Solon, Legende und Wirklichkeit 3879403317

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Solon, Legende und Wirklichkeit
 3879403317

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XENIA Konstanzer Althistorische Vorträge und Forschungen Herausgegeben von Wolfgang Schuller Heft 20

UNIVERSITÄTSVERLAG K O N ST A N Z G M B H

PAVEL OLIVA

Solon - Legende und Wirklichkeit

UNIVERSITÄTSVERLAG K O N ST A N Z G M B H

ISBN 3 87940 331 7 © Universitätsverlag Konstanz GmbH, Konstanz 1988 G esam th erstellt! n g : Universitäts-Druckerei Konstanz GmbH, Konstanz Gedruckt mit Förderung der Stiftung »Humanismus heute« des Landes Baden-Württemberg und der Breuninger-Stiftung GmbH, Stuttgart

Dem Andenken von Victor Ehrenberg und Albin Lesky gewidmet

Vorwort

Mit dem vorliegenden Heft legt einer der bedeutendsten Kenner der griechischen Geschichte die Summe seiner Forschungen zur Gestalt und geschichtlichen Rolle Solons vor. Die Darstellung setzt mit der Vorgeschichte ein und endet mit Solons Nachwirken bis in die Spätantike. Sie bezieht sich im laufenden Text unmittelbar auf die Quellenzeugnisse; der Gang der Forschung kann aufgrund der nach Sachgruppen gegliederten umfangreichen Bibliographie nachvollzogen werden. Pavel Oliva wurde 1923 in Prag geboren. Während des Zweiten Weltkrieges kamen er und seine Familie in Konzentrationslager, wo seine Eltern und ein Bruder den Tod fanden. Nach seiner Befreiung studierte er in Prag Alte Geschichte und promovierte dort 1950. Nach längerer Tätigkeit an der tschecho­ slowakischen Akademie der Wissenschaften wurde er 1965 Akademiemitglied und 1968 Professor für Alte Geschichte an der Karls-Universität. Von seinen organisatorischen Tätigkeiten seien seine Mitgliedschaft in den Redaktionskolle­ gien der Zeitschriften Eirene (Prag) und Klio (Ost-Berlin) sowie seine Mitarbeit im Eirene-Komitee erwähnt, das in regelmäßiger Folge wissenschaftliche Tagun­ gen der Altertumswissenschaftler der sozialistischen Länder veranstaltet, die seit einiger Zeit erfreulicherweise auch zahlreiche westliche Teilnehmer haben. Olivas Hauptarbeitsgebiete sind Fragen der Entstehung der griechischen Zivilisation, der frühen griechischen Tyrannis und der Sozialgeschichte Spartas. Dank wird der Stiftung »Humanismus heute« des Landes Baden-Württemberg gesagt, die das Erscheinen dieses Heftes durch eine Beteiligung an den Druckko­ sten ermöglicht hat. Dank wird weiter der Breuninger-Stiftung gesagt, die sich ebenfalls an den Druckkosten beteiligt hat und die den Vortrag Pavel Olivas an der Konstanzer Universität im Dezember 1985 ermöglichte, der zu der vorliegen­ den Schrift führte, die der Autor selbst in deutscher Sprache geschrieben hat. In der Reihe Xenia erscheinen vornehmlich kleinere Abhandlungen, die ursprünglich als Vorträge an der Konstanzer Universität gehalten worden sind. Die Vorträge und ihre Veröffentlichung in dieser Reihe sind in entscheidendem Maße durch das Mäzenatentum Heinz E. Breuningers möglich gemacht worden, der bis zu seinem plötzlichen Tode großen Anteil an der Arbeit des althistori­ schen Lehrstuhls genommen hat. Danach hat die Breuninger-Stiftung die Förde­ rung in seinem Sinne fortgesetzt. Der Titel der Reihe, der Gastgeschenke bedeutet, dankt somit nicht nur den einzelnen Vortragenden für ihre Texte,

sondern auch Heinz Breuninger und der Breuninger-Stiftung für die gesamte Hilfe. Dem Andenken von H einz Breuninger ist daher die ganze Reihe dankbar gewidmet. Der Herausgeber

Inhalt

Die Entstehung der Legende - Solon und K ro is o s .............................................. 11 Das aristokratische A th e n .......................................................................................IS Kylon und D rak o n ................................................................................................... 30 Vor dem Archontat Seisachtheia

................................................................................................ 36

............................................................................................................ 47

Die Verfassung..........................................................................................................54 G esetze......................................................................................................................59 < Maß- und Gewichtsreform

....................................................................................69

Dichter und D e n k e r ................................................................................................ 71 N a c h le b e n ................................................................................................................79 Bibliographie.............................................................................................................86

Die Entstehung der Legende - Solon und Kroisos

Kroisos aber, so erzählt man, da er auf dem Scheiterhaufen stand, gedachte, obwohl er so tief im Unglück war, jener Worte Solons, die nicht ohne höheren Wink zu ihm gesprochen seien, daß keiner der Lebenden glücklich sei. Wie das vor ihn trat, atmete er tief und seufzte nach langem Schweigen und rief dann dreimal: »Solon«. (Herodot 1,86) Mit dieser dramatischen Szene endet die Erzählung vom tragischen Schicksal des berühmten Königs und seines mächtigen Reiches, die im Mittelpunkt des Berich­ tes Herodots über die Geschichte Lydiens steht, einer Art Einleitung (1,25-56; 69-94) zu seiner Schilderung der Ursachen und des Verlaufs der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Griechen und dem Persischen Reich. Kroisos (heute mehr in der latinisierten Namensform als Krösus bekannt) hatte sich der griechischen Städte an der kleinasiatischen Westküste bemächtigt und herrschte über den größten Teil Kleinasiens westlich des Flusses Halys (des heutigen Kizilirmak) - mit Ausnahme von Lykien und Kilikien. Als er auf dem Gipfel seiner Macht stand, soll - nach Herodot - der durch seine Weisheit berühmte Athener Solon zu ihm nach Sardeis (beim heutigen Sart) gekommen sein. Kroisos nahm ihn gastlich auf, zeigte ihm den riesigen Reichtum seines Palastes und stellte ihm die Frage, wen er für den glücklichsten Menschen halte. Zum großen Erstaunen des Königs bezeichnete Solon seinen Landsmann Tellos, der seine Kinder gut erzogen hatte und im Kampf für das Vaterland gefallen war, als den glücklichsten Menschen, und auch an zweiter Stelle nannte er nicht seinen Gastgeber, sondern die Brüder Kleobis und Biton aus Argos. Diese hatten nämlich großes Aufsehen bei ihren Mitbürgern erregt. Da ihre Mutter, eine Priesterin der Hera, an einer Feier zu Ehren der Göttin teilnehmen sollte und das Gespann nicht rechtzeitig zur Verfügung stand, spannten sie sich selbst vor den Wagen, um sie in den berühmten Tempel der Hera zu bringen, der 45 Stadien (etwa acht Kilometer) von der Stadt entfernt war. Als dann die Mutter, stolz auf ihre Söhne, die Göttin anflehte, sie möge ihnen »das Beste, was es für den Menschen gibt«, schenken, belohnte Hera die beiden Jungen mit einem ruhigen Tod während des Schlafes. Die Bürger von Argos schmückten daraufhin das Heiligtum des Apollon in Delphi mit den Statuen von Kleobis und Biton. 11

Dem über diese Antwort überraschten König erklärte Solon, jeder Mensch solle sich hüten, den Neid der Götter zu erwecken. Das menschliche Leben sei nämlich ein bloßes Spiel des Zufalls. Daraus ergebe sich, daß ein Mensch, solange er lebe, bestenfalls als erfolgreich angesehen werden könne. Lediglich denjenigen, der nicht nur ein glückliches Leben geführt, sondern dieses auch auf gleiche Weise beendet habe, könne man als glücklich bezeichnen. Kroisos war mit Solons Erklärung nicht zufrieden und entließ ihn in Ungnade. Bald mußte er sich jedoch von der Wahrheit jener Worte überzeugen. Zuerst wurde er vom Tod seines Sohnes und Thronfolgers Atys heimgesucht, und später legte das Schicksal Hand an ihn selbst und an sein Reich. Weissagungen des delphischen Orakels, die er irrigerweise zu seinem Vorteil auslegte, verleiteten ihn dazu, mit seinem Heer den Grenzfluß Halys zu überschreiten und einen Krieg mit dem Perserkönig Kyros zu beginnen. Der Kampf endete mit einer katastrophalen Niederlage der Lyder und der Gefangennahme des Kroisos, der auf den Scheiterhaufen kam. Als Kyros nun die Stimme des zum Feuertode verurteilten lydischen Königs hörte, glaubte er, dieser rufe einen mächtigen Gott zu Hilfe; er änderte jedoch seine Meinung, als er vom Zusammentreffen des Kroisos mit Solon erfuhr. Er wurde sich der Wandelbarkeit des Schicksals bewußt und erschrak vor der möglichen Vergeltung der Götter für seine Behandlung des ihm einst ebenbürti­ gen Herrschers. Deshalb befahl er, das Feuer so schnell wie möglich auszu­ löschen. Aber der Scheiterhaufen, auf dem der besiegte König mit »zweimal sieben lydischen Knaben« stand, war inzwischen schon angezündet worden, und die Perser waren nicht imstande, die Flammen zu löschen. Da flehte Kroisos den delphischen Gott an, und Apollon erhörte ihn: »Bei klarem Himmel und Windstille aber zog sich plötzlich ein Gewölk zusammen und ein Gewitter brach los und Wasser schüttete herab und der Scheiterhaufen wurde gelöscht.« (1,87) Die Erzählung vom Schicksal des letzten lydischen Königs war in der Antike sehr beliebt. Aus den achtziger Jahren des 5. Jahrhunderts stammt eine attische rotfigurige Amphora, auf der Kroisos, auf dem Scheiterhaufen sitzend, von dem Maler Myson dargestellt ist. Zu dieser Zeit war in Athen auch die Geschichte vom Zusammentreffen des Kroisos mit Solon bekannt. Herodot, dessen Werk unge­ fähr ein halbes Jahrhundert später entstand, ist es zu verdanken, daß sie zum Bestandteil der antiken Tradition über den Untergang des mächtigen lydischen Reiches wurde. Bald tauchten jedoch ernsthafte Einwände gegen die Glaubwürdigkeit dieser Erzählung auf. Herodot führt nämlich an (1,29), daß Solon auf seinen Reisen, die er nach seiner Gesetzgebung unternommen habe, nach Lydien gelangt sei. Da Solons 12

Bekleidung des Archontats (des höchsten Amtes in Athen) offenbar in das Jahr 594/593 fiel, müßte er bereits Ende der neunziger oder während der achtziger Jahre des 6. Jahrhunderts Sardeis besucht haben. Kroisos hat jedoch erst im Jahre 560 den lydischen Königsthron bestiegen. Plutarch bemerkt dazu in seiner Biographie Solons, daß »einige das Zusammentreffen Solons mit Kroisos aus zeitlichen Gründen verwerfen wollen«. Er selbst kann sich jedoch »nicht ent­ schließen, eine so berühmte, von so vielen Zeugen berichtete Geschichte, die, was noch wichtiger ist, dem Charakter Solons entspricht und seiner hohen Gesinnung und Weisheit würdig ist, preiszugeben einigen sogenannten chronologischen Tabellen zuliebe, an denen unzählige herumbessern und doch bis heute zu keiner allgemein anerkannten Lösung der Widersprüche gelangen können« (Plut. Solon 27,1). Wie aus dem umfangreichen lydischen Exkurs Herodots hervorgeht, schenkten die Griechen dem letzten lydischen König besondere Aufmerksamkeit. Zwar war auch Gyges, der Begründer der herrschenden Dynastie (687-652), in Griechen­ land gut bekannt. Seinen Namen finden wir bereits in einem Fragment eines der ältesten griechischen Lyriker, des Archilochos, eines Zeitgenossen des Gyges (Fragment 22 Diehl), und Herodot berichtet ausführlich darüber, wie dieser sich des lydischen Throns bemächtigt hat (1,7-12). Er fügt hinzu, daß Gyges ähnlich wie später Kroisos - seinem Schicksal nicht entrinnen konnte (1,13). Schon Gyges und später Kroisos’ Vater Alyattes unterhielten nach Herodot enge Kontakte zum delphischen Orakel (1,14.19). Erst Kroisos gelang es jedoch, die kleinasiatischen Griechen gefügig zu machen und ein mächtiges Reich zu gründen. Er galt als einer der reichsten Herrscher des Altertums. An den königlichen Palast von Sardeis hatten die unterworfenen Völker und Städte ihre Tribute zu entrichten, und auch das Gold aus dem Fluß Paktolos (dem heutigen Sart Çayi), an dessen Ufer Sardeis lag, wurde in diesem Palast aufbewahrt. Kroisos sandte Geschenke sowohl an das Heiligtum des Apollon in Didyma bei Milet als auch nach Delphi, wo sich die berühmteste Orakelstätte des Gottes befand. Der Kampf zwischen ihm und dem Perserkönig Kyros, der im Herbst 547 mit dem Untergang des lydischen Reiches endete und somit für die weitere Geschichte Kleinasiens und auch der Ägäis von großer Bedeutung war, beeindruckte die Zeitgenossen sehr. Die Gestalt des von schweren Schicksalsschlägen verfolgten lydischen Königs trat in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts, während der Auseinandersetzungen der Griechen mit dem mächtigen Persischen Reich, wieder in den Vordergrund. Sein Name erscheint bei Pindar und Bakchylides, griechischen Lyrikern, die damals die Sieger in den panhellenischen Spielen besangen und eine Zeitlang am Hofe des mächtigen und reichen griechischen Herrschers Hieron in Syrakus 13

lebten. In seiner im Jahre 468 anläßlich des Olympiasieges von Hieron verfaßten Ode schildert ßakchylides die berühmte Szene auf dem Scheiterhaufen und rühmt Apollon für die Rettung des zum Tode verurteilten Kroisos (Epinikion 3,23-62). Wir wissen nicht, wann die Legende von der wunderbaren Rettung des Kroisos und seiner Begegnung mit Solon entstand. Möglicherweise liegt ihr eine volks­ tümliche Tradition vom Schicksal des letzten lydischen Königs zugrunde, die sich in Kleinasien erhalten hat. Den zweiten Teil der Geschichte, die Herodot überliefert, bildet das Gespräch zwischen Solon und Kroisos, in dem das Schick­ sal des Atheners Tellos geschildert wird. Die dritte Komponente der Erzählung, die ruhmvolle Tat der Brüder Kleobis und Biton von Argos, ist mit der delphi­ schen Tradition eng verbunden. Im Unterschied zu Tellos, dessen Leben sich voll entfalten konnte, sind die beiden Brüder in der Blüte ihrer Jugend gestorben. Hier begegnen wir einer Vorstellung, nach der der Tod für den Menschen ein größeres Glück ist als das Leben. Die beiden von Herodot erwähnten Statuen wurden bei archäologischen Ausgrabungen in Delphi gefunden und sind etwa in das zweite Jahrzehnt des 6. Jahrhunderts zu datieren. In den verstümmelten Inschriften an ihren Basen sind der Name des Bildhauers, eines (Poly?)medes von Argos, und eine kurze Beschreibung der Heldentat der Brüder zu finden. Herodot hebt auch die Beziehungen des lydischen Königs zum delphischen Orakel hervor, und vielleicht ist er es, der die Erzählung von Kleobis und Biton in die Begegnung zwischen Kroisos und Solon eingefügt hat. Die Moral der Geschichte ist offenkundig. Die Erfahrung und Besonnenheit des griechischen Weisen werden dem Hochmut und der Verblendung des barbari­ schen Herrschers gegenübergestellt. Dies bedeutet jedoch nicht, daß Solon irdischen Wohlstand völlig unterschätzte oder sogar ablehnte und Armut dem Reichtum vorzog. In seiner Antwort - soweit wir sie in Herodots Darstellung verfolgen können - dominieren zwei Hauptgedanken: erstens, daß durch ein Übermaß an Reichtum und Macht der Neid der Götter erregt werde, und zweitens, daß das Leben des Menschen stets dem Zufall unterliege und vom Schicksal bestimmt werde. Daher könne niemand vor seinem Ende als glücklich bezeichnet werden. Das Leben solle so gestaltet werden, daß es weder Neid noch Ungunst der Götter erwecke, und so beschlossen werden, daß das Andenken des Verstorbenen unbescholten bleibe. In der Geschichte von Kroisos tritt Solon also als Denker und Philosoph, nicht als Staatsmann und Urheber einer sozialen Reform auf. Herodot erwähnt zwar auch die gesetzgeberische Tätigkeit Solons, aber nur in Verbindung mit seinen Reisen und seinem angeblichen Aufenthalt in Sardeis. Solon war jedoch nicht der einzige griechische Weise, der in der Tradition mit 14

dem letzten lydischen König verbunden wird. Herodot berichtet, Kroisos habe nach der Einnahme der griechischen Städte an der Westküste Kleinasiens den Vorsatz gefaßt, auch die ägäischen Inseln anzugreifen, und aus diesem Grunde bereits Vorkehrungen zum Bau einer Kriegsflotte getroffen. »Da kam, wie die einen behaupten, Bias aus Priene, wie die anderen sagen, Pittakos aus Mytilene nach Sardeis« und legte dem König dar, daß die Einwohner der Inseln tüchtige und erfahrene Seeleute seien. Kroisos gab ihm Recht »und stellte den Flottenbau ein. Und so schloß er mit den Ioniern auf den Inseln einen Freundschaftsbund« (1,27). An einer anderen Stelle (1,29) bemerkt Herodot, daß »all die anderen klugen Männer [σοφισταί] aus Hellas« in Sardeis einträfen, und unmittelbar nach dieser Feststellung beginnt sein Bericht über die Ankunft Solons. Die Erzählung ist also mit der Tradition über hervorragende Persönlichkeiten der frühgriechischen Geschichte, die als die Sieben Weisen bezeichnet wurden, eng verknüpft. Zum erstenmal taucht dieser Begriff bei Platon (Protagoras 343 a; auch Timaios 20 d) auf. Mit den Sieben Weisen befassen sich dann viele griechi­ sche, römische und byzantinische Autoren. Die heilige Zahl Sieben ist möglicher­ weise mit dem Kult des delphischen Apollon verbunden, ihr Ursprung ist jedoch wahrscheinlich in der orientalischen Mythologie zu suchen. Sieben weise Männer kommen schon im altbabylonischen Gilgamesch-Epos beim Bau der Stadtmauern in Uruk vor. Bei den Griechen erhielt diese Tradition jedoch eine neue inhaltliche Qualität. Der Kreis der Sieben Weisen war nicht konstant. Im Laufe der Jahrhunderte tauchten verschiedene Varianten auf, in die ein viel größerer Kreis von Personen einbezogen war. Diogenes Laertios, der Philosophiehistoriker der Kaiserzeit, führt im ersten Buch seines Werkes über »Leben und Meinungen berühmter Philosophen« insgesamt 17 Namen von Weisen an, bei anderen Autoren werden weitere Persönlichkeiten genannt. In fast allen Aufzählungen der Sieben Weisen erscheinen jedoch vier Namen immer wieder. Dazu gehört neben dem bereits erwähnten Solon sowie Bias und Pittakos der Begründer der ältesten griechischen philosophischen Schule, der ionische Naturphilosoph Thaies von Milet. Auch er wird in dem lydischen Exkurs bei Herodot erwähnt, sowohl in Verbindung mit Kroisos (1,75) als auch mit dessen Vater Alyattes. Thaies soll die Sonnenfinsternis vorausgesagt haben, die zur Unterbrechung der Schlacht zwischen der lydischen und der medischen Armee und zum nachfolgenden Friedensschluß führte (1,74). Dabei handelt es sich höchstwahrscheinlich um die Sonnenfinsternis am 28. Mai 585. Auch Bias von Priene wird mit Alyattes in Verbindung gebracht. Er soll nach Diogenes Laertios (1,83) durch eine List den lydischen König zur Aufgabe der Belagerung Prienes bewogen haben. Bekannter war Pittakos, dem in Mytilene auf 15

der Insel Lesbos eine ähnliche Aufgabe zufiel, wie sie Solon in Athen zu lösen hatte. Während der erbitterten Kämpfe zwischen den Aristokraten und dem Volk (δήμος) in Mytilene um die Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert, an denen unter anderen der Dichter Alkaios teilnahm, wurde er zum Aisymnetes (»Schiedsrich­ ter«) gewählt, um die strittigen politischen Probleme zu lösen. Dieses Amt soll er zehn Jahre bekleidet und dann freiwillig niedergelegt haben. Pittakos war ein Zeitgenosse Solons und kann den Regierungsantritt des Kroisos kaum erlebt haben. Neben diesen vier Männern wird in den Aufzählungen der Sieben Weisen des öfteren auch der spartanische Ephoros (»Aufseher«) Chilon genannt, der höchst­ wahrscheinlich wesentlich zur Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Sparta beigetragen hat. Eine erhöhte Militarisierung führte zur Stärkung des lakedämonischen Staates, jedoch war damit ein kultureller Nieder­ gang Spams verbunden. Chiions politische Tätigkeit fällt in die Mitte des 6.Jahrhunderts; Herodot erwähnt ihn jedoch in einer Episode seines lydischen Berichtes, die bereits in die Zeit der Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert zu datieren ist (1,59). Auch der Name des korinthischen Tyrannen Periandros, der von mehreren antiken Autoren als einer der Sieben Weisen bezeichnet wird, erscheint bei Herodot zum erstenmal in dem lydischen Exkurs, und zwar bei der Schilderung der Kämpfe zwischen Lydien und Milet während der Regierung des Alyattes (1,20). Herodot spricht nirgends von einem Kollegium der Sieben Weisen. Seine Behauptung, daß »die [...] Denker jener Zeit [...] in Sardeis eintrafen«, und seine Erwähnung mehrerer Persönlichkeiten, die dann in den Aufzählungen der Sieben Weisen bei den späteren Autoren genannt werden, weisen jedoch darauf hin, daß zu seiner Zeit - um die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. - diese Tradition bereits im Entstehen begriffen war. Alle diese Männer und auch Kleobulos, der Tyrann von Lindos auf der Insel Rhodos, dessen Name in den Aufzählungen der Sieben Weisen ebenfalls oft erscheint, lebten und wirkten vorwiegend im ausgehenden 7. sowie in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Alle spielten in ihren Poleis eine wichtige Rolle, und ihre Wirkung ging oft über den lokalen Rahmen hinaus. Dabei ist auch die Bedeutung dieser Staaten für die Entwicklung Griechenlands in der archaischen Zeit zu berücksichtigen. Dies gilt in vollem Maße für Athen, Korinth und Sparta auf dem griechischen Festland sowie für die kleinasiatischen Poleis Milet und Mytilene. Die spätere Tradition umgab die Sieben Weisen mit einem Nimbus, der sie in die Nähe der mythischen Gestalten des heroischen Zeitalters brachte. Es wurden Geschichten über ihre Wettkämpfe auf dem Gebiet der Weisheit erzählt, bei denen der eine dem anderen den Vorrang einräumen wollte, bis schließlich der für 16

den Sieger bestimmte goldene Dreifuß dem Apollon geweiht wurde. Beliebt waren auch Erzählungen über ihr gemeinsames Gelage (συμπόσιον). Ihre Zusam­ menkünfte legte man in verschiedene Orte, nach Delphi, Sardeis oder auch Korinth, in die Residenz des Tyrannen Periandros. Allen diesen Weisen wurden philosophische Begabung und schriftstellerische Tätigkeit zuerkannt, und ihre angeblichen Sprüche wurden zitiert und kommen­ tiert. Diogenes Laertios führt neben anderen vermeintlich literarischen Werken der Weisen sogar »Belege« aus ihrer Korrespondenz an. Darunter befinden sich ein Schreiben des Thaies an Solon, Solons Briefe an Periandros, Kroisos und andere Persönlichkeiten, Briefe des Pittakos an Kroisos, des Chilon an Periandros und des Kleobulos an Solon. Zur Korrespondenz des Periandros gehört sogar eine Einladung des Tyrannen an die Weisen. Sie sollten ihm nach dem »vorjähri­ gen« Zusammentreffen in Sardeis jetzt in Korinth einen Besuch abstatten. Trotz der fiktiven und legendären Überlieferung waren die erwähnten Mitglie­ der des Kollegiums der Sieben Weisen historische Gestalten der frühgriechischen Geschichte. Es ist nicht einmal auszuschließen, daß einige der in den späteren Sammlungen unter ihren Namen überlieferten Sprüche echt sind. Auf jeden Fall waren zwei der Weisen, Thaies und Solon, bestimmt literarisch tätig. Es ist gewiß kein Zufall, daß sie in der Aufzählung der Sieben Weisen bei Diogenes Laertios an erster und zweiter Stelle erscheinen und daß ihnen dort viel mehr Aufmerksam­ keit gewidmet wird als den anderen Weisen. Beide nahmen unter diesen Sieben eine hervorragende Stellung ein. Thaies war Bürger der bedeutsamsten griechischen Polis an der Westküste Kleinasiens, und vor allem begründete er die erste philosophische Schule und damit die griechische Philosophie überhaupt. Solon war nicht nur als Denker, sondern auch als Dichter bekannt und wurde als Gesetzgeber und Schöpfer der athenischen Verfassung hochgeschätzt. Auch Herodot verrät, als er das Treffen zwischen Solon und Kroisos schildert, daß ihm die Gedichte Solons durchaus vertraut waren. Man braucht sich daher nicht zu wundern, daß gerade Solon als Prototyp des griechi­ schen Weisen und Polisbürgers gegenüber dem »barbarischen« König und Despoten zur Hauptfigur einer der berühmtesten Legenden der Antike wurde. Wie ist jedoch das wahre, historische Bild Solons? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir versuchen, Solons Bedeutung und Wirken in seiner Heimatgemeinde zu rekonstruieren.

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Das aristokratische Athen

Die Verfassung war damals durchaus oligarchisch, vor allem darin, daß die Armen mitsamt ihren Kindern und Frauen den Reichen als Sklaven dienen mußten. Sie hießen »Pelatai« und »Hektemoroi«; sie bearbeiteten die Felder der Reichen und erhielten dafür den sechsten Teil des Ernteertrags als Lohn. Das ganze Land war in wenigen Fiänden. (Der Staat der Athener 2,2) Athen fiel in der griechischen Welt immer eine bedeutende Rolle zu. Die sich nach Süden erstreckende, von Flügeln und Gebirgskämmen umkränzte Küsten­ ebene lud seit uralten Zeiten zur Besiedlung ein. Das ziemlich niedrige, bizarr aussehende felsige Plateau, das später Akropolis genannt wurde, von dem aus die ganze Ebene zu überblicken war und das von der Meeresküste, wo eine plötzliche Gefahr auftauchen konnte, genügend weit entfernt war, wurde bereits an der Wende vom 4. zum 3. Jahrtausend zum Zufluchtsort der urzeitlichen Bevölke­ rung. Quellen am Fuß des steilen Abhangs erhöhten noch die Gunst der geographi­ schen Lage, so daß es nicht verwunderlich ist, daß sich dort auch einige Scharen griechischer Stämme, die seit Beginn des 2. Jahrtausends von Norden her in das Festland eindrangen, ansiedelten. Der Schwerpunkt der späthelladischen oder - wie sie gewöhnlich bezeichnet wird - mykenischen Zivilisation lag bekanntlich auf der Peloponnes, vor allem in der Argolis. Mykenische Burgen wurden jedoch auch in Mittelgriechenland gebaut, und eine der bedeutendsten von ihnen stand eben auf der Akropolis von Athen. Ihre Größe übertraf sogar die der mächtigsten Burg in Mykene, die der ganzen Epoche ihren Namen gab. Dies war jedoch nicht der einzige befestigte Ort, der zu dieser Zeit auf dem Gebiet Attikas entstanden ist. Mykenische - wenn auch nicht so gewaltige - Bauten sind auch aus dem Osten und dem Norden der Landschaft bekannt, die dann in späterer Zeit von der athenischen Akropolis aus beherrscht wurde. Der Untergang der mykenischen Zivilisation um die Wende vom 13. zum 12.Jahrhundert, der in der letzten Phase wohl durch Invasion unbekannter Stämme verursacht wurde, die zu dieser Zeit in die Ägäis eindrangen und gewöhnlich als »Seevölker« bezeichnet werden, war von einem tiefgreifenden 18

Verfall begleitet. Die einst mächtigen Paläste lagen in Trümmern, und die Errungenschaften dieser hochentwickelten Kultur fielen der Vergessenheit anheim. Es verschwand auch die sogenannte Linearschrift B, die erst durch archäologische Ausgrabungen aus den Trümmerhaufen einiger mykenischer Zen­ tren - vor allem auf der Peloponnes und auf Kreta - ans Licht gebracht wurde. Die Griechen der späteren Zeit lernten die ruhmreiche Vergangenheit ihrer heroischen Vorfahren lediglich aus den Resten des verblichenen Ruhms kennen, aus den »kyklopischen« Mauern der längst verfallenen Bauten sowie aus den Sagen, die sich sowohl in der frühgriechischen epischen Dichtung als auch in den späteren literarischen Denkmälern, vor allem im attischen Drama, widerspiegeln. Von demselben Schicksal wurde natürlich auch das mykcnische Athen heimge­ sucht. Trotzdem kann dort ein gewisser Unterschied festgestellt werden. Die letzte Welle der griechischen Einwanderer, bei der die dorischen Stämme (um die Mitte des 11. Jahrhunderts v. Chr.) dominierten, hat in Attika keine so nachhalti­ gen Spuren wie in anderen Gebieten Griechenlands hinterlassen. Während der mykenische Palast in Pylos im Westen der Peloponnes - der Sage nach die Siedlung des homerischen Königs Nestor - erst im Jahre 1939 durch archäologi­ sche Ausgrabungen entdeckt wurde und die einst mächtigen Burgen in der Argolis nach dem Zerfall der griechischen Zivilisation zu bedeutungslosen O rt­ schaften wurden, kann in Athen eine gewisse Kontinuität verfolgt werden. Es handelt sich jedoch wohl nicht um eine direkte Anknüpfung an die mykenische Tradition. Die Zäsur wird - ähnlich wie in Argos oder in Knossos auf Kreta - schon daraus ersichtlich, daß das submykenische Gräberfeld an anderer Stelle als die mykenischen Grabstätten entstand, wenn sich auch die neue Bevölkerung an demselben O rt niederließ, an dem bereits die mykenische Sied­ lung lag. In Athen hat man dieses Gräberfeld bei dem späteren Töpferviertel, dem sogenannten Kerameikos, entdeckt. Aus der Analyse der Tongefäße, die in diesem Gräberfeld in großen Mengen gefunden worden sind, kann gefolgert werden, daß aus dem submykenischen Stil, in dem mykenische Motive, wenn auch sehr vereinfacht und primitiv ausgeführt, überlebten, plötzlich - höchstwahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 11. Jahr­ hunderts - der sogenannte protogeometrische Stil hervorging. Im Vergleich zu den submykenischen Amphoren sind die protogeometrischen Erzeugnisse der athenischen Töpfer sorgfältiger bearbeitet, und bei ihrer Verzierung wurde neben dem Pinsel auch der Zirkel angewandt. Der protogeometrische Stil kann also als eine qualitativ neue Art der keramischen Produktion bezeichnet werden. Von da an führt dann eine zwar lange, jedoch ziemlich geradlinige Entwicklung zu dem technisch und künstlerisch reifen sogenannten geometrischen Stil, dessen höchste Blüte um die Mitte des 8.Jahrhunderts zu suchen ist. Zu dieser Zeit 19

werden in der Dekoration der Vasen auch orientalische Motive sichtbar, und die keramische Produktion erreicht ein beträchtliches Ausmaß, was unter anderem durch Funde attischer geometrischer Gefäße auf der Insel Ägina und sogar auf der entfernten Insel Delos bezeugt wird. Die lange Zeitspanne zwischen dem Untergang der mykenischen Zivilisation und der sogenannten archaischen Epoche der griechischen Geschichte wird in der Fachliteratur als Übergangszeit oder auch als das Dunkle Zeitalter bezeichnet. Erst an der Wende vom 9. zum 8. Jahrhundert begannen sich die Griechen mit den Errungenschaften der entwickelten Zivilisationen des Vorderen Orients vertraut zu machen. Unter anderem haben sie zu dieser Zeit auch die semitische Lautschrift übernommen und dem Griechischen angepaßt. Nach neueren For­ schungsergebnissen ist das griechische Alphabet wahrscheinlich aus der nordsyri­ schen aramäischen Schrift entstanden und erst später durch einige phönikische Buchstaben ergänzt worden. Im 8. Jahrhundert begann auch die rege kolonisato­ rische Tätigkeit der Griechen im Mittelmeerraum, die zu einem wichtigen Phäno­ men der frühgriechischen Geschichte wurde. Die älteste Geschichte Griechenlands war bereits in der antiken Tradition in sagenhafte, mythologische Überlieferung gehüllt. Auch über die Anfänge der athenischen Geschichte gibt es keine zuverlässigen Nachrichten. Bei den späteren Lexikographen und Kommentatoren finden wir zwar einige Angaben, deren Ursprung allerdings in den nicht erhaltenen chronikartigen Übersichten zu suchen ist, die erst seit dem Ende des 5. Jahrhunderts zusammengestellt wurden. Man hat sie als Atthides bezeichnet. Die Autoren dieser Lokalgeschichten Athens (Atthidographen) stützten sich auf die Listen mit den Namen der höchsten athenischen Beamten (Archonten), auf einige veröffentlichte Gesetze sowie auch auf Angaben Herodots, schöpften jedoch vorwiegend aus der sagenhaften münd­ lichen Überlieferung, in der die mythischen Könige Athens verherrlicht wurden. Dabei ergänzten sie die lückenhaften Genealogien und verwandelten legendäre Erzählungen in angeblich historische Ereignisse. Zu den bedeutsamsten Gestalten der athenischen Mythologie gehörte König Theseus, der zum Staatsheros Athens wurde und als Gegenstück zum dorischen Heros Herakles betrachtet werden kann. Berühmt war vor allem die Sage von seiner Fahrt nach Kreta, wo er im königlichen Palast von Knossos, dem Laby­ rinth, den Minotaurus überwältigte und dadurch sein Vaterland von der schmäh­ lichen Abhängigkeit von den kretischen Herrschern befreite. Mit dem Namen des Theseus wurde auch der sogenannte Synoikismos (Zusammensiedlung) in Ver­ bindung gebracht: Thukydides führt an (2,15,2), Theseus »ordnete das ganze Land durch, und indem er Rat und Amtsgewalt in allen Städten aufhob, gab er in der jetzigen Stadt, die er zur einzigen Rats- und Amtsstätte erklärte, allen eine 20

staatliche Mitte«. Dieselbe Angabe finden wir auch in Plutarchs Biographie des Theseus (24,1-3). Dies alles ist freilich nur eine spätere Fiktion. Über die wahre Geschichte Attikas während der mykenischen Epoche ist uns nichts Konkretes bekannt, mit Ausnahme dessen, was die archäologischen Ausgrabungen geliefert haben. Die athenische Burg übertraf zu dieser Zeit durch ihre gewaltigen Ausmaße ähnliche Bauten, die auf dem Gebiet Attikas entdeckt wurden. Wir wissen jedoch nicht, wie die gegenseitigen Beziehungen waren. Nach dem Niedergang der mykeni­ schen Zivilisation kam es auch in Athen zu einem Umbruch, und die ökonomi­ schen Verhältnisse, auf denen die neue Entwicklung basierte, waren sehr be­ scheiden. Der athenische Synoikismos, dessen Ergebnis die politische Einigung Attikas wurde, fällt in Wirklichkeit erst in die ausgehende Übergangszeit und in die Anfänge der archaischen Zeit. Es handelte sich dabei nicht um einen einmaligen Akt, sondern um einen langdauernden Prozeß, der offenbar nicht glatt und ohne Schwierigkeiten verlief. Es wird gewöhnlich angenommen, daß der Synoikismos während des 8.Jahrhunderts im wesentlichen abgeschlossen war. Seine letzte Phase war - wahrscheinlich am Ausgang des 8. oder zu Beginn des 7. Jahrhun­ derts - der Anschluß von Eleusis im Westen Athens. Seitdem war Attika unteilbarer Bestandteil der athenischen Polis und wurde zum Hinterland der Stadt, in der die Staatsverwaltung konzentriert war. Alle freien Einwohner Attikas, die das Bürgerrecht besaßen, wurden als Athener bezeichnet, und im griechischen Sprachgebrauch war die Bezeichnung für die Gesamtheit der Bürger (oE ’Α θηναίοι) auch die offizielle Bezeichnung für die Polis. Noch komplizierter als die Frage des Synoikismos ist das Problem der atheni­ schen sogenannten Gentilordnung. Nach Herodot (5,66) und anderen antiken Autoren wurde die Bevölkerung Attikas in vier ionische Phylen (Stämme), die Geleontes, Aigikoreis, Argadeis und Hopletes, eingeteilt. Herodot verbindet diese Bezeichnungen mit den Namen der vier Söhne Ions, des mythischen Urvaters der Ionier. Plutarch (Solon 23,5) bemerkt, daß nach Meinung einiger Autoren die Namen der vier Phylen von den verschiedenen Lebensarten abzulei­ ten seien, denen sich ihre Anhänger ursprünglich gewidmet hätten. Beide »Erklä­ rungen« der Phylennamen sind natürlich rein fiktiv. Die erstgenannte Deutung hängt mit den antiken Vorstellungen vom Ursprung des griechischen (hellenischen) Volkes sowie von der Entstehung des Menschen­ geschlechts zusammen. In der griechischen Mythologie wird für den Urvater der Griechen Hellen gehalten, ein Sohn des Zeus oder des Deukalion, des Heros, der mit seiner Gemahlin Pyrrha die Sintflut überstanden und ein neues Menschenge­ schlecht erschaffen hatte. Hellens Söhne waren Doros und Aiolos, seine zwei

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Enkel hießen Ion und Achaios und waren Urahnen der vier griechischen Stämme. Auf eine ähnliche Weise hat man auch die Namen der Urväter der einzelnen ionischen Phylen erfunden. Einige Forscher vertraten die Meinung, daß die vier ionischen Phylen in Attika verhältnismäßig spät - erst nach dem Abschluß des Synoikismos - als administra­ tive Einheiten des athenischen Staates entstanden seien. Dieselben Phylennamen sind jedoch auch für einige ionische Gemeinden an der Westküste Kleinasiens beziehungsweise in den von ihnen gegründeten Kolonien bezeugt. Neben diesen vier Phylen kommen dort noch zwei weitere ionische Phylen, die Boreis und Oinopes, vor. Es ist deshalb eher anzunehmen, daß die ionischen Phylen älteren Ursprungs sind. Sie existierten wohl bereits zu der Zeit, als ein Teil der ionischen Bevölkerung vom griechischen Festland nach den ägäischen Inseln und der Westküste Kleinasiens auszuwandern begann, also am Ausgang des 2. Jahrtau­ sends v. Chr. Ein Zusammenhang zwischen den vier ionischen Phylennamen in Attika und den verschiedenen Lebensarten der Bevölkerung wird auch bei Strabon (8,7,1) angedeutet. An der bereits erwähnten Stelle in Plutarchs Biographie des Solon (23,5) werden die Hopletes als Hopliten (schwerbewaffnete Kämpfer), die Argadeis als Ergadeis (Handwerker und Künstler) und auf ähnliche Weise auch die Namen der anderen zwei Phylen »erklärt«. Es ist kaum daran zu zweifeln, daß der Ursprung dieser Interpretationen in einer etymologischen Erläuterung der Benennungen zu suchen ist, deren Bedeutung bereits im Altertum unklar war. Uber die Beziehung der vier ionischen Phylen zu der lokalen Besiedlung Attikas ist nichts bekannt. Wir wissen nur, daß es auch Könige oder Anführer der Phylen (φυλοβασιλεϊς) gab. Diese hielten noch zur Zeit des Aristoteles (»Der Staat der Athener« 57,4) - zusammen mit einem der höchsten athenischen Beamten, dem Archon Basileus - Gericht über unbekannte Täter oder auch »beschuldigte« leblose Gegenstände und Tiere. Dies war wohl ein Überrest ihrer früheren richterlichen Kompetenz. Die Phylen umfaßten bei den Griechen gewöhnlich eine Anzahl von Phratrien (Bruderschaften), die bereits im homerischen Epos belegt sind. Nestor, der erfahrene König von Pylos, gibt Agamemnon, dem Oberbefehlshaber der grie­ chischen Streitkräfte vor Troja, den Rat, er solle »die Männer nach Phylen und Phratrien ordnen« (Ilias 2,362), und an einer anderen Stelle (Ilias 9,63) behauptet er - im Bestreben, eine drohende Zwietracht unter den griechischen Anführern zu verhindern -, daß ein Mann, dem innere Fehden gefielen, »ohne Phratrie, ohne Recht und ohne Herd« sei. Phratrien sind für Delphi und Sparta bezeugt, und ähnliche Verbände gab es auch in den dorischen Gemeinden auf Kreta. Attische Phratrien sind vor allem aus zwei gesetzlichen Bestimmungen 22

bekannt. Die erste, die in einer athenischen Inschrift aus dem Jahre 409/8 bezeugt wird (SIG3 111) und der offenbar die Gesetze Drakons zugrunde liegen, befaßt sich mit den Delikten Mord und Tötung. Im Falle einer nicht vorsätzlichen Tötung und wenn es keine zur Blutsühne berufenen Verwandten des Opfers gab, sollten in dessen Interesse zehn Mitglieder seiner Phratrie hervortreten, die nach Vornehmheit (άριστίνδην) gewählt werden sollten. Die zweite Bestimmung wird in den römischen Digesten als ein Solonisches Gesetz zitiert (Dig. 47,22,4 = Solon F 76a in der Edition von E. Ruschenbusch, Solonos nomoi, 1966). Dort heißt es, daß die Mitglieder der Phratrien und einiger anderer Verbände berechtigt seien, verbindliche Beschlüsse zu fassen, wenn dies die Gesetze des Staates (δημόσια γράμματα) nicht verböten. Neben diesen zwei Belegen sei noch ein Fragment aus der athenischen Lokal­ chronik des Philochoros aus der Zeit der Wende des 4. zum 3.Jahrhundert erwähnt (FGrHist Nr. 328, Fragment 35). Dort heißt es, daß Gennetai (γεννηταί, Mitglieder der Geschlechter) und Orgeones (όργεώνες) in Phratrien aufzu­ nehmen seien. Von diesen beiden Gruppen, die auch im erwähnten Gesetz Solons neben den Phratrien genannt werden, haben wir nur eine unklare Vorstellung. Ein Geschlecht (γένος) wird gewöhnlich als kleinste Einheit der Gentilverfassung und Bestandteil der Phratrie verstanden. Zur Zeit Solons waren die attischen Geschlechter wohl aus den Aristokraten zusammengesetzt, die eine privilegierte Stellung in der Gemeinde einnahmen. Orgeones waren wahrscheinlich freie Einwohner Attikas, die außerhalb der Geschlechter standen. Es ist jedoch nicht zu entscheiden, ob sie aus den Geschlechtern ausgeschlossen wurden, als diese von den Aristokraten beherrscht wurden, oder ob sie als Nachkommen der eingewanderten Bevölkerung - oder vielleicht als Nachfahren der älteren Ein­ wohner Attikas - betrachtet werden sollen, die in die Phratrien aufgenommen wurden und selbst Mitglieder anderer - den Geschlechtern ähnlicher - Verbände waren. Einige Forscher vertreten die Meinung, daß auch die Phratrien ursprünglich nur aus Aristokraten zusammengesetzt waren und daß die Orgeones erst im Verlauf der Demokratisierung der athenischen Gesellschaft in diese aufgenommen wurden. Dabei wird gewöhnlich auf das oben erwähnte Fragment aus der Atthis des Philochoros verwiesen. Möglicherweise muß jedoch dieser Beleg in dem Sinne gedeutet werden, daß die Orgeones, die durch den Ausschluß aus den von den Aristokraten beherrschten Phratrien bedroht waren, auf diese Weise geschützt werden sollten. Es ist kaum anzunehmen, daß die Phratrien - oder sogar auch die Phylen, wie bisweilen vorgeschlagen wurde - nur aus Aristokraten zusammengesetzt waren, ln der oben erwähnten athenischen Inschrift wird vorausgesetzt, daß für einen 23

Bürger, der Opfer einer Gewalttat geworden war, Mitglieder seiner Phratrie Genugtuung verlangen konnten. Wenn zehn Vertreter der Phratrie »nach Vor­ nehmheit« gewählt wurden, bedeutet das, daß nicht alle Mitglieder der Phratrie Aristokraten gewesen sein konnten. Sinn dieser Regelung war wohl, daß die vornehmen Mitglieder bei den Verhandlungen mit der Familie oder anderen Verwandten des Täters mit größerem Nachdruck auftreten konnten. Auch die Belege über Phratrien in anderen Gebieten Griechenlands bezeugen keinesfalls eine aristokratische Exklusivität dieser Verbände. Die athenische Tradition verband den Ursprung der Aristokratie und der sozialen Differenzierung überhaupt mit dem Namen des Theseus. Plutarch bemerkt (Thes. 25,2), Theseus habe die Einwohner »in Eupatriden, Geomoren und Demiurgen« eingeteilt. Geomoren waren die Ackerbauern, Demiurgen die Handwerker, und mit dem Ausdruck Eupatridai (εύπατρίόοα, Nachfahren guter, edler Väter) wurden die athenischen Aristokraten bezeichnet. Wenn die Überlieferung vom Synoikismos des Theseus als eine späte Fiktion zu verstehen ist, gilt dies in noch höherem Maß auch für diesen ihm zugeschriebenen Akt. Die soziale Schichtung der Einwohner Attikas ist zweifellos als Ergebnis einer langwierigen Entwicklung zu betrachten, deren Einzelheiten wir allerdings nicht verfolgen können. Das reiche Inventar einiger Gräber des 8. Jahrhunderts, die auf dem Gräberfeld in Kerameikos gefunden worden sind, zeigt jedoch, daß zu dieser Zeit die sozialen Unterschiede bereits ziemlich groß waren. In einer seiner Reden, die in die neunziger Jahre des 4. Jahrhunderts zu datieren ist, bemerkt Isokrates (16,25), daß Alkibiades, der athenische Politiker und Feldherr aus der Zeit des Peloponnesischen Krieges, dem athenischen Geschlecht der Eupatriden entstammte. Läßt sich diese Angabe mit der erwähnten Tradition über die athenischen Eupatriden als gesellschaftliche Schicht vereinbaren? Einige Forscher haben die Ansicht vertreten, daß entweder die eine oder die andere Überlieferung falsch sei. Dies ist jedoch nicht nötig. Die athenischen Aristokraten wurden zweifellos als Eupatriden bezeichnet, und in der klassischen Zeitperiode existierte in Athen außerdem ein eigenes Geschlecht, das diesen Namen trug. Im 7. Jahrhundert v. Chr. waren alle Ämter und Institutionen in Athen in den Händen der Eupatriden konzentriert. Laut der im aristotelischen »Staat der Athener« erhaltenen Tradition wurde die Funktion des Königs (βασιλεύς) all­ mählich begrenzt. Die höchste Exekutivgewalt fiel dem Amt des Archons (Herr­ scher) zu, das angeblich zuerst lebenslänglich, dann für zehn Jahre und zuletzt jährlich besetzt wurde. Neben ihm amtierten der Polemarchos (Heerführer) und der mit religiösen Angelegenheiten betraute Basileus als Archonten. Die Annahme einer allmählichen Verkürzung der Amtszeit des Archontats ist freilich erst in späterer Zeit entstanden, als sich die Atthidographen bemühten, die 24

angebliche Zeitspanne zwischen dem mythischen Königtum und dem vorausge­ setzten Beginn des Archontenamtes zu überbrücken. Der Name (όνομα, όνυμα) des ein Jahr amtierenden höchsten Archons diente dann in Athen zur Datierung, und er selbst wurde als Archon eponymos (άρχουν επώνυμος) bezeichnet. Die später verfaßte Archontenliste, an deren Spitze Kreon stand, begann mit dessen Amtsjahr 682/1 v. Chr. Zu den drei Archonten kamen dann noch sechs Thesmotheten (Rechtssetzer) hinzu, die mit der Aufzeichnung der gewohnheitsmäßigen Rechtsnormen beauftragt wurden oder einfach Rechtsprechungsmagistrate waren, so daß das jährlich neu zu besetzende Amt der Archonten neunköpfig war. Wie im »Staat der Athener« ausdrücklich berichtet wird (3,6), wurden die Archonten »nach Vornehmheit und Reichtum« (άριστίνδην και πλουτίνδην) gewählt, und die ehemaligen Archonten wurden dann - wahrscheinlich bereits vor der Zeit Solons - zu Mitgliedern des Rates (βουλή), der auf dem Hügel (πάγος) des Kriegsgottes Ares tagte und daher als der Rat vom Areopag bezeich­ net wurde. Die politische Macht der Eupatriden entsprach ihrer Stellung in der athenischen Wirtschaft, vor allem im Ackerbau. Wenn auch die Behauptung im aristotelischen »Staat der Athener« (2,2), daß das ganze Land in den Händen »der Wenigen«, der Oligarchen (δί όλίγων), sei, wohl stark übertrieben ist, kann als sicher gelten, daß das Grundeigentum Attikas sehr ungleichmäßig verteilt war. Ein großer Teil der Landbevölkerung befand sich in erdrückender Abhängigkeit von den Eupatri­ den. Sie wurden als »Mietsknechte« (πελάται) und »Sechstier« (έκτήμοροι) bezeichnet. Aus der Schilderung der erwähnten Schrift geht nicht klar hervor, ob die Hektemoroi fünf Sechstel ihres Ernteertrages den Reichen abgeben mußten und nur ein Sechstel behielten oder ob es gerade umgekehrt war. Das hängt davon ab, wie das W ort μίσθωσις (Pachtung) interpretiert wird. Handelte es sich um ein Pachtverhältnis, durch das die Hektemoroi verpflichtet waren, ein Sechstel des Ernteertrages abzugeben, oder um ein vertragsmäßiges Verhältnis, aufgrund dessen ihnen ein solcher Anteil zufallen sollte? Der Ausdruck selbst deutet eher auf den Pachtzins, also die Verpflichtung der Hektemoroi in Höhe eines Sech­ stels, und nicht auf den ihnen gebührenden Arbeitslohn. Andererseits wurde des öfteren darauf hingewiesen, daß das Wort έκτήμορος eher einen Menschen bezeichnet, der ein Sechstel des Ertrages für sich behält, als einen solchen, der diesen Anteil abführt. Plutarch bemerkt in der Biographie Solons (13,4) ganz eindeutig, daß die Hektemoroi »den sechsten Teil des Ertrages entrichteten«. Auch bei einigen spätantiken bzw. byzantinischen Lexikographen und Kommentatoren sind 25

Angaben über die Hektemoroi erhalten. Dort überwiegt die iVIeinung, daß die abhängigen Sechstier sich mit dem sechsten Teil ihrer Ernte begnügen und fünf Sechstel des Ertrages den Reichen übergeben mußten. Der Grammatiker Hesychios von Alexandrien führt in seinem wahrscheinlich im 5. Jahrhundert n.Chr. verfaßten Lexikon sogar beide Deutungen an. An einer Stelle (bei dem Ausdruck επίμορτος - Teilhaber) bemerkt er, daß »die Hektemoroi ein Sechstel bezahlen«, an anderer jedoch (bei dem Wort έκτήμορος), daß diese »für ein Sechste! den Boden bebauen«. Das Problem der Hektemoroi wird auch in der Fachliteratur ausgiebig behan­ delt. Ähnlich wie bereits bei den antiken Autoren sind die Ansichten in der modernen Forschung geteilt. Beide Deutungen, d. h. Abgabe oder Behalten eines Sechstels des Ernteertrages, sind offenbar lediglich etymologische Interpretatio­ nen einer Bezeichnung, die schon in der Antike unklar war. Auch in den wissenschaftlichen Abhandlungen geht man gewöhnlich von der Erläuterung dieser Bezeichnung aus, wobei einerseits erwogen wird, ob die Hektemoroi von einem Sechstel des Ernteertrages überhaupt leben konnten, und andererseits, ob ihre Lage eigentlich so bedrückend war, wie es in der antiken Überlieferung behauptet wird, wenn sie fünf Sechstel behalten durften. Es liegt auf der Hand, daß die faktische Höhe des Sechstels eines jeden Hektemoros von der Größe und der Ertragfähigkeit des betreffenden Grundstükkes abhängig war, so daß die Situation der einzelnen abhängigen Kleinbauern oft unterschiedlich sein mußte. Daher hat man auch andere Erläuterungen für die Bezeichnung έκτήμορος gesucht. Das griechische Hohlmaß für Getreide, μέδιμνος, bestand aus sechs kleineren Einheiten, die έκτεϊς hießen. Daher wurde die Meinung vertreten, daß die Abgaben der abhängigen Kleinbauern an die Reichen in »Sechsteln« (έκτεϊς) ausgerechnet wurden, wobei ihre Zahl aus jedem μέδιμ­ νος des geernteten Getreides nicht immer dieselbe war. Nach einer anderen Erklärung sollen die Hektemoroi verschuldete Bauern gewesen sein, die ver­ pflichtet waren, ihren Gläubigern die Schulden in sechs Raten, gewöhnlich in sechs hintereinanderfolgenden Jahren, zu bezahlen. Dies sind freilich alles nur Vermutungen. In der einzigen zeitgenössischen Quelle, in der die schwierige Lage der armen und verschuldeten Einwohner Attikas an der Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert geschildert wird, in den Versen Solons - wenigstens in den erhaltenen Fragmen­ ten seiner Dichtung -, gibt es keine direkten Angaben über die Hektemoroi. Solon hebt jedoch an mehreren Stellen hervor, er habe dem unterdrückten athenischen Volke geholfen, und in einem seiner Gedichte, das im »Staat der Athener« (12,4) erhalten ist und aus dem auch Plutarch in der Biographie Solons (15,6) einige Verse zitiert, behauptet er, er habe »den schwarzen Boden« dadurch 26

befreit, daß er »die vielerorts befestigten Schuld- oder Pfandsteine herausgeris­ sen« habe (30,5-6 Gentili-Prato). Durch diese Schuldsteine (οροί) wurden wohl diejenigen Grundstücke bezeichnet, auf denen die abhängigen Bauern arbeiteten. Welche Form jedoch die Abhängigkeit dieser Bauern hatte, ob die Leute, die den mit den Schuldsteinen versehenen Boden bebauten, Pächter, Tagelöhner oder Schuldner waren, wissen wir nicht. Alle diese Deutungen haben sowohl ihre Verteidiger als auch Kritiker gefun­ den. Das Hauptproblem steckt nämlich in der Frage nach den Eigentumsverhält­ nissen im damaligen Attika. In der älteren Forschung überwog die Meinung auch heute noch vereinzelt vertreten -, daß im vorsolonischen Athen unbegrenz­ tes Privateigentum an Grund und Boden existierte. Die Lage der Hektemoroi wurde dann auf Grund der besser bekannten Verhältnisse der klassischen Zeitpe­ riode der griechischen Geschichte oder auch im Einklang mit den in der römi­ schen Jurisprudenz geläufigen Normen interpretiert. So hat man zum Beispiel die Vermutung geäußert, daß die Hektemoroi leibeigene Bauern waren, die sich freiwillig in die Obhut der Reichen begaben, um die Gefahr der Verschuldung und der nachfolgenden Versklavung abzuwenden. Nach einer anderen Erklärung sollen die verschuldeten Kleinbauern ihre Grundstücke an die Gläubiger unter der Bedingung verpfändet haben, diese später wieder einlösen zu können. Auf diese Weise seien sie eigentlich Pächter auf dem einst ihnen gehörenden, jetzt jedoch mit Pfandsteinen versehenen Boden geworden. Diese Theorie basiert schon auf den Erkenntnissen der neueren Forschung, daß nämlich der Grund und Boden im archaischen Attika nicht als Eigentum der einzelnen Bauern betrachtet werden darf, sondern daß er - oder wenigstens ein Teil von ihm, der sogenannte ursprüngliche Anteil (άρχαία μοίρα) - als unveräußerlicher Familienbesitz galt. Es ist jedoch kaum zu erwarten, daß die aus der späteren Zeit bekannte Rechtsnorm, die sogenannte Prasis epi lysei (πράσις επί λύσει, Verkauf im Hinblick auf Auslösung), bereits im archaischen Griechenland verbreitet war. Wenn der verschuldete Kleinbauer sein Grundstück nicht verpfänden konnte, war er gezwungen, sich mit seinem eigenen Leib zu verbürgen. Bei Nichterfül­ lung seiner Verpflichtungen konnte er dann vom Gläubiger in die Sklaverei verkauft werden. Im »Staat der Athener« wird behauptet, daß »bis zu Solon alle auf den Leib borgten« (2,2; ähnlich auch 6,1 und 9,1). Es ist kaum zu ermitteln, wie weit die Abhängigkeit der Kleinbauern verbreitet und wie groß der Anteil der Hektemoroi an der damaligen attischen, in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung war. Höchstwahrscheinlich verschlechterte sich jedoch die Lage der Kleinbauern ziemlich rasch. Dies bezeugt unter anderem der bereits erwähnte Hinweis Solons auf »die vielerorts aufgestellten Schuld27

steine«. In demselben Gedicht erwähnt Solon Leute, die außerhalb Attikas »ob zu Unrecht oder mit Recht verkauft waren« (30,9-10 Gentili-Prato). In der Forschung wurde auch die Ansicht vertreten, daß die Mitglieder der athenischen Geschlechter nur in die Stellung von Hektemoroi absinken, während die anderen Einwohner Attikas, die sogenannten Orgeones, Sklaven werden konnten. Wie bereits erläutert wurde, sind jedoch unsere Kenntnisse über die Struktur der Gentilordnung im archaischen Athen sehr unzureichend, und es gibt keine Belege für die Hypothese, daß die Hektemoroi und die Schuldsklaven aus unterschiedlichen sozialen Gruppen der attischen Bevölkerung hervorgehen konnten. Die Schuldsklaverei ist lediglich als eine tiefere Stufe der Unfreiheit ZU betrachten, die den abhängigen Kleinbauern bei Nichterfüllung ihrer Verpflich­ tungen drohte. Die Eupatriden benutzten ihre Machtstellung, um auf die Klein­ bauern Druck auszuüben. Die Lage der attischen Kleinbauern verschlechterte sich durch den natürlichen Bevölkerungszuwachs. Der Familienbesitz an Grund und Boden war für die Ernährung mehrerer Geschwister samt ihren Familien oft unzureichend. Viel­ leicht spielten da auch Veränderungen, zu denen es in der attischen Landwirt­ schaft kam, eine Rolle. Die Eupatriden fingen nämlich an, Weinberge und Olivenhaine anzulegen, was ihnen mehr Gewinn als der Getreidebau brachte. Die Kleinbauern brauchten jedoch Getreide für die eigene Ernährung und konnten nicht Pflanzen anbauen, die erst nach einigen Jahren Ertrag brachten. Neben der Landwirtschaft gewann die handwerkliche Produktion in Athen immer mehr an Bedeutung. Am besten sind wir über die Entwicklung der Töpferei unterrichtet. Die Tongefäße waren seit jeher unentbehrliche Bedarfsarti­ kel. Der südöstlich von Athen gelegene Hügel Kolias lieferte den Töpfern einen hervorragenden Ton. Wie schon bemerkt wurde, fiel der attischen Töpferindu­ strie bereits während des Dunklen Zeitalters eine bedeutende Rolle zu. In der antiken Literatur wurde des öfteren nach dem Ursprung und der Herkunft von Erfindungen gefragt. In einem Gedicht, das von Kritias, dem athenischen konser­ vativen Politiker des ausgehenden 5. Jahrhunderts stammt (1,12-15 Diehl), wer­ den verschiedene Städte und Länder gewürdigt, darunter auch Athen, wo »das irdene Gefäß« (κέραμος) seinen Ursprung gehabt habe. Die verzierten Tongefäße (Vasen) kann man vor allem auf Grund der typologischen Analyse chronologisch ziemlich genau einordnen. So hilft die Keramik weitgehend bei den Datierungen archäologischer Ausgrabungen und wird auch zur bedeutenden Quelle für das Studium der ökonomischen und kulturellen Entwicklung im antiken Griechenland und für die Kenntnis verschiedener Berei­ che des damaligen Lebens. Gegen Ende des 8.Jahrhunderts wurde die attische geometrische Keramik 28

durch einen neuen, den sogenannten protoattischen Stil abgelöst. Die Produktion der protoattischen Vasen wurde im Laufe des 7. Jahrhunderts gesteigert und wenn man aus den bisweilen zufälligen Funden schließen darf - ihr Export erweitert. Gefäße aus der Zeit der Wende vom 8. zum 7.Jahrhundert wurden lediglich in der Nähe Attikas, hauptsächlich auf der Insel Ägina und in Böotien, gefunden, während die sogenannte mittlere protoattische Keramik, deren Blüte­ zeit um die Mitte des 7. Jahrhunderts zu datieren ist, auch im Nordwesten der Peloponnes und die Vasen aus der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts sogar in noch entfernteren Gebieten - wenn auch nur vereinzelt - gefunden wurden. Im letzten Viertel des 7. Jahrhunderts hat sich anstelle der protoattischen Keramik der sogenannte schwarzfigurige Stil entwickelt, dessen zahlreiche Erzeugnisse zu den besten Leistungen der attischen Töpferkunst und Vasenmale­ rei gehören. Während des 6. Jahrhunderts haben die attischen schwarzfigurigen Vasen die bisher dominierende Keramik aus Korinth sowie aus einigen Städten an der Westküste Kleinasiens und von den ägäischen Inseln allmählich übertroffen. Bereits gegen Ende des 7. Jahrhunderts gelangten einige schwarzfigurige Gefäße im Osten bis zum griechischen Handelsplatz (έμπόριον) Naukratis im Nildelta und im Westen bis nach Etrurien und in das Gebiet von Massalia (heute Marseille). Vielleicht hat man schon zu dieser Zeit mit dem Export des atheni­ schen Olivenöls begonnen. Im 7. Jahrhundert waren die Handelsbeziehungen Athens zu anderen griechi­ schen Gemeinden ziemlich schwach entwickelt. Im Vordergrund des ägäischen Handels standen die kleinasiatischen Poleis, vor allem Milet und Ephesos, und auf dem griechischen Festland waren es Korinth und Megara. Die Athener beteiligten sich nicht an der griechischen Kolonisation Süditaliens, Siziliens und des Schwarzmeergebietes. In Attika gab es nur einen einzigen Hafen, Prasiai, der an der wenig gegliederten und von Athen weit entfernten östlichen Küste lag. Den Athenern stand der Kampf um den Zugang zum Ägäischen Meer noch bevor.

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Kylon und Drakon

Drakon hat seine Gesetze nicht mit Tinte, sondern mit Blut geschrieben, (Der athenische Redner Demades bei Plut., Solon 17,3j Während des 7. Jahrhunderts wurde in einigen wirtschaftlich entwickelten grie,. chischen Gemeinden die Vorherrschaft der Aristokraten durch die unbegrenzt^ Einzelherrschaft ersetzt, die die Griechen als Tyrannis bezeichneten. In Mile^ gelangte gegen Ende des 7. Jahrhunderts der Tyrann Thrasybulos an die Macht, it) Korinth herrschte wahrscheinlich bereits seit den fünfziger Jahren des 7. Jahrhun-. derts der Tyrann Kypselos, und auch in zwei weiteren, Korinth benachbarter» Poleis, in Sikyon und in Megara, herrschten in der zweiten Hälfte des 7. JahrhurK derts Tyrannen. Aristoteles sagt in seiner »Politik« (8,1305a 21-3), Theagenes sei in Megara an die Macht gelangt, »nachdem er die am Fluß weidenden Herden der Reichen abgeschlachtet hatte«. Mit der Tochter dieses megarischen Tyrannen verheiratete sich ein reicher athenischer Aristokrat und Olympionike namens Kylon. Er versuchte, seinen Schwiegervater nachzuahmen und beabsichtigte, die Tyrannis in Athen zu errich' ten. Nach dem Bericht des Thukydides (1,126,3-7) wagte er diese Tat auf Grund eines Orakelspruchs, den er im Heiligtum des Apollon in Delphi erhalten hatte. »Da er das Orakel in Delphi befragte, lautete der Wahrspruch des Gottes, am Hochfest des Zeus solle er die Akropolis von Athen besetzen. Nun bot er seine Freunde auf und Verstärkungen von Theagenes, und als die Olympien im Peloponnes gekommen waren, besetzte er die Burg, um sich zum Tyrannen aufzuwerfen, und meinte, dies sei das größte Zeusfest und passe zu ihm, dem Olympiensieger. [...] Als es aber die Athener merkten, rückten sie mit dem ganzen Aufgebot von den Dörfern her gegen sie an und legten sich um die Burg, sie einzuschließen.« Kylon und seinem Bruder gelang es zu entkommen, viele starben an Hunger, und der Rest suchte beim Altar der Athena Zuflucht. Trotzdem wurden zuletzt alle Verschwörer niedergemacht. Das Verdienst um die Unterdrückung des Aufstandes fiel den Archonten zu, an deren Spitze damals Megakies, Sohn des Alkmeon, stand. Später hat man ihn jedoch der Verletzung des Asylrechts beschuldigt, und das ganze Geschlecht der Alkme'oniden wurde als »verflucht und frevelhaft« betrachtet. Von der Schuld des Megakies bei der Unterdrückung der Verschwörung 30

Kylons berichtet auch - allerdings etwas anders - Plutarch in der Biographie Solons (12,1-2), und eine kurzgefaßte Schilderung der Ereignisse finden wir bereits bei Herodot (5,71). Die Darstellung des Thukydides weicht in einigen Punkten von derjenigen Herodots ab, ja, es scheint sogar, daß er indirekt gegen Herodot polemisiert. Herodot erwähnt nicht, daß Kylon und dessen Bruder entkommen konnten. Nach seinem Bericht gelang es den Verschwörern nicht, die Akropolis zu erobern, und sie suchten sofort beim Standbild der Athena Schutz. Besonders interessant ist jedoch seine Behauptung, daß die Alkmeoniden mit der Hinrichtung der Anhänger Kylons das diesen durch »die Prytanen der Naukrarien« gegebene Versprechen verletzt haben sollen. Von der Existenz der Naukrarien im archaischen Attika erfahren wir auch etwas im »Staat der Athener«. Es heißt dort (8,3), daß jede der vier ionischen Phylen in drei Trittyen (Drittel) und zwölf Naukrarien aufgeteilt war. Die Vorsteher der Naukrarien, die dort als Naukraroi (ναΰκραροι) bezeichnet wer­ den, sollen sich mit »Einnahmen und Ausgaben« befaßt haben. In diesem Zusammenhang finden wir auch den Hinweis auf die Gesetze Solons, in denen diese Pflichten der Naukraroi erwähnt gewesen seien (F 79 Ruschenbusch). Wenn es auch in der älteren Fachliteratur einige Versuche gab, diese Ausdrücke (ναυκραρίαι, ναύκραροι) etymologisch auf andere Weise zu erklären, kann dennoch kaum daran gezweifelt werden, daß die Naukrarien zur Aufstellung von Schiffen (ναυς - Schiff) dienten. Bei Iulius Pollux (Polydeukes), dem griechischen Grammatiker und Rhetor des 2. Jahrhunderts n. Chr., lesen wir (8,108), daß »jede Naukrarie zwei Reiter und ein Schiff stellte, nach dem sie wohl benannt wurde«. Einige Forscher haben Zweifel daran geäußert, daß die Naukrarien bereits im 7. Jahrhundert bestanden haben. Es wurde sowohl darauf hingewiesen, daß die Einteilung in Naukrarien kaum mit der Gentilordnung in Einklang zu bringen sei, als auch behauptet, daß die Schiffahrt im damaligen Athen noch nicht genügend entwickelt gewesen sei. Dazu kann jedoch bemerkt werden, daß Abbildungen von Schiffen bereits auf den attischen geometrischen Vasen Vorkommen. Im Unterschied zu einigen anderen griechischen Poleis, die in hohem Maß an der Kolonisation beteiligt waren, verfügten die Athener zu dieser Zeit zwar über keine Handelsflotte, brauchten jedoch bestimmt eine Anzahl Schiffe, um die Küste Attikas vor einem unerwarteten feindlichen Angriff zu schützen. Ohne Flotte wären sie ja auch nicht imstande gewesen, den erfolgreichen Kampf um die Insel Salamis an der Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert zu führen. Die Existenz der Naukrarien als lokale Bezirke innerhalb der Phylen zeigt, daß die Gentilordnung zu dieser Zeit an Bedeutung zu verlieren begann. Die Vermutung, daß sich der Versuch Kylons um die Alleinherrschaft in Athen

erst im 6. Jahrhundert ereignet habe und daß der Archon Megakies, Sohn des Alkmeon, mit dem gleichnamigen Zeitgenossen und Rivalen des Peisistratos identisch gewesen sei, ist wenig glaubhaft. Es stimmt zwar, daß Herodot art, Ende seiner Schilderung der Ereignisse bemerkt, daß »dies bereits vor der Zeit des Peisistratos geschah«. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß er di^ Verschwörung des Kylon unmittelbar vor der Tyrannis des Peisistratos ansetzte. Ist nicht eher anzunehmen, daß er lediglich betonen wollte, daß der erfolglos^ Versuch Kylons in der früheren athenischen Geschichte, noch vor der Epoche de^· verwirklichten Alleinherrschaft des Peisistratos, stattfand? In der erst an der Wende vom 3. zum 4.Jahrhundert entstandenen, dabej jedoch viele ziemlich verläßliche Angaben enthaltenden Weltchronik des Euse\ bios von Kaisareia (1,198 Schoene) wird der Sieg Kylons auf die 35. Olympische^ Spiele, d. h. in das Jahr 640 v. Chr., datiert. Kylons Versuch, in Athen die Macht an sich zu reißen, fällt demnach wahrscheinlich in die dreißiger Jahre de.^ 7.Jahrhunderts. Wenn man die Behauptung des Thukydides akzeptiert, daß der Aufstand zur Zeit der Olympischen Spiele ausgebrochen sei, so kann man das Jahr 636 oder 632 annehmen. Der Versuch Kylons, die Tyrannis zu errichten, endete also mit einem Fehl' schlag. Eine gewisse Rolle spielte bei seinen Gegnern vielleicht auch die Furcht vor Theagenes, dem Tyrannen von Megara, der auf diese Weise seinen Einfluß auf das benachbarte Athen hätte ausbreiten können. Fest steht jedoch, daß Kylon im damaligen Attika keine genügende Unterstützung für seinen Plan gefunden hat. Die Aristokraten waren offenbar noch stark genug, um die drohende Gefahr abzuwenden. Die Art und Weise, wie die Verschwörung unterdrückt worden war, hatte Konsequenzen für die weitere Entwicklung der athenischen Polis. Die Verwand­ ten der getöteten Anhänger Kylons verlangten die Bestrafung der Alkmeoniden, und die herrschenden Grundsätze der Blutrache führten möglicherweise zu weiteren Gewalttaten. Durch die Fehde zwischen den Geschlechtern wurden die sozialen Spannungen im damaligen Attika noch weiter vertieft. Es war dringend nötig, die erregte Stimmung zu dämpfen. In dieser Lage hat man Drakon beauftragt, das bestehende Gewohnheitsrecht zu kodifizieren. Die spätere griechische Tradition war sich darin einig, daß die Gesetze Drakons außerordentlich streng waren. Dies führte zu der sprichwörtlich gewordenen Äußerung von der »drakonischen« (richtiger »drakontischen«) Strenge. Aristote­ les bemerkt in der »Politik« (1274b 16-18), daß »in diesen Gesetzen nichts besonderes ist, was erwähnenswert wäre, außer der Härte in der Höhe der Strafen«, und in der »Rhetorik« (1400b 21 f.) erwähnt er unter den Wortspielen des berühmten Gymnastikers und Diätetikers Herodikos (aus dem 5.Jahrhun32

dert), die Gesetze Drakons seien »keine Gesetze eines Menschen, sondern eines Drachen [δράκων - Schlange, Drache], da sie so hart sind«. Schließlich soll auch auf die bereits oben zitierte Charakteristik des Redners Demades (bei Plutarch) hingewiesen werden. Über die Wirkung Drakons sowie über den Inhalt seiner Gesetzgebung stehen uns jedoch nur wenige konkrete Informationen zur Verfügung. Die in der aristotelischen »Rhetorik« erwähnte Angabe führte in der Forschung sogar zur Behauptung, Drakon sei nicht für eine reale, historische Persönlichkeit der athenischen Geschichte zu halten und die mit seinem Namen verbundenen Gesetze seien bereits zu Beginn des 7. Jahrhunderts oder vielleicht noch früher entstanden. Seine Gesetze sollen »Satzungen des Schlangengottes, den die Athe­ ner als Begründer ihres Staates ansahen« (K.J. Beloch, Griechische Geschichte I 22, 261), gewesen sein. Diese Hypothese hat man jedoch mit Recht zurückgewie­ sen. In der antiken Überlieferung wurde Drakon in die Solon vorangehende Zeit gesetzt. Wenn auch die erhaltenen Angaben nicht ganz übereinstimmen, ist kaum daran zu zweifeln, daß Drakons gesetzgeberische Tätigkeit in die 39. Olympiade (624-621), vielleicht in ihr letztes Jahr (621/0), fiel. Nachdem im Jahre 1890 fast der ganze Text des aristotelischen »Staates der Athener« in Ägypten auf Papyrus gefunden worden war, begann eine eifrige Diskussion über die gesetzgeberische Tätigkeit Drakons. Im 4. Kapitel dieser Schrift werden nämlich nicht nur Gesetze Drakons erwähnt, sondern auch dessen Verfassung beschrieben, in der neben einigen Elementen der späteren Verfassung Solons auch evident anachronistische Angaben zu finden sind. Gründlichere Analysen führten zu berechtigten Zweifeln an der Authentizität dieses Belegs, der von keiner anderen antiken Quelle gestützt wird. Seltsam ist auch, daß an einer anderen Stelle des Textes (41,2), wo alle Verfassungsumwälzungen seit der Zeit der mythischen Herrscher Ion und Theseus bis zur Wiederherstellung der Demokratie nach dem Sturz der oligarchischen Regierung, die nach der Nieder­ lage Athens im Peloponnesischen Kriege kurz an der Macht war, aufgezählt werden, Drakon kein verfassungsmäßiger Eingriff zugeschrieben, sondern ledig­ lich festgestellt wird, daß zu jener Zeit »zum erstenmal die Gesetze aufgeschrie­ ben wurden«. Übrigens bemerkt Aristoteles in der »Politik« ausdrücklich (1274b 15 f.), daß »von Drakon zwar Gesetze stammen, dieser jedoch die Gesetze innerhalb der bestehenden Verfassung gab«. Schließlich wird im »Staat der Athener« die Tätigkeit Solons ganz eindeutig so geschildert, daß erst zu seiner Zeit die Vorherrschaft der athenischen Eupatriden eingeschränkt wurde, und die im 4. Kapitel als von Drakon stammend bezeichneten Verfassungsänderungen werden dort überhaupt nicht berücksichtigt. In einigen Angaben dieser »drakontischen Verfassung« spiegeln sich offenbar 33

Erfahrungen aus der Entwicklung der athenischen Polis während der klassischen Periode der griechischen Geschichte wider. Man findet da vor allem Analogien Zu den verfassungsmäßigen Einrichtungen aus dem Jahre 411 v. Chr., als in Athen zeitweilig konservative Politiker an die Macht gelangt waren. Darauf wurde zwar schon in der erwähnten, unmittelbar nach dem Auffinden des aristotelischen »Staates der Athener« entstandenen Diskussion hingewiesen, und die nachfolgen­ den Untersuchungen haben diese Meinung noch bekräftigt. Trotzdem tauchen auch in der neueren Forschung - wenn auch vereinzelt - Versuche auf, die Angaben des 4. Kapitels des »Staates der Athener« als authentisch zu betrachten. Es ist jedoch nicht daran zu zweifeln, daß die »drakontische Verfassung« eine spätere Erfindung ist. Sie ist wahrscheinlich gegen Ende des 5. Jahrhunderts (oder erst im 4.Jahrhundert) in Kreisen der athenischen konservativen Politiker ent­ standen, die auf diese Weise nachweisen wollten, daß das antidemokratische, unter der Losung der Wiederherstellung »der von den Vätern herrührenden Verfassung« (πάτριος πολιτεία) geführte politische Programm mit der altertüm­ lichen »drakontischen Verfassung« übereinstimmte. Wenn man es also ablehnt, Drakon irgendwelche konstitutionellen Einrichtun­ gen zuzuschreiben, so bleibt doch die Frage nach Umfang und Charakter seiner Gesetzgebung bestehen. Eine bestimmte Antwort kann auf Grund der zur Verfügung stehenden Angaben kaum gegeben werden. Es scheint jedoch, daß die Gesetze Drakons schwere Vergehen, vorwiegend Straftaten, die den Tod zur Folge hatten, betrafen. Die Satzungen Drakons, die sich mit dem Totschlag befaßten, wurden in die Solonische Gesetzgebung aufgenommen. Drakon unter­ schied als erster beim Tatbestand des Totschlages zwischen vorsätzlicher und nicht vorsätzlicher Tat. Der Mord blieb auch weiterhin Objekt der Verhandlung zwischen den Verwandten des Opfers und den Familienangehörigen des Täters. Derjenige, der eine nicht vorsätzliche Tötung verursacht hatte, wurde jedoch durch die Satzungen Drakons geschützt, und zwar entweder indirekt, indem er sich in die Fremde begeben konnte, oder direkt, indem die Flinterbliebenen an der Verfolgung des Täters gehindert wurden. Die Entscheidung, ob ein Totschlag als Mord oder als nicht vorsätzliche Tötung gewertet werden sollte, hat man dem Gerichtshöfe der Ephetai (έφέται) anvertraut, die nach der Angabe des Iulius Pollux (8,125) »nach der Vornehmheit« (έριστίνδην), also offenbar von den Eupatriden, gewählt wurden. Auf diese Weise wurde die nicht vorsätzliche Tötung, die in der bisherigen Praxis auch die Blutrache auslösen konnte, durch gesetzliche Bestimmungen geregelt. Die in der antiken Überlieferung vorherrschende Meinung, daß die Gesetze Drakons außerordentlich hart gewesen seien, ist insofern berechtigt, als manche Delikte, wie zum Beispiel Diebstahl und Ehebruch, auch weiterhin dem 34

Gewohnheitsrecht unterstellt blieben, das sich auf keine staatliche, d. h. gesetzli­ che Autorität stützte, sondern auf Selbsthilfe, also auf die private Verfolgung des Täters. Die Strafen, die da verhängt wurden, mußten später - vor allem im Licht der Rechtsordnung der klassischen Zeit —als sehr streng erscheinen. Trotzdem ist die Gesetzgebung Drakons als ein bedeutender Schritt auf dem Wege vom Gewohnheitsrecht zu einem festen Kodex der gesetzlichen Normen sowie von der Gentilordnung zur Staatsordnung zu bewerten.

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Vor dem Archontat

Ziehn wir nach Salamis hin und kämpfen um die geliebte Insel, zu tilgen die Schmach, die uns entehrt und bedruckt! (Solon 2 ,7 -8 Gentili-Prato) Durch die Gesetzgebung Drakons, die in einer komplizierten sozialen und politischen Lage innerhalb der athenischen Gemeinde stattfand, traten einige Veränderungen in den bisherigen Gebräuchen und Vorstellungen ein. Wenn auch diese Veränderungen nicht sehr weitreichend waren, kann man sie doch als Impulse zur weiteren Entwicklung der damaligen Gesellschaft bewerten. In diese Zeit, auf das Ende der zwanziger Jahre des 7. Jahrhunderts, fällt höchstwahrscheinlich das Jünglingsalter Solons. Die Angaben über sein Leben sind ziemlich dürftig, und ihre chronologische Bestimmung ist recht schwierig. Laut der antiken Überlieferung soll Solon die Entstehung der Tyrannis des Peisistratos, also das Jahr 561/60 (eher als 560/59) erlebt haben. Diogenes Laertios (1,51-2; vgl. Solon 15 Gentili-Prato) verweist dabei auf die Verse Solons, in denen unter anderem »die schlimme Sklaverei« erwähnt wird, in die die Athener geraten seien. Phainias von Eresos auf der Insel Lesbos, Schüler des Aristoteles und einer der Vertreter der ethisierenden Geschichtsschreibung der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, behauptet (bei Plut. Solon 32,3), daß Solon ein Jahr nach der Usurpation des Peisistratos, unter dem Archon Hegestratos, gestorben sei. Diese Nachricht wurde vielleicht der Liste der athenischen Archonten entnommen. Jedenfalls erhöht der Name des offenbar im Jahre 560/59 amtierenden Archons ihre Glaubwürdigkeit. Einige Forscher schenken auch dem Bericht des Diogenes Laertios (1,62) ihr Vertrauen, Solon sei »im Alter von 80 Jahren gestorben«, und datieren also seine Geburt in das Jahr 640/39. Die dort angeführten Umstände seines Ablebens (auf Kypros) sowie Einzelheiten über sein Begräbnis (seine Gebeine sollen nach Salamis gebracht, und nach der Einäscherung soll die Asche über die Flur verstreut worden sein) hat man bereits in der Antike für verdächtig gehalten. Plutarch (Solon 32,4) bezeichnet die Überlieferung von der Ausstreuung der Asche Solons über Salamis als »völlig unglaubwürdig und sagenhaft«. Es ist auch gut bekannt, daß Solon in seinem dem Dichter Mimnermos von Kolophon gewidmeten Gedicht (Solon 26 Gentili-Prato) den Wunsch äußert, das achtzigste 36

Lebensjahr zu erreichen. Die bei Diogenes Laertios erhaltene Tradition entstand höchstwahrscheinlich auf Grund dieser Verse, die übrigens gerade bei diesem Autor (1,61) erscheinen. Trotzdem wird in der Forschung gewöhnlich vorausge­ setzt, daß Solon zu Beginn der dreißiger Jahre des 7. Jahrhunderts geboren wurde. Bei Plutarch (Solon 1,1) lesen wir, daß Solon in der antiken Überlieferung fast einmütig - mit einer Ausnahme, die Plutarch entschieden zurückweist - als Sohn des Exekestides bezeichnet wurde. Die Familie soll ihre Abstammung von dem mythischen Kodros, dem letzten athenischen König, hergeleitet haben. Aus diesem Geschlecht stammte Kritias, der schon erwähnte konservative athenische Politiker aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts, und mütterlicherseits auch Platon. Auch die Mutter Solons stammte aus einem aristokratischen Geschlecht. Laut dem Bericht von Platons Schüler Herakleides Pontikos (bei Plut. Solon 1,3) war sie eine Kusine der Mutter des späteren athenischen Tyrannen Peisistratos. Die Verwandtschaft der beiden Männer wird des öfteren erwähnt, und später entstand sogar eine Version vom angeblichen Liebesverhältnis zwischen Solon und dem viel jüngeren Peisistratos. Wenig glaubwürdig ist auch die Angabe des hellenistischen Grammatikers Hermippos von Smyrna (bei Plut. Solon 2,1), in der es heißt, daß Solons Vater »durch irgendwelche Freigiebigkeit und Wohltaten sein Vermögen vermindert hatte«, so daß »sich der noch junge Solon dem Handel widmete«. Diese Version entstand wohl lediglich auf Grund der Einstellung Solons zu den privilegierten Eupatridcn während seines Archöntats. Vielleicht haben dazu auch Berichte über seine Reisen beigetragen. Der Umfang dieser Reisen und ihr Zeitpunkt kann auf Grund der zur Verfü­ gung stehenden Angaben kaum mit Sicherheit bestimmt werden. Plutarch (Solon 2,1-2) erwähnt die angeblich vor dem Archontat unternommenen Reisen Solons nur ganz allgemein, und die konkreten Besuche einzelner Stätten datiert er erst in die Zeit nach der Beendigung der politischen Tätigkeit Solons in Athen. Andere antike Autoren berichten über Solons Reisen entweder ohne chronologische Angaben oder mit der Behauptung, daß sie der bereits berühmte athenische Staatsmann erst im vorgerückten Alter unternommen habe. Eine Ausnahme bildet der Bericht Diodors (1,77,5 = F 78b Ruschenbusch), des griechischen Historikers aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., nach dem Solon während seines Aufenthalts in Ägypten ein Gesetz kennenlernte, das er dann in Athen einführte. Auf Grund dieser Angabe wurde in der Forschung die Meinung vertreten, Solon habe Ägypten noch vor seinem Archontat besucht. Es ist jedoch evident, daß Diodor an dieser Stelle an die bereits bei Herodot (2,177 = F 78a Ruschenbusch) vorhandene Überlieferung anknüpft. Herodot behauptet jedoch nicht, daß Solon, bevor er zum Archon gewählt wurde, Ägypten besucht habe, 37

sondern nur, daß er »dieses Gesetz aus Ägypten übernommen und den Athenern gegeben« habe. Plutarch (Solon 26,1) sagt ausdrücklich, daß Solon erst nach seinem Archontat nach Ägypten reiste, und in diesem Zusammenhang zitiert er einen Vers (Solon 10 Gentili-Prato) aus einem sonst nicht erhaltenen Gedicht Solons. Der athenische Politiker und Dichter erwähnt dort den O rt »an der M ündung des Nils unweit der kanobischen Küste«, wo er während seines Aufenthalts in Ägypten verweilt habe. In einem anderen Gedicht (Solon 11 Gentili-Prato) berichtet Solon von seinem Besuch der Insel Kypros. Auch diese Reise setzt Plutarch (Solon 26,3) erst in die Zeit nach dem Archontat Solons. Wenn es auch möglich ist, daß Solon bereits in seinen Jugendjahren einige Reisen unternommen hat, so stehen uns dafür jedoch keine zuverlässigen Angaben zur Verfügung. Solon soll in die Fehde zwischen den athenischen Aristokraten eingegriffen haben, deren Anfang in der Zeit der Verschwörung Kylons und ihrer Unterdrükkung zu suchen ist. Bei Plutarch (Solon 12,3-4) lesen wir, daß Solon »die sogenannten Verfluchten durch Bitten und Zureden dazu bewog, sich dem Gericht von dreihundert nach Vornehmheit ausgewählten Richtern zu unterstel­ len«. Nach dem Ende des Verfahrens sollten alle Alkmeoniden in die Verbannung gehen, und sogar »die Leichen der Verstorbenen hat man ausgegraben und über die Grenze geworfen«. Als Ankläger bei diesem Gericht wird ein gewisser Myron bezeichnet. Der Name dieses Mannes steht am Anfang des auf Papyrus gefunde­ nen Textes des aristotelischen »Staates der Athener«. An dieser Stelle wird auch das Urteil der nach Vornehmheit bestimmten Richter, die Ausgrabung der Leichname der Verurteilten sowie die Verbannung des ganzen Geschlechts er­ wähnt. Der »kylonische Frevel« der Alkmeoniden wurde zum Gegenstand politischer Streitigkeiten noch zur Zeit der Tyrannis des Peisistratos und dann wieder gegen Ende des 6.Jahrhunderts, immer, wenn die Vertreter dieses aristokratischen Geschlechts nach führenden Positionen in der athenischen Polis strebten. Einige Forscher vertraten die Ansicht, daß das auf Grund der Anklage Myrons gefällte Urteil erst in die Zeit nach dem Fall der Tyrannis der Peisistratiden zu setzen sei und daß der Spruch gegen den Gründer der demokratischen Verfassung, Kleisthenes, gerichtet gewesen sei. Die zur Unterstützung dieser Hypothese ange­ führten Argumente sind jedoch nicht ausschlaggebend. Das Gerichtsverfahren gegen die Alkmeoniden fand höchstwahrscheinlich gegen Ende des 7. Jahrhun­ derts statt, etwa eine Generation nach dem gescheiterten Versuch Kylons, die Tyrannis in Athen zu errichten. Ob an diesen Geschehnissen auch Solon beteiligt war, ist - trotz der erwähnten Behauptung Plutarchs - nicht mit Sicherheit zu entscheiden. 38

Der erhaltene Bericht im »Staat der Athener« (1) schließt mit der Bemerkung, daß »aus diesem Anlaß Epimenides von Kreta die Stadt entsühnte«. Eine ausführ­ lichere Darlegung finden wir bei Plutarch (Solon 12,5 ff.). Nach der Verurteilung der Alkmeoniden sollen die Athener im Krieg gegen Megara um die Insel Salamis eine Niederlage erlitten und in der nachfolgenden Verwirrung Epimenides aus Kreta herbeigerufen haben, »der von einigen statt des Periandros unter die Sieben Weisen gerechnet wird«. Er soll prophetische und mystische Kenntnisse gehabt und daher die Stadt bald durch Sühnopfer gereinigt haben. Plutarch macht ihn zum Freunde Solons und behauptet sogar, Epimenides habe Solon »den Weg zur Gesetzgebung gebaut«. Noch deutlicher tritt der legendäre Charakter dieser Überlieferung in der Schilderung des Lebens und Wirkens des Epimenides bei Diogenes Laertios (1,109-115) hervor. Man findet dort nicht nur mehrere Titel der angeblich von Epimenides verfaßten poetischen und prosaischen Werke, sondern auch verschie­ dene schon auf den ersten Blick unglaubwürdige Einzelheiten über sein Leben und Wirken. Er soll im Alter von mehr als 150 Jahren oder sogar »nach Meinung der Kreter von zweihundertneunundneunzig Jahren« (!) gestorben sein. Diogenes befaßt sich mit der Tätigkeit des Epimenides in Athen. Er sei auf Grund eines Spruchs der Pythia nach Athen gelangt und habe die Stadt durch Sühnopfer gereinigt, wobei nach einem Bericht eine Anzahl weißer und schwarzer Schafe, nach einem anderen jedoch zwei athenische Jünglinge geopfert worden seien. Diogenes gibt auch die Zeit des Aufenthalts des Epimenides in Athen an, und zwar die 46. Olympiade, d. h. die Jahre 596 bis 593. In dieselbe Zeit fällt freilich auch das Archontat Solons. Eine ähnliche Angabe enthält die Weltchronik des Eusebios (Chron. 2,92 Schoene), während in dem großen byzantinischen Lexi­ kon aus dem 10.Jahrhundert, der sogenannten Suda (s.v. Έ πιμηνίδης), die Entsühnung Athens in die 44. Olympiade, d. h. in die letzten Jahre des /.Jahr­ hunderts, gesetzt wird. Eine überraschende Angabe lesen wir in den »Gesetzen« Platons (1,642 D). Danach soll Epimenides erst zehn Jahre vor den Perserkriegen, also um 500 V. Chr., nach Athen gekommen sein. Auch hier wird sein Aufenthalt mit einer »Weissagung des Gottes« verbunden. Diese Version trug wahrscheinlich zur Vermutung bei, daß Epimenides außerordentlich alt geworden sei. Sie führte auch zur Entstehung der erwähnten Meinung, daß das Urteil Myrons erst in diese Zeit zu datieren sei. Kein Wunder, daß auf Grund der ganzen Überlieferung einige Forscher die reale Existenz des kretischen Weisen und Weissagers in Zweifel zogen. Wenn wir auch zugeben, daß er vielleicht doch um die Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert gelebt haben könnte, so sind wir jedoch nicht imstande, in der erhaltenen Überlieferung die Wirklichkeit von der Legende zu unterscheiden. 39

Wie schon bemerkt, setzt Plutarch die mit Epimenides verbundenen Ereignisse in die Zeit, in der die Athener den Krieg mit den Megarern führten. £u Feindseligkeiten zwischen den beiden Poleis kam es ohne Zweifel im Zusammen­ hang mit dem Versuch Kylons, die Alleinherrschaft in Athen zu erringen. D»e Megarer übertrafen ihre nördlichen Nachbarn vor allem in der kolonisatorische^ Tätigkeit bei weitem. Bereits in der zweiten Elälfte des 8. Jahrhunderts haben $ie an der Ostküste Siziliens die gleichnamige Apoikie gegründet, deren Einwohner im Unterschied zu den Bürgern ihrer Metropolis als Megareis Hyblaioi (MeycL. ρεΐς Ύβλαϊοι) bezeichnet wurden. Später lenkten sie ihre Aufmerksamkeit a^f die Sunde zwischen dem Ägäischen und dem Schwarzen Meer und gründete^ dort vier Kolonien. Der Weg zur Schwarzmeerküste, wo allmählich viele griechi­ sche Siedlungen entstanden, die bald einen regen Verkehr mit dem skythischeh Hinterland aufnahmen, war für die Griechen von außerordentlicher Wichtigkeit, Mit der Gründung Kalchedons (Chalkedons) an der östlichen Küste des Bosporus und vor allem Byzantions an dessen westlicher, europäischer Küste, der Stadt, die seitdem die Einfahrt aus der Propontis (dem heutigen Marmarameer) in dep Bosporus bewachte und ihre strategische Bedeutung auch während der späteren Epochen - als Konstantinopolis und Istanbul - stets bewahrte, verfolgten diQ Bürger von Megara bestimmt auch ihre Handelsinteressen. Den Zugang zum Ägäischen Meer ermöglichte den Megarern ihr Hafen Nisaia, der in unmittelbarer Nähe von Salamis lag. Diese Insel, von der aus der ganze Saronische Meerbusen leicht zu beherrschen war, wurde zu einem wichtigen Stützpunkt für die megarischen Seeleute. Bald waren sich jedoch auch die Athener der außerordentlichen Bedeutung von Salamis bewußt, da der an der Ostküste Attikas liegende Hafen Prasiai zur Entfaltung ihrer Handelsbeziehun­ gen in der Ägäis nicht viel taugte. Die südliche Meeresküste, die sich in Sichtweite von der athenischen Akropolis erstreckte, war dagegen für die Gründung eines Hafens sehr gut geeignet. Von dort aus war freilich Salamis etwa so weit entfernt wie von Nisaia. Außerdem befand sich der Hafen von Salamis an der östlichen Küste der Insel, von wo aus gerade der O rt, an dem später der Hafen Peiraieus entstand, leicht zu erreichen war. Der Streit um Salamis wurde unvermeidlich. Obwohl uns nicht bekannt ist, wann und unter welchen Umständen es zum Ausbruch des Krieges zwischen den beiden Poleis kam, ist der Konflikt gewiß in Verbindung mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Athens zu bringen. In der Forschung wurde sogar die Meinung vertreten, daß sich diejenigen Athener, die den traditionellen Getreidebau beibehalten wollten, um ein freundschaftliches Verhältnis mit den Megarern bemüht hätten, während die Grundbesitzer, die Weinberge und Olivenhaine anlegten, sowie die Kaufleute den Kampf um Salamis betrieben hätten. Dies sind jedoch nur Vermutungen. 40

Laut der späteren Tradition, die wir bei Plutarch (Solon 8,1-3) vorfinden, war der Krieg um Salamis »lang und mühsam«, und die Athener »haben ein Gesetz gemacht, daß niemand bei Todesstrafe weder schriftlich noch mündlich die Eroberung von Salamis beantragen dürfe«. Durch diese Darlegung bezweckte Plutarch, Solons Verdienste um Athen noch mehr hervorzuheben. Solon wollte angeblich die Kämpfe mit Megara um die strittige Insel wiederaufnehmen, und um der Drohung des erwähnten Gesetzes zu entkommen, »gab er Sinnesverwir­ rung vor« und ließ die Nachricht von seiner Verrücktheit in der Stadt verbreiten. Inzwischen »verfaßte er heimlich ein elegisches Gedicht, lernte es auswendig und erschien plötzlich mit einem kleinen H ut bedeckt auf der Agora«. Nachdem sich viele Leute versammelt hatten, »trat er auf den Stein des Herolds« und begann sein Gedicht über die Insel Salamis - das aus hundert Versen bestand - vorzutra­ gen. Sein Auftreten war so erfolgreich, daß die Athener das bestehende Gesetz aufhoben und den Krieg gegen Megara unter Solons Leitung Wiederaufnahmen. Plutarchs Erzählung kann bestimmt nicht als eine authentische Schilderung des Kriegsausbruchs betrachtet werden. Wie in der Forschung bereits erkannt wurde, ist die Tradition von dem vorgetäuschten Irrsinn Solons wahrscheinlich auf Grund der einleitenden Verse eines seiner Gedichte (29a,1 und besonders 4 Gentili-Prato) entstanden, wo er sich selbst - durch die angebliche Aussage eines Kritikers seiner politischen Tätigkeit - als einen Mann, der »nicht wohlbedacht« sei und dem es »am Verstand fehlt«, bezeichnet. Ein ähnlicher Ton erklingt in einem anderen Solonischen Gedicht (14,1 Gentili-Prato), in dem er seine Mitbür­ ger vor der Gefahr der drohenden Tyrannis warnt und dabei ironisch seinen »Wahnsinn« (μανίη) erwähnt, den ihm die Athener einst vorgehalten hätten. Es ist nicht bekannt, wann sich die bei Plutarch erhaltene Überlieferung herausgebildet hat. Sie muß jedoch spätestens um die Mitte des 4. Jahrhunderts in Athen gut bekannt gewesen sein. Der berühmte Politiker Demosthenes berichtet nämlich in seiner Rede »Über die Truggesandtschaft« (19) nicht nur über die Initiative Solons bei der Eroberung von Salamis (252), sondern erwähnt in diesem Zusammenhang auch »den kleinen H ut auf dem Kopf« (255) - offensichtlich in Anspielung auf Solons Auftreten auf der athenischen Agora. Auch in der pseudodemosthenischen Schrift Erotikos (61,49) werden die Verdienste Solons um »die Wiedergewinnung von Salamis« hervorgehoben. Dagegen verbindet Herodot (1,59) den Krieg zwischen Athen und Megara eindeutig mit dem späteren Tyrannen Peisistratos; der »hatte sich aber schon vorher einen Namen gemacht als Führer im Feldzug gegen die Megarer, wo er Nisaia genommen hatte und andere große Taten getan«. In der antiken Tradition überwog dann die Meinung, daß an dem Krieg mit Megara sowohl Solon als auch Peisistratos Anteil gehabt hätten. Wir lesen an 41

einer Stelle des aristotelischen »Staates der Athener« (14,1), daß »Peisistratos [...] im Krieg gegen Megara zu Ansehen gekommen war«, an anderer Stelle (17,2) wird jedoch die Annahme, »Peisistratos sei der Geliebte Solons gewesen und habe im Krieg gegen die Megarer um Salamis den Kampf geleitet«, als »leeres Geschwätz« bezeichnet. Eine solche Behauptung sei »nämlich aus zeitlichen Gründen unmöglich, wenn man die Lebenszeit und das Todesjahr der beiden Männer erwägt«. Trotz dieser scharfen Ablehnung hat sich jedoch die Version von der gemeinsamen Teilnahme Solons und des Peisistratos an dem Krieg gegen Megara erhalten. Plutarch behauptet (Solon 8,3), daß nach dem Auftreten Solons auf der athenischen Agora, wo er das Gedicht über Salamis vorgetragen hatte, »besonders Peisistratos die Bürger ermahnte und ermunterte, dem Redner zu folgen, das Gesetz aufzuheben und den Krieg gleich unter Solons Führung aufzunehmen«. Wie Plutarch beim Vergleich der Biographien Solons und Publicolas (4,1) bemerkt, wollte dagegen Daimachos von Plataiai, der hellenistische Geschichtsschreiber des 3.Jahrhunderts v.C hr., »nicht einmal die kriegerische Unternehmung gegen die Megarer dem Solon« zuschreiben. Auch in der Fachliteratur wurden verschiedene Hypothesen über den Ablauf und die Datierung des Krieges zwischen Athen und Megara geäußert. Da Herodot die Eroberung des megarischen Hafens Nisaia Peisistratos zuschreibt, vertraten einige Forscher die Meinung, daß dieser und nicht Solon mit dem Oberkommando der athenischen Streitkräfte beauftragt gewesen sei. Um den im »Staat der Athener« vorgebrachten Einwand auszuräumen, wurde sogar die Vermutung geäußert, daß der von Herodot erwähnte Peisistratos nicht mit dem späteren athenischen Tyrannen identisch sei. H erodot befaßt sich jedoch in diesem Kapitel gerade mit der Entstehung der athenischen Tyrannis, und es ist auch sonst kein »älterer Peisistratos« bekannt. Nicht überzeugend ist ebenfalls die Meinung, daß der Krieg zwischen Athen und Megara zuerst mit keiner Persön­ lichkeit verbunden gewesen sei und daß erst in der späteren Tradition als Urheber des für die weitere Entwicklung Athens so bedeutenden Sieges entweder Solon oder Peisistratos gefeiert worden sei. Es besteht kein Zweifel daran, daß sich Solon an dem Krieg zwischen den beiden benachbarten Poleis beteiligte. Einen Beweis dafür bringt das erwähnte Solonische Gedicht »Salamis«, von dem insgesamt acht Verse erhalten sind. In dem einleitenden Distichon, das bei Plutarch (Solon 8,2 = Solon 2,1-2 GentiliPrato) im Zusammenhang mit der Schilderung des Auftretens Solons auf der athenischen Agora zitiert wird, stellt sich Solon als Herold vor, der von Salamis gekommen sei, um statt der gewöhnlichen Rede »ein kunstvolles Lied« vorzutra­ gen. Bei Diogenes Laertios finden wir dann sechs weitere Verse (1,47 = Solon 2,3-8 Gentili-Prato), in denen Solon erklärt, er möchte lieber aus Pholegandros 42

oder Sikinos - den winzigen Kykladeninseln - stammen, als ein athenischer Bürger sein, denn jetzt würden ihn die Leute mit Hohn verfolgen als einen Mann aus Athen, der Salamis preisgegeben habe. Er schließt dann mit dem oben angeführten Aufruf zum Kampf um »die geliebte Insel«. Über den Verlauf des Krieges zwischen Athen und Megara gab es mindestens zwei Versionen. Laut einer Erzählung (Plut. Solon 8,4-6) segelte Solon zusam­ men mit Peisistratos »nach dem Vorgebirge Kolias«, das gegenüber der Insel Salamis liegt und wo die attischen Frauen »bei dem hergebrachten Opfer der Demeter« weilten. Dann entsandte er einen Athener nach Salamis, der sich für einen Überläufer ausgab und die dortigen Megarer zur Überrumpelung der athenischen Frauen überredete. Inzwischen veranlaßte Solon die Frauen, sich zu entfernen, und »befahl einigen noch unbärtigen Jünglingen, die Kleider, Kopf­ binden und Schuhe derselben anzulegen, Dolche unter dem Kleide zu verbergen und an der Meeresküste zu spielen und zu tanzen, bis die Feinde gelandet wären und das Schiff besetzt würde«. Dieser Plan wurde auch durchgeführt. Die Megarer wurden niedergemacht, und »die Athener fuhren sogleich nach der Insel und bemächtigten sich derselben«. Nach der zweiten Version (Plut. Solon 9) brachte Solon - laut der Weisung des delphischen Orakels - den salaminischen Heroen Sühnopfer und fuhr dann mit 500 freiwilligen, »denen durch einen Beschluß, wenn sie die Insel eroberten, die Verwaltung derselben überlassen war«, nach Salamis. Es gelang ihm, sich dort eines megarischen Schiffs zu bemächtigen und es neu zu bemannen. »Zu gleicher Zeit brach er mit den übrigen Athenern auf und griff die Megarer zu Lande an. Bevor die Schlacht zu Ende war, nahmen diejenigen, die sich auf dem Schiff befanden, die Stadt ein.« Solon habe dann auf der Insel Salamis einen Tempel des Kriegsgottes Enyalios errichtet, und der Sieg sei auch später gefeiert worden. Vor allem die erste Version war bei den antiken Autoren, die sich mit Feldherrntätigkeiten und Kriegslisten befaßten, sehr beliebt. Lediglich der Rhetor Polyainos verbindet sie jedoch in seinem in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhun­ derts n.C hr. verfaßten Werk »Strategika« (1,20,2) mit Solon. In der ältesten erhaltenen Schrift dieser Art, die von Aineias Taktikos, dem Strategen des Arkadischen Bundes im 4. Jahrhundert v. Chr., stammt (4,8), wird diese Kriegs­ list eindeutig »dem athenischen Feldherrn Peisistratos« zugeordnet, und ihm folgt auch Sextus Iulius Frontinus, der hohe römische Beamte des ausgehenden 1. Jahr­ hunderts n. Chr. (Strategemata 2,9,9), sowie der Epitomator der »Philippischen Geschichte« des Pompeius Trogus, Marcus Iunianus Iustinus (2,8). Die zweite Version finden wir in den »Bunten Geschichten« des griechisch schreibenden Autors Klaudios Ailianos aus Praeneste bei Rom (um 200 n.Chr.), der (7,19) Solon ausdrücklich als den Feldherrn im Krieg mit Megara nennt. 43

In Wirklichkeit war der Ausgang des Krieges nicht so glänzend. Die Megarer, die sich allerdings nach Pausanias (1,40,5) ihre Niederlage durch Verrat erklären mußten, waren nicht bereit, auf Salamis zu verzichten, und der Krieg wurde laut Plutarch (Solon 10,1) erst nach einiger Zeit durch einen Schiedsspruch von fünf spartanischen Richtern, und zwar zugunsten der Athener, beendet. Auch diese Entscheidung hat man in der Überlieferung meistens Solon als Verdienst ange­ rechnet. Viele antike Autoren (Arist. Rhet. 1,1376b; Strab. 9,1,10; Plut. Solon 10,2-3; Diog. Laert. 1,48) behaupten nämlich, Solon habe im sogenannten Schiffskatalog im zweiten Gesang der Ilias einen Vers (558) eingeschoben, so daß die von Aias geführte salaminische Flotte mit dem athenischen Heeresaufgebot gegen Troia in Verbindung gebracht worden sei. Diesen Einschub hat man auch Peisistratos zugeschrieben, und laut der erwähnten Bemerkung des Geographen und Historikers Strabon sollen die Megarer dem athenischen Tyrannen auch andere, ähnliche Eingriffe in den Text vorgeworfen haben. Die Vermutungen von einer peisistratischen Redaktion der homerischen Epen wurden jedoch in der Forschung mit Recht als unbegründet zurückgewiesen. Laut einer anderen Version (bei Plut. Solon 10,4-5) hat Solon den Schieds­ spruch der spartanischen Richter durch ethnographische Argumente beeinflußt, die darin bestanden hätten, daß die Toten auf der Insel Salamis nicht nach megarischer Sitte mit dem Gesicht nach Osten, sondern nach athenischer Sitte mit dem Gesicht nach Westen beerdigt würden. Gegen eine solche »Beweisführung« haben sich die Megarer offensichtlich entschieden gewehrt. So behauptete der megarische Lokalhistoriker Hereas (bei Plut. Solon 10,5), der vermutlich an der Wende des 4. zum 3.Jahrhundert v. Chr. wirkte, daß »auch die Megarer die Toten gegen Westen gekehrt legen und, was noch wichtiger ist, daß jeder Athener ein eigenes Grab bekäme, die Megarer jedoch zu dritt und zu viert in einem Grab lägen«. Schließlich finden wir bei Diogenes Laertios (1,48) Angaben, die das Gegenteil der Behauptung Plutarchs Vorbringen. Solon habe einige Gräber auf der Insel Salamis offenlegen lassen, um zu beweisen, daß »die Leichname in der Richtung zum Osten lagen gemäß der bei den Athenern üblichen Bestattungs­ weise«. Es ist kaum zu entscheiden, ob der Schiedsspruch der Spartaner im Krieg zwischen Athen und Megara tatsächlich stattfand. Die Überlieferung scheint jedoch darauf hinzuweisen, daß der Sieg der Athener keineswegs leicht war. Wie im Zusammenhang mit der vermutlichen Entsühnung Athens durch Epimenides erwähnt wurde, wurden die Athener zu jener Zeit von den Megarern angegriffen. Laut Plutarch (Solon 12,5-6) »verloren sie Nisaia und mußten auch Salamis wieder verlassen«. Sonst bringt er jedoch in der Schilderung des Krieges zwischen 44

den beiden Poleis Solon lediglich mit der Eroberung der Insel Salamis in Verbin­ dung und erwähnt Nisaia mit keinem Wort. Vielleicht entstand seine Behauptung von dem Verlust des megarischen Hafens durch die Athener an dieser Stelle auf Grund einer Kontamination mit der bei Herodot vorhandenen Überlieferung von der Einnahme Nisaias durch Peisistratos, da er den späteren athenischen Tyran­ nen als Solons Mithelfer bei der Eroberung von Salamis betrachtete. Aus der Analyse der Quellenangaben wird deutlich, daß es in der Antike verschiedene Ansichten über den Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen Athen und Megara gab. Die Chronologie des Krieges gehört zu den komplizierte­ sten Fragen der archaischen Geschichte Athens. Die Teilnahme Solons wird durch die erhaltenen Verse seines Gedichtes über die Insel Salamis bezeugt. Es scheint jedoch, daß der Streit erst im zweiten Viertel des 6. Jahrhunderts entschie­ den wurde und daß sich zu dieser Zeit der spätere athenische Tyrann Peisistratos an den Kämpfen beteiligte. Die Megarer waren durch Verlust nicht nur der Insel Salamis, sondern auch ihres Hafens Nisaia im Saronischen Meerbusen schwer getroffen. Solon soll seine Autorität in Athen auch dadurch gestärkt haben, daß er sich an der Verteidigung des Heiligtums in Delphi beteiligte. Die delphischen Priester fühlten sich von den Einwohnern der an der Küste gelegenen Gemeinde Kirrha bedroht, die den Zugang zum Heiligtum vom Meer aus kontrollierten. Laut dem Bericht Strabons (9,3,3) hatten sie durch eine harte Besteuerung der aus Sizilien und Italien kommenden und durch ihr Gebiet wandernden Pilger großen Reich­ tum gewonnen. Die Mitglieder der sogenannten pylischen Amphiktyonie, deren Mittelpunkt ursprünglich das Heiligtum der Demeter bei Anthela in den Thermopylen war, unter ihnen auch die Athener, kamen der Bitte der Priester entgegen und verkündeten gegen die Kirrhäer einen »Heiligen Krieg«. Plutarch (Solon 11) beruft sich auf Angaben mehrerer antiker Autoren und besonders des Aristoteles, »der diesen Entschluß dem Solon zuschreibt«. Gleich­ zeitig wendet sich Plutarch jedoch gegen die Annahme des hellenistischen Gram­ matikers Hermippos aus Smyrna, der sich auf die Ausführungen eines sonst unbekannten Euanthes von Samos stützt, daß Solon zum Anführer in diesem Krieg gewählt worden sei. Der athenische Redner Aischines (3,108) aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. berichtet auch nicht von der aktiven Teilnahme Solons an diesem »Ersten Heiligen Krieg«, sondern erwähnt nur dessen Antrag, der von den Amphiktyonen gebilligt worden sei. In den delphischen Urkunden w ar-laut Plutarch - als Feldherr der Athener in diesem Krieg nicht Solon, sondern Alkmeon verzeichnet. In der »Beschreibung Griechenlands« des griechischen Geographen und Historikers Pausanias aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhun­ derts n. Chr. lesen wir (10,37,4 f.), daß die Amphiktyonen die Kriegführung dem 45

sikyonischen Tyrannen Kleisthenes anvertraut und Solon zu dessen Berater gemacht hätten. Dieser soll dann durch Manipulation am Trinkwasser die Kirrhäer zur Kapitulation gezwungen haben. In den speziellen Abhandlungen von Kriegslisten, bei Frontinus (Strategemata 3,7,6) und Polyainos (Strategika 3,5), wird jedoch diese Tat dem Feldherrn Kleisthenes von Sikyon zugeschrieben, Der Sieg der Amphiktyonen war nicht leicht und endete mit der Zerstörung Kirrhas wahrscheinlich im Jahre 591/90 v. Chr. Die bei Athenaios (Deipnosophistai 13,560 C) erhaltene und Kallisthenes, dem Verwandten und Schüler des Aristoteles und Hofhistoriker Alexanders des Großen, zugeschriebene Angabe, nach der der »Erste Heilige Krieg« zehn Jahre gedauert habe, wird in der Forschung mit Recht als wenig zuverlässig bezeichnet. Dagegen kann der unlängst ausgesprochene Zweifel an der Historizität des Krieges kaum gebilligt werden. Alkmeon, der auf Grund der Verurteilung des mit seinem Vater Mega­ kies verbundenen Kylonischen Frevels in die Verbannung gehen mußte, kehrte wahrscheinlich nach der von Solon verkündeten Amnestie nach Athen zurück, und es ist wohl möglich, daß er dann zum Anführer des athenischen Aufgebots gegen Kirrha wurde. Dagegen ist die Teilnahme Solons am »Ersten Heiligen Krieg« zweifelhaft. Höchstens kann er durch seine Autorität zum Eingriff der Amphiktyonen und darunter auch der Athener zugunsten des delphischen Hei­ ligtums beigetragen haben. Das einzige der drei erwähnten und in der antiken Überlieferung mit Solon verbundenen Ereignisse, das direkt in seinem Werk belegt ist, ist also der Krieg mit Megara um die Insel Salamis. Sein öffentliches Auftreten für den Kampf um die »geliebte« Insel machte ihn bei seinen Mitbürgern bekannt und beliebt. Neben dem Gedicht über Salamis sind uns jedoch noch andere elegische Dichtungen Solons bekannt, die höchstwahrscheinlich aus der Zeit vor seinem Archontat stammen. Es ist vor allem das umfassendste der erhaltenen Fragmente der Solonischen Poesie, das kontemplativ eingestellte sogenannte Musengedicht (Solon 1 Gentili-Prato). Während diese Elegie kaum über den engeren Kreis von Solons Freunden und Lebensgefährten hinauszielte, ist der Inhalt der weiteren Gedichte (Solon 3,4,5,6 Gentili-Prato) aktuell zugespitzt und wendet sich an alle athenischen Bürger. Mit diesen wohl nicht lange vor der Wahl Solons zum Archon entstandenen Versen beginnt die bedeutendste Phase seines Lebens und Wirkens.

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Seisachtheia

Als nun Solon H err der Lage geworden war, da befreite er das Volk für die Gegenwart und für die Zukunft, indem er Anleihen auf die Person untersagte, Gesetze erließ, einen Schuldenerlaß durchführte, sowohl für die privaten wie für die öffentlichen Schulden (man nennt das Lastenabschüttelung, denn damit waren gewissermaßen alle Lasten weggeschüt­ telt). (Der Staat der Athener 2,2)

In der schwierigen Lage der athenischen Polis, die um die Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert durch Auseinandersetzungen zwischen den Aristokraten und dem Volk verursacht wurde, wählte man Solon zum Archon. Wie Diogenes Laertios (1,62) mit Berufung auf Sosikrates - einen hellenistischen Historiker des 2. Jahr­ hunderts V. Chr. — berichtet, fällt Solons Archontat in das dritte Jahr der 46. Olympiade, d. h. ins Jahr 594/3 v. Chr. Nach dem aristotelischen »Staat der Athener« (14,2) soll jedoch der athenische Tyrann Peisistratos »im 32. Jahr nach Solons Gesetzgebung« an die Macht gelangt sein. Da die Usurpation des Peisi­ stratos in das Jahr 561/0 v. Chr. zu datieren ist, müßte Solon seine Gesetze erst im Jahre 592/1 verkündet haben. Dieser Widerspruch der beiden Quellenangaben wurde auf verschiedene Weise gelöst. Einige Forscher vertraten die Meinung, daß es sich um einen Fehler handele, der bei Abschreiben der Handschrift des »Staates der Athener« entstan­ den sei. Das im ursprünglichen Text vorhandene Zeichen Δ für das Zahlwort vier soll für eine Abkürzung des Ordnungszahlwortes δ(ευτέρφ), d.h. »dem zwei­ ten«, gehalten worden sein, so daß der Ausdruck »im 34. Jahr« irrtümlicherweise durch »im 32. Jahr« ersetzt worden sei. Andere Forscher verteidigten den erhalte­ nen Text der Papyrushandschrift und behaupteten, Solon sei kaum imstande gewesen, alle ihm zugesprochenen Maßnahmen im Laufe eines Jahres durchzu­ führen. Nach dieser Auffassung soll er im Jahre 594/3 lediglich die Seisachtheia durchgeführt und die Verfassung sowie andere Gesetze erst zwei Jahre später verkündet haben. In der aristotelischen Schrift wird jedoch nirgends angedeutet, daß es zwei derartige Etappen in der Tätigkeit Solons gab. Wenig überzeugend sind diejeni47

gen Ansichten, nach denen Solons Archontat erst in die ausgehenden siebzig^/ Jahre des 6. Jahrhunderts zu datieren wäre. Hypothetisch ist auch die Meinung Solon habe seine Maßnahmen noch während des Jahres 593/2, in derp wahrscheinlich sein Freund Dropides das Archontat bekleidete, zu Ende bringen können. Dies alles sind bloße Vermutungen. Wir müssen uns mit der Feststellung begnügen, daß Solon im Jahre 594/3 an der Spitze des Staates stand und während der Bekleidung des Archontenamtes höchstwahrscheinlich sowohl die Seisaclv theia als auch andere seiner Reformen zu realisieren vermochte. Der Wahl Solons in das höchste Amt der athenischen Polis kam ohne Zweifel eine besondere Bedeutung zu. »Als im Staate eine solche Ordnung herrschten, lesen wir im »Staat der Athener« (5,2), »und die Masse des Volkes einer bevorzugten Minderheit untertan war, erhob sich das Volk gegen die Vornehm men. Der Streit war heftig und lange Zeit haderten sie miteinander. Endlich wählten sie gemeinsam Solon zum Vermittler und Archon und übertrugen ihm den Staat.« Solon wurde also nicht nur zum höchsten athenischen Beamter) gewählt, sondern gleichzeitig mit der besonderen Aufgabe des Vermittlers (ÖicAλακτής) zwischen den verfeindeten Gruppen, dem Volk (όήμος) und den Aristokraten (Eupatriden), betraut. Wie schon bemerkt, wird diese Rolle Solons nicht zu Unrecht mit derjenige)! des Pittakos verglichen, der während einer ähnlichen politischen Auseinanderset' zung in Mytilene auf Lesbos als Aisymnetes (αίσυμνήτης, Schiedsrichter) mit der Regelung der Verhältnisse beauftragt wurde. Man kann jedoch auch einige nicht unwichtige Unterschiede zwischen der Tätigkeit beider Männer feststellen. Die Aisymnetie des Pittakos dauerte zehnmal so lang (wahrscheinlich zwischen 590 und 580 V. Chr.) wie das Archontat Solons. Noch wichtiger ist, daß Pittakos in einer zeitgenössischen Quelle, und zwar in einem Gedicht des Lyrikers Alkaios (87 Diehl), als Tyrann bezeichnet wird. Aristoteles, der diese Verse in seiner »Politik« zitiert, charakterisiert die Aisymnetie als eine gewählte Tyrannis (3,1285a 35f.). Solon wurde lediglich in das bestehende athenische Archontenamt gewählt, und seine außerordentliche Stellung zeigte sich daran, daß er damit betraut wurde, während seiner Amtsperiode den Bürgerzwist in Athen durch Sondermaßnahmen zu beenden. Solon gewann seine Popularität wahrscheinlich nicht nur durch sein prinzipien­ festes Eintreten für die Eroberung der Insel Salamis. Die Elegie über Salamis ist nicht das einzige Gedicht, das aus der Zeit vor seinem Archontat stammt. Er beteiligte sich aktiv am politischen Geschehen im damaligen Athen und trat mit seinen Ansichten öffentlich auf. Besonders interessant ist in dieser Hinsicht das Gedicht (3 Gentili-Prato), in dem Solon auf die bestehende politische Lage in Athen anspielt. Er weist darauf hin, daß es nicht »die unsterblichen Götter« seien, 48

die Athen ins Verderben stürzten, sondern die Menschen, die athenischen »Bürger«, die »von Gier nach dem Gewinn« verlockt würden. Es ist allerdings recht schwierig, die einzelnen Stellen des Gedichtes zu interpretieren. Einerseits hängt das mit der formalen Seite des dichterischen Werkes zusammen, in dem einige aus der älteren epischen Poesie übernommene Wendungen und Ausdrücke Vorkommen und die Worte auch unter Berücksichti­ gung der metrischen Struktur des sogenannten elegischen Distichons (des aus einem daktylischen Hexameter und einem folgenden Pentameter gebildeten Verspaares) gewählt wurden. Es muß auch in Betracht gezogen werden, daß Solon naturgemäß zu den Problemen Stellung nahm, die seinen Mitbürgern gut bekannt und verständlich waren, über die uns jedoch keine anderen zeitgenössischen Quellen zur Verfügung stehen, so daß wir des öfteren in Ungewißheit geraten. Wir wissen z. B. nicht, ob mit dem erwähnten Ausdruck »Bürger« (im Original­ text αστοί, also eigentlich »Einwohner der Stadt«, »Städter«) alle Bürger der athenischen Polis oder lediglich die Aristokraten gemeint sind. Vielleicht benutzte Solon dort bewußt die allgemeinere Bezeichnung. »Die Gier nach dem Gewinn« war zwar vor allem den Aristokraten (Eupatriden) eigen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß eine solche Tendenz im damaligen Athen nicht allgemein zutage getreten wäre. Das Streben nach Reichtum entsprang den neuen Erscheinungen, die in Wirt­ schaft und Gesellschaft Attikas im ausgehenden 7. Jahrhundert v. Chr. festgestellt werden können. Die alte Gentilordnung zersetzte sich, und die bestehenden patriarchalischen Bindungen lockerten sich allmählich. Die wirtschaftliche Lage war durch Konzentration von Grund und Boden in den Händen der Eupatriden sowie durch Entfaltung der Handelsbeziehungen Athens mit dem Ausland gekennzeichnet. Viele Kleinbauern wurden zu abhängigen Hektemoroi, und manche von ihnen mußten »das Land verlassen und in die Fremde ziehen«. Die soziale Krise der athenischen Gesellschaft wurde immer deutlicher, »das gemein­ same Leid kommt ins Haus eines jeden« und »erreicht auch denjenigen, der sich tief in dem letzten Versteck verbirgt«. Solon will und kann nicht länger schweigen. Er führt seinen Mitbürgern den gesetzlosen Zustand (Dysnomie, Δυσνομίη), in dem sie leben, vor Augen und bekennt sich gleichzeitig zu seinem tiefen Glauben an die heilsame Wirkung der Gesetzlichkeit (Eunomie, Εύνομίη), die »das Ganze zu schöner Ordnung fügt, die Verächter des Rechts in Fesseln legt, das Rauhe glättet, die Gier bezähmt und den Hochmut erniedrigt, die wuchernden Blüten der Verblendung dörrt, die verborgenen Rechte wieder herstellt, das vermessene Handeln besänftigt und dem gewaltigen Zwist sowie dem bitteren Zank ein Ende macht« (32-38). Dieses Gedicht Solons, das gewöhnlich als »Eunomia« bezeichnet wird, kann 49

als eine Art Programmerklärung betrachtet werden, mit der Solon vor seine !Mitbürger trat. Er warnt sie vor der drohenden Gefahr des Bürgerkrieges und fordert sie zur Einhaltung der Gesetzlichkeit auf. Auch in anderen erhaltenen Fragmenten der Solonischen Dichtung (4-6 Gentili-Prato) wird die gespannte Situation in Athen an der Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert geschildert. Solon stellt sich auch hier gegen »die Gier nach Geld und den Übermut«. Er brandmarkt diejenigen, »die bis zum Überdruß von mancherlei Gut satt sind«, und fordert sie auf, sie sollen ihr »störrisches Herz im Busen zur Ruhe bringen, denn weder geben wir selbst jemals nach, noch erreicht ihr alles nach eurem Wunsch«. Hier stellt sich also Solon eindeutig auf die Seite derjenigen, denen Unrecht geschehen ist. Im aristotelischen »Staat der Athener«, wo diese Verse zitiert werden (5,3), wird hervorgehoben, daß Solon »die Schuld an dem Streit den Reichen gibt«. Eine ähnliche Bemerkung finden wir auch bei Plutarch (Solon 3,2), bei dem wir das letzte der erwähnten Fragmente vorfinden. Hier weist Solon darauf hin, daß »sich viele Schlechte bereichern und die Guten verarmen«. Die Teilung in »Gute« (άγα#οί) und »Schlechte« (κακοί) spiegelte im archaischen Griechenland die übliche soziale Klassifikation wider. Die Aristokraten bezeichneten sich selbst als »die Guten« oder sogar »die Besten« (άριστοι), und die Leute, die nicht vornehmer Herkunft waren, hielten sie für »die Schlechten«. Diese aristokrati­ sche Auffassung fand auch in dem bekannten ästhetischen und ethischen Ideal der »Kalokagathie« (der »Vortrefflichkeit«) ihren Ausdruck. In den Versen Solons wird jedoch vor allem der moralische Standpunkt bei der Beurteilung »der Guten« und »der Schlechten« hervorgehoben. Solon lag bestimmt nicht im Sinn, daß viele nicht vornehme Leute reich werden und viele Aristokraten ins Elend geraten sollten. Wenn sich so etwas ereignete, dann war das im damaligen von den Eupatriden beherrschten Athen gewiß nur sehr selten. Solon sagt auch ausdrücklich, er sei »nicht bereit, die Tugend (άρητή) für den Reichtum zu tauschen«. Den Kontrast zwischen der Tugend und dem Reichtum verstand er nicht als Gegensatz zwischen der vornehmen Herkunft und dem Besitz, sondern eher als den Unterschied zwischen einem ehrenhaften Standpunkt des Menschen gegenüber der Gesellschaft und einem selbstsüchtigen Verlangen nach Besitz. Diese Verse ermöglichen uns, die Substanz der sozialen Reformen Solons besser zu begreifen. Er war bestrebt, die Grundrechte der athenischen Bürger zu wahren und einem jeden persönliche Freiheit und Men­ schenwürde zu gewähren. Ein richtiger Schritt zu diesem Ziel war gewiß die Abschaffung der Schulden und die damit zusammenhängende Aufhebung der »leiblichen Haftbarkeit der Schuldner«, was an der zitierten Stelle des »Staates der Athener« als Seisachtheia 50

(»Lastenabschüttelung«) bezeichnet wird. In derselben Schrift (2,2) wird behaup­ tet, Solon sei »der erste gewesen, der sich des Volkes annahm«, und hinzugefügt, die Schuldsklaverei sei »für das Volk das Drückendste und Bitterste unter dieser Verfassung« gewesen. Dieser Tat kam eine noch größere Bedeutung zu, als sich Solon und seine Zeitgenossen bewußt waren. Die Verschuldung wurde zur Ursache der Sklaverei vorwiegend in den wirtschaftlich wenig entwickelten Gemeindewesen des Alter­ tums. Im antiken Griechenland entdeckte man bereits im 7. und 6. Jahrhundert V. Chr. im Zusammenhang mit der Kolonisation der Mittelmeer- und Schwarz­ meerküste neue Quellen der Sklaverei. Im vorsolonischen Athen bestand noch eine ziemlich geringe Nachfrage nach Sklavenarbeit, so daß die athenischen Schuldsklaven oft ins Ausland verkauft wurden. Im ausgehenden 6. Jahrhundert arbeiteten jedoch vor allem in den attischen Töpfereien Sklaven fremder Her­ kunft. Im Athen der klassischen Zeit spielte dann die Schuldsklaverei eine wenig bedeutende Rolle, und die meisten Sklaven rekrutierten sich aus den Randgebie­ ten der antiken Welt (Thrakien, Skythien, Illy rien). Wir wissen nicht, auf welche Art und Weise es Solon gelang, die verschuldeten Athener aus der Sklaverei zurückzukaufen. In seinem längsten erhaltenen iambischen Gedicht, das erst nach der Durchführung der Reformen entstanden ist (30 Gentili-Prato), rühmt er sich, er habe viele Athener, die ins Ausland verkauft worden seien, sowie andere, die aus N ot geflüchtet und »der attischen Sprache nicht mehr mächtig waren«, in ihre Heimat zurückgebracht. Ist dies nur eine dichterische Hyperbel, um zu betonen, daß es Solon gelang, seine verschleppten Mitbürger zu befreien und nach Athen zurückzuführen? Oder sollen wir diese Worte doch wörtlich verstehen und annehmen, daß einige der verarmten und versklavten Athener eine ziemlich lange Zeit in der Fremde zu verbringen hatten? Waren es vielleicht vor allem diejenigen, die bereits in ihren Kinderjahren versklavt und verkauft worden waren und deshalb ihre Mutterspra­ che nicht mehr beherrschten? Und wie war Solon imstande, vom jeweiligen Schicksal der einzelnen versklavten Athener zu erfahren? Auf alle diese Fragen kann kaum eine befriedigende Antwort erwartet werden. Wir wissen auch nicht, woher Solon die notwendigen Mittel nehmen konnte, die zur Auslösung der versklavten Athener nötig waren. Soll man glauben, daß seine Maßnahmen nicht nur die derzeitigen, sondern auch die ehemaligen Gläubi­ ger betroffen haben, so daß diese gezwungen waren, das notwendige Lösegeld für die Befreiung ihrer Opfer aufzubringen? O der vermochte Solon die verschleppten Leute aus den Mitteln der athenischen Gemeinde loszukaufen? Darf jedoch eine solche Vermutung geäußert werden, wenn wir wissen, daß zu dieser Zeit die Athener kein eigenes Geld münzten und die Geldwirtschaft in Attika noch sehr 51

ungenügend entwickelt war? Wir haben auch über das weitere Los der zurückg^brachten Athener keine klare Vorstellung. Konnten vielleicht die befreiten Leute den Grund und Boden, auf dem sie vor ihrer Verschuldung und Versklavung ansässig gewesen waren, wieder bebauen? Auch in diesem Punkt finden wir ΐη unseren Quellen keine Hinweise. Es scheint jedoch, daß wenigstens ein Teil vo^ ihnen eine Erwerbstätigkeit in Athen suchte. Neben der Schuldsklaverei bereitete Solon höchstwahrscheinlich auch dejvölligen Abhängigkeit der Kleinbauern von den Eupatriden ein Ende. Wie bereits erwähnt, werden nämlich seine Worte, er habe »die vielerorts befestigten Schuldsteine abgeschafft« (30,6 Gentili-Prato), als Auflösung der sozialen Kategorie dn durch Veränderungen im System der Maße und der Währung erreicht haben. Die mit dem Namen Androtion verbundene Interpretation beruhte offenbar auf einer Mißdeutung einiger Solon zugeschriebener wirtschaftlicher Maßnah­ men, auf die ich noch näher eingehen werde. Es sei jedoch gleich bemerkt, daß sich in der Version Androtions Vorstellungen seiner Zeit widerspiegeln, da es die konservativen Politiker - zu denen Androtion zählte - nicht glauben wollten, daß ein besonnener Staatsmann wie Solon die Abschaffung der Schulden - was eine der Forderungen der radikalen Bewegung im 4. Jahrhundert v. Chr. war - habe kodifizieren können. Die Seisachtheia bezog sich ganz offensichtlich lediglich auf die Tilgung der Schulden der verarmten, in der Landwirtschaft tätigen Bevölke­ rung Attikas und auf die Befreiung der bereits versklavten Schuldner. Anachronistisch ist die Erzählung, die im aristotelischen »Staat der Athener« (6,2-4) vorkommt. Es heißt dort, Solon habe einigen seiner Freunde verraten, daß er beabsichtige, die Schulden aufzuheben. Diese sollen dann diese Informa­ tion zu ihrem Vorteil ausgenützt und sich durch Ankauf von Grundstücken bereichert haben. Dies sei, nach der Version der Demokraten (δημοτικοί), wider Solons Willen erfolgt; nach der Darstellung seiner Verleumder habe er sich jedoch an diesem Mißbrauch beteiligt. Die Geschichte wird auch von Plutarch (Solon 52

15,7-9) erzählt, wo noch drei prominente athenische Bürger genannt werden, die angeblich »rasch von den Reichen viel Geld borgten und sich beträchtliche Ländereien kauften. Als darauf die Verordnung bekannt gemacht wurde, blieben sie im Besitz ihrer Güter, ohne den Gläubigern das Geld zurückzuzahlen.« Es handelte sich um Vorfahren bekannter Politiker aus der Zeit des Peloponnesischen Krieges. Diese anekdotische Erzählung wurde wahrscheinlich im ausgehenden 5. Jahr­ hundert V. Chr. während der damaligen politischen Auseinandersetzungen in Athen erfunden. Es ist kaum zufällig, daß die angeblichen Freunde Solons bei Plutarch als »Schuldenaufheber« (χρεωκοπίδαι) bezeichnet werden, was ähnlich klingt wie die Bezeichnung (έρμοκοπίδαι, »Hermenverstümmler«), mit der die Anhänger des bekannten athenischen Politikers Alkibiades benannt wurden, da sie kurz vor dem Ausbruch der zweiten Phase des Peloponnesischen Krieges die sogenannten Hermen (Säulen mit dem Kopf des Hermes oder auch eines anderen Gottes) beschädigt hatten. Die Seisachtheia bewirkte einen tiefen Eingriff in die gesellschaftliche Struktur und war für die weitere Entwicklung Athens von großer Bedeutung. Durch die Befreiung der ärmsten Bevölkerungsschichten Attikas aus Abhängigkeit und Sklaverei wurde die Voraussetzung für die Entwicklung einer bürgerlichen Gemeinschaft (κοινω νία τών πολιτών) geschaffen, die Grundlage der Existenz der Polis geworden ist. Nach Plutarch (Solon 16,4) brachten die Athener »ein gemeinschaftliches Opfer, das sie Seisachtheia nannten«. Die Übereinstimmung der Athener mit dieser Maßnahme Solons war jedoch nicht ganz eindeutig. Nach der Behauptung des aristotelischen »Staates der Athener« (11,2) »verdachten ihm viele der Adeligen den Schuldenerlaß«, und auch die Gegenpartei soll nicht zufrieden gewesen sein. »Das Volk hatte auf eine allgemeine Güterverteilung gerechnet, während die Aristokraten erwarteten, er werde die alte Ordnung belassen oder nur unwesentlich ändern.« In einem ähnlichen Ton äußert sich auch Plutarch (Solon 16,1). Unsere beiden Quellen gehen von den Versen Solons aus, in denen sich dieser gegen die Vorwürfe seiner Kritiker wehrt. Diese Einwände betreffen jedoch nicht nur die Seisachtheia, sondern die ganze Tätigkeit Solons während seines Archontates.

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Die Verfassung

Einfluß gab ich dem Volke soviel wie gerade genug ist. Wollte nicht schmälern noch auch mehren ihn über Gebühr, Auch den Mächtigen gönnte ich nur, den rühmlichen Reichen, Was ein jeglicher sich redlich und schimpflos erwarb. Und so stand ich; mein kräftiger Schild beschirmte sie beide Keinem gewährte mein Spruch wider das Rechte den Sieg. (Solon 7 Gentili-Prato, deutsch von Z. Franyô und P. Gan) Zu den bedeutendsten Maßnahmen Solons gehört - obwohl seine Verfassungsge­ setzgebung gelegentlich bestritten wird —die Einteilung der athenischen Bürger in vier Vermögensklassen nach dem jeweiligen Grundbesitz. An der Spitze standen die sogenannten Fünfhundertscheffier (πεντακοσιομέδιμνοι), die zweite Stufe bildeten die Reiter (ιππείς), dann folgten die Zeugiten (ζευγϊται) und zuletzt die Theten (θήτες). Bei dieser Einteilung knüpfte Solon an die bestehenden sozialen Unterschiede innerhalb der athenischen Gesellschaft an. Die drei letztgenannten Bezeichnungen waren bestimmt bereits im damaligen Athen benützt worden. Die Theten (Lohnarbeiter, Tagelöhner) sind als die unterste soziale Gruppe der freien Bevölkerung bereits für die griechische Frühzeit belegt. In der Odyssee (11,489-490) erklärt Achilleus im Gespräch mit Odysseus während dessen Besuchs in der Unterwelt, er würde lieber bei einem ganz armen Mann als Tagelöhner dienen (θητεύεμεν), als in der Unterwelt herrschen. Derselbe Aus­ druck kommt auch an einer anderen Stelle dieses Gedichtes vor (18,357), wo einer der Freier der Penelope dem als Bettler verkleideten Odysseus Arbeit als Tagelöh­ ner auf seinem Gut anbietet. Der Terminus ζευγίτης hängt vielleicht mit dem W ort ζεύγος, d. h. Gespann, zusammen und wird dann als Bezeichnung eines Kleinbauern gedeutet, der sein Grundstück mit Hilfe eines Ochsengespanns bebaute. Nach einer anderen Erklä­ rung waren Zeugiten schwerbewaffnete Soldaten (Hopliten) in Reih und Glied (ζυγόν) einer dicht geschlossenen Kampfformation (φάλαγξ). In der Komödie »Die Vögel« des Aristophanes, deren Uraufführung im Jahre 414 v.C hr. statt­ fand, wird (Vers 585) ein Kleinbauer als ein Zwei-Ochsen-Mann bezeichnet. Die attischen Bauern dienten freilich im Bürgeraufgebot vorwiegend als schwerbe­ waffnete Infanteristen, während die Reiter (ιππείς) aus der reicheren und privile54

gierteren Bevölkerungsschicht rekrutiert wurden. Mit den Ausdrücken ιππείς und ζευγιται bezeichnete man wahrscheinlich schon in der vorsolonischen Zeit einzelne Gruppen des attischen Heeres, und zwar die Reiter und die schwerbe­ waffneten Soldaten. Ganz verschieden davon ist das W ort πεντακοσιομέδιμνοι, das eindeutig für die reichsten Grundbesitzer gebraucht wurde, die über einen jährlichen Ernte­ ertrag von mindestens 500 Scheffeln (μέδιμνοι) Getreide verfügten. Wenn auch im aristotelischen »Staat der Athener« (7,3) behauptet wird, daß die vier Vermögensklassen bereits vorher bestanden hätten, ist doch kaum daran zu zweifeln, daß erst Solon die reichsten Bürger als Fünfhundertscheffier von den anderen Reitern unterschied, indem er das Eigentum an Grund und Boden-oder genauer gesagt den jährlichen Ernteertrag - zur Grundlage der politischen Rechte der athenischen Bürger machte. In der ersten Gruppe waren also diejenigen, die einen jährlichen Ernteertrag von 500 Scheffeln erreichen konnten, die Reiter (ιππείς) mußten jährlich mindestens 300 Scheffel und die Zeugiten mindestens 200 Scheffel produzieren. Der Scheffel (μέδιμνος) war die Hohlmaßeinheit für trockene Früchte - vor allem für Getreide - und faßte in Athen 52,5 Liter. Das größte athenische Hohlmaß für Flüssiges hieß Metretes (μετρητής) und maß 39,4 Liter. Sowohl im »Staat der Athener« (7,4) als auch bei Plutarch (Solon 18,1) wird bemerkt, daß der in der erwähnten Größe festgesetzte jährliche Ernteertrag aus den trockenen und flüssigen Früchten bestand. Wie man bei der Feststellung des Bodenertrages aus den einzelnen Grundstücken verfuhr und ob vielleicht auch andere Angaben, namentlich über das lebende Inventar, in Betracht gezogen wurden, ist nicht bekannt. Bei Plutarch (Solon 23,3) finden wir zwar die Behauptung, Solon habe »bei der Schätzung der Opfer ein Schaf und eine Drachme für einen Scheffel« gerechnet. Es ist jedoch recht fraglich, ob wir diese Textstelle auf den jährlichen Ernteertrag aus den Grundstücken der Bürger beziehen dürfen, wenn es sich da offenbar um eine Art Umrechnung bei den Opfergaben handelt, d. h. um die Feststellung, daß es gestattet war, statt eines Schafes eine Drachme oder einen Scheffel Getreide an den Tempel abzugeben. Es wurde vermutet, daß an dieser Textstelle beim Abschreiben der Handschrift ein Fehler entstanden und statt des Wortes θυσία, ΘΥΣΙΑ (»Opfer«), das in der griechischen Orthographie sehr ähnliche Wort Ουσία, ΟΥΣΙΑ (»Vermögen«), zu lesen sei. Diese Hypothese ist jedoch wenig wahrscheinlich, da Plutarch in diesem Zusammenhang nicht die Vermögensklassen Solons behandelt, sondern lediglich auf die niedrigen Preise der damaligen Zeit im Vergleich zu den späteren, in der entwickelten Geld Wirtschaft vorherrschenden Verhältnissen hinweist. Es kann 55

auch kaum angenommen werden, daß der Scheffel (μέδιμνος) zur Zeit Solons zu einer Art Wertmesser wurde. Die Bedeutung des Scheffels begrenzte sich offen­ bar auf die Bestimmung des jährlichen Ernteertrages, der für die Einteilung der Bürger in die Vermögensklassen maßgebend war. Eine interessante Angabe bringt der Bericht von den Vermögensklassen im aristotelischen »Staat der Athener« (7,4). Auf der Akropolis soll sich eine Statue befunden haben mit der Aufschrift, daß ein gewisser »Anthemion, des Diphilos Sohn, aus der Vermögensklasse der Theten in diejenige der Reiter kam« und bei dieser Gelegenheit den Göttern ein Pferd weihte. Neben der Statue des Mannes stand angeblich auch eine Statue seines Pferdes. Ähnliche Weihgeschenke sowie die Bezeichnung der Vermögensklasse der Reiter führten bereits im Altertum zu Erwägungen, daß in diese Gruppe diejenigen athenischen Bürger cingereiht wurden, »die imstande waren, ein Pferd zu halten«. Der Autor des »Staates der Athener« - Aristoteles oder eher einer seiner Schüler - vertritt jedoch die Meinung, daß bei den Reitern ähnlich wie bei den anderen Vermögensklassen »die Abgrenzung auf Grund der Scheffelanzahl erfolgt ist«. In der antiken Überlieferung wird eine Bestimmung Solons bezeugt, nach der jeder Athener verpflichtet war, die Höhe seines jährlichen Einkommens anzuge­ ben. Herodot (2,177) und Diodor (1,77,5) vertreten - wie schon oben bemerkt wurde - sogar die Meinung, Solon habe dieses Gesetz (F 78a,b Ruschenbusch) aus Ägypten übernommen. Diese Voraussetzung ist jedoch kaum anzunehmen, da die Reise Solons nach Ägypten erst nach seinem Archontat stattfand. Plutarch (Solon 22,3 = F 78c Ruschenbusch) schreibt die Aufsicht über die Einhaltung des Gesetzes dem aristokratischen Rat vom Areopag zu. Der reale Kern dieser Berichte liegt wohl darin, daß jeder athenische Bürger den jährlichen Ernteertrag aus seinem Grundbesitz angab, um in die ihm gemäße Vermögensklasse einge­ reiht zu werden. Nach den Vermögensklassen richteten sich auch die Rechte der Bürger. Die höheren Ämter durften nur von den Angehörigen der beiden ersten Klassen bekleidet werden. Die Schatzmeister (ταμίαι) - und vielleicht auch die Archonten - wurden lediglich aus den Reihen der Fünfhundertscheffier ausgewählt. Die wichtigsten Ämter wurden also auch weiterhin von den reichen Grundbesitzern besetzt. Trotzdem bedeutete diese durch Solon geschaffene timokratische Verfas­ sung eine wichtige Neuerung, da nun für die Bestimmung der Rechte der athenischen Bürger nicht mehr die aristokratische Herkunft, sondern der Vermö­ genszensus maßgebend war. Solon wurden noch weitere Maßnahmen in der Verwaltung der athenischen Polis zugeschrieben. Es ist jedoch recht schwierig zu ermitteln, ob diese Maßnah­ men authentisch sind oder ob sie ihm erst in späterer Zeit während der Auseinan56

dersetzungen zwischen den radikalen und den konservativen Politikern zuge­ schrieben wurden. Im »Staat der Athener« wird berichtet, daß nach der Verfassung Solons »die Besetzung der Ämter durch das Los (κληρωτάς έκ προκρίτοτν) erfolgte« (8,1). So sollte jede der vier Phylen zehn Männer designieren, aus denen dann die neun Archonten durch das Los bestimmt wurden. An einer anderen Stelle derselben Schrift lesen wir, daß »während des Archontats des Telesinos« - also im Jahre 487/6 - »die neun Archonten, die man bis dahin gewählt hatte, zum erstenmal nach der Tyrannis durch das Bohnenlos bestimmt wurden« (22,5). Da Aristoteles in der »Politik« (1274b 40) behauptet, daß die Wahl der Beamten als ein aristokratisches Element der Verfassung Solons zu bewerten ist, vertreten einige Forscher die Meinung, daß die Besetzung der Ämter durch Los erst in der klassischen Zeit Solon zugeschrieben worden sei. Wenn auch die Interpretation dieser Belege nicht eindeutig ist, ist es doch gut möglich, daß die Bestimmung der Archonten durch das Los von Solon eingeführt und während der Herrschaft des Tyrannen Peisistratos abgeschafft wurde und daß man dann zu Beginn des 5. Jahrhunderts diese Prozedur bei der Wahl der Archonten wieder ins Leben rief. Zu den meistdiskutierten Fragen der Verfassung Solons gehört der sogenannte Rat der Vierhundert. Im »Staat der Athener« wird berichtet (8,4), daß Solon neben dem bereits vorhandenen Rat vom Areopag »einen Rat von 400 Mitglie­ dern, je 100 aus jeder Phyle, einsetzte«. Nach Plutarch (Solon 19) wurde Solon sogar die Errichtung »des Rates auf dem Areopag« zugewiesen. Diese Meinung sollen »die meisten« antiken Autoren vertreten haben, und Plutarch beruft sich in diesem Zusammenhang auf die Gesetze Drakons, in denen die Areopagiten nirgends erwähnt seien. Gleichzeitig zitiert er jedoch ein Gesetz Solons (F 70 Ruschenbusch), aus dem klar hervorgeht, daß der Areopag bereits »vor dem Archontat und der Gesetzgebung Solons bestanden hat«. Der von Solon errich­ tete Rat der Vierhundert sollte über alle Sachen beraten, die der Volksversamm­ lung (εκκλησία) vorzulegen waren. Den Areopag habe Solon eingesetzt »als Aufseher über alles und als H üter der Gesetze in dem Glauben, daß der Staat, wenn er auf diesen beiden Räten gleichsam fest verankert liege, geringeren Schwankungen ausgesetzt sei und das Volk leichter in Ruhe würde halten können«. Einige Forscher wiesen darauf hin, daß uns über die Tätigkeit des Rates der Vierhundert praktisch nichts bekannt ist. Lediglich Herodot erwähnt in seinem Bericht über die Lage in Athen nach der Vertreibung des Tyrannen Hippias (5,72), daß der spartanische König Kleomenes, der in Athen intervenierte, »den Rat (την βουλήν) aufzulösen und die Regierung dreihundert Anhängern des 57

Isagoras zu übertragen versuchte«. Es ist jedoch nicht ganz sicher, ob es sich hier um den Rat der Vierhundert oder vielleicht um den Areopag handelt. Die Verteidiger der Überlieferung von der Existenz des Rates der Vierhundert berufen sich auch auf eine altertümliche epigraphische Angabe von der Insel Chios (Meiggs-Lewis 8), in der eine Bule demosie (βουλή δημοσίη) erwähnt wird. Die Herausgeber datierten die im Jahre 1908 publizierte Inschrift auf die Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert und erblickten in diesem Volksrat von Chios eine unmittelbare Parallele zum athenischen Rat der Vierhundert. Nach einer neueren Untersuchung der Schrift hat man jedoch das erwähnte epigraphische Dokument ins zweite Viertel des 6. Jahrhunderts herabdatiert. Damit entfiel die Vermutung, Solon habe den Rat der Vierhundert nach dem Vorbild des Volksrates von Chios konstituiert. Es besteht nur die Möglichkeit, daß die Bürger von Chios die athenische Verfassung nachgeahmt haben. Es scheint jedoch, daß die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Chios in der archaischen Zeitperiode reifer waren als diejenigen im damaligen Athen. Als ein weiteres Argument für die Existenz des Rates der Vierhundert diente die Behauptung, Plutarch habe die oben erwähnte Parabel von der athenischen Polis als einem gut verankerten Schiff aus einem nicht erhaltenen Gedicht Solons übernommen. Dazu kann jedoch bemerkt werden, daß Plutarch in seiner Biogra­ phie Solons dessen Verse gewöhnlich direkt zitiert. Im »Staat der Athener« finden wir keine Angaben über die Kompetenzen des Rates der Vierhundert, und die Darstellung Plutarchs wirkt nicht sehr überzeu­ gend. Man darf sich nicht wundern, daß bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Vermutung aufkam, der Rat der Vierhundert sei lediglich »ein hypothetisches Vorbild« des späteren demokratischen Rates der Fünfhundert gewesen, der auf der Basis der von Kleisthenes eingeführten zehn territorialen Phylen zusammen­ gesetzt gewesen sei. In der neueren Forschung wird jedoch meistens die Existenz des Rates der Vierhundert angenommen. Im Unterschied zum Areopag, der auch weiterhin in den Händen der Eupatriden blieb, setzten sich danach in dem neuen Rat wahrscheinlich auch Vertreter der nichtaristokratischen Bevölkerung durch. Auf diese Weise konnte die Volksversammlung (έκκλησία) vor direkten Eingriffen des Areopags und der Archonten geschützt werden. Mit der Volksversammlung war auch eine andere Institution, das Geschwore­ nengericht, die Heliaia (ηλιαία), die in einem bei dem attischen Redner Lysias zitierten Gesetz (Lys. 10,16) erwähnt wird, eng verbunden. Über das Verhältnis zwischen den beiden Institutionen ist uns zwar nichts Näheres bekannt, man kann jedoch annehmen, daß die Mitglieder des Geschworenengerichtes in der Volksversammlung gewählt wurden. 58

Gesetze

Solon hat eine Verfassung aufgestellt und neue Gesetze erlassen. Die Rechtssätze Drakons setzte er außer Kraft, abgesehen von denjenigen über den Mord. Die Gesetze wurden auf die bekannten Holztafeln (Kyrbeis) geschrieben, in der Königshalle aufgestellt, und alle schworen, sich an sie halten zu wollen. (Der Staat der Athener 7,1) Die Gesetze [...] ließen sie auf hölzerne Axones aufschreiben, die man in länglichen Behältern herumdrehen konnte. Noch zu unserer Zeit erhielten sich wenige Überbleibsel davon im Prytaneion. Nach Aristoteles hießen sie Kyrbeis. (Plut., Solon 25,1) Neben den erhaltenen Versen Solons bilden die Fragmente seiner Gesetze, die wir verstreut bei vielen antiken Autoren vorfinden, eine wichtige Quelle für die Kenntnis seiner Tätigkeit. Des öfteren wird berichtet, daß die Gesetze auf Axones (άξονες) oder auf Kyrbeis (κύρβεις) auf gezeichnet wurden. Der Ausdruck άξονες ist im ganzen verständlich. ’Ά ξων bedeutet »Achse« bzw. »Wagenachse«, woraus gefolgert werden kann, daß die Gesetze Solons auf hölzerne Prismen, die sich um ihre Achsen drehen konnten, geschrieben wurden. Höchstwahrschein­ lich hat man die Buchstaben in das Holz eingeschnitzt und mit Farbe ausgemalt, ähnlich wie es bei den in steinerne Stelen eingemeißelten Inschriften üblich war. Schwieriger ist die Interpretation des Ausdrucks κύρβεις. Bereits in der Antike war es nicht klar, wodurch sie sich eigentlich von den άξονες unterschieden. Einige Autoren behaupteten, daß auf den κύρβεις die Gesetze über den Gottes­ dienst und die Opfer oder auch die öffentlichen Angelegenheiten veröffentlicht waren und die anderen Gesetze auf den άξονες. Wir finden jedoch auch andere Angaben über die κύρβεις, und zwar, daß sie aus Stein, aus Holz oder auch aus Erz waren oder daß sie im Unterschied zu den viereckigen άξονες dreieckig waren. Eine ähnliche Unsicherheit herrscht auch in der Fachliteratur. Einige Forscher sahen den Unterschied darin, daß auf den steinernen κύρβεις Auszüge aus den άξονες aufgezeichnet worden seien, andere glaubten, daß der ganze Text der 59

Gesetze Solons sowohl auf κύρβεις als auch auf άξονες gestanden habe, wobei die hölzernen άξονες während der persischen Okkupation Athens nach der Schlacht an den Thermopylen vernichtet worden seien. Es wurde auch die Meinung vertreten, der Ausdruck κύρβεις habe das altertümliche athenische Recht bezeichnet. Gab es jedoch einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den beiden Bezeichnungen? In den Zitaten der Gesetze Solons erscheint des öfteren der Ausdruck άξονες. Aber auch in den Angaben, in denen der Ausdruck κύρβει ς vorkommt, unterscheiden sich die zitierten Gesetze weder thematisch noch in der Form der Aufzeichnung von denjenigen Belegen, in denen das Wort άξονες gebraucht wird. Plutarch (Solon 25,2) zitiert zwei Verse des komischen Dichters Kratinos, in denen scherzhaft bemerkt wird, daß man »jetzt mit den Kyrben Solons und Drakons Gerste röstet«. Dieser aus der zweiten Hälfte des 5.Jahrhunderts stammende Beleg scheint also anzudeuten, daß die κύρβεις - ähnlich wie die άξονες - aus Holz waren. Der Herausgeber der Fragmente der Solonischen Gesetze, E. Ruschenbusch, kam zur Schlußfolgerung, daß die κύρβεις hölzerne Rahmen waren, d. h. jene von Plutarch (Solon 25,1) erwähnten »länglichen Behälter«, in die viereckige Prismen - άξονες - eingebaut waren. Man konnte die άξονες um ihre Achsen drehen und auf diese Weise den Text der Gesetze bequem lesen. Wenn die Prismen mit der Kante nach vorn gedreht waren, konnte der Eindruck entstehen, sie seien dreieckig. Daraus entwickelte sich vielleicht die Version, daß die κύρβεις dreieckig waren. Die Erläuterungen E. Ruschenbuschs wurden u. a. von A. Andrewes gebilligt, der jedoch im Unterschied zu ihm nicht für eine vertikale, sondern für eine horizontale Einsetzung der Prismen (άξονες) in die Rahmen (κύρβεις) plädierte, die besser der Lage von Wagenachsen entspricht. Da in den Scholien zu den »Vögeln« des Aristophanes (1354; p.239 Dübner) die κύρβεις als »kupferne Bretter« (χαλκαί σανίδες) bezeichnet werden, sprach er die Vermutung aus, man könnte diese beim Rösten der Gerste eher als eine Art Pfannen und nicht als Brennstoff verwendet haben. Gründlich befaßte sich unlängst R. S. Stroud mit der antiken Überlieferung über die κύρβεις. Nach seiner Vorstellung seien die Drakontischen sowie auch die Solonischen Gesetze zuerst auf hölzernen άξονες aufgezeichnet worden, und erst später - wahrscheinlich während des ersten Viertels des 5.Jahrhunderts habe man einige Satzungen Drakons und alle Gesetze Solons in bronzene κύρβεις eingraviert und auf der athenischen Agora aufgestellt. In diesem Zusammenhang verwies er auf einige steinerne Sockel mit Spuren von dreieckigen Stelen aus Bronze, die bei den archäologischen Ausgrabungen auf der Agora gefunden 60

wurden. Er selbst bezeichnete jedoch seine Ausführungen nur als eine Hypo­ these. Bei einigen Gesetzesfragmenten sind auch die Nummern der άξονες angege­ ben, auf denen die betreffenden Gesetze aufgezeichnet worden sind. Plutarch berichtet (Solon 23,3), daß die Preise, die für die außerordentlichen Opfer bestimmt wurden, auf dem 16. άξων zu finden seien. Auch die Bemerkung des Lexikographen Harpokration (140,30), der als Bestimmung über Adoption »Solon im 21. der Gesetze« anführt, ist wahrscheinlich auf die Nummer des άξων zu beziehen. Die genaue Anzahl der άξονες ist jedoch nicht überliefert. Die Gesetze Solons waren im Grunde genommen fast zweihundert Jahre in Kraft. Erst im Jahre 403, als in Athen die oligarchische Regierung beseitigt und die demokratische Verfassung wiederhergestellt wurde, kam es zur Aufzeichnung eines neuen Codex. Einige Bestimmungen der άξονες waren jedoch schon viel früher veraltet. Dies betraf vor allem die Höhe der Bußen für einzelne Delikte. Mit der Entwicklung der Geldwirtschaft fiel die Kaufkraft von Silber beträcht­ lich. Die in den Gesetzen des Jahres 403 festgesetzte Geldbuße für Verleumdun­ gen (Lysias 10,6; 8; 12) übertraf eine ähnliche Bestimmung der Gesetze Solons (Plut. Sol. 21,1) sogar um das Hundertfache. Bereits aus einigen inschriftlichen Belegen des 5. Jahrhunderts geht hervor, daß die auf den άξονες bestimmte Höhe der Geldstrafen nicht eingehalten werden konnte. Es ist jedoch nicht bekannt, ob schon damals neue Geldbußen festgelegt wurden. Das Gericht bestimmte wahrscheinlich in einigen Fällen die Höhe der Geldbuße individuell unter Berücksichtigung des Eigentums des Täters. Auch nachdem die Gesetze Solons ihre Gültigkeit verloren hatten, wurden die άξονες im athenischen Prytaneion aufbewahrt. Einige Angaben aus der hellenisti­ schen Zeit weisen darauf hin, daß sie mindestens bis zum Ende des 3. Jahrhun­ derts V. Chr. erhalten blieben. Wenn wir uns auf das oben zitierte Zeugnis des Plutarch (Solon 25,1) verlassen dürfen, dann befanden sich deren Reste im Prytaneion noch in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr. Wie schon oben in der Darlegung über die Gesetzgebung des Drakon bemerkt wurde, knüpfte Solon offenbar an die Satzungen Drakons an, die sich mit Mord und mit der nicht vorsätzlichen Tötung befaßt haben. In den Scholien zur Ilias (2,665; Dindorf) wird die gesetzliche Rechtsprechung im Falle einer Tötung als »hellenisch« bezeichnet und gleichzeitig das Prinzip der Blutrache verurteilt. Es erhielten sich jedoch noch ziemlich lange einige Reste dieser altertümlichen Gewohnheit im athenischen Recht. Die Wirkung des Prinzips der Blutrache ist wohl in einem bei Demosthenes (23,82) erhaltenen Gesetz bemerkbar. Den Verwandten des Bürgers, der durch Gewalt gestorben war, sollte gestattet sein, »Geiseln zu nehmen, bis diese Genug61

tuung für den Totschlag versprechen oder die Täter aush'efern. Es sollen höch­ stens drei Personen gefangen werden und nicht mehr.« Einige Forscher waren der Meinung, es habe sich in diesem Falle um die Ermordung eines athenischen Bürgers in der Fremde gehandelt und die Geiseln seien aus den Bürgern des Staates, in dem sich die Tötung ereignet hatte, ausgesucht worden. Diese Vermutung ist jedoch wenig wahrscheinlich. Zwischen den griechischen Poleis gab es nämlich gewöhnlich Vereinbarungen über die Regelung solcher Gewalttaten. Wenn man durch die Festnahme von Geiseln auf die Behörden des betreffenden Staates Druck ausüben wollte, dann hätte man kaum die Klausel hinzugefügt, daß höchstens drei Personen gefangen werden durften. Die Fest­ nahme von Geiseln ist eher als ein Überrest des Prinzips der Blutrache zu verstehen. Durch die begrenzte Zahl der gefangenen Personen sollten jedoch die Auswirkungen der alten Gewohnheit beschränkt und eine Versöhnung zwischen der Familie des getöteten Bürgers und derjenigen des Täters erleichtert werden. Aus einem Gesetz Solons, das bei Demosthenes (23,53) und auch bei Plutarch (Solon 23,1) bezeugt wird, geht hervor, daß die Tötung eines Ehebrechers nicht strafbar war, wenn ihn der Täter bei seiner Gemahlin oder auch bei seiner Schwester oder seiner Tochter antraf. Während der klassischen Zeit der griechi­ schen Geschichte wurde die unvorsätzliche Tötung entweder von den Beamten­ richtern, den sogenannten Ephetai (έφέται), oder - wahrscheinlich später - von dem Geschworenengericht, der Heliaia (ήλιαία), abgeurteilt; für Mord war jedoch der Areopag zuständig. Strittig ist aber, ob es ähnlich bereits zur Zeit Solons war. Man sollte zwischen dem Areopag als einer politischen Institution des athenischen Staates und dem Areopag als einem Gerichtshof unterscheiden. Die letztgenannte Kompetenz fiel diesem Gremium erst im Verlauf des 6. oder spätestens in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts zu. In der »Orestie«, der im Jahre 458 uraufgeführten Trilogie des Aischylos, mußte sich Orest wegen des begangenen Muttermordes vor dem Areopag als dem zuständigen Gerichtshof verantworten. Einige erhaltene Fragmente der Gesetze Solons sind den Verletzungen des Eigentumsrechtes gewidmet. Der verurteilte Dieb war verpflichtet, den verur­ sachten Schaden in zweimaliger Höhe zu entrichten. Der römische Schriftsteller Aulus Gellius aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert (Noct.Att. 11,18,3) bezeichnet diese Bestimmung Solons als eine weitgehende Änderung im Vergleich zu Drakon, der Diebstahl mit dem Tode bestraft habe. Wie schon bei der Behandlung der Drakontischen Gesetzgebung betont wurde, befaßten sich die Satzungen Drakons offenbar mit Mord und mit Tötung, während die Bestrafung der übrigen Vergehen der privaten Initiative der geschädigten Bürger überlassen wurde. Aus einem bei Lysias, dem attischen Redner aus dem 5./4. Jahrhundert, 62

erhaltenen Fragment (10,16) erfahren wir, daß der Dieb auch eine körperliche Strafe - Einsperrung in einen Fußblock (ποδοκάκκη) - zu erleiden hatte, wenn ihn das Geschworenengericht (ηλιαία) dazu verurteilte. Derselbe Autor bezeugt (10,17), daß es nach einem Gesetz Solons verboten war, das Haus zu schließen, wenn sich ein Dieb darin befand. Mit Geldbußen, die verhältnismäßig hoch waren, wurden Sittlichkeitsdelikte bestraft. Nach Plutarch (Solon 23,1) soll Solon für den, »der eine freie Frau entführte und vergewaltigte«, 100 Drachmen als Strafe bestimmt haben, und einem Kuppler, wenn es sich nicht um eine der Frauen, »die sich öffentlich verkauften«, handelte, soll eine Geldbuße von 20 Drachmen gedroht haben. Obwohl es auf Grund der Seisachtheia untersagt war, sowohl mit eigenem Leib für Schulden zu haften als auch eigene Kinder in die Sklaverei zu verkaufen, gab es nach Plutarch (Solon 23,2) eine Ausnahme, und zwar, wenn man »eine ertappt, die sich als Jungfrau mit einem Manne eingelassen hat«. Niedrigere Geldbußen wurden für Beleidigungen festgesetzt. Wer jemanden »im Tempel, vor Gericht, vor der Obrigkeit, bei öffentlichen Spielen« beleidigte, mußte »drei Drachmen an den Privatmann und zwei andere in die öffentliche Kasse« bezahlen. Aus dem bei Plutarch (Solon 21,2) erhaltenen Text ist nicht ersichtlich, ob nur eine Beleidigung der anwesenden Person oder auch eine in Abwesenheit des Betreffenden ausgesprochene Verleumdung strafbar war. Plut­ arch selbst verstand diese Bestimmung im Sinne einer persönlichen Beleidigung eines anwesenden Mitbürgers, da er bemerkte, daß derjenige, der seinen Zorn nirgends zu bezähmen wisse, »unerzogen und zügellos« sei. Für die spätere Zeit ist jedoch die Ahndung der Beleidigungen abwesender Personen bekannt, wenn diese in der Öffentlichkeit ausgesprochen wurden. Lysias erwähnt sogar (10,6; 8; 9; 12) einige konkrete Verbalinjurien, die man zu seiner Zeit - vielleicht jedoch auch schon früher - für strafbar hielt. Verfolgt wurden nicht nur Straftaten gegen private Personen, sondern auch Vergehen, durch die die Stabilität der Polis gefährdet wurde. Im »Staat der Athener« lesen wir (16,10), daß es in Athen ein altes Gesetz gab, das so lautete: »Wenn einer nach der Tyrannis strebt und ein solches Streben unterstützt, so seien er und seine Familie (γένος) der politischen Rechte beraubt.« An einer anderen Stelle derselben Schrift wird berichtet (8,4), Solon habe ein Gesetz über die Einleitung eines außerordentlichen Verfahrens (εισαγγελία) gegen Verschwö­ rungen zum Umsturz der Staatsordnung eingeführt. Große Aufmerksamkeit zog bereits in der Antike ein dem Solon zugeschriebe­ nes Gesetz auf sich, nach dem, wer »beim Ausbruch von Unruhen in der Polis ίατασιαζούσης τής πόλεως) nicht für eine Partei unter Waffen träte«, der Bürgerrechte beraubt werden sollte. Im »Staat der Athener« (8,5) wird dieses 63

Gesetz dadurch erläutert, daß »es oft zu Unruhen in der Polis kam und einige Bürger aus Leichtsinn der Sache ihren Lauf ließen«. Das Gesetz wird auch von Cicero (ad Att. 10,1,2) und Aulus Gellius (Noct.Att. 2,12,1) zitiert, und eine Anspielung klingt vielleicht auch bei Diogenes Laertios an, der behauptet (1,58), Solon habe sich während der Unruhen in Athen (στάσεως γενομένης) - vor der Entstehung der Tyrannis des Peisistratos - keiner der drei streitenden Parteien angeschlossen, was wahrscheinlich in der Vorlage, aus der Diogenes schöpfte, als Beweis dafür angesehen wurde, daß Solon seine eigenen Gesetze nicht einhielt. Plutarch bezeichnet diese Bestimmung in seiner Biographie Solons (20,1) als »das sonderbarste und seltsamste« der Gesetze Solons, und ähnlich äußert er sich auch in zwei seiner anderen Schriften (Moral. 550 C; 823 F). Auch viele Forscher bringen ihr Erstaunen zum Ausdruck und weisen darauf hin, daß Solon in seinen Gedichten mehrmals zur Aussöhnung auffordere und sich um eine Kompromiß­ lösung bemühe, was zu dem erwähnten Gesetz im krassen Gegensatz stehe. Kein Wunder, daß dieses Gesetz als eine späte Erfindung bezeichnet wird. Eine andere Erklärung sucht E. Ruschenbusch, der die Meinung vertritt, daß das in dem Gesetz benützte Wort στασιάζειν in der älteren Zeit vielleicht nicht den Streit innerhalb der Polis bezeichnete, sondern in einem breiteren Sinn für einen Konflikt, d.h. auch für einen Krieg mit einem äußeren Feind verwendet worden sei. In diesem Fall wäre das Gesetz gegen diejenigen Bürger gerichtet gewesen, die sich geweigert hätten, ihre militärische Pflicht für die von außen bedrohte Polis zu erfüllen, und man hätte es erst später (im »Staat der Athener«) mißverstanden und falsch interpretiert. Dies ist jedoch nur eine Vermutung. Die Rechte der athenischen Bürger offenbarten sich deutlich in der Bestim­ mung, daß es »jedem gestattet war, andere gegen ungerechte Handlungen (τα αδικούμενα) zu schützen« (Arist. Ath. Pol. 9,1; ähnlich auch Plut. Sol. 18,6). Dies war eine grundsätzliche Neuerung im Vergleich zur bisherigen Verfolgung von Unrecht auf Grund von verwandtschaftlichen und auf der Gentilordnung beruhenden Bindungen. Die Verantwortung für die Untersuchung und Bestra­ fung eines Vergehens ging jetzt auf den Staat über, und jeder Bürger war berechtigt, eine Klage einzubringen. Dieses Prinzip erstreckte sich jedoch offen­ bar nicht auf die Verfolgung eines Mordes und einer nicht vorsätzlichen Tötung, wo sich - wie oben gezeigt wurde - die auf verwandtschaftlichen Bindungen beruhenden Gewohnheiten erhielten. Zur Festigung der Rechtsordnung der athenischen Polis trugen auch einige Maximen des Gerichtsverfahrens bei, vor allem die Forderung nach Zeugenver­ nehmungen und nach Eidesleistungen der beiden Parteien. Bei der Entscheidung stimmten die Richter mit Hilfe von schwarzen und weißen Steinchen. Der Ausdruck ψηφίδες für diese »Stimmsteinchen« war so geläufig, daß es der 64

Verfasser der antiken Scholien zur »Ilias« für nötig hielt (Schol. Gen. Horn. II. 21,260), darauf hinzuweisen, der Dichter habe an der Stelle, wo über die Ausgrabung eines Bewässerungsgrabens gesprochen werde, gewöhnliche Stern­ chen (ebenfalls ψ ηφίδες) im Sinne gehabt und nicht diejenigen, die auf den athenischen Axones (άξονες) erwähnt würden. Einige Belege befassen sich mit dem Familienrecht in den Gesetzen Solons. In der Familie (οίκος, eigentlich »Haus«, »Haushalt«), die den Keim der atheni­ schen Bürgergemeinschaft bildete, überlebten auch ältere Bindungen der Stam­ mes- und Gentilgemeinschaft. Von besonderer Bedeutung für die Eigentumsver­ hältnisse war das Erbrecht. Aus dem »Staat der Athener« (35,2) erfahren wir, daß während der oligarchischen Herrschaft der sogenannten dreißig Tyrannen am Ende des 5. Jahrhunderts einige Änderungen an der altertümlichen Gesetzgebung vorgenommen wurden. Unter anderem habe man zwar das Gesetz Solons bestä­ tigt, nach dem jeder Bürger »sein Eigentum, wem er wollte, zu geben ver­ mochte«, dabei jedoch den Zusatz gestrichen, daß das Testament nur dann gültig sei, wenn es bei gutem Gesundheitszustand und ohne äußeren Druck errichtet worden sei. Auf diese Weise soll man dem Auftreten von Sykophanten entgegen­ gewirkt haben. Nach Plutarch (Solon 21,3) war die Testierfreiheit in der früheren Zeit nicht erlaubt, sondern »Geld und Haus mußten in dem Geschlecht (γένος) des Verstor­ benen bleiben«. Erst »Solon gestattete, wenn jemand keine Kinder hatte, sein Vermögen, wem er wollte, zuzuwenden, [und] gab [so] der Freundschaft mehr Ehre als der Verwandtschaft und dem guten Willen mehr als dem Zwang, und machte so das Vermögen erst zum Eigentum der Besitzenden«. Diese Erläuterung des Plutarch wurde manchmal auch in der Fachliteratur übernommen. Gerade das Gesetz über die Vererbung hielt man für den Beweis, daß Solon das Prinzip des Privateigentums in die Vermögensverhältnisse einge­ führt habe und daß der athenische Bürger bereits zu dieser Zeit imstande gewesen sei, über sein Vermögen nach seinem freien Willen zu verfügen. Plutarch erwähnt jedoch ausdrücklich, daß die Testierfreiheit lediglich den kinderlosen Bürgern gestattet war. Auch in dem bei Demosthenes (46,14) erhaltenen Text dieses Gesetzes finden wir die Klausel »wenn es keine eigenen Kinder männlichen Geschlechts gibt«, und es wird dort betont, daß das Recht, letztwillig zu verfügen, nicht denjenigen zustand, die adoptiert worden waren. Deswegen vertraten einige Forscher die Meinung, daß durch dieses Gesetz eigentlich nicht die Erbfolge, sondern eher die Adoption geregelt worden sei. Die athenischen Redner des 4.Jahrhunderts verwenden zwar manchmal für die Adoption dieselben Ausdrücke wie für die Erbfolge. Dies kam jedoch wahrscheinlich daher, daß es im athenischen Recht 65

kein Gesetz über die Adoption gab und statt dessen das Erbgesetz angewandt wurde. Wenn es sich auch um zwei verschiedene Akte handelte, verfolgten doch sowohl die Adoption als auch das Testament dasselbe Ziel - das Vermögen eines kinderlosen Bürgers in seiner Familie zu erhalten. Aus der bei Demosthenes vorhandenen Fassung des Gesetzes kann gefolgert werden, daß die Adoption bereits vor dem Archontat Solons existierte. Aus dem bereits erwähnten Zusatz, nach dem das Testament nicht für rechtsgültig gehalten wurde, wenn der Verfügende nicht selbständig entscheiden konnte, geht hervor, daß das Gesetz nicht die Adoption, sondern die Erbfolge betraf. Der Bürger hatte kein Recht, Teile seines Vermögens verschiedenen Personen zu hinterlassen, sondern er mußte es als ein Ganzes einem einzigen Erben anvertrauen. Wichtig war die Bestimmung, daß ein Adoptivsohn kein Testament errichten durfte. Wenn der umstrittene Sinn dieses Passus so richtig wiedergegeben ist, dann wollte man damit wahrscheinlich verhindern, daß ein kinderloser Adoptiv­ sohn das Vermögen seinen Blutsverwandten vermachte und die leiblichen Ver­ wandten seines Adoptivvaters aus der Erbschaft ausschloß. Die Klausel verfolgte also das Ziel, das Vermögen in der Familie des ursprünglichen Eigentümers zu erhalten. Ein weiteres Novum dieses Gesetzes Solons steckte in dem Grundsatz, daß das Testament nur dann gültig war, wenn der Erblasser aus freiem Willen und ohne jeglichen Zwang handelte. Zur Erhaltung des Vermögens in der Familie dienten auch Satzungen über die Erbtochter (έπίκληρος), d. h. eine Frau, deren Vater keine männlichen Erben hinterließ. Die Interpretation einiger erhaltener Fragmente ist jedoch nicht ein­ deutig. Dies betrifft zum Beispiel das Gesetz, nach dem der Erbtochter gestattet worden sei, »wenn der Mann, den sie nach dem Gesetz geheiratet hatte, nicht imstande wäre, ihr beizuwohnen, sich einem der nächsten Verwandten des Mannes hinzugeben«. Plutarch (Solon 20,2) bezeichnet dieses Gesetz als »abson­ derlich und lächerlich«, fügt aber hinzu, daß es vielleicht gegen solche Männer erlassen wurde, die reiche Erbinnen nur »des Geldes wegen« heirateten. Diese Erläuterung ist jedoch lediglich ein späterer Versuch, die Bestimmung Solons, deren Sinn nicht mehr deutlich war, auf irgendeine Weise zu interpretieren, ln Wirklichkeit bezeichnete das im Text des Gesetzes benützte Zeitwon: wtuâ'Çcσθαι offenbar nicht den außerehelichen Verkehr, sondern eine regelrechte Ver­ heiratung. Die Erbtochter war wahrscheinlich verpflichtet, einen anderen Ver­ wandten zu heiraten, wenn ihre Ehe mit dem ersten Mann unfruchtbar blieb. Das Ziel der Satzung war, das Vermögen in der Familie zu halten. Eine Festigung der Familie verfolgten auch die Gesetze, die sich mit dem Verhältnis zwischen den Eltern und den Kindern befaßten. Der Sohn war verpflichtet, seinen alt gewordenen Vater zu ernähren. Eine Anspielung auf dieses 66

Gesetz finden wir in den »Vögeln« des Aristophanes (1353-7), und es wird auch bei den späteren Autoren (Ael. Nat. anim. 9,1; Liban. Deel. 11,14) bezeugt. Plutarch erwähnt auch Ausnahmen von dieser Bestimmung. So berichtet er (Solon 22,1), daß ein Sohn diese Pflicht nicht habe erfüllen müssen, wenn ihn sein ■ater »kein Handwerk (τέχνη) habe erlernen lassen«. Mit diesem Gesetz soll Solon seine Mitbürger zu handwerklicher Tätigkeit ermuntert haben. Große Aufmerksamkeit widmete Solon den Verhältnissen in der Landwirt­ schaft. An das bei Plutarch (Solon 23,7) erwähnte Gesetz über die Grundsätze der nachbarlichen Beziehungen zwischen den Landwirten knüpfte noch der römische Jurist Gaius im 2. Jahrhundert n.C hr. an (Dig. 10,1,13). Um die schwierige Lage der athenischen Landwirtschaft zu verbessern, hat Solon nach Plutarch (Solon 24,1) ein Gesetz erlassen, nach dem die Ausfuhr aller Erzeugnisse des Landes mit Ausnahme von Olivenöl verboten wurde. Wie Aristoteles in der »Politik« (1266 b 14) bemerkt, stammte von Solon auch das Verbot, unbeschränkt Grund und Boden zu erwerben. Aus einer Stelle des Onomastikons von Iulius Pollux (7,151) geht hervor, daß sich Solon auch mit dem Land, das für einen gewissen Anteil am Ernteertrag bebaut wurde (γή επίμορτος), befaßt hat. Diese Bestimmung gehörte offenbar zur Seisachtheia, genauso wie das von Plutarch (Solon 19,4) bezeugte »achte Gesetz auf dem dreizehnten Axon«, das unter anderem eine Amnestie zugunsten der ergriffenen Darlehensschuldner vorsah, die »wieder in ihre Rechte eintreten« (επιτίμους είναι) sollten. Solon verordnete auch, daß »die Braut drei Kleider, Hausgerät von niedrigem Wert und nichts anderes mitbringen durfte«. Nach Plutarch (Solon 20,6) war die Absicht des Gesetzgebers, »daß die Ehe nicht eine Geschäfts- und Kaufangele­ genheit sein, sondern daß die Vereinigung von Mann und Frau zum Zweck der Kinderzeugung in Liebe und Zärtlichkeit geschehen sollte«. Solon verfolgte jedoch ein anderes Ziel. Durch Aufhebung der Mitgift und Festsetzung einer bescheidenen Brautausstattung wollte er höchstwahrscheinlich die kleineren Landwirte vor der übermäßigen Belastung, die ihnen die Verehelichung ihrer Töchter oder Schwestern gebracht hatte, schützen. Ähnlich motiviert war offen­ bar auch die Vorschrift gegen den Aufwand bei Begräbnissen, die bei Plutarch (Solon 21,5) sowie bei Cicero (de leg. 2,59), der da sogar einen direkten Einfluß der Solonischen Gesetzgebung auf die römischen Zwölftafelgesetze erkennen will, erhalten ist. Einige antike Autoren (Aeschin. 1,138; 139; Plut. Sol. 1,6; Plut. Moral. 152 D; 751 B; Hermias Alex, in Plat. Phaedr. 231 E) verweisen auf das Gesetz Solons, nach dem es den Sklaven verboten wurde, »sich trocken zu salben« (ξηραλοι((-εϊν), d.h. sich vor den Leibesübungen mit Öl einzureiben, und »Knaben zu 67

lieben« (παιόεραστεΐν). Die Teilnahme an den gymnischen Übungen wurde nämlich für ein Privileg der Freien gehalten, und ähnlich beurteilte man die Päderastie, Zuletzt sei noch auf das Gesetz Solons hingewiesen, nach dem den Fremden das Bürgerrecht erteilt wurde. Zu athenischen Bürgern hat man nach Plutarch (Solon 24,4) nur diejenigen gemacht, »die für immer aus ihrem Vaterlande verbannt sind oder mit ihrem ganzen Hause nach Athen übersiedeln wollen, um ein Gewerbe zu betreiben«. Die neuen Bürger sollten also zur Entwicklung der handwerklichen Produktion in Athen beitragen.

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Maß- und Gewichtsreform

Vor der Gesetzgebung hatte er die Schuldentilgung durchgeführt, und nach ihr folgte die Aufwertung der Maße, Gewichte und des Geldes. Denn unter ihm wurden die attischen Maße größer als diejenigen Pheidons, und die Mine, die zuvor ein Gewicht von siebzig Drachmen besessen hatte, wurde nun auf hundert gebracht. Die ursprüngliche Prägung war die der Doppeldrachme. Solon führte auch Gewichte ein, die der Münze entsprachen: 63 Minen machten dann ein Talent aus. Die drei Minen wurden aufgeteilt auf die . Statere und die anderen Maßeinheiten. (Der Staat der Athener 10) Die zitierte Stelle wurde seit der Entdeckung des Textes des aristotelischen »Staates der Athener« auf ägyptischem Papyrus von Klassischen Philologen, Althistorikern und Numismatikern eifrig studiert und diskutiert. Über die Maßund Gewichtsreform Solons berichtet auch Plutarch (Solon 15,3-4), der sich wie schon oben bei der Darlegung der Seisachtheia erwähnt wurde - auf Androtion beruft. Nach dessen Meinung habe Solon »nicht durch Aufhebung der Schulden, sondern nur durch Ermäßigung der Zinsen [...] den Armen Erleichte­ rung geschaffen, und diese seien damit zufrieden gewesen und hätten diese humane Maßnahme und die gleichzeitig erfolgte Heraufsetzung der Maße und des Geldwertes als Lastenabschüttelung bezeichnet. Denn er setzte die Mine, die bis dahin dreiundsiebzig Drachmen gegolten hatte, auf hundert Drachmen, so daß zahlenmäßig bei gleicher, wertmäßig geringerer Rückzahlung die Zahlenden einen erheblichen Vorteil hatten, ohne daß die Empfangenden einen Schaden litten.« Die Schlußfolgerung dieser Erläuterung ist auf den ersten Blick naiv. Wie schon bemerkt, verband Androtion zu Unrecht die Maß- und Gewichtsreform mit dem Schuldenerlaß. Ausführlicher ist der im »Staat der Athener« erhaltene Bericht, in dem Solon weitreichende Änderungen im athenischen System der Maße und Gewichte und gleichzeitig eine Münzreform zugeschrieben werden. Wie schon bemerkt, wurden in der Forschung viele Erwägungen und Hypo­ thesen über den Charakter dieser Maßnahmen Solons geäußert. Ziemlich bald tauchten Zweifel an der Wahrscheinlichkeit der Münzreform auf. EM .Linforth 69

erklärte in seiner im Jahre 1919 publizierten Monographie über Solon, es besieht? keine Sicherheit darüber, ob in Athen zur Zeit Solons Münzen geprägt worden seien, und bezeichnete (296) »die Autorschaft Solons bei der Gewichts-, Mais­ und Münzreform als völlig ungewiß«. Diese Warnung blieb jedoch meistens unbeachtet. Sehr oft wurde gerade dic Münzreform in den Vordergrund der Maßnahmen Solons gestellt, und man versuchte auch - im Einvernehmen mit Androtion - den Zusammenhang mit de-y Seisachtheia zu beweisen. Einige Forscher vertraten sogar die Ansicht, Solon habe auch die ältesten athenischen Tetradrachmen mit dem Kopf Athenas auf dor Vorder- und mit der Eule auf der Rückseite prägen lassen. Neuere numismatische Forschungen führten jedoch zu ganz anderen Schlußfolgerungen. Athen begann höchstwahrscheinlich erst in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts, Münzen z u prägen, und die ältesten »Eulen« sind kaum früher als in die zwanziger Jahre d vs 6. Jahrhunderts zu datieren. Es ist nicht verwunderlich, daß einige Forscher die Maß- und Gewichtsrefory,, Solons für eine späte Erfindung halten. In der klassischen Zeit wurden in Athon vorwiegend Tetradrachmen geprägt, wogegen die äginetische Standardmünze die Doppeldrachme war. Die Mine auf dieser Insel enthielt wahrscheinlich 70 Drach­ men, im Unterschied zu Athen, wo sie aus 100 Drachmen bestand. Diose Voraussetzungen führten zur Annahme, der im 10. Kapitel des »Staates der Athener« erhaltene Bericht sei lediglich als eine wertlose ätiologische Erfindung zu betrachten, durch die die bestehenden Unterschiede zwischen den beiden Gewichts- bzw. Münzsystemen erklärt werden sollten. Diese skeptische Meinung ist jedoch vielleicht übertrieben. Da der Autor dcBerichtes im »Staat der Athener« wahrscheinlich die Gesetze Solons direkt benutzen konnte, ist es wohl möglich, daß es dort auch Bestimmungen über die Maße und Gewichte gab. Eine Festsetzung von Maßeinheiten war für dieEinführung der auf dem jährlichen Ernteertrag beruhenden timokratischen Ver­ fassung von großer Wichtigkeit. Im Zusammenhang damit kann auch die Eintei­ lung der Mine in 100 Drachmen kodifiziert worden sein. Da die Drachme spater auch zur Einheit des Münzfußes wurde, verstand man dann die erwähnte Maßnahme Solons auch als eine Art Münzreform. Kaum berechtigt ist jedoch die Hypothese, daß die Einführung des neuen Systems der Maße und Gewichte der Förderung der athenischen Wirtschaft dienen sollte.

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Dichter und Denker

Der Dichtkunst scheint er sich anfänglich zu keinem ernsthaften Zweck bedient zu haben, sondern zum Scherz, um sich in Mußestunden daran zu erfreuen. Später hat er philosophische Sprüche in Verse gebracht und viele politische Gedanken in seine Gedichte verwoben, nicht um der Belehrung und Einprägung willen, sondern zur Rechtfertigung seiner Handlungen und bisweilen, um die Athener zu mahnen, zu warnen und ihnen den Kopf zurechtzusetzen. (Plutarch, Solon 3,4) Die Fragmente der Gedichte Solons sind in vielen Werken der antiken Literatur verstreut, wobei manche Verse mehrmals belegt sind. Die meisten finden wir in Solons Biographie von Plutarch und im »Staat der Athener«, einige bei Diogenes Laertios sowie in den Anthologien des frühchristlichen Schriftstellers Clemens von Alexandrien (Wende vom 2. zum 3.Jahrhundert) und des Neuplatonikers loannes Stobaios (wahrscheinlich 5. Jahrhundert). Einzelne Zitate sind auch in anderen Schriften Plutarchs, weiter bei Platon, Aristoteles, Demosthenes und bei vielen anderen antiken Autoren und Kommentatoren zu finden. Einige Verse kommen auch - wörtlich oder nur wenig modifiziert - in den dem Dichter Theognis von Megara zugewiesenen Elegien (dem sogenannten Corpus Theognideum) vor. In vielen Gedichten Solons spiegelt sich die politische Lage im damaligen Athen wider, und er begründet und verteidige in ihnen des öfteren seine eigene öffentli­ che Tätigkeit. In einigen Versen äußert er seine Ansichten über die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse und über den Verlauf des menschlichen Lebens. In manchem knüpft er an bereits in früheren Werken der griechischen Poesie ausgesprochene Vorstellungen an, wobei jedoch die spezifische Thematik seiner Zeit sowie seiner Heimat im Vordergrund steht. Es klingen auch einige Gedanken an, die später in der attischen dramatischen Dichtung weiterentwickelt werden. Zu den berühmtesten Gedichten Solons gehört die 1. Elegie (nach der Nume­ rierung in der Edition von B. Gentili und C. Prato), die auch als Musenelegie bezeichnet wird. Mit der einleitenden Anrufung der Musen Pieriens knüpft Solon wohl bewußt an Hesiods »Werke und Tage« an. Er äußert den Wunsch, sich »zu jeglicher Zeit einen ehrenden Beruf« zu bewahren. Dies bedeutet jedoch nicht, 71

daß er mit einem jeden auf gutem Fuße stehen wollte, sondern er unterscheidet ausdrücklich zwischen dem Verhältnis zu Freund und zu Feind. Dieser allgemei­ nen Maxime kam zur Zeit der zugespitzten sozialen und politischen Konflikte aktuelle Bedeutung zu. Der Dichter fleht die Götter an, sie sollten ihm Reichtum vergönnen. Ähnlich wie bereits Hesiod möchte jedoch auch Solon irdischen Besitz nicht um jeden Preis erhalten, sondern jedes gesetzlose (αόικος) Tun meiden, dem das Verhäng­ nis (άτη) folgt und das den Menschen ins Unglück treibt. Es ist bestimmt kein Zufall, daß auch der legendäre Solon bei Herodot auf ähnliche Weise das Glück nicht im Reichtum erblickt und den Lyderkönig Kroisos vor dem unberechenba­ ren Schicksal warnt, das auch den reichsten Sterblichen bedrängen könne. Zeus wacht über den Ausgang eines jeden Geschehens und übt Vergeltung. Es besteht jedoch keine vollkommene Analogie. In seiner Elegie lehnt Solon jegliches ehrlose Mittel beim Erwerb von Reichtum ab. Der Gedanke, daß der G ott nicht nur den Schuldigen, sondern auch dessen Nachfahren zu bestrafen weiß, ruft das grauenvolle Schicksal der königlichen Familie von Mykene in Aischylos’ Orestie ins Gedächtnis. Solon demonstriert dann die Unbeständigkeit des menschlichen Lebens mit einigen Beispielen. Der Kaufmann, der Landwirt, der Handwerker, der Dichter, der Wahrsager und der Arzt, alle sind dem erbarmungslosen Schicksal unterw or­ fen. Alles Wirken birgt Gefahren, und niemand weiß, wie sich seine Zukunft gestalten wird. Die Menschen streben nach Reichtum, von den Göttern kommt jedoch mit dem Gewinn auch das Verhängnis. In den weiteren Elegien Solons spiegelt sich bereits seine öffentliche Tätigkeit wider. Von dem Gedicht, in dem er seine Mitbürger zum Kampf um die Insel Salamis auffordert, sind - wie schon oben dargelegt - nur acht Verse erhalten geblieben (Fragment 2 Gentili-Prato). Auch auf andere Verse, in denen Solon mit lebhafter Anteilnahme die angespannte Lage in Athen an der Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert schildert, wurde bereits hingewiesen. In der 3. Elegie, die als »Eunomia« bezeichnet wird, verherrlicht Solon seine Heimatstadt, die »die mutvolle Pallas Athene, die Tochter des mächtigen Zeus, behütet«. Hier erscheint der Kult der Göttin Athena, den man in der weiteren Entwicklung der athenischen Politik über Peisistratos und Themistokles bis hin zu Perikies verfolgen kann. Auch in der attischen Literatur, vor allem in der dramatischen Dichtung des Aischylos und des Euripides sowie in den Komödien des Aristophanes, tritt der Kult der jungfräulichen Beschützerin der Polis häufig in den Vordergrund. Neben Athena erscheint in der »Eunomia« auch Dike, die personifizierte Göttin der Gerechtigkeit. Bei Homer sorgt für die Einhaltung des Rechtes 72

Themis, die personifizierte Göttin der Rechtsordnung. Dike, die bereits bei Hesiod als eine der drei Horen, der Töchter des Zeus - zusammen mit der Eunomie und der Eirene - auftritt, beschützt nicht nur die alte, vorwiegend den Vorstellungen der Gentilaristokratie entsprechende Ordnung, sondern bringt auch den schwächeren sozialen Schichten Gerechtigkeit. Darin äußert sich die neue gesellschaftliche Situation, in der das Volk sein Recht geltend machen will und sich um Schutz vor Übermut (ϋβρις) und dem unredlichen Sinn (άδικος νόος) der Mächtigen bemüht. Wie Werner Jaeger in seiner Studie über die Anfänge der griechischen Rechts­ philosophie hervorhebt, unterscheidet sich jedoch Solons Auffassung von Gerechtigkeit weitgehend von dem religiösen Glauben Hesiods, bei dem der Bauer natürliche Katastrophen befürchtet und sich nach dem himmlischen Segen sehnt. Solon soll die Wirkung der Dike auf »alle Formen sozialen Übels, die die Gemeinschaft befallen« (Zeitschrift für philosophische Forschung 3, 1948/49, 329), erweitert haben. Bei ihm steht die Gerechtigkeit im kausalen Zusammen­ hang mit den sozialen Vorgängen, was Jaeger mit der von ionischen Philosophen entdeckten Kausalität im Kosmos vergleicht. Die harmonische Gesellschaftsord­ nung entspricht der harmonischen Gestaltung der Natur. Die 3. Elegie Solons ist nicht nur als eine programmatische Erklärung eines Mannes zu betrachten, der seine von inneren Zwistigkeiten bedrohte Heimat retten will. Sie enthält ebenfalls den Grundgedanken von der Regelung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bürgergemeinschaft (κοινωνία τών πολιτών), die zur Grundlage der griechischen Polis wurde. Seine inbrünstige Liebe zu seiner Geburtsstadt äußert Solon auch im nur aus einem Distichon bestehenden 4. Fragment, wo er seine Besorgnis um die Zukunft »des ältesten Landes Ioniens« zum Ausdruck bringt. In zwei weiteren Fragmen­ ten (5 und 6) nimmt er dann - wie schon oben bemerkt - Stellung zu den sozialen Auseinandersetzungen innerhalb der athenischen Polis. Während sich in diesen noch vor dem Archontat Solons entstandenen Versen seine Ansichten über die Ursachen der gespannten Lage widerspiegeln, verteidigt er im nächsten - am Anfang des Kapitels über die Verfassung zitierten - Fragment (7) seine durchgeführte Lösung, die sowohl das Volk als auch die Eupatriden befriedigen sollte. Sein Bestreben war es, beide zerstrittenen Parteien vor einer widerrechtlichen (άδικος) Handlung zu bewahren. Hier erscheint also wieder der Gedanke, daß die Stabilität der Polis vor allem durch Gerechtigkeit gewährleistet werde. Im 8. Fragment lehnt Solon die Unterdrückung des Volkes ab, stellt sich jedoch gleichzeitig auch gegen eine zügellose Freiheit. Wie bereits in der »Eunomia« warnt er auch hier vor dem Übermut (ϋβρις), jedoch wendet er sich diesmal nicht 73

gegen die Eupatriden, sondern gegen diejenigen »Leute, die nicht redlich zu denken vermögen«. In einem Pentameter (Fragment 9) drückt Solon den Gedan­ ken aus, den er ausführlicher in seinen in Trochäen und Iamben verfaßten Versen behandelt: Derjenige, der »große Taten« zustande bringt, kann kaum mit einer allgemeinen Zustimmung rechnen. In zwei Fragmenten (10 und 11) sind Solons Reisen nach Ägypten bzw. nach Zypern bezeugt, die er —wie schon oben gezeigt - offenbar erst nach seinem Archontat unternommen hat. Die ersten zwei Verse des 12. Fragments zitiert Plutarch (Solon 3,6) zusammen mit dem nur aus einem Distichon bestehenden 13. Fragment als einen angeblichen Beweis dafür, daß Solon »in der Naturwissenschaft sehr einfach und altertüm­ lich« gewesen sei. Die hier vorhandenen Schilderungen eines von Schnee und Hagel begleiteten Sturmes bzw. des stürmischen und wieder ruhigen Meeres sind jedoch offenbar allegorisch gemeint. Dies geht aus den weiteren - bei anderen antiken Autoren erhaltenen - Versen des 12. Fragments eindeutig hervor, denn da wird die Gefahr erörtert, die der Polis droht: Das Volk kann in seiner Torheit in die Sklaverei eines Alleinherrschers (ές μονάρχου . . . δουλοσύνην) geraten. Man soll diesem Unheil durch rechtzeitige Maßnahmen steuern. Es ist auch kaum zufällig, daß Solon im 13. Fragment das ruhige Meer als »äußerst gelassen«, wörtlich: »gerecht« (πάντων έστί δικαιότατη), bezeichnet. In den beiden Frag­ menten handelt es sich kaum um naturwissenschaftliche Betrachtungen, sondern eher um eine poetische Erfassung der gespannten politischen Lage, die schließlich zur Tyrannis des Peisistratos führte. In dieselbe Richtung weist auch das - bereits oben erwähnte —Distichon, in dem Solon den ihm von seinen Mitbürgern vorgehaltenen »Wahnsinn« zur Sprache bringt. Diogenes Laertios (1,49) zitiert dieses Fragment (14) im Zusam­ menhang mit der angeblichen Warnung Solons vor der Alleinherrschaft des Peisistratos. Die 15. Elegie stammt wahrscheinlich schon aus der Zeit der Tyrannis. Die Athener sollten - nach Solons Worten - für das schlimme Los, das sie durch eigene Leichtfertigkeit getroffen habe, nicht die Götter verantwortlich machen. Sie hätten doch selbst diesen Leuten zum Aufstieg verholten und dafür die schlimme Sklaverei (κακήν. . . δουλοσύνην) erhalten. Für sich selbst sei jeder schlau wie der Fuchs, sobald sie jedoch zusammen handelten, verlasse sie der Verstand. Sie blickten lediglich auf »Zunge und Worte« des verschlagenen Mannes, kümmerten sich jedoch nicht um die darauffolgende Tat. Neben diesen vorwiegend auf die politischen Geschehnisse in Athen anspielen­ den Versen sind auch einige Fragmente der Elegien Solons erhalten, in denen der Dichter nur als Mensch seiner Zeit und Umgebung hervortritt. Im 16. Fragment 74

verherrlicht er die Päderastie, die - wie bereits bei der Behandlung der Soloni­ schen Gesetze betont wurde - als ein Vorrecht der Freien galt. Noch prägnanter wird die Lebensweise der Staatsbürger - und vor allem der Aristokraten - in einem anderen elegischen Distichon (Fragment 17) ausgedrückt. Nach dieser Auffassung ist derjenige glücklich, der Knaben, Pferde, Jagdhunde und einen auswärtigen Gastfreund besitzt. Dieser Gedanke wird dann in einem etwas längeren elegischen Gedicht (Frag­ ment 18) ausführlicher erläutert. Als Voraussetzung zum glücklichen Leben wird dort die Befriedigung der leiblichen Genüsse bezeichnet. Dies sei der wahre Reichtum und nicht die übermäßige irdische Habe, die man sowieso nicht in den Hades mitnehmen könne. Solon will jedoch nicht die Armut preisen und den Besitz grundsätzlich verurteilen. Er ist sich lediglich dessen bewußt, daß der Reichtum allein die Bedürfnisse des Menschen nicht zu sichern vermag. Niemand kann sich von Krankheit, Alter und Tod loskaufen. Im 19. Fragment, das nur aus einem Distichon besteht, kommt Solons pessimi­ stische Meinung über das Menschenleben noch stärker zum Ausdruck. Niemand könne für glücklich gehalten werden, denn alle Leute auf der Welt seien elend. Zwei weitere Fragmente (20 und 21) enthalten Aussagen über die Grenzen der menschlichen Erkenntnis. Das Maß des Wissens sei für den Menschen unerreich­ bar. N ur die Götter sähen alles und - wie es bereits in der Musenelegie eingehender erläutert wird - überwachten das Tun eines jeden Sterblichen. Die Menschen seien nicht imstande, ihr künftiges Los zu erkennen, der Wille der Götter bleibe ihnen verborgen. Den ersten Vers des Distichons (Fragment 22) über »den blonden Kritias«, in dem Solon den Rat von sich weist, dem Vater des Kritias zu folgen, zitiert Aristoteles in der »Rhetorik« (1375b 32) mit der Bemerkung, dieser sei von den Gegnern des konservativen Politikers Kritias zitiert worden, um zu zeigen, daß dessen Familie (οικία) »seit jeher ausschweifend« gewesen sei. Diogenes Laertios (3,1) bezeichnet den älteren Kritias als Großvater des athenischen Staatsmannes und Sohn von Solons Bruder Dropides. Platon (Timaios 20 E) hält jedoch Dropides lediglich für einen Verwandten und Freund Solons und nicht für dessen Bruder. In der 23. Elegie charakterisiert Solon einzelne Perioden des menschlichen Lebens. Das Leben wird auf 70 Jahre geschätzt und jedem der zehn siebenjähri­ gen Abschnitte ein elegisches Distichon gewidmet. Eine Ausnahme bildet nur das siebente Distichon, in dem Solon die siebente und die achte Periode - vom 42. bis zum 56. Lebensjahre - als denjenigen Zeitraum des menschlichen Lebens bezeich­ net, in dem »der Verstand und die Zungenfertigkeit am besten« seien. Das Distichon (Fragment 24), in dem Solon seine Vorliebe für »Werke der 75

Göttin von Zypern, des Dionysos und der Musen, die den M ännern F r e u d bereiten«, erwähnt, wird von Plutarch sogar in drei Schriften zitiert. D ie se; Bekenntnis wird in der Forschung gewöhnlich mit dem Gedicht des A n a k re o ; (96 Diehl) verglichen, in dem sich dieser Sänger der Liebe und der f r o h e i Zechgelage von denen, die beim Weine von Fehden und Kriegen erz ä h le n , abwendet und demgegenüber diejenigen lobt, die »im geselligen F ro h sin n d e prächtigen Gaben der Musen und der Aphrodite gedenken«. In dem kürzesten erhaltenen Fragment (25), das nur aus der H älfte e in e Hexameters besteht, erklärt Solon, daß »die Dichter (άοιόοί) häufig lü g en « . Diese Behauptung steht offenbar im Zusammenhang mit einer Textstelle in d e r Biographie des Plutarch (Solon 29, 6—7), wo über eine angebliche Z u sa m m e n ­ kunft Solons mit Thespis, dem Schöpfer der attischen Tragödie, berichtet w ir d . Solon soll sich nach einer Vorstellung an den Dramatiker und S chauspieler Thespis mit der Frage gewendet haben, »ob er sich nicht schäme, vor so vielen Leuten so ungeheuerlich zu lügen«. Als sich Thespis mit der Erklärung g e w e h rt habe, es sei doch nichts Böses, solche Dinge im Scherz zu sagen und darzustellen, soll ihm Solon zornig erwidert haben, es bestehe die Gefahr, daß solche S cherze dann auch in das öffentliche Leben eindringen könnten. Diese Geschichte, die auch Diogenes Laertios (1,59) berührt, ist o ffen b ar fiktiv, entspricht jedoch wahrscheinlich - wie auch das erwähnte 25. Fragm ent — der Einstellung Solons zum literarischen Kunstwerk. Er betrachtete die Poesie als ein wichtiges Mittel, mit dem man seine Gedanken, Ansichten und G efühle ausdriieken kann, stellte sich jedoch entschieden gegen jegliche erfundene Bege­ benheit. Das 26. Fragment, in dem sich Solon an den Dichter Mimnermos aus dem kleinasiatischen Kolophon wendet, wurde bereits oben —in der Erörterung cler chronologischen Angaben über Solons Leben - erwähnt. Solon bittet M im ner­ mos, seinen Vers, in dem er sich mit der Lebenslänge von 60 Jahren begnügen will (Mimnermos 11,2 Gentili-Prato), zu ändern und den Tod erst für das 80. Lebens­ jahr anzurufen. In einem weiteren Distichon (Fragment 27) spricht dann Solon den W unsch aus, nach seinem Tod von seinen Freunden beklagt zu werden. Den letzten Lebensjahren entstammt ferner der Pentameter (Fragment 28), in dem Solon behauptet, er lerne auch in seinem Alter noch immer vieles hinzu. Diese Behaup­ tung wurde bald berühmt und ist bei mehreren antiken Autoren bezeugt. Neben den Elegien sind auch einige in trochäischen Tetrametern sowie in iambischen Trimetern verfaßte Gedichte Solons erhalten. Es handelt sich vorwie­ gend um polemische Verse, in denen Solon seine politischen Reformen gegen Kritiker verteidigt.

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In den Tetrametern wendet sich Solon - nach dem Zeugnis Plutarchs (Solon 14,8) - zuerst (Fragment 29) an einen sonst unbekannten Mitbürger namens Phokos und behauptet, er brauche sich nicht zu schämen, daß er sein Vaterland geschont und nicht nach Tyrannis und strenger Herrschaft gestrebt habe. Er habe seinen Namen nicht geschändet und besudelt und hoffe eher, auf diese Weise über alle Menschen zu siegen. Danach führt Plutarch (Solon 14,9) weitere Tetrameter an (Fragment 29a), in denen Solon »die Spöttereien, die sich viele gegen ihn erlaubten«, andeutet. Solon äußert sich dort ironisch über seine Kritiker. Sie hätten ihn als einen Menschen ohne Mut und Verstand verspottet, da er nicht bereit gewesen sei, sich der Alleinherrschaft (τυραννίς) in Athen zu bemächtigen. Sachlicher wirkt die Polemik in den Tetrametern (Fragment 29b), die wir im »Staat der Athener« (12,3) vorfinden. Solon hielt dort seinen Kritikern vor, sie hätten auf Gewinn und Bereicherung gehofft. Er selbst habe jedoch nie nach der Tyrannis gestrebt. Auch habe er keineswegs »den Edlen« (έσΰλοί) den gleichen Anteil an Grund und Boden wie »den Schlechten« (κακοί) gegeben. Hier handelt es sich offenbar - im Unterschied zu der im Kapitel über die Seisachtheia analysierten Textstelle aus dem 6. Fragment - um die Unterscheidung der atheni­ schen Bürger nach ihrer sozialen Herkunft. Den einleitenden Worten im »Staat der Athener« zufolge hat Solon in diese Versen gegen diejenigen Stellung genom­ men, die auf eine Neuaufteilung des Grund und Bodens hofften. Auch in seinem längsten - oben bereits erwähnten - iambischen Gedicht (Fragment 30) verteidigt Solon seine politische Tätigkeit, wobei er seine wichtig­ sten Maßnahmen aufzählt. Sein Programm habe er einwandfrei erfüllt. Dies bewiesen die Abschaffung der Pfandsteine und die Befreiung der versklavten und verschleppten Landsleute sowie derjenigen Mitbürger, die in unwürdiger Abhän­ gigkeit von »den Herren« (δεσπόται) ihr Leben verbracht hätten. Diese seine Taten könne auch »die schwarze Erde, die große Mutter der Olympischen Götter«, bezeugen. Sein inniges Verhältnis zu der Nährmutter des menschlichen Geschlechtes äußert Solon übrigens auch in der Musenelegie (1,20), in der er »die weizen tragende Erde« verherrlicht. Eine so tiefgreifende Maßnahme wie die Abschaffung der Schuldsklaverei konnte freilich nicht ohne Eingriffe gegen die wohlhabenden Gutsbesitzer durch­ geführt werden. Solon betont, er habe durch seine Macht »Gewalt und Recht harmonisch vereinigt«. Hier erscheint wieder der Begriff 0ίκη, den Solon als Recht oder Gerechtigkeit verstand, als ein wichtiges Mittel zur Überwindung der bestehenden sozialen Konflikte innerhalb der athenischen Polis. Diesen Gedanken führt Solon dann näher aus. Er habe seine Gesetze sowohl für »die Schlechten« als auch für »die Guten« geschrieben - womit offenbar das 77

Volk und die Eupatriden gemeint sind — und jedem das gerade Recht (δίκη) bestimmt. Zum Abschluß dieses Gedichtes äußert sich Solon entschieden gegen extreme Tendenzen. Wenn er während seiner Amtszeit die W ünsche der einen oder der anderen Partei erfüllt hätte, dann »wäre die Polis von vielen M ännern verwaist«. Er habe sich nach allen Seiten wehren müssen »wie ein W olf, von vielen Hunden umstellt«. Auch im 31. Fragment verteidigt Solon sein staatsmännisches W erk. Das Volk habe nie davon träumen können, »was es nun als eigen besitzt«, und ebenfalls diejenigen, »die größer und mächtiger sind«, müßten Solon loben und ihn als Freund betrachten. Ein anderer Politiker »hätte nicht das Volk gebändigt und hätte nicht geruht, bis er beim Rühren den Rahm von der Milch geschöpft hätte«. Er dagegen sei zwischen den beiden Parteien »wie ein Grenzstein stehenge­ blieben«. Einige iambische Fragmente (32, 33, 34) befassen sich m it der menschlichen Nahrung. Es werden dort verschiedene Speisen, Zutaten und Leckerbissen aufgezählt. Wir wissen jedoch nicht, ob es sich da vielleicht um parodierende Anspielungen auf die Schwelgerei der Reichen oder lediglich um allgemeine Betrachtungen über verschiedene Gerichte handelt. In einem sprichwörtlich gewordenen iambischen Vers (Fragment 35) ertönt der Appell, man solle den Regierenden gehorchen, ob sie Recht (δίκη) tun würden oder nicht. In welchem Zusammenhang Solon dies geäußert hat, ist uns jedoch nicht bekannt. Wenn auch die Gedichte Solons meistens nur in Fragmenten erhalten sind und ihre Interpretation des öfteren schwierig ist, bilden sie die wichtigste Quelle zur Kenntnis seiner öffentlichen Tätigkeit und auch seiner politischen und philoso­ phischen Anschauungen. Das dichterische Werk Solons sichert ihm einen würdi­ gen Platz in der griechischen elegischen und iambischen Poesie.

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Nachleben

Die Bürgerschaft von Athen soll, solange sie die Oberherrschaft innehatte, die größte Einsicht besessen haben; doch der weiseste aus dieser Gemeinde, so sagt man, war Solon, der Mann, der die heute noch geltenden Gesetze schrieb. Einst fragte man ihn, warum er keine Strafe für den vorsehe, der den Vater ermordet habe. Er antwortete, er habe geglaubt, daß niemand so etwas tun würde. Man sagt, er handelte weise, da er eine zuvor noch nie begangene Tat auch nicht mit Strafe bedrohte, um den Anschein zu vermeiden, als wolle er nicht abschrecken, sondern anstiften. (Cicero, Für Sextus Roscius aus Ameria 70) Wie aus mehreren polemisch zugespitzten Versen Solons ersichtlich ist, stießen seine Maßnahmen auf die Kritik unzufriedener Mitbürger. Im »Staat der Athe­ ner« (11,1) lesen wir, daß »die Leute ihn nun mit Kritiken und Fragen hinsichtlich der Gesetze zu belästigen begannen«. Er sei jedoch nicht bereit gewesen, seine Gesetze zu ändern und durch seine Anwesenheit böses Blut zu machen, und habe daher beschlossen, nach Ägypten auszureisen »zu Handelszwecken und zugleich um sich umzuschauen«. Dabei habe er angekündigt, daß er zehn Jahre wegblei­ ben werde. Bald kam es in Athen zu Auseinandersetzungen, die sogar dazu geführt haben sollen, daß es zweimal nicht gelang, einen Archon zu wählen. Dann habe wiederum - wahrscheinlich in den ausgehenden achtziger Jahren des 6. Jahrhun­ derts - ein gewisser Damasias das Archontat mehr als zwei Jahre lang bekleidet, der erst durch eine Verständigung der zerstrittenen Parteien, die sich auf eine Kompromißlösung geeinigt hätten, des Amtes enthoben worden sei. Dies führte jedoch wahrscheinlich lediglich zu einer kurzfristigen Beruhigung, und in den sechziger Jahren des 6. Jahrhunderts wetteiferten sogar drei Gruppierungen (στά­ σεις), die als Pediaker (πεδιεϊς), Paraler (πάραλοι) und Diakrier oder Hyperakrier (Δ ιάκριοι, 'Υ περάκριοι) bezeichnet werden, um die Macht in der atheni­ schen Polis. Da diese Gruppierungen im »Staat der Athener« (13,4) als drei politische Richtungen - Oligarchen, Vertreter der mittleren Verfassung, Demokraten interpretiert werden, stellte man in der älteren Fachliteratur gewöhnlich die 79

Pediaker als aristokratische Grundbesitzer, die Paraler als Kaufleute und H and­ werker und die Diakrier am häufigsten als Kleinbauern und Hirten dar. In der neueren Forschung wurde jedoch nachdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich dabei - Historizität vorausgesetzt —um regionale Gruppierungen in den einzelnen Teilen Attikas - in der Ebene (πεδίον), im Küstenland (παραλία, πάραλος) und im Hochland (διακρία) - handelte und daß in deren Streit vorwiegend rivalisie­ rende Tendenzen der führenden aristokratischen Familien zur Geltung kamen. Neben der Rivalität der vornehmen Familien gab es jedoch höchstwahrschein­ lich auch andere Beweggründe. Wie aus mehreren Versen Solons hervorgeht, traten im damaligen Attika sowohl konservative als auch solche politische Kräfte zum Vorschein, die die soziale Differenzierung der Gesellschaft widerspiegeiten. Aus der Schilderung Herodots (1,59) erfahren wir, daß die Gruppe der Hyperakrier - wie er sie nennt - später als die beiden anderen Gruppierungen entstanden ist, denn erst während des Streites der Paraler und der Pediaker gründete Peisistratos, »da ihm die Tyrannis im Sinn lag, die dritte Partei (στάσις)«. Solon warnte seine Mitbürger vergebens vor der drohenden Tyrannis und hat wie oben gezeigt wurde - die erste Phase der Alleinherrschaft des Peisistratos höchstwahrscheinlich noch erlebt. Herodot (1,59) berichtet, Peisistratos habe sich der Akropolis mit Hilfe einer Gruppe bewaffneter Männer bemächtigt, »die ihm das athenische Volk zu seinem Schutz bewilligt hatte«, und charakterisiert dann die Herrschaft des Tyrannen als durchaus positiv. »Er tastete die bestehen­ den Ämter nicht an und änderte auch die Satzungen nicht, sondern lenkte die Stadt mit den bestehenden und verwaltete sie nach der Ordnung und gut.« Peisistratos, dem es höchstwahrscheinlich erst in der Mitte der vierziger Jahre des 6. Jahrhunderts gelang, die Alleinherrschaft in Athen endgültig zu erreichen, setzte sich freilich mit seinen politischen Gegnern aus den Reihen der Eupatriden scharf auseinander. Indem er bestrebt war, seine persönliche Macht zu festigen, sorgte er jedoch auch für die Stärkung der athenischen Polis. In diesem Bestreben knüpfte er in mancher Hinsicht an die Politik Solons an. Eine bedeutende Rolle fiel zur Zeit der Tyrannis dem - bereits in den Versen Solons auftretenden - Kult der Athena zu. Die Schutzgöttin der Polis stand auch während der Herrschaft der Söhne des Peisistratos in großem Ansehen. Es genügt, den zu dieser Zeit auf der Akropolis entstandenen Athenatempel und die Einführung des neuen Münztypus mit dem Kopf der Göttin auf der Vorder- und mit Athenas heiligem Tier, der Eule, auf der Rückseite zu erwähnen. Der Gesetzeskodex Solons verlor unter der Herrschaft der Tyrannen nicht an Bedeutung und behielt seine Geltung auch in der Verfassung des Kleisthenes aus dem ausgehenden 6. Jahrhundert, die als ein wesentlicher Schritt der athenischen Polis auf ihrem Weg zur Demokratie zu werten ist. 80

Die Popularität des großen Gesetzgebers im demokratischen Athen wird unter anderem in den Werken der Alten attischen Komödie bezeugt. Im Theaterstück »Cheirones« des Kratinos, in dem der Chor der Kentauren die bestehenden Verhältnisse unter Perikies kritisiert und dagegen die guten alten Zeiten verherr­ licht, erscheint - wie aus einem Fragment (Fr. 228 Kock) ersichtlich ist - auch Solon auf der Bühne. Bereits oben wurde die scherzhafte Anspielung desselben Dichters (Fr. 274 Kock) auf die Kyrbeis Solons und Drakons erwähnt. Über die Kyrbeis wird auch in den »Vögeln« des Aristophanes gesprochen. Der in einen Vogel verwandelte Athener Pisthetairos beruft sich dort (1353-7) auf das Gesetz Solons, nach dem der Sohn verpflichtet war, seinen alten Vater zu ernähren. An einer anderen Stelle (1660-3) zitiert Pisthetairos ein anderes »Gesetz Solons«, nach dem ein unehelicher Sohn keinen Anspruch auf die Erbschaft seines Vaters erheben könne. In einem Dialog seiner ersten Komödie »Schmauser« (Δαιταλής, Fr. 222 Kock) soll Aristophanes einige schwierige Ausdrücke aus den Gesetzen Solons erörtert haben, und in den »Wolken«, wo man eine Bestimmung über das Gerichtsverfahren im Schuldrecht - höchstwahrscheinlich zu Unrecht als Solonisch bezeichnet, wird »der alte Solon« als »Volksfreund von Natur« (ηπλόδημος την ιρύσιν) bezeichnet. In der Komödie »Demoi« (Δήμοι), die Aristophanes’ größter Rivale Eupolis nach der katastrophalen Niederlage der athenischen Flotte bei Syrakus im Jahre 412 auf die Bühne gebracht hat, erscheint Solon (Fr. 138 PCG) als das älteste Mitglied einer repräsentativen Delegation der berühmtesten, bereits im Hades weilenden athenischen Staatsmänner, die auf die Erde geschickt wird. Die Gesetze Solons werden des öfteren bei den attischen Rednern erwähnt. Der von der oligarchischen Herrschaft der »30 Tyrannen« nach dem Peloponnesischen Krieg verfolgte Rhetor Lysias hat in einer seiner Reden (10,6-12. 15-19) einige altertümliche Ausdrücke und Redewendungen der Axones überliefert, und in einer anderen Rede erwähnt er an mehreren Stellen (30,2; 17; 26) die gesetzge­ berische Tätigkeit Solons. Der konservativ eingestellte Politiker und Redner Isokrates betrachtet Solon, zusammen mit Kleisthenes, als den bedeutendsten Schöpfer der athenischen Demokratie (7,16), und in einer anderen Rede bezeich­ net er den großen Gesetzgeber als »den Beschützer oder Vorsteher des Volkes« (15,231; προστάτης τού δήμου) bzw. »der Polis« (15,312). Auch während der politischen Auseinandersetzungen zwischen den antimake­ donischen Politikern und ihren Gegnern wurde Solons Gesetzgebung nicht selten herangezogen. Demosthenes (18,6) und ähnlich auch Hypereides (5,21) charakte­ risieren Solon als »Volksfreund« (δημοτικός, δημοτικώτατος), aber auch für Aischines (3,257) ist Solon der Mann, der »die Demokratie mit schönsten Gesetzen geziert« habe (τον καλλίστοις νόμοις κοσμήσαντα την δημοκρατίαν). 81

Wie E. Ruschenbusch in seiner Edition der Gesetze Solons gezeigt hat, ist wahrscheinlich lediglich eines der von Aischines als Solonisch bezeichneten acht Gesetze für authentisch zu halten, wogegen die Reden des Demosthenes die reichste Fundgrube für die Gesetze Solons bilden. Wie in der Alten attischen Komödie erschien Solon auch in den Werken der sogenannten Mittleren sowie auch der Neuen attischen Komödie. Als »der größte Gesetzgeber« (κρείττων νομοθέτης) wird er im Theaterstück »Kessel« (Λέβης) des Alexis (Fr. 126 Kock) gerühmt. Im Schauspiel »Aisopos« (Λισ(οπος) führt derselbe Dichter Solon zusammen mit Asop auf der Bühne vor (Fr. 9 Kock). Er tritt dort als Verfechter der griechischen Mäßigkeit gegenüber der barbarischen Maßlosigkeit auf. Das Gespräch der beiden Männer betrifft jedoch weder die gesetzgeberische Tätigkeit noch eine philosophische Thematik, sondern - das Weintrinken. Solon erklärt, der reine Wein sei lediglich zum Trankopfer für die Götter bestimmt, zum Trinken solle bei den Griechen immer nur der gemischte Wein gebraucht werden. In einem Fragment der Komödie »Brüder« (’Αδελφοί) von Philemon (Fr. 4 Kock), der bereits in der Antike mit Menander in Verbindung gebracht wurde, wird Solon als Begründer der Prostitution und der Freudenhäuser gefeiert. Dasselbe »Verdienst« wurde Solon auch von Nikandros von Kolophon, dem hellenistischen gelehrten Dichter aus dem 3. Jahrhundert, nachgesagt (FGrFIist 271 F 10). Solon hat freilich kein Gesetz über Freudenhäuser erlassen. Wie bereits oben erörtert wurde, soll er nach Plutarch (Solon 23,1) bestimmt haben, daß jeder Kuppler mit einer Geldbuße bestraft werden solle. Dabei gab es jedoch eine Ausnahme, und zwar, wenn es sich um Frauen handelte, »die öffentlich verkauft werden«. Auch in der römischen Komödie begegnen wir dem Namen des athenischen Gesetzgebers. In dem bekannten Theaterstück »Asinaria« (»Eselsspiel«) - das Plautus nach dem Vorbild der Komödie »Onagos« (Ό ναγός) eines sonst unbe­ kannten hellenistischen Dichters verfaßte - wird (598-602) Solon als ein Mann geschildert, der sich bemühe, durch seine Gesetze seinen Mitbürgern wohlzutun, die jedoch seinem Bemühen zuwider »nie anständig sein können und Tag und Nacht trinken möchten« (numquam bonae frugi sient, dies noctesque potent). Eine anekdotische Anspielung auf die gesetzgeberische Tätigkeit Solons finden wir auch in einer anonymen römischen Komödie. Es wird da (Com.incert. fr. 3 Ribbeck) mit Berufung auf Solon behauptet, daß es für einen Verbrecher keine schlimmere Strafe gebe als schlechte Eigenschaften seiner Ehefrau. Des öfteren wird die gesetzgeberische Tätigkeit Solons von Cicero erwähnt. Neben der oben zitierten Stelle, die aus der frühen - bereits im Jahre 80 vorgetragenen - Rede für Sextus Roscius aus Ameria stammt, befaßt sich Cicero 82

mit einzelnen Gesetzen Solons sowohl in seinen theoretischen Schriften (de rep. 2,34,59; de leg. 2,23,59; 2,25,64) als auch in seinem Briefwechsel (ad Attic. 10,1,2). In einem Brief (ad famil. 1,15,3) bezeichnet er Solon als »den weisesten Mann von den Sieben« (qui et sapiens unus fuit ex septem). In seinen philosophi­ schen Schriften beruft sich Cicero auch auf einige Verse Solons (de sen. 26; 50; 73), und an einer Stelle der »Gespräche in Tusculum« (1,117) finden wir sogar seine eigene Übersetzung eines Solonischen Distichons (Fr. 27 Gentili-Prato) ins Lateinische. Von der Beliebtheit der Gedichte Solons bei der athenischen Jugend berichtet Platon in seinem Dialog »Timaios« (21b). Dort finden wir auch (20d—25e) die berühmte Erzählung über Atlantis, die bekanntlich ein ägyptischer Priester dem athenischen Gast Solon erzählt haben soll. In der Forschung wurde bereits auf schwer überwindbare chronologische Probleme in den Angaben über Kritias und seinen gleichnamigen Großvater hingewiesen, der die Geschichte angeblich direkt von Solon gehört hatte. Auch die Vermutung A. Masaracchias (Solone, Firenze 1958, 63), daß die Tradition über Atlantis vielleicht ein Echo in der Solonischen Dichtung gefunden habe, ist kaum stichhaltig. In dem bei Platon erhaltenen Bericht wird nämlich lediglich gesagt, Solon habe sich der dichterischen Tätigkeit nicht völlig widmen können und sei daher auch nicht imstande gewesen, »den aus Ägypten gebrachten Logos auszuführen«. Plutarch bemerkt zwar (Solon 26,1), Solon habe »versucht, den Atlantischen Logos in einem Gedicht unter den Griechen zu verbreiten«, beruft sich jedoch ausdrücklich auf die Erzählung Platons. So bleibt der Anteil Solons an der legendären Geschichte über Atlantis fraglich. Platon, der Solon als den Urheber der athenischen Gesetze schätzt (Symp. 209 d) und ihn an mehreren Stellen zusammen mit anderen griechischen Gesetzge­ bern - vor allem mit Lykurg, dem legendären Schöpfer der spartanischen Staats­ ordnung - nennt, zitiert keine einzelnen Gesetze Solons und erwähnt auch nur selten (Lys. 212d ; vgl. Lach. 188b, 189a und Resp. 736d) dessen Verse. Eine reiche Fundgrube für die Kenntnis sowohl des dichterischen als auch des gesetzgeberischen Werkes Solons ist der »Staat der Athener«. Der Verfasser dieser Schrift schöpfte offenbar aus Werken mehrerer Autoren, die freilich das politische Auftreten Solons unterschiedlich beurteilten. Zum erstenmal wurden dort - wie es scheint - die Gedichte Solons zur Rekonstruktion seiner öffentli­ chen Tätigkeit systematisch herangezogen. Aristoteles berichtet vor allem in der »Politik« an mehreren Stellen über die politischen Maßnahmen Solons. Dabei erwähnt er jedoch selten einzelne kon­ krete Bestimmungen Solons (Pol. 1266b 17; 1274a 15-21) und zitiert nur ausnahmsweise aus dessen Gedichten (Pol. 1256b 33; Rhet. 1375 32). 83

Die wichtigste Quelle für unsere Kenntnisse vom Leben und Wirken Solons ist die Biographie Plutarchs. Der bedeutende griechische Schriftsteller, der während der Regierungszeit der Kaiser Traian und Hadrian mit verschiedenen Ämtern in der römischen Verwaltung Griechenlands beauftragt wurde, zitiert in seinem Werk verhältnismäßig oft die Quellen, aus denen er seine Informationen —wenn auch bisweilen nicht direkt, sondern nur aus zweiter Hand - schöpfte, so daß dadurch viele Zeugnisse aus den älteren, meist verlorenen Schriften erhalten blieben. Wir finden dort viele Fragmente der Gedichte Solons sowie reiche Angaben über dessen Gesetzgebung, wenn auch nicht alle zuverlässig sind. Plutarch schöpfte vor allem aus den Schriften hellenistischer Gelehrter. Bereits am Anfang seiner Biographie Solons nennt er Didymos - den alexandrinischen Grammatiker des 1. Jahrhunderts v.Chr. —als Verfasser einer Schrift über Solons Axones. Einige Fragmente der Gedichte sowie der Gesetze Solons sind auch in anderen Schriften Plutarchs überliefert. Große Aufmerksamkeit widmet Plutarch der Tradition über die Sieben Wei­ sen, und er befaßt sich auch ausführlich mit dem Kroisos-Logos. Nach Plutarchs Meinung war es überflüssig, daß Kroisos seinem athenischen Gast sämtliche Schätze seines Palastes zeigen ließ, denn Solon habe sich bereits bei seiner Begegnung mit dem König ein Urteil über ihn bilden können. In Plutarchs Darstellung (Solon 27) hebt Solon die griechische Mäßigkeit und schlichte Weisheit hervor, die sich von dem königlichen Prunk grundsätzlich unterscheide. Plutarch fügt (Solon 28,1) noch einen Zusatz über Äsop hinzu, der angeblich zur gleichen Zeit in Sardeis weilte. Äsop soll Solon bedauert haben, daß er eine so unfreundliche Aufnahme gefunden habe, und ihm den Rat gegeben haben, man müsse »mit Königen entweder gar nicht sprechen, oder nur so, wie es ihnen angenehm sei«. Solon sei mit dem ersten Teil des Rates einverstanden gewesen, habe jedoch bemerkt, wenn man schon mit Königen spreche, müsse es so geschehen, daß sie davon Nutzen hätten. Bereits die Auffassung des Kroisos-Logos bei dem Isokrates-Schüler Ephoros von Kyme, die uns aus Diodor (9,27,2) bekannt ist, wich übrigens von derjenigen Herodots ab. Solon habe nämlich dem lydischen König erklärt, daß nicht diejenigen, die über das größte Vermögen verfügten, zu den Reichen gezählt werden sollten, sondern die, die Vernunft für das höchste G ut hielten. Kroisos soll sich dann an Bias von Priene gewandt haben, der aber mit Solons Antwort einverstanden gewesen sei und hinzugefügt habe, Solon sei lediglich imstande gewesen, das äußere Vermögen des Königs zu besichtigen, während ihm dessen innere Schätze verborgen geblieben seien, in denen das menschliche Glück liege. Lukian von Samosata, der scharfsinnige Satiriker aus dem 2.Jahrhundert n.Chr., bringt in seinem Dialog »Charon« (9-13) eine interessante Version der 84

Geschichte von Solon und Kroisos. Als der Lyderkönig goldene Ziegel nach Delphi gesandt habe, soll Solon behauptet haben, Gold sei keine passende Gabe für den Gott, denn Eisen sei ein besseres Metall. Als dies Kroisos bezweifelt habe, soll Solon auf den bevorstehenden Krieg mit Kyros hingewiesen haben. Wenn Kroisos nicht genug Eisen zur Verfügung stehe, dann werde sein Gold in persische Hände fallen. Dem frühchristlichen Apologeten Clemens von Alexandrien (Protrept. 3,43,2) liefert diese Erzählung den Beweis für die Perfidie der heidnischen Götter. Apollon habe Kroisos trotz der nach Delphi gesandten Gaben verraten und ihn den verhängnisvollen Fluß Halys überschreiten lassen. Humaner und wahrhafti­ ger als der Gott hätten sich die Menschen benommen. Solon habe Kroisos mit seiner Mahnung, aufs Ende zu schauen, die Wahrheit verkündet, und Kyros habe den brennenden Scheiterhaufen löschen lassen. Auch bei den Autoren der späteren Kaiserzeit war der Kroisos-Logos sehr beliebt und wurde aktuell interpretiert. Der Rhetor Libanios wendet sich in einer Rede (72,29) gegen gewinnsüchtige Lehrer, die nur die Reichen für glücklich hielten und damit »auch Kroisos für glücklicher als Solon«. In seiner Lobrede auf den verstorbenen Julian Apostata zieht er (18,74) eine Parallele zwischen dem Lyderkönig und dem Kaiser. Kroisos habe Solon seinen materiellen Reichtum gezeigt, da er nichts Wertvolleres besessen habe. Dagegen habe Julian seinen Besuchern Schätze seiner Seele, Gaben der Musen, aufgeschlossen, wovon man sich durch die Verse, die er ihnen zu Ehren gedichtet habe, überzeugen könne. Auf eine andere Weise preist Themistios Theodosius I. In der dem Kaiser gewidmeten Rede aus dem Jahre 384 (18, p. 270,12 Dindorf) erklärt er, Solon hätte Theodosius als den glücklichsten Mann bezeichnen müssen, da dieser mit seinem Reichtum das große römische Heer und das ganze Volk ernähre und trotz der bestehenden schwierigen Lage die Getreiderationen noch erhöhe. Zuletzt sei noch auf das lateinische Gedicht »Spiel der Sieben Weisen« (Ludus septem sapientium) des Ausonius (73-129) hingewiesen, in welchem auch Solon auftritt. Er stellt sich dort als einer der berühmten Sieben Weisen vor und erzählt von seiner Zusammenkunft mit Kroisos. Vor allem hebt er den Rat hervor, den er dem Lyderkönig erteilt habe, man solle auf das Ende des menschlichen Lebens schauen. Dieser Spruch wird dort sowohl in griechischer Sprache als auch in der lateinischen Übersetzung zitiert und für allgemeingültig erklärt. Wegen des Hauptgedankens, daß das menschliche Leben dem unbekannten Schicksal untergeordnet sei und daß niemand vor seinem Tode glücklich geprie­ sen werden könne, wurde die Erzählung von Solon und Kroisos nicht nur im Altertum, sondern auch in späterer Zeit häufig erwähnt. Das legendäre Bild des Weisen überschattete das wahre Antlitz des Gesetzgebers und Dichters. 85

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