Beschränkung des Schadensersatzumfangs durch das Übermaßverbot?: Eine Untersuchung der Vereinbarkeit des Grundsatzes der Totalreparation (§ 249 I BGB) mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip [1 ed.] 9783428515028, 9783428115020

Der Autor untersucht, ob die Bestimmung des Schadensersatzumfangs nach dem in § 249 I BGB normierten Grundsatz der Total

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Beschränkung des Schadensersatzumfangs durch das Übermaßverbot?: Eine Untersuchung der Vereinbarkeit des Grundsatzes der Totalreparation (§ 249 I BGB) mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip [1 ed.]
 9783428515028, 9783428115020

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JOHANN CHRISTIAN BARTELT

Beschränkung des Schadensersatzumfangs durch das Übermaßverbot?

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 301

Beschränkung des Schadensersatzumfangs •• durch das Ubermaßverbot? Eine Untersuchung der Vereinbarkeit des Grundsatzes der Totalreparation (§ 2491 BGB) mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip

Von Johann Christian Bartelt

Duncker & Humblot • Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D 25 Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-11502-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde Ende Mai 2003 abgeschlossen und im Wintersemester 2003/2004 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg als Dissertation angenommen. Herzlich bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Rainer Frank für die umfassende Freiheit bei Themenwahl und -ausarbeitung, die sehr freundliche Betreuung und die zügige Erstellung des Erstgutachtens. Bei Herrn Prof. Dr. Rainer Wahl bedanke ich mich für die schnelle Zweitbegutachtung. Hamburg, im Februar 2004

Johann Christian Bartelt

Inhaltsverzeichnis § 1 Einführung I. Problemstellung und Ziele der Untersuchung II. Gang der Untersuchung § 2 Das Prinzip der Totalreparation I. Die gesetzliche Regelung des Grundsatzes der Totalreparation 1. Ziel und Methode der Auslegung 2. Wortlaut des § 2491 BGB 3. Entstehungsgeschichte des § 2491 BGB a) 1. Kommission b) Vorkommission des Reichsjustizamtes c) 2. Kommission d) Bundesrat e) Reichstag f) Inkrafttreten des BGB g) Schlussfolgerungen aus der Entstehungsgeschichte 4. Systematische Stellung des § 2491 BGB 5. Objektiv-teleologische Auslegung des § 2491 BGB 6. Das Verhältnis der Auslegung zurrichterlichen Rechtsfortbildung 7. Ergebnis der Auslegung II. Die judikative Ausgestaltung des Grundsatzes der Totalreparation 1. Die Äquivalenztheorie 2. Die Adäquanztheorie 3. Die Lehre vom Schutzzweck der Norm 4. Das Verhältnis von Adäquanztheorie und Schutzzwecklehre zueinander ... III. Gesetzliche Einschränkungen des Grundsatzes der Totalreparation 1. Die Tatbestände der Mitverschuldensberücksichtigung a) Allgemeines b) Die Regelung des § 254 BGB aa) Tatbestandsvoraussetzungen bb) Rechtsfolgen cc) Anrechnung des Mitverschuldens Dritter dd) Mitverschuldensberücksichtigung gegenüber mehreren Schädigern.. (1) Mittäterschaft (2) Alternativtäterschaft (3) Nebentäterschaft ee) Prozessuales 2. Sonstige Einschränkungen des Grundsatzes der Totalreparation IV. Stellungnahme zur gesetzlichen Regelung des Prinzips der Totalreparation und ihrer praktischen Handhabung

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nsverzeichnis

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation I. Die Kritik 1. Die grundsätzliche Kritik am Prinzip der Totalreparation a) Überbetonung der Interessen des Geschädigten aa) Argumente dafür, die Interessen des Geschädigten in so weitreichendem Maße zu berücksichtigen, wie es der Grundsatz der Totalreparation tut bb) Argumente dagegen, die Interessen des Geschädigten in so weitreichendem Maße zu berücksichtigen, wie es der Grundsatz der Totalreparation tut b) Vernachlässigung der Einzelfallgerechtigkeit zugunsten der Rechtssicherheit aa) Argumente dafür, die Rechtssicherheit in so weitreichendem Maße zu fördern, wie es der Grundsatz der Totalreparation tut bb) Argumente dagegen, der Rechtssicherheit ein so hohes Gewicht beizumessen, wie es der Grundsatz der Totalreparation tut 2. Die Beeinflussung der Schadensentstehung durch Umstände, die nicht in der Sphäre des Schädigers liegen a) Die Behandlung der Schadensursachen außerhalb der Schädigersphäre durch die Rechtsprechung aa) Mitwirkung des Geschädigten bb) Schadensanlagen in der Sphäre des Geschädigten cc) Mitwirkung Dritter dd) Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos ee) Zusammenfasssung b) Die Kritik am Prinzip der Totalreparation im Hinblick auf die Behandlung der Schadensursachen außerhalb der Schädigersphäre aa) Argumente gegen eine stärkere Berücksichtigung der Schadensursachen außerhalb der Schädigersphäre bei der Ersatzpflichtbemessung bb) Argumente für eine stärkere Berücksichtigung der Schadensursachen außerhalb der Schädigersphäre bei der Ersatzpflichtbemessung 3. Eine geringe Schuld des Schädigers a) Die Behandlung einer geringen Schuld des Schädigers durch die Rechtsprechung b) Die Kritik am Prinzip der Totalreparation im Hinblick auf die Behandlung einer geringen Schuld des Schädigers aa) Argumente gegen eine stärkere Rücksichtnahme auf die Geringfügigkeit des Verschuldens des Schädigers bei der Ersatzpflichtbemessung bb) Argumente für eine stärkere Rücksichtnahme auf die Geringfügigkeit des Verschuldens des Schädigers bei der Ersatzpflichtbemessung .... 4. Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzverpflichtung a) Die Berücksichtigung der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzpflicht seitens der Rechtsprechung b) Die Kritik am Prinzip der Totalreparation im Hinblick auf die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzpflicht

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nsverzeichnis aa) Argumente gegen eine stärkere Rücksichtnahme auf die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzpflicht bei der Ersatzpflichtbemessung 99 bb) Argumente für eine stärkere Rücksichtnahme auf die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzpflicht bei der Ersatzpflichtbemessung 102 5. Fehlende Angewiesenheit des Geschädigten auf die Ersatzleistung des Schädigers 112 a) Die Berücksichtigung der fehlenden Angewiesenheit des Geschädigten auf die Ersatzleistung durch die Rechtsprechung 112 b) Die Kritik am Prinzip der Totalreparation im Hinblick auf die Berücksichtigung der fehlenden Angewiesenheit des Geschädigten auf die Ersatzleistung 113 aa) Argumente gegen eine stärkere Rücksichtnahme auf die fehlende Angewiesenheit des Geschädigten auf die Ersatzleistung 113 bb) Argumente für eine stärkere Rücksichtnahme auf die fehlende Angewiesenheit des Geschädigten auf die Ersatzleistung 116 6. Minderjährigkeit des Schädigers 122 a) Die Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Schädigers durch die Rechtsprechung 122 b) Die Kritik am Prinzip der Totalreparation im Hinblick auf die Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Schädigers 124 aa) Argumente gegen eine stärkere Rücksichtnahme auf die Minderjährigkeit des Schädigers 124 bb) Argumente für eine stärkere Rücksichtnahme auf die Minderjährigkeit des Schädigers 126 II. Stellungnahme zur Kritik am Prinzip der Totalreparation 135 III. Änderungsvorschläge 136 1. Änderungsvorschläge de lege lata 136 a) § 242 BGB 137 b) §254 BGB 140 c) § 287 ZPO 141 d) Bemessung des Ersatzumfangs mit Hilfe einer wertenden Betrachtung des Kausalbeitrags des Schädigers 142 e) Sonstige Vorschläge 142 f) Haftungsreduktion bei vertraglicher Haftung 143 2. Änderungsvorschläge de lege ferenda 143 a) Grundlegender Neuaufbau des Schadensersatzrechts 144 b) Reduktionsklauseln 144 c) Haftungsreduktion bei vertraglicher Haftung 146 3. Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen 147 IV. Exkurs zum innerbetrieblichen Schadensausgleich 148 1. Der Bezug zur allgemeinen Diskussion um das Prinzip der Totalreparation . 148 2. Die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs 149 a) Die Haftung gegenüber dem Arbeitgeber 149 b) Die Haftung gegenüber einem außerhalb des Arbeitsverhältnisses stehenden Dritten 150

12

nsverzeichnis c) Die Haftung für Personenschäden bei Arbeitskollegen und beim Arbeitgeber 3. Die zur Begründung der Haftungsbeschränkung angeführten Gesichtspunkte a) Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers b) Das Betriebs-und Organisationsrisiko des Arbeitgebers c) Die Schutzpflicht aus den Grundrechten des Arbeitnehmers 4. Verwertbarkeit der Überlegungen zum innerbetrieblichen Schadensausgleich für das allgemeine Schadensersatzrecht

151 151 151 152 153 156

§ 4 Die Vereinbarkeit des Grundsatzes der Totalreparation mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip 159 I. Das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip als Maßstab für die Regelung der Höhe des Schadensersatzes in § 2491 BGB 159 1. Der verfassungsrechtliche Standort des Verhältnismäßigkeitsprinzips und seine Bedeutung für dessen Anwendbarkeit als Maßstab für die Regelung des §2491 BGB 160 2. Die Bindung des Zivilgesetzgebers und der Zivilrechtsprechung an die Grundrechte als Abwehrrechte und ihre Konsequenzen für die Anwendbarkeit des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips als Maßstab für die Regelung des §2491 BGB 163 a) Die Bindung des Zivilgesetzgebers an die Grundrechte als Abwehrrechte 163 b) Die Bindung der Zivilrechtsprechung an die Grundrechte als Abwehrrechte 167 c) Konsequenzen der Bindung des Zivilgesetzgebers und der Zivilrechtsprechung an die Grundrechte in ihrer Abwehrfunktion für die verfassungsrechtliche Beurteilung des Grundsatzes der Totalreparation 169 3. Die Beschränkung der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf die Regelung des §2491 BGB 170 II. Die Prüfung des Grundsatzes der Totalreparation am verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip 171 1. Die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips 171 2. Die Vereinbarkeit des Grundsatzes der Totalreparation mit den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips 176 a) Die Legitimität der mit dem Grundsatz der Totalreparation verfolgten Zwecke 176 aa) Die Legitimität der gesetzgeberischen Zwecksetzung 176 (1) Die Legitimität des Ausgleichszwecks 177 (2) Die Legitimität des Zieles der Schaffung von Rechtssicherheit ... 182 bb) Die Legitimität der von der Rechtsprechung bei der Auslegung des §2491 BGB berücksichtigten Zwecke 182 cc) Zusammenfassung 183 b) Die Geeignetheit des §2491 BGB und seiner Auslegung durch die Rechtsprechung zur Förderung der verfolgten Zwecke 183 aa) Die Geeignetheit der gesetzlichen Regelung des § 2491 BGB zur Förderung der verfolgten Zwecke 183

nsverzeichnis bb) Die Geeignetheit der judikativen Auslegung des § 2491 BGB zur Förderung der verfolgten Zwecke 183 cc) Zusammenfassung 184 c) Die Erforderlichkeit des § 2491 BGB und seiner Auslegung durch die Rechtsprechung zur Förderung der verfolgten Zwecke 184 aa) Die Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung des § 2491 BGB zur Förderung der verfolgten Zwecke 184 (1) Die Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung des § 2491 BGB zur Förderung des Ausgleichszwecks 184 (2) Die Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung des § 2491 BGB zur Förderung des Zieles der Schaffung von Rechtssicherheit 185 bb) Die Erforderlichkeit der judikativen Auslegung des § 2491 BGB zur Förderung der verfolgten Zwecke 186 (1) Die Erforderlichkeit der judikativen Auslegung des § 2491 BGB zur Förderung des Ausgleichszwecks 186 (2) Die Erforderlichkeit der judikativen Auslegung des § 2491 BGB zur Förderung des Zieles der Schaffung von Rechtssicherheit .... 186 cc) Zusammenfassung 186 d) Die Angemessenheit des § 2491 BGB und seiner Auslegung durch die Rechtsprechung 187 aa) Die Angemessenheit der gesetzlichen Regelung des § 2491 BGB .... 187 (1) Die gegeneinander abzuwägenden Positionen 187 (2) Die Gewichtung der abzuwägenden Positionen 187 (a) Das Gewicht der verfolgten Zwecke 187 (aa) Das Gewicht des Ausgleichszwecks 187 (bb) Das Gewicht des Ziels der Schaffung von Rechtssicherheit 189 (cc) Zusammenfassung 192 (b) Das Gewicht der betroffenen Grundrechte des Schädigers .... 193 (aa) Der Charakter des konkret betroffenen Grundrechts 193 (bb) Die Intensität des Eingriffs 193 (cc) Die Verstärkung des Gewichts der Grundrechte des Schädigers bei dessen Minderjährigkeit 195 (dd) Keine Verstärkung des Gewichts der Grundrechte des Schädigers durch den Sozialstaatsgedanken 196 (ee) Zusammenfassung 197 (3) Die Gegenüberstellung der abzuwägenden Positionen 197 bb) Die Angemessenheit der judikativen Auslegung des § 2491 BGB ... 199 cc) Zusammenfassung 199 e) Ergebnis der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Regelung des § 2491 BGB und ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung 199 Vorschlag zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen Umfangs der Ersatzpflicht de lege lata 200 I. Die Ermittlung des geeignetsten dogmatischen Ansatzes zur Vermeidung der UnVerhältnismäßigkeit des Ersatzumfangs in den problematischen Fällen nach geltendem Recht 200

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nsverzeichnis IL Die Begrenzung des Ersatzumfangs auf ein verhältnismäßiges Maß in den Problemfällen mittels einer verfassungskonformen Auslegung des Kausalbegriffs im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität 204 1. Die Vereinbarkeit eines wertenden Verständnisses des Kausalbegriffs in §2491 BGB mit dem Gesetz 204 2. Die wertende Bestimmung des Verursachungsanteils des Schädigers 205 a) Allgemeine Grundsätze 205 b) Die Behandlung der verschiedenen Fallgruppen der außerhalb der Schädigersphäre liegenden Schadensursachen bei der wertenden Bestimmung des Verursachungsanteils des Schädigers 207 aa) Mitwirkung des Geschädigten 207 bb) Schadensanlagen in der Sphäre des Geschädigten 208 cc) Mitwirkung Dritter 208 dd) Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos 209 3. Die Einfügung der Bemessung des Ersatzumfangs mittels der wertenden Bestimmung des Verursachungsanteils des Schädigers in die Dogmatik der haftungsausfüllenden Kausalität 210 4. Die Behandlung von Fällen mit mehreren Geschädigten 211

§6 Zusammenfassung

212

Literaturverzeichnis

214

Sachwortverzeichnis

237

Abkürzungsverzeichnis a. A. AcP a. F. AMG AöR ArbG ARS Art. AtomG Aufl. AuR BAG BAGE BBergG BFH BGB BGBl. BGH BGHZ BinSchG BMJ BSG BT-Drucks. BVerfG BVerfGE bzw. DAR DGVZ d.h. Diss. DJZ DRiZ DRZ DVZ EI E I-VorlZust

anderer Ansicht Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Arzneimittelgesetz Archiv für öffentliches Recht Arbeitsgericht Arbeitsrechts-Sammlung Artikel Atomgesetz Auflage Arbeit und Recht B undesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesberggesetz Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Binnenschiffahrtsgesetz Bundesminister(ium) der Justiz Bundessozialgericht B undestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise Deutsches Autorecht Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung das heißt Dissertation Deutsche Juristen-Zeitung Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsche Versicherungszeitschrift Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erste Lesung. 1888 (1. Entwurf) BGB-Entwurf in der Paragraphenzählung des E I nach der „Vorläufigen Zusammenstellung der Beschlüsse der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs" von Planck (1891-1895)

16 E I-ZustRedKom

Abkürzungsverzeichnis

EBV f. FamRZ ff. GenTG GG ggf. GmbH

BGB-Entwurf in der Paragraphenzählung des E I nach der „Zusammenstellung der Beschlüsse der Redaktions-Kommission" der 2. Kommission (1891-1895) Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Nach den Beschlüssen der Redaktionskommission, Zweite Lesung, 1894, 1895; sogn. 2. Entwurf Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich Zweite Lesung (1895; sogn. Bundesratsvorlage) Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs (1896, Reichstagsvorlage oder 3. Entwurf; Reichstagsdrucksache Nr. 87 der Session 1895/1897) Eigentümer-Besitzer-Verhältnis folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht folgende Gesetz zur Regelung der Gentechnik Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung

grds.

grundsätzlich

GrZ GS Habil. HGB HPflG Hs. InsO i.V.m. JA JB1. JR Jura JuS JW JZ KE

Großer Senat in Zivilsachen Großer Senat Habilitationsschrift Handelsgesetzbuch Haftpflichtgesetz Halbsatz Insolvenzordnung in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung der ersten Beratung der 1. Kommission (1884-1887; sog. Kommissionsentwurf) Kraftfahrzeug-Pflichtversicherungsverordnung Landgericht Luftverkehrsgesetz Monatsschrift für Deutsches Recht mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nummer

E II

E II rev E III

KfzPflVV LG LuftVG MDR m.w.N. n.F. NJW NJW-RR Nr.

Abkürzungsverzeichnis NZA NZV OLG OLGZ OR PrALR ProdHaftG RabelsZ RAG RDV RedVorl RG RGZ Rn. Rspr. RVO RZZP S. s. SAE SGB IV SGB VII SGB X sog. st. StVG TE-OR u. a. UmweltHG UN-Kaufrecht usw. UVEG

v. VersR vgl. VOB/B VVG WHG WM 2 Bartelt

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen (schweizerisches) Bundesgesetz über das Obligationenrecht Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Produkthaftungsgesetz Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Emst Rabel Reichsarbeitsgericht Recht der Datenverarbeitung, Zeitschrift für Praxis und Wissenschaft Redaktionsvorlage für den Redaktionsausschuß der 1. Kommission von Pape (1881 ff.) Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer Rechtsprechung Reichsversicherungsordnung Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht Satz, Seite siehe Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Sozialgesetzbuch -Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung- (Viertes Buch) Sozialgesetzbuch -Gesetzliche Unfallversicherung- (Siebtes Buch) Sozialgesetzbuch -Verwaltungsverfahren- (Zehntes Buch) sogenannte ständige Straßenverkehrsgesetz Teilentwurf zum Obligationenrecht von v. Kübel (1882) unter anderem Gesetz über die Umwelthaftung Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) und so weiter Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz = Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch vom Versicherungsrecht vergleiche Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen DIN 1961 Gesetz über den Versicherungsvertrag Wasserhaushaltsgesetz Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Wertpapiermitteilungen

18 w.N. ZAkDR z.B. ZfA ZfV ZHR ZPO ZRP ZustOR

Abkürzungsverzeichnis weitere Nachweise Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht zum Beispiel Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Versicherungswesen Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zusammenstellung der sachlich beschlossenen Bestimmungen des Obligationenrechts nach den Beschlüssen des Redaktionsausschusses der 1. Kommission (1882-1884)

§ 1 Einführung I. Problemstellung und Ziele der Untersuchung § 2491 BGB 1 bestimmt den Inhalt der Schadensersatzpflicht mit den Worten: „Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre."

Für den Umfang der Schadensersatzpflicht gilt hiernach der Grundsatz der Totalreparation, demzufolge der ersatzpflichtige Schädiger dem Geschädigten stets den gesamten entstandenen Schaden zu ersetzen hat, ohne dass die haftungsbegründenden Umstände bei der Bemessung des Ersatzumfangs berücksichtigt würden.2 Der Umfang der Schadensersatzpflicht wird allein durch den Kausalzusammenhang zwischen der Verwirklichung des Haftungstatbestandes und dem eingetretenen Schaden begrenzt.3 Es liegt auf der Hand, dass diese Regelung zu äußerst schwerwiegenden Belastungen des Schädigers führen kann bis hin zur Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz.4 Dies galt schon bei Inkrafttreten der Regelung am 1.1.1900.5 Durch die technische und soziale Entwicklung, insbesondere durch die Zunahme des Straßenverkehrs, hat seither die Gefahr der Entstehung hoher Schäden und entsprechender Ersatzpflichten noch erheblich zugenommen.6 Hinzu kommt, dass die rechtlichen Voraussetzungen der Haftbarkeit mitunter außerordentlich gering angesetzt sind7, etwa durch die Ausdehnung der deliktsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten seitens der Rechtsprechung bis in die Nähe einer Gefährdungshaftung 8. Angesichts der Geringfügigkeit der Voraussetzungen der Haftungsbegründung und der Schwere der möglichen Haftungsfolgen mit ihren mitunter einschneidenden Auswirkungen auf die weitere Lebensgestaltung des Schädigers ist in den vergan1 § 2491 BGB in der neuen Fassung der Vorschrift durch das am 1.8.2002 in Kraft getretene „Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften" vom 19.7.2002 (BGB1.I 2674) entspricht §249 S. 1 BGB der alten Fassung. 2 Soergel Band 2-Mertens, Vor §249 Rn. 17. 3 Staudinger (§§ 249-254)-Schiemann Vorbem zu §§249ff. Rn.25. 4 Krause, Peter, 79; Lanz y Alternativen, 22f.; Medicus, Schuldrecht AT, Rn.585. 5 Gierke, Der Entwurf, 266 f. 6 BMJ, Begründung RefE 1967, 33 f.; Grünbergen DVZ 1967, 128, 132; Weitnauer, Der haftungsfreie Raum, 136. 7 Hauss, Referat 43. DJT, C23f., C34f.; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481, 491; Stoll, Consequences, 146 f. 8 Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481, 491; Stoll, Consequences, 146f.

2*

§ 1 Einführung

20

genen siebzehn Jahren zunehmend die Vereinbarkeit des Grundsatzes der Totalreparation mit dem aus den Grundrechten des Schädigers abzuleitenden verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip diskutiert worden. Nach ersten Anregungen aus der Literatur 9 griffen einige Entscheidungen der Rechtsprechung die Fragestellung im Hinblick auf den speziellen Fall der Minderjährigenhaftung gemäß § 828 II BGB a.F. 10 auf. Das LG Bremen meinte, den minderjährigen Schädiger bereits de lege lata mit Hilfe des Rechtsmissbrauchseinwandes aus § 242 BGB vor einer übermäßigen Haftung schützen zu können.11 Dagegen legten das OLG Celle 12 und das LG Dessau13 die Frage, ob § 828 II BGB a. F. unter näher bezeichneten Voraussetzungen mit dem GG vereinbar sei, dem BVerfG gemäß Art. 1001 GG zur Entscheidung vor. Während sich die Vorlage des OLG Celle durch einen Vergleich der Parteien erledigte, verwarf das BVerfG 14 die Vorlage des LG Dessau als unzulässig, da es sich bei §828 II BGB a.F. um vorkonstitutionelles Recht handele15. Gleichwohl nutzte es die Gelegenheit, um in der Sache anzumerken, dass es den Zivilgerichten freistehe, eine übermäßige Belastung des minderjährigen Schädigers mit Hilfe des § 242 BGB zu verhindern. 16 Auch wenn damit nun eine Äußerung des BVerfG zur Frage der Vereinbarkeit des Grundsatzes der Totalreparation mit den Grundrechten des Schädigers respektive dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip vorliegt, so kann die Fragestellung doch nicht als abschließend geklärt angesehen werden. Zum einen bezieht sich die Anmerkung lediglich auf den Fall der Minderjährigenhaftung nach § 828 II BGB a. F. 17 Zum anderen wird auf die Voraussetzungen der Anwendung des § 242 BGB nicht näher eingegangen und werden weitere einfachrechtliche Gesichtspunkte, die für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Ersatzpflicht von Bedeutung sein können, nur am Rande erwähnt, so die Möglichkeit eines Gesamt9

Canaris , JZ 1987, 993ff., 1001 f.; Canaris , JZ 1988,494f., 497. Vor seiner Änderung durch das am 1.8.2002 in Kraft getretene „Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften" vom 19.7.2002 (BGBl. 12674) hatte § 828 II BGB folgende Fassung: „Wer das siebente, aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Das gleiche gilt von einem Taubstummen." 11 LG Bremen, Urteil v. 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432ff. 12 OLG Celle, Urteil und Vorlagebeschluss v. 26.5.1989, NJW-RR 1989,791 = VersR 1989, 709 = JZ 1990,294; vgl. nunmehr auch OLG Celle 17.10.2001, VersR 2002,241 zu einer Fallgestaltung, in der die Schadensersatzhaftung eines Minderjährigen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. 13 LG Dessau, Beschluss v. 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214ff. = VersR 1997, 242. 14 BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschluss v. 13.8.1998, NJW 1998,3557 = VersR 1998, 1289 = NZV 1999, 39. 15 Infolge der Ersetzung des § 828 II BGB der alten Fassung durch § 828 II und III in der Fassung des am 1.8.2002 in Kraft getretenen „Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften" vom 19.7.2002 (BGBl. 12674) handelt es sich bei der Regelung der Minderjährigenhaftung nunmehr um nachkonstitutionelles Recht. 16 BVerfG 13.8.1998, NJW 1998, 3557, 3558. 17 BVerfG 13.8.1998, NJW 1998, 3557, 3558. 10

I. Problemstellung und Ziele der Untersuchung

21

schuldnerregresses nach den §§ 840,426 BGB, eines Forderungserlasses nach § 76 II Nr. 3 SGB IV sowie die Schuldnerschutzvorschriften der InsO. 18 Gleichzeitig ist diese Frage für die betroffenen Parteien angesichts der beschriebenen potentiell schwerwiegenden Auswirkungen der Entscheidung von großer Bedeutung. Die vorliegende Arbeit möchte daher einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, ob der Grundsatz der Totalreparation in allen Anwendungsfällen mit dem aus den Grundrechten des Schädigers abzuleitenden Verhältnismäßigkeitsprinzip vereinbar ist. Da die Untersuchung ergeben wird, dass dies nicht immer der Fall, eine Gesetzesänderung jedoch nicht zu erwarten ist 19 , soll zudem ein Vorschlag zur verfassungskonformen Behandlung dieser Problemfälle bereits de lege lata gemacht werden. Den Gegenstand der Untersuchung soll dabei nicht nur die gesetzgeberische Anordnung der Totalreparation in § 2491 BGB bilden, sondern auch deren dogmatische Ausgestaltung durch die Rechtsprechung. Denn schon früh gingen Rechtsprechung und Lehre entgegen der klaren gesetzgeberischen Entscheidung in § 2491 BGB davon aus, dass der Gesetzgeber den durch den Grundsatz der Totalreparation beherrschten Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität der Rechtsprechung und Wissenschaft zur Ausfüllung überlassen hat.20 Legte man der Regelung des § 2491 BGB den vorjuristischen Kausalbegriff der Äquivalenztheorie zugrunde, nach dem jeder Umstand als Ursache eines Schadens anzusehen ist, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Schaden in seiner konkreten Gestalt entfiele, so ergäbe sich eine schier uferlose Haftung des Schädigers.21 Deshalb setzte sich allgemein die Überzeugung durch, dass durch die Kausalität im Sinne der Äquivalenztheorie nur die äußerste Grenze der Haftung abgesteckt wird und eine darüber hinausgehende Begrenzung der Ersatzpflicht durch die Rechtsprechung erfolgen muss.22 Der Inhalt des Grundsatzes der Totalreparation wird daher auch durch dessen dogmatische Ausgestaltung seitens der Rechtsprechung bestimmt. Diese muss den verfassungsrechtlichen Anforderungen ebenfalls genügen. Es darf zudem nicht verkannt werden, dass die Verfassung stets nur Anforderungen an die Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit stellen kann.23 Neben der erwähnten 18

BVerfG 13.8.1998, NJW 1998, 3557, 3558. Auch das am 1.8.2002 in Kraft getretene „Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften" vom 19.7.2002 (BGBl. 12674) hat in dieser Hinsicht keine Änderungen gebracht. 20 v.Caemmerer, Kausalzusammenhang, 9 f. 21 Erman-Kuckuck Vor § 249 Rn. 30; Jauemig-Teichmann Vor §§ 249-253 Rn. 27; Lange, Hermann, Schadensersatz, 81; Palandt-Heinrichs Vorbem v §249 Rn.58. 22 BGH 11.5.1951, BGHZ 2,138,141; Erman-tfwc*wd: Vor §249 Rn.30; Lange, Hermann, Schadensersatz, 81; MüKo (§§241-432)-6te/ter §249 Rn.98 m.w.N.; Pzlandt-Heinrichs Vorbem v §249 Rn.58. 23 Krause, JR 1994,494, 497. 19

22

§ 1 Einführung

Dogmatik sind auch andere Regelungen, die sich auf die Verhältnismäßigkeit der Belastung des Schädigers mit der Ersatzpflicht auswirken können, in die Betrachtung einzubeziehen. Es sind dies insbesondere die Vollstreckungsschutzvorschriften der ZPO sowie die Regelungen der InsO über das Verbraucherinsolvenzverfahren und das Verfahren der Restschuldbefreiung. Im Kern wird der Umfang der Belastung des Schädigers jedoch durch die Regelung des § 2491 BGB und die Dogmatik im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität bestimmt. Diese stehen daher im Mittelpunkt der Untersuchung. Die Arbeit greift mit der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit des Grundsatzes der Totalreparation einen vergleichsweise neuen Aspekt in dem alten Streit um die richtige Reichweite der Haftung des Schädigers auf. Zur Einordnung der Arbeit in diese umfassende Diskussion ist Folgendes zu bemerken: Diese Auseinandersetzung ist so alt wie das BGB. Sie wurde bereits vor dessen Inkrafttreten geführt 24 und infolge der Überlassung der Konkretisierung des Umfanges des zu ersetzenden Schadens seitens des Gesetzgebers an Rechtsprechung und Wissenschaft 25 auch danach26. Sie kann angesichts der Vielzahl der offenen Streitstände auch heute nicht als abgeschlossen gelten. Dabei lassen sich hinsichtlich der Art der Begrenzung der Haftung gegenüber den Ergebnissen der Äquivalenztheorie zwei verschiedene Modelle unterscheiden27: 1. Die qualitative Haftungsbegrenzung, die bestimmte Arten von Schadensfolgen als nicht ersatzfähig von der Schadensersatzpflicht ausnimmt, hinsichtlich der jeweiligen Schadensart aber am Alles-oder-Nichts-Prinzip festhält, 2. die quantitative Haftungsbegrenzung, die auch hinsichtlich bestimmter Arten von Schadensfolgen eine Begrenzung der Ersatzpflicht auf einen Teil des entstandenen Schadens zulassen möchte. Dominiert wurde die bisherige Diskussion von den Ansätzen zur qualitativen Haftungsbegrenzung. 28 Diese verstehen sich nicht als grundsätzliche Kritik am Prinzip der Totalreparation, sondern als dogmatische Mittel zu dessen gesetzeskonformer Ausgestaltung. Als wichtigste Instrumente dieser Kategorie haben sich die Adäquanztheorie und die Lehre vom Schutzzweck der Norm in der Rechtsprechung etabliert. 29 24 25 26 27

28 29

Gierke y Der Entwurf, 198, 266f.; Hartmann, AcP 73 (1888), 309, 359ff. Staudinger (§§249-254)-Schiemann Vorbem zu §§249ff. Rn.2. Vgl. nur die Übersicht über die Streitstände bei Palandt-//emnc/?s Vorbem v § 249. Hauss, Referat 43. DJT, C 32.

Hauss, Referat 43. DJT, C 32.

Zur Adäquanztheorie erstmals RG 20.2.1902, RGZ 50, 219, 222; grundlegend dann RG 15.2.1913, RGZ 81, 359, 360f.; BGH 23.10.1951, BGHZ3, 261, 266f.; BGH 14.10.1971, BGHZ 57, 137, 141, st.Rspr.; zur Schutzzwecklehre BGH 22.4.1958, BGHZ 27, 137, 139ff.; BGH 19.11.1971, BGHZ 57, 245, 256; BGH 6.5.1999, NJW 1999, 3203, 3204, st.Rspr.

I. Problemstellung und Ziele der Untersuchung

23

Die Befürworter quantitativer Haftungsbegrenzung sehen sich dagegen regelmäßig in Opposition zum Grundsatz der Totalreparation und unterbreiten ihre Vorschläge öfter de lege ferenda als nach geltendem Recht.30 Entsprechend finden sich auch in der Rechtsprechung fast keine derartigen Haftungsreduktionen. 31 Gemeinsam ist den Vertretern dieser Auffassung, dass ihnen die Ansätze zur qualitativen Haftungsbegrenzung im Hinblick auf bestimmte Fallkonstellationen nicht weit genug gehen.32 Dabei fallt auf, dass sich die Umstände, die heute einzeln oder kumulativ in bestimmten Fällen zur Begründung der Verfassungswidrigkeit des Umfanges der Ersatzpflicht, wie er sich nach dem Grundsatz der Totalreparation ergibt, herangezogen werden, weitgehend mit denen decken, die in der früheren Diskussion zur Begründung der Notwendigkeit einer quantitativen Haftungsbegrenzung angeführt wurden. Es sind dies: 1. Die Beeinflussung der Schadensentstehung durch Umstände, die nicht in der Sphäre des Schädigers liegen33, sondern in derjenigen des Geschädigten oder eines Dritten, oder in denen sich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht, 2. eine geringe Schuld des Schädigers34, 3. die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzverpflichtung 35, 4. die fehlende Angewiesenheit des Geschädigten auf die Ersatzleistung des Schädigers 36, insbesondere infolge einer Deckung des Schadens von dritter Seite, 5. die Minderjährigkeit des Schädigers37. Die Untersuchung wird ergeben, dass sich dem Verfassungsrecht gerade unter Berücksichtigung vieler dieser Gesichtspunkte in einigen näher herauszuarbeiten30 BMJ, Wortlaut RefE 1967,2 (§ 255 a BGB); 43. DJT, Beschluß, C121, abgedruckt auch in JZ 1960, 759, 760; Hauss, Referat 43. DJT, C32, C44f. 31 Soweit ersichtlich nur OLG Celle 18.10.1972, JZ 1973, 246 ff. 32 BMJ, Begründung RefE 1967, 33 f.; v. Caemmerer, Diskussionsbeitrag auf dem 43. DJT, C76f.; Huyke, Diskussionsbeitrag auf dem 43. DJT, C84f.; Weitnauer, VersR 1963, 101,102. 33 Aus der früheren Diskussion: Bydlinski, JB1. 1968, 330, 331 f.; CosackiMitteis, 396; aus der verfassungsrechtlichen Diskussion: Bydlinski, System, 229 ff. 34 Aus der früheren Diskussion: BMJ, Begründung RefE 1967, 47 ff.; 43. DJT, Beschluß, C121, abgedruckt auch in JZ 1960,759, 760; Gierke, Der Entwurf, 198,266f.; aus der verfassungsrechtlichen Diskussion: LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432ff. m.w.N. 35 Aus der früheren Diskussion: Gierke, Der Entwurf, 266f.; Hohloch, Gutachten, 459, 463 f., 475; aus der verfassungsrechtlichen Diskussion: LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432ff. m.w.N. 36 Aus der früheren Diskussion: BMJ, Begründung RefE 1967, 47, 50; OLG Celle 18.10.1972, JZ 1973,246,248 zustimmend: Deutsch, FS OLG Celle, 391, 394ff.; aus der verfassungsrechtlichen Diskussion: LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991,1432,1434f. m.w.N. 37 Aus der früheren Diskussion: v.Bar, Gutachten, 1762,1774f.; Stoll, Consequences, 148; aus der verfassungsrechtlichen Diskussion: LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432ff. m. w. N.

24

§ 1 Einführung

den Fällen tatsächlich das Gebot einer Verringerung der Belastung des Schädigers durch die Ersatzpflicht entnehmen lässt. Gleichzeitig werden sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung keine Anhaltspunkte für eine zwingende Berücksichtigung der Art der Schadensfolgen bei der vorzunehmenden Reduktion der Belastung ergeben. Der verfassungsrechtliche Ansatz steht damit in der Tradition der bisherigen Versuche, zu einer quantitativen Haftungsbegrenzung zu gelangen.38 Es lässt sich sogar sagen, dass er diese Diskussion fortführt und der Forderung nach einer quantitativen Haftungsreduktion ein festes normatives Fundament de lege lata verleiht, nachdem die Bemühungen um die Schaffung einer Reduktionsklausel, die im Mittelpunkt dieser Diskussion standen, auf absehbare Zeit gescheitert sind.39 Angesichts der vielfachen Berührungspunkte soll die Diskussion um die quantitative Haftungsbegrenzung im Rahmen dieser Arbeit ebenso umfassend berücksichtigt werden wie der im Mittelpunkt der Untersuchung stehende Streit um die Verhältnismäßigkeit des Prinzips der Totalreparation. Dagegen finden die Ansätze zur qualitativen Haftungsbegrenzung keine vollständige Berücksichtigung. Sie weisen neben der Zielsetzung der Haftungsbegrenzung nur insofern eine Verbindung zur hier behandelten Frage auf, als sie mitunter ebenfalls an einige der oben genannten Gesichtspunkte anknüpfen, unter denen die Verhältnismäßigkeit der vollen Ersatzpflicht fraglich erscheinen kann. Entsprechend beschränkt sich ihre Berücksichtigung im Rahmen dieser Arbeit auf eine kritische Darstellung der mit ihrer Hilfe bisher seitens der Rechtsprechung erreichten Haftungseinschränkungen. Im Hinblick auf die einzelnen Gesichtspunkte muss angesichts der Vielzahl der in diesem Bereich bestehenden Streitstände, insbesondere zur Beeinflussung der Schadensentstehung durch Umstände, die außerhalb der Sphäre des Schädigers liegen, eine überblicksartige Darstellung genügen.

II. Gang der Untersuchung Zunächst soll die gesetzliche Regelung des Prinzips der Totalreparation in § 2491 BGB durch ihre Auslegung nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, systematischer Stellung sowie objektiv-teleologisehen Kriterien näher vorgestellt werden. Anschließend wird die Ausgestaltung dargestellt, die dieses Prinzip in der Rechtspraxis von seiten der Judikatur im wesentlichen durch die Äquivalenztheorie, die Adäquanztheorie sowie die Lehre vom Schutzzweck der Norm erhalten hat. 40 38

Vgl. Krause, JR 1994,494, 495. Vgl. MüKo (§§241-432)-0^er §249 Rn. 13. 40 Dagegen wird sich diese Arbeit grundsätzlich nicht mit der Diskussion um den Schadensbegriff befassen. (Eine umfassende Darstellung dieser Diskussionfindet sich bei Lange, Hermann, Schadensersatz, 27 ff.) Das Verständnis des Schadensbegriffs hat zwar ebenfalls Auswirkungen auf die Reichweite der Ersatzpflicht und kann damit für das Ausmaß der Belastung 39

II. Gang der Untersuchung

25

Sodann wird auf die gesetzlichen Einschränkungen eingegangen, die das Prinzip der Totalreparation erfährt, insbesondere auf die Vorschriften über die Mitverschuldensberücksichtigung. Zum Abschluss dieser Ausführungen erfolgt eine erste kritische Würdigung der gesetzlichen Regelung des §2491 BGB, ihrer judikativen Ausgestaltung und ihrer gesetzlichen Einschränkungen. Zur Vorbereitung der Überprüfung des Grundsatzes der Totalreparation am verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip wird nun die bisherige Kritik am Grundsatz der Totalreparation dargestellt. Hierzu wird zunächst die Kritik im allgemeinen wiedergegeben. Dabei bietet sich ein in groben Zügen chronologisches Vorgehen an, um deren Entwicklungslinien herauszustellen. Anschließend wird auf die fünf oben aufgeführten speziellen Gesichtspunkte eingegangen. Nachdem jeweils kurz die Behandlung dieser Aspekte durch die Rechtsprechung skizziert wurde, soll auch die diesbezügliche Kritik am Prinzip der Totalreparation wiedergegeben werden, verbunden mit einer Stellungnahme. Im Folgenden werden die auf der bisherigen Kritik basierenden Änderungsvorschläge vorgestellt. Hierbei wird nach Vorschlägen de lege lata und de lege ferenda unterschieden. Da Thema der Untersuchung die Vereinbarkeit der geltenden gesetzlichen Regelung mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip ist, liegt der Schwerpunkt der Präsentation dabei auf der ersten Gruppe. Auch die Änderungsvorschläge erfahren eine kritische Würdigung im Hinblick auf ihre Geeignetheit zur Verhinderung eines unverhältnismäßigen Umfangs der Ersatzpflicht des Schädigers. Diese kann jedoch sinnvoll erst nach der Ermittlung derjenigen Fälle erfolgen, in denen das Prinzip der Totalreparation zur Unverhältnismäßigkeit des Ersatzumfangs führt. Daher wird sie erst im Anschluss an die Überprüfung des Grundsatzes der Totalreparation am verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip vorgenommen. Angesichts der Parallelen, die die hier erörterten Fragen zu der Diskussion um die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs aufweisen, etwa in der Bezugnahme auf die Konfrontation des Schädigers mit Schadensrisiken, die in einem krassen Missverhältnis zu seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stehen41, und der Heranziehung der Grundrechte des Schädigers zur Begründung der Notwendigdes Schädigers von Bedeutung sein. Doch betrifft diese Diskussion regelmäßig lediglich eine Reihe von Einzelfragen. Lange, Hermann, Schadensersatz, 40 nennt insofern u.a. die Qualifizierung von Vorhaltekosten und Nutzungsausfällen als Schäden sowie die Fragen der Vorteilsausgleichung, der überholenden Kausalität, des rechtmäßigen Alternativverhaltens und der Drittschadensliquidation. Demgegenüber wird das Ausmaß der Haftung im Wesentlichen in dem vom Grundsatz der Totalreparation beherrschten Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität festgelegt. Daher stellt sich die Frage der UnVerhältnismäßigkeit der Ersatzpflicht weitestgehend unabhängig vom Verständnis des Schadensbegriffs. 41 Vgl. isele, NJW 1964, 1441, 1449.

26

§ 1 Einführung 42

keit einer Haftungsreduktion soll in einem Exkurs auf die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs eingegangen werden. Insbesondere soll deren dogmatische Herleitung darauf untersucht werden, ob sie auch für die hier vorzunehmende Überprüfung des Grundsatzes der Totalreparation am verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip verwertbare Gesichtspunkte enthält. Anschließend wird die Vereinbarkeit des Grundsatzes der Totalreparation mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip geprüft. Zu diesem Zweck wird zunächst die Frage der Anwendbarkeit des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips als Maßstab zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Grundsatzes der Totalreparation erörtert. Sodann wird die Frage der Vereinbarkeit in einer ausführlichen und strukturierten Verhältnismäßigkeitsprüfung eingehend untersucht. Da die Verhältnismäßigkeitsprüfung ergeben wird, dass der Grundsatz der Totalreparation in bestimmten Fällen zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Schädigers führt, soll abschließend ein eigener Vorschlag zur verfassungskonformen Behandlung dieser Fälle nach geltendem Recht entwickelt werden.

42

Bydlinski,

SAE 1994, 93, 97.

§ 2 Das Prinzip der Totalreparation Das Prinzip der Totalreparation stellt den Gegenstand dieser Untersuchung dar und soll daher zu Beginn in der Form, in der es in der Rechtspraxis zur Anwendung kommt, vorgestellt werden. Dazu wird zunächst der Aussagegehalt der gesetzlichen Regelung des § 2491 BGB im Wege der Auslegung ermittelt. Es folgt eine Darstellung der dogmatischen Ausgestaltung seitens der Rechtsprechung sowie der wichtigsten gesetzlichen Einschränkungen des Prinzips der Totalreparation. Abschließend erfolgt eine erste kritische Würdigung.

I. Die gesetzliche Regelung des Grundsatzes der Totalreparation 1. Ziel und Methode der Auslegung Die Auslegung dient der Ermittlung des Sinn- und Aussagegehaltes des Gesetzes. 1 Das konkrete Ziel der Auslegung ist allerdings strittig. Zur Kennzeichnung der Extreme, zwischen denen sich dieser Streit in vielfältigen Nuancierungen entfaltet, werden eine „subjektive" und eine „objektive" Theorie angeführt. Erstere sehe das Ziel der Auslegung in der Feststellung des Willens des historischen Gesetzgebers, wohingegen letztere die Ermittlung eines von diesem gelösten normativen Aussagegehaltes anstrebe.2 Herrschend ist bei allen Unterschieden in Detail und Bezeichnung eine „subjektive" und „objektive" Kriterien vereinigende Auffassung. 3 Für diese sprechen folgende Erwägungen: Die Gesetzesauslegung erfolgt im Rahmen der heutigen Rechtsanwendung und muss daher den bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten gerecht werden. Da diese oftmals auf vom historischen Gesetzgeber nicht vorhergesehenen und in seine Entscheidung nicht einbezogenen Entwicklungen beruhen, kann dessen Wille nicht allein maßgeblich sein.4 Gleichwohl stellt er regelmäßig einen nicht zu vernachlässigenden Aspekt bei der Ermitt1 Canaris , Larenz/Canaris, Methodenlehre, 134; Palandt-H einrichs Einleitung Rn.34; Staudinger (§§ 1-12)-Coing Einl zum BGB Rn. 120. 2 Bydlinski, Methodenlehre, 428; Canaris , Larenz/Canaris, Methodenlehre, 137; Rüthers, Rechtstheorie Rn.796f.; Staudinger (§§ 1-12)-Coing Einl zum BGB Rn. 132ff.; alle m. w.N. 3 Bydlinski, Methodenlehre, 436; Canaris , Larenz/Canaris, Methodenlehre, 139; MüKo (§§ 1-240ySäcker Einleitung Rn. 105 ff.; Palandt-Heinrichs Rn.34 ff.; Staudinger (§§ 1-12)Coing Einl zum BGB Rn. 137. 4 Canaris , Larenz/Canaris, Methoden lehre, 138 ff.

§

28

Da Prinzip der Totalreparation

lung des Sinngehaltes der Norm dar.5 Ziel der Auslegung ist es demnach, im Interesse gegenwärtiger Rechtsanwendung ein möglichst umfassendes Bild vom Aussagegehalt des Gesetzes zu gewinnen.6 Ebenso besteht im Kern Einigkeit über die anzuwendenden Auslegungsmethoden7: Es sind der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und die systematische Stellung der Regelung zu betrachten. Daneben sind auch außerhalb der gesetzlichen Regelung stehende und vom Willen des historischen Gesetzgebers unabhängige Gesichtspunkte zu berücksichtigen, sog. „objektiv-teleologische"8 Kriterien. Dies sind etwa allgemeine ethische Prinzipien 9 oder die sachlichen Gegebenheiten des Normbereichs 10. Eine abstrakte Festlegung eines Rangverhältnisses dieser vier Methoden erscheint nicht zielführend. Das Ergebnis der Auslegung sollte vielmehr aus einer hierarchiefreien Zusammenschau der konkret gesammelten Erkenntnisse argumentativ gewonnen werden. 11 In diesem Sinne soll nun der Aussagegehalt des § 2491 BGB hinsichtlich des Umfangs der Haftung ermittelt werden.

2. Wortlaut des §2491 BGB Das Prinzip der Totalreparation wird in § 2491 BGB durch die Formulierung zum Ausdruck gebracht: „Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre."

Es soll demnach der zu ersetzende Schaden durch einen Vergleich des tatsächlich bestehenden Zustandes mit dem hypothetischen Zustand ermittelt werden, der ohne den Eintritt des schädigenden Ereignisses bestünde.12 Der Schaden liegt in dem Unterschied, der sich im Tatsächlichen zum Nachteil des Geschädigten ergibt. 13 Diese 5

Canaris , Larenz/Canaris, Methodenlehre, 138 ff. Canaris , Larenz/Canaris, Methodenlehre, 139; vgl. Bydlinski, Methodenlehre, 436. 7 Bydlinski, Methodenlehre, 436ff.; Canaris , Larenz/Canaris, Methodenlehre, 140ff.; MüKo (§§ 1-240)-Säcker Einleitung Rn. 118 ff.; Palandt-//ewnc/w Einleitung Rn.35ff.; Staudinger (§§ 1-12)-Coing Einl zum BGB Rn. 138ff. 8 Bezeichnung bei Bydlinski, Methodenlehre, 453; Canaris , Larenz/Canaris, Methodenlehre, 153. 9 Bydlinski, Methodenlehre, 454; Canaris , Larenz/Canaris, Methodenlehre, 153ff., 165; Staudinger (§§ \-\2)-Coing Einl zum BGB Rn. 149. 10 Canaris , Larenz/Canaris, Methodenlehre, 153 ff., 165; vgl. Wank, Die Auslegung, 80. 11 Vgl. Canaris , Larenz/Canaris, Methodenlehre, 166 f. 12 Medicus, Schuldrecht AT, Rn.595; Staudinger (§§249-254, 12. AuÜ.)-Medicus, §249 Rn.4. 13 Medicus, Schuldrecht AT, Rn.595; Staudinger (§§249-254, 12. AuÜ.)-Medicus, §249 Rn.4. 6

I. Die

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elung des Grundsatzes der Totalreparation

29

Vorgehensweise soll im Folgenden aufgrund der dabei vorzunehmenden Differenzbildung als „Differenzhypothese" bezeichnet werden. 14 Aus der Differenzhypothese ergibt sich als einzige zweifelsfreie Begrenzung der Ersatzpflicht die Beschränkung auf solche Schäden, die ohne das schädigende Ereignis nicht eingetreten wären. 15 Es werden nur solche Schäden ersetzt, für die das schädigende Ereignis eine Bedingung ist, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Schaden entfiele. Die schädigende Handlung muss als „condicio sine qua non" für den Schaden äquivalent kausal sein.16 Der Wortlaut scheint damit auf den ersten Blick eine klare Aussage hinsichtlich des Umfangs der Ersatzpflicht zu treffen: Es wäre demnach der im logisch-naturwissenschaftlichen Sinne durch das haftungsbegründende Verhalten verursachte Schaden vollständig zu ersetzen. Angesichts der potentiell unbeschränkten Länge logischer Kausalketten würde ein derartiges Verständnis der Totalreparation jedoch oftmals zu einer uferlosen Haftung führen. 17 Dies legt eine weitergehende wertende Beschränkung der Ersatzpflicht nahe.18 Hierauf wird unten noch näher einzugehen sein.19 An dieser Stelle ist lediglich festzuhalten, dass sich dem Wortlaut des § 2491 BGB keine Kriterien für eine derartige Begrenzung entnehmen lassen.20 Gleichzeitig schließt er eine wertende Beurteilung des Kausalzusammenhanges nicht aus. So lässt sich die Formulie14

Diese Klarstellung ist notwendig, um eine Verwechslung des Begriffs mit der von Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, 3 aufgestellten Definition des Interesses zu vermeiden. Diese wird im Rahmen der Diskussion um den Schadensbegriff oftmals ebenfalls als „Differenzhypothese" bezeichnet, so Lange, Hermann, Schadensersatz, 28f. m. w. N. Während das Interesse nach Mommsen und der zu ersetzende Schaden im Sinne des Wortlauts des § 2491 BGB darin übereinstimmen, dass zu ihrer Ermittlung auf einen hypothetischen, vom schädigenden Ereignis unbeeinflussten Zustand als Bezugsgröße abzustellen ist, soll das Interesse nach der Formulierung Mommsens durch einen Vergleich der Vermögensverhältnisse des Geschädigten ermittelt werden, der Schaden im Sinne des §2491 BGB dagegen durch einen umfassenden Zustandsvergleich, so Honseil, JuS 1973, 69, 70. Dagegen versteht Staudinger (§§249-254)Schiemann § 249 Rn. 3 ff. das Prinzip der Totalreparation im Sinne von Mommsens Vermögensdifferenzbildung. Entsprechend hält er seine Anwendung lediglich im Rahmen der Geldkompensation, nicht aber der Naturalrestitution für sinnvoll. Für ein derartig enges Verständnis des Prinzips der Totalreparation bietet der Wortlaut des § 2491 BGB, der umfassend vom „Zustand" spricht, jedoch keinen Anhaltspunkt, vgl. Honseil, JuS 1973,69,70. Hier wird daher davon ausgegangen, dass das Prinzip der Totalreparation stets und unabhängig von der Art der Ersatzleistung zur Ermittlung deren Umfangs im Sinne eines umfassenden Zustandsvergleichs anzuwenden ist, so auch Medicus, Schuldrecht AT Rn. 595; Staudinger (§§249-254,12. AuÜ.)-Medicus, § 249 Rn.4 und 6 m. w. N. 15 Medicus, Schuldrecht AT Rn.596. 16 Medicus, Schuldrecht AT Rn.596. 17 So zur äquivalenten Kausalität: Brox, Schuldrecht AT Rn. 327; Lange, Hermann, Schadensersatz, 81. 18 Vgl. Stoll, Haftungsfolgen, 180. 19 Vgl. §21.5., 7. 20 Vgl. Stoll, Haftungsfolgen, 180.

30

§

Da Prinzip der Totalreparation

rung des § 2491 BGB auch dahin verstehen, es seien nur solche Schäden zu ersetzen, die auch bei normativer Betrachtung in einem schadensersatzrechtlich relevanten Kausalzusammenhang zur Haftungstatbestandsverwirklichung stehen. Der tatsächlich bestehende Zustand wiche dann nur insoweit von dem „Zustand [...], der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre" ab, als er nach Maßgabe der Wertungsgesichtspunkte gerade durch diesen Umstand verursacht wurde. Jedenfalls legt der Wortlaut des § 2491 BGB die äußerste Grenze der Haftung fest, indem er eine Ersatzpflicht für Schäden außerhalb des logischen Kausalzusammenhanges ausschließt.21 Darüber hinaus kann ihm als gesetzgeberische Wertentscheidung der Wille entnommen werden, dem Geschädigten einen möglichst umfassenden Ausgleich für die erlittenen Einbußen zu gewähren. 3. Entstehungsgeschichte des § 2491 BGB a) 1. Kommission Im Entstehungsprozess des BGB 2 2 findet sich der Gedanke der Totalreparation bereits in § 141 des Teilentwurfs zum Obligationenrecht Nr. 15 (Unerlaubte Handlungen) des für das Schuldrecht zuständigen Redaktors der 1. Kommission Franz Philipp v. Kübel. Dieser lautet: „Die Erstattung des in Folge unerlaubten Verhaltens von dem Beschädiger verursachten Vermögensschadens umfaßt sowohl die Vermögenseinbuße, welche der Beschädigte erlitten hat, als auch den ihm entgangenen Gewinn."23

Diese Bestimmung wurde in § 2 TE-OR Nr. 22 (Folgen der Nichterfüllung der Verbindlichkeit) in seiner von der 1. Kommission auf Antrag von Planck geänderten Fassung für auf vertragliche Schadensersatzansprüche entsprechend anwendbar erklärt. 24 Danach sollte der Schädiger stets den vollen (Vermögens)schaden ersetzen müssen, ohne Rücksicht auf die haftungsbegründenden Umstände, insbesondere das Maß seines Verschuldens. Diese Entscheidung wurde in den Beratungen der 1. Kommission nicht angegriffen. 25 Sie wurde in §§ 1581, 185 II RedVorl 26 und 21

Zur äquivalenten Kausalität als äußerster Haftungsgrenze: BGH 11.5.1951, BGHZ2, 138, 140f.; Lange, Hermann, Schadensersatz, 81; Larenz, Schuldrecht AT, 434, s. hier auch Fn. 27 zum Sonderfall des § 83012 BGB, in dem sogar die mögliche Kausalität zur Begründung der Haftung genügt; Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 223 f. 22 Zur Entstehungsgeschichte des BGB: Jakobs ¡Schubert, Die Beratung (Entstehungsgeschichte), 27 ff. 23 v. Kübel (Schubert), TE-OR I, 655. 24 Jakobs/Schubert, Die Beratung (§§241-432), 91 f. 25 Jakobs/Schubert, Die Beratung (§§241-432), 82.

I. Die

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elung des Grundsatzes der Totalreparation

31

§§ 1581,185 II ZustOR 27 sowie § 2171KE 28 beibehalten und fand sich schließlich in § 2181EI 29 . § 2181EI hat zum Wortlaut: „Ist Schadensersatz zu leisten, so umfaßt der zu ersetzende Schaden sowohl die erlittene Vermögenseinbuße als auch den entgangenen Gewinn."

Die Motive führen für die Entscheidung des § 2181EI vier Argumente an 30 : Nur der dem gemeinen Recht entsprechende Grundsatz, wonach sich der Umfang der Ersatzpflicht allein nach dem Umfang des verursachten Schadens bestimme, werde dem Schadensersatzberechtigten gerecht. 31 Schon dieser Gesichtspunkt verbiete es auch, nach Schweizer Vorbild die Bemessung des Umfanges der Ersatzpflicht unter Berücksichtigung des Verschuldens in das Ermessen des Richters zu stellen.32 Dies würde zudem eine besondere autoritative Stellung des Richters voraussetzen, die das deutsche Recht ablehne.33 Eine gesetzlich festgelegte Abstufung des Umfanges der Ersatzpflicht nach Art und Grad des Verschuldens des Schädigers, wie sie insbesondere das PrALR 34 vorsehe, beruhe auf strafrechtlichen oder moralisierenden Gesichtspunkten, für die im zivilrechtlichen Schadensersatzrecht kein Raum sein dürfe. 35 Zudem brächte schon eine Abstufung des Ersatzumfanges nach Vorsatz oder Fahrlässigkeit große Komplikationen mit sich.36 Die Regelung des § 2181EI sei demgegenüber juristisch allein haltbar. 37 b) Vorkommission des Reichsjustizamtes In der Vorkommission des Reichsjustizamtes wurde beschlossen, den §219EI 3 8 vor den § 218 E I zu setzen. In den Beratungen der ersten Kommission hatte man den Umfang der Ersatzpflicht als durch die letztlich in § 218 E I enthaltene Regelung bereits festgelegt angesehen39 und den Regelungsgegenstand des § 219EI lediglich auf 26

Jakobs/Schubert, Die Beratung (§§241-432), 93 f. Jakobs/Schubert, Die Beratung (§§241-432), 94ff. 28 Jakobs/Schubert, Die Beratung (§§241-432), 96. 29 1. Kommission, Entwurf eines BGB, 50. 30 Ähnlich schon v. Kübel (Schubert), TE-OR 1,715 zu § 141TE-OR Nr. 15 und 671 f. zu § § 1 bis 3 TE-OR Nr. 15. 31 Motive, Band II., 17f. (ähnlich 729) = Mugdan, II. Band., 10. 32 Motive, Band II., 17f. = Mugdan, II. Band., 10. 33 Motive, Band II., 17 f. = Mugdan, II. Band., 10. 34 1,5, §§285 ff. und 1,6, §§ 10-16,85-88,93-95 und 1,16, § 17 PrALR; abgedruckt bei Hattenhauer/Bernert, Allgemeines Landrecht. 35 Motive, Band II., 17 f. (ähnlich 729) = Mugdan, II. Band., 10. 36 Motive, Band II., 729. 37 Motive, Band II., 17f. = Mugdan, II. Band., 10. 38 § 219EI lautet: „Der Schuldner hat den Schadensersatz dadurch zu leisten, daß er denjenigen Zustand herstellt, welcher vorhanden sein würde, wenn der zum Schadensersatze verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre, [...].", 1. Kommission, Entwurf eines BGB, 50. 39 Vgl. bereits v.Kübel (Schubert), TE-OR I, 714f. zu § 141 TE-OR Nr. 15. 27

§

32

Da Prinzip der Totalreparation

die Art der Ersatzleistung bezogen.40 Nun entschied man sich für folgende Reihenfolge und Fassung der Bestimmungen41: „Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat denjenigen Zustand herzustellen, welcher vorhanden sein würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. [...]" „Der zu ersetzende Schaden umfaßt auch den entgangenen Gewinn, [...]".

Aus dieser Reihenfolge und der Verwendung des Wortes „auch" in der zweiten Norm ergibt sich, dass der Umfang der Ersatzpflicht nunmehr in der vorstehenden Bestimmung enthalten sein sollte. Angesichts deren umfassender Formulierung kann es sich bei der nachfolgenden Regelung nurmehr um eine Klarstellung handeln. Das Prinzip der Totalreparation bekam somit mit dieser Umstellung eine neue normative Verankerung. Hinsichtlich der inhaltlichen Entscheidung, dass stets der volle Schaden zu ersetzen sei, ergaben sich hieraus jedoch keine Einschränkungen. Die Formulierung des Prinzips der Totalreparation wurde sogar noch weiter, indem zur Ermittlung des zu ersetzenden Schadens ein umfassender Zustandsvergleich herangezogen und nicht mehr lediglich auf einen Vermögensschaden abgestellt wurde. Eine Einschränkung dieses Prinzips forderte allerdings Planck, indem er beantragte, die Regelung des §218EI um folgende Bestimmung zu ergänzen: ,3eruht die Verpflichtung zum Schadensersatze nicht auf einer aus Vorsatz begangenen widerrechtlichen Handlung, so hat das Gericht nach den Umständen des Falles zu ermessen, ob und in welchem Umfang der entgangene Gewinn zu ersetzen sei."42

Diesem Antrag wurde nicht stattgegeben.43 Doch wurde aus Billigkeitsgründen der einem Antrag von Jacubezky44 vergleichbare §218 a beschlossen: „Die Haftung des Schuldners wegen Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit erstreckt sich nicht auf denjenigen Schaden, dessen Entstehung nach der Kenntnis der Umstände, welche der Schuldner hatte oder haben mußte, außerhalb des Bereichs der Wahrscheinlichkeit lag."45

c) 2. Kommission Die zweite Kommission folgte im Wesentlichen den Vorstellungen der Vorkommission des Reichsjustizamtes hinsichtlich der Fassung und Reihenfolge der §§218, 219 E I, so dass über die Zwischenstadien der §§ 219, 219a E I-VorlZust 46 , §§ 219EI-ZustRedKom47 folgende Regelung Eingang in den zweiten Entwurf fand: 40 41 42 43 44 45 46 47

Jakobs!Schubert, Die Beratung (§§241-432), 81 ff. Jakobs!Schubert, Die Beratung (§§241-432), 97. Jakobs/Schubert, Die Beratung (§§241-432), 97. Jakobs!Schubert, Die Beratung (§§241-432), 97. Abgedruckt bei Jakobs!Schubert, Die Beratung (§§ 241-432), 103. Jakobs!Schubert, Die Beratung (§§241-432), 103. Jakobs!Schubert, Die Beratung (§§241-432), 101. Jakobs!Schubert, Die Beratung (§§241-432), 101.

I. Die

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elung des Grundsatzes der Totalreparation

33

§213 E l l 4 8 : „Wer zum Schadensersatze verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, welcher bestehen würde, wenn der zum Ersätze verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. [...]" §214 E l l 4 9 : „Der zu ersetzende Schaden umfaßt auch den entgangenen Gewinn. [...]". Die zitierten Stellen finden sich in der Bundesratsvorlage in den §§ 243 und 246 E I I rev wieder. 50 Auch der von der Vorkommission des Reichsjustizamtes beschlossene § 2 1 8 a wurde von der zweiten Kommission übernommen. 51 Diese Vorschrift blieb in § 2 1 9 b EI-VorlZust 5 2 und § 219b EI-ZustRedKom 5 3 sowie § 2 1 5 E l l 5 4 i m Wesentlichen unverändert und erhielt schließlich in § 2 4 7 E l l rev die Fassung: „Die Ersatzpflicht wegen Nichterfüllung einer Verbindlichkeit erstreckt sich nicht auf einen Schaden, dessen Entstehung außerhalb des Bereichs der Wahrscheinlichkeit lag oder nach den Umständen, die der Schuldner kannte oder kennen mußte, als außerhalb dieses Bereichs liegend angesehen werden durfte." 55 Man war der Meinung, diese Beschränkung entspreche einem Gebot der Billigkeit. 5 6 Einen Ausschluss der Fälle vorsätzlicher und grob fahrlässiger Nichterfüllung von dieser Regelung lehnte man ab, da dies zu Abgrenzungsschwierigkeiten führe und sich die Beschränkung zudem unabhängig vom Verschulden aus dem richtig verstandenen Inhalt der Verbindlichkeit ergebe. 57 Folgende, in den Beratungen zum späteren § 823 B G B 5 8 gestellten Anträge auf Einschränkung des Prinzips der Totalreparation wurden dagegen nicht angenommen 5 9 : „Größe des Schadensersatzes wird durchrichterliches Ermessen bestimmt in Würdigung sowohl der Umstände als der Größe der Verschuldung." (Als eigenständigen Paragraphen an geeigneter Stelle aufzunehmen). „Wer nur wegen Fahrlässigkeit zum Schadensersatze verpflichtet ist, haftet für denjenigen Schaden nicht, dessen Entstehung nach den Umständen, welche erkannte oder kennen muß48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59

2. Kommission, Ell (amtlich), 72 = 2. Kommission, EH, 71. 2. Kommission, EH (amtlich), 72 = 2. Kommission, EH, 72. 2. Kommission, Ell rev, 43. Protokolle, Band I, 292 = Mugdan, II. Band., 510. Jakobs!Schubert, Die Beratung (§§241-432), 104. Jakobs!Schubert, Die Beratung (§§241-432), 104. 2. Kommission, Ell (amtlich), 72f. = 2. Kommission, Ell, 72. 2. Kommission, E II rev, 43 f. Protokolle, Band I, 292 = Mugdan, II. Band., 511. Protokolle, Band I, 292 f. = Mugdan, II. Band., 511. Vorläufer dieser Bestimmung waren: §§ 1-4 TE-OR Nr. 15, § 704EI, 746EH. Protokolle, Band II, 574 = Mugdan, II. Band., 1073, 1077.

3 Bartelt

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§

Da Prinzip der Totalreparation

te, außerhalb des Bereichs der Wahrscheinlichkeit lag." (Als Absatz der Regelung des späteren §823 BGB).

Für die Ablehnung des ersten Antrags waren insbesondere die zu erwartenden Unsicherheiten in der Ersatzbemessung ausschlaggebend.60 Die Nichtannahme des zweiten Antrags wurde mit Abgrenzungsschwierigkeiten bei den Verschuldensgraden begründet, aus denen sich ebenfalls eine Rechtsunsicherheit ergeben würde. 61 Vor allem aber bestünde im Unterschied zu den Fällen der von § 215 E II erfassten Vertragshaftung, mangels vorheriger Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem, keinerlei Anhaltspunkt dafür, mit welchem Schaden nach den Umständen zu rechnen gewesen sei. Wollte man diesbezüglich auf die Sicht des Schädigers abstellen, würde dies die Rechte des Geschädigten unangemessen verkürzen. Daher solle im Deliktsrecht von einer derartigen Regelung abgesehen werden. 62 d) Bundesrat Im Bundesrat beantragte Bremen die Streichung des §247Ell rev. 63 In der Diskussion wurden zur Unterstützung dieses Antrags die Schwierigkeiten angeführt, die sich aus der Divergenz des allgemeinen Rechts zum Handelsrecht ergeben würden, das eine derartige Beschränkung des Haftungsumfanges nicht kenne. Zudem sei es unbillig, den Geschädigten zugunsten des Schädigers mit einem Teil des Schadens zu belasten. Als Argument für die Beibehaltung des § 247 E II rev wurde ebenfalls die Billigkeit ins Feld geführt. Nachdem zunächst der Antrag Bremens abgelehnt worden war, führte ein späterer Antrag Preußens zur Streichung des § 247 E II rev. e) Reichstag Im Reichstag wurde erneut über eine Einschränkung des Grundsatzes der Totalreparation diskutiert. Keinen Erfolg hatte der Antrag von Enneccerus, folgenden § 246 a aufzunehmen: „Auf einen Schaden, dessen Entstehung außerhalb des Bereichs der Wahrscheinlichkeit lag oder nach den Umständen, die der Ersatzpflichtige kannte oder kennen mußte, als außerhalb dieses Bereichs liegend angesehen werden durfte, erstreckt sich die Ersatzpflicht, sofern sie nicht durch Vorsatz begründet ist, nur insoweit, als die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Betheiligten, eine Schadloshaltung erfordert und dem 60 61 62 63

Protokolle, Band II, 575 = Mugdan, II. Band., 1077. Protokolle, Band II, 575 = Mugdan, II. Band., 1078. Protokolle, Band II, 575 = Mugdan, II. Band., 1077 f. Hierzu und zum Folgenden: Jakobs!Schubert, Die Beratung (§§241-432), 104 ff.

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35

Ersatzberechtigten nicht die Mittel entzogen werden, deren er zum standesgemäßen Unterhalte sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf." 64

Auf Grund eines modifizierten Antrags von Gröber 65 wurde aber zunächst die folgende Bestimmung als § 246 a beschlossen: „Die Ersatzpflicht erstreckt sich nicht auf einen Schaden, dessen Entstehung außerhalb des Bereichs der Wahrscheinlichkeit lag oder nach den Umständen, die der Schuldner kannte oder kennen mußte, als außerhalb dieses Bereichs liegend angesehen werden durfte. Diese Beschränkung tritt nicht ein, wenn dem Ersatzpflichtigen Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt." 66

In der Diskussion um diese Vorschrift wurde ähnlich wie zuvor im Bundesrat gegen eine derartige Lockerung des Grundsatzes der Totalreparation vorgetragen, sie vertrage sich nicht mit den Haftungsgrundsätzen des Handelsrechts67 und es entspreche eher der Billigkeit, den Schaden dem schuldhaften Schädiger aufzubürden als dem gänzlich schuldlosen Geschädigten.68 Die Einschränkung der Ersatzpflicht über die Berücksichtigung des Mitverschuldens des Geschädigten nach § 248 E I I I 6 9 sei ausreichend, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden. 70 Für eine solche Einschränkung der Haftung wurde wiederum die Unbilligkeit einer Belastung des Schädigers mit gänzlich unvorhersehbaren Ersatzpflichten vorgebracht. 71 Später wurde der beschlossene § 246 a auf Antrag von Enneccerus72 wieder gestrichen und stattdessen eine Warnungsobliegenheit in den § 248 II E III aufgenommen, nach der es bereits als Mitverschulden des Geschädigten anzusehen sein sollte, wenn er es unterlassen habe, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste.73 64

Jakobs/Schubert, Die Beratung (§§241-432), 107. Namensangabe bei Jakobs/Schubert, Die Beratung (§§ 241-432), 107. 66 Reichstagskommission, Bericht (Guttentag), 56 f. = Reichstagskommission, Bericht (Heymanns), 36. 67 Reichstagskommission, Bericht (Guttentag), 56 = Reichstagskommission, Bericht (Heymanns), 35 f. 68 Reichstagskommission, Bericht (Guttentag), 56 f. = Reichstagskommission, Bericht (Heymanns), 36. 69 Reichstagsvorlage (Guttentag), 54 = Reichstagsvorlage (Heymanns), 54. 70 Reichstagskommission, Bericht (Guttentag), 56 f. = Reichstagskommission, Bericht (Heymanns), 36. 71 Reichstagskommission, Bericht (Guttentag), 56 = Reichstagskommission, Bericht (Heymanns), 35. 72 Namensangabe bei Jakobs/Schubert, Die Beratung (§§241-432), 108. 73 Reichstagskommission, Bericht (Guttentag), 57 = Reichstagskommission, Bericht (Heymanns), 36. 65

*

§ 2 Das Prinzip der Totalreparation

36

f) Inkrafttreten

des BGB

In dem am 1.1.1900 in Kraft getretenen BGB war das Prinzip der Totalreparation in § 249 S. 1 BGB 7 4 enthalten, der dem heutigen § 2491 BGB entsprach. Mit Ausnahme der Mitverschuldensberücksichtigung nach § 254 BGB sah das BGB keine Einschränkungen dieses Grundsatzes vor. g) Schlussfolgerungen

aus der Entstehungsgeschichte

Aus der geschilderten Entstehungsgeschichte lassen sich zwei vom historischen Gesetzgeber mit der Regelung des § 2491 BGB verfolgte Ziele entnehmen: 1. Dem Geschädigten sollte ein möglichst umfassender Ausgleich für den erlittenen Schaden verschafft werden. Aus der Ablehnung jeder der diskutierten Einschränkungen der Ersatzpflicht ergibt sich, dass der historische Gesetzgeber die Regelung des § 2491 BGB tatsächlich in dem weiten Sinn verstanden wissen wollte, der sich aus einem wertungsfreien Verständnis des Wortlauts ergibt: Für sämtliche im logischen Sinne kausalen Schadensfolgen sollte Ersatz geleistet werden müssen, selbst für gänzlich unwahrscheinliche. 2. Mit der Regelung sollte ein Höchstmaß an Rechtssicherheit erreicht werden. Neben der starken Betonung der Interessen des Geschädigten, denen nur durch einen vollen Ausgleich Genüge getan werden könne, gab vor allem das Ziel der Vermeidung von Unsicherheiten den Ausschlag für die uneingeschränkte Haftung des Schädigers. Aus diesem Grund lehnte man eine Ersatzbemessung nach richterlichem Ermessen ab. Auch eine gesetzliche Abstufung des Ersatzumfangs nach Verschuldensgraden wurde unter Verweis auf die hierbei auftretenden Abgrenzungsschwierigkeiten und Unsicherheiten verworfen.

4. Systematische Stellung des § 2491 BGB § 2491 BGB ist Bestandteil des allgemeinen Schadensersatzrechts der §§249 ff. BGB, das an zentraler Stelle, im allgemeinen Teil des Schuldrechts, Bestimmungen über Umfang, Art und Inhalt der Schadensersatzpflicht trifft 75 . Aufgrund dieser systematischen Stellung gilt die Aussage des Prinzips der Totalreparation über den Umfang der Ersatzpflicht für alle zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche und grundsätzlich auch für die Schadensersatzansprüche des öffentlichen Rechts.76 Die Entscheidung über das „Ob" der Haftung wird dagegen im Haftungsrecht getroffen, das sich aus den an verschiedenen Stellen inner- und außerhalb des BGB normierten 74 75 76

Ähnlich schon §219 1 Hs. EI, ebenso §21311 Ell, §243 1 Ell rev, §243 1EIII. Jduemig-Teichmann Vor §§249-253 Rn. 1; Palandt-Heinrichs Vorb v §249 Rn. 1. Soergel Band 2-Mertens Vor § 249 Rn. 2 und 7.

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Schadensersatzpflicht begründenden Normen zusammensetzt.77 § 249 I BGB kommt demnach nur zur Anwendung, wenn der Schädiger einen Haftungstatbestand erfüllt hat. 78 Es handelt sich um eine unselbständige Vorschrift, die gegenüber den Haftungstatbeständen eine dienende Funktion erfüllt. 79 Hinsichtlich der dem Grundsatz der Totalreparation zugrundeliegenden Zwecksetzung könnte man hieraus den Schluss ziehen wollen, dieser diene stets der Zielsetzung des im jeweiligen Fall einschlägigen Haftungstatbestandes. Dann würde das Prinzip der Totalreparation im Bereich der deliktischen Verschuldenshaftung die Schadensprävention bezwecken.80 Im Zusammenhang mit den Gefährdungshaftungstatbeständen sollte es deren Grundgedanken zur Durchsetzung verhelfen, dass die erlaubte Nutzung und Beherrschung der jeweiligen Gefahrenquelle mit einer Einstandspflicht für hierdurch verursachte Schäden einhergeht.81 Im Rahmen des § 904 S. 2 BGB würde es den Aufopferungsgedanken unterstützen.82 Eine derartige variable Zwecksetzung wird jedoch richtigerweise durch die systematische Stellung des § 2491 BGB ausgeschlossen. Nach der Regelungstechnik des BGB werden allgemeine, für eine Vielzahl spezieller Normen gleichermaßen geltende Bestimmungen einheitlich an einer Stelle geregelt. 83 Dies ist ökonomisch, da doppelte Normierungen desselben Gedankens vermieden werden. 84 Zudem macht es Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen speziellen Vorschriften transparent, die auf dieselbe allgemeine Bestimmung zurückgreifen. 85 Dient die allgemeine Norm der Konkretisierung der Rechtsfolgen der besonderen Vorschriften, so verfolgt sie zumindest teilweise denselben Zweck wie diese. Die Zwecksetzung, die die allgemeine Bestimmung mit den besonderen Bestimmungen teilt, eigibt sich hier aus der Schnittmenge der Ziele der von ihr erfassten speziellen Vorschriften, da eine einheitliche Regelung nur hinsichtlich deren gemeinsamer Zwecke sinnvoll ist. Bei § 2491 BGB handelt es sich um eine solche allgemeine Vorschrift, die der Konkretisierung der Rechtsfolgen der speziellen Haftungstatbestände dient. Daher 77

Jauemig-Te ichmann Vor §§249-253 Rn. 1 f.; Palandt-Heinrichs Vorb v §249 Rn. 1. Jauemig-Teichmann Vor §§249-253 Rn. 1; Staudinger (§§249-254)-Schiemann Vorbem zu §§249ff. Rn.4. 79 Huemxg-Teichmann Vor §§249-253 Rn. 1; Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 169; Staudinger (§§249-254ySchiemann Vorbem zu §§249fT. Rn.4. 80 Zur Prävention als Haftungszweck: Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 18; Larenz, Schuldrecht AT, 423 f.; Larenz, NJW 1959, 865; v.Liszt, Deliktsobligationen, 1 f. 81 Zum Grundgedanken der Gefährdungshaftung: v.Caemmerer, Gefährdungshaftung, 15; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.24; Kötz, Gutachten, 1792. 82 Zum Aufopferungsgedanken: Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 13; Konzen, Aufopferung, 236. 83 Brox y BGB AT Rn. 37 f.; Köhler, BGB AT Rn. 14. 84 Köhler, BGB AT Rn. 14; vgl. Medicus, BGB AT Rn.3l. 85 Vgl. Köhler, BGB AT Rn. 14. 78

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§

Da Prinzip der Totalreparation

muss das Prinzip der Totalreparation einem Zweck dienen, der allen erfassten Haftungstatbeständen gleichermaßen innewohnt.86 Als Ziele der Totalreparation scheiden damit insbesondere die Prävention von Schadensfällen, der Grundgedanke der Gefährdungshaftung und der Aufopferungsgedanke aus, da diese Zwecksetzungen jeweils nicht allen Haftungstatbeständen zugrunde liegen. Sie sind ausschließlich in den jeweiligen Haftungstatbeständen verankert. 87 Gemeinsam ist allen Haftungstatbeständen nur die Absicht, dem Geschädigten einen Ausgleich für den erlittenen Schaden zu verschaffen. 88 Allein diesem Ausgleichszweck kann das Prinzip der Totalreparation daher nach seiner systematischen Stellung dienen. Man kann hierin auch den Gedanken enthalten sehen, dass der Schadensersatzanspruch an die Stelle des beeinträchtigten Rechtes oder Rechtsgutes tritt, und insofern von einem Rechtsfortsetzungszweck sprechen. 89 Die gleichzeitige Förderung der speziellen Zwecksetzung des jeweiligen Haftungstatbestandes ist dagegen eine unbeabsichtigte Nebenfolge der Totalreparation, die diesem Prinzip nicht als Zielsetzung zugrunde liegen kann. Bei einer etwaigen präventiven Wirkung der Festlegung des Haftungsumfanges im Sinne der Totalreparation handelt es sich um eine rein tatsächliche Nebenwirkung der Ausgleichsfunktion und nicht um einen rechtlich intendierten Sekundärzweck. 90 Dem Prinzip der Totalreparation kommt auch weder über eine Ausstrahlungswirkung einzelner Haftungstatbestände eine Präventivfunktion zu, noch soll es sicherstellen, dass der Schadensersatz nicht nur symbolischen Charakter besitzt.91 Das Prinzip der Totalreparation verfolgt überdies auch keinen Sanktionszweck im Sinne einer Reaktion auf begangenes Unrecht als solches. Ein solcher hat mit Ausnahme der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes schon angesichts der systematischen Trennung von Straf- und Zivilrecht im Schadensersatzrecht keinen Platz 92 und liegt daher nicht einmal einzelnen Haftungstatbeständen zugrunde. Auch die Betrachtung der systematischen Stellung des § 2491 BGB ergibt also, dass mit dem Prinzip der Totalreparation das Ziel verfolgt wird, dem Geschädigten einen vollständigen Ausgleich für den Schaden zu gewähren. 86

Vgl.: Lange, Hermann, Schadensersatz, 8; Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2,

169. 87 Zur grds. Unterscheidung der Zwecksetzungen des Schadens- und des Haftungsrechts: Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 169; Stoll, Haftungsfolgen, 5 f. 88 Vgl. Larenz, Schuldrecht AT, 424. 89 Lange, Hermann, Schadensersatz, 11 f.; Larenz, Schuldrecht AT, 425. 90 So aber Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 109 m. w.N.; Soergel Band 2-Mertens Vor §249 Rn.26; Hohloch, Gutachten, 375, 385 hält eine gewisse Präventionswirkung als „erwünschtes Nebenprodukt" für denkbar, aber vernachlässigenswert. 91 So aber MüKo (§§ 241-432yOetker § 249 Rn. 9; ähnlich bereits MüKo (§§ 241-432, 3. Aufi.yGrunsky Vor § 249 Rn. 3. 92 Vgl.: Lange, Hermann, Schadensersatz, 12f.; Larenz, Schuldrecht AT, 423.

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5. Objektiv-teleologische Auslegung des §2491 BGB Anders als bei der grammatischen, historischen und systematischen Auslegung erschließt sich der Gegenstand der objektiv-teleologischen Auslegung nicht unmittelbar aus der Bezeichnung dieses Auslegungskriteriums. In der Literatur wird diesbezüglich ausgeführt, es müsse bei der Auslegung auf weitere Aspekte zurückgegriffen werden, jedenfalls sofern der Aussagegehalt der untersuchten Norm mit den drei vorstehenden Auslegungsmethoden nicht zweifelsfrei ermittelt werden könne. 93 Dies seien in erster Linie allgemeine Gerechtigkeitsprinzipien 94, insbesondere das Erfordernis der Zweckmäßigkeit der Regelung95. Gegen diese dürfe die Auslegung nicht verstoßen.96 Zudem sei auf die Sachstruktur des von der Norm erfassten Bereichs der Lebenswirklichkeit Rücksicht zu nehmen97 sowie auf die hieran anknüpfenden Regelungserwartungen der Normbetroffenen 98. Beiden Anforderungen genüge ein Auslegungsergebnis insbesondere dann nicht, wenn es zu allgemein als absurd empfundenen Resultaten führe. 99 Es wird somit anhand außerhalb des Gesetzestextes liegender Gesichtspunkte der Zweck des Gesetzes ermittelt. Da sich der Gesetzgeber dieser Aspekte nicht bewusst gewesen zu sein braucht, wird von „objektiv-teleologischer" Auslegung gesprochen. 100 Als Unterfall der objektiv-teleologischen Auslegung wird zudem oftmals die „verfassungskonforme Auslegung" behandelt101, nach der von mehreren Auslegungsvarianten eine solche zu wählen ist, die den Normen des Grundgesetzes nicht widerspricht 102. Auf die verfassungsrechtlichen Bezüge des Grundsatzes der Totalreparation wird jedoch unten noch ausführlich eingegangen103, so dass dieser Aspekt der Auslegung an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben soll. Zunächst stellt sich also die Frage, ob der Aussagegehalt des § 2491 BGB im Hinblick auf das Prinzip der Totalreparation mit den bisher angewandten Auslegungsmethoden bereits zweifelsfrei ermittelt wurde. 93

Bydlinski, Methodenlehre, 453f.; Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 153f., 165. Bydlinski, Methodenlehre, 454; Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 153ff., 165; Staudinger (§§ \-\2)-Coing Einl zum BGB Rn. 149; vgl. Wank, Die Auslegung, 82. 95 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, 454. 96 Bydlinski, Methodenlehre, 454; Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 153 ff. 97 Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 153ff., 165; vgl. Wank, Die Auslegung, 80. 98 Bydlinski, Methodenlehre, 459 f. 99 Vgl.: BGH 11.5.1971, BGHZ 56, 163, 171;Bydlinski, Methodenlehre, 454 i.V.m. 457f.; Staudinger (§§ \-l2)-Coing Einl zum BGB Rn. 150. 100 Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 154. 101 Bydlinski, Methodenlehre, 455 ff.; Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 153 f. i.V.m. 159. 102 Bydlinski, Methodenlehre, 455 f.; Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 160. 103 Vgl. §§4, 5. 94

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§

Da Prinzip der Totalreparation

Diese ergaben zwei Regelungsziele: Den Ausgleichszweck und die Schaffung von Rechtssicherheit. Während sich an die beabsichtigte Schaffung von Rechtssicherheit keine weiteren Fragen knüpfen, erscheint die Reichweite des bezweckten Schadensausgleichs zweifelhaft. Nach der historischen Auslegung sollten sämtliche im logisch-naturwissenschaftlichen Sinne durch das haftungsbegründende Verhalten verursachten Schadensfolgen auszugleichen sein. Aus der Betrachtung von Wortlaut und Systematik ergab sich nichts Gegenteiliges. Dieser Auslegungsbefund erscheint zwar eindeutig, doch würde er bei konsequenter Durchführung zu absurden Ergebnissen führen: So kann etwa eine haftungsbegründende Schädigung auch noch nach Jahrzehnten weitere, fernliegende,, aber dennoch erhebliche Schäden verursachen, ohne dass der Schädiger auch nur die geringste Möglichkeit hat, dem entgegenzuwirken. Ihn in einem solchen Fall für die weiteren Schadensfolgen einstehen zu lassen, kann unter Zugrundelegung der allgemeinen Lebensauffassung widersinnig erscheinen. Der Umfang des bezweckten Schadensausgleichs ist somit fraglich. Zur genaueren Bestimmung des Haftungsumfangs ist daher auf die Mittel der objektiv-teleologischen Auslegung zurückzugreifen: Es wurde bereits festgestellt, dass eine Haftpflicht von unendlicher Weite der allgemeinen Idee der Gerechtigkeit ebenso wie der Lebensanschauung der potentiellen Schädiger und Geschädigten widerspricht. Allerdings lässt sich diesen beiden Kriterien positiv nur die Forderung nach einer Auslegung entnehmen, die allgemein als sinnlos empfundene Haftpflichten vermeidet. 104 Konkretere Aussagen hinsichtlich der Reichweite der Haftung lassen sich aufgrund der Vagheit der allgemeinen Gerechtigkeitsidee, der sachlichen Vielgestaltigkeit der Haftungsfälle und der Unartikuliertheit der Regelungserwartungen der Normadressaten nicht feststellen. Die objektiv-teleologische Auslegung ergibt somit die Forderung nach einem einschränkenden Verständnis des Ausgleichszwecks, durch das der allgemeinen Rechtsauffassung und der Gerechtigkeit widersprechende Ersatzpflichten vermieden werden. 6. Das Verhältnis der Auslegung zur richterlichen Rechtsfortbildung Da eine Beschränkung der Schadensersatzpflicht entgegen dem Willen des historischen Gesetzgebers und ohne konkrete Anhaltspunkte hierfür im Wortlaut der Norm vorgenommen werden soll, stellt sich die Frage, ob ein derartiges Verständnis 104 Die Notwendigkeit einer über den logischen Kausalzusammenhang hinausgehenden Haftungsbeschränkung ist allgemein anerkannt: BGH 11.5.1951, BGHZ2, 138, 140f.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht Rn. 134; Erman-Kuckuk Vor §249 Rn. 30; JauernigTeichmann Vor §§249-253 Rn.27; Lange, Hermann, Schadensersatz, 81; Lat enz, Schuldrecht AT, 434; MüKo (§§ 24\-432)-Oetker § 249 Rn.98; Palandt-//«/iric/w Vorb v §249 Rn.58; Staudinger (§§ 249-254)-Schiemann § 249 Rn. 12; Stoll, Haftungsfolgen, 180.

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der Totalreparation methodisch noch als Auslegung des § 2491 BGB oder schon als richterliche Rechtsfortbildung zu qualifizieren ist. Bei der Vielzahl an Unterschieden, die bei der Abgrenzung dieser beiden Rechtsfindungsmethoden vor allem in der Terminologie bestehen, lässt sich die Auslegung im engeren Sinne noch am ehesten folgendermaßen von der Rechtsfortbildung trennen: Während die Auslegung der Ermittlung des Sinngehaltes der Norm dient und sich daher in den Grenzen des Wortlauts hält 105 , bezweckt die Rechtsfortbildung die Ausfüllung von Gesetzeslücken106 und greift also dort ein, wo eine gesetzliche Regelung fehlt, sei es, dass ein regelungsbedürftiger Sachverhalt nach dem Wortlaut des Gesetzes keine Regelung erfahren hat 107 , sei es, dass der Wortlaut einer Norm Fallgestaltungen einschließt, die nach dem Zweck der gesetzlichen Regelung von dieser nicht erfasst werden sollen 108 . In letzterem Fall wird von einer „verdeckten Regelungslücke" gesprochen. 109 Eine solche verdeckte Lücke könnte man auch hinsichtlich des § 2491 BGB annehmen, da der Wortlaut bei unbefangenem Verständnis die Ersatzpflichtigkeit sämtlicher im logischen Sinne durch das schädigende Verhalten verursachter Schäden anordnet, die objektiv-teleologische Auslegung demgegenüber aber die Forderung nach einer Einschränkung der Ersatzpflicht ergab. Bei einer solchen würde es sich dann um eine richterliche Rechtsfortbildung im Wege teleologischer Reduktion 110 handeln. Gleichzeitig steht der Wortlaut einer wertenden Ermittlung des Umfanges der Ersatzpflicht aber auch nicht entgegen, so dass man in einem derartigen Verständnis der Totalreparation auch eine Auslegung unter Heranziehung teleologischer Gesichtspunkte sehen könnte.111 Es zeigt sich, dass die Grenze zwischen der Auslegung im engeren Sinne und der Rechtsfortbildung schwer zu bestimmen ist und die Übergänge fließend sind. 112 Da bezüglich der Totalreparation beide Methoden der Rechtsfindung zum selben Er105 Canaris, Larenz/Canaris, Methoden lehre, 187 f.; Looschelders!Roth, Juristische Methodik, 278; Zippelius, Methodenlehre, 47, 62. 106 Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 187 ff.; Staudinger (§§ 1-12)-Coing Einl zum BGB Rn. 123; Zippelius, Methodenlehre, 47. 107 Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 193; Zippelius, Methodenlehre, 62. 108 Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 198, 210; Zippelius, Methodenlehre, 62. 109 Bydlinski, Methodenlehre, 480; Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 198, 210. 110 Zum Begriff der „teleologischen Reduktion": Bydlinski, Methodenlehre, 480f.; Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 21 Off.; Schmalz, Methodenlehre Rn.402ff. m.w.N. 1,1 Zur Qualifizierung des Verständnisses des Verursachungsbegriffs im Sinne eines „typischen Zusammenhanges" als restriktive Auslegung des Kausalbegriffs: Engisch, Einführung in das juristische Denken, 128. 112 Canaris, Larenz/Canaris, Methodenlehre, 187f.; vgl. auch: Esser, Grundsatz und Norm, 255; Heusinger, Rechtsfindung, 58; Kirchhof, NJW 1986, 2275; Staudinger (§§ 1-12)-Coing Einl zum BGB Rn. 123 ff.; Wieacker, Gesetz und Richterkunst, 6f.

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§

Da Prinzip der Totalreparation

gebnis führen würden, empfiehlt es sich, im Folgenden auf eine Unterscheidung zu verzichten. Der Begriff der Auslegung soll vielmehr in einem weiteren, die Auslegung im engeren Sinne und die Rechtsfortbildung gleichermaßen umfassenden Sinne verstanden werden. 113

7. Ergebnis der Auslegung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Prinzip der Totalreparation zum einen bezweckt, größtmögliche Rechtssicherheit bei der Feststellung der Reichweite der Ersatzpflicht herzustellen. Vor allem aber soll es dem Geschädigten einen möglichst vollständigen Ausgleich für den erlittenen Schaden gewährleisten. Während die historische Auslegung diesbezüglich als einzige Grenze der Ersatzpflicht den Kausalzusammenhang im natürlichen Sinne ergab, ließ sich der objektiv-teleologischen Auslegung das Erfordernis einer weitergehenden Einschränkung der Haftpflicht zur Vermeidung allgemein als unsinnig empfundener Ergebnisse entnehmen. Diesem Zweck dienen die Beschränkungen, die das Prinzip der Totalreparation gegenüber den Ergebnissen des naturwissenschaftlichen Kausalitätsbegriffs durch seine dogmatische Ausgestaltung seitens der Rechtsprechung erfährt. Diese soll im Folgenden dargestellt werden.

II. Die judikative Ausgestaltung des Grundsatzes der Totalreparation Die Auslegung hat gezeigt, dass der Gesetzgeber entgegen seinem im Entstehungsprozess des BGB geäußerten Willen die Konkretisierung des Grundsatzes der Totalreparation weitgehend der Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen hat. Dessen Gestalt in der Rechtspraxis wird insofern mitgeprägt durch die seiner näheren Bestimmung dienenden dogmatischen Regeln, die sich in der Rechtsprechung etabliert haben. Sie werden üblicherweise unter dem Begriff der „haftungsausfüllenden Kausalität" 114 zusammengefasst, da sie die durch die Verwirklichung eines Haftungstatbestands grundsätzlich begründete Haftung durch Aussagen über die Ersatzpflichtigkeit der im Ursachenzusammenhang mit der Haftungstatbestandsverwirklichung stehenden Schadensfolgen mit einem konkreten Inhalt „ausfüllen". Drei Elemente prägen diesen Bereich und werden im Folgenden vorge113

Zum Begriff der „ A u s l e g u n g im weiteren Sinne": Staudinger (§§ 1-12)-Coing Einl zum BGB Rn. 124 ff. 114 Vgl.: Jzuemig-Teichmann Vor §§249-253 Rn.24; MüKo (§§241-432)-Oetker §249 Rn. 99; Palandt-Heinrichs Vorb v § 249 Rn. 56.

II. Die judikative Ausgestaltung des Grundsatzes der Totalreparation

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stellt: Die Äquivalenztheorie, die Adäquanztheorie und die Lehre vom Schutzzweck der Norm.

1. Die Äquivalenztheorie Den Ausgangspunkt bei der Bestimmung des Haftungsumfangs bildet die Äquivalenztheorie, mit deren Hilfe die äußerste Grenze der Haftung ermittelt wird. 115 Ihr Inhalt ergibt sich aus dem Wortlaut des § 2491 BGB. Danach sind nur solche Schäden zu ersetzen, die im naturwissenschaftlichen Kausalzusammenhang zur Verwirklichung des Haftungstatbestandes stehen, d.h. deren naturgesetzliche Folge sind. 116 Als Faustregel zur Feststellung eines solchen Ursachenzusammenhangs dient die „condicio sine qua non-Formel". Danach ist der Kausalzusammenhang gegeben, wenn die Verwirklichung des Haftungstatbestandes nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Schaden entfiele. 117 Ihren Namen verdient die Äquivalenztheorie durch ihre beschränkte Zielsetzung der Feststellung der Ursächlichkeit im naturwissenschaftlich-logischen Sinne. Sie nimmt keine Bewertung der Ursachen nach ihrer Bedeutung für die Schadensentstehung vor. Alle festgestellten Ursachen sind nach ihr gleichwertig kausal, also äquivalent. 118 Mit wertenden Elementen muß die Äquivalenztheorie nur in den Fällen der „Schädigung durch Unterlassen" angereichert werden, da ein Nichthandeln keine naturgesetzlichen Folgen aufweist. 119 Ursächlichkeit im Sinne der Äquivalenztheorie ist hier anzunehmen, wenn die rechtlich gebotene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. 120 Doch wird auch in dieser Konstellation nicht nach der Bedeutung der Ursachen differenziert. Die Auslegung hatte die Ergänzungsbedürftigkeit dieses Kausalitätsverständnisses gezeigt. Um uferlose und absurde Haftpflichten zu vermeiden, muss gegenüber den Ergebnissen der Äquivalenztheorie eine wertende Begrenzung des Haftungsumfanges erfolgen. Die Rechtsprechung unternimmt dies mit zwei unterschiedlichen Ansätzen: der Adäquanztheorie und der Lehre vom Schutzzweck der Norm.

115

BGH 11.5.1951, BGHZ 2, 138ff. BGH 11.5.1951, BGHZ 2, 138ff. 117 BGH 11.5.1951, BGHZ 2, 138ff. 118 Erm&n-Kuckuk Vor § 249 Rn. 30. 1,9 Lange, Hermann, Schadensersatz, 154. 120 Vgl.: RG 5.2.1935, RGZ 147, 129f.; BGH 30.1.1961, BGHZ 34, 206, 215; BGH 19.2.1975, BGHZ 64, 46, 51; BGH 23.10.1975, BGHZ 65, 221, 225; BGH 4.10.1983, NJW 1984,432,434; OLG Karlsruhe 17.6.1999, NJW-RR 2000, 614. 116

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§

Da Prinzip der Totalreparation

2. Die Adäquanztheorie Die Adäquanztheorie wurde, nach Ansätzen bei v. Bar 121 , von dem Freiburger Physiologen v. Kries 122 für das Gebiet des Strafrechts begründet und maßgeblich von Rümelin 123 , Traeger 124 und Enneccerus125 auf das Zivilrecht übertragen. In der zivilrechtlichen Rechtsprechung des Reichsgerichts findet sie sich erstmals 1902.126 Sie wurde fortan in ständiger Rechtsprechung beibehalten127 und 1951 vom BGH übernommen 128, der ebenfalls seither in ständiger Rechtsprechung an ihr festhält 129. Ziel der Adäquanztheorie ist das Ausscheiden gänzlich unwahrscheinlicher Schadensfolgen aus der Ersatzpflicht. 130 Ob sie dies mittels eines wertenden Verständnisses des Kausalitätsbegriffs tut 1 3 1 oder ob es sich bei ihr um eine Zurechnungslehre zur wertenden Korrektur des zuvor mit Hilfe des naturwissenschaftlichen Ursachenbegriffs festgestellten Haftungsumfanges handelt 132 , ist für ihre Handhabung durch die Rechtsprechung unerheblich. Die Formulierung des Adäquanzgedankens in der Judikatur wechselt. Positiv ausgedrückt ist die Adäquanz der Kausalität etwa dann zu bejahen, wenn durch die Ursache „die objektive Möglichkeit eines Erfolges von der Art des eingetretenen allgemein erhöht oder begünstigt wird" 1 3 3 . Negativ gefasst ist die Adäquanz zu verneinen, wenn sich in dem Schaden „ein Geschehen verwirklicht, das nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen gewärtigt werden mußte" 134 . Werden positive und negative Fassung verbunden, so ist die Ursache adäquat, wenn sie „im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und 121 122

v.Bar, Causalzusammenhang, 20 f. v. Kries, Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 1888, 179ff., 287ff.,

393 ff. 123

Rümelin, AcP 90 (1900), 171 ff. Traeger, Der Kausalbegriff. 125 Enneccerus, Lehrbuch, 32 ff. 126 RG 20.2.1902, RGZ 50, 219, 222. 127 U.a. RG7.2.1912, RGZ78,270,272; RG 15.2.1913, RGZ81,359,360f.; RG22.6.1931, RGZ 133,126,127; RG 23.11.1936, RGZ 152, 397,401; RG 30.10.1942, RGZ 170,129,136. 12 « BGH 23.10.1951, BGHZ 3, 261, 266f. 129 U.a.BGH 14.10.1971, BGHZ57,137,141; BGH 19.11.1971,BGHZ57,245,255; BGH 11.5.1973, NJW 1973, 1460, 1461; BGH 3.2.1976, NJW 1976, 1143, 1144; BGH 14.3.1985, NJW 1986, 1329, 1331. 130 RG 23.11.1936, RGZ 152, 397, 401; BGH 14.10.1971, BGHZ 57, 137, 141; BGH 3.2.1976, NJW 1976, 1143, 1144. 131 Rümelin, AcP 90 (1900), 171, 281; Schünemann, JuS 1979, 19, 22 f.; Traeger, Der Kausalbegriff, 225 f. 132 Cantzler, AcP 156 (1957), 29, 45 ff.; Larenz, Hegels Zurechnungslehre, 84; Latenz, Schuldrecht AT, 435. 133 RG 15.2.1913, RGZ 81, 359, 361, in Anlehnung an Traeger, Der Kausalbegriff, 162. 134 BGH 3.2.1976, NJW 1976, 1143, 1144. 124

II. Die judikative Ausgestaltung des Grundsatzes der Totalreparation

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nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen" 135. Es wird auch schlicht formuliert, Adäquanz liege nicht vor, wenn der Schadenseintritt „außerhalb aller Wahrscheinlichkeit"136 gelegen habe. Für die nach allen Formulierungen vorzunehmende Prognose hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist nach der Rechtsprechung auf die Sicht eines sich in der Position des Schädigers zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses befindlichen „optimalen" Beobachters abzustellen, der seiner Vorhersage alle für einen Menschen in dieser Situation nur irgend erkennbaren Umstände sowie ein darüber hinausgehendes Sonderwissen des Schädigers zugrundelegt und das gesamte verfügbare menschliche Erfahrungswissen zur Beurteilung heranzieht. 137 Zur Begründung des Adäquanzgedankens wird in der Literatur ausgeführt, die Ersatzpflicht beruhe letztlich auf der Verantwortlichkeit für den Schaden. Diese treffe den Schädiger, weil er den Schaden verursacht habe, obwohl dieser an sich vermeidbar gewesen sei. Wo aber kein Mensch, nicht einmal der oben skizzierte „optimale Beobachter" den Schadenseintritt hätte vorhersehen und daher vermeiden können, könne von einer derartigen Verantwortung des Schädigers keine Rede sein. Folglich müsse auch eine Ersatzpflicht ausscheiden.138 Dem entspricht es, dass vom Schädiger vorsätzlich herbeigeführte Schadensfolgen stets als adäquat verursacht angesehen werden. 139 Insofern ist die Verantwortung des Schädigers unabhängig von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gegeben. Diesen Überlegungen entspricht es ferner, wenn die Rechtsprechung die Adäquanztheorie im Rahmen der Gefährdungshaftung für unanwendbar hält. 140 Hier beruht die Verantwortung nicht auf dem Gedanken der Vermeidbarkeit des Schadens durch schuldloses Verhalten, sondern auf einer Einstandspflicht, die mit der erlaubten und schuldlosen Nutzung und Beherrschung einer Gefahrenquelle einhergeht. Daher kommt es hier nicht auf die Vorhersehbarkeit und daraus resultierende Vermeidbarkeit des Schadens an, sondern auf die Verwirklichung gerade der die Gefährdungshaftung begründenden Gefahr in dem Schaden.141 Insofern dürfte die 135

BGH 14.10.1971, BGHZ 57, 137, 141. RG 23.11.1936, RGZ 152, 397,401. 137 BGH 23.10.1951, BGHZ 3, 261, 266f.; BGH 15.10.1971, VersR 1972, 67, 69; OLG München 18.10.1989, VersR 1991, 1391. ,3 « Vgl.: Deutsch, FS Honig, 48; Larenz, KF 1959, 10, 11; Latenz, Schuldrecht AT, 439. 139 BGH 27.1.1981, BGHZ 79, 259, 262. 140 BGH 3.7.1962, BGHZ 37, 311, 317; BGH 27.1.1981, BGHZ 79, 259, 262f.; BGH 1.12.1981, NJW 1982, 1046, 1047; BGH 13.7.1982, NJW 1982, 2669; soweit in diesen Entscheidungen der Begriff der „Adäquanz" im Zusammenhang mit der Gefährdungshaftung genannt wird, erfolgt dies stets im Sinne der Verwirklichung gerade der gefährdungshaftungsspezifischen Gefahr. 141 BGH 3.7.1962, BGHZ 37, 311, 317; BGH 27.1.1981, BGHZ 79, 259, 262f.; BGH 1.12.1981, NJW 1982, 1046, 1047. 136

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Da Prinzip der Totalreparation

Adäquanztheorie auf alle Nichtverschuldenshaftungen unanwendbar sein, also etwa auch auf die Aufopferungshaftung. Liegt danach der Adäquanztheorie eine einzige, klare Wertung zugrunde, die sich durch die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts in der beschriebenen Weise und die Ausnahme der außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegenden Schadensfolgen von der Ersatzpflicht verwirklichen lässt, so finden sich doch in der Rechtsprechung auch Versuche, im Rahmen der Adäquanztheorie in weiterem Umfang Wertungsgesichtspunkte heranzuziehen, um mit ihrer Hilfe die Grenze zu bestimmen, bis zu der dem Schädiger eine Ersatzpflicht billigerweise zugemutet werden kann 142 . Solche Erwägungen sind jedoch vereinzelt geblieben. Das Bild der Adäquanztheorie wird von den Wahrscheinlichkeitsüberlegungen in dem oben beschriebenen Sinne geprägt. 143 Wegen deren äußerst weitreichenden Anforderungen an die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsprognose führt die Adäquanztheorie in der Rechtspraxis nur in sehr seltenen Fällen zu einer Begrenzung der Haftung gegenüber den Ergebnissen der Äquivalenztheorie. 144 Es überrascht daher nicht, dass mit der nun darzustellenden Schutzzwecklehre ein weiterer Ansatz der Haftungsbegrenzung zu einem festen Bestandteil der Rechtsprechung geworden ist.

3. Die Lehre vom Schutzzweck der Norm Die Schutzzwecklehre wurde maßgeblich von Rabel 145 und v. Caemmerer 146 gefördert. Nachdem sie von der Rechtsprechung von jeher im Rahmen des § 823 II BGB angewandt wurde 147 , dehnte diese sie später auf sämtliche Haftungstatbestände aus.148 Heute entspricht sie in dieser Reichweite ständiger Rechtsprechung.149 Nach ihrer Zielsetzung soll im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität durch Auslegung des betreffenden Haftungstatbestandes ermittelt werden, ob das Interesse des Geschädigten am Ersatz der jeweiligen Schadensfolge vom Schutz142

BGH 23.10.1951, BGHZ 3, 261, 267; BGH 17.10.1955, BGHZ 18, 286, 288. RG 23.11.1936, RGZ 152, 397, 401; BGH 14.10.1971, BGHZ 57, 137, 141; BGH 3.2.1976, NJW 1976, 1143, 1144. 144 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 12 f. 145 Rabel, Warenkauf 1,495 ff. 146 v. Caemmerer, Kausalzusammenhang. 147 So schon RG 4.2.1910, RGZ 73, 30, 32. 148 Vgl. zu §8231 BGB: BGH 22.4.1958, BGHZ 27, 137ff.; BGH 21.4.1960, BGHZ 32, 194, 205; zu §839 BGB: BGH 15.3.1984, BGHZ 90, 310, 312; zu §§990, 989 BGB: BGH 10.10.1989, WM 1989, 1799; zu § 7 StVG: BGH 3.7.1962, BGH 37, 311, 315; BGH 15.12.1970, NJW 1971,459,461; zu §717 II ZPO: BGH 5.10.1982, BGHZ 85, 110, 113; zur vertraglichen Haftung: BGH 30.1.1990, NJW 1990, 2057; BGH 20.10.1994, NJW 1995,449, 451; BGH 26.6.1997, NJW 1997,2946,2947; w.N. bei Palandt-Heinrichs Vorb v § 249 Rn.63. 149 s. vorstehende Fn. 143

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zweck der haftungsbegründenden Norm umfasst wird und der Schädiger zu ihrem Ausgleich verpflichtet ist. 150 Neben dem spezifischen Aussagegehalt des einzelnen Haftungstatbestandes werden in diesem Zusammenhang mitunter auch rechtliche Wertungen zur Feststellung des Schutzzwecks herangezogen, die allen Haftungstatbeständen gemein sind. So werden etwa regelmäßig Schäden, die nicht mit der vom Schädiger geschaffenen Gefahr in einem inneren Zusammenhang stehen, als dem allgemeinen Lebensrisiko des Geschädigten zugehörig und nicht vom Schutzzweck des Haftungstatbestandes erfasst angesehen.151 Die Schutzzwecklehre findet ihre normative Verankerung damit in den einzelnen Tatbeständen des Haftungsrechts. Dennoch wird sie als Element der dem allgemeinen Schadensersatzrecht zugehörigen haftungsausfüllenden Kausalität betrachtet 152 , da sie eine Aussage über die Reichweite der Ersatzpflicht hinsichtlich der im Kausalzusammenhang zur Haftungstatbestandsverwirklichung stehenden Schadensfolgen trifft. Sie zeigt den vom Haftungstatbestand abgesteckten Rahmen auf, innerhalb dessen sich der Umfang der Ersatzpflicht nach dem Prinzip der Totalreparation bestimmt und trägt insofern zur Konkretisierung dieses Prinzips bei. Einen Teilausschnitt der Schutzzwecklehre beschreibt die Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang. Nach ihr sollen nur solche Schadensfolgen zu ersetzen sein, die durch den Gebots- und Verbotszweck der Norm verhindert werden sollen. 153 Sie bietet insoweit nur eine andere Formulierung des Gedankens der Schutzzwecklehre, ist in ihrem Anwendungsbereich jedoch von vornherein auf Rechtswidrigkeit voraussetzende Haftungstatbestände beschränkt. 154 In der Rechtsprechung finden sich im Bereich der Rechtswidrigkeitshaftung beide Formulierungen. 155 4. Das Verhältnis von Adäquanztheorie und Schutzzwecklehre zueinander Ungeachtet der in der Literatur geführten Diskussion156 über das Verhältnis von Adäquanztheorie und Schutzzwecklehre zueinander und die Ersetzbarkeit des einen Ansatzes durch den jeweils anderen werden in der Rechtsprechung beide Lehren ne150

BGH 22.4.1958, BGHZ 27, 137, 140; BGH 3.7.1962, BGHZ 37, 311, 315; st.Rspr. BGH 7.6.1968, NJW 1968, 2287, 2288; BGH 10.10.1989, NJW 1990, 909, 910; BGH 30.1.1990, NJW 1990, 2057. 152 Vgl.: Erman-Kuckuk Vor § 249 Rn. 35 ff.; Jau&mig-Teichmann Vor §§249-253 Rn. 31 ff.; MüKo (§§24\-4?>2)-Oetker §249 Rn. 114ff.; PAandt-Heinrichs Vorb v §249 Rn.62ff. 153 BGH 7.6.1968, NJW 1968, 2287, 2288 unter Verweis auf Esser, Schuldrecht, 245 ff. 154 Lange, Hermann, Schadensersatz, 106; vgl. BGH 7.6.1968, NJW 1968, 2287, 2288. 155 Rechtswidrigkeitszusammenhang: BGH 7.6.1968, NJW 1968, 2287, 2288; BGH 7.2.1984, BGHZ 90,96,101; OLG Düsseldorf 8.11.1977, NJW 1978,2036; Schutzzweck der Norm: BGH 22.4.1958, BGHZ 27, 137, 140; BGH 7.6.1968, NJW 1968, 2287,2288. 156 s. hierzu Staudinger (§§249-254)~Schiemann §249 Rn. 17ff. m.w.N. 151

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beneinander angewandt . Dabei kommt der Adäquanztheorie in Konfliktfällen die Funktion eines „ersten Tests" 158 zu, dessen Ergebnisse durch die letztlich ausschlaggebenden Schutzzweckerwägungen korrigiert werden können.159 Während die Adäquanztheorie eine Begrenzung der Haftung über eine einschränkende Auslegung des Grundsatzes der Totalreparation vornimmt, handelt es sich bei der Schutzzwecklehre genau genommen um einen Versuch, den Anwendungsbereich dieses Grundsatzes durch eine Auslegung der Haftungstatbestände von vornherein zu begrenzen. Daneben erfährt der Grundsatz explizite Einschränkungen durch einige weitere gesetzliche Regelungen, auf die nun eingegangen werden soll.

I I I . Gesetzliche Einschränkungen des Grundsatzes der Totalreparation 1. Die Tatbestände der Mitverschuldensberücksichtigung a) Allgemeines Die bedeutsamste gesetzliche Einschränkung erfährt das Prinzip der Totalreparation durch die Tatbestände der Mitverschuldensberücksichtigung. Die zentrale und grundsätzlich für alle Schadensersatzansprüche geltende Norm in diesem Bereich ist § 254 BGB. 1 6 0 Da im Verlauf der Untersuchung auf diese Vorschrift zurückzukommen sein wird, soll sie im Folgenden in ihrer Handhabung durch die Rechtsprechung näher dargestellt werden. Daneben bestehen etwa in §§ 9, 17, 18 II StVG, § 736 HGB, Art. 77 UN-Kaufrecht, § 4 HPflG, § 6 ProdHaftG, § 11 UmweltHG, § 34 LuftVG, § 32 GenTG, § 27 AtomG, § 118 BBergG strukturell ähnliche Sonderregeln, die § 254 BGB in ihrem Anwendungsbereich verdrängen, soweit sie nicht ausdrücklich auf diese Vorschrift verweisen. Vorrangig in ihrem Geltungsbereich sind auch die an das Mitverschulden des Geschädigten anknüpfenden §§ 122 II, 179 III 1, 839 III BGB, die zu einem gänzlichen Wegfall des Ersatzanspruchs führen. b) Die Regelung des §254 BGB § 254 BGB ermöglicht bei Mitverschulden des Geschädigten eine quotale Verteilung des Schadens auf den Schädiger und den Geschädigten. 157 BGH 22.4.1958, BGHZ 27, 137, 139f.; BGH 7.6.1968, NJW 1968, 2287, 2288; OLG Bamberg 1.6.1989, VersR 1990, 1015. 158 Ausdruck bei Staudinger (§§249-254)-Schiemann §249 Rn.20. 159 Vgl.: BGH 7.6.1968, NJW 1968, 2287, 2288; OLG Bambeig 1.6.1989, VersR 1990, 1015. 160 Jaiucmig-Teiclimann § 254 Rn. 1.

II.

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des Grundsatzes der Totalreparation

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aa) Tatbestandsvoraussetzungen Tatbestandliche Voraussetzung für eine derartige Schadensquotelung ist nach dem Wortlaut des § 2541 BGB ein Mitverschulden des Geschädigten an der Entstehung des Schadens, das nach § 254 II 1 BGB auch darin bestehen kann, dass er es unterlassen hat, den Schaden zu mindern oder abzuwenden, insbesondere durch eine Warnung des Schädigers vor der Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens. In der Geltendmachung eines in diesem Sinne selbst verursachten Schadens sieht die Rechtsprechung einen Verstoß gegen das Verbot des „venire contra factum proprium" und in der Regelung des § 254 BGB somit eine besondere Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB). 161 Der Begriff des Mitverschuldens kann dabei nicht technisch im Sinne der vorwerfbaren Verletzung einer Rechtspflicht verstanden werden, da die Rechtsordnung eine Selbstschädigung grundsätzlich nicht verbietet. 162 Die Rechtsprechung stellt vielmehr auf ein „Verschulden gegen sich selbst" 163 im Sinne der Verletzung einer Obliegenheit ab, nicht gegen die Gebote des wohlverstandenen eigenen Interesses zu verstoßen. 164 Im Übrigen ist die Rechtsprechung bestrebt, an die Verantwortung für Selbstschädigungen dieselben Maßstäbe wie für Fremdschädigungen anzulegen und sie möglichst spiegelbildlich zu dieser auszugestalten. Daher finden neben dem objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab des § 276 BGB 1 6 5 die Vorschriften der §§ 827, 828 BGB 1 6 6 über die Zurechnungsfähigkeit und die Regelung der Billigkeitshaftung in § 829 BGB 1 6 7 auf die Mitverschuldensberücksichtigung entsprechende Anwendung. Auch muß die Verletzung der Obliegenheit den Schaden adäquat mitverursacht haben168 und dessen Verhinderung vom Schutzzweck der Obliegenheit umfasst sein 169 . Zudem rechnet die Rechtsprechung dem Geschädigten auch solche bei der Schadensentstehung wirksam gewordene Betriebsgefahren zu, die ihn im Fall der Schädigung eines Dritten diesem gegenüber haftbar gemacht hätten, und zwar unabhängig davon, ob auch der Schadensersatzanspruch auf einen Gefährdungshaftungstatbestand 161

BGH 14.3.1961, BGHZ 34,255, 363 f.; BGH 3.2.1970, NJW 1970,756; BGH 9.5.1978, NJW 1978, 2024, 2025; BGH 22.9.1981, NJW 1982, 168. 162 Ein Verbot der Selbstgefährdung stellt die Gurt- und Helmpflicht des § 21 a StVO dar. Entgegen Greger NJW 1985,1130,1133 lässt sich hieraus jedoch kein allgemeines Verbot der Selbstgefährdung ableiten, so Staudinger (§§249-254)-Schiemann § 254 Rn. 30. 163 Ausdruck von Zitelmann, BGB AT, 166. 164 RG 22.6.1905, JW 1914, 827; RG 17.9.1920, RGZ 100,42,44; RG 6.3.1935, RGZ 149, 6, 7; BGH 3.7.1951, BGHZ 3,46,49f.; BGH 29.4.1953, BGHZ 9, 316, 318; BGH 31.3.1960, BGHZ 33, 136, 142f.; BGH 14.10.1971, BGHZ 57, 137, 145. 165 BGH 18.5.1965, NJW 1965, 877, 878; BGH 13.2.1990, NJW 1990, 1483, 1484. 166 RG 22.2.1924, RGZ 108, 86, 89; BGH 29.4.1953, BGHZ 9, 316, 317; BGH 28.5.1957, BGHZ 24, 325, 326f. 167 BGH 10.4.1962, BGHZ 37, 102 ff.; BGH 26.6.1973, NJW 1973, 1795 f. 168 BGH 3.7.1951, BGHZ 3,46ff.; BGH 28.11.1956, NJW 1957, 217. 169 BGH 11.7.1978, VersR 1978,1070,1071; OLG Bamberg 16.12.1986, VersR 1988,585 f. 4 Bartelt

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gestützt wird. Dagegen wird eine schuldlose Mitverursachung, die bei Fremdschädigungen keine Gefährdungshaftung auslösen würde, dem Geschädigten nur in den seltenen Fällen angerechnet, in denen auch der Schadensersatzanspruch weder der Verschuldens- noch der Gefährdungshaftung zuzurechnen ist. 171 bb) Rechtsfolgen Liegen danach die Tatbestandsvoraussetzungen der Mitverschuldensberücksichtigung vor, so ist der Umfang des vom Schädiger zu leistenden Ersatzes gemäß § 2541 BGB nach den „Umständen" des Falles zu bestimmen. Dies erfolgt in erster Linie (§ 2541 BGB: „insbesondere") durch eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile. 172 Dazu ist danach zu fragen, inwieweit die von Schädiger und Geschädigtem gesetzten und ihre Verantwortung begründenden Ursachen den Schaden im Zeitpunkt seiner Entstehung wahrscheinlicher gemacht haben. Nach dem derart ermittelten Wahrscheinlichkeitsgrad bestimmen sich die vom Schädiger und Geschädigten zu tragenden Schadensquoten.173 Darüber hinaus ist auf beiden Seiten gegebenenfalls ein Verschulden 174 oder eine von einem Gefährdungshaftungstatbestand erfasste Gefahr 175 zu berücksichtigen. Es sind somit nach dem Zweck der Vorschrift, den Schaden dem Schädiger nur insoweit anzulasten, als ihn hierfür eine größere Verantwortung als den Geschädigten trifft 176 , alle für die Schadenszurechnung relevanten Umstände zu berücksichtigen. Weitere, lediglich für reine Billigkeitserwägungen bedeutsame Aspekte sind dagegen bei der Schadensquotelung außer Acht zu lassen.177 Dies gilt namentlich für die in der Literatur 178 vorgeschlagenen Gesichtspunkte der verwandtschaftlichen Beziehungen, der Jugendlichkeit, der Gefälligkeitshandlungen und der wirtschaftlichen Folgen des Schadens bzw. der Ersatzpflicht. Die Abwägung kann ergeben, dass die Ersatzpflicht des Schädigers in vollem Umfang, teilweise oder überhaupt nicht besteht.179 170

BGH 23.6.1952, BGHZ 6,319ff.; BGH 20.1.1954, BGHZ 12,124,128; BGH 13.4.1956, BGHZ 20, 259 ff. 171 So zur Vertrauenshaftung des § 122 BGB: BGH 14.3.1969, NJW 1969, 1380. 172 BGH 17.11.1960, BGHZ 33, 293, 302; BGH 20.1.1998, NJW 1998, 1137, 1138. 173 BGH 28.10.1993, NJW 1994, 379 m.w.N.; BGH 20.1.1998, NJW 1998, 1137, 1138. 174 BGH 17.11.1960, BGHZ 33, 293, 302; vgl. BGH 29.1.1969, NJW 1969, 789, 790. 175 BGH 23.6.1952, BGHZ 6,319 ff.; BGH 20.1.1954, BGHZ 12,124,128; BGH 13.4.1956, BGHZ 20, 259 ff. 176 RG 28.6.1940, RGZ 164, 264, 269; BGH 11.5.1971, BGHZ 56, 163, 170. 177 Vgl. BGH 29.11.1977, NJW 1978, 421, 422; a. A.: OLG Celle 6.12.1978, NJW 1979, 724. 178 Böhmer, MDR 1962, 442f.; Schlieft NJW 1965, 676f. 179 BGH 29.10.1974, BGHZ 63, 189,194.

III. Gesetzliche Einschränkungen des Grundsatzes der Totalreparation

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Im Einzelnen haben sich in der Rechtsprechung Richtlinien für die Abwägung herausgebildet. Danach werden etwa Schadensfolgen, die von einem Teil vorsätzlich herbeigeführt wurden, diesem regelmäßig vollumfänglich zugerechnet 180 und das Verschulden von Minderjährigen geringer bewertet als das von Erwachsenen.181

cc) Anrechnung des Mitverschuldens Dritter Die Berücksichtigung des Mitverschuldens Dritter im Rahmen des § 254 BGB ist in § 254 II 2 BGB geregelt, der die entsprechende Anwendung des die Zurechnung des Verschuldens von Erfüllungsgehilfen und gesetzlichen Vertretern regelnden § 278 BGB anordnet. § 254 II 2 BGB wird entgegen seiner systematischen Stellung nicht nur auf die Fälle des § 254 II 1 BGB, sondern auch auf diejenigen des § 2541 BGB bezogen, da letztere sich von den der Klarstellung dienenden Unterfällen in § 254 II 1 BGB nach der zugrunde liegenden Interessenlage nicht unterscheiden.182 Allerdings ist § 254 II 2 BGB als Rechtsgrundverweisung zu verstehen und kommt daher nur zur Anwendung, wenn zwischen Schädiger und Geschädigtem bereits eine rechtliche Sonderbeziehung bestand.183 Zur Begründung einer solchen genügt jedoch bereits die Vornahme der den Haftungstatbestand verwirklichenden Handlung seitens des Schädigers. 184 Bei Bestehen einer vertraglichen Beziehung wird § 278 BGB zu Lasten des Geschädigten auch auf unabhängig von dieser Verbindung bestehende Haftungstatbestände angewendet.185 Außerhalb einer Sonderverbindung erfolgt eine Zurechnung des Verhaltens Dritter über eine entsprechende Anwendung der §§31 BGB 1 8 6 und 831 BGB 1 8 7 sowie dann, wenn der Geschädigte und einer von mehreren Schädigern in der Abwägung eine sog. Zurechnungseinheit bilden, da sich ihre Verursachungsbeiträge vereinigt haben, bevor sie auf diejenigen der weiteren Schädiger stießen188.

180 BGH 26.2.1980, NJW 1980, 1518, 1519; BGH 8.7.1986, BGHZ 98, 148, 158; BGH 9.10.1991, NJW 1992,310,311. 181 BGH 13.2.1990, NJW 1990, 1483, 1484; BGH 12.1.1993, NJW-RR 1993,480,481. 182 RG28.11.1905,RGZ62,106,107f.;BGH8.3.1951,BGHZ 1,248,249;BGH3.7.1951, BGHZ 3,46,48. 183 RG 29.1.1906, RGZ 62, 346, 347f.; RG 29.11.1927, RGZ 119, 152, 155 f.; BGH 8.3.1951, BGHZ 1, 248ff.; BGH 1.3.1988, BGHZ 103, 338, 342. 184 RG 29.1.1906, RGZ 62, 346, 348f.; BGH 1.3.1988, BGHZ 103, 338, 343. 185 BGH 29.4.1953, BGHZ 9, 316, 319f.; BGH 28.5.1957, BGHZ 24, 325, 327. 186 BGH 3.3.1977, BGHZ 68, 142, 151; BGH 14.3.1983, NJW 1983, 1856. 187 RG 7.12.1933, RGZ 142, 356, 358; RG 28.6.1940, RGZ 164, 264, 269; BGH 8.3.1951, BGHZ 1, 248, 249; BGH 2.2.1984, BGHZ 90, 86, 90. 188 BGH 26.4.1966, VersR 1966, 664; BGH 18.9.1973, BGHZ 61, 213, 218.

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§

Da Prinzip der Totalreparation

dd) Mitverschuldensberücksichtigung gegenüber mehreren Schädigern Haben mehrere Schädiger bei Mitverschulden des Geschädigten den Schaden verursacht, so ist zwischen den Fällen der Mit-, der Alternativ- und der Nebentäterschaft zu unterscheiden. (1) Mittäterschaft Mittäter im Sinne des § 83011 BGB müssen sich aufgrund ihres bewussten und gewollten Zusammenwirkens die Verursachungs- und Schuldbeiträge der jeweils anderen Schädiger in der Abwägung zurechnen lassen. Diese sind in ihrer Gesamtheit dem Verursachungsbeitrag des Geschädigten gegenüberzustellen. Jeder Schädiger haftet für die auf die Gesamtheit der Schädiger entfallende Schadensquote.189 Gleiches gilt für Anstifter und Gehilfen nach § 830 II BGB. 1 9 0

(2) Alternativtäterschaft In den Fällen des § 83012 BGB haften die Alternativtäter auf die geringste hypothetische Quote, die sich bei der Verursachungsabwägung in den Sachverhaltsalternativen zu Lasten der Schädigerseite ergibt. 191

(3) Nebentäterschaft Haben die Schädiger den Schaden unabhängig voneinander verursacht, so muss zunächst in einer Gesamtabwägung der Verursachungsbeitrag des Geschädigten demjenigen der Schädiger in ihrer Gesamtheit gegenübergestellt werden, um die vom Geschädigten von den Schädigern insgesamt zu beanspruchende Schadensquote zu ermitteln. Sodann ist in einer Reihe von Einzelabwägungen zwischen dem Verursachungsbeitrag des Geschädigten und demjenigen der jeweiligen einzelnen Schädiger zu ermitteln, bis zu welcher Höhe der Geschädigte die einzelnen Schädiger jeweils in Anspruch nehmen kann. 192 Sofern sich die Verursachungsbeiträge mehrerer Schädiger oder des Geschädigten und eines oder mehrerer Schädiger vereinigt haben, bevor sie auf die Beiträge der anderen stießen, werden sie zu einer Zurechnungseinheit zusammengefasst und 189

BGH 16.6.1959, BGHZ 30, 203, 205f.; OLG Saarbrücken 21.5.1969, OLGZ 1970, 9,

10f. 190 191 192

OLG Saarbrücken 21.5.1969, OLGZ 1970, 9, 10f. BGH 15.6.1982, NJW 1982, 2307. BGH 16.6.1959, BGHZ 30, 203 ff.; BGH 8.11.1973, BGHZ 61, 351, 354.

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des Grundsatzes der Totalreparation

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in der Abwägung wie eine Person behandelt, um eine mehrfache Berücksichtigung eines Beitrages auszuschließen.193 ee) Prozessuales § 254 BGB begründet eine im Schadensersatzprozess von Amts wegen zu berücksichtigende rechtshindernde Einwendung.194 Die Beweislast trägt der Ersatzpflichtige. 1 9 5 Da es sich bei der Quotenbildung um die Feststellung des Umfanges des dem Schädiger zuzurechnenden Schadens handelt, richtet sie sich gemäß § 287 ZPO nach der freien Überzeugung des Gerichts. 196

2. Sonstige Einschränkungen des Grundsatzes der Totalreparation Neben den Tatbeständen der Mitverschuldensberücksichtigung finden sich zu einzelnen Haftungstatbeständen verschiedenartige Beschränkungen des Grundsatzes der Totalreparation. So besteht bei nahezu allen Tatbeständen der verschuldensunabhängigen Haftung eine Begrenzung der Haftung auf einen Höchstbetrag, um die Versicherbarkeit der Haftung zu gewährleisten. Beispiele hierfür sind § 12 StVG 197 , §§ 37, 46, 54 LuftVG, § 33 GenTG, §§ 9f. HPflG, § 88 AMG, § 10 ProdHaftG. 198 § 11 ProdHaftG sieht eine Selbstbeteiligung des Geschädigten vor. Im Transportrecht finden sich Beschränkungen der Ersatzpflicht auf bestimmte Schadensposten, Höchstbeträge und den gemeinen Wert, §§429 ff., 461, 658 f. HGB, § 26 BinSchG. § 13 V I I 1 VOB/B kennt den auf die bauliche Anlage beschränkten Schaden. In § 253 II BGB n. F. 199 , § 651 f II BGB und § 829 BGB wird die Bemessung der Ersatzpflicht in das Ermessen des Richters gestellt. Eine Begrenzung der Ersatzpflicht auf den vorhersehbaren Schaden ordnen schließlich die Art. 74, 75, 76 UN-Kaufrecht an. Anders als § 254 BGB sind diese Durchbrechungen des Prinzips der Totalreparation in ihrem Anwendungsbereich eng auf einzelne Haftungsnormen beschränkt. An der grundsätzlichen Bedeutung dieses Prinzips vermögen sie daher nichts zu ändern.

193

BGH 18.9.1973, BGHZ 61, 213ff.; BGH 4.6.1996, NJW 2646, 2647. BGH 26.6.1990, NJW 1991, 166, 167; BGH 20.7.1999, NJW 2000, 217, 219. 195 BGH 6.11.1973, BGHZ 61, 346, 351; BGH 22.5.1984, BGHZ 91, 243, 260. 196 BGH 25.10.1960, VersR 1961, 368, 369; BGH 24.6.1986, NJW 1986, 2945, 2946. 197 Über die Verweisung des § 1811 StVGfindet § 12 StVG auch auf die Haftung des Fahrzeugführers aus vermutetem Verschulden nach § 18 StVG Anwendung. 198 Ausnahmen sind insbesondere: §833 BGB, §§717 II, 945 ZPO, §22 WHG. 199 Eingefügt durch das am 1.8.2002 in Kraft getretene „Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften" vom 19.7.2002 (BGBl. 12674). Gleichzeitig entfiel der bisherige § 847 BGB. 194

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§

Da Prinzip der Totalreparation

IV. Stellungnahme zur gesetzlichen Regelung des Prinzips der Totalreparation und ihrer praktischen Handhabung Die Betrachtung des § 2491 BGB, seiner Handhabung durch die Rechtsprechung sowie seiner gesetzlichen Einschränkungen hat ergeben, dass das Prinzip der Totalreparation, wie vom historischen Gesetzgeber intendiert, in der Rechtspraxis im Kern durch das Kausalitätsverständnis der Äquivalenztheorie geprägt wird. Zwar erfährt der nach der Äquivalenztheorie ermittelte Ersatzumfang seitens der Rechtsprechung Einschränkungen mittels der Adäquanz- und der Schutzzwecktheorie. Doch halten sich diese in engen Grenzen. So korrigiert die Adäquanztheorie aufgrund ihrer hohen Anforderungen an die Basis ihrer Wahrscheinlichkeitsprognose die Ergebnisse der Äquivalenztheorie nur in den seltenen Fällen, in denen die Verpflichtung zum Ersatz einer bestimmten Schadensfolge allgemein als „zu weit hergeholt" empfunden würde. Sie mag damit die im Rahmen der objektiv-teleologischen Auslegung ermittelte Forderung nach einer einschränkenden Ausgestaltung des Prinzips der Totalreparation zur Vermeidung absurder Ergebnisse erfüllen. Zu einer Begrenzung des Ersatzumfanges führt sie jedoch nur in sehr wenigen Fällen. Auch die Schutzzwecklehre nimmt keine derart weitreichende Einengung des Anwendungsbereichs des Prinzips der Totalreparation vor, dass die Äquivalenztheorie in ihrer Bedeutung für die Bestimmung des Ersatzumfanges dahinter zurückbliebe; denn den Haftungstatbeständen lassen sich oftmals keine weitreichenden, besonderen Beschränkungen des von ihnen bezweckten Schadensersatzes entnehmen. Andernfalls würde die gemeinsame Bestimmung des Ersatzumfangs in § 2491 BGB ihren Sinn verlieren. Beide Ansätze der Haftungsbegrenzung schmälern das Gewicht der Äquivalenztheorie für die Feststellung des Umfangs der Schadensersatzpflicht somit nur unwesentlich. Die verschiedenartigen ausdrücklichen gesetzlichen Einschränkungen des Prinzips der Totalreparation vermögen die grundsätzliche Bedeutung der Äquivalenztheorie ebenfalls nicht in Frage zu stellen, da sie in ihren Anwendungsbereichen jeweils eng auf einzelne Haftungstatbestände begrenzt sind. Nur § 254 BGB führt mit seinem grundsätzlich alle Schadensersatzansprüche umfassenden Geltungsbereich in der Praxis zu einer deutlichen Beschränkung des von der Äquivalenztheorie beherrschten Bereichs der Haftungsausfüllung. An die Stelle der wertungsfreien Äquivalenztheorie tritt eine umfassend wertende Bestimmung des Kausalbeitrags des Schädigers im Rahmen der Verursachungsabwägung. Allerdings kommt es hierzu nur bei Vorliegen der oben beschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen. In der Vielzahl der Fälle, in denen kein Mitverschulden des Geschädigten in diesem

. IV. Stellungnahme zum Prinzip der Totalreparation

55

Sinne vorliegt, bleibt es dagegen bei der Bestimmung des Ersatzumfanges nach § 2491 BGB. Auch § 254 BGB stellt die dominante Rolle der Äquivalenztheorie somit nicht prinzipiell in Frage. Damit wird der Umfang des vom Schädiger zu leistenden Ersatzes wesentlich im Wege einer naturwissenschaftlich-logischen Betrachtung ermittelt. Es erscheint zweifelhaft, ob hiermit die Grundaufgabe des Rechts, eine interessengerechte Regelung sozialer Sachverhalte zu normieren 200, für alle denkbaren Konstellationen im Normbereich des § 2491 BGB zufriedenstellend erfüllt wird, da der Rückgriff auf wertungsfreie naturwissenschaftliche Vorstellungen stets die Gefahr der Vernachlässigung berücksichtigenswerter sozialer Aspekte in sich birgt. So fixiert die Äquivalenztheorie ihren Blick auf das schadenstiftende Verhalten des Schädigers und nimmt andere Umstände der Schadensentstehung nur insoweit wahr, als dies erforderlich ist, um die logische Kausalität dieses Vorgangs zu beurteilen. Auf diese Weise blendet sie einen großen Teil der sozialen Wirklichkeit aus. Um diesem Missstand abzuhelfen, wurden die Adäquanztheorie und die Schutzzwecklehre zur wertenden Korrektur der Ergebnisse der Äquivalenztheorie entwickelt. Dennoch bildet diese, wie gezeigt, weiterhin das Herzstück der Dogmatik im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität. Daher erfolgt die Entscheidungsfindung dort weiterhin in erheblichem Ausmaß aufgrund wertungsfreier und damit vom Standpunkt der rechtlichen Wertordnung willkürlicher Erwägungen. Bedenkt man nun zusätzlich die gravierenden Folgen, die mit der Entscheidung über die Ersatzpflicht für den Schädiger ebenso wie für den Geschädigten verbunden sein können und bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen und sozialen Existenz reichen, dann verwundert es nicht, dass das Prinzip der Totalreparation seit jeher Gegenstand scharfer, mitunter emotional vorgetragener Kritik war, ungeachtet der Einschränkungen, die es im Laufe der Zeit über die Adäquanz- und die Schutzzwecktheorie erfuhr. Da derartige Rechtsfolgen den Schädiger auch in seinen grundrechtlich geschützten Rechtspositionen einschneidend berühren können, erscheint es nur konsequent, dass die Kritik schließlich die Verfassung als Anknüpfungspunkt entdeckte und danach fragte, ob das Prinzip der Totalreparation in seiner dargestellten weitgehend wertungsfreien Ausgestaltung mit dem aus den Grundrechten des Schädigers abzuleitenden Verhältnismäßigkeitsprinzip vereinbar sei. Zur Vorbereitung der Beantwortung dieser Frage soll nun die Kritik am Prinzip der Totalreparation von ihren Anfängen bis hin zur verfassungsrechtlichen Diskussion dargestellt werden.

200 Heck , AcP 112 (1914), 1, 17; Rüthers , Rechtstheorie Rn. 72 und 83; Zippelius , Methodenlehre, 8.

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation In diesem Abschnitt wird zunächst die grundsätzliche Kritik am Prinzip der Totalreparation vorgestellt. Um kein einseitiges Bild zu zeichnen, werden auch die zu seiner Unterstützung angeführten Argumente wiedergegeben. Im Anschluss wird entsprechend hinsichtlich der fünf speziellen Gesichtspunkte verfahren, die in der Diskussion um das Prinzip der Totalreparation von der Kritik in besonderem Maße bemüht wurden. Es sind dies: 1. Die Beeinflussung der Schadensentstehung durch Umstände, die nicht in der Sphäre des Schädigers liegen 2. Eine geringe Schuld des Schädigers 3. Die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzverpflichtung 4. Die fehlende Angewiesenheit des Geschädigten auf die Ersatzleistung des Schädigers 5. Die Minderjährigkeit des Schädigers Zu Beginn der einzelnen Betrachtungen soll zudem die Behandlung jedes Aspektes durch die Rechtsprechung nach geltendem Recht skizziert werden, um die Ansatzpunkte der Kritik zu verdeutlichen. Abschließend erfolgt eine Stellungnahme. In einem zweiten Schritt werden die aus der Kritik hervorgegangenen Änderungsvorschläge dargestellt und gewürdigt. Schließlich wird die Diskussion um die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs angesichts ihrer Parallelen zum Streit über das Prinzip der Totalreparation in einem Exkurs auf Gedanken untersucht, die für das allgemeine Schadensersatzrecht verwertbar sind.

I. Die Kritik

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I. Die Kritik 1. Die grundsätzliche Kritik am Prinzip der Totalreparation a) Überbetonung der Interessen des Geschädigten aa) Argumente dafür, die Interessen des Geschädigten in so weitreichendem Maße zu berücksichtigen, wie es der Grundsatz der Totalreparation tut Herausragende Bedeutung bei der Gestaltung des Schadensausgleichs muss nach den Entstehungsmaterialien zum BGB und zahlreichen Autoren dem Interesse des Geschädigten an einem vollständigen Ersatz des ihm entstandenen Schadens zukommen.1 Dieser trage nach dem Grundsatz des „casum sentit dominus" kraft seiner Sachzuständigkeit bereits grundsätzlich das Schadensrisiko.2 Nur bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Haftungstatbestandes in der Person des Schädigers werde der Schaden auf diesen übergewälzt.3 Dazu seien die Deliktstatbestände nach deutschem Recht im internationalen Vergleich auch noch besonders eng gefasst. 4 Und selbst bei Vorhandensein eines Haftpflichtigen könne nach den Grundsätzen der Mitverschuldensberücksichtigung noch ein Teil des Schadens beim Geschädigten verbleiben.5 Da jene weitgehend parallel zur Schädigerhaftung ausgestaltet sei, erfolge insofern eine gerechte Gleichbehandlung von Schädiger und Geschädigtem.6 Dem Geschädigten darüber hinaus einen Teil des Schadens anzulasten, sei grundsätzlich nicht gerechtfertigt. 7 Der Schädiger stehe dem Schaden insofern näher als der Geschädigte.8 Müsste der potentiell Geschädigte erwarten, den Schaden nicht voll ersetzt zu erhalten, würde er zudem in die Schadensversicherung gedrängt.9 Sozialpolitisch erscheine es jedoch gerechter, den Abschluss von Haftpflichtversicherungen zu fördern. Denn der Schädiger, der seine sozialen Aktivitäten kenne, könne sein Haf1

Motive, Band II., 17f. (ähnlich 129) = Mugdan, II. Band., 10; Jakobs!Schubert, Die Beratung (§§241-432), 104 f. zur Diskussion im Bundesrat; Reichstagskommission, Bericht (Guttentag), 56 f. = Reichstagskommission, Bericht (Heymanns), 36; Binding, Die Normen, 471 f.; Eccius, Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht, 556; Gruchot, Beiträge, 470ff.; Looschelders, VersR 1999, 141, 144; Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, 168. 2 Looschelders, VersR 1999, 141, 144. 3 Looschelders, VersR 1999, 141, 144. 4 Vgl. Löwe, VersR 1970, 289, 290. 5 Esser, Schuldrecht AT, 268; Huyke, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C 84, C 86. 6 Looschelders, VersR 1999, 141, 144f.; Schwamb, Reduktionsklausel, 155f. 7 Esser, Schuldrecht AT, 268; Löwe, VersR 1970,289,291; Looschelders, VersR 1999, 141, 144; Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 585; Reichstagskommission, Bericht (Guttentag), 56 f. = Reichstagskommission, Bericht (Heymanns), 36; vgl. auch: Ahrens, VersR 1997,1064, 1066; Binding, Die Normen, 471 f.; Eccius, Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht, 556; Gruchot, Beiträge, 470ff.; Wadle, VersR 1971, 485,491. 8 Löwe, VersR 1970, 289, 291. 9 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 106.

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

tungsrisiko weit eher einschätzen als der Verletzte die Gefahr, Opfer einer Schädigung zu werden. 10 Zudem müsse das Risiko dem Schädiger auch deswegen angelastet werden, weil seine Aktivität die Gefahr verursache. 11 Der Ausbau des Versicherungsschutzes mindere zugleich das Bedürfnis nach einer stärkeren Begrenzung der Haftung. 12 Im Rahmen der seit Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts geführten Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit des Prinzips der Totalreparation wurde in erster Linie die Frage aufgeworfen, ob die Totalreparation den Interessen des Schädigers im Vergleich zu denen des Geschädigten so wenig Gewicht beimesse, dass in der nach diesem Prinzip ermittelten Ersatzpflicht unter bestimmten Voraussetzungen ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte des Schädigers liege. Zur Verteidigung des Prinzips wurde in diesem Zusammenhang behauptet, aus dem in den Grundrechten verankerten Übermaßverbot lasse sich keine Forderung nach einer über den bestehenden Rechtszustand hinausgehenden Einschränkung der Totalreparation folgern. 13 Das Gleiche gelte für das gelegentlich ebenfalls zur Stützung einer solchen Forderung herangezogene Sozialstaatsprinzip sowie für eine Ableitung des Übermaßverbotes aus dem Rechtsstaatsprinzip.14 Grundsätzlich werde schon durch die Differenziertheit der Haftungsordnung eine angemessene Risikoverteilung und damit die Verhältnismäßigkeit der Haftung gewährleistet.15 Das deutsche Recht trage dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zudem bereits durch die Beschränkung der Ersatzpflicht auf den eingetretenen Schaden und die hierin enthaltene Absage an „punitive" oder „exemplary damages" sowie durch die Regelung des § 251 II 1 BGB Rechnung.16 Die hierdurch erzielte Äquivalenz von Haftung und Schaden reiche für eine verfassungskonforme Gestaltung des Schadensersatzrechts aus.17 Derartige Verneinungen der Ableitbarkeit eines Verfassungsgebotes zur Beschränkung des Grundsatzes der Totalreparation aus den Grundrechten des Schädigers gehen oft mit einer grundsätzlichen Warnung vor einer zu starken Beeinflussung des Zivilrechts durch das Verfassungsrecht einher. 18 Je stärker das Privatrecht 10

Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 106. Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 106; vgl. auch: Stürner, GS Lüderitz, 789, 806 f.; Wilburg, Elemente, 24 f. 12 Kuhlen, JZ 1990,273,275; Looschelders, VersR 1999,141,145\Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 106 Fn.71; MüKo (§§ 705-853)-Mm¿/w Vor §§823-853 Rn.76; OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791,792; Rolfs, JZ 1999,233,239 f.; Schwamb, Reduktionsklausel, 672,674; Staudinger (§§249-254)-Schiemann Vorbem zu §§249ff. Rn.27; vgl. auch: Looschelders, VersR 1996, 529, 537; Wolany, DRiZ 1960, 273, 276. 13 v.Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Rn.595f.; Krause, JR 1994, 494,498f.; Medicus, AcP 188 (1988), 489,490 Fn. 1; Palandt-Heinrichs Vorb v §249 Rn.6. 14 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Rn. 595 f. 15 Medicus, AcP 192 (1992), 35, 37. 16 v.Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Rn.596; vgl. Looschelders, VersR 1999, 141, 144. 17 Sojedenfalls zur deliktischen Haftung v.Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Rn.596. 18 v.Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Rn.595; Krause, JR 1994, 494, 499. 11

I. Die Kritik

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verfassungsrechtlich überformt werde, desto eher drohe eine Verflachung seines in Jahrhunderten erlangten Gerechtigkeitsgehalts19 und eine Erosion zivilrechtlicher Denkstrukturen 20. Es laufe darüber hinaus Gefahr, durch die Postulierung detaillierter verfassungsrechtlicher Vorgaben zu „versteinern". 21 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dürfe nicht mit einer solchen Schärfe gehandhabt werden, dass die vom Gesetzgeber vorzunehmende Gewichtung der einander gegenüberstehenden Gesichtspunkte als in wesentlichen Teilen grundgesetzlich vorgegeben erscheine.22 Dem Gesetzgeber komme vielmehr ein weiter Ermessensspielraum bei der Gestaltung der gesetzlichen Regelung zu. 23 Dies gelte gerade auch im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Gewaltenteilungsgrundsatz.24 Das Verfassungsrecht solle das Zivilrecht nicht ersetzen, sondern lediglich dessen Kanten abschleifen. 25 bb) Argumente dagegen, die Interessen des Geschädigten in so weitreichendem Maße zu berücksichtigen, wie es der Grundsatz der Totalreparation tut Bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des BGB wie auch in der darauffolgenden Zeit fehlte es nicht an kritischen Stimmen zum Grundsatz der Totalreparation. Moniert wurde, dass den Interessen des Schädigers zu wenig Beachtung geschenkt werde. 26 Eine Berücksichtigung von Umständen, die zugunsten des Schädigers sprächen, sei unter der Herrschaft des Prinzips der Totalreparation grundsätzlich nicht möglich. 27 Der Blick werde zu einseitig auf den entstandenen Schaden gerichtet und sonstige für eine gerechte Entscheidung relevante Umstände vernachlässigt. 28 Es handele sich hierbei um eine „einäugige Gerechtigkeit". 29 Das Prinzip der Totalreparation sei ein Ausfluss der die Interessenlage der Beteiligten vernachlässigenden Begriffsjurisprudenz, und seine Rechtfertigung in den Motiven erscheine weltfern, verstaubt und fremd. 30 Es widerspreche dem Rechtsge19

v.Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Rn.595. Krause, JR 1994,494,499. 21 Krause, JR 1994,494,499. 22 Krause, JR 1994,494,499; Looschelders, VersR 1999, 141, 143f.; vgl. Goecke, Haftung Minderjähriger, 79 ff. 23 Medicus, AcP 192 (1992), 35, 70; MüKo (§§241-432)-0^r §249 Rn. 13. 24 Vgl. Goecke, Haftung Minderjähriger, 79 ff. 25 v.Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Rn.595; vgl. Diederichsen, AcP 198 (1998), 171,257. 26 Bertermann, JW 1923,903,904; Degenkolb, AcP 76 (1890), 1, 79f.; Dernburg, Das bürgerliche Recht, 74; Hartmann, AcP 73 (1888), 309, 359 ff. 27 Degenkolb, AcP 76 (1890), 1, 79 f. 28 Bertermann, JW 1923,903,904; Gierke, Der Entwurf, 198, 266 f. 29 Bertermann, JW 1923, 903, 904; Bertermann, DJZ 1929, 745, 747; Degenkolb, AcP 76 (1890), 1, 79; Dernburg, Das bürgerliche Recht, 74. 30 Bertermann, DJZ 1929, 745, 746. 20

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

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fühl 31 ebenso wie den Bedürfnissen des Rechtslebens32 und könne im Einzelfall zu „schreiendster Ungerechtigkeit" führen 33. Eine Zäsur brachte der Nationalsozialismus. Zwar führten einige der zu dieser Zeit vorgebrachten Argumente die bisherige Kritik fort. Doch wurden sie zumeist in Inhalt und Terminologie von der nationalsozialistischen Ideologie beeinflusst. Im Einzelnen wurde weiterhin die Außerachtlassung der Interessen des Geschädigten und sonstiger, auch außerrechtlicher Gesichtspunkte bei der Bemessung des Schadensersatzes beanstandet.34 Der Schaden sei „der Götze, dem die Beteiligten unterworfen" seien.35 Dies widerspreche der Billigkeit 36 und dem Rechtsgefühl 37. Man sah im Prinzip der Totalreparation einen Ausdruck der „liberalistischen" Grundhaltung des BGB. 38 Das hierin verwirklichte Alles-oder-Nichts-Prinzip zeuge davon, dass der Liberalismus keine Gemeinschaften zu bilden und zu gliedern verstehe, sondern in der Konfrontation der Einzelnen das Mittel zum Fortschritt sehe.39 Nach dem nationalsozialistischen „Gemeinschaftsgedanken" dürfe dagegen nicht nur dem „materialistischen Befriedigungsbedürfnis" des Geschädigten Rechnung getragen, sondern müsse auch der Wert des Menschen „in seiner Verbundenheit mit der Scholle und seiner Pflichterfüllung gegenüber der Gesamtheit" berücksichtigt werden. 40 Der „Wert" der beteiligten „Volksgenossen" müsse im Interesse eines billigen Ausgleichs auf die Ersatzbemessung durchschlagen.41 In der Bundesrepublik beanstandete man wiederum die Vernachlässigung der Interessen des Schädigers und weiterer berücksichtigenswerter Umstände bei der Bemessung des Ersatzumfangs durch die Fixierung auf den entstandenen Schaden.42 Materielle Wertdifferenzen des ersatzpflichtigen Verhaltens würden durch „abstrahierende Gleichmacherei" ignoriert. 43 31

Bertermann, DJZ 1929, 745; Gierke, Der Entwurf, 266. Cosack/Mitteis, 396. 33 Hartmann, AcP 73 (1888), 309, 363; vgl. Kohler, Lehrbuch, 141. 34 Baur, Entwicklung und Reform, 43; Möller, Summen- und Einzelschaden, 136ff.; vgl. Dölle, DJZ 1934, 1016, 1021. 35 Baur, Entwicklung und Reform, 43 f.; Lange, Heinrich, Vom alten zum neuen Schuldrecht, 32; Möller, Summen- und Einzelschaden, 135. 36 Lange, Heinrich, Liberalismus, 18; Lange, Heinrich, Vom alten zum neuen Schuldrecht, 32. 37 Lange, Heinrich, DJZ 1934, 1297, 1300. 38 Baur, Entwicklung und Reform, 43; vgl. Lange, Heinrich, Vom alten zum neuen Schuldrecht, 82. 39 Lange, Heinrich, DJZ 1934, 1297ff. 40 Lange, Heinrich, Vom alten zum neuen Schuldrecht, 82 f. 41 Lange, Heinrich, Vom alten zum neuen Schuldrecht, 82 f. 42 Hauss, Referat43. DJT, C23, C34; lsele, NJW 1964,1441,1444f.; Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114,133 ff.; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 24; Lange, Hermann, Schadensersatz, 20; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 5 f.; Nipperdey, NJW 1967,1985; vgl. auch: Friese, Haftungsbegrenzung, 79; Huyke, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C 84, C 85. 32

I. Die Kritik

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Dies sei umso misslicher, als durch die technische und soziale Entwicklung, insbesondere das Phänomen des modernen Massenverkehrs, das „Schädigungspotential" 4 4 des Einzelnen erheblich gestiegen sei, während sein „Wiedergutmachungspotential" trotz der Möglichkeit der Versicherungsdeckung dahinter weit zurückbleibe.45 Es bestehe insofern eine „schematisierende Dauergefährdung". 46 Viele Schadensfälle erschienen nur so lange vermeidbar, als man sie als Einzelerscheinungen und nicht als Aktualisierung dieser Dauergefährdung betrachte.47 Zudem habe die Zahl der vertraglichen wie auch der deliktischen Haftungsgründe erheblich zugenommen48 und dehne die Rechtsprechung die Schadensersatzpflicht immer weiter aus.49 Kritisch wurde allerdings angemerkt, das gestiegene Schädigungs- und das geringere Wiedergutmachungspotential sagten noch nichts darüber aus, welcher der beiden Seiten die hieraus erwachsenden Nachteile aufzubürden seien.50 Die Ausdehnung der Haftung durch die Judikatur lasse sich gerade als Reaktion auf den Anstieg der Schädigungsmöglichkeiten deuten. Die Rechtsprechung erhalte auf diese Weise die vom historischen Gesetzgeber beabsichtigte Grenzziehung zwischen dem Schutz der tatsächlich immer stärker gefährdeten Integrität der Rechtsgüter des Geschädigten und der zu diesem Zweck zunehmend einzuengenden rechtlichen Freiheitssphäre des Schädigers.51 Im Ergebnis könne das Prinzip der Totalreparation jedenfalls in Einzelfällen zu mit dem Rechtsgefühl unvereinbaren Unbilligkeiten52 oder gar zu Recht und Gerechtig43 Boehmer, DRZ 1949 8. Beiheft, 20; Isele, NJW 1964,1441,1444; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 24; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 5 f.; Winter, VersR 1967, 334, 337; vgl. auch: Bydlinski, System, 226; Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 116; Lange, Hermann, AcP 152(1952-53), 153, 167. 44 Ausdruck nach Oftinger, FS List, 120, häufig auch als „Schadenspotential" bezeichnet. 45 v.Hippel, JZ 1972, 735; Schmidt, Reimer, FS Felgentraeger, 367, 373f.; Stammberger, DAR 1962, 329, 336f.; Weitnauer, VersR 1963,101, 102; Weitnauer, Der haftungsfreie Raum Rn.23; vgl. auch: LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991,1432,1434; Bühnemann, FG Möller, 135, 137; BMJ, Begründung RefE 1967, 33 f.; Ent, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C91, C94; Goecke, NJW 1999, 2305, 2308; Grünberger, DVZ 1967, 128, 132; Hauss, Referat 43. DJT, C 23; v. Hippel, Schadensausgleich, 28; Huyke, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C 84 f.; Isele, NJW 1964,1441,1449; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 10,24; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 7 f.; Rother, Haftungsbeschränkung, 288. 46 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 10; Lange, Hermann, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C 108, C H I ; vgl. Hauss, Referat 43. DJT, C23. 47 Isele, NJW 1964, 1441, 1449; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 24. 48 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 7 ff. 49 Deutsch, JuS 1967, 152, 156; Deutsch, Grundmechanismen, 47, 76; Deutsch, JZ 1968, 721, 725; Hauss, Referat 43. DJT, C23f.; Lange, Hermann, Schadensersatz, 20. 50 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 106 Fn.71; Wadle, VersR 1971,485,491. 51 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 105. 52 Hübner, Der Referentenentwurf, 65,67; Lanz, Alternativen, 22 f.; Lemhöfer, VersR 1967, 1126, 1134; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 322; vgl. auch: Lange, Hermann, AcP 152

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

keit widersprechenden Ergebnissen53 führen. Es stelle sich bis heute als Frucht „liberalistischen" Denkens dar, das keine sozialstaatliche Korrektur erfahren habe.54 In der verfassungsrechtlichen Diskussion um das Prinzip der Totalreparation wurde darauf hingewiesen, dass im Rahmen des vom Schadensersatzrecht vorzunehmenden Ausgleichs zwischen der Handlungsfreiheit des Schädigers auf der einen und dem Ausgleichs- und Präventionsinteresse des Geschädigten auf der anderen Seite Letzteres eine Überbetonung erfahren habe, obwohl der Freiheit des Schädigers nicht nur ein hohes Gewicht, sondern sogar grundrechtlicher Schutz zukomme. 55 Die Schadensersatzpflicht stelle nämlich einen Eingriff in die Grundrechte des Schädigers dar. 56 Nach Art. 1 III GG sei nicht nur die auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts tätig werdende staatliche Gewalt, sondern auch der Privatrechtsgesetzgeber und der das Privatrecht anwendende und fortbildende Richter unmittelbar an die Grundrechte gebunden.57 Es mache in den praktischen Auswirkungen auch weitgehend keinen Unterschied, ob ein Grundrecht durch eine privatrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Norm berührt werde, da der Betroffene in beiden Fällen in ähnlicher Weise staatlichem Zwang ausgesetzt sei.58 Insofern könnten die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 21 GG 59 , das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 21 i.V. m. 11 GG 6 0 , das Willkürverbot aus Art. 31 GG 61 , Art. 51, III GG 6 2 , Art. 61 GG 63 , Art. 1212 GG 6 4 und sogar Art. 14 GG 65 oder die Menschenwürde nach Art. 1 GG 6 6 durch die Ersatzpflicht berührt sein. Dieser Eingriff sei am Verhältnismäßig(1952-53), 153, 167; Mertens, FamRZ 1968, 130, 131; Schmidt, Reimer, FS Felgentraeger, 367, 373; Stammberger, DAR 1962, 329, 337; Waibel, Die Verschuldensfähigkeit, 164. 53 Goecke, NJW 1999, 2305, 2309; vgl. OLG Celle 18.10.1972, JZ 1973, 246, 248. 54 Kuhlen, JZ 1990, 273, 277; vgl. LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991,1432, 1434. 55 Canaris , JZ 1987, 993, 995. 56 Canaris, JZ 1987,993,995 f., 1001 f.; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 51; Canaris, Diskussionsbeitrag KF 1999, 33 f.; Goecke, Haftung Minderjähriger, 83 ff. 57 Canaris, JZ 1987,993; vgl. auch: Canaris, JZ 1988,494,495; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 51 f.; Goecke, Haftung Minderjähriger, 79; Krause, JR 1994,494,495 f.; Looschelders, Einwirkungen, 93, 94; Ramm, JZ 1988,489. 58 Canaris, JZ 1987, 993. 59 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991,1432,1433; LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 215; Canaris, JZ 1987, 993,995; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 52. 60 BVerfG 13.8.1998, NJW 1998,3557,3558; LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991,1432, 1434; LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 215f.; OLG Celle, 26.5.1989, NJW-RR 1989,791 ff.; Canaris , JZ 1987,993,995; Goecke, Haftung Minderjähriger, 83 f., 258; Kuhlen, JZ 1990, 273, 278 Fn. 60. 61 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433. 62 Canaris, JZ 1987, 993, 996. 63 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433; a. A. Goecke, Haftung Minderjähriger, 82. 64 Canaris, JZ 1987, 993, 996. 65 Canaris, JZ 1987,993,996; a. A. Goecke, Haftung Minderjähriger, 82. 66 LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997,214, 215; OLG Celle, 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 792; Canaris, JZ 1987, 993, 1001.

Die Kritik

keitsprinzip zu messen, das eine Abwägung der konfligierenden Interessen von Schädiger und Geschädigtem gebiete.67 Nach einer Ansicht sollen hierbei privatrechtliche Besonderheiten zu beachten sein.68 So orientiere sich die Rechtsprechung des BVerfG bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen durch privatrechtliche Vorschriften zwar an der bei öffentlich-rechtlichen Eingriffen angewandten dreistufigen Prüfung auf Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit.69 Doch stünden sich im Privatrecht anders als in der klassischen Grundrechtssituation nicht der grundrechtsberechtigte Bürger und die grundrechtsverpflichtete hoheitliche Gewalt gegenüber, sondern typischerweise Privatrechtssubjekte, die sich jeweils auf Grundrechte berufen könnten.70 Denn der Geschädigte habe einen leistungsrechtlichen Anspruch auf den Schutz seiner Grundrechte gegen Schädigungen.71 Hier könne es daher kein grundsätzlich unbeschränktes Freiheitsrecht nach dem Grundsatz „in dubio pro libértate" geben.72 Stets müsse beachtet werden, inwieweit Grundrechte der jeweils anderen Partei zu berücksichtigen seien und daher ein Ausgleich der widerstreitenden, aber möglicherweise grundsätzlich gleichrangigen Grundrechte und sonstigen verfassungsrechtlichen Werte im Wege einer Abwägung gesucht werden. 73 Nach anderer Ansicht stellen kollidierende Interessen anderer Privatrechtssubjekte kein Spezifikum des Privatrechts dar und können damit keine im Vergleich zum Bereich des öffentlichen Rechts grundlegend andersartige Form des Grundrechtsschutzes gegenüber dem Privatrechtsgesetzgeber und der ihn ergänzenden oder gar ersetzenden privatrechtlichen Rechtsprechung rechtfertigen. 74 Jedenfalls müssten bei besonderer Intensität des Eingriffs die Interessen, deren Schutz und Förderung er bezwecke, ihrerseits besonders schutzwürdig sein, um das gewählte Mittel als noch angemessen erscheinen zu lassen.75 Ausgleichs- und Präventionsfunktion könnten dabei unter bestimmten Umständen nicht ausreichen, um eine weit in die Grundrechte des Schädigers eingreifende Ersatzpflicht verfassungsrechtlich zu legitimieren. 76 Entsprechend wurde in der unbegrenzten Ersatz67 Canaris , JZ 1987,993,1001; Canaris , Grundrechte und Privatrecht, 52; Canaris , Diskussionsbeitrag KF 1999,33 f.; Goecke, Haftung Minderjähriger, 84f.; Krause, JR 1994,494,496 i.V.m. 498. 68 Goecke, Haftung Minderjähriger, 84 f. 69 Goecke, Haftung Minderjähriger, 84 f. 70 Goecke, Haftung Minderjähriger, 84f.; Looschelders, VersR 1999, 141, 143; MüKo (§§241-432)-0étfter §249 Rn. 13; Rolfs, JZ 1999, 233 f.; vgl. Medicus, AcP 192(1992), 35, 67, 69. 71 Looschelders, VersR 1999, 141, 143; Looschelders, Einwirkungen, 93, 96f. 72 Goecke, Haftung Minderjähriger, 85. 73 Goecke, Haftung Minderjähriger, 85. 74 Canaris, JZ 1987, 993 f. 75 Goecke, Haftung Minderjähriger, 91; Goecke, NJW 1999, 2305, 2309. 76 Canaris, JZ 1987, 993, 1001 f.

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

pflicht vielfach unter bestimmten Voraussetzungen ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte des Schädigers gesehen.77 Ergänzend wurde ein Konflikt des Grundsatzes der Totalreparation mit dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes angenommen.78 Dem könne79 und müsse80 konsequenterweise auf der Ebene des Zivilrechts Rechnung getragen werden. Auf diese Weise würde das Recht auch der veränderten gesellschaftlichen Wirklichkeit und gewandelten Gerechtigkeitsvorstellungen angepasst.81 b) Vernachlässigung der Einzelfallgerechtigkeit zugunsten der Rechtssicherheit aa) Argumente dafür, die Rechtssicherheit in so weitreichendem Maße zu fördern, wie es der Grundsatz der Totalreparation tut Die Motive und zahlreiche Stimmen in der Literatur führen weiter die durch den Grundsatz der Totalreparation erzeugte Rechtssicherheit als einen entscheidenden Vorzug dieses Prinzips an. 82 Jede andere Form der Ersatzbemessung müsse im Vergleich zu größeren Unsicherheiten hinsichtlich der Höhe des vom Schädiger zu tragenden Schadens führen. 83 Dieses Argument hat sich seither in der Diskussion als eine wesentliche Stütze des Grundsatzes der Totalreparation gehalten. So wurde betont, das Prinzip der Totalreparation gewährleiste in besonderem Maße die Kalkulierbarkeit der Haftungsrisiken. 84 Man könne zwar argumentieren, 77

BVerfG 13.8.1998, NJW 1998, 3557, 3558: Unbegrenzte Haftung Minderjähriger begegnet im Hinblick auf Art. 11 i.V. m. Art. 21 GG verfassungsrechtlichen Bedenken; LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434; LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 215 ff.; OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791; Ahrens, VersR 1997, 1064, 1066; Canaris, JZ 1987, 993, 1001 f.; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 52, 95; Canaris, Diskussionsbeitrag KF 1999, 33 ff.; Fuchs, Deliktsrecht, 76; FrKo InsO-Ahrens § 302 Rn.6; Goecke, NJW 1999, 2305, 2309f.; Kohte, Restschuldbefreiung-Ahrens §302 Rn.6; Koziol, Diskussionsbeitrag KF 1999, 66; Kuhlen, JZ 1990, 273, 278; Looschelders, VersR 1999, 141, 149; Rolfs, JZ 1999, 233, 236, 240f.; Schiemann, Vortrag KF 1999, 5, 8ff.; Soergel Band 2-Mertens Vor §249 Rn.40; vgl. auch: Goecke, Haftung Minderjähriger, 95, 100; v. Hippel, VersR 1998, 26, 27; Palandt-TVicwias §828 Rn.5; Staudinger (§§249-254)-Schiemann Vorbem zu §§249 ff. Rn.32. 78 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433f.; vgl. v.Hippel, VersR 1998, 26, 27. 79 Vgl. BVerfG 13.8.1998, NJW 1998, 3557, 3558. 80 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432ff.; LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214ff.; Canaris, JZ 1987,993,1001 f.; Canaris, JZ 1988,494,497; Kuhlen, JZ 1990,273,279. 81 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434. 82 Motive, Band II., 729; so auch Protokolle, Band II, 515=Mugdan, II. Band., 1077f.; vgl. hierzu Diederichsen, FS Klingmüller, 65, 68. 83 Löwe, VersR 1970, 289, 290; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 105; vgl. auch: Bührke, Verschuldensgrad, 69; Lange, Hermann, Schadensersatz, 20. 84 Hauss, Referat43. DJT, C23, C38; Löwe, VersR 1970,289,290; vgl. Steffen, VersR 1998, 1449, 1452.

Die Kritik

der Schädiger habe sein schädigendes Verhalten unabhängig von der Höhe der drohenden Ersatzverpflichtung zu unterlassen.85 Doch habe ein zu schadensgeneigtem Verhalten gezwungener potentieller Schädiger ein berechtigtes Interesse daran, seine Haftungsrisiken einschätzen und angemessen versichern zu können.86 Das gelte gleichermaßen für die Schadensrisiken des potentiell Geschädigten.87 Zudem könne nur durch eine möglichst genaue Kalkulierbarkeit der Haftungsrisiken die Vertragsgerechtigkeit im Versicherungswesen gewährleistet werden. 88 Das treffe ebenfalls, wenn auch in einem nicht zu überschätzenden Maße, für das Schadensrisiko zu, in dessen Berechnung seitens der Versicherungen auch die zu erwartenden Regressmöglichkeiten eingingen, die sich aus der Überleitung des Schadensersatzanspruchs des Geschädigten auf den Versicherungsträger im Wege der Legalzession ergeben würden. 89 Beide Seiten und die gegebenenfalls hinter ihnen stehenden kollektiven Schadensträger seien auch legitimerweise an einer gesicherten Beurteilung der Prozessaussichten interessiert. 90 Diese habe besondere Bedeutung für die im Schadensersatzrecht praktisch recht häufige außergerichtliche Streitbeilegung. 91 Durch eine flexiblere Regelung werde die Vergleichsbereitschaft ab- und die Prozessbereitschaft zunehmen, da der Schädiger sehr oft versuchen werde, vor Gericht eine Haftungsreduktion zu erlangen. 92 Dies lasse eine Mehrbelastung der Gerichte erwarten. 93 Im Rahmen einer gesamtwirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung wirke sich die durch den Grundsatz der Totalreparation erzielte einfache Schadensabwicklung daher positiv aus.94 Auch habe der Richter unter der Geltung des Prinzips der Totalreparation nicht die Möglichkeit, in subjektive Billigkeitserwägungen und grundsatzlose Kompromisse auszuweichen oder gar zivilrechtsfremde oder außerrechtliche Erwägungen anzustellen, sondern werde gezwungen, die schwierigen Zurechnungsprobleme zu 85

Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 25. Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 25. 87 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 25. 88 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 105 f. 89 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 106. 90 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 25. 91 Schmidt, Reimer, FS Felgentraeger, 367,369; vgl. auch: BDI, Stellungnahme, 4; Erdsiek, Referat KF 1960, 3, 8. 92 Ahrens, VersR 1997, 1064, 1066; Weitnauer, VersR 1963, 101,108; Wolany, DRiZ 1960, 273, 276; vgl. auch: Baur, Diskussionsbeitrag KF 1961, 43; BMJ in einem Telefongespräch mit Thomas Schwamb am 15.11.1977, Schwamb, Reduktionsklausel, 16; BDI, Stellungnahme, 4; Erdsiek, Referat KF 1960, 3,8; Hauss, Referat43. DJT, C23, C38; Lange, Hermann, Schadensersatz, 20; Löwe, VersR 1970, 289, 291; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 105; Schmidt, Eike, Grundlagen, 594; Steffen, VersR 1998, 1449, 1452. 93 Wolany, DRiZ 1960,273,276; vgl. auch: Ahrens, AcP 189 (1989), 526,529; Löwe, VersR 1970, 289, 291; Schmidt, Eike, Grundlagen, 594. 94 Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 168. 86

5 Bartelt

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

durchdenken und zu entscheiden.95 Es drohe zudem eine weitere, nunmehr unpräzise und nebulöse Ausdehnung der Haftung, wenn auf der Rechtsfolgenseite die entspannende Möglichkeit einer nicht näher nachvollziehbaren und daher unkontrollierbaren Billigkeitsermäßigung bestünde.96 Insofern sichere das Prinzip der Totalreparation in hohem Maße eine einheitliche Rechtsanwendung und Gleichbehandlung aller Schädiger.97 Divergierende Entscheidungen könnten dagegen der Autorität des Richters schaden.98 Zusätzlich berge eine flexiblere Regelung in politisch oder anderweitig bedingten Justizkrisen eine höhere Missbrauchsgefahr und auch gegenwärtig schon das Risiko, dass die Parteien mehr um das Wohlwollen des Richters als um das Recht zu streiten hätten.99 Es sei fraglich, ob eine solche Machtfülle des Richters als Staatsorgan mit dem Demokratieprinzip des Art. 201GG vereinbar sei. 100 Zudem könne eine weniger starre Regelung die Neigung erwecken, von exakten Tatsachenfeststellungen abzusehen.101 Schließlich wird auch vorgebracht, die nach geltendem Recht auftretenden Problemfälle, in denen die mittels des Prinzips der Totalreparation erzielten Ergebnisse ungerecht erschienen, seien so selten, dass ein praktisches Bedürfnis für ein Abgehen von diesem Prinzip im Hinblick auf die hiermit verbundenen Einbußen an Rechtssicherheit zu verneinen sei. 102 bb) Argumente dagegen, der Rechtssicherheit ein so hohes Gewicht beizumessen, wie es der Grundsatz der Totalreparation tut Das Prinzip der Totalreparation wurde angesichts der ihm zugrunde liegenden Zielsetzung der Schaffung von Rechtssicherheit schon früh als eine Ausprägung des bürgerlich-liberalen Zeitgeistes des 19. Jahrhunderts angesehen, der die gesamte 95 Hauss, Referat 43. DJT, C23, C38; vgl. auch: Ahrens y AcP 189 (1989), 526,529; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 25; Lange, Hermann, Schadensersatz, 20; Schwamb, Reduktionsklausel, 684; Steffen, VersR 1998, 1449, 1452; Staudinger (§§249-254)-Schiemann Vorbem zu §§249 ff. Rn.27. 96 Schwamb, Reduktionsklausel, 684 f. 97 Hauss y Referat 43. DJT, C 23, C 38; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 25; Löwe, VersR 1970, 289, 290; Schwamb, Reduktionsklausel, 681; vgl. Lange, Hermann, Schadensersatz, 20. 98

Wolanyy

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Langey Hermann, Gutachten 43. DJT, 25.

100

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Wolanyy

D R i Z 1960, 273, 276. D R i Z 1960, 273, 276.

Langey Hermann, Gutachten 43. DJT, 25. 102 Löwe, VersR 1970,289,290; Wadle y VersR 1971,485,486f.; vgl. auch: Bühnemanny FG Möller, 135, 142 i.V.m. 147f.; Kubier, JZ 1968,542,543; Schwamb, Reduktionsklausel (eine umfassende Untersuchung zur praktischen Erforderlichkeit des § 255 a RefE 1967 und entsprechender Vorschläge).

I. Die Kritik

Kodifikation des BGB durchziehe, und der hieran geübten Grundsatzkritik unterworfen: Im Interesse der Berechenbarkeit gerichtlicher Entscheidungen werde die Einzelfallgerechtigkeit vernachlässigt. 103 Das Schadensrecht müsse jedoch seinem Wesen nach als „Recht der Billigkeit" gestaltet sein. 104 Im Nationalsozialismus wurde die starre und schematische Bestimmung des Ersatzumfangs wiederum als „liberalistisch" abgelehnt.105 Zwar fördere die Regelung des BGB die außergerichtliche Streiterledigung, doch könne der Richter, wenn es zum Prozess komme, nicht oder nur gegen das Gesetz den Besonderheiten des zu beurteilenden Lebensverhältnisses gerecht werden. 106 Hier werde die Systematik zum Selbstzweck107, was zu höchst unsozialen Ergebnissen führen könne 108 . Die Gerechtigkeit im Sinne des „Gemeinschaftsgedankens" müsse aber über die starre Rechtssicherheit siegen.109 Die Gefahr der Richterwillkür bestehe auch bei einer freieren Bemessung der Ersatzhöhe nicht, wie die entsprechende Schweizer Praxis 110 zeige.111 Zudem biete „die einheitliche nationalsozialistische Grundeinstellung der Rechtswahrer Gewähr für die Einheitlichkeit der den Einzelentscheidungen zugrundeliegenden Anschauungen". 112 Eine andere Auffassung bewertete demgegenüber das Bedürfnis nach einer einheitlichen Rechtsprechung im Bereich der Ersatzpflichtbemessung von vornherein 103 Vgl. Gierke, Der Entwurf, 198; vgl. aus späterer Zeit: Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 7, 25. 104 Degenkolb, AcP 76 (1890), 1, 80. 105 Baun Entwicklung und Reform, 43 f.; Schlegelberger/Vogels BGB-Weitnauer Vorbem. §249 Rn.24. 106 Baur y Entwicklung und Reform, 18; vgl. Möller y Summen- und Einzelschaden, 140 f. 107 Baur, Entwicklung und Reform, 43. 108 Dalle, DJZ 1934, 1016, 1021; vgl. Möller, Summen- und Einzelschaden, 135 f. 109 Lange, Heinrich, Vom alten zum neuen Schuldrecht, 82; vgl. Stoll, Heinrich, Jahrbuch, 140, 145 i.V.m. 149 f. 110 Die einschlägigen Vorschriften des Schweizer OR, auf die in der deutschen Diskussion um eine Einschränkung des Ersatzumfangs mehrfach Bezug genommen wurde, lauten: Art. 431 OR: „Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hierbei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat." Art.44 OR: „Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden. Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen." 111 Möller, Summen- und Einzelschaden, 139. 112 Möller, Summen- und Einzelschaden, 139.

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

als gering, da hinsichtlich des Kausalzusammenhangs ohnehin kaum ein Fall dem anderen gleiche.113 In der Nachkriegszeit verstärkte sich allgemein die Neigung, die Rechtssicherheit geringer zu bewerten und ein höheres Maß an Einzelfallgerechtigkeit anzustreben. 114 Im Zuge dieser Entwicklung wurde die Kritik an dem starren, sämtliche außerhalb der Schadensentstehung liegenden Gesichtspunkte außer Acht lassenden Grundsatz der Totalreparation erneuert. 115 Im Einzelnen wurde argumentiert, ein Abgehen vom Prinzip der Totalreparation müsse nicht notwendig negative Auswirkungen auf die Vergleichsbereitschaft haben. Bei unsicherem Ausgang des Verfahrens könne die Vergleichsbereitschaft sogar eher zunehmen116, insbesondere die des Geschädigten, der nun nicht mehr darauf vertrauen könne, im Fall einer gerichtlichen Entscheidung den vollen Ersatz zugesprochen zu bekommen.117 Weiter sei zu bedenken, dass sich die Parteien auch nach geltendem Recht regelmäßig erst dann zum Vergleich bereit fänden, wenn das Gericht ihnen die Grundzüge eines möglichen Urteils angedeutet habe. Dies sei ebenso unter einer flexibleren Regelung möglich. 118 Auch dürfe die durch die bestehende Regelung herbeigeführte Rechtssicherheit angesichts fortbestehender Streitfragen der Schadenszurechnung nicht überschätzt werden. 119 Den Gerichten komme zudem im Rahmen der Mitverschuldensberücksichtigung, der Billigkeitshaftung nach § 829 BGB, bei der Festsetzung der billigen Entschädigung für immateriellen Schaden sowie der Beweiswürdigung nach § 287 ZPO schon heute ein weiter Ermessensspielraum zu. 120 Soweit auf dem Gebiet der Schadenszurechnung Rechtssicherheit herrsche, liege dies oftmals weniger an einer klaren gesetzlichen Regelung der Zurechnungsprobleme als an deren Klärung durch eine gefestigte Rechtsprechung.121 Dies könne unter einer weniger starren Regelung ebensogut geschehen.122 Die Rechtsprechung habe zudem durch ihre Rechtsfortbildung im Bereich des Schadensersatzrechts bewiesen, dass von ihr keine Gefahr willkürlicher Entscheidungen ausgehe.123 Überdies enthalte das Prinzip der Totalrepa113

Titze, ZAkDR 1942, 181, 182 f. Goecke, Haftung Minderjähriger, 250f.; Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 120f.; Mager, Diskussionsbeitrag43. DJT, C58, C63; WiIburg, Referat43. DJT, C3, C10; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 325. 115 Hauss, Referat 43. DJT, C 23; Isele, NJW 1964, 1441, 1444f.; vgl. Friese, Haftungsbegrenzung, 79. 116 Bührke, Verschuldensgrad, 68. 117 Mager, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C58, C61; vgl. Schwamb, Reduktionsklausel, 46. 118 Mager, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C58, C63. 119 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 26; vgl. Isele, NJW 1964, 1441, 1445. 120 Bührke, Verschuldensgrad, 67, 69; Bührke, NJW 1959, 1858, 1859; vgl. auch: Goecke, Haftung Minderjähriger, 251; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 26. 121 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 26. 122 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 26; vgl. Bührke, Verschuldensgrad, 69. 123 Bührke, Verschuldensgrad, 68. 114

Die Kritik

ration auch insofern einen hohen Unsicherheitsfaktor, als es das unberechenbare Schicksal über die Ersatzpflicht entscheiden lasse.124 Die Praxis in Staaten mit einer flexibleren Bestimmung des Haftungsumfangs, insbesondere in der Schweiz, zeige zudem, dass sich die hiermit verbundene Rechtsunsicherheit in erträglichen Grenzen halte. 125 Vor allem dürfe man aber von einer gerechteren, flexibleren Regelung nicht deshalb absehen, weil sie hohe Anforderungen an die zu ihrer Verwirklichung berufenen Richter stelle. 126 Die Justiz habe auch in anderen Rechtsgebieten, etwa im Familienrecht 127 oder Strafrecht 128, eine freiere Stellung. Auch wenn die Fälle selten sein mögen, in denen ein Abweichen vom Prinzip der Totalreparation geboten erscheine, so mindere dies doch nicht ihre Tragik für den Betroffenen. 129 Schließlich erkannte die verfassungsrechtliche Diskussion in der Rechtssicherheit einen Verfassungswert, der allerdings gegen die von der Schadensersatzpflicht betroffenen Grundrechte des Schädigers abgewogen werden müsse und gegebenenfalls zurückzustehen habe.130 So habe das BVerfG die Rechtssicherheit in manchen Fällen nicht als gewichtig genug angesehen, um eine weitgehende Beeinträchtigung von Grundrechten rechtfertigen zu können.131 Ergänzend zu der allgemeinen Kritik an der Überbetonung der Interessen des Geschädigten und der Rechtssicherheit durch den Grundsatz der Totalreparation wurde in besonderem Maße eine unzulängliche Berücksichtigung der fünf oben genannten speziellen Gesichtspunkte gerügt. Deren Behandlung in der Rechtspraxis und die hieran geübte Kritik sollen im Folgenden dargestellt werden.

2. Die Beeinflussung der Schadensentstehung durch Umstände, die nicht in der Sphäre des Schädigers liegen a) Die Behandlung der Schadensursachen außerhalb der Schädigersphäre durch die Rechtsprechung Oft wird ein Schaden nicht allein durch den Schädiger herbeigeführt. Zur Schadensentstehung tragen vielmehr eine Vielzahl von Ursachen bei, die weder zum haftungstatbestandsverwirklichenden Verhalten des Schädigers noch zu seinem sozia124 125 126 127 128 129 130 131

Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 26; WiIburg, Referat 43. DJT, C 3, C 10. Goecke, Haftung Minderjähriger, 250; Merz, Diskussionsbeitrag KF 1961,40. isele, NJW 1964, 1441, 1445; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 26. Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 26. Bührke, Verschuldensgrad, 67; Bührke, NJW 1959, 1858, 1859. Vgl. Lange, Hermann, Schadensersatz, 20. Medicus, AcP 192 (1992), 35, 69. Goecke, Haftung Minderjähriger, 95.

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

len Herrschaftsbereich, also zu seiner „Sphäre", zu zählen sind. Diese zusätzlichen Ursachen lassen sich in vier Fallgruppen unterteilen: 1. Mitwirkung des Geschädigten 2. Schadensanlagen in der Sphäre des Geschädigten 3. Mitwirkung Dritter 4. Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos Da die Verursachung des Schadens durch den Schädiger stets die Grundvoraussetzung seiner Verantwortlichkeit ist 132 , die genannten zusätzlichen Kausalfaktoren aber regelmäßig vom Schädiger nicht beeinflusst und auch gar nicht beeinflussbar sind, stellt sich die Frage, inwiefern sie seine Verantwortung für den Schaden und damit seine Haftung mindern können. Diese Frage wurde nicht nur von den Kritikern des Grundsatzes der Totalreparation aufgeworfen, sondern musste auch vielfach von der Rechtsprechung entschieden werden. Die Behandlung der vier Fallgruppen durch die Judikatur soll daher nun in einem Überblick dargestellt werden. aa) Mitwirkung des Geschädigten Die Mitwirkung des Geschädigten bei der Schadensentstehung kann an zwei Stellen der Prüfung eines Schadensersatzanspruchs berücksichtigt werden. Zum einen kann sie sich auf die Zurechnung des Schadens zum Schädiger auswirken, zum anderen im Rahmen der Mitverschuldensberücksichtigung zu einer Anspruchskürzung führen. Letztere wurde oben bereits ausführlich dargestellt. Darauf kann an dieser Stelle verwiesen werden. Im Folgenden wird daher nur auf die Rolle der Mitwirkung des Verletzten bei der Schadenszurechnung eingegangen. Trägt ein Willensentschluss des Geschädigten zur Schadensentstehung bei, so wird dem Schädiger der hieraus resultierende Schaden gleichwohl zugerechnet, wenn die Handlung des Geschädigten entweder durch das schädigende Ereignis „herausgefordert" wurde, also eine übliche und verständliche Reaktion auf dieses darstellt, oder zumindest wesentlich durch die vom Schädiger geschaffene Situation beeinflusst war. 133 Hierzu zählen auch jene Fälle, in denen der Geschädigte den Schaden beim Versuch erleidet, einem anderen in einer vom Schädiger geschaffenen Notsituation zu helfen. 134 132 Binding, Die Normen, 472; Bührke, Verschuldensgrad, 50; Langey Hermann, Schadensersatz, 75; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 34; Motive, Band II., 18 = Mugdan, II. Band., 10. 133 BGH 13.7.1971, BGHZ 57,25,28,30ff.; BGH 29.10.1974, BGHZ 63,189,191 ff.; BGH 12.3.1996, BGHZ 132, 164, 166. 134 BGH 21.2.1978, BGHZ 70, 374, 376; BGH 30.6.1987, BGHZ 101, 215, 218ff.

Die Kritik

Vollkommen unverhältnismäßige Reaktionen des Geschädigten führen dagegen zu einem Wegfall seines Ersatzanspruchs. 135 Dabei ist letztlich unerheblich, ob dieses Ergebnis über die Adäquanz- oder die Schutzzwecktheorie erreicht oder auf eine genaue dogmatische Einordnung verzichtet wird. bb) Schadensanlagen in der Sphäre des Geschädigten Zur Schadensentstehung kann auch eine besondere Schadensanfälligkeit der Rechtsgüter des Geschädigten oder sonstiger schadensersatzrechtlich erheblicher Werte seines Lebensbereiches beitragen. Eine derartige „Schadensanlage" kann insbesondere die Person des Geschädigten selbst aufweisen, indem etwa ihre vom gesunden Durchschnittsmenschen nachteilig abweichende körperliche 136 oder psychische137 Konstitution die Schadensentstehung erst ermöglicht oder die Entwicklung eines besonders hohen Schadens begünstigt. Daneben können sich ein überdurchschnittlich hohes Einkommen des Verletzten138 oder wirtschaftliche Schwierigkeiten eines geschädigten Unternehmens139 auf die Höhe des Schadens auswirken. Auch die schadensgeneigte physische Beschaffenheit 140 einer beschädigten Sache oder ihr vom Standpunkt eines in durchschnittlichen Vermögensverhältnissen lebenden Schädigers äußerst hoher Wert 141 können von Einfluss auf Entstehung und Größe des Schadens sein. Regelmäßig schließen solche Schadensanlagen in der Sphäre des Geschädigten die Zurechnung des Schadens zum Schädiger nicht aus.142 Es gilt der Grundsatz, dass der Schädiger den Geschädigten so zu nehmen hat, wie er ihn antrifft. Hätte die Schadensanlage binnen kurzem den Schaden eigenständig herbeigeführt, so ist dies allerdings im Rahmen der Differenzhypothese zu berücksichtigen. 143 Darüber hinaus lehnt die Rechtsprechung nur in Fällen extrem ungewöhnlicher Schadensanlagen eine Ersatzpflicht hinsichtlich der hierdurch mitverursachten Schadensfolgen ab 144 , wobei die dogmatische Begründung des Ergebnisses wiederum sekundär ist. 135

BGH 13.7.1971, BGHZ 57, 25, 30ff.; BGH 29.10.1974, BGHZ 63, 189, 192f. BGH 6.6.1989, BGHZ 107, 359, 363; BGH 30.4.1996, BGHZ 132, 341, 345. 137 BGH 29.2.1956, BGHZ 20, 137, 141; BGH 30.4.1996, BGHZ 132, 341. 138 Lange, Schadensersatz, 131; MüKo (§§241-432)-0erter §249 Rn. 133. 139 BGH 5.7.1963, VersR 1963, 1161, 1162. 140 BGH 27.1.1981, BGHZ 79, 259, 263; BGH 25.6.1992, NJW 1992, 2884, 2885. 141 Medicus, NJW 1989, 1889; MüKo (§§241-432)-Oe^r §249 Rn. 133. 142 BGH 10.4.1963, BGHZ 39,313,315; BGH 11.6.1974, NJW 1974,1510; BGH 30.4.1996, BGHZ 132, 341. 143 BGH 1.2.1994, BGHZ 125, 56, 62; BGH 27.4.1995, NJW-RR 1995, 936, 937. 144 RG 4.7.1938, RGZ 158, 34, 38f.;BGH 3.2.1976, NJW 1976, 1143, 1144. 136

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

cc) Mitwirkung Dritter Die Mitwirkung dritter Personen bei der Schadensentstehung kann in unterschiedlicher Weise für die Ersatzpflicht des Schädigers bedeutsam werden. Zum einen kann es sich um Personen handeln, deren Verhalten dem Schädiger nach den §§ 31,278,83011, II BGB zuzurechnen ist oder etwa nach § 831 BGB eine Haftung aus vermutetem eigenen Verschulden des Schädigers begründen kann. Eine derartige Mitwirkung Dritter wirkt sich ersatzpflichtbegründend und nicht -mindernd für den Schädiger aus. Die Mitwirkung entsprechender Personen aufseiten des Geschädigten wird im Rahmen der Mitverschuldensabwägung, wie oben beschrieben, zu dessen Lasten berücksichtigt. Daneben können Dritte aber auch die Schadensentstehung beeinflussen, wenn ihr Verhalten nicht durch gesetzliche Normen einer der beiden Seiten zugeordnet ist. Der Schädiger muss sich hier den durch das Verhalten des Dritten entstandenen Schaden zurechnen lassen, sofern solches in der von ihm geschaffenen Gefahrenlage erfahrungsgemäß vorkommt. 145 Die Handlung des Dritten kann dabei rechtmäßig oder rechtswidrig sein und in beiden Fällen sogar auf Vorsatz beruhen 146. Insbesondere hat der Schädiger auch für Fehlleistungen von Personen einzustehen, die der Geschädigte zur Schadensabwicklung und -beseitigung heranzieht. 147 Bei besonders grobem, nach wertender Betrachtung allein dem Dritten zuzurechnenden Fehlverhalten kann jedoch die Ersatzpflicht des Schädigers entfallen. 148 dd) Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos In allen Fällen, in denen die genannten oder sonstige zusätzliche Faktoren zur Schadensentstehung beigetragen haben, kann deren Einfluss auf den Kausalverlauf so gewichtig gewesen sein, dass der Schaden bei einer wertenden Beurteilung nicht mehr dem Schädiger, sondern dem allgemeinen Lebensrisiko des Geschädigten zuzurechnen ist und daher vom Schutzzweck des Haftungstatbestandes nicht mehr erfasst wird. 149 Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Schaden in keinem inneren Zusammenhang zum haftungsbegründenden Verhalten des Schädigers steht, sondern lediglich eine zufällige äußere Verbindung zu diesem aufweist. 150 Wenn die 145

BGH 9.3.1965, BGHZ43, 178, 181; BGH 10.12.1996, NJW 1997, 865f. BGH 28.1.1992, NJW 1992, 1381, 1382; BGH 10.12.1996, NJW 1997, 865f. 147 BGH 23.10.1951, BGHZ 3, 261, 268; BGH 29.10.1974, BGHZ 63, 182. 148 BGH 23.10.1951, BGHZ 3, 261,268; BGH 20.9.1988, NJW 1989, 767, 768. 149 BGH 7.6.1968, NJW 1968, 2287f.; vgl. BGH 17.9.1991, NJW 1991, 3275f. m. w.N. 150 BGH 23.10.1984, NJW 1985, 791 f. m.w.N.; vgl. BGH 17.9.1991, NJW 1991, 3275 f. m. w.N. 146

Die Kritik

vom Schädiger gesetzte Ursache bei wertender Betrachtung also völlig unerheblich erscheint, wird in diesen Fällen terminologisch etwas unscharf auch von einer „Unterbrechung des Kausalzusammenhangs" gesprochen.151 Im Übrigen bleibt es bei der vollen Ersatzpflicht des Schädigers. ee) Zusammenfasssung Aus der Betrachtung der Behandlung der außerhalb der Schädigersphäre liegenden Kausalfaktoren durch die Rechtsprechung ergibt sich folgende generelle Leitlinie für ihre Berücksichtigung in der Rechtspraxis: Grundsätzlich haben diese Faktoren keinen Einfluss auf die Schadenszurechnung. Der Schädiger bleibt ihrer ungeachtet zum vollen Ersatz des Schadens verpflichtet. Nur in den extremen Fällen, in denen sein Verursachungsbeitrag bei wertender Beurteilung vollkommen unerheblich erscheint, entfällt seine Haftung hinsichtlich der betreffenden Schadensfolgen, dann allerdings vollständig. Die Möglichkeit einer quantitativen Haftungsbegrenzung bietet sich nur in jenen Fällen der Mitwirkung des Geschädigten, in denen es zu einer Mitverschuldensabwägung kommt. Ansonsten bleibt es beim Allesoder-Nichts-Prinzip, wobei der Schwerpunkt auf dem „Alles" liegt, der Schädiger in der Regel also den vollen Schaden zu ersetzen hat. Die Kritik an der grundsätzlichen Außerachtlassung dieser Umstände bei der Bemessung des Ersatzumfangs soll im Folgenden dargestellt werden. Zu Beginn werden wiederum auch die für die gegenwärtige Rechtslage sprechenden Gesichtspunkte wiedergegeben. b) Die Kritik am Prinzip der Totalreparation im Hinblick auf die Behandlung der Schadensursachen außerhalb der Schädigersphäre aa) Argumente gegen eine stärkere Berücksichtigung der Schadensursachen außerhalb der Schädigersphäre bei der Ersatzpflichtbemessung Gegner einer stärkeren Berücksichtigung der genannten Umstände bei der Feststellung des Umfangs der Ersatzpflicht führen ins Feld, dass die Intensität des den Schädiger treffenden Unrechtsvorwurfs aus der Sicht des Geschädigten keine wesentliche Rolle spiele.152 Wenn der Geschädigte zur Entstehung des Schadens nichts beigetragen habe und gleichzeitig Zurechnungsfaktoren vorhanden seien, die den Schaden der Risiko151 152

BGH 16.2.1972, BGHZ58, 162, 165 f.; BGH 14.3.1985, NJW 1986, 1329, 1331. Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 172.

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Sphäre des Schädigers zuwiesen, sei nicht ersichtlich, weshalb der Geschädigte einen Teil des Schadens selbst tragen solle. 153 Durch eine Ausdehnung der Mitverschuldensabwägung auf objektiv verkehrsrichtige Handlungen würden dem sozialen Verkehr und der Persönlichkeitsentfaltung unerträgliche Schranken auferlegt. 154 Auch eine Erweiterung der Mitverschuldensberücksichtigung auf die Anrechnung nicht mit einer Gefährdungshaftung belegter Gefahren in der Sphäre des Geschädigten sei aus Gründen der Rechtsklarheit und der Gleichbehandlung von Schädiger und Geschädigtem abzulehnen.155 Soweit der Schädiger danach für solche Schadensfolgen hafte, die trotz ihrer Adäquanz von ihm selbst nicht vorauszusehen und zu vermeiden waren, werde ihm lediglich das Risiko auferlegt, das mit jedem Handeln nun einmal verbunden sei. 156 Besondere Schadensanlagen aufseiten des Geschädigten bedeuteten für ihn im Rahmen der Adäquanz Zufall, bzw. Glück oder Unglück. 157 Dies könne das primär dem Ausgleich des Verlustes des Geschädigten dienende Schadensersatzrecht, von Extremfällen abgesehen, jedoch nicht verhindern. 158 Dazu komme, dass die Risikoverteilung zwischen Schädiger und Geschädigtem bereits im Haftungsrecht vorgenommen werde. 159 Für Korrekturen der haftungsrechtlichen Abgrenzung der Verantwortungsbereiche sei daher im haftungsausfüllenden Schadensrecht kein Raum mehr. 160 Andernfalls würden Ausgleichs- und Zurechnungsfragen unzulässig miteinander vermischt. 161 Man könne auch nicht die Ursächlichkeit bei der Prüfung des Haftungstatbestandes bejahen und dann bei der Feststellung des Haftungsumfanges hiervon Abstriche machen, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln. 162 Eine proportionale Kausalität zwischen der Schwere des Fehlverhaltens und den Schadensfolgen sei im Grunde auch nicht belegbar. 163 Ein andersartiges Kausalitätsverständnis, wie es etwa im Rahmen des § 254 BGB zur Anwendung komme, könne als sog. Alltagstheorie abgetan werden. 164 153

Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 172. Weidner, Die Mitverursachung, 45. 155 Schwamb, Reduktionsklausel, 152 ff. 156 Larenz, Referat KF 1959, 10, 11. 157 Medicus, VersR 1981, 593, 601, 603. 158 Medicus, VersR 1981, 593, 601. 159 Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 168, 172 f. 160 Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 168, 172f.; vgl. Mager, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C58f. 161 Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 172 f. 162 Mager, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C58f. 163 Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 172; vgl. Larenz, JuS 1965, 373, 379. 164 Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 172 Fn.52. 154

Die Kritik

Es fänden sich zudem zu sämtlichen Fallgruppen der durch Zusatzursachen beeinflussten Kausalverläufe schon de lege lata für einen Teil der Fälle akzeptable Lösungsmöglichkeiten, die das Bedürfnis nach einer stärkeren Berücksichtigung der Zusatzfaktoren bei der Ersatzbemessung mindern würden. 165 Zu nennen seien hier insbesondere das Verschuldenserfordernis, die Adäquanz- und die Schutzzwecktheorie, § 254 BGB sowie der interne Ausgleich unter mehreren Schädigern. 166 In der verfassungsrechtlichen Diskussion um das Prinzip der Totalreparation spielen die außerhalb der Schädigersphäre liegenden Schadensursachen nur eine untergeordnete Rolle. Es wird die Ansicht vertreten, dass man zwar daran denken könne, einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte des Schädigers anzunehmen, wenn die Ersatzpflicht außer Verhältnis zu den Haftungsvoraussetzungen stehe, etwa in außergewöhnlichen Fallgruppen der Zurechnung. 167 Doch vernachlässige dies das berechtigte Interesse des Geschädigten, einen vollständigen Ausgleich seines Schadens zu erhalten. 168 Auch wenn das Gewicht der Zurechnungsgründe gering sein sollte, so sei der Geschädigte doch außer in den Fällen des Mitverschuldens vollkommen „unschuldig". 169 Es ließe sich lediglich ein Verfassungsgebot ermitteln, in Fällen der „Mitverantwortung" des Geschädigten nicht dem Schädiger den gesamten Schaden aufzubürden. 170 Da die Mitverschuldensberücksichtigung spiegelbildlich zur Schädigerhaftung ausgestaltet sei, folge das geltende Schadensersatzrecht insofern jedoch einem stimmigen Konzept, das verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden könne.171 Zudem zeige sich gerade im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität mit ihren vielfältigen Problemfällen, zu welchen Aussichtslosigkeiten eine alle zivilrechtlichen Probleme verfassungsrechtlich überhöhende Sichtweise führen würde. 172 Daher müsse eine Haftung schon dann als grundrechtsgemäß angesehen werden, wenn den Schädiger nur eine irgendwie geartete Verantwortlichkeit für den Schaden treffe. 173 Detailliertere Fragen der Haftungsvoraussetzungen könnten dagegen nur auf der Ebene des einfachen Rechts beantwortet werden. 174

165 166 167 168 169 170 171 172 173 174

Schwamb, Reduktionsklausel, 55, 666f. Schwamb, Reduktionsklausel, 667 ff. Krause, JR 1994, 494, 497; vgl. MüKo (§§ 105-853)-Mertens Vor §§ 823-853 Rn. 77. Looschelders, VersR 1999, 141, 144. Looschelders, VersR 1999, 141, 144. Krause, JR 1994, 494,499. Looschelders, VersR 1999, 141, 144f. Vgl. Krause, JR 1994,494, 497. Krause, JR 1994,494,497. Krause, JR 1994, 494, 497.

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

bb) Argumente für eine stärkere Berücksichtigung der Schadensursachen außerhalb der Schädigersphäre bei der Ersatzpflichtbemessung Die Kritiker des Prinzips der Totalreparation rügen oftmals pauschal die Ignorierung „der Umstände" des Schadensfalls durch das Prinzip der Totalreparation, ohne dass sich zweifelsfrei feststellen ließe, was damit konkret gemeint ist. 175 Hierunter können sowohl die hier besprochenen zusätzlichen Kausalfaktoren verstanden werden als auch sonstige Gesichtspunkte, insbesondere die weiteren speziellen Anknüpfungspunkte der Kritik in Form eines geringen Verschuldens des Schädigers, der Auswirkungen von Schadensfall und Ersatzpflicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten sowie der Minderjährigkeit des Schädigers. Für die Frage nach einer stärkeren Berücksichtigung der hinzutretenden Verursachungsbeiträge liefern diese Stellungnahmen keine neuen Argumente, so dass im Folgenden nur die speziell auf diesen Gesichtspunkt bezogenen Äußerungen berücksichtigt werden. Entsprechend wird auch bei den weiteren in besonderem Maße von der Kritik betonten Aspekten verfahren. In ihrer allgemeinsten Form rügt die Kritik an der Behandlung der Schadensursachen außerhalb der Schädigersphäre durch das Prinzip der Totalreparation die unzureichende Berücksichtigung des bei der Schadensentstehung mitwirkenden Zufalls. 176 Auch wenn es nicht möglich sei, den Einfluss des Zufalls durch Rechtsnormen vollständig „auszuschalten", müsse eine um größtmögliche Rationalität bemühte Rechtsordnung versuchen, dessen besonders extreme Auswirkungen in umfassender Abwägung der einschlägigen Rechtsprinzipien abzumildern. 177 Insofern stünden sich im Schadensersatzrecht auf der einen Seite die Gründe für die Haftung des Schädigers, insbesondere das Ziel der Schadensprävention, und auf der anderen Seite die Verhinderung gravierender wirtschaftlicher Belastungen infolge der Setzung geringfügiger Schadensursachen („Risikoabsorptionsprinzip") und das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit gegenüber.178 Letzteres verlange zu verhindern, dass Vermögenslose mit immensen Haftpflichten gegenüber Vermögenden belastet werden könnten, während dies umgekehrt viel weniger zutreffe. 179 175 Akademie für Deutsches Recht, Entwurf, 90,92; Baur y Entwicklung und Reform, 18,53; Bertermann, DJZ 1929, 745, 746, 749; Dölle, DJZ 1934, 1016, 1021; Gierke, Der Entwurf, 198, 267; Lange, Heinrich, Liberalismus, 18; Nipperdey, Leitsätze, 11, 15; Nipperdey, NJW 1967,1985; Reinhardt, Die Billigkeitshaftung, 64,85 ff.; Riezler, Jherings Jahrbücher 53,177, 206 f.; Stoll, Heinrich, Jahrbuch, 140,150; vgl. auch: v.Bar, Gutachten, 1681,1762,1774; Kohler, Lehrbuch, 141; Larenz, Formulierungsvorschlag einer Reduktionsklausel KF 1968, zitiert bei Bydlinski, JB1. 1968, 330; Protokolle, Band II, 567, 574. 176 Bydlinski, System, 226 Fn. 238, 227ff.; Kohler, Lehrbuch, 140f.; Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 117f.; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 24, 26; Lange, Hermann, Schadensersatz, 20; Lanz y Alternativen, 22f.; Lorenz, JZ 1961,433,439; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 5 f., 60f., 95 ff.; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481, 497f.; vgl. auch: v.Liszt, Deliktsobligationen, 110; Looschelders, VersR 1996,529,536 f.; Ritgen, Diskussionsbeitrag KF 1962,27; Scheffler, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C95f.; Wolany, DRiZ 1960, 273, 274 Fn. 15. 177 Bydlinski, System, 227. 178 Bydlinski, System, 227 i.V.m. 229.

Die Kritik

Je geringfügiger der Kausalbeitrag des Schädigers (und die sonstigen Haftungsgründe) im Einzelfall seien, desto geringer sei im Rahmen der gebotenen Prinzipienabwägung das Gewicht der für die Ersatzpflicht sprechenden Prinzipien und desto stärker wögen die entgegenstehenden Prinzipien des Schädigerschutzes und der sozialen Gerechtigkeit. 180 Es stelle sich daher die Frage, ob in Fällen, in denen sich aus einem geringfügigen schadensursächlichen Verhalten infolge des in erheblichem Umfang mitwirkenden Zufalls ein extrem hoher Schaden entwickle, nicht eine Abstufung des Haftungsumfangs dem richtigen Verständnis der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzrechts entspräche und die interessengerechteste Lösung darstellte. 181 Hier habe den Geschädigten neben dem Unrecht auch Unglück getroffen 182, etwa in Form seiner eigenen schadensanfälligen Konstitution, eines Naturereignisses oder eines mitursächlichen, nicht zur Haftung heranziehbaren Dritten. 183 Diese Bedenken würden durch das Anwachsen des Schädigungspotentials und die Ausdehnung der Haftung noch verstärkt. 184 Das menschliche Zusammenleben sei mit Risiken verbunden, die nicht immer in vollem Umfang auf den Ersatzpflichtigen abgewälzt werden könnten.185 So sei fraglich, ob die Folgen des von allen mitgeschaffenen Gesamtrisikos etwa bei Massenverkehrsunfällen allein dem Schädiger auferlegt werden sollten. 186 Es stelle daher keine unbillige Vernachlässigung der Interessen des Verletzten dar, wenn er in derartigen Fällen einen Unglücksanteil selbst zu tragen habe.187 Insofern komme der Grundsatz des „casum sentit dominus" 188 zum Tragen. 189 Betrachte man nur den Geschädigten, so möge dies hart erscheinen. 190 Doch könne die Ersatzpflicht den Schädiger ebenso hart, wenn nicht härter treffen. 191 179

Bydlinski, System, 227. BydlinskU System, 227, 233. 181 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 61, 95 f.; vgl. auch: BydlinskU JB1. 1968, 330, 331 ff.; Hauss, Referat 43. DJT, C23, C36f., C41, C44f.; Kötz, Gutachten, 1779, 1808; Weitnauer, Der haftungsfreie Raum Rn. 23. 182 Hauss, Referat 43. DJT, C23, C36f., C41; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 24,34; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 60 f., 96; vgl. Lange, Hermann, Schadensersatz, 20. 183 Hauss, Referat 43. DJT, C23, C37; vgl. auch: Bydlinski, JB1. 1968, 330, 331 f.; Hauss, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C105f.; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 102ff., 117f. 184 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 24 i.V.m. 7ff.; vgl. Weitnauer, Der haftungsfreie Raum Rn.23. 185 Hamann, Schadensberechnung, 21. 186 Weyers, Unfallschäden, 586; vgl. Prölss, Diskussionsbeitrag KF 1962, 25 f. 180

187

Hauss, Referat 43. DJT, C23, C41; vgl. Bydlinski, JB1. 1968, 330, 332. Zweifelnd hierzu: Lorenz, Diskussionsbeitrag KF 1999, 71, 72. 189 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 104; Bydlinski, System, 229 f. 190 Hauss, Referat 43. DJT, C23, C41; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 60 f. 191 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 61; vgl. auch: Hauss, Referat43. DJT, C23, C41; Stoll, Consequences, 146. 188

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

An diese Erwägungen zur Rolle des Zufallsmoments bei der Schadensentstehung schließen sich Überlegungen zu einer sachgerechten Berücksichtigung des Gewichts des Ursachenbeitrags des Schädigers an. Diese stehen im Einzelnen in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen, die von einem grundlegenden Neuaufbau des Schadensersatzrechts mit einer Bestimmung des Ersatzumfangs nach dem Gewicht der Haftungsgründe und weiterer Gesichtspunkte192 bis hin zu mehr oder weniger eng gefassten Reduktionsklauseln mit im Einzelnen divergierenden Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen 193 reichen. Mehrheitlich ist man jedoch der Auffassung, dass aus Gründen der Praktikabilität grundsätzlich am Prinzip der Totalreparation festgehalten werden sollte. 194 Nur in wiederum im Einzelnen unterschiedlich definierten Ausnahmefällen solle dem Gewicht der Ursächlichkeit größere Bedeutung für den Ersatzumfang beigemessen werden. 195 Diesbezüglich finden sich folgende Erwägungen: Es entspreche menschlicher Erfahrung, dass es Unterschiede in der Intensität der kausalen Verknüpfung zwischen zwei Ereignissen gebe, die sich allerdings theoretisch nicht eindeutig definieren ließen.196 Dabei gehe es nicht um die einer Wertung unzugängliche natürliche Kausalität, sondern um die Adäquität. 197 Die Adäquanztheorie verkenne diesbezüglich allerdings, dass sich die Unterschiede kausaler Verknüpfungen stets nur als quantitative und nicht als qualitative erfassen ließen.198 Allgemein habe sich die Dogmatik der Schadenszurechnung beim Zusammentreffen mehrerer Ursachen bisher lediglich bemüht, unter Ausschaltung al192 Wilburg, Elemente, 28f.,40, lOlf.,243,283ff.; Wilburg, Bewegliches System, 12ff.,22; Wilburg, Referat 43. DJT, C 3, C11 ff. 193 BMJ, Wortlaut RefE 1967, 2 und Begründung RefE 1967, 43 ff. (zustimmend v.Caemmerer, Gefährdungshaftung, 23); Bydlinski, JB1. 1958, 1, 5 ff.; Bydlinski, JB1. 1968, 330, 331 ff.; BydlinskU System, 225 ff.; Hauss, Referat 43. DJT, C 23, C 32f., C 37, C40ff.; Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114ff.; Lemhöfer, VersR 1967, 1126, 1134; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur; Weitnauer, Referat KF 1961, 32, 33ff.; vgl. Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 36 f., 60. 194 BMJ, Begründung RefE 1967, 41 f.; Bydlinski, JB1. 1958, 1, 6; Bydlinski, System, 228; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 27; Larenz, Diskussionsbeitrag KF 1968, referiert von BydlinskU JB1. 1968, 330, 331; vgl. auch: v.Caemmerer, Gefährdungshaftung, 23; Lange, Heinrich, AcP 156(1957), 114,133ff.; Lemhöfer, VersR 1967, 1126,1134; zweifelnd BydlinskU JB1. 1968, 330, 331 f. 195 BMJ, Wortlaut RefE 1967, 2 und Begründung RefE 1967, 41 ff. (zustimmend v. Caemmerer, Gefährdungshaftung, 23); BydlinskU JB1. 1958, 1, 6f.; BydlinskU System, 229, 233; Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 133 ff.; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 37, 60; Lemhöfer, VersR 1967, 1126, 1134; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 129; vgl. BydlinskU JB1. 1968, 330, 331 f. 196 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 25 f.; vgl. auch: BydlinskU System, 226; Weitnauer, FS Wahl, 109, 116. 197 BydlinskU JB1. 1968, 330, 332; vgl. Titze, ZAkDR 1942, 181, 182. 198 BydlinskU JB1. 1958, 1, 5 ff.; BydlinskU JB1. 1968, 330, 332; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 29 f., 72; Wilburg, Referat43. DJT,C3,C 12; vgl. auch: Titze, ZAkDR 1942,181,182; Wilburg, Elemente, 242f.; zu denfließenden Übergängen zwischen zurechenbarer Schadensverursachung und allgemeinem Lebensrisiko Diederichsen, Referat KF 1985,4, 21.

Die Kritik

ler sonstigen Umstände festzustellen, ob der Ursachenbeitrag des Schädigers als zurechnungsbegründende Verursachung zu werten sei. 199 Die hierdurch erzielte Jaoder-Nein-Antwort verhindere eine Anpassung der Ersatzpflicht an die Besonderheiten des schädigenden Verhaltens und des von ihm in Gang gesetzten Schadensverlaufs 200 und führe insofern zu willkürlichen Ergebnissen.201 Demgegenüber dürften Unterschiede im Grad der das Selbstverantwortungsprinzip konkretisierenden Kausalität aus Gründen der Gerechtigkeit bei der Ermittlung des Ersatzumfangs nicht außer Acht gelassen werden. 202 Dem könne in sachgerechter Weise durch eine Haftungsabstufung entsprochen werden. 203 Es lasse sich insofern auch aus der grundsätzlichen Trennung der Verantwortungs- und Risikobereiche durch das Haftungsrecht rechtslogisch kein Verbot einer Schadensteilung im Bereich der Haftungsausfüllung herleiten. 204 Zwar sei die Beurteilung des Grades der Ursächlichkeit ein schwieriges theoretisches Problem, wie sich schon bei der Adäquanztheorie gezeigt habe.205 Doch böte der Vergleich mit den zusätzlichen Kausalfaktoren einen Anhaltspunkt und habe sich eine entsprechende Vorgehensweise auch im Rahmen der Mitverschuldensberücksichtigung als praktikabel erwiesen. 206 Durch die klar angebbaren Verursachungsproportionen führe diese Vorgehensweise jedenfalls über bloßes Ermessen oder reine „Billigkeit" hinaus.207 Es diene zudem einer widerspruchsfreien Schadenszurechnung, den Grundsatz der Verursachungsabwägung, wie er im Rahmen der Mitverschuldensberücksichtigung Anwendung finde, auch auf sonstige Fälle der Mitwirkung nicht vom Schädiger beeinflusster Ursachen zu übertragen. 208 Dabei seien neben dem haftungsbegründenden Verhalten auch alle weiteren Kausalfaktoren in der Sphäre des Schädigers zu dessen Lasten zu berücksichtigen. 209 199 Bertermann, JW 1923, 903,904; Wilburg, Referat 43. DJT, C3, C13; vgl. auch: LorenzMeyer, Haftungsstruktur, 29f.; Titze, ZAkDR 1942, 181, 182. 200 Bydlinski, JB1. 1958, 1,5; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 5f.; vgl. auch: Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 133; Wilburg, Elemente, 242f. 201 Bydlinski, JB1. 1968, 330, 332; vgl. Wilburg, Referat 43. DJT, C 3, C 13. 202 Bydlinski, System, 226; vgl. auch: Bydlinski, JB1. 1958, 1, 6 ff.; Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114ff.; Wilburg, Referat 43. DJT, C3, C 13. 203 Bydlinski, JB1. 1958, 1, 6ff.; Bydlinski, JB1. 1968, 330, 331 f.; Bydlinski, System, 226; Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 133ff.; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 72, 102ff.; Stall, Heinrich, Jahrbuch, 140,150; Wilburg, Referat43. DJT, C3, C11 ff.; vgl. auch: Lehmann, Schuldverhältnisse, IV,Titze, ZAkDR 1942,181,182; Wilburg, Elemente, 242f.; Wilburg, Bewegliches System, 12 ff. 204 Lange, Hermann, Schadensersatz, 20. 205 Wilburg, Referat 43. DJT, C 3, C12. 206 Wilburg, Referat 43. DJT, C3, C 12; vgl. auch: Bydlinski, JB1. 1968, 330, 332; Lorenz, JZ 1961,433,439. 207 Bydlinski, System, 231. 208 CosacklMitteis, 396. 209 Bydlinski, JB1.1958,1,6f.; Wilburg, Elemente, 28f., 40,101 f., 243,283f.; Wilburg, Referat 43. DJT, C3, C 12, C15, C 19f.

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§

Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Lägen solche Umstände auf der Seite des Geschädigten vor, wirkten sie sich haftungsmindernd aus. 210 Es ließen sich in diesem Sinne drei Zurechnungsbereiche unterscheiden: Die Verantwortungssphäre des Schädigers, diejenige des Geschädigten und eine dritte, gewissermaßen neutrale Sphäre, von der äußere Verursachungsbeiträge erfasst würden, wie etwa Handlungen Dritter, bei denen es sich nicht um mit dem Schädiger gemeinschaftlich zusammenwirkende Mittäter handele.211 Die Ursachen der neutralen Sphäre seien eher zu Lasten des Geschädigten als des Schädigers zu berücksichtigen. 212 Zwar sprächen Schadensprävention und wirtschaftliche Zweckmäßigkeit dafür, grundsätzlich den Schädiger mit den Folgen dieser Umstände zu belasten.213 Sei jedoch bei geringem Gewicht der Haftungsgründe eine Haftungsmilderung angebracht, müsse insofern eine „Umpolung" der Selbstverantwortung erfolgen und die äußeren schadensbegünstigenden Zufallsumstände nach dem Grundsatz des „casum sentit dominus" 214 dem Geschädigten zugerechnet werden. 215 Bei der Gewichtung der Ursachen sei folgendermaßen vorzugehen 216: Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sei auf der Grundlage der Kenntnis aller (auch der erst ex post festgestellten) Tatsachen der Sphäre des Haftenden, aber nur auf Grund der vor dem schädigenden Vorgang erkennbaren Tatsachen der anderen Sphären zu beurteilen. Anschließend sei entsprechend mit der Sphäre des Geschädigten und der neutralen Sphäre zu verfahren. Die Gewichtung nach der schlichten Adäquität enthielte demgegenüber wegen deren rein prognostischer Sicht, die allein auf die im Voraus objektiv erkennbaren Umstände abstelle, wieder eine zu große Zufallskomponente. Gegenüber mehreren, gesamtschuldnerisch haftenden Schädigern solle ähnlich verfahren werden wie im Rahmen der Mitverschuldensberücksichtigung. 217 Zunächst sei die Ersatzverpflichtung eines jeden Schädigers im Wege einer Einzelabwägung festzulegen. 218 Die Höhe des Anspruchs des Geschädigten gegen die Schädiger als Gesamtschuldner sei dann im Rahmen einer Gesamtabwägung zu ermitteln. 219 Besondere Aufmerksamkeit widmet die Kritik den Schadensursachen in der Risikosphäre des Geschädigten. Bestehen diesbezüglich wiederum vielfaltige Unter210 Binding, Die Normen, 472; Bydlinski, System, 229ff.; Wilburg, Elemente, 101 f., 244, 283 f.; Wilburg, Bewegliches System, 14; Wilburg, Referat 43. DJT, C 3, C 12, C15, C20. 2.1 Wilburg, Referat 43. DJT, C3, C13 ff.; vgl. Bydlinski, System, 229 ff. 2.2 Bydlinski, System, 229 ff.; Wilburg, Referat 43. DJT, C 3, C 13 f. 213 Bydlinski, System, 229. 214 Zweifelnd hierzu: Lorenz, Diskussionsbeitrag KF 1999, 71, 72. 2,5 Bydlinski, System, 229 f. 216 Bydlinski, System, 231 unter Bezugnahme auf Wilburg, Elemente 42,136,243; vgl. Bydlinski, JB1. 1958, 1,6 f. 217 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 116. 218 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 116. 219 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 116 f.

Die Kritik

schiede im Detail, so ist man sich doch einig, dass eine stärkere Berücksichtigung dieser Umstände bei der Ersatzbemessung notwendig sei. 220 Die Haftungselemente im Verantwortungsbereich des Geschädigten seien weit umfassender, als es die Regelung des § 254 BGB anerkenne.221 Denn es erscheine fraglich, ob jeder seinen Mitmenschen Verhaltenspflichten und Haftungsrisiken aufdrängen könne, indem er wertvolle oder schadensanfällige Güter in den Verkehr bringe 222 oder allgemein Gefahren 223 oder jedenfalls „besondere Gefahren" 224 begründe. Der Grundgedanke der Mitverschuldensberücksichtigung, dass eine angemessene Schadensteilung zu erfolgen habe, wenn bei der Schadensentstehung Umstände in der Risikosphäre des Geschädigten mitgewirkt haben, sei insofern einer Ausdehnung auf alle Fälle der Mitwirkung entsprechender außergewöhnlicher Schadensfaktoren zugänglich, so etwa bei einem außergewöhnlichen Wert des geschädigten Objekts, einem ungewöhnlich hohen Einkommen des Geschädigten oder dessen Prädisposition für Verletzungen. 225 Auch in den Fällen der „übermäßigen Selbstgefährdungen" des Geschädigten müssten Haftungsminderungen erfolgen, selbst wenn diese im Falle der Drittschädigung keine Haftung nach sich zögen.226 Denn die Zahl der bestehenden Gefährdungshaftungen sei anerkanntermaßen zu eng, und das in diesem Bereich bestehende Enumerationsprinzip erscheine wegen seiner willkürlichen Grenzziehungen zweifelhaft. 227 Hierfür sprächen zudem folgende Erwägungen 228: Die Schadenszu220

Büning, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C90; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht Rn.581; Flume, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C 80, C 82f.; Gernhuber, AcP 152 (1952-53), 69, 76f.; Görgens, JuS 1977, 709, 713ff.; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 17, 24f., 27, 38; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 186 ff.; Michaelis, Beiträge, 59 ff., 114,119,124 f., 126f., 129, 136 ff., 150, 163; Reinhardt, Die Billigkeitshaftung, 64, 89; Schmidt, Esser/ Schmidt, Schuldrecht AT/2, 276ff.; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481, 497f., 502; Stoll, Consequences, 148 f.; Weidner, Die Mitverursachung, 47 ff.; Winter, VersR 1967,334,337; vgl. auch: v.Hippel, FS v.Hippel, 233,237 f.; Medicus, AcP 192 (1992), 35,68; MüKo (§§705-853)-Mertens Rn. 77; Weyers, Unfallschäden, 586. 221 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 24 f. 222 Weyers, Unfallschäden, 586; vgl. Winter, VersR 1967, 334, 337. 223 Flume, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C80, C82f.; vgl. auch: v.Hippel, FS v.Hippel, 233, 237 f.; Prölss, Diskussionsbeitrag KF 1962, 25 f. 224 Gernhuber, AcP 152 (1952-53), 69,77; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 24f.; vgl. Görgens, JuS 1977, 709, 713ff. 225 Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481,497 f.; Stoll, Consequences, 149; vgl. auch: Medicus, AcP 192 (1992), 35, 68; Michaelis, Beiträge, 59ff., 114, 119, 124f., 126f., 129, 136ff., 150, 163; einschränkend Weidner, Die Mitverursachung, 47 ff.; zum Grundgedanken des §254 BGB BGH 11.5.1971, JZ 1972,122,123 (dagegen Selb, Anm.zuBGH,JZ 1972,122, JZ 1972,124, 125). 226 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht Rn.581; Görgens, JuS 1977,709,713 ff.; vgl. auch: Gernhuber, AcP 152 (1952-53), 69, 76f.; Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 278ff. 227 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht Rn. 581. 228 Gernhuber, AcP 152 (1952-53), 69, 76f. 6 Bartelt

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

rechnung zum Eigentümer erfolge grundsätzlich bereits aufgrund seiner Sachzuständigkeit. Er habe daher im Gegensatz zum sachfremden Schädiger jeden von ihm verursachten Schaden zu tragen, ohne dass weitere Haftungsvoraussetzungen erfüllt sein müssten. Zwar könne man nun hieraus nicht schließen, dass es dem Ziel des § 254 BGB, einen Ausgleich zwischen mehreren Personen herbeizuführen, die in näherer Beziehung zum Schaden stehen, entspreche, dass aufseiten des Geschädigten schon die reine Mitverursachung genüge, um eine Mitverschuldensabwägung auszulösen. Denn so wie § 840 BGB beim internen Ausgleich zwischen mehreren Schädigern eine Schadensverteilung auf Grund einer Bewertung der Haftungsgründe vornehme, müsse auch für die Mitverschuldensberücksichtigung eine Wertung der Haftungsgründe erfolgen. Insofern sei aus der kategorischen Abkehr des BGB vom reinen Veranlassungsprinzip zu folgern, dass zwar nicht dieses, aber doch der Grundsatz der Gefährdungshaftung als das strengste Haftungsprinzip, das das Gesetz beim sachfremden Täter anerkenne, Eingangspforte für den Geschädigten in die Mitverschuldensabwägung sein müsse. Für eine erweiterte Berücksichtigung der Schadensursachen in der Sphäre des Geschädigten spreche zudem, dass dieser am ehesten sein Schadensrisiko kenne und sich dementsprechend versichern könne. 229 Zugleich seien ihm die mit wachsendem Risiko steigenden Prämien noch am ehesten zuzumuten.230 In der verfassungsrechtlichen Diskussion wird es für denkbar gehalten, dass das Prinzip der Totalreparation angesichts des unter den komplexen modernen Verhältnissen oftmals in erheblichem Umfang bei der Schadensentstehung mitwirkenden Zufalls unter Umständen mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip unvereinbar sein könnte. 231 Die oben vorgestellte Forderung nach einer Bemessung des Ersatzumfangs entsprechend dem Gewicht der Ursächlichkeit (und sonstiger Haftungsgründe) könne daher in bestimmten Fällen verfassungsrechtlich geboten sein. 232 3. Eine geringe Schuld des Schädigers a) Die Behandlung einer geringen Schuld des Schädigers durch die Rechtsprechung Nach geltendem Recht stellt das Verschulden des Schädigers lediglich eine Haftungsvoraussetzung im Rahmen der Tatbestände der Verschuldenshaftung dar, 229

Vgl.: Krause, Peter, Gutachten, 80; Michaelis, Beiträge, 61; Prölss, Diskussionsbeitrag KF 1962, 25 f. 230 Vgl. Krause, Peter, Gutachten, 80. 231 Looschelders, VersR 1996, 529, 536f. 232 Bydlinski, System, 231, 233; vgl. MüKo (§§ 105-S53)-Mertens Vor §§ 823-853 Rn. 77, der § 254 BGB erweiternd als „Soziabilitätsschranke" verstehen möchte und dies auf das verfassungsrechtliche Übermaßverbot und das Sozialstaatsprinzip stützt.

I. Die Kritik

nimmt jedoch bei einmal begründeter Haftung grundsätzlich keinen Einfluss auf deren Umfang. Einer etwaigen Geringfügigkeit des Schädigerverschuldens kann daher nicht mittels einer Beschränkung des Ersatzpflichtumfanges Rechnung getragen werden. 233 Dabei nimmt das BGB durchaus eine differenzierte Beurteilung des Schädigerverschuldens vor. So unterscheidet es zwei Verschuldensformen: Vorsatz und Fahrlässigkeit. Letztere wird wiederum in einfache und grobe Fahrlässigkeit sowie die Außerachtlassung der eigenüblichen Sorgfalt unterteilt. Der Vorsatz als schwerste Schuldform wird als Wissen und Wollen der objektiven Haftungstatbestandsmerkmale definiert. 234 Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Schädiger das Maß an Umsicht und Sorgfalt nicht eingehalten hat, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger des in Betracht kommenden Verkehrskreises zu beachten ist. 235 Im Interesse des Vertrauensschutzes im Rechtsverkehr gilt somit ein objektiver Sorgfaltsmaßstab.236 Grobe Fahrlässigkeit setzt dagegen einen auch in subjektiver Hinsicht besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die verkehrserforderliche Sorgfalt voraus. 237 Eine Missachtung der eigenüblichen Sorgfalt im Sinne des § 277 BGB wird gleichfalls anhand eines subjektiven, auf Veranlagung und gewohnheitsmäßiges Verhalten des Schädigers abstellenden Maßstabs beurteilt. 238 Allerdings werden die Unterschiede im Verschulden des Schädigers nur im Haftungsrecht berücksichtigt: Als Grundsatz gilt hier, dass der Schädiger Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat, vgl. insbesondere die §§276,823,839 BGB. In Ausnahme hierzu beschränken die §§3001,521,599,680 und 968 BGB die Haftung des Schädigers auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Und nach den §§ 690, 708, 1359, 1664,2131 BGB hat der Schädiger nur für die Missachtung derjenigen Sorgfalt einzustehen, welche er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. Im Rahmen der einzelnen Haftungsnormen braucht sich das jeweils erforderliche Verschulden regelmäßig lediglich auf die Verwirklichung des betreffenden Haftungstatbestandes zu beziehen, nicht jedoch auf die Herbeiführung des Schadens.239 233

BGH 17.9.1959, VersR 1959, 1000, 1002. Vgl. BGH 8.2.1965, NJW 1965, 962,963. 235 BGH 15.11.1971, NJW 1972,150, 151; vgl. OLG Köln 11.1.1990, NJW-RR 1990, 793. 236 BGH 11.4.2000, NJW 2000, 2812, 2813; vgl. BGH 21.5.1963, BGHZ 39, 281, 283. 237 BGH 12.1.1988, NJW 1988, 1265, 1266; BGH 30.1.2001, NJW 2001, 2092, 2093. 238 Vgl. BGH 1.3.1988, BGHZ 103, 338, 346. 239 Vgl.: BGH 20.3.1961, BGHZ 34,375,381; BGH 20.11.1979, BGHZ 75,328,329; BGH 8.2.1972, VersR 1972,491,492. 234

6*

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Liegen die Haftungsvoraussetzungen danach vor, bestimmt sich der Umfang der Ersatzpflicht im Grundsatz nach § 2491 BGB, ohne dass der Intensität des Verschuldens Rechnung getragen würde. 240 Einzig bei der Bemessung der Entschädigung für immateriellen Schaden im Sinne des § 253 I BGB 2 4 1 und im Rahmen der Mitverschuldensberücksichtigung 242 kommt eine Berücksichtigung des Verschuldensgrades des Schädigers in Betracht. Diese grundsätzliche Außerachtlassung des Ausmaßes des Verschuldens des Schädigers bei der Bemessung des Umfanges seiner Ersatzpflicht ist einer der ältesten Ansatzpunkte der Kritik am Prinzip der Totalreparation, die nun dargestellt werden soll. b) Die Kritik am Prinzip der Totalreparation im Hinblick auf die Behandlung einer geringen Schuld des Schädigers aa) Argumente gegen eine stärkere Rücksichtnahme auf die Geringfügigkeit des Verschuldens des Schädigers bei der Ersatzpflichtbemessung Gegen eine schuldabhängige Differenzierung des Ersatzumfangs spreche in erster Linie, dass diese mit dem Ausgleichsgedanken des Schadensersatzrechts unvereinbar sei. 243 Sie sei nur durch dem Zivilrecht fremde, moralisierende oder strafrechtliche Erwägungen zu erklären, die jedoch das Interesse des Geschädigten am Ersatz des vollen Schadens unabhängig von der Schuld des Schädigers außer Acht ließen.244 Eine Aufnahme des Pönalgedankens in das Schadensersatzrecht wäre aber ein Rückschritt gegenüber dem in Jahrhunderten mühsam erarbeiteten Trennungsprozess von Straf- und Zivilrecht. 245 Im Schadensersatzprozess fehlten zudem auch die für eine Bestrafung nötigen Garantien. 246 So möge eine Proportionalität von Ersatzumfang und Schuld zwar sachgemäß erscheinen, solange man allein den Schädiger betrachte, doch wäre es unangemessen, dem gänzlich schuldlosen Geschädigten einen Teil des Schadens aufzuerle240

Vgl. BGH 17.9.1959, VersR 1959, 1000, 1002. Vgl. BGH 16.2.1993, NJW 1993, 1531 f. zur Schmerzensgeldbemessung nach §847 BGB, der durch das „Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften" vom 19.7.2002 (BGBl. 12674) mit Wirkung vom 1.8.2002 aufgehoben wurde. 242 BGH 29.1.1969, NJW 1969, 789, 790. 243 Gruchot, Beiträge, 472f.; Hohloch, Gutachten, 375, 453, 458; vgl. Schmidt, Esser/ Schmidt, Schuldrecht AT/2, 172. 244 Gruchot, Beiträge, 472f.; Motive, Band II., \li.=Mugdan, II. Band., 10; vgl. auch: Esser, Schuldrecht AT, 267 f.; Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, 167 f.; Protokolle, Band II, 575; Rother, Haftungsbeschränkung, 289 Fn. 1; Schmidt, Eike, Grundkurs, 170. 245 Lange, Hermann, Schadensersatz, 12. 246 Lange, Hermann, Schadensersatz, 12. 241

Die Kritik 247

gen. Man könne auch nicht den Grundsatz „casum sentit dominus" auf das Verhältnis des schuldlosen Geschädigten zu dem (wenn auch vielleicht nur leicht) schuldhaft handelnden Schädiger erstrecken, ohne ihm seinen ursprünglichen Sinn zu nehmen.248 Zudem habe die Proportionalitätslehre in den Fällen der Schadensverursachung im Wege vorsätzlichen Rechtsbruchs keine praktische Bedeutung, da sie hier stets zum vollen Schadensersatz führe. 249 Sie erwecke aber auch im Hinblick auf die Fahrlässigkeitshaftung heftige Zweifel. 250 Denn in vielen Fällen basiere der Vorwurf der Fahrlässigkeit auf der Missachtung von Verhaltensregeln, die vom Gesetzgeber oder von der Rechtsprechung aufgestellt wurden, um den Gefahren der Technologie oder des Massenverkehrs entgegenzuwirken. 251 Daher seien diese Verhaltensregeln sehr weit gefasst und erforderten ein hohes Maß an Sorgfalt. 252 Wer diese Sorgfaltsanforderungen nicht einhalte, müsse nach deren Zwecksetzung das entsprechende Schadensrisiko in seiner Gänze tragen, auch wenn ihn nur ein geringer Verschuldensgrad treffe. 253 Die Verschuldenshaftung nähere sich bei diesen Sorgfaltsanforderungen der verschuldensunabhängigen Haftung, bei der die Proportionalitätslehre vollkommen unanwendbar sei. 254 Eine regelmäßige Haftungsreduktion in solchen Fällen würde diese Entwicklung konterkarieren. 255 Überdies sei es praktisch schwierig, die Ersatzpflicht nach dem Grad der Schuld zu bemessen.256 Die Proportionalitätslehre berge daher das Risiko eines widersprüchlichen Fallrechts 257 und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit.258 Darüber hinaus begründe sie die Gefahr, dass ein geringfügiges Verschulden unrichtigerweise noch leichter als bisher angenommen werde, da man anschließend den Schaden ja teilen könne und die Konsequenzen für den Schädiger daher nicht so gravierend seien.259 247

Mataja, Das Recht des Schadensersatzes, 33ff.; vgl. Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 172. 248 Esser, Schuldrecht AT, 268. 249 Stoll, Consequences, 146; vgl. Hohloch, Gutachten, 375,457f. 250 Hohloch, Gutachten, 375,458; Stoll, Consequences, 146. 251 Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481,491; Stoll, Consequences, 146f. 252 Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481, 491; Stoll, Consequences, 147; vgl. Hohloch, Gutachten, 375,458. 253 Hohloch, Gutachten, 375,458; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481,491; Stoll, Consequences, 147; vgl. Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 106. 254 Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481,491; Stoll, Consequences, 147. 255 Stall, RabelsZ 34 (1970), 481,491; vgl. Hohloch, Gutachten, 375,458. 256 Stoll, Consequences, 147. 257 Stoll, Consequences, 147. 258 Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481,491. 259 Flume, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C 80, C 81 f.; Scheffler, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C95, C96, C99f.; vgl. Rother, Haftungsbeschränkung, 289.

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Die Erfahrungen der Rechte, die den Ersatzumfang nach dem Grad des Verschuldens bemäßen, sprächen ebenfalls nicht für eine solche Unterscheidung. 260 Eine starre Verbindung des Schadensersatzumfangs mit einer bestimmten Schuldform sei historisch überholt, unpraktikabel 261, differenziere mehr oder weniger willkürlich und werde der Komplexität der zu beurteilenden Situation nicht gerecht. 262 Insbesondere stünden das Verschulden des Schädigers und der Schaden entgegen den im PrALR zum Ausdruck gekommenen naturrechtlichen Vorstellungen nicht in einem „inneren Zusammenhang unmittelbarer wechselseitiger Abhängigkeit". 263 Die Bemessung der Ersatzumfangs nach dem jeweiligen Verschuldensgrad im Wege einer richterlichen Ermessensentscheidung sei gleichfalls nicht zu empfehlen, wie das Beispiel der Schweiz zeige. 264 Auch die Schweizer Praxis handhabe die ihr eingeräumte Freiheit in der Ersatzbemessung restriktiv und gehe im Grundsatz von dem der Theorie von der Proportionalität an sich nicht zugrunde liegenden Prinzip der Totalreparation aus.265 Sie erhalte auf diese Weise einen fixen Ausgangspunkt, von dem aus sich Ausnahmen bilden ließen, wodurch ein Auseinanderfließen der Praxis in eine unübersichtliche Kasuistik vermieden werde. 266 Gegen eine Proportionalität von Haftungsumfang und Intensität des fraglichen Verletzungseingriffs spreche schließlich auch die Einsicht, dass im Schadensrecht selbst keine Ausgleichs- und Verteilungsdiskussion mehr vorgenommen werden sollte. 267 Diese müsse schon im Haftungsrecht geführt werden, wo die gegenläufigen Interessen kompromisshaft aufeinander abzustimmen seien.268 Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Diskussion um den Grundsatz der Totalreparation wird bemerkt, dass man nicht auf eine denkbare Disproportion der zivilrechtlichen zu den strafrechtlichen Sanktionen abstellen könne, um die Unverhältnismäßigkeit des Grundsatzes der Totalreparation zu begründen. 269 Im Gegensatz zum Strafrecht, das einen „gerechten Schuldausgleich" bezwecke und daher die Strafhöhe nach dem Maß der Schuld bestimme, diene das Schadensersatzrecht primär dem Schadensausgleich.270 Selbstverständlich könne das Zivilrecht daher stren260

Hohloch, Gutachten, 375,453. Dernburg, Lehrbuch, 277f.; Hohloch, Gutachten, 375, 455; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 101; vgl. auch: Bührke, Verschuldensgrad, 51 f., 95 f.; Müller-Erzbach, AcP 106(1910), 309,315. 262 Stoll, Consequences, 146; vgl. auch: Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 125; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481, 488,494. 263 Bührke, Verschuldensgrad, 51 f.; Eccius, Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht, 556; Gruchot, Beiträge, 470ff.; vgl. Schmidt, Eike, Grundkurs, 170. 264 Hohloch, Gutachten, 375,455 ff. 265 Hohloch, Gutachten, 375,456f. 266 Hohloch, Gutachten, 375,457. 267 Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 168. 268 Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2, 168. 269 Medicus, AcP 192 (1992), 35, 65 Fn. 112. 27 0 Looschelders, VersR 1999, 141, 144; vgl. Medicus, AcP 192 (1992), 35, 65 Fn. 112. 261

Die Kritik

ge Sanktionen vorsehen, wo das Strafrecht überhaupt nicht reagiere, etwa bei Vertragsverletzungen. 271 Auch wenn das Gewicht des Schädigerverschuldens gering sein sollte, so sei der Geschädigte doch außer in den Fällen des Mitverschuldens vollkommen „unschuldig". 2 7 2 Da die Mitverschuldensberücksichtigung spiegelbildlich zur Schädigerhaftung ausgestaltet sei, ergebe sich insofern nach geltendem Recht ein stimmiges Konzept des Schadensersatzrechts. 273 Die Außerachtlassung des Gewichts des Verschuldens des Schädigers bei der Entscheidung über den Umfang der Haftung nach dem Grundsatz der Totalreparation begegne daher keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken.274 bb) Argumente für eine stärkere Rücksichtnahme auf die Geringfügigkeit des Verschuldens des Schädigers bei der Ersatzpflichtbemessung Die Kritik am Prinzip der Totalreparation bemängelt allgemein, dass die grundsätzliche Außerachtlassung des Verschuldensgrades bei der Ersatzbemessung der materiellen Gerechtigkeit ebenso wie dem Rechtsempfinden zuwiderlaufe. 275 Demgegenüber würde es dem Verantwortungsgedanken entsprechen, die Ersatzpflicht nach dem Grad des Verschuldens zu bemessen.276 Das Schuldmoment weise nämlich eine innere Gliederung auf, die eine einheitliche Bewertung jeden Verschuldens nicht zulasse.277 27 1

Medicus, AcP 192 (1992), 35, 65 Fn. 112. Looschelders, VersR 1999, 141, 144. 27 3 Looschelders, VersR 1999, 141, 144 f. 27 4 Looschelders, VersR 1999, 141, 144. 27 5 Baur, Entwicklung und Reform, 18 f., 43 ff.; Boehmer, DRZ 1949 8. Beiheft, 20; Bührke, Verschuldensgrad, 45f.; Gierke, Der Entwurf, 198, 266; lsele, NJW 1964, 1441, 1444f., 1449; Lange, Heinrich, Vom alten zum neuen Schuldrecht, 32, 80ff.; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 33 f.; Möller, Summen- und Einzelschaden, 1, 135 ff.; Rabel, Warenkauf I, 507; vgl. auch: Bührke, NJW 1959, 1858; Bydlinski, JB1. 1958, 1, 6; v.Caemmerer, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C71, C77; 43. DJT, Beschluß, C 121 = 43. DJT, JZ 1960, 760; Dölle, DJZ 1934, 1016, 1021; Friese, Haftungsbegrenzung, 70, 79; Hartmann, AcP 73 (1888), 309, 359f., 362; Heck, Schuldrecht, 55; Hoeniger, Gemischte Verträge, 309f.; Lange, Heinrich, Liberalismus, 18; Lange, Hermann, AcP 152 (1952-53), 153, 167; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 106f.; Mertens, FamRZ 1968, 130, 131; Nipperdey, Die Generalklausel, 36,48; Nipperdey, NJW 1967, 1985; Riezler, Jherings Jahrbücher 53, 177, 207; Rümelin, Der Zufall im Recht, 51 f.; Scheffen, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C 101; Scheffen, DAR 1991, 121, 125; Stammberger, DAR 1962, 329, 336f.; Steffen, VereR 1998, 1449, 1452; Stoll, Heinrich, Jahrbuch, 140, 150; Weitnauer, Diskussionsbeitrag KF 1964, 43; Wilburg, Referat 43.DJT, C3, CIO. 27 6 Bydlinski, System, 226; Felgentraeger, Vertrag und Unrecht, 240; Lange, Heinrich, AcP 156(1957), 114, 133 ff. 27 7 Bührke, Verschuldensgrad, 53; vgl. auch: Bydlinski, System, 226; Wilburg, Referat 43. DJT, C 3, C18. 27 2

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Das hinter der Außerachtlassung des Verschuldensgrades bei der Ersatzbemessung stehende Motiv, die Rechtsordnung von sittlichen Wertungen weitestgehend freizuhalten, erkläre sich aus den freiheitlichen Anschauungen des 19. Jahrhunderts, die von dem Bestreben geprägt gewesen seien, die freie sittliche Entfaltung der Persönlichkeit so wenig wie möglich zu beschränken.278 Heute sei jedoch kein zwingender Grund mehr hierfür ersichtlich. 279 Auch sei zu bedenken, dass der Gedanke der Proportionalität von Schuld und Haftung eine lange, erst durch die Pandektistik des 19. Jahrhunderts durchbrochene Tradition habe und der Grundsatz der Totalreparation rechtshistorisch daher nur bedingt legitimiert sei. 280 Wollte man die Ablehnung moralisierender Gesichtspunkte durch die Motive konsequent umsetzen, dürfe das Verschulden genau genommen überhaupt nicht als Grund zivilrechtlicher Haftung anerkannt werden. 281 Aber auch das vom BGB befolgte Verschuldensprinzip bezwecke, dem Schädiger die Möglichkeit zur tätigen Initiative zu erhalten, indem es dessen Haftung an seine Verantwortlichkeit knüpfe. 282 Die Belastung des potentiellen Schädigers dürfe daher bei konsequenter Umsetzung dieses Gedankens niemals zu einer überdurchschnittlichen Einengung seines Freiheitsspielraums führen. 283 Dagegen verwirre das in der Schadenszurechnung aller adäquaten Folgen liegende Zufallsmoment den Sinn der Verschuldenshaftung, da die Ersatzpflicht unter Umständen nur noch das Unglück, nicht aber das Unrecht des Schadensstifters erkennen lasse.284 Diese Bedenken verstärkten sich durch die oben geschilderten tatsächlichen und rechtlichen Veränderungen im Bereich des Schadensersatzrechts. 285 Es müsse insofern eine stufenweise Einengung der Verschuldenshaftung erfolgen, um die Schuld, die die Menschheit in ihrer Gesamtheit aufgrund der Schaffung großer Gefahrenquellen, wie des Verkehrs, treffe, bürgerlich-rechtlich richtig zu erfassen. 286 Die Möglichkeit der Haftungsreduktion bei leichter Fahrlässigkeit böte zudem einen Ausgleich dafür, dass im Haftungsrecht aus Gründen des Verkehrsschutzes ein objektiver Sorgfaltsmaßstab gelte und damit dem Schuldprinzip eine Einbuße zugefügt werde. 287 Niemand könne sich heute so verhalten, dass er eine im Sinne des objektivierten und überspannten Sorgfaltsmaßstabs der Rechtsprechung „fahr27 8

Bührke, Verschuldensgrad, 52 f. Bührke, Verschuldensgrad, 53. 280 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434. 281 Wilburg, Referat 43. DJT, C 3, C9f.; vgl. Friese, Haftungsbegrenzung, 68. 282 Wadle, VersR 1971, 485,490f. 283 Wadle, VersR 1971,485,490. 284 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 24; vgl. auch: Hauss, Referat 43. DJT, C 23, C 34; Isele, NJW 1964, 1441, 1444f. 285 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 24 i.V.m. 7ff.; vgl. Isele, NJW 1964, 1441, 1445. 286 Ent, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C91, C94f. 287 Hauss, Referat 43. DJT, C23, C42. 27 9

Die Kritik

lässige" Schädigung mit nur einiger Sicherheit vermeide und so dem Risiko unabsehbarer Haftungsfolgen entgehe.288 Der Präventionsgedanke werde durch eine Bemessung des Ersatzumfangs nach dem Verschuldensgrad nicht vernachlässigt, denn es werde ja gerade das Maß der Schuld berücksichtigt. 289 Auch sollte man die Präventionswirkung des Haftungsrechts angesichts des oftmals bestehenden Versicherungsschutzes nicht überbewerten. 290 Müsse der Schädiger den Schaden dagegen aus eigenen Mitteln ersetzen, bleibe auch die beschränkte Haftung noch abschreckend genug.291 Bereits das geltende Recht mache zudem in den §§ 827, 828, 829 BGB auch bei Fahrlässigkeit des Schädigers Ausnahmen von der vollen Ersatzpflicht und erkenne damit an, dass andere Schutzzwecke dem Schutz des Geschädigten vor fahrlässigen Schädigungen übergeordnet sein könnten.292 Die Kritik an der Außerachtlassung des Verschuldensgrades des Schädigers durch das Prinzip der Totalreparation setzt sich weiter in erheblichem Umfang mit dem Verhältnis des Schadensersatzrechts zum Strafrecht auseinander. Dabei wird die Behandlung des Verschuldens im Strafrecht teilweise als vorbildlich für das Schadensersatzrecht angesehen.293 Da die Schuld des Schädigers Voraussetzung seiner Haftung sei, solle sie konsequenterweise ähnlich wie im Strafrecht auch den Umfang der Ersatzpflicht beeinflussen. 294 Auch solle die volle Schadensersatzpflicht entsprechend der Beschränkung der strafrechtlichen Haftung auf vorsätzliche Schädigungen auf vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten beschränkt werden. 295 Auf diese Weise würden Wertungswidersprüche zum Strafrecht vermieden, die sich andernfalls ergäben, da der Schadensersatz tatsächlich eine Strafe bleibe. 296 Andere begründen demgegenüber die Berücksichtigung des Verschuldensgrades bei der Schadensersatzbemessung unabhängig vom Strafrecht. Eine Abstufung des Haftungsumfangs nach dem Verschuldensgrad zwinge noch keineswegs dazu, den 288

Krause, Peter, Gutachten, 80. Hauss, Referat 43. DJT, C23, C41 f. 290 Hauss, Referat 43. DJT, C23, C42. 291 Hauss, Referat 43. DJT, C23, C42; vgl. Goecke, Haftung Minderjähriger, 77, 250. 292 Goecke, Haftung Minderjähriger, 77; vgl. Lorenz, VersR 1989, 711. 293 Bertermann, JW 1923,903,904; Hauss, Referat43. DJT, C23, C34, C38f.; Mager, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C58, C59f.; Stoll y Heinrich, Jahrbuch, 140, 150; vgl. auch: Bertermann, DJZ 1929, 745 ff.; Hepp, Die Zurechnung, 110ff.; v. lhering y Das Schuldmoment, 155, 217f. 294 Vgl.: Hepp y Die Zurechnung, 1 lOff.; v.Ihering, Das Schuldmoment, 155, 217f.; Mager, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C58, C59f. 295 Stoll y Heinrich, Jahrbuch, 140, 150. 296 Bertermann y JW 1923, 903, 904; vgl. Bertermann y DJZ 1929, 745 ff. 289

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

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Schadensersatz als Strafe aufzufassen 297, obwohl dies historisch oft geschehen sei. 298 Der Einfluss des Verschuldensgrades auf das Strafmaß und den Ersatzumfang sei vielmehr eine gemeinsame Erscheinung beider Rechtsgebiete, die jedoch unterschiedliche Gründe habe.299 Während der Verschuldensgrad im Strafrecht den Umfang der Sühne festlege 300, diene er im Schadensersatzrecht als Maßstab, nach dem der Schaden auf den Schädiger und den Geschädigten verteilt werde 301 , und helfe, der Verstrickung beider Seiten in das Unglück gerecht zu werden. 302 Doch verliere der Schadensersatzanspruch dadurch nicht seine Abhängigkeit vom Schaden, dessen Wert er nicht übersteigen dürfe. 303 Grund der Verschuldenshaftung sei weiterhin nicht, dass das Verschulden strafende Vergeltung verdiene, sondern dass das schuldhafte Verhalten ein Versagen gegenüber den Verhaltensanforderungen der Rechtsordnung darstelle, das zur Störung der geschützten Rechtssphäre eines anderen führe. 304 Auch könne eine eingeschränkte Ersatzpflicht ebenso gut primär dem Schadensausgleich dienen wie eine den gesamten Schaden umfassende, so dass der Ersatzpflicht bei Bestehen einer Haftungsreduktionsmöglichkeit nicht zwingend eine Straf- oder Genugtuungsfunktion zukommen müsse.305 Der Grad der Verwerflichkeit und Sozialschädlichkeit der Tat sei zudem in Wahrheit auch im Zivilrecht fast stets berücksichtigt worden. 306 So fände sich der Gedanke der Proportionalität von Schuld und Haftung bereits nach geltendem Recht im Rahmen des § 254 BGB. 3 0 7 Und auch an anderen Orten außerhalb des Schadensersatzrechts werde die Schwere des Verschuldens bei der Verteilung ziviler Lasten beachtet, etwa im EBV. 308 In der Möglichkeit, den Verschuldensgrad bei der Festsetzung der Schadensersatzpflicht für immaterielle Schäden zu berücksichtigen, sieht die Rechtsprechung sogar einen entscheidenden Vorzug gegenüber der Regelung der Ersatzpflichthöhe bei materiellen Schäden, die eine derartige Rücksichtnahme nicht vorsehe. 309 Zudem spiele die Schwere des Verschuldens in manchen Entschei297

Bührke, Verschuldensgrad, 60f., 98f.; Bührke, NJW 1959,1858,1859; Friese, Haftungsbegrenzung, 67 f.; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 33 f.; Lorenz, JZ 1961,433,439; Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung, 9; Stoll, Consequences, 146; Wolany, DRiZ 1960, 273, 274 Fn. 16; vgl. auch: Hamann, Schadensberechnung, 21 f.; Lange, Hermann, Schadensersatz, 13; Rabel, Warenkauf I, 507; Wadle, VersR 1971,485,490. 298 Vgl. Lange, Hermann, Schadensersatz, 13. 299 Bührke, Verschuldensgrad, 64; Bührke, NJW 1959, 1858, 1859. 300 Bührke, Verschuldensgrad, 64; Bührke, NJW 1959, 1858, 1859. 301 Bührke, Verschuldensgrad, 64; Bührke, NJW 1959, 1858, 1859. 302 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 34; Michaelis, Beiträge, 49, 126. 303 Bührke, Verschuldensgrad, 63; Bührke, NJW 1959,1858,1859; Stoll, Consequences, 146. 304 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 97 Fn. 33. 305 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 97 Fn.33; vgl. auch: Hamann, Schadensberechnung, 21; Wadle, VersR 1971,485,490. 306

Rabel, Warenkauf I, 507; vgl. Wolany, DRiZ 1960, 273, 274 Fn. 16. Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 34; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 186; vgl. Lange, Hermann, Schadensersatz, 13. 308 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 34. 309 BGH 6.7.1955, BGHZ 18, 149, 158. 307

Die Kritik

düngen unausgesprochen und damit rationaler Kontrolle entzogen eine Rolle. 310 So sei es natürlich, dass bei der Handhabung der aufgrund ihres hypothetischen Elements stets mit einem Unsicherheitsfaktor versehenen Differenzhypothese in den Fällen leichter Schuld größere Zurückhaltung bei der Bejahung eines Schadens gezeigt werde als bei schwerer Schuld des Schädigers.311 Wenn nach dem Gesagten der Verschuldensgrad künftig (offen) eine Rolle bei der Ersatzbemessung spielen soll, so stellt sich die Frage, wie die verschiedenen Verschuldensgrade zu behandeln sind. Oft wird diesbezüglich ein Ausschluss einer Haftungsreduktionsmöglichkeit für die Fälle vorsätzlicher 312 und grob fahrlässiger 313 Schadensverursachung gefordert, da ansonsten möglicherweise die Interessen des Geschädigten unbillig verletzt würden. 314 Eine Haftungsmilderung solle dagegen möglich sein, wenn für geringes, fremdes oder ohne Verschulden gehaftet werde. 315 Denn in diesen Fällen sei der Zweck der Ersatzpflicht weniger eine Sanktion vorwerfbaren Handelns als vielmehr der Schutz gegen Existenzbeeinträchtigungen durch Unglücksfälle. 316 Dem widerspreche es jedoch, wenn eine Existenz zur Erhaltung der anderen vernichtet werde. 317 Umstritten ist allerdings, ob eine Haftungsmilderung nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn sich das schwere Verschulden auf den Schaden selbst bezieht. So wird einerseits vertreten, dass ein derartiger Verschuldensbezug nicht erforderlich ist; denn wer mit den Rechtsgütern seiner Mitmenschen in ethisch schwer 310

Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 189; vgl. auch: Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 31; Lange, Hermann, Schadensersatz, 14. 311 Dernburg, Lehrbuch, 277f. 312 Bührke, Verschuldensgrad, 88ff., 99; vgl. Stall, RabelsZ 34 (1970), 481, 502. 3,3 Büning, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C90; BMJ, Wortlaut RefE 1967,2 und Begründung RefE 1967, 47 ff.; BDI, Stellungnahme, 7; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.631; Eberhardt, ZfV 1967,581,582; Hauss, Referat 43. DJT, C23, C38ff.; Hauss, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C105, C 106; Hohloch, Gutachten, 375, 464, 475; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 36f., 60; Lange, Hermann, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C 108, C 110f.; Lorenz, JZ 1961, 433, 439; vgl. auch: Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 61 ff., 106, 129; Stoll, Consequences, 149; Werner, JR 1960, 282, 283. 314 Eberhardt, ZfV 1967, 581, 582. 315 BDI, Stellungnahme, 5ff; Bydlinski, JB1. 1968, 330, 331; Michaelis, Beiträge, 58f., 126f.; vgl. auch: v. Caemmerer, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C71, C77: Es solle insofern nicht zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit unterschieden werden. Es müsse vielmehr genügen, dass der Schaden im Verhältnis zum Verschulden des Haftpflichtigen exorbitant hoch sei; Hauss, Referat 43. DJT, C 23, C 38ff.; Hohloch, Gutachten, 375,464,475; Kretzschmar, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C 70f.; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 37,60; Larenz, Formulierungsvorschlag einer Reduktionsklausel KF 1968, referiert von Bydlinski, JB1. 1968, 330; Lorenz, JZ 1961,433,439; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 106,129, der jedoch auch im Fall des Einstehenmüssens für fremdes Verschulden ausdrücklich die Geringfügigkeit des Verschuldens (des Dritten) als Voraussetzung einer Haftungsreduktion fordert, 122ff., 129. 316 Michaelis, Beiträge, 58f., 126f. 317 Michaelis, Beiträge, 58 f., 126f.

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

vorwerfbarer Weise umgehe, den solle das Pech treffen, das in der Herbeiführung eines ungewöhnlich hohen Schadens liege. 318 Allerdings müsse sich das Verschulden schon auf die Verletzung eines Rechtsguts beziehen, nicht nur auf die eines Schutzgesetzes.319 Nach anderer Ansicht soll eine Haftungsreduktion sachgerechterweise nur insoweit ausgeschlossen sein, wie das schwere Verschulden den Schaden selbst betrifft. 320 In einem Wegfall der Reduktionsmöglichkeit schon bei grob fahrlässiger Rechtsgutsverletzung läge zuviel Buße oder Strafe. 321 Schließlich wird auch gefordert, es müsse als Voraussetzung einer Haftungsreduktion entscheidend darauf ankommen, dass der persönliche Vorwurf gegen den Schädiger besonders geringfügig sei. 322 Der Präventionszweck der Verschuldenshaftung verliere an Gewicht, wenn das Verschulden des Schädigers aus besonderen Gründen verzeihlich erscheine, etwa infolge verminderter Zurechnungsfähigkeit bei Minderjährigen, Geisteskranken, Affekthandlungen oder Notstand.323 Die persönliche Vorwerfbarkeit in diesem Sinne sei unabhängig vom Verschuldensgrad und könne selbst bei vorsätzlichem Verhalten gering sein oder ganz entfallen. 324 Auf diese Weise werde das Schuldprinzip seinem ursprünglichen Sinn wieder nähergebracht und würden die Schädigungen, die in Wahrheit auf objektiver Verursachung beruhten, auf das richtige Maß eines billigen Schadensausgleichs zurückgeführt. 325 In der verfassungsrechtlichen Diskussion um das Prinzip der Totalreparation wird angenommen, die Geringfügigkeit des Verschuldens könne im Zusammenspiel mit weiteren Gesichtspunkten die UnVerhältnismäßigkeit des in der Schadensersatzpflicht liegenden Eingriffs in die Grundrechte des Schädigers begründen. 326 318 Hauss, Referat 43. DJT, C23, C39f.; Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 36ff.; Lange, Hermann, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C 108, C l l l ; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 107. 3,9 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 107ff. 320 BMJ, Wortlaut RefE 1967, 2 und Begründung RefE 1967, 47f.; Bydlinski, JB1. 1968, 330, 331 f.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.631; Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114,125; Mertens, FamRZ 1968,130, 131; Weitnauer, Referat KF 1962,3f.; vgl. auch: Scheffen, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C101, C102; Wilburg, Referat 43. DJT, C 3, C11. 321 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.631 Fn.227. 322 Akademie für Deutsches Recht, Entwurf, 90,92; Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 398; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 62ff.; Nipperdey, Leitsätze, 11, 15; Reinhardt, Die Billigkeitshaftung, 64, 87 ff.; vgl. auch: Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 36 f.; Lange, Hermann, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C198, C 110f.; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481, 495 f., 501 f.; Stoll, Consequences, 148; Wahl, Das Verschuldensprinzip, 17, 28 f. 323 Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481,495; vgl. auch: Reinhardt, Die Billigkeitshaftung, 64, 87; Stoll, Consequences, 148. 324 Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481,496. 325 Reinhardt, Die Billigkeitshaftung, 64, 87. 326 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433f.; LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997,214,215; OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989,791; Goecke, NJW 1999,2305,2309f.; Kuhlen, JZ 1990, 273, 278.

Die Kritik

Denn angesichts des unter Umständen exorbitanten Missverhältnisses zwischen Verschulden und Ersatzumfang könne der Präventionszweck zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der unbegrenzten Verschuldenshaftung nicht immer ausreichen, zumal die Verschuldenshaftung weitgehend einer Risikohaftung angenähert sei. 327 So nehme die Rechtsprechung in bestimmten Bereichen eine Beweislastumkehr bezüglich des Verschuldens vor und spanne die Sorgfaltspflichten außerordentlich an. 328 Auch brauche sich das Verschulden des Schädigers grundsätzlich nur auf die Tatbestandsverwirklichung und nicht auf die Schadensfolgen zu beziehen.329 Aus diesem Grund sei ein Verfassungsverstoß der vollen Ersatzpflicht auch bei schweren Verschuldensformen wie Vorsatz und grober Fahrlässigkeit nicht von vornherein undenkbar. 330 Die Präventionswirkung der Schadensersatzpflicht werde zudem durch eine Haftungsreduktion in seltenen Ausnahmefällen nicht wesentlich beeinträchtigt, nicht zuletzt, da der Schädiger stets einen Sockelbetrag selbst zu tragen habe, bei dessen Bemessung dem Präventionsgedanken Genüge getan werden könne. 331 Schließlich wird auch auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Interzession verwiesen, derzufolge eine vertraglich übernommene ungewöhnlich hohe Belastung verfassungswidrig sein könne. 332 Für sehr hohe Ersatzpflichten aufgrund leicht fahrlässig verursachter Schäden müsse konsequenterweise Ähnliches gelten.333 Breiten Raum widmet auch die vom Verfassungsrecht her argumentierende Kritik einem Vergleich der schadensersatzrechtlichen und strafrechtlichen Behandlung des Schädigerverschuldens: Es bestehe insofern die Möglichkeit einer Disproportion zwischen den strafrechtlichen und den ggf. weit schärferen zivilrechtlichen Folgen des schädigenden Verhaltens, die als unterstützendes Argument für die Verfassungswidrigkeit einer ruinösen Schadensersatzpflicht herangezogen werden könne.334 Zwar lasse sich die Möglichkeit einer weitreichenderen zivilrechtlichen Haftungsfolge verfassungsrechtlich darauf zurückführen, dass im Strafrecht das Schuldprinzip gelte, das ein gerechtes Verhältnis zwischen dem Verschulden des Schädigers und der strafrechtlichen Sanktion fordere 335, während die zivilrechtliche Haftung das In327

Canaris, JZ 1987, 993, 1001. Canaris, JZ 1987, 993, 1001. 329 Canaris, JZ 1987, 993, 1001. 330 Canaris, JZ 1987, 993, 1002; vgl. auch: Canaris, JZ 1990, 679, 681; Canaris, Diskussionsbeitrag KF 1999, 33, 34f.; FrKo \mO-Ahrens § 302 Rn.6; Kohte, RestschuldbefreiungAhrens §302 Rn.6. 331 Canaris, JZ 1988,494,497. 332 Staudinger (§§249-254)-Schiemann Vorbem zu §§249ff. Rn.32. 333 Staudinger (§§249-254)-Schiemann Vorbem zu §§249ff. Rn.32. 334 LGDessau 25.9.1996, NJW-RR 1997,214,216; CanarisJZ 1990,679,680f.; vgl. auch: LGBremen 15.2.1991, NJW-RR 1991,1432,1434;G^c*e,NJW 1999,2305,2309 i.V.m. 2306. 335 Kuhlen, JZ 1990, 273, 274 f. 328

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

teresse des Geschädigten am Ausgleich des Schadens berücksichtigen müsse, dessen Höhe sich nicht nach dem Maß der Vorwerfbarkeit der Schädigung richte. 336 Doch auch wenn Strafe und Schadensersatz in erster Linie ihre eigenen Zwecke verfolgten, stünden sie nicht beziehungslos nebeneinander.337 Historisch entsprängen sie der gleichen Wurzel und würden im alltäglichen Leben weitgehend ungeschieden gesehen.338 In ihrer Begründung wiesen sie beachtliche normative Übereinstimmungen auf. 339 Beide dienten der Prävention und Repression deliktischen Verhaltens. 340 In beiden Fällen sei die Begrenzung der Haftung auf schuldhaftes Verhalten darin begründet, dass die Möglichkeiten einer rationalen Lebensplanung nicht durch Haftungsrisiken geschmälert werden sollten, die sich zufällig, da für den Betreffenden unvermeidbar, realisieren könnten.341 Daneben hätten beide Haftungssysteme Auswirkungen aufeinander, deren Reibungspunkte im Rahmen der Gesamtrechtsordnung kontrolliert und auf ein erträgliches Maß reduziert werden müssten, so dass insofern die Möglichkeit wechselseitiger Haftungsbegrenzung bestehe.342 So könne die zivilrechtliche Deliktshaftung unerwünschte strafrechtliche Auswirkungen zeitigen.343 Anders als noch bei Inkrafttreten des BGB bezwecke das Strafrecht heute nicht nur Vergeltung des verschuldeten Unrechts durch einen angemessenen Schuldausgleich, sondern bemühe sich auch darum, dass seine Reaktionen unter general- und spezialpräventiven Gesichtspunkten mindestens akzeptabel seien.344 In diesem Sinne bezwecke das Strafrecht eine Resozialisierung des Täters, der so in die soziale Gemeinschaft wiedereingegliedert werden solle, dass er künftig als vollmündiges Mitglied in ihr leben könne.345 Insofern bestehe ein hohes Konfliktpotential zwischen den strafrechtlichen Zielen und der zivilrechtlichen Haftung, da eine unbegrenzte Schadensersatzpflicht ein hohes Risiko einer kriminellen Fehlentwicklung des Schädigers begründen könne. 346 Denn dem Schädiger werde der Anreiz zu einer legalen Erwerbstätigkeit genommen, wenn das ihm zur Verfügung stehende Einkommen auf längere Sicht den Sozialhilfesatz kaum übersteigen werde, und er werde der Versuchung ausgesetzt, zu illegalen Mitteln zu greifen, um am materiellen Wohlstand teilzuhaben.347 Auf diese Weise könne eine unbegrenzte 336

LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434; LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216; vgl. auch: Kuhlen, JZ 1990, 273, 275; Scheffen, DAR 1991, 121, 124. 337 Kuhlen, JZ 1990, 273, 275. 338 Kuhlen, JZ 1990, 273, 275. 339 Kuhlen, JZ 1990, 273, 275. 340 Kuhlen, JZ 1990, 273, 275. 341 Kuhlen, JZ 1990, 273, 275. 342 Kuhlen, JZ 1990, 273, 275. 343 Kuhlen, JZ 1990, 273, 277. 344 Kuhlen, JZ 1990, 273, 277 f. 345 LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216. 346 Vgl. Kuhlen, JZ 1990, 273, 278. 347 Vgl. Kuhlen, JZ 1990, 273, 278.

Die Kritik

Schadensersatzhaftung eine weitgehende Zerstörung der Persönlichkeit und die soziale Desintegration nach sich ziehen.348 Allerdings dürfe auch der vom Zivilrecht verfolgte Ausgleichszweck nicht vollkommen außer Acht gelassen werden. 349 Zur Lösung der zwischen beiden Haftungsarten möglichen Konflikte müsse daher durch den Versuch einer Optimierung der Erreichung der jeweils verfolgten Ziele insgesamt ein Verhältnis „praktischer Konkordanz" zwischen ihnen angestrebt werden. 350 Zwar sei diese Aufgabe komplex, und es bestünden zweifellos mehrere verfassungsrechtlich zulässige Lösungsmöglichkeiten.351 Doch sei der Spielraum nicht unbegrenzt. 352 Zum einen könne eine angemessene Gesamtregelung im Hinblick auf das Interesse des Geschädigten die strafrechtlichen Teilziele nicht unbeschränkt verfolgen. 353 Zum anderen sei die unbegrenzte Schadensersatzhaftung unter angemessener Berücksichtigung der strafrechtlichen Zielsetzungen bei Haftung für einen leicht fahrlässig verursachten Schaden unter Umständen verfassungswidrig. 354 Das ergebe sich neben ihrer aus strafrechtlicher Sicht zu betonenden unverhältnismäßigen Härte auch daraus, dass eine derartige Haftung dem strafrechtlichen Ziel der Spezialprävention in einem nicht mehr akzeptablen Ausmaß zuwiderliefe. 355 Diese Gesichtspunkte legten das Urteil nahe, die unbeschränkte zivilrechtliche Deliktshaftung ermögliche unverhältnismäßige Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schädigers aus Art. 21 i.V.m. 11 GG. 356

4. Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzverpflichtung a) Die Berücksichtigung der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzpflicht seitens der Rechtsprechung Die wirtschaftliche Situation des Schädigers wird bei der Bemessung des Ersatzumfangs gemäß § 2491 BGB grundsätzlich nicht berücksichtigt, so dass eine durch die Verpflichtung zum vollen Schadensersatz drohende Vernichtung seiner 348 349 350 351 352 353 354 355 356

Vgl. Kuhlen , JZ 1990, 273, 278. Kuhlen, JZ 1990, 273, 278. Kuhlen , JZ 1990, 273, 278. Kuhlen, JZ 1990, 273, 278. Kuhlen, JZ 1990, 273, 278. Kuhlen , JZ 1990, 273, 278. Kuhlen, JZ 1990, 273, 278. Kuhlen, JZ 1990, 273, 278; vgl. LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216. Kuhlen, JZ 1990, 273, 278 Fn.60; vgl. LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216.

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

wirtschaftlichen Existenz nicht durch eine Herabsetzung seiner Ersatzverpflichtung abgewendet werden kann. Nur bei der Bemessung der Entschädigung für immateriellen Schaden im Sinne des § 2531 BGB 3 5 7 und des Billigkeitsersatzes nach § 829 BGB 3 5 8 kann den Vermögensverhältnissen des Schädigers Rechnung getragen werden. Allerdings finden sich außerhalb des Schadensersatzrechts Vorschriften, die eine Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers zu verhindern suchen. Dies sind zum einen die Schuldnerschutzvorschriften der ZPO: Um dem Schuldner das zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz bei bescheidenster Lebensführung Notwendige zu belassen, nimmt §811 ZPO bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in das bewegliche Vermögen bestimmte Sachen von der Pfändbarkeit aus. Es handelt sich hierbei insbesondere um Sachen, die dem persönlichen Gebrauch oder der Erwerbstätigkeit dienen sowie um Nahrungsmittel. Die Vorschrift wird von der Rechtsprechung als Ausfluss der Menschenwürde (Art. 1 GG) und der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) sowie als Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips (Art. 20,28 GG) verstanden 359 und daher auch mit Blick auf die genannten Grundrechte ausgelegt.360 Mit derselben Zielsetzung begrenzen die §§ 850ff. ZPO die Pfändbarkeit von in Geld zahlbarem Arbeitseinkommen. 361 Das Ausmaß der Beschränkung richtet sich im Einzelnen nach der Höhe des Einkommens des Schuldners, seinen Unterhaltsverpflichtungen, der Art des Arbeitseinkommens sowie des zu vollstreckenden Anspruchs. Daneben findet sich in § 765 a ZPO eine allgemeine Härteklausel, nach der das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Schuldners „eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen [kann], wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist". Auch bei der Anwendung dieser Vorschrift ist die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte ebenso wie die aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden Verfassungsprinzipien zu beachten und damit der verfassungsrecht357

BGH GrZ 6.7.1955, BGHZ 18, 149, 159ff.; BGH 16.2.1993, NJW 1993, 1531 f. beide zur Schmerzensgeldbemessung nach § 847 BGB, der durch das „Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften" vom 19.7.2002 (BGBl. I 2674) mit Wirkung vom 1.8.2002 aufgehoben wurde. 358 BGH 13.6.1958, NJW 1958, 1630, 1631; BGH 24.4.1979, NJW 1979, 2096. 359 BFH 30.1.1990, NJW 1990, 1871; vgl. BGH 20.11.1997, BGHZ 137, 193, 197 mit Verweis auf Thomas/Putzo y ZPO (20. Aufl.) § 811 Rn. 1 und Schuschke/Walker, ZPO-Walker § 811 Rn. 1 und § 850 Rn.3ff. 360 BFH 30.1.1990, NJW 1990, 1871. 361 Vgl. BGH 20.11.1997, BGHZ 137, 193, 197 mit Verweis auf Thomas/Putzo, ZPO (20. Aufl.) §811 Rn. 1 und Schuschke/Walker, ZPO-Walker § 811 Rn. 1 und §850 Rn.3ff.

Die Kritik

liehe Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 362 Sie kann dem Schuldner im Einzelfall einen über die Vorschriften der § § 811,850 ff. ZPO hinausgehenden Vollstreckungsschutz zur Sicherung seines Existenzminimums gewähren. 363 Darüber hinaus eröffnet die InsO natürlichen Personen im Anschluss an ein Insolvenzverfahren in den §§ 286 ff. InsO die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung. Diese bewirkt, dass die nach der Durchführung des Insolvenz- und des Restschuldbefreiungsverfahrens noch verbliebenen Forderungen der Insolvenzgläubiger gegen den Schuldner zu unvollkommenen Verbindlichkeiten werden, §§ 286, 301 II, III InsO. Dem Schuldner wird auf diese Weise ein wirtschaftlicher Neuanfang und der Aufbau einer dauerhaften gesicherten Existenz ermöglicht. 364 Bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit besteht hierfür kein Bedürfnis, da sie im Fall ihrer Insolvenz entweder saniert oder liquidiert werden. Die Restschuldbefreiung setzt zunächst die Durchführung eines Insolvenzverfahrens (§ 286 InsO) oder dessen Einstellung wegen Masseunzulänglichkeit nach § 211 InsO (§ 289 III InsO) voraus. Sie müsste daher ausscheiden, wenn das Insolvenzgericht bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 261 InsO ablehnt, da das Schuldnervermögen voraussichtlich nicht einmal zur Deckung der Verfahrenskosten ausreichen wird. Um zu verhindern, dass hierdurch gerade den „Ärmsten der Armen" der Zugang zur Restschuldbefreiung verwehrt wird, sehen die §§ 4äff. InsO 365 für mittellose natürliche Personen die Möglichkeit einer Stundung der Verfahrenskosten vor. Für den in § 304 InsO genannten Personenkreis kommt anstelle des Regelinsolvenzverfahrens das vereinfachte Verbraucherinsolvenzverfahren nach den §§ 304 ff. InsO zur Anwendung. Dieses trägt dem Umstand Rechnung, dass es bei der Insolvenz eines Verbrauchers im Sinne des § 304 InsO angesichts dessen typischerweise geringen Vermögens nicht in erster Linie um die Vermögensverwertung gehen kann, sondern bereits im Insolvenzverfahren die Ermöglichung einer angemessenen Schuldenbereinigung im Vordergrund stehen muss. Daher sieht das Gesetz zunächst den Versuch einer außergerichtlichen Einigung zwischen Schuldner und 362

BVerfG 3.10.1979, BVerfGE 52, 214, 219f. Vgl.: OLG Frankfurt 3.10.1955, MDR 1956,41; OLG Hamm 20.1.1956, NJW 1957,68; LG Berlin 19.12.1978, DGVZ 1979,43 ff. 364 M Ü K O (§§ 1-102 InsOyStürner Einleitung Rn.70, 93 erwägt, die Gewährleistung eines Rechts auf Neuanfang aus Art. 1,21 GG zu folgern, vor allem dort, wo durch gewöhnliche oder ganz leichte Fahrlässigkeit eine hohe Verschuldung und Insolvenz herbeigeführt wurden, die ohne Entschuldung zu einer massiven lebenslänglichen Existenzbeeinträchtigung führen würden, ohne dass die Gläubiger hierdurch in erheblichem Umfang befriedigt würden; so bereits Baur/Stürner y Insolvenzrecht, 60 f. 363

365 Die §§4äff. InsO wurden durch das am 1.12.2001 in Kraft getretene „Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze" vom 26.10.2001 (BGBl. 12710) in die InsO eingefügt. Durch diese speziellen Vorschriften dürfte sich die in der Rechtsprechung bisher umstrittene Frage erledigt haben, ob dem mittellosen Schuldner Verfahrenskostenhilfe nach den §§4 InsO, 114fT. ZPO gewährt werden kann, vgl. Kübler/Prütting, InsO-Prütting §4 Rn. 14b und Nerlich/Römermann, InsO-Becker §4a Rn.2.

7 Bartclt

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Gläubigern über die Schuldenbereinigung vor, § 3051 Nr. 1 InsO. 366 Ist ein außergerichtlicher Schuldenbereinigungsplan nicht zustande gekommen, verlangt das Gesetz zudem vor der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein gerichtliches Vermittlungsverfahren über einen Schuldenbereinigungsplan, §§305, 306 ff. InsO. Dieser gemäß § 3051 Nr. 4 InsO vom Schuldner vorzulegende Plan ist angenommen, wenn alle Gläubiger zustimmen, § 3081 InsO. Hat mehr als die Hälfte der benannten Gläubiger zugestimmt und machen deren Forderungen mehr als die Hälfte aller Ansprüche aus, so kann das Insolvenzgericht nach Maßgabe des § 309 InsO die fehlende Zustimmung eines Gläubigers ersetzen. Erst wenn auch dieser Versuch einer Einigung gescheitert ist, wird das Eröffnungsverfahren gemäß § 311 InsO wieder aufgenommen und ggf. das eigentliche Verbraucherinsolvenzverfahren durchgeführt. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens wird das Existenzminimum des Schuldners in ähnlicher Weise geschützt wie in der Einzelzwangsvollstreckung, indem § 36 InsO in Anlehnung an die §§ 811, 850ff. ZPO bestimmte Gegenstände von der Insolvenzmasse ausnimmt. Weiter verlangt die Restschuldbefreiung, dass der Schuldner während einer Wohlverhaltensperiode von sechs Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abtritt (§ 287 II 1 InsO) 367 , der diesen an die Insolvenzgläubiger verteilt (§ 29212 InsO). Nach § 295 InsO hat der Schuldner während dieses Zeitraums zudem weitere Obliegenheiten zu beachten. Insbesondere obliegt es ihm danach, „eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben und, wenn er ohne Beschäftigung ist, sich um eine solche zu bemühen und keine zumutbare Tätigkeit abzulehnen". Um einen zusätzlichen Anreiz zur Erwerbstätigkeit für den Schuldner zu schaffen, sieht § 29214 InsO vor, dass der Treuhänder „von den Beträgen, die er durch die Abtretung erlangt, und den sonstigen Leistungen [...] nach Ablauf von vier Jahren nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens zehn vom Hundert und nach Ablauf von fünf Jahren seit der Aufhebung fünfzehn vom Hundert" an den Schuldner abzuführen hat. Schließlich setzt die Restschuldbefreiung voraus, dass kein Versagungsgrund im Sinne des § 290 InsO vorliegt. Zu beachten ist allerdings, dass im Insolvenzverfahren gemäß § 174 II InsO angemeldete Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen nach § 302 Nr. 1 InsO von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen sind. 366 N u f wenn allein von Gläubigerseite ein Eröffnungsantrag gestellt wird, entfallen der außergerichtliche und der nachfolgend besprochene gerichtliche Einigungsversuch, vgl. § 306 III InsO. 367 Vor der am 1.12.2001 in Kraft getretenen Änderung des § 287 II 1 InsO durch das „Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze" vom 26.10.2001 (BGBl. 12710) betrug die Dauer der Wohlverhaltensperiode sieben Jahre nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens.

I. Die Kritik

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Mit der eben genannten Ausnahme schützen die dargestellten allgemeinen Schuldnerschutzvorschriften auch den schadenersatzpflichtigen Schädiger und helfen so, die Auswirkungen der Ersatzverpflichtung auf seine wirtschaftliche Existenz abzumildern. Bei der im Folgenden dargestellten Kritik am Prinzip der Totalreparation im Hinblick auf dessen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation des Schädigers ist zu beachten, dass sich der Bezugspunkt dieser Kritik weit stärker verändert hat, als dies bei den anderen behandelten Aspekten der Fall ist. Insbesondere war einem großen Teil der Kritiker das Institut der Restschuldbefreiung noch unbekannt, das erst durch die am 1.1.1999 in Kraft getretene Insolvenzordnung vom 5.10.1994368 geschaffen wurde. b) Die Kritik am Prinzip der Totalreparation im Hinblick auf die Vernichtung der wirtschaftlichen des Schädigers durch die Ersatzpflicht

Existenz

aa) Argumente gegen eine stärkere Rücksichtnahme auf die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzpflicht bei der Ersatzpflichtbemessung Gegen eine stärkere Rücksichtnahme auf die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzpflicht bei der Ersatzbemessung spreche in erster Linie, dass das Schadensersatzrecht hierdurch Aufgaben erhielte, für die es nicht geschaffen sei und die es auch nicht erfüllen könne.369 Wenn das Schadensersatzrecht dem Ausgleichszweck dienen solle, könne es nur beachten, wie hoch der Schaden des Geschädigten sei. 370 Es falle zudem schwer zu rechtfertigen, dass der Geschädigte infolge einer Haftungsreduktion auf seinem Schadensteil „sitzen" bleibe 371 , obwohl er die Schädigung ohne eigenes Zutun erlitten habe.372 Der Schutz des Schädigers vor zu hohen Ersatzpflichten sei vielmehr ein soziales Anliegen, was es eher angemessen erscheinen lasse, dessen Kosten der Allgemeinheit aufzubürden. 373 Auch wenn man den heute in nahezu jeden Schadensfall hineinspielenden Aspekt des Versicherungsschutzes berücksichtige, ändere sich hieran nichts. 374 368 369

BGBl. 12866. Lange, Hermann, Schadensersatz, 15; vgl. Schejfler,

C96.

370 371 372 373 374

7*

Lange, Hermann, Schadensersatz, 15. Wadle, VersR 1971,485, 491. Vgl. Goecke, Haftung Minderjähriger, 245. Vgl. Goecke, Haftung Minderjähriger, 246. Wadle, VersR 1971,485,491.

Diskussionsbeitrag 43. DJT, C95,

100

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Zwar könne man zugunsten einer Haftungsreduktion anführen, dass dem Schädiger keine Haftung zugemutet werden solle, die den für ihn erreichbaren Haftpflichtversicherungsschutz übersteige. 375 Da jedoch der potentiell Geschädigte sein durch die Reduktionsmöglichkeit gestiegenes Risiko zusätzlich versichern müsse, stelle sich wiederum die Frage der Rechtfertigung seiner Belastung, diesmal durch die höheren Versicherungsprämien. 376 Durch die Streuung der Schadenslast auf den großen Kreis der Versicherten werde die Problematik der stärkeren Belastung des Geschädigten somit zwar entschärft, aber nicht aufgehoben. 377 Gegen eine Reduktionsmöglichkeit bei wirtschaftlicher Untragbarkeit spreche auch allgemein, dass selbst bei verständiger Anwendung die Rechtsgleichheit der Einzelnen in bedrohlichem Umfang aufgehoben werde. 378 Unter derartige Billigkeitsentscheidungen könne daher weder der Kern der Ersatzpflicht noch die Masse der Schadensfälle gestellt werden. 379 Auch aus dem Verfassungsrecht lasse sich kein Gebot zur Verhinderung existenzvernichtender Haftung über die entsprechenden Vorschriften des Vollstreckungsrechts und die Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren hinaus entnehmen.380 Denn die dem vollen Schadensausgleich entgegenstehenden Interessen des Schädigers an der Erhaltung seiner wirtschaftlichen Existenz wögen nicht „ersichtlich wesentlich schwerer" als die Interessen des Geschädigten am vollen Ersatz des Schadens, so dass im Prinzip der Totalreparation kein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip liege. 381 Zwar könne die Belastung des Schädigers mit exorbitanten Ersatzansprüchen trotz der Absicherung des Existenzminimums durch das Vollstreckungsrecht zu erheblichen Härten führen. 382 So könne er gezwungen sein, sein in vielen Jahren erarbeitetes Vermögen für die Befriedigung des Ersatzanspruchs zu verwerten oder mangels ausreichenden Vermögens langfristig auf den pfändungsfireien Teil seiner Einkünfte beschränkt werden. 383 Letzteres Problem habe auch die Einführung der Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO nur zum Teil entschärft 384: So bestehe nun zwar nicht mehr die Ge375

Wadle, VersR 1971,485, 491. Wadle, VersR 1971,485,491. 377 Wadle, VersR 1971,485,491. 378 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 37f. 379 Lange, Hermann, Gutachten 43. DJT, 38. 380 Palandt-Heinrichs Vorb v § 249 Rn. 6; Staudinger (§§ 826-829yOechsler § 828 Rn. 2, 41 ff.; vgl. auch: v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Rn. 596; Krause, JR 1994, 494, 497ff.; Looschelders, VersR 1999, 141, 145; Looschelders, Einwirkungen, 93, 102ff.; MüKo (§§ 241-432)-Oetker § 249 Rn. 13; Soergel Band 5/2-Zeuner § 828 Rn.4. 381 Krause, JR 1994, 494, 499; vgl. Staudinger (§§ 826-829)-0echsler § 828 Rn. 2, 41 ff. 382 Looschelders, VersR 1999, 141, 145; Looschelders, Einwirkungen, 93, 103. 383 Looschelders, VersR 1999, 141, 145; Looschelders, Einwirkungen, 93, 103. 384 Looschelders, VersR 1999, 141, 145. 376

Die Kritik

fahr, dass der Schädiger aufgrund einer einmaligen leichten Fahrlässigkeit unbegrenzt in „Schuldfesseln" leben müsse.385 Doch setzten der außergerichtliche Einigungsversuch und das gerichtliche Verfahren über den Schuldenbereinigungsplan als die ersten beiden Stufen des dreistufigen Verbraucherinsolvenzverfahrens eine Einigung zwischen Schuldner und Gläubigern voraus und könnten daher einen gesetzlichen Schutz vor ruinösen oder katastrophalen Schadensersatzpflichten nicht ersetzen. 386 Eine Zustimmungsersetzung durch das Insolvenzgericht nach § 309 InsO scheide in den Fällen deliktischer Haftung insofern regelmäßig aus, da sie eine Zustimmung der Mehrheit der Gläubiger nach Kopfzahl und Forderungshöhe voraussetze, was bei einem einzigen Geschädigten als Gläubiger nicht möglich sei. 387 Zudem erfordere die Restschuldbefreiung nach § 287 II InsO, dass der Schuldner seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge für einen Zeitraum von sieben Jahren 388 an einen Treuhänder abtrete. 389 Nach § 2951 Nr. 1 InsO treffe ihn zugleich die Obliegenheit, während der Laufzeit der Abtretungserklärung eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben bzw. sich hierum zu bemühen.390 Der Schädiger könne durch die unbegrenzte Haftung somit weiterhin in außerordentlichem Maße belastet werden. 391 Da der Schädiger jedoch die Möglichkeit habe, sich durch den Abschluss einer Haftpflichtversicherung gegen die möglicherweise ruinösen Folgen einer Haftung abzusichern, erscheine es verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn seine begrenzte Leistungsfähigkeit lediglich im Vollstreckungs- und Insolvenzrecht berücksichtigt werde. 392 Insofern bestehe nach geltendem Recht eine sehr sachgerechte Aufgabenteilung 393 : Der Staat sichere über das Vollstreckungs- und Insolvenzrecht das Existenzminimum des Schädigers und ermögliche ihm eine Restschuldbefreiung, während sich der Einzelne zugleich durch eine Haftpflichtversicherung einen weitergehenden Schutz gegen ruinöse Haftpflichten verschaffen könne. 394 Es sei zwar rechtlich nicht zu missbilligen, wenn der Schädiger von einer solchen Vorsorge absehe, doch könne er dann im Interesse des Geschädigten nur in den Genuss des „Min385

Looschelders, VersR 1999, 141, 145. Rolfs, JZ 1999, 233, 236f.; vgl. Goecke, Haftung Minderjähriger, 91 i.V.m. 74. 387 Goecke, Haftung Minderjähriger, 91 i.V.m. 74; Rolfs, JZ 1999, 233, 237. 388 Durch das am 1.12.2001 in Kraft getretene „Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze" vom 26.10.2001 (BGBl. 12710) wurde die Dauer der Wohlverhaltensphase auf sechs Jahre ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens verkürzt. 389 Looschelders, VersR 1999, 141, 145. 390 Looschelders, VersR 1999, 141, 145. 391 Looschelders, VersR 1999, 141, 145. 392 Looschelders, VersR 1999, 141, 145; MüKo (§§ 105-S53)-Mertens Vor §§823-853 Rn. 76; vgl. auch: Looschelders, Einwirkungen, 93, 103; Lorenz, VersR 1989,711, 712. 393 Looschelders, VersR 1999, 141, 145. 394 Looschelders, VersR 1999, 141, 145. 386

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

destschutzes" des Vollstreckungs- und Insolvenzrechts kommen. 395 Überdies versuchten bereits die „Schuldnerberatung" und die Bewährungshilfe eine Herabsetzung der Schulden im Vereinbarungsweg zu erreichen, auch wenn damit regelmäßig eine Umschuldung und die sofortige Begleichung eines Teilbetrags verbunden sei. 396 Eine Verlagerung der Problematik vom Vollstreckungs- in das materielle Recht weise zudem nicht nur einen systematischen Schönheitsfehler auf, sondern beige zugleich das Risiko einer teleologisch nicht mehr kontrollierten Aufweichung der Bindungswirkung der Schuldverhältnisse, und zwar soweit, dass schließlich jeder Schuldner behaupten könne, die Geltendmachung des Anspruchs durch den Gläubiger stelle wegen dessen Höhe einen Rechtsmissbrauch dar. 397 bb) Argumente für eine stärkere Rücksichtnahme auf die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzpflicht bei der Ersatzpflichtbemessung Im Grundsatz rügt die Kritik am Prinzip der Totalreparation, dass die generelle Außerachtlassung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers bei der Ersatzpflichtbemessung der materiellen Gerechtigkeit widerspreche 398 und zu höchst unsozialen Ergebnissen führen könne 399 . Nur durch eine Berücksichtigung der Vermögenslage der Beteiligten lasse sich feststellen, wie hart die volle Ersatzpflicht den Schädiger tatsächlich treffen werde, und könne der mit der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzrechts zusammenhängende Interessenkonflikt gerecht gelöst werden. 400 Relevante Gesichtspunkte bei der Beurteilung der Belastung des Schädigers durch die Ersatzpflicht seien u. a. ein Überschreiten der Grenze des Versicherbaren 401 sowie etwaige Regressansprüche des Schädigers 402. Auch komme eine Min395

Looschelders, VersR 1999, 141, 145; Looschelders, Einwirkungen, 93, 103. Ramm, JZ 1988, 489,492. 397 Staudinger (§§826-829)-Oechsler § 828 Rn. 2,43. 398 OLG Celle 18.10.1972, JZ 1973,246,248; Gierke, Der Entwurf, 198,267; Lange, Heinrich, Vom alten zum neuen Schuldrecht, 32, 82f.; vgl. auch: Bydlinski, System, 226; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.631; Huber, FS Wahl, 301,327; Kohler, Lehrbuch, 141; Reinhardt, Die Billigkeitshaftung, 64, 85 ff.; Steffen, VersR 1998, 1449, 1452; Wilburg, Referat 43. DJT, C3, C13, C20. 399 Dölle, DJZ 1934, 1016, 1021; Krause, Peter, Gutachten, 79f.; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 106fMertens, FamRZ 1968,130,131; vgl. Riezler, Jherings Jahrbücher 53, 177, 207. 400 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 64. 401 BMJ, Begründung RefE 1967,45; v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5,15; Drewitz, Die Versicherung folgt der Haftung, 32ff.; Kötz, AcP 170 N.F. 50 (1970), 1,40; Lange, Hermann, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C 108, C 112; Weitnauer, Juristen-Jahrbuch 1963/64, 214, 232; Weitnauer, Der haftungsfreie Raum Rn.24; Weitnauer, Diskussionsbeitrag KF 1964, 43; vgl. auch: v. Caemmerer, Diskussionsbeitrag Colloquium, 254, 256; Eberhardt, ZfV 1967, 581, 582; Schwamb, Reduktionsklausel, 685. 396

Die Kritik

derung der Haftung juristischer Personen des öffentlichen Rechts nie und von solchen des Privatrechts wegen deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nur selten in Betracht. 403 Dagegen spreche es für eine Haftungsreduktion, wenn die wirtschaftliche Existenz des Schädigers durch die Belastung mit der Ersatzpflicht vernichtet 404, d. h. auf die Pfändungsfreigrenzen der ZPO herabgedrückt 405 werde. Denn die Vorschriften des Vollstreckungsschutzes begegneten einer sozialen Katastrophe in Gestalt einer Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers nur unzulänglich.406 Sie böten keinen Schutz vor wirtschaftlicher Bedrängnis, sondern suchten lediglich die Aussaugung eines leistungsunfähigen Schuldners zu verhindern. 407 Das wirtschaftliche Fortkommen des Schädigers werde zudem bereits durch die fortwährende Bedrohung mit der Vollstreckung eines unerfüllbaren Urteils erheblich beeinträchtigt. 408 Das Vollstreckungsrecht berücksichtige auch nicht die Umstände des einzelnen Schadensfalles und bewirke demgemäß keine materiellrechtliche Reduktion der Ersatzpflicht. ^409 Es mache eine spezifisch schadensersatzrechtliche Haftungsmilderung daher nicht überflüssig. 410 Überdies sei es sinnvoller, der mangelnden Leistungsfähigkeit des Schädigers bereits im Erkenntnisverfahren durch eine Reduktion der Ersatzpflicht Rechnung zu tragen, als den Geschädigten ein Urteil erstreiten zu lassen, das mangels Leistungsfähigkeit des Schädigers ohnehin nicht vollstreckt werden könne.411 Die Praxis zu § 829 BGB zeige, dass eine Feststellung der Vermögensverhältnisse des Schädigers bereits im Erkenntnisverfahren durchaus möglich sei. 412 402 BMJ, Begründung RefE 1967, 44; Hauss, Referat 43. DJT, C23, C35; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 117ff., 129; vgl. Schwamb, Reduktionsklausel, 519f., 672, 683, 687. 403 Bydlinski, JB1.1968, 330,333; vgl. auch: Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.631; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 128f.; Schwamb, Reduktionsklausel, 32f., 666, 685; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 324. 404 Bydlinski, System, 226ff.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.936; Felgentraeger, Vertrag und Unrecht, 240; Hohloch, Gutachten, 375,463,475; Lange, Hermann, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C108, C l l l ; Lemhöfer, VersR 1967, 1126, 1134; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481, 499, 501 f.; Stoll, Consequences, 148f.; vgl. Hauss, Referat 43. DJT, C23, C35. 405 Krause, Peter, Gutachten, 79 f. 406 OLG Celle 18.10.1972, JZ 1973,246,248; Drewitz, Die Versicherung folgt der Haftung, 33; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 106f.; Mertens, FamRZ 1968, 130, 131; vgl. Möller, Summen- und Einzelschaden, 137 f. 407 Hohloch, Gutachten, 375,459. 408 Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481, 501; Stoll, Consequences, 149; vgl. Goecke, NJW 1999, 2305, 2306. 409 Hohloch, Gutachten, 375,459. 4,0 Bydlinski, System, 227. 411 Migsch, Begrenzung des Schadensersatzes, 23; vgl. auch: Hohloch, Gutachten, 375,463; Mertens, FamRZ 1968, 130, 131. 412 Goecke, Haftung Minderjähriger, 252.

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Angesichts des § 829 BGB sowie der §§315, 317 BGB und älterer Vorschriften könne die Beachtung der Vermögensverhältnisse auch nicht als im Schadensersatzrecht sachfremder Irrweg einer Wohlstandsgesellschaft abgetan werden. 413 Zudem spiele die Vermögenslage der Beteiligten bereits heute im Verborgenen, und damit rationaler Kontrolle entzogen, eine Rolle. 414 Es wäre gut, diese sichtbar zu machen und abzugrenzen.415 Zwar berge jede Übertreibung in dieser Hinsicht die Gefahr, dass der schadensersatzrechtliche Grundgedanke der persönlichen Verantwortlichkeit weiter korrumpiert werde. 416 Es dürfe insofern kein Privileg des weniger Begüterten zur geringeren Rücksichtnahme auf fremde Rechtsgüter geschaffen werden. 417 Doch könne die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schädigers den vollen Ausgleich unbillig erscheinen lassen.418 So gebe es keine größere Ungleichheit, als Ungleiches gleich zu behandeln, und die gleiche Schadensersatzpflicht treffe den Armen mehr als den Reichen.419 Aus den genannten Bedenken folgen positiv im Einzelnen unterschiedlich weit reichende Forderungen nach einer stärkeren Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers bei der Ersatzpflichtbemessung. 420 Insofern müsse auch eine Zukunftsprognose erfolgen. 421 Würde der Geschädigte jedoch durch eine Herabsetzung seines Schadensersatzanspruchs ebenfalls in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet, müsse dessen Interesse der Vorrang gegenüber demjenigen des Schädigers zukommen und eine Haftungsreduktion ausscheiden.422 413

Vgl.: Bydlinski, JB1. 1968, 330, 332; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 64. Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 189; Mager, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C58, C62; vgl. Rother, Haftungsbeschränkung, 290. 415 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 189; vgl. Rother, Haftungsbeschränkung, 290 f. 416 Bydlinski, JB1. 1968, 330, 333; Reinhardt, Die Billigkeitshaftung, 64, 86. 417 Reinhardt, Die Billigkeitshaftung, 64, 86f. 4,8 Rother, Haftungsbeschränkung, 291. 419 Rother, Haftungsbeschränkung, 291. 420 OLG Celle 18.10.1972, JZ 1973,246,248;BMJ, Begründung RefE 1967,46 f., 50; Bydlinski, JB1.1968,330, 331 ff.; Bydlinski, System, 226ff.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 631 ff., 936; Drewitz, Die Versicherung folgt der Haftung, 33; Hauss, Referat 43. DJT, C23, C40; Hohloch, Gutachten, 375,463 f., 475; Huber, FS Wahl, 301, 327; Lange, Heinrich, Liberalismus, 18; Larenz, Formulierungsvorschlag einer Reduktionsklausel KF 1968, referiert von Bydlinski, JB1. 1968, 330; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 64,112; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 186ff.; Möller, Summen- und Einzelschaden, 137f.; Nipperdey, NJW 1967, 1985; Reinhardt, Die Billigkeitshaftung, 64, 88; Rother, Haftungsbeschränkung, 290f.; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481,501 f.; Stoll, Conséquences, 148f.; Weitnauer, Der haftungsfreie Raum Rn.23; Wilburg, Elemente, 23, 28f., 101 f., 285; Wilburg, Bewegliches System, 12ff.; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 324 f.; vgl. auch: Bühnemann, FG Möller, 135,145 ff.; Nipperdey, Die Generalklausel, 36, 48. 421 Hohloch, Gutachten, 375, 463. 414

Die Kritik

Umfangreiche Überlegungen finden sich zur Rolle der Haftpflichtversicherung bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers. Insofern besteht weitgehend Einigkeit, dass eine Haftungsreduktion im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation des Schädigers ausscheide, soweit eine zu seinen Gunsten bestehende Haftpflichtversicherung für den Schaden aufkomme. 423 Zwar solle die Haftpflichtversicherung nach ihrer ursprünglichen Funktion und Konstruktion für Schadensersatzverbindlichkeiten des Schädigers einstehen, die diesen völlig unabhängig vom Bestehen des Versicherungsschutzes träfen. 424 Dagegen solle sich die Versicherung nicht auf die Haftung auswirken (Trennungsprinzip). 425 Schlösse man eine Haftungsreduktion beim Bestehen einer Haftpflichtversicherung aus, so würde dadurch jedoch anders als bei der Berücksichtigung einer Haftpflichtversicherung im Rahmen des § 829 BGB oder des § 847 BGB a. F. nicht eine ohne Versicherungsschutz nicht oder nicht in dieser Höhe gegebene Schadensersatzpflicht begründet. 426 Das Bestehen einer Haftpflichtversicherung entscheide hier lediglich darüber, ob der an sich voll berechtigte und ohne Einfluss der Versicherung berechnete Anspruch ausnahmsweise wieder eingeschränkt werden solle. 427 Anders als bei einer Berücksichtigung von Haftpflichtversicherungsschutz im Rahmen des § 829 BGB spreche auch die Interessenlage der Parteien des Versicherungsvertrages nicht gegen eine Reduktionsmöglichkeit, da die Rechtslage bei Schädigungen durch haftpflichtversicherte Schädiger lediglich unverändert bleibe 422

Hohloch, Gutachten, 375,463f., 475; Weitnauer, Referat KF 1961, 32, 35; vgl. Bydlinski, System, 233. 423 Brenzel, VersR 1967, 1024; BMJ Begründung RefE 1967, 50f.; Bydlinski, JB1. 1968, 330, 333; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.631, 935 f.; Goecke, Haftung Minderjähriger, 246ff., 256ff.; Kötz, Gutachten, 1779, 1830; Lange, Hermann, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C108, C 112; Lorenz-Meyer., Haftungsstruktur, 65 f., 124ff., 129; Schwamb, Reduktionsklausel, 48, 555, 565ff., 578f., 666, 672f., 680, 686, 688; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481, 501 f.; Stoll, Consequences, 149; Weitnauer, Referat KF 1961, 32, 35f.; Weitnauer, Referat KF 1962,3,5; Weitnauer, Juristen-Jahrbuch 1963/64,214,232; Weitnauer, Diskussionsbeitrag KF 1964, 43; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 324; vgl. auch: v.Bar, Gutachten, 1681, 1762, 1774; Eberhardt, ZfV 1967, 581, 582; Frey, Referat KF 1964, 29, 32; v. Hippel, FS v. Hippel, 233, 238; Larenz, Formulierungsvorschlag einer Reduktionsklausel KF 1968, referiert von Bydlinski, JB1. 1968, 330; Weitnauer, Der haftungsfreie Raum Rn.24; Prölss, FG Oftinger, 225,228 f. merkt an, dass es mit der Sachversicherung für fremde Rechnung und der Versicherung des Sachersatzinteresses noch andere Konstruktionsformen der Deckung eines Haftpflichtrisikos gebe. 424 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 125 f.; vgl. auch: Goecke, Haftung Minderjähriger, 246; Schwamb, Reduktionsklausel, 567. 425 Goecke, Haftung Minderjähriger, 246; vgl. auch: Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 126; Schwamb, Reduktionsklausel, 567. 426 Drewitz, Die Versicherung folgt der Haftung, 34; Schwamb, Reduktionsklausel, 569; vgl. Goecke, Haftung Minderjähriger, 248 f. 427 Schwamb, Reduktionsklausel, 569; vgl. Goecke, Haftung Minderjähriger, 248 f.

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

und somit Prämienerhöhungen infolge einer stärkeren Belastung der Haftpflichtversicherungen nicht zu befürchten seien.428 Zudem wiege das Interesse des Verletzten am vollen Ausgleich des ihm entstandenen Schadens schwerer als das Interesse der Haftpflichtversicherten an niedrigen Prämien. 429 Denn angesichts der großen Zahl der Versicherten führe die Schadenstragung durch die Haftpflichtversicherung allenfalls zu einer geringfügigen Mehrbelastung des einzelnen Versicherten. 430 Doch wird auch vertreten, dass eine bestehende Haftpflichtversicherung des Schädigers aufgrund des Trennungsprinzips bei der Entscheidung über eine Haftungsreduktion nicht berücksichtigt werden dürfe. 431 Andernfalls würde man zudem praktisch denjenigen bestrafen, der in wirtschaftlicher Verantwortung für einen entsprechenden Versicherungsschutz gesorgt und dessen Kosten auf sich genommen habe.432 Auch sei zu bedenken, dass bei einer haftpflichtversicherungsabhängigen Bestimmung des Ersatzumfangs eine nicht unbedenkliche Sozialisierung der Schadenstragung erfolge, da die Leistung der Versicherung über die Prämien alle Versicherten treffe und damit auch diejenigen, die mit der Schadensverursachung im konkreten Fall nichts zu tun hätten.433 Sehr umstritten ist die Frage, ob die bloße Möglichkeit eines dem Schädiger tatsächlich nicht zugute kommenden Haftpflichtversicherungsschutzes bei der Entscheidung über eine Haftungsreduktion zu Lasten des Schädigers berücksichtigt werden kann. Diesbezüglich wird vielfach angenommen, das Nichtbestehen eines verkehrsüblichen und zumutbaren Haftpflichtversicherungsschutzes spreche gegen eine Haftungsmilderung. 434 Der nicht bestehende Versicherungsschutz müsse dem tatsächlich vorhandenen gleichgestellt werden, da man den soigfältigerweise Versicherten nicht schlechter behandeln dürfe als denjenigen, der aus Nachlässigkeit nicht versi428

Goecke, Haftung Minderjähriger, 249; vgl. auch: BMJ, Begründung RefE 1967, 50f.; Drewitz, Die Versicherung folgt der Haftung, 34; Fleischmann, Referat KF 1961,37; Weitnauer, Referat KF 1961, 32, 35 f. 429 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 66. 430 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 66. 431 Eingabe der deutschen Haftpflichtversicherer an den BMJ, referiert von Roth, 27, 33 f.; vgl. Prölss, FG Oftinger, 225, 228. 432 BDI, Stellungnahme, 6; vgl. auch: Hübner, Der Referentenentwurf, 65, 68; Weyers, Unfallschäden, 440. 433 Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 126. 434 v.Bar, Gutachten, 1681, 1762, 1774 f.; Kötz, Gutachten, 1779, 1830; Manitz, Das Recht muß kalkulierbar sein, 150,160; Schwamb, Reduktionsklausel, 573f., 579,672ff., 686f.; Weitnauer, Referat KF 1961,32,36; vgl. auch: v. Caemmerer, Gefährdungshaftung, 23 f.; Kötz, AcP 170 N. F. 50 (1970), 1,40; Krause, Peter, Gutachten, 80; Lat enz, Formulierungsvorschlag einer Reduktionsklausel KF 1968, referiert von Bydlinski, JB1. 1968,330; Prölss, FG Oftinger, 225, 229 f.; Schmidt, Reimer, FS Felgentraeger, 367,374; Weitnauer, Referat KF 1962,3,5 f.; Weitnauer, Juristen-Jahrbuch 1963/64, 214, 232.

Die Kritik

chert sei. 435 Wer es unterlasse, freiwillig für einen naheliegenden, üblichen und zumutbaren Haftpflichtversicherungsschutz zu sorgen, nehme ebenso freiwillig das Risiko einer entsprechenden persönlichen Haftung in Kauf und werde hierdurch nicht unbillig hart betroffen. 436 Hier sei überdies der Grundsatz „die Versicherung folgt der Haftung" nicht berührt, da es ja gerade an einem Versicherungsanspruch, der die Haftung beeinflussen könne, fehle. 437 Dort, wo das Gesetz eine Pflichthaftpflichtversicherung vorsehe, spreche deren Nichtbestehen in jedem Fall gegen eine Haftungsreduktion. 438 Dies verlange schon der Zweck der Versicherungspflicht, dem Geschädigten einen Schadensausgleich zu garantieren. 439 Nach anderer Ansicht kann das Nichtbestehen einer üblichen und zumutbaren Versicherung dagegen nicht als gegen eine Haftungsreduktion sprechender Gesichtspunkt aufgefasst werden. 440 Eine entsprechende Verkehrserwartung lasse sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. 441 Man könne den Nichtabschluss einer üblichen und zumutbaren Haftpflichtversicherung auch nicht als ein gegen eine Haftungsreduktion sprechendes Verschulden ansehen.442 Dies könne nur unter der Annahme einer durch das Verhalten anderer in ähnlicher Lage Haftpflichtversicherter begründete außergesetzliche Pflicht zum Abschluss eines Versicherungsvertrages erfolgen. 443 Eine solche bestehe jedoch nicht, könne vielmehr nur gesetzlich normiert werden. 444 Überdies träte auch eine untragbare Verkehrung der Werte ein. Das geringfügige, aber vorhandene Verschulden würde für eine volle Haftung nicht ausreichen, wohl aber die fehlende Versicherung. 445 Auf Letztere habe der Geschä435 436 437

v. Bar, Gutachten, 1681,1774f.; vgl. Manitz, Das Recht muß kalkulierbar sein, 150,160. Schwamb, Reduktionsklausel, 573 f. Schwamb, Reduktionsklausel, 570; vgl. Drewitz, Die Versicherung folgt der Haftung,

32 ff. 438

Frey, Referat KF 1964,29, 32; Kotz, Gutachten, 1779,1830; Schwamb, Reduktionsklausel, 570 f., 578 f., 672, 686; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481,501 f.; Weitnauer, Referat KF 1962, 3, 5; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 324. 439 Schwamb, Reduktionsklausel, 571. 440 Brenzel, VersR 1967, 1024f.; Bydlinski, JB1. 1968, 330, 333; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 127 f.; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481, 501; vgl. auch: Weyers, Unfallschäden, 441; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 324. 441 Hübner, N JW1982,2041,2045; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 127; vgl. auch: Fleischmann, Referat KF 1961,37; Schwamb, Reduktionsklausel, 575 f., 579; Weyers, Unfallschäden, 441; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 324. 442 Bydlinski, JB1. 1968,330,333; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 128; vgl. Stoll, RabelsZ 34(1970), 481,501. 443 Bydlinski, JB1. 1968, 330, 333; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 128. 444 Bydlinski, JB1. 1968, 330, 333; vgl. auch: Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 128; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 324. 445 Bydlinski, JB1. 1968, 330, 333.

10

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

digte aber keinen Anspruch, sondern lediglich auf das Unterbleiben der schädigenden Handlung.446 Weiter stelle sich die Frage, wie im Fall einer im Hinblick auf die Vermögensverhältnisse des Schädigers erfolgten Haftungsreduktion deren nachträgliche Verbesserung zu behandeln sei. 447 Hierzu wird vertreten, dass sich in diesem Fall die Änderung eines bereits ergangenen rechtskräftigen Urteils bei Ersatz in Form von wiederkehrenden Leistungen nach § 323 ZPO regle. 448 Bei einmaligen Ersatzleistungen dürfe die Reduktion nur unter dem Vorbehalt des Fortbestehens der Verhältnisse erfolgen, unter denen der Ersatz zu einer schweren Unbilligkeit führe. 449 Ebenso wie die Abweisung einer Klage als zur Zeit unbegründet bei Veränderung der Verhältnisse einer neuen Klage nicht entgegenstehe, wäre der Geschädigte dann bei einer wesentlichen Verbesserung der Vermögensverhältnisse des Schädigers durch die Rechtskraft der Entscheidung an der Geltendmachung eines zusätzlichen Anspruchs nicht gehindert. 450 Dies wird indes als zweifelhaft und vage kritisiert. 451 Ein Tenor mit einer clausula rebus sie stantibus sei keine geeignete Basis eines Vollstreckungstitels. 452 Jedenfalls solle der Vorbehalt nur zugunsten des obsiegenden Klägers gelten.453 Auch solle dem Beklagten nicht die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO zustehen, wenn sich die vom Gericht berücksichtigten Billigkeitsgesichtspunkte nachträglich wesentlich zu seinen Gunsten veränderten. 454 In der verfassungsrechtlichen Diskussion wird angenommen, dass die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers durch die Ersatzpflicht unter bestimmten weiteren Voraussetzungen deren Verfassungswidrigkeit begründen könne.455 Eine existenzvernichtende Ersatzpflicht könne zum einen einen überaus schweren Eingriff in des Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit darstellen, wobei in der Regel auch Art. 11GG berührt sei 456 , und dabei gegen das Übermaßverbot ver446

Bydlinski, JB1. 1968, 330, 333; Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, 128; vgl. Will, Quellen erhöhter Gefahr, 324. 447 BMJ, Begründung RefE 1967, 51; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 107 Fn.73; Mertens, FamRZ 1968, 130, 132. 448 BMJ, Begründung RefE 1967, 51. 449 BMJ, Begründung RefE 1967, 51 f. 450 BMJ, Begründung RefE 1967, 52. 451 Mertens, FamRZ 1968, 130, 132. 452 Mertens, FamRZ 1968, 130, 132. 453 Mertens, FamRZ 1968, 130, 132. 454 Mertens, FamRZ 1968, 130, 132. 455 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433f.; OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791 ff.; Canaris, JZ 1987, 993, 1001 f.; MüKo (§§ 705-853)-Mertens Vor §§823-853 Rn.72,76f.; Palandt-77iöma.s § 828 Rn.5; Palandt-Diederichsen § 1629 a Rn. 3; Rolfs, JZ 1999, 233, 236ff.; Soergel Band 2-Mertens Vor §249 Rn.40; vgl. auch: FrKo InsO-Ahrens §302 Rn. 6; Kohte, Restschuldbefreiung-A/ir^i § 302 Rn.6; Schiemann, Vortrag KF 1999, 5, 9ff.; Staudinger (§ § 249-254)-Schiemann Vorbem zu § § 249 ff. Rn. 31 f. 456 Canaris, JZ 1987, 993, 1001.

Die Kritik 457

stoßen. So könne ein Schädiger durch eine höhenmäßig unbegrenzte Schadensersatzpflicht bis ans Ende seines Lebens auf das pfändungsfreie Existenzminimum beschränkt werden 458 oder doch sein gesamtes in Jahrzehnten erworbenes Vermögen verlieren, oder es werde ihm womöglich der Verdienst der vergangenen oder der nächsten zehn Jahre genommen.459 Bei juristischen Personen und Gesellschaften komme es insofern in erster Linie auf die Auswirkungen für deren Mitglieder und Arbeitnehmer an. 460 Die Präventionsfunktion des Haftungsrechts könne solche schweren Eingriffe in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit jedenfalls für die Fälle der unbegrenzten Gefährdungshaftung nicht legitimieren. 461 Auch die bedeutsamere Ausgleichsfunktion vermöge eine derart extreme Rechtsfolge nicht immer zu rechtfertigen. 462 Für die Verschuldenshaftung gelte nichts prinzipiell anderes.463 Denn diese sei vielfach weitgehend einer Risikohaftung angenähert.464 Auch reichten der Vollstreckungsschutz und die InsO nicht in allen Fällen aus, um eine unverhältnismäßige Belastung des Schädigers durch die Ersatzpflicht zu verhindern. 465 Schuldnerberatung und Bewährungshilfe böten ebenfalls kein Äquivalent für einen von Rechts wegen erfolgenden Schutz vor ruinösen oder katastrophalen Schadensersatzpflichten, da sie durch gütliche Übereinkommen zu einer Herabsetzung der Schulden zu gelangen suchten und die Haftungsreduktion somit freiwillig erfolge. 466 Zum anderen sei auch dem Sozialstaatsgedanken in Verbindung mit Art. 1 und 2 GG ein Postulat der staatlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für jeden Einzelnen zu entnehmen.467 Dazu zähle auch der Ausschluss des Risikos, durch eine zur eigenen Verantwortlichkeit völlig unangemessene Schadensersatzpflicht in der sozialen Existenz vernichtet zu werden. 468 457 Canaris , JZ 1987, 993, 1001 f.; vgl. auch: Canaris , Diskussionsbeitrag KF 1999, 33 f.; Goecke, Haftung Minderjähriger, 95; Goecke, NJW 1999, 2305,2309f.; MüKo (§§705-853)Mertens Vor §§823-853 Rn.72, 76f. 458 Canaris , JZ 1987, 993, 1001 f.; Goecke, NJW 1999, 2305, 2310. 459 Canaris , JZ 1987, 993, 1002. 460 Canaris , JZ 1987, 993, 1002; Canaris, JZ 1988, 494,497. 461 Canaris , JZ 1987, 993, 1001. 462 Canaris , JZ 1987, 993, 1001. 463 Canaris , JZ 1987, 993, 1001. 464 Canaris , JZ 1987, 993, 1001. 465 Goecke, NJW 1999, 2305, 2309f. i.V.m. 2307f.; vgl. auch: BVerfG 13.8.1998, NJW 1998,3557,3558: ein Verfassungsgebot einer Haftungsreduktion über §242 BGB sei trotz Vollstreckungsschutz und InsO denkbar; LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434; Goecke, Haftung Minderjähriger, 91 i.V. m. 68 ff.; MüKo (§§ 105-853)-Mertens Vor §§823-853 Rn. 76f.; Palandt-77zö/mw § 828 Rn.5; Schiemann, Vortrag KF 1999, 5, 10. 466 Canaris, JZ 1988,494, 497. 467 MüKo (§§ 105-853)-Mertens Vor §§ 823-853 Rn. 76. 468 MüKo mi05-S53)'Mertens Vor §§823-853 Rn.76; vgl. v.Hippel, VersR 1998,26,27.

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§

Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Allerdings könnten Regressansprüche des Schädigers eine existenzvernichtende Wirkung der Haftung und damit deren Verfassungswidrigkeit verhindern. 469 Gleiches gelte für einen Forderungserlass nach § 76 II Nr. 3 SGB IV, bei dem auch die Grundrechte des Schädigers zu berücksichtigen seien.470 Werde auch der Geschädigte durch die Schadenstragung in seiner Existenz getroffen, ergebe sich aus dem Geschädigtenschutz als dem primären Ziel des Schadensersatzrechts, dass seinen Interessen der Vorrang gebühre und es zu keiner Schadensteilung komme. 471 Auch in der verfassungsrechtlichen Diskussion ist wiederum die Bedeutung des Haftpflichtversicherungsschutzes umstritten. Zum einen wird argumentiert, dass eine existenzvernichtende Belastung des Schädigers und folglich auch die Verfassungswidrigkeit der Ersatzpflicht ausscheide, soweit eine Haftpflichtversicherung bestehe.472 Denn der verfassungsrechtliche Übermaßschutz solle die Entfaltung der Persönlichkeit des Schädigers schützen, nicht aber einer Versicherung zugute kommen.473 Das Verhältnis zwischen Haftung und Versicherung erlaube es auch, insoweit zwischen einem versicherten und einem unversicherten Schädiger zu unterscheiden. 474 Gegen eine Differenzierung zwischen haftpflichtversicherten und nicht versicherten Schädigern wird vorgebracht, dies laufe dem „Trennungsprinzip" zwischen Schadensersatzrecht und Versicherungsrecht zuwider und weise den privaten Haftpflichtversicherungen ebenso wie den Pflichtversicherungen eine „altruistische", auch den Geschädigten schützende Funktion zu. 475 Es wird weiter angenommen, dass bereits die Möglichkeit eines üblichen und zumutbaren Haftpflichtversicherungsschutzes die Verfassungswidrigkeit der Belastung des Schädigers durch die Ersatzpflicht ausschließe und daher einer Haftungsreduktion entgegenstehe.476 Dies führe zwar zu einem eigentümlichen Wechsel in der Begründung der Haftung, da nun nicht mehr die zurechenbar-schuldhafte Verursachung des Schadens allein die unbeschränkte Haftung rechtfertige, sondern erst der zusätzliche Vorwurf, eine rechtsgeschäftliche Eigenvorsorge unterlassen zu haben. 477 Doch habe das BVerfG zum Menschenbild des Grundgesetzes ausgeführt, 469

Pa\andt-Thomas §828 Rn.5; vgl. BVerfG 13.8.1998, NJW 1998, 3557, 3558. Vgl.: BVerfG 13.8.1998, NJW 1998,3557, 3558; Goecke, NJW 1999,2305,2310 i.V.m. 2309; Palandt-Thomas § 828 Rn.5; Schiemann, Vortrag KF 1999, 5, 9. 471 Vgl.: OLG Celle, 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 793; Canaris , JZ 1987, 993, 1001 f.; Canaris , Diskussionsbeitrag KF 1999, 33f.; Canaris , Grundrechte und Privatrecht, 52f., 95; Goecke, NJW 1999, 2305, 2309 f.; Schiemann, Vortrag KF 1999, 5, 11. 472 Goecke, NJW 1999, 2305, 2310 i.V.m. 2309; vgl. Canaris , JZ 1987, 993, 1001 f. 473 Canaris , JZ 1987,993, 1002. 474 MüKo (§§ 105-%53)-Mertens Vor §§ 823-853 Rn. 77. 475 Lorenz, VersR 1989, 711, 712; vgl. Goecke, NJW 1999, 2305, 2310 i.V.m. 2309. 476 Rolfs, JZ 1999, 233,239 f. 477 Rolfs, JZ 1999, 233,239. 470

Die Kritik

die Garantie der Menschenwürde verlange, den Einzelnen als fähig anzusehen und ihm demgemäß auch abzufordern, seine Interessen und Ideen mit denen der anderen auszugleichen.478 Die Verfassung fordere daher keinen Schutz desjenigen vor den Folgen seines Verhaltens, der willentlich auf Vorsorgemaßnahmen verzichtet habe, obwohl er hierzu rechtlich und tatsächlich in der Lage gewesen sei. 479 Es sei Allgemeingut, dass im heutigen hochtechnisierten Alltag auch ein geringfügiges Augenblicksversagen riesige Schäden verursachen und dass man sich gegen entsprechende Schadensersatzverpflichtungen durch den Abschluss einer für jedermann erschwinglichen Haftpflichtversicherung schützen könne. 480 Dem Einzelnen werde von der Rechtsordnung daher weder intellektuell noch wirtschaftlich eine unzumutbare Obliegenheit auferlegt, wenn sie ihm eine Eigenvorsorge gegen existenzvernichtende Belastungen abverlange. 481 Ein Verhalten dürfe somit auch deswegen als „unerlaubt" qualifiziert werden, weil das hierdurch verwirklichte Risiko versichert sei, und es sei fraglich, ob ein Nichtversichertsein heutzutage noch der im haftungsrechtlichen Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspreche.482 Einem nicht sozialversicherten Bürger bleibe schließlich bei Eigenschäden wie einer schweren Krankheit oder Invalidität auch nur die Sozialhilfe, wenn er keine ausreichende Risikovorsorge getroffen habe.483 Dem wird entgegnet, dass aus der bloßen Möglichkeit zum Abschluss einer Versicherung nicht auf die Legitimität oder gar Legalität einer Schadenszurechnung geschlossen werden könne.484 Denn es bestehe weder eine Rechtspflicht noch eine Obliegenheit zum Abschluss einer allgemeinen Haftpflichtversicherung. 485 Der Abschluss einer Haftpflichtversicherung könne auch weder finanziell noch intellektuell von jedermann erwartet werden. 486 Das Argument, der Schädiger hätte sich durch eine Haftpflichtversicherung schützen können, benachteilige somit die „sozial schwächeren" Schichten und habe geradezu den Ruch eines typischen Akademikerarguments. 487 Schließlich stelle sich auch aus verfassungsrechtlicher Sicht die Frage, wie eine nachträgliche Verbesserung der Vermögensverhältnisse des Schädigers zu behandeln sei. 488 Diesbezüglich wird vertreten, die Klage solle in Höhe des für den Schädiger untragbaren Schadens nicht endgültig, sondern lediglich als zur Zeit unbe478 479 480 481 482 483 484 485 486 487 488

Rolfs, JZ 1999, 233, 239 mit Bezug auf BVerfGE 5, 85, 204. Rolfs, JZ 1999, 233, 239. Rolfs, JZ 1999, 233, 239. Rolfs, JZ 1999, 233, 239. Rolfs, JZ 1999, 233, 239. Rolfs, JZ 1999, 233, 239. Canaris, JZ 1990, 679, 680. Canaris, JZ 1990, 679, 680. Canaris, JZ 1990, 679, 680. Canaris, JZ 1990, 679, 680. Medicus, AcP 192 (1992), 35, 67.

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

1

gründet abgewiesen werden. 489 Dagegen wird argumentiert, im Hinblick auf die Entfaltungsfreiheit müsse am Wert einer Haftungsreduktion gezweifelt werden, die ende, sobald der Schädiger mehr leisten könne. 490 5. Fehlende Angewiesenheit des Geschädigten auf die Ersatzleistung des Schädigers a) Die Berücksichtigung der fehlenden Angewiesenheit des Geschädigten auf die Ersatzleistung durch die Rechtsprechung Der Umstand, dass der Geschädigte aufgrund seiner guten wirtschaftlichen Verhältnisse durch eine vollständige oder teilweise Versagung des Ersatzanspruchs für die Zukunft nicht gravierend belastet würde, auf die Ersatzleistung des Schädigers also „nicht angewiesen" ist, ist nach geltendem Recht ohne Einfluss auf die Bemessung des Ersatzumfangs. Allein bei der Bemessung der Entschädigung für immateriellen Schaden im Sinne des § 2531 BGB 4 9 1 und des Billigkeitsersatzes nach § 829 BGB 4 9 2 kann eine günstige Vermögenslage des Verletzten zu einer niedrigeren Feststellung seines Ersatzanspruchs führen. Auch bei einer Schadloshaltung des Geschädigten durch dessen Privat- oder Sozialversicherung wird der Schädiger grundsätzlich nicht entlastet. Der Ersatzanspruch des Geschädigten geht vielmehr im Wege der Legalzession in vollem Umfang auf den Versicherungsträger über, vgl. § 67 VVG, § 116 SGB X. Bei Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs durch einen Sozialversicherungsträger ist allerdings in § 76 II Nr. 3 SGB IV die Möglichkeit einer Haftungsreduktion vorgesehen.493 Danach hat der Schädiger gegen den Sozialversicherungsträger einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Forderungserlass, wenn die Einziehung des Ersatzanspruchs „nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre", was von den Sozialgerichten überprüft wird. 494 489

Canaris, JZ 1987, 993, 1002. Medicus, AcP 192 (1992), 35, 67. 491 BGH GrZ 6.7.1955, BGHZ 18, 149, 159; vgl. OLG Karlsruhe 2.10.1957, VersR 1958, 67, 68 beide zur Schmerzensgeldbemessung nach § 847 BGB, der durch das „Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften" vom 19.7.2002 (BGBl. 12674) mit Wirkung vom 1.8.2002 aufgehoben wurde. 492 BGH 18.12.1979, BGHZ 76, 279, 284; BGH 24.4.1979, NJW 1979, 2096. 493 Eine ähnliche Regelung trifft § 110 II SGB VII für den originären Regressanspruch der Sozialversicherungsträger aus § 1101 SGB VII. 494 BVerfG 13.8.1998, NJW 1998, 3557, 3558; vgl. BSG 13.6.1989, VersR 1990, 175 zur a. F. des durch das „Zweite Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs" vom 13.6.1994 (BGBl. 11229) mit Wirkung zum 18.6.1994 geänderten §76 II Nr. 3 SGB IV, die einen Erlass von der Voraussetzung abhängig machte, dass „die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Anspruchsgegner eine besondere Härte bedeuten würde". 490

Die Kritik

Bei dieser Entscheidung hat der Sozialversicherungsträger die Grundrechte des Schädigers zu berücksichtigen. 495 b) Die Kritik am Prinzip der Totalreparation im Hinblick auf die Berücksichtigung der fehlenden Angewiesenheit des Geschädigten auf die Ersatzleistung aa) Argumente gegen eine stärkere Rücksichtnahme auf die fehlende Angewiesenheit des Geschädigten auf die Ersatzleistung Gegen eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten bei der Ersatzbemessung wird wiederum der Ausgleichszweck des Schadensersatzrechts angeführt. 496 Aufgrund dieser Zielsetzung könne das Schadensersatzrecht nur die Höhe des Schadens des Geschädigten beachten, nicht aber dessen Vermögenslage.497 Zudem dürfe der Wohlstand des Geschädigten nicht im Ergebnis einem Mitverschulden gleichgestellt498 und ihm gleichsam ein „Sonderopfer" auferlegt werden. 499 Eine gute wirtschaftliche Lage des Geschädigten könne seine stärkere Belastung für sich genommen nicht erklären. 500 Auch eine Entschädigung des Geschädigten durch eine zu seinen Gunsten bestehende Versicherung könne eine Ermäßigung der Haftung nicht rechtfertigen, da kein Anlass bestehe, den Schädiger in den Genuss der Leistungen dieses Vorsorgesystems kommen zu lassen.501 Um dies zu verhindern, erfolge nach geltendem Recht stets eine Überleitung des Ersatzanspruchs auf den an den Geschädigten leistenden Dritten. 502 Gegen eine Entlastung des Schädigers aus diesem Grund spreche zudem der Gesichtspunkt der Trennung von Haftung und Versicherung. 503 Überdies sei eine durch eine Haftungsreduktion erzeugte Belastung des Geschädigten mit höheren Versicherungsprämien nicht gerechtfertigt. 504 Durch die Verteilung der Schadenslast auf die Gesamtheit der Versicherten erscheine die Problematik der stärkeren Belastung des Geschädigten insofern zwar weniger gravierend, bleibe jedoch ungelöst.505 495 496 497

BVerfG 13.8.1998, NJW 1998, 3557 f. Lange, Hermann, Schadensersatz, 15. Lange, Hermann, Schadensersatz, 15; vgl. Scheffler,

Diskussionsbeitrag 43. DJT, C95,

C96.

498

Bydlinski, JB1. 1968, 330, 332. Löwe, VersR 1970, 289, 291; vgl. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.631. 500 Wadle, VersR 1971, 485,491. 501 Staudinger (§§ &26-%29)~Oechsler § 828 Rn.43; vgl. auch: Felgentraeger, Vertrag und Unrecht, 240; Hohloch, Gutachten, 375,462; Scheffler, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C95, C96. 502 Vgl. Hohloch, Gutachten, 375,462. 503 Staudinger (§§ 826-829)-Oechsler § 828 Rn. 43. 504 Wadle, VersR 1971,485,491. 505 Wadle, VersR 1971,485,491. 499

8 Bartelt

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

1

Aus verfassungsrechtlicher Sicht begegne die Außerachtlassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Geschädigten bei der Ersatzbemessung ebenfalls keinen grundsätzlichen Bedenken.506 So sei das mit dem Grundsatz der Totalreparation verfolgte Ziel, das Integritätsinteresse des Geschädigten in vollem Umfang zu schützen, im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip für sich genommen nicht zu beanstanden.507 Der Grundsatz der Totalreparation sei zu dessen Erreichung sowohl geeignet als auch erforderlich. 508 Für die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne komme es darauf an, ob die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sei. 509 Man könne insofern zwar überlegen, die Zumutbarkeit der Ersatzpflicht zu verneinen, wenn der Schädiger durch die Ersatzleistung in seiner wirtschaftlichen Existenz vernichtet werde, während der Geschädigte hierauf nicht zur Sicherung seiner Existenz angewiesen sei. 510 Dies erscheine zunächst plausibel, da es der Logik des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu entsprechen scheine, durch eine immer intensivere Aufbereitung des Abwägungsmaterials zu einer ständig feiner werdenden Bemessung der Zumutbarkeit einer Regelung zu gelangen.511 Doch bestünden auch Bedenken gegen die Annahme, die Vermögensverhältnisse des Geschädigten könnten der Ersatzpflicht verfassungsrechtlich entgegenstehen512: Zum einen trage eine Handhabung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit der Strenge, die bei Eingriffen zugunsten öffentlicher Interessen angewandt werde, dem gerade im Haftungsrecht besonders deutlich werdenden Umstand nicht hinreichend Rechnung, dass das Zivilrecht dem einen nur geben könne, was es zugleich dem anderen nehme.513 Vor allem aber werde der Zweck des Schadensersatzrechts dahin modifiziert, dass es bei entsprechender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Geschädigten eine erlittene Einbuße nicht mehr ausgleichen solle, und werde dessen höherwertigen Rechtsgütern der Schutz gegen Beeinträchtigungen durch weniger Wohlhabende weitgehend versagt. 514 Doch ändere die Möglichkeit der Umschichtung von Vermögenswerten nichts am Schadensumfang. 515 Im Hinblick auf diese beiden Gesichtspunkte müsse die Pflicht zum Ersatz des vollen Schadens auch dann als „zumutbar" im Sinne des verfassungsrechtlichen 506 507 508 509 510 5.1 5.2 513 514 515

Looschelders, VersR 1999, 141, 145. Krause, JR 1994, 494, 498. Krause, JR 1994, 494,498; vgl. Goecke, Haftung Minderjähriger, 87. Krause, JR 1994,494,498. Krause, JR 1994,494,498. Krause, JR 1994,494,498. Krause, JR 1994,494,498. Krause, JR 1994,494,498. Krause, JR 1994, 494,498. Krause, JR 1994, 494, 498.

I. Die Kritik

115

Verhältnismäßigkeitsprinzips angesehen werden, wenn der Geschädigte hierauf nicht zur Sicherung seiner Existenz angewiesen sei. 516 Es lasse sich nicht feststellen, dass die dem vollen Schadensausgleich entgegenstehenden Interessen des Schädigers in solchen Fällen „ersichtlich wesentlich schwerer" wögen als die Interessen des Geschädigten am vollen Ersatz des Schadens.517 Auch bei einem Regress eines Versicherers sind die Ansichten geteilt: Nach einer Auffassung besteht kein Verfassungsgebot einer Haftungsreduktion 518, zumal ein entsprechendes Regressverbot lediglich eine Weitergabe der Verluste von den Versicherungen an die versicherten Geschädigten durch Prämienerhöhungen bewirken würde. 519 Nach anderer Ansicht muss dagegen bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Regressansprüchen danach differenziert werden, ob ein Sozial- oder ein Privatversicherer an den Geschädigten geleistet hat 520 : Im Verhältnis zwischen Sozialversicherungsträger und Schädiger sei allein der Schädiger grundrechtsberechtigt, der Sozialversicherungsträger hingegen grundrechtsverpflichtet. 521 Hier könnten die Grundrechte des Schädigers daher eine Haftungsreduktion nach § 76 II Nr. 3 SGBIV gebieten.522 Der Sozialversicherungsträger dürfe den Regressanspruch nur insoweit geltend machen, als dies geeignet, erforderlich und angemessen zur Wahrung der durch § 1 16SGB X geschützten Belange sei. 523 Nehme dagegen ein Privatversicherer mittels des nach § 67 V VG auf ihn übergegangenen Ersatzanspruchs des Geschädigten beim Schädiger Regress, könne er sich in gleicher Weise wie der Geschädigte auf Grundrechte berufen. 524 Man könne insofern zwar überlegen, ob dem grundrechtlichen Schutzanspruch des Privatversicherers in der Abwägung mit dem Abwehranspruch des Schädigers grundsätzlich ein geringeres Gewicht zukomme als dem entsprechenden Schutzanspruch des Geschädigten selbst.525 Eine solche Unterscheidung lasse sich jedoch nicht damit begründen, dass der einzelne Versicherte durch eine Haftungsreduktion viel geringer belastet werde als ein einzelner Geschädigter.526 So wünschenswert es auch sein möge, einen Schaden von einem Einzelnen, sei dies der Schädiger oder der Geschädigte, auf ein Kollektiv zu verlagern, so dürfe doch nicht willkürlich das Kollektiv 5,6 517 518 519 520 521 522 523 524 525 526

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Krause, JR 1994,494,499. Krause, JR 1994,494, 499. Krause, JR 1994,494,499; vgl. Lorenz, VersR 1989, 711, 712. Staudinger (§§ 826-829)-Oechsler § 828 Rn. 2,41 ff. Looschelders, VersR 1999, 141, 146. Looschelders, VersR 1999, 141, 146. Looschelders, VersR 1999, 141, 146. Looschelders, VersR 1999, 141, 146. Looschelders, VersR 1999, 141, 147. Looschelders, VersR 1999, 141, 147. Looschelders, VersR 1999, 141, 147.

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

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belastet werden, das im Einzelfall gerade vorhanden sei. 527 Die Belastung eines privaten Versicherers mit dem Schaden sei vielmehr nur dann gerechtfertigt, wenn dieser für die Tragung dieses Schadens zuständig sei. 528 Die private Schadensversicherung des Geschädigten habe aber keineswegs die Funktion, den Schädiger vor übermäßigen Ersatzpflichten zu bewahren, sondern diene allein dem Schutz des Geschädigten.529 Dementsprechend bezwecke die Legalzession nach § 67 VVG nicht zuletzt, eine Entlastung des Schädigers zu verhindern. 530 Ihr Grundgedanke, den Schädiger nicht in den Genuss der Leistungen eines von anderen finanzierten Vorsorgesystems kommen zu lassen, sei heute noch keineswegs obsolet.531 Somit lasse sich beim Regress eines Privatversicherers gegen den Schädiger grundsätzlich kein Verfassungsgebot zu einer Reduktion des Ersatzanspruchs feststellen. 532 bb) Argumente für eine stärkere Rücksichtnahme auf die fehlende Angewiesenheit des Geschädigten auf die Ersatzleistung Für eine stärkere Berücksichtigung der Vermögenslage des Geschädigten bei der Ersatzbemessung wird pauschal angeführt, dies entspreche der materiellen Gerechtigkeit. 533 Es wäre zudem gut, die Rolle sichtbar zu machen und abzugrenzen, die die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten bereits heute im Verborgenen und damit rationaler Kontrolle entzogen spielten.534 In diesem Sinne spreche es für eine Haftungsreduktion, wenn der Geschädigte aufgrund seiner guten Vermögenslage durch die Schadenstragung nur gering belastet werde. 535 Auch eine Schadloshaltung des Geschädigten von dritter Seite könne insofern eine Haftungsreduktion nahelegen.536 527

Looschelders, VersR 1999, 141, 147. Looschelders, VersR 1999, 141, 147. 529 Looschelders, VersR 1999, 141, 147. 530 Looschelders, VersR 1999, 141, 147. 531 Looschelders, VersR 1999, 141, 147. 532 Looschelders, VersR 1999, 141, 147. 533 OLG Celle 18.10.1972, JZ 1973,246,248; BDI, Stellungnahme, 6; Gierke, Der Entwurf, 198,267; Lange, Heinrich, Vom alten zum neuen Schuldrecht, 32, 82f.; vgl. auch: Dölle, DJZ 1934, 1016, 1021; Kohler, Lehrbuch, 141; Lange, Heinrich, Liberalismus, 18; Mertens, FamRZ 1968, 130, 131; Nipperdey, NJW 1967, 1985; Reinhardt, Die Billigkeitshaftung, 64, 85 ff.; Riezler, Jherings Jahrbücher 53, 177,207; Steffen, VersR 1998, 1449,1452. 534 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 189; vgl. Rother, Haftungsbeschränkung, 290 f. 535 OLG Celle 18.10.1972, JZ 1973,246,248; Akademie für Deutsches Recht, Entwurf, 90, 92; v.Bar, Gutachten, 1681, 1762, 1774; Bydlinski, JB1. 1968, 330, 331; Larenz, Formulierungsvorschlag einer Reduktionsklausel KF 1968, referiert von Bydlinski, JB1.1968, 330; Michaelis, Beiträge, 59ff., 114,119,124f., 126f., 129,136ff., 150; Nipperdey, Leitsätze, 11,15; 528

Die Kritik

Eine Haftungsmilderung komme insbesondere dann in Betracht, wenn eine Versicherung des Geschädigten für den Schaden aufgekommen sei und nun beim Schädiger Regress nehme.537 Einem den Schaden breit streuenden kollektiven Vorsorgeträger könne im Hinblick auf seine Vermögensverhältnisse eine Billigkeitsreduktion der auf ihn übergegangenen Ersatzansprüche eher zugemutet werden als einem einzelnen Geschädigten, den die Herabsetzung unmittelbar und endgültig in seinem persönlichen Vermögen treffen würde. 538 Denn die Versicherungsträger seien auf die Regresseinnahmen nicht angewiesen.539 Da diese Einnahmen mit vielfältigen Zufälligkeiten und Unwägbarkeiten verbunden seien, hätten sie allenfalls geringfügigen Einfluss auf deren Finanzplanung.540 Es sei überdies zu bedenken, dass die Legalzession des Schadensersatzanspruchs lediglich bezwecke, den Schädiger zum einen nicht von den Leistungen eines von anderen finanzierten Sicherungssystems profitieren zu lassen, und zum anderen, präventiv einem leichtfertigen, weil folgenlosen Verhalten vorzubeugen. 541 Den ursprünglichen Zweck des Schadensersatzanspruches, dem Verletzten einen Ausgleich für seinen Schaden zu gewähren, könne sie dagegen nicht mehr erfüllen. 542 Beide Zwecke erforderten aber kein unbedingtes Bestehen auf der ursprünglichen Schadensersatzschuld543: Für die PräventionsWirkung reiche auch ein spürbares, aber nicht existenzbedrohendes Vermögensopfer aus. 544 Und hinsichtlich des Abschöpfungseffekts genüge es, den Gegenwert einer gedachten Haftpflichtversicherung in Rechnung zu stellen.545 Reinhardt, Die Billigkeitshaftung, 64, 85ff.; Rother, Haftungsbeschränkung, 290f.; Wilburg, Elemente, 29, 101 f., 285; Wilburg, Bewegliches System, 12ff.; Wilburg, Referat 43. DJT, C 3, C 13, C20; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 324 f.; vgl. Weitnauer, Der haftungsfreie Raum Rn.23. 536 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.632f., 935 f.; Gärtner, JZ 1988, 579, 581 ff.; Krause, Peter, Gutachten, 79f.; Steffen, VersR 1998, 1449, 1451 f.; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481,499 f., 502; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 324f.; vgl. Prölss, FG Oftinger, 225, 232 f. 537 BMJ, Begründung RefE 1967, 47; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.632f., 935 f.; Gärtner, JZ 1988, 579, 581 ff.; Krause, Peter, Gutachten, 79 f.; Scheffen, DAR 1991, 121, 125; Schmidt, Reimer, FS Felgentraeger, 367, 374; Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481, 500f.; vgl. auch: OLG Celle 18.10.1972, JZ 1973, 246, 248; Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 529; Prölss, FG Oftinger, 225, 232f.; Prölss, Diskussionsbeitrag KF 1962, 25, 26; Rother, Haftungsbeschränkung, 290; Schwamb, Reduktionsklausel, 29, 554 f., 569. 538 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 632f., 935 f.; Schwamb, Reduktionsklausel, 554. 539 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.632, 935; Gärtner, JZ 1988, 579,581 f. 540 Gärtner, JZ 1988, 579, 581 f.; Rother, Haftungsbeschränkung, 290. 541 Gärtner, JZ 1988, 579, 582 f. 542 Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 529; Gärtner, JZ 1988, 579,582. 543 Gärtner, JZ 1988, 579, 583; vgl. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.935. 544 Gärtner, JZ 1988, 579, 583. 545 Gärtner, JZ 1988, 579, 583.

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

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In § 76 II Nr. 3 SGBIV finde sich bereits de lege lata eine Reduktionsklausel für den Teilbereich des Regresses eines Sozialversicherungsträgers. 546 Auch bei deren Handhabung sei zu beachten, dass der Umfang des deliktischen Schadensersatzanspruchs auf den Individualschadensersatz ausgerichtet sei. 547 Daher bedeute es dessen dysfunktionale Anwendung, daran auch nach dem gesetzlichen Übergang des Deliktsanspruchs auf den Sozialversicherungsträger festzuhalten. 548 Die dogmatische Ausgestaltung dieses Anspruchs durch Rechtsprechung und Wissenschaft bezwecke den Schadensausgleich und die Garantie des Rechtsgüterbestandes zugunsten des individuellen Geschädigten.549 Dem dienten u. a. der Ausbau der Verkehrspflichten in Verbindung mit dem objektiv-typisierten Sorgfaltsmaßstab und die Verkürzung des Verschuldensbezuges.550 Es sei nicht gerechtfertigt, die Sozialversicherungsträger in den Genuss derartiger Vergünstigungen kommen zu lassen.551 Bei originären Regressansprüchen der Sozialversicherungsträger, z. B. nach § 6401 RVO 552 , habe der BGH den Funktionswandel anerkannt und etwa das Verschuldenserfordernis auf den Schaden bezogen.553 Solche Korrekturen seien bei Regressansprüchen, die im Wege der Legalzession der Ersatzansprüche der Geschädigten erworben würden, zwar nicht möglich, da diese nach dem Forderungsübergang nicht anders ausgelegt werden könnten als vorher. 554 Hier könne aber § 76 II SGB IV die Haftungsergebnisse des Deliktsrechts auf das sozial gebotene Maß zurückführen. 555 Dem Erlass von Regressforderungen sei innerhalb des weitaus größeren Anwendungsbereichs der Generalklausel des §76 II SBG IV somit selbständige Bedeutung zuzuerkennen.556 Auch die Verkehrsüblichkeit eines tatsächlich aufseiten des Geschädigten nicht vorhandenen Versicherungsschutzes spreche für eine Haftungsreduktion. 557 Dieser 546

Ahrens, AcP 189 (1989), 526,529f. zur a.F. des durch das „Zweite Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs" vom 13.6.1994 (BGBl. 11229) mit Wirkung zum 18.6.1994 geänderten § 76 II Nr. 3 SGB IV, die einen Erlass von der Voraussetzung abhängig machte, dass „die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Anspruchsgegner eine besondere Härte bedeuten würde". 547 Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 545 f. 548 Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 545. 549 Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 545. 550 Ahrens, AcP 189 (1989), 526,545. 551 Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 545. 552 §6401 RVO wurde durch Art.35 des UVEG vom 7.8.1996 (BGB1.11254) mit Wirkung vom 1.1.1997 aufgehoben und durch den inhaltlich vergleichbaren § 1101 SGB VII ersetzt. Nach § 11013 SGB VII braucht sich das Verschulden jedoch nur auf das den Versicherungsfall verursachende Verhalten zu beziehen, wodurch die abweichende Rechtsprechung zu § 6401 RVO eine gesetzgeberische Korrektur erfahren hat, vgl. Schmitt, SGB VII § 110 Rn. 9. 553 Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 545. 554 Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 545 f. 555 Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 546. 556 Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 546. 557 v.Bar, Gutachten, 1681,1762,1774f.; vgl. auch: Prölss, FG Oftinger, 225,233f.; Prölss, Diskussionsbeitrag KF 1962, 25, 26; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 324 f.

Die Kritik

müsse dem tatsächlich vorhandenen gleichgestellt werden, da man den tatsächlich Versicherten nicht gegenüber dem aus Nachlässigkeit nicht Versicherten benachteiligen dürfe. 558 Im Hinblick auf die Behandlung einer nachträglichen Veränderung der Vermögensverhältnisse des Geschädigten wird Ähnliches vorgebracht wie zu einer nach der Haftungsreduktion erfolgenden Änderung der wirtschaftlichen Situation des Schädigers. 559 Sei der Geschädigte aufgrund seiner guten Vermögensverhältnisse auf die Ersatzleistung nicht angewiesen, um seine legitimen Bedürfnisse zu befriedigen, so könne dies unter bestimmten Voraussetzungen sogar die Verfassungswidrigkeit der Ersatzpflicht begründen. 560 So sei es im Rahmen der nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorzunehmenden Abwägung zwischen der Beeinträchtigung der Grundrechte des Schädigers durch die Ersatzpflicht und dem durch die grundrechtlichen Schutzpflichten abgesicherten Ausgleichsinteresse des Geschädigten für das Gewicht des Ausgleichsinteresses bedeutsam, ob der Geschädigte nach seinen Vermögensverhältnissen auf die Ersatzleistung des Schädigers angewiesen sei. 561 Denn aus den grundrechtlichen Schutzpflichten lasse sich keineswegs eine derart hohe Schutzwürdigkeit der Interessen des Geschädigten ableiten, dass dieser stets den vollen Schaden ersetzt erhalten müsse.562 Sei der Geschädigte auf die Ersatzleistung wirtschaftlich nicht angewiesen, während der Schädiger durch die Ersatzpflicht in existentieller Weise belastet werde, könne das verfassungsrechtliche Übermaßverbot daher eine Haftungsreduktion gebieten.563 Bei geschädigten juristischen Personen und Gesellschaften komme es diesbezüglich in erster Linie auf die Auswirkungen für deren Mitglieder und Arbeitnehmer an. 564 Würden diese nicht ruinös oder katastrophal betroffen, solle regelmäßig auch ein Konkurs der juristischen Person oder Gesellschaft aufgrund der Haftungsreduktion in Kauf genommen werden. 565 Es sei immer noch vorzuziehen, dass Aktionäre, GmbH-Gesellschafter oder Kommanditisten ihre Anteile und Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlören, als dass ein Mensch lebenslang in den Ruin getrieben werde. 566 558

v.Bar, Gutachten, 1681, 1774f.; vgl. Prölss, Diskussionsbeitrag KF 1962, 25, 26. Mertens, FamRZ 1968, 130, 132; vgl. §3I.4.b)bb). 560 Canaris , JZ 1987,993, 1001 f.; Canaris , Grundrechte und Privatrecht, 52f., 95; Soergel Band 2-Mertens Vor §249 Rn.40; vgl. auch: Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 633; Goecke, Haftung Minderjähriger, 94f., 100; Rolfs, JZ 1999, 233, 241 f. 561 Vgl.: Canaris , JZ 1987, 993, 1001 f.; Canaris , JZ 1990, 679, 681. 562 Goecke, Haftung Minderjähriger, 94. 563 Canaris , JZ 1987, 993, 1001 f.; Soergel Band 2-Mertens Vor §249 Rn.40. 564 Canaris , JZ 1987,993, 1002. 565 Canaris , JZ 1987, 993, 1002. 566 Canaris , JZ 1987, 993, 1002. 559

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Aus verfassungsrechtlicher Sicht spreche ebenfalls insbesondere die Schadloshaltung des Geschädigten „von dritter Seite", d. h. regelmäßig durch eine eigene Versicherung, für eine Haftungsreduktion. 567 Nach einer Ansicht soll dies jedoch nur für den Regress eines Sozialversicherungsträgers gelten. 568 Diese wurde bereits oben dargestellt. 569 Einer anderen Auffassung zufolge weisen Privatversicherer dagegen kein höheres legitimes Eigeninteresse als Sozialversicherungsträger auf und sind bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung ihrer Regressansprüche daher ebenso wie diese zu behandeln.570 Insofern könne man hinsichtlich jeglicher Regressansprüche von Versicherungen des Geschädigten zunächst überlegen, ob es im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips als ein milderes Mittel gegenüber der unbegrenzten Haftung des Schädigers anerkannt werden könne, den Schaden durch eine Haftungsreduktion auf die Gemeinschaft der Schadensversicherten zu verteilen, und damit auf andere Personen als den Schädiger. 571 Wie § 5 III KfzPflVV zeige, sei dieser Gedanke dem geltenden Recht nicht vollkommen fremd. 572 Danach sei der Kfz-Haftpflichtversicherer auch bei einer Obliegenheitsverletzung im Innenverhältnis nur bis zum Betrag von 10 000 DM leistungsfrei. 573 Die Vorschrift bezwecke, den Versicherten durch eine fühlbare finanzielle Belastung zur Einhaltung seiner Obliegenheiten zu veranlassen, gleichwohl aber bei deren Verletzung eine Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz zu verhindern. 574 Sie verfolge insofern denselben Zweck, dem auch eine Reduktionsmöglichkeit dienen würde. 575 Der einzige Unterschied zwischen beiden Fällen bestehe darin, dass die wirtschaftliche Last bei § 5 III KfzPflVV letztlich von einer vom Schädiger mitfinanzierten Versicherung getragen werde, während bei einer Regressbeschränkung der Versicherung des Geschädigten eine dem Schädiger fremde Versichertengemeinschaft mit dem Schaden belastet werde. 576 Man könne aus diesem Grund daran denken, eine Haftungsreduktion nur im Falle der Schadloshaltung 567

LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432ff.; LG Dessau 15.9.1996, NJW-RR 1997, 214,215 f.; OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989,19\;Canaris, JZ 1990,679,681; vgl. auch: Canaris, JZ 1987,993,1002; FrKo InsO-Ahrens § 302 Rn.6; Kohte, Restschuldbefreiung-zMrens§ 302 Rn.6. 568 Looschelders, VersR 1999, 141, Höf. *>9Vgl. §3I.5.b)aa). 570 Vgl. Schiemann, Vortrag KF 1999, 5, 11. 57 1 Rolfs, JZ 1999, 233, 237 f. 57 2 Rolfs, JZ 1999, 233, 238. 57 3 Rolfs, JZ 1999, 233, 238. 57 4 Rolfs, JZ 1999, 233, 238. 575 Vgl. Rolfs, JZ 1999,233, 238. 57 6 Rolfs, JZ 1999, 233, 238.

Die Kritik

des Geschädigten durch einen Versicherer des Schädigers zuzulassen, nicht aber, wenn ein Versicherer des Geschädigten Ersatz geleistet habe.577 Doch auch wenn diese Differenzierung ökonomisch stringent erscheine, sei sie verfassungsrechtlich irrelevant, da der Grundrechtsschutz nicht voraussetze, dass der Geschützte sich an den hierfür erforderlichen Aufwendungen beteilige.578 Anders als Versicherungsschutz werde Grundrechtsschutz kostenlos gewährt. 579 Auch wenn man im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Abwägung zwischen dem Ausgleichsinteresse des Geschädigten und der Beeinträchtigung der Grundrechte des Schädigers durch die Ersatzpflicht vornehme, spreche eine Schadloshaltung des Geschädigten durch dessen eigene Versicherung für die Unverhältnismäßigkeit der vollen Ersatzpflicht des Schädigers. 580 Denn in diesen Fällen stünde den betroffenen Grundrechten des Schädigers lediglich das Interesse der Versichertengemeinschaft gegenüber, die Versicherungsleistungen nicht nur durch Prämien, sondern auch durch Regressansprüche gegen die Schädiger zu finanzieren. 581 Dieses vom wirtschaftlichen Interesse des Einzelgeschädigten gelöste allgemeine wirtschaftliche Interesse wiege schon deshalb geringer, weil der einzelne Versicherte weit schwächer belastet werde als der einzelne Geschädigte.582 Zudem komme eine Regressbeschränkung nur in Ausnahmefällen in Betracht und führe daher nur in einem so geringen Umfang zu Forderungsausfällen, dass diese für den einzelnen Versicherten kaum noch prämienwirksam werden könnten, jedenfalls aber durch eine dieses Ausfallrisiko berücksichtigende Prämienkalkulation kontrollierbar seien.583 Bei mehreren Geschädigten müsse das Bestehen von Versicherungsschutz bei der Verteilung der durch die verfassungsrechtliche Begrenzung der Leistungspflicht des Schädigers limitierten Mittel auf die einzelnen Geschädigten ebenfalls berücksichtigt werden. 584 Hier sei dem Ausgleichsinteresse nicht versicherter Geschädigter der Vorrang einzuräumen. 585 Denn zum einen sei eine nicht ausreichende Deckung des Schadens durch eine Schadensversicherung einem Geschädigten nicht nachteilig anzulasten.586 Zum anderen sei das Regressinteresse eines Versicherers weniger gewichtig als das Restitutionsinteresse eines individuellen Geschädigten, da dessen 57 7

Rolfs, JZ 1999, 233, 241. Rolfs, JZ 1999, 233, 241. 57 9 Rolfs, JZ 1999, 233, 241. 580 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432ff.; vgl. auch: LG Dessau 25.9.1996, NJWRR 1997, 214, 215f.; Goecke, Haftung Minderjähriger, 94f. 581 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1435; vgl. auch: LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216; Goecke, Haftung Minderjähriger, 95. 582 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991,1432,1435; vgl. LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997,214,216. 583 Vgl. LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1435. 584 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1435. 585 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991,1432, 1435. 586 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1435. 57 8

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Leistungen grundsätzlich bereits durch die Versicherungsprämien bezahlt seien.587 Daher solle eine Befriedigung eines gemäß §67 VVG auf die Personen- oder Sachversicherung des Geschädigten übergegangenen Anspruchs nur dann erfolgen, wenn keine versicherungsvertraglich ungedeckten Schäden entstanden seien oder der Schädiger durch den Ausgleich der nicht versicherten Schäden noch nicht unzumutbar belastet werde. 588 Im Hinblick auf die Möglichkeit einer nachträglichen Änderung der Vermögensverhältnisse des Geschädigten wird wiederum gefordert, eine Schadensersatzklage in Höhe der Haftungsreduktion nicht endgültig, sondern lediglich als zur Zeit unbegründet abzuweisen.589

6. Mindeijährigkeit des Schädigers a) Die Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Schädigers durch die Rechtsprechung Die Minderjährigkeit des Schädigers berechtigt de lege lata grundsätzlich nicht zu einer Minderung des Umfangs der Ersatzpflicht. Lediglich im Rahmen der Mitverschuldensberücksichtigung bewertet die Rechtsprechung das Verschulden eines Minderjährigen bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens regelmäßig geringer als dasjenige eines Erwachsenen in vergleichbarer Situation 590 und gelangt so im Ergebnis zu einer Haftungsmilderung aufgrund der Minderjährigkeit des Schädigers. Daneben sieht das Haftungsrecht Haftungserleichterungen im Hinblick auf die Minderjährigkeit des Schädigers vor. Zu nennen ist hier zum einen die Vorschrift des § 828 BGB. Danach ist die Haftung eines Minderjährigen bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres ausgeschlossen (§ 8281 BGB). Gleiches gilt nach § 828 II BGB bezüglich eines Minderjährigen vor Völlendung des 10. Lebensjahres für Schädigungen bei den dort genannten Verkehrsunfällen, sofern er die Verletzung nicht vorsätzlich verursacht hat. Soweit die Haftung des Minderjährigen nach den Absätzen 1 und 2 des § 828 BGB noch nicht entfällt, hängt seine Verpflichtung zum Schadensersatz gemäß § 828 III BGB davon ab, ob er „bei der Begehung der schädigenden Handlung [...] die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat". Die hiernach als Haftungsvoraussetzung geforderte Einsichtsfähigkeit liegt vor, wenn der Minderjährige nach seiner 587 588 589 590

LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1435. LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1435. Canaris, JZ 1987,993, 1002. BGH 13.2.1990, NJW 1990, 1483, 1484; BGH 12.1.1993, NJW-RR 1993,480,481.

Die Kritik

geistigen Entwicklung zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung imstande war einzusehen, dass seine Tat allgemein gefährlich war, ein Unrecht darstellte und er daher in irgendeiner Form für sie würde einstehen müssen.591 Allerdings fordert § 828 III BGB bei vorhandener Einsichtsfähigkeit nicht, dass der Minderjährige auch in der Lage ist, entsprechend seiner Einsicht zu handeln und die Schädigung zu vermeiden (Steuerungsfähigkeit). 592 Zum anderen zieht die Rechtsprechung bei Minderjährigkeit des Schädigers bei der Prüfung des Verschuldens einen alterstypischen Sorgfaltsmaßstab heran und fragt danach, ob ein normal entwickelter Jugendlicher des betreffenden Alters die Gefährlichkeit seines Verhaltens hätte voraussehen und dieser Einsicht gemäß hätte handeln können und müssen.593 Diese Haftungsprivilegierungen des Minderjährigen ermöglichen jedoch keine Abstufung des Ersatzpflichtumfanges, sondern führen gegebenenfalls zu einem vollständigen Wegfall der Haftung. Ist die Haftung des minderjährigen Schädigers dagegen zu bejahen, bestimmt sich der Umfang seiner Ersatzpflicht nach § 2491 BGB, ohne dass seiner Minderjährigkeit durch eine Haftungsmilderung Rechnung getragen werden könnte. Zwar kann der minderjährige Schädiger nach Eintritt der Volljährigkeit unter den Voraussetzungen des § 1629 a BGB 5 9 4 gegenüber seinen Schadensersatzgläubigern einredeweise geltend machen, dass seine Haftung für die von dieser Vorschrift erfassten Schadensersatzverbindlichkeiten auf den Bestand seines bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens beschränkt ist. Allerdings kommt ihm dieser Schutz vielfach nicht zugute, so bei Schadensersatzpflichten aus bestimmten Schuldverhältnissen (§ 1629 a II BGB) und insbesondere im Bereich der deliktischen Haftung.

591

BGH 28.2.1984, NJW 1984,1958; vgl. BGH 8.1.1965, FamRZ 1965, 132,133 beide zu §828 II BGB a.F. 592 BGH 10.3.1970, NJW 1970,1038f.; BGH 28.2.1984, NJW 1984, 1958 beide zu §828 II BGB a.F. 593 BGH 10.3.1970, NJW 1970, 1038, 1039 f.; BGH 28.2.1984, NJW 1984, 1958f. 594 Veranlasst durch den Beschluss des BVerfG vom 13.5.1986, BVerfGE 72, 155, wurde diese Vorschrift durch das Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz vom 25.8.1998 (BGBl. 12487) in das BGB eingefügt und ist am 1.1.1999 in Kraft getreten. Sie war daher einem großen Teil der Kritik nicht bekannt.

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

1

b) Die Kritik am Prinzip der Totalreparation auf die Berücksichtigung der Minderjährigkeit

im Hinblick des Schädigers

aa) Argumente gegen eine stärkere Rücksichtnahme auf die Minderjährigkeit des Schädigers Gegen eine Haftungsreduktion, die sich an der je nach der individuellen Reife des Minderjährigen mehr oder weniger schwer erscheinenden Schuld orientiert, wird vorgebracht, dies würde den Minderjährigenschutzgedanken übersteigern und gegenüber sonstigen die Zurechnungsfähigkeit beschränkenden Gesichtspunkten ungerechtfertigt bevorzugen. 595 Dem Geschädigten würde überdies in unvertretbarer Weise das Risiko des Reifungsprozesses aufgebürdet. 596 Denn auch wenn das Kind Aufgabe und Verpflichtung nicht nur für die Eltern, sondern auch für die Allgemeinheit sei, so rechtfertige dies doch nicht eine blinde und zufällige Überwälzung der hiermit verbundenen Risiken und Kosten auf Dritte. 597 Obgleich die Schädigung durch einen Jugendlichen trotz dessen Deliktsfähigkeit nach § 828 II BGB a. F. oft in einem milderen Licht als bei einem erwachsenen Schädiger erscheine, da er noch nicht über die Besonnenheit, Umsicht und Erfahrung eines reifen Menschen verfüge, trage das Haftungserfordernis der Zurechnungsfähigkeit in § 828 II BGB a. F. dem Gedanken des Schutzes der jugendlichen, noch im Reifungsprozess befindlichen Persönlichkeit doch hinreichend Rechnung. 598 Eine Haftungsprivilegierung Minderjähriger dürfe auch nicht damit begründet werden, dass sich ein Volljähriger durch den Abschluss einer Privathaftpflichtversicherung selbst gegen die Haftungsfolgen schützen könne, während dem Minderjährigen die hierzu erforderliche Geschäftsfähigkeit und oft auch die Einsicht in die Notwendigkeit einer solchen Sicherung fehlten. 599 Denn der Minderjährige müsse sich insoweit die Einsicht und Fähigkeit der für ihn Sorgeberechtigten zurechnen lassen.600 Der minderjährige Schädiger, dessen Vermögenssorgeberechtigte ihn nicht haftpflichtversichert hätten, verdiene insoweit keine bessere Behandlung als ein volljähriger, der dies selbst unterlassen habe.601 Dies nötige zugleich dazu, die Vermögenssorgeberechtigten bei Unterlassen des Abschlusses einer Haftpflichtversicherung zugunsten des Minderjährigen wegen Verletzung ihrer Sorgepflichten für verpflichtet zu halten, den Minderjährigen von 595 596 597 598 599 600 601

Waibel, Die Verschuldensfähigkeit, 166 f. Waibel, Die Verschuldensfähigkeit, 167. Stürner, GS Lüderitz, 789, 806ff. Waibel, Die Verschuldensfähigkeit, 166. Lorenz, VersR 1989, 711,712. Lorenz, VersR 1989, 711,712; vgl. Looschelders, VersR 1996, 529, 537 Fn. 124. Lorenz, VersR 1989, 711,712.

Die Kritik

leicht fahrlässig begründeten Ersatzpflichten freizustellen. 602 Das bedeute wiederum, dass bei hinreichender Leistungsfähigkeit der vermögenssorgeberechtigten Personen keine gravierende Belastung des Minderjährigen durch die Ersatzpflicht vorliege. 603 Auch die Ableitung einer Beschränkung der Schadensersatzhaftung Minderjähriger aus dem Verfassungsrecht erscheine zweifelhaft. 604 Zwar habe das BVerfG dem Gesetzgeber in seinem Beschluss vom 13.5.1986605 aufgegeben, die Befugnis der Eltern zu begrenzen, ihre Kinder kraft ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht nach § 1629 BGB unbegrenzt zu verpflichten. 606 Es habe hiermit erreichen wollen, dass Minderjährige nach Erreichen der Volljährigkeit ihr weiteres Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen gestalten könnten, die sie nicht zu verantworten hätten.607 Die Frage, ob die unbegrenzte Haftung Minderjähriger unter bestimmten Voraussetzungen gegen Art. 1 und 2 GG verstoßen könne, wenn sie zur Existenzvernichtung des Schädigers führe, sei jedoch nicht automatisch im gleichen Sinne zu beantworten. 608 Denn die Schadensersatzhaftung werde nicht durch Fremdbestimmung von Seiten der Eltern herbeigeführt, sondern durch das Verhalten des schadensersatzrechtlich verantwortlichen Jugendlichen.609 Zudem sei fraglich, ob die Verfassung dem minderjährigen Schädiger einen Anspruch auf die sanktionslose Beeinträchtigung der Rechtsgüter anderer vermitteln könne, damit er bei Eintritt in die Volljährigkeit von denjenigen Belastungen frei sei, die nicht zuletzt der Geschädigte (über höhere Versicherungsprämien) weiterhin tragen müsse.610 Es erscheine zweifelhaft, ob das Bedürfnis eines minderjährigen Schädigers, im Freundeskreis auch finanziell imponieren zu können, hier ins Gewicht fallen dürfe. 611 Überdies werde dem wirtschaftlichen Existenzinteresse des minderjährigen Schädigers bereits durch das Verbraucherinsolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung Rechnung getragen, das auch bei Minderjährigkeit des Schädigers faktisch durchführbar sei. 612

602

Lorenz, VersR 1989, 711, 712. Vgl. Lorenz, VersR 1989, 711,712. 604 Staudinger (§§ 826-829)-Oechsler § 828 Rn.2,41 ff. 605 BVerfG 13.5.1986, BVerfGE 72, 155. Ahrens, VersR 1997, 1064, 1065. 607 Ahrens, VersR 1997, 1064, 1065. 608 Ahrens, VersR 1997, 1064, 1065. 609 Vgl. Ahrens, VersR 1997, 1064, 1065. 610 Staudinger (§§ %26-%29)-0 echsler § 828 Rn. 2. 6,1 Staudinger (§§ %26-%29)-0 echsler § 828 Rn. 43. 612 OLG Celle 17.10.2001, VersR 2002, 241. 603

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

bb) Argumente für eine stärkere Rücksichtnahme auf die Minderjährigkeit des Schädigers Für eine stärkere Rücksichtnahme auf die Minderjährigkeit des Schädigers bei der Ersatzbemessung wird vorgebracht, die grundsätzlich gegen das Prinzip der Totalreparation bestehenden Bedenken würden bei Minderjährigkeit des Schädigers noch verstärkt. 613 Denn angesichts der im Vergleich zu einem Erwachsenen geringeren Fähigkeiten des Minderjährigen könne ihm die Schädigung nur in geringem Maße persönlich vorgeworfen werden. 614 Daher entspreche eine Haftungsermäßigung der Billigkeit. 615 Auch erscheine es widersprüchlich, den Minderjährigen schadensersatzrechtlich in vollem Umfang verantwortlich zu machen, während ihm gleichzeitig durch die Beschränkung seiner Geschäftsfähigkeit die Möglichkeit genommen werde, durch den Abschluss einer Haftpflichtversicherung eigenständig Vorsorge gegen Schadensersatzpflichten zu treffen. 616 Im Unterschied zu einem Volljährigen sei der Minderjährige diesbezüglich auf das Verantwortungsbewusstsein seiner Eltern angewiesen.617 Die Haftung des minderjährigen Schädigers darauf zu stützen, dass seine Eltern einen üblichen und zumutbaren Versicherungsschutz nicht beschafft haben, würde aber zu einer „neuen Form der Sippenhaft" führen, da Kinder für die Fehler ihrer Eltern zahlten.618 Es sei zudem zu berücksichtigen, dass die von Kindern und Jugendlichen verursachten Schäden teilweise zum allgemeinen Lebensrisiko zu zählen seien, wenn man bedenke, dass ohne Kinder die wirtschaftliche Basis der Gesamtentwicklung nicht mehr gewährleistet wäre und der Schutz der Minderjährigen daher Aufgabe aller sei. 619 Das Recht sehe aus Gründen des Minderjährigenschutzes bereits zahlreiche Privilegierungen Minderjähriger vor. 620 Auch in einer schadensersatzrechtlichen Haftungserleichterung für Minderjährige würde keine ungerechtfertigte Bevorzugung gegenüber Erwachsenen liegen.621 613

Goecke, Haftung Minderjähriger, 64; Scheffen, DAR 1991, 121, 125; Steffen, VersR 1998, 1449, 1451 f.; vgl. Waibel, Die Verschuldensfähigkeit, 164. 6,4 Goecke, Haftung Minderjähriger, 64 ff.; vgl. auch: Scheffen, DAR 1991,121,124f.; Stoll, Consequences, 148; Weitnauer, Referat KF 1961, 32, 33. 615 Goecke, Haftung Minderjähriger, 66; Hauss, Referat 43. DJT, C23, C36; Scheffen, DAR 1991, 121, 125; Weitnauer, Referat KF 1961, 32, 33; vgl. auch: v.Bar, Gutachten, 1681, 1762, 1774; Mertens, FamRZ 1968,130,\32\ Scheffen,ZRP 1991,458,463; Stoll, Consequences, 148. 616 Goecke, Haftung Minderjähriger, 68; vgl. auch: Scheffen, DAR 1991, 121, 124f.; Scheffen, ZRP 1991,458, 463; Steffen, VersR 1998, 1449, 1451 f. 617 Goecke, Haftung Minderjähriger, 68. 6.8 Hübner, NJW 1982, 2041, 2045; vgl. Scheffen, FS Steffen, 387, 396. 6.9 Scheffen, DAR 1991, 121, 126; einschränkend Scheffen, ZRP 1991, 458, 463; vgl. Steffen, VersR 1998, 1449, 1451. 620 Goecke, Haftung Minderjähriger, 245. 621 Goecke, Haftung Minderjähriger, 245.

I. Die Kritik

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In der verfassungsrechtlichen Diskussion wird festgestellt, dass der in der Schadensersatzverpflichtung liegende Eingriff in die Grundrechte des Schädigers bei dessen Minderjährigkeit oftmals besonders gravierend sei, da nicht nur die Entfaltung, sondern bereits die Entwicklung der Persönlichkeit beeinträchtigt und eine normale Existenzgründung überhaupt verhindert werde. 622 So sei der Minderjährige regelmäßig weitgehend vermögenslos und daher von Anfang an außerstande, größere Ersatzpflichten zu erfüllen. 623 Ihm würde deshalb für einen langen Zeitraum nur der unpfändbare Teil seines Einkommens bleiben. 624 Er werde durch diese schwere, ihn womöglich lebenslänglich drückende Belastung bereits bei Eintritt in das Erwerbsleben daran gehindert, sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten, und somit einer fairen Startchance beraubt. 625 Auch genügten die ihm verbleibenden Mittel im privaten Bereich gerade zur Befriedigung der notwendigsten Bedürfnisse bei bescheidenster Lebensführung, nicht jedoch für nennenswerte Anschaffungen oder Urlaubsaufwendungen. 626 Da ihm allenfalls geringe Mittel für Freizeitausgaben blieben, werde er sich im Kreis nicht derart belasteter Freunde ständig zurückgesetzt fühlen. 627 Als „finanziellem Krüppel" gestalte sich die Partnersuche für ihn erheblich schwieriger und sei die Gründung einer Familie mit Kindern praktisch nur unter ergänzender Inanspruchnahme von Sozialhilfe möglich. 628 Die langfristig äußerst beengten finanziellen Verhältnisse störten somit die Entwicklung seiner noch unfertigen Persönlichkeit nachhaltig, indem sie seinen Erfahrungshorizont verengten, seine sozialen Kontakte beeinträchtigten und sein Selbstwertgefühl untergrüben. 629 Es bestehe auch die Gefahr, dass in einem durch eine noch ungefestigte Persönlichkeit und einen starken Erlebnisdrang geprägten Alter kriminelle Neigungen gefördert würden, da der Minderjährige versuchen könne, solchermaßen seine auf längere Sicht trostlose finanzielle Situation zu verbessern und den damit verbundenen 622 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433f.; LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997,214,215; Goecke, Haftung Minderjähriger, 90f. i.V.m. 67f.; Looschelders, VersR 1999, 141, 149 Fn.99; vgl. auch: Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.633; FrKo InsO-Ahrens §302 Rn.6; Goecke, NJW 1999, 2305, 2309f. i.V.m. 2308; Kohte, Restschuldbefreiung-^/irens §302 Rn.6; Steffen, VersR 1998, 1449, 1451 f. 623 Goecke, Haftung Minderjähriger, 91 i.V.m. 67; Goecke, NJW 1999,2305,2309f. i.V.m. 2308. 624 LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 215; Goecke, Haftung Minderjähriger, 91; vgl. LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433. 625 Goecke, Haftung Minderjähriger, 91 i.V.m. 67; Goecke, NJW 1999,2305,2309f. i.V.m. 2308; vgl. LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 215f. 626 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433. 627 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433. 628 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433; vgl. auch: LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 215; OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 792; Kuhlen, JZ 1990, 273, 278. 629 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991,1432,1433; vgl. auch: Goecke, Haftung Minderjähriger, 91 i.V.m. 67f.; Kuhlen, JZ 1990, 273, 278.

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Nachteilen zu entgehen.630 Durch die gravierende finanzielle Belastung in einer für seine Zukunft entscheidenden Lebensphase könne das Leben des minderjährigen Schädigers deshalb auf Dauer und auch über die Tilgungsphase hinaus in schwache soziale Verhältnisse oder gar in die Dauerkriminalität gelenkt werden. 631 Der Minderjährige werde hier zum Objekt eines seine Jugend und seine persönlichen Entwicklungsbedürfnisse nicht berücksichtigenden Haftungssystems. 632 Auch unter Berücksichtigung der Interessen des Geschädigten und der Allgemeinheit könnten daher die Menschenwürde, die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie das Willkürverbot unter bestimmten Voraussetzungen der unbegrenzten Haftung Minderjähriger entgegenstehen.633 Nur eine Haftung, die auch die persönliche Situation des Minderjährigen berücksichtige, achte ihn als Person, die weiterhin ein zur Selbstbestimmung fähiges Mitglied unserer Gesellschaft bleiben solle. 634 Zudem sei die Diskrepanz zwischen den an die Schädigung geknüpften jugendstrafrechtlichen Sanktionen und denen des Schadensersatzrechts besonders groß. 635 Denn das Jugendstrafrecht sei in stärkerem Maß als das Erwachsenenstrafrecht vom Gedanken der Spezialprävention geprägt. 636 So könne eine unbegrenzte Schadensersatzhaftung Jugendlicher mit der Maxime des Jugendstrafrechts in Konflikt geraten, durch die Milde seiner Reaktionen das Risiko einer Entwicklung zu weiterer Straffälligkeit zu minimieren. 637 Besondere Aufmerksamkeit widmet die Kritik der Entscheidung des BVerfG vom 13.5.1986 zur Regelung der elterlichen Vertretungsmacht nach § 16291 BGB i.V.m. § 16431 BGB. In dieser Entscheidung habe das BVerfG die Regelung der elterlichen Vertretungsmacht als mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Minderjähriger unvereinbar angesehen, soweit sie es ermögliche, dass der Minderjährige bei Eintritt in die Volljährigkeit durch von seinen Eltern für ihn eingegangene Verpflichtungen in den Grundbedingungen seiner freien Entfaltung und Entwicklung derart eingeschränkt werde, dass er nicht mehr als eine nur scheinbare Freiheit erreiche. 638 Da 630

LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433; vgl. auch: LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 215f.; Kuhlen, JZ 1990, 273, 278. 631 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433f.; vgl. Kuhlen, JZ 1990, 273, 278. 632 LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 215. 633 OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 792; vgl. auch: BVerfG 13.8.1998, NJW 1998, 3557, 3558: die unbegrenzte Haftung Minderjähriger begegne im Hinblick auf Art. 11 i.V.m. Art.21 GG verfassungsrechtlichen Bedenken; LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432,1433f.; LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997,214,215; Goecke, Haftung Minderjähriger, 95, 100, 258. 634 LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 215. 635 Kuhlen, JZ 1990, 273, 277f.; vgl. auch: LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434; LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216. 636 Kuhlen, JZ 1990, 273, 278; vgl. LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216. 637 LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216; Kuhlen, JZ 1990, 273, 278. 638 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434; OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989,791,793; vgl. auch: LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997,214,215f.; Goecke, Haftung

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nicht ausgeschlossen werden könne, dass Eltern nicht fähig oder bereit seien, den Anforderungen des Elternrechts zu entsprechen, müsse der Gesetzgeber in Ausübung seines Wächteramtes aus Art. 6112 GG Regelungen treffen, die verhinderten, dass dem volljährig Gewordenen derart die Möglichkeit genommen werde, sein weiteres Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten, die er nicht zu verantworten habe.639 Nach dem BVerfG handle es sich hierbei um ein verfassungsrechtliches Gebot des Minderjährigenschutzes. 640 Zwar sei diese Entscheidung grundsätzlich nur für Vorschriften, die wie die Regelung der elterlichen Vertretungsmacht gerade dem Minderjährigenschutz dienten, verallgemeinerungsfähig, da sich das BVerfG in seiner Entscheidung maßgeblich auf den entsprechenden Schutzzweck und die in manchen Fällen mangelnde Eignung des § 16291 BGB i.V. m. § 16431 BGB zur Erreichung dieses Zieles gestützt habe.641 Das Prinzip der Totalreparation bezwecke demgegenüber gerade nicht den Schutz des Minderjährigen, sondern den des Geschädigten, so dass aus der Entscheidung des BVerfG vom 13.5.1986 nicht ohne weiteres dessen Verfassungswidrigkeit abzuleiten sei. 642 Allerdings habe das BVerfG dem Minderjährigenschutz in dem beschriebenen Umfang generell eine große Bedeutung zuerkannt. 643 Wenn dieser Mindeststandard des Minderjährigenschutzes durch Schutzvorschriften stets zu sichern sei, so müssten zwingende Gründe vorliegen, wenn hiervon zugunsten anderer Zwecke Abstriche gemacht würden. 644 Insofern hätten sich die Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Grundsatzes der Totalreparation erhöht. 645 Zudem ließen sich viele Gedanken dieser Entscheidung auf die Regelung der Schadensersatzhaftung Minderjähriger übertragen 646: Auch die finanzielle Belastung durch die Schadensersatzpflicht könne es dem Minderjährigen unmöglich machen, sein weiteres Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten.647 Der Unterschied zu dem vom BVerfG behandelten Minderjähriger, 89; Goecke, NJW 1999, 2305, 2310; Looschelders, VersR 1999, 141, 148; Rolfs, JZ 1999, 233, 236. 639 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434; vgl. auch: LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216; OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 793; Goecke, Haftung Minderjähriger, 89f.; Goecke, NJW 1999, 2305, 2310; Rolfs, JZ 1999, 233, 236. 640 Goecke, Haftung Minderjähriger, 90; Goecke, NJW 1999, 2305, 2310; Looschelders, VersR 1999, 141, 148; Looschelders, Einwirkungen, 93, 105 Fn.79. 641 Goecke, Haftung Minderjähriger, 89 f. 642 Goecke, Haftung Minderjähriger, 90. 643 Goecke, Haftung Minderjähriger, 90. 644 Goecke, Haftung Minderjähriger, 90. 645 Goecke, Haftung Minderjähriger, 90. 646 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434; LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216; OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 793; Looschelders, VersR 1999, 141, 148; vgl. auch: Palandt-Diederichsen § 1629a Rn.3; Stürner, GS Lüderitz, 789, 790. 647 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1435; LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216; Goecke, NJW 1999, 2305, 2310; vgl. auch: Looschelders, VersR 1999, 141, 148; Rolfs, JZ 1999, 233, 236. 9 Bartelt

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Fall der rechtsgeschäftlichen Haftung des Minderjährigen bestehe darin, dass dort ein anderer für den Minderjährigen gehandelt habe, während er im Fall der Schadensersatzhaftung seine Zahlungsverpflichtung selbst verursache. 648 Doch rechtfertige diese eigene schadensersatzrechtliche Verantwortung im Ergebnis keine andere Beurteilung. 649 Denn die gesetzlichen Anforderungen an die Zurechenbarkeit bei einem Minderjährigen seien sehr gering und stünden in einem krassen Missverhältnis zu den Folgen einer unbegrenzten Haftung. 650 So bejahe die Rechtsprechung die Einsichtsfähigkeit aufgrund eines abstrahierten Gefahrbegriffes fast immer, wodurch § 828 II BGB a.F. praktisch bedeutungslos geworden sei. 651 Zudem schütze die Vorschrift nur bei vollständigem Fehlen, nicht aber bei einer Verminderung der Einsichtsfähigkeit, und trage damit der allmählichen Reifung des Minderjährigen nicht hinreichend Rechnung.652 Nach den Erkenntnissen der Kinder- und Jugendpsychologie entwickle sich der Minderjährige erst allmählich von einem ausschließlich trieb- und affektgesteuerten zu einem vernunftbestimmten Wesen.653 Er werde nicht mit Vollendung des 7. Lebensjahres von einem Tag auf den anderen vernünftig. 654 Überdies beachte § 828 II BGB a. F. eine geringere Steuerungsfähigkeit nicht. 655 Auch berücksichtige der bei Minderjährigen verwandte „alterstypische" Sorgfaltsmaßstab zwar immerhin die geringeren Fähigkeiten des Minderjährigen zur Verhaltenssteuerung, führe jedoch nur bei vollkommener Unfähigkeit des Minderjährigen zur Vermeidung der Schädigung zur Verneinung des Verschuldens und trage der graduellen Natur des Reifungsprozesses damit ebenfalls nicht hinreichend Rechnung.656 Dies werde gerade einem unterdurchschnittlich begabten Min648 LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216; OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 793; Looschelders, VersR 1999, 141, 148; vgl. auch: LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434; Rolfs, JZ 1999, 233, 236. 649 LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997,214,216; OLG Celle, 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791,793; vgl. auch: LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991,1432,1434f.; Rolfs, JZ 1999,233, 236. 650 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434; LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216; vgl. OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 793. 651 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 65; Goecke, NJW 1999,2305,2309f. i.V.m. 2308; vgl. auch: OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791; Looschelders, VersR 1999, 141, 148; aus der rechtspolitischen Diskussion: BMJ, Begründung RefE 1967, 73. 652 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 65; Goecke, NJW 1999,2305,2309f. i.V.m. 2308; vgl. aus der rechtspolitischen Diskussion: BMJ, Begründung RefE 1967,73; Stoll, Consequences, 148. 653 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 64. 654 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V. m. 64. 655 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 65; Goecke, NJW 1999,2305,2309f. i.V.m. 2308; Looschelders, VersR 1999, 141, 148; Rolfs, JZ 1999, 233, 236. 656 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 65f.; Goecke, NJW 1999, 2305, 2309f. i.V.m. 2308.

I. Die Kritik

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derjährigen nicht gerecht. 657 Zudem setze die Rechtsprechung die Sorgfaltsanforderungen auch bei Minderjährigen nicht allzu niedrig an, da sie andernfalls den Ersatz vollständig versagen müsste, was in vielen Fällen unbillig erscheine. 658 Der Grundgedanke des alterstypischen Sorgfaltsmaßstabes, dem Minderjährigen entsprechend seinem Alter und seiner Entwicklung einen „besonderen Bewegungsraum zu seiner Entwicklung" einzuräumen, ließe sich nur auf der Rechtsfolgenseite durch eine Haftungsabstufung richtig verwirklichen. 659 In diesem Sinne werde das Mitverschulden eines Minderjährigen bereits nach geltendem Recht mit einer geringeren Quote berücksichtigt als bei einem Erwachsenen in vergleichbarer Situation. 660 Im Gegensatz zu der eng begrenzten Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Schädigers bei der Regelung der Schadensersatzhaftung sei der Gesetzgeber bei den Vorschriften über die beschränkte Geschäftsfähigkeit konsequent davon ausgegangen, dass ein Minderjähriger geringere Fähigkeiten bei der Abschätzung und Beurteilung von Rechtsgeschäften habe.661 Bei der Abschätzung und Beurteilung von Tathandlungen, die einen Haftungstatbestand verwirklichen, gelte aber nichts wesentlich anderes.662 Denn rechtsgeschäftliche Handlungen seien nicht notwendig komplizierter als rein tatsächliches Verhalten. 663 In der Kinder- und Jugendpsychologie sei unstrittig, dass Kinder eine gefahrvolle Situation weniger durchschauten als Erwachsene und sich nicht in gleicher Weise über die Konsequenzen ihres Handelns im Klaren seien.664 Dies gelte umso mehr, je komplexer die technischen Gegenstände, mit denen der Minderjährige in Berührung komme, infolge des Fortschritts würden. 665 Im Hinblick auf die willentliche Beherrschung des eigenen Verhaltens sei der Minderjährige ebenfalls typischerweise unbeherrschter als ein Erwachsener und in 657

Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 66; Goecke, NJW 1999,2305,2309f. i.V.m.

2308. 658

OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 792; Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 66; Goecke, NJW 1999, 2305, 2309f. i.V.m. 2308. 659 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 66; Goecke, NJW 1999,2305,2309f. i.V.m. 2308. 660 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V. m. 66. 661 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92f.; vgl. auch: LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216; Goecke, NJW 1999, 2305, 2309f. i.V.m. 2307f. 662 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 60ff.; Goecke, NJW 1999, 2305, 2309f. i.V.m. 2307; vgl. LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216. 663 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 61; Goecke, NJW 1999,2305,2309f. i.V.m. 2307. 664 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 64; Goecke, NJW 1999,2305,2309f. i.V.m. 2307. 665 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 61; Goecke, NJW 1999,2305,2309f. i.V.m. 2307. 9*

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

stärkerem Maße von Triebimpulsen, Stimmungen und Affekten geleitet, die seine vernunftmäßigen Einsichten vollkommen ausschalten könnten.666 Auch ziele die Erziehung von Minderjährigen heute infolge veränderter pädagogischer Auffassungen und Methoden auf eine freiere persönliche Entfaltung. 667 Damit gehe eine verringerte Anpassung an frühzeitig erlernte Verhaltensnormen und eine Verlangsamung des sozialen Reifungsprozesses einher. 668 Dessen ungeachtet werde der Schutz- und Erziehungsgedanke, als dessen Ausfluss die Vorschriften über die beschränkte Geschäftsfähigkeit bezweckten, den Minderjährigen mit zunehmender Reife allmählich an die Regeln der Erwachsenenwelt heranzuführen, und zu dessen Verwirklichung die Normen des Jugendstrafrechts versuchten, Kinder und Jugendliche vor massiver staatlicher Zwangsausübung zu bewahren, nach geltendem Recht durch das Alles-oder-Nichts-Prinzip des Schadensersatzrechts vollkommen aufgegeben. 669 Eine angemessene Heranführung an die gesellschaftlichen Regeln könne so nicht erreicht werden. 670 Die Regelung der Schadensersatzhaftung Minderjähriger stelle sich insofern als ein Fremdkörper im System eines durchgreifenden Minderjährigenschutzes dar. 671 Wenn das BVerfG schon das Minderjährigenschutzkonzept des Vertragsrechts beanstande, weil es im Einzelfall eine Belastung des Minderjährigen mit übermäßigen Schulden zulasse, so sei die Regelung zum Schutz des Minderjährigen vor einer übermäßigen Schadensersatzhaftung erst recht bedenklich.672 Auch im Falle der unbegrenzten Schadensersatzhaftung reiche der in diesem Bereich bestehende gesetzliche Minderjährigenschutz somit nicht aus, um zu verhindern, dass der Minderjährige bei Eintritt in die Volljährigkeit nur eine Scheinfreiheit erreiche. 673 Eine weitere Parallele zur Entscheidung des BVerfG vom 13.5.1986 ergebe sich daraus, dass eine Reduktion der Schadensersatzhaftung nur insoweit in Betracht komme, als die Vermögensverhältnisse des minderjährigen Schädigers dies geböten, und daher bei Bestehen einer Haftpflichtversicherung ausscheide.674 Diese Fälle seien daher ebenfalls dadurch gekennzeichnet, dass die Eltern des Minderjährigen ihrer Sorgepflicht nicht gerecht geworden seien oder dies nicht konnten, indem sie entweder zu einer sachgerechten Erziehung und Aufsicht nicht willens oder fähig 666

Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 64; Goecke, NJW 1999,2305,2309f. i.V.m.

2307.

667 668

Fn.43.

LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991,1432, \434\ Looschelders, VersR 1999,141,150. LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434; vgl. Kuhlen, JZ 1990, 273, 276

669 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 66f.; vgl. Goecke, NJW 1999, 2305, 2309f. i.V.m. 2308. 67 0 Goecke, Haftung Minderjähriger, 92 i.V.m. 67; Goecke, NJW 1999,2305,2309f. i.V.m. 2308. 671 LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216. 67 2 Looschelders, VersR 1999, 141, 148. 673 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1435. 674 Vgl. LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434f.

I. Die Kritik

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waren oder eine Haftpflichtversicherung zugunsten des Minderjährigen nicht abgeschlossen haben oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht abschließen konnten.675 Die Rechtsordnung erkläre den Minderjährigen für schadensersatzrechtlich voll verantwortlich, versage ihm aber widersprüchlicherweise durch die Beschränkung seiner Geschäftsfähigkeit zugleich die Möglichkeit, etwa durch den Abschluss einer Haftpflichtversicherung Vorsorge zu treffen, um seiner Verantwortlichkeit genügen zu können.676 Ihm werde die Verantwortung für sein Handeln in vollem Umfang auferlegt, während er gleichzeitig als außerstande angesehen werde, sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten.677 Die Erwägung, der Minderjährige könne auf der Grundlage des § 110 BGB selbst eine Versicherung abschließen, sei abwegig, zum einen, weil ein Minderjähriger regelmäßig die Versicherungsprämie von seinem Taschengeld nicht aufbringen könne, vor allem aber, weil ihm die ihm drohenden Gefahren in der Regel überhaupt nicht bewusst seien.678 Auch das Ansinnen einer Regressnahme bei den Eltern, da diese durch das Unterlassen der Beschaffung von Versicherungsschutz ihre Sorgepflicht verletzt hätten, sei aus psychologischen Gründen und im Interesse des notwendigen vertrauensvollen Eltern-Kind-Verhältnisses indiskutabel.679 Eine derartige gerichtliche Auseinandersetzung innerhalb der Familie könne nicht gefordert werden. 680 Zudem sei die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern nicht gesichert und bliebe der Schaden wiederum insofern am Minderjährigen hängen, als etwaige Erbansprüche geschmälert würden. 681 Die Entscheidung des BVerfG vom 13.5.1986 habe überdies gezeigt, dass auch der Vollstreckungsschutz der ZPO nicht genüge, um die verfassungsrechtlichen Anforderungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu erfüllen. 682 Allerdings habe sich die Rechtslage seitdem insofern wesentlich verändert, als am 1.1.1999 die neue InsO in Kraft getreten sei, die erstmals auch ein Insolvenzver675 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1434f.; vgl. auch: OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 793; Goecke, Haftung Minderjähriger, 93f.; Looschelders, VersR 1999, 141, 148 f.; Looschelders, Einwirkungen, 93, 103; Schiemann, Vortrag KF 1999,5, 10. 676 LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997,214,215 f.; Goecke, Haftung Minderjähriger, 93; Goecke, NJW 1999,2305,2309f.; Looschelders, VersR 1999,141,148; vgl. auch: OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 792; Looschelders, Einwirkungen, 93, 103f.; Rolfs, JZ 1999, 233, 236. 677 LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 216; Goecke, Haftung Minderjähriger, 93; Goecke, NJW 1999, 2305, 2309 f. 678 OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 792. 679 OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 792. 680 OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 792. 681 OLG Celle 26.5.1989, NJW-RR 1989, 791, 792. 682 Rolfs, JZ 1999,233,236; vgl. auch: LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991,1432,1434; Goecke, Haftung Minderjähriger, 91 i.V.m. 68 f., 95.

134

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

fahren für Verbraucher vorsehe und dem Schuldner im Restschuldbefreiungsverfahren der §§ 286 ff. InsO die Möglichkeit eröffne, sich von den im Insolvenzverfahren nicht bereinigten Verbindlichkeiten zu befreien. 683 Doch sei der Erfolg dieser Verfahren unsicher. 684 Auch wenn beide Verfahren in persönlicher Hinsicht lediglich voraussetzten, dass der Schuldner eine natürliche Person sei, so sei nicht einmal klar, ob sie auch Minderjährigen offenstünden. 685 So wurde vor der Einführung der §§ 4äff. InsO zum einen befürchtet, die Durchführung beider Verfahren werde bei den typischerweise vermögenslosen Minderjährigen regelmäßig schon daran scheitern, dass das Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 261 InsO ablehne, da das Schuldnervermögen nicht einmal ausreiche, um die Verfahrenskosten zu decken.686 Zudem könne ein Minderjähriger die Obliegenheit aus § 2951 Nr. 1 InsO bis zu seinem 15. Lebensjahr schon aus Gründen des Jugendarbeitsschutzes nicht erfüllen. 687 Auch sei es mit der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 6 II GG wohl kaum vereinbar, den Minderjährigen zum Unterlassen bzw. zum Abbruch einer Berufsausbildung zu zwingen, damit er einer Tätigkeit nachgehen könne, die ihm ein Einkommen oberhalb der Pfändungsgrenze verschaffe. 688 Daher spreche vieles dafür, dass Minderjährige sich erst nach Eintritt ins Erwerbsleben um eine Restschuldbefreiung bemühen könnten und somit für lange Zeit mit der Aussicht leben müssten, nach der Beendigung von Ausbildung oder Studium zunächst für sieben Jahre 689 auf den pfändungsfreien Teil ihres Einkommens beschränkt zu sein. 690 Schuldenbereinigungsplan, Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiungsverfahren wiesen bei schadenersatzpflichtigen Minderjährigen somit so viele Unwägbarkeiten auf, dass die verfassungsrechtlich gebotene Verhinderung existenzvernichtender Belastungen bereits im materiellen Recht einsetzen müsse.691 Um eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu vermeiden, solle daher der Gedanke des § 1629 a BGB, der es dem Minderjährigen ermögliche, zwar vermögenslos, aber schuldenfrei in die Volljährigkeit einzutreten, auf die delikti683

Rolfs, JZ 1999, 233, 236. Rolfs, JZ 1999, 233, 237; vgl. auch: Goecke, Haftung Minderjähriger, 91 i.V.m. 70ff.; Goecke, NJW 1999, 2305,2309f. i.V.m. 2308 Fn.26; Stürner, GS Lüderitz, 789, 790. 685 Rolfs, JZ 1999, 233, 237; vgl. auch: Goecke, Haftung Minderjähriger, 91 i.V.m. 70ff.; Steffen, VersR 1998, 1449, 1452. 686 Goecke, Haftung Minderjähriger, 91 i.V.m. 71; Rolfs, JZ 1999, 233, 237; vgl. Goecke, NJW 1999, 2305, 2309f. i.V.m. 2308 Fn.26. 687 Rolfs, JZ 1999,233,237; vgl. auch: Goecke, Haftung Minderjähriger, 91 i.V.m. 72; Looschelders, VersR 1999, 141, 149. 688 Rolfs, JZ 1999, 233, 237; vgl. Looschelders, VersR 1999, 141, 149. 689 Durch das am 1.12.2001 in Kraft getretene „Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze" vom 26.10.2001 (BGBl. 12710) wurde die Dauer der Wohlverhaltensphase auf sechs Jahre ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens verkürzt. 690 Looschelders, VersR 1999, 141, 149; vgl. Looschelders, Einwirkungen, 93, 104 Fn.69. 691 Rolfs, JZ 1999, 233, 237. 684

II. Stellungnahme zur Kritik am Prinzip der Totalreparation

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sehe Schadensersatzhaftung übertragen werden, so dass die Haftung des Minderjährigen insoweit reduziert werden solle, dass der Minderjährige bei gewöhnlichem Lauf der Dinge, also ohne Berücksichtigung möglicher Erbschaften usw., die Ersatzpflicht voraussichtlich aus dem pfändbaren Teil seines Vermögens und Einkommens bis zum Eintritt der Volljährigkeit werde erfüllen können.692 I I . Stellungnahme zur Kritik am Prinzip der Totalreparation Angesichts des Umfangs der dargestellten Kritik kann an dieser Stelle nicht versucht werden, die vorgebrachten Argumente im Einzelnen zu würdigen und auf ihre Relevanz für die Beurteilung des Grundsatzes der Totalreparation aus verfassungsrechtlicher Sicht zu untersuchen. Allerdings wird im Rahmen der nachfolgenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Grundsatzes der Totalreparation auf viele der genannten Aspekte zurückzukommen sein. Im Rahmen der hier vorzunehmenden Gesamtwürdigung soll nur allgemein das Verhältnis der einfachrechtlichen und vorwiegend rechtspolitisch motivierten Kritik zu den verfassungsrechtlichen Ausführungen betrachtet werden. Diesbezüglich fällt zunächst ins Auge, dass viele der bereits aus der rechtspolitischen Diskussion bekannten Argumente von der verfassungsrechtlichen Kritik aufgegriffen werden. Verfassungsrechtliche Diskussion und rechtspolitische Auseinandersetzung stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern weisen insofern Gemeinsamkeiten auf. Dies entspricht der Funktion des Verfassungsrechts, den rechtspolitischen Bemühungen um eine gerechte Gestaltung des einfachen Rechts einen Kern zu verwirklichender Wertentscheidungen vorzugeben. Allerdings dürfen auch die Unterschiede zwischen Rechtspolitik und Verfassungsrecht nicht außer Acht gelassen werden. Zum einen binden die verfassungsrechtlichen Vorgaben anders als rechtspolitische Forderungen Gesetzgebung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Zugleich beschränkt sich das Verfassungsrecht auf die Vorgabe von Mindestanforderungen an das einfache Recht. Es lässt der Gestaltungsfreiheit des einfachrechtlichen Gesetzgebers somit einen weiten Spielraum. Daher kann nicht jedem rechtspolitisch beachtlichen Argument auch verfassungsrechtliche Schlagkraft zukommen. Vor allem aber begrenzt das Verfassungsrecht den Argumentationsspielraum des Rechtsanwenders durch formale und inhaltliche Vorgaben. So weist auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei aller Offenheit eine formale Struktur auf, indem er 692

Rolfs, JZ 1999, 233, 237 f.; a. A. Schiemann, Vortrag KF 1999, 5, 8 ff.

136

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

einen legitimen Zweck des Grundrechtseingriffs verlangt sowie die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit des zu seiner Erreichung eingesetzten Mittels. Er reicht damit über eine bloße Abwägung der einander gegenüberstehenden verfassungsrechtlich geschützten Interessen hinaus. Eine Interessenabwägung findet lediglich auf der letzten Stufe der Angemessenheit statt. Und auch für diese Abwägung finden sich formale wie inhaltliche Leitlinien, die der Prüfung eine gewisse Strukturiertheit verleihen. Dies wird in der bisherigen verfassungsrechtlichen Diskussion um das Prinzip der Totalreparation nicht immer hinreichend deutlich. Gelegentlich scheint das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip lediglich als „Aufhänger" einer Abwägung der konfligierenden Interessen sowie zur Untermauerung des Geltungsanspruchs des gefundenen Ergebnisses zu dienen. Trotz der zahlreichen hierzu bereits vorliegenden Stellungnahmen erscheint es daher lohnenswert, den Versuch einer exakten Prüfung der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeit des Grundsatzes der Totalreparation zu unternehmen. Die Strukturiertheit des Vorgehens und die in gewissem Maße vorhandenen inhaltlichen Leitlinien versagen hierbei die in der rechtspolitischen Diskussion häufig anzutreffende Berufung auf das Rechtsgefühl ebenso wie den Rückgriff auf apodiktische Billigkeitspostulate. Es soll im Rahmen der nachfolgenden Verhältnismäßigkeitsprüfung zu zeigen versucht werden, dass sich auf diese Weise weitgehend schon aufgrund der gedanklichen Logik und ohne subjektive Wertungen eine eindeutige verfassungsrechtliche Aussage über die UnVerhältnismäßigkeit der mit dem Prinzip der Totalreparation in einigen Fällen erzielten Ergebnisse ermitteln lässt.

I I I . Änderungsvorschläge 1. Änderungsvorschläge de lege lata Auf der Grundlage der vorstehend vorgestellten Kritik werden Forderungen erhoben, bereits de lege lata unter bestimmten, im Einzelnen unterschiedlich definierten Voraussetzungen, die sich aus den oben besprochenen Kritikpunkten eigeben, die Haftung des Schädigers gegenüber den Ergebnissen des Grundsatzes der Totalreparation zu reduzieren. Da die nachfolgende Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Grundsatzes der Totalreparation ergeben wird, dass eine Haftungseinschränkung in bestimmten Fällen verfassungsrechtlich geboten ist, und diese Arbeit einen Vorschlag zur Umsetzung dieses Verfassungsgebots nach geltendem Recht machen möchte, sollen diese Überlegungen im Folgenden vorgestellt werden, um die denkbaren Ansätze für eine entsprechende Haftungsreduktion aufzuzeigen.

III. Änderungsvorschläge

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a) §242 BGB Vielfach wird gefordert, den §242 BGB als schadensersatzrechtliche Reduktionsklausel heranzuziehen.693 Dem Schädiger solle in Höhe des Reduktionsbetrages der Einwand unzulässiger Rechtsausübung zustehen.694 Eine offene Reduktionsklausel über § 242 BGB sei gegenüber manchen gewundenen Konstruktionen der Rechtsprechung über eine extensive Auslegung des § 254 BGB, § 287 ZPO oder den Schadensbegriff vorzugswürdig. 695 Der sich hierbei ergebende bedenklich große Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Richters müsse als das kleinere Übel in Kauf genommen werden. 696 Besondere Aufmerksamkeit erfuhr insofern der Vorschlag, den Umfang der Ersatzpflicht in Extremfällen über § 242 BGB auf ein „tatadäquates" Maß zu begrenzen. 697 Der Ersatzumfang dürfe nicht stets allein nach dem Schadensumfang bestimmt werden, sondern müsse in Ausnahmefällen der gegenseitigen Abhängigkeit von Schwere der Tat und Schwere der Folge Rechnung tragen. 698 Als Regel könne man etwa formulieren: „Sind durch das schädigende Ereignis Schadensfolgen entstanden, die ungewöhnlich groß sind oder ungewöhnlich fem liegen, und steht die Pflicht zum Ersatz dieser Schäden deshalb in einem untragbaren Mißverhältnis zu der Art und den Umständen des schädigenden Ereignisses und der Verantwortlichkeit des Ersatzpflichtigen für dessen Folgen, so kann der Umfang der Ersatzpflicht angemessen gemindert werden."699

Die Haftungsreduktion solle jedoch nicht als Inhaltsbestimmung der Ersatzpflicht nach Treu und Glauben begründet werden. 700 Vielmehr solle dem Schädiger in den genannten Fällen die Einrede des Rechtsmissbrauchs nach Treu und Glauben zuge693 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432ff.; OLG Celle 18.10.1972, JZ 1973, 246, 248; Ahrens, VersR 1997, 1064, 1066; Bydlinski, JB1. 1958, 1, 6f.; Canaris, JZ 1987, 993, 1001 f.; Canaris, JZ 1988,494,497; Canaris, JZ 1990, 679,681; Canaris, Diskussionsbeitrag KF 1999, 33 ff.; Deutsch, FS OLG Celle, 391, 395 f.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.632f.; FrKo InsO-Kohte Vor §§286 ff. Rn. 17; FrKo InsO-Ahrens § 302 Rn.6; Goecke, NJW 1999,2305,2310; Gottwald, Schadenszurechnung, 184f.; Kohte, Restschuldbefreiung-,4 Are/w §302 Rn.6; Looschelders, VersR 1999, 141, 149ff.; Looschelders, Einwirkungen, 93, 104f.; Mager, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C58, C63f.; Medicus, VersR 1981, 593, 601; PalandtThomas § 828 Rn.5; Rolfs, JZ 1999, 233, 239ff.; Wolany, DRiZ 1960, 273, 276; vgl. auch: BVerfG 13.8.1998, NJW 1998,3557,3558: unter der Geltung des §828 II BGB a.F. sei ein entsprechendes Vorgehen der Zivilgerichte zur Einschränkung der Minderjährigenhaftung verfassungsrechtlich zulässig; Fuchs, Deliktsrecht, 76; Schiemann, Vortrag KF 1999,5,9ff.; Soergel Band 5/2-Zeuner § 828 Rn.4. 694 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432ff. 695 Gottwald, Schadenszurechnung, 184 f. 696 Canaris, JZ 1987, 993, 1002. 697 Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 133ff. 698 Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 133. 699 Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 134 f. 70 0 Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 135.

138

§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

standen werden, der in der Geltendmachung des nicht „tatadäquaten" Schadens liege. 701 Diese Konstruktion sei zweckmäßiger, da hierdurch zum einen der rechtstechnische und tatsächliche Ausnahmecharakter der Haftungsbeschränkung ausgedrückt werde und es zum anderen dem Schädiger überlassen werde, ob er die Haftungsbeschränkung geltend machen wolle. 702 § 242 BGB sei auch in besonderer Weise geeignet, das von Teilen der Kritik angenommene Verfassungsgebot einer Haftungsbegrenzung einfachrechtlich umzusetzen.703 Hier habe die Maxime der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung, dass die Grundrechte auf das Privatrecht „ausstrahlten" und in diesem Bereich insbesondere durch das „Medium" der Generalklauseln wirkten, ihren guten Sinn. 704 Auch das BVerfG hielt eine entsprechende Anwendung des § 242 BGB zur Einschränkung der unbegrenzten Minderjährigenhaftung angesichts verfassungsrechtlicher Bedenken im Hinblick auf Art. 11 i.V. m. 21GG unter der Geltung des § 828 II BGB a. F. für denkbar. 705 Gerade für das deliktische Haftungsrecht gelte, dass die Auslegung einer Norm nicht immer auf Dauer bei dem ihr zu ihrer Entstehungszeit beigelegten Sinn stehen bleiben könne. 706 Im Hinblick auf den beschleunigten Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse, die begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers sowie die offene Formulierung zahlreicher Vorschriften gehöre eine derartige Anpassung der lex lata an die veränderten Verhältnisse zu den Aufgaben der Rechtsprechung.707 Dies gelte insbesondere bei wachsendem zeitlichen Abstand zwischen Gesetzeserlass und gerichtlicher Entscheidung.708 70 1

Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 135f. Lange, Heinrich, AcP 156 (1957), 114, 135. 703 LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432,1433; Canaris, JZ 1987,993,1001 f.; Canaris, JZ 1990, 679, 681; Goecke, NJW 1999, 2305, 2309 f.; vgl. auch: Ahrens, VersR 1997, 1064, 1066; Canaris, JZ 1988,494,497; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn.633; Looschelders, VersR 1999, 141, 149ff.; Looschelders, Einwirkungen, 93, 104f.; Palandt-77wma.s § 828 Rn.5; Rolfs, JZ 1999, 233, 239 ff. 70 4 Canaris, JZ 1987, 993, 1002; vgl. auch: LG Bremen 15.2.1991, NJW-RR 1991, 1432, 1433; Goecke, NJW 1999, 2305, 2309. 705 BVerfG 13.8.1998, NJW 1998,3557,3558; auch wenn es sich bei §828 BGB n.F. infolge der durch das am 1.8.2002 in Kraft getretene „Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften" vom 19.7.2002 (BGBl. 12674) vorgenommenen Änderungen nunmehr um nachkonstitutionelles Recht handelt, dürfte diese Auffassung weiterhin Gültigkeit besitzen. Denn der vor- oder nachkonstitutionelle Charakter einer Norm entscheidet nur darüber, ob diese im Fall ihrer Verfassungswidrigkeit bereits durch die Zivilgerichte als ungültig verworfen werden kann oder ob insofern das Verwerfungsmonopol des BVerfG aus Art. 1001 GG eingreift. Lässt sich eine Norm dagegen verfassungskonform auslegen, und sei es mit Hilfe des § 242 BGB, sind die Zivilgerichte hierzu bei nachkonstitutionellen Normen ebenso befugt wie bei vorkonstitutionellen. 706 BVerfG 13.8.1998, NJW 1998, 3557, 3558. 707 BVerfG 13.8.1998, NJW 1998, 3557, 3558; Looschelders, VersR 1999, 141, 150; vgl. Looschelders, Einwirkungen, 93, 105. 708 BVerfG 13.8.1998, NJW 1998, 3557, 3558. 70 2

III. Änderungsvorschläge

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Doch wird auch vertreten, eine Haftungsreduktion könne nicht bereits nach geltendem Recht über § 242 BGB erreicht werden. 709 Die Fallgruppe der „UnVerhältnismäßigkeit", die sich zum Einwand des Rechtsmissbrauchs herausgebildet habe, passe für den Schutz gegen Schadensersatzverpflichtungen nicht, denn diese habe bisher nur solche Fälle erfasst, in denen mehrere Möglichkeiten der Reaktion auf eine Pflichtverletzung bestanden hätten, unter denen nach § 242 BGB die mildeste zu wählen gewesen sei. 710 Vor allem dürfe über § 242 BGB die klare gegenteilige Entscheidung des nachkonstitutionellen Gesetzgebers nicht korrigiert werden 711, der § 249 BGB in seinen Willen aufgenommen habe.712 Andernfalls könnten die Zivilgerichte über § 242 BGB das Verwerfungsmonopol umgehen, das dem BVerfG nach Art. 1001 GG für nachkonstitutionelle formelle Gesetze zukomme.713 Dies sei mit der richterlichen Gesetzesbindung unvereinbar. 714 Insbesondere sei eine Begrenzung des Ersatzumfangs auf den „tatadäquaten" Schaden nicht mit dem geltenden Recht zu vereinbaren. 715 Es handele sich hierbei nicht mehr um eine Begrenzung der Schadenszurechnung, sondern um eine Minderung der Ersatzpflicht im Wege einer freien Abwägung aller Tatumstände.716 Das BGB habe dies jedoch außerhalb des § 254 BGB abgelehnt.717 Zudem ließe sich eine Begrenzung der Ersatzpflicht auf ein „tatadäquates" Niveau in der Praxis kaum auf Extremfälle beschränken, denn was dem einen Fall recht sei, sei dem anderen billig. 7 1 8 Man könne entweder stets die Höhe der Ersatzpflicht von einer richterlichen Würdigung der Tatumstände abhängig machen oder stets den vollen Schadensersatz gewähren, nicht jedoch beide Prinzipien auf verschiedene Schadensfälle anwenden, ohne sich dem Vorwurf der Willkür auszusetzen.719 Die Lehre von der „Tatadäquanz" komme somit letztlich einer Zentrierung der Schadenszurechnung in § 242 BGB und damit einer Kapitulation vor der Aufgabe einer möglichst weitgehenden 709

LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 217; BMJ, Begründung RefE 1967, 35; Goecke, Haftung Minderjähriger, 97f.; Hauss, Referat 43. DJT, C23, C32f., C44; Kötz/Gerhard, Deliktsrecht Rn. 332; Schmidt, Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/2,207; vgl. auch: Friese, Haftungsbegrenzung, 74 ff.; Lemhöfer, VersR 1967, 1126, 1134; Weidner, Die Mitverursachung, 46. 710 Goecke, Haftung Minderjähriger, 97 f. 711 Goecke, Haftung Minderjähriger, 98; Hauss, Referat 43. DJT, C23, C32f., C44. 712 Krause, JR 1994,494,496. 713 Goecke, Haftung Minderjähriger, 98. 714 Kötz/Gerhard, Deliktsrecht Rn. 332. 7,5 BGH 17.9.1959, VersR 1959, 1000, 1002; Larenz, Referat KF 1959, 10, 11, 15; vgl. auch: Bydlinski, JB1. 1958,1, 5 f.; Friese, Haftungsbegrenzung, 74 ff.; Gottwald, Schadenszurechnung, 183; Hauss, Referat 43. DJT, C23, C33 Fn.30. 716 Larenz, Referat KF 1959, 10, 11. 717 Larenz, Referat KF 1959, 10, 11, 15. 718 Larenz, Referat KF 1959, 10, 11. 719 Larenz, Referat KF 1959, 10, 11 f.

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§ 3 Die Kritik am Prinzip der Totalreparation

Rationalisierung der Schadenszurechnung gleich. 720 Sie müsse schon aus Gründen der Rechtssicherheit abgelehnt werden. 721 Auch eine Umsetzung des Verfassungsgebotes einer Haftungsbeschränkung über § 242 BGB verbiete sich 722 im Hinblick auf den entgegenstehenden Wortlaut des Gesetzes und den entsprechenden Willen des nachkonstitutionellen Gesetzgebers. 723 b) §254 BGB Oft wird auch für eine erweiterte Anwendung des §254 BGB plädiert. 724 Hierauf wurde bereits oben eingegangen.725 Gegenüber derartigen Vorschlägen wird kritisch eingewandt, dass sich die Auslegung des § 254 BGB nicht völlig über den Gesetzeswortlaut hinwegsetzen dürfe 726 und daher jedenfalls nicht alle nach einer Haftungsreduktion verlangenden Fälle über diese Vorschrift sachgerecht gelöst werden könnten.727 Die Mitverursachung könne dem Geschädigten nur dann zugerechnet werden, wenn er sie aus einem besonderen Grund zu vertreten habe und der Maßstab hierfür die hypothetische Fremdschädigung sei. 728 Zwar könne man heute womöglich über den Willen des historischen BGB-Gesetzgebers hinweggehen.729 Doch habe der Gesetzgeber seither in allen spezialgesetzlichen Vorschriften, die eine Teilung der Schadenstragung vorsehen, an diesem Erfordernis festgehalten, was bei der Gesetzesanwendung zu respektieren sei. 730 Auch handele es sich bei § 254 BGB um eine Ausnahmevorschrift, die nicht durch eine erweiternde Anwendung zur Regel gemacht werden dürfe. 731 72 0

Lange, Hermann, Schadensersatz (1. Aufl.), 72. Hauss, Referat 43. DJT, C23, C33 Fn. 30. 72 2 Kötz/Gerhard, Deliktsrecht Rn. 332. 723 LG Dessau 25.9.1996, NJW-RR 1997, 214, 217. 72 4 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht Rn.581; Flume, Diskussionsbeitrag 43. DJT, C80, C 82f.; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 170ff.; MüKo (§§ 705-853)-A/m