Krupp : Legenden und Wirklichkeit

Für die einen verbindet sich mit dem Namen Krupp deutscher Hochmut und imperialistisches Profitstreben; für die anderen

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Krupp : Legenden und Wirklichkeit

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Bernt Engelmann: Krupp Legenden und Wirklichkeit

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Das Buch

Für die einen verbindet sich mit'dem Namen Krupp deutscher Hochmut und imperialistisches Profitstreben; für die anderen war Krupp die Waffenschmiede des Reiches, eine vaterländische Anstalt. Was wahr ist an diesen Vorstellungen und was Erfin­ dung, und wie es heute aussieht, untersucht der in der Wirt­ schafts- und Kulturgeschichte beschlagene Erfolgsautor Bernt Engelmann in dieser Geschichte des ehemals größten deutschen Unternehmens. Er beginnt bei den ersten nennenswerten Spuren der Familie Krupp im 16. Jahrhundert und schließt mit der Umwandlung der Firma in eine »Stiftung« und einem Blick auf den jüngsten Sproß der Familie, den Rentner Arndt von Bohlen und Halbach. Sachlich und zugleich amüsant berichtet der Autor von den Legenden und Histörchen, vor allem aber von den harten Tatsachen, die den Aufstieg der Familie Krupp und der Firma bestimmten.

Der Autor

Bernt Engelmann, 1921 in Berlin geboren, lebt als freier Schriftsteller und Journalist in Rottach-Egern. Bekannt wurde er u. a. durch seine Beiträge für die Sendereihe >Panorama< des Norddeutschen Rundfunks. Er veröffentlichte u. a.: >Meine Freunde - die Millionäre< (1965; dtv-Band 375); >Meine Freunde - die Managen (1966; dtv-Band 584); >Eingang nur für Herrschaftem (1967); >Die Macht am Rheim (2 Bände, 1968); >Die goldenen Jahre< (1968; dtv-Band 624); Deutschland ohne Judem (1970).

Bernt Engelmann: Krupp Legenden und Wirklichkeit

Deutscher Taschenbuch Verlag

Von Bernt Engelmann sind im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen: Meine Freunde - die Millionäre (375) Meine Freunde - die Manager (584) Die goldenen Jahre (624)

Ungekürzte Ausgabe Dezember 1970 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München © 1969 by Franz Schneekluth Verlag KG, München Umschlaggestaltung: Celestino Piatti Umschlagbild: Krupp-Stammhaus und Villa Hügel Foto: Keystone / Bilderdienst Süddeutscher Verlag Gesamtherstellung: C. H. Beck’sche Buchdruckerei, Nördlingen Printed in Germany

Inhalt

Prolog (nicht im Himmel . . .)............................................ 7 Wenig Gold und alte Flaschen............................................ 18 »Pionier und Patriot« ...?......................................................... 30 Kartoffeln und Kaffee.................. 61 Vom Déclassé zum Kapitalisten ........................................ 76 Die Thronbesteigung................................................................101 Ein Reich, ein Kaiser, ein Krupp........................................... 128 Triumph und Verfall............................................................... 144 Fin de siècle............................................................................... 166 Fritz und Willy........................................................................ 188 Was tun . . .?............................................................................220 Taffys vaterländische Anstalt................................................... 247 »Jener gewisse Herr«............................................................... 286 Der Fels in der Brandung....................................................... 316 Puppen und Sprengstoff............................................................353 Literaturverzeichnis................................................................ 377 Dokumente................................................................................ 379 Stammbaum der Familie Krupp........................................... 436 Personenregister....................................................................... 438

Prolog (nicht im Himmel . . .)

Dies ist die Geschichte des Hauses Krupp, von dem die einen sagen, daß es zu allen Zeiten und in jeder Generation das Böse schlechthin personifiziert habe, auch als Verkörperung teutoni­ schen Hochmuts und Angriffsgeistes gelten muß, während die anderen meinen, die Krupps seien edel, hilfreich und gut ge­ wesen, zudem vorbildliche Patrioten, die wacker mitgeholfen hätten, das Vaterland groß, reich und mächtig zu machen, wobei sie gerechterweise gleichfalls groß, reich und mächtig wurden. Am Anfang war - darüber sind sich alle einig - der Handels­ mann Arndt Krupp, der von irgendwoher, vermutlich nicht aus dem Paradies, sondern vom Niederrhein, um das Jahr 1587 in die Stadt Essen an der Ruhr kam, sich dort niederließ und die Dynastie begründete. Arndt zeugte Georg. Georg zeugte Matthias. Matthias zeugte Arnold, der, ein Rechtsgelehrter, auch Bürgermeister von Essen wurde. Arnold zeugte Jodocus. Jodocus zeugte Peter von der Helena Amelia Ascherfeld, einer sehr bemerkenswerten Frau. Peter zeugte Friedrich, der die Gußstahlfabrik gründete zu der Zeit, da Napoleon I. Kaiser der Franzosen war. Friedrich zeugte Alfred, den Erbauer des Krupp-Imperiums. Alfred zeugte Fritz. Fritz zeugte Bertha, die Gustav von Bohlen und Halbach zum Gatten nahm, den der deutsche Kaiser Wil­ helm II. allerhöchstselbst zu einem Krupp bestimmte. Gustav zeugte Alfried. Alfried zeugte Arndt, den - vorläufig - letzten, der zu der Zeit, da dieses geschrieben wurde, auf seinem Schlosse zu Blühnbach im Salzkammergut die (Prinzessin) Henriette (von) Auersperg * zum Weibe nahm. Alle Glieder von Arndt, dem Stammvater, bis auf Arndt, den Bräutigam, sind dreizehn Glieder. Vom Stammvater Arndt bis auf Friedrich, den Unternehmensgründer, sind sieben Glieder. Und von Friedrich bis auf Arndt sind aber erst sechs Glieder. Daraus mag ein jeder folgern, was immer er will. Über die ersten sieben Generationen Essener Krupps sind sich Verehrer wie Verächter weitgehend einig: Es waren durchweg * In Österreich sind Adelsbezeichnungen gesetzlich verboten.

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begüterte, in Essen recht prominente, über die Stadt hinaus je­ doch nie sonderlich in Erscheinung getretene Bürger. Die unentwegten Krupp-Fans neigen nun allerdings dazu, diese Rolle der Familie vom späten 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts sehr übertrieben zu bewerten. Sie versuchen, aus den Essener Krupps jener Zeit ein mächtiges Patriziergeschlecht zu machen, beinahe vergleichbar den Augsburger Fuggern und Weisern oder den Nürnberger Tüchern. Dazu ist nur zu bemerken, daß das alte Städtchen Essen an der Ruhr bis 1803 unter der Herrschaft der jeweiligen Äbtissin eines ehrwürdigen Benediktinerinnen-Stifts stand, dementspre­ chend nicht eben weltoffen war, auch erst zwischen 1860 und 1870 die Einwohnerzahl erreicht hatte, der sich die Freien Reichsstädte Augsburg und Nürnberg bereits im ausgehenden Mittelalter rühmen konnten: knapp fünfundzwanzigtausend Seelen . . . Das Essener Patriziat des 17. und 18. Jahrhunderts, als die Stadt rund viertausend Einwohner zählte, spielte für den euro­ päischen Handel etwa die Rolle, die heute die Kaufmannschaft von, sagen wir, Bückeburg oder Pfaffenhofen innerhalb der EWG spielt: die von durchaus achtbaren, aber notfalls leicht entbehrlichen Statisten. Die Krupp-Hasser sind ihrerseits bemüht, auch schon die ehr­ würdigen Ahnen der späteren Konzernherren als Erzbösewichte hinzustellen, als gewalttätige, skrupellose, korrupte, herrsch­ süchtige und anmaßende Pfeffersäcke und Waffenhändler. Die Indizien, auf die sie ihre negativen Urteile stützen, sind indessen ziemlich schwach und spärlich: Gewiß, Anton Krupp, der für die Stammfolge belanglose erstgeborene Sohn des Ahnherrn Arndt, beteiligte sich ein biß­ chen an dem Donnerbüchsenhandel seines Schwiegervaters. Kurz vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges versteuerte er einen Jahresumsatz von hundertsiebzig Schießgewehren. Aber selbst wenn wir annehmen, daß Anton, was recht wahrschein­ lich ist, nur einen Teil seiner Geschäfte dem Steuereinnehmer der Hochwürdigsten Frau Äbtissin offenbarte, so kann man ihn doch schwerlich als Waffenhändler großen Stils bezeichnen. Ge­ messen an der Gesamtausfuhr der unter dem Patronat des Bene­ diktinerinnen-Stifts operierenden Rüstungsindustrie von Essen und Umgebung, die in jenen Zeiten der Hochkonjunktur ein Jahresvolumen von fünfzigtausend Büchsen erreichte, waren Anton Krupps Waffengeschäfte wahrlich nur Bagatellen . . .! 8

Übrigens, derselbe Anton Krupp, der außer mit Büchsen auch mit Eisenwaren für ganz friedliche Zwecke, vornehmlich aber mit Wein und Schnaps handelte, ist'auch verantwortlich für den Ruf der Gewalttätigkeit, der seiner Sippe aus jenen längst ver­ gangenen Tagen anhaftet: Mindestens einmal vergaß er sich so weit, einen würdigen Herrn auf offener Straße zu verprügeln, wofür er mit einer empfindlichen Geldbuße belegt wurde. * Es erscheint indessen ungerecht, ein ganzes Geschlecht als gewalttätig zu brandmarken, bloß weil ein Namensträger, zu­ dem nicht einmal ein direkter Vorfahre, in einem einzigen akten­ kundig gewordenen Falle zugeschlagen hat - vielleicht sogar aus gutem Grund, wofür der Umstand spricht, daß es sich bei dem Opfer, einem Doktor Hasselmann, um einen Verwandten der Krupps handelte. Auch die übrigen Vorwürfe, die die Krupp-Gegner den Vor­ fahren der Essener Konzerngewaltigen machen, erweisen sich bei genauerer Prüfung als ungerechtfertigt, zumindest stark übertrieben: Gewiß, die Krupps des 16., 17. und 18. Jahrhunderts pflegten rasch und fest zuzugreifen, wenn sich ihnen irgendwo eine Chance bot, etwas weit unter Wert zu erwerben oder eine Machtposition zu erringen. So kaufte schon der Ahnherr Arndt während einer Pestepidemie, die 15 99 das Städtchen heimsuchte, zahlreiche wertvolle Grundstücke und Häuser zu Spottpreisen auf- von Mitbürgern, die sich noch ein paar lustige Tage machen wollten, ehe der Schwarze Tod sie holte. Und dann übernahm Arndt Krupp, unter Hinweis auf seinen großen Immobilien­ besitz, auch gleich einen hohen Posten im Rat der Stadt sowie allerlei Privilegien, die bis dahin den alteingesessenen Patriziern vorbehalten gewesen waren . . . Aber all das spricht, so muß man Arndt Krupp zubilligen, auch für seinen wachen Verstand und sein Gottvertrauen, min­ destens aber für Familiensinn und liebevolle Vorsorge für das Wohl seiner Erben. Er hätte ja auch selbst ein Opfer der Pest werden können . . . Mindestens ebenso erwerbstüchtig, doch mit noch größerem Erfolg, da ihr ein längeres Leben beschieden war, zeigte sich Arndts Tochter Catharina, Schwester des (einmal) gewalttätigen und (in bescheidenem Umfang) mit Gewehren handelnden Anton wie auch des frühverstorbenen, doch als direkter Vor* 8 Reichstaler, nicht, wie von Krupp-Hassem behauptet wird, io Reichstaler .. .!

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fahre der späteren Konzernherren wichtigen Georg. Diese Catharina Krupp heiratete einen reichen Essener (Neu-)Patrizier namens Huyssen, wurde schon in jungen Jahren Witwe, ver­ ehelichte sich nicht wieder und erreichte ein Alter von fast neun­ zig Jahren, bis zuletzt bei klarem Verstand. Diesen hatte sie zeit­ lebens vornehmlich dazu benutzt, ein für damalige Essener Ver­ hältnisse geradezu gigantisches Vermögen zu erwerben. Ohne selbst kaum jemals in Erscheinung zu treten, betrieb sie - über Mittelsmänner aus der eigenen Sippe - einen ausge­ dehnten Handel mit Häusern und Grundstücken, behielt dabei die besten Immobilien für sich, ließ sich gelegentlich auch dazu bewegen, gegen gute Sicherheiten und noch bessere Zinsen Kredite zu gewähren, vorzugsweise der Stadt Essen, deren Rat ihr dafür stets die eine oder andere Pfründe überlassen und ihre männliche Verwandtschaft mit Ämtern versorgen mußte. Unter der heimlichen Herrschaft der Catharina Krupp ver­ witweten Huyssen stiegen die Krupps zur führenden Familie Essens auf, besetzten (und behielten dann ein Jahrhundert lang) das Amt des die kommunalen Angelegenheiten kontrollierenden Stadtschreibers, verschafften sich erheblichen Einfluß, auch in den Nachbargemeinden, und sammelten große Reichtümer an, vor allem Grundstücke, Hypothekenforderungen, Renten und die ihnen von der Stadt übertragenen Steuer- und AkzisenEinnahmen. Am Rande sei erwähnt, daß gleichzeitig die Stadt und ihr altes Patriziat völlig verarmten, ebenso die Landbevölkerung ringsum. Aber das war nicht die Schuld der Krupps, sondern eine Folge des Dreißigjährigen Krieges, der Deutschland ver­ wüstet, seine Bevölkerung dezimiert und ausgeplündert, die Wirtschaft ruiniert und ein allgemeines Chaos, Hungersnot, Seuchen und Plagen aller Art hinterlassen hatte. Die schrecklichste aller Plagen, schlimmer als Pest und Hun­ ger, waren die Soldaten, verrohte Burschen, der Abschaum eines ganzen Kontinents, Räuberbanden, die unter dem Vorwand des Krieges, als angebliche Streiter für den jeweils rechten Glauben, ihrer Mord- und Habgier freien Lauf ließen, das Land auspreßten, nach Herzenslust folterten, brannten und schände­ ten, für einen Humpen Wein oder ein Gläschen Schnaps zu jeder Missetat bereit waren und, wenn sie entlassen wurden, auf eigene Faust weiter »Krieg« führten. Im Jahre 1623 rief die Hochwürdigste Äbtissin Gräfin Maria Clara von Spaur die Spanier nach Essen, um die meist evangeli-

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sehen Bürger ihres Herrschaftsgebiets zur Räson, womöglich zum römischen Glauben zurückzubringen, und ad majorem Dei gloriam quartierten sich zwanzig Kompanien Musketiere und Reiterei in der kleinen Stadt ein, setzten den Rat ab, richteten sich in den Wohnungen der Ketzer häuslich ein, stahlen wie die Ra­ ben, stellten den Mädchen nach und leerten alle Fässer, die sie finden konnten. Sie blieben jahrelang, und als sie endlich abzogen, kamen andere Soldaten, mal protestantische Holländer oder Schweden, mal katholische Kroaten oder Italiener ... Es spricht für die Zähigkeit der Krupps, vor allem Catharinas, der Tochter Arndts, daß sie bei alledem, zumal als Lutherische, nicht ärmer, sondern immer reicher wurden, auch nicht, wie viele andere Bürger, den Glauben wechselten. Es mag auch noch für vieles andere spre­ chen, von dem nichts überliefert ist und das auszudeuten wir getrost den Krupp-Fans oder -Hassern, je nachdem, überlassen wollen. Jedenfalls überstanden sie Krieg und Pest und Elend, wurden die reichste und damit maßgebende Familie der kleinen Stadt, und in deren Chronik findet sich bis zum Ende des 17. Jahrhun­ derts nur Lobenswertes über die Krupps verzeichnet (was allerdings auch damit Zusammenhängen kann, daß sie ja selbst die Stadtschreiber stellten . . .). Um so überraschter ist man dann, wenn man aus den Aufzeich­ nungen über die Jahre 1707 bis 1709 erfährt, daß prominente Mitbürger mit der Krupp-Herrschaft in Essen nicht ganz so zufrieden waren wie die Krupps selbst, ja, gegen Dr. Arnold Krupp, den Bürgermeister, einen Urenkel des Stammvaters Arndt, Anklage erhoben wegen Amtsmißbrauchs, Wahlfäl­ schung, Steuerhinterziehung, Bestechlichkeit und Betrugs, vor allem aber wegen Vetternwirtschaft, denn Dr. Krupp hatte sei­ nen Bruder, den reichsten Mann der Stadt, zum Stadtschreiber gemacht, auch die meisten anderen wichtigen Posten mit nahen Verwandten, Schwägern oder guten Freunden besetzt, zudem den Vorsteher der Kaufmannsgilde, einen eigentlich unabsetz­ baren, auf Lebenszeit gewählten Patrizier, kurzerhand entlassen und zu dessen Nachfolger einen Krupp ernannt. Dieser letzte »Willkürakt«, wie ihn die Krupp-Geschädigten nannten, brachte das Faß zum Überlaufen. Die Feinde der Familie, und es gab davon offenbar eine ganze Menge, wandten sich an die könig­ lich preußische Regierung, die die Oberhoheit über Essen ausübte, baten submissest um gerichtliche Untersuchung und 11

erreichten tatsächlich, daß ein großer Krupp-Prozeß stattfand, der erste in der Geschichte des Hauses. Er ging aus wie das Hornberger Schießen: Zwar befanden die Herren Commissarii den Bürgermeister Dr. Krupp in zahl­ reichen Anklagepunkten für schuldig, verwarnten ihn ernsthaft und ermahnten ihn zu strengerer Einhaltung der Vorschriften, aber sie bestraften ihn nicht, bestätigten ihn vielmehr in seinem Amt und reisten, nachdem sie auch Anträge der schon wieder übermütigen Krupps auf Bestrafung ihrer »Verleumder« sanft zurückgewiesen hatten, wieder heim mit dem angenehmen Gefühl, ihr Bestes getan zu haben: Ruhe und Ordnung, in Preu­ ßen erste Bürgerpflicht, waren wiederhergestellt, das Ansehen des Juristenstandes - auch der Angeklagte war ja ein Rechts­ gelehrter! - hatte nicht gelitten, die Autorität blieb gewahrt, der Staat konnte, die Bürger mußten damit zufrieden sein . . . Dr. Arnold Krupp blieb noch über ein Vierteljahrhundert lang, bis zu seinem Tode im Jahre 1734, Bürgermeister von Essen, setzte auch noch einen ihm genehmen Neffen als Nachfol­ ger ein, doch die Familie konnte es nicht verhindern, daß wenige Tage nach der feierlichen Beerdigung des selbstherrlichen Alten ein Teil seiner beträchtlichen Hinterlassenschaft von der Stadt­ kasse eingezogen wurde - unter Wahrung der Formen, versteht sich, und zur wenigstens symbolischen Wiedergutmachung der der Stadt durch die Korruption entstandenen Verluste. Von des Bürgermeisters Sohn, Jodocus Krupp, ist zu melden, daß er, geschmückt mit dem etwas hochtrabenden Titel eines Senators der (inzwischen knapp dreieinhalbtausend Einwohner zählenden) Stadt Essen, vornehmlich von den Zinserträgen seiner Erbschaft lebte, daneben wohl auch noch als Rentmeister amtierte, mit Kolonialwaren handelte, später auch mit Fleisch, wobei er aber nur die Aufsicht führte und die Arbeit den Gesel­ len überließ. Jodocus Krupp heiratete in jungen Jahren zunächst eine ältliche Base, die ihm bei ihrem Tode keine Kinder, wohl aber weiteres Vermögen hinterließ, dann als 4Öjähriger Witwer ein zweites Mal, wobei er eine besonders gute Wahl traf: Seine Braut war diesmal siebenundzwanzig Jahre jünger als er, Toch­ ter eines befreundeten Ratsherrn, galt als ungewöhnlich klug und tüchtig, erfreute sich eines guten Rufes und war zudem auch noch hübsch. Der Teenager hieß Amelia, mit vollem Namen Helena Amalia Ascherfeld, und war - kein großer Zufall, sondern nur ein Zeichen dafür, wie winzig Essen war und wie wenige Familien zur lokalen Oberschicht gehörten - väteri2

wie mütterlicherseits mit den Krupps verwandt, sogar eine direkte Nachkommin des Stammvaters Arndt. Fünf Jahre nach der Hochzeit Starb Jodocus. Er hinterließ seiner vierundzwanzigjährigen Witwe ein stattliches Vermögen, blühende Geschäfte sowie einen Sohn, Peter.

Die Wittib Amélia Krupp née Ascherfeld, wie sich der plötzlich ganz selbständige, wohlhabende Twen zu nennen beliebte, war eine höchst bemerkenswerte junge Dame, ja, man müßte sie als die eigentliche Begründerin Kruppscher Industriemacht be­ zeichnen, hätte es nicht nach ihrem Tode noch eine Zäsur gege­ ben, einen völligen Ruin, den ironischerweise just der Mann ver­ ursachte, dessen Namen der Konzern bis auf den heutigen Tag trägt: Friedrich Krupp, Amélias Enkelsohn. Doch weder ihm, dem Enkel, der geboren wurde, als Amélia bereits eine würdige Matrone von fünfundfünfzig Jahren war, noch seinen Eltern, dem frühverstorbenen Peter Krupp, Amélias einzigem Sohn, und seiner Frau Petronella, kam zu Lebzeiten der Wittib Krupp gebo­ renen Ascherfeld nennenswerte Bedeutung zu. Amélia war eine dominierende Persönlichkeit, und außerdem hatte sie das Geld. Der Geschäfte nahm sie sich mit Inbrunst an, erweiterte den Grundbesitz um städtische Häuser und etliche Bauerngüter, dehnte den traditionellen Handel auf bis dahin von der Familie übersehene Branchen aus, beispielsweise auf Farben und Tex­ tilien, erwarb auch eine Agentur, die Lotterie-Lose verkaufte, und wandte sich schließlich erstmals der Produktion zu, zu­ nächst der von Schnupftabak. Es folgte ein kühner Vorstoß in Montanbereiche: die Wittib Krupp erwarb nämlich ein Ham­ merwerk, dann vier Steinkohlenzechen und schließlich ein in Konkurs geratenes Hüttenwerk, die von ihrem überschuldeten Besitzer verlassene »Hütte zur guten Hoffnung«, auf die sie ohnehin eine erstrangige Hypothekenforderung hatte. Das war im Jahre 1800. Inzwischen war ihr Enkel Fritz zwölf Jahre alt geworden, von seiner wenig intelligenten Mutter verhätschelt und auf dem besten Wege, ein eitler Fant und Schürzenjäger zu werden. Die Großmutter sah es mit Kummer, und sie beschloß, ihn zur Ver­ mögensbildung anzuregen. 1807, als Fritz gerade neunzehn Jahre alt war, übertrug sie ihm die Gutehoffnungshütte, die sich zu einem florierenden Unternehmen entwickelt hatte und Kü­ chen- und Ackergerät, zeitweise auch Eisenkugeln für die Kanonen des Königs von Preußen, produzierte. 13

Friedrich Krupp gelang es, die Gutehoffnungshütte binnen sehr kurzer Zeit erneut an den Rand des Bankrotts zu bringen, infolge widriger, von ihm nicht verschuldeter Umstände, teils politischer, teils klimatischer Art, wie die Krupp-Verehrer be­ richten, oder weil er - so die Krupp-Gegner - die alten Fach­ leute hinaus warf, die »langweilige« Produktion von Töpfen, Pfannen und Pflügen einstellte und statt dessen Maschinenteile gießen wollte - eine Absicht, die großes Gespür für die künftige Entwicklung erkennen ließ, deren Verwirklichung jedoch Kenntnisse voraussetzte, die weder Friedrich Krupp noch seine Arbeiter hatten. Zu allem Überfluß gründete der junge Mann, dessen Bildung auch für damalige Essener Verhältnisse sehr lückenhaft war und der Erfolge bislang nur auf Tanzböden, an Wirtshaustischen und in Mädchenkammern erzielt hatte, nun angesichts seines unternehmerischen Fiaskos auch noch einen eigenen Haus­ stand. Er ehelichte die siebzehnjährige Demoiselle Therese Wilhelmi, ein hübsches, etwas einfältiges Kind aus gutem Hause. Kurz nach der Hochzeit, die auf der Gutehoffnungshütte statt­ fand, erkrankte der junge Ehemann, und als das Fieber zurück­ gegangen war und er wieder aufstehen konnte, da hatte seine reiche Großmutter, die Wittib Amelia Krupp, bereits die Gute­ hoffnungshütte zu Sterkrade bei Oberhausen, wo Friedrich mit seiner Therese wohnte, eilig und ohne Konsultation des närrischen Enkels, geschweige denn der neuen Frau, an einen Verwandten verkauft. Der Käufer hieß Heinrich Huyssen; seine Partner waren die mit ihm verschwägerten Herren Gerhard und Franz Haniel sowie ein weiterer Sippenangehöriger, Gottlob Jacobi. (Übri­ gens, noch heute befindet sich der Gutehoffnungshütte-Konzern, zu dem unter anderem die Ferrostaal AG, Essen, Haniel & Lueg in Düsseldorf, die Maschinenfabrik Augsburg-Nürn­ berg MAN, die Schloemann AG in Düsseldorf sowie zu einem beträchtlichen Teil auch die Deutsche Werft AG in Hamburg ge­ hören und der rund fünfundsiebzigtausend Beschäftigte zählt, zu mehr als der Hälfte im Besitz der Nachkommen der Herren Haniel, Huyssen und Jacobi, nur hat sich die Anzahl derer, die sich in diese Majorität teilen, im Laufe von hundertsechzig Jah­ ren auf weit über zweihundert Personen vermehrt. Bemerkens­ werterweise verloren die Herren Haniel, Huyssen und Jacobi sehr bald schon den Ehrgeiz, ihr Unternehmen selbst zu leiten

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oder auch nur zu beaufsichtigen. Das überließen sie Managern, die mehr davon verstanden, während sie selbst sich darauf be­ schränkten, Dividenden zu kassieren und ein angenehmes Leben zu führen. Dabei ist es bis auf den heutigen Tag geblieben . . .) Nachdem Friedrich Krupps Großmutter die Gutehoffnungshütte - mit sehr erklecklichem Gewinn übrigens - kurzerhand verkauft hatte, ehe sie von ihrem Enkel vollends ruiniert wer­ den konnte, mußte das junge Ehepaar seine gerade bezogene Wohnung in Sterkrade wieder räumen, nach Essen zurückkeh­ ren und die Flitterwochen unter Großmutters Dach fortsetzen. Auch war Friedrich Krupp nun beschäftigungslos, schlimmer noch: ohne Einkommen. Mindestens letzteres bedrückte ihn sehr. Er sah sich nach einer guten Verdienstmöglichkeit um, die ihn vom Taschengeld, das ihm seine Mama, die Großmama und andere ältliche weibliche Verwandte zukommen ließen, wieder unabhängig machen sollte. Nach einigen Monaten fand er, was er suchte, und über­ raschte seine Familie mit einem kühnen und, wie er sagte, groß­ artigen Projekt: Er wollte einem Konsortium von Kaufleuten beitreten, Ko­ lonialwaren, vor allem Kaffee, Indigo und Gewürze, aus Eng­ land importieren und so, angesichts der horrenden Preise, die für solche Waren damals in Deutschland zu erzielen waren, bin­ nen kurzer Zeit Millionär werden. Der Haken bei der Sache (und der Grund für die wirklich hervorragenden Absatzmög­ lichkeiten zu maßlos überhöhten Preisen) war Napoleons Kon­ tinentalsperre : Einfuhren aus England waren bei allerstrengsten Strafen verboten; französische Truppen hielten alle Häfen be­ setzt; auch die offene Küste wurde streng bewacht, und wer dennoch durch die Kontrollen hatte schlüpfen können, riskierte auch noch im Binnenland, den überall lauernden Zöllnern und Geheimpolizisten ins Netz zu gehen. Trotz dieses großen Risikos ließ sich Großmutter Amelia von ihrem unternehmungslustigen Enkel dazu überreden, ihm zehn­ tausend Taler vorzustrecken - eine für die damalige Zeit sehr beachtliche Summe, nach heutigem Wert etwa drei- bis vierhun­ derttausend Mark! Es dauerte indessen nicht lange, bis Friedrich Krupp den Totalverlust des investierten Kapitals melden mußte: Die Kon­ trollen waren verschärft, einige der vom Konsortium ausge­ schickten Schmuggler gefaßt und erschossen worden. Die kost­ bare Ware hatten die Franzosen konfisziert . . .

Das war 1809. Es ist nicht überliefert, wie groß die Vorwürfe waren, die Friedrich Krupp von seiner Großmutter und der übrigen Familie einzustecken hatte. Sicher ist nur, daß seine et­ waige Reue nicht von sehr langer Dauer gewesen sein kann. Ein halbes Jahr später, am 9. Mai 1810, starb nämlich Groß­ mutter Amelia Ascherfeld verwitwete Krupp im Alter von acht­ undsiebzig Jahren. Sie hinterließ ein Vermögen von etwa hun­ dertzwanzigtausend Talern - sicherlich das größte in Essen und gewiß mehr, als je zuvor ein Mitglied der Familie Krupp zu ver­ erben gehabt hatte. Indessen bestand dieses Vermögen größten­ teils aus Forderungen, Immobilien und Bergwerksanteilen, Warenbeständen und Hausrat. Der dreiundzwanzigjährige Enkel, der auch nach Abzug der schon erhaltenen Vorschüsse noch einen beträchtlichen Teil dieses großmütterlichen Vermögens erbte, wurde somit über Nacht ein reicher Mann. Und sogleich beschloß er, dieses Ver­ mögen, von dem die übrigen Erben geruhsam als »Privatiers« zu leben gedachten, für seinen Teil gewaltig zu vergrößern, sich auf ein neues Abenteuer einzulassen und kein Risiko zu scheuen. Er wollte das »Geheimnis des Stahls« entdecken und gründete im Herbst 1811 zu diesem Zweck ein neues Unternehmen, das er mit dem ihm angeborenen Optimismus sogleich als »Gußstahl­ fabrik Friedrich Krupp« bezeichnete.

Wurde eingangs festgestellt, daß sich die Verehrer und Feinde der Krupps über die diversen Vertreter der Familie im 16., 17. und 18. Jahrhundert weitgehend einig sind, so endet diese Harmonie abrupt von dem Augenblick an, wo sich Friedrich Krupp als angehender Gußstahlfabrikant etablierte. Friedrichs geschäftliche Mißerfolge vor 1811 schreiben die Fans wie die Hasser noch seiner jugendlichen Unerfahrenheit, seiner Verwöhnung durch die Mutter, die Großmütter und die Tanten zu, auch seiner leider recht mangelhaften Schulbildung und vor allem der Ungunst der Zeit. Doch von 1811 an sehen die Biographen durch verschiedene Brillen. Aus dem Jüngling Friedrich Krupp (der ja immerhin schon verheiratet, seit 1809 Vater einer Tochter, seit 1810 ein steinreicher Erbe war) wird über Nacht ein Mann, mehr noch: ein Symbol, für die einen heldenhaft und verehrungswürdig, für die anderen perfide und hassenswert. Und das alles nicht etwa des Mannes selber wegen, der da, vierundzwanzig Jahre jung und voller phantastischer Ideen, seinen gescheiterten Bemü-

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hungen, mehr zu sein als ein reicher Erbe, einen weiteren Ver­ such folgen ließ, sondern um seines Namens willen, den er - als nahezu einziges Vermächtnis, abgesehen von ungeheueren Schulden - den (zunächst) unglücklichen Erben hinterließ. »Name ist Schall und Rauch«, heißt es im>FaustLex Krupp< vom 12. November 1943 : Es erbte nämlich - im wesentlichen - nur einer in jeder Gene­ ration (wobei die »unwesentlichen« Korrekturen, die - teils von der Familie, teils von den Alliierten und natürlich aus unter­ schiedlichen Motiven - zugunsten der so stark benachteiligten Geschwister des jeweiligen Universalerben vorgenommen wur­ den, sogar in der stürmischen Ära des letzten Konzerninhabers völlig ausreichten, neben dem Krupp-Imperium auch noch ein Bohlen-Reich entstehen zu lassen, das einerseits so wenig be­ kannt, andererseits so bedeutend ist, daß wir ihm ein ganzes Kapitel werden widmen müssen ...!). Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907-1967), ältester Sohn der letzten »echten« Krupp, der gar nicht »dicken (eher hageren) Bertha«, die als damals »beste Partie« im deutschen Kaiserreich den sechzehn Jahre älteren und erheblich kleineren, dafür sehr »schneidigen« Dr. Gustav von Bohlen und Halbach ehelichte, wurde also defacto alleiniger Chef der Firma und damit des ganzen riesigen Konzerns wie auch Haupterbe des nicht­ industriellen Familienbesitzes. Dieser Alfried wurde von Kaiser Wilhelm II. mit dessen »Allerhöchster Patenschaft« und vom »Führer« Adolf Hitler sechsunddreißig Jahre später mit besagter (zweiter) >Lex Krupp< bedacht. Die Alliierten sperrten ihn 1945 ein, konfiszierten sein gesamtes Vermögen und verurteilten ihn zu einer langen Gefängnisstrafe. Doch 1951 ließen sie ihn wieder frei, gaben ihm seinen Besitz zurück und schlossen sogar, nach achtzehnmonatigen Verhandlungen in Mehlem, dem Sitz der Hohen Kommissare, einen regelrechten Staatsvertrag mit ihm, dem Privatmann - ein Unikum in der neueren Geschichte des Völkerrechts! Entschlossen, die ihm von den Alliierten auferlegten Verpflich­ tungen nach Möglichkeit nicht zu erfüllen, ging Herr von Bohlen, wie sich Alfried Krupp von Bohlen und Halbach - wie auch schon sein Vater - zu nennen vorzog, an den Wiederaufbau seines Un­ ternehmens, dem er einen New Look zu geben entschlossen war.

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Zur Verwirklichung dieser Absicht setzte er einen Premier­ minister ein, der - in Ermangelung eines Parlaments - nur ihm, dem absoluten Monarchen, verantwortlich war und von ihm alle Vollmachten erhielt. Berthold Beitz, so hieß der neue, erst neununddreißigjährige Generalbevollmächtigte, war das genaue Gegenteil dessen, was man sich in der Welt, aber auch in Deutsch­ land und in Essen selbst unter einem Krupp-Generaldirektor vorzustellen pflegte: Nicht voll steifer Würde, sondern betont unkonventionell, ja hemdsärmelig, nicht stramm und »zackig«, sondern nonchalant, nicht auf verstaubte Traditionen, schwül­ stiges Pathos und markige Imponiergesten bedacht, sondern auf Höchstleistung, Tempo und - Charme, einen Begriff, der im Zusammenhang mit der Firma Friedrich Krupp zunächst schier grotesk wirkte. Unter dem neuen, ganz ungewohnten Management von Berthold Beitz, einem Revierfremden, der weder Bergassessor noch Jurist war, überhaupt nicht studiert hatte, ja nicht einmal »besseren Kreisen« entstammte, stieg die alte, geächtete und schwer angeschlagene Firma zu neuer Größe und Weltgeltung auf, wandte sich bislang verschmähten, friedlichen Produktionsberei­ chen zu und erschloß sich neue, zukunftsreiche Absatzmärkte. Vor allem aber gelang es Berthold Beitz, parallel zur wirt­ schaftlichen Wiedererstarkung des Unternehmens, dessen ange­ rostetes und von vielen häßlichen Flecken verunziertes Image wieder auf Hochglanz zu polieren. Diese Meisterleistung, die ihresgleichen sucht, gibt dem Vollbringer, der heute Testa­ mentsvollstrecker seines verstorbenen Königs, väterlicher Freund des Ex-Kronprinzen und Präsident der Krupp-Stiftung ist, bei der alle Eigentumsrechte am Unternehmen liegen, weit mehr Anrecht, in dieser Geschichte des Hauses Krupp durch ein besonderes Kapitel gewürdigt zu werden, als etwa dem - wie wir noch sehen werden - etwas zweifelhaften Firmengründer des Jahres 1811. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß im März 1967, we­ nige Monate vor dem Tode Alfrieds, der Krupp-Konzern in eine Krise geriet, Staats- und Banken-Hilfe in Anspruch nehmen mußte und dafür Bedingungen zu akzeptieren hatte, die die Alleinherrschaft des Königs und seines Premiers beendeten. Die Hintergründe dieser Krise und die - der Öffentlichkeit bis­ lang vorenthaltene - Entwicklung, die sie schließlich auslöste, sind rückblickend für König Alfried und Premier Beitz durch­ aus nicht so beschämend, wie es den Anschein hatte . . . 23

Am Sonntag, dem 30. Juli 1967, starb Alfried Krupp von Bohlen und Halbach im Alter von fast sechzig Jahren. Er war einer der reichsten Männer der Welt gewesen, hatte über ein Vermögen verfügt, vergleichbar dem des Ölmagnaten J. Paul Getty, des Emirs von Kuweit, des Scheichs von Katar, des Nizams von Haidarabad oder des Königs Ibn Saud von Sau­ di-Arabien. »Der Erbe des Hauses Krupp ist reicher als etwa die Familien Rockefeiler, Morgan, Ford, Mellon oder Du Pont, deren Vor­ fahren noch größere Vermögen angesammelt hatten als Krupps Ahnen«, so hatte der amerikanische Publizist Norbert Mühlen angeführt: »Seine Erbschaft wurde nämlich nicht aufgesplittert und einer wachsenden Erbengemeinschaft zugeteilt wie bei den amerikanischen Multimillionären. Alfried Krupp steht an der Spitze auch bei den reichsten Männern der Welt, weil seine Familie ihr Industriereich so regierte und vererbte, wie es der monarchische Wille seines Urgroßvaters festgelegt hatte.« Nicht mit dem Selfmade-Milliardär J. Paul Getty, wohl aber mit den orientalischen Potentaten von wahrlich märchenhaftem Reichtum hatte Alfried Krupp von Bohlen und Halbach eine weitere Gemeinsamkeit: Es gab bei ihm keinen Unterschied zwischen Privat- und Ge­ schäftsvermögen. Sein Industriekonzern mit über hunderttau­ send Beschäftigten und mit Werksanlagen, die zusammenge­ nommen eine Fläche von etwa der Ausdehnung mehrerer preu­ ßischer Landkreise bedeckten, waren in genau derselben Weise sein privates Eigentum wie seine Manschettenknöpfe, seine Armbanduhr, sein Weinkeller oder seine Segeljacht; die Krupp­ schen Steinkohlenzechen gehörten ihm allein, genau wie seine silbergrauen, spezialgefertigten »Porsche«-Coupes oder die mon­ ströse i $ 2-Zimmer-»Villa Hügel« mit ihren über sechshundert Gemälden und Gobelins oder das Frühstücksgeschirr in seinem bevorzugten einsamen Bungalow am Rande des ausgedehnten Hügel-Parks. Er war - genau wie die orientalischen Märchen­ prinzen von vergleichbarem Reichtum - über seinen giganti­ schen Besitz niemandem Rechenschaft schuldig - keinem Teil­ haber, keiner Aktionärsversammlung, keinem Aufsichtsrat, auch keinem Verwandten . . .! Und was für sein Inlandsvermö­ gen galt, das galt erst recht für seinen Auslandsbesitz. Die Liste der von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach hinterlassenen, ihm persönlich und allein gehörenden rund hundert industriellen Großbetriebe umfaßte, wie man bei der

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Testamentseröffnung mit ehrfürchtigem Staunen bemerkte, neun mit der Maschine engbeschriebene Seiten, und weitere zehn solcher Seiten erforderte die Aufstellung seiner sonstigen Indu­ strie- und Bankbeteiligungen. Über diesen Konzernbesitz hinaus gehörten Alfried Krupp ganze Stadtviertel von Essen und viele weitere wertvolle Immo­ bilien in der Bundesrepublik, aber auch im Ausland. Allein sein Besitztum Blühnbach machte ihn - nach dem Fürsten Esterhazy - zum zweitgrößten Grundbesitzer Österreichs. Nein, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach starb wahrlich nicht als armer Mann - trotz der Liquiditätskrise im Frühjahr vor seinem Tode ... 1 Eine ganz andere Frage ist es, wie das vor hundertachtund­ fünfzig Jahren gegründete Unternehmen heute dasteht, nach­ dem man es in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt hat, deren Management jeglichem Einfluß der heute lebenden KruppNachkommen entzogen ist. Im April 1968 veröffentlichte die neue Kapitalgesellschaft Fried. Krupp GmbH ihre Eröffnungsbilanz. Sie sah nicht eben rosig aus. »Der Konzern«, hieß es in Kommentaren der Wirt­ schaftspresse, »geht mit einem so großen Verlust in seine neue Ara, daß Krupp mindestens vier Jahre lang keine Steuern zah­ len kann.« Und weiter: »Zu den Leidtragenden der Finanz­ knappheit wird vor allem die neue Stiftung gehören, die laut Satzung alle Erträge des Konzerns kassieren und >zur Förderung der Wissenschaftern verwenden soll.« Nicht zu den Leidtragenden zählte und zählt indessen Al­ frieds einziger Sohn, Arndt von Bohlen und Halbach. Sein Vater hatte am 13. April 1965 mit der Montanfirma seines Konzerns einen sogenannten Förderrentenvertrag geschlossen, durch den für Arndt eine jährliche Apanage von nahezu einer Million Mark abgesichert worden war. Ein weiterer Betrag von fast einer zweiten Million Mark sollte dem Sohn nach dem Tode des Vaters aus den Gewinnen der »National Registrier-Kassen GmbH«, Augsburg, zufließen, an der Krupp damals noch stark beteiligt war. Nachdem das neue Management die »National«-Anteile an einen amerikanischen Großkonzern verkauft hat, muß die »Fried. Krupp GmbH« aufgrund eines neuen Vertrages die zweite jähr­ liche Million direkt aus der Firmenkasse (und noch vor allen Steuern, Abgaben und eventuellen Gewinnausschüttungen an die Stiftung) dem Sohn des letzten Konzerninhabers auszahlen.

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Arndt von Bohlen und Halbach, der nebenbei auch etlichen, nicht unternehmerisch arbeitenden ausländischen Aktien- und Grundbesitz seines Vaters erbte, kann also zufrieden sein - im Gegensatz zu der Stiftung, die vorerst kaum sehr imponierende Beträge wird verteilen können . . . In gewisser Weise zufrieden sein kann auch die Schar derer, denen der New Look des alten Unternehmens wesensfremd und verhaßt gewesen war. Sie hatten mit einem des Treibens müden Krupp, der nicht mehr in der düster-pompösen »Villa Hügel« residieren, nicht mehr als »Herr im Hause« ein strenges Regiment führen, ja nicht einmal mehr für das Vaterland Waffen schmieden wollte, nichts Rechtes anzufangen gewußt. Und sein »revierfremder«, amerikanisch-hemdsärmeliger Top-Manager Berthold Beitz war ihnen ein Greuel gewesen . . . Diese stockkonservativen alten »Kruppianer«, die allein noch den - der Familie selbst bereits abhanden gekommenen - KruppGeist verkörperten, waren und sind weniger im oberen und mitt­ leren Management zu finden, wie man vermuten könnte, erst recht nicht an der Spitze der Stabsabteilungen, wo Berthold Beitz Männer seines Vertrauens eingesetzt hatte, von denen er - vielleicht etwas zu optimistisch - zu sagen pflegte: »Das sind meine Boys, die gehorchen nur mir . . .!« Den alten Krupp-Geist findet man überraschenderweise in weit stärkerem Maße bei älteren Arbeitern, und Norbert Mühlen fand dafür ein bezeichnendes Beispiel, als er Ende der fünfziger Jahre in Essen Befragungen durchführte: »Ein Führer der kommunistischen Opposition im Betriebs­ rat«, so berichtet er, »zeigte uns, während wir von ihm Be­ schwerden zu hören erwarteten, voller Stolz die goldene Uhr, die die Firma ihm zu seinem fünfundzwanzigjährigen Betriebs­ jubiläum geschenkt hatte. Wir waren noch tiefer vom Stolz des Kommunisten über seine Ehrung beeindruckt als dieser von sei­ ner goldenen Uhr . . .«

Zieht man das Fazit der vielen Veränderungen, die während der letzten Jahre bei Krupp in Essen stattgefunden haben, so bemerkt man mit Erstaunen: - nach mehr als anderthalb Jahrhunderten absoluter Herrschaft ist von den Krupps in Essen nur noch der Name geblieben; die Nachkommen des Firmengründers haben keinerlei Ein­ fluß mehr auf das nach wie vor gewaltige Unternehmen; die 26

Dynastie ist zwar nicht erloschen, doch spielt sie seit der Ab­ dankung und dem Tod des letzten Monarchen und dem Thronverzicht des Kronprinzen hur noch die Rolle anderer Königsfamilien ohne Land . . . der alte Krupp-Geist, der Geist jener Waffenschmiede, von der deutsche Schulbücher um die Jahrhundertwende stolz berichteten, »wo je Krupp durch den Mund seiner Kanonen sprach«, da habe »die Erde meilenweit gezittert«, von der Engländer wiederum sagten, es sei y>the firm we love to hate«, das Unternehmen, das wir gern hassen, dieser Geist hat sich als stärker erwiesen denn Dynastie und königliche Order, stärker sogar als die Schein-Prosperität, die nun für den Krupp-Kon­ zern vorüber ist . . . die Kapitalgesellschaft, die die Nachfolge der alten Einzel­ firma Fried. Krupp angetreten hat, wird vorerst keine Ge­ winne ausschütten können, bis die Überschuldung in eine vernünftige Kapitalbasis umgewandelt ist, wogegen sich ExKronprinz Arndt von Bohlen und Halbach eines sehr beacht­ lichen Immobiliar- und Aktienbesitzes sowie einer vom ein­ stigen Familienkonzern zu zahlenden jährlichen Rente in Höhe von fast zwei Millionen Mark erfreuen kann . . . Berthold Beitz hat das alles, seiner Art entsprechend, ganz anders ausgedrückt. Sein Epilog, gesprochen im März 1967, als die Firma Fried. Krupp - wahrlich nicht zum ersten Male in ihrer mehr als hundertfünfzigjährigen Geschichte - um staat­ liche Hilfe ersuchen mußte, lautete schlicht: »Jetzt ist die Flut gefallen, und endlich sehen wir, was auf dem Flußgrund liegt: wenig Gold und alte Flaschen . . .« Wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen? Wo ist der Kruppsche Reichtum geblieben? Und wie ist er entstanden? Wie konnte er so gigantische Aus­ maße annehmen? Was ließ ihn verlorene Kriege, Revolutionen und totale Geldentwertungen überstehen? Warum ging er zur Neige, gerade nach einer längeren Phase der Hochkonjunktur, in der die Firma größere Umsätze erzielte als je zuvor, die Zei­ ten fieberhafter Rüstung des Kaisers wie des »Führers« nicht aus­ genommen? Und was hat es mit dem vielgepriesenen, vielgeschmähten Krupp-Geist auf sich? Hat ihn ein Krupp erfunden, für seine Ausbreitung im Unternehmen gesorgt, ihn weiterwirken lassen von Generation zu Generation . . . ? 27

Oder war dieser Geist nichts anderes als der jeweilige Geist der Zeit, der in Europa (oder in Deutschland oder auch nur im Ruhrgebiet) herrschte . . .? Waren vielleicht die Krupps, von ihrem wachsenden Wohlstand abgesehen, gar nichts so Beson­ deres, nur eine mal mehr, mal minder erfolgreiche Unterneh­ merfamilie, deren Ansichten und Verhalten sich in nichts unter­ schied vom, mindestens innerhalb ihrer Klasse, Vorherrschen­ den ? Und ist womöglich der Krupp-Geist deshalb bei dem - nun jedem Kruppschen Einfluß entzogenen - Konzern geblieben, getarnt als Tradition? Wogegen die letzten Nachkommen des Firmengründers der Tradition wie dem Geist abgeschworen hätten . . . ? Alle diese Fragen und viele mehr lassen sich nicht ohne wei­ teres beantworten. Es ist vielmehr nötig, sich zunächst mit der Geschichte der Firma Krupp zu beschäftigen, der wirklichen wie der erfundenen, wobei es von der letzteren zwei Versionen gibt: die eine wurde erdichtet zur Glorifizierung, weil die Wirk­ lichkeit nicht edel und heldenhaft genug war, die andere erfand man zur Verteufelung, weil die Tatsachen die Vorurteile nicht zu rechtfertigen vermochten. Alle drei Krupp-Historien, die Erfindungen zwecks Veredelung oder Verketzerung nicht aus­ genommen, sind außerordentlich spannend, aber zweifellos am interessantesten ist die historische Wahrheit im Vergleich mit den Bemühungen, sie tendenziös zu färben. Auf den ersten Blick einfach, bei näherem Hinsehen schwierig erscheint die Frage, wo man eigentlich anfangen soll: bei der wirklichen Firmengründung oder bei der aus diversen Gründen vorverlegten? Nun, es läßt sich gar nicht vermeiden, wenn man nicht auf die schönsten Pointen verzichten will, da zu beginnen, wo die Einleitung endete und wo nach offizieller, von Fans wie Hassern - wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen akzeptierter Darstellung die Firmengeschichte der Essener Waffenschmiede beginnt: bei Friedrich Krupp, dessen Namen das Mammutunternehmen noch heute trägt, und im Jahre 1811, als dieser »Patriot und Pionier«, wie er, selbst in nur schwach veredelten Geschichtsversionen, genannt wird, seine Guß­ stahlfabrik gründete; als Kaiser Napoleon I. im Zenith seiner Macht stand und seinem Reich, zur größeren Wirksamkeit der Kontinentalsperre gegen das »perfide Albion«, wie die Bonapartisten England damals nannten, auch noch Holland und große Teile Nordwestdeutschlands einverleibt hatte; als auch 28

die Stadt Essen über Nacht französisch wurde und es dort kein Rathaus mehr gab, sondern eine Mairie . . . Denn - seltsamerweise wurde die Firma Fried. Krupp nicht in oder zum Ruhme von Preußen gegründet, sondern auf franzö­ sischem Hoheitsgebiet und in der Hoffnung, vom Kaiser der Franzosen eine hohe Belohnung zu erhalten . . .!

»Pionier und Patriot« . . . ?

Der Mann, der als der Gründer der Firma Fried. Krupp in Essen gilt und dessen Namen der Konzern trägt, war im Jahre 1811, als er sich dazu entschloß, Stahlfabrikant zu werden, ge­ rade vierundzwanzig Jahre alt, bereits verheiratet und Vater einer kleinen Tochter. Er hatte auch schon zweimal Schiffbruch erlitten, das erste Mal auf industriellem Gebiet, das zweite Mal als Kaufmann, der mit geschmuggelten Waren handeln wollte. Zumal sein zweiter Mißerfolg hatte ihn in beträchtliche Schul­ den gestürzt, doch die Hauptgläubigerin war seine Großmutter gewesen, die 1810 hochbetagt das Zeitliche gesegnet hatte. Als Erbe von einem Drittel ihres sehr stattlichen Vermögens, des größten in Essen, war der junge Mann mit einem Schlage wieder saniert. Wenige Monate später erbte Friedrich Krupp weiteres Ver­ mögen von einer Großtante, und um etwa dieselbe Zeit übertrug ihm seine früh verwitwete Mutter auch das alte Handelshaus der Familie, während sein kränkelnder jüngerer Bruder und Mit­ erbe, Wilhelm, mit der Eintreibung alter Forderungen und dem Verkauf eines Teils der Immobilien beauftragt wurde. Bei die­ sem Stand der Dinge wäre es naheliegend gewesen, daß sich Fried­ rich nun, unter den bewundernden Blicken seiner etwas einfäl­ tigen Mama und seiner kaum intelligenteren Gattin, ganz dem Handel zugewandt hätte, und wenn schon nicht dem traditio­ nellen Kleinhandel, dann gewiß dem Engros-Geschäft. Doch Friedrichs Sinn stand nach etwas Spektakulärem, wohl auch weniger Mühsamem. Das Aufspüren eines verlorengegan­ genen Schatzes oder auch eine grandiose Erfindung - derglei­ chen interessierte ihn! Der Warenhandel dagegen behagte ihm nicht, und dies nicht nur wegen der kostspieligen Niederlage, die er sich bei seinem ersten Versuch, Geschäfte zu machen, anderthalb Jahre zuvor geholt hatte. Sei es, daß ihn seine Mama falsch erzogen hatte, sei es, daß ihn das gewaltige großmütterliche Vermögen im Rücken allzu selbstsicher und großspurig werden ließ - jedenfalls fehlt es aus den wenigen Monaten seiner kaufmännischen Betätigung wahr­ lich nicht an Beweisen seiner geringen Eignung für diesen viel Geschmeidigkeit und Takt im Umgang mit der Kundschaft erfordernden Beruf. 3°

So schrieb er beispielsweise einem Kunden seiner Firma, der sich - wie man annehmen darf, völlig zu Recht - über die miserable Qualität der vom Hause'Krupp gelieferten Waren beschwert hatte, nicht etwa zur Entschuldigung, daß leider auch er durch die strenge Kontinentalsperre vorübergehend auf aller­ lei Surrogate, zweifelhafte Restposten und unkontrollierbare Schmuggelware zurückzugreifen gezwungen wäre, dafür um gütige Nachsicht bäte und gewiß demnächst mit unverfälschtem Gewürz, Kaffee und Zucker zu mäßigem Preis volle Genug­ tuung leisten könnte; vielmehr kanzelte der kecke Twen den er­ bosten Kunden auch noch dafür ab, daß er gewagt hatte, sich zu beklagen, und er schloß sein Antwortschreiben mit Sätzen, die sicherlich nicht dem >Briefsteller für aufstrebende Kaufleute< entnommen waren: »Um Ihnen zu zeigen, wie sehr ich Ihre Dummheit zu würdi­ gen weiß, erlaube ich Ihnen, die für den Betrag Ihrer Rechnung erhaltenen Waren sämtlich mir gleich zurückzuerstatten, sonst aber den Betrag derselben mir gleich ohne irgendeinen Abzug bar zu entrichten. Wenn Sie ein Mann wären, der die geringsten Handlungskenntnisse besäße, dann würden Sie gewiß eine so großmütige Antwort von mir nicht haben gewärtigen können. Dies nehmen Sie zum Maßstab Ihrer künftigen Handlungen von mir an!« Und selbst einem Verwandten, der sich ebenfalls über die schlechte Ware der Firma Friedrich Krupp beschwert hatte, gab er bloß barsch zur Antwort: »Ich lasse mir solche Fehler nie zu Schulden kommen. Sollte Ihnen aber der Ankauf des Pfeffers reuen, so wird es mir lieb sein, wenn Sie ihn mir wieder franco zurückschicken. Ich kann Dekorten und Beschwerdeführungen nicht leiden . . .« Wer so hochfahrend und kränkend mit seiner Kundschaft verfuhr, durfte sich nicht wundern, wenn das Geschäft rapide zurückging. Auch Friedrich Krupp bekam das bald zu spüren, doch anstatt sein Verhalten zu ändern, verlor er die Lust und hatte plötzlich, wie er einem Freund schrieb, »keinen Gefallen mehr an Spezerey«. Etwas Neues hatte sein Interesse erweckt und fesselte ihn bald so sehr, daß er darüber den Handel völlig vergaß: ein Preisausschreiben, veranstaltet von keinem Geringeren als Napoleon I., Kaiser der Franzosen und Protektor des Rhein­ bundes ! Dieses Preisausschreiben war nur eines von vielen, sämtlich

dazu bestimmt, den Erfindergeist der Kontinentaleuropäer an­ zuregen, damit die fehlenden Importe aus England auf irgend­ eine Weise ersetzt werden konnten. Handel und Industrie stagnierten, und wer durch neue Rohstoffe oder Herstellungs­ verfahren wesentlich dazu beitrug, die bestehenden Engpässe zu beseitigen, dem winkte als Lohn die besondere Gnade Seiner Majestät des Kaisers, außerdem eine hohe Prämie in klingender Münze. Zu den vielen Dingen, die es damals zu erfinden galt, gehörte auch »ein fester, guter Stahl, den früher aus Britannien bezoge­ nen Qualitäten ebenbürtig«, und natürlich fand diese Preisauf­ gabe in Essen und Umgebung besonderes Interesse, da Kohle aus den nahen Zechen und Eisenerz aus dem Siegerland vorhan­ den waren, auch viele erfahrene Schmiede, Hüttenleute und Eisengießer. Doch wäre es töricht zu glauben, Stahl hätte damals auch nur annähernd jene Bedeutung gehabt, die er dann im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts erlangte . . .! Gewiß, Uhrmacher benötigten Stahlfedern, und auch die Hersteller von hochwertigen Schneidwaren verlangten damals dringend nach Stahl. Ja, es gab sogar schon ein paar einfache Maschinen, für die man Stahlteile brauchte. Aber der Gesamt­ bedarf des Napoleonischen Herrschaftsbereichs war um 1811 noch äußerst bescheiden; man berechnete ihn nicht etwa in Millionen Tonnen, sondern kilogramm- oder pfundweise . . .! Später wurde dann allerdings von vielen Krupp-Biographen, erst recht von den Krupps selbst, die Bedeutung des Stahls für das Europa des Jahres 1811 so maßlos übertrieben, wie es zur Glorifizierung des Firmengründers eben nötig war, desgleichen die Höhe der Geldprämie, mit der Napoleon die Erfinder eines Verfahrens, das den Kontinent von der englischen Produktion unabhängig machte, belohnen wollte. Bereits Friedrich Krupps Sohn Alfred behauptete, der Fran­ zosenkaiser hätte eine Million Franken ausgelobt, und in einer markigen Krupp-Biographie aus der Zeit des »Dritten Reiches« ist die Rede von fünftausend Napoleondor, was hunderttausend Franken entsprach. * Doch in Wirklichkeit offerierte der am Stahl offenbar nicht allzu interessierte Kaiser nur kümmerliche viertausend Fran­ ken . . .! Immerhin, auch bloß viertausend Franken waren damals ein * t Franken von 1811 ist etwa zwölf bis fünfzehn Mark heutiger Kaufkraft glcichzusctzen.

stattlicher Betrag, zumal für einen kleinstädtischen Spezerei­ warenhändler mit viel unbeweglichem und wenig flüssigem Ver­ mögen, starkem Geltungsdrang und - infolge des brachliegen­ den Geschäfts - überreichlich viel Muße. Friedrich Krupp be­ schloß also, das Geheimnis des englischen Stahls zu lüften, sich dadurch Ruhm und Ansehen zu erwerben, dazu die Dankbar­ keit der französischen Regierung und den Anspruch auf die Prämie. Und kaum hatte er diesen Entschluß gefaßt und am 20. Sep­ tember 1811 etwas gegründet, das er seine »neue Gußstahlfabrik« zu nennen beliebte, da stellten sich auch sogleich zwei Helfer ein, die genau das zu bieten hatten - mindestens aber zu haben vor­ gaben -, was dem unternehmungslustigen Herrn Friedrich Krupp zur Ausführung seiner Pläne fehlte: Fachkenntnisse und Erfahrung. Ja, sie behaupteten sogar, das zu erforschende Geheimnis bereits zu kennen und imstande zu sein, ein dem besten engli­ schen Stahl völlig gleichwertiges Produkt herzustellen. Das ein­ zige, woran es ihnen gebrach, war das Kapital, das nun einmal zum allmählichen Aufbau einer Produktion großen Stils erfor­ derlich war. Aber damit - es schien eine ungewöhnlich glück­ liche Ergänzung! - konnte ja wiederum der recht begüterte Herr Friedrich Krupp dienen . . . Am 20. November 1811 kam ein Gesellschaftsvertrag zustande, abgeschlossen vor dem »im Großherzogtum Berg für das Canton und Arrondissement Essen angestellten und zu Essen im RheinDepartement wohnenden Notar der zweiten Klasse Theodor Schaumburg«, unterzeichnet von Friedrich Krupp, seines Zei­ chens »patentisierter Kaufmann« zu Essen, und dessen neuen Partnern, den Herren Georg Karl Gottfried und Wilhelm Georg Ludwig von Kechel zu Kechlau, pensionierten Offizieren aus Ansbach, die in nassauisch-oranischen Diensten gestanden hat­ ten. Der zunächst auf zwanzig Jahre geschlossene Vertrag sah vor, daß die adligen und schon in sehr reifem Alter stehenden Frem­ den alle ihre Erfahrungen und praktischen Kenntnisse zur Ver­ fügung stellen sollten, der junge Herr Friedrich Krupp dagegen das erforderliche Kapital zum Bau und Betrieb einer Fabrik »zur Erzeugung von englischem Gußstahl und aller daraus herge­ stellten Waren«. Die zu erwartenden Gewinne waren, nach Rückerstattung der Kruppschen Vorleistungen, zu je einem Drittel zwischen den 55

drei Gesellschaftern zu teilen, und bis zur Rückzahlung aller Vorschüsse blieb die Fabrik samt allem Inventar Eigentum von Friedrich Krupp. Aber danach sollten die Herren von Kechel Miteigentümer von allem werden, was zur Gesellschaft gehörte - jeder Bruder zu einem Drittel . . .* Es lohnt sich, hier für einen Augenblick innezuhalten und darüber nachzudenken, wie es geworden wäre, wenn das Un­ ternehmen den erwarteten Erfolg gehabt hätte: Dann wären nämlich nicht die Krupps, sondern die Herren von Kechel, die gemeinsam über 66,6 Prozent des Gesellschafts­ kapitals verfügt hätten, zu Essener Konzernherren geworden, ohne bis dahin einen einzigen Taler Kapital aufgebracht zu haben. Wahrscheinlich wäre es dann den Erben der Brüder von Kechel ein leichtes gewesen, die Nachkommen Friedrich Krupps ganz auszuschalten. Die logische Folgerung, die sich daraus ziehen läßt, ist für den Firmengründer Friedrich Krupp nicht sehr schmeichelhaft und läßt an seinem unternehmerischen Weitblick zweifeln: Das stolze Unternehmen, das seinen Namen trägt, konnte nämlich Kruppschem Einfluß nur erhalten bleiben, wenn es in den ersten zwanzig Jahren seines Bestehens nicht einmal die Kruppschen Investitionen wieder hereinbrachte . . .!

Indessen scheint weder der noch jugendlich-unerfahrene Krupp noch das (wie wir - in dubio pro reo — unterstellen wollen) in Ehren ergraute Brüderpaar von Kechel so weit gedacht zu haben. Dem Essener Patriziersohn ging es wohl vor allem darum, sich das Air eines großen Fabrikanten und Mäzens der Wissen­ schaft zu geben, um die Aussicht auf raschen Ruhm ohne eigene Anstrengung und gewiß auch um die viertausend Franken, die als Prämie zu verdienen waren, denn Bargeld war damals knapp. Den Herren von Kechel dagegen kam es vor allem auf etwas an, das sich im Gesellschaftsvertrag unter dem Paragraph 16 findet: die bescheidenen Mittel, die nötig sind, wenn man regel­ mäßig essen und im Winter, der schon vor der Tür stand, ein Plätzchen hinter dem Ofen haben will, vornehmer ausgedrückt: »Damit auch die Herren von Kechel sich fördersamst in Stand sehen mögen, ihr Logis, Kost und sonstige Bedürfnisse gehörig zu bestreiten, so solle ihnen aus dem Fabrik-Fond, und zwar jeglichem von ihnen beiden alle Monat und zu Anfang * Der volle Text dieses historischen Vertrages findet sich im Anhang.

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jeglichen Monats, die Summe von dreiundsechzig Franken vier­ undachtzig Centimes (oder zwanzig Reichstaler fünfzig Stüber clevisch) in gemein coursierendem Gelde so lange ausbezahlt werden, bis die Fabrik soviel Gewinst abwirft, um sich davon ernähren zu können . . .« Mit der Aussicht, bereits zehn Tage nach Vertragsabschluß erstmals das nicht gerade üppige, aber für zwei auf Halbsold gesetzte Offiziere geradezu fürstliche Salär von je zwanzig Ta­ lern und fünfzig Stübern * in Empfang nehmen zu können, ver­ sprachen die Herren von Kechel zu Kechlau, ohne mit der Wim­ per zu zucken, »beim jedesmaligen Umschlag des eingelegten Kapitals wenigstens vierzig bis fünfzig Prozent reinen Über­ schuß an Gußstahl zu liefern«, zumindest solange sich die Wett­ bewerbslage auf dem europäischen Festland nicht entscheidend veränderte . . . Das also soll, so behaupten die Legenden, die Geburtsstunde der Firma Fried. Krupp, Gußstahlfabrik zu Essen, gewesen sein im Jahre des Heils 1811! Doch ehe wir ein vorschnelles Urteil fallen, betrachten wir kurz den weiteren Verlauf des an einem trüben Novembertag begonnenen Unternehmens: Kaum waren die drei Herren beim Notar (zweiter Klasse) ge­ wesen, da ließ Friedrich Krupp bei der Buchdruckerei von Baedeker sogleich einen Stoß hochfeiner Prospekte drucken, worin bereits die Preise von »Krupps bestem englischem Stahl« verkündet wurden, auch die Bereitschaft des eben gegründeten Unternehmens, »ganz Europa« mit den edelsten Produkten der Stahlgießerei zu versorgen 1 Zu diesem Zeitpunkt und auch in den folgenden Monaten ver­ fügte die Gesellschaft allerdings erst über sehr bescheidene Fabrikanlagen, genaugenommen nur über einen kleinen Schup­ pen hinter dem alten Haus am Flachsmarkt, das die reiche Groß­ mutter Ascherfeld bewohnt hatte und wo nun der Enkel mit Frau und Tochter eingezogen war. Dieser Schuppen, etwa so groß wie heutzutage eine schmale Einzelgarage, war mit einem gewaltigen Kamin versehen wor­ den, der den wenigen Platz noch mehr beschränkte; allerlei Werk­ zeuge und Materialien, die der eifrige Krupp schon eingekauft hatte, machten den Raum noch enger, und zu dritt blieb den drei Stahlfabrikanten in ihrem Betrieb kaum noch Luft zum Atmen. * nach heutigem Wert etwa 800 Mark.

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Es scheint, daß es selbst den sonst recht kühnen Brüdern von Kechel allzu vermessen erschien, in dieser Rumpelkammer eine Stahlproduktion großen Stils aufziehen zu wollen; vielleicht war es ihnen aber auch nur zu unbequem. Jedenfalls überredeten sie ihren Mäzen und Mitgesellschafter, sich nach geeigneteren Räumlichkeiten umzusehen, und schon wenige Tage später, am 7. Dezember 1811, kaufte Friedrich Krupp von seinem Bruder Wilhelm aus dessen großmütterlicher Erbschaft die alte Walk­ mühle, nur eine Wegstunde nördlich von Essen gelegen. Auch dort waren erst noch umständliche und langwierige Vorarbeiten nötig, ehe man an einen Beginn der Fabrikation denken konnte: Eine Straße mußte angelegt und der BerneBach, der - wenn er nicht gerade versiegt war - das Wasserrad der Walkmühle trieb, mühsam reguliert werden. Alsdann ging man, im Sommer 1812, an den Bau einer zweistöckigen Fabrik mit einem Schmelzraum sowie Tiegel- und Materialkammern im Erdgeschoß und Arbeiterwohnungen im oberen Stockwerk. Das bisherige Häuschen des Müllers wurde für die Herren von Kechel hergerichtet, zu denen sich noch ein »Aufseher« gesellen sollte. Außerdem begann man mit der Auswahl und Einstellung der künftigen Belegschaft und mit dem Heranschaffen gewalti­ ger Rohstoffvorräte: Lehm für die Tiegel, Roheisen, Holz- und Steinkohle . . . Ehe wir uns aber mit dem schließlichen Ergebnis dieser um­ ständlichen und kostspieligen Vorbereitungen befassen, wol­ len wir zweier Ereignisse dieses Jahres 1812 gedenken, die mit der Gußstahlfabrikation der Firma Fried. Krupp wenig zu tun haben. Das erste dieser Ereignisse erfährt in den diversen Darstel­ lungen der Geschichte des Hauses Krupp stets eine mehr als gebührende Würdigung und braucht deshalb nur kurz erwähnt zu werden, zumal weder die Fakten selbst noch ihre Deutung jemals zu Kontroversen Anlaß gegeben haben: Am 26. April 1812 schenkte Frau Therese Krupp einem zwei­ ten Kind das Leben, diesmal einem Knaben. Auf Wunsch des stolzen Vaters erhielt dieser Stammhalter den Namen Alfried, in Erinnerung an den gleichnamigen Bischof von Hildesheim, dem die Stadt Essen ihre Gründung verdanken soll. Taufpaten waren, neben der Großmama Petronella Krupp und Opa Johann Wilhelmi, auch die gut über den Winter gekommenen Mitgesellschafter des Papas, die edlen Herren von Kechel zu Kechlau . . . 36

Das zweite Ereignis des Jahres 1812 bedarf etwas ausführ­ licherer Behandlung, kommt es doch in den meisten Darstel­ lungen entweder erheblich zu kurz oder wird - von KruppHassern - in einem falschen, den Patriotismus der Krupps frag­ würdig machenden Sinn ausgelegt. Der Vorgang selbst ist unkompliziert und wird auch von nie­ mandem bestritten: Am 17. Dezember 1812 wurde Herr Kauf­ mann Friedrich Krupp zum Munizipalrat der Stadt Essen be­ stellt und vereidigt. Diese Berufung in den Stadtrat scheint auf den ersten Blick wahrlich nichts Besonderes zu sein. Schließlich waren ja vordem in jeder Generation mehr als genug Krupps Stadträte, Sekretäre oder Bürgermeister gewesen - warum also nicht auch Fried­ rich? Die Geschichte hat indessen einen kleinen Haken, der im­ merhin groß genug war, die Familie Krupp zu veranlassen, in der von ihrem Hofbiographen Wilhelm Berdrow 1915 heraus­ gegebenen Sammlung, >Friedrich Krupp, der Gründer der Guß­ stahlfabrik, in Briefen und Urkunden^ gerade das auf die Er­ nennung des Firmengründers zum Munizipalrat seiner Heimat­ stadt bezügliche, als solches doch recht schmeichelhafte Do­ kument mit leisem Seufzen wegzulassen, während es jetzt in der historischen Sammlung im kleinen Haus der Villa Hügel mit Stolz gezeigt wird. Warum früher so und heute anders? Nun, das hängt ein bißchen mit der europäischen Geschichte zusammen, die damals recht bewegt war. Essen unterstand bereits seit etlichen Jahren nicht mehr deutschen Autoritäten, weder der Äbtissin des Stifts, das längst säkularisiert, noch dem König von Preußen, der von Napoleon Bonaparte geschlagen und entmachtet worden war, sondern französischen Verwal­ tungsbeamten. Bürgermeister und Rat wurden nicht mehr ge­ wählt, nicht einmal mehr zum Schein, sondern vom kaiserlich französischen Präfekten ernannt. Der Maire, wie der Bürger­ meister nunmehr hieß, und seine Adjoints genannten Beigeord­ neten mußten entweder Franzosen oder zuverlässige deutsche Bonapartisten sein, und natürlich wählte man auch die Stadt­ räte, die nun Conseillers municipaux hießen, nach ihrer Verläß­ lichkeit im Sinne der Besatzungsmacht aus. Solange im Lande Ruhe herrschte, brauchte man die politi­ sche Zuverlässigkeit der Kandidaten nicht allzu genau zu prü­ fen, aber seit sich Widerstand regte, Flugblätter kursierten, die 37

zum Befreiungskampf gegen Napoleon aufriefen, immer mehr zum Dienst in der französischen Armee gepreßte Ausländer desertierten und sogar schon Meutereien gemeldet wurden, waren die Maßstäbe strenger geworden. Umgekehrt nahm unter den Bürgern der deutsche Patriotismus zu und die Neigung, der Besatzungsmacht Handlangerdienste zu leisten, in dem gleichen Maße ab, wie den bislang so glorreichen Franzosenkaiser das Kriegsglück verließ. Das aber war im Spätherbst 1812 in sehr bedrohlichem Maße der Fall: Napoleons Winterfeldzug in Rußland war gescheitert. Ende November, beim Übergang über die Beresina, als der Rückzug der Hauptarmee zur regellosen Flucht wurde, verwandelte sich die anfängliche Skepsis, mit der man in Deutschland die Nach­ richten von der Niederlage der Grande Armée aufgenommen hatte, in die Gewißheit, daß Frankreichs Macht zerbröckelte. Anfang Dezember trafen in Essen erste Nachrichten vom Sieg der Russen über Napoleons Hauptarmee ein; spätestens am 10. Dezember war jedermann über die Katastrophe an der Beresina informiert; in den Wirtshäusern wurde schon eifrig diskutiert, wie lange es noch dauern könnte, bis die Franzosen aus Essen abzögen . . . Unter diesen Umständen war es nicht weiter verwunderlich, daß Monsieur Tabouillot, der damalige Maire von Essen, auf minimales Interesse stieß, als er für einen zurückgetretenen Munizipalrat Ersatz suchte. Die Honoratioren scheuten davor zurück, angesichts der Napoleonischen Niederlage noch zu kollaborieren, und ihre Abneigung verstärkte sich, als sie er­ fuhren, daß mit dem frei gewordenen Posten die heikle Aufgabe verbunden war, für die Einquartierung der französischen Trup­ pen in Essener Bürgerhäusern zu sorgen. Der erste, dem der Maire dieses Amt anbot, lehnte die Beru­ fung ab, und er konnte dabei auf sein hohes Alter und seine an­ gegriffene Gesundheit hinweisen. Auch der zweite wollte nicht: Er war Rechtsanwalt und fürchtete um seine Praxis. Der dritte, der aufgefordert wurde, war Friedrich Krupps Schwager, Friedrich von Müller, der früher einmal preußischer Offizier gewesen war und sich nun damit herausreden konnte, er wäre noch nicht vonseinemeinst dem König geleisteten Eid entbunden. Friedrich Krupp, der vierte auf Maire Tabouillots Kandidaten­ liste, hätte ebenfalls ablehnen können : Ihm fehlten drei Jahre an dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestalter. Aber er verzich­ tete auf jeden Einwand und nahm den Posten freudig an. J»

So erging am 16. Dezember eine »Communicatio-Verfügung der hohen Bezirks-Präfektur«, durch die der »Kaufmann Herr Friedrich Krupp allhier« zum Munizipalrat und Einquartie­ rungs-Kommissär bestellt wurde. Und am nächsten Tag, am 17. Dezember 1812, unterschrieb der offizielle Gründer jenes Unternehmens, das später als »Waffenschmiede des Reiches« die Rüstung gegen den französischen »Erbfeind« lieferte, eine Ver­ pflichtungserklärung und gelobte darin feierlich »Treue Seiner Majestät dem Kaiser der Franzosen, König von Italien und Be­ schützer des Rheinbundes« . . .

Ein Vaterlands Verräter also, wie von Krupp-Feinden hämisch vermerkt wird . . . ? Keineswegs! Und alle Mühe, die von Seiten der Nachkommen, der Hofbiographen und der echten Krupp-Fans darauf verwandt worden ist, das Verhalten des offiziellen Firmengründers in den Jahren 1812/13 zu vertuschen, zu bagatellisieren oder gar in eine heroische, antifranzösische Widerstandshaltung umzufälschen, erweist sich bei näherer Betrachtung als ganz überflüssig, es sei denn, man will gar kein objektives Geschichtsbild, sondern nachträglich nach eigenem Geschmack entworfene Helden­ denkmäler. In Wirklichkeit gab es nämlich damals noch gar kein »Vater­ land«, das Friedrich Krupp hätte verraten können. Nur wenige »eine kleine radikale Minderheit«, wie man heutzutage sagt-fühlten national, träumten von einem geeinten Deutschland oder gar von einem Reich mit demokratischer Verfassung, verabscheu­ ten die fremde Militärdiktatur und riefen zum Widerstand auf. Diese Oppositionellen, Extremisten, Demagogen und Wirr­ köpfe, wie sie zunächst genannt wurden, standen unter der geistigen Führung einiger Professoren, Schriftsteller und Jour­ nalisten, setzten sich vornehmlich aus Studenten und rebelli­ schen jungen Offizieren zusammen und fanden Sympathie weniger bei Honoratioren, saturierten Bürgern und ehrgeizigen Beamten als bei jungen Buchhändlern, Künstlern und schwär­ merischen »höheren Töchtern«. Es ist kaum anzunehmen, daß vor 1811 von diesen revo­ lutionären Strömungen in einer Stadt wie Essen etwas zu spüren war. Im Gegenteil, gerade im Westen Deutschlands hatte man die Franzosen nicht als Feinde, vielmehr als Befreier empfunden, die endlich aufräumten mit den Resten der mittelalterlichen Feudalherrschaft, den Zollschranken, 39

Jagdprivilegien, Ämterkäufen und tausend anderen Miß­ ständen. Später, als Napoleon die republikanischen Freiheiten durch eine straffe administrative Diktatur beseitigte und für seine Kriege immer mehr Geld und Soldaten aus den eroberten Ge­ bieten preßte, schwand die anfängliche Sympathie natürlich dahin. Aber die Masse der Bevölkerung war, wenn sie gegen die Steuerlast, die Einquartierungen und Konskriptionen, die Auswirkungen der Kontinentalsperre oder auch den Übermut des einen oder anderen Besatzungsoffiziers aufmuckte, deshalb noch längst nicht von »vaterländischem Geist« erfüllt! Was be­ deutete denn Patriotismus zu jener Zeit? Konnte sich ein evangelischer Essener Bürger wie Friedrich Krupp vielleicht nach der Rückkehr der Abtissinnen-Herrschaft sehnen ? Sollte er Anhänglichkeit an das längst zusammen­ gebrochene, ohnmächtige Reich des katholischen HabsburgerKaisers im fernen Wien verspüren? Oder mußte er sich als Preuße fühlen, wo sich doch der Preußenkönig selbst mit Napo­ leon verbündet hatte und man zudem gerade an Rhein und Ruhr den preußischen Drill verabscheute? Nein, seine Vaterlandsliebe konnte sich nur auf seine Heimat­ stadt Essen beschränken, allenfalls bergisch-märkisch sein! Und warum sollte eine solche Vaterlandsliebe der Annahme eines Amtes in der französischen Verwaltung Essens entgegen­ stehen . . .? Gegen die Übernahme des ihm vom Maire Tabouillot ange­ botenen Postens sprach eigentlich nur der Zeitpunkt. Es war für einen Essener Bürger jener Zeit nicht etwa unpatriotisch, sondern allenfalls unklug, in die Dienste eines gerade zusammen­ brechenden Regimes zu treten. Und damit sind wir bei dem ein­ zigen Vorwurf, den man Friedrich Krupp machen kann - und dies nicht nur hinsichtlich der Annahme des Stadtratspostens! Er war unbedacht und ließ alle Vernunft fehlen, wenn es seinen Geltungsdrang zu befriedigen galt . . .! Als ein verwöhntes und verhätscheltes Mutter- und Groß­ muttersöhnchen, dem man in seiner Jugend allzuwenig beige­ bracht und allzuviel davon erzählt hatte, wie schön es sei, sich in das gemachte Bett zu legen und als Sproß eines reichgeworde­ nen Patriziergeschlechts ein Herrenleben zu führen, hatte er aus seinen ersten großen Fehlern nichts gelernt. Großmütter, Tan­ ten und Mutter hatten ihre Geldbeutel geöffnet und eilig alle seine Schulden beglichen, und vermutlich fanden sie es auch 4°

noch »himmlisch« (oder wie immer Damen damals sagten), wie herrisch und stolz, wie aufbrausend und arrogant der junge Mann trotz seiner Rückschläge blieb, wie idealistisch und unter­ nehmungsfreudig er war, wie geschickt er sich der Dienste der Herren Offiziere von Kechel versichert hatte und wie rasch er Karriere machte - schon mit fünfundzwanzig Jahren Munizipal­ rat, man denke nur . . .! Im April 1815- der Preußenkönig Friedrich Wilhelm hatte sich schon, voller Angst, aufs falsche Pferd zu setzen, zum Abfall von Napoleon und zum Bündnis mit den siegreich vordringenden Russen bewegen lassen und seinen markigen Aufruf »An Mein Volk!« widerwillig unterzeichnet - war Herr Munizipalrat Friedrich Krupp in Essen gezwungen, sich neben all seinen vielen Verwaltungsaufgaben als napoleonischer Einquartie­ rungskommissar auch noch mit den eigenen Finanzen zu be­ schäftigen. Seine flüssigen Mittel waren völlig erschöpft, und er hatte schon wieder hohe Schulden bei seiner Verwandtschaft. Eine flüchtige Bilanz, die er auf heftiges Drängen seiner Familie, die erst Klarheit haben wollte, ehe sie weiteres Geld herauszurücken geneigt war, mit wenig Begeisterung und viel Mühe aufgestellt hatte, erbrachte ein erschreckendes Resultat: Seit dem Tode der Großmutter hatte er zweiunddreißigtausend Reichstaler ausgegeben, vornehmlich für die Stahlfabrik, da­ gegen nur kümmerliche vierzehnhundert Reichstaler eingenom­ men, meist durch Lagerverkäufe. Angesichts dieser Zahlen und der höchst unsicheren wirt­ schaftlichen und politischen Lage verweigerten die Verwandten die erbetene Anleihe und rieten dem jungen Wirrkopf zur Auf­ gabe des sinnlosen Unternehmens. Spätestens in einem Jahr, vielleicht noch vor dem nächsten Winter, so sagten sie, wäre es mit der Franzosenherrschaft und damit auch mit der Konti­ nentalsperre endgültig vorbei. Dann hätte der gute alte Waren­ handel wieder große Aussichten, und wenn er sich darauf würfe, könnte er hoffen, ihre und seine schrecklichen Verluste eines Tages auszugleichen. Dagegen müßte er mit dem Versuch, Gußstahl zu produzieren, unweigerlich Schiffbruch erleiden, denn selbst im Falle es ihm wirklich gelänge, einen dem engli­ schen gleichwertigen Stahl in ausreichenden Mengen herzustel­ len, käme er damit gewiß zu spät, denn dann wären die weit billige­ ren und besser eingeführten Engländer längst wieder auf dem Markt und gar nicht mehr aus dem Felde zu schlagen . . .

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So sprachen sie, doch der sechsundzwanzigjährige Conseiller municipal (auf Abruf) und Qualitätsstahlfabrikant (in spe) verbat sich solche ketzerischen Reden und verlachte die kleinmütigen Krämerseelen, für die auch Kaiser Napoleon nur Verachtung hätte. Das Kriegsglück werde sich bald wieder wenden, ver­ sicherte er den versammelten Damen und Herren seiner engeren Verwandtschaft. Er, als kaiserlich französischer Beamter und Einquartierungs-Kommissär, hätte da tieferen Einblick und entschieden bessere Informationen, wohl auch größere Befähi­ gung, die Lage sicher zu beurteilen . . .! Zudem wäre er ja wahr­ lich nicht der einzige, der auf die große Zukunft der kontinen­ talen Stahlerzeugung setzte: Des Kaisers Prämie und die bald noch wirksamere Kontinentalsperre, die Sicherheit vor den schurkischen Engländern gewährleistete, hätten ja nicht bloß ihn und die Herren von Kechel dazu verlockt, sich der Stahlfabri­ kation zuzuwenden; auch in Solingen und bei der Gutehoffnungshütte experimentierte man herum, gewiß auch noch an­ derswo . . .! Sollte vielleicht er, der kaiserliche Conseiller Fried­ rich Krupp, dieser armseligen Konkurrenz das große Geschäft überlassen und seine gewaltigen Fabrikanlagen, in die er so viel investiert hatte, gerade in diesem Augenblick schließen, wo der Erfolg schon mit Händen zu greifen wäre . . .? Niemals! Da blickten Therese, sein einfältiges junges Weib, Frau Petro­ nella, seine törichte Mama, und auch die anderen weiblichen Ver­ wandten voller Bewunderung auf ihren so blitzgescheiten, kühnen und willensstarken Friedrich, während die Männer seufzten, die schreckliche Bilanz anstarrten, an ihre hohen Schuldforderungen dachten und den jungen Narren heimlich verfluchten, der von Industrie so wenig verstand wie vom Handel und noch an des Franzosenkaisers Sieg über Rußland glaubte, während die Kosaken schon die Elbe überschritten hatten . . .; der so anmaßend gewesen war, einem alten Kunden, der sich kürzlich nach den Aussichten für eine Wiederauf­ nahme der früheren Handelsbeziehungen erkundigt hatte, großsprecherisch mitzuteilen: »Ich ermangele nicht, Sie hier­ durch zu benachrichtigen, daß, weil ich bei den mißlichen Handlungsverhältnissen kein Gefallen mehr im Spezerei­ geschäft fand, ich solches ganz niedergelegt und auf einem von meinen benachbarten Landgütern eine große Stahlfabrik eta­ bliert habe. Ich lasse jede Sorte Stahl - nur nicht den ganz ordi­ nären -, sondern bloß feinere Sorten, und sogar den sogenann­ ten englischen Gußstahl, der durchaus nicht von dem echt

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englischen zu unterscheiden ist, verfertigen, und werde näch­ stens auch den Rund- und Triebstahl, der jetzt so sehr gesucht ist und von den Uhrmachern nicht entbehrt werden kann, ver­ fertigen lassen können. Meine Anlage ist von der Art, daß ich im Durchschnitt täglich tausend Pfund fertigen Stahl liefere ...« - und das, obwohl die wenigen, die sich dafür interessierten, längst wußten, daß die Tagesproduktion der »Gußstahlfabrik Fried. Krupp«, sofern sie nicht durch Unfälle und anderes Miß­ geschick ganz ausfiel, bequem von einem - nicht mal sehr kräf­ tigen - Arbeiter mit einer Hand auf den Rücken gehievt und leichten Schrittes davongetragen werden konnte; daß selbst die äußerste Kapazität kaum einen Zentner am Tag erreicht hätte und daß auch schwerlich Abnehmer für eine Tagesmenge von tausend Pfund zu finden gewesen wären - ganz abgesehen da­ von, daß es sich bei den Zufallsprodukten der Herren von Kechel nur äußerst selten um Stahl handelte, der »durchaus nicht von dem echt englischen zu unterscheiden« war . . .!

Der junge Friedrich Krupp war also - daran kann kein Zwei­ fel bestehen - ein recht eitler, von Geltungsdrang erfüllter, leichtsinniger und verschwenderischer junger Fant, über dessen Narreteien die Klügeren in der Familie nur deshalb nicht mehr lachen konnten, weil er der ganzen Verwandtschaft schon wie­ der so viele tausend Taler schuldete. Was aber waren die Brüder von Kechel, seine Partner? Die Hofbiographen des Hauses Krupp stempeln sie - und andere, die mit Friedrich Krupp dann noch in Partnerschaft zu treten das zweifelhafte Vergnügen hatten - kurzerhand als elende Schurken und Stümper ab, die einen mit »visionärer Kraft« begabten edlen deutschen Jüngling zwar nicht um die Ehre, aber um ein stolzes Vermögen brachten, ihn durch ihre Schwin­ deleien immer wieder zurückwarfen und Deutschlands ziel­ strebigen Stahlindustriepionier nicht an die Früchte seines Fleißes gelangen ließen. Und selbst die Krupp-Hasser können, da sie nun einmal ein Vorurteil gegen hackenklappende, waffen­ klirrende preußische Junker und Angehörige der Offizierskaste haben, an den Mitbegründern der späteren Kanonenfabrik keine rechte Freude finden . . . Dabei waren die hochedlen Herren von Kechel zu Kechlau, zumindest um die Zeit ihres denkwürdigen Essener Gastspiels, längst keine lohnenden Objekte antimilitärischer Haßgefühle mehr! Die einander mit ungewöhnlicher, fast rührender Liebe 43

und Anhänglichkeit zugetanen Brüder, arm wie Kirchenmäuse, vom Zipperlein geplagt und ohne Bedienstete, dabei sehr um die Reste ihrer Dignität bemüht und von beinahe altjüngferlicher Betulichkeit, fühlten sich in Schlafrock, Nachtmütze und Pan­ toffeln bestimmt weit glücklicher als in Dreispitz, Uniform und Stiefeln, hielten sich eher einen Kanarienvogel als Pferde und beschäftigten sich mehr mit Patience- als mit Generalstabs­ karten. Was das »Geheimnis« des Stahls betraf, so mochten sie sogar subjektiv die Wahrheit gesagt haben, als sie kühn behauptet hatten, es zu besitzen, denn sie waren mit den Grundzügen eines älteren englischen Herstellungsverfahrens einigermaßen ver­ traut. Was ihnen jedoch fehlte, waren die jahrzehntelangen praktischen Erfahrungen, wie sie die englischen Werkmeister hatten. Und erst recht mangelte es ihnen an einem eingespielten Team von gleichfalls langerprobten Facharbeitern, von denen jeder die für sein spezielles Aufgabengebiet wichtigen kleinen Tricks beherrschte, ohne die ein Dauererfolg bloß in der Theorie zu erzielen war. In der Praxis blieb dabei allzu viel dem Zufall überlassen. Bei den damaligen, für heutige Begriffe geradezu abenteuer­ lichen, unglaublich umständlichen und lebensgefährlichen Herstellungs- und äußerst primitiven Prüf- und Meßmethoden 1 mußten sich die Meister im wesentlichen auf ihr »Gefühl« für richtige Mengen und Temperaturen verlassen, und dieses »Gefühl« beruhte wiederum auf langer Routine. Die Herren von Kechel, technisch interessierte Laien, die ihre Kenntnisse vornehmlich einem veralteten Lehrbuch verdank­ ten, experimentierten herum, hörten mal auf diesen, mal auf jenen Rat von Experten anderer, nur entfernt verwandter i Industriezweige, überschätzten die rein zufälligen Erfolge, die sie mitunter erzielen konnten, und vertrauten auf ihr Glück und die Geduld ihres Geldgebers. Der aber hatte, von seiner Familie dazu gedrängt und wohl auch endlich aufgeklärt, wie ungeschickt der Gesellschafts­ vertrag abgefaßt worden war, ein Ultimatum gestellt: Da er selbst keine flüssigen Mittel mehr zur Verfügung hätte und zur Aufnahme neuer Kredite gezwungen wäre, müßten die Herren von Kechel nun schleunigst große Mengen besten englischen Stahls produzieren oder aber aus der Gesellschaft ausscheiden und sich mit einer bloßen Angestelltenrolle begnügen. Das wäre der Wunsch der Familie, dem er sich fügen müßte.

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Den Herren von Kechel, die natürlich nicht im Handumdre­ hen zu produzieren vermochten, was ihnen in all den vergange­ nen Monaten nicht gelungen war,-blieb nichts anderes übrig, als ihre Ausbootung hinzunehmen. Hätten sie sich gesträubt, so wäre der Vertrag von Friedrich Krupp auch ohne ihre Zu­ stimmung gekündigt und die Gesellschaft aufgelöst worden. Eine Klausel im Paragraph 7* bot dazu einen Vorwand, gegen den zu prozessieren den Herren von Kechel nicht nur in finan­ zieller Hinsicht schwergefallen wäre. Friedrich Krupp, nun alleiniger Gesellschafter, bekam dar­ aufhin von der treusorgenden Mutter neues Geld, konnte sich wieder seinen Aufgaben als Einquartierungskommissär wid­ men und ließ im übrigen die ob ihrer Statusverminderung sehr bekümmerten Brüder den ganzen Sommer und Frühherbst hindurch weiterwursteln. Sein Vertrauen, daß es doch noch gelingen müßte, gewaltige Mengen feinsten Stahls zu erzeugen und mit großem Gewinn abzusetzen, war offenbar grenzenlos, ebenso sein Glauben an einen schließlichen Sieg Napoleons. Im weiteren Verlauf des Jahres 1813 sank indessen Bonapar­ tes Stern. Am 18. Oktober wurde er bei Leipzig von den ver­ einigten Armeen der Russen, Österreicher und Preußen ver­ nichtend geschlagen und mußte sich mit den Resten seiner Truppen über Elbe und Rhein nach Frankreich zurückziehen. In Essen marschierten die Preußen ein, doch sie sperrten den Conseiller Krupp, der noch ein paar Tage zuvor mit einem letz­ ten Häuflein frankreichtreuer Bürger die Festung Wesel hatte verteidigen helfen, nicht etwa als Kollaborateur ein, sondern machten ihn zum Land wehr-Adjutanten und Polizeibeauftrag­ ten, beließen ihn auch im Stadtrat, wo er mit Plänen zur Verschö­ nerung und Modernisierung des Städtchens hervortrat, ohne jedoch damit Anklang zu finden, denn die kommunalen Kassen waren ebenso leer wie seine eigenen. Im Frühjahr 1814 ging der Krieg gegen Napoleon weiter. Paris wurde besetzt, der Kaiser zur Abdankung gezwungen und nach Elba verbannt, und damit schwanden alle Hoffnungen Krupps, jemals die Prämie der französischen Regierung zu erhalten. Die Chancen dafür waren ohnehin minimal geworden, denn die Herren von Kechel hatten mit ihren Experimenten noch immer nicht viel mehr Erfolg. Dafür kamen nun gewaltige Mengen feinsten Stahls direkt aus Sheffield auf den deutschen * Siehe Gesellschaftsvertrag im Anhang.

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Markt. Die Engländer, die nach langen Jahren der Kontinental­ sperre dringend Geld brauchten, überschwemmten das Land mit ihren Waren, boten Langentbehrtes zu Schleuderpreisen an und sättigten rasch den gesamten Bedarf. Es wäre für Friedrich Krupp der rechte Augenblick gewesen, einen Schlußstrich zu ziehen, die kostspieligen Experimente zur Ergründung der »Geheimnisse« des englischen Stahls end­ gültig aufzugeben, die Fabrik zu schließen, alles Verwertbare zu verkaufen, auch die städtischen Ämter niederzulegen und sich mit aller Energie wieder ganz allein auf den Warenhandel zu werfen. Doch der inzwischen siebenundzwanzigjährige Fabrikherr und Stadtrat, Landwehr-Adjutant und Polizeikom­ missär war immer noch nicht klug geworden (weshalb denn auch die den Krupps freundlich gesinnten Biographen Friedrichs unerhörte Beharrlichkeit zu loben pflegen, ohne dabei mit Widerspruch rechnen zu müssen, auch gelegentlich seine auf­ opfernde Tätigkeit zum Wohle der Allgemeinheit preisen). Erst im November 1814, nach einem neuerlichen Familien­ rat, der schon mehr einer wütenden Gläubigerversammlung glich, entschloß sich Friedrich Krupp, dem Zorn seiner Sippe ein Opfer zu bringen: Er kündigte den Herren von Kechel fristlos Stellung und Wohnung. Die betulichen alten Herren, immerhin auch die Paten des Stammhalters ihres Prinzipals und Ex-Partners, antworteten auf den sehr barschen schriftlichen Hinauswurf, dem kein Wort der Erklärung vorausgegangen war, mit einem weinerlichen Brief: »Stahlfabrik, den 6. November 1814. Ein so plötzlicher Bruch hat uns von einem Freund, der wie Sie unser Innerstes kennt und dem alle unsere Hoffnungen und Erwartungen unverhohlen sind, äußerst überrascht. Um Sie ganz von der Echtheit unserer Gesinnungen gegen Sie zu überzeugen, haben wir schon vor einiger Zeit uns gegen den Faktor * im Vertrauen erklärt, daß, wenn unsere Gelder von Wetzlar kommen sollten, wir bereit sind, selbige zum Behuf und Aufkommen der Fabrik, woran vorausgesetzt, daß alles zweckmäßig behandelt wird - wir durchaus noch nicht zweifeln, vorzuschießen. Es war übrigens längst unser sehnlichster Wunsch, nach so vielen ausgestande­ nen Weltstürmen, unsere noch wenigen Tage in Ruhe verleben zu können, und diesen Zweck werden wir erreicht haben, sobald wir zu unserer Pension werden gelangt sein. Wir können es * Aufseher

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aber unmöglich glauben, daß es Ihre Absicht ist, uns auf diesen Augenblick in Verlegenheit setzen zu wollen und daß es Ihr wahrer Ernst ist, uns, wie es der Inhalt Ihres Briefes anzuzeigen scheint, auf der Stelle, und bevor wir unsere Angelegenheiten einigermaßen arrangiert haben, wegtreiben zu wollen . . .« Damit verschafften sich die Herren von Kechel aber nur noch eine kurze Galgenfrist. Fünf Tage später wurden sie endgültig vertrieben und verschwanden spurlos. Friedrich Krupp indessen schrieb seinem Vorarbeiter und Aufseher, jenem »Faktor«, dem die Brüder von Kechel ihre Bereitschaft erklärt hatten, ihre zunächst nur erhofften Pensions­ nachzahlungen dem Unternehmen zur Verfügung zu stellen, einen vertraulichen Brief: »In welch unglückliche Lage ich durch die Herren von Kechel gekommen bin«, heißt es darin, »ist Ihnen ja bekannt; ich fühlte mich gestern abend genötigt, diese traurigen Verhält­ nisse nochmals meiner Familie bekanntzumachen, nachdem sie mir fernere Vorschüsse von barem Geld versagte, da ich ihr bereits eine Summe von sechsundzwanzigtausend Reichstalern * verschulde, wozu mein Vermögen, ihr diese wieder zu erstatten, gar nicht mehr hinreicht. - Wie soll das alles noch werden?« Durch den Auszug der Brüder von Kechel verringerte sich die Belegschaft der »Gußstahlfabrik Fried. Krupp« um genau vierzig Prozent, anders ausgedrückt: Es blieben noch drei Arbeiter übrig. Auch konnte nun der später als »Pionier der deutschen Stahlindustrie« gepriesene Fabrikherr seine eigenen Fähigkeiten endlich frei entfalten. Keine Stümper pfuschten ihm mehr ins Handwerk, und ein neues Darlehen hatte ihm die Familie auch noch bewilligt. Doch interessanterweise ver­ suchte er gar nicht erst, jetzt Stahl zu erzeugen, sondern be­ gnügte sich mit ganz gewöhnlichem Eisen. Erst ein gutes halbes Jahr später - Napoleon war von Elba entwischt, auf den Thron von Frankreich zurückgekehrt und hatte gerade die gegen ihn anrückenden Preußen bei Ligny geschlagen - erwachte erneut in Friedrich Krupp die alte Sehn­ sucht, feinsten Stahl herzustellen. Sofort machte er wieder ein paar tausend Taler flüssig und hielt Ausschau nach einem ge­ eigneten, technisch versierten Partner. Das Glück, so schien es, war ihm hold, denn er entdeckte im >Westfälischen Anzeigen ein Inserat, worin sich ein Herr * nach heutigem Wert annähernd eine Million Mark!

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Friedrich Nicolai als »ein sehr nützliches Mitglied der mensch­ lichen Gesellschaft und des Staates« vorstellte, auch ein Patent des Königlich Preußischen Oberbergamts zu haben vorgab, das ihn allein berechtigte, in den Provinzen zwischen Elbe und Rhein Gußstahl nach eigenem Verfahren herzustellen. Das der menschlichen Gesellschaft nach eigenem Zeugnis so nützliche Mitglied war ein preußischer Husaren-Rittmeister außer Diensten. Friedrich nahm eilends mit ihm Verbindung auf und war von Nicolai entzückt. Dieser sehr umgängliche Mann hatte zwar schon alles, was er brauchte, um selbst feinsten Stahl herzustellen: ein behördlich geprüftes Verfahren und sogar eine bedeutende staatliche Kreditzusage! Aber er war dennoch willens und bereit, mit Herrn Friedrich Krupp zusammenzu­ arbeiten. Dem konnte es nun gar nicht schnell genug gehen, den neuen Bund zu besiegeln, und schon am 18. Juli 1815 — Kaiser Napoleon war bereits wieder bei Waterloo vernichtend geschlagen und zur (diesmal endgültigen) Abdankung gezwun­ gen worden - wurde zwischen den Herren Krupp und Nicolai ein Gesellschaftsvertrag geschlossen, dessen Bestimmungen noch um einige Grade phantastischer waren als die des Vertrages zwischen Krupp und den Brüdern von Kechel. Der Herr Rittmeister verpflichtete sich, »ohne nähere Ver­ suche den Gußstahl, ohne daß derselbe mißlingt, gleich von Anfang des Betriebs der Fabrik an, so vollständig zu liefern«, wie es in seiner schönen, erst einige Wochen zuvor erteilten Patentschrift beschrieben war. Das Produkt sollte »die gehöri­ gen Eigenschaften des besten englischen Gußstahls« haben, zu­ dem in der Herstellung nicht mehr kosten als »einen Stüber clevischer Währung per Pfund«. Auch war der Herr Rittmeister Nicolai dazu verpflichtet, die Betriebsausgaben aus eigener Tasche zu bestreiten, wogegen Herr Friedrich Krupp nur seine eventuell noch zu verbessern­ den Fabrikanlagen in die neue Firma einzubringen hatte, die übrigens fortan »Nicolai & Krupp« heißen sollte. Und schließ­ lich gelobten sich beide Partner, sich »wechselseitig die gesam­ melten Erfahrungen und Kenntnisse ohne Rückhalt und be­ stimmt mitzuteilen«. . . Das las sich alles ganz hübsch. Friedrich Krupp war auch, von der schmerzlichen Namensänderung der Firma abgesehen, mit allem sehr zufrieden, aber das lag wohl im wesentlichen daran, daß er die Patentschrift des Rittmeisters nicht aufmerksam genug gelesen oder nicht richtig verstanden hatte, sich vor allem

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über die Auswirkungen des von ihm so eilig unterschriebenen Vertrages in Verbindung mit den Patentbestimmungen über­ haupt nicht im klaren war: Rittmeister Nicolai war nämlich nicht etwa - wie Friedrich Krupp annahm und überall voller Stolz erzählte - allein berech­ tigt, in den preußischen Provinzen zwischen Elbe und Rhein Gußstahl herzustellen; er durfte vielmehr lediglich für sich in Anspruch nehmen, sein Verfahren für sich allein geschützt zu haben. Überdies verpflichtete ihn sein Patent, zunächst die Ge­ nehmigung des Oberbergamtes einzuholen, ehe er an eine ge­ werbliche Nutzung seines geschützten Verfahrens ging, und es bedurfte einer weiteren behördlichen Erlaubnis, sich mit einem Partner ohne Patent zusammenzutun und diesen in das ge­ schützte Verfahren einzuweihen. Tatsächlich erteilte das Oberbergamt erst nach Vertragsab­ schluß der Firma »Nicolai & Krupp« eine - vorläufige - Er­ laubnis, mit der Gußstahlfabrikation zu beginnen. Doch es blieb dem Rittmeister Nicolai untersagt, seinem Partner Ein­ blick in die Produktion zu gewähren. So jedenfalls stellte es Nicolai seinem davon noch mehr beeindruckten Mitgesell­ schafter dar. Friedrich Krupp mußte sich also von der Fabrik fernhalten, was ihn einesteils schmerzte, andererseits aber auch freute, denn es gab ihm reichlich Muße für seine Liebhabereien, Zeit für lange Reden im Stadtrat und wichtige Besprechungen mit ande­ ren Honoratioren, vor allem aber Gelegenheit, sich überall auf­ zuspielen und geheimnisvoll zu tun. Die Um- und Neubauten, die Nicolai an der Walkmühle vor­ nehmen ließ, waren - wie kaum anders zu erwarten - ziemlich kostspielig, und leider war in der Eile versäumt worden, ein­ deutig festzulegen, wer für die Kosten vor Beginn der Produk­ tion aufzukommen hatte: Herr Friedrich Krupp, der eine beXriebtfertige Gußstahlfabrik zur Verfügung stellen mußte, oder der Herr Rittmeister Nicolai, der zur Bestreitung sämtlicher Betriebsausgaben verpflichtet war. Der Rittmeister, der sich inzwischen mit seiner hübschen jungen Frau Antoinette im alten Häuschen neben der Walk­ mühle, aus dem erst der Müller, dann die betagten Herren von Kechel so roh vertrieben worden waren, eine komfortable Wohnung eingerichtet hatte und von dort aus den Fortgang der Um- und Neubauten beobachtete, schickte jedenfalls alle Rech­ nungen an seinen Kompagnon, den Herrn Stadtrat Krupp, und 49

der bezahlte sie schließlich, ein bißchen irritiert zwar, aber noch ohne Mißtrauen. Er konnte sich etwas leichter damit abfinden, wieder einmal alles bezahlen zu müssen, als sich seine Finanzlage zwar nicht grundlegend, aber, was die augenblickliche Liquidität betraf, gerade sehr verbessert hatte: Sein jüngster Bruder, Wilhelm, war nämlich im Oktober 1815, nachdem er schon lange gekränkelt hatte und im Alter von erst fünfundzwanzig Jahren, während eines Kuraufenthaltes in der Nähe von Aachen gestorben. Der junge Mann hinterließ zwar längst nicht mehr das volle Drittel des einst so gewaltigen Vermögens, das ja erst wenige Jahre zu­ vor auch ihm zugefallen war, als die reiche Großmutter Ascher­ feld das Zeitliche gesegnet hatte. Für eine beträchtliche Vermin­ derung seines Erbteils hatten schon Friedrichs Anleihen ge­ sorgt. Auch fiel des immer noch recht wohlhabenden Jünglings Hinterlassenschaft keineswegs an Friedrich, sondern an beider Mutter, Frau Petronella Krupp. Aber bei der Neigung, jedwede Narretei ihres älteren Sohnes »himmlisch« zu finden und blindlings zu finanzieren, kam es im Endeffekt auf dasselbe heraus, ob nun die Mama oder Friedrich erbte. Jedenfalls standen seitdem Herrn Stadtrat Krupp wieder etliche tausend Taler zur Verfügung, und in Erwartung weiterer Zuschüsse der Mutter nahm er dann auch noch Kredite außer­ halb der Familie auf, sogar - wie schmerzlich dies auch immer für die Nachkommen dieses »aufrechten deutschen Mannes« und »Stahl-Pioniers von visionärer Kraft« sein mag - beim Juden Moses. Das Unternehmen »Nicolai & Krupp« hatte, dank der ver­ besserten Finanzlage des Herrn Stadtrats und der raffinierten Taktik des Rittmeisters, ein knappes Dreivierteljahr Bestand, ehe es auf melodramatische Weise unterging: Im April 1816 bemerkte Friedrich Krupp endlich, daß mit Nicolais Verfahren kaum mehr und schon gar nicht Besseres produziert werden konnte als nach den von Kechelschen Metho­ den trüben Angedenkens. Zudem hatte sein Partner zwar tat­ sächlich einige Staatsaufträge erhalten, aber nicht die zugesag­ ten Kredite. Die Aufträge aber nutzten wenig, denn zu ihrer Ausführung fehlte das Entscheidende: guter Stahl. Immerhin hatte der Herr Rittmeister, mit Hilfe der staatlichen Bestellungen, auch seinerseits der Mutter seines Kompagnons bares Geld ent­ lockt, anstatt abzuwarten, bis es ihn auf dem Umweg über Friedrich erreichte.



Anscheinend hatte die Summe aber nicht ausgereicht, davon auch die Arbeiter zu entlohnen, die daraufhin beschlossen, ge­ waltsam gegen den Rittmeister vorzugehen - ob auf Anstiftung Krupps, der gerade erst die wahre Lage erkannt hatte und nun in blinde Wut geraten war, muß dahingestellt bleiben. Der Ritt­ meister jedenfalls gab eine solche Anschuldigung bei der Gen­ darmerie zu Protokoll, und an seinen Partner schrieb er einen Brief, dessen erster Satz als blanker Hohn zu verstehen ist: »Daß ein gegen mich und meine Familie unternommener Meuchelmord fehlgeschlagen ist, wird Sie gewiß recht er­ freuen . . .! Die Sache, welche wir nun unter uns haben, können wir selbst nicht entscheiden, denn keiner kann sein eigener Richter sein. Daher habe ich bei der Höheren Behörde um eine Kommission gebeten, die die Sache prüft. Alsdann wird sich zeigen, wer lügt!« (Der Rittmeister - man mag zu ihm stehen, wie man will unterschied sich jedenfalls, wie dieser Brief deutlich zeigt, im Stil seiner Korrespondenz sehr wohltuend von seinem stets sehr ausfallend werdenden nunmehrigen Ex-Kompagnon Fried­ rich Krupp, der ihm auch in Grammatik und Rechtschreibung unterlegen war . . .)

Weniger von des Rittmeisters elegantem Schreiben beeindruckt als besorgt um Renommee und Vermögen, alarmierte Friedrich Krupp nun Verwandte und Freunde, mobilisierte alle seine »Beziehungen« zu den Behörden, beantragte auch seinerseits eine amtliche Untersuchung und hatte die Genugtuung, daß eine Kommission nach dreitätiger Inspektion der Fabrikations­ anlagen eine Feststellung traf, die seinen eigenen, wenn auch erst sehr späten Verdacht bestätigte: Rittmeister Nicolai wäre unfähig, Gußstahl herzustellen . . .! Es folgte die amtliche Stillegung und Versiegelung der Fabrik und ein langwieriger Prozeß durch drei Instanzen, in dem sich die beiden Ex-Partner gegenseitig die heftigsten Vorwürfe machten. Der Rittmeister, als Husar und zeitweiser Freischärler unter Lützow in sehr beweglicher Kriegführung geübt, zog sich derweilen aus Kruppscher Reichweite zurück. Er hinterließ seinen Troß in Gestalt seiner Frau Antoinette, die er indessen vor Krupps Rache sicher glaubte, denn sie war hochschwanger, lebte mit ihrem Mann in Gütertrennung und war Eigentümerin der Möbel und des Hausrats im Müllerhäuschen. Indessen - und das hat auch den devotesten Hofbiographen der Familie Krupp 5i

zu schaffen gemacht - setzte sich der in seinem Stolz verletzte, um sein Ansehen in Essen mit Recht besorgte Herr Stadtrat nun über alle Konventionen hinweg und stillte seine Revanche­ gelüste, da Nicolai selbst ihm entkommen war, an der vermut­ lich ganz unschuldigen Frau. Er suchte und fand einen Vorwand, sie für das Fiasko mitverantwortlich zu machen: eine einzige Rechnung über dreiundzwanzig Taler, Einkäufe für den Haus­ halt betreffend. »Madame«, schrieb er ihr nun triumphierend, »mein Schwie­ gervater, der Herr Wilhelmi, hat mir zwar schon unterm neunten Juli (des vorangegangenen Jahres) einliegende Rechnung von dreiundzwanzig Reichstalern überschickt, um dafür zu sorgen, daß sie baldigst bezahlt würde, weil Sie auf meine Bürgschaft die Ware von ihm erhalten haben. Die Verhältnisse sind aber jetzt von der Art, daß ich genötigt bin, zu den strengsten Maß­ regeln zu schreiten, wenn der Betrag nicht binnen drei Tagen bezahlt ist. Ich kann alsdann selbst Ihre eigenen mitgebrachten Mobilien nicht schützen, weil Sie sowohl als Ihr Mann an dieser Rechnung Anteil haben, welches Ihnen zur Nachricht dient.« Daraufhin bettelte Frau Antoinette händeringend, »als ver­ lassene Kindbetterin doch nicht vor den Augen der Essendischen Welt exmittieret zu werden«, schickte auch den Pfarrer vor, der sich nachdrücklich für sie einsetzte und um - wenig­ stens vorläufige - Schonung bat. Aber der Ex-Kompagnon ihres Mannes blieb unerbittlich: »Madame«, schrieb er zurück, »Ihr soeben erhaltenes Schrei­ ben zu würdigen, zeige ich Ihnen hierdurch an, daß ich die Klage dem hiesigen Wohllöblichen Land- und Stadtgericht überrei­ chen werde. Sie haben alsdann zu erwarten, daß die Resolution gleich erfolgt und kein Ausstand bewilligt werden kann. Übri­ gens werde ich auch ersten Tags die übrigen, Ihnen bloß aus Gefälligkeit geliehenen Hausmobilien gerichtlich abfordern lassen . . .« Nachdem alle Versuche, Friedrich Krupp umzustimmen, gescheitert waren, entschwanden auch die letzten Nicolais, doch - wenn man den Beteuerungen der Kruppschen Hofchronisten glauben soll - nicht ganz so spurlos wie die alten Herren von Kechel. Krupp-Fans schieben nämlich mit Vorliebe die Schuld an den weiteren Mißerfolgen Friedrich Krupps dem Ehemann der Frau Antoinette zu, der durch seine weitreichenden Bezie­ hungen in der Lage gewesen sein soll, den guten Ruf seines Ex-Kompagnons systematisch zu untergraben und auf diese 52

Weise kleinliche Rache gerade an dem Manne zu nehmen, der sein selbstloser Mäzen gewesen war. Abgewiesene Gesuche um Staatshilfe, verweigerte Kredite, sicher erwartete Aufträge, die dann ausblieben, und schon eingegangene Bestellungen, die zurückgezogen wurden, gekündigte Darlehen, brutales Vor­ gehen vordem sehr geduldiger Gläubiger, kurz, alles Miß­ geschick, das Friedrich Krupp in den folgenden Jahren ereilte, soll vornehmlich auf des Rittmeisters bösartige Verleumdungen seines einstigen Gönners zurückzuführen sein. Das liest sich dann - bei Berdrow - so: ». . . nach einem Jahr ließ Krupp den Betrüger (Nicolai) ent­ larven und von der Walkmühle entfernen. Leider machte er sich dadurch einen Feind, dessen Spuren er noch öfter auf seinem Lebenswege fand . . .« Und auf der Basis der Autorität dieser und ähnlicher Fest­ stellungen des konzerneigenen Hofchronisten geistert der Husa­ renrittmeister durch fast alle Darstellungen der weiteren Miß­ erfolge des »großen Industriepioniers« Friedrich Krupp. Ja, es gibt sogar die interessante, gleichfalls von Berdrow stam­ mende These, daß Friedrich Krupp aller Wahrscheinlichkeit nach selbst und ohne fremde Hilfe erstklassigen Stahl hergestellt hätte, wäre nicht Nicolai dazwischengekommen: »Er - Friedrich Krupp - besaß technisches Verständnis und Gefühl genug, hatte auch die Vorgänge und Neuerungen des Stahlhüttenwesens in der damaligen Literatur genügend ver­ folgt, um die Aufgabe, die er sich gesteckt hatte, selbst zu lösen. Ja, er hätte sie vielleicht noch in demselben Jahre 1814/15 wirk­ lich gelöst, wenn ihm nicht ein unseliger Zufall damals den be­ trügerischen Intriganten Nicolai in den Weg geführt hätte. Ein unglaublich naiver Vertrag fesselte ihn über ein Jahr an diesen eitlen Nichtswisser, ja hinderte ihn am selbständigen Arbeiten in seiner eigenen Fabrik und an der Verwertung der mühsam erworbenen Erfahrung . . .« Es ist kaum anzunehmen, daß solche kühnen Vermutungen im erlauchten Kreise der Krupp-Forscher nicht auf Skepsis gestoßen sind. Berdrow selbst scheint das Gefühl gehabt zu haben, in seiner Schönfärberei vielleicht doch ein bißchen zu weit gegangen zu sein. Doch einer hätte ihm alle Zweifel ge­ nommen, ihm begeistert zugestimmt und ihn sogar bestärkt, wäre er noch in den Genuß der Lektüre des zitierten Werkes gekommen: Friedrich Krupp selbst! Er war bestimmt der felsenfesten Überzeugung, daß nicht er 53

die Kette von Katastrophen und den schließlichen Ruin zu ver­ antworten hätte, sondern nur die anderen: diejenigen, die ihn nicht eindringlich genug gewarnt oder nicht hinreichend unter­ stützt hatten, vor allem aber die Stümper und Schwindler, denen er immer wieder aufgesessen war, und natürlich auch die Intriganten, die ihn verleumdet hatten . . . Die Krupp-Fans und zumal die im Auftrage der Familie am Image des »Firmengründers« fleißig polierenden Hofchronisten haben sehr erfolgreich an der Legende gewoben, Friedrich Krupp wäre erst von den Brüdern von Kechel, dann von Nicolai so gründlich ruiniert worden, daß er nach dem zweiten Fiasko überhaupt keine echte Chance mehr gehabt hätte, sein techni­ sches Genie, seine inzwischen enormen praktischen Erfahrun­ gen und seine ausgereiften, theoretisch perfekten Pläne auszu­ werten. Nur sein »unbezähmbarer Wille« und seine »visionäre Kraft« hätten ihn das Unmögliche noch einmal versuchen lassen. Doch der heroische Jüngling, von kleinmütigen Krämerseelen ge­ hemmt, von elenden Schurken betrogen und von Wucherern bis aufs Mark ausgesogen, wäre schon zum tragischen Schei­ tern unausweichlich verurteilt gewesen . . . Und so kann man ihn einen »Pionier« nennen, der »seiner Zeit weit voraus« war, einen Jung Siegfried, von Fafnir grausam zu Tode gequält, weil er mit bloßen Händen - er war eben, durch Ränke und Tücken gehindert, mit dem Schmieden seines Wun­ derstahls noch nicht fertig geworden - gegen den Drachen kämpfen mußte . . . So schön sind solche Legenden, daß sich selbst eingefleischte Krupp-Hasser davon betören ließen. Doch die Wirklichkeit war entschieden anders: Friedrich Krupp war, als ihm am 15. September 1816 die seit dem Juli stillgelegte und versiegelte neue Gußstahlfabrik zuge­ sprochen und wieder freigegeben wurde, ein Mann von neun­ undzwanzig Jahren, also kein unreifer Jüngling mehr, aber auch bestimmt nicht zu alt, einen dicken Schlußstrich unter sein bis­ heriges, unglaublich törichtes Leben zu ziehen und, durch Schaden klüger geworden, noch einmal ganz von vorn anzu­ fangen. Seine Finanzlage war zwar alles andere als rosig zu nennen er selbst bezifferte seine Schulden zu dieser Zeit auf rund dreißig­ tausend Taler, was nach heutigem Wert einem siebenstelligen

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Markbetrag entspricht aber dennoch war die Situation bei weitem nicht so verzweifelt, wie es die Legendenweber darzu­ stellen belieben. Erstens hatte Friedrich Krupp selbst noch erheblichen Grund­ besitz: neben dem Stadthaus und den beiden Fabrikgrund­ stücken waren ihm die beiden wertvollsten Immobilien aus dem großmütterlichen Erbe, der Niermannshof bei Hordel und der Pfingstmannskotten bei Königsteele, verblieben. Das reichte zusammen beinahe aus, die Schulden zu decken. Zweitens gehörten seiner Mutter, Frau Petronella, noch zwei schöne Stadthäuser; allein das Erbgut der Mama, der Forsthof bei Ratingen, wurde auf einen Wert von zwanzigtausend Reichs­ taler geschätzt. Schwiegervater Wilhelmi war noch weit reicher, allerdings auch erheblich zugeknöpfter. Doch vieles spricht dafür, daß er, wenn er bei seinem Schwiegersohn Einsicht ver­ spürt hätte, zur tatkräftigen Unterstützung eines wirklichen Neubeginns bereit gewesen wäre. Und Schwager von Müller, der das seiner Frau zugefallene Drittel der großmütterlichen Erbschaft verwaltete, hätte erst recht geholfen. (Das alles sind übrigens keine bloßen Vermutungen! Mutter, Schwiegerpapa und Schwager griffen ja dann wirklich sehr tief in die Tasche sie hätten es für einen vernünftigeren Zweck sicherlich noch bereitwilliger getan . . .!) Drittens schließlich war Friedrich Krupp in einer unvergleich­ lich günstigeren Lage als beinahe jeder andere Bürger von Essen mit ähnlichem Mißgeschick, denn er konnte, kaum beeinträch­ tigt von seiner Erfolglosigkeit und Verschuldung, von dem Prestige und dem Goodwill seiner seit Generationen zum Patri­ ziat gehörenden, mit Bürgermeistern und Ratsherren versippten Familie zehren; er saß selbst im Rat der Stadt, gehörte somit zur hohen Obrigkeit und durfte hochmütig auf die kleinen Hand­ werker und Krämer herabblicken, denen er ein paar lumpige Taler schuldete, erst recht auf den Juden Moses, der zwar einer der Hauptgläubiger war, aber gesellschaftlich überhaupt nicht zählte. . . Bei allen diesen Gegebenheiten hätte es selbst einem Mann von noch geringeren Fähigkeiten bei etwas gutem Willen gelin­ gen müssen, rasch wieder auf die Beine zu kommen - und wäre er nur so einsichtig gewesen, wenigstens ein paar Jahre lang den Ratschlägen von Schwiegerpapa und Schwager zu folgen und sich geschäftlich auf keine neuen Abenteuer mehr einzulassen, sein Bedürfnis nach Ruhm durch den Entwurf von Plänen zur 55

Verschönerung des Heimatstädtchens und durch großspreche­ rische Reden im Logenhaus und am Honoratiorentisch zu stil­ len, im übrigen aber abzuwarten und die allmähliche Schulden­ tilgung der Familie zu überlassen. Friedrich Krupp dachte indessen nicht im Traum daran, Rat­ schläge anzunehmen und von Abenteuern abzulassen. Mit leicht vermindertem Aufwand betrieb er weiter, was er seine Stahlfabrikation nannte, und das schlimmste war, daß es ihm schien, als hätte er Erfolg! In Wirklichkeit produzierte er zwar, nach jahrelangem Experimentieren, keineswegs den ersehnten Gußstahl, allenfalls etwas der heimischen Konkurrenz Gleich­ wertiges : kleinste Stäbe für Feilen, später auch einmal eine etwas größere Menge Bajonettstahl, vor allem aber Prägestöcke für die königliche Münze in Düsseldorf. Aber: Umsatz und Gewinn standen in keinem Verhältnis zu den gigantischen Investitionen, und die immer noch recht dilettantisch betriebene »Gußstahl­ fabrik« leistete kaum mehr als eine mittlere Dorfschmiede. Dennoch hätte sich vielleicht damit ein bescheidener Erfolg erzielen lassen, wäre der Herr Fabrikant nicht sogleich wieder übermütig geworden, und zwar in einem Maße, daß man es nur noch grotesk nennen kann, was er trieb: Ohne auch nur das grundlegende Problem des Stahlschmelzens gelöst zu haben, entschloß er sich 1818 zum Bau einer dritten, noch weit größeren Produktionsstätte, die alles in den Schatten stellen sollte, was man je in Essen gesehen hatte! Ein paar hundert Meter vor dem Stadttor ließ er in fast ein­ jähriger Bauzeit ein einstöckiges, langgestrecktes Gebäude er­ richten, direkt an der Berne, deren Wasserkraft den mächtigen Hammer betreiben sollte. Die neue Fabrik, die er mit elf Kami­ nen, zehn Toren und vierundachtzig Fenstern ausstattete, sollte täglich neunzig Pfund Schmiedestahl herstellen können keine sehr eindrucksvolle Menge, wenn man sich erinnert, daß er schon zu den Zeiten der Brüder von Kechel mit mehr als dem Zehnfachen geprahlt hatte! Zur Finanzierung dieses Projekts mußte er sich in neue Schul­ den stürzen, obwohl ihm die Zinsen der alten Verpflichtungen schon schwer genug zu schaffen machten. Auch verkaufte er nun den restlichen Grundbesitz aus seinem großmütterlichen Erbe, überredete seine Mutter, ihr wertvolles Forstgut bei Ratingen weit unter Preis abzugeben und ihm den Erlös zu überlassen, nahm auch Schwager und Schwiegervater in

Anspruch und forderte gleichzeitig, in sehr herrischem Ton, vom preußischen Staat Subventionen an. Im Gegensatz zur Familie, die ächzend zahlte, stellte sich Vater Staat taub. Das Gesuch und alle späteren, nun schon be­ deutend kleinlauteren Bitten um Zuschüsse, Kredite oder wenigstens Aufträge blieben unbeantwortet. In Berlin, anders als in Essen, interessierte man sich überhaupt nicht für die herr­ liche »Gußstahlfabrik« des Herrn Krupp, die außer dem Fehler, daß sie keinen Schmelzstahl erzeugen konnte, noch einen wei­ teren hatte: Ihre Energieversorgung hing von der Berne ab, einem launischen Bach, dessen Tücken Friedrich Krupp eigent­ lich hätten bekannt sein müssen. Gleich im ersten Jahr nach ihrer Fertigstellung kam die neue Fabrik zum Erliegen! Monate­ lang herrschte Dürre, und der zu einem Rinnsal gewordene Bach konnte das Wasserrad nicht treiben . . . In seiner Verzweiflung wandte sich Friedrich Krupp nun, da die preußische Regierung nichts von ihm wissen wollte, mit einer Eingabe an das kaiserlich russische Kabinett. Ausführlich beschrieb er, was er zum Ruhm des Zaren und zum Segen des unterentwickelten Landes zu tun imstande wäre, immer vor­ ausgesetzt, die Petersburger bewilligten ihm entsprechendes Kapital. Wie zu erwarten, zeigte man auch in Rußland kein Interesse an den Vorschlägen des unbekannten Bittstellers aus Essen. . . Der weitere Verfall und schließliche Untergang der Firma war nun nicht mehr aufzuhalten. Eine Kette von Widrigkeiten, die auch einem gesunden Unternehmen schwer zu schaffen gemacht hätten, ließ die »Gußstahlfabrik« in Agonie verfallen: Es gab eine Reihe von schweren Betriebsunfällen; Öfen barsten; eine weitere Trockenperiode unterbrach die ohnehin nur noch mini­ male Produktion, und die wenigen treuen Kunden sprangen ab, als Geldmangel den Fabrikanten zur Verwendung minderwerti­ ger Rohstoffe zwang. Der Umsatz, der angesichts einer sich bessernden Konjunktur eigentlich hätte steil ansteigen müssen, ging immer weiter zurück - wie der Wasserspiegel der Berne in heißen Sommern . . . F riedrich Krupp reagierte aufdiese Rückschläge, die er sich samt und sonders selbst zuzuschreiben hatte, indem er sich kaum noch um das dahinsiechende Unternehmen kümmerte, dafür mit gro­ ßem Elan in die Kommunalpolitik einstieg. Selbst Hofchronist Berdrow spricht bekümmert von »kleinstädtischer Kannegieße­ rei«, fügt dann aber eilig hinzu: »Dennoch schuf Krupp in dieser 57

für seine eigenen Angelegenheiten nutzlosen Zeit noch Gutes für das Gemeinwesen . . .« Als dann seine Verschuldung immer größer und drückender wurde, flüchtete sich der - diesmal in Ermangelung eines Part­ ners um den Sündenbock verlegene - Herr Krupp in die Krank­ heit. Der bis dahin so lebensfrohe Mann von Anfang Dreißig, der im Dezember 1820 zum vierten Male Vater geworden war; der als »Brandoffizier« der freiwilligen Feuerwehr und Mitglied der Straßenbau-Kommission mit immer neuen Projekten auf­ wartete; der am Wirtshaustisch und in der Loge, der er ange­ hörte, als heiterer, etwas großspuriger und mitunter verletzend spöttischer Kumpan bekannt war, begann plötzlich über »Kräfteverzehr« zu klagen, reiste zur Kur in ein fernes Heilbad und legte sich wochen-, monate-, schließlich sogar jahrelang zu Bett. . . Doch nach außen hin hielt er den Schein aufrecht, ein noch immer wohlhabender, nur in vorübergehenden Schwierigkeiten befindlicher Patrizier zu sein. Er ließ sich - obwohl er nur Schul­ den und Verluste hatte - widerspruchslos in eine »standes­ gemäß« hohe Steuerklasse einstufen, und er tat sich auch sonst hervor mit allerlei ganz Überflüssigem, das seine weniger vor­ nehmen Mitbürger dann auch wunschgemäß beeindruckte. Ein Ereignis, das mit der »Gußstahlfabrik« gar nichts und mit Friedrich Krupp nur mittelbar etwas zu tun hatte, brachte in­ dessen diese so mühsam aufrechterhaltene Fassade jäh zum Ein­ sturz, und es entbehrt nicht einer gewissen Tragikomik, daß es sich dabei um eine an sich freudige, familieninterne Angelegen­ heit handelte: Krupps Schwiegervater Wilhelmi, einundsechzig Jahre alt, zehnfacher Opa und seit geraumer Zeit verwitwet, verliebte sich in ein junges Mädchen namens Amalie und entwickelte nun all jene Eigenschaften, die man älteren Herren in solchen Fällen nachsagt. Die Familie nahm es, teils stirnrunzelnd, teils nach­ sichtig lächelnd, zur Kenntnis, hielt aber mit Kritik oder gar mit Vorwürfen weise zurück, sei es, weil der Herr Papa so reich war und man Nachteile für den Erbfall befürchtete, wenn man ihn reizte, sei es, weil man einsichtig genug war, die Aussichts­ losigkeit einer Einmischung zu erkennen. Nicht so Friedrich Krupp! Er hielt es für angebracht, seinem Schwiegervater Vorhaltungen zu machen, und zwar in einer Form, die den alten Herrn so in Harnisch brachte, daß er nicht bloß jede weitere Unterstützung der Phantastereien seines 58

Schwiegersohnes ablehnte, eine erbetene Bürgschaft verwei­ gerte, sogar das bereits geliehene Geld unverzüglich zurückfor­ derte und am Ende einen Titel des Hochwohllöblichen Stadt­ gerichts präsentierte. Der Zahlungsbefehl lautete auf die enorme Summe von vierzehntausendfünfhundert Talern, Ausstand wurde nicht gewährt, und eine Woche später, am 4. Mai 1824, führte Schwiegervater Wilhelmi seine um vierzig Jahre jüngere Amalie triumphierend zum Traualtar, während sein dreister Schwiegersohn nun die Folgen seiner unerwünschten Ein­ mischung zu spüren bekam: Um das Geld aufbringen zu können, das er binnen weniger Tage zu zahlen hatte, mußte er das schöne alte Patrizierhaus am Essener Flachsmarkt, das seit fast einem Jahrhundert in KruppBesitz gewesen war, eilig verkaufen. Mutter Petronella rückte ihre letzten Taler heraus und war gezwungen, ihren städtischen Hausbesitz stark zu belasten; Schwager von Müller gab, was er noch erübrigen konnte, und da alles zusammen noch immer nicht reichte, mußten auch noch fremde Darlehen aufgenom­ men werden. Am schlimmsten jedoch war der Prestigeverlust, den die Räumung des Stammhauses und der Umzug in das Auf­ seherhäuschen neben der Fabrik bedeutete. Friedrich aber ließ auch jetzt das Prahlen noch nicht sein. Selbst guten Freunden gegenüber versuchte er, aus der Not eine Tugend zu machen, und erklärte ihnen, er sei vor die Tore der Stadt gezogen, »teils um meine Gesundheit in freier Luft wiederherzustellen, und teils um an Ort und Stelle das Fabrikationswesen besser und nützlicher betreiben zu können . . .«. Anfangs behielt Friedrich noch ein Stadtbüro bei, das aber auch aufgegeben werden mußte, zumal es niemanden mehr gab, der es benutzte: Den letzten Getreuen, seinen Buchhalter Grevel, warf Friedrich Krupp nach heftigem Streit hinaus, und er selbst legte sich, wohl um eine Krankheit zu dokumentieren, den ganzen Winter über zu Bett. Seine städtischen Ehrenämter hatte er schon 1824 niederlegen müssen. Im folgenden Jahr wurde ihm auf Antrag die Streichung aus der Steuerliste bewilligt, und am 2 8. Oktober 1825 befand eine Deputation von ehrbaren Kaufleuten: »Was die Fabrik des Herrn Fr. Krupp betrifft, so ist es stadtkundig, daß solche seinen Erwar­ tungen nicht entspricht und für jetzt fast betriebslos ist. In Erwä­ gung des § 483 können wir ihn nicht mehr in unserer Klasse der Kaufleute mit Rechten aufführen.« Das bedeutete die - letzten Kredit vernichtende - Streichung aus dem Handelsregister . . .

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Die »Gußstahlfabrik« lag still. In vielen der vierundachtzig Fenster fehlten schon die Scheiben; Unkraut wucherte aus den Fugen, und wie zum Hohn führte die Berne jetzt, da sie kein Wasserrad mehr zu treiben hatte, abwechslungshalber Hoch­ wasser . . . Sieben unregelmäßig und dürftig entlohnte Arbeiter lunger­ ten noch herum: die Belegschaft der »Gußstahlfabrik Friedrich Krupp«, deren Besitzer in der Kammer neben der Wohnküche des Aufseherhäuschens zu Bett lag, an die Decke starrte und an »Kräfteverfall« litt . . . Am Sonntag, dem 8. Oktober 1826, starb Friedrich Krupp, noch keine vierzig Jahre alt, vermutlich an einer Lungenent­ zündung infolge allzu langer Bewegungslosigkeit.

Kartoffeln und Kaffee

Am 20. November 1961 versammelten sich auf dem ausgedehn­ ten Werksgelände der Firma Fried. Krupp zu Essen an der Ruhr in einer eigens für diesen Tag errichteten »Traglufthalle« zwei­ tausend Prominente aus dem In- und Ausland. Sechsundzwanzig Regierungen souveräner Staaten waren durch ihre Außerordentlichen Botschafter und Bevollmächtig­ ten Minister vertreten; weitere Staaten, darunter die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, hatten Gesandte und stellver­ tretende Missionschefs geschickt; die Botschafter der USA, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs von Großbritan­ nien und Nordirland, alle drei sonst häufig beim Hausherrn der »Villa Hügel« zu Gast, fehlten diesmal . . . Parlament und Regierung, Behörden und Wirtschafts verbän­ de, Großbanken und Konzerne der Bundesrepublik waren durch hohe und höchste Würdenträger repräsentiert. Auch Bischöfe, Partei- und sogar Gewerkschafts-Bosse waren herbeigereist, und selbst einige ausgewählte Veteranen aus der zu dieser Zeit hundertzehntausend Köpfe zählenden Belegschaft der Firma Fried. Krupp hatten von ihrem Arbeitgeber Einladungen er­ halten und drängten sich später in der pompösen »Villa Hügel« ans kalte Büfett, gleichrangig mit Multimilliardär Friedrich Flick oder Bankier Robert Pferdmenges. Einige hundert wei­ tere Belegschaftsmitglieder durften Spalier stehen, im Chor jubilieren oder fröhliche Blasmusik erschallen lassen, und allen »Kruppianern«, auch den Zigtausenden, die den Festtag nur aus der Ferne miterleben konnten, war eine erstklassige Mahlzeit nebst Getränken sowie ein zusätzliches steuerfreies Monats­ salär beschert worden. Zu den Festrednern dieses Jubeltages zählten der Altbundes­ präsident, der Präsident des Bundestages und der Vizekanzler, und alle miteinander feierten sie die hundertfünfzigste Wieder­ kehr ausgerechnet des Tages, an dem der damals vierundzwan­ zigjährige kaiserlich französische Munizipalrat Friedrich Krupp jenen ungewöhnlich törichten Vertrag mit den Herren von Kechel zu Kechlau geschlossen hatte, dessen Bestimmungen neben der Sicherung des von Kechelschen Lebensabends - nur zwei Alternativen zuließen: entweder den Ruin des Herrn Krupp und seines Unternehmens oder das Florieren der Firma, die dann

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allerdings zu zwei Dritteln nicht mehr Krupp, sondern dem ed­ len Brüderpaar von Kechel gehört hätte . . . Ebensogut hätte man den so betrüblichen Umzug Friedrich Krupps und der Seinen aus dem stolzen Patrizierhaus am Flachs­ markt in den Aufseherkotten auf dem Fabrikgelände vor den Toren der Stadt nachträglich mit Chorgesang und Trompeten, Festakt und Freibier, Sondergratifikation und Altbundespräsidenten-Laudatio feiern können . . . Übrigens, besagter Kotten, nunmehr »Stammhaus« genannt, wär eigens zur Hundertfünfzigjahrfeier des nun als »Konzern­ gründung« gepriesenen Krupp-Kechel-Pakts originalgetreu wie­ dererrichtet worden, und da stand er nun an der Stirnseite der achtzig Meter langen, fünfunddreißig Meter breiten und fast achtzehn Meter hohen »Traglufthalle«, flankiert von einer Ehrengarde schwarzuniformierter Knappen, vor den langen Sesselreihen der zweitausend illustren Gäste. Die wären sicherlich nicht einmal sonderlich verwundert ge­ wesen, wenn im Rahmen dieser großartig inszenierten KruppJubiläums-Revue - vielleicht als Einlage nach der Festrede des BDI-Präsidenten Fritz Berg, der dem Gastgeber versicherte: »Es ist unsere Ehrenpflicht, des Opfers, das Sie damals brachten, zu gedenken!« — nun auch noch eine Bahre mit dem durch jahre­ langes An-die-Decke-Starren geschwächten Stahlpionier und Firmengründer aus dem Kotten und durch ein Spalier ehrfürch­ tig schweigender Gläubiger zum nahen Turmhaus getragen worden wäre, das ganze musikalisch untermalt von zwei Berg­ manns-Kapellen mit der alten Weise vom guten Kameraden . . .

In Wirklichkeit hatte, hundertfünfunddreißig Jahre und einige Tage vor diesem Jubeltag, niemand in Essen und Umgebung den Eindruck, daß mit dem Hinscheiden des früheren Muni­ zipalrats und aus Steuerliste und Handelsregister längst gestri­ chenen Kaufmanns Friedrich Krupp den Seinen ein nennens­ werter Verlust entstanden wäre. Auch die nächsten Angehörigen selbst scheinen nicht eben von Trauer überwältigt gewesen zu sein. Die Todesanzeigen, die sie verschickten, waren eher sachliche Geschäftsmitteilun­ gen: Die Witwe, Frau Therese Krupp geborene Wilhelmi, beeilte sich, den wenigen Kunden zu versichern, daß durch das frühe Hinscheiden ihres Gatten »das Geheimnis der Be­ reitung des Gußstahls nicht verloren, sondern durch seine Vorsorge auf unseren ältesten Sohn, der unter seiner Lei­

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tung schon einige Zeit der Fabrik vorgestanden, übergegangen * ist«. Genau wie die Witwe, so hielten es später auch die konzern­ eigenen Hofbiographen und die aus patriotischem Eifer zu jeder nur denkbaren Heroisierung bereiten Krupp-Fans: Über den gerade sanft entschlafenen Friedrich verloren sie nicht mehr viele Worte. Er hatte als »Firmengründer« und »Stahlpionier« seine Pflicht getan. Nun hieß es, den nächsten Krupp feiern ! So lassen denn die Krupp-Legenden den ältesten Sohn keine Minute mit nutzloser Trauer vergeuden. Unverzüglich macht er sich noch am Tage der Beerdigung des Vaters an die Vollen­ dung des Werkes, das keine Unterbrechung erfahren darf. Wo die physische Kraft des genialen Friedrich nicht mehr ausgereicht hatte, da reißt nun Alfried, ** der Sohn und Erbe, die kleinmüti­ gen Verwandten, Freunde und Mitarbeiter des verblichenen Vaters aus ihrer Verzweiflung, spornt sie zu neuen Höchstlei­ stungen an und führt sie schließlich zum Sieg. Natürlich dauert es ein paar Jahre, bis der Triumph endgültig errungen ist. Aber: Des Vaters Fackel, sie ist nicht erloschen! Die Kontinuität ist erwiesen. Die vom genialen Firmengründer mit visionärer Kraft durch alle Fährnisse gesteuerte Gußstahl­ fabrik wird von Alfried, dem rechtmäßigen Erben, intakt über­ nommen und ohne nennenswerte fremde Hilfe rasch und ziel­ strebig zu schier unglaublichen Erfolgen geführt. Essens ältestes und reichstes Patriziergeschlecht kommt zu neuem, noch weit höherem Ansehen - allen Widersachern, Wucherern, Verleum­ dern und schurkischen Betrügern zum Trotz! Und unter dem strahlendblauen Himmel des Ruhrreviers reitet auf feurigem Schimmel der siegreiche Jüngling stolz erhobenen Hauptes durch das Spalier seiner überglücklichen Arbeiter. Tausende und aber Tausende von Essener Bürgern jubeln ihm zu, wo immer er sich zeigt, und dem jugendlichen Helden ist es, als höre er Urgroßmutter Amélia Krupp née Ascherfeld zufrieden auf die wieder pralle Geldkatze klopfen und triumphierend flüstern: »Und ihr habt doch gesiegt . . . !« Ach, es ist eine schöne Geschichte, hervorragend geeignet als Fibeltext für das sechste bis siebente Schuljahr - nur stimmt sie leider überhaupt nicht, sowenig wie der Witwe Therese geborenen Wilhelmi Mitteilungen an die Reste der Kund­ schaft über das Hinscheiden ihres Gatten und die Weiterführung • Ein Beispiel eines solchen Briefes befindet sich im Dokumentenanhang. ** Erst später nannte er sich h\fred.

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der Firma durch den ältesten Sohn und Erben, der »schon einige Zeit der Fabrik vorgestanden . . .«! Um mit der geringfügigsten Abweichung von der Wahrheit an­ zufangen: Weder Jung Alfried noch seine Geschwister können als Erben der »Gußstahlfabrik« bezeichnet werden, da die Mutter den Rat kluger Verwandter befolgte und für die Kinder die ja im wesentlichen nur aus Schulden bestehende Erbschaft ausschlug. Das konnte sie nämlich ohne weiteres, denn alle vier legiti­ men Nachkommen des gerade - und durchaus im eigentlichen Sinne des Wortes - entschlafenen Herrn Gußstahlfabrikanten Friedrich Krupp waren zum Zeitpunkt des Ablebens ihres Er­ zeugers noch minderjährig: Der jüngste Sohn, Fritz, war erst sechs Jahre alt; sein nächstältester Bruder, Hermann, hatte im Januar 1826 seinen zwölften Geburtstag gefeiert; die Älteste der Geschwister, Ida, zählte gerade siebzehn Lenze, ja, und Al­ fried, der angeblich vom Vater noch rechtzeitig in das »Geheim­ nis der Bereitung des Gußstahls« eingeweihte und von ihm sogar »schon einige Zeit« mit der Unternehmensleitung betraute Kronprinz, war - es läßt sich nicht ableugnen, auch wenn ihn die Legenden als einen erfahrenen, ernsten und in den Stürmen der Notjahre gereiften jungen Mann darzustellen versuchen auch nur ein bläßlicher Knabe von vierzehn Jahren . . .! Es wäre indessen ungerecht, bezeichnete man seine Mutter, die einfältige, gerade sechsunddreißigjährige Witwe Therese, wegen der äußerst kühnen Behauptungen, die sie in den Todesanzeigen aufstellte, schlicht als eine Schwindlerin. Was in ihrem Namen verbreitet wurde, stammte nämlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gar nicht von ihr - weder in den Formulie­ rungen noch in der Niederschrift und höchstwahrscheinlich nicht einmal dem Inhalt nach! Frau Therese Krupp wäre stilistisch wie orthographisch überfordert gewesen, von den Strapazen des Er­ sinnens jener Halb- und Viertelwahrheiten ganz zu schweigen, hätte sie selbst die Todesanzeigen aufsetzen oder gar ins reine schreiben müssen. Sie und auch ihre beiden Schwestern hatten, obwohl sie doch die Töchter des steinreichen Kaufmanns Wilhelmi waren, eine ungewöhnlich dürftige Schulbildung erhalten. Noch im Jahre 1817, als Therese immerhin schon beinahe ein Jahrzehnt lang mit dem Herrn Munizipalrat Krupp verheiratet war, mußte sich dieser von seinem Schwager Schulz die säuerliche Bemerkung gefallen lassen, die Wilhelmi-Töchter wären zwar »in häuslichen und sittlichen Tugenden gut erzogen worden . . . aber ihre

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Geistesbildung - die wissenschaftliche - blieb zurück. Nicht einmal ihre Muttersprache, die deutsche, können sie richtig spre­ chen, noch weniger richtig schreiben . . .!« Der beckmessernde Schwager fügte hinzu, daß er selbst - im Gegensatz zu Krupp - seiner eigenen ungebildeten Frau inzwi­ schen einiges beigebracht hätte. »Warum bemühst du dich in dieser Rücksicht nicht ein wenig mit deiner Therese?« fuhr er vorwurfsvoll fort. »Es ist ja keine Gelehrsamkeit, was ich hier meine; heutzutage gibt es nicht wenige Kinder geringeren Stan­ des als unsere Frauen, sogar Bauernkinder, die richtig sprechen und schreiben . . .« Nun, der Schwager Munizipalrat und Gußstahlfabrikant hatte offenbar, ehe er sich zu jahrelangem An-die-Decke-Starren und schließlichem Sterben niederlegte, keine Zeit - oder keine Lustgehabt, seiner Therese einigermaßen richtiges Deutsch beizu­ bringen. Vielleicht hätten auch seine eigenen Fähigkeiten dazu gar nicht ausgereicht. Nun war es jedenfalls zu spät für eheliche Deutsch-Lektionen, und anstelle seiner Witwe hatte ein anderer die Todesanzeigen aufsetzen und schreiben müssen - vermutlich der kritische Schwager Schulz oder Christian Friedrich von Müller, der Ehemann von Friedrich Krupps Schwester Helene. Beide Schwäger Thereses nahmen sich nach dem Tode Fried­ rich Krupps seiner ihres Ehemannes und Vaters, wenn auch kaum ihres Ernährers beraubten Hinterbliebenen an, und ohne ihre wohlmeinenden Ratschläge und häufigen Geldzuwendun­ gen wären die ziemlich hilflose Witwe und ihre vier unmündigen Kinder schwerlich imstande gewesen, ihr Leben zu fristen, ge­ schweige denn weiterhin die Fiktion aufrechtzuerhalten, sie wären immer noch zur kleinstädtischen Oberschicht gehörige, nur durch widrige Umstände vorübergehend ein wenig in Schwierigkeiten geratene Fabrikanten. Thereses Vater, der reiche alte Wilhelmi, der im Honigmond seiner zweiten Ehe mit einem attraktiven Twen schwelgte, blieb dagegen auch weiterhin sehr zugeknöpft und rückte nur in dringendsten Notfällen widerstrebend ein paar Taler heraus, und auch die nur leihweise und gegen neue Schuldscheine. Es war eine sehr bittere Zeit für- die Krupps, vor allem für den jungen Alfried, dem die Mama die väterliche »Gußstahl­ fabrik« aufgehalst hatte. »Ich sollte laut Testament * für Rech­ nung meiner Mutter die Fabrik fortsetzen, ohne Kenntnis, * In Wirklichkeit enthält Friedrich Knipps kurz vor seinem Tode aufgesetztes Testament - siehe Doku­ mentenanhang - kein Wort darüber, daß Alfried das Unternehmen fortzusetzen habe.

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Erfahrung, Kraft, Mittel und Kredit«, so erzählte er später. »Von meinem vierzehnten Jahre an hatte ich die Sorgen eines Familienvaters und die Arbeit bei Tage, des Nachts Grübeln, wie die Schwierigkeiten zu überwinden wären. Bei schwerer Arbeit, oft Nächte hindurch, lebte ich oft bloß von Kartoffeln, Kaffee, Butter und Brot, ohne Fleisch, mit dem Ernst eines be­ drängten Familienvaters . . .« Aber trotz aller Anstrengungen des noch pubertären Fabrikan­ ten und seiner fünf, zeitweise auch sieben karg und unregelmäßig entlohnten Arbeiter brachte der sich weiter verringernde Um­ satz dem winzigen Unternehmen keinerlei Gewinn ein, ja, die Bilanzen der ersten vier Jahre nach dem Tode des Vaters wiesen nur neue Verluste aus . . .1 So drängt sich einem geradezu die Frage auf, was die Familie wohl dazu bewogen haben mag, trotz aller Enttäuschungen der Vergangenheit, die nutzlosen Anstrengungen des verstorbenen Vaters verbissen fortzusetzen und dabei, was den armen Alfried betraf, auch noch so zu tun, als hätte der Junge »schon seit einiger Zeit« dem Betrieb vorgestanden, wäre vom Vater zum Nachfolger in der Unternehmensleitung bestimmt und in das »Geheimnis« der Gußstahlerzeugung eingeweiht worden, im übrigen auch durchaus imstande, die Fabrik erfolgreich weiter­ zuführen und Kalkulation, Buchführung, Ein- und Verkauf sowie die Kontrolle aller Phasen der Produktion allein zu besor­ gen. Die Antwort auf diese Frage lautet natürlich: Die Krupps hielten diese Fiktionen aufrecht, weil sie Angst vor weiterem Prestigeverlust und sozialem Abstieg hatten . . .! Es war ja eine winzige Stadt, in der die Familie lebte - Essen zählte um diese Zeit immer noch erst knapp fünftausend Einwohner! -, und die Krupps hatten dort zweieinhalb Jahrhunderte lang zur wohlha­ benden Oberschicht gehört. Seit Menschengedenken war es den Männern erspart geblieben, körperliche Arbeit zu verrichten oder gar gegen kargen Lohn für andere zu schuften. Auch ihre Frauen hatten niemals selbst mit Hand anlegen müssen, waren von knicksenden Mägden mit »gnädige Frau« angeredet und eifrig bedient worden. Und ihre Kinder waren zur Schule ge­ gangen, hatten als Teenager das Leben junger Herren und Da­ men geführt, niemals Hunger und Elend gekannt und - je nach Laune und Charakter - mitleidsvoll, gleichgültig oder hoch­ näsig herabgeschaut auf die Masse der Gleichaltrigen, die blaß und zerlumpt um Arbeit betteln mußten.

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Kinderarbeit war - außer in den sogenannten besseren Krei­ sen - seit eh und je eine Selbstverständlichkeit gewesen, aber just um diese Zeit nahm sie neue, grausige Formen an. Hatten bis dahin die Söhne und Töchter der ärmeren Bauern, Hand­ werker und Gewerbetreibenden schon als Kinder, wenn auch meist nur im elterlichen Betrieb, kräftig mithelfen müssen, so brachte die beginnende Industrialisierung die zahlreiche Nach­ kommenschaft der wirtschaftlich Schwächsten bereits in zarte­ stem Alter in die Fabriken, Hütten und Bergwerke. Das Ausmaß ihrer Fron wird andeutungsweise erkennbar, wenn auch nur in sanften Umrissen, aus dem königlich preußi­ schen Fabrik-Regulativ vom 9. März 1839. Es wurde - mehr als zwölf Jahre nach dem Tode Friedrich Krupps - von Lehrern, Ärzten und wohlmeinenden Beamten als außerordentlicher Fortschritt gepriesen. Der königliche Erlaß, der auch für die Berg- und Hüttenwerke galt, verfolgte das löbliche Ziel, die Kinderarbeit »auf ein vernünftiges Maß« zu beschränken, übri­ gens weniger aus humanitären Gründen als vielmehr im Inter­ esse der Wehrkraft-Erhaltung. Denn - so hatte der General von Horn nach eingehenden Studien des »Rekrutenmaterials« dem König sorgenvoll berichtet - ein wachsender Prozentsatz der für den Heeresdienst Gemusterten erwies sich als körperlich »entartet« und damit untauglich, und dies vornehmlich infolge Unterernährung sowie allzu früher und schwerer Fabrikarbeit. So wurde denn angeordnet, daß Kinder künftig erst nach Vollendung ihres neunten Lebensjahres und nur noch höchstens zehn Stunden täglich in den Manufakturen, Hütten und Zechen beschäftigt werden dürften . . . Erst vor diesem Hintergrund der Kinderarbeit in den Fabri­ ken, die von den gehobenen Schichten keineswegs als grausam, vielmehr als eine notwendige, dem Proletariat von Gott auf­ erlegte Prüfung und nur für Sprößlinge verarmter Bürgerfami­ lien als unschicklich und endgültig deklassierend angesehen wurde, wird es begreiflich, warum die Krupps nebst Anver­ wandtschaft so ängstlich darauf bedacht waren, Außenstehenden den Eindruck zu vermitteln, ihr kleiner Alfried hätte nicht schon - wie es doch in Wirklichkeit gewesen war - mit dreizehn Jahren einen der entlassenen Fabrikarbeiter seines Vaters erset­ zen müssen, sondern wäre nur von der Schule genommen wor­ den, damit er für den erkrankten Papa im florierenden Betrieb ein wenig nach dem Rechten sehen konnte - eine Aufgabe, die einem jungen Herrn wohl anstand . . .

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Ebenso sorgsam wurde vertuscht, daß sich Ida, die Älteste der Krupps, mit knapp fünfzehn Jahren fern von Essen als Kinder­ mädchen hatte verdingen müssen, damit daheim ein Esser weniger am Tisch wäre, und daß sie erst nach dem Tode des Vaters von den über solche Standeswidrigkeit entrüsteten Ver­ wandten eilig zurückgerufen worden war . . . Der Anschein, daß man nach wie vor zur Essener Oberschicht gehörte, mußte eben um jeden Preis aufrechterhalten werden. Das hatte schon Friedrich Krupp vorexerziert, als er nach dem traurigen Auszug aus dem schönen alten Patrizierhaus am Flachsmarkt und der Übersiedlung in den Aufseherkotten neben der Fabrik selbst guten Freunden gegenüber stolz behauptet hatte, dies sei nur geschehen, »teils, um meine Gesundheit in freier Luft wieder­ herzustellen, und teils, um an Ort und Stelle das Fabrikations­ wesen besser und nützlicher betreiben zu können . . .« Dieses krampfhafte Festhalten an einem gesellschaftlichen Pre­ stige, dem die wirtschaftlichen Grundlagen längst fehlten, erklärt auch, warum die Familie selbst nach dem Tode Friedrich Krupps sein ruinöses Unternehmen fortsetzen zu müssen vermeinte, ob­ wohl die »Gußstahlfabrik« doch nur Verluste einbrachte. Gewiß, es kostete viel Geld, den Anschein eines zwar nicht gerade blü­ henden, aber immerhin weiterexistierenden Betriebs aufrechtzu­ erhalten. Doch auf diese Weise blieb der Frau Fabrikanten-Witwe Therese und ihren Kindern der Abstieg zur namenlosen Masse, zur besitzlosen Plebs erspart, ihren Anverwandten die Schande, Handlanger und Mägde zu Neffen und Nichten zu haben . . . Nur wenn man sich dies alles vergegenwärtigt, wird man be­ greifen können, warum die Schwäger - und natürlich auch Groß­ mutter Petronella Krupp - wider alle Vernunft immer neue Darlehen gewährten und Bürgschaften leisteten. Und man wird zu ahnen beginnen, welche Alpträume den vierzehnjährigen Alfried plagten; wie die Angst ihn ergriff und zeitlebens nicht mehr losließ, er könnte genauso erbärmlich versagen und scheitern wie sein Vater . . . Indessen behielten Alfried und auch die anderen Familienmit­ glieder ihre Ängste und Sorgen still für sich. Nach außen hin gaben sie sich unbekümmert, stolz, ja hochfahrend. Der blasse, dünne, hochgeschossene Junge, der sich zu Hause nicht einmal an Kartoffeln satt essen konnte, verlangte auch von dem ältesten der Schmiede seines Vaters, mit »Herr Krupp« angeredet und durch artiges Abnehmen der Kopfbedeckung geehrt zu werden, wie es einem Fabrikherrn zukam. 68

Eine ihrer verzweifelten Lage entsprechende Demut legten die Krupps nur gegenüber der hohen Behörde an den Tag, wenn sie - wie es mit schöner Regelmäßigkeit geschah - Bitt­ gesuche an den König richteten, er möge ihnen »durch aller­ gnädigste Bewilligung eines zinsenfreien Vorschusses von fünf­ zehntausend Talern . . . allergnädigst landesväterlich aufhelfen«. Solche Petitionen, die übrigens samt und sonders abschlägig beschieden wurden, schilderten die Not einer Witwe, »welche nicht imstande ist, die von ihrem verstorbenen Gatten unter vielen widrigen Schicksalen errichtete Gußstahlfabrik, von de­ ren Fortbestehen ihre und ihrer vier Kinder Existenz abhängt, ohne die landesväterliche Hilfe und Unterstützung Ew. König­ lichen Majestät ferner zu erhalten«, priesen den Nutzen besag­ ter Fabrik, »wenn sie in Flor kommen wird«, und schlossen stets mit Appellen an »die Gerechtigkeitsliebe wie an die Milde Ew. Königl. Majestät« mit dezenten Hinweisen darauf, daß »ein dem Rittmeister Nicolai vom Staate verliehenes Privile­ gium auf Verfertigung des Gußstahls die Hauptursache ge­ wesen ist, daß mein verstorbener Gatte sein bedeutendes Ver­ mögen verloren hat und der Flor der Fabrik unterbrochen worden ist«. * Die hohen Behörden und - falls er die Gesuche überhaupt je zu Gesicht bekommen haben sollte - auch der König reagierten darauf, wie schon erwähnt, mit kühler Ablehnung. Weder be­ eindruckte sie die Not der Witwe Krupp und ihrer vier unmün­ digen Kinder noch lockte sie die in Aussicht gestellte Nützlich­ keit, die die Gußstahlfabrik, »wenn sie in Flor kommen wird«, für das Königreich Preußen haben könnte. Und erst recht nicht rührten sie die Hinweise auf die angebliche Verantwortlichkeit des preußischen Staates für den finanziellen Ruin der Essener Familie (auf dem Umweg über die Verleihung eines - von Herrn Friedrich Krupp gründlich mißverstandenen - Patents an den Rittmeister Nicolai). Man interessierte sich in Berlin überhaupt nicht für die Schwierigkeiten der winzigen und aus den Steuerlisten längst gestrichenen Firma, die viel zu unbedeutend war, als daß es sich gelohnt hätte, an die Bewilligung eines Staatskredits auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Wo wäre man hingekommen, wenn man jeder besseren Dorf­ schmiede ein paar tausend Taler »Vorschuß« gewährt hätte, * Der volle Text einer solchen Bittschrift findet sich im Dokumentenanhang.

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damit sie von Ignoranten in höchst zweifelhaften Experimenten vergeudet werden könnten? Was scherten die königlich preußische Regierung die Schul­ den und gar erst die lächerlichen Prestige-Sorgen einer jungen Witwe aus der Provinz? Und womit hätten die Krupps in Essen verdient, vom aller­ gnädigsten Landesherrn huldvoll mit fünfzehntausend Talern Vorschuß belohnt zu werden? Vermutlich glaubten die Krupps selbst nicht an die Möglich­ keit der Bewilligung eines Staatskredits, sondern reichten die Gesuche nur ein, um den sie bedrängenden Gläubigern erzählen zu können, sie erwarteten bald einen gewaltigen Vorschuß aus der königlichen Kasse. Dafür, daß die Bittsteller ihre Kredit­ anträge nur zu diesem Zweck einreichten und gar nicht ernst­ lich mit einem Erfolg ihrer Bemühungen rechnen konnten, spricht eine einfache Überlegung: Keine Staatskasse der Welt - und ganz besonders nicht die des Königreichs Preußen, eines perfekten Polizeistaates - hätte einem völlig unbekannten Unternehmen große Kredite gewährt, ohne vorher sehr genaue Erkundigungen einzuholen. Ja, und was hätten die örtlichen Behörden, von höchster Stelle um Aus­ kunft über die »Gußstahlfabrik Friedr. Krupp« ersucht, berichten müssen? Leider nichts anderes, als daß der kleine Betrieb seit Jahren praktisch Stillstände; daß sein verstorbener Inhaber aus Handels- und Steuerregister hätte gestrichen werden müssen; daß nun sein Sohn, ein vierzehnjähriger Junge, mit Hilfe der letzten noch verbliebenen Hilfskräfte bemüht wäre, allwöchent­ lich ein paar Pfund Stahl von sehr unterschiedlicher Güte zu gießen und daraus Münzstempel, Sägeblätter und allerlei ein­ faches Werkzeug herzustellen; daß der kleine Betrieb weiterhin mit Verlust arbeitete, außerdem von der Wasserkraft der Berne abhängig und damit allen Launen dieses oftmals und dann monatelang versiegenden, mitunter auch reißendes Hochwasser führenden Baches unterworfen wäre; daß die Krupps, einst recht vermögende Leute, seit vielen Jahren nichts als Schulden hätten, von der Barmherzigkeit einiger gutmütiger Verwandter lebten und von dem Vater der Witwe, einem wohlhabenden Kaufmann, der aber seiner Tochter samt den Enkelkindern jeden weiteren Kredit gesperrt hätte, als einfältige, hochnäsige und halsstarrige Narren bezeichnet worden wären. Auch ihre politische Zuverlässigkeit müßte fraglich erschei­ nen: Der verstorbene Friedrich Krupp wäre bis zuletzt ein



Anhänger des Usurpators Bonaparte gewesen, hätte sich häufig in antipreußischem Sinne geäußert und sogar öffentlich erklärt, er werde, da die Regierung in Berlin offenbar zu beschränkt sei, den Wert seiner einzigartigen Produktionsverfahren zu erken­ nen, für sich und die Seinen ein besseres Vaterland suchen, mög­ licherweise Rußland . . . Angesichts solcher, durchaus wahrheitsgemäßer Auskünfte hätte dann die hohe Behörde in Berlin die Kreditgesuche der Witwe Krupp entrüstet abgewiesen. Doch man machte sich gar nicht erst die Mühe, amtliche Ermittlungen anzustellen. Irgendein Hilfsreferent las die jeweilige Bittschrift flüchtig durch, blätterte womöglich auch noch in den zahlreichen An­ lagen, entwarf dann für seinen Vorgesetzten ein kurzes, not­ dürftig begründetes Ablehnungsschreiben, das dieser, wenn sich auf dem Vorgang genügend Staub angesammelt hatte, ungelesen unterzeichnete. Alsdann wurden Bittschrift, Anlagen und Kopie des Antwortschreibens sorgfältig zu den Akten irgendeiner Registratur genommen, wo schon die früheren Petitionen aus Essen vergilbten . . . Nein, man wollte in Berlin von den Gußstahlexperimenten des Essener Sechs-Mann-Betriebs nichts wissen, staatliche Sub­ ventionierung nicht einmal erwägen, und das nicht etwa bloß aus Unverstand und Borniertheit. Es gab wirklich gute Gründe, die Unterstützung zu versagen: Erstens war der Stahlbedarf Preußens gering und eine wesent­ liche Steigerung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten; zweitens bestand nicht die geringste Gefahr, von den Quali­ tätsstahllieferungen der britischen Produzenten wieder, wie unter Napoleon, abgeschnitten zu werden, und drittens gab es auch im Königreich Preußen bereits eine ganze Reihe von Unternehmen, die mit mehr Erfolg als Krupp einen den englischen Erzeugnissen einigermaßen gleichwertigen Stahl , * herstellten wobei sie erheblich bessere Bilanzen, ein kredit­ würdiges Renommee und mitunter sogar königliche Patente vorzuweisen hatten. Und das bringt uns zu dem Kernpunkt unserer Betrachtung der Kruppschen Firmengeschichte bis etwa 1851: Die Bedeutung des Unternehmens in den ersten zwanzig Jahren seines Bestehens war wirklich so gering, daß sein völliges Verschwinden von der Bildfläche sogar in Essen selbst leicht * Zum Beispiel hatte der Barmer Fabrikant Ehrenberg ein neues Stahlbereitungsverfahren erfunden und sogar ein königlich preußisches Patent darauf erlangt.

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verschmerzt, ja, kaum bemerkt worden wäre. Und über das winzige Städtchen Essen hinaus gab es kaum drei Dutzend Leu­ te, denen der Name Krupp geläufig oder überhaupt bekannt war, meist auch noch in unrühmlichem Zusammenhang mit uneinge­ lösten Wechseln, unbrauchbaren Lieferungen, ruppigen Brie­ fen oder nicht eingehaltenen Versprechen. Erst nachdem die Essener Firma in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem der führenden deutschen Industrie­ unternehmen aufgestiegen war, vergrößerte sich in der Rück­ schau auch die Bedeutung der kümmerlichen Anfänge: Nun bekam alles nachträglich einen tiefen Sinn. Die banalsten Kleinigkeiten wurden von Freunden und Feinden mit erhebli­ chem Aufwand an Phantasie so oder so ausgedeutet, mit Ab­ sichten gespickt, die prophetische Gaben vorausgesetzt hätten, sodann mittels gewagter Hilfskonstruktionen zu historischen Ausmaßen gedehnt und gestreckt, sorgfältig patiniert und schließlich, ohne Rücksicht auf die wirklichen Maßstäbe, hinein­ projiziert in die stattliche Reihe jener geschichtlichen Symbole, die hierzulande bis 1945 beinahe göttliche Verehrung genossen und zum Teil noch heute genießen, während sie jenseits der heutigen bundesdeutschen Grenzen vornehmlich als Sinnbilder teutonischen Übermuts, Größenwahns und perfiden Angriffs­ geistes herhalten müssen. Unter Verzicht auf nachträgliche Glorifizierung oder Dämo­ nisierung und bei Weglassung aller Nebensächlichkeiten, in die erst ein Menschenalter später allerlei hineingeheimnist worden ist, stellt sich die Lage des kleinen Essener Unternehmens in den ersten Jahren nach dem Tode Friedrich Krupps als die einer Firma dar, bei der das wesentliche Hindernis, das anderthalb Jahrzehnte lang einer gedeihlichen Entwicklung im Wege ge­ standen hatte, also der Firmengründer und Chef selbst, nun fort­ gefallen war - allerdings erst nachdem er das gesamte Vermögen vertan, den Kredit erschöpft und Schulden über Schulden ge­ macht hatte. Immerhin: Von nun an konnte wenigstens die Vernunft walten - in Gestalt zweier Schwäger, die Friedrichs Witwe, die alleinige Erbin der »Gußstahlfabrik«, nach besten Kräften berieten, ihr empfahlen, dieses oder jenes zu tun und anderes lieber zu lassen. Ganz unmerklich, mehr von der Not getrieben als mit unter­ nehmerischem Weitblick geführt, kam der winzige Betrieb endlich ab von der fixen Idee seines verstorbenen Gründers, un­ bedingt ein Rohmaterial herstellen zu wollen, das - selbst wenn 72

die Erzeugung perfekt gelungen wäre - herzlich wenig einge­ bracht hätte. Statt dessen fertigte man nun - keineswegs plan­ mäßig, sondern dem zufälligen Auftragseingang folgend - aus den kümmerlichen Mengen Stahl sehr schwankender Qualität allerlei Werkzeug, Fertigprodukte also, an denen etwas zu ver­ dienen war. Bei allmählicher Verbesserung der katastrophalen Produk­ tionsbedingungen, die der törichte Firmengründer hinterlassen hatte, und bei erst langsam, dann sprunghaft ansteigender Nachfrage infolge der bald stürmisch einsetzenden Industriali­ sierung, entwickelte sich die von den wenigen Beobachtern, die ihr noch Interesse schenkten, mitleidig betrachtete und eigent­ lich längst aufgegebene Firma im Laufe der dreißiger und vier­ ziger Jahre doch noch zu einem schwachbrüstigen Mittelbetrieb, der Mitte 1848 immerhin schon vierundsiebzig Beschäftigte zählte. Dieses Wunder bewirkten im wesentlichen zwei Faktoren, ohne die auch die beste Konjunktur dem Unternehmen nichts hätte nützen können: neues Kapital und neue Energie! Ein kleiner Teil des Geldes, das der Firma zufloß, wurde von Thereses Schwiegermama, Frau Petronella Krupp geborenen Forsthoff, beigesteuert. Die alte Dame verkaufte ihren restlichen Haus- und Grundbesitz, den sie zur Finanzierung der diversen kaufmännischen Abenteuer ihres lieben Friedrich ohnehin schon bis an die Grenze des Möglichen mit Hypotheken belastet hatte. 1833 ging ihr kleines Haus in der Königstraße für nur noch fünfhundert Taler an einen Verwandten, wodurch es - wie der Kruppsche Hofbiograph Wilhelm Berdrow mit spürbarer Genugtuung vermerkt - »eigentlich >in der Familie< blieb«. Und schon ein Jahr später bot Madame Petronella Krupp in den Allgemeinen Politischen Nachrichtem ihre restlichen Immobi­ lien zum Kauf an: sechs vor dem Limburger Tor gelegene Gär­ ten sowie das »neue« Haus am Flachsmarkt, das dann von dem Fabrikanten Grillo erworben wurde. Sie konnte diese Verkäufe ohne allzu großen neuen Prestige­ verlust vornehmen, da sie ihren Wohnsitz in die Gegend west­ lich von Bonn verlegt hatte, genauer: auf die von ihrem Schwie­ gersohn Major a. D. Christian Friedrich von Müller erworbene Burg Metternich. Und natürlich versäumte sie nicht, diesen das Ansehen auch der Familie Krupp wieder ein wenig hebenden Umstand in ihrer Annonce zu erwähnen. Das schöne Wasser­ schloß Metternich, das der Ehemann von Friedrich Krupps 73

Schwester Helene, der Major von Müller, samt einem dazuge­ hörigen Rittergut gekauft und 1828 bezogen hatte, war übrigens der Stammsitz eines alten Geschlechts, dessen berühmtester Sproß, Fürst Clemens von Metternich, damals als allmächtiger k. u. k. Haus-, Hof- und Staatskanzler in Wien regierte. Auch dieser Zufall wirkte sich für die verarmte Essener Verwandtschaft der neuen Schloßherren prestigefördernd aus. Weit wichtiger noch als der Abglanz des Wohlstands, der so auf die sich von Kartoffeln und Kaffee ernährende Essener Fabri­ kantenfamilie fiel, war das Kapital, das der reiche Herr von Mül­ ler dem kleinen Betrieb seiner verarmten Schwägerin zufließen ließ. Er gestattete seinem dem acht Jahre jüngeren Vetter Alfried Krupp freundschaftlich verbundenen Sohn Friedrich Carl, genannt Fritz, mit zehntausend Talern Einlage stiller Teilhaber Thereses zu werden, darüber hinaus für weitere Beträge die Bürgschaft zu übernehmen, wobei allerdings jede Investition von mehr als fünfhundert Talern der vorherigen von Müller­ sehen Genehmigung bedürfen sollte. Im November 1834 kam ein entsprechender Gesellschaftsver­ trag zustande, der dann im darauffolgenden Sommer in Kraft . * trat Es war der dritte in der Geschichte der erst dreiundzwan­ zig Jahre alten Firma Fried. Krupp - und der erste sinnvolle . . . Dem stillen Teilhaber wurde übrigens schon bald eine größere Bürgschaft abverlangt, und nach langem Hin und Her erklärte sich Fritz von Müller auch bereit, sie zu leisten. Es ging um eine ebenso riskante wie kostspielige Neuanschaffung: einen Dampf­ hammer, der die kleine Fabrik endlich von den Launen des Ber­ ne-Baches unabhängig machen sollte. Das einzige Werk, das imstande war, eine solche, damals eine unerhörte technische Neuerung darstellende Maschine zu bauen, war - die Krupp-Fans und -Hasser verzeichnen es, je nach Ein­ stellung, mit Zähneknirschen oder satter Schadenfreude - aus­ gerechnet die Gutehoffnungshütte, die der junge Friedrich Krupp in so kurzer Zeit heruntergewirtschaftet hatte, daß seine Großmama, die Witwe Amélia Krupp née Ascherfeld, sie gerade noch vor dem völligen Ruin an die Herren Haniel, Jacobi und Huyssen verkaufen konnte. Das schnaufende, auf fünftausend Taler veranschlagte Unge­ tüm, das sich die Gutehoffnungshütte an Krupp zu liefern strikt geweigert hatte, sofern nicht Associé Fritz von Müller für die * siehe Dokumentenanhang

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Bezahlung der Rechnung zu bürgen bereit wäre, sollte eine Lei­ stung von 20 PS haben. In Wirklichkeit brachte die schließlich installierte Maschine kaum die Hälfte zustande, denn die un­ dichten Ventile ließen viel Dampf zischend und nutzlos ent­ weichen. Häufig fiel der neue Dampfhammer auch ganz aus, wenn sich ein Kolben festgefressen hatte oder der Schieber klemmte. Auf Zuleitungen hatte man aus Sparsamkeit verzich­ tet; statt dessen bildete die kleine Belegschaft jedesmal, wenn der Wasserkessel aufgefüllt werden mußte, eine Eimerkette . . . Aber trotz aller Mängel der kostspieligen neuen Maschine stellte sie doch eine enorme Verbesserung dar! Endlich brauch­ ten sich Direktion und Belegschaft der Firma Fried. Krupp vom Berne-Bach nicht mehr vorschreiben zu lassen, ob, wann und wie lange produziert werden könnte, hatten neue, wenig­ stens einigermaßen zuverlässige Kräfte für den Hammer und damit für den ganzen, auf Fertigprodukte umgestellten Betrieb. Mindestens ebenso wichtig - und, wenn man den Chronisten vertrauen will, sogar einzig und allein ausschlaggebend für den schließlichen Erfolg - waren indessen die Energien aus einer anderen Quelle, die wir bislang nur in Gestalt eines blassen, hochgewachsenen und mageren Knaben flüchtig kennengelernt haben: Alfried Krupp, der beim Tode seines so kläglich geschei­ terten Vaters vierzehn Jahre alt gewesen war, hatte sich inzwi­ schen zu einem hageren, immer noch sehr blassen Twen von fanatischem Eifer gemausert und stand nun schon dicht an der Schwelle zum Ruhm und Reichtum. Zögernd begann er gerade seine knochige Hand auszustrecken nach jener Würde, die ihm und seinen Nachkommen schließlich zufiel und dann in so rei­ chem Maße Bewunderung, Abscheu, Furcht, Triumph und Haß erweckte: nach der unheimlichen, respektgebietenden und zu­ gleich gefährlichen Würde eines Königs der Kanonen . . .

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Vom Déclassé zum Kapitalisten

Mitten in der heutigen Großstadt Essen an der Ruhr steht, auf ungewöhnlich bescheidenem Sockel, das Bronzestandbild eines bärtigen Herrn von makelloser, wenn auch etwas altmodischer Eleganz, der sich mit der linken Hand lässig auf einen Amboß stützt. Ein flüchtiger Betrachter, der im eiligen Vorübergehen den Amboß nicht bemerkt, könnte meinen, hier habe die Stadt Essen einem großen Gelehrten ein Denkmal gesetzt, vielleicht auch einem Dichter, wofür die Unscheinbarkeit des Sockels spräche . . . Es handelt sich indessen, wie eine Inschrift zeigt, weder um einen Großen der Wissenschaft noch der Kunst, sondern um Alfred Krupp (i 812-1887), der von sich selbst einmal - übrigens anläßlich des Hinscheidens von Frau Therese verwitweter Krupp geborener Wilhelmi, seiner so opferbereiten Mutter, im Jahre 1850- mit erstaunlicher Offenheit sagte: »Was mich allein bewegen kann, sind Ehre und Prosperität . . .!« Unter »Prosperität« verstand Alfred Krupp nichts anderes als finanzielle Unabhängigkeit und vorzeigbaren Wohlstand, und mit »Ehre« meinte er eine unbestrittene Zugehörigkeit zur Ober­ schicht und volle gesellschaftliche Anerkennung. Das sehr vor­ nehm wirkende Bronzestandbild wäre ihm also sicherlich ge­ nehm gewesen, wenngleich er zweifellos ein die Umgebung überragendes und weit reicher geschmücktes Monument be­ ansprucht hätte. Es sei deshalb angemerkt, daß das Denkmal ursprünglich um vieles pompöser und ganz erheblich höher gewesen ist. Allerlei prächtige Bronzeengel und -jungfrauen wallten einst um des Herrn Fabrikanten Füße, schauten verzückt zu ihm empor und versuchten ihm Lorbeer zu reichen, über den er achtlos hinweg­ blickte. Indessen hat dann der letzte Inhaber der Firma und Urenkel des so Geehrten, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, wohl aus den bitteren Erfahrungen der ersten Nachkriegszeit heraus und noch ganz unter dem Eindruck der selbst erlittenen Demü­ tigungen stehend, dem dagegen wehrlosen Ahnherrn alles schmückende Beiwerk und den größten Teil des zur wilhelmini­ schen Zeit für angemessen erachteten Bodenabstands nehmen lassen und ihn auf diese Weise den gewöhnlichen Sterblichen 76

zwar nicht gleichgestellt, doch erheblich näher gebracht. Dabei mag es nun jedem überlassen bleiben, sich auszumalen, wie der seiner Engel beraubte und erniedrigte Urgroßvater auf solche Schmach reagiert hätte, wäre er noch am Leben gewesen. Eines jedoch ist gewiß: Alfred Krupp hätte seinen Gefühlen schrift­ lichen Ausdruck verliehen . . .! Begnügte man sich mit der schlichten Feststellung, daß er gern und viel schrieb, so wäre dies eine maßlose Untertreibung. Tatsächlich kritzelte Alfred Krupp zeitlebens, wo er ging oder stand, ja auch im Liegen und sogar im Stockdunkeln seine No­ tizen. Er hatte sich nämlich, da er von Jugend an unter Schlaf­ losigkeit litt, frühzeitig beigebracht, auch im Finstern zu schrei­ ben, so daß er nachts im Bett, ohne erst Licht machen und seine jüngeren Brüder, die mit ihm die Kammer teilten, stören zu müssen, jeden Einfall sofort zu Papier bringen konnte. Und was notierte er sich? Nun, alles, was ihm gerade in den Sinn kam, und das betraf ausschließlich Geschäft und Fabrik oder was damit mittelbar zusammenhing sowie seinen eigenen Status, sei es in gesell­ schaftlicher, finanzieller oder physischer Hinsicht. Gerade was seine offenbar delikate Gesundheit anging, vermerkte er sorg­ fältig jede Beeinträchtigung seines Wohlbefindens und pflegte sich auch in Briefen an Freunde und Verwandte so detailliert über alle Krankheitssymptome, Diagnosen und Therapien aus­ zulassen, daß die sich bei der Lektüre aufdrängende Vermutung, schon der junge Alfred Krupp müsse ein Hypochonder gewesen sein, bald zur Gewißheit wird. Das Umweltgeschehen, soweit es nicht ihn selbst, seine Ge­ schäfte und den Betrieb unmittelbar berührte, ließ ihn kalt. Literatur, Theater, Musik und bildende Künste hielt er für Un­ fug, die Beschäftigung damit für Zeitverschwendung und eines Mannes unwürdig. Ähnliche Ansichten hatte er von den Wissen­ schaften, soweit sie nicht seinen eigenen industriellen Interessen dienten, und Religion war ihm ein gutes Mittel, Zucht und Ordnung aufrechtzuerhalten, vor allem unter den eigenen Ar­ beitern. Er selbst interessierte sich nicht dafür, sowenig wie für Politik, Geschichte oder gar Philosophie. Seine eigene Begründung für dieses fast totale, nur sich selbst und das Wohlergehen der Firma ausklammernde Desinteresse lautete, er hätte »keine Zeit für Literatur, Politik u. dgl.«, und tatsächlich war er - man sieht es seinen nachgelassenen Notizen deutlich an - offenbar immer in großer Eile und von Unruhe

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verzehrt, entweder weil die Geschäfte gerade schlecht gingen und der völlige Ruin drohte, wenn man nicht noch rasch etwas dagegen tat, oder weil bei günstiger Entwicklung jede Chance sofort wahrgenommen werden mußte . . . Auf alle Fälle fühlte er sich ständig unter dem Zwang, jede noch so belanglose Einzelheit selbst, bis in kleinste Detail und natürlich schriftlich zu regeln. Und so schrieb und schrieb er, tagein, tagaus, zu jeder Stunde, während er spazierenging, aß oder schlaflos im Bett lag . . . Er schrieb tägliche Anweisungen an jeden einzelnen Arbeiter seiner Fabrik, bis ihm die steigende Anzahl seiner Beschäftigten schließlich doch über den Kopf wuchs und er nur noch die leitenden Angestellten - zusammenfassend »die Procura« ge­ nannt - und einige Spezial-Aufseher mit Direktiven überschüt­ ten konnte . . . Er notierte jeden seiner Einfälle, alle fremden Ideen, die ihm für die Firma nützlich erschienen, jegliche Beobachtung, die sein immer waches Mißtrauen erregte, und natürlich auch sämtliche wahren oder eingebildeten Beschwerden, die ihn plagten . . . Er führte eine umfangreiche Korrespondenz, in der er sich mitunter überschwenglich und geradezu poetisch ausdrückte, wenn er von gelungenen Geschäften berichten konnte, wogegen seine Briefe sonst, von wenigen Ausnahmen abgesehen, erstaun­ liche Gefühlskälte offenbaren . . . Ja, er betrieb später sogar die Erziehung seines einzigen Soh­ nes vorzugsweise schriftlich, mit Hilfe täglicher Briefe und Notizen, und er empfahl dem bedauernswerten, ohnehin nicht ge­ rade glücklich aufwachsenden Knaben, sich in den Wust der vielen tausend Aufzeichnungen seines schreibwütigen Vaters mit gebührender Ehrfurcht zu vertiefen. »Ich kann nichts Besse­ res wünschen und für Fritz tun (und ich glaube, daß dies mehr wert ist als das Erbe)«, so notierte er sich, »als ihm zu empfehlen, alle meine Schriften zu sammeln, sie zu betiteln nach Inhalt, zu registrieren, um sie immer wieder finden zu können . . .« Und an Fritz schrieb er: »Ich bedauere, daß Du nicht dazu gelangt bist, die Copien meiner Schreiben an die Procura nachzulesen, Auszüge daraus zu machen und den Inhalt zu registrieren, desgleichen andere Schreiben nachzulescn, welche ich der Procura zugehen ließ. Sie enthalten die Erfahrungen meines Lebens und die Grund­ sätze, denen ich allein mein Wohlergehen verdanke und deren Nichtbeachtung allein die Ursache des Rüttelns an einem solchen

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Wohlergehen war. Möge diese Lehre für alle Zeiten genügen, um ein strenges Regiment der Ordnung einzuführen . . .!« Die Eindringlichkeit, mit der Alfred Krupp immer wieder darauf hinwies, wie wichtig es wäre, jedwede Aufzeichnung von seiner Hand für kommende Geschlechter sorgfältig zu ver­ wahren, hat reiche Früchte getragen: Noch heute, mehr als ein Dreivierteljahrhundert nach seinem Tode, quellen die Archive über von seinen Ergüssen, und rund dreißigtausend seiner Brie­ fe, Notizen und Anweisungen haben Kriege, Besatzungen, Brände und Verwüstungen überstanden . . .! Krupp-Hasser haben schon aus dieser-gewiß psychopathisch anmutenden - Schreibwut »König Alfreds« schlicht gefolgert, er wäre von Jugend an nicht bei Verstand gewesen und hätte eigentlich in eine Anstalt gehört. Das ist jedoch eine böswillige Übertreibung! Der Schreib­ zwang, unter dem Alfred Krupp ohne Zweifel gelitten hat, kann allenfalls als ein Symptom angesehen werden, das für sich allein keine so bündige Diagnose zuläßt. Von krankhaften Zwängen befallen werden vornehmlich durchaus intelligente, aber selbstunsichere Pedanten, die unter dem Mißverhältnis zwischen ihrem übergroßen Ehrgeiz und ihrem geringen Selbstvertrauen leiden. Man spricht dann von Zwangsneurosen, die von den Kranken nicht - wie sonst häufig bei Triebhandlungen - lustvoll, sondern quälend empfunden werden. Die Unterdrückung des Zwangs, die meist nur tempo­ rär möglich ist, führt zu Angst und Aggression. Später entwikkelt sich oft eine »Angst vor der Angst«. Natürlich kann es sich bei solchen Zwangsneurosen auch um das Frühstadium einer Schizophrenie handeln, zumal wenn wei­ tere Symptome hinzukommen: Halluzinationen etwa, wobei der Kranke meist »Stimmen hört«, möglicherweise aber auch von eingebildeten Gerüchen geplagt wird, oder Verfolgungswahn, übersteigertes Mißtrauen, Gefühlsarmut, Manierismen, Be­ schäftigungsdrang, pathologische Ausdauer mit fehlenden Er­ müdungserscheinungen und so fort. Alle diese und zahlreiche weitere Symptome ließen sich an Alfred Krupp tatsächlich feststellen: Beispielsweise litt er unter - manchmal geradezu panischer Angst vor dem Feuer, obwohl - oder weil ? - er doch seit frühester Jugend damit hatte umgehen müssen. Beim Bau der »Villa Hügel« durfte deshalb kein Stück Holz verwendet werden, und in seinen Briefen finden sich zahllose Hinweise auf diese Phobie. 79

Kaum geringer war Alfreds Furcht vor bestimmten »bösen und giftigen« Gerüchen, von denen er sich ständig bedroht glaubte. Die größte Sorge bereiteten ihm dabei seine eigenen Blähungen, weshalb er sich tagsüber ständig in Bewegung hielt und nachts nicht schlafen konnte. Paradoxerweise fürchtete er sich aber auch genauso vor frischer Luft, die nach seiner festen Überzeugung gleichfalls voller Gifte war . . . Zum Glück gab es für beides ein »Gegengift«, von dem er sich Rettung versprach: Landluft, präziser ausgedrückt: der kräftige Geruch von frischem Mist. Und so ließ er denn später, beim Bau der monströsen »Villa Hügel«, sein durch dreifache Eisentüren gesichertes Arbeitszimmer genau über den Stallun­ gen errichten, die Fenster hermetisch verschließen, daß ja kein Hauch frischer Luft hereinkäme, und durch eigens zu diesem Zweck konstruierte Schächte und Maschinen den rettenden Duft des Dungs in sein Büro fächeln . . . Zum Erstaunen seiner Umwelt machte ihn die Schlaflosigkeit, unter der er zeitlebens litt, weil ihn nach Einbruch der Dunkelheit seine Ängste über­ fielen, keineswegs müde. Sie schien vielmehr seine Tatkraft und Leistungsfähigkeit noch zu steigern, wogegen robustere Män­ ner, wenn sie so wenig Schlaf gefunden hätten, an Erschöpfung zugrunde gegangen wären . . . Am auffälligsten manifestierte sich jedoch sein übersteigertes Mißtrauen: »Ich denke, man müßte wohl einen zweiten Wäch­ ter haben, der den ersten kontrollierte, und einen dritten, der auf den zweiten aufpaßte«, schrieb er aus Paris an seinen Bruder, von dem er auch befürchtete, daß er ihn hinterginge. Dann wie­ der über den neuen, auf Herz und Nieren geprüften Nacht­ wächter: »Dieser Mensch läuft am Tage zuviel in der Fabrik umher . . .!« Und über die Treuesten der Treuen, seine StammMannschaft, schrieb er in sein geheimes Tagebuch: »Altemüller ist nicht echt . . . Vigelius ist ein Augendiener, Buch ist noch näher zu prüfen . . .« Und so ging es weiter - nicht nur über Arbeiter, auch über Geschäftsfreunde, Kunden, Verwandte . . . In der winzigen Fabrik wurden stets verschlossene und be­ sonders streng bewachte Geheimabteilungen eingerichtet. Der überall Verrat witternde Fabrikant beantragte sogar bei der preußischen Regierung die Erlaubnis, seine ganze Belegschaft auf Wahrung der Betriebsgeheimnisse vereidigen zu lassen. Als das Gesuch abgelehnt wurde, ließ er die Arbeiter den verbotenen Eid dennoch leisten - privat und »auf Ehre«. Er forderte diesen Schwur sogar von Borgmann, einem Arbeiter, den er in ein

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Konkurrenzunternehmen eingeschmuggelt hatte, um dort »die Kunstgriffe der Stahlhärtung zu erlisten« . . . Alle diese Manifestationen übersteigerten Mißtrauens schei­ nen eben noch im Bereich des »Normalen« zu liegen; zwanzig Jahre später nahmen sie dann allerdings, wie wir noch sehen werden, geradezu groteske und zweifellos pathologische Züge an. Dennoch läßt sich, auch wenn vieles auf eine fortschreitende Schizophrenie hindeutet, eine Diagnose nur mit großen Vorbe­ halten stellen, und eines ist sicher: Alfred Krupp kam nie in eine geschlossene Anstalt (es sei denn, man betrachtet die »Villa Hügel«, die er sich erbauen ließ, wohin er sich später verkroch und wo er schließlich in völliger Einsamkeit starb, als einen mehr als ausreichenden Ersatz . . .). Aber auch wenn wir bereit sind, all die Ängste, Zwänge und Wahnvorstellungen, unter denen Alfred Krupp zeitlebens litt, als relativ harmlose Anoma­ lien hinzunehmen, so zeigen sie doch zumindest, was klein­ städtisch-bürgerliche Prestigesucht und die Belastung eines Kindes mit der Verantwortung für ein »Geheimnis«, das es gar nicht kannte, anzurichten vermögen . . . Beenden wir nun diese zum besseren Verständnis nötigen Vor­ bemerkungen und wenden wir uns wieder dem Ablauf des Ge­ schehens zu, das wir nun mit kritischeren Augen betrachten können, auch in der einen oder anderen Hinsicht vielleicht nicht mehr ganz so ernst zu nehmen brauchen, und beginnen wir da, wo eifrige Biographen, Fans wie Hasser, zum ersten Male Atem schöpfen, nämlich am Ende der langen, schwierigen Anfangs­ zeit und im Augenblick der ersten größeren Erfolge.

In der Neujahrsnacht 1833/34 waren unter dem starken Druck der preußischen Regierung alle innerdeutschen Zollschranken gefallen. Der neue »Gemeinsame Markt« im Herzen Europas hatte Handel und Industrie beträchtlichen Aufschwung ge­ geben. Der junge Alfred Krupp, damals knapp zweiundzwanzig Jahre alt, war sofort auf Reisen gegangen, hatte in Süddeutsch­ land, Sachsen und Berlin neue Beziehungen angeknüpft, Markt­ forschung betrieben, ihm bislang unbekannte Produktionsme­ thoden kennengelernt und auch eine stattliche Menge großer und kleiner Bestellungen mit nach Hause gebracht. Zwar war man zunächst gar nicht in der Lage gewesen, diese Flut von Aufträgen auszuführen - ein trockener Sommer hatte 81

die Berne wieder einmal austrocknen lassen und den Betrieb stillgelegt aber nach und nach ließen sich diese Schwierigkei­ ten überwinden. Dank des von Müllerschen Kapitals war der 2o-PS-Damp£hammer installiert worden, und damit hatte man eigentlich erst die entscheidende Wende vom mittleren Hand­ werks- zum kleinen Industriebetrieb vollzogen. Belegschaft und Produktion waren zwar schon vorher sprung­ haft angestiegen: Noch 1833 hatte die »Gußstahlfabrik« mit nur elf Arbeitern eine Jahreserzeugung von kümmerlichen neun­ tausend Pfund - viereinhalb Tonnen! - Stahl vorweisen können; 1835 beschäftigte das Unternehmen bereits siebenundsechzig Mann und produzierte immerhin schon fünfzigtausend Pfund - fünfundzwanzig Tonnen - Stahl, also mehr als das Fünffache. Aber erst die Umstellung von der Wasserkraft auf den wesent­ lich zuverlässigeren Dampfbetrieb erlaubte die volle Ausnut­ zung der aufblühenden Konjunktur. Etwa 1837 war die Familie Krupp - vervollständigt durch die Heimkehr von Alfreds jüngerem Bruder Hermann, der in Solingen eine Lehrzeit durchgemacht hatte - allem Anschein nach »über den Berg«. Die bis dahin verachteten und gemiede­ nen Außenseiter gehörten nun wieder - wie die Hofbiographen triumphierend vermelden - »zur Gesellschaft«, wenn auch nur Essens, eines noch kaum bekannten Provinzstädtchens von da­ mals erst knapp sechstausend Einwohnern, und dies vornehm­ lich dank der Kapitalspritzen und der ein wenig auf sie abfär­ benden Schloßherrenwürde der wohlhabenden Metternicher Verwandten. Immerhin, die fünfköpfige Familie konnte sich nun wieder richtig satt essen, »standesgemäß« kleiden, bedienen lassen, ja, sogar einigen Luxus leisten: Reitpferde wurden angeschafft, auch eine Kutsche, und Mutter Therese, mit siebenundvierzig Jahren zur Matrone gereift, reiste in Begleitung der ältesten Tochter, Ida, einer unvermählten Endzwanzigerin, zur Kur in ein Bad, ein Ereignis, das in Essens »besseren Kreisen« starke Beachtung fand und ausführlich besprochen wurde . . . Zu diesen höchst erfreulichen wirtschaftlichen und gesell­ schaftlichen Fortschritten kamen wichtige technische Neuerun­ gen und eine bedeutsame Ergänzung des Produktionspro­ gramms der Gußstahlfabrik. Die Kruppschen Hausbiographen stellen beides gern hin als stolze Erfolge der genialen Erfindun­ gen des jungen Alfred, loben seinen »unruhigen Geist« und prei­ sen die Zähigkeit, mit der er, trotz schlechter Gesundheit und

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häufiger Schlaflosigkeit, alle Fehlschläge überwand, »nicht ver­ zweifelte, sondern in der festen Überzeugung von der Richtig­ keit seiner Idee« weiter experimentierte bis zum schließlichen Gelingen. So rührend sind diese Geschichten, die die Krupp-Fans zu berichten wissen, daß es einen fast schmerzt, sie als das hinstellen zu müssen, was sie - im Gegensatz zu dem, wovon sie handeln tatsächlich sind: konzerneigene Erfindungen . . . Die Geschichte der Kruppschen Walzenproduktion, die da­ mals das Rückgrat des kleinen Unternehmens bildete, zeigt es deutlich: Besagte Walzen, die der Essener Betrieb zunächst für Münzstätten herstellte, erwiesen sich zum Leidwesen der Kun­ den wie des Herstellers immer wieder als nicht widerstandsfähig genug; sie waren, wie ein Biograph bekümmert feststellt, »nicht gleichmäßig durchgeschmiedet« und zersprangen schnell, wenn sie belastet wurden. Erst nach vielen Jahren voller Enttäuschungen, Reklamatio­ nen, Verluste und immer neuer Bemühungen, den Fehler zu beheben, kam Alfred endlich dahinter, was er - und vor ihm schon sein Vater - stets falsch gemacht hatte. »Noch nie war Alfred ein Licht von solcher Bedeutung aufgegangen«, bemerkt hierzu Hofbiograph Wilhelm Berdrow respektvoll. Indessen ging dieses bedeutsame Licht dem jungen Fabri­ kanten erst auf, nachdem es ihm von einem anderen entgegen­ kommenderweise und vermutlich aus Mitleid angesteckt wor­ den war. Der alte Schleifer Rocholl aus Barmen, der früher auf der - damals noch Kruppschen - Gutehoffnungshütte gearbei­ tet hatte, erklärte dem unerfahrenen jungen Mann eines Tages den einfachen Trick: Zum Dichtschmieden dürfe man nicht rund, sondern nur eckig gereckte Stahlstäbe verwenden . . .! Alfred war intelligent genug, diesen Ratschlag eines mit dem »Geheimnis des Stahls« offenbar besser vertrauten Handwerkers anzunehmen und fortan strikt zu befolgen. Das Resultat war, daß es nun kaum noch irgendwelche Klagen über gesprungene Walzen gab. Doch schon bald stand der geplagte junge Fabrikant vor einem neuen technischen Problem, das unlösbar schien: Die Kund­ schaft verlangte plötzlich nach weit dickeren Walzen, als er sie herstellen konnte. Vergeblich bemühte er sich, aus England stam­ mende Muster nachzubauen, und wieder mußten ihm erst biede­ re Männer aus dem Volke allerlei nützliche Winke geben, durch deren Befolgung das Kunststück schließlich gelang. 83

Die für das Aufblühen der Fabrik bedeutendste Erfindung aber kam nicht einmal durch gute Ratschläge zustande; sie wurde vielmehr erworben - ohne Wissen oder gar Einverständ­ nis des Erfinders, und selbst daran hatte Alfred wenig Anteil, da er abwesend war. Andere kamen darauf, welchen Wert die frem­ de Erfindung für die Fabrik haben könnte. Diese anderen waren Alfreds jüngere Brüder, Hermann und Fritz. Alfred hatte gerade eine längere Erkundungsreise nach England, dem Hort des Stahl-»Geheimnisses«, angetreten - unter falschem Namen, da er so besser ein wenig Werkspionage treiben zu können hoffte, und mit kostbaren silbernen Schwanenhals-Sporen und anderen Erkennungszeichen junger britischer Aristokraten im Gepäck, weil er sich, obwohl er kein Wort Englisch sprach, als Angehö­ riger der landed gentry auszugeben beabsichtigte -, als just um diese Zeit, im Sommer 1838, ein seltsamer Auftrag eines Münch­ ner Kunden, des Goldschmieds und Graveurs Wiemer, im Esse­ ner Werk eintraf. Wiemer, nebenbei ein geschickter Konstrukteur, hatte sich entschlossen, das muffige Europa jener Jahre der Heiligen Allianz, der Restauration des Absolutismus und der Allmacht der Polizei für immer zu verlassen und in die Neue Welt, nach Mexiko, auszuwandern. Er wollte sich aber zuvor noch allerlei Spezialwerkzeuge und -maschinen zulegen, mit deren Hilfe er in Amerika sein Glück zu machen hoffte. Was er bei Krupp in Essen bestellte, waren seltsame, ungewöhnlich dicke Walzen, die allerlei »Fehler« zu haben schienen und dadurch Hermanns und vor allem Fritzens Neugier erweckten. Fritz Krupp, damals achtzehn Jahre alt und ein bebrillter Jüngling mit schlechter Haltung und »allerlei Lastern«, wie die Familie sich auszudrücken beliebte, war nichtsdestotrotz tech­ nisch ebenso interessiert wie begabt. Er war es, der das Ge­ heimnis des zur Emigration rüstenden Münchner Goldschmieds austüftelte: Es konnte sich nur um Walzen handeln, mit deren Hilfe Wiemer etwas maschinell herzustellen gedachte, was bis­ lang noch in mühsamer Handarbeit einzeln angefertigt werden mußte: Gabeln und Löffel . . .! Bruder Hermann, schon vierundzwanzig Jahre alt und ein heller Kopf mit kaufmännischem Verstand und technischem Verständnis, erkannte sofort den Wert der Wiemerschen Erfin­ dung und alarmierte nun Alfred, der auf seiner Reise nach Eng­ land noch in Paris einen längeren Zwischenaufenthalt machte. Alfred antwortete mit Instruktionen: Man möge diese viel-

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leicht einmal interessante Erfindung des Auswanderers auf alle Fälle genau studieren und die Pläne abzeichnen, damit man die geheimnisvolle Maschine eventuell später einmal nachzubauen imstande wäre . . . Hermann und Fritz hätten dies ohnehin getan, doch nun machten sie sich mit doppeltem Eifer ans Werk. Im Laufe der folgenden Monate gelangen Fritz sogar noch einige bedeutende Verbesserungen des Wiemerschen Modells, wobei der Erfinder natürlich keine Ahnung davon hatte, daß man in Essen sein Vertrauen so schnöde mißbrauchte. Die beiden jüngeren KruppBrüder setzten ihrerseits ohne Bedenken ihren ganzen Stolz daran, Alfred bei seiner Rückkehr aus England mit einer nahezu perfekten Besteckwalze zu überraschen. Die Überraschten waren indessen sie selbst: Als Alfred nach vielen Monaten endlich - und dann nur für kurze Zeit, denn seine Unruhe trieb ihn auf immer neue Reisen wieder nach Essen zurückkehrte, da erfuhren Hermann und Fritz von ihm ganz beiläufig, aber zu ihrer großen Verblüffung, daß er eine »Kruppsche Löffelwalze« - die es ja noch gar nicht gab, von der er nur in Umrissen brieflich unterrichtet worden war und die zudem einen vertrauensseligen, nichtsahnenden Kunden zum Erfinder hatte - bereits belgischen Interessenten zum Kauf angeboten hätte . . .! Aber es kam noch viel schöner: Sobald Alfred die Maschine samt allen Verbesserungen, die sich Hermann und vor allem Fritz hatten einfallen lassen, flüchtig inspiziert hatte, stürzte er sich auch schon in Pläne für eine Aus­ wertung seiner Erfindung - jawohl: seiner! Denn da das, was er sah, gut zu sein schien, konnte es ja nur ihm allein zu verdanken sein . . .! Der Kunde war ein Dummkopf, seine jüngeren Brüder hatten bloß die von ihm empfangenen Instruktionen pflichtge­ mäß befolgt. Dafür gebührte ihnen, seinen Handlangern, nicht einmal ein freundliches Schulterklopfen, allenfalls ein ausnahms­ weise positiver Eintrag ins Geheimtagebuch. Tatsächlich hielt in den folgenden zehn Jahren - und mit etwas verminderter Bedeutung auch noch am Beginn des nächsten Jahrzehnts - allein die geniale Erfindung der Besteckwalze das Essener Unternehmen über Wasser. Natürlich produzierte und verkaufte die Firma Krupp auch noch anderes, belieferte vor allem in- und ausländische Münzstätten mit Walzen und Prägestöcken, aber gerade ein solches Geschäft - und das für Alfred bis dahin größte seiner Art, nämlich die Neuausrüstung 85

der Wiener Münze - hätte um ein Haar zum endgültigen Unter­ gang des Hauses Krupp geführt: Alfred hatte, wie meist, den Mund erheblich zu voll genom­ men und war dabei einmal an die Unrechten geraten. Die Wiener Herren hatten sich zwar brav angehört, was Herr Krupp aus Essen Erstaunliches zu bieten bereit war. Aber dann hatten sie tückischerweise die offerierten - und entsetzlich übertriebenen Qualitätsangaben mit bürokratischer Pedanterie, Punkt für Punkt, in den Vertragstext aufgenommen und für die gelieferte Ausrüstung, an der es natürlich allerlei zu monieren gab, auch nach anderthalbjährigem Drängen, Betteln und Drohen des verzweifelten Alfred keinen roten Heller bezahlt, nicht einmal, als er zu wiederholten Malen angereist kam und in bewegten Worten auf den bevorstehenden Untergang dessen hinwies, was er sein altrenommiertes Unternehmen zu nennen beliebte. Der - später von den Wienern aus Gnade und Barmherzigkeit ein wenig gemilderte - Gesamtverlust belief sich zunächst auf die horrende, tatsächlich den Ruin des Unternehmens bedeuten­ de Summe von fünfundsiebzigtausend Talern, und Alfred, dem die Kruppschen Hausbiographen gern bescheinigen, daß er in Wien einem »Schikanör übelster Art« aufgesessen wäre, sah schon alles so mühsam Aufgebaute zusammenbrechen und faßte alsbald - wie dereinst sein Vater - den Entschluß zur Auswan­ derung ins ferne Rußland. »Die Königlich Preußische Regierung hat nichts für mich ge­ tan«, schrieb er an den Agenten des kaiserlich russischen Finanz­ ministeriums, mit dem er in Verhandlungen stand. »Ich glaube daher keinen Undank zu begehen, wenn ich, mein Vaterland verlassend, mich in einem Reiche niederlasse, dessen weise Regierung es sich zum Hauptziel gesetzt hat, die Industrie, wo sie nur kann, tätig und fördernd zu unterstützen.« Nun, Alfred Krupp emigrierte dann doch nicht. Daß er aber in Essen - und damit dem undankbaren Preußen erhalten blieb, war im wesentlichen nur einigen glücklichen Geschäften mit Besteckwalzen zu verdanken, durch die der nach dem Wiener Fiasko drohende Zusammenbruch der Firma gerade noch vermieden und die Verluste nach und nach ausgeglichen werden konnten. Die Firma C. Techelstein in St. Petersburg und das Etablisse­ ment von Vollgold in Berlin bestellten (und bezahlten) jene wunderbaren neuen Krupp-Walzen, »welche aus rohen Platten von Silber, Neusilber oder jedem anderen dehnbaren Metall 86

Löffel und Gabeln von jeder Form und mit jeder gebräuchlichen Verzierung mittels Walzendruck flach ausgeschnitten, scharf und rein ausgeprägt« zu liefern imstande waren - hundertund­ fünfzig Dutzend an einem Arbeitstag . . .! Auch ungarische Silberschmiede konnte Alfred Krupp als Kunden für die neuen Besteckwalzen gewinnen, und im Fe­ bruar 1847 wurde ihm sogar ein königlich britisches Patent für »seine« Erfindung erteilt. Gleich darauf verkaufte er eine solche für England patentierte Löffelwalze, zusammen mit dem Allein­ verwertungsrecht im Vereinigten Königreich, an Messieurs Elkington, Mason & Co in Birmingham für die geradezu phan­ tastische Summe von achttausend Pfund Sterling oder mehr als dreiundfünfzigtausend Talern. . . ! Das war, nach heutigen Maß­ stäben, ein Geschäft im Werte von mehr als zwei Millionen Mark - für einen illiquiden Kleinbetrieb der Unterschied zwischen drohendem Zusammenbruch und behäbiger Solvenz . . . Auch ein Schwiegersohn des russischen Zaren, der Herzog Maximilian von Leuchtenberg, ein Enkel der Josephine Beau­ harnais, späteren Kaiserin der Franzosen, bestellte sich bei Alfred Krupp in Essen eine jener famosen Besteckwalzen und bezahlte dafür, noch dazu in einer Zeit allgemeiner, äußerster Geldknappheit, einundzwanzigtausend Rubelchen bar auf den Tisch. Das entsprach damals etwa sechsundzwanzigtausend Talern und war, nach heutigem Wert, ein weiteres Millionen­ geschäft . . . Die interessanteste Folge der weitgehenden Spezialisierung auf Besteckwalzen aber war eine neue Geschäftsverbindung, die Alfred, der »geniale Erfinder«, eingehen konnte und die ihn wiederum nach Wien führte, das ihm durch den jahrelangen Streit mit der Münze so verhaßt geworden war. Doch gerade anläßlich eines seiner Bittgänge in dieser für ihn so leidigen Angelegenheit, in verzweifelter Stimmung und von neuen Ängsten geplagt, lernte er in Wien einen dort ansässigen Rheinländer kennen, der sich für Besteckwalzen interessierte und dem an einer Zusammenarbeit gelegen war. Alfred konnte gar nicht eilig genug die gewünschten Aus­ künfte geben, zeigte sich sogleich von seiner liebenswürdigsten Seite und erreichte so das Ziel, das für ihn die Rettung bedeu­ tete: Zwischen der Firma Krupp und dem Wiener Zweig der steinreichen Dürener Fabrikantenfamilie Schöller kam ein Partnerschaftsvertrag zustande, der die Errichtung und den gemeinschaftlichen Betrieb einer Besteckfabrik in Berndorf bei 87

Wien sowie die Belieferung der ganzen Donaumonarchie mit maschinell hergestellten Löffeln und Gabeln zum Ziel hatte. Alexander Schöller, der neue Partner, seines Zeichens In­ haber einer bedeutenden Speditionsfirma mit ausgezeichneten Bankverbindungen im In- und Ausland, finanzierte das gemein­ schaftliche Unternehmen und behielt sich auch die kaufmänni­ sche Leitung vor; Krupp sollte lediglich die technische Aufsicht führen und erst gleichberechtigter Partner werden, wenn er ebensoviel Kapital einbezahlt hätte wie Schöller. Dieser Fall trat nach einigen Jahren ein. Doch - um es gleich vorwegzunehmen - das Berndorfer »Zweigwerk der Firma Krupp«, wie es die Hofbiographen ge­ flissentlich nennen, brachte zwar der Essener Fabrik zunächst wieder Beschäftigung und flüssige Mittel, damit zugleich den für das arg darniederliegende Unternehmen so nötigen Auftrieb; aber dann kam es bald zu ernsten Differenzen zwischen Alexan­ der Schöller und Alfred Krupp, wobei die Schuld zweifellos bei Alfred lag, obwohl die Krupp-Fans für das Verhalten ihres Helden viele umständliche Erklärungen und F/itschuldigungen anzuführen wissen. Er hatte nämlich, entgegen seinem Verspre­ chen, keine zweite Besteckfabrik in Partnerschaft mit anderen zu betreiben, gleich darauf und just zu diesem Zweck mit dem Elberfelder Fabrikanten Jäger, einem Manne mit glänzenden Beziehungen zu Banken und Behörden, Kontakt aufgenommen - hinter dem Rücken Schöllers, was bei den ausgezeichneten Verbindungen des Wiener Partners diesem nicht verborgen geblieben war. Alfred entzweite sich dann zwar auch mit Jäger, dem er vor­ warf, sich mit wohl eigenen, jedoch aus Krupp-Stahl gefertigten Erzeugnissen gebrüstet und dabei auf den Lieferanten des köstlichen (wenn auch leider von undankbarer Kundschaft ständig monierten) Rohstoffs nicht gebührend oder vielleicht überhaupt nicht hingewiesen zu haben, ja, möglicherweise sogar und dann in zweifellos krimineller Absicht als ... - hier sollte jedem Krupp-Fan wie einst Alfred der Atem stocken! . . . Erfinder des unvergleichlichen Materials aufgetreten zu sein (wofür er dann von Alfred schon vorsorglich zum Tode verurteilt wurde: ». . . vielleicht bin ich genötigt«, kritzelte er aufgeregt und von Ängsten gepeinigt in sein geheimes Tage­ buch, »ihn auf eine Weise zum Schweigen zu bringen, daß er das Maul nie mehr auftut!«). Aber auch dieses melodramatische Ende der Eskapade - bei

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dem man nun doch zu erwägen beginnt, ob Alfred in einem Sana­ torium nicht besser aufgehoben gewesen wäre - konnte das ein­ mal erschütterte Vertrauen des Wiener Partners zu seinem Essener Kompagnon nicht wiederherstellen. Es fand sich jedoch eine Lösung, die den Interessen beider Gesellschafter gerecht wurde: Anstelle von Alfred übernahm nun sein Bruder Her­ mann die technische Leitung der »Berndorfer Metallwaren­ fabrik« und fungierte zugleich als Mittelsmann zwischen Wien und Essen. Damit war Alexander Schöller sehr zufrieden, denn Hermann Krupp war ein vernünftiger Kaufmann und auch technisch recht begabt, und auch Alfred war begeistert von dieser Lösung, hatte er doch schon lange nach einer Möglichkeit gesucht, seinen Bruder loszuwerden. Da Alfred niemanden, schon gar nicht einen tüchtigen und selbständigen Mann, neben sich zu dulden vermochte, auch längst die Gußstahlfabrik, die ja immer noch der Mutter gehörte, als sein rechtmäßiges und alleiniges Eigentum betrachtete, hatte er sich im inneren Konflikt zwischen brüderlicher Zuneigung und längst zur Manie gewordener Überzeugung, nur selbst und allein die Familienehre wiederherstellen und das zum Gespött gewordene väterliche Unternehmen zu imposanter Größe füh­ ren zu können, zwangsläufig für Hermanns Verbannung ent­ schieden. Hermann Krupp, den wir damit vergessen können, bewährte sich übrigens glänzend, erst als technischer Leiter, später als Mitinhaber der »Berndorfer Metallwarenfabrik«. Er verheiratete sich mit einer Wiener Großindustriellentochter und hinterließ, als er 1879, früher als alle seine Geschwister, als wohlhabender Mann starb, nicht weniger als sieben Kinder. Doch trotz dieser stattlichen Nachkommenschaft ist auch diese österreichische Linie der Familie Krupp, genau wie die Essener, bald darauf im Mannesstamm erloschen: Von Hermanns beiden Söhnen blieb der Älteste ein etwas schrulliger Junggeselle; die Ehe des jünge­ ren Sohnes, der dann Alleininhaber der Metallwarenfabrik würde, war kinderlos . . . Seit Anfang der vierziger Jahre hatte sich die Gußstahlfabrik zu einem - für damalige Verhältnisse - mittleren Industrie­ betrieb entwickelt. Die aus einem halben bis ganzen Dutzend Arbeitern bestehende Belegschaft der ersten Jahre nach dem Tode Friedrich Krupps war auf eine knappe Hundertschaft

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angewachsen und erreichte Anfang 1848 sogar einen Stand von hundertzweiundzwanzig Mann. Zu dem alten Schmelzbau und dem als Fabrikantenwohnung dienenden Aufseherkotten waren zahlreiche imposante Neu­ bauten hinzugekommen: ein Kesselhaus, ein zweistöckiges Magazin, eine Schleiferei und eine Schmiede, sogar ein neues, größeres Wohnhaus. Auch die Auftragslage war nicht schlecht: Neben der Ausrüstung ganzer Besteck- und anderer Metall­ warenfabriken wurden vor allem Maschinenteile und Stahl­ federn bestellt. So hätte die Familie Krupp, zumal sie ja nun wieder »zur Gesellschaft« (Essens) zählte, eigentlich ganz zufrie­ den sein können. Zumindest war das der Eindruck, den Außen­ stehende von der Situation haben mußten. Doch die Wirklichkeit sah ganz anders aus! Sei es, daß Alfreds so zahlreiche, lange und weite Reisen mehr kosteten, als sie einbrachten, sei es, daß - wie er selbst behaup­ tete - in seiner Abwesenheit »zuviel Geld verplempert« wurde, vor allem von Fritz, dem jüngsten Bruder, der ein »Tüftler« war und an einer Erfindung nach der anderen mit wechselndem Erfolg arbeitete - auf jeden Fall herrschte immer wieder ein drückender Mangel an flüssigen Mitteln, und es gab nun keinen Immobilienbesitz mehr, den man hätte belasten oder verkaufen können. Selbst die alte Walkmühle, wo einst die Brüder von Kechel, dann der Rittmeister Nicolai, erfolglos experimentiert hatten, war längst veräußert worden . . . Das Bankhaus Herstatt in Köln, bei dem Alfred umfangreiche Kredite aufgenommen und sein Konto gewaltig überzogen hatte, mahnte von Woche zu Woche dringlicher, und sogar der Vetter Fritz von Müller, sonst ein wahrlich stiller Teilhaber, der schon Unsummen in das Unternehmen investiert und seinen ganzen Besitz, selbst Schloß und Rittergut Metternich, dem Kölner Bankier als Sicherheit für Alfreds Schulden verpfändet hatte, war mit seiner Engelsgeduld am Ende. Er wollte und konnte wohl auch nicht mehr helfen. Blieb noch Fritz Solling, ein entfernter Verwandter und Jugendfreund Alfreds, der in Köln lebte und Inhaber eines bedeutenden Handelshauses war. Er hatte schon des öfteren mit kleineren und größeren Summen ausgeholfen, und nun überredete ihn der angesichts des ihm drohenden Ruins alle Register ziehende und die Geschäftsaussichten in rosigsten Farben schildernde Alfred, anstelle des um sein Vermögen bangenden Vetters Fritz als stiller Gesellschafter in die illiquide 9°

Firma einzutreten - natürlich mit einer weit größeren Summe als Einlage. . . Es scheint zunächst rätselhaft, daß sich Solling, ein kühler, nüchterner Rechner, zu einer solchen, für ihn recht kostspieligen Partnerschaft bereit fand: Er kannte Alfred von Jugend an, hatte ihn auf seiner Englandreise begleitet, war mit den Prahlereien, Ängsten und Leiden des Freundes wohlvertraut und wußte, daß Alfred ein miserabler Kaufmann war, dem es mehr darauf ankam, sich zu beweisen durch nimmermüde Geschäftigkeit, prallvolle Auftragsbücher und- meist voreilige -Investitionen, kurz, durch den Anschein des Erfolges, als daß er sich begnügt hätte mit der stillen Gewißheit einer glänzenden Bilanz als Frucht vorausschau­ ender Planung, vorsichtiger und genauer Kalkulation, größter Sparsamkeit und rationeller Arbeitsweise. Wenn Solling trotzdem zu Hilfe kam und sich mit einer gewal­ tigen Summe engagierte, so tat er es wohl vor allem in der festen Überzeugung, es werde seinem Einfluß gelingen, Alfred zur Räson und Ordnung in das Chaos zu bringen. Er hoffte, sein Freund wäre nur durch die ewigen Geldnöte so kopflos ge­ schäftig geworden und würde sich gewiß bald beruhigen und Vernunft annehmen, sobald er seiner Liquiditätssorgen ledig und wieder zu Atem gekommen wäre. Auch versprach sich Solling, außer von seinem eigenen Rat und Einfluß, heilsame Wirkung besonders von einer Ehe, zu der er Alfred zu über­ reden gedachte, am besten natürlich mit einer begüterten Bür­ gerstochter von kühlem Verstand und diplomatischem Ge­ schick, wozu dann noch eine stattliche Mitgift kommen müßte... Bislang hatte Alfred zwar stets erklärt, er wäre von seiner jetzi­ gen »Braut«, der Gußstahlfabrik, viel zu sehr in Anspruch genommen und hätte »zum Heiraten keine Zeit«, aber auch das würde sich ja ändern, sobald die Firma wieder solvent geworden wäre. Und schließlich witterte Solling eine große Chance. Er sah den Stahl- und Maschinen-Boom voraus, der in nicht allzu ferner Zukunft kommen mußte. Eine kaufmännisch auch nur einigermaßen geschickt geführte Gußstahlfabrik konnte daran Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen verdienen . . . An solchen durchaus möglichen Gewinnen wollte Solling teilhaben. Dafür war er bereit, eine Menge Geld zu riskieren. Aber er sicherte sich ab für den Fall, daß es ihm nicht gelingen sollte, den Freund zur Vernunft zu bringen: Er wollte nur mit seiner Einlage haften . . . 91

Im August 1844 kam ein entsprechender Vertrag zustande, der eine Bareinlage Sollings in Höhe von fünfzigtausend Talern vorsah, ihn unter gewissen Voraussetzungen zur Hergabe von weiteren fünfundzwanzigtausend Talern verpflichtete und ihm dafür bestimmte Mitspracherechte und Befreiung von jeder über die Höhe seiner Einlage hinausgehenden Haftung zusicherte, außerdem ein Viertel aller erzielten Gewinne . * Wie alle Krupp-Partner vor ihm, so hatte auch Fritz Solling keine reine Freude an dieser Bindung. Seine Freundschaft wurde auf harte Proben gestellt, und er entwickelte sich zu einem hart­ näckigen, unermüdlichen und manchmal recht grob werdenden Kritiker an Alfreds unternehmerischem Gebaren. Doch was nützte es ihm, wenn er über das »verfluchte sinn­ lose Reisen« seines von der Unruhe in ihm von Ort zu Ort gehetzten Kompagnons schimpfte? Was bewirkte es schon, wenn er die viel zu hastige Erweiterung des Betriebs und den all­ zu großen Aufwand rügte ? Und was half es, wenn er - angesichts der Gefahr, daß vor dem erhofften großen Boom noch eine bösej Krise kommen könnte - eindringlich warnte vor totaler Ent­ blößung von flüssigen Mitteln und dem Freund immer wieder ans Herz legte, doch »recht bald ein gutes, liebes Weib heimzu-l führen«, dessen reiche Mitgift als beruhigendes Kapitalpolster!; dienen sollte . . .? Solling saß nun mit Alfred in einem Boot,i und er hatte auf Kurs und Geschwindigkeit wenig (und jeden-| falls nicht den erhofften) Einfluß. ' Das meiste bestimmte allein der von Unruhe, Schlaflosigkeit., Ängsten und Zweifeln gequälte, »gleich dem Ewigen Juden«! (so Solling) umhergehetzte, Tag und Nacht Briefe, Notizen. ! Anweisungen und Tagebucheinträge verfassende Alfred, der.J nun zweiunddreißig Jahre alt, dabei noch hagerer war als zuvor f und dessen zerfurchtes, von Runzeln übersätes Gesicht und | schütteres, früh ergrautes Haar ihn als einen Mann von übei ■ Fünfzig erscheinen ließen. Immerhin hatte Fritz Solling schon bald die zweifelhaft« Genugtuung, mit seinen eindringlichen Warnungen und düste­ ren Prognosen recht behalten zu haben: Die gerade erst und allzu rasch aufgeblühte Industrie - in1 Ruhrgebiet war es neben der Eisen- und Stahlindustrie vor allen der Steinkohlenbergbau, der just um diese Zeit begann, erst' mals mit senkrechten Schächten die tieferliegenden Flöz * * Der volle Text dieses Gcsellschaftsvertrages findet sich im Dokumentenanhang.

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auszubeuten - geriet in eine ernste Krise. Es kam zu Konkursen ; Banken mußten ihre Schalter schließen; Bargeld wurde immer knapper, und bei Krupp in Essen ging der Umsatz 1847 um die Hälfte zurück, von achtzigtausend auf rund vierzigtausend Taler. . . Mit roten Zahlen in der Bilanz begann das gerade erst sanierte Unternehmen das neue Jahr, das eine weitere Verschär­ fung der Krise und für die herrschenden Mächte in Europa viele böse Überraschungen bringen sollte. Allerdings, Herrn Alfred Krupp bescherte das Revolutions­ jahr 1848, das den Absolutismus sonst überall zurückdrängte, zunächst just die lang ersehnte Alleinherrschaft! Im Winter 1847/48 hatte er seine Mutter, mit kräftiger Unter­ stützung Sollings, endlich dazu überreden können, ihm die ja noch immer ihr gehörende Gußstahlfabrik zum alleinigen Eigentum zu überlassen. * Für Alfred war diese Übertragung nur das Ende einer lästigen Formalität und der Sache nach eine Selbstverständlichkeit. Ge­ wiß, er hatte noch drei Geschwister . . . Aber Hermann war weit weg und sollte später mit der Überlassung der ihm ja ohnehin schon anvertrauten Beteiligung an der »Berndorfer Metall­ warenfabrik« abgefunden werden; Ida, mit ihren neunund­ dreißig Lenzen und ohne Mann eine quantité négligeable, sollte froh sein, wenn man ihr später einmal, bei besserem Geschäfts­ gang, etwas Geld für ihre alten Tage zukommen ließ, und Fritz, der Jüngste, hatte eigentlich, so fand zumindest Alfred, über­ haupt nichts mehr zu beanspruchen, ja, hätte eher noch Geld zurückzahlen müssen ! Fritz war, das mußte auch die Mutter seufzend zugeben, ein schrulliger Sonderling, eine ungepflegte Erscheinung und eine Schande für die Familie. Jahraus, jahrein stets denselben uralten Anzug tragend, immer eine kurze Pfeife, wie sie die Arbeiter rauchten, zwischen den schlechten Zähnen, hinter ungewöhn­ lich dicken Brillengläsern listig blinzelnd und, die Hände tief in den ausgebeulten Taschen, mit hängenden Schultern und krummem Rücken umherschlurfend, war der gerade achtund­ zwanzigjährige Fritz wahrlich keine Augenweide und - minde­ stens äußerlich - das genaue Gegenteil von Alfred, der sich elegant kleidete und seine hochgewachsene Gestalt selbst zu Pferd so gerade hielt wie ein preußischer Gardekürassier, der seinen Ladestock verschluckt hat . . . * Der Kauf- und Übertragungsvertrag findet sich im Dokumentenanhang.

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Fritz hatte, so fand Alfred, schon allzu viel Geld mit sinnlosen Erfindungen und Experimenten vergeudet. Gewiß, einiges war ganz nützlich gewesen: etwa die Verbesserungen an der Löffel­ walze, auch seine ersten Versuche mit Stahlfedern und in ge­ wisser Hinsicht sogar das Röhrenglockengeläut, an dem er so lange gebastelt hatte und für das der Firma Krupp auf der Deut­ schen Gewerbe-Ausstellung des Jahres 1844 sogar eine Goldme­ daille zuerkannt worden war. . . Aber versuchte sich Fritz nicht auch mit so lächerlichen und sinnlosen Dingen wie Staubsaugern oder gar der Konstruktion einer Fahrmaschine, einer pferdelosen Kutsche . . .? Und hatte er nicht - schlimmste aller Sünden! seinem unermüdlich für das Wohl der Fabrik und die Wieder­ herstellung des Ansehens der Familie wirkenden Bruder Alfred mehrfach Nichtachtung bezeigt und sich mitunter sogar unver­ schämt und trotzig gebärdet . . . ? »Mein Bruder (Fritz), der früher ganz fleißig und treu ge­ arbeitet hat«, so hatte sich Alfred empört notiert, »ließ sich dazu verführen, sich zu überheben, nahm wenig Notiz von mir . . .« Das verdiente natürlich Strafe! Und so wurde denn der widerborstige Jüngste mit einem Geldanspruch abgefunden, der ihm später einmal abgegolten werden sollte ... Ja, die Mutter verfügte sogar auf Drängen Alfreds in ihrem Testament, daß Fritz auf seinen Pflichtteil be­ schränkt würde, falls er »wider Erwarten die Geschäftsgeheim­ nisse anderen mitteilen oder selbst ein ähnliches Geschäft für alleinige Rechnung oder in Gemeinschaft mit anderen beginnen« sollte. Natürlich fand sich Fritz mit dieser Entrechtung nur schwer ab. »Mürrisch« - wie sich Alfred notierte - und »heftig grollend« - wie andere bemerkten - verließ er für immer sein Elternhaus und das Unternehmen, zu dessen Erhaltung er so wesentlich beigetragen hatte.NichteinmaldieGoldmedaillenahmermit. . .Nacheinigen mißglückten Versuchen, in der Geschäftswelt Fuß zu fassen, zog sich Fritz Krupp nach Bonn zurück, wo er als »komischer Kauz« und stadtbekanntes Original in bescheidenem Wohlstand ein hohes Alter erreichte und alle seine Geschwister überlebte. Man hielt ihn für »nicht ganz richtig im Kopf«, erzählte sich schmunzelnd von seinen Schrullen, zum Beispiel, daß er jeden Abend im selben vornehmen Restaurant zu speisen pflegte, und zwar für genau einen Taler, keinen Pfennig mehr oder weniger, gleich ob er allein dinierte oder noch einige Gäste mitbrachte. 94

Seine sporadisch drückend werdenden Schulden wurden von Fall zu Fall von der Essener Gußstahlfabrik seines millionen­ schweren Bruders beglichen, und Hofbiograph Wilhelm Berdrow bemerkt dazu, daß Alfred bei solchen Gelegenheiten Fritz, »den alten Hagestolz, in launigen Versen zu necken« beliebte . . . Fritz Krupp starb zwar nicht als Multimillionär wie sein Bruder, aber immerhin ohne materielle Sorgen und vor allem: vierzehn Jahre nach Alfred, im Jahre 1901. Bis zu ihrem Tode im Jahre 1882 leistete ihm seine Schwester Ida in Bonn ein wenig Gesellschaft. Nach dem Ableben ihrer Mutter im Jahre 1850 hatte sie es nur noch kurze Zeit in Essen ausgehalten. Auch sie galt als »etwas sonderbar«, doch schob man dies mehr der Tat­ sache zu, daß sie unverehelicht geblieben war . . . Der Preis, zu dem Alfred Krupp das ganze Unternehmen samt den Grundstücken, Wohnhäusern, Maschinen und Vorräten sowie der Beteiligung an der »Berndorfer Metallwarenfabrik« von seiner Mutter kaufte, war übrigens geradezu verblüffend niedrig: Während Fritz Solling immerhin bare fünfundsiebzigtausend Taler aufbringen mußte, um mit fünfundzwanzigprozentiger Gewinnbeteiligung stiller Teilhaber zu werden, sollte Alfred nur vierzigtausend Taler entrichten. Aber selbst diese geringe Summe wurde erstens noch stark ermäßigt, nachdem die öster­ reichische Beteiligungsfirma Verluste gemeldet hatte, und zwei­ tens besaßen die fünfundzwanzigtausend Taler, auf die Alfred den Kaufpreis nachträglich senken ließ, vornehmlich Symbol­ wert: Die ganze Summe, so wurde vereinbart, sollte als ein erst nach zehn Jahren kündbares, frühestens vom zwölften Jahre an in bescheidenen Raten rückzahlbares Darlehen in der Firma verbleiben. Der reale Nutzen des Verkaufs an Alfred bestand für Mutter Therese allein in dem Versprechen des Sohnes, ihr als Verzin­ sung des Kapitals eine monatliche Rente von hundert Talern zu zahlen, soweit es die Liquidität der Firma zuließ . . . Vom Tage der formellen Übergabe der Firma an Alfred, also vom 24. Februar 1848, an brauchen wir - genau wie der neue Inhaber es auch tat - den ausgeschiedenen und abgefundenen Mitgliedern der Familie Krupp keinerlei Bedeutung mehr bei­ zumessen. Und anders als Alfred, der nun, da er sie los war, seiner Mutter wie auch seinen entrechteten Geschwistern mit kleinen und großen Geldzuwendungen und »launigen Briefen« 95

zu erkennen gab, daß ihn ihr - für ihn selbstverständliches Opfer gnädig gestimmt hätte, können wir Mutter Therese geborene Wilhelmi, Ida, Hermann und Fritz getrost ihrem uns schon bekannten Schicksal überlassen und aus dem Gedächtnis verlieren. Nicht vergessen dürfen wir indessen - sowenig wie es Alfred konnte - die geschäftlichen Sorgen des neuen Firmeninhabers und die allgemeine Krise, die nach zwei Jahren des Hungers und der Arbeitslosigkeit nun, 1848, ihren Höhepunkt erreichte. Um die politische Entwicklung brauchen wir uns - wie Alfred - so gut wie gar nicht zu kümmern. Essen war kein revolutionä­ res Zentrum, kein Sitz einer Regierung, die gestürzt (und wieder eingesetzt) werden konnte, kein Schauplatz für Massendemon­ strationen, konstituierende Versammlungen, gewaltige Reden, Barrikadenkämpfe und »Heldentaten« eines königlichen Prin­ zen, der seine Soldaten die Menschenmassen niederkartätschen ließ . . . Und Alfred Krupp war kein August Borsig, der als Maschinenfabrikant in Berlin den Zug seiner Arbeiter anführte und als Freisinniger für Beseitigung des Absolutismus und frei­ heitliche Demokratie demonstrierte; er war auch kein Camp­ hausen, Hansemann, Mevissen oder einer der anderen liberalen Großbürger des Rheinlandes, die mit den Demokraten sym­ pathisierten, ihre enthusiastisch gefeierten Sprecher waren . . . Nein, Alfred Krupp sah in der ganzen Revolution nichts als eine höchst ungehörige Störung seiner Geschäfte, eine persön­ liche Kränkung zudem, da ihm mehrfach nicht mehr der ihm gebührende Respekt erwiesen wurde: Seine Arbeiter wagten es, ihn mit albernen Beschwerden und unverschämten Forderun­ gen zu belästigen, und sie wählten sich dazu den Schmied Marré zum Sprecher, einen Mann, der schon bei Alfreds Vater gearbei­ tet, auch in den bittersten Notzeiten in der »Gußstahlfabrik« aus­ gehalten und oft auf seinen Lohn gewartet, ja einst den kleinen Alfred mit Äpfeln und Kandis getröstet, ihm Spielzeug gebastelt und seinem Pony die Hufe beschlagen hatte . . . Für Alfred war das natürlich nur ein neuer Beweis für die Berechtigung seines tiefen Mißtrauens, auch gegenüber den scheinbar treuesten Freunden, und seiner Angst, daß sich alle, ohne Ausnahme, gegen ihn verschworen hätten, um ihn zu­ grunde zu richten, zu demütigen und dann seinen Qualen zu überlassen . . . Selbstverständlich wurde Marré von ihm auf der Stelle entlassen, und ebenso selbstverständlich flog auch der alte Schlosser Hülsmann sofort hinaus, als er wegen der

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fristlosen Entlassung des dienstältesten »Kruppianers« zu mur­ ren wagte . . . Später haben die konzerneigenen Historiker die kühne Be­ hauptung aufgestellt und sie sogar noch mit einigen sentimen­ talen Histörchen zu untermauern getrachtet, bei Krupp sei »Treue um Treue« - selbst im Revolutionsjahr 1848, trotz er­ bärmlich schlechter Auftragslage, niemand entlassen worden, während tatsächlich die Hinauswürfe die symbolische Zahl von achtundvierzig erreichten - bei hundertzweiundzwanzig Mann Belegschaft am Jahresanfang immerhin fast vierzig Prozent. . .! Ein Glück für Alfred war es, daß er in diesen bösen, gefähr­ lichen Tagen einen Helfer hatte, auf den er sich - einigermaßen verlassen zu können hoffte, einen entfernten Verwandten sogar, entfernt genug, keinerlei Ansprüche stellen zu können, dazu ein Kalfaktor-Typ, der aus den Leuten das Letzte herausholen und sie dann auch noch dazu bringen konnte, stramm die Mütze zu schwenken und den Herrn Fabrikanten ihrer Dankbarkeit zu versichern für die große Gunst, für ihn arbeiten zu dürfen. Dieser gegenüber Alfred servile, sonst als brutal gefürchtete Aufpasser und Antreiber hieß Ascherfeld - wie Alfreds Urgroß­ mutter, die Witwe Helene Amelia mit der Geldkatze, die mit Immobilien gehandelt und das Kruppsche Vermögen einst so wacker vermehrt hatte. Alfred sah darin ein günstiges Omen . . . Aber Adalbert Ascherfeld war noch auf mancherlei andere Weise mit den Krupps verwandt, vor allem jedoch mütterlicher­ seits, genau wie Alfred, ein Enkel des alten Wilhelmi - was nicht so gut war -, somit ein richtiger Vetter seines neuen Chefs, aber gottlob einer, der sich seiner-im Vergleich zu Alfred - geringen Bedeutung und Position bewußt und damit auch zufrieden war, jedenfalls keine Ambitionen erkennen ließ, von seinem Cousin als gesellschaftlich gleichrangig angesehen oder auch nur behan­ delt zu werden. Von Hause aus Goldschmied und Juwelier, aber in seiner Vierschrötigkeit eher wie ein Grobschmied wirkend, heiratete Ascherfeld nun das ältliche Mädchen, das der Familie des Herrn Fabrikanten Krupp den Haushalt führte. Die Ehe blieb kinder­ los, was sicherlich dazu beitrug, daß sich die neue Frau Ascher­ feld - nun die angeheiratete Kusine ihres Dienstherrn - zum Haustyrannen entwickelte. Darunter hatte zwar in erste Linie ihr Ehemann zu leiden, durch ihn aber mittelbar auch alle Arbeiter der Fabrik, denn der Herr Aufseher, der zu Hause nichts zu sagen hatte, rächte sich

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für alle Demütigungen, die er daheim erlitt, indem er die »Kruppianer« nach allen Regeln der Kunst schikanierte. Im März 1848 ordnete der verängstigte Bürgermeister von Essen, zu dem Gerüchte von allerlei schrecklichen Umsturz­ versuchen gedrungen waren, die Schließung der Tore an und proklamierte den Belagerungszustand. Das trug natürlich nur dazu bei, die Unruhe, die die Bevölkerung erfaßt hatte, zu ver­ stärken. Überall wurde gestreikt und »räsoniert«; die Arbeiter »rotteten sich« an den Straßenecken zusammen und führten wilde Reden, die Bürger saßen von früh bis spät in ihren Stammlokalen und diskutierten; es gab auch ein paar Zusammenstöße mit über­ eifrigen Ordnungshütern. Stramme Zucht und striktes Diskutierverbot herrschten nur bei Krupp. Alfred versammelte seine Arbeiter, erteilte ihnen strenge Weisungen und warnte sie vor den »Demagogen« und »Aufwieglern«: »Sie können gut reden, aber seht einmal nach, wie es bei sol­ chen Leuten in den Familien aussieht . . .!« Seine Befehle und Drohungen, vor allem aber die Hinaus­ würfe aller, die aufzumucken wagten, verfehlten nicht ihre Wirkung. In den Darstellungen der Kruppschen Hofbiographen findet sich mancher stolze Hinweis auf diese so erfreuliche Tat­ sache, und die »Aussage« des Arbeiters Ördingen, daß »kein Angehöriger der Gußstahlfabrik« vom Revolutionsfieber an­ gesteckt worden wäre, erläutert die Methoden: »Herr Krupp hatte uns Weisung gegeben, wenn auch keine Arbeit vorläge, so sollten wir doch zur Fabrik kommen, damit wir von der Straße wegkämen . . .« Die »Kruppianer« mußten sich frühmorgens auf ein Glocken­ zeichen hin am Stadttor versammeln - »Lopt, et lütt. . .! (Lauft, es läutet . . .!)« riefen die anderen Essener Arbeiter den Streik­ brechern höhnisch nach -, der mit einem Knüppel bewaffnete Ascherfeld erwartete sie dort bereits mit vorgeschobenem Kinn, ließ sie antreten, und dann ging’s im Gleichschritt durch das füreinenAugenblickgeöffneteTorhinauszurGußstahlfabrik. . . Spätabends brachte der Herr Aufseher die müden Männer mit zackigen Kommandos und »Links, zwei, drei, vier . . .!« wieder heim zu Muttern . . . Übrigens nicht nur im »tollen Jahr« 1848, sondern auch schon vorher und erst recht später, als Alfred noch weit wunderlicher geworden war, wurden die »Kruppianer« in strenger Zucht gehalten. Noch über ein Jahrzehnt lang besorgte dieses Geschäft 98

der brave Vetter Adalbert, der übrigens mit wachsendem Um­ fang des Unternehmens avancierte, am Ende technischer Direk­ tor wurde, sich aber dann selbst so störrisch gebärdete, daß Alfred ihn in Pension schicken mußte. Ascherfeld heiratete nach dem Tode seiner ersten, so tyrannischen Frau noch ein zweites Mal, und zwar ein Nichtchen seiner Verflossenen. Doch von dieser, weit glücklicheren Ehe, aus der noch zahlreiche kleine Ascherfelds hervorgingen, profitierten die »Kruppianer« nicht mehr. . . Von den vielen seltsamen Vorschriften, mit denen Alfred Krupp seine Belegschaft zu - wie er es nannte - »Moral und Dis­ ziplin« anhielt, sei hier nur eine einzige erwähnt: Schulden­ machen war verboten! Wer beim Kaufmann, Bäcker, Metzger oder gar in der Kneipe anschreiben ließ, sollte, so ordnete Alfred an, »unnachsichtig und sofort aus dem Betrieb entfernt« wer­ den. Seine Begründung: »Wie sollten sie ihre Schulden zahlen, wenn sie mir das Geld nicht stehlen . . .?« Und: »Schulden­ machen verdirbt den Charakter, führt zu Leichtsinn« und »un­ weigerlich« auch zum Stehlen. Er mußte es ja wissen . . .

Am 24. Februar 1848 hatte sich Alfred notiert, daß seine Mutter ihm »das Wrack der Fabrik« übertragen hätte. Es klang, als wäre die alte Dame schuld am neuerlichen Ruin des Unternehmens und hätte in letzter Not das Steuer dem wackersten ihrer Söhne überlassen. . . Abgesehen davon, daß die Übertragung ja von Alfred er­ zwungen worden war, erhebt sich die Frage, ob es denn wirk­ lich so schlimm um die Firma stand, wie die Bezeichnung »Wrack« annehmen läßt. Nun, Produktion und Absatz waren tatsächlich, wie überall in Deutschland, völlig zum Erliegen gekommen, und auch die Kassen waren leer. Aber - jedermann spürte es - das war schon das Ende der jahrelangen Krise, die letzte Flaute vor dem Ein­ setzen einer sehnsüchtig erwarteten frischen Brise. Auch Alfred, von Fritz Solling gut informiert und beraten und bald auch mit einem neuen großen Kredit des Kölner Bank­ hauses Sal. Oppenheim junior & Cie versorgt, schien zu wissen, daß es nur noch kurze Zeit durchzuhalten galt. »Man muß ge­ duldig abwarten«, schrieb er, der ewig Ungeduldige, an einen Kunden, »je schlechter es jetzt noch wird, desto besser wird’s nachher . . .« Die totale Ebbe in der Kasse überbrückte er ge­ schickt, indem er - nach dem Vorbild des Alten Fritz - alles 99

Edelmetall, das sich noch irgendwo im Hause befand, einschmel­ zen und zur Düsseldorfer Münze schaffen ließ: die Reste des alten Familiensilbers, die Goldmedaille seines Bruders Fritz, sogar die silbernen Schwanenhalssporen, die er auf seiner Eng­ landreise getragen hatte . . . Und schon am Tage, an dem die aus diesen letzten Reserven frisch geprägten Taler und Silbergroschen in Essen eintrafen, konnte er triumphierend verkünden: »Ein Wunder geschieht! Von diesem Tage an haben wir wieder vollauf Arbeit und Geld zur Disposition . . .!« Es war wirklich der Augenblick der großen Wende, das Ende der auf lange Zeit letzten Krise. Zwar kam der Aufschwung nicht über Nacht, und in den folgenden Monaten sollte es für Alfred noch viel Ärger geben, vornehmlich mit Herrn Oppen­ heim in Köln, der die ständigen, verzweifelten Versuche des Herrn Krupp, den ihm auf Bürgschaft Sollings hin eingeräum­ ten Kredit kräftig zu überziehen, mit Energie und wachsender Mißbilligung abwehrte und die Geschäftsbeziehungen brüsk abzubrechen drohte, vermutlich, weil er von einem so leicht­ sinnigen Kunden ähnliches befürchtete wie Alfred von einem in die Kreide geratenen Arbeiter . . . Aber dann, als sich die Alte Ordnung in Deutschland wieder fest etabliert hatte, setzte endlich der lang erwartete, nur zurück­ gestaute Boom ein. Große Aufträge kamen herein, beispiels­ weise der des Herzogs von Leuchtenberg, dessen Rubel Alfreds leere Kasse mit einem Schlage füllten^ Es konnten wieder Ar­ beiter eingestellt werden - sogar der hinausgeworfene Marré durfte, jetzt allerdings bloß noch im verhaßten Stücklohn, doch noch einmal für Alfred schmieden -, und nun begann der rasche Aufstieg eines schlecht fundierten mittleren Provinzunterneh ­ mens zum mächtigen Großbetrieb von nationaler und bald auch internationaler Bedeutung.

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Die Thronbesteigung

Krupp-Fans wie -Hasser neigen verständlicherweise dazu - und man kann nicht einmal sagen, daß die Verehrer dabei die Eifrig­ sten wären ganz so zu tun, als wäre das Essen der Krupps der Nabel der Welt gewesen, mindestens aber das mit Abstand wich­ tigste Industriezentrum Preußens und später des mächtigen Kai­ serreiches Deutschland; auch als hätte es neben den Objekten ihrer Mohrenwäsche oder Verteufelung, den Krupps, keine nennenswerten anderen Industriepioniere und -kapitäne ge­ geben. Und selbst diejenigen Krupp-Biographen, die ernsthaft um Objektivität bemüht sind, zumindest was die Wertung des Charakters und der Leistungen Alfreds betrifft, des für die Ge­ samtbeurteilung ohne Zweifel Wichtigsten der Krupps, verfal­ len leicht in den alten Fehler hochspezialisierter Forscher, vor lauter Freude am eigenen Lieblingsbaum den Wald nicht zu sehen. So entstehen dann Bilder, die eine Fülle durchaus rich­ tiger Einzelheiten zeigen, nur leider in falscher Perspektive. Während wir uns einerseits davor hüten müssen, einen ähn­ lichen Fehler zu begehen und den Werdegang »Alfreds des Gro­ ßen« isoliert zu betrachten, ohne rechte Beziehung zu seiner Umwelt oder diese nur als dekorativen Hintergrund benutzend, so zwingt uns doch andererseits die schier grenzenlose Fülle der Vergleichsmöglichkeiten, die gerade diese Jahrzehnte der stür­ mischen Industrialisierung West- und Mitteleuropas bietet, zur strengen Konzentration auf das Wesentliche. Anstelle einer Serie von Kolossalgemälden, auf denen wir Alfred Krupp, sein Werk und seine nächste Umgebung jeweils nur als kleines Detail, aber maßstabgerecht und perspektivisch richtig betrachten könnten, wollen wir uns begnügen mit Entwürfen solcher Gemälde, bloßen Skizzen, auf denen einige wichtige Punkte schon festgelegt sind, aber nur gerade so viele, wie nötig sind, den kleinen, uns interessierenden Ausschnitt im richtigen Verhältnis zum Gesamtbild zu sehen.

Beginnen wir mit der Stadt Essen, die im Jahre 1848 noch immer erst knapp siebentausend Einwohner zählte, wogegen beispiels­ weise die Bevölkerung Berlins schon hundert Jahre zuvor, als von Industrialisierung noch kaum die Rede sein konnte, das erste Hunderttausend überschritten hatte. Bis 1861, als die erste 101

stürmische Phase ihrer Entwicklung zur Industriestadt bereits vorüber war, hatte sich die neue »Ruhrmetropole« an Einwoh­ nerzahl zwar verdreifacht und zählte nun knapp einundzwanzig­ tausend Seelen. Aber inzwischen war Berlin zur Halbmillionen­ stadt angewachsen, Wien ebenfalls, und Paris, wo schon im 17. Jahrhundert über fünfhunderttausend Menschen gelebt hatten, konnte sich 1861 bereits mit 1,7 Millionen, London sogar mit 2,8 Millionen Einwohnern brüsten . . .! Auch im innerpreußischen Vergleich blieb Essen eine Klein­ stadt : Provinz-Metropolen wie Königsberg oder Stettin waren etwa viermal größer, Breslau mit damals rund hundertfünfzig­ tausend Einwohnern war fast achtmal so groß wie das Städtchen an der Ruhr, das gerade erst aus seinem Dornröschenschlaf zu erwachen begann. Kein Wunder also, daß Essen auf vielen Übersichtskarten vom Mitteleuropa jener Tage überhaupt nicht verzeichnet war; kein Wunder auch, daß umgekehrt Herr Alfred Krupp und seine Gußstahlfabrik, deren Belegschaft sich von sechs Dutzend Arbeitern im Jahre 1848 auf über tausend Mann im Jahre 1855 vermehrt hatte, in Essen bald eine dominierende Stellung ein­ nahmen. Aber deshalb waren die Essener Krupps noch längst nicht die einzigen bedeutenden Industriellen im Königreich Preußen oder gar in Deutschland, nicht einmal im Ruhrgebiet, ihrer engeren Heimat, oder auch nur in ihrer Branche . . .! In Sterkrade hatte die solide fundierte, unter ihren Managern Lueg, Vater und Sohn, kontinuierlich entwickelte »Gutehoffnungshütte« der Herren Haniel, Huyssen und Jacobi enormen Aufschwung genommen... Im nahen Bochum, wo Jacob Mayer 1842 eine Gußstahl­ schmelze gegründet und 1854 zum »Bochumer Verein« erweitert hatte, konnte man mit Stolz darauf hinweisen, daß hier, und nicht bei Krupp in Essen, der erste Stahlguß gelungen war . . . In Berlin hatte sich der ebenso begabte wie ehrgeizige Breslauer Zimmermann August Borsig zum Betriebsleiter einer Eisen­ gießerei emporgearbeitet und 1837 eine eigene Fabrik gegrün­ det, die sich bald zum führenden schwerindustriellen Unterneh­ men der preußischen Hauptstadt entwickelte, Gußstücke aller Art, Maschinenteile, später vor allem Dampfmaschinen und Lokomotiven herstellte und schon Weltruf genoß, als Alfred Krupp noch ein völlig Unbekannter war . . . In Buckau an der Elbe - heute ein Stadtteil von Magdeburg -

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war der ehemalige Borsig-Ingenieur Hermann Gruson, der dort 1855 eine eigene Schiffswerft errichtet hatte, mit HartgußExperimenten erfolgreich. Er entwickelte sich später zu einem der schärfsten Konkurrenten der Firma Krupp, vor allem auf dem Rüstungssektor - mit welchem für ihn peinlich über­ raschenden Ergebnis, das werden wir noch sehen . . . Schon diese wenigen Namen zeigen, daß Alfred Krupp als Schwerindustrieller wahrlich nicht allein war, weder in Preußen noch in seiner speziellen Branche. Man kann nicht einmal, selbst wenn man den recht dubiosen Vertrag zwischen Alfreds Vater und den Herren von Kechel vom Jahre 1811 als den eigentlichen Beginn industrieller Tätigkeit der Familie Krupp betrachtet, das Essener Unternehmen zu den ältesten seiner Art in Deutsch­ land rechnen: Die Firma Gebr. Stumm im saarländischen Neunkirchen wurde bereits 1715 gegründet; sie ist noch heute die Holding eines bedeutenden Familienkonzerns der Eisen- und Stahl­ industrie . . . Johann Wilhelm Buderus begann 1731 mit dem Betrieb der heute zum Flick-Konzern gehörenden - Buderusschen Eisen­ werke zu Wetzlar ... Und die Firma J. A. Henckels, Zwillingswerk in Solingen, als Schneidwarenfabrik und Stahlwerk weltberühmt, wurde eben­ falls schon 1731 gegründet . . . Die Henschels schließlich, seit 1614 in Mainz, seit 1777 in Hessen als Geschütz- und Glockengießer tätig, gründeten 1810 zu Kassel eine große Gießerei und Maschinenfabrik, die dann von Karl Anton Henschel, einem bedeutenden Erfinder, der schon 1803 mit Entwürfen einer Straßen-Lokomotive von sich reden machte, zur führenden Lokomotivenfabrik des europä­ ischen Kontinents ausgebaut wurde . . .

Wenn schon diese kleine, keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebende Liste deutlich zeigt, wie es um das Kruppsche Industrie-Pioniertum steht, so erhebt sich die Frage, womit Alfred Krupp nun eigentlich seinen erstaunlichen Aufstieg vom nahezu bankrotten, völlig unbekannten Leiter eines herumexperimen­ tierenden provinziellen Zwergbetriebes zum führenden Groß­ industriellen des Deutschen Reiches bewerkstelligt hat : War er ein Erfinder wie Karl Anton Henschel oder gar wie der geniale Werner von Siemens, der der Menschheit mit seinem 103

Dynamo die Möglichkeit zur Umwandlung mechanischer Kraft in Elektrizität gab und ihr damit die elektrische Energie er­ schloß, durch deren Besitz sie erst den entscheidenden Schritt zur Beherrschung der Natur tun konnte, und der 1847, zusam­ men mit seinem Mechaniker Halske, die erste TelegrafenbauAnstalt gründete, aus der nach und nach ein Weltkonzern ent­ standen ist, der heute eine größere Bilanzsumme und weit mehr Beschäftigte aufzuweisen hat als die Firma Krupp in ihren besten Tagen . . .? Oder war Alfred ein ungewöhnlich tüchtiger Kauf­ mann, ein Finanzgenie, vielleicht auch nur ein überaus erfolg­ reicher Börsenjobber. . .? Nun, wie es um Alfred Krupps kaufmännische Begabung stand, wissen wir bereits; sie beschränkte sich auf die - aller­ dings meisterhafte - Fähigkeit, Kruppsche Produkte - und solche, die es erst noch werden sollten - überschwenglich anzu­ preisen und in oftmals größeren Mengen zu verkaufen, als der kleine Betrieb herzustellen in der Lage war, mitunter auch zu Bedingungen, die dann nicht einzuhalten waren . . . Auf dem Gebiete der Finanzen war Alfred ein kühner Seil­ tänzer und ein wahres Pumpgenie, doch von wohlüberlegter Planung auf längere Sicht konnte bei ihm wahrlich nicht die Rede sein! Und ein Börsenjobber war Alfred Krupp sicherlich auch nicht. . . Bleibt die Frage, ob er ein Erfinder war und, wenn nicht, was ihn sonst an die Spitze der deutschen Industrie getragen haben mag ... Die Krupp-Fans, allen voran Wilhelm Berdrow, schwärmen von Alfreds »genialer Erfindung«, der Gußstahl-Kanone, etwas vorsichtiger auch von seiner und seines Vaters Entdeckung des Gußstahl-»Geheimnisses«. Doch es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß weder der Gußstahl noch die daraus gefertigte Kanone die Kruppsche Fabrik zur Geburtsstätte haben. Selbst Alfred Baedeker, einer der glühendsten Verehrer Kruppschen Genies, kam zu der betrüblichen und von ihm gewiß nur wider­ strebend, in sprödestem Kaufmannsdeutsch formulierten Fest­ stellung: »Wie in Betreff des Gießens von Stahl in Formen, gebührt auch hinsichtlich der Anwendung desselben zu Geschützen die Priorität tatsächlich dem Bochumer Verein, aus dessen Werk­ stätte 1847 die erste Gußstahlkanone hervorging, die, in Wetter bei Kamp & Co gebohrt und fertiggestellt, in Bochum Schießund Sprengversuchen unterzogen wurde.«

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(In Wirklichkeit war Jacob Mayers »Bochumer Verein« sogar noch früher mit einer Gußstahlkanone eigener Fertigung an die königlich preußische Artillerie-Prüfungskommission heran­ getreten, nämlich - wie Generalleutnant H. von Müller in seinem Werk >Die Entwicklung der Feldartillerie< ausdrücklich erwähnt - bereits 1844, als man bei Krupp an einem ähnlichen Projekt noch nicht einmal zu arbeiten begonnen hatte. Daher ist auch die von Hofbiograph Berdrow nachträglich aufgestellte Behaup­ tung, Jacob Mayer habe perfiderweise einige von Krupp ge­ schulte, dann aber entlassene Arbeiter eingestellt und auf diese Weise das Kruppsche Gußstahlkanonen-Geheimnis für sich ausnutzen können, alles andere als überzeugend . . .) Was aber, wenn schon nicht eigene Erfindungen, hat dann Krupp so groß gemacht. . . ? Die Antwort auf diese entscheidende Frage lautet: Einmal die ungewöhnliche Zähigkeit, mit der Alfred, unter fast totaler Vernachlässigung aller anderen normalen mensch­ lichen Interessen, sein Ziel, »Ehre und Prosperität« zu gewin­ nen, angestrebt hat; zum zweiten sein gleichfalls sehr ungewöhn­ liches, ja oftmals geradezu verblüffendes Geschick, aus den Einfällen anderer, rascher als die Ideenspender selbst, für sich Kapital zu schlagen; zum dritten sein außerordentliches Talent als Verkäufer und Geldbeschaffer; viertens seine bewunderungs­ würdigen Fähigkeiten auf dem Gebiet der (eigenen) Public Relations und fünftens die ungewöhnliche Gunst der Zeit! Von England her rollte die Woge der »industriellen Revolu­ tion« über den Kontinent. Das bis dahin noch weitgehend ländliche Ruhrgebiet war zunächst vom »Kohlenfieber« erfaßt worden, dann vom Dampfmaschinen-Rausch. Darauf folgte, unterstützt von dem Goldüberfluß, den die kalifornischen Ent­ deckungen gebracht hatten, und der wiedererwachten Investi­ tionslust der Kapitalisten, die nach der gescheiterten Revolution von 1848 »Ruhe und Ordnung« nicht mehr gefährdet sahen, in ganz West- und Mitteleuropa, besonders aber überall dort, wo wie im Ruhrgebiet - reiche Kohlenlager zur Verfügung standen, eine geradezu explosive Industrialisierung, damit zugleich auch ein rascher Ausbau des Verkehrsnetzes, vor allem der Eisen­ bahnen, und eine Bevölkerungsbewegung wie nie zuvor in der europäischen Geschichte! Hunderttausende, vorwiegend ländliche Handwerker und verarmte Kleinbauern, strömten aus den Dörfern in die Indu­ striestädte oder zum Eisenbahnbau. i°5

Nachdem die Länge der in Betrieb befindlichen deutschen Schienenwege von nur sechs Kilometern im Jahre 1836 auf rund fünfhundertfünfzig Kilometer im Jahre 1840 gestiegen war, nahm sie in den folgenden zwei Jahrzehnten um das Zwei­ undzwanzigfache zu. Und 1865 waren bereits fünfzehntausend Kilometer Bahnstrecken in Betrieb! Diese revolutionären Veränderungen wirkten sich für die Kruppsche Gußstahlfabrik - und viele hundert andere Unter­ nehmen - in mehrfacher Hinsicht äußerst günstig aus: Das wachsende Arbeitskräfteangebot hielt die Löhne niedrig; die Eisenbahnen vereinfachten und beschleunigten die Transporte, sowohl der Rohstoffe zum Werk als auch der fertigen Erzeug­ nisse zum Kunden, und der Eisenbahn- wie der Wohnungsbau die Landflüchtigen mußten ja untergebracht werden! - sorgten für glänzende Auftragslage. Schon 1847 hatte die Köln-Minde­ ner-Eisenbahngesellschaft eine Strecke am Rande des Ruhr­ gebiets vollendet und in Betrieb genommen, und es sollte nur noch wenige Jahre dauern, bis auch Essen einen Bahnhof - an der bergisch-märkischen Linie - bekam. Vom Ende der vier­ ziger bis zur Mitte der fünfziger Jahre stieg der Umsatz der Kruppschen Gußstahlfabrik von vierzigtausend auf fünfhun­ derttausend Taler, die Anzahl der Beschäftigten von rund hun­ dert auf über tausend Mann. Auch die Werksanlagen dehnten sich gewaltig aus - auf mindestens das Achtfache ihres Umfangs vor 1848. An Einrichtungen kamen ein Hammerwerk, eine mechanische Werkstatt, eine Eisengießerei und ein Puddelwerk hinzu, vor allem aber das von Alfred schon seit langem heiß ersehnte Walzwerk. Diese sehr beträchtlichen Investitionen erforderten natürlich neue Kredite, und da Salomon Oppenheim in Köln zur Her­ gabe weiterer Mittel wenig geneigt war, sprangen die Berliner Bankhäuser von Gerson Bleichröder und Mendelssohn & Co ein. Und als auch ihre Kredite nicht mehr ausreichten, wurden neue stille Teilhaber gesucht und gefunden: Die Brüder Waldthausen in Essen und der reiche Niemann in Horst beteiligten sich mit zusammen zweihundertfünfzig­ tausend Talern . . .! Der Eisenbahn-Boom verlagerte rasch den Schwerpunkt der Produktion. Löffelwalzen waren für Alfred Krupp nicht mehr so interessant; man konnte ohnehin nur jeweils eine An­ lage in jedes Land verkaufen, und die Walzen nutzten sich überhaupt nicht ab. So stieg er ins Eisenbahngeschäft ein, 106

zunächst mit Stoßfedern und Wagenachsen, dann mit etwas Neuem, das sich zu einem Millionengeschäft entwickelte. Wie immer, so war auch die Ideej die diesem neuen Produkt zugrunde lag, kein Kruppscher Originaleinfall. Wilhelm Lueg, der für die Herren Haniel, Jacobi und Huyssen die Gutehoffnungshütte leitete, lenkte Alfreds Aufmerksamkeit auf einen neuralgischen Punkt des Waggonbaus: die Radbandagen . . . Sie wurden damals noch, wie seit eh und je bei Pferdewagen und Postkutschen, um die Räder gelegt und an den Enden zu­ sammengeschweißt. Natürlich hielten die Nahtstellen auf die Dauer nicht den erhöhten Geschwindigkeiten und Belastungen stand, und es kam dann, wie früher bei den Kutschen, zu Rad­ brüchen. Das war schon immer lästig gewesen; bei einem Eisen­ bahnzug konnte es jedoch zur Katastrophe führen. Nun, Alfred Krupp griff die Anregung Luegs, es doch einmal mit nahtlosen Radbandagen zu probieren, begeistert auf. Er witterte sofort die ungeheuere Chance, die sich ihm da bot: Mit einer solchen »Erfindung« mußte es ihm gelingen, die Eisenbahnen als Dauerabnehmer zu gewinnen und sie sich damit - wie er es nannte - »tributpflichtig« zu machen . . .! Das Herstellungsprinzip war ihm ja längst von der Walzen­ fabrikation her bekannt - dank der großen Aufmerksamkeit, die er den Erfindungen und Verbesserungen seiner Kundschaft stets geschenkt hatte. Und nach einigen - unter strengster Geheim­ haltung in einer von den Arbeitern »Sibirien« genannten Sonder­ abteilung - durchgeführten Experimenten konnte er die Eisen­ bahnverwaltungen tatsächlich eines Tages mit nahtlosen Ban­ dagen von enormer, ringsum gleicher Zähigkeit überraschen. Es wurde ein Bombengeschäft. . .! Mitte 1852 war der erste »nahtlose Radkranz«, wie er nun genannt wurde, fertig geworden - nicht ganz so fehlerfrei wie erhofft, denn Alfred gab sogleich (schriftliche) Anweisung, daß »der zweite auch so schnell und so schön geschmiedet werde; daß unreine oder ungleich dicke Stellen, die mit dem Kaltmeißel oder der Feile vor der letzten Richtung herausgearbeitet wur­ den, so überschmiedet werden, daß kein Mensch ahnt, daß Kaltmeißel oder Feile gebraucht sind . . .« 1853, nachdem das Verfahren zum Patent angemeldet und anerkannt worden war, konnte die Produktion anlaufen. Bald darauf verkaufte Alfred fünfzehn-, später sogar mehr als dreißigtausend Radkränze im Jahr . . .! Die Nachfrage hielt an, so lange er lebte, desgleichen sein Stolz auf diese »seine« gran-

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diose Idee. Als er sich 1875 ein Firmenzeichen zulegte, ent­ schied er sich für drei ineinander verschlungene Ringe, die die so lukrativen Radkränze symbolisierten, ja, er bekannte noch kurz vor seinem Tode einem engen Mitarbeiter gegenüber: »Nur mit der Bandagenfabrikation unter Patentschutz konnte die Fabrik so großen Gewinn machen, daß man damit imstande war, die Werke für Kanonen anzulegen . . .« Krupps Kanonen ... ! Mit ihnen beschäftigen sich die Fans und Hasser natürlich am liebsten; um sie ranken sich die schönsten Legenden und die bösesten Verleumdungen . . . Sie waren Alfreds Lieblingskinder, das Schönste, das ihm seine »Braut«, die Gußstahlfabrik, gebar, zugleich der Stolz einer ganzen Nation. . . Doch ehe wir uns diesen Krupp-Kanonen zuwenden und sie ihres ganzen üppigen Rankenwerks entkleiden, bis auf den nackten Gußstahl, müssen wir uns noch mit einer ganz anderen Sphäre beschäftigen, mit einer, in die uns Alfred sicherlich verboten hätte einzudringen : seinem Privatleben . . . 1850 war Mutter Therese gestorben, und Alfred hatte dazu bemerkt, daß ihn nichts bewegen könne als »Ehre und Prosperi­ tät«. Drei Jahre später, nach den großen Besteckwalzen-Geschäf­ ten, dem großen Aufschwung der Fabrik durch den EisenbahnBoom und dem Beginn der sichere und langfristige Riesen­ gewinne gewährleistenden Bandagenfabrikation, brauchte er sich um die »Prosperität« nicht mehr zu sorgen. Er war aus den Schulden heraus und auf dem besten Wege, vielfacher Millionär zu werden. Wie aber stand es um die »Ehre«, das so lange und schmerz­ lich entbehrte, um 1837 wenigstens innerhalb der kleinen Stadt Essen wiedergewonnene gesellschaftliche Renommee . . .? Wenn er auf diesem Gebiet Bilanz zog, konnte er befriedigt feststellen, daß er als Inhaber einer wieder »in Flor« stehenden Fabrik und Brotherr von bald tausend Arbeiterfamilien einen steilen gesellschaftlichen Aufstieg vollzogen hatte. Er, der Sohn des gescheiterten, aus den Steuerlisten gestrichenen »Fabrikan­ ten«, gehörte nun wieder unbestritten zur regionalen Ober­ schicht, zwar noch längst nicht zur crème de la crème, wie etwa die Brüder Waldthausen, die dann vorübergehend seine stillen Teilhaber wurden, aber mindestens zur Haute volée, und selbst die Vornehmsten nahmen bereits Notiz von ihm. Er hatte auch schon einen Triumph auf internationalem

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Parkett errungen: Im Jahre 1851, auf der ersten Londoner Welt­ ausstellung im Kristallpalast, war Alfred, der kleine Fabrikant aus dem in England völlig unbekannten Essen near Düsseldorf, Rhenish Prussia, ohne Rücksicht auf die gewaltigen Kosten einer solchen, allenfalls »Ehre«, aber zunächst wenig »Prosperität« einbringenden Reklame, mit einem eigenen Stand aufgetreten, und er hatte den Engländern in deren eigenem Lande und ur­ eigener Domäne eine für sie schmerzliche Niederlage bereitet: Sein dreiundvierzig Zentner schwerer Gußstahlblock, aus achtundneunzig Tiegeln gleichzeitig zu einem monster piece gegossen, war gewaltiger als alles, was die britische Konkur­ renz auf diesem Gebiet vorzuweisen hatte . . .! Der äußere Lohn für diese Anstrengung bestand aus diversen Medaillen und viel Publicity, aber weit mehr bedeutete Alfred die innere Befriedigung dieses Sieges, der sein Selbstvertrauen wenigstens für ein paar Wochen zu festigen, seine Ängste zu beschwichtigen vermochte. Natürlich übertrieb er das Ausmaß seines Triumphes ins Maßlose. Er tat so, als wäre London von ihm auf den Kopf gestellt und die englische Industrie vernich­ tend geschlagen, ja, ein für allemal in den Hintergrund gedrängt worden. Indessen gibt es dafür, daß - im Ganzen gesehen - Eng­ land allen anderen Nationen industriell überlegen blieb, einen wahrlich unverdächtigen Zeugen: Ausgerechnet ein stock­ konservativer Hohenzollern-Prinz und späterer Krupp-Fan, nämlich der nachmalige deutsche Kaiser Wilhelm L, urteilte damals, Englands Industrie werde »vielleicht nur noch von den französischen Bronzen überflügelt; sonst bleibt sie überall Siegerin. . .« Alfred sah die Dinge entschieden anders: Ihn interessierten weder die französischen Bronzen noch Englands großartige neue Maschinen, sondern nur sein eigener Monsterblock, der größer gewesen war als der der englischen Konkurrenz. Damit hatte er, Alfred Krupp, der von Zweifeln und Ängsten geplagte und um den Nachtschlaf gebrachte »Versager«, vor internatio­ nalem Publikum, also sozusagen vor der ganzen Welt, »Ehre« errungen. Von jetzt an sollte es keine, noch so kleine Ausstel­ lung mehr geben, an der er sich nicht beteiligte, und man muß sagen, daß er seine Auftritte stets glänzend in Szene zu setzen verstand, sich immer ein Höchstmaß an Publicity zu verschaffen wußte und weder Mühe noch Kosten sparte, wenn es darum ging, seinen Namen berühmt zu machen. Heutzutage, wo »Öffentlichkeitsarbeit«, »Meinungspflege«

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und erst recht die intensive direkte Werbung zu den mit Riesen­ etats versehenen Aufgaben ganzer Abteilungen jedes größeren Unternehmens gehören, erscheint Alfreds Verhalten ganz nor­ mal, allenfalls sehr fortschrittlich. Damals war es höchst unge­ wöhnlich, löste - zumal bei den stillen Teilhabern - Seufzen und Kopfschütteln aus, kostete entschieden mehr, als es einbrachte, und bewirkte im wesentlichen nur eines: Alfred hatte nun aus­ reichend Stoff für Gespräche auf seinen vielen Reisen und vor allem für seine Briefe und Notizen; er konnte immer und immer wieder erzählen, wie er die Konkurrenz beschämt und aus dem Felde geschlagen hätte, immer neue Varianten und Pointen erfinden. . . Public Relations und Eigenwerbung wurden allmählich zu seiner Haupttätigkeit, bei der er sich um so wohler fühlte, als seine quälenden Zweifel an den eigenen Fähigkeiten dabei am ehesten »überspielt« werden konnten. Die Sorge um das tägliche Einerlei in der Fabrik überließ er in diesen Jahren - neben Vetter Adalbert Ascherfeld, dem tech­ nischen Leiter und »Wachhund« - einem ehemaligen Reisenden, Carl Gantersweiler, der bald zum Direktor avancierte und zu dem sich dann noch ein weiterer Manager, Theodor Topp, gesellte. Sein Freund und Partner Fritz Solling begrüßte diese Ent­ wicklung, die eine größere Stabilität im Essener Betrieb garan­ tierte. Doch nach wie vor rügte er Alfreds »verfluchtes, unsinni­ ges Umherreisen«. Er fand auch, daß sein Associe nun endlich heiraten und für Nachkommenschaft sorgen sollte. Es brauchte nicht einmal mehr »eine gute Partie« zu sein - Fritz Solling, ein Realist, glaubte nicht mehr daran, daß ein Mädchen, das auf­ grund einer stattlichen Mitgift frei zu wählen vermochte, einen Mann wie Alfred noch genommen hätte: Er wurde, obwohl er gerade erst die Vierzig überschritten hatte, in Essen bereits »der alte Herr« genannt. .. ; wenn die Erwählte den Freund nur von seinem unsteten Wesen und vor allem von seiner Schlaflosigkeit zu kurieren vermochte . . .! Nun, in den Ostertagen des Jahres 1853- und natürlich auf Reisen - fand Alfred endlich ein Mäd­ chen, das ihm zusagte: eine Kölner Beamtentochter, jung, schön und manierlich erzogen, leider ohne Vermögen, aber ansonsten durchaus präsentabel. Wir werden leider nie erfahren, was ihn an dieser jungen Dame - sie war noch nicht zweiundzwanzig Jahre alt und hieß Bertha Eichhoff - so sehr faszinierte, daß er sie, die ihm noch 110

völlig Unbekannte, nach einer zufälligen Begegnung vor der Kölner Oper in den Zuschauerraum verfolgte und sich dann mit großem Geschick binnen weniger Tage einen gesellschaftlichen Kontakt zu ihrer Familie verschaffte. Vielleicht war es irgend etwas Geheimnisvolles, für andere nicht Wahrnehmbares an Bertha, das ihm ein noch besseres »Gegengift« gegen die diver­ sen, ihn ängstigenden Gefahren zu sein versprach als selbst der rettende Duft frischen Stalldungs . . . Jedenfalls warb er um seine eben erst entdeckte Angebetete mit geradezu unschicklicher Hast, und die Eltern des Mädchens, die froh sein mußten, für ihre mitgiftlose Tochter einen wohl­ habenden Fabrikanten als sehr ernsthaften Bewerber gefunden zu haben, konnten diese Eile nur begrüßen. Bertha selbst wurde vermutlich gar nicht erst um ihre Mei­ nung gefragt; vielleicht ließ ihr auch die lockende Aussicht auf eine gesellschaftliche Rolle und unerhörten Luxus, die Alfred ihr - darauf verstand er sich ja! - in rosigsten Farben malte, den ältlichen Bräutigam weit begehrenswerter erscheinen als er in Wirklichkeit war, und so fügte sie sich ohne Widerstreben, nur mit erheblichem Herzklopfen, wenn sie an die tausend Essener Arbeiterfamilien dachte, die künftig zu ihr als der Gattin des gestrengen Prinzipals aufblicken würden . . . Noch im selben Monat, wenige Tage nach der ersten Begeg­ nung und der offiziellen Vorstellung, feierte man bereits Ver­ lobung; schon am 19. Mai, dem frühestmöglichen Termin nach verkürztem Aufgebot, fand in Köln die Trauung statt, und auch damit, seine junge Frau in gesegnete Umstände zu bringen, beeilte sich Alfred enorm, denn fast genau auf den Tag neun Monate nach der Hochzeit - die Natur allein hatte sich auf Frist­ verkürzungen nicht einlassen wollen -, am 17. Februar 1854, gebar ihm Bertha bereits einen Sohn. Der Stammhalter wurde - wie hätte es anders sein können? Alfreds ganzes Leben war ja beherrscht vom Vergleich seiner eigenen Erfolge und Niederlagen mit denen seines Vaters! am zweiundvierzigsten Geburtstag seines Erzeugers, dem 26. April 1854, auf den Doppelnamen Friedrich Alfred getauft. Mit der Geburt des -leider recht schwächlichen- Kronprinzen, des einzigen Kindes aus dieser Ehe und zugleich des letzten männ­ lichen Sprosses der Krupp-Dynastie, können wir die junge Mutter, die knapp dreiundzwanzigjährige, von einem offenbar sehr schweren Kindbett geschwächte Bertha, geborene Eichhoff, eigentlich bereits wieder vergessen. 111

Zwar hielt sie es noch einige Zeit - und zum Schein sogar noch jahrzehntelang - an der Seite ihres Mannes aus, der sie als zärtlich geliebtes, doch im Vergleich zum Unternehmen, zum Stammhalter und vor allem zu ihm, Alfred selbst, ziemlich un­ wichtiges Spielzeug behandelte. Aber sie flüchtete sich bald auch, wie ihr hypochondrischer Gatte, in immer neue Krank­ heiten und Leiden, die es ihr ermöglichten, fern von Essen Heilung zu suchen, fern von dem entsetzlichen Lärm, Ruß und Gestank des unermüdlich produzierenden Werks, fern von den degoutanten »Fabrikern«, wie sie die Tag und Nacht schuften­ den »Kruppianer« naserümpfend zu nennen pflegte, und vor allem fern von ihrem unerträglichen Gemahl, der sie mit seinem ewigen Mißtrauen gegen jedermann, seinem einzigen Ge­ sprächsthema, dem Geschäft, seinem ständigen Gekritzel von Anweisungen und Notizen, seinem allnächtlichen Umherwan­ dern und Stöhnen, besonders aber mit seiner absonderlichen Vorliebe für Dunggeruch quälte, ängstigte und abstieß . . . Bei Hofbiograph Wilhelm Berdrow liest sich das so: »Bertha Krupp begleitete ihren Gatten in den ersten Jahren ihrer Ehe mehrfach auf seinen Geschäftsreisen, und in solche arteten bei ihm ja auch als Erholungsausflüge gedachte Reisen leicht aus . . . Noch lieber als auf diesen von Unruhe erfüllten Reisen war sie seine Begleiterin, wenn er, was seit 1854 zuweilen der Fall war, in einem Bade- oder Kurort Erholung von ner­ vösen oder körperlichen Leiden suchte . . .« Und das faktische Ende dieser - mindestens für Bertha - un­ glücklichen Ehe - bei Berdrow: »die erfolgte örtliche Trennung Berthas von ihrem Gatten« - begründet dieser vorbildlich fleißige Beschöniger damit, »daß hier nicht Schuld und Abnei­ gung, sondern einfach Reizbarkeit und Mißverständnisse zwei Menschen von reiner und edler Art auseinander geführt hatten.« Nun ja, zu Reizbarkeit konnte es natürlich schon führen, wenn man als Jungvermählte in ein prächtiges, neuerrichtetes »Gar­ tenhaus« geleitet wurde, eine romantische Villa nebst Park voller Pfauen, Springbrunnen, Grotten und - unter Glas - exotischen Pflanzen, dann aber unter dem ständigen Gedröhn der Dampf­ hämmer leiden mußte, das Geschirr und Gläser zerspringen ließ; wenn ständig Wolken von fettigem Grus Haus und Garten einhüllten, so daß alles verschmutzte, die Blumen erstickten und man kaum atmen konnte, nur weil Alfred mitten zwischen den Werksanlagen wohnen, vom Türmchen seines »Garten­ hauses« die »Kruppianer« unbemerkt kontrollieren wollte . . . 112

Und man kann es »Mißverständnisse« nennen, wenn der von Argwohn geplagte Ehemann jeden jungen Kutscher, mit dem seine Frau auch nur ein freundliches Wort zu wechseln wagte, kurzerhand hinauswarf . . . Jedenfalls zog sich Bertha immer häufiger und immer länger aus Essen zurück, suchte und fand vorzugsweise an südlichen Gestaden Erholung von ihren diversen Leiden, und wenn Krupp-Hasser behaupten, daß sie sich an der Riviera von der Sonne bräunen und von feschen, langmähnigen Künstlern, kräftigen jungen Fischern und anderen Papagalli jener Tage oft und gern verführen ließ, so ist mindestens das erste eine offen­ kundige Verleumdung, denn es galt damals als höchst unvor­ nehm, seinen »schönen blassen Teint« zu verlieren. Was das zweite betrifft, so benahm sie sich — gemessen am Verhalten eini­ ger ihrer Nachkommen - zumindest recht diskret und erfüllte zudem alle wichtigen gesellschaftlichen Verpflichtungen, wes­ halb ihr Fans wie Feinde der Familie ihres Mannes getrost ihr bißchen Privatleben wenigstens nachträglich gönnen sollten. Die gesellschaftlichen Ereignisse, derentwegen Bertha ihre Erholung für kurze Zeit unterbrechen, nach Essen heimkehren und sich an der Seite ihres Gemahls zeigen mußte, wurden übrigens immer seltener. »In Krupps geselligem Verkehr«, so bemerkt der so dynastie­ freundliche Diedrich Baedeker, »vollzog sich schon bald nach den ersten großen Triumphen eine gewisse Wandlung. Hatte er bis zu seiner Vermählung in den Kreisen seiner Vaterstadt sich regelmäßig bewegt, so leistete er seitdem auf diese ihm lieb­ gewordene Gewohnheit allmählich ganz Verzicht . . .« Als Bertha ihn zu Anfang ihrer Ehe gebeten hatte, sie doch einmal abends in ein Konzert zu führen, war er empört gewesen. »Tut mir leid!« hatte er in scharfem Tone erwidert. »Ich habe zu sorgen, daß meine Schornsteine am Dampfen bleiben. Wenn morgen meine Hämmer wieder gehen, habe ich mehr Musik, als wenn alle Geigen der Welt spielten . . .!« Hielt er so seine junge Frau schon frühzeitig von jeder Zer­ streuung ab, die sie dann später ohne ihn nachzuholen trachtete, so legte er doch andererseits größten Wert auf einen ganz be­ stimmten gesellschaftlichen Verkehr, an dem auch Bertha teil­ zunehmen hatte: die respektvolle Bewirtung gekrönter Häup­ ter - und solcher, die es werden konnten -, wenn sie anläßlich einer Inspektionsreise durch die Provinz auch in der kleinen Stadt Essen weilten und dem Etablissement des Herrn Alfred IT3

Krupp ihre allerhöchste Aufmerksamkeit gnädigst zuteil wer­ den zu lassen geruhten. Der erste Besuch dieser Art fand kurze Zeit nach Alfreds später und eiliger Heirat statt, weshalb er dann auch seine Hoch­ zeitsreise abzukürzen gezwungen war. Und da der hohe Gast seine Visite lange vorher angekündigt hatte, ist es durchaus denkbar, daß er damit Alfreds raschen Entschluß, ein schönes junges Mädchen zur Frau zu nehmen, kräftig förderte, zumin­ dest aber die Durchführung dieses - für gute Public Relations so nützlichen - Projekts sehr beschleunigte. Es war noch kein König, der im Juni 1854 zu Krupp nach Essen kam, aber immerhin der jüngere Bruder eines Monarchen, der selbst kinderlos geblieben war, und damit der nächste An­ wärter auf den Thron: Prinz Wilhelm von Preußen, damals siebenundfünfzig Jahre alt, ein biederer Riese von stockkonser­ vativer Gesinnung und begrenztem Horizont, durch und durch Soldat, von pedantischer Ordnungsliebe, dabei schwerfällig und ohne Ambition, wenn es nicht gerade um Gamaschen­ knöpfe, korrekten Koppelsitz, neue Waffen oder die Aufrecht­ erhaltung der Disziplin ging. Seine übergroße Ordnungsliebe hatte ihn sechs Jahre zuvor, im März des Revolutionsjahres 1848, in für ihn selbst kaum begreifliche Schwierigkeiten gebracht: Ohne sich viel dabei zu denken, hatte er seine Soldaten in eine demonstrierende, infolge­ dessen unordentliche Volksmenge schießen lassen. Von den Zivilisten war ihm dies sehr verübelt worden; sie nannten ihn deshalb höchst respektlos den »Kartätschenprinzen«. Sein königlicher Bruder, den die Aufrührer dazu zwangen, vor den Bahren mit den Leichen der erschossenen Zivilisten den Hut zu ziehen, hatte sich undankbarerweise für diese Schmach bei ihm revanchiert und den übereifrigen »Kartätschenprinzen« für einige Zeit, zwar nicht gerade in die Verbannung, aber immerhin außer Landes geschickt. Erst nachdem die Revolution in Preußen als gescheitert ange­ sehen werden konnte, hatte der König den ordnungswütigen Bruder wieder heimkehren lassen, ihn 1849 sogar mit einem höchst ehrenvollen und angenehmen Kommando, nämlich mit der Niederschlagung der Aufstände in Baden und in der Pfalz, betraut, anschließend zum Militärgouverneur der unsicheren, mit den Demokraten sympathisierenden preußischen Westpro­ vinzen ernannt. Von Koblenz aus durfte er fortan im ganzen Rheinland und in Westfalen für Ordnung sorgen. 114

Da es keine Revolten mehr zu unterdrücken gab, konnte Prinz Wilhelm ab und zu Urlaub machen und nach Berlin reisen, wo sein Bruder regierte, schon »leicht umwölkten Geistes« zwar, wie ihm die Leibärzte zuflüsterten, aber für Preußen noch durch­ aus als Landesvater tauglich. Bei einem dieser Besuche nun entdeckte Prinz Wilhelm im Marmorsaal des Potsdamer Stadtschlosses etwas, das dort zuvor nicht gestanden hatte: eine wunderbar glänzende, spiegelblank polierte Kanone! Ihr Anblick, der jeden anderen kalt gelassen hätte, riß den Prinzen aus seiner gewohnten Lethargie. Er unter­ suchte das Geschütz genauer, stellte verwundert fest, daß es nicht aus Bronze gegossen war wie alle anderen Kanonen, die er kannte, und erkundigte sich nun bei dem zuständigen Kam­ merherrn, was es mit dieser Neuerwerbung auf sich hätte. Es stellte sich heraus, daß ein Herr Krupp aus Essen Anfang 1852 besagte Kanone dem König zum Präsent gemacht hatte, vielleicht als eine seltene Kuriosität oder weil ihm als passendes Geburtstagsgeschenk nichts Besseres eingefallen war. Ja, und seitdem stand sie da, glänzend und dekorativ, von niemandem besonders beachtet . . . Tatsächlich hatte Alfred Krupp eine seiner ersten Gußstahl­ kanonen - denn um eine solche handelte es sich - dem König von Preußen zum Geschenk gemacht und durch geschickte Ver­ handlungen mit den zuständigen Höflingen, bei denen er auch mit Geschenken sicherlich nicht sparte, dafür gesorgt, daß sein Präsent angenommen und, was noch wichtiger war, an gut sicht­ barer Stelle aufgestellt wurde. Dabei hatte er die stille Hoffnung, daß die Kanone das Interesse fremder Potentaten - insbeson­ dere des Zaren von Rußland, dessen Besuch in Potsdam damals unmittelbar bevorstand - finden und sie zu Bestellungen anregen könnte. Zuvor hatte Alfred dieselbe Kanone schon im Londoner Kristallpalast ausgestellt - neben seinem gewaltigen Stahlguß. Aber dort war sie gleichfalls nur als eine hübsche Kuriosität angesehen worden, die die Damen »entzückend« fanden und die Herren fachmännisch beklopften. Einen praktischen Wert hatte diesem Geschütz niemand beigemessen, denn richtige Kanonen, das wußte man ja, mußten aus Bronze gegossen sein . . . In Preußen dachte man nicht anders als in England. Die preu­ ßische Artilleriekommission hatte 1849 befunden, daß Kano­ nenrohre aus Gußstahl möglicherweise den einen oder anderen Vorteil haben könnten, jedoch in der praktischen Verwendung 115

»treten derselben in den Kosten des Materials unübersteigbare Hindernisse entgegen«. Damit war der Fall für Berlin erledigt gewesen, nicht jedoch für Alfred. Und seine Zähigkeit erzielte den ersten, wenn auch noch nicht greifbaren Erfolg, als der »Kartätschenprinz« 1854 zu Besuch nach Essen kam, um den Mann kennenzulernen, der seinem königlichen Bruder jene schöne Kanone geschenkt hatte, die von ihm im Marmorsaal des Potsdamer Stadtschlosses entdeckt und bewundert worden war. Sicherlich hatte Vetter Adalbert Ascherfeld, Alfreds zum tech­ nischen Leiter der Fabrik avancierter Aufpasser und Antreiber, die »Kruppianer« auf den großen Tag des Prinzenbesuchs gründ­ lich vorbereitet, sie stramm gedrillt und in seiner, von den Kruppschen Hofbiographen als »rauh, aber herzlich« bezeichne­ ten Art zu Pünktlichkeit, Ordnung, Sauberkeit und strammer Disziplin ermahnt, vor allem aber zu einem schönen, lauten und militärisch-zackig im Chor gebrüllten »Guten Morgen, König­ liche Hoheit!«. Gewiß war auch Frau Ascherfeld, die man vom Dienstmäd­ chen zur Haushälterin befördert hatte, nicht untätig geblieben, hatte an der Spitze einer Kompanie »Kruppianer«-Frauen und -Töchter das Haus und den Garten von der dicken Rußschicht befreit, mustergültige Ordnung geschaffen und selbst die unter dem Dröhnen der Hämmer zitternden Gläser auf dem Vertiko wie preußische Grenadiere ausgerichtet. Ergebnis: Seine Königliche Hoheit kamen, inspizierten und zeigten sich angenehm berührt. Das Werk, so lobte der Prinz, wäre ordentlich und sauber »wie ein Paradeplatz«; die Arbeiter hätten sich als »wahre Soldaten der Industrie« gezeigt. Dann heftete er Alfred unter lautem, von Ascherfeld dirigiertem Hurra der angetretenen Belegschaft den Roten Adlerorden 4. Klasse an den Gehrock und ließ sich von der hübschen jungen Frau Krupp im blankgeputzten »Gartenhaus« mit Portwein bewirten. Natürlich plauderte der hohe Gast nicht nur mit Bertha, die er reizend fand, sondern führte auch ein langes Gespräch mit Alfred, wobei sich zwei Kanonen-Enthusiasten gesucht und ge­ funden hatten. Leider war der Prinz ohne nennenswerten Ein­ fluß auf die Armeebestellungen, und die - dem Soldaten wie dem Fabrikanten gleichermaßen verhaßte - Militärbürokratie hatte Krupps Gußstahlkanone ja bedauerlicherweise abgelehnt . . . Immerhin versprach Prinz Wilhelm, der im selben Jahr zum Generaloberst im Range eines Feldmarschalls befördert worden 116

war, sich des verkannten Kleinods anzunehmen, sobald er dazu in der Lage wäre. Das war recht vage, bekam aber schon drei Jahre später praktische Bedeutung, denn da war die Umwölkung des Geistes seines königlichen Bruders so weit fortgeschritten, daß man nicht mehr von gelegentlichen »Absencen« sprechen konnte, sondern von der Notwendigkeit einer Entmündigung und der Einsetzung eines Regenten. Am 28. Oktober 185 7 wurde Prinz Wilhelm zum Stellvertreter seines kranken Bruders ernannt; ein Jahr später trat er die Re­ gentschaft an, und am 2. Januar 1861, nachdem Friedrich Wil­ helm IV. seinen Geist ganz aufgegeben hatte und mit viel Pomp zu Grabe getragen worden war, wurde Alfreds hoher Gönner endlich König von Preußen. Schon vorher hatte er als Prinz­ regent etwas entscheidend Wichtiges getan, nämlich Krupps Gußstahlkanonen für die preußische Armee bestellt . . .! Erst wollte sich der »Kartätschenprinz«, der durch einige liberale Maßnahmen zu Popularität gelangt war, mit hundert Sechspfündern begnügen. Krupps Berliner Vertrauensmann konnte aber Wilhelm ohne allzu große Mühe dazu überreden, die Order auf dreihundert Stück - zum Preis von genau zweihun­ derttausend Talern - zu erhöhen, der preußischen Militärbüro­ kratie zum Trotz, die des Regenten ursprüngliche Order schon eigenmächtig auf 72 Stück reduziert hatte. Dieser erste große Kanonenauftrag für Krupp, die Frucht erstklassiger Public Relations, großer Zähigkeit und einer glück­ lichen Konstellation, die eine Reihe von Kanonen- und KruppFans, an der Spitze natürlich Prinz Wilhelm, in Schlüsselposi­ tionen brachte, kam gerade noch zur rechten Zeit. Denn Alfreds Nerven - von Geduld konnte bei ihm keine Rede sein - waren dem jahrelangen Hickhack um das Gußstahlgeschütz nicht mehr gewachsen. Schon Anfang 1859 wollte er die kostspieligen Kanonen-Experimente einstellen, alle Entwürfe vernichten. An seinen Pariser Vertreter Haas schrieb er: »Obgleich ich der Ge­ schützfrage noch einiges Interesse zolle, so muß ich Ihnen doch bemerken, daß ich im allgemeinen den Wunsch hege, die Ge­ schützfabrikation einzustellen . . .« Er wollte sich, so fügte er hinzu, künftig nur noch »Werkzeugen des Friedens« widmen, sein Interesse »ausschließlich auf eine ersprießlichere Tätigkeit, auf die Fabrikation von Gußstahlbandagen und Gußstahlachsen für See- und Flußschiffe, Eisenbahnlokomotiven und -Waggons richten . . .« So also war die Kruppsche Einstellung zur Waffenfabrikation

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im Jahre 1859, im achtundvierzigsten Jahr des Bestehens der Firma Fried. Krupp, Gußstahlfabrik zu Essen in der preußischen Rheinprovinz . . . Der Firmenchef wollte von Kanonen nichts mehr wissen, nur noch »Werkzeuge des Friedens« produzie­ ren . . .! Welch entsetzlicher Gedanke für alle Krupp-Fans und -Hasser . . .! Denn, hätte Alfred seinen Entschluß durchgeführt, wäre sein und seiner Nachfolger ganz auf friedliche Erzeugnisse eingestelltes Unternehmen, sofern es dann die Zeitläufte über­ haupt zu überleben imstande gewesen wäre, eine Firma wie hun­ dert andere geworden, kein Objekt, würdig patriotischer Ver­ ehrung oder von moralischer Entrüstung getragenen Ab­ scheus . . .

Und hier lohnt es sich nun, einen Augenblick innezuhalten und nachzudenken: Ohne Zweifel hat Alfred Krupp Kanonen ver­ kaufen wollen. Er witterte einen ergiebigen, dauerhaften Markt dafür. Doch es ging ihm dabei ausschließlich ums Geschäft, um die »Prosperität« seiner Firma, und der zu erzielende Reichtum sollte ihm die ersehnte »Ehre« einbringen, jenes von seinem Vater so leichtsinnig verscherzte Prestige, durch dessen Wieder­ gewinn die schrecklichen Ängste, Zweifel und Zwänge, unter denen der Sohn so litt, vielleicht zu bannen wären. Politik, Patriotismus, Religion, Moral oder Philosophie - das alles interessierte Alfred Krupp überhaupt nicht, wie wir teils bereits wissen, teils noch bemerken werden. Allein getrieben von der Angst, ein »Versager« zu sein wie sein Vater, war ihm jedes erfolgversprechende Produkt recht. Verlangten die Kun­ den nach Gußstahlkanonen, sollten sie sie bekommen, je mehr, desto besser. Hatten sie, auch nach zähen Überredungsversu­ chen, kein Interesse, dann eben keine Kanonen mehr, sondern »Werkzeuge des Friedens« ... 1 Wenn von einer »Schuld« überhaupt die Rede sein konnte, so lag sie gewiß nicht bei Alfred Krupp (oder seinen in- und auslän­ dischen Kollegen), sondern war - wie die Politologen heute sa­ gen - systemimmanent, also dem Herrschafts- und Gesellschafts­ system des Europas jener Epoche innewohnend. Der von seinen Kanonen erst entzückte, dann enttäuschte und schließlich, kurz bevor er ihre Produktion endgültig aufgeben wollte, doch noch mit einem triumphalen Sieg überraschte Alfred war nur eine ein­ zelne Figur eines riesigen Schachspiels mit Dutzenden von Köni­ gen, Hunderten von Damen, Türmen, Läufern und Springern und Millionen von Bauern . . . 118

Was diese Figur interessant und für das Spiel wertvoll machte, war ihre abnorme Ausdauer und all die anderen vermutlich krankhaften Anomalien, die ihr anhafteten, in Kombination mit ihren fixen Ideen, die just zu dieser Zeit fieberhafter Industriali­ sierung und beginnender Zusammenballung einer neuen Wirt­ schafts- und Militärmacht in Mitteleuropa erstmals realisierbar waren. Daß Krupp dann zu einer derwich tigstenFigurenPreußenDeutschlands wurde, ist erstens insofern nur bedingt richtig, als Alfred, wie wir noch sehen werden, auch den anderen Teilneh­ mern am Großen Spiel uneingeschränkt zur Verfügung stand, zweitens das Ergebnis einer keineswegs zwangsläufigen, son­ dern rein zufälligen Entwicklung, bei der die Chancen für eine Verbindung der Firma Krupp mit der die Oberhoheit über Essen ausübenden Hohenzollern-Dynastie zunächst miserabel, die für eine enge Zusammenarbeit mit dem Frankreich Napoleons III. dagegen recht gut standen . . . Nachdem Alfred Krupp mit seinem gußstählernen Sechspfünder auf der Londoner Weltausstellung nur »Ehre«, aber keine »Prosperität« hatte erringen können und die Engländer den Ge­ danken, ihre doch gerade erst bei Waterloo - vor weniger als vier Jahrzehnten! - so glänzend bewährten Bronzegeschütze gegen die Gußstahlkuriositäten des Herrn Krupp aus dem unbe­ kannten Essen auszutauschen, für geradezu absurd hielten, ver­ suchte der enttäuschte Fabrikant sein Glück 1855 in Paris. Der dritte Napoleon hatte sich durch die Briten herausgefor­ dert gefühlt und eine Weltausstellung in Paris befohlen, die die von London völlig in den Schatten stellen sollte. Da durfte Al­ fred Krupp natürlich nicht fehlen! Er war diesmal entschlossen, das Äußerste zu wagen. Koste es, was es wolle - ganz Paris, ja, die ganze Welt sollte von ihm, seinem Stahl und seinen Kanonen sprechen! An seinen Vertreter in Paris, Heinrich Haas, schickte er Brief auf Brief mit genauen Instruktionen für die Vorbereitungen seines minuziös geplanten Auftritts. »Sparen Sie nicht gute Worte und Geld, sich Freunde zu machen, die Ihnen helfen wollen . . .!« fügte er beschwörend hinzu. Nun, die Regie klappte vorzüglich! Der gewaltige Gußstahl­ block, den Alfred an die Seine schickte mehr als doppelt so groß und so schwer wie der, der die Besucher des Kristallpala­ stes schon so beeindruckt hatte! -, gelangte ohne Schwierig­ keiten bis Paris. ”9

Dann aber brachen die mächtigen, mit Kupferplatten ver­ stärkten Transportwagen plötzlich mitten in der Stadt zusam­ men . . . Das stählerne Monstrum blieb auf dem Pflaster des Boulevards liegen, mußte mit unterlegten Bohlen und Walzen inmitten einer riesigen Menschenmenge, die im Nu zusammen­ geströmt war, dieses einmalige Schauspiel zu beobachten, Meter um Meter bis zum Ausstellungspavillon geschoben werden. Die Zeitungen hatten ihre Sensation schon vor Beginn der Aus­ stellung . . .! Ja, und dann brach - und das war wohl nicht mehr geplant, denn Alfred erlitt, als ihn die Nachricht davon erreichte, einen Nervenzusammenbruch - auch noch der Fußboden des Pavillons unter dem zehntausend Pfund schweren Ungetüm, das krachend in den Keller stürzte und um ein Haar das zur Vorbesichtigung versammelte Preisrichter-Kollegium mitgerissen und zermalmt hätte . . .! Schon damit kam Alfred, noch ehe er selbst in Paris einge­ troffen war, in den Genuß der ersehnten Publicity. Und dann ging es weiter, Schlag auf Schlag: Kaum hatte er für seinen Riesenblock eine Goldmedaille in Empfang genommen, da erklärte er den staunenden Fachleuten, er wäre bereit, noch zweieinhalbmal so große Blöcke aus einem Guß zu liefern . . .! Im übrigen aber hätte er noch eine weitere Überraschung zu bieten, eine, die vielleicht gerade für das sich zum Kampf um die Vorherrschaft in Europa rüstende Frank­ reich besonders interessant wäre . . .! Und dann enthüllte Alfred Krupp, in Anwesenheit des Kaisers Napoleon III. und einer großen Schar illustrer Gäste, voller Stolz eine spiegelblank polierte Kanone, einen gußstählernen Zwölfpfünder, der zudem - der Effekt war wohlberechnet! eine getreue Nachbildung der berühmten canon de PEmpereur war, des damaligen, natürlich bronzenen Feldgeschützes der französischen Armee . . .! Der Monarch, der ohnehin eine große Vorliebe für Kanonen hatte, war hell begeistert! Infolgedessen waren auch Presse und Öffentlichkeit voll des Lobes, und Alfred erhielt nochmals eine Goldmedaille, was wiederum Schlagzeilen machte. Und als sich dann bei der vom Kaiser sofort angeordneten Prüfung der Kruppschen Gußstahlkanone ergab, daß sie um fast zwei Zentner leichter war als der bronzene Zwölfpfünder der französischen Artillerie; daß ihr Rohr auch nach dreitausend Schuß, die man damit in Vincennes zur Probe abfeuerte, nicht 120

die geringste Abnutzung zeigte, ja, daß auch alle anderen Experi­ mente, die man damit anstellte, über Erwarten günstig ausfielen, da gab es eine weitere Sensation: Seine Majestät der Kaiser der Franzosen geruhte, dem Monsieur Krupp aus Essen das Kreuz der Ehrenlegion zu verleihen . . .! Nun erinnerte man sich auch plötzlich, daß Alfred ja eigentlich Franzose wäre: Essen hatte ja im Jahre seiner Geburt, 1812, noch zu Frankreich gehört, und Alfreds Vater war französischer Beamter gewesen, hatte Kaiser Napoleon L, dem glorreichen Onkel des jetzigen Herrschers, unverbrüchliche Treue geschworen und, was noch mehr bedeutete, sie ihm auch bis zum bitteren Ende gehalten .. . Alfred konnte sogar noch mit einer weiteren Bindung an Frankreich aufwarten: Auch seine junge Frau hatte nämlich einen Beamten zum Vater, der seine Karriere in französischen Diensten begonnen hatte, als Controlleur de Poctroi de navigation du Rhin d Cologne, und dessen Vater, Jean Joseph Eichhoff, war sogar von Kaiser Napoleon I. höchstpersönlich vom Unter­ präfekten des Arrondissements Bonn in das sehr einflußreiche und ungewöhnlich hochdotierte Amt des Generaldirektors der Rheinzollverwaltung berufen worden (wenn auch die Verset­ zung zunächst nur deshalb erfolgte, weil der Kaiser, selbst ein Emporkömmling, es unschicklich fand, daß Eichhoff, in der vor-napoleonischen Zeit Mundkoch und Pastetenbäcker des Kurerzbischofs, am Ort seiner früheren Arbeitsstelle den höch­ sten administrativen Posten bekleidete . . .) Ehrenlegion, kaiserliche Huld, Goldmedaillen, Zeitungsruhm und enge familiäre Bindungen an Frankreich - das alles, aber insbesondere natürlich die sensationellen Erzeugnisse, die die Fabrik des Monsieur Krupp herstellen konnte, bewogen die mächtigste Bank Frankreichs, den Crédit mobilier, ihm ein Ange­ bot zu machen: Man war bereit, ihm mit dreißig Millionen Gold­ franken - nach heutigem Wert schätzungsweise dreihundert Millionen Mark! - unter die Arme zu greifen, falls er sich dazu entschließen könnte, seine Gußstahlfabrik nach Frankreich zu verlegen . . .! Das war eine ungeheuere Verlockung, doch Alfred lehnte das Angebot schließlich ab * - gewiß nicht aus preußischem oder gar * Zunächst sagte Alfred begeistert zu. Über die Gründe, die ihn dann schließlich bewogen, sein Ein­ verständnis zu widerrufen und keine Fabrik in Frankreich zu bauen, gibt sein Brief an Henri Haas Aus­ kunft, der im Dokumentenanhang auszugsweise wiedergegeben ist.

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deutschem Patriotismus, wie er Jahrzehnte später behauptete, als im Reich die Wogen des Nationalismus hochgingen. Viel­ mehr schlug er das Angebot aus, weil er seine gerade errungenen Triumphe im heimatlichen Essen weit besser würde auskosten können: Lieber der Erste an der Ruhr, wo er einst als Junge durch Fabrikarbeit, Hunger und den Spott der Nachbarn gedemütigt worden war, als einer unter vielen im aufblühenden Frankreich . . .! Daß es nicht Patriotismus war, der Alfred dazu bewog, dieses Angebot abzulehnen, beweist schon seine Bereitschaft, die ganze französische Artillerie mit seinem Feldgeschütz aus Gußstahl aus­ zurüsten, wodurch sie ohne Zweifel allen anderen Armeen, also gewiß auch der preußischen, weit überlegen gewesen wäre. Aber seltsam! Von Krupps Gußstahlkanone wollten auch die französischen Militärs nichts wissen, so viel Mühe sich auch Alfred gab, sie zu einer Bestellung zu überreden. Doch die Her­ ren Bürokraten der kaiserlichen Heeresverwaltung waren ein­ hellig der Meinung, genug getan zu haben, als sie dem Stecken­ pferd Seiner Majestät zuliebe dreitausend Kugeln und Ladun­ gen für das Probeschießen vergeudet hatten . . . Und genau wie mit den Franzosen - und zuvor mit den Engländern -, erging es Alfred auch mit den Russen: Zar Alexander II., dem er sein Gußstahlgeschütz schickte, ließ in Anwesenheit seiner berühmtesten Feldmarschälle und Artillerie­ spezialisten die neue Kanone ausprobieren. Mit russischer Groß­ zügigkeit jagte man sogar viertausend Schuß aus dem gußstäh­ lernen Rohr und bewunderte dann sowohl die Treffsicherheit wie die enorme Haltbarkeit des Essener Geschützes. Ja, und dann stellte man die Wunderwaffe ins Artillerie-Museum der Peter-und-Pauls-Festung, in die Kuriositätenabteilung . . . Eine Bestellung für die russische Armee wurde nicht einmal erwogen!

Wohltuendes Lob für seine großartige Leistung, aber völlige Verkennung der praktischen Möglichkeiten, die sie eröffnete das war für Alfred Krupp, was seine Gußstahlkanonen betraf, wahrlich nichts Neues! Sein eigenes Heimatland, Preußen, hatte in dieser Hinsicht den anderen europäischen Mächten schon den Weg gewiesen. Bereits im April 1844 hatte das preußische Kriegsministerium auf ein - wie sich dann zeigte, sehr voreiliges - Angebot Alfreds hin, ein Versuchsrohr aus Gußstahl angefordert. Aber die Esse­ ner Fabrik war zu dieser Zeit noch gar nicht imstande, einen

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Guß von zweitausend Pfund, wie er für die Bestellung nötig ge­ wesen wäre, vorzunehmen. Erst dreieinhalb Jahre später, im Herbst 1847, konnte Alfred endlich die Berliner Bestellung aus­ führen und das gewünschte Rohr liefern. Im Kriegsministerium nahm man diese lange Verzögerung nicht weiter übel, ja, man ließ das Rohr noch weitere zwei Jahre in einem Arsenal verstauben, ehe man sich auf Alfreds heftiges Drängen hin endlich dazu entschloß, kümmerliche hundert Probeschüsse damit zu feuern. Und dann, nachdem sich herausgestellt hatte, daß das Material ganz vorzüglich war, schrieben die sparsamen Preußen an Al­ fred, sie könnten ihn »nicht aufmuntern, die Versuche fortzuset­ zen«, denn die Rohre wären viel zu teuer . . . So lagen die Dinge daheim, etwa um 1850. Im folgenden Jahr stellte Alfred seinen Dreipfünder dann im Londoner Kristall-Palast aus wiederum ohne kommerziellen Erfolg. Und in den Jahren darauf, nachdem er sich in Paris viel »Ehre« und wenig »Prosperität« mit seiner Gußstahlkanone er­ worben hatte, verschenkte er einzelne Geschütze, außer an Ruß­ land, auch an die Österreicher, die Schweizer und zahlreiche deutsche Kleinstaaten, ohne einen einzigen Auftrag buchen zu können. Er bekam Orden und Dankschreiben, Titel und Me­ daillen, aber kein Geld. Der einzige Potentat, der ihm ein paar Gußstahlkanonen ab kaufte, um damit seine eigene Jacht auszu­ rüsten, war - der Vizekönig von Ägypten . . . Dieser winzige Auftrag kam im Jahre 1857 und war wie ein Geschenk des Himmels, denn eine neue Wirtschaftskrise war ausgebrochen und lähmte für einige Zeit Deutschlands allzu rasch gewachsene Industrie. Überall entließ man die Arbeiter oder ging zu Kurzarbeit und Feierschichten über. Nur Herr Alfred Krupp in Essen tat so, als hätte die Konjunktur keinerlei Rückschlag erfahren. Er produzierte munter weiter - für sein schon überquellendes Lager -, entließ keinen Mann - weniger aus patriarchalischer Fürsorglichkeit, wie es die Krupp-Fans und Hofbiographen gern darstellen, als vielmehr, weil er be­ fürchtete, die Davongejagten könnten seine »Geheimnisse« an die Konkurrenz verraten - und baute seine Fabrik immer weiter aus. Sein Freund und Partner Solling, der die Krise vorausgesehen und vor weiteren Investitionen und Einstellungen dringend ge­ warnt hatte, geriet erst in Verzweiflung, dann wurde er grob und verlangte von seinem Associé, dem er ja schließlich mit viel Geld auf die Beine geholfen hatte, Einsicht in die Bücher, Reduzie­ 125

rung der Belegschaft und der Produktion sowie die strikte Be­ folgung des Partnerschaftsvertrages, der Investitionen nur mit Zustimmung des stillen Teilhabers gestattete. Es kam zum ersten ernsten Zerwürfnis zwischen den alten Freunden. Alfred, der keine Einmischung von außen duldete und Sollings gute Ratschläge mißachtete, verzieh dem Partner nicht, was er dessen »Mangel an Respekt« nannte. Als Fritz Solling im übernächsten Jahr starb, war Alfreds zynischer Kommentar: »Binnen acht Tagen war er gesund und tot . . .« Zwar noch nicht tot, aber hart am Rande des Abgrunds war indessen auch das Essener Unternehmen. Die finanzielle Situa­ tion hatte sich weiter verschlechtert; die Auftragslage war alles andere als rosig zu nennen; auf dem Kanonen-Sektor sah es geradezu trostlos aus — niemand wollte die mit so ungeheueren Kosten und Anstrengungen entwickelten Gußstahlgeschütze haben. Allenfalls nahm sie der eine oder andere Potentat als Geschenk an, um sie dann in irgendein Museum zu stellen. Selbst das einst im Londoner Kristallpalast gezeigte Prunkgeschütz auf Edelholz-Lafette, das dann der inzwischen entmündigte König von Preußen in seinen Marmorsaal gestellt bekommen hatte, war längst ins Berliner Zeughaus gewandert und stand seitdem, von niemandem mehr beachtet, in einer dunklen Nische . . . Nur die nahtlosen Reifen für Eisenbahnwagen hielten das Essener Unternehmen gerade noch über Wasser, wobei zu Ah freds ohnmächtiger Wut ausgerechnet die preußischen Staats­ bahnen auf die Kruppschen Radbandagen verzichten zu können meinten. Sie bestellten bei ihm, im Gegensatz zu seinen auslän­ dischen Kunden, im ganzen Jahr nicht einmal einen Tagesbe­ darf . . .! Und noch etwas, das mit der feindseligen Haltung der preu­ ßischen Bürokratie zusammenhing, beunruhigte Alfred wäh­ rend dieser langen Krisenperiode: Sein königliches Patent auf nahtlose Reifen lief in Kürze aus! Dann war das Verfahren, das sein Unternehmen vor der Katastrophe gerettet hatte, nicht mehr geschützt. Und ausgerechnet denjenigen, der imstande gewesen wäre, das für das Essener Unternehmen so lebens­ wichtige Patent doch noch zu verlängern, den zum preußischen Handelsminister aufgestiegenen Wuppertaler Bankier August von der Heydt, hatte sich Alfred, allen Warnungen seines Freundes Fritz Solling zum Trotz, durch mehrfache Brüskie­ rung zum Feind gemacht . . . 124

Nur wenn man diese trostlose Situation und ihre Entstehungs­ geschichte kennt, kann man ermessen, was jener Tag im Mai 1859 für Alfred bedeutete, an dem sich der seit sieben Monaten als Prinzregent, das heißt: als geschäftsführender König die Landesvaterrolle spielende, dem Essener Werk (»ordentlich und sauber wie ein Kasernenhof. . .«) so gewogene, dabei so angenehm bieder-naive Prinz Wilhelm dazu entschloß, über den Kopf seines Kriegsministers hinweg dreihundert Krupp-Ge­ schütze zu bestellen und die leeren Essener Kassen mit hundert­ tausend Talern Anzahlung aufzufüllen . . .! Das war, wie die Kruppschen Hofbiographen zu schreiben pflegen, »die große Wende«, der endgültige Durchbruch, der Beginn eines grandiosen Dauergeschäfts und das Erklimmen der ersten Stufe zum Thron des Kanonenkönigtums!

Was hatte den Prinzregenten dazu bewogen, Krupp-Kanonen zu bestellen, noch dazu das Vierfache dessen, was man im Kriegs­ ministerium für gerade noch verantwortbar hielt? Nun, dafür gab es zwei Gründe: Erstens hatte sich die politische Situation in Mitteleuropa so verändert, daß eine starke Rüstung einem Mann vom Schlage des Prinzen Wilhelm wünschenswert erschien. Ende November 1850 war Preußens innerdeutscher Kampf mit Österreich um die Vormachtstellung in Mitteleuropa zugunsten Wiens ent­ schieden worden, und zwar durch massiven Druck des dritten in der »Heiligen Allianz« der drei Mächte, die den Fortschritt aufhalten und alle Folgen der Französischen Revolution besei­ tigen wollten, durch Rußland. Zähneknirschend und gedemütigt hatten es die Preußen hinnehmen müssen, daß ihre Einfluß­ sphäre auf Norddeutschland beschränkt blieb. Doch seit dieser »Schande von Olmütz«, wie man sie nach dem Konferenzort nannte, hatte Rußland stark an Einfluß verloren, denn es war im Krimkrieg gegen die mit den Türken verbündeten Franzosen und Engländer unterlegen. Außerdem war man in St. Petersburg den Österreichern nun nicht mehr so gewogen wie ehedem, denn es gab jetzt Rivalitäten zwischen den beiden Mächten, vor allem auf dem Balkan. Hinzu kam eine Schwächung Österreichs durch den eigentlichen Sieger des Krimkrieges, Napoleon III., der den Wiener Einfluß in Italien zunächst politisch, 1859 auch militärisch zurückdrängte. Mit einem Wort, die Chancen für Preußen stiegen, und wenn Berlin die »Schande von Olmütz« demnächst tilgen und ganz Deutschland unter seine Herrschaft 125

bringen wollte, dann war es an der Zeit, kräftig aufzurüsten, damit der preußischen Politik durch wachsende militärische Stärke das nötige Gewicht verliehen werden konnte. Das war der eine Grund für Wilhelms Kanonenbestellung bei Alfred Krupp. Der zweite war persönlicher Art: Der biedere Landesvater hatte an dem fleißigen, sich nicht um leidige Poli­ tik, sondern nur um den Bau schöner Kanonen kümmernden Essener, der seine Arbeiter in strammer Zucht und seine Fabrik so ordentlich und sauber hielt, einen Narren gefressen. Auch war Wilhelm naiv genug, Alfred zu glauben, als dieser nach Berlin schrieb, er »habe trotz unfehlbar zu erzielender hoher Preise« sich stets geweigert, »nach dem Auslande . . . Gußstahlkanonen zu liefern«. Alfreds einschränkender Zusatz, »wenn ich glaubte, da­ durch dem Vaterlande zu dienen«, hielt der biedere Wilhelm für ein patriotisches Bekenntnis und war so gerührt, daß er seinem Handelsminister auch noch befahl, Krupps ablaufendes Rad­ reifen-Patent zu verlängern, »in Anerkennung der patriotischen Gesinnungen, welche der Kommerzienrat Alfred Krupp in Essen mannigfach und namentlich durch Zurückweisung der ihm vom Ausland herangetragenen, ihm ansehnlichen Gewinn verspre­ chenden Bestellung von Geschützen an den Tag gelegt hat...« Ausgerechnet dem Manne, der seine Gußstahlkanonen ganz Europa wie sauer Bier angeboten hatte, der mit Freuden längst zum Großlieferanten auch der ärgsten Feinde Preußens gewor­ den wäre, hätten sie nur etwas von seinen Stahlgeschützen wissen wollen, und der später auch tatsächlich zahlreiche riesige Rü­ stungsgeschäfte mit möglichen und wirklichen Kriegsgegnern seines Vaterlandes tätigte, diesem Manne glaubte der geradezu rührend naive Prinzregent patriotische Selbstlosigkeit beschei­ nigen zu müssen, und er belohnte ihn dafür mit einem schönen Auftrag, einem noch schöneren Vorschuß und, was am aller­ schönsten war, mit der rettenden Patent-Verlängerung, auf die Alfred schon gar nicht mehr zu hoffen gewagt hatte . . .! Bleibt die Frage, ob Alfred Krupp - wie die Hasser behaup­ ten - sein Kanonenkönigtum mit einer faustdicken Lüge be­ gründete, noch dazu mit einer, die er dem gutgläubigen Landes­ vater dreist auftischte. Doch diese Frage muß man wohl verneinen, zunächst aus formalen Gründen, denn Alfred hatte seine kühne Behauptung, daß er auf fette Kanonenaufträge des Auslands stets verzichtet; hätte, ja ausdrücklich eingeschränkt, und zwar mit den - aller-' dings mißverständlichen - Worten: ». . . wenn ich glaubte. 126

dadurch dem Vaterlande zu dienen«. Da jeder Auftrag, der her­ einkam, preußischen Untertanen zu Arbeit und Brot verhalf, zu­ dem Devisen einbrachte und auch durch die Förderung der Industrie - in Gestalt des Herrn Fabrikanten Krupp - für das Vaterland nützlich war, da andererseits politische Entscheidun­ gen - wer beliefert werden durfte und wer nicht - einer hohen und weisen Regierung überlassen bleiben mußten und da im übrigen der »Glaube« eines Kanonenexporteurs obrigkeitlicher Erforschung entzogen war, hätte Alfred jede Bestellung ausfüh­ ren können, ohne sich selber Lügen zu strafen. Nun ließe sich allerdings einwenden, es wäre schon eine be­ wußte Unwahrheit gewesen, dreist zu behaupten, daß Auslands­ bestellungen von ihm abgelehnt worden wären, da doch bis dahin tatsächlich keine einzige Zurückweisung eines Auftrags, gleich aus welchem Grunde, stattgefunden hatte, ja nicht einmal möglich gewesen war, weil ja doch niemand - von dem Khediven von Kairo abgesehen - je eine Bestellung aufgegeben oder auch nur eine Offerte eingeholt hatte . . .! Doch auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Zwar entspricht er dem objektiven Sachverhalt, doch muß man natürlich auch die subjektive Seite berücksichtigen. Wie kann man kühn behaupten, daß Alfred Krupp sich der Unwahr­ heit, die er verbreitete, bewußt gewesen sein muß? Er hielt schließlich vieles für wahr und vorhanden, was ausschließlich seine eigene Empfindung war und für keinen anderen Menschen existierte. Die Welt, in der Alfred lebte, war voller Hirngespinste, und die Dämonen, die ihn quälten und vor denen er sich später durch dreifache Eisentüren, hermetisch verschlossene Fenster und den Gestank frischen Dungs zu schützen versuchte, waren für ihn so real, wie es für ihn vielleicht auch die Feinde Preu­ ßens waren, die ihm angeblich zahllose Kanonen zu horrenden Überpreisen hatten abkaufen wollen und denen er dann aus glühender Vaterlandsliebe die Tür gewiesen zu haben glaubte... Nein, das Bündnis zwischen dem Hohenzollernprinzen und dem wackeren Alfred Krupp, das dann den einen zum deutschen Kaiser, den anderen zum Kanonenkönig machte, beruht nicht auf einer häßlichen Lüge, zumindest keiner nachweisbaren. Es war ein Zweckbündnis, noch dazu auf der solidesten Grundlage, die sich denken läßt: Einer brauchte den anderen . . .!

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Ein Reich, ein Kaiser, ein Krupp

In den sieben Jahren von 1864 bis 1871 führte Preußen drei sieg­ reiche Kriege: 1864 zusammen mit den Österreichern gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich, Bayern, Württemberg, Baden, Sachsen und Hannover und 1870, diesmal im Bündnis mit allen deutschen Kleinstaaten, aber ohne Österreich, gegen das Frankreich Napoleons III. Die Anlässe zu diesen Kriegen wurden von Mal zu Mal läppischer: War es 1866 noch darum gegangen, die Selbständig­ keit Schleswig-Holsteins zu erkämpfen (mit dem Ergebnis, daß daraus preußische Provinzen wurden), so gab es 1870 für den Deutsch-Französischen Krieg überhaupt keinen vernünftigen Grund; man suchte einfach Streit. Die tiefere Ursache aller drei Kriege war ernster: Es galt, das durch das Ende der russischen Vormachtstellung und die Schwä­ chung Österreichs entstandene Vakuum aufzufüllen und minde­ stens eine der Sehnsüchte der gescheiterten deutschen Revolu­ tionäre von 1848 zu erfüllen: Die Abschaffung der Kleinstaaterei zugunsten eines neuen Reiches, eines modernen, die Erforder­ nisse der Zeit erfüllenden deutschen Nationalstaates. Natürlich wurde auch dieses Reich dann ganz anders, als es sich die Deutschen erträumt hatten. Der neue Nationalstaat, nicht vom Volk, sondern von der preußischen Führung geschaf­ fen, befriedigte niemanden, nicht einmal Preußens Führer selbst. Die Deutschen Österreichs blieben Ausländer; dafür war jeder zehnte Bürger des Reiches nicht-deutscher, meist polnischer Nationalität; alle Throne und Thrönchen in den Duodez-Für­ stentümern, von Reuß ältere Linie mit siebenundvierzigtausend bis Schaumburg-Lippe mit dreiunddreißigtausend Einwohnern, blieben erhalten, und ihre Inhaber hüteten eifersüchtig ihre tau­ send köstlichen Sonderrechte; Preußen, das zwei Drittel des neuen Reiches ausmachte, wurde einesteils übermächtig, sehr zum Kummer der anderen, vor allem der Süddeutschen, anderer­ seits verlor es an Geschlossenheit und Stärke, denn nun waren drei Viertel seiner Bürger »Muß-Preußen«, und das wirkte sich; natürlich in der einen oder anderen Weise auch auf die Stamm­ bevölkerung und auf die Führung aus. I Die Führung - das war zunächst Otto von Bismarck, ein hochgewachsener, intelligenter, energischer, stockkonservati-

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ver und mindestens anfangs sogar erzreaktionärer Junker, der vom König 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten und Außenminister ernannt worden war, 1867 auch Kanzler des Norddeutschen Bundes und 1871 erster Reichskanzler wurde; das waren die miteinander rivalisierenden Militärs, der Kriegs­ minister Graf Roon und der Generalstabschef Graf Moltke, nur einig, wenn es galt, die Aufrüstung und die Politik der Stärke gegen Parlamentsbeschlüsse und Volksmeinung durchzusetzen, und das war, umgeben von weiteren Ministern, Militärs und Hofchargen, die in Preußen seit altersher regierende Familie Hohenzollern, an ihrer Spitze der biedere »Kartätschenprinz« Wilhelm, der seinen geisteskranken Bruder als König abgelöst hatte und 1871 auch Deutscher Kaiser wurde - nur sehr wider­ strebend, auf Bismarcks heftiges Drängen hin, und erst einwilli­ gend, nachdem alle regierenden Fürsten seines künftigen Rei­ ches ihre schriftliche Zustimmung gegeben hatten. Wilhelms Macht stützte sich auf die Innen- und Außenpolitik Bismarcks und auf die Stärke der von Roon und Moltke refor­ mierten und modernisierten Armee, deren einstiger Nimbus der Unbesiegbarkeit von Napoleon I. 1806 bei Jena und Auerstädt und deren Popularität durch ihr brutales Vorgehen gegen das eigene Volk im Jahre 1848 gründlich zerstört worden war. Diese Armee, von allen Fachleuten Europas (und solchen, die es zu sein vorgaben) bis 1870 nicht sonderlich ernst genommen, vernichtete dann zur allgemeinen Verblüffung mit wenigen Schlägen die für weit überlegen gehaltenen Armeen des mäch­ tigen französischen Kaiserreiches, zwang Napoleon III. zur Kapitulation und eroberte schließlich sogar die verzweifelt verteidigte Hauptstadt Paris. Damit war das seit dem Tode Friedrichs des Großen zur quantité négligeable herabgesunkene Preußen mit einem Schlage wieder zur Vormacht auf dem europäischen Kontinent gewor­ den, und selbst die »Muß-Preußen«, die zu Beginn des Krieges in den Städten und Dörfern des Rheinlandes schon heimliche Vorbereitungen für einen begeisterten Empfang der als Sieger erwarteten Franzosen getroffen hatten, wurden nun zu von Nationalstolz erfüllten deutschen Patrioten. Wie war dieser so unerwartete, rasche und triumphale Sieg über die gefürchtete Militärmacht des dritten Napoleon möglich gewesen? Natürlich nur mit Alfred Krupps Gußstahlgeschüt­ zen, lautet die Antwort der meisten seiner Fans und selbst einiger Hasser, und sie scheuen sich nicht, bei ihren unbefange­

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nen Lesern den Eindruck zu erwecken, als seien der Triumph über den »welschen Erbfeind«, die Reichsgründung und der Aufstieg Preußen-Deutschlands zur Groß- und schließlich zur Weltmacht im wesentlichen Alfred Krupp zuzuschreiben, denn er allein habe die militärischen Voraussetzungen dafür ge­ schaffen. Es scheint alles ganz einfach gewesen zu sein. Bismarck, Moltke und der zum Kaiser ausersehene Wilhelm hatten sich nur an das Rezept zu halten brauchen : Man nehme eine reich­ liche Menge Kruppscher Gußstahlkanonen, bestreue mit ihren Granaten die stärkste fremde Armee, die sich finden läßt, gebe deren Reste, zusammen mit zwei Dutzend gut vorgeweichten Regenten deutscher Zwergstaaten und einer kräftigen Prise frischen Nationalstolzes, in einen geräumigen Topf, lasse das Ganze auf kleiner Flamme schmoren, bis es gar ist, und serviere alsdann das fertige Gericht brühheiß und überschäumend allen Nachbarn als Deutsches Reich nach Art des Hauses Krupp . . . Indessen, ganz so einfach war es in Wirklichkeit nicht! Für die die ausländischen Experten verblüffende Überlegen­ heit der preußischen Armee waren zunächst zwei ganz andere Neuerungen ausschlaggebend gewesen: die Anlage der Eisen­ bahnen nach strategischen Gesichtspunkten, ihre Benutzung zu rascherer Mobilmachung und schnellerem Einsatz nach dem Vorbild des Nordstaaten-Generals William T. Sherman im amerikanischen Sezessionskrieg sowie die weit zuverlässigere und schnellere Lenkung aller Truppenbewegungen mit Hilfe des Telegraphen ... ! Dazu kam erst als dritte bedeutsame Neuerung die Verwen­ dung der Kruppschen Gußstahlgeschütze, die sich der franzö­ sischen Feldartillerie dann tatsächlich weit überlegen zeigten und zum triumphalen Sieg bei Sedan ganz erheblich beitrugen. Die Grande Armée Napoleons III. war nämlich noch - wie der­ einst die des ersten Franzosenkaisers bei Austerlitz, Jena und Friedland - mit bronzenen Vorderladern ausgerüstet, wogegen die Preußen und ihre deutschen Verbündeten bereits moderne Gußstahl-Hinterlader mit gezogenem Lauf verwendeten, was ihnen größere Reichweite und enorme Treffsicherheit verschaff­ te, zudem, da die Stahlgeschütze erheblich leichter waren als die bronzenen, die Beweglichkeit der Feldartillerie stark erhöhte. Zahlreiche Erfindungen in vielen Ländern hatten zur Ent­ wicklung der Gußstahlkanone, des gezogenen Laufes und des Hinterladerprinzips beigetragen, und die wenigsten davon wa-

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ren in Deutschland, geschweige denn bei Krupp in Essen ge­ macht worden. Erst später wurde -das Essener Unternehmen führend auf dem Gebiet der Entwicklung neuartiger Geschütze nach eigenen Konstruktionen, und da war es natürlich auch nicht Alfred Krupp selbst, der sich als Erfinder betätigte. Alfreds Ver­ dienst, wenn man es so nennen kann, lag ausschließlich darin, daß er mit Hilfe einiger einflußreicher Freunde und vor allem des Königs und gegen den erbitterten Widerstand zahlreicher Militärs, an ihrer Spitze Kriegsminister Graf Roon, seine Pro­ dukte in Berlin an den Mann brachte. Doch der Schluß, daß er damit sein Vaterland stärken und ihm zum Sieg über Frankreich verhelfen wollte, ist falsch, ja, geradezu absurd. Wir wissen bereits, daß Alfred schon anläßlich der Pariser Weltausstellung von 1855 mit den französischen Militärbehör­ den über die Lieferung großer Mengen seiner neuen Gußstahl­ geschütze verhandelt hatte. Daß dieses Geschäft dann nicht zu­ stande gekommen war, hatte nicht an Alfred Krupp gelegen. Wenn überhaupt »Patriotismus« dabei im Spiele gewesen war, so nur auf Seiten der Franzosen, die die Industrieanlagen ihres Landsmannes Eugène Schneider aus Nancy, der in Le Creuzot ebenfalls Geschütze herstellte, bevorzugt mit Aufträgen zu be­ denken geneigt waren - vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil Schneider-Creuzot, wie er sich später nannte, zu den einfluß­ reichsten Politikern zählte und bald darauf sogar Präsident der Gesetzgebenden Körperschaft wurde . . . Nein, an Alfred Krupp hatte es nicht gelegen (und sollte es auch später nicht liegen), daß Preußens Kriegsgegner mit weit unterlegenen Waffen ausgerüstet waren! Im Frühjahr 1866, beispielsweise, als kurz vor Ausbruch des Krieges zwischen Preußen und Österreich aus Wien und von den mit ihm verbündeten süddeutschen Staaten noch rasch sechzig Gußstahlgeschütze bei Krupp bestellt worden waren, hatte sich Kriegsminister Graf Roon bemüßigt gesehen, an Alfred Krupp heranzutreten. Unter dem Datum vom 9. April 1866 hatte er ihm aus Berlin geschrieben: »An Ew. Hochwohlgeboren richte ich die ergebene Frage, ob Sie, in patriotischer Würdigung der gegenwärtigen politi­ schen Verhältnisse, sich anheischig machen wollen, ohne Zu­ stimmung der Königlichen Regierung keine Geschütze an Österreich zu liefern. Ew. Hochwohlgeboren private Zusage würde mir genügen. Wenn indeß Ew. Hochwohlgeboren durch Rücksichten irI31

gendeiner Art verhindert sind, die Übernahme einer solchen Verpflichtung auszusprechen, so wollen Sie die Güte haben, Sich recht bald darüber gefälligst zu äußern.« Alfred hatte die vom Kriegsminister seines eigenen Landes am Vorabend eines bewaffneten Konflikts geforderte Erklärung natürlich verweigert und, unter Hinweis auf seine vertraglichen Vereinbarungen mit Wien, die er einzuhalten »auf Ehre« ver­ pflichtet wäre, mit einer nur leicht verhüllten Drohung geant­ wortet: »Von den politischen Verhältnissen weiß ich sehr wenig; ich arbeite ruhig fort, und kann ich das nicht ohne Störung der Harmonie zwischen Vaterlandsliebe und Ehrenhaftigkeit, so gebe ich die Arbeit ganz auf, verkaufe meine Fabrik und bin ein reicher, unabhängiger Mann . . .« Dann war er eilig nach Berlin gereist, um rasch noch neue preußische Aufträge hereinzuholen, während in Essen die Kano­ nen für Preußens Gegner gegossen wurden und sein Agent in Wien den dortigen Behörden, unter Hinweis auf Berlins massive Rüstungskäufe und die Unzulänglichkeit der österreichisch-süd­ deutschen Bestellungen, weitere Aufträge zu entlocken versucht hatte . . . In Berlin war Alfred bei einem ihm gewogenen Hohenzollernprinzen, dann bei Graf Roon und schließlich bei Bismarck vor­ stellig geworden, hatte vor allem dem Kanzler klargemacht, daß Preußen schlecht gerüstet wäre und daß er, Krupp, große Sorgen hätte, »weil wir jetzt und noch auf lange Zeit hinaus in Preußen nichts besitzen von schwerem wirksamen Geschütz für Küsten, Festungen und Marine. Das machte ihn« - Bismarck - »offenbar stutzig«, so hatte Alfred seiner Essener »Procura« triumphie­ rend mitteilen können, bezeichnenderweise mit dem Zusatz: »und das wollte ich. Meine Äußerungen machten ihm sichtbare Sorge - das wollte ich und nun fühle ich mich frei - auch dem Könige werde ich Bedenken machen------ « Knapp zwei Wochen später war der Krieg ausgebrochen, wobei es dann schon nach sieben Wochen einen preußischen Sieg, für Alfred dagegen nur Schwierigkeiten und Ärger gege­ ben hatte: Die Berliner Regierung, sogar der König selbst war nicht bereit gewesen, ihm zwei Millionen Taler zu geben, damit er seine Kanonenfabrik weiter ausbauen könnte, nicht einmal, nachdem Alfred gedroht hatte, er müßte dann eben französisches Kapital hereinnehmen und sich »welschem« Einfluß unterwer­ fen. Schließlich war man auf den Ausweg eines preußischen 132

Staatsbank-Kredits verfallen - sehr zum Ärger Alfreds, der üb­ rigens, weil das Bankdarlehen ihm nicht reichte, dann heimlich doch noch eine Anleihe in Paris aufnahm . . . Die ewigen Geldsorgen, die sich von den alten nur in der Höhe der Summen unterschieden, hatten Alfreds Gesundheitszustand verschlechtert. Bertha, die sich in Nizza amüsierte, war von ihm unterrichtet worden, daß er unter »Rheuma und Nervotismus« litte und einem Zusammenbruch nahe wäre. Dabei hätte er sich seinen finanziellen Kummer - und damit vielleicht auch viel »Nervotismus« - ersparen können, wenn er mit den Millionen, die ihm die Kriegsrüstung beschert hatte, etwas vorsichtiger umgegangen wäre, seine Bau- und Kaufwut etwas gezügelt hätte . . . Mit den Geldsorgen noch nicht genug, hatte es auch noch bei Königgrätz, der einzigen Schlacht des Sieben-Wochen-Krieges gegen Österreich und seine Verbündeten, auf preußischer Seite einige traurige - und für die Bedienungsmannschaften tödliche Pannen mit den Krupp-Geschützen gegeben. Zunächst war in Essen ein Brief des - Alfred Krupp bereits treu ergebenen preußischen Generals Konstantin von Voigts-Rhetz, Chef des Generaistabs der i. Armee, eingetroffen, der aus Böhmen ge­ meldet hatte, daß der Feldzug glücklich beendet wäre. Das war am 3. Juli 1866 gewesen. Sechs Tage später hatte ein zweiter Brief von Voigts-Rhetz schon - ganz am Schluß und nebenbei - die Panne angedeutet: »Ich konnte Ihnen nur das Wort >Sieg!< zurufen, eh die Schlacht vorbei war, und das war in jener Zeit auch genug«, hatte der General nun berichtet. »Sie wußten, daß wir das hoch­ mütige Österreich niedergeworfen hatten, und Sie hatten ein besonderes Interesse, außer Ihrem Patriotismus - denn Sie haben uns ja am wirksamsten geholfen, durch Ihre Kanonen. Lange heiße Stunden haben sich diese Ihre Kinder mit ihren österrei­ chischen Cousinen unterhalten, es war ein Tirailleurfeuer mit gezogenen Kanonen, höchst merkwürdig und interessant, aber auch sehr verderblich. Eines Ihrer Kinder wurde übrigens auch verwundet . . .« Tatsächlich waren eine ganze Reihe von Krupp-Kanonen infolge von Mängeln in der Verschlußkonstruktion explodiert; die Nachrichten darüber waren erst allmählich durchgesickert. Und was hatte Alfred getan, als er sich des ganzen Ausmaßes der Pannen bewußt geworden war? Nun, er hatte einfach das Weite gesucht . . .!

Er war aus Essen geflüchtet, hatte sein Unternehmen der »Procura« überlassen, war gen Süden gereist und hatte, ehe er über die Schweiz zu Bertha nach Nizza gefahren war, weiner­ liche Briefe nach Berlin, auch an seinen Gegner Roon, abge­ schickt, worin er Entschuldigungen vorgebracht, Ersatz ange­ boten und seine unveränderliche Ergebenheit beteuert hatte. Dann war er - gewiß zu Berthas peinlicher Überraschung an der französischen Riviera aufgetaucht. Berthas Leibarzt, Dr. Küster, war von der seltsamen Erscheinung des greisenhaft wirkenden Vierundfünfzigjährigen so frappiert gewesen, daß er sich notiert hatte, was sein veränderter Eindruck von Alfred Krupp war: ». . . eine sonderbare, überall auffallende Erschei­ nung von ungewöhnlicher Körperlänge, dabei von auffallender Magerkeit; seine Züge, einst von großer Regelmäßigkeit und Schönheit, waren früh gealtert, das Gesicht matt, bleich, voller Runzeln, der Kopf mit einem schwachen Rest grauer Haare, die durch eine Perücke ergänzt wurden, bedeckt. Selten bedeckte ein Lächeln diese Züge, gewöhnlich waren sie steinern, ohne jede Regung . . .« Und weiter: »Krupp ist ohne Zweifel ein technisches Ge­ nie . . ., im übrigen ein durchaus einsichtiger * Mensch, ohne jedes Interesse für alles, was seinem Fach fernlag. So hielt er es für gänzlich verfehlt, daß ein Verwandter seiner Frau« - der später berühmt gewordene Kapellmeister und Komponist Max Bruch - »sich der Musik gewidmet hat. Würde er Techniker ge­ worden sein, erklärte Krupp allen Ernstes, so hätte er sich und der Menschheit nützen können, während er als Musiker ein durchaus inhaltsloses Dasein führe . . . Sein Entwicklungsgang hatte das Selbstbewußtsein in ihm bis zu einem Maße gesteigert, daß sein Wesen zuweilen an Größenwahn streifte. Er war ge­ wöhnt, wie ein Fürst aufzutreten, konnte aber daneben klein­ liche Züge verraten . . .« Nun, der »Fürst« war dann monatelang, zur wachsenden Ver­ zweiflung Berthas, an der Riviera geblieben, hatte über ein Jahr lang seinem Essener Unternehmen nur einige wenige Blitzbe­ suche abgestattet, war von Kurort zu Kurort gehastet und hatte seiner »Procura« aus Scheveningen geschrieben: »Meine Gesundheit erlaubt mir nicht, mich um die Ge­ schäfte der Fabrik zu kümmern«, doch wollte er nun dar­ über nachdenken, wie er am besten »eine nützliche Über­ * hier gemeint im Sinne von »einseitiger«

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gangsperiode von meiner Tätigkeit zum ewigen Jenseits« fin­ den könnte . . . Ja, und dann hatte der eben noch so »abgemüdete« Alfred »Nervotismus« und Jenseitsgedanken plötzlich wieder verges­ sen und war nach Essen zurückgehastet, schier berstend vor Aktivität. Vielleicht war es - wie manche Krupp-Biographen meinen das ihm von dem für seinen Bruder Werner in England erfolg­ reich tätigen Sir Wilhelm Siemens angebotene, mehr Stahl von besserer Qualität verbürgende Siemens-Martin-Verfahren, das den jähen Wandel bewirkt hatte; vielleicht war es aber auch - so glauben andere - die gerade anstehende, für künftige Geschäfte so entscheidend wichtige Frage, ob die Flotte des Norddeut­ schen Bundes mit britischen Vorderlader-Geschützen aus den Werkstätten von Armstrong oder mit Hinterladern von Krupp ausgerüstet werden sollte; vielleicht war es auch einfach die späte Einsicht gewesen, daß sich die Pannen von Königgrätz für ihn nicht gar so schlimm ausgewirkt hätten - schließlich war von niemandem sein Kopf gefordert worden, nicht einmal die Schließung des Betriebes . . . Jedenfalls war Alfred dann im Handumdrehen wieder »ganz der Alte« geworden, zwar noch ein wenig schrulliger als zuvor, noch selbstbewußter und zugleich noch mißtrauischer, aber erneut erfüllt von rastloser Aktivität bei Tag und Nacht. . . Das Duell zwischen den Firmen Armstrong und Krupp um die Marinebewaffnung war dann zunächst zugunsten der Eng­ länder ausgegangen, obwohl Alfred, der sich gerade erst durch Vermittlung des mit dem britischen Königshaus verschwägerten preußischen Kronprinzen Friedrich um Londoner Kanonenauf­ träge für Essen bemüht hatte, der Admiralität des Norddeut­ schen Bundes wegen der Bevorzugung der Firma Armstrong einen traurigen »Mangel an nationaler Würde« vorgeworfen hatte. Dieser seltsame Einwand des zur Belieferung der ganzen Welt bereiten Kanonenkönigs war in Berlin jedoch überhört worden, da ein Vergleichsschießen die Überlegenheit der briti­ schen über die Essener Kanonen erwiesen hatte. Doch dann war Alfred nach St. Petersburg gereist, hatte beim Zaren anticham­ briert und schließlich erreicht, daß dieser den Hof in Berlin um­ zustimmen suchte, unter anderem mit dem Hinweis auf das angeblich rege Interesse der Londoner Marineleitung für KruppGeschütze . . . König Wilhelm, bieder-naiv und trotz Königgrätz noch G5

immer ein Krupp-Fan, hatte daraufhin seine Admiralität ge­ zwungen, »auch« in Essen einzukaufen, und die ArmstrongVertreter waren ohne Auftrag und tief verbittert aus Berlin ab­ gereist, unfähig, die preußische Logik zu begreifen, derzufolge man bei Kriegsschiffsbewaffnungen ein - gar nicht vorhande­ nes - Interesse Englands zum Vorbild, aber keine englischen Ka­ nonen zu nehmen hätte . . . In den Jahren 1867 bis 1870 waren die ersten starken Span­ nungen zwischen Preußen und dem Frankreich Napoleons III. zu verzeichnen gewesen. Paris, das mit einem langen Krieg zwischen Preußen und Österreich gerechnet hatte und für seine Nichteinmischung überhaupt nicht belohnt worden war, hatte Forderungen angemeldet, zunächst recht unbescheidene, dann immer bescheidenere, aber auch diese waren von Berlin zurück­ gewiesen worden. Das hatte Kaiser Napoleon, der um sein Pre­ stige fürchten mußte, in eine Lage versetzt, in der eine Kriegs­ erklärung durchaus möglich war. Und wie hatte sich der stets auf seinen preußischen Patriotismus pochende Alfred in dieser gespannten Situation verhalten ... ? Nun, zunächst hatte er wieder die erneut in Paris stattfindende Weltausstellung beschickt, diesmal mit einem Mammutgeschütz von hunderttausend Pfund Gewicht, dafür den »Grand Prix« und die Ernennung zum Offizier der Ehrenlegion eingeheimst, aber wieder keinen Auftrag erhalten. Dann aber war er, unbekümmert um die drohende Kriegs­ gefahr, über die er kurz zuvor aus Nizza an die »Procura« ge­ schrieben hatte, »Bei der Frage >ob Krieg< bin ich gerüstet nach meinen Kräften alles zu leisten was dienen kann«, mit einem de­ voten Brief an Kaiser Napoleon III. herangetreten (wobei er vorsichtshalber seinen Pariser Vertreter Henri Haas das Schrei­ ben hatte unterzeichnen lassen) - denn es lagen die amtlichen Berichte preußischer und russischer Artillerie-Prüfungskom­ missionen über neueste Versuche mit Krupp-Geschützen bei... ! Kaiser Napoleon hatte diesen Brief * samt allen ihm »vertrau­ ensvoll« überlassenen Anlagen an den General Le Bœuf weiter­ gegeben, der Vorsitzender der französischen Artillerie-Kom­ mission und zufällig auch ein enger Freund von Eugène Schnei­ der -Creuzot war, und Le Bœuf hatte natürlich dafür gesorgt, daß die lästige preußische Konkurrenz nicht zum Zuge kam . . . Und so war Alfred ein Vierteljahr später, Ende April 1868, * Der volle Wortlaut der deutschen Übersetzung dieses Schreibens an Napoleon 111. befindet sich im Dokumentenanhang.

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noch einmal selbst an Kaiser Napoleon III. mit einem persön­ lichen Schreiben herangetreten .... »Majestät«, hatte der sich der drohenden Kriegsgefahr so bewußte preußische Kanonenfabrikant an das gegnerische Staatsoberhaupt geschrieben, »ermutigt durch das Interesse, das Eure erhabene Majestät für einen einfachen Industriellen und die glücklichen Ergebnisse seiner Bemühungen und seiner unerhör­ ten Opfer bewiesen haben, wage ich von neuem, mich Allerhöchstderselben mit der Bitte zu nahen, geruhen zu wollen, bei­ folgenden Atlas, der eine Sammlung von Zeichnungen verschie­ dener in meinen Werkstätten hergestellter Erzeugnisse enthält, gütigst anzunehmen. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß vor allem die vier letzten Seiten, welche die Gußstahlkanonen dar­ stellen, die ich für die verschiedensten hohen Regierungen Euro­ pas angefertigt habe, für einen Augenblick die Aufmerksamkeit Eurer Majestät auf sich lenken dürften und meine Kühnheit entschuldigen werden. Mit dem tiefsten Respekt, mit der größten Bewunderung bin ich Euer Majestät sehr ergebener und untergebenster Diener...« Zwei Jahre später hatte es dann »Allerhöchstderselbe« zutiefst zu bedauern, von seinem »größten Bewunderer« nichts gekauft, sondern sich auf die Bronzekanonen des Herrn Kammerpräsi­ denten Schneider-Creuzot und die Ratschläge seines Freundes Le Bceuf verlassen zu haben. Das war bei Sedan gewesen, als Napoleons Hoffnungen und mit ihnen der Kern der kaiserlichen Armee im mörderischen Feuer jener Kruppgeschütze untergegangen waren, die Seine Majestät verschmäht hatten . . . Aber an Alfred Krupp hatte es wahrlich nicht gelegen, daß die französische Feldartillerie von der preußischen zusammenge­ schossen worden war, ohne sich wehren zu können . . . Diese Tatsache hat später den Krupp-Fans, und zumal den Chauvinisten unter ihnen, schwer zu schaffen gemacht. Wilhelm Berdrow machte es sich einfach und ließ Alfreds Briefe an Napo­ leon III. in seiner umfangreichen Dokumentensammlung ein­ fach fehlen. Hermann Frobenius, ein enthusiastischer Verteidi­ ger jedweder Schrulle Alfreds des Großen, versuchte wenige Jahre nach dem Tode seines Idols, dessen Beziehungen zu Frankreich, dem »Erbfeind«, so zu erläutern: »Daß ihm die alte Feindschaft nicht weniger im Blut gelegen haben sollte, als jedem anderen ehrlichen Deutschen, ist nicht

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anzunehmen; aber der Patriotismus hätte ihm hier nur im Wege gestanden . . .« - wohlgemerkt, bei seinen Versuchen, mit den »tückischen Welschen« ins Rüstungsgeschäft zu kommen! »Wir sehen ihn dann sofort wieder in seine Rechte eingesetzt«, fuhr Frobenius, etwas dunkel auf die ursprünglich ablehnende Hal­ tung Preußens anspielend, fort, »als durch Frankreichs Neue­ rungen die einheimische Regierung sich bewogen sah, mit Kruppstahlgeschützen endlich Ernst zu machen. Von da an exi­ stiert Frankreich für Krupp nicht mehr. Das Vaterland bot ihm nun, was er brauchte . . .« Daß Alfred dann trotzdem dem Kaiser des für ihn doch an­ geblich gar nicht mehr vorhandenen Frankreichs geheime preu­ ßische Artillerieprüfungsergebnisse und genaue Beschreibun­ gen seiner allerneuesten Waffen geschickt hatte, wußte Frobe­ nius vielleicht gar nicht oder hielt es für belanglos, für nichts als eine kleine Aufmerksamkeit, die ein Kanonen-Enthusiast dem anderen erwiesen hatte, vergleichbar etwa einem Briefwech­ sel zwischen zwei in gegnerischen Lagern lebenden Schmetter­ lingssammlern, die über alle politischen und sonstigen Differen­ zen hinweg ihr gemeinsames, ganz harmloses Hobby pflegen . .. Vielleicht war Frobenius aber auch einfach der Marschroute gefolgt, die zwei Jahre vor seiner Veröffentlichung, beim Hin­ scheiden Alfreds im Juli 1887, von der vom Hause Krupp finan­ zierten »Internationalen Revue für die gesamten Armeen und Flotten« im Auftrage der Essener Unternehmensleitung festge­ legt worden war. »Frankreich mit brauchbaren Waffen gegen sein Vaterland zu versorgen«, hatte die Kruppsche Hauspostille geschrieben, »das hat Krupps Patriotismus nicht gelitten . . .!« Und der Chef der »Procura« hatte dem »guten, edlen, lieben Herrn« an dessen Grabe bescheinigt: »Er war das Beispiel eines glühenden Patrioten, dem kein Opfer zu groß war für sein Vaterland!«

So belehrt, wollen wir noch einmal zurückkehren in den Sommer des Jahres 1870, als Napoleon III. wegen einiger, ihm von Bis­ marck bewußt zugefügter diplomatischer Kränkungen Preußen den von Berlin sehnlich herbeigewünschten Krieg erklärt hatte. Und wir wollen sehen, wie sich Alfred, der »glühende Patriot, dem kein Opfer zu groß war für sein Vaterland«, dann verhielt, ob er wenigstens nach Kriegsausbruch vaterländische Opferbereit­ schaft zeigte.

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Nun, zunächst ließ er davon nicht allzu viel erkennen. Er hatte wieder Ärger und Sorgen. Einer seiner engsten Mitarbei­ ter, Albert Pieper, war so rücksichtslos gewesen, just in diesem Augenblick der Hochkonjunktur zu sterben. Auch ein anderer alter Freund und Mitarbeiter ließ ihm mitteilen, daß es nun mit ihm zu Ende ginge, und Alfred schrieb ihm daraufhin verärgert, daß auch er unpäßlich wäre: ». . . während ich mit meinen gerin­ gen Kräften nicht meinem Beruf genüge, mit seltener Ausnahme Besuche empfange, nicht ausreiche mit der geringen Kraft zur Tätigkeit und zur Erledigung dessen, was die Fabrik und der Neubau eines Wohnhauses mir auferlegen.« Tatsächlich war es der »Neubau eines Wohnhauses«, der seine ganze Zeit und Kraft in Anspruch nahm - und das nicht erst neuerdings, sondern be­ reits seit Jahren. Er hatte sich nämlich dazu entschlossen, mehr als nur ein geräumigeres, seinem vermehrten Reichtum und Status besser angemessenes Haus zu bauen. Es sollte etwas Einzigartiges werden: ein Palast für Kaiser und Könige, die ihn besuchten, ein monumentales Denkmal seiner selbst und vor allem eine feste Burg, in der er sich vor den ihn verfolgenden Dämonen sicher fühlen konnte . .! War schon der Kauf eines geeigneten Grundstücks nicht ganz einfach gewesen - mehrere Gutsbezirke mußten über Strohmän­ ner erworben werden, damit ein Terrain zusammenkam, das ihm für »Wohnung, Stallung, Reitbahn, Höfe, Park und Garten­ anlagen, Wasserdruckwerk, Springbrunnen, Kaskaden, Fisch­ teiche auf der Höhe und im Tale, Wildpark, Viadukte über Ver­ tiefungen, Brücken, Weide an der Ruhr für Pferde und anderes Vieh« reichte! -, so erwies sich die Auswahl des eigentlichen Bauplatzes als noch weit schwieriger: Wem konnte er eine so unerhört wichtige Aufgabe anvertrauen? Niemandem als sich selbst! Und so ließ er sich einen hölzernen Turm bauen, der höher sein mußte als der höchste Baum im weiten Umkreis, das Ganze auf mächtige Räder stellen und von einer halben Hundert­ schaft unglücklicher »Kruppianer« bergauf und bergab durch wegeloses Gelände schieben, während er selbst auf der obersten Plattform stand und die jeweilige Aussicht prüfte . . . Der Hügel, den er sich schließlich zum Standort seiner Residenz erkor - vermutlich roch es dort nach frischem Dung oder in anderer Weise einigermaßen sicher vor Dämonen -, war leider baumlos und kahl. Alfred, dessen Pläne einen größeren Bestand an majestätischen Bäumen vorsahen, ließ den Mangel 139

sogleich beheben - natürlich nicht auf herkömmliche Weise! Vielmehr wurden auf sein Geheiß im ganzen Ruhrgebiet und am Niederrhein die schönsten alten Bäume, ja ganze AlleeBepflanzungen, aufgekauft, samt den mächtigen Wurzeln aus­ gegraben, zum Hügel transportiert und wieder eingepflanzt. . .! Aber die Hauptaufgabe, der eigentliche Hausbau, war das allerschwierigste. Auch hier kam Alfred nach reiflicher Über­ legung zu der Einsicht, daß kein Architekt der Welt den Pro­ blemen gerecht werden konnte. Es blieb ihm keine andere Wahl, als Entwurf und Bauleitung persönlich in die Hand zu nehmen. Monate, Jahre, ja, fast ein Jahrzehnt lang entwarf er also selbst jede Einzelheit des von ihm geplanten Palastes . . .! Und das schließliche Resultat, die »Villa Hügel«, wurde denn auch zu dem, was Alfred zu ihrem Bau getrieben und bei der Projektie­ rung von zehntausend Einzelheiten zu immer neuen Auswegen und Sicherungen angespornt hatte: zu einem steinernen Alp­ traum, einem Monstrum, im Vergleich zu dem sich selbst ein wilhelminisches Oberlandesgerichtsgebäude an einem regne­ rischen Herbsttag noch freundlich ausnimmt . . . Aber im Sommer 1870 war es noch längst nicht soweit. Alfred hatte gerade erst den Grundstein gelegt und endlich auch ein geeignetes Baumaterial sowie die damit vertrauten Handwerker gefunden. Und just in diesem glücklichen Augenblick mußte jener Krieg ausbrechen, der alles wieder in Frage stellte . . .! Alfreds Baumaterial war nämlich ein Kalkstein aus den Stein­ brüchen von Chantilly bei Paris, und seine Steinmetzen kamen aus derselben Gegend . . .! Unter diesen Umständen mußte es ihm so erscheinen, als hätten sich wieder einmal alle gegen ihn verschworen; als wären Deutschland und Frankreich eigens zu dem Zweck gegeneinander aufmarschiert, ihn, Alfred Krupp, am Bau seiner »Villa Hügel« zu hindern . . .! Und sicherlich hörte er schon die Dämonen vor Schadenfreude kichern, roch bereits die giftigen Gase, mit denen sie ihn wegen seines Ver­ sagens zu Tode zu quälen gedachten . . . Und so bäumte sich Alfred - der angeblich zu jedem Opfer für das Vaterland bereite Patriot - noch einmal auf, spannte alle Energien an, überwand seinen »Nervotismus« und setzte gegen alle Spielregeln des Krieges schier unmögliche Dinge durch: Die französischen Handwerker fuhren fort, an seiner, des preu­ ßischen Kanonenkönigs, Villa zu bauen; die Steinbrüche von Chantilly lieferten weiterhin - über das neutrale Belgien - den vom Geschützlieferanten des in Frankreich eingefallenen Fein-

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des so heiß begehrten Kalkstein, und trotz der allgemeinen Mobilmachung wurde kein »Kruppianer« zu den Fahnen geru­ fen, so daß es an Hilfskräften für den Hausbau nicht fehlte, denn wer gedacht hatte, daß Alfred wenigstens nach Ausbruch des Krieges der Kanonenproduktion die Priorität über seine Bau­ herrenpläne eingeräumt hätte, mußte dies rasch als Irrtum er­ kennen : Zwar erließ er - acht Tage nach der Kriegserklärung - einen markigen Aufruf an die Belegschaft, forderte Höchstleistungen, Tag- und Nachtschichten und »von dem Patriotismus eines jeden, der hierbei seine Dienste widmen wird, daß er nichts anderes bedenke als den möglichen Notfall, wo unsere Arbeit zur Geltung und dem Staate von unersetzlichem Wert sein kann . . .« Aber der »Procura« gab er strikte Anweisung, daß an der »Villa Hügel« unbedingt weiterzubauen wäre, »um jeden Preis, selbst mit Beseitigung von Arbeitern der Fabrik!« Er gab noch andere bemerkenswerte Beweise seines Mangels an Patriotismus: Als ihn das preußische Kriegsministerium darum ersuchte, gewisse Geschützlieferungen ins neutrale Aus­ land, deren Versand gerade beginnen sollte, zunächst zurückzu­ halten und im Bedarfsfall der preußischen Armee zur Verfügung zu stellen, lehnte Alfred dies ab; dazu, so antwortete er, wäre zu­ nächst das Einverständnis der ausländischen Kunden nötig . . . Und als zu Anfang des Krieges noch jedermann mit einem Vor­ stoß der Franzosen über den Rhein rechnete und »die Procura« dem Herrn Prinzipal in patriotischem Eifer vorschlug, die Ver­ läßlichsten der »Kruppianer« mit Gewehren auszurüsten und mit ihnen notfalls die für das Vaterland so wichtige Fabrik zu verteidigen, verbat er sich energisch solchen Unfug. Sollten die Franzosen in Essen einziehen, teilte er seinen darob sehr ver­ wirrten Direktoren mit, »empfangen wir sie mit Kalbsbraten und Rotspon«, nicht mit Kugeln . . . Erst als Preußen-Deutschland das französische Heer bei Sedan vernichtend geschlagen und Kaiser Napoleon gefangengenom­ men hatte, als endgültig feststand, daß bei diesem triumphalen Sieg die Kruppschen Gußstahlgeschütze ein ausschlaggebender Faktor gewesen waren, stellte Alfred seine privaten Neigungen - die sorgfältige Beobachtung seiner Gesundheit und den Bau der »Villa Hügel« - ein wenig zurück und begann sich wieder mehr für die so glänzend bewährte Geschützproduktion seines 141

Unternehmens und nebenbei auch für den großen vaterländi­ schen Krieg zu interessieren. Er, der sich während dreier Jahre vornehmlich an der Ri­ viera und in allerlei Kurorten aufgehalten und Essen nur spora­ disch aufgesucht hatte, um den Neubau auf dem Hügel voranzu­ treiben, kritzelte nun wieder fleißig Instruktionen an jeden ein­ zelnen Arbeiter, überschüttete die »Procura« mit detaillierten Anweisungen für all und jedes, ja, begann nun auch ein ausge­ dehntes vaterländisches Spendenwesen. Er stiftete ein paar hunderttausend Taler für Invaliden und Kriegerwitwen, auch ein wohlausgestattetes Lazarett, doch daneben widmete er sich vor allem einer genau gezielten Wohltätigkeit: Von ihm persönlich ausgewählte Offiziere, vor allem natür­ lich einflußreiche Artillerie-Fachleute, erhielten spezielle »Liebesgaben«-Sendungen; die Belagerer von Paris wurden dabei besonders bedacht, und mit den Delikatessen, Zigarren und Spirituosen kamen natürlich auch Alfreds Ratschläge, es doch einmal mit ganz neuen, weit größeren Mörsern, mit giganti­ schen Zernierungs- und eben erst entwickelten Ballon-AbwehrGeschützen zu versuchen; die Modelle wären schon unter­ wegs . . . Seine Offerten stießen indessen - im Gegensatz zu den Zigar­ ren und edlen Likören - zumeist auf Ablehnung. Man scheute damals noch davor zurück, Wohnstätten der Zivilbevölkerung mit allzu schwerem Geschütz zu bombardieren, und man war noch nicht barbarisch genug, den Gedanken ernsthaft in Be­ tracht zu ziehen, Paris, das Weltzentrum der Kultur und der verfeinerten Zivilisation, in Schutt und Asche zu legen. Allenfalls dem neuartigen Kruppschen Ballongeschütz galt einige Neugier; man debattierte sein Für und Wider. Doch als dann Paris, ausgehungert und demoralisiert, kapitulieren mußte, erlosch auch daran der letzte Funken von Interesse. Man hatte gesiegt - nun wollte man schnellstens wieder heim nach Deutschland, ins herrliche neue Reich, teilhaben an dem Milliar­ densegen der den Besiegten auferlegten Kriegsentschädigung... Ja, und auch Alfred Krupp wollte nun die Früchte des trium­ phalen Sieges ernten, die seine gußstählernen »Kinder« ihm-und daneben natürlich auch den Preußen - errungen hatten. Jetzt, so spürte er, stand ihm die ganze Welt offen. Jeden, vielleicht sogar die Franzosen, mußte es doch nun nach diesen wunder­ baren Waffen gelüsten . . .! Und so schickte er, kaum daß der Friedensvertrag mit Frank­

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reich unterzeichnet war, seinen bewährten Vertreter Haas eilig zurück nach Paris, aus dem er als feindlicher Ausländer - mit dem man übrigens noch lange nach Kriegsausbruch Walzenund Eisenbahnbandagen-Geschäfte getätigt hatte - schließlich ausgewiesen worden war. Zu Alfreds Freude schrieb Henri Haas schon in seinem ersten Bericht: »Der Haß gegen uns Deutsche hat hier schon sichtbar abgenommen, und ich hoffe fest, meine Geschäfte wieder in Gang zu bringen, trotzdem Ihr Name den guten Patrioten ein Greuel ist . . .«

Triumph und Verfall

Bis in die jüngste Vergangenheit, genau bis zum 6. März 1967, 16 Uhr, ist es den diversen Inhabern der Firma Fried. Krupp möglich gewesen, die Fiktion aufrechtzuerhalten, das riesige Unternehmen wäre nicht nur stets alleiniges Eigentum eines einzelnen gewesen, sondern hätte auch nie einen anderen Herrn zum allmächtigen, allwissenden, alles allein entscheidenden und von niemandem abhängigen Herrscher gehabt als einen - ech­ ten oder dazu ernannten - Krupp. Selbst heute noch, wo doch die Herrschaft der Familie über das gewaltige Unternehmen ohne Zweifel aufgehört hat und weder Eigentums- noch Mitspracherechte des »letzten Krupp«, des Thronverzichtlers Arndt von Bohlen und Halbach, mehr bestehen, erscheint es in der Erinnerung vielen immer noch so, als hätte stets ein großer, weiser Vater des erlauchten Namens Krupp zu Essen an der Ruhr als Alleinherrscher regiert, als sein eigener Top-Manager alle wichtigen Entscheidungen selbst ge­ troffen und durch seine Allgegenwart der gewaltigen Masse seiner wackeren »Kruppianer« Respekt und Vertrauen einge­ flößt. Indessen sind solche Erinnerungen wirklichkeitsfremd und geprägt von allerlei Fibelgeschichten und frommen Legenden der fleißigen Hofbiographen. Kein einzelner, nicht einmal der Übermensch Alfred, kann oder konnte je ein Großunternehmen mit Milliarden-Umsätzen und zigtausend Beschäftigten bis in die letzten Winkel hinein übersehen, geschweige denn allein beherrschen . . .! Ja, selbst Alfred der Große war dazu bereits außerstande, als sein Unternehmen noch nicht einmal ein Zehn­ tel der späteren Größe und Bedeutung hatte . . . Alfred, die einzige starke Unternehmerpersönlichkeit in der Kette der »Inhaber« der Firma Fried. Krupp, Gußstahlfabrik zu Essen, mußte sich schon frühzeitig eines Managements be­ dienen, und wenn man bedenkt, daß er selbst bis 1848 genauge­ nommen nur der Manager seiner Mutter, der alleinigen Eigen­ tümerin, gewesen war, so hat es, da Vetter Adalbert Ascherfeld schon 1845 eingestellt wurde und bald darauf Manager-Funktio­ nen übernahm, kaum irgendeine Zeit gegeben, in der Alfred zugleich Eigentümer und Leiter des Unternehmens war. Aber das ist noch nicht der springende Punkt - und Alfred 144

wäre der erste gewesen, darauf hinzuweisen denn worauf es ankommt, ist nicht die Frage, ob der Eigentümer tüchtige Gehilfen hat, die streng nach seinen Anweisungen handeln und das Unternehmen beaufsichtigen, sondern ob die Entscheidun­ gen ganz oder doch sehr weitgehend vom Management allein getroffen werden. Nun, davon konnte in der Ära Ascherfeld noch keine Rede sein, aber in den knapp zwei Jahrzehnten zwischen Ende 1848 und Anfang 1867 wuchs die Belegschaft von 74 auf rund 7800 Mann, stiegen die jährlichen Umsätze von einigen zigtausend auf etliche Millionen Taler! Und dann, zwischen 1868 und 1875, verdoppelte sich die Belegschaft der Kruppschen Unternehmen auf knapp sechzehntausend Beschäftigte, und entsprechend stiegen auch die Umsätze, die 1874 rund 47 Millionen Mark (ein Taler — drei Mark) erreichten . . .! Übrigens, auch das Städtchen Essen entwickelte sich in dieser Zeit von einem winzigen Nest, das im Jahre 1850 noch immer kaum mehr Einwohner zählte als vor dem Dreißigjährigen Kriege, nämlich knapp neuntausend, zu einer bedeutenden Indu­ striestadt, die im Jahre 1871 bereits über fünfzigtausend, wenn man die später eingemeindeten Vororte hinzurechnet, sogar fast hundertvierzigtausend Einwohner hatte . . .! Da zu dieser Zeit schon zahlreiche auswärtige Zechen und etliche fern von Essen liegende Gruben und Werke zum KruppKonzern gehörten, deren Beschäftigte in die Belegschafts­ zahlen der Firma einbezogen sind, läßt sich nur ungefähr schätzen, welche Bedeutung das einst so winzige Unternehmen bis 1871 für die Stadt Essen bereits gewonnen hatte. Auf jeden Fall war Krupp zum dominierenden Betrieb, Alfred zur alle überragenden Persönlichkeit seiner engeren Heimat geworden. Indessen war er eines nur noch bedingt: Herr im eigenen Hause . . .! Natürlich konnte er noch immer jeden seiner sech­ zehntausend »Kruppianer« nach Belieben feuern und auch wie­ der einstellen, dem einen den Lohn erhöhen und einem anderen die Zulagen streichen, konnte die unsinnigsten Anschaffungen machen, die kostspieligsten Bauten ausführen und das Geld zum Fenster hinauswerfen, ohne jemanden um Erlaubnis oder auch nur um Rat zu fragen - es war ja sein Werk, sein Geld, sein Ver­ gnügen . . .! Nur eines konnte er längst nicht mehr: alles genau überschauen und lenken . . .! Dafür hatte er seine »Procura«, sein Top-Management, ein Gremium von anfangs meist vier, später fünf Direktoren, von

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denen jeder ein Fachmann auf einem bestimmten Teilgebiet war. Die »Procura« übte im Namen Alfreds des Großen die Re­ gierungsgewalt aus, aber natürlich war auch ihr das Unterneh­ men längst über den Kopf gewachsen, weshalb sie ihre Macht­ befugnisse in begrenztem Umfange delegieren mußte. Und auch die so mit einiger Macht und Verantwortung ausgestatteten nächstfolgenden Stufen der Hierarchie waren gezwungen, bei­ des teilweise weiter nach unten zu geben, bis hinab zu den Vor­ arbeitern . . . Dazu kam noch etwas anderes: Das in immer stärkerem Maße von maschinellen und standardisierten Vorgängen beherrschte Großunternehmen entwickelte ein Eigenleben nach Gesetzen, die weder von der »Procura« noch gar von Alfred stammten, sondern sich aus der Technik zwangsläufig ergaben. Und schließlich waren die »Kruppianer« in der überwiegen­ den Mehrzahl hochqualifizierte Arbeiter und als solche schon damals keine Wilden mit Freude am Chaos und ohne die gering­ sten Kenntnisse, vielmehr ausgezeichnete, an Zusammenarbeit gewöhnte Experten, die das, was sie taten, genau überschauen und beherrschen konnten - bei allem Respekt: weit besser als die »Procura«. . .! Um es ganz schlicht zu sagen: Von einer bestimmten, nicht genau festzulegenden Größe an, die 1871 längst erreicht war, hätte das Unternehmen seinen Schöpfer und Inhaber gut ent­ behren können. Mit eingespieltem Personal auf allen Ebenen der Hierarchie und seinen eigenen Gesetzen folgend, wäre der Großbetrieb dem industriellen Alltag sogar ohne die lenkende Hand der »Procura« gewachsen gewesen, die allenfalls dann hätte eingreifen müssen, wenn Unvorhergesehenes eintrat. Und tatsächlich war es ja auch genauso, nur daß der Großteil der unvorhergesehenen, den reibungslosen Ablauf störenden Ereignisse nicht in Form von allgemeinen Stockungen und Krisen, Katastrophen, Kriegen oder umwälzenden Veränderun­ gen der Technik und des Marktes kam, sondern eben vom »guten, edlen, lieben Herrn« Alfred Krupp, dem Alleininhaber des Konzerns . . . Jahrelang blieb er Essen fern, ja, mied seine vom idyllischen Provinznest zur rußgeschwärzten Industriemetropole gewach­ sene Heimatstadt wie die Pest, richtiger: wie die Cholera, vor der er in geradezu panischer Angst davonlief, als einige Vetera­ nen des Feldzuges von 1866 die Krankheit ins Ruhrgebiet ein­ schleppten.

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Viele Monate verbrachte Alfred Krupp in den verschiedenen Kur- und Seebädern des In- und vor allem des Auslands, drei aufeinanderfolgende Winter verlebte er an der französischen Riviera, und später vergrub er sich in allerlei phantastische, dem Unternehmen ziemlich ferne Projekte, versteckte sich dazu hin­ ter den dreifach gesicherten Eisentüren und hermetisch ver­ schlossenen Fenstern seines Arbeitszimmers im ersten Stock der »Villa Hügel«, ohne der Fabrik, die doch einstmals sein gan­ zer Stolz, sein »Kind«, seine »Braut« gewesen war, noch einen Blick zu schenken. Ja, er schien sie zu meiden, weil er sie haßte und fürchtete . . . Doch ab und zu, mitunter auch in hastig aufeinanderfolgen­ den Schüben, griff er mit schriftlichen Anweisungen ein, die der »Procura« schwer zu schaffen machten, verfügte er doch Käufe »um jeden Preis«, immer neue kostspielige, oftmals ganz über­ flüssige Bauten und Erweiterungen, ordnete - »koste es, was es wolle« - die Anwendung neuer, noch unerprobter Verfahren an und brachte mit alledem den Betrieb und besonders die Finanzen des Unternehmens in betrübliche Unordnung, mit­ unter sogar in ernste Gefahren. Ohne seine unternehmerischen Verdienste in der langen Aufbauphase, später als brillanter Akquisiteur und genialer Public-Relations-Experte, im geringsten schmälern zu wollen, kommt man nicht umhin, zu bemerken, daß die Firma von etwa 1867 an seiner Mitarbeit und Führung leicht hätte entraten kön­ nen, ja, oftmals ohne ihn besser ausgekommen wäre - mit einer wichtigen Ausnahme: Keiner konnte wie er Druck auf die preu­ ßischen Beschaffungsbehörden ausüben, vor allem unter Ein­ schaltung Wilhelms, des zum Deutschen Kaiser avancierten ehemaligen »Kartätschenprinzen« . . . Kaum war der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 zu Ende gegangen, da wandte sich Alfred, nach gründlicher Vor­ bereitung der Attacke, an seinen bedeutendsten Gegner in Berlin, den preußischen Kriegsminister Graf Roon. Er bot ihm an, »die Lieferung des ganzen Ausrüstungsbedarfs, es mögen tausend oder zweitausend Stück sein, mit allem Aufwand von Anstrengung baldigst in vollkommenster Beschaffenheit hin­ zustellen und so lange als die Abtragung der französischen Kriegsschuld nicht die Mittel zur Bezahlung gedachten Objektes darbietet, auch auf dieselbe zu verzichten. Ich nehme selbst den Fall an, daß diese Zahlung gar nicht erfolgen, wohl aber ein

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neuer Krieg ausbrechen möchte, und würde dann mein Gut­ haben lieber streichen, als der Möglichkeit gewärtig sein, daß die Leistung der vaterländischen Artillerie der feindlichen nach­ stehen möchte . . .« Hofbiograph Wilhelm Berdrow meint dazu, dies wäre ein »echt kruppsches Angebot« gewesen, und er hat zweifellos recht: Es war bestimmt kein echtes Angebot, wohl aber ein »echt kruppsches«. Der seltsame Brief war auch gar nicht für Graf Roon, den Empfänger, geschrieben, sondern vornehm­ lich für den Hof, besonders für den Kaiser und allenfalls noch für Bismarck, die samt und sonders von Alfreds selbstloser Offerte und seiner patriotischen Opferbereitschaft beeindruckt sein sollten und es dann auch in unterschiedlichem Grade waren. Graf Roon dagegen lehnte, wie von Alfred auch gar nicht anders erwartet, das »echt kruppsche Angebot«, das unter dem etwas dürftigen Mantel sehr bedingten Verzichts auf Bezahlung - nämlich nur für den unwahrscheinlichen Fall eines preußischdeutschen Staatsbankrotts - nicht weniger als das Kanonen- und Artilleriebedarfs-Monopol für die gesamten Streitkräfte des Reiches verlangte, mit kaum verhüllter Verachtung ab. »Wenn ich auch«, schrieb der Kriegsminister zurück, »jetzt davon abstehe, den von Ew. Hochwohlgeboren erörterten Vorschlägen sachlich näherzutreten«, so erstaune ihn doch sehr »die Leichtfertigkeit, mit der Wohldieseiben Ihre eigenen finan­ ziellen Interessen . . . behandeln.« »Hohn . . .?« kritzelten Wohldieselben an den Rand des Roonschen Antwortschreibens, und dann sorgten gute Freunde und bevorzugte »Liebesgaben«-Empfänger bei Hofe dafür, daß Seine Majestät der Kaiser von dem Inhalt beider Briefe genaue­ stens unterrichtet wurde. Es nützte zwar im Augenblick noch nicht viel, denn auch der Kaiser konnte sich zu diesem Zeitpunkt nicht einfach über Roon, den so erfolgreichen Reorganisator der eben erst im Triumph aus Frankreich heimgekehrten Armee, hinwegsetzen; aber zu gegebener Zeit konnte Alfred darauf zurückkommen, auf seine so schnöde verschmähte vaterländische Opferbereit­ schaft hinweisen . . . Vorsichtshalber schrieb er auch noch an General von VoigtsRhetz, der dem Kaiser auch diesen Brief bestimmt zeigte: »Ich will alles aufbieten, Preußen gegen jeden Feind besser als bisher gerüstet zu wissen . . .« Ja, und dann reiste er, da es noch zu früh für Berliner Großbestellungen war, die »Villa Hügel« noch kein

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Dach hatte und Frankreichs Riviera sich ihm noch verschloß, in das Seebad Torquay an der klimatisch begünstigten eng­ lischen Südküste. Ein halbes Jahr lang erholte sich Alfred dort von den Stra­ pazen des durch den Krieg arg verzögerten Hügel-Neubaus am Ende waren die Kalksteinlieferungen des »welschen Erb­ feindes« dann doch ausgeblieben und perfiderweise noch immer nicht wiederaufgenommen worden! - und von den Mühen des Kampfes um eine neue, große Aufrüstung Preußen-Deutsch­ lands, diesmal ausschließlich mit Krupp-Erzeugnissen. Auch die muntere Bertha hatte sich schweren Herzens von Nizza und allem Schönen, das ihr das sonnige Feindesland bot, losreißen und mit Fritz, ihrem nun schon siebzehnjährigen Ein­ zigen, einem stillen, schwächlichen Knaben, zu Alfred nach Torquay kommen müssen, wo die Ärmste prompt wieder »leidend« wurde ... Natürlich litt auch ihr Ehemann während dieser Zeit, vor allem unter Schreibzwang - »Ich kann nichts dagegen tun, wenn der Bleistift Reißaus nehmen will . . .« - und unter totaler Er­ schöpfung - »Ich muß heute schließen, weil ich unendlich abgemüdet bin . . .« Von früh bis spät und oft ganze Nächte hindurch kritzelte er Briefe und Anweisungen und Notizen und wieder Anweisungenan die Hügel-Bauleitung, die mitgeteilt hatte, daß erst in etwa drei Jahren mit einer Fertigstellung der »Villa« zu rechnen wäre; an die »Procura«, der jetzt - Bertha zuliebe - ein Vetter Eichhoff vor­ stand und die nun von Alfred instruiert wurde, jenen Aufseher­ kotten, der Friedrich Krupp und den Seinen vor einem Men­ schenalter als Zuflucht gedient hatte, als verehrungswürdiges »Stammhaus« wiederherzurichten, und an alle offiziellen und heimlichen Vertreter Kruppscher Interessen in den Hauptstäd­ ten Europas, den triumphalen Sieg der Krupp-Erzeugnisse bei Sedan für die Werbung neuer Kunden auszunutzen. Einige Hiobsbotschaften aus Essen verstärkten noch Alfreds Ängste und erst recht seine Schreibwut. Einer seiner Manager hatte unter Mißachtung der Kündigungsfristen das Werk ver­ lassen. Alfred war außer sich über diese »Ehrlosigkeit und Nie­ dertracht«, die strengste Strafe verdiente. »Ein Auskneifer«, schrieb er wutschnaubend, »muß in seiner unberechtigten Stel­ lung keine frohe Stunde haben, wir müssen ihm mit Schaden­ berechnungen und mit öffentlicher Brandmarkung zu Leibe gehen soviel und solange als gesetzlich tunlich . . .«

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Noch schlimmer war es natürlich, wenn gar einfache Arbeiter sich unbotmäßig zeigten, wie es im Frühsommer 1872 tatsäch­ lich der Fall war. Die Kumpel an der Ruhr hatten erstmals zu streiken gewagt, und auch die Kruppschen Unternehmen waren von der Gärung erfaßt worden. Zwar brach der Streik nach sechs Wochen zusammen; die Bergleute waren durch Gendarmerie­ einsatz, vor allem aber durch den Hunger ihrer Familien, zur Kapitulation gezwungen worden. Aber Alfred - selbst Hof­ biograph Berdrow sagt von ihm: »Zugegeben, er war ein Re­ aktionär!« - schien das noch nicht genug. Man mußte, so fand er, Vorsorge treffen, daß sich dergleichen nicht noch einmal wie­ derholte. Und so verfaßte er denn, eilig aus Torquay nach Essen zurückgekehrt, am 24. Juli 1872 einen Aufruf » An die Arbeiter der Gußstahlfabrik«: »Ich erwarte und verlange volles Vertrauen, lehne jedes Ein­ gehen auf ungerechtfertigte Anforderungen ab, werde wie bis­ her jedem gerechten Verlangen zuvorkommen, fordere daher alle diejenigen, welche sich damit nicht begnügen wollen, hier­ mit auf, je eher desto lieber zu kündigen, um meiner Kündigung zuvorzukommen und so in gesetzlicher Weise das Etablissement zu verlassen, um anderen Platz zu machen, mit der Versicherung, daß ich in meinem Hause wie auf meinem Boden Herr sein und bleiben will«, hieß es darin, und es waren noch vergleichsweise sanfte, patriarchalische Töne. Was er indessen unter »jedem gerechten Verlangen zuvorkom­ men« verstand, das zeigte er seiner Arbeiterschaft schon bald . . . Nach dem Sieg über Frankreich begannen Deutschlands Indu­ strielle übermütig zu werden. Der »Milliarden-Segen« der fran­ zösischen Kontributionszahlungen ließ die Wirtschaft auf­ blühen. Doch es war eine Scheinblüte, die man später den »Gründungsschwindel« nannte. Drei Jahre nach Beginn des fröhlichen Geldverdienens setzte der große Katzenjammer ein; die Hälfte aller neugegründeten Aktiengesellschaften mußte Konkurs anmelden, und auch viele ältere Unternehmen brachen zusammen. In diesen »Gründerjahren« kaufte Alfred, meist durch schrift­ liche Anweisungen aus Torquay, ein ganzes Imperium zusam­ men. Für Aktien interessierte er sich nicht. Er kaufte vielmehr neue Kohlenzechen, Erzgruben, Hochöfen, kleine Konkurrenz­ betriebe und Transportschiffe, und zahlte dabei immer häufiger geradezu phantastische Überpreise.

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»Daß jemand für die Steinschen Gruben zweieinhalb Millionen Taler geben kann«, notierte sich damals ein kritischer Beobachter über zwei von Alfreds vielen Neuerwerbungen, »das läßt sich be­ greifen, aber daß jemandfürdieGrubeEupel neunhunderttausend Taler zahlen kann, da steht mir doch der Verstand still!« Auf diese Weise raffte Alfred über dreihundert Eisenerzfelder zwischen Sieg und Lahn zusammen, dazu eine starke Beteili­ gung an einer Gesellschaft, die bei Bilbao in Nordspanien be­ sonders wertvolle Eisenerzlager ausbeutete. Obwohl er sich im Ruhrgebiet bereits den Löwenanteil an der Förderung mehrerer großer Kohlenzechen vertraglich gesichert hatte, kaufte er auch noch - für vier Millionen Mark - die Zeche »Hannover«. Dazu kamen dann noch, als Krönung des Ganzen, die mit vier Hoch­ öfen ausgestattete Johanneshütte in Duisburg, die Hermanns­ hütte bei Neuwied und eine auf holländischen Werften in Auftrag gegebene eigene Transportflotte für die Bilbao-Erze. Die für damalige Verhältnisse geradezu phantastischen Sum­ men, die diese Käufe verschlangen, mußte die »Procura« durch langfristige Anleihen, dann, als diese nicht mehr zu haben waren, durch kurzfristige Kredite beschaffen. Daneben ging der Bau der »Villa Hügel« weiter . . . Ernst Eichhoff, als Berthas Vetter Chef der »Procura« und sicherlich kein sehr brillanter Unternehmensleiter, sah die Ge­ fahren dieser Überschuldung dennoch voraus und warnte, erst sanft, dann nachdrücklich. Alfred war außerstande, seinen Ex­ pansionsdrang zu zügeln. Er kaufte und baute, genau wie er schrieb: »Ich kann nichts dagegen tun, wenn der Bleistift Reiß­ aus nehmen will. . .« Eichhoff wurde als Antwort auf seine Warnungen nur ein briefliches - Schulterklopfen zuteil, gnädig und ermunternd. Ja, und dann könnte man doch vielleicht noch ein neues, riesiges Hochofenwerk direkt neben die Gußstahlfabrik stellen . . . Dazu kam es nicht mehr. Im Sommer 1872 wurde in Essen das Geld plötzlich sehr knapp. Alfred entschloß sich zu einem Vorstoß beim Kaiser, der in Bad Ems zur Brunnenkur weilte und sich den persön­ lichen Wunsch des braven, vaterländisch und königstreu ge­ sinnten Fabrikanten aus Essen, der so schöne Kanonen gießen konnte, gnädig anzuhören bereit war. Der »persönliche Wunsch« war ein kleiner Vorschuß aus der Staatskasse von etwa fünf Millionen Talern . . . (Man war zwar gerade dabei, die Währung auf Mark umzustellen, aber fünf Millionen hörte sich natürlich

besser an als fünfzehn Millionen und zeigte außerdem die kon­ servative Einstellung des Bittstellers . . .) Der Kaiser, der sein »Kränchen« schon getrunken hatte, nickte freundlich und ver­ sprach, sich der Sache wohlwollend anzunehmen . . . Das Finanzministerium in Berlin indessen erklärte katego­ risch, Herrn Krupp in Essen nicht stützen zu können; allenfalls wäre man dazu bereit, ein paar hunderttausend Taler Vorschuß auf künftige Geschützlieferungen zu leisten. Der Herr Fabrikant möge sich an die Banken wenden . . . Wie immer in solchen kritischen Augenblicken, flüchtete sich Alfred nun eilends in die Krankheit, legte sich - wie einst sein Vater - zu Bett und starrte an die Decke. »Hypochondrie, die an Geisteskrankheit grenzt«, diagnostizierte Dr. Küster, der Leibarzt Berthas, womit er seine ärztliche Karriere im Hause Krupp natürlich beendete. Der Patient, der dann von einem gescheiteren Doktor - er wurde Dr. Küsters Nachfolger und Berthas ständiger Begleiter mit großem Verständnis und viel Mitleid bedacht sowie zu einer durchgreifenden Erholungskur nach Italien verschickt wurde, raffte sich schließlich wieder so weit auf, daß er der pre­ kären Finanzlage wenigstens schreibend begegnen konnte. Sein Bleistift, zu dem er ganz übergegangen war - »weil es mit Tinte ungleich mehr mich echauffiert« -, sauste über ganze Stapel von Papier, kritzelte riesige, seltsam zackige Buchstaben und konnte kaum noch mehr als zehn, zwölf Wörter auf einem Blatt unter­ bringen. Doch es waren am Ende weniger seine eigenen Bemü­ hungen als die seiner Unterhändler, die die Rettung aus höchster Not bewerkstelligten: Ein Bankenkonsortium unter Führung der Preußischen See­ handlung kam nach sorgfältiger Prüfung zu dem Ergebnis, daß Herr Krupp, wenn er seine Firma retten wollte, nicht fünf, son­ dern zehn Millionen Taler - dreißig Millionen Goldmark, etwa dreihundert Millionen DM heutigen Wertes - benötigte. Sie waren bereit, eine solche Anleihe auf zehn Jahre zu gewähren, aber natürlich stellten sie harte Bedingungen . . . Alfred mußte seine gesamten industriellen Anlagen ver­ pfänden: die Essener Gußstahlfabrik samt dem Wasserwerk an der Ruhr, die Johanneshütte in Duisburg, das Eisenhüttenwerk Sayn mit Betriebsanlagen in Sayn, Mühlhofen und Oberhammer (das er dem preußischen Staat viel zu teuer abgekauft hatte), die Berg- und Hüttenwerke in Weilburg, Limburg, Wetzlar, Dietz, Runkel, Altenkirchen, Neuwied, Deutz und Siegburg,

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die Steinkohlenzeche »Hannover« bei Bochum, die Hermanns­ hütte in Neuwied, die Bendorfer Eisenhütte und die Bleuelsche Fabrik in Sayn. Schlimmer noch: Die Banken erhielten das Recht, einen »Rechnungsprüfer« genannten Aufpasser einzusetzen, der fortan mit einer von der »Procura« unabhängigen Revisionsabteilung das gesamte Geschäftsgebaren des Konzerns einer strengen Kontrolle zu unterziehen hatte. Zwar machten die Bankiers es gnädig: der »Aufpasser« wurde Carl Meyer, Alfreds Unterhänd­ ler und ein Mann seines - wenn man es so nennen kann - beding­ ten Vertrauens. Aber für den bislang so selbstherrlichen Allein­ inhaber war die Unterwerfung unter das Diktat der ihm seit eh und je verhaßten Banken ein fürchterlicher Schlag, der so gnä­ dige Anleihevertrag vom 4. April 1874 ein »schmachvolles Dokument«, die Kontrolle durch die Revisionsabteilung eine »Versklavung«. Das Ganze war für Alfred die »Kapitulation der Firma« vor den »Judenschwindlern«, wie er Bankiers grundsätzlich zu nennen beliebte, obwohl sich unter den Füh­ rern des zur Hilfe geeilten Konsortiums zufälligerweise kein Ungetaufter befand . . . Natürlich mußte Alfred nun Schuldige finden und Rache üben, und so strich er als eine der ersten Maßnahmen nach der »Kapitulation« - wie ein wutschnaubender Vater seinen miß­ ratenen Kindern - allen »Kruppianern« das »Sonntagsgeld«: Es gab keine Leistungszulagen und Prämien mehr; die GrundI löhne und Gehälter wurden drastisch gekürzt, und in den der »Schmach« folgenden fünf Jahren sank die Lohnsumme, obwohl : sich die Belegschaft nur um etwa zehn Prozent verminderte, von jährlich über vierzehneinhalb auf weniger als sieben MillioI nen Mark! Der Herr Chef hatte sich durch seine wahnwitzigen Käufe finanziell stark übernommen; die Schwächsten mußten i die Zeche bezahlen und sich künftig mit etwa der Hälfte ihres 1 bisherigen Einkommens begnügen, und wer dagegen auf­ muckte, flog: Alfred ordnete an, daß »jeder Ausdruck von Un­ zufriedenheit als Kündigung anzusehen ist«. Aber er konnte die Arbeiter nur bestrafen; ihnen die Schuld an seiner eigenen Finanzpolitik zuschieben konnte er nicht. Dazu mußte die »Procura« herhalten. Sie hatte ihn »verraten«...! In den folgenden Wochen und Monaten überschüttete er die fünf Mitglieder seines Direktoriums mit Schmähungen und Verdächtigungen. Soweit sie daran nicht, wie Ernst Eichhoff, zugrunde gingen, warf er sie nach und nach hinaus. 153

Er selbst war »von Schlaflosigkeit und Fieberangst erschöpft« und, wie er selbst notierte, »dem Wahnsinn nahe«. An seinen Londoner Vertreter Frederick Longsdon, den einzigen, dem er noch traute, schrieb er am 22. August 1874, mehr als vierein­ halb Monate nach der ihm angetanen »Schmach«: »Seither habe ich nicht mehr geschlafen. All jene, die in vol­ lem Umfang mein Vertrauen und meine Freundschaft genossen haben, haben so sehr ihre Pflicht vernachlässigt, gemäß den ihnen bekannten Prinzipien zu handeln . . .« So ging es, Seite um Seite, um dann zu enden mit der bemerkenswerten Fest­ stellung: ». . . mit diesen wenigen Worten berichte ich Ihnen, welche jämmerlichen Gefühle in meinem Kopf stecken . . . ich brauche Ruhe.« Longsdon und des Firmenchefs einziger Sohn, Fritz, gerade zwanzig Jahre alt und meist fern von Essen aufgewachsen, ein rechtes Muttersöhnchen, das man bis dahin nur mit Botanisier­ trommel und Schmetterlingsnetz an Berthas Hand gesehen hatte, wurden beauftragt, ein »Verzeichnis aller Fähigen und Ausgezeichneten« anzulegen, die künftig das Unternehmen lei­ ten sollten . . .

Nun, die Wirtschaftskrise des Jahres 1874 ging vorüber, für die Firma Fried. Krupp sogar schneller als für die meisten anderen, denn überall wurden wieder Kanonen gebraucht. Als erste waren die Türken mit Bestellungen gekommen, hatten Feld­ artillerie, Schiflsgeschütze, Kanonen für die Dardanellenschlös­ ser und überschwere Geschütze für die Befestigungen am Bosporus eingekauft. Davon beunruhigt, hatten auch die Rus­ sen, deren eigene Rüstungsindustrie noch in den Kinderschuhen steckte, zunächst einige Probeaufträge nach Essen vergeben. Da es nicht allzu viel war, was St. Petersburg bei Krupp bestellte, gestattete sich Alfred ein bißchen Mitleid: »Die armen Türken, wenn Rußland wirklich die Kanonen bekommt«, notierte er sich, »sie haben sich anständig benommen . . . wir haben die schlechte Zeit ausgefüllt mit Arbeit für sie und bezahlt mit Geld von ihnen. - Wie sollte es uns wohl ohne Türkei ergangen sein. . .? Wenn man das WortPietätgebrauchen darf, so habe ich es für die Türken - für die Russen aber das gerade Gegenteil. . .« (Später kam dann ein gewaltiger Auftrag aus Rußland: acht­ zehnhundert schwere und leichte Geschütze für zusammen rund zwanzig Millionen Mark! Da war es dann natürlich mit Alfreds Mitleid für »die armen Türken« vorbei - sie wurden, bei aller ’54

»Pietät«, nicht einmal mehr zum internationalen Empfang nebst Probeschießen eingeladen . . .!) Aber nicht nur »hinten, fern in der Türkei« und im noch fer­ neren Osten, wo China seine Taku-Forts mit schweren KruppGeschützen bestückte, bereitete sich Krieg vor und wurden in­ folgedessen Kanonen benötigt. Auch in Mitteleuropa gärte es schon wieder! Weil in Frankreich MacMahon die geschlagene Armee reorganisierte, rieten in Deutschland die Militärs mit Moltke an der Spitze zu einem Präventivkrieg. Trotz strenger Warnungen aus London, wurde der deutsche Botschafter in Paris beauftragt, den Franzosen »Konsequenzen« anzudrohen, falls sie ihre Rüstungen nicht einstellten. Und im Hintergrund bereitete sich Österreich darauf vor, im Falle einer neuen deutsch-französischen Auseinandersetzung nicht mehr, wie 1870, neutral zu bleiben, sondern in den Konflikt einzugreifen, die Scharte von 1866 auszuwetzen und die Süddeutschen vom »preußischen Joch« zu befreien. Schon vor dieser Krise des Jahres 1875 hatte man in Wien starkes Interesse an Krupp-Geschützen bekundet und Probe­ lieferungen erbeten. Alfred hatte begeistert geantwortet, daß er die Proben gratis und franko schicken werde, »glaube mich hingegen wohl der Erwartung hingeben zu dürfen, daß die Lieferung sämtlicher (zweitausend) Feldkanonenrohre mir schließlich übertragen werden wird . . .« Der Wiener Auftrag verzögerte sich ein bißchen, während Österreich gleichzeitig in die antipreußische Koalition ein­ schwenkte. Und nun meldete sich plötzlich Berlin: Der Kaiser wäre empört, daß ausgerechnet Herr Krupp, dem er so viel Gunst und Gnade bezeigt hätte, derjenige wäre, der jetzt Österreich bewaffnen wollte. Das hätte Seine Majestät von Herrn Krupp nicht erwartet! Schlimmer noch: Das preußische Kriegsministerium erklärte seine »peinliche Überraschung« darüber, daß Krupp die Kon­ struktion des preußischen Feldgeschützes als sein privates Eigentum behandelt und es fremden Staaten angeboten hätte. Dabei handelte es sich doch um eine Entwicklung, an der die Fachleute der Armee wesentlichen Anteil gehabt hätten, von den vaterländischen Interessen ganz zu schweigen . . . Hier drohte Gefahr, eine fast noch ernstere als in der Finanz­ krise des Vorjahres, denn hier ging es um die Frage, ob patrio­ tische Rücksichten den Vorrang vor lukrativen Geschäften hätten, was Alfred selbstverständlich verneinte. Es war zwar U5

recht schmeichelhaft, wenn der Kaiser, wie er es tatsächlich getan hatte, die Kruppsche Gußstahlfabrik eine »vaterländische An­ stalt« nannte; dergleichen war auch recht nützlich, wenn man durch riesige Zukäufe die eigenen Kassen erschöpft hatte und Staats- und Bankenhilfe brauchte, oder wenn es um Privilegien ging, etwa um die Befreiung der »Kruppianer« von der Wehr­ pflicht. Aber das durfte nicht zu der Annahme führen, eine »vaterländische Anstalt« wäre ausschließlich für das Vaterland da ...! »Von Preußen allein können wir nicht leben, wir brauchen in den nächsten zehn Jahren mindestens für fünfzig Millionen Bestellungen«, erklärte deshalb Alfred dem Kaiser in einer Privataudienz. »Und wenn die fremden Staaten bestellen, so kann ich doch nichts Schlechtes liefern«, fügte er bieder hinzu, worauf Seine Majestät geruhten, sich von dieser einleuchtenden Argumentation überzeugen zu lassen. Künftig konnte Krupp Kanonen liefern, an wen immer er wollte. Der Angriff war abgeschlagen. Schwieriger war die Frage des Inland-Monopols, die Alfred nun anschnitt. Zwar konnte und wollte er keine nennenswerten Rücksichten auf preußisch-deutsche Interessen nehmen; er hatte auch keine Patente auf das preußische Feldgeschütz, an dessen Konstruktion die Armee tatsächlich in sehr wesentlichem Maße beteiligt gewesen war. Aber er verlangte seinerseits äußerste Rücksicht: Deutsche Geschütze sollten nirgendwo anders bestellt werden dürfen als bei seiner »vaterländischen Anstalt« . . .! »Wenn es auch mir nicht gelingen sollte, durch nochmalige Vorstellung beim Kaiser es abzuwenden, daß man bei der Kon­ kurrenz, Bochum und anderen, Kanonen bestellt, so entsteht ein unheilvoller Bruch«, ließ sich Alfred aufgeregt vernehmen, und nach einer kleinen dramatischen Pause: »Dann tritt an mich die Frage heran, ob ich nicht angemessen handele, wenn ich mein ganzes Etablissement verkaufe und ins Ausland wandere . . .« Es war zwar nur die übliche Drohung, mit der alle schon wohl vertraut waren, aber - so bemerkte er bekümmert - »ich kann keinen besseren Druck ersinnen . . .« Nun, er erreichte nicht ganz, was er wollte. Das Kriegsmini­ sterium ließ sich ein Kruppsches Kanonen-Monopol nicht ab­ ringen. Selbst der biedere Wilhelm schreckte davor zurück, und tatsächlich brauchte man kein Roon oder Moltke zu sein, um sich ausrechnen zu können, wohin es geführt hätte, wäre die

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Armee völlig von Krupp, seinem Angebot und seinen Preis­ forderungen abhängig geworden . . . Immerhin beeilte man sich, Alfred den Löwenanteil an allen künftigen Bestellungen zu garantieren, suchte ihn durch gewaltige Aufträge zu besänftigen und akzeptierte auch, soweit wie irgend möglich, seine Preis­ forderungen und sonstigen Konditionen. Sein Unternehmen war ja schließlich - »an einem Kaiserwort soll man nicht drehn noch deuteln« - eine »vaterländische Anstalt«, wenn es auch leider Hinz und Kunz mit Kanonen belieferte, potentielle Feinde Preußen-Deutschlands nicht ausgenommen . . .

Tatsächlich produzierte Alfreds »vaterländische Anstalt« bis zum Tode des Herrn Chefs knapp fünfundzwanzigtausend Geschütze, von denen weit mehr als die Hälfte, nämlich fast vierzehntausend, ins Ausland verkauft wurden, und die über­ wiegende Mehrzahl davon richtete dann eines Tages ihr mörde­ risches Feuer auf Preußen-Deutschland, zwang es zur Kapitu­ lation und beendete zwar nicht die Herrschaft der Familie Krupp, wohl aber die des Hauses Hohenzollern . . . Hätte Alfred dies alles noch erlebt, so wäre er sicherlich einer­ seits recht betrübt gewesen über den Untergang der Monarchie, die er für die einzig mögliche Staatsform gehalten hatte, und den Thronverlust der Hohenzollern, die ihm so nützlich gewesen waren. Andererseits hätte er aber auch gewiß mit Nachdruck und mit gewisser Befriedigung - darauf hingewiesen, daß das Kaiserhaus an seiner Niederlage selber schuld wäre. Hätten Majestät mehr Krupp-Kanonen gekauft als die Führer der Entente-Staaten, wären Majestät eben nicht unterlegen.

Das hört sich alles - für heutige Verhältnisse - recht zynisch an, und deshalb legen auch alle Krupp-Hasser großen Wert auf ausführliche Beschreibungen, beispielsweise des Gemetzels, das schon die von Alfred an China gelieferten und in den TakuForts installierten Geschütze im Sommer 1900 unter der Besat­ zung des zur Niederwerfung des Boxer-Aufstandes entsandten kaiserlich-deutschen Kanonenbootes »Iltis« anrichteten. Aber das ist natürlich nicht Alfreds Schuld gewesen! Er interessierte sich nicht für »Lektüre, Politik u. dgl.«, sondern ihn bewegten nur »Ehre und Prosperität«. Beides war nur zu erlangen, wenn er soviel wie irgend möglich im In- und Ausland verkaufte. Hätte ihm das Deutsche Reich die Abnahme sämt­ licher produzierter Kanonen zu gutem Preis garantiert, wäre ihm U7

das durchaus recht gewesen. Umgekehrt konnte er nichts Un­ rechtes darin erblicken, wenn er jedem Waffen verkaufte, der sie haben (und bezahlen) konnte. Er war eben ein Kind seiner Zeit, die im Bereich der Wirtschaft das Laisser-faire zum Ideal erho­ ben hatte, ein Unternehmer der in vielerlei Hinsicht so sonder­ baren Epoche des Hochkapitalismus. Und das bringt uns zu einer Frage, die wir bislang nur gestreift haben: Wie stand Alfred Krupp zu den sozialen Fragen seiner Zeit? Alle Krupp-Fans, an ihrer Spitze natürlich die konzern­ eigenen Hofbiographen, führen eilig, sobald die leisesten Zwei­ fel an Alfreds unternehmerischen Qualitäten, seinem techni­ schen Genie oder auch an seinem selbstlosen Patriotismus laut werden, ersatzweise seine »soziale Einstellung« an, preisen seine »Pioniertaten«, mit denen er erst sehr viel späteren gesetzlichen Regelungen lange zuvorkam, beispielsweise auf dem Gebiet der Krankenversicherung, und wissen von vorbildlicher Für­ sorge des Firmenchefs für seine »Kruppianer« zu berichten. Die Krupp-Hasser dagegen schildern den Kanonenkönig als einen brutalen Sklavenhalter, der seinen schlechtbezahlten und unterernährten Arbeitern mit den raffiniertesten Methoden das Äußerste an Leistung abpreßte und ihnen dafür zwar das Existenzminimum gewährte, sie aber zugleich zwang, sich ihm und seinen oft geradezu haarsträubenden Anordnungen inner­ halb und außerhalb des Betriebs bedingungslos zu unterwerfen. Nun, Alfred Krupp war ein im Zeitalter der Reaktion und der Restauration, der Polizeistaaten und der strengen Zensur auf­ gewachsener bürgerlicher Fabrikant, dem Autorität, zumal die eigene, über alles ging; der das »Lumpenproletariat« ver­ abscheute und jedes Lockern der Zügel für verbrecherischen Leichtsinn hielt. Aber er war kein ärgerer Ausbeuter, kein mit weniger Skrupeln behafteter Kapitalist, kein eifrigerer Verfech­ ter des gestrengen »Hier-bin-ich-Herr-im-Hause«-Standpunkts als die meisten anderen Industriellen seiner Zeit, so wie er gewiß auch kein böserer und blutbefleckterer Kanonenkönig war als etwa Monsieur Schneider-Creuzot oder Sir William Armstrong, von den minder erfolgreichen in- und ausländischen Branchen­ kollegen ganz zu schweigen . . . Alfred war eher ein besserer Prinzipal als der durchschnitt­ liche Industrie-Tycoon seiner Zeit und sogar als manche, die nach ihm kamen und erst um die Jahrhundertwende auf den Höhepunkt ihrer Macht gelangten - besser als, beispielsweise, 158

der geradezu berüchtigte »König Stumm von Saarabien«, wie man den saarländischen Großindustriellen Karl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg schon in den neunziger Jahren zu nennen begann, gegen dessen totalitäres Regiment - wie Kurt Pritzkoleit bemerkte - »das ostelbische Gutsregime eine Idylle« war; besser sicherlich auch als viele der so unendlich frommen und biederen Textilfabrikanten und Färbereibesitzer des Wuppertales, die sich auf die Ausbeutung, zumal ungelernter Heran­ wachsender, glänzend verstanden, selbst die primitivsten Maß­ nahmen zur Unfallverhütung für sinnlose Verschwendung hielten und, bei aller christlichen Moral, ihren halbwüchsigen Fabrikmädchen die Wahl ließen zwischen einem Nachtquartier auf nassen Steinen oder auf dem Strohlager der Vorarbeiter; besser schließlich als die Masse der Unternehmer, die eine hohe Fluktuation der Belegschaft gern in Kauf nahmen, wenn dabei nur die Löhne gedrückt wurden, weil sie keine Facharbeiter brauchten, sondern nur möglichst billige Handlanger. Im Gegensatz zu den meisten anderen Fabrikanten, die ihre Produktionsgeheimnisse wie auch die Qualität ihrer Erzeugnisse nicht gar so streng gewahrt wissen wollten, wenn es ihnen nur gelang, die Preise der Konkurrenz zu unterbieten, lebte Alfred Krupp in geradezu panischer Furcht vor Verrat seines »Geheim­ verfahrens« durch »Ausreißer« oder eingeschmuggelte Spione, und zudem brauchte er unbedingt eine Vielzahl sorgfältig aus­ gebildeter Facharbeiter, mußte seine Stamm-Mannschaft zu halten trachten, selbst wenn das finanzielle Opfer verlangte. Deshalb - und nur deshalb, nicht aus irgendeiner »sozialen Einstellung« heraus - zahlte er von Anfang an stets einen um einige Groschen höheren Lohn als alle Betriebe der engeren Region, übrigens gegen den Rat seiner jeweiligen stillen Teil­ haber, insbesondere Fritz Sollings, die solcher Verschwen­ dung verständnislos gegenüberstanden. Aber etwas höherer Lohn schien Alfred noch längst nicht Sicherung genug gegen Abwanderung und Verrat. Deshalb sann er immer wieder darüber nach, wie man die »Kruppianer« fester an das Unternehmen binden, sie zu wirklicher Treue und Anhänglichkeit zwingen könnte. Am liebsten - wir wissen es bereits - hätte er sie durch die Behörden vereidigen lassen. Da das auf Unverständnis stieß, mußte er sich etwas Neues ausden­ ken. Es durfte ruhig ein paar Taler kosten - genau wie das Dröh­ nen der Hämmer, das Bertha einst zur Verzweiflung getrieben hatte, und unter dem Gläser und Geschirr zersprungen waren.

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»Es sind nur ein paar Porzellanteller, das muß alles die Kund­ schaft bezahlen . . .!« hatte er damals zu seiner Frau gesagt, und genauso war es mit den Kosten für die Erhaltung einer treuen Stammbelegschaft. Irgend jemand würde sie schon tragen, am besten natürlich die treuen »Kruppianer« selbst . . . Und so war es tatsächlich: Die berühmte, von allen KruppFans als soziale Pioniergroßtat gepriesene Werkskrankenkasse verdankte ihre Entstehung - wie der Nationalökonom Professor Richard Ehrenburg in seiner Studie >Kruppsche Arbeiterfamilien< nachgewiesen hat - zwar der Initiative Alfreds, doch der Grundstock ihres Vermögens, zwei Taler, wurde dadurch ge­ bildet, daß die Firma vom Lohn einbehaltene Strafgelder, Bußen für Zuspätkommen oder »Trotz« großzügig stiftete. »Dagegen scheint die Kasse direkte Beiträge nur von den Arbeitern erhal­ ten zu haben«, bemerkt Ehrenburg vorsichtig, »nämlich von jedem Arbeiter einen Groschen wöchentlich; die Firma scheint nur den Arzt mit zwanzig Talern jährlich honoriert zu haben. . .« Zwanzig Taler - das war für den gerade »wieder zur Gesell­ schaft« Essens gehörenden Alfred im Jahre 1836, als das Unter­ nehmen mit knapp achtzig Mann Belegschaft etwa fünfund­ zwanzigtausend Taler Umsatz erzielte, kein allzu großes Opfer, zumal wenn man bedenkt, daß die Summe der im Verlauf eines Jahres einbehaltenen Geldbußen das Arzthonorar sicherlich mehr als wettgemacht haben dürfte, so daß es am Ende die »Kruppianer« selbst waren, die Alfreds grandiosen und gene­ rösen Einfall zur Festigung der Loyalität bezahlten. Übrigens, nicht einmal die Idee der Krankenversicherung unter Firmenbeteiligung war so nagelneu, wie es den Anschein hatte; sie war nur, wie so vieles, in diesem Zeitalter der Restau­ ration wieder aus der Mode gekommen. Aber schon drei Jahr­ zehnte zuvor war solche Fürsorge den rheinischen Industriellen zur Pflicht gemacht worden, allerdings durch ein französisches Dekret. . . Alfred, Sohn eines mit der Durchführung des napo­ leonischen Gesetzes betrauten Conseiller municipal, hatte sich wieder daran erinnert. Zur festen, über das Stadium der Improvisation hinaus­ gehenden Einrichtung wurde die Kruppsche Kranken- und Pensionskasse erst im Jahre 185 5 - fast zwei Jahre nach Erlaß eines nunmehr preußischen Gesetzes über die Errichtung sol­ cher Arbeiterversicherungen. Von nun an wurden die Beiträge je zur Hälfte von der Firma und von den »Kruppianern« ge­ tragen. Doch auch diese soziale Großtat wird etwas fragwürdig,

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sobald man entdeckt, wie die Firma es hielt, wenn ein Krankenund Pensionskassenmitglied infolge Entlassung oder gar frei­ willigen Arbeitsplatzwechsels ausschied. Dann verfiel nämlich nicht bloß der Firmen-, sondern auch der - mitunter jahrzehnte­ lang vom Lohn einbehaltene - Arbeitnehmeranteil . . .! Ein vortrefflicher Einfall, wie man zugeben muß, altbewährte Arbeitskräfte »in Treue fest« an das Unternehmen gebunden zu halten und daran zu hindern, Faulenzerei, Ungehorsam oder gar Streik auch nur in Erwägung zu ziehen, von einem freiwilli­ gen Weggang ganz zu schweigen . . .! Alfreds zweite, vielgepriesene soziale Großtat, der Werks­ wohnungsbau, entsprang den gleichen Motiven. Da das Werk immer mehr Arbeitskräfte brauchte und die Einwohnerzahlen Essens infolge des wachsenden Zustroms von außerhalb sprung­ haft anstiegen, ohne daß der private Wohnungsbau mit dem Be­ darf Schritt halten konnte, mußte irgendeine Lösung gefunden werden. Natürlich hätte Alfred seine Leute auch weiter in primi­ tiven Notquartieren hausen lassen können, wie es andere Fabrikanten taten, oder abwarten, bis die Bodenspekulanten genügend Mietskasernen gebaut hatten. Aber er wollte ja seine »Kruppianer«, zumindest eine den Fortgang des Unternehmens für Jahrzehnte, vielleicht gar für Generationen, sichernde Stamm-Mannschaft, fest an sich binden. Und so entstanden die großen Kruppschen Wohnkolonien: »Westend«, »Nordhof«, »Dreilinden«, »Baumhof«, »Schederhof« und »Kronenberg«. Da die Miete den Arbeitern vom Lohn einbehalten wurde, pünktlicher Eingang also garantiert war, stellte der Werks­ wohnungsbau durchaus kein Risiko dar, vielmehr eine sichere, durch das Steigen der Bodenpreise großen Gewinn bringende Vermögensanlage, vor allem aber eine weitere Garantie dafür, daß kein in einer dieser Kolonien untergebrachter »Kruppianer« es noch wagen konnte, seinen Arbeitsplatz aufzugeben oder gar wegen irgendeines Verschuldens entlassen zu werden. Denn wer damals hinausflog, der genoß keinerlei Mieterschutz, sondern mußte - so war es nicht nur bei Krupp in Essen, sondern überall im Reich, in der Industrie wie auf dem Lande, guter alter Brauch - natürlich auch die ihm von der »Dienstherrschaft« gnädig überlassene Wohnung unverzüglich räumen und stand dann mit seiner Familie buchstäblich auf der Straße. Das dritte Kernstück des Kruppschen Sozialwerks war die »Konsumanstalt«. In einer vier Jahre nach König Alfreds Tod, im Jahre 1891 erschienenen, von der Firma selbst heraus­ 16 1

gegebenen und in der konzerneigenen Buchdruckerei herge­ stellten Schrift mit dem Titel >Wohlfahrtseinrichtungen der Gußstahlfabrik von Fried. Krupp zu Essen an der Ruhr< heißt es darüber: »Eine weitere Folge des schnellen Anwachsens der Stadt war eine allgemeine Preissteigerung der Lebensbedürfnisse. Die Aussicht, Anteil an dem Gewinn zu nehmen, der aus dieser Steigerung der Preise für den Kaufmann erwuchs, zog viele Handeltreibende nach Essen, und so kam es, daß die Zahl der letzteren noch in weit größerem Verhältnis anwuchs als die Seelenzahl der Stadt selbst. Der größte Teil der neuentstandenen Kaufgeschäfte bestand aus kleinen sogenannten Winkelgeschäf­ ten, von denen sich die meisten an den Wegen ansiedelten, welche die Arbeiter zwischen ihren Wohnungen und der Arbeitsstelle zu gehen hatten. Gewissenloses Kreditgeben diente dazu, den Arbeiter anzulocken . . . War er erst einmal dem Schuldbuch des Winkeliers verfallen, so war es schwer, sich aus diesen Banden zu befreien . . . Viele dieser kleinen Geschäfte erhielten die Konzession, Branntwein ausschenken zu dürfen; während noch 1860 keine einzige solche Konzession bestand, schenkten 1865 dreiundvierzig und 1870 einundsiebzig Klein­ händler Schnaps an ihre Kunden aus. Nicht weniger als diesen kleinen Geschäften war der Arbeiter den Wirtshäusern verfallen, die wie Pilze aus der Erde schossen; er suchte sie um so lieber auf, als die überfüllte, unbehagliche Wohnung daheim nicht viel Reiz für ihn hatte . . . Die zweite Aufgabe, die sich die Fabrik stellte, war die, den Arbeiter aus den Händen der Wucherer und unsolider Geschäftsleute zu befreien, welchen bis dahin ein großer Teil des Arbeitsverdienstes zugeflossen war. Der Arbei­ ter sollte alle seine Lebensbedürfnisse gut und billig erhalten und zugleich daran gewöhnt werden, bar zu zahlen und auf diese Weise seinen Haushalt stets in Ordnung zu halten. So entstand die Konsumanstalt.« Die Konsumanstalt wurde 1858 gegründet und entwickelte sich aus kleinsten Anfängen zu einem Großunternehmen, das sehr zum Kummer der Essener Bäcker, Metzger, Kolonial­ waren- und sonstigen Lebensmittelhändler - das Heer der »Kruppianer« mit allem versorgte, was sie und ihre Familien zum Leben brauchten. * Ob die firmeneigenen Konsumanstalten billigere und bessere * Eine Tabelle mit den Durchschnittspreisen der Kruppschen Konsumanstalten findet sich im Doku­ mentenanhang.

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Waren führten als der traditionelle Einzelhandel oder gar die von den Arbeitern in Selbsthilfe geschaffenen und ihnen dann von der Firma verbotenen Konsum-Vereine, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Doch selbst wenn wir unterstel­ len, daß - unter Berücksichtigung der Rabattgutschriften für die allein mögliche Barzahlung - die Firmeneinrichtungen billiger waren, so hatte doch auch hier die »Wohltätigkeit« einen kleinen Haken, an dem eine weitere, die »Kruppianer« ans Werk fes­ selnde Kette befestigt war: Wer im Laufe des Jahres seinen Arbeitsplatz bei Krupp aufgab oder entlassen wurde, der ver­ lor alle Ansprüche auf seine Guthaben . . . Trotz alledem - auch die eingefleischtesten Krupp-Hasser müssen es zugeben - war durch die umfangreichen »Wohl­ fahrtseinrichtungen«, die noch durch Krankenhaus, Badeanstalt und werkseigene Schulen ergänzt wurden, die Lage der »Krup­ pianer« im ganzen besser als die der meisten Industriearbeiter im Ruhrrevier. Sie wurden nicht gerade verhätschelt - nichts hätte Alfred ferner gelegen -, aber solange sie »parierten« und sich mit dem beschieden, was ihnen die Firma zukommen ließ, waren sie der drückendsten Sorgen enthoben. Und wenn die Krupp-Verächter Alfred mit einem Sklavenhalter vergleichen, der seine Haus- und Arbeitsneger zwar sauber und ordentlich unterbrachte, erträglich fütterte und nicht allzu sehr kujonierte, jedoch sofort »abstieß«, wenn sie die leisesten Anzeichen von Unbotmäßigkeit oder Faulheit erkennen ließen, um sich so all­ mählich eine eigene Rasse zu züchten, die genau seinen Anfor­ derungen entsprach, so kommen sie damit der Wahrheit schon sehr viel näher. Nur waren die »Kruppianer« eben nicht, wie die Sklaven der amerikanischen Pflanzer und Fabrikanten bis 1864, sein gesetzliches Eigentum und er konnte sie nicht - obwohl er es mehrfach versuchte - von den Behörden einfangen lassen, wenn sie ihm davonliefen. So mußte er sie eben »an die Kette legen« mit Werkswohnungen, Schulen für die Kinder, Guthaben bei der Konsumanstalt und der Pensionskasse und einem Dutzend anderer kleiner Vorteile, die zusammen für den Treuen Sicherheit bedeuteten, für den Untreuen aber einen sehr spür­ baren Verlust und sozialen Abstieg. Daß Alfred sich auch - wie die Plantagenbesitzer in den Süd­ staaten - über das Züchten von »Kruppianern« ernsthafte Ge­ danken machte, enthüllt eine seiner seltsamsten Bekannt­ machungen an die Arbeiter der Gußstahlfabrik: Er hätte es über­ dacht, teilte er ihnen mit, daß unter dem Arbeitsplatz eines treuen 163

und fleißigen Fabrikarbeiters auch das Ehebett zu verstehen wäre. Er, der treusorgende Brotherr, hätte die Zukunft der Guß­ stahlfabrik durch gewaltige Käufe von Rohstoflvorkommen für die nächsten hundert Jahre gesichert, auch für künftige Genera­ tionen von »Kruppianern« wäre damit vorgesorgt, und sogar Schulen für die Kinder seiner Arbeiter hätte er schon eingerich­ tet. »Übrigens bin ich gar nicht abgeneigt, die Gehälter der Leh­ rer zu bestreiten, so daß den Kindern der Unterricht unentgelt­ lich gegeben werden kann oder etwa auch mit Reduktion um die Hälfte des Schulgeldes . . .« Dann kam er auf die Arbeiter­ kolonien zu sprechen und bemerkte: ». . . Die besseren Leute haben natürlich zunächst den Anspruch, dort zu wohnen und unter diesen diejenigen, welche die meisten Kinder haben - eine Aufmunterung für die Eltern, dem Staat recht viele treue Unter­ tanen zu liefern und der Fabrik Arbeiter eigener Race *.« Wie diese Zuchtergebnisse aussehen sollten, läßt sich aus mancherlei Äußerungen und Notizen des Brotherrn kombinie­ ren. Schon als junger Mann hatte er - im Jahre 1838- ein »Regle­ ment für die Fabrikarbeiter« erlassen, worin es hieß: »Wer trotzen will oder seine Pflicht weniger tut, wird beim Ertappen entlassen. Ebenso, wer sich wiederholt ein Versehen zuschulden kommen läßt. Augendiener haben bei erster Gelegenheit den Abschied zu erwarten. Frechheit wird augenblicklich damit bestraft.« Später ergänzte er diese Auffassung von den Grundtugenden eines »Kruppianers« noch auf mancherlei Weise: »Klugheit ist kein Ausgleich, sondern ohne Moralität nur gefährlicher als mittelmäßige Intelligenz«, verkündete er, und »Eine ernste Beschäftigung mit der Landespolitik erfordert mehr Zeit und tiefere Einsicht in schwierige Verhältnisse, als den Arbeitern verliehen ist.« Ganz besonders wies er seine zahllosen Kontrollbeamten und Hausdetektive an, darauf zu achten, daß seine »Kruppianer« ein seinen hohen moralischen Ansprüchen genügendes Privat­ leben führten, nicht »liederlich« waren - was immer darunter zu verstehen war - und keine »Weiberaffären« hatten. In diesem Punkt kannte er nicht einmal Gnade bei höheren Angestellten, ja, selbst seine privaten Gäste auf »Villa Hügel« es wurden immer weniger - durften sich nicht den harmlosesten Flirt erlauben. Sie mußten gewärtig sein, vom Diener eine * race, englischer, damals auch im Deutschen gebräuchlicher Ausdruck mit der Bedeutung: Rasse, Gattung, Zucht

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Notiz des Hausherrn überbracht zu bekommen, die besagte, eine Kutsche stehe abfahrbereit zum Bahnhof . . . Nur sich selbst gestattete Alfred in seinen letzten Lebens­ jahren kleine Eskapaden. »Während ich früher Damen mied«, schrieb er darüber prahlerisch an Longsdon, »pflege ich jetzt mit den edelsten, die ich finde, von jedem Jahrgang, recht in­ time Beziehungen . . .« In den allerletzten Jahren, die ihm beschieden waren, küm­ merte er sich um niemanden mehr. Selbst an der Fabrik hatte er das Interesse verloren. Nur noch ab und zu rührte er sich, mal mit wunderlichen Plänen für eine »Hohle Insel«, ein »Zellen­ schiff«, selbstverständlich mit Kanonen bestückt, oder mit groben Anweisungen an die »Procura«, darauf zu achten, daß die »Kruppianer« in ihren Gärtchen keine Landwirtschaft anfin­ gen (»Dann arbeitet er zu Hause und ruht auf der Fabrik . . .«) oder gar Ziegen hielten, die ihm, dem »Alleininhaber«, das Gras stehlen würden (»Ziegen haben ja sogar Griechenland kahl­ gefressen . . .!«); Gras war für die Pferde da (wenn die nichts zu fressen hätten, könnten sie keinen Dung liefern, und wie sollte er dann gegen die giftigen Gase ankommen ...?). Nun, niemand nahm ihn mehr ernst, auch wenn es keiner aus­ zusprechen wagte . . . Am 13. Juli 18 87 - es war ein sehr gutes Jahr, in dem die Be­ legschaft der Kruppschen Werke auf über zwanzigtausend Mann anstieg, der Umsatz 47 Millionen Mark erreichte - wurde der nun fünfundsiebzigjährige, in seiner kalten, steinernen »Villa Hügel« seit Jahren völlig einsam lebende »Alleininhaber« noch einmal von seinem Sohn besucht, der in Begleitung des Arztes kam. Nachdem Fritz und der Doktor mit dem alten Herrn ein wenig geplaudert und seine wirren Aufzeichnungen betrachtet hatten, rangen sie ihm gemeinsam das Versprechen ab, daß er sich von nun an jeder Arbeit enthalten und auch nicht mehr mit der »Procura« in Verbindung setzen würde. Anschließend instruierte Fritz das Management, etwaige neue Anweisungen seines Vaters nicht mehr zu beachten. Dann begab er sich auf eine Reise. Schon am nächsten Tage wurde er eilig zurückgerufen: Alfred Krupp war - einen Bleistiftstummel in der Faust und mit niemandem in der Nähe als seinem Kammerdiener - einem Herz­ schlag erlegen.

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Fin de siècle

Einige Monate nach dem einsamen Tode des hageren, hochge­ wachsenen Alten, den die Zeitungen schon seit der Mitte der sechziger Jahre den »Kanonenkönig« zu nennen pflegten, wurde in Paris ein Lustspiel aufgeführt, dessen Autoren, Regisseur und Kassenerfolg rasch vergessen waren. Nur der Titel dieser Gesellschaftsposse, >Fin de siècles blieb vielen im Gedächtnis. Und in >Meyers Konversationslexikons in der 5. Auflage von 1897, findet sich in Band 6 - Ethik bis Gaimersheim - folgender Eintrag: »Fin de siècle (franz., spr. fäng dö ßjäkl, >JahrhundertendeWer wie ich mit ruhigem klaren Sinn die Situation meines Werkes erfaßt hatte, auch nicht zurückge­ schreckt wäre vor einem bevorstehenden, harten Kampf, erfaßt 174

auch mit Freuden den friedlichen Ausgleich, der uns von Ihrer Seite hochherzig geboten wurde.< Trotz dieser Haltung Grusons ist die Wirkung auf die Öffentlichkeit eine andere. Diese unter­ schiebt Krupp selbstsüchtige Machtpläne. Daß er auch bei bös­ willigster Betrachtung alles andere ist als der Typ des herrsch­ süchtigen Industriekapitäns, stört die Gegner nicht. Von jetzt an wird es um das Haus Krupp keine Ruhe mehr geben . . .« Was war tatsächlich geschehen? Nachdem alle Versuche, Grusons Magdeburger Werk aus dem Geschäft zu drängen, fehlgeschlagen waren, hatte Essen etwa von 1890 an durch eine Reihe von Strohmännern jede frei­ werdende Aktie der Gruson AG an den Börsen aufkaufen lassen. Einige befreundete Banken halfen kräftig mit, und im Frühjahr 1892 überraschte Krupp die Gruson-Hauptversammlung mit der Feststellung, daß Essen im Besitz der Mehrheit wäre. Das Resultat war, daß die Gruson AG einen »Betriebsüberlassungs­ vertrag« mit Krupp abschließen mußte und ein Jahr später, am 1. Mai 1893, als »Fried. Krupp-Grusonwerk« im Krupp-Kon­ zern aufging . . . Sparen wir uns das Mitleid mit den Gruson-Aktionären, die vor der Fusion an Krupp verkauft hatten und auf einen hübschen Gewinn verzichten mußten; lassen wir auch alle Betrachtungen beiseite, die die »Ethik« des Essener Vorgehens betreffen, denn der Hochkapitalismus hat seine eigenen Spielregeln, und es wäre töricht, einem Hai vorzuwerfen, daß er kein Vegetarier sei. Verzichten wir auch auf Spekulationen darüber, was wohl Hermann Gruson, der vom Tage der »Betriebsüberlassung« an keinen Fuß mehr in sein einstiges Werk setzte, bewogen haben mag, Krupps »Hochherzigkeit« zu preisen, und beschränken wir uns auf die Frage, ob dieser Coup, der nur den Auftakt einer schier grandiosen und enorm erfolgreichen Geschäftspolitik bildete, als deren Resultate die Firma Fried. Krupp viele hundert Millionen Mark verdiente und zum größten Konzern seiner Art in der Welt wurde, von Fritz Krupp selbst ausgeheckt und durchgeführt worden war oder im Verein mit Geheimrat Jencke oder von Jencke und der »Procura« allein, ohne nennens­ werte Mitwirkung des »Alleininhabers«. Es gäbe auch noch zahlreiche weitere Möglichkeiten, die zu erwägen wären, doch wie wir gleich sehen werden, ist die Frage weder genau zu klären noch so bedeutungsvoll, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn nach anderthalb Jahrzehnten eines geradezu stürmischen Aufschwungs, der - ungehemmt 175

vom Starrsinn des greisen, zuletzt jeder Neuerung abholden Alfreds und kräftig gefördert vom Rüstungsfieber, das die offen­ bar vom Wahnsinn besessenen Führungsschichten einiger gro­ ßer und kleiner Nationen erfaßt hatte - das Essener Unterneh­ men zu einer international führenden Industriemacht werden ließ, schieden plötzlich sowohl Fritz Krupp wie Hanns Jencke aus der Firmenleitung aus, und dennoch ging der Aufstieg, auch ohne die Chefs, unvermindert steil weiter, ja, verlief dann noch rascher und steiler, beinahe explosionsartig . . .! Es kann also nicht allein an Fritz Krupp (oder an Jencke) ge­ legen haben, daß die Firma weit größer und mächtiger wurde als je zuvor. Allenfalls trug der »Alleininhaber« mit dazu bei, sei es, indem er mithalf, die Weichen zu stellen, sei es, daß er den Dingen einfach ihren Laufließ, ohne selbst, wie er es ja gekonnt hätte, aktiv einzugreifen. Dies vorweg bemerkt, sei es nun ganz der Phantasie des Lesers überlassen, sich auszumalen, ob die weitere Entwicklung der Firma Fried. Krupp - vom Erwerb des Gruson-Werkes bis zum Tode von Fritz Krupp und dem Ausscheiden Jenckes - vor­ nehmlich Verdienst (oder Schuld) des dicklich-asthmatischen, weichlichen und schlauen »Thronfolgers« oder des respektge­ bietenden, energischen und intelligenten »Herrenmenschen« und Weltmannes Jencke war; ob nur das Zusammenspiel beider zu den erstaunlichen Ergebnissen führte, mit denen wir uns sogleich beschäftigen werden, oder ob im Hintergrund noch an­ dere mächtige Kräfte walteten, etwa die ihren Fritz anspornen­ de Ex-Gouvernante Marga oder die endlich von der Einmi­ schung des schrecklichen Alten befreite »Procura« oder gar starke, doch unternehmensfremde Einflüsse, vielleicht gewisser hoher Militärs, ehrgeiziger Politiker oder womöglich des neuen Kaisers selbst, der 1890, um endlich mitreden zu können, den autokratischen Kanzler, den er von seinem Großvater geerbt hatte, den Fürsten Bismarck, entlassen, durch den General von Caprivi de Caprara de Montecuculi, einen wackeren und wohl­ meinenden alten Haudegen, ersetzt und eine ganz neue - wie er glaubte: viel bessere - Politik begonnen hatte. Die »Neue Richtung«, die Kaiser Wilhelm II. der deutschen Politik geben wollte, ließ sich, nur leicht vereinfacht, auf die Formel bringen: Aussöhnung im Innern ohne Änderung des Systems und kräftiges Auftrumpfen nach außen zur Erringung von »Weltgeltung«. Die Aussöhnung im Innern stellte sich der noch junge Kaiser ähnlich einfach vor wie einst Alfred Krupp

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es sich gedacht hatte: Man mußte den »Leuten« nur ein bißchen mehr geben - gesetzliche Sonntagsruhe, beispielsweise dann würden sie dankbar sein und Ruhe geben, und man brauchte am starren Herrschaftssystem und an den unantastbaren Besitz­ verhältnissen überhaupt nichts zu ändern, hätte vielmehr treue Untertanen, die, wenn sie gerade des Kaisers Rock trügen, ge­ horsam auf jeden, der sich dennoch »undankbar« zeigte, schie­ ßen oder mit dem Säbel einschlagen würden, selbst auf Bruder und Vater. Wenn man den Agitatoren und Scharfmachern den Wind aus den Segeln nähme, so glaubte der Kaiser, könnte man es sogar mit der »roten Gefahr« aufnehmen, den Sozialdemokraten, deren Organisationen Bismarck verboten und deren Führer er ins Exil getrieben oder eingekerkert hatte. Die »Sozialistengesetze« wur­ den also aufgehoben, die »Arbeiterschutzgesetze« verabschiedet. Das mochte zwar ein löblicher Anfang sein, aber der Kaiser meinte, bereits des Guten fast zuviel getan zu haben, während sich doch an der Rechtlosigkeit der breiten Masse und den herkömm­ lichen Privilegien der Oberschicht so gut wie gar nichts änderte. Nicht einmal großbürgerliche Liberale konnten mit dem Stand der Dinge zufrieden sein: mit der Ohnmacht der Parlamente, der Selbstherrlichkeit der Exekutive und der Überheblichkeit des Adels und vor allem der Offiziere, die den Ton angaben. In der Außenpolitik setzte der Kaiser Bismarcks Kurs insofern fort, als er auf militärische Überlegenheit gestützte Großmacht­ politik betrieb. Nur setzte er an die Stelle einer ausbalancierten Politik des eben noch Möglichen den kühnen Griff nach den Sternen: Es genügte nicht mehr, die militärische Vormacht des Kontinents zu sein und als solche »Weltgeltung« zu haben; Deutschland sollte auch, gleichrangig mit Großbritannien, eine führende Seemacht werden, sein Kolonialreich ausdehnen und »abrunden« und jedermann in der Welt Respekt einflößen. Nein, es war nichts »Böses«, was der im Grunde recht ober­ flächliche, durch sein seltsames Verhältnis zu seiner englischen Mama, seinen verkümmerten Arm und seine »schneidige« Er­ ziehung zu Minderwertigkeitskomplexen neigende und diese durch Prahlerei kompensierende, gar nicht blutrünstige, son­ dern eher weichliche und sentimentale Kaiser wollte. Ganz gewiß gelüstete es ihn nicht nach einem mörderischen Krieg aller europäischen Völker, höchstens nach ein paar siegreichen, frisch-fröhlichen Feldzügen gegen einzelne »Frechlinge« oder zu »befriedende« Asiaten und Afrikaner, keinesfalls jedoch nach

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jenem Weltkrieg, in den er dann, als geradezu zwangsläufige Folge seiner unbekümmerten Herausforderungen und Takt­ losigkeiten, am Ende hineinschlitterte. Und dabei wurde er in seine Rolle hineingetrieben, teils von der eigenen Angst, es den Heldengestalten der preußisch-deutschen Geschichte - vom »Alten Fritz«, seinem Pseudo-Ahnherrn, bis zu Bismarck, dem »Eisernen Kanzler«, den er selbst davongejagt hatte - nicht gleichtun zu können, teils von dem Byzantinismus seiner Um­ gebung, die ihn, um selbst Geschäftchen oder Karriere machen zu können, zu immer neuen Possen und Verrenkungen ani­ mierte. Das Ganze hatte etwas Gespenstisches, ganz und gar Un­ wirkliches (übrigens nicht allein in Deutschland, sondern fast überall in Europa), denn vor dem sehr realen Hintergrund eines hochtechnisierten Zeitalters, das längst begonnen hatte, klam­ merten sich klägliche Gestalten im Geist und oft auch im Ko­ stüm vergangener Epochen an ihre bedrohten Machtansprüche. Und sie gaben sich dabei so kraftvoll-männlich, so unbeküm­ mert arrogant und so militärisch-zackig wie nicht einmal ihre historischen Vorbilder in Wirklichkeit je gewesen waren. Hinter den glänzenden Masken aber moderte es bereits . . . In dieser dann so tragisch endenden Komödie waren »Wil­ ly«, die von den Kleinbürgern angehimmelte Kaiserliche Maje­ stät, und Fritz, der nunmehrige Wirkliche Geheime Rat Ex­ zellenz Friedrich Alfred Krupp, »Deutschlands Waffenschmied« und führender Großindustrieller, bedeutende Figuren, und sie waren auf vielerlei Weise miteinander verbunden. In der »Verhätschelung der Arbeiter«, wie es einige Reaktio­ näre verbittert nannten, war Krupp dem Kaiser mit gutem Beispiel vorangegangen. Er hatte nach längerer Pause neue Werkswohnungen gebaut, die sich in der Anlage vorteilhaft von den älteren »Wohlfahrtseinrichtungen« unterschieden: »Friedrichshof« war ein für damalige Zeiten hochmoderner Wohn­ block, »Alfredshof« und »Altenhof« hatten Siedlungscharakter und zu jedem Häuschen einen kleinen Garten. Ende 1901 waren von etwa fünfundzwanzigtausend Essener »Kruppianern« ein knappes Drittel, rund achttausend, in werkseigenen Häusern oder Wohnungen untergebracht. Vom Fehlen jedes finanziellen Risikos oder gar Opfers abgesehen, hatte dies für die Firma, ne­ ben gutverzinster Kapitalanlage und festerer Bindung der Stammarbeiter ans Werk, auch noch den Vorteil, daß die in konzerneigenen Behausungen untergebrachten Arbeiter besser 178

überwacht werden konnten, sowohl in allgemein sittlicher wie in politischer Hinsicht, nebenbei natürlich auch zur Kontrolle tatsächlicher Bettlägerigkeit bei Krankmeldungen. »Die Rechte und Pflichten der Mieter sind genau festgesetzt«, berichtet der kruppfreundliche Theodor Kellen in seiner 1903 erschienenen Schrift >Die Firma Krupp und ihre soziale Tätig­ keit, »und eigens dazu bestellte Kontrollbeamte, die jederzeit Zutritt zu den Wohnungen haben, sorgen für die Einhaltung der Bestimmungen . . .« Neben den Werkswohnungen gab es an weiteren Sozialein­ richtungen vor allem die verschiedenen Kassen: die Kranken-, die Pensions-, die Vorschuß-, die Familien- und die Witwen- und Waisenkasse, sehr löbliche Einrichtungen, bei denen allerdings selbst die von den Arbeitnehmern zwangsweise erhobenen Bei­ träge im Falle ihrer Entlassung samt allen Ansprüchen verfielen. Das wurde nun von den Betroffenen nicht mehr stumm hin­ genommen wie ehedem, und die Sozialdemokraten, kaum daß sie wieder am politischen Leben teilnehmen durften, machten in Presse und Parlament viel Aufhebens davon, sprachen von »Betrug« und ließen sogar einen wegen sozialistischer Neigun­ gen gefeuerten Alt-»Kruppianer« einen Musterprozeß gegen seinen jahrzehntelangen Brotherren führen. Fritz Krupp und auch der Kaiser fanden das sehr undankbar, und das schlimmste war, daß das Reichsgericht in letzter Instanz gegen die Firma entschied. Die Richter stellten in ihrem Urteil fest, daß Krupps Wohlfahrtseinrichtungen nicht einmal den gesetzlichen Min­ destvorschriften entsprachen und zwangen so das Unternehmen zu einigen Änderungen der Statuten. Die Firma beeilte sich nun, der Öffentlichkeit ihre neuen, vom Reichsgerichtsurteil erzwungenen Wohlfahrtsausgaben vorzu­ rechnen, dazu auch eine Übersicht über freiwillige Mehrleistun­ gen zu geben, die - dem Krupp-Fan Theodor Kellen zufolge die stolze Summe von 1,8 Millionen Mark jährlich erreicht hatten. Krupp-Gegner machten sofort eine Gegenrechnung auf: Nach den Steuerlisten hatte das - erheblich unterbewertete Krupp-Vermögen im selben Jahr (1902) rund 187 Millionen Mark betragen, der Vermögenszuwachs gegenüber dem Vorjahr rund 20 Millionen und das Jahreseinkommen des »Alleininha­ bers« 21 Millionen Mark. Angesichts dieser Summen, erklärten die Krupp-Hasser, und vor allem bei der äußerst bescheidenen Besteuerung - für eine Million Mark Einkommen zahlte man

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damals nur etwa vierzigtausend Mark Steuer! wären rund vier Prozent des Betrages, der sich aus der Addition von Ver­ mögenszuwachs und Jahreseinkommen ergab, keine Sozial­ leistung, auf die Krupp stolz sein könnte, zumal - wie sie gehäs­ sigerweise behaupteten - diese Ausgaben schon in die vom Staat zu zahlenden Kanonenpreise einkalkuliert wären. Es war, wie man deutlich sieht, nicht mehr »die gute alte Zeit«, in der Kritik an einem Unternehmer als Nörgelei an der gottge­ gebenen Ordnung durch Ausweisung oder Einkerkerung hatte bestraft werden können. Es war eine unruhige Zeit, und Fritz Krupp hatte es erheblich schwerer als sein Vater . . . Zum Glück für ihn stand ihm der wackere Jencke zur Seite, der bemüht war, aus der Firma ein »Bollwerk gegen das Ein­ dringen sozial-revolutionärer Ideen« zu machen, nichts hielt von der »Utopie eines Normalarbeitstages« und später erklärte, in den neunziger Jahren, als Wilhelm II. die Arbeiter zu »verhät­ scheln« begann, wäre es nur Krupp zu verdanken gewesen, daß die deutsche Industrie ihre Machtstellung hätte behaupten kön­ nen. Die alte Ordnung wäre unmöglich zu retten gewesen, »wenn der größte, mächtigste und reichste Industrielle Deutsch­ lands auch nur ein Tüpfelchen von dem Grundsatz preisgege­ ben hätte, daß der Fabrikeigentümer Herr in seinem Hause sein und bleiben müsse«. Der »Herr im eigenen Hause« überließ indessen die Unterneh­ mensführung weitgehend dem treuen Jencke und der »Procura«, die den Erfordernissen der Zeit entsprechend erweitert und in ein Direktorium umgewandelt wurde. Fritz Krupp selbst hielt sich, nachdem er gleich nach seiner »Thronbesteigung« eine Rundreise mit Besuchen fast aller europäischen Höfe absolviert hatte, den Tagesgeschäften fern. Statt dessen begann er, das Leben eines Grandseigneurs zu führen. Er legte sich zu seiner kalten und pompösen »Villa Hügel« zwei weitere Residenzen zu: »Sayneck« im Rheintal und »Meineck« in Baden-Baden, hielt in allen dreien glanzvoll hof, reiste zur Kieler Woche an die Ost­ see und zur Ballsaison nach Berlin und war dort wie in Kiel häufig Gast des Kaisers, wie umgekehrt Seine Majestät alljähr­ lich zu Besuch »auf dem Hügel« zu kommen geruhten. Der freundschaftliche Verkehr mit Seiner Majestät dem Kaiser war firmenpolitisch von großer Bedeutung. Zwar brauchte Fritz nicht mehr, wie einst sein Vater beim Großvater des jetzi­ gen Monarchen, um gut Wetter zu bitten, damit die preußische Bürokratie Aufträge und Vorschüsse herausrückte, denn unter 180

den für Krupp wichtigen Beamten und Militärs gab es keine Firmengegner mehr. Aber natürlich wirkte sich die kaiserliche Gunst, ohne daß es noch besonderer Interventionen bedurft hätte, äußerst vorteilhaft auf die Abwicklung der Geschäfte mit allen deutschen und vielen ausländischen Dienststellen aus. Jeder deutsche Beamte, der der Firma Krupp eine umfangreiche Be­ stellung zukommen ließ und um den Preis nicht feilschte, er­ hoffte sich ja im stillen - und mitunter gab er es dem KruppDirektor, mit dem er verhandelte, auch deutlich zu verstehen als Gegenleistung eine lobende, karrierefördernde Erwähnung seines Namens »an allerhöchster Stelle«. Und mancher auslän­ dische Potentat erwartete von einem Auftrag an Krupp eine seinen speziellen Interessen dienende Beachtung durch den Berliner Hof, zumindest aber durch das Auswärtige Amt. Weniger bedeutsam, eigentlich nur noch eine Selbstverständ­ lichkeit, war Fritz Krupps Berufung in den preußischen Staatsrat und in das exklusive preußische Herrenhaus, wie die nicht vom Volk gewählte Erste Kammer des Landes»parlaments« genannt wurde. Das waren Ehrungen, genau wie das Prädikat »Exzel­ lenz«, mit denen die befreundete Majestät seinem hochverdien­ ten (und -verdienenden) Kanonenkönig, größten Steuerzahler und treuen Gesinnungsgenossen bedachte, da dieser einen ihm angebotenen Adelstitel mit Rücksicht auf die Familientradition - »Papa hätte es nicht gutgeheißen!« - höflich abgelehnt hatte. Der Kaiser konnte seinen bedeutendsten Großindustriellen und häufigen Tischgast ja nicht - wie man damals sagte - »nackt« herumlaufen lassen, ohne jeden Titel, mußte ihn, der nicht ein­ mal Offizier war - und einer seinerzeitigen Redensart zufolge fing der Mensch erst beim Reserveoffizier an - in seine höfische Hierarchie nach dem ihm gebührenden Rang einstufen. (Wäre Fritz nicht von Willy zum Wirklichen Geheimen Rat und damit zur Exzellenz ernannt worden, womit er in der Hof­ rangordnung den aktiven Generalleutnants sowie den Erzbi­ schöfen und gefürsteten Bischöfen gleichgestellt war, so hätte er als bloßer »bei Hofe vorgestellter Herr« ganz am Ende, gerade noch vor den Landtagsabgeordneten, Hauptleuten und Kammerjunkern, einen sehr bescheidenen Platz in der sieben­ undfünfzigsten Reihe finden müssen . . .) Neben dem Leben bei Hofe und in der »besten Gesellschaft« widmete sich Exzellenz Krupp dann auch gelegentlich der Poli­ tik, während er den weiteren Ausbau der Gußstahlfabrik und die Errichtung des neuen, damals ultramodernen Hüttenwerks 181

Rheinhausen getrost Jencke und dem Direktorium überließ. Schon 1887, dem Jahr seiner »Thronbesteigung«, hatte sich Fritz Krupp, wie vor ihm bereits sein Vater im Jahre 1878, als Partei­ loser vergeblich um ein Reichstagsmandat beworben. Er war dabei, trotz massiven Drucks auf die überwiegend aus seinen »Kruppianern« bestehende Essener Wählerschaft, dem Vertreter des katholischen Zentrums knapp unterlegen, wobei es sich interessanterweise vornehmlich um die Frage gehandelt hatte, ob eine Erhöhung der Militärausgaben bewilligt werden sollte oder nicht. Fritz Krupp war natürlich dafür gewesen, sein siegreicher Widersacher, ein christlicher Gewerkschafter, leider dagegen .. . 1893 ging es um die gleiche Frage, und wieder sollte Fritz Krupp als Repräsentant einer »nationalen« Einheitsliste gegen den bisherigen Abgeordneten vom linken Zentrum kandidie­ ren. Widerstrebend willigte er schließlich ein, verlangte aber einen Wahlkampf ohne Versammlungen, denn er war sich durch­ aus bewußt, daß er weder reden noch diskutieren konnte. Diesmal organisierte Geheimrat Jencke den Druck auf die Arbeiterwähler, ließ jeden mit fristloser Kündigung bedrohen, der gegen den »Brotherren« agitierte, verordnete »Seelenmassa­ gen« durch die Meister und sorgte dafür, daß in den Wahlloka­ len die ohnehin nahezu offene Wahl von zahlreichen Aufpassern genau kontrolliert werden konnte. Trotzdem gelang es Fritz Krupp erst im zweiten Wahlgang (und bei noch massiverer Be­ einflussung und Manipulation) mit knappem Vorsprung zu siegen, was dann in Essen mit einem Fackelzug zur »Villa Hügel« und beachtlichen Mengen von Freibier gebührend gefeiert wurde, ohne daß sich der so Geehrte zu mehr aufraffen konnte als zu einem leicht verlegenen Winken vom Balkon hinab. Wenn indessen die Krupp-Hasser dazu hämisch bemerken, daß Krupps Mandat erst nach einer langwierigen Untersuchung schließlich doch noch von der regierungsfrommen Mehrheit des Reichstages für gültig erklärt wurde, so entspricht dies zwar den Tatsachen, doch wäre es ungerecht, wollte man Fritz als den einzigen Abgeordneten erscheinen lassen, der damals sein Mandat »etwas außerhalb der Legalität« erworben hat. Dutzende von Großgrundbesitzern und auch eine ganze Reihe von Großindustriellen machten es damals genauso oder noch schlimmer. »König Stumm« hatte sogar seine saarländischen Arbeiter in geschlossenen Formationen an die Urnen marschie­ ren und bei der Stimmabgabe von seinem Aufsichtspersonal genau kontrollieren lassen.

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Fritz Krupp, der sich dann im Reichstag keiner Fraktion an­ schloß, bei der reaktionären Reichspartei hospitierte und weder im Plenum noch in den Ausschüssen je sonderlich - und schon gar nicht als Redner - in Erscheinung trat, war also nicht besser und nicht schlechter, was Wahlmanipulationen anging, als ande­ re Vertreter der herrschenden Klasse, ja, man geht in der Ver­ mutung sicherlich nicht fehl, daß ihm im Grunde an seinem Man­ dat überhaupt nichts lag, sondern daß er sich nur von seinem Freund Willy, von Jencke und dem Direktorium und vielleicht auch von seiner energischen Frau zu einer Kandidatur überreden ließ und die Methoden, mit denen sein Sieg dann erfochten wurde, mindestens heimlich mißbilligte. Nicht besser und nicht schlechter als andere in- und ausländi­ sche Rüstungsmagnaten betrieb er auch seine Geschäfte (oder ließ sie betreiben), wobei sich die Agenten der Firma Krupp wohl auch nicht ganz so frei von jeglichen Skrupeln fühlten wie etwa der Vickers-Armstrong-Repräsentant Basil Zaharoff, Krupps Jencke etwas weniger brutal vorging als »König Stumm«, auch nicht so schamlos internationale Konflikte pro­ vozierte wie die Brüder Mannesmann (von dem später sogar dafür geadelten Zaharoff ganz zu schweigen), und der Firmen­ inhaber selbst, als Parlamentarier und bei Hofe, keine auch nur annähernd so unheilsvolle Rolle spielte wie etwa der langjährige Kammerpräsident Eugène Schneider-Creuzot in Frankreich. Mit Korruption, Kabalen und provozierten Konflikten begann das Essener Haus erst in etwas größerem Umfange seine Ge­ schäfte zu betreiben, als der letzte männliche Krupp bereits tot und die Firma eine Aktiengesellschaft geworden war . . . Die Ara des »Alleininhabers« Fritz stand, was die innerdeut­ schen wie internationalen Rüstungsgeschäfte betraf, im Zeichen der sogenannten »Trutz- und Schutzwaffen-Schaukel« - wie Seine Majestät der Kaiser das System scherzhaft zu nennen ge­ ruhten - sowie der kräftigen Unterstützung (und rigorosen Ausnutzung) des »Flottenfiebers«.

Die »Trutz- und Schutzwaffen-Schaukel«, an. der die Firma Krupp (und damit Fritz selbst) viele Hunderte von Millionen Goldmark, hach heutigem Wert Milliarden DM, verdienten, war eine viel zu raffinierte Methode, als daß man sie einem Einfall von Exzellenz Krupp zuschreiben könnte. Aller Wahrschein­ lichkeit nach war sie das Ergebnis zunächst von Zufällen, dann von einer in Teamarbeit bis zur Perfektion getriebenen Verfeine­ 183

rung, und Fritz hatte, nachdem er das simple Prinzip begriffen hatte, seine helle Freude daran - genau wie »Willy«, der schneller dahinter kam. Vielleicht stammte die Grundidee sogar von der einzigen - neben »König Stumm«, mit dem man sich arrangiert hatte noch verbliebenen Konkurrenz, der Rheinischen Metallwarenund Maschinenfabrik, abgekürzt »Rheinmetall«; vielleicht war es auch ein Einfall des rührigen Jencke. Jedenfalls funktionierte die »Trutz- und Schutzwaffen-Schaukel« ganz famos und scheffelte, wie gesagt, Hunderte von Millionen Goldmark in die Kruppschen Kassen. Und das war schließlich die Haupt­ sache! Die Sache funktionierte nach einem ganz einfachen Grund­ satz : Zunächst bot die Firma, auf der Basis der mit dem Aufkauf des Gruson-Werks miterworbenen Erfahrungen, bessere Pan­ zerungen an, Stahl-Nickel-Legierungen, die eine Zeitlang der »letzte Schrei« waren. Sobald sich alle, die zahlen konnten - in erster Linie natürlich Deutschlands Heer und Flotte, denn schließlich war man eine »patriotische Anstalt«! gut damit ein­ gedeckt hatten, kam Krupp mit einer Granate aus Chromstahl heraus, die überraschenderweise imstande war, Panzerplatten aus Nickelstahl zu durchschlagen. Natürlich rüsteten nun alle Armeen und Flotten, die zahlungskräftig genug waren, eilig um. Sobald der Markt gesättigt war, erschien Essen auf der Chica­ goer Weltausstellung von 1895, in einem Pavillon, der der »Villa Hügel« nachgebildet war und 1,5 Millionen Dollar geko­ stet hatte, mit einer neuen Panzerplatte, die auch den Chrom­ stahlgeschossen widerstand. Wieder hieß es für alle Generalund Admiralstäbe, die sich solchen Aufwand leisten konnten, hastig umrüsten. Als dann mehr als zwei Dutzend Armeen und Flotten mit den herrlichen neuen Panzerungen ausgerüstet waren, die jeder Granate standhielten, kam Krupp mit einem nagelneuen Geschoßtyp heraus, der zugegebenermaßen außerordentlich teuer, andererseits jedoch imstande war, mit ultramodernen Spreng­ köpfen auch die härteste Panzerung zu knacken. Die nächste Variante des Spiels hätte Krupp beinahe um den Ruf gebracht, eine »patriotische Anstalt« zu sein: Unter den vielen, meist verrückten Erfindern, die Tag für Tag in Essen aufkreuzten und ihre Genieblitze zu verkaufen suchten, war auch ein junger Angestellter der Firma, Konrad Haußner, der behaup­ 184

tete,das Problem des lästigen Bockens der Feldgeschütze gelöst zu haben. Man schoß damals noch mit starren Kanonen, die nach jedem abgefeuerten Schuß durch den Rückstoß aus der Richtung hüpften und wieder nachgerichtet werden mußten, was die Feuergeschwindigkeit stark beeinträchtigte. Haußner schlug nun vor, das Rohr beim Schuß in einer Art Wiege weit zurückgleiten und durch Druckluft wieder vorschnellen zu lassen. Haußners Idee wurde in Essen verlacht, und der junge Er­ finder versuchte dann sein Glück bei Hermann Gruson, der die Bedeutung des Einfalls für den Geschützbau sofort erkannte. Doch kaum waren die ersten Probegeschütze mit langem Rück­ lauf fertig, da ging das Gruson-Werk in Kruppschen Besitz über. Essen bewilligte zwar gnädig einen Schießversuch - unter ungewöhnlich ungünstigen Bedingungen -, aber dann wurde Haußner bedeutet, er möge sich mit seiner verrückten Erfindung zum Teufel scheren. Statt dessen ging der junge Mann, der nicht aufgeben wollte, zu Heinrich Ehrhardt, dem Gründer und nachmaligen Aufsichtsratsvorsitzer der Krupp-Konkurrenz »Rheinmetall« in Düsseldorf, der sich, gleich Gruson, begeistert zeigte. Aber die nun schon erheblich verbesserten Probegeschüt­ ze, die bei »Rheinmetall« in Düsseldorf gebaut und dann der preußischen Artilleriekommission vorgeführt wurden, stießen bei den Fachleuten auf totale Ablehnung - vermutlich wollte man einfach nicht glauben, daß jemand bessere Kanonen bauen könnte als Krupps »vaterländische Anstalt« . . . Just um diese Zeit sollte die gesamte deutsche Feldartillerie mit neuen Geschützen ausgerüstet werden - für die stolze Sum­ me von einhundertvierzig Millionen Goldmark, die zum aller­ größten Teil an Krupp gezahlt wurden, der dafür das »Modell 96«, eine Kanone traditioneller Bauart, lieferte. Auf diesen Augenblick hatte Frankreich nur gewartet! Längst kannte man nämlich in Paris die Haußnersche Erfindung - wo­ für hatte man schließlich seinen Geheimdienst? -, war eilig dar­ angegangen, sie noch zu verbessern und hatte mit Schadenfreude beobachtet, wie die verhaßten Sieger von 1871 ihre Patente ver­ fallen ließen und nun sogar ihre gesamte Feldartillerie mit bereits veralteten Geschützen ausrüsteten, während man in Frankreich schon eine Kanone hatte, die fünfundzwanzig Schuß in der Mi­ nute feuern konnte . . .! Es dauerte einige Jahre, bis man in Essen merkte, welchen Fehler man begangen hatte, und bis zu einem Eingeständnis 185

rang man sich niemals durch. Aber als dann auch »Rheinmetall« moderne Schnellfeuergeschütze zu bauen und zu verkaufen be­ gann, sogar an die britische Armee, ging man in Berlin und in Essen eilig daran, den kostspieligen Fehler zu beheben. Was ge­ schah, schilderte der Artillerie-Spezialist von Perbandt in seiner 1909 erschienenen Studie >Ist die Monopolstellung Krupps berechtigt?< in dürren Worten: »Vier Jahre nachdem die letzten 96er Geschütze zur Abliefe­ rung gekommen waren, mußte das Deutsche Reich die Rück­ ständigkeit Krupps dadurch wiedergutmachen, daß es mit einem Kostenaufwand von circa hundert Millionen Mark die eben erst in Dienst gestellten Geschütze >aptieren< ließ.« Das gute Einvernehmen zwischen Berlin und Essen wurde übrigens durch diese Panne nicht gestört; dagegen kam es zwischen Krupp und »Rheinmetall« - und nebenbei bemerkt auch zwischen dem Erfinder Haußner und »Rheinmetall« - noch zu langwierigen Patentstreitigkeiten, wobei die Firma Krupp in einer Erwiderung auf das Rundschreiben der Rheinischen Me­ tallwaren- und Maschinenfabrik kühn bemerkte, im Jahre 1903 hätte die deutsche Heeresverwaltung »schließlich doch wieder das Kruppsche Rohrrücklaufgeschütz akzeptiert« - so, als wäre dies stets Essens sehnlichster Wunsch gewesen, der nur durch mangelnde Einsicht der Militärbürokraten auf seine Erfüllung hätte warten müssen . . . In Berlin, wo man sich davor hüten mußte, die Sache hochzu­ spielen, nahm man an dieser Formulierung keinen Anstoß. Man fand überhaupt an der Essener Firmenpolitik so gut wie nie etwas auszusetzen, entweder weil man manches nicht wußte oder weil man die Folgen noch nicht zu erkennen imstande war: So wurde beispielsweise im Jahre 1901 die »Harvey United Company Ltd.« gegründet, in der die führenden Rüstungs­ unternehmen der Welt treulich vereint ihre Panzerstahlinteres­ sen poolten. Im Vorstand dieser Gesellschaft saßen, neben Ver­ tretern von Carnegie, Armstrong, Vickers & Maxim, Cammel, Schneider-Creuzot und weiteren sechs britischen, französischen und italienischen Rüstungsfirmen auch zwei Herren vom saar­ ländischen Stumm-Konzern, ein Repräsentant der Deutschen Bank und - drei Krupp-Direktoren . . . Man trieb Erfahrungsaustausch, half sich mit Patenten aus, und nebenbei kassierte Krupp fünfundvierzig Dollar Lizenzge­ bühren für jede Tonne Panzerplatten, die im internationalen Kartellbereich produziert wurde. 186

Ein zweites weltweites Rüstungskartell, die »Steel Manufacturers’ Nickel Syndicate Ltd.«, gleichfalls im Jahre 1901 gegrün­ det, poolte die Interessen, die vom Panzerplattenverfahren nicht berührt wurden, also unter anderem die Geschütz- und Grana­ tenproduktion. Auch diesem Syndikat, das zunächst nur von den englischen Rüstungsfabriken gebildet wurde, traten bald auch Schneider-Creuzot, Stumm und Krupp bei . . . Ja, und dann gab es noch die »Chilworth Gunpowder Co. Ltd.«, an der, neben Armstrong und einer deutschen Munitions­ fabrik, auch die Firma Fried. Krupp, Essen, maßgeblich beteiligt war, wogegen zwischen Krupp und Vickers & Maxim ein schö­ ner Lizenzvertrag zustande kam, der von 1902 an den Englän­ dern die Verwendung von »Krupps Patent-Zeitzündern« (KPZ) gestattete, natürlich nicht völlig umsonst, sondern gegen Ver­ gütung von einem Shilling und drei Pence für jede abgefeuerte Granate, wofür sich Essen allerdings auch noch verpflichtete, jede künftige Verbesserung des Zünders den Engländern ohne Mehrkosten zur Verfügung zu stellen. Vickers wiederum war so anständig, den gekauften Zünder-Ruhm nicht für sich selbst in Anspruch zu nehmen, sondern auf jeder Granate durch die Buch­ staben »KPZ« deutlich zu machen, daß Essen die Ehre (und ein Shilling drei Pence) gebührte. Diese britische Bescheidenheit, die darauf verzichtete, sich mit fremden Federn zu schmücken, sollte im Ersten Weltkrieg zu allerlei Ungelegenheiten führen. Viele deutsche Soldaten konnten nicht begreifen, daß sie von den Tommies mit Grana­ ten beschossen wurden, deren Zünder von Krupp zu stammen schienen, und manche Engländer wunderten sich über Vickers’ Korrektheit, denn die Firma rechnete später mit dem Feind auf Shilling und Pence genau darüber ab, was sie aus fünf Kriegs­ jahren schuldete, und das war dann eine ganz hübsche Summe, denn die britische Artillerie hatte die deutschen Stellungen stets kräftig mit Granaten eingedeckt - ohne Rücksicht auf die Ko­ sten . . .

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Fritz und Willy

Die Vorstellung, ein nordvietnamesischer Privatmann könnte eines schönen Tages von der amerikanischen Firma Dow Chemicals einen Dollar und fünf Cents für jedes Kilo Napalm kassie­ ren, das die US Air Force auf vietnamesische Dörfer zu werfen beliebte, mag uns heutzutage frösteln machen. Aber damals fand man nichts dabei, zumindest nicht, wenn man Vickers, Armstrong, Carnegie, Schneider oder Krupp hieß. Sie fühlten sich, und wohl mit Recht, als Brüder, genau wie sich alle Mon­ archen verwandt fühlten (und es meist ja auch waren). Angesichts dieser internationalen Bruderschaften der Majestä­ ten und Kanonenkönige erscheint die Frage doppelt interessant, ob Kaiser »Willy« tatsächlich - wie es viele Krupp- und Hohenzollern-Hasser behauptet haben und noch behaupten - an den Geschäften seines Kanonenkönigs und Freundes Fritz beteiligt gewesen ist. Neben zahllosen bösartigen und jedes Beweises ermangelnden Verdächtigungen dieser Art, die vor allem wäh­ rend des Ersten Weltkrieges von der alliierten Propaganda liebe­ voll aufbereitet und in der ganzen Welt verbreitet wurden, hat es auch eine ganze Reihe solcher Unterstellungen von deutscher Seite gegeben, darunter einige, die recht nachdenklich stimmen: Geheimrat Friedrich August von Holstein, Bismarcks engster Berater und bis 1906 die »Graue Eminenz« des Auswärtigen Amtes, konnte es wagen, in seinen Briefen an Mitglieder der Reichsregierung ungeniert davon zu sprechen, daß »S. M.« sich hinsichtlich ihrer Industriebeteiligungen unvorsichtig benähme und damit nur die Gerüchte nähre, der Kaiser wäre beim Nord­ deutschen Lloyd wie bei Krupp »stark interessiert«, und Deutschlands auflagenstärkste Tageszeitung der Weimarer Epoche, Ullsteins >Berliner MorgenpostDie FlotteBerliner Neuesten Nachrichten< und der >PostPost< und die >Berliner Neuesten Nachrichtem - wandte sich energisch gegen diese Rüstungspropaganda, die sie als »geschäftstüchtigen Reklametrick« brandmarkte, und stellte nun auch diejenigen bloß, die dahintersteckten: Das war zunächst das Zentralbüro des wackeren Vereins mit über vierzig hochbezahlten Angestellten; das war der Präsi­ dent, Seine Durchlaucht Fürst Wilhelm zu Wied, damals auch Präsident des preußischen Herrenhauses; das war der »Protek­ tor«, Seine Königliche Hoheit Prinz Heinrich von Preußen, ein Bruder des Kaisers, der sich als Admiral schon einigen Lor­ beer erworben hatte, und das war der Generalsekretär Victor Schweinburg, der als wendiger Journalist und Sohn armer Ost­ juden eigentlich gar nicht so recht in diesen erlauchten Kreis zu passen schien, doch der eigentliche Motor und die Seele des

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ganzen Unternehmens war. Er konnte sich zudem rühmen, Seiner Majestät dem Kaiser vorgestellt und von Allerhöchstdemselben mit Händedruck und Schulterklopfen für seine auf­ opfernde Tätigkeit belobigt worden zu sein. Es gab sogar Fotos von diesem historischen Augenblick . . . Wer hatte Schweinburg dem Kaiser vorgestellt? Nun, sein zufriedener Chef, nicht der Fürst zu Wied, der nur ein Aushängeschild war, genau wie Prinz Heinrich, sondern sein wirklicher Auftraggeber und Brotherr, Exzellenz Fritz Krupp. Den propagandistisch wirksamen kaiserlichen Händedruck (samt den Fotografen, die ihn im Bilde festhielten) hatte aller­ dings der tatkräftige und umsichtige Geheimrat Jencke arran­ giert; sein Chef war für solche kleinen, aber wichtigen Dinge zu unbeholfen. Mit Jencke, dem Chef des Krupp-Direktoriums, wie er offi­ ziell genannt wurde, hatte Schweinburg übrigens fast täglich zu tun, weit mehr als mit seinem Vereinspräsidenten, dem Für­ sten zu Wied, denn der fleißige Generalsekretär hatte noch einen zweiten Posten: Er war auch Chefredakteur der >Berliner Neue­ sten NachrichtenPostPost< und der >Berliner Neuesten Nach­ richtern, die ein zweites Flottengesetz forderten, ein stark erweitertes, zusätzliches Bauprogramm. Mit kräftiger Unter­ stützung des Kaisers gelang es schließlich, trotz der kompromit­ tierenden Presseenthüllungen über die Beziehungen des Flotten­ vereins zu Krupp und Stumm, auch die zweite Vorlage durchzu­ bringen. Aber schon nach einem Dreivierteljahr schrien die Flottenvereinsblätter nach einem dritten Ergänzungsgesetz . . .! Deutschland schien tatsächlich von einem Flottenfieber ergrif­ fen ; und wenn nicht ganz Deutschland, so doch zumindest weite Kreise, denn am 3.Dezember 1901 schrieb Otto II., der neue Flottenvereinsfürst, an Admiral Tirpitz, den Chef des Reichs­ marineamts : »Von Herren verschiedener Parteirichtungen bin ich gebeten worden, eine Bewegung einzuleiten, welche dahin geht, den Reichstag zu veranlassen, an die Regierung die Bitte zu richten, angesichts der schlechten Konjunktur und der ungünstigen Geschäftslage von Handel und Industrie und der damit zusam­ menhängenden Arbeitslosigkeit vieler Tausender von Arbei­ tern, den auf einen längeren Zeitraum verteilten Bau von Kriegs­ schiffen in möglichst beschleunigtem Tempo herbeizufüh­ ren . . .« Das war nun selbst Tirpitz zuviel! Gerade hatte er ausrechnen lassen, was die »Herren verschie­ dener Parteirichtungen« - später mußte der Briefschreiber klein­ laut zugeben, daß es sich nur um »Herren der westdeutschen Industrie, darunter Krupp« gehandelt hätte - am Flottenbau ver­ dienten: Sie arbeiten - obwohl es doch um Staatsaufträge, vater­ ländische Belange und Hunderte von Millionen Mark ging mit einer Gewinnspanne von ziemlich genau hundert Pro­ zent . . .! Dem »Seebären« Tirpitz - der in Wirklichkeit ein intri­ ganter Schreibtisch-Admiral war - sträubte sich der zwei­ geteilte Bart, wenn er daran dachte, wie schwer er sich seinen Marineetat vom Reichstag erkämpft hatte. Und nun steckten die 197

Hälfte der rund zweihundertsiebzig Millionen Mark, für die er noch so viele schöne Panzerkreuzer hätte bauen können, die Herren Krupp und von Stumm in ihre privaten Taschen, wagten überdies auch noch von »schlechter Geschäftslage« zu sprechen und bejammerten die Not ihrer Arbeiter . . .1 Erst dem Kaiser Allerhöchstselbst gelang es, Tirpitz wieder zurückzupfeifen und ihn davon abzubringen, Fritz zur Offen­ legung seiner Geschäftsbücher zu zwingen. Aber die dritte Flottenvorlage fiel ins Wasser, und da die Herren Krupp und von Stumm nun mit ihren Preisen erheblich heruntergehen mußten, strichen sie alle Zuwendungen an den Flottenverein. Soweit die nüchternen Tatsachen, die natürlich für alle KruppHasser ein gefundenes Fressen waren und noch immer sind, wo­ gegen sich die Fans und Hofchronisten mit allgemeinen philo­ sophischen Betrachtungen und Kopfschütteln über den Un­ dank der Welt begnügen mußten, Tirpitz als »Vater der Lüge« hinstellten - eine generell recht passende, im speziellen Falle aber unzutreffende Bezeichnung! - und in weinerlichem Ton darauf hinwiesen, daß der Firma Krupp damals wohl nur »ihre einzig dastehenden Leistungen zum Vorwurf gemacht werden« sollten, »obgleich es doch allen Firmen in der Welt offenstehe, ebenso gute oder bessere Panzerplatten zu fabrizieren und, wenn sie könnten, zu günstigeren Preisen«. Die letzte Feststellung war, so hübsch sie sich anhörte, natür­ lich in Wirklichkeit nur ein kleiner Spaß - schließlich gab es ja, eigens zur Verhinderung eines die Gewinnspannen schmälern­ den Konkurrenzkampfes, das internationale PanzerplattenKartell. . .! Die Krupp-Fans hätten besser daran getan, den in- und aus­ ländischen Hassern ihres Idols entgegenzuhalten, wie segens­ reich in Wirklichkeit Krupps Preispolitik die wahnwitzige Auf­ rüstung bremste! Hätte Essen sich mit, sagen wir, zehn (anstatt hundert) Prozent Gewinn begnügt, wären vielleicht noch ein Dutzend Kriegsschiffe mehr gebaut worden; der schließliche Zusammenprall mit England hätte sich dann sicherlich nicht mehr noch über ein Jahrzehnt lang vermeiden lassen, und Europa wäre um einige schöne Friedensjahre ärmer gewesen . . . Nun, vielleicht konnten die Krupp-Fans damals und auch später solche Rechnung noch nicht aufmachen. Es wäre in Deutschland auf wenig Verständnis gestoßen, hätten sie erklärt: Besser, das (für die Steuer sicherlich etwas unterbewertete)

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Vermögen von Exzellenz Krupp steigt (wie es tatsächlich stieg von 119 Millionen Mark im Jahre 1895 auf 187 Millionen Mark im Jahre 1902, sein persönliches Einkommen im selben Zeit­ raum von jährlich sieben auf über einundzwanzig Millionen Mark, als daß noch ein halbes Dutzend überflüssiger Panzer­ kreuzer die internationale Spannung erhöht . . .! Indirekt - und auch dieses Argument haben sich die KruppApologeten entgehen lassen! - profitierten von den »Einsparun­ gen« der Essener Firma natürlich auch alle anderen, stolze Kriegsflotten bauenden Völker! Deutschlands übersteigerte Seerüstung ließ ja Großbritannien, Frankreich, Rußland, Ita­ lien, Japan und die USA nicht ruhen; sie alle ließen, angefeuert durch die schrillen Schreie ihrer jeweiligen, ebenfalls von den nationalen Rüstungsfirmen finanzierten Flottenvereine, auch ein Kriegsschiff nach dem anderen vom Stapel laufen, und jedes war gepanzert mit bestem, teuerstem Kruppstahl, wenngleich Essen ihn nicht selbst herstellte und dafür »nur« fünfundvierzig Dollar je Tonne Lizenzgebühren kassierte. Dadurch, daß Krupps hohe Gewinnspannen die deutsche Seerüstung dros­ selte, konnten sich auch alle anderen an dem Wettrüsten betei­ ligten Nationen etwas Atem gönnen, und die kleinen und gro­ ßen Steuerzahler in aller Welt hatten den Vorteil davon . . . Das alles mag ein bißchen zynisch klingen, wie das mit Wahrheiten oft so ist. Doch in einem Punkt tun die meisten Krupp-Gegner der Exzellenz Fritz wirklich Unrecht und ver­ sagen auch die konzerneigenen Hofbiographen - aus sehr nahe­ liegenden Gründen - in ihrer Apologetik: Er war weitgehend unschuldig an nahezu allem, was in seinem Namen geschah ob es nun die »Trutz- und Schutzwaffen-Schaukel«, der skrupel­ los geführte Konkurrenzkampf oder der Kauf der >Berliner Neuesten Nachrichtem im Jahre 1893 war, ob es sich um die phantastischen Gewinnspannen, um die knickerigen Sozial­ einrichtungen, die internationalen Kartellabsprachen, das An­ heizen der Rüstungskonjunktur durch den Flottenverein und ähnliche ultra-nationalistische Organisationen handelte oder ob es seine eigene Reichstagskandidatur betraf. Immer drängten ihn andere - meist Jencke oder Willy oder seine Frau -, wenn sie es nicht gar schon für ihn taten und ihn allenfalls später darüber informierten . . . Schon sein Vater, Alfred der Große, hatte vieles und zuletzt nahezu alles anderen überlassen - seinen Brüdern, Ascherfeld, der »Procura«, dem unermüdlichen Kreditvermittler (und

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späterem Leiter der Revision) Carl Meyer, dem Juristen Sophus Goose und dem Pariser Vertreter Henri Haas, schließlich dem wackeren Jencke . . . Fritz, der Sohn, schien zwar anfangs die Absicht gehabt zu haben, am Management wenigstens teilzunehmen, bei Mei­ nungsverschiedenheiten im Direktorium das letzte Wort zu sprechen und über alles stets genau informiert zu sein. Aber, bei allen guten Vorsätzen, er war dazu gar nicht imstande! Schon die Repräsentation, die das Direktorium ihm abver­ langte - im wohlverstandenen Interesse des Unternehmens galt es, die Beziehungen zum Kaiser, zum Hofstaat, zu Regie­ rung, Militärs und ausländischen Potentaten zu pflegen -, über­ forderte seine schwachen Kräfte. Und wenn die sozialdemo­ kratische >Volkszeitung< im Februar 1898 berichtete: »Der Abgeordnete Krupp gab im Hotel Bristol am Sonntagnachmit­ tag i Uhr etwa zweihundertfünfzig Personen ein Frühstück. Fast sämtliche Minister und eine große Anzahl von Nobilitäten Berlins . . . waren anwesend . . .«, so war dergleichen, trotz all der Köstlichkeiten, die das Blatt seinen Lesern ausführlich be­ schrieb, für Fritz nichts als eine lästige Pflicht, ja, eine Qual! Er mußte strenge Diät halten, sich meist mit einem Gläschen Mine­ ralwasser begnügen, durfte nicht rauchen und litt unter Asthmaanfällen, nervösen Magenbeschwerden und Schwindelgefühlen. Zudem war der dickliche Kanonenkönig schüchtern, fühlte sich Menschenansammlungen gegenüber hilflos und gehemmt, hatte auch sonst wenig Selbstvertrauen und war stets heilfroh, wenn er seine Repräsentationspflichten - wie alles andre - auf sein Direktorium abwälzen konnte. Dieses Direktorium war Fritzens »feste Burg«, auch sein »gute Wehr und Waffen«, und er hatte es mit lauter Männern besetzt, die genau das Gegenteil seiner selbst waren: energisch, männlich, kraftvoll, auch körperlich stark und hochgewachsen, robust in jeder Beziehung und, wenn es sein mußte, auch brutal, dazu lebensfroh und trinkfest. Der spätere »Finanzminister« des Unternehmens, Geheimrat Haux, hat es in seinen Erinnerungen beschrieben: »Das damalige Kruppsche Direktorium war schon seiner äußeren Erscheinung nach von imposanter Wirkung. Fünf seiner Mitglieder . . . konnten beim ersten Garde-Regiment zu Fuß gedient haben. Auch die vier anderen Kollegen waren markante Erscheinungen . . .« Diese neun Musketiere, der schneidige Jencke an der Spitze,

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führten für Fritz, den weichlichen und kränkelnden »Allein­ inhaber«, den rücksichtslosen und harten Kampf um den Profit. Eigentlich hätten alle Vorwürfe, Hiebe und Stiche ihnen allein gelten müssen. Doch die nicht eben wenigen Hasser, Neider und Verächter des Kruppschen Unternehmens droschen nicht auf die Herren Direktoren ein, obwohl diese doch auch dafür bezahlt wurden, sondern immer auf den armen Fritz, den exponierten »Alleininhaber«, dem alles gehörte und der immer reicher und reicher wurde, ohne eigenes Zutun. Sein Reichstagsmandat und der allzu forsche Vorstoß des Flottenvereins-Fürsten zur weite­ ren Forcierung der Seerüstung, vor allem aber die dem »Vater der Lüge« zuzuschreibenden Enthüllungen, das Preisgebaren der Firma betreffend, hatten Fritz und seine Millionen ins grelle Rampenlicht gezerrt und zur Zielscheibe heftigster Angriffe ge­ macht, auch derer, die gar nicht so sehr Krupp wie den Kaiser meinten, der sich übrigens, so wissen die Hofbiographen ernst und respektvoll zu vermelden, wegen der Attacken auf seinen lieben Freund auch schon Allerhöchstselbst Sorgen zu machen begann. Seine Majestät sind der Ansicht, berichtet Gert von Klass, »ein Mann in solch exponierter Stellung wie Krupp müsse auf Angriffe und Verleumdungen gefaßt sein und dürfe sich durch sie nicht niederdrücken lassen. Er ermahnte Krupp, Vertrauen zu ihm zu haben und sich an ihm ein Beispiel zu neh­ men . . . Aber er begnügt sich nicht mit diesen freundschaft­ lichen Ermahnungen, sondern findet es auch gut, sie durch Denk- und Sinnsprüche, meist aus Ganghoferschen Werken, zu unterstreichen . . .« Ja, unser letzter Kaiser war belesen! Fritz indessen, so gut ihm des Kaisers Sprüche taten, brauchte mehr als Tröstungen mit Worten. Und zu diesem Zweck schüt­ telte Fritz den Staub Germaniens, insbesondere des Ruhrgebiets, von seinen eleganten Schuhen und reiste, wie von 1898 an all­ jährlich, für einige Monate nach Italien. »Nicht, daß er seine Pflicht vernachlässigte«, bemerkt dazu Hofbiograph Gert von Klass beflissen, ». . . aber wenn das Haus bestellt ist, glaubt er, auch das Recht auf ein Leben zu haben, wie er es denkt, wie er es sich als nützlich, befriedigend und schön vorstellt, ein Leben, in dem es keine Gußstahlfabrik und keine Schlote gibt. Der reichste Mann Deutschlands will einmal nur Mensch sein . . .« Was von Klass hingegen nicht bemerkt, richtiger wohl: takt-

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voll übergeht, ist die Frage, was Exzellenz Fritz sich als nützlich, insbesondere aber als befriedigend und schön vorstellte, abge­ sehen von seinem Hobby, der mit Eifer und beachtlichem Erfolg betriebenen Erforschung der Tiefseeflora und -fauna des Mittel­ meeres. Die Antwort ist an sich gar nicht weiter erschreckend, aber sie war es einmal, und was die Art und Weise betrifft, in der Fritz dieser seiner Neigung nachging, ist sie es wohl auch noch heute. Kurz, der (nach Willy) reichste Mann Deutschlands war, wenn er einmal Mensch sein wollte, ein Päderast, kein gewöhn­ licher harmloser Homophiler, sondern er liebte hübsche Kna­ ben, und beileibe nicht platonisch! In Deutschland war, anders als in Italien, schon die einfache Homosexualität barbarischerweise unter schwere Strafe gestellt, ja, sie galt - ähnlich wie später im Dritten Reich - damals als ein ganz besonders verwerfliches Verbrechen. Man gebärdete sich in Preußen-Deutschland äußerst kriegerisch und männlich; »Zucht« war eine der beliebtesten Forderungen, die in keiner Rede, Predigt oder Ansprache fehlen durfte; das züchtige Weib und der zuchtvolle Mann sowie die Aufzucht möglichst vieler, strammer Kinder waren die Ideale, und überdies war man, zu­ mindest nach außen hin, ungemein prüde. Indessen galt all dies - wie schon im alten Rom der Verfalls­ zeit - nur für die misera contrihuens plebs, das arme, mit seinen Steuergroschen den Hofstaat und die Bürokratie, das gewaltige Heer und die immer riesiger werdende Flotte bestreitende Volk, zu dem, von der hohen Warte der Herrschenden aus be­ trachtet, alle gehörten - bis auf eine hauchdünne crème de la crème. Diese alleroberste Schicht und ihre Günstlinge hielten zwar der Öffentlichkeit gegenüber den Anschein aufrecht, daß auch sie sich, genau wie man es von hehren Vorbildern erwartet, streng an die Spielregeln hielten und - je nach Alter und Ge­ schlecht - stramme, gehorsame Knaben und Jünglinge, brave, sittsame Maiden, pflichtbewußte, peinlich korrekte und in Treue feste Ehemänner, ehrbare und tugendhafte Gattinnen und muster­ gültig sittenstrenge Mütter, würdige und Respekt heischende Familienväter und zu guter Letzt vorbildlich fromme, über die Moral der Sippe wachende Großmütterchen oder denkmals­ gleiche Patriarchen wären. Aber was sich in den Schlössern und Schlößchen in Wirklichkeit abspielte, strafte alle diese Adjektive Lügen. Natürlich gab es, wie überall, rühmliche Ausnahmen: Nicht 202

jede kleine Komteß war mannstoll oder gab sich, nachdem sie bei dem bärtigen Musikprofessor das >Gebet einer Jungfrau< einstudiert hatte, dem Tennislehrer hin; nicht alle hageren Herzoginnen waren lesbisch oder verführten die Pagen, und - so muß man hinzufügen, denn das war an den Höfen damals der Brauch - beileibe nicht sämtliche Kronen- und Krönchen­ träger, Oberhofmeister, Flügeladjutanten und Offiziere der feudalsten und exklusivsten Garderegimenter bevorzugten sexu­ ellen Umgang mit dem eigenen Geschlecht (wobei hinsicht­ lich der beiden letztgenannten Kategorien insofern die Ein­ schränkung für den Hof des Kaisers nicht gelten konnte, als eine Zeitlang tatsächlich alle kaiserlichen Flügeladjutanten Homo­ phile und - nach den Angaben des für allerhöchste Kreise zustän­ digen Kriminalkommissars des Berliner Polizeipräsidiums, Hans von Tresckow - homosexuelle Massenorgien unter den Gardeoffizieren Seiner Majestät keine Seltenheit, sondern durch­ aus üblich waren). In von Tresckows Geheimakten, die er von seinem Vorgän­ ger, dem Kriminalinspektor von Meerscheidt-Hüllessen, über­ nommen hatte, waren nicht eben wenige hohe und höchste Persönlichkeiten als Homosexuelle verzeichnet - beispielsweise die Könige von Bayern und Württemberg, auch ein Bruder des greisen Kaisers Franz Josef von Österreich; an preußischen Größen der Prinz Friedrich Heinrich, sodann zwei Grafen Hohenau, einer davon Kommandeur der Gardekürassiere, bei­ des zudem Flügeladjutanten des Kaisers und als Söhne des Prinzen Albrecht von Preußen auch seine Vettern; der dritte Flügeladjutant Seiner Majestät, Graf Lynar; der Oberhofzere­ monienmeister Graf Edgar Wedel; auch der Privatsekretär der Kaiserin, mehrere Kammerherren, vor allem aber - und das war besonders bemerkenswert - der intimste Freund und Ver­ traute des Kaisers, der enge Duzfreund des Reichskanzlers Fürst Bülow und Liebling des Hofes: Fürst Philipp zu Eulenburg und Hertefeld, der nicht nur eine feste Liaison mit dem General­ leutnant Graf Kuno von Moltke, Stadtkommandanten von Ber­ lin, hatte, sondern auch mit dem französischen Botschaftsrat Lecomte recht innig war . . . Es standen noch viele, viele erlauchte Namen in den von Tresckowschen Geheimakten, nur wenige davon mit einem kleinen Fragezeichen, wie etwa der des Generals Graf Dietrich von Hülsen-Haeseler, Chef des Militärkabinetts, der in einem rosa Ballerinenröckchen vor Seiner Majestät und dem engeren

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Hof Ballett zu tanzen pflegte (bei einer solchen Gelegenheit übrigens im Jahre 1908 einem plötzlichen Herzschlag erliegen sollte . . .). Natürlich war es nicht die Aufgabe des von Tresckowschen Sonderdezernats, diese hohen und höchsten Herren - wie ge­ wöhnliche Sterbliche, wenn sie sich nach den geltenden Geset­ zen auf das schwerste strafbar gemacht hatten - bei der Staats­ anwaltschaft zur Anzeige zu bringen. Man mußte sie nur ein wenig im Auge behalten, damit sie nicht Erpressern in die Hände fielen oder in noch gefährlichere Situationen gerieten. Vor allem mußte von Tresckow darauf achten, daß »diese Polizeisachen«, wie der Kaiser sie geringschätzig nannte, als der Kommissar ihm die Dossiers einmal zur Einsicht vorlegen wollte und dabei auf Ablehnung stieß, nicht öffentlich bekannt wurden. Denn natürlich durfte auf keinen Fall im Volke der Eindruck entstehen, bei Hofe oder gar in der allernächsten Umgebung Seiner Majestät wären Tugend und Anstand gefährdet, schlimmer noch: hätte Zuchtlosigkeit Einlaß ge­ funden . . . Natürlich kam etwas davon infolge höfischer Kabalen und eines Racheakts des entlassenen Geheimrats von Holstein dann später doch ans Tageslicht, führte zu einem Presseangriff und konnte nur sehr mühsam und unzulänglich vertuscht werden, doch an den interessantesten Punkt wagte weder auf dem Höhe­ punkt dieses Skandals noch später irgend jemand zu rühren. Nicht einmal von Tresckow, der sich als erfahrener Kriminalist sicher­ lich seine Gedanken machte, riskierte in seinen Jahrzehnte später veröffentlichten Erinnerungen auch nur die leiseste Andeutung: Lag es nicht nahe, auch Seine Majestät Allerhöchst­ selbst auf die Homophilen-Liste zu setzen - mindestens mit einem nur noch sehr kleinen Fragezeichen . . .? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war dieser von niemandem ausgesprochene Verdacht der tiefere Grund dafür, daß man seitens der Polizei die alleräußerste Behutsam­ keit walten ließ, sobald irgendeine, das spezielle »Delikt« be­ treffende Spur in die Umgebung des Kaisers führte. Ein gerade­ zu klassisches Beispiel dafür lieferte der »Fall Krupp«, der in von Tresckows Geheimdossiers schon jahrelang aktenkundig war, ehe er 1902 überraschend zu einem öffentlichen Skandal und-wie wir noch sehen werden-dann mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterdrückt wurde. 204

Einen der ersten Hinweise hatte von Tresckow von Conrad Uhl erhalten, dem hochangesehenen Besitzer des feudalen Berliner Hotels »Bristol«. Zunächst war es Uhl, so hatte er dem Kommissar berichtet, nur etwas sonderbar vorgekommen, daß bei den häufigen Berlin-Aufenthalten des Ehepaars Krupp der Großindustrielle selbst zwar im »Bristol« zu wohnen pflegte, seine Gemahlin jedoch in einem anderen Hotel. Die Sache wurde Uhl verdächtig, als Exzellenz Krupp den Hotelier bat, einige blutjunge Italiener bei sich als Pagen und Pikkolos einzustellen, persönliche Freunde aus sehr einfachen Kreisen, um die sich der Großindustrielle, wie er schüchtern erklärte, »aus rein sozialen Gründen ein wenig kümmerte«. Noch seltsamer fand Uhl, daß Herr Krupp den Lohn dieser nicht einmal ein Wort Deutsch sprechenden Knaben aus eigener Tasche zahlen, sie aber vom Dienst befreit wissen wollte, sobald er in Berlin wäre. Uhl fügte sich den Wünschen seines prominenten und millio­ nenschweren Gastes, nahm es auch hin, daß Exzellenz Krupp sich ständig, meist brieflich, nach dem Wohlbefinden seiner jungen Freunde erkundigte - ob sie auch regelmäßig badeten? ob sie genug zu essen bekämen, auch ab und zu ein paar Lecker­ bissen? -, und begann sich nur Sorgen zu machen, ob er sich nicht der Kuppelei schuldig gemacht hätte. So war er vorsichts­ halber zu von Tresckow gegangen, der darüber in seinen Erinne­ rungen vermerkt: »Uhl wurde das Interesse von Krupp für seine (des Hoteliers) Angestellte schließlich zuviel, und als er (der Kanonenkönig) wieder einmal in seinem Hotel wohnte, bat er Krupp, ihm die Sorge für seine Kellner selbst zu überlassen und sich nicht in seine Hausordnung zu mischen. Krupp nahm dies sehr übel und verlegte seine Wohnung in ein anderes Hotel. Bei seinem näch­ sten Aufenthalt wohnte er aber wieder im Hotel Bristol . . .« Von Tresckow erwähnt übrigens auch, daß ihm der Name Krupp schon zuvor in den von seinem Amtsvorgänger über­ nommenen Geheimakten aufgefallen wäre; es hätte dies aber nur einen Hinweis auf Krupps homosexuelle Neigungen be­ deutet, und das Material wäre »sehr dürftig« gewesen. Auch nachdem er nun Beweise dafür hatte, daß Exzellenz Krupp straffällig geworden war - Uhl hatte die Vorkommnisse in der Suite seines hohen Gastes sehr ausführlich geschildert, ganze Stöße von Briefen vorgelegt, die seine Aussage erhärte­ ten und auch das Zeugnis von anderen Hotelangestellten 205

angeboten - unternahm von Tresckow nichts. Und dabei stand auf Fritzens Verbrechen - es handelte sich ja nicht um gewöhnliche »Unzucht zwischen Männern«, sondern auch um Verführung Minderjähriger und Mißbrauch eines Unterord­ nungsverhältnisses - Zuchthaus bis zu zehn Jahren . . .! Vermutlich hätte der Kommissar - im nationalen Interesse auch dann nichts gegen Exzellenz Krupp unternommen, wenn er »nur« der die vaterländischen Streitkräfte mit Schutz- und Trutzwaffen ausrüstende Großindustrielle gewesen wäre. Doch Fritz war ja auch der Freund des Kaisers, und damit erstarb jeder Gedanke an Strafverfolgung! Auch die Polizeibehörden Italiens, wo Fritz alljährlich monatelang Ferien zu machen pflegte, hatten seit langem Kennt­ nis von dem, was der deutsche Kanonenkönig insbesondere auf Capri, aber auch auf seinen in italienischen Gewässern statio­ nierten Jachten, von denen die eine sinnigerweise »Puritan« hieß, gar nicht sehr heimlich trieb. Und auf der kleinen Insel, wo Fritz im Hotel Quisisana ein fürstliches Appartement bewohnte, wußte natürlich erst recht jedermann Bescheid. Aber Behörden wie Insulaner tolerierten lange Zeit selbst das schockierendste Treiben des millionenschweren Gastes, zumal er sich außer­ ordentlich freigebig zeigte. Aber im Frühjahr 1902 geschah dann doch, was von Tresckow schon lange befürchtet hatte: Zunächst bekam der Kommissar einen Wink seiner italieni­ schen Kollegen. »Krupp hätte in seinem homosexuellen Ver­ kehr«, berichtete er darüber in seinen Erinnerungen, »selbst das Maß der Duldung, die sonst in Italien in solchen Fällen üblich war, weit überschritten, indem er noch ganz junge Knaben ver­ führt habe«, schlimmer noch: die italienische Presse war unter­ richtet und hatte sich bereits mit dem »Fall Krupp« zu befassen begonnen! Eine Zeitlang schien es, als wäre der Nimbus des Kanonenkönigs und die Ehrfurcht der deutschen Redakteure vor »hohen und höchsten Kreisen« zu groß, als daß man auch im Reich die italienischen Presseberichte aufzugreifen gewagt hätte. Doch man wartete nur ab, wie sich Exzellenz Krupp ver­ halten würde . . . Fritz indessen tat so, als wäre nichts geschehen. Gewiß, er brach seinen Urlaub auf Capri ab und reiste heim nach Essen (weil ihn hohe Carabinieri-Offiziere nach einer kurzen Unter­ suchung, die zu allem Überfluß auch noch fotografische Be­ weise für die behauptete Kinderverführung erbrachte, freund206

lieh, aber bestimmt darum ersucht hatten, Italien für immer zu verlassen), aber für die deutsche Öffentlichkeit fand sich dafür eine sehr plausible Erklärung: Seine Majestät der Kaiser hatte seine Teilnahme am Probeschießen auf dem Kruppschen Schieß­ platz bei Meppen angesagt, danach war die Industrieausstellung in Düsseldorf zu eröffnen, und schließlich stand die Feier der mit Unterbrechung - hundertjährigen Zugehörigkeit Essens zu Preußen bevor, ein Ereignis, zu dem wiederum der Kaiser kommen und in der »Villa Hügel« zu Gast sein würde. Das Programm wurde absolviert, und da sich nichts rührte, begannen alle Eingeweihten leise zu hoffen, daß die »italienische Episode« in Vergessenheit geriete. Im Sommer war Fritz Ehrengast Seiner Majestät bei der Kieler Woche, und im Sep­ tember fuhr er nach London, um ein Abkommen mit Vickers über die unbefristete Verlängerung des Granatzünder-Lizenz­ abkommens zu unterzeichnen. Noch während seines Aufenthaltes in England zeigte es sich, daß die Hoffnungen trügerisch gewesen waren: Die römische Presse hatte Fritzens Capreser Sündenregister noch einmal auf­ gegriffen, diesmal in sensationeller, unübersehbarer Auf­ machung, mit allen saftigen Details und erbarmungslosen Kom­ mentaren. Exzellenz Krupp, von Freunden telegrafisch unter­ richtet, erlitt einen fürchterlichen Schock. Aber es sollte noch viel schlimmer kommen: Wenige Tage nach Beginn der italienischen Pressekampagne trafen bei Frau Marga Krupp in Essen mehrere anonyme Briefe ein, denen die römischen Zeitungsartikel beilagen. Und Frau Marga hatte nichts Eiligeres zu tun, als in den nächsten Zug nach Berlin zu steigen und schnurstracks zum Kaiser zu laufen. Majestät zeigten sich indessen äußerst indigniert - nicht wegen der Vorwürfe gegen seinen Freund Fritz, sondern wegen Margas Mangel an Haltung! Damit sie nicht noch mehr Unheil anrichtete, wurde Frau Marga eilig zurück nach Essen geschickt - diesmal mit einem verschwiegenen Adjutanten als Geleitschutz -, und Majestät riefen alsdann seine engsten Berater zusammen. Die Herren, die dem anstehenden Problem sämtlich sehr viel persönliches Ver­ ständnis entgegenbrachten, erwogen zunächst, Fritz aus der Schußlinie zurückzuziehen, für unheilbar krank zu erklären und die »vaterländische Anstalt« von Jencke und ein paar verläß­ lichen Kameraden treuhänderisch weiterführen zu lassen. Doch Admiral von Hollmann, Chef des Reichsmarineamts 207

und intimer Freund von Exzellenz Fritz, protestierte energisch: Man dürfe unter keinen Umständen nachgeben und einen Präzedenzfall schaffen, der sehr gefährlich werden könnte! Wenn man anfinge, die Autorität einer angestammten Herr­ schaft zu untergraben, gäbe es bald kein Halten mehr. Als näch­ stes schlüge dann womöglich jemand vor, auch das Reich Treu­ händern zu überlassen . . . Das wirkte, und so kam man zu einer anderen Lösung, über die der Admiral seinen aus London heimgekehrten Freund Fritz sofort telegrafisch informierte: Man täte am besten so, als wäre gar nichts geschehen; sollten deutsche Blätter es wagen, die italienischen Meldungen aufzugreifen, ginge man mit äußerster Strenge gegen sie vor und schaffte binnen kürzester Zeit ein für allemal Ruhe; in Italien ließen sich die Wogen ge­ wiß mit ein paar Millionen rasch glätten, und das einzige noch ungelöste Problem wäre Frau Marga, die offenbar die Nerven verloren hätte und gewiß in einer geschlossenen Anstalt besser aufgehoben wäre . . . Fritz begriff, was er zu tun hatte. Frau Marga wurde also darüber informiert, daß sie sich Seiner Majestät Allerhöchste Ungnade zugezogen hätte, offenbar krank wäre und deshalb zu Professor Binswanger nach Jena in Behandlung müßte. Da sie sich weigerte, mußte sie - zum Glück gab es einen privaten Gleisanschluß der »Villa Hügel« an das Eisenbahnnetz! - in den Zug getragen werden. Offiziell wurde bekanntgegeben, daß die Gattin von Exzellenz Krupp Erholung in Baden-Baden suche, aber bei der Dienerschaft und im Direktorium war es nicht mehr zu verheimlichen, daß etwas nicht stimmte, wenn auch nur wenige wußten, daß man Frau Krupp gewaltsam in eine private feste Anstalt transportiert hatte. Das war am 2. November 1902. Es sollte weniger als eine Woche dauern, bis die katholisch-klerikale »Augsburger Postzeitung< - noch ohne Nennung eines Namens - aus Rom berich­ tete, was sich auf Capri abgespielt hatte. »Unglücklicherweise hat der Fall mit dem Namen eines Großindustriellen von bestem Klang zu tun, der mit dem kaiserlichen Hof eng verbunden ist«, hieß es in dem Artikel, auch, daß eine Identifizierung des Be­ treffenden kurz bevorstände. Fritz konsultierte eilig seinen privaten Rechtsbeistand, den Geheimen Justizrat August von Simson, Präses der Berliner Anwaltskammer und später im Aufsichtsrat der Firma Krupp, der ihm abriet, gegen die Augsburger Zeitung gerichtliche

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Schritte zu unternehmen, da sie keinen Namen zu nennen ge­ wagt hätte. Vielleicht, meinte er, verliefe alles im Sande. Doch Geheimrat von Simson irrte sich, was diese Hoffnung betraf. Nur neun Tage nach der noch so diskreten »Augsburger Postzeitung< griff der sozialdemokratische >Vorwärts< den »Fall Krupp« auf. Unter der Balkenüberschrift »KRUPP AUF * CAPRI« berichtete das vor allem unter der Berliner Arbeiter­ schaft, aber auch weit über die Hauptstadt hinaus verbreitete Zentralorgan der SPD seinen Lesern über alle Einzelheiten der Affäre, auch über Fritzens Ausweisung aus Italien, und schloß mit der Feststellung: »Solange Krupp in Deutschland lebt, ist er nach Paragraph 175 straffällig. Nachdem die perversen Gewohnheiten zu einem offenen Skandal geführt haben, ist es die Pflicht der Staatsanwalt­ schaft, gerichtliche Schritte einzuleiten.« Das war schier grotesk! Ausgerechnet die verfemten, von Justiz und Polizei des Kaiserreiches unerbittlich verfolgten Sozialdemokraten riefen nach der Justiz und erinnerten die Staatsanwälte, ihre brutalsten Unterdrücker, an ihre gesetzliche Pflicht, noch dazu wegen eines Delikts, dessen Streichung die um eine Humanisierung des Sexualstrafrechts kämpfende SPD seit langem vergeblich gefordert hatte . . .! Doch natürlich, jedermann wußte es, ging es den Sozial­ demokraten - genau wie später Maximilian Harden, als er des Fürsten »Philli« Eulenburgs Liebesverhältnis mit dem Stadt­ kommandanten von Berlin aufdeckte - in Wirklichkeit über­ haupt nicht um eine Bestrafung Krupps wegen Homosexualität. Es ging ihnen vielmehr darum, die »Doppelte Moral« der Herr­ schenden, die Morschheit ihres Systems und die jämmerliche Wirklichkeit, die sich hinter ihrer naßforschen, waffenklirrenden und phrasendreschenden Großmannsucht verbarg, endlich einmal zu entlarven und die Hof-Kamarilla samt ihrem Kaiser und seinem Intimus, dem Kanonenkönig, mit ihren eigenen jämmerlichen Gesetzen in die Enge zu treiben. Da die Sozialisten gegen die Korruption der Herrschenden, gegen Krupps Kano­ nen- und Panzerplatten-Wucher, gegen die Verschleuderung von Staatsgeldern, die wahnwitzige Aufrüstung und die Ver­ filzung von Hof-, Kabinetts- und Industrieinteressen nichts Wirksames unternehmen konnten, griffen sie zu einer tücki­ schen Kriegslist: Sie machten die Scheinmoral ihrer erbarmungs­ * Der volle Wortlaut des Artikels findet sich im Dokumentenanhang.

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losen Gegner vorübergehend zu ihrer eigenen und riefen, ganz im Stile autoritätsgläubiger Spießbürger, nach der ihnen ver­ haßten kaiserlichen Justiz! Nun, die hohe Obrigkeit, so herausgefordert, reagierte sofort, doch natürlich nicht so, wie es die Sozialdemokraten gefordert hatten, im Gegenteil! Sofort nach Erscheinen des >Vorwärts< kam es zu einem hasti­ gen Telegrammwechsel zwischen Berlin und Essen, zu einer eiligen Absprache zwischen dem Reichskanzler und den Ber­ liner Krupp-Freunden, und dann setzten die Herrschenden ihren gutgeölten Justiz- und Polizeiapparat in Gang. Jedes Exemplar der Ausgabe des >Vorwärts< mit dem Artikel über Krupp, dessen die Polizei noch habhaft werden konnte, wurde beschlagnahmt. Wohnungen von >VorwärtsVorwärtsVorwärtsVorwärtsVorwärts< vom Oberstaatsanwalt schriftlich mitgeteilt wurde, er hätte sich zur Einstellung des Strafverfah­ rens entschlossen ** . . .! Die Öffentlichkeit war völlig verwirrt. Eben noch hatte Seine Majestät von Mord gesprochen; daraufhin war von namhaften Juristen mit Akribie nachgewiesen worden, das Verleumdungs­ verfahren gegen die intellektuellen Giftmischer müßte unbe­ dingt, mindestens auf Totschlag, ausgedehnt werden; es hatte der Dichter Ernst von Wildenbruch dem Kaiser in einem *** Brief überschwenglich dafür gedankt, daß er »das Scheusal, das verkappte« beim Namen genannt und den Sturm gegen die roten Verleumder entfacht hätte; es waren im ganzen KonzernBereich Unterschriften der »Kruppianer« gesammelt worden, die dem Kaiser »tiefempfundenen, ehrfurchtsvollen Dank« für sein hartes, energisches Eingreifen sagen sollten - zwei alt­ gediente Arbeiter bei Krupp-Gfuson, die ihre Unterschrift ver­ weigert hatten, waren sofort entlassen worden! -, und nun gab es nicht einmal ein Gerichtsverfahren wegen Verleumdung . . .! * Der volle Wortlaut des Einstellungsbescheides findet sich im Dokumentenanhang. ** siehe Dokumentenanhang. •** siehe Dokumentenanhang.

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Aber die Verwirrung legte sich bald wieder, denn nun tischte man den deutschen Zeitungslesern, als Ersatz für den entgange­ nen Prozeß, viele hübsche Geschichten auf, an denen sie sich er­ götzen und über die Schlechtigkeit dieser Welt entrüsten konn­ ten : »Das >Giornale d’Italia< erfährt authentisch, der nach Capri entsandte Untersuchungsrichter habe auf Grund der Klagen von Eltern zehn Fälle von Verführung Minderjähriger durch einen in Capri lebenden deutschen Untertan festgestellt. Gegen den letzteren wurde ein Haftbefehl erlassen. Gleichzeitig wird bemerkt, daß, während die genannten Vergehen vorfielen, Krupp nicht in Capri weilte.« Eine weitere »authentische Erklärung« kam von Herrn Asses­ sor Korn, dem Privatsekretär des Verstorbenen. »Durch seinen Freund, Cavaliere Serena, sei Krupp in einen capresischen Wahlkampf gezogen worden, weil der Sindaco * erklärt habe, von seinem Siege sei das künftige Verhalten des reichen Gastes abhängig. Die Gegenseite - eine Verbrecher­ organisation, deren Mitglieder jetzt in Neapel vor Gericht stän­ den - habe mit niederträchtigsten Beschuldigungen geantwor­ tet, indem sie ein gelegentliches harmloses Zusammensein von Herrn Krupp mit seinen capresischen und deutschen Bekannten in gemeinster Weise verdächtigte. Auch gebe es in Capri Per­ sonen, die sich geschädigt fühlten, weil Herr Krupp durch seine Hilfe einige kleine Leute aus ihren Wucherhänden befreit habe . . .« Die mit Abstand schönste Geschichte, weil sie überhaupt nicht auf die Capri-Affäre Bezug zu nehmen schien, erzählte jedoch Hofbiograph Meisbach: »Er war für seine Diener besorgt wie ein Vater und über­ wachte sie auch wie ein solcher. Oft schenkte er einem oder dem anderen ein Goldstück und sagte scherzend: Nun freuen Sie sich heute auch einmal! - Erfuhr er, daß von seinen Hausbeamten oder der Dienerschaft jemand erkrankt sei, so war es morgens sein erstes, sich danach zu erkundigen und, wenn der Fall schlimm war, den Kranken zu besuchen, und wäre es auch nur ein Stalljunge oder Wagenwäscher gewesen. In seiner Westentasche trug er stets lose eine Anzahl Zwanzig­ markstücke, die er an die Hofbediensteten, die mit ihm zu tun hatten, verteilte. - Er vergaß nie, die servierenden * Bürgermeister - Cav. Serena war übrigens nicht nur Gemeindevorsteher, sondern auch der Hotelier des »Quisisana«, wo l'ritz Krupp stets zu wohnen pflegte, wenn er Capri besuchte.

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Kellner ansehnlich zu beschenken, und die Küchenchefs, die Portiers, selbst der kleinste Page wurden . . . mit einem Ge­ schenk erfreut.« Diese wahrlich rührende Geschichte erschien just zu Weih­ nachten 1902. Vielleicht hat sich sogar Frau Marga Krupp davon über­ zeugt, daß es Fritz und auch Willy im Grunde nur gut mit ihr gemeint hatten, als sie sie zu dem freundlichen Professor nach Jena transportieren ließen . . .

Was tun . . . ?

Im Verlaufe des Jahres 1902 geruhten Seine Majestät Kaiser Wilhelm II. nicht nur, zwischen Kieler Woche und Fasanenjagd beim Fürsten Henckel-Donnersmarck, die leidige Affäre in Essen beizulegen, sondern betrieben auch in beträchtlichem Umfange Repräsentation und Außenpolitik, wobei häufig das eine mit dem anderen verwechselt wurde. Dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, »Teddy« Roosevelt, schickte der Kaiser eine Statue Friedrichs des Großen, ein freundliches Telegramm sowie seinen Bruder, den Prinzen Heinrich, zu einem Staatsbesuch. Dem Heiligen Vater in Rom, Leo XIII., der sich deutschen Pilgern gegenüber sehr lobend über das Wilhelminische Reich geäußert hatte - » . . . das Land in Europa, wo noch Zucht, Ordnung und Disziplin, Respekt vor der Obrigkeit und Ach­ tung vor der Kirche herrschen . . .« -, schenkte der erfreute Kaiser zur Belohnung eine prächtige Stutzuhr, die er dem Papst durch einen Generaloberst überreichen ließ. Auch das weltliche Rom wurde bedacht: Der Bürgermeister bekam vom Kaiser ein schönes, großes Goethe-Denkmal geschickt. Der kleine König von Italien, Viktor Emanuel II., der gerade erst auf den Thron geklettert war, durfte nach Berlin kommen, sich vorstellen, bekam einen freundlichen Empfang, eine Parade und eine Galavorstellung in der Oper, zu der der Kaiser - da es sich um den >Fliegenden Holländer handelte - Admirals­ uniform anlegte. Zur Krönung seines »hochnäsigen« Onkels, Eduard VII. von Großbritannien, eilte der Kaiser selbstverständlich nach Lon­ don, wo er, wie er Allerhöchstselbst zu bemerken geruhte, »einen sehr guten Eindruck« hinterließ. Onkel Eduards Sohn, zum Prinz von Wales aufgerückt, be­ kam im Potsdamer Garde-Kasino ein Frühstück und wurde vom Kaiser zum Regimentschef der blauen Dragoner ernannt, wofür er seinem Vetter »tief berührt Dank sagte«. Ein anderer Vetter, der Großfürst-Thronfolger Georg von Rußland, wurde ebenfalls freundlich empfangen und bewirtet, und am 8. August hatte dann der Kaiser seinen Vetter »Nicky«, Zar Nikolaus II., in Reval besucht, wo beide Majestäten 220

Schießübungen der russischen Ostseeflotte beiwohnten, sich auf ihren Jachten gegenseitig auf das liebenswürdigste bewirte­ ten und Artigkeiten sagten. Es war also, wie man deutlich sieht, ein für Willy arbeits­ reiches, aber auch außenpolitisch sehr erfolgreiches Jahr . . . Daß alle Empfangenen, Besuchten und Beschenkten - aus­ genommen Seine Heiligkeit - schon im nächsten Jahrzehnt gemeinsam und im Bunde mit Frankreich, Japan und einem Dutzend kleinerer Mächte ihre Armeen und Flotten gegen Willys Land- und Seestreitkräfte führen würden, ließ sich zwar Ende 1902 nicht nur von Pessimisten schon klar voraussehen. Aber er­ stens geruhten Seine Majestät der Kaiser, in dieser Hinsicht Opti­ mismus größten Ausmaßes walten zu lassen, und zweitens hätte ihn auch diese erschreckende Aussicht höchstens zu einem marki­ gen Ausspruch wie »Viel Feind, viel Ehr’!« oder dergleichen ver­ anlaßt, doch gewiß nicht an der eigenen außenpolitischen Be­ gabung und Leistung zweifeln lassen. Der Kaiser sah die Dinge eben anders, vor allem von einer sehr viel höheren Warte . . . Auch ließen ihn seine vielen monarchischen Verpflichtungen, die unzähligen Empfänge, Paraden, Jubelfeiern, Festessen, Regatten, Jagden und Gala-Veranstaltungen, zu denen er die jeweils passende Uniform anlegen und eine Rede halten mußte, kaum zu Atem kommen, so daß er sich um die rasch fortschrei­ tende Entwicklung, zumal im Ausland, nur wenig zu kümmern, neu aufkommende Tendenzen und Strömungen nicht so recht zu bemerken vermochte. Zudem interessierten sie ihn auch nur, insoweit seine eigenen Allerhöchsten Interessen oder die eines einigermaßen ebenbürtigen Monarchen sichtlich davon berührt wurden. Außenpolitik war für ihn im wesentlichen Familien­ politik . . . Rußland, zum Beispiel, das war seinem ganzen Emp­ finden nach nichts anderes als »Nickys Reich«, ein angenehm autokratisch regiertes Land, das später einmal ein noch ungebo­ rener Zarewitsch erben würde, und falls Nicky in nächster Zeit etwas zustoßen oder er zu seinen schon vier Töchtern nur noch weitere Mädchen bekommen sollte, dann eben der liebe, trink­ feste Georg, mit dem man gerade erst in Eckernförde so gemüt­ lich beisammen gewesen war . . .! Auf jeden Fall würde man wei­ ter, von Hof zu Hof, eng verwandt und befreundet bleiben. Andere Möglichkeiten faßten Majestät nicht ins Auge, und dabei war es, auch schon 1902, in Rußland keineswegs so ruhig gewesen, wie es bei dem vorzüglichen Kaviarfrühstück mit Nicky für Willy den Anschein gehabt hatte: 221

In ganz West- und Südrußland, besonders aber in Finnland, Polen, der Ukraine und sogar im Schwarzerde-Gebiet, war es zu Bauernerhebungen, Arbeiter- und Studentenrevolten, Atten­ taten und schweren Ausschreitungen gegen die zaristische Ver­ waltung gekommen. Überall hatten die Kosaken mit äußerster Brutalität eingreifen müssen, waren viele tausend Aufrührer und Demonstranten gehenkt, erschlagen, eingesperrt oder nach Sibirien verbannt worden. Aber es gärte weiter, und dahinter steckten gewisse Intellektuelle, die sich bemühten, die hungrigen und verzweifelten Massen politisch aufzuklären (aufzuhetzen, hätte der Kaiser verbessert . . .) Einer davon, der sich Trotzki nannte, war 1902 aus Sibirien geflohen und organisierte jetzt die Sozialistische Partei Ruß­ lands. Ein anderer, Maxim Gorki, hatte im selben Jahr ein so­ zialkritisches Werk mit dem Titel >Nachtasyl< vollendet. Und ein dritter, der dann übrigens fünfzehn Jahre später anstelle von Nicky über Rußland herrschen sollte, ein gewisser Lenin, war seinerseits durch eine Schrift mit dem Titel >Was tun?< hervor­ getreten . . . »Typisch . . .!« hätte Willy dazu bemerkt, wäre ihm Lenins Veröffentlichung zu Gesicht gekommen, »Revoltieren und dann fragen: Was tun? Kleine Leute wissen eben gar nicht, was sie wollen - man muß es ihnen sagen!« Und so hielt er fleißig Reden, Tag für Tag, bedeutende und etwas weniger bedeutende. Sein »oratorisches Meisterstück« des Jahres 1902 hatte der Kaiser in Aachen geliefert - so jedenfalls versicherten, von Blättern wie dem >Vorwärts< abgesehen, alle Zeitungen. Und der Kernsatz, landauf, landab tausendfach mit Vollbartstreichen und Kopfwiegen zitiert, lautete: »Zusammen müssen wir arbeiten, um dem germanischen Stamm seine gesun­ de Kraft, seine sittlichen Grundlagen aufrechtzuerhalten!« Beides, so hatte der Monarch erläutert, beruhte, neben der Anhänglichkeit an Thron und Altar, entscheidend auf kern­ gesundem Familienleben, wobei die Rollen gottgewollt und gerecht verteilt wären: dem Manne Sorge ums tägliche Brot, die Verteidigung des Vaterlandes, die alleinige Entscheidung in allen die Seinen betreffenden Fragen, der Frau ausschließlich häusliche Pflichten und die Erziehung der Kinder zu Vater­ landsliebe, Frömmigkeit und Gehorsam . . . Wenn der Kaiser noch einmal Rückschau hielt auf die Ereig­ nisse und Reden des Jahres 1902, konnte er, so fand er zumindest selbst, sehr zufrieden mit sich sein: Die Wehrkraft und die Flottenbegeisterung waren sehr verstärkt, die außenpolitische 222

Entwicklung in gesunde Bahnen gelenkt, die schreckliche Affäre mit Fritz war glänzend beigelegt, die Sozialdemokratie energisch in ihre Schranken gewiesen und allen Bürgern war in Aachen klargemacht worden, wie der Stamm gesund und kräftig erhal­ ten werden könnte und müßte. Und dabei fiel ihm ein, daß es in Essen doch noch etwas zu regeln galt: Sein Freund Fritz war ohne Nachfolger dahinge­ schieden - das war nicht gut! Das Unternehmen, Deutschlands Waffenschmiede und »vaterländische Anstalt« brauchte einen Herrscher an der Spitze, zu dem jeder Arbeiter aufschauen, der den größten deutschen Industriekonzern repräsentieren und dem Direktorium seine Befehle erteilen konnte. Übrigens, die Firma brauchte nicht nur einen neuen Mon­ archen, sondern auch einen Kanzlernachfolger, denn der Gehei­ me Finanzrat Jencke, ein Mann, der bis dahin auf Seine Majestät einen ganz vorzüglichen Eindruck gemacht hatte, war nach der Affäre sozusagen fahnenflüchtig geworden; er hatte sich, aus welchen Gründen auch immer, aus Essen abgesetzt . . . Nun, ein neuer Generaldirektor - das würde keine Schwierig­ keit machen. An Herrenmenschen mit den nötigen Fähigkeiten und guten Manieren gegenüber hohen Vorgesetzten herrschte gottlob kein Mangel . . . Aber, woher einen neuen Krupp nehmen. . . ? Nun, die Sache eilte nicht. Das Unternehmen lief auch ohne Jencke und Fritz auf Hochtouren weiter, produzierte fleißig Kanonen, Panzerplatten und jedes Jahr ein stolzes Kriegsschiff. Gewiß, es hatte 1902 einen leichten Rückschlag gegeben; die Umsätze waren von 101 Millionen auf 91 Millionen Mark gesun­ ken. Aber in den nächsten Jahren würde sich das schon wieder ausgleichen . . . (Tatsächlich verdoppelte und verdreifachte sich der Umsatz in den Jahren bis 1906, in denen die Firma Fried. Krupp ohne die gewohnte Führung auskommen mußte!) Das änderte jedoch nichts daran, daß der Essener Kanonen­ königsthron nicht verwaist bleiben durfte. Gerade, wenn es ohne einen Krupp an der Spitze steil aufwärts ging, konnte es gefähr­ lich werden. Wohin sollte es führen, wenn die «Leute« erst einmal bemerkten, daß es auch ohne angestammten Herrscher geht. . ?! Es kam gar nicht darauf an, einen genialen Kopf oder einen mit­ reißenden Führer zu finden - ganz im Gegenteil! Der Kaiser wußte aus der Geschichte seines Hauses und verwandter Dyna­ stien, daß nur gewisse Minimalanforderungen zu stellen waren, wenn ein Landesvater gesucht wurde . . .

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Da er der Lösung komplizierter Denksportaufgaben abhold war, weder Geduld hatte noch methodisch vorzugehen ver­ stand, ist es absurd zu glauben - wie es viele Biographen tun -, der Kaiser habe Allerhöchstselbst einen passenden neuen Krupp, einen neuen Herrscher über das Kanonenkönigtum und damit zugleich einen Ehegatten für Fritzens älteste Tochter Bertha gesucht und gefunden. Denn darum ging es: »Alleininhaberin« des gesamten Kon­ zerns wurde nach dem Hinscheiden ihres Papas die gerade sech­ zehnjährige Bertha, während ihre um zwei Jahre jüngere Schwe­ ster Barbara wie auch die Mutter mit zusammen etwa sechzig Millionen Mark abgefunden worden waren, jedoch in Werten, die nichts mit dem Unternehmen oder auch nur dem Essener Grundbesitz zu tun hatten. Es handelte sich also ausschließlich darum, dem Teenager Bertha, der seit dem November 1902 reichsten Privatperson Deutschlands, einen Prinzgemahl zu finden. Der Gedanke, daß sie sich vielleicht lieber selbst einen Mann gesucht hätte, wurde gar nicht in Erwägung gezogen, sowenig wie die Möglichkeit, der »Alleininhaberin« die Entscheidung darüber zu lassen, ob sie etwa unverehelicht bleiben und ihr Erbe selbst verwalten wollte. Für solche damals noch ultramodern, ja revolutionär er­ scheinenden Experimente war der Fall zu wichtig. Das Problem mußte dynastisch, das heißt, ausschließlich nach Gesichtspunk­ ten der Nützlichkeit für den Staat und das Unternehmen sowie der Erhaltung der angestammten Herrschaft und der allge­ meinen Disziplin, gelöst werden. Nehmen wir einmal an, der Kaiser hätte, da er sich selbst nicht den Kopf darüber zerbrechen wollte, die Lösung des Problems einem tüchtigen Generalstäbler, besser noch: einem erfahrenen Personalpolitiker des Auswärtigen Amtes übertragen. Wie wäre der mit dieser so ehrenvollen Aufgabe Betraute vor­ gegangen? Nun, er hätte sicherlich erst einmal bestimmte Grundüberlegungen angestellt, etwa so: Es war angebracht, das Fräulein Krupp recht bald zu ver­ heiraten, auf jeden Fall, bevor sie mündig würde, solange ihre Pensionatserziehung noch wirkte und sie noch keine Ansätze von Selbständigkeit entwickelt hatte. Der gesuchte Gatte konnte also, da ein Twen an der Spitze der »vaterländischen Anstalt« nicht wünschenswert war, nur erheblich älter als Bertha sein, am besten ein Mann von Mitte Dreißig . . . Sodann mußte der Bewerber ledig, Reichsbürger deutscher 224

Nationalität und Muttersprache sowie Reserveoffizier sein, zur besseren Gesellschaft gehören, auch auf internationalem Parkett auftreten können, durfte aber nicht, denn das hätte nicht zum Krupp-Image gepaßt, zur Hocharistokratie zählen. Am besten wäre ein evangelischer Westdeutscher gutbürgerlicher Herkunft oder von niederem Adel, ein höherer Verwaltungsbeamter oder noch besser ein Karrierediplomat . . . Er mußte - das war ein äußerst wichtiger Punkt, und man konnte da vielleicht diskrete Erkundigungen und ein fachärzt­ liches Zeugnis einholen - für kräftigen Nachwuchs sorgen kön­ nen, ohne den das Haus Krupp ja aussterben würde . . . Andererseits war es wünschenswert, daß der Zukünftige Berthas so phantasie- und leidenschaftslos wäre wie ein Akten­ bock ; er durfte, nicht einmal im Scherz, an die Möglichkeit eines neuen Skandals oder auch nur einer kleinen Affäre denken lassen . . . Der Auserkorene sollte schließlich noch - es ging ja um Hunderte von Millionen Mark und oftmals sehr geheime Dinge! - absolut zuverlässig, peinlich korrekt und nach Mög­ lichkeit knauserig sein, denn die junge Erbin mußte im Zaum gehalten werden . . . Weitere Eigenschaften? Nein, die waren eigentlich nicht gefragt . . . Kaisertreue, vaterländische, konser­ vative Gesinnung und autoritäres Auftreten gegenüber den »Leuten« verstanden sich nach der bisherigen Kennzeichnung bereits von selbst, desgleichen eine devote Haltung gegenüber dem allergnädigsten Landesherrn, und jedes Schillern einer Persönlichkeit wäre nur von Übel gewesen. Kurz, es mußte ein Mann sein, der befehlen und gehorchen konnte, mehr nach Möglichkeit nicht. Und da Berthas künftiger Gatte häufiger mit Seiner Majestät dem Kaiser in Berührung kommen würde, der Allerhöchstselbst niemals warten und sehr leicht ungeduldig werden konnte, sollte der Bewerber auch von äußerster Pünktlichkeit sein, Fahrpläne und Programme haar­ genau einhalten und zudem reiten, jagen, rasch essen, maßvoll trinken und stürmische Seereisen wie saftige Herrenwitze ver­ tragen können (denn Majestät geruhten sich sehr männlich zu geben . . .). Vielleicht wäre dem mit der Suche Beauftragten schon bei Stichworten wie »Fahrplan einhalten«, »Phantasielosigkeit« oder »peinlich korrekt« der geniale Einfall gekommen, vielleicht hätte er aber auch systematisch die Personalakten aller herkunfts- und altersmäßig in Frage kommenden Herren genau studieren müssen. Auf jeden Fall wäre er, da das Reservoir 225

beschränkt und das Ausleseprinzip rigoros war, über kurz oder lang auf denjenigen gestoßen, der alle Bedingungen auf das wun­ derbarste erfüllte (und vielleicht gar auch noch sein Korps­ bruder oder Regimentskamerad war...!): den Legationsrat an der Deutschen Botschaft beim Vatikan, Dr. jur. Gustav von Bohlen und Halbach! Trotz seines wohlklingenden Namens war dieser junge Kar­ rierediplomat kein Sproß eines Uradelsgeschlechts, sondern der Sohn gutbürgerlicher deutsch-amerikanischer Rückwanderer. Sein Vater, Gustav Halbach, entstammte einer Remscheider Fabrikantenfamilie, aus der ein jüngerer Sproß um 1820 in die Vereinigten Staaten ausgewandert war. Gustav Halbach senior, 1831 zu Philadelphia geboren, wurde zum Studium nach Europa geschickt, und es scheint, daß er bei dieser Gelegenheit gute Beziehungen zu einem jüngeren, später einflußreichen Mitglied des großherzoglich-badischen Hofes anknüpfen konnte. Jeden­ falls wechselte er später seine Nationalität, wurde Badener und Vertreter des Hofes von Karlsruhe im Haag, wo dann am 7. Sep­ tember 1870 - als fünftes von insgesamt zehn Kindern - Gustav junior geboren wurde. Frau Sophie Halbach, die Mama, war eine Kusine ihres Mannes, ebenfalls - 18 3 7 - in Philadelphia geboren und Tochter eines deutschen Einwanderers, der es in Amerika dann noch zu Wohlstand, hohem Ansehen und sogar zu militärischem Ruhm brachte. Obwohl er das als königlich-niederländischer General­ konsul und Kaufmann eigentlich gar nicht nötig hatte, führte er im Sezessionskrieg die 75. Pennsylvania Volunteers gegen die aufrührerischen Südstaaten und fiel in der zweiten Schlacht von Manassas. Sein Name war Henry Bohlen, und als die Tochter und der Schwiegersohn-Neffe, die Ende 1862 in Holland gehei­ ratet hatten, vom ruhmreichen Ende des wenige Tage zuvor gefallenen Papas erfuhren, beschlossen sie, sich Halbach-Bohlen oder besser noch: Bohlen-Halbach zu nennen und so den Namen des heldenhaften Colonel zu erhalten. Mehr als zehn Jahre später, genau eine Woche nach dem ersten Geburtstag von Gustav Junior, also am 14. September 1871, wurde Gustav senior, nun unter dem Namen von Bohlen und Halbach, in den erblichen Adelsstand erhoben. Das war fürwahr ein großer Tag für Gustav Halbach senior und seine Frau! Nun konnten die beiden ziemlich gewiß sein, daß die fünf Buben, die sie bis dahin hatten, und auch alle weite­ ren Kinder, die noch kommen sollten, Karriere machen würden, 226

denn nun floß ja - durch nichts als einen Gnadenerweis des seit neunzehn Jahren, anstelle seines entmündigten Bruders, das »Musterländle« Baden und seine 1,5 Millionen Untertanen re­ gierenden Großherzogs Friedrich - wie durch ein Wunder plötz­ lich blaues Blut in ihren Adern ... 1 (Dieses Wunder war sogar noch dreimal größer, wenn man bedenkt, daß das damals Baden regierende großherzogliche Haus seine Souveränität, und damit erst das Recht, solche Standeserhöhungen vorzunehmen, gleichfalls mehreren, noch gar nicht weit zurückliegenden Mirakeln verdankte: Knapp fünf­ undfünfzig Jahre zuvor waren die als eigentliche Thronerben in Frage kommenden Prinzen unter sehr mysteriösen Umstän­ den gestorben, einer vielleicht auch nur - unter dem Namen Kas­ par Hauser später wieder auftauchend - vertauscht und verbor­ gen worden, wodurch der Thron an ihren, aus nicht standes­ gemäßer Verbindung ihres Papas stammenden Halbbruder fiel. Doch auch der Thron, um den es ging, war zu dieser Zeit erst gerade ein Jahrzehnt alt und nur durch die Laune eines Mannes geschaffen worden, der seine Fähigkeit, Kronen zu verschenken und unbedeutende Provinzler in den exaltierten Rang europä­ ischer Souveräne zu erheben, ganz aus eigener Kraft entwickelt hatte: Napoleon Bonaparte . . .) Das alles war den Halbachs, pardon!, den von Bohlen und Halbachs, jedoch völlig gleichgültig, und sie sollten, was die Förderung der Karriere ihrer Kinder durch diese Nobilitierung anbetraf, recht behalten. Soweit sie nicht schon jung starben, stiegen sie samt und sonders gesellschaftlich auf in jene seltsame Schicht von meist unbegüterten, aber sehr hochnäsigen Klein­ adligen, die als Hofbedienstete, Verwaltungsbeamte und Offi­ ziere die Herrschenden vom gewöhnlichen Volk deutlich ab­ grenzten : Alwyn, der Zweitälteste Sohn, der unverehelicht blieb, wurde diensttuender Kammerherr beim Großherzog von Luxemburg; Harry, der drittälteste, avancierte zum Rittmeister beim 1. ba­ dischen Leibdragonerregiment in Karlsruhe; von den jüngeren Schwestern heiratete die eine, Karoline, den preußischen Garde­ kürassier-Major von Winterfeld, eine zweite, Emily, den dienst­ tuenden Kammerherrn Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Großherzogin von Baden, Freiherrn Goeler von Ravensburg, und der jüngste Bruder, Kurt, folgte Harry zu den Leibdrago­ nern nach Karlsruhe, selbstverständlich ebenfalls als Offizier. Blieb noch Gustav junior, der für Bertha Krupp auserkorene 227

Bräutigam. Auch er diente als Einjährigfreiwilliger bei den ba­ dischen Leibdragonern, blieb dann noch ein Jahr als Leutnant in Bruchsal, erwarb sich am badischen Hof den Dienstgrad eines großherzoglichen Kammerjunkers, studierte in Freiburg, Lau­ sanne und Straßburg Rechtswissenschaft, promovierte zum Doktor juris und trat schließlich in den badischen Verwaltungs­ dienst ein. Im Jahre 1898 wechselte der inzwischen siebenundzwanzig­ jährige »Taffy«, wie er seit seiner frühesten Kindheit genannt wurde, aus dem badischen in den Reichsdienst über und wurde, nachdem er die vorgeschriebene Prüfung bestanden hatte, vom Auswärtigen Amt übernommen und zunächst als Legations­ sekretär an die Deutsche Botschaft in Washington, dann an die Gesandtschaft in Peking entsandt, schließlich als Legationsrat an die königlich preußische Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl versetzt, was als nicht übermäßig aufregend, aber ehrenvoll galt. Über »Taffys« diplomatische Lehr- und Wanderjahre, insge­ samt acht, wissen die Kruppschen Haus- und Hofbiographen zu vermelden, der junge Herr von Bohlen und Halbach wäre ein in den Formen vorbildlicher, aber recht reservierter Beamter von straffer Haltung, großem Pflichtbewußtsein und exempla­ rischer Korrektheit gewesen. Seine Kollegen nannten ihn einen öden Streber; die Amerikaner, mit denen er in Washington in Berührung kam, wußten mit »Taffy« nichts anzufangen und be­ zeichneten ihn als einen langweiligen kleinen Snob; ob auch die Chinesen ähnlich über ihn dachten, ist bedauerlicherweise nicht überliefert (oder sie waren, was wahrscheinlicher ist, viel zu höflich, sich darüber zu äußern), und bei den Prälaten, Künstlern und Diplomaten Roms stand der kleine, schmallippige, feingliedrige und ladestocksteife, vermutlich in ein strammes Korsett geschnürte preußische Legationsrat in dem Ruf, im Vergleich zu ihm wäre jeder noch so pergamenttrockene und verstaubte Kanzleidiener der päpstlichen Ritenkongregation ein heißblü­ tiger, ausgelassener Springinsfeld. Krupp-Hasser, die nun-da es, außer »König Alfreds« schrulli­ gem Bruder in Bonn und zwei Neffen in Wien, die alle drei bald darauf ohne Nachkommen starben, keine lohnenden Objekte an männlichen Krupps mehr gab - zu eingeschworenen Bohlen-undHalbach-Feinden wurden, berichten hämisch, »Taffys« Tagebuch­ aufzeichnungen über die erregenden Tage des Boxeraufstands, die er in Peking miterlebte, hätten »das Feuer und den Reiz eines aus einem Gesundheitsamt stammenden Jahresberichts«. 228

Das ist gewiß hübsch formuliert, aber - was sicherlich gar nicht in der Absicht eines (ersatzweisen) Bohlen- und-HalbachHassers gelegen haben kann - noch ein wahrlich unverdientes Kompliment! Denn gar nichts an (oder von) »Taffy« hatte je­ mals etwas, das die Bezeichnung »Feuer« oder »Reiz« verdient, nicht einmal in den bescheidenen Maßen dessen, was gesund­ heitsamtliche Jahresberichte ihren mehr oder weniger geneig­ ten Lesern normalerweise bieten. Forschungen ergaben, daß sich in »Taffys« Bekannten- und Verwandtenkreis niemand erinnern konnte oder kann, bei ihm jemals auch nur einen Anflug von Humor entdeckt oder ihn ohne speziellen, karrierefördernden Anlaß freundlich gesehen zu haben. Erkundigungen nach irgendwelchen sympathischen Eigenschaften des offenbar recht ernsten und strebsamen Man­ nes förderten zutage, daß er »wohl für Pferde etwas übrig ge­ habt« haben muß, auch daß seine kühle Reserve möglicherweise weniger auf Überheblichkeit denn auf Schüchternheit beruht haben könnte. Aber zu mehr Zugeständnissen schien niemand bereit. Allenfalls rühmt man seine unerhörte Genauigkeit und Pünktlichkeit, seine pedantische Planung auch der nichtigsten Angelegenheiten . . . Bei alledem klingt es wenig glaubhaft, daß sich »Taffy« und Bertha bei ihrer ersten, angeblich zufälligen Begegnung Hals über Kopf ineinander verliebt und dann nicht geruht und ge­ rastet haben sollen, bis man ihnen gestattete, miteinander die Ehe einzugehen. Und doch sprechen die Hofbiographen kühn von »Glücklicher Fügung« und »Liebe auf den ersten Blick«, wobei sie vorsorglich hinzufügen, daß sich Berthas Mutter, die schwergeprüfte Frau Marga, ehe sie die Einwilligung zur Hochzeit gab, gründlich davon überzeugt habe, »daß die jungen Leute eine herzliche Zuneigung verbindet; daß sie in Wesen und Denkweise des Bräutigams nicht eine Spur von Berechnung ent­ deckt; daß menschlich von beiden Seiten die Voraussetzungen zu einer glücklichen Verbindung gegeben scheinen . . .« Tatsächlich war die knapp zwanzigjährige Bertha im Frühjahr 1906 zusammen mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Bar­ bara aus dem Töchterheim in Baden-Baden genommen worden, wo es - so weiß sich Barbara zu erinnern - »furchtbar langweilig« gewesen war und wo die jungen Damen vornehmlich »Kochen, Nähen, Haushaltsführung, Bügeln«, vermutlich auch Backen, Einmachen und feine Nadelarbeiten gelernt hatten, dazu jenes grauenhafte, doch für damalige »höhere Töchter« obligatorische 229

Mindestmaß an Klavierspiel . . . Sie waren dann zusammen, zu ihrer großen Freude und Überraschung, sogleich auf eine Italien­ reise geschickt worden, natürlich mit ihrer Mama und standes­ gemäßer Begleitung, wobei der eigentliche Zweck des Urlaubs in »Studien« bestehen sollte, unter anderem auch in einem Be­ such des meereskundlichen Instituts von Neapel, mit dem der verstorbene Papa in so engem wissenschaftlichen Kontakt ge­ standen hatte. Nun, die Schwestern Krupp kamen gar nicht erst bis Neapel; die Reise endete schon in Rom. Dort hatte man Aufenthalt ge­ macht, um antike Denkmäler, Kirchen und, soweit nicht un­ passend, Gemälde zu besichtigen. Ja, und wohin wenden sich studienbeflissene Damen aus Essen, wenn sie sich in Rom ein wenig informieren wollen oder ihnen an einem wissenschaft­ lichen oder musischen Gedankenaustausch gelegen ist? Nun, wenn wir den Hofbiographen Glauben schenken wollen, na­ türlich an die königlich-preußische Gesandtschaft beim Heili­ gen Stuhl, wo sie mit großer Freundlichkeit aufgenommen und zu einer kleinen Soiree eingeladen wurden, bei welcher Gelegen­ heit dann die ältere der beiden Schwestern, die etwas zu lang ge­ ratene, viel zu hagere und zudem ihrem Großvater Alfred Krupp in den Gesichtszügen leider sehr ähnliche Bertha, den Vorzug hatte, sogleich von dem sonst sehr reservierten, überkorrekten, mehr als einen Kopf kleineren und ebenso geist- wie humorlosen Legationsrat Gustav von Bohlen und Halbach in Beschlag ge­ nommen und im Sturm erobert zu werden . . .! Bis dahin hatte es, so wird glaubhaft versichert, auch von der über diese Zeit wohlinformierten und von den römischen Ereignissen völlig überraschten jüngeren Schwester, in Berthas Leben noch nie eine Romanze gegeben. Ob das, was sich entwickelte, als solche bezeichnet werden kann, muß bezweifelt werden: Im Frühsom­ mer, schon bald nach der Rückkehr Berthas und Barbaras aus Italien und nachdem Frau Marga Krupp einer Verlobung ihrer ältesten Tochter mit dem Herrn Legationsrat von Bohlen und Halbach »nach sehr reiflicher Prüfung« zugestimmt hatte, er­ schien plötzlich wieder der Kaiser in Essen, der sich seit Fritz Krupps Beerdigung dort nicht mehr hatte sehen lassen, bezog die stets für ihn reservierten Gemächer der »Villa Hügel«, zeigte sich, wie die Hofbiographen übereinstimmend versichern, ungemein »leutselig« und verlieh Frau Marga, wohl als äußeres Zeichen dafür, daß er ihren »Mangel an Haltung« in der leidi­ gen Affäre ihres verewigten Gatten allergnädigst verziehen

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hatte, den von ihm selbst 1896 gestifteten Wilhelmsorden »für hervorragende Verdienste um die Wohlfahrt und Veredelung des Volkes«. Dann erkundigte er sich »nachdrücklich«, wann denn nun Berthas Hochzeit wäre, genehmigte »sichtlich zufrie­ den« das festgesetzte Datum, den 15. Oktober 1906, und kün­ digte seine Teilnahme an - mit großem Gefolge . . . Er kam dann tatsächlich, brachte auch gleich seinen Bruder, den populären Seebären Prinz Heinrich, mit, auch den Reichs­ kanzler, Fürst Bernhard von Bülow, sowie zwei Dutzend Minister, Generale, Admirale, Flügeladjutanten und Hofbeamte. Er hielt eine Rede, bei der er die junge Frau von Bohlen und Halbach mit »Meine liebe Bertha!« anredete, daran erinnerte, daß ihr Vater sein »teuerer und geliebter Freund« gewesen wäre und auch klarstellte, was er von der hageren, gerade erst vom Teenager zum Twen gereiften Braut erwartete: »Möge es Ihnen, meine liebe Tochter, gelingen, das Werk auf der erreichten Höhe zu halten, auf die es gehoben worden ist, unserem deutschen Vaterland auch fernerhin Schutz- und Trutzwaffen zu liefern, welche in Fabrikation wie in Leistungen nach wie vor von kei­ ner Nation erreicht werden . . .« Und: »Wenn Sie durch Ihre Fabrikräume schreiten, möge der Arbeiter in dankbarer Liebe die Mütze vor Ihnen lüften . . .« Es war eine sehr schöne Rede, bei der nur der Bräutigam erheblich zu kurz kam, doch auch ihm wurde, ehe der Kaiser mit seinem ganzen Gefolge Essen wieder verließ, noch eine un­ erhörte landesväterliche Gunst zuteil: Er und seine Frau durften sich fortan Krupp von Bohlen und Halbach nennen und diesen Namen mitsamt dem Unternehmen dem jeweils ältesten Sohn künftiger Geschlechter vererben . . .! Das war, sozusagen, der krönende Abschluß einer Märchen­ hochzeit, die ansonsten für die Teilnehmer sehr anstrengend ge­ wesen war, denn Seine Majestät hatten sich mehrere Stunden lang nicht zu setzen geruht, weshalb alle, auch die ältesten und steifsten Herren und die korpulentesten, unter Krampfadern leidenden Damen gezwungen gewesen waren, stehend und in gebührender Entfernung von Allerhöchstdemselben auszuhar­ ren . . . Doch das war ihr persönliches Mißgeschick; die Presse und infolgedessen auch das Volk waren sehr zufrieden, und die Zei­ tungen zeigten sich sogar ausnahmsweise galant, indem sie die junge Braut, die gewiß keine Schönheit und nach dem Geschmack der Zeit viel zu mager und knochig war, als »eine blühende, 231

madonnenhafte Erscheinung« schilderten, »mit allen Vorzügen ausgestattet, die ein ungetrübtes Eheglück zu verbürgen im­ stande sind . . .«, als »eine Gesellschaftsblume von frischem Aus­ sehen und guter Körperbildung . . .« Übrigens, schon am nächsten Tage hatten die Zeitungen wieder neuen, sensationellen Stoff: In Berlin war es einem alten, sehr heruntergekommenen und vielfach vorbestraften Schuster gelungen, sich mit einer alten, ausrangierten Hauptmannsuni­ form, die ihm dürftig paßte, soviel Respekt zu verschaffen, daß er einer Korporalschaft Wachsoldaten befehlen konnte, unter seinem Kommando das Rathaus der Vorstadt Köpenick zu be­ setzen, Bürgermeister und Kämmerer festzunehmen und als Gefangene nach Berlin abzuführen sowie die Stadtkasse zu zwingen, ihm, dem falschen Hauptmann, ohne Widerrede alles vorhandene Geld auf Heller und Pfennig gegen (von ortho­ graphischen Fehlern strotzende) Quittung auszuhändigen! Nach diesem tollen Streich, über den ganz Deutschland mehr oder weniger heimlich lachte, war er dann unerkannt verschwunden . . . Auch der Kaiser geruhte, über den »Hauptmann von Köpe­ nick« zu lachen und sich sogar, ganz zufrieden, die Schnurrbart­ enden zu zwirbeln, denn der an sich natürlich empörende Vor­ fall zeigte ihm doch auch, wie erfreulich gut seine Deutschen gelernt hatten, nicht zu denken, sondern beim Anblick jedweder Uniform nur stramm zu gehorchen . . . Einer indessen hätte nicht einmal unter diesem von aller­ höchster Stelle genehmigten Aspekt den Streich des Schusters Wilhelm Voigt zu belächeln vermocht: der am Vorabend der Köpenickiade zum Krupp beförderte junge Ehemann, der jetzt alle Hände voll zu tun hatte. Es gab so entsetzlich viel zu regeln, zu entscheiden und protokollgerecht zu erledigen: Es hieß nun den diplomatischen Dienst zu quittieren, seine Stellung im Un­ ternehmen seiner Frau statutengerecht einzunehmen, die Woh­ nung im Haupthaus der »Villa Hügel« zu beziehen, das - seit Fritz Krupp es gewagt hatte, die steinernen Wände mit Holz­ täfelungen zu verkleiden - eine Spur weniger kalt und ungemüt­ lich war als ehedem, tausend dienstliche und private Verpflich­ tungen peinlich korrekt zu erfüllen, wobei zu den letzten vor allem gehörte, Bertha umgehend in gesegnete Umstände zu bringen. Es war ein unerhörtes Pensum, das sich »Taffy« auferlegte, und er fühlte sich den Anforderungen kaum gewachsen, zumal er ja, seiner ganzen Natur nach, alles äußerst pünktlich, zuverläs232

sig und pedantisch genau erledigen wollte. So entwarf er sich denn einen nach Minuten eingeteilten Plan für die ganze Woche, den er jeden Abend - während einer gleichfalls genau festgeleg­ ten Zeit - für den folgenden Tag noch einmal minuziös über­ prüfte und nötigenfalls in Details abänderte und ergänzte. Dabei gab es bestimmte sich täglich wiederholende, unumstößliche Programmpunkte: Morgentoilette - selbstverständlich untergliedert nach Ein­ zelverrichtungen -, Ausritt und Frühstück, alles nach Minuten eingeteilt, gehörten zu diesen Invarianten. Der morgendliche Imbiß fand beispielsweise von genau 7.15 bis 7.50 Uhr statt. Während dieser Viertelstunde hatte die Dienerschaft, auch wenn Gäste im Haus wohnten, die Türen des Frühstückszimmers ab­ zuschließen. Wer mit dem Hausherrn den Morgenkaffee ein­ nehmen wollte, aber zu spät kam, mußte eben warten, bis »Taffy« das Zimmer verließ und, Punkt 7.31 Uhr, in den wartenden Wagen stieg, der bereits anzurollen hatte, bevor der Diener den Schlag hinter ihm geschlossen hatte . . . Die Mittagsmahlzeit wurde stets mit Gästen eingenommen, mit denen irgend etwas zu besprechen war und die, wenn sie nicht im Hause wohnten, nicht mit dem eigenen Wagen zum »Hügel« kommen durften, weil es den exakten Zeitplan hätte stören können, wenn sie auch nur um einige Minuten zu spät eingetroffen wären. Sie wurden also von gutgedrillten Kruppschen Bediensteten mit Pferdekutschen, von 1908 an mit Automobilen, sehr früh­ zeitig abgeholt und um Punkt 13.29 Uhr vor dem Hauptportal der »Villa Hügel« abgesetzt. Von 13.30 bis 13.40 Uhr konnten sie alsdann der Dame des Hauses ihre Blumen überreichen, sich von »Taffy« und Bertha begrüßen und mit den anderen Gästen bekannt machen lassen. Dann wurde eilig zu Tisch gebeten. Für Mahlzeit und Unterhaltung standen genau fünfunddreißig Minuten zur Verfügung, doch wer zu viel redete, dem konnte es leicht geschehen, daß er - trotz der vielen Köstlichkeiten, die in reichen Mengen serviert wurden - hungrig blieb, denn sobald der Hausherr, der ein mäßiger, aber rascher Esser war, einen Gang beendet hatte, rissen die Diener, genau wie am Hofe Seiner Majestät des Kaisers, wo »Taffy« diese wunderbare, zu­ gleich autoritätsfestigende und zeitsparende Methode bewun­ dert und nachzuahmen beschlossen hatte, jedem am Tisch, ob er noch essen wollte oder nicht, einfach den Teller fort und ser­ vierten das nächste Gericht. 233

Um 14.15 Uhr wurde die Tafel aufgehoben und im Salon nebenan der Mokka gereicht. Da für dieses Zeremoniell, ein­ schließlich höflicher Dankesworte der Gäste für die liebenswür­ dige Bewirtung und allgemeiner Verabschiedung, nur vierzehn Minuten eingeplant waren, hatte die Dienerschaft streng darauf zu achten, daß der Kaffee ja nicht zu heiß eingeschenkt wurde, vielmehr gerade noch so warm, daß jeder ihn eilig austrank, ehe er völlig erkaltet war. Und mit dem Glockenschlag halb drei wurden die Eingeladenen wieder nach Hause kutschiert . . . Das Nachmittagsprogramm war genauso streng eingeteilt - jeweils zehn Minuten für die Berichterstattung der einzelnen Ressortchefs der »Hügel«-Verwaltung und, falls nötig, des Konzerns, Besichtigung einer neuen Stute, Ehrung verdienter Jubilare, Besuch irgendeiner neuen Einrichtung oder Ent­ gegennahme von Anliegen des Oberbürgermeisters - bis zum Umziehen zum Abendessen, für das genau fünfzig Minuten angesetzt waren, es sei denn, es handelte sich um ein hochoffiziel­ les Diner mit wichtigen Kunden, in welchem Falle die Tafel nicht um 21.15 Uhr, sondern erst um 21.45 Uhr aufzuheben war. So blieben dann noch exakt dreißig Minuten für kleine Konversa­ tion, und Punkt 22.15 Uhr zogen sich Gustav und Bertha in ihr eheliches Schlafgemach zurück . . . Natürlich bedurfte es zur Gewährleistung des reibungslosen und absolut pünktlichen Ablaufs solcher täglichen Programme eines großen, guteingespielten Apparats, und tatsächlich ver­ fügte die »Villa Hügel« über rund hundertzwanzig Bedienstete beiderlei Geschlechts, nicht eingerechnet die Wagenmeisterei, die Stallburschen, Gärtner und zahllosen Handwerker. Allein die beiden Küchenchefs hatten zwei Dutzend Hilfsköche, Küchenjungen und Geschirrspülerinnen; es gab Oberheizer, Heizer und Hilfsheizer; eine Aufseherin der Privatwäscherei und eine andere, die für die Haus- und Personalwäsche zuständig war; eine Beschließerin wachte in jedem Stockwerk über Bettund Tischwäsche und beaufsichtigte das Reinigungspersonal, und natürlich hatte der »Hügel« auch seine eigene Feuerwehr, seinen privaten Ordnungs- und Sicherheitsdienst sowie eine Art Hausministerium, das Richtlinien ausarbeitete und für alles und jedes Anordnungen erließ . . . Natürlich standen Bertha und ihre Mutter, die wieder ins »Kleine Haus« übergesiedelt war, »Taffy« bei seinen zahllosen repräsentativen und sonstigen Verpflichtungen sowie bei der Oberaufsicht über den riesigen privaten Haushalt helfend zur

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Seite, wobei Bertha sich bald aus eigenem Antrieb eine Aufgabe besonderer Art stellte: die rigorose Unterdrückung jedweder sexueller Beziehungen der zahlreichen, unter ihrem Dach leben­ den Dienerschaft. Es wurde dem Personal streng verboten, sich während der Ruhezeiten, insbesondere aber nachts, aus der eigenen Kammer zu entfernen oder gar durch die Korridore zu streifen, und es gehörte, so weiß Norbert Mühlen zu berichten, zu Berthas »selbstgewählten Pflichten, sich nachts in der Nähe der Personalschlafräume aufzuhalten. Die langen Reihen kleiner Kammern befanden sich in zwei verschiedenen Flügeln des Hauses, getrennt nach Geschlechtern und nur durch eine eiserne Brücke verbunden. Sah sie einen Diener in dem Korridor, der von dem einen zum anderen Flügel führte, entließ sie ihn auf der Stelle . . .«. Bertha zählte auch jede Woche gewissenhaft das gesamte Tafelsilber sowie die Tisch- und Bettwäsche, und wehe der Dienerschaft, wenn ein Stück fehlte! Aber trotz dieser und mancher anderen Entlastung, die sie im Rahmen dessen, was einer Frau damals gestattet war, dem lieben »Taffy« zuteil werden ließ, hatte dieser noch wahrlich genug zu tun! Er, der Gespräche haßte und weder rauchte noch trank, mußte tagaus, tagein, mittags und abends Gäste bewir­ ten . . . Man verlangte von ihm, der doch so peinlich korrekt war, täglich Hunderte von Unterschriften unter alles mögliche, darunter Dinge, die sein langsamer Verstand gar nicht so rasch erfassen konnte . . . Und was das Schlimmste von allem war: Er konnte sich, was die ihm doch absolut notwendige Pünktlichkeit betraf, auf niemanden verlassen . . .! Das Personal der Konzern-Hauptverwaltung, die Dienerschaft auf dem »Hügel« und die Mehrzahl der Gäste ließen sich durch strenge Auslese und Eliminierung aller Unpünktlichen zwar einigermaßen zufriedenstellend erziehen. Aber es gab ja - leider - auch noch eine Außenwelt, die Kruppscher Einflußnahme mitunter ent­ zogen war. Da gab es zum Beispiel die Kirche, die die Uhren an den Glockentürmen der Gotteshäuser bedenkenlos ein paar Minuten vor- oder nachgehen ließ, weil die Pfarrer mehr an die Ewigkeit dachten als an Herrn Dr. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach auf dem »Hügel«, der sie an ihre irdischen Pflichten erst durch Streichung vorgesehener Spenden gemahnen muß­ te .. . Und da gab es die Reichspost, die Ferngespräche häufig nicht schnell genug vermittelte, dadurch »Taffys« Minutenplan über den Haufen warf und dann auch noch die Zeit falsch berech­ nete, wie der stets mit Stoppuhr und Gebührentabelle ausgerü­ 255

stete Kunde auf dem »Hügel« empört feststellen mußte. Zum Glück waren die Beziehungen des Hauses Krupp zu den ober­ sten Behördenchefs gut genug, auch hier immer wieder Ord­ nung zu schaffen, aber es herrschte nun beim Essener Fernamt (und in der Telefonzentrale der Firma Krupp erst recht) stän­ diger Personalwechsel, und die ohnehin nervösen Fräulein vom Amt wurden hysterisch, wenn sie den Klappenschrank mit »Taffys« Leitungen übernehmen sollten . . . Den meisten Ärger aber bereitete der überpünktliche Gustav der Reichsbahndirektion, mit der er in beinahe ständigem Kon­ takt stand, mal wegen der Verspätung eines Gäste bringenden D-Zuges um fast zehn Minuten, die es dann an der Mittagstafel und beim Mokka durch den Gastgeber wieder einzuholen galt, mal wegen nicht auf die Sekunde pünktlicher Gestellung eines Salonwagens, meist aber wegen falsch angegebener Anschluß­ zeiten oder auch einfacher Druckfehler im amtlichen Kursbuch, das Dr. Gustav Krupp von Bohlen und Halbachs bevorzugte, neben der Zeitungsberichterstattung über Kaiserreden wohl auch einzige Lektüre bildete . . . Keine Äußerung Seiner Maje­ stät ließ sich »Taffy« je entgehen, wogegen er vom Reichstag und anderen »Niederungen der Politik« keine Notiz nahm. Denn er war - wie hätte es anders sein können? - für straffe, autoritäre Führung und absolute Monarchie, zudem - darüber sind sich Fans und Hasser ausnahmsweise einig - noch »majestätsgläubi­ ger«, als es die Deutschen in jenen Jahren, soweit sie »zur Ge­ sellschaft« gehörten, ohnehin waren. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hatte »Taffy« die Worte des Kaisers, daß er für eine Erhaltung des Stammes zu sorgen habe, als eine heilige Verpflichtung aufgefaßt. Neun Monate und einige Tage nach seiner Vermählung mit Bertha konnte er bereits das erste Kommunique herausgeben, das seine Pflichttreue und Pünktlichkeit unter Beweis stellte: »Hügel, am 13. August 1907, 14 Uhr 15. Dem Direktorium drängt es mich zugleich im Namen meiner Frau in erster Stunde mitzuteilen, daß uns soeben ein kräftiger Junge geboren wurde, dem wir in Erinnerung an seinen großen Ahnen den Namen Alfried beilegen wollen. Möge er in den Kruppschen Werken aufwachsen, in praktischer Arbeit sich die Grundlagen schaffen zu der wichtigen Übernahme der ver­ antwortungsvollen Pflicht, deren Größe ich mit jedem Tage mehr erkenne.« Natürlich ließ es »Taffy« nicht mit dem kleinen Alfried be­ 236

wenden. Es kamen in rascher Folge noch viele weitere Kinder dazu: ein Jahr später noch ein Sohn, Arnold, der allerdings schon im folgenden Jahr wieder starb; dann, 1910, Claus, 1912 Irm­ gard, 1915 Berthold, 1916 Harald, 1920 Waldtraut und 1922 Eckbert. . . Mit sechs Söhnen und zwei Töchtern gaben sich »Taffy« und Bertha dann zufrieden. Der Fortbestand der Dyna­ stie war aufs beste gesichert. Natürlich schufen diese Kinder auch häusliche Probleme: Im Stundenplan mußten einige Minuten vorgesehen werden, in denen sich der Vater mit dem Nachwuchs pflichtgemäß zu be­ schäftigen hatte. Später wurde, für alle Kinder zusammen, eine Stunde eingeplant, in der, einmal wöchentlich, der Papa den Sprößlingen mittels einer immens komplizierten und ausge­ dehnten, einen ganzen Saal der Gemäldegalerie im zweiten Stock der »Villa Hügel« füllenden elektrischen Spielzeugeisen­ bahn beibrachte, was er unter Genauigkeit, Zuverlässigkeit und vor allem Pünktlichkeit zu verstehen beliebte. Es wurden Fahr­ pläne ausgetüftelt, ihre präzise Einhaltung mit der Stoppuhr in der Hand kontrolliert, und es hatte, nach Alter und Geschlecht hierarchisch gestaffelt, jedes Kind eine bestimmte Funktion zu übernehmen . . .

Ab und zu kam Seine Majestät der Kaiser zu Besuch auf den »Hügel«, warf dann natürlich alle sorgsam ausgeklügelten Mi­ nutenpläne über den Haufen - aber das störte »Taffy« nicht. . . Der allergnädigste Landesherr hatte nicht nur das Recht, son­ dern geradezu die Pflicht, auf niemanden Rücksicht zu nehmen !und sprach sich stets sehr lobend über das aus, was er »die Lei­ stungen des neuen Herrn« zu nennen geruhte. Entsprechend überschüttete der Kaiser die Familie und insbesondere Gustav mit Auszeichnungen aller Art: Seine Majestät übernahmen Allerhöchstselbst die Patenschaft des Erstgeborenen und erschienen zur Taufe des kleinen Alfried mit riesigem Gefolge. Im Verlaufe der nächsten Jahre wurde »Taffy« unter anderem Rittmeister der Reserve der Leib-GardeHusaren, dem neben dem Garde-du-Corps exklusivsten Regiment des Reiches, Vizepräsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, königlich-preußischer Au­ ßerordentlicher Gesandter und Bevollmächtigter Minister, Rechtsritter des Johanniterordens und Ritter des RotenAdler-Ordens 2. Klasse mit Eichenlaub und Königlicher Krone. Er bekam auch das Komturkreuz 1. Klasse des Preußischen 237

Hausordens von Hohenzollern, und der Großherzog von Ba­ den, der auch etwas beisteuern wollte, ernannte seinen einstigen Kammerjunker nun, unter gleichzeitiger Auszeichnung mit dem Kronen-Orden 2. Klasse, zu seinem Kammerherrn . . . Zur Hundertjahrfeier der Firma Fried. Krupp, die »Taffy« nicht am 20. November 1911 begehen wollte, dem Tage, an dem sich eine Narretei des Urgroßvaters seiner Bertha zum hundertsten Male jährte, sondern lieber fünf Monate später, am 26. April 1912, dem hundertsten Geburtstag des von ihm hochverehrten Alfred, kam Seine Majestät der Kaiser selbst­ verständlich auch, und diesmal brachte »Willy«, außer seinem üblichen Gefolge, sämtliche Prinzen seines Hauses, den neuen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg und dessen ganzes Kabinett, ferner die gesamte Generalität des Reiches und alle Admirale mit zu Krupp nach Essen . . .! Die Vorbereitungen nahmen »Taffy« monatelang in An­ spruch, galt es doch nicht nur, eine lange Rede zu halten, son­ dern auch ein Festprogramm zu entwerfen, das, über drei volle Tage verteilt, dem so wunderbaren Ereignis gerecht wurde, daß ein Unternehmen alle Versuche von drei Krupp-Generatio­ nen, es zugrunde zu richten, überstanden und sich der vierten Generation zum Trotz weiter prächtig entwickelt hatte. Der Höhepunkt des Festes war für den dritten Tag geplant und sollte in besonders glanzvoller und würdiger Weise die Bedeutung des mächtigen Industriekonzerns für das moderne Deutschland unterstreichen. Und was dachte sich »Taffy« dafür aus . . .? Nun, ein mittelalterliches Ritterturnier, keine bloße Imitation, sondern - inmitten der Hochöfen, Fabrikschlote und Förder­ türme des Ruhrreviers - einen echten Wettstreit gepanzerter und mit Schwertern und Lanzen bewaffneter edler Herren zu Pferde, dazu eine historisch genau kostümierte Komparserie von Ritterfräulein, Vasallen, Pagen und Leibeigenen, die letzten natürlich dargestellt von altgedienten »Kruppianern«, das Ganze umrankt von einem Laienspiel, an dem »Taffy« mitge­ dichtet haben soll. Die Begrüßungsworte,'die er selbst, hoch zu Pferd und mit einem mächtigen Schwert in seiner kleinen Faust,/ zu sprechen hatte, deuten auf die Richtigkeit der Vermutung hin, daß mindestens sein eigener Text von ihm selbst geschrie­ ben worden war: »Ihre Kaiserliche Hoheit, lang lebe Ihr Reich! Dies ist der Turnierplatz, liebe Bertha, auf dem ich vor Dir und dem Kaiser reiten werde. Ich bitte Dich um Deinen Segen, Liebste!« 238

(Sie gibt ihm ihr Tuch; er küßt ihre Hand.) »Danke!« Und so fort über alle Seiten, die in gotischer Fraktur gedruckt und altertümelnd eingebunden, heute noch das Hügel­ archiv zieren. (Laienspiel und Ritterturnier mußten dann allerdings in aller­ letzter Minute wieder abgeblasen werden, weil sich unpassen­ derweise zehn Dutzend Kumpel der bei Bochum gelegenen Zeche »Lothringen« just diesen feierlichen Augenblick dazu er­ koren hatten, bei einer Grubenexplosion tief unter Tage den Bergmannstod zu sterben und Seiner Majestät von Kanzler und Gefolge angeraten wurde, Landestrauer anzuordnen. So blieb die Neugier vieler Zuschauer, ob »Taffy«, wie bei allen Proben des »echten Wettstreits«, bei dem es auch wirkliche Verletzte geben sollte, die von Krupp-Ambulanzen zum Krupp-Kranken­ haus abzutransportieren waren, als Sieger aus dem Turnier hervorgehen oder von seinem für ihn viel zu großen Gaul fallen würde . . .) Obwohl dann das dreitätige Fest kurz vor seinem Höhepunkt und Ende hatte abgebrochen werden müssen, waren doch die monatelangen Vorbereitungen und die Durchführung des Pro­ gramms bis zum Nachmittag des dritten Tages anstrengend und zeitraubend genug gewesen. Und da »Taffy« ja noch zahlreiche weitere Verpflichtungen zu erfüllen hatte, darf es uns nicht wun­ dern, daß die eigentliche Unternehmensführung seiner Mitarbeit und seines Rates in all diesen J ahren in sehr weitgehendem Maße entraten mußte. Doch war dies für das Direktorium, wie schon vordem zur Zeit von Exzellenz Fritz und wie einst für die »Pro­ cura« in »König Alfreds« letzten Lebensjahren, kein ungewohn­ ter Zustand. Der Krupp-Konzern florierte auch ohne Mitwir­ kung des jeweiligen »Alleininhabers«. . .

Von 1887, dem Todesjahr Alfreds des Großen, bis Ende 1902, als Exzellenz Fritz das Zeitliche segnete, waren die Umsätze der Firma Fried. Krupp von etwa 42 auf 91 Millionen Mark ange­ stiegen. Unter Margas, Fritzens Witwe, nomineller Alleinherr­ schaft, die von Anfang 1903 bis zu Berthas Großjährigkeit im Jahre 1907 währte, verdreifachte sich der Umsatz des Unterneh­ mens und kletterte auf über dreihundert Millionen Mark. Und nachdem Bertha und »Taffy«, mindestens dem Namen nach, das Regiment führten, stieg der Umsatz, nach einigen konjunktur­ bedingten Rückschlägen um 1908, bis 1913 weiter stetig an. 239

In diesem letzten Friedensjahr erreichte er 441 Millionen, was mehr als Verzehnfachung in den zweieinhalb Jahrzehnten seit Alfreds Tod bedeutete . . . Die Anzahl der Beschäftigten nahm infolge wachsender Mechanisierung und Rationalisierung weit weniger stark zu, aber immerhin waren aus den rund achtzehn­ tausend »Kruppianern«, die 1887 um ihren gerade verstorbenen »König Alfred« trauerten, bis 1902 etwa vierzigtausend und bis 1913 nahezu achtzigtausend Mann geworden (wobei anzumer­ ken ist, daß diese Zahlen nur die offiziellen Angaben für die eigentlichen Konzern-Unternehmen wiedergeben, und auch nur insoweit, als es sich um die Belegschaften innerdeutscher Betriebe handelte . . Das - steuerlich außerordentlich unterbewertete - Vermögen, das der Krupp-Konzern darstellte, verdoppelte sich in den sech­ zehn Jahren von 1895 bis 1911, für die verläßliche Angaben vorliegen, von annähernd hundertzwanzig auf über zweihun­ dertfünfzig Millionen Mark, und das steuerpflichtige Einkom­ men des jeweiligen »Alleininhabers« verdreifachte sich sogar beinahe: Es stieg zwischen 1895 und 1911 von jährlich über sie­ ben auf nahezu zwanzig Millionen Mark . . .! (Dazu bemerkte der mit seinen Veröffentlichungen über die tatsächliche Höhe deutscher Privatvermögen damals viel Auf­ sehen erregende frühere Regierungsrat im Reichsamt des Innern Rudolf Martin, daß Frau Bertha Krupp von Bohlen und Hal­ bach in den Jahren 1907/08 um jährlich über eine Million Mark mehr Einkommen gehabt hätte als selbst Seine Majestät der Kaiser! »Auch durch die Erhöhung der Zivilliste um 2 Millio­ nen Mark auf 17,7 Millionen wird es«, so kommentierte der Regierungsrat a. D. seine Ermittlungen, »auf die Dauer nicht ausgeschlossen, daß Herr von Krupp-Bohlen und Frau mehr im Jahre zu verzehren haben, als der Kaiser mit der Kaiserin und seinen Söhnen zusammen. Verschiedene Umstände sprechen dafür, daß das Kruppsche Einkommen in den nächsten Jahren in starker Zunahme begriffen ist . . .« Sosehr sich auch der Hinweis auf die im Verhältnis zu den »Krupp-Bohlens« geradezu darbenden Hohenzollern als ein Trugschluß erwies - die »Zivilliste« war ja nur das dem Kaiser vom Reichstag bewilligte Jahresgehalt einschließlich Erstattung der Repräsentationskosten, nicht aber sein wirkliches Gesamt­ einkommen, bei dem auch die steuerfreien Erträge aus seinem riesigen Privatvermögen hätten mitgezählt werden müssen! -, so recht behielt Martin mit seiner im letzten Friedensjahr, 1913, 240

gestellten Prognose, eine starke Zunahme des Kruppschen Ein­ kommens in den nächsten Jahren betreffend . . .) Wem oder was war, vom zwar nicht stetigen, aber im ganzen doch sehr guten Konjunkturverlauf einmal abge­ sehen, dieser enorme Aufschwung und Reichtum nun eigent­ lich zu verdanken? Fans wie Hasser neigen dazu, die Rolle der diversen »Alleininhaber« gewaltig überzubewerten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Bei den Fans ver­ steht sich das von selbst; die Hasser hingegen müssen not­ gedrungen, manchmal geradezu zähneknirschend, so tun, als wären die jeweiligen Throninhaber des Kruppschen Kano­ nenkönigtums an allen Entscheidungen maßgeblich betei­ ligt gewesen, denn anderenfalls könnten sie sie für all das Fürchterliche, was daraus entstand, schwerlich verantwort­ lich machen. Nun, denken wir noch einmal kurz zurück: Von »König Alfred«, wie er in seinen letzten Lebensjahren, hinter dreifachen Eisentüren und hermetisch verschlossenen Fenstern, von Dunggeruch umfächelt Domino spielte oder auf Hunderten von Seiten seine »unsinkbare Insel« entwarf, läßt sich kaum ernstlich behaupten, daß er, nachdem er einmal die Grundlagen des Imperiums geschaffen hatte, dieses tatsächlich noch regierte. Und seine gelegentlichen Eingriffe in die Unter­ nehmensführung trugen sicherlich nicht dazu bei, die »Pro­ sperität« der Firma zu steigern . . . Bei Exzellenz Fritz mag in seinen ersten Regierungsjahren, sehr zum Kummer Jenckes und der zum Direktorium avancier­ ten »Procura«, gelegentlich zumindest der Wunsch bestanden haben, über alles Wichtige informiert zu werden und selbst letzte Entscheidungen zu treffen. Wir können jedoch getrost an­ nehmen, daß das Direktorium ihn nur genausoviel wissen und tun ließ, wie es für angebracht hielt, auch daß Fritz sich mit seiner auf reine Repräsentation beschränkten Rolle abfand. Nur allzugern hätte er auch auf diese ihm gewiß manchmal äußerst lästigen Pflichten verzichtet! Daß er es nicht tat oder sich jeden­ falls immer nur vorübergehend und heimlich sein Leben so ein­ richtete, wie er es sich eigentlich ersehnte, hing zusammen mit seiner strengen Erziehung, seiner Willensschwäche, dem Zwang der Konventionen und vielleicht auch ein bißchen mit der Furcht, auch den ihm seine geheimen Vergnügungen erst er­ möglichenden Reichtum zu verlieren, falls er Essen, der »vater­ ländischen Anstalt« und seiner Ehefrau endgültig den Rücken 241

kehrte und auf Capri oder anderswo nur noch seinen eigenen Neigungen entsprechend lebte . . . Von der nächsten »Alleininhaberin«, der beim Tode ihres Vaters erst sechzehnjährigen Bertha, wissen wir, daß sie bis zum Tage ihrer Volljährigkeit im Jahre 1907 überhaupt nichts mitzu­ reden hatte, auch bis 1906 gar nicht in Essen, sondern in einem Baden-Badener Pensionat für »höhere Töchter« oder im streng von der Umwelt abgeschlossenen »Hügel«-Bezirk lebte. Bis zu ihrer Hochzeit, nominell noch ein weiteres Jahr, regierte Frau Margarete für sie, ihre strenge Mama, die durch den Freitod ihres Gatten gerade noch vor einem Lebensende in der Irrenanstalt bewahrt gebliebene Ex-Gouvernante, die von sich selbst zu ihrem Finanzdirektor meinte, sie wäre »eine Gans« und werde es, was die Geheimnisse der Unternehmensführung anging, wohl immer bleiben; sie unterschriebe »glatt das eigene Todes­ urteil«, wenn es ihr vom Direktorium vorgelegt würde . . . Zusammenfassend ergibt sich aus dieser Rückschau, daß wäh­ rend eines Vierteljahrhunderts, nämlich von etwa 1882/83 bis 1907, also den Jahren, in denen sich der Umsatz des Unterneh­ mens verzehnfachte und es zum führenden Rüstungskonzern der Welt aufstieg, alle möglichen Kräfte zum Aufschwung der Firma beigetragen haben mögen, ganz gewiß aber nicht die während dieser Zeitspanne jeweils »regierenden« Alleininha­ ber . . .! Sie waren nahezu ohne jeden Einfluß auf die Unter­ nehmensführung, ausgenommen in einer Hinsicht: »König Alfred« hinterließ, außer dem »Generalregulativ«, die testamentarische Verfügung, daß sein Imperium, ungeteilt und ungeschmälert, von Generation zu Generation allein dem je­ weiligen Kronprinzen zu vererben wäre. Nach seinem Tode war diese Verfügung noch verhältnismäßig leicht durchzuführen: »Alfred der Große« hatte ja nur einen einzigen Nachkommen, den zwar schwächlichen, aber immerhin schon erwachsenen Fritz. Und für seine davongelaufene und verstoßene, aber nicht von ihm geschiedene Ehefrau, die ja auch seine gesetzliche Erbin war, hatte Alfred finanzielle Vorkehrungen außerhalb des Unternehmens getroffen. Als Fritz starb, war die Sache wesentlich komplizierter. Da er keinen männlichen Erben hatte, war seine älteste Tochter Bertha von ihm zur Kronprinzessin auserkoren worden. Die Probleme, die sich daraus ergaben, waren vielfältig, und sie müssen den Hausjuristen allerhand Kopfschmerzen bereitet haben. Behan­ delte man nämlich die Erbschaft, wie es Alfred angeordnet und 242

Fritz zu befolgen gewünscht hatte, nach den strengen Regeln eines zwar bürgerlichen Fideikommiß, für das aber das gleiche galt wie für Adelsgüter, so hätte ein männlicher AlleininhaberNachfolger gefunden werden müssen, etwa der schon recht wunderliche alte Onkel in Bonn oder die Großvettern in Wien in der Reihenfolge ihrer Seniorität; wenn man aber das Fideikommiß-Prinzip fallenließ und die Töchter erben ließ, dann stand zu befürchten, daß die ihrer älteren Schwester gegenüber nach dem Wunsch des Erblassers so stark zu benachteiligende Barbara eines Tages mindestens ihre Pflichtteilansprüche gel­ tend machen würde. Da diese aber nur mit Geld, nicht durch Sachwertübertragungen abgegolten werden konnten, bestand für das Unternehmen der gefährliche Zwang, entweder riesige Kredite aufzunehmen oder Teile des Konzerns zu veräußern, damit die Ansprüche befriedigt werden könnten. Nun, man sicherte sich gegen solche Entwicklung, auch gegen den eventuellen Einfluß unerwünschter Ehemänner der erbenden Damen, mehrfach ab. Zunächst wurde der gewaltige Konzern, der größte des euro­ päischen Kontinents, im Jahre 1905 flugs in eine Aktiengesell­ schaft umgewandelt - wie es hieß, gemäß testamentarischer Ver­ fügung von Exzellenz Fritz, allerdings mit der Einschränkung, daß sämtliche Aktien in Berthas Hand verbleiben müßten, was gegen Sinn und Buchstaben des Gesetzes verstieß, aber dennoch mit zahllosen juristischen Kniffen und vielleicht noch eben inner­ halb, vielleicht auch schon etwas außerhalb der Legalität durch­ geführt wurde. Die Schwierigkeit, daß eine Aktiengesellschaft auch wirklich Aktien ausgeben, ein einbezahltes Kapital nach­ weisen und mindestens fünf Aktionäre haben mußte, überwand man geschickt: Es wurden hundertsechzigtausend Tausend­ marks-Aktien gedruckt; die Reichsbank (!) stellte für einige Tage vierzigtausend nagelneue, säuberlich banderolierte Tau­ sendmarkscheine zur Verfügung, die als das gesetzlich vorge­ schriebene Viertel des Gesellschaftskapitals »einbezahlt« wur­ den, womit dem Gesetz Genüge getan war, und dann wurden 15 9 996 Aktien auf »Fräulein Bertha Krupp« übertragen, die rest­ lichen vier erhielten drei Direktoriumsmitglieder und ein Schwa­ ger von Frau Marga »zu treuen Händen«, womit nun auch die vorschriftsmäßige Mindestzahl an Aktionären nachgewiesen werden konnte. Ganz nebenbei hatte man auch noch etwas anderes erreicht, das natürlich mit keiner Silbe erwähnt wurde: Das ganze Unter­ 243

nehmen (und damit auch die Erbschaft) war enorm unterbewer­ tet worden. Damit sparte man nicht nur Steuern, sondern redu­ zierte auch eventuelle Pflichtteilansprüche Barbaras auf höch­ stens vierzig Millionen Mark, wovon sie einen beträchtlichen Teil ohnehin schon erhalten hatte, denn sowohl Frau Marga Krupp als auch ihre jüngere Tochter waren ja bereits »außerhalb des Unternehmens« mit zusammen rund sechzig Millionen Mark testamentarisch abgefunden worden. Und schließlich schuf man durch die Umwandlung der Firma in eine Aktiengesellschaft ein neues Gremium, den Aufsichtsrat, wogegen der Vorstand zwanglos aus dem alten Direktorium gebildet wurde. Erster Vorsitzer des neuen Aufsichtsrats wurde der Dresde­ ner Bankdirektor Geheimrat Hartmann, Schwiegervater von Frau Margaretes jüngerem Bruder, dem Landschaftsmaler Freiherr Felix von Ende, erster Vorsitzer des neuen Vorstands der langjährige Krupp-Direktor Landrat a. D. Max Röttger. Aber beides waren, genau wie die Vormundschaft der Mama, unter der die Alleinerbin Bertha noch stand, vorläufige Lösun­ genBald veränderte sich einiges, und schließlich zeichnete sich ziemlich deutlich ab, wer in Essen die Herrschaft angetreten hat­ te: An die Spitze des Direktoriums, wie der Vorstand weiter genannt wurde, trat ein neuer Mann, der Geheime Finanzrat a. D. Dr. Alfred Hugenberg, und in den Aufsichtsrat, dessen Vorsitz Herrn Dr. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach übertragen wurde, kamen zu drei verbliebenen älteren Mitglie­ dern - dem Geheimen Justizrat Dr. August von Simson, dem Hofbankier Ludwig Delbrück und dem pensionierten Direkto­ riumsmitglied Ludwig Klüpfel - zwei neue hinzu: der Freiherr Tilo von Wilmowsky, der im Jahre 1907 Berthas Schwester Barbara geheiratet hatte, und der Vizeadmiral z. D. Hans Sack. Damit hatte, obwohl es auf den ersten Blick nicht so schien, ein völlig neues Regiment begonnen: Margaretes nominelle Interimsherrschaft war beendet; jeglicher Einfluß, den sie oder ihre Vertrauensleute gehabt hatten, war erloschen, und es muß in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß die Be­ ziehungen zwischen Fritz Krupps Witwe und seinem lieben Freund, dem Kaiser, seit der leidigen Capri-Affäre wahrlich nicht die besten gewesen waren. Marga hatte sich seit ihrer furchtba­ ren Enttäuschung nur noch abfällig über den Kaiser geäußert, und an ihrer schlechten Meinung von Seiner Majestät hatten 244

auch die nach langer Pause wiederaufgenommenen Besuche Allerhöchstderselben auf dem »Hügel« und die neuerlichen Gunstbezeigungen nichts geändert. Umgekehrt mochte auch der Kaiser Marga nicht, denn sie hatte ihn einmal in eine sehr peinliche Lage gebracht und zu einer recht schwierigen, zudem übereilten Entscheidung gezwungen . . . An Margaretes Stelle war die nächste Generation getreten, repräsentiert durch die beiden Schwiegersöhne, den vom Kaiser zum Krupp beförderten »Taffy«, der die eigens zu diesem Zweck ausgesuchte hölzerne Gallionsfigur abgab, ein bloßes Aushänge­ schild, hinter dem sich eine pünktlich, zuverlässig und korrekt funktionierende Maschine verbarg, die mit viel Aufwand und Gesumm nichts produzierte - außer Kinder; und den liebens­ würdigen und korrekten Freiherrn von Wilmowsky, Barbaras Mann, dessen Funktion in Unternehmen und Aufsichtsrat sich aufs Dekorative beschränkte. Sehr bedeutsam waren dagegen die drei familien- und unter­ nehmensfremden Aufsichtsräte: der betagte und außerordent­ lich erfahrene Jurist von Simson, mit tausend düsteren Geheim­ nissen vertraut und als eine Art Beichtvater der creme de la creme politisch und gesellschaftlich, zumal bei Hofe, recht einfluß­ reich; der Hofbankier und Finanzberater des Kaisers Ludwig Delbrück und der Vizeadmiral z. D. Hans Sack, ein Günstling des Kaisers, einst sein Begleiter beim ersten Besuch des damals noch jungen Prinzen in Essen, später Chef der Waffenabteilung des Reichsmarineamts ... Zwei Schwiegersöhne, drei Berliner Spezialisten, alle fünf unternehmensfremd, aber mit dem Kaiser auf gutem Fuß, dazu als sechster ein pensionierter Krupp-Direktor, der wenigstens über den Konzern, den es zu kontrollieren galt, genau Bescheid wußte - das war der Aufsichtsrat! Und wer war der neue Gene­ raldirektor, der in Essen bis dahin unbekannte Geheimrat Dr. Alfred Hugenberg . . . ? Nun, Hugenberg war ein Finanzexperte, der zuletzt, ehe er 1910 Generaldirektor in Essen wurde, die Berg- und Metall­ bank in Frankfurt am Main geleitet hatte, einer Stadt, deren Oberbürgermeister sein Schwiegervater war. Zuvor war der 1865 in Hannover geborene Hugenberg an leitender Stelle im königlich-preußischen Finanzministerium tätig gewesen, und von seinen früheren Kollegen war er auch der Firma Krupp wärmstens empfohlen worden, ein Umstand, über den sich nachzudenken lohnt und auf den wir noch zurückkommen

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werden. Er hatte übrigens seine Beamtenlaufbahn beendet und seinen Abschied genommen, weil bestimmte politische Vorstel­ lungen, die er mit großem Eifer vertrat, keine Berücksichtigung fanden. Es ging um die energische Zurückdrängung des Polentums in den preußischen Ostprovinzen, die von Hugenberg und seinen politischen Freunden befürwortet, von dem damaligen Reichskanzler Caprivi dagegen sacht gebremst worden war . . . Geheimrat Dr. Alfred Hugenberg gehörte nämlich zu den Gründern der Alldeutschen Bewegung, einer stramm nationali­ stischen Gruppe. Er war sogar der neben dem Vorsitzenden Class maßgebende Führer des »Alldeutschen Verbandes«, dessen Rassen- und »Lebensraum«-Theorien, imperialistische Forde­ rungen und Träume von deutscher Herrschaft über ein von sla­ wischen, romanischen, angelsächsischen und natürlich auch jüdischen Einflüssen befreites Europa später von Hitler über­ nommen wurden, mit dem sich Hugenberg Anfang der dreißi­ ger Jahre dann verbündete. Aber da war er längst kein KruppGeneraldirektor mehr, sondern Herr über einen eigenen mäch­ tigen Konzern, zu dem unter anderem der große Berliner Scherl-Verlag und die das Filmgeschäft beherrschende »Ufa« gehörten, außerdem - als Vertreter des rechten, »völkischen« Flügels - Vorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei, als der er 1933 ins erste Kabinett Hitler eintrat und das Reichs­ wirtschaftsministerium übernahm. Dieser von Berlin empfohlene Finanzexperte und Chauvinist wurde also 1910 von der Beinahe-Alleinaktionärin Bertha und ihrem Aufsichtsratsvorsitzer und Ehemann »Taffy« mit der Unternehmensleitung betraut, im Einvernehmen mit dem übri­ gen Aufsichtsrat, in dem, neben Schwager Tilo und dem Direk­ toriums-Veteranen Klüpfel, drei Herren aus Berlin saßen: der kaiserliche Privatbankier, der bisherige Waffenchef des Reichs­ marineamts und der Hofjurist. . . Wohin sollte die Reise wohl gehen? Und wer bestimmte von nun an in Essen wirklich den Kurs ... ?

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Taffys vaterländische Anstalt

Die Ära des »Eisernen Gustav«, wie der kleine, beinahe zierliche und dabei so straffe, eckig und manchmal geradezu hölzern wirkende »Taffy« von einigen Schwerindustriellen des Ruhr­ reviers halb respektvoll, halb spöttisch genannt wurde, dauerte vom 15. Oktober 1906, als er Bertha Krupp heiratete und vom Kaiser zum Krupp befördert wurde, bis zum 15. November 1943, als Bertha ihren ältesten Sohn Alfried zum Alleininhaber des Konzerns machte. Ihr Ehemann, der erst sieben Jahre später, am 16. Januar 1950, in Blühnbach im Salzburger Land nach langem Siechtum starb, war zum Zeitpunkt der Übergabe des Unternehmens an seinen Sohn längst nicht mehr geschäfts-, geschweige denn regierungsfähig. Doch selbst wenn man den eigentlichen Beginn der »Ära Taffy« etwas später annimmt, vielleicht im Jahre 1910, als er vom stellvertretenden Vorsitzer des Aufsichtsrats zum Vorsitzer avancierte, und wenn man sie eher enden läßt, etwa 1941, als er den ersten Schlaganfall erlitt, so bleiben doch die drei Jahrzehnte übrig, die das Wettrüsten vor 1914, den Ersten Weltkrieg, die militärische Niederlage des kaiserlichen Deutschlands, das Ende der Monarchie, die von Besatzung, Reparationen, Bürgerkrieg, totaler Geldentwer­ tung, Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit gequälte Weimarer Republik, den Versuch der Mächte des Ancien Régime, im Bündnis mit dem Hitler-Faschismus ihre untergehende Welt zu retten, den Sieg der Nazi-Partei, den Alptraum des »Dritten Reiches« und die Anzettelung des Zweiten Weltkriegs durch die nach der Herrschaft mindestens über ganz Europa gierenden braunen Machthaber umschließen. Bei allen diesen Ereignissen spielte der Krupp-Konzern eine wichtige Rolle, war er doch die »Waffenschmiede des Reiches« und das größte deutsche Indu­ strieunternehmen, sein Chef der führende Repräsentant jener »Wirtschaft«, unter der man vornehmlich industrielle Arbeit­ geberinteressen und Machtansprüche großer Konzerne ver­ stand und wohl auch noch immer versteht. Infolgedessen widmen alle Krupp-Hasser diesen drei Jahr­ zehnten ihre besondere Aufmerksamkeit, verzeichnen mit Akribie jedwede Missetat, die dem Schuldkonto der Firma Krupp und damit - so folgern sie - dem verantwortlichen »Chef des Hauses« angelastet werden kann, wogegen die konzern247

eigenen Biographen alle Mühe haben, aus diesen dreißig stür­ misch bewegten und am Ende wahrhaft höllischen Jahren we­ nigstens das eine oder andere herauszupicken, das sich als Ent­ schuldigung oder gar Lob für Familie und Firma vorweisen läßt, im übrigen aber über das entsetzliche Geschehen, vor allem über die Frage der Verantwortlichkeit dafür, so rasch wie mög­ lich hinwegzugleiten suchen. In >Krupp - Die drei Ringe - Lebensgeschichte eines Indu­ strieunternehmens von Gert von Klass< sind von 479 Seiten Text ganze vierzehn Blatt der Vorgeschichte und dem Ablauf eines Geschehens gewidmet, an dem das ansonsten mit viel Liebe zum Detail konterfeite Industrieunternehmen binnen acht Jahren mehr verdiente und sich weit stärker entwickelte als in dem ganzen davorliegenden Jahrhundert. Der Erste Weltkrieg, denn um den handelt es sich, beginnt bei von Klass folgender­ maßen: »Man kann nicht sagen, der Krieg sei über Nacht gekommen. Das Wettrüsten war schon lange eine deutliche Warnung; es hatte sich in den letzten Jahren wütend gesteigert. Wenn Deutschland ein Linienschiff oder einen Dreadnought * auf Kiel legte, dann baute England zwei. Auf die Einführung der drei­ jährigen Dienstpflicht in Frankreich im Jahre 1913 antwortete Deutschland mit seiner bisher größten Heeresvermehrung. Rußland hatte sich von dem verlorenen Krieg gegen Japan erholt und die >Dampfwalze< geschaffen, um Österreich und Deutschland zu überfahren. Alle Staaten verfolgen dabei ihre eigenen Ziele. England denkt an die Vernichtung der deutschen Flotte, an die unbestrittene Beherrschung der Weltmeere, Frankreich an die Rückgewinnung Elsaß-Lothringens und die Zerstückelung Deutschlands, Rußland an die Zusammen­ fassung aller europäischen Slawen unter seiner Schirmherr­ schaft, die Eroberung Konstantinopels und der Meerengen, während das verhaßte Österreich in seine Teile zerlegt wer­ den soll. Und Deutschland hofft, daß es das Reich erhalten könne. . .« So geschrieben im September 1953, wiederaufgelegt im 43. Tausend im Januar 1966 - ein schon beinahe nicht mehr erschütterndes, nur noch erheiterndes Dokument der Ge­ schichtsfälschung mit Hilfe von im Fibelstil erzählten Viertel-, Halb- und Dreiviertelwahrheiten. * cngl., »Fürchte nichts«, erstes modernes Großkampfschiff, nach dem diese Klasse von Kriegs­ schiffen benannt wurde.

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Nach einem kurzen Seitenhieb auf die Sozialdemokraten, die bloß nicht so tun sollen, als wären sie nicht auch für den Krieg gewesen, hätten doch die meisten ihrer Abgeordneten im Reichstag die von der Regierung im August 1914 beantragten Kredite mitbewilligt, fährt von Klass fort: »Jeder Streit um die Vergangenheit ist müßig, jetzt, da Deutschland an zwei Fronten kämpfen muß und England die Weltmeere sperrt; wichtig ist im Augenblick nur, wie es um die deutsche Wehrbereitschaft steht. Uber die Kriegs Vorbereitun­ gen Deutschlands können die Zahlen der größten deutschen Rüstungsfirma Auskunft geben: Die Belegschaft des KruppKonzerns beträgt im August 1914 82 500 Mann. Von diesen be­ schäftigt die Gußstahlfabrik in Essen genau die Hälfte. Von die­ ser Hälfte waren vor dem Krieg neununddreißig Prozent bei der Rüstungsproduktion tätig. Von den Bestellungen auf Kriegs­ material fällt regelmäßig etwa ein Drittel auf das Ausland. Die deutsche Heeresverwaltung ist an den Rüstungsaufträgen kaum mit einem Zehntel beteiligt. Die großen Lieferungen be­ zieht die Marine, wo die Firma in der artilleristischen Bewaffnung und Panzerung keine Konkurrenz hat. Das Mobilmachungs­ programm für die Firma umfaßt zweihundert Feldkanonen und Feldhaubitzen für die Heeresartillerie sowie hundertvierund­ vierzig Torpedobootsgeschütze, dazu . . . sechs U-Boote. Der Auftrag für Munition macht kaum eine nennenswerte Ände­ rung in den laufenden Dispositionen erforderlich. Die Mobil­ machungsaufträge sind für die Firma Krupp Bagatellen. Gustav von Bohlen braucht keine Furcht zu haben, mit ihnen im Rückstand zu bleiben. Der Kriegsausbruch hat ihn völlig überrascht, wie alle Welt überrascht wurde. Sein Haupt­ interesse in der letzten Zeit galt dem großen Umbau der Villa Hügel - ein Millionenprojekt, das noch lange nicht durchge­ führt ist. Er hat viel Mühe darauf verwendet, das Alte zu scho­ nen und trotzdem das Schloß etwas wohnlicher zu gestalten. Aber jetzt gibt es andere Sorgen. Man ist in den ersten Mobilmachungstagen froh, daß sich hundertachtzig Feldkanonen für Brasilien in der Ferti­ gung befinden, die die Heeresleitung sofort an sich ziehen kann. Diese Geschütze sind besser als die der deutschen Armee . . .« So also - wenn wir dem Amateur-Historiker und glühenden Krupp-Verehrer von Klass in allen Punkten folgen wollen war das damals: Das Reich wurde vom Krieg überrascht,

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Krupp wurde genauso überrascht; die Deutschen waren mise­ rabel gerüstet, höchstens zur See »bedingt abwehrbereit«; die Heeresleitung knauserte, sogar noch nach der Mobilmachung, und Krupp war schon deshalb kein Rüstungsindustrieller, geschweige denn -gewinnler, ja nicht einmal auf Krieg und er­ höhten Waffenbedarf vorbereitet, weil ja nur - man höre und staune - kümmerliche dreizehn Prozent seiner stolzen Armee von zweiundachtzigtausendfünfhundert »Kruppianern« bis zum August 1914 irgend etwas mit deutscher Bewaffnung zu tun gehabt hatten . . . Im Kriege wurde natürlich für das Vaterland jedes geforderte Opfer gebracht, mit dem - von Gert von Klass im nächsten Kapitel geschilderten - Ergebnis, daß Krupp dann total ver­ schuldet und nahezu aller Barmittel entblößt aus dem »großen Völkerringen« hervorging, es auch noch hinnehmen mußte, daß der Name von »Taffy«, »der nie ein Kriegshetzer war«, auf die alliierte Kriegsverbrecherliste gesetzt wurde und er ausgeliefert und vor das Gericht der Feinde gestellt werden sollte, zusammen mit 894 anderen wackeren deutschen Männern, darunter Prin­ zen von Geblüt, erprobte Heerführer, verdiente Bankiers und Industrielle. Gottlob geschah aber keinem von ihnen etwas, außer daß, soweit es sich um greise Marschälle und Admirale handelte, einige in Pension gehen mußten . . . (Majestät hatten sich Allerhöchstselbst mit kleinem Gefolge ins neutrale, aus­ lieferungsunwillige Holland abgesetzt und bekamen seine Juwelen und ein angemessenes Ruhegehalt von etwa fünfzig­ tausend Mark monatlich von der um korrekte Abwick­ lung seines Konkurses bemühten Republik ins Exil nach­ geschickt . . .) Krupp-Hasser sahen und sehen die Dinge entschieden anders. Sie behaupten, daß die Firma wohlvorbereitet in den Krieg ging, ja daß sie selbst mithalf, den Krieg herbeizuführen, zu­ nächst durch systematisches »Anheizen« der öffentlichen Mei­ nung, zum Beispiel durch den von ihr finanzierten »Wehr­ verein«, dann in letzter Friedensminute, als sich noch einige vernünftige oder wenigstens vorsichtige Staatsmänner bemüh­ ten, den ausbrechenden Konflikt einzudämmen und auf den Balkan zu lokalisieren, durch die verfrühte Meldung des ber­ liner Lokal-AnzeigersBerliner Lokal-Anzeiger< damals zwar tat­ sächlich schwerindustrielle Kapitalspritzen, wohl auch von Krupp, erhalten hatte, später das Hauptorgan Hugenbergs wurde und sich bester Beziehungen zum Essener Direktorium erfreute. Aber die Behauptung, Krupp hätte durch Lancierung einer Falschmeldung von größter Tragweite letztes Zögern der europäischen Regierungen, den Weltkrieg zu beginnen, eilends überwunden, läßt sich nicht beweisen . . .) Ganz anders steht es um die Frage, inwieweit die Firma Krupp, die »Waffenschmiede des Reiches«, mit der Möglichkeit des Ausbruchs eines Weltkrieges gerechnet und sich darauf vorbereitet hat; ob der Anteil der Rüstung an der Gesamtpro­ duktion des Konzerns tatsächlich so gering war, wie es die Fans, insbesondere der Berdrow-Nachfolger von Klass, zu behaupten wagen, und ob die Jahre der Hochkonjunktur dem Essener Unternehmen wirklich nichts als Schulden einbrachten. Lassen wir zu alledem einmal einen eingefleischten Krupp-Hasser zu Worte kommen, den jungen Bernhard Menne , * der 1937 nach eingehenden Studien zu ganz anderen Erkenntnissen gekom­ men war: Er berichtete zunächst von einer »Hochkonjunktur der Rüstungsindustrie, die 1913/14 alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. > Krupp kann die Aufträge kaum bewälti­ gen die Begehrlichkeit der Arbei­ ter und die wachsende Industriefeindschaft in Regierungs- und Reichstagskreisen < möglichst niedrig gehalten. Aber auch Ab­ schreibungen, Reservekonten und geheime Rückstellungen ver­ mögen den Gewinn nicht ganz wegzuzaubern, wie die Entwick­ lung der Dividende in den drei letzten Vorkriegsjahren beweist: 1911 sind es 10 Prozent oder 18 Millionen, 1912 sind es 12 Pro­ zent oder 21 Millionen, 1913 gar 14 Prozent oder 25 Millionen! Damit kann Essen einen neuen Rekord buchen: die Fünfundzwanzigmillionen-Dividende von 1913 ist die größte, die * Menne, Westfale aus Fredeburg vom Jahrgang 1901, streng katholisch erzogen, ehemaliger Priester­ seminarist, der dann orthodoxer Marxist geworden war und seine unbestreitbaren journalistischen Talente in den Dienst der kommunistischen Kampfpresse gestellt hatte, schloß sich in der Emigration nach 1933 einer linken Splitterpanei an. 1937 veröffentlichte er im Züricher Europa-Verlag sein Buch »Krupp Deutschlands Kanonenköniges dem das Zitat entnommen ist. Nach dem Kriege kehrte er nach Deutsch­ land zurück und wandelte sich als Chefredakteur der »Welt am Sonntag* nach deren Kauf durch Axel Springer zum Ultra-Rechten. Er starb ohne nochmaligen Gesinnungswandel Ende 1968.

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jemals von einer deutschen Aktiengesellschaft gezahlt wurde...!« Nach dieser nachdenklich stimmenden und in den Fakten zu­ treffenden Einführung kam Menne zu der (später von den Kruppschen Hausbiographen verneinten) Frage: »Hat Krupp vom Ausbruch des Krieges vorher gewußt?« Und er nennt dafür, daß dies wahrlich der Fall gewesen wäre, einen Kronzeugen, der von »Taffy« später nur noch als »der Schweinehund Mühlon« bezeichnet wurde: »Doktor Wilhelm Mühlon, von 1911 bis 1915 Mitglied des Direktoriums der Krupp AG, also zweifellos jemand, der dabei war. Auf Empfehlung des Reichskanzlers Bülow war der junge Regierungsassessor seinerzeit (vom Auswärtigen Amt) zu Krupp von Bohlen gekommen, der ihn zunächst als Privat­ sekretär beschäftigte und 1911 ins leitende Gremium der Firma berief. Bei der Schlichtung der Marokkodifferenzen und zu Kriegsbeginn in Rumänien leistet Mühlon wertvolle Diplo­ matendienste. Dann bricht er seine Essener Tätigkeit über­ raschend ab, er begibt sich in die Schweiz, wo er bald, wohl unter dem Einfluß der kritischen neutralen Atmosphäre, eine psycho­ logische Wandlung vom Kruppdirektor zum Kriegsgegner erlebt . . . und macht nun eine alarmierende Mitteilung: Krupp habe ein halbes Jahr vor dem August 1914 den vertraulichen Hinweis aus Berlin erhalten, daß ein Krieg bevorstehe; darauf­ hin seien die Werke sofort entsprechend umgestellt worden . . .« Wem soll man glauben? Den Hofbiographen, die, von Klass an der Spitze, treuherzig versichern, Krupp sei vom Kriege überrascht worden, und nur dreizehn Prozent der »Kruppianer« hätten im August 1914 deutsche Waffen geschmiedet? Oder Hassern wie Menne und Mühlon? Tatsächlich hat die Firma Krupp erst beinahe zwanzig Jahre später, im Dezember 1933 und anläßlich eines Sondergerichts­ prozesses gegen einen politischen Gegner der Nazis und Freund Mühlons, den Katholikenführer Professor Dessauer, zu den Anschuldigungen des einstigen Kruppdirektors aus der Zeit des Ersten Weltkrieges Stellung genommen. Die >Rheinisch-Westfälische Zeitung< berichtete von diesem Pro­ zeß, daß »Herr Krupp auf die Frage des Sonderstaatsanwalts, ob die Firma Krupp 1914 schon ein halbes Jahr vorher vom Beginn des Krieges unterrichtet gewesen sei«, unter Eid erklärt hätte, »daß die Reichsregierung seine Firma nicht in diesem Sinne unterrichtet hat«. Und auf eine weitere Frage: »Sind wir in den Krieg gegangen ohne besondere Vorbereitungen?«, 252

antwortete Herr Krupp: »Ich habe den vollen Eindruck, daß das der Fall war . . .« Dieses späte Dementi ist ähnlich trügerisch wie das Zahlen­ spiel des Krupp-Fans von Klass, dessen Rechenexempel eine Art Dornröschenschlaf der »Waffenschmiede des Reiches« bis zum August 1914 vorgaukelt, wobei drei entscheidende Fak­ toren unberücksichtigt blieben: Erstens waren die KruppKumpel, die Kohle und Erz förderten, genau wie die zigtausend anderen »Kruppianer«, die mit der Rohstoffversorgung der »Waffenschmiede« zu tun hatten, natürlich genauso für die Rüstung tätig wie die Kanonengießer; zweitens produzierte Krupp ja nicht allein in Essen Kriegsmaterial, sondern beispiels­ weise auch bei der Germania-Werft in Kiel, bei Krupp-Gruson in Magdeburg oder auch in den großen Drahtfabriken, die just in den letzten Wochen vor Kriegsausbruch aufgekauft worden waren, zweifellos nicht zufällig, sondern weil ein StacheldrahtBoom in Aussicht stand. Und drittens konnten ja auch, wie das von Gert von Klass selbst zitierte Beispiel der hundert­ achtzig brasilianischen Feldkanonen, »die die Heeresleitung sofort an sich ziehen kann«, deutlich zeigt, die im Zahlenspiel unberücksichtigten Waffenbestellungen des Auslands der Krupp-Produktion für die deutsche Rüstung zugeschlagen werden. Gerade diese eine Bagatelle, von den Krupp-Fans nur ange­ führt, damit jedermann sehe, wie groß die Not des Reiches in­ folge allzu langer friedlicher Träumerei geworden war, wirft ein Schlaglicht auf die völlig veränderten Verhältnisse in der Unternehmensleitung und bei der Führung in Berlin: Das war nicht mehr 1866 oder 1870, als »König Alfred« zwar auch, wie 1914 der zum Krupp ernannte Ehemann seiner Enke­ lin, friedlich an seinem Hügel-Schloß baute und »keine Zeit für Lektüre, Politik u. dgl.« hatte, aber nicht eine Sekunde lang geneigt gewesen war, dem preußischen Kriegsminister Roon mit den von Preußens Gegnern bestellten Krupp-Kanonen unter die Arme zu greifen! Alfred Krupp hatte solche unerhörte Zu­ mutung noch kühn zurückweisen können, sogar verbunden mit der Drohung, wenn man ihn in einen Konflikt zwischen seiner (geschäftlichen) Ehre und seinem Patriotismus zwänge, müßte er eine Schließung seines Etablissements oder eine Verlegung des Betriebs in ein freundlicheres Ausland in Erwägung zie­ hen . . . Ja, die Zeiten hatten sich geändert! Hätte »Taffy« - der

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Gedanke ist absurd, aber es lohnt sich, einmal damit zu spielen im August 1914 dem Kaiser erklärt, »Ehre und Prosperität« seiner Firma vertrügen es nicht, eine vertraglich vereinbarte Kanonenlieferung nicht auszuführen, bloß weil der Kunde wie es im Falle Brasilien 1917 dann tatsächlich geschah Deutschlands Kriegsgegner werden könnte, oder schlimmer noch: die fremden Kanonen gar dem Reich zur Verfügung zu stellen, nur weil das gerade im Kriege stände und verabsäumt hätte, sich rechtzeitig mit Krupp-Kanonen einzudecken »Taffy« wäre, milde ausgedrückt, mit diesem Standpunkt sicher­ lich nicht durchgedrungen. Es hatten sich nämlich nicht nur die Zeiten verändert: »Taffy« war kein Alfred, nicht einmal ein Nachkomme, sondern nur ein Krupp von Kaisers Gnaden. Und das galt nicht nur für seine Ehe, wo ihn Bertha nur allzuoft und ohne Rücksicht auf er­ staunte Zuhörer daran zu erinnern beliebte, daß sie die Herrin des Hauses und Alleininhaberin des Unternehmens wäre (wor­ auf »Taffy« mit einem, manchmal schon recht gequälten »Ja­ wohl, Bertha« zu antworten pflegte . . .). Das galt auch für die Unternehmensleitung, wo während des kritischen Zeitab­ schnitts zwischen 1910 und 1918 der kriegs- und später annexionslüsterne Geheimrat Hugenberg das große Wort führte. »Taffy«, so ist überliefert, konnte Hugenberg, einen uner­ müdlichen Agitator für seine verschrobenen völkischen Ideen, nicht ausstehen, im Gegensatz zu Bertha, die ihn »recht interessant« fand und die auf den vom Geheimrat in die »Villa Hügel« eingeführten Alldeutschen Heinrich dass den Eindruck einer »leidenschaftlich deutschen Frau« machte. Aber »Taffy« hätte sich nicht einmal im Traum einfallen lassen, aus seiner Abneigung gegen den walroßbärtigen Schwätzer irgend­ welche Konsequenzen zu ziehen. Er war der Firma zwar nicht direkt von Gott verordnet, doch immerhin von den Herren in Berlin so warm ans Herz gelegt worden, daß schon ein höherer Sinn dahinter sein mußte. »Seinen Vorgesetzten muß man gehorchen!« - so hatte es »Taffy« gelernt, und der Kaiser und seine Regierung waren Vorgesetzte. Wenn sie ihm den Geheim­ rat Hugenberg schickten, so hatte er sich zu fügen. (Später erfuhr er dann, daß sein alldeutscher Generaldirektor bei der Regierung in Berlin zwar als exzellenter Fachmann, aber auch als lästiger Krakeeler galt, der nur Krupps Finanzen im Hinblick auf den bevorstehenden großen Krieg in gehörige Ordnung 254

bringen sollte, dessen politische Übertreibungen aber keine Beachtung verdienten. Und sofort wurde »Taffy« eisig, sobald Hugenberg, der sich die Wandlung gar nicht erklären konnte, von seinen Alldeutschen schwärmte. Er stellte sogar ausdrück­ lich fest, daß der Geheimrat in politischen Fragen nicht für die Firma sprechen könnte . . .) Gustav von Bohlen und Halbach interessierte sich nicht für »Lektüre, Politik u. dgl.« - genau wie »König Alfred«, sein gro­ ßes Vorbild. Ihm ging es vor allem darum, Programme und Fahrpläne exakt einzuhalten. Das erforderte neben Pünktlich­ keit auch zuverlässige Vorbereitung. Sah die Führung in Berlin einen Krieg voraus, so mußte der Krupp-Konzern gewappnet sein, damit die »Waffenschmiede« präzis alles liefern konnte, was benötigt wurde. Dazu waren finanzielle Vorkehrungen und riesige Investitionen, Personaleinstellungen und vor allem Roh­ stoffvorräte nötig. Und für solche gewaltige Aufgabe war der Geheimrat Alfred Hugenberg sicherlich ein sehr geeigneter Mann, mochte er auch ein Schwadroneur sein und gern von Din­ gen reden, von denen Gustav nichts wissen wollte. Nichts wissen wollen - das war schon vor 1914 eine in Deutschland weitverbreitete Neigung, die von »Majestäts­ gläubigkeit« ergänzt wurde. »Taffy« brachte es in beidem zu Rekorden. Er, der nominelle Chef des größten Rüstungskon­ zerns der Welt und des größten Industrieunternehmens des Kontinents, interessierte sich wirklich nicht für Politik, und wahrscheinlich war er tatsächlich überrascht, als plötzlich der Weltkrieg ausbrach. Hätte er, anstatt Kursbücher, seriöse Zei­ tungen gelesen, wäre er nicht so erstaunt gewesen über das, was nach dem 1. August 1914 kam. Daß sich alles hatte klar voraus­ sehen lassen, dafür gibt es zahlreiche Beweise. Den klarsten liefert ein - leider allzuwenig bekanntes - Zeitdokument, ein am 30. Juli 1914 geschriebener, in Satz gegebener, dann aber wegen der im Zuge der Mobilmachung einsetzenden Militär­ zensur nicht mehr veröffentlichter Leitartikel der auflagen­ stärksten deutschen Zeitung jener Tage, der >Berliner Morgen­ posts aus der Feder Dr. Arthur Bernsteins. Es heißt darin : * »In wenigen Tagen wird sich die Spannung zur Katastrophe gesteigert haben. Es besteht kein Zweifel mehr, die Nikolajewitsche diesseits und jenseits wollen den Krieg . . . Wenn die Kriegshetzer soviel Verstand hätten, wie sie bösen Willen * Der volle Text findet sich im Dokumentenanhang.

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haben, dann würden sie wahrscheinlich weniger Getöse machen. Ihre Rechnung ist falsch . . . Darum also im letzten Augenblick: Die Kriegshetzer verrechnen sich! Erstens: Es gibt keinen Dreibund. Italien macht nicht mit, jedenfalls nicht mit uns; wenn überhaupt, so stellt es sich auf die Seite der Entente. Zwei­ tens: England bleibt nicht neutral, sondern steht Frankreich bei . . . England duldet auch nicht, daß deutsche Heeresteile durch Belgien marschieren, was ein seit 1907 allgemein bekann­ ter strategischer Plan ist. Kämpft aber England gegen uns, so tritt die ganze englische Welt, insbesondere Amerika, gegen uns auf. Wahrscheinlich aber die ganze Welt überhaupt. . . Drittens: Japan greift Rußland nicht an, wahrscheinlich aber uns . . . Viertens: Die skandinavischen Staaten (unsere >germanischen< Brüder) werden uns verkaufen, was sie entbehren können, aber sonst sind sie uns nicht zugeneigt. Fünftens: Osterreich-Ungarn ist militärisch kaum den Serben und Rumänen gewachsen . . . Uns kann es nichts geben. Sechstens: Eine Revolution in Rußland kommt höchstens dann, wenn die Russen unterlegen sind . . . Unsere Botschafter kennen die Lage. Auch Herr von Bethmann muß sie kennen. Es ist nicht denkbar, daß er das Reich durch Unverantwortliche in einen drei- bis fünfjährigen Krieg hineinsteuern läßt, während er aus Scheu vor den Drohungen der Alldeutschen und Militaristen seiner Verantwortung sich entledigt. Ob wir am Ende dieses furchtbarsten Krieges, den die Welt je gesehen haben wird, Sieger sein werden, steht dahin. Aber selbst wenn wir den Krieg gewinnen, so werden wir nichts gewin­ nen . . . Deutschland führt den Krieg um Nichts, wie es in den Krieg hineingegangen ist für Nichts. Eine Million Leichen, zwei Millionen Krüppel und fünfzig Milliarden Schulden werden die Bilanz dieses >frischen fröhlichen Krieges< sein. Weiter nichts.«

Nun, wie wir wissen, fiel die Bilanz dann tatsächlich noch sehr viel trauriger aus, und auch das war schon zu ahnen. Aber unterstellen wir ruhig, daß »Taffy« - im Gegensatz zum Leit­ artikler der >Berliner Morgenpost< und vielen anderen Warnern sich mangels jeglicher Phantasie keine Vorstellung vom mög­ lichen Ausgang dessen machen konnte, was da im August 1914 von den »Nikolajewitschen * diesseits und jenseits« so leicht­ sinnig begonnen wurde, ja, daß er wirklich vom Ausbruch des * Großfürst Nikolaj Nikolajewitsch, ein Onkel des Zaren, war vor 1914 der Pührcr der »Kriegspartei« in Rußland, bis 1915 Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte.

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Weltkrieges »überrascht« worden ist. Dem Vorsitzenden des Krupp-Aufsichtsrats, dessen Direktion oftmals über bessere Nachrichtenquellen in aller Welt verfügte als die Regierung in Berlin, und dem Hausherrn der »Villa Hügel«, wo die Herr­ schenden und Wohlinformierten des Landes bis hinauf zum Kaiser ein und aus gingen, wäre zwar ein glänzender Überblick über die Weltlage jederzeit möglich gewesen. Aber »Taffy«, der schnelle Esser, dem Gespräche verhaßt waren und der seine Gäste mit der Stoppuhr in der Hand bewirtete, kümmerte sich ausschließlich um seine eigenen begrenzten Pflichten, und zu denen gehörte es seiner Meinung nach nicht, über mögliche Gründe oder gar Folgen eines ungewöhnlich kräftigen Rü­ stungsbooms zu grübeln. Dafür gab es zum Glück bezahlte Fachleute, die sich indessen auch nicht um Politik zu kümmern hatten. Das war allein Sache des allergnädigsten Landesherrn und seiner dafür angestellten Beamten . . . Krupp-Hasser wandten und wenden dagegen ein, daß es untrüg­ liche Anzeichen dafür gebe, wie wohlinformiert und glänzend vorbereitet Krupp in den Ersten Weltkrieg gegangen sei: Hatte Essen nicht schon jahrelang vorher kostbare Legie­ rungsmetalle gehortet - über zwanzigtausend Tonnen Nickel aus Neukaledonien, beinahe fünftausend Tonnen Ferrosilizium . . .? War nicht mit den Lieferanten, französischen Geschäfts­ leuten, die enorme Erhöhung ausdrücklich »im Hinblick auf die Möglichkeit eines Krieges« vereinbart worden . . . ? Hatte man nicht spanische und schwedische Erze in so ge­ waltigen Mengen importiert, wie man sie nicht in einem Jahr­ zehnt benötigen konnte, wenn nicht durch einen großen Krieg ein steiler Produktionsanstieg einsetzte . . .? Und war nicht kurz vor Kriegsausbruch das Aktienkapital von Krupp, trotz eines drohenden Konjunkturrückschlages, von hundertachtzig auf zweihundertfünfzig Millionen Mark erhöht worden? »Sowohl die deutschen Flottengesetzte der Jahrhundertwende als auch der Übergang zum DreadnoughtKurs von 1908 wurden vorher von gewaltigen Werkserweite­ rungen bei Krupp angekündigt«, bemerkte Menne hierzu, und: »Seit 1913 drohte ein schwerer Rückschlag . . . Womit rechnete Krupp, wenn er trotzdem die Hereinnahme von siebzig Millio­ nen neuen Kapitals beschloß . . . ?«

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Diese letzte Frage bringt uns zum Kern des Problems, mit dem sich alle Krupp-Biographen, Hasser wie Fans, herumzuschlagen hatten und um das wir auch nicht herumkommen: Wer oder was war »Krupp« . . .? War es »die Firma«, »das Direktorium«, »die Unternehmens­ leitung« . . .? Oder war es »Taffy«, der ja schließlich, dank »Willy«, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach hieß. . . ? Oder war es »die Familie«, in welchem Falle auch Bertha und die Kinder, deren Großmama Margarete geborene von Ende, ferner Tante Barbara und Onkel Tilo von Wilmowsky sowie deren Kinder dazugehörten? Oder war es nur Bertha, die »Alleininhaberin«? Oder waren es Gustav und Tilo, die dem Aufsichtsrat vorstanden, samt Bertha, der schließlich alles gehörte, und dem Direktorium mit Geheimrat Hugenberg an der Spitze, das mehr oder weniger selbstherrlich alles plante, leitete und entschied . . .? Wenn wir zu der diese Überlegungen auslösenden Frage Mennes zurückkehren - womit »Krupp rechnete«, als er kurz vor Kriegsausbruch sein Kapital erhöhte -, so wird das Problem noch ein bißchen komplizierter: Gustav und Bertha, die natürlich gefragt werden mußten, rechneten zweifellos nur damit, daß der Herr Geheimrat Hugen­ berg schon alles recht machen werde; Gustav und Tilo verge­ wisserten sich im Aufsichtsrat, daß die Kapitalerhöhung juri­ stisch und finanziell unbedenklich, ein bloßes Zahlenspiel und durchaus im Sinne der Regierung wäre, Allerhöchstdesselben Beifall finden würde und zudem gewisse Vorteile hätte (auf die wir gleich noch zu sprechen kommen werden). Daß die Kapitalerhöhung nur eine von vielen Maßnahmen war, mit denen der Krieg vorbereitet wurde, hätten Gustav und Bertha natürlich wissen können und dennoch unbedenklich zugestimmt, aber sie wollten davon gar nichts wissen - Gustav schon überhaupt nicht, und Bertha, die sich vielleicht dafür interessiert hätte, war ja »nur eine Frau«. . . Von allem anderen, den Nickel-, Silizium- und sonstigen Rohstoffhortungen, erst recht von den geheimen Abmachungen, teils mit Berlin, teils mit Deutschlands Feinden, von der Finanzierung der Kriegs­ hetzer und ihrer Presse - nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland, wo beispielsweise französische Zeitungen, die Revanche predigten, gleichfalls unterstützt wurden, denn ihr Geschrei erhöhte ja die Bereitschaft des Reichstages, Rüstungs­ gelder zu bewilligen! - und von noch düstereren Dingen,

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wollte »die Familie«, »Taffy« an der Spitze, erst recht nichts wissen. Im Rüstungsgeschäft - so dachte man in der »Villa Hügel« gab es sicherlich mancherlei, das sich bürgerlichen Moralmaßstäbeh entzog, aber leider nötig war, wenn das Unternehmen florieren sollte. Um »diese Dinge« kümmerten sich gottlob bewährte Angestellte, die in ihrem Eifer vielleicht manchmal etwas zu weit gingen. Deshalb war es gut, wenn man davon nichts wußte. Der Wettbewerb war hart, die Mittel der Konkur­ renten oftmals schmutzig. Vielleicht waren die Methoden, die das Direktorium von bestimmten Leuten anwenden ließ, auch nicht ganz fein. Darum mußte sich »die Familie«, die das altange­ sehene Unternehmen zu repräsentieren, seinen Weltruf zu wah­ ren und vaterländische Verantwortung zu tragen hatte, alles weit vom Leibe halten, was den Namen Krupp hätte beschmut­ zen können. . . Im Konkurrenzkampf gegen Erhardts »Rheinmetall« hatte es beispielsweise ein paar unangenehme Pannen gegeben: Da war durchgesickert, daß durch einen Geheimvertrag zwischen Krupp und Schneider-Creuzot jedes Angebot, das »Rheinmetall« ausländischen Abnehmern machte, von Schneider unterboten werden mußte; Verluste wurden dann mit Essen verrechnet. . . Im innerdeutschen Wettbewerb waren Essens Vertreter noch weitergegangen. Alle Erhardtschen Mitteilungen an das Kriegs­ ministerium in Berlin über verbesserte »Rheinmetall«-Verfah­ ren, -Erfindungen oder auch -Lieferpreise wurden vom Berliner Krupp-Vertreter »angekauft« und - unter dem Code-Wort »Kornwalzer« - nach Essen geschickt. Das war leider herausgekommen, und es hatte (unter Führung des darauf spezialisierten Abgeordneten Karl Liebknecht von der SPD) harte Angriffe im Reichstag, eine von der Presse auf­ gebauschte »Kornwalzer-Affäre« und schließlich sogar einen Prozeß gegeben. Zwar war die Sache glimpflich abgegangen: Nur die bestochenen Offiziere wurden streng bestraft; der Berliner Krupp-Vertreter bekam vier Monate Gefängnis mit Bewährung und mußte auf einen Auslandsposten versetzt wer­ den; ein Direktoriumsmitglied erhielt zwölfhundert Mark Geldstrafe... Aber es war sehr gut, daß »die Familie« von nichts etwas gewußt hatte; daß im Prozeß kein Name eines Aufsichts­ ratsmitglieds fiel - außer dem des Geheimen Justizrats August von Simson, der mit dem Hauptbelastungszeugen darüber ver­ handelt hatte, ob man sich nicht verständigen könnte. Aber 259

auch das war noch einmal gutgegangen, dank dem schneidigen Generaldirektor Hugenberg, der es auf seinen Eid genommen hatte, daß Herr von Simson »ein außerhalb der Firma stehender Jurist« wäre . . . »Taffy« hatte sich jedenfalls glücklich gepriesen, daß er nie­ mals so neugierig gewesen war, erfahren zu wollen, woher seine Herren Direktoren eigentlich ihre stets glänzenden Informatio­ nen hätten - er pflegte sie ohnehin nur zu auf Minuten begrenz­ ten Rapporten zu empfangen, im Winter stets bei weitgeöffhetem Fenster und einer auf genau zehn Grad Celsius regulierten Raum­ temperatur -, und er hatte sich geschworen, künftig noch distan­ zierter und kühler zu sein, jede Unterhaltung zu vermeiden und nur noch auf äußerste Pünktlichkeit zu achten. Das trug seine Früchte, denn während noch die Wogen der »Kornwalzer«-Affäre hochschlugen, verlieh ihm der Kaiser, zum Zeichen für die bessere Gesellschaft, daß ein Krupp mit solchem vom Parlament aufgewühlten Schmutz nichts zu tun hätte, die höchstmögliche Stufe des preußischen Ordens vom Roten Adler. Und »Taffy« hätte - wenn er zu solcher Disziplin­ losigkeit fähig gewesen wäre - lächeln können über das, was ein anderer rheinischer Großindustrieller, der von ihm verach­ tete Parvenü August Thyssen, über den Ausgang des Konkur­ renzkampfes zwischen dem Krupp-Konzern und Erhardts »Rheinmetall« schrieb: »Dieser arme Erhardt, der seit fünfzehn Jahren mit einer bei­ spiellosen Energie darum kämpft, seine Fabrikate anzubringen! Man hat versucht, ihn zu ruinieren, hat alles getan, um ihn zu ent­ mutigen und abzulenken. Beispielsweise hatte Erhardt auf der Düsseldorfer Ausstellung sehr schöne Sachen« - es handelte sich um hübsche Maschinengewehre und herrliche neue Geschütze »ausgestellt, geeignet, auch das stärkste Mißtrauen zu über­ zeugen. Der Kaiser kam, blieb eine halbe Stunde im Pavillon von Krupp und setzte keinen Fuß in den von Erhardt. Ergeb­ nis : die Kanonen müssen teurer bezahlt werden, und man wird sie bald durch neue ersetzen müssen. Was soll Erhardt auch groß kämpfen? In Diensten Krupps stehen zwei Brüder von Mini­ stern und der Bruder des Chefs der deutschen Flotte . . .« Diese letzte Bemerkung des alten Thyssen war ausgespro­ chen kleinlich. Genausogut hätte er schreiben können, daß Baron Tilo von Wilmowsky, »Taffys« Schwager, einen ehe­ maligen Chef der Reichskanzlei zum Vater hatte; daß unter den Krupp-Direktoren Admirale und Generale, königlich preußische

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Staatsminister a. D. und sogar ein Reichskanzler-Neffe waren, samt und sonders ausgestattet mit den allerbesten verwandt­ schaftlichen und sonstigen Beziehungen zu hohen und höchsten Stellen. Das war doch für eine »vaterländische Anstalt« vom Range der Firma Fried. Krupp eine Selbstverständlichkeit, genauso wie es für Seine Majestät ganz natürlich war, die Essener Waffenschmiede Allerhöchstselbst nachdrücklichst zu fördern warum hätte der Kaiser sonst seinen Hofbankier in den Krupp­ schen Aufsichtsrat delegiert. . . ? Doch zurück zu der Ausgangsfrage: Wer oder was war »Krupp«? Oder, etwas präziser ausgedrückt: Wer war eigent­ lich verantwortlich für alles das, was im Namen »Krupp« geschah und in der weiteren »Ära Taffy« noch geschehen sollte? Die Fast-Alleinaktionärin Bertha? Ihr Ehemann, der Aufsichtsratsvorsitzer? Der übrige Auf­ sichtsrat und seine Hintermänner? Der schnauzbärtige General­ direktor und seine Nachfolger? Die Leute, die »diese Dinge«, von denen niemand etwas wissen wollte, machten? Oder viel­ leicht die Regierung, die es duldete, daß sie geschahen, oder sie gar förderte, womöglich befahl? Die Frage ist deshalb von entscheidener Bedeutung und ihre Beantwortung dringlich, weil nun, im August 1914, jenes fürchterliche Blutbad begann, das mit leider nur kurzen Pau­ sen über »Taffys« Regierungszeit hinaus andauern sollte. Es hatte zwar auch schon früher, Jahr für Jahr, praktische Anwen­ dungsmöglichkeiten für die Erzeugnisse der Essener Waffen­ schmiede (und ihrer in- und ausländischen Konkurrenz) gege­ ben, Kolonial- und Balkankriege zumeist, desgleichen Ausrot­ tungsversuche an ganzen Völkern, eine Spezialität zumal des türkischen Sultans Abd ül-Hamid II., des ältesten und treuesten Essener Kanonenkunden seit Großvaters Zeiten. Aber es war eben etwas ganz anderes - zumindest fand man das und findet es mitunter noch heute -, ob ein netter alter Barbar, nebenbei ein großer Freund schöner Blumen, Knaben und Mäd­ chen, ein kleines Volk nach dem anderen ausplündern und grau­ sam abschlachten ließ; ob mächtige Industrienationen »bloß« afrikanischen und sonstigen fernen Völkern die Segnungen des Kapitalismus aufzwangen, sie zwecks Ausbeutung zähmten und, wenn ihnen dies nicht gelang, die Aufsässigen durch Ver­ treibung und Hunger untergehen ließen, oder ob die, wie sie

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meinten, höchstzivilisierten, mindestens aber reichsten und mächtigsten Nationen der Welt nun plötzlich alle gegeneinan­ der Krieg führten, ihre Söhne sich mit immer mörderischeren Waffen gegenseitig niedermetzelten, auch auf die einst - in Europa - geheiligten »Nicht-Kombattanten«, wehrlose Zivi­ listen und sogar die Passagiere neutraler Fahrgastschiffe keine Rücksicht mehr nahmen, später auch - und dies trifft nun, zu­ mindest in der »Ara Taffy«, bedauerlicherweise speziell auf das Vaterland der »vaterländischen Anstalt« von Krupp zu - die barbarischen Praktiken Abd ül-Hamids auf lästige Mitbürger, schutzlose Minderheiten und die Bevölkerung unterworfener Nachbarländer anwandten, nur noch mit weit wirksameren Mitteln und gründlicherer Organisation . . . Und es kommt noch ein weiterer bedeutsamer Umstand hin­ zu, der die Frage nach der Verantwortung im Hause Krupp besonders dringlich macht: Deutschland und damit auch die aus Essen stammenden Waffen, soweit sie nicht gegen die Armeen Kaiser Wilhelms ge­ richtet waren (und zum Teil selbst diese, beispielsweise die mit Kruppstahl gepanzerten und mit Kruppkanonen bestückten russischen Festungen in Polen!), unterlagen im Ersten Welt­ krieg, und sie wurden auch im Zweiten Weltkrieg besiegt (des­ sen Ende allerdings nicht mehr in die Ara des seit 1943 nur noch dahindämmernden »Taffy« fiel). Damit war klar, daß den Waffen­ schmieden der Sieger kein Vorwurf erwuchs; daß über deren düstere Vorkriegs- und Kriegspraktiken der Mantel patrioti­ schen Schweigens gebreitet werden konnte, und daß der Anteil der alliierten Pool-Partner von Krupp an der internationalen Hetze zu fieberhaftem Wettrüsten und endlicher Erprobung (zwecks raschem Verschleiß) des die Arsenale bis zum Bersten füllenden Kriegsmaterials gütig vergessen wurde, ja, verges­ sen werden mußte . . .! Denn - darauf hatten wohl die ihrer Männer, Väter und Söhne beraubten Menschen daheim und die zurückkehrenden, um ihre gesunden Glieder, mindestens aber um ihre besten Jahre gebrachten Soldaten, vielleicht sogar die Millionen Toten einen Anspruch - alle die schrecklichen Opfer mußten einen Sinn gehabt haben! Sie konnten doch nicht bloß zur Verbesserung der Bilanzen und Stärkung der Herrschaft einiger hundert geld- und machtgieriger Großkapitalisten und ihres Anhangs, zur Befriedigung des Ehrgeizes und der perversen Gelüste von ein paar tausend karrieresüchtiger Militärs und vom

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Annexionsrausch befallener Politiker gebracht worden sein ... ! Zwar dämmerte es schon damals vielen, daß es genau so war aber wer mochte schon sein Augenlicht für Armstrong, seine Söhne für Schneider, den Vater für Vickers, den Mann für Maxim oder beide Beine für Bethlehem Steel geopfert haben ... ? So kam man denn rasch überein, daß zumindest nachträglich ein Sinn für alle Leiden und Opfer gefunden werden mußte, und das war dann verhältnismäßig einfach : »Nie wieder Krieg!« hieß die Parole. Wenn das schaurige Gemetzel wenigstens erreicht hätte, daß es keine Wiederholung der entsetzlichen Fehler mehr geben könnte, dann wären die Toten nicht völlig umsonst gestorben. Und zur Vermeidung einer Wiederholung hieß es, die Schuldigen so hart zu bestrafen, daß ihnen (und auch allen anderen in der Welt) die Lust, Kriege anzuzetteln, ein für allemal verginge. Die Schuldigen - das waren nach dem Ende des Ersten Welt­ krieges indessen keineswegs alle, die Völkerhaß und Krieg gepredigt (oder solche Predigten finanziert), zu Attentaten und Grenzverletzungen angespornt und mit jedem erdenklichen Mittel das Rüstungsfieber zu steigern sich bemüht hatten. Es gehörten nicht etwa auch Männer dazu wie beispielsweise der Großfürst Nikolaj Nikolajewitsch, der friedlich an der Riviera das Millionenvermögen verjubeln durfte, zu dem sein Papa den Grundstock gelegt hatte, dessen Bestechlichkeit durch Rü­ stungsindustrielle sprichwörtlich gewesen war, oder wie jene pikfeinen, stramm nationalen (und mit der deutschen Rüstungs­ industrie auch noch mitten im Kriege glänzende Geschäfte machenden) Herren der besten Gesellschaft von Paris, die am Vorabend des Kriegsausbruchs den Arbeiterführer Jean Jaurès hatten ermorden lassen, vielleicht der einzige Mann, dessen Vernunft und auf höchstem Ansehen beruhender Einfluß den französischen Chauvinisten noch hätten pari bieten können . . . Es gäbe aus jedem der kriegführenden Länder übergenug Beispiele zu nennen (und auch aus den Reihen der Neutralen), doch alle diese in hohem Maße Mitschuldigen waren verges­ sen, und selbst jene Herren vom Ballhausplatz in Wien, die nach demAttentatvonSarajewodasUltimatumanSerbienbiszurUnannehmbarkeit verschärft hatten und, als es dann dennoch angenom­ men wurde, sich nicht damit zufriedengaben, weil sie sonst auf den so sehnlichst gewünschten Krieg hätten verzichten müssen, so­ gar diese doch wahrlich Mitschuldigen vergaß man rasch.

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Man hielt sich an den Hauptgegner, an den, der am längsten und härtesten Widerstand geleistet und sich während des Krie­ ges zu dem verzweifelten, dabei letztlich unwirksamen und die ganze Welt in Empörung versetzenden Mittel des uneinge­ schränkten U-Boot-Angriffs auch auf neutrale und unbewaff­ nete Schiffe verstiegen hatte; an Deutschland, dessen Kaiser sich mit seiner Großmannssucht und seinen in grenzenloser Über­ heblichkeit nach allen Richtungen hin verteilten Taktlosigkeiten beinahe jedermann in der Welt zum Feind gemacht hatte. Ursprünglich sollten der Kaiser, der Kronprinz, die deut­ schen Heerführer und Admirale sowie Hunderte von weiteren mehr oder weniger wichtigen Personen, unter ihnen natürlich auch »Taffy«, von Deutschland an die Alliierten ausgeliefert und von diesen als Kriegsverbrecher abgeurteilt und bestraft werden. Man versprach sich davon eine große erzieherische Wirkung sowie viel Trost für alle diejenigen, denen der Krieg entsetzliche Opfer abverlangt hatte. Aber Erziehung und Trö­ stung mußten schließlich doch ausfallen-aus mehreren Gründen: Erstens war die Hauptperson, der Deutsche Kaiser, recht­ zeitig nach Holland geflüchtet, wo man ihm Asyl gewährt hatte. Auch Exzellenz Erich Ludendorff, zuletzt der eigentliche Machthaber, hatte sich, mit falschem Bart und blauer Brille verkleidet, nach Schweden abgesetzt . . . Zweitens weigerten sich die neuen Herren in Berlin, biedere Sozialdemokraten, die alle Hände voll zu tun hatten, das ihnen von ihren Vorgängern hinterlassene Chaos zu bewältigen, irgend jemanden an die rachedurstigen Sieger auszuliefern, und die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes war auch der Meinung, daß so etwas nicht in Frage käme . . . Drittens aber - und das war der entscheidende Punkt - hatten sehr rasch auch die Regierungen der Siegerstaaten eingesehen, daß der Einfall, die deutschen Führer vor ein internationales Gericht zu stellen, längst nicht so gut war, wie man ursprünglich angenommen hatte. Wie sollte man in einem einigermaßen ordentlichen Gerichtsverfahren, das diesen Namen verdiente, die Angeklagten daran hindern, Vergleiche zwischen ihren Handlungen und denen ihrer Kollegen auf alliierter Seite zu ziehen? Was aber hätte das für einen Eindruck auf die Welt­ öffentlichkeit gemacht!? Am Ende wären die Engländer, Fran­ zosen und Amerikaner zu der Überzeugung gelangt, daß man gerechterweise, neben Exzellenz Ludendorff und Großadmiral Tirpitz, auch die eigenen wackeren Feldherren und Flottenchefs

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aufknüpfen müßte; daß die führenden Persönlichkeiten des internationalen Panzerplatten-, Kanonen- und Zeitzünder­ pools um keine Spur besser, nur siegreicher waren als beispiels­ weise ihr Kollege Krupp ... Und, da wir damit wieder bei einem - glücklicherweise nicht ausgelieferten und vor Gericht gestellten - Chef des Hauses Krupp sind, was hätte man »Taffy« eigentlich vorwerfen wol­ len . . .? Daß Krupp die U-Boote gebaut hatte? Daß die »dicke Bertha«, die man mit unendlicher Mühe den ins neutrale Belgien eingefallenen deutschen Truppen hinterhertransportiert und gegen die Forts von Lüttich, später auch auf Paris gerichtet hatte, in Essen hergestellt worden war ? Nein, solche und tausend ähnliche Vorwürfe wären zu absurd gewesen! Man hätte sich schon mehr anstrengen müssen. Aber nehmen wir einmal an, die Anklage hätte gelautet auf »planmäßige Vorbereitung eines Angriffskrieges, Volksverhet­ zung und Mitwirkung bei der Ausarbeitung von Annexions­ plänen«? Wäre die Verteidigung nicht sofort in der glücklichen Lage gewesen, solche Anschuldigungen mit dem Hinweis auf die allgemein übliche internationale Praxis zu entkräften? Und hatte Krupp nicht zudem auch entscheidende Beiträge zu den alliierten Kriegsanstrengungen geliefert ? Allein für die PKZ-Lizenzvergabe (für die Albert Vickers Frau Bertha Krupp übrigens noch zirka drei Pfund Sterling für jeden in britischen Frontabschnitten gefallenen Deutschen schuldete und später auch brav bezahlte) gebührte dem Reprä­ sentanten des Hauses Krupp mindestens die Ehrendoktorwürde der Universität Cambridge und das George Cross *, zumal er in seinem Heimatland schon allein für die »dicke Bertha« mit einem Ehrendoktorat der Philosophie von der Universität Bonn und mit dem - eigentlich nur für Frontsoldaten bestimmten - Eiser­ nen Kreuz i. Klasse von Seiner Majestät Allerhöchstselbst aus­ gezeichnet worden war . . . Indessen wäre vielleicht gerade die Erwähnung der geldlichen Ansprüche aus dem Zeitzünder-Geschäft unklug gewesen und - zunächst, solange die vom Krieg gerissenen Wunden noch so frisch waren - besser unterblieben. Die Transaktionen mit Vickers und die zahlreichen sonstigen lukrativen business deals und petites combinaisons mit den aus der Vorkriegszeit her * Diese hohe britische Kriegsauszeichnung wurde zwar erst später gestiftet, aber die Devise dieses Ordens »For Gallantry« (was nicht nur »Für Tapferkeit«, sondern auch »Für galante Aufmerksamkeit« bedeuten kann) wäre für die Zünderlizenzvergabe an Vickers besonders passend gewesen.

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befreundeten späteren Feindfirmen hätten ja doch nur die lei­ dige Frage aufgeworfen, wieviel von Krupp eigentlich am Kriege verdient worden wäre. Nun, auch auf diese heikle Frage hätte die Verteidigung eine ausgezeichnete Antwort gehabt: Nichts!! Und wenn dann alle erstaunt die Brauen gehoben und ungläubig die Köpfe geschüt­ telt hätten, wäre die Erläuterung gekommen: Krupp hat am Kriege deshalb nichts verdient, weil die Dividende nicht oder kaum höher war als in der Vorkriegszeit ... Ja, 1914 war sie sogar ein wenig niedriger als 1913 ! (Wobei allerdings, wie man um der Gerechtigkeit willen hinzufügen müßte, dazu als Ver­ teidiger aber nicht verpflichtet ist, zwölf Prozent von zweihun­ dertfünfzig Millionen Mark immer noch mehr sind als vierzehn Prozent von hundertachtzig Millionen . . .! Wie gut, daß es kurz vor Kriegsausbruch eine Kapitalerhöhung gegeben hatte . . .) Nun, die indiskrete Frage nach den Kriegsgewinnen wurde nicht gestellt. Es wurden überhaupt keine Fragen gestellt, und so brauchte auch nichts beantwortet zu werden, denn es kam ja niemand vor Gericht, jedenfalls nicht nach dem Ersten Welt­ krieg . . . Es scheint indessen dennoch interessant - und Fans wie Hasser haben sich auch ausgiebig damit beschäftigt -, wieviel Krupp nun wirklich am Kriege 1914/18 verdient hat. Der größte Krupp-Bewunderer, Dr. Dr. h. c. Gustav mit dem Eisernen Kreuz, hat zu dem Problem lange geschwiegen, es erst im Januar 1934 angeschnitten und dann zur allgemeinen Verblüffung erklärt: »Es blieb oberster Grundsatz vom ersten Tage des Krieges an, daß die Inhaber des Unternehmens am Kriege kein Geld verdienen wollten!« »Taffy« erntete damals für diese auf den ersten Blick etwas kühne, bei näherem Hinschauen aber auch sehr vieldeutige Behauptung, wie das Protokoll vermerkte, »lang anhaltenden Beifall«, wohl auch einzelne Bravo-Rufe, und der junge Direk­ tions-Assistent, der für das Direktorium die Rede entworfen hatte, die dann - nach geringfügigen Korrekturen - vom Chef persönlich verlesen worden war, fühlte sich gewiß sehr ge­ schmeichelt. Es war ja auch wirklich eine sehr hübsche FormuAbgesehen davon, daß es keine »Inhaber« gegeben hatte, sondern nur die Fast-Alleinaktionärin Bertha, und wenn man ferner unberücksichtigt läßt, daß bei aller deutlichen Erinnerung 266

an gute Absicht, die das Wort wollten zum Ausdruck brachte, später dann doch erzielte Gewinne unerwähnt blieben, besagte die Formulierung ja keineswegs, daß überhaupt kein Geld ver­ dient werden sollte, sondern nur nicht am Kriege, also nicht (oder nicht viel) mehr als im Frieden - etwa in dem Sinne, daß man in Essen, als plötzlich die lang erwartete, noch nie zuvor da­ gewesene Nachfrage nach Kanonen, Granaten, Panzerplatten, Stacheldraht und U-Booten einsetzte, nun nicht etwa sogleich beschloß, die Preise zu verdoppeln oder gar zu verdreifachen, was ja auch möglich gewesen wäre. Vielmehr war man überein­ gekommen, sich patriotisch weiter mit dem zu bescheiden, was man seit eh und je auf die Kosten aufgeschlagen hatte - mit nur ganz geringfügiger Korrektur nach oben, weil man zwar am Kriege kein Geld verdienen wollte, dies auch zum obersten Grundsatz vom ersten Tage an erhob, die Direktion aber darauf bestand, wenigstens eine kleine zusätzliche Reserve für alle Fälle zu bilden, am besten im neutralen Ausland . . . Krupp-Hasser fanden noch eine weitere Einschränkung in »Taffys« Erklärung, von der Bernhard Menne meinte: ». . . es bleibt die wenig aufregende Tatsache, daß Krupp es während des Krieges für klüger hielt, die Dividende nicht über fünfund­ zwanzig bis dreißig Millionen steigen zu lassen. Auf den über­ schießenden Gewinn, von dem nur eine bescheidene Stiftung für die Kriegsopfer abging, verzichteten die »Inhaber« zugun­ sten - der »Firma«. Da diese mit jenen identisch ist, bedeutet das angebliche Opfer nichts als eine interne Verschiebung, etwa aus der rechten in die linke Tasche . . .« Menne rechnete dann vor, daß die gesamten Kriegsgewinne der Essener Waffenschmiede auf mindestens achthundert Millio­ nen Mark geschätzt werden könnten, und er zitierte den »Artil­ leriechef Müller«, der »nach eingehendem Aktenstudium über die Kriegswirtschaft« zu der Feststellung gekommen wäre: »Die Tatsache des vom Reich nicht gebändigten Gewinn­ rausches der Bevorzugtem hat entscheidend zu unserm Zusam­ menbruch beigetragen«, und daran mag etwas Wahres sein . . . Die tatsächlichen Kriegsgewinne des Hauses Krupp werden sich auch bei noch so gründlicher Forschungsarbeit niemals mehr genau ermitteln lassen. Sie wurden mit allzu vielen, äußerst komplizierten und ungemein diskret durchgeführten Trans­ aktionen erfolgreich verschleiert, und die meisten Unterlagen sind verschwunden oder werden noch immer geheimgehalten. Daß indessen auch heute noch ein bißchen davon übrig ist und 267

sogar einem Familienmitglied, nicht der Essener Krupp-Stif­ tung oder der Fried. Krupp GmbH gehört, davon kann man sich leicht überzeugen: Eines der Häuser, die »Taffys« Enkel, Arndt von Bohlen und Halbach, dem Gatten der (Prinzessin) Hetty Auersperg, von seinem verstorbenen Vater hinterlassen wurden, liegt im Salz­ burger Land. Es ist ein schönes altes Haus, genauer gesagt: ein Schloß mit rund fünfzig Schlafzimmern und vielen großen Wohnräumen. Zu dem Schloß gehören nicht nur weite, sehr gepflegte Rasenflächen und zahlreiche Neben- und Wirtschafts­ gebäude, sogar ein eigenes Elektrizitätswerk, das die umliegen­ den Gemeinden mit Strom versorgt, sondern auch riesige, sehr wildreiche Wälder, Almen, Forsthäuser, Jagdhütten, Bäche und Berge. Der ganze Besitz ist mit hundertzweiundfünfzig Qua­ dratkilometern Fläche fast genauso groß wie das Fürstentum Liechtenstein und macht seinen Eigentümer, den gelegentlich als »letzten Krupp« bezeichneten Arndt, zum - nach dem Für­ sten Esterhazy - zweitgrößten privaten Grundbesitzer der Bundesrepublik Österreich. Dieses Blühnbach - so heißen Schloß und Besitzung - wurde gegen Ende des Ersten Weltkriegs aus dem Nachlaß des in Sara­ jewo ermordeten Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand von Bertha und »Taffy« käuflich erworben - übrigens auch nicht direkt, sondern unter Zwischenschaltung damals noch lebender österreichischer Krupps, Nachkommen des von Alfred dem Großen nach Wien abgeschobenen Bruders Hermann . . . Ein paar Millionen sind also auf jeden Fall und bei allem guten Willen, am Kriege nichts zu verdienen, trotzdem zwischen 1914 und 1918 in Berthchens Privatschatulle geflossen, und ihre Firma bekam, außer den während des großen »Stahlgewitters« erwirtschafteten Riesensummen, deren Höhe nur zu ahnen ist und von Fans auf den ausgewiesenen Reingewinn von 226 Millionen Mark beschränkt, von Hassern dreist auf »mindestens 800« Millionen Mark geschätzt wird, noch zumindest zweimal nachträglich einen unverhofften Batzen Geld: Einmal von Vickers, mit dem »ein sehr anständiger Vergleich« zustande kam, nachdem man sich zunächst über die genaue Höhe der Krupp­ schen Ansprüche nicht einig werden konnte, zum anderen von der neuen Regierung in Berlin! Vier Wochen nach der Revolution sprachen die »Volks­ beauftragten«, wie die Minister anfangs noch hießen, samt und sonders Vertreter von Parteien, die die Sozialisierung der

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Rüstungsindustrie und die Wegsteuerung aller Kriegsgewinne auf ihre Fahnen geschrieben hatten, den vom Waffenstillstand hart getroffenen Kanonen- und Panzerplatten-Lieferanten eine Entschädigung für alle vom Reich bestellten, aber nicht mehr abgenommenen Kriegsmaterialien zu. Die Summe, die Krupp bekam, wurde geheimgehalten, dürfte aber mindestens hundert Millionen Mark ausgemacht haben, vermutlich noch weit mehr. Das war ein (für Krupp) sehr schöner Anfang nach einer (nicht für Krupp) sehr schrecklichen Zeit, zugleich ein Trost für den Abgang Allerhöchstdesselben von der politischen Bühne, denn es zeigte sich, daß sich die neuen Herren in Berlin nicht weniger kulant gegenüber der »vaterländischen Anstalt« verhielten als die bisherigen. Doch ehe wir uns nun endgültig von der soeben untergegangenen wilhelminischen Epoche ab- und der als »Weimarer Republik« bekannten nächsten Vorkriegszeit zu­ wenden, müssen wir endlich die Frage klären, wer eigentlich verantwortlich war für die auswirkungsreiche Firmen-, Finanzund Absatzpolitik der Essener Waffenschmiede. Nun, juristisch war die Lage ganz klar: Bertha, die FastAlleinaktionärin, hatte mit der Geschäftsführung »ihres« Unter­ nehmens nichts zu tun; dafür waren Generaldirektor Hugenberg und der übrige Vorstand, das sogenannte »Direktorium« zu­ ständig. »Taffy« und die anderen Aufsichtsräte hatten den Vor­ stand zwar auszuwählen, zu beaufsichtigen und notfalls abzu­ berufen, doch verantwortlich waren sie eigentlich nur dafür, daß die Kasse stimmte, Berthas Interessen voll gewahrt blieben und niemand die Bilanzen mehr verschleierte als verabredet und eben noch zulässig war. So könnten wir denn die ganze Familie auf dem »Hügel« die Kinder waren ja noch nicht einmal geschäftsfähig - frohen Herzens von jeglicher Verantwortung freisprechen, gäbe es da nicht noch einen sehr heiklen Punkt: Natürlich hatte der Aufsichtsrat auch darauf zu achten, daß Generaldirektor und Vorstand nichts Ungesetzliches oder auch nur grob Sittenwidriges taten oder zuließen (wobei man den Begriff der Sittenwidrigkeit, zumal im internationalen Rüstungs| geschäft, nicht allzu engherzig auslegen durfte und darf; vieles, was dem schlichten Gemüt eines Laien seltsam erschien und jnoch heute höchst bedenklich erscheint, war und ist ja nichts ‘als die allgemeine, von der Tradition geheiligte und von allen Autoritäten mindestens stillschweigend gebilligte Praxis . . .). Nun hatte man aber während des Ersten Weltkrieges im 269

besetzten Belgien, dessen auch vom Deutschen Reich vertrag­ lich garantierte Neutralität ohnehin schon auf das schwerste verletzt worden war, Zivilisten gegen deren Willen dienstver­ pflichtet und sie unter anderem auch zu Tausenden nach Essen geschickt, wo sie bei Krupp Zwangsarbeit, noch dazu in der Kriegsrüstung, leisten mußten . . . Das war - man kommt nicht umhin, dies zu bemerken eine von den Militärs geforderte und der sehr widerstrebenden Reichsregierung mit dem Hinweis, sonst wäre der Sieg nicht zu erringen, abgepreßte Notmaßnahme, nichtsdestoweniger aber eine eklatante Verletzung internationaler Abmachungen. Krupp-Hasser weisen nun gern darauf hin, daß »Taffy« per­ sönlich ein Großteil der Verantwortung für diesen Völker­ rechtsbruch getragen hätte. Ihr Kronzeuge ist Exzellenz Ludendorff, der eigentliche Initiator, der darüber, wie er dazu gekommen wäre, dem von moralischen Bedenken gequälten Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg die Zwangs­ rekrutierung belgischer Arbeiter für die deutsche Rüstungs­ industrie abzuringen, in seinen Memoiren von einer Anfang September 1916 unternommenen Inspektionsreise durch die besetzten Westgebiete erzählt: »Am nächsten Vormittag besprach ich auf meiner Reise diese Angelegenheit mit Herrn Duisberg (von IG Farben) und Herrn Krupp von Bohlen und Halbach, die ich gebeten hatte, mich im Zug zu begleiten. Sie hielten eine Erhöhung (der Produktion) des Kriegsgeräts aufgrund unserer Rohstofflage für durchaus möglich, wenn die Arbeiterfrage gelöst würde.« Der amerikanische Ludendorff-Forscher D. J. Goodspeed hat dieser für »Taffy« angeblich so belastenden Aussage noch eine Nuance hinzugefügt, die die Sache scheinbar noch schlim­ mer macht: Als Tilo von Wilmowsky, »Taffys« Schwager und Stellvertreter im Aufsichtsratspräsidium, damals Adjutant des deutschen Militärgouverneurs in Brüssel, von dem Einsatz belgischer Zwangsarbeiter in Essen erfuhr, wäre dieser ehren­ hafte, in besten preußischen Traditionen verwurzelte Beamte und Offizier alter Schule entsetzt gewesen, hätte sogleich an »Taffy« geschrieben und ihn dringend gebeten, umgehend in dieser Angelegenheit beim Kaiser zu intervenieren. Doch der Essener Schwager hätte dies »unter Bedauern« abgelehnt, und zwar mit der lapidaren Begründung, »man müsse gehor­ chen« . . . Beide Darstellungen sind durchaus glaubwürdig; die zweite

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wurde überdies von Schwager Tilo in späteren Jahren aus­ drücklich bestätigt. Und doch zeigen diese »Beweise« in Wirk­ lichkeit genau das Gegenteil dessen, was die Krupp-Hasser - und auf ihre, natürlich ganz andere Weise auch die Krupp-Verehrer immer wieder darzustellen versucht haben und noch versuchen: keinen souveränen - infolgedessen auch für »sein« Unternehmen voll verantwortlichen - Kanonenkönig, der die Militärs und Politiker nach seiner Pfeife tanzen, sie auch, wenn es ihm nütz­ lich schien, Völkerrechtsbrüche begehen und vom Kaiser, der einzig höheren, aber eng befreundeten Instanz, zur Räson brin­ gen ließ, wenn sich ausnahmsweise mal irgendeiner »Humani­ tätsduselei« gestattete, sondern vielmehr einen selber gut dres­ sierten, eifrigen und gehorsamen »Taffy«, der genau das - und nur das - sagte, tat oder zuließ, was höheren Ortes von ihm ver­ langt wurde. Die höchste Instanz im Reich war übrigens gegen Ende 1916 de facto längst nicht mehr der Kaiser, der selbst nur noch eine »Taffy«-Rolle spielte, auch nicht der von Skrupeln geplagte, aber schwache und von den Alldeutschen mit Drohungen, sein »allerprivatestes Herz« zu enthüllen, erpreßte Reichskanzler von Bethmann Hollweg, nicht einmal der aus dem Ruhestand zurückgeholte, schon zuvor geistig nicht sehr regsame Ober­ befehlshaber Paul von Beneckendorff und Hindenburg, sondern dessen Generalquartiermeister Erich Ludendorff. Ludendorff brauchte für eine neue Offensive, die den im Westen und Osten eingegrabenen deutschen Truppen zum Sieg, mindestens aber zu neuem Geländegewinn verhelfen sollte, mehr Soldaten und mehr Kriegsmaterial. Beides konnte ihm nur die deutsche Industrie liefern, indem sie Rüstungsarbeiter für den Heeresdienst freistellte und mit neuen Hilfskräften mehr produzierte als bisher. Einen Teil der einzuberufenden Arbeiter konnte man durch Frauen ersetzen, aber für die Kohlenzechen und Erzgruben, an den Hochöfen und in den Schmieden brauchte man an solche und andere Schwerarbeiten gewöhnte Männer. Völkerrechtliche Bedenken in allen Ehren, aber es gab Facharbeiter-Reserven nur noch in den besetzten Gebieten. Also setzten Ludendorff und seine Freunde, zu denen auch und besonders die Alldeutschen zählten, den zögernden Reichs­ kanzler unter Druck, die Zwangsrekrutierungen zu genehmi­ gen. Es war eine bloße Formsache, vorher zwei prominente Industrielle höflich zu fragen, warum sie bei ausreichenden Roh­ stoffvorräten nicht ein bißchen mehr produzierten. Die erwartete 271

Antwort war den befragten Herren ebensogut bekannt wie der Heeresleitung die Lage der Rüstungsindustrie. Und bezeich­ nenderweise ließ sich Exzellenz Ludendorff das gewünschte Stichwort nicht von den mit allen Details vertrauten Speziali­ sten geben, etwa vom Krupp-Generaldirektor Hugenberg, einem alldeutschen Freund noch dazu, sondern von einer höl­ zernen Galionsfigur, »Herrn Krupp von Bohlen und Halbach«, wie er in seinen Memoiren ausdrücklich vermerkt. Und »Taffy«, der von seinem Direktorium natürlich instruiert worden war, was Ludendorff von ihm zu hören wünschte; der sich dann im Aufsichtsrat bei den Vertrauensmännern des Kaisers vergewissern konnte, daß »von Allerhöchster Stelle« keine Bedenken erhoben würden, und der gewiß vorsichtshalber auch noch seine gestrenge Frau, die »Alleininhaberin«, um ori­ ginal-kruppschen Segen für die im Generalregulativ ihres verewigten Großvaters nicht ausdrücklich erwähnte Verwen­ dung unfreiwilliger Ersatz-»Kruppianer« aus Belgien gebeten hatte, teilte seinem über die Zusammenhänge anscheinend nicht so gut unterrichteten Schwager auf dessen Entrüstungsschrei nur kurz und bündig mit, daß »man gehorchen müsse« . . . Nein, dieser »Taffy« war außerstande, sich dem Zwang der Notwendigkeit zu entziehen, ihm auferlegte Pflichten nicht ge­ wissenhaft zu erfüllen oder gar moralische Bedenken anzu­ melden, wenn es klare Befehle auszuführen galt. Dazu wäre er gar nicht fähig gewesen. Er konnte Ehrengäste abfüttern, Unter­ schriften leisten, Kinder zeugen, Jubilare ehren und jenes Mini­ mum an Kontakt zum obersten Management der Firma halten, das die Konvention sogar einer »Alleininhaber«-Familie abver­ langt. Allein nach diesen Fähigkeiten war er ausgesucht worden, und da er zuverlässig, korrekt und vor allem pünktlich war, erledigte er seine Aufgaben streng der Reihe nach, nach pein­ lich genau eingeteiltem Zeitplan und mit der Stoppuhr in der Hand. Tauchten Probleme auf oder waren Entscheidungen zu tref­ fen, die nicht zur täglichen Routine gehörten, so gab es dafür Instanzen, die jeden Zweifel beseitigten: Für juristische Be­ denken war der Geheime Justizrat von Simson zuständig; für Vereinbarkeit mit der Tradition des Hauses das Generalregulativ und Frau Bertha; für Fragen der Staatsräson Seine Majestät und die vom Kaiser bestimmten Vertrauenspersonen. Für solche notwendigen Absicherungen mußte unter Um­ ständen der Zeitplan geändert werden. Das war lästig genug,

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doch durch rigorose Straffung ließen sich die wenigen Minuten noch herausholen, die derartige Konsultationen erforderten. Eigene Gewissenserforschung unterblieb indessen. Es ist auch fraglich, ob dabei etwas herausgekommen wäre. »Taffy«, der nach dem bedauerlichen Ableben von Exzellenz Fritz sorgsam ausgewählte und eingesetzte Ersatz-Krupp, funktionierte nach Art eines Computers, der auch nur Entschei­ dungen liefern kann, für die er programmiert worden ist. Mit Gefühl, Ethik und ähnlich Zweckfremdem hatte man ihn nicht gefüttert. Man kann es auch freundlicher sagen: Dem kleinen Gustav Halbach war schon nicht an der Wiege gesungen worden, daß er einmal zum niederen Adel gehören würde, aber damit konnte er sich dann gerade noch abfinden. Als er jedoch mit sechsunddreißig Jahren aus seiner Beamten­ karriere und seinen bescheidenen, mit steifer Würde und pein­ licher Korrektheit erfüllten Pflichten bei der königlich preußi­ schen Gesandtschaft am Vatikan gerissen, von Seiner Majestät Allerhöchstselbst zum Krupp ernannt und mit der »besten Partie des Reiches« belehnt wurde, stand dem Herrn Legationsrat wohl zunächst einmal der (durchaus mittelmäßige) Verstand still. Erst als man ihm haargenau erklärt hatte, was von ihm erwar­ tet wurde - reibungsloser Ablauf eines umfangreichen Reprä­ sentationsprogramms ohne Pannen oder gar Skandale, äußerst korrekte Erfüllung aller Pflichten gegenüber Kaiser, neuer Ehefrau und künftiger Familie sowie Wahrung der Krupp­ schen Traditionen -, erwachte er wieder aus seiner Erstarrung, und dann lief »Taffy« wie am Schnürchen, führte Befehle aus, wie er es gelernt hatte, sehr erleichtert, daß er so gut wie nichts selbst zu entscheiden brauchte, sondern nur Programme einhalten, Erwartungen erfüllen, Instruktionen befolgen mußte. Genie, Initiative, Skrupel, mitreißende Führereigenschaften oder schwere Denkarbeit wurden von ihm nicht gefordert; sie waren nicht einmal erwünscht. Alles, was man von ihm sonst noch erwartete, war ein bißchen höfische Geschmeidigkeit, natürlich nur dort, wo sie angebracht war. Und Verantwortung vor Gott und den Menschen galt es nur im konventionellen Rahmen zu tragen, so wie Feldmarschälle für ihre Armeen und der Kaiser für das Reich, also allenfalls nominell, aber nicht wirklich. Und damit beantwortet sich auch die Frage, ob »Taffy« für

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das, was bei und durch »Krupp« geschah (und noch geschehen sollte), verantwortlich war. Als rein dekorativer Vorsitzender eines vorwiegend aus kai­ serlichen Vertrauensleuten bestehenden Aufsichtsrates war »Taffy« eine Art Hindenburg, wobei Geheimrat Hugenberg die Rolle des Ludendorff zufiel; als Prinzgemahl der »Alleininhabe­ rin« Bertha hatte er nicht einmal den Symbolwert, geschweige denn die Macht eines Souveräns. Nein, man konnte und kann ihn wirklich nicht verantwortlich machen für das, was geschah, allenfalls dafür, daß er die Rolle übernahm, die ihm zugewiesen wurde . . . Aber, ach, es gab in Deutschland, genau wie überall sonst in der Welt, unzählige kleine und große »Taffys«, mustergültige Pflichterfüller, peinlich korrekte, pedantisch genaue und äußerst pünktliche Programmabwickler, die jede ihnen zugewiesene Rolle zu spielen bereit waren, wenn sie nur »Ehre und Prosperi­ tät« verhieß oder wenigstens ein beifälliges Nicken der jeweils allerhöchsten Stelle, und die ihr Gewissen in der Westentasche trugen, an einer zunächst goldenen, später eisernen Kette, leise tickend zwar, aber nur die Sekunden und Minuten zählend, die es für diese oder jene Pflicht aufzuwenden galt . . . Man müßte sie samt und sonders gleichfalls verantwortlich machen, und das geht natürlich nicht. Zugegeben, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach stand an besonders exponierter Stelle, an der Spitze der Waffen­ schmiede des mächtigen Reiches, das am Ausbruch des Krieges nicht ganz unschuldig war, schlimmer noch: den mörderischen Kampf am Ende verlor! Aber gerade diese Umstände, die »Taffy« in eine besonders gefährliche Lage brachten, zeigen auch deutlich und zu seinem Vorteil den Unterschied zwischen ihm, dem stets pflichtbewuß­ ten und peinlich korrekten Programmerfüller, und anderen Herren, die auf der alliierten Kriegsverbrecherliste prominente Plätze einnahmen: Kaiser Wilhelm II., der Oberste Kriegsherr und Landesvater, hatte eben noch von jedermann »Pflicht­ erfüllung bis zum letzten Atemzug« gefordert und - natürlich in Krupps »vaterländischer Anstalt« zu Essen an der Ruhr - eine wunderbare Rede gehalten; »wir wollen kämpfen und durch­ halten bis zum Letzten«, hatte er den hohlwangigen, abgeracker­ ten »Kruppianern« erklärt, und dann war er, fast auf den Tag genau zwei Monate später, fahnenflüchtig geworden, hatte seine die Front noch immer haltenden Soldaten und sein ausgemer274

geltes Volk der Rache der siegreichen Feinde überlassen und war, »gramgebeugt« zwar, aber mit heilen Gliedern, voller Kasse und überreichlicher Garderobe, ins neutrale, absolut sichere Holland abgereist ... General Ludendorff, der noch am 9. Juli 1918 mit Befehl la 9191 »die zunehmende Zahl von unerlaubten Entfernungen, Feigheitsdelikten und Gehorsamsverweigerungen vor dem Feinde« scharf gerügt und »exemplarische Strafen, soweit not­ wendig auch Todesstrafe«, gefordert hatte, machte sich in Zivil und bizarrer Verkleidung nach Schweden aus dem Staube . . . »Taffy« aber blieb auf seinem Posten. Vielleicht war er ver­ wirrt, weil plötzlich Allerhöchstderselbe nicht mehr da war, zu dem er hätte aufblicken können. Aber er wankte und wich nicht, erfüllte auch am Tage der Revolution pünktlich alle Pflichten, die der Tagesplan vorsah, und schickte nur Bertha samt den Kindern nach Sayneck, damit sie vor meuternden und plündern­ den »Kruppianern« in Sicherheit wären. Indessen kam es zunächst zu keiner Disziplinlosigkeit, außer seitens der neuen Reichsregierung, die - bloß weil plötzlich »der Frieden ausgebrochen« war - die Waffenproduktion zu stoppen befahl, alle Rüstungsaufträge annullierte und gleichzeitig an­ ordnete, daß kein einziger der 147 171 »Kruppianer« beiderlei Geschlechtsundunterschiedlichster Nationalität, dieder Konzern bei Kriegsende beschäftigte, entlassen werden dürfte. Aber wie wir bereits wissen, kam es auch mit den neuen Herren in Berlin schon bald zu einer für Essen sehr erfreulichen Zusammenarbeit. . . Immerhin mußten, noch ehe es soweit war und Berlin wieder zahlte und bestellte, gewisse Störfaktoren beseitigt werden. Mit einer Prämie in Höhe von zwei Wochenlöhnen sowie einer Frei­ fahrkarte, natürlich nur für die einfache Fahrt, brachte man das Gros der »werks- und ortsfremden Elemente«, zu denen sich die eben noch so hochwillkommenen, im Osten des Reiches ange­ worbenen oder in den besetzten Gebieten zwangsrekrutierten Hilfskräfte plötzlich degradiert sahen, zur freiwilligen Abreise aus Essen und reduzierte so im Handumdrehen die Belegschaft der Gußstahlfabrik auf rund dreiundvierzigtausend Stamm»Kruppianer«. Auch ein leitender Herr mußte, da er jetzt nur noch eine Belastung darstellte, Essen verlassen, wenn auch reichlicher entlohnt: Geheimrat Alfred Hugenberg. Nach achtjähriger Tätigkeit an der Spitze des Direktoriums kehrte er nun zu seiner geliebten deutsch-nationalen Politik zurück . . . 275

Die folgenden Jahre verliefen etwas turbulent, aber im ganzen gesehen für »Taffy« und den Konzern sehr zufriedenstellend. Die komplizierte und kostspielige Umstellung von reiner Kriegs- auf neue Friedensproduktion wurde ungemein erleich­ tert durch die rachedurstigen und habgierigen Alliierten, die in strikter Erfüllung der Versailler Vertragsbestimmungen nach und nach alles requirierten, demontierten oder zerstörten, was ohnehin nicht mehr brauchbar war und wofür Essen später vom Reich voll entschädigt werden mußte, teils durch die gesetzlich vorgeschriebenen geldlichen Ersatzleistungen, teils durch ge­ waltige Aufträge, unter anderem eine Bestellung von jährlich rund zweitausend Eisenbahnwaggons und hundert Loko­ motiven. Bis 1922 hatte sich die Gesamtbelegschaft des Krupp-Kon­ zerns wieder auf über hunderttausend Mann erhöht. Essen und die übrigen Konzernbetriebe produzierten, außer Lokomotiven und Waggons, vor allem Lastkraftwagen und landwirtschaft­ liche Maschinen aller Art, aber auch Kinovorführgeräte, Regi­ strierkassen, Motorroller, Bagger, Spinnmaschinen und vieles andere, sogar Zahnprothesen aus nichtrostendem Stahl, wie man ihn im Kriege für die Verschlüsse der U-Boot-Geschütze ent­ wickelt hatte. War also das Unternehmen als solches zunächst gerettet, so drohten doch der »Alleininhaberin«, richtiger: ihrem Besitz­ stand, allerlei Gefahren, die aber samt und sonders abgewendet werden konnten. Da war zunächst die nach dem November 1918 immer wieder auftauchende Forderung nach Einziehung aller Kriegsgewinne, schlimmer noch: nach mehr oder weniger entschädigungsloser Enteignung und Sozialisierung der Kon­ zerne, insbesondere der des Kohlenbergbaus und der Stahl­ industrie. Nun, diese nicht einmal von den Sozialdemokraten ernsthaft gewünschten Eingriffe in das doch so glänzend be­ währte kapitalistische System und die allen Bürgern heilige Sphäre des Privateigentums, und mochte es auch auf noch so bedenkliche Weise erworben worden sein, unterblieben zwar dank dem energischen Widerstand der bürgerlichen Mehrheit und der Einsicht der regierenden Mehrheitssozialisten. Ein Aktienpaket der »vaterländischen Anstalt« im Werte von rund hundert Millionen Mark, das aus Berthas Tresor in das Porte­ feuille einer holländischen Bank gewandert war, konnte wieder in den Besitz der »Alleininhaberin« zurückkehren (wobei es bisher nicht einmal den Krupp-Feinden aufgefallen zu sein

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scheint, daß die »starke ausländische Beteiligung«, die gleich nach Kriegsende einsetzte, in Wirklichkeit nur eine konzern­ interne Manipulation zur Tarnung der wahren Besitzverhältnisse war, die jedem Eingriff der Sieger oder Berlins einen Riegel vorschieben sollte. Das »holländische Geld«, das 1918/19 nach Essen floß, war ein Teil der im neutralen Ausland angelegten Kruppschen Kriegsgewinne . . .). Aber dann wurde es noch einmal sehr brenzlig, als im Dezem­ ber 1920 die Weimarer Nationalversammlung ein »Reichsnot­ opfer« beschloß, das alle Einkommen über fünftausend Mark mit einer Steuer bis zu fünfundsechzig Prozent belegte und kei­ nem Deutschen ein Vermögen von mehr als dreihundertsiebzig­ tausend Mark beließ . . .! Doch die Panik, die dieser Beschluß unter den Besitzenden zunächst auslöste, erwies sich als ganz unbegründet. Das »Reichsnotopfer« blieb graue Theorie, und es passierte nieman­ dem etwas - außer dem Schöpfer dieses Gesetzes, dem Zentrums­ führer Matthias Erzberger, der wenige Monate später einem Meuchelmord zum Opfer fiel (wie zuvor bereits der politische Hauptgegner der Essener Firma aus der Zeit der munteren Rüstung, Karl Liebknecht, der zusammen mit Rosa Luxemburg, der mit Abstand bedeutendsten Führerin der deutschen Arbei­ terbewegung jener Jahre, von Angehörigen der Gardekavalle­ rieschützendivision im Berliner Tiergarten ermordet worden war. . .). Es ist indessen höchst unfair, wenn einige Krupp-Hasser an­ deuten, daß bei diesen politischen Morden »die Großindustrie« oder gar »Leute wie Krupp und Thyssen« ihre Hand im Spiel gehabt hätten. Gewiß, es gab da einige seltsame Querverbin­ dungen: Der Organisator der »Ausschaltung« von Liebknecht und Rosa Luxemburg, der Major Waldemar Papst, fand später ein gutes Auskommen bei »Rheinmetall«, jener einst lästigen Düsseldorfer Krupp-Konkurrenz, in deren Aktienkapital sich der Essener Konzern damals stark eingekauft hatte; die für die Morde an Sozialisten und bürgerlichen Demokraten verantwort­ lichen Rechtsextremisten, die sich dann bald in München um die wieder nach Deutschland zurückgekehrte und gegen die Repu­ blik intrigierende Exzellenz Ludendorff sowie einen gewissen Adolf Hitler sammelten und im November 1923 einen Putsch­ versuch unternahmen, wurden dabei von Fritz Thyssen mit sehr stattlichen Beträgen finanziert, und die psychologische Vor­ bereitung sowohl der zahlreichen politischen Morde wie der 277

diversen gewaltsamen Versuche, völkische Gruppen an die Regierung zu bringen, ging in starkem Maße von jenem Presseund Propagandaapparat aus, den der ehemalige Krupp-General­ direktor Alfred Hugenberg damals schon kräftig aufzubauen begann. Aber es gibt bis heute keinerlei Beweis für eine direkte Förde­ rung der Liebknecht-, Luxemburg-, Erzberger- und sonstigen Mörder von rechts, denen dann bald auch Walther Rathenau zum Opfer fiel, sei es durch Thyssen oder das Krupp-Direkto­ rium, sei es durch andere Großindustrielle. Und daß »Taffy« selbst etwas damit zu tun gehabt haben könnte, wagen nicht einmal die wütendsten Krupp-Hasser zu behaupten. Nachdenklich muß es allerdings stimmen, daß sowohl Erz­ berger, einstiger Thyssen-Aufsichtsrat, als auch Rathenau, Chef des AEG-Konzerns, in den Jahren 1914/18 zu den eifrig­ sten Annexionisten gehört hatten, die - genau wie Hugenberg und andere Völkische - gar nicht genug Industriegebiete, Häfen, Kohlen- und Erzvorkommen der Feindländer einem siegreichen Deutschland einverleiben wollten. Mit ihrer Wandlung zu friedfertigen Demokraten und »Erfüllungspolitikern«, die selbst den wahnwitzigen Vertrag von Versailles um des lieben Frie­ dens willen zunächst strikt einzuhalten und später durch Ver­ handlungen zu mildern gedachten, hatten sich diese »Renegaten« den besonderen Haß ihrer einstigen Industriefreunde zuge­ zogen. Aber, um es ganz klar zu sagen: »Taffy« hat weder damals noch in den späteren Jahren der Weimarer Republik jene Rechts­ extremisten, die sich dann in immer stärkerem Maße um den Demagogen Hitler scharten, auf irgendeine Weise direkt unter­ stützt, ja, sicherlich nicht einmal mit ihnen sympathisiert. Wenn trotzdem gelegentlich Krupp-Geld in braune Kassen geflossen ist, so auf dem Umweg über Industrieverbände, die Subventio­ nierungen der Wahlkämpfe aller Rechtsparteien - manchmal auch anderer Gruppen, mit Ausnahme der äußersten Linken beschlossen und durchführten, wobei sich die Krupp-Vertreter, erst recht »Taffy« selbst, völlig im Hintergrund hielten, zwar brav ihre Umlage bezahlten, aber im übrigen strenge Neutralität wahrten. Es ging ja auch, von Essen aus gesehen, gar nicht anders! Krupp war schließlich eine »vaterländische Anstalt«. Sobald aus dem Kaiserreich eine Republik geworden war, gehörte natür­ lich dieser die Loyalität - wenn auch nicht unbedingt die 278

Sympathie - der Unternehmensführung wie auch jener hölzer­ nen Galionsfigur am Bug des Essener Konzerns. Umgekehrt hatten auch diejenigen in Berlin, die dem Hause Krupp nicht ohnehin auf die eine oder andere Weise verpflichtet waren, Rücksicht auf einen der bedeutendsten Arbeitgeber des Reiches zu nehmen, erst recht, nachdem »Taffy« zu einem Märtyrer der Nation geworden war. Das war so gekommen: Im Januar 1925 hatte der französische Ministerpräsident Raymond Poincare, eine Art Pariser Gegen­ stück zu den Alldeutschen vom Schlage des Geheimrats Hugenberg, das Ruhrgebiet militärisch besetzen lassen, weil Deutschland mit den Reparationslieferungen geringfügig in Verzug gekommen war. Die Reichsregierung hatte die Bevöl­ kerung des Reviers zum passiven Widerstand aufgefordert; »Taffys« Befehl an seine »Kruppianer« lautete: »Ruhe bewah­ ren!« Beides wurde befolgt, aber die Arbeiter waren äußerst erbittert, denn Poincares Schlag gegen das Herzstück der deut­ schen Wirtschaft beschleunigte die Geldentwertung, und sie sahen ihre Spargroschen, Pensionen und Renten zu nichts zerrinnen. Als dann am Karsamstag, dem 31. März, ein französischer Leutnant mit elf Mann und einem Maschinengewehr am Haupt­ verwaltungsgebäude der Fried. Krupp AG eintraf und in der gegenüberliegenden Zentralgarage die Fahrzeuge zu zählen begann, heulten plötzlich die Werkssirenen. Tausende von Arbeitern strömten zusammen, stellten sich vor dem Garagen­ eingang auf und versuchten offenbar, den kleinen Trupp Sol­ daten ohne Anwendung von Gewalt einzuschüchtern und zum Rückzug zu zwingen. (»Taffy« saß derweilen in seinem unter­ kühlten Büro, erkundigte sich beim Wagenmeister, ob sein Auto auch ja keinen Kratzer abbekommen hätte, und befahl ihm, gut auf den kostbaren Wagen aufzupassen . . .) Nach etwas über einer Stunde verschärfte sich die Lage noch. Die Masse der »Kruppianer« schob sich Zentimeter um Zenti­ meter vor. Plötzlich verstummten die Sirenen, und nun schien es dem Leutnant, als ob ein Angriff unmittelbar bevorstände. Er ließ das MG in Stellung bringen. Nach einer weiteren halben Stunde nervenzerreißender Spannung, einiger unbedachter Provokationen und wirkungsloser Warnschüsse kam dann das Ende vom Lied: eine MG-Salve mitten in die Menge, dreizehn Tote, zweiundfünfzig Verletzte . . . Es waren nicht die ersten Nachkriegs-Gefallenen Deutsch279

lands, nicht einmal des Ruhrgebiets oder auch nur Essens. So hatten sich beispielsweise, als Reaktion auf den von den Rechts­ radikalen angezettelten Kapp-Putsch, die Arbeiter des Ruhr­ gebiets im März 1920 in einem Roten Soldatenbund organisiert, bewaffnet und erhoben, die Werke und Zechen, darunter auch die »vaterländische Anstalt«, sowie alle Regierungs- und kom­ munalen Verwaltungsgebäude besetzt, ohne dabei mehr zu wollen als Sicherheit vor einer neuen Diktatur der Militärs und Alldeutschen. Erst nachträglich wurde der Ruhrarbeiter-Auf­ stand in einen bolschewistischen, republikfeindlichen Putsch umgefälscht. Da hatte nämlich schon die Reichswehr unter General von Watter die Erhebung in einem Blutbad erstickt, und es waren dabei weit über hundertmal mehr Tote und Ver­ wundete auf Seiten der Arbeiterschaft zu beklagen gewesen als am Karsamstag des Jahres 1923 bei Krupp in Essen. Doch die Gefallenen des Ruhrkampfes waren vergessen, so wie auch bald die toten »Kruppianer« aus dem Gedächtnis der Deutschen wieder entschwanden, verdrängt durch ihren Chef »Taffy«, den die Franzosen für das Blutbad in Essen verantwort­ lich machten und zusammen mit einigen seiner Direktoren zu hohen Geld- und Freiheitsstrafen verurteilten. »Taffy« selbst erhielt fünfzehn Jahre Gefängnis sowie eine Buße von hundert Millionen Mark! Ganz Deutschland zitterte vor Empörung über dieses Urteil. Selbst das liberale >Berliner TageblattBerliner-TageblattNicht wahr, jetzt darf ich mich doch wirklich mit Recht einen Kruppianer nennen?!< Niemals ist mir so klargeworden wie in jener Stunde«, fügt Schwager Tilo gerührt hinzu, »wie er diese Bindung als Krönung seines Daseins empfand. Als er durch Vermittlung des Papstes und des Königs von Spanien nach sieben Monaten befreit wurde und zum erstenmal wieder im preußischen Staatsrat erschien, erhob sich die ganze Ver­ sammlung in Anerkennung seines Einsatzes für die Werks­ gemeinschaft.« »Taffy« heimste in dieser Zeit, daran kann kein Zweifel be­ stehen, viel Ruhm und »Ehre« ein. Wie aber stand es um die »Prosperität« von Firma und Familie? Wenn man den Hofbiographen Glauben schenken kann, so taumelte die Fried. Krupp AG in den ganzen Jahren der Wei­ marer Republik von einer Finanzkrise in die andere, immer hart am Rande des Abgrunds, ständig bedroht von Stillegung, Bankrott, Verkauf. . . Die einstige Waffenschmiede des Reiches durfte ja, aufgrund der schändlichen Bestimmungen des Ver­ sailler Friedensvertrages, so gut wie nichts mehr von ihren

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einstigen Spezialitäten produzieren, und Dr. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach war ein viel zu korrekter Mann, als daß er eine Umgehung der strengen Bestimmungen, die in Deutschland Gesetzeskraft hatten, je zugelassen hätte . . . Gert von Klass, offenbar bemüht um endliche Beförderung vom Ober- zum Hauptmohrenwäscher, schreibt dazu noch in der revidierten Auflage von 1966 seiner >Drei Ringe - Lebens­ geschichte eines Industrieunternehmens Nun, es stimmt wirklich alles, obwohl es sich doch so anhört, als wäre es viel zu schön, als daß es wahr sein könnte! Allerdings - die volle Wahrheit ist es nicht, die Gert von Klass erzählt, allen­ falls ein knickerig gewogenes Achtelchen davon . . . Denn natürlich gehörte auch die Firma »Koch & Kinzel«, wenngleich sie »Koch & Kienzle« hieß, durchaus zum Krupp-Konzern, wenn auch nicht offiziell. Ihre Entwicklungsabteilung am Pots­ damer Platz in Berlin arbeitete, wenn auch nicht offiziell, engstens zusammen mit dem Inspektionsamt für Waffen und Geräte der Seecktschen Reichswehr. Und ebenfalls nicht offiziell zu Krupp gehörte noch ein Dutzend Firmen im In- und Ausland. Es war ein äußerst kompliziertes, glänzend getarntes und häufig verändertes System, doch der Kern der Sache war, daß eben doch Waffen produziert wurden, und zwar nicht in kleinen, sondern in sehr beträchtlichen Mengen, auch keineswegs nur zum Zwecke der Landesverteidigung, wie sich später aus den Akten ergab. In Sowjetrußland wurden neue Flugzeugtypen aus­ probiert und Piloten geschult; in Spanien, dicht bei Cadiz, baute man U-Boote und nach den Erfahrungen des Kaperkrieges konstruierte riesige Unterwasser-Kreuzer; in Schweden arbei­ teten Krupps beste Waffentechniker bei Bofors, und zwar nach Essener Konstruktionszeichnungen und Patenten, wobei am Rande erwähnt sei, daß die »vaterländische Anstalt« bei Bofors natürlich mit einem dicken Aktienpaket beteiligt war, und im friedlichen Holland gab es ein ganzes Netz von Außenstellen und riesigen Depots mit gelegentlich weit über tausend schwe­ ren Geschützen . . . Es ließe sich noch vieles berichten, wovon Gert von Klass offenbar nichts weiß oder wissen will - genau wie einst »Taffy«, der - »abgeschworen jedem Abenteuer, korrekt bis zur Pedan-

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terie« - erst Kenntnis nahm von den wunderbaren Wiederauf­ rüstungsleistungen seines Konzerns, nachdem das Reich unter neuer Führung dies legalisiert hatte. (Krupp-Hasser bemerken dazu hämisch, es wären inzwischen Dutzende von dokumen­ tarischen Beweisen dafür vorhanden, daß Gustav Krupp von Bohlen und Halbach doch von allem gewußt hätte - von den vertragswidrigen Lieferungen an die Reichswehr, von den geheimen Depots im Ausland und auch von den verbotenen Waffengeschäften mit anderen Ländern . . .) Aber - und darauf allein kommt es an - es war ja niemals Fried. Krupp, also die »vaterländische Anstalt« selbst, die »diese Dinge« machte. Also konnte sich »Taffy« die Hände in Unschuld waschen - vermut­ lich sogar mehrmals am Tage, genau zur festgesetzten Zeit und keine Sekunde länger als vorgesehen . . . Wie aber stand es um die Finanzen des Konzerns in den Jahren der Weimarer Republik? Befand sich die Fried. Krupp AG wirklich immer hart am Rande des Abgrunds? Brachten denn die zahlreichen großen und legalen Geschäfte - und erst recht die vielen illegalen Transaktionen - gar nichts ein? Diese Fragen sind außerordentlich schwer zu beantworten, gerade weil die Bilanzen die »schwarzen« Geschäfte im Ausland und mit der Reichswehr natürlich nicht berücksichtigt haben, auch nichts erkennen ließen von gewissen Zuschüssen, die die »vaterländische Anstalt« vom Reich erhielt. So wies beispiels­ weise die Konzernbilanz für 1924/25 einen Verlust von neun­ undfünfzig Millionen Mark aus, und just am Ende dieser schein­ bar so bitteren zwölf Monate, im Juni 1925, notierte sich der da­ malige Reichsaußenminister Dr. Gustav Stresemann über eine Kabinettsitzung, die sich mit dem Zusammenbruch des StinnesKonzerns befaßte: ». . . dann mußten wir Krupp (auch noch) fünfzig Millionen verschaffen . . .« - ein stolzer, die ausgewiese­ nen Verluste nahezu ausgleichender Betrag, über den die jam­ mervollen Berichte der Essener Konzernbiographen schweigen. Die Gesamtsumme der Subventionen, die Krupp in den Jahren zwischen dem Ende der Inflation und dem Beginn der Nazi-Herrschaft vom Reich erhielt, wird von Fachleuten vor­ sichtig auf »mindestens dreihundert Millionen Mark« geschätzt. Nimmt man die Kriegsgewinne, die Entschädigungszahlungen der ersten Nachkriegszeit und die Einnahmen hinzu, die Essen aus den »schwarzen« Rüstungsgeschäften zuflossen, so kann es keinen Zweifel geben, daß die Fried. Krupp AG zu keinem Zeit­ punkt finanziell im mindesten gefährdet gewesen ist. Es konnte 284

sich für sie nur darum handeln, die geheimen Reserven im Ausland möglichst nicht anzugreifen und aus optischen Gründen Ver­ lustbilanzen vorzulegen. Das machte sich gut, sowohl für das mißtrauische Frankreich wie für das subventionierungsbereite Berlin ... Es macht sich übrigens auch gut für »Taffy«, den stets so pein­ lich korrekten Aufsichtsratsvorsitzer. Angesichts der katastro­ phalen Bilanzen konnte er innerhalb der Firma nach Herzenslust knausern, Personal entlassen, Löhne kürzen und Sozialzu­ schüsse streichen. Mit einer großen Aussperrung erzwang beispielweise die Fried. Krupp AG, zusammen mit anderen Stahlproduzenten, im Jahre 1928 einen fünfzehnprozentigen »Notstandslohnabbau«, für den - so bemerkt ein KruppHasser bitter - »die >Kruppianer< dann Berlin die Schuld gaben, und nicht der >Villa Hügel< . . .« Dort brauchte man übrigens nicht zu sparen, denn wenn es der Firma auch schlechtging, so war ja Frau Bertha dank ihrer Auslandsreserven eine noch weit reichere Frau als vor 1914. So betrieb »Taffy« also weiter jene aufwendige Repräsentation, die er als seine Pflicht empfand, natürlich streng nach der Uhr, wenn auch nicht immer in Essen. Während dort noch die Demonta­ gen stattfanden, die aufgrund des Versailler Vertrages durch­ geführt werden mußten, hielt er mit Bertha, die gerade ihr sieb­ tes Kind erwartete, in Baden-Baden Hof. Unter den Gästen eines der großen Diners, die er dort regelmäßig gab, befand sich auch die zur Erkundung der Not im Nachkriegsdeutschland von der >Chicago Tribune< in ihre alte Heimat entsandte Korresponden­ tin deutsch-amerikanischer Herkunft Sigrid Schulz. Die junge Dame wunderte sich sehr, als man ihr, einer offenbar lang­ samen Esserin, schon den Teller wegriß, noch ehe sie den Gang beendet hatte. Noch weit erstaunter war sie allerdings, als sie entdeckte, aus welchem Material das Besteck und die zahlreichen großen und schweren Platten, Schüsseln und Saucieren waren, die Bertha und »Taffy« eigens von der »Villa Hügel« mitge­ bracht hatten. Sie waren aus massivem Gold . . .

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»Jener gewisse Herr«

Frau Bertha Krupp von Bohlen und Halbach, die auf den Alldeutschen-Führer Heinrich Class den Eindruck einer »leiden­ schaftlich deutschen Frau« gemacht hatte, schenkte im Laufe ihrer Ehe mit »Taffy« acht Kindern das Leben. Eines davon, der 1908 als zweiter Sohn geborene Arnold, starb bereits im ersten Lebensjahr. Die anderen sieben, fünf Söhne und zwei Töchter, wuchsen in der »Villa Hügel« auf - als Prinzen und Prinzessinnen eines mächtigen Kanonenkönigshauses. Und wie es in Dynastien nun einmal der Brauch ist, konzentrierte sich die gesamte Auf­ merksamkeit des Hofes auf den Thronfolger; die jüngeren Geschwister blieben dagegen im Schatten. Im Januar 1953, als Hitler mit Hilfe der Herren von Papen, Schacht und Hugenberg sowie beachtlicher Spenden der Wirt­ schaft an die Macht gelangte, war der jüngste Sohn von Bertha und »Taffy«, der im sechzehnten Jahr ihrer Ehe geborene Nach­ kömmling Eckbert, noch keine elf Jahre alt. Das zweitjüngste der Bohlen-Kinder war die damals knapp dreizehnjährige Wald­ traut, dann kamen der sechzehnjährige Harald und der neun­ zehnjährige Berthold. Die übrigen Geschwister befanden sich bereits im Twen-Alter: Irmgard wurde einundzwanzig, Claus dreiundzwanzig, und der »Kronprinz«, mit vollem Namen Alfried Felix Alwyn von Bohlen und Halbach, zählte an jenem Tage der »Machtübernahme« auch erst fünfundzwanzig Lenze. Obwohl die Geschwister, soweit sie sich überhaupt schon für Politik interessierten, der »nationalen Erhebung«, wie die deut­ schen Zeitungen die Errichtung der braunen Diktatur zu nen­ nen pflegten, weit mehr Begeisterung entgegenbrachten als die älteren Familienmitglieder, wird man ihnen schwerlich vorwer­ fen können, sie hätten mitgehofen, Hitler an die Regierung zu bringen. Ihre Mama, die damals noch nicht siebenundvierzigjährige Frau Bertha, hielt den neuen Reichskanzler für einen unerzoge­ nen Schreihals und Parvenü, weigerte sich lange, ihn in ihrem Haus zu empfangen, und bezeichnete ihn, da sie nicht vom »Führer« sprechen wollte, wie es die Etikette damals verlangte, grundsätzlich nur als »jenen gewissen Herrn«. Für Berthas jüngere Schwester Barbara und Schwager Tilo von Wilmowsky war Adolf Hitler Anfang 1935 noch ein 286

»faselnder Demagoge«, den man unmöglich ernst nehmen konnte (obwohl sich das dann rasch änderte). Und »Taffy«? Nun, Dr. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach hatte es bis in den Januar 1953 hinein abgelehnt, Hitler und seine Natio­ nalsozialisten nennenswert zu unterstützen. Im Herzen war er Monarchist geblieben. Wenn er sich der Republik gegenüber loyal verhielt, so nur als Chef der »vater­ ländischen Anstalt«, die es für neue hohenzollerische und wehr­ freudige Zeiten zu bewahren galt, und - trotz der dreihundert Millionen Mark Subventionen - ohne wahre Sympathie. Die Staatsautorität mußte gewahrt bleiben; jedermann hatte auszu­ halten auf dem Posten, auf den er gestellt worden war. So dachte »Taffy«, und so dachte auch der greise Generalfeldmarschall von Hindenburg, der mit ähnlichem Pflichtbewußtsein und ohne die leiseste Spur von republikanischer Gesinnung das Amt des Reichspräsidenten verwaltete, in das er mit den Stimmen der Sozialdemokraten und gegen einige ihm gefühlsmäßig viel näherstehende Kandidaten der Rechten gewählt worden war. Beide, Hindenburg wie »Taffy«, waren ohne politischen Ehrgeiz, ja hatten überhaupt kein Interesse an Politik. Sie fühl­ ten sich als pflichttreue Sachwalter, der eine für seinen kaiser­ lichen Herrn in Doorn und die angestammte Dynastie, der andere für seine Bertha und das Kruppsche Erbe, das es zu be­ wahren galt durch alle Stürme der Zeit. Beide auch vertrauten sie auf die Reichswehr und die alte kaiserliche Beamtenschaft als die einzigen »Ordnungsfaktoren«, auf die noch Verlaß war. Beide verfolgten sie mit tiefem Miß­ trauen den Aufstieg »jenes gewissen Herrn«, den Hindenburg als »böhmischen Gefreiten« verachtete, »Taffy« schon deshalb nicht mochte, weil dieser Hitler ein entwurzelter Abenteurer ohne gesellschaftlichen Hintergrund war, weder Akademiker noch Reserveoffizier, dazu anmaßend und undiszipliniert. Und daß er sich Nationalnannte, in seinem Parteiprogramm die Zerschlagung der Konzerne und die Einziehung aller Kriegsgewinne forderte, das machte ihn erst recht verdächtig...! So hatten denn Hindenburg wie auch »Taffy« im Novem­ ber 1932, nachdem das Minderheitskabinett des ehemaligen Gardekavallerie-Offiziers und maßgebenden Herrenklubmit­ glieds Franz von Papen nicht länger zu halten gewesen war, auf den Reichswehrgeneral Kurt von Schleicher gesetzt. Schleicher war am 3. Dezember 1932 Reichskanzler geworden, und seine Kabinettsliste gefiel »Taffy« ebenso, wie sie Hinden-

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bürg gefallen hatte: Baron von Neurath, ein Berufsdiplomat von nationaler Gesinnung, blieb Außenminister; das Innenministe­ rium übernahm Dr. Franz Bracht, als ehemaliger Essener Ober­ bürgermeister aus einer Zeit, da in Preußen noch das Dreiklas­ senwahlrecht galt, ein Mann Kruppschen Vertrauens; die Ba­ rone Magnus von Braun und Paul Eltz von Rübenach waren für Ernährung, Post und Verkehr zuständig; das Finanzressort be­ hielt Graf Johann Ludwig von Schwerin-Krosigk; der Deutsch­ nationale Dr. Franz Gürtner blieb Justizminister, und das Wirt­ schaftsministerium übernahm Dr. Hermann Warmbold, ein parteiloser Agrarpolitiker, den man, so fand »Taffy«, durch einen Mann der Industrie würde ersetzen müssen, vielleicht durch den Geheimrat Hugenberg. Noch eine weitere Verbesserung des Kabinetts war geplant, angeblich sogar von »Taffy«, wie Fritz Thyssen später behaupte­ te: Ein führender Nationalsozialist, Gregor Strasser, sollte Schleichers Vizekanzler werden und der Regierung, die im Reichstag keine ausreichende Mehrheit besaß, eine bedeutend breitere Basis geben. Alles spricht dagegen, daß diese Idee tat­ sächlich von »Taffy« stammte, der zu phantasielos, viel zu un­ politisch und auch nicht intrigant genug war, sich derartiges einfallen zu lassen. Denn ein Eintritt Strassers ins Kabinett hätte aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Spaltung der NaziPartei geführt, mindestens aber zu einem handfesten Krach in­ nerhalb ihrer Führung und zu einer erheblichen Schwächung der Position Adolf Hitlers. Es kam jedoch gar nicht erst dazu, daß sich irgend jemand noch Gedanken machte, ob und wie man das Kabinett des Gene­ rals von Schleicher stärken könnte. Der Reichskanzler sorgte selbst dafür, daß er das Vertrauen aller »nationalen Kreise«, die seine Regierung toleriert hatten, im Handumdrehen wieder verlor. In einer Weihnachtsansprache über den Rundfunk er­ schreckte er die alten Mächte, die ostelbischen Junker wie die rheinische Schwerindustrie, das Offizierkorps wie das Groß­ bürgertum, indem er erklärte, er werde eine Planwirtschaft mit strengen Preiskontrollen einführen, die Lohn- und Gehaltskür­ zungen beenden und zum Zwecke der überfälligen Bodenreform den adligen Großgrundbesitz aufteilen. Da er seine Hörer auch bat, zu vergessen, daß er ein General wäre, und den Gewerk­ schaften deutlich Avancen machte, war es klar, wo er sein Heil suchte: nicht bei Strasser oder Hitler, sondern beim linken Zen­ trum und bei den Sozialdemokraten . . .! 288

Damit war Schleichers Schicksal besiegelt. Hindenburg, selbst Großgrundbesitzer, ließ ihn fallen wie eine heiße Kartoffel. Und »Taffy«, eben noch ein Schleicher-Fan, weil der Kanzler doch ein General und zudem so angenehm unpolitisch war, ließ sich nun überzeugen, daß nur noch ein »Kabinett der nationalen Konzentration« unter Beteiligung Hitlers das Reich vor der wachsenden Gefahr einer Bolschewisierung retten könnte. Krupp-Hasser behaupten zwar, »Krupp« hätte schon einige Tage vor Schleichers Ernennung, nämlich in der letzten Novem­ berwoche des Jahres 1932, eine Reichskanzlerschaft Hitlers befürwortet und damit der »Machtergreifung« vom 30. Januar 1933 den Boden bereiten helfen. Tatsächlich hatte der Kölner Bankier (und spätere SS-Brigadeführer) Kurt Freiherr von Schröder, Mitinhaber des Bankhauses J. H. Stein, Ende No­ vember 1932 Unterschriften prominenter Wirtschaftsführer ge­ sammelt - unter eine Eingabe an den Reichspräsidenten von Hindenburg, worin nur noch zwei Alternativen aufgezeigt wurden: eine »fortschreitende Bolschewisierung« oder aber »die Übertragung der verantwortlichen Leitung eines mit den be­ sten sachlichen und persönlichen Kräften ausgestatteten Präsi­ dialkabinetts an den Führer der größten nationalen Gruppe«. Dies würde »die Schlacken und Fehler, die jeder Massenbewe­ gung notgedrungen anhaften, ausmerzen und Millionen Men­ schen, die heute abseits stehen, zu bejahender Kraft mitreißen«. Angeblich - das Original des Memorandums wurde ver­ nichtet, und es fand sich nur noch der maschinegeschriebene Durchschlag oder Entwurf - wurden die achtunddreißig Unter­ schriften, die Baron Schröder sammeln konnte (oder wollte), von »Krupp« angeführt. Doch selbst wenn man unterstellt, daß sich der vorsichtige »Taffy« wirklich dazu hat breitschlagen lassen, ein solches Memorandum zu unterschreiben, so hätte er damit keineswegs Hitler zur Diktatur verhelfen wollen. Damals glaubten ja viele ängstliche und kurzsichtige Bürger (und auch gerade diejenigen Wirtschaftskreise, bei denen »Taffy« sich Rat zu holen pflegte), daß man die Nazis nur ein kleines bißchen mitregieren zu lassen brauchte, damit sie sich aus rei­ ßenden Wölfen in zahme Lämmer verwandelten. Natürlich benötigte man dazu ein paar gute Hirten sowie ein paar Muster­ lämmchen, und das Ganze wäre dann ein »Präsidialkabinett« mit dem Oberwolf als Kanzler, höchstens noch einem weiteren, schon halbzahmen Wolf als Minister oder Staatssekretär, alle Fachressorts und Schlüsselpositionen jedoch in der Hand von I *89

Vertrauensleuten der Industrie, der Reichswehr und des Groß­ grundbesitzes sowie einiger bewährter Beamter. Damit und mit dem greisen Marschall-Präsidenten als weiterer Garantie für Ruhe und Ordnung könnte man das Experiment wagen . . . Nun, wir wissen heute, wie der Versuch ausging, die Wölfe zu zähmen und in deutschnationale Lämmer zu verwandeln. Damals wußte man es noch nicht. Zwar war jeder politisch ge­ schulte Arbeiter durchaus imstande, das Resultat eines Bünd­ nisses zwischen Schwerindustrie, Reichswehr, Großgrundbesitz, nationalem Bürgertum und den SA-Rabauken der »Arbeiter­ partei« Hitlers vorauszusagen. Es konnte nur Diktatur bedeuten, Beseitigung des Parlaments und der Gewerkschaften, Ausbeu­ tung, Terror, Wiederaufrüstung und in einigen Jahren einen zweiten Weltkrieg. Aber die gebildeten und begüterten Kreise hielten sich für erfahrener und klüger, wohl auch für mächtiger und widerstandsfähiger. Sie waren sehr zufrieden, als der »offen­ bar plötzlich verrückt gewordene« General von Schleicher am 30. Januar 193 3 von einem Reichskanzler Hitler abgelöst wurde, dem man eine stattliche Reihe von Aufpassern beigegeben hatte: Der Außenminister blieb derselbe, auch die Ressortchefs für Finanzen, Justiz, Post und Verkehr wechselten nicht. Hinden­ burgs Vertrauensmann Franz von Papen wurde Vizekanzler, der ehemalige Krupp-Generaldirektor und Führer der Deutsch­ nationalen, Geheimrat Alfred Hugenberg, übernahm das so wichtige Wirtschaftsministerium, der Führer des »Stahlhelms«, eines von der Industrie unterstützten Verbandes nationalgesinn­ ter, kaisertreuer Frontsoldaten, wurde Reichsarbeitsminister, womit klargestellt war, daß anstelle freundschaftlicher Kontakte zu den Gewerkschaften wieder Zucht und Ordnung im Vorder­ grund stehen würden, und für die Reichswehr trat der hinter­ pommerische Junker und General Werner von Blomberg als Wehrminister ins Kabinett ein. Nur das Innenministerium hatte man noch den Nazis überlassen müssen, wenn auch glücklicher­ weise einem Beamten und Akademiker, Dr. Wilhelm Frick. Und der ehemalige kaiserliche Hauptmann und Pour-le-meriteFlieger Hermann Göring, der zugleich Reichstagspräsident war, wurde »Reichskommissar für die Luftfahrt«. Mit einer solchen Besetzung, so glaubten nun selbst Leute wie Tilo von Wilmowsky, der Hitler eben noch für einen »faselnden Demagogen« gehalten hatte, könnte eigentlich nichts passieren . . . Bertha Krupp hingegen blieb skeptisch - nicht, weil sie poli­ tisch geschult oder grundsätzlich gegen ein »Kabinett der natio­ 290

nalen Konzentration« gewesen wäre, sondern weil sie mit Schau­ dern daran dachte, daß der neue Regierungschef sie besuchen könnte, vermutlich mit Schaftstiefeln zum schlechtsitzenden Frack, Bahnhofsvorsteher-Mütze und Reitpeitsche; daß er bei Tisch pausenlos reden und dadurch »Taffys« Sekundenfahrplan durcheinanderbringen oder gar den Wunsch äußern könnte, in der noch immer für Seine Majestät Allerhöchstselbst reservierten Suite der »Villa Hügel« zu nächtigen und sie dadurch zu entwei­ hen . . . Nein, die Motive, aus denen heraus die älteren Mitglieder der Familie das »Dritte Reich« nicht als Nazis begannen, keine (oder zumindest keine reine) Hitler-Diktatur wollten und deshalb auch »jenen gewissen Herrn« weder liebten noch aktiv förderten, mögen unterschiedlich, auch keineswegs so rein gewesen sein, wie sie die Hofbiographen mit geradezu rührender Bemühtheit darzutun versuchen. Aber die Krupp-Bohlens waren jedenfalls weder »Steigbügelhalter der braunen Mordbuben« (wie etwa Papen) noch »gewissenlose Drahtzieher, die mit Hilfe ihres Gel­ des und ihres Einflusses Hitler an die Macht brachten, um auf den Flammen der von den braunen Brandstiftern gelegten Feuer ihr rüstungsindustrielles Süppchen zu kochen«, auch - und das gilt sogar für die Generation der Teens und Twens »auf dem Hügel«, wie wir noch sehen werden - keine fanatischen oder auch nur kritiklosen Nationalsozialisten. William Raymond Manchester, amerikanischer Star-Journa­ list vom Jahrgang 1922, der 1968 mit einem beinahe neunhun­ dert sehr eng und klein gedruckte Seiten umfassenden Werk über die Krupps viel Aufsehen erregt hat, widmete fast zwei Drittel, ja, wenn man Vorwort, Anhang und eingeblendete Textstellen hinzurechnet, sogar nahezu drei Viertel seines schwungvoll geschriebenen und mit Akribie belegten Buches ausschließlich dem grauenvollen Geschehen der zwölfjährigen Hitlerherrschaft und der Schuld der »Krupps« an ihrer Vorbe­ reitung wie auch an den Verbrechen dieser Zeit. Fast scheint es, als habe William R. Manchester aus Attleboro im Staate Massachusetts im Alleingang die fast kompaniestarke Autorenschaft ernsthafter Anti-Krupp-Literatur ob ihrer Unzu­ länglichkeit beschämen und das Standardwerk Kruppscher Mis­ setaten schaffen wollen. »Der Autor hat«, so rühmt der Klappentext des so umfang­ reichen Buches, »seinen Nachforschungen - die er nur einmal unterbrach, als Jacqueline Kennedy ihn beauftragte, >Der Tod 291

des Präsidenten * zu schreiben - sieben volle Jahre gewidmet. Er führte Interviews in sieben Ländern, prüfte dreißigtausend Briefe aus der Kruppschen Korrespondenz und ging die 15454 Seiten der Nürnberger Krupp-Akte durch.« Ebenfalls auf dem Klappentext steht: »Die Krupps waren das Rückgrat des Kaiserreiches, damals noch unter dem Matriarchat der >Dicken Bertha *, deren Sohn der SS beitreten und deren Mann Adolf Hitlers Wahl finanzie­ ren sollte . . .« Manchester hat - so berichtet er - rund %wan%ig Tonnen Akten gesichtet und studiert. Er hat sich, weil er fand, daß dies zum Ver­ ständnis der Welt der Krupp-Dämonen nötig sei, das Ruhrge­ biet jeweils ein paar Minuten lang aus einem in dreizehnhundert Meter Höhe kreisenden Flugzeug, vom Dach eines Hüttenwerks bei Bochum und achthundert Meter unter Tage auf der Sohle einer Essener Schachtanlage angesehen. Und das Verzeichnis der von ihm benutzten Literatur umfaßt, in kleinster Schrift und eng gedruckt, über sechzehn Buchseiten - erheblich mehr, als die meisten Universitätsbibliotheken Wissensdurstigen zu diesem Thema zu bieten haben. Kurz, William Manchesters Fleiß als Schriftsteller und Zeit­ geschichtler reichte aus für ein Dutzend Doktorarbeiten und mehrere Habilitationsschriften, und die kleinen Schnitzer, die ihm hie und da unterlaufen sind, tun dem Ruhm seines Mammut­ werks keinen Abbruch. Indessen, mit allem Fleiß der Welt konnte Manchester zweier­ lei nicht: Er konnte nicht aus eigenem Miterleben Anschauungen formen und sich selbst ein Urteil bilden; er vermochte auch nicht, das Grauen zu überwinden, das ihn begreiflicherweise packte, als er auf Tausenden von Seiten über die, wie man so sagt, »unmenschlichen« (in Wirklichkeit eben leider doch menschlichen, nämlich allein den Menschen möglichen) Ver­ brechen las. Beides kann man William Manchester wahrlich nicht zum Vor­ wurf machen, obwohl manches, was seit 1945 geschehen ist auch in den USA -, ihn hätte mindestens nachdenklich stimmen und zweifeln lassen müssen, ob wirklich nur die Deutschen (oder auch nur die Nazis) solcher Barbareien fähig gewesen wären. Nun, wir wollen nicht mit anderen rechten und dies getrost den Afroamerikanern des so romantischen Südens der USA überlassen; den vietnamesischen Kindern, Frauen und Greisen; den Puertoricanern, die - auch ohne »kriegsbedingte Schwierig-

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keiten« - mitten im reichsten Land der Welt oft noch erbärmli­ cher vegetieren als die Kinder von Buschmannshof, denen Manchester sein Buch gewidmet hat . . . Ach, es ließen sich noch viele nennen, die anklagen könnten, und auch die wenigen wurden nur erwähnt, weil William Raymond Manchester zu­ fälligerweise Amerikaner ist. Trotzdem war und ist es sein gutes Recht, das Grauen von Auschwitz und der Lager von Essen noch einmal wachzurufen, stand es doch in unmittelbarem Zu­ sammenhang mit der altrenommierten Firma Fried. Krupp . . . Nur eines muß demjenigen, der auch dieses Grauen aus eigenem Erleben kennt, geradezu vermessen erscheinen, nämlich der hart­ näckige Versuch eines Autors, der nicht dabei war, die persönliche Verantwortung einzelner - etwa »Taffys« oder seines Ältesten oder Berthas - auch für die letzten, ihnen vermutlich gar nicht bekannten Auswirkungen ihres Tuns und Lassens nachzuweisen. Nehmen wir einmal an, der kleine Gustav Halbach wäre, was ja durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hätte, nicht im Haag, sondern in Philadelphia zur Welt gekommen, hätte in Harvard und Heidelberg studiert anstatt in Straßburg und Lau­ sanne. Nehmen wir weiter an, »Taffy« wäre nicht erst als Lega­ tionsrat am Vatikan, sondern schon als Sekretär in Washington »entdeckt« worden, auch nicht von einem Herrn aus der Berli­ ner Wilhelmstraße im Auftrage des Kaisers, sondern von einem Freund im State Department für Präsident (bis November 1901 noch Vizepräsident) Theodore Roosevelt, der natürlich nicht für Bertha Krupp, sondern für die Erbin einer »vaterländischen Anstalt« der USA einen geeigneten Prinzgemahl suchte. Dann hätte es eine Märchenhochzeit im »Waldorf Astoria« oder in einem vornehmen Haus, kaum schöner als die »Villa Hügel«, irgendwo auf Long Island gegeben, mit »Teddy« Roosevelt als Ehrengast und künftigem Taufpaten des zu er­ wartenden Nachwuchses; »Taffy« hätte dem Board of Directors eines Krupp-Partners im internationalen Panzerplatten-Pool angehört, vielleicht mit Charles Joseph Bonaparte * und George von Lengerke Meyer ** als Aufsichtsratskollegen, und es wäre * Charles J. Bonaparte (Baltimore 1851 — 1921), von März 1905 bis November 1906 Navy Secretary (= Minister für die Kriegsmarine), dann Attorney General (= Justizminister) unter Präsident Th. Roose­ velt, war ein Enkel von Jerome, dem Bruder Napoleons I., der später König von Westfalen wurde und in erster Ehe mit Elisabeth Patterson aus Baltimore verheiratet gewesen war. Sicherlich hätten »Bony« und »Taffy« darüber streiten können, wer »vornehmer« war: der echte Bonaparte-Enkel oder die von Bohlen-Halbachs, geadelt von einem Großherzog, der diese Würde und das Recht zur Standeserhebung allein den Bonapartes verdankte. ** Marinesekretär unter Th. Roosevelt und Taft bis 1913, mütterlicherseits aus preußischem Land­ adel stammend.

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sicherlich interessant gewesen, zu verfolgen, wer die besseren Nerven gehabt hätte: »Taffy«, der Pünktlichkeitsfanatiker, oder sein für 7 Uhr 29 Minuten und 40 Sekunden bestellter farbiger Chauffeur . . . Doch, Spaß beiseite, es kann gar keinen Zweifel geben, daß »Taffy« auch unter solchen Umständen der eisige, auf strikteste Disziplin bedachte und pedantisch genaue Ehemann, Vater und Gastgeber gewesen wäre; daß er gebellt hätte: »Hier wird nicht politisiert!«, wäre jemand so unvorsichtig gewesen, in seiner Gegenwart am Verhalten eines Regierungsmitglieds oder Gene­ rals der USA in Kriegs- oder Friedenszeiten auch nur leise Kritik zu üben. Und so wie er 1906 in Essen, als er Bertha geheiratet hatte und zum Krupp befördert worden war, unbewegten Gesichts zur Kenntnis nahm, daß seiner Frau nicht nur das größte deut­ sche Rüstungsunternehmen gehörte sowie - gemeinsam mit Schneider-Creuzot - auch ein dickes Paket Aktien von Skoda, der Waffenschmiede Österreich-Ungarns, sondern auch ein be­ trächtlicher Teil von Putiloff, der Kanonenfabrik des zaristischen Rußland, wichtige Beteiligungen an britischen Munitionsfabri­ ken und ein Großteil der Metallindustrie Australiens, dazu die Société des Mines Nickéltfères, die Bertha zur »Alleininhaberin« auch der strategisch wichtigen Nickelvorkommen von Franzö­ sisch-Neukaledonien machte - genauso ungerührt hätte sich »Taffy« von seinen amerikanischen Direktoren, zehn Minuten lang und bei auf genau zehn Grad Celsius regulierter Raum­ temperatur, auch über den Besitzstand einer amerikanischen Gemahlin informieren lassen : über die beherrschenden Einflüsse der Firma in Mittel- und Südamerika, das China-Geschäft, die Pool-Absprachen mit Krupp in Essen und was es sonst noch an Erfreulichem gab . . . Er hätte im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg den Streitkräf­ ten der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten alles zur Verfügung gestellt, was sie zum Kämpfen brauchten, wäre je­ dem Wunsch, erst recht jeder Anordnung des Pentagon oder gar des Präsidenten unverzüglich und ohne vorherige Gewis­ senserforschung nachgekommen; zuverlässig und pünktlich hätte er jedes Soll erfüllt, und er wäre sehr erstaunt gewesen, ja, hätte es überhaupt nicht begriffen, wenn nach einem von den USA verlorenen Kriege die Sieger ihn wegen irgendwelcher Vorkommnisse in seinem (richtiger: seiner Frau) weitläufigen Unternehmen hätten zur Verantwortung ziehen wollen. Er hatte 294

doch nichts getan als seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit und sich zudem um »diese Dinge« grundsätzlich nie gekümmert, sowenig wie um Politik . . . Wäre William Manchester dann auch so scharf mit diesem »Taffy« ins Gericht gegangen? Hätte er ihm und den Seinen angekreidet, daß der Aufseher Z von der Plantage Y »zehn Lederstäbe oder Stahltrossen« angefordert und erhalten hatte nicht vom Gatten der »Alleininhaberin«, aber immerhin von einem für den »Werkschutz« des Konzerns zuständigen Direk­ tor, Neffe eines Präsidenten der USA . . .? Oder daß in den Zinnminen des Konzerns vierundsiebzig Prozent der Neuge­ borenen bolivianischer Arbeiterfrauen gestorben waren und in dem Lager für Rüstungs- und Wehr-Unwillige monatelang kein Essen, nur Abfälle und Schläge ausgeteilt wurden? Nun, darauf läßt sich natürlich erwidern, daß sich Manchester ja zu seinem Glück nicht mit »Taffy«, dem Gatten der Erbin eines amerikanischen Riesenkonzerns, sondern mit »Taffy« Krupp von Bohlen und Halbach beschäftigen durfte. Es ließe sich hinzufügen, daß es in Amerikas Industrie gottlob niemals ein unethisches Verhalten von Konzernleitungen, rohe Ge­ walttätigkeiten, unmenschliche Behandlung von Zwangsarbei­ tern oder auch nur konzerneigene Haus- und Geheimpolizei gegeben habe; daß dergleichen zumindest überhaupt nicht zur Debatte stehe und daß im übrigen Menschen wie »Taffy« sich nur im wilhelminischen und hitlerischen Deutschland entwikkeln und halten konnten - sie seien eben Produkte dieses spe­ ziellen Gesellschafts- und Regierungssystems . . . Und während wir auf den ersten Teil dieser Erwiderung, zum Glück für die US-Konzerngewaltigen und die Praktiken von Firmen wie »United Fruit«, »Standard Oil« oder »Bethlehem Steel«, nicht einzugehen brauchen, können wir den allerletzten Einwand akzeptieren - mit einer wichtigen Einschränkung: Natürlich waren diejenigen, die in Nürnberg wegen »Vor­ bereitung eines Angriffskrieges« und anderer todeswürdiger Verbrechen vor Gericht gestellt wurden (oder, wie »Taffy«, werden sollten), weitgehend Produkte ihrer Umwelt, also des herrschenden gesellschaftlichen und politischen Systems sowie ihrer Herkunft und Erziehung. Nur läßt sich eben nicht - zu­ mindest nicht mehr - behaupten, daß dieses gesellschaftliche und politische System etwas ganz spezifisch Deutsches war oder ist. Und »Taffys« nebst Familie sind auch anderswo in der Welt wahrlich nicht bloß denkbar . . . 295

Es gibt indessen dafür, daß wir Herrn Staatsrat Dr. jur. Dr. phil. h. c. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach von nahezu jeder Verantwortung für das Geschehen im »Dritten Reich« frei­ zusprechen haben, noch völlig andere, ganz und gar unpolitische Gründe, die schon deshalb auch dem Objekt unserer Betrach­ tung, dem jeder Politik abholden »Taffy«, sympathischer ge­ wesen wären, wenn es sich dabei nicht ausgerechnet um - nun, es läßt sich nicht umgehen, es auszusprechen -, sagen wir: ganz ähnliche Gründe wie diejenigen handelte, aus denen heraus wir geneigt sein müssen, auch vielen echten Krupps zu vergeben: dem Firmengründer Friedrich, der sich zu jahrelangem An-dieDecke-Starren niederlegte; dem vom Schreibzwang und schreck­ lichen Wahnvorstellungen geplagten Alfred; seinem harmlos­ schrulligen Bruder Fritz, dem einstigen »Tüftler« und späteren Bonner Original, und wohl auch Exzellenz Fritz, dem Stifter des in der heiligen Grotte des Fra Felice tagenden capresischen Männer-(und Kinder-)Ordens . . . Sofern wir nämlich, nach den Erfahrungen, die wir mit Attesten ärztlicher Kapazitäten im Falle des Freitods von Exzellenz Fritz Krupp machen mußten, und den noch schlimmeren, die Frau Margarete, seine unglück­ liche Gattin, mit hochangesehenen Professoren der Medizin in umgekehrter Hinsicht zu machen hatte, dennoch etwas auf die Urteile von Sachverständigen geben wollen, so sind wir gezwun­ gen, es hinzunehmen, daß »Taffy« nicht erst nach seinem erzwun­ genen Rücktritt im Jahre 1945, sondern schon viele Jahre vorher nicht mehr oder höchstens noch bedingt geschäftsfähig war. Dem medizinischen Laien hatte sich die Vermutung einer ge­ wissen Anomalie schon bei dem jungen Herrn von Bohlen auf­ gedrängt, möglicherweise zurückzuführen auf allzu häufige Verwandtenehen unter seinen Vorfahren, ähnlich wie bei den Krupps. Dieser leise Verdacht gründete sich auf gewisse Eigen­ arten »Taffys«, etwa die, sonntägliche Spiele mit seinen Kindern, hochwichtige Konferenzen mit der Konzernspitze und Bewir­ tungen erlesener Gäste gleichermaßen nach dem Stundenplan und mit der Stoppuhr zu betreiben, keinerlei Gefühlsregungen erkennen zu lassen und seine »eisige Reserve« durch Unterküh­ lung seines Privatbüros klimatisch zu ergänzen. Im Herbst 1945 bestätigten nun mehrere amerikanische und europäische Kapazitäten die längst vermutete Unzurechnungs­ fähigkeit des Patienten, wenn auch aufgrund ganz anderer Fest­ stellungen und nur für einen Zeitraum, der allenfalls die un­ mittelbare Vorkriegs- und Kriegszeit umfaßte. 296

Gustav von Bohlens behandelnder Arzt seit 1930, Professor Dr. med. Otto Gerke in Badgastein, attestierte seinem Patienten eine seit 1937 »rasch zunehmende Verkalkung mit besonderer Lokalisation an den Gehirngefäßen«. Die begleitenden »psy­ chischen Ausfallserscheinungen« hätten sich anfangs »in einer Merk- und Willensschwäche, Entschlußunfähigkeit und allge­ meinem Rückgang der intellektuellen Leistungen« gezeigt; sie steigerten sich später »zu ausgesprochenen Depressionen mit stumpfer Benommenheit . . .« Nachdem Dr. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach auch noch von einer internationalen Ärztekommission äußerst gründ­ lich untersucht worden war, wurde schließlich im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß nicht mehr gegen ihn verhandelt. Anstelle des armen »Taffy«, der in einem bescheidenen Neben­ gebäude des stolzen, aus den Kriegsgewinnen des »Stahlgewit­ ters« der Jahre 1914/18 erworbenen Besitztums Blühnbach nur noch dahindämmerte und erst 1950, von der deutschen Öffent­ lichkeit kaum bemerkt, von seinen Leiden erlöst wurde, stellten die Amerikaner - die anderen Großmächte hatten sich von den Nürnberger Prozessen zurückgezogen - nach gründlichen Er­ wägungen des Für und Wider schließlich Ende 1947 Gustavs Nachfolger auf dem Thron des nicht mehr sehr ansehnlichen Krupp-Imperiums vor Gericht: den gerade vierzigjährigen Al­ fried, der bereits seit Kriegsende in Haft war. Doch ehe wir uns mit diesem hochgewachsenen, seinem Ur­ großvater Alfr(i)ed äußerlich so ähnlichen, vom Wesen her jedoch gänzlich anderen Mann näher beschäftigen, wollen wir noch einmal einen Blick auf den Klappentext des ManchesterBuches werfen, auf einen Satz, der deutlich macht, mit wie schrecklichen Vereinfachungen die Söhne der Neuen Welt an die Beurteilung der jüngsten europäischen Geschichte gingen und noch gehen: »Die Krupps waren das Rückgrat des Kaiserreiches - damals noch unter dem Matriarchat der >Dicken BerthaLetzten Warnung< bemerkte - ist der Rüstungsindustrie das »kurante Geschäft lieber als eine mehrjährige Hochkonjunktur« mit unsicherem Ausgang, ein flottes Wettrüsten weit angenehmer als ein Krieg mit all seinen Imponderabilien. Und schließlich macht ein großer, allgemeiner Krieg, zumal in einem totalitä­ ren Staat, den Geschäftsleuten längst keinen Spaß mehr: Die Regierung pflegt sich nämlich in alles noch mehr einzumischen, als sie es schon in normalen Zeiten tut. Sie schreibt vor, was zu produzieren ist und zu welchem Preis, stellt Arbeitskräfte oder zieht sie ab, ganz nach Belieben, beschlagnahmt Rohstoffe, Maschinen oder Transportmittel, wenn sie sie gerade anderswo dringender braucht, und schöpft dabei auch noch von den Ge­ winnen soviel ab, daß dem braven Rüstungsindustriellen kaum etwas übrigbleibt, weshalb er dann, unter Verletzung der stren­ gen Vorschriften und mit Lebensgefahr bei Entdeckung, aller­ lei Tricks anwenden muß, wenn er sein Vermögen noch der Größe der Zeit angemessen vermehren will. Es sind also, wie meist auf dieser Welt, keine rein ethischen Motive, die die Rüstungsfabrikanten - wie die Industrie über­ haupt - vor einem großen Krieg zurückschrecken lassen (wo­ gegen kleine weit entfernte und lokalisierte Kriege durchaus willkommen sind!). Im Prinzip ist es heute noch genauso, wie es schon 1939 war, als Fritz Thyssen, der Mann, der Hitlers Auf­ stieg wesentlich mitfinanzierte und als Chef der nach Krupp mächtigsten Rüstungsschmiede, der Vereinigten Stahlwerke, nach landläufiger Meinung doch eigentlich hätte jubeln müssen, als die Kriegswolken am Horizont standen, statt dessen der Reichstagssitzung vom 1. September 1939 fernblieb und an Göring telegrafierte: »Ich bin gegen den Krieg!« Thyssen büßte schwer für diese Auflehnung. Zwar konnte er dem sofort gegen ihn erlassenen Haftbefehl durch eilige Flucht in die Schweiz und dann weiter, an die französische Riviera, gerade noch entgehen. Aber er und seine Familie wurden auf

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Befehl Hitlers ausgebürgert, alle ihre in Deutschland befindlilichen Vermögenswerte konfisziert ... ! Thyssens Neffe, Herr von Remnitz, kam ins Konzentrationslager Dachau und wurde dort ermordet, und als die Wehrmacht im Sommer 1940 Frank­ reich besetzt hatte, fuhr ein Gestapo-Kommando nach Cannes und holte den einstigen »Alten Kämpfer«, der schon den Hitlerputsch von 1923 mit hunderttausend Goldmark finanziert hatte, »heim ins Reich«. Thyssen kam erst in eine Irrenanstalt, dann bis Kriegsende ins KZ. Ja, und dann sperrten ihn die Sieger noch vier Jahre lang in Lager und Gefängnisse, nun wegen seiner braunen Vergangenheit. Erst 1949 kam er wieder frei, emigrierte noch Ende desselben Jahres nach Argentinien und starb dort, steinreich, aber verbittert, im Februar 1951 . . . Thyssen war ein Ausnahmefall insofern, als er glaubte, sich als Alt-Parteigenosse, gläubiger Anhänger und tatkräftiger För­ derer Hitlers während der ganzen »Kampfzeit« - einiges erlauben zu können. Er war indessen keineswegs eine Ausnahme, was seine Meinung über die Kriegsabsichten Hitlers betraf. Nur hü­ teten sich die anderen Rüstungsindustriellen, ihre Ansicht offen auszusprechen. Hitler hatte schon im zweiten Jahr seiner Herr­ schaft, im Sommer 1934, klar zu erkennen gegeben, daß er nicht bloß Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und mißliebige Juden rücksichtslos umbringen ließ, sondern auch vor der Beseitigung von Weggefährten und engsten Mitarbei­ tern nicht zurückschreckte. Am 30. Juni 1934 hatte er keines­ wegs nur ehemalige Rivalen und gefährliche Verschwörer er­ morden lassen - unter ihnen seinen Vorgänger, den Reichskanz­ ler a. D. General von Schleicher -, sondern auch seine ältesten Mitstreiter, Gregor Strasser und den gerade erst zum Reichs­ minister ernannten »Stabschef« Ernst Röhm, dazu drei Dutzend der höchsten SA-Führer . . . Es war also für Leute wie etwa »Taffy«, dem Thyssens »Ver­ dienste um die Bewegung« abgingen, ja, von dem dieser sogar behauptet hatte und es nach dem Kriege wiederholen sollte, daß »Krupp dem Reichspräsidenten Hindenburg noch am 29. Ja­ nuar 1933 dringend von einer Ernennung Hitlers zum Kanzler abgeraten« hätte, weit besser, sich nicht den Mund zu ver­ brennen. Aber war denn auch »Taffy« gegen den Krieg? Nun, dafür gibt es einige interessante Zeugnisse: Als nach dem Münchener Abkommen, das einen Ausbruch des Krieges, schon im Jahre 1938, gerade noch verhindert

hatte, eine allgemeine Hochstimmung auch und gerade bei den deutschen Industriellen herrschte, weil der Friede gerettet schien und der »Führer« sich als »glänzender Außenpolitiker« erwiesen hatte, der »ganze Provinzen ohne Schwertstreich zu erobern« verstand, erfuhr »Taffy« von einer - von Hjalmar Schacht im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß bestätigten - Äuße­ rung Hitlers über Sir Neville Chamberlain. »Dieser Kerl«, so hatte der »Führer« in vertrautem Kreis wütend gezischt, »hat mir meinen Einmarsch in Prag versiebt . . .!« Als »Taffy« der Sinn dieser »Führer«worte klargeworden war, verstieg er sich zu einer Bemerkung gegenüber Fritz von Bülow, die dieser dann entrüstet Schwager Tilo berichtete. »Ich begreife den Führer einfach nicht!« hatte »Taffy« aufgeregt erklärt. »Er hat doch gerade erst ein wunderbares Abkommen unterzeichnet. Warum ist er so nörglerisch . . . ?« Nach einer englischen Quelle , * die als sehr zuverlässig gelten kann, versetzte der Befehl aus Berlin im Mai 1939, Polen alle Lieferungen sofort zu sperren, sich aber dabei hinter allerlei Ausflüchte zu verschanzen, Gustav in Panikstimmung. Er ver­ lor seinen aufrechten Gang und litt unter nervösem Gesichts­ zucken. Zuerst redete er sich ein, die Drohung gegen Polen wäre wohl wieder »nur ein Bluff Hitlers«. Anfang August 1939, als am »Westwall« in Tag- und Nachtschichten gebaut wurde und die bedrohlichen Anzeichen eines Krieges gegen West und Ost sich mehrten, bestellte »Taffy« den Direktor der Ausbil­ dungsabteilung des Konzerns, Karl Fuß, zu sich, damit er ihm beim Abfassen zweier Briefe in englischer Sprache behilflich wäre. Das eine Schreiben, so bemerkte »Taffy« geheimnisvoll, hätte einen »führenden englischen Politiker« zum Empfänger, dem er einmal begegnet wäre und den er nun bitten wollte, ihm zu helfen, den Krieg abzuwenden. »Ich weiß nicht«, murmelte er dann mehr zu sich selbst als zu Direktor Fuß, der die Bemer­ kung aber deutlich verstand, »ob die Herren in Berlin eine Ah­ nung haben, was es heißt, sich mit dem Britischen Weltreich einzulassen . . .« Als nächstes bat er seinen Direktor, ihm beim Abfassen eines weiteren Friedensappells behilflich zu sein. Den zweiten Brief wollte »Taffy«, so vertraute er Fuß an, an eine Persönlichkeit richten, die »führend auf dem Gebiet der Indu­ strie der Vereinigten Staaten« wäre. Und es gibt noch eine dritte Geschichte, die auch bei Manche­ ster auftaucht, von ihm aber anders ausgelegt wird: * G. Young, The Pall and Risc of Alfried Krupp. London 1960, Seite 49/50.

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». . . Jetzt aber (im Mai 1939), kaum daß die Truppen demobi­ lisiert waren, sprach man abermals von einem allgemeinen Krieg, und Barbara und Tilo Wilmowsky, die über den Kanal wollten - zum Wiedersehen mit einem Sohn, der den Rest des Jahres 1939 in einem Dominion des Britischen Reiches ^u verbringen gedachte -, waren unruhig. Sie wußten nicht, was sie tun sollten, weil sie keine Ahnung von den Plänen des Führers hatten. Gustav jedoch waren sie bekannt. Er und sein Sohn hatten Zugang %u Staatsgeheimnissen * , die anderen Mitgliedern des Aufsichtsrats vorenthalten wurden; beide gehörten zu jenen wenigen Privilegierten, die mit der Wilhelmstraße >kollegiale< Gespräche über Politik führen durf­ ten. Deshalb ging der Freiherr seit dreiunddreißig Jahren ^u seinem Schwager und Freund, um sich Rat %u holen. Bei der Erwähnung von Krieg regte sich Gustav sehr auf. Wie sich Tilo später erinnerte, antwortete er, und zwar ziemlich aufgebracht, wie ich mich noch sehr gut entsinne, ein Krieg sei ausgeschlossen, weil es zu solchem Wahnsinn nicht kommen könneDirektorium< bezeichnete Geschäftsführung ernannt . . .« Das »Direktorium« war das gleiche geblieben wie vor­ dem der Vorstand - mit einer Ausnahme: Direktor Löser war zurückgetreten . . . Bertha wußte, warum Löser gegangen war. Ewald Löser hatte in den Kriegsjahren vor seinem Rücktritt häufig die »Villa Hügel« aufgesucht und »Taffy« zugesetzt. »Er regt uns immer so auf«, hatte Bertha ihrem Sohn Berthold an vertraut, »und wenn er wieder geht, kommt dein Vater immer 320

mit furchtbaren Kopfschmerzen herunter, und wir müssen ihm etwas geben, damit er einschlafen kann . . .« Und womit hatte Löser »Taffy« - und damit auch Bertha so beunruhigt? Nun, vornehmlich mit »diesen Dingen«, von denen man besser nichts wußte, zum Beispiel mit den immer neuen Transporten von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern, Verschleppten und KZ-Häftlingen, Männern und Frauen, die im weiten Konzern­ bereich bei den Zechen, Werften, Gruben und Fabriken, aber auch in Essen selbst, Woche um Woche eintrafen . . . Löser wollte kein »Sklavenhalter« sein, und er war überhaupt mit Al­ frieds Firmenpolitik ganz und gar nicht einverstanden. Zwischen Löser und Alfried gab es indessen mehr als nur Meinungsverschiedenheiten. Da war erstens eine weltanschau­ liche Kluft, denn Alfried - Bertha selbst mußte es seufzend zu­ geben - entwickelte sich immer mehr zum allergetreuesten Gefolgsmann »jenes gewissen Herrn«, den — was Bertha nicht wußte, aber auch gar nicht hätte wissen wollen - Löser umzu­ bringen wünschte und dies auch nach seinem Rücktritt in die Tat umzusetzen versuchte, indem er sich an mehreren, wenn auch mißglückten Attentatsversuchen beteiligte. Zweitens aber bestand zwischen Löser und Alfried eine starke Rivalität, nicht bloß insofern, als sie häufig Kompetenzstreitigkeiten hat­ ten, sondern weil Alfried fürchtete, der ihm ohnehin überlegene Löser könnte an seiner Statt Konzernchef werden . . .! Daß diese Befürchtungen Alfrieds nicht ganz unbegründet waren, wußte Bertha nur allzu gut, denn just in dem Jahr, da Goerdeler engagiert werden sollte, hatte Alfried Anlaß gegeben, seine Enterbung ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Denn er hatte seine Eltern auf das peinlichste überrascht, indem er, der bis dahin stets mustergültig gehorsame Sohn, eine Frau zu heiraten wünschte, die seinen Eltern, zumal Bertha, ganz und gar nicht paßte: Frau Anneliese geborene Bahr, eine Berliner Society-Schönheit, die zwar aus durchaus achtbarer Hamburger Familie stammte, in der Reichshauptstadt auch wenig mehr als das übliche Maß an kleinen Affären gehabt hatte, aber - hier stockte Bertha, als sie es erfuhr, fast der Atem! - schon einmal verheiratet gewesen und dann geschieden worden war! Eine geschiedene Frau an der Spitze des Krupp-Imperiums, eine »Frau mit Lebenswandel« noch dazu, wie sie »Taffy« zu erklären versuchte, das war für Bertha, die Hüterin der KruppTraditionen, die schon den Anblick eines schuldlos geschiedenen 321

Direktoriumsmitglieds nicht hatte ertragen können und jeden feuerte, der auch nur durch einen Blick zu erkennen gab, daß er gerne einmal der Sinnenlust gefrönt hätte, einfach zuviel! Wie hatte es Alfried nur wagen können, seinen Eltern mit dem absurden Verlangen, solche Frau zu heiraten, unter die Augen zu treten . . .? (Tatsächlich war er zu diesem einmalig mutigen Schritt nur deshalb fähig gewesen, weil ihn »jener gewisse Herr« zwei Tage vor seinem dreißigsten Geburtstag, an dem er den Eltern das Ansinnen stellte, in eine Heirat mit Anneliese einzuwilligen, zum »Wehrwirtschaftsführer« ernannt hatte, eine hohe Auszeichnung, deren tiefen Eindruck in Essen es auszunutzen galt. . .) Natürlich war von Bertha und dem von ihr zu eiserner Strenge ermahnten »Taffy« eine solche Heirat verboten worden, nachdem eilige Erkundigungen ergeben hatten, daß Frau Anne­ liese zu allem Überfluß auch noch, wie man damals sagte, »jüdisch versippt« war: ihre Schwester hatte einen jüdischen Rechtsanwalt geheiratet, mit dem sie nach Mexiko ausgewandert war . . .! Also hatte man - auch um Alfried zu zeigen, daß man es ernst meinte mit der Enterbung und dem Ausschluß von der Unter­ nehmungsleitung - eilends einen fähigen Mann für die Kon­ zernspitze gesucht und, da Dr. Goerdeler »jenem gewissen Herrn« nicht genehm war, schließlich Dr. Löser als Direktor engagiert. Alfried hatte sich indessen diesmal nicht einschüchtern las­ sen. Bei Freunden, auf Schloß Wiesenburg bei Belzig in der Mark Brandenburg, heiratete er am n. November 1937 mit todernstem Gesicht und gehetztem Blick seine Anneliese vor einem verwirrten Standesbeamten, der sich nicht erinnern konnte, jemals eine so schäbige, unauffällige Hochzeit erlebt zu haben. Unverhältnismäßig kurze Zeit nach dieser Unbotmäßigkeit wurde zum weiteren Schrecken der prüden Bertha offenbar, was die jungen Leute zur Eile getrieben hatte: Anneliese von Bohlen und Halbach brachte bereits zehn Wochen nach der Trauung, am 24. Januar 1938, einen Sohn zur Welt. Wenn Al­ fried und Anneliese jedoch gehofft hatten, damit und mit der Taufe des Stammhalters auf den allen Kruppschen Traditionen gerecht werdenden Namen Arndt die familiären Widerstände zu brechen, so hatten sie sich geirrt. Die »Villa Hügel« blieb ihnen verschlossen. Erst im Herbst 1939, kurz nach Kriegs­ 322

ausbruch, kam es zu einer formellen Aussöhnung. Dem jungen Ehepaar samt Söhnchen wurde von Bertha und »Taffy« eine kurze Audienz gewährt, bei der die Atmosphäre, so weiß sich Anneliese von Bohlen noch mit Schaudern zu erinnern, eisig und »zum Fürchten« war. Alsdann wurde ihnen das »Kleine Haus« zugewiesen; Frau Anneliese erhielt Order, den Park nicht zu betreten, wenn Bertha dort spazierenging; Alfried und seine »Bahr-Dame«, wie Essens allerfeinste Kreise im Schutze von Mutter Berthas Bannfluch zu witzeln wagten, wurden nirgend­ wo eingeladen und von allen betont geschnitten; Bruder Claus kam als Konzernerbe offen ins Gespräch, und in Dr. Löser sah man bereits den neuen Generaldirektor . . . Ein Vierteljahr nach dem Einzug ins »Kleine Haus« war die schwelende Krise für die jungen Eheleute so unerträglich ge­ worden, daß Alfried seine Anneliese auf Skiurlaub in die Hohe Tatra schickte, selbst nach Berlin reiste und jede Spur des Lächelns verlor, das er zur Verwunderung der Dienerschaft während seiner traurigen Abgeschiedenheit etwas weniger selten gezeigt hatte als sonst. (Es wird nie mehr aufzuklären sein, denn die drei unmittelbar Beteiligten leben nicht mehr, ob Alfried bereits wußte, was bevorstand. Manches spricht dafür, einiges auch dagegen . . .) Was dann geschah, schilderte Arndt, der natürlich nicht dabei war und es auch, knapp zwei Jahre alt, kaum begriffen hätte, dem Autor so, wie es ihm seine Mutter später erzählt hat: »Meine Mutter wurde aus ihrem Skiurlaub telegrafisch nach München ins >Hotel Continentah beordert. Als sie dort eintraf, eröffneten ihr meine Großeltern, die dazu eigens von Essen nach München gereist waren, daß sie eine Scheidungsvereinbarung zu unterschreiben hätte, die sie gleich mitgebracht hatten. Falls sie sich weigere, werde mein Vater von ihnen enterbt und noch am selben Tage an seiner Stelle mein Onkel Claus zum Allein­ erben eingesetzt. Da mein Vater nicht zur Scheidung bereit wäre, habe sie allein zu entscheiden. Sofern sie sofort in die Scheidung einwilligte und den mitgebrachten Vertrag unter­ schriebe, erhalte sie sofort eine Million Reichsmark als Ab­ findung . . .« Nun, wie es auch war: Nach kurzer Bedenkzeit willigte Anneliese ein. Sie durfte Alfried lange Zeit nicht mehr wieder­ sehen, dafür den kleinen Arndt behalten, bekam die verspro­ chene Million (wenn auch nicht bar in die Hand, sondern nur die Zinsen des in später wertlosen Reichsanleihe-Zertifikaten

angelegten Kapitals) und wurde bald darauf - so vorzüglich hatten die Konzernjuristen gearbeitet - ohne Schwierigkeiten und Aufsehen geschieden . . . »Vier Wochen nach Mutters Einwilligung«, bemerkte Arndt dazu mit spürbarer Bitterkeit, »stürzte Onkel Claus, der Ersatz­ erbe, mit dem meiner Mutter gedroht worden war, mit dem Flugzeug ab und war tot . . .« Es ließe sich natürlich darüber philosophieren, wie weise die Entscheidung war, die da Ende 1939 getroffen wurde, teils von Bertha und »Taffy«, teils von Frau Anneliese geborener Bahr und vermutlich ja auch von Alfried selbst. Aber es sind müßige Spekulationen, weil die Entscheidung gar nicht anders ausfallen konnte, gründete sie sich doch in erster Linie auf die Persönlichkeit Alfrieds, zumindest deren genaue Einschätzung. Und diese Persönlichkeit war geformt man kann auch sagen: gepreßt - worden, vom ersten Augen­ blick an, zu einem einzigen Ziel: der Übernahme der Pflicht und Verantwortung für ein gewaltiges Erbe. Konnte Alfried, der dreißig Jahre lang zu Gehorsam erzogene, gegen das »General­ regulativ« und das Gebot seiner Eltern handeln? Nun, wir wis­ sen, daß er es erstaunlicherweise versucht hatte, aber wie lange konnte er es durchhalten? Wir wissen auch das: bis zu dem Augenblick, wo es deutlich ernst wurde. Da fühlte er sich wieder als der von Gott zum Krupp Auserwählte, der die »vaterländi­ sche Anstalt« nicht wegen läppischen Familienglücks im Stich lassen durfte, der den Weg der Pflicht zu gehen hatte (und der sich noch unterlegener vorgekommen wäre, hätte einer seiner jüngeren Brüder, zu denen er ein kühles, distanziertes Verhält­ nis zu wahren gelernt hatte, die »Regierung« an seiner Statt an­ getreten; noch unterlegener, weil er sich - jeder, der ihn gekannt hat, wird es bestätigen - längst nicht so sicher fühlte, wie er sich gab, an seinen Fähigkeiten starke Zweifel hatte und die Bürde, nach der zu gieren ihn gelehrt worden war, in Wirklichkeit fürchtete . . .) Es ist sehr schwer zu sagen, ob ein Mann, der so erzogen worden ist wie Alfried, mit einem Minimum an elter­ licher Liebe, von »Nestwärme« gar nicht erst zu reden, dafür mit einem Maximum an Strenge, Unterdrückung menschlicher Regungen und künstlicher Vereinsamung - ob ein solcher Mann überhaupt noch imstande war, frei zu wählen. . . Aber es gibt auch noch eine andere Überlegung, die man wohl anstellen muß, sofern man Alfried gerecht werden will: Nach-

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dem er einmal auf Frau und Kind verzichtet und sich für die Thronfolge entschieden hatte, war sein weiterer Weg bereits vorgeschrieben: Es war der Weg des Vaters der »vaterländischen Anstalt«, des »Alleininhabers« der Waffenschmiede des Reiches, des dem Obersten Kriegsherrn mit Übereifer und äußerster Anstrengung jede gewünschte Art und Menge von Kriegs­ gerät liefernden, blind gehorchenden und sich über alle morali­ schen und humanitären Bedenken rücksichtslos hinwegsetzen­ den »Wehrwirtschaftsführers«. Natürlich hätte es auch noch einen anderen Weg gegeben: Spätestens nachdem er seinen Alleinbesitz fest im Griff hatte, jede Entscheidung selbst treffen konnte und auch in der Lage war, alles, bis in den letzten Winkel seines Imperiums, wenn nicht bereits zu überschauen, so doch zu erforschen, spätestens in diesem Augenblick hätte er sich an die Seite der Verschwörer stellen und dem verbrecherischen Regime Widerstand leisten können - und wenn schon nicht offenen Widerstand, dann moralischen und humanitären . . .! Es wäre durchaus möglich gewesen, die Arbeits- und vor allem die Lebensbedingungen und die Behandlung der zigtausend Zwangs-»Kruppianer« entscheidend zu verbessern. Eine einzige energische Willens­ äußerung des »Alleininhabers« hätte genügt, zunächst einmal jede überflüssige Quälerei der Arbeitssklaven aufhören zu lassen. Aber das hätte zunächst eine andere, stärkere Persönlichkeit vorausgesetzt als den innerlich unsicheren Enkel der weich­ lichen Exzellenz Fritz und Sohn des peinlich korrekten »Taffy«, eine andere Erziehung als diejenige, die Alfried erhielt und mit der ihm eingehämmert wurde, daß es kein anderes, vor allem kein höheres Ziel für ihn geben könnte als die Erhaltung und Stärkung des Krupp-Imperiums, keine größere Schande, als bei der Verfolgung dieses hehren Zieles zu versagen, und daß es zu den unerläßlichen Pflichten eines Herrschers gehöre, sich auch über die Stimme des Gewissens und der Menschlichkeit mitunter hinwegzusetzen. Sodann hätte ein Entschluß Alfrieds, Hitler und der Barbarei offenen oder heimlichen Widerstand zu leisten, eine andere Konstellation vorausgesetzt, zunächst personeller Art, denn Dr: Löser, mit dem er sich dann hätte verbünden müssen, wurde von ihm ja als gefährlicher Rivale angesehen, zum anderen auch eine politische: Ende 1943, als Alfried Alleinherrscher wurde, gab es noch keine zweite Front. Erst am 6. Juni 1944 landeten 325

die westlichen Verbündeten an der Küste der Normandie. Der Hauptfeind, der Anfang 1943 die Reste der 6. Armee samt dem Feldmarschall Paulus gefangengenommen, Stalingrad zurück­ erobert hatte und sich zum Vorstoß nach Mitteleuropa rüstete, war Sowjetrußland, ein kommunistisches Land, wie Alfried gelernt hatte, dessen Ziel die Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln, Bodenschätzen und Land war. Die Sol­ daten, die die Sowjetarmeen noch zurückhielten, kämpften also auch für Alfrieds Alleinherrschaft über das Krupp-Reich; Hitler, der sie in diesen Krieg geführt hatte, war demnach - was immer Mutter Bertha über ihn denken und sagen mochte - ein natür­ licher Verbündeter. Zudem hatten der »Führer« und seine Mar­ schälle die bessere Übersicht. Ihre Anordnungen, und mochten sie noch so barbarisch sein, waren, so fand Alfried, durchaus sinnvoll - auch und gerade für die Erhaltung des KruppReiches. Deshalb kam Widerstand für ihn nicht in Frage. Zudem war es ja niemand anders als Hitler, dem Alfried und das Krupp-Imperium, neben den gigantischen Aufträgen, den größten in der Geschichte der Firma, jenes phantastische Ge­ schenk verdankten, das der Erlaß des »Führers« vom 12. No­ vember 1943 beinhaltete: Die weitgehende Befreiung von der Erbschaftssteuer! Wären die Milliardenwerte, die Bertha unter Enterbung aller anderen Kinder - mit einem Federstrich ihrem Ältesten übertrug, in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise zu versteuern gewesen, so hätte dies katastrophale Aus­ wirkungen für das Unternehmen gehabt. Alfried hatte also allen Grund, »jenem gewissen Herrn« dankbar zu sein, und sein bedingungsloses Mitmachen war auch beileibe kein Mangel an persönlichem Mut. Der waghalsige und mitunter geradezu tollkühne Sportwagenfahrer, Flieger und Hochseesegler zeigte oftmals und auch in passiver Rolle, zum Beispiel bei den schweren Bombenangriffen auf Essen, eine erstaunliche Haltung, die manche Beobachter respektvoll »Todesverachtung« genannt haben. Zwar war seine innere Unruhe so groß, daß er sie mit Unmengen von Zigaretten der Marke »Camel« und nicht minder großen Quantitäten Alkohol (vornehmlich Scotch, von dem er, ebenso wie von den Zigaret­ ten, Vorräte angelegt hatte, die zur Versorgung eines kleineren Landes ausgereicht hätten) zu zügeln versuchte. Aber äußerlich war er stets die Ruhe selbst, ernst, schweigsam und - so schien es zumindest - gedankenversunken . . . Seine Direktoren, die bei wachsender Zerstörung Essens ihre 326

Familien evakuiert und in der »Villa Hügel« Aufnahme gefun­ den hatten, erinnern sich an die abendlichen Mahlzeiten mit dem »Alleininhaber«: »Wir wußten nie, was er dachte. Wir konnten nicht einmal seine Stimmung ergründen, und deshalb flüsterten wir nur, wenn wir uns unterhielten, während er schweigsam vor sich hin starrte und mit dem massiv goldenen Besteck spielte . . .« Ringsum, und nicht nur in der Stadt Essen, sondern überall im Lande, flüchteten Menschen mit den kümmerlichen Resten ihrer Habe auf dem Rücken, brannten ganze Stadtviertel aus, krümmten sich die Arbeitssklaven vor Hunger, aber auch vor Angst, denn gerade die Schutzbedürftigsten, halbe Kinder dar­ unter, durften oft nicht einmal in die Splittergräben kriechen, wenn die Sprengbomben fielen. Der mächtigste Mann des Reviers, der Herr über das ganze gewaltige Industrie-Imperium, aber saß schweigend am weißgedeckten Tisch und spielte mit seiner goldenen Gabel. Über die Verbrechen, die sich, zumal in den anderthalb Jahren der Alleininhaberschaft Alfrieds, während des Zweiten Welt­ krieges im Konzernbereich der Firma Fried. Krupp abspielten, die niemand leugnen kann und für die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach bei seinem »Regierungsantritt« ausdrücklich die ganze und alleinige Verantwortung übernahm, findet sich in den Werken der fleißigen Hofbiographen kein einziges Wort. Da­ gegen entdeckt man - beispielsweise bei Gert von Klass - so schöne Sätze wie diesen: »Wenn nicht alles täuscht, dann hat der Zweite Weltkrieg das große Schwungrad der Technik erst rich­ tig in Bewegung versetzt . . .« Umgekehrt haben Krupp-Hasser mit bewunderungswürdiger Ausführlichkeit das Grauen der Sklavenlager geschildert: die Hundehütten, in die französische Kriegsgefangene kriechen mußten, wenn sie nach zwölfstündiger Arbeit schlafen wollten; den »Käfig« im Keller des Hauptverwaltungsgebäudes; die Prügel mit Lederpeitschen und Stahlruten, die auch KruppWerkschutzleute fleißig austeilten, wenn die Ausgehungerten »Faulheit« oder »Trotz« an den Tag legten; die »Überstellungen« der nicht mehr Arbeitsfähigen des Auschwitzer »Berthawerks« an die Lagerleitung zum Zwecke der Vergasung und das Ster­ ben der in Essen geborenen, von ihren schuftenden Müttern getrennten Säuglinge im konzerneigenen Heim . . . Die Protokolle allein des Prozesses »Vereinigte Staaten von 327

Amerika versus Alfried Felix Alwyn Krupp von Bohlen und Hal­ bach et al.« umfassen 13455 Seiten nebst rund viertausendzwei­ hundert schriftlichen Anlagen. Und William Manchester hat den im Namen Krupps verübten Greueln den weitaus größten Teil seines umfangreichen Buches gewidmet . . . Aber - leider sind ein Großteil der damals und heute erhobe­ nen Anschuldigungen gegen Alfried und seine Mitarbeiter durchaus keine Legenden. Und auch die eifrigsten Hofbiographen können die Fakten allenfalls mit Schweigen übergehen und Schutzbehauptungen aufstellen, ähnlich den Angeklagten in Nürnberg: Sie hätten nichts von alledem gewußt und, wenn ihnen etwa davon bekanntgeworden wäre, nichts daran ändern können.. . Auf diese Schutzbehauptungen brauchen wir nicht einzugehen - sowenig wie auf die traurigen Fakten selbst, die den Anschul­ digungen zugrunde lagen und liegen -, denn es ist längst erwie­ sen, daß der »Alleininhaber« und erst recht einige seiner Mit­ arbeiter nicht nur ziemlich genau darüber informiert waren, was während des Krieges im Krupp-Bereich geschah, sondern auch selbst einiges davon herbeiführten. Alfried persönlich forderte beispielsweise KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte bei der SS an; er selbst hat es vor Gericht bestätigt, mit der Erklärung, es wäre »human« gewesen, den Menschen, die im Lager nur eine Nummer waren, nützliche Arbeit zu geben . . . Mit Löser hatte Alfried sogar eine heftige Auseinandersetzung wegen einer Anforderung von weiteren fünfzigtausend Zwangsarbeitern. Löser hatte sie verhindern wollen, und Alfried, der sonst so stoisch ruhige Gentleman, war außer sich . . . Denn was ihn bewegte, das war - wie schon bei Friedrich, dem jahrelang an die Decke starrenden Pionier und Firmengrün­ der; wie bei »Alfred dem Großen«, dem von Dämonen verfolg­ ten Erbauer sowohl des »Hügel«-Schlosses wie des Imperiums; wie bei Exzellenz Fritz, dem schwächlichen Epigonen und wie erst recht bei »Taffy«, dem »König Alfred« nacheifernden, zwecks Blutauffrischung und Erhaltung der Art sorgsam aus­ gewählten »Ersatz-Krupp« - allein »Ehre und Prosperität«, wobei die Ehre darin bestand, ein Krupp zu sein, und die Pro­ sperität darin, als Krupp auftreten und herrschen zu können. Dafür war jedes Mittel recht und kein Opfer zu groß. Als »Taffy« 1918 auf die Kriegsverbrecherliste gesetzt wurde, nahm er das gelassen hin - Allerhöchstderselbe stand ja obenan! Als er sich 1923 freiwillig dem französischen Kriegsgericht

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stellte und zu langer Gefängnisstrafe verurteilen ließ, wußte er, daß er damit etwas Wesentliches zur Erhaltung von »Ehre und Prosperität« des Hauses Krupp geleistet hatte, und seine erste Frage an Bertha, als sie ihn in seiner komfortablen Zelle be­ suchte, betraf seine nunmehr wohl unzweifelhafte Eignung als Chef des Hauses. Als Alfried, mitten im rastlosen Organisieren der Produktion neuer Waffen und der Heranführung zusätzlichen »Arbeits­ kräftematerials«, plötzlich merkte, daß der Krieg kaum noch zu gewinnen wäre, zögerte er keinen Augenblick, etwas zu tun, was ihm - wenn man seinen Hofchronisten glauben wollte »unmöglich« war: den Befehlen Hitlers und seiner Reichsfüh­ rung zu trotzen, zwar nicht dadurch, daß er etwa die Sklaven­ arbeit einschränkte oder auch nur ein wenig humanisierte, aber in einem anderen, für die »Prosperität« des Unternehmens wichtigen Punkt: Er ließ die von »Taffy« gezeichneten Kriegs­ anleihen, Reichsschatzzertifikate im Werte von fast einer Viertelmilliarde Reichsmark, die nach einem Zusammenbruch nur noch Makulaturwert besessen hätten, heimlich abstoßen und dafür Bargeld und Devisen horten. (Johannes Schröder, der zu dieser Zeit engster Mitarbeiter des Krupp-Finanzdirektors Janssen gewesen war, sagte dazu in Nürnberg aus: »Anstatt die verfügbaren Mittel in der Kriegs­ produktion anzulegen und zu verlieren, befolgte die Firma ins­ geheim einen neuen Kurs, nämlich die Guthaben so flüssig wie möglich zu halten. Sie entledigte sich der Reichsanleihen, kassierte ihre Ansprüche für Kriegsschäden herein und trieb ihre Schulden« - gemeint sind Außenstände - »beim Reich ein . . .« Der Finanzexperte erklärte weiter: »Wir mußten überaus vorsichtig vorgehen,. . . weil das Reich damals von der Industrie verlangte, alle flüssigen Mittel für die Finanzierung des Krieges bereitzustellen. Da der Postweg nicht ratsam war, fuhr Dr. Janssen persönlich zu jeder einzelnen Tochterfirma und er­ klärte unsere Politik . . . Wir wußten, was wir riskierten!« Bei Kriegsende, so berichtete der Zeuge voller Stolz, wären nur noch für achtundsechzig Millionen Reichsmark Kriegs­ anleihen übrig gewesen. Auch die hätte man noch abstoßen können, »aber das hätte zu sehr nach Defätismus ausgesehen« und »als schwerer Sabotageakt die Beteiligten ins KZ . . . brin­ gen können«. Und als er dann merkte, daß diese Widerstandshandlung etwas

anders ausgelegt werden könnte, als von ihm beabsichtigt worden war, fügte er eilig noch ein Schlußwort hinzu: »Wir waren keine Verräter!«) Als Alfried nach monatelangem Prozeß, dem er mit stoischer Ruhe gefolgt war, zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, reagierte er darauf, wie ein amerikanischer Gerichtsdolmetscher erzählte, »als ob ihn das ganze Theater nichts anginge«. Auch einer der Anklagevertreter erinnert sich, daß die lange Freiheits­ strafe Alfried kalt ließ: »Er zuckte nicht mit der Wimper . . .« Aber dann kam die völlig unerwartete Zusatzstrafe, die der Vor­ sitzende »mit dumpfer Stimme« verkündete: »Darüber hinaus ordnet das Gericht den Einzug Ihres gesamten Eigentums, so­ wohl des unbeweglichen wie des persönlichen, an . . .« Alfried wurde »weiß wie ein Laken«. Nun schien doch alles umsonst gewesen - das Mitmachen wie auch der sehr riskante Widerstand in Form des heimlichen Ver­ kaufs der Kriegsanleihe-Zertifikate. Dieser schwarze Tag, an dem »Ehre und Prosperität« end­ gültig verloren zu sein schienen, war der 31. Juli 1948. Am 31. Januar 1951, genau dreißig Monate nach dem Urteilsspruch, gab der Hohe Kommissar der Vereinigten Staaten in Deutschland, John McCloy, dem im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg am Lech seine Strafe verbüßenden Gefangenen Krupp von Bohlen und Halbach dessen gesamtes, auf zwei bis drei Milliarden Deutsche Mark Wert geschätztes Vermögen wieder zurück. Die dreißig Monate in Landsberg, wo einst auch »jener gewisse Herr« nach seinem mißglückten Putsch des Jahres 1923 eine Zeitlang eingesessen und während einer äußerst bequemen Haftzeit ein später außerordentlich hohe Auflagen erreichendes Buch mit dem Titel >Mein Kampf< geschrieben hatte, waren für Alfried, was die Haftbedingungen betraf, alles andere als hart. Sein Jugendfreund und späterer Sicherheitschef, Fritz von Bülow, meinte sogar später: »Landsberg war ein einziger sonni­ ger Ferientag.« Aber, ob ganz so sonnig oder nur leicht bewölkt, auch die Haftzeit war nun vorüber, denn Hochkommissar McCloy hatte, zusammen mit den meisten anderen »Kriegsverbrechern«, auch alle Verurteilten des Krupp-Prozesses begnadigt und frei­ gelassen - alle, bis auf einen: Ewald Löser. Alfrieds einstiger Rivale, der Mann, der gegen den Einsatz von weiteren fünfzigtausend KZ-Häftlingen protestiert und

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später, nach seinem Rücktritt, an sechs Versuchen eines Atten­ tats auf Hitler wesentlichen Anteil gehabt hatte; der dank seiner klugen Planung und außerordentlichen Umsicht nicht sofort überführt, erst sehr spät zum Tode .verurteilt und nur deshalb nicht mehr hingerichtet worden war, weil das Hitler-Reich schon kapituliert hatte, ausgerechnet dieser Mann wurde noch nicht begnadigt. Vielleicht hatten die Krupp-Anwälte vergessen, ihn auf die Liste derer zu setzen, die ihrer Meinung nach un­ schuldig verurteilt und deshalb schleunigst zu begnadigen waren; vielleicht war es auch nur ein Versehen der Mitarbeiter McCloys . . . Erst ein knappes halbes Jahr später kam auch der schwer­ kranke Ewald Löser frei.

Die Bevorzugung der aktiven und passiven Mitmacher gegen­ über dem einzigen Widerständler ist nicht das einzige Paradox, das sich die westlichen Siegermächte in der weiteren Behandlung des »Falles Krupp« leisteten. Denn erst nachdem sie Alfried wie­ der alles zurückerstattet hatten, was vom einstigen KruppImperium noch übrig war, begannen sie mit ihm viele Monate lang gemächlich darüber zu verhandeln, welche Werke er be­ halten und welche er verkaufen sollte. Zu guter Letzt kam dann ein völkerrechtliches Unikum zu­ stande: Ein Staatsvertrag zwischen den Hohen Vertretern der Vereinigten Staaten von Nordamerika, des Vereinigten König­ reiches von Großbritannien und Nordirland und der Französi­ schen Republik auf der einen und Herrn Alfried Krupp von Bohlen und Halbach auf der anderen Seite. Und dieser Staats­ vertrag zwischen drei Großmächten und einem Privatmann wurde noch kurioser dadurch, daß er unter anderem auch die Vermögensverhältnisse innerhalb der Familie des privaten Unterzeichners regelte. Am allerseltsamsten war jedoch ein weiterer Umstand, der bei der feierlichen Unterzeichnung des »Mehlemer Vertrages«, wie er nach dem Tagungsort der Verhandlungsdelegationen später genannt wurde, jedem der Beteiligten bereits völlig klar war (oder doch gewesen sein müßte): Alfried dachte nicht ein­ mal im Traum daran, die von ihm in dem Vertrag eingegangenen Verpflichtungen, die ihn zur »Entflechtung« seines Konzerns, zur Aufgabe seiner stolzesten Besitztümer und zur Selbstdegra­ dierung zum zweitrangigen Provinzindustriellen zwingen soll­ ten, jemals zu erfüllen . . .! 331

Es ist viel darüber spekuliert worden, was die Alliierten eigentlich bezweckten, als sie Alfried nicht nur begnadigten, sondern ihn wieder in sein Vermögen und alle Rechte einsetzten. Der Ost-West-Konflikt, der Wunsch nach einer raschen west­ deutschen Wiederaufrüstung und einer mächtigen Stärkung der NATO waren - darüber sind sich alle einig - die Hauptantriebs­ kräfte. Auch dachte man über Hitler, die Nazis und ihre indu­ striellen Helfer nun, da man in Moskau und Peking neue Tod­ feinde hatte, längst nicht mehr so streng, zumal die »Haupt­ kriegsverbrecher« ja tot waren und die Überlebenden als bewährte Fachleute gebraucht wurden. Aber, und das ist der eigentliche Witz, wenn sich die west­ lichen Alliierten gedacht hatten, mit der behutsamen Rückgabe des Rest-Reiches an Alfried den Grundstein für eine künftige »vaterländische Anstalt« der NATO zu legen, so wurden sie in diesem speziellen Punkt tief enttäuscht: Alfrieds neuer Konzern stellte schon bald die unwahrschein­ lichsten Dinge her, darunter solche, bei denen sich »Alfred dem Großen« vor Empörung die spärlichen Haare gesträubt hätten, etwa künstliche Busen - aber Waffen produzierte die Firma Krupp prinzipiell nicht mehr! Es lag ein gewisser Trotz in dieser Haltung Alfrieds, vielleicht kam auch noch die Erkenntnis hinzu, daß mit einem funkel­ nagelneuen, friedlichen Krupp-Image der Wiederaufbau zu noch gigantischerer Größe weit leichter zu vollziehen wäre. Doch der Trotz des zu Unrecht Gekränkten spielte dabei wohl auch eine Rolle, und er manifestierte sich nicht allein gegenüber der Bundesregierung in Bonn in der Frage der Beteiligung der ein­ stigen »Waffenschmiede« an der neuen Wiederaufrüstung und gegenüber den Westmächten in der Frage der eingegangenen Verpflichtungen in bezug auf Entflechtung und Teilverkauf des Krupp-Konzerns, sondern auch gegenüber der eigenen Familie und dem Direktorium, ja, sogar gegenüber ehrwürdigen Krupp-Traditionen . . .! So heiratete Alfried zur allgemeinen Verblüffung bereits am 19. Mai 1952 zu zweiten Male, doch nicht etwa wieder seine einst so geliebte Anneliese, die Mutter des inzwischen vierzehn­ jährigen Arndt, sondern eine Dame, die er während seiner ersten Ehe als Freundin Annelieses kennengelernt und die ihm offenbar reizendere Briefe ins Landsberger Gefängnis geschickt hatte als die von ihm geschiedene Frau von Bohlen. Die neue Ehefrau hieß mit Vornamen Vera und war eine

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geborene Hossenfeldt, recht hübsch, zierlich und von tadelloser Figur, zudem sexy, »wenn auch mit einem leichten Stich ins Ordinäre«, wie man sich im Direktorium zuflüsterte, kurz, sie wäre eine geeignete Mätresse für den steinreichen, aber vom Leben schon hart geprüften Mittvierziger gewesen, aber als Ehefrau des »Alleininhabers« der ehrwürdigen Firma Fried. Krupp, gegründet 1811, war sie eine offene Provokation aller zu Sittenstrenge erzogenen Beamten, Oberbeamten und Mitglieder des Direktoriums samt ihren ehrbaren Gemahlinnen, darüber hinaus der ganzen »guten Gesellschaft« des Ruhrreviers - ganz zu schweigen von der Familie, Mutter Bertha an der Spitze! Denn die neue Frau Krupp von Bohlen und Halbach war nicht bloß unerforschter Herkunft - es hieß nur, ihr Papa wäre Ver­ sicherungsvertreter gewesen -, sondern auch bereits geschieden, doch hatte sie nicht erst eine Ehe hinter sich: Die Vermählung mit Alfried war bereits ihre vierte! Als Freundin von Anneliese Bahr in Berlin war die gleich­ altrige Vera noch Junggesellin gewesen. Sie hatte dann einen Baron von Langer geehelicht, war kurz darauf wieder von ihm geschieden worden und hatte als nächsten den Filmregisseur Frank Wisbar geheiratet. Mit diesem war sie nach Hollywood gegangen, doch da Wisbar dort keine Erfolge erzielen konnte, hatte sie sich auch von ihm scheiden lassen. Sie vermählte sich alsdann mit einem wohlhabenden amerikanischen Arzt deut­ scher Herkunft, Dr. Knauer, bei dem sie als Sprechstundenhilfe gearbeitet hatte, wurde auf diese Weise Amerikanerin und ließ sich bald darauf auch von dem dritten Gatten wieder scheiden... Vera Krupp von Bohlen und Halbach geborene Hossenfeldt geschiedene Freifrau von Langer geschiedene Wisbar geschie­ dene Knauer blieb nicht ganz zwei Jahre lang Alfrieds Gemah­ lin, von allen geschnitten, von Mutter Bertha mit kühler Ver­ achtung gestraft und von Herren, die mit Alfried über Geschäfte reden wollten, als allzu neugierig und lästig empfunden. Alfried indessen schien - darüber sind sich alle, die das Ehepaar damals näher kannten - sehr glücklich mit Vera zu sein, wogegen sich Frau Krupp, wie sie sich zum Entsetzen des Ruhrreviers zu nennen beliebte, schon bald sehr langweilte. Eines Tages verschwand sie sang- und klanglos, aber ihre Spur ließ sich ver­ folgen durch kleinere und größere Skandale, an denen sie, mal an der Cöte d’Azur, mal in Las Vegas, beteiligt war. Dann flatterte eines Tages ihre Scheidungsklage aus Nevada auf Alfrieds Schreibtisch. Vera verlangte eine Abfindung von

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zwanzig Millionen Mark sowie einen jährlichen Unterhalts­ zuschuß von einer Million Mark. Ihre Klagebegründung war alles andere als fein, zog vor allem Alfrieds Qualitäten als Liebhaber in Zweifel, aber schlimmer als diese unzarten Kränkungen war, was sie den amerikanischen Zeitungen an Informationen über Alfrieds versteckte Auslands­ guthaben und heimlichen Besitz in Deutschland preisgab. Sie zählte Bankkonten in der Schweiz, auf den Bahamas, in Argen­ tinien und einem halben Dutzend weiterer Länder auf, die zu­ sammen rund zweihundertfünfzig Millionen Dollar ausmachen sollten. Sie hatte bestimmt nicht sämtliche Geheimnisse heraus­ bekommen, erst recht nicht bereits alles, was sie wußte, preis­ gegeben. Aber auch schon dieser Anfang war ein schwerer Schock für Alfried, die Familie und das Direktorium. Die Ehe wurde in Reno in nichtöffentlicher Sitzung geschie­ den, doch wenn man in Essen gehofft hatte, daß Vera bald ver­ gessen wäre, so hatte man sich geirrt. Die »Baroneß Krupp«, wie sie sich nannte, machte weiter Schlagzeilen, bis ihr Alfried eine Luxusranch dicht bei Las Vegas kaufte, wohin sich Vera mit einigen Leibwächtern zurückzog und eine Zeitlang auf Publicity verzichtete. Ihr Name stand erst wieder in allen Zei­ tungen, als 1959 Gangster einen Überfall auf die Ranch ver­ übten und dabei unter anderem einen mehr als dreißigkarätigen Brillanten erbeuteten, den Alfried seiner Frau geschenkt hatte. Die Räuber wurden später gefaßt, Vera erhielt ihren kostbaren Schmuck zurück, und das machte natürlich wieder Schlagzeilen. Und dann verkaufte sie ihre Ranch für knapp fünf Millionen Mark an einen exzentrischen Krösus und kaufte sich in ein Spielkasino in Las Vegas ein, Ereignisse, die erneut den Namen Krupp in höchst verdrießlichem Zusammenhang in die Welt­ presse brachten. Als Vera im Herbst 1967 starb, atmete man in Essen auf. Niemand kam auf den Gedanken, ihr, der tatsächlich letzten Trägerin des Namens Krupp, nun auch die letzte Ehre etwa dadurch zu erweisen, daß man, zu gedämpftem Trommel­ schlag einer Knappenkapelle, die Kruppschen Hausfahnen mit den drei Ringen auf Halbmast gesetzt hätte . . . Indessen war Vera Hossenfeldt-von-Langer-Wisbar-KnauerKrupp von Bohlen und Halbach beileibe nicht das einzige, womit Alfried die »Kruppianer« verwirrte und schockierte. So wollte er beispielsweise, zum Entsetzen aller, denen die KruppTraditionen am Herzen lagen, die »Villa Hügel«, kaum daß sie 334

ihm von den Engländern wieder zurückgegeben worden war, einfach verschenken! Zur Erleichterung des ganzen RuhrReviers lehnten indessen sowohl die Landesregierung in Düssel­ dorf wie die Bundesregierung in Bonn die Übernahme des archi­ tektonischen Kleinods dankend ab.' So blieb das millionen­ verschlingende »Hügel«-Schloß zwar in Krupp-Besitz, aber der »Alleininhaber« bewohnte es nicht mehr. Statt dessen zog Alfried in einen bescheidenen FünfzehnZimmer-Bungalow ganz am Rande des Hügelparks, den er sich hatte bauen lassen, und führte dort ein Eremitendasein, wenn auch mit allem Komfort. »Herr Alfried ist der einsamste Mensch, den wir kennen«, seufzten seine Hausangestellten, aber es waren immerhin: ein Butler, ein Kammerdiener, eine Wirtschafterin, ein Koch und ein Chauffeur ... Und der Eremit betrieb auch keine Askese, denn die von Krieg und Nachkriegszeit angegrif­ fenen Bestände an »White Horse«-Whisky und Camel-Zigaretten waren wieder aufgefüllt worden. Doch die Abende blieben meist einsam. Alfried saß oft stundenlang allein, unbewegten Gesichts, rauchend und trinkend. Manchmal hörte er sich Schallplatten mit Wagnermusik an, die er über alles liebte, oder zog sich in seine mit allen erdenklichen technischen Verfeinerungen aus­ gestattete Dunkelkammer zurück, wo er seine mit den besten und teuersten Kameras der Welt aufgenommenen Fotos selbst entwickelte, kopierte und vergrößerte. Sie sahen trotzdem alle aus wie ganz gewöhnliche Ansichtskarten . . . War dieses völlige Meiden der »Villa Hügel«, im Gegensatz zu der Wahl Veras zur First Lady des Ruhrreviers, den Krupp­ schen Direktoriums-Mitgliedern und »Oberbeamten« noch halb­ wegs begreiflich, so war eine weitere Neuerung, die Alfried ein­ führte, für sie alle ein Schock. Sie bekamen einen neuen Herrn! Alfried, der müde Herr­ scher, setzte einen Kanzler mit allen Vollmachten eines Regenten ein, nur daß dieser neue Bismarck mit dem »Alten vom Sachsen­ wald« bloß dreierlei gemeinsam hatte: die hohe Statur, die ost­ elbische Herkunft und die rücksichtslose Energie. Ansonsten aber war der neue Herr das krasse Gegenteil dessen, was man sich in Essen, aber auch in der übrigen Welt, unter einem Chef des Hauses Krupp vorstellte: Er stammte nicht aus der High Society, nicht einmal aus dem gutbürgerlichen Mittelstand . . .! Sein Vater, von schlichtester Herkunft, hatte es in zwölfjähriger Dienstzeit beim 2. Pommer­ sehen Ulanenregiment Nr. 9 mühsam bis zum Wachtmeister 335

gebracht und war dann, mit Hilfe eines Militärversorgungs­ scheines, Geldzähler bei der winzigen Reichsbankfiliale im vorpommerschen Demmin geworden; seine Mutter, Erna geborene Struth, war im Haushalt des Freiherrn von Bellersheim Kinder­ mädchen gewesen. (Übrigens, der Zufall wollte es, daß Erna Beitzens einstiger Zögling, Johannes Freiherr von Bellersheim, im Essener Krupp-Direktorum saß. Der neue Chef, Sohn des früheren Kin­ dermädchens seines nunmehrigen Untergebenen, ließ es sich nicht nehmen, vor versammelter Alter Garde an Baron Bellers­ heim die peinliche Frage zu richten, ob er eigentlich wüßte, daß sie beide einst abwechselnd in den Armen derselben Frau ge­ legen hätten, eine Bemerkung, die - auch nachdem sie aller Krupp-unziemlicher Schlüpfrigkeit entkleidet und erklärt wor­ den war - nicht auf das erwartete heitere Verständnis stieß . . .) Der Sohn des - später bis zum Obergeldzähler aufgestiegenen - hinterpommerschen Reichsbankbeamten und des ehemaligen Kindermädchens, der sich so forsch und unbekümmert über alle Konventionen hinwegsetzte, daß dem traditionsgebundenen oberen Management der ehrwürdigen Firma Fried. Krupp, gegründet 1811, Hören und Sehen verging, hatte, als er in Essen antrat, schon eine erstaunliche Karriere hinter sich, obwohl er noch keine vierzig Jahre alt war: Sein Vater hatte ihn, damit er später vielleicht einmal Reichs­ bankrat werden könnte, unter großen Opfern die höhere Schule absolvieren lassen, dann, nach dem Abitur, eine zwei­ jährige Banklehre bei der Pommerschen Bank in Stralsund. Nach weiteren anderthalb Jahren als Bankgehilfe im heimat­ lichen Demmin und trotz vorzeitiger Beförderung zum stell­ vertretenden Filialleiter wechselte der junge Mann 1938 seinen Beruf und ging nach Hamburg, wo er in die Dienste der »Royal Dutch Shell« trat, die ihn im ersten Kriegswinter auf einen wenig begehrten Außenposten schickte, nämlich nach Galizien, wo ermit einer Wehrmachtarmbinde am Mantel — die Ölfelder der »Shell« verwalten half. Im Laufe des Krieges avancierte der schlaksige Twen, der es abgelehnt hatte, Offizier zu werden, weil er sich als Wachtmeister der Reserve größere Überlebens­ chancen ausrechnete, zum Direktor des Bohrzentrums Boryslaw. Auch in Galizien gab es während des Krieges Zwangsarbei­ ter in der kriegswichtigen Industrie, und der junge »Shell«Direktor beschäftigte davon sogar mehr, als er eigentlich brauchte. Aber seltsamerweise waren diese Zwangsarbeiter sehr

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dankbar für ihre »Versklavung«, und das hatte seinen besonde­ ren Grund: Der Direktor hatte nämlich die meisten von ihnen höchstpersönlich engagiert, oft in großer Eile, gerade noch bevor sie aus ihrer Heimat verschleppt, in Vernichtungslager gebracht oder an die Wand gestellt wurden. So rettete er ins­ gesamt mehr als sechstausend jüdische und polnische Mitarbei­ ter vor dem sicheren Tod und erweiterte seinen Stab um pro­ minente Wissenschaftler, von denen er einige - so den Krakauer Wirtschaftsdozenten Ehrlich, der später Polens Managernach­ wuchs schulte - gerade noch vor der Exekution bewahrte, indem er sie zu unentbehrlichen Fachkräften des kriegswichtigen Bohrzentrums erklärte. Mit solchem Renommee (und dem Sonderausweis der bri­ tisch-niederländischen Muttergesellschaft in der Tasche) hatte der bei Kriegsende gerade Einunddreißigjährige keine Schwie­ rigkeiten, nach Deutschland zurückzukehren. Noch im Sommer 1945 traf er in Hamburg ein, wo Frau und Kinder auf ihn warte­ ten: Frau Else geborene Hochheim, seine einstige Tennispart­ nerin im »Shell«-Sportklub an der Elbe, die damals fünfjährige Tochter Barbara und ihr gerade zur Welt gekommenes Schwe­ sterchen Susanne. (Später kam noch eine dritte Tochter, Bettina, hinzu.) Der nunmehr stellungslose »Shell«-Direktor mit Frau und Kindern, aber ohne eigene Wohnung, denn die Familie war aus­ gebombt worden und hatte bei Freunden ein provisorisches Obdach gefunden, organisierte als erstes eine Gartenlaube in Wandsbek, die dann auch noch die aus Mecklenburg geflüchte­ ten Eltern aufnehmen mußte. Dort überstanden sie den ersten Nachkriegswinter im fast total zerstörten Hamburg nur dank dem Organisationstalent des künftigen Krupp-Generalbevoll­ mächtigten, dessen Qualitäten dann auch von amtlicher Seite gewürdigt wurden - allerdings auf dem Umweg über eine ehe­ malige »Shell«-Sekretärin, die ihn in bester Erinnerung hatte und nun ihren neuen Chefs, britischen Besatzungsoffizieren, wärm­ stens empfahl. Man ernannte ihn, zwar mit zunächst nur sechs­ hundert Reichsmark Gehalt, aber eigenem Dienstwagen, einem roten DKW, der für die Annahme des Postens den Ausschlag gab, zum Organisations- und Personalchef, bald darauf sogar zum Vizepräsidenten des Hamburger Aufsichtsamts für Privat­ versicherungen der britischen Besatzungszone im Range eines Leitenden Regierungsdirektors. Dabei störte es weder ihn noch die Briten, daß der neue Vize537

Präsident vom Versicherungswesen nicht die mindeste Ahnung hatte. Fachleute gab es ja genug - man konnte sie buchstäblich von der Straße auflesen, wo sie als ehemalige Mitglieder der Hitlerpartei Trümmer räumten. Also holte sich der Herr Vize­ präsident Experten zusammen, überließ ihnen die Anwendung ihrer Fachkentnnisse und beschränkte sich auf die Oberauf­ sicht, Organisation und Personalpolitik. Er besorgte Handwer­ ker, die die zerstörten Büroräume wieder herrichteten, zauberte Schreibtische herbei, beschaffte zur Steigerung der allgemeinen Arbeitsfreudigkeit mal eine Fuhre Kartoffeln, mal einen Sack Äpfel, und er ernannte auch großzügig Ministerialräte (von denen sich mancher heute noch dankbar seiner erinnert), aber selbst legte er keinen Wert darauf, Beamter zu werden. Kurz nach der Währungsreform benutzte er seinen hohen Posten zum Absprung in die Privatwirtschaft: Eine der von ihm beaufsichtigten Versicherungen, die »Iduna-Germania Lebensversicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit«, die nach dem Kriege stark ins Hintertreffen geraten war, bot dem erst Fünfunddreißigjährigen den hochdotierten Posten eines Gene­ raldirektors an, und er griff zu. Dreieinhalb Jahre lang leitete er das altrenommierte Unterneh­ men, brachte es wieder in Schwung, vollzog eine Fusion mit der Vereinigten Lebensversicherungsanstalt, die den neuen Kon­ zern in die Spitzengruppe der westdeutschen Lebensversicherer aufsteigen ließ, baute am Hamburger Alsterufer ein neues gläsernes Direktionsgebäude, reiste viel umher und knüpfte überall Beziehungen an. Und dabei lernte er, als er bei dem im Hause von Berthold von Bohlen und Halbach wohnenden Bild­ hauer Jean Sprenger eine überlebensgroße Mädchenplastik für den neuen »Iduna«-Palast bestellte, auch den ältesten Bruder des Hausherrn kennen, den scheuen, schweigsamen und so zurück­ gezogen lebenden Alfried, auf den der gleich ihm große und schlanke, im übrigen aber so gegensätzliche, nämlich ungezwun­ gen-burschikose, dabei sehr energische und erfolgreiche Top­ manager aus Hamburg tiefen Eindruck machte. Schon sein Name gefiel Alfried, denn er war kurz und knapp wie sein eigener, aber hörte sich vitaler, dynamischer an, dazu energisch und befehlend - wie der Knall der Peitsche eines Raubtier­ dompteurs : Beitz. Und als Bändiger der Direktoriums-Löwen kam sich Bert­ hold Beitz auch vor, unter anderem. »Ich sorge dafür, daß sie eine anständige Vorstellung geben«, erklärte er einem ameri­

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kanischen Interviewer, »auch, daß sie sich nicht gegenseitig auffressen, und ich amüsiere mich darüber und diene dem Wohle Alfrieds, indem ich den alten Löwen neue Tricks beibringe . . .« In Essen war man entsetzt! Schon.der Gedanke, die den Zig­ tausenden von »Kruppianern« und allen Bewohnern Essens durch ihre bloße Namensnennung Respekt einflößenden Di­ rektoriumsmitglieder mit »männchen«machenden und durch Feuerreifen springenden Löwen zu vergleichen, grenzte an Blasphemie! Und gar die Vorstellung, der Baron Bellersheim könnte Dr. von Knieriem anzuknabbern versuchen . . .! Aber es kam noch viel, viel schlimmer! Beitz brach nicht nur mit geheiligten Traditionen, schockte Monokelträger und Berg­ assessoren durch offenkundige Mißachtung und forderte die Herren des Reviers heraus, indem er sie als verkalkte, reaktionäre Trottel abtat, sondern er verletzte auch Sitte und Anstand, in­ dem er beispielsweise ausposaunte, was Alfried ihm zahlte: ziemlich genau eine Million im Jahr! Das war nach Auffassung des traditionellen Ruhr-Managements und erst recht für die Beamten und Oberbeamten von Fried. Krupp, wo man die Höhe der Gehälter wie Staatsgeheimnisse behandelte, vulgärer Exhibitionismus (wobei die schier unglaubliche Quantität des Vorgezeigten eine nur zweitrangige, wenn auch viel Neid erregende Rolle spielte). Hätte sich Berthold Beitz auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung von Frau Bertha nonchalant seiner scharfgebügelten Beinkleider entledigt, so wäre ihm dies - zu­ mal er eine sportliche Erscheinung ist - eher verziehen wor­ den . . . Zu allem Überfluß drang er auch noch ins Allerheiligste ein, in den exklusiven »Hügel«-Bezirk, wo er sich ein supermodernes Haus baute. Er erwies sich als Wagner-Verächter und Jazz-Fan, veranstaltete Barbecue-Parties, auf denen er, der Nachfolger von Hanns Jencke und Geheimrat Hugenberg, mit Küchen­ schürze und Kochmütze versehen, für seine Gäste eigenhändig Steaks briet, und er brachte es sogar fertig, die von den Besuchen Allerhöchstdesselben (wie auch »jenes gewissen Herrn«) mehr oder weniger geheiligten Gesellschaftsräume der »Villa Hügel« durch eine Christian-Dior-Modenschau zu entweihen . . .! Und was sagte Frau Bertha dazu, die Hüterin der Traditionen? Nun, erstaunlicherweise amüsierte sie sich darüber! Sie nahm sogar an der Dior-Veranstaltung teil, wobei sie dafür sorgte, daß ihre gleichfalls anwesende Schwiegertochter überhaupt keine Beachtung fand. Denn so »unmögliche sie 539

Vera fand, so sehr sah sie ein, daß die alte Firma Fried. Krupp ein neues Image brauchte, und Berthold Beitz war der richtige Mann, es zu schaffen. Deshalb akzeptierte Bertha ihn. Natürlich hatte sie den neuen Generalbevollmächtigten, noch ehe Alfried endgültige Abmachungen mit ihm traf, auf Herz und Nieren geprüft. Sie war eigens dafür nach Sankt Moritz gereist, wo Alfried und Beitz einen gemeinsamen Skiurlaub verbrachten. Und sie war dann sogar noch nach Hamburg gefahren, zu Frau Erna Beitz, geborene Struth, dem ehemaligen Kindermädchen des Barons Bellersheim, und die beiden Mütter hatten sich über ihre so grundverschiedenen Jungen sehr lange und ausgiebig unterhalten. Das Ganze war offenbar zur vollen Zufriedenheit von Frau Bertha ausgefallen, denn Berthold Beitz wurde engagiert, und er bekam eine stärkere Position und weit größere Vollmachten als jemals zuvor ein Krupp-Generaldirektor, von der Höhe des Gehalts ganz zu schweigen . . . Ehe Beitz nach Essen gekommen war, hatte es für ihn noch einige Schwierigkeiten mit der »Iduna-Germania« gegeben, die ihren so erfolgreichen Generaldirektor nicht aus seinem Vertrag hatte lassen wollen. Schließlich war man sich aber doch einig geworden, und am 30. Oktober 1953, kurz nach seinem vier­ zigsten Geburtstag, hatte Berthold Beitz in Essen seine Antritts­ visite machen können. Am nächsten Morgen war er dann von Alfried dem alten Direktorium mit den Worten vorgestellt wor­ den: »Meine Herren, dies ist Herr Beitz, mein neuer General­ bevollmächtigter !« Beitz hatte in eisige Mienen geblickt, aber er war nicht der Mann, sich davon einschüchtern oder gar entmutigen zu lassen. Zwar verstand er von Kohle, Eisen und Stahl noch weniger, als er vom Versicherungswesen gewußt hatte, aber erstens war er sicher, daß auch in Essen nur mit Wasser gekocht wurde und daß die Krupp-Manager gewiß nicht ganz so unersetzlich waren, wie sie zu sein vorgaben; zweitens aber war er ja von Alfried auch und gerade deshalb nach Essen geholt worden, weil er unbelastet von Traditionen und »Revierverbundenheit«, nur mit gesundem Menschenverstand an die Probleme heranzugehen versprach. Ja, und dann hatte »Bautz«, wie er genannt wurde, seine Dompteurrolle übernommen und zunächst ein paarmal mit der Peitsche geknallt: Einige der ältesten und verdienstvollsten Mitglieder des Direktoriums wurden von ihm in Pension 340

geschickt, anderen beschnitt er die Kompetenzen, und den mei­ sten sperrte er den direkten Zugang zu Alfried, dem in den Hintergrund tretenden »Alleininhaber«. Damit war aber nur der erste Schritt getan. Als nächstes hieß es, die seit den Tagen der »Procura« üppig gewucherte Büro­ kratie abzubauen, an der sogar Northcote Parkinson, der große Entdecker des nach ihm benannten Gesetzes von der völlig selbsttätigen, vom Schwund der Aufgabengebiete unbeein­ flußten Vermehrung der Verwaltungsstäbe, seine ersten Studien gemacht und ob der wunderbaren Vielfalt und bizarren Wuche­ rungen gerade der Kruppschen Administration in Verzückung geraten war. Beitz beendete die Überzentralisierung des Krupp-Konzerns, schuf vergleichsweise winzige Stabsabteilungen an der Spitze, die er sich selbst unterstellte - »Das sind meine Boys, die gehor­ chen nur mir!« -, verlagerte die Initiative der Konzernunter­ nehmen zum Markt hin, brach mit vielen alten und - im doppel­ ten Sinne - teuren Traditionen, überwand alle Widerstände gegen sein Reformwerk mit kühllächelnder, jungenhafter Brutalität und baute ein modernes Management auf, das mit dem alten nur noch wenig Ähnlichkeit hatte und das man im Revier erst geringschätzig, dann mit wachsendem Respekt »amerikanisiert« nannte. Die bei seinem Amtsantritt gerade abgeschlossenen Ent­ flechtungspläne der Siegermächte kamen nur zum geringsten Teil zur Ausführung. Das lag natürlich nicht allein an der zähen Energie, mit der Beitz - und im Hintergrund Alfried - sich ihrer Ausführung widersetzten, sondern auch am politischen Wetter­ wechsel. Aber wahrscheinlich wäre bei weniger hartnäckigem und listenreichem Widerstand der Krupp-Konzern dennoch seiner Zechen und Hüttenwerke beraubt worden, denn in Paris und vor allem in London sah man - anders als in Washington der Wiedererstarkung Krupps ohne rechte Freude zu. Die Engländer, die selbst auf ihren ältesten Märkten die Krupp-Konkurrenz bald zu spüren bekamen, empfanden es weder als Trost, daß Essen auf seine traditionelle Waffenproduktion verzichtet hatte, noch linderte es ihren Schmerz, daß der hartnäckige Wettbewerber gar nicht mehr »typisch deutsch« auftrat. Denn ohne Rassendünkel und Hochmut machten die Essener in der dritten Welt nur noch bessere Geschäfte, während Großbritanniens Exportindustrie ins Hintertreffen geriet. Auch innerhalb der Bundesrepublik wurde eifrig an einem 541

neuen Krupp-Image gearbeitet. Das von drei Krupp-Generatio ­ nen mitgeschaffene Bild des erzreaktionären, ultranationalisti­ schen und gewerkschaftsfeindlichen Schlotbarons und republik­ feindlichen, auf strammen Rechtskurs segelnden Großindustriel­ len hieß es nun ersetzen durch das des verantwortungsbewußten, zurückhaltenden und bescheidenen Eigentümers, der Gesetz und Verfassung respektiert, sich von Parteiintrigen fernhält, mit den Gewerkschaften vorbildlich zusammenarbeitet, Reich­ tum als Verpflichtung auffaßt und um einen Abbau des Völker­ hasses und des Mißtrauens in der Welt ehrlich bemüht ist. An der Schaffung dieses neuen Krupp-Bildes hatten Berthold Beitz und seine Mitarbeiter, nicht zuletzt der auch heute noch für die Fried. Krupp GmbH tätige Chef der Stabsabteilung In­ formation, Georg-Volkmar Graf von Zedtwitz-Arnim, keinen geringen Anteil, und der Titel eines von Graf Zedtwitz-Arnim verfaßten Lehrbuchs der Public Relations, >Tu Gutes und rede darüber !NewsweekConstantin der Große< zurück . . . Der neue Konzern, der eine Milliarde Dollar wert ist, hat insgesamt hundertzwan­ zigtausend Arbeiter und Angestellte, und die jährlichen Um­ sätze dürften die vor dem Krieg erzielten 1,2 Milliarden Dollar übersteigen . . .« Tatsächlich hatte Krupp seine Stahlproduktion, die im »Drit­ ten Reich« von 685 000 auf über zwei Millionen Tonnen (1939) angestiegen und während des Krieges auf 1,5 Millionen Tonnen zurückgegangen war, durch den Erwerb des »Bochumer Ver­ eins« bis 1960 auf knapp vier Millionen Tonnen erhöhen und damit gegenüber dem absoluten Vorkriegshöchststand fast verdoppeln können. Rheinhausen war das größte Hüttenwerk des Kontinents, und der »Bochumer Verein« konnte Stahl­ blöcke von dreihundertachtzig Tonnen gießen . . . »In jenem Winter«, bemerkt dazu William Manchester voll Bitterkeit, »verbrachte Wolf Frank, einer der Dolmetscher von Nürnberg, einen Skiurlaub in der Nähe von Salzburg. In einer Hütte traf er Alfried, der ihn wiedererkannte und ihn fragte: >Wie geht es diesem General Taylor * ?< Frank antwortete: >Es geht ihm gut, Herr Krupp, aber nicht so gut wie Ihnen.< Herr Krupp lachte. Alfried liebte einen guten Witz, und das war fast der beste Witz des Jahrhunderts. Vor einem Jahrzehnt scheinbar j

* Oberst (später Brigadegeneral) Telford Taylor war Hauptankläger der Vereinigten Staaten in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen.

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ohne einen Pfennig in der Tasche, war er jetzt der reichste Mann in Europa. Und sein Vermögen wuchs ständig weiter, denn als alleiniger Inhaber legte er (jährlich) nur etwas über vier Millio­ nen (Mark) für seinen Privatverbrauch beiseite, der übrige Ge­ winn floß in den Konzern zurück . . . Die Entflechtung war tot. Er hatte sie zur Strecke gebracht . . . Auf dem Jubiläum am 14. April 1960 verkündete er, daß alle seine Unternehmen >zu einer einzigen Firma verschmolzen< wurden.« Alfried hätte übrigens gerne auf diesen äußeren Triumph ver­ zichtet, doch es wäre ein allzu teurer Verzicht gewesen. Denn dadurch, daß er alles zur Einzelfirma Fried. Krupp verschmolz, sparte er die Körperschaftssteuer. Für das Finanzamt war der größte Stahlproduzent Europas eine Einzelperson . . .! Anfang der sechziger Jahre wurde das Vermögen Alfrieds, das er selbst auch nicht genau hätte beziffern können, auf »mehr als vier Milliarden Mark« geschätzt. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren es eher über fünftausend Millionen Mark, also mehr als eineinviertel Milliarde US-Dollar! Er war damit einer der Reichsten der Welt. Diesen ungeheuren Wohlstand verdankte er vornehmlich der Gunst der Zeit, dem Nimbus des Namens Krupp, den hervor­ ragenden Public Relations der »Stabsabteilung Information«, der Energie und dem Charme seines Generalbevollmächtigten und, wahrlich nicht zuletzt, dem Fleiß und der Treue von über hunderttausend »Kruppianern«, die - manche Familien schon in der dritten, vierten und sogar fünften Generation - für Krupp durchs Feuer gingen und dafür - Verzicht auf »Trotz« und »un­ gerechtfertigte Forderungen« vorausgesetzt - mit sicherem Ar­ beitsplatz, immer weiter verbesserten Sozialleistungen und gol­ denen Anstecknadeln und Uhren bei ausreichend langer Be­ triebszugehörigkeit belohnt wurden. Darüber hinaus hatte er natürlich auch eigenen Anteil an diesem Erfolg, und mancher raffinierte Plan war in seinem eigenen Kopf entstanden, auch wenn er dabei meist - wie beim Erwerb des »Bochumer Ver­ eins« - exakt Kruppschen Vorbildern und Traditionen folgte. (Hatte nicht auch das lästige Gruson-Werk durch ein ganz ähnliches Manöver erworben werden können? Und war nicht Wenner-Gren auch schon »Taffys« Helfer bei der Bofors-Beteiligung und beim Verbergen geheimer Rücklagen aus den Kriegsgewinnen gewesen . . .?) Aber gerade die Tatsache, daß er in Kruppschen Traditionen 346

so stark verwurzelt war und darüber hinaus kein »Kruppianer«, sondern ein Krupp - wenn auch nur ein halber und zum ganzen erst von »jenem gewissen Herrn« ernannter kurz, daß er sich für das Heer der »Kruppianer« verantwortlich fühlte, gerade diese Tatsache erwies sich als tragische Fehlerquelle. Er vermochte es einfach nicht, wie es etwa Friedrich Flick leichten Herzens getan hatte, sich von der Kohle, ja vom ganzen Ruhrgebiet zu lösen. Der alte Flick, der seine Verkaufsauflagen, kaum daß er aus Landsberg entlassen worden war, vorbildlich genau erfüllt hatte (und das mit Wonne, weil er, mindestens für den Rest seines eigenen Lebens, der Kohle keine Chance mehr gab), war in die Verpackungs-, Kunststoff-, Automobil- und Elektronik-Branche »umgestiegen«. Aber Flick war ein Self­ mademan; es gab keine Firma Fried. Flick, gegründet 1811, ja, überhaupt keinen Produktionsbetrieb, der seinen Namen trug, und infolgedessen auch keine ehrwürdigen Traditionen, die es dort zu pflegen galt. Alfried hingegen handelte, wenn es traditionsreiche Abteilun­ gen seines Konzerns, zumal solche in Essen oder im engeren Ruhrgebiet, betraf, nicht selten gegen jede wirtschaftliche Ver­ nunft. In dieser Hinsicht ähnelte er »König Alfred dem Großen« nicht nur äußerlich. Und obwohl er doch das Beispiel seines Urgroßvaters deutlich vor Augen hatte, verfiel er in genau den gleichen Fehler, als die »Gründerjahre« der Bundesrepublik ihn zur Expansion verlockten. Als »König Alfred«, zu allem, was er bereits hatte, auch noch die Zeche »Constantin der Große« kaufte, brachte ihn schon der nächste Konjunkturrückschlag an den Rand des Bankrotts, und dabei hatte der Ahnherr aber gegenüber dem Urenkel einige Vorteile gehabt: Er betrieb eine »vaterländische Anstalt«, die - wie sich bei Sedan gerade erst gezeigt hatte - für Preußen und das Reich unentbehrlich war, und er hatte in Kaiser Wilhelm I. einen mächtigen, bei allem gelegentlichen Ärger doch wohlwollenden, da von Krupps Kanonen faszinierten Beschützer. Und dann war auch noch ein Jencke zur Stelle gewesen, der den »Alleininhaber« von den Folgen der »Kapitulation« (vor den Banken) und der damit verbundenen Schande (in Form von dreißig Millionen Gold­ mark Schulden) verhältnismäßig rasch wieder erlösen konnte. Alfried hatte keine »vaterländische Anstalt« mehr, erst recht keinen Kaiser Wilhelm, und sein Jencke hieß Beitz. Aber dessen Qualitäten lagen auf ganz anderen Gebieten: Er konnte Märkte sondieren, gewaltige Geschäfte anbahnen, großartig verkaufen,

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dabei zugleich ein wunderbares funkelnagelneues Krupp-Image aufbauen und im übrigen die Direktiven befolgen, die der welt­ abgeschiedene, schweigsame und schwierige »Alleininhaber« bei Wagnermusik ausbrütete. Beitz hatte zwar alle Vollmachten, aber in bestimmte Tradi­ tionsbereiche ließ sich Alfried nicht hineinreden - nicht einmal von dem einzigen, der ihn vielleicht noch hätte retten können: von seinem langjährigen Finanzdirektor Johannes Schröder. Denn der war, auch wenn er sich inzwischen tausendfach be­ währt hatte, einst als Assistent Ewald Lösers zu Krupp ge­ kommen, und so blieb bei Alfried ein Rest von Mißtrauen, gera­ de groß genug, die störenden Warnungen seines Finanzdirektors zu überhören, der ihm klarzumachen versuchte, wie gefährlich es wäre, mit kurz- und mittelfristigen Anleihen langfristige Investitionen zu finanzieren. Denn Alfried, der reichste Mann Deutschlands und vielleicht Europas, hatte nicht nur ein riesiges Vermögen, sondern auch gigantische Schulden. Außerdem gab es niemanden mehr, der ihn hätte zur Vernunft bringen können: Frau Bertha war am 2i. September 1957 einem Herzschlag erlegen; von seinen Ge­ schwistern, die in tiefer Ehrfurcht vor dem Kronprinzen erzo­ gen worden waren, hatte er keine Kritik zu erwarten, nicht ein­ mal von Berthold, auf dessen Schultern alles geruht hatte, so­ lange Alfried und die Direktoren in Haft gewesen waren. Und Johannes Schröder, der gescheite Finanzdirektor, war von Al­ fried entlassen worden - wegen »unmöglichen Benehmens«, wie der »Alleininhaber« es zu nennen beliebte. Er schenkte des­ halb auch einem Artikel keine Beachtung, den Schröder bald darauf im Düsseldorfer >Handelsblatt< veröffentlichte und worin zwar nicht von ihm und der Firma Fried. Krupp, wohl aber von Familienunternehmen und Alleininhabern die Rede war. Vom Chef solcher Personalgesellschaften hieß es im Artikel ganz allgemein: »Er mag ein begabter Techniker sein; er mag ein fabelhafter Verkäufer sein. Er schafft wunderbare Betriebe und erzielt herrliche Umsätze. Er duldet niemanden neben sich und betrachtet die finanzielle Seite als ein notwendiges Übel, das ihn aber in Anbetracht seiner bemerkenswerten Erfolge nichts an­ geht, selbst wenn das Geld aus allen Ecken zusammengekratzt werden muß. Er verwechselt Geld mit Kapital und ist starr vor Staunen, wenn er eines Tages trotz all seiner blenden­ den Erfolge feststellen muß, daß er am Rande des Ruins steht . . .«

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So stand es Ende Juli 1962 im >HandelsblattHandelsblatt< - nur zwei: Bankier Hermann Josef Abs, Boß der groß­ mächtigen Deutschen Bank, langjähriger Finanzberater Ade­ nauers und einflußreichster Mann der deutschen Wirtschaft mit glänzenden Beziehungen zu London, Washington und dem Va­ tikan, redete - nachdem er sich öffentlich vor Krupp gestellt hatte, mit einer ^z/örz-Garantie jedes Gerede über Finanzschwie­ rigkeiten des Konzerns zum Verstummen gebracht und sogar seinen Vertrauensmann, Arno Seeger, zum Nachfolger von Johannes Schröder im Finanzressort von Krupp empfohlen und durchgesetzt hatte - Alfried noch einmal gewaltig ins Ge­ wissen, sich nicht auf die riskanten Geschäfte mit Moskau, erst recht nicht auf die mit Peking einzulassen. Die zweite wichtige Warnung kam Ende März 1966 aus Washington, wo der Chef des State Department, Dean Rusk, auf einer Pressekonferenz erklärte, die Deutschen - gemeint war in erster Linie Krupp - sollten sich noch einmal gut überlegen, ob sie wirklich für Maos China, das die Gegner der USA in Vietnam mit Artillerie und Panzern versorgte, ein Hüttenwerk im Werte von rund sechshundert Millionen Mark bauen wollten . . . Alfried und »Bautz« reagierten indessen nicht auf diese Dro­ hung. Sie verließen sich, was die Lösung ihrer finanziellen Pro­ bleme betraf, auf Bankier Abs, und es scheint, als hätten sie die entscheidende Nuance überhört: Abs hatte versichert, daß sich

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die Deutsche Bank notfalls immer vor die Firma Krupp stellen werde. Aber er hatte nichts davon gesagt, daß er sich auch vor den »Alleininhaber«, seinen Generalbevollmächtigten und beider Firmenpolitik zu stellen gedenke. Aber in Essen war man außer­ stande, zu glauben, daß die Identität von »Alleininhaber« und Firmenleitung jemals in Zweifel gezogen werden könnte . . . Anfang Dezember 1966 endete - durch totalen Vertrauens­ schwund infolge der sich verschärfenden Wirtschaftskrise - die langjährige Vorherrschaft der Christdemokraten in den Bonner Ministerien. Der glücklose Kanzler Ludwig Erhard, einst als »Vater des Wirtschaftswunders« gepriesen, mußte zurücktreten; unter seinem Nachfolger Kiesinger, der eine Große Koalition mit der SPD einging, zogen erstmals in der Geschichte der Bun­ desrepublik Sozialdemokraten ins Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungshilfe-Ministerium ein, Männer, die mit den Mäch­ tigen der Industrie und Bankwelt weder eng befreundet noch ihnen verpflichtet waren. Damit entfielen umgekehrt auch alle Rücksichten, die der Adenauer-Intimus Abs auf die Partei seines Kanzler-Freundes stets genommen hatte. Wenige Tage vor Erhards Sturz sperrte die »Aka« - ein von den bundesdeutschen Groß- und Privatbanken gebildeter und beherrschter Kreditfonds zur Finanzierung des Außenhandels der Firma Fried. Krupp, die mit rund 560 Millionen Mark in der Kreide stand und damit bereits zwanzig Prozent des »Aka«Gesamtvolumens für sich in Anspruch genommen hatte, auf Betreiben von Abs jeden weiteren Kredit. Das war schon der Anfang vom Ende, doch was in Essen mit Bestürzung, in einigen Bankkontoren und Botschaftsgebäuden mit Befriedigung aufgenommen wurde, erfuhr der Bundes­ wirtschaftsminister, Professor Karl Schiller, erst Wochen spä­ ter. Am 25. Januar 1967, anläßlich einer Feierstunde der Rhei­ nisch-Westfälischen Börse zu Düsseldorf, zog ein Kollege von Abs, Hans Rinn, den Minister beiseite und ins Vertrauen. Fünf Tage später, am 50. Januar, bei einem Empfang der rumäni­ schen Botschaft für den gerade in Bonn weilenden Außenmini­ ster Manescu, hatte Karl Schiller Gelegenheit, sich von dem natürlich gleichfalls anwesenden Berthold Beitz bestätigen zu lassen, daß es um Krupp tatsächlich bereits sehr schlimm stand. In jedem anderen Land der Welt wären die Lenker eines Konzerns mit mehr als hunderttausend Beschäftigten schon bei der Sperrung ihrer Außenhandelskredite sofort beim Wirt­ schaftsminister vorstellig geworden. Aber in Essen hatte man

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sich vor solchem Schritt gescheut. Fürchtete Alfried, bei dem Sozialdemokraten Schiller auf Ablehnung zu stoßen, oder dachte er an seinen Urgroßvater, Großvater und Vater, die sämtlich solchen Schritt als unverzeihliche Demütigung vor den ver­ haßten »Roten« angesehen hätten? Oder steckte der »Allein­ inhaber« einfach den Kopf in den Sand, in der Hoffnung, die Gefahr werde schon vorübergehen? Manches spricht für die letzte Annahme, denn von SPD und Gewerkschaften, denen an der Erhaltung von über hundert­ tausend Arbeitsplätzen, vorwiegend im ohnehin schon notlei­ denden Ruhrgebiet, ganz besonders gelegen sein mußte, hatten Alfried und Beitz nicht das geringste zu befürchten, um so mehr dagegen von Bankier Abs. »Im Februar dieses Jahres«, meldete der >Spiegel< am 13. März 1967, ». . . stellte Abs sich an die Spitze der Bankier-Fronde gegen Krupp und zog sich damit den Vorwurf zu, den Konzern in einem Handstreich nehmen zu wollen.« Tatsächliches Ergebnis wochenlanger Geheimverhandlungen zwischen dem besorgten Bundeswirtschaftsminister, dem nicht minder betroffenen, ebenfalls sozialdemokratischen Minister­ präsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn, und den immer ungeduldigeren Bankenvertretern war eine Hilfs­ aktion, die einerseits den vom Konkurs bedrohten Konzern durch Bundes- und Landesbürgschaften zu retten suchte, ande­ rerseits diese Unterstützung an Bedingungen knüpfte, die das Ende der Krupp-Herrschaft über das alte Familienunternehmen bedeuteten: Der »Alleininhaber« hatte sich aus der Unternehmerrolle zu­ rückzuziehen, seine Einzelfirma in eine Kapitalgesellschaft umzu­ wandeln und sie unverzüglich, bis zur Berufung eines Aufsichts­ rats, der Kontrolle eines sechsköpfigen Verwaltungsrats (Vorsit­ zer: Bankier Hermann Josef Abs) zu unterstellen. Außerdem sollten in nicht allzu ferner Zukunft alle Eigentumsrechte an der neu zu bildenden Kapitalgesellschaft auf eine Stiftung übergehen. Ähnliche Pläne, jedoch ohne Zwang und demütigende Bedin­ gungen, hatte auch der »Alleininhaber« gehegt und sie gelegent­ lich der Feier seines sechzigsten Geburtstages, im August 1967, bekanntgeben wollen, in einem sehr würdigen Rahmen, als be­ sondere Überraschung und aus Gründen, die absolut nichts mit der Finanzkrise zu tun hatten, sondern mit einem jungen Mann, von dem bisher wenig die Rede war: Arndt Friedrich Alfried von Bohlen und Halbach, seinem einzigen Sohn. 352

Puppen und Sprengstoff

Als Urgroßvater Alfred Krupp im März 1874 von einem Kon­ sortium unter Führung der »Königlichen Seehandlung«, wie die preußische Staatsbank genannt wurde, zehn Millionen Taler, etwa dreihundert Millionen Mark heutigen Wertes, kreditiert bekam und so vor dem Untergang bewahrt wurde, war er »von Schlaflosigkeit und Fieberangst erschöpft« und, wie er selbst notierte, »dem Wahnsinn nahe«. Erst hatte er sich - wie einst sein Vater - zu Bett gelegt und an die Decke gestarrt . . . »Hypo­ chondrie, die an Geisteskrankheit grenzt«, war Dr. Küsters (letzte Krupp-)Diagnose gewesen, und der Nachfolger des allzu wissenschaftlichen Mediziners hatte den Patienten zur Erholung in den warmen Süden geschickt. Der von Alfreds Bevollmächtigtem, Carl Meyer, mühsam ausgehandelte, sehr gnädige Sanierungsvertrag mit dem Ban­ kenkonsortium war vom »Alleininhaber« als »schmachvolles Do­ kument«, die künftige Kontrolle durch eine neugebildete Revi­ sionsabteilung als »Versklavung« bezeichnet worden. Der bishe­ rige Finanzdirektor hatte seinen Hut nehmen müssen; die »Kruppianer« waren samt und sonders mit drastischen Lohnkürzungen bestraft worden, und Alfred hatte angeordnet, daß »jeder Aus­ druck von Unzufriedenheit als Kündigung anzusehen« wäre. Und dabei war die Krise, die die »vaterländische Anstalt« hart an den Rand des Bankrotts gebracht hatte, vom plötzlichen Kon­ junkturumschwung zwar ausgelöst worden, aber »König Al­ fred« selbst war schuld an der nahezu vollständigen Entblößung von flüssigen Mitteln, an der Überbewertung der von ihm allzu gierig erworbenen Zechen und Fabriken, unter ihnen »Constan­ tin der Große«, an der langfristigen Investition kurzfristiger Kredite . . . Aber von eigener Schuld wollte er natürlich nichts wissen. Deshalb suchte er Sündenböcke, und er fand sie auch, innerhalb und außerhalb der Firma, in der Person des »Verräters« Eichhoff wie bei den Herren vom Finanzministerium. Die einzigen, denen er noch vertraute, waren Alfred Longsdon und sein Sohn Fritz . . . Als knapp hundert Jahre später, wiederum im März, die Firma Fried. Krupp durch Staatsbürgschaften und Bankenhilfe vor 353

dem Untergang gerettet wurde, schrieb der >Spiegeleine Erbfolge so regeln kann, daß der gewerb­ liche Teil seines Vermögens keiner Teilung unterliegt, sondern in jedem Erbfall ungeteilt an den Nachfolger fällt< - dieses Privileg war nunmehr offiziell aufgehoben worden. Mit Rück­ sicht auf die vom Kaiser und später von Hitler gewährten Vor­ rechte war Krupp vom neuen Steuerrecht des Jahres 1919 nicht betroffen. Jetzt hatten die Richter die Entscheidung ihrer Vor­ gänger aufgehoben; jetzt gab es keine Sonderrechte mehr . . .« Von diesem in seinen Auswirkungen für die Einzelfirma Krupp katastrophalen Mangel an Respekt vor Allerhöchsten Gnaden­ erweisen, »Führer»erlassen und traditioneller Rücksichtnahme auch republikanischer Behörden, den die Richter des Bundes­ finanzhofes überraschenderweise plötzlich an den Tag legten, einmal abgesehen, glichen sich die Situationen von 1874 und 1967 wie ein Ei dem anderen, und auch das Verhalten der je­ weiligen »Alleininhaber« war auffallend ähnlich. Um die Symmetrie nahezu perfekt zu machen, schenkte nun auch Urenkel Alfried seinem Longsdon, Berthold Beitz, als einzigem weiterhin Vertrauen, und er bewies dies durch eine wahrhaft königliche Geste: Ehe er sich dem Diktat der Banken (und damit auch ihrem Einspruchsrecht gerade in solchen Fragen) unterwarf, verlängerte er rasch noch den Anstellungs­ vertrag seines hochdotierten Generalbevollmächtigten um zwölf Jahre, was Beitz bis zu seinem fünfundsechzigsten Ge­ burtstag Stellung und Salär garantierte, danach dem Gehalt entsprechende Pensionsbezüge bis ans Ende seiner Tage. (Berthold Beitz quittierte diesen außerordentlichen Gnaden­ erweis mit der Presseerklärung, daß ihm Alfrieds Vertrauen

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»wichtiger als alle Zeitungsartikel« wäre, was jedem begreiflich schien, und er verzichtete nun auch demonstrativ - und für alle »Kruppianer« beispielgebend - auf fünf Prozent seiner sieben­ stelligen Bezüge für das laufende Jahr . . .) Es gab indessen noch einen Punkt, und darin offenbarten sich - bei zunächst geradezu frappierender Ähnlichkeit - bei näherem Hinsehen nun doch sehr wesentliche Unterschiede zwischen der Lage der Dynastie im Jahre 1874 und der im Frühling 1967: »König Alfred« hatte einen einzigen Sohn, der im Augenblick der Krise noch viel zu jung und unerfahren war, als daß er dem Vater hätte beistehen können. Zudem war dieser Sohn, die spä­ tere Exzellenz Fritz, ein wenig aus der Art geschlagen. Da er meist fern von Essen, in mondäner Gesellschaft und unter dem Einfluß seiner dem Ruhrrevier, den dort schuftenden »Fabri­ ken!«, der »vaterländischen Anstalt« und speziell dem »Allein­ inhaber«, ihrem Gemahl, minimale Sympathie entgegenbrin­ genden Mama aufgewachsen war, hatte Fritz, bei allem dem ge­ strengen Papa und der Öffentlichkeit gegenüber bekundeten Ernst und Eifer, an der Firma Fried. Krupp, gegründet 1811, im Grunde nur ein Interesse: Sie mußte erhalten und vor allem solvent bleiben, damit er sich nicht eines Tages außerstande sähe, seine kostspieligen Neigungen zu finanzieren . . . Auch Urenkel Alfried hatte nur einen einzigen Sohn, der im Augenblick der Krise noch ziemlich jung und unerfahren, zu­ dem meist fern von Essen bei seiner Mutter aufgewachsen war, einer Frau, von der eine Erziehung zu strenger Wahrung Kruppscher Traditionen kaum erwartet werden konnte . . . Doch Arndt Friedrich Alfried von Bohlen und Halbach, seinerseits der Urenkel von Exzellenz Fritz, war dennoch in einer ganz anderen Lage als jener, und daraus ergaben sich sehr betrübliche Konsequenzen - für ihn selbst, für seinen Vater an­ gesichts der bevorstehenden »Kapitulation« und für den Fort­ bestand, zwar nicht unbedingt der Dynastie selbst, wohl aber ihrer Herrschaft über das Krupp-Reich. Arndt war, wie wir uns erinnern, am 24. Januar 1938 nicht in Essen, wie es sich für einen Krupp-Erben eigentlich gehört hätte, sondern in Berlin-Charlottenburg zur Welt gekommen, beinahe auch nicht unter dem stolzen, wenn auch nicht sehr alten Adels­ namen, den er heute trägt, sondern unter dem schlichten Mäd­ chennamen seiner Mutter. Weder die Hochzeit seiner Eltern noch die - eigentlich doch sehr erfreuliche - Tatsache der bal­ digen Geburt des Stammhalters waren in Essen gebührend ge356

gewürdigt, geschweige denn stürmisch gefeiert worden. Im Gegenteil! Anläßlich Alfrieds Vermählung mit Anneliese Bahr hätten »TafFy« und Bertha am liebsten die Krupp-Fahnen auf halbmast gesetzt, und nicht einmal der Bräutigam selbst konnte sich ein Lächeln abringen ... Im Herbst 1939, kurz nach Kriegsausbruch, lächelte Arndts Papa dann wieder, wenn auch nur ein knappes Vierteljahr lang. Während dieser kurzen Spanne, die noch vor Ablauf des Jahres endete, durften Vater, Mutter und Sohn vereint im »Kleinen Haus« neben der »Villa Hügel« leben, zwar wie Parias behandelt, aber immerhin in einer Parias sonst selten vergönnten äußerst luxuriösen Umgebung. Und zudem merkte ja der kleine Arndt wohl kaum etwas davon, daß seine Eltern von der »guten Ge­ sellschaft« gemieden wurden. Als er sich seiner Umwelt bewußt zu werden begann, lebte er mit seiner Mutter wieder in Berlin, in einer Elfzimmerwoh­ nung am Lützowplatz, die sich Frau Anneliese von den Zinsen ihrer nicht ausbezahlten Abfindung leisten konnte. Arndt er­ innert sich heute noch an diese Kriegsjahre in der Reichshaupt­ stadt: »Wir hatten ein Auto und einen Chauffeur, und meine Mutter besaß wunderschöne Kleider und herrlichen Schmuck...« Aber ob Auto und Chauffeür wohl den fehlenden Vater ersetzen konnten ? »Dann kamen die schweren Bombenangriffe«, so weiß Arndt, der damals fünf, sechs Jahre alt war, heute noch, »und Mutter brachte mich zu Tante Irmgard nach Biesendahlsdorf . * Wir hatten plötzlich gar nichts mehr, und Mutter sah ich in Bauern­ kleidern Heu auftürmen . . .« Lange blieb Frau Anneliese indessen nicht auf Biesendahls­ dorf, was man ihr nicht verdenken kann. Als Rotkreuz-Helferin bei der Wehrmacht im besetzten Norwegen verbrachte sie die letzten Kriegsjahre. Arndt ließ sie bei der Tante zurück, und er vermißte die Mutter sehr. »Es war furchtbar«, meint er, wenn er daran zurückdenkt. Und: »Ich war vielleicht sensibler als andere Kinder . . .« Gerade noch bevor die Russen Pommern besetzten, kam Anneliese von Bohlen wieder, brachte Arndt zunächst nach Berchtesgaden, dann nach Blühnbach in Sicherheit. Das Schloß in seiner majestätischen Einsamkeit beeindruckte den sieben­ jährigen Arndt außerordentlich, die nicht minder majestätische * Das Kartoffelsaatgut Biesendahlsdorf bei Kasekow in Pommern, das Irmgard verwitwete Freifrau Raitz von Frentz geborene von Bohlen und Halbach gehörte.

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Großmutter Bertha natürlich auch, aber am meisten gefiel ihm, was auch schon seines Vaters jüngere Geschwister über alle Maßen entzückt hatte: Dicht neben dem alten Jagdschloß gab es (und gibt es noch heute) ein etwa auf halbe Maße verkleinertes Tiroler Bauernhaus, komplett eingerichtet, vom Dachboden bis zum Keller, mit allem, was dazu gehört - für Kinder, die ein­ mal richtig spielen wollen . . .! Die Freude daran war jedoch wieder nur von kurzer Dauer, denn im Frühjahr 1945 stießen die Amerikaner auch in das stille, bis dahin vom Krieg unberührte Blühnbachtal vor, besetzten das Schloß, wiesen den nur noch dahindämmernden »Taffy« hinaus - wenn auch nur ins benachbarte Posthaus - und verfüg­ ten, daß Arndt und seine Mutter Österreich sofort zu verlassen hätten. Man brachte sie zunächst mit Militärlastwagen bis zur bayerischen Grenze. Von dort mußten sie sich dann selbst durch­ schlagen - bis nach Westfalen, »wo es wieder einen Onkel gab«, wie Arndt sich erinnert. »Er nahm uns auf, aber es dauerte nicht lange, da kamen Engländer, und ein Captain befahl: >Hier woh­ nen Leute, die Krupp heißen - die müssen weg!« Wir durften uns fortan dem Gut des Onkels nicht einmal auf fünfzehn Kilo­ meter nähern, fanden schließlich bei einem dreißig Kilometer entfernten Bauern Unterkunft, und meine Mutter mußte schwere Feldarbeit machen. Das war für mich schrecklich, zu sehen, wie sie sich für unseren Lebensunterhalt abrackern mußte, schlimmer fast, als daß die anderen Kinder im Dorf mir nachriefen: >Dein Vater ist ein Kriegsverbrecher!« Mir wurde immer mehr bewußt, daß mit uns etwas Besonderes los war. Mein Vater war offenbar ein sehr berühmter Mann, den jeder kannte - nur ich nicht . . .« Später, nachdem Anneliese von Bohlen in Hannover eine kleine Wohnung gefunden hatte, arbeitete sie als Büroangestell­ te, und der inzwischen fast zehnjährige Arndt kam in ein Inter­ nat in Schondorf am Ammersee. Er war sehr unglücklich dar­ über. »Ich war eben kein Kind, das man ins Internat hätte stekken dürfen«, sagt er heute. »Ich brauchte Nestwärme und hatte mich sehr eng an meine Mutter angeschlossen. Darum haßte ich diese unpersönlichen Zuchtanstalten.« Die Wahl des Internats war übrigens kein Zufall. Schondorf lag zwar weit weg von Hannover, wo Arndts Mutter von ihrem bescheidenen Gehalt und den seit der Währungsreform auf nur noch rund zweihundertfünfzig Mark monatlich zusammenge­ schmolzenen Zinsen ihrer einstigen Abfindungsmillion lebte,

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aber weniger als zwanzig Kilometer von Landsberg am Lech entfernt, jenem Städtchen, in dessen alter Festung Arndts Vater und andere abgeurteilte »Kriegsverbrecher« ihre Strafe verbüßten. Landsberg, so erinnerte sich, wie wir bereits wissen, Alfrieds Jugendfreund und Mitgefangener Fritz von Bülow, »war ein einziger sonniger Ferientag« - außer für Ewald Löser, den von allen Gemiedenen, der schon durch seine lange Haft in den Kel­ lern der Prinz-Albrecht-Straße gesundheitlich schwer gelitten hatte. Arndt, der seinem Vater damals die ersten Briefe geschrie­ ben und ihn dann ein- bis zweimal monatlich im Gefängnis besucht hat, ist Landsberg ganz anders im Gedächtnis geblieben als seinem Nenn-Onkel Fritz von Bülow (was damit Zusammen­ hängen mag, daß auf Besucher, zumal wenn sie so sensibel sind wie Arndt, ein düsteres Gefängnis oftmals viel schrecklicher wirkt als auf den Gefangenen selbst, besonders wenn dieser vor­ her eine ganz entschieden schwerere Haft in Nürnberg erlebt hatte . . .). Arndt weiß noch heute, wie sehr er sich vor diesen Besuchen fürchtete, sogar wenn seine Mutter dabei war. »Es war ein gräßlicher Raum mit braunen Holzbänken und kahlen Wän­ den, abgeteilt durch ein Stahlgitter. Dahinter sah ich diesen gro­ ßen, hageren Mann in Sträflingskleidung, meinen Vater, dem ich nicht einmal die Hand geben durfte. Polnische Offiziere mit Maschinenpistolen, die sehr gut Deutsch verstanden, paßten genau auf, was gesprochen wurde, und wenn mein Vater sagte, das Essen wäre schlecht, bekam er sofort einen Stoß mit dem Gewehrkolben . . .« Aus zahlreichen Berichten von Landsberg-Häftlingen geht zwar hervor, daß die Verpflegung verhältnismäßig gut, ja besser war als die der deutschen Bevölkerung vor der Währungsre­ form, denn die Gefangenen erhielten amerikanische Armeeratio­ nen. Krupp-Direktoriumsmitglied Karl Eberhardt, der in Landsberg Alfrieds Zellennachbar und auch vorher, in den Jah­ ren der Lager- und Untersuchungshaft, ständig mit ihm zu­ sammen war, bestätigt dies. Er erinnert sich deutlich, daß die »Kruppianer«, Alfried an der Spitze, zudem so viele Liebesgaben-Pakete erhielten, daß sie davon ihren weniger glücklichen Mitgefangenen reichlich abgeben konnten. Eberhardt hält es auch für »ganz ausgeschlossen«, daß Alfried sich Besuchern gegenüber beklagt haben könnte, »dazu war er viel zu zurück­ haltend«, und über das Essen hätte er sich, abgesehen davon, daß es nicht schlecht war, niemals abfällig geäußert - das hätte seiner 359

Erziehung widersprochen. Für geradezu absurd hält Karl Eber­ hardt, daß Alfried sich bei seinem kleinen Sohn über die Ver­ pflegung im Gefängnis beschwert haben könnte. Und von Kol­ benstoßen hat der Krupp-Direktor, der mit Alfried vom ersten bis zum letzten Tag in Landsberg war und ständig Kontakt mit ihm hatte, »nie etwas gehört«, hält solche Behandlung auch für unwahrscheinlich, selbst von Seiten der polnischen Wach­ mannschaften, die »anfangs« den Dienst versahen. Mit den Wächtern, die die Polen ablösten, hatten die Gefangenen sogar einen recht guten Kontakt. Alfried selbst erzählte später, daß er und seine Direktoren nach der Entlassung noch jahrelang Weih­ nachtsgrüße mit dem Wachpersonal wechselten . . . Aber Arndt hat es ganz anders in Erinnerung, und man spürt, daß er von der Realität seiner Darstellung nicht nur fest überzeugt ist, sondern daß die schrecklichen Eindrücke, die er damals empfangen zu haben glaubt, bei ihm auch noch so stark nachwirken, daß er wie einst von Grauen gepackt wird, wenn er davon erzählt (was er indessen gerne tut . . .).

Als Arndt gerade dreizehn Jahre alt geworden war, kam Alfried frei und wieder in den Besitz seines gigantischen Vermögens. Sein kleiner Sohn, der schon den Schulkameraden erzählt hatte, daß er nun »nach Hause« geholt würde und sich bereits ein Leben in ungeheuerem Luxus ausmalte - mit Vater und Mutter, Frau Anneliese wieder mit herrlichsten Kleidern und kostbarstem Schmuck -, erlebte dann eine schreckliche Enttäuschung. Eines Tages - etwa sechs Wochen nach Alfrieds Freilassung wurde Arndt zwar von seinem Vater aus dem Internat geholt, aber keineswegs nach Hause! Er brachte den Jungen nur in ein anderes, vornehmeres Landschulheim: nach Schloß Stein an der Traun. »Ich fuhr damals zum ersten Male mit meinem Vater im Auto«, berichtet Arndt darüber. »Es war ein >PorscheJasminTja, Anneliese, was meinst du denn, was du brauchst . . .?< Es war furchtbar peinlich. Mutter wurde rot, so schämte sie sich vor der neuen Frau, und sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Und da fiel Vera in die peinliche Stille ein und meinte: >Na, tausend Mark vielleicht, oder was meinst du, Alfried?< Es war entsetzlich. Mein Vater fragte dann: >Bist du einverstanden mit tausend Mark monatlich, Anneliese ?< Mutter konnte nur noch nicken, und dann gingen die beiden wieder . . .« Natürlich waren tausend Mark monatlich für Anneliese und Arndt im Jahre 1953 sehr viel Geld, aber es war bitter wenig im Verhältnis zu dem, was sie sich erwartet hatten. Zum Glück dauerte ihre Enttäuschung aber nur bis zum Herbst desselben Jahres, denn am 1. November trat Berthold Beitz sein neues Amt in Essen an, und als eines der ersten Dinge regelte er die Privatangelegenheiten des »Alleininhabers«, der - nicht bloß Anneliese gegenüber - kein richtiges Verhältnis zu seinen un­ gezählten Millionen finden konnte. Alfried gab seinem General­ bevollmächtigten einen Brief seines noch nicht sechzehnjährigen Sohnes, worin dieser sich »immer noch« über die Behandlung seiner Mutter beklagte. Beitz las das Lamento voller Staunen. »Ich sagte Herrn Krupp«, so erinnert er sich, »das sei ja wohl unmöglich - wenn das jemand erfährt, wie die Geschiedene des reichsten Mannes von Deutschland lebt! Er bat mich, die Ange­ legenheit nach meinem Gutdünken zu regeln. Daraufhin bekam sie erst mal zehntausend im Monat, Mercedes 300 mit Chauffeur und eine anständige Wohnung. Das gehörte sich ja wohl so!« Auch mit Arndts Finanzen ging es bald steil aufwärts. Im näch­ sten Internat, dem berühmten Lyceum Alpinum im schweizeri­ schen Zuoz, wo er dann mit zwanzig Jahren (und »mit Auszeich­ nung«) das Abitur bestand, erhielt er schon tausend Mark monat­ liches Taschengeld - eine enorme Summe, wenn man bedenkt, wie kurz er bis dahin gehalten worden war und daß er alle »nor­ malen« Ausgaben über sein Schulkonto laufen lassen konnte . . . 363

Arndt erzählt - und seine Freunde bestätigen es daß er nach dem Abitur am liebsten Schauspieler geworden wäre. Doch er war ja nun zum Krupp-Kronprinzen ausersehen, und infolge­ dessen hatte er ein Studium sowie ein Praktikum in den verschie­ denen Konzernbetrieben zu absolvieren. Von Arndt-Verächtern wie William Manchester wird dieses Studium mit einer Handbe­ wegung abgetan; es hätte nur »genau zwei Semester« gedauert. Arndt hingegen legt großen Wert auf seine akademischen Lei­ stungen, berichtet auch, daß ihm neben dem Studium der Volks­ und Betriebswirtschaft in Freiburg, München, Bonn und Köln »ein ansehnliches Praktikum« abverlangt worden wäre, und er erzählt darüber: »Ich war zuerst bei der zu Krupp gehörenden Stahl- und Eisenhandlung Georg von Cölln in Hannover tätig, dann bei Krupp-Dolberg in Essen, und zwar richtig mit Lohntüte und so, und ich habe sogar mein Studium für zwei Semester unterbro­ chen und bin für vier Monate zur Krupp-Niederlassung in Mexiko gegangen. Und später hat mich Herr Beitz noch mal ein Jahr in die Gesenkschmiede der Krupp-Niederlassung in Brasi­ lien geschickt . . .« Das Praktikum in Brasilien war allerdings - was auch Arndts PR-Berater nicht bestreitet - eher eine Verbannung gewesen, so wie das erste, bei Georg von Cölln in Hannover, den Charakter einer Strafversetzung gehabt hatte. Doch während es sich bei der Kommandierung von der Isar an die Leine um eine väter­ liche Maßnahme gehandelt hatte, die erfolgt war, weil allzu viele Berichte über ausgedehntes Partyleben des Studenten sowie über eine Affäre mit der Schauspielerin Mady Rahl, der damaligen Freundin seines Vaters, heftiges Stirnrunzeln des »Alleininha­ bers« hervorgerufen hatten, war die eilige Verbannung nach Brasilien eine Notmaßnahme des Generalbevollmächtigten Berthold Beitz, der von der Berliner Kriminalpolizei eine dis­ krete Anfrage erhalten hatte, ob es denkbar wäre, daß ein junger Ägypter, der aufgegriffen worden war, tatsächlich, wie er be­ hauptete, kostbaren Schmuck und beträchtliche Barmittel von »dem jungen Herrn Krupp« erhalten haben könnte . . . Die Episode mit Mady Rahl, die beinahe die dritte Frau Al­ frieds geworden wäre und in Erklärungen gegenüber Arndts Public-Relations-Beratern und der Presse ihre Bereitschaft er­ klärt hat, die männlichen Liebhaberqualitäten auch des Sohnes auf ihren Eid zu nehmen, ist allenfalls interessant für einen das gestörte Vater-Sohn-Verhältnis untersuchenden Psychoana364

lytiker; die Schwierigkeiten, die sich aus den Behauptungen des jungen Ägypters ergaben, waren zurückzuführen auf die seit den Tagen von Arndts Urgroßvater, Exzellenz Fritz, nur wenig toleranter gewordenen Anschauungen einer Gesellschaft mit weit mehr als nur doppelbödiger Moral sowie auf strafrecht­ liche Bestimmungen aus den Tagen Kaiser Wilhelms I., die zwar nicht für den Staat und seine Bürger, wohl aber für Er­ presser nützlich waren. Wir brauchen uns damit nicht näher zu beschäftigen, weil die »den jungen Herrn Krupp« betreffenden Affären keine Le­ genden sind und von Arndt-Verächtern wie -Fans, amtliche Hofberichterstatter eingeschlossen, gleichermaßen freimütig und detailliert geschildert werden. Auch über das Leben, das Arndt von Bohlen und Halbach zwischen seinem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr führ­ te, ist - wenn man von solchen Affären und ausgedehntem Partyleben einmal absieht - unverhältnismäßig wenig zu berich­ ten, außer von drei Höhepunkten, auf die wir noch zurückkom­ men werden. Seine Twen-Jahre sind gekennzeichnet von einem wachsenden Reichtum und ebensolchen Ausgaben, die deutlich zeigen, daß der junge Mann zu seinem Geld ebensowenig ein rechtes Verhältnis fand wie sein Vater, nur daß Arndt öfter verschwenderisch und seltener knauserig damit umging, obwohl ihm natürlich weniger Mittel zur Verfügung standen als seinem Papa, dem »Alleininhaber«. Als er dreiundzwanzig Jahre alt war, erhielt Arndt einen Teil des Erbes ausbezahlt, das ihm Frau Bertha, seine Großmutter, hinterlassen hatte - »nur ein paar hunderttausend Mark«, wie er sich erinnert. Er kaufte sich davon erstaunlicherweise eine Reis­ plantage, zweihundert Kilometer südwestlich von Säo Paulo, und 1963, als er fünfundzwanzig Jahre alt geworden war und ein weiterer für ihn bestimmter Vermögensfonds frei wurde, erwarb er die seiner Plantage benachbarten Terrains noch dazu, so daß er - wie es in einem von seinem PR-Berater inspirierten Bericht heißt - »zu einem der größten süd­ amerikanischen Grundbesitzer« wurde. »Er steckte Hundert­ tausende in die Automatisierung einer Reis-, Mais- und Zukkerproduktion, die von über sechshundert Menschen betrie­ ben wurde.« »Außerdem«, so erzählte Arndt selbst der Journalistin Liz Hiller, »gehören mir tausend Schweine und zweitausend Kühe. Und jährlich ernten wir zwanzigtausend Sack Reis, den Sack 365

zu sechzig Kilo . . . Meine Mutter wohnt bei mir. Sie betreut das gesamte Sozialwerk dieser Farm.« Und er schloß das Interview mit der stolzen Feststellung: »Wenn mir heute jemand mein Geld vorwirft, dann sage ich ihm, was mein Urahn damals schon solchen Leuten antwortete: >Hat Ihnen denn jemand verboten, viel Geld zu verdienen?Spiegel39 o,31 o,31 0,36 0,32 0,31 o,34 o,3 3 0,32 0,29 0,26 0,25 0,24 0,26 0,27 0,28 0,30

0,38 0,36 o,34 o,34 0,32

i,34 J>39 1,38 1,27 1,26

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1,3 3 I.31 i,3° J,34 1,46 1,50 i,43 1,3 5 i,39 i,44 1,48 i,47 1,52 1,58 1,60

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0,60 0,60 0,60 0,60 0,58 0,56 0,56 0,56 o,5 5 0,52 0,48 0,48 0,51 0,48 o,45 0,41 0,40 0,40 0,40 0,40

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i,70 1,68 1,70 J,59 1,61 2,14 2,05 2,26 2,48

U □ N

0,74 0,67 0,65 0,60 0,64 0,72 0,64

Krupp auf Capri In seiner Nummer 268 vom 15. November 1902 brachte der >Vorwärts< den Artikel >Krupp auf Capric 411

»Seit Wochen ist die ausländische Presse voll von ungeheuerlichen Einzelheiten über den >Fall KruppMatino< - das Organ der Kamorra, das gegenwärtig vor den neapolitanischen Richtern steht - folgendes publiziert habe: >Auf der Insel Capri ist jetzt Herr Krupp, der König der Kanonen und der ‘Capitoni’ angekommen.< Einige Tage darauf kam der Redakteur des Blattes, Scarfoglio, mit einer Dirne nach Capri, und nach dieser Zeit hat der >Matino< den Mund über die >Capitoni< nicht mehr aufgetan, er veröffentlichte nur noch Lobeserhebungen über Krupp. Auch die italienischen Behörden wußten von den Vorgängen, aber man nahm Rücksicht auf den König der Kanonen. Wie weif das Kriechen vor Krupp ging, dafür ein Beispiel: Als kürz­ lich der Ministerpräsident Capri besuchte, riet ihm der Bürgermeister der Insel an, dem Herrn Krupp ein Begrüßungs- und Glückwunsch­ telegramm zu senden. Schließlich wurde der Skandal denn doch zu groß, und der Minister des Innern sandte im geheimen einen Inspektor der öffentlichen Sicherheit nach Capri, der eine Untersuchung anzu­ stellen hatte. Das geschah ohne Wissen der Lokalbehörden. Auf die Ergebnisse dieser Untersuchung hin wurde Herr Krupp ersucht, die Insel für immer zu verlassen. Die >Propaganda< (das sozialistische Organ von Neapel), welche diese Dinge an die Öffentlichkeit gezogen hat, verlangt, daß der Bericht über die Untersuchung den Justizbehörden ausgeliefert werde, aber das ist bisher nicht geschehen. Auf die Rechtslage des Falles wollen wir vorläufig nicht eingehen. Das grauenhafte Bild kapitalistischer Beeinflussung wird dadurch nicht sonderlich milder, daß man weiß, es handelt sich um einen pervers veranlagten Mann. Denn das Mitleid, das das Opfer eines verhängnis­ vollen Naturirrtums verdient, muß versagen, wenn die Krankheit zu ihrer Befriedigung Millionen in ihre Dienste stellt. Insoweit gibt es keine ausreichende Entschuldigung für den Mann. Gleichwohl bietet der Fall für die deutsche Gesetzgebung ein hohes Interesse. Solange Herr Krupp in Deutschland lebt, ist er den Straf­ bestimmungen des § 175 verfallen. Nachdem die Perversität zu einem öffentlichen Skandal geführt hat, wäre es die Pflicht der Staatsanwalt­ schaft, sofort einzugreifen. Vielleicht erwägt man jetzt, um diesen das Rechtsgefühl verletzenden Widerspruch zwischen Gesetz und Anwen­ dung des Rechtes zu beseitigen, die Beseitigung des § 175, der das Laster nicht ausrottet, aber das Unglück zur furchtbaren Qual ver­ schärft. Von sozialdemokratischer Seite ist ja im Reichstag mehrfach auf eine solche Reform gedrungen.«

Tod von Exzellenz Fritz Haux berichtet in seinen Erinnerungen:

»Am Vormittag des 22. November fand im Krupp’schen Casino eine große Kundgebung der Krupp’schen Beamten statt, in der gegen die

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Verleumdungen der sozialdemokratischen Presse Stellung genommen werden sollte. Im Laufe des Vormittags war eine beunruhigende Nach­ richt über Herrn Krupps Befinden auf die Fabrik gekommen. Wir wußten, daß Frau Krupp nicht auf dem Hügel war, sie befand sich noch in dem Sanatorium des Professors Binswanger in Jena. So wurde im Direktorium beschlossen, daß einige von uns zum Hügel fahren sollten, um zu sehen, wie es dort stünde. So fuhren Röttger, Klüpfel und ich gegen Mittag hinaus. Es war ein schöner Herbsttag und der Park mit der Villa lagen in prächtigem Sonnenschein da, als wir zum Hügel hin­ auffuhren. Als wir am großen Haus angelangt waren, stürzte Assessor Korn, der Privatsekretär, aus dem Hause heraus mit der Schreckens­ nachricht, daß Herr Krupp soeben gestorben sei. Ein Schlaganfall hatte seinem Leben ein Ende gemacht. Im Hause selbst war es totenstill, wir sahen niemand von der Familie. Der untröstliche Hausmeister führte uns in die oberen Räume. Wir betraten das einfache Schlafzimmer, in dem der stille Mann, der nun alles Erdenleid und alle Unruhe dieses Lebens überwunden hatte, in seinem Bette lag.«

Die zweite Version Über die letzten Stunden berichtet ein Protokoll, das unterzeichnet ist von den Ärzten Prof. Dr. Aug. Forel, Prof. Binswanger, Dr. med. O. Vogt und Dr. med. Fritz Pahl: »Herr Krupp hatte sich seit dem Abend des einundzwanzigsten Novem­ ber unwohl gefühlt, jedoch hatte die Dienerschaft auf ausdrücklichen Wunsch des Herrn Krupp vorläufig keinen Arzt hinzugezogen, da Dr. Vogt so wie so am andern Morgen um 6 Uhr erwartet wurde. Beim Eintref­ fen des Dr. Vogt am Morgendes 22. November fand dieser Herrn Krupp in bewußtlosem Zustande. Der selbe bat Herrn Dr. Pahl telephonisch um sofortiges Erscheinen mit Kampher und Äther. Die beiden Ärzte gaben gemeinsam zwei Ätherspritzen. Kurze Zeit nach Verabreichung der zweiten Spritze erwachte Herr Krupp zu ziemlich klarem Bewußtsein. Herr Krupp trug dem Dr. Vogt Grüße für die beiden Töchter auf, auch bat er ihn, an der Regelung der mit seinem Tode verknüpften Angelegen­ heiten Theil zu nehmen. Um 8 ‘/4 Uhr trat Atemnot, stärkere Herzschwäche und Abkühlung der Haut mehr und mehr in Erscheinung. Das Bewußt­ sein ging gleichzeitig mehr und mehr verloren. Im Laufe des Vormittags trafen die Professoren Binswanger und Forel ein; Dr. Vogt setzte sie von dem gefahrdrohenden ZusCand in Kenntnis und konnten dieselben in Gemeinschaft mit Dr. Vogt nur noch fest­ stellen, daß eine Rettung des Herrn Krupp nicht mehr möglich sei. Es bestanden die Symptome eines Gehirnschlages; die Atmung stockte, wurde langsamer und immer oberflächlicher; die Herztätigkeit sank in gleichem Maße; das Bewußtsein war völlig geschwunden. Nachmittags 3 Uhr trat der Tod ein.«

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Rede Kaiser Wilhelms II. nach der Beisetzung Krupps in Essen (26. November 1902) Der Wirkliche Geheime Kommerzienrat Friedrich Alfred Krupp war im November 1902 einem Gehirnschlag erlegen. An seiner Beisetzung nahm der Kaiser teil. Vor der Abreise von Essen hielt Wilhelm II. am 26. November im Wartesaal des Bahnhofes an die Mitglieder des Direktoriums der Kruppschen Werke und an die Vertreter der Arbei­ terschaft eine Ansprache. Es ist Mir ein Bedürfnis, Ihnen auszusprechen, wie tief Ich in Meinem Herzen durch den Tod des Verewigten ergriffen worden bin. Dieselbe Trauer läßt Ihre Majestät die Kaiserin und Königin Ihnen allen aus­ sprechen und hat sie das auch bereits schriftlich der Frau Krupp zum Ausdruck gebracht. Ich habe häufig mit Meiner Gemahlin die Gast­ freundschaft im Kruppschen Hause genossen und den Zauber der Liebenswürdigkeit des Verstorbenen auf Mich wirken lassen. Im Laufe der Jahre haben sich unsere Beziehungen so gestaltet, daß Ich Mich als einen Freund des Verewigten und seines Hauses bezeichnen darf. Aus diesem Grunde habe Ich es Mir nicht versagen wollen, zu der heutigen Trauerfeier zu erscheinen, indem Ich es für Meine Pflicht gehalten, der Witwe und den Töchtern Meines Freundes zur Seite zu stehen. Die besonderen Umstände, welche das traurige Ereignis begleiteten, sind Mir zugleich Veranlassung gewesen, Mich als das Oberhaupt des Deutschen Reiches hier ein^ufinden, um den Schild des Deutschen Kaisers über dem Hause und dem Andenken des Verstorbenen %u halten. Wer den Heimgegangenen näher gekannt hat, wußte, mit welcher feinfühligen und empfindsamen Natur er begabt war und daß diese den einzigen Angriffspunkt bieten konnte, um ihn tödlich zu treffen. Er ist ein Opfer seiner unantastbaren Integrität geworden. Eine Tat ist in deutschen Landen geschehen, so niederträchtig und gemein, daß sie alle Herzen erbeben gemacht und jedem deutschen Patrioten die Schamröte auf die Wangen treiben mußte über die unserm ganzen Volke angetane Schmach. Einen kerndeutschen Mann, der stets nur für andere gelebt, der stets nur das Wohl des Vaterlandes, vor allem aber das seiner Arbeiter im Auge gehabt hat, hat man an seiner Ehre angegriffen. Diese Tat mit ihren Folgen ist weiter nichts als Mord; denn es besteht kein Unterschied zwischen demjenigen, der den Gifttrank einem andern mischt und kredenzt, und demjenigen, der aus dem sicheren Verstecke seines Redaktionsbureaus mit den vergifteten Pfeilen seiner Verleum­ dungen einen Mitmenschen um seinen ehrlichen Namen bringt und ihn durch die hierdurch hervorgerufenen Seelenqualen tötet. Wer war es, der diese Schandtat an unserm Freunde beging? - Män­ ner, die bisher als Deutsche gegolten haben, jetzt aber dieses Namens unwürdig sind, hervorgegangen aus den Klassen der deutschen

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Arbeiterbevölkerung, die Krupp eben so unendlich viel zu verdanken hat und von der Tausende in den Straßen Essens mit tränenfeuchtem Blick dem Sarge ihres Wohltäters ein letztes Lebewohl zuwinken. Ihr Kruppschen Arbeiter habt immer treu zu eurem Arbeitgeber gehalten und an ihm gehangen; Dankbarkeit ist in euren Herzen nicht erloschen; mit Stolz habe Ich im Auslande überall durch eurer Hände Werk den Namen unsres deutschen Vaterlandes verherrlicht gesehen. Männer, die Führer der deutschen Arbeiter sein wollen, haben euch euren treuen Herrn geraubt. An euch ist es, die Ehre eures Herrn zu schirmen und zu wahren und sein Andenken vor Verunglimpfungen zu schützen.

Als Beispiel für das starke Echo der Rede Kaiser Wilhelms II. nach der Beisetzung Krupps in den nationalistisch-militaristischen Kreisen möge folgender Brief des Dichters Ernst von Wildenbruch (Berlin, 27. No­ vember 1902) an den Kaiser dienen: »E. M. haben schon mehr als einmal in Gnaden geruht, mir, dem in Ehrfurcht Unterzeichneten, zu erlauben, daß ich bei besonderen, für Deutschland wichtigen Gelegenheiten an Allerhöchstdieselben das Wort richtete. Wenn ich im gegenwärtigen Augenblick um die Erlaubnis bitte, wiederum zu E. M. sprechen zu dürfen, so geschieht es aus Anlaß der von Allerhöchstdenseiben nach der Beerdigung Friedrich Krupps an die Kruppschen Arbeiter gerichteten Ansprache, in deren Gedanken­ gang und Fassung mit jedem Gedanken und jeder Silbe einzustimmen, für deren Geist und Inhalt E. M. aus tiefster Überzeugung, aus vollem Herzen zu danken zwingendes Bedürfnis mich treibt. Es ist nicht das erste Mal, daß E. M. einem in ganz Deutschland ver­ breiteten dumpfen Gefühle durchschlagendes Wort, festen Beweis und bleibende Gestalt gegeben haben, selten aber ist es so glücklich geschehen wie jetzt, wo Sie die Handlungsweise dessen, der aus dem Redaktionsbüro der Zeitung heraus seelentötende Verleumdungen in die Welt schickt, als Mord und den Menschen, der solches tut, als Giftmischer gekennzeichnet haben. Ja - dieses Wort werden Tausende und aber Tausende in Deutsch­ land und über Deutschlands Grenzen hinaus E. M. aus überzeugtem Bewußtsein nachsprechen, dieses Wort wird in allen Seelen, die für Macht und Ehre noch nicht abgestorben sind, nachhallen wie ein Sturmwind, der aus reinen Bergeshöhen ins durstige Tal fährt. Daß er nachwirken möge, dieser Sturm, daß er neue, gute Samen­ körner in die Seelen tragen und sie befruchten und wecken möge zu neuem Empfinden, das ist es, was Gott, E. M. als Lohn und Dank für dieses Ihr Wort verleihen möge! Ein großer Schritt ist getan: das Scheusal, das verkappt und versteckt in unserem Leben umgeht und es verpestet, die Verleumdung, ist bei 416

Namen genannt und ins helle Licht gezogen, die Menschen sind ge­ zwungen worden, der Sachlage ins Gesicht zu sehen und Stellung dazu zu nehmen. Das danken wir unserem Kaiser, E. M. Geruhen E. M., daß ich diesem allgemeinen Dankgefühle, das auch mein Gefühl ist, Ausdruck und Wort verleihe, gewähren E. M. es mir, daß ich an der Freude aller Deutschen, aller ehrlichen Menschen, die sich an unserem Kaiser freuen, mich mitfreuen darf, als meines aller­ gnädigsten Herrn, E. M., in Ehrfurcht, Verehrung und Liebe treuuntertänigst verharrender Ernst von Wildenbruch.«

Das Schreiben von Margarethe Krupp an Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel (datiert: Hügel, io. Dezember 1902) hat folgenden Wortlaut: »Euer Hochwohlgeboren bin ich eine kurze Mitteilung darüber schuldig, wie ich nach dem Ab­ leben meines Gatten zu dem durch seinen Strafantrag gegen die Redak­ teure des >Vorwärts< und anderer Blätter eingeleiteten Strafverfahren stehe. Mein nächster Gedanke bei Erwägung dieser Angelegenheit war, daß nichts unterlassen werden sollte, um das Andenken des Verewigten so vollständig von dem ihm angetanen Schimpfe rein zu waschen, daß seine Ehre für jedermann unantastbar dastehe. Auf der anderen Seite geht aber die Fortsetzung des Kampfes gegen mein innerstes Empfinden. Mein Gefühl ist, daß, nachdem der Tod dazwischengetreten ist, der Streit möglichst ruhen sollte. Dieses Gefühl hat durch die eingehende Erörterung, die ich mit sach­ kundigen Ratgebern gepflogen habe, nur an Stärke gewonnen. Es ist mir dabei klargeworden, daß der Kampf, der sich bei Fortsetzung des Verfahrens vor den Gerichten entspinnen wird, ein langwieriger und erbitterter werden wird, indem die Gegner alles aufbieten werden, um das Andenken des Verewigten noch weiter zu verunglimpfen, daß es auch nach Lage der Gesetzgebung nicht möglich sein wird, zu verhin­ dern, daß das Verfahren durch fortgesetzte Beweisanträge endlos hin­ gezogen, über den eigentlichen Gegenstand hinaus ausgedehnt und sen­ sationell ausgebeutet werden kann. Ich muß sogar mit der Möglichkeit rechnen, daß die Gegner zu Mitteln schlimmster Art greifen, gegen welche nur sehr schwer aufzukommen ist, wenn nicht das Wort und das eidliche Zeugnis des Beleidigten selbst in die Waagschale geworfen werden kann. Dazu kommt, daß das Gesetz mir überhaupt die Möglich­ keit versagt, in das Verfahren irgendwie einzugreifen, wie es dem Ver­ ewigten bei seinen Lebzeiten als Nebenkläger oder Privatkläger ge­ stattet gewesen wäre. Einigermaßen wird mein Widerstreben gegen einen Kampf, wie ich ihn voraussehe, auch noch dadurch beeinflußt, daß meine Ärzte erklären, daß sie meine Kräfte den Gemütsbewegungen und Aufregungen, die von einem solchen Prozeß zu erwarten wären, nicht gewachsen halten. Wenn ich auch von jeder Rücksicht auf meine

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Person am liebsten absehen möchte, kann ich die Warnung der Ärzte doch nicht ganz außer acht lassen angesichts der ernsten Pflichten, die nach dem Ableben meines Gatten auf mir ruhen. An der Bestrafung der Verleumder ist mir nichts gelegen, es genügt mir, daß mein verewigter Gatte durch die Stellung des Strafantrages seinen Willen bekundet hat, der Verleumdung entgegenzutreten. Ich bedarf auch für meine Überzeugung keiner gerichtlichen Ehrenerklä­ rung, in meinen Augen steht das Andenken des Verewigten rein und unbefleckt da. Die wiederholten einmütigen Kundgebungen seiner Beamten und Arbeiter und die Erklärungen zahlloser Freunde beweisen mir, daß in den Kreisen, die ihm nahestanden, die Verleumdung wir­ kungslos und das Vertrauen und die Achtung, die er besaß, unerschüt­ tert geblieben sind. Nachdem sogar unser erhabener Kaiser und König Allerhöchstpersönlich für die Ehre des Verewigten eingetreten ist und sein Andenken mit dem kaiserlichen Schilde gedeckt hat, habe ich kein Verlangen nach weiterem Schutze. E. H. bitte ich aus Vorstehendem geneigtest entnehmen zu wollen, daß ich für meinen Teil keinen Wunsch auf Fortsetzung des eingeleiteten Strafverfahrens aussprechen und die Entscheidung ganz dem Ermessen von E. H. anheimgeben möchte.«

Der Einstellungsbescheid Berlin, 15. 12.1902 »In Nr. 268 des >Vorwärts< vom 15. November 1902 ist ein Artikel >Krupp auf Capri< erschienen, der Verdächtigungen des Wirklichen Geheimen Rats Friedrich Alfred Krupp enthält. Herr Krupp hat sofort telegrafisch und am nächsten Tage schriftlich mit Beziehung auf diesen Artikel bei der Staatsanwaltschaft des hiesi­ gen Landgerichts I Strafantrag wegen Beleidigung gestellt. Grund dessen ist durch Beschluß des Königlichen Amtsgerichts I vom 17. November 1902 die Beschlagnahme der Nr. 268 des Vor­ wärts« angeordnet und ausgeführt worden. Am 22. November ist Herr Krupp gestorben. Hierdurch ist dem Angegriffenen die Möglichkeit genommen, durch sein eidliches Zeugnis die gegen ihn erhobenen Verdächtigungen zu widerlegen. Seinen festen Willen, die Haltlosigkeit der ihm gemachten Vorwürfe nachzuweisen, hat er wiederholt, auch durch Stellung des Strafantrags, bekundet. Von dieser Erwägung geleitet, hat die Witwe des Verstorbenen, Frau Krupp, erklärt, daß sie, durchdrungen von der Gewißheit der Schuldlosigkeit ihres Gatten, Wert darauf lege, daß der Streit um den Verstorbenen in der Öffentlichkeit möglichst zur Ruhe komme. Es sei ihr deshalb an einer gerichtlichen Bestrafung der Urheber und Ver­ breiter der Gerüchte nichts mehr gelegen. 418

Bei dieser Sachlage erachte ich eine weitere Strafverfolgung nicht mehr als im öffentlichen Interesse liegend und werde ich deshalb dem gestellten Strafantrage keine weitere Folge geben. Dr. Isenbiel, Oberstaatsanwalt.«

Die letzte Warnung Geschrieben am 30. Juli 1914 von Dr. Arthur Bernstein, dem langjährigen politischen Mitarbeiter der >Berliner Morgenpostc In wenigen Tagen wird die Spannung sich zur Katastrophe gesteigert haben. Es besteht kein Zweifel mehr, die Nikolajewitsche diesseits und jenseits wollen den Krieg. Die Kriegslieferantenpresse winkt frei­ lich ab. Ihr ist das kurante Geschäft lieber und sicherer als eine mehr­ jährige Hochkonjunktur, die zuverlässig mit einem Boykott der Kanone enden muß. Aber die »ideologisch« verblödete alldeutsche Presse schwelgt. Die Militärs wittern Glorie, und da die verantwortlichen Politiker in Deutschland nie mitzureden haben, wenn die Militärs sich unterhalten, werden Bethmann und Jagow sich bescheiden. Gegen Bethmann sind noch einige besondere Sicherheitsposten aufgestellt; sperrt er sich lange, so wird scharf geschossen, mitten ins Herz seines privatesten Daseins. Schmutzig - aber derzeit »nationale Notwendig­ keit«. Wenn die Kriegshetzer soviel Verstand hätten, wie bösen Willen haben, dann würden sie wahrscheinlich weniger Getöse machen. Ihre Rechnung ist falsch, und das wollen wir in aller Kürze doch wenigstens festgestellt haben, ehe denn die Schlacht beginnt, soll heißen, ehe der »Belagerungszustand« jede ausgesprochene Wahrheit mit Festung bedroht. In wenigen Tagen wird niemand mehr die Wahrheit sagen, noch weniger schreiben dürfen. Darum also im letzten Augenblick: Die Kriegshetzer verrechnen sich. Erstens: es gibt keinen Dreibund. Italien macht nicht mit, jedenfalls nicht mit uns; wenn überhaupt, so stellt es sich auf die Seite der Entente. Zweitens: England bleibt nicht neutral, sondern steht Frankreich bei; entweder gleich oder erst in dem Augenblick, wo Frankreich ernstlich gefährdet erscheint. England duldet auch nicht, daß deutsche Heeresteile durch Belgien marschieren, was ein seit 1907 allgemein bekannter strategischer Plan ist. Kämpft aber England gegen uns, so tritt die ganze englische Welt, insbesondere Amerika, gegen uns auf. Wahrscheinlich aber die ganze Welt überhaupt. Denn England wird überall geachtet, wenn nicht geliebt, was wir von uns leider nicht sagen können. Drittens: Japan greift Rußland nicht an, wahrscheinlich aber uns in freundlicher Erinnerung an unser feind­ seliges Dazwischentreten beim Frieden von Schimonoseki. Auch die Knackfuß-Apotheose (»Völker Europas« usw.) ist in Ostasien nicht vergessen. Viertens: die skandinavischen Staaten (unsere »germanischen«

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Brüder) werden uns verkaufen, was sie entbehren können, aber sonst sind sie uns nicht zugeneigt. Fünftens: Österreich-Ungarn ist militä­ risch kaum den Serben und Rumänen gewachsen. Wirtschaftlich kann es sich gerade drei bis fünf Jahre selbst durchhungern. Uns kann es nichts geben. Sechstens: Eine Revolution in Rußland kommt höchstens erst dann, wenn die Russen unterlegen sind. Solange sie gegen Deutschland mit Erfolg kämpfen, ist an eine Revolution nicht zu denken. Dieses in aller Eile und in letzter Stunde. Unsere Botschafter kennen die Lage ganz genau. Auch Herr v. Bethmann muß sie kennen. Es ist nicht denkbar, daß er das Reich durch Unverantwortliche in einen dreibis fünfjährigen Krieg hineinsteuern läßt, während er aus Scheu von den Drohungen der Alldeutschen und Militaristen seiner Verantwor­ tung sich entledigt. Ob wir am Ende dieses furchtbarsten Krieges, den die Welt je gesehen haben wird, Sieger sein werden, steht dahin. Aber selbst wenn wir den Krieg gewinnen, so werden wir nichts gewinnen, denn Österreich-Ungarn wird sich nicht dafür ins Zeug legen, daß das Deutsche Reich an Umfang zunimmt. Geld als Kriegsentschädigung wird am Ende des Gemetzels nirgends mehr zu finden sein. Der einzige Sieger in diesem Krieg wird England sein. Deutschland führt den Krieg um Nichts, wie es in den Krieg hineingegangen ist für Nichts. - Eine Million Leichen, zwei Millionen Krüppel und fünfzig Milliarden Schulden werden die Bilanz dieses »frischen, fröhlichen Krieges« sein. Weiter nichts.

Eine höfliche Anfrage Fried. Krupp Aktiengesellschaft Abt. AK AKS Nr. 55728 g

Essen, den 8. Sept. 42. Einschreiben Abschrift.

Herrn Direktor Dr. Dürrfeld, in Fa. I. G. Farbenindustrie Auschivit^ bei Kattowitz General-Gouvernement Sehr geehrter Herr Doktor! Mit der Bitte um vertrauliche Behandlung teilen wir Ihnen mit, daß unsere Firma im Begriffe steht, in Räumen und mit Arbeitskräften, die uns von der SS zur Verfügung gestellt werden, in Auschwitz die Fertigung wehrmachtswichtiger Teile aufzuziehen. Da die Voraussetzungen, unter denen wir diese Fabrikation betreiben werden, vielfach etwas Neues und Ungewohntes für uns darstellen, liegt uns viel daran, daß wir uns beim Abschluß eines Abkommens 420

mit der maßgebenden Stelle und bei der Einrichtung der Fertigungs­ stätte die Erfahrungen zunutze machen können, welche Ihre Firma in Ihrem, unter den gleichen Umständen bereits seit längerer Zeit betriebe­ nen Auschwitzer Werk gesammelt hat. Herr Direktor Dr. Bütefisch, an den wir uns dieserhalb wandten, verwies uns an Sie. Wir erlauben uns daher, Sie um die Liebenswürdigkeit zu bitten, uns wenn möglich eine Abschrift der zwischen Ihrer Firma und der SS abgeschlossenen Abkom­ men zuzusenden. Soweit Ihnen noch sonstige Gesichtspunkte und gemachte Erfahrungen für die Durchführung unseres Projektes von Wichtigkeit scheinen, wären wir Ihnen für deren Mitteilung in kürzester Form ebenfalls sehr verbunden. Auch^ würden wir es begrüßen, wenn Sie einem unserer Herren bei seiner nächsten Anwesenheit in Auschwitz Gelegenheit geben würden, mit Ihnen mündlichen Gedankenaustausch über den ganzen Fragen­ komplex zu pflegen. Für Ihre Bemühungen in unserem Interesse sagen wir Ihnen im Vor­ aus unseren verbindlichsten Dank und begrüßen Sie in Erwartung Ihrer Antwort mit Heil Hitler! Verteiler: Friedrich Krupp AG Dir. Dr. Ambros, / Dir. Dr. Bütefisch, Das Direktorium Dr. Eisfeld, / Dr. v. Staden / Dr. Braus Unterschriften. Dr. Savelsberg.

Die Antwort I. G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft Werk Auschwitz O. S. Firma Friedrich Krupp, Aktiengesellschaft Essen

Einschreiben

Vertraulich! Ihre Zeichen: AKS Nr. 55728 g Ihre Nachricht vom 8. 9. 42 Unsere Zeichen Dü. Auschwitz (Kr. Bielitz) O. S. 14. 9. 42/Sch.

Wir haben von Ihrer Mitteilung gerne Kenntnis genommen und würden es aus vielerlei Gründen für zweckmäßig halten, wenn wir die offenen Fragen gelegentlich mündlich in Auschwitz besprechen könnten. Herr Direktor Dr. Bütefisch kündigte Ihren Besuch bereits an. Der Rechts­ unterzeichnete, Herr Dr. Dürrfeld, ist fast ständig in Auschwitz an­ wesend und steht dem von Ihnen beauftragten Herrn zur Verfügung. Es würde jedoch zweckmäßig sein, wenn Sie Ihren Besuch etwa 8-14 T age vorher bei uns ankündigten. Herr Dr. Dürrfeld ist in der kommenden

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Woche und in der nächstfolgenden Woche bis zum 22. 9. mittags un­ unterbrochen in Auschwitz. Zu der von Ihnen im Besonderen angeschnittenen Frage möchten wir Ihnen mitteilen, daß wir einen Vertrag mit der SS nicht abgeschlossen haben, sondern lediglich eine Vereinbarung in Briefform, nach der uns das KL Arbeitskräfte zur Verfügung stellt, für die wir RM. 4,- je Tag für den Facharbeiter und RM. 3,- je Tag für den Hilfsarbeiter an die SS zu zahlen haben. Für die Verpflegung sind Unkosten von uns nicht zu tragen, lediglich für die Bereitstellung von Getränken (Kaffee oder Tee). Des weiteren sind von uns zu tragen: Unkosten für die Erfassung der Stunden je Unternehmer und deren W eiterverrechnung Umsatzsteuer in Höhe von 2,04% Transportkosten für die Häftlinge Unkosten für die Bezahlung der Kapos, die den Unternehmern nicht in Rechnung gestellt werden können Unkosten infolge der Bezahlung der vollen Sätze je Arbeitstag, an Samstagen und an Regentagen, sowie im Falle besonderer Vorkomm­ nisse, wobei die Häftlinge nur wenig über 4 Stunden arbeiten. Wir würden es begrüßen, wenn Sie uns baldmöglichst hier aufsuchen würden, damit wir Sie auch über die großen Schwierigkeiten, die Sie hier erwarten, rechtzeitig informieren können. Heil Hitler! Verteiler: I. G. Farbenindustrie A. G. Dir. Dr. Ambros, / Dir. Dr. Bütefisch, gez. Dr. Dürrfeld Dr. Eisfeld, / Dr. v. Staden / Dr. Braus Dr. Savelsberg.

Das Ende Anlage 3 zu URNr. 1400/67

Einbringungsvereinbarung zur Durchführung der Kapitalerhöhung der Beteiligungs- und Patentverwaltungsgesellschaft mit beschränkter Haftung - nachfolgend »Bepa« genannt gemäß Gesellschafterbeschluß vom 21. Dezember 1967. (i) Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung - nachstehend »Stiftung« genannt - bringt in Ausführung der Öffentlichen Letztwilli­ gen Verfügung des Herrn Dipl.-Ing. Dr.-Ing. e. h. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach vom 23. September 1966 und im Rahmen der am

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2i. Dezember 1967 beschlossenen Kapitalerhöhung der Bepa in die letztere das bisher unter der Firma Fried. Krupp geführte Unternehmen und das gesamte Privatvermögen des Herrn Dipl.-Ing. Dr.-Ing. e. h. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach ein mit Ausnahme a) der sämtlichen Geschäftsanteile an der Bepa, b) von Vermögensgegenständen, die Gegenstand der in der Öffent­ lichen Letztwilligen Verfügung vom 23. September 1966 ausgesetzten Vermächtnisse sind. Es sind demnach von der Einbringung ausgenommen: aa) die Rechte und Pflichten aus dem zwischen Herrn Dr. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach und der Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG - jetzt Fried. Krupp Hüttenwerke AG - abgeschlosse­ nen Förderrentenvertrag vom 13. 4. 1965; bb) das Waldgut Blühnbach, Werfen bei Salzburg; cc) die Einfamilienhausbesitzung Gutenreuth in Rottach-Egern; dd) sämtliche mittelbar oder unmittelbar im Nachlaß befindliche Aktien an der Ampascachi Sociedad Anonima Agricola Ganadera, Buenos Aires, einschließlich der damit in Zusammenhang stehenden Forderungen und Verbindlichkeiten; ee) das Wohnhaus Essen-Bredeney, Berenberger Mark 20, einschließ­ lich seines beweglichen Inventars; ff) die persönlichen Gegenstände des Herrn Dr. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. (2) Soweit in der Öffentlichen Letztwilligen Verfügung des Herrn Dr. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach vom 23. September 1966 ausgesetzte Vermächtnisse von dem Bedachten ausgeschlagen werden, sind die entsprechenden Vermögensgegenstände von der Stiftung auf die Bepa unentgeltlich zu übertragen. Die nach Bestellung des Nießbrauchs zugunsten des Herrn Arndt von Bohlen und Halbach aus dem in (1) b) aa) bezeichneten Förderrenten­ vertrag vom 13. 4. 1965 verbleibenden Rechte und Pflichten sind von der Stiftung unentgeltlich an die Bepa zu übertragen.

§2 Das gemäß § 1 in die Bepa eingebrachte Vermögen umfaßt neben dem Privatvermögen alles, was am 31.7. 1967 dem Betriebe des in §1 be­ zeichneten Unternehmens diente oder zu dienen bestimmt war unter Berücksichtigung aller inzwischen eingetretenen Zu- und Abgänge. Dazu gehören insbesondere: a) die sich aus den Büchern des in § 1 bezeichneten Unternehmens ergebenden Aktiva und Passiva zum 31.7.1967 einschließlich der Zu- und Abgänge, die sich aus der Führung oder dem Betriebe des in § i bezeichneten Unternehmens seit diesem Tage ergeben haben; b) die in der »Aufstellung über den Grundbesitz der Firma Fried. Krupp in Essen«, Stand vom 1. Dezember 1967, gemäß Anlage 5 be­ zeichneten Grundstücke und das Bergwerkseigentum; c) sämtliche zugunsten der Firma Fried. Krupp bzw. ihres Allein-

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inhabers Dr. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach bestehenden Rechte an Grundstücken, gleichviel, ob sie grundbuchlich gesichert sind oder nicht. Die in Abteilung z und 3 der Grundbücher eingetragenen Belastun­ gen werden von der Bepa übernommen. Soweit Eigentümergrundschulden bestehen oder bis zur grundbuch­ lichen Umschreibung zur Entstehung gelangen, werden diese hiermit an die Bepa, die die Abtretung annimmt, abgetreten. Das gilt auch für Rückforderungsansprüche gegen Inhaber von Grundschulden. Die den eingetragenen Hypotheken zugrunde liegenden persönlichen Forderungen werden von der Bepa als Selbst- und Alleinschuldnerin schuldbefreiend übernommen. Soweit Gläubiger den Vertrags- oder Schuldübernahmen nicht zustimmen sollten, verpflichtet sich die Bepa, die Stiftung im Innenverhältnis von allen Ansprüchen freizustellen. d) sämtliche gewerblichen Schutzrechte und Schutzrechtsanmeldun­ gen, die dem in § 1 bezeichneten Unternehmen oder dessen Treuhändern oder Beauftragten zustehen, einschließlich aller mit dem Namen Krupp verbundenen Namens-, Firmen- und sonstigen Kennzeichnungs­ rechte. e) sämtliche Benutzungsrechte an Schutzrechten und Schutzrechts­ anmeldungen, die dem in § 1 bezeichneten Unternehmen zustehen; f) sämtliche Beteiligungen der Fried. Krupp an den in der Anlage 7 aufgeführten Gesellschaften. Bezüglich der in dieser Aufstellung auf­ geführten Stammaktien im Nominalwert von DM 430000000,- an der Fried. Krupp Hüttenwerke Aktiengesellschaft in Bochum sind etwaige sich aus der alliierten Verkaufsauflage gemäß dem Krupp-Entflech­ tungsplan in bezug auf diese Aktien noch ergebende Bindungen und Auflagen von der Bepa zu erfüllen. §3 (1) Das gemäß § 1 in die Bepa eingebrachte Vermögen umfaßt ferner alle sonstigen Rechte und Ansprüche sowie alle Verpflichtungen ein­ schließlich Haftungsverhältnissen, seien sie vertraglich oder anderwei­ tig begründet, seien sie bilanziert oder nicht bilanziert. Dies gilt auch für Entschädigungsansprüche jeder Art, z. B. aus bestehenden und künfti­ gen Gesetzen über den Lastenausgleich und sonstige Kriegsfolgen. (2) Insbesondere übernimmt die Bepa die Rechte und Verpflichtun­ gen aus abgeschlossenen Organschaftsverträgen und gewährten Divi­ dendengarantien. (3) Die Bepa ist weiterhin verpflichtet, die Stiftung von allen mit dem eingebrachten Vermögen zusammenhängenden Verpflichtungen frei­ zustellen. Das gilt insbesondere auch von etwaigen Verpflichtungen, die sich aus der weiteren Abwicklung des früheren außerhalb des Bundes­ gebietes gelegenen Firmenvermögens ergeben. (4) Soweit Gläubiger den Vertrags- oder Schuldübernahmen nicht zustimmen sollten, verpflichtet sich die Bepa, die Stiftung im Innen­ verhältnis von allen Ansprüchen freizustellen. Die Stiftung wird

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solche Rechtsverhältnisse treuhänderisch für Rechnung der Bepa ab­ wickeln.

§4 (i) Die Bepa übernimmt ferner alle Nachlaßverbindlichkeiten, ein­ schließlich der durch die Abwicklung des Nachlasses entstehenden Kosten, die bei der Stiftung in ihrer Eigenschaft als Alleinerbin des Herrn Dr. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach angefallen sind und noch anfallen werden. (2) Die Abwicklung der Nachlaßverbindlichkeiten und Kosten er­ folgt durch die Testamentsvollstrecker oder durch die Stiftung. Die Bepa hat diese Aufwendungen der Stiftung gegen Nachweis zu ersetzen.

§5 Die Bepa übernimmt insbesondere auch die bisher von Herrn Dr. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach geleisteten Versorgungszahlungen.

§6 Die Bepa ist verpflichtet, der Stiftung - möglichst im Wege der Spende eine jährliche Mindestausstattung von DM 2000000,- zu gewähren, solange und soweit dieser Betrag nicht durch Dividendenausschüttun­ gen der Bepa erreicht wird. Die Vorschrift des § 30 GmbH-Gesetz ist zu beachten. §7 (1) Zu dem gemäß Anlage 5 einzubringenden Grundvermögen gehört auch der weitere und engere Hügel-Park mit den aufstehenden Gebäu­ den, insbesondere der »Villa Hügel«. (2) Hierzu wird zur Wahrung der Tradition des Hauses Krupp fol­ gendes festgelegt: a) Die Bepa verpflichtet sich, über diese Gegenstände nur mit vor­ heriger schriftlicher Zustimmung der Stiftung Verfügungen zu treffen. b) Die Stiftung hat das Recht, die Villa Hügel und den engeren Hügel-Park unentgeltlich zu benutzen. c) Die Bepa trägt alle mit der laufenden Verwaltung und Unterhal­ tung der Hügel-Besitzung - Park und Gebäude - verbundenen Kosten. Die Sonderkosten von Veranstaltungen sind von der Stiftung bzw. dem jeweiligen Veranstalter zu tragen. (3) Das im engeren Hügel-Park befindliche sogenannte »Gästehaus« wird der Stiftung unentgeltlich zur Benutzung als Verwaltungsgebäude überlassen. Die mit der laufenden Instandsetzung und Unterhaltung des Gästehauses einschließlich seiner technischen Einrichtungen ver­ bundenen Kosten sowie die Bezahlung des Hausmeisters trägt die Bepa. (4) Die zur Zeit im Gästehaus befindlichen Einrichtungsgegenstände, die gemäß § 1 auf die Bepa übergehen, werden der Stiftung zur unent­ geltlichen Benutzung überlassen. 425

($) Das Wohnhaus Essen-Bredeney, Berenberger Mark 20, wird der Bepa von der Stiftung unentgeltlich als Gästehaus zur Verfügung gestellt mit der Bestimmung, daß die Bepa die Verwaltung sowie die laufende Instandsetzung und Unterhaltung der Besitzung zu ihren Lasten übernimmt. §8 Die Bepa verpflichtet sich, das Kruppsche Familienarchiv zu verwalten und weiterzuführen, und zwar zusammen mit dem Werksarchiv der bisherigen Firma Fried. Krupp.

§9 Die Bepa übernimmt die Verpflichtung, die auf dem Friedhof in EssenBredeney befindliche Friedhofsanlage der Familie Krupp im Rahmen der Tradition und bisheriger Übung entsprechend auf ihre Kosten zu unterhalten.

§ 10 Die Bepa wird gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 dieses Vertrages anstelle der Stiftung in den zwischen Herrn Dr. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach und der Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG - jetzt Fried. Krupp Hüttenwerke AG - abgeschlossenen Förderrentenvertrag vom 13. April 1965 - belastet mit einem lebenslänglichen Nießbrauch zu­ gunsten des Herrn Arndt von Bohlen und Halbach - eintreten. § ii (1) Die Bepa tritt in die zwischen der Fried. Krupp und ihren Arbeit­ nehmern bestehenden Dienst- und Arbeitsverträge sowie die damit zusammenhängenden Abmachungen ein. (2) Soweit Arbeitnehmer der Fried. Krupp in den Diensten der Stif­ tung verbleiben, wird diese alle aus den Dienst-, Arbeits- und sonstigen Verträgen mit diesen Arbeitnehmern eingegangenen Verpflichtungen, einschließlich Versorgungsleistungen, erfüllen. Die Bepa wird dafür Sorge tragen, daß die Arbeitnehmer der Stiftung hinsichtlich der mit der Krupp Wohnungsbau gGmbH abgeschlossenen bzw. abzuschließenden Mietverträge wie Werksangehörige der Bepa behandelt werden. (3) Die Bepa tritt in die von dem eingebrachten Unternehmen ge­ währte oder noch zu gewährende Altersversorgung ein. Der bisherige Be­ sitzstand der Empfänger von Versorgungsleistungen bleibt dabei eben­ so gewahrt wie bisher erworbene Anwartschaften aktiver Mitarbeiter. (4) Soweit die Bepa nach Absatz 3 in freiwillige und jederzeit wider­ rufliche Leistungen der Fried. Krupp eintritt, werden diese von der Bepa im bisherigen Umfange getragen. Durch diese Vereinbarung wird die Rechtsnatur der Leistungen als freiwillige und jederzeit widerruf­ liche nicht geändert. (5) Bei dem Eintritt der Bepa in die Rechte und Verpflichtungen aus den Verträgen der Fried. Krupp mit deren Mitarbeitern wird die 426

Dienstzeit bei der Fried. Krupp der Dienstzeit bei der Bepa zuge­ rechnet. (6) Die Bepa tritt darüber hinaus in alle bei dem eingebrachten Unter­ nehmen auf dem Gebiet der Personal- und Sozialarbeit bestehenden Regelungen und Betriebsvereinbarungen ein, ohne daß Dritten hieraus Rechte erwachsen. § 12 (i) Die Übertragung erfolgt mit Ablauf des 31. Dezember 1967. (2) Gewährleistungsansprüche wegen Rechts- und Sachmängel hin­ sichtlich des eingebrachten Vermögens sind gegenüber der Stiftung aus­ geschlossen. § B (1) Der Wert des nach diesem Vertrage eingebrachten Vermögens - Be­ triebsvermögens und Privatvermögens - wird unter Berücksichtigung der aufgrund dieser Vereinbarung passivierten Verpflichtungen auf min­ destens DM 497000000,— festgesetzt. (2) Für die in Absatz 1 bezeichnete Sacheinlage gewährt die Bepa der Stiftung einen Geschäftsanteil in Höhe von nominal DM 497000000,-, der durch die Sacheinlage voll belegt ist. Soweit der Buchwert des einzubringenden Vermögens -unter Berück­ sichtigung der aufgrund dieser Vereinbarung passivierten Verpflichtun­ gen - den Betrag von DM 497000000,- übersteigt, verbleibt der über­ steigende Betrag der Bepa zur Verstärkung ihrer offenen Rücklagen. § 14 Die Stiftung wird alle Steuerfragen sowie alle öffentlich-rechtlichen und privat-rechtlichen Auseinandersetzungen, soweit deren Behandlung und Erledigung materiell die Bepa betreffen, im Benehmen mit der Bepa erledigen. Das gilt insbesondere auch für die Führung von Rechts­ streitigkeiten. Die anfallenden Kosten trägt die Bepa.

§ D Die Stiftung und die Bepa sind verpflichtet, alle Erklärungen und Rechtshandlungen, die sich nach Wirksamwerden dieser Einbringungs­ vereinbarung zur Durchführung der Einbringung und Übernahme der in dieser Vereinbarung bezeichneten Vermögensgegenstände als er­ forderlich erweisen, unverzüglich form- und fristgerecht abzugeben oder vorzunehmen.

§ 16 (1) Über Streitigkeiten, die sich aus oder im Zusammenhang mit den Bestimmungen dieser Vereinbarung zwischen der Stiftung und der

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Bepa ergeben, entscheidet unter Ausschluß des ordentlichen Rechts­ weges ein Schiedsgericht endgültig. (2) Für die Zusammensetzung und Tätigkeit dieses Schiedsgerichts sind die in der Anlage 8 niedergelegten Vereinbarungen maßgebend.

§ 17 Die mit der Kapitalerhöhung, Sacheinbringung und allen Durchfüh­ rungsmaßnahmen zusammenhängenden Kosten einschließlich der Steuern trägt die Bepa. § 18 Die etwaige Unwirksamkeit einer Bestimmung dieser Einbringungs­ vereinbarung soll die Gültigkeit der Vereinbarung im übrigen nicht berühren. Die etwa unwirksame Bestimmung ist sinngemäß durch eine wirtschaftlich gleichwertige Regelung zu ersetzen. - Arndt von Bohlen und Halbach - Dr. Dedo von Schenck - Dr. Erhard Reusch - Waldemar Silber -

- Berthold Beitz -

Essen, 24. November 1967

Präambel Der am 30. Juli 1967 in Essen verstorbene Alleininhaber der Firma Fried. Krupp, Essen, Herr Dipl.-Ing. Dr.-Ing. e. h. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, hat in seiner am 23. September 1966 im Nota­ riat Zürich (Altstadt) beurkundeten Öffentlichen Letztwilligen Ver­ fügung eine rechtsfähige Stiftung errichtet und zur Alleinerbin seines gesamten Vermögens eingesetzt. Zweck der Stiftung soll es nach den vom Stifter in seiner letztwilligen Verfügung getroffenen Anordnungen sein: a) die Einheit des Unternehmens Fried. Krupp dem Willen seiner Vorfahren entsprechend auch für die fernere Zukunft zu wahren; b) mit den ihr aus dem Unternehmen Fried. Krupp anfallenden Er­ trägnissen nach näherer Bestimmung ihrer Satzung philanthropischen Zwecken zu dienen, insbesondere der Förderung der Forschung, der Lehre, der Wissenschaften, des Erziehungs- und Gesundheitswesens und der schönen Künste. Der Stifter hat die von ihm berufenen Testamentsvollstrecker mit der Aufgabe betraut, das Nähere über die Satzung und die Organe der Stiftung zu bestimmen und die gesetzlich vorgeschriebene Genehmi­ gung zu erwirken.

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Aufgrund dieser letztwilligen Verfügung des Stifters geben die von ihm berufenen Testamentsvollstrecker, Berthold Beitz, Arndt von Bohlen und Halbach, Dr. Dedo von Schenck, der Stiftung die nachfolgende

Satzung I. Name, Sit% und Zweck der Stiftung § 1 (1) Die Stiftung führt den Namen »Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung«. (2) Sie hat ihren Sitz in Essen.

§2 Die Stiftung verfolgt philanthropische Ziele; sie dient ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken, indem sie aus ihren Mitteln a) die Wissenschaft in Forschung und Lehre einschließlich des wis­ senschaftlichen Nachwuchses, b) das Erziehungs- und Bildungswesen, c) das Gesundheitswesen, d) Literatur, Musik und bildende Kunst im In- und Ausland fördert.

§3 Das Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr. II. Das Stiftungsvermögen

§4 (1) Die Stiftung ist von ihrem Stifter, Herrn Dr. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, durch hetcfwillige Verfügung zur Alleinerbin seines gesamten Vermögens einschließlich des in der Firma Fried. Krupp zu­ sammengefaßten Vermögens eingesetzt worden. Der Erbfall ist am 30. Juli 1967 eingetreten. (2) Die Stiftung kann weiteres Vermögen erwerben. Sie kann ins­ besondere Anteile an einer Kapitalgesellschaft, die das Unternehmen Fried. Krupp fortführt, übernehmen und im Zusammenhang hiermit das auf sie durch den Erbfall übergegangene Vermögen auf diese Kapitalgesellschaft ganz oder teilweise übertragen. § 5 Abs. 1 dieser Satzung bleibt unberührt. (3) Bei der Verwaltung ihres Vermögens und bei der Verfügung über einzelne Vermögenswerte ist die Stiftung im Rahmen der Satzung

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und der jeweils geltenden Gesetze frei. Die Stiftung und ihre Organe sollen jedoch bei Entscheidungen, die sich auf ihre Beteiligung an der das Unternehmen Fried. Krupp fortführenden Kapitalgesellschaft be­ ziehen, im Geiste des Stifters und seiner Vorfahren darauf achten, daß die Einheit dieses Unternehmens möglichst gewahrt und seine weitere Entwicklung gefördert wird. §5 (i) Aus den Erträgen der Stiftung sind zunächst die Kosten ihrer Ver­ waltung und die gesetzlichen Abgaben zu decken. Rücklagen dürfen gebildet werden, soweit es erforderlich ist, um die satzungsmäßigen Zwecke nachhaltig zu erfüllen. Der dann verbleibende Überschuß darf nur für die in § 2 der Satzung angeführten Zwecke verwendet werden. (2) Niemand darf durch Zuwendungen, die dem Zweck der Stiftung fremd sind, oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begün­ stigt werden.

III. Die Organe der Stiftung §6 Die Organe der Stiftung sind das Kuratorium und der Vorstand.

§7 (1) Das Kuratorium ist dafür verantwortlich, daß die Stiftung die in ihrer Satzung festgelegten Zwecke erfüllt. Es legt die Grundsätze für die Verwaltung des Stiftungsvermögens fest, überwacht ihre Aus­ führung und bestimmt die Verwendung der Vermögenserträge. Das Kuratorium entscheidet insbesondere auch darüber, welchem der sat­ zungsgemäß zu fördernden Zwecke im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel jeweils der Vorrang zu geben ist. (2) Das Kuratorium kann einen Stiftungsbeirat berufen, dessen Auf­ gaben und Zuständigkeiten im einzelnen in einer vom Kuratorium zu erlassenden Geschäftsordnung festzulegen sind.

(1) Das Kuratorium besteht aus sieben Mitgliedern. (2) Die ersten Mitglieder des Kuratoriums werden von den Testa­ mentsvollstreckern des Stifters berufen, alle späteren Mitglieder durch Beschluß des Kuratoriums. Eines der Mitglieder kann zum geschäfts­ führenden Kuratoriumsmitglied berufen werden. (3) Die Amtszeit der Mitglieder des Kuratoriums beträgt sieben Jahre vom Tage der Berufung an. Die Amtszeit des geschäftsführenden Kuratoriumsmitgliedes kann bei der Berufung auf längstens zwölf Jahre festgesetzt werden. Erneute Berufungen sind zulässig. Die Amts­ zeit endet spätestens mit der Vollendung des 70. Lebensjahres. (4) Jedes Mitglied des Kuratoriums kann aus wichtigem Grunde 43°

durch einstimmigen Beschluß aller anderen Mitglieder des Kuratoriums vorzeitig abberufen werden. (5) Scheidet ein Mitglied vor Ablauf der Amtszeit durch Tod, Rück­ tritt oder Abberufung aus, so hat das Kuratorium alsbald ein neues Mitglied zu berufen. Beträgt die Zahl der Mitglieder weniger als drei Personen, so sollen der Präsident des Oberlandesgerichts Düsseldorf, der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm und der Rektor der Tech­ nischen Hochschule Aachen gemeinsam mit den verbliebenen Mitglie­ dern des Kuratoriums die notwendigen Nachwahlen vornehmen. Hilfs­ weise soll § 29 BGB entsprechend angewendet werden.

§9 (1) Den Vorsitz im Kuratorium führt das geschäftsführende Kurato­ riumsmitglied, sofern ein solches bestellt ist. Anderenfalls wählt das Kuratorium aus seiner Mitte für die Dauer von jeweils drei Jahren einen Vorsitzenden. (2) Das Kuratorium ist beschlußfähig, wenn sich mindestens die Hälfte seiner Mitglieder an der Beschlußfassung beteiligt. Soweit diese Satzung nichts anderes vorsieht, faßt es seine Beschlüsse mit einfacher Mehrheit der Abstimmenden; bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Ist ein geschäftsführendes Kuratoriumsmit­ glied bestellt, so erfordern Beschlüsse gegen seine Stimme eine Zwei­ drittelmehrheit der Abstimmenden. § 10 Das Kuratorium gibt sich eine Geschäftsordnung. In ihr sollen insbe­ sondere auch die Stellvertretung des Vorsitzenden, die Aufgaben des geschäftsführenden Kuratoriumsmitgliedes und die Vergütung für die Kuratoriumsmitglieder in einer den Umfang ihrer Tätigkeit berück­ sichtigenden Höhe geregelt werden. § ii (1) Der Vorstand führt die laufende Verwaltung des Stiftungsvermö­ gens ; er ist dem Kuratorium verantwortlich und hat dessen Beschlüsse auszuführen. Im einzelnen werden die Befugnisse des Vorstandes zur Geschäftsführung in einer vom Kuratorium zu erlassenden Geschäfts­ ordnung festgelegt, in der auch die der Zustimmung des Kuratoriums unterliegenden Rechtsgeschäfte und Maßnahmen aufzuführen sind. (2) Der Vorstand hat dem Kuratorium regelmäßig, längstens vier­ teljährlich über seine Tätigkeit und über den Stand der Vermögens­ verwaltung zu berichten. Er hat für jedes abgelaufene Geschäfts­ jahr eine Jahresabschlußrechnung aufzustellen, die innerhalb von drei Monaten nach Schluß des Geschäftsjahres einem vom Kurato­ rium bestimmten Wirtschaftsprüfer zuzuleiten und zusammen mit dem Prüfungsbericht unverzüglich dem Kuratorium zur Beschlußfassung vorzulegen ist.

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§ (i) Der Vorstand besteht aus einem oder mehreren Mitgliedern. Eines der Vorstandsmitglieder ist das geschäftsführende Kuratoriumsmit­ glied, sofern ein solches bestellt ist. Der erste Vorstand wird von den Testamentsvollstreckern des Stifters ernannt; die weiteren Vorstands­ mitglieder werden vom Kuratorium bestellt. (2) Mit Ausnahme des geschäftsführenden Kuratoriumsmitgliedes, dessen Amtszeit als Vorstandsmitglied sich mit der als Mitglied des Kuratoriums deckt, werden die Vorstandsmitglieder auf höchstens vier Jahre bestellt. Sie können aus wichtigem Grunde jederzeit abbe­ rufen werden. Für ihre Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag gelten die gesetzlichen Bestimmungen. (3) Der Vorstand vertritt die Stiftung gemäß §§ 86 und 26 BGB im Rechtsverkehr. Sind mehrere Vorstandsmitglieder bestellt, so sind zwei von ihnen befugt, die Stiftung zu vertreten. Ist ein geschäftsfüh­ rendes Kuratoriumsmitglied bestellt, so ist es jedoch befugt, in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied unabhängig davon, ob neben ihm weitere Vorstandsmitglieder bestellt sind, die Stiftung allein zu ver­ treten. IV. Satzungsänderung und Auflösung

§ J3 (1) Änderungen der Satzung erfordern einen Beschluß des Vorstandes, dessen Rechtswirksamkeit der Zustimmung des Kuratoriums mit mindestens fünf Stimmen einschließlich der des geschäftsführenden Kuratoriumsmitgliedes bedarf, sofern ein solches bestellt ist. (2) Die Satzungsänderungen dürfen den Zweck der Stiftung nicht berühren; sie sollen vielmehr dazu dienen, daß die Stiftung bei sich wandelnden Verhältnissen diesen Zweck in einer dem Willen des Stif­ ters entsprechenden Weise wirksam verfolgen kann. Die Befugnis zur Satzungsänderung umfaßt insbesondere auch die Herstellung und Er­ haltung der Voraussetzungen dafür, daß die Stiftung steuerlich als gemeinnützig anerkannt wird. § 14 (1) Der Vorstand kann die Stiftung durch Beschluß auflösen, wenn sie ihren Zweck nicht mehr in einer dem Willen des Stifters entspre­ chenden Weise erfüllen kann. Dieser Beschluß bedarf der Zustim­ mung des Kuratoriums durch einstimmigen Beschluß seiner Mit­ glieder. (2) Im Falle der Auflösung oder Aufhebung der Stiftung fällt das Vermögen an eine als steuerbegünstigt anerkannte, vom Kurato­ rium zu bestimmende Körperschaft oder Stiftung zwecks ausschließ­ licher Verwendung für die in § 2 der Satzung festgelegten gemein­

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nützigen Zwecke. Hierüber hat der Vorstand einen Beschluß zu fassen, welcher der Zustimmung des Kuratoriums mit mindestens fünf Stim­ men bedarf, und zwar einschließlich der Stimme des geschäftsführen­ den Kuratoriumsmitgliedes, sofern ein solches bestellt ist.

- Berthold Beitz - Arndt von Bohlen und Halbach - Dr. Dedo von Schenck - Nummer 1251 der Urkundenrolle für 1967 1. Ausfertigung von sechs gleichlautenden Originalen

Ich beglaubige hiermit die vorstehenden vor mir gefertigten Unter­ schriften der Herren 1. Berthold Beitz, Essen 2. Arndt von Bohlen und Halbach, Essen, Dr. Dedo von Schenck, Essen. Essen, den 24. November 1967 [(Siegel)] Notar

Arndts Public Relations wirtschaft im prisma Sperrfrist bis 23. Januar 1968 Mutmaßungen über Arndt von Bohlen und Halbach Am 24. Januar wird Alfried Krupps einziger Sohn Arndt 30 Jahre alt

Wenn sich am 23. Januar in Essen die Doppeltüren schließen, hinter denen erstmals - und damit konstituierend - der Aufsichtsrat der Fried. Krupp GmbH Zusammentritt, dann beginnt ein nicht unwesentliches neues Kapitel deutscher Wirtschafts- und Industrie-Geschichte. Am Tage darauf, am 24. Januar, begeht Arndt von Bohlen und Halbach seinen 30. Geburtstag. Durch seinen Erbverzicht - für den ihm sein Vater Alfried Krupp von Bohlen und Halbach öffentlich gedankt hat - ermöglichte er die Überführung des Weltunternehmens Krupp in eine neue Form und rettete damit die Einheit des Werkes. Arndt von Bohlen und Halbach tritt damit aus der Spur einer 150jährigen Tradition der Industrie­ konzern-Führung hinaus auf einen eigenen Weg. Seit sich diese Entwicklung abzeichnet, ist Arndt von Bohlen häufig Gegenstand mehr oder weniger fragwürdiger Kommentare, seltsamer Spekulationen und Gerüchte und nicht zuletzt aufdringlicher Bettelei. Bis zu einem gewissen Grade rührt das natürlich daher, daß er bisher

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nur wenig über sich selbst ausgesagt hat, das Wenige oft entstellt wie­ dergegeben wurde und sich gerade an einer Persönlichkeit wie ihm eine oft recht wirre Phantasie entzündet. Vielleicht rührt diese falsche Einschätzung von der Gewohnheit her, an den Nachfahren eines großen Mannes denselben großen Maßstab anzulegen, wie er für ihn galt. Derlei muß notwendigerweise zu fal­ schen Urteilen führen. Denn die unsinnige Forderung, Arndt von Boh­ len und Halbach habe in jungen Jahren bereits das spartanische, arbeitsame, fast menschenscheue Leben seines Vaters nachzuleben, ist ebenso unberechtigt, wie die Engherzigkeit, mit der man ihm gelegent­ lichen Übermut und Freude am Dasein verwehren möchte, die man an­ deren jungen Leuten ohne weiteres zubilligt oder lächelnd nachsieht. Hat man Gelegenheit, ihn kennenzulernen, dann begegnet man einem modern denkenden jungen Mann, dessen behauptete »Arro­ ganz« lediglich in einer gewissen Reserviertheit besteht, die man ihm angesichts seiner nicht immer guten Erfahrungen mit der sogenannten Öffentlichkeit nicht Übelnehmen kann. Hat er aber erst die Überzeugung gewonnen, daß es sich um einen seriösen Gesprächspartner handelt, dann nimmt er freimütig zu den Fragen Stellung. Die da und dort aufgestellte Behauptung, er habe kaum Interesse an den Krupp-Be­ trieben gezeigt, weist er scharf zurück, und seine insgesamt zwei­ jährige Praktikantenzeit in Krupp-Betrieben des In- und Auslandes unterstreicht die Berechtigung dieser Zurückweisung. Er gibt zu, daß der sensationelle Erbverzicht, den es in dieser Größenordnung bisher kaum gab, nicht unbedingt seinen Wünschen entsprach, die Bitte seines Vaters aber, durch Verzicht auf seinen Pflichtteil die Einheit der Firma zu gewährleisten, alle anderen Überlegungen zurücktreten ließ. »Meine Familie hat immer den Standpunkt vertreten, daß unsere Firma eine nationale Institution ist und nicht nur persönlichen Inter­ essen dient«, sagt Arndt von Bohlen, »und ich müßte nicht der Sohn meines Vaters sein, wenn ich mich nicht zu der gleichen Ansicht be­ kannt hätte.« Seit der Gründung der Krupp-Stiftung und der Umwandlung des Familienunternehmens in eine Kapitalgesellschaft ist Arndt von Bohlen ein Privatmann, der zusehen muß, was er aus seinem Leben macht. Die Vermächtnisse seines Vaters ermöglichen ihm einen guten Start, möchte man meinen. Aber Arndt schränkt ein: »Obwohl ich, finanziell gesehen, durch meinen Erbverzicht nicht mehr zu den >ganz Großem gehöre, ist es für mich deshalb besonders schwer, Fuß zu fassen, weil man eine denkbare Arbeit und Mitarbeit zunächst nicht unter dem Aspekt meiner Fähigkeiten, sondern meiner Mittel sieht. Aber ich bin überzeugt, daß sich das in absehbarer Zeit ändern wird!« Der 30jährige, der sich mehr für Erde als für Erz begeistert und vielseitige künstlerische Interessen pflegt, wird bestimmt nicht in der Anonymität untertauchen. Denn wenn mit ihm auch das alte KruppImperium sein Ende gefunden hat, so ist er doch der Erste einer tra­ ditionsreichen Familie auf neuen, zukunftsträchtigen Wegen. 454

Vorerst aber besteht kein Anlaß, ihn - außer um Jugend und Ge­ sundheit - zu beneiden. Denn sein Weg heißt nicht mehr Krupp, son­ dern ganz privat: Arndt Friedrich Alfried von Bohlen und Halbach.

rp/Karlfriedrich Scherer

Von Arndt bis Arndt Stammbaum der Familie Krupp

Amdt Krupp in Essen seit 1587 t IÖ24

Katharina Krupp GD Alexander Huyssen t 1676 1619

Anton Krupp 1588-1661

Georg Krupp 1590-1623 Matthias Krupp 1621-167}

Georg Dietrich Krupp GD Anna Elisabeth Huyssen 1657-1742 1690 1661-1735

Theodora Maria Krupp GD Johann Müller 1703-1786 1731 1703-1780 1

Arnold Krupp 1662-1734

Juliane Krupp GD Johann Zopf Friedrich Jodocus Krupp 1702-1749 1722 1691-1774 1706-1757

Peter Friedrich Wilhelm Krupp 175J-1795

Marie Müller CD Arnold Theodor Solling 1740-1813 1760 1727-1795

Friedrich Krupp 1787-1826 Patriot und Pionier

Georg Christian Solling 1775-1857

Friedrich Heinrich (»Fritz«) Solling 1815-1859 Retter und Partner

Ida Krupp Marie Baum GD Hermann Krupp 1809-1882 1821-1879 1847 1814-1879 Mitinhaber der Berndorfer Metallwarenfabrik (Zwei Söhne und fünf Töchter)

Margret Rudolf GD Arthur Krupp 1858-1920 1881 1856-1938 Inhaber der Berndorfer Metallwarenfabrik

(»König«) Alfr(i)ed Krupp 1812-1887

Friedrich Alfred (»Exzellenz Fritz«) Krupp 1854-1902

Bertha (II.) Krupp 1886-1957

Harald 1916GDDoerte Hillringhaus (3 Kinder)

Berthold 1913GDEdith von Maltzan (Ein Sohn) von Bohlen und Halbach

456

Waldtraut 1920GD1942 ; geschieden GD1961(Zwei Kinder)

Alfried Krupp von Bohlen und Halbach 1907-1967

Arndt von Bohlen und Halbach 1938-

1%

Gertrud von der Gathen

t 1623

GD 1619

Brigitta Klocke

GD 1635

Anna Katharina Voss j- 1698

(© 1700

Anna Gertrud Burckhardt 1681-1725

GD

i. Janna Elbers 1727 1696-1739 2. Helene Amalie Ascherfeld 1731 1752-1810 »mit der Geldkatze«

GD 1779

Petronella Forsthoff 1757-1839

GD 1808

Therese Wilhelmi 1790-1850

GD 1855

Margarethe Krupp t i6>*2

t

Bertha (I.) EichhofF 1851-1888

Matthias Arnold Krupp GD Anna Elisabeth Solling 1660-1729 1694 1669-1757

Heinrich Wilhelm Krupp 1711-1760

Helene Krupp GD Friedrich von Müller 1782-1835 1805 1771-1859

Friedrich Krupp, der Tüftler 1820-1901

Carl Friedrich von Müller der »stille Teilhaber« 1804-1874

Hetty94i

Wiederverheiratet (Sechs Kinder)

1955-

457

Personenregister Abd ül-Hamid 261 f. Abs, Hermann Josef 3 joff. Adenauer, Konrad 342, 349 f. Ahlefeldt-Lauruiz, Graf Klaus 342 Albrecht, Prinz von Preußen 203 Alexander II. 122 Altemüller 80 Armstrong, Sir William 158, 186, 188 Ascherfeld, Adalbert 97!?., 110, 116, 144, 199 Ascherfeld, Helena Amelia 7, 12IT., 35, 50, 63, 74,

97 Auersperg, Henriette 7, 268, 366

Baedeker, Alfred 104 Baedeker, Diedrich 113 Bahr, Anneliese s. Krupp, Anneliese Beauharnais, Josephine 87 Bebel, August 18 Beitz, Barbara 337 Beitz, Berthold 23, 26,336fr., 363,368fr. Beitz, Bettina 337 Beitz, Erna geb. Struth 336, 340 Beitz, Susanne 337, 343 Bellersheim, Johannes Freiherr von 336, 340 Berdrow )7, 53, j7, 73, 83, 93, ic^f., uz, 137, 148, 130, 231, 307 Berg, Fritz 62 Bernstein, Dr. Arthur 253,312 Bethmann Hollwcg, Theobald von 238, 256, 27of. Binswanger, Prof. 208, 212 ff. Bismarck, Fürst Herbert 167 Bismarck, Fürst Otto von i28ff., 138, 148, 167, 169, 176fr., 192, 211 Bleichröder, Gerson 106 Blomberg, Werner von 290 Bohlen, Arnold von 372 Bohlen, Henry 226 Bohlen und Halbach, Alfried Felix Alwyn von 286 Bohlen und Halbach, Alfried Krupp von 7, 21 ff., 76, 236f., 270, 297, 3ooff., 317^, 320fr., 328fr., 368fr., 371, 375 Bohlen und Halbach, Arndt von 7, 21, 23 ff., 144, 268, 322ff., 352, 355 ff. Bohlen und Halbach, Berthold 237, 286,319,338, 348. 372fBohlen und Halbach, Claus 237, 286, 309, 319^, 323f-> 37 * Bohlen und Halbach, Eckbert von 237, 286, 319 Bohlen und Halbach, Emily von 227 Bohlen und Halbach, Gustav von 7, 22, 226ff., 258fr., 375 Bohlen und Halbach, Harald von 237, 286, 319, 3?2f. Bohlen und Halbach, Harry von 227 Bohlen und Halbach, Irmgard von 237, 286, 319, 3?2f.

438

Bohlen und Halbach, Karoline von 227 Bohlen und Halbach, Kurt von 227 Bohlen und Halbach, Waltraut von 237, 286, 372 Bolz, Eugen 318 Bonaparte, Charles Joseph 293 Borgmann 80 Borsig, August 96, 102, 375 Bracht, Dr. Franz 288 Braun, Magnus von 288 Bruch, Max 134 Buch 80 Buderus, Johann Wilhelm 103 Bülow, Fritz von 302, 314, 330, 359 Bülow, Fürst Bernhard von 203, 231, 252 Cammel 186 Camphausen 96 Caprivi de Caprara de Montecuculi 176, 246 Carnegie 186, 188 Castro Vieira, Carlos de 366 Chamberlain, Sir Neville 314 Class, Heinrich 246, 254, 286, 316 Cölln, Georg von 364

Deichmann, Hilda 211 Delbrück, Ludwig 189c, 244f. Dollfuß, Engelbert 309 Dreyfus, Hauptmann 280 Duisberg 270 Eberhardt, Karl 3 5 9 f. Eduard VII. 193, 196, 220 Ehrenberg 71 Ehrenburg, Prof. Richard 160 Ehrhardt, Heinrich 185, 259c Ehrlich, Professor 337, 343 Eichhoff, Bertha s. Krupp, Bertha Eichhoff, Ernst 151, 153, 353 Eichhoff, Jean Joseph 121 Eichmann 300 Eltz von Rübenach, Paul 288 Ende, Felix Freiherr von 244 Ende, Margarete Freiin von s. Krupp, Margarete Hansemann 96 Harden, Maximilian 209 Hartmann, Geheimrat 244 Hassell, Ulrich von 318 Hasselmann 9 Haußner, Konrad 184 fr. Haux, Geheimrat 200, 214 Heinrich, Prinz von Hohenzollern i94f., 203, 220, Henckel-Donnersmarck, Fürst 216, 220 Henckels, J. A. 103 Henschel, Karl Anton 103

Herstatt 90 Heydrich 300 Heydt, August von der 124 Hiller, Liz 365 Himmler 300 Hindenburg, Paul von Beneckendorff und 271,

287 ff-. 313 Hintzen, Franz Josef 367 Hitler zi F, 246f.» 277F, 286ff, 297fr., 325 f.,

9 f-> 355 * 5 Hochheim, Else 337 Hohenau, Graf 203 Hollmann, Admiral von 207 Holstein, Geheimrat Friedrich August von 188f., 191, 204 Horn, General von 87 Hossenfeldt, Vera s. Krupp, Vera Hülsen-Haeseler, Graf Dietrich von 203 Hülsmann 96 Hugenberg, Alfred 244ff., 251, 254F, 258, 269, 272, 274f., 278, 286, 290, 299, 317, 339 Hundhausen, Carl 343, 345 Huyssen 10 Huyssen, Heinrich 14, 74, 102, 107 Isenbiel, Dr. 217 Jackson, Robert H. 19 Jacobi, Gottlob 14, 74, 102, 107 Janssen 329 Jaures, Jean 263 Jencke, Geh. Finanzrat Dr. Hanns 167fr., 175, 180, 182fr., 195, 199F, 207, 223, 241, 318, 339,

547

Kechel, Georg Karl Gottfried 3 3 ff., 41 ff., 52, 54, 56, 61 f., 90, 103 Kechel, Wilhelm Georg Ludwig 33 fr., 41 ff, 52, 54, 56, 61 f., 90, 103 Kellen, Theodor 179 Kennedy, Jacqueline 291, 366 Kiesinger, Kurt 3 51 Klass, Gert von 174, 201, 214, 248fr., 253, 282f., 527 Klüpfel, Ludwig 244, 246 Knauer, Dr. 333 Knieriem, Dr. von 339 Korn, Assessor 216, 218 Krüger-Francke, Hans 361 Krupp, Alfr(i)ed 7, 32, 36, 63fr., 68, 74fr., 79fr., 97ff., 228, 230, 238fr., 253 f., 268, 296 F, 307, 3löf-, 328, 347, 349, 353, 356, 375 Krupp, Anneliese geb. Bahr 32iff, 332F, 357ff, j62f., 369 Krupp, Anton 8 f. Krupp, Arndt 7,9,11 Krupp, Arnold 7, 11 f. Krupp, Arthur 309 Krupp, Barbara 173, 224, 229f., 244, 258, 296, 315.317 f-

Krupp, Bertha geb. Eichhoff uoff, 116, 133 F, 149, 151 f., 154, 159, 172, 316 Krupp, Bertha Antoinette 7, 22, 173, 189, 224L, 227, 229fr., 238fr., 258, 261, 265 F, 268, 272, 276, 281, 285 f., 290, 292fr., 297f.» 301 ff, 316fr., 3 33, 359Í-. 348. 3 *. 365. 375 Krupp, Catharina 9 fr. Krupp, Friedrich 7,13fr., 28ff, 6iff, 72fr., 149, 296,328 Krupp, Fritz (Bruder Alfreds) 64, 84f., 90, 93fr., 99f., 296 Krupp, Fritz (Friedrich Alfred), Sohn Alfreds 7, 78, no, 149, 154, 165 f., 169fr., 232, 239, 273, 296, 316, 328, 353, 356, 365, 375 Krupp, Georg 7, 10 Krupp, Helene 65, 74 Krupp, Hermann 64, 82, 84f., 89, 93, 96, 268, 309 Krupp, Ida 64, 68, 82, 93, 95f. Krupp, Jodocus 7, i2f. Krupp, Margarete (Marga) geb. Freün von Ende 172F, 176, 199, 2O7f., 211 f., 214, 217, 219, 229F, 234, 239, 241 ff, 258, 296, 316F Krupp, Matthias 7 Krupp, Peter 7,13 Krupp, Petronella 13, 36, 42, 50, 55, 59, 68, 73 Krupp, Vera geb. Hossenfeldt 33zff., 362F. Krupp, Wilhelm 30, 36, 50 Kühn, Heinz 3 5 2 Küster, Dr. 134, 152, 353 Lammers, Hans Heinrich 307, 309, 317 Langer, Baron von 333 Leber, Julius 318 Le Bœuf 136F. Lecomte 203 Lejeune-Jung, Paul 318 Lengerke-Meyer, George von 293 Lenin 222 Leo XIII 220 Letterhaus, Bernhard 318 Leuchtenberg, Herzog Maximilian von 27, 100 Leuschner, Wilhelm 318 Liebknecht, Karl 259, 277f. Löser, Ewald 318F., 320,325, 328,330F., 348, 359 Longsdon 154, 165, 353 Ludendorff, Erich 264, 271F, 274F, 277 Lübke, Heinrich 17 Lueg, Wilhelm 102, 107 Luxemburg, Rosa 277 f. Lynar, Graf 203

Mac Mahon 15 5 Manchester, William Raymond 291fr., 295, 300, 308, 310, 314F, 328, 345, 3jj, 361F, 364 Manescu 351 Mannesmann 183 Marré 96, 100 Martin, Rudolf 240 Mayer, Jacob 102, 105, 344 McCloy, John 330F

439

Meerscheidt-Hüllesen 203 Meisbach 218 Mendelssohn 106 Menne, Bernhard 25 if., 257,267, 281 Metternich, Fürst Clemens von 74 Mevissen 96 Meyer, Carl 153, 200, 353 Mikojan 343 Moltke 15 j f. Moltke, Graf Helmut 129 ff. Moltke, Graf Kuno 203 Moses jo, 5 5 Mühlen, Norbert 24, 26, 235 Mühlon, Wilhelm 25 2 Müller, Friedrich Carl (Fritz) von 74, 90 Müller, Friedrich von 38, 55, J9, 65, 73 Müller, H. von 105, 267 Mussolini, Benito 309 Napoleon 1. 7, 15, 17, 28, 31, J7f.» 121, 129, 191, 227 Napoleon III. 119fr., 125, 128ff., 136fr., 141, 191 Neurath, Baron von 288 Nicolai, Antoinette 49, j 1 f. Nicolai, Friedrich 48 fr., 69, 90 Niemann 106 Nikolaj Nikolajewitsch 256, 263 Nikolaus II. 2zof.

Olbricht, Friedrich 318 Onassis, Aristoteles 366 Oppenheim, Salomon 99 f.» 106 Papen, Franz von 286f., 290, 299 Papst, Waldemar 277 Parkinson, Northcote 341 Paulus, Feldmarschall 326 Perbandt, von 186 Pferdmenges, Robert 61 Pieper, Albert 139 Poincaré, Raymond 279

Rahl, Mady 364 Raitz von Frentz, Hanno Freiherr 319 Raitz von Frentz, Irmgard Freifrau 357 Rathenau, Walther 278 Remnitz, von 313 Rinn, Hans 3 j 1 Rocholl 83 Röhm, Emst 313 Röttger, Max 244 Roon, Graf 129fr., i47f., 156, 253 Roosevelt, Theodor 220, 293 Rusk, Dean 3 jo Sack, Hans 244 f. Salm-Horstmar, Fürst Otto II. von 196 f. Schacht, Hjalmar 286, 299, 314 Schaumburg, Theodor 33 Schenk von Stauffenberg, Klaus Graf 318

440

Schiller, Karl 3 51 f. Schleicher, Kurt von 287fr., 298, 313 Schmidt, Dr. 2j 1 Schmollinger 374 Schneider-Creuzot 131, 136F, ij8, 183, i86ff, 259 Schneider, Eugène 131, 263 Schneider, Hofstenograph 216 Schöller, Alexander 88 f., 307 Schröder, Joh/hnes 329,348,3J0,354 Schröder, Kurt Freiherr von 289 Schulz 84 F Schulz, Sigrid 285 Schweinburg, Victor 194fr. Schwerin-Krosigk, Graf Johann Ludwig 288 Seeckt, General von 282 Seeger, Amo 350 Seldte 290, 299 Serena, Cav. 218 Sesostris 1.342 Sherman, William T. 130 Siemens, Karl Wilhelm 135 Siemens, Werner von 103 Simson, Justizrat August von 2o8f., 244F, 259F, 272 Solling, Fritz 90fr., 95, 99F, no, 123F, 159 Spaur, Gräfin Maria Clara von 10 Sprenger, Jean 338 Springer, Axel 251 Strasser, Gregor 288, 313 Stresemann, Gustav 284 Struth, Erna s. Beitz, Erna Stumm-Halberg, Karl Ferdinand Freiherr von 103, 159, 182 ff., 186F, 192, 19J, 198

Tabouillot 38 Taylor, Telford 345 Techtelstein, C. 86 Tremper, Will 361 Thyssen, August 260 Thyssen, Fritz 277, 288, 298, 312F Tirpitz, Admiral von 197F, 264 Topp, Theodor 110 Tresckow, Hans von 203 ff. Trotzki 222

Uhl, Conrad 20J Vickers, Albert i86ff., 265, 268 Victor Emanuel II. 220 Victoria, Queen 192 Vigelius 80 Vogt, Dr. 213 Voigts-Rhetz, Konstantin von 133, 148 Voigt, Wilhelm (Hauptmann von Köpenick) 232 Vollgold 86

Waldhauscn 106, 108 Waller, Robert 307 Warmbold, Dr. Hermann 288

Watter, Genera] von 280 Wedel, Graf Edgar 20} Wcnner-Gren, Axel 344,346 Wied, Fürst Wilhelm zu 194^ Wiemer 84 f. Wildenbruch, Ernst von 217 Wilhelm I. 109, 114#., 124^., 135, 166, 347, 365 Wilhelm II. 7, 22,166,176ff-, 258, 262, 264,270]?., 301 Wilhelmi, Johann 36, 52, 55,58, 6$, 97 Wilhelmi, Therese 14, 36, 42, j 5, Ö2ff., 68, 74, 76, 82, 95 f., 108

Wilmowsky, Freiherr Tilo von 244ff., 258, 260, 270E, 281, 286, 290, 3O7ff., 311, 315, 317ff. Winterfeld, Major von 227 Wirmer, Joseph 318 Wisbar, Frank 333

Young, G. 314

Zaharoff, Sir Basil 183 Zedtwitz-Arnim, Georg-Volkmar Graf von 342 f.

»Kein Zweifel, daß die weitgehend sozialkritische Perspektive Bernt Engelmanns den >Herr-im-Haus-Standpunkt< der Krupps deutlich nachzeichnet, schäbige Praktiken gegenüber den >Kruppianern< entlarvt und den schwankenden Kurs des Unterneh­ mens bis zum beherrschenden Konzern flüssig darstellt: Nervenkrisen, Finanzkrisen, Rückschläge und Erfolge wechseln, wie bei jedem Industrieunternehmen, das als Familieneigentum von den Launen, Stimmungen und Leistungen seiner Besitzer abhängig ist.« Süddeutsche Zeitung

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