 Tagen nach Kenntniserlangung bzw. sechs Monaten nach Vornahme der Vertragsänderung. Dies bedeutet einen erheblichen Ein­ schnitt beim Rechtsschutz. II. Rechtsschutz gegen Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung Vertragsverlängerungen nach Zuschlagserteilung können dadurch bewirkt wer­ den, dass der öffentliche Auftraggeber von der ihm eingeräumten Befugnis zur Kündigung und damit Beendigung des Vertrages keinen Gebrauch macht. Ver­ tragsverlängerungen durch Nichtausüben eines Kündigungsrechts sind als ver­ gaberechtlich eigenständige Beschaffungsvorgänge zu werten, wenn eine Pflicht zur Kündigung des Vertragsverhältnisses bestand. Eine Pflicht zur Kündigung besteht immer dann, wenn die Fortsetzung des Vertrages einen rechtswidrigen Zustand begründen oder vertiefen würde. 190 Die Fortführung des Vertrages trotz Pflicht zur Kündigung stellt eine vergaberechtswidrige Neuvergabe des Auftrags unter Umgehung des Vergaberechts und damit eine unzulässige De-facto-Ver­ gabe dar. Die Nichtigkeitsfolge einer solchen Auftragsvergabe unter Umgehung des Vergaberechts tritt jedoch nur ein, wenn sie im Wege des Primärrechts­ 190

Hierzu im Einzelnen Kapitel 5.B.II.2.b.cc.

350

Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

schutzes von einer Nachprüfungsinstanz festgestellt wurde. 191 Zudem haben die interessierten Unternehmen im Falle einer Kündigungspflicht einen Anspruch, dass dem öffentlichen Auftraggeber untersagt wird, weitere Leistungen ohne vorherige Durchführung eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens bei sei­ nem Vertragspartner zu beauftragen. 192 Diesen Anspruch können sie im Wege des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes vor den Nachprüfungsinstanzen gel­ tend machen. 193 1. Rechtsschutz unter Zugrundelegung der RMR-ÄnderungsRL Die Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien können durchaus Auswirkungen auf den Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige Vertragsverlängerungen durch Unterlassen einer Kündigung haben. Zum einen bringen die Änderungen insoweit eine Verbesserung zugunsten der Unternehmen, als derzeit Teile der Rechtsprechung diesen Unternehmen gar keinen Primärrechtsschutz zugestehen wollen. Dieser wird nunmehr mit der RMR-ÄnderungsRL hinsichtlich verga­ berechtswidriger De-facto-Vergaben sichergestellt. Darüber hinaus können die Nachprüfungsinstanzen die Befugnis zum rechtsgestaltenden Eingreifen in das vergaberechtswidrige Vertragsverhältnis erhalten. Die Änderungen der RMR se­ hen insoweit vor, dass die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages durch die Nachprüfungsinstanzen auch auf die Verpflichtungen beschränkt werden kann, die noch zu erfüllen sind. 194 Die Nachprüfungsinstanzen sollen aus Grün­ den der Verhältnismäßigkeit die Möglichkeit erhalten, einige zeitliche Wirkun­ gen des Vertrages anzuerkennen. 195 Das Anerkenntnis gewisser zeitlicher Wir­ kungen eines Vertrages könnte bedeuten, dass die Nachprüfungsinstanzen den Zeitpunkt der Beendigung des Vertrages festlegen dürfen. Sie könnten daher insbesondere anordnen, dass der Vertrag zum vertraglich vorgesehenen Kündi­ gungszeitpunkt endet. Eine solche Festlegung ist für die Vertragsparteien vor allem zumutbar, da die Beendigung des Vertragsverhältnisses im vereinbarten Sinne erfolgt.

191

Hierzu Kapitel 8.B.II. VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 18. 07. 2001 – 2 VK 06/01. 193 Gegenstand der Nachprüfung kann bereits die ursprüngliche Ausschreibung eines unbefristeten Vertrages mit Kündigungsmöglichkeit bzw. unbegrenzter Verlängerungs­ möglichkeit sein. Denn eine dahingehende Vertragsgestaltung verstößt gegen das Wett­ bewerbsgebot des § 97 Abs. 1 GWB und ist somit vergaberechtswidrig. Insoweit ergeben sich keine Besonderheiten bei Rechtsschutz im Rahmen eines laufenden Vergabeverfah­ rens. 194 Art. 2d Abs. 2 UAbs. 2 RMR n. F. 195 Erwägungsgrund 22 RMR-ÄnderungsRL. In diesem Fall müssen jedoch alternative Sanktionen zusätzlich angeordnet werden, wie zum Beispiel Geldstrafen (vgl. Art. 2e Abs. 2 Spstr. 1 RMR n. F.). 192

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

351

2. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz vor Inkrafttreten des GWB n. F. a) Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens Nachprüfungsverfahren gegen vergaberechtswidrige De-facto-Vergaben waren grundsätzlich statthaft. Insbesondere war die Entscheidung des öffentlichen Auf­ traggebers, vor Fortsetzung des Vertragsverhältnisses kein Vergabeverfahren ein­ zuleiten, einer Nachprüfung zugänglich. Denn der Auftraggeber entschied hier­ mit zugleich, dass er das Vergaberecht nicht anwenden will. Problematisch ist für die Konstellation von Vertragsverlängerungen durch Nichtausübung des Kündigungsrechts, dass die vergaberechtswidrige De-factoVergabe durch ein Unterlassen des öffentlichen Auftraggebers zustande kommt. Nach außen tretende, erkennbare organisatorische oder planerische Schritte des öffentlichen Auftraggebers vor einer Auftragsvergabe hat es daher nicht gegeben. Deshalb ist fraglich, auf welchen Zeitpunkt der Beginn des Vergabeverfahrens festzulegen ist. Rechtliche Grundlage der stetigen Neuvergaben ist der Vertrag über die ursprüngliche Leistung. Dieser enthält zugleich die Vereinbarung der Verlängerungsmöglichkeiten durch Nichtausüben eines Kündigungsrechts. Der öffentliche Auftraggeber hat mit dem Vertrag daher nicht nur einen aktuellen Bedarf befriedigt, sondern zugleich die Grundlagen für die Beauftragung zu­ künftiger Leistungen gelegt. Durch die Wahl dieser Vertragskonstruktion bringt er zum Ausdruck, dass er hinsichtlich der Leistung grundsätzlich einen lang­ fristigen oder gar zeitlich unbegrenzten Bedarf besitzt, den er durch Beschaf­ fung am Markt decken will. Der öffentliche Auftraggeber hat daher bereits mit Abschluss des Vertrages die notwendigen planerischen und organisatorischen Schritte getroffen, um auch künftige Beschaffungen dauerhaft zu sichern. Be­ züglich seines zukünftigen Bedarfs ist er an den Vertragspartner herangetreten und hat rechtliche Vorkehrungen getroffen, um die Leistungen unter Umgehung des Vergaberechts zu beauftragen. Damit wurde zugleich der Bereich rein inter­ ner Vorüberlegungen verlassen. 196 Nach materiellem Verständnis muss somit der Zeitpunkt des Beginns des Vergabeverfahrens für die zukünftigen Leistungen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses angesiedelt werden. 197 Es liegt daher ab diesem Zeitpunkt ein Vergabeverfahren vor, dessen Vergaberechtskonformität vor den Nachprüfungsinstanzen beanstandet werden kann. 196

Die VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 18. 07. 2001 – 2 VK 06/01, hat das Vorliegen eines Vergabeverfahrens verneint, obwohl der öffentliche Auftraggeber die Verlängerung durch Nichtkündigung in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall bereits erwogen hatte. Die Kammer verkennt insoweit das materielle Begriffsverständnis des Vergabeverfahrens. 197 Das maßgebliche materielle Verständnis bedingt zugleich, dass nicht an formelle Schritte des öffentlichen Auftraggebers, wie beispielsweise das Verstreichen lassen der Kündigungsfrist, angeknüpft werden muss.

352

Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

Gleichwohl wurde ein Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige Nicht­ kündigung langfristiger Vertragsverhältnisse seitens der vergaberechtlichen Recht­ sprechung zum Teil nicht anerkannt. Das Begehren eines Antragstellers, den Auf­ traggeber zu verpflichten, vertragliche Leistungen zu kündigen und auszuschrei­ ben, soll hiernach einen unzulässigen, auf vorbeugenden Rechtsschutz gerichteten Feststellungsantrag darstellen. 198 Selbst wenn der Vertrag unter Verstoß gegen das Vergaberecht zustande gekommen sei, könne der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet werden, von einem eventuell entstandenen Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen, um die Leistung einem ordnungsgemäßen Vergabeverfahren zufüh­ ren zu können. 199 Die Nachprüfungsinstanzen seien insoweit nicht ermächtigt, in laufende, rechtswirksam geschlossene Verträge in irgendeiner Weise rechtsgestal­ tend einzugreifen und den Auftraggeber zu einer Kündigung zu veranlassen. 200 Den Befugnissen der Nachprüfungsinstanzen seien durch die grundlegenden Prin­ zipien des Vertragsrechts, insbesondere die Grundsätze der pacta sunt servanda, Grenzen gesetzt mit der Folge, dass wirksame Verträge bindend seien. 201 Der Auffassung der vorangehend dargestellten Rechtsprechung kann nicht ge­ folgt werden. Zwar ist es zutreffend, dass wirksam geschlossene Verträge nach dem deutschen Vergaberecht Bestandsschutz besitzen. Ein wirksam geschlosse­ ner Vertrag kann mithin seitens der Nachprüfungsinstanzen nicht aufgehoben werden. Gleichwohl geht die Diskussion am Thema vorbei. Zunächst stellt ein Nachprüfungsverfahren gegen eine Vertragsverlängerung durch Nichtausübung des Kündigungsrechts keinen unzulässigen vorbeugenden Rechtsschutz dar. Es liegt vielmehr ein Vergabeverfahren im materiellen Sinne vor, welches zum Ge­ genstand der Nachprüfung in einem Nachprüfungsverfahren gemacht werden kann. Denn der öffentliche Auftraggeber hat sich durch die Wahl der Vertrags­ 198

OLG Celle, Beschl. v. 04. 05. 2001 – 13 Verg 5/00, NZBau 2002, 53; OLG Düs­ seldorf, Beschl. v. 12. 01. 2000 – Verg 4/99, NZBau 2000, 391 (395); VK Arnsberg, Beschl. v. 18. 07. 2000 – VK 2 – 07/2000; VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 12. 2000 – 203 -VgK-16/2000; Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5, Rn. 22. 199 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. 01. 2000 – Verg 4/99, NZBau 2000, 391 (395); VK Arnsberg, Beschl. v. 18. 07. 2000, VK 2 – 07/2000. 200 OLG Celle, Beschl. v. 04. 05. 2001 – 13 Verg 5/00, NZBau 2002, 53; OLG Düs­ seldorf, Beschl. v. 12. 01. 2000 – Verg 4/99, NZBau 2000, 391 (395); VK Arnsberg, Beschl. v. 18. 07. 2000 – VK 2 – 07/2000; VK Niedersachsen, Beschl. v. 12. 12. 2000 – 203 -VgK-16/2000; Ax / Schneider / Nette, Handbuch Vergaberecht, Kapitel 5, Rn. 22. 201 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08. 05. 2002 – Verg 8 –15/01; Beschl. v. 12. 01. 2000 – Verg 4/99, NZBau 2000, 391 (392 f.); VK Bund, Beschl. v. 13. 07. 2001 – VK 1 – 19/ 01, NZBau 2002, 110 (112); VK Hamburg, Beschl. v. 27. 04. 2006 – VgK FB 2/06. Zur Begründung wird zum Teil die Rechtsprechung des EuGH herangezogen, wonach das Gemeinschaftsrecht nicht verpflichte, in bestehende, auf unbestimmte Zeit geschlossene Rechtsverhältnisse einzugreifen, wenn diese Rechtsverhältnisse vor Ablauf der Umset­ zungsfrist geschlossen wurden (vgl. EuGH, Urt. v. 24. 09. 1998 – Rs. C-76/97 (Walter Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 48 ff. sowie Urt. v. 05. 10. 2000 – Rs. C-337/98 (Kommission / Frankreich), Slg. 2000, I-8377, Rn. 38 ff.).

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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konstruktion entschieden, die Leistung am Markt zu beschaffen. Damit hat seine Beschaffungsabsicht über die künftigen Leistungen den Bereich rein interner Vorbereitungsmaßnahmen verlassen. Entgegen der Annahme der vergaberechtlichen Rechtsprechung wird durch das Nachprüfungsverfahren auch nicht rechtsgestaltend in bestehende Vertrags­ verhältnisse eingegriffen. Die unter Umgehung des Vergaberechts vorgenom­ menen Vertragsverlängerungen stellen im Falle einer bestehenden Kündigungs­ pflicht vergaberechtlich relevante Neuvergaben dar, welche gerade nicht von der Bestandskraft des ursprünglichen Auftrags erfasst werden. Aus diesem Grund sprechen die Nachprüfungsinstanzen auch nicht die Kündigung des Vertrages aus. Vielmehr stellen sie die Nichtigkeit dieser De-facto-Vertragsverlängerun­ gen fest und untersagen dem öffentlichen Auftraggeber, die in Rede stehenden Leistungen ohne vorherige Durchführung eines geregelten Vergabeverfahrens zu beauftragen. 202 Die Nichtigkeit dieser unzulässigen De-facto-Vergabe kann insbesondere aus § 13 Satz 6 VgV a. F. hergeleitet werden. Der Primärrechts­ schutz gegen vergaberechtswidrige Vertragsverlängerungen durch Unterlassen einer Kündigung ist daher statthaft. Erlangt das interessierte Unternehmen von der rechtswidrig unterlassenen Kündigung Kenntnis, so kann es die Nichtigkeit des verlängerten Vertrages und den Anspruch auf Durchführung eines Vergabeverfahrens im Wege des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes geltend machen. 203 Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des GWB n. F. existieren auch keine Ausschlussfristen für die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Damit können vergaberechtswidrig unterlassene Kündigungen, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurden, mit dem Ziel der Feststellung der Nichtigkeit während der gesamten Laufzeit des verlängerten Vertrages angegriffen werden. b) Antragsbefugnis und Rügeobliegenheit Weitere Zulassungsvoraussetzung zum Vergabenachprüfungsverfahren ist ei­ ne Antragsbefugnis des rechtsschutzsuchenden Unternehmens. Hierzu ist die Darlegung eines Interesses am Auftrag sowie eines drohenden Schadens gemäß § 107 Abs. 2 GWB erforderlich. Der drohende Schaden liegt bei einer De-factoVergabe in der Beeinträchtigung der Chance auf Teilnahme am Vergabeverfah­ ren und Erhalt des Auftrags. Die Unternehmen müssen ein Interesse am Auftrag geltend machen können durch Darlegung der grundsätzlichen Eignung, insbe­ sondere der Leistungsfähigkeit. Bezüglich des verlängerten Leistungszeitraums muss daher nachgewiesen werden können, dass der Antragsteller für Aufträge 202 Vgl. bspw. VK Hessen, Beschl. v. 27. 04. 2007 – 69d-VK-11/2007; VK Münster, Beschl. v. 26. 09. 2007 – VK 17/07, NZBau 2007, 736 (Ls.). 203 Zur Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens oben, Kapitel 9.B.I.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

solcher Art generell fachkundig ist und bei ordnungsgemäßer Ausschreibung die erforderliche Leistungsfähigkeit, also personelle, sachliche und technische Kapazitäten für die Auftragsdurchführung zur Verfügung gehabt hätte. Eine Rüge ist entbehrlich, da sich der öffentliche Auftraggeber ganz bewusst dafür entschieden hat, trotz Pflicht zur Beendigung des Vertragsverhältnisses von seinem Kündigungsrecht keinen Gebrauch zu machen. Die De-facto-Vertragsver­ längerung wurde im Falle einer unterlassenen Kündigung vor Inkrafttreten des GWB n. F. bereits vollzogen ist. Der Zweck einer Rüge, die Abhilfe der Rechts­ verletzung seitens des öffentlichen Auftraggebers, kann daher nicht mehr erreicht werden. 3. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz nach Inkrafttreten des GWB n. F. Nach Inkrafttreten des GWB n. F. können Aufträge, die vergaberechtswidrig unmittelbar an ein Unternehmen vergeben wurden, von einer Nachprüfungsin­ stanz gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB für unwirksam erklärt werden. Im Falle einer vergaberechtswidriger Vertragsänderung ist dieser Tatbestand erfüllt. 204 Ein am Auftrag über die Vertragsänderung interessiertes Unternehmen kann somit auch nach vergaberechtswidriger Verlängerung des Vertrages durch Nicht­ kündigung Primärrechtsschutz vor den Nachprüfungsinstanzen suchen und die Nichtigkeit der Vertragsverlängerung geltend machen. Allerdings muss gemäß § 101b Abs. 2 GWB die Nachprüfungsinstanzen spätestens sechs Monaten nach der Vertragsverlängerung angerufen werden müssen. Erlangen die am Auftrag interessierten Unternehmen erst nach diesem Zeitraum Kenntnis von der De­ facto-Vertragsverlängerung, so können sie ihr Recht auf Teilhabe am geänderten Auftrag nicht mehr durchsetzen, wenn die Vertragsänderung nach Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurde. Zwar gestaltet sich eine Kenntniserlangung bei vergaberechtswidrigen Ver­ tragsverlängerungen durch Nichtkündigung weniger schwierig als bei der vor­ genannten Fallgruppe von Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung. Diese tritt bereits zu Tage, wenn Leistungen über den Kündigungszeitpunkt hinaus erbracht werden. Allerdings werden hier auch wieder den Umgehungen Tür und Tor geöffnet, indem die Kündigungsfristen auf sechs Monate ausgedehnt werden. Die neu eingeführten Bestimmungen zum Rechtsschutz gegen De-facto-Verga­ ben werden durch die statuierten Ausschlussfristen somit quasi ausgehebelt. Soweit jedoch eine rechtzeitige Kenntniserlangung vorliegt und die Aus­ schlussfristen nach § 101b Abs. 2 GWB beachtet wurden, kann ein Nachprü­ fungsverfahren eingeleitet werden. Eine Pflicht zur vorherigen Rüge besteht ge­ 204

Siehe oben Kapitel 8.B.II.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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mäß § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB nicht. Die Nachprüfungsinstanzen müssen, sofern die Voraussetzungen einer vergaberechtswidrigen Vertragsänderung vorliegen, den geänderten Vertrag für von Anfang an nichtig erklären. Der Gesetzgeber hat insoweit nicht von den Möglichkeiten nach der RMR zum rechtsgestaltenden Eingreifen der Nachprüfungsinstanzen in den Vertrag Gebrauch gemacht. 4. Ergebnis Die Fortsetzung des Vertrages durch Nichtausübung eines vertraglich verein­ barten Kündigungsrechts durch einen öffentlichen Auftraggeber stellt sich immer dann als eigenständiger, dem Vergaberecht unterliegender Beschaffungsvorgang dar, wenn eine Pflicht zur Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Kündi­ gung bestand. Eine Vertragsverlängerung trotz bestehender Pflicht zur Kündi­ gung stellt eine De-facto-Vergabe dar. Gegen diese können am Auftrag interes­ sierte Unternehmen Primärrechtsschutz vor den Nachprüfungsinstanzen geltend machen. Ein auf die Feststellung der Nichtigkeit der Vertragsverlängerung durch Nichtkündigung gerichteter Nachprüfungsantrag richtet sich insbesondere gegen ein Vergabeverfahren im materiellen Sinne. Denn der öffentliche Auftraggeber hat sich durch die Wahl der Vertragskonstruktion nach außen erkennbar entschie­ den, die künftigen Leistungen am Markt zu beschaffen. Er hat entsprechende vertragliche Vorkehrungen getroffen und ein konkretes Unternehmen für die Auf­ tragsvergabe ausgewählt. Damit hat die künftige Beschaffungsabsicht den rein internen Bereich des Auftraggebers verlassen. Die Regelungen nach § 101b Abs. 2 GWB statuieren zwar einen Primärrechts­ schutz gegen vollzogene De-facto-Vergaben und damit auch gegen vergaberechts­ widrige Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung. Allerdings gilt hierfür eine Ausschlussfrist von 30 Tagen nach Kenntniserlangung bzw. sechs Monaten nach Vornahme der Vertragsänderung. Dies bedeutet einen erheblichen Ein­ schnitt beim Rechtsschutz. Nach den Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien hätten die Mitgliedsstaa­ ten den Nachprüfungsinstanzen die Befugnis zum rechtsgestaltenden Eingreifen in das Vertragsverhältnis zugestehen können, indem diese unter bestimmten Voraussetzungen zeitliche Wirkungen des Vertrages anerkennen, mithin den Be­ endigungszeitpunkt festlegen können. Von dieser Befugnis hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. III. Rechtsschutz gegen Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten Das Optionsrecht gibt dem öffentlichen Auftraggeber ein einseitiges Gestal­ tungsrecht, bei dessen Ausübung der Vertrag zu den im Voraus bestimmten

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

Konditionen verlängert oder erweitert wird. 205 Die Ausübung des Optionsrechts begründet grundsätzlich keine neue Ausschreibungspflicht. Vielmehr bilden Op­ tionsrechte zusammen mit den übrigen Regelungsgegenständen einen einheitli­ chen Vertrag. Der öffentliche Auftraggeber nimmt bei Abruf der vereinbarten Option daher lediglich seine vertraglichen Rechte wahr. 206 Die Ausübung von Optionsrechten ist jedoch immer dann als eigenständiger Beschaffungsvorgang vergaberechtlich relevant, wenn das Optionsrecht nicht zu den vereinbarten Be­ dingungen ausgeübt wird oder durch die Ausübung ein rechtswidriger Zustand begründet oder vertieft würde. 207 In diesem Fall ist der öffentliche Auftraggeber rechtlich gehindert, von seinem Optionsrecht Gebrauch zu machen. Vielmehr darf er die mit dem Optionsrecht verbundenen Leistungen erst nach Durchfüh­ rung eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens vergeben. Eine Beauftragung des Vertragspartners durch vergaberechtswidrige Ausübung der Option stellt eine unzulässige De-facto-Vergabe dar, welche in der Rechtsfolge grundsätzlich nich­ tig ist. Die Nichtigkeit muss vor den Nachprüfungsinstanzen geltend gemacht werden. 1. Rechtsschutz unter Zugrundelegung der RMR-ÄnderungsRL a) Vergaberechtswidrige Ausgestaltung der Option Hinsichtlich des Rechtsschutzes gegen eine vergaberechtswidrige Ausgestal­ tung der Optionsklausel ändert sich im Hinblick auf die Änderungen der Rechts­ mittelrichtlinien nichts. Diese sollen vornehmlich den Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige De-facto-Vergaben effektivieren. Da aber vergaberechts­ widrig ausgestaltete Optionsklauseln von Anfang der Ausschreibung zugrunde lagen, sind sie nicht dem Bereich der vergaberechtswidrigen De-facto-Vergaben zuzuordnen. b) Vergaberechtswidrige Ausübung des Optionsrechts Nach den Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien können Aufträge, die unzu­ lässigerweise ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben wurden, von einer Nachprüfungsinstanz gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. a RMR für un­ wirksam erklärt werden. War der öffentliche Auftraggeber zur Ausschreibung der optionalen Leistung verpflichtet, so stellt die hierin liegende Vertragsverlänge­ rung oder Vertragserweiterung eine eigenständige Auftragsvergabe im Sinne der Vergaberichtlinien dar. Der Verstoß gegen die Ausschreibungspflicht führt zur 205 206 207

Klenk, Versicherungsdienstleistungen, S. 145. Hierzu Kapitel 6.C.II. Hierzu Kapitel 6.C.II.2.c.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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Nichtigkeit des Vertragsschlusses, wenn dieser binnen einer Verjährungsfrist nach Ausübung der Option vor den Nachprüfungsinstanzen geltend gemacht wird. 208 Das Problem der Kenntniserlangung von einer anstehenden oder vollzo­ genen De-facto-Vergabe bei vergaberechtswidriger Ausübung des Optionsrechts stellt sich im gleichen Maße wie bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung, da die interessierten Unternehmen zwar aufgrund der Ausschreibung der Option um deren Inhalt wissen, in der Regel aber keinen Ein­ blick in die tatsächliche Leistungserbringung haben. Auch bei dieser Fallgruppe hängt die Wahrnehmung des Rechtsschutzes von einer zufälligen Kenntniserlan­ gung ab. Dies ist vor dem Hintergrund problematisch, dass die Mitgliedsstaaten aus Gründen der Rechtssicherheit die Nachprüfungsverfahren an Ausschlussfristen binden können. Machen sie von dieser Befugnis Gebrauch, müssen die Nachprüfungsinstanzen binnen eines Zeitraums von bis zu sechs Monaten ab Vertragsschluss, also ab vergaberechtswidriger Ausübung des Optionsrechts, an­ gerufen werden. 209 Erlangen die am Auftrag interessierten Unternehmen erst nach diesem Zeitraum Kenntnis von der De-facto-Vertragsänderung, so können sie ihr Recht auf Teilhabe am öffentlichen Auftrag nicht mehr durchsetzen. c) Nachträgliche Vereinbarung einer optionalen Leistung Die nachträgliche Vereinbarung eines Optionsrechts zugunsten eines öffentli­ chen Auftraggebers ist vergaberechtlich als eine nachträgliche Änderung durch Parteivereinbarung zu bewerten. 210 Der Rechtsschutz gegen vergaberechtswid­ rige nachträgliche Vertragsänderungen, die ohne ein vorgeschriebenes Verfah­ ren vergeben werden, wird durch die Neuerungen kaum verbessert. Zwar wird in einem gewissen Maße Rechtssicherheit in Bezug auf den Rechtsschutz ge­ gen vergaberechtswidrige De-facto-Vergaben geschaffen. Allerdings hängt die Wahrnehmung des Rechtsschutzes von einer zufälligen Kenntniserlangung der nachträglichen Vereinbarung zur Leistungsänderung ab. 2. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz vor Inkrafttreten des GWB n. F. Die Anforderungen an die Wahrnehmung von Primärrechtsschutz unterschei­ den sich je nach dem, ob Gegenstand der Nachprüfung die vergaberechtswidrige 208

Vgl. Art. 2d Abs. 1 lit. a i.V. m. Art. 2f Abs. 1 lit. b RMR n. F. Vgl. Art. 2f Abs. 1 lit. b RMR n. F. Die Festlegung einer Verjährungsfrist dient der Rechtssicherheit (so Erwägungsgrund 25 RMR-ÄnderungsRL). Sie ist jedoch in das Ermessen der Mitgliedsstaaten gestellt. 210 Bezüglich der Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien kann daher auf die Ausfüh­ rungen zu den nachträglichen Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung verwiesen werden, Kapitel 9.C.I.2. 209

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

Ausgestaltung der Optionsklausel, die vergaberechtswidrige Ausübung der Opti­ on oder aber die nachträgliche Vereinbarung einer optionalen Leistung ist. a) Vergaberechtswidrige Ausgestaltung der Option Entspricht die Optionsklausel nicht den vergaberechtlichen Anforderungen, 211 so muss eine Überprüfung der ausgeschriebenen Optionsklauseln im Wege des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens während des laufenden Vergabever­ fahrens erfolgen. Diesbezüglich finden die Zugangsvoraussetzungen zum Ver­ gabenachprüfungsverfahren gemäß §§ 107 ff. GWB, wie Antragsbefugnis und Rügepflicht, vollumfänglich Anwendung. Eine Beanstandung der rechtswidri­ gen Ausgestaltung der Klausel erst bei dessen Ausübung ist unzulässig, da die Optionsklausel bereits in ihrer rechtswidrigen Ausgestaltung Gegenstand der Ausschreibung war und damit der vollumfänglichen Nachprüfungsmöglich­ keit unterlag. 212 Eine vergaberechtliche Prüfung der Optionsklausel findet somit grundsätzlich nur anlässlich des Abschlusses des Optionsvertrages statt, nicht hingegen bei dessen späterer Durchführung. 213 b) Vergaberechtswidrige Ausübung des Optionsrechts Anders ist dies jedoch zu beurteilen, wenn sich das Nachprüfungsbegehren auf die vergaberechtswidrige Ausübung der Optionsklausel und damit auf eine unzulässige De-facto-Vergabe bezieht. Die Statthaftigkeit eines Nachprüfungs­ verfahrens gegen eine vergaberechtswidrige De-facto-Vergabe setzt das Vorlie­ gen eines Vergabeverfahrens voraus. Für die Zwecke des Primärrechtsschutzes ist ein materielles Verständnis des Begriffs des Vergabeverfahrens anzulegen. 214 Ausschlaggebend ist, ob seitens des Auftraggebers organisatorische oder plane­ rische Schritte unternommen wurden, um den Leistungsinhalt und die Auswahl

211

Hierzu Kapitel 6, Kapitel 6.C.II.1. Wird eine Optionsklausel im laufenden Vergabeverfahren seitens der Bieter an­ gegriffen und ergibt die Überprüfung die Vergaberechtswidrigkeit dieser Klausel, führt dies nicht zur Unzulässigkeit der Ausschreibung insgesamt (vgl. Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (164)). Vielmehr findet die Vorschrift des § 306 Abs. 1 und 3 BGB entsprechende Anwendung, sodass nur die Opti­ onsklausel unwirksam ist. Die optionalen Leistungen müssen, soweit ein entsprechender Bedarf fortbesteht, in einem neuen Vergabeverfahren vergeben werden. Das Vergabever­ fahren kann mithin mit Ausnahme der optionalen Leistungen fortgeführt werden, es sei denn, das Festhalten an der Vergabe der übrigen Leistungen stellt eine unzumutbare Härte dar (Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (164)). 213 OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 (458); Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2746). 214 Zum materiellen Begriffsverständnis eines Vergabeverfahrens Kapitel 9.B.I. 212

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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mit dem Ziel des Vertragsschlusses zu regeln. 215 Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn beispielsweise ein Vertragsentwurf oder aber eine vertragliche Re­ gelung existiert, die die künftige Beschaffung regelt. Der öffentliche Auftraggeber stützt sich im Falle der vergaberechtswidrigen Ausübung eines Optionsrechts auf eine von ihm veranlasste und begründete vertragliche Regelung, die ihm ein einseitiges Gestaltungsrecht zu dem Zweck einräumt, seinen zukünftigen Bedarf unter Umgehung des Wettbewerbs durch Vertragsverlängerungen oder Leistungserweiterungen zu decken. Mit Aufnahme einer optionalen Verlängerungs- oder Erweiterungsmöglichkeit in das Vertrags­ verhältnis hat der öffentliche Auftraggeber die erforderlichen planerischen und organisatorischen Schritte unternommen und den Bereich rein interner Vorüber­ legungen verlassen. Der Beginn eines vergaberechtlich relevanten Verfahrens ist damit in dem Zeitpunkt anzusiedeln, in dem der Auftraggeber die Optionsklausel in den Vertrag aufnimmt. Der Vertrag mit dem aktuellen Vertragspartner regelt sämtliche Details der zukünftigen Leistung. Auch der Leistende wurde seitens des öffentlichen Auftraggebers konkret ausgewählt. Damit hat der Auftraggeber das Stadium rein interner Vorüberlegungen verlassen. Dabei ist es unschädlich, dass die Entstehung der Leistungspflicht von einer ausdrücklichen Erklärung sei­ tens des öffentlichen Auftraggebers abhängig ist. Für das maßgebliche materielle Verständnis des Vergabeverfahrens kommt es gerade nicht auf einen formellen Akt seitens des öffentlichen Auftraggebers an. 216 Die vergaberechtswidrige Aus­ übung der Optionsklausel kann somit vor den Nachprüfungsinstanzen angegrif­ fen werden. Ein Nachprüfungsantrag ist statthaft. Weitere Zulassungsvoraussetzung zum Vergabenachprüfungsverfahren ist ei­ ne Antragsbefugnis des rechtsschutzsuchenden Unternehmens. Hierzu ist die Darlegung eines Interesses am Auftrag sowie eines drohenden Schadens ge­ mäß § 107 Abs. 2 GWB erforderlich. Das am Auftrag interessierte Unternehmen muss darlegen, dass es für die Aufträge der streitgegenständlichen Art generell­ abstrakt geeignet ist und bei ordnungsgemäßer Durchführung eines Vergabever­ fahrens ein Angebot abgegeben hätte. 217 Diese Darlegung ist jedoch dann nicht erforderlich, wenn sich das Unternehmen bereits an dem Vergabeverfahren um 215 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149; Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (698 f.); Beschl. v. 11. 03. 2002 – Verg 43/ 01, NZBau 2002, 55 (57); BayObLG, Beschl. v. 27. 02. 2003 – Verg 25/02, NZBau 2003, 634; Beschl. v. 22. 01. 2002 – Verg 18/01, NZBau 2002, 397 (398); VK Bund, Beschl. v. 29. 06. 2005 – VK 3 – 52/05, IBR 2005, 1251; Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 –35/03, IBR 2003, 491; bestätigt durch BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (291). 216 Insbesondere kommt mit Erklärung bezüglich der optionalen Leistung der Ver­ trag bereits zustande, d. h. das Vergabeverfahren wäre in diesem Zeitpunkt – formell gesehen – schon wieder beendet. 217 Zur Antragsbefugnis Kapitel 9.B.II.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

den – auch die optionalen Leistungen beinhaltenden – Auftrag beteiligt hatte. In diesem Fall musste es sowohl seine Eignung gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber belegen als auch ein Angebot über die Gesamtleistung einschließ­ lich der optionalen Leistung abgeben. Damit wurde das Interesse am Auftrag hinreichend deutlich gemacht. Die am Auftrag interessierten Unternehmen sind zudem grundsätzlich ver­ pflichtet, den erkannten Vergaberechtsverstoß gegenüber dem Auftraggeber zu rügen. 218 Die Rügepflicht entsteht, sobald diese Kenntnis von der anstehenden De-facto-Vergabe bezüglich der optionalen Leistungen erlangen. Eine Rüge ist jedoch entbehrlich, wenn sich der öffentliche Auftraggeber ganz bewusst da­ für entschieden hat, die Leistung unter vergaberechtswidriger Ausübung des Optionsrechts und nicht im Wege der vergaberechtlichen Ausschreibung zu be­ schaffen. Eine Entbehrlichkeit ist auch dann gegeben, wenn die De-facto-Ver­ tragsänderung oder Verlängerung unmittelbar bevorsteht oder bereits vollzogen ist, wie dies bei rechtswidriger Ausübung von Optionsklauseln vor Inkrafttreten des GWB n. F. der Fall ist. In diesem Fall kann der Zweck der Rüge, die Abhilfe der Rechtsverletzung seitens des öffentlichen Auftraggebers, nicht mehr erreicht werden. c) Nachträgliche Vereinbarung einer optionalen Leistung Wird eine Optionsklausel vergaberechtswidrig nach Vertragsschluss verein­ bart oder abgeändert, so war sie nicht Gegenstand der Ausschreibung und damit auch nicht Inhalt des ursprünglichen Vertrages. Die nachträgliche Vereinbarung einer Optionsklausel stellt eine wesentliche Änderung der vertraglichen Grund­ lagen dar. Insoweit unterscheidet sich die Konstellation nicht von derjenigen nachträglicher Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung. Auf die dortigen Ausführungen kann daher verwiesen werden. 219 3. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz nach Inkrafttreten des GWB n. F. a) Vergaberechtswidrige Ausgestaltung der Option Entspricht die Optionsklausel nicht den vergaberechtlichen Anforderungen, 220 so muss eine Überprüfung der ausgeschriebenen Optionsklauseln im Wege des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens während des laufenden Vergabever­ fahrens erfolgen. An diesem Umstand ändern auch die Neuregelungen des GWB 218 219 220

Zur Rügeobliegenheit Kapitel 9.B.III. Hierzu Kapitel 9.C.I. Hierzu Kapitel 6, Kapitel 6.C.II.1.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

361

zum Primärrechtsschutz nichts. Eine Beanstandung der rechtswidrigen Ausge­ staltung der Klausel erst bei dessen Ausübung ist unzulässig, da die Optionsklau­ sel bereits in ihrer rechtswidrigen Ausgestaltung Gegenstand der Ausschreibung war und damit der vollumfänglichen Nachprüfungsmöglichkeit unterlag. 221 Eine vergaberechtliche Prüfung der Optionsklausel findet somit grundsätzlich nur an­ lässlich des Abschlusses des Optionsvertrages statt, nicht hingegen bei dessen späterer Durchführung. 222 b) Vergaberechtswidrige Ausübung des Optionsrechts Nach Inkrafttreten des GWB n. F. können Aufträge, die vergaberechtswidrig unmittelbar an ein Unternehmen vergeben wurden, von einer Nachprüfungsin­ stanz gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB für unwirksam erklärt werden. Im Falle einer vergaberechtswidrigen Ausübung des Optionsrechts ist der Tatbestand er­ füllt. 223 Ein am Auftrag interessiertes Unternehmen kann somit auch nach der vergaberechtswidriger Ausübung des Optionsrechts Primärrechtsschutz vor den Nachprüfungsinstanzen erlangen und die Nichtigkeit der Auftragsvergabe gel­ tend machen. Allerdings hängt die Wahrnehmung des Rechtsschutzes von einer rechtzeitigen Kenntniserlangung ab. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund problematisch, dass gemäß § 101b Abs. 2 GWB die Nachprüfungsinstanzen spä­ testens sechs Monaten ab vergaberechtswidriger Ausübung des Optionsrechts angerufen werden müssen. Erlangen die am Auftrag interessierten Unternehmen erst nach diesem Zeitraum Kenntnis von der vergaberechtswidrigen Optionsaus­ übung, so können sie ihr Recht auf Teilhabe nicht mehr durchsetzen. Damit werden sie gegenüber der alten Rechtslage schlechter gestellt, da nach dieser die Nichtigkeit ohne zeitliche Befristung geltend gemacht werden kann. Soweit eine rechtzeitige Kenntniserlangung vorliegt und die Ausschlussfris­ ten nach § 101b Abs. 2 GWB beachtet wurden, kann ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden. Eine Pflicht zur vorherigen Rüge besteht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB nicht. Die Nachprüfungsinstanzen müssen, sofern die Vorausset­ 221 Wird eine Optionsklausel im laufenden Vergabeverfahren seitens der Bieter an­ gegriffen und ergibt die Überprüfung die Vergaberechtswidrigkeit dieser Klausel, führt dies nicht zur Unzulässigkeit der Ausschreibung insgesamt (vgl. Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (164)). Vielmehr findet die Vorschrift des § 306 Abs. 1 und 3 BGB entsprechende Anwendung, sodass nur die Opti­ onsklausel unwirksam ist. Die optionalen Leistungen müssen, soweit ein entsprechender Bedarf fortbesteht, in einem neuen Vergabeverfahren vergeben werden. Das Vergabever­ fahren kann mithin mit Ausnahme der optionalen Leistungen fortgeführt werden, es sei denn, das Festhalten an der Vergabe der übrigen Leistungen stellt eine unzumutbare Härte dar (Saarländisches OLG, Beschl. v. 22. 10. 1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158 (164)). 222 OLG Rostock, Beschl. v. 05. 02. 2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 (458); Höfler / Noll-Ehlers, NJOZ 2007, 2742 (2746). 223 Siehe oben Kapitel 8.B.II.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

zungen einer vergaberechtswidrigen Vertragsänderung vorliegen, den geänderten Vertrag für von Anfang an nichtig erklären. Der Gesetzgeber hat insoweit keine Spielräume vorgesehen. Insoweit wurde der Rechtsschutz gegenüber der alten Rechtslage gesichert und verbessert. c) Nachträgliche Vereinbarung einer optionalen Leistung Wird eine Optionsklausel vergaberechtswidrig nach Vertragsschluss verein­ bart oder abgeändert, so war sie nicht Gegenstand der Ausschreibung und damit auch nicht Inhalt des ursprünglichen Vertrages. Die nachträgliche Vereinbarung einer Optionsklausel stellt eine wesentliche Änderung der vertraglichen Grund­ lagen dar. Insoweit unterscheidet sich die Konstellation nicht von derjenigen nachträglicher Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung. Auf die dortigen Ausführungen zum Primärrechtsschutz nach Inkrafttreten des GWB n. F. kann daher verwiesen werden. 224 4. Ergebnis Eine Optionsklausel, die von Anfang an Gegenstand der Ausschreibung der Leistung war, jedoch nicht den vergaberechtlichen Anforderungen an eines sol­ che genügt, kann während des laufenden Vergabeverfahrens im Wege des verga­ berechtlichen Primärrechtsschutzes vor den Nachprüfungsinstanzen angegriffen werden. Eine vergaberechtliche Prüfung der Optionsklausel findet nur anlässlich des Abschlusses des Optionsvertrages statt, nicht hingegen bei dessen späterer Durchführung. Dies gilt unabhängig von der Novellierung der Bestimmungen des GWB. Etwas anderes gilt jedoch, wenn eine vereinbarte Optionsklausel vergaberechtswidrig ausgeübt wird, sodass der Leistungsabruf zu einer Aushöhlung des Vergaberechts und damit zu einer vergaberechtswidrigen De-facto-Vergabe führt. Gegen diese ist ein vergaberechtlicher Rechtsschutz bei Durchführung des Ver­ trages grundsätzlich statthaft. Die interessierten Unternehmen können vor den Nachprüfungsinstanzen eine Untersagung erwirken, dass die optionalen Leistun­ gen ohne vorherige Durchführung eines geregelten Vergabeverfahrens beauftragt werden. Hieran ändert Novellierung der GWB-Bestimmungen nur insoweit et­ was, als einerseits Rechtssicherheit über das Bestehen von Rechtsschutz gegen De-facto-Vergaben geschaffen wird, andererseits der Primärrechtsschutz zeitlich befristet wird auf eine Geltendmachung innerhalb von sechs Monaten ab ver­ gaberechtswidriger Optionsausübung. Letzteres bedeutet eine Verschlechterung des Rechtsschutzes. 224

Hierzu Kapitel 9.C.I.3.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

363

Wird eine Optionsklausel erst nachträglich, das heißt nach Beendigung des Vergabeverfahrens und Vertragsschlusses, in den Vertrag aufgenommen, so han­ delt es sich um eine vergaberechtswidrige nachträgliche Vertragsänderung durch Parteivereinbarung. Die dortigen Ausführungen gelten für diese Konstellation entsprechend. IV. Rechtsschutz gegen Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen Leistungserweiterungen können nach Vertragsschluss auch auf der Grund­ lage von Rahmenvereinbarungen vollzogen werden. Rahmenvereinbarungen er­ möglichen es eine Vielzahl von Einzelaufträgen in einer Vereinbarung zusam­ menzufassen, dort die Bedingungen dieser Aufträge festzulegen und später die Einzelaufträge weitestgehend formlos an den oder die Vertragspartner der Rah­ menvereinbarung zu vergeben. 225 Bei der Auftragsvergabe auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen gilt es zwei Vergabestufen zu beachten, zum einen das Vergabeverfahren zum Abschluss der Rahmenvereinbarung und zum anderen die Vergabe der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge. Für beide Stufen existieren jeweils gesonderte vergaberechtliche Bestimmungen. Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen durch Vergabe der Einzelaufträge sind als eigenständige, vergaberechtlich relevante Beschaffungsvorgänge zu werten, wenn die Rahmenvereinbarung unter Umge­ hung des Vergaberechts zustande gekommen ist, die Einzelaufträge inhaltlich, zeitlich oder persönlich nicht von dieser erfasst werden oder die Bedingungen der Rahmenvereinbarung nachträglich grundlegend geändert werden. Gleiches gilt, wenn der Auftraggeber das geschätzte Auftragsvolumen um mehr als 15 % überschreitet. 226 In den vorgenannten Fällen stellt eine formlose Vergabe der Einzelaufträge unter Berufung auf die Rahmenvereinbarung eine vergaberechts­ widrige De-facto-Vergabe dar, welche in der Rechtsfolge grundsätzlich nichtig ist. Die nicht berücksichtigten Bieter haben einen Anspruch darauf, dass der von der Rahmenvereinbarung nicht erfasste Beschaffungsbedarf dem Wettbewerber zugänglich gemacht wird. 227

225

Vgl. Art. 1 Abs. 5 VKR; Art. 1 Abs. 4 SKR; § 3 Abs. 8 VgV; § 4 Abs. 1 VOL / A­

EG. 226 227

Siehe hierzu Kapitel 7.D. Dicks, Rahmenvereinbarungen, S. 93 (107).

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

1. Rechtsschutz unter Zugrundelegung der RMR-ÄnderungsRL a) Verfahren zur Vergabe der Rahmenvereinbarung Der Abschluss von Rahmenvereinbarungen wird hinsichtlich der Gewährleis­ tung von Primärrechtsschutz gemäß Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 RMR sonstigen öffent­ lichen Aufträgen gleichgestellt. Vor Abschluss der Rahmenvereinbarung hat der Auftraggeber daher die am Wettbewerb beteiligten und nicht berücksichtigten Bieter über seine Zuschlagsentscheidung zu informieren. Er muss eine Stillhalte­ frist von 10 oder 15 Kalendertagen – je nach Übermittlungsform – einhalten. 228 Während dieser Zeit können die nicht berücksichtigten Bieter Rechtsschutz ge­ gen die ihres Erachtens rechtswidrige Rahmenvereinbarung oder Zuschlagsent­ scheidung vor den Vergabenachprüfungsinstanzen suchen. Ein rechtzeitig ein­ geleitetes Nachprüfungsverfahren hemmt die Zuschlagserteilung. 229 Wird eine Rahmenvereinbarung unter Verstoß gegen die Informationspflicht oder Stillhal­ tefrist geschlossen, so können die Nachprüfungsinstanzen die Nichtigkeit des Abschlusses der Rahmenvereinbarung feststellen. 230 War der Auftraggeber der Ansicht, die Rahmenvereinbarung ohne Durch­ führung eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens vergeben zu können, so können die an der Rahmenvereinbarung interessierten Unternehmen gegen diese Entscheidung vor den Nachprüfungsinstanzen vorgehen. Verletzt der öffentliche Auftraggeber durch den Abschluss der Rahmenvereinbarung die Publizitätsbe­ stimmungen der Richtlinien, können die Nachprüfungsinstanzen den Abschluss der Rahmenvereinbarung für nichtig erklären. 231 b) Vergabe der Einzelaufträge Die Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien berücksichtigen die Besonderhei­ ten der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelauftragsvergaben und sehen hierfür ein recht komplexes Rechtsschutzsystem mit Ausnahmen und Ge­ genausnahmen vor. So können die Mitgliedsstaaten von der Einhaltung der Min­ dest-Stillhaltefrist eine Ausnahme vorsehen für (Einzel-)Aufträge, denen eine Rahmenvereinbarung zugrunde liegt. 232 Allerdings muss sichergestellt werden, dass bei einem Verstoß gegen die Bestimmungen zur Wiedereröffnung des Wett­ bewerbs (privilegiertes Verfahren) der abgeschlossene Vertrag unwirksam ist. 233 228 229 230 231 232 233

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Art. 2a Abs. 2 UAbs. 1 RMR n. F. Art. 2 Abs. 3 RMR n. F. Art. 2d Abs. 1 lit. a i.V. m. Art. 2f Abs. 1 lit. b RMR n. F. Art. 2d Abs. 1 lit. a RMR n. F. Art. 2b Abs. 1 lit. c RMR n. F. Art. 2b lit. c UAbs. 2 RMR n. F.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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Die Nachprüfungsinstanzen müssen berechtigt werden, die Unwirksamkeit zu erklären. 234 Alternativ, wenn die Unwirksamkeit nicht zur Anwendung kommen soll, können die öffentlichen Auftraggeber die an der Rahmenvereinbarung betei­ ligten, für die Einzelauftragsvergabe nicht berücksichtigten Bieter über die Zu­ schlagsentscheidung nach Wiedereröffnung des Wettbewerbs informieren. Nach Ablauf der Mindeststillhaltefristen kann der Vertrag wirksam geschlossen wer­ den. 235 Ein Primärrechtsschutz ist dann ausgeschlossen. Stellt sich die Vergabe des Einzelauftrages als ein Verstoß gegen die Pu­ blizitätsvorschriften der Richtlinie dar, so können die Nachprüfungsinstanzen ebenfalls die Unwirksamkeit der Einzelauftragsvergabe feststellen. 236 Ein Ver­ stoß gegen die Publizitätsbestimmungen liegt immer dann vor, wenn die Ein­ zelaufträge als eigenständige Beschaffungsvorgänge anzusehen waren und dem Vergaberecht unterlagen, gleichwohl aber formlos unter Berufung auf die Rah­ menvereinbarung vergeben wurden. 2. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz vor Inkrafttreten des GWB n. F. Im Bereich von Rahmenvereinbarungen, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. abgeschlossen wurden, können vergaberechtlich zu beanstandende Auftragsver­ gaben auf zwei Ebenen in Betracht kommen, einmal bei der Vergabe der Rahmen­ vereinbarung und ein weiteres Mal bei der Vergabe des konkreten Einzelauftrags. a) Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens aa) Vergabeverfahren zum Abschluss der Rahmenvereinbarung Der Abschluss einer Rahmenvereinbarung wurde grundsätzlich 237 der Verga­ be eines öffentlichen Auftrags gleichgestellt. 238 Aufgrund dessen gelten auch die Regelungen bezüglich des Rechtsschutzes. Vergaberechtsverstöße bei der Durchführung des Vergabeverfahrens zum Abschluss der Rahmenvereinbarung können daher regulär im Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden. Dies gilt insbesondere für Verstöße des Auftraggebers gegen die Verfahrens- und Publizitätsvorschriften sowie gegen das Missbrauchsverbot. 239 234

Vgl. Art. 2d Abs. 1 lit. c RMR n. F. Vgl. Art. 2d Abs. 5 RMR n. F. 236 Vgl. Art. 2d Abs. 1 lit. a RMR n. F. 237 Art. 14 Abs. 1 SKR stellt die Gleichstellung der Rahmenvereinbarung mit einem öffentlichen Auftrag i. S. d. § 99 Abs. 1 GWB in das Ermessen der Sektorenauftraggeber. 238 Siehe oben Kapitel 7.C.II.1. 239 VK Arnsberg, Beschl. v. 21. 05. 2002 – VK 1 – 10/2002. 235

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

Die Vergabe einer Rahmenvereinbarung ohne Einhaltung eines vorgeschrie­ benen vergaberechtlichen Verfahrens stellt außerhalb des Sektorenbereichs eine unzulässige De-facto-Vergabe dar. Auf der Grundlage einer De-facto-Rahmen­ vereinbarung können insbesondere Einzelaufträge nicht formlos vergeben wer­ den. Ein Nachprüfungsverfahren gegen eine unzulässige De-facto-Vergabe ist grundsätzlich statthaft. Voraussetzung ist jedoch, dass sich die Nachprüfung ge­ gen ein laufendes Vergabeverfahren richtet. Ein vergaberechtlich nachprüfbares Vergabeverfahren hinsichtlich des Abschlusses von Rahmenvereinbarungen liegt nach materiellem Verständnis vor, wenn der Auftraggeber sich an ein oder meh­ rere Unternehmen wendet und mit diesem über Inhalt und Ausgestaltung der Rahmenvereinbarung verhandelt. Erst ab diesem Zeitpunkt ist vom Vorliegen ei­ nes Vergabeverfahrens auszugehen, welches Gegenstand einer Nachprüfung sein kann. Die Grundsätze hinsichtlich Nichtigkeit und Anfechtung vergaberechts­ widrige De-facto-Vergaben finden in diesem Fall Anwendung. bb) Vergabe der Einzelaufträge Das Nachprüfungsverfahren ist auch bei der Vergabe von Einzelaufträgen, die sich als vergaberechtswidrige De-facto-Vergaben darstellen, statthaft. Das Nachprüfungsverfahren muss sich jedoch auf ein laufendes Vergabeverfahren beziehen. Für die Zwecke des Primärrechtsschutzes ist ein materielles Verständ­ nis des Begriffs des Vergabeverfahrens anzulegen. 240 Dieses liegt vor, wenn der Auftraggeber organisatorische oder planerische Schritte unternimmt, um den Leistungsinhalt und die Auswahl mit dem Ziel des Vertragsschlusses zu regeln, und damit den Bereich rein interner Vorüberlegungen verlässt. 241 Ein Vergabeverfahren bezüglich der vergaberechtswidrigen Beauftragung der Einzelleistungen liegt nach materiellem Begriffsverständnis bereits mit Abschluss der Rahmenvereinbarung vor. Denn der öffentliche Auftraggeber hat in der Rah­ menvereinbarung die wesentlichen Bedingungen für die Vergabe der Einzelaufträ­ ge, wie den Leistungsgegenstand, den Vertragspartner, den Preis etc., festgelegt und damit planerische und organisatorische Schritte zur Auftragsvergabe eingelei­ tet. Der Bereich rein interner Vorüberlegungen wurde mit Abschluss der Rahmen­ vereinbarung verlassen. Es liegt daher ab diesem Zeitpunkt ein materielles Ver­ gabeverfahren zur Beauftragung der Einzelleistungen vor, welches Gegenstand 240

Zum materiellen Begriffsverständnis eines Vergabeverfahrens Kapitel 9.B.I. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 07. 2006 – Verg 26/06, IBR 2007, 149; Beschl. v. 20. 06. 2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (698 f.); Beschl. v. 11. 03. 2002 – Verg 43/ 01, NZBau 2002, 55 (57); BayObLG, Beschl. v. 27. 02. 2003 – Verg 25/02, NZBau 2003, 634; Beschl. v. 22. 01. 2002 – Verg 18/01, NZBau 2002, 397 (398); VK Bund, Beschl. v. 29. 06. 2005 – VK 3 – 52/05, IBR 2005, 1251; Beschl. v. 20. 05. 2003 – VK 1 –35/03, IBR 2003, 491; bestätigt durch BGH, Beschl. v. 01. 02. 2005 – X ZB 27/04, NZBau 2005, 290 (291). 241

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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eines Nachprüfungsverfahrens sein kann. Das Nachprüfungsverfahren ist eröff­ net und kann mit dem Ziel angegriffen werden, dem Auftraggeber die De-factoVergabe der Einzelaufträge ohne vorherige Durchführung eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens zu untersagen. b) Antragsbefugnis und Rügeobliegenheit Antragsteller eines solchen Nachprüfungsverfahrens können sowohl solche Unternehmen sein, die Partei der Rahmenvereinbarung sind, den Einzelauftrag aber nicht erhalten, als auch dritte Unternehmen, die zwar nicht an der Rah­ menvereinbarung beteiligt sind, aber sonst ein Interesse an dem Auftrag geltend machen können. 242 Zulassungsvoraussetzung zum Vergabenachprüfungsverfahren ist eine Antrags­ befugnis des rechtsschutzsuchenden Unternehmens. Hierzu ist die Darlegung ei­ nes Interesses am Auftrag sowie eines drohenden Schadens gemäß § 107 Abs. 2 GWB erforderlich. Das am Auftrag interessierte Unternehmen muss insbesonde­ re darlegen, dass es für Aufträge der streitgegenständlichen Art generell-abstrakt geeignet ist und bei ordnungsgemäßer Durchführung eines Vergabeverfahrens ein Angebot abgegeben hätte. 243 Es muss daher bezüglich der geänderten Be­ dingungen der Einzelaufträge belegen können, dass es für Aufträge solcher Art fachkundig ist und bei ordnungsgemäßer Ausschreibung zu den geänderten Bedin­ gungen die erforderlichen personellen, sachlichen und technischen Kapazitäten zur Verfügung gehabt hätte. Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich das Unternehmen unter Umständen bereits an der Ausschreibung um die Rahmenver­ einbarung beteiligt und in diesem Rahmen die Eignung nachgewiesen und ein Angebot abgegeben hat. Hierauf kann sich das antragstellende Unternehmen im Rahmen seiner Antragsbefugnis berufen. Soweit eine Rügepflicht besteht, muss das am Auftrag interessierte Unterneh­ men auch dieser nachkommen. Diese entsteht grundsätzlich mit Kenntnis der Umstände, die zu einer De-facto-Vergabe bezüglich der Einzelaufträge führen, also beispielsweise mit Kenntnis von den geänderten Bedingungen oder dem Überschreiten des Auftragsvolumens. Dabei sind an die Rügeobliegenheit keine hohen Anforderungen zu stellen, da sich die De-facto-Beschaffungsmaßnahme im Vertragsverhältnis vollzieht. Insbesondere ist eine Rüge entbehrlich, wenn sich der öffentliche Auftraggeber ganz bewusst dafür entschieden hat, die Leis­ tung unter Abänderung Bedingungen und nicht im Wege der vergaberechtlichen Ausschreibung zu beschaffen. Eine Entbehrlichkeit ist auch dann gegeben, wenn die Vergabe der Einzelaufträge unmittelbar bevorsteht oder bereits vollzogen ist, 242 243

Franke, ZfBR 2006, 546 (549, 552 f.).

Zur Antragsbefugnis Kapitel 9.B.II.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

wie dies bei De-facto-Vergaben vor Inkrafttreten des GWB n. F. der Fall ist. In diesem Fall kann der Zweck der Rüge, die Abhilfe der Rechtsverletzung seitens des öffentlichen Auftraggebers, nicht mehr erreicht werden. 244 3. Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz nach Inkrafttreten des GWB n. F. a) Verfahren zur Vergabe der Rahmenvereinbarung Der Abschluss von Rahmenvereinbarungen ist hinsichtlich der Gewährleistung von Primärrechtsschutz sonstigen öffentlichen Aufträgen gleichzustellen. 245 Vor Abschluss der Rahmenvereinbarung hat der Auftraggeber daher die am Wettbe­ werb beteiligten und nicht berücksichtigten Bieter über seine Zuschlagsentschei­ dung zu informieren. Er muss gemäß § 101a GWB eine Stillhaltefrist von 10 oder 15 Kalendertagen – je nach Übermittlungsform – einhalten. Während die­ ser Zeit können die nicht berücksichtigten Bieter Rechtsschutz gegen die ihres Erachtens rechtswidrige Rahmenvereinbarung oder Zuschlagsentscheidung vor den Vergabenachprüfungsinstanzen suchen. Ein rechtzeitig eingeleitetes Nach­ prüfungsverfahren hemmt die Zuschlagserteilung. Wird eine Rahmenvereinba­ rung unter Verstoß gegen die Informationspflicht oder Stillhaltefrist geschlossen, so können die Nachprüfungsinstanzen die Nichtigkeit des Abschlusses der Rah­ menvereinbarung feststellen gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB. War der Auftraggeber der Ansicht, die Rahmenvereinbarung ohne Durchfüh­ rung eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens direkt an seinen Vertragspart­ ner vergeben zu können, so können die an der Rahmenvereinbarung interessierten Unternehmen die Nichtigkeit des Abschlusses gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB von einer Nachprüfungsinstanz feststellen lassen, wenn sie die Ausschlussfristen von 30 Kalendertagen ab Kenntniserlangung bzw. sechs Monaten ab Vertrags­ schluss nach § 101b Abs. 2 GWB beachten. b) Vergabe der Einzelaufträge Die Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien, welche die Besonderheiten der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelauftragsvergaben berücksichti­ gen und hierfür ein komplexes Rechtsschutzsystem mit Ausnahmen und Gegen­ ausnahmen vorsehen, 246 wurden im GWB n. F nicht übernommen. Es bleibt daher bei den allgemeinen Bestimmungen für De-facto-Vergaben nach § 101b Abs. 1 Nr. 2 i.V. m. Abs. 2 GWB. Demnach können Einzelaufträge, die sich als 244 245 246

Zur Rügeobliegenheit und Entbehrlichkeit der Rüge Kapitel 9.B.III. Siehe Kapitel 7.C.II.1. Siehe oben Kapitel 9.C.IV.1.b.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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vergaberechtswidrige De-facto-Vergaben darstellen, von einer Nachprüfungsin­ stanz für unwirksam erklärt werden, soweit ein am Auftrag interessiertes Un­ ternehmen die Feststellung der Unwirksamkeit anträgt. Allerdings hängt die Wahrnehmung des Rechtsschutzes bei De-facto-Einzelauftragsvergaben unter Berufung auf die Rahmenvereinbarung von einer rechtzeitigen Kenntniserlan­ gung ab. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund problematisch, dass gemäß § 101b Abs. 2 GWB die Nachprüfungsinstanzen spätestens sechs Monaten ab Vergabe des Einzelauftrags der Vertragsänderung angerufen werden müssen. Er­ langen die am Auftrag interessierten Unternehmen erst nach diesem Zeitraum Kenntnis von der De-facto-Vergabe, so können sie ihr Recht auf Teilhabe an dem Auftrag nicht mehr durchsetzen, wenn die Einzelauftragsvergabe nach In­ krafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurde. Damit werden sie gegenüber der alten Rechtslage schlechter gestellt, da nach dieser die Nichtigkeit während der gesamten Laufzeit des Vertrages geltend gemacht werden kann. Soweit eine rechtzeitige Kenntniserlangung vorliegt und die Ausschlussfris­ ten nach § 101b Abs. 2 GWB beachtet wurden, kann ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden. Eine Pflicht zur vorherigen Rüge besteht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB nicht. Die Nachprüfungsinstanzen müssen, sofern die Vorausset­ zungen einer De-facto-Einzelauftragsvergabe vorliegen, diese für von Anfang an nichtig erklären. Insoweit wurde der Rechtsschutz gegenüber der alten Rechtsla­ ge gesichert und verbessert. 4. Ergebnis Hinsichtlich der Gewährung primären Rechtsschutzes bei Leistungserweite­ rungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen ist zwischen den Ver­ gabestufen zum Abschluss der Rahmenvereinbarung und der Beauftragung der Einzelaufträge zu differenzieren. Das Vergabeverfahren und der Abschluss der Rahmenvereinbarung mit einem oder mit mehreren Unternehmen wird dem Verfahren und Abschluss sonsti­ ger öffentlicher Aufträge im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB gleichgestellt. Daher finden die Vorschriften über die vergaberechtlichen Nachprüfungsmöglichkei­ ten auf den Abschluss der Rahmenvereinbarung ohne Unterschied Anwendung. Vergaberechtsverstöße im Rahmen dieses Verfahrens können vor den Nachprü­ fungsinstanzen bis zur wirksamen Erteilung des Zuschlags angegriffen werden. Die Vergabe einer Rahmenvereinbarung ohne Einhaltung des vorgeschriebenen vergaberechtlichen Verfahrens stellt eine De-facto-Vergabe dar. Der vergaberecht­ liche Primärrechtsschutz hiergegen ist grundsätzlich statthaft. Die Wahrnehmung effektiven Rechtsschutzes setzt jedoch voraus, dass das an der Rahmenvereinba­ rung interessierte Unternehmen Kenntnis von der Auftragsvergabe erlangt hat. Hieran ändert sich auch nach Inkrafttreten des GWB n. F. nichts. Vielmehr ist hiernach der Rechtsschutz auf einen Zeitraum von sechs Monaten nach Ab­

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

schluss der Rahmenvereinbarung begrenzt. Danach ist der Primärrechtsschutz gegen die De-facto-Vergabe ausgeschlossen. Auftragsvergaben auf der Grundlage einer gemeinschaftsrechtswidrigen oder nicht einschlägigen Rahmenvereinbarung stellen ebenfalls vergaberechtswidrige De-facto-Vergaben dar, gegen welche der Primärrechtsschutz grundsätzlich eröff­ net ist. Ein vergaberechtlich zu beanstandendes Verfahren im materiellen Sinn liegt bereits mit Abschluss der Rahmenvereinbarung vor. Die in den Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien berücksichtigten Besonderheiten von Einzelauftragsvergaben auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen wurden nicht in die Neufassung des GWB übernommen. Stellt sich die Einzelauftragsvergabe als Umgehung des Vergaberechts dar, müssen die Nachprüfungsinstanzen aber die Unwirksamkeit der Beauftragung feststellen. Insoweit besteht mehr Rechtssi­ cherheit. Allerdings gilt hierfür eine Ausschlussfrist von 30 Tagen nach Kennt­ niserlangung bzw. sechs Monaten nach Einzelbeauftragung. Dies bedeutet einen erheblichen Einschnitt beim Rechtsschutz.

D. Ergebnis In diesem Kapitel wurde der Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige Vertragsänderungen untersucht. Ausgehend von der Feststellung, dass vergabe­ rechtswidrige Vertragsänderungen rechtlich als unzulässige De-facto-Vergaben zu qualifizieren sind, ist Ziel des Primärrechtsschutzes, die Nichtigkeit der unter Umgehung des Vergaberechts vorgenommenen Vertragsänderungen feststellen zu lassen. Gleichzeitig soll dem Auftraggeber im Wege des Primärrechtsschut­ zes untersagt werden, die geänderte Leistung ohne vorherige Durchführung eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens zu vergeben. Damit würde der Auftragge­ ber zur förmlichen Ausschreibung gezwungen, wenn er weiterhin einen Bedarf an der geänderten Leistung besitzt und er diese am Markt beschaffen muss. Hierdurch erhalten die interessierten Unternehmen eine Chance auf Teilhabe am öffentlichen Auftrag. Europarechtliche Vorgaben zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ent­ halten die Rechtsmittelrichtlinien, welche durch die Rechtsprechung des EuGH ihre konkrete Auslegung und Ausgestaltung erfahren. Die Mitgliedsstaaten ha­ ben hiernach die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Überprüfung der in den Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge sicherzustellen. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen auch Entscheidungen außerhalb eines förm­ lichen Vergabeverfahrens und im Vorfeld einer förmlichen Ausschreibung einer wirksamen und raschen Nachprüfung zugänglich sein. Beschließt der öffentliche Auftraggeber, kein Vergabeverfahren einzuleiten, weil der Auftrag seiner Auf­ fassung nach nicht dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterliegt, so ist auch diese Entscheidung rechtlich überprüfbar.

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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Zwecks Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren im Be­ reich des öffentlichen Auftragswesens wurden die Rechtsmittelrichtlinien mit der RMR-ÄnderungsRL novelliert. Hierdurch soll insbesondere die Effektivität des Rechtsschutzes im Bereich von rechtswidrigen De-facto-Vergaben verbes­ sert werden. Insoweit werden Informationspflichten und Mindest-Stillhaltefris­ ten für öffentliche Auftraggeber eingeführt sowie die Nachprüfungsinstanzen er­ mächtigt, gemeinschaftsrechtswidrige Verträge nachträglich zu annullieren. Die Richtlinienvorgaben bedürfen jedoch einer Umsetzung in nationales Recht. Ein Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige De-facto-Vergaben ist auch für Vertragsänderungen, welche vor Inkrafttreten des GWB vorgenommen wurden, grundsätzlich statthaft. Insbesondere können vorgelagerte Entscheidun­ gen des öffentlichen Auftraggebers über die Anwendung bzw. Nichtanwendung des Vergaberechts einer Überprüfung unterzogen werden. Dementsprechend ist auch dessen Entscheidung, kein Vergabeverfahren vor Beauftragung der geän­ derten Leistung einzuleiten, der Nachprüfung zugänglich. Der für die Nachprü­ fung relevante Verfahrensbeginn ist in dem Zeitpunkt anzusiedeln, in dem der Auftraggeber vom Stadium der bloßen Planung in das Stadium der gezielten Kontaktaufnahme zu einem oder mehreren Unternehmen übergeht, mithin den Bereich rein interner Vorüberlegungen verlässt. Der übergangene Bieter muss weiterhin ein besonderes Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit des ohne Vergabeverfahren geschlossenen Vertrages geltend machen können. Nicht erfor­ derlich ist aber eine formale Bieter- oder Bewerbereigenschaft. Die grundsätzlich erforderliche Rüge ist bei De-facto-Vertragsänderungen, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurden, entbehrlich, da die vergaberechtswidrige Ver­ tragsänderung bereits vollzogen wurde. Die Unsicherheiten bezüglich der Erlangung von Rechtsschutz gegen verga­ berechtswidrige Vertragsänderungen sind durch das GWB n. F. beseitigt. So ordnet § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB die Unwirksamkeit einer Auftragsvergabe an, wenn ein öffentlicher Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt wird, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen und ohne dass dies auf­ grund Gesetzes gestattet ist und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist. Der Tatbestand des § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB ist im Fal­ le von vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen erfüllt. Denn der öffentliche Auftraggeber vollzieht die als eigenständigen öffentlichen Auftrag zu qualifizie­ rende Vertragsänderung unmittelbar gegenüber seinem Vertragspartner, ohne das erforderliche Vergabeverfahren unter Beteiligung weiterer Unternehmen einzu­ halten. Gemäß § 101b Abs. 2 GWB können die Nachprüfungsinstanzen insbeson­ dere auch nach Vornahme der Vertragsänderung angerufen werden. Allerdings gilt hierfür gemäß § 101b Abs. 2 GWB eine Ausschlussfrist von 30 Tagen nach Kenntniserlangung bzw. sechs Monaten nach Vornahme der Vertragsänderung. Nach Ablauf dieser Ausschlussfrist und unterbliebener Anrufung der Vergabe­ kammer ist die vergaberechtswidrige Vertragsänderung grundsätzlich wirksam.

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

Ein Primärrechtsschutz ist ausgeschlossen. Da sich Vertragsänderungen aller­ dings im rein internen Bereich zwischen den Vertragspartnern vollziehen, er­ langen andere Unternehmen hiervon nur selten oder sehr spät Kenntnis. Die Statuierung einer Ausschlussfrist verkürzt daher den Rechtsschutz gegenüber der alten Rechtslage. Die vorgenannten Grundsätze der europarechtlichen Vorgaben und des na­ tionalen Rechts bezüglich des Rechtsschutzes gegen vergaberechtswidrige De­ facto-Vergaben waren der Untersuchung der Rechtsschutzmöglichkeiten, bezo­ gen auf die einzelnen Fallgruppen von Vertragsänderungen, zugrunde zu legen. Die Untersuchung brachte folgendes Ergebnis: I. Im Rahmen von Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung ist vom Be­ ginn eines Vergabeverfahrens auszugehen, sobald der Auftraggeber an den Ver­ tragspartner herantritt, um mit diesem über die Leistungsänderung zu verhandeln bzw. einen entsprechenden Vertragsentwurf vorlegt. Das hierin liegende Verga­ beverfahren zur Beauftragung der geänderten Leistung kann im Wege des verga­ berechtlichen Primärrechtsschutzes angegriffen werden. Ziel ist es, dem Auftrag­ geber die Vergabe der geänderten Leistung ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens im Sinne der Vergabevorschriften durch die Nachprüfungsin­ stanzen zu untersagen. Die Wahrnehmung primären Rechtsschutzes durch die übergangenen Unternehmen hängt jedoch stets davon ab, dass diese Kenntnis von der anstehenden Vertragsänderung erlangen. Eine solche Kenntniserlangung ist eher selten, da sich die Vertragsänderung im bestehenden Vertragsverhältnis vollzieht. Auch die Umsetzung der Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien in §§ 101a und 101b erhöhen die Effektivität des Rechtsschutzes insoweit nicht. Zwar besteht insoweit Rechtssicherheit, als vergaberechtswidrige Vertragsände­ rungen auch nach deren Vornahme mit dem Ziel der Feststellung der Nichtigkeit vor den Nachprüfungsinstanzen geltend gemacht werden können. Allerdings kön­ nen Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung nur bis zu sechs Monate nach der Vornahme der Vertragsänderung angegriffen werden können. Erlangen die Unternehmen erst nach diesem Zeitraum Kenntnis von der Vertragsänderung, können sie ihr Recht auf Teilhabe nicht mehr durchsetzen. II. Unzulässige Vertragsverlängerungen öffentlicher Auftraggeber durch Nicht­ ausübung eines Kündigungsrechts trotz bestehender Pflicht zur Kündigung kön­ nen ebenfalls im Wege des Primärrechtsschutzes vor den Nachprüfungsinstanzen angegriffen werden. Ein den Primärrechtsschutz eröffnendes Vergabeverfahren im materiellen Sinn liegt mit Abschluss des ursprünglichen Vertrages vor. Denn der öffentliche Auftraggeber hat durch die Wahl der Vertragskonstruktion nach außen erkennbar entschieden, die zukünftige Leistung am Markt zu beschaffen. Die Umsetzung der Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien in §§ 101a und 101b erhöht die Rechtssicherheit im Hinblick auf den Rechtsschutz gegen De-facto-Ver­ gaben, da die unterbliebene Kündigung auch nach deren Vornahme mit dem Ziel der Feststellung der Nichtigkeit vor den Nachprüfungsinstanzen angegriffen wer­

Kap. 9: Primärrechtsschutz gegen Vertragsänderungen

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den kann. Allerdings gilt für Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigungen, die nach Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurden eine Ausschlussfrist von sechs Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist. Erlangen die Unternehmen erst nach diesem Zeitraum Kenntnis von der rechtswidrig unterbliebenen Kündi­ gung, können sie ihr Recht auf Teilhabe nicht mehr durchsetzen. Der Gesetzgeber hat weiterhin keinen Gebrauch gemacht von den Vorschlägen der Rechtsmittel­ richtlinie, den Nachprüfungsinstanzen die Befugnis zum rechtsgestaltenden Ein­ greifen in vergaberechtswidrige Vertragsverhältnisse zu erlauben. Diese hätten unter bestimmten Voraussetzungen zeitliche Wirkungen des Vertrages anerken­ nen, mithin den Beendigungszeitpunkt festlegen, und somit eine Beendigung des Vertragsverhältnisses zum nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt anordnen kön­ nen. Mangels Umsetzung sind sie jedoch lediglich zur Feststellung der Unwirk­ samkeit des Vertrages ex tunc befugt. III. Die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen vergaberechtswidrige Optionsklau­ seln sind differenziert zu betrachten. Eine Optionsklausel, die nicht den vergaberechtlichen Anforderungen genügt, jedoch in ihrer rechtswidrigen Ausgestaltung Gegenstand eines Vergabeverfah­ rens war, kann ausschließlich während dieses Vergabeverfahrens vor den Nach­ prüfungsinstanzen angegriffen werden. Die Beanstandung der vergaberechtswid­ rigen Ausgestaltung erst bei Ausübung des Optionsrechts ist grundsätzlich unzu­ lässig. Etwas anderes gilt jedoch, wenn eine vereinbarte Optionsklausel vergaberechtswidrig ausgeübt wird. In diesen Fällen stellt der Leistungsabruf aus der Option eine vergaberechtswidrige De-facto-Vergabe dar. Ein Nachprüfungsver­ fahren hiergegen ist grundsätzlich statthaft. Der den Primärrechtsschutz eröff­ nende Verfahrensbeginn liegt in dem Abschluss des Optionsvertrages, da dieser die Details der zukünftigen Leistungen regelt sowie den konkreten Vertragspart­ ner festlegt. Die Änderungen hinsichtlich des Rechtsschutzes nach Inkrafttre­ ten des GWB n. F. bringen nur insoweit eine Verbesserung, als die bestehende Rechtsunsicherheit bezüglich der Frage der Nichtigkeit und des Rechtsschutzes gegen vergaberechtswidrige Vertragsänderungen beseitigt wird. Die Anbindung des Rechtsschutzes an eine Ausschlussfrist von 30 Tagen nach Kenntniserlan­ gung bzw. sechs Monaten nach Vornahme der vergaberechtswidrigen Options­ ausübung bedeutet jedoch eine erhebliche Beeinträchtigung des Rechtsschutzes. IV. Hinsichtlich der Gewährung primären Rechtsschutzes bei Rahmenverein­ barungen ist zwischen den Vergabestufen zu differenzieren. Der Abschluss der Rahmenvereinbarung ist grundsätzlich dem Abschluss ei­ nes öffentlichen Auftrags im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB gleichzustellen. Da­ her finden die Vorschriften des Vergaberechts auf den Abschluss der Rahmen­ vereinbarung ohne Unterschied Anwendung. Die Vergabe einer Rahmenverein­ barung ohne Einhaltung des vorgeschriebenen vergaberechtlichen Verfahrens

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Teil 3: Rechtsfolgen bei vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen

stellt somit eine unzulässige De-facto-Vergabe dar, deren Nichtigkeit im Wege des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes geltend gemacht werden kann. Vor Inkrafttreten des GWB n. F. besteht mangels gesetzlicher Rechtsgrundlage al­ lerdings keine Rechtssicherheit über die Gewährung primären Rechtsschutzes. Nach Inkrafttreten des GWB n. F. wird diese Rechtsunsicherheit zwar beseitigt. Die Anbindung des Rechtsschutzes an eine Ausschlussfrist von 30 Tagen nach Kenntniserlangung bzw. sechs Monaten nach Abschluss der Rahmenvereinba­ rung ohne Vergabeverfahren bedeutet jedoch eine erhebliche Beeinträchtigung des Rechtsschutzes. Einzelauftragsvergaben auf der Grundlage einer gemeinschaftsrechtswidrigen oder nicht einschlägigen Rahmenvereinbarung stellen ebenfalls vergaberechts­ widrige De-facto-Vergaben dar. Ein die Nachprüfungsmöglichkeit eröffnendes Vergabeverfahren im materiellen Sinne liegt mit Abschluss der Rahmenverein­ barung vor. Dort hat der Auftraggeber die wesentlichen Bedingungen der Ein­ zelauftragsvergabe geregelt und Vertragspartner ausgewählt. Nach Änderungen des Rechtsschutzes im GWB n. F. wird zwar eine Rechtsgrundlage geschaffen, dass die Nachprüfungsinstanzen die Nichtigkeit der Einzelauftragsvergaben fest­ stellen müssen, wenn hierin eine Umgehung des Vergaberechts zu sehen ist. Die Nachprüfungsmöglichkeit wird jedoch auf einen Zeitraum von sechs Monaten nach Vergabe des Einzelauftrags begrenzt. Erlangen die Unternehmen erst nach diesem Zeitraum Kenntnis von der Vertragsänderung, können sie ihr Recht auf Teilhabe am Auftrag nicht mehr durchsetzen.

Teil 4

Ergebnisse der Untersuchung Die Untersuchung nachträglicher Vertragsänderungen und Vertragsverlänge­ rungen unter dem Blickwinkel des Vergaberechts hat gezeigt, dass öffentliche Auftraggeber sich nicht durch Gestaltung ihrer zivilrechtlichen Verträge dem Anwendungsbereich des Vergaberechts entziehen können. 1

A. Keine privatautonome Vertragsgestaltungsfreiheit öffentlicher Auftraggeber Zunächst wurde festgestellt, dass öffentliche Auftraggeber, trotz zivilrechtli­ cher Ausgestaltung ihrer Verträge, Vertragsänderungen nicht auf der Grundlage einer privatautonomen Vertragsgestaltungsfreiheit der rechtlichen Kontrolle ent­ ziehen können. Die Privatautonomie bildet im Anwendungsbereich des Verga­ berechts keinen Beurteilungsmaßstab für das Handeln öffentlicher Auftraggeber. Dies ergibt sich maßgeblich aus ihrem Inhalt und ihrer rechtlichen Herleitung. Privatautonomie ist, kurz gesagt, die grundrechtlich gewährte Freiheit zur Ge­ staltung der Rechtsverhältnisse nach Belieben. Unter Zugrundelegung dessen ergab die Untersuchung folgendes Ergebnis: I. Staatliche öffentliche Auftraggeber, also öffentliche Auftraggeber in Form von juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach § 98 Nr. 1 und 3 GWB sowie öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 und 4 Alt. 2 GWB, die sich voll­ ständig im Eigentum der öffentlichen Hand befinden, können sich nicht auf Freiheiten berufen, die aus Grundrechten abgeleitet werden. Hierzu zählt auch die Privatautonomie. Den vorgenannten Auftraggebern fehlt die hierfür erfor­ derliche Grundrechtsfähigkeit. Die stete Bindung an die verfassungsrechtlichen Prinzipien des Gleichheitssatzes und des Willkürverbots verbietet ihnen zugleich ein Handeln nach Belieben. Dies gilt auch dann, wenn die Rechtsordnung dem öffentlichen Auftraggeber Handlungsspielräume eröffnet. In diesem Rahmen sind sie ebenfalls an Recht und Gesetz gebunden.

1

Die Untersuchung wurde eingegrenzt auf Auftragsvergaben oberhalb der Schwellenwerte.

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Teil 4: Ergebnisse der Untersuchung

II. Nichtstaatlichen öffentlichen Auftraggebern, also öffentlichen Auftragge­ bern in Form von juristischen Personen des Privatrechts ohne staatliche Beteili­ gung sowie solchen nach § 98 Nr. 2 und 4 Alt. 1 GWB, an denen sowohl private als auch öffentlich-rechtliche Beteiligungen bestehen, können sich zwar grund­ sätzlich auf die grundrechtliche Freiheit der privatautonomen Vertragsgestaltung berufen. Sie besitzen die hierfür erforderliche Grundrechtsfähigkeit. Auch unter­ liegen sie keinen öffentlich-rechtlichen Bindungen, die einem privatautonomen Agieren grundlegend entgegenstehen. Jedoch stellt das Vergaberecht als Teil der Rechtsordnung eine verfassungskonforme Schranke der Privatautonomie dar mit der Folge, dass nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber im Anwendungsbereich des Vergaberechts nicht uneingeschränkt privatautonom agieren können. Die Einschränkung der Privatautonomie durch das Vergaberecht ist vor allem auf­ grund der staatlich veranlassten, marktbezogenen Sonderstellung nichtstaatlicher öffentlicher Auftraggeber gerechtfertigt. Ist die Vertragsänderung mithin als ei­ genständiger, dem Vergaberecht unterliegender Beschaffungsvorgang zu werten, finden die Grundsätze der Privatautonomie auch für diese keine Anwendung.

B. Umgehung des Vergaberechts durch Vertragsgestaltung Die Untersuchung der einzelnen Fallgruppen von Vertragsänderungen unter dem Blickwinkel des Vergaberechts ergab, dass nachträgliche Vertragsänderun­ gen nur in begrenzten Ausnahmefällen rechtlich zulässig sind. Grundsätzlich stellen nach Vertragsschluss vorgenommene Vertragsänderungen eigenständige Beschaffungsvorgänge dar, die dem Anwendungsbereich des Vergaberechts un­ terliegen. I. Nachträgliche Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung Der Fallgruppe von nachträglichen Vertragsänderungen durch Parteivereinba­ rung lag die rechtliche Konstellation zugrunde, dass nach Zuschlagserteilung im laufenden Vertragsverhältnis die ursprünglich der Ausschreibung zugrunde gelegten Vertragsparameter, wie z. B. den Leistungsgegenstand oder -umfang, die Laufzeit des Vertrages oder die Vertragspartner, abgeändert werden. Für die Frage der vergaberechtlichen Relevanz dieser Vertragsänderungen kommt es maßgeblich darauf an, ob die die Vertragsänderung ausmachenden vertraglichen Regelungen bei wirtschaftlicher Betrachtung einer Neuvergabe gleichkommen. Anpassungen des Vertrages sind dann nicht vergaberechtlich re­ levant, wenn die Änderungsmöglichkeit im ursprünglichen, der Ausschreibung zugrunde liegenden Vertrag vorgesehen war, die rechtlichen Anforderungen an die Änderungsklausel erfüllt sind und die Klausel nach dem Recht der Allge­

Teil 4: Ergebnisse der Untersuchung

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meinen Geschäftsbedingungen wirksam ist. Eine Änderung auf dieser Grundlage bedeutet die Wahrnehmung vertraglicher Rechte, ohne dass der vergaberechtlich relevante Bereich berührt wird. Nach Zuschlagserteilung erfolgende Vertrags­ änderungen im Vertragsverhältnis zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und seinem privaten Auftragnehmer sind vergaberechtlich auch dann nicht zu bean­ standen, wenn ein im Vergaberecht normierter Ausnahmetatbestand die direkte Beauftragung des Vertragspartners ohne Ausschreibung legitimiert. Kann die vertragliche Änderung oder Verlängerung nach Zuschlagserteilung weder auf eine vertragliche Regelung gestützt noch auf einen Ausnahmetatbestand des Ver­ gaberechts zurückgeführt werden, kommt es auf eine Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände an. Aus diesem Untersuchungsergebnis ergibt sich, dass nachträgliche Vertragsän­ derungen durch Parteivereinbarung immer dann als eigenständige Beschaffungs­ vorgänge zu qualifizieren sind und dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterliegen, wenn 1. die nachträgliche Änderung ihre Grundlage nicht in dem Ursprungsvertrag der Parteien unter Berücksichtigung sämtlicher allgemeiner und besonderer Vertragsbedingungen findet, 2. die in der Vertragsänderung liegende Auftragsvergabe nicht durch einen Aus­ nahmetatbestand des Vergaberechts, welcher eine direkte Beauftragung des Vertragspartners gestattet, legitimiert ist und 3. die Vertragsänderung unter dem Blickwinkel des Vergaberechts unter Be­ rücksichtigung aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände als wesentlich erachtet werden muss: • Änderungen der Preise bzw. der Vergütung berühren grundsätzlich den vergaberechtlich relevanten Bereich, es sei denn, das wirtschaftliche Gleich­ gewicht der Vertragsparteien wird nicht verändert; • Änderungen des Leistungsumfangs berühren stets den vergaberechtlich re­ levanten Bereich; • der nachträgliche Austausch einzelne Komponenten der vertraglich verein­ barten Leistung ist als eigenständiger Beschaffungsvorgang zu qualifizieren, wenn hierdurch der Charakter der Leistung geändert wird. Eine Charak­ teränderung ist anzunehmen, wenn der Beschaffungswert durch den ausge­ tauschten Leistungsbestandteil wesentlich erhöht wird oder der ausgetausch­ te Leistungsgegenstand die Funktionalität oder den Leistungszweck ändert; • Verlängerungen der Vertragslaufzeit sind immer dann vergaberechtlich rele­ vant, wenn sie nicht nur eine untergeordnete Modalität, sondern ein wesent­ liches Element der geschuldeten Leistung darstellen; • Änderungen des Vertragspartners im Wege der Vertragsübernahme oder Än­ derungen in der Zusammensetzung des Auftragnehmers durch Hinzutreten oder Ausscheiden eines Vertragspartners berühren grundsätzlich den verga­

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Teil 4: Ergebnisse der Untersuchung

berechtlich relevanten Bereich, es sei denn, die Änderung ist rein formal­ juristischer Natur und die Identität des Auftragnehmenden hinsichtlich der sachlichen und personellen Mittel sowie des Angebotsinhalts bleibt gewahrt. II. Vertragsverlängerungen durch Nichtkündigung Vertragslaufzeiten können seitens des öffentlichen Auftraggebers in der Weise beeinflusst werden, dass dieser langfristige Vertragsverhältnisse mit Kündigungs­ rechten oder Verträge mit automatischen Verlängerungsklauseln abschließt, je­ doch von dem ihm vertraglich zustehenden Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht und den Vertrag unendlich fortsetzt. Langfristige oder unbefristete Verträge kollidieren mit der gemeinschaftsrecht­ lichen Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit und dem Grundanliegen des Vergaberechts, einen breiten und regelmäßigen Wettbewerb hinsichtlich der Ver­ gabe öffentlicher Aufträge herzustellen. Hieraus folgt, dass der Abschluss lang­ fristiger Verträge einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Aus der Rechtspre­ chung des EuGH kann insoweit die Faustformel abgeleitet werden, dass der öffentliche Auftraggeber konkret in dem Leistungsgegenstand liegende besonde­ re Umstände darlegen muss, welche die Langfristigkeit bedingen und die konkret gewählte Dauer des Vertrages erforderlich ist, um diesen Umständen angemessen Rechnung zu tragen. Die Verlängerung von Verträgen durch Nichtausüben eines Kündigungsrechts ist als ein rechtlich relevantes Verhalten zu qualifizieren. Das Unterlassen einer rechtlich gebotenen Handlung löst immer dann Ansprüche Dritter aus, wenn ei­ ne Pflicht zum Handeln, also zur Ausübung des Kündigungsrechts durch den öffentlichen Auftraggeber bestand. Der Auftraggeber besitzt grundsätzlich einen Ermessensspielraum, ob er von seinem Kündigungsrecht Gebrauch macht oder aber den Vertrag mit dem Auftragnehmer fortsetzt. Die Prüfung der Kündigungs­ voraussetzungen kann jedoch dazu führen, dass Gründe vorliegen, die die Ent­ scheidung des öffentlichen Auftraggebers in der Weise verdichten, dass nur noch die Kündigung des Vertrages als rechtmäßige Handlungsmöglichkeit verbleibt. Unter Zugrundelegung dieses Untersuchungsergebnisses ist die Verlängerung eines Vertrages durch Nichtausüben des Kündigungsrechts immer dann vergaberechtlich relevant, wenn eine Pflicht zur Kündigung und Beschaffung im Wett­ bewerb bestand. Eine Pflicht zur Kündigung des Vertrages besteht, wenn: 1. der zur Verlängerung anstehende Vertrag seinerseits gemeinschaftsrechtswid­ rig unter Umgehung des Vergaberechts zustande gekommen ist, 2. die Verlängerung sich als ein willkürliches, sachlich nicht gerechtfertigtes Verharren in einem grob unwirtschaftlichen Vertrag darstellt, wobei eine grobe Unwirtschaftlichkeit bei marktüblichen Leistungen zu vermuten ist, wenn die Vertragsleistung 20% über dem teuersten Konkurrenzpreis liegt,

Teil 4: Ergebnisse der Untersuchung

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3. im Falle eines langfristigen Vertrages, wenn der die lange Vertragslaufzeit rechtfertigende Grund nachträglich weggefallen ist oder eine angemessene Vertragszeit, welche die Belange des Auftragnehmers hinreichend berücksich­ tigt, erreicht ist oder 4. die Verlängerung des Vertrages durch einen marktbeherrschenden öffentli­ chen Auftraggeber gegen das Wettbewerbsrecht, insbesondere das wettbe­ werbsrechtliche Diskriminierungsverbot aus § 26 Abs. 2 GWB verstößt. III. Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten Das Optionsrecht gibt dem öffentlichen Auftraggeber ein einseitiges Gestal­ tungsrecht, bei deren Ausübung der Auftragnehmer verpflichtet wird, die optio­ nale Leistung zu den im Vertrag bestimmten Konditionen zu erbringen. Inhaltlich können Optionsklauseln auf eine zeitliche Verlängerung der Vertragsbeziehung oder auf inhaltliche Leistungserweiterungen (Mehrmengen, zusätzliche Leistun­ gen) abzielen. An die Vereinbarung von Optionsklauseln müssen vergaberecht­ lich hohe Anforderungen gestellt werden, da diese grundsätzlich geeignet sind, das Vergaberecht zu umgehen und unzumutbare Vertragsbedingungen zu diktie­ ren. Optionen stellen keinen eigenständigen öffentlichen Auftrag dar. Vielmehr bilden sie zusammen mit den übrigen Regelungsgegenständen einen einheitli­ chen Vertrag. Die Ausübung des Optionsrechts begründet daher grundsätzlich keine neue Ausschreibungspflicht. Daraus folgt der weitere Schluss, dass Ände­ rungen und Verlängerungen bestehender Verträge dann vergaberechtlich neutral sind, wenn es sich lediglich um eine unselbstständige Fortschreibung einer be­ reits im Ursprungsvertrag angelegten Option handelt. Dies gilt aber dann nicht, wenn die Option nicht zu den Bedingungen des Vertrages abgerufen wird. In diesem Fall liegt eine unzulässige Umgehung des Vergaberechts vor, da die geänderte Option zu keinem Zeitpunkt Gegenstand eines Wettbewerbs war. Gleiches gilt, wenn die Ausübung des Optionsrechts zu einem rechtswidrigen Zustand führen oder einen solchen vertiefen würde. Dem öffentlichen Auftraggeber steht in diesem Fall die Wahrnehmung der Option nicht als Handlungsalternative zur Verfügung. Er ist rechtlich gehindert, von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch zu machen. Unter Zugrundelegung des vorangehend dargestellten Untersuchungsergebnis­ ses sind Vertragsänderungen auf der Grundlage von Optionsrechten nur dann vergaberechtlich relevant, wenn: 1. die Option nicht zu den vertraglich vereinbarten Bedingungen ausgeübt wird oder 2. die Ausübung des Optionsrechts einen vergaberechtswidrigen Zustand begrün­ den oder vertiefen würde, weil

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Teil 4: Ergebnisse der Untersuchung

• die Option unter Umgehung des Vergaberechts vereinbart wurde, • die Ausübung der Option einem willkürlichen, sachlich nicht gerechtfertigten Verharren in einem grob unwirtschaftlichen Vertrag gleichkäme, wobei eine grobe Unwirtschaftlichkeit bei marktüblichen Leistungen zu vermuten ist, wenn die Vertragsleistung 20% über dem teuersten Konkurrenzpreis liegt, • die Wahrnehmung einer optionalen Verlängerungsklausel zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Vertragslaufzeit führen würde oder • die Optionsausübung durch einen marktbeherrschenden öffentlichen Auf­ traggeber gegen das Wettbewerbsrecht, insbesondere das wettbewerbsrecht­ liche Diskriminierungsverbot aus § 26 Abs. 2 GWB verstößt. IV. Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen Weiterhin wurden Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenver­ einbarungen untersucht. Eine Rahmenvereinbarung ermöglicht es dem öffentli­ chen Auftraggeber, eine Vielzahl von Einzelaufträgen zusammenzufassen, die wesentlichen Bedingungen dieser Aufträge festzulegen und später diese Einzel­ aufträge – weitestgehend formlos – abzurufen. Die Vergabe der Rahmenvereinbarung ist in gemeinschaftsrechtskonformer Anwendung der nationalen Vorschriften der Vergabe eines öffentlichen Auftrags gleichzustellen. Die öffentlichen Auftraggeber haben daher die Verfahrensvor­ schriften des Vergaberechts in allen Phasen des Verfahrens zu befolgen. Der deutsche Gesetzgeber schränkt die Flexibilität der öffentlichen Auftraggeber bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen insoweit ein, als er eine sorgfältige Bedarfsermittlung und eine Bekanntgabe des Auftragsvolumens verlangt. Die Laufzeit einer Rahmenvereinbarung darf in der Regel nicht mehr als vier Jahre betragen. Ausgenommen sind Sonderfälle, in denen dies aufgrund des Gegen­ stands der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt werden kann. Das Verfahren zur Vergabe der Einzelaufträge ist in den Vorschriften zu Rahmenvereinbarungen im Einzelnen geregelt. Hiernach vergibt der öffentliche Auftraggeber in einem privilegierten Verfahren den Auftrag direkt an seinen Vertragspartner nach den Bedingungen der Rahmenvereinbarung. Nur soweit dort die Bedingungen nicht abschließend festgelegt wurden, müssen die Angebote vor Auftragsvergabe kon­ kretisiert werden. Bei der späteren Vergabe der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge ist zu beachten, dass diese nur auf der Grundlage einer vergaberechtlich zustande gekommenen und den Einzelauftrag inhaltlich und zeitlich erfassenden Rahmenvereinbarung vergeben werden können. Die privilegierte Auftragsvergabe ist zudem nur im Verhältnis zwischen den an der Rahmenvereinbarung von Anfang an beteiligten Vertragspartnern möglich. Auch ist es untersagt, nachträglich, d. h. nach Abschluss der Rahmenvereinbarung, Än­ derungen an den Bedingungen der Rahmenvereinbarung vorzunehmen.

Teil 4: Ergebnisse der Untersuchung

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Die Untersuchung ergab, dass Leistungserweiterungen auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen durch Vergabe einer vorab nicht verbindlich festgeleg­ ten Anzahl von Einzelaufträgen nur dann als eigenständige, vergaberechtlich relevante Auftragsvergaben anzusehen sind, wenn 1. die Vergabe der Rahmenvereinbarung als erste Verfahrensstufe nicht Gegen­ stand eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens war, 2. das vorab ermittelte und durch den öffentlichen Auftraggeber in der Rahmen­ vereinbarung beschriebene Auftragsvolumen der Einzelaufträge um mehr als 15 % überschritten wird, 3. mit der Einzelauftragsvergabe oder mit den Konkretisierungen grundlegende Änderungen der Bedingungen der Rahmenvereinbarung einhergehen, 4. die Rahmenvereinbarung den konkret zur Vergabe anstehenden Einzelauftrag in inhaltlicher, zeitlicher oder persönlicher Hinsicht nicht erfasst, d. h. • der dem Einzelauftrag zugrunde liegende Leistungsgegenstand nicht, auch nicht nach entsprechender Auslegung, in die Leistungsbeschreibung der Rahmenvereinbarung einbezogen wurde, • die Einzelauftragsvergabe außerhalb des in der Rahmenvereinbarung be­ stimmten Zeitraums für den Abruf der Einzelaufträge liegt oder • die Einzelauftragsvergabe nicht zwischen den an der Rahmenvereinbarung von Anfang an beteiligten Vertragspartnern erfolgt.

C. Nichtigkeit vergaberechtswidriger

Vertragsänderungen

Berühren die Vertragsänderungen nach dem vorangehend dargestellten Ergeb­ nis den Anwendungsbereich des Vergaberechts, sind sie mithin als eigenständige Beschaffungsvorgänge zu qualifizieren, dürfen sie nach den vergaberechtlichen Verfahrensregelungen erst nach Durchführung eines geregelten Vergabeverfah­ rens in Auftrag gegeben werden. Eine Vertragsänderung im bestehenden Ver­ tragsverhältnis bedeutet demnach eine Umgehung des Vergaberechts und ist dem Bereich der unzulässigen De-facto-Vergaben zuzuordnen. Die Rechtsfolgen vergaberechtswidriger De-facto-Vergaben werden in der RMR vorgegeben. Hiernach können Nachprüfungsinstanzen die unter Umge­ hung vergaberechtlicher Vorschriften abgeschlossenen Verträge für unwirksam erklären. Nur in Ausnahmefällen können die Mitgliedsstaaten vorsehen, dass ge­ wisse oder alle zeitlichen Wirkungen des vergaberechtswidrigen Vertrages aner­ kannt werden. Weiterhin können die Mitgliedsstaaten das Recht auf Nachprüfung und Geltendmachung der Nichtigkeit dahingehend begrenzen, dass die Nachprü­ fungsinstanzen innerhalb einer Frist von 30 Kalendertagen nach Kenntniserlan­ gung oder sechs Monaten nach Vertragsschluss angerufen werden müssen. Die

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zwingenden Vorgaben der RMR setzte der Gesetzgeber mit Novellierung des GWB im Wesentlichen in den §§ 101a und 101b GWB um. Die Änderungen traten am 23. 05. 2009 in Kraft. Die Nichtigkeit einer vergaberechtswidrigen De-facto-Vergabe und damit der vergaberechtswidrigen Vertragsänderung, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurde, kann nur aus der Bestimmung des § 13 Satz 6 VgV a.F. hergeleitet werden. Die Nichtigkeit nach § 13 Satz 6 VgV a. F. greift ein, wenn es für die nachgefragte Leistung einen Markt gibt, der bei ordnungsgemäßer Durch­ führung eines Vergabeverfahrens zu einer wettbewerblichen Vergabe geführt hät­ te und der Auftraggeber Kenntnis von diesem Markt hat, insbesondere aufgrund vorangegangener Ausschreibungen, bzw. er sich dieser Kenntnis mutwillig ver­ schließt. Nur, wenn der Auftraggeber nachweisen kann, dass ein solcher Markt nicht existiert oder sein Handeln von einem Ausnahmetatbestand des Vergaberechts gedeckt ist, kommt eine Anwendung des § 13 VgV a. F. nicht in Betracht. Die Nichtigkeitsfolge des § 13 Satz 6 VgV a. F. tritt jedoch nur ein, wenn das in seinen Rechten verletzte Unternehmen die Feststellung der Nichtigkeit vor den Nachprüfungsinstanzen im Wege des Primärrechtsschutzes anträgt. Nach Umsetzung der Vorgaben der RMR-ÄnderungsRL ordnet nunmehr § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB die Unwirksamkeit einer Auftragsvergabe an, wenn ein öffentlicher Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt wird, ohne ande­ re Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren fest­ gestellt worden ist. Der Tatbestand des § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB ist im Falle von vergaberechtswidrigen Vertragsänderungen erfüllt. Denn der öffentliche Auf­ traggeber vollzieht die als eigenständigen öffentlichen Auftrag zu qualifizierende Vertragsänderung unmittelbar gegenüber seinem Vertragspartner, ohne das erfor­ derliche Vergabeverfahren unter Beteiligung weiterer Unternehmen einzuhalten. Die Nichtigkeit tritt jedoch nicht kraft Gesetzes ein, sondern nur dann, wenn die Nachprüfungsinstanz diese feststellt.

D. Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige Vertragsänderungen Ausgehend von der Feststellung, dass vergaberechtswidrige Vertragsänderun­ gen rechtlich als unzulässige De-facto-Vergaben zu qualifizieren sind, ist Ziel des Primärrechtsschutzes, die Nichtigkeit der unter Umgehung des Vergaberechts vorgenommenen Vertragsänderungen feststellen zu lassen. Denn die Nichtigkeit tritt nach kraft Gesetzes ein. Gleichzeitig soll dem Auftraggeber durch die Nach­ prüfungsinstanz untersagt werden, die geänderte Leistung ohne vorherige Durch­ führung eines vergaberechtlich geregelten Verfahrens zu vergeben. Damit würde der Auftraggeber zur förmlichen Ausschreibung gezwungen, wenn er weiterhin

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einen Bedarf an der geänderten Leistung besitzt und er diese am Markt beschaf­ fen muss. Hierdurch erhalten andere Unternehmen eine Chance auf Teilhabe am öffentlichen Auftrag. Ein Primärrechtsschutz ist auch gegen vergaberechtswidrige De-facto-Verga­ ben, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wurden, grundsätzlich statthaft. Insbesondere können vorgelagerte Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers über die Anwendung bzw. Nichtanwendung des Vergaberechts einer Überprüfung unterzogen werden. Dementsprechend ist auch dessen Ent­ scheidung, kein Vergabeverfahren vor Beauftragung der geänderten Leistung ein­ zuleiten, der Nachprüfung zugänglich. Ein dahingehender Nachprüfungsantrag ist während der gesamten Laufzeit des geänderten Vertrages zulässig. Mangels Rechtsgrundlage besteht jedoch keine Rechtssicherheit hinsichtlich der Geltend­ machung von Primärrechtsschutz gegen De-facto-Vertragsänderungen. Die Unsicherheiten bezüglich der Erlangung von Rechtsschutz gegen vergabe­ rechtswidrige Vertragsänderungen sind durch das GWB n. F. beseitigt. Nach der gesetzlichen Regelung in § 101b Abs. 1 Nr. 2 i.V. m. Abs. 2 GWB können ver­ gaberechtswidrige Vertragsänderungen und Vertragsänderungen vor den Nach­ prüfungsinstanzen geltend gemacht werden. Gemäß § 101b Abs. 2 GWB können die Nachprüfungsinstanzen insbesondere auch nach Vornahme der Vertragsände­ rung angerufen werden. Allerdings gilt hierfür gemäß § 101b Abs. 2 GWB eine Ausschlussfrist von 30 Tagen nach Kenntniserlangung bzw. sechs Monaten nach Vornahme der Vertragsänderung. Nach Ablauf dieser Ausschlussfrist und unter­ bliebener Anrufung der Vergabekammer ist die vergaberechtswidrige Vertrags­ änderung grundsätzlich wirksam. Ein Primärrechtsschutz ist ausgeschlossen. Da sich Vertragsänderungen allerdings im rein internen Bereich zwischen den Ver­ tragspartnern vollziehen, erlangen andere Unternehmen hiervon nur selten oder sehr spät Kenntnis. Die Statuierung einer Ausschlussfrist verkürzt daher den Rechtsschutz gegenüber der alten Rechtslage Die vorgenannten Grundsätze bezüglich des Rechtsschutzes gegen vergabe­ rechtswidrige De-facto-Vergaben waren der Untersuchung der Rechtsschutzmög­ lichkeiten, bezogen auf die einzelnen Fallgruppen von Vertragsänderungen, zu­ grunde zu legen. Die Untersuchung brachte folgendes Ergebnis: I. Ein Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. vorgenommen wur­ den, ist grundsätzlich statthaft. Vom Beginn eines Vergabeverfahrens ist auszu­ gehen, sobald der Auftraggeber an den Vertragspartner herantritt, um mit diesem über die Leistungsänderung zu verhandeln bzw. einen entsprechenden Vertrags­ entwurf vorlegt. Die Nachprüfungsinstanz muss die Nichtigkeit der Vertragsän­ derung feststellen. Die Umsetzung der Änderungen der Rechtsmittelrichtlinien in §§ 101a und 101b bringt insoweit Rechtssicherheit, als vergaberechtswidrige Vertragsänderungen auch nach deren Vornahme mit dem Ziel der Feststellung

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der Nichtigkeit vor den Nachprüfungsinstanzen geltend gemacht werden kön­ nen. Allerdings können Vertragsänderungen durch Parteivereinbarung nur bis zu sechs Monate nach der Vornahme der Vertragsänderung angegriffen wer­ den. Erlangen die Unternehmen erst nach diesem Zeitraum Kenntnis von der Vertragsänderung, können sie ihr Recht auf Teilhabe nicht mehr durchsetzen. II. Unzulässige Vertragsverlängerungen öffentlicher Auftraggeber durch Nicht­ ausübung eines Kündigungsrechts trotz bestehender Pflicht zur Kündigung kön­ nen ebenfalls im Wege des Primärrechtsschutzes vor den Nachprüfungsinstan­ zen angegriffen werden. Dies gilt auch für unterlassene Kündigungen, die vor Inkrafttreten des GWB n. F. hätten erklärt werden müssen. Ein den Primärrechts­ schutz eröffnendes Vergabeverfahren im materiellen Sinn liegt mit Abschluss des ursprünglichen Vertrages vor. Denn der öffentliche Auftraggeber hat durch die Wahl der Vertragskonstruktion nach außen erkennbar entschieden, die zukünftige Leistung am Markt zu beschaffen. Die Umsetzung der Änderungen der Rechts­ mittelrichtlinien in §§ 101a und 101b erhöhen die Rechtssicherheit im Hinblick auf den Rechtsschutz gegen De-facto-Vergaben, da die unterbliebene Kündigung auch nach deren Vornahme mit dem Ziel der Feststellung der Nichtigkeit vor den Nachprüfungsinstanzen angegriffen werden kann. Allerdings gilt für Vertrags­ verlängerungen durch Nichtkündigungen eine Ausschlussfrist von sechs Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist. Erlangen die Unternehmen erst nach diesem Zeitraum Kenntnis von der rechtswidrig unterbliebenen Kündigung, können sie ihr Recht auf Teilhabe nicht mehr durchsetzen. III. Die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen vergaberechtswidrige Optionsklau­ seln sind differenziert zu betrachten. Eine Optionsklausel, die nicht den vergaberechtlichen Anforderungen genügt, jedoch in ihrer rechtswidrigen Ausgestaltung Gegenstand eines Vergabeverfah­ rens war, kann ausschließlich während dieses Vergabeverfahrens vor den Nach­ prüfungsinstanzen angegriffen werden. Die Beanstandung der vergaberechtswid­ rigen Ausgestaltung erst bei Ausübung des Optionsrechts ist grundsätzlich unzu­ lässig. Etwas anderes gilt jedoch, wenn eine vereinbarte Optionsklausel vergaberechtswidrig ausgeübt wird. In diesen Fällen stellt der Leistungsabruf aus der Option eine vergaberechtswidrige De-facto-Vergabe dar. Ein Nachprüfungsver­ fahren hiergegen ist grundsätzlich statthaft. Der den Primärrechtsschutz eröff­ nende Verfahrensbeginn liegt in dem Abschluss des Optionsvertrages, da dieser die Details der zukünftigen Leistungen regelt sowie den konkreten Vertragspart­ ner festlegt. Die Änderungen hinsichtlich des Rechtsschutzes nach Inkrafttre­ ten des GWB n. F. bringen nur insoweit eine Verbesserung, als die bestehende Rechtsunsicherheit bezüglich der Frage der Nichtigkeit und des Rechtsschutzes gegen vergaberechtswidrige Vertragsänderungen beseitigt wird. Die Anbindung des Rechtsschutzes an eine Ausschlussfrist von 30 Tagen nach Kenntniserlan­

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gung bzw. sechs Monaten nach Vornahme der vergaberechtswidrigen Options­ ausübung bedeutet jedoch eine erhebliche Beeinträchtigung des Rechtsschutzes. IV. Hinsichtlich der Gewährung primären Rechtsschutzes bei Rahmenverein­ barungen ist zwischen den Vergabestufen zu differenzieren. Der Abschluss der Rahmenvereinbarung wird grundsätzlich dem Abschluss eines öffentlichen Auftrags im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB gleichgestellt. Daher finden die Vorschriften des Vergaberechts auf den Abschluss der Rahmenverein­ barung ohne Unterschied Anwendung. Die Vergabe einer Rahmenvereinbarung ohne Einhaltung des vorgeschriebenen vergaberechtlichen Verfahrens stellt eine unzulässige De-facto-Vergabe dar, deren Nichtigkeit im Wege des vergaberecht­ lichen Primärrechtsschutzes geltend gemacht werden kann. Vor Inkrafttreten des GWB n. F. besteht mangels gesetzlicher Rechtsgrundlage allerdings keine Rechts­ sicherheit über die Gewährung primären Rechtsschutzes. Nach Inkrafttreten des GWB n. F. wird diese Rechtsunsicherheit zwar beseitigt. Die Anbindung des Rechtsschutzes an eine Ausschlussfrist von 30 Tagen nach Kenntniserlangung bzw. sechs Monaten nach Abschluss der Rahmenvereinbarung ohne Vergabever­ fahren bedeutet jedoch eine erhebliche Beeinträchtigung des Rechtsschutzes. Einzelauftragsvergaben auf der Grundlage einer gemeinschaftsrechtswidrigen oder nicht einschlägigen Rahmenvereinbarung stellen ebenfalls vergaberechts­ widrige De-facto-Vergaben dar. Ein die Nachprüfungsmöglichkeit eröffnendes Vergabeverfahren im materiellen Sinne liegt mit Abschluss der Rahmenverein­ barung vor. Nach Änderungen des Rechtsschutzes im GWB n. F. wird zwar eine Rechtsgrundlage geschaffen, dass die Nachprüfungsinstanzen die Nichtig­ keit der Einzelauftragsvergaben feststellen müssen, wenn hierin eine Umgehung des Vergaberechts zu sehen ist. Die Nachprüfungsmöglichkeit wird jedoch auf einen Zeitraum von sechs Monaten nach Vergabe des Einzelauftrags begrenzt. Erlangen die Unternehmen erst nach diesem Zeitraum Kenntnis von der Vertrags­ änderung, können sie ihr Recht auf Teilhabe am Auftrag nicht mehr durchsetzen.

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Sachverzeichnis

Abfallentsorgungsverträge 43

Änderungen am Leistungsgegenstand 45

Änderungen der Leistungen nach § 1 Nr. 3

VOB / B 126

Änderungen der Leistungen nach § 2

VOL / B 134

Änderungen der Leistungsbestandteile 165

Änderungen der Rechtsform 173

Änderungen der Vertragslaufzeit 166

Änderungen des Leistungsumfangs 162

Änderungen des Preises 160

Änderungen des Vertragspartners 50, 169

Änderungsklauseln nach VOB / B bzw.

VOL / B 125

Änderungsvorbehaltsklauseln 136

Anschlussbeauftragungen 162

Antragsbefugnis 339

Architekten- und Ingenieurleistungen 46

Auftraggeberbegriff 66, 79

Ausnahmetatbestände

– Verhandlungsverfahren 146, 147, 150,

152, 155, 157

Austausch von Leistungsbestandteilen 48

automatische Verlängerungsklausel 40,

54, 186, 189

– Nichtigkeit aus § 13 Satz 6 VgV a. F.

313, 323

– Nichtigkeit aus § 101b GWB 326

– Nichtigkeit aus § 134 BGB 316, 322

– Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit 318

– Rechtsfolge 321

Dienstleistungsfreiheit 185, 187

Diskriminierungsverbot 111

Echolotsystem-Entscheidung 49, 165

Energieversorgungsverträge 41

Energiewirtschaftsgesetz 42

Fallgruppen von Vertragsänderungen 37,

51

Fiskalgeltung der Grundrechte 75

gemischt-wirtschaftliche Unternehmen 79,

82 – 83, 86

Gesamtrechtsnachfolge 173

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

(GWB) 105

Gleichbehandlungsgebot 111

Gleichheitssatz 73 –75, 77, 85

Grundrechtsfähigkeit 67 –70, 80 –81, 83

grundrechtstypische Gefährdungslage 69,

81

Bauentwurf, Begriff 127

Bedarfs- bzw. Eventualpositionen 220

Binnenmarkt 25

Handlungsfreiheit 62

haushaltsrechtliche Lösung 27

Daseinsvorsorge 81, 83

De-facto-Vergabe

– alte Rechtslage 312

– Begriff 307

– Gemeinschaftsrechtswidrigkeit 309

Inhaltskontrolle – § 1 Nr. 3 VOB / B 128

– § 1 Nr. 4 VOB / B 133

– § 2 Nr. 1 VOL / B 135

– Änderungsvorbehaltsklauseln 137

Sachverzeichnis Insolvenz Arbeitsgemeinschaftsmitglied

174

Kartellvergaberecht 27

Koordinierungsrichtlinien 99

Kündigungsklausel 190, 192

Kündigungspflicht

– Altverträge 208

– Gemeinschaftsrechtswidrigkeit 199

– kollusives Zusammenwirken 202

– Wettbewerbsgebot 204

– Wirtschaftlichkeit 202

Kündigungsverzicht 194

langfristige Verträge 41, 181, 186

Leistungserweiterungen 45, 47

Mehrmengen 162

Nichtausüben eines Kündigungsrechts 54,

178

– Handeln durch Unterlassen 196

– rechtliche Relevanz 192, 195

nichtstaatliche öffentliche Auftraggeber

65, 79, 85 – 86, 89

Öffentlich-Private-Partnerschaft (ÖPP) 41

öffentliche Auftraggeber 65

öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 2

GWB 91

öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 4

Alt. 1 GWB 93

öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 5

und 6 GWB 95

optionale Verlängerungsklausel 39

Optionsrecht 39, 55

– Abgrenzungen 218

– Ausübung 252

– Begriffsbestimmung 215

– Bestimmtheitsgebot 230

– Gewichtung Hauptleistung 231

– gewöhnliche Wagnisse 241

– – – – – – – – –

403

Inhaltskontrolle 247

Leistungsbeschreibung 235, 237

Leistungserweiterung 47

Rechtmäßigkeitsanforderungen 224

Regelungen 223

ungewöhnliche Wagnisse 238, 244

Vergabewille 226

Vertragslaufzeit 228

Wertung 233

personales Substrat 68, 80

Preisanpassungen 49

Preisgleitklauseln 139

– Arten 140

– Inhaltskontrolle 144

– Preisermittlungsgrundlagen 141

pressetext-Entscheidung 117, 160, 162,

171, 181, 194

Primärrechtsschutz 329

Privatautonomie 55, 59 –60, 63 –64, 67,

73, 89, 171

Privatrechtsprinzip 57

Rahmenvereinbarungen – Anwendung Vergaberecht 272

– Auftragsvolumen 277

– Bedingungen für Einzelaufträge 275

– Begriffsbestimmung 259

– beidseitig verbindlich 261

– Bindungswirkung 260

– Einzelaufträge 289

– Einzelauftragsvergabe 293

– in Aussicht genommener Preis 276

– Inhalt 275

– Laufzeit 281

– Leistungsbeschreibung 280

– Leistungserweiterung 48, 55, 258

– mit einem Unternehmen 293

– mit mehreren Unternehmen 294

– Rechtsschutz 363

– Regelungen nationales Recht 266

404

Sachverzeichnis

– Regelungen VKR, SKR 264

– Sektorenbereich 300

– Sinn und Zweck 259

– ungewöhnliche Wagnisse 283

– unverbindlich 262

– Verbot grundlegender Änderungen 291

– Verbot Mehrfachvergabe 286

– vergabefremde Zwecke 285

– Vertragspartner 286

– VOB / A, VOF 268

– VOL / A 267

– Wettbewerbsgebot 283

– Wiedereröffnung Wettbewerb 295

– Zeitraum Einzelaufträge 279

RBBau 46

Rechtsfolgen 307

– De-facto-Vergabe 312

– Gemeinschaftsrecht 308

– nationales Vergaberecht 312

Rechtsgrundlagen 98

Rechtsgrundsätze 98

Rechtsmittelrichtlinien 99, 101, 310, 330,

333

Rechtsschutz 329

– alte Rechtslage 336

– Antragsbefugnis De-facto-Vergabe 339

– Gemeinschaftsrecht 330

– GWB n. F. 343

– nationales Recht 335

– Optionsrechte 355

– Rügeobliegenheit 339

– Statthaftigkeit Nachprüfungsverfahren

336

– Vertragsänderungen durch Parteiverein­ barung 344

– Vertragsverlängerungen durch Nichtkün­ digung 349

Rechtsstaatsprinzip 62, 72

Rechtstatsachen 29

Reduzierungen des Leistungsumfangs 48,

162

Regelvertragslaufzeiten 186

Sektorenkoordinierungsrichtlinie 101

staatliche öffentliche Auftraggeber 65 –67

Stadt Halle-Entscheidung 331

Strukturprinzipien der Verfassung 73, 77,

85 – 86

stufenweise Beauftragung 47

succhi di frutta-Entscheidung 160

Transparenzgebot 113

Umwandlungen nach UmwG 173

unbefristete Verträge 180

Untersuchungsergebnis 375

Untersuchungsgegenstand 37

Vergabe- und Vertragsordnungen 106

Vergabekoordinierungsrichtlinie 99

Vergabeverordnung 106

Verhandlungsverfahren ohne Vergabebe­ kanntmachung 147

Verlängerungsklauseln 54

Verschmelzung 174

Vertragsänderungen auf der Grundlage von

Optionsrechten 54, 215

Vertragsänderungen auf der Grundlage von

Rahmenvereinbarungen 55, 258

Vertragsänderungen durch Nichtkündi­ gung 54, 178

Vertragsänderungen durch Parteivereinba­ rung 53, 116, 158, 344

Vertragsfreiheit 59, 63 –64, 72, 82, 89

Vertragsübernahme 170

Vertragsverlängerungen 38, 166

Vertragsverlängerungen durch Nichtkündi­ gung 54, 178

– Rechtsschutz 349

Vertragsverlängerungsklauseln 39

Vertragsverlängerungsvereinbarungen 44

Sachverzeichnis Wahl- und Alternativpositionen 220 Wettbewerbsgebot 109, 182, 186, 202 Willkürverbot 72 – 74, 77, 85 – 86, 112

405

Ziele Vergaberecht 25, 27 zusätzliche Leistungen 45, 162 zusätzliche Leistungen nach § 1 Nr. 4 VOB / B 131