Verstaatlichung und Privatisierung in Österreich: Illusion und Wirklichkeit 9783205791539, 9783205787358

155 122 1MB

German Pages [256] Year 2011

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Verstaatlichung und Privatisierung in Österreich: Illusion und Wirklichkeit
 9783205791539, 9783205787358

Citation preview

Dieter Stiefel

Verstaatlichung und Privatisierung in Österreich: Illusion und Wirklichkeit

Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

Gedruckt mit Unterstützung durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Kultur die Universität Wien die WKO Wirtschaftskammer Österreich Coverbild: © Ironimus

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3­-205­-78735-8 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­insbesondere die der Über­setzung, des Nachdruckes, der Entnahme von ­Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf ­fotomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Daten­ver­arbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, ­vorbehalten. © 2011 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co. KG, Wien · Köln · Weimar www.boehlau-verlag.com Druck: General Druckerei GmbH, 6728 Szeged

Inhaltsverzeichnis

Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Akt: Die Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 13



Sozialisierung 1919 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Ständestaat 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2. Akt: Die Verstaatlichte Industrie 1945 bis 1955 . . . . . . . 31



Die Frage des Deutschen Eigentums . . . . . . . . . . 31 Werksgenossenschaften als Alternative . . . . . . . . . 42 Die USIA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Die ideologische Haltung der Parteien . . . . . . . . . 52 Verstaatlichung, aber wie? . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Wirtschaftliche Erfolge im Wiederaufbau . . . . . . . . 81 Der Staatsvertrag 1955 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Die Episode Volksaktie . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

3. Akt: Die Verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955 bis 1985 . . . . . . . . . . . . . . . 115

Grenzen einer sozialistischen Wirtschaftsordnung . . . 115 Umwegrentabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Wirtschaftspatriotismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Produktpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Preispolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Proporz und Personalpolitik . . . . . . . . . . . . . . . 135 Kapitalmangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Die Organisation der Verstaatlichten . . . . . . . . . . 146

Inhalt

4. Akt: Auf dem Weg in die Krise . . . . . . . . . . . . . . . 167



Die Krise 1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Die Reformdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

5. Akt: Sanierung und Privatisierung . . . . . . . . . . . . 205

Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .229 Der Privatisierungsweg der ÖIAG 1987 bis 2006 . . . . . . . . . 234 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .240 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

6

„Die Forderung nach Verstaatlichung ist mit elementarem Ungestüm aus den Reihen der Arbeiter und Angestellten hervorgegangen“, Ernst Fischer (KPÖ): NRP, V/2, 21.12.1945, S. 33. „Die sozialistische Wirtschaftsordnung will die entscheidenden Produktionsmittel (den großen Grundbesitz, die Energiequellen des Landes, Bergbau und Schwerindustrie) und die Entscheidung über das Geld- und Kreditwesen in die Hände der ganzen Gesellschaft legen; die Wirtschaft als materielle Lebenssicherung soll nach den Gesamtbedürfnissen geplant und geführt werden. Damit wird auch die Jagd nach Profit ersetzt durch eine höhere Form des Gemeinschaftsdenkens und -handelns“, Franz Rauscher (SPÖ): Die Sozialisierung und die öffentliche Wirtschaft (Teil I), in: Die Zukunft, Nr. 4, Wien 1946, S. 8. „Eines der wichtigsten demokratischen Rechte des Menschen ist das Recht, selbständig wirtschaften zu dürfen. Ein Recht, das außerdem zutiefst in der christlichen Weltanschauung begründet ist. Die Verstaatlichung widerspricht diesem Recht“, Fritz Bock (ÖVP): Sozialisierung, wie wir sie verstehen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 9 (1946), S. 378. „Die staatlichen Eingriffe dürfen aber niemals einen solchen Umfang annehmen, dass die Wiederherstellung einer möglichst freien Wirtschaft zu einem späteren, geeigneten Zeitpunkt erschwert oder gar unmöglich wird. Auf jeden Fall dürften sie nicht Selbstzweck werden“, Alfred Kasamas (ÖVP): Wir wollen Österreich. Grundsätze und Ziele der Österreichischen Volkspartei. Hg. von der Bundesparteileitung der Österreichischen Volkspartei. Wien 1947, S. 108.

Prolog

„Eigentum ist Diebstahl“, schrieb Pierre Joseph Proudhon 1840.1 Außer den Arbeitsmitteln sollte man nur das besitzen, was man selbst durch die eigene Arbeit erzeugt hat bzw. auf dieser Grundlage austauschen kann. Denn die Ausbeutung fremder Arbeit führt zu Kapitalund Machtkonzentration und ist deshalb zu beseitigen. Die politische Diskussion „Privat oder Staat“ geht daher weit in das 19. Jahrhundert zurück. Proudhon spielt sowohl auf die Welt des Handwerks als auch auf die der Arbeiter an, denn die Industrialisierung mit der Tendenz zu Arbeitsteilung, Standardisierung, Massenproduktion und Großbetrieb war ein innovatives Großprojekt mit der entsprechenden „schöpferischen Zerstörung“, um es mit Joseph A. Schumpeter zu formulieren. Daher gab es auch Industrialisierungsverlierer, auf der einen Seite die Kleinbetriebe des Handwerks, Gewerbes und der Landwirtschaft und auf der anderen Seite die Menschen, die außer ihrer Arbeitskraft keine Existenzgrundlage hatten, „working poor“, wie wir heute sagen würden. Dementsprechend entstanden sowohl auf der bürgerlich/agrarischen als auch auf der sozialistischen Seite anti-liberale und antikapitalistische Tendenzen, die sich im „organisierten Kapitalismus“ gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend artikulieren konnten. Mit der wachsenden Bedeutung demokratischer Institutionen und Interessenorganisationen (Parteien, Gewerkschaften, Genossenschaften, Gewerbeverbände usw.) öffnete sich die Möglichkeit, die „Auswüchse“ des Kapitalismus über Staat und Rechtsprechung einzudämmen. Je nach politischer Haltung wollte man dieses Gesellschaftssystem „menschlich und moralisch“ korrigieren oder 1 Pierre Joseph Proudhon, Qu’est ce que la propriété? Ou recherches sur le principe du droit et du gouvernement, Paris 1840.

9

prolog

gänzlich überwinden. Trotz ihrer historischen Besonderheiten hat daher die Verstaatlichung in Österreich 1946/47 eine Vorgeschichte. Mitentscheidend war hierfür die Erfahrung, welche die Sozialdemokraten und die bürgerliche Seite in der Zwischenkriegszeit gemacht haben: die Sozialisierung 1919 und der Ständestaat der 1930er-Jahre. Hier musste die Frage, wer in Unternehmen bestimmen und sie leiten sollte – Gesellschaft, Staat oder Privatpersonen – konkret beantwortet werden. Zur Verstaatlichten Industrie in Österreich gibt es schon einiges an Überblicksliteratur.2 Hier geht es um die Dramatik zwischen politischer Diskussion und wirtschaftlicher Realität. Denn das Spannungsfeld zwischen privat und öffentlich ist eines der großen Konfliktthemen unserer Zeit, um mit Ernst Ulrich von Weizsäcker zu sprechen.3 2 Siehe hierzu vor allem: Weber, Wilhelm (Hg.), Die Verstaatlichung in Österreich, Berlin 1964; Langer, Edmund, Die Verstaatlichungen in Österreich, Wien 1966; Hollerer, Siegfried, Verstaatlichung und Wirtschaftsplanung in Österreich (1945–1949), Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs, Wien 1974; Weber, Fritz, 1946–1986. 40 Jahre Verstaatlichte Industrie, in: ÖIAG Journal 2/1986; Stiefel, Dieter, „50 Years State-Owned Industries in Austria 1946–1996“ in: Franco Amatori (Ed.), The Rise and Fall of State-Owned Enterprises in Western Countries, Cambridge University Press, London 2000; Kastil, Ines, Von der Verstaatlichung zur Privatisierung, Diss., Wien 2006; Stiefel, Dieter, Die Verstaatlichte Industrie Österreichs als wirtschaftspolitisches Experiment in: Michael Pammer/Herta Neiß/Michael John (Hg.), Erfahrung der Moderne. Festschrift für Roman Sandgruber zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2007; Thurnheim, Georg, Österreichs Verstaatlichte. Die Rolle des Staates bei der Entwicklung der österreichischen Industrie von 1918 bis 2008, Wien 2009; und die Beiträge von Andreas Resch und Fritz Weber in: Gisela Hürlimann, Philipp Ischer (Hg.), Innovationsprozesse und institutioneller Wandel in öffentlichen Unternehmen seit den 1970er-Jahren: Deutschland, Österreich und die Schweiz im Vergleich, Nomos Verlag, Baden-Baden 2011. 3 Ernst Ulrich von Weizsäcker/Oran R. Young/Matthias Finger (Hrsg.), Grenzen der Privatisierung. Wann ist es des Guten zu viel? Bericht an

10

prolog

Dabei geht es weniger um ökonomische Darstellung als um politische Grundhaltungen, Werte und Emotionen. Um dem gerecht zu werden, wurden die stenographischen Protokolle des österreichischen Nationalrats und die parteinahen Zeitschriften rund um Regierungserklärungen, Budgetreden und Verstaatlichungs- und Privatisierungsgesetze ausgewertet. Dies umfasst die Zeit von der Verstaatlichung 1946 bis zur abgeschlossenen Privatisierung der Verstaatlichten Industrie im Jahr 2005. Dieser Teil der Arbeit wurde von Dr. Gerhard Hödl im Rahmen eines von mir geleiteten und vom Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank geförderten Forschungsprojekts übernommen. Die politischen Wortmeldungen über 60 Jahre machen das Thema anschaulich, menschlich und farbig, näher kann man der „historischen Wirklichkeit“ kaum kommen. Sie zeigen, wie um Verstaatlichung und Privatisierung gekämpft wurde und wie sich die politischen Dogmen verändert haben, verändern mussten. Diese Auseinandersetzung zwischen Verstaatlichung und Privatisierung erfolgte in verschiedenen Phasen, in Akten, wie bei einem Drama. Um dem zu entsprechen, wurde auch diese Art der Einteilung getroffen.

den Club of Rome, Stuttgart 2007, S. 14. Wimmersberger, Anton: Die Verstaatlichte in der Krise, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986).

11

1. Akt: Die Zwischenkriegszeit

Sozialisierung 1919

Stephan Koren geht von einer ideologischen Kontinuität der Sozialisierung hin zur Verstaatlichung aus.4 Dem widerspricht Karl Bachinger mit Hinweis auf Charles Gulick. Danach hätten die österreichischen Sozialisierungsversuche nach dem Ersten Weltkrieg in der späteren Geschichte der Arbeiterbewegung kaum irgendwelche Spuren hinterlassen. Bei der Verstaatlichungsaktion von 1946/47 sei das Verwaltungsmodell der gemeinwirtschaftlichen Anstalten, wie es von der Sozialdemokratie in der Ersten Republik als „Keimzelle“ des Sozialismus vertreten wurde, nicht zu erkennen.5 Natürlich war die Sozialisierung nicht der Masterplan für die Verstaatlichung fast dreißig Jahre später. Aber viele der handelnden Personen waren bereits in der Zwischenkriegszeit politisch aktiv. Das Durchschnittsalter der Mitglieder des Nationalrats im November 1945 lag bei 49,5 Jahren.6

4 Stephan Koren, Sozialisierungsideologie und Verstaatlichungsrealität in Österreich, in: Die Verstaatlichung in Österreich, Hg. Wilhelm Weber, Wien 1964, S. 48 f. 5 Eine grundlegende Darstellung der österreichischen Sozialisierungsversuche findet sich bei Bachinger, Karl, Umbruch und Desintegration nach dem Ersten Weltkrieg. Österreichs wirtschaftliche und soziale Ausgangssituation in ihren Folgewirkungen auf die Erste Republik, ungedruckte Habilitationsschrift, Wien 1981, S. 448–638; das Zitat bei Bachinger, S. 607, der sich auf Charles Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler, Bd. I, Wien 1948, S. 186 bezieht. 6 Herbert Matis/Dieter Stiefel, Der österreichische Abgeordnete. Der österreichische Nationalrat 1919–1979. Versuch einer historischen Kollektivbiographie, Studien zur Soziologie 31, Wirtschaftsuniversität Wien 1982, S. 20.

13

1. akt: die Zwischenkriegszeit

Die führenden Mitglieder der Regierung waren während der Sozialisierungsbemühungen 1919 bereits um die 20 Jahre alt und wurzelten in ihrer Erfahrung in der Zwischenkriegszeit.7 Wir werden daher sehen, dass die Sozialdemokraten 1946/47 die verstaatlichten Betriebe tatsächlich als Unternehmen öffentlichen Rechts konstituieren wollten, was der Sozialisierung doch nahekam. Dass dann der Staat lediglich Eigentümer von privatrechtlich organisierten Unternehmen (zumeist Aktiengesellschaften) wurde, war ein Erfolg der bürgerlichen Partei. Da die Sozialisierung nicht als gewaltsamer Akt, „sondern im Rahmen der parlamentarischen Demokratie realisiert werden sollte, musste im wesentlichen die bürgerliche Mehrheit ihren Inhalt und Umfang bestimmen“, schrieb Karl Bachinger.8 Das Gleiche galt letztlich auch für die Verstaatlichung nach dem Zweiten Weltkrieg, da die ÖVP nach den Wahlen vom November 1945 über die absolute Mehrheit im Nationalrat verfügte. Sozialisierung wie Verstaatlichung waren in Österreich eine unmittelbare Konsequenz der verlorenen Kriege. Dabei war die Situation nach dem Ersten Weltkrieg besonders dramatisch. 1945 wurden Deutschland/Österreich von den Siegermächten besetzt und Militärregierungen errichtet, deren vorrangiges Ziel Ruhe und Ordnung waren. 1918 erfolgte jedoch keine Besatzung und es entstand ein Machtvakuum. Das alte monarchistische Herrschaftssystem brach zusammen und die neue demokratische Regierung konnte sich erst langsam durchsetzen. Durch den Erfolg der Russischen Revolution 1917 entstand in Mitteleuropa eine revolutionäre Stimmung, als deren Ausdruck die kurzlebigen Räterepubliken 1919 in Bayern und Ungarn gesehen werden konnten. Österreich blieb so etwas – nicht zuletzt aufgrund des mäßigenden Einflusses der Sozialdemokraten – erspart, 7 Bundeskanzler Leopold Figl ÖVP (1902–1965), Vizekanzler Adolf Schärf SPÖ (1890–1965), Finanzminister Georg Zimmermann ÖVP (1897–1958) und der erste für die Verstaatlichte Industrie zuständige Bundesminister für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung Peter Krauland ÖVP (1902–1985). 8 Bachinger, S. 612.

14

sozialisierung 1919

aber der Druck der Straße erhöhte die Bereitschaft zu neuen Ordnungsvorstellungen bei allen politischen Richtungen. Dies bestimmte auch die Sozialisierungsbemühungen. Dabei spielte die Erfahrung der Kriegswirtschaft eine gewisse Rolle. Denn hier war das erste Mal – wenn auch mangelhaft – versucht worden, die Wirtschaft industriell fortgeschrittener Staaten zentral zu lenken und nicht auf individuelle Gewinnziele, sondern auf eine gesellschaftliche Aufgabe (den Krieg) hin zu organisieren. So erschien zwischen 1919 und 1920 eine Anzahl von Sozialisierungsschriften, nicht nur von sozialistischer Seite. Auch bürgerliche Gelehrte und Journalisten wie Joseph A. Schumpeter, Rudolf Goldscheid, Gustav Stolper oder Emil Lederer beteiligten sich mit unterschiedlichen Ansätzen an der Diskussion.9 Die Arbeiterbewegung ging in der Tradition von Karl Marx von der Rolle des Privateigentums an Produktionsmitteln für die „Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ aus. Der Kapitalismus sei zwar produktionsmäßig das bisher effizienteste Gesellschaftssystem, es scheitere jedoch an seiner sozialen Problematik. Im Kapitalismus erfolge die Aneignung fremder Arbeit und damit des Mehrwerts durch die herrschende Klasse, wodurch eine Verelendung der Massen und über zunehmende Arbeitslosigkeit eine industrielle Reservearmee entstünde. Erst der Sozialismus würde mit der Enteignung des Privateigentums an Produktionsmitteln die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen überwinden und die Mängel des Kapitalismus aufheben. Über die Zunahme der Großbetriebe, Trusts und Kartelle würde die kapitalistische Entwicklung von selbst den Weg in eine sozialistische Gesellschaft finden. Diese Großbetriebe wären nicht nur leicht zu enteignen, sondern an ihrer Spitze saßen auch nicht mehr die Eigentumsunternehmer, sondern bezahlte Angestellte, die ebenso für gesellschaftliche Interessen arbeiten konnten. Sie sollten für eine gerechtere Verteilung der Güter und eine Wiederbelebung der Produktion nach dem Krieg sorgen. Dementsprechend war die Sozialisierung 9 Siehe Bachinger, S. 494 ff.

15

1. akt: die Zwischenkriegszeit

für Wirtschaftszweige vorgesehen, in denen der Konzentrationsprozess bereits weit fortgeschritten war, wie etwa der Bergbau und die Eisen- und Stahlindustrie. Obwohl es auch bei den Sozialdemokraten unterschiedliche Vorstellungen gab, setzte sich der linke Flügel mit Otto Bauer durch. Sein „Weg zum Sozialismus“ wurde zur Programmschrift der österreichischen Sozialdemokratie.10 Demnach sollten die Maßnahmen nur auf „sozialisierungsreife Großbetriebe“ angewendet werden. Aus praktischen wie wahltaktischen Gründen waren Kleinund Mittelbetriebe und die Landwirtschaft (außer Großgrundbesitz und Holzwirtschaft) ausgenommen. Nicht einbezogen waren auch die Banken, wohl vor allem wegen ihrer internationalen kapitalmäßigen Verflechtung. Die bisherigen Eigentümer sollten entschädigt werden, die Mittel hierfür wären durch eine allgemeine Vermögensabgabe aufzubringen, wodurch die Kapitalisten ihre Enteignung letztlich selbst finanzieren sollten. Die Leitung der sozialisierten Unternehmen sollte durch einen drittelparitätisch besetzten Verwaltungsrat erfolgen, in dem die „Gesellschaft“ in Form der Arbeitnehmer, der Konsumenten und des Staates vertreten wären. Das sozialistische Konzept Otto Bauers sah daher – zumindest vorläufig – nur eine Teilsozialisierung vor, eine gemischte Wirtschaftsordnung. Darin sollten die sozialistischen Organisationsformen als „Keimzelle“ einer sozialistischen Wirtschaftsordnung vorherrschen. Otto Bauer wandte sich dabei ausdrücklich gegen die Verstaatlichung: „... niemand verwaltet Industriebetriebe schlechter als der Staat.“11 „Denn wenn etwa in einer sozialistischen Gesellschaft nur halb so viele Güter erzeugt würden wie in der kapitalistischen, dann würden die Arbeiter in der sozialistischen Gesellschaft nicht besser, sondern wahrscheinlich sogar viel schlechter leben als unter der Herrschaft des Kapitals: Die gerechteste Verteilung könnte uns nichts nützen, wenn weniger zu verteilen wäre.“12 10 Otto Bauer, Der Weg zum Sozialismus, in Werksausgabe, Band II, Wien 1976, S. 91 ff. 11 Otto Bauer, S. 96, Karl Bachinger, S. 456. 12 Otto Bauer, S. 93, Karl Bachinger, S. 455.

16

sozialisierung 1919

Auch in der Sozialistischen Partei gab es jedoch verschiedene Strömungen. Widerstand kam vor allem von den Gewerkschaften und Konsumgenossenschaften, also jenen Organisationen, die an der wirtschaftlichen Basis tätig waren und über die Sozialisierung um ihren Einfluss fürchteten. Kritik übte auch der rechte Flügel der Partei. So sah Karl Renner den Staat als Hauptträger der Sozialisierung, und kam damit dem von Otto Bauer strikt abgelehnten Etatismus nahe. Diese sozialistische Strömung wollte die gesellschaftlichen Probleme hauptsächlich durch staatliche Regelungen lösen. Aufgabe des Staates sei auch die Lenkung der Wirtschaft, weshalb die Arbeiterklasse, nachdem sie die Mehrheit der Wähler stellte, über Verstaatlichung das Eigentum an Produktionsmitteln erreichen sollte.13 Nach Karl Renner hatte die Konzernbildung bereits zur Vereinigung von Industrie-, Handels- und Bankkapital geführt, in deren Zentrum die Banken standen. In diesem Finanzkapitalismus (Rudolf Hilferding) werde man schon allein mit der Verstaatlichung der Banken die gesellschaftliche Kontrolle über einen Großteil des Wirtschaftslebens erreichen.14 Renner sprach bereits unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs von einer Durchstaatlichung der Ökonomie: „Dadurch muss die heraufsteigende staatswirtschaftliche Epoche das Kapital aus seiner Herren- in die Dienerrolle zurückdrängen, der Staat selbst muss diesen Wandel erzwingen und das überlieferte Klassenverhältnis zwischen Bourgeoisie, Proletariat und Staat in sein Gegenteil verkehren ... Der Staat wird der Hebel des Sozialismus werden.“15 Unterstützt werde diese Entwicklung durch die Erfolge der Arbeiterschaft in Richtung Wirtschaftsdemokratie. Über Gewerkschaften, Genossenschaften, Sozialversicherungen, Betriebsräte und Arbeiterkammern befinde sich 13 Helga Grebing, Die deutsche Arbeiterbewegung: zwischen Revolution, Reform und Etatismus, Mannheim 1993. 14 Karl Bachinger, S. 481, Karl Renner, Die Wirtschaft als Gesamtprozeß und die Sozialisierung. Populärwissenschaftlich dargestellt nach Marx’System, Berlin 1924, S. 364. 15 Karl Bachinger, S. 483, Karl Renner, Marxismus, Krieg und Internationale, Stuttgart 1917, S. 28.

17

1. akt: die Zwischenkriegszeit

der demokratische Wirtschaftsstaat auf dem Vormarsch, der in den Sozialismus führen werde. Im Jahr 1919 stimmte das bürgerliche Lager den Sozialisierungsvorstellungen zumindest teilweise und in Grenzen zu. Auch die Christlichsoziale Partei hatte antikapitalistische Wurzeln und sprach Wähler an, die sich durch Großindustrie und den Finanzbereich bedroht fühlten. Da sie an deren Spitze vielfach „die Juden“ vermuteten, agierte sie offen antisemitisch. Sie trat zwar für das wirtschaftliche Eigentum ein, aber in einer traditionellen Vorstellung vornehmlich dort, wo die Selbstständigen ihren Betrieb führten bzw. mitarbeiteten. Dementsprechend akzeptierten sie auch Eigentumsformen, welche das individuelle Privateigentum aufhoben, wie Kommunalisierung, Genossenschaften (Schulze-Delitzsch, Raiffeisen) oder Sparkassen. Einer der wichtigsten Vertreter der Vorkriegszeit war Karl Lueger, Wiener Bürgermeister von 1897 bis 1910. In seine Zeit fielen die Kommunalisierung der Gas- und Stromversorgung, des Nahverkehrs, der Ausbau einer zweiten Hochquellwasserleitung, die Anlage einer Grüngürtellandschaft und die Einrichtung der städtischen Sozialfürsorge. Die Christlichsozialen waren daher antiliberal, aber nicht im Sinne einer Systemüberwindung, sondern einer Systemreform. Die katholische Soziallehre war gegen Großbetriebe, für betriebliche Mitbestimmung und für eine moralische Verantwortung des Privateigentums, das mit dem Gemeinwohl in Verbindung zu setzen war. „Die christliche Weltanschauung schränkt die Herrschaft über das Privateigentum ein, indem es seinen Gebrauch an moralische Pflichten bindet. Zweifellos gibt es Fälle, wo das wahre Volkswohl den öffentlichen Betrieb anstelle des privaten erfordert ...“16 In diesen Grenzen gab es daher 1919 eine Übereinstimmung mit den sozialistischen Sozialisierungsvorstellungen. Bei den Februarwahlen 1919 wurden die Sozialdemokraten mit 72 von 170 Sitzen die stärkste Fraktion im österreichischen Nationalrat. 16 Richard Schmitz, Sozialpolitische Forderungen des Wahlprogrammes, in: Volkswohl X, 1919, S. 21, Karl Bachinger, S. 528.

18

sozialisierung 1919

Aufgrund dieses Wahlerfolges drängten sie nun auf eine Realisierung der Sozialisierung. Am 14. März 1919 erfolgte mit den Stimmen aller Parteien die Konstituierung einer Sozialisierungskommission, Präsident wurde Otto Bauer und Vizepräsident Ignatz Seipel (Christlichsoziale Partei), was praktisch schon die Proporzidee der Zweiten Republik vorwegnahm. Am 10. April 1919 erfolgte die einzige Vollversammlung dieser Kommission und die Präsentation von vier Gesetzesentwürfen: – Das Betriebsrätegesetz, das am 15. Mai 1919 beschlossen wurde und das einzige Gesetz, das dauerhaften Bestand hatte, – das Gesetz über Gemeinwirtschaftliche Unternehmen, das am 29. Juli 1919 beschlossen wurde und die organisatorische Basis für öffentliche Unternehmen darstellen sollte, – das Gesetz über die Enteignung von Wirtschaftsbetrieben, das am 30. Mai 1919 beschlossen wurde, allerdings mit der Änderung, dass die Kompetenz nicht bei der Regierung, sondern beim Parlament lag, – und ein Gesetz über Kommunalisierung. Am 21. Mai 1919 gab Vizekanzler Jodok Fink (Christlichsoziale Partei) das Sozialisierungsprogramm der Regierung bekannt, das folgende Bereiche umfassen sollte: Kohlebergbau und Kohlengroßhandel, Eisenerzgewinnung und Roheisenerzeugung und deren Weiterverarbeitung, Metallindustrie, Elektrizitätswirtschaft, Forstwirtschaft, Holzindustrie und Holzgroßhandel, chemische Industrie mit Monopolcharakter und militärische Betriebe.17 Der Teufel lag aber wie immer im Detail. Die konkrete Durchführung scheiterte entweder an der internationalen Verflechtung der österreichischen Wirtschaft oder nationalen Einzelinteressen: Bei Kohle war Österreich import­ abhängig, und dieser Bereich eignete sich daher nicht für politische Experimente. Die Elektrizitätswirtschaft nahmen die Bundesländer 17 Bachinger, S. 545.

19

1. akt: die Zwischenkriegszeit

für sich in Anspruch. Ganz gleich wie sie politisch ausgerichtet waren, diese Kompetenz wollten sie nicht an Wien abgeben. Bei der Forstund Holzwirtschaft legten sich die agrarischen Interessen quer und setzten sich letztlich durch. Damit konzentrierten sich die Sozialisierungsbemühungen auf die Eisenindustrie, und damit vor allem auf das größte österreichische Unternehmen, die Alpine Montan. Doch Ende Juni 1919 stiegen mit einem Mal die Alpine-Aktien auf einen nie da gewesenen Höchststand. Ursache waren Aktienkäufe durch die Spekulanten Richard Kola und Camillo Castiglioni, welche diese Aktien in die Hände einer Finanzgruppe spielten, hinter welcher der italienische Fiat-Konzern stand. Dadurch erübrigte sich die Sozialisierung, da der Staat diese Kurse nicht bezahlen konnte und mit Italien als Siegermacht ausländische Interessen betroffen waren. Ob hinter dieser Aktion politische Absichten standen, ist nicht wirklich geklärt. Otto Bauer beschuldigte den damaligen Finanzminister Joseph A. Schumpeter. Damit war jedoch das Sozialisierungsprogramm endgültig gescheitert. Als Sozialisierungsrest verblieben nur die ehemaligen Heeresbetriebe, die jedoch mehr oder weniger alle bereits in den 1920er-Jahren wirtschaftlich scheiterten. Mit dem Gesetz vom 8. Juni 1934 wurde die Rechtsform der gemeinwirtschaftlichen Unternehmung aufgelöst. Ab Mitte 1919 war die revolutionäre Stimmung in Österreich weitgehend vorüber und die bürgerlichen Parteien entwickelten nun offenen Widerstand gegen sozialistische Experimente. Der Wahlsieg der Christlichsozialen 1920 auf Kosten der Sozialisten bestärkte sie in ihrer Haltung. Das Scheitern der Sozialisierung lag nach Karl Bachinger vor allem in der zögernden Durchführung, bis sich das „window of opportunity“ bereits wieder geschlossen hatte. „Um volkswirtschaftliche Schäden zu vermeiden, hätte eine Teilsozialisierung schlagartig erfolgen müssen, verbunden mit der Zusicherung, sie nicht auf weitere Bereiche auszudehnen. Die österreichische Sozialisierungsaktion wurde aber in einer Weise in Szene gesetzt, die

20

ständestaat 1934

an Dilettantismus nicht mehr zu übertreffen war.“18 Es dauerte fünf Monate, bis die Öffentlichkeit über Form und Inhalt informiert wurde, und dadurch trat eine massive Kapitalflucht ein, eine geringe Investitionsneigung und eine Verunsicherung der Unternehmen. Danach waren es also nicht objektive ökonomische Zwänge, welche eine Teilsozialisierung vereitelten, sondern das Unvermögen der Parteien, eine effiziente Durchführung zu gewährleisten.19 Ständestaat 1934

Auch die bürgerliche Seite hatte in der Zwischenkriegszeit ihr wirtschaftspolitisches Experiment.20 Zwar reichen die wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen der österreichischen Christlichsozialen historisch weit zurück, doch erst im Ständestaat war man gezwungen, das Verhältnis von Staat und Privatwirtschaft zu konkretisieren.21 Natürlich hatte die österreichische Diktatur von 1933 bis 1938 vorrangig politische Wurzeln. Der Erfolg der Nationalsozialisten bei den Kommunalwahlen Anfang der 1930er-Jahre machte den bürgerlichen Parteien Angst und Bange. So war die „Ausschaltung“ des Parlaments 18 Karl Bachinger, S. 626. 19 Karl Bachinger, S. 628. 20 Der Ständestaat soll hier also aus dem Blickpunkt der Wirtschaftspolitik betrachtet werden. Auf andere grundsätzliche Vorstellungen wie Entproletarisierung, Beendigung des Klassenkampfes, Autoritätsprinzip etc. kann hier nur so weit eingegangen werden, als diese unmittelbar mit dem wirtschaftspolitischen Standpunkt in Zusammenhang stehen. Für eine weitere Darstellung des Ständestaates siehe vor allem: E. Ta­ los/W. Neugebauer (Hrsg.), Austrofaschismus. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938, Wien 1984, und ausführlich die Habilitationsschrift von Gerhard Senft, Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938, Wien 2001. 21 Dieter Stiefel, Utopie und Realität: Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates in: Albrich/Eisterer/Steininger, Tirol und der Anschluß. Voraussetzungen, Entwicklungen und Rahmenbedingungen, Innsbruck 1988.

21

1. akt: die Zwischenkriegszeit

1933 ein willkommener Anlass, ein autoritäres Regime zu errichten. Politisch richtete es sich sowohl gegen den Nationalsozialismus als auch gegen die linke Arbeiterbewegung und hob deren Organisation und soziale Errungenschaften weitgehend auf. Nach christlichsozialer Vorstellung war der „Klassenkampf“ ein politisches Konstrukt und nicht der natürliche Zustand einer Marktwirtschaft. Demnach hatten die Arbeiter kein gemeinsames Interesse, sondern der landwirtschaftliche Arbeiter war mit seinem Bauern viel mehr verbunden als mit einem Industriearbeiter oder Handelsgehilfen und umgekehrt. Die Interessenorganisationen der Wirtschaft sollten daher aufgehoben und durch sieben „Berufsstände“ ersetzt werden. In diesen Ständen waren sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer vertreten und sie sollten ihren Wirtschaftsbereich selbst und gemeinsam lenken. Der Staat hatte sich demnach aus der Wirtschaftspolitik weitgehend zurückzuziehen und nur mehr als neutraler Schiedsrichter über den einzelnen Interessen zu stehen. Nach faschistischem Verständnis war auch die Wirtschaft autoritär organisiert, der Arbeitgeber als „Wirtschaftsführer“ hatte für seine „Gefolgschaft“ zu sorgen und konnte dafür Loyalität erwarten. Der Ständestaat war jedoch eine Utopie, die sehr rasch gescheitert ist. Im Europa des 20. Jahrhunderts einen christlichen Staat zu errichten kann man wohl nur als Atavismus bezeichnen. Er scheiterte u.a. an der Realität der Marktwirtschaft, in welcher der Konflikt zwischen Löhnen und Gewinnen elementar ist. So war es bezeichnend, dass sich auch die Arbeitgeberorganisationen erfolgreich gegen ihre geplante Auflösung wehrten und damit die neue Struktur bereits 1936 obsolet war.22 Es ist für das Verständnis der ständestaatlichen Utopie wesentlich, dass sie kein logisch geschlossenes System darstellte. Das zeigte sich nicht nur beim Versuch der Realisierung, sondern brachte auch jede kritische Analyse immer wieder in Schwierigkeiten. Eine gewisse Widersprüchlichkeit war systemimmanent, musste aber in der poli22 Siehe: Geißler, Franz, Österreichs Handelskammer-Organisation in der Zwischenkriegszeit, 2 Bände, Wien 1977 und 1980.

22

ständestaat 1934

tischen Praxis noch nicht einmal als Mangel empfunden werden, da die Übernahme der konservativen Ideologie weniger über logische Argumentation als aufgrund von Gefühlen und moralischen Wertvorstellungen erfolgte. Für den Bereich der Wirtschaftspolitik wurde das sogar zum Vorteil erklärt: „Es liegt im Wesen der konservativen Wirtschaftspolitik“, schrieb Josef Dobretsberger, „dass sie die Pro­bleme nicht nach einer Doktrin, sondern nach praktischen Grundsätzen sieht ... Sie verletzt daher vielleicht das architektonische Denkbedürfnis des Theoretikers.“23 Diese Wirtschaftspolitik war daher nicht allein der Logik der Argumente verpflichtet, sondern konnte auch Gegensätzliches in sich vereinen. Ihre Widersprüchlichkeit war andererseits einer der stärksten Kritikpunkte. So meinte etwa Benedikt Kautsky, dass die Propagierung der Romantik ein altbewährtes Mittel sei, aufgeregte aber unklare Massenbewegungen von ihrem Ziel abzubringen,24 und noch im Jänner 1934 stellte Aurel Kolnai die Widersprüchlichkeit der vor der Tür stehenden neuen Staatsideologie fest: „Die ständischen Ideologien leiden an einer scheinbar unbehebbaren Unklarheit. Es haftet ihnen scheinbar etwas Nebuloses, Vieldeutiges, Qualliges an. Sie stehen weit mehr zu Stimmungswerten in Bezug als zu einsichtigen, fassbaren Gedankengängen ... Die Unklarheit ist somit kein bloßes zufälliges Gebrechen, sondern sie hat eine eigene Bedingtheit und Funktion. Sie ist die Unklarheit gegenrevolutionärer Ideologien überhaupt ... Die Unklarheit vermehrt sich freilich dadurch, dass es sich hier um kein rein gegenrevolutionäres Streben, sondern ein solches in Verbindung mit spezifischen faschistischen Elementen, darüber hinaus aber mit einem zweifellos ernst ge­meinten sozialen Ordnungs- und Befriedungswillen handelt. Das katholisch-konservative Ständeideal geht vorerst von feudalen 23 Josef Dobretsberger, Die wirtschaftlichen Aufgaben des neuen Staates, Wien 1937, S. 17. 24 Benedikt Kautsky, Krise der Wirtschaft – Krise der Politik, in: Der Kampf, November 1930, S. 461.

23

1. akt: die Zwischenkriegszeit

Reminiszenzen und vom antimarxistischen Affekt aus. Aber dabei bleibt es nicht, sondern es kommt noch der moderne faschistische Gedanke einer Reform und Rettung des Ka­pitalismus durch Einzwängung der Klassen in eine die Vorherrschaft der Be­sitzerklasse verbürgenden korporativen Ordnung unter der Gewalt des star­ken Staates hinzu.“25 Diese Widersprüchlichkeit war in der Politik der Christlichsozialen in der Zwischenkriegszeit angelegt, in ihrer Reaktion auf die poli­ tischen Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg und im Zusammenge­ hen der an sich antikapitalistischen Partei mit Wirtschafts- und Finanzkreisen im Sinne eines gegenrevolutionären Blocks.26 Die Uto­ pie des Ständestaates kann daher als Versuch angesehen werden, eine in der Praxis bereits vollzogene politische Konstellation ideologisch zu verarbeiten und das christlichsoziale Denken mit wirtschaftslibe­ralen Prinzipien in Einklang zu bringen. Die verbleibenden Disso­nanzen waren Ausdruck der Problematik der Verbindung dieser beiden Ideologien und zeigten, dass der Verschmelzungsversuch nicht von ideologischer Verwandtschaft getragen, sondern durch politische Konstellationen erzwungen worden war: Christlichsozial und Libe­ralismus, die Vereinbarkeit des Unvereinbaren unter autoritärer Klammer. „Das Getriebe der freien Wirtschaft“, schrieb Odo Neustädter-Stürmer, einer der führenden Vertreter des neuen Staates, „war im Grunde doch nur von zwei Kräften bestimmt: vom Motor Eigen­nutz, vom Regulator freie Konkurrenz. Der sacro egoismo jedes Menschen, sein natürlicher Trieb, vorwärts zu kommen, seinen Wirkungsbereich zu er­weitern, seine Macht und seinen Besitz zu vergrößern, seine und seiner Fa­milie Lebensmöglichkeit zu verbessern, treibt ihn an, zu schaffen und aus seiner Arbeit den bestmöglichen Gewinn zu erzie25 Aurel Kolnai, Die Ideologie des Ständestaates, in: Der Kampf, Jänner 1934, S. 13 f. 26 Dieter Stiefel, Aber Krise ist auch nicht so schlecht. Zur Interdependenz sozioökonomischer Prozesse und der Genese des auto­ritären Regimes in Österreich, in: 1934. Erfahrungen und Lehren, Publikation des Dr. Karl Kummer Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform, Graz 1984.

24

ständestaat 1934

len. Dieser Antrieb fand seine Schranken an dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage.“27 Was den ständischen Denker dabei störte, war die Dominanz wirtschaftlicher Interessen auf Kosten aller anderen Berei­che, die zu Erscheinungen führten, die vor dem „Kulturgewissen“ nicht verantwortet werden können. „Diese Leistungen der Wirtschaft des 19. Jahrhunderts mussten erkauft wer­den um den Preis all dessen, was wir als Soziale Frage bezeichnen, um den Preis tiefgehender Entartung unserer Kultur durch den beherrschenden Pri­mat des Wirtschaftsgedankens.“ Es sei daher unzweifelhaft, dass die Konkurrenzwirtschaft des 19. Jahrhunderts der Würde des Menschen und den Forderungen der Kultur in beträchtlichem Ausmaß nicht entsprochen habe.28 Vor allem aber war es nicht beim Liberalismus geblieben. Die Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts zeigte das Bestreben, sich dem erbarmungslosen Richterspruch der freien Konkurrenz zu entziehen. Durch Monopolisierung aller Art, Großbetriebe, Kartelle, Gewerkschaften, Interessenvertretungen, entstanden machtpolitische Konzentrationen, die es verstanden, den Wettbewerb auszuschalten und den Staat für ihre Interessen zu benützen. Der anwachsenden machtpolitischen Verkrustung des Liberalismus entsprach eine zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft. Einer kleinen Gruppe von politisch und wirtschaftlich Privilegierten stand eine wachsende Zahl materiell und politisch Entrechteter gegenüber. Angesichts dieser Ungerechtigkeiten entstanden Bewegungen, getragen von der breiten Masse der von Besitz und Erwerb Ausgeschlossenen oder Bedrohten, deren Forderungen stärkere Durchschlagskraft hatten als alle rein ökonomischen Überlegungen und welche die bestehenden sozioökonomischen Verhältnisse radikal umkrem-

27 Odo Neustädter-Stürmer, Die berufsständische Gesetzgebung in Öster­ reich, Wien 1936, S. 43. 28 Johannes Messner, Die berufsständische Ordnung, Wien 1936, S. 136 f. und S. 185.

25

1. akt: die Zwischenkriegszeit

peln wollten: Sozialismus und Faschismus.29 Darüber hinaus setzte die zunehmende Monopolisierung den Funktionsmechanismus der Wirtschaft selbst außer Kraft. Diese Entwicklung habe zur Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre geführt. „Da die Wirtschaftenden selbst das Fundament, die freie Konkurrenz untergraben haben, stürzt nun – und das ist die Epoche der Wirtschaftsentwicklung, die wir heute in der ganzen zivilisierten Welt miterleben – das Gebäude krachend nach. Was uns umgibt, sind die chaotischen Trümmer der liberalen Wirtschaftsordnung, deren berstende Säulen und Blöcke uns zu zermalmen drohen.“30 Die „Theoretiker“ des Ständestaates nahmen nun für sich in Anspruch, eine Antwort auf diese problematische Entwicklung gefun­den zu haben, den dritten Weg zwischen Sozialismus und Liberalismus, die Wiederherstellung der „wahren Ordnung“ in der Wirtschaft. Das Primat der Wirtschaft sollte gebrochen werden, der Staat aus den Verstrickungen mit privatwirtschaftlichen Interessen wieder befreit und die Wirtschaft entstaatlicht werden. Durch die berufsständische Ordnung sollten die „wesenseigenen Antriebskräfte der Wirtschaft“31 wieder frei gemacht werden. „Wenn der natürliche, selbsttätige Regulator der Wirtschaft, das freie Spiel von Angebot und Nachfrage, unwirksam geworden ist, wenn die Wirtschaft daher steuerlos dem Chaos zutreibt, ... dann bleibt uns nur der Weg, die fehlende natürliche Regelung durch gewollte Ordnung, durch bewusste Pla­nung zu ersetzen. So wie die zusammenbrechende Feudalwirtschaft von der liberalen Wirtschaft abgelöst wurde, so folgt dem Zusammenbruch des Libe­ralismus eine neue Wirtschaftsordnung: die Planwirtschaft.“32 So weit glaubte man sich mit dem Sozialismus noch einig. „Aber von da ab gabelt sich die Straße, deren eine Verzweigung den Wegweiser

29 Josef Dobretsberger, Die wirtschaftlichen Aufgaben des neuen Staates, Wien 1937, S. 8. 30 Neustädter-Stürmer, Gesetzgebung, S. 44. 31 Messner, Ordnung, S. 184. 32 Neustädter-Stürmer, Gesetzgebung, S. 46.

26

ständestaat 1934

,Zur bolschewistischen Planwirtschaft‘, deren andere Verzweigung den Wegweiser ,Zur ständischen Planwirtschaft‘ trägt.“33 In der stän­dischen Planwirtschaft wird das Eigentum nicht angetastet, die private Initiative nicht beseitigt, Träger der Planwirtschaft ist nicht der Staat, sondern die berufsständische Körperschaft. Das erst gebe die Möglichkeit, alle wirtschaftlichen Agenden, die der Staat im Lauf der Zeit an sich gerissen hat, wieder den Wirtschaftenden selbst zu übertragen. Der Staat aber ziehe sich auf rein obrigkeitliche Auf­ gaben zurück, auf eine unabhängige Schiedsrichterrolle gegenüber den gesellschaftlichen Gruppen: Das war die Vorstellung, vom „freien, star­ken, über allen Wirtschaftsinteressen schwebenden Staat“,34 Lenker und Berater der Wirtschaft, der nur dort eingreift, wo es gilt, wider­ streitende Privatinteressen auf den gemeinsamen Nenner des Wohls der Allgemeinheit zu bringen. Damit ging es dem Ständestaat zwar um Modifizierung, aber grundsätzlich um die Erhaltung der bestehenden sozioökonomi­schen (marktwirtschaftlichen) Verhältnisse: „In den Grundlagen gründet sich unsere Wirtschaftsordnung auf dieselben Voraussetzungen wie die liberalisti­sche, nämlich auf Privateigentum und private Initiative“, erklärte Handelsminister Guido Jakoncig in einem Vortrag. „Der Grundsatz, dass unsere Wirtschaftsordnung auf Anerkennung des Privateigentums fußt, ist zu selbstverständlich, als dass er eine besondere Hervorhe­bung benötigen würde.“35 Und auch Josef Dobretsberger stellte fest: „Ziel ist die Wiedererstarkung des echten Unternehmergeistes, der unter dem Druck des Monopolismus verdrängt wird oder entartet ... Um der privaten Initiative den Weg freizugeben, müssen diese Hemmnisse beseitigt werden.“36 Der Ständestaat war daher von seiner Ideologie her ein Staat des Privateigentums, der Selbstständigen und der Unterneh­mer. Das be 33 Ebd. 34 Kolnai, Ideologie, S. 14. 35 Guido Jakoncig, Grundsätzliche Gedanken zur Wirtschaftskrise und de­ ren Bekämpfung, Vortrag, gehalten am 27. November 1934 im Österrei­ chischen Ingenieur- und Architekten-Verein, Wien. 36 Neustädter-Stürmer, Gesetzgebung, S. 43.

27

1. akt: die Zwischenkriegszeit

gründete sich nicht nur durch die Wirtschaftsauffassung, sondern wurde auch durch das Autoritätsprinzip bestärkt: „Die Schaffung des Autoritätsstaates auf ständischer Grundlage, der Grund­satz der Förderung der Persönlichkeit führt notwendigerweise zur Förderung des selbständigen Unternehmers, gleichgültig, ob es sich um einen kleinen Gewerbetreibenden oder um einen Großindustriellen handelt. In jedem Staate sind die Kreise der selbständigen Erwerbstätigen diejenigen, die wie der Bauer auf seiner Scholle in ihren eigenen Betriebsstätten nach freier Entschließung und unter eigener Verantwortung tätig sind, die wertvollsten Stützen des Staates und der Wirtschaft.“37 Der Privatunternehmer war demnach der „natürliche Mittelpunkt“ des Ständestaates, durch seine Verantwortung sollten wieder ethische Grundsätze in der Wirtschaft zur Geltung kommen. „Viel wichtiger ist die Wettbewerbsmoral in ihrer unmittelbaren, gesetzlich nicht festgelegten Lebendigkeit, in der das wirtschaftliche Verantwortungsbewusstsein in der berufsständischen Ordnung einen kräftigen Wurzelboden finden muss. Denn Gesamtverantwortung und Gesamtehre sind es ja, die das ganze Mark der berufsständischen Ordnungskräfte ausmachen, aus ihnen muss daher auch in erster Linie die berufsständische Ordnung leben und vor allem die Ordnung des Wettbewerbs.“38 Der Inhalt der Wirtschaftspolitik im ständischen Denken war demnach „Wettbewerbsfreiheit im Rahmen einer Gemeinwohlordnung“, und als Norm habe zu gelten, „dass jene wirtschaftspolitische Maßnahme die beste ist, welche die selbstregulierenden Kräfte der Wirtschaft wirksam werden lässt.“ Damit war die christliche Soziallehre versöhnt mit dem Wirtschaftsliberalismus: „Die naturgemäße Verfassung der auf das Privateigentum begründeten arbeitsteiligen Volkswirtschaft ist der Wettbewerb“39, schrieb Johannes Messner, nur habe er eine Ordnung zu erfahren, um die Konjunkturschwankungen auszugleichen, die wirtschaftliche Dynamik zu 37 Jakoncig, Gedanken, S. 7. 38 Johannes Messner, Die berufsständische Ordnung, Wien 1936, S. 171. 39 Johannes Messner, Die berufsständische Ordnung, Wien 1936, S. 102.

28

ständestaat 1934

beruhigen, die Preise zu stabilisieren und zu einer erhöhten Sicherheit der Wirtschaftsführung zu gelangen. Das Streben nach Erhaltung eines wesentlichen Teils des liberalen Wirtschaftssystems und seine Stilisierung als „natürlich“ und „wahr“ lässt sich auch bei den Überlegungen zu Löhnen und Preisen erkennen. So schrieb etwa Josef Dobretsberger: „Die gegenwärtige Wirtschaftsverfassung ist darauf aufgebaut, dass sich die Preise marktmäßig auf Grund der Einkommens- und Kostenfiguren einspielen ... Ziel der staatlichen Preispolitik ist es, das ökonomische Preisniveau, das sich infolge der Marktbeeinflussung privater Verbände nicht durchsetzen kann, wieder herzustellen.“40 Und nach Johannes Messner war nur durch eine funktionierende Konkurrenz, d. h. einer nur durch das Gemeinwohlinteresse eingeschränkten, aber ansonsten völlig freien Konkurrenz ein volkswirtschaftlich richtiger Preis garantiert, und dies gipfelte in der Aussage: „Denn der gerechte Preis ist nichts anderes als der volkswirtschaftlich richtige Preis.“41 Ganz ähnlich auch die Argumentation in der Lohnfrage. Zwar kommt Messner hier in eine schwierige Argumentationslage, da er sich auch für den Familienlohn einsetzen möchte: „Denn wenn in der naturgemäß geordneten Volkswirtschaft der Einzelne zum gehörigen Einsatz seiner Arbeitskraft kommt, dann muss ihm gemäß seiner Leistung auch ein Anteil am gemeinsam erarbeiteten Ertrag zugeteilt werden können, der für die Erhaltung einer Normalfamilie ausreicht.“ Wenn es überhaupt einen Sinn habe, von Natur zu sprechen, dann muss die volkswirtschaftliche Zusammenarbeit für den Einzelnen so viel abwerfen, „dass er damit den mit der natürlichen Anlage des Menschen zu Ehe und Familie verbundenen Pflichten gerecht wer­den kann“.42 Doch davon abgesehen stellte auch er den Leistungsgedanken in den Mittelpunkt einer berufsständisch verfassten Wirtschaft. Leistung verstanden als Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft: „Nur sie begründet ein 40 Dobretsberger, Aufgaben, S. 18 f. 41 Messner, S. 172. 42 Ebd., S. 177.

29

1. akt: die Zwischenkriegszeit

Recht auf Einkommen.“43 Die politische Lohngestal­tung der 20er-Jahre sah er daher als Ausfluss des Klassenkamp­fes und als wirtschaftliche Fehlentwicklung an, da trotz sinkenden Volksvermögens steigende Löhne gezahlt worden waren. „Auch in der Lohnfrage besteht in der berufsständischen Ordnung keine an­dere Aufgabe, als den volkswirtschaftlich richtigen Lohn zu Geltung zu brin­gen … Deshalb muss auch der Lohn den Preisgesetzen folgen.“44 Demnach wäre auch der gerechte Lohn nichts anderes als der volkswirtschaftlich richtige Lohn. Der ständischen Ideolo­gie war daher ein „gewisser“ Liberalismus – begrenzt durch christlichsoziale Ordnungsvorstellungen – nicht wesensfremd, sondern sogar konstitu­tiv. Diese Grundhaltung endete nicht 1938. Führende Mitglieder der ÖVP nach 1945 hatten den Ständestaat mitgetragen und der Staatskapitalismus des Deutschen Reiches und im Zweiten Weltkrieg hatte sie in ihrer Haltung zu Privatunternehmen und Marktwirtschaft, verbunden mit sozialer Verantwortung, noch weiter bestärkt.

43 Ebd., S. 101. 44 Ebd., S. 177.

30

2. Akt: Die Verstaatlichte Industrie 1945 bis 1955

Die Frage des Deutschen Eigentums

In ungewöhnlichen Zeiten gibt es ungewöhnliche Gesetze. Nach mehreren Anläufen verabschiedete das österreichische Parlament 1946/47 einstimmig (Volkspartei, Sozialisten und Kommunisten) die Verstaatlichungsgesetze. Diese betrafen (Bundesgesetz Nr. 168 vom 26. Juli 1946) die drei großen Banken und 71 Industrieunternehmen, das waren etwa 20 % der österreichischen Industrie, alle wesentlichen Kohlengruben, Erdölgewinnungs- und Raffinerieanlagen, Hüttenwerke für Stahl und Eisen, Unternehmen der Elektroindustrie, den Lokomotiv-, Waggon- und Schiffbau, Maschinen- und Metallwarenfabriken, die Österreichischen Stickstoffwerke und die Erste Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft. Durch das Bundesgesetz Nr. 81 vom 26. März 1947 wurde die Elektrizitätswirtschaft verstaatlicht beziehungsweise in das Eigentum der einzelnen Bundesländer überführt. Damit war praktisch die gesamte Elektrizitätswirtschaft in öffentlicher Hand.45 Anteil der Verstaatlichten Industrie an der Gesamtproduktion 195146 Braunkohle 94 % Kupfer 100 % Eisenerz 99‌‍ % Stabeisen 99 % Bleche 90 % Blei/Zink 100 % Aluminium 71 % Düngemittel 90 % 45 Soweit die Anlagen über 200 kW hinausgingen und nicht zu den Eigenversorgungsanlagen von Betrieben gehörten. 46 Langer, Edmund, Die Verstaatlichungen in Österreich, Wien 1966.

31

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Anteil der Verstaatlichten Industrie an der Gesamtindustrie 1951 Beschäftigte 19 % Nettoproduktion 22 % Exporte 26 %

Der Grund für diese ungewöhnliche Einigkeit der Parlamentsparteien lag zuerst einmal im Problem des „Deutschen Eigentums“. Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 kam es nicht nur zu erheblichen Investitionen der deutschen Rüstungswirtschaft (Herman Göhring Werke Linz, Aluminiumwerke Ranshofen, Zellstoffwerke Lenzing etc.), sondern auch die deutsche Privatwirtschaft dehnte ihren Einfluss in Österreich deutlich aus. Der „Anschluss“ Österreichs war die erste gebietsmäßige Expansion des Deutschen Reiches und sie fiel noch in Friedenszeiten, so dass sich die deutsche Wirtschaft darauf voll konzentrieren konnte. Spätestens seit 1936 gab es nicht nur politische und militärische Integrationspläne, sondern auch Überlegungen der deutschen Wirtschaft zur Einbeziehung Österreichs. Um die Anpassung zu erleichtern, bestand ein ein- bis zweijähriger (je nach Branche) „Gebietsschutz“, in der sich deutsche Unternehmen nicht niederlassen durften. Diese wichen aus, indem sie sich in die österreichischen Unternehmen einkauften. „Halb zog sie ihn, halb sank er hin“, um Goethe zu zitieren. Die österreichischen Unternehmen waren natürlich auch daran interessiert, in dem zehnmal größeren deutschen Wirtschaftsraum einen Partner zu finden. Außerdem erhofften sich die Österreicher mit dem deutschen Kapital im Rücken, ihre alte Stellung in Ost- und Südosteuropa wieder zu erreichen. Die deutsche Wirtschaft ging aber „ran wie Blücher“ und die radikale Vorgangsweise überraschte die Österreicher und ließ erste Ressentiments entstehen. Denn die deutsche Wirtschaft hatte keine Skrupel, politische Instrumente für ihre Interessen einzusetzen. Nach der Entfernung der Juden und der Vertreter des Ständestaates aus den Führungsetagen der österreichischen Unternehmen konnten diese Positionen mit Sympathisanten und Nationalsozialisten besetzt werden, welche die Übernahme durchführten. Diese 32

Die Frage des deutschen eigentums

„unfriendly takeover“ wurden häufig so geschickt durchgeführt, dass nicht einmal große Kapitalsummen notwendig waren. Um die österreichischen Unternehmen gab es daher heftige Auseinandersetzungen zwischen den deutschen Interessenten, die für die Banken und Versicherungen ausführlich dokumentiert sind.47 Dazu kam noch die „Arisierung“ von jüdischem Vermögen und ab Ende 1939 die Beschlagnahme von Feindvermögen. Außerdem wurden ausländische Unternehmen (wie schweizerische) im Verlauf des Krieges gezwungen, ihre Anteile an reichsdeutsche Interessenten zu übertragen, da sie sonst von jedem Geschäft ausgeschlossen worden wären. Somit erlebte Österreich ab 1938 die größte Eigentumsübertragung seiner Geschichte. Ein großer Teil dieser Eigentumstitel war daher 1945 wieder fraglich geworden. Deutscher Anteil am Kapital österreichischer Aktiengesellschaften48 In % Jahr 1938 1944 Banken 8 83 Versicherungen 6 51 Erdölindustrie 0 92 Bergbau und Metall 25 72 Elektroindustrie 19 72 Chemische Industrie 4 71 Gesamt 9 75

Das „herrenlose Eigentum“ wurde nun mit dem Gesetz vom 10. Mai 1945 (StGBl. Nr. 94/1945) unter öffentliche Verwaltung gestellt. Wäh47 Gerald D. Feldman/Oliver Rathkolb/Theodor Vernus/Ulrike Zimmerl, Österreichische Banken und Sparkassen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit, 2 Bände, München 2006; Dieter Stiefel, Die österreichischen Lebensversicherungen und die NS-Zeit. Wirtschaftliche Entwicklung, politischer Einfluß, jüdische Polizzen, Wien 2001. 48 Otto Klambauer, Zur Frage des Deutschen Eigentums in Österreich, in Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978, S. 148.

33

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

rend der öffentlichen Verwaltung ruhten die Befugnisse der Eigentümer bzw. der unternehmensrechtlichen Organe (Aufsichtsrat, etc.). Das Gesetz wurde jedoch durch den Alliierten Rat am 18. Dezember 1945 beeinsprucht, da sie die Interessen ihrer Staatsbürger gefährdet sahen. Der österreichische Nationalrat hob daher mit einem neuen Gesetz vom 1. Februar 1946 das alte Gesetz auf und billigte den Alliierten eine Mitsprache bei der Bestellung der öffentlichen Verwalter in ihrer jeweiligen Besatzungszone zu. Gleichzeitig wurde das neu gegründete „Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung“ für diesen Bereich zentral zuständig. Das Gesetz war aber nicht nur durch den dominierenden Einfluss der Besatzungsmächte problematisch, es forcierte auch die wirtschaftliche Zersplitterung des Landes in Besatzungszonen und war dort schwierig, wo Vermögenswerte in verschiedenen Zonen lagen. Nach langen Verhandlungen kam es daher am 26. Juli 1946 zu einem neuen Verwaltergesetz, das diesen Bedenken Rechnung trug. Danach wurde die öffentliche Verwaltung auf Vermögen von ehemaligen Nationalsozialisten (Entnazifizierung)49 angewandt, auf „arisiertes“ Vermögen, auf solches, deren Eigentümer flüchtig oder die deutsche Staatsangehörige waren. Die Aufhebung einer öffentlichen Verwaltung konnte nur im Einvernehmen mit dem Alliierten Rat erfolgen. Es gab etwa 7.000 solcher Vermögen und Unternehmen, wobei einzelnen öffentlichen Verwaltern eine ganze Reihe übertragen wurde und es ihre Aufgabe war, diese Vermögen bis zur Klärung der Eigentumsverhältnisse zu sichern bzw. Betriebe weiter zu führen. Österreichisches, „arisiertes“ und ausländisches Eigentum war prinzipiell wieder den ursprünglichen Inhabern zurückzugeben. Was sollte aber nun mit diesem „Deutschen Eigentum“ geschehen, den deutschen Übernahmen und Unternehmensgründungen und Investitionen während der NS-Zeit? 49 Dies wurde mit dem Gesetz vom 22. Juni 1949 für minderbelastete Nationalsozialisten aufgehoben, da diese durch die Amnestie in alle ihre Rechte wieder eingesetzt wurden.

34

Die Frage des deutschen eigentums

Die ÖVP betrachtete die öffentliche Verwaltung vorwiegend als eine vorübergehende treuhändische Maßnahme, während die SPÖ hier bereits die Vorstufe zur Verstaatlichung sah.50 Doch den weiteren Weg bestimmte die österreichische Politik nicht alleine. Hier hatten auch die alliierten Siegermächte ein Wort mitzusprechen, da sie die völkerrechtliche Position des Landes definierten. Bereits im Jahr 1943 bezeichneten die Alliierten mit der Moskauer Deklaration Österreich als das erste Opfer der Hitler-Aggression, das daher niemals als Teil des Deutschen Reiches, sondern als ein befreites Land anzusehen war. Diese „Opferthese“ spielte in der österreichischen Nachkriegspolitik eine wesentliche Rolle. Bereits ein Jahr vorher, mit den Londoner Protokollen vom 5. Januar 1942, erklärten die Alliierten alle während der deutschen Besetzung vorgenommenen Vermögensübertragungen für null und nichtig, wenn sie unter dem Druck der Besatzungsbehörden erfolgt waren. Damit wären in Österreich die Eigentumsverhältnisse vor dem März 1938 wieder herzustellen gewesen. Das zwischen 1938 und 1945 durch Investitionen und Unternehmensgründungen entstandene deutsche Eigentum beanspruchte Österreich als „Opfer“ entschädigungslos für sich. Doch die Alliierten bestimmten mit dem Potsdamer Abkommen vom 17. Juli 1945 auch, dass das Deutsche Eigentum im Ausland zu Reparationszwecken herangezogen werden konnte. Entsprechend der „Opferthese“ war Österreich „Ausland“ und das deutsche Vermögen in Österreich war demnach prinzipiell Gegenstand von Reparationsansprüchen. Die Alliierten legten zwar ausdrücklich fest, dass sie von Österreich keine Reparationen verlangen, – allerdings mit Ausnahme des Deutschen Eigentums. Die Verstaatlichung war daher vor allem ein Mittel zur Verhinderung der Anwendung der Potsdamer Beschlüsse auf Österreich, darin waren

50 Die Darstellung der Verstaatlichungsgesetzgebung folgt im Wesentlichen der an der Wirtschaftsuniversität verfassten Dissertation von Siegfried Hollerer, Verstaatlichung und Wirtschaftsplanung in Österreich (1945–1949), Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs, Wien 1974, S. 11.

35

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

sich alle politischen Parteien einig. Die Zwangsveräußerungen während der NS-Zeit dürften nicht der Anlass sein, formulierte die SPÖ, „dass österreichisches Wirtschaftsgut, dass österreichische Rohstoffvorkommen, die Österreich gehörten, lange bevor es einen deutschen Faschismus gegeben hat, nunmehr als deutscher Besitz erklärt und zur Wiedergutmachung einer uns fremden Kriegsschuld herangezogen werden.“51 Für die SPÖ war es klar, dass die Verstaatlichung des Deutschen Eigentums „den Nazikriegsverbrechern die Verfügung über ihren Besitz entzogen hat. Wer waren denn unsere Industrieherren? Zu 80 % haben reichsdeutsche Nazis innerhalb eines Jahres die österreichische Industrie an sich gerissen. Wir müssen uns dessen nur klar bewusst werden und die Tatsache, dass die Geschichte ihnen diesen Besitz wieder entrissen hat, auch in die entsprechenden Rechtsformen kleiden.“ Der herrenlos gewordene Besitz war daher in die Hände der Gesellschaft überzuführen.52 Und selbst die Moskau hörige KPÖ vertrat die Ansicht, dass die Verstaatlichung im nationalen Interesse liege, „zum Schutze unseres nationalen Eigentums und zur Sicherung unserer staatlichen Unabhängigkeit. Österreich ist in höchstem Ausmaß lebensfähig, aber wir müssen alle vereinigen, um unsere Bodenschätze, Wasserkräfte und Industrien für alle Zukunft zu österreichischem Eigentum zu machen und ihre planmäßige und großzügige Verwertung im Dienste der Nation zu sichern.“ Man werde nur dann eine wirtschaftliche Zukunft haben, „wenn wir dafür sorgen, dass Österreich den Österreichern gehören wird“.53 Der Notwendigkeit zur Verstaatlichung des Deutschen Eigentums stimmte auch die ÖVP zu. So stellte Fritz Bock (ÖVP) fest, „dass wohl viel mehr Betriebe in die öffentliche Hand, vor allem in die Hand des Staates gelangen werden, als man gemeiniglich heute annimmt, denn nach einer für Österreich

51 Verstaatlichungsantrag der SPÖ, Beiblatt zur Parlamentskorrespondenz, 30. Jänner 1946, zitiert bei Hollerer, S. 85. 52 Sozialistische Partei Österreichs: Was wollen die Sozialisten? Wien 1945. 53 Stenographische Protokolle des österreichischen Nationalrats (NRP), V/2, 21.12.1945.

36

Die Frage des deutschen eigentums

günstigen Auslegung der Potsdamer Deklaration werden zahlreiche Unternehmen, die bisher in reichsdeutschem Eigentum gestanden sind, an den österreichischen Staat fallen, der wohl in der Regel nicht die Absicht haben wird, diese Unternehmen zu reprivatisieren“.54 Neben der Frage des Deutschen Eigentums war einer der wesentlichen Gründe für die Zustimmung der ÖVP zur Verstaatlichung die Kapitalknappheit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die schlechte wirtschaftliche Entwicklung nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie 1918, die Bankenkrise des Jahres 1931 und die Auswirkungen von Nationalsozialismus und Krieg hatten in Österreich zu einer weitgehenden Vernichtung des Privatkapitals geführt. Österreich war 1945 ein Land von geradezu egalitärer Armut. Es gab keine Kapitalisten mehr, um die „herrenlosen“ Unternehmen wieder aufzubauen. Nur der Staat konnte das Kapital aufbringen, der Staat war damit zum Kapitalisten „of last resort“ geworden. Das bedeutete aber, dass nicht nur Deutsches Eigentum unter die Verstaatlichung fiel, sondern auch österreichische und ausländische Unternehmen, welche ohne die Staatshilfe nicht weiter bestanden hätten. Sie waren für die österreichische Wirtschaft zu wichtig, um sie ihrem Schicksal zu überlassen. So schrieb Eugen Margarétha (ÖVP): „Wenn schon der österreichische Staat Garantien für Kredite übernehmen muss, die sonst kein inländisches Kreditinstitut und kein ausländischer Kreditgeber geben würde, dann muss er auch die Gewissheit haben, dass dieses Risiko, das er eingeht, nicht jemandem zugute kommt, der später einmal auf Grund irgend eines Rechtstitels Eigentumsrechte an einem solchen Unternehmen geltend macht. Eine erhebliche Anzahl der nunmehr verstaatlichten Unternehmungen ist vor der Stilllegung gestanden und stünde auch heute noch davor, wenn nicht der österreichische Staat, nicht etwa bloß für unvermeidbare Investitionen, sondern selbst nur zur Bezahlung der Löhne und Gehälter die Staatsgarantie für gewährte Kredite übernommen hätte und übernehmen würde. 54 Fritz Bock, Sozialisierung, wie wir sie verstehen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 9 (1946), S. 376–379.

37

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Wenn sich jene Ausländer, die heute über Österreich den Stab brechen, weil es nunmehr auch zur Verstaatlichung schreitet, nicht soviel Zeit gelassen hätten, um die notwendigen Investitionskredite und Rohstoffe zum Wiederaufbau der österreichischen Industrie beizustellen, wenn sie nicht in verständlicher Vorsicht die politische Entwicklung in Österreich abgewartet hätten, die ja leider am wenigsten von uns Österreichern beeinflusst ist, hätten wir vielleicht auch um die Verstaatlichung herumkommen können oder zumindestens zuwarten können, um Erfahrungen zu gewinnen aus gleichartigen Aktionen in den Nachbarländern Österreichs und in England. Man kann aber von uns Österreichern und auch nicht von der Österreichischen Volkspartei verlangen, dass wir uns für die Interessen des Auslandkapitals rückhaltlos einsetzen, wenn dieses Auslandkapital so gut wie nichts unternimmt, um uns in unserer Not zu helfen.“55 Und Karl Waldbrunner (SPÖ) bemerkte rückblickend: „Noch kann ich mich genau an die Diskussionen im vorbereitenden Ausschuss und in der Provisorischen Regierung entsinnen, die dem Beschluss der Provisorischen Staatsregierung vom 5. September 1945 über die Verstaatlichung einer Reihe von Grundstoffindustrien vorangingen. Damals waren die Anhänger der Österreichischen Volkspartei ratlos vor der Größe der Zerstörungen und der Beuteverluste dieser Unternehmungen, und niemand von ihnen glaubte daran, dass innerhalb Österreichs eine private Gruppe zu finden sein würde, die den ungeheuren Aufgaben, die der Wiederaufbau dieser Unternehmungen stellte, gewachsen sein könnte. Auch an fremde Interessengruppen war ja nicht zu denken und darum wollte man es dem Staate überlassen, mit den Problemen fertig zu werden.“56 Die provisorische Staatsregierung unter Karl Renner (SPÖ) hatte daher bereits am 5. September 1945 ein Gesetz über die Verstaatli55 Eugen Margarétha, Die Verstaatlichung und Sozialisierung in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 11 (1946), S. 470. 56 Waldbrunner, Karl, Was geht in den verstaatlichten Betrieben vor?, in: Die Zukunft, Nr. 10–11 (1950), S. 284.

38

Die Frage des deutschen eigentums

chung von Unternehmen der Energiewirtschaft, des Bergbaus, der Erdölproduktion, der Eisenhüttenindustrie, der Starkstromindustrie und des Lokomotiv- und Waggonbaus beschlossen. Aufgrund des Einspruchs der sowjetischen Besatzungsmacht – die als einzige die provisorische Regierung anerkannt hatte – trat dieses Gesetz jedoch nicht in Kraft. Nach den gesamtösterreichischen Nationalratswahlen vom November 1945 anerkannten alle Besatzungsmächte die neue Regierung. Dabei sprachen sich alle Parteien für eine Form der Vergesellschaftung bzw. Verstaatlichung aus. Bundeskanzler Leopold Figl (ÖVP) stellte in seiner Regierungserklärung vom 21. Dezember 1945 fest, man werde „auch in einer Reihe von Schlüsselunternehmungen in Anlehnung an das in der Provisorischen Staatsregierung beschlossene Verstaatlichungsgesetz, deren Vergesellschaftung im Interesse des gesamten Staates gelegen ist, zur Verstaatlichung oder Kommunalisierung schreiten“.57 Am 30. Jänner 1946 brachte die SPÖ ein umfangreiches Verstaatlichungsgesetz ein, das einem Nationalratsausschuss zugewiesen wurde, aber dort nicht weiterkam, worin eine Verzögerungstaktik der konservativen Seite vermutet wurde. Am 7. Mai 1946 legte die SPÖ ein Sechspunkteprogramm vor, das neben der Planung und Demokratisierung der Volkswirtschaft: – die Verstaatlichung, Kommunalisierung oder Vergenossenschaftung von Banken und Versicherungsanstalten, Bergwerken, Ölgruben, Kraftwerken und Großunternehmungen der Eisen-, Stahl-, Metall-, Baustoff- und chemischen Industrie sowie von Großunternehmungen der Lebensmittelproduktion; – die Vergesellschaftung des landwirtschaftlichen Großgrundbesitzes; – die Mitwirkung der Arbeiter- und Angestelltenschaft an der Wirtschaftsplanung und Führung der Betriebe forderte.58 57 Zitiert bei Siegfried Hollerer, S. 17 f. 58 Adolf Schärf, Österreichs Erneuerung 1945–1955, Wien 1955, S. 112, zitiert bei Hollerer, S. 101.

39

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Durch den Druck der SPÖ und der Gewerkschaften brachte die ÖVP am 27. Mai 1946 selbst einen Gesetzesantrag zur „Verstaatlichung und Sozialisierung“ ein. Dieser bezog sich lediglich auf den Kohlenbergbau, die Energiewirtschaft und die Erdölproduktion. Die Verstaatlichung von anderen Unternehmungen war noch offen gelassen worden, man wollte vorher die notwendige Erfahrung sammeln. Die Verstaatlichung wurde als eine Vorstufe zur „Sozialisierung“ gesehen, wo neu zu gründende Betriebsgenossenschaften die Eigentumsrechte ausüben sollten (siehe Werksgenossenschaften). Die Parteienverhandlungen gingen nun vor allem um den Umfang der Verstaatlichung. Dabei hatte die Kommunistische Partei so extreme Vorstellungen, dass sie bald aus den Verhandlungen ausgeschlossen wurde. Denn die Gespräche zwischen ÖVP und SPÖ waren ohnehin schwierig genug und standen mehrfach an der Kippe. Die ÖVP hatte zu dieser Zeit die absolute Mehrheit im Nationalrat und so ist es zu erklären, dass die SPÖ von ihrer Forderung nach Verstaatlichung ganzer Wirtschaftszweige abging. Man einigte sich schließlich darauf, dass nur einzeln angeführte Unternehmen erfasst werden sollten. Über die Zahl der Unternehmen prallten die Meinungen aber hart aufeinander. Die SPÖ schlug 125 Betriebe aus den Wirtschaftszweigen vor, in denen es tatsächlich zur Verstaatlichung kam, hatten aber noch 110 Unternehmen in anderen Bereichen im Auge, wie etwa der Versicherungswirtschaft, der Bauwirtschaft oder der Lebensmittelindustrie. Das war der ÖVP bei Weitem zu viel. Auf der anderen Seite war der sozialistischen Seite die bürgerliche „Sozialisierung“ ein Unding und der ungeeignete Versuch, die Verstaatlichungen wieder rückgängig zu machen. Man einigte sich schließlich auf zwei Gesetzesentwürfe, einen zur Verstaatlichung von 71 Unternehmungen und den anderen über die Werksgenossenschaften. Für diesen Kompromiss hatte die ÖVP auch der Verstaatlichung der drei Großbanken zugestimmt.59 Allerdings gab Eugen Margarétha (ÖVP) noch weitere Gründe für die Einbeziehung 59 Adolf Schärf, Österreichs Erneuerung 1945–1955, Wien 1955, S. 116, zitiert bei Hollerer, S. 25.

40

Die Frage des deutschen eigentums

der drei Großbanken (Creditanstalt, Länderbank, Hypotheken- und Kreditinstitut) in die Verstaatlichung an: a) die derzeitigen Besitzverhältnisse; b) der Status dieser Unternehmungen bei Berücksichtigung der Bonität ihrer Beteiligungen bzw. sonstigen Aktiven; c) die Notwendigkeit, die Besitzverhältnisse ihrer industriellen und sonstigen Beteiligungen dadurch zu klären, dass der österreichische Staat als Eigentümer der verstaatlichten Banken gleichzeitig auch Eigentümer der Beteiligungen wird.60 Die Frage der Organisation der Verstaatlichten Wirtschaft und der Entschädigung der Voreigentümer wurde einer späteren Regelung überlassen. Am 26. Juli 1946 beschloss der Nationalrat einstimmig das erste Verstaatlichungsgesetz.61 Das Gesetz unterschied zwischen Gesellschaften, Unternehmungen und Betrieben, die einzeln angeführt wurden: Gesellschaften: 36 Aktiengesellschaften 10 Gesellschaften mit beschränkter Haftung 3 Gewerkschaften (Bergbau) Hier gingen die Anteilsrechte in das Eigentum der Republik über. Unternehmungen: Zwei österreichische Kommanditgesellschaften Hier gingen die Aktiven und Passiven auf die Republik über. Betriebe: Bei 16 Betrieben, deren Unternehmenssitz in Deutschland lag, wur60 Eugen Margarétha, Die Verstaatlichung und Sozialisierung in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 11 (1946), S. 464–470. 61 Das zweite Verstaatlichungsgesetz vom 26. März 1947, das die Elektrizitätswirtschaft betraf, hatte vor allem technisch-organisatorische Gründe und betraf die Eigentumsübertragung an die öffentliche Hand, den Bund, die Länder und fünf Stadtgemeinden.

41

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

den die inländischen Aktiven und Passiven verstaatlicht, bei 2 deutschen Betrieben (Kupferbergbau Mitterberg und Aluminiumwerk Ranshofen) befanden sich unerlässliche Vermögenswerte, wie Patente oder liquide Mittel in Deutschland, auf die ebenfalls Anspruch erhoben wurde, 2 österreichische Betriebe waren Teil einer österreichischen Gesellschaft, die selbst von der Verstaatlichung ausgenommen war. Damit wurden nicht ganze Industriezweige verstaatlicht. Die heterogene Zusammensetzung zeigt, dass es neben der Frage des Deutschen Eigentums um Unternehmen ging, die ohne Staatshilfe schwer weiterzuführen gewesen wären. Die Verwaltung wurde zentral dem Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung übertragen, eine spätere Veräußerung war nur mit Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates möglich, dabei sollten Gebietskörperschaften, öffentlich-rechtliche Körperschaften und Genossenschaften berücksichtigt werden. Im Bundesministerium wurde ein zentraler Investitionsfonds errichtet, der aus den Erträgen der Unternehmungen bzw. Verkäufen gespeist werden sollte.

Werksgenossenschaften als Alternative

Mit dem Verstaatlichungsgesetz wurde am 26. Juli 1946 auch das Werksgenossenschaftsgesetz beschlossen. Dieses war eine Bedingung der ÖVP für die Zustimmung zum Verstaatlichungsgesetz gewesen. Denn schon der Entwurf der Österreichischen Volkspartei hatte verlangt, dass die Hälfte des Kapitals von Beteiligungen des Bundes und der Gebietskörperschaften in Aktienanteile der Arbeitnehmer umgewandelt werden sollte.62 Das Werksgenossenschaftsgesetz sollte auf arbeitsintensive Betriebe ohne Monopolcharakter angewendet 62 Rauscher, Franz, Die Sozialisierung und die öffentliche Wirtschaft (Teil II), in: Die Zukunft, Nr. 5 (1946), S. 8.

42

Werksgenossenschaften als Alternative

werden, an denen die Republik Österreich beteiligt war. Dabei sollte die Belegschaft eine Betriebsgenossenschaft bilden, um die zu „sozialisierenden“ Beteiligungen zu erwerben. Die ÖVP hatte damit eine Organisationsform im Auge, die sich seit dem 19. Jahrhundert durchaus bewährt hatte. Denn auch die Bauern, das Kleingewerbe und der Handel kamen durch die Industrialisierung unter Existenzdruck. Eine Antwort war der Zusammenschluss zu Genossenschaften in Produktion, Vertrieb oder Finanzierung (Raiffeisen, Schulze-Delitzsch). Ihnen lag der Gedanke zugrunde, dass nur jene am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben sollten, die ihn erarbeitet haben, und nicht (anonyme) Kapitalisten. Diese bewährte Organisationsform von kleinen Selbstständigen sollte nun auf unselbstständig Beschäftigte in Großbetrieben übertragen werden. Die Betriebsgenossenschaft sollte mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet werden und Genossenschaftsanteile zu einem festzusetzenden Nominalbetrag ausgeben. „Jedem Belegschaftsmitglied, das dem Unternehmen mindestens zwei Jahre ununterbrochen angehört, ist mindestens ein Anteil zuzuteilen.“63 Der Arbeitnehmerflügel der ÖVP stellte die Forderung, „dass bei allen Betrieben, die verfallenes Vermögen darstellen oder dem Staat nach dem Staatsvertrag als Deutsches Eigentum zufallen werden, wenn nur irgendwie möglich, Arbeitsgenossenschaften zu errichten sind. Darüber hinaus muss weiter gefordert werden, dass bei Verkauf oder Verpachtung solcher Unternehmungen den zu gründenden Arbeitsgenossenschaften gegenüber privaten oder anderen Bewerbern der Vorzug auch dann eingeräumt werde, wenn vielleicht andere Anträge in bezug auf Pachtschilling und Kaufpreis günstiger scheinen ... Eine Rückführung dieser Unternehmungen in private Hände kann nur dann in Frage kommen, wenn sich nach eingehender Überprüfung die Errichtung einer Arbeitsgenossenschaft aus wirtschaftlichen Gründen als untunlich erweisen sollte.“ Die Arbeits- und Werkgenossenschaften sollten vom Staat verstärkt gefördert werden: „Es ist klar, 63 Fritz Bock, Sozialisierung, wie wir sie verstehen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 9 (1946), S. 378.

43

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

dass sie im Anfang das notwendige Kapital zur Betriebsführung brauchen, das ihnen, wenn es nicht vorhanden ist, aus einem zu schaffenden Fonds durch eine begünstigte Kreditgewährung beschafft werden muss. Die Mittel für diesen Fonds könnten aufgebracht werden aus den Erträgnissen, die dem Staat aus jenen Betrieben zufließen, die unter öffentlicher Verwaltung stehen oder die verpachtet oder verkauft wurden.“64 Und Peter Krauland (ÖVP) schrieb: „Der Arbeiter des Betriebes soll innerlich, seelisch mit ihm verbunden und nicht zum willenlosen Sklaven des Staates oder einer alles beherrschenden Staatspartei werden, wie wir dies mit Schaudern bereits erlebt haben. Er soll zum verantwortungsbewussten und verantwortungsfreudigen Mitarbeiter und Mitbesitzer des Betriebes werden.“65 Nach Vorstellung der ÖVP war ein Unternehmen vollständig zu „sozialisieren“, wenn die Beteiligung der öffentlichen Hand mehr als die Hälfte des Unternehmenskapitals ausmachte, war der öffentliche Anteil geringer, so zumindest bis zur Hälfte. Das hätte aber bedeutet, dass der Staat im ersten Fall zur Gänze ausgeschaltet worden wäre und im zweiten Fall in der Regel nur eine Minderheitsbeteiligung gehalten hätte. Die ÖVP sah daher in der „Vergenossenschaftung“ einen Weg zur Reprivatisierung der verstaatlichten Unternehmen. Es war für die Sozialisten nicht schwer, diese Gedankengänge zu durchblicken. Außerdem fürchteten sie, dass durch die Werksgenossenschaft eine Art Unternehmermentalität bei den Arbeitern entstehen würde, welcher der Solidarität der Arbeiterklasse widersprach. Sie setzten daher durch, dass die Beteiligung der Betriebsgenossenschaft niemals die Hälfte des Gesellschaftskapitals erreichen durfte. Die ÖVP schien sich auch mit dieser Lösung anfreunden zu können. So stellte sich etwa Eugen Margarétha (ÖVP) vor, auch nur einen Teil des Gesellschaftskapitals der staatseigenen Unternehmungen der 64 Kummer, Karl, Die neuen sozialpolitischen Aufgaben, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 5, Nr. 3 (1949), S. 118. 65 Peter Krauland, Sozialisierung oder Verstaatlichung?, in: Die Presse, Wien 8. Juni 1946, zitiert bei Hollerer, S. 103 f.

44

Werksgenossenschaften als Alternative

Werksgenossenschaft der Belegschaft zu widmen. Der Werksgenossenschaft sollte jeder Dienstnehmer bereits nach einjähriger Betriebszugehörigkeit angehören. „Er erhält einen Gesellschaftsanteil, den er weder veräußern noch belasten kann. Die Mitgliedschaft erlischt mit Beendigung des Dienstverhältnisses. Dieser Werksgenossenschaft fließt der Reingewinn des ihr gewidmeten Kapitalsanteiles des verstaatlichten Unternehmens zu, der unter 50 Prozent des Kapitals bleiben muss.“ Mit Rücksicht auf die Neuheit dieser Einrichtung sei aber eine entsprechende Vorsicht geboten. „Daher ist beabsichtigt, zunächst nur in einzelnen arbeitsintensiven und besonders geeigneten verstaatlichten Unternehmungen Werksgenossenschaften zu errichten. Auf Grund der Erfahrungen, die man hiebei sammeln wird, soll dann die Ausdehnung dieser Einrichtung auf weitere verstaatlichte Unternehmungen erfolgen.“66 Das Grundsatzpapier der Österreichischen Volkspartei 1947 ging auch auf die Frage der Entschädigung ein: „Der auf den sozialisierten Anteil entfallende Ertrag des Unternehmens ist auf die Werksgenossen aufzuteilen, und zwar so, dass der Ertrag zur Hälfte dem Inhaber in Barem ausbezahlt und zur anderen Hälfte zum rechtmäßigen Erwerb des sozialisierten Kapitalteiles verwendet wird, womit der Forderung nach voller Entschädigung der Vorbesitzer Rechnung getragen erscheint. Jedes Werksgenossenschaftsmitglied hat einen Anteil zu erwerben, wobei der Erwerb weiterer Anteile freigestellt ist. Veräußerungen dürfen nur an Angehörige des gleichen Betriebes vorgenommen werden. Die Werksgenossenschaft ist entsprechend ihren Anteilen in den Aufsichtsorganen des Unternehmens vertreten.“67 Nach Sicht der ÖVP dürfe die Verstaatlichung jedenfalls nicht „zur Verknechtung der Arbeiter und Angestellten unter dem Arbeitgeber Staat führen“, sondern es müsse die Beteiligung der Belegschaft nicht

66 Eugen Margarétha, Die Verstaatlichung und Sozialisierung in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 11 (1946), S. 470. 67 Kasamas, Alfred, Wir wollen Österreich. Grundsätze und Ziele der Österreichischen Volkspartei. Hg. von der Bundesparteileitung der Österreichischen Volkspartei. Wien 1947, S. 116 f.

45

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

nur an der Führung, sondern vor allem am Gewinn und Kapital erreicht werden, um auf diesem Wege den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital zu beseitigen.68 Anstelle der Verstaatlichung sollte eine Sozialisierung erfolgen, d. h. die eigentumsmäßige Beteiligung des Arbeitnehmers an den Produktionsmitteln und am Ertrag des Unternehmens. „Das sozialisierte Kapital sollte, wie es der von der Österreichischen Volkspartei im Nationalrat eingebrachte Gesetzesantrag am 25. Mai 1946 verlangte, dem Nutzen der Belegschaft des Unternehmens gewidmet werden.“69 Nach christlichsozialer Vorstellung war der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital dadurch zu überwinden, dass alle Eigentum an den Produktionsmitteln haben sollten, also alle Kapitalisten werden. „Nach unserer Auffassung“, stellte Felix Hurdes (ÖVP) fest, „ ist die Freiheit der wirtschaftlich nicht Selbständigen am besten dann gewährleistet, wenn auch diesen materielle Grundlagen für ihre Freiheit gegeben werden. Daher anerkennen wir das Recht auf persönliches Eigentum, das eine gewisse Sicherheit gegen Krisen gewährleistet.“ Die Österreichische Volkspartei trat daher nicht nur für Wohnungseigentum ein, sondern auch für die Werksgenossenschaft als Beitrag „zur Überbrückung der Kluft zwischen Kapital und Arbeit und zwischen Betrieb und Arbeiter“.70 Denn es ginge nicht an, das Eigentum nur für die Besitzenden zu verteidigen und für die Besitzlosen Sozialpolitik zu machen. Die wichtigste Form der Sozialpolitik wäre: „... so vielen Menschen als möglich Eigentum zu verschaffen, Eigentum an ihren Wohnstätten, aber auch soweit es sich mit der Produktivität der Wirtschaft vereinbaren lässt, an den Produktionsmitteln. Hier aber ist die Frage der Verstaatlichung der Scheideweg, an dem uns die Möglichkeit geboten wird, die Durchführung eines wirklich sozialen Programms zu beginnen.“ In dem Sinne akzeptierte es die ÖVP, dass sie „das Kapital“ 68 Eugen Margarétha, Die Verstaatlichung und Sozialisierung in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 11 (1946), S. 465. 69 Fritz Bock, Sozialisierung, wie wir sie verstehen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 9 (1946), S. 378. 70 Hurdes, Felix, Unsere politische Linie, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 4, Nr. 9 (1949), S. 389.

46

Werksgenossenschaften als Alternative

vertrete. „Sind einmal die Österreicher in ihrer Mehrheit Kapitalisten – wenn auch nur im Kleinformat – geworden, dann wird der Name Kapitalistenpartei ein Propagandamittel sein.“71 Den Sozialisten warf die ÖVP vor, dass sie zwar dem Werksgenossenschaftsgesetz zugestimmt, aber seine Verwirklichung sabotiert hatten. Noch 1953 hob Josef A. Tzöbl (ÖVP) die Überlegenheit der genossenschaftlichen Lösung hervor. „Nur die Werksgenossenschaft macht den vergesellschafteten Betrieb für den Arbeiter wertvoll. Die Verstaatlichung allein ist für den Arbeiter gänzlich belanglos. Der Staat als Arbeitgeber kann dem Arbeiter niemals erwünscht sein, er macht den Arbeitgeber zum allmächtigen Herrn, der Arbeitnehmer wird zum Diener, wenn nicht zum Sklaven des Arbeitgebers ... Wirtschaften ist in erster Linie Aufgabe des Individuums, des einzelnen. Nur dort, wo der einzelne eine wirtschaftliche Aufgabe allein zu bezwingen nicht in der Lage ist, sollen ihn Gemeinschaften bei der Bewältigung dieser Aufgabe unterstützen. Der Staat aber ist der letzte, der zur Bewältigung solcher Wirtschaftsaufgaben berufen ist. Wenn eine Rangordnung aufgestellt werden soll, dann etwa die, dass es zunächst im Wege einer Genossenschaft versucht werden soll oder durch die Gemeinde und dann erst durch das Land und schließlich durch den Bund.“72 Doch mit der Beschränkung auf maximal die Hälfte des Gesellschaftskapitals hatte auch die ÖVP ihr angebliches Interesse an den Werksgenossenschaften verloren. Trotz der hervorgehobenen sozialpolitischen Bedeutung dieser industriellen Organisationsform war mit diesem Gesetz die eigentliche Absicht – die Privatisierung durch die Hintertür – nicht mehr zu erreichen. Das Werksgenossenschaftsgesetz hat daher weder im verstaatlichten noch im privatwirtschaftlichen Bereich je Anwendung gefunden.73

71 Pius Michael Prutscher, Verstaatlichung als Prüfstein, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 6 (1946), S. 250–251. 72 Tzöbl, Josef A., Zur Problematik unserer verstaatlichten Betriebe, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 9, Nr. 4 (1953), S. 237–243. 73 Hollerer, S. 64.

47

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955 Die USIA

Die westlichen Alliierten akzeptierten die österreichische Verstaatlichung im Interesse des Wiederaufbaus. Bereits zehn Tage vor Verabschiedung des Verstaatlichungsgesetzes im Nationalrat wurde am 16. Juli 1946 zwischen den USA und Österreich ein Treuhandabkommen geschlossen, in dem die USA die ihnen aufgrund des Potsdamer Abkommens zustehenden deutschen Vermögen in Österreich in österreichische Verwaltung übertrugen. Noch am selben Tag wurde die VÖST als erstes Unternehmen Österreich übertragen. Die britische und französische Besatzungsmacht schlossen sich diesem Vorgehen an.74 Die westlichen Besatzungsmächte sahen in der Verstaatlichung keinen Verstoß gegen das Potsdamer Abkommen, da es eine angemessene Entschädigung vorsah. Die österreichische Regierung musste lediglich in einem Memorandum vom 12. September 1946 erklären, dass die Verstaatlichungsgesetze auf Vermögenswerte von Staatsangehörigen der Vereinten Nationen so lange keine Anwendung finden würden, bis ein endgültiges Abkommen über die Entschädigung getroffen war.75 Danach konnte das Gesetz am 16. September 1946 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden und trat in Kraft. Die Sowjet­union akzeptierte das österreichische Gesetz für ihre Besatzungszone aber nicht. Bereits bei der Behandlung des Verstaatlichungsgesetzes im österreichischen Nationalrat am 26. Juli 1946 wurde ein Schreiben des Oberkommandierenden der Zentralgruppe der Roten Armee, Generaloberst Kurassow, und der politischen Vertretung der UdSSR bei der österreichischen Regierung, M. Koptjelow, verlesen, die gegen die Verstaatlichung in ihrer Besatzungszone protestierten und Österreich die Kompetenz absprachen, über die Reparationsrechte der Sowjetunion zu verfügen.

74 Hollerer, S. 106. 75 Franz Rauscher, Die Verstaatlichung in Österreich, Wien 1949, S. 12, zitiert bei Hollerer, S. 57.

48

die usia

Die österreichische Kritik an der sowjetischen Besatzungsmacht war eher vorsichtig, dennoch bestritt man deren Anspruch aus wirtschaftlichen und politischen Gründen: Eugen Margarétha (ÖVP) schätzte, dass „möglicherweise die Hälfte der zu verstaatlichenden Unternehmungen von der Sowjetregierung als Eigentum angesprochen werden“. Für die ÖVP sprach dies für die Verstaatlichung, da „der österreichische Staat als Eigentümer besser und wirksamer die Ansprüche des österreichischen Volkes auf diese österreichischen Wirtschaftsgüter wird vertreten können als der österreichische Staat als Treuhänder von Privatkapitalisten, sei es reichsdeutscher oder auch der ehemaligen sonstigen ausländischen und österreichischen nicht arischen oder arischen Vorbesitzer. Jedenfalls werden die Entschädigungsansprüche der letzteren auf diesem Wege mehr gesichert werden, als wenn diese Unternehmungen weiter herrenlos der Verwaltung und Führung öffentlicher Verwalter ausgeliefert bleiben, die, wenn sie noch so tüchtig und korrekt sind, bei den gegebenen Verhältnissen die Erhaltung und fruchtbringende Verwertung dieses Vermögens nicht präsentieren können.“76 Besonders bei der Erdölförderung waren die Gründe für die ausnahmslose Verstaatlichung „die Unübersichtlichkeit der im letzten Dezennium erfolgten Besitzveränderungen und die Unmöglichkeit einer Überprüfung der Verhältnisse mit Rücksicht darauf, dass die meisten Unternehmungen seit fast einem Jahr in der Verwaltung einer Besatzungsmacht stehen, die übrigens gegen die Verstaatlichung gerade dieser Industriegruppen protestiert hat. Auch ist diese Industrie als eine der wichtigsten Schlüsselproduktionen von Anfang an für die Verstaatlichung in Aussicht genommen gewesen.“77 Auch Peter Krauland (ÖVP) bestand auf der österreichischen Rechtsauffassung, „wonach alte Eigentumsverhältnisse, die vor dem 12. März 1938 bestanden haben, wieder in 76 Eugen Margarétha, Die Verstaatlichung und Sozialisierung in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 11 (1946), S. 468. 77 Eugen Margarétha: Die Verstaatlichung und Sozialisierung in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 11 (1946), S. 464–470.

49

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

uneingeschränktem Maße hergestellt werden müssen ... Das, was vor dem März 1938 schon deutsches Kapital war, ist als Fremdkörper in der österreichischen Wirtschaft nicht ein Teil derselben. Den russischen Besitztitel darauf wollen wir nicht bestreiten. Aber wenn diese Produktionsmittel für den Wiederaufbau notwendig sind, dann muss man auch sie uns lassen und uns die Möglichkeit geben, hiefür dem Titelbesitzer eine Ablöse zu bieten.“ Er bestritt aber energisch das Recht der UdSSR, Betriebe zu beschlagnahmen, die erst nach dem 12. 3. 1938 in deutsches Eigentum übergegangen waren und listet eine Reihe solcher Betriebe auf, „um zu beweisen, dass man hier alle jene 476 Betriebe als Deutsches Eigentum beschlagnahmen und in russisches Eigentum überführen will, die nur durch Zwang nach dem März 1938 in deutsche Hände übergegangen waren“.78 Alfred Maleta (ÖVP) bemühte sogar das Naturrecht: „Wir wissen, dass die Frage des Deutschen Eigentums zu den Kernproblemen des Staatsvertrages zählt. Trotz unserer Überzeugung, dass wir juristisch wohl begründete Ansprüche in weitestgehendem Ausmaße auf das sogenannte Deutsche Eigentum besitzen, waren und sind wir zu Zugeständnissen bereit, die aber ihre Grenzen in den Forderungen des Naturrechts finden müssen. Das Naturrecht aber gibt jedem Organismus, einem Menschen wie einer ganzen Nation, das Recht, soviel für sich zu fordern, dass seine wirtschaftliche Existenz gesichert ist.“79 Die Sowjetunion lehnte das österreichische Verstaatlichungsgesetz grundsätzlich ab, konnte sich aber im Alliierten Rat nicht durchsetzen. Daher beschlagnahmte sie einseitig das „Deutsche Eigentum“ in ihrer Besatzungszone. Rechtsgrundlage war das Potsdamer Abkommen und der Befehl Nr. 17 des Oberbefehlshabers der sowjetischen Besatzungstruppen in Österreich vom 27. Juni 1946. Es wurde die Verwaltung des Deutschen Eigentums im östlichen Österreich ge78 Eugen Margarétha, Die Verstaatlichung und Sozialisierung in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 11 (1946), S. 475. 79 Maleta, Alfred, Die Generallinie der ÖVP-Politik, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 3, Nr. 4 (1948), S. 147

50

die usia

gründet, die später in USIA (Upravlenie sovetskim imuscestvom v Avstrii, d. h. Verwaltung des sowjetischen Vermögens in Österreich) umbenannt wurde. Die Zahl der Betriebe veränderte sich ständig und wurde von verschiedenen Quellen höchst unterschiedlich angegeben. 1955 sprach der österreichische Vizekanzler Adolf Schärf (SPÖ) von 419 USIA-Betrieben, davon über 300 aus dem Bereich der Indus­trie. Zusammen mit den Betrieben der Mineralölverwaltung SMV und der DDSG hätten die Sowjets damit 454 Betriebe in Österreich verwaltet.80 Ein „Österreichischer Endbericht über die sowjetische Wirtschaftsverwaltung“ gab jedoch die detailliert aufgeschlüsselte und namentlich genannte Zahl der USIA-Betriebe (ohne SMV, DDSG, Handel- und Speditionsbetriebe sowie land- und forstwirtschaftliche Güter) für 1954 mit 160 an.81 Ebenso schwankte die angegebene Zahl der Beschäftigten. Sie betrug 1946 bei der sowjetischen Übernahme 22.000, stieg aber bis zum Februar 1948 auf 45.000 an und wurde für 1951 mit 50.000 bis 60.000 angegeben. Der Endbericht spricht jedoch für 1954 von 36.191 Beschäftigten. Die Gewichtung der USIA-Betriebe war in den einzelnen Branchen recht unterschiedlich. Während ihr Anteil an der Nahrungsund Genussmittelindustrie eher gering war, hatte sie in anderen Bereichen einen starken Einfluss. So machte ihr Anteil am gesamt­ österreichischen Industriekapital bei Glas 60 %, Leder 43 %, Eisenund Stahl 40 %, in der Metallhüttenindustrie 32 %, beim Maschinenbau 22 % und bei Fahrzeugen 17 % aus.82 Der Anteil der USIA an der gesamtösterreichischen Industrieproduktion lag zwar nur bei 5 %, in Wien und Niederösterreich machte er jedoch beachtliche 30 % aus. Ein negativer Effekt ergab sich auch durch den Entfall dringend benötigter Exporterlöse. So wurden etwa durchschnittlich 63 % des in 80 Klambauer, USIA-Betriebe, 256. 81 Figl, Leopold, Nachlass, Die sowjetische Besatzungswirtschaft in Österreich. Endbericht über die Ergebnisse des Forschungsauftrages, Wien Mai 1958, Niederösterreichisches Landesarchiv, K 204, S. 139. 82 Brunner, W., Das deutsche Eigentum und das Ringen um den österreichischen Staatsvertrag 1945–1955 (Diss. Wien 1976), S. 144.

51

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Österreich geförderten Erdöls in die Sowjetunion verbracht, wohingegen Österreich sich mit 27 % zufriedengeben musste und daher sogar Rohöl gegen Devisen aus dem Westen zu importieren hatte.83 Bei der Auswahl der zu beschlagnahmenden Betriebe war die Sowjetunion mit einer äußerst großzügigen Interpretation des Begriffs „Deutsches Eigentum“ vorgegangen. Von den USIA-Betrieben schienen nur 18 im österreichischen Verstaatlichungsgesetz von 1946 auf. Zum Teil wurden Betriebe beschlagnahmt, nur weil sie deutsche Kredite hatten. Die Übernahme des umfangreichen Grundbesitzes des Fürsten Esterházy wurde unter anderem damit begründet, dass ein Vorfahre 1806 zum Ritter des Heiligen Römischen Reiches geschlagen worden sei und deshalb dieser Besitz als Deutsches Eigentum zu gelten habe.84 Am problematischsten war aber die Übernahme von 41 ehemals arisierten Betrieben. Da die Arisierung mit einer finanziellen Entschädigung verbunden war, welche der jüdische Vorbesitzer jedoch nur in geringem Ausmaß und oft gar nicht erhielt, gingen die Sowjets von einer formalen Eigentumsübertragung aus und damit fielen die davon betroffenen Betriebe unter die sowjetische Definition des Deutschen Eigentums.

Die ideologische Haltung der Parteien

Für die SPÖ war die Verstaatlichung viel mehr als nur die Rettung österreichischen Produktionsvermögens. Auch Karl Waldbrunner (SPÖ) sah die Verstaatlichte Industrie vor einem ideologischen Hintergrund. Sie war „die entschiedenste wirtschaftspolitische Maßnahme zur Schaffung einer sozialistischen Wirtschaft“. Die beiden hervorstechendsten Merkmale dieser neuen Wirtschaftsordnung zur Ablösung des kapitalistischen Systems sollten sein: „die Überwindung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, da dem 83 10 Jahre ERP 1948–1958, 86. 84 Klambauer, USIA-Betriebe, S. 266.

52

die ideologische haltung der parteien

ganzen Volke das Bestimmungsrecht über die Wirtschaft gesichert wird und die Planwirtschaft mit dem unmittelbaren Ziele der Vollbeschäftigung, der Produktionssteigerung, der stetigen Vergrößerung des Wohlstandes, der sozialen Sicherheit und der gerechten Verteilung der Einkommen“. Diese Wandlung der Gesellschaft hatte aber eine Veränderung der Menschen zur Voraussetzung. Schon die ersten Verfechter sozialistischer Theorien, die Utopisten Robert Owen, Charles Fourier, Pierre Proudhon und andere hätten das erkannt, und Robert Owen musste am Ende seines Lebens (nachdem seine letzte Gründung, ‚New Harmony‘, gescheitert war) einsehen, „dass neue Menschen mit einem Gemeinschaftsgefühl notwendig sind, um eine neue Güterverteilung durchführen zu können ... Diese Bemerkungen sollen nur darlegen, dass die Sozialisierung nicht alles ist im Kampfe um die Erringung einer sozialistischen Wirtschaft.“ Doch die von Karl Marx vorausgesagte Sozialisierungsreife war in verschiedenen Sektoren der Wirtschaft verhältnismäßig rasch eingetreten, was nicht zuletzt durch die stürmische Entwicklung der Technik und damit der gesamten Wirtschaft in den letzten hundert Jahren erklärt werden konnte. „Die Zwangsläufigkeit und auch Zweckmäßigkeit einer solchen Entwicklung in bestimmten Wirtschaftszweigen ist auch von den Widersachern sozialistischer Ideen nicht zu widerlegen. Darum beschränken sie sich heute in der Hauptsache darauf, den Zeitpunkt und den Umfang der Sozialisierung infrage zu stellen. Sie meinen, ob es nicht doch noch immer risikoloser wäre, den Kapitalisten gleich einer Biene Kapital sammeln zu lassen, um es ihm dann wegzusteuern, anstatt die Betriebe vom Staat führen zu lassen. Und vor allem zweifeln sie immer wieder, ob die geeigneten Persönlichkeiten für eine solche staatliche Betriebsführung vorhanden sind ... Die Personen für die Führung dieser Unternehmungen haben sich regelmäßig gefunden, wie für die privaten Großunternehmungen auch, die heute ja gleichfalls – soweit es sich um Großbetriebe handelt – fast nie mehr vom Besitzer selbst geführt werden ... Besondere Bedeutung erlangte zweifellos die Sozialisierungstheorie Otto Bauers, der für eine Mischung der Sozialisierung von oben mit der Sozialisierung von un53

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

ten eingetreten ist und die Teilsozialisierung, je nach der Sozialisierungsreife des betreffenden Wirtschaftszweiges oder Unternehmens, vorgeschlagen hat, wobei er mit der Schwerindustrie zu beginnen beabsichtigte. Seiner Meinung nach sollten durch eine Vermögensabgabe die Mittel zur Entschädigung der Eigentümer hereingebracht werden und so die Gesamtheit der Kapitalisten für die Enteignung einer bestimmten Teilgruppe bezahlen. In gewissen Fällen hat er auch die Entschädigung durch Obligationen vorgeschlagen, deren Zinsen und Einlösungsdienst die enteigneten Betriebe aus ihren Erträgen decken sollten. Otto Bauer ist nicht bei der Industrie stehen geblieben, sondern hat in sein Sozialisierungsprogramm auch die Banken, den Wohnbau und den Großgrundbesitz einbezogen. Er ist mit seiner Theorie den Gegebenheiten und Möglichkeiten der Entwicklung in den demokratischen Ländern zweifellos am nächsten gekommen.“ „Die neue Sozialisierungswelle in Europa nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch im Gefolge des Zweiten Weltkrieges hat sich überall dort, wo nicht die Volksdemokratie dabei zur Macht kam, nach diesen Prinzipien abgewickelt. Juristisch ist die Sozialisierung von oben durch den Staat in Form der Verstaatlichung oder Nationalisierung erfolgt. Faktisch ist aber in den demokratischen Ländern überall eine Mischung mit der Sozialisierung von unten eingetreten, indem den Vertretern der Arbeiter und Angestellten der betreffenden Betriebe, den Verbrauchern und der Allgemeinheit neben den Vertretern des Staates Einfluss in diesen sozialisierten oder verstaatlichten Unternehmungen gewährt wurde. Das ist gar nicht verwunderlich, weil sehr oft die Initiative für die Verstaatlichung solcher Unternehmungen in der chaotischen Zeit nach Kriegsende nicht von der Staatsführung, sondern zum großen Teil von den Arbeitern und Angestellten der betreffenden Unternehmungen oder von Interessentengruppen und politischen oder gewerkschaftlichen Organisationen ausgegangen ist, die dann nach der Durchführung ihren Einfluss zu verankern wussten ... So unausgegoren die Organisationsform dieser so verstaatlichten Betriebe heute – verhältnismäßig kurz nach der Veränderung der Besitzform – sein mag, haben wir es doch zweifellos mit 54

die ideologische haltung der parteien

einer Form der Sozialisierung zu tun, wie sie die sozialistische Theorie am Wege zu einer sozialistischen Wirtschaft vorausgesagt hat. Für uns ist es heute fast selbstverständlich, dass diese Verstaatlichungsaktionen überall bei der Schwerindustrie, der Energiewirtschaft und den Verkehrsbetrieben einsetzten. Es sind die Schlüsselstellungen der Wirtschaft, die überall Monopolcharakter erreicht und sich – ganz nach der Theorie von Karl Marx – über die Akkumulation des Kapitals zu einer Sozialisierungsreife entwickelt hatten, die in der kritischen Situation der Nachkriegszeit für einzelne Volkswirtschaften direkt einen Sozialisierungszwang bedeutete ... Wir in Österreich dürfen heute nach fünfjähriger Erfahrung sagen, dass sich die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien und Monopolstellungen der Wirtschaft für die Volkswirtschaft und den Staat zweifellos gut ausgewirkt hat und sicherlich auch viel zur politischen Stabilisierung in dieser Zeit beitrug. Die Verstaatlichung ist weitgehend nach Voraussagen sozialistischer Wirtschaftstheoretiker vor sich gegangen und als eine Sozialisierungsaktion anzusehen, die nicht mehr rückgängig zu machen sein wird, wohl aber mit der Zeit aufgrund der Erfahrungen in die richtigen Organisations- und Rechtsformen zu bringen ist ... Gemeinwirtschaft und Privatwirtschaft könnten also durchaus zweckmäßig und friedlich nebeneinander leben, wenn sich nicht manche Teile der privaten Wirtschaft, obwohl sie Vorteile aus der Sozialisierung ziehen, in politischer Verblendung von den kapitalistischen Nutznießern der Monopolunternehmungen im Kampfe gegen die Gemeinwirtschaft als Vorspann missbrauchen ließen. Mit der Zeit wird sich aber auch hier die Erkenntnis der Richtigkeit und Zweckmäßigkeit der aufgezeigten Entwicklung durchsetzen und die Sozialisierung als entschiedenes Mittel zur Schaffung einer geordneteren, besseren Wirtschaft und einer sicheren Zukunft Anerkennung finden.“85 Die SPÖ sah daher die Verstaatlichung als ersten Schritt zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft: „Durch die Sozialisierung der 85 Waldbrunner, Karl, Sozialisierung und Verstaatlichung – wie und wie weit, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1952), S. 36–42.

55

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Geldwirtschaft (Banken, Versicherungen usw.) und die staatliche Kreditlenkung beseitigt der Sozialistische Staat die Ausbeutung des Bauern durch das Handels- und Bankkapital und stellt die ungeheure Macht der gesellschaftlichen Produktion bewusst und planmäßig in den Dienst der Steigerung der materiellen und geistigen Bedürfnisse des arbeitenden Volkes in Stadt und Land.“86 Und Franz Rauscher (SPÖ) schrieb: „Die sozialistische Wirtschaftsordnung will die entscheidenden Produktionsmittel (den großen Grundbesitz, die Energiequellen des Landes, Bergbau und Schwerindustrie) und die Entscheidung über das Geld- und Kreditwesen in die Hände der ganzen Gesellschaft legen; die Wirtschaft als materielle Lebenssicherung soll nach den Gesamtbedürfnissen geplant und geführt werden. Damit wird auch die Jagd nach Profit ersetzt durch eine höhere Form des Gemeinschaftsdenkens und -handelns. Was wir wollen, ist, wie Otto Neurath einmal so treffend gesagt hat: eine planmäßig geführte Wirtschaft, nicht nur für, sondern auch durch die Gesellschaft! Sozialisierung ist demnach der bewusste Prozess der Umwandlung der kapitalistischen in die sozialistische Wirtschaftsordnung ... Die meisten Staaten von Europa haben in kühnem Entschluss begonnen, Banken und Schwerindustrie zu verstaatlichen und die Wirtschaft zu planen; soll gerade unser Land, in dem dies noch notwendiger ist, es nicht tun? Die Sozialisierung ist für Österreich eine wirtschaftliche ebenso wie eine innen- und außenpolitische Notwendigkeit ... Sind Friede und Arbeit die äußeren Voraussetzungen für die Sozialisierung, so ist die innere Voraussetzung: der Wille des Volkes zur wirtschaftlichen und sozialen Neugestaltung. Eine diktatorische, bürokratisch geleitete Sozialisierung ist in Mitteleuropa aus außen- und innenpolitischen Gründen weder möglich noch wünschenswert. Wir wollen die demokratische Selbstverwaltung verwirklichen.“87 86 Sozialistische Partei Österreichs: Was wollen die Sozialisten? Wien 1945, S. 23. 87 Rauscher, Franz, Die Sozialisierung und die öffentliche Wirtschaft (Teil I), in: Die Zukunft, Nr. 4 (1946), S. 8–10.

56

die ideologische haltung der parteien

Zum Teil wurde die Verstaatlichung auch mit der politischen Erfahrung der Zwischenkriegszeit begründet. Karl Waldbrunner (SPÖ) stellte fest, man habe verhindert, „dass die Schlüsselstellungen unserer Wirtschaft wieder restlos in die Hand unserer politischen und wirtschaftlichen Gegner gefallen sind. Damit glauben wir eine Entwicklung, wie sie zwischen 1918 und 1934 der Fall war, unmöglich gemacht zu haben. Diese Unternehmungen der Alpine, der Böhler und Schoeller und diese Banken, die heute verstaatlicht sind, werden nie mehr einen Faschismus finanzieren können ... Wir glauben, durch unsere Leistung gezeigt zu haben, dass auch unter den ungünstigsten Voraussetzungen in der Demokratie die Möglichkeit besteht, auf dem Wege zur sozialistischen Wirtschaft weiterzukommen ... Wir wollen nicht an Stelle privater Ausbeutung eine staatliche Ausbeutung stellen, wir wollen auch nicht die wirtschaftliche Unfreiheit im Kapitalismus durch den wirtschaftlichen Zwang des Staates ersetzt sehen. Wir würden uns ja dann in nichts von den Wirtschaftsmethoden der Volksdemokratien und der Sowjetunion unterscheiden. Die Bedarfsdeckung des Volkes mit den rationellsten und billigsten Mitteln, die rasche Hebung des sozialen Wohlstandes muss das Ziel unserer Wirtschaftspolitik sein.“88 Die Vorstellungen der SPÖ gingen daher ursprünglich viel weiter als die 71 Unternehmen, die letztlich erfasst wurden, und sahen die Sozialisierung von 1.200 Großbetrieben von insgesamt etwa 40.000 vor.89 „Das ganze Volk verlangt“, stellte Paul Speiser (SPÖ) im Nationalrat fest, „dass endlich Fortschritte in der Frage der Verstaatlichung, Kommunalisierung oder Vergenossenschaftlichung gemacht werden“ und zählte die Banken und Versicherungsanstalten auf, die Bergwerke, Ölgruben und Kraftwerke, die Großunternehmungen der Eisen-, Stahl- und Metallindustrie, die Baustoff- und chemische 88 Waldbrunner, Karl, Sozialisierung und Planwirtschaft in Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 7 (1948), S. 199. 89 Sozialistische Partei Österreichs, Was wollen die Sozialisten? Wien 1945, S. 10 f.

57

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Industrie und die Lebensmittelproduktion und den landwirtschaftlichen Großgrundbesitz.90 Der Umfang der Verstaatlichung war daher zwischen den Parteien heftig umstritten. Schließlich setzte sich aber die ÖVP durch. „Entgegen dem ursprünglichen Verstaatlichungsprogramm der SPÖ waren darin nicht enthalten die Baumaterialienindustrie, insbesondere Zementwerke und Ziegelfabriken, Gipswerke, Glasindustrie, die Bauindustrie, zur Gänze die Lebensmittelindustrie, die chemische Industrie (Ausnahme Österreichische Stickstoffwerke AG), die Papierindustrie, die Textilindustrie mit der Rohmaterial versorgenden Kunststoffindustrie (Lenzinger Zellwolle und St.-Pöltener Glanzstoffindustrie).“91 Vor allem waren auch die Versicherungsunternehmen nicht betroffen. Bei den Versicherungsunternehmen mag das auf den ersten Blick erstaunen, da für ihre Verstaatlichung dieselben Argumente gelten konnten wie für die Großbanken. Das hing nicht nur mit dem erfolgreichen Widerstand zusammen, den die Versicherungsbranche entwickelte, sondern vor allem damit, dass Versicherungsunternehmen über keinen Industriekonzern verfügten. Bei der Verstaatlichung der Banken war man vor allem auch an den Indus­ trieunternehmen interessiert, die in deren Eigentum standen.92 Die SPÖ hatte das „Großkapital“ im Auge und damit die Schlüsselpositionen in der Wirtschaft. Nicht nur aus wahltaktischen Gründen beeilte man sich festzustellen, dass man aber keineswegs die Absicht habe, die gesamte Wirtschaft zu verstaatlichen. „Wir denken nicht daran, einen kleineren Betrieb, eine Werkstatt oder eine Bauernwirtschaft zu sozialisieren. Die kleineren Betriebe litten selbst genug unter der Profitgier des Großkapitals. Ihnen wollen wir sogar helfen, indem wir in der neuen sozialistischen Planwirtschaft auf ihr Vorhandensein im gesamten Planungs- und Produktionsgetriebe Rücksicht 90 Speiser, Paul, NRP, V/16, 22.5.1946. 91 Eugen Margarétha, Die Verstaatlichung und Sozialisierung in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 11 (1946), S. 468. 92 Stiefel, Dieter, „Unusual Business“ Der Wiederaufbau der österreichischen Versicherungswirtschaft 1945 und ihr Beitrag zum Entschädigungsfondsgesetz 2001, Wien 2006.

58

die ideologische haltung der parteien

nehmen und dadurch ihre Existenz sichern.“93 Die Kleingewerbetreibenden hätten sich vor der Verstaatlichung nicht zu fürchten und auch die Bauern könnten nur Vorteile erwarten, „wird doch auch ein Teil der bisher privatkapitalistisch geführten Unternehmungen in die Hände landwirtschaftlicher Genossenschaften übergeführt werden können“.94 Den Bauern, Gewerbetreibenden, Kaufleuten und allen anderen Werktätigen garantiert die Sozialistische Partei ihr Arbeitseigentum. „Sie alle werden in einer Planwirtschaft eine sichere und bessere Existenz haben als in der ständig von Krisen bedrohten kapitalistischen Wirtschaft. Die Sozialistische Partei wird Österreich den Bedingungen des Landes entsprechend aufbauen: sozialisierte Schlüsselindustrien, die übrige öffentliche Wirtschaft und die Genossenschaften werden mit der Privatindustrie, dem Gewerbe, dem Handel und der Bauernwirtschaft im Rahmen der staatlichen Planung und Lenkung zusammenwirken.“95 Denn der Übergang der kapitalistischen in die sozialistische Gesellschaft ging anders vor sich, „als Marx es prophezeit hat. Nur in einem Land hat es eine sozialistische Revolution gegeben, in Russland, aber diese Revolution hat nicht zum Sozialismus geführt. Es gibt einige Länder mit sozialistischen Regierungen, doch nirgends sind diese durch eine Revolution an die Macht gekommen ... Wohl ist noch nirgends ein sozialistischer Staat entstanden, aber einige Länder, vor allem England, sind heute ganz offenkundigerweise auf dem Weg dazu ... Der Weg ist nicht die Verstaatlichung aller Produktionsmittel, sondern die Planung im großen. Im Rahmen dieser Planung ist die Verstaatlichung gewisser Produktionsmittel nötig, nämlich jener, die monopolartigen Charakter haben, so wie sich überhaupt der Kampf des modernen Sozialismus nicht gegen den einzelnen 93 Sozialistische Partei Österreichs, Was wollen die Sozialisten? Wien 1945, S. 11. 94 Rauscher, Franz, Die Sozialisierung und die öffentliche Wirtschaft (Teil I), in: Die Zukunft, Nr. 4 (1946), S. 8–10. 95 Sozialistische Partei Österreichs, Was wollen die Sozialisten? Wien 1947, S. 6.

59

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Unternehmer als solchen richtet, sondern ausschließlich gegen die Monopole.“96 Die ÖVP wollte da natürlich nicht mitziehen. Für sie stellte sich die Frage der Verstaatlichung viel pragmatischer, allerdings bekannte sie sich zu einer gemischten Wirtschaftsstruktur und zur Betriebsdemokratie: „Man darf nämlich das ganze Problem nicht allein von der theoretischen Seite her betrachten, sondern es müssen vor allem, wie in allen Wirtschaftsfragen, praktische Erwägungen maßgebend sein. Es gibt eben gewisse Unternehmungen, die zweckmäßigerweise in der Hand des Staates liegen sollen, und es gibt solche, die besser in den Händen von Privatpersonen bleiben. Es wird in jedem einzelnen Fall entschieden werden müssen, welche Organisationsform die beste und zweckmäßigste ist ... Das Ziel steht klar und deutlich vor unseren Augen: Der österreichischen Arbeiterschaft einen ausreichenden Verdienst zu sichern und sie aus der abhängigen Lage, in der sie sich jetzt befindet, herauszuführen zur Mitbestimmung in der Wirtschaft, das heißt aus Proletariern wirtschaftlich freie Menschen zu machen.“97 Die „bündisch“ organisierte ÖVP hatte dabei verschiedene Interessen zu koordinieren. Der Bauernbund und der Wirtschaftsbund (Selbstständige) sahen in der Verstaatlichung nur einen historischen Zwang, während der Arbeiter- und Angestelltenbund darin einen Ansatz gesellschaftlicher Veränderungen erblickte. Anton Wimmersberger (ÖVP) erklärte noch 1986: „Wenn heute behauptet wird, dies sei von den Abgeordneten des Parlaments eine patriotische Tat gewesen, um so einen Zugriff der Besatzungsmächte auf die Betriebe zu verhindern, so stimmt dies nicht ganz: Bei Teilen der ÖVP und zur Gänze bei der SPÖ gab es auch einen ideologischen Hintergrund. Der ÖAAB sprach offen aus, ‚dass bestimmte Schlüsselindustrien für 96 Duschek, Adalbert, Sind wir noch Marxisten?, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1949), S. 52–55. 97 Fritz Bock, Sozialisierung, wie wir sie verstehen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 9 (1946), S. 376.

60

die ideologische haltung der parteien

das Gemeinwohl eine besondere Bedeutung hätten und daher zu verstaatlichen seien‘. (‚Kleines Volksblatt‘ vom 20. November 1945.) Eine Meinung, die der ÖAAB auch heute noch vertritt.“98 Für die ÖVP war die Verstaatlichung aber letztlich und vor allem ein Kind der Not, das aus den Schwierigkeiten des Wiederaufbaus geboren war. Dabei war ihr wichtig, klare Verhältnisse zu schaffen: „Die Österreichische Volkspartei ist auch keineswegs gegen die Verstaatlichung gewisser Schlüsselindustrien, wie sie durch die Zustimmung zum Verstaatlichungsgesetz bewiesen hat“, stellte Alfred Maleta (ÖVP) fest. „Aber wir glauben, dass für eine gewisse Zeit Klarheit darüber herrschen muss, in welchem Ausmaße Verstaatlichungen geplant sind, weil ansonsten jede Initiative erdrosselt und die Kreditgewährung vereitelt wird.“99 Ohne eine solche Abgrenzung bestünde die Gefahr, „dass die Privatinitiative auch dort gelähmt würde, wo eine Verstaatlichung gar nie beabsichtigt ist, dass dort der Zufluss von inländischem und ausländischem Kapital, der zum Wiederaufbau so dringend notwendig ist, gehemmt wird, wo dieses Kapital eine Enteignung nicht zu befürchten hätte“.100 Vor allem sollte das Problem der Verstaatlichung pragmatisch gesehen werden. So bezog sich Lois Weinberger (ÖVP) auf den Labour-Wahlsieg in Großbritannien und zitierte den dortigen Handelsminister, der „in einer Rede in London feststellte, es sei nicht die Absicht der neuen britischen Regierung, in Nationalisierungsplänen zu wüten. Die Verstaatlichung würde dort durchgeführt werden, wo sie wirklich am Platze ist. Eine Kontrolle der privaten Industrie, ihrer Produktionsplanung und ihrer Lohnpolitik sei dagegen selbstverständlich. – Ganz unsere Meinung! Fast wörtlich gleiche Formulierungen haben wir für unsere österreichische

98 Wimmersberger, Anton, Die Verstaatlichte in der Krise, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986), S. 15–16. 99 Maleta, Alfred, Die Generallinie der ÖVP-Politik, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 3, Nr. 4 (1948), S. 149. 100 Eugen Margarétha, Die Verstaatlichung und Sozialisierung in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 11 (1946), S. 468.

61

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Arbeiterpolitik geprägt und vertreten.“101 Doch selbst wenn man in einer freien Marktwirtschaft den Idealzustand erblickte, so werde doch für eine gewisse Zeit der Staat auf die künftige Industrieproduktion durch Aufstellung einer Planung Einfluss nehmen müssen. „Selbst wenn die Steuerungsmaßnahmen bei einzelnen Betrieben der Schlüsselindustrie zur Verstaatlichung führen sollten, ist dagegen nichts einzuwenden, solange sich diese nicht auf ganze Industriezweige erstrecken, solange also der freie Wettbewerb mit Betrieben der Privatindustrie gewahrt bleibt und kein Staatsmonopol mit allen seinen Nachteilen geschaffen wird.“102 Fritz Bock (ÖVP) versuchte die unter den wirtschaftlichen Verhältnissen des Jahres 1946 notwendige Wirtschaftsplanung von der Verstaatlichung abzugrenzen. „Diese Planung kann nur durch den Staat geschehen und ihrer Notwendigkeit kann sich selbstverständlich niemand entziehen. Als ein Mittel zur Planung wird nun von sozialistischer Seite die Verstaatlichung wichtiger Wirtschaftszweige empfohlen. Die Begründung ist so einfach, wie sie falsch ist: Man behauptet, dass nur dann eine richtige Wirtschaftsplanung möglich sei, wenn der Staat Eigentümer bestimmter Unternehmungen wird ... Trotzdem aber ist diese Auffassung falsch, weil es zur Durchführung der notwendigen Wirtschaftsplanungen keineswegs der Verstaatlichung bedarf, denn der moderne Staat verfügt über ausreichende Mittel, auf gesetzgeberischem Weg die Planung der Wirtschaft in jedem Umfange durchzuführen ... Freilich gilt das nicht generell. Es gibt gewisse Wirtschaftszweige, an denen das Interesse der Öffentlichkeit so eminent groß ist, dass deren Überführung in die Hand des Staates, trotz des bisher Gesagten, als zweckmäßig erscheint. Es sei hier beispielsweise auf die Energiewirtschaft verwiesen, wobei gleich zu bemerken ist, dass gerade in diesem Sektor der Wirtschaft die Verstaatlichung ohnedies bereits im weites101 Lois Weinberger, Unsere Arbeiterpolitik, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 1 (1945), S. 20. 102 Eugen Margarétha, Industriepolitische Gegenwartsfragen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 7 (1946), S. 285.

62

die ideologische haltung der parteien

ten fortgeschritten ist, indem insbesondere die Bundesländer heute vielfach bereits Eigentümer und Miteigentümer der Kraftwerke sind. Hier ist eine restliche Verstaatlichung zweifellos das Richtige.“103 Auch ein Grundsatzpapier der ÖVP aus dem Jahr 1947 betonte die zeitlich begrenzte Bedeutung der Verstaatlichung. „Österreich befindet sich heute in einer Situation, die es nicht ratsam macht, den wirtschaftlichen Dingen vollkommen freien Lauf zu lassen und eine Beaufsichtigung der wirtschaftlichen Kräfte für voraussichtlich längere Zeit erzwingt. Mit dieser Feststellung ist auch schon die Frage, welches Wirtschaftssystem Österreich derzeit angemessen ist, beantwortet: Einerseits Betätigung des Staates als Unternehmer nur in den Produktionszweigen, wo Unternehmerinitiative und freier Wettbewerb geringere Aussichten bieten, die gesteckten Ziele zu erreichen, als einheitliche, monopolistische Produktion; anderseits staatliche Lenkung der Wirtschaft nur so weit, als dies zur Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern geboten ist.“104 Und Bundeskanzler Leopold Figl (ÖVP) unterstrich die Bedeutung einer freien und unabhängigen, aufbauwilligen und starken Privatwirtschaft. „Der wesentliche Grundsatz der Österreichischen Volkspartei ist die eindeutige Anerkennung des Privateigentums. In engstem Zusammenhang damit stehen die Ablehnung staatlicher, kommunaler oder sonstiger Einflussnahme auf die Wirtschaft, soweit sie die aus dem Gemeinwohl entspringenden Notwendigkeiten übersteigt, ferner die Anerkennung des Leistungsprinzips und der weitgehende Schutz und die Förderung der Wirtschaft im Interesse ihres raschesten Wiederaufbaus.“105

103 Fritz Bock, Sozialisierung, wie wir sie verstehen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 9 (1946), S. 378. 104 Kasamas, Alfred, Wir wollen Österreich. Grundsätze und Ziele der Österreichischen Volkspartei. Hg. von der Bundesparteileitung der Österreichischen Volkspartei. Wien 1947, S. 108 f. 105 Leopold Figl, Unser Wahlprogramm: Freiheit, Gleichheit, Menschenwürde, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 1 (1945), S. 2–5.

63

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Für Fritz Bock (ÖVP) war es eines der wichtigsten demokratischen Rechte des Menschen, selbstständig wirtschaften zu dürfen. „Ein Recht, das außerdem zutiefst in der christlichen Weltanschauung begründet ist. Die Verstaatlichung widerspricht diesem Recht. Die konsequente Durchführung des Gedankens einer allgemeinen Verstaatlichung würde dieses Recht zum selbständigen Wirtschaften völlig beseitigen und somit zur Form einer wirtschaftlichen Totalität des Staates führen. Was dies bedeuten würde, lehren uns die Erfahrungen der sieben nazistischen Jahre.“106 Pius Michael Prutscher (ÖVP) hob hervor: „Man kann mit der Verstaatlichung dem Staat alles Recht geben und dem einzelnen nichts. Damit ändert man aber nur das Vorzeichen des Kapitalismus, d. h. man geht zum Staatskapitalismus über, aber für die Freiheit des einzelnen ist damit gar nichts getan. Im Gegenteil: wenn der Staat in die unrichtigen Hände kommt, kann er ein schlimmerer Ausbeuter werden als mancher Kapitalist.“107 Trotz ihrer Zustimmung zur Verstaatlichung hielt die Österreichische Volkspartei daher am Grundsatz fest, „dass die Privatinitiative das geeignetste Mittel ist, um innerhalb einer vom Staate vorzunehmenden Planung im großen unserer Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Nur dadurch, dass wir die Forderung ‚Freie Bahn dem Tüchtigen!‘ verwirklichen, können wir erreichen, dass die in unserm Volk vorhandenen Fähigkeiten richtig ausgenützt werden und das Leistungsprinzip seine volle Gültigkeit erfährt. Will man aber die Wirtschaft hauptsächlich auf die Initiative und Tüchtigkeit des einzelnen aufbauen, muss man diesem die Gewähr für eine ruhige und stete Entwicklung des Wirtschaftslebens geben. Der einzelne muss Vertrauen haben können und er muss vor allem wissen, dass er das, was er sich durch seinen Fleiß und seine Tatkraft geschaffen hat und noch zu schaffen gedenkt, auch behalten darf. Nichts ist für die Wirtschaft 106 Fritz Bock, Sozialisierung, wie wir sie verstehen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 9 (1946), S. 378. 107 Pius Michael Prutscher, Verstaatlichung als Prüfstein, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 6 (1946), S. 249.

64

die ideologische haltung der parteien

gefährlicher als Unsicherheit und mangelndes Vertrauen. Wir stehen daher auf dem unumstößlichen Standpunkt, dass das Eigentum unbedingt geschützt werden muss.108 Aber auch in späterer Zeit wurde die ÖVP nicht müde, auf die prinzipielle Bedeutung des Privatkapitals in der Wirtschaft hinzuweisen. „In Österreich ist der mit weitem Abstand größte und bedeutendste Eigentümer von Kapitalvermögen der Staat selbst. Ein weiterer großer Anteil des Vermögens befindet sich in der Hand von Gebietskörperschaften, öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Verbänden. Schon aus diesem Grunde ist die Vermögenskonzentration in Österreich kein Problem der großen Privatvermögen, sondern vielmehr umgekehrt ein Problem der relativen Vermögenslosigkeit der großen Mehrheit der Bevölkerung in bezug auf den Besitz an Produktionsmitteln. Die Aufgabe der Zukunft kann es daher nicht sein, vorhandene Privatvermögen zu verkleinern oder das staatliche Eigentum zu privatisieren, sondern es kommt wesentlich darauf an, breiteren Bevölkerungsschichten als bisher einen verstärkten eigenständigen Zugang zur Bildung von Eigentum auch in Form von Anteilen an Produktionsmitteln zu erschließen.“109 Hermann Withalm (ÖVP) sah diese Position geradezu dogmatisch: „In jenen Ländern, wo der Staat alles tut, steht es für das Volk nicht zum besten. Wo der Staat die Rolle des Unternehmers übernommen hat, die gesamte Produktion und damit auch den Arbeitseinsatz und den Konsum plant, funktioniert die Wirtschaft weniger gut als dort, wo freie Konsumwahl, freie Wahl des Arbeitsplatzes, ein freies Unternehmertum und ein funktionierender Leistungswettbewerb diese Aufgabe erfüllen. Die österreichische Volkspartei glaubt deshalb auf dem richtigen Weg zu sein, wenn sie sich nicht auf die Seite des Zwanges, sondern der 108 Kasamas, Alfred, Wir wollen Österreich. Grundsätze und Ziele der Österreichischen Volkspartei. Hg. von der Bundesparteileitung der Österreichischen Volkspartei. Wien 1947, S. 120. 109 Werner Zögernitz, Vorwärts zur qualitativen Marktwirtschaft! Plan 3 der ÖVP zur Lebensqualität, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 30, Nr. 11 (1974), S. 8.

65

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Freiheit, nicht auf die Seite des staatlichen Befehls, sondern der persönlichen Initiative, nicht auf die Seite der weiteren Verstaatlichung, sondern des breiter gestreuten persönlichen Eigentums stellt. (Beifall bei der ÖVP.) In Teilbereichen des Lebens ist eine Vollkaskoversicherung möglich. Ein ganzes Volk aber kann sich nicht gegen alle Risiken des Lebens versichern, ohne dafür den hohen Preis der Freiheitseinbuße und eines niedrigeren Lebensstandards zu bezahlen.“110 Und im Klagenfurter Manifest der ÖVP 1965 hieß es: „Die Österreichische Volkspartei bekennt sich als Partei des persönlichen Eigentums. Sie bekennt sich dabei sowohl zum Recht auf Eigentum als auch zu den Pflichten, die aus dem Eigentum erwachsen. Im Vorhandensein persönlichen Eigentums auch an Produktionsmitteln erblickt sie keinen Fehler, sondern einen Vorzug unserer Gesellschaftsordnung. Deshalb soll bestehendes Eigentum geschützt und die Bildung neuen Eigentums in breiter Streuung gefördert werden. Wer die freie Persönlichkeit will, muss auch persönliches Eigentum wollen. Persönliches Eigentum fördert die verantwortliche Lebensführung des Menschen und der Familie.“111 Dabei bekannte sich die ÖVP schon 1946 zu dem Dogma, dass die Privatwirtschaft effizienter arbeite als die öffentliche Hand. Der Verbraucher habe von der Verstaatlichung keine Erhöhung seiner Lebenshaltung zu erwarten. „Es steht in einer Vielzahl von Fällen sehr infrage, ob der vergesellschaftete Betrieb nicht teurer produzieren wird, als der auf Rentabilität ausgerichtete kapitalistische. Demgemäß würde der Arbeiter als Konsument das wieder draufzahlen, was er als Nachfolger des Kapitalisten an Mehrerlös gewinnt. In Einzelfällen mag es sogar ungünstiger werden. Es muss den Unselbständigen, die eine Verstaatlichung verlangen, klar sein, dass sie nur einen Schritt auf dem Weg zu einer gerechten Güterverteilung tun können, ohne

110 Hermann Withalm, NRP, XI/4, 22.4.1966, S. 53. 111 Österreichische Volkspartei, Klagenfurter Manifest, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 21, Nr. 1 (1965), S. 18.

66

die ideologische haltung der parteien

davon sofort Früchte zu ernten.“112 „Das Herz jedes erfahrenen Wirtschafters erfüllt sich mit banger Sorge“, erklärte ein Wirtschaftsvertreter der ÖVP, „wenn er hört, dass Verstaatlichungen am laufenden Band als Allheilmittel gepriesen und überstürzt durchgeführt werden. Er fürchtet nicht die Omnipotenz des Staates. Warum diese Besorgnis? Weil ein Werk nicht nur aus Maschine und Materie besteht, weil der Hauptfaktor immer wieder der Mensch ist, der in ihm arbeitet und der es in mannigfacher Stufung zu führen und zu leiten hat ... Durch die Verstaatlichung werden gerade für die Direktion die Verhältnisse grundlegend geändert; an Stelle der stürmischen See tritt die Flaute der glatten Fahrt. Die Gefahr besteht, dass die Arme schlaff werden, dass die Energie erlahmt, dass Praktiken und Methoden, die in der politischen Verwaltung nicht nur verdienstvoll, sondern die einzig richtigen sind, nun übertragen werden auf wirtschaftliche Gebarungen, wo sie als totales Gift zuerst lähmend und verschleiernd, dann aber zersetzend und auflösend wirken müssen. Solange der freie Konkurrenzkampf besteht, werden die Symptome schon im Keim zu erkennen sein und die Rettung des Patienten ermöglichen. Werden sie nicht beachtet, geht das Unternehmen unweigerlich zugrunde. Ein Staatsbetrieb kann aber nicht zugrunde gehen. Die Zeche bezahlt in diesem Fall die Gesamtheit der Staatsbürger, sei es in Form von Steuern, sei es in Form von verteuerten Preisen für die Konsumenten.“113 Die Privatwirtschaft nahm daher selbst in den schwierigen Jahren des Wiederaufbaus für sich in Anspruch, „dass sie, frei von bürokratischer Schwerfälligkeit, es versteht, organisatorisch und funktionell den Produktionsprozess zu den höchsten Leistungen zu befähigen, weil im wirtschaftlichen Erfolg ein starker Anreiz für die Entfaltung aller dem Menschen innewohnenden Energien gelegen ist ... Es steht fest, dass jede öffentliche Erwerbsunternehmung einer weitgehenden 112 Pius Michael Prutscher, Verstaatlichung als Prüfstein, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 6 (1946), S. 240. 113 Kapsreiter, Gustav, Unternehmer und Verstaatlichung, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 2, Nr. 3 (1946), S. 112.

67

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Planung bedarf. Die totale sozialistische Wirtschaft erfordert die totale Planung.“114 Erklärt wurde diese Überlegenheit der Privatwirtschaft auch aus der Persönlichkeit des Unternehmers, die geradezu an Joseph A. Schumpeter115 erinnern: „Trotz allen marxistischen Behauptungen und zeitbedingten Missständen auf manchen privatwirtschaftlichen Gebieten ist es nicht richtig, dass der Privatunternehmer lediglich aus reiner Profitgier initiative Kräfte entwickelt. In den meisten Fällen tut er das nämlich nicht nur aus materiellen, sondern auch aus ideellen Gründen; so zum Beispiel aus Freude an der Entfaltung seiner Fähigkeiten oder an der Ausgestaltung und Verbesserung seines Werkes, sowie aus dem Drang, seinen Nachkommen eine möglichst gesicherte wirtschaftliche Existenz zu hinterlassen. Der ‚schöpferische Unternehmer‘ gleicht bis zu einem gewissen Grad einem Künstler, der, wenn er wirklich einer ist, in erster Linie nicht wegen seines Verdienstes arbeitet, sondern aus Freude an seinem Werk. Nur der Privatunternehmer ist mit seinem Betrieb so verwachsen, dass er seine ganze Energie dafür verwendet, um leistungsfähig zu sein und zu bleiben. Nur in einem Privatunternehmen, das sich oft viele Jahrzehnte im Besitz der gleichen Familie befindet, kann eine wirtschaftliche Tradition entstehen oder ein weltberühmter Name heranwachsen, der schließlich dem ganzen Volk von Nutzen ist. Es darf auch nicht vergessen werden, dass aus natürlichen Gründen ein Privatunternehmer viel sorgfältiger und genauer planen und viel weniger geneigt sein wird, ein gefährliches Risiko auf sich zu nehmen, als der Leiter irgendeines sozialisierten Betriebes, der nur in seltenen Fällen ein gleiches Verantwortungsbewusstsein aufbringen wird. Aber auch die Arbeitnehmer werden, wenn der Unternehmer seinen sozialen Verpflichtungen nachkommt, in einem viel persönlicheren Verhältnis zum Betrieb stehen, als wenn ihr Arbeitgeber der Staat ist, der nur einen abstrakten, 114 Schumy, Vinzenz, Österreichs Neuaufbau als Wirtschaftsproblem, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 2, Nr. 5 (1947), S. 201. 115 Schumpeter, Joseph A., Capitalism, Socialism and Democracy, New York 1942.

68

die ideologische haltung der parteien

sinnlich nicht wahrnehmbaren Begriff bildet.“116 Vizekanzler Julius Raab (ÖVP) sah daher in der freien Wirtschaft, in der Initiative des Einzelnen die beste Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Aufstieg. „Niemals wird man den Fleiß, die Tüchtigkeit und die Erfindungsgabe des Unternehmers durch irgendwelche staatliche Maßnahmen ersetzen können ... Die Freiheit darf nicht bloß in den Agitationsreden der politischen Parteien eine Rolle spielen, sie muss jedem einzelnen Staatsbürger die Möglichkeit bieten, seinen Lebensweg nach bewährten Grundsätzen zu gehen. Wir von der Wirtschaft wollen daher eine freie Wirtschaft und einen freien Menschen und lehnen eine kommandierte Wirtschaft und einen staatlich genormten Menschen ab.“117 Die ÖVP selbst erinnerte sich in dieser Zeit sehr wohl noch an ihre christlichsozialen Wurzeln und betonte auch die Verantwortung des Privateigentums in der Wirtschaft. „Selbstverständlich wird die Österreichische Volkspartei alle Auswüchse bekämpfen, die durch die Sammlung großer Kapitalien in der Hand einer Person oder Personengruppe entstehen können (Monopolkapital). Wenn eine derartige materielle Machtstellung zum Nachteil der Allgemeinheit missbraucht wird, so werden wir nicht zögern, dagegen einzuschreiten, und zwar schon aus Gründen unserer auf den Solidarismus aufgebauten Weltanschauung. Monopolistische Konstruktionen, die dahin zielen, auf bestimmten Wirtschaftsgebieten Machtpositionen des Kapitalismus zu errichten und die nur dazu da sind, um einer bestimmten Gruppe möglichst großen Gewinn zu verschaffen, werden wir niemals zulassen.“118 Man lehnte daher „... den rücksichtslosen 116 Kasamas, Alfred, Wir wollen Österreich. Grundsätze und Ziele der Österreichischen Volkspartei. Hg. von der Bundesparteileitung der Österreichischen Volkspartei. Wien 1947, S. 121. 117 Raab, Julius, Österreichs wirtschaftliche Entwicklung nach 1945, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 4, Nr. 8 (1949), S. 358–359. 118 Kasamas, Alfred, Wir wollen Österreich. Grundsätze und Ziele der Österreichischen Volkspartei. Hg. von der Bundesparteileitung der Österreichischen Volkspartei. Wien 1947, S. 122.

69

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Egoismus des einzelnen ab, wie er im Kapitalismus des vergangenen Jahrhunderts zum Ausdruck kam, ebenso aber auch den vom Marxismus an seine Stelle gesetzten, gleichermaßen einseitigen Egoismus der Klasse. Weder der Egoismus der Kasse im Kapitalismus noch der Egoismus der Rasse im Nationalismus noch der Egoismus der Klasse im Marxismus gewährleisten eine dauerhafte Ordnung. An Stelle des Egoismus in den verschiedensten Formen stellen wir den Solidarismus, der unter Rücksichtnahme auf die Allgemeinheit die Freiheit aller Menschen gewährleistet und nicht zu den diktatorischen Lösungen der dargestellten egoistischen Bewegungen führt, zur Diktatur der Kasse im Kapitalismus, zur Diktatur der Rasse im Nationalismus und zur Diktatur der Klasse im Marxismus.“ Dieser Grundsatz des Solidarismus kann mit dem Satz ausgedrückt werden: „Soviel Freiheit wie möglich und soviel Zwang wie notwendig. Solcherart ist auch auf dem Gebiet der Wirtschaft der Grundsatz der Freiheit unter entsprechender Rücksichtnahme auf das Allgemeinwohl eindeutig festgelegt und eine geordnete Wirtschaft, die im Interesse aller liegt, gewährleistet.“119 Auch Peter Krauland (ÖVP) verwies auf die soziale Verantwortung des Unternehmers: „Ein Mensch, der als Eigentümer eines Großunternehmens unter Umständen das Schicksal Tausender in der Hand hat, kann durch Tüchtigkeit oder Untüchtigkeit, Gerechtigkeit oder Egoismus das Schicksal dieser Tausenden entscheidend mitbestimmen ... Die moralische Konsequenz daraus ist die, dass der Mensch, ungeachtet seiner sittlichen Selbständigkeit, ja geradezu wegen ihr verpflichtet ist, bei allen seinen Entscheidungen darauf zu sehen, wie sie sich auf die Gemeinschaft auswirken, hiebei das Gemeinwohl nicht nur zu achten, sondern es sogar vor das eigene zu stellen. Das ist nun der entscheidende Satz der christlichen Lehre, den wir der Beantwortung unserer Frage zugrunde zu legen haben. Existenziell ist der einzelne Mensch vor der Gesellschaft. Weil er aber unter dem Gebot der christlichen Nächstenliebe steht, ist er gehalten, 119 Hurdes, Felix, Unsere politische Linie, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 4, Nr. 9 (1949), S. 387–8.

70

die ideologische haltung der parteien

auf das Gemeinwohl Rücksicht zu nehmen, und zwar in der Regel vor dem eigenen. Gemeinnutz geht vor Eigennutz, das ist die oft missbrauchte entscheidende christliche These. Trotzdem ist aber zu beachten: Das Recht der Gemeinschaft ist wohl das höhere, es ist aber nicht das ursprüngliche.“120 Vinzenz Schumy (ÖVP) betonte, dass der Staat das Eigentum an Betriebsmittel gegen alle wie immer gearteten Zugriffe zu schützen hatte. Doch wies er auf etwas hin, was man heute als „corporate governance“ bezeichnen würde. „Wenn der Staat in wirksamer Weise das Eigentum zu schützen vermag, dann erwachsen aber den Eigentümern auch Pflichten gegenüber dem Staat, Pflichten, die sich nicht erschöpfen in der Bezahlung der Steuern und Abgaben und in der Erfüllung aller sonst üblichen Verpflichtungen gegenüber der staatlichen Verwaltung, sondern die auch die Leistungsverpflichtung gegenüber der Gesamtheit und das Verhalten des einzelnen in politischer Hinsicht in sich schließen. Mit anderen Worten, das gesicherte Eigentum muss so verwaltet und im Wirtschaftsprozess eingesetzt werden, dass es für die Allgemeinheit den höchsten Nutzeffekt hervorbringt und der Unternehmer muss alles tun, was im Interesse des Bestandes des Staates liegt, und alles unterlassen, was geeignet wäre, ihm zu schaden. ‚Eigentum verpflichtet.‘ Liegt daher der Nachweis vor, dass eine Unternehmung in einer dieser Richtungen versagt hat, dann hat die Gesetzgebung dafür zu sorgen, dass die Missstände behoben werden, wobei auf die hiebei anzuwendenden Mittel und Methoden nicht weiter eingegangen werden soll. Fest steht nur, dass der Staat im Falle des Versagens in einer der beiden Richtungen das Recht und die Pflicht hat, mit starker Hand einzugreifen.“121 Die Österreichische Volkspartei stand daher auf dem Standpunkt, „dass das Privateigen-

120 Krauland, Peter, Grundsätzliche Betrachtungen über staatliche Wirtschaftslenkung, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 3, Nr. 3 (1947), S. 112. 121 Vinzenz Schumy, Das Eigentumsproblem und die Wirtschaft, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 2 (1945), S. 14.

71

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

tum unbedingt geschützt werden muss, vertritt aber anderseits die Ansicht, dass das Eigentum nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet und der einzelne daher keinen für die Allgemeinheit schädlichen Missbrauch davon machen darf. Es hat der Grundsatz zu gelten, dass die Freiheit des Eigentums und der staatliche Schutz, den es genießt, dort aufhören, wo das Eigentum des einzelnen beginnt, für die Allgemeinheit schädlich zu werden. Wo diese Grenze zu ziehen ist, wird in jedem Fall verschieden sein. Es gibt eben kein absolutes, sondern nur ein relatives Eigentum.“122 Karl Kummer (ÖVP) ging so weit, eine Änderung des Eigentumsbegriffes zu verlangen und im Bürgerlichen Gesetzbuch auch die Pflichten festzulegen, die aus dem Eigentumsrecht erwachsen. Dabei wollte er folgende Grundsätze in der Rechtsordnung verwirklicht sehen: 1. Die wirtschaftliche Verantwortung, 2. das Recht auf den Arbeitsertrag, 3. die Pflichten aus dem Eigentumsrecht, 4. die besondere Gestaltung des Gemeinschaftsrechtes, insbesondere als Arbeitsgemeinschaft im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag, 5. der Vorrang des Ertrages der Arbeitsleistung vor der Kapitalgewinnverteilung, 6. die Auffassung der Rechtspersönlichkeit nicht als Scheinperson, sondern als Zusammenschluss von Personen, die persönlich berechtigt und verpflichtet werden.123 Auch der Vorläufer der FPÖ, der Verein der Unabhängigen (VdU), der seit 1949 im Parlament vertreten war, hatte eine ähnliche Mei-

122 Kasamas, Alfred, Wir wollen Österreich. Grundsätze und Ziele der Österreichischen Volkspartei. Hg. von der Bundesparteileitung der Österreichischen Volkspartei. Wien 1947, S. 101. 123 Kummer, Karl, Die neuen sozialpolitischen Aufgaben, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 5, Nr. 3 (1949), S. 120.

72

verstaatlichung, aber wie?

nung: Man habe „mit Bedauern festgestellt, dass ein eigenes Ministerium geschaffen wurde, das sich, vorwiegend mit der Verwaltung der Verstaatlichten Industrie abzugeben hat. Hier erheben sich unsere schwersten Bedenken wegen der Gefahr einer unrationellen und eventuell parteipolitisch ausgerichteten Führung der verstaatlichten Betriebe. Die Erfahrungen nicht nur des kommunistischen Osteuropas, sondern nun auch eines westlichen Landes gemahnen uns hier zur größten Vorsicht gegenüber einer derartigen Forcierung des Verstaatlichungsgedankens. Wir sind der Meinung, dass nur das Leistungsprinzip sowohl bei den Arbeitnehmern wie bei den Arbeitgebern eine Volkswirtschaft bereichern kann, und können es daher nicht verhehlen, dass uns diese Regelung mit größter Sorge erfüllt.“124

Verstaatlichung, aber wie?

Neben dem „was“ verstaatlicht werden sollte, war aber das „wie“ in der Praxis von entscheidender Bedeutung. Dabei setzte sich die ÖVP durch. Es wurde keine eigene „öffentliche“ Rechtsform geschaffen, sondern der Staat wurde Eigentümer der zumeist als Aktiengesellschaft oder als Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisierten Unternehmen. Diese Eigentümerfunktion vertrat das im Dezember 1945 neu geschaffene Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung unter Peter Krauland (ÖVP).125 Diesem Sonderministerium waren die verstaatlichten Unternehmen und die öffentlichen Verwalter unterstellt. Daneben umfasste sein Wirkungsbereich „die Sicherstellung arisierter oder sonst zwischen 1938 und 1945 entzogener Vermögenschaften und Vermögensrechte, die Verwaltung und Verwertung der nach dem Verbots-, Kriegsverbrecher- und Vermögensverfallsgesetz für verfallen erklärten Vermögenschaften sowie 124 Herbert Kraus, NRP, VI/2, 9.11.1949, S. 26. 125 Seit September 1945 gab es bereits ein Staatsamt für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung unter Leitung von Ing. Schumy (ÖVP).

73

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

die Erfassung, Sicherung, Verwaltung und Verwertung sonstiger dem Bund verfallenen, heimgefallenen oder herrenlosen Vermögen“.126 Der Staat war damit Eigentümer von Unternehmungen, die privatwirtschaftlich organisiert waren und bereits unter öffentlicher Verwaltung standen. Am 10. September 1946, einen Tag nach Inkrafttreten des Verstaatlichungsgesetzes, wurden 21 Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Sitz in Wien und einem Kapital von je 20.000 Schilling gegründet, denen die Aktiven und Passiven der betroffenen Unternehmen und Betriebe übertragen wurden. Damit verhinderte man eine direkte Verstaatlichung und beschränkte die Haftung des Staates auf das Kapital der GesmbH. Die nun zusammengefassten Betriebe und Unternehmen erhielten damit auch eine unternehmensrechtliche Selbstständigkeit. Die öffentliche Verwaltung wurde nur langsam aufgehoben, bei der Mehrzahl erst nach dem Staatsvertrag 1955. Über die öffentlichen Verwalter hatte das Ministerium einen direkten Zugriff auf die Geschäftsführung. Am 16. Dezember 1946 wurde das Ministerium aufgelöst und die Kompetenz für die verstaatlichten Banken und die Sicherung und Rückstellung von entzogenen Vermögen ging auf das Finanzministerium unter Eugen Margarétha (ÖVP) über. Die Verstaatlichte Industrie selbst wurde einem Ministerium für Verkehr und Verstaatlichte Betriebe unter Karl Waldbrunner (SPÖ) übertragen.127 Zu diesem Zeitpunkt war aber die Organisation der verstaatlichten Wirtschaft bereits festgelegt. Vonseiten der SPÖ hatte man 1945 eine „sozialistische Planwirtschaft“ vor Augen, wie sie schon bei den (gescheiterten) Sozialisierungsbemühungen nach dem Ersten Weltkrieg angedacht worden war. „Der kapitalistische Verwaltungsrat wird durch einen Wirtschaftsrat ersetzt, der nicht mehr von den Aktionären gewählt wird, sondern von den Vertretern der Gesellschaftskreise, deren Bedürfnisse das sozialisierte Unternehmen befriedigt; also von den Vertretern der 126 Gesetz vom 1. Februar 1946, BGBl Nr. 56/1946, zitiert bei Hollerer, S. 114 f. 127 Hollerer, S. 114–121.

74

verstaatlichung, aber wie?

Arbeiter und Angestellten der Industrie, dann der Verbraucher der Industrieerzeugnisse (durch Arbeiter-, Gewerbe- und Bauerngenossenschaften usw.) und schließlich des Staates als Vertreter der Gesamtheit. Zur technischen Durchführung gibt es natürlich eine Reihe von Übergangsmöglichkeiten, Übernahme durch die Gemeinde, durch Konsumgenossenschaften, Produktionsgenossenschaften und in bestimmten Fällen auch unmittelbar durch den Staat.“128 Franz Rauscher (SPÖ) versuchte den Begriff der Sozialisierung zu konkretisieren: „Es ist notwendig, scheinbare Sozialisierungsmaßnahmen von wirklicher Sozialisierung zu trennen. Die Übernahme eines Betriebes durch die darin beschäftigten Arbeiter bezeichnen wir als ‚wilde‘ Sozialisierung. Eine höhere Form der wilden Sozialisierung ist die Übernahme eines ganzen Wirtschaftszweiges durch eine Berufskörperschaft der Arbeitnehmer, etwa eine Gewerkschaft (in den romanischen Ländern ‚Syndikate‘) also die ‚Syndikalisierung‘. Die wilde Sozialisierung und die Syndikalisierung sind nicht gleichbedeutend mit echter Sozialisierung, das heißt, einer Handlung der ganzen Gesellschaft statt einem oder mehreren kapitalistischen Besitzern würden dadurch nur andere Gruppen von Interessenten Besitzer und Bestimmer der Wirtschaft werden. Ähnliches gilt von allen Produzentengenossenschaften. Solche Gruppeninteressen führen über die persönlich egoistischen Interessen hinaus zu einem organisierten Betriebsegoismus, zu einer ungerechten Monopolstellung einzelner Berufsgruppen ... Die ideale, erprobte Unternehmungsform für sozialisierte Betriebe ist die gemeinwirtschaftliche Unternehmung, im Eigentum des Staates, aber in demokratischer Form verwaltet und geführt ... Viele der zu verstaatlichenden Unternehmungen werden derzeit, weil sie herrenlos sind, bereits vom Staate durch öffentliche Verwalter betreut. Die meisten anderen befinden sich in Händen von Aktionären. An ihre Stelle tritt durch die Sozialisierung der Staat als die höchste Form der Gemeinschaft. 128 Sozialistische Partei Österreichs, Was wollen die Sozialisten? Wien 1945, S. 15 f.

75

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Alle verstaatlichten Betriebe eines Wirtschaftszweiges bilden dann zusammen einen Wirtschaftsverband. Dieser Wirtschaftsverband muss einheitlich geleitet werden. Ein Verwaltungsrat, zusammengesetzt zu je einem Drittel aus Vertretern des Staates, der Arbeitnehmer und der Verbraucher hat die oberste Leitung. Sie schlägt dem Ministerium für Wirtschaftsplanung den leitenden Direktor für den Wirtschaftszweig vor. Dieser leitende Direktor schlägt dem Verwaltungsrat die Betriebs-(Werks-)direktoren vor. So wie dem leitenden Direktor ein Verwaltungsrat vorgesetzt ist, so hat der Betriebs-(Werks-)direktor einen beratenden Werksausschuss zur Seite, in dem die technische, kaufmännische und betriebswirtschaftliche Leitung des Betriebes sowie der Betriebsrat vertreten sind. Die Zusammensetzung des Verwaltungsrates entspricht den gesellschaftlichen Erfordernissen. Die Vertreter der Arbeiter und Angestellten, also etwa die Gewerkschaft, vertreten die Arbeitnehmer insgesamt; die Vertreter der Konsumenten geben Richtung und Umfang des Verbrauches an. Die Vertreter des Staates werden leitend als Sachwalter der Allgemeininteressen, also als Mittler und Schiedsrichter fungieren ...“129 Neben der Verstaatlichung der wichtigsten Schlüsselunternehmungen der österreichischen Wirtschaft forderte er eine gesamtstaatliche Wirtschaftsplanung. „Die verstaatlichten Konzerne sind nach wirtschaftlichen Notwendigkeiten organisatorisch umzubilden, damit sie gesunde Glieder einer leistungsfähigen Volkswirtschaft werden. Beim Ministerium für Wirtschaftsplanung (und künftighin auch ‚für öffentliche Wirtschaft‘) wird ein Planungsbeirat errichtet, in dem alle wichtigen wirtschaftspolitischen Körperschaften vertreten sind. Dieser Beirat soll nicht nur ein Symbol der Zusammenarbeit sein, sondern muss eine leistungsfähige Arbeitsgemeinschaft werden, die dem Ministerium für Wirtschaftsplanung und darüber hinaus auch dem Nationalrat zur Seite stehen soll. Neben dem Planungsbeirat wird auch ein zentrales Planungsamt errichtet, das Aufgaben einer Gesamt­ 129 Rauscher, Franz, Die Sozialisierung und die öffentliche Wirtschaft (Teil I), in: Die Zukunft, Nr. 4 (1946), S. 8–10.

76

verstaatlichung, aber wie?

lenkung der österreichischen Wirtschaft zu übernehmen hat. Dazu gehören: die Feststellung der materiellen Gütererzeugungskapazität Österreichs; Feststellung des Bedarfes an Gütern; Gegenüberstellung der Erzeugung und des Bedarfes sowie der notwendigen und möglichen Ein- und Ausfuhr; Verteilung der notwendigen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe; Ausarbeitung der Pläne für die einzelnen Wirtschaftsgruppen innerhalb eines Gesamtplanes, zentrale Preisüberwachung, Verfügungen über Einschränkung, Ausweitung sowie Zusammenschlüsse von Betrieben, Überprüfung der Wirtschaftsstellen ... Die verstaatlichten Betriebe gleicher Art werden in einen Verband (Gemeinwirtschaftliches Unternehmen) zusammengeschlossen. Sie gehören der Wirtschaftsstelle der betreffenden Wirtschaftsgruppe an. Sämtliche Wirtschaftsverbände (Gemeinwirtschaftliche Unternehmungen) des vergesellschaftlichten Sektors sind aber auch zusammengeschlossen in einem Zentralverband gemeinwirtschaftlicher Unternehmungen oder öffentlicher Betriebe.“130 Ganz in diesem Sinne hatte die SPÖ die Zusammenfassung der verstaatlichten Wirtschaft gefordert und auf der Einführung gemeinwirtschaftlicher Unternehmensformen und „voller Betriebsdemokratie“ bestanden. Und sie forderte die „Fortführung der Verstaatlichung, beziehungsweise Kommunalisierung in folgenden Grenzen: Schlüssel- und Monopolunternehmungen, insbesondere die Großbetriebe der Baustoffindustrie, des Lokomotiv- und Waggonbaues, der Autoindustrie, der Zellwolle- und Kunstseidenerzeugung, der Magnesit- und Aluminiumproduktion, des Brückenbaues, der Stickstoff- und Kautschukerzeugung, der Papiererzeugung, der Lebensmittelindustrie und die Privatversicherungsanstalten“.131 Für die ÖVP war es jedoch ein Glück gewesen, dass man sich bei der Verstaatlichung der Wirtschaftsformen des Handelsrechtes bediente und die Betriebsleitungen nicht zu Staats-Unterämtern konstituier130 Rauscher, Franz, Die Sozialisierung und die öffentliche Wirtschaft (Teil II), in: Die Zukunft, Nr. 5 (1946), S. 8–9. 131 Sozialistische Partei Österreichs, Was wollen die Sozialisten? Wien 1947, S. 10 f.

77

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

te.132 Die Sozialisten waren nach den Wahlen im November 1945 nicht stark genug gewesen, um das Verstaatlichungsministerium zu besetzen, wodurch ihre Vorstellungen über die Organisation der verstaatlichten Wirtschaft weitgehend abgeblockt wurden, wie Karl Waldbrunner (SPÖ) bedauernd feststellte. „Der heutige Minister für Wirtschaftsplanung ist ein Mann der ÖVP und ein offener Feind sozialistischer Planwirtschaft. Kein Wunder, dass bis heute Österreich keinen umfassenden Wirtschaftsplan hat und damit viele Vorteile dem Lande verlorengehen. Wir müssen uns heute mit einzelnen regionalen Wirtschaftsplänen in den verschiedenen Zweigen der Industrie begnügen, die mehr oder weniger auf die Initiative und freiwillige Zusammenarbeit der Treuhänder und Fachmänner in diesen Industriezweigen zurückgehen ...“133 Die sozialistische Seite war daher weder mit dem Umfang noch mit der Art der Verstaatlichung zufrieden, denn die Sozialisierung hätte ganz neue Rechtsformen in Organisation und Leitung erfordert. „Das zu erarbeiten und durchzusetzen war keine Zeit. Daher haben wir in den Gesetzen, die wir im neu gewählten Parlament im Jahre 1946 und 1947 erzwungen haben, obwohl wir in diesem Parlament nicht die Mehrheit sind, vorläufig den Weg der Verstaatlichung beschritten ... Mit der Verstaatlichung der Schlüsselstellungen unserer Wirtschaft hat aber unsere weitergehende Forderung nach Planwirtschaft einen viel stärkeren Nachdruck bekommen.“ Dennoch war man aufgrund des langfristigen Trends in der kapitalistischen Entwicklung noch zuversichtlich: „Mit der Entwicklung des individuell und mit eigenem Kapital geführten Unternehmens der liberalen Wirtschaft zum Aktienunternehmen des Hochkapitalismus mit seinen vielen Fachdirektoren ist eine weitgehende Funktionsteilung in der Leitung der Unternehmungen eingetreten ... Für diese Menschen, auf die es da ankommt, geht es beim Übergang von der Pri132 Köck, Ignaz, Verstaatlichung – pro und kontra, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 12, Nr. 5 (1956), S. 8–9. 133 Waldbrunner, Karl, Sozialisierung und Planwirtschaft in Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 7 (1948), S. 198.

78

verstaatlichung, aber wie?

vatwirtschaft auf die Gemeinwirtschaft darum, sich umzustellen vom Dienste für das Profitinteresse einiger Privater auf das Gemeinschaftsinteresse der betreffenden öffentlichen Körperschaft ... Die Führung unserer Wirtschaft kann nicht allein bei der staatlichen Verwaltung liegen. Die Arbeiter und Angestellten der Unternehmungen müssen ebenso wie die Verbraucher auf die Lenkung Einfluss nehmen können und den notwendigen Interessenausgleich damit schaffen. Auch da noch werden wir einen langen Weg zu gehen haben, und es wird noch vieler Erfahrungen bedürfen, um die richtigen Rechtsformen zu schaffen. Wir haben vorläufig versucht, durch ein Betriebsrätegesetz den Vertretern der Arbeiter und Angestellten Sitz und Stimme in den Aufsichtsräten und damit in der geschäftlichen Leitung dieser Unternehmungen zu geben. Darüber hinaus haben die Betriebsräte ein großes Mitspracherecht in allen sozialen Fragen innerhalb der Betriebe. Bei allen verstaatlichten Betrieben wurde bei der Zusammenstellung der Aufsichtsräte darauf gesehen, dass neben den Vertretern des Staates und der Arbeiter und Angestellten des Betriebes auch Vertreter der Verbraucher aus Industrie, Handel und Gewerbe und Landwirtschaft sowie Vertreter der Konsumentenorganisationen sitzen.“134 Für die Kommunisten ging auch das nicht weit genug. „Das österreichische Volk braucht eine wirkliche Verstaatlichung der entscheidenden Betriebe und Banken“, stellte Johann Koplenig (KPÖ) im Nationalrat fest, „aber nicht eine Verstaatlichung, bei der die Vertreter der Kapitalisten und die Parteisekretäre der Regierungsparteien, sondern bei der die Arbeiter und Angestellten selbst das entscheidende Wort in den Betrieben sprechen. Nur eine solche Verstaatlichung dient nicht nur den Interessen der Arbeiter, sondern auch den Inte­ ressen des gesamten Volkes, weil nur eine Verstaatlichung, bei der der Einfluss der Kapitalisten gänzlich ausgeschaltet wird, im Interesse der Werktätigen liegt.“135 134 Waldbrunner, Karl, Sozialisierung und Planwirtschaft in Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 7 (1948), S. 197–199. 135 NRP, VI/2, 9.11.1949, S. 16.

79

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

So musste auch Eugen Margarétha (ÖVP) feststellen, dass die Verstaatlichungsgesetze einen mit viel Mühe zustande gekommenen Kompromiss darstellten, mit dem niemand wirklich zufrieden war. Die Sozialisten und Kommunisten wünschten die Ausdehnung der Verstaatlichung auf einen viel größeren Kreis von Unternehmungen, eine viel tiefer gehende Vergesellschaftung, eine viel weiter gehende Einflussnahme der Arbeiter und Angestellten auf die Leitung. Selbst der Arbeiter- und Angestelltenbund der ÖVP war mit der vorsichtigen Zurückhaltung bei der Durchführung der „Sozialisierung“ nicht ganz einverstanden.136 Gustav Kapsreiter (ÖVP) anerkannte zwar, dass durch die Verstaatlichung Unzulänglichkeiten und Auswüchse des privaten Kapitalismus beseitigt werden sollten. „Je mehr man die Berechtigung dieses Arguments anerkennt, umso weniger darf man bei dessen Überleitung in die Praxis in den Fehler verfallen, neue Löcher aufzureißen, um die bestehenden zu stopfen. Der erste Schritt ist leicht getan, wie wir auch bei uns in Österreich sehen konnten. Viel schwerer wird der zweite sein.“ Die unterschiedliche Form der Organisation von verstaatlichten Betrieben in anderen Ländern (GB, USA, UdSSR) zeigte, dass alles noch im Fluss war. „Ein kleiner und schwacher Staat wie Österreich aber wird gut daran tun, sich wirtschaftlich ebenso wenig einseitig zu orientieren wie politisch und lieber die Erfahrungen des großen Weltgeschehens abwarten.“137

136 Eugen Margarétha, Die Verstaatlichung und Sozialisierung in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 11 (1946), S. 470. 137 Kapsreiter, Gustav, Unternehmer und Verstaatlichung, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 2, Nr. 3 (1946), S. 121–113.

80

wirtschaftliche Erfolge im Wiederaufbau Wirtschaftliche Erfolge im Wiederaufbau

Der Zweite Weltkrieg hatte auch in Österreich ein katastrophales wirtschaftliches Erbe hinterlassen. Die Energiewirtschaft war fast völlig zusammengebrochen, die Hälfte des Eisenbahnnetzes unbenutzbar, 318 Brücken zerstört oder beschädigt und nur 40 % der Lokomotiven, 48 % der Personen- und 70 % der Güterwagen einsetzbar. Die Zahl der Kraftfahrzeuge war auf ein Drittel der Vorkriegszeit zurückgegangen und die Post meldete den Verlust von 13 Telefonzentralen und 35.000 Telefonanschlüssen. Im Vergleich zu 1937 war das BNP um ein Drittel zurückgegangen, die Agrarproduktion um die Hälfte und der Kapitalstock ebenfalls um ein Drittel. Der Bestand an Werkzeugmaschinen war zwar während der Kriegsproduktion angestiegen, reduzierte sich aber bis zum Jänner 1946 auf 82 % des Standes von 1937. Dies war eine Folge der Vermögensverluste aufgrund von Demontagen und Beschlagnahmungen durch die Besatzungsmächte. Der Wiederaufbau ging in den ersten Jahren nur sehr schleppend vor sich, was vor allem auch auf Energie- und Nahrungsmittelmangel zurückzuführen war. Das BIP war 1944/45 um 58 % zurückgegangen und stieg 1946 lediglich um 13 % und 1947 um 10 % an.138 Die Zeit des Wiederaufbaus wird für Österreich vielfach von 1945 bis zum Ende des Marshall-Planes 1952 angegeben. Nimmt man das BNP real je Einwohner, so wurde jedoch bereits 1949 das Vorkriegsniveau (1937) überschritten. Blendet man dagegen die Kriegszeit nicht aus, so übertraf das BNP erst 1953 und das je Einwohner erst 1954 den höchsten Stand in dieser Zeit (1941) und man kann wohl erst dann von einem vollendeten Wiederaufbau sprechen. Wegen der wirtschaftlichen Bedeutung des Staatsvertrages waren die Nachkriegsprobleme erst mit 1955 beendet. Mit dem Staatsvertrag war Österreich wieder „Herr im eigenen Haus“. Der Wiederaufbau kann daher nicht nur am Wirtschaftswachstum gemessen werden, sondern auch an ge138 Zum Wiederaufbau siehe vor allem: Seidl, Hans, Österreichische Wirtschaft und Wirtschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, Wien 2005.

81

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

sellschaftlichen, politischen und rechtlichen Kriterien und hier ist es eindeutig, dass man erst mit dem Jahr 1955 wieder von einigermaßen „normalen“ Verhältnissen sprechen kann. BNP Österreichs139 1990 international Geary-Khamis Dollar pro Einwohner Insgesamt in Mio. 1937 3.177 21.317 1938 3.583 24.037 1939 4.123 27.250 1940 3.985 26.547 1941 4.245 28.446 1942 4.009 27,016 1943 4.092 27.672 1944 4.180 28.376 1945 1.736 11.726 1946 1.969 13.695 1947 2.181 15.102 1948 2.783 19.230 1949 3.315 22.865 1950 3.731 25.702 1951 3.985 27.460 1952 3.993 27.484 1953 4.164 28.680 1954 4.585 31.511 1955 5.087 35.105

Eine entscheidende Bedeutung für den österreichischen Wiederaufbau hatte der Marshall-Plan, oder offiziell: European Recovery Program (ERP). Der Marshall-Plan in Österreich lief vom 1. Juni 1948 bis zum Dezember 1953. Erst mit Beginn des Marshall-Planes kam der Wieder139 Quelle: Angus Maddison, Monitoring the World Economy 1820-1992; The World Economy: Historical Statsitics, S. 50.

82

wirtschaftliche Erfolge im Wiederaufbau

aufbau voll in Schwung und das BIP erreichte zweistellige Zuwachsraten. Insgesamt erhielt Österreich von 1945 bis 1955 an die 1.585 Mio. Dollar an Auslandshilfe, davon 956,4 Mio. Dollar über das ERP-Programm als Grant (Geschenk). Während bis 1947 die Hilfe aus verschiedenen Ländern kam und zumeist über die Vereinten Nationen (mit starker Beteiligung der USA) ging, betraf diese ab 1948 ausschließlich die Unterstützung durch die USA. Im ersten Jahr trug der MarshallPlan 14 % zum österreichischen Nationaleinkommen bei. Nur Island und Norwegen erhielten noch höhere Beiträge pro Einwohner. Die Lieferungen des ersten Jahres bestanden zur Hälfte aus Nahrungsmitteln und zu einem Viertel aus Rohstoffen. Dann war sie auf den Wiederaufbau der Infrastruktur und der Grundstoffindustrie ausgerichtet – Stahl, Chemie, Elektrizität, Holz etc. – und zum Schluss vorwiegend auf Finalindustrie, Exportindustrie und Fremdenverkehr. Die Bedeutung des Marshall-Planes zeigte sich vor allem bei der Außenhandelsstatistik. In den entscheidenden Jahren des Wiederaufbaus mussten wir etwa die Hälfte unserer Importe nicht bezahlen.140 Die ERP-Mittel wurden der Republik Österreich geschenkt, nicht aber den Konsumenten oder der Wirtschaft. Die amerikanischen Produkte wurden im Inland zu Inlandspreisen verkauft bzw. der Wirtschaft als billige (Dollar)-Kredite zur Verfügung gestellt, die sie in Schilling zurückzahlen konnten. Für diese Einnahmen wurde ein ERP Counterpart Fund errichtet, der für den weiteren wirtschaftlichen Wiederaufbau in Form von günstigen (Schilling)-Krediten eingesetzt wurde.141 Über die Verwendung dieser Mittel gab es regelmäßig Auseinandersetzungen zwischen der österreichischen Regierung und dem amerikanischen ERP-Büro in Wien, grundsätzlich sollten sie aber eingesetzt werden:

140 Siehe u.a. Bischof, Günter/Stiefel, Dieter (Hrsg.), 80 Dollar. 50 Jahre ERP-Fonds und Marshall-Plan in Österreich 1948–1998, Wien 1999. 141 Damit entstand praktisch eine Investitionsbank. Der Counterpart Fund wurde 1963 an Österreich übergeben und der ERP Fund fördert daher bis heute weiter die österreichische Wirtschaft.

83

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

– für Investitionen und nicht für privaten oder öffentlichen Konsum – für den unmittelbar produktiven Bereich und nur eingeschränkt für Infrastrukturausbau – und vor allem für Investitionen, welche die Zahlungsbilanz entlasteten, also für Exportförderung und Importsubstitution Die Verwendung der Mittel zeigt aber, dass diese Grundsätze nicht unbedingt strikt eingehalten wurden, und etwa auch – in geringerem Ausmaß – der Wohnungsbau mitfinanziert wurde. Verwendung der Counterpart-Mittel142 in Mio. Schilling, bis März 1955 Anteil in % Industrieinvestitionen 51,8 Bundesinvestitionen 15,9 Land- und Forstwirtschaft 10,4 Währungssicherung 6,5 Wohnungsbau 4,3 Fremdenverkehr 2,3 Technische Hilfe 2,3 Exportförderung 1,3 Sonstige 5,2

Der Kalte Krieg und der Marshall-Plan veränderten aber auch die Wirtschaftsstruktur Österreichs. Sie führten zu einer Benachteiligung der sowjetischen Besatzungszone (Niederösterreich, Burgenland und Teile Wiens und Oberösterreichs), die ja nicht nur aus USIA-Betrieben bestand. Nur 19 % der Marshall-Plan-Mittel flossen in die Ostzone, der Rest in den Westen und Süden Österreichs, der damit eine wesentliche wirtschaftliche Aufwertung erfuhr. Zwar war Österreich der einzige Fall, wo Marshall-Plan-Mittel auch in ein von der Sowjetunion besetztes Gebiet gegeben wurden, doch die Wachs142 Quelle: Nemschak, Zehn Jahre österreichische Wirtschaft 1945–1955, S. 24.

84

wirtschaftliche Erfolge im Wiederaufbau

tumsraten Ostösterreichs fielen hinter denen des Westens wesentlich zurück. Verteilung der Industriebeschäftigten143 1937 1947 1954 Ostösterreich (W, NÖ, Bgld.) 60 % 49 % 46 % Westösterreich 40 % 51 % 54 % Industriebeschäftigtenindex 1937 = 100144 1947 1951 Österreich 121 174 Niederösterreich 88 34

Etwa 60 % der für Investitionen verwendeten Marshall-Plan-Mittel gingen in die Verstaatlichte Industrie, deren Aufbau erst durch die amerikanische Hilfe möglich geworden war. Einen großen Teil davon beanspruchte der Ausbau der Wasserkräfte, Kaprun wurde damit zum Symbol des Wiederaufbaus. Es ist wohl eine Ironie der Geschichte, dass mit amerikanischen finanziellen Mitteln in Österreich die Verstaatlichte Industrie aufgebaut wurde. Das hing damit zusammen, dass das zuständige Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung Pläne (wie den Eisen- und Stahlplan, den Kohleplan oder den Metallindustrieplan) ausgearbeitet hatte und die amerikanischen Stellen konkrete Investitionspläne für ihre Finanzierung verlangten. Diese lagen weit mehr für die verstaatlichte als für die private Industrie vor. Zwar hat es gewichtige Stimmen gegeben (etwa des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts), die gegen den Wiederaufbau der Grundstoffindustrie auftraten. Diese sei für Öster-

143 Weber, Fritz, „Die wirtschaftliche Entwicklung“, in: Handbuch des politischen Systems Österreichs, Dachs, Herbert/Gerlich, Peter (Hrsg.), 1991, S. 31. 144 Kranzelmayer, F., Die Wirtschaftsstruktur Niederösterreichs (Diss. Wien 1959), S. 228.

85

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

reich überdimensional und man sollte sich traditionellerweise auf die Finalindustrie konzentrieren. Mit den Mitteln des Marshall-Planes fiel die Entscheidung in die andere Richtung. Dabei ist nochmals festzuhalten, dass es sich bei den ERP-Mitteln um Kredite handelte und nicht um Eigenkapital. Investitionsfinanzierung in der Verstaatlichten Industrie in % 1946–1953 European Recovery Program 45 % Staat 4 % Selbstfinanzierung 51 %

Mit dieser Unterstützung hat die Verstaatlichte Industrie den Wirtschaftsaufschwung des Wiederaufbaus voll mitgemacht. Denn ebenso wie die vorangegangene Kriegswirtschaft benötigte der Wiederaufbau die Produkte der Grundstoffindustrie. Die Umsatzentwicklung entsprach in etwa der Steigerung des BNP (wobei zu berücksichtigen ist, dass aufgrund der Inflation bis 1952 der Schilling von 1946 im Jahr 1955 nur mehr 20 Groschen wert war), die Beschäftigtenzahl hatte sich mehr als verdoppelt und der Exportanteil ist von 12 % im Jahr 1946 auf 33 % im Jahr 1955 angestiegen. Entwicklung der verstaatlichten Industrie 1946 bis 1955 Jahr Beschäftigte Umsatz Investitionen Milliarden Schilling 1946 56.060 1,7 - 1950 83.095 6,5 1,0 1955 123.327 12,5 1.0

Export 0,2 1,5 4,1

Trotz der anhaltenden politischen Querelen machte daher der Aufbau des verstaatlichten Sektors rasche Fortschritte, neue Kraftwerkanlagen gingen in Betrieb, die Kohlen- und Eisenproduktion stieg von Monat zu Monat. Dank neuer Maschinen und Einrichtungen, die mit der Marshall-Hilfe beschafft wurden, stieg in allen Unternehmun86

wirtschaftliche Erfolge im Wiederaufbau

gen die Produktion bis Anfang der 1950er-Jahre weit über das Vorkriegsniveau. „Die Ergebnisse sowohl der personellen wie der sachlichen Leistungen dieser Jahre sind überzeugend genug“, schrieb Karl Waldbrunner (SPÖ). „Unsere Kohlenproduktion ist von dreieinhalb Millionen Tonnen im Jahre 1948 auf fünfeinhalb Millionen Tonnen im Jahre 1952 gestiegen. Ganz neue Kohlenlager wurden erschlossen und werden mit den modernsten Maschinen und Einrichtungen abgebaut ... Der größte Einzelbetrieb unseres Landes, das Hüttenwerk der ­VÖEST in Linz, ist in wenigen Jahren aus einer Bombenruine zu einem der modernsten Werke Europas geworden und hat vor kurzem ein besonders wirtschaftliches Stahlschmelzverfahren produktionsreif gemacht, mit dem die VÖEST derzeit führend in der Welt ist. Dieser Betrieb allein deckt heute ungefähr 10 Prozent des gesamten Exports Österreichs, das ist rund eine Milliarde Schilling jährlich. In den benachbarten Stickstoffwerken hat Österreich eines der größten und leistungsfähigsten chemischen Werke, das für die Kunstdüngerversorgung des eigenen Landes unentbehrlich geworden ist und einen der besten Devisenbringer darstellt.“145 Zusätzlich wies Bundesminister Karl Waldbrunner (SPÖ) darauf hin, dass bei diesen Unternehmen die Sicherung der Existenz der Beschäftigten mitgedacht wurde. Das betraf vor allem den Wohnbau. „Wo immer man einen verstaatlichten Betrieb besucht, findet man neu erbaute oder im Bau begriffene Arbeiterwohnhäuser. Der Ausbau und die Aufrechterhaltung der verstaatlichten Betriebe geht nicht auf Kosten der Lebenshaltung der Arbeiter und Angestellten vor sich.“ Von 1946 bis 1952 sind demnach an die 8.000 Wohnungen durch die Verstaatlichte Industrie errichtet worden, die damit nach Wien die zweitgrößte Tätigkeit auf diesem Gebiet entwickelte. „Personal- und Sozialpolitik, Produktion und Investition müssen aufeinander abgestimmt werden und alles muss dem einen Ziele dienen: diese Unternehmungen gesund und lebensfähig zu machen und sie 145 Waldbrunner, Karl, Die verstaatlichten Betriebe – ein Aktivum der österreichischen Wirtschaft, in: Die Zukunft, Nr. 1–2 (1953), S. 8.

87

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

in diesem Zustande zu halten, damit sie der gesamten Volkswirtschaft aufs beste dienen und ihren eigenen Arbeitern und Angestellten eine sichere Existenz bieten. Wer diesen Bestrebungen dient, der ist ein willkommener Helfer, ganz gleich, ob er ein Parteimitgliedsbuch hat oder nicht, und gleichgültig, von welcher Partei dieses Mitgliedsbuch ist. Wer sich aber dagegenstellt, wer die Arbeit dieser Betriebe nach innen hemmt oder nach außen diskriminiert, der gehört nicht in solche verstaatlichte Betriebe. Darum wurde in der letzten Zeit gegen Direktoren und leitende Angestellte ebenso rücksichtslos vorgegangen wie gegen Arbeiter und Betriebsräte, wenn sie sich gegen diese Prinzipien vergangen hatten. Wer immer von unseren Gegnern solche Schädlinge am Gemeingut des Volkes verteidigt, beweist nur, dass ihm das Gemeinwohl nichts ist und es ihm darum geht, den Gedanken der Verstaatlichung zu treffen. Für uns Sozialisten sind aber diese Vorgänge in den verstaatlichten Betrieben eine große Lehre. Sie zeigen uns, welch großes Gut uns in die Hände gegeben ist und welche Möglichkeiten vor uns stehen. Beweisen wir, dass dieser Weg für unsere Volkswirtschaft der bessere ist, dann wird uns die Anerkennung des Volkes nicht verwehrt werden können, eine Anerkennung, die uns auch in Österreich den Weg zu einer sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung frei macht.“146 Das ‚Reich Waldbrunner‘, sagte Karl Koref (SPÖ) im Nationalrat sei „eine erstrangige wirtschaftliche Bastion Österreichs und zugleich der größte Devisenbringer geworden. (Lebhafter Beifall bei der SPÖ.) Wenn man den Produktionsindex für das Jahr 1949 mit 100 ansetzt, dann betrug er für den Monatsdurchschnitt in den ersten Halbjahren 1950 103, 1951 126, 1952 148, 1953 153 und 1954 165 ... Das sind achtunggebietende Zahlen, an denen wir nicht – auch nicht der Herr Finanzminister – ohne tiefe Befriedigung und Stolz vorbeisehen sollen ...“147

146 Waldbrunner, Karl, Was geht in den verstaatlichten Betrieben vor?, in: Die Zukunft, Nr. 10–11 (1950), S. 284–286. 147 NRP, VII/47, 29.10.1954, S. 20.

88

wirtschaftliche Erfolge im Wiederaufbau

Für Karl Waldbrunner (SPÖ) waren die Vorwürfe, „dass Verstaatlichung unweigerlich zu Bürokratismus, zu Schwerfälligkeit und mangelndem Unternehmungsgeist führen muss“ damit widerlegt worden. „Technische Meisterwerke, wie die Staumauer von Kaprun oder die modernsten Großgeneratoren dieses Kraftwerkes, großzügige Auswertung der Forschungsarbeit unserer Wissenschaftler, wie die neue kohlensparende Stahlerzeugung durch das Sauerstoffblasverfahren oder eine Reihe von Produkten der Großchemie, das Aufsuchen neuer großer Lagerstätten an Kohle und Metallen und deren Aufschließung, die völlige Reorganisation unseres Bergbaues, eine sprunghafte Entwicklung unserer Energieerzeugung, alles das sind Beweise, dass die Initiative in diesen Unternehmungen nicht gehemmt oder gar erschlagen wurde, sondern vielmehr eine neue, starke Entwicklungsmöglichkeit gefunden hat ... Nach den gewaltigen Verlusten des Krieges und der Nachkriegszeit, die zu den Versäumnissen der Vorkriegszeit hinzugekommen sind, ist es eine einmalige Leistung, in so kurzer Zeit Produktionszahlen zu erreichen, wie sie diese Betriebe in der Vergangenheit nie gekannt haben. Wenn heute in Österreich mehr Kohle, Eisen, Stahl und elektrische Energie als jemals seit 1918 erzeugt werden, so ist das bestimmt nicht nur das Ergebnis großzügiger Kredithilfe, deren Bedeutung wir keineswegs leugnen wollen, sondern es ist mindestens eben so sehr der Initiative in diesen Betrieben zuzuschreiben, die gerade durch die Verstaatlichung einen entscheidenden Impuls erfahren hat.“148 Man dürfe sich allerdings nicht darüber täuschen, dass Mitsprache und Mitbestimmung auch ein großes Können und ein starkes Verantwortungsbewusstsein der Arbeiter und Angestellten voraussetzt. Darum spielt die Schulung eine große Rolle. „Im Lehrjahr 1950/51 wurden in diesen Betrieben mehr als 2.000 Lehrlinge ausgebildet. Das Bestreben des Bundesministeriums geht dahin, die Lehrwerkstätten in der Verstaatlichten Industrie noch zu erweitern, um dem verstärkten Zustrom an Jugendlichen in den nächsten Jahren 148 Waldbrunner, Karl, Initiative und Mitspracherecht in der verstaatlichten Industrie Österreichs, in: Die Zukunft, Nr. 10 (1951), S. 269–271.

89

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

gerecht werden zu können und eine größere Begabtenauslese in den verstaatlichten Betrieben zu erreichen. Die Weiterbildung der Arbeiter und Angestellten in einer großen Zahl von Kursen aller Art geht ständig vor sich.“149 Die bürgerliche und die kommunistische Presse hätten wochenlang die verstaatlichten Betriebe diskriminiert, um von den großen Erfolgen dieser Unternehmungen abzulenken. „Die Erfolge liegen in erster Linie in der Wiedergutmachung der großen Schäden und Verluste. Modernste Maschinen und Einrichtungen sind im Entstehen, um ein wesentlich rationelleres Arbeiten zu erreichen, womit den Unternehmen der Bestand und der österreichischen Volkswirtschaft die notwendige Produktion gesichert werden soll.“ Dabei kritisierte er die Opposition, dass sie versuchte, die Unterstützung durch den Marshall-Plan zu reduzieren. „Von den Kommunisten nimmt uns das nicht wunder. Sie handeln in Österreich genau so unter Anweisung des Kominform wie in den westeuropäischen Ländern, wenn sie das Wirksamwerden der Marshall-Hilfe durch Störung der Arbeit und Beschädigung der Anlagen verhindern oder zumindest zu verzögern versuchen. Aber auch die andere Seite hat sich im letzten Jahr redlich bemüht, den verstaatlichten Unternehmungen die Mittel aus der Marshall-Hilfe streitig zu machen. Ihre Emissäre haben nicht nur in der österreichischen Presse die Gelder der Marshall-Hilfe den verstaatlichten Betrieben zugunsten der weniger wichtigen privaten Wirtschaft streitig gemacht, sondern haben oft genug versucht, bei den Zentralstellen der Marshall-Hilfe in Paris und Washington Einfluss zu nehmen, um weitere Investitionskredite für die verstaatlichten Betriebe zu verhindern. Ihr Hauptschlager war der Vorwurf, dass das privatkapitalistische Amerika die Verstaatlichung beziehungsweise Sozialisierung in Österreich finanziere. In ihrem blinden Hass haben sie ganz übersehen, dass ein Erfolg ihres hochverräterischen Beginnens der österreichischen Volkswirtschaft den schwersten Schaden 149 Waldbrunner, Karl, Initiative und Mitspracherecht in der verstaatlichten Industrie Österreichs, in: Die Zukunft, Nr. 10 (1951), S. 271.

90

wirtschaftliche Erfolge im Wiederaufbau

bereiten müsste, weil ja mit der Schwächung der Schlüsselindustrien, der Verzögerung im Ausbau unserer Wasserkräfte und Kohlengruben, die gesamte Wirtschaft, also auch die private Wirtschaft, schwersten Schaden nehmen muss.“150 Auch die Österreichische Volkspartei hätte sich zum Ziel gesetzt, die Entwicklung der Verstaatlichten Industrie zu schwächen, „selbst wenn dies zu Lasten der ganzen Volkswirtschaft und zum Schaden des österreichischen Volkes gehen sollte. Im Kampf gegen die langfristigen Investitionen, vor allem in der verstaatlichten Industrie, wollte man die Counterpartfreigaben aus der MarshallHilfe vor allem der Privatwirtschaft zuschanzen. Die amerikanischen Dienststellen wurden bestürmt, die Theorie von den kurzfristigen Investitionen in der sogenannten Konsumgüterindustrie zu der ihren zu machen. Man muss feststellen, dass die amerikanischen Stellen vernünftiger waren als diese österreichischen Kreise. So ist es auch dann gelungen, von den rund eineinhalb Milliarden Schilling der MarshallHilfe-Kredite des Jahres 1952 rund eine Milliarde Schilling für die Fortsetzung und Beendigung der Investitionen in der verstaatlichten Wirtschaft zu bekommen.“151 Durch die wirtschaftlichen Erfolge im Wiederaufbau gab es auch bei der ÖVP gemäßigtere Stimmen, die versuchten die Verstaatlichung zu entideologisieren und auf eine pragmatische Ebene zu bringen. So verstand Josef A. Tzöbl (ÖVP) den Gedanken der Verstaatlichung als ein ebenso neutrales Mittel der Wirtschaftspolitik, „wie irgend ein anderes, etwa den Zollschutz oder den Freihandel. Seine Anwendung kann daher niemals eine Grundsatzfrage sein, sondern muss stets eine zeitgemäße Frage der Zweckmäßigkeit darstellen... Es kann Voraussetzungen geben, unter denen verstaatlicht werden muss, oder unter denen die Verstaatlichung, neben anderen Wegen, als der zielführendste erscheint. Es bedarf daher in jedem einzelnen 150 Waldbrunner, Karl, Was geht in den verstaatlichten Betrieben vor?, in: Die Zukunft, Nr. 10–11 (1950), S. 284–286. 151 Waldbrunner, Karl, Die verstaatlichten Betriebe – ein Aktivum der österreichischen Wirtschaft, in: Die Zukunft, Nr. 1–2 (1953), S. 8.

91

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Fall der besonderen Prüfung, ob eine solche Notwendigkeit oder eine solche Zweckmäßigkeit vorliegt ... Wenn man nach diesen Richtlinien unsere beiden Verstaatlichungsgesetze überprüft, so wird man zu der Überzeugung kommen, dass im Zeitpunkt der Verstaatlichung in einem Großteil der Fälle eine solche Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit gegeben war.“ Wenn demnach die Verstaatlichung seinerzeit nicht fahrlässig und gedankenlos vorgenommen wurde, „so darf doch auch die Forderung erhoben werden, dass die Zweckmäßigkeit der Führung eines Betriebes als Staatseigentum überprüft wird, wenn durch den Lauf der Zeit sich die Verhältnisse geändert haben“. Ein solches Beispiel sah er in der Elektroindustrie (Siemens), wo es zu einer sinnlosen Konkurrenz zum deutschen Mutterbetrieb kommen würde. Mit den verstaatlichten Betrieben dürften keine ideologischen oder theoretischen Experimente getrieben werden, „vielmehr müssen sie so verwaltet und geleitet werden, dass sie den größtmöglichen Nutzen für unsere Volkswirtschaft stiften und der in ihnen beschäftigten Arbeiterschaft die bestmöglichen Lebensbedingungen gewähren. Um das zu erreichen, sind aber ebenso wenig glänzende Bilanzen notwendig, noch auch ist dafür die Existenz eines ruhmbekränzten Sozialbeirates entscheidend, sondern nur der tatsächliche Beitrag, den die verstaatlichte Industrie zum Gedeihen unserer Volkswirtschaft leistet ...“ Es sei vorerst nicht daran zu denken, die Reprivatisierung auszulösen. „Dass aber die mechanische Verstaatlichung des Jahres 1946 im Zuge der Zeit einer Überholung und Neugestaltung bedarf, kann nicht von der Hand gewiesen werden.“152

152 Tzöbl, Josef A., Zur Problematik unserer verstaatlichten Betriebe, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 9, Nr. 4 (1953), S. 238–240.

92

der Staatsvertrag 1955 Der Staatsvertrag 1955

Da die alliierten Siegermächte Österreich nicht als ehemaligen Teil des Deutschen Reiches, sondern als erstes Opfer der Hitler-Aggression betrachteten, wurde mit ihnen auch kein Friedensvertrag, sondern ein Staatsvertrag abgeschlossen. Dies sollte bereits 1946/47 erfolgen, der Kalte Krieg verzögerte aber das Vertragswerk um viele Jahre. Die „Besatzungszeit“ in Österreich dauerte daher zehn Jahre und endete erst 1955 mit dem Abzug der fremden Truppen. Der Staatsvertrag regelte auch die finanzielle Entschädigung für die verstaatlichten Unternehmen.153 Damit waren für die ÖVP auch finanzielle Grenzen der Verstaatlichungspolitik gesetzt. „Wir lehnen es als der Gerechtigkeit widersprechend ab, auf ehrliche Weise erworbenes Eigentum einfach zu beschlagnahmen oder es durch irgendwelche Verschleierungsmaßnahmen, wie zum Beispiel durch Ausgabe von wertlosen Staatsobligationen, auf kaltem Wege zu entziehen“, schrieb Alfred Kasamas (ÖVP). Dieser Grundsatz sollte den Verstaatlichungstendenzen in Österreich wegen des nötigen Geldbedarfs gewisse Grenzen ziehen.154 „Schon aus diesem Grunde wird Österreich jetzt noch nicht in der Lage sein, solche Verstaatlichungen in größtem Umfange durchzuführen ...“155, stellte auch Fritz Bock (ÖVP) fest. Eugen Margarétha (ÖVP) war aber der Meinung, dass sich die Entschädigungen praktisch von selbst finanzieren würden, etwa „durch Überantwortung von Aktien oder Kapitalsanteilen von im Ausland gelegenen Tochter- oder Konzernbetrieben oder Vermögensquoten, die im Zuge von Eigentumseinziehungen oder in sonstigem Wege der Bundesrepublik 153 Die Vertragsbestimmungen zur Entschädigung beim Entwurf 1947 und dem Vertrag 1955 sind ausführlich dargestellt bei: Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 799 ff. 154 Kasamas, Alfred, Wir wollen Österreich. Grundsätze und Ziele der Österreichischen Volkspartei. Hg. von der Bundesparteileitung der Österreichischen Volkspartei. Wien 1947, S. 116 f. 155 Fritz Bock, Sozialisierung, wie wir sie verstehen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 9 (1946), S. 378.

93

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

Österreich anheimfallen ... Bedenkt man nun, dass die verstaatlichten Unternehmungen zu einem erheblichen Teil dem österreichischen Staate auf Grund schon bestehender Beteiligungen gehören, dass ein weiterer namhafter Bestand gegen Wiedergutmachungsansprüche gegenüber dem Deutschen Reiche angerechnet, dass ein weiterer Teil mit Sühnemaßnahmen auf Grund des Nationalsozialistengesetzes verrechnet werden kann, bedenkt man ferner, dass bei der Auswahl der zu verstaatlichenden Unternehmungen auf die Leistungsmöglichkeit der Entschädigungen weitestgehend Rücksicht genommen wurde, so wird bei Kenntnis aller dieser Umstände auch eine gewisse Beruhigung bei den Enteigneten eintreten können.“156 Damit blieb das Problem des „Deutschen Eigentums“. Die Regelungen der deutschen Vermögenswerte in Österreich waren die schwierigsten und umstrittensten des gesamten Vertragswerks.157 Artikel 22 Abs. 13 des Staatsvertrages sah vor: „Österreich verpflichtet sich, mit Ausnahme der erzieherischen, kulturellen, caritativen und religiösen Zwecken dienenden Vermögenschaften keine der ihm als ehemalige deutsche Vermögenswerte übertragenen Vermögenschaften, Rechte und Interessen in das Eigentum deutscher juristischer Personen oder – sofern der Wert der Vermögenschaften, Rechte oder Interessen 260.000 Schilling übersteigt – in das Eigentum deutscher physischer Personen zu übertragen.“ Die deutschen Unternehmen wurden entschädigungslos verstaatlicht. Auch deutsche Vermögen – bis auf das erwähnte kleine Vermögen – wurden enteignet und über die „Österreichischen Vermögensschutzgesellschaft m. b. H.“ beim Finanzministerium in der Folge veräußert. Die heftige Kritik aus Deutschland konnte nicht verwundern. Dass die Österreicher, die sich am Nationalsozialismus und am

156 Eugen Margarétha, Die Verstaatlichung und Sozialisierung in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 11 (1946), S. 468 f. 157 Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955, Wien 1998, S. 709 und 715/6.

94

der Staatsvertrag 1955

Zweiten Weltkrieg mitbeteiligt hatten, nun von Deutschland „Reparationen“ in Anspruch nahmen, konnte nur als politischer Affront empfunden werden. Bei den Verstaatlichungsgesetzen 1946/47 bestand die Bundesrepublik Deutschland noch nicht als Staat, sondern nur als Besatzungszonen. Das Land hatte noch keine eigene Regierung und konnte sich nicht wehren. 1955 aber war die Bundesrepublik Deutschland bereits wieder zum wichtigsten Außenhandelspartner Österreichs geworden, den man nicht so einfach vor den Kopf stoßen konnte. Es kam daher nach langen und komplexen Verhandlungen 1958 zum Deutsch-Österreichischen Vermögensvertrag, bei dem der Vermögensausgleich letztlich einvernehmlich gelöst wurde.158 Die Vermögensfragen gingen daher über die verstaatlichte Wirtschaft hinaus. Mit dem Staatsvertrag und dem Abzug der Besatzungstruppen musste Österreich einmal die von der UdSSR beschlagnahmten Betriebe zurückkaufen. Dafür waren 150 Mio. Dollar und 2 Mio. Dollar für die DDSG aufzuwenden. Zusätzlich waren die Schulden der USIA in Höhe von 50 Mio. Schilling zu übernehmen und Erdöllieferungen im Ausmaß von 2,8 Mio. Schilling in den nächsten Jahren zu leisten. Die Entschädigungsansprüche aus der Verstaatlichung für anglo-amerikanische und französische Interessen betrugen zum anderen 423 Mio. Schilling. Mit dem Staatsvertrag wurden die USIA-Betriebe an die Repu­ blik Österreich übergeben, was zu einer neuerlichen intensiven ideologischen Auseinandersetzung um die Verstaatlichung führte. Denn das von der sowjetischen Besatzungsmacht okkupierte „Deutsche Eigentum“ hatte weit mehr Vermögenswerte umfasst, als im Verstaatlichungsgesetz 1946 aufgezählt. Von den 319 USIA-Betrieben schienen dort nur 18 auf. Was mit den übrigen geschehen sollte, war

158 Rudolf Jerabek, Vermögensfragen im deutsch-österreichischen Verhältnis 1955–1957, in: Arnold Suppan, Gerald Stourzh, Wolfgang Müller (Hg.): Der österreichische Staatsvertrag 1955, Wien 2005; Manuela Hoffmann, Entstehung und wirtschaftliche Konsequenzen des deutschösterreichischen Vermögensvertrags, Diss. Kassel 2007.

95

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

1956 Gegenstand eines heftig geführten Wahlkampfs, bei dem die Sozialdemokraten für eine Ausweitung der Verstaatlichung eintraten, – „Keine Verschleuderung von Volksvermögen!“ – die ÖVP aber auf eine Veräußerung der nicht explizit in den Verstaatlichungsgesetzen aufgezählten Vermögenswerte bestand – „Keine Ausdehnung der Verstaatlichung!“ Die Volkspartei, die bei dieser Wahl den größten Stimmenzuwachs ihrer bisherigen Geschichte erreichte – plus 5 % – konnte sich durchsetzen. Bis 1962 wurde eine in ihrem Umfang durchaus bemerkenswerte Reprivatisierungsaktion durchgeführt und der Bund veräußerte Vermögens- und Unternehmensanteile um 1,5 Mrd. Schilling. Dagegen trat die KPÖ vehement auf: „Kaum ist das frühere Deutsche Eigentum durch den Staatsvertrag österreichisch geworden, stürzen sich dieselben Leute, die früher nicht genug patriotische Reden halten konnten, auf dieses Vermögen, um es zu verschleudern und zu verschachern. Kein Advokatentrick und kein Manöver sind ihnen dazu zu schlecht. Und der mit der Verwaltung dieses Vermögens beauftragte Staatssekretär Bock scheint es als seine Hauptaufgabe anzusehen, einen möglichst großen Teil dieser Vermögenswerte so rasch wie möglich zum Nachteil Österreichs und zum Vorteil der Kapitalisten zu verschieben ... Dabei muss gesagt werden, dass die Manöver der österreichischen Privatkapitalisten nur einen kleinen Teil der Anschläge darstellen, die gegen die jetzt an Österreich gefallenen Betriebe geführt werden. Noch weit gefährlicher sind die Anschläge des ausländischen Kapitals gegen Schlüsselpositionen der österreichischen Wirtschaft.“ Die Neutralitätserklärung Österreichs schütze Österreich militärisch und politisch, aber keineswegs gegen die Durchdringung durch das ausländische Kapital. Man dürfe nicht vergessen, dass die Unterhöhlung der Unabhängigkeit Österreichs schon einmal mit der wirtschaftlichen Durchdringung durch das deutsche Großkapital begonnen hat. Wenn etwa ein Vertreter der Weltbank in Wien erklärte, „dass Kredite nur unter der Bedingung gegeben werden, dass keine weiteren Verstaatlichungen erfolgen, dann halten wir solche Bedingungen für unannehmbar und außerordentlich gefährlich. Heute for96

der Staatsvertrag 1955

dert man, dass es zu keinen weiteren Verstaatlichungen komme, aber in einem späteren Zeitpunkt, wenn die Positionen des ausländischen Kapitals entsprechend stark sein werden, wird man sogar fordern, dass die bisherigen Verstaatlichungen rückgängig gemacht werden. Schließlich würde das dazu führen, dass dem ausländischen Kapital eine Kontrolle über unsere Wirtschaft und unser staatliches Leben eingeräumt wird.“159 Die ÖVP habe von Anfang an das Ziel verfolgt, keine weiteren Verstaatlichungen zuzulassen und die verstaatlichten Betriebe wieder dem kapitalistischen System einzuordnen. „In den Direktionen der verstaatlichten Betriebe sitzen so wie früher die Vertreter des Monopolkapitals und halten die Leitung fest in Händen. Das Großkapital – und daher auch die ÖVP – geben sich trotzdem damit nicht zufrieden. Sie wollen die verstaatlichten Betriebe wieder in Privatbesitz zurückführen, weil sie die volle, uneingeschränkte und unkontrollierte Verfügungsgewalt über diese wichtigen Betriebe gewinnen wollen und weil sie jede Verstaatlichung großindustrieller Unternehmen als eine mögliche Gefahr für den Kapitalismus betrachten, insbesondere wenn die Arbeiterschaft für weitere Verstaatlichungsmaßnahmen eintritt.“ Die geschichtlichen Tatsachen zeigen aber, dass das sozialistische Wirtschaftssystem dem kapitalistischen weit überlegen ist. „Die Sowjetunion hat in bezug auf das Tempo der Entwicklung ihrer Wirtschaft alle kapitalistischen Länder, einschließlich Amerikas, weit hinter sich gelassen. Sie wird in naher Zukunft die Vereinigten Staaten Amerikas auch in der Menge der Produktion, berechnet auf den Kopf der Bevölkerung, überholen und damit den Völkern aller Länder die Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus durch die Tat noch anschaulicher machen.“160 Zusätzlich ging nach der Wahl des Jahres 1956 die Zuständigkeit für die Verstaatlichte Industrie auf die „Industrie- und Bergbauverwaltungsgesellschaft mbH“ (IBV) über, die stärker nach privatwirt159 Johann Koplenig, NRP, VII/81, 28.10.1955, S. 3731/2. 160 Kommunistische Partei Österreichs, Kampf für die Sicherung der Neutralität Österreichs und für ein besseres Leben. Wien 1955, S. 1 und 11.

97

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

schaftlichen Grundsätzen arbeiten sollte. Ernst Fischer (KPÖ) warf der ÖVP daher vor, dass sie über den Finanzminister bereits die drei verstaatlichten Banken kontrolliere und damit auch 67 Prozent der Textilindustrie, 57 Prozent der Bauindustrie und 38 Prozent der chemischen Industrie. „Damit nicht genug, hat sich nun die Volkspartei auch der Verstaatlichten Industrie bemächtigt. Als Aufsichtsrat für die gesamte Verstaatlichte Industrie einschließlich der Erdölwirtschaft wird ein Ministerkomitee eingesetzt, dem drei Minister der Volkspartei und drei Minister der Sozialistischen Partei angehören – aber wenn es zu keiner Einigung kommt, entscheidet autoritär der Bundeskanzler. Die gesamte verstaatlichte Wirtschaft ist also weitgehend jener Partei preisgegeben, deren Programm das Privatkapital, deren Ziel die allmähliche Entstaatlichung ist, die Verbreiterung des Eigentums, wie der Herr Bundeskanzler das zu nennen beliebt.“161 Seitdem 1956 die verstaatlichten Betriebe dem Bundeskanzler unterstellt wurden, würde immer wieder ein neuer Vorwand zur Einschränkung der Verstaatlichung und zur Veräußerung verstaatlichter Betriebe gefunden. „Das ist eine Tendenz, in der die Arbeiterschaft mit vollem Recht eine Gefährdung der Verstaatlichung überhaupt sieht.“162 Die ÖVP konnte diese Argumente nicht wirklich ernst nehmen. Alfred Maleta (ÖVP) richtete ein „offenes Wort“ an die Kommunisten. Wenn an der Verwaltung der verstaatlichten Wirtschaft Kritik geübt werde, „dann kann man nur eines empfehlen, dass diejenigen draußen bei der ÖMV, denen das nicht gefällt, nach Posen auswandern mögen; wir nehmen die gleiche Anzahl von Arbeitern herein, und diese werden sicher eine Betriebsgruppe des Arbeiter- und Angestelltenbundes bilden. (Beifall bei der ÖVP.)“163 Die ÖVP sei niemals gegen die Verstaatlichte Industrie gewesen, erklärte Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP), diese dürfe aber kein Selbstzweck sein, „sondern muss dem gesamten österreichischen Volk und seiner Wirtschaft die161 Ernst Fischer, NRP, VIII/3, 4.7.1956, S. 34. 162 Johann Koplenig, NRP, VIII/38, 30.10.1957, S. 1499. 163 Alfred Maleta, NRP, VIII/3, 4.7.1956, S. 61.

98

der Staatsvertrag 1955

nen. (Beifall bei der ÖVP.) Die verstaatlichten Betriebe sollen sich im Rahmen gleicher Wettbewerbsbedingungen in den vom Gesetz vorgeschriebenen Grenzen bemühen, mit der übrigen Wirtschaft in Konkurrenz zu treten. Erst durch die Sicherung einer gesunden wirtschaftlichen Basis der Wirtschaftsunternehmungen, insbesondere aber auch der verstaatlichten Betriebe, können die Arbeitsplätze gesichert werden. (Beifall bei den Regierungsparteien.)“164 Eine Darstellung der Verstaatlichungsprobleme in Schwarzweißmanier oder eine Einteilung nach ‚gut‘ und ‚böse‘ (‚Private Wirtschaft ist absolut gut, verstaatlichte Wirtschaft ist absolut böse‘) werden ernst zu nehmende Sozialkritiker nicht vornehmen. „Auch der das Naturrecht bejahende Christ und besonders der Katholik wird im Hinblick auf die Lehren der Päpste kaum die oberflächlichen Argumente neoliberalistischer Wirtschaftslehrer zur Verteidigung der reinen Privatwirtschaft übernehmen können. Die gegenwärtigen Wirtschaftsstrukturen in den europäischen Ländern vor dem Eisernen Vorhang rechtfertigen durch die Nutzeffekte ihrer verschiedenen Wirtschaftszweige sowohl die private als auch die verstaatlichte Wirtschaft. Es wird sich aber immer mehr erweisen, dass die Grenzen zwischen verstaatlichter Wirtschaft und privater Wirtschaft fließend geworden sind und auch geraume Zeit so bleiben müssen.“165 Was das Eigentum an Produktionsmitteln betrifft, wird von der christlich orientierten Regierungspartei dem Privateigentum der Vorrang eingeräumt. „Das bedeutet jedoch keinen Freibrief hinsichtlich des Eigentumsgebrauches und der Verteilung des Ertrages von Produktiveigentum. Der Eigentumsgebrauch hat sich vielmehr an den Interessen der Gemeinschaft zu orientieren und darf diese nicht schädigen ... Die christliche Soziallehre kennt eine Reihe von Fällen, in denen sogar Verstaatlichungen durchaus geboten erscheinen können. Dies trifft zu, wenn sie das einzige Mittel darstellen, 164 Julius Raab, NRP, VIII/2, 4.7.1956, S. 14. 165 Köck, Ignatz, Verstaatlichung – pro und kontra, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 12, Nr. 5 (1956), S. 8.

99

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

1. um einen Missbrauch abzustellen, 2. um die Vergeudung produktiver Kräfte eines Landes zu verhindern, 3. um die organisatorische Anordnung produktiver Kräfte zu sichern, falls sie auf keine andere Weise zum Nutzen der wirtschaftlichen Belange gelenkt werden können.“166 Die neue Kompetenzverlagerung im Sektor der Verstaatlichten Industrie sah die ÖVP als wesentlich an. „Denn darum ist es in dieser Wahlschlacht in aller erster Linie gegangen: um die Freiheit oder um den Zwang.“ Alfed Maleta (ÖVP) wandte sich an Ernst Koref (SPÖ), der das Wort geprägt hatte, das Königreich Waldbrunner (SPÖ) könne ruhig ein Kaiserreich werden. „Herr Abgeordneter Koref! Das Königreich wurde kein Kaiserreich, es wurde eine Republik unter der Präsidentschaft Julius Raab, und Waldbrunner wurde ein Exkönig! (Lebhafter Beifall und Heiterkeit bei der ÖVP.)“ Und er konnte mit Genugtuung feststellen, „dass die österreichische Bevölkerung durch das Wahlergebnis bekundet hat, dass die Auffassungen der Österreichischen Volkspartei über die Führung der verstaatlichten Betriebe auch von ihr geteilt werden.“ Die verstaatlichten Unternehmungen stellten für Alfred Maleta einen wichtigen Sektor der österreichischen Volkswirtschaft dar. „Aber wir wollen nicht vergessen, dass es ohne die Hilfe Amerikas und der ERP-Mittel niemals möglich gewesen wäre, diese Aufbauleistungen zu erzielen, dass daher der Erfolg der verstaatlichten Unternehmungen nicht im Prinzip der Verstaatlichung gelegen ist“. Und er trat für gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen verstaatlichter und privater Industrie ein. Die nun errichtete Verwaltungsholding sollte keine Super-Generaldirektion sein. „Wir wollen, dass die einzelnen verstaatlichten Unternehmungen bloß koordiniert werden und dass sie sonst den gleichen Wettbewerbsbedingungen unterliegen wie die privaten Industrien und dass 166 Riedl, Romuald, Der Staat erdrückt die Wirtschaft, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 17, Nr. 7–8 (1961), S. 27.

100

die Episode Volksaktie

sie auf die gleiche Weise arbeiten. Alle anderen Dinge, die sich das seinerzeitige Ministerium für Verkehr und verstaatlichte Betriebe widerrechtlich angeeignet hat, beispielsweise die Herausschälung der Verstaatlichten Industrie, dass sie gewissermaßen eine Art zweites Außenhandelsministerium gebildet hat, all das ist überflüssig und vorbei, weil dazu ja die Kompetenzen vorhanden sind, beispielsweise beim Handelsministerium.“167 Für Hans Igler, 1956 bis 1959 Vorstandsvorsitzender der nun für die Verstaatlichte Industrie zuständigen „Österreichischen Industrie- und Bergbauverwaltungs-GmbH“ waren es die selbstverständlichen Grundsätze der neuen Geschäftsführung, den einzelnen Unternehmungen und ihren Leitungen möglichst große Selbstständigkeit und Bewegungsfreiheit zu lassen. „Unter allen Umständen wird, wie bereits von den verschiedensten Seiten festgestellt wurde, die Schaffung einer zentralen Generaldirektion der verstaatlichten Unternehmungen zu vermeiden sein.“ Die einzelnen verstaatlichten Unternehmungen wiesen eine gesunde Struktur auf und hätten sich nun den Anforderungen eines grundsätzlich zwar marktwirtschaftlichen, aber sozial betonten Wirtschaftskonzeptes anzupassen.168 Die Episode Volksaktie

Über die Volksaktie wurde in der ÖVP bereits seit Anfang der 1950erJahre diskutiert, ein dominierendes Thema wurde sie jedoch bei den Nationalratswahlen 1956.169 Bereits bei der Regierungserklärung ging Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP) auf Minderheitsbeteiligungen in Form von Kleinaktien bei den verstaatlichten Unternehmen ein und kündigte eine Novellierung des Aktiengesetzes im Sinne der Volksak-

167 Alfred Maleta, NRP, VIII/3, 4.7.1956, S. 60. 168 Igler, Hans, Die neuen Grundsätze in der verstaatlichten Industrie, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 12, Nr. 7–8 (1956), S. 4–6. 169 Ehgartner, Petra, Die Volksaktie als Instrument der Privatisierung in Österreich, S. 30 ff.

101

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

tie an. Am 18. Dezember 1956 trat das Bundesgesetz betreffend den Verkauf von Aktien verstaatlichter Banken, in Kraft, die sechsprozentige stimmrechtslose Vorzugsaktien betraf. 40 % des Kapitals der Österreichischen Länderbank und der Creditanstalt-Bankverein wurden in dieser Form an österreichische Staatsbürger zum Verkauf angeboten und die Emission vielfach überzeichnet. Volksaktien waren in der Regel Vorzugsaktien in kleiner Stückelung, mit beschränkter Erwerbsmöglichkeit, einer Mindestdividende und einer Stimmrechtsbeschränkung. Sie sollten der breiten Eigentumsstreuung dienen und der Beteiligung am Produktionsvermögen ohne dominierenden Einfluss auf die Unternehmen. Ziel war die Privatisierung der verstaatlichten Wirtschaft zugunsten der österreichischen Bevölkerung. Damit sollte der Konzentration des Kapitals und dem Einfluss des Auslandes entgegengewirkt und das Wertpapiersparen gefördert werden. Am 16. Februar 1959 trat der Volksaktienunterausschuss der Koalition zusammen, um über die weitere Ausgabe von Aktien der Verstaatlichten Industrie zu beraten. Als Kompromiss kristallisierte sich die Ausgabe von Minderheitsbeteiligungen (30 % bis 40 %) der Grundstoffindustrie heraus, darunter auch die VÖST. Die Nationalratswahlen 1959 endeten jedoch mit einem Sieg der SPÖ und die Verstaatlichte Industrie fiel nun in ihre Kompetenz. Damit war der Versuch, die verstaatlichte Wirtschaft über Kapitalerhöhungen und Ausgabe von Volksaktien zu privatisieren, beendet. Für die Verwaltung und den Verkauf des Deutschen Eigentums war seit 1956 Hermann Withalm (ÖVP) als Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen zuständig. Dabei handelte es sich um Vermögen, die durch den Staatsvertrag in das Eigentum der Republik Österreich übergegangen waren. Zu ihrer Verwertung war 1957 die Österreichische Vermögensschutz-Gesellschaft mbH. gegründet worden, die dem Finanzministerium unterstellt war. Dies betraf nicht die bereits verstaatlichte Wirtschaft, sondern jene Vermögenswerte, die durch den Staatsvertrag in das Eigentum der Republik Österreich übergegangen waren. Für diese nicht bereits verstaatlichten Werte war die Ausgabe von Volksaktien aufgrund des bereits bestehenden Ge102

die Episode Volksaktie

setzes möglich. Es kam daher zu einer teilweisen Ausgabe von Volksaktien von Produktionsunternehmen. Diese waren nicht nur stimmrechtslos, sondern zum Teil auch Stammaktien mit Stimmrecht. Häufig waren sie mit Mitarbeiteraktionen verbunden, deren Erwerb begünstigt war und über mehrere Jahre eingezahlt werden konnte.170 Denn das Ziel der Privatisierung war nicht, einzelnen Personen oder Gruppen einen entscheidenden Einfluss auf die Unternehmen zu gewähren, sondern die Schwächung des Staatseinflusses mit einer breiteren Vermögensstreuung zu verbinden. Nachdem sich die „Werksgenossenschaften“ nicht durchgesetzt hatten, glaubte man nun mit der Volksaktie das Eigentums- und Finanzierungsproblem lösen zu können. Für niemanden sei es ein Geheimnis, dass die ÖVP in der Aufteilung des großen Staatsbesitzes auf möglichst viele persönliche Eigentümer einen der Grundzüge ihrer modernen Sozialpolitik erblickte, wurde festgestellt. „Genau so ist es bekannt, dass die Sozialistische Partei in der möglichst weit gehenden Verstaatlichung und der alleinigen Kontrolle dieser Betriebe durch den Staat, dem dazu noch alle Erträgnisse zufließen sollen, das allein seligmachende Rezept zu besitzen glaubt.“171 Die verstaatlichten Betriebe würden sich neues Investitionskapital auf normalem Wege durch Ausgabe von Volksaktien verschaffen müssen, stellte Alfred Maleta (ÖVP) fest, „nur so werden wir erreichen, dass die verstaatlichten Betriebe leistungsfähig bleiben und sich im gemeinsamen Wettbewerb behaupten ...“ Alfred Maleta (ÖVP) trat dafür ein, „dass die Volksaktie nicht aus den Händen des österreichischen Arbeiters in fremde Hände wandern soll. Auch wir sind der Überzeugung, dass hier nicht irgendwie etwas verschleudert werden soll, und auch wir wollen nicht, dass etwa ein Vertreter der Volksaktionäre in einem Aufsichtsrat sitzt und dort nichts zu reden hat. Aber das muss man eben gesetzlich regeln.“172 Insgesamt stellte Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP) fest, dass die Ausgabe von Volksak170 a.a.O., S. 94. 171 Franz Prinke, NRP, VIII/38, 30.10.1957. 172 Alfred Maleta, NRP, VIII/3, 4.7.1956, S. 60.

103

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

tien großem Interesse des Publikums begegnete und das Bestreben der Mitbürger zeigte, Mitbesitzer an wertschaffenden Produktionsanlagen unseres Landes zu werden.173 Besonders Hermann Withalm (ÖVP) trat leidenschaftlich für eine möglichst breite Streuung des Eigentums und gegen die Zusammenballung von Macht und Eigentum in den Händen einiger weniger oder des Staates ein. „Nichts ist so sehr geeignet, die Freiheit und die Unabhängigkeit des Menschen zu sichern als individuelles Eigentum. Unabdingbare Voraussetzung für eine Gesellschaftsordnung, in der der Mensch, das Ebenbild Gottes, wirklich frei zu leben und zu wirken die Möglichkeit hat, ist daher die Schaffung einer Eigentumsordnung, die erstens die Schaffung von Eigentum ermöglicht und das redlich geschaffene und erworbene Eigentum sodann als unantastbar garantiert. Die anzustrebende Eigentumsordnung muss vor allem eines – wenn sie von Dauer sein soll – anstreben, dass nämlich das Eigentum keinesfalls in einigen wenigen Händen konzentriert, sondern dass es breitest gestreut werde. Es darf weder eine Konzentration in den Händen des Staates, genau so wenig aber auch eine Zusammenballung bei einigen physischen oder juristischen Personen geben ... Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als eine gesunde, auf christlichen Grundsätzen beruhende Eigentumsordnung zu schaffen. Wir alle müssen dazu beitragen und mithelfen, die Voraussetzungen zu schaffen, dass aus den Besitz- und Eigentumslosen Eigentümer werden.“174 Durch die Volksaktie sollte Miteigentum an den Produktionsmitteln begründet werden. „Der Volksaktionär muss das Gefühl haben können, dass er sein ehrlich und sauer verdientes Geld möglichst wertgesichert anlegt. Darüber hinaus erwartet er mit Recht, dass das in der Volksaktie angelegte Geld jederzeit verfügbar sein muss und schließlich rechnet er mit einer entsprechenden Verzinsung seines Ka173 Julius Raab, NRP, IX/3, 17.7.1959, S. 21. 174 Withalm, Hermann, Freiheitsfundament Eigentum, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 15, Nr. 4 (1959), S. 7–9.

104

die Episode Volksaktie

pitals ... Für die Volksaktienausgabe dürfen nur beste Betriebe, deren Zukunft nach Menschenmöglichkeit gesichert ist, in Frage kommen. Bei Erfüllung dieser Voraussetzung ist zugleich die Wertsicherung und die entsprechende Dividende gegeben ... Es ist den Befürwortern des Gedankens der Volksaktie selbstverständlich nicht unbekannt, dass Aktien nicht nur steigen, sondern auch fallen können und dass sie daher zu Spekulationszwecken gebraucht und missbraucht werden können. Gerade aus diesen Gründen kommt daher in Zukunft einer richtigen Kurspflege der Volksaktien entscheidende Bedeutung zu. Durch eine vernünftige Kurspflege soll und muss ein Doppeltes erreicht werden: einmal dass der Volksaktionär selbst nicht auf den Gedanken kommt, mit seiner Aktie zu spekulieren und zum zweiten, dass vor allem die berufsmäßigen Spekulanten, die einmal als ‚Börsenhaie‘ bezeichnet wurden, von Haus aus keine Möglichkeit erhalten, ihre Pläne zu verfolgen ... Dieses Ziel kann ohne weiteres erreicht werden, wenn eine Stelle mit der Aufgabe betraut wird, den Börsenkurs der Volksaktien durch Ankäufe bzw. Abgaben möglichst stabil zu erhalten. Zweckmäßigerweise wird mit dieser Aufgabe eine renommierte Bank zu betrauen sein ... Jede Aktie wird das Stimmrecht haben und die Volksaktionäre werden Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden. Es wäre sehr zu wünschen, dass auch bei der Verstaatlichten Industrie, die ja angeblich dem ganzen Volke gehört, eben diesem Volke nur annähernd die Rechte zustünden, wie sie den Volksaktionären in ihren Betrieben in Zukunft zustehen werden ... Es wird jedoch auf Dauer nicht zu verhindern sein, dass das Volk gerade auch auf dem Sektor der Verstaatlichten Industrie durch die Volksaktie einen gerechten Anteil und ein angemessenes Mitspracherecht erhält. Erst dann kann auch bei diesen Betrieben berechtigterweise davon gesprochen werden, dass sie wirklich dem Volke gehören.“175 Ein Arbeiter und Angestellter, der über die Volksaktie Miteigentümer des Betriebes wird, habe gegenüber diesem Betrieb eine ganz andere Einstellung als 175 Withalm, Hermann, Volksaktien – kein Spekulationsobjekt, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 14, Nr. 2 (1958), S. 3–4.

105

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

wenn er bloß Lohnempfänger wäre. „Die Volksaktie ist ein hervorragend geeignetes Mittel zur Entproletarisierung des Arbeitnehmers und gerade auch aus diesem Grunde ist sie mit allen Mitteln zu fördern.“ „Die weitgespannten Erwartungen“, stellte Hermann Withalm (ÖVP) fest, „die vielfach in die Idee der Volksaktie gesetzt wurden, hätten sich nicht nur erfüllt, sondern wären bei weitem übertroffen worden. Regelmäßig überstieg die Nachfrage das Angebot um das Vier- bis Fünffache, vor allem auch deshalb, da man den Arbeitern und Angestellten Ratenzahlungen auf drei Jahre einräumte.“176 Die KPÖ konnte über das Projekt der Volksaktie nur höhnen: „Die Ausgabe von ‚Volksaktien‘ in den verstaatlichten Banken, von der ÖVP als ‚Volkskapitalismus‘ gepriesen, stellt in Wirklichkeit einen Versuch zur Reprivatisierung der Banken dar.“177 Und Ernst Fischer (KPÖ) erinnerte die Volksaktie daran, „dass irgendein reicher Mann einige arme Leute einlädt, mit ihm in die Küche eines Luxusrestaurants einzutreten, damit auch sie wissen, was gut und teuer ist. Er lässt sie dort all die Speisen riechen, und wenn sie genug gerochen haben, sagt er: Danke schön, meine Lieben, essen werden die anderen. Die Erweiterung des Eigentums ist sehr ähnlich diesem Hinauswirken einer Speise durch den Geruch: Viele riechen den Braten, wenige dürfen ihn essen. (Zwischenrufe.)“ Dabei verwies er auf die Machtlosigkeit der Kleinaktionäre – diese „sind in der Tat nichts anderes als die recht- und willenlose Gefolgschaft der Großaktionäre, der Großen, die in diesen Aktiengesellschaften sitzen.“178 Die FPÖ war mit allen Seiten unzufrieden. Auf der einen Seite hätte es die Bundesregierung durch Jahre hindurch verabsäumt, den Kapitalmarkt entsprechend zu fördern. Dadurch sei noch kein echtes Vertrauen der breiten Öffentlichkeit zur Kapitalanlage vorhanden, 176 Withalm, Hermann, Freiheitsfundament Eigentum, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 15, Nr. 4 (1959), S. 7–9. 177 Kommunistische Partei Österreichs, Leitsätze über den Weg Österreichs zum Sozialismus. Entwurf für den 17. Parteitag der KPÖ. Wien 1957, S. 14. 178 Ernst Fischer, NRP, VIII/3, 4.7.1956, S. 39.

106

die Episode Volksaktie

damit im Zusammenhang stehe die völlige Bedeutungslosigkeit des Wertpapiermarktes. „Während um uns herum die nationalen Wirtschaften der Nachbarländer in Flüssigkeit geradezu ertrinken, leiden wir unter ständigen Kreislaufstörungen.“ Auf die notwendige Streuung des Kapitals hätte sie schon vor Jahren, wenn auch unter anderem Namen, hingewiesen. Der Ausdruck Volkskapitalismus mag vielleicht nicht ganz geschickt gewählt oder nicht ganz leicht begreiflich sein, stellte man in Richtung der Kommunisten fest: „Aber eines steht fest: In einem System des Volkskapitalismus hat das Volk mehr Kapital als in einem System des Staatskapitalismus, es lebt besser.“179 Das in den marxistischen Lehren angepriesene Mittel der Vergesellschaftung der Produktionsmittel sei jedoch falsch: „Die Gegensätze von Kapital und Arbeit sind durch die Aufhebung des Privateigentums nicht zu überbrücken, denn eine Wirtschaft ohne Kapital ist nicht möglich und es muss daher immer Menschen geben, die über den Kapitaleinsatz verfügen.“ Vor allem beklagte man, dass in Österreich der wichtige und große Bereich der verstaatlichten Betriebe planwirtschaftlich und privatwirtschaftlich hin- und hergestoßen werde, je nach Wahlausgang. „Und nun hat man ein Politiksystem erfunden, welches die Versuche der IBV, Fachqualität vor Parteibuch zu setzen, ins Gegenteil umkehrt und den Proporz in einem Maße verankert, wie er noch nie da war. Und daran trifft erschreckenderweise sogar die österreichische Volkspartei die Hauptschuld.“180 Die SPÖ stand dem Gedanken der Volksaktie prinzipiell kritisch gegenüber. Am gemäßigsten war noch Bruno Pittermann (SPÖ), der im Nationalrat erklärte, „dass wir keineswegs daran denken, die Ausgabe solcher Volksaktien zu verhindern. (Demonstrativer Beifall und Heiterkeit bei der ÖVP.)“181 Man müsse aber sicherstellen, dass die Volksaktien wirklich in den Händen österreichischer Aktionäre bleiben. Die Verteidiger des Kapitalismus, schrieb Ernst Winkler (SPÖ), 179 Wilfried Gredler, NRP, VIII/3, 4.7.1956, S. 54. 180 Wilfried Gredler, NRP, IX/4, 21.7.1959, S. 41. 181 Bruno Pittermann, NRP, VIII/3, 4.7.1956, S. 49.

107

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

sehen die Aktiengesellschaft mit ihren zahlreichen Miteigentümern als eine Demokratisierung der Eigentumsverhältnisse. „Wenn die Arbeiter fleißig sparen, dann können sie schließlich die überwiegende Zahl der Aktien in ihre Hände bekommen und so zu Eigentümern der Betriebe werden. Ist das nicht ein angenehmer und einfacher Weg zur Befreiung der Arbeiterklasse?“ In Wirklichkeit sei das aber ein „leeres Geschwätz“ und „Hirngespinst“. Die Arbeiter könnten niemals so viel Geld aufbringen wie die Kapitalisten. Die Erfahrung habe gelehrt, dass in den meisten Fällen der Besitz eines Drittels aller Aktien eines Unternehmens genügt, um die Generalversammlung zu beherrschen. Je mehr Aktien „demokratisiert“ sind, desto größer ist der Einfluss der Großaktionäre in der Generalversammlung. „Die Mellons, die Du Ponts und Rockefellers regieren darum unumschränkt in den großen Aktiengesellschaften und verfügen dabei noch über die Verwendung der Millionen, die Hunderttausende kleine Aktionäre eingezahlt haben.“182 Franz Olah (SPÖ) kam bei der Propaganda für den Aktienkauf durch kleine Leute eine Episode aus der Französischen Revolution in den Sinn. „Damals haben die französischen Königskinder ihre königliche Mutter gefragt, warum das hungernde Volk unbedingt Brot haben will, es könnte doch auch Kuchen essen. So kommt es mir vor, wenn man Menschen, die kaum das Lebensnotwendigste haben, den Rat gibt: Ihr wollt, dass es euch besser geht – kauft doch Aktien, dann geht es euch so gut wie den Reichen!“183 Auch Josef Hindels (SPÖ) sah keine „Demokratisierung des Kapitals“ durch die Streuung des Aktienbesitzes. „Der Erwerb von Aktien diene lediglich dazu, das persönliche Einkommen zu verbessern. Die Geschäftspolitik der großen Aktiengesellschaften bleibe in den Händen von mächtigen Kapitalisten und Kapitalistengruppen. „Der kleine Aktionär mag – und dies ist wohl auch der tiefere Sinn dieser Methode – bewußtseinsmäßig zum 182 Winkler, Ernst, Die Konzentration des Kapitals, in: Die Zukunft, Nr. 7 (1955), S. 213–214. 183 Franz Olah, NRP, VIII/38, 30.10.1957, S. 1504.

108

die Episode Volksaktie

Besitzbürger werden; er hat auf die Wirtschaft jener Betriebe, deren Aktien er besitzt, soviel Einfluss wie der Passagier eines Ozeanriesen auf die Entscheidungen des Kapitäns und der hohen Schiffsoffiziere. Nicht er, sondern die Männer auf der Kommandobrücke bestimmen den Kurs. Der ‚Volkskapitalismus‘, der vorgibt, den Arbeiter zum Eigentümer zu machen, ist nichts weiter als eine reaktionäre Utopie.“184 Nach dem Gewerkschafter Fritz Klenner (SPÖ) wurde die Volksaktien von allen ernst zu nehmenden Wirtschaftskreisen als wirtschaftsfremd bezeichnet. „Dieser Fragenkomplex spielt im politischen Leben und in der öffentlichen Diskussion eine gewisse Rolle, wenn auch, entgegen der Auffassung der Propagandisten des Volksaktiengedankens, die Bevölkerung wenig Anteilnahme an dieser Diskussion nimmt.“ Das Lohnarbeiterverhältnis solle durch eine Partnerschaft ersetzt und damit die soziale Sicherung überflüssig werden. Die Kleinaktie ist aber keine kollektive, sondern eine individuelle Aktion. Das ‚Miteigentum‘ auf betrieblicher Basis biete keine Garantie, dass die materielle Lage des Arbeitnehmers verbessert wird. „Für den Arbeitnehmer birgt aber die Erwerbung von Aktien seines Betriebes die Gefahr, dass er für ein Linsengericht bisherige Errungenschaften verkauft. Das Miteigentum erhöht keineswegs die soziale Sicherheit, sondern bringt dem Arbeitnehmer nur ein zusätzliches Risiko. Es muss daher auf Grund dieser Überlegungen die Frage der Zweckmäßigkeit des Miteigentums auf betrieblicher Basis sowohl vom Standpunkt des Arbeitnehmers als auch des Arbeitgebers verneint werden.“ Eine Gewinnbeteiligung der Arbeiter und Angestellten könne durch Prämien, Sonderzahlungen, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen viel zweckmäßiger erreicht werden als durch Erwerbung von Miteigentum. Die Eigentumsbildung könne in der für die Arbeitnehmer viel vorteilhafteren Form der Erwerbung von Eigenheimen und sonstigen dauerhaften Gütern und Werten vor sich gehen. Dadurch bliebe der Arbeitnehmer unabhängiger 184 Josef Hindels, Gibt es einen menschlichen Kapitalismus? Zur Soziologie der spätkapitalistischen Entwicklungsphase, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1958), S. 308.

109

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

und risikofreier. Ebenso ließe sich die Mitbestimmung viel einfacher und klarer auf dem Wege des Gesetzes und der Vereinbarungen regeln. „Entkleidet aller Illusionen und Propagandamätzchen, reduziert sich der Volksaktiengedanke auf die Erfassung breiterer Bevölkerungskreise, insbesondere Arbeiter und Angestellter, zur Bildung von Aktienkapital statt Sparkapital. Dieser Weg ist nicht grundsätzlich abzulehnen, denn mit steigendem Wohlstand kann er an Bedeutung gewinnen.“ Selbst das Präsidium des Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbundes (ÖVP) habe zur Volksaktie festgestellt, dass die breit gestreute Ausgabe von Kleinaktien staatseigener Betriebe zweifellos begrüßenswert sei, aber noch keine Sozialreform im Sinne des Wiener Programms des Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbundes darstelle. Auch der Arbeiter- und Angestelltenbund habe aber die grundsätzliche Feststellung getroffen, „dass die Mehrheit des Aktienkapitals aller verstaatlichten Grundstoffindustrien im Besitz des Staates bleiben muss“. Für die sozialistische Gewerkschaft liefen die Aktionen zur Ausgabe von Volksaktien nur allzu deutlich darauf hinaus, eine Bresche in die Verstaatlichte Industrie zu schlagen und eine Reprivatisierung einzuleiten. Die Verstaatlichung müsste daher – am besten in Form eines Verfassungsgesetzes – dauernd verankert werden. Die Sicherung der Verstaatlichung müsse damit die Voraussetzung jeder Änderung der Anteilsrechte an der Verstaatlichten Industrie sein. „Sozialdemagogie ist es und wird es bleiben, solange der Volksaktiengedanke als ‚Antithese zur Verstaatlichung‘ und als Anfang einer stillen Reprivatisierung missbraucht wird.“185 Nach Eduard März (SPÖ) werde die sogenannte ‚Volksaktie‘ von gewissen Kreisen geradezu als das ‚Tischlein deck dich‘ propagiert, mit dessen Hilfe sich jeder brave Hans zu ‚entproletarisieren‘ vermöge.186 Das System der Gewinnbeteiligung kranke schon daran, dass der 185 Fritz Klenner, Die Volksaktie – Sozialreform oder Sozialdemagogie, in: Die Zukunft, Nr. 6 (1960), S. 179–184. 186 Eduard März, Wege und Irrwege der „Entproletarisierung“, in: Die Zukunft, Nr. 6–7 (1961), S. 179.

110

die Episode Volksaktie

‚Jahresreingewinn‘ von der Betriebsleitung oft recht willkürlich konstruiert werde, auf deren Zustandekommen die Belegschaft im Normalfall nicht den geringsten Einfluss ausüben könne. So könne sich Gewinnbeteiligung unter gewissen Umständen als eine getarnte Form des Lohnabbaues erweisen. Gewinnbeteiligung ohne Mitbestimmung führe zur Entstehung von privilegierten Positionen, die schwer vertretbar seien. Erst die Mitbestimmung mache die Einführung der Gewinnbeteiligung geradezu unvermeidlich, da ja das Mitspracherecht nichts anderes als die Ausübung von Unternehmerfunktionen seitens der Belegschaft bedeutet. Einige vielversprechende Ansätze nach dem Zweiten Weltkrieg – insbesondere in den Böhlerwerken in Kapfenberg – seien jedoch von einem überwuchernden Managertum erstickt worden, „das seine ethischen Grundsätze (und auch die Verstöße gegen diese) der Profitwirtschaft entlehnt hat. Die Manager der Verstaatlichten Industrie haben nie begriffen, und es ist ihnen von berufener Seite auch niemals klargemacht worden, dass sie nicht nur kommerzielle, technische und organisatorische, sondern auch erzieherische Funktionen auszuüben hätten. Auf diese Weise sind die Arbeiter Fremde in den verstaatlichten Unternehmen geblieben.“187 1963 stellte man daher in der SPÖ fest, dass sich die Volksaktien­ idee weitgehend verbraucht habe. „Man hat erkennen müssen, dass sich die Auffassung im Volke nicht durchsetzen konnte, die Streuung des Aktienbesitzes ‚unters Volk‘ würde den ‚kleinen Mann‘ zu einem echten Miteigentümer machen. Die Sozialisten haben sich aus guten Gründen und im Interesse des Volkes gegen diese Vorspiegelungen gewendet. Das österreichische Volk ist so lange echter Eigentümer der verstaatlichten Unternehmungen und hat so lange ein echtes Mitbestimmungsrecht an ihnen, solange das vom Volk frei gewählte Parlament und die von diesem abgeleitete Regierung die grundlegenden Gesetzgebungs- und Vollziehungsmaßnahmen für die Verstaatlichte Industrie treffen. Geringfügiger Aktienbesitz in der Hand einzelner, 187 Eduard März, Verstaatlichte Industrie und Gewinnbeteiligung, in: Die Zukunft, Nr. 8 (1961), S. 234.

111

2. akt: Die verstaatlichte Industrie 1945–1955

die aber zusammen immer eine kleine Minderheit des Volkes bilden werden, gibt überhaupt keinen Einfluss auf die Unternehmungen der Verstaatlichten Industrie. Die Gefahr aber ist zu groß, dass die ‚ins Volk‘ gestreuten Aktien sehr rasch in die Hände einiger weniger kapitalkräftiger, möglicherweise ausländischer Käufer gelangen könnten, die es gewiss verstehen würden, sich zu Aktionärminderheiten zu koalieren, die einen ständigen Kleinkrieg gegen die Verstaatlichung führen würden, in der Absicht, sie einmal doch ‚aufweichen‘ zu können.“188 1963 musste man auch auf der Seite der ÖVP das Scheitern des Projektes der Volksaktien feststellen. „In der Regierungserklärung Gorbach I sagte der Herr Bundeskanzler nur mehr, diese Volksaktien wären einem großen Publikumsinteresse begegnet. Die Antwort auf dieses Interesse ist, dass die Ausgabe von Volksaktien aus dem Bereich der Verstaatlichten Industrie von diesem Zeitpunkt an überhaupt eingestellt wurde und nunmehr lediglich unter ‚ferner liefen‘ oder gar nicht mehr erwähnt wird.“189 Die Volksaktie hatte die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt.190 Weder war Österreich ein Volk der Eigentümer geworden, noch konnte damit das Ausmaß der Verstaatlichung in der Wirtschaft eingeschränkt werden. Denn die Mehrheitsverhältnisse in den Aktiengesellschaften blieben unverändert. Die Stimmrechte der Volksaktionäre blieben so gut wie immer unter 25 % und hatten damit kein Mitspracherecht, das Volumen der Volksaktien war gering und selbst diese erlebten nur teilweise eine Börseneinführung. Insgesamt wurden vom 1957 bis 1965 bei 13 Unternehmen 370,43 Millionen Schilling an Verkaufserlös aus Volksaktien erzielt, darunter 258 Millionen durch jene der beiden Großbanken. Bei den 11 Produktionsunternehmen kam es in der Folge zu gezielten Rückkaufaktionen von Großaktio188 Viktor Kleiner, Die politische Bedeutung der Verstaatlichung, in: Die Zukunft, Nr. 11–12 (1963), S. 21–24. 189 Wilfried Gredler, NRP, X/9, 5.4.1963, S. 260. 190 Hildegard Hemmetsberger-Koller, Der Staat als Unternehmer, in: Unternehmer und Unternehmen, Österreichische Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, Wien 1989, S. 126.

112

die Episode Volksaktie

nären oder Konkurrenzunternehmen und einige hatten keine lange Lebensdauer und wurden geschlossen.191 Nur Hermann Withalm (ÖVP) schrieb noch 1973: „Von einem Scheitern des Volksaktiengedankens kann überhaupt keine Rede sein. Der Gedanke der breiten Eigentumsstreuung gerade in Form der Volksaktie ist keineswegs tot. Ich bin im Gegenteil fest davon überzeugt, dass er, wenn wir die Frage der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ernst nehmen, und wenn wir der Lösung dieser Frage Schritt für Schritt näher kommen wollen, eines schönen Tages wieder eine beachtliche Rolle spielen wird. Die Zeit und wir waren offensichtlich in den späten Fünfzigerjahren für die Lösung dieser Frage noch nicht reif genug.“192

191 Ehgartner, Petra, Die Volksaktie als Instrument der Privatisierung in Österreich, S. 57 ff. führt folgende Unternehmen auf: Tiroler Zugspitzbahn, Alpine Chemische, Österreichische HIAG-Werke, Chemosan Union, Rotax Werk, J. M.Voith, Tivoli Schokoladen- und Zuckerwarenfabrik, der einzige Fall, bei dem sämtliche Aktien Volksaktien waren, Kabel- und Drahtwerke, Jenbacher Werke, Treibacher Chemische Werke, ÖROP. 192 Withalm, Hermann, Aufzeichnungen, Graz 1973, S. 64 f., zitiert bei Ehgartner, Petra, Die Volksaktie als Instrument der Privatisierung in Österreich, S. 112.

113

3. Akt: Die Verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955 bis 1985

Grenzen einer sozialistischen Wirtschaftsordnung

Für die SPÖ entsprach es der gemeinsamen Einstellung der beiden großen Parteien, die arbeitenden Menschen vor der Willkür privat­ egoistischer Interessensucht zu schützen und eine künftige neuerliche Entfremdung der Grundproduktion Österreichs zu verhindern. Von verschiedenen ideologischen Ausgangsstellungen seien beide Parteien 1946 zu einem gemeinsam erstrebten Ziel gelangt.193 Nach Karl Waldbrunner (SPÖ) habe sich das ‚laissez-faire‘ des Liberalismus aus der natürlichen Abwehrstellung der Gemeinschaft praktisch überall überlebt. Kreditwesen, Industrie und Handel seien in allen Staaten ihrer ehemaligen völligen Freizügigkeit beraubt. Als eines der erfolgreichsten Instrumente der Allgemeinheit im Wirtschaftsleben eines Staates haben sich die gemeinwirtschaftlichen Unternehmungen erwiesen. „Die Gemeinwirtschaft soll besser als die private Wirtschaft die Expansion der gesamten Volkswirtschaft fördern. Sie kann dieser Aufgabe dadurch gerecht werden, dass sie Maßnahmen entwickelt, die gleichermaßen für die Gesamtwirtschaft wie für das eigene Unternehmen nützlich sind.“ Und er zählte die Erfolge der verstaatlichten Unternehmen auf, deren Produktionszahlen ihren Beitrag an der Wirtschaftsexpansion des Landes deutlich zeigten. Vor allem produzierten sie durchwegs zu niedrigeren Preisen als das Ausland, obwohl sie in der Lohn- und Sozialpolitik vorbildhaft seien.194

193 Bruno Pittermann, NRP, VIII/3, 4.7.1956, S. 44. 194 Karl Waldbrunner, Die verstaatlichte Industrie bringt einen höheren Lebensstandard, in: Die Zukunft, Nr. 10 (1955), S. 284–286.

115

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

Die Sozialisten wollten in den 1950er-Jahren weiterhin „das kapitalistische System durch eine Wirtschaftsordnung überwinden, in der das Interesse der Gemeinschaft über dem Profitinteresse steht“. Neben den kommunalen Betrieben und Genossenschaften, deren Zweckmäßigkeit von niemandem angezweifelt wurde, habe nun auch der Sektor der verstaatlichten Grund- und Schlüsselindustrien seine Probe bestanden. Diese Unternehmungen haben „durch ihre wirtschaftlichen Erfolge, ihre Preis- und Beschäftigungspolitik gezeigt, dass sie ihre Doppelfunktion, die Sicherung der Vollbeschäftigung und die Hebung des Lebensstandards der Gesamtbevölkerung, unter sozialistischer Führung erfüllen konnten und damit zum Fundament des wirtschaftlichen Wiederaufbaues unseres Landes wurden“. Diese Erfolge würden die Sozialisten berechtigen, „mit Nachdruck für eine Fortführung der Vergesellschaftung folgender Industrien einzutreten: der Schlüssel- und Monopolunternehmungen der Baustoffindus­ trie, der Autoindustrie, der Zellwolle- und Kunstseidenerzeugung, der Magnesitproduktion, der Kautschuk- und Papiererzeugung, der Lebensmittelindustrie und der privaten Versicherungsanstalten“. Private Großbetriebe, deren Gebarung gesamtwirtschaftliche Bedeutung hat, seien außerdem der Kontrolle des Rechnungshofes zu unterstellen. Während sich das Bürgertum mit der Tatsache der gemeinwirtschaftlichen Führung von kommunalen und genossenschaftlichen Betrieben abgefunden habe, sei aber hinsichtlich des Sektors der Grundstoff- und Schlüsselindustrien von einer solchen Resignation nichts zu bemerken. Der Grund hiefür liege in der Erkenntnis, dass mit der Vergesellschaftung der Schwerindustrie, der Energiewirtschaft und der Banken die eigentlichen Kommandohöhen der Wirtschaft dem unbeschränkten Einfluss des Bürgertums entzogen und bei wachsender politischer Macht der Arbeiterklasse mehr und mehr dieser überantwortet werden. „Damit ist aber der Anfang vom Ende der gesellschaftlichen Vorherrschaft des Bürgertums überhaupt gekommen, ja in Wirklichkeit die Wandlung zur sozialistischen Bedarfsdeckungswirtschaft entscheidend eingeleitet. Dieser Erkenntnis des Bürgertums von der gesellschaftswandelnden Bedeutung der Ge116

Grenzen einer sozialistischen Wirtschaftsordnung

meinwirtschaft, die sich in seinen offenen und geheimen Reprivatisierungsversuchen der bereits Verstaatlichten Industrien abzeichnet, muss von Seiten der Sozialisten die Entschlossenheit entsprechen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges errungenen Fortschritte mit allen auf demokratischem Kampfboden zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen und über die vorhandenen Ansätze hinaus in allen Zweigen der Gemeinwirtschaft neben der erfolgten Vergesellschaftung des Eigentums die Sozialisierung der Verfügungsgewalt weiter zu entwickeln.“195 Auch das Programm der SPÖ 1958 bekannte sich weiterhin zur Verstaatlichung: „Die SPÖ erstrebt eine Wirtschaft, die unter umfassender demokratischer Kontrolle persönliche Freiheit und Planung, rationelle Produktion und gerechte Verteilung des Sozialprodukts vereint sowie die wirtschaftliche Existenz aller sicherstellt. Um diese Ziele zu erreichen, muss die Wirtschaftsordnung, die heute noch vorwiegend von dem aus der Ausbeutung stammenden Profit beherrscht wird, in eine dem Gemeinwohl dienende umgewandelt werden ... Nur das Gemeinwohl wird darüber zu entscheiden haben, welche Unternehmungen zu vergesellschaften sind. Eine Vergesellschaftung wird hauptsächlich für jene großen Unternehmungen in Frage kommen, deren Machtstellung das wirtschaftliche und politische Gesamtinteresse gefährdet ... Die verstaatlichten Betriebe dürfen nicht reprivatisiert werden, sondern sind in der Regel in gemeinwirtschaftliche Unternehmungen umzuwandeln. Drei Faktoren haben an deren Führung mitzuwirken: erstens die öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften, vertreten durch Bund, Länder und Gemeinden, zweitens die Konsumenten, und zwar sowohl die Letztverbraucher wie auch die Weiterverarbeiter, schließlich drittens die in den Betrieben beschäftigten Arbeiter und Angestellten.“196 195 Paul Blau, Gemeinwirtschaft und Sozialismus (Ein Diskussionsbeitrag), in: Die Zukunft, Nr. 8–9 (1957), S. 237–239. 196 Sozialistische Partei Österreichs, Das neue Programm der SPÖ. Wien 1958, S. 14.

117

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

Doch bereits in den 1950er-Jahren musste auch die SPÖ erkennen, dass sich die verstaatlichten Unternehmen in einem prinzipiell privatwirtschaftlichen Umfeld zu bewegen hatten. Die Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsleben seien dabei begrenzt. „Das liegt, soweit es sich um die demokratische Welt handelt, keineswegs nur in den Verfassungen und den politischen Kräfteverhältnissen dieser Länder begründet. Wirtschaftliche Reglementierungen haben bei der Kompliziertheit des modernen Wirtschaftslebens natürliche Grenzen. Werden diese Grenzen überschritten, dann können direkte Eingriffe in den Wirtschaftsablauf unliebsame Nebenwirkungen hervorrufen, und die Folge davon kann sein, dass eine im Interesse eines steigenden Lebensstandards angestrebte Wirtschaftsexpansion gehemmt wird.“197 Daher gab es bereits in dieser Zeit erste Zweifel in den Reihen der Sozialdemokraten, zumindest am politischen Erfolg der Verstaatlichung. Als Mangel wurde nach wie vor die unternehmensrechtliche Konstruktion der Verstaatlichten Industrie empfunden. Die verstaatlichten Betriebe besaßen die Formen bürgerlicher Kapitalgesellschaften, die nach dem Aktienrecht geführt und verwaltet werden. „Der Eigentümer, das ist der Staat, hat lediglich die Befugnisse des Alleinoder Hauptaktionärs und muss die Gestion der Unternehmungen den im administrativen Wege gebildeten Organen, den Aufsichtsräten und Vorständen, überlassen. Diese alten kapitalistischen Formen sind nur sehr schwer mit einem neuen gesellschaftlichen Inhalt zu erfüllen ... In dieser Erkenntnis sollte eine Neuordnung der bereits verstaatlichten Industrie durch Auflösung der bestehenden Kapitalgesellschaften und ihre Überführung in öffentlich-rechtliche Körperschaften für die einzelnen Industriezweige, die ihrerseits wieder einem Planungs- und Koordinierungsrat unterstehen, erfolgen.“198

197 Karl Waldbrunner, Die verstaatlichte Industrie bringt einen höheren Lebensstandard, in: Die Zukunft, Nr. 10 (1955), S. 284–286. 198 Paul Blau, Gemeinwirtschaft und Sozialismus (Ein Diskussionsbeitrag), in: Die Zukunft, Nr. 8–9 (1957), S. 237–239.

118

Grenzen einer sozialistischen Wirtschaftsordnung

Eduard März (SPÖ) kam bereits 1960 zu der eher enttäuschten Feststellung: „Wir wissen heute, dass die Formel Verstaatlichung von Industrie und Landwirtschaft plus Planwirtschaft noch nicht Sozialismus ergibt, sondern zur bürokratischen Entartung der Revolution führen kann.“ Die sozialistische Gleichung umfasse neben Verstaatlichung und Planung auch einige andere wichtige Größen: „die demokratische Selbstverwaltung der arbeitenden Massen in den Betrieben und in den Gebietskörperschaften; die Vielfalt der sozialistischen E ­ igentumsformen; die weitgehende Dezentralisierung der Wirtschaftsplanung; die Beibehaltung der Formen des Wettbewerbes im Sektor der Konsumgütererzeugung; und nicht zuletzt die Vermeidung aller krebsartigen bürokratischen Auswüchse.“199 Spätestens in den 1970er-Jahren stellte man sich auch bei der SPÖ die Frage, ob die Verstaatlichte Industrie wirklich zum „Volkseigentum“ geworden war, hatte sie im Bewusstsein der Miteigentümer, der österreichischen Staatsbürger, diesen Stellenwert? „Als Eigentümer fühlt sich nur, wer über sein Eigentum bestimmen kann. Die Mehrheit der Österreicher hatte schon früher kaum das Gefühl, Miteigentümer der Verstaatlichten Industrie zu sein. Die Disposition hatten ‚die Parteien‘ als Synonym für ‚den Staat‘. Sogar die entscheidende Mehrheit jener, die selbst Parteimitglieder waren, hatte deshalb noch lange kein ‚Eigentumsgefühl‘, denn auch über die Parteien waren sie von jeglicher Mitbestimmung ausgeschlossen ... So hat die Verstaatlichte Industrie viel zum wirtschaftlichen Aufbau der Republik beigetragen, hat eine relativ unabhängige Politik in diesem Land überhaupt erst ermöglicht, aber in der Frage der eigentumsmäßigen Identifikation des Bürgers mit ‚seiner Industrie‘ ist man nicht einmal zu Ansätzen gekommen.“200 Bei der Diskussion um das Parteiprogramm 1976 ging Egon Matzner (SPÖ) sogar so weit, auch bei einer sozialistischen 199 Eduard März, Ökonomische Basis und geistiger Überbau, in: Die Zukunft, Nr. 3 (1960), S. 87–91. 200 Lanc, Erwin, Demokratisierung und Vermögensbildung, in: Die Zukunft, Nr. 6 (1972), S. 13.

119

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

Wirtschaftspolitik nicht auf die Eigentumsverhältnisse, sondern auf die Verfügungsgewalt in den Unternehmen zu blicken. Die betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung spielten die entscheidende Rolle. Erwartungsgemäß wurde dem vehement widersprochen. Eine Mitbestimmung sei abzulehnen, wenn sie nur die bestehenden Eigentumsverhältnisse zementiere und den Arbeitern die Mitverantwortung für die Profitmaximierung aufbürde. „Mitbestimmung ist als Instrument der Gesellschaftsveränderung, der Vorbereitung auf die Selbstverwaltung, zu definieren. In der Periode des Übergangs ist es die Aufgabe der Mitbestimmungsorgane, die Verfügungsgewalt der Kapitaleigentümer und Spitzenmanager einzuschränken, sie einer ständigen Kontrolle zu unterwerfen. Eine Mitbestimmung, die sich darin erschöpft, dass Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre mehr Aufsichtsratsposten bekommen, vermag diese Aufgabe nicht zu erfüllen. Sie führt eher dazu, dass etliche ‚Betriebskaiser‘ Unternehmerallüren annehmen, in Unternehmerkategorien zu denken beginnen ... Wer kennt nicht den Typus des aufgestiegenen Genossen, dessen Bewusstsein sich der kapitalistischen Realität angepasst hat und dem sogar die Anrede ‚Genosse‘ peinlich ist? Er ist auch in verstaatlichten Unternehmungen anzutreffen. Die Änderung der Eigentumstitel ist von größter Bedeutung. Aber sie genügt nicht: Es ist notwendig, die Beziehungen zwischen den Menschen im Produktionsprozess grundlegend zu ändern.“201 Bei der SPÖ reifte daher die Ansicht, dass in der Verstaatlichten Industrie die Eigentümereigenschaften doch keine so wesentliche Rolle mehr spielen würden. „In allen Bereichen ihrer wirtschaftlichen Gestion sind sie schon seit vielen Jahren an die Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft gebunden, stehen als Folge ihrer starken Export­ orientierung voll im internationalen Konkurrenzkampf und müssen in Zukunft noch verstärkt ihre Ziele nach den Prinzipien der Rentabilität und Rationalität ausrichten. In der Vergangenheit waren ihre 201 Hindels, Josef, Sozialpartnerschaft oder Sozialismus, in: Die Zukunft, Nr. 20 (1976), S. 24–26.

120

Grenzen einer sozialistischen Wirtschaftsordnung

gemeinwirtschaftlichen und häufig ‚betriebsfremden‘ Leistungen für den Ausbau der österreichischen Gesamtwirtschaft wenn auch nicht bedankt, so doch aber gar nicht hoch genug einzuschätzen. In Zukunft wird sich ihre gesamtwirtschaftliche Verantwortung, auf die der Eigentümer schon ex lege große Sorgfalt richten wird, auf die unerlässliche und große Mithilfe an der Initialzündung zu einer neuen Industrialisierungswelle, auf die Mitwirkung bei der Lösung regionaler Wirtschaftsentwicklungen, und auf die Realisierung strukturpolitischer Vorhaben konzentrieren.“202 Das Parteiprogramm der SPÖ 1978 hatte mit der Feststellung: „Eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse allein schafft jedoch noch keine Veränderung im Sinne des demokratischen Sozialismus“, bereits einen dogmatischen Wandel vollzogen. „Die Sozialisten wollen die Entscheidungs- und Eigentumsverhältnisse so gestalten, dass einerseits die größtmögliche Entfaltung und Mitverantwortung des einzelnen, anderseits die Verwirklichung gesellschaftlicher Ziele möglich wird. Welchen Beitrag ein großer gemeinwirtschaftlicher Sektor, vor allem die Verstaatlichung der Grundindustrie und Großbanken, zur Erhaltung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit und zur Sicherung der Vollbeschäftigung leisten kann, hat sich gerade in Österreich gezeigt.“203 Mit dem Ende des Wiederaufbaus sah sich die österreichische Wirtschaft einer allgemein stärker werdenden internationalen Konkurrenz gegenüber. Die Konkurrenzverhältnisse in der Grundstoffproduktion wurden zunehmend schwieriger, es folgten einander die Kohlenkrise, erhebliche Schwierigkeiten im Buntmetallbereich und die Stahlflaute. Ungefähr um diese Zeit verschlechterte sich die Marktlage bei schweren Investitionsgütern (Maschinen- und Fahrzeugbau, Starkstromindustrie) und in verschiedenen Zweigen konnte 202 Veselsky, Ernst Eugen, Vor großen Aufgaben, in: Die Zukunft, Nr. 4 (1973), S. 4–5. 203 Sozialistische Partei Österreichs, Das neue Parteiprogramm der SPÖ. Wien 1978, S. 6.

121

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

die Last des technischen Fortschritts nur mehr von den großen internationalen Konzernen getragen werden.204 Daher war eine Reorganisation der verstaatlichten Betriebe notwendig, deren Erfolg davon abhing, „ob man dabei wirtschaftliche Dogmen durchsetzen oder die Existenz der verstaatlichten Unternehmungen und der in ihnen Beschäftigten sichern will“.205 Bei dieser Reorganisation kamen alle Bereiche zur Sprache, welche ein Spezifikum bzw. die Rechtfertigung der Verstaatlichten Industrie waren. Denn wie Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) 1971 feststellte, lag es im Interesse des Eigentümers Staat, „dass sich ihre Unternehmungen an gesamtwirtschaftlichen Zielen orientieren, wobei sie sich von jenen Grundsätzen leiten lassen müssen, die für den Erfolg wirtschaftlicher Unternehmungen überhaupt maßgebend sind.“206

Umwegrentabilität

Von den 1960er- bis Anfang der 1970er-Jahre hatte sich die Verstaatlichte Industrie im Gefüge der österreichischen Wirtschaft etabliert, dennoch stieg der politische und wirtschaftliche Druck auf diese Unternehmen. Die Verstaatlichte war weiterhin vor allem ein Thema der SPÖ, die sich zunehmend in der Defensive befand. Dabei hob man einmal mehr die Leistungen während des Wiederaufbaus hervor: „Wir Sozialisten sind den verstaatlichten Betrieben mit ganzem Herzen verbunden. Sie sind für uns tabu. Wir bitten Sie, von der Notwendigkeit eines in unser gesamtes Wirtschaftsgefüge eingeordneten Sektors überzeugt zu sein. (Beifall bei der SPÖ.) Unsere Wirtschaft würde heute ganz anders und nicht so günstig dastehen, hätten wir

204 Grünwald, Oskar, Der Kampf um die verstaatlichte Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 18 (1969), S. 13–16. 205 Brauneis, Walter, An ihren Taten sollt ihr sie erkennen, in: Die Zukunft, Nr. 8 (1964), S. 13. 206 Kreisky, Bruno, NRP, XIII/2, 5.11.1971, S. 31.

122

Umwegrentabilität

nicht das sichere Fundament der Verstaatlichten Industrie. (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ.)“207 Die ÖVP unterstrich, dass sie sich zwar nicht prinzipiell gegen die Verstaatlichte Industrie stelle, dass diese aber in der Zeit der Hochkonjunktur nur äußerst geringe Erträge erzielt habe. 1962 waren das nur etwa 3 Prozent, während die Privatwirtschaft auf 7 bis 10 Prozent verweisen konnte. Daher war auch die Steuerleistung der Verstaatlichten relativ gering.208 Für die SPÖ lag die Ursache für eine geringere Rentabilität der Verstaatlichten Industrie in der politischen Einschränkung der unternehmerischen Tätigkeit. 1966 bezifferte Hans Czettel (SPÖ) das Grundkapital der Verstaatlichten Industrie mit nominell 10 bis 11 Milliarden Schilling, wobei der innere Wert der Betriebe noch weitaus größer sein sollte. Diese leistete 1967 an den Staat eine Dividende von 2 Millionen Schilling. „Ich weiß schon, das ist nicht viel, aber es entspricht immerhin einer Kapitaldividende von 2 Prozent.“ Die Betriebe brächten daher immerhin etwas. „Sie bringen nicht nur materiell etwas, sie haben doch für die gesamte Wirtschaft eine Bedeutung, die man nicht in Diagrammen, in Zahlen allein festlegen kann.“209 Die Bedeutung der Verstaatlichten Industrie für die österreichische Wirtschaft wurde daher durch eine Art „Umwegrentabilität“ gerechtfertigt. So stellte auch Anton Benya (SPÖ) die besondere Stellung der Verstaatlichten Industrie für die österreichische Wirtschaft in den Vordergrund und wies auf die Steuerleistungen, Dividendenausschüttungen und Subaufträge an Privatwirtschaft hin. Es sei bewiesen, „dass die verstaatlichten Unternehmungen trotz der Schwierigkeiten, die ihnen von Gegnern der Verstaatlichten Indus­ trie gemacht wurden, auf schöne und für unser Land nutzbringende und dem Wohle aller dienende Erfolge verweisen können ... Ich sage das deshalb, weil ich das Gefühl habe, dass derzeit viel zu wenig und viel zu wenig deutlich der österreichischen Bevölkerung vor Augen 207 NRP, X/9, 5.4.1963, S. 277. 208 Otto Mitterer, NRP, X/10, 8.4.1963, S. 349. 209 Czettel, Hans, NRP, XI/6, 13.5.1966, S. 219.

123

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

geführt wird, was die Arbeitnehmer in diesen Betrieben für den österreichischen Staat und damit für das Volk, für seine Gesamtheit, geleistet haben.“210 Und Ernst Eugen Veselsky (SPÖ) rechnete vor, dass die Zuwendungen des Staates für die Umwandlung und Streichung von Bundesdarlehen sowie für Kapitaleinzahlungen und Erhöhungen bis 1969 an die Verstaatlichte Industrie 1,8 Milliarden Schilling betragen hatten. Im gleichen Zeitraum bezifferten sich jedoch die Nettodividenden der verstaatlichten Unternehmungen auf 2,6 Milliarden Schilling und die Steuerleistungen allein im Jahre 1969 auf 4,9 Milliarden Schilling. „Insgesamt kann also festgehalten werden, dass die Verstaatlichte Industrie selbst unter Vernachlässigung des nicht unerheblich vermehrten Substanzwertes dem Eigentümer per Saldo namhafte Erträge ermöglichte.“211 Nach Eduard März (SPÖ) war die geringere Rentabilität in der doppelten Rolle als Unternehmen mit privatwirtschaftlichen und gemeinwirtschaftlichen Funktionen zu erklären. „Man kann hier meines Erachtens nicht von einem Defekt im Führungsstil sprechen, sondern von einem Widerspruch, der dem System der Gemeinwirtschaft immanent ist. Diese muss auf der einen Seite dem Rentabilitätskriterium Genüge tun, um auf die Dauer auf dem Markt bestehen zu können; aber sie muss auf der anderen Seite gewissen Ansprüchen der Gemeinschaft gerecht werden, falls sie nicht Gefahr laufen will, den Intentionen ihrer Schöpfer untreu zu werden. Mit anderen Worten, sie muss in weit höherem Maße als die Privatwirtschaft eine innovatorische Funktion in den Bereichen der Sozialpolitik, der betrieblichen Mitbestimmung, des Umweltschutzes und der Forschung übernehmen.“ Diese Schrittmacherrolle der Gemeinwirtschaft schlägt sich natürlich in einer unterdurchschnittlichen Rentabilität der meisten verstaatlichten Unternehmen zu Buche. „Es wäre wahrscheinlich mit Hilfe einer Kosten-Nutzen-Analyse leicht nachweisbar, dass die210 Benya, Anton, NRP, XI/4, 22.4.1966, S. 64. 211 Veselsky, Ernst Eugen, Die Zukunft der Verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 18 (1971), S. 20–23.

124

Umwegrentabilität

ser scheinbare Mangel an Ertragskraft durch die günstigen externen Effekte mehr als kompensiert wird.“ Aber die Bedeutung des verstaatlichten Sektors gehe weit darüber hinaus. Er sei das wichtigste Experimentierfeld für soziale, wirtschaftsdemokratische und umweltpolitische Neuerungen. „Er kann, falls ihm der Staat den nötigen finanziellen Beistand gewährt, den Privatsektor unter einen geradezu unwiderstehlichen Zwang zum ‚Nachvollzug‘ stellen. In einem gewissen Sinne vermag er die Funktion einer ‚sozialistischen Keimzelle‘ auszuüben, wiewohl es falsch wäre, diesen als getreues Spiegelbild des utopistischen Modells aufzufassen.“212 Auch Ernst Eugen Veselsky (SPÖ) stimmte in diesen Chor mit ein: „Mit der Verstaatlichung weiter Bereiche der österreichischen Indus­ trie war zugleich der Grundstein zum erfolgreichen Wiederaufbau der österreichischen Industrie und Wirtschaft, ebenso wie zur weiteren Industrialisierung und damit zu raschem Wirtschaftswachstum gelegt worden. Rückblickend stimmen die wichtigsten Kommentatoren darin überein, dass die Verstaatlichte Industrie wesentlich dazu beitrug, den nachkriegsbedingten Warenmangel rasch und für die nachgeordnete Erzeugung zu günstigen Preisen überwinden zu helfen. Dazu mussten zunächst die zerstörten Betriebsstätten durch den selbstlosen Einsatz ihrer mehr als 100.000 Arbeiter und Angestellten aufgebaut werden ... Die Verstaatlichte Industrie Österreichs zeichnete auch dafür mitverantwortlich, dass Österreich in den fünfziger Jahren in eine Periode wachsender Prosperität eintreten konnte. Ihr Ausbau bedeutete den Startschuss zur Industrialisierungswelle der fünfziger Jahre, ebenso wie zu jener weltwirtschaftlichen Öffnung, ohne welche die Wachstumserfolge dieser Periode undenkbar gewesen wären. Bedeutende Entwicklungserfolge der Verstaatlichten Industrie, insbesondere auf dem Gebiete der Stahlerzeugung, säumen als Marksteine den Weg Österreichs zu dieser ersten Industrialisierungswelle der fünfziger Jahre. Wer erinnert sich nicht gern in diesem Zusam212 März, Eduard, Gemeinwirtschaft und soziale Änderungen, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1973), S. 21–26.

125

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

menhang des LD-Verfahrens, das von Linz und Donawitz den Siegeszug in die stahlerzeugende Welt antrat? In bisher unbekanntem Maße gelang es gerade führenden Unternehmen der Verstaatlichten Industrie auf den Weltmärkten Fuß zu fassen. In ihrem Windschatten vermochten viele Privatunternehmen den Begriff des ‚Made in Austria‘ in alle Welt zu tragen.“ Wie andere auch belegte Eugen Veselsky die Leistungen der Verstaatlichten Industrie mit Zahlen: „Im Jahre 1970 beschäftigte sie 103.000 Arbeiter und Angestellte oder 16 Prozent der Industriebeschäftigten, beziehungsweise 4 Prozent aller unselbständig Erwerbstätigen. Sie produzierte in diesem Zeitraum Waren im Wert von 42,4 Milliarden Schilling oder 21 Prozent der industriellen Erzeugung. Davon gingen 14,6 Milliarden Schilling oder 34,4 Prozent in den Export. Damit erreichte dieser Sektor der Industrie einen Anteil an den gesamten österreichischen Exporten von beinahe 20 Prozent. Der Beitrag der Verstaatlichten Industrie zur Schaffung von Einkommen und Kaufkraft wird durch die Höhe der Lohn- und Gehaltssumme von 7,8 Milliarden Schilling unterstrichen. Dazu kommt die indirekte Förderung von Beschäftigung und Einkommen durch die Vergabe von Aufträgen an Zulieferer, die Beschaffung von Roh- und Halbfertigwaren und Betriebsmitteln sowie von Investitionsgütern. Auch die Ertragslage der Verstaatlichten Industrie war im Jahre 1970 eine überaus günstige. Die Unternehmen dieses Sektors erwirtschafteten in diesem Zeitraum einen Betrag von etwa 4 Milliarden Schilling. Daraus errechnet sich ein cash-flow von mehr als 9 Prozent.“213 Aufgrund dieser Erfolge bezeichnete es Eduard März (SPÖ) als eine der bedeutendsten Errungenschaften der ‚Verstaatlichten‘, dass die unternehmerischen Initiativen es selbst den verstocktesten neoliberalen Doktrinären offenbart haben sollten, „dass man die Stute Wirtschaft auch ohne die Peitsche der Plusmacherei im Trab zu halten vermag; die teilweise Durchsetzung eines Rentabilitätsprinzips, das sich nicht bloß an den Erfordernissen des einzelnen Betriebes, sondern an denen 213 Veselsky, Ernst Eugen, Die Zukunft der Verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 18 (1971), S. 20–23.

126

Wirtschaftspatriotismus

der Gesamtwirtschaft orientiert“;214 Dementsprechend legte sich die Sozialistische Partei Österreichs in ihrem Programm für Österreich 1966 auf eine verfassungsgesetzliche Sicherung des Eigentums der Republik Österreich an den verstaatlichten Unternehmungen fest.

Wirtschaftspatriotismus

Auch in der SPÖ spürte man allerdings, dass der Begriff „Staat“ nicht unbedingt positiv besetzt war und sprach daher zunehmend von „national“. Die „Nationalindustrie“ wurde damit, wie die „Nationalmannschaft“ oder „Nationalhymne“ in ein patriotisches Eck gestellt. So schrieb Walter Brauneis (SPÖ) 1964: „Wir vergessen heute nur allzu leicht, dass eine der wesentlichen Voraussetzungen des Wiedererstehens der österreichischen Wirtschaft der Ausbau der Nationalindustrie war, denn erst durch sie wurden die Möglichkeiten für den planmäßigen Aufbau der gesamten österreichischen Volkswirtschaft geschaffen. Es darf gesagt werden, dass die Unternehmungen seit ihrer Überführung in das Eigentum der Republik einen Aufschwung genommen haben, der die seinerzeit in die Nationalisierung gesetzten Erwartungen weit übertroffen hat ... Dem einsichtigen und objektiven Betrachter muss klar und deutlich vor Augen treten, welch bedeutsame Stelle der Nationalindustrie im österreichischen Wirtschaftsgefüge zukommt. Die Frage, ob ein weiterer Ausbau oder der Abbau der Nationalindustrie wünschenswert ist, muss mit der Frage verbunden werden, ob sich die Nationalindustrie bewährt hat, ob sie die Erwartungen erfüllt hat, die mit ihrer Gründung verbunden wurden ... Ohne jede Schönfärberei und ohne jeden Zweckoptimismus kann festgestellt werden, dass die österreichische Nationalindustrie gewaltige Erfolge erzielt hat – ja dass sie zur Basis unserer Volkswirtschaft geworden ist. Die Entwicklung unserer Wirtschaft wurde 214 März, Eduard, Die Zukunft der österreichischen Nationalindustrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1964), S. 18–20.

127

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

nur durch die gewaltige Leistung der Betriebe der Nationalindustrie ermöglicht.“215 Zugunsten der „Nationalindustrie“ wurde auch wirtschaftspatriotisch argumentiert. Dies war besonders ein Anliegen des Leiters der wissenschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer Wien, Eduard März (SPÖ). Nach ihm sei die Verstaatlichung eine erfolgreiche Verteidigung der Schlüsselindustrien gegen das ungestüme Liebeswerben der ausländischen Konzerne gewesen. „Dass unsere wichtigsten Unternehmungen bis zu dieser Stunde österreichisch geblieben sind, charakterisiert die Lebensgeschichte der Zweiten Republik besser als jede Festtagsdeklamation über Freiheit und Unabhängigkeit.“216 Denn es bestehe ein „wohltuender Gegensatz zwischen der Eigentumsstruktur der österreichischen Industrie vor dem Zweiten Weltkrieg und der Eigentumsstruktur nach dem Zweiten Weltkrieg, was natürlich in erster Linie mit den beiden Verstaatlichungsgesetzen zusammenhängt“. Allerdings werden bereits auch in Österreich mehr als 20 Prozent des gesamten industriellen Kapitals vom Ausland kontrolliert. In einigen österreichischen Schlüsselindustrien (Chemie, Elektroindus­ trie, Papierindustrie, Versicherung usw.) sei die Lage noch wesentlich ungünstiger und im raschen Vormarsch begriffen. Und er bedauerte die kapitalmäßige Beteiligung der Deutschen an den österreichischen Siemens-Werken, die einer Privatisierung gleichkam. „An der Spitze unserer verstaatlichten Unternehmungen sollten Persönlichkeiten stehen, die – unbeschadet ihrer weltanschaulichen Orientierung – den simplen Zusammenhang zwischen politischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit begriffen haben ...“217 Wenn auch die Verstaatlichte Industrie wenig dazu beigetragen habe, neue Produktionsverhältnisse in Österreich zu schaffen, stellte Eduard März (SPÖ) 1973 fest, so 215 Brauneis, Walter, An ihren Taten sollt ihr sie erkennen, in: Die Zukunft, Nr. 8 (1964), S. 13. 216 März, Eduard, Die Zukunft der österreichischen Nationalindustrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1964), S. 18. 217 März, Eduard, Die Zukunft der österreichischen Nationalindustrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1964), S. 18–20.

128

Wirtschaftspatriotismus

konnte sie doch das historische Verdienst für sich in Anspruch nehmen, einige Schlüsselindustrien vor dem Zugriff der ausländischen Konzerne geschützt zu haben. Die Existenz eines großen gemeinwirtschaftlichen Sektors sei daher die ‚differentia specifica‘, welche die Geschichte der Zweiten Republik von der Ersten Republik unterscheidet. Denn die wirtschaftliche Unabhängigkeit eines Kleinstaates wie Österreich hänge weitgehend von dem Vorhandensein einer Sphäre ab, die einigermaßen gegen die Annexionspolitik der multinationalen Konzerne abgeschirmt ist.218 Unter Hinweis auf eine Studie der Wiener Arbeiterkammer219 wollte er die inländische Kontrolle der Schlüsselindustrien, unter welchen bisher hauptsächlich Kohle, Eisen, Stahl und Grundchemie verstanden wurden, auch auf die neuen Indus­ triezweige Atomenergie, Mineralölindustrie, bestimmte Zweige der Elektronik, der Kunststoffe und Pharmazeutika ausgedehnt wissen.220 Auch für Bruno Pittermann (SPÖ) standen die Arbeitnehmer der Verstaatlichten Industrie nicht unter dem Druck ausländischer Großkonzerne auf ihre österreichischen Töchter.221 Beim Assoziationsabkommen Österreichs mit der EWG 1972 wurden daher die verstaatlichten Unternehmen als ein potenzielles Korrektiv gegenüber dem überhandnehmenden Einfluss von dritter Seite auf die österreichische Wirtschaft gesehen. „Es hätte wenig Sinn – neben dem bestechenden Gedanken einer europäischen Wirtschaftsgemeinsamkeit – zu vergessen, dass gerade ein relativ kleiner Staat wie Österreich eine ihm allein vorbehaltene Wirtschaftssphäre braucht, um seine Selbst-

218 März, Eduard, Gemeinwirtschaft und soziale Änderungen, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1973), S. 6. 219 Grünwald, Oskar/Ferdinand Lacina, Auslandskapital in der österreichischen Wirtschaft: Studie der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Wien 1962. 220 März, Eduard, Nochmals: Zur Frage von Eigentums- und Verfügungsverhältnissen, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1978), S. 29–30. 221 Pittermann, Bruno, Der Austro-Sozialismus, in: Die Zukunft, Nr. 5 (1972), S. 1–4.

129

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

behauptung bewahren zu können.“222 Ernst Eugen Veselsky (SPÖ) stimmte dem zu: „In einer Zeit, in der die ausländischen Direktinvestitionen sprunghaft zunehmen und auch immer mehr österreichische Unternehmen unter ausländischen Einfluss geraten, kommt der Verstaatlichten Industrie als Bollwerk gegen übermäßige Überfremdung große und wachsende Bedeutung zu. Eine solche Feststellung darf keineswegs als Votum gegen ausländische Investoren angesehen werden. Wie schon im Wirtschaftsprogramm der Regierungspartei festgestellt wurde, ist Österreich in hohem Maße an solchen ausländischen Investitionen interessiert, insoweit dadurch zusätzliche Dauerarbeitsplätze geschaffen werden können. Trotzdem ist es insbesondere für einen Kleinstaat wie Österreich von Wichtigkeit, in wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Hinsicht in genügendem Maße Herr im eigenen Haus zu bleiben. Die Existenz der Verstaatlichten Indus­ trie bietet eine Garantie dafür.“223

Produktpolitik

In den ersten Jahrzehnten des Bestandes stand einer selbstständigen Produktpolitik der verstaatlichten Unternehmen das vom bürgerlichen Lager verhängte Tabu des Eindringens der verstaatlichten Grundstoffindustrien in den Bereich der Fertigwarenerzeugung entgegen „Die ÖVP hatte immer dagegen gekämpft“, sagte Alfred Maleta (ÖVP), „dass sich die Verstaatlichte Industrie entgegen den Grundsätzen, die im 1. Verstaatlichungsgesetz niedergelegt wurden, weiter ausgeweitet hatte. Wir sind dafür eingetreten, eine Rückentwicklung durchzuführen aus jenen Bereichen, die nicht mit der Urproduktion in Verbindung stehen. Die Ausweitung der Verstaat222 Veselsky, Ernst Eugen, Vor großen Aufgaben, in: Die Zukunft, Nr. 4 (1973), S. 4. 223 Veselsky, Ernst Eugen, Die Zukunft der Verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 18 (1971), S. 22.

130

Produktpolitik

lichung stelle eine sehr ernste Gefahr dar. „Praktisch gibt es aber keine gesetzlichen Hindernisse für diese Ausweitung, so dass nur der Stimmzettel des Wählers und die mit dem Vertrauen des Volkes betraute Partei entscheiden wird müssen, ob es richtig ist, dass in Österreich Glühlampen, Geschirr, Brücken, Radioapparate und viele, viele andere Gegenstände außerhalb des freien Wettbewerbes im Schatten und im Schutze des staatlichen Protektionismus erzeugt werden oder nicht.“ Eine Ausweitung der Verstaatlichung auf wirtschaftliche Tätigkeiten, die gegen das Subsidiaritätsprinzip verstießen, müsse daher verhindert werden.224 1961 stellte Handelsminister Fritz Bock (ÖVP) klar: „Die verstaatlichte Wirtschaft muß auf die Grundstoffindustrie beschränkt bleiben. Die Ausweitungsversuche in die Finalindustrie sind zu unterbinden“, und die Industriellenvereinigung stellte fest, solange sich die Verstaatlichte Industrie nicht vollständig in die Marktwirtschaft einordne, müsse sie sich auch eine Einschränkung ihrer Produktionsprogramme gefallen lassen.225 „Alle Final- bzw. Konsumgüterbetriebe und Handelsgesellschaften als Letztverteilerstellen sind zu entstaatlichen.“226 Aus der Sicht der ÖVP war es notwendig, die Fertigwarenindustrie aus der Verstaatlichung auszuscheiden. ­„Niemand wird einen vernünftigen Grund anführen können, warum z. B. elektrische Bügeleisen von Staats wegen erzeugt werden müssen und warum sie nicht das Produkt der weitaus beweglicheren privaten Initiative sein können.“227 Für Eduard März (SPÖ) war die Produktionsausweitung ein Tabu, „dem sich die Sozialisten nur allzu leicht (man ist fast versucht zu sagen leichtfertig) unterworfen haben“. Den Grundstoffbetrieben, „denen einige fette Jahre beschieden waren, war es verwehrt, in das 224 Alfred Maleta, NRP, VIII/3, 4.7.1956, S. 60. 225 Zitiert bei: Ines Kastil, Von der Verstaatlichung zur Privatisierung, Diss., Wien 2006, S. 131. 226 Köck, Ignaz, Verstaatlichung – pro und kontra, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 12, Nr. 5 (1956), S. 8–9. 227 Tzöbl, Josef A., Zur Problematik unserer verstaatlichten Betriebe, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 9, Nr. 4 (1953), S. 238–240.

131

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

gelobte Land der Fertigwarenerzeugung auszubrechen. Der Umstand, dass die Verstaatlichte Industrie durch mehr als zwei Jahrzehnte verhältnismäßig geringe Anstrengungen unternommen hat, in den Bereich der Finalindustrie – etwa nach dem Vorbild der großen italienischen Staatskonzerne – vorzudringen, hing zum Teil mit der Politik der Preisdifferenzierung zugunsten des Inlands zusammen.“228 Karl Sekanina (SPÖ) warf der ÖVP vor, sie sei verantwortlich, „dass sich die Verstaatlichte Industrie jahrelang nicht in die Finalindustrie ausdehnen konnte, ein Grund mehr, warum sie mitunter in solche Schwierigkeiten gekommen ist“.229 Erst Anfang der 1980er-Jahre hielt die Diversifikation gegen alle Widerstände auch in der Verstaatlichten Industrie Einzug, allerdings in einer Art und Weise, die den Weg in die Krise beschleunigte.

Preispolitik

Die Produkte der Verstaatlichten Industrie sollen bis in die 1980erJahre um bis zu einem Drittel billiger als am Weltmarkt an die österreichische Privatwirtschaft abgegeben worden sein. Kohle wurde bis 1960 zum Teil unter den Gestehungskosten verkauft, aber auch die Preise für Industriestrom, Düngemittel, Eisen, Stahl und Halbzeug zählten zu den niedrigsten in Europa. Schätzungen sprechen von einer indirekten Subvention der Privatwirtschaft zwischen 1946 und 1980 in der Höhe von 8 Milliarden Schilling.230 Die Preispolitik der verstaatlichten Industrie bezeichnete Eduard März (SPÖ) zwar als eine der wenigen Innovationen im Bereich der Ökonomie, der man in den 50er- und teilweise auch in den 60er-Jahren begegnete. „In 228 März, Eduard, Die Zukunft der österreichischen Nationalindustrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1964), S. 18–20. 229 NRP, XIII/3, 10.11.1971, S. 87. 230 Solidarität 1/1981, zitiert bei Georg Thurnheim, Österreichs Verstaatlichte. Die Rolle des Staates bei der Entwicklung der österreichischen Industrie von 1918 bis 2008, Wien 2009, S. 39.

132

Preispolitik

einer Zeit der akuten Rohstoff- und Brennstoffknappheit hat man damit der österreichischen weiterverarbeitenden Industrie einen nicht unbeträchtlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber der ausländischen Konkurrenz gesichert. Es ist fraglich, ob diese Form der Subventionierung der österreichischen Privatindustrie als eine rationale Verwendung wirtschaftlicher Ressourcen gewertet werden kann. Sie hat jedenfalls die Verstaatlichte Industrie daran gehindert, während der fetten Jahre Reserven für die mageren Jahre anzulegen.“231 Und für Ernst Eugen Veselsky (SPÖ) hatten die Unternehmen der Verstaatlichten Industrie durch eine bewusst vorsichtige Preisgestaltung den Wiederaufbau der nachgeordneten Industrie subventioniert. „Gerade diese lange, über die Wiederaufbauperiode hinaus fortgesetzte Politik der Subventionierung der übrigen Wirtschaft blieb bedauerlicherweise wenig bedankt: Gegen manche verstaatlichte Unternehmungen, die deshalb ungünstigere Unternehmensergebnisse auswiesen, wurde sehr oft der Vorwurf geringerer Leistungsfähigkeit erhoben.“232 Nach Bruno Pittermann (SPÖ) hielten nicht die verstaatlichte, sondern die Privatindustrie die Preise trotz Rationalisierung hoch. „Statt dessen wird in großem Umfang an Kartellen und kartellartigen Preisvereinbarungen festgehalten und das Sinken des Absatzes durch Entlassung von Arbeitern ausgeglichen ... Im Gegensatz zu diesem Verhalten haben die leitenden Funktionäre der Verstaatlichten Industrie, in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, ohne Unterschied ihrer politischen Einstellung, sich restlos bemüht, die Preise für die Leistungen der verstaatlichten Unternehmungen niedrig zu halten und trotzdem den seit 1945 ständig vergrößerten Beschäftigtenstand bis in die letzte Zeit unverändert zu belassen.“233

231 März, Eduard, Gemeinwirtschaft und soziale Änderungen, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1973), S. 21–26. 232 Veselsky, Ernst Eugen, Die Zukunft der Verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 18 (1971), S. 20. 233 NRP, VII/4, 16.4.1953, S. 36.

133

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

Der politische Druck, zu niedrigen Preisen anzubieten, wurde von der SPÖ als eine Gefährdung der verstaatlichten Unternehmen gesehen. „Die Nationalisierung der Monopolbetriebe verfolgt auch den Zweck, zu verhindern, dass diese Betriebe unter Ausnützung der durch den Monopolcharakter gegebenen Möglichkeiten in die Lage kommen, für ihre Erzeugnisse überhöhte Preise zu fordern. Aber es ist ebenso falsch und schädlich, wenn nationalisierte Betriebe gezwungen werden, für ihre Erzeugnisse Preise zu verlangen, die erheblich unter den Gestehungskosten liegen, wie das bei uns in der Elektrizitätswirtschaft und bei den Bundesbahnen infolge der viel zu niedrigen Tarife heute der Fall ist. Ganz abgesehen davon, dass diese Betriebe durch diese völlig verkehrte Tarifpolitik in ganz überflüssiger Weise zu einer ständigen Sorgenquelle werden und immer wieder Anlass zu höchst unerquicklichen Auseinandersetzungen geben, wird dadurch eine echte Preisbildung auch in den anderen Sektoren der Wirtschaft verhindert. Aus demselben Grund sind auch fast alle anderen offenen und versteckten Subventionen auf lange Sicht gesehen nur schädlich, und es ist sehr zu bezweifeln, ob die sozialpolitischen Gesichtspunkte, die für ihre Einführung oft zunächst maßgebend waren, sich nicht im Lauf der Zeit in ihr Gegenteil verwandeln. Es ist ein Aberglaube, zu meinen, dass man die Gesetze des freien Marktes nur in einem Teil der Wirtschaft realisieren könne. Die gemeinwirtschaftlich geführten Betriebe sollen regulierend auf die Preisbildung einwirken, sie sollen gegebenenfalls die Bildung gerechter Preise durch ihre Preis- und Tarifpolitik erzwingen, aber dazu sind sie nur in der Lage, wenn sie nicht zu einem geradezu selbstmörderischen, den Gesetzen des freien Marktes geradezu hohnsprechenden Vorgehen gezwungen werden.“234

234 Albert Duschek, Das Wirtschaftskonzept, in: Die Zukunft, Nr. 5–6 (1957), S. 140.

134

Proporz und personalpolitik Proporz und Personalpolitik

Ein besonderes Spezifikum der Verstaatlichten Industrie war der sogar gesetzlich verankerte Proporz, bei dem sich die beiden Parteien die wirtschaftlichen Führungspositionen teilten. Aufgrund des gegenseitigen Misstrauens war einem „roten“ Direktor immer auch ein „schwarzer“ gegenüberzustellen und umgekehrt. Der Proporz ist ein politisches Prinzip des politischen Interessenausgleichs und der Konfliktbewältigung, der etwa bei internationalen Organisationen oder ethnischen Konflikten angewendet wird. Dieser politische Ansatz wurde nun mit allen Problemen auf die wirtschaftliche Tätigkeit übertragen. 1964 stellte Stephan Koren (ÖVP) fest: „Mit der gesetzlichen Verankerung des Parteienproporzes in der Verstaatlichten Industrie ... ist de facto nicht mehr der Staat Träger der Anteilsrechte der Verstaatlichten Industrie, sondern es sind die politischen Parteien.“235 Politik und Wirtschaft haben jedoch eine unterschiedliche Logik, so dass es hier immer wieder zu Konflikten und Widersprüchen kommen musste. Zum Teil wurde der politische Einfluss heruntergespielt. So wandte sich Karl Waldbrunner (SPÖ), von 1949 bis 1956 Bundesminister für Verkehr und verstaatlichte Betriebe, gegen den Vorwurf der rein parteipolitischen Einstellung und der Vernachlässigung wirtschaftlicher Überlegungen bei der Führung dieser Unternehmungen. „Genau besehen ist es aber so, dass mit der rein parteipolitischen Führung, wie sie zur Zeit des ÖVP-Ministeriums üblich war, Schluss gemacht wurde ... Das Bundesministerium für Verkehr und verstaatlichte Betriebe, wie es jetzt heißt, ist noch gar nicht so weit gegangen, leitende Funktionäre auszuwechseln, weil sie in ihren sachlichen Leistungen nicht entsprochen haben. Vorerst wurde nur einmal mit der Unredlichkeit aufgeräumt. Direktoren und hochgestellte Angestellte 235 Stephan Koren, Sozialisierungsideologie und Verstaatlichungsrealität in Österreich, in: Wilhelm Weber (Hg.), Die Verstaatlichung in Österreich, Berlin 1964, S. 99.

135

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

wurden entfernt, weil sie die Begriffe ‚Mein‘ und ‚Dein‘ nicht auseinanderzuhalten vermochten und sich am Volksgut vergangen haben ...“236 Dass das Staatseigentum an Unternehmen eine politische Dimension hatte, wurde andererseits von der SPÖ als ein Vorteil herausgestrichen. Durch die Verstaatlichung wurden die Betriebe solche des öffentlichen Rechtes, auch wenn für ihre innere Ordnung die gesellschaftsrechtlichen Formen beibehalten werden. Das politische Wesen der Verstaatlichung sei daher unleugbar. Es bestehe darin, dass die Führungsorgane der Verstaatlichten Industrie nur von einem gesetzlich zuständigen, also politischen Organ berufen werden können. Entscheidungen, die von diesen Organen (Bundesregierung und Bundeskanzleramt) aufgrund der Verstaatlichungsgesetze und des Kompetenzgesetzes 1959 zu treffen sind, würden immer politische sein. Es erscheine daher wenig sinnvoll, von der Entpolitisierung der Verstaatlichung zu reden. Der Forderung nach Bestellung von Fachkräften sei aber durchaus entsprochen worden, was selbst die Indus­ triellenvereinigung anerkenne. Wenn also die Führungskräfte der verstaatlichten Industrie zugegebenermaßen fachliche und erfolgreiche Arbeit geleistet haben, dann könne es von keinem Nachteil für Staat und Wirtschaft sein, wenn solche Personen einer der im Nationalrat vertretenen Partei angehören oder nahestehen. 237 Wichtige Unternehmensentscheidungen, beklagte dagegen der seit 1956 für die Verstaatlichte Industrie zuständige Hans Igler, mussten aufgrund des Kompetenzgesetzes 1963 nicht nur von den jeweiligen Vorständen, sondern auch noch vom zuständigen Vizekanzler, beziehungsweise in seinem Auftrag die Sektion IV, von der Bundesregierung, dem politischen 4er-Beirat der Verstaatlichten Industrie und in Grundsatzfragen vom 14er-Ausschuss mitentschieden werden. „Auf dieser Basis sind wichtige unternehmenspolitische Fragen unmöglich 236 Waldbrunner, Karl, Initiative und Mitspracherecht in der verstaatlichten Industrie Österreichs, in: Die Zukunft, Nr. 10 (1951), S. 271. 237 Die Industrie, 30. November 1962.

136

Proporz und personalpolitik

zu lösen. Eine der Ursachen der allgemeinen Malaise in der Verstaatlichten Industrie ist der Umstand, dass heute nicht die zuständigen Unternehmensorgane, sondern die beiden politischen Großparteien über das Aktienrecht die Vorstandsbestellungen durchführen und sich über den Kopf des Aufsichtsrates sogar mit den Einzelheiten der Verträge der Vorstandsmitglieder befassen. Vorstandsernennungen werden zu politischen Prestigefragen, jüngere Leute werden in Versuchung geführt, aus Opportunismus politische Parteibücher anzuschaffen. Leute, die sich diesem Verfahren nicht unterwerfen, haben die Neigung, ihr berufliches Fortkommen im Ausland zu versuchen. Es soll keineswegs übersehen werden, dass Leute mit politischen Überzeugungen und langjährigen Parteimitgliedschaften sehr häufig gute Techniker oder Kaufleute sind. Heißt dies aber, dass im Zeitalter der Integration jeder leitende Angestellte in einer Verstaatlichten Industrie einen politischen Lehenseid abzulegen verpflichtet ist? Eine Vermögensverwaltung für die Verstaatlichte Industrie, welche die Ini­ tiative der Vorstände nicht einschränkt, aber die notwendigen Aktionärsentscheidungen zu treffen in der Lage ist, muss erst gefunden werden.“238 Die Führungspositionen in der Verstaatlichten Industrie wurden damit politisch besetzt. Die Personen konnten durchaus wirtschaftliche Fähigkeit besitzen, ihre Stellung war aber von ihrer politischen Nähe zu einer der Parteien abhängig. Darauf hatten sie stets Rücksicht zu nehmen und waren in ihren wirtschaftlichen Entscheidungen eingeschränkt. So beklagte auch der Präsident der Bundeswirtschaftskammer Rudolf Sallinger, dass es die Manager der Verstaatlichten Industrie nicht leicht hätten. „Wir wollen eine gesunde Verstaatlichte Industrie. Dazu muß man aber den verantwortlichen Managern freie Hand lassen; auch dann, wenn die zu treffenden Maßnahmen nicht in den regierungs- und parteipolitischen Kram passen.“239 Der Pro238 Hans Igler, Verwaltung des Staatsvermögens – eine wirtschaftliche Aufgabe, in: Die Zukunft, Nr. 6 (1964), S. 8–10. 239 Rudolf Sallinger in: Der Unternehmer, 5/1985, S. 6.

137

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

porz wurde erst Mitte der 1980er-Jahre unter dem Eindruck der Krise beendet. Als eine der wichtigsten Funktionen der Verstaatlichten Industrie wurden die Beschäftigungspolitik und die Sicherheit des Arbeitsplatzes betrachtet. Das wurde von der ÖVP schon in den 1950er-Jahren problematisiert. So stellte Franz Lechner (ÖVP) fest, dass die Erfahrungen mit den verstaatlichten Unternehmungen nicht so segensreich wären, „als dass sie zu weiteren Eingriffen und Entrechtungen in der Privatindustrie ermuntern würden“. Er zitierte einen Rechnungshofbericht, wonach die Preise bestimmter Erzeugnisse des verstaatlichten Sektors infolge zu hoher Gestehungskosten über denen der ausländischen Konkurrenz lagen, also nicht exportfähig waren. „Und hier liegt das grobe Manko der Gewerkschaftsführung, die mehr auf die Beschäftigtenzahl als auf die Wirtschaftlichkeit der Unternehmungen sieht, der die Vollbeschäftigung um jeden Preis wichtiger ist als die Sicherung des Arbeitsplatzes und die vom Grundsatz ausgeht, die Allgemeinheit soll nur dafür bezahlen, dass es einigen Arbeiterkategorien nicht nur gut, sondern besser geht als ihren übrigen Kollegen ... Der klassenmäßige Verdienst, die Politik ihrer wirtschaftlichen Ziele ist ihnen daher wichtiger als die Wirtschaftlichkeit, auch in der verstaatlichten Industrie. Hier können Steuergelder verschwendet oder Preise unnötig hoch gehalten werden, wenn nur der Vorteil der eigenen Klasse damit erreicht wird.“240 Bereits Mitte der 1960er-Jahre wurde jedoch deutlich, dass es auch bei der Verstaatlichten Industrie zu Strukturbereinigung und Personalabbau kommen musste. Dem widersprach aber die sozialistische Seite vehement. Der Arbeiter sei kein Stück Material, das man in eine Kiste packen und von Donawitz nach Linz oder von Niederösterreich nach Ranshofen schicken könne. „Diese 130.000 oder 135.000 Menschen, denen zumindest wir sozialistischen Abgeordneten – aber ich hoffe doch, das ganze Haus – anlässlich dieses 20. Geburtstages [der 240 Lechner, Franz, Verdienst wichtiger als Wirtschaftlichkeit, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 9, Nr. 11 (1953), S. 645–646.

138

Proporz und personalpolitik

Verstaatlichten Industrie] offen ‚danke schön‘ im Namen Österreichs sagen wollen (Beifall bei der SPÖ), haben ein Recht darauf, bei der Behandlung dieser Frage gehört zu werden.“241 Und noch zehn Jahre später wies Günter K. Chaloupek (SPÖ) auf die beschäftigungsstabilisierende Wirkung der Verstaatlichten Industrie hin: „Ein direkter Einfluss besteht durch ihre Personalpolitik in der Krise. Die Verstaatlichte Industrie (ohne Bankenkonzernbetriebe) beschäftigte im Jahresdurchschnitt 1974 111.000 Personen, das sind etwa 17 Prozent der Industriebeschäftigten. Rechnet man die Beschäftigten der Bankenkonzernbetriebe dazu, so erhöht sich dieser Anteil auf etwa 27 Prozent. Vor allem die Verstaatlichte, aber auch die Bankenkonzerne waren mit Abbaumaßnahmen 1975 sehr vorsichtig. Die Beschäftigung der Verstaatlichten nahm 1975 sogar um 450 zu (111.603 gegenüber 111.155), während die Industriebeschäftigung insgesamt um fast 34.000 zurückging. Die Investitionen der Industrie nahmen 1975 um etwa 15 Prozent ab, die der Verstaatlichten nur um zirka 10 Prozent. Die Brutto-Lohnsumme der Industrie stieg um 7,6 Prozent, die der Verstaatlichten um fast 12 Prozent. Wenn es auch im Prinzip richtig ist, dass sich die Verstaatlichte und mehr noch die Bankenkonzernbetriebe gut kapitalistisch verhalten, so zeigt gerade die Krise, dass sie viel eher bereit sind, sich einer gesamtwirtschaftlichen Rationalität zu unterwerfen. Solche Verhaltensunterschiede ließen sich durch viele Beispiele demonstrieren ... Indirekt beeinflusst die Dominanz der Verstaatlichten unter den Großbetrieben insofern die Beschäftigungslage der gesamten Wirtschaft, als den Aktionen der Großunternehmungen eine Art Signalwirkung für die ganze Wirtschaft zukommt. An ihrem Verhalten orientieren sich auch die Klein- und Mittelbetriebe, die Kündigungen der Großunternehmungen haben ihre Folgewirkungen im nachgelagerten Bereich. In Österreich wurden derartige spektakuläre Katastrophenzeichen nicht gesetzt, die Verstaatlichte hält nicht nur selbst den Beschäftigtenstand, sie veranlasst auch das Privatkapital zu einem etwas vorsichtigeren Vorgehen ... In 241 Hans Czettel, NRP, XI/6, 13.5.1966, S. 219.

139

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

Österreich gilt es vielfach als schlechtes Verhalten, Arbeitskräften gegen den begründeten Widerstand der Gewerkschaften zu kündigen. Die betriebliche Beschäftigungspolitik der Unternehmer ist nicht nur zum Vorteil der Arbeitnehmer, sondern auch zu deren eigenem Vorteil weniger als anderswo an kurzfristigen Rentabilitätskalkülen und stärker an einer langfristigen, gesamtwirtschaftlichen Rationalität orientiert.“242

Kapitalmangel

Schließlich wurde „die würgende Kapitalknappheit, mit der fast alle nationalisierten Unternehmungen von ihrer zartesten Jugend an zu ringen hatten“243 zumindest bis in die 1970er-Jahre problematisiert. Die Kapitalaufbringung war das ungelöste grundsätzliche Problem der Verstaatlichten Industrie: die ÖVP betrachtet die Unternehmen als Aktiengesellschaften, welche sich über den privaten Kapitalmarkt finanzieren sollten, die SPÖ als öffentliches Eigentum, für welches das staatliche Budget zuständig war. „Der Staat hat diese Betriebe kraft eines gesetzgeberischen Aktes seinem Macht- und Herrschaftsbereich eingegliedert, war aber nicht zugleich gewillt, ihnen eine sozusagen standesgemäße Kapitalausstattung mit auf den Weg zu geben. Auf diese Weise blieb in der Sphäre der ‚Verstaatlichten‘, wenn man die Marshall-Plan-Kredite außer Betracht lässt, der Profit die einzige namhafte Quelle der Kapitalbildung ... Die Betriebe der Maschinen-, Elektro- und chemischen Industrie, die von Haus aus auf ‚wachstums­trächtigerem‘ Boden standen, waren niemals imstande, das Handikap der Kapitalarmut zu überwinden.“244 242 Chaloupek, Günther K., Österreichische Wirtschaftspolitik in der Rezession 1975, in: Die Zukunft, Nr. 17 (1976), S. 1–3. 243 März, Eduard, Die Zukunft der österreichischen Nationalindustrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1964), S. 18–20. 244 März, Eduard, Die Zukunft der österreichischen Nationalindustrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1964), S. 18–20.

140

Kapitalmangel

Eine Kapitalzuführung in Form der Ausgabe junger Aktien wurde von der SPÖ kategorisch abgelehnt. „Die Aktie ist jedenfalls ein typisches Produkt der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, so wie sie sich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts entwickelt hat. Der Zustand, dass sich jemand durch Kapitalhingabe an einem Unternehmen beteiligt und nichts anderes tut, als auf die Gewinnverteilung zu warten, wird in eine Zeit umfassenderer Gemeinwirtschaft nicht übernommen werden können. Wir übersehen dabei nicht, dass nicht jeder Besitzer von Aktien ein Nichtstuer und bloßer Kouponabschneider ist; es gibt unter ihnen gewiss eine Mehrzahl von agilen Wirtschaftstreibenden. Aber der geistige Boden auf dem die Aufbringung von Kapital durch Aktienausgabe erstanden ist, entspricht zweifellos nicht mehr der heutigen Wirtschaft.“ Und Ernst Winkler (SPÖ) höhnte weiter über den Begriff des freien Unternehmertums. „Wissen die Wortführer der österreichischen Unternehmer wirklich nichts von dem ungeheuren Konzentrationsprozess, der sich in allen Industrieländern der Welt seit Jahrzehnten vollzieht? Ist ihnen verborgen geblieben, dass in den Vereinigten Staaten von Amerika die Aktiengesellschaften mehr als 90 Prozent der gesamten industriellen Produktion an sich gerissen haben? Verstehen sie nicht, was in allen Lehrbüchern der Volkswirtschaft dargestellt wird, dass die Besitzer dieser Großbetriebe in steigendem Maße nicht mehr die Leiter ihrer Unternehmungen sind, sondern zu bloßen Dividenden-Beziehern herabgesunken sind?“245 Daher war man bei der SPÖ der Meinung, dass es sich bei der aktienrechtlichen Konstruktion der Verstaatlichten Industrie nur um ein Übergangsstadium handelte, über dessen Dauer natürlich noch nichts ausgesagt werden konnte. „Die Unternehmen der Verstaatlichten Industrie sind eben keine Betriebe der Privatwirtschaft, die privaten Gewinninteressen zu dienen haben.“ Sie sind ein produktiv angelegtes Volksvermögen, das dem Volk unmittelbar und mittelbar Vorteile bringt und sind daher betriebswirtschaftlich marktgerecht, zu 245 Winkler, Ernst, Ein Preislied auf das „freie Unternehmen“, in: Die Zukunft, Nr. 1 (1966), S. 24.

141

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

führen – aber das alles im gemeinwirtschaftlichen Interesse. „Die Verstaatlichung als Bestandteil der politischen Verfassung einer Demokratie bedeutet, dass die maßgebenden Entscheidungen für die Wirtschaft des Landes vom Volk durch seine frei gewählte Vertretung getroffen werden. Dann sind aber auch die namhaften, für die Gesamtwirtschaft entscheidenden Industriebetriebe keine Waffe in der Hand einer Partei, sondern Instrumente in der Hand des Volkes, durch welche sozialer Friede und wirtschaftlicher Wohlstand gesichert werden. Kann es einen erstrebenswerteren Zustand für ein Land geben als den Einklang der politischen und wirtschaftlichen Verfassung derart, dass das in seinen Entscheidungen freie Volk sowohl die politischen als auch die wirtschaftlichen Schicksale seines Landes bestimmt?“246 Dagegen beschloss die Präsidialsitzung des Wirtschaftsbundes der ÖVP im Oktober 1948: „Die Wirtschaft steht auf dem Standpunkt, dass Steuergelder unter keinen Umständen zur Subventionierung staatlicher oder verstaatlichter Betriebe oder gar zur Deckung ihrer Defizite verwendet werden dürfen, weil hierdurch letzten Endes jeder einzelne Steuerzahler belastet wird. Bei Nichtbeachtung dieses Grundsatzes besteht darüber hinaus die Gefahr einer schweren Schädigung der Privatwirtschaft.“247 Auch der Verband der Unabhängigen (später FPÖ) stellte sich grundsätzlich gegen eine Subventionierung der Verstaatlichten Industrie. „Soweit jedoch Betriebe bereits durch den Staat geführt werden, müssen sie selbstverständlich durch einwandfreie und wirtschaftlich sparsame Gebarung – ohne Sonderzuschüsse – einen entsprechenden Ertrag aufweisen. Die Betriebsführung verstaatlichter Unternehmungen hat unbedingt von jeder parteipolitischen Einflussnahme frei zu bleiben.“248 246 Kleiner, Viktor, Die politische Bedeutung der Verstaatlichung, in: Die Zukunft, Nr. 11–12 (1963), S. 21–24. 247 Fous, Viktor, Das 12-Punkte-Programm des Wirtschaftsbundes, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 4, Nr. 2 (1948), S. 61. 248 Verband der Unabhängigen, Das Programm des Verbandes der Unabhängigen, 1949, in: Klaus Bechtold (Hg.): Österreichische Parteiprogramme. Wien 1967, S. 486.

142

Kapitalmangel

Als früher Versuch, Kapital über die Ausgabe von Aktien zu erhalten, kann die „Volksaktie“ gesehen werden. „Ich gebe gerne zu“, schrieb Alfred Maleta (ÖVP) „dass wir im Jahre 1950, als wir die Ausgabe von Volksaktien bei den verstaatlichten Betrieben erstmals vorschlugen, vor allem an die soziale Seite dieses Problems dachten. Dezentralisierung der Staatsmacht, Streuung des Eigentums und Schaffung echten Mitbesitzes an den verstaatlichten Betrieben sind nach wie vor von allergrößter Bedeutung ... Es gibt aber auch ein nicht zu übersehendes und nicht minder gewichtiges wirtschaftliches Argument für diese Aktienemission ... Wenn unsere verstaatlichten Betriebe den immer schärfer werdenden Wettbewerb erfolgreich bestehen sollen, brauchen sie dazu Geld, Geld und nochmals Geld. Und sie werden dieses Kapital nur dort suchen können, wo es auch die Industrie in allen anderen Ländern der freien Welt findet, nämlich auf dem Kapitalmarkt. Die Kapitalbeschaffung wird auf die Dauer nicht nur auf dem Weg der Eigenfinanzierung oder durch staatliche Subventionen aus Steuermitteln möglich sein.“249 Mit der neuen Organisation der Verstaatlichten Industrie (IBV) im Jahr 1956 wurden die Unternehmen formal selbstständig und sollten nun „selber schwimmen“, d.h. nach privatwirtschaftlichen Grund­ sätzen unter der Verantwortung des Vorstandes und des Aufsichtsrates arbeiten. Dementsprechend erwartete Alfred Maleta (ÖVP), dass sie nun Dividenden an die Aktionäre und den Staat ausschütten sollten.250 Nach Josef Klaus (ÖVP) hätten diese Unternehmen an den Eigentümer, den Staat, auch entsprechende Gewinnabfuhren zu leisten. „Gerade diese dem Staat gehörenden Unternehmungen dürfen den Staat nicht als Melkkuh, sie müssten ihn vielmehr – um im Bilde zu bleiben – als Melkeimer betrachten (Heiterkeit).“251 Unabhängig von den Besitzverhältnissen und Eigentumsrechten würden die verstaatlichten Betriebe in den nächsten Jahren einen hohen Investiti249 Alfred Maleta, NRP, VIII/65, 29.10.1958, S. 299.1 250 Alfred Maleta, NRP, IX/4, 21.7.1959, S. 48. 251 Josef Klaus, NRP, IX/74, 25.10.1961, S. 3104.

143

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

onsbedarf aufweisen, stellte Hans Igler fest. „Trotz des gegenwärtigen, auch international anerkannt hohen technischen Ausrüstungsstandes dieses Wirtschaftssektors, wie er vor allem bei der eisenschaffenden Indus­trie durch den Einsatz von mehr als einer Milliarde Schilling von ERP-Counterpart-Mitteln erreicht werden konnte, bahnt sich hier in den nächsten Jahren eine weitgehende technische Umwälzung an.“ Die dafür nötigen Mittel seien aber nicht über das Budget aufzubringen, sondern über den Kapitalmarkt. „Die Heranziehung von Auslandskapital für Investitionsvorhaben auf dem verstaatlichten Sektor ist in den letzten Jahren bereits durch die verschiedenen Weltbankanleihen auf dem Energiesektor nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis durchgeführt worden.“ Zusätzlich gab es nach Hans Igler drei Möglichkeiten, um Kapitalbedarf der Verstaatlichten zu decken: 1. Die direkte Emission von Aktien und Obligationen durch die einzelnen Betriebe und Unternehmungen, verbunden mit entsprechend attraktiven Bedingungen. 2. Die Ausgabe von Anteilscheinen von Investmentgesellschaften, die als größere Sicherheit vor allem für den Kleinsparer ein breites Sortiment von Aktien und Wertpapieren in ihrem Portefeuille haben. 3. Betriebsaktionen, bei denen den Belegschaftsmitgliedern der einzelnen verstaatlichten Unternehmungen die Möglichkeit zum Aktienerwerb ihrer eigenen Unternehmungen zu gewissen bevorzugten Bedingungen angeboten werden kann.252 Hauptaufgabe der 1956 neu gegründeten Industrie- und BergbauVerwaltungs-Ges. m. b. H. werde daher „die Festlegung vor allem der grundsätzlichen Richtlinien der Finanzpolitik auf dem verstaatlichten Sektor sein. Die Dividendenpolitik darf von Anfang an nicht nur un252 Igler, Hans, Die neuen Grundsätze in der verstaatlichten Industrie, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 12, Nr. 7–8 (1956), S. 4–6.

144

Kapitalmangel

ter dem Blickpunkt der Erträge für den Staatshaushalt betrachtet werden, sondern muss von vornherein auf die Notwendigkeiten späterer Kapitalbeschaffung ausgerichtet werden.“253 Nach dem Wiederaufbau und den Mitteln des Marshall-Planes hatte die Verstaatlichte Industrie ihre Tätigkeit weitgehend durch Selbstfinanzierung und Fremdmittel zu bewerkstelligen. Dennoch war dem Staat ein finanzieller Aufwand entstanden. Bis zur Errichtung der ÖIAG 1970 betrug die Eigenmittelzuführung durch die Republik Österreich an die Verstaatlichte Industrie 2.533,68 Millionen Schilling und damit um 298,61 Millionen Schilling mehr als deren Dividendenausschüttung (2.235,07 Millionen Schilling). Die Eigenkapitalzuführungen betrafen zu 92 % die Unternehmen in der ehemaligen russischen Besatzungszone (USIA-Betriebe) und Bergbauunternehmungen. Die Republik Österreich hatte die Dividendenzahlungen noch um 360,68 Millionen Schilling für Verstaatlichungsentschädigung aufgewendet, so dass sich der finanzielle Aufwand der Republik Österreich insgesamt auf 1.015,44 Millionen Schilling belief.254 Ab 1970 änderte sich jedoch die Finanzierung durch den Eigentümer Staat (siehe die finanzielle Bilanz am Schluss der Arbeit). Zum Unterschied von früheren Jahren verzeichnete die Verstaatlichte Industrie 1971 erstmals einen erheblichen Mittelzufluss, der durch den Verzicht des Bundes auf Dividendenzahlung der ÖIAG aus dem Geschäftsjahr 1970 bedingt war, wie Hannes Androsch (SPÖ) feststellte: „Unter Ausschöpfung ihrer finanzhoheitlichen Befugnisse wird die Dachgesellschaft daher im heurigen Jahr den verstaatlichten Unternehmungen aus dieser Quelle rund eine halbe Milliarde Schilling zuführen können.“255 253 Igler, Hans, Die neuen Grundsätze in der verstaatlichten Industrie, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 12, Nr. 7–8 (1956), S. 4–6. 254 Helmut Hoskovec, Die Finanzierung der Verstaatlichten Industrie, in: Georg Thurnheim, Österreichs Verstaatlichte. Die Rolle des Staates bei der Entwicklung der österreichischen Industrie von 1918 bis 2008, Wien 2009, S. 127 ff. 255 Hannes Androsch, NRP, XIII/4, 12.11.1971, S. 164.

145

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

Die Organisation der Verstaatlichten

Nach der erfolgreichen Phase des Wiederaufbaus und dem Ende des Verkäufermarktes war ab den 1960er-Jahren der wirtschaftliche Druck auf eine Reorganisation dieses großen Wirtschaftsbereiches nicht zu übersehen. Wie sollte und konnte die österreichische Politik mit diesen betriebswirtschaftlichen Herausforderungen umgehen? Bei dieser Reorganisation ging es einmal um die Frage, ob die Verstaatlichte Industrie weiter ausgebaut, auf dem erreichten Stand erhalten oder privatisiert werden sollte. Eine Ausdehnung der Verstaatlichung konnte man wohl nur mehr als einen frommen Wunsch bezeichnen. Dennoch forderte der Österreichische Gewerkschaftsbund noch Anfang der 1970er-Jahre die Autohaftpflichtversicherung und den Handel mit Arzneimitteln durch die öffentliche Hand zu übernehmen und Eduard März (SPÖ) sah noch mehr Möglichkeiten: „Auch der triste Zustand der österreichischen Papierindustrie, die bisher das Reservat der vielgepriesenen Privatinitiative war, würde gezielte öffentliche Maßnahmen, die von der Mitsprache des Staates bis zu vereinzelten Verstaatlichungsaktionen reichen könnten, rechtfertigen. Schließlich sollte die Kommunalisierung von Grund und Boden in den Ballungsräumen, die die Bodenspekulation beseitigen und billigen Wohnraum für die städtische Bevölkerung sichern würde, zu den dringendsten Aufgaben einer sozialistischen Regierung zählen. Wir sind mit Recht durch Jahrzehnte gegen die Antiverstaatlichungsdogmatik Sturm gelaufen. Wir sollten uns jetzt nicht selbst des entgegengesetzten Fehlers schuldig machen.“256 Die Fronten waren dabei klar: Die SPÖ befürwortete die Fortsetzung des einmal eingeschlagenen Weges in Richtung eines ‚dynamischen‘ Ausbaus, während die ÖVP sich höchstens mit der Erhaltung des Status quo, jedoch mit der erklärten Absicht späterer Privatisie256 März, Eduard, Systemkorrigierende oder systemverändernde Reformen, in: Die Zukunft, Nr. 5 (1972), S. 14–17.

146

Die Organisation der verstaatlichten

rung anfreundete. „Die Resultate dieses Kräfteparallelogramms neigten sich entsprechend dem jeweiligen Stärkeverhältnis der beiden Großparteien einmal mehr der einen und dann wieder der anderen Seite zu. Die Folge waren fortgesetzte Reorganisationsversuche an der Spitze der Verstaatlichten Industrie.“257 1946 war die Verstaatlichte Industrie dem Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung unter Peter Krauland (ÖVP) zugeordnet worden. Deren Aufgabe war die Bestellung der öffentlichen Verwalter für das Deutsche Eigentum und herrenlose Vermögen und die Erstellung einer Rahmen- und Investitionsplanung für den Wiederaufbau. Bereits dies wurde von der SPÖ kritisiert: „Das damalige System der öffentlichen Verwalter, die weisungsgebunden waren, erwies sich als durchaus praktikabel und förderte im wesentlichen den industriellen Fortschritt. Die österreichische Volkspartei hingegen sah darin die Wurzel allen Übels und erhob sehr bald die Forderung nach Bestellung ordentlicher Organe. Hierin und auch in ihrem sonstigen politischen Verhalten während dieses Zeitraumes spiegelte sich deutlich ihr gestörtes Verhältnis zur Idee der Verstaatlichung wider. Wohl hatte sie aus vielen Gründen seinerzeit dem Gesetz ihre Zustimmung erteilt, hegte jedoch noch immer die Hoffnung, diesen Prozess in irgendeiner Form wieder rückgängig machen zu können.“258 Nach der Nationalratswahl des Jahres 1949 wurde der gesamte Industriekomplex dem Bundesministerium für Verkehr und ver257 Veselsky, Ernst Eugen, Die Zukunft der Verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 18 (1971), S. 21. 258 Fleischmann, Franz, Die verstaatlichte Industrie in Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1972), S. 19–21. Von 1946 bis 1955 wurden Vermögen, deren Eigentumsverhältnisse ungeklärt waren, öffentlichen Verwaltern unterstellt. Das betraf auch die Verstaatlichte Industrie, da erst der Staatsvertrag von 1955 das „Deutsche Eigentum“ der Republik Österreich zusprach und Eigentumsansprüche westlicher Länder abgegolten werden konnten. Erst danach wurden wieder die Organe entsprechend dem Unternehmensrecht eingesetzt.

147

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

staatlichte Betriebe (Karl Waldbrunner, SPÖ) unterstellt, wo er bis 1956 blieb. Dem Ministerium unterstanden auch die Energiewirtschaft und die Eisenbahn. Im Sinne des Parteienproporzes wurde eine p ­ aritätische Kommission für den Aufbau und die personellen Besetzungen der leitenden Organe der Verstaatlichten Unternehmen eingerichtet und ein „Sozialbeirat für die Verstaatlichte Industrie“, der je zur Hälfte mit den Eigentumsvertretern und den Beschäftigten besetzt war und Empfehlungen in praktisch allen Fragen abgeben konnte.259 Nach der Nationalratswahl des Jahres 1956 ging die Zuständigkeit für diesen Industriekomplex auf die „Industrie- und Bergbauverwaltungsgesellschaft mbH“ (IBV) (Hans Igler, ÖVP) über. Die IBV war eine Staatsgründung, sollte aber nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten arbeiten. „Sie war von der ÖVP dominiert und ging sehr bald daran, deren politische Forderungen zu realisieren. In den drei Jahren ihrer Tätigkeit wurden bei allen Unternehmungen ordentliche Organe (Vorstand, Aufsichtsrat) bestellt, die öffentlichen Verwalter abberufen, der soziale Wohnbau fast gänzlich eingestellt, der Investitionsfonds aufgelöst und mit den ersten Firmenzusammenlegungen begonnen. Schon damals wurde deutlich, dass wahrscheinlich nur die stärksten Unternehmungen bestehen würden können.“260 Die Verstaatlichte Industrie wurde damit aus der unmittelbaren Bundesverwaltung herausgelöst, was aber am politischen Einfluss nichts änderte. Sechs Minister, je zur Hälfte von ÖVP und SPÖ, besetzten den Aufsichtsrat und die Generalversammlung bestand aus der gesamten Regierung. Hans Igler, der vom ÖVP-Wirtschaftsbund kam, versuchte dennoch eine stärkere privatwirtschaftliche Ausrichtung über Kapitalbeschaffung und Eindämmung des Proporzsystems. Der Sozialbeirat wurde faktisch abgeschafft und in seine Zeit fällt auch die Erstellung 259 Edmund Langer u.a., Die Verstaatlichungen in Österreich, Wien 1966, S. 569. 260 Fleischmann, Franz, Die verstaatlichte Industrie in Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1972), S. 19–21.

148

Die Organisation der verstaatlichten

der Schillingeröffnungsbilanz 1955, die Ablöse der öffentlichen Verwalter durch ordentliche Organe des Unternehmensrechts und die Wiedereingliederung der USIA-Betriebe.261 Nach der für die SPÖ erfolgreichen Nationalratswahl des Jahres 1959 wurde neuerlich eine Änderung der Organisationsform vorgenommen. Die Ausübung der Anteilsrechte wurde dem Bundeskanzleramt übertragen und dort eine eigene Sektion IV „Verstaatlichte Unternehmungen“ eingerichtet. Sie existierte bis zum Jahre 1966 und galt als selbstständiges Ressort, dessen Leitung dem Vizekanzler Bruno Pittermann (SPÖ) übertragen war. Der Investitionsfonds wurde wieder eingerichtet und erstmalig systematisch über eine Neuordnung der verstaatlichten Betriebe in Österreich zu beraten begonnen. Damals dachte man an Produktionsgemeinschaften, eine Finanzierungsgesellschaft und an einen Koordinierungsausschuss Eisen und Stahl. „Die anfänglich recht zügig begonnenen Besprechungen wurden jedoch bald von den ÖVP-Vorstandsmitgliedern der einzelnen Gesellschaften – offenbar über Weisung – sabotiert. Auch der politische Widerstand gegen die Finanzierungsgesellschaft, die Anleihen begeben sollte, wurde immer größer, und nach der Wahl im Jahre 1962, die der ÖVP Erfolge brachte, wurden schließlich alle Vorhaben torpediert.“262 1964 legte der für die Verstaatlichte Industrie verantwortliche Vizekanzler Pittermann (SPÖ) einen Reorganisationsplan für die Verstaatlichte Industrie vor. Dieser sah sieben branchenorientierte Produktionsgemeinschaften vor, die Möglichkeit, andere Betriebe zu erwerben und ein Finanzierungsinstitut für besonders dringende Entwicklungsinvestitionen mit einem Kapital von 400 Millionen Schilling. Die Unternehmen einer Produktionsgemeinschaft sollten unter einheitli-

261 Oskar Grünwald, in: Georg Thurnheim, Österreichs Verstaatlichte. Die Rolle des Staates bei der Entwicklung der österreichischen Industrie von 1918 bis 2008, Wien 2009, S. 51. 262 Fleischmann, Franz, Die verstaatlichte Industrie in Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1972), S. 19–21.

149

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

cher Leitung zusammengefasst werden und jeweils einen Konzern bilden. Aufgaben der einheitlichen Leitung waren Investitionsplanung, Produktionsabstimmung, Koordinierung des Verkaufs, Abstimmung der Vorstandsbezüge und Koordinierung der Forschung. Zur Sicherstellung der Koordinierung sollte der Eigentümervertreter – also die Sektion IV des Bundeskanzleramtes – größere Befugnisse erhalten. Die acht größten verstaatlichten Unternehmungen sollten eine gemeinsame Industriefinanzierungs-AG errichten, die durch Ausgabe von Obligationen Kapital für die Verstaatlichte Industrie aufbringen sollte. Zur Ausdehnung der Fertigwarenproduktion sollten mit privaten Firmen Betriebe gegründet werden, wobei die Kapitalmehrheit beim verstaatlichten Unternehmen bleiben sollte. An eine teilweise oder gänzliche Veräußerung bestehender Unternehmungen war von SPÖ-Seite natürlich nicht gedacht. „Mit diesem Konzept, dem mehrere zum Teil nicht veröffentlichte Einzelvorschläge vorausgingen oder folgten, sollten nach den Vorstellungen der Sozialisten die wichtigsten Probleme der Verstaatlichten Industrie energisch angepackt werden. Es ist dabei besonders bemerkenswert, dass die grundsätzlichen Probleme und Aufgaben bis zum heutigen Tag im wesentlichen die gleichen geblieben sind. Nach wie vor geht es um Zusammenarbeit und Konzentration auf Branchenebene, ist die Stärkung der koordinierenden Zentralstelle notwendig, müssen Finanzierungsgrundlagen geschaffen werden und bedarf es der Umstellung und Anpassung des Produktionssortiments.“263 Der Pittermann-Vorschlag stieß, wie erwartet, auf den Widerstand der ÖVP. Es könne keine Lösung sein, „die gut geführten Betriebe mit schlecht geführten zusammenzulegen, um den gut geführten die schlecht geführten an den Hals zu binden. Damit würde man die totale Unfähigkeit und Leistungsunfähigkeit der gesamten Verstaatlichten erreichen!“, und man verwies auf den Rechnungshofbericht, der festgestellt hatte, es wäre für den Staat besser und billiger, einen Be263 Grünwald, Oskar, Der Kampf um die verstaatlichte Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 18 (1969), S. 13–16.

150

Die Organisation der verstaatlichten

trieb zu sperren und jedem Angestellten und Arbeiter einige Tausend Schilling auszuzahlen. Betriebe, die nicht lebensfähig sind und nicht lebensfähig gemacht werden können, gehörten daher liquidiert. 264 Hans Igler (ÖVP) bemängelte vor allem, dass es zwischen Eigentumsvertreter und Vorständen keine vertrauensvolle Kontinuität gebe. „Der Aufsichtsrat, der nach dem Aktienrecht die Eigentümerinteressen hinsichtlich Vorstandsbestellungen zu wahren hat, ist derzeit lediglich ein Ausführungsinstrument des Parteiwillens, wobei die Personalentscheidungen der beiden Parteien nach dem Grundsatz erfolgen, dass die Entschlüsse der jeweiligen Partei von der anderen kritiklos akzeptiert werden müssen. Eine homogene, für Teamarbeit geeignete Vorstandszusammensetzung ist nach diesem System unmöglich. Die Aktionärsaufgabe der Bilanzpolitik, das heißt die Entscheidung hinsichtlich der Gewinnverteilung, liegt derzeit beim Vizekanzler als Ressortminister, der sich bei seinen Entscheidungen auf die Vorarbeit der Sektion IV des Bundeskanzleramtes stützt. Die tüchtigen, aus der Tradition des österreichischen Beamtentums hervorgegangenen Mitarbeiter dieser Sektion sind natürlich im wesentlichen Verwaltungsjuristen, denen die Aufgaben einer unternehmerischen Bilanzpolitik unter Abwägung der Abschreibungsmöglichkeiten, der Steuer- und Dividendenproblematik, der Aufnahme von neuem Kapital erst im Laufe der Zeit geläufig geworden sind und die selbst in einem Unternehmen das Ringen um die Höhe der Investitionen, Ausschüttung, Abschreibung, Entlohnung der Mitarbeiter, kurz, den Kampf um die Disposition der Mittel des Unternehmens an der Front nie mitgemacht haben.“265 Aus der Kenntnis dieser Organisationsschwächen seien die Vorschläge des Vizekanzlers als Ressortvorschläge geboren worden, argumentierte Hans Igler weiter. Es sei aber keineswegs der Auswuchs statischen Denkens, „wenn sich die Privatwirtschaft gegen die wahllose Zusammenlegungstechnik verschieden gelagerter Betriebe in einer 264 Otto Mitter, NRP, X/10, 8.4.1963, S. 349. 265 Hans Igler, Verwaltung des Staatsvermögens – eine wirtschaftliche Aufgabe, in: Die Zukunft, Nr. 6 (1964), S. 8–10.

151

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

rechtlich problematischen Horizontalkonzernierung der PittermannVorschläge gemäß § 15 des Aktienrechtes wendet. So zum Beispiel schlägt Pittermann eine Art Konzernierung der Alpine Montan mit einem bedeutenden Teil der österreichischen Kohlenbergbaue vor. Wenn man markt- und bilanzpolitisch die Entwicklung der österreichischen Kohlenbergbaue in den nächsten 20 Jahren vorausschätzt, so besteht kein Zweifel, dass in Summe der Kohlenbergbau infolge Weiterbetreiben defizitärer Gruben nicht aktiv bilanzieren wird. Diese Verluste der österreichischen Stahlindustrie, insbesondere der Alpine Montan, zu Lasten ihrer im integrierten Europa notwendigen harten Preispolitik und zu Lasten ihrer Gewinne anzulasten, wäre zweifelsohne verfehlt. Wenn aus Gründen der Sicherung heimischer Brennstoffversorgung, aus sozialen oder strategischen Gründen die Repu­blik defizitäre Kohlenbergbaue im integrierten Europa betreiben muss, dann möge dies eben im Staatshaushalt ausgewiesen werden und als wirtschaftspolitische Subventionsmaßnahme deklariert, jedoch nicht in einer Konzernierung versteckt werden.“ Aus dogmatischen Gründen würde aber das Finanzierungsinstrument der Aktien abgelehnt. „Ein maßgebender Mitarbeiter von Vizekanzler Pittermann in der Sektion IV spricht den Satz aus: „Aktienemissionen haben so gut wie immer nur eigentumspolitische Zielsetzungen und fallen für die Investitionsfinanzierung fast nicht ins Gewicht.“ Die in diesem Satz ausgesprochene Unkenntnis über die Bedeutung der Aktie als Finanzierungsinstrument (nicht Machtinstrument!) in der freien Welt muss bedrücken. Dagegen werde die Obligation als Finanzierungsinstrument von diesem Autor gepriesen. Die Frage, ob eine Industrie ihren Expansionsbedarf mit Aktien oder Obligationen finanziert, werde vor allem durch die Bilanzstruktur und die Kreditfähigkeit der Unternehmungen bestimmt. „Das Verhältnis von Eigenkapital und Fremdkapital kann nicht zugunsten des Fremdkapitals, also der Obligationen, bis in das Unendliche gesteigert werden, ohne den Bestand des Unternehmens zu gefährden und seine finanzielle Dauerbelastung, Zinsen und Amortisationen, zu sehr in die Höhe zu treiben.“ Jahraus, jahrein werde die österreichische Re152

Die Organisation der verstaatlichten

gierungskoalition auf härteste Proben gestellt, weil die Finanzmittel des Staates für die Verstaatlichte Industrie nicht ausreichen. „In einer solchen Situation vom Staate zu fordern, dass er ‚seinen Verpflichtungen für Kapitalausstattung der Betriebe‘ nachkommt, heißt zu deutsch, dass der Eigentümer Staat der Bevölkerung in irgendeiner Form zusätzliche Steuerbelastungen zumutet, weil er nicht gewillt ist, Sparern die Aktienzeichnung zu ermöglichen, die ohne Steuermittel den Unternehmen das nötige Geld zuführt.“266 Bei der FPÖ war man überhaupt der Meinung, dass die Verstaatlichte Industrie nur dann reüssieren könne, wenn an ihrer Spitze nicht Bürokraten, sondern Unternehmerpersönlichkeiten stehen. „Es ist in diesem Zusammenhang auch notwendig, ein Konzept für die Verstaatlichte Industrie zu finden, denn dieses ist nicht vorhanden.“267 Und Friedrich Peter (FPÖ) sah die verstaatlichte Industrie in einer Krise ungeahnten Ausmaßes. „Dieser Wirtschaftszweig beschäftigt 130.000 Arbeiter und Angestellte, die dort wertvolle Arbeit zum Wohle der österreichischen Wirtschaft und damit der Gesamtheit des Volkes leisten. Ihre Arbeit, ihre Leistung wird seit Jahren durch die Unzulänglichkeit der Führungsform der Verstaatlichten Industrie abgewertet und in Frage gestellt. Nach wie vor zeichnen sich keine Lösungen der wirtschaftlich kranken Bereiche der Verstaatlichten Industrie ab. Die Proporzmisswirtschaft im Bereich der Verstaatlichten Industrie feiert nach wie vor fröhliche Urständ.“268 Nach den Wahlen des Jahres 1966 ging die Hauptverantwortung für die Verstaatlichte Industrie an die allein regierende ÖVP über. Es folgte ein kurzes Zwischenspiel als Sektion V des Verkehrsministeriums (Josef Taus, ÖVP) im Jahre 1966. Im Jahr 1967 wurde schließlich die „Österreichische Industrieverwaltungsgesellschaft mbH“ (ÖIG) als Treuhandgesellschaft gegründet, der die Ausübung der Anteilsrechte treu266 Hans Igler, Verwaltung des Staatsvermögens – eine wirtschaftliche Aufgabe, in: Die Zukunft, Nr. 6 (1964), S. 8–10. 267 Jörg Kandutsch, NRP, X/27, 4.11.1963, S. 1317. 268 Friedrich Peter, NRP, XI/6, 13.5.1966, S. 204.

153

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

händig übertragen wurde, Aufsichtsrecht hatte das Bundesministerium für Verkehr und verstaatlichte Unternehmungen (Ludwig Weiß, ÖVP). Ihre wichtigste Aufgabe war die Koordinierung der Branchen. Diese neue Organisationsform trug die Handschrift der ÖVP. Bei ihren Wortmeldungen legte sie daher ein Bekenntnis zur Verstaatlichten Industrie ab, verbunden mit Reorganisationsmaßnahmen und der Notwendigkeit privatwirtschaftlicher Kapitalaufbringung. „Dieser bedeutende Wirtschaftskörper, von dessen Konkurrenzfähigkeit auf den heimischen und auf den internationalen Märkten für die österreichische Volkswirtschaft, für den Arbeitsmarkt und damit nicht zuletzt auch für den Lebensstandard der Österreicher sehr viel abhängt, muss den sich ständig ändernden Erfordernissen der industriellen Entwicklung und der internationalen Arbeitsteilung Rechnung tragen. Dementsprechend hat sich die Volkspartei entschlossen, die Aktionärsrechte an den verstaatlichten Unternehmungen einer Verwaltungsholding zu übertragen.“269 Und Bundeskanzler Josef Klaus (ÖVP) stellte programmatisch fest: „Zweifellos erbringt eine Reihe der verstaatlichten und sonstigen öffentlichen Betriebe wertvolle Leistungen. Betriebe aber, die seit Jahren dauernde Defizitquellen sind, binden kostbare Arbeitskraft und wertvolles Kapital. Es liegt daher nicht nur im Interesse der gesamten Volkswirtschaft, sondern auch in dem des Bundes und der in diesen Betrieben Beschäftigten, dass unverzüglich entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Es wird notwendig sein, den verstaatlichten Unternehmungen zusätzliche Mittel über den Kapitalmarkt zur Verfügung zu stellen. Die verstaatlichten Unternehmungen werden sich ebenso wie die übrigen Wirtschaftsunternehmungen entsprechendes Eigenkapital auch durch Ausgabe von Aktien oder Wandelschuldverschreibungen beschaffen müssen.“270 Finanzminister Wolfgang Schmitz (ÖVP) sprach von großen Wachstumsreserven in manchen öffentlichen und verstaatlichten 269 Josef Taus, Lösungen auf lange Sicht, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 22, Nr. 7–8 (1966), S. 63. 270 Josef Klaus, NRP, XI/3, 20.4.1966, S. 38.

154

Die Organisation der verstaatlichten

Betrieben. Aber es gebe auch defizitäre Unternehmen, in denen Arbeitskräfte und Kapital unproduktiv eingesetzt sind. „Durch Subventionen, ohne Verpflichtung zu Rationalisierungsmaßnahmen, würden Steuergelder in ein Fass ohne Boden gegossen und Strukturanpassungen verhindert werden. In Zukunft wird der Bund nur noch dann subsidiär eingreifen, wenn Anpassungen notwendig sind, die auf Grund eines Sanierungskonzeptes erfolgen und den Ertrag der Betriebe sicherstellen.“271 Stephan Koren (ÖVP) stellte für sich fest, dass man ihn nicht verdächtigen könne, ein Befürworter ideologischer Grundsätze der Verstaatlichung zu sein, aber er gab zu bedenken, „dass es hier um unersetzbare Teile der österreichischen Wirtschaft geht, auf die man nicht verzichten kann“. Die Verstaatlichte repräsentiere zwei Drittel der Großindustrie in Österreich und die Großindustrie stelle in allen Ländern das Zentrum der Dynamik dar, von der die Wachstumsimpulse in die übrige mittel- oder kleinbetrieblich organisierte Wirtschaft ausgehen.272 Der Schwerpunkt einer künftigen österreichischen Industriepolitik sei daher die Verstaatlichte Industrie als Wachstumsfaktor.273 Auch Hermann Withalm (ÖVP) versuchte die Einwände der SPÖ zu zerstreuen: „Da wir dieses wichtige Gesetz nicht ohne die Stimmen der sozialistischen Opposition beschließen wollten, mußten – was Kompromissen eben eigen ist – einige Verwässerungen in Kauf genommen werden. Aber trotz dieser Verwässerungen hat auch dieses Gesetz seine positiven Auswirkungen gehabt, da nicht zuletzt die verstaatlichte Grundstoffindustrie zu einem Mitträger der gegenwärtigen Konjunktur geworden ist, wie einem, diesem Haus schon vor längerer Zeit zugeleiteten, Bericht entnommen werden kann. Der Aufwärtstrend in der Verstaatlichten Industrie ist nebenbei auch ein 271 Wolfgang Schmitz, Schwerpunkte österreichischer Finanzpolitik, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 22, Nr. 7–8 (1966), S. 26. 272 Stephan Koren, Was hat die Wissenschaft der Wirtschaft zu sagen?, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 23, Nr. 4–5 (1967), S. 31. 273 Stephan Koren, Möglichkeiten und Grenzen der Strukturpolitik, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 23, Nr. 11–12 (1967), S. 5.

155

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

Beweis dafür, dass der gegenwärtigen Regierung wirklich nichts ferner liegt, als diese Industrie womöglich – wie es immer wieder heißt – zugrunde zu richten, was man immer wieder von Sozialisten und natürlich auch von Kommunisten hören kann.“274 Auch Finanzminister Stephan Koren (ÖVP) sah nun die Chance, dass die Verstaatlichte Industrie erstmals in der Nachkriegsgeschichte nicht mehr Zankapfel politischer und ideologischer Auseinandersetzungen war, da auf beiden Seiten wirtschaftliche Einsicht über dogmatische und politische Barrieren hinweggegangen ist.275 Und er unterstrich den notwendigen politischen Konsens auch auf diesem Gebiet. „In den gesetzlichen Bestimmungen zur Verstaatlichten Industrie in Österreich spiegelt sich die politische Bedeutung der Verstaatlichten Industrie wider. Diese Vorschriften sind der Ausdruck eines demokratischen Kompromisses unterschiedlicher Auffassungen über Existenz, Wesen und Ziele einer Verstaatlichten Industrie im Rahmen einer Wirtschaftsordnung, die zwar als ‚gemischter Typus‘, mit ausgeprägter Verbandswirtschaft, apostrophiert wird, im wesentlichen aber an der dezentralisierten Entscheidung im Unternehmensbereich festgehalten hat. Das aber wiederum wirkt für den störend, der nicht erkennt, dass Demokratie ohne Kompromiss unmöglich ist. So ist es nur konsequent, dass in einer Verstaatlichten Industrie der politische Kompromiss zum Tragen kommen muss, soll sie nicht permanenter politischer Zankapfel bleiben.“276 Die ÖIG wurde von der SPÖ nicht ganz so positiv gesehen: „Damit war neuerlich das Dominieren der ÖVP verbunden, da sowohl der weisungsberechtigte Generaldirektor als auch der Aufsichtsratspräsident dieser Partei angehörten. Allerdings war die Tätigkeit dieser Gesellschaft nicht sehr effektvoll, wenn man davon absieht, dass das

274 Hermann Withalm, NRP, XI/153, 24.10.1969, S. 13282. 275 Stephan Koren, NRP, XII/3, 29.4.1970, S. 84. 276 Taus, Josef, Freiheitliche Demokratie und soziale Marktwirtschaft: Wirtschaftsordnung und politisches System in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 34, Nr. 6 (1978), S. 5.

156

Die Organisation der verstaatlichten

jahrelange Tauziehen um die Siemensbetriebe beendet wurde. Der Ausgang war jedoch hinsichtlich der österreichischen Interessen eher nachteilig, da dem deutschen Siemenskonzern Mehrheitsbeteiligungen eingeräumt werden mussten.“277 Doch Oskar Grünwald (SPÖ) wies darauf hin, dass beim Begutachtungsverfahren und im Rahmen der parlamentarischen Behandlung eine Reihe von Verbesserungen durchgesetzt werden konnte. Auf dieser Grundlage wurde der Entwurf dann vom Nationalrat mit den Stimmen der beiden großen Parteien verabschiedet. Die ÖIG übte die Anteilsrechte treuhändig aus und musste bei entscheidenden personellen, finanziellen und organisatorischen Maßnahmen in der Verstaatlichten Industrie ihre Zustimmung geben. Die Aufsichtsräte der ÖIG – wie auch die Aufsichtsräte der verstaatlichten Unternehmungen – wurden von den politischen Parteien nach deren Stärkeverhältnis im Nationalrat nominiert; die Geschäftsführung war aufgrund eines Abkommens zwischen den Parlamentsklubs paritätisch zusammengesetzt; der von der ÖVP nominierte Vorsitzende konnte bei Stimmengleichheit dirimieren. Für alle wichtigen Beschlüsse war eine Zweidrittelmehrheit im ÖIGAufsichtsrat erforderlich; kam eine solche nicht zustande, entschied der zuständige Minister mit Zustimmung der Bundesregierung. „Es muss also mit aller Deutlichkeit festgehalten werden, dass man nach der derzeitigen Rechtslage alle weitgespannten Reorganisationspläne, die in den vergangenen Jahren diskutiert wurden, verwirklichen hätte können, wenn die Vertreter der ÖVP in den Unternehmungen und in der ÖIG an einem Strang gezogen hätten.“278 Die Grundsätze der ÖIG schienen auch im SPÖ-Parteiprogramm 1966 auf.279 Mit der Gründung der ÖIG wurde im Jahre 1967 eine Reorganisation der Verstaatlichten Industrie eingeleitet. Sie verfolgte das Ziel,

277 Fleischmann, Franz, Die verstaatlichte Industrie in Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1972), S. 19–21. 278 Grünwald, Oskar, Der Kampf um die verstaatlichte Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 18 (1969), S. 13–16. 279 Sozialistische Partei Österreichs, Programm für Österreich. Wien 1966.

157

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

die Ertragslage der Unternehmungen zu verbessern, vor allem jene der Eisen- und Stahlindustrie, damit diese gegenüber der immer schärfer werdenden internationalen Konkurrenz bestehen könne. Zwei Stahlgutachten einer amerikanisch-schweizerischen Gruppe und von einem Professoren-Team der Montanistischen Hochschule Leoben schlugen übereinstimmend vor, die Unternehmungen unter einer einheitlichen Leitung zusammenzuschließen und die Produktion von zwölf Standorten auf einige Hauptbetriebe zu konzentrieren. Ähnliches sollte auch in der Maschinenindustrie bevorstehen.280 Die Liste der vorgeschlagenen Stilllegungen von Produktionsstätten und des Personalabbaus löste vielerorts einen Schock und heftigen Widerstand aus. Mit dem Inkrafttreten der Gesetzesnovelle im Jahre 1970 wurde die bisherige ÖIG zur ÖIAG, Österreichische IndustrieverwaltungsAktiengesellschaft, zum Eigentümer aller Betriebe. Bei der Nationalratswahl 1970 erhielt die SPÖ die meisten Stimmen und errichtete unter Bruno Kreisky eine Minderheitsregierung, der selbst das Ressort der Verstaatlichten Industrie übernahm. Generaldirektor wurde Franz Geist, der vom Vorstand der Rheinstahl kam.281 Damit unterstand die Verstaatlichte Industrie nicht mehr einem Ministerium, das Verhältnis zur Politik war aber dennoch besonders nahe. Der Aufsichtsrat der ÖIAG bestand aus je einem Vertreter des Bundeskanzlers sowie des Finanzministers sowie aus höchstens 15 weiteren Mitgliedern, darunter mindestens zwei Betriebsratsmitglieder der verstaatlichten Unternehmen. Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Gesellschaft bedurfte der Zustimmung der Bundesregierung. Die Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrates erfolgte entsprechend dem Kräfteverhältnis der im Nationalrat vertretenen politischen Parteien. „Wollte man aus dieser gesetzlich festgelegten Struktur des Aufsichtsrates den

280 Ludwig Weiss, Verkehrs- und Industriepolitik mit Blickrichtung Europa, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 25, Nr. 4–5 (1969), S. 57. 281 Am 23. Juli war Alexander Kothbauer von der Verbundgesellschaft zum Generaldirektor bestellt worden, der aber unerwartet am 2. November starb.

158

Die Organisation der verstaatlichten

Schluss einer totalen Verpolitisierung ziehen, wäre dies ebenso falsch, wie es die Propagierung dieses in der Zeit der ÖVP-Alleinregierung geschaffenen Gesetzes als Beitrag zur Entpolitisierung war.“282 Nach wie vor war die „Verpolitisierung“ des verstaatlichten Sektors ein Faktum und die Bestellung von Führungskräften entsprach ebenso politischen als professionellen Kriterien. Die Gesellschaft verfügte über ein Eigenkapital von mehr als 14 Milliarden Schilling. Außerdem wurde ihr zur Begebung von Anleihen eine Bundeshaftung von 2 Milliarden Schilling erteilt. In den einzelnen Betrieben wurde überdies von Bewertungsreserven in der Höhe des Eigenkapitals der ÖIAG ausgegangen. Bereits im vorangegangenen ÖIG-Gesetz war vorgesehen gewesen, innerhalb von vier Jahren branchengleiche Unternehmungen zusammenzufassen. Der nunmehrige Industriegigant ÖIAG (für österreichische Verhältnisse, nicht aber im internationalen Maßstab) wurde aber als sehr schwerfällig angesehen. Das war hauptsächlich auf das starke Eigenleben der Betriebe zurückzuführen. „Der sehr häufige Wechsel in der Organisationsform der Verwaltungsspitze begünstigte den vorerwähnten Prozess beträchtlich und führte schließlich dazu, dass insbesondere die wirtschaftlich starken Unternehmungen kaum noch andere als personenbedingte Bindungen an die nunmehrige Konzernspitze hatten. Lediglich die schwächeren Betriebe pflegten und pflegen den engen Kontakt aus begreiflichen Gründen. Dazu kommen überdies eine Reihe von regionalen Interessen, die Einflussnahme suchen und finden, wobei nicht immer das wirtschaftliche Gewicht den Ausschlag gibt. Letztlich aber entwickelten sich auch durchaus persönliche Interessen einzelner, die mit großer Vehemenz durchzusetzen versucht wurden, wobei auch in der Personalpolitik bisher nicht immer eine besonders glückliche Hand bewiesen wurde.“283 Es war an sich kein 282 Veselsky, Ernst Eugen, Die Zukunft der Verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 18 (1971), S. 22. 283 Fleischmann, Franz, Die verstaatlichte Industrie in Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1972), S. 19–21.

159

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

Wunder, dass die ständigen Reorganisationen der Spitze diese in der Wahrnehmung einer wirksamen Konzernpolitik behinderten. „Kein Wunder, dass die einzelnen Verstaatlichten Unternehmungen sich darauf konzentrierten, ohne Rücksicht auf die jeweilige Konstellation an der Spitze, auf eigenen Beinen zu stehen.“284 Dass die verstaatlichten Unternehmen so gut wie nicht zusammenarbeiteten, wurde auch von der SPÖ als Mangel empfunden. „Wer mit den Betriebsräten einer (beliebig welchen) verstaatlichten Unternehmung redet, weiß ein Lied von dem törichten Bruderkampf zwischen unseren volkseigenen Stahl-, Maschinen- und Elektrobetrieben zu singen. Unseren ‚roten‘ Direktoren scheint der Zusammenhang zwischen Verstaatlichung und Planung nicht ebenso einleuchtend zu sein wie unseren Betriebsräten, vielleicht auch deshalb, weil ‚Mitbestimmung‘ selbst in dieser Sphäre ein bisher unerfülltes Versprechen geblieben ist. Das Fehlen jedweden Ansatzes zur Koordinierung (oder gar Abstimmung) der Absatzpolitik ist wohl ein Gebrechen, für das die Führungskader der ‚Verstaatlichten‘ in erster Linie verantwortlich gemacht werden müssen ... Es ist klar, dass eine ‚umfassende Planung‘ in den von der Nationalisierung betroffenen Schlüsselindustrien eine so gut wie lückenlose Überführung der Unternehmungen der Grundstoff- und Investitionsgütersektoren in das staatliche Eigentum erfordert hätte. In Wahrheit ist es nur in den Bereichen der Grundstoffindustrie zu einer wirklich integrierten Lösung gekommen. Die Nationalisierung der Maschinen-, Elektro- und chemischen Branchen ist ein bloßes Flickwerk geblieben, selbst wenn man in Betracht zieht, dass wichtige Betriebe der oben genannten Branchen dem verstaatlichten Bankensektor angehören. Aber die ‚Verstaatlichung‘ unserer großen Finanzinstitute und der ihnen angeschlossenen Konzerne ist offenbar als rein formaler Akt konzipiert worden, da sich ja in dieser Sphäre niemals auch nur die bescheidensten Ansätze zu einer ‚ge-

284 Veselsky, Ernst Eugen, Die Zukunft der Verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 18 (1971), S. 20–23.

160

Die Organisation der verstaatlichten

meinwirtschaftlichen‘ Orientierung bemerkbar gemacht haben.“285 So richtig zufrieden war daher niemand Anfang der 1970er-Jahre. Eduard März (SPÖ) sprach von einem Mangel an Offensivgeist, der in so krassem Widerspruch zu den Sternstunden in der unmittelbaren Nachkriegszeit stand. Seither wären alle wichtigen Initiativen auf den Gebieten der Ökonomie und Sozialpolitik blockiert worden, in der Ära Raab/Kamitz sei sogar der Versuch unternommen worden, den Akt der Verstaatlichung etappenweise zu liquidieren. „Heute, nachdem ein ganzes Menschenalter seit den Verstaatlichungsgesetzen der unmittelbaren Nachkriegszeit vergangen ist, kann man, ohne Gefahr auf Widerspruch zu stoßen, sagen, dass von ihnen keine entscheidenden systemverändernden Einflüsse ausgegangen sind.“ Auf der Grundlage der Studie von Stephan Koren und des umfangreichen Werks von Edmond Langer bemängelt er, dass die drei Sektoren der ‚Verstaatlichten‘, die Verstaatlichte Industrie, die Großbanken mit dem angeschlossenen Industriekonzern und das Energiewesen, keinem einheitlichen Führungsgremium unterstellt waren. Vor allem die verstaatlichten Banken erfreuten sich eines vom Eigentümer Staat kaum in Frage gestellten Freiheits- und Souveränitätsraumes.“ Dann beklagte er, dass die verstaatlichten Unternehmen noch immer auf der Grundlage des Handelsrechts arbeiteten und keine ihren besonderen Existenzbedingungen entsprechende Unternehmungsform vom Gesetzgeber geschaffen wurde. Das für die ‚Verstaatlichte‘ geltende Aktienrecht gewährt der Unternehmensführung ein Maß an Bewegungsfreiheit, das dem Gedanken der Verstaatlichung weitgehend widersprach. Man dürfe daher nicht übersehen, „dass das Bürgertum bisher keinen Grund hatte, dem Ausbau der planwirtschaftlichen Instrumente und der gemeinwirtschaftlichen Institutionen besonders heftigen Widerstand entgegenzusetzen. Im großen und ganzen hat sich die gemischtwirtschaftliche Ordnung als ‚funktionstüchtiger‘ erwiesen als ihr Vorgänger, das Laissez-faire-System. Aber 285 März, Eduard, Die Zukunft der österreichischen Nationalindustrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1964), S. 18–20.

161

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

was noch mehr ins Gewicht fallen mag: Nirgends in Westeuropa ist es zu einschneidenden Veränderungen im sozialen Gefüge gekommen. Auf diese Weise hat die Gangart der Schnecke das bisherige Tempo der reformerischen Tätigkeit bestimmt.“286 Unter Bruno Kreisky kam es mit den Stimmen der SPÖ und FPÖ zur „großen Stahllösung“. Mit dem Stahlfusionsgesetz (1973), dem Nichteisenmetallfusionsgesetz (1974), dem Edelstahlfusionsgesetz (1975) und der Zusammenführung der Petrochemie sollten eine Koordinierung der Produktion und eine stärkere Vertretung im Ausland möglich werden. VOEST und Alpine wurden zur „Vereinigte Österreichische Eisen und Stahlwerke – Alpine Montan AG“ verschmolzen, mit den Töchtern Böhler und Schoeller. Unternehmenssitz war Wien, die Hauptverwaltungen befanden sich jedoch in Wien, Linz und Leoben. Damit war ein Konzern von 70.000 Beschäftigten entstanden. 1975 wurden noch die drei Edelstahlwerke zu der „Vereinigte Edelstahlwerke AG“ zusammengefasst. Der Widerstand der ÖVP (und der VOEST-Vertreter) richtete sich vor allen dahin, dass es kein Zukunftskonzept sei, erfolgreiche Unternehmen mit Problembetrieben zusammenzufassen. Für die SPÖ schien sich damit aber ein grundsätzlicher Wandel anzubahnen. „Nach der erfolgreichen Fusionierung der Stahlindustrie wird auch die Zusammenführung anderer Zweige der Verstaatlichten Industrie ins Auge gefasst. Man kann nur hoffen, dass man dabei nicht auf die Konzernunternehmen der verstaatlichten Banken vergessen wird, die sich bisher eines Lebensstils befleißigt haben, der sie kaum in den Verdacht einer Beziehung – sei diese legitimer oder illegitimer Art – zum verstaatlichten Sektor gebracht hat ... Es ist wohl richtig, dass mit der Schaffung einer Holdinggesellschaft, der ÖIAG, eine Organisationsform der Verstaatlichten Industrie gefunden worden ist, die eine stabilere Entwicklung für die Zukunft verspricht. Ähnlich wie die italienische IRI-Gesellschaft, soll die ÖIAG wichtige finanz- und personalpoliti286 März, Eduard, Gemeinwirtschaft und soziale Änderungen, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1973), S. 21–26.

162

Die Organisation der verstaatlichten

sche Aufgaben übernehmen; sie soll ferner ein größeres Maß der Koordination in der ‚Verstaatlichten‘ gewährleisten, insbesondere durch die branchenmäßige Zusammenführung der bisher isoliert geführten Unternehmen. Die Stahlfusion, die zu Anfang dieses Jahres gegen den Widerstand der Konservativen vom Gesetzgeber beschlossen wurde, ist ein Ausdruck dieser neuen industriepolitischen Gesinnung. Seit Ende der sechziger Jahre konnte die bisherige Immobilität der ‚Verstaatlichten‘ auch in einer anderen Beziehung überwunden werden. Den österreichischen Stahlproduzenten ist es in den letzten Jahren endlich gelungen, auf breiter Front in die Finalindustrie einzudringen. Maschinenbau, Anlagenbau, Fördergeräte, Seilbahnen, Preßluftwerkzeuge, Elektroden, ja sogar Campingmöbel gehören nun zur Produktionspalette der seit Januar 1973 miteinander liierten Stahlunternehmen. Auch die verstaatlichte Chemie ist über den Rohstoffsektor hinausgewachsen und ist mit Erfolg auf den benachbarten Gebieten der Kunststoffe und Pharmazeutika tätig.“287 Ernst Eugen Veselsky (SPÖ) sprach sogar von einem ‚Modell Österreich‘, das vom Ausland bewundert werde und auf dem Nebeneinander von privatem und öffentlichem Eigentum an Produktionsmitteln ebenso wie auf dem Nebeneinander der Planung und des Wettbewerbs im Sinne einer Rahmenplanung bestehe. „Die Ideologie unserer Rahmenplanung ist dünn und pragmatisch, sie beruht auf wesentlich mehr Skepsis als auf Gläubigkeit. Die österreichische Welt ist klein und daher überschaubar. Man weiß daher allzu gut um die Unvollkommenheiten des Wettbewerbs. Man weiß aber auch allzu gut um die Unvollkommenheiten der Planung. Demgegenüber sind wir von handgreiflichen Erfahrungen geprägt: Sie haben auch Namen, wie etwa VÖEST, Kaprun und neuerdings Aichfeld-Murboden. Die Zusammenführung der VÖEST, Alpine Montan, Böhler und Schoeller-Bleckmann trug nicht nur industriepolitischer Vernunft und einem Gesetzesauftrag Rechnung, sie veränderte auch die Struk287 März, Eduard, Gemeinwirtschaft und soziale Änderungen, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1973), S. 21–26.

163

3. akt: Die verstaatlichte Industrie in der Praxis 1955–1985

tur der österreichischen Stahlindustrie und darüber hinaus der gesamten österreichischen Industrielandschaft. Kaprun wiederum brachte schon viel früher einen energiewirtschaftlichen Größensprung mit strukturellen Konsequenzen, wie sie erst neuerdings wieder mit Errichtung des Maltakraftwerkes erreicht wurden. Aichfeld-Murboden hingegen ist der regionalstrukturpolitische Modellfall schlechthin, der durch sektoral, branchenmäßig, betrieblich und kommunal abgestimmte Planung und Planverwirklichung eine entscheidende Verbesserung der Regionalstruktur dieses obersteirischen Industriegebietes, aber auch der Struktur des österreichischen Kohlenbergbaues erreichte. Diese einprägsamen, konkreten Erfahrungen spielten sich zum Teil in einzelwirtschaftlichen Bereichen ab, erreichten aber derartige Dimensionen, dass sie darüber hinausgehend Strukturen von Branchen, Regionen und Sektoren veränderten und sogar die Gesamtheit beeinflussten. Für Österreich war und ist daher Strukturpolitik etwas Konkretes, etwas Fassbares, etwas Notwendiges und Selbstverständliches“.288 Die Zusammenführung in der Stahl-, Buntmetall- und chemischen Industrie werde „als persönliche Leistung Bundeskanzler Dr. Kreiskys in die Wirtschaftsgeschichte eingehen.“289 Mit den Fusionen im Bereich der ÖIAG kontrollierte diese acht Industriekonzerne mit etwa 200 Einzelunternehmen. Es hatte sich daher bereits einiges verändert. 1972 kam es zu einer ersten Reprivatisierung, bei der die Siemens AG Österreich nun zu 56,4 % an die deutsche Muttergesellschaft ging und sich die ÖIAG mit nur mehr 43,6 % beteiligte. Von 1961 bis 1970 war der Beschäftigtenstand in der Verstaatlichten Industrie um rund 30.000 zurückgegangen, während sich der Umsatz fast verdoppelt hatte, obwohl einige Betriebe zu bestehen aufgehört hatten. Der Exportanteil der gesamten Produktion blieb mit einem Drittel gleich. Zusätzlich wurden durch 288 Veselsky, Ernst Eugen, Jetzt Strukturpolitik!, in: Die Zukunft, Nr. 8 (1977), S. 2–3. 289 Veselsky, Ernst Eugen, Mehr Reformspielraum durch Strukturpolitik, in: Die Zukunft, Nr. 9 (1977), S. 11–13.

164

Die Organisation der verstaatlichten

die ÖIAG erstmals bedeutende Mittel zur Förderung der Forschung zur Verfügung gestellt. „Hier wurde ein grundsätzlich richtiger Weg eingeschlagen. Auch die Vereinheitlichung der Kostenrechnungen in der Eisen- und Stahlindustrie kann als Erfolg gewertet werden. Die Investitionsplanung hingegen dürfte noch in den Kinderschuhen stecken; zumindest war bisher davon nur recht wenig zu bemerken.“290

290 Fleischmann, Franz, Die verstaatlichte Industrie in Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1972), S. 20.

165

4. Akt: Auf dem Weg in die Krise

1983 erklärte Sepp Wille (SPÖ) im Nationalrat: „... niemand verlangt eine weitere Verstaatlichung, aber es verlangt auch niemand eine weitere Privatisierung.“ Und seine Ausführungen gipfelten in der Behauptung: „Wenn ein Staat wie der unsere von starken Parteien getragen wird, wenn ein Staat wie der unsere die Großbanken verstaatlicht hat, die Grundindustrien verstaatlicht hat, die E-Wirtschaft verstaatlicht hat, wenn es weite Bereiche von Genossenschaften gibt, dann kann einfach von Kapitalismus nicht mehr die Rede sein; der Kapitalismus ist in unserem Staat zur Legende geworden.“291 Damit war er weit weg von der Realität Anfang der 1980er-Jahre. Denn der ‚Kapitalismus‘, wenn man so will, war zurückgekehrt und die Probleme in der Verstaatlichten Industrie begünstigten die Forderung nach einer Privatisierung. Ein Herbert Krejci (ÖVP) sah daher die Entwicklung ganz anders: „Es ist gut, dass in diesen Tagen viel über einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel in zahlreichen Staaten der westlichen Welt geredet wird. Es häufen sich die kritischen Urteile über das deutliche Versagen des Staates als Wirtschaftsfaktor. Man wird sich klar, dass nicht der Markt als Regulativ Bankrott macht, sondern die öffentlichen Hände – in allen ihren Verzweigungen und Einflusssphären.“292 Diese Tendenz wurde auch von Teilen der SPÖ gesehen. Angesichts der Krisenerscheinungen mehrten sich die Versuche der Diskreditierung der Verstaatlichten Industrie. „Mit Scheinargumenten wie etwa ‚die gut arbeitende Privatwirtschaft muss für die defizitäre Staatswirtschaft zahlen‘ oder die Verstaatlichte Industrie 291 Sepp Wille, NRP, XVI/3, 1.6.1983, S. 49. 292 Krejci, Herbert, Unsere Wirtschaft – unsere Arbeitsplätze, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 37, Nr. 2 (1981), S. 52.

167

4. Akt: auf dem Weg in die krise

ist ‚ein Faß ohne Boden‘, wird versucht, die von der internationalen Krise geschaffenen Gegebenheiten als ‚Gunst der Stunde‘ zu nützen, um die öffentliche Wirtschaft, die Gemeinwirtschaft, als Fremdkörper in unserem Wirtschaftssystem hinzustellen.“293 1981 waren alle Bereiche der ÖIAG, mit Ausnahme von Chemie und Erdöl, defizitär und eine Besserung nicht in Sicht. Vorläufig schien man aber noch die Krise, wenn auch nur mit entsprechendem finanziellem Aufwand, bewältigen zu können. Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) unterstrich die besondere Bedeutung und Verantwortung der Verstaatlichten Industrie in der schwierigen konjunkturellen Phase der 1970er-Jahre. Sie hatte ein hohes Investitionsniveau gehalten und so einen entscheidenden Beitrag zur Vollbeschäftigungspolitik geleistet. Wo Standorte und Produktionen abgebaut werden mussten, versuchte man Ersatzbetriebe und Ersatzarbeitsplätze zu schaffen und zu Strukturverbesserungen, etwa in der Edelstahlindustrie, wurde eine Milliarde Schilling bereitgestellt. Die Regierung würde aber dafür sorgen, „dass das hohe Maß an Mitsprache und Mitverantwortung der Arbeiter und Angestellten in der verstaatlichten Industrie erhalten bleibt“.294 Bis zur Krise Mitte der 1980er-Jahre folgte man in der SPÖ dieser Kreisky-Linie, wobei sich in der Argumentation eine gewisse Struktur herausgebildet hatte. Zum Ersten stellte man einmal mehr die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Verstaatlichten Industrie heraus. Nicht nur für Finanzminister Herbert Salcher (SPÖ) hatte sich das System der gemischten Wirtschaft bewährt, was schon allein durch das Gewicht des verstaatlichten Sektors in der österreichischen Wirtschaft deutlich werde. „Eine Strukturverbesserung der verstaatlichten Wirtschaft liegt also auch im Interesse der privaten Betriebe, zumal enge Verflechtungen zwischen diesen Bereichen bestehen.“295 „Es 293 Tieber, Herbert, Gemeinwirtschaftliche Perspektiven, in: Die Zukunft, Nr. 3 (1983), S. 34. 294 Bruno Kreisky, NRP, XV/2, 19.6.1979, S. 25. 295 Herbert Salcher, NRP, XVI/13, 19.10.1983, S. 933.

168

4. Akt: auf dem Weg in die krise

mag viele enttäuschen, dass es keine klaren Antworten und Gegenstrategien zur konservativen ‚Entstaatlichungsstrategie‘ gibt“, schrieb Hannes Swoboda (SPÖ), „aber will man die Erfahrungen, die man allein in diesem Jahrhundert mit privaten und öffentlichen Unternehmungen in Österreich, aber auch in anderen Industriestaaten gemacht hat, nicht leugnen, kann man nur eine differenzierte Stellung einnehmen. Das gemischtwirtschaftliche System mit einem großen öffentlichen Sektor wird dann nicht bloß als Kompromiss beziehungsweise Übergangsstadium anzusehen sein, sondern als zwar mangelhaftes, aber dennoch aufgrund der heutigen Kenntnisse optimales Wirtschaftssystem.“296 Wenn in den letzten Monaten vereinzelt die Frage gestellt wurde „Kann sich Österreich eine Verstaatlichte Industrie mit einer Eisenund Stahlproduktion überhaupt noch leisten?“, so dürfe es darauf nur eine Antwort geben, stellte Ferdinand Lacina (SPÖ) fest. „Insbesondere in Zeiten, wie wir sie jetzt erleben, kann es sich die österreichische Wirtschaft in ihrer Gesamtheit nicht leisten, auf die Verstaatlichte Industrie zu verzichten. Einige Zahlen machen dies deutlich: Die Verstaatlichte Industrie vergibt im Jahr Aufträge in Höhe von 25 Milliarden Schilling an kleinere und mittlere Unternehmen. Ohne diese Aufträge müssten viele dieser Unternehmen um ihre Existenz bangen. Außerdem ist die Verstaatlichte Industrie einer der wichtigsten Exporteure unserer Wirtschaft. Die Erlöse aus diesen Exporten machen ungefähr die Hälfte der Deviseneinnahmen aus dem Fremdenverkehr aus. Und es ist allgemein anerkannt, dass die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr einen Eckpfeiler der österreichischen Wirtschaft darstellen. Die Verstaatlichte Industrie hat mit ihren Exporten vielen kleineren und mittleren Betrieben ausländische Märkte erschlossen, die für diese Unternehmungen ansonsten unerreichbar gewesen wären.“297 296 Swoboda, Hannes, Mehr Staat – mehr privat? Grundsätzliches zur Privatisierungsdiskussion, in: Die Zukunft, Nr. 10 (1985), S. 7–9. 297 Lacina, Ferdinand, Verstaatliche Industrie: Heute die Zukunft sichern, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1983), S. 2–3.

169

4. Akt: auf dem Weg in die krise

Zum Zweiten rechtfertigte man die Arbeit der ÖIAG. Es sei völlig falsch, erklärte Oskar Grünwald (SPÖ), dass bei der Verstaatlichten Industrie der Eindruck erweckt werde, „es handle sich um eine bereits jahrelang schwer defizitäre Industriegruppe, die Unsummen von Steuergeldern in Anspruch nähme und größtenteils veraltete Strukturen aufweise.“ Seit dem Bestehen der ÖIAG sei die Gesamtentwicklung durchaus gut verlaufen, obwohl ab Mitte der 70er-Jahre große Branchenkrisen von internationalem Ausmaß in den Bereichen Stahl, Aluminium und Chemie zu verkraften waren. Die Umsätze der ÖIAG-Gruppe haben sich in den 1970er-Jahren verdreifacht und von den 80 Milliarden Schilling, die in der Verstaatlichten Industrie investiert wurden, stammten 80 Prozent aus selbst erwirtschafteten Mitteln. Die Verstaatlichte Industrie erhielt in diesem Zeitraum – mit Ausnahme der Bergbauförderung und der Strukturbeihilfe an VEW – keinerlei Mittel aus Steuergeldern. Dagegen betrugen die Steuerleistungen der Verstaatlichten Industrie insgesamt 87,7 Milliarden Schilling.298 Zusätzlich waren seit Bestehen der ÖIAG Unternehmensbeteiligungen möglich geworden, welche vorher als ‚Ausdehnung der Verstaatlichung‘ prinzipiell abgelehnt worden waren. Zwischen 1970 und 1981 wurden von der ÖIAG 108 Beteiligungen oder Unternehmensgründungen durch ihre Tochterunternehmen genehmigt. Das waren Handels-, Service- und Produktionsunternehmen zur Absatzförderung, Beteiligungen in Richtung Know-how und Einstieg in neue, höherwertige Produktionen und zur Sicherung von Rohstoffquellen. Die ÖIAG selbst hatte sich aus regional- und industriepolitischen Motiven an Unternehmen wie der Renault-Industrie Gleisdorf oder dem Entwicklungszentrum für Mikroelektronik in Villach beteiligt. Dennoch war die Beteiligungspolitik der ÖIAG in den 1970er-Jahren durch Zurückhaltung gekennzeichnet, „um nicht Gefahr zu laufen, ein Konglomerat von zu heterogenen Beteiligungen anzuhäufen, die 298 Grünwald, Oskar, Zur Lage der verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1982), S. 11–14.

170

4. Akt: auf dem Weg in die krise

erfahrungsgemäß Managementprobleme exponentiell ansteigen lassen“. Die Politik der ÖIAG-Gruppe war es, in Zukunft wieder aus eigener Kraft zu bestehen und mit Gewinn zu arbeiten.299 Zum Dritten wurde die Zusammenfassung in industrielle Branchen gerechtfertigt. „Manchmal wird aus dieser Neuordnung der Unternehmensstrukturen der Schluss gezogen“, stellte Ferdinand Lacina (SPÖ) fest, „dass man sich wohl die früher vollzogenen Konzentrationen, die Zusammenschlüsse auf Branchenebene, hätte ersparen können. Dieser Schluss stellt sich bereits dann als falsch heraus, wenn man die Frage stellt, ob alle Unternehmen des verstaatlichten Sektors die Krise der letzten Jahre als selbständige Einheiten überwunden hätten. Auch die international zu beobachtende Entwicklung zu weiterer Konzernierung, der Zusammenschluss der Stahlindustrie in Schweden, im Saarland und die Umgruppierungen in der französischen Stahlindustrie, zeigen die Richtigkeit der getroffenen Maßnahmen. International geht der Trend zum Großkonzern weiter, allerdings mit organisatorischen Vorkehrungen zur Kombination der Vorteile von Großbetrieben mit der Flexibilität kleinerer wirtschaftlicher Einheiten, wie sie etwa in der Organisation multinationaler, auf den verschiedensten Märkten und in diversen Produktionen tätigen Mischkonzernen am konsequentesten vorexerziert wurde.“300 Zum Vierten wurde grundsätzlich festgestellt, dass es sich bei den Problemen im Grundstoffbereich um ein globales Phänomen handelte. „Es ist daher sicherlich nicht gerechtfertigt, in diesem Zusammenhang von einer Krise der Verstaatlichten Industrie zu sprechen oder die nun erforderlichen Maßnahmen als ein Scheitern sozialistischer Industriepolitik darzustellen. Wir erleben vielmehr eine Krise der Grundstoffindustrie, von der weltweit beinahe alle Firmen dieses Wirtschaftszweiges betroffen sind, ganz egal, ob sie staatlich oder 299 Grünwald, Oskar, Zur Lage der verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1982), S. 11–14. 300 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte Industrie: Heute die Zukunft sichern, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1983), S. 2–3.

171

4. Akt: auf dem Weg in die krise

privat sind. Wenn man sich die Prognosen des Weltstahlverbrauches aus den vergangenen Jahren ansieht und mit den tatsächlich erzielten Werten vergleicht, so kann man nur zu dem Schluss kommen, dass es einen Kollektivirrtum der Stahlindustrie in den westlichen Ländern gegeben hat. Die Kapazitäten wurden immer wieder zu hoch eingeschätzt, und nun müssen die entsprechenden Korrekturen vorgenommen werden. Es gibt also keine Krise der Verstaatlichten Industrie, sondern eine Krise der Grundstoffindustrie, und hier vor allem im Bereich Eisen und Stahl einen Konkurrenzkampf, der beinahe mit einem Wirtschaftskrieg verglichen werden könnte. Viele Länder versuchen, durch Importrestriktionen ihre Industrien zu schützen, und es kommt zu protektionistischen Maßnahmen, die an längst vergangene Zeiten erinnern.“301 Es wurde nicht angezweifelt, dass auch einige Unternehmen der Verstaatlichten Industrie diesem Kollektivirrtum erlegen waren und in einem Kampf ums Überleben standen. „Während vor zwei Jahren die Beratungsfirma Booz & Allen und die Unternehmensleitung der VEW damit gerechnet hatten, dass eine Jahreskapazität von 270.000 Tonnen Stahl am Markt abgesetzt werden könne, muss nun diese Prognose auf 175.000 Jahrestonnen revidiert werden. Es wurden bereits im zweiten Strukturkonzept der VEW wesentliche Reduktionen der Kapazitäten durchgeführt, doch stellt sich nun heraus, dass diese nicht ausreichend waren. Die erwähnten Zahlen machen deutlich, in welch drastischem Ausmaß ganze Märkte verlorengegangen sind.“302 Fünftens rechtfertigte man die Politik der Verstaatlichten Industrie mit ihrer Bedeutung für die Sozialpartnerschaft. Die schweren Branchenkrisen der Eisen- und Stahlindustrie hatten in zahlreichen Ländern zu sozialen Spannungen geführt. Die Verstaatlichte Industrie in Österreich habe sich aber aus einer gesamtwirtschaftlichen Verant301 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte Industrie: Heute die Zukunft sichern, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1983), S. 2–3. 302 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte Industrie: Heute die Zukunft sichern, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1983), S. 2–3.

172

4. Akt: auf dem Weg in die krise

wortung bemüht, die negativen Auswirkungen nicht auf die Beschäftigung durchschlagen zu lassen. So konnte der Beschäftigtenstand der ÖIAG-Gruppe von 1973 bis 1978 im Gegensatz zur Privatwirtschaft sogar leicht erhöht werden. „Wir bekennen uns dagegen zu einer Politik, die der Entindustrialisierung entgegenwirkt“303, wie Ferdinand Lacina (SPÖ) sagte. Denn § 1 des ÖIAG-Gesetzes sah vor, dass neben betriebswirtschaftlichen Grundsätzen auch auf Erfordernisse der Volkswirtschaft Rücksicht zu nehmen war. Die ÖIAG hatte daher bei ihren Bemühungen zur Umstrukturierung ‚gesamtwirtschaftlich verantwortungsvoll‘ vorzugehen und sei damit eine der Grundlagen der Sozialpartnerschaft.304 Die Bundesregierung war sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst. „Es ist in der Vergangenheit gelungen, durch Umschichtungen von Arbeitskräften und durch die sogenannte Aktion 57 mit einem Minimum an Kündigungen das Auslangen zu finden. Durch die Aktion 57 konnten ältere Arbeitnehmer, die ihr Leben lang schwerste Arbeit geleistet hatten, in den verdienten Ruhestand treten. Bei der VOEST-Alpine sind bisher 1.300 Menschen in den Genuss dieser Regelung gekommen, bei der VEW waren es rund 1000. Gleichzeitig wurde für jeweils drei Arbeitnehmer, die auf diesem Weg ausschieden, ein Jugendlicher zusätzlich aufgenommen. Auch bei den zukünftigen Maßnahmen wird darauf geachtet werden, dass es zu einem Minimum an Kündigungen und sozialen Härten kommt. Es muss gleichzeitig verhindert werden, dass Industriefriedhöfe entstehen und ganze Regionen veröden.“ Durch das Wirken der österreichischen Arbeiterbewegung stoße die Anwendung des Prinzips des ‚hire and fire‘ in weiten Kreisen der österreichischen Bevölkerung auf Ablehnung. Doch waren Ferdinand Lacina (SPÖ) auch die Grenzen dieser Politik bewusst. Der Staat habe zwar die Verpflichtung, dem einen oder anderen Betrieb zu helfen, wenn er in wirtschaftliche 303 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte Industrie: Heute die Zukunft sichern, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1983), S. 2–3. 304 Ostleitner, Herbert, Austro-Keynesianismus, in: Die Zukunft, Nr. 12 (1982), S. 7–10.

173

4. Akt: auf dem Weg in die krise

Schwierigkeiten gerät. „Aber im Grunde muss sich jeder Betrieb selbst helfen. Er muss sich am Markt bewähren und dort seine Lebensfähigkeit beweisen. Das gilt für die Verstaatlichte Industrie genauso wie für Konzernbetriebe der Banken oder für die privaten Unternehmen.“305 Nachdem die Unternehmen der Verstaatlichten Industrie der internationalen Konkurrenz voll ausgesetzt waren, wäre es demagogisch, „wenn ÖVP-Landeshauptleute so tun, als ob sie sich an die Spitze der Arbeiterschaft stellen wollten, um eine Beschäftigungsgarantie für einen Betrieb oder für ein ganzes Bundesland zu erreichen. Eine Versteinerung der Wirtschaftsstruktur wäre die Folge, und die Verstaatlichte Industrie Österreichs wäre in kurzer Zeit angesichts der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung im Ausland ein museales Kuriositätenkabinett.“306 Auf einen anderen Aspekt, der das politische System insgesamt berührte, machte Herbert Ostleitner (SPÖ) aufmerksam: „Die Existenz der Verstaatlichten Industrie ist eine der wesentlichen Bedingungen für die österreichische Sozialpartnerschaft, weil sich die Machtbalance zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht einstellen würde, wäre dieser Industriekomplex in den Händen von in- oder ausländischen Privaten. Die ökonomische Zusatzrechtfertigung einer Verstaatlichten Industrie, die sich in mehr als nur dem Eigentumstitel von der privaten Wirtschaft unterscheidet, liegt in der Möglichkeit, sie als Instrument zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Ziele des Staates zu nützen ... Der stabilisierende Einfluss, der von verstaatlichten Unternehmungen in einer relativ kurzen Krisenphase ausgehen kann, zeigte sich auch im Jahre 1975, als die Verstaatlichte Industrie – indem sie ihre mittelfristigen Investitionsprogramme durchführte – ihren Anteil an den gesamten industriellen Investitionen von einem Viertel auf über ein Drittel erhöhte. Obwohl die 305 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte Industrie: Heute die Zukunft sichern, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1983), S. 2–3. 306 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte Industrie: Heute die Zukunft sichern, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1983), S. 2–3.

174

4. Akt: auf dem Weg in die krise

Verstaatlichte Industrie im Rezessionsjahr 1975 einen massiven Produktionsrückgang von 9,1 % zu verzeichnen hatte (Gesamtindustrie –7,4 %), reagierte sie nicht mit einem Beschäftigungsabbau, sondern vielmehr mit einem leichten Anstieg von 0,3 %, während die Privatindustrie 6,1 % der Beschäftigten abbaute. Der leichte Rückgang der Beschäftigten in den folgenden Jahren bis 1978 lässt die Feststellung zu, dass man bemüht war, den schweren Konjunktureinbruch von 1975 beschäftigungsmäßig ‚abzufangen‘ und in den Folgejahren bei den inländischen Arbeitskräften ‚defensive, beschäftigungspolitische Maßnahmen‘ zu setzen. Der verstaatlichte Sektor war nach dem massiven Konjunktureinbruch des Jahres 1975 also eine wichtige Basis staatlicher Vollbeschäftigungspolitik. Ohne die Verstaatlichte wäre der Damm der Vollbeschäftigung geborsten und hätte bereits vor der Krise der achtziger Jahre eine beträchtliche Anzahl von Dauerarbeitslosen nach sich gezogen. In diesem Zusammenhang muss festgehalten werden, dass alle Staaten, die in der Rezession einmal ein Absinken in höhere Arbeitslosenraten zuließen, sich seither nicht mehr aus dieser Situation befreien konnten. Offensichtlich löst das einmalige Zulassen hoher Arbeitslosenzahlen negative Selbstverstärkungseffekte aus, die dagegen durch die österreichische Beschäftigungspolitik vermieden werden konnten.“307 Diese ‚gesamtwirtschaftlich verantwortungsvolle‘ Politik der Verstaatlichten Industrie musste allerdings zu einem beträchtlichen Verzehr der betrieblichen Substanzen führen. Die Aufrechterhaltung des hohen Investitions- und Beschäftigungsniveaus unter ungünstigen wirtschaftlichen Umständen hatte eine Verschlechterung des Verhältnisses von Eigen- und Fremdmittel zur Folge. Von 1974 bis 1978 ging der Anteil an Eigenmittel und Sozialkapital an den addierten Bilanzsummen von 46 Prozent auf 36 Prozent zurück. Die Kapitalzuführungen seitens der ÖIAG von rund 2,4 Milliarden Schilling (1975 bis 1978) konnte die Verschlechterung der Bilanzrelationen nur mil307 Tieber, Herbert, Verstaatlichte: War alles falsch?, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1986), S. 7–10.

175

4. Akt: auf dem Weg in die krise

dern, jedoch nicht zur Gänze ausgleichen. Das Ergebnis der gesamten Gruppe wurde durch die empfindlichen Verluste beeinflusst, die im Stahl- und Edelstahlbereich hingenommen werden mussten. Es war kein Zweifel, dass der Spielraum der verstaatlichten Unternehmen und der ÖIAG-Gruppe als Ganzes für die Übernahme von Lasten aus gesamtwirtschaftlichen Verpflichtungen – beschäftigungs- und regionalpolitischer Zielsetzungen – zunehmend enger wurde.308 Die nun unumgängliche öffentliche Finanzhilfe wurde durch einen internationalen Vergleich relativiert, denn weltweit hatte ein gigantischer Wettlauf um Subventionen eingesetzt. „Allein in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft wurden von 1975 bis 1983 600 Milliarden Schilling den Betrieben der Stahlindustrie zur Verfügung gestellt. Bis 1985 werden es 850 Milliarden Schilling sein. Die österreichische Stahlindustrie hat dagegen bisher einen vergleichsweise kleinen Betrag, nämlich 8,5 Milliarden Schilling, in Anspruch nehmen müssen. Wenn wir uns die Subventionen pro Tonne Stahl im internationalen Vergleich ansehen, wird deutlich, dass Österreich bisher sehr zurückhaltend agiert hat. Während im EG-Durchschnitt die Tonne Stahl mit rund 700 Schilling subventioniert wird, sind es in Österreich lediglich 70 Schilling.“309 Oskar Grünwald (SPÖ) wies darauf hin, dass die Verstaatlichte Industrie in den 1970er-Jahren ihre Finanzprobleme noch weitgehend selbstständig lösen konnte. „Zwischen 1970 und 1980 führte die ÖIAG ihren Tochtergesellschaften Mittel in der Höhe von 4,6 Milliarden Schilling in Form von Kapitaleinzahlungen zu. Davon konnten 3,6 Milliarden Schilling aus Dividendeneinnahmen der ÖIAG aufgebracht werden, so dass die von den Unternehmungen ausgeschütteten Gewinne zur Gänze wieder investiert wurden. Das verbleibende Finanzierungserfordernis brachte

308 Lacina, Ferdinand, Teure Verstaatlichte? Die Verstaatlichte Industrie an der Schwelle der achtziger Jahre, in: Die Zukunft, Nr. 4 (1979), S. 20–22. 309 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte Industrie: Heute die Zukunft sichern, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1983), S. 2–3.

176

4. Akt: auf dem Weg in die krise

die ÖIAG durch mehrere Anleiheemissionen sowie Darlehens- und Kreditaufnahmen auf den in- und ausländischen Kapitalmärkten auf.“310 Im Jänner 1979 beschloss die Regierungsklausur eine Kapitalzuführung von einer Milliarde Schilling als Strukturhilfe für die Edelstahlindustrie, die über die ÖIAG in fünf Jahresraten zugeführt werden sollte. Zusätzlich wurde die Hilfestellung der ÖIAG durch einen Haftungsrahmen des Bundes ermöglicht, der 1979 von je 3 Milliarden Schilling für Kapital und Zinsen auf je 5 Milliarden Schilling erhöht wurde. Am 20. Mai 1981 wurden dann der ÖIAG 2 Milliarden Schilling Fremdmittel zur Finanzierung der Vereinigten Edelstahlwerke übertragen, deren Tilgungen und Zinsen der Bund übernahm. Bei einer zweiten Gesetzesnovelle vom 15. Dezember 1982 wurden auf diese Weise weitere 4 Milliarden Schilling an Kapitalzuführung vorgenommen, davon 2 Milliarden für VOEST-Alpine und 2 Milliarden Schilling für die Vereinigten Edelstahl Werke. „Mit dieser Finanzierungshilfe für die verstaatlichte Stahlindustrie – via ÖIAG – trug der Eigentümer dem Umstand Rechnung, dass durch die Krise der Stahlindustrie, die 1980/81 erneut und verschärft zum Ausbruch kam, Probleme der Finanzierung und der Umstrukturierung entstanden waren, die die Unternehmungen aus eigener Kraft nicht lösen konnten.“311 Zur Förderung dieses Strukturwandels wurden im Budget 1983 weitere 570 Millionen Schilling zur Verfügung gestellt.312 Da die krisenhaften Erscheinungen immer stärker auf Österreich übergriffen, war das aber bei Weitem nicht ausreichend. Die ÖIAG hatte daher ein Memorandum ausgearbeitet, das mit einer Reihe von strategischen Zielsetzungen eine Finanzhilfe des Bundes in der Höhe von 16,6 Milliarden Schilling vorsah. Verbunden war dies mit einem Rationalisierungspro-

310 Grünwald, Oskar, Zur Lage der verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1982), S. 11–14. 311 Grünwald, Oskar, Zur Lage der verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1982), S. 11–14. 312 Herbert Salcher, NRP, XV/126, 20.10.1982, S. 12.789.

177

4. Akt: auf dem Weg in die krise

gramm im Grundstoffsektor, mit einer Drosselung der Kapazitäten und einem Ausbau der Erzeugungen im Finalbereiche.313 Im Herbst 1983 konnte Finanzminister Herbert Salcher (SPÖ) unter dem Beifall der Regierungsparteien SPÖ und FPÖ im Nationalrat verkünden, dass sich die Bundesregierung entschlossen habe, der Verstaatlichten Industrie in den nächsten Jahren die Zuführung dieser 16,6 Milliarden Schilling zu ermöglichen.314 Auch Bundeskanzler Fred Sinowatz bestätigte 1983, dass es angesichts der tief greifenden Branchenkrisen notwendig sei, „dass der Eigentümer der Verstaatlichten Industrie diesen Unternehmen durch Zuführung ausreichender Mittel die Erfüllung dieser Aufgabe ermöglicht. Ziel unserer Industriepolitik ist es, Tendenzen der Entindustrialisierung, die weltweit festzustellen sind, entgegenzuwirken und das Beschäftigungsniveau der Industrie zu stabilisieren. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)“315 Mit den 16,6 Milliarden Schilling an Steuergeldern war die Verpflichtung zu einer durchgreifenden Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Verstaatlichten Industrie verbunden. „Die massive Finanzhilfe für die Verstaatlichte Industrie wird die Budgets der kommenden Jahre mit Verzinsung und Rückzahlung der aufgenommenen Mittel beträchtlich belasten. Schon deshalb müssen die zur Verfügung gestellten Mittel effizient eingesetzt werden. Und sie müssen zweitens dazu dienen, die Strukturprobleme zu lösen. Denn wer die Schwierigkeiten nur vor sich hinschiebt, kommt eines Tages in eine Situation, in der die Pro­ bleme nicht mehr zu bewältigen sind.“316 Der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr, Ferdinand Lacina (SPÖ), erläuterte bei einem Vortrag im Jahr 1984, dass die Staatsunternehmen aktuell gezwungen waren, „ihre Produktpalette zu ändern, neue Märkte zu erschließen und sich mit neuen 313 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte Industrie: Heute die Zukunft sichern, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1983), S. 2–3. 314 Herbert Salcher, NRP, XVI/13, 19.10.1983, S. 933. 315 Fred Sinowatz, NRP, XVI/2, 31.5.1983. 316 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte Industrie: Heute die Zukunft sichern, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1983), S. 2–3.

178

4. Akt: auf dem Weg in die krise

Technologien vertraut zu machen“. Dies setze „eine erhöhte Risikobereitschaft der Manager voraus. Entscheidungen müssen rasch und unter hoher Unsicherheit getroffen werden […]. Auch Fehl- und Rückschläge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass am technischen Fortschritt kein Weg vorbeiführt. Die Industriepolitik hat dabei die Aufgabe, diesen Weg etwas weniger dornig zu gestalten, indem sie generell Rahmenbedingungen setzt, die sowohl Entwicklung und Zugang zu technischen Neuerungen als auch die Umgestaltung jüngster Forschungsergebnisse in die industrielle Fertigung erleichtert.“317 Unter diesen Bedingungen von Ansprüchen und Absicherungen, in denen Wachstum belohnt und Pleite als reale Gefahr ausgeschlossen wurde, lag es nahe, sich bei strategischen Entscheidungen auf Wege festzulegen, die vor allem auf Wachstum durch Diversifizierung und Innovation setzten, um bestehende Strukturen nicht schmerzhaft reformieren, sondern durch wachsende Geschäftsvolumina weiterhin erhalten zu können. 318 Die Reform der Verstaatlichten Industrie war Anfang der 1980erJahre kein neues Thema. Es dürfte kaum einen Industriekonzern in Österreich gegeben haben, der in den vorangegangenen zehn Jahren solche grundlegenden organisatorischen Veränderungen durchgemacht hatte. Die Strategie ging in Richtungen einer Rationalisierung der Grundstoffproduktionen, des Ausbaus der Finalerzeugungen und der Entwicklung neuer Fertigprodukte. Tatsächlich zeigte die Produktion der Verstaatlichten Industrie einen Trend in diese Richtung. Der Hüttenanteil bei der VOEST-Alpine war von 1973 bis 1982 von 64 317 Ferdinand Lacina, Am technischen Fortschritt führt kein Weg vorbei, in: Wir sind auf dem richtigen Weg, Wien 1985, S. 5–7, hier S. 6. 318 Resch, Andreas, Defensive Innovationen statt schöpferischer Zerstörung: Die risikofreudigen Innovations- und Diversifizierungsstrategien in der österreichischen verstaatlichten Industrie von 1975 bis 1985, in: Gisela Hürlimann, Philipp Ischer (Hg.), Innovationsprozesse und institutioneller Wandel in öffentlichen Unternehmen seit den 1970erJahren: Deutschland, Österreich und die Schweiz im Vergleich, Nomos Verlag, Baden-Baden 2011.

179

4. Akt: auf dem Weg in die krise

auf 39 Prozent zurückgegangen, dagegen dehnte sich der Anlagenbau bis 1982 auf 15 Milliarden Schilling aus. 1975 bis 1982 waren in der Verstaatlichten Industrie bei steigendem Umsatz und Exportquote 28 Produktionen stillgelegt und 24 neue aufgenommen worden. Die VOEST-Alpine war in den Elektronikbereich eingestiegen und fertigte zusammen mit amerikanischen Partnern modernste Technologien. Das Geld werde also nicht „in die Hochöfen geschmissen“, sondern es diene zur Fortsetzung des Umstrukturierungsprozesses. „Freilich ist das Ziel einer Strukturanpassung, das Auffinden neuer Produktionen, das Entdecken von Marktnischen und neuer Trends von Nachfrage und technischer Entwicklung gerade in einer Zeit schwachen Wachstums und internationaler Branchenkrisen besonders schwierig, und in der Verstaatlichten Industrie – wie auch in anderen Bereichen der österreichischen Industrie – besteht nach wie vor ein beträchtlicher Nachholbedarf. Spektakuläre Erfolge sind selten, vielmehr geht es darum, in relativ kleinen Produktbereichen und Marktsegmenten genaue Kenntnis der technischen Voraussetzungen und der Marktentwicklung zu gewinnen und durch intensive Verkaufsbemühungen eine starke Marktstellung zu erreichen.“319 Auf der anderen Seite mussten unrettbar verlustbringende Betriebe – wie der Kupferbergbau Mitterberg und der Braunkohlenbergbau Fohnsdorf – geschlossen werden, wobei durch die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen und materielle Absicherung der Übergangszeit versucht wurde, die unvermeidlichen Härten wesentlich abzumildern. Am Vorabend der Krise stellte Hannes Swoboda (SPÖ) 1985 noch fest: „Wie ein Blick in die Insolvenzstatistik und in die Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen beweist, ist Privateigentum keine Garantie für Spitzenleistungen und Erfolg. Allerdings, auch öffentliches Eigentum ist es nicht.“320 Wolfgang Schüssel (ÖVP) war da aber ganz anderer 319 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte Industrie: Heute die Zukunft sichern, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1983), S. 2–3. 320 Swoboda, Hannes, Mehr Staat – mehr privat? Grundsätzliches zur Privatisierungsdiskussion, in: Die Zukunft, Nr. 10 (1985), S. 7–9.

180

4. Akt: auf dem Weg in die krise

Meinung. „Heute ist die Privatisierungsdiskussion eine weltweit geführte wirtschaftspolitische Debatte ... Man sollte im Grunde alles zur Diskussion stellen – ob Telefone durch den Staat verkauft und eingeleitet werden sollen, Krankenhäuser öffentlich geführt werden müssen, Industriebetriebe, Theater, Fremdenverkehrseinrichtungen wie Restaurants, Seilbahnen, Reisebüros, Buchverlage usw. vom Staat zu führen sind. Privatisierung wird auf allen Ebenen ein Thema der nächsten Jahre sein – ob auf Bundes-, Landes- oder Gemeindeebene ... Privatisierung bedeutet substantielle Vorteile für das Management der Betriebe (größere Unabhängigkeit), die Mitarbeiter, die Konsumenten und Steuerzahler. Privatisierung bringt natürlich auch eine Entlastung der leeren Staatskassen und eine Verringerung des Staatsanteils mit sich. Das Hauptanliegen aber ist es, die Effizienz der österreichischen Wirtschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Privatisierung heißt Industrien, Dienstleistungen und Aufgaben, die nicht notwendigerweise vom öffentlichen Sektor betrieben werden müssen, wieder dem eigentlichen Souverän zurückgeben – dem österreichischen Volk.“321 Auch Helga Rabl-Stadler (ÖVP) schlug ähnliche Töne an: „Staatliche Unternehmensführung krankt meist an Entscheidungsschwäche des Managements, das sich zu oft mit den Mächtigen in Regierung, Gewerkschaft und Opposition kurzschließen muss. Je größer der politische Einfluss, desto geringer aber die Bereitschaft des Managements, Verantwortung zu übernehmen, und desto geringer spontanes Engagement, Kreativität und Flexibilität in den Führungsetagen bis hinunter zum Portier eines staatseigenen Unternehmens. Erschwerend kommt dazu, dass des öfteren Aufsichtsratsposten, manchmal sogar Vorstandssitze, von den Parteien wegen politischer Vasallentreue und nicht wegen des Sachverstandes der solcherart Berufenen vergeben werden ... Für Österreich enthüllte der OECD-Bericht die alarmierende Anpassungsschwäche der Gemein321 Schüssel, Wolfgang, Mehr privat – weniger Staat: Man sollte im Grunde alles zur Diskussion stellen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 41, Nr. 6 (1985), S. 6.

181

4. Akt: auf dem Weg in die krise

wirtschaft: Während die Produktivität der gesamten Verstaatlichten Industrie von 1973 bis 1983 nur um 1 Prozent wuchs, stieg die der Privaten um 60 Prozent an.“322 Wendelin Ettmayer (ÖVP) nahm eine weniger dogmatische Haltung ein. Er rechnete vor, dass von 1979 bis 1985 für die verstaatlichten Unternehmungen 21 Milliarden Schilling ausgegeben worden waren, im selben Zeitraum aber 17.000 Arbeitsplätze verlorengegangen waren. „Die ÖVP hat recht behalten, wenn sie immer wieder festgestellt hat, Arbeitsplätze könnten dort gesichert werden, wo gesunde Betriebe Produkte erzeugen, die auch gekauft werden. Arbeitsplatzsicherung ist letztlich nur wirtschaftlich und nicht mit politischem Versprechen möglich ... Wenn das Fehlen einer Risikofunktion ein Charakteristikum der öffentlichen Unternehmungen ist, dann muss zunächst getrachtet werden, dort ein entsprechendes Kostenbewusstsein zu schaffen, so Subventionen aus Steuergeldern gewährt werden ... Eine Vermengung von politischen und wirtschaftlichen Zielen führt bei öffentlichen Unternehmungen immer wieder dazu, dass innerbetriebliche Organisationsmängel und Unwirtschaftlichkeit überdeckt werden ... Auch wenn Verschwendung bei öffentlichen Unternehmungen nicht unbedingt systemimmanent ist, haben die Ausführungen doch gezeigt, dass diese Unternehmungen verschwendungsanfällig sind. Wieweit kann nun ‚Privatisierung‘ hier Abhilfe schaffen? Um Missverständnisse zu vermeiden: Niemand denkt an den Verkauf der VOEST-Alpine. Privatisierung soll hier vielmehr die Verwirklichung privatwirtschaftlicher Prinzipien bedeuten, also eine stärkere Berücksichtigung der Prinzipien der Rentabilität und der Wirtschaftlichkeit. Inwieweit eine Überführung in privates Eigentum erstrebenswert ist, hängt wohl davon ab, ob eine öffentliche Unternehmung primär der Daseinsvorsorge dient oder Aufgaben erfüllt, die einer marktwirtschaftlichen Konkurrenz unterliegen ... Bei verstaatlichten Unternehmungen könnte im Zuge einer Kapitalaufstockung 322 Rabl, Helga, Der Staat, will er geliebt werden, muss abspecken!, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 41, Nr. 6 (1985), S. 8.

182

4. Akt: auf dem Weg in die krise

dort privates Kapital zufließen, wo es sich um ertragsorientierte Unternehmungen handelt. Auch bei der Schaffung neuer Produktionsstätten sind wohl gemischte Beteiligungen sinnvoll.“323 In den Parteiprogrammen spiegelte sich die unterschiedliche Haltung wider. Die SPÖ ging in ihrem Wirtschaftsprogramm 1981 noch auf Details in der Verstaatlichten Industrie ein: „Die Verstaatlichte Industrie muss ein kräftiger und dynamischer Bestandteil der gemischten Wirtschaft Österreichs bleiben. Zu ihren Hauptaufgaben zählen: • • •

der Aufbau neuer Produktionen, insbesondere im Finalbereich; die Steigerung des schon bisher beachtlichen Exportanteils; die weitere Verbesserung des technischen und organisatorischen Standards, um Branchenkrisen leichter bewältigen zu können und damit den Fortbestand dieses größten österreichischen Industriekomplexes langfristig zu sichern.

Um die Wettbewerbsfähigkeit der Verstaatlichten Industrie zu stärken, muss die Zusammenarbeit ihrer Unternehmen auf den Gebieten der internationalen Marktbearbeitung, der Forschung und Entwicklung intensiviert werden. Qualifikation und Einsatzbereitschaft des Managements, der Arbeiter und Angestellten sind für den Erfolg eines Unternehmens nicht weniger ausschlaggebend als Marktstellung und Anlagenausstattung. Nach dem Vorbild großer Konzerne ist daher auch im verstaatlichten Bereich eine systematische Managementausbildung und Personalplanung aufzubauen. Vorstandsmitglieder sind nach höchster fachlicher Qualifikation auszuwählen. Eine offensive Investitions- und Umstrukturierungspolitik im verstaatlichten Bereich erfordert nicht zuletzt die Zuführung neuer Eigenmittel durch die Republik Österreich. Durch die Bildung von Part323 Ettmayer, Wendelin, Subventionen für öffentliche Betriebe: Wie viel wird verschwendet?, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 41, Nr. 6 (1985), S. 14.

183

4. Akt: auf dem Weg in die krise

nerschaften im In- und Ausland sowie die Übernahme ausländischer Unternehmen, die über spezielles technisches Wissen verfügen, soll das Produktions- und Vertriebsprogramm heimischer Firmen ergänzt werden.“324 Die FPÖ stimmte als Regierungsmitglied 1983 den Rationalisierungsmaßnahmen zu: „Die Modernisierung der Verstaatlichten Industrie und der Vorstoß in diesem Bereich in neue Finalproduktionen ebenso wie die Entwicklung zukunftsorientierter Strategien für jeden einzelnen Unternehmensbereich sind Vorhaben, die wir ebenfalls gerne unterschreiben.“325 Beim Parteiprogramm 1985 stand sie aber voll auf dem Boden der Privatisierung: „Die Verstaatlichung von Eigentum als Prinzip lehnen wir ab. Verstaatlichung soll auf jene wenigen Bereiche beschränkt werden, in denen aus sachlicher Zweckmäßigkeit im Interesse des Gesamtwohles ein Verzicht auf Privateigentum geboten erscheint. Wirtschaftsaufgaben, die von verstaatlichten oder gemeinwirtschaftlichen Unternehmen oder von Behörden übernommen wurden, sind laufend auf eine mögliche Reprivatisierung hin zu überprüfen. Das gilt für alle Ebenen der Gebietskörperschaften und anderer öffentlicher Einrichtungen ... Wir gehen grundsätzlich von einer privatwirtschaftlichen Wirtschaftsstruktur aus. Direkt oder indirekt verstaatlichte Unternehmen sind, soweit dies ihre spezifische Aufgabenstellung ermöglicht, gleichfalls nach privatwirtschaftlichen Maßstäben zu führen. Die staatliche Wirtschaftspolitik hat öffentliche und private Unternehmen gleich zu behandeln, um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Wirtschaftsaufgaben, die von verstaatlichten oder gemeinwirtschaftlichen Unternehmen oder von Behörden übernommen wurden, sind laufend auf eine mögliche Reprivatisierung hin zu überprüfen. Das gilt für alle Ebenen der Gebietskörperschaften und anderer öffentlicher Einrichtungen. Die Organe öffentlicher Unternehmen sind für Fehlinvestitionen und 324 Sozialistische Partei Österreichs, Das Wirtschaftsprogramm der SPÖ. Wien 1981, S. 31, Sozialistische Politik (Bd. 12). 325 Grabher-Meyer, NRP, XVI/3, 1.6.1983, S. 76.

184

4. Akt: auf dem Weg in die krise

Verschwendung vom Eigentümervertreter zivil- und strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Bei ‚Reprivatisierung‘ ist darauf zu achten, dass nicht ausländisches Kapital unsere Wirtschaft zu kontrollieren beginnt ... Der Grad der Verstaatlichung im österreichischen Bankenwesen ist bereits viel zu hoch, wir verlangen eine weitgehende Reprivatisierung ... Die Beteiligungen von Banken an anderen, insbesondere an industriellen Unternehmungen sind so zu begrenzen und zu organisieren, dass der Handlungsspielraum der Kreditwirtschaft durch außerhalb liegende Interessen nicht eingeschnürt wird ... Das Eindringen von Banken in bankfremde Wirtschaftsbereiche durch Gründung von Tochterunternehmen ist aus wettbewerbspolitischen Gründen abzulehnen und es sind Schritte zur Rückgängigmachung dieser Entwicklung einzuleiten.“326 Und das ‚Zukunftsmanifest‘ der ÖVP 1985 legte fest, dass die Aufgaben zwischen Staat und Wirtschaft neu verteilt werden müssen: „Verstaatlichte Betriebe müssen selbständig und eigenverantwortlich geführt werden. Nur dann sind die Arbeitsplätze sicher, bleibt die Wettbewerbsfähigkeit erhalten, kann die Strukturanpassung bewältigt werden. Aber es muss möglich sein, weil es notwendig und sinnvoll ist, die Eigenkapitalbasis verstaatlichter Industrieunternehmungen durch die Zufuhr privaten Beteiligungskapitals zu verbessern. Die öffentliche Hand ist mit Abstand größter Kapital- und größter Grundeigentümer in Österreich. Es ist notwendig, in einer umfassenden, vorurteilslos geführten Diskussion festzustellen, welche Aufgaben, die heute von Gemeinden, Bundesländern oder vom Bund wahrgenommen werden, ohne Schädigung von Gemeinwohlinteressen und zum Vorteil der Bürger besser von privaten oder verstaatlichten Unternehmungen erfüllt werden können ... Während für klassische Staatsausgaben wie innere und äußere Sicherheit immer weniger Geld vorhanden ist, leisten wir uns den Luxus defizitärer Wirtschaftsbetriebe der 326 Freiheitliche Partei Österreichs, „Freiheit gilt uns als höchster Wert“. Für unsere Heimat Österreich. Das Parteiprogramm der FPÖ 1985. Ohne Ort 1985, S. 88 und 96f.

185

4. Akt: auf dem Weg in die krise

öffentlichen Hand. Die öffentliche Hand soll auch in Österreich dazu verpflichtet werden, regelmäßig Art und Umfang ihrer Beteiligungen zu begründen und sie gegebenenfalls abzugeben.“327 Obwohl der Verstaatlichten Industrie in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre politisch wie wirtschaftlich der Wind ins Gesicht blies, war ihr Bestand noch nicht wirklich gefährdet. Denn die Bemühungen zur Reorganisation mit staatlicher Hilfe schienen vorerst Früchte zu tragen, wie Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) feststellten konnte: „Die Verstaatlichte Industrie hat ihren Erneuerungsprozess in diesem Jahr fortgesetzt. 1984 werden voraussichtlich sechs der neun größten Unternehmungen wieder schwarze Zahlen schreiben. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.) Die Bundesregierung hat den in der ÖIAG zusammengefassten verstaatlichten Betrieben Unterstützung bei der Durchführung der notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen zugesagt. Für 1985 stehen rund 5 Milliarden Schilling aus dem Gesamtpaket von 16,6 Milliarden Schilling zur Verfügung.“ Diese Unterstützung lägen sowohl im Interesse der Beschäftigten der Verstaatlichten Industrie als auch in dem der rund 20.000 Klein- und Mittelbetriebe, deren jährliche Zulieferungen etwa 30 Milliarden Schilling betrage.328 Aus dem 1983 für die Verstaatlichte Industrie geschnürten Finanzpaket der Bundesregierung von insgesamt 16,6 Milliarden Schilling waren allerdings bis Ende 1985 bereits 12 Milliarden eingesetzt worden. Für Franz Vranitzky (SPÖ) waren daher bereits die Grenzen der öffentlichen Finanzierung zu erkennen. „Die Bundesregierung bekennt sich zu diesem wichtigen Sektor der österreichischen Industrie, hält allerdings den Einsatz öffentlicher Mittel nur dann für angebracht, wenn dem Anspruch auf Strukturverbesserung entsprochen wird, sodass in Zukunft auch auftauchende Probleme von den Unternehmungen maßgeblich selbst gelöst werden sollen.“329 327 Österreichische Volkspartei, Zukunftsmanifest. Für eine neue Freiheit. Ohne Ort 1985, S. 29f. 328 Franz Vranitzky, NRP, XVI/61, 19.10.1984, S. 5232. 329 Franz Vranitzky, NRP, XVI/107, 23.10.1985, S. 9273.

186

Die krise 1985 Die Krise 1985

Im November 1985 musste die Verstaatlichte Industrie Verluste in einer Höhe offenlegen, die auch politisch als Katastrophe betrachtet wurde. „Was haben Sie aus der Verstaatlichten Industrie gemacht?“, fragte Alois Mock (ÖVP). „Als man den Sozialdemokraten 1970 die Verantwortung übertragen hatte, gab es einen Jahresüberschuss von 1,4 Milliarden Schilling und über 100.000 Arbeitsplätze. „In den letzten Jahren sind 30 Milliarden Schilling zugeschossen worden und über 17. 000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Die nächste Kündigungswelle steht bevor. Und da, meine Damen und Herren, bleibt Ihnen als letzter Zugriff jetzt vor den Wahlen ohnehin nur mehr übrig, sich auch zur Privatisierung einiger staatlicher Unternehmen zu bekennen.“330 Auch Herbert Krejci (ÖVP) bezeichnete die Krise als ein „ideologisches Erdbeben“ und als den „Zusammenbruch des Mythos von der Überlegenheit des durch Jahrzehnte von der Sozialdemokratie hochstilisierten verstaatlichten Sektors der Wirtschaft“. Er warnte aber vor einer billigen Triumphstimmung. „Nach wie vor sollte – auch aus Gründen der internationalen Reputation der gesamten österreichischen Wirtschaft – an dem Bekenntnis zu der einen österreichischen Industrie festgehalten werden, so schwer dies auch unter den gegebenen Umständen fallen mag.“ Auch beim Schlagwort Privatisierung sollte man auf dem Teppich bleiben und nicht in thatcheristische Jubelschreie ausbrechen. „... die blinde Übertragung solcher Modelle auf das politische System Österreichs könnte außer vielen schweren Konvulsionen nichts bringen. Auch für den vernünftigen Grundsatz der Privatisierung sollte gelten, dass im Vordergrund praktische, vor allem praktikable Überlegungen zu stehen haben, solche auch, die nicht zusätzlich die politische Atmosphäre in Österreich verschlechtern.“331 330 Mock, Alois, NRP, XVI/161, 3.11.1986, S. 1379f. 331 Krejci, Herbert, Kein Bereich „höherer Ordnung“!, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986), S. 7–8.

187

4. Akt: auf dem Weg in die krise

Verluste der ÖIAG in Milliarden Schilling 1978 0,7 1979 0,1 1980 1,0 1981 1,1 1982 0,8 1983 2,6 1984 2,5 1985 12,5

Verluste der VOEST-Alpine 1985332 • • • • • • • • •

4,0 Milliarden Schilling der Tochtergesellschaft Intertrading, davon 2,4 Milliarden aus Erdölspekulation 1,9 Milliarden Schilling aus dem Anlagenbau 900 Millionen Schilling vom Stahlwerk Bayou/USA 800 Millionen Schilling von der Drahterzeugung Bruck/Mur 750 Millionen Schilling auf den Philippinen, die 29,6 %ige Beteiligung an der Acoje Mining Co. musste völlig abgeschrieben werden 450 Millionen Schilling für den Chemiebereich, Betriebsverlust und Abschreibung der Beteiligung 340 Millionen Schilling von der Beteiligung an zwei Kohleminen in den USA 1,3 Milliarden Schilling Verlust der Konzernmutter der Rest durch Abwertung der Lagerbestände.

Zweifellos war die Krise der Eisen- und Stahlindustrie in den 1980erJahren ein internationales Phänomen und hatte andere Länder noch härter getroffen. Zum Teil war die österreichische Krise aber auch eine Konsequenz der Diversifizierung in neue Bereiche und Beteiligungen, 332 zitiert bei: Ines Kastil, Von der Verstaatlichung zur Privatisierung, Diss., Wien 2006, S. 213.

188

Die krise 1985

welche die Verstaatlichte Industrie begonnen hatte. Und die Kapitel Intertrading, Bayou und Philippinen sind wohl schweren Managementfehlern zuzuordnen. So wies auch Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) 1987 darauf hin, dass die verstaatlichte Eisen- und Stahl­ industrie nicht in der Krise war, weil sie verstaatlicht ist, sondern weil es neben den Fehlern einiger Manager eine internationale Eisen- und Stahlkrise gab. Deshalb könne die Krise in diesem Bereich auch nicht einfach durch eine oberflächliche Privatisierung gelöst werden.333 Für den Österreichischen Wirtschaftsbund war die Sache jedoch eindeutig: „Milliardenverluste, dubiose Spekulationsgeschäfte und Managementfehler sind aber nur die Symptome für das Scheitern der sozialistischen Ideologie der Verstaatlichung.“ Österreich habe den größten Staatsanteil des Westens und der Wunsch der Mehrheit der Österreicher laute schlicht und einfach: „Öffentliches Vermögen und staatliche Unternehmungen gehören in die Hände der Bürger und nicht unter das Kuratel politischer Parteien.“ Es wäre unverantwortlich, die Ideologie der Verstaatlichung weiterhin auf Kosten der Leistungskraft der Privatwirtschaft aufrechtzuerhalten. „Nur durch Gesundschrumpfen des überdimensionalen Staatseinflusses kann die dringend notwendige Erneuerung unserer Problemindustrien so erfolgen, dass die übrige Wirtschaft keinen weiteren Schaden nimmt.“334 Es gab auch in dieser schwierigen Situation durchaus gemäßigte Stimmen innerhalb der ÖVP. So erklärte Josef Taus (ÖVP) ausdrücklich: „Meine persönliche Haltung: Ich bekenne mich zur Verstaatlichten.“ Er bekenne sich nicht zu bestimmten Prinzipien, aber zu dem Industriekonzern, der in Österreich aus historischen Gründen nach dem Krieg entstanden war. „Wir Österreicher dürfen nicht zulassen, dass hier ein Unternehmen so dahintorkelt. Da steht ja unser Ruf auf dem Spiel. Wer soll uns was abkaufen, wenn jeder sagen kann, dass wir nicht einmal in der Lage sind, 333 Franz Vranitzky, An die Arbeit – mit Rechenstift und Phantasie, in die Zukunft, 1987, S. 1. 334 Bundesleitung des Österreichischen Wirtschaftsbundes, Das Debakel der verstaatlichten Industrie, Wien, im März 1986.

189

4. Akt: auf dem Weg in die krise

unsere verstaatlichten Betriebe zu führen. Zum Schluss kommt dann wieder heraus: die untüchtigen Österreicher. Das hat man sehr schnell hängen!“335 Und ein Vertreter des ÖVP-Arbeitnehmerflügels schrieb: „Der Standpunkt der Christlichen Gewerkschafter Österreichs ist ganz einfach Ja zur Verstaatlichten Industrie mit ihren vielfältigen Aufgaben auch als Arbeitsplatzkomponente, aber Nein zu der Zementierung alter Strukturen, die letztendlich gerade für die Arbeitnehmer die Gefahr des Verlustes ihres Arbeitsplatzes bedeuten.“336 Vor allem aber traten die ÖVP-Landeshauptleute in den am meisten betroffenen Ländern für die Verstaatlichte Industrie ein. Auf der Ebene der Länder und Gemeinden entstand so eine ‚unheilige Koalition‘ von allen politischen Gruppierungen, die einen wirtschaftlichen Rückschlag für ihre Region befürchteten. So erklärte Landeshauptmann Josef Krainer (ÖVP): „Wir bekennen uns zu einer steirischen Wirtschaft, die von privaten und verstaatlichten Betrieben gemeinsam gebildet wird. Unser Eintreten für sie hat in der Steiermark – parteiübergreifend und angeführt von den Landeshauptmännern – eine gute Tradition. In diesem Sinne hat sich das Land Steiermark auch im Rahmen der Wirtschaftsförderung, die eigentlich Bundeskompetenz ist, schon bisher für die direkt und indirekt verstaatlichten Betriebe ebenso eingesetzt wie für die private Wirtschaft.“ Die Steirer werden es nicht zulassen, „dass irgendein Standort geschlossen wird und weitere Arbeitsplätze ersatzlos abgebaut werden. Denn es muss durch eine Offensivstrategie der Umstrukturierung, der Innovation, der Betriebsneugründung und der Aufnahme neuer Produktionen den Abbau- und Abwanderungstendenzen wirkungsvoll entgegengetreten werden.“337 Landeshauptmann Siegfried Ludwig (ÖVP) stellte 335 Taus, Josef, Verstaatlichte darf keine zweite Bundesbahn werden, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986), S. 5–6. 336 Lichal, Robert, Die VOEST-Katastrophe, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986), S. 9. 337 Krainer, Josef, Siegfried Ludwig und Josef Ratzenböck, Die Landeshauptleute zur verstaatlichten Industrie, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986), S. 10.

190

Die krise 1985

für sein Bundesland fest: „Müssen Arbeitsplätze aufgelassen werden, so ist für Ersatzarbeitsplätze zu sorgen. Und bei uns in Niederösterreich ist nicht zuletzt auch – als Folge unserer besonders exponierten geopolitischen Lage – auf regionalpolitische Gegebenheiten zu achten. Natürlich haben wirtschaftspolitische Überlegungen bei all diesen Fragen Vorrang. Aber ebenso ist in der Verstaatlichten Industrie die staatspolitische Hauptverantwortung unbestritten. In diesem Spannungsfeld endlich den richtigen Mittelweg zum Wohle der Arbeitnehmer in der Verstaatlichten Industrie und ihrer Familien zu finden ist heute vordringlicher denn je.“338 Und für Oberösterreich sprach Landeshauptmann Josef Ratzenböck (ÖVP): „Die VOESTAlpine war einer unserer Paradebetriebe. Keinen Staatsbesuch hat es gegeben ohne VOEST-Besichtigung. Als Landeshauptmann war auch ich immer eingeladen, mitzugehen. Präsidenten und Könige habe ich durch die VOEST begleitet. Und alle waren begeistert! Das muss man wissen, um zu verstehen, wie furchtbar uns die Nachricht getroffen hat, dass dieser Betrieb in eine katastrophale wirtschaftliche Situation geraten ist. Wir wussten zwar, dass es der VOEST sowie auch anderen Stahlbetrieben in Europa nicht gut geht, dass es aber so weit fehlt, das war eine Schocknachricht ... Was tun wir jetzt, um denen zu helfen, die gekündigt werden? Wir verlangen, dass Begleitmaßnahmen gesetzt werden, die zu Betriebsgründungen führen und zu Ausweitungen vorhandener Betriebe, um das Arbeitsplatzangebot zu erhöhen. Wir brauchen hier eine ganz gezielte Förderungsaktion, wobei dem Bund als dem Eigentümer und Verantwortlichen klar sein muss, dass er hier tief in seine Tasche zu greifen hat.“339

338 Krainer, Josef, Siegfried Ludwig und Josef Ratzenböck, Die Landeshauptleute zur verstaatlichten Industrie, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986), S. 11. 339 Ratzenböck, Josef, Ohne Stahlfusion wäre es VOEST und Alpine besser ergangen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 6 (1986), S. 26.

191

4. Akt: auf dem Weg in die krise Die Reformdiskussion

Mit der Krise begann ad hoc eine Reformdiskussion, welche die politischen Vorbehalte gegen die Verstaatlichte Industrie widerspiegelte. 1985 waren 102.160 Beschäftigte in der Verstaatlichten Industrie tätig, bei 2.759.700 unselbstständig Beschäftigten in Österreich. Das waren zwar 17 % der in der Industrie Beschäftigten, aber nur 3,7 % der unselbstständig Beschäftigten insgesamt. Der staatliche Aufwand für diese kleine Gruppe war daher nicht weiter zu rechtfertigen. Im Wesentlichen ging es um die Organisation dieser Unternehmen, um den politischen Einfluss und um das Ausmaß einer Privatisierung. Für Josef Ratzenböck (ÖVP) hatte das Unglück bereits in den frühen 70er-Jahren begonnen. „Damals hat man die VOEST mit der Alpine zusammengelegt und geglaubt, wenn man einen gesunden Betrieb mit einem kranken vereinigt, wird der kranke gesund. Das Gegenteil ist eingetreten! Ich habe es vorausgesagt, aber es tröstet mich nicht, dass ich jetzt recht habe.“340 Die Ursachen der Krise waren „sowohl im Management durch verfehlte unternehmenspolitische Entscheidungen als auch in der langjährigen und ständigen politischen Einflussnahme von außen bzw. von oben in die Unternehmensführung zu suchen. Ich sehe darin eine Systemkrise in der Führung von gemeinwirtschaftlichen Einrichtungen, die sich in ihrer Entwicklung und ihren Auswirkungen seit der Fusionierung der VOEST mit der Alpine im Jahr 1972 längst abgezeichnet hat ... Meiner Ansicht nach muss so rasch wie nur möglich ein neues, qualifiziertes Betriebsmanagement eingesetzt werden, das unabhängig von tages- oder parteipolitischer Vormundschaft ausschließlich nach marktwirtschaftlichen, unternehmenspolitischen Zielsetzungen arbeiten kann. Um die Überschaubarkeit und innerbetriebliche Kontrolle des Konzerns zu sichern, sollten kleinere Werkseinheiten mit eigenständiger Verantwortung gebildet werden. Für den Gesamtbereich aller Staatsbetriebe wäre eine echte 340 Ratzenböck, Josef, Ohne Stahlfusion wäre es VOEST und Alpine besser ergangen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 6 (1986), S. 26.

192

Die Reformdiskussion

Holding mit entsprechender Unternehmenskontrolle nach internationalem Vorbild wünschenswert.“ Außerdem sollten die verstaatlichten Betriebe so geführt werden, „dass sie auch für privates Geld interessant sind. Warum soll immer nur der Staat für die Betriebe Kapital aufbringen, wenn dafür auch privates Geld bereitgestellt werden kann? Einen Ausverkauf an das Ausland kann man jedenfalls durch entsprechende gesetzliche Vorsorgen verhindern.“341 Auch für Paul Burgstaller (ÖVP) war ein Konzern in der Größe der VOEST-Alpine mit der herrschenden zentralistischen Unternehmensführung nicht mehr lenkbar. Es sollte daher nicht halbherzige Dezentralisierungsbestrebungen geben, die allerdings mit regional schmerzhaftem Personalabbau verbunden sein würden. „Daher kann nur mit einer nationalen Kraftanstrengung, mit einer Beschäftigungsgarantie unter Einschluss der Verstaatlichten und Privaten innerhalb von fünf Jahren eine Sanierung dieser großen industriellen Herausforderung eingeleitet werden. Die Verstaatlichte Industrie ist neu zu strukturieren, sie ist ein wichtiger Bestandteil unserer österreichischen Industrie und volkswirtschaftlich von eminenter Bedeutung, die ­VOEST-ALPINE ist innerhalb der Verstaatlichten Industrie aufgrund ihrer Größe und ihrer Dimension ein bedeutender Bereich.“342 Für Josef Taus (ÖVP) war die Grundidee ÖIAG nicht so schlecht. Sie sollte eine Eigentümerholding darstellen, die unter der Verantwortung der stärksten Partei stand. Die ÖVP hatte das akzeptiert. „Seit 1970 haben die Sozialisten das Sagen. Die ÖVP hat nie einen riesigen Wirbel gemacht, weil nicht ein Vorstandsmitglied aus der ÖVP kommt. Wir haben keines mehr. Wir haben sie alle verloren. Sie sind nicht hinausgeschmissen worden, das ist auch nicht die Regel. Als ihre Verträge abgelaufen waren, sind sie durch Sozialisten ersetzt worden.

341 Krainer, Josef, Siegfried Ludwig und Josef Ratzenböck, Die Landeshauptleute zur verstaatlichten Industrie, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986), S. 11. 342 Burgstaller, Paul, Unsere VOEST-Alpine ist sanierbar!, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 7 (1986), S. 36.

193

4. Akt: auf dem Weg in die krise

Das ist richtig so, denn sie regieren ja. Sie sollen es haben. Daher ist es aber völlig unsinnig zu sagen, dass der Proporz irgendetwas behindert hat.“ Mit dem Hinweis auf Siemens Österreich legte er seine Hoffnung in eine teilweise Privatisierung. Nach der bis dahin größten Reprivatisierung hielt die ÖIAG nur mehr 43 % der Anteile und dennoch lieferte das Unternehmen (neben der ÖMV) die ‚fettesten Dividenden‘. Der heilsame Druck, Gewinne zu machen und Dividenden zu zahlen, kann jedoch auch von einer Minderheit ausgeübt werden. Doch Privatisieren kann man erst, wenn die Unternehmen saniert sind. „Sanieren ist sehr schwer, das kann man immer nur von innen. Ich warne davor, sich Ausländer zu holen. Wenn wir selbst nichts zusammenbringen, dann sind wir verloren. Dann sind wir keine Industrienation. Auch bei der Bestellung neuer Vorstände muss es Leute geben, die sich auskennen und doch von innen kommen.“343 Anton Wimmersberger (ÖVP) machte neben der Fusion von VOEST und Alpine zu Beginn der 1970er-Jahre eine Reihe anderer Schuldiger an der Krise der Verstaatlichten aus: „Die Personifizierung der Zwentendorfabstimmung durch Bundeskanzler Kreisky, das Scheitern der Regierung an der Anti-Hainburg-Kampagne, die ständige Verunsicherung der Wirtschaft durch Sozialminister Dallinger, die übertriebenen Forderungen eines Umweltministers, die von linken Ideologen und vom Ausland gesteuerten Friedensbewegungen und last but not least der Kniefall der Politiker vor noch so extremen und kleinsten Bürgerinitiativen sind einige der Grundursachen für die heutige Situation der Verstaatlichten Industrie. All dies führt heute in Österreich bereits dazu, dass jede industrielle Betätigung – und sei es nur die Ansiedlung einer umweltfreundlichen Elektronik­ industrie, wie das OKI-Projekt in Raaba/Stmk. zeigte – derzeit von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Dazu kommt noch die immer stärker werdende Industrie- und Technikfeindlichkeit der heutigen Jugend, deren Ursprung in unseren Schulen zu suchen ist. Verfolgt 343 Taus, Josef, Verstaatlichte darf keine zweite Bundesbahn werden, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986), S. 5–6.

194

Die Reformdiskussion

man weiters die derzeit von einigen Medien in beinahe schon staatsschädigender Weise geführte Diskussion über die österreichische und im speziellen die VOEST-Alpine betreffende Waffenproduktion, so taucht vermehrt die Frage nach der Sinnhaftigkeit des unter Kreisky gebastelten Kriegsmaterialiengesetzes auf.“344 Die Politisierung der Krise war den Sozialdemokraten verständlicherweise ein Dorn im Auge. „Dass in letzter Zeit so häufig von einer ‚nationalen Katastrophe‘ die Rede war“, schrieb Finanzminister Ferdinand Lacina (SPÖ), „kann aber nur im Bewusstsein dessen geschehen, dass es sich bei den ÖIAG-Unternehmen, insbesondere bei der VOEST, um d i e österreichische Großindustrie handelt, um Unternehmen, die über Nachfragebeziehungen Lebensnerv Tausender österreichischer Klein- und Mittelbetriebe sind, die fast ein Viertel des österreichischen Exports tätigen und immerhin einem Fünftel aller österreichischen Industriebeschäftigten Brotgeber sind. Dies vor Augen, grenzt es geradezu an Zynismus, die aktuelle Krise dazu zu nützen, politische Süppchen zu kochen, so wie es uns die ÖVP in den letzten Wochen vorexerzierte.“345 „Die aktuelle Krise der Verstaatlichten Industrie ist nicht nur ein Schock für die ernstlich um ihren Weiterbestand Bemühten – dieser Schock war hoffentlich der letzte und heilsam –, sie ist auch ein Lehrbeispiel dafür, dass gewissen Kreisen noch die größte Katastrophe gut genug ist, um sie zum Spielball für die Durchsetzung bornierter Interessen zu machen – durch übertriebene Panikmache, durch Versuche, die Arbeitnehmer zu verunsichern und zu entsolidarisieren, oder bloß durch destruktives Verzögern von anstehenden Entscheidungen. Die österreichische Sozialdemokratie stand in den letzten Wochen sicherlich vor schwierigen Aufgaben und einer schweren Belastungsprobe. Wir müssen das Gezeter über den ‚Moloch Staat‘ entschieden zurückweisen, die 344 Wimmersberger, Anton, Die Verstaatlichte in der Krise, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986), S. 16. 345 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte: Auf neuem Kurs, in: Die Zukunft, Nr. 4 (1986), S. 13–15.

195

4. Akt: auf dem Weg in die krise

konservative Ideologie und ihre Auswirkungen auf die Arbeitnehmer aufzeigen. Und es muss uns gelingen, unsere Kompetenz und Pro­ blemlösungskapazität bei diesem ‚zweiten Wiederaufbau‘ unter Beweis zu stellen.“ Schließlich sei in den vorangegangenen Jahren schon viel geschehen. „Die Verstaatlichte Industrie stand mitten in einem durch veränderte weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen notwendig gewordenen Strukturanpassungsprozeß, als die hohen Verluste im Ölhandel in der VOEST-Alpine-Intertrading bekannt wurden. Dieser Strukturanpassungsprozeß hatte in einzelnen Unternehmen schon beachtliche Erfolge gezeitigt, aber gerade im größten Unternehmen der Verstaatlichten Industrie, der VOEST-Alpine, wurde dieser Prozess durch hohe Verluste in Randbereichen seiner Aktivitäten in Frage gestellt ... Nüchtern betrachtet, aber ohne verharmlosen zu wollen, hat die VOEST bei ihrem gigantischen Umstrukturierungs- und Diversifizierungsprozess, dessen grundsätzliche Richtigkeit alle ernst zu nehmenden Fachleute bestätigen, in einigen Bereichen ‚Schiffbruch‘ erlitten. Doch derartige ‚Schiffbrüche‘ sind im Umbruch der weltwirtschaftlichen Strukturen, die wir heute erleben, leider nicht selten, und sie treffen auch Unternehmen, denen gegenüber die VOEST als Kleinbetrieb bezeichnet werden muss.“ Die ÖVP schaffte es allerdings zu keinem Zeitpunkt, „ihr aus ideologischen Gründen gestörtes Verhältnis zur Verstaatlichten Industrie restlos abzubauen, und so nützte die ÖVP die aktuelle Krise zu einer noch nie da gewesenen Kampagne.“ Dabei galt es, aus der Analyse der bisherigen Entwicklung, den Umstrukturierungsversuchen und den dabei begangenen Fehlern die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Es sei ja nicht so, dass die Verstaatlichte Industrie völlig darniederliege, dass sich Struktur, Organisation und Management in den letzten zehn, fünfzehn Jahren nicht verändert hätten. „Seit 1975 wurden 35 Produktionen eingestellt, im selben Zeitraum aber auch 27 neue Fertigungen – zum Teil an neuen Standorten – aufgenommen. Die VOEST hat 1984 rund 20 Prozent des gesamten Umsatzes mit Produkten erzielt, die sich fünf Jahre zuvor noch nicht im Produktionsprogramm befanden, bei der Austria Metall beträgt dieser Anteil gar 25 Prozent. All diese Anstrengungen, 196

Die Reformdiskussion

sich den veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen, sind aber teilweise zu unkoordiniert, zu wenig überlegt und zu schnell, zu wenig vorausschauend und teilweise auch mit einer zu schmalen Basis von technischem Wissen und Marktzugang vollzogen worden.“346 Gerade in den 70er-Jahren sei die Verantwortlichkeit des Managements und auch sein Spielraum eher gestärkt worden. „Signale dafür waren nicht nur die Besetzung der ÖIAG-Spitze mit einem von der SPÖ unabhängigen Manager, sondern auch zahlreiche Personalentscheidungen in den einzelnen Unternehmen. Der Griff der Parteisekretariate nach den Vorstandssesseln in verstaatlichten Unternehmungen hat sich wesentlich gelockert und die Manager hatten sehr schnell erkannt, dass ihnen – im Gegensatz zu früher – der Applaus sicher war, wenn sie gegen zentrale Kontrolle oder gar politische Eingriffe protestierten. Es können aber schwer die Pleite eines Stahlwerkes in den USA, die Schwierigkeiten mit einem Zellstoffwerk in Kamerun oder Raffinerien in Mauretanien auf politische Einflüsse zurückgeführt werden. Diese unternehmerischen Fehlentscheidungen waren in höherem Maße für künftige Verluste verantwortlich als die zweifellos vorhandenen Einschränkungen unternehmerischer Bewegungsfreiheit beim Abbau von Arbeitskräften in Krisenregionen.“347 Auch der neue Generaldirektor der VOEST, Herbert Lewinsky, hatte erklärt, dass an den hohen Verlusten des vergangenen Jahres nicht nur die Ölspekulationen, sondern auch die überstürzte Flucht aus dem Stahlbereich in die Elektronik und den Anlagenbau schuld seien. Man habe neue Projekte ohne entsprechendes Know-how angefangen und überdies falsche Investitionen im Ausland getätigt. Ein weiterer Managementfehler sei, dass die VOEST an einer behäbigen, zentralistisch gelenkten Organisation leide. Allerdings erkannte auch der frühere Vorstand 346 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte: Auf neuem Kurs, in: Die Zukunft, Nr. 4 (1986), S. 13–15. 347 Lacina, Ferdinand, Von der Aufregung zur Anregung, in: Die Zukunft, Nr. 12 (1987), S. 18.

197

4. Akt: auf dem Weg in die krise

die Notwendigkeit der Ausweitung der Produktpalette. Die Fehler lagen an den Unzulänglichkeiten des Marketing-Bereiches. Ein weiterer Beweis, dass Aufsichtsräte selbst bei besten Absichten mangels Zeit und Sachkenntnis an der Betriebswirklichkeit vorbeiagieren. Fritz Klenner (SPÖ) wies aber darauf hin, dass es nicht nur Fehlmanagements in der Gemeinwirtschaft, sondern umgekehrt auch solche in der Privatwirtschaft gibt, die durch Übernahme in die Gemeinwirtschaft wieder behoben werden. „Dafür ein Beispiel: Die IFE (Industrie-Einrichtungen-Fertigungsgesellschaft) in Waidhofen an der Ybbs stand vor dem Zusammenbruch und wurde durch die ‚Gesellschaft für Bundesbeteiligungen an Industrieunternehmen (GBI)‘ und den ‚Verein der Mitarbeiter der IFE AG‘ mit Erfolg saniert.“348 Dennoch setzte sich auch bei den Sozialdemokraten durch, dass der Erfolg eines verstaatlichten Unternehmens in Zukunft nach betriebswirtschaftlichen Kriterien zu beurteilen sei und die Verzerrung durch politische Auflagen beseitigt werden müsse. „Die Entlastung der verstaatlichten Unternehmen von öffentlichen Anliegen bedeute aber nicht die Preisgabe der regionalpolitischen Verantwortung der Regierung. Die entsprechenden Kosten seien aber von der Gesellschaft, also von Bund und Land zu tragen.“349 „In bestimmten, klar abgegrenzten Fällen könne es daher nach wie vor sinnvoll sein, öffentliche und verstaatlichte Unternehmen als Instrumente der Wirtschaftspolitik, etwa im Bereich der Regional- und Technologiepolitik, einzusetzen. In diesen Fällen sind jedoch klare Kostenzurechnungen und entsprechende Abgeltungen erforderlich.“350 Der Ökonom Ewald Nowotny (SPÖ) verlangte, die politische Diskussion wieder auf die wirtschaftlichen Tatsachen zu reduzieren. Es 348 „Ein Pluralismus der Eigentumsstrukturen fördert die Dynamik der Wirtschaft“ (9). Klenner, Fritz, Ist die Gemeinwirtschaft tatsächlich gescheitert?, in: Die Zukunft, Nr. 12 (1986), S. 7–9. 349 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte: Auf neuem Kurs, in: Die Zukunft, Nr. 4 (1986), S. 13–15. 350 Nowotny, Ewald, Ein neues Staatsverständnis. Sozialdemokratie und öffentlicher Sektor, in: Die Zukunft, Nr. 12 (1988), S. 27.

198

Die Reformdiskussion

handle sich nicht um eine Krise der Gemeinwirtschaft noch um eine Krise der Verstaatlichten Industrie, sondern um die Probleme eines, allerdings für österreichische Verhältnisse sehr großen Unternehmens. Diesem einen Problembereich standen andere verstaatlichte Unternehmen gegenüber, die sehr wohl erfolgreich waren oder, wie die Chemie Linz, wo entsprechende Entwicklungen bereits positiv eingesetzt hatten. Den rund 70.000 Beschäftigten der VOEST-Alpine, die auch nicht alle in Problembereichen tätig waren, standen in Österreich 2,7 Millionen unselbstständig Beschäftigte beziehungsweise 3,3 Millionen Erwerbstätige gegenüber. Das zeigt, wie unsinnig es ist, von ‚Staatsnotstand‘ zu sprechen. Das gelte auch für die finanzielle Dimension der Probleme. „Geht man realistischerweise davon aus, dass der erforderliche Sanierungs- und Umstrukturierungsbedarf auf dem Kreditweg aufgebracht werden wird, so würde das in den nächsten Jahren bedeuten, dass einschließlich der bereits bestehenden Verpflichtungen ein Schuldendienst von jeweils rund 3 Milliarden Schilling für den Bereich der Verstaatlichten Industrie zu leisten ist. In der gegenwärtigen Lage des Budgets ist dies sicherlich keine unbedeutende Belastung. Es handelt sich aber auch wieder um keine unbewältigbare Größenordnungen, wenn man etwa bedenkt, dass zum Beispiel nur für den Zweck der Preisausgleiche in der Landwirtschaft jährlich 6,5 Milliarden Schilling aufgewendet werden ...“ Auch die Gesamtwirtschaft war durch die Krise der Verstaatlichen Industrie nicht wirklich erschüttert worden. 1985 lag man in Bezug auf das Wachstum des BNP (real 3 %), der Inflationsrate (3,2 %), der Arbeitslosenrate (4,7 %) deutlich besser als die OECD-Staaten. „Das alles ist zweifellos nicht das Bild einer kranken Wirtschaft, wie es aus durchsichtigen Gründen gerne von konservativer Seite gezeichnet wird.“351 Zwar sah Ewald Nowotny (SPÖ) eine Vielzahl von Gründen, die in der konkreten Situation Österreichs die Existenz einer starken Verstaatlichten Industrie erforderten und als zweckmäßig erscheinen lie351 Nowotny, Ewald, Wirtschaft: Die Lage ist besser als die Stimmung, in: Die Zukunft, Nr. 3 (1986), S. 8–11.

199

4. Akt: auf dem Weg in die krise

ßen, aber es wäre wenig sinnvoll, den Umfang des verstaatlichten Sektors mit einem bestimmten historischen Stand festzuschreiben. „Eine zielorientierte Betrachtung erfordert vielmehr eine dynamische Vorgangsweise, die sowohl den Rückzug aus einzelnen Bereichen, wie das Hineinwachsen in andere Bereiche umfassen kann.“ Ein zentrales Anliegen sei ihr Beitrag zur politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit des Staates Österreich. Bei aller Anerkennung einer internationalen Verflechtung besteht ein eminentes Interesse, ein Überwiegen des Auslandskapitals in zentralen Wirtschaftsbereichen zu verhindern. „Die nach wie vor gegebene Schwäche der österreichischen Beteiligungs- und Kapitalmärkte bedeutet aber, dass in den meisten Fällen des gegenwärtigen verstaatlichten Sektors die konkrete Alternative zur Verstaatlichung der Übergang in ausländisches Eigentum wäre. Da diese ausländischen Eigentümer überwiegend aus der Bundesrepublik Deutschland kommen würden, ergäben sich zusätzliche, über die generelle Problematik des Auslandskapitals noch hinausreichende politische und ökonomische Probleme. Umgekehrt ermöglicht gerade die Existenz eines starken nationalen Wirtschaftskörpers ein unbelastetes Kooperieren mit ausländischen Wirtschaftspartnern in Bereichen, wo dies im Interesse der österreichischen Volkswirtschaft gelegen ist ... Im Gegensatz zu anderen – auch kleinen – europäischen Industriestaaten verfügt Österreich nicht über private, international agierende Großunternehmen. Es ist daher eine wichtige weitere Aufgabe der verstaatlichten Großindustrie, sich zum ‚österreichischen multinationalen Unternehmen‘ zu entwickeln und durch eine ausgebaute Exportorganisation weltweit präsent zu sein. Schon heute ergibt sich ja aus dieser Funktion eine Schrittmacherrolle der Verstaatlichten Industrie für direkte und indirekte Exporte vieler kleiner und mittlerer österreichischer Privatunternehmen. Das unterstreicht den Umstand, dass private und öffentliche Wirtschaft in Österreich nicht als Gegner, sondern in vielfacher Weise als Partner zu sehen sind.“ Schließlich stelle die Verstaatlichte Industrie auch die reale Basis des Systems der Sozial- und Wirtschaftspartnerschaft in Österreich dar. „Die gestiegene Liberalisierung nicht nur der Güter, sondern auch der Kapital200

Die Reformdiskussion

märkte bewirkt auch tief reichende Machtverschiebungen zwischen Kapital und Arbeit in jeder einzelnen Volkswirtschaft ... Gerade unter diesem längerfristig strategischen Aspekt wird sichtbar, wie wichtig die starke Stellung einer Verstaatlichten Industrie zur Sicherung der wirtschaftspolitischen Souveränität eines Staates sein kann.“352 Dass die Verstaatlichungen ‚kräftig schiefgingen‘ wurde auch bei der SPÖ eingestanden. Das habe aber zu einem Gutteil damit zu tun, dass eben gerade jene Grundstoff- und Schwerindustrien verstaatlicht waren, die schrittweise von Motoren zu Bremsklötzen der wirtschaftlichen Entwicklung wurden. „Aber ebenso damit, dass weder die Formen der Leitung noch die geschaffenen internen Strukturen tauglich für einen wieder in Gang kommenden Konkurrenzkampf – vor allem auch im internationalen Maßstab – waren. Wo eine verstaatlichte Wirtschaft sich ernst nahm und bei Entlohnung, Sozialleistungen oder umweltbewusstem Wirtschaften Schrittmacher sein wollte, bestritt sie den Konkurrenzkampf gewissermaßen mit gefesselten Armen. Wo sie das nicht tat – ja, wozu war sie dann eigentlich gut, wenn sie außerdem ihrem staatlichen Eigentümer nicht einmal Gewinn brachte?“353 Für Herbert Tieber (SPÖ) bestanden das entscheidende Spezifikum der öffentlichen Unternehmung und das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zur privaten Unternehmung in einer öffentlichen Zielsetzung. „Die öffentlichen Unternehmungen sind Einzelwirtschaften, deren institutionell festgelegter Sinn es ist, unmittelbar öffentlichen Aufgaben zu dienen. Das ist zugleich der Kernsatz der Instrumentaltheorie der öffentlichen Wirtschaft ... Die bisher gültige Antwort von Sozialisten auf diese Frage war nicht bloß ökonomisch, sondern auch politisch – staatspolitisch, außenpolitisch, sicherheitspolitisch, demokratiepolitisch – ausgerichtet. Das politische Argument für die Verstaatlichung erschöpft sich dabei nicht bloß 352 Nowotny, Ewald, Wirtschaft: Die Lage ist besser als die Stimmung, in: Die Zukunft, Nr. 3 (1986), S. 8–11. 353 Konecny, Albrecht K., Zeit, wieder über den Kapitalismus zu reden, in: Die Zukunft, Nr. 6 (1996), S. 5.

201

4. Akt: auf dem Weg in die krise

in der historisch vorgefundenen und bekannten Situation unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Das Argument, angesichts der Nichtexistenz wirklich großer österreichischer Privatkapitale könne die Verstaatlichung des strategisch zentralen Grundstoffsektors Überfremdung und damit gefährliche Abhängigkeit verhindern, kann nach wie vor Gültigkeit beanspruchen, hat sozusagen Dauercharakter.“ Es gebe daher keine vernünftige Alternative zur Verstaatlichten Industrie. „Was wir brauchen, ist kein industrielles Schrumpfungskonzept für die Verstaatlichte Industrie, sondern eine offensive Vorwärtsstrategie mit Augenmaß, deren wichtigster Bestandteil die Mobilisierung der heimischen Möglichkeiten für Forschung, Entwicklung und Information ist und die den Zukauf ausländischen Know-hows über sogenannte Joint Ventures als ergänzende Möglichkeit auffasst.“354 Und der Gewerkschafter Fritz Klenner (SPÖ) beklagte, dass bei der Diskussion um eine ‚Entstaatlichung‘ ohne viel Federlesens über die Idee der Gemeinwirtschaft der Stab gebrochen werde. Doch es gebe auch viele Beispiele, wo private Betriebe schlecht und staatliche gut arbeiten. Es gehe nicht um Privatisierung ja oder nein, sondern schlicht und einfach um die Frage ‚Effizienz, ja oder nein?‘, wie es der damalige CA-Chef Hannes Androsch (SPÖ) ausgedrückt habe. Und auch er bemühte das Argument des Auslandseinflusses: „Eine umfassende oder gar gänzliche Entstaatlichung muss aber auch heute außer Streit gestellt werden, da der große Wirtschaftsbereich der Verstaatlichten Industrie nicht ausländischem Kapitaleinfluss überantwortet werden darf – was bei einer Auslieferung der Mehrheit des Aktienpakets an die Börse kaum aufzuhalten wäre. Einen Familienschatz darf man nicht zur Gänze versilbern. Mit einem Überhandnehmen ausländischer Konzerne würde Österreich zu einer Kolonie werden.“355 354 Tieber, Herbert, Verstaatlichte: War alles falsch?, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1986), S. 7–10. 355 Klenner, Fritz, Ist die Gemeinwirtschaft tatsächlich gescheitert?, in: Die Zukunft, Nr. 12 (1986), S. 7–9.

202

Die Reformdiskussion

Auch Franz Vranitzky (SPÖ) sah in der Verstaatlichten Industrie einen ganz wesentlichen Bestandteil der österreichischen Wirtschaft. „Lassen wir uns nichts vormachen, von denen, die versuchen, die verstaatlichte und die private Industrie auseinanderzudividieren. Beide bringen einander Vorteile, beide brauchen einander. In Österreich gibt es nur eine Industrie.“ Strukturkrisen kümmerten sich nicht um Eigentumsfragen. „Deshalb können die Probleme unserer Verstaatlichten und insbesondere der Eisen- und Stahlindustrie auch nicht mit dem Allerweltsschlagwort von der Privatisierung gelöst werden ... Wir werden natürlich dort, wo es wirtschaftlich sinnvoll ist, die Zusammenarbeit von verstaatlichten Unternehmen mit privaten suchen. Wir werden natürlich dafür sorgen, dass die verstaatlichten Unternehmen auch Eigenleistungen erbringen. Und wir werden natürlich da­rauf drängen, dass sie auf die Kapitalmärkte gehen, um sich dort selbst mit den für sie notwendigen Finanzmitteln zu versorgen. Wir wollen und wir werden unsere Verstaatlichte Industrie in Ordnung bringen. Im Interesse der dort Beschäftigten, im Interesse der Steuerzahler und damit im Interesse des ganzen Landes.“356 Diese Position, vor allem der Verweis auf den Kapitalmarkt, hätte zehn Jahre vorher nur die ÖVP vertreten.

356 Vranitzky, Franz, Initiativ für Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1986), S. 3–6.

203

5. Akt: Sanierung und Privatisierung

Mit dem ÖIAG-Gesetz von 1986 wurde die Verstaatlichte Industrie auf eine neue Grundlage gestellt. Die nunmehrige Österreichische Industrieholding AG bildete nun einen Konzern für den das Aktienrecht galt, der Proporz wurde beseitigt ebenso wie der Grundsatz, dass die Verstaatlichte Industrie auch volkswirtschaftliche Interessen zu verfolgen habe. Die in den 1970er-Jahren entstandenen Konzerne wurden nun in sieben Branchenholdings zusammengefasst, um den darin zusammengefassten Gesellschaften marktgerechtes Arbeiten zu ermöglichen. Gleichzeitig wurde das ÖIAG-Finanzierungsgesetz beschlossen, mit dem Recht, Betriebe und Vermögenswerte zur Eigenmittelkonsolidierung und Konsolidierung zu verkaufen, was einen Quantensprung in der politischen Diskussion darstellte. Der Bund übernahm die Verpflichtung, die in den 1980er-Jahren von der ÖIAG aufgenommenen langfristigen Kredite abzudecken. 1987 erklärte Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ), dass nun mit dem neuen Finanzierungsgesetz von 32 Milliarden Schilling „letztmalig die Finanzierung jener Unternehmen gesichert werde, die ohne zusätzliche Mittel der öffentlichen Hand in ihrer Existenz bedroht sind. Dabei handelt es sich in erster Linie um die VOEST-ALPINE AG und die VEW AG. Bei der Finanzierung ist vom Grundsatz weitestgehender Budgetschonung auszugehen, weshalb ein Teil des Bedarfs durch Eigenleistungen finanziert werden soll. Neben Mittelzuführungen aus dem Budget und der Ausgabe von Wertpapieren wird es auch Neugruppierungen, Joint Ventures, Veräußerung von Aktien einzelner Unternehmungen und eine Börseneinführung der ÖMVAG geben. Sämtliche Unternehmen der ÖIAG-Gruppe werden auf ihre Kapitalmarktfähigkeit mit dem Ziel überprüft, den österreichischen Aktienmarkt zur Aufbringung zusätzlichen Kapitals zu nutzen. 205

5. akt: Sanierung und privatisierung

Unternehmen beziehungsweise Unternehmensteile, die nicht in das strategische Konzept des Konzerns passen, sollen veräußert werden. In Bereichen, in denen eine hohe Innovationsdynamik erforderlich ist, sollen Kooperationen mit in- und ausländischen Partnern eingegangen werden.“357 Die Erlöse aus Anteilsverkäufen verstaatlichter Industrieunternehmen sollten nicht zur Budgetverbesserung, sondern zur Stärkung des Konzerns herangezogen werden.358 Für das Finanzierungsgesetz als Teil des Regierungsübereinkommens beanspruchte die ÖVP die Autorenschaft und „die Handschrift des Dr. Mock“.359 Johannes Ditz (ÖVP) unterstrich, dass es sich hierbei um eine grundsätzliche Wende in der österreichischen Wirtschaftspolitik handle. Denn die Verstaatlichte Industrie sei nicht mehr ein stabilisierender, sondern ein stark destabilisierender Faktor auch für den Arbeitsmarkt geworden. Daher müsse man die beschäftigungspolitischen Maßnahmen der Siebzigerjahre gegen eine Verstärkung der Privatinitiative, eine Stärkung der privaten industriellen Tätigkeit und eine Forcierung der Neugründungen austauschen. Die Probleme könnten nicht durch ein Mehr an Staat gelöst werden, sondern nur durch ein Weniger.360 Die Akzeptanz der neuen Politik durch die Sozialdemokraten wurde auch von der ÖVP anerkannt. „Wir haben immerhin in der Verstaatlichten Industrie – und das muss man dem sozialistischen Partner hoch anrechnen, denn es ist für ihn nicht leicht, in diesem Bereich solche Maßnahmen zu setzen – ein Viertel der Zahl der Beschäftigten reduziert. Wir haben ein Drittel der Pensionszusagen reduziert. Wir haben 4 Milliarden Schilling an Verkäufen, die in diesem Bereich getätigt worden sind, eingenommen, und es wurden daher auch die Verluste halbiert. Das ist strukturell jedenfalls der richtige

357 358 359 360

NRP, XVII/2, 28.1.1987, S. 32. Ferdinand Lacina, NRP, XVII/31, 21.10.1987, S. 3593. Friedrich König, NRP, XVII/3, 29.1.1987, S. 100. Ditz, Johannes, Neuen Spielraum für unsere Zukunftsaufgaben gewinnen [Interview], in: Österreichische Monatshefte, Jg. 43, Nr. 3 (1987), S. 21.

206

5. akt: Sanierung und privatisierung

Weg. Wir sind noch lange nicht am Ende, aber es ist strukturell der richtige Weg.“361 Allerdings waren bei der SPÖ die Weichen schon zehn Jahre vorher gestellt worden. „Die Wende in der programmatischen Position der österreichischen Sozialdemokratie, vorgenommen mit dem Parteiprogramm 1978, ist nie so recht zur Kenntnis genommen worden. Nicht auf die Eigentumsverhältnisse, auf die Entscheidungsverhältnisse kommt es an, heißt es dort. Anders als etwa die schwedische Arbeiterbewegung hatte die österreichische der Vergesellschaftung beziehungsweise der Verstaatlichung von Produktionsmitteln eine strategische Position zugewiesen. Die konkreten Erfahrungen – noch vor der verstaatlichten Krise am Beginn der achtziger Jahre – führten zu dieser programmatischen Revision. Nacheinander mussten Ansprüche an den verstaatlichten Sektor zurückgenommen werden: Die verstaatlichen Betriebe waren keine Inseln sozialistischer Produktion, nur bedingt eigneten sie sich als soziales Experimentierfeld, nur vorübergehend als arbeitsmarktpolitisches Instrument. Und mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel verloren die Basisindus­ trien viel von ihrer ‚Kommandoposition‘, die ihnen in der Periode des Wiederaufbaus zugekommen war. Tatsächlich hat die österreichische Sozialdemokratie ein entkrampftes Verhältnis zur Frage öffentlichen Eigentums an Industrie oder Banken gefunden.“362 Dennoch war die Feststellung von Ewald Nowotny (SPÖ): „Wie schon im Parteiprogramm festgehalten, schafft eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse allein noch keine Veränderung im Sinne des demokratischen Sozialismus“, eine Abkehr von früheren, grundsätzlichen politischen Positionen. „Im Gegensatz zu konservativ-liberalen Ökonomen sind für die Sozialdemokraten Fragen des öffentlichen Eigentums nicht dogmatisch, sondern nach den jeweiligen konkreten Erfordernissen von Wirtschaft und Gesellschaft zu beantworten. Auch die Fragen nach der Organisation öffentlicher Unternehmen sind jeweils nach 361 Friedrich König, NRP, XVII/78, 9.11.1988, S. 8989. 362 Brigitte Ederer und Ferdinand Lacina, Markt, Staat, Sozialdemokratie. Überprüfen einer Position, in: Die Zukunft, Nr. 4 (1992), S. 26–30.

207

5. akt: Sanierung und privatisierung

den konkreten wirtschaftlichen Erfordernissen zu lösen. Das bedeutet, dass klare unternehmerische Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten bestehen müssen, Personalentscheidungen ausschließlich nach dem Kriterium der Qualifikation vorzunehmen sind und in geeigneter, nachvollziehbarer Weise auch die Mitwirkungsrechte der Belegschaften und des öffentlichen Eigentümers festgelegt werden müssen. Wo es sich um Unternehmen handelt, die, wie der ÖIAGBereich, sich überwiegend im harten internationalen Konkurrenzkampf bewähren müssen, hat die Sicherung einer gesunden, ökonomisch selbsttragenden Unternehmensexistenz im Vordergrund zu stehen. Dies erfordert entsprechend leistungsfähige Organisationsformen, unabhängig von den jeweiligen Eigentumsverhältnissen.“363 Damit war das Tabu der hundertprozentigen Verstaatlichung von Großunternehmen bereits aufgegeben worden, „lange bevor die österreichischen Konservativen die Privatisierungsideen vom Ausland übernommen haben“.364 Teile der konservativen Parteien propagierten dabei einen dogmatischen und simplifizierenden Standpunkt. Für die FPÖ sagte Jörg Haider: „Die Privatisierung ist nicht eine Frage, die nur unter dem Zwang der Sanierung steht, sondern sie ist, meine Damen und Herren, auch eine Frage, die letztlich damit zusammenhängt, dass der Staat einfach ein schlechter Wirtschafter ist. Und weil der Staat ein schlechter Wirtschafter ist, kann man ihm nicht länger die Verantwortung für diese Großbetriebe überlassen.“365 Auch Christoph Leitl (ÖVP) generalisierte: „Wo Privatisierung bisher auch nur ansatzweise gewagt worden ist, sind die Erfolge eindeutig positiv. Wir müssen deshalb wieder eine Gewichtsverlagerung von der Staatswirtschaft zur Marktwirtschaft durchführen, wir müssen die öffentliche Hand dazu bringen, diejenigen Aufgaben verstärkt wahrzunehmen,

363 Nowotny, Ewald, Ein neues Staatsverständnis. Sozialdemokratie und öffentlicher Sektor, in: Die Zukunft, Nr. 12 (1988), S. 23–27. 364 Lacina, Ferdinand, Von der Aufregung zur Anregung, in: Die Zukunft, Nr. 12 (1987), S. 17–19 365 NRP, XVII/3, 29.1.1987, S. 80.

208

5. akt: Sanierung und privatisierung

die zweckmäßigerweise durch sie wahrzunehmen sind und gleichzeitig den Rückzug aus allen anderen Bereichen einleiten.“366 Und für den parteilosen Finanzminister Karl-Heinz Grasser war die Sache einfach und klar: „Wir haben immer gesagt, der Staat ist ein schlechter Unternehmer. Das hat die Geschichte der Verstaatlichten Industrie in Österreich gezeigt.“367 Einer der konsequentesten Vertreter der Privatisierung, schon seit den frühen 1970er-Jahren, war Wolfgang Schüssel (ÖVP). „Die klare Interessenlage der Eigentümer gibt dem Management eines Privatunternehmens einen eindeutigen Auftrag: langfristige Gewinnmaximierung und damit Steigerung des Substanzwertes der Unternehmung. Die Geschichte der Verstaatlichten Industrie Österreichs zeigt, dass die Zielvorgaben des öffentlichen Eigentümers völlig diffus und oftmals wahltaktisch bestimmt sind. So wurden die eigentlichen unternehmerischen Ziele durch regionalpolitische, beschäftigungspolitische, strukturpolitische u.a. Vorgaben überlagert, bis schließlich für keine dieser Aufgaben mehr eine Erfolgskontrolle möglich war ... All diese Überlegungen – die überdies durch eine erdrückende Fülle empirischer Beweise laufend bestätigt werden – machen deutlich, dass Privatbesitz an Unternehmungen in der Regel zu ökonomisch effizienteren Ergebnissen führt als öffentliches Eigentum ... Als Musterland der Privatisierung gilt heute Großbritannien. Die konservative Regierung unter Margret Thatcher hat im Zeitraum 1979–1986 Staatsbetriebe im Wert von rund 500 Mrd. Schilling veräußert und plant für das laufende und kommende Jahr einen Beteiligungsabbau um abermals rund 100 Mrd. Schilling. Auch die französische Regierung unter Jacques Chirac plant für die nächsten fünf Jahre Privatisierungen in ähnlichem Umfang ... Die ÖVP hat in ihren Wirtschaftsprogrammen mehrfach gefordert, dass sich auch Österreich dieser internationalen Entwicklung anschließt. Diese Forderung fand auch weitgehend Eingang in das Ar366 Leitl, Christoph, Anmerkungen zur Privatisierung, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 44, Nr. 2 (1988), S. 10. 367 NRP, XXII/14, 7.5.2003, S. 28.

209

5. akt: Sanierung und privatisierung

beitsübereinkommen der Regierung ... Insgesamt wird es jedenfalls zu Veräußerungen im Umfang von ca. 18 Mrd. Schilling kommen.“368 Die öffentliche Hand hat sich als schlechter Unternehmer erwiesen, hieß es in den „Grundsätzen der Privatisierung“369. Und das Grundsatzprogramm der Österreichischen Volkspartei hob die privatwirtschaftliche „Freiheit“ besonders hervor: „Die Ökosoziale Marktwirtschaft beruht auf den Grundsätzen Freiheit, Leistung, Verantwortung und Solidarität. Sie verbindet den Leistungswillen des einzelnen mit dem sozialen Ausgleich in der Gesellschaft und einem schonenden Umgang mit der Umwelt. •







Die Ökosoziale Marktwirtschaft wird bestimmt durch die freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl, freie Konsumwahl und freien Wettbewerb auf dem Markt, die freie Entscheidung der Unternehmer und Interessenverbände sowie durch soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit des Handelns. Der Wettbewerb als grundlegendes Ordnungsprinzip der Ökosozialen Marktwirtschaft begrenzt wirtschaftliche Macht gegenüber Konsumenten und Konkurrenten und fördert Leistungs- und Erneuerungsbereitschaft. Eigeninitiative und Eigenverantwortung werden am besten durch marktwirtschaftliche Mechanismen und Anreize gefördert. Der Staat selbst soll, von Ausnahmefällen abgesehen, nicht als Unternehmer auftreten und durch eine entsprechende Monopol- und Kartellgesetzgebung sowie durch strukturfördernde Maßnahmen einen ausreichenden Wettbewerb dort sicherstellen, wo dieser gefährdet ist. Das Eigentum an Produktionsmitteln ist Voraussetzung für unternehmerische Initiativen.

368 Schüssel, Wolfgang, Chancen der Privatisierung, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 43, Nr. 3 (1987), S. 6. 369 Der Schüssel-Ditz-Kurs, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 51, Nr. 7 (1995), S. 30.

210

5. akt: Sanierung und privatisierung



Eigentum garantiert persönliche Freiheit, schafft gleichzeitig aber auch Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft. Der Erwerb von Eigentum soll möglichst vielen Menschen ermöglicht werden. Ein wichtiges Element zur Breitenstreuung von Eigentum ist materielle Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmen.“370

Als Argument gegen die Verstaatlichte Industrie wurde auch das Fehlen der Risikofunktion hervorgehoben. So sagte Josef Taus (ÖVP): „Es ist undenkbar, dass ein verstaatlichtes Unternehmen in eine Insolvenzkrise hineingerissen wird. Das ist es, warum wir die großen verstaatlichten Unternehmungen, die nach wie vor in Schwierigkeiten sind, die meiner Meinung nach höchstens am Anfang einer sehr schwierigen Sanierung stehen, nicht den Bach hinunterfahren lassen können – aus staatspolitischem Interesse in Österreich. Daher haben wir ja auch bei den Verhandlungen natürlich diesem Finanzierungsgesetz zugestimmt.“371 Und Wendelin Ettmayer (ÖVP) stellte fest: „Wenn das Fehlen der Risikofunktion ein Charakteristikum öffentlicher Unternehmungen ist, dann muss eben getrachtet werden, durch Privatisierung eine bessere Kontrolle, eine klare Verantwortung und ein entsprechendes Kostenbewusstsein zu erreichen. Ziel der Risikofunktion beim privaten Eigentum ist es, knappe Mittel optimal einzusetzen.“372 Allerdings gebe es Beispiele, dass man auch bedeutende privatwirtschaftliche Unternehmen „nicht den Bach hinunterfahren lassen kann“. Auch die österreichische Wirtschaftsgeschichte kennt solche Beispiele der „Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste“, bei denen die öffentliche Hand einzuspringen hatte. Selbst wenn die Insolvenzstatistik das Risiko der Privat370 Österreichische Volkspartei, Grundsatzprogramm. Beschlossen am 30. ordentlichen Parteitag der Österreichischen Volkspartei am 22. April 1995 in Wien. Wien 1998, S. 13. 371 NRP, XVII/3, 29.1.1987. 372 Ettmayer, Wendelin, Die Sanierung hat begonnen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 44, Nr. 2 (1988), S. 8–9.

211

5. akt: Sanierung und privatisierung

wirtschaft aufzeigt, so werden Unternehmen nicht aus Angst vor dem Konkurs geführt, sondern in der Erwartung des Erfolges. Die Privatisierung bedeutete vor allem eine Verschiebung der Interessen, weg von jenen der Öffentlichkeit und der Mitarbeiter und hin zu denen der Entscheidungsträger, Aktionäre und des Vorstandes. Die Interessen der Aktionäre sind rein materiell, am Steigen der Kurse und der Höhe der Dividenden und der Vorstand wird – in der Regel – erfolgsabhängig entlohnt. Sein Risiko ist das Arbeitsplatzrisiko und damit der materielle und soziale Abstieg bei Misserfolg. Diese Interessenlage kann gesamtwirtschaftlich und politisch negative Folgen haben (Arbeitslosigkeit etc.), führt aber zu einer höheren wirtschaftlichen Dynamik als jener des öffentlichen Eigentums. Die letzte Verteidigungslinie der Sozialdemokraten war die Privatisierung unter Wahrung einer staatlichen Mehrheit von 51 Prozent. Dies wurde von den anderen politischen Parteien vehement angegriffen und war auch nicht lange zu halten. So schrieb Wolfgang Schüssel (ÖVP): „Für die notwendige Internationalisierung müssen neue schlagkräftige Wirtschaftseinheiten geschaffen werden. Das bedeutet verstärkte Bemühungen um die Privatisierung – auch über die 51-Prozent-Marke hinaus. In Großbritannien und Frankreich wurden oder werden derzeit Privatisierungen von 100 Milliarden Schilling (jährlich!) durchgeführt. Diesem Beispiel ist schon eine Reihe von anderen Staaten (Italien, Benelux) gefolgt. Die Erlöse konnten nicht nur zur Entlastung des Budgets verwendet werden, es zeigt sich auch fast durchgehend, dass die Produktivität der entsprechenden Unternehmen drastisch verbessert werden konnte und langjährige Subventionsempfänger zu gewinnträchtigen und erfolgreichen Marktteilnehmern wurden.“373 Und Norbert Gugerbauer (FPÖ) warf der Regierung vor: „Die eigentliche Verstaatlichte Industrie, die Austrian Industries AG, soll ja überhaupt erst gegen 373 Schüssel, Wolfgang, Wirtschaftliche Ausgrenzung wäre besonders schmerzhaft, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 44, Nr. 4 (1988), S. 12.

212

5. akt: Sanierung und privatisierung

Ende der Legislaturperiode teilprivatisiert werden, wobei ich davon ausgehe, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wir uns schon einmal darauf geeinigt haben, dass eine Teilprivatisierung, die den bestimmenden Einfluss der Republik erhält, letzten Endes keine wirkliche Privatisierung ist, sondern dass es sich dabei nur um eine Verstaatlichung privaten Kapitals handelt. Die rot-schwarze Kommandowirtschaft in Österreich, also die parteipolitische Gängelung der verstaatlichten Betriebe, bleibt damit unangetastet. Das ist eines der traurigen Resultate des Arbeitsübereinkommens zwischen SPÖ und ÖVP. (Beifall bei der FPÖ.)“374 Und für Walter Meischberger (FPÖ) war die ganze bisherige Privatisierung überhaupt ein Schwindel. „Unter Privatisierung – und ich glaube, dass auch das sonst so in der Welt verstanden wird – verstehen wir, dass so viel Volksvermögen wie möglich in unmittelbarer Verfügungsgewalt der Bürger ist und so wenig wie möglich im Bereich der Politik beziehungsweise des Staates. Bei dem, was bisher ‚privatisiert‘ wurde, war es doch so, dass entweder durch diese 49 Prozent überhaupt keine Verfügungsgewalt an Private übertragen wurde, oder es waren diese ‚Privatisierungen‘ Scheingeschäfte, wie etwa der Verkauf des Hauptmünzamtes an die Nationalbank, oder eben das ‚Meisterstück‘ schlechthin, wie der Verkauf des staatlichen Verkehrsbüros an parteiverbundene Pseudo-Privatbanken, wobei die Verfügungsgewalt von den Parteien weg und doch wieder zu den Parteien geschoben wurde. Das alles geht jedoch ohne jede öffentliche Kontrolle durch den Rechnungshof oder durch das Parlament. Die schwindsüchtigen Altparteien sichern sich so ihr Ausgedinge.“375 Aber bereits 1990 akzeptierte Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) eine staatliche Minderheit in einzelnen Bereichen. „Ein Bestandteil einer stärkeren privatwirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Orientierung ist die Verringerung staatlichen Einflusses auf Verstaatlichte Industrie und Banken. Diese Form der Privatisierung 374 NRP, XVIII/8, 19.12.1990, S. 409. 375 NRP, XVIII/8, 19.12.1990, S. 456.

213

5. akt: Sanierung und privatisierung

erfolgt ausschließlich nach Kriterien der Zweckmäßigkeit. Die Maßnahmen sollen die Marktpositionen der Unternehmen strategisch absichern und die Unternehmenssubstanz stärken. Bei den Aus­trian Industries, den Banken und den Austrian Airlines wird es durch Verkäufe und durch Erhöhung der Kapitalsubstanz, an der sich die Republik nicht beteiligt, möglich sein, dass über 50 Prozent der Eigentumsanteile nicht in öffentlicher Hand liegen. Bei den Austrian Industries ist es erklärtes Ziel der Bundesregierung, die Beibehaltung eines österreichischen Konzerns zu sichern. Gleiches gilt auch für die Banken und für die Austrian Airlines.“376 Heinrich Neisser (ÖVP) fand das Bekenntnis der Sozialdemokraten, dass man mittelfristig die Privatisierung über die 50-Prozent-Grenze hinaus durchführen will, „das Durchbrechen einer Schallmauer“.377 Das wurde auch von Friedrich König (ÖVP) gewürdigt: „Wenn in diesem Programm die Privatisierung von Unternehmungen der öffentlichen Hand über 50 Prozent hinaus vorgesehen ist, so ist das ein beachtliches Zugeständnis, das der sozialistische Koalitionspartner gemacht hat, das die Volkspartei durchgesetzt hat.“378 Zum Teil hing die Diskussion um die 51-Prozent-Grenze damit zusammen, dass man auch nach der Privatisierung den österreichischen Charakter der betroffenen Unternehmen erhalten wollte. Für Fritz Verzetnisch (SPÖ) gab es weltweit keinen Konzern von jener überragenden Bedeutung für die Volkswirtschaft eines Landes wie den ÖIAG-Konzern. „Weder General Motors in den USA noch irgendein großer bundesrepublikanischer Konzern hat einen Anteil von rund 20 Prozent an der Wertschöpfung eines Landes, aber auch am Warenexport. Der ÖIAG-Konzern sehr wohl, meine Damen und Herren. Seine Strategie hat Konsequenzen für die Gesamtwirtschaft. Jemand hat das Wort geprägt: Der ÖIAG-Konzern kann angesichts der realpolitischen Lage in Österreich, der Verhältnisse und vor allem der 376 NRP, XVIII/7, 18.12.1990. 377 NRP, XVIII/8, 19.12.1990, S. 434. 378 NRP, XVIII/8, 19.12.1990, S. 453.

214

5. akt: Sanierung und privatisierung

historischen Wahrheiten nicht reprivatisiert werden, er kann nur ‚regermanisiert‘ werden. Wir wollen das aber nicht, meine Damen und Herren! Der Konzern muss in seiner Einheit erhalten bleiben. (Beifall bei der SPÖ.) ... Für uns stehen in der Frage der Privatisierung vor allem langfristige wirtschaftspolitische Maßnahmen im Vordergrund. Die Erhaltung der nationalen Großindustrie und der Großbanken mit heimischem Kommandostand gehören dazu. Die Erhaltung öffentlichen Eigentums an der Infrastruktur unserer Volkswirtschaft, Schiene, Energie, Post und Telekommunikation, ist für uns in diesem Prozess unabdingbar. (Beifall bei der SPÖ.)“379 Und Rudolf Streicher (SPÖ) betonte, dass beim Privatisierungsübereinkommen mit der ÖVP die österreichischen Interessen im Vordergrund zu stehen haben. „Ich möchte nicht, dass unsere Generaldirektoren nach Bonn, New York, Tokio oder Rotterdam – das ist sehr aktuell – berichten fahren, sondern wir wollen einen österreichischen Konzern, der so attraktiv sein wird, dass sich die Anlegerfamilie Österreicher an den Wertpapieren erfreuen kann.“380 Dem stimmte auch Ewald Nowotny (SPÖ) zu: „Gerade in einem kleinen Land wie Österreich ist freilich zu beachten, dass die Alternative zu öffentlichem Eigentum an wichtigen Unternehmen vielfach nicht breit gestreutes österreichisches Privateigentum, sondern die Einbindung in ausländische Konzerninteressen heißt. Auch wenn speziell mit einem größeren gemeinsamen Markt in Europa eine stärkere Internationalisierung zu erwarten – und auch zu begrüßen – ist, hat Österreich, so wie andere kleine Industriestaaten, ein Interesse, dass diese Internationalisierung nicht einseitig und damit langfristig zu Lasten der österreichischen Arbeitnehmer verläuft. Dies gilt sowohl für den privaten wie den verstaatlichten Sektor der österreichischen Wirtschaft. Historische Erfahrungen, wie auch die Beispiele anderer Staaten zeigen aber, dass hier der Verstaatlichten Industrie, als der größten Industriegruppe des Landes,

379 NRP, XVII/78, 9.11.1988, S. 8986. 380 NRP, XVIII/8, 19.12.1990, S. 458.

215

5. akt: Sanierung und privatisierung

eine besondere Verantwortung zukommt.“381 Und Finanzminister Rudolf Edlinger (SPÖ.) „Wir müssen darauf achten – und ich sage das ganz dezidiert und deutlich –, dass strategisches Eigentum und damit zentrale Unternehmensfunktionen wie Planung, Forschung und Entwicklung auch nach einem Unternehmensverkauf in Österreich verankert bleiben. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.) ... Vor allem in industriellen Schlüsselbranchen wird dieses Ziel nur über strategische Beteiligungen möglich sein.“382 Wie dem Beifall zu entnehmen ist, stimmte dem auch die ÖVP zu. In den „Grundsätzen der Privatisierung“ aus dem Jahr 1995 hieß es: „Österreichische Lösungen müssen Vorrang vor einem Verkauf in das Ausland haben. Der Verlust von Entscheidungskompetenz zieht unweigerlich den Verlust von Wertschöpfung nach sich.“ 383 Und in den „Zielsetzungen der Privatisierungen“ 2003: „... sie sollen die Entscheidungszentralen der zu privatisierenden Unternehmungen, wenn möglich, in Österreich halten. Dabei sei „eine österreichische Kernaktionärsstruktur durch Syndikate mit industriellen Partnern, Banken, Versicherungen, Pensionskassen, Vorsorgekassen, Fonds etc. im Sinne einer Stärkung der Head-Quarters-Funktion Österreichs wünschenswert.“384 Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) stellte dezidiert fest: „Der Privatisierungskurs der Bundesregierung wird fortgesetzt. Staatliche Anteile an den großen ehemaligen Staatsbetrieben werden bestmöglich verkauft, wobei wir uns das Ziel gesetzt haben, die Headquarters mit den Führungsstellen und Forschungseinrichtungen natürlich in Österreich zu erhalten.“385 Auch 381 Nowotny, Ewald, Ein neues Staatsverständnis. Sozialdemokratie und öffentlicher Sektor, in: Die Zukunft, Nr. 12 (1988), S. 23–27. 382 NRP, XX/84, 18.9.1997, S. 70. 383 Der Schüssel-Ditz-Kurs, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 51, Nr. 7 (1995), S. 30. 384 NRP, XXII/7, 6.3.2003, Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Molterer, Scheibner und Kollegen, betreffend Umsetzung des Regierungsprogrammes der österr. Bundesregierung für die XXII. GGP. 385 NRP, XXII/7, 6.3.2003, S. 23.

216

5. akt: Sanierung und privatisierung

der „parteilose“ Finanzminister Karl-Heinz Grasser wollte im österreichischen Inte­resse privatisieren. „Die Firmenzentralen und Forschungseinrichtungen sollen in Österreich bleiben.“386 Für Martin Bartenstein (ÖVP) hatte der Verkauf der staatlichen Anteile an den großen ehemaligen Staatsbetrieben das Ziel, „die Headquarters mit den Führungsstellen und Forschungseinrichtungen in Österreich zu erhalten“.387 Er schränkte aber ein: „Ich meine, die Zeit der rot-weißroten Heckflossen ist vorbei.“388 Tatsächlich reagierte der österreichische Kapitalmarkt überraschend positiv. „Anders als von vielen kritischen Stimmen erwartet, haben die großen Privatisierungsvolumina den österreichischen Kapitalmarkt nämlich keineswegs überfordert und ausgetrocknet. Ganz im Gegenteil: Wie die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, wurde mit der Privatisierung ein regelrechter Börsenboom eingeleitet, und es kam zu einer quantitativ wie qualitativ deutlichen Verbesserung der Angebots­palette an Risikokapital.“389 Man sei stolz darauf, erklärte Friedrich König (ÖVP), „dass wir heute 18.000 neue Aktionäre bei der AUA haben. Wir glauben, es ist für Austrian Airlines die beste Propaganda, wenn sich sehr viele Österreicher als Aktionäre zu diesem Unternehmen zugehörig fühlen.“390 Lediglich die FPÖ reagierte kritisch: „Sie sagten, die Privatisierung müsse unter Wahrung österreichischer Interessen erfolgen. Was haben Sie denn in der Vergangenheit getan? An dem renommierten Bergbauunternehmen BBU wurde der deutsche Konzern Metallgesellschaft, in welchem Ihr früherer Wirtschaftsberater Schimmelbusch tätig gewesen ist, beteiligt, mit dem Ergebnis, dass sich die Deutschen 386 NRP, XXII/14, 7.5.2003, S. 28. 387 Bartenstein, Martin, Wachstumskurs halten. In: Österreichische Monatshefte, Jg. 59, Nr. 2 (2003), S. 7. 388 NRP, XXI/9, 9.2.2000, S. 158. 389 Koren, Stephan, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der großen Koalition: Versuch einer Bilanz, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 46, Nr. 4 (1990), S. 11. 390 Friedrich König, NRP, XVII/78, 9.11.1988, S. 8989.

217

5. akt: Sanierung und privatisierung

den Markt geholt und den Betrieb bei uns zugesperrt haben. Ist das die Wahrung österreichischer Interessen? ... Der nächste Akt steht uns ja schon bevor: Die Austria Tabakwerke AG soll, weil Lacina dringend Geld braucht, an einen englischen Großkonzern verscherbelt werden, damit man kurzfristig Geld in die Kasse bekommt, wodurch aber Tausende Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben werden.“391 Mit dem ÖIAG-Finanzierungsgesetz 1987 wurde die Neuordnung des Konzerns eingeleitet, wie Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) feststellen konnte: „Sieben Branchenholdings unter Führung der ÖIAG leiten marktkonforme, dezentrale und selbstverantwortliche Organisationseinheiten. Betriebswirtschaftliche Grundsätze und unternehmerisches Denken haben überall Einzug gehalten. Strategische Zielsetzung ist ein ausgewogenes Verhältnis von Grundstoffindustrie, weiterverarbeitender Industrie und hochtechnologischer Investitionsgüterindustrie. Aufbauend auf den traditionellen Stärken wurden die Investitionsschwerpunkte aus dem Grundstoffbereich in Bereiche mit höherer Wertschöpfung und in Produktionssparten mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten umgeleitet.“392 Die Struktur der Verstaatlichten Industrie konnte sich in augenfälliger Weise verbessern, stellte auch Finanzminister Ferdinand Lacina (SPÖ) fest. „Durch die Schaffung überschaubarer Einheiten wurden die Wettbewerbsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit dieser Unternehmen gestärkt. Unsere Grundstoffindustrie konnte daher an der international günstigen Konjunktur voll teilhaben. Die durchgreifende Erneuerung ihrer Struktur ist Voraussetzung für dauerhafte wirtschaftliche Erfolge.“393 Denn der wirtschaftliche Erfolg stellte sich geradezu überraschend schnell ein. Zwar sanken Umsatz und Beschäftigungszahl, aber die Ertragslage verbesserte sich besser als erwartet. Angesichts der günstigen Konjunkturlage konnte 1988, zwei Jahre früher als angenommen, 391 Haider, Jörg, NRP, XIX/9, 30.11.1994, S. 38. 392 Vranitzky, Franz, Österreich – eine Positionsbestimmung, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1989), S. 5–10. 393 NRP, XVII/75, 19.10.1988, S. 8534.

218

5. akt: Sanierung und privatisierung

erstmals wieder ein positives Betriebsergebnis erwirtschaftet werden. Nach einem Konzernverlust von zwölf Milliarden Schilling 1986 konnte bereits 1988 ein Betriebsüberschuss erzielt werden, der 1989 auf ca. drei Milliarden anstieg. Der Cashflow erreichte bereits zehn Prozent des Umsatzes. „Als im Jahr 1987 das ÖIAG-Finanzierungsgesetz beschlossen wurde, haben nur wenige geglaubt, dass bereits zwei Jahre später der Gesamtkonzern ein positives Ergebnis erwirtschaften würde“, erklärte Finanzminister Ferdinand Lacina (SPÖ) 1989. „Im laufenden Jahr wird letztmals eine Mittelzuführung aus dem ÖIAGFinanzierungsgesetz beansprucht. Durch diese Kapitalzuführung wird eine erfolgreiche Entwicklung des ÖIAG-Konzerns abgesichert. In Zukunft wird er mit neu gewonnener Dynamik wieder Schrittmacherdienste für die österreichische Industrie leisten können.“394 „Die Sanierungserfolge der Austrian Industries sind in den letzten Jahren sicherlich durch den Boom der internationalen Grundstoffindustrie begünstigt worden“, bestätigte Stephan Koren (ÖVP). Er warnte jedoch: „Wir dürfen die Sanierung also sicher nicht als abgeschlossen betrachten. Unzweifelhaft aber hat die Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik auch in diesem Bereich erste Erfolge gebracht.“395 Auch Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) schränkte ein, dass die positiven Nachrichten aus dem Bereich des ÖIAG-Konzerns nicht dazu verleiten sollten, „leichtsinnig zu werden und unsere Anstrengungen zu vermindern. So ist es nicht zu übersehen, dass einige Bereiche der Verstaatlichten Industrie nach wie vor nicht jene Wettbewerbsfähigkeit erreicht haben, die ihr Überleben auch in schlechteren Zeiten als den heutigen gewährleisten.“ Und er stellte ausdrücklich fest, dass mit der Beschränkung der politisch Verantwortlichen auf die Rolle des Eigentümers zwischen privater und staatlicher Industrie in Hinkunft kein Unterschied bestehen werde. Daher hielt er es auch für unent394 Ferdinand Lacina, NRP, XVII/114, 17.10.1989, S. 13501. 395 Koren, Stephan, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der großen Koalition: Versuch einer Bilanz, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 46, Nr. 4 (1990), S. 11.

219

5. akt: Sanierung und privatisierung

behrlich, „die Führungskräfte und Belegschaften in den Betrieben arbeiten zu lassen und Einmischungen – woher immer sie auch kommen mögen – zu unterlassen. Ich betone dies deshalb so sehr, weil es immer wieder Gruppen gibt, die das neue Denken noch nicht ausreichend verinnerlicht haben. Während sie von privatwirtschaftlichen Prinzipien und Vergabe von Managementpositionen nach fachlichen Gesichtspunkten reden, denken sie gleichzeitig bereits wieder daran, wie sie ihre Partikularinteressen am besten einbringen können.“396 Ende 1989 wurde die ÖIAG erneut umstrukturiert. Die Branchenholdings wurden mit Ausnahme der Bergbauholding und verschiedener Minderheitsbeteiligungen in eine neue Gruppe, die Austrian Industries, eingebracht. Insgesamt wurden an Umsatz und Beschäftigung gemessen etwa 80 % der ÖIAG von den Austrian Industries übernommen. Nachdem bis dahin bereits 25 % des Aktienkapitals der ÖMV an die Börse gebracht worden waren, wurde nun entschieden, keine weiteren Anteile einzeln zu privatisieren, sondern die Austrian Industries als Ganzes. Bis 1993 zeigte es sich jedoch, dass dieses Ziel nicht erreicht werden konnte, und die Privatisierung erfolgte wieder für einzelne Unternehmen. Dadurch wurde die Verstaatlichte Industrie 1993 erneut umstrukturiert. Die Holding wurde aufgelöst und eine neue Dachgesellschaft gegründet, mit der konkreten Aufgabe der Privatisierung ihrer Beteiligungen. Damit war die ÖIAG zu einer Privatisierungsagentur geworden. Das Gesetz zählte die zu privatisierenden Unternehmen auf, ließ der ÖIAG aber zeitlich und inhaltlich genügend Spielraum, um auf volks- und betriebswirtschaftliche Veränderungen reagieren zu können. Zur Vorbereitung der Privatisierungen wurde ihr ein rückzahlbarer Kredit von 7,5 Milliarden Schilling zur Verfügung gestellt.397 Stephan Koren (ÖVP) konnte daher feststellen: „Es stellt die Privatisierungswelle der letzten Jahre unter ordnungs- und strukturpo396 Vranitzky, Franz, Österreich – eine Positionsbestimmung, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1989), S. 6. 397 Zitiert bei: Ines Kastil, Von der Verstaatlichung zur Privatisierung, Diss., Wien 2006, S. 155.

220

5. akt: Sanierung und privatisierung

litischen Gesichtspunkten sicher einen Meilenstein der österreichischen Wirtschaftsgeschichte dar. Erstmals seit Bestehen der Zweiten Republik hat der Staat in nennenswertem Umfang Eigentum und damit Einflussmöglichkeiten aufgegeben. Damit wurde ein großer Schritt zur Anerkennung der Überlegenheit dezentraler, marktmäßiger Entscheidungsfindungsprozesse gegenüber zentralen hoheitlichpolitischen Lenkungsfunktionen getan.“398 Es war bemerkenswert, dass nun auch die Sozialdemokraten die Privatisierung als Erfolg betrachteten. So wies Rudolf Streicher (SPÖ) 1990 darauf hin, dass es etwa 70 Privatisierungsfälle im Bereich der Verstaatlichten Industrie in einem Ausmaß von 15 Milliarden Schilling gegeben habe. „Wenn man sich vor Augen hält, dass die Verstaatlichte Industrie, der ÖIAGKonzern, noch vor vier Jahren das größte innenpolitische Problem war, wenn man bedenkt, dass es bei den ganzen Finanzierungen große Sorgen gegeben hat, so muss man sagen, dass das eine wirklich große Leistung ist ... Es ist das eine Leistung, dass man sich entschlossen hat, und zwar schrittweise, an die Börse zu gehen.“399 Die durchgreifende Leistungssteigerung der Verstaatlichten Industrie ermöglichte 1990 den ersten Schritt des ‚Going-public‘400. Die gelungene Umstrukturierung des ÖIAG-Konzerns war daher durch einen erfolgreichen Börsengang der ÖIAG unter Beweis zu stellen.401 Mit dem Sanierungserfolg im Bereich der Industrie kam es zu einer weiteren Ausdehnung der Privatisierung. Mit dem 2. Privatisierungskonzept 1996 wurde der ÖIAG die mehrheitliche Privatisierung der Austria Tabakwerke AG und die Veräußerung der Österreichischen Salinen AG, 1998 die Anteile der Österreichischen Staatsdruckerei und des Dorotheums übertragen. Ebenso der ÖIAG übertragen wurden 398 Koren, Stephan, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der großen Koalition: Versuch einer Bilanz, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 46, Nr. 4 (1990), S. 10–12. 399 NRP, XVIII/8, 19.12.1990, S. 458. 400 Ferdinand Lacina, NRP, XVIII/15, 27.2.1991, S. 1000. 401 Ditz, Johannes, Vom Avis zur Aktion, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 47, Nr. 4 (1991), S. 12.

221

5. akt: Sanierung und privatisierung

die Bundesanteile der Austrian Airlines und des Flughafen Wien. Im Jahr 2000 kamen noch die Österreichische Postsparkasse AG und die Telekom Austria AG hinzu. Damit war die Privatisierungspolitik in neue Dimensionen vorgedrungen. Sie erfasste nun auch Monopol- oder Infrastrukturunternehmen, die zum Teil schon im 19. Jahrhundert aus öffentlichem Interesse unter staatliche Kontrolle gekommen waren.402 Bereits 1994 erklärte Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ): „Ausgliederungen, Privatisierungen und eine Entbürokratisierung auf breiter Front werden die Kapitalmärkte beleben, die österreichische Industriesubstanz nachhaltig stärken und zu einer effizienteren Mittelverwendung im öffentlichen Bereich führen. Wir werden die erfolgreiche Politik der Privatisierung ebenso aktiv wie behutsam fortführen, wobei neben den im ÖIAG-Gesetz 1993 vorgesehenen Unternehmen weitere Privatisierungen unter Wahrung österreichischer Interessen, unter Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Substanz, unter selbstverständlicher Berücksichtigung der dort Beschäftigten und unter Berücksichtigung regionaler Interessen geplant sind.“403 Und er stellte diese Ausdehnung der Privatisierung ausdrücklich in einen Zusammenhang mit der Sanierung der Verstaatlichten Industrie. „Anders als sehr viele andere Staaten hat Österreich in den letzten Jahren einen großen Strukturwandel hervorragend bewältigt. Ich erinnere: Noch vor einem Jahrzehnt war die Krise der Verstaatlichten Industrie Tagesgespräch. Seither ist viel geschehen. Große Teile dieser Industrie werden heute erfolgreich geführt, wurden erfolgreich an der Börse eingeführt und arbeiten teilweise mit großem Gewinn. Der dabei eingeschlagene pragmatische Weg wird fortgesetzt. Wir werden dort ausgliedern und privatisieren, wo es sinnvoll ist, wo es für die österreichischen Interessen und selbstverständlich für die Arbeitnehmer von Vorteil ist. Für die kommenden

402 Zur Kritik an dieser Dimension der Privatisierung siehe u.a.: Ernst Ulrich von Weizsäcker/Oran R. Young/Matthias Finger (Hrsg.), Grenzen der Privatisierung. Wann ist es Guten zu viel? Bericht an den Club of Rome, Stuttgart 2007. 403 NRP, XIX/9, 30.11.1994; S. 28.

222

5. akt: Sanierung und privatisierung

vier Jahre haben wir uns vorgenommen, die Bundesanteile der Bank Austria und der Creditanstalt abzugeben, die Post in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln und Umstrukturierungsschritte bei Austria Tabak, bei den Salinen und bei der Staatsdruckerei vorzunehmen. All das wird unter Bedachtnahme auf den gesunden wirtschaftlichen Prozess erfolgen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)“404 Auch die FPÖ, noch als Oppositionspartei Mitte der 1990er-Jahre, hatte eine umfangreiche Privatisierung auf ihre Fahnen geschrieben. Im Freiheitlichen Maßnahmenpaket zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich 1995 hieß es: „Durch die Privatisierung öffentlicher Unternehmungen (z.B. CA, Bank Austria, PSK, Staatsdruckerei, Flughafen Wien usw.) kann der politische Einfluss zurückgedrängt und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmungen hierdurch gestärkt werden (einmaliger Erlös 40 Mrd. ÖS, wovon die Hälfte für F&E verwendet werden soll).“405 Und Das Programm der Freiheitlichen Partei Österreichs 1997 stellte in drei Punkten fest: „(1) Die Freiheitliche Bewegung versteht sich als Anwalt der Erwerbstätigen im nicht geschützten Bereich. Es widerspricht dem Grundsatz der Fairness, dass der Großteil der Erwerbstätigen allen wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt ist, während andere in privilegierter Stellung (zu Lasten der Leistungsträger) im geschützten Bereich tätig sind. (2) Unter geschütztem Bereich sind der öffentliche Sektor und die staatlichen Unternehmungen zu verstehen. Dazu zählen auch der Mediensektor, der Großteil des gemeinnützigen Wohnbaues, halbstaatliche Versicherungsunternehmen und Banken, öffentlich subventionierte „Non-profit-Organisationen“ und dergleichen, in diesem Bereich werden Private systematisch benachteiligt. (3) Die Beteiligungsmacht der Banken und der Kreditinstitute ist zu beschränken. Die Entpolitisierung des Bankensektors muss 404 NRP, XX/10, 13.3.1996, S. 26. 405 Freiheitliche Partei Österreichs, Freiheitliches Maßnahmenpaket zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich. Ohne Ort 1995, S. 44.

223

5. akt: Sanierung und privatisierung

durch eine echte Privatisierung vorangetrieben werden. Im gesamten Kreditsektor müssen ein wirksamer Kundenschutz und eine Harmonisierung des Wettbewerbsrechtes durchgesetzt werden.“406 Als Regierungspartner ab dem Jahr 2000 war die Haltung der FPÖ von jener der ÖVP nicht mehr zu unterscheiden. „Wir nehmen die Privatisierung ernst“, sagte Gilbert Trattner (FPÖ). „Überall dort, wo der Staat seine Finger drinnen hat, ist der Kurswert der Aktien um 50 Prozent niedriger als der wahre Wert. Allein die Privatisierungsansage seitens der neuen Bundesregierung, was in diesem Bereich alles passieren soll, hat bereits gestern einen Kaufauftrieb an der Börse ausgelöst, der zur Folge hatte, dass der ATX um 3,3 Prozent gestiegen ist. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)“407 Und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) spürte vollen Rückenwind für das politische Projekt, das ihn über Jahrzehnte beschäftigt hatte. „Der Staat muss sich konsequent von Tätigkeiten und Kosten trennen, die nicht zu seinen Kernaufgaben gehören. Aus diesem Grund ist ein höchst ambitioniertes Privatisierungsprojekt im Regierungsprogramm festgeschrieben. Staatsbetriebe müssen marktfähig werden. Die ÖIAG erhält deshalb den Auftrag, so rasch wie möglich ein professionelles Privatisierungskonzept für Staatsdruckerei, Dorotheum, Printmedia, Flughafen Wien, P.S.K., Telekom und Austria Tabak zu entwickeln und die Bundesanteile zu veräußern. Dies soll professionell und politikfern geschehen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Aber ich sage auch sehr klar: Der Steuerzahler darf nie mehr belastet werden. (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Die Privatisierungserlöse werden daher nicht nur zur Schuldentilgung – das vor allem –, sondern darüber hinaus auch für Zukunftsinvestitionen verwendet werden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) 406 Freiheitliche Partei Österreichs, Das Programm der Freiheitlichen Partei Österreichs. Ohne Ort 1997, S. 31–32. 407 NRP, XXI/9, 9.2.2000, S. 50.

224

5. akt: Sanierung und privatisierung

... Österreich muss aus seiner Verstaatlichten-Vergangenheit lernen. Kein Steuerschilling darf künftig in Unternehmen investiert werden, wo der Markt bessere und wirtschaftlichere Lösungen anbietet. Die in der Verfassung verankerten Prinzipien der wirtschaftlichen Freiheit sind unsere Richtschnur für die Gestaltung des Wirtschaftslebens. Dies ist auch in einer eigenen ‚Charta der wirtschaftlichen Freiheit‘ festgeschrieben.“408 Für Martin Bartenstein (ÖVP) ging das Privatisierungsprojekt noch weit über den eigentlichen Bereich hinaus. „Im Übrigen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist das Programm im Bereich der Wirtschaft von drei Prinzipien getragen: Wir wollen liberalisieren, wir wollen demokratisieren und wir wollen privatisieren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen) Wir wollen demokratisieren im Sinne einer Deregulierung, und wir wollen privatisieren, und zwar privatisieren in einem Bereich, den ich in Österreich nicht mehr als Verstaatlichte Industrie bezeichnen will – das ist der Vergangenheit angehörig –, aber privatisieren vor allem im Bereich der ÖIAG, und zwar privatisieren in einer Art und Weise, die die Standortinteressen Österreichs berücksichtigt und die Entscheidung in vielen Fällen auf der Basis von verpflichtenden Syndizierungen in Österreich belassen soll. Wir wollen eine Privatisierungsstrategie fahren, die letztlich dem entspricht, was in Europa heute als zweckmäßig erachtet wird, ob es sich noch im öffentlichen Eigentum befindet oder nicht.“409 Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FPÖ) stellte die nunmehrige Linie fest: „Die ÖIAG erhält daher von der Regierung den Auftrag, für diese Legislaturperiode ein umfassendes Privatisierungskonzept umzusetzen, in dem die Bundesanteile mehrerer Unternehmen zu 100 Prozent strategischen Partnern oder der Öffentlichkeit zugeführt werden sollen ... Österreich hat bereits in der Vergangenheit besonders positive Erfahrungen mit der Privatisierung gemacht. Gescheit privatisieren ist daher auch heute das Gebot der Stunde. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP, Zwischenrufe bei der SPÖ.) ... Die Pri408 NRP, XXI/9, 9.2.2000, S. 17. 409 NRP, XXI/9, 9.2.2000, S. 158.

225

5. akt: Sanierung und privatisierung

vatisierung stellt, wie in anderen europäischen Ländern, auch bei uns eine Chance dar, den Kapitalmarkt zu beleben und der österreichischen Bevölkerung die Aktie als eine attraktive Anlageform nahezubringen. Wir werden uns daher bemühen, zumindest mit einem Teil der Privatisierung durch eine breite Streuung der Aktien zur Eigentumsbildung in den Händen der Arbeitnehmer dazu beizutragen. Damit wollen wir die Kaufkraft der Bevölkerung erhöhen, Aufbau von Eigenkapital forcieren und entsprechende Finanzmasse für eine verstärkte Investitionstätigkeit im Unternehmensbereich schaffen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)“410 Lediglich die Grünen hatten noch gewisse Einwände gegenüber dieser Privatisierungsbegeisterung. „Die Grünen wollen, dass grundlegende Versorgungsleistungen für alle BürgerInnen sichergestellt sind und bekennen sich zur Verantwortung und Regulierungsfunktion des Staates. Darüber hinaus macht die Versorgungssicherheit Eigentum des Staates in einzelnen, klar definierten Bereichen notwendig. Privatisierungen allein sind genauso wenig ein Allheilmittel wie ein striktes Festhalten am staatlichen Eigentum. Nur zu oft stehen bei Privatisierungen die kurzfristigen Interessen der Budgetsanierung im Vordergrund, oder schlimmer noch findet der Verkauf zur Bevorzugung bestimmter privater Käufer zum Schaden des Steuerzahlers unter dem tatsächlichen Wert statt. Wir fordern, im Sinne der Nachhaltigkeit, vor jeder Privatisierung eine Prüfung der langfristigen, volkswirtschaftlichen, betriebswirtschaftlichen, sozial- und gesellschaftspolitischen Auswirkungen ... Die Grünen lehnen einen weiteren Verkauf von öffentlichem Eigentum in strategisch wesentlichen Bereichen ab. Eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, welche Bereiche als öffentliche Güter definiert werden, deren Bereitstellung im Sinne der Gesamtgesellschaft besser durch staatliche Eigentümerschaft garantiert werden kann, ist erforderlich.“411 410 NRP, XXI/16, 21.3.2000, S. 36. 411 Die Grünen, Grundsatzprogramm. Beschlossen beim 20. Bundeskongress der Grünen am 7. und 8. Juli 2001 in Linz, in: Die Grünen. Grüne Programme.

226

5. akt: Sanierung und privatisierung

Aber der Wind blies ihnen ins Gesicht. In einem Entschließungsantrag der Regierungsparteien ÖVP und FPÖ im Jahr 2003 hieß es in Bezug auf die Zielsetzungen der Privatisierungen: „Sie sollen zu einer möglichst hohen Wertsteigerung der Unternehmungen führen, um dadurch auch langfristig sichere Arbeitsplätze in Österreich zu schaffen bzw. zu erhalten; sie sollen möglichst hohe Erlöse für den Eigentümer erbringen, ... sie sollen den österreichischen Kapitalmarkt berücksichtigen. Folgende konkrete Maßnahmen werden zwischen den Regierungspartnern vereinbart: Die weitere vollständige Privatisierung (100 %) von Böhler Uddeholm AG, VA Technologie AG, VOEST Alpine AG, Österreichische Postbus AG (Beteiligung Privater; nach Entscheid des Kartellgerichtes), Österreichische Bergbauholding AG und der Telekom Austria (bis zu 100 %) wird angestrebt ... Für die Österreichische Post AG wird ein strategischer Partner gesucht und damit ein erster Privatisierungsschritt vorgenommen. Nach abgeschlossener Privatisierung der oben angeführten Unternehmen erfolgt die Auflösung der ÖIAG und die Neugründung einer Bundesbeteiligungs- und Managementgesellschaft. Die verbleibenden Bundesbeteiligungen der ÖIAG werden an die Bundesbeteiligungs- und Managementgesellschaft übertragen. Diese stellt eine professionelle Eigentümerverantwortung und ein professionelles Wertmanagement der Unternehmen sicher und bereitet Privatisierungen – dort, wo möglich – vor. Die ÖBB und der Verbund werden in die Bundesbeteiligungs- und Managementgesellschaft eingebracht, wobei die verkehrs- und energiepolitische Steuerungskompetenz zur Gänze bei den zuständigen Ressorts verbleibt. Für die ÖBB ist keine Privatisierung vorgesehen. Die bereits begonnene Verwertung der Bundeswohnungsgesellschaften wird fortgesetzt. Der Eigentümer gibt für die einzelnen Privatisierungsaufträge klare Privatisierungsziele vor.“412

412 NRP, XXII/7, 6.3.2003, Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Molterer, Scheibner und Kollegen betreffend Umsetzung des Regierungsprogrammes der österr. Bundesregierung für die XXII. GGP.

227

5. akt: Sanierung und privatisierung

Es war nun vor allem Sache des – nun parteilosen – Finanzministers Karl-Heinz Grasser, die Erfolge der Privatisierung immer wieder hervorzuheben. Er sei angetreten mit der Feststellung: „Privat ist besser als der Staat! Und zwar aus tiefer Überzeugung. Wir haben eine große Privatisierungsinitiative eingeleitet. Wir haben im Jahre 2000 in der ÖIAG Schulden von 6,3 Milliarden Euro übernommen. Dem stand ein Vermögen von 5 Milliarden Euro gegenüber. Das bedeutet, wir haben eine Unterdeckung, ein Minus von 1,3 Milliarden Euro übernommen. (Abg. Öllinger: Sagen Sie lieber nichts zur ÖIAG!) Jetzt haben wir – gerne sage ich das (Abg. Öllinger: Könnte ein Problem werden!) – folgende Situation: 1,7 Milliarden Euro an Schulden, ein Vermögen von 5,7 Milliarden Euro – das heißt eine Überdeckung von 4 Milliarden Euro! Noch einmal: Übernommen haben wir ein Minus von 1,3 Milliarden Euro, jetzt ist ein Plus von 4 Milliarden Euro vorhanden. Das heißt, wir haben Vermögenswerte, wir haben Werte von 5,3 Milliarden Euro für den Steuerzahler geschaffen. Das ist eine Sanierung der ÖIAG, das sind schwarze Zahlen, das erste Mal seit 30 Jahren. Das ist eine sehr gelungene Privatisierungspolitik.“413 Bei seinem Amtsantritt im Jahre 2000 konnten die Zinsbelastungen von der ÖIAG nicht vollständig getragen werden. Man musste daher aus dem Budget zusätzlich Steuergelder für die Bedienung des Zinsendienstes aufbringen. Im Jahr 2003 war „die ÖIAG in der Lage, neben der Bedienung des Zinsendienstes auch noch Dividenden an das Budget auszuschütten: immerhin 200 Millionen Euro heuer und 100 Millionen Euro im Jahre 2004“.414 Man werde es gegen Ende der Legislaturperiode schaffen, „die ÖIAG aufzulösen und damit ein weithin sichtbares Zeichen für das Ende der Ära der Verstaatlichten Industrie in Österreich zu setzen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)“415

413 NRP, XXII/78, 13.10.2004, S. 38. 414 NRP, XXII/14, 7.5.2003, S. 28. 415 NRP, XXII/14, 7.5.2003, S. 28.

228

Epilog

Damit kommt man zum Abschluss zur Frage, was die Verstaatlichte Industrie gebracht bzw. gekostet hat. Doch auch dies ist mehr eine politische als eine wirtschaftliche Frage. Helmut Hoskovec versuchte eine langfristige Bilanz, wobei er darauf hinweist, dass die Werte nicht valorisiert sind.416 Demnach betrugen die Privatisierungserlöse bis zum Jahr 2008 etwas mehr als die Hälfte der den verstaatlichten Unternehmen zugeführten Eigenkapitalzuführungen abzüglich der Dividendenausschüttungen. Finanzielle Bilanz 1946 bis 2008 in Millionen Schilling Eigenkapitalzuführung und Refinanzierung 94.627,6 Minus Dividendenzahlungen 10.344,0 Netto Eigenkapitalzuführung und Refinanzierung 84.283,6 Minus Veräußerungserlöse 1993 bis 2008 43.558,9 Noch nicht amortisierter Kapitaleinsatz 40.724,7

Als Aktivposten standen die Ende 2008 noch bestehenden Beteiligungen der ÖIAG von 590 Millionen Schilling zu Buche und die 31,5 %ige Beteiligung an der OMV AG, deren Aktienwert aber beträchtlichen Schwankungen unterlag. Der Börsenkurs dieser Aktien betrug Ende 2007 71.780 Millionen Schilling, war aber durch die weltweite Finanzkrise bis Ende 2008 auf 26.409,1 zurückgegangen.

416 Helmut Hoskovec, Die Finanzierung der Verstaatlichten Industrie, in: Georg Thurnheim, Österreichs Verstaatlichte. Die Rolle des Staates bei der Entwicklung der österreichischen Industrie von 1918 bis 2008, Wien 2009, S. 127 ff. Der Wert des Schillings war 1960 etwa fünfmal so hoch wie im Jahr 2010.

229

Epilog

Bei sich normalisierenden Börsenwerten kann man daher davon ausgehen, dass die noch bestehenden Aktivposten den 2008 noch nicht amortisierten Kapitaleinsatz abdecken. Georg Turnheim stellt daher fest: „Die Eigentümerin der Verstaatlichten Industrie, die Republik Österreich, hat für die Verstaatlichte Industrie im Rahmen der Zweiten Republik rund sieben Milliarden Euro (rund 100 Milliarden Schilling) vorwiegend als Eigenkapital zur Verfügung gestellt und durch Dividendenausschüttungen und Veräußerungserlöse (Privatisierung) – unter Berücksichtigung der noch gehaltenen Beteiligung an der OMV – keinen Cash-Verlust erlitten, jedoch nicht unerhebliche Steuereinnahmen und Standortverbesserungen erhalten. Der österreichische Steuerzahler wurde also nicht, wie oft irrtümlich behauptet wird, wegen der verstaatlichten Industrie ‚zur Kasse gebeten‘.“ (Hervorhebung im Original)417 Aus privatwirtschaftlicher Sicht kann man mit dieser „Nullbilanz“ nicht so ganz zufrieden sein, schließlich ist es eine der wesentlichen Funktionen von Wirtschaftsunternehmen, Gewinne zu erzielen und für den Eigentümer einen finanziellen Ertrag abzuwerfen. Bei der Gründung der ÖIAG 1970 wurde der Netto-Bilanzwert der Beteiligungen mit 11.935 Millionen Schilling angegeben,418 – wo ist dieses Vermögen geblieben? Die „Nullbilanz“ muss daher als „Verlustbilanz“ angesehen werden, Ertrag und Vermögen der Verstaatlichten Industrie sind letztlich verloren gegangen. Dass der österreichische Steuerzahler nicht auch noch etwas draufzahlen musste, erinnert an den Ausspruch Friedrich Torbergs Tante Jolesch: „Gott behüte uns vor allem, was noch ein Glück ist.“

417 Georg Turnheim in: Georg Thurnheim, Österreichs Verstaatlichte. Die Rolle des Staates bei der Entwicklung der österreichischen Industrie von 1918 bis 2008, Wien 2009, S. 3. 418 Helmut Hoskovec, Die Finanzierung der Verstaatlichten Industrie, in: Georg Thurnheim, Österreichs Verstaatlichte. Die Rolle des Staates bei der Entwicklung der österreichischen Industrie von 1918 bis 2008, Wien 2009, S. 127.

230

Epilog

Die Gegenargumente gehen auf die volkswirtschaftliche Bedeutung der Verstaatlichten Industrie ein. Ohne die Verstaatlichung 1946 wäre diese Industrie in Österreich nicht wiedererstanden und sie spielte eine wichtige Rolle im Wiederaufbau und im wirtschaftlichen Aufschwung bis Anfang der 1970er-Jahre, was auch ihre prinzipiellen Gegner anerkennen. Sie hatte eine wesentliche Bedeutung für die Sozialpartnerschaft, für die Arbeitsmarkpolitik, den Außenhandel und für die zuliefernden Klein- und Mittelbetriebe, welche über die Verstaatlichte den Weg in den Export fanden. Und die Krise der 1980erJahre war nicht nur eine der Verstaatlichten Industrie, sondern der Eisen- und Stahlindustrie weltweit, wo auch private Konzerne massive staatliche Unterstützung benötigten. Letztlich stellt sich aber nicht die dogmatische Frage „Staat oder privat?“, sondern ob nicht jedes wirtschaftspolitische Konzept zeitgebunden ist. Die Verstaatlichte Industrie konnte in den ersten Jahrzehnten durchaus erfolgreich sein, in einem noch weitgehend geschützten Markt mit regulierten Löhnen und Preisen und einer protektionistischen Außenhandelspolitik. Spätestens seit den 1970er-Jahren war Österreich durch seinen hohen Exportanteil und die Annäherung an die Europäische Gemeinschaft in einen globalen Wettbewerb eingetreten. Die Verstaatlichte Industrie hatte daher ihre Funktion und Bedeutung, die Frage bleibt aber, ob ihre Privatisierung unter den veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen nicht zu spät in Angriff genommen wurde. Die ideologische Haltung der Parteien hat sich in den Jahrzehnten des Bestandes der Verstaatlichten Industrie wesentlich geändert. Lediglich die Kommunistische Partei blieb ihren antikapitalistischen Grundsätzen treu, spielte aber nur am Anfang eine gewisse Rolle. Die wirtschaftspolitische Einstellung der Freiheitlichen Partei Österreichs änderte sich je nachdem, ob sie in Opposition oder in der Regierung war und entsprechend den jeweiligen Führungspersönlichkeiten.419 Die Österreichische Volkspartei war immer dafür eingetreten, dass 419 Jägerbauer, Daniel, Die freiheitlichen Wirtschaftsprogramme, Diplomarbeit, Universität Wien 2009.

231

Epilog

Wirtschaften eine Sache der Bürger und nicht des Staates ist. Dennoch hat sie seit etwa den 1970er-Jahren einen ideologischen Wandel vollzogen, von der christlichsozialen Grundhaltung zum Neoliberalismus. Zwischen Hermann Withalm (ÖVP): „Die anzustrebende Eigentumsordnung muss vor allem eines – wenn sie von Dauer sein soll – anstreben, dass nämlich das Eigentum keinesfalls in einigen wenigen Händen konzentriert, sondern dass es breitest gestreut werde. Es darf weder eine Konzentration in den Händen des Staates, genau so wenig aber auch eine Zusammenballung bei einigen physischen oder juristischen Personen geben ... Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als eine gesunde, auf christlichen Grundsätzen beruhende Eigentumsordnung zu schaffen.“420 und Wolfgang Schüssel (ÖVP): „Mehr privat – weniger Staat!“ und der „Staat kann nicht wirtschaften!“, „Die klare Interessenlage der Eigentümer gibt dem Management eines Privatunternehmens einen eindeutigen Auftrag: langfristige Gewinnmaximierung und damit Steigerung des Substanzwertes der Unternehmung.“421 liegen Welten. Die Sozialdemokratische Partei Österreichs hingegen hat eine Entideologisierung durchgemacht. Die Illusion einer sozialistischen Wirtschaftsstruktur ist der Wirklichkeit marktwirtschaftlicher Globalisierung gewichen. Stand im Parteiprogramm 1958 noch: 420 Withalm, Hermann, Freiheitsfundament Eigentum, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 15, Nr. 4 (1959), S. 7–9. 421 Schüssel, Wolfgang, Chancen der Privatisierung, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 43, Nr. 3 (1987), S. 6.

232

Epilog

„Die SPÖ erstrebt eine Wirtschaft, die unter umfassender demokratischer Kontrolle persönliche Freiheit und Planung, rationelle Produktion und gerechte Verteilung des Sozialprodukts vereint sowie die wirtschaftliche Existenz aller sicherstellt. Um diese Ziele zu erreichen, muss die Wirtschaftsordnung, die heute noch vorwiegend von dem aus der Ausbeutung stammenden Profit beherrscht wird, in eine dem Gemeinwohl dienende umgewandelt werden.“422 So wurde zunehmend deutlich, dass sich die Verstaatlichte Industrie mit ihrem hohen Exportanteil in Konkurrenz mit ausländischen privatwirtschaftlichen Unternehmen befand. Die ihr auferlegten öffentlichen Funktionen und politischen Anforderungen wurden damit zu einem entscheidenden Wettbewerbsnachteil. Die Umstrukturierung nach rein privatwirtschaftlichen Grundsätzen stellte aber das gesamte Konzept der Verstaatlichung infrage, wie Herbert Tieber (SPÖ) 1986 feststellte: „Weil öffentliche Unternehmen in einer privatkapitalistischen Marktwirtschaft ein systemfremdes Element darstellen, bedürfen sie einer besonderen Rechtfertigung ihrer Existenz, das heißt eines öffentlichen Zwecks. Zugespitzt formuliert: Verfolgen öffentliche Unternehmen dieselben Ziele wie private Unternehmen auch und keine anderen Ziele dazu, dann ist öffentliches Eigentum, streng genommen, überflüssig ...“423

422 Sozialistische Partei Österreichs, Das neue Programm der SPÖ. Wien 1958, S. 14. 423 Tieber, Herbert, Verstaatlichte: War alles falsch?, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1986), S. 7–10.

233

Der Privatisierungsweg der ÖIAG 1987 bis 2006424

November 1987: Abgabe von 15 % an der OMV (Österreichische Mineralöl Verwaltung; Mineralöl- und Chemiekonzern), erster Börsengang eines ÖIAG-Unternehmens. September 1989: Abgabe weiterer 10 % an der OMV über die Börse. Juli 1992: Abgabe von 26 % an der Simmering-Graz-Pauker-Verkehrstechnik (SGP-VT) an die Siemens AG Österreich. Dezember 1992: Abgabe von 49 % an der VAE (Eisenbahnsysteme – alte und junge Aktien). Juli 1993: Mehrheitliche Privatisierung der Austria Mikro Systeme International (AMS) durch Abgabe von 74 % über die Börse. November 1993: Abgabe von weiteren 25 % an der VAE (alte und junge Aktien), mehrheitliche Privatisierung über die Börse. November 1993: 100 %iger Verkauf der A.S.A. an eine französische Unternehmung. Dezember 1993: Abgabe von weiteren 48 % an der SGP-VT an die Siemens AG Österreich. Mai 1994: Mehrheitliche Privatisierung der VA Technologie AG durch Abgabe von 51 % über die Börse; größte Kapitalmarkttransaktion in Österreich bisher. Mai 1994: Reduktion der OMV-Anteile auf 53 % durch Veräußerung von 20 % an IPIC. Bis Jahresende Weiterführung der mehrheitlichen Privatisierung der OMV durch Rückzug auf 50 % minus eine Aktie. 424 http://www.oeiag.at/htm/oiag/geschichte.htm

234

Die Privatisierung der ÖIAG 1987–2006

Juli 1994: Abgabe der restlichen 26 % an AMS durch Private placement. November 1994: 100 %iger Verkauf der AT & S (Austria Technologie & Systemtechnik) an eine Bietergruppe, der auch das bisherige Management angehörte. November 1994: Abgabe der restlichen 26 % an VAE über die Börse. März 1995: Abgabe von 27,3 % an der Böhler-Uddeholm AG über die Börse. März 1995: Verkauf der Schoeller-Bleckmann Oilfield Equipment AG an ein österreichisches Privatunternehmen. März 1995: Verkauf der Schoeller-Bleckmann Edelstahlrohr GesmbH. an das Management (MBO). Mai 1995: Verkauf der Bernhard Steinel Werkzeugmaschinen GmbH., Villingen (Deutschland). Oktober 1995: Abgabe von 31,7 % an der VA Stahl AG über die Börse. Dezember 1995: Verkauf der Weiler Werkzeugmaschinen GmbH. & Co.KG an das Management. Februar 1996: Abgabe von 4,6 % an der VA Stahl AG an einen institutionellen Investor. März 1996: Mehrheitliche Privatisierung der Böhler-Uddeholm AG durch Abgabe von 47,7 % im Zuge eines Secondary Offerings über die Börse. Mai 1996: Abgabe von 14,9 % der OMV AG im Zuge eines Secondary Offerings über die Börse, wodurch sich der Anteil der ÖIAG an der OMV auf 35 % reduziert. Juni 1996: Verkauf von 100 % der GIWOG-Wohnbaugruppe (inkl.Tochtergesellschaften SAG und GEMYSAG) an 5 österreichische gemeinnützige Wohnbaugesellschaften.

235

Die Privatisierung der ÖIAG 1987–2006

Juli 1996: Verkauf von 77 % der VAMED an den deutschen Medizintechnikkonzern Fresenius und 10 % an die Bank Austria. November 1996: Verkauf von 100 % der VA Bergtechnik an die finnischen Unternehmen Tampella Corp. und Tamrock Oy. November 1996: Verkauf von 100 % der AMAG an die Bietergruppe Hammerer (Management)/-Constantia (österreichische Industriegruppe). Mai 1997: Verkauf von 100 % der Salinen AG an die Bietergruppe Androsch/ RLB OÖ/Thomanek. Juni 1997: Abgabe von 25 % und einer Aktie der Mobilkom AG (Bereich Mobilfunk der PTA) an den strategischen Partner STET International, einer Konzerngesellschaft der Telecom Italia durch die PTBG (Post & Telegraphen Beteiligungsgesellschaft). Juni 1997 bis Jänner 1998: Abgabe von insgesamt 4.354.000 Aktien der Bank Austria über die Wiener Börse durch die PTBG. November 1997: Abgabe von 49,5 % an der Austria Tabak über die Börse. Februar 1998: Abgabe von insgesamt 6.269.050 Aktien der Bank Austria durch die PTBG. Oktober 1998: Abgabe von 25 % und einer Aktie der Telekom Austria AG an den strategischen Partner STET International, eine Konzerngesellschaft der Telecom Italia durch die PTBG. März 1999: Abgabe von 9,4 % an der Austria Tabak durch Direktplazierung an institutionelle Investoren (Blocktrade). Mai 1999: Durch eine Kapitalerhöhung der AUA reduzierte sich der ÖIAGAnteil auf 39,72 % durch Nichtausnutzung der Bezugsrechte. November 2000: Verkauf von 100 % der PSK an die Bank für Arbeit und Wirtschaft AG.

236

Die Privatisierung der ÖIAG 1987–2006

November 2000: Abgabe von 22,4 % an der Telekom Austria AG über die Börse und Abgabe von 4,8 % aufgrund vertraglicher Vereinbarungen an die STET International (Telekom Italia). November 2000: Verkauf von 2,62 % der Flughafen Wien AG (insgesamt 5,24 %) an die Stadt Wien und an das Land Niederösterreich und Abgabe von 3,22 % im Zuge eines Aktienrückkaufs der Flughafen Wien AG. November 2000: Abgabe der Österreichischen Staatsdruckerei GmbH an einen österreichischen Investor. März 2001: Abgabe von 8,92 % an der Flughafen Wien AG an inländische und ausländische institutionelle Investoren. Mai 2001: Abgabe von 1 % des Grundkapitals der VA Stahl AG im Zuge eines Aktienrückkaufprogramms an die VA Stahl AG. August 2001: Abgabe der restlichen 41,1 % der Austria Tabak AG an die Gallaher Group. September 2001: 100 %iger Verkauf des Dorotheums an die Bietergruppe „OneTwo Beteiligungs- und Managementberatungs GmbH“. März 2002: 100 %iger Verkauf der Strohal Rotations Druck GmbH an die „Invest Equity Group“. Mai 2002: Durch die Kapitalerhöhung der voestalpine AG, bei welcher die ÖIAG nur zu 50 % teilgenommen hat, reduzierte sich der Anteil der ÖIAG von 37,8 % auf 34,7 %. Juni 2002: Durch Zuteilung der Bonusaktien im Zuge des Investitionsprogramms anlässlich des IPO im November 2000 reduziert sich der Anteil der ÖIAG an der Telekom Austria AG von 47,8 auf nunmehr 47,2 %. August 2003: Abgabe von 9 % Aktien der VA Technologie über die Börse. August 2003: Verkauf von 100 % der Postbus AG an die ÖBB (vorbehaltlich der Zustimmung der Kartellbehörde).

237

Die Privatisierung der ÖIAG 1987–2006

August 2003: Emission einer Umtauschanleihe auf Aktien der Telekom Austria AG im Ausmaß von 5 % des Grundkapitals der Gesellschaft an institutionelle Investoren. September 2003: Emission einer Umtauschanleihe auf Aktien der voestalpine AG im Ausmaß von 15 % des Grundkapitals der Gesellschaft an institutionelle Investoren. September 2003: Die POSTBUS AG, eine hundertprozentige Tochter der ÖIAG seit 1. 1. 2000, wurde mit September 2003 an die ÖBB verkauft. Mit dieser Transaktion wurden die beiden größten öffentlichen Busflotten des Landes in einer Gesellschaft für den Nahverkehr auf der Straße zusammengefasst. September 2003: Abgabe von 19,7 % der voestalpine AG im Zuge eines SPO (Secondary Public Offering) über die Börse. November 2003: Abgabe von 25 % an der Böhler-Uddeholm AG im Zuge eines Secondary Public Offerings über die Börse. August 2004: ÖIAG Bergbauholding AG (ÖBAG): Abgabe des 26 %-Anteils an BMG Metall und Recycling GmbH an Mehrheitsgesellschafter Ecobat. September 2004: Am 7. September 2004 wurde der Privatisierungsauftrag der Bundesregierung vom 1. April 2003 hinsichtlich der VA Technologie AG konkretisiert. Oktober 2004: Verschmelzung der ÖIAG-Bergbauholding in die GKB-Bergbau GmbH. Dezember 2004: Abgabe von 17 % an der Telekom Austria AG im Zuge eines Accelerated Bookbuilt Offerings über die Börse. Dezember 2004: Privatisierung der VOEST-ALPINE Erzberg GmbH durch Verkauf bzw. Einbringung der ÖIAG-Anteile an die Erzberg Privatstiftung.

238

Die Privatisierung der ÖIAG 1987–2006

Juli 2005: Vollständige Privatisierung der VA Tech durch Abgabe des 14,7 Prozent-Anteils im Rahmen des öffentlichen Übernahmeangebots von Siemens Österreich. August 2005: Vollprivatisierung der voestalpine AG mit Ende August abgeschlossen; Umtauschanleihe vollständig gewandelt. Mai 2006: Abgabe von 49 % der Österreichischen Post AG über die Börse. Juni/September 2006: Wandlung bzw. Verkauf der der ÖIAG-Umtauschanleihe (Begebung 2003) unterlegten Telekom-Aktien abgeschlossen. ÖIAGAnteil an Telekom Austria sinkt auf 25,2 %. September 2009: Vollständige Privatisierung der Austrian Airlines AG. Per 3. September 2009 hält die Lufthansa über 90 % der Aktien der Austrian Ailrines AG.

239

Quellen und Literatur

Stenographische Protokolle des Österreichischen Nationalrats 1946 bis 2005 Abele, Hanns/Nowotny, Ewald/Schleicher, Stefan/Winkler, Georg (Hrsg.), Handbuch der österreichischen Wirtschaftspolitik, Wien 1989 Aiginger, Karl, Ursachen und Perspektiven der Stahlkrise, in: Wirtschaftspolitische Blätter, 5/1986 Aiginger, Karl (Hrsg.), Wieviel Staat, wie viel privat? Die zukünftige Rolle des Staates in Österreichs Wirtschaft, Wien 1998 Amatori, Franco (Ed.), The Rise and Fall of State-Owned Enterprises in Western Countries, Cambridge University Press, London 2000 Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Gemeinwirtschaft: Der heilsame Schock, in: Die Zukunft, Nr. 4/1986 Bachinger, Karl, Umbruch und Desintegration nach dem Ersten Weltkrieg. Österreichs wirtschaftliche und soziale Ausgangssituation in ihren Folgewirkungen auf die Erste Republik, ungedruckte Habilitationsschrift, Wien 1981 Bartenstein, Martin, Wachstumskurs halten. In: Österreichische Monatshefte, Jg. 59, Nr. 2 (2003) Bauer, Otto, Der Weg zum Sozialismus, in Werksausgabe, Band II, Wien 1976 Bechtold, Klaus (Hg.), Österreichische Parteiprogramme. Wien 1967 Bierbaumer, Reinhold, Privatisierung bzw. Reprivatisierung öffentlicher Unternehmen. Grenzen und Möglichkeiten, DiplA., Wirtschaftsuniversität Wien, 1987 Bischof, Günter/Stiefel, Dieter, „80 Dollar“ 50 Jahre ERP-Fonds und Marshall-Plan in Österreich 1948–1998, Wien 1999 Blau, Paul, Gemeinwirtschaft und Sozialismus (Ein Diskussionsbeitrag), in: Die Zukunft, Nr. 8–9 (1957) Bock, Fritz, Sozialisierung, wie wir sie verstehen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 9 (1946) Brauneis, Walter, An ihren Taten sollt ihr sie erkennen, in: Die Zukunft, Nr. 8 (1964)

240

Quellen und Literatur

Brunner, W., Das deutsche Eigentum und das Ringen um den österreichischen Staatsvertrag 1945–1955, (Diss.Wien 1976) Burgstaller, Paul, Unsere VOEST-Alpine ist sanierbar!, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 7 (1986) Chaloupek, Günther, Österreichische Wirtschaftspolitik in der Rezession 1975, in: Die Zukunft, Nr. 17 (1976) Chaloupek, Günther, Verstaatlichte Industrie: Ende der Krise oder am Ende der Illusionen?, in: Kohl, Andreas/Ofner, Günter/Stirnemann, Alfred (Hrsg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 1987, Wien 1988 Ditz, Johannes, Neuen Spielraum für unsere Zukunftsaufgaben gewinnen [Interview], in: Österreichische Monatshefte, Jg. 43, Nr. 3 (1987) Ditz, Johannes, Vom Avis zur Aktion, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 47, Nr. 4 (1991) Dobretsberger, Josef, Die wirtschaftlichen Aufgaben des neuen Staates, Wien 1937 Duschek, Adalbert, Sind wir noch Marxisten?, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1949) Duschek , Adalbert, Das Wirtschaftskonzept, in: Die Zukunft, Nr. 5–6 (1957) Ederer, Brigitte und Lacina, Ferdinand, Markt, Staat, Sozialdemokratie. Überprüfen einer Position, in: Die Zukunft, Nr. 4 (1992) Ehgartner, Petra, Die Volksaktie als Instrument der Privatisierung in Österreich, DipA, Universität Wien, 1994 Ettmayer, Wendelin, Subventionen für öffentliche Betriebe: Wie viel wird verschwendet?, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 41, Nr. 6 (1985) Ettmayer, Wendelin, Die Sanierung hat begonnen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 44, Nr. 2 (1988) 10 Jahre ERP in Österreich 1948/958. Wirtschaftshilfe im Dienste der Völkerverständigung, Herausgegeben von der Österreichischen Staatsdruckerei unter Mitwirkung des Bundespressedienstes und Benützung von Unterlagen des Bundeskanzleramtes – Sektion für wirtschaftliche Koordination, Wien 1958 Feldman, Gerald D./Oliver Rathkolb/Theodor Vernus/Ulrike Zimmerl, Österreichische Banken und Sparkassen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit, 2 Bände, München 2006 Figl, Leopold, Unser Wahlprogramm: Freiheit, Gleichheit, Menschenwürde, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 1 (1945) Figl, Leopold, Nachlass, Die sowjetische Besatzungswirtschaft in Österreich. Endbericht über die Ergebnisse des Forschungsauftrages, Wien Mai 1958, Niederösterreichisches Landesarchiv, K 204

241

Quellen und Literatur

Fleischmann, Franz, Die Verstaatlichte Industrie in Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1972) Fous, Viktor, Das 12-Punkte-Programm des Wirtschaftsbundes, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 4, Nr. 2 (1948) Freiheitliche Partei Österreichs: „Freiheit gilt uns als höchster Wert“. Für unsere Heimat Österreich. Das Parteiprogramm der FPÖ 1985. Ohne Ort 1985 Freiheitliche Partei Österreichs: Freiheitliches Maßnahmenpaket zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich. Ohne Ort 1995 Freiheitliche Partei Österreichs: Das Programm der Freiheitlichen Partei Österreichs. Ohne Ort 1997 Fritz, Lorenz, Die Bedeutung strategischen Eigentums und die Kernaktionärsrolle, in: Zukunftsforum Österreich (Hrsg.), Strategisches Eigentum für Österreichs Zukunft, Wien 2002 Geißler, Franz, Österreichs Handelskammer-Organisation in der Zwischenkriegszeit, 2 Bände, Wien 1977 und 1980 Goldmann, Wilhelmine, Verstaatlichten-Politik in der Ära Kreisky, in: Fritz Weber, Theodor Venus (Hg.), Austro-Keynesianismus in Theorie und Praxis, Wien 1993 Goldmann, Wilhelmine, Die Privatisierung der ÖIAG – eine Erfolgsstory, in: Wirtschaftspolitische Blätter, 6/1996 Grebing, Helga, Die deutsche Arbeiterbewegung: zwischen Revolution, Reform und Etatismus, Mannheim 1993 Die Grünen: Grundsatzprogramm. Beschlossen beim 20. Bundeskongress der Grünen am 7. und 8. Juli 2001 in Linz Grünwald, Oskar, Der Kampf um die verstaatlichte Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 18 (1969) Grünwald, Oskar/Ferdinand Lacina,  Auslandskapital in der österreichischen Wirtschaft. Studie der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Wien 1962 Grünwald, Oskar, Zur Lage der verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1982) Grünwald, Oskar in: Georg Thurnheim, Österreichs Verstaatlichte. Die Rolle des Staates bei der Entwicklung der österreichischen Industrie von 1918 bis 2008, Wien 2009 Hawlik, Johannes/Schüssel, Wolfgang, Mehr privat – weniger Staat. Anregungen zur Begrenzung öffentlicher Aufgaben, Wien 1983 Hawlik, Johannes/Schüssel, Wolfgang, Staat lass nach. Vorschläge zur Begrenzung und Privatisierung öffentlicher Aufgaben, München 1985

242

Quellen und Literatur

Hemmetsberger-Koller, Hildegard, Der Staat als Unternehmer, in: Unternehmer und Unternehmen, Österreichische Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, Wien 1989 Hindels, Josef, Gibt es einen menschlichen Kapitalismus? Zur Soziologie der spätkapitalistischen Entwicklungsphase, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1958) Hindels, Josef, Sozialpartnerschaft oder Sozialismus, in: Die Zukunft, Nr. 20 (1976) Hoffmann, Manuela, Entstehung und wirtschaftliche Konsequenzen des deutsch-österreichischen Vermögensvertrags, Diss. Kassel 2007 Hollerer, Siegfried, Verstaatlichung und Wirtschaftsplanung in Österreich (1945–1949), Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs, Wien 1974 Hoskovec, Helmut, Die Finanzierung der Verstaatlichten Industrie, in: Georg Thurnheim, Österreichs Verstaatlichte. Die Rolle des Staates bei der Entwicklung der österreichischen Industrie von 1918 bis 2008, Wien 2009 Hurdes, Felix, Unsere politische Linie, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 4, Nr. 9 (1949) Igler, Hans, Die neuen Grundsätze in der verstaatlichten Industrie, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 12, Nr. 7–8 (1956) Igler, Hans, Verwaltung des Staatsvermögens – eine wirtschaftliche Aufgabe, in: Die Zukunft, Nr. 6 (1964) Iro, Bettina, Privatisierung von Staatsunternehmen bzw. Beteiligungen des Staates an Unternehmen in Österreich unter besonderer Berücksichtigung des strategischen Eigentums, DiplA. Wirtschaftsuniversität, Wien 2002 Itzlinger, Andrea/Kerschbaumer, Rudolf/Van der Bellen, Alexander, Verstaatlichte Industrie (ÖIAG-Konzern), in: Abele, Hanns/Nowotny, Ewald/ Schleicher, Stefan/Winkler, Georg (Hrsg.), Handbuch der österreichischen Wirtschaftspolitik, Wien 1989 Jägerbauer, Daniel, die freiheitlichen Wirtschaftsprogramme, DipA., Universität Wien 2009 Jakoncig, Guido, Grundsätzliche Gedanken zur Wirtschaftskrise und de­ ren Bekämpfung, Vortrag, gehalten am 27. November 1934 im Österrei­ chischen Ingenieur- und Architekten-Verein, Wien. Jerabek, Rudolf, Vermögensfragen im deutsch-österreichischen Verhältnis 1955–1957, in: Arnold Suppan, Gerald Stourzh, Wolfgang Müller (Hg.); Der österreichische Staatsvertrag 1955, Wien 2005 Kasamas, Alfred, Wir wollen Österreich. Grundsätze und Ziele der Österrei-

243

Quellen und Literatur

chischen Volkspartei. Hg. von der Bundesparteileitung der Österreichischen Volkspartei. Wien 1947 Kastil, Ines, Von der Verstaatlichung zur Privatisierung, Diss, Wien 2006 Kautsky, Benedikt, Krise der Wirtschaft – Krise der Politik, in: Der Kampf November 1930 Klambauer, Otto, Die USIA-Betriebe, Diss. Wien 1978 Klenner, Fritz, Die Volksaktie – Sozialreform oder Sozialdemagogie, in: Die Zukunft, Nr. 6 (1960) Klenner, Fritz, Ist die Gemeinwirtschaft tatsächlich gescheitert?, in: Die Zukunft, Nr. 12 (1986) Kapsreiter, Gustav: Unternehmer und Verstaatlichung, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 2, Nr. 3 (1946) Kleiner, Viktor, Die politische Bedeutung der Verstaatlichung, in: Die Zukunft, Nr. 11–12 (1963) Köck, Ignatz, Verstaatlichung – pro und kontra, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 12, Nr. 5 (1956) Kohl, Andreas/Ofner, Günter/Stirnemann, Alfred (Hrsg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 1987, Wien 1986 Kohl, Andreas/Ofner, Günter/Stirnemann, Alfred (Hrsg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 1987, Wien 1988 Kohl, Andreas/Ofner, Günter/Stirnemann, Alfred (Hrsg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 1987, Wien 1990 Kohl, Andreas/Ofner, Günter/Stirnemann, Alfred (Hrsg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 1987, Wien 1991 Kolnai, Aurel, Die Ideologie des Ständestaates, in: Der Kampf, Jänner 1934 Kommunistische Partei Österreichs: Kampf für die Sicherung der Neutralität Österreichs und für ein besseres Leben. Wien 1955 Kommunistische Partei Österreichs: Leitsätze über den Weg Österreichs zum Sozialismus. Entwurf für den 17. Parteitag der KPÖ. Wien 1957 Konecny, Albrecht K., Zeit, wieder über den Kapitalismus zu reden, in: Die Zukunft, Nr. 6 (1996) Koren, Stephan, Sozialisierungsideologie und Verstaatlichungsrealität in Österreich, in: Weber, Wilhelm (Hg.), Die Verstaatlichung in Österreich, Berlin 1964 Koren, Stephan, Was hat die Wissenschaft der Wirtschaft zu sagen?, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 23, Nr. 4–5 (1967) Koren, Stephan, Möglichkeiten und Grenzen der Strukturpolitik, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 23, Nr. 11–12 (1967)

244

Quellen und Literatur

Koren, Stephan, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der großen Koalition: Versuch einer Bilanz, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 46, Nr. 4 (1990) Koren, Stephan, Die Entwicklung der Verstaatlichten Industrie 1986 bis 1990, in: Kohl, Andreas/Ofner, Günter/Stirnemann, Alfred (Hrsg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik, Wien 1991 Krainer, Josef, Siegfried Ludwig und Josef Ratzenböck: Die Landeshauptleute zur verstaatlichten Industrie, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986) Krauland, Peter, Sozialisierung oder Verstaatlichung?, in: Die Presse, Wien 8. Juni 1946 Krauland, Peter, Grundsätzliche Betrachtungen über staatliche Wirtschaftslenkung, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 3, Nr. 3 (1947) Krejci, Herbert, Unsere Wirtschaft – unsere Arbeitsplätze, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 37, Nr. 2 (1981) Krejci, Herbert, Kein Bereich „höherer Ordnung“!, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986) Krejci, Herbert, Privatisierung ohne Dogma!, in: Zeitschrift für Gemeinwirtschaft, 1/1996 Kummer, Karl, Die neuen sozialpolitischen Aufgaben, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 5, Nr. 3 (1949) Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte Industrie: Heute die Zukunft sichern, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1983) Lacina, Ferdinand, Teure Verstaatlichte? Die Verstaatlichte Industrie an der Schwelle der achtziger Jahre, in: Die Zukunft, Nr. 4 (1979) Lacina, Ferdinand u.a. (Hrsg.), Wir sind auf dem richtigen Weg. Der Beitrag der Verstaatlichten Industrie zur neuen Struktur der österreichischen Wirtschaft, Wien 1985 Lacina, Ferdinand, Verstaatlichte: Auf neuem Kurs, in: Die Zukunft, Nr. 4 (1986) Lacina, Ferdinand, Der Stellenwert der Verstaatlichten Industrie in der österreichischen Volkswirtschaft, in: WISO 2/1986 Lacina, Ferdinand, Von der Aufregung zur Anregung, in: Die Zukunft, Nr. 12 (1987) Lacina, Ferdinand/Lehner, Dionys/Mitterbauer, Peter/Resch, Andreas (Hrsg.), Österreichische Industriegeschichte 1955 bis 2005. Die ergriffene Chance, Wien 2005 Lanc, Erwin: Demokratisierung und Vermögensbildung, in: Die Zukunft, Nr. 6 (1972)

245

Quellen und Literatur

Langer, Edmund, Die Verstaatlichungen in Österreich, Wien 1966 Lechner, Franz: Verdienst wichtiger als Wirtschaftlichkeit, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 9, Nr. 11 (1953) Leitl, Christoph: Anmerkungen zur Privatisierung, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 44, Nr. 2 (1988) Lichal, Robert: Die VOEST-Katastrophe, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986) Maleta, Alfred: Die Generallinie der ÖVP-Politik, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 3, Nr. 4 (1948) Margarétha, Eugen, Die Verstaatlichung und Sozialisierung in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 11 (1946) Margarétha, Eugen, Industriepolitische Gegenwartsfragen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 7 (1946) März, Eduard, Die Verstaatlichung im Wandel der Meinungen. Ein historischer Rückblick, in: Wirtschaftspolitische Blätter 4/1955 März, Eduard, Ökonomische Basis und geistiger Überbau, in: Die Zukunft, Nr. 3 (1960) März, Eduard, Wege und Irrwege der „Entproletarisierung“, in: Die Zukunft, Nr. 6–7 (1961) März, Eduard, Verstaatlichte Industrie und Gewinnbeteiligung, in: Die Zukunft, Nr. 8 (1961) März, Eduard, Die Zukunft der österreichischen Nationalindustrie, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1964) März, Eduard, Systemkorrigierende oder systemverändernde Reformen, in: Die Zukunft, Nr. 5 (1972) März, Eduard, Gemeinwirtschaft und soziale Änderungen, in: Die Zukunft, Nr. 19 (1973) März, Eduard, Nochmals: Zur Frage von Eigentums- und Verfügungsverhältnissen, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1978) Matis, Herbert/Stiefel, Dieter, Der österreichische Abgeordnete. Der österreichische Nationalrat 1919–1979. Versuch einer historischen Kollektivbiographie, Studien zur Soziologie 31, Wirtschaftsuniversität Wien 1982 Messner, Johannes, Die berufsständische Ordnung, Wien 1936 Mitterlehner, Reinhold, An der Privatisierung führt kein weg vorbei, in: Zeitschrift für Gemeinwirtschaft 4/5, 2002/3 Müller, Wolfgang C., Zur Genese des Verhältnisses von Politik und Verstaatlichter Industrie in Österrich (1946–1981), in: Österreichische Zeitschrift für Politik, 4/1982

246

Quellen und Literatur

Nemeth, Michaela, Privatisierung als Antwort auf die Krise der verstaatlichten Unternehmen in Österreich, DiplA., Wirtschaftsuniversität, Wien 1992 Neustädter-Stürmer, Odo, Die berufsständische Gesetzgebung in Öster­reich, Wien 1936 Nowotny, Ewald: Wirtschaft: Die Lage ist besser als die Stimmung, in: Die Zukunft, Nr. 3 (1986) Nowotny, Ewald: Ein neues Staatsverständnis. Sozialdemokratie und öffentlicher Sektor, in: Die Zukunft, Nr. 12 (1988) Nowotny, Ewald, Zur Privatisierungsdebatte, in: Zeitschrift für Gemeinwirtschaft, 1/1996 Nowotny, Ewald, Privatisierung in Österreich – Ursachen und Folgen, in: Zeitschrift für Gemeinwirtschaft 3/1996 Nowotny, Ewald, Der öffentliche Sektor, Berlin 1999 ÖAAB (Hrsg.), Grenzen der Privatisierung. Stellenwert und Zukunft der öffentlichen Wirtschaft, Wien 1995 Ortsik, Alexander, Verstaatlichung und Privatisierung in Österreich – Zwischen Ideologie und Pragmatismus, DiplA., Wirtschaftsuniversität Wien 1991 Ostleitner, Herbert: Austro-Keynesianismus, in: Die Zukunft, Nr. 12 (1982) Österreichische Volkspartei: Klagenfurter Manifest, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 21, Nr. 1 (1965) Österreichische Volkspartei: Zukunftsmanifest. Für eine neue Freiheit. Ohne Ort 1985 Österreichische Volkspartei: Grundsatzprogramm. Beschlossen am 30. ordentlichen Parteitag der Österreichischen Volkspartei am 22. April 1995 in Wien. Wien 1998 ÖVP-Bundespartei, Abteilung Politik, Privatisierungen der letzten Jahre – Eine Erfolgsstory, Wien 2003 ÖVP-Bundespartei, Abteilung Politik, Warum privatisieren?, Wien 2003 Passweg, Miron, Privatisierung in Österreich, in: Arbeit und Wirtschaft, Wien 2001/2 Pittermann, Bruno: Der Austro-Sozialismus, in: Die Zukunft, Nr. 5 (1972) Proudhon, Pierre Joseph, Qu’est ce que la propriété? Ou recherches sur le principe du droit et du gouvernement, Paris 1840 Prutscher, Pius Michael, Verstaatlichung als Prüfstein, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 6 (1946) Raab, Julius, Österreichs wirtschaftliche Entwicklung nach 1945, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 4, Nr. 8 (1949)

247

Quellen und Literatur

Rabl, Helga, Der Staat, will er geliebt werden, muss abspecken!, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 41, Nr. 6 (1985) Ratzenböck, Josef, Ohne Stahlfusion wäre es VOEST und Alpine besser ergangen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 6 (1986) Rauscher, Franz, Die Sozialisierung und die öffentliche Wirtschaft (Teil II), in: Die Zukunft, Nr. 5 (1946) Rauscher, Franz, Die Verstaatlichung in Österreich, Wien 1949 Renner, Karl, Marxismus, Krieg und Internationale, Stuttgart 1917 Renner, Karl, Die Wirtschaft als Gesamtprozeß und die Sozialisierung. Populärwissenschaftlich dargestellt nach Marx’ System, Berlin 1924 Resch, Andreas, Defensive Innovationen statt schöpferischer Zerstörung: Die risikofreudigen Innovations- und Diversifizierungsstrategien in der österreichischen verstaatlichten Industrie von 1975 bis 1985, in: Gisela Hürlimann, Philipp Ischer (Hg.), Innovationsprozesse und institutioneller Wandel in öffentlichen Unternehmen seit den 1970er-Jahren: Deutschland, Österreich und die Schweiz im Vergleich, Nomos Verlag, BadenBaden 2011 Riedl, Romuald: Der Staat erdrückt die Wirtschaft, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 17, Nr. 7–8 (1961) Schaffhauser-Linzatti, Michaela, Ökonomische Konsequenzen der Privatisierung. Eine empirische Analyse der Entwicklung in Österreich, Wiesbaden 2000 Schärf, Adolf, Österreichs Erneuerung 1945–1955, Wien 1955 Schmitz, Richard, Sozialpolitische Forderungen des Wahlprogrammes, in: Volkswohl X, 1919 Schmitz, Wolfgang, Schwerpunkte österreichischer Finanzpolitik, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 22, Nr. 7–8 (1966) Schneider, Friedrich, Privatisierung und Deregulierung in Österreich in den 90er Jahren. Einige Anmerkungen aus der Sicht der neuen politischen Ökonomie, Linz 2001 Schumy, Vinzenz, Das Eigentumsproblem und die Wirtschaft, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 2 (1945) Schumy, Vinzenz, Österreichs Neuaufbau als Wirtschaftsproblem, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 2, Nr. 5 (1947) Schüssel, Wolfgang: Mehr privat – weniger Staat: Man sollte im Grunde alles zur Diskussion stellen, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 41, Nr. 6 (1985) Schüssel, Wolfgang, Die Diskussion um Privatisierung und Eigentumsbil-

248

Quellen und Literatur

dung in Österreich, in: Kohl, Andreas/Ofner, Günter/Stirnemann, Alfred (Hrsg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 1987, Wien 1986 Schüssel, Wolfgang: Chancen der Privatisierung, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 43, Nr. 3 (1987) Schüssel, Wolfgang: Wirtschaftliche Ausgrenzung wäre besonders schmerzhaft, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 44, Nr. 4 (1988) Der Schüssel-Ditz-Kurs, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 51, Nr. 7 (1995) Seidl, Hans, Österreichische Wirtschaft und Wirtschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, Wien 2005 Senft, Gerhard, Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934– 1938, Wien 2001 Seper, Manfred, Aspekte der Verstaatlichungspolitik der Ära Kreisky im Spiegel der österreichischen Presse, DiplA, Wirtschaftsuniversität 2000 Stiefel, Dieter, Aber Krise ist auch nicht so schlecht. Zur Interdependenz sozioökonomischer Prozesse und der Genese des auto­ritären Regimes in Österreich, in: 1934. Erfahrungen und Lehren, Publikation des Dr. Karl Kummer Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform, Graz 1984 Stiefel, Dieter, Utopie und Realität: Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates, in: Albrich/Eisterer/Steininger, Tirol und der Anschluß. Voraussetzungen, Entwicklungen und Rahmenbedingungen, Innsbruck 1988 Stiefel, Dieter, „50 Years State-Owned Industries in Austria 1946 – 1996“, in: Franco Amatori (Ed.), The Rise and Fall of State-Owned Enterprises in Western Countries, Cambridge University Press, London 2000 Stiefel, Dieter, Die österreichischen Lebensversicherungen und die NS-Zeit. Wirtschaftliche Entwicklung, politischer Einfluß, jüdische Polizzen, Wien 2001 Stiefel, Dieter, Die österreichische Wirtschaft seit 1950, in: Dachs/Gerlich/ Gottweis/Kramer/Lauber/Müller/Tálos (Hrsg.), Politik in Österreich. Das Handbuch, Wien 2006 Stiefel, Dieter, Die Verstaatlichte Industrie Österreichs als wirtschaftspolitisches Experiment, in: Michael Pammer/Herta Neiß/Michael John (Hg.), Erfahrung der Moderne. Festschrift für Roman Sandgruber zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2007 Stiefel, Dieter, Hermann Withalm, die Volksaktie und die Stellung des Privateigentums in der Wirtschaft, in: Helmut Wohnout (Hg.), Demokratie und Geschichte, Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich 2007/8, Wien 2009

249

Quellen und Literatur

Stiefel, Dieter, Sozialistische Wirtschaftsordnung gegen privates Unternehmertum: Zur Grunsatzdiskussion der Verstaatlichung in Österreich, in: Matis, Herbert/Stiefel, Dieter/Resch, Andreas (Hrsg.), Unternehmertum im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Unternehmerische Aktivitäten in historischer Perspektive. Beiträge gesammelt zu Ehren von Alice Teichova, Wien 2010 Stourzh, Gerald, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955, Wien 1998 Sozialistische Partei Österreichs: Was wollen die Sozialisten? Wien 1945 Sozialistische Partei Österreichs: Was wollen die Sozialisten? Wien 1947 Sozialistische Partei Österreichs: Das neue Programm der SPÖ. Wien 1958 Sozialistische Partei Österreichs: Programm für Österreich. Wien 1966. Sozialistische Partei Österreichs: Das neue Parteiprogramm der SPÖ. Wien 1978 Sozialistische Partei Österreichs: Das Wirtschaftsprogramm der SPÖ. Wien 1981 Swoboda, Hannes, Mehr Staat – mehr privat? Grundsätzliches zur Privatisierungsdiskussion, in: Die Zukunft, Nr. 10 (1985) Ta­los, E./W. Neugebauer (Hrsg.), Austrofaschismus. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938, Wien 1984 Taus, Josef, Lösungen auf lange Sicht, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 22, Nr. 7–8 (1966) Taus, Josef, Freiheitliche Demokratie und soziale Marktwirtschaft: Wirtschaftsordnung und politisches System in Österreich, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 34, Nr. 6 (1978) Taus, Josef, Verstaatlichte darf keine zweite Bundesbahn werden, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986) Thurnheim, Georg, Österreichs Verstaatlichte. Die Rolle des Staates bei der Entwicklung der österreichischen Industrie von 1918 bis 2008, Wien 2009 Tieber, Herbert: Gemeinwirtschaftliche Perspektiven, in: Die Zukunft, Nr. 3 (1983) Tieber, Herbert: Verstaatlichte, War alles falsch?, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1986) Tzöbl, Josef A., Zur Problematik unserer verstaatlichten Betriebe, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 9, Nr. 4 (1953) Unterwieser, Friedrich, Die Entwicklung der Verstaatlichten Industrie ÖIAG-Strukturen, DiplA., Wirtschaftsuniversität, Wien 1988

250

Quellen und Literatur

Vallon, Ralph, Der heilsame Schock. Die Verstaatlichte Industrie im Spannungsfeld zwischen Politik und Ökonomie, Diss., Universität Wien 1989 van der Bellen, Alexander, Zur Privatisierungsdebatte, in: Zeitschrift für Gemeinwirtschaft, 1/1996 Verband der Unabhängigen: Das Programm des Verbandes der Unabhängigen, 1949 Veselsky, Ernst Eugen, Die Zukunft der Verstaatlichten Industrie, in: Die Zukunft, Nr. 18 (1971) Veselsky, Ernst Eugen, Vor großen Aufgaben, in: Die Zukunft, Nr. 4 (1973) Veselsky, Ernst Eugen, Jetzt Strukturpolitik!, in: Die Zukunft, Nr. 8 (1977) Veselsky, Ernst Eugen, Mehr Reformspielraum durch Strukturpolitik, in: Die Zukunft, Nr. 9 (1977) Vranitzky, Franz, Initiativ für Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1986) Vranitzky, Franz, An die Arbeit – mit Rechenstift und Phantasie, in: Die Zukunft, 1987 Vranitzky, Franz, Österreich – eine Positionsbestimmung, in: Die Zukunft, Nr. 11 (1989) Waldbrunner, Karl, Sozialisierung und Planwirtschaft in Österreich, in: Die Zukunft, Nr. 7 (1948) Waldbrunner, Karl, Was geht in den verstaatlichten Betrieben vor?, in: Die Zukunft, Nr. 10–11 (1950) Waldbrunner, Karl, Initiative und Mitspracherecht in der verstaatlichten Industrie Österreichs, in: Die Zukunft, Nr. 10 (1951) Waldbrunner, Karl, Sozialisierung und Verstaatlichung – wie und wie weit, in: Die Zukunft, Nr. 2 (1952) Waldbrunner, Karl, Die verstaatlichten Betriebe – ein Aktivum der österreichischen Wirtschaft, in: Die Zukunft, Nr. 1–2 (1953) Waldbrunner, Karl, Die Verstaatlichte Industrie bringt einen höheren Lebensstandard, in: Die Zukunft, Nr. 10 (1955) Weber, Fritz, 1946–1986. 40 Jahre Verstaatlichte Industrie, in: ÖIAG Journal 2/1986 Weber, Wilhelm (Hg.), Die Verstaatlichung in Österreich, Berlin 1964 Weinberger, Lois, Unsere Arbeiterpolitik, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 1, Nr. 1 (1945) Weiss, Ludwig, Verkehrs- und Industriepolitik mit Blickrichtung Europa, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 25, Nr. 4–5 (1969)

251

Quellen und Literatur

Ernst Ulrich von Weiszäcker/Oran R. Young/Matthias Finger (Hrsg.), Grenzen der Privatisierung. Wann ist es des Guten zu viel? Bericht an den Club of Rome, Stuttgart 2007 Wimmersberger, Anton: Die Verstaatlichte in der Krise, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 42, Nr. 1 (1986) Winkler, Ernst: Die Konzentration des Kapitals, in: Die Zukunft, Nr. 7 (1955) Winkler, Ernst: Ein Preislied auf das „freie Unternehmen“, in: Die Zukunft, Nr. 1 (1966) Withalm, Hermann: Volksaktien – kein Spekulationsobjekt, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 14, Nr. 2 (1958) Withalm, Hermann: Freiheitsfundament Eigentum, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 15, Nr. 4 (1959) Withalm, Hermann, Aufzeichnungen, Graz 1973 Bundesleitung des Österreichischen Wirtschaftsbundes, Das Debakel der verstaatlichten Industrie, Wien, im März 1986 Wolfring, Alexander, „Königreich Waldbrunner“ (1949–1956): Die Verstaatlichte Industrie und Elektrizitätswirtschaft Österreichs im Brennpunkt der wirtschaftspolitischen Diskussion, DiplA., Wirtschaftsuniversität Wien 1985 Zimmermann, Rupert, Der Einfluß der Nationalratswahlen auf die Organisation der Verstaatlichten Industrie, in : Gemeinwirtschaft 1/1983 Zögernitz, Werner, Vorwärts zur qualitativen Marktwirtschaft! Plan 3 der ÖVP zur Lebensqualität, in: Österreichische Monatshefte, Jg. 30, Nr. 11 (1974) Zukunftsforum Österreich (Hrsg.), Strategisches Eigentum für Österreichs Zukunft, Wien 2002

252

Personenregister Kautsky, Benedikt 23 Klaus, Josef 143, 154 Klenner, Fritz 109, 198, 202 König, Friedrich 214, 217 Kola, Richard 20 Kolnai, Aurel 23 Koplenig, Johann 79 Koref, Karl 88, 100 Koren, Stephan 13, 135, 155, 219f. Krainer, Josef 190 Krauland, Peter 44, 49, 70, 73, 147 Kreisky, Bruno 122, 158, 162, 164, 168, 194f. Krejci, Herbert 167, 187 Kummer, Karl 72 Lacina, Ferdinand 169, 171, 173, 178, 195, 218f. Lechner, Franz 138 Lederer, Emil 15 Leitl, Christoph 208 Lewinsky, Herbert 197 Ludwig, Siegfried 190 Lueger, Karl 18 März, Eduard 110, 119, 124, 126, 128, 131f., 146, 161 Maleta, Alfred 50, 61, 98, 100, 103, 130, 143 Margarétha, Eugen 37, 40, 44, 49, 74, 80, 93 Marx, Karl 15, 53, 55 Matzner, Egon 119 Meischberger, Walter 213 Messner, Johannes 28, 29

Androsch, Hannes 145, 202 Bachinger, Karl 14 Bartenstein, Martin 217, 225 Bauer, Otto 16f., 19, 20, 53f. Benya, Anton 123 Bock, Fritz 36, 62, 93, 96, 131 Brauneis, Walter 127 Burgstaller, Paul 193 Castiglioni, Camillo 20 Chaloupek, Günter K. 139 Chirac, Jacques 209 Czettel, Hans 123 Dallinger, Alfred 194 Ditz, Johannes 206 Dobretsberger, Josef 23, 29 Edlinger, Rudolf 216 Ettmayer, Wendelin 182, 211 Figl, Leopold 39, 63 Fink, Jodok 19 Fischer, Ernst 98, 106 Fourier, Charles 53 Geist, Franz 158 Goldscheid, Rudolf 15 Grasser, Karl-Heinz 209, 217, 225, 228 Grünwald, Oskar 157, 170, 176 Gugerbauer, Norbert 212 Gulick, Charles 13 Haider, Jörg 208 Hindels, Josef 108 Hurdes, Felix 46 Igler, Hans 136, 144, 148, 151 Kapsreiter, Gustav 80 Kasamas, Alfred 93

253

Personenregister

Verzetnisch, Fritz 214 Veselsky, Ernst Eugen 124ff., 130, 133, 163 Vranitzky, Franz 186, 189, 203, 205, 213, 218f., 222 Waldbrunner, Karl 38, 52, 57, 74, 78, 87, 89, 100, 115, 135, 147 Weinberger, Lois 61 Weiß, Ludwig 154 Weizsäcker, Ernst Ulrich von 10 Wille, Sepp 167 Wimmersberger, Anton 60, 194 Winkler, Ernst 107, 141 Withalm, Hermann 65, 102, 104, 106, 113, 155, 232

Mock, Alois 187 Neisser, Heinrich 214 Neurath, Otto 56 Neustädter-Stürmer, Odo 24 Nowotny, Ewald 198f., 207, 215 Olah, Franz 108 Ostleitner, Herbert 174 Owen, Robert 53 Peter, Friedrich 153 Pittermann, Bruno 107, 129, 133, 149 Proudhon, Pierre Joseph 9, 53 Raab, Julius 69, 98, 100f., 103 Rabl-Stadler, Helga 181 Ratzenböck, Josef 191f. Rauscher, Franz 56, 75 Renner, Karl 17, 38 Salcher, Herbert 168, 178 Sallinger, Rudolf 137 Schärf, Adolf 51 Schmitz, Wolfgang 154 Schüssel, Wolfgang 180, 209, 212, 216, 224, 232 Schumpeter, Joseph A. 9, 15, 20, 68 Schumy, Vinzenz 71 Seipel, Ignatz 19 Sekanina, Karl 132 Sinowatz, Fred 178 Speiser, Paul 57 Stolper, Gustav 15 Streicher, Rudolf 215, 221 Swoboda, Hannes 169, 180 Taus, Josef 153, 189, 193, 211 Thatcher, Margret 209 Tieber, Herbert 201, 233 Trattner, Gilbert 224 Tzöbl, Josef A. 47, 91

254

dieter stiefel (hg.)

der „ostfak tor“ österrreichs Wirtschaft und die Ostöffnung 1989 bis 2009 eine publikatiOn der schumpeter gesellschaft

Mit dem Ende der politischen Spaltung Ost-West ist Österreichs Wirtschaft von einer Randlage ins Zentrum Europas gerückt. Das Land hat damit seine Stellung in Ost- und Südosteuropa stark ausbauen können. Der Band beschäftigt sich mit diesen Veränderungen in den letzten zwei Jahrzehnten. Neben Wirtschaftswissenschaftern und Historikern stellen Politiker, Interessenvertretungen und führende Unternehmen ihre Bilanz vor. der herausgeber : Dieter Stiefel, Universitätsprofessor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Wien. 2010. 292 s. zahlr. tab. u. graph. gb. 155 x 235 mm. isbn 978-3-205-78394-7

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43(0)1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau.at | wien köln weimar

Dieter Stiefel

dieter stiefel

im l abor der niederl agen konkurspolitik im internationalen vergleich

Der Konkurs ist eine der dramatischen Erscheinungen in unserem Wirtschaftsleben. Die meiste Literatur ist aber entweder journalistisch oder durch die sperrige Sprache der Juristen schwer zu verstehen. Hier wird nun ein allgemeinverständlicher, gut lesbarer Überblick geboten, der zu einem grundsätzlichen Verständnis beitragen soll. Die langfristigen Entwicklungen in den USA, die ganz wesentlich für das heutige Insolvenzverständnis sind, ein Vergleich mit europäischen Ländern, unter Berücksichtigung der besonderen Situation in den Transformationsländern und die Problemstellung von grenzüberschreitenden Insolvenzen sind Inhalt des Bandes. d e r a u t o r : Dieter Stiefel, Universitätsprofessor am Institut für Wirtschaftsund Sozialgeschichte und am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Wien.

2008. 205 s. gb. m. su. 135 x 210 mm. isbn 978-3-205-77769-4

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43(0)1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau.at | wien köln weimar